Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/5/1992

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet. Lassen Sie mich zunächst mitteilen, daß der Abgeordnete Dr. Karl-Heinz Klejdzinski am 29. Oktober 1992 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben hat. Er tritt an die Stelle der durch Verzicht ausgeschiedenen Abgeordneten Dr. Heike Niggemeyer, die für den verstorbenen Kollegen Willy Brandt eingetreten war. Ich begrüße den aus früheren Wahlperioden bereits bekannten Kollegen Dr. Klejdzinski sehr herzlich. ({0}) Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt: 1. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Unterrichtung und Mitwirkung des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union - Drucksache 12/3609 2. Erste Beratung des von den Abgeordneten Peter Kittelmann, Dr. Karl-Heinz Hornhues, Dr. Franz Möller, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Detlef Kleinert ({1}), Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union - Drucksache 12/3614 3. Beratung des Antrags der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Vorlage eines neuen Gesundheitsstrukturgesetzes - Drucksache 12/3606 4. Aktuelle Stunde: Schutz und Unterstützung der Staatengemeinschaft für Salman Rushdie 5. Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Wartefristen für Eigenbedarfskündigungen in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet - Drucksachen 12/2758, 12/3605 ({2}) 6. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans Martin Bury, Achim Großmann, Norbert Formanski, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Bericht der Bundesregierung über das Zusammenwirken finanzwirksamer, wohnungspolitischer Instrumente ({4}) - Drucksachen 12/1277 ({5}), 12/2795 - 7. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Nationaler Hörfunk - Drucksache 12/3623 -8. Aktuelle Stunde: Pläne der Bundesregierung zu Steuererhöhungen und Einschnitten im sozialen Bereich Von der Frist für den Beginn der Beratung soll abgewichen werden, soweit dies zu einzelnen Punkten der Tagesordnung erforderlich ist. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 3a bis 3 e sowie die Zusatzpunkte 1 und 2 auf: 3. Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes - Drucksache 12/3566 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuß ({6}) Rechtsausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie und Senioren Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern - Drucksache 12/3582 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({7}) Rechtsausschuß Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Akte vom 17. Dezember 1991 zur Revision von Artikel 63 des Europäischen Patentübereinkommens - Drucksache 12/3537 -Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß Präsidentin Dr. Rita Süssmuth d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Finanzierung der Sanierung von Rüstungsaltlasten in der Bundesrepublik Deutschland ({8}) - Drucksache 12/3257 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß ({9}) Verteidigungsausschuß Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit e) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dirk Fischer ({10}), Heinz-Günter Bargfrede, Dr. Wolf Bauer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Ekkehard Gries, Horst Friedrich, Roland Kohn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Regelung über die Anmietung von Kraftfahrzeugen im Werkverkehr nach dem Einigungsvertrag - Drucksache 12/3577 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr ({11}) Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß ZP1 Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Unterrichtung und Mitwirkung des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union - Drucksache 12/3609 Überweisungsvorschlag: Sonderausschuß „Europäische Union" Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Auswärtiger Ausschuß Rechtsausschuß ZP2 Erste Beratung des von den Abgeordneten Peter Kittelmann, Dr. Karl-Heinz Hornhues, Dr. Franz Möller, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Detlef Kleinert ({12}), Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union - Drucksache 12/3614 - Überweisungsvorschlag: Sonderausschuß „Europäische Union" Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Auswärtiger Ausschuß Rechtsausschuß Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Änderung veterinärrechtlicher, lebensmittelrechtlicher und tierzuchtrechtlicher Vorschriften - Drucksache 12/3201 - Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({13}) - Drucksache 12/3619 Berichterstattung: Abgeordneter Matthias Weisheit ({14}) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({15}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur Erneuerung von Dörfern und kleinen Orten ({16}) - Drucksachen 11/6346, 12/3403 - Berichterstattung: Abgeordnete Iris Gleicke Hans-Wilhelm Pesch c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({17}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die mittelfristige Bau- und Investitionsplanung im Bereich der deutschen Schulen im Ausland - Drucksachen 12/1005, 12/3425 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Dorothee Wilms Dr. Cornelia von Teichman d) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({18}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1992 bei Kapitel 10 02 Titel 656 54 - Zuschüsse zur Sicherung der spätere Altersversorgung als Arbeitnehmer bei Abgabe landwirtschaftlicher Unternehmen ({19}) - Drucksachen 12/3207, 12/3454 - Berichterstattung: Abgeordnete Bartholomäus Kalb Dr. Sigrid Hoth Ernst Kastning e) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({20}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 05 02 Titel 686 30 - Beitrag an die Vereinten Nationen -- Drucksachen 12/3103, 12/3455 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Klaus Rose Dr. Sigrid Hoth Ernst Waltemathe f) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({21}) Sammelübersicht 76 zu Petitionen - Drucksache 12/3575 - g) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({22}) Sammelübersicht 77 zu Petitionen - Drucksache 12/3576 Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 4 a: Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung veterinärrechtlicher, lebensmittelrechtlicher und tierzuchtrechtlicher Vorschriften, Drucksachen 12/3201 und 12/3619. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf bei drei Enthaltungen angenommen. Tagesordnungspunkt 4 b: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zum Dorferneuerungsbericht der Bundesregierung, Drucksachen 11/6346 und 12/3403. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei drei Enthaltungen angenommen. Tagesordnungspunkt 4 c: Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Bericht der Bundesregierung über die mittelfristige Bau- und Investitionsplanung im Bereich der deutschen Schulen im Ausland, Drucksachen 12/1005 und 12/3425. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei drei Enthaltungen angenommen. Tagesordnungspunkt 4 d und 4 e: Beratung von zwei Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses zu überplanmäßigen Ausgaben ({23}), Drucksachen 12/3207 und 12/3454 sowie 12/3103 und 12/3455. Wenn Sie damit einverstanden sind, lasse ich über die beiden Beschlußempfehlungen gemeinsam abstimmen. - Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Dann sind die Beschlußempfehlungen bei drei Enthaltungen angenommen. Tagesordnungspunkt 4 f und 4 g: Beratung der Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf Drucksachen 12/3575 und 12/3576. Das sind die Sammelübersichten 76 und 77. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch diese Beschlußempfehlungen sind bei drei Enthaltungen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung von Kriegsfolgengesetzen ({24}) - Drucksachen 12/3212, 12/3341 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({25}) - Drucksache 12/3597 - Berichterstattung: Abgeordnete Hartmut Koschyk Gerlinde Hämmerle b) Bericht des Haushaltsausschusses ({26}) gemäß § 96 GO - Drucksache 12/3598 Berichterstattung: Abgeordnete Karl Deres Ina Albowitz Rudolf Purps ({27}) Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dagegen sehe ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache. Als erster spricht der Abgeordnete Erwin Marschewski.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kriegsfolgenbereinigungsgesetz - so hat man diesen heute zu beschließenden Gesetzentwurf genannt; Wortschöpfung deutscher Ministerien. Aber auch Hartmut Koschyk, unserem Berichterstatter, und mir ist hierzu kaum etwas Besseres eingefallen. Die einen sagen, daß mit der Verwirklichung der deutschen Einheit, der völkerrechtlichen Festlegung der deutsch-polnischen Grenze und den Verträgen mit den Vier Mächten und Polen die Nachkriegszeit als beendet anzusehen sei. Mag sein - aber auch die Folgen des Krieges? Ja, wir haben uns rechtlich vereinigt, die Bundesrepublik und die DDR, aber die Folgen? - Wir ringen darum, sie zu beseitigen. Ich war, meine Damen und Herren, neulich in Rußland, an der Wolga. Dort jedenfalls sind die Folgen des Krieges - nach Hitlers Überfall und Stalins Vertreibung - noch keineswegs beseitigt. Auch sprach ich mit Menschen aus Ostpreußen; sie stellten viele Fragen. Zu ist der Vorhang also nicht - deswegen eben nur „Bereinigung" 19 Gesetze und Verordnungen sollen aufgehoben, geändert, angepaßt werden, mit denen wir versuchten, unsägliches Leid zu mildern: von kriegsgefangenen Heimkehrern, von aus der Heimat Vertriebenen, von Aussiedlern. Deswegen, meine Damen und Herren, wird dieser Gesetzentwurf von vielen mit Aufmerksamkeit und Interesse begleitet: von denen, die jetzt hier zu Hause sind, besonders aber von den Deutschen, die heute noch in den Staaten Ostmittel-, Ost- und Südosteuropas leben. Ziel des Gesetzentwurfes ist es, die Aufnahme und Eingliederung der in Polen, in den Republiken der ehemaligen Sowjetunion und in den übrigen ost- und südosteuropäischen Staaten lebenden deutschen Staatsangehörigen und deutschen Volkszugehörigen in der Bundesrepublik Deutschland auf eine rechtliche Grundlage zu stellen, die auch für die Zukunft einen sozial verträglichen Rahmen für den Zuzug und die Integration der Ausländer gewährleistet. Im Zusammenhang mit der Entscheidung über den vorliegenden Gesetzentwurf will die Unionsfraktion zugleich erneut deutlich machen, daß sie sich uneingeschränkt zur Fürsorge- und zur Obhutspflicht für die Heimatvertriebenen und die in den genannten Staaten lebenden Deutschen bekennt. ({0}) Meine Damen und Herren, wir tragen auch nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme in Ost- und Südosteuropa und nach der Vereinigung Deutschlands weiterhin eine ganz besondere Verantwortung für die rund 3,5 Millionen Deutschen, die heute noch in diesen Gebieten leben: 2 Millionen davon in der Sowjetunion, 1 Million in Polen, 230 000 in Ungarn, 150 000 in der CSFR und 80 000 bis 100 000 in Rumänien. Diese Menschen haben durch den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen besonders stark gelitten, nur weil sie Deutsche waren und Deutsche bleiben wollten. ({1}) Die Folgen dieses Schicksals und der Unterdrückung bestehen bis heute fort. Die Betroffenen haben auf Grund der gemeinsamen Geschichte aller Deutschen einen Anspruch auf unsere solidarische Hilfe. Die politischen Veränderungen in den Staaten, die ich gerade genannt habe, sowie die vertraglichen Vereinbarungen mit ihnen haben erst in jüngster Zeit erweiterte Möglichkeiten für kulturelle, soziale, gemeinschafts- und wirtschaftsfördernde Hilfsmaßnahmen gegeben. Unsere Bemühungen um eine wirksame Verbesserung der Lage der deutschen Minderheiten in diesen Staaten bleiben aber nur dann glaubwürdig, wenn wir den Deutschen in diesen Gebieten die Entscheidung zwischen Bleiben und Gehen offenhalten. Das Tor zur Bundesrepublik Deutschland darf daher nicht verschlossen werden! ({2}) Die Einführung von Fristen oder eine Kontigentierung würde, so befürchte ich, zwangsläufig zu panikartigen Massenauswanderungen führen. Das wollen wir nicht, insbesondere auch im Interesse der betroffenen Menschen. ({3}) Ich begrüße daher die Bereitschaft der Länder, weiterhin Aussiedler aufzunehmen. Nur wenn das sichergestellt ist, kann erwartet werden, daß die Deutschen in Aussiedlungsgebieten vor einer Entscheidung für oder gegen die Aussiedlung den Erfolg der vielfältigen Bemühungen abwarten, ihnen in den Aussiedlungsgebieten Perspektiven zum Bleiben zu bieten. Namentlich bei den Rußlanddeutschen - ich habe vorhin davon gesprochen - kann das durch Verfolgung, Verschleppung und jahrelange Diskriminierung gestörte Vertrauen auf eine Zukunft in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion nur allmählich wiederhergestellt werden. Aus diesem Grunde wollen wir insbesondere das Bundesvertriebenengesetz nicht - wie die anderen Gesetze - abschließen, sondern mit den vorgesehenen neuen gesetzlichen Regelungen jenen Prozeß fördern, der seit dem 1. Juli 1990 mit dem Aussiedleraufnahmegesetz eingeleitet worden ist. Denn mit diesem Gesetz ist es gelungen, den Zuzug von Aussiedlern in einem geordneten, effizienten und bundeseinheitlichen Verfahren zu regeln. Wenn unsere neuen Mitbürger aus den Aussiedlungsgebieten im Bundesgebiet eintreffen, können sie nunmehr gewiß sein, daß sie versorgt, betreut und schnell in das aufnehmende Bundesland weitergeleitet werden. Sie können jetzt vor allen Dingen weitgehend sicher sein, daß sie als Aussiedler anerkannt werden. Sicherlich ist das ein Erfolg, wie es ein Erfolg ist, was Staatssekretär Waffenschmidt, den ich in diesem Zusammenhang besonders erwähnen will, geleistet hat ({4}) Meine Damen und Herren, 1989 und 1990 kamen jährlich rund 400 000 Aussiedler in die Bundesrepublik Deutschland. Wir rechnen damit, daß in diesem Jahr ungefähr 200 000 zu uns kommen. Die Zahl hat sich also halbiert. Das ist sicherlich den Bemühungen dieses Hohen Hauses zu danken. Ich glaube aber, daß auch die Bundesregierung hier Beträchtliches geleistet hat. In diesem Zusammenhang richte ich einen ganz besonderen Dank an die jungen Bundesländer. Ich meine, daß es ihnen trotz der schwierigen Situation hervorragend gelungen ist, dafür Sorge zu tragen, daß ungefähr 10 % der Aussiedler in den neuen Bundesländern eine neue Heimat gefunden haben. Dafür ganz herzlichen Dank! ({5}) Die Beruhigung der Gesamtsituation, zu der das Aussiedleraufnahmegesetz geführt hat, wird anhalten, wenn wir die Aufnahmeregelungen vernünftig, d. h. für alle akzeptabel, formulieren. Wir haben das im Bundesvertriebenengesetz versucht. Dieses Gesetz wird auch weiterhin Rechtsgrundlage für die Aufnahme der Aussiedler bleiben. Die nach dem 31. Dezember dieses Jahres eintreffenden Aussiedler sollen nach unseren Vorstellungen nicht mehr als „Vertriebene", sondern als „Spätaussiedler" bezeichnet werden. Dabei bedeutet die Bezeichnung „Spätaussiedler" keine qualitative Statusveränderung. Ich sage das ganz besonders für die vielen Vertriebenen. Die Vertriebenen können sich hier auf uns verlassen. ({6}) Künftig soll die Prüfung des Kriegsfolgenschicksals durch eine striktere Prüfung der deutschen Volkszugehörigkeit in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ersetzt werden. Diese Rechtsprechung stellt darauf ab, ob dem Betroffenen im engsten Familienkreis die deutsche Sprache sowie deutsche Erziehung und Kultur vermittelt worden sind. Dabei wird jedoch berücksichtigt, daß Deutsche in vielen Aussiedlungsregionen einem starken Assimilierungsdruck ausgesetzt waren und daß vor allem die Benutzung er deutschen Sprache vielfach verboten oder mit erheblichen Nachteilen verbunden war. Das bedeudet im Klartext: Deutsche, insbesondere die nach 1945 geborenen, können künftig auch dann als Aussiedler anerkannt werden, wenn sie keine deutschen Sprachkenntnisse mehr besitzen. Ich meine, daß diese Regelung gerecht ist. Sie wird die Zahl der Spätaussiedler keinesfalls vergrößern. Im übrigen bleiben die bewährten Regelungen erhalten: Sprachförderung, Eingliederungsgeld und Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach dem Arbeitsförderungsgesetz. Rentenansprüche werden wie bisher nach dem Fremdrentengesetz geregelt. Denn ich meine, es ist richtig, diesen Menschen einen angemessenen Lebensstandard zu gewährleisten. Veränderungen sind aber beim Lastenausgleichsrecht, beim Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz und beim Häftlingshilfegesetz vorgesehen. Ich glaube, meine Damen und Herren, daß die historische Bedeutung des Lastenausgleichs keineswegs geschmälert wird, wenn wir nunmehr, nach vielen Jahren, dieses Gesetz abschließen. Sie wissen: Der Lastenausgleich war von vornherein befristet konzipiert. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einen Punkt ansprechen, der - wie ich meine, zu Recht - von der betroffenen Bevölkerung kritisiert worden ist. Ich meine die Nichtgewährung von Ausgleichsleistungen an sogenannte Altvertriebene in den jungen Bundesländern. Sicherlich ist es richtig, daß viele Vertriebene schon ihres Alters wegen kaum mehr in den Genuß der Leistungen kämen. Richtig ist weiter, daß der Aufbau einer Ausgleichsverwaltung in den neuen Bundesländern und die Feststellung von Schäden, die mehr als 45 Jahre zurückliegen, nahezu unmöglich wären. Genauso richtig aber ist auch, meine Damen und Herren, daß der Deutsche Bundestag Gerechtigkeit gegenüber jedermann und gegenüber „jederfrau" zu üben hat. ({7}) Deswegen begrüße ich, daß es dank des Einsatzes der Kollegen im Innenausschuß sowie der Minister Frau Merkel und Herrn Krause und des jetzigen Innenministers und seines Vorgängers gelungen ist, daß die Heimatvertriebenen in den neuen Bundesländern eine einmalige Zuwendung in Höhe von 4 000 DM in einer noch festzulegenden Form im Entschädigungsgesetz erhalten werden. Bei der Ausgestaltung dieser Entschädigungsregelung werden wir zu berücksichtigen haben, daß sich die Betroffenen bereits heute in einem sehr hohen Lebensalter befinden und daß ihnen daher lange Fristen für die Auszahlung der Einmalleistung nicht mehr zugemutet werden können. Dafür haben wir Sorge zu tragen. ({8}) Ich sage: Die Union wird das tun. Darüber hinaus begrüße ich die Ausdehnung der „Heimkehrerstiftung" und der „Stiftung für ehemalige politische Häftlinge" auf die neuen Bundesländer. Denn das hat zur Folge, daß denjenigen flexibel und entsprechend ihrer Bedürftigkeit geholfen werden kann, die in Kriegsgefangenschaft waren, die verschleppt waren, die in den Gefängnissen der ehemaligen DDR leiden mußten und die auf Grund der Rechtslage keine gesetzlichen Leistungen erhalten können. Hierfür, meine Damen und Herren, wird eine ausreichende finanzielle Ausstattung der beiden Stiftungen zu gewährleisten sein. Auch dafür wollen wir uns einsetzen; auch dafür wollen wir kämpfen. Denn das ist gerecht, meine Freunde. ({9}) Dies ist meine Forderung und - zu Recht - auch die Forderung der Kollegen aus den neuen Bundesländern. Meine Damen und Herren, wir haben uns mit dem Kriegsfolgenbereinigungsgesetz viel Mühe gegeben. Ich darf mich ganz besonders bei den Kollegen des Innenausschusses, insbesondere bei Frau Gerlinde Hämmerle, Herrn Wolfgang Lüder und bei Hartmut Koschyk, ganz herzlich bedanken. ({10}) Alle Beteiligten waren sich bewußt, daß wir dem gewaltigen politischen Umbruch in Europa, in der ehemaligen Sowjetunion Rechnung tragen müssen, soweit dies möglich ist. Aber ich weiß auch, daß mancher mehr Leistungen einfordern wird, als wir erfüllen können. Meine Damen und Herren, wir haben versucht, Enormes zu leisten: SED-Unrechtsbereinigungsgesetz, Entschädigungsgesetz, Leistungen an die Claims Conference gemäß Einigungsvertrag, Stiftung deutsch-polnische Aussöhnung und Stiftung für NS-Opfer in der CSFR, Entschädigungsgesetz und Kriegs9908 folgenbereinigungsgesetz - alles war und ist nötig, war und ist begründet. Es soll versöhnen, vielleicht heilen, soweit dies überhaupt möglich ist. Aber wir werden bedauerlicherweise nicht in der Lage sein, finanziell noch mehr zu leisten. Was die Forderung des Bundesrats nach Festlegung einer Ausschlußfrist für Aufnahmeanträge von Aussiedlern und nach einer Einreisequote betrifft - die SPD-Fraktion stellt heute ähnliche Anträge -: Auch hier wird die Union nicht in der Lage sein, dem zuzustimmen. Gerade die Rußlanddeutschen haben ein schlimmes Schicksal erleiden müssen; ich habe davon gesprochen. Wer „drüben" war, hat erfahren, daß sie an uns glauben und daß sie auf ihr Vaterland Deutschland hoffen. Dies kann man an der Wolga, in Saratow, in Omsk und anderswo, erfahren. Deswegen dürfen wir diese Menschen nicht allein lassen. Sie glauben an uns, sie hoffen auf ihr Vaterland Deutschland. Mir fiel, meine Damen und Herren, nichts Treffenderes ein, als zum Schluß den bereits in der Einbringung genannten Genscher-Satz noch einmal zu zitieren. Genscher hat gesagt: Ich bin doch nicht ... zu den Diktatoren gefahren und habe mit ihnen ... darüber verhandelt, die Tür ... einen Spalt aufzubekommen, um jetzt, wo sie offen ist . . ., sie wieder zu schließen. Ich selbst habe dem nichts, aber auch gar nichts hinzuzufügen. Ich bedanke mich. ({11})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es spricht jetzt die Abgeordnete Gerlinde Hämmerle.

Gerlinde Hämmerle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000777, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Marschewski, ich habe dem Satz des Herrn Kollegen Genscher allerdings etwas hinzuzufügen, nämlich daß wir es Gott sei Dank nicht mehr mit Diktaturen zu tun haben. In den Staaten, aus denen die Aussiedler heute kommen, herrschen keine diktatorischen Verhältnisse mehr. Darüber bin ich sehr froh. Ich denke, auch das müssen wir in unsere Überlegungen mit einbeziehen. ({0}) Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, dem wir als SPD-Fraktion in sehr vielen Punkten zustimmen können; das ist überhaupt nicht die Frage. Aber hier ist es wie bei vielen Gesetzentwürfen: Es gibt ein oder zwei markante Punkte, in denen wir uns wesentlich voneinander unterscheiden. Gerade diese Punkte konnten im Innenausschuß nicht geklärt werden. Da ich nach der Rede des Herrn Kollegen Marschewski nicht erwarten kann, daß wir hier eine Mehrheit finden, werden wir das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz, Herr Staatssekretär Waffenschmidt, heute ablehnen. Ihnen liegt ein Änderungsantrag unserer Fraktion vor. Ich möchte hier nur auf einige ganz wesentliche Punkte eingehen und zunächst auf den Punkt zu sprechen kommen, bei dem wir uns nicht einigen konnten, der für uns aber eine entscheidende Rolle spielt. Ich möchte noch einmal in aller Friedfertigkeit den Versuch unternehmen, Ihnen zu erklären, was wir mit diesem Punkt eigentlich wollen. Ich bin ein wenig traurig darüber, daß die Mißverständisse immer noch nicht ausgeräumt sind. Wir verstehen den Zuzug der Aussiedler aus den Staaten, die Sie mit Recht angesprochen haben, insbesondere aus den GUS-Staaten, als einen wesentlichen Teil der gesamten Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland. Es ist überhaupt nicht zu verkennen, daß uns die Zuwanderung insgesamt in der Bundesrepublik streitig beschäftigt. ({1}) - Herr Kollege, nun bleiben Sie doch auch friedfertig. Das, was ich gesagt habe, gilt vielleicht nicht in diesem Hause, sehr wohl aber mit Blick auf die gesamte Bevölkerung. Ich hatte in dem Stadtteil, in dem ich lebe, ein Erlebnis - das wollte ich eigentlich gar nicht sagen, tue es nun aber doch -, das mich sehr traurig, aber auch sehr aufmerksam gemacht hat. Es gibt in diesem Stadteil eine wunderschöne neue Straße, mit sehr schönen neuen Häusern. In diese neuen Wohnungen sind überwiegend Aussiedler eingezogen, womit ich nicht kritisieren will, daß diese Menschen in einer schönen Wohnung leben. Diese Straße wird in meinem Stadteil von der Bevölkerung - im Supermarkt, beim Friseur und auf der Straße - „Stalinallee" genannt. Das ist natürlich ganz falsch, weil die Deutschen gerade unter Stalin gelitten haben. Ich führe dieses Beispiel an, um Ihnen klarzumachen, daß auch dieser Bereich der Zuwanderung keineswegs von Aggression seitens der Bevölkerung frei ist. Ich denke, darüber sollten wir uns hier ernsthafte Gedanken machen. ({2}) Wir wollen die gesamte Zuwanderung dadurch regeln, daß wir für bestimmte Gruppen von Zuwanderern ein Kontingent beschließen. Ich möchte noch einmal ganz kurz erklären, wie diese Kontingentregelung aussehen soll. Wir wollen einen Stichtag; das steht in unserem Änderungsantrag. Bis zu diesem Stichtag sollen die Deutschen in den Herkunftsländern, die in unserem Antrag aufgezählt sind, ihre Option abgeben, ob sie in die Bundesrepublik zuziehen wollen oder nicht. Dann haben wir hier einen Überblick. Ich bin mit Herrn Staatssekretär Waffenschmidt insofern völlig einig, als wir alle wissen, daß die Zahlen nur geschätzt werden können. Bei der angesprochenen Regelung hätten wir, wie gesagt, einen Überblick und wüßten - darauf kommt es mir an -, worauf wir uns innenpolitisch einzurichten haben. Denn machen Sie sich nichts vor: Auch dieser Teil der Zuwanderung muß von unserer Bevölkerung akzeptiert und sozialverträglich gestaltet werGerlinde Hämmerle den, wenn wir diesen ganzen Bereich einigermaßen anständig für alle abwickeln wollen. ({3}) Aus diesem Grunde sagen wir: Es soll keinen Stichtag geben, bis zu dem die Menschen eingereist sein müssen. Sie können vielmehr über lange Zeit einreisen. Wenn wir aber wissen, um wie viele Personen es sich handelt, schlagen wir Sozialdemokraten vor, ein Kontingent festzusetzen, dieses Kontingent human und sozialverträglich zu gestalten und die Zuwanderung in die Bundesrepublik dann entsprechend abzuwickeln. Dieses ist unser Hauptbegehren. Deswegen beschränke ich mich in den wenigen Minuten Redezeit, die ich hier zur Verfügung habe, hauptsächlich auf diesen Punkt. Es ist ganz unbestreitbar - da stimme ich Ihnen völlig zu, Herr Kollege -, daß die Menschen ein schweres, zum Teil ganz schreckliches Schicksal deswegen hatten, weil sie Deutsche sind. Ich bitte sie einfach, einmal anzuerkennen, daß wir in diesem Punkt nicht auseinander sind. Ich mag es einfach nicht mehr hören, daß man uns in diesem Punkt etwas unterstellt und uns auseinanderzudividieren versucht. Wir wollen, daß die Hilfsmaßnahmen, die ich mehrfach mit Herrn Staatssekretär Waffenschmidt vor Ort anzuschauen die Freude hatte, im Gesetz festgeschrieben werden, damit wir die Ursachen der Auswanderung möglichst beseitigen. Ich glaube zwar nicht daran, daß das, was wir dort, insbesondere an der Wolga, machen, alle oder den großen Teil der Deutschen veranlassen wird zu bleiben. Ich glaube, Herr Staatssekretär, daß das eher in Westsibirien, im OmskGebiet der Fall sein wird. Sei es aber, wie es wolle, mir soll es recht sein. Mir sind auch die Gelder recht - ich stimme dafür -, wenn sie dazu dienen, daß sich die Zuwanderung nicht auf einmal, sondern langsam vollzieht und daß, wenn die Deutschen doch alle auswandern sollten, unsere deutschen Projekte auch der russischen, der ukrainischen und der übrigen Bevölkerung zugute kommen. Deswegen bitte ich noch einmal darum, daß unsere Projekte mehr integrierenden Charakter haben und nicht die „Minderheit Deutsche" noch mehr in das Bewußtsein der Bevölkerung bringen. Ich bin am Ende meiner Redezeit angekommen, weil wir unsere Gesamtredezeit noch auf zwei andere Redner verteilt haben. Zum Schluß möchte ich nur eines sagen: Wir sollten über der Verabschiedung dieses Gesetzes heute nicht vergessen, daß wir es durch die Einheit Deutschlands mit ganz anderen Kriegsfolgen zu tun haben als mit denen, die wir heute abwickeln können. ({4}) Eigentlich, meine Damen und Herren, ist die Beseitigung und Bereinigung der Folgen von 40 Jahren DDR nichts anderes als die Beseitigung und Bereinigung von Kriegsfolgen. Dieses sollten wir im Kopf behalten. ({5}) So leid es mir um die Punkte tut, verehrter Herr Kollege und Staatssekretär, in denen wir einig sind, erkläre ich dennoch noch einmal, daß wir dieses Gesetz wegen des ganz wichtigen Punktes des Kontingents ablehnen werden. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Abgeordnete Wolfgang Lüder.

Wolfgang Lüder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001390, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Weil wir uns hier im Hause über die meisten Punkte einig sind und Herr Marschewski die grundlegenden Fakten genannt hat, brauchen wird darüber nicht wiederholend zu reden. Wir Freien Demokraten werden dem Gesetz zustimmen, weil wir trotz einiger Fragen, die bestehenbleiben, meinen, daß es notwendig ist, dieses Gesetz heute und so zu verabschieden, um es auf den Weg zu bringen. Wir meinen, daß wir über manche Fragen auch zu späteren Zeitpunkten noch werden reden können, weil die Zeit noch längst nicht so weit ist, daß wir heute die Tür schließen könnten. Ich will mich auf drei Punkte konzentrieren, die der Diskussion bedürfen, wie schon die ersten beiden Reden gezeigt haben. Erstens. Entschädigung an die Heimatvertriebenen, die in die damalige Sowjetische Besatzungszone, die spätere DDR, vertrieben wurden und die jetzt mit uns gemeinsam in der erweiterten Bundesrepublik, im vereinten Deutschland leben, hat es nicht gegeben. Das sind eigentlich die doppelt Bedauernswerten: Opfer des Zweiten Weltkrieges, weil sie heimatvertrieben wurden, dann auch noch in das Gebiet vertrieben wurden, in dem sie 40 Jahre leiden mußten. In dem noch zu erarbeitenden Entschädigungsgesetz - Herr Marschewski hat darauf hingewiesen - sollen wenigstens in bescheidenem Umfang pauschalisierte Entschädigungen vorgesehen werden. Das Gesetz liegt aber noch nicht vor. Deswegen haben wir im Innenausschuß versprochen - ich will das wiederholen, damit es ein einklagbares Versprechen ist -, das heute zu verabschiedende Gesetz notfalls zu ergänzen, wenn im Entschädigungsgesetz keine befriedigende Regelung für die Heimatvertriebenen gefunden wird. ({0}) Wir wollen, auch wenn die Finanzsituation noch so schwierig ist, daß die Opfer der Naziherrschaft, zu denen ebenfalls die Vertriebenen gehören, die Entschädigung noch als Lebende sehen. Wir wollen keine Grabpflege betreiben, sondern Hilfe für die noch Lebenden gewähren. Inzwischen sind sie leider alt geworden. ({1}) Zweitens. Wir haben lange darüber diskutiert - Frau Hämmerle hat es eben angesprochen -, ob wir die jetzt vorgesehene Regelung für die Spätaussiedler so beschließen sollten oder ob wir eine Schlußregelung einführen sollten, um auch den Aussiedlern zu sagen, daß die Nachwirkungen des Zweiten Weltkrieges ihr Ende haben müssen. Gerade weil aber zwischen dem Genscher-Wort, das zitiert wurde, und der Gegenwart - die Korrektur, die Sie vorgenommen haben, war richtig: daß heute keine Diktatur mehr existiert; darüber freuen wir uns - die Zeit so kurz gewesen ist, haben wir noch nicht die Sicherheit, daß diejenigen deutschen Volkszugehörigen - manchmal auch Staatsangehörigen -, die in den Siedlungsgebieten leben, das Zutrauen in sich selbst verankert haben, dort eine gesicherte und gute Zukunft zu haben. Solange das nicht gesichert ist, dürfen wir Ihnen kein Signal geben, daß möglicherweise die Gefahr bestünde, sie würden nicht mehr hereingelassen. ({2}) Im übrigen meine ich, daß, selbst dann, wenn wir ein abschließendes Gesetz machen würden, die Möglichkeit des Zuzugs in das Bundesgebiet für alle deutschen Staatsangehörigen und Volkszugehörigen offengehalten werden muß. Wir können doch nicht ausgrenzen. Ich bin aber ganz sicher, daß wir noch darüber zu reden haben, ob, wann und mit welcher Regelung und Auswirkung wir ein Zuzugsgesetz wollen; denn der Bundesrat hat dazu noch nicht gesprochen. Ich glaube nicht, daß wir das Gesetz problemlos durch alle Verfassungsorgane bekommen. Ich sage deutlich - das ist meine dritte Bemerkung -: Gerade weil viele unserer Mitbürger - auch manche unserer nicht fachlich interessierten Kollegen - keinen Unterschied zwischen Ausländern, Aussiedlern, Asylbewerbern und Asylberechtigten machen - die gestrige Debatte hat das wieder gezeigt -, wird die differenzierte Realität leider selten genug erfaßt. Damit müssen wir leider rechnen und uns politisch darauf einstellen. Meine Fraktion und meine Partei hat auf ihrem Bundesparteitag beschlossen - seit gestern reden wir wieder viel von Parteitagen -, daß wir ein Zuzugsgesetz für ausländische Zuziehende haben wollen. Ich glaube, wir müssen offen sein, auch zu berücksichtigen, daß Aussiedler in dieses Zuzugsgesetz als Kontingentierung für die zeitliche Dimension einbezogen werden müssen. Dies wird nicht heute geschehen. Wir haben verarbredet, das Gesetz zu beschließen und nicht zu verzögern. Die Offenheit aber will ich signalisieren. Ein Zuzugsgesetz wäre insofern ehrlich, als es das festschriebe, was wir schon heute praktizieren. Wir haben heute die unehrliche Verwaltungspraxis, daß wir durch die Behördenengpässe bei der Genehmigung faktisch eine Reglementierung und Kontingentierung haben. Dann sollten wir dies lieber in das Gesetz hineinschreiben und ehrlich sein. Das ist für mich der Grund, warum ich sage: Hier sind wir offen. ({3}) Weil aber eine Kontingentierung im Gesetz nichts ändern würde, können wir auch heute dem Gesetz zustimmen. Meine Damen und Herren, wenn wir über Kriegsfolgenbereinigung reden, müssen wir beachten, daß die Gesetze, die heute geändert werden, die heute zum Teil auch wieder geöffnet werden - ich denke an die Heimkehrerstiftung und Heimatvertriebenenhilfe im Entschädigungsrecht -, zwar Kriegsfolgen mildern können - und auch gemildert haben -, aber nicht die politische Realität in unserem Land ändern können. Deswegen muß, wenn von Kriegsfolgen die Rede ist, auch davon gesprochen werden, daß wir alle miteinander noch eine politische Aufgabe haben, Kriegsfolgen zu beseitigen. Wenn heute morgen in den Nachrichten zu hören war, daß der jüdische Friedhof in Wuppertal geschändet wurde, wenn wir Tag für Tag Meldungen hören bzw. lesen über brennende Asylbewerberheime, über zerstörte und geschändete Gräber toter Mitbürger jüdischen Glaubens, über Brand und Zerstörung in Gedenkstätten für die Opfer des Naziterrors, über 13 von Rechtsextremisten getötete Menschen in diesem Jahr, über 7 Sprengstoffanschläge, 435 Brandanschläge, dann sehen wir, daß wir uns noch lange und intensiv mit den Kriegsfolgen beschäftigen müssen. Diese Verbrechen sind doch ein Signal, das uns wachrütteln und das uns politisch Verantwortlichen zeigen muß, daß wir am Sonntag in Berlin zu sein haben, um klar Flagge zu zeigen. ({4}) Theodor Heuss hat Anfang der 50er Jahre, als es darum ging, der Schändung der Gräber, die die Nazis zu ihrer Spezialität erhoben hatten, nachzugehen, davon gesprochen, daß man den Satz „Ehrfurcht vor dem Leben" ergänzen muß um „Ehrfurcht vor dem Tode". Die Ehrfurcht vor dem Tode lassen Rechtsextremisten vermissen. Dazu müssen wir politische Flagge zeigen. Wir sind gefordert und dürfen uns nicht am Sonntag in unseren Amtsstuben zurückhalten. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat Dr. Uwe-Jens Heuer das Wort.

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Beschlußempfehlung zu den Entwürfen hat im wesentlichen zwei Intentionen. Zur Realisierung der ersten Intention wird in dem Regierungsentwurf der Begriff des Spätaussiedlers in das Bundesvertriebenengesetz eingeführt und festgeschrieben. Ich muß Ihnen offen gestehen, daß mir als gelerntem DDR-Bürger und Internationalist vieles fremdartig anmutet. ({0}) - Hören Sie mich an, was ich Ihnen sage, denken Sie nach, und reden Sie dann. Ein Spätaussiedler soll Deutscher sein, weil er der Definition gemäß ein deutscher Volkszugehöriger ist. Ein deutscher Volkszugehöriger ist jemand, der sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird. Diese Definition bedeutet in meinen Augen eine ethnische Agrenzung und Privilegierung bestimmter Bevölkerungsgruppen mit ausländischer Staatsangehörigkeit und Wohnort in einem anderen Staat. Die Beschlußempfehlung geht sogar so weit, daß unter bestimmten Umständen die bloße Abstammung für die Bestimmung eines deutschen Volkszugehörigen ausreichen soll, wenn dieser sich in irgendeiner Form zum Deutschtum bekennt. Er muß nicht einmal mehr Vertriebener im Sinne des Art. 116 des Grundgesetzes und des § 1 des Bundesvertriebenengesetzes sein. Es reicht aus, daß er als deutscher Volkszugehöriger in einem bestimmten anderen Staat gelebt und diesen Staat, aus welchen Gründen auch immer, in Richtung BRD verlassen hat. Deutsches Volkstum und deutsche Abstammung erweisen sich als ethnisches und in gewisser Hinsicht als biologisches Ausgrenzungskriterium gegenüber allen anderen, die der Armut, der wirtschaftlichen Not in Richtung Bundesrepublik Deutschland entfliehen wollen. Herr Marschewski hat gesagt, es haben viele Menschen gelitten, weil sie Deutsche waren und es bleiben wollten. ({1}) Das ist richtig. Aber es haben auch sehr viele gelitten, weil sie keine Deutschen waren oder dies auch nicht sein durften, weil sie Deutsche jüdischer Herkunft waren. ({2}) Die Abstammung macht auf diese Weise aus der Volkszugehörigkeit ein vererbbares Recht auf Staatsangehörigkeit - Herr Marschewski -, obwohl dies dem Art. 116 des Grundgesetzes widerspricht. Die Frage der Staatsbürgerschaft war nach dem Zweiten Weltkrieg insbesondere auf Grund der nationalsozialistischen rassistischen Einbürgerungs- und Umsiedlungspolitik unklar. Art. 116 des Grundgesetzes war deshalb so zu lesen, daß Deutscher jeder ist, der als Flüchtling oder als Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit in dem Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat. Maunz-Dürig bemerken dazu, daß damit die Gründe für den Erwerb des besonderen Status eines sonstigen Deutschen erschöpfend festgelegt sind und in Gesetzen weder erweitert noch eingeschränkt werden können. Die Zahl dieser Deutschen nimmt durch biologische Vermehrung und Abstammung ständig zu. Die Länder geraten durch eine solche Politik der Verbreitung deutschen Volkstums auf Grund der wachsenden wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Bundesrepublik Deutschland in die Not, sogenannten deutschen Volkszugehörigen mehr kulturelle und wirtschaftliche Rechte einzuräumen als ihren anderen Staatsangehörigen und Nationalitäten. Ich lehne diesen Gesetzentwurf noch aus anderen Gründen ab. Durch die Aufhebung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes und die Änderung des Hälftlingshilfegesetzes will die Bundesregierung bis 1996, wie mitgeteilt wird, 905 Millionen DM einsparen. Dem stehen zusätzliche Kosten für die Integration der Spätaussiedler und für die Heimkehrerstiftung in Höhe von 862 Millionen DM gegenüber. Durch die Aufhebung dieses Gesetzes spart die Bundesrepublik aber zusätzlich die Zahlung an die betroffenen Bürger der neuen Bundesländer ein, die mit den mageren finanziellen Förderungen nach dem Heimkehrerstiftungsgesetz abgespeist werden. Im jetzigen Gesetzentwurf verteilt die Bundesregierung nach dem Gesetz über die Heimkehrerstiftung nunmehr lediglich Sozialhilfeleistungen um und belastet mit ihnen die sogenannte Heimkehrerstiftung. Die Bundesregierung begründet ihre Streichungsmaßnahmen gegenüber den Bürgern der neuen Bundesländer damit, daß bereits mehr als 45 Jahre vergangen und diese Bürger zudem integriert seien. Angesichts der in vielen anderen Fällen anzutreffenden Bemühungen der Bundesregierung, das Rad der Geschichte mit der Behauptung zurückzudrehen, die DDR sei ein Unrechtsstaat, ja überhaupt Unrecht gewesen, ({3}) zeigt sich diese Begründung doch wohl als Heuchelei, die die wahre Intention, auf Kosten dieser Bürger Geld einzusparen, verdecken soll. Ich kann den Unmut der Bürger der neuen Bundesländer verstehen, wenn sie weitaus mehr an Entschädigung einfordern. Zu Recht weisen viele darauf hin, daß die einstige DDR und damit auch ihre Bürger unter den hohen Kriegs- und Reparationskosten zu leiden hatten; mehr als die meisten Altbundesbürger. Die Bundesrepublik hat sich stets geweigert, daran Anteil zu nehmen, obwohl sie sich sonst allzugern als Nachfolgerin des Deutschen Reiches geriert. ({4}) Die Bundesrepublik hat sich stets gezielt bemüht, die DDR wirtschaftlich zu schwächen. Auch aus diesem Grunde gehört es nunmehr zu ihrer Verantwortung, die Leistungen gegenüber den Bürgern der neuen Bundesländer nachzuholen, zu denen die einstige DDR nicht nur aus Gründen der Mißwirtschaft nicht in der Lage war. Solche finanziellen Leistungen wären zur Angleichung der Lebensverhältnisse und zur Steigerung der Kaufkraft in den neuen Bundesländern aber gerade jetzt sinnvoll. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat der Abgeordnete Dr. Wolfgang Ullmann das Wort.

Dr. Wolfgang Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Leider bin ich verpflichtet, mich zu wiederholen, was die grundsätzliche Ablehnung dieses Gesetzes schon bei Gelegenheit der ersten Lesung betrifft. Aber mit Vergnügen räume ich ein, daß die Verlängerung der Debattenzeit von einer halben auf eine ganze Stunde vielleicht als Anzeichen eines wachsenden Problembewußtseins gewertet werden kann. Kriegsfolgenbereinigung ist auf dem Hintergrund der deutschen Einigung etwas grundsätzlich anderes als das, was unter diesem Titel des Gesetzentwurfs vorgelegt wird. Kein Zweifel, die Aufgabe des Abschlusses der westdeutschen Vertriebenen-, Häftlingshilfe- und Aussiedlergesetzgebung ist eine Aufgabe, die sich wegen der Gültigkeitstermine der genannten Gesetze unausweichlich stellt. Darin gibt es keinen Widerspruch zur Regierung. Aber die Kriegsfolge der Teilung fordert einen Lastenausgleich, der über alles hinausgeht, was in der bisherigen Nachkriegszeit unter diesem Titel geleistet worden ist, jedoch auf der Basis der Rechtskonzeption, die dem Entwurf zugrunde liegt, auf keinen Fall geleistet werden kann. Welche Folgen das hat, will ich an einem einzigen Beispiel demonstrieren. Laut Art. 4 § 2 Abs. 1 Nr. 3 ist die Heimkehrerstiftung zuständig für die Entschädigung solcher Deutscher, die im Zusammenhang mit Kriegführung auf ausländische Territorien verschleppt worden sind. Endlich wird hier auf die Ansprüche derer eingegangen, die aus der bisherigen Entschädigungsgesetzgebung ausgenommen waren, weil ihre Verschleppungen jenseits des Gebiets der ehemaligen DDR stattgefunden haben. Aber was geschieht ihnen jetzt? Sie werden nicht als Opfer stalinistischen Unrechtes, sondern nach der Analogie von Kriegsgefangenen behandelt, und ihnen wird per Gesetz erklärt, daß sie zwar durch die Heimkehrerstiftung gefördert werden sollen, darauf aber keinen Rechtsanspruch haben. Das ist eine krasse Ungleichbehandlung gegenüber allen anderen Opfern stalinistischen Unrechtes; für mich persönlich um so herausfordernder, weil die Bundesregierung die Zustimmung zur Herausnahme dieser Opfergruppe aus dem ersten Unrechtsbereinigungsgesetz ausdrücklich mit dem Versprechen erreichte, diesen Personenkreis im Kriegsfolgenbereinigungsgesetz angemessen zu berücksichtigen. Daß der Gesetzentwurf dies täte, wird niemand behaupten können. Was sollen die Benachteiligten jetzt tun? Ich nehme an, sie werden sich überlegen, ob sie sich der Verfassungsklage des Verbandes der Opfer des Stalinismus gegen das erste Unrechtsbereinigungsgesetz anschließen. Verehrter Herr Kollege Marschewski, die Öffentlichkeit betrachtet diese Gesetze eben leider nicht mit solcher Dankbarkeit und Zustimmung, wie Sie das vorausgesetzt haben. Was sollen wir als Mitglieder der Legislative tun? Ich denke, wir sollten uns vor allem darüber im klaren sein, daß, alle weiteren Finanztransfers, unter welchem Titel auch immer, den Rechtsfrieden zwischen dem östlichen und dem westlichen Teil Deutschlands nicht gewährleisten können, solange eine Konzeption für den anstehenden gesamtdeutschen Lasten- und Chancenausgleich nicht gefunden ist. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete Freimut Duve.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Als meine Kollegin ansprach, daß es für manche Deutschen Heimkehr, für manche aber nochmalige Flucht aus den Gebieten bedeutet, über die wir reden, und daß dies Teil unseres innerstaatlichen, innergesellschaftlichen, auch innerkulturellen Zuwanderungsproblems ist, gab es bei Ihnen ja Kritik und Distanz. Sie sagten: Nein, das ist ein ganz anderes Problem. Ich bitte Sie sehr darum, daß wir uns in diesem Punkt in den nächsten zehn oder 15 Jahren - solange werden wir uns damit befassen - nicht auseinanderdividieren und nicht die eine Gruppe von Zuwanderern gegen die andere Gruppe in der deutschen Öffentlichkeit ausspielen lassen. Wir brauchen auch für diese Frage Konsens - wir haben gestern sehr viel über Konsens gesprochen -; sonst schaffen wir es nicht. Die große Leistung - für mein Kindheitsleben fast die größte Leistung - -- war die Integration von Millionen und aber Millionen von Deutschen aus dem Osten in Deutschland. Ich befürchte, daß Historiker eines Tages sagen werden: Sie war zwischen 1945 und 1949 nur möglich, weil es damals auch Militärregierungen gegeben hat. Ich befürchte das. Selbst damals gab es - ich erinnere das aus meiner Kindheit - schon starke Animositäten. Viele von uns erinnern sich daran. Wir brauchen für die Lösung dieser Frage - deshalb finde ich die Lösung, die meine Fraktion anbietet, sehr positiv und sinnvoll - mindestens jenen Konsens, den wir alle damals, nach 1945, hatten. Ihn brauchen wir in jedem Fall für das gesamte Zuwanderungsproblem. Das wollte ich gern sagen. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten des Landes Niedersachsen, Jürgen Trittin. Minister Jürgen Trittin ({0}): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meßlatte für ein solches Gesetz aus Sicht eines Landes - was könnte das sein? Ich will Ihnen drei Punkte nennen. Erstens. Den einwanderungswilligen Spätaussiedlern, wie sie nach dem Gesetz nunmehr genannt werden, muß eine überschaubare zeitliche Einwanderungsperspektive gegeben werden. Sie müssen sehr bald wissen, wann sie, wenn sie denn möchten, nach Deutschland kommen dürfen. Zweitens. Es bedarf großzügiger Integrations- und Eingliederungshilfen, um soziale Reibungen und Konflikte zu vermeiden und zu vermindern. Drittens. Um dies erreichen zu können, muß die Zahl derer, die dann hierher kommen, gerade aus der Minister Jürgen Trittin ({1}) Sicht der Länder, die diese Aufnahme durchzuführen haben, die die Streite vor den Verwaltungsgerichten über den Bau von Unterkünften gegen die Klagen von Bürgern durchzufechten haben, sehr frühzeitig feststehen. ({2}) Wenn ich diese drei Kriterien an das Gesetz anlege, muß ich sagen: Diesen Grundanforderungen eines Gesetzes zur Bereinigung - ehrlicherweise hätte man eigentlich von Abschluß sprechen müssen - von Kriegsfolgen wird dieses Gesetz nicht gerecht. Was machen Sie nicht? Sie machen bei der Frage, ob es ein kriegsbedingtes Verfolgungsschicksal gibt, erstens keinen Generationenschnitt. Sie halten also an der Praxis fest, daß die Vertriebeneneigenschaft ein absolut dominantes Erbmerkmal bleibt. Zweitens stehen Sie vor der Problematik - und das macht es aus der Sicht eines Landes im Grunde genommen noch unüberschaubarer als vor diesem Gesetz -, daß Sie im Innenausschuß die Frage des Bekenntnisses zum Deutschtum relativiert haben. Heute muß nicht mehr das Bekenntnis nachgewiesen, sondern die Feststellung getroffen werden, man sei an der Ablegung dieses Bekenntnisses gehindert gewesen. Damit haben Sie die Zahlen, mit denen wir bisher operiert haben - Sie haben eine Zahl von 2 Millionen in der GUS genannt - alle über den Haufen geworfen. Wir werden es mit sehr viel mehr Menschen zu tun haben. Experten sprechen nach dieser Gesetzeslage von zwischen 4 und 5 Millionen im Prinzip einwanderungsberechtigten Menschen. Schließlich haben Sie einem Umstand überhaupt nicht abgeholfen- und das hätte nur der Gesetzgeber tun können -: Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, daß selbst im Gebiet der Republik Polen nach wie vor von den Behörden ein kriegsfolgebedingtes Verfolgungsschicksal zu unterstellen ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat nicht gesagt, daß es das in Polen gibt. Es hat nur gesagt: Da es im Gesetz so drinsteht, bleibt den Verwaltungsbehörden überhaupt kein Ermessensspielraum in dieser Frage. Sie haben dies zu unterstellen. Man muß sich das einmal überlegen: Wir unterstellen in unserem Recht, in Polen würden als Folge des Krieges nach wie vor Deutsche verfolgt. Eine absurde Vorstellung für den, der einmal in diesen Gebieten gewesen ist. ({3}) Meine Damen und Herren, die Chance, diese Regelung abzuschaffen oder dieses neu, vernünftig zu regeln - vernünftig im Sinne der Rechte der Deutschen in Polen, aber auch vernünftig im Sinne einer guten Nachbarschaft - hat dieser Gesetzgeber heute verspielt. ({4}) Es ist gesagt worden: Wir wollen keine Stichtagsregelung, weil wir das Tor nicht zumachen wollen. Das ist nicht das Problem. Die Menschen entscheiden sich ja nicht wegen der Information über Gesetze, ob sie auswandern wollen oder nicht. ({5}) Wer mit Aussiedlern, mit Deutschen beispielsweise in Westsibirien spricht, hört von ihnen: Wir überlegen, da unser Kind jetzt zur Schule kommt, ob es nicht besser ist, es in Deutschland zur Schule zu schicken. Das sind die Motive und nicht Stichtagsregelungen. Eines will ich jedoch deutlich hinzufügen: Wer von Stichtag redet, muß sich auch der Pflicht des Staates stellen, für eine überschaubare Zuwanderungsperspektive zu sorgen. Das ist die korrespondierende Pflicht. Und da, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, versagen Sie zur Zeit eklatant. ({6}) Es gibt ja nicht nur den Seiters-Stau der 400 000 Asylbewerberinnen und Asylbewerber. ({7}) Es gibt 600 000 Anträge, die im Bundesverwaltungsamt auf Bearbeitung und Entscheidung warten. ({8}) - Ich rede jetzt von den Aussiedlern, Herr Marschewski. ({9}) Im Monat August hatten wir 19 000 Anträge. Seit August ist die Zahl dieser nicht entschiedenen Anträge um 14 000 gewachsen. Anders gesagt: Sie polemisieren gegen eine Quote, tatsächlich exekutieren Sie ganz eiskalt, meine Damen und Herren. ({10}) Eines will ich zum Schluß sagen. Es wird auf Dauer nicht gutgehen, in Worten das Tor offenzuhalten, in der bürokratischen Praxis aber die Scharniere zu verklemmen und bei der Aufnahme von Einwanderern durch Leistungskürzungen im Arbeitsförderungsgesetz und anderen Gesetzen dafür zu sorgen, daß diese Menschen möglichst unvorbereitet in eine für sie fremde und kalte Ellbogengesellschaft hineingestoßen werden. Das aber praktizieren Sie gerade. Deswegen findet dieses Gesetz unsere Zustimmung nicht. Sie wissen sehr wohl, daß dieses Gesetz die Zustimmung des Bundesrates finden muß. So kann es denn sein, daß wir diese Diskussion in aller Freundschaft im Vermittlungsausschuß weiterführen. ({11})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Hans-Joachim Hacker.

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kürzlich sprach der Bundeskanzler überraschend davon, daß nun die „Stunde der Wahrheit" gekommen sei. Ich meine, die Behandlung des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes im Deutschen Bundestag gehört dazu. Viele Bürgerinnen und Bürger in den neuen Ländern haben an die angekündigten Regelungen dieses Gesetzes große Erwartungen geknüpft. Sie werden auf die wieder einmal nicht gehaltenen Versprechungen der Bundesregierung mit Enttäuschung und Verbitterung reagieren. ({0}) Die Bundesregierung wußte genau, daß hunderttausende Bürgerinnen und Bürger in den neuen Ländern auf Abschlußregelungen über ihre Forderungen warten. Die Bundesregierung hat sie bislang auf dieses Gesetz vertröstet. Hinzu kommt - dafür kann die Bundesregierung nichts -, daß inkompetente und teilweise falsche Meldungen in den Medien die Menschen weitestgehend verunsichert haben. Zu diesen Betroffenen zähle ich die Heimatvertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, die sich nach der Flucht oder Aussiedlung in der damaligen SBZ bzw. der DDR niederließen. Sie hatten das vergleichsweise schwerere Los gegenüber denjenigen Mitbetroffenen zu tragen, die in Westdeutschland eine neue Heimat fanden. Statt einen materiellen Ausgleich für das verlorene Vermögen zu erhalten, mußten sie die hohen Reparationsleistungen, die aus dem Gebiet der SBZ und später der DDR zu erbringen waren, mittragen. Ihnen boten sich nicht die Chancen des wirtschaftlichen Aufschwunges auf der Grundlage des Marshall-Planes. Sie mußten am Ende ihres Berufslebens bzw. an ihrem Lebensabend erkennen - das dürfen wir nicht vergessen -, daß der von vielen hart erarbeitete Spargroschen nach der Währungsunion eben nur die Hälfte wert war. Er war sicherlich nicht mehr wert, vielleicht sogar noch weniger. Aber das haben die Betroffenen ganz anders empfunden. ({1}) - Das stimmt genau so, Herr Luther. An verbalen Zusagen gegenüber diesen Mitbürgern hat es nicht gemangelt. Nun, da Taten folgen sollten, ja mußten, hat die Bundesregierung kläglich versagt. Nach Ansätzen für eine vernünftige Regelung im Sommer 1991, die vom Bundesinnenministerium unterbreitet wurde, kam die kalte Dusche im sogenannten Gerster-Papier, in dem von einem übertragbaren Wertpapier in Höhe von 4 000 DM die Rede ist, welches - jetzt höre man genau zu - im Jahre 2 000 fällig werden soll. Das ist nicht mehr in dieser, nicht in der nächsten, es ist in der übernächsten Legislaturperiode. Herr Marschewski, Sie haben dazu keine neuen Ideen vorgetragen. ({2}) Die Ideen, die Sie vorgetragen haben, haben die Kollegen aus Ihrer Fraktion in den Wahlkreisen alle schon verbreitet. Die Reaktion bei den Betroffenen ist erschütternd. Ihr Dank an die Abgeordneten in der Gerster-Kommission ist insofern unangebracht. Er wird in den neuen Ländern nicht den Widerhall finden, den er - für mich unverständlicherweise - unter Ihren Kolleginnen und Kollegen gefunden hat. ({3}) Meine Damen und Herren, ich halte einen Vorschlag, den Leuten im Jahre 2000 4 000 DM anzubieten, für pietätlos. Ideen über Sparbücher für die Vertriebenen, wie sie auch entwickelt worden sind, sind glatte Augenwischerei. Ich frage insbesondere die in der Kommission mitwirkenden Abgeordneten aus den neuen Ländern: Wie wollen Sie, wenn diesem Gesetz jetzt Zustimmung erteilt wird, vor die Augen der Wähler in Ihrem Wahlkreis treten? Ein zweites Problem - ich freue mich, daß Herr Kollege Professor Ullmann das angesprochen hat -: Die Bundesregierung hat bei der Bearbeitung des Entwurfs des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes entgegen den Zusagen an die Abgeordneten des Bundestages die Frage der Ausgleichsleistungen gegenüber den durch die sowjetische Siegermacht Zwangsdeportierten aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße keiner Lösung zugeführt. ({4}) Da diese betroffene Gruppe aus formellen Gründen nicht in das Rehabilitierungsgesetz einbezogen werden konnte, war es der Wille der Abgeordneten des federführenden Rechtsausschusses, eine Regelung im Rahmen des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes zu finden. Ich verweise ausdrücklich auf den Bericht vom 16. Juni 1992 der Berichterstatter zum Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz, in dem die einstimmig gefaßte Entschließung des Rechtsausschusses dokumentiert ist. Da haben auch die Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. zugestimmt. Das war ein direkter Auftrag an die Bundesregierung. Diese Entschließung des Rechtsausschusses kam nicht zuletzt nach der Anhörung des Ausschusses am 19. März 1992 in Halle zustande. Die erschütternden Schicksalsschilderungen führten auch bei den Abgeordneten des Rechtsausschusses zu der nachdrücklichen Forderung auf Entschädigung. Es ist unverständlich, daß sich die Bundesregierung aus der Verantwortung gegenüber den Zwangsdeportierten stiehlt. ({5}) Meine Damen und Herren, beide Regelungsbereiche verdrängt die Bundesregierung. Sie will sie völlig sachfremd in das Entschädigungsgesetz einbeziehen. Es ist doch eine direkte Folge des Zweiten Weltkrieges. Deswegen hätte eine Regelung zwingend im Rahmen des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes erfolgen müssen. Ich frage mich, vor allem aber die Bundesregierung, wie die selbstformulierte Zielvorstellung, die Folgen des Entschädigungsgesetzes haushaltsneutral zu halten, erfüllt werden soll, wenn dieses Entschädigungsgesetz immer mehr mit neuen Lasten befrachtet wird.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Hacker - Hans-Joachim Hacker ({0}): Ich komme zum letzten Satz, Herr Präsident.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Danke schön.

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Zustimmung zum Kriegsfolgenbereinigungsgesetz kann ich nicht geben. Ich fordere die Bundesregierung nachdrücklich auf, unverzüglich aktiv zu werden und die dargestellten Defizite zu beseitigen. ({0}) Ich danke Ihnen. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Ortwin Lowack.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag! Meine Damen und Herren! Ich kann dem Gesetzentwurf auch nach der parlamentarischen Befassung nicht zustimmen, obwohl ich Erwin Marschewski persönlich sehr herzlich dafür danken möchte, daß er sich mit großen Kräften bemüht hat, noch Schlimmeres zu vermeiden. Erstens. Der Gesetzentwurf enthält eben doch die Beseitigung des Vertriebenenstatus, obwohl eine Reihe von entscheidenden Fragen bis heute überhaupt nicht geklärt sind. Oder wie soll ich die Stellungnahme der Bundesregierung interpretieren, wenn sie immer noch klarstellt, daß durch die Vertreibung das Eigentum der Deutschen völkerrechtswidrig enteignet oder konfisziert wurde, sie damit nicht einverstanden ist und hier absoluter Erklärungsbedarf besteht? Wenn diese Frage aber noch offen ist, dann können wir nicht so tun, als ob es keine Kriegsfolgen mehr gäbe. Zweitens. Für die Anerkennung der deutschen Volkszugehörigkeit bei denen, die in ihrer Heimat geblieben sind, weil sie dort gebraucht wurden oder weil sie ihre Heimat nicht verlassen wollten, werden in Zukunft Barrieren eingerichtet, die es ihnen sehr schwer machen, diese Anerkennung zu erhalten, weil die Ausstellung von Urkunden ausgerechnet von den Behörden erwartet werden, die sich bisher, aus einer kurzsichtig-chauvinistischen Haltung heraus, geweigert haben, diese Volkszugehörigkeit anzuerkennen. Hier wird durch das Gesetz eine Diffamierung eingeführt, die unnötig ist. Drittens. Dieser Gesetzentwurf enthält keinerlei Perspektive für die Deutschen, die in der Heimat geblieben sind. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie durch die Vertriebenengebiete fahren, dann sehen Sie, welche ungeheure Aufgabe auch auf uns Deutsche noch zukommt, der wir uns einfach nicht versagen können. Nur, hier etwas aufzubauen, bedeutet, das mit den Deutschen zu tun, die dort noch leben. Wir müssen sie fördern, wir müssen ihnen den Eindruck vermitteln, daß es sich lohnt, ihre alte Heimat zusammen mit anderen aufzubauen. Ich halte den Entwurf, viertens, für eine Diskriminierung der doppelt Bestraften, nämlich derjenigen, die mit der Vertreibung aus der Heimat in das Gebiet der ehemaligen DDR vertrieben wurden und die heute - auch noch nur unter Umständen - mit 4 000 DM abgespeist werden sollen, was niemals Entgelt sein kann. Dies gilt vor allem auch angesichts der Tatsache, daß die Bundesregierung erneut überhaupt nichts tut, um die Eigentumsfrage zu klären. Ich hätte erwartet, daß zumindest in den Ausschüssen eine Frage ernsthaft zu Ende diskutiert wird: Ist es nicht doch so, daß das Lastenausgleichsgesetz nur einen Ersatz für entgangene Nutzung und nicht für das Eigentum regelt? So war das Gesetz ursprünglich beabsichtigt. Auch diese Frage wird offengelassen und leider zu Lasten der Menschen, die hier nicht den notwendigen Einfluß ausüben können. Ich stimme deshalb dem Gesetzentwurf nicht zu.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nunmehr dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Horst Waffenschmidt das Wort.

Dr. Horst Waffenschmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002403

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich all denen gerne herzlich danken, die gute Worte gefunden haben für die deutschen Aussiedler, die zu uns gekommen sind, aber auch denen, die in ihrer heutigen Heimat noch verblieben sind. Ich will hier gerne zu Beginn meiner kurzen Ausführungen sagen: Die, die zu uns gekommen sind, bereiten in unserem Land nicht nur Lasten, sondern man sollte einmal feststellen, daß sie in vielen Bereichen für unsere Gesellschaft und für unser Land auch ein Gewinn sind. ({0}) Ich glaube, die Menschen haben auf Grund ihres Schicksals und auf Grund des Beitrags, den sie bei uns leisten, verdient, daß man das hier ausspricht. Ich will aber nach vielen Besuchen in den Aussiedlungsgebieten auch sagen: Die Deutschen, die sich entschlossen haben, doch zu bleiben oder die noch überlegen, wie sie ihr Schicksal planen sollen, können eine wichtige Brücke sein zwischen Deutschland und den Ländern, in denen sie heute leben. Wir wollen auch ermutigen, diese Brückenfunktion wahrzunehmen. Dies will ich hier auch aussprechen. ({1}) Dabei gilt dann - ich sage das noch einmal ausdrücklich, Frau Kollegin Hämmerle -, daß wir, wenn wir Hilfe leisten, sie nie exklusiv nur für die Deutschen leisten dürfen. Vielmehr müssen diese Hilfen auch ihren nichtdeutschen Nachbarn zugute kommen, damit sie insgesamt zu einer Besserung der Lebensverhältnisse in den Heimatgebieten der Menschen führen. ({2}) Ein Zweites. Meine Damen und Herren von der SPD - teilweise gilt das auch für Sie, Herr Kollege Trittin -: Ich halte die Vorschläge zu Stichtagen für einen falschen Weg. Man muß sich doch einmal überlegen, welche Wirkung das erzeugt. Wenn ich einen Stichtag setze, dann wird sich doch jeder - auch derjenige, der noch gar nicht zu einer Ausreise entschlossen ist - sagen: du mußt dich melden, sonst versäumst du den Stichtag. Ich habe die große Sorge, daß wir, wenn eine solche Regelung eingeführt würde, am Ende viel mehr Aussiedlerbewerber haben als heute. Das kann doch nicht Sinn der Sache sein, meine Damen und Herren! ({3}) Ich will ein Drittes sagen zu den Vorschlägen, hier Quoten einzuführen. Meine Damen und Herren, wir wollen darüber offen sprechen, wie wir alle diese Aufgaben im Zusammenhang mit dem Gesetz erörtert haben, werden letztlich - so hört sich das auch in der Begründung an - zu einer Vermengung all der Gruppen führen, die wir unter dem Stichwort „Zuwanderung" ansprechen. Ich bin aber ganz dezidiert der Auffassung, daß auch in dem schwierigen Bereich der Zuwanderung jede Gruppe ihr eigenes Recht hat. Man kann nicht die deutschen Aussiedler nachher in der Konsequenz vermengen mit den Asylbewerbern, die zu uns kommen. ({4}) Ich appelliere darum an die SPD, die uns in vielen Bereichen unterstützt hat - das will ich hier ausdrücklich anerkennen, weil mir um diesen Konsens sehr zu tun ist -, diese Vorschläge noch einmal zu überlegen. Ich sage den Kolleginnen und Kollegen, die in die Aussiedlungsgebiete mitgefahren sind: Man muß sich doch einmal fragen, wie es wirkt, wenn so etwas Gesetz würde. Die Menschen dort sagen nämlich: Heute Quote und was morgen? Morgen dann vielleicht doch das Tor ganz zu. - Diese Wirkung müssen wir vermeiden, denn sie führt zu Panik. Diese Panik darf nicht eintreten. ({5}) In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Trittin, muß ich sagen: Was Sie hier angeführt haben - die Menschen wüßten nicht Bescheid über das, was hier im Gesetzgebungsverfahren läuft-, ist sehr ahnungslos. Ich war gerade in Kasachstan. Ich war in Westsibirien. Die Leute sind über jeden Antrag, der im Bundestag oder im Bundesrat gestellt wird, bestens informiert. Die Fülle der Anträge führt zu Verunsicherung. Ich will Ihnen eines ganz klar sagen: Wenn wir in den letzten Wochen einen höheren Zugang an Aussiedlern hatten, auch von denen, die früher einen Aufnahmebescheid bekamen und zunächst geblieben sind, dann ist ein Grund auch die Diskussion um das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz und die vielen Unsicherheiten, die produziert worden sind. ({6}) Das muß man einmal deutlich sagen. Nun, Herr Trittin, Sie haben noch eine Sache hier vorgetragen. Da muß ich sehr nachdrücklich vor der Irreführung unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger warnen. Sie haben nämlich das Verfahren angesprochen und haben gemeint, das Bundesverwaltungsamt trage hier eine große Schuld. Das ist eine klare Irreführung der Mitbürger. Ich will einmal sagen, wie es wirklich ist. Der Kernbereich des Anerkennungsverfahrens, das wissen Sie ganz genau, liegt in der Kompetenz der Bundesländer, denn die Bundesländer führen das Bundesvertriebenengesetz als eigene Aufgabe durch. Da kann die Bundesregierung noch nicht einmal Weisungen erteilen. Ich habe es mir eben noch einmal von den Fachleuten bestätigen lassen: Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer in den 16 Bundesländern liegt heute bei neun Monaten. Also appellieren Sie an Ihre Kollegen in den Ländern, hier zügiger zu arbeiten, und machen Sie nicht Vorhaltungen an die Bundesregierung! ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Staatssekretär, auch an dem neuen Rednerpult ist ein Hinweisschild, wo Sie der Präsident darauf aufmerksam machen kann, daß die vorgesehene Redezeit eigentlich beendet ist, ohne daß ich Ihre grundgesetzlich zugesicherte Redemöglichkeit einschränken will.

Dr. Horst Waffenschmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002403

Ja, ich komme zum Schluß, Herr Präsident. Ich möchte gerne noch folgendes sagen: Einen herzlichen Dank an all die, die in Städten, Gemeinden, Ländern, Kirchen und sozialen Verbänden bei der bisherigen Integration unserer deutschen Landsleute geholfen haben. Ich bitte, in dieser Arbeit fortzufahren. ({0}) Wir werden trotz Sparmaßnahmen den Kern der Integrationsmaßnahmen auch vom Bund aus sicherstellen. Darum bemühen wir uns. Unsere gesamte Arbeit muß sowohl in den Aussiedlungsgebieten als auch hier unter der Überschrift lauten: Wir lassen die deutschen Landsleute, die ein schweres Schicksal hatten, nicht im Stich. Herzlichen Dank. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zu einer kurzen Erwiderung hat sich der Landesminister für Bundes- und Europaangelegenheiten Trittin gemeldet. Minister Jürgen Trittin ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär, ich will nur an einem Punkt versuchen, Sie zu korrigieren. Ich habe nicht gesagt, die Leute wüßten nicht, über was hier diskutiert wird. Das wissen sie. Das weiß ich aus den Gesprächen - ich bin auch gelegentlich da - sehr genau. ({1}) - Ich bin nicht ganz so reisefreudig wie manche Abgeordnete. ({2}) Da bitte ich Sie, dann auch korrekt zu zitieren. Minister Jürgen Trittin ({3}) Das entscheidende Motiv für die Auswanderung ist nicht diese Kenntnis, sondern die spezielle Situation vor Ort, die Sorge um die Kinder. Wenn ich sehe, daß in Orten, wo sich die Bundesregierung große Mühe gibt mit Bleibehilfen, plötzlich mit dem Eintreffen solcher Dinge die Anträge sprunghaft nach oben gehen - in wenigen Monaten auf 25 % der Deutschen beispielsweise in Perm -, dann sage ich, wir werden uns darauf einstellen müssen, daß eine große Zahl kommen wird. Es geht nicht um Panik. Aber das ist die Situation. Da bitte ich Sie, uns und unsere Position hier nicht mißzuverstehen. Ich will ein Zweites zu der Frage sagen: Wie geht man eigentlich mit Anträgen um? Wir müssen uns doch gemeinsam fragen, ob die Praxis vernünftig ist, die von acht Familienmitgliedern sieben einen Aufnahmebescheid schickt und die achte Person über Monate hängenläßt und dann auf diese Weise - ({4}) - Hören Sie doch einmal zu!

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, die Summe Ihres Protestes verlängert das Verfahren. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den Landesminister aussprechen ließen. ({0}) Minister Jürgen Trittin ({1}): Herr Rüttgers, vielleicht sollten Sie, bevor Sie von Unsinn reden, zuhören. Das empfiehlt sich allemal. Ich habe gesagt: Lassen Sie uns, Bund und Länder, in dieser Verwaltung gemeinsam eine Praxis überprüfen, die zu solchen Dingen führt, daß Menschen Aufnahmebescheide haben, aber nicht reisen können, weil einzelne Familienmitglieder diese Bescheide noch nicht haben! Es mag sein, daß es hier unpopulär ist, auch einmal eine selbstkritische Position zur eigenen Verwaltungspraxis zu haben; aber ich denke, das ist eine gemeinsame Aufgabe, die an einer solchen Stelle auch einmal diskutiert werden muß. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Landesminister, ich will hier keine Bewertung vornehmen und bin weit davon entfernt, Sie zu rügen. Aber angeblich ist der Stil im Bundesrat sehr viel besser als im Bundestag; jedenfalls: fama est. ({0}) Ich wäre Ihnen also dankbar, wenn Sie sich, wenn Sie schon Ihr Rederecht in einem anderen Verfassungsorgan wahrnehmen, mindestens des Stils des Bundesrates befleißigten. ({1}) Herr Staatssekretär, bitte.

Dr. Horst Waffenschmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002403

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur wenige Worte zur Erwiderung, Herr Minister Trittin. Erstens zu der Zusammengehörigkeit der Familien im Verfahren: Ich möchte Ihnen sagen: Wir von der Bundesregierung bemühen uns - da haben wir ständige Gespräche mit dem Bundesverwaltungsamt und auch mit manchen Landesdienststellen -, daß Familien hier nicht widernatürlich getrennt werden. Da müssen wir uns ganz klar einsetzen. ({0}) Wenn Sie das auch tun, sind wir uns einig, dann wollen wir uns gegenseitig helfen; denn es kann nicht sein, daß ein Teil der Familie nach Deutschland kommen darf und der andere muß in der GUS, in Polen oder in Rumänien bleiben. Wenn wir da gemeinsam handeln können, bin ich einverstanden. Es gibt allerdings Fälle - ich sage das auf einen Zuruf, Frau Kollegin Hämmerle, damit auch hier noch einmal ganz deutlich die Öffentlichkeit informiert wird -, in denen ein ganz anderes Lebensschicksal eines Teils der Familie auch zu einer Ablehnung führen kann. Wenn sich z. B. zwei Söhne in der Leibgarde irgendwelcher hoher kommunistischer Funktionäre befunden haben, dann haben die nicht das gleiche Schicksal wie andere, die verfolgt wurden; das muß man auch aussprechen. Ich möchte aber noch einmal kurz etwas zu den anderen Aufgaben sagen; Kollege Marschewski hat in seiner Rede schon in guter Weise darauf hingewiesen. Herr Trittin: Die Frage der Ausreise ist natürlich eine Folge auch des Gesamtschicksals und der Gesamtsituation, insbesondere in den Republiken der GUS. Darum sind wir auch alle - allen voran die Bundesregierung und der Bundeskanzler - bemüht, im Rahmen unserer Möglichkeiten zur Verbesserung der Situation in den Republiken der GUS zu helfen. Das muß unsere gemeinsame Aufgabe sein, meine Damen und Herren, für Deutsche und für Nichtdeutsche. ({1}) Denn wenn die Reformen dort scheitern würden, wären wir alle die Leidtragenden; ein wichtiger Teil unseres deutschen Schicksals entscheidet sich heute und morgen auch in Rußland und in den anderen Republiken. Das muß uns bewußt sein. Aber bei der Schwierigkeit der Situation sollten wir alles vermeiden, was noch zu zusätzlichen Irritationen führt. Ich sage Ihnen: Ihre Statistik mit den Anträgen, die gestellt wurden, sollten Sie noch einmal überprüfen. Unsere Statistik, die alle 16 Länder umfaßt, hat gezeigt, daß wir 24 % weniger Anträge haben als im letzten Jahr - das sage ich jetzt auch einmal -, und zwar allein aus den Republiken der GUS. Vielleicht, meine Damen und Herren, ist das doch auch ein Erfolg unserer Bemühungen, den Menschen dort eine Hoffnung und Lebensperspektive zu geben. Das wollen wir positiv herausstellen. Herzlichen Dank. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, wir beenden nun endgültig die Aussprache. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes, und zwar auf den Drucksachen 12/3212, 12/3341 und 12/3597. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf der Drucksache 12/3618 vor. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Änderungsantrag bei Enthaltung der Gruppe PDS/ Linke Liste mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Wir treten nun in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist das Gesetz mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD, der PDS/Linke Liste und des Abgeordneten Lowack angenommen worden. Ich muß Ihnen noch bekanntgeben, daß ich eine Erklärung der Abgeordneten Dr. Michael Luther, Maria Michalk und Hartmut Büttner sowie weiterer 38 Kollegen nach § 31 unserer Geschäftsordnung zu Protokoll genommen habe. *) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 und den Zusatzpunkt 3 auf: 6. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung ({0}) - Drucksache 12/3608 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Gesundheit ({1}) Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie und Senioren Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO ZP3 Beratung des Antrags der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vorlage eines neuen Gesundheitsstrukturgesetzes - Drucksache 12/3606 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Gesundheit ({2}) Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie und Senioren Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß *) Anlage 2 Interfraktionell ist vereinbart worden, daß ich dem Haus eine Debattenzeit von zwei Stunden vorschlage. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist dies als beschlossen festzustellen. Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Paul Hoffacker das Wort.

Dr. Paul Hoffacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000934, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt. Diese Weisheit und die Überzeugung der alten Griechen hat manchen Verhandlungspartner der Koalition und der Opposition bei den zähen Beratungen über das Gesundheitsstrukturgesetz buchstäblich aufrechterhalten. Alle wußten aber, daß das Gesundheitsstrukturgesetz entstehen mußte, weil die allgemeine Überzeugung vorherrscht, es müßte nicht nur etwas geschehen, sondern auch etwas passieren. Aber was im einzelnen geschehen mußte, war streitig. Heute, insbesondere draußen, besteht ein heftiger Streit über die Frage, was denn nun im einzelnen zu geschehen hat. Ich bin überzeugt: Wenn der Pulverdampf der Attacken mancher Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und weiterer Kombattanten verzogen ist, wird sich zeigen, daß der zwischen Koalition und Opposition erstrittene Kompromiß vernünftig ist, vernünftig deshalb, weil alle am Gesundheitswesen Beteiligten solidarisch belastet werden, solidarisch deshalb, weil alle zugunsten der Patienten Opfer zu bringen haben und auch die Beitragszahler selbst belastet werden. Der Konsens der Beteiligten ist Grundlage des heute in erster Lesung zu beratenden Gesetzentwurfs. Allen Beteiligten möchte ich danken, daß dieser Kompromiß nach langen und zähen Verhandlungen möglich war. Mein Dank gilt dabei ganz besonders den Mitarbeitern des Bundesministeriums für Gesundheit, ({0}) die unter nicht leichten Bedingungen bis in die Nacht hinein - wie das bisweilen der Fall war - die Bedingungen für dieses Gesetz erst ermöglicht haben. Wir waren, meine Damen und Herren, praktisch zur Übereinkunft gezwungen. „Wir", das waren und sind die CDU/CSU, die F.D.P., die SPD, die Verantwortlichen der alten und neuen Bundesländer mit ihren farbenprächtigen Parlamenten und Regierungen. Wir mußten eine Übereinkunft herbeiführen, weil die finanzielle Lage der gesetzlichen Krankenversicherung in Ost und West alarmierend ist. Einnahmen und Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung driften weiter auseinander. So ist für das erste Halbjahr 1992 festzustellen, daß die Steigerung der Ausgaben 10,6 % betrug, die Steigerung der Einnahmen in den Krankenkassen demgegenüber nur bei 4,4 % lag. Der durchschnittliche Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung ist in den alten Ländern erstmals auf den hohen Spitzenbetrag von 13,1 % hochgeklettert. Dennoch erwarten wir in diesem Jahr ein Defizit von nahezu 10 Milliarden DM. Auch in den neuen Ländern ist nach anfänglichen Überschüssen die defizitäre Entwicklung vorprogrammiert. Welche Entwicklungsmöglichkeiten sich vor diesem Hintergrund einer rezessiven Entwicklung der Wirtschaft eröffnen könnten, möchte ich hier nur andeuten. Ein Aussteigen bei diesen Verhandlungen, bei dieser Situation wäre verantwortungslos gewesen. Fazit: Handlungsbedarf, nein, Handlungszwang besteht. Untätigkeit verschlechtert die Chancen für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Untätigkeit erhöht die Belastungen der Arbeitgeber und verringert die Nettoeinnahmen der Arbeitnehmer. Untätigkeit wirkt sich doppelt zu Lasten unserer Rentner aus. Sie müßten nämlich höhere Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung zahlen und erhielten geringere Rentenanpassungen wegen der Nettolohnbezogenheit der Rente. Das, meine Damen und Herren, muß verhindert werden. Konsequenz dieser Diagnose ist: Der Konsens der Koalition mit der SPD-Bundestagsfraktion und den Ländern ist nötig. Er ist, soweit ich das überschaue, in den grundsätzlichen politischen Aussagen auch gelungen. Eine realistische und kalkulierbare gesundheitspolitische Alternative ist nicht zu erkennen. All diejenigen, die jetzt ordnungspolitische Grundsätze zitieren oder das Erreichte an ihrem sozialpolitischen Credo messen, bitte ich, auch diese Fakten zu berücksichtigen. Ergebnis dieser politischen Situation ist unser Gesundheits-Strukturgesetz. Grundlage dieses Gesetzes ist der Kompromiß, weil sich alle Beteiligten - ausgehend von ihren unterschiedlichen Ausgangspositionen - aufeinander zubewegt haben. Ohne hier ein Aufrechnen der gegenseitigen Erfolge beginnen zu wollen, glaube ich sagen zu können, daß das Gesetz von einem ausgewogenen Geben und Nehmen getragen ist. Wir müssen erkennen - auch wenn manche es nicht wahrhaben wollen -, daß wir, wie die Zahlen zeigen, über unsere Verhältnisse gelebt haben. Das Anspruchsdenken aller am Gesundheitswesen Beteiligten - manche tun es besorgt, manche unbekümmert - überwuchert die realen Zahlungsmöglichkeiten und nimmt immer weniger Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit der Beitragszahler. ({1}) Der Spannungsbogen von Eigenverantwortung und Solidarität wird überdehnt. Er wird strapaziert durch medizinisch nicht notwendige Leistungen, und er wird überlastet, so daß dieser Spannungsbogen zu bersten beginnt. Dieser Entwicklung muß in dreifacher Weise entgegengewirkt werden; einmal durch Sofortmaßnahmen, weiterhin durch Strukturmaßnahmen und drittens durch eine neue Bestimmung der Selbstverantwortung von Patienten, Ärzten, Zahnärzten, Apothekern und Arzneimittelherstellern, also von all denjenigen, die wir in der Regel etwas abschätzig Leistungserbringer nennen. Alle müssen zwischen Selbstverantwortung und Solidarhaftung der Versicherten ihre Verantwortung neu überdenken. Es kann nämlich nicht angehen, daß der ungebremste Zugriff auf das Geld der Kassen noch weiter beschleunigt wird. Wie sich dieser Zugriff beschleunigt hat, sehen wir exemplarisch an einigen Zahlen im Bereich der Kuren und des Zahnersatzes oder beispielhaft an den Krankenhausausgaben des laufenden Jahres. Es muß daher schnell gehandelt werden. Wir nehmen deshalb kurzzeitig bei diesem Prozeß in Kauf, daß wir gegen ordnungspolitische Prinzipien verstoßen, weil sich kurzfristig das Gesundheitswesen nicht durch das System der Sozialen Marktwirtschaft sanieren läßt. Ich selber bin aber der Überzeugung, daß nur das System der Sozialen Marktwirtschaft auch langfristig das Gesundheitswesen beherrschen muß und daß diese Grundsätze über kurz oder lang eingeführt werden müssen. Uns passen diese Eingriffsinstrumente genausowenig wie den sogenannten Leistungsanbietern. Aber, meine Damen und Herren: Wer fragt denn die Versicherten, wenn ihnen durch Beitragserhöhungen ungefragt in die Tasche gegriffen wird? Wer schützt die Versicherten vor diesem Zugriff, wenn die Politik nicht Grenzen setzt? ({2}) Deshalb setzen wir Grenzen, und zwar in der Phase der nächsten zwei bis drei Jahre. Dies geschieht beispielsweise durch Budgetierung, durch Preisstopp, durch eine Verringerung der Arztbedarfszahlen und durch andere Maßnahmen. Aber wir eröffnen gleichzeitig die Chance zur strukturellen Veränderung im Gesundheitswesen. Diese Chancen sollten von allen durch Annahme des Gesetzes genutzt werden und nicht durch eine Blokkade neuer Wege. ({3}) Wie dies aussieht, können wir leider täglich erleben: Durch große Demonstrationen, durch falsche Informationen und bisweilen durch eine Verhetzung der Patienten. Dies, meine Damen und Herren, kann nicht die Wirklichkeit der kurzfristigen oder langfristigen Entwicklung sein. Deshalb haben wir Strukturen in dieses Gesetz eingebaut und dafür gesorgt, daß sich auf lange Frist das Gesundheitswesen so entwickeln kann, daß alle Beteiligten zu ihrem Recht kommen, so beispielsweise im Krankenhaussektor mit der Aufgabe des Selbstkostendeckungsprinzips. Bei gleichzeitiger Ablösung der tagesgleichen Pflegesätze wird ein grundlegender Strukturfehler des bisherigen Krankenhausrechts beseitigt. Durch Einführung von Fallpauschalen, Sonderentgelten und differenzierten Pflegesätzen wird der Weg für mehr Transparenz und Effizienz im Krankenhaus eröffnet. Durch die bessere Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung, insbesondere durch die Einführung von vor- und nachstationärer Krankenhausbehandlung, wird die Wirtschaftlichkeit im Krankenhaus erheblich gesteigert werden können. Stationäre Krankenhausbehandlung soll künftig nur noch dann erfolgen, wenn sie tatsächlich notwendig ist. Wir wissen heute, daß die Bezugsgrößen Bettenzahl und Verweildauer im Krankenhaus falsch sind, ja, geradezu dazu anreizen, daß der Patient das Krankenhaus aufsucht und dort seine Behandlung verlangt. Auch die Regelungen in der ambulaten Versorgung enthalten wichtige Strukturelemente. Hier geht es eben nicht nur, wie der erste Eindruck glauben machen möchte, um Budgetierung, Grundlohnanbindung, Eindeckeln und Ausdeckeln, Punktwertabsenkung oder kollektive und individuelle Maßnahmen. All jene Dinge, die von den meisten Zeitgenossen sowieso nur unverständlich und nur unter dem Gebot der Stunde als unvermeidliche Sofortmaßnahmen akzeptiert werden können, sind eine vorübergehende Maßnahme. Nicht zu unterschätzen sind Struktureffekte, wie beispielsweise die Neuordnung der hausärztlichen Versorgung unter qualitativen, finanziellen und organisatorischen Aspekten. Die Neuregelung der Kassenarztzulassung durch Neubestimmung der Kriterien bei der Überversorgung bis hin zur Bedarfszulassung ist eine Komponente, die längst überfällig war. Meine Damen und Herren, trotz der Befürchtung, daß ich mit meiner Äußerung zu der Vorschlagsliste für die verordnungsfähigen Arzneimittel vielleicht wiederum Mißverständnisse wecke, möchte ich sagen, daß diese Vorschlagsliste nicht eine Positivliste im Sinne dieses Reizwortes ist. ({4}) Mit dieser Liste kann für die Ärzteschaft mehr Transparenz geschaffen werden, und damit können die Anreize zu einem wirtschaftlichen Ordnungsverhalten erhöht werden. Die Reduzierung des Arzneimittelangebots auf dem Markt und die damit verbundene Einschränkung der Therapiefreiheit wird durch diese Liste, die als Verordnung des Bundesministers für Gesundheit erlassen wird, nicht herbeigeführt. Betonen möchte ich, daß unter allen Konsenspartnern Einvernehmen darüber besteht, daß die Medikamente der besonderen Therapierichtungen auch weiterhin grundsätzlich verordnungsfähig bleiben. Wer das Gegenteil behauptet, hat entweder dieses Gesetz mißverstanden, oder er führt absichtlich irre. Meine Damen und Herren, das Thema Organisationsreform der gesetzlichen Krankenversicherung - ein Diskussionspunkt in politischen Fachkreisen seit Jahren - ist mit diesem Gesundheits-Strukturgesetz einer langfristigen Lösung zugeführt worden. Ich will nicht verschweigen, daß die hier gefundenen Ergebnisse einiges an Überzeugungsarbeit erforderten und auch weiterhin noch erfordern. Dies, so meine ich, muß in der Öffentlichkeit deutlich werden. Aber, Tatsache ist, daß die Einschränkung der Wahlrechte von pflichtversicherten Arbeitern in der gesetzlichen Krankenversicherung bereits heute nicht mehr sachlich überzeugend vertreten werden kann. Die Ausweitung der Wahlrechte stellt das Organisationsrecht in der Krankenkasse auf eine nunmehr auch verfassungsrechtlich langfristig tragfähige Grundlage. Das gegliederte Kassensystem wird bewahrt. Auch hier: Entgegenstehende Reden sind nicht richtig. Über die Strukturausgleiche, die wir wollen, und über den Zeitpunkt der Einführung der Risikostrukturausgleiche muß sicherlich noch während des Gesetzesverfahrens durch die Sachverständigen, die wir in der Anhörung bereits morgen haben, noch einiges hinzugefügt werden. Ich kann jedoch nicht erkennen, daß mit dieser Entscheidung der Weg in eine sogenannte Einheitsversicherung vorprogrammiert wäre. Dies muß ich zum Schutze aller, die daran mitgewirkt haben, sagen. Meine Damen und Herren, das Strukturgesetz enthält neben den unbestreitbar dirigistischen Elementen, die kurzfristig nicht zu vermeiden waren, hauptsächlich strukturelle Elemente, Entscheidungen, die die Weichen für die gesetzliche Krankenversicherung langfristig in die richtige Richtung stellen. Es wird aber darauf ankommen, mit allen Beteiligten konsensfähige Konzepte zu entwickeln, die Lösungen aufzuzeigen, die nach der Notbremsung oder, um mit Rudolf Dreßler zu sprechen, nach der Phase Günter Mittag vereinbart werden können. Dazu möchte ich alle Beteiligten von dieser Stelle aus ausdrücklich auffordern. Der Grundstein zur weiteren Reform auf dem Weg zur gesetzlichen Krankenversicherung 2000 ist mit diesem Strukturgesetz bereits gelegt. Vielen Dank. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Rudolf Dreßler.

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heute zur Beratung anstehende Entwurf eines Gesundheits-Strukturgesetzes, den die Fraktionen von SPD, CDU/CSU und F.D.P. eingebracht haben, ist in mehrfacher Hinsicht von exemplarischer Bedeutung. Zum einen zeigt er, daß Koalition und Opposition abseits des sonst notwendigen parlamentarischen Gegeneinanders zu gemeinsamem Handeln fähig sind, wenn die Wohlfahrt des Landes es erfordert. ({0}) Er ist, so gesehen, ein Stück demokratischer Kultur, an deren Vorhandensein in Deutschland, wie wir wissen, eine zunehmende Zahl von Menschen zu zweifeln beginnt. Dieser Entwurf verkleistert nicht die politischen Gegensätze zwischen Regierung und Opposition. Gleichwohl unterstreicht er die zu einem tragfähigen Kompromiß zusammengebundenen gemeinsamen Interessen. Zum zweiten zeigt der Gesetzentwurf die Fähigkeit des Parlaments, den Einwirkungsversuchen von Interessengruppen zu widerstehen, wenn es geschlossen handelt. Vor dem Hintergrund des Vertrauensverlustes, den Politik in den letzten Monaten erfahren hat, ist dies eine wichtige vertrauensbildende Maßnahme gegenüber den Menschen, für die wir da sind. Spötter meinen, unser Gesundheitswesen gleiche einem Minenfeld, zu dem der Verlegungsplan abhanden gekommen sei. Daran ist mehr wahr, als uns lieb sein kann. Die mit diesem Gesetzgebungsverfahren verbundenen Einwirkungsversuche von Interessenverbänden lagen mehr als einmal jenseits des guten politischen Geschmacks und kamen der Grenze zur politischen Nötigung oft bedrohlich nahe. Wenn diese Interessengruppen nunmehr die Erfahrung gemacht haben, daß unser Parlament nicht vor ihren Pressionsversuchen kuscht, hat dieser Gesetzeskompromiß über den sachlichen Rahmen hinaus auch eine prinzipielle politische Signalwirkung. ({1}) Diese will ich ausdrücklich benennen. Das notwendige Gespräch mit Verbänden kann so auf neuer, vor allem aber auf angemessenerer Basis geführt werden. Zum dritten zeigt der Gesetzentwurf schließlich, daß die politische Tradition in Deutschland, grundlegende Regelungen der sozialstaatlichen Ausgestaltung unseres Landes gemeinsam zu treffen, nunmehr auch im Gesundheitswesen Fuß gefaßt hat; denn bemerkenswerterweise ist eine parteiübergreifende Regelung in der Vergangenheit im Gegensatz zu anderen gesellschaftlichen Regelkreisen im Gesundheitswesen bisher noch nie gelungen. Wir stehen mit diesem Entwurf gleichsam vor einer Premiere. Wenn sich wie in diesem Fall Regierung und Opposition zu einem gemeinsamen Lösungsversuch zusammenfinden, so kann diese Ausnahme von der herkömmlichen parlamentarischen Regel des Gegeneinander ihre Rechtfertigung nur in zwei Gründen finden: zum einen in der elementaren Bedeutung des zu lösenden Problems und zum anderen in der politischen Tragfähigkeit und Qualität der Lösungsvorschläge. Zu letzterem will ich aus der Sicht meiner Fraktion anmerken, daß der mit der Koalition gefundene Kompromiß inhaltlich von weitreichender Bedeutung ist, der über diese zwölfte Legislaturperiode hinaus tragen wird. Wir haben den Teufelskreis aus kurzfristig wirkenden Kostendämpfungsoperationen, die ständig neue und in immer kürzeren Abständen folgende weitere Gesetzesinterventionen provozierten, endlich durchbrochen. Zum erstenmal in der Nachkriegsgeschichte des Gesundheitswesens gibt es eine wirkliche Gesundheitsreform, wird unser Gesundheitswesen wirklich umgebaut. ({2}) Wir werden unsere Krankenversicherungen neu organisieren und an einen modernen, wettbewerblichen Grundsatz orientieren. Wir werden die Selbstverwaltung der Krankenkassen neu gestalten und zu einem effektiven Mitbestimmungsinstrument der Versicherten umbauen. Wir werden die Krankenhausfinanzierung auf neue Grundlagen stellen und moderne, betriebswirtschaftlich vernünftige Entgeltverfahren einführen. Wir werden den Graben zwischen ambulanter und stationärer Versorgung überbrücken. Wir werden den Arzneimittelmarkt neu ordnen und die ärztliche Verordnungspraxis stärker an therapeutisch rationalen und wirtschaftlich vernünftigen Kriterien orientieren. Wir werden die ärztliche und zahnärztliche Vergütung umstellen und die Zahl der neuen Kassenzulassungen bedarfsgerecht steuern. Dies alles sind strukturverändernde Maßnahmen mit Langzeitwirkung. Dies sind aber auch Maßnahmen, die nicht von heute auf morgen gleichsam auf Knopfdruck wirksam werden können. Sie brauchen eine Vorbereitungszeit, in der die bedrohliche Ausgabenentwicklung in den Krankenkassen nicht sich selbst überlassen werden darf. Wir haben daher über die Strukturveränderungen hinaus auch Maßnahmen vereinbart, die, für sich allein genommen, ordnungspolitisch bedenklich wären. Die im Gesetzentwurf vorhandenen Elemente interventionistischer Kostendämpfungspolitik finden ihre Rechtfertigung allein in der Verpflichtung des Gesetzgebers, bis zum Wirksamwerden der Strukturreform für Ruhe an der Kostenfront zu sorgen. Wir verlangen mit diesen Maßnahmen der Ausgabenplafondierung von den Leistungserbringern einen Stabilisierungsbeitrag. Er ist unverzichtbar, meine Damen und Herren. Ich widerspreche jenen Verbandsfunktionären der Ärzte, der Zahnärzte und der Pharmaindustrie, die dies für eine Zumutung halten. Niemand wird überfordert, vor allem die nicht, die in der Vergangenheit unserem Gesundheitswesen ihren - auch persönlichen - wirtschaftlichen Erfolg verdanken. ({3}) Ihr Beitrag zur Stabilisierung ist überfällig, und er ist dringendes Gebot der sozialen Gerechtigkeit. Für die SPD-Fraktion will ich mich auf die Bewertung einiger grundsätzlicher Fragen des Gesetzeskompromisses konzentrieren. Kern einer Reform im Gesundheitswesen mußte aus unserer Sicht der Umbau und die Modernisierung der Organisation unserer Krankenkassen sein. Es ist unübersehbar, daß dieses System den modernen Anforderungen an eine leistungsfähige Sicherung der Menschen gegen das Risiko der Krankheit nicht mehr gewachsen ist. In ca. 1 200 Krankenkassen zersplittert, von starken organisatorischen Eigeninteressen durchsetzt und gegenüber schlagfertigen Vertretungen der Erbringer von Gesundheitsleistungen in einer deutlich unterlegenen Position, ist unsere Krankenversicherung in ihrer bisherigen Konstruktion nicht mehr opitmal in der Lage, die Interessen der Krankenversicherten wirksam wahrzunehmen. Beitragssatzunterschiede von bis zu 8 % für die gleiche Leistung im Krankheitsfall belegen zudem, daß das System gegen seine zentralen Grundsätze verstößt. Eigentlich auf Solidarität verpflichtet, produziert es in Wirklichkeit in hohem Maße Entsolidarisierung. Eine Reform unseres Gesundheitswesens, die dieses Problem nicht löste, wäre in ihren langfristigen Auswirkungen ohne Erfolgschance. Wir haben mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Weichen neu gestellt. In Zukunft kann jeder Versicherte seine Krankenkasse frei wählen, und die gewählte Krankenkasse muß den Betreffenden aufnehmen. Mit diesem grundlegenden Schritt haben wir den Versicherten wieder in den Mittelpunkt des Systems gestellt. Durch seine Wahlentscheidung gibt er dem Ganzen Gestalt. Seine Wahlmöglichkeit schafft für die Krankenversicherungsorganisationen den Zwang, sich um die Mitglieder zu kümmern. Organisationspolitisch motivierte Verhaltensweisen treten in den Hintergrund. Ein Wettbewerb um die Versicherten beginnt; denn wer wählen kann, kann auch wechseln. Die stärkere Wettbewerbsorientierung unserer Krankenversicherung ist gewünscht. Von ihr wird nach unseren Erwartungen mehr an Einsparungswirkungen und -dynamik ausgehen als von jeder noch so gut gemeinten Kostendämpfungsmaßnahme. Anders ausgedrückt: Unser Krankenversicherungssystem gerät in Bewegung. Dynamik statt Beharrungsvermögen wird sein entscheidendes Element sein. Ich habe in den letzten Monaten in vielen Gesprächen gelernt, daß die Vertreter der Krankenversicherungen dem dadurch ausgelösten Wettbewerbsprozeß mit einiger Skepsis gegenüberstehen oder ihn gar ablehnen. Ich kann diese Skepsis zwar nachvollziehen, verstehen kann ich sie aber nicht. Sie ist gesellschaftspolitisch unangebracht. Denn wer ein gegliedertes Krankenversicherungssystem will, der muß auch der Gliederung selbst ihren Sinn verleihen. Gesetzliche Zuweisung der einzelnen Versicherten auf die verschiedenen Systemglieder ist jedenfalls ohne Sinn. Wer zuweisen will, braucht eigentlich nur eine einzige Krankenkasse. Gliederung aber gebietet den Krankenversicherungen, auch die Auswahl zwischen den verschiedenen Gliedern anzubieten. Genau dies geschieht mit der Wahlfreiheit. Der Wettbewerb, der von der freien Wahl der Krankenkasse ausgeht, hat eine entscheidende Voraussetzung. Alle die an ihm teilnehmen, müssen dies zu gleichen Ausgangsbedingungen tun können. Diese Voraussetzung ist derzeit nicht erfüllt. So wie im Sport ein Hürdenlauf nicht zu einem gerechten Ergebnis kommen kann, wenn einige Läufer ständig mehr Hindernisse zu überwinden haben als andere, kann ein Wettbewerb unter Krankenkassen nicht zu einem sozial gerechten Ergebnis führen, wenn einige Teilnehmer vom Gesetzgeber gezwungen werden, unter erschwerten Bedingungen zu starten. Um Wettbewerbsnachteile zu vermeiden, führen wir mit dem vorliegenden Kompromiß für alle Krankenkassen gleiches Recht ein, das heißt gleiches Mitgliedschaftsrecht, gleiches Beitragsrecht, gleiches Leistungsrecht und gleiches Vertragsrecht. In den vergangenen Jahren haben die noch bestehenden rechtlichen Ungleichheiten zu erheblichen Verwerfungen zwischen den Krankenkassen geführt. Wir hatten demnach auch dafür zu sorgen, daß die in der Vergangenheit angesammelten Ungerechtigkeiten nicht zu Hypotheken für die zukünftige wettbewerbliche Betätigung werden. Erreichen werden wir dies durch die Einführung eines kassenartenübergreifenden Risikostrukturausgleichs. Dieser Ausgleich wird künftig dafür sorgen, daß die einzelnen Kassen so gestellt werden, als hätten sie auf der Einnahmeseite die gleiche Verteilung gesundheitlich unterschiedlicher Risiken. Nach diesem Ausgleich gibt es keine unterschiedliche Risikoverteilung mehr, die bei den Kasseneinnahmen finanzwirksam wäre. Was dann an Unterschieden zwischen den einzelnen Krankenkassen noch besteht, fällt ausschließlich in ihre eigene Verantwortung; es ist auch nicht mehr durch unterschiedliche gesetzliche oder rechtliche Startbedingungen verursacht. Der Risikostrukturausgleich war in der Vergangenheit in der gesundheitspolitischen Diskussion - wie wir alle wissen - heftig umstritten. Er unterschied sich dabei sicherlich nicht von den anderen Vorschlägen, die die unterschiedlichen Belastungen zwischen den Krankenkassen ausgleichen sollten. Zu jedem dieser Vorschläge erscholl, Tragödienchören gleich, Kritik, Kritik, die den Untergang ganzer Krankenkassenlandschaften beschwor. Ich bin mir sicher, meine Damen und Herren: Nur ein Ausgleichsmodell wäre ohne Kritik geblieben, und das wäre jenes gewesen, bei dem alle Krankenkassen Zahlungen erhielten, aber keine Zahlungen leisten müßten. Nur: Diesen Ausgleich gibt es nicht. ({4}) Uns kam es schließlich darauf an, zu einem Ergebnis zu gelangen, das dem Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit entspricht. Das haben wir, denke ich, erreicht. Für die SPD-Fraktion muß ich allerdings eines klarstellen. Wenn wir für die Krankenversicherungen nunmehr gleiche Ausgangsvoraussetzungen geschaffen haben, kommen weitere Ausgleichsmechanismen nicht mehr in Betracht. Ich sage dies mit durchaus warnendem Unterton in alle Richtungen. ({5}) Mit dem kassenartenübergreifenden Risikostrukturausgleich ist das Ende der Fahnenstange erreicht, es sei denn, wir wollten uns mit weiteren Ausgleichsmechanismen zukünftig in Richtung auf die Einheitsversicherung zubewegen. Das aber wollen wir nicht. ({6}) Es kommt jetzt darauf an, die ganze Energie auf eine wettbewerbsgerechte Ausrichtung jeder einzelnen Krankenkasse zu konzentrieren. Es kommt nicht darauf an, Modellbastlern zusätzliche Möglichkeiten zur Konstruktion neuer Ausgleichsfaktoren zu schaffen. Es ist sicherlich richtig, daß die stärkere wettbewerbliche Ausrichtung unserer Krankenversicherung für eine Reihe von Krankenkassen zu Problemen führen wird. Nicht jede Krankenkasse wird den Wettbewerbsprozeß überstehen. Dies haben wir einkalkuliert. Vor dem Hintergrund von ca. 1 200 Krankenkassen in der Bundesrepublik sehe ich darin auch keinen Schaden für die Versicherten. Was soll es denn an gravierenden sozialpolitischen Einwänden dagegen geben, wenn eine Krankenkasse wirklich schließen müßte und die darin bisher Versicherten bei gleichen Leistungen und möglicherweise sogar noch günstigeRudolf Dreßler ren Beiträgen in anderen Krankenkassen genausogut aufgehoben sind? ({7}) Wenn es uns um die Versicherten, nicht aber um die Organisationen geht, dann können wir darin nichts Verwerfliches erkennen. Im Zusammenhang mit der Einführung der Wahlfreiheit für alle haben wir die Öffnung der Ersatzkassen für jedermann vorgesehen. Dies hat zu heftigen Vorwürfen der Ersatzkassen und ihrer Verbände geführt. Ich kann diese Kritik weder nachvollziehen noch ihr eine soziale Berechtigung zubilligen. Meine Damen und Herren, der Vorwurf der Ersatzkassen, mit ihrer Öffnung nehme man den Menschen die Möglichkeit, sich zu differenzieren, ist absurd. Im Gegenteil: In Zukunft haben alle Versicherten und nicht nur eine einzelne Gruppe die Möglichkeit zu differenzieren. Ich füge hinzu: Wer über das indische Kastensystem die Nase rümpft - das tun wir ja schließlich alle -, sollte wissen, wie er sich in der Frage der Öffnung der Ersatzkassen zu verhalten hat. Er muß dem nämlich zustimmen. ({8}) Meine Damen und Herren, es ist sozialpolitisch gewollt, daß der Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten in der Krankenversicherung fällt. Das werden wir mit diesem Gesetzentwurf erreichen. Ich halte das für einen wesentlichen gesellschaftspolitischen Fortschritt. ({9}) Betriebs- und Innungskrankenkassen werden zukünftig ihren Beitrag an die gesamte Solidargemeinschaft der gesetzlich Krankenversicherten durch Teilnahme am Risikostrukturausgleich leisten. Ich muß allerdings die Organisationen von Betriebs- und Innungskrankenkassen davor warnen, sich der Illusion hinzugeben, als würde sich für sie nichts ändern. Es ändert sich Grundlegendes: Betriebs- und Innungskrankenkassen können zukünftig nicht in vollem Umfang am Wettbewerb um den Versicherten teilnehmen. Man kann sich aus ihnen nur heraus-, nicht aber in sie hineinwählen. In einer völlig veränderten Krankenversicherungslandschaft ist dies kein Vorteil, wie manche meinen; es ist ein Nachteil. Wir haben deshalb diesen beiden Kassenarten die Möglichkeit gegeben, sich freiwillig durch Satzung für alle Versicherten in einer Region zu öffnen. Ich kann nur hoffen, daß Betriebs- und Innungskrankenkassen die darin liegende Chance erkennen. Nur wer in vollem Umfang am Wettbewerb teilnimmt, nur wer sich also für alle Versicherten öffnet, hat die Chance, in diesem Prozeß zu überleben. Wir haben neben einer Reform der Organisation unserer Krankenkassen auch deren Selbstverwaltung einem Umgestaltungsprozeß unterzogen. Wir nehmen Selbstverwaltung ernst und wollen, daß sie zukünftig wirklich mitbestimmen kann. Niemand kann behaupten - die in der Selbstverwaltung Tätigen tun dies ja selbst am allerwenigsten -, daß deren bisherige Ausgestaltung sonderlich effektiv sei. Der Gesetzeskompromiß sieht vor, daß zukünftig an die Stelle von Vertreterversammlung und Vorstand einer Krankenkasse ein Verwaltungsrat tritt, der weitreichende Mitbestimmungsrechte erhält. Das ist neu; gleichwohl ist es unverzichtbar. Wer unsere Krankenversicherung wettbewerblich orientieren will, muß ihr auch zu einer schlagkräftigen Führungsstruktur verhelfen. Wir tun das mit dem Gesetzentwurf. An die Stelle der Geschäftsführung tritt zukünftig ein Management, also ein auf Zeit bestellter hauptamtlicher Vorstand. Wir wollen mehr Dynamik in der Führung unserer Krankenversicherungen. Die neugefundene Regelung wird diese Dynamik herbeiführen. Die Neuordnung des Arzneimittelmarkts ist weitere wesentliche Aufgabe einer Strukturreform. Wir haben diese Neuordnung mit dem Gesetzeskompromiß eingeleitet. In der Bundesrepublik gibt es derzeit ca. 100 000 auf Kassenrezept verordnungsfähige Arzneimittel. Dies ist eine gewaltige Zahl. Sie unterstreicht die Notwendigkeit einer Neuordnung. Während die Schweiz mit etwa 8 000 Präparaten auskommt und die riesigen Vereinigten Staaten von Amerika mit ca. 46 000, leistet sich die Bundesrepublik einen solchen Arzneimittelwust. Ich kann nicht sehen, daß Schweizer oder Amerikaner aus diesen Gründen kränker sind als Deutsche, meine Damen und Herren. Im Gegenteil: Der aufgeblähte Arzneimittelmarkt führt zu Intransparenz und zu unwirtschaftlichem Verhalten. Hier ist eine Marktbereinigung überfällig. Wir wollen, daß der Arzneimittelmarkt von therapeutischen Unsinnigkeiten bereinigt wird. Dazu wird es in Zukunft ein Institut „Arzneimittel in der Krankenversicherung" geben, das diese Bereinigung vornimmt. Es wird in einem Vorschlag eine Liste verordnungsfähiger Arzneimittel erstellen, die dann der Bundesgesundheitsminister in Form einer Rechtsverordnung verbindlich macht. ({10}) Das ist solide, rechtlich sauber und gesundheitspolitisch vernünftig. Es entspricht zudem dem Wunsch der Krankenkassen und vieler niedergelassener Ärzte. ({11}) Wir nennen es - das ist völlig richtig, Herr Kollege - Positivliste. Die Damen und Herren auf der anderen Seite des Parlaments nennen es eine Liste verordnungsfähiger Präparate. Mir ist das egal. Entscheidend ist, daß zum Schluß der politische Sinn und der Erfolg zum Ausdruck kommen. ({12}) Es ist kein Geheimnis, daß die SPD auch Änderungen der Arzneimittelpreisgestaltung herbeiführen wollte. Wir wollten Preisverhandlungen zwischen Krankenkassen und pharmazeutischen Herstellern, also ein marktwirtschaftlich vernünftiges Instrument. Wir haben uns mit diesem Vorschlag gegen die selbsternannten Marktwirtschaftler in der CDU/CSU und der F.D.P. und gegen die pharmazeutische Industrie nicht durchsetzen können. 9924 Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 117. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5 November 1992 Dies mag jedermann bewerten, wie er will. Ich jedenfalls habe folgende Erfahrung gemacht. Man kann Marktwirtschaftler solcher Art durch nichts mehr erschrecken als durch die Ankündigung, die Marktwirtschaft jetzt wirklich einzuführen. ({13}) Sie empfinden diese Ankündigung nämlich als Drohung. Man erreicht furchtgeweitete Augen. Sichergestellt worden ist jedoch, daß künftig 80 des Arzneimittelmarkts festbetragsfähig sein werden. Das ist eine Verdoppelung des bisherigen Festbetragsanteils. Auch von dieser Regelung geht eine preisdämpfende Wirkung aus. Wir können sie daher mittragen. Die Drohung vieler Zahnärzte, bei einer ihnen nicht genehmen Gesetzesregelung künftig die Kassenzulassung niederzulegen, hat uns schließlich dazu bewogen, für einen solchen Fall Vorsorge zu tragen. Damit stellen wir zweierlei klar: Erstens demonstriert der Gesetzgeber damit, daß er durch das von derlei politischem Manöver ausstrahlende Brimborium nicht erpreßbar ist. Das halte ich für notwendig. Zweitens sichert der Gesetzgeber für diesen Fall die zahnärztliche Versorgung der Menschen in Deutschland auf andere Weise als nach dem bisherigen System. Das ist seine Pflicht. Niemand wird gezwungen, an der kassenzahnärztlichen Versorgung teilzunehmen. Wer es tut, hat sich an die bestehenden Regeln zu halten. Zu diesen Regeln wird künftig gehören: Wer seine kassenzahnärztliche Zulassung niederlegt, wird sie für die darauf folgenden sechs Jahre nicht wieder erhalten. Für die Zeit danach wird er die Zulassung nur dann erhalten, wenn für ihn im Rahmen der Bedarfsplanung noch ein Bedarf besteht. Ich weiß, daß viele Zahnärzte, die ihre schwierige Arbeit verantwortungsvoll erfüllen, über die scharfmacherischen Reden und die verantwortungslosen Verhaltensweisen mancher ihrer Standesfunktionäre erbost sind. Dies müssen Zahnärzte in einem Gesundheitswesen mit Selbstverwaltungskörperschaften selber regeln. Den zahnärztlichen Funktionären ist zu raten: Kehren Sie zu einem sachbezogenen Diskussionsstil zurück und erfüllen Sie Ihre Pflichten! Hören Sie auf, so zu reden, als beginne mit der Verabschiedung des Gesundheitsstrukturgesetzes für Sie der wirtschaftliche Notstand! Keiner im Lande glaubt Ihnen diese für alle erkennbare Unwahrheit. ({14}) Alle Fraktionen dieses Hauses mußten aus jenem Kreis anmaßende Diskussionsbeiträge über sich ergehen lassen. Ich möchte klarstellen, daß niemand davon ausgehen darf, daß der Deutsche Bundestag seine Gesetzesbeschlüsse der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung oder dem Freien Verband Deutscher Zahnärzte vorher zur Genehmigung vorlegen wird. ({15}) In den zurückliegenden Wochen sind seit Ablauf der Konsensgespräche zwischen SPD, CDU/CSU und F.D.P. Fragen problematisiert worden, die etwa so lauten: Wer von den vier beteiligten Parteien ist nun der eigentliche Sieger dieses Kompromisses? Wer hat denn nun am stärksten seine Handschrift im vorliegenden Gesetzeskompromiß unterbringen können? Ich halte eine solche Frage für unsinnig. Sie liegt neben der Sache. Ein Kompromiß, in dem sich nicht alle Beteiligten wiederfinden können, ist keiner; denn er ist nicht tragfähig. ({16}) Ich füge hinzu: Wer gern Strichlisten führt, Herr Kollege Andres, oder Rechenkunststückchen vollführt, dem ist dies unbenommen. Er kann die von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwürfe mit dem vergleichen, was nunmehr vorliegt. Die SPD jedenfalls kann sich in diesem Kompromiß wiederfinden. Sie wird ihn mittragen und mit dafür sorgen, daß er nicht zerbröselt oder zerbröckelt wird. Der vorliegende Gesetzentwurf ist von weitreichender Bedeutung. Ich bin mir sicher, daß wir eine zweite Chance für einen solchen Kompromiß so schnell nicht wieder erhalten. Deshalb dürfen wir ihn nicht verspielen. ({17}) Jeder muß sich darüber im klaren sein, daß weder die derzeitige noch eine andere Koalition allein dazu die Kraft gehabt hätte. Auch CDU/CSU oder SPD allein hätten dies nicht schaffen können. Aus dieser Bewertung ergibt sich für alle Beteiligten eine besondere Verantwortung. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird dieser Verantwortung gerecht werden. Wir wollen den politischen Erfolg des vereinbarten Gesetzentwurf s. Ich danke Ihnen. ({18})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Dieter Thomae das Wort. ({0})

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß wir heute ein von der SPD mitgetragenes Reformkonzept beraten, ist angesichts der gegebenen Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat ein Gebot der politischen Vernunft. Es dient aber auch der Sache. Sache ist, daß die Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung steigen. Wir haben das höchste Niveau in der Geschichte erreicht. Wer Arbeit in Deutschland bezahlbar halten will, darf die Sozialversicherungsbeiträge als Lohnnebenkosten nicht davonlaufen lassen. Aus der Verantwortung für Konjunktur und Wachstum, für Arbeitsplätze und für den Wirtschaftsstandort Deutschland können und dürfen wir die angestrebten Einsparungen von 11 Milliarden DM nicht den Unwägbarkeiten eines parlamentarischen Vermittlungsverfahrens überlassen. Deshalb haben wir Liberalen den Konsens über die Koalitionsgrenzen hinweg gesucht. Dabei waren wir uns natürlich darüber im klaren, daß wir unsere Idealvorstellungen nicht in vielen Punkten durchsetzen können. Die besondere Notsituation verlangt die Zustimmung zu den ordnungspolitisch problematischen Teilen des Gesetzentwurfes. Gesetzlicher Preisstopp und gesetzliche Preissenkungen sind keine marktwirtschaftlichen Instrumente, ebenso nicht die Budgetierung. Deshalb haben wir darauf gedrängt, daß solche Maßnahmen zeitlich befristet sind. Die Preissenkung bei Arzneimitteln gilt nur für 1993 und 1994. Die Senkung zahnärztlicher und zahntechnischer Preise findet einmalig im Jahr 1993 statt. Es gibt keine gesetzliche Festschreibung auf dem gesenkten Niveau. Eine Verlängerung des Interventionismus über 1995 hinaus darf es nicht geben. Wir wählen das kleinere Übel, um eine große Sache zu retten. Wir sanieren das Ganze, bevor es unfinanzierbar wird und am Ende die Staatsversorgung steht. Die Opfer und finanziellen Einbußen aller Beteiligten sind nur deshalb akzeptabel, weil wir damit erreichen, daß das freiheitliche Gesundheitswesen auch in Zukunft gesichert werden kann. Es ist keine Frage: Der Konsens hat für alle Beteiligten seinen Preis. Wir alle mußten über hohe politische Hürden springen. Wir begrüßen es, daß die SPD bereit ist, über Zuzahlungen und Leistungsbegrenzungen nachzudenken und sie zu akzeptieren. ({0}) Wir mußten das Thema der degressiven Punktbewertung aufnehmen und in dieses Gesetz einarbeiten. Wir hätten beim Risikostrukturausgleich sicher gern auf weitere Daten gewartet, um eine fundierte Grundlage zu erhalten. Ich sage dir, Martin Pfaff: Wenn die Daten im Jahre 2000 nicht ordnungsgemäß sind, werden wir uns wiedersehen. Ich verlasse mich auf deine Aussagen. Der Risikostrukturausgleich ist auch eine Chance für Wahlfreiheit und mehr Wettbewerb. Dies müssen wir allseits sehen, und dies wollen wir auch. ({1}) Die Krankenkassen bleiben für ihre Aufgaben in der eigenen Verantwortung. Wer unwirtschaftlich arbeitet, muß höhere Beiträge berechnen mit der Gefahr, daß er aus dem Markt ausscheidet. Ich bin sehr glücklich darüber, daß wir alle, die den Mut hatten, Wettbewerb und Wahlfreiheit einzuführen, es geschafft haben, die sogenannte Vertragsfreiheit für die Kassen zu etablieren. Auch das gehört zum Wettbewerb eines freiheitlichen Systems. ({2}) Sie alle wissen, und ich möchte es noch einmal betonen: Die F.D.P. plädierte für die Regelleistungen und Wahlleistungen. Auch diese mußten wir opfern. Es war für mich zwar etwas unverständlich, weil jetzt der Patient eine hundertprozentige Selbstbeteiligung leisten muß. Aber ich habe die Wünsche und die Forderungen der SPD akzeptieren müssen. Die F.D.P. fordert seit Jahren eine Selbstbeteiligung bei allen Arzneimitteln in allen Bereichen. Ich denke, dies ist von allen akzeptiert worden. Wir gehen immer noch davon aus, daß diese Selbstbeteiligung steuernde Wirkungen hat, ({3}) aber auch ein Finanzierungsinstrument ist. Auch dies will ich objektiv bekennen. Das Arzneimittelinstitut wird arbeiten und 1996 unter Ausgrenzungen eine Liste vorlegen. Hier muß ich offen und fair auch der Pharmaindustrie sagen, daß sie sich nach 1996 auf die Entwicklung einzustellen hat, daß manches Präparat von den Kassen nicht mehr ersetzt werden muß. Wir müssen der Pharmaindustrie vernünftige Möglichkeiten einräumen, um zu forschen und zu technischen Innovationen zu gelangen. Auch das ist eine wichtige Aufgabe, die wir hier auf der politischen Ebene zu erfüllen haben. Noch einige kurze Bemerkungen. Naturheilmittel - das wurde schon von meinem Vorredner gesagt - werden nicht betroffen. Sie behalten ihren besonderen Status. Aber wir haben nicht nur Leistungen gekürzt. Wir haben Leistungen auch erweitert, wo es sinnvoll ist, etwa in der Prophylaxe. Um Zähne zu erhalten, wird die Prophylaxe verstärkt. Hierfür haben wir 170 Millionen DM eingesetzt. Ich denke, das ist der richtige Weg. Wir müssen auf der anderen Seite noch einmal darüber nachdenken, ob die Prävention den Stellenwert hat, den wir ihr in diesem Bereich einräumen wollen. Ich nenne Stichworte wie Krebsvorsorge und Kindervorsorge. Bedarfsplanung ist für die F.D.P. einer der schwierigsten Themenbereiche, die wir zu verkraften haben. Ich bitte, sicherzustellen, daß die Zulassungschancen beim Vorliegen gleicher Qualifikation objektiv für alle durchschaubar sind. Dies müssen wir gegenüber allen Bewerbern verantworten. Daher bitte ich, hier objektive Kriterien zu entwickeln. Darauf können wir nicht verzichten. Ambulantes Operieren wurde erwähnt. Das ist ein großes Strukturelement. Hier haben wir es geschafft, im Krankenhaus den ambulanten Bereich zu ermöglichen. In der letzten Gesundheitsreform haben wir von einem Herzstück gesprochen. Das Herzstück der F.D.P. ist das Krankenhaus. Wir sind froh, daß wir vom Selbstkostendeckungsprinzip definitiv weggehen. Wir wollen zu den leistungsgerechten Entgelten gelangen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Einsatz privaten Kapitals im Krankenhaus. Auch hier sind neue Chancen geschaffen worden. Kostenerstattung ist ein heiliges Thema für die F.D.P. Die SPD hat dies erkannt. Die Kostenerstattung werden wir für alle freiwillig Versicherten bekommen - das ist ein wichtiger Bereich -, und wir werden die Kostenerstattung im Bereich des Zahnersatzes im Grundsatz erhalten. Es wird in den nächsten Monaten für Krankenkassen und für Leistungserbringer sicher keine einfache Zeit kommen. Wir können politisch aber nur dann Erfolg haben, wenn alle Beteiligten und wenn die Selbstverwaltung hier mit uns arbeiten und die Möglichkeiten zu mehr Wettbewerb und Wahlfreiheit nutzen. ({4}) Aber eines sollten wir nicht verheimlichen. Nach 1995 wird ein weiterer Reformbedarf vorhanden sein. Denn wir wollen wirklich Günther Mittag endgültig ablegen und wir wollen Ludwig Erhard ab 1995 stärker ins Geschäft bringen. Gelingen kann das nur mit mehr Eigenverantwortung, mit mehr Selbstbeteiligung oder Ausgrenzung und auf jeden Fall mit mehr Freiräumen für die Leistungserbringer. Ich bedanke mich bei allen. Ich bedanke mich besonders bei der CDU/CSU, bei der SPD, bei meinen Kollegen und den Mitarbeitern im Ministerium. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Ich erteile der Frau Abgeordneten Christina Schenk das Wort.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der jetzt vorgelegte Kompromiß zur Gesundheitskostenstrukturreform stellt, verglichen mit der Reform von 1989, einen Schritt in die richtige Richtung dar. So sind z. B. die geplante Abschaffung des Einzelleistungsvergütungssystems oder die Krankenkassenreform als echte Fortschritte zu werten. Wir begrüßen auch die Rücknahme bestimmter Elemente des ursprünglichen Regierungsentwurfs, z. B. der unbefristeten dynamisierten Zuzahlung im Krankenhaus oder der Unterscheidung zwischen Regel- und Wahlleistungen beim Zahnersatz. Trotz dieser aus unserer Sicht unbestreitbaren Fortschritte handelt es sich nicht um das tiefgreifende Reformwerk, von dem die in dieser Sache geprägte große Koalition so vollmundig gesprochen hat. Eine Reihe von grundsätzlichen Problemen wird nicht in Angriff genommen, und an einigen Stellen werden sogar neue geschaffen. Auch durch die längst überfällige und nun endlich in Angriff genommene Kassenreform wird das grundsätzliche Einnahmenproblem, das die Krankenkassen mit allen anderen beitragsbezogenen sozialen Sicherungssystemen gemeinsam haben, nicht gelöst. Die Massenarbeitslosigkeit und die daher prozentual sinkende Lohnquote führen zwangsläufig zu Einnahmenverlusten. Eine Einnahmenerhöhung ist aus unserer Sicht daher unumgänglich, z. B. durch Ausweitung der Versicherungspflicht, durch Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze, aber auch durch die Bereitstellung von Fördermitteln des Bundes. Nur wenn das geschieht, können ein dauerhafter Fortschritt und eine solidarische Lastenverteilung erreicht werden. Regierung und SPD wagen diesen entscheidenden Schritt nicht. So bleiben die strukturpolitischen Fortschritte des vorliegenden Reformvorschlags rudimentär. Wieder glaubt man, auf das Instrument der Erhöhung der Selbstbeteiligung nicht verzichten zu können, und das, obwohl die angebliche Jahrhundertreform von 1989, deren Kernstück ja das Prinzip der Zuzahlung war, nur eine kurzfristige Entlastungswirkung zur Folge gehabt hat, die jetzt bereits verbraucht ist. Mit diesem Instrument ist in der Vergangenheit die Beitragsstabilität nicht erreicht worden. Es bleibt das Geheimnis der Urheber und Urheberinnen des vorliegenden Kompromisses, wieso das in Zukunft der Fall sein soll. Aber es kommt auch noch schlimmer. Bei den jetzt festgelegten Zuzahlungen inklusive Dynamisierung wird es nicht bleiben. Der Gesundheitsminister hat jetzt schon, also noch während der Diskussion des aktuellen Entwurfs, selbstbewußt von der Notwendigkeit weiterer Leistungsausgrenzungen in den kommenden Legislaturperioden gesprochen. Viele Bürgerinnen und Bürger reagieren mit großer Sorge, ja sogar mit Angst auf diese aktuellen Sparpläne. Die vielen Briefe, die ich in diesem Zusammenhang von chronisch Kranken, aber auch von älteren Menschen erhalten habe, sprechen hier eine beredte Sprache. Es hat für viele Bürgerinnen und Bürger den Anschein, als habe die staatliche Gesundheitspolitik über der Ökonomie den Menschen aus den Augen verloren. Dies ist nicht nur für die Menschen in den östlichen Bundesländern schwer zu verkraften. Es mag vielleicht zynisch klingen; ich sage es aber dennoch: Vielleicht hilft es auch, Illusionen über die sogenannte Soziale Marktwirtschaft abzubauen. Der ausschließlich ökonomistische Blickwinkel, der jetzt von der Regierung gemeinsam mit der SPD in das Gesundheitswesen eingeführt wird, wird nach Auffassung der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gesundheitspolitisch geradezu widersinnige und auch kontraproduktive Folgen haben. ({0}) Ich will das am Beispiel der geplanten Abschaffung des Selbstkostendeckungsprinzips im Krankenhaus und am Beispiel der Zuzahlungen verdeutlichen. Zunächst zur Krankenhausfinanzierung. Ich möchte da vorausschicken, daß die vielfältigen Sonderentgelte und Fallpauschalen, die mittelfristig an die Stelle des bisherigen tagesgleichen Pflegesatzes treten sollen, noch nicht umfassend vorliegen. Es ist also zu befürchten, daß viele Krankenhäuser in ein Chaos gestürzt werden, da ihnen die bisherigen Abrechnungsgrundlagen entzogen werden, ohne daß zeitgleich neue Berechnungsverfahren etabliert worden sind. Nun zum Grundsätzlichen: Wir halten den langfristig geplanten weiteren Rückzug der öffentlichen Hand aus der Investitionsfinanzierung, also den Weg der monistischen Krankenhausfinanzierung, für gesundheitspolitisch äußerst riskant. Viele ostdeutsche Krankenhäuser werden dies nicht überstehen, wenn nicht entscheidend geholfen wird. Allein der investive Nachholbedarf wird dort auf insgesamt ungefähr 34 Milliarden DM beziffert. Zwar sollen gesonderte Mittel für die ostdeutschen Kliniken bereitgestellt werden, jedoch lassen weder die geplante Verteilung der Mittelaufbringung noch der vorgesehene Umfang des Programms auf wirksame Abhilfe hoffen. Bis jetzt hat weder die Regierungskoalition noch die SPD überzeugend nachweisen können, inwiefern durch die monistische Finanzierung der Krankenhäuser die Krankenkassenbeiträge stabilisiert werden können. Wir befürchten nicht nur, daß sich die erheblichen Instandhaltungskosten, die ab 1994 auch den ostdeutschen Krankenkassen aufgebürdet werden, dort einen beitragssteigernden Effekt auslösen werden, sondern auch, daß es zu einer weiteren Verschlechterung der Arbeitsbedingungen des medizinischen Personals in den Krankenhäusern kommt. Schon heute sind diese in der Regel unzumutbar. Das liegt zum einen an den rigiden Hierarchien in den Krankenhäusern, zum anderen an der personellen Unterbesetzung. Überstunden werden zur Regel; 30-oder gar 40-Stunden-Dienste sind weit verbreitet. Werden die bisherigen auf einer betriebswirtschaftlichen Betrachtungsweise beruhenden Zielvorgaben für die Honorierung ärztlicher Leistungen im Krankenhaus realisiert, so befürchten wir, daß für Gespräche und ärztlichen Beistand noch weniger Zeit als bisher erübrigt werden kann und daß zugleich die Technisierung fortschreiten wird. Weitere Qualitätseinbußen werden die zwangsläufige Folge sein. Das ist weder dem medizinischen Personal noch den Patienten und Patientinnen gegenüber verantwortbar. Das Ziel einer humaneren Krankenhausversorgung wird so aus unserer Sicht erheblich gefährdet, wenn es nicht überhaupt von dieser Regierung schon aufgegeben worden ist. ({1}) Auch die in den Pflegeberufen qualifiziert Tätigen müssen künftig mit erheblichen Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen rechnen. ({2}) Ca. 70 % der heute anfallenden Betriebskosten im Krankenhaus sind Personalkosten. So wird sich unter dem Zwang zur rein ökonomisch begriffenen Rentabilität die Tendenz ausbilden, daß langfristig in zunehmendem Maße minderqualifiziertes oder auch unqualifiziertes Personal eingesetzt wird. Außerdem wird es unserer Auffassung nach zu einer weiteren Verdichtung der Arbeitsabläufe und damit zu einer Erhöhung der Arbeitsbelastung kommen. Hier zeichnen sich in einem besonders sensiblen Bereich die geradezu absurden Konsequenzen des von der Bundesregierung und der SPD forcierten Primats der Ökonomie im Gesundheitswesen ab. Statt das finanzielle Engagement des Bundes zu erhöhen und alle Möglichkeiten der Einnahmensteigerung auszuschöpfen und eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung auch unter erschwerten äußeren Bedingungen zu garantieren, setzt die Regierung allein auf die Wirkung des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs. Es muß an dieser Stelle deutlich gesagt werden, daß sich die Bundesregierung seit Jahren systematisch aus der finanziellen Verantwortung für die sozialen Sicherungssysteme herauszieht. Es ist so unendlich trivial, aber es muß offensichtlich immer wieder gesagt werden: Das Gesundheitswesen ist kein Wirtschaftsbereich im herkömmlichen Sinne. Das Abhängigkeits- und Vertrauensverhältnis zwischen den Hilfesuchenden und den Ärztinnen und Ärzten ist mit dem Wechselspiel von Angebot und Nachfrage nicht in humaner, also sinnstiftender Weise zusammenzubringen. Die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe ist keine beliebige und stets rationale Konsumentscheidung. Noch ein Wort zu den Zuzahlungen: Wir sind der Auffassung, daß u. a. die Härtefall- und Überforderungsgrenzen am verfügbaren Nettoeinkommen orientiert werden müssen. Nur auf diese Weise kann die erhebliche Disparität zwischen der Entwicklung der Lebenshaltungskosten und der Einkommensentwicklung ausgeglichen werden. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die erheblich steigenden Mieten, auf die wachsende Zahl von Langzeitarbeitslosen und schließlich auf die Rentnerinnen und Rentner. Der Vorschlag der SPD, die Zuzahlung bei Arzneimitteln nach der Packungsgröße zu staffeln, ist aus unserer Sicht ein Zeichen Ihrer offensichtlichen Ratlosigkeit. Hier werden nach wie vor die Belange der chronisch kranken, multimorbiden oder behinderten Menschen ignoriert. Ich fordere die Bundesregierung und die SPD noch einmal nachdrücklich auf, ihre Vorschläge zu den Zuzahlungen zu überdenken und im Interesse einer besonders schwer betroffenen Gruppe von Kranken zu revidieren. Ich freue mich - auch das Positive muß einmal genannt werden - über die geplante Einführung einer Vorschlagsliste für verschreibungsfähige Arzneimittel. Auch hierbei handelt es sich um eine wohlbekannte alte Forderung. Wir meinen allerdings, daß bei Produkten aus den Vorschlagslisten im Sinne des eben Gesagten eine grundsätzliche Befreiung von Zuzahlungen vorgenommen werden sollte. Die Ausdehnung der Zuzahlungen wegen angeblicher häuslicher Ersparnis auf die stationäre Vor- und Nachsorge ist aus unserer Sicht gesundheitspolitisch irrational. Zum einen hat die Annahme, daß im Normalfall eine häusliche Ersparnis eintritt, den Charakter einer unbewiesenen Behauptung, und zum anderen ist zu bedenken, daß die geplanten Einschränkungen dazu führen werden, daß diese Möglichkeiten zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit aus Sorge um die Kosten weniger als bisher in Anspruch genommen werden könnten. Das ist, meinen wir, gesundheitspolitisch kontraproduktiv und unverantwortlich. Wir lehnen die Politik der Reprivatisierung und Individualisierung der Gesundheitsvorsorge strikt ab. Die damit faktisch erfolgende Rücknahme des Solidarprinzips ist grundsätzlich unannehmbar. Kurzfristige Einspareffekte der öffentlichen Hand werden mit der Gefährdung der Versorgung der Bevölkerung bezahlt werden müssen. Das amerikanische Gesundheitswesen, das, nebenbei gesagt, das teuerste der Welt ist, gibt hier ein warnendes Beispiel ab. ({3}) Durch diese kurzsichtige Politik ist die nächste Reform, wie wir meinen, schon programmiert. Ich denke, wir werden hier an diesem Ort noch einmal darüber sprechen müssen. Notwendig sind vielmehr langfristig wirksame und nicht an kurzfristigen Interessen orientierte strukturpolitische Maßnahmen. Es fehlt an einer grundsätzlichen Neuorientierung zugunsten einer patientenzentrierten sozial und ökologisch vertretbaren Gesundheitspolitik. Ein letzter Satz: Dazu liegen viele zukunftsweisende Vorschläge vor. Wir haben hier heute einen Antrag eingebracht, der die Grundlinien einer solchen notwendigen Reform zeigt. ({4})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Ich erteile unserem Kollegen Bernhard Jagoda das Wort.

Bernhard Jagoda (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001009, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In kaum einem anderen Land dieser Welt wird den Menschen im Fall einer Krankheit so umfassend geholfen wie bei uns. Wir fragen nicht nach Einkommen, Geschlecht, Alter, Staatsangehörigkeit und anderen Merkmalen. Im Fall der Bedrängnis durch Krankheit steht jedem Versicherten alles zur Verfügung, was er zur Vorbeugung, Heilung, Linderung und Rehabilitation bei Krankheiten braucht. ({0}) Dies haben wir in großem Maß unserem System der Krankenversicherung zu verdanken. Mit diesem System haben wir es geschafft, den Versicherten den raschen medizinischen Fortschritt voll erschließen zu können. Diese Entwicklung ist keineswegs zum Stillstand gekommen oder gar beendet. Wir wissen, daß Wissenschaft, Technik und Medizin weitere neue Möglichkeiten bieten werden, um Krankheiten besiegen zu können. Wenn wir das hohe Niveau für alle erhalten wollen und die neu hinzukommenden Möglichkeiten in Diagnose und Therapie allen Betroffenen zur Verfügung stellen wollen, dann müssen wir immer wieder prüfen, ob es Krankenversicherungsleistungen gibt, die nicht mehr von der Solidargemeinschaft getragen werden müssen, weil sie der Versicherte selber tragen kann, ({1}) oder ob es weitere Wirtschaftlichkeitsreserven gibt, die ausgeschöpft werden müssen, oder ob man den Leistungserbringern für ihre hochwertige Leistung noch das gleiche Entgelt oder den gleichen Zuwachs zugestehen kann, wie es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Das sind keine populären Anmerkungen - das gebe ich gerne zu -, aber um der Wahrheit willen notwendige Anmerkungen, weil die Belastung der Versicherten mit Steuern und Beiträgen an der Grenze der Belastbarkeit angekommen ist. Wir sind heute nicht mehr in der komfortablen Lage unserer Vorgänger, die in den 60er und 70er Jahren auf diese Herausforderungen mit der Anhebung des Beitragssatzes antworten konnten. Die deutsche Krankenversicherung ist auf Solidarität gegründet. Das bedeutet für mich, daß alle, also auch die Leistungserbringer, in die Solidarität einbezogen sind. Das heißt, in schwierigen Zeiten - und wir haben schwierige Zeiten - sind auch sie gefordert, notwendige Opfer mitzutragen. Sicher müssen die Opfer erforderlich, tragbar, rechtlich möglich und auch sinnvoll sein. Ich glaube, das, was in diesem Gesetzesvorhaben vorgesehen ist, trifft das, was ich soeben gesagt habe. Wir müssen handeln, weil ohne unser Handeln die Betroffenen künftig nicht mehr all das bekommen können, was möglich und erforderlich ist. Mit diesem Gesetz gehen wir den zweiten und den dritten Schritt auf unserem Reformweg und passen unseren ersten Schritt, den wir im Jahre 1989 mit dem GRG getan haben, der Entwicklung an. ({2}) - Aber sicherlich. Ich hoffe, daß Sie das nicht leugnen, denn wenn Sie in einen komfortablen Zug einsteigen, dann müssen Sie auch die Ausstattung dieses Zuges und den bisherigen Fahrplan akzeptieren. ({3}) Aus Zeitgründen will ich nur an Hand von drei Punkten unser Handeln darstellen. Von den niedergelassenen Ärzten, die sich schon vor Verabschiedung des GRG in Solidarität übten, indem sie ihre Einkommenszuwächse freiwillig an die Entwicklung der Grundlohnsumme anpaßten und die zunehmende Zahl der niedergelassenen Kollegen mit einem sinkenden Punktwert mitgetragen haben, fordern wir im kommenden Jahr, auf die Verordnungsbremse bei Arzneimitteln in den Fällen zu treten, in denen auch durch die Verordnung von preisgünstigen Arzneimitteln und von an die Krankheit angepaßten Arzneimittelmengen eine medizinisch voll ausreichende Versorgung sichergestellt werden kann. Jeder wird das Arzneimittel bekommen, das er braucht. Wer den Patienten heute damit angst macht, daß sie nicht ausreichend versorgt würden oder daß im letzten Quartal 1993 keine Medikamente mehr verordnet werden könnten, der treibt ein böses Spiel, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({4}) Wir wollen sparen, aber nicht geizen. Kein Kranker braucht Arzneimittel auf Vorrat, die dann eventuell im Sondermüll landen. Die Krankenversicherung ist bedarfsorientiert. Der Versicherte bekommt das, was er medizinisch benötigt. Wenn die KV den notwendigen Bedarf sichern muß, dann kann die Zahl der Leistungserbringer auch nicht uferlos sein, und zwar ganz besonders dann nicht, wenn Leistungen veranlaßt werden, konkret von dem niedergelassenen Arzt. Das ist nichts Neues. Die Rechtsgrundlage finden wir schon im Zweiten Buch der Reichsversicherungsordnung; diese Bestimmung ist in das Sozialgesetzbuch übernommen worden. Als Beweis führe ich den Rechtsstreit vor dem Bundesverfassungsgericht 1960 an. Damals hat Karlsruhe die Grenzen des Bedarfs neu beschrieben. In der aktuellen Diskussion kommt meines Erachtens zu wenig zum Tragen, daß das Bundesverfassungsgericht in seiner damaligen Entscheidung deutlich gemacht hat, daß die seinerzeit nicht zugelassenen Ärzte zuzulassen seien, weil erstens bei der Zulassung aller Ärzte als Kassenärzte die Zahl der niedergelassenen Ärzte nur um 12 % steigen würde, zweitens die volle Niederlassungsfreiheit keine Gefährdung der Beitragsstabilität beinhalten würde und drittens die Niederlassungsfreiheit keine Existenzgefährdung der vorhandenen Kassenärzte bewirken würde. ({5}) All diese Entscheidungsgründe tragen aus heutiger Sicht nicht mehr. Wir hatten damals einen Beitragssatz von 6,4 %. In der Zwischenzeit ist die Zahl der Ärzte um 70 % gestiegen, um nur zwei Daten zu nennen. In der Zukunft ist bei Zulassung aller ausgebildeten Ärzte die Beitragsstabilität gefährdet. Die im System handelnden Ärzte würden einer Existenzgefährdung ausgesetzt. Die Zahl der Kassenärzte würde wesentlich steigen, so daß es dringend geboten ist zu handeln. Deswegen handeln wir. Ich gebe zu: Das ist ein harter Einschnitt, der aber verfassungsrechtlich tragbar ist. Wir wollen keinen Schutzzaun für Etablierte, keinen Closed Shop, keinen Ausschluß von Berufszugängern. Wir wollen vielmehr ein gewogenes Verhältnis zwischen Versicherten und Leistungserbringern. Wir glauben, nach reiflicher Diskussion einen verfassungsfesten Weg gefunden zu haben und mit der Festsetzung des 68. Lebensjahres und einer Kassenarzttätigkeit von 20 Jahren gleichzeitig auch den besonderen Belangen der neuen Länder Rechnung getragen zu haben. Zur Zeit schlägt uns von den Apothekern und ihren Berufsvertretern barsche Kritik entgegen. Sie sagen, das geforderte Opfer sei unannehmbar und führe bei jeder vierten Apotheke zum Ruin. Ich bestreite überhaupt nicht, daß das Arzneimittelbudget, der Preisabschlag, die Zuzahlung zu Arzneimitteln nach Pakkungsgrößen, die Einführung einer Liste zu verordnender Arzneimittel zu Umsatzeinbußen führen können. Bei allem Respekt vor der Niederlassungsfreiheit der Apotheker müssen wir jedoch feststellen, daß wir zur Zeit eine Apothekendichte von 3 000 Einwohnern pro Apotheke haben. ({6}) Die KV kann keine Bestandsgarantie für alle geben, wenn sich der Schlüssel vielleicht auch noch verändert. Deswegen kann und darf die gesetzliche Krankenversicherung nur das vergüten, was medizinisch geboten ist. Wenn die Politik ein so enges Versorgungsnetz wünscht, dann muß sie gemeinsam mit den Apothekern prüfen, ob nicht ein anderes Vergütungssystem gerade die umsatzschwachen Apotheken stärken kann. Solch ein Instrument hatten wir beim GRG mit dem Fix-Zuschlag; es ist aber zerredet und uns aus der Hand geschlagen worden. Ich komme zum Risikostrukturausgleich. Wir halten am gegliederten System fest. Einem gegliederten System ist der Wettbewerb nicht fremd, ja, er braucht ihn sogar als eine Triebfeder für erfolgreiches Handeln. Die Bedingungen für diesen Wettbewerb müssen ausgewogen sein. Wir glauben, mit der Einführung des Risikostrukturausgleichs ausgewogene Wettbewerbsbedingungen geschaffen zu haben. Wir verlassen den Ausgabenausgleich und wenden uns der Einnahmeseite zu. Die Parameter Grundlohnsumme, Geschlecht, Alter, mitversicherte Familienangehörige werden in den Ausgleich einbezogen und führen zu einer Gleichheit. Ich bin sehr dankbar für die Deutlichkeit, in der Herr Kollege Dreßler dies hier noch einmal beschrieben hat. Ich möchte ihm darin zustimmen - ich darf das noch einmal unterstreichen -, daß es nicht wünschenswert ist, daß in einiger Zeit eine neue Diskussion darüber aufflammt, daß neue Parameter wie Krankengeld oder EU- oder BU-Renten mit einbezogen werden sollten. Wir haben unseren Beitrag dazu geleistet, daß das gegliederte System erhalten wird. Ich unterstreiche: Das ist das Ende der Fahnenstange, Herr Kollege Dreßler. Ich möchte Sie übrigens bitten, doch wieder zu alten Gepflogenheiten zurückzukehren, denn auf Grund der staatsmännischen Art und Weise, in der Sie sich hier heute morgen verhalten haben, habe ich Sorge, daß Sie in der Bevölkerung sehr gewinnen werden. Ich habe Sie lieber anders, denn das stärkt die Koalition. ({7}) - Passen Sie nur auf, daß Sie Ihre Wade nachher noch haben, Herr Kollege. ({8}) Jede Kassenart bleibt für sich. Wir bleiben in diesem Bereich also beim gegliederten System. Lassen Sie mich noch einen Gedanken anfügen: Auch dieses Gesetz wird nur dann zum Erfolg führen, wenn wir es erreichen, daß die Handelnden draußen im Lande - die Leistungserbringer, die Versicherten, die Krankenkassen - dieses Gesetz bejahen. Wenn sie es sich nicht zu eigen machen, wenn sie es nicht akzeptieren, dann muß der Deutsche Bundestag in absehbarer Zeit neue gesetzliche Maßnahmen beschließen. Das wäre nicht zu begrüßen. Ich möchte an alle den Appell richten, hier mit anzupacken. Wir stehen vor arbeitsreichen Wochen. Wir wollen das Reformziel am 1. Januar 1993 erreichen. Wir müssen auch pünktlich im Ziel sein, weil wir nur so den Erfolg garantieren können, und wir brauchen den Erfolg, um zugunsten der Kranken ein hohes Niveau optimaler Versorgung dauerhaft sichern und das KV-System stabilisieren zu können. Deswegen gibt es bei diesem Reformwerk einen Sieger: die Patienten, die ab- 1. Januar 1993 und in der weiteren Zukunft umfangreiche Leistungen zu vernünftigen Bedingungen garantiert bekommen. ({9}) Daher ist Handeln gefragt. Wir handeln mutig und gemeinsam in schwieriger Zeit. Ich wünsche uns dabei viel Glück. ({10})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Ich erteile jetzt der Abgeordneten Frau Dr. Ursula Fischer das Wort.

Dr. Ursula Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000557, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Mitglied des Deutschen Bundestages habe ich auf Umwegen und nach mehreren Nachfragen den neuen Entwurf eines Gesundheits-Strukturgesetzes vorgestern - am Dienstag - erhalten. ({0}) Informationen über die Medien hinaus, um mich mit Fragestellungen auseinandersetzen zu können, sind für mich kaum zugänglich. Das sind nicht nur Diskriminierungen einer Abgeordneten; gleichzeitig sind es Diskriminierungen von Wählerinnen und Wählern, die ihre Betroffenheit durch das Gesundheits-Strukturgesetz ab Januar spüren werden. Eine Anhörung soll nun gar nur sieben Stunden umfassen, und zwar morgen. Wie selbstverständlich sollen nur geänderte Fragestellungen besprochen werden. ({1}) Die PDS/Linke Liste meint: Das reicht nicht. Die Gesamtheit der Regelungen muß doch erneut zur Disposition gestellt werden können, z. B. die Gesamtproblematik um die Apotheken, ganz zu schweigen von Vorschlägen zur Abschaffung oder Halbierung der Mehrwertsteuer für Arzneimittel. Unser Antrag, nach Vorlage des Konsenspapiers wenigstens einen Tag ausschließlich der Problematik der neuen Bundesländer zu widmen, wurde in der Besprechung der Obleute im Gesundheitsausschuß wie üblich abgelehnt. Das ist übrigens kein Zeitproblem. Selbst der Vorschlag, wenigstens 40 Minuten der besonderen Situation freigemeinnütziger Träger konfessioneller Krankenhäuser zu widmen, fiel einer Art Strangulierung oder Selbstbeschränkung des Ausschusses zum Opfer. Ganz offensichtlich soll dieser mühsam erworbene Konsens der Parteien nicht im geringsten angetastet werden. Aber warum dann noch dieser Aufwand einer öffentlichen Anhörung? Und das morgen! Oder sollte die Schlußfolgerung zulässig sein, daß der neue Entwurf eben doch nicht so viel Neues bringt? Möglicherweise hätten es dann auch Änderungsanträge getan.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Frau Dr. Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Thomae? - Bitte schön. ({0}) - Dann fahren Sie bitte fort, Frau Dr. Fischer.

Dr. Ursula Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000557, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ganz so ist es nicht. Eine wirkliche Strukturreform ist es allerdings auch immer noch nicht, weder in die eine noch in die andere Richtung. Hier wird nach wie vor der Arzt, stellvertretend für viele andere, bekämpft und nicht, wie ein Sprichwort empfiehlt, die Pest. Meine Damen und Herren, das Paragraphendeutsch war ursprünglich wenigstens in zwei große Sachgebiete unterteilt, faktisch die Reform der Reform. Ich erinnere an die unendliche Geschichte in der Drucksache 12/3209 und die Zuzahlungen in der Drucksache 12/3210. Jetzt müssen - der überwiegende Teil wird ja im SGB V geregelt -, da alles numerisch hintereinander aufgeführt ist, nach Art eines Puzzlespiels die Zuzahlungsregelungen zusammengesetzt werden. Die Hektik, die bei diesem wichtigen Gesetzentwurf entfaltet wird, ist mir völlig unverständlich. Da vor allem so sensible Bereiche wie Gesundheit und Krankheit, die ja immer mit Einzelschicksalen verbunden sind, berührt werden, müßte es doch wenigstens möglich sein, die ganze Sache in Ruhe parlamentarisch umzusetzen. Ich denke, es wird vielen meiner ostdeutschen Kollegen genauso gehen, daß Sie nach der Überstülpung eines gegliederten, reformbedürftigen Kassensystems schwer hinreichend die Schritte der neuen Gesundheitsreform bewerten können, ganz zu schweigen vom Kenntnisstand der Öffentlichkeit in den neuen Bundesländern. In der Öffentlichkeit wird auf einem relativ kleinen Bereich pausenlos herumgehackt, während andere Bereiche wie z. B. der medizinisch-industrielle Komplex fast völlig ausgeklammert werden. Oder eine bestimmte Arztgruppe ist ständig im Gespräch. Dadurch wird zumindest auch das Vertrauensverhältnis des Patienten zu seinen Ärztinnen und Ärzten beeinträchtigt, im übrigen auch ein wichtiger Kostenfaktor. Statt „Gesundheits-Strukturgesetz" sollte besser „Gesundheits-" oder „Krankheitsfinanzierungsgesetz" gebraucht werden. Denn überwiegend wird ja unbestritten mit der Krankheit verdient. Aus Zeitgründen muß ich mich auf die Zuzahlungen konzentrieren, die ja Patienten und Versicherte bekannterweise auch am meisten interessieren. Eine Veränderung, die ins Auge fällt, wird im Krankenhausbereich sichtbar. Dort werden 70 Millionen weniger durch Neuregelung eingespart. Durch Änderung des VI. Sozialgesetzbuches, § 32, werden nun aber auch Rehabilitanten in die Zuzahlung im Krankenhaus einbezogen. Meine Damen und Herren, das muß deutlich diskutiert werden. Die Zuzahlung allgemein für Medikamente betrug vor Lahnstein 10 %, jetzt bis 30 DM 3 DM, von 30 bis 50 DM 5 DM. In der Regel wird dann mehr bezahlt als 10 %. Eine Verbesserung bedeutet diese Praxis erst ab 70 DM. Der Forderung, die Befreiungsgrenze West auch für den Osten gelten zu lassen, also eine Vereinheitlichung auf 1 400 DM festzulegen, schließen wir uns an, denn es müssen die Westpreise gezahlt werden. Hier gibt es wohl Änderungsbedarf. Meine Damen und Herren, der Streitpunkt im zahnärztlichen Bereich - Zahnersatz - um Wahl- und Regelleistungen fällt mit dem neuen Gesetz weg. Verfassungsrechtlich war das offensichtlich doch bedenklich, oder es gibt andere Gründe. ({0}) Allerdings ist aus meiner Sicht zu bezweifeln, ob das Vorteile für den Patienten bringt oder ob hier die Sozialdemokraten liberaler als die Liberalen waren. ({1}) Im übrigen wird hier ein Ist-Zustand - die gängige Kassenpraxis - jetzt gesetzlich festgeschrieben. Nur ein Beispiel: Einer 21jährigen Mitarbeiterin mußten ohne eigenes Verschulden 12 Zähne gezogen werden. Der Zahnarzt empfiehlt - medizinisch gerechtfertigt - Implantate. Die Kasse versagt die Bezahlung. Die junge Frau wird zeitlebens ein Gebiß tragen müssen, oder sie nimmt einen Kredit auf, den sie als Ostdeutsche wahrscheinlich gar nicht bekommt. ({2}) Schwieriger machen es die neuen Regelungen aber gerade in diesem Bereich, eine Zwei- und Dreiklassenmedizin am Gebiß zu erkennen, denn neuerdings wird die Vorderfront besser berücksichtigt. Ob das allerdings ein Trost ist? Denn kosmetische Verbesserungen sind nicht immer gleichzusetzen mit Funktionsgerechtigkeit. Jedenfalls steht auch das zu Aussagen des Ministers im Widerspruch, die besagen, daß im Bedarfsfall ein Millionär genauso wie ein Sozialhilfeempfänger - oder besser umgekehrt - betreut werden muß. ({3}) Möglicherweise - warten Sie es ab, Herr Minister, - stimmt das noch bei Untersuchungen mit CT, im Einzelfall auch für Transplantationen. Schon kurz nach einer Transplantation werden allerdings die Patienten zur Kasse gebeten, denn sie gehören dann zu dem Kreis von Menschen, der ein Leben lang teure Medikamente braucht. Im übrigen, Herr Minister, halte ich die Geschichte von der Gleichbehandlung des Millionärs und des Sozialhilfeempfängers für eine Legende oder für ein Märchen für Erwachsene und Kinder, im Ergebnis nur nicht so schön. Wir schlagen deshalb auch vor, Patientinnen und Patienten mit umschriebenen Krankheitsbildern oder Beeinträchtigungen der Gesundheit in Sonderregelungen zu erfassen. Zumindest sie sollten alle Medikamente kostenlos erhalten. Ich fordere den Gesundheitsausschuß auf, über einen Katalog nachzudenken, der Patienten mit bestimmten Erkrankungen, vor allem chronischen Erkrankungen, von allen Zuzahlungen freistellt. ({4}) Das ist machbar, und Ärztinnen und Ärzte arbeiten gern interessiert für ihre Patienten mit. Weitere Zuzahlungen, meine Damen und Herren, betreffen Menschen, die zwar bisher ganz gut verdient haben, aber trotzdem die Solidaritätsgemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung stärkten. Diese freiwillige Solidarität wird nun im Alter aufgekündigt. Unter der Überschrift „Kleine Zugeständnisse für Rentner" wird folgendes verkauft: Im ersten Entwurf war diese Regelung überhaupt nicht vorgesehen. In Lahnstein wartete man dann mit 700 Millionen plus auf, und jetzt sind es nur noch 350 Millionen für diesen Kreis. Das ist doch wirklich ein Grund zur Freude. In diesem Fall muß ich mich doch einmal für gut verdienende Versicherte einsetzen. Meine Damen und Herren, die Problematik, die Einnahmen der Kassen zu verbessern, wird auffälligerweise - in der Anhörung im September gab es dazu sehr viele Vorschläge, z. B. die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze ({5}) gar nicht angesprochen. Und das hat ja auch Gründe. Hier schlägt sich die Meinung des Ministers, wir hätten nicht zu wenig Einnahmen, sondern zu viele Ausgaben, nieder. Der Staat hat also vor, sich ersatzlos aus vielen Bereichen besonders der Grundversorgung und der Prävention zurückzuziehen. Es geht im Grunde genommen auch nicht um wirkliche Verbesserungen, sondern um ersatzlose Streichung in Form von Kostenverlagerung in Privathaushalte. Ich mußte mich aus Zeitgründen auf den Bereich der Zuzahlungen beschränken. Wir lehnen diese grundsätzlich ab, zumal sie in ihrer steuernden Wirkung sehr umstritten sind. Eine Bemerkung sei mir noch gestattet: Liebe Kolleginnen und Kollegen, meinen Sie wirklich, wir könnten morgen in den 7 Stunden Anhörung solche wichtigen Fragen oder Befürchtungen ausräumen: Risikostrukturausgleich, halbverstanden ordnungspolitisch mißbraucht? Können wir das wirklich? Dem Antrag des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN könnten wir in seinen Grundzügen zwar zustimmen, wir wissen aber um dessen Durchsetzungsfähigkeit in diesem Umfeld und werden uns mit sehr vielen Änderungsanträgen in die Diskussion einschalten. Ich bin sehr gespannt, wie die morgige Anhörung und die weiteren Beratungen ablaufen. Sie werden Aufschluß geben müssen über die Ernsthaftigkeit der Reform. Und für mich ist eine Art „Ostpapier" - selbst nach dem, was ich gelesen habe - selbstverständlich auch nicht vom Tisch. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Ich erteile jetzt dem Kollegen Dr. Thomae das Wort zu einer Zwischenbemerkung gemäß § 27 unserer Geschäftsordnung.

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Dr. Fischer, als Ausschußvorsitzender möchte ich Ihnen noch einmal sehr deutlich sagen: Wir haben im Obleutegespräch festgelegt, daß morgen eine Anhörung mit dieser Stundenzahl stattfindet und daß wir fernerhin sechs Tage haben, urn im Ausschuß über dieses Projekt zu beraten. Es war sicher, daß wir in der neuen Anhörung nur die Punkte ansprechen, die im Gesetz neu sind und die in der ersten Anhörung nicht angesprochen wurden. Das war einhellige Meinung, und danach habe ich mich gerichtet. ({0}) - Doch, vorigen Freitag war das einhellige Meinung, und von daher möchte ich doch Ihre Vorwürfe zurückweisen. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Zur Antwort erteile ich der Frau Kollegin Dr. Fischer das Wort.

Dr. Ursula Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000557, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Das haben Sie sicher erwartet, Herr Kollege Thomae, daß ich natürlich darauf antworte. Ich sitze als einzige Frau, als Obfrau, in diesem Gremium. Das wissen Sie ganz genau. Meine Durchsetzungschancen sind gleich Null. Ich habe selbstverständlich vorigen Freitag diesen einen Punkt, einen Tag wenigstens zu nutzen, um Probleme der neuen Bundesländer im Komplex anzusprechen, benannt, aber ich war chancenlos. Das muß ich einfach sagen. Ich habe Ihnen wegen dieser Einhelligkeit sofort einen Brief geschrieben und ihn an den Gesundheitsausschuß gefaxt, damit eine Korrektur angebracht wird, weil ich meine, daß man solche Dinge, selbst wenn sie nicht durchsetzbar sind, natürlich auch aufnehmen muß. Ich halte Ihre Darstellung für nicht zulässig. Das Ganze ist keine Angelegenheit allein zwischen uns. Die Öffentlichkeit ist sicherlich genausoweing informiert wie wahrscheinlich einige Abgeordnete in diesem Hause. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Ich erteile jetzt dem Herrn Bundesminister für Gesundheit, Horst Seehofer, das Wort.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Positives der wochen- und monatelangen Diskussion über die Gesundheitsreform ist, daß es in Deutschland jetzt eine breite Diskussion über medizinische Versorgung und über Gesundheitspolitik schlechthin gibt. Gut dabei ist, daß sich auch die Bevölkerung sehr breit daran beteiligt. Ich bekomme täglich nicht nur viele Anrufe, sondern auch eine Flut von Briefen, nicht nur rote Karten oder Plakate - die geben wir weiter an Kindergärten zum Bemalen -, sondern auch viele gute Vorschläge. Ich möchte meinen Debattenbeitrag mit einem Brief einer Frau aus Bamberg beginnen, die mir neben einem schönen Paket mit Spritzen folgende Mitteilung geschickt hat: Von meinem Arzt bekam ich ein Rezept über 100 Fertigspritzen Calciparin für 528,96 Mark ausgestellt. Nach vierzigmal Spritzen war klar, daß ich dieses Präparat nicht vertrage. Übriggeblieben waren also 60 Fertigspritzen für - ich hoffe, mein Taschenrechner macht mir keine Schande - 317,38 Mark. Klar, ein Klacks im Vergleich zu den Summen, die Sie einsparen wollen. Aber ich dachte, hilf mal Herrn Seehofer beim Sparen, und versuchte die Dinger sinnvoll loszuwerden. Von wegen! Sie können sich schon denken, daß man meine Gabe überall verschmähte und mir statt dessen riet, die Spritzen dem Mülleimer anzuvertrauen. Das fällt mir aber furchtbar schwer, deswegen vertraue ich Sie lieber Ihnen an. ({0}) Vielleicht können Sie ja etwas damit anfangen. ({1}) Falls mal wieder eine Bundeswehrmaschine mit Medikamenten in ein Krisengebiet fliegt, können Sie die Spritzen ja denen mitgeben. Lassen Sie sich ruhig Zeit, sie sind bis 31. 12. 1994 haltbar. ({2}) Meine Damen und Herren, das umschreibt eigentlich die ganze Grundlage, über die wir diskutieren. Wir diskutieren nicht über die Reduzierung der Qualität unserer medizinischen Versorgung. Wir diskutieren über unerwünschte Mengenausweitungen. Wenn wir heute soviel vom Sparen reden, liegt mir sehr daran, festzustellen, daß das Sparen in der Gesundheitspolitik und eine gute medizinische Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland keinen Gegensatz darstellen. Wir können die unerwünschten Mengenausweitungen, die Unwirtschaftlichkeiten in der Gesundheitspolitik, in der gesetzlichen Krankenversicherung, wegnehmen, ohne daß wir die notwendige, qualitativ hochstehende medizinische VersorBundesminister Horst Seehofer gung für die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigen. ({3}) Deswegen geht es nicht um Qualitätsminderung, sondern um das Abschöpfen von Unwirtschaftlichkeiten, um das Herstellen von mehr Effizienz in der gesetzlichen Krankenversicherung. Das sind Gesetze, die in der gesamten Volkswirtschaft gelten. Wenn die Ausgaben deutlich stärker steigen als die Einnahmen, dann gilt auch in einer Sozialversicherung der Grundsatz: Wer nicht rechtzeitig rationalisiert, muß auf Dauer rationieren. Das möchte ich als Gesundheitsminister der Bundesrepublik Deutschland nicht. ({4}) Ich möchte, daß auch in Zukunft die Menschen die notwendige Hilfe von der Krankenversicherung ohne einen Ausleseprozeß, ohne Rücksicht auf Stand und Einkommen und ohne Rücksicht auf das Alter bekommen. Das ist in anderen europäischen Staaten durchaus nicht selbstverständlich. In England beispielsweise führt man ab einem bestimmten Alter gewisse Operationen nicht mehr durch. Ich möchte, daß wir keine solche Auslese, keine Rationierung bekommen, sondern den Menschen auch künftig die qualitativ hochstehende Medizin zur Verfügung stellen können. ({5}) Die Voraussetzung ist, daß die gesetzliche Krankenversicherung den Schutz, den sie den Menschen verspricht, die in diese Krankenversicherung gehen, finanziell auch gewähren kann. Deswegen nehmen wir nichts weg, sondern wir sichern die finanziellen Grundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung. Das ist das politische Ziel, das dahintersteht. Weil in diesen Tagen versucht wird, viele Abgeordnete in Einzelheiten zu verstricken ({6}) - bis spät nachts, bis spät nach Mitternacht, Herr Kollege Dr. Altherr -, um damit auch Unsicherheiten zu verbreiten, liegt mir sehr daran, die zwei Grundelemente dieser Reform wieder deutlich zu machen. Das sind nach wie vor die tragenden Elemente. Sie waren es im Regierungsentwurf, und sie sind es nach Lahnstein. Meine Damen und Herren, das wichtigste für mich ist, daß die Politik jetzt die Kraft findet, nicht nur die Ausgaben zu bremsen, sondern auch die Strukturen zu verändern. Sie muß an die Wurzeln des Übels herangehen. ({7}) Ich bin kein Freund von großen und pathetischen Worten. ({8}) Aber das, was wir jetzt im Krankenhausbereich an Strukturveränderungen schaffen, das ist revolutionär, ({9}) das ist zwanzig, dreißig Jahre nicht nur in der Politik, sondern auch gesellschaftspolitisch hochumstritten gewesen. Jetzt findet es statt! ({10}) Es findet eine bessere Verzahnung zwischen stationärer und ambulanter Versorgung statt. Nirgendwo auf der Welt gibt es eine solche starre Trennung wie in der Bundesrepublik Deutschland. Warum soll es künftig nicht möglich sein, daß ein Patient, der von einem niedergelassenen Arzt ins Krankenhaus eingewiesen wird, dort auch ambulant behandelt wird? Muß jeder, der ins Krankenhaus kommt, vollstationär ins Bett gelegt werden? Hier geht vieles wesentlich wirtschaftlicher. ({11}) Ich begrüße, wenn jetzt, wo es medizinisch vertretbar ist, ein Patient auch ambulant diagnostiziert und ambulant operiert werden und nach der Entlassung aus dem Krankenhaus zur ambulanten Versorgung dorthin zurückkehren kann. Ich habe das selbst erlebt. Wenn ein Arzt den Heilungsprozeß im Krankenhaus nachverfolgen kann, kann das dazu führen, daß ein Patient eher in seine vertraute Umgebung entlassen wird. ({12})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Dr. Fischer?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Natürlich, mit Vergnügen.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Bitte, Frau Kollegin.

Dr. Ursula Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000557, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Minister, Sie haben gesagt, daß diese Reform im Prinzip ein revolutionärer Fortschritt ist. Sie können sich vorstellen, daß ich das ein kleines bißchen anders sehe. Ich bin schon der Meinung, daß das bereits zwei bis drei Jahre vorher bekannt war. Meine Frage ist jetzt: Warum wurde das ganze System zunächst den neuen Bundesländern übergestülpt, wo jetzt mit Ihrem Gesetz Regelungen kommen, die ich unwahrscheinlich begrüßt hätte? Ich muß aber immer im Hinterkopf behalten: Was passiert, wenn ambulant operiert wird, was passiert mit den Fachambulanzen und den Institutsambulanzen? Das ist die gleiche Diskussion wie bei den Polikliniken. Im jetzigen Gesetzentwurf ist von „Einrichtungen" die Rede. Warum wurde das also nicht schon vor zwei bis drei Jahren angepackt?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Frau Dr. Fischer, ich bin Ihnen dankbar. Ich komme noch auf die neuen Länder, sage alles, was dort an Positivem geschieht, und erwarte natürlich, daß Sie wiederum aufstehen und mir für das danken, was alles in den neuen Ländern geschieht. ({0}) Im Krankenhaus soll künftig also mehr ambulant behandelt werden. Es ist höchste Zeit, daß wir vom tagesgleichen Pflegesatz im Krankenhaus wegkommen - hin zu einer leistungsorientierten Vergütung. Meine Damen und Herren, das ist mehr Wettbewerb. Warum haben wir so viele Fälle in den Krankenhäusern, die ausgerechnet am Montag entlassen werden, obwohl am Samstag und Sonntag nichts anderes mehr geschieht als die Verpflegung? Die könnten alle auch am Freitag entlassen werden. Es liegt nicht an der Gehässigkeit der Ärzte oder an der Unfähigkeit des Pflegepersonals, sondern an den Strukturen. Das ist kein Vorwurf an die Beschäftigten im Krankenhaus. Es liegt an den Strukturen: Ein belegtes Bett am Wochenende kann man eben auch abrechnen. ({1}) Es ist höchste Zeit, daß das beendet wird. Das ist eine revolutionäre Strukturveränderung im Krankenhaus. Zur Kassenorganisation, also zur Krankenkassenreform: Meine Damen und Herren, ist es nicht ein gewaltiger Fortschritt gegen Ende dieses Jahrhunderts, daß die Arbeiter endlich das Recht auf freie Kassenwahl bekommen, daß nicht nur Angestellte, sondern auch Arbeiter ihre Kasse frei wählen können? ({2}) Ich kann überhaupt nicht verstehen, wieso eine Einheitskasse geschaffen werden soll, wenn man Menschen das Recht einräumt, ihre Krankenkasse frei zu wählen. ({3}) Ich kann auch nicht verstehen, warum der VdAK befürchtet: Jetzt geht eine Kassenart unter. Mir hat bisher noch niemand erklären können, wieso eine Kassenart vor dem Untergang stehen soll, wenn ihr die Politik die Möglichkeit gibt, neue Mitglieder aufzunehmen. ({4})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Minister, gestatten Sie noch einmal eine Zwischenfrage von Frau Dr. Fischer? - Bitte, Frau Dr. Fischer.

Dr. Ursula Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000557, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Minister, die Aufhebung des Selbstkostendeckungsprinzips hat ihr Für und Wider. Wie sehen Sie diese ganze Problematik für konfessionelle Krankenhäuser und freigemeinnützige Träger? Ich möchte diese Frage jetzt ausnahmsweise einmal gleich beantwortet erhalten.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Sie erhalten die Frage gleich beantwortet. Ich versichere Ihnen, daß die Krankenhäuser auch künftig Stätten der Hochleistungsmedizin bleiben. Ich versichere Ihnen zweitens, daß die freigemeinnützigen und die kirchlichen Krankenhäuser auch künftig ihre absolute Chance haben, auf dem Gesundheitsmarkt zu bestehen, und daß wir auf diese besonderen Belange durch eine ganze Reihe von Vorschriften Rücksicht genommen haben. ({0}) Wir alle - alle vier Parteien und die 16 Länder, die an diesem Kompromiß beteiligt sind - wollen, daß wir auch künftig eine pluralistische Krankenhauslandschaft haben, die aus öffentlich-rechtlichen, freigemeinnützigen, kirchlichen und auch privaten Krankenanstalten besteht. Alles soll bestehen bleiben. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Frau Dr. Fischer?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Herr Präsident, wenn Sie mir zusätzlich fünf Minuten Redezeit geben, damit ich alles sagen kann, was ich mir vorgenommen habe, dann unendlich.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Bitte sehr.

Dr. Ursula Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000557, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Minister, mir nützen solche allgemeinen Sätze nichts. Wenn Sie schon sagen „Wir haben konkrete Vorschläge gemacht", dann möchte ich gern, daß die konkreten Vorschläge hier auch einmal benannt werden.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Wir machen die Pflegesätze von 1992 zur Grundlage und sagen den Krankenhäusern: Das ist die Ausgangsbasis, hinzugerechnet werden die Lohnentwicklung 1993 und der Personalbedarf, der durch gesetzliche Vorschriften veranlaßt ist; dazu könnt ihr einen Großteil der Chefarztabgaben, die eigentlich an die Krankenkassen abgeführt werden müssen, behalten. Den neuen Ländern sagen wir: Wenn es Strukturveränderungen gibt, kann es ein neues Budget geben. Wir sagen ferner: Wenn ihr euch 1992 in der Höhe des Pflegesatzes geirrt habt, könnt ihr ihn 1993 neu feststellen. Was sollen wir als Gesetzgeber mehr tun, um auf diese Besonderheiten Rücksicht zu nehmen? ({0}) Ich möchte genauso wie der Kollege Dreßler meiner Verwunderung Ausdruck geben, daß ausgerechnet der Verband der Angestellten-Krankenkassen so massiv gegen diese Kassenreform zu Felde zieht. Ich sage deshalb „ausgerechnet der Verband der Angestellten-Krankenkassen", weil es sich bei diesen Krankenkassen um die einzige Kassenart in Deutschland handelt, die heutzutage von Schleswig-Holstein bis Bayern einen Einheitsbeitrag aufweist. Ausgerechnet eine solche Kassenart warnt die Politik und die Öffentlichkeit vor der Einheitskasse! Was ist denn dagegen einzuwenden, wenn Verträge, die heute noch bundesweit abgeschlossen werden, künftig dezentralisiert in den einzelnen KassenBundesminister Horst Seehofer bezirken abgeschlossen werden? Das ist doch nicht der Weg in die Einheitskasse, sondern ich dachte immer, das sei ein Weg zu mehr Gesundheitsföderalismus. Dieses Gerede von der Einheitskasse ist völlig unbegründet. Mehr Wettbewerb, mehr Wahlfreiheit, mehr Konkurrenz unter den Kassen bedeuten mehr Pluralität. Diese Neuerungen bedeuten auch, daß man in der Krankenkassenlandschaft ein Stückchen mehr nachdenken muß. Wettbewerb war noch nie schädlich für den Menschen. Wettbewerb kann auch bedeuten, daß manche aus diesem Wettbewerb ausscheiden. Ich verstehe überhaupt nicht, daß diejenigen, die von uns den Wettbewerb fordern, gleichzeitig etwas dagegen haben, wenn man ihn einführt. Wir sehen also eine grundlegende Reform in der Kassenorganisation vor. Vorgesehen ist eine dritte grundlegende Strukturreform. Wir sparen nicht nur, sondern wir bauen auch den Sozialstaat in wichtigen Punkten um. Trotz dieses gewaltigen Sparprogramms stellen wir Mittel für zusätzliche Planstellen beim Pflegepersonal und bei den Hebammen in den Krankenhäusern zur Verfügung. Deshalb ist die Behauptung falsch, daß es dort zum Pflegenotstand kommt. Es gibt trotz des Sparprogramms zusätzliche Stellen, weil wir Ernst machen wollen mit unserer politischen Aussage: Der Pflegeberuf muß ideell und materiell aufgewertet werden. Da darf es nicht nur bei schönen Versprechungen bleiben, sondern wir müssen auch die Tat folgen lassen. ({1}) Durch diese Reform wird das ambulante Operieren im Bereich der niedergelassenen Ärzte stärker gefördert. Im Bereich der Zahnärzte werden fast 200 Millionen DM für die Prophylaxe zur Verfügung gestellt, weil wir den Grundsatz Realität werden lassen wollen, daß die Vorsorge immer noch die beste Medizin ist. Frau Kollegin Dr. Fischer, wir werden noch während des Gesetzgebungsverfahrens ein Hilfsprogramm für die Krankenhäuser in den neuen Ländern, was den Nachholbedarf an Investitionen betrifft, schmieden. Der Kollege Geisler aus Sachsen wird dazu sicher noch Stellung nehmen. Hier hat die Bundesregierung ihre Meinung korrigiert. Wir sind jetzt bereit, den Krankenhäusern in den neuen Ländern auch im investiven Bereich zeitlich befristet zu helfen. Das setzt allerdings voraus, daß die neuen Länder ihrer Verantwortung gerecht werden. Meine Damen und Herren, uns wird immer das Argument entgegengehalten: Da sind ganz schlimme Politiker am Werk, jetzt wird die Staatsmedizin eingeführt! Mir liegt aus diesem Grunde an zwei Bemerkungen. Erstens. Die gesetzliche Krankenversicherung ist die einzige Sozialversicherung in der Bundesrepublik Deutschland, die ohne Staatszuschüsse funktioniert. ({2}) Daran ändert sich künftig auch nichts. Deshalb kann ich das Argument von der Staatsmedizin überhaupt nicht verstehen. Zum zweiten ist die gesetzliche Krankenversicherung die einzige Sozialversicherung, die in den fünf neuen Ländern aufgebaut wurde und heute qualitativ hervorragend funktioniert, ohne daß es dafür auf Dauer einen Staatszuschuß gibt und ohne daß es - wie in allen anderen Sozialversicherungszweigen - einen Sozialtransfer von West nach Ost gab. Es ist mir schleierhaft, wie man auf den Gedanken kommen kann, wir planten die Staatsmedizin. Die gesetzliche Krankenversicherung funktioniert ohne eine einzige Mark aus dem Staatshaushalt. Wenn wir nichts täten, dann wären die Schleusen für die Staatsmedizin geöffnet. Dann tauchte nämlich die Frage auf: Müssen sich nicht Bund und Länder an den in der Krankenversicherung entstehenden Defiziten beteiligen? Ein Wort zum Vorrang der Selbstverwaltung: Extensiver, als wir es jetzt tun, kann man die Selbstverwaltung nicht ausgestalten. Die Selbstverwaltung hat Zeit bis Ende 1994, die ganz wenigen Aufträge, die sie noch hat, zu verwirklichen. Die Aufträge wurden 1989 erteilt. Es gab bzw. gibt sechs Jahre lang Vorfahrt für die Selbstverwaltung. Wenn die Politik sagt „Wenn ihr nach sechs Jahren eurer Verantwortung nicht gerecht geworden seid, dann handelt die Politik", kann man doch nicht davon reden, dies bedeute die Staatsmedizin. Wir sind für den Vorrang der Selbstverwaltung. ({3}) Noch ein Wort zu den Apothekern. ({4}) Das Demonstrationsrecht ist ein Verfassungsrecht, ein Grundrecht. Deshalb habe ich nichts gegen Demonstrationen; das würde auch nichts helfen. Ich habe auch Verständnis für den Präsidenten der ABDA, Herrn Stürzbecher. Es geht uns allen so: Wenn man vor einigen tausend Leuten steht, wählt man etwas kräftigere Worte. Mich stört auch der gestern verwendete Begriff „Wortbruch" nicht. Mir tut dieser Begriff nicht weh; Herrn Stürzbecher hat er gestern genutzt. Man muß allerdings auch dann, wenn man sich politisch auseinandersetzt, bei der Wahrheit bleiben. Das beginnt bereits bei den Zahlen, die in die Welt gesetzt wurden. Im Gespräch mit mir war noch die Rede von Einkommenseinbußen in Höhe von 30 %. Innerhalb von wenigen Tagen hat man das - so in der Anzeige nachzulesen - auf 25 % reduziert. Es stehen noch vier Wochen Beratungszeit zur Verfügung. Wenn jede Woche eine Reduzierung um 5 % erfolgt, kommen wir etwa auf eine realistische Größenordnung. Das stört mich alles gar nicht so. Das gehört zur politischen Auseinandersetzung. Wir sagen ja auch das eine oder andere etwas überpointiert. Lieber Herr Stürzbecher, ({5}) - ich denke, er schaut zu -, wenn Sie jetzt nachträglich versuchen, die 30 oder 25 %, mit denen Sie ja die Unruhe in der Apothekerschaft ausgelöst haben, die allerdings bar jeder Realität sind, durch Argumente zu rechtfertigen, die mit der Realität nichts zu tun haben, dann muß ich Sie in aller Öffentlichkeit darum bitten, wenn die entsprechende Meldung zutrifft - ich kann ja nicht alle Meldungen überprüfen -, dies schnellstens vom Tisch zu nehmen oder folgende Fragen zu beantworten. Er soll mich hier nicht unterschätzen. Ich werde ihn Woche für Woche, und wenn es ein Jahr dauert, um Beantwortung folgender Fragen bitten: Er behauptet, es sei geplant, ein Drittel aller Medikamente nicht mehr von der Krankenkasse bezahlen zu lassen, für leichtere Erkrankungen keine Arzneimittel auf Kassenarztrezept mehr zu vergeben. Ich bitte Herrn Stürzbecher um die Beantwortung der folgenden Frage: Wo steht das in diesem Gesetz? Nennen Sie mir ein einziges Arzneimittel, das 1993 bei leichteren Erkrankungen von uns ausgeschlossen wird. ({6}) Auch wenn die Auseinandersetzung noch so hart geführt wird, muß man bei der Wahrheit bleiben. Wenn man nicht bei der Wahrheit bleibt, wird man leicht unglaubwürdig. Herr Präsident Stürzbecher, beantworten Sie mir deshalb die folgende Frage: Wo steht im Gesetz, daß ein Drittel aller Medikamente nicht mehr von der Krankenkasse bezahlt werden soll und es für leichtere Erkrankungen keine Arzneimittel mehr gebe? Ich sage der deutschen Öffentlichkeit: Ab 1993, nach Inkrafttreten dieses Reformwerks, wird jeder Erkrankte, insbesondere jeder Langzeit- und chronisch Kranke, weiterhin sein medizinisch notwendiges Medikament bekommen. Die Härtefallregelung, die seit 1989 besteht und Menschen vor Überforderung schützen soll, besteht nach wie vor mit dem Inhalt, daß Personen bis zu einem bestimmten Einkommen von der Zuzahlung bei Arzneimitteln völlig befreit sind und bei Überschreitung einer bestimmten Einkommensgrenze ein Überforderungsschutz besteht, nämlich nicht mehr als 2 % des Einkommens hinzugezahlt werden müssen. Welche Einkommensgrenze gilt, sagt Ihnen am besten Ihre zuständige Krankenkasse. Herr Stürzbecher, ich wäre dankbar, wenn das Fax bereits eingetroffen wäre, wenn ich jetzt ins Ministerium zurückkehre. Meine Damen und Herren, die Politik hat bei diesem Reformwerk in den letzten Wochen und Monaten eine große, einmalige Chance genutzt. Ich möchte allen danken, die daran mitgewirkt haben, insbesondere den Experten aus allen Fraktionen, aber auch aus den Ländern. Ich bedanke mich auch bei allen Kolleginnen und Kollegen, die dem Druck in den Wahlkreisen standgehalten haben. Ich kann nachvollziehen, wie schwer das ist, wenn man nicht in der Sozialpolitik oder in der Gesundheitspolitik tätig ist, da ich das Problem z. B. bei Änderungen im Steuerbereich kenne. Herzlichen Dank. Entgegen allen Vermutungen ist es bei diesem Kompromiß nicht nur zu einer Minimallösung gekommen. Wir haben vielmehr meiner Meinung nach eine optimale Lösung erreicht. Das gilt insbesondere für den strukturellen Bereich. Ich hätte das in vielen Bereichen so nicht erwartet. Es hat ein fairer Interessenausgleich zwischen vier Parteien stattgefunden. Jede Partei gab und jede Partei nahm. Mir ist herzlich egal, wer sich nach Meinung der Leitartikler durchgesetzt hat. Ich habe es miterlebt und habe versucht, vermittelnd zu diesem Kompromiß beizutragen, so daß jeder nach Abschluß des Konsenses hocherhobenen Hauptes gegenüber seiner Klientel antreten kann. Ich bekomme immer noch vorwurfsvolle Briefe darüber, daß man überhaupt Gespräche mit der Opposition und den Ländern geführt habe. Dazu kann ich nur sagen: Wer in der Politik bei einem so schwierigen Thema nicht kompromißfähig ist, ist schlechthin politikunfähig. ({7}) Ich bin froh, daß die Politik auf einem sehr schwierigen und unpopulären Feld diese Handlungsfähigkeit bewiesen hat. Deshalb ist jenseits der vielen Zahlen, die uns beschäftigen, und jenseits der vielen Strukturmaßnahmen, die ich nur andeuten konnte, für mich der wichtigste Gewinn dieses Konsenses, daß die parlamentarische Demokratie ihre Handlungsfähigkeit bewiesen hat und damit in der Öffentlichkeit wieder ein Stückchen an Vertrauen dazugewonnen hat. Das ist für mich der größte Ertrag dieser Reform. ({8})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren! Herr Minister, da Sie für sehr viele in diesem Hause und eindrucksvoll gesprochen haben, hat das Präsidium die Überschreitung Ihrer Redezeit um sechseinhalb Minuten genehmigt. Nun hat unser Kollege Karl Hermann Haack das Wort. Er ist Apotheker.

Karl Hermann Haack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000758, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einer muß hier Rückschau halten, einer muß sagen, warum wir hier heute morgen stehen und über die Einbringung des Gesundheitsstrukturreformgesetzes reden. Ich darf Sie alle daran erinnern, daß in der zweiten und dritten Lesung des Gesundheits-Reformgesetzes 1988 der damalige zuständige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm dieses Gesetz als ein Jahrhundertgesetz bezeichnet hat und daß sich die damaligen Koalitionsparteien ob dieses Erfolges gegenseitig auf die Schulter klopften. Heute dagegen ist eingetreten, was seinerzeit die SPD immer prophezeite: Das damalige GesundheitsReformgesetz ist auf breiter Linie gescheitert, weil es die eigentlichen Probleme nicht gelöst hat. Ungelöst waren damals aus Sicht der SPD die fehlende Organisationsreform der gesetzlichen Krankenversicherung, die Reform der Krankenhäuser, die Begrenzung der Niederlassung von Ärzten und Zahnärzten, die Karl Hermann Haack ({0}) durchgreifende Neuordnung des Arzneimittelmarktes, die fehlende Verzahnung der ambulanten und der stationären Versorgung. Ich erinnere daran, daß damals parallel zu diesen Beratungen die Enquete-Kommission „Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung" bestand. Diese Enquete-Kommission beriet die Strukturreform im Gesundheitswesen. Für die Öffentlichkeit war das damals ein Verwirrspiel. Zum einen stand die Regierung unter dem Druck, die Finanz- und Strukturkrise des Gesundheitswesens zu beantworten, und zum anderen beriet sie zur gleichen Zeit mit uns in einer Enquete-Kommission über Wege aus der Struktur- und Finanzkrise. Bei einem Vergleich des Endberichts mit dem Gesetzentwurf fällt auf, daß Teile der damaligen Beratungen in das Gesetz aufgenommen wurden. Die Ergebnisse des Enquete-Berichts „Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung" sind zu einer Brücke geworden, über die Regierung und Opposition aufeinander zugegangen sind. Heute liegt der gemeinsame Entwurf dieses Aufeinanderzugehens vor. Zu all den bereits genannten Problemen der Struktur- und Finanzkrise des Gesundheitswesens sind Aussagen gemacht worden, die aus der Sicht meiner Fraktion die Grundlage für die gesetzliche Krankenversicherung für die nächsten Jahre sichern. Die Wahrheit ist aber auch, daß wir vermutlich, wenn es keine SPD-Bundesratsmehrheit gegeben hätte, heute über ein solches Ergebnis nicht sprechen würden. Herr Minister, in der letzten Debatte zum Gesundheitswesen hatte ich ein Bild gezeigt, auf dem Sie mit gefalteten Händen zum Himmel schauen. Ich habe Ihnen damals den Rat gegeben, auf die Bundesratsbank und auf die SPD zu schielen. Ich darf mich für meine Fraktion dafür bedanken, daß Sie diesem Rat gefolgt sind und wir jetzt hier auf Erden und nicht im Himmel eine gemeinsame Wegstrecke zurücklegen. ({1}) Bekannt ist, daß das Defizit der gesetzlichen Krankenversicherung 1992 vermutlich 12 Milliarden DM betragen wird. Damit ist der finanzielle Spielraum für Reformen enger geworden. Wir sind alle zum Handeln aufgefordert. Es ist grundsätzlich zu entscheiden, mit welchem Instrumentarium der Ausgabensteigerung begegnet werden kann, um Beitragsstabilität und optimale medizinische Versorgung zu sichern. In der politischen Diskussion gab es hierfür drei Optionen: eine laufende Beitragserhöhung, also Anpassung der Einnahmen an die Ausgaben, eine Ausweitung der Selbstbeteiligung und Aufspaltung des Leistungsgeschehens in Wahl- und Regelleistung oder die Beseitigung kostentreibender Strukturen. Die SPD lehnt eine Beitragserhöhung und eine Erhöhung der Selbstbeteiligung als Weg aus der Struktur- und Finanzkrise des Gesundheitswesens ab. Sie hat dies immer getan. Für die Ablehnung spricht dreierlei: Angesichts einer Diskussion über den Industriestandort Bundesrepublik Deutschland im europäischen Binnenmarkt verbietet es sich, die Lohnnebenkosten durch Beitragserhöhungen zu steigern. ({2}) Darüber besteht in der politischen Szene Einigkeit. Heute erfahren Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, daß ihre Nettolohnquote, also das verfügbare Einkommen, ständig sinkt. Fazit ist: Die Arbeitnehmerhaushalte haben bei steigenden Belastungen immer weniger in ihren Familienportemonnaies. Schon allein aus diesem Grunde verbietet es sich, über Beitragserhöhungen und Selbstbeteiligungsquoten zu reden und sie als Instrument zur Steuerung der Krise einzuführen. Drittens wirken sich Beitragserhöhungen indirekt auf die Nettoerhöhung der Renten aus. Das hängt mit der Rentenreform von 1989 zusammen. Es werden also durch erhöhte Beiträge Rentnerinnen und Rentner getroffen. Von den Leistungsanbietern wurde von uns immer gefordert, eine Aufteilung in Regel- und Wahlleistungen vorzunehmen. Wir lehnten dies ab, ({3}) weil das für uns der Einstieg in die Zweiklassenmedizin und damit unsozial gewesen wäre. Somit haben wir uns in der Lahnstein-Runde 1 und in der Lahnstein-Runde 2 alle dafür entschieden, kostentreibende Strukturen zu beseitigen mit der Maßgabe, das Finanztableau der gesetzlichen Krankenversicherung für die nächsten Jahrzehnte zu sichern. Im Vorbericht des Gesundheitsstrukturgesetzes ist dazu ausführlich Stellung genommen worden. Im wesentlichen lassen sich die Probleme auf den Punkt bringen: Je mehr Anbieter, je mehr Leistungen, je teurer wird unser Gesundheitswesen. Vornehm in der Wissenschaftlersprache des Gutachtens ausgedrückt: Es handelt sich um eine „angebotsinduzierte Mengenausweitung". Nun will ich ein Beispiel dafür geben, was damit gemeint ist. Rudolf Dreßler hat verschiedene Bereiche abgehandelt, andere Kollegen auch. Ich möchte mich auf das Krankenhaus konzentrieren. Jeder weiß, daß wir zu viele Krankenhausbetten haben. Diese können aber nur schwer abgebaut werden, weil die Krankenhäuser ihre Kosten bisher ausschließlich über das belegte Bett abrechnen konnten, und zwar auf der Grundlage des tagesgleichen Pflegesatzes. Im Klartext: Nicht der Mensch steht ökonomisch im Mittelpunkt des Geschehens im Krankenhaus, sondern das belegte Krankenhausbett. Nun gehen wir einen neuen Weg, indem wir künftig die Leistungen nach einem Reißverschlußprinzip aufteilen, nämlich in medizinische und in pflegerische Leistungen. Die Einführung von Fallpauschalen, Sonderentgelten, abteilungsbezogenen Pflegesätzen soll uns dabei helfen. Hinzu kommen zwei weitere wichtige Schritte. Die Krankenhäuser können demnächst ambulant operieren. Das heißt, der Patient kommt, wird operiert und kann, wenn medizinisch verantwortbar, nach Hause gehen. Er belegt nicht mehr aus rein betriebswirtschaftlichen Gründen ein Krankenhausbett. Zweitens Karl Hermann Haack ({4}) soll es die vor- und nachstationäre Diagnostik auch ermöglichen, daß Patienten nicht aus abrechnungstechnischen Gründen in die Krankenhausbetten gelegt werden, sondern daß sie ihre vor- und nachstationäre Diagnostik ambulant erfahren können. Diese Schritte, meine Damen und Herren, erfordern einen mittelfristigen Abbau von Krankenhausbetten. Wir haben dies durch dieses Gesetzeswerk eröffnet. Sorgen bereitet uns die nicht geleistete Darstellung des finanziellen Nachholbedarfs bei der Sanierung der Krankenhäuser in den neuen Bundesländern. Hier steht ein Betrag von rund 25 Milliarden DM zur Disposition. Wir haben von dem Vorschlag gehört - den wir unterstützen -, daß dies durch eine dreigeteilte Verantwortung - Bund, Länder und gesetzliche Krankenversicherung - gelöst werden soll. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, daß, wenn die beiden Versicherungssysteme Ost und West oder Alt-Bundesrepublik und neue Bundesländer verzahnt werden, die Frage des Risikostrukturausgleichs geregelt werden muß. Bedeutsam für die SPD-Fraktion ist, weil es dazu in der Vergangenheit mehrere Anträge gegeben hat, daß der Einigungsvertrag dahin gehend geöffnet worden ist, daß genau spezifiziert, Poliklinken und Fachambulanz en eine weitere Chance der Existenz bekommen unter der Voraussetzung, daß Patienten dies wollen. Das heißt, Patienten stimmen über den weiteren Bedarf von Polikliniken, Fachambulanzen und ähnlichen Leistungen ab. Zum Thema Krankenhaus ein letzter Punkt, den wir für wichtig halten. Im ursprünglichen Gesetzentwurf war die Aufhebung der zeitlichen Begrenzung und Dynamisierung der Zuzahlung bei den Unterbringungskosten des Krankenhausaufenthaltes vorgesehen. Danach hätte z. B. ein Patient mit anschließender Reha-Inanspruchnahme rund 700 DM bezahlen müssen. Das hätte chronisch Kranke, ältere Menschen und andere finanziell schwer getroffen. Es ist ein gemeinsamer Erfolg, wenn wir feststellen, daß es bei der Zuzahlung bei der 14tätigen Begrenzung geblieben ist, d. h. maximal 154 DM. Ebenso bedeutsam ist für uns die Rücknahme der Regel- und Wahlleistungen im zahnprothetischen Bereich, weil wir dies als Einstieg in die Zweiklassenmedizin gesehen haben. Nun zu der entscheidenden politischen Frage, zu der ich mich äußern möchte: Gibt es Gewinner und Verlierer? Strichlisten, meine Damen und Herren, werden zu diesem Punkt seitens der SPD-Fraktion nicht geführt. Wie in der Presse kommentiert, soll es immer Gewinner und Verlierer geben. Wir verweigern dazu die Beantwortung. Diese Frage zu stellen verbietet sich nämlich deshalb, weil wir etwas wesentlich anderes festzustellen haben. In einer Zeit, in der Politiker für alles verantwortlich gemacht werden, was dieser Gesellschaft nicht paßt, sie der Buhmann der Nation für alles und jedes sind, ist der Nachweis der Handlungsfähigkeit von Politik auf einem Feld von grundsätzlicher Bedeutung erbracht worden. ({5}) Wenn es Verlierer gibt, oder besser: Wenn jemand über seine Rolle selbstkritisch nachzudenken hat, dann sind dies einige Verbände, die als Lobbyisten im Gesundheitswesen tätig sind. Ich will sehr deutlich werden. In einer Situation, die energisches Handeln seitens der Politik verlangt, ist festzustellen, daß ein Teil der Verbände es immer wieder versucht hat - zum Glück ohne Erfolg -, in die Speichen des Rades der Reform zu greifen und die Reform anzuhalten. Meine Antwort darauf lautet: Wir leben nicht nur in einem Parteienstaat, sondern wir leben auch in einem Verbändestaat, der einen Beitrag zur Politikfindung in dieser Republik leistet und in der Vergangenheit geleistet hat. Der Beitrag aber, den ein Teil der Gesundheitsverbände geleistet hat, war kontraproduktiv. Er begann mit einer Diffamierungskampagne gegen die handelnden Politiker, setzte sich zum Teil mit angedrohter Nötigung von Politikern fort. Hier meine ich insbesondere den Freien Verband der Zahnärzte mit der angedrohten Abschaffung der Sicherstellung des zahnärztlichen Versorgungsvertrages. Dabei wurde in der Öffentlichkeit die Linie verfolgt, Politiker als inkompetent und dumm hinzustellen. Lösungen sind den Politikern dabei nur nach dem Sankt-Florians-Prinzip unterbreitet worden nach dem Motto „Freiheit ist dann Freiheit, wenn die Kasse stimmt", nach der Melodie „Greifen wir doch dem Patienten in die Tasche", über Ausweitung der Selbstbeteiligung und Aufspaltung der Leistungen in Regel- und Wahlleistungen, die der Patient eben neben seinem monatlichen Kassenbeitrag noch zu zahlen hat. Dazu haben wir Politiker uns alle, die wir uns in Lahnstein 1 und 2 versammelt haben, nicht hergegeben. Wir haben gesagt: So nicht. Abschließend zu den Belastungen chronisch Kranker, weil uns da zahlreiche Briefe erreichten. Hier sage ich: Wir haben uns um Lösungen bemüht. Wir haben uns aber davon überzeugen lassen, daß die GRG-Formulierung mit Härteklausel und Überforderungsklausel zu einer Ausweitung des Befreiungstatbestandes in einem Maße geführt hat, wie ich es nicht geglaubt habe. Ich habe, wie Sie, Herr Minister, in diesem Punkt zugestanden haben, für mich und namens meiner Fraktionen zuzugestehen, daß wir die Situation damals falsch eingeschätzt haben. Deshalb haben wir uns Ihnen angeschlossen, daß wir sagen: Wir werden das Thema chronisch Kranke zu einem späteren Zeitpunkt noch erörtern. Herr Minister, abschließend zu einem anderen Thema, über das überhaupt nicht diskutiert wird, aber welches uns in den nächsten Jahren sicherlich begleiten wird. Sie haben in dem Vorwort angekündigt, eine Neuabgrenzung der Begriffe Solidarität und Subsidiarität vorzunehmen. Sie meinen damit, so haben Sie sich in mehreren Presseauslassungen dargestellt: Was soll die gesetzliche Krankenversicherung zukünftig zahlen und was nicht? Wir haben Ihnen sehr aufmerksam zugehört und möchten Sie aus Sicht der SPD-Fraktion dabei auf folgendes hinweisen. Dieses Thema ist nicht neu. Seit Anbeginn der Krankenversicherung oder seit Anbeginn der Sozialpolitik damals im Deutschen Reich besteht diese Diskussion um Solidarität und Subsidiarität als gestaltende Prinzipien. Sie beginnt 1884 mit einem Aufsatz von Gustav Schmoller in den „Preußischen Jahrbüchern" mit der Karl Hermann Haack ({6}) Überschrift „Die soziale Frage und der preußische Staat" . Da ist, bezogen auf die damalige Situation im Deutschen Reich, im Verfolg anderer Aufsätze, über die wir uns heute noch strukturell auseinandersetzen, diese Diskussion inhaltlich schon geführt worden. Ich erwähne diesen Aufsatz deswegen, um zu untestreichen, daß dies für uns Sozialdemokraten kein neues Thema ist. Wir, die SPD, begreifen Solidarität als gestaltendes Element von Gesellschaftspolitik, und da im Sinne von Eduard Heimann, Sozialpolitiker der Weimarer Republik. Wir meinen mit dem Begriff Solidarität also mehr als eine Finanzbetrachtung von Sozialpolitik. Weil das so ist, sagen wir, daß Subsidiarität nicht allein gestaltendes Prinzip in der Sozialpolitik sein kann, da sich Subsidiarität ausschließlich an der finanziellen Leistungskraft des einzelnen orientiert und als Prinzip nur hilft, wo diese überschritten wird. Es hat für uns den Geschmack der Armenfürsorge, wenn Subsidiarität in diesem Sinne zum gestaltenden Prinzip der Sozialpolitik werden sollte. Sollten Sie sich, Herr Minister, dem Gedanken der Solidarität verpflichtet fühlen, so wie es mit dem Prinzip des Sozialstaatsgebots in unserer Verfassung gemeint ist, dann werden Sie in uns einen kritischen, aber aufmerksamen Begleiter Ihrer Politik zu diesem Punkt finden. Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, zu einer Kurzintervention gemäß § 27 der Geschäftsordnung hat unser Kollege Julius Cronenberg das Wort.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Beitrag des Kollegen Haack gibt mir Veranlassung, einige Bemerkungen zur Situation der Verbände zu machen. Es ist völlig richtig, daß sich Verbandsvertreter, die Lobbyisten, im Ton vergriffen und gesamtgesellschaftliche Interessen nicht in genügendem Umfang berücksichtigt haben. Das trifft leider für einen Teil der Verbandsvertreter zu. Aber ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, Verbände und Politik aufzufordern, den Dialog nicht abzubrechen. Wir brauchen den Dialog mit den Verbänden. ({0}) Ich möchte deswegen die Verbände von dieser Stelle auffordern, zu einer sachlichen Diskussion zurückzufinden, ({1}) u. a. um Fragen zu beantworten, Herr Minister, aber auch, um uns manchen guten Ratschlag zu geben. Dies an dieser Stelle einmal zu betonen war mir ein Bedürfnis. Ich danke Ihnen, Herr Präsident. ({2})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, der Kollege Karl Hermann Haack hat durch Zuruf bestätigt, daß er sich dem anschließt; ich finde das sehr gut. Nun hat unser Kollege Wolfgang Zöller das Wort.

Wolfgang Zöller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002603, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung zu den technischen Einrichtungen hier in diesem neuen Haus. Das Rednerpult scheint nicht für große und - um Mißverständnissen gleich vorzubeugen - lange Politiker konstruiert zu sein. Hier geht es nur abwärts, aber nicht aufwärts. Wir brauchen etwas mehr Spielraum nach oben. ({0}) Eine Alternative wäre eine neue Brille. Dies würde jedoch zu einer zusätzlichen Belastung der Krankenversicherung führen; das kann nicht in unserem Interesse sein. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein Drittel der Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen entfällt auf Krankenhäuser und Kliniken. Deshalb kann und darf dieser Bereich nicht von den Einsparungsbemühungen ausgeklammert werden. Jede andere Haltung wäre schlicht unvertretbar. Ohne Stabilität in den Krankenhäusern gibt es keine Beitragsatzstabilität in den Krankenkassen. Vor diesem Hintergrund verdient der heute eingebrachte Gesetzentwurf unsere Unterstützung. Dies bedeutet aber nicht, daß alle unsere Anliegen und Positionen ohne Abstriche im Gesetzentwurf ihren Niederschlag gefunden hätten. Dies war, nachdem alle maßgebenden politischen Kräfte in diesem Hohen Hause beteiligt waren, auch nicht anders zu erwarten. Mit der Aufhebung des Selbstkostendeckungsprinzips zeigen wir die Bereitschaft, bisher lange vertretene Positionen zu überprüfen und im Interesse einer effektiven Strukturreform neue Wegen zu gehen. Langfristig wird die Einführung eines leistungsorientierten Entgeltsystems zu mehr Wirtschaftlichkeit in der stationären Versorgung führen. Bis dahin ist es jedoch notwendig, für eine Übergangszeit Maßnahmen zur Ausgabenstabilisierung zu treffen, deren Wirkungen sofort eintreten müssen. Dieser kurzfristige Effekt soll durch die Anbindung der Pflegesätze an die Grundlohnsumme erreicht werden. Wir sind der Ansicht, daß nach der Aufhebung des Selbstkostendeckungsprinzips der Gesetzgeber den Krankenhausträgern einen klaren, überschaubaren gesetzlichen Rahmen vorgeben muß, in dem sie sich finanziell bewegen können. Hierzu sind im neuen § 4 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes und in dessen Begründung festgehalten, daß den Krankenhäusern und Kliniken ein Anspruch auf eine leistungsgerechte Vergütung bei wirtschaftlicher Betriebsführung zusteht. Für die Jahre 1993 bis 1995 sollen die Krankenhausbudgets an die Grundlohnentwicklung angebunden werden. Um zu vermeiden, daß vor allem auch freigemeinnützige Krankenhausträger durch das Gesundheits-Strukturgesetz übermäßig belastet werden, haben wir Einigkeit darüber erzielt, daß es bestimmte Ausnahmen von der Anbindung an die Grundlohnentwicklung geben muß. Hierzu zählen Kostensteigerungen, die für die Krankenhäuser unvermeidbar und unbeeinflußbar sind. Im Gesetz sind Mehrkosten auf Grund krankenhausspezifischer Rechtsvorschriften und im Personalbereich auf Grund der Psychiatriepersonalverordnung, der Pflegepersonalregelung sowie der Stellenmehrung für Hebammen und Geburtshelfer bereits berücksichtigt. Da die Ausgaben im Krankenhaus zu 70 % Personalkosten sind, sind diese Ausnahmen unverzichtbar, gerade auch im Hinblick auf die Notwendigkeit, zusätzliche Pflegekräfte einzustellen. Krankenhäuser sind in Sorge, ob sie die Kostensteigerungen, die auf Grund von Tariferhöhungen anstehen, regeln können. Für den Fall, daß Tarifabschlüsse im Dreijahresdurchschnitt über der Grundlohnsummenentwicklung liegen, sieht das Gesetz Ausgleichsregelungen vor. Es sollte aber vielleicht daneben noch überlegt werden, ob nicht auch Erhöhungen auf Grund struktureller Änderungen erfaßt werden könnten, wobei der Zeitraum der Steigerung dann allerdings an die Laufzeit des Krankenhausbudgets anzubinden wäre. Die liquidationsberechtigten Ärzte in den Krankenhäusern werden stärker als bisher an den Kosten beteiligt, die durch die Nutzung von Einrichtungen und Personal des Krankenhauses bei der Behandlung von Privatpatienten entstehen. Dies dient der Entlastung der Krankenkassen. Durch Übergangsregelungen wird sichergestellt, daß nicht in bestehende Verträge eingegriffen werden muß und daß den Krankenhausträgern während der Budgetierungsphase rund 50 % der vertraglichen Nutzungsentgelte verbleiben. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, während die Krankenhäuser Anstrengungen unternehmen, nicht mehr bedarfsgerechte Betten abzubauen, sind im Rehabereich Einrichtungen entstanden, die Akutmedizin betreiben und damit die Krankenhausplanungen unterlaufen. Es war deshalb sinnvoll und notwendig, daß im Rehabereich der Begriff der Bedarfsgerechtigkeit eingeführt und die Forderung durchgesetzt wurde, daß mit der zuständigen Landesbehörde ein Einvernehmen über Abschluß und Kündigung des Versorgungsvertrages anzustreben ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn alle Beteiligten bereit sind, ihren Beitrag zu leisten, wird auch künftig die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser gewährleistet sein, um eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen, eigenverantwortlich wirtschaftenden Krankenhäusern zu sichern. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Ich erteile jetzt dem Herrn Abgeordneten Dr. Bruno Menzel das Wort.

Dr. Bruno Menzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001474, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf dem langen Weg bis zur Einbringung des gemeinsam von Koalition und Opposition getragenen Gesundheits-Strukturgesetzes haben alle unmittelbar Beteiligten, glaube ich, eine Reihe von Tief- und Höhepunkten durchlebt. Einen Höhepunkt haben Sie, sehr verehrter Herr Minister, heute den Liberalen bereitet. Denn mit Zustimmung und Bewunderung haben wir Ihrem begeisterten Pladoyer für die Krankenhausreform gelauscht. Wir bedanken uns bei Ihnen für diesen Ihren Meinungswandel und freuen uns, daß aus einem konservativen Saulus ein liberaler Paulus geworden ist. ({0}) Meine Damen und Herren, ich begrüße es, daß in diesem so eminent wichtigen Politikbereich, der alle Menschen in unserem Lande mittelbar oder unmittelbar als Handelnde oder Behandelte, als Beitragszahler oder Verwalter der Gelder, betrifft, ein Konsens zwischen Koalition und Opposition erzielt werden konnte. Ich begrüße dies, weil es allen deutlich sichtbar macht, daß Handlungsfähigkeit über die Parteigrenzen hinweg besteht, wenn über dringlich anstehende große Reformwerke entschieden werden muß. Ich begrüße dies aber auch, weil es ein sichtbares Zeichen nach draußen dafür ist, daß Parteiinteressen zurückstehen müssen, wenn es darum geht, ein fundamentales soziales Sicherungssystem, das weltweite Anerkennung findet und unverzichtbar für die soziale bzw. gesundheitliche Absicherung unserer Bevölkerung ist, zu reformieren. Möge dies beispielhaft sein für die schnelle Lösung auch anderer anstehender dringlicher Entscheidungen in unserem Lande. ({1}) Natürlich muß andererseits jeder, der den gefundenen Kompromiß wertet, auch wissen, daß Konsensherstellung immer ein Nehmen und Geben bedeutet. Keiner ist in der Lage, in einem solchen Falle alle seine Vorstellungen und Lösungsansätze verwirklichen zu können. Dies ist manchmal schmerzlich, für nicht am Entscheidungsprozeß Beteiligte sogar unverständlich und kann auch nur getragen werden, wenn sich jeder Beteiligte in einem fairen Kompromiß mit seinen Politikvorstellungen im Gesetz wiederfindet. Die Menschen im Lande, unsere Wähler, müssen letztendlich darüber befinden, ob uns dies gelungen ist. Alle gemeinsam sahen wir uns aber in der Pflicht, die schnell und stetig steigenden Kosten wirksam zu bremsen. Daß dies letztlich nur durch dirigistische Maßnahmen erreicht werden kann, ist gerade für uns Liberale eine schwer zu tragende Entscheidung und überhaupt nur mit einer zeitlichen Limitierung zu vertreten. Doch verantwortlich politisch Handeln heißt auch, daß man sich seiner Pflicht nicht entziehen darf, wenn denn die Handlungsnotwendigkeit offensichtlich ist. Daß sich die davon Betroffenen zu Wort melden, halte ich für völlig legitim. Bei einem Einsparvolumen in Höhe von 11 Milliarden DM - die Notwendigkeit dafür wird angesichts der gegenwärtigen finanziellen Lage wohl niemand ernsthaft bezweifeln können - löst jede Einsparung eine Verteilungsdiskussion aus, die, wenn sachlich geführt, ich für durchaus berechtigt halte. Auch wenn es für den Politiker manchmal unbequem sein kann, müssen wir uns mit diesen Argumenten auseinandersetzen, und beide Seiten müssen ihre Fähigkeit zur Einsicht unter Beweis stellen. Meine Damen und Herren, man würde dem Gesetz aber nicht gerecht werden, wenn man nur die aktuellen Bezüge sieht und die zukunftsorientierten strukturellen Elemente nicht entsprechend würdigt. Für uns Liberale war es entscheidend, daß mit diesem Gesetz Wege für die Zukunft eröffnet werden, die mehr Wirtschaftlichkeit, mehr Wettbewerb, mehr Marktelemente, mehr Transparenz und mehr Verantwortlichkeit aller innerhalb dieses Systems zur Wirkung kommen lassen, bis hin zur Übereinstimmung hinsichtlich einer grunsätzlichen Neubewertung, in welchem Umfange die Solidargemeinschaft in der Verantwortung steht und wo die Eigenverantwortung stärker gefordert werden muß. Kostenerstattung, Wettbewerb bei Kassen, Wirtschaftlichkeit bei Krankenhäusern, Verzahnung von stationärer und ambulanter Behandlung im fairen Wettbewerb sind nach liberalem Verständnis die richtigen Schritte in die richtige Richtung. Mehr Liberalität und Marktwirtschaft in Verbindung mit einer sinnvollen und notwendigen Begrenzung des von der Solidargemeinschaft zu finanzierenden Aufgabenkataloges der gesetzlichen Krankenversicherung werden unser Gesundheitssystem auch in Zukunft auf hohem Leistungsniveau erhalten und finanzierbar machen. Meine Damen und Herren, ein wichtiges Anliegen in allen Beratungsstadien war auch stets die Ausgewogenheit der Maßnahmen. Dazu gehörte und gehört die Berücksichtigung der besonderen Situation in den neuen Bundesländern. Dies schulden wir, so glaube ich, all jenen, die mit Mut und hohem persönlichen Einsatz ein freiheitliches Gesundheitswesen in den neuen Bundesländern aufgebaut haben und den Weg in die Selbständigkeit gegangen sind. All jene Berufsgruppen, die dazu beigetragen haben - ob Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Zahntechniker oder Angehörige anderer Berufe -, haben ein Recht auf verläßliche Zukunftsbedingungen. Bei noch nicht angeglichenem Punktwert, schnell steigenden Arztzahlen und hoher Verschuldung sind sie ein außerordentlich hohes Risiko eingegangen, besonders auch diejenigen Kollegen, die mit 50 Jahren oder älter nicht gezögert haben, diesen Schritt zu tun. Wir müssen ihnen Sicherheit in der neuen Existenz geben. Aber auch jenen, die heute noch in den ehemaligen poliklinischen Einrichtungen und Fachambulanzen tätig sind und die einen wesentlichen Anteil daran haben, daß in den neuen Bundesländern zu keiner Zeit Versorgungslücken aufgetreten sind, wurde jetzt die Sicherheit gegeben, die sie benötigen, um ihre Arbeit entsprechend fortsetzen zu können. Meine Damen und Herren, wir haben bei unseren Beratungen stets berücksichtigt, daß diese besonderen Bedingungen in den neuen Bundesländern gewahrt werden. Wir haben als Bezugsjahr für die Ärzte 1992 vorgesehen. Ferner werden in den kommenden drei Jahren für die sich noch niederlassenden Ärzte Prozentpunkte hinzugerechnet. Wir haben die Einführung des Arzneimittelbudgets, wenn es denn überhaupt kommt, erst für 1994 vorgesehen. Wir haben auch dafür Sorge getragen, daß das Basisjahr der Berechnung für die Zahnärzte 1992 sein soll, bereinigt um den Mengenanstieg von 1991 zu 1992. Auch bei ihnen kann in der Zukunft, bereits ab 1. Januar 1993, über eine Punktwerterhöhung verhandelt werden. Aber, meine Damen und Herren, Sie werden nicht verwundert sein, wenn ich meine Schwierigkeiten mit der Degression habe - und dies besonders im Hinblick auf die neuen Bundesländer. Denn der dortige Mengenanstieg ist nicht dadurch bedingt, daß die Kollegen nach Arbeit gesucht haben, sondern dadurch, daß im Bereich des Zahnersatzes und der konservierenden Zahntherapie bei den Menschen in den neuen Bundesländern ein ungeheurer Nachholbedarf besteht. ({2}) Wir haben diese Kollegen aufgefordert, alles zu tun, um den Menschen die Deckung dieses Nachholbedarfs so schnell wie möglich zu garantieren. Dieser ist mit 1992 nicht beendet; er besteht auch 1993 weiter. Deshalb, so denke ich, sollten wir uns in dieser Frage für neue Überlegungen durchaus offen zeigen; denn auch hier muß von der Politik dafür Sorge getragen werden, daß jene Kollegen ihren Auftrag, den sie letztendlich auch von uns bekommen haben, tatsächlich realisieren können. ({3}) Dafür sprechen auch die Zahlen aus den neuen Bundesländern. Die Zahnärzte dort versuchen mit beispiellosem Einsatz, den notwendigen Nachholbedarf der Bevölkerung schnell zu decken. ({4}) Es sei für die besondere Berücksichtigung der neuen Bundesländer auch beispielhaft erwähnt, daß bei den Krankenhäusern - der Herr Minister hat es hier schon ausgeführt - besonders berücksichtigt wird, daß weitere Punktwertanpassungen auch in der Budgetierungsphase erfolgen, und daß die Patienten allein dadurch entsprechend Berücksichtigung finden, daß die Härtefallgrenze sowie die Einkommensbegrenzung bei Alleinstehenden bereits ab dem 1. Januar 1993 an das westliche Niveau angeglichen werden, was bedeutet, daß die überwiegende Mehrzahl der Rentner in den neuen Bundesländern - das sind gerade jene, die häufig Medikamente benötigen - in der Regel fast keine Zuzahlung zu leisten brauchen. Ich denke, auch das ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich wollte das nur stellvertretend für viele andere Überlegungen sagen, die wir in dieser Richtung noch angestellt haben. Allen in unserem Gesundheitssystem sich Bewegenden werden Lasten auferlegt, die, so glaube ich, das Leistungsvermögen des einzelnen berücksichtigen und die soziale Symmetrie zu wahren suchen. Damit wird allen Beteiligten - sowohl Patienten als auch Leistungserbringern - gezeigt, daß die Ressourcen dieses Systems nicht unbegrenzt sind und sorgfältiger Umgang damit geboten ist. Dieses Gesetz zeigt aber auch den zukünftigen Weg, der es ermöglichen wird, auch nach der Jahrtausendwende gesundheitliche Fürsorge für alle auf hohem Niveau zu gewährleisten. ({5}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich all j enen Dank sagen, die bei der Erstellung des Gesetzes mitgewirkt haben, insbesondere auch den Damen und Herren aus dem Ministerium. Nicht zuletzt danke ich dem Herrn Minister für seine äußerst verständnisvolle Führung aller beteiligten Partner. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, als letztem Redner in dieser Debatte bei der ersten Beratung des Entwurfs eines GesundheitsStrukturgesetzes erteile ich jetzt dem Herrn Staatsminister für Soziales, Gesundheit und Familie des Landes Sachsen, Herrn Dr. Hans Geisler, das Wort. Staatsminister Dr. Hans Geisler ({0}): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin dankbar dafür, daß ich heute als Vertreter Sachsens die Gelegenheit habe, vor diesem Hohen Hause die Interessen der neuen Länder im Zusammenhang mit dem Gesundheits-Strukturgesetz darzustellen. Seit einigen Jahren rollt die Kostenlawine im Gesundheitswesen. Im Interesse aller gilt es, diese Lawine aufzuhalten, bevor Qualität und Zuverlässigkeit unseres Gesundheitssystems von einer riesigen Finanzlast erdrückt werden. Daß die neuen Länder noch nicht so stark betroffen sind, liegt im wesentlichen daran, daß Ärzte und Patienten das Leistungssystem noch nicht in gleichem Maß wie in den alten Ländern ausschöpfen. Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit, wann auch hier die gleichen finanziellen Probleme auftauchen und Beitragserhöhungen unumgänglich werden. Der vorliegende Gesetzentwurf beschreitet den richtigen Weg zur Konsolidierung und wird von uns deshalb grundsätzlich begrüßt. Die der heutigen Debatte vorausgegangenen Beratungen haben gezeigt, daß die alten Bundesländer, gezielt mit den Problemen der neuen Länder vertraut gemacht, durchaus Verständnis für diese aufbringen und daß Lösungen gefunden werden, die den anderen Ausgangsbedingungen entsprechen. Dafür danke ich allen Beteiligten. Die Angleichung der Einkommensgrenzen bei der Härtefallregelung in bezug auf die Zuzahlung ist ein Beispiel dafür. Es war den Bürgern im Osten Deutschlands nicht verständlich warum im Westen ein Alleinstehender bis 1 400 DM pro Monat zuzahlungsfrei bleiben solle, während im Osten bereits ab 840 DM Zuzahlungen zu leisten seien. Mit der beabsichtigten Angleichung der Einkommensgrenzen ist nicht nur ein Stück materieller Gerechtigkeit geschaffen; es wird auch ein weiterer Schritt zur Förderung der inneren Einheit getan. ({1}) Noch gibt es Unterschiede zwischen Ost und West, die keiner Seite vorzuwerfen sind, sondern die sich daraus ergeben, daß bei uns ein gänzlich neues Gesundheitssystem aufgebaut und eine riesige Altlast bewältigt werden muß. Gewiß sind die organisatorischen Anfangsschwierigkeiten größtenteils überwunden, doch braucht es eben länger als zwei Jahre, um z. B. ein marodes Krankenhauswesen in ein voll funktionstüchtiges zu verwandeln. Ich werbe daher an dieser Stelle um Ihr Verständnis für die Sonderwünsche der neuen Länder und bitte diese bei der Vorbereitung der zu findenden Kompromisse zu berücksichtigen. Ein wichtiger Punkt ist dabei die geringere Belastbarkeit aller Leistungserbringer. Diese Berufsgruppen haben mit großem Engagement den Weg in die freie Niederlassung gewagt. Für einen Westbürger mag dies nicht besonders aufsehenerregend sein; für einen ehemaligen DDR-Bürger, der die umfassende staatliche Bevormundung gerade hinter sich gelassen hat und nun seine ersten Gehversuche zur ungewohnten Selbständigkeit unternimmt, bedeutet die Verschuldung Unsicherheit und schlaflose Nächte. Die Anbindung der Deckelung an die Grundlohnsumme bringt für die neuen Länder in fast allen Bereichen den Spielraum für die Bewältigung von Nachholebedarf und Schuldentilgung. Die Grundlohnsumme wird von 1992 zu 1993 um ca. 15 % steigen. Das heißt, nicht nur für die Löhne der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind die notwendigen Mittel vorhanden, sondern auch bei den Sachkosten stehen 15 % zur Verfügung, und dies heißt wiederum 10 % mehr als in den alten Bundesländern. ({2}) Darüber hinaus gibt es noch Zuschläge entsprechend den besonderen Bedingungen, die fast alle schon genannt wurden, weshalb ich mir das erspare. Zum Beispiel hat Herr Menzel einige davon genannt. Sehr geehrte Damen und Herren, gestatten Sie mir, Ihre Aufmerksamkeit auf eine politische Aufgabe von besonderer gesamtstaatlicher Bedeutung zu lenken. Vorweg aber noch ein Wort zu den letzten zwei Jahren: Vielfältige Hilfen von Bund, alten Ländern und Kommunen haben erfreuliche Fortschritte in der Modernisierung unseres Gesundheitswesens gebracht. Bei der Bereitstellung von Medikamenten und der Erbringung diagnostischer Leistungen haben wir das gleiche Niveau und damit die gleichen Lebensverhältnisse erreicht. ({3}) Es gibt beim Zugang zu Medikamenten keine Vierklassengesellschaft wie in der DDR mehr, mit A-, B-, C- und D-Nomenklatur. Man muß kein hoffnungsvoller Nachwuchskader sein, um Westmedikamente verordnet zu bekommen. ({4}) Staatsminister Dr. Hans Geisler ({5}) Aber ein anderer Punkt ist bedrückend: Der bauliche Zustand der meisten Krankenhäuser ist weithin desolat. Die 40jährige kommunistische Mißwirtschaft hat an der Substanz gezehrt. Aus eigener Kraft sind die neuen Länder nicht in der Lage, diese gewaltige Erblast abzutragen. Der Nachholebedarf im investiven Bereich des Krankenhauswesens der neuen Länder beläuft sich nach unseren Berechnungen auf 24 Milliarden DM. Wenn die neuen Länder diesen Finanzbedarf allein abdecken müßten, wäre das allenfalls in 18 bis 20 Jahren zu schaffen. Das wäre menschlich unzumutbar und politisch nicht vertretbar. Es besteht in diesem Hause wohl Einvernehmen darüber, daß der große investive Nachholebedarf im Krankenhauswesen der neuen Länder zügig zu befriedigen ist. Der Bund muß dazu einen Beitrag leisten. Den westdeutschen Ländern hat der Bund in der Zeit von 1972 bis 1984 den Aufbau moderner Krankenhausstrukturen mit über 16 Milliarden DM an Zuschüssen ermöglicht. Es gibt keinen Grund, den ostdeutschen Ländern, die sich in einer wesentlich schwierigeren Situation befinden, diese Hilfe zu versagen. ({6}) Im Namen der neuen Länder fordere ich, daß ein Krankenhausinvestitionsprogramm in den Gesetzgebungsprozeß des GSG eingebunden wird. Ich beziehe mich auf die Zusagen von Minister Seehofer und hoffe, daß das Realität wird. Es sollte bereits 1994 anlaufen und könnte im Jahre 2003 enden. Hierzu haben wir konkrete Vorschläge entwickelt. Jeweils ein Drittel, also 8 Milliarden DM, sollten Bund, die neuen Länder und der private Kapitalmarkt aufbringen. Die Tilgung des eingesetzten privaten Kapitals übernehmen die neuen Länder; die Zinslasten tragen unsere Krankenkassen als pauschalierte Kostenübernahme für Rationalisierungsinvestitionen. Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Wir stehen hinter dem Gesetzentwurf, wir tragen ihn mit. Aber wir brauchen im Rahmen dieser Bemühungen um die Konsolidierung des Gesundheitswesens eine verbindliche Zusage zur Lösung des Krankenhausfinanzierungsproblems. Wir brauchen die Verläßlichkeit gesetzlicher Regelungen, z. B. eine Bund-Länder-Vereinbarung entsprechend Art. 104 a des Grundgesetzes. Ich bitte Sie, diesem Wunsch zu entsprechen und den neuen Ländern ausreichend Mittel für die Krankenhäuser zur Verfügung zu stellen. Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 12/3608 - das ist der Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung - und 12/3606 - das ist der Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Vorlage eines neuen Gesundheits-Strukturgesetzes - an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Darm sind die Überweisungen so beschlossen. Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 7 auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans Büttner ({0}), Gerd Andres, Hermann Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Mißbrauch ausländischer Werkvertrags- und Saisonarbeitnehmer, Lohn- und Arbeitsrechtsdumping und verstärkte Verfolgung illegaler Beschäftigungsverhältnisse durch die Bundesanstalt für Arbeit und die Hauptzollämter - Drucksache 12/3299 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1}) Innenausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand der Unfallverhütung und das Unfallgeschehen in der Bundesrepublik Deutschland ({2}), Unfallverhütungsbericht 1990 - Drucksache 12/1845 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({3}) Ausschuß für Gesundheit Ausschuß für Verkehr c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Siebenter Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes - AUG - sowie über die Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung - BillBG -- Drucksache 12/3180 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({4}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. ({5}) Ich möchte gern die Aussprache eröffnen und bitte, uns in den Stand zu versetzen, daß wir dem Redner zuhören können. - Das ist der Fall. Dann erteile ich jetzt unserem Kollegen Ottmar Schreiner das Wort.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es mit einer Materie zu tun, die sehr kompliziert und sehr sensibel zugleich ist. Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren Regierungsvereinbarungen mit den Staaten Mittel- und Osteuropas über die Beschäfti9944 gung osteuropäischer Arbeitnehmer in Deutschland getroffen. Grundlage der Beschäftigungsverhältnisse dieser Arbeitnehmer sind häufig Werkverträge. Danach kann eine begrenzte Zahl mittel- und osteuropäischer Arbeitnehmer eine befristete Arbeitserlaubnis erhalten, sofern sie auf der Grundlage eines Werkvertrages zwischen einem deutschen Unternehmen und einem osteuropäischen Arbeitgeber für eine vorübergehende Tätigkeit in die Bundesrepublik Deutschland entsandt werden. Erklärtes Ziel der Regierungsvereinbarungen ist es, die Transformation, den Übergang von zentralen Verwaltungswirtschaften auf marktwirtschaftliche Strukturen begleitend zu unterstützen. Die Beschäftigungsmöglichkeiten für Arbeitnehmer in Deutschland sollen den Migrations-, den Auswanderungsdruck in den Herkunftsländern entlasten und einen Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Stabilisierung des jeweiligen Landes leisten. Die beteiligten ausländischen Unternehmen wiederum sollen im Rahmen der Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen marktwirtschaftliche Standards kennenlernen; das erworbene Wissen sowie erzielte Gewinne sollen dann später für Investitionen im Herkunftsland eingesetzt werden. Wir kritisieren von seiten der SPD-Fraktion keineswegs die Ziele der Regierungsvereinbarungen. Sie finden unsere volle Unterstützung. Kritikwürdig auf dieser Ebene ist allein, daß die Bundesregierung es bislang versäumt hat, ihre eigenen Hilfsbemühungen konzeptionell zusammenzufassen und in ein national und international abgestimmtes Gesamtprogramm zur Förderung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Restrukturierung der Länder Mittel- und Osteuropas einzubringen. Eine durchdachte Konzeption ist weit und breit nicht in Sicht. Die Bundesregierung betreibt reine Flickschusterei und wurschtelt sich von Tag zu Tag - auch auf diesem höchst bedeutsamen politischen Feld - eher schlecht als recht durch. ({0}) Im Zentrum unserer Kritik stehen die Instrumente, mit denen die Regierungsvereinbarungen - im übrigen von der Bundesregierung schlampig verhandelt - durchgesetzt werden sollen. Das gilt vor allem für die Werksvertragsregelungen, die zu massiver mißbräuchlicher Ausnutzung der Regierungsvereinbarungen geführt haben. Dazu nur einige Beispiele: Es bestehen begründete Zweifel, ob viele ost- und mitteleuropäische Firmen auf Grund ihrer materiellen und personellen Ausstattung überhaupt in der Lage sind, Werkverträge eigenständig zu erfüllen. In Wirklichkeit handelt es sich häufig um schlichte Leiharbeit. Der dem Werkvertragsarbeitnehmer ausgezahlte Lohn beträgt häufig etwa 5 DM die Stunde - in manchen Fällen weniger - und ist damit weitaus niedriger als zugesichert. Im Gegenzug werden deutsche Arbeitnehmer aus regulären Arbeitsverhältnissen entlassen. Deutsche Hintermänner gründen in osteuropäischen Staaten Briefkastenfirmen, um mit diesen Firmen risikolos hohe Gewinne zu erzielen. Es wird häufig gegen die Arbeitszeitordnung und die Unfallverhütungsvorschriften verstoßen. Eine wirksame Überwachung der Abwicklung der Regierungsvereinbarungen durch die Bundesanstalt für Arbeit ist nicht möglich. Diese Situation wird durch die sprunghafte Zunahme illegaler Beschäftigungsverhältnisse noch erheblich verschärft. Die Industriegewerkschaft Bau - Steine - Erden schätzt, daß allein im Baubereich mittlerweile auf jeden legal beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer zumindest ein illegal beschäftigter kommt. Meine Damen und Herren, diese Zustände, die inzwischen keine Einzelprobleme mehr sind, sondern zu einem Massenphänomen ausgewuchert sind, lassen sich auf eine einfache Formel bringen: Die Unkenntnis und Hilflosigkeit vieler ausländischer Arbeitnehmer wird schamlos ausgenutzt; sie werden auf der Basis von Niedrigstlöhnen ausgebeutet. Deutsche Arbeitnehmer wiederum verlieren ihre Arbeitsplätze, weil ihre Arbeitskraft mit den Dumpinglöhnen nicht mehr konkurrieren kann. Hier entsteht - und das ist das, was besonders zu bedauern ist - eine neue, eigenständige Quelle von Ausländerfeindlichkeit, weil es z. B. einem deutschen Bauarbeitnehmer nicht mehr beigebracht werden kann, daß er seinen Arbeitsplatz verliert, weil eine ausländische Arbeitskraft diesen Arbeitsplatz für 3 DM die Stunde besetzt. Das ist nicht mehr begreifbar zu machen. ({1}) Insoweit ist dringende Abhilfe auf diesem Feld der Politik allein schon aus diesem Grunde - es gibt viele andere Gründe - geboten. Die SPD-Fraktion schlägt vor, die entsprechenden Regierungsvereinbarungen mit den mittel- und osteuropäischen Staaten dahin gehend zu ändern, daß Fachkräfte aus diesen Ländern über die Erteilung einer individuellen Arbeitserlaubnis vorübergehend ein Beschäftigungsverhältnis bei Firmen in der Bundesrepublik eingehen können; das entspricht dem sogenannten Gastarbeitnehmerstatus. Entscheidend für uns ist, meine Damen und Herren, daß die Ursachen der gegenwärtigen Mißbräuche so schnell wie möglich beseitigt werden. Die Bundesregierung weiß seit längerem von dieser Entwicklung. Bis zur Stunde ist so gut wie nichts geschehen. Sie hat diese Entwicklung - wie viele andere auch - schlicht und einfach verschlafen. Wir werden - ich kündige Ihnen das hier in aller Freundlichkeit an, meine Damen und Herren von den Noch-Regierungsfraktionen ({2}) in allernächster Zeit, vor allem mit Blick auf weitere Gestaltungsmöglichkeiten, die baldige Durchführung einer Anhörung von Sachverständigen im Ausschuß für Arbeit und Soziales beantragen. ({3}) Oftmar Schreiner - Sie sagen, Sie haben nichts dagegen. Nun, Sie könnten diese Anhörung vermeiden. Wenn Sie Ihre schlechte Politik rechtzeitig korrigieren würden, könnten Sie uns allen sehr viel Arbeit und den Menschen draußen im Lande sehr viel Ärger ersparen. ({4}) Wir bieten den Koalitionsfraktionen auf diesem hochsensiblen Feld ausdrücklich unsere Bereitschaft zur Zusammenarbeit an. Es ist schon genug Porzellan zerbrochen worden, vor allem innenpolitisch. Wir möchten verhindern, daß außenpolitischer Schaden hinzutritt. Wir haben übrigens von seiten der sozialdemokratischen Fraktion in der vergangenen Woche etliche Gespräche mit der besonders betroffenen polnischen Seite geführt. Ich war - zuletzt noch am gestrigen Abend - Gast in der polnischen Botschaft. - Ich möchte, übrigens ganz am Rande, daran erinnern, um jedes Mißverständnis auszuschließen, daß vor einiger Zeit auf meine Anregung hin eine Vereinbarung getroffen worden ist, wonach sich der deutsche und der polnische Parlamentsausschuß für Arbeit und Soziales regelmäßig jedes Jahr zu einem Meinungsaustausch treffen. - Unser Verhältnis zu Polen ist immer noch schwierig genug. Wir wollen helfen und nicht ausbeuten. Wir wollen aber auch unsere eigene Bevölkerung nicht überfordern. ({5}) Wer in Deutschland für bitter notwendige Solidarität mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa wirbt, der darf mit seiner Politik nicht gleichzeitig neue Ursachen für Ausländerfeindlichkeit in Deutschland hervorrufen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen HansJoachim Fuchtel das Wort.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte bei dieser Beratung ebenfalls für differenzierte Betrachtungen werben. Ich bedanke mich bei dem Kollegen Schreiner, daß er bei diesem Thema in größtmöglicher Übereinstimmung zu Verbesserungen kommen will. Bei den Werkverträgen mit osteuropäischen Staaten - darüber möchte ich vor allem sprechen - ist unser Problem, daß eine eigentlich vernünftige Sache mißbraucht wird; darüber sind wir uns einig. Wir sind uns wahrscheinlich weitgehend auch darüber einig, daß man in Deutschland auf keinen Fall dulden kann, daß mehr und mehr illegale Beschäftigung entsteht, aus Gründen, die der Kollege Schreiner vorhin genannt hat, aber auch aus anderen Gründen. ({0}) Dies schadet dem sozialen Frieden, dies schadet auch der inneren Sicherheit, und dies schadet nicht zuletzt der Rechtskultur. Auch das sollte hier einmal gesagt werden. ({1}) Genauso, wie wir die Schwarzarbeit im Lande bekämpfen, müssen wir illegale Beschäftigungsverhältnisse, die von außen in unser Land kommen, mit Entschiedenheit bekämpfen. Mißbrauch darf in Deutschland kein immer beliebter werdendes Brauchtum werden. ({2}) Die radikalste Form einer Lösung wäre sicherlich die Kündigung sämtlicher Werkvertragsabkommen. Damit würde aber die Chance vertan, osteuropäischen Firmen und Arbeitnehmern beim Aufbau von marktwirtschaftlich üblichem Know-how zu helfen und gewisse Deviseneinnahmen zu erwirtschaften. Niemand hier im Raum wird bezweifeln, wie dringend dies nach wie vor ist. Über die Werkverträge werden Hilfen - dies ist vielleicht auch der Erwähnung wert - ohne den Griff in die Steuerkasse gegeben. Werkverträge bedeuten allerdings im praktischen Fall oft Wettbewerbsbeeinträchtigungen, auch dann, wenn sie legal abgewickelt werden. Dies ist und war jedem bekannt. An die Adresse der Tarifpartner möchte ich aus begründetem Anlaß sagen, daß diese Konzeption sowohl von Arbeitgeber- als auch von Gewerkschaftsseite im gemeinsamen Arbeitskreis „Ausländische Arbeitnehmer" mitgetragen wurde. Während bei einer Hochkonjunktur solchen Wettbewerbsbeeinträchtigungen - zur Klarstellung: Die Zahl der eigentlichen Werkvertragsarbeitnehmer liegt unter 1 % - weniger Gewicht zugemessen wird, ist das bei schwächerer Konjunktur natürlich anders. Deswegen muß die Arbeitnehmerzahl, die vereinbart wurde, in einer solchen Situation unbedingt eingehalten werden; zudem muß auch der Mechanismus zur Begrenzung, der in den einzelnen Abkommen vorgesehen ist, in Gang gesetzt werden. Wie schwierig das alles ist, zeigt der Bereich des Wohnungsbaus. Auf der einen Seite steht die Forderung nach dringenden Maßnahmen gegen die Wohnungsnot. Auf der anderen Seite sollen Kapazitäten auf diesem Sektor des Arbeitsmarktes heruntergefahren werden. Das ist beim Zusammenführen dieser beiden Forderungen vor Ort manchmal ganz schön problematisch. Ich selber habe das am eigenen Leib verspürt. Ich wollte in diesem Jahr eine Garage bauen. Auf den Maurer habe ich vier Monate, auf den Zimmermann zwei Monate gewartet. Der Gips soll eventuell noch Ende des Jahres kommen. ({3}) Auch solche Situationen gibt es noch. Wir müssen darauf hinweisen, daß es nach wie vor gerade auf dem Bausektor mancherorts Kapazitätsengpässe gibt. Deswegen wäre eine Kündigung aller Abkommen oder eine gewaltige Reduzierung wohl nicht der richtige Weg. Schließlich gibt man - Sie, Herr Kollege Andres, nannten gerade das Stichwort „Führerschein" - auch Führerscheine aus, obwohl man weiß, daß manche Autofahrer nach der Erteilung Unfälle verursachen. Meine Damen und Herren, in den Beratungsvorlagen wird vorgeschlagen, die Begrenzung der Zahlen sicherzustellen. Damit hat sich die Regierung bereits befaßt, bevor Sie den Antrag eingebracht haben. Von anderen Vorschlägen, die Sie gemacht haben, halte ich weniger, z. B. davon, daß Sie hier die Ausweitung der Gastarbeitnehmerabkommen als generelle Alternative zur Sprache bringen. Nach meiner Meinung müssen wir in diesem Zusammenhang folgendes unterscheiden: Auf der einen Seite gibt es Werkverträge. Die richten sich an Firmen, in denen Leute bereits in Arbeit sind. Den Firmen soll mehr Know-how vermittelt, die Mitarbeiter sollen entsprechend trainiert werden, damit sie im eigenen Land an größere Projekte herangehen können. Auf der anderen Seite haben wir Gastarbeitnehmerabkommen, mit denen wir in allererster Linie Arbeitslose erreichen. Dabei weise ich darauf hin, daß dies doch eine andere Zielgruppe ist. Gerade für diesen Sektor ist das Instrument der Gastarbeitnehmerabkommen geschaffen worden. Hier arbeiten wir mit einer Reihe von Ländern in spezifischer Weise zusammen. Gastarbeitnehmer kommen im Rahmen des Abkommens als Individualarbeitnehmer mit allen Dingen, die berücksichtigt werden müssen, in Berührung. Dabei denke ich an die administrativen Abwicklungen, die ganz sicher noch umfangreicher und mit Sicherheit nicht einfacher werden. Wir sehen bereits, daß es gar nicht so einfach ist, diese Abkommen in die Praxis umzusetzen. Es ist schwierig, dafür zu sorgen, daß keine individuellen Probleme bei den jeweiligen Arbeitsverhältnissen entstehen. Weiter werden in Ihrer Vorlage mehr Kompetenzen für die Arbeitsämter bei der Ermittlung gefordert. Meine Antwort darauf ist ganz klar: Ich bin dafür, daß mehr ermittelt wird. Ich bin aber dagegen, daß die Arbeitsämter eine weiterreichende Kompetenz bekommen sollen. Für mich ist die Bundesanstalt für Arbeit heute schon eine riesige Mammutbehörde. Wir überlegen uns ständig, wie wir das Institutionswesen begrenzen und effektiv halten können. Deswegen ist unsere Meinung: Die Mitarbeiter des Arbeitsamts sollen rausgehen und nach dem rechten schauen. Es muß sichtbar sein, daß kontrolliert wird. Aber sie sollen nicht hinter den Schreibtischen verschwinden und endlos Bußgeldbescheide formulieren. Für diese Aufgabe haben wir andere Institutionen, z. B. die Staatsanwaltschaft, die dann eingeschaltet werden muß. Sie haben eine weitere Forderung aufgestellt, die nach Schaffung von mehr Stellen. Das klingt in diesem Zusammenhang natürlich sehr gut. Aber ich möchte darum bitten, daß Sie uns nicht ganz so sehr schelten, wenn wir im Bundeshaushalt bei Stellen sparen wollen und insoweit Ihren Anliegen, die sie generell äußern, nicht nachkommen. Wir können nicht auf der einen Seite überall mehr Stellen schaffen und auf der anderen Seite mehr sparen. Gerade an dem Punkt müssen wir, wenn Sie von Zusammenarbeit sprechen, diese auch verwirklichen. Meine Damen und Herren, auf die weiteren Punkte, die Sie vorschlagen, wird mein Kollege Schemken eingehen. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, daß die Bundesregierung schon eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet hat, bevor die Opposition aktiv wurde. Das Kabinett hat bereits vor der Sommerpause die AFG-Novelle beschlossen. Wenn Sie im Vermittlungsausschuß diese AFG-Novelle nicht blockieren, dann kann man zum 1. Januar 1993 bereits weitere Aktivitäten in die Wege leiten, und zwar auch auf diesem Gebiet. Es ist vorgesehen, daß man ein erleichtertes Betriebsprüfungsrecht einführt; d. h. Prüfung ohne Anfangsverdacht. Das ist eine ganz wichtige Angelegenheit. Des weiteren soll es zu der Verpflichtung der ausländischen Werkvertragsfirmen kommen, sämtliche Unterlagen zur Einsicht und zur Prüfung bereitzuhalten. Denkbar ist auch, keine Genehmigung zu erteilen. Es sind -bereits Genehmigungsstopps für neue Werkverträge in den Fällen ausgesprochen worden, in denen die Kontingente überzogen wurden. Man hat vor allem bei den polnischen Werkvertrags-firmen eine Reduzierung der Zahl vorgenommen. Man hat hier sehr starke Einschränkungen vorgegeben; z. B. die, daß diese Firmen künftig bereits zwei Jahre vorher in Polen in diesem Wirtschaftszweig tätig sein müssen. So soll die Möglichkeit, Briefkastenfirmen zu gründen, endlich verbaut werden. Man wird auch Garantien, z. B. Wechselgarantien, verlangen. Man wird dafür sorgen, daß diese Firmen von den polnischen Fachbehörden bewertet werden, bevor sie bei uns eine Chance bekommen. Es wird daran gearbeitet, die administrativen Abwicklungen zu verbessern. Es soll zu einer Konzentration auf fünf Landesarbeitsämter kommen. Dadurch soll die Überschaubarkeit gesichert werden. Die Behörden müssen wissen, was im einzelnen getan wird. Es sollen keine Genehmigungen von Werkverträgen in Arbeitsamtsbezirken mit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit sowie bei Kurzarbeit im Betrieb des deutschen Werkvertragspartners mehr erteilt werden. Es sind also sehr viele Dinge vorgesehen. Wenn wir das alles verwirklichen, dann sind wir sicher auch auf diesem Gebiet erfolgreich. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, jetzt hat unser Kollege Paul Friedhoff das Wort.

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Zentrum dieser Debatte stehen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, der Einsatz von Arbeitnehmern auf der Grundlage von Werkverträgen sowie die Bekämpfung der illegalen Beschäftigung von Ausländern. Gestern wurden die neuesten Zahlen des Arbeitsmarktes veröffentlicht. Sie sind alarmierend - vor allem für die alten Bundesländer. Es muß deshalb unser Bestreben sein, mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt zu ermöglichen. ({0}) Leiharbeit bringt mehr Flexibilität und sollte deshalb von uns konstruktiv bewertet werden. Wir sollten uns mit diesem Instrument ohne Ideologie, sondern konstruktiv auseinandersetzen. Aus dem Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz geht hervor, daß die Leiharbeit in den alten Bundesländern 1991 einen neuen Höchststand erreicht hat. Nahezu 134 000 Arbeitnehmer waren in fast 5 000 Verleihunternehmen beschäftigt. Die Gründe für die Zunahme von Leiharbeitsverträgen sind offensichtlich. Leiharbeitsverhältnisse ermöglichen es den Unternehmen, kurzfristig auftretenden Personalbedarf zu decken. Sie sind somit ein Instrument einer flexiblen Personalwirtschaft. Bevor Unternehmer einen neuen Arbeitsplatz auf Dauer schaffen, greifen sie oft zunächst auf Leiharbeitnehmer zurück. Diese Flexibilität des Leiharbeitverhältnisses liegt auch im Interesse der Arbeitnehmer; denn so tritt an die Stelle von befristeten Arbeitsverhältnissen bei verschiedenen Arbeitgebern ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bei einem Verleihunternehmer. ({1}) Durch die häufig wechselnden Arbeitsplätze in den verschiedenen Branchen und Unternehmen lernen die Arbeitnehmer immer neue Arbeitsverfahren und -abläufe kennen. Dies erhöht auch die berufliche Qualifikation der Leiharbeiter. Für den Leiharbeitnehmer besteht darüber hinaus der Vorteil, daß er neue potentielle Arbeitgeber kennenlernt. Rund 30 % der Arbeitnehmer erhalten nach Angaben des Bundesverbandes Zeitarbeit nach kurzer Zeit einen Stammarbeitsplatz. Diese Fakten sind beeindruckend und zeigen, daß dies ein wichtiges Element ist, das es zu nutzen gilt. Dieses Instrument sollte nach unserer Ansicht deshalb auch nicht abgebaut, sondern eher weiter ausgebaut werden. ({2}) So könnte man sich durchaus vorstellen, die Leiharbeitszeit, die möglicherweise im Zusammenhang mit irgendwelchen Projekten steht, von sechs auf zwölf Monate zu verlängern. Wir sollten bei den weiteren Beratungen diskutieren, inwieweit das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz im Interesse der Wirtschaft, d. h. im Interesse von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, noch flexibler ausgestaltet werden kann. Falsch ist, daß Arbeitnehmerüberlassung zu Lohndumping führt. Entsprechende Gesetzentwürfe oder Anträge, die darauf abzielen, Leiharbeitnehmer nach den Bedingungen der Einsatzbetriebe zu behandeln, passen nicht in eine arbeitsteilige Wirtschaft. Sie stellen außerdem einen Eingriff in die Tarifautonomie dar. Insbesondere für die Unternehmen in den neuen Bundesländern würde eine Einschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs sicher negative Folgen haben. Meine Damen und Herren, der Antrag der SPD stellt auf den Mißbrauch bei der Beschäftigung von Ausländern ab. Um es von vornherein klarzustellen: Gegen illegale Beschäftigungsverhältnisse muß noch stärker als in der Vergangenheit konsequent vorgegangen werden. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Debatte über das Verhältnis zwischen deutschen und ausländischen Mitbürgern ist bei der Behandlung dieses Themas sicher ein gehöriges Maß an Sensibilität erforderlich. ({3}) Um den Migrationsdruck aus den mittel- und osteuropäischen Ländern zu lindern und den im Umbruch begriffenen Staaten beim Aufbau marktwirtschaftlicher Strukturen zu helfen, hat die Bundesregierung mit diesen Staaten Regierungsvereinbarungen über die Beschäftigung von Werkvertragsarbeitnehmern geschlossen. Mit diesen Staaten wurde auch eine Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von unerlaubter Einschleusung von Personen vereinbart. Zu einer offenen, arbeitsteiligen Volkswirtschaft gehört die Dienstleistungsfreiheit und damit auch die Einbringung von Leistungen über Werkverträge durch ausländische Unternehmen. Es gibt aus der Sicht der F.D.P. aber auch berechtigte Kritik, die sich vor allem auf polnische Firmen bezieht. Besonders im Baubereich gefährden gesetzeswidrige Praktiken Arbeitsplätze in deutschen Unternehmen. Außerdem sind die mit Polen vereinbarten Kontingente erheblich überschritten. Deshalb hat der Arbeitsminister einen vorläufigen Genehmigungsstopp ausgesprochen. Ich habe schon betont, daß wir illegale Beschäftigung und kriminelle Schlepperorganisationen verstärkt bekämpfen müssen. Die Bundesregierung hat dazu weitere Maßnahmen eingeleitet. Verstärkt werden muß die Zusammenarbeit zwischen den an der Bekämpfung illegaler Beschäftigung beteiligten Behörden. Erfolgreiche Schritte stellten die Einführung der Meldepflicht für geringfügig Beschäftigte und die Erweiterung des Datenaustausches dar. Für die Zukunft gilt es, auch in diesem Bereich die Kooperation mit unseren ausländischen Partnern zu intensivieren. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend zum Unfallverhütungsbericht 1990, der heute hier mitberaten wird, Stellung nehmen. 1990 sind in den alten Bundesländern 1,86 Millionen Berufsunfälle angezeigt worden. Mit 4,8 % ist dieser Anstieg von 1989 bis 1990 fast doppelt so hoch wie der Anstieg der Erwerbstätigkeit mit 2,5 %. Wir sollten die Ergebnisse des Unfallverhütungsberichtes in unsere Diskussion über das vom Bundesarbeitsminister geplante Arbeitsschutzrahmengesetz einfließen lassen. Mit Leitlinien und Verordnungen aus Bonn allein ist es jedoch nicht getan. Mein Appell geht von dieser Stelle aus an die Verantwortlichen in den Unternehmen, auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite durch laufende Verbesserung beim Arbeits9948 Schutz vor Ort alles daran zu setzen, daß die Zahl der Betriebsunfälle weiter zurückgehen kann. Ich danke Ihnen. ({4})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Als nächster hat das Wort der Kollege Manfred Reimann.

Manfred Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen! Meine Kollegen! Die ursprüngliche Intention der Bundesregierung, mit den Staaten Osteuropas Regierungsvereinbarungen zu schließen, war gar nicht so verkehrt. Das Werkvertragsabkommen sollte einerseits dazu dienen, hiesigen Facharbeitermangel zu überbrücken, andererseits aber auch dazu, die vorübergehend hier beschäftigten Arbeitnehmer für die Arbeit in ihrem Heimatland besser zu qualifizieren. Es geht dabei ebenso um die Unterstützung des Reformprozesses in Osteuropa wie darum, den Wanderungsdruck aus diesen Ländern nach Deutschland zu mildern; denn nur mit einer Verbesserung der Lebensqualität in den Herkunftsländern ist dieses Ziel nicht als utopisch zu bezeichnen. Zugleich könnten die osteuropäischen Firmen mit der im Westen erworbenen marktwirtschaftlichen und verbesserten beruflichen Erfahrung gezielte Investitionen in ihren Heimatländern tätigen. Ganz nebenbei würden sie damit zur demokratischen und marktwirtschaftlichen Entwicklung ihres Landes erheblich beitragen. So weit, so gut der politische Ansatz. Aber bei der Abfassung der Verträge wurden erhebliche Fehler gemacht und riesige Lücken gelassen, welche ohne Verzögerung von den Unternehmen - östlich wie westlich - ausgenutzt wurden und - wenn keine Abhilfe geschaffen wird - weiterhin ausgenutzt werden. Ein wesentlicher Punkt dabei ist, daß auf Grund fehlender gesetzgeberischer Zuordnung weder die Arbeitsämter noch die Gewerbeaufsichtsämter eine ausreichende Kontrollmöglichkeit haben. Der Mißbrauch ist vielfältiger und kaum überschaubarer Art. Es wird nicht nur die vereinbarte Anzahl von Werkvertragsarbeitnehmern bei weitem überschritten. Es fehlt auch an Kontrollmöglichkeiten, wieviel Arbeitnehmer, deren offizielle Genehmigung abgelaufen ist, danach illegal weiterbeschäftigt werden oder wie viele täglich als Grenzgänger ihren dann illegalen Arbeitsplatz aufsuchen. Viele kleine Unternehmen in Osteuropa haben oft nicht die Qualifikation, ein unterzeichnetes Werkvertragsabkommen tatsächlich eigenständig durchzuführen, weder hinsichtlich ihrer materiellen noch ihrer personellen Basis. Also sieht die Praxis so aus, daß deutschen Unternehmen lediglich das gewünschte Personal zahlenmäßig zur Verfügung gestellt wird. Das ist schlicht und einfach mit dem Begriff der Leiharbeit zu bezeichnen, anders ausgedrückt: unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung. Dies wird dann - nach unseren Maßstäben - auch noch miserabel bezahlt. Man muß sich einmal vorstellen, daß solche Arbeitnehmer schon für 5 DM Stundenlohn arbeiten. Sicher fühlen sie sich damit reich; denn dieser Betrag liegt erheblich über dem, was sie in ihrem Heimatland verdienen können. Es kommt hinzu, daß diese Arbeitskräfte - das hat Herr Kollege Schreiner bereits gesagt - oft miserablen Beschäftigungsbedingungen ausgeliefert sind. Lange Arbeitszeiten, gesundheitsschädigende Arbeitsbedingungen und unzulängliche Unterbringung sind keine Seltenheit -: spart das den Unternehmern doch alles Kosten. Wie heißt es so schön im GATT-Abkommen: „Menschen dürfen nicht weniger schutzwürdig sein als Waren. " Dies alles führt dazu, daß die Werkvertragsarbeitnehmer zu Arbeitskräften zweiter Klasse degradiert werden. Es entsteht ein immenses Ungleichgewicht, und der darin enthaltene soziale Sprengstoff läßt Schlimmes für die Zukunft befürchten. Der Konkurrenzkampf zwischen deutschen Firmen einerseits und mittel- und osteuropäischen Firmen andererseits - dann auch noch jeweils untereinander - wird immer härter. Auf Grund des ständig zunehmenden Einsatzes von Werkvertragsarbeitnehmern verzerren sich die Wettbewerbsbedingungen enorm. Festangestellte deutsche Arbeitnehmer werden angesichts der billig eingekauften Konkurrenz in Kurzarbeit geschickt oder ganz entlassen. Ich möchte an dieser Stelle ein Kündigungsschreiben zitieren, Frau Präsidentin, das für die heutigen Zustände wohl schon als symptomatisch gelten kann: Sehr geehrter Herr W.! Wie mit Ihnen bereits persönlich besprochen, gehen unsere laufenden Arbeiten ihrem Ende entgegen. Neue Aufträge können wir auf Grund der unverständlichen Wirtschaftspolitik unserer Regierung kaum noch verbuchen. In Scharen kommen Arbeiter aus dem Osten und arbeiten für 5 bis 7 DM pro Stunde. Das bedeutet, daß deren Arbeitgeber in der Lage sind, unsere Arbeiten auszuführen für 20 bis 25 DM/Std. Wir dagegen sind durch die hohen Steuern und Sozialabgaben gezwungen, für 50 bis 55 DM/Std. zu rechnen. Falls nicht in kürzester Zeit dagegen etwas unternommen wird, wird es in drei Jahren deutsche Bauarbeiter kaum noch geben. Aus diesem traurigen Anlaß kündigen wir Ihnen wegen Arbeitsmangel fristgerecht zum 30. 9. 1992. Wir danken Ihnen für Ihre langjährige Mitarbeit und verbleiben mit freundlichen Grüßen ({0}) Daß damit Unruhe erzeugt wird, die sich dann in undifferenzierten ausländerfeindlichen Aktionen Luft verschafft, ist leider eine unausweichliche Folge dieser Praxis. Hier machen sich alle Verursacher mitschuldig. ({1})) Was tut die Bundesregierung gegen all diese Auswüchse? - Nichts. Bestehende Gesetze werden nicht geändert. Die im Arbeitsförderungsgesetz vorgesehenen Änderungen reichen bei weitem nicht aus, die Mißstände in den Griff zu bekommen. Die Zahl der öffentlichen Ermittlungsverfahren wegen Verdachts auf unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung steigt von Jahr zu Jahr und bleibt trotzdem immer nur die Spitze des Eisbergs. Rückgänge sind seit Beginn der Berichterstattung durch die Bundesregierung bedauerlicherweise noch nie zu verzeichnen gewesen. Auch der hochgelobte Sozialversicherungsausweis, der vom Blüm-Ministerium als Zauberwaffe schmackhaft gemacht wurde - wir hatten damals davor gewarnt - birgt keine Hilfe. ({2}) Fazit: Die Regierung hat bisher in der Schaffung brauchbarer Instrumente gegen den Mißbrauch der Arbeitnehmerüberlassungsgesetze kläglich versagt. ({3}) Deshalb hat die SPD den vorliegenden Antrag eingebracht, um den die heutige Debatte geführt wird. Lassen Sie mich einige weitere Punkte zur Sprache bringen. Erstens. Die bestehenden Werkvertragsabkommen müssen hinsichtlich der Kontingentvereinbarungen und Arbeitsbedingungen schnellstmöglich gründlich geprüft werden. Kollege Fuchtel, das haben auch Sie angeführt. Zweitens. Die neuen Vereinbarungen müssen Schwerpunkte haben. Vier mögliche Schwerpunkte möchte ich in Anbetracht meiner kurzen Redezeit nur nennen. Erstens. Keine neuerliche Genehmigung von Werkvertragskontingenten ohne Berücksichtigung des lokalen Arbeitsmarktes bzw. Zurückfahren von bereits bestehenden Kontingentvereinbarungen. ({4}) Zweitens. Nachkontrolle der einmal genehmigten Werkvertragskontingente auf örtlicher - die Betonung liegt auf „örtlicher" - Arbeitsamtsebene durch Abgleichung der Genehmigungspapiere mit den vor Ort vorgefundenen tatsächlichen Gegebenheiten der Beschäftigungs- und Entlohnungspraxis ausländischer Werkvertragsarbeiter. Drittens. Die auch von Seiten der Arbeitsämter gesehene personelle Unterbesetzung der Arbeitsamtsstellen zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung muß endlich behoben werden. ({5}) Viertens. Der Einsatz der osteuropäischen Werkvertragsfirmen darf nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Darum müssen gleiche Löhne und gleiche Arbeitsbedingungen für alle Bauarbeitnehmer, unabhängig von ihrer Nationalität und Sprache, gelten. Konkret wäre eine Beteiligung der Betriebsräte beim Einsatz von Werkvertragsarbeitnehmern von Anfang an - was aber eine Änderung der Vertragsvoraussetzungen bedeuten würde - besser. Aber schon mit einer grundlegenden Änderung wäre die Voraussetzung erfüllt: die Forderung nach gleichen Löhnen und gleichen Arbeitsbedingungen ohne Ansehen von Sprache und Nationalität zu unterstützen. Es ist Unsinn, wenn ein Landesarbeitsamt für alle Länder indirekt eine Entscheidung trifft. Denn das kann in der Praxis dazu führen, daß das Landesarbeitsamt eines Bundeslandes Werkvertragsarbeitnehmer zuläßt, die dann in ein anderes Bundesland geschickt werden, nur weil gerade dort eine ungarische Firma einen Subunternehmervertrag erhalten hat. Wie soll denn eine vernünftige Kontrolle stattfinden, wenn nicht einsatzortbezogene Überprüfungen durch die jeweiligen Landesarbeitsämter erfolgen? Ohne Kontrollen vor Ort geht es nicht. ({6}) Wenn legale Beschäftigung von Werkvertragsarbeitnehmern gesichert werden soll, muß die illegale Beschäftigung wirksam unterbunden werden. ({7}) Ich schließe mit einem Satz meines Kollegen Büttner, der diesen Antrag im wesentlichen ausgearbeitet hat und der wegen Krankheit heute nicht zu diesem Thema sprechen kann. Er sagt: Der Deutsche Bundestag kann nicht tatenlos zusehen, wie die Bundesregierung durch ihr lasches Vorgehen zur größten Schlepperorganisation wird. Was nützt eine Änderung des Grundgesetzes beim Asylrecht, wenn die Bundesregierung durch internationale Verträge eine ungesteuerte Zuwanderung fördert und damit den sozialen Frieden in unserem Lande stört? Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({8})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat der Kollege Heinz Schemken das Wort.

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Reimann, ich habe mir, nachdem Sie die Bundesregierung sosehr ins Gebet genommen haben, noch schnell einmal eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Hand genommen, aus deren Schlußfolgerung ich hier drei Feststellungen zur Kenntnis geben möchte. Es handelt sich um die Studie „Auswanderung aus Polen". Dort heißt es unter 1.: Die demographische Entwicklung Polens schafft ein beachtliches Arbeitskräftepotential bei rückgängigem Arbeitskräftepotential in den Westländern. Dies ist statistisch belegt. In einem weiteren Absatz der Schlußfolgerung heißt es: Polen hat den Prozeß einer tiefgreifenden ökonomischen und sozialen Umgestaltung eingeleitet. Aber eben erst eingeleitet. Entscheidend ist dann der dritte Absatz: Die Öffnung Polens gegenüber der Welt, die Liberalisierung der Ausreisebestimmungen und das neue Paßgesetz machen es möglich, daß diese Wanderung beschleunigt wird. Darauf müssen wir uns einstellen. Es ist sicherlich festzustellen, daß wir im Bereich der illegalen Ausländerbeschäftigung einen beschleunigten Prozeß haben, der durch die dortige Arbeitsmarktsituation, wie ich sie auf Grund dieser Studie schon schilderte, die Währungs- und vor allem die Lohngefälle zu den Ostländern, durch die Liberalisierung und durch die Öffnung der Grenzen hervorgerufen worden ist. Wir brauchen deshalb die Straffung der Genehmigungsverfahren. Wir brauchen darüber hinaus eine Verbesserung der Kontrollmöglichkeiten. Wir brauchen die Verteuerung der Beschäftigung - eindeutig -, um die Waffengleichheit mit den deutschen Anbietern insbesondere im Baubereich herzustellen. Das wurde auch soeben schon auf einem anderen Hintergrund deutlich. Weiter brauchen wir eine Verschärfung der Sanktionsregelungen in den Vereinbarungen, weil z. B. der vereinbarte Lohn, wenn er nicht gezahlt wird, möglicherweise eingeklagt wird. Nun hat sich die Zahl der Leiharbeiter von 1988 auf 1991 fast verdoppelt auf über 140 000. Bei den illegal Beschäftigten erhöhte sich die Zahl von 1988 auf 1991 von mehr als 23 000 auf über 36 000, während sie in den 80er Jahren zurückgegangen war. Diese Zunahme geht im wesentlichen auf die Öffnung der Grenzen zu Polen und der Tschechoslowakei zurück. Die Zulassungsmöglichkeiten ausländischer Saisonarbeiter, insbesondere bei den Grenzgängern, vor allem aus Polen und aus der CSFR, haben mit zu der Zunahme auch der Zahl der legal Beschäftigten geführt. Die Illegalität ist dadurch etwas zurückgedrängt worden. Es ist aber darauf hinzuweisen, daß die Praktiken illegaler Beschäftigung nicht dazu führen dürfen, legale Arbeitnehmerüberlassungen zu diskriminieren. Das sage ich ganz deutlich. Denn wir haben uns von Vertretern des Sejm und der Arbeitsverwaltung bei unseren Besuchen in Warschau eindrucksvoll darlegen lassen, daß hier ein grauer Markt entsteht, der fast an Ausbeutung heranreicht, mindestens aber Wettbewerbsverzerrungen herbeiführt. Gerade wer die Reinkultur der Marktwirtschaft will, kann auch diese Wettbewerbsverzerrungen nicht wollen. Das sind zwei Argumente, die eindeutig gegen eine solche Entwicklung sprechen. Die legalen Verleiher unterstehen einer wiederkehrenden Prüfung durch die Bundesanstalt für Arbeit. Hier hat sich einiges verbessert. Man kann nicht sagen, daß hier Untätigkeit festzustellen ist. Sie erfüllen im übrigen auch die sozialrechtlichen Pflichten genauso wie andere Arbeitgeber. Zur Deckung des kurzfristigen Arbeitskräftebedarfs zur Erledigung befristeter Aufgaben kann sicher auch in Zukunft auf diesen Weg der Beschäftigung nicht verzichtet werden. Auch dies sollten wir ausdrücklich feststellen. Die Bekämpfung der illegalen Beschäftigung in ihren vielfältigen Erscheinungsformen muß intensiviert werden. Wir begrüßen deshalb die Maßnahmen der Bundesregierung, die wir in ihren Bemühungen zur Eindämmung der illegalen Beschäftigung unterstützen. Zum Unfallbericht ist festzustellen, daß wir aus den Zahlen erfreulicherweise herauslesen können, daß wir in den alten Bundesländern, was die schweren Berufsunfälle, insbesondere mit tödlichem Ausgang, angeht, einen deutlichen Rückgang verzeichnen können. Für die jungen Bundesländer liegt eine entsprechende vergleichbare Statistik im Moment noch nicht vor. Bei den Berufskrankheiten ist es ähnlich. Auch hier ist ein Rückgang festzustellen. Aber der Umgang mit chemischen und anderen gefährlichen Stoffen bereitet immer noch große Sorge. Immerhin liegen Todesfälle infolge von Umgang mit chemischen Stoffen, insbesondere mit Asbest, mit 60 % an der Spitze. Die Frage der Wegeunfälle ist nicht zu unterschätzen. Ich sage das deshalb, weil in der Unfallstatistik auch die schweren Wegeunfälle und die Unfälle auf dem Schulweg erfaßt sind. Ich bin der Meinung, bei 970 000 Unfällen von Kindern, Schülern und Studenten muß uns dieser Unfallbericht mehr als nachdenklich machen. Bei 71 tödlichen Unfällen auf dem Schulweg können wir von hieraus nur die örtlichen Einrichtungen auffordern, sich noch mehr der Verkehrserziehung zuzuwenden. Denn immerhin sind in den 970 000 auch die schweren Unfälle enthalten, und ein schwerer Unfall führt oft zu einer lebenslangen Behinderung. Ich bin deshalb der Meinung, auch diesem Unfallbericht gilt es in dieser Debatte Aufmerksamkeit zu schenken. Ich darf mich herzlich bedanken. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat Herr Staatssekretär Horst Günther das Wort.

Horst Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000749

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Werkverträge sind ein Instrument der Partnerschaft mit unseren Nachbarländern in Mittel- und Osteuropa. Sie sind auch ein Instrument praktischer Entwicklungspolitik. Aber - darin sind wir uns sicher einig - sie verkehren sich natürlich ins Gegenteil, wenn sie zu einem innenpolitischen Sprengsatz werden. In Gegenden mit hoher Arbeitslosigkeit lösen Werkverträge Konflikte aus, obwohl sie eigentlich Befriedung schaffen sollten. Am 1. Oktober 1992 bestand für 77 637 Personen die vertragliche Grundlage, als Werkvertragsarbeitnehmer bei uns zu arbeiten. Davon können 59 514 Personen im Baugewerbe beschäftigt werden. Der Rückgang der Kontingentzahlen zum 1. Oktober 1992 um 11 793 ist darauf zurückzuführen, daß wir die Neuzugänge für tschechische und polnische Werkvertragsarbeitnehmer gestoppt haben, weil von beiden Ländern die Kontingentzahlen überzogen wurden. ({0}) Zudem haben wir die Kontingentzahlen um 5 000 Beschäftigte reduziert. Damit wurde im Rahmen der Anpassungsklauseln die Arbeitsmarktentwicklung in Deutschland berücksichtigt. Dennoch gibt es nach wie vor Fehlentwicklungen und Mißbrauch. Das kann man überhaupt nicht bestreiten. Wir werden deshalb weitere gezielte Maßnahmen ergreifen: Die 10. AFG-Novelle enthält eine Ermächtigungsgrundlage für den Erlaß einer Anordnung durch die Bundesanstalt für Arbeit, nach der in Zukunft für jeden genehmigten Werkvertragsarbeitnehmer eine Gebühr von 2 000 DM zu zahlen ist. Das Genehmigungs- und Prüfungsverfahren der Werkverträge straffen wir durch Konzentration der Zuständigkeit auf fünf Landesarbeitsämter; Herr Kollege Reimann, Sie haben davon eben in ähnlicher Weise gesprochen. Dadurch kann auch dem Mißbrauch wirksamer als bisher entgegengetreten werden, weil so schwarze Schafe schneller bekannt werden. Gleichzeitig wird das Personal in diesem Bereich verstärkt. Die Bundesanstalt für Arbeit erhält die Möglichkeit, in Zukunft auch ohne konkreten Anfangsverdacht in Betrieben Prüfungen vorzunehmen. ({1}) - Ja, das ist wichtig. Deshalb machen wir das auch. Die Werkvertragsfirmen werden verpflichtet, sämtliche Unterlagen über die im In- und Ausland gezahlten Löhne vorzulegen, da anderenfalls keine Genehmigung mehr erfolgt. Wir beseitigen auch Wettbewerbsverzerrungen. Künftig müssen für jeden Werkvertragsarbeitnehmer u. a. Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie die Auslösung gezahlt werden, wie dies für heimische Kolleginnen und Kollegen auch der Fall ist. Ausländischen Werkvertragsfirmen, die eines Verstoßes gegen die Entlohnungsbestimmungen überführt werden oder die Arbeitnehmer ausleihen oder illegal beschäftigen, wird in Zukunft sofort die Erlaubnis entzogen. Sie erhalten dann keine neuen Genehmigungen mehr. Es sollen nur noch Firmen zugelassen werden, die die Gewähr dafür bieten, daß sie die vereinbarten Regeln auch einhalten. So werden z. B. Firmen aus Polen nur noch zugelassen, wenn sie dort bereits zwei Jahre in dem entsprechenden Wirtschaftszweig tätig waren und ihre Verpflichtungen im Bereich des Steuer- und Sozialrechts erfüllen. Durch gesetzliche Maßnahmen und Personalverstärkungen sollen die Kontingente in Zukunft besser überwacht werden. So werden Überschreitungen frühzeitig erkannt und vermieden, Lohndumping leichter aufgedeckt und illegale Beschäftigungen wirksam bekämpft. Wir werden in Zukunft den Einsatz von Werkvertragsarbeitnehmern in Arbeitsamtsbezirken mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit sowie bei Kurzarbeit im Betrieb des deutschen Werkvertragspartners nicht mehr genehmigen. ({2}) Um Fehlsteuerungen zu vermeiden, sollen die Arbeitsämter vor Ort, in deren Bereich die Werkvertragsarbeitnehmer eingesetzt werden, vor einer Genehmigung gehört werden. Damit tragen wir dem Umstand Rechnung, daß vielfach zwar bestimmte ausländische Fachkräfte gesucht werden, ihr Einsatz in einen bestimmten Bereich jedoch absolut schädlich sein kann. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß durch ihre Maßnahmen eine wichtige Sperre eingezogen wird, damit Mißbrauch wirksam bekämpft wird, die Zahl der Werkvertragsarbeitnehmer auf ein arbeitsmarktpolitisch vertretbares Maß beschränkt bleiben wird und die mit dem Abkommen angestrebten wirtschaftlichen und politischen Ziele erreicht werden. Befristete Kontingente werden in Zukunft nicht mehr verlängert. Dadurch wird sich bis Ende 1994 die Zahl der Werkvertragsarbeitnehmer um weitere 22 500 verringern. Damit trägt die Bundesregierung auch der schwierigen Arbeitsmarktentwicklung vor allem in den neuen Bundesländern Rechnung. ({3}) Ich fasse zusammen: Werkvertragsabkommen sind auch in Zukunft Bestandteil unserer sozialen Außenpolitik. Wir werden jedoch ihren Einsatz in Schach und Proportionen halten. Dem dienen die neuen Regelungen. Die Bundesregierung ist zusammen mit der Bundesanstalt für Arbeit und den Spitzenverbänden der Bauwirtschaft sowie der Industriegewerkschaft Bau, Steine, Erden darum bemüht, den Mißbrauch vor allem im Baubereich wirksam zu bekämpfen. Wir haben alle derzeit möglichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Mißbrauchs eingeleitet; erste Erfolge sind sichtbar. Wir prüfen zur Zeit, ob die Kontrollen durch eine enge Zusammenarbeit mit den Bauverwaltungen noch weiter ausgedehnt werden können. Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich dem Kollegen Minister Krause, der angeboten hat, daß die Straßenbauverwaltungen die Arbeitsverwaltung bei der Kontrolltätigkeit unterstützen, soweit es sich um öffentliche Aufträge handelt. ({4}) Meine Damen und Herren, wir müssen den Mittelweg finden zwischen Hilfe für unsere Nachbarländer auf der einen Seite und dem wohlverstandenen Interesse unseres eigenen Arbeitsmarktes. Werkverträge dürfen aber keine neue Form von Lohndumping sein - darin sind wir uns sicher einig -; denn wir wollen keine Konflikte auf dem Arbeitsmarkt zwischen ausländischen und inländischen Arbeitnehmern. Herr Kollege Schreiner, die Verträge sind nicht schlampig ausgehandelt, wie sie eben festgestellt haben. ({5}) Wenn sie nur eingehalten würden, würde das schon ausreichen. Aber sie werden nicht eingehalten. Ich habe sehr gut zugehört, was Sie zum Schluß zu Polen gesagt haben. Ich kann Ihnen nur sagen: Polen ist nicht nur ein sensibler Bereich, sondern auch ein außerordentlich schwieriger Vertragspartner. Das kann ich Ihnen allerdings versichern. Wir müssen sehr gründlich darüber nachdenken, wie das, was gerade auf diesem Sektor überzogen wurde, wieder zurückgedrängt wird. Die Maßnahmen, die wir ergreifen, sollen dazu dienen. ({6})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 12/3299, 12/1845 und 12/3180 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann sind die Überweisungen in dieser Art und Weise beschlossen. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf. Fragestunde - Drucksachen 12/3600, 12/3580 Die dringliche Frage 3 des Abgeordneten Ludwig Stiegler aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes wird auf Grund der Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Wir kommen zu den Fragen auf der Drucksache 12/3580. Aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung werden die Fragen 1 und 2 des Abgeordneten Hans Wallow schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Die Fragen 3 und 4 des Kollegen Reinhold Hiller ({0}) aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit wird die Frage 5 des Kollegen Horst Kubatschka schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Post und Telekommunikation. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rawe zur Verfügung. Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Dr.-Ing. Rainer Jork auf. - Er ist nicht anwesend. Damit wird so verfahren, wie es in der Geschäftsordnung vorgesehen ist. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Wir sind damit nämlich schon am Ende Ihres Geschäftsbereichs angekommen. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Hier steht uns zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rainer Funke zur Verfügung. Ich rufe Frage 8 des Kollegen Wieland Sorge auf. - Er ist auch nicht anwesend. Damit wird hinsichtlich der Fragen 8 und 9 des Kollegen Wieland Sorge entsprechend unserer Geschäftsordnung verfahren. Die Kollegen Ulrich Janzen und Siegfried Scheffler sowie die Kollegin Dr. Eva Pohl sind ebenfalls nicht anwesend, so daß auch hinsichtlich der Fragen 10, 11 und 12 entsprechend der Geschäftsordnung verfahren wird. Darf ich die hochlöblichen Geschäftsführer einmal fragen, ob vielleicht unsere Kollegen nicht wissen, daß wir im Moment die Fragestunde haben. Könnte man bitte veranlassen, daß man das in geeigneter Form den Kollegen mitteilt? Ich habe nämlich das Gefühl, daß viele Kollegen etwas überrascht sind, nachdem wir eine etwas andere und verschobene Tagesordnung haben. ({1}) - Herr Kollege Schreiner, das ist Ihre Meinung. Herr Kollege Müntefering.

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, darf ich den Vorschlag machen, daß wir einen Augenblick unterbrechen? Wir werden sonst folgendes erleben: Wir werden die Fragestunde abhandeln und werden den nächsten Punkt nicht aufrufen können, weil die Kollegen gar nicht wissen, daß der nächste Punkt aufgerufen wird. Mein Vorschlag ist, daß wir zehn Minuten warten und dafür sorgen, daß die Kolleginnen und Kollegen das erfahren. Es geht wohl nicht anders.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Wenn die übrigen Fraktionen damit einverstanden sind, würde ich Ihrem Vorschlag folgen und die Sitzung für zehn Minuten unterbrechen. Dann würden wir mit den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz beginnen. Frau Kollegin, sind Sie damit einverstanden?

Brigitte Baumeister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000112, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich bin damit einverstanden. Ich möchte nur bemerken, daß wir es eigentlich mit einer Zeitverzögerung zu tun haben. Normalerweise müßte jeder wissen, daß die Fragestunde nicht ganz pünktlich beginnt. Demzufolge gehe ich auch davon aus, daß die Kolleginnen und Kollegen eigentlich wissen, daß sie hier zu sein haben. Ich bin mit der Unterbrechung einverstanden. Ich wollte das nur noch einmal bemerkt haben.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Frau Kollegin Würfel, sind Sie auch einverstanden?

Uta Würfel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002569, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, natürlich.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Dann unterbrechen wir für zehn Minuten. Ich bitte durchzurufen, daß die Fragestunde dann mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz beginnt. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort. Ich bedanke mich für das allseitige Verständnis. Wir haben das getan, was zu tun ist. Ich bitte aber die Kollegen und Kolleginnen, Vizepräsidentin Renate Schmidt immer auf den Verlauf der Plenarsitzung zu achten; denn diese Unterbrechung war eigentlich nicht vorgesehen. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Funke hat sich bereit erklärt, noch einmal zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung zu stehen. Wir kommen damit zur Frage 8 des Kollegen Wieland Sorge: Wie viele deutsche Patente sind in den letzten zehn Jahren beim Bundespatentamt und beim Europäischen Patentamt angemeldet und erteilt worden?

Rainer Funke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000624

Frau Präsidentin! Kollege Sorge, im Jahre 1982 wurden beim Deutschen Patentamt 47 826 Patentanmeldungen eingereicht und 15 977 Patente erteilt. Die Anmeldezahlen sind seit 1982 kontinuierlich zurückgegangen und erst 1991 wieder leicht gestiegen. Die Anzahl der erteilten Patente ist hingegen zunächst von 15 977 im Jahre 1982 auf 23 834 im Jahre 1987 gestiegen und dann bis 1991 wieder auf 17 406 zurückgegangen. Die Anzahl der Anmeldungen beim Europäischen Patentamt durch deutsche Anmelder ist von 6 384 im Jahre 1982 auf 10 467 im Jahre 1991 konstant gestiegen. Die Erteilungszahlen haben sich sogar seit 1982 - damals war die Zahl 1 920 - verdreifacht; 1991 waren es 6 536 Erteilungen. Ich habe hier eine Übersicht mit weiteren Zahlen aus den Jahresberichten der beiden Ämter für 1982 bis 1991 vorliegen. Ich möchte aber mit Rücksicht auf deren Umfang auf den Vortrag weiterer Zahlen verzichten und verweise auf die von meinem Hause erstellte Übersicht zu dieser Frage, die ich Ihnen, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, gerne übergeben würde. Sie liegt mir hier vor. ({0}) Erlauben Sie mir aber noch folgenden Hinweis: Die Schwankungen der Zahlen haben, isoliert betrachtet, nur eine begrenzte Aussagekraft. Die Entwicklungen und Tendenzen bei den Patentanmeldungen beim Deutschen Patentamt und beim Europäischen Patentamt durch deutsche Anmelder werden in den Jahresberichten der beiden Ämter aufgezeigt und analysiert. Hier finden sich z. B. Untersuchungen der Gesamtzahlen, die belegen, daß sich das deutsche Patentwesen bei der heimischen Wirtschaft weiterhin hoher Attraktivität erfreut, was die Erfindungs- und Innovationskraft unserer Wirtschaft widerspiegelt. Der deutsche Markt ist aber nicht nur für die deutschen Firmen interessant. In 97,46 % der 56 000 Anmeldungen, die 1991 beim Europäischen Patentamt eingereicht wurden, wurde Deutschland als Staat genannt, für den ein Schutzrecht beansprucht wird.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Zusatzfrage, Herr Kollege?

Wieland Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002193, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Bitte.

Wieland Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002193, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich hätte von Ihnen gerne noch eine Aussage darüber, warum das Jahr 1991 von Ihnen immer wieder als so positiv genannt wurde. Führen Sie das darauf zurück, daß auch aus den neuen Bundesländern eine ganze Anzahl von neuen Patenten hinzukam, oder liegt das einfach an dem Entwicklungsprozeß, der sich aus der Einheit ergab, daß alles zunächst etwas verzögert wurde und dann erst ab 1991 richtig zum Greifen kam?

Rainer Funke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000624

Nein, 1991 ist das letzte Jahr, von dem mir statistische Zahlen vorlagen. Es konnte insgesamt eine konstante Entwicklung nach oben festgestellt werden. Für 1992 liegen mir die Zahlen nicht vor; deswegen mußte ich auf 1991 zurückgreifen. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Zusatzfrage? - Nein. Dann kommen wir zur Frage 9 des Kollegen Sorge: Wie ist die Relation bei der Erteilung von deutschen Patenten im Vergleich zu der anderer führender Industrienationen, wie z. B. auch Japan?

Rainer Funke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000624

Frau Präsidentin! Herr Kollege Sorge, die Relation zwischen Anmeldung und Erteilung von Patenten im Vergleich zu anderen führenden Industrienationen stellt sich folgendermaßen dar - ich beziehe mich hier auf die vorliegenden Angaben der nationalen Ämter in den USA und in Japan für 1990, weil sie nicht ganz so schnell statistisch arbeiten -: Im Jahre 1990 wurden in Deutschland insgesamt 40 451 Anmeldungen eingereicht und 18 929 Patente erteilt. In den USA wurden 164 558 Patentanmeldungen eingereicht - dazu zählen auch Anmeldungen für Design- und Gebrauchsmusterpatente; das ist also nicht hundertprozentig vergleichbar -, und 88 293 Patente wurden erteilt. In beiden Ländern, sowohl in der Bundesrepublik als auch in den USA, besteht also ein Verhältnis von ungefähr 2:1. Davon weichen die Zahlen des japanischen Patentamtes erheblich ab. Hier standen im Jahre 1990 360 704 Anmeldungen 59 401 Erteilungen gegenüber. Das bedeutet ein Verhältnis von 6 Anmeldungen zu einer Erteilung. Weitere Angaben können Sie der zweiten Übersicht, die ich Ihnen gerne überreiche, entnehmen. Ich habe hier die Zahlen für die anderen Jahre nicht im einzelnen aufgeführt. Sie können sie aus der Statistik ersehen.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Zusatzfrage, Herr Kollege.

Wieland Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002193, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, kann man bei der großen Zahl der eingereichten Patente, was Japan angeht, davon ausgehen, daß Deutschland in dieser Entwicklung sehr weit zurückfällt und daß es in der Zukunft ein immer größeres Mißverhältnis bei der Entwicklung der Patente in Deutschland und in Japan gibt? In Deutschland betrug die Zahl der Anmeldungen 40 000, und in Japan waren es wohl über 360 000. Das ist doch ein gravierender Unterschied. Können Sie dazu eine Aussage treffen?

Rainer Funke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000624

Das ist sicherlich ein großer Unterschied. Man muß aber auch genau definieren, was unter Patenten im einzelnen zu verstehen ist. Das japanische Patentrecht ist anders gestaltet als das deutsche. Insgesamt haben Sie aber mit Ihrer Vermutung recht, daß die Innovationskraft der japanischen Wirtschaft insoweit stärker ist als die deutsche.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Weitere Zusatzfrage, Herr Kollege?

Wieland Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002193, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, eine noch, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, Sie sprachen von den zwei Ländern, wo der Unterschied sicher am größten ist. Können Sie eine ganz kurze Aussage zum Vergleich mit Frankreich und England treffen?

Rainer Funke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000624

Diese Frage haben Sie nicht gestellt gehabt; deswegen bin ich darauf im einzelnen nicht vorbereitet. Aber ich bin gerne bereit, Ihnen die statistischen Zahlen aus Frankreich und Großbritannien nachzureichen, sobald sie mir vorliegen. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Gibt es weitere Zusatzfragen dazu? - Das ist nicht der Fall. Die Frage 10 wird entsprechend unserer Geschäftsordnung behandelt, ebenso die Frage 11. Die Frage 12 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Damit sind wir jetzt wirklich am Ende Ihres Geschäftsbereichs, Herr Staatssekretär. Herzlichen Dank, daß Sie noch einmal gekommen sind. Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Hier steht zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Manfred Carstens zur Verfügung. Die erste Frage aus diesem Geschäftsbereich, die Frage 13 des Kollegen Ortwin Lowack, wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Bei der Frage 14 unseres Kollegen Ulrich Jansen wird nach unserer Geschäftsordnung verfahren. Das gilt ebenso für die Frage 15. Die Fragen 16 und 17 der Kollegin Dr. Elke Leonhard-Schmid werden ebenso wie die Frage 18 unseres Kollegen Norbert Gansel schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Herzlichen Dank, Herr Carstens, daß Sie hier gewesen sind. Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung steht hier Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Erich Riedl zur Verfügung. Die Frage 19 unseres Kollegen Siegfried Scheffler wird entsprechend unserer Geschäftsordnung behandelt. Wir kommen damit zur Frage 20 des Kollegen Gernot Erler: In welchem Umfang hat die türkische Regierung seit 1964 Waffen und militärisches Gerät in der Bundesrepublik Deutschland gekauft, und wie hoch ist der gegenwärtige Auftragsbestand der deutschen Industrie für aus der Türkei bestellte Waffen und militärisches Gerät?

Dr. Erich Riedl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001843

Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter Erler, da beim Statistischen Bundesamt die Aufbewahrungsfrist für allgemeines Datenmaterial nur zehn Jahre beträgt, sind die von Ihnen gewünschten Angaben für den Zeitraum 1964 bis 1980 leider nicht mehr verfügbar. In den Jahren von 1981 bis 1991 wurden kommerziell und aus dem Bereich des Bundesverteidigungsministeriums Kriegswaffen im Wert von insgesamt 3,3 Milliarden DM an die Türkei geliefert. Die Bundesregierung verfügt über keine Informationen über den gegenwärtigen Auftragsbestand der deutschen Industrie. Das Kriegswaffenkontrollgesetz schreibt nicht vor, daß Angaben über den Wert der geplanten Exporte bei der Antragstellung mit eingereicht werden.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Zusatzfrage, Herr Kollege.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, bei einem kürzlichen Besuch mehrerer deutscher Delegationen - u. a. einer Delegation des Verteidigungsausschusses - in Ankara ist uns gesagt worden, daß der Auftragsbestand der deutschen Industrie für von der Türkei bestellte Waffen erheblich den Umfang dessen übersteigt, was wir an Waffenlieferungen im Rahmen von Materialhilfe, Rüstungssonderhilfe, NATO-Hilfe usw. geleistet haben. In diesem Zusammenhang ist uns gegenüber das Auftragsvolumen für die Zeit von 1964 bis heute auf über 8 Milliarden DM beziffert worden. Halten Sie diese Zahl für realistisch?

Dr. Erich Riedl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001843

Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter, den Unterlagen, die mir als Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft zur Verfügung stehen, entnehme ich die Feststellung, daß die Türkei selbst den Wert der der deutschen Industrie erteilten Aufträge über Rüstungsgüter seit 1964 auf, wie von Ihnen genannt, rund 8 Milliarden DM beziffert. Da wir aber, wie ich Ihnen gesagt habe, für die vorangehenden Zeiträume statistische Unterlagen nicht zur Verfügung haben, muß ich mich darauf beschränken, dies wiederzugeben. Ich gehe einmal davon aus, daß die Größenordnung so, wie sie genannt worden ist, jedenfalls nicht grundsätzlich falsch ist.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, kann ich Ihren Angaben entnehmen, daß Sie bei der so wichtigen Frage, welche Rüstungsaufträge in welchem Wert der Bündnispartner Türkei der deutschen Industrie erteilt hat, auf türkische Angaben angewiesen sind, weil Sie über keine eigenen Angaben verfügen?

Dr. Erich Riedl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001843

Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter, wenn Sie diese Frage vor zehn Jahren gestellt hätten, hätte ich Ihnen auf Grund der statistischen Möglichkeiten die Zahlen für die vorangegangenen zehn Jahre nennen können. Sie kennen ja die berühmten Aufbewahrungsfristen für statistische Unterlagen. Ihre Frage ermuntert mich natürlich, anzuregen, daß wir die Aufbewahrungsfristen für Datenmaterial aus solch sensiblen Bereichen vielleicht etwas verlängern sollten; ich darf es vielleicht einmal etwas salopp sagen. Dann würde ich allerdings bei der Verabschiedung des Haushalts für das nächste Jahr die Bitte um Bewilligung von mindestens drei oder vier neuen Stellen, möglichst dem höheren Dienst angehörig, äußern. Aber Sie verstehen meine Antwort sicherlich richtig: Wir werden Ihre mir doch sehr sinnvoll erscheinende Anregung einmal in unserem Hause überdenken. Sollten wir zu einer anderen Lösung oder zu einem anderen Ergebnis als dem kommen, das ich hier leider nur vortragen konnte, würde ich Ihnen gerne Bescheid geben.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Dann rufe ich Frage 21 des Kollegen Erler auf: Haben die türkische Regierung bzw. türkische Besteller im Zusammenhang mit der vorübergehenden Einstellung deutscher Waffenlieferungen in die Türkei in diesem Jahr und der damit verbundenen Eintrübung des deutsch-türkischen Verhältnisses damit gedroht, Aufträge in Deutschland zu stornieren, und welche Projekte im einzelnen sind gegebenenfalls von solchen türkischen Maßnahmen betroffen?

Dr. Erich Riedl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001843

Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter, angedrohte oder bevorstehende Stornierungen sind der Bundesregierung nicht bekannt.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Zusatzfrage, Herr Kollege.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß bei den von mir soeben schon angesprochenen Besuchen des Verteidigungsausschusses der stellvertretende Stabschef der türkischen Streitkräfte den Mitgliedern des Deutschen Bundestages und dem anwesenden Mitglied der Bundesregierung erklärt hat, daß die türkische Regierung durchaus die Möglichkeit habe, auf die Einschränkung von Rüstungshilfe, die von der türkischen Seite „Embargo" genannt wird, mit einer Stornierung von für die deutsche Wirtschaft wichtigen Aufträgen - z. B. betreffend die MEKO-Fregatten und Hubschrauber - reagieren könnte?

Dr. Erich Riedl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001843

Herr Abgeordneter, da ich weder an dieser Reise teilgenommen habe noch mit den Reiseteilnehmern einen Informationsaustausch pflegen konnte, mich aber selbst diese Frage interessiert, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie damit einverstanden wären, daß ich dieser Frage einmal nachgehe und mich mit den Reiseteilnehmern einmal unterhalte. Ich halte dies alles nicht für ausgeschlossen, um es gleich dazuzusagen. Ich würde Ihnen dann einen ausführlichen schriftlichen Bericht geben. Da die Reise, wie ich der Presse entnommen habe, erst vor wenigen Tagen zu Ende gegangen ist, bitte ich, mit diesem Vorschlag einverstanden zu sein. Sie bekommen allerdings Bescheid. Ich weiß natürlich aus der Vergangenheit: Die Bestellung von Hubschraubern z. B. auf die sich die deutsche Luftfahrtindustrie vier Jahre vorbereitet hat - sie hat sich intensiv um die Lieferung bemüht -, ist aus bestimmten politischen Gründen, die ich jetzt nicht bewerten möchte, an eine Firma aus Übersee gegangen.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich muß Ihnen in diesem Zusammenhang die Frage stellen, ob es in einer so wichtigen Frage keine Kooperation zwischen Mitgliedern der Bundesregierung gibt, denn Ihr Kollege Staatssekretär Grüner war bei dieser Reise anwesend. Ich bin verwundert darüber, daß er es bei einer solchen Frage, in der doch wesentliche Interessen der deutschen Industrie in Frage stehen, nicht für nötig befunden hat, das in diesem Fall zuständige Haus über die Androhung eines immerhin maßgeblichen Mitglieds des türkischen Generalstabs zu unterrichten. Ich verbinde das mit der Bitte und der Frage, ob Sie mir im Rahmen Ihrer schriftlichen Beantwortung meiner Frage vielleicht auch mitteilen könnten, welche vertraglichen Vereinbarungen bezüglich dieser Rüstungskooperationsprojekte bzw. Rüstungsaufträge bestehen.

Dr. Erich Riedl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001843

Auf den letzten Teil Ihrer Frage antworte ich eindeutig mit Ja. Der von Ihnen so apostrophierte Staatssekretär Grüner ist seit 1987 nicht mehr Staatssekretär; ich bin seitdem sein Nachfolger. Wenn Sie gestatten, gehe ich der Sache natürlich nach. Ich schließe im übrigen überhaupt nicht aus, daß diese Dinge zur Zeit auf Beamtenebene besprochen werden. Bis das dann zur politischen Leitung gelangt, dauert es bekanntlich einige Zeit. Sie versäumen nichts, Herr Abgeordneter. Sie bekommen einen sehr detaillierten Bericht.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Bezüglich Frage 30 wird entsprechend unserer Geschäftsordnung verfahren. Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gottfried Haschke zur Verfügung. Ich rufe Frage 22 des Kollegen Jürgen Augustinowitz auf: Vizepräsidentin Renate Schmidt Sieht die Bundesregierung in dem EG-Kommissionsvorschlag einer Verordnung des Rates über eine gemeinsame Marktorganisation für Bananen (KOM ({0}) nicht ein klassisches Beispiel für die Verletzung des Subsidiaritätsprinzips, und ist sie der Auffassung, daß durch eine solche Verordnung, in welcher sich die Regelungswut der EG-Bürokratie dokumentiert, die Europamüdigkeit der deutschen Bürger verstärkt wird?

Gottfried Haschke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000818

Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter, die Bundesregierung lehnt den Kommissionsvorschlag für eine künftige Bananenregelung aus GATT- und EG-rechtlichen Gesichtspunkten ab, da er den Handel mit Banenen einschränkt, zu Diskriminierungen der Händler von sogenannten Dollar-Bananen und zu einer erheblichen Verteuerung der Verbraucherpreise führen würde. Hierzu will die Kommission perfektionistische Verwaltungsvorschriften erlassen, die den Mitgliedstaaten kaum Handlungsspielraum geben und zentrale Entscheidungen durch die Kommission stärken. Soweit weitere Durchführungsbestimmungen erforderlich werden sollten, strebt die Bundesregierung an, statt des von der Kommission vorgeschlagenen Verwaltungsausschußverfahrens das sogenannte Regelungsausschußverfahren vorzusehen, bei dem die Mitgliedstaaten stärkere Mitwirkungsmöglichkeiten als beim Verwaltungsausschußverfahren haben. Das Subsidiaritätsprinzip ist über die genannten Verfahrensregelungen nur mittelbar angesprochen. Grundsätzlich ist es von einer künftigen Bananenregelung nicht betroffen, weil es Aufgabe der Gemeinschaft ist, eine gemeinsame Außenhandelsregelung zu erlassen, um dem Binnenmarkt Rechnung zu tragen. Eine Verordnung, wie sie die Kommission vorsieht, wird bei den deutschen Bürgern berechtigterweise auf Unverständnis und Ablehnung stoßen. Auch aus diesem Grund hat sich die Bundesregierung nachhaltig gegen den Vorschlag ausgesprochen.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Zusatzfrage, Herr Kollege.

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, zunächst vielen Dank für die Beantwortung der Frage. Welche Möglichkeiten sieht denn die Bundesregierung, sich mit ihrer Haltung durchzusetzen, denn allein kann Deutschland diese Regelung ja nicht verhindern?

Gottfried Haschke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000818

Ja, die Bundesregierung unternimmt alles, um Verbündete zu finden. Aber der gegenwärtige Stand ist, daß die Beneluxstaaten und Dänemark mit auf deutscher Seite stehen und Italien fast mit auf deutscher Seite steht. Ich kann Ihnen aber versichern, daß die Bundesregierung diesen jetzigen Kommissionsvorschlägen dennoch zustimmen wird, auch wenn sie bei einer Abstimmung unterliegt.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege?

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. - Herr Staatssekretär, wie sieht der weitere Zeitplan aus, bis die EG-Kommission vorhat, diese Verordnung in Kraft zu setzen?

Gottfried Haschke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000818

Ja, hier ist Eile geboten. Sie wissen ja, daß am 1. Januar 1993 der Binnenmarkt beginnt. Es ist ja bekannt, daß der Agrarrat am 26./27. Oktober getagt hat, dieses Problem hier auch wieder angesprochen wurde und keine Einigung erzielt werden konnte. Aber die deutschen Verantwortlichen sind dran, hier zu einer Regelung zu kommen, die auf alle Fälle GATT-konform ist.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Habe ich das richtig verstanden, daß der Kollege Duve noch eine Zusatzfrage hat? - Dann der Kollege Duve, bitte!

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wie Sie wissen, hat das ja ganz erhebliche Auswirkungen auf viele unserer Partnerländer in Mittel- und Südamerika. Hat die Bundesregierung in ausreichendem Maße die wirtschaftlichen Folgen für die betroffenen Staaten im Rahmen der EG deutlich gemacht? Ist die Wirkung etwa auf die Wirtschaft Panamas - wo wir mit einer erheblichen, mit einer dramatischen Arbeitslosigkeit rechnen, da dies die zur Zeit dort noch größte Industrie betrifft, die fast ausschließlich ihren Markt in Europa hat - den anderen Mitgliedstaaten der EG in dieser dramatischen Weise deutlich genug gemacht worden? Und ist ihnen deutlich gemacht worden, daß erhebliche Hilfskosten auf die Europäische Gemeinschaft zukommen werden, um auch nur ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Stabilität in einem Land wie Panama zu gewährleisten?

Gottfried Haschke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000818

Die Bundesregierung hat eindringlich darauf hingewiesen, daß es von höchster entwicklungs- und wirtschaftspolitischer Tragweite ist, wenn hier Regelungen getroffen werden, die zuungunsten der sogenannten Dollar-Bananen ausgehen. Uns ist bekannt, daß es nicht wegen der 20 % Aufkommen an Bananen, die die europäischen Staaten in den Randlagen, auf den Kanarischen Inseln usw., haben, so sein darf, daß man die Länder, die uns die Bananen in die Gemeinschaft günstig liefern, hier außen vorläßt oder mit derartigen Zöllen belegt, die diese Staaten ruinieren und auch Arbeitsplätze vernichten, wie Sie das schon richtig sagen. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Die Fragen 23 und 24 werden entsprechend unserer Geschäftsordnung behandelt. Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär! Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Die Fragen Nr. 25 und 26 werden schriftlich beantwortet, ebenso die Frage Nr. 27 der Frau Kollegin Dr. Eva Pohl. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Damit sind wir auch am Ende dieses Geschäftsbereiches. Vizepräsidentin Renate Schmidt Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Hier steht zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Jürgen Echternach zur Verfügung. Wir kommen zur Frage 28 des Kollegen Peter Conradi: Trifft es zu, daß die Bundesregierung An- und Umbauten für insgesamt 400 Millionen DM für das Deutsche Historische Museum in Berlin im Zeughaus Unter den Linden plant?

Jürgen Echternach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000429

Herr Kollege Conradi, es trifft zu, daß die Bundesregierung für das Deutsche Historische Museum in Berlin-Mitte Baumaßnahmen beabsichtigt, die darin bestehen, das Zeughausgebäude grundinstandzusetzen und zu modernisieren, das dem Zeughaus benachbarte sogenannte Minolgebäude grundinstandzusetzen und einen Wechselausstellungsneubau zu errichten. Wie im Haushaltsausschuß mitgeteilt, werden die Kosten für die drei Bauvorhaben auf 450 Millionen DM geschätzt.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Zusatzfrage, Herr Kollege?

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wie verträgt sich die Ankündigung des Bundeskanzlers, jetzt müsse dramatisch an allen Stellen gespart werden, mit einem Projekt von 450 Millionen Mark für das Deutsche Historische Museum, das im Zeughaus in Berlin in prominenter Lage vorzüglich untergebracht ist und dort ohne weiteres fünf oder zehn Jahre arbeiten kann, bevor Baumaßnahmen notwendig sind? Halten Sie dieses Projekt nicht auch für einen krassen Widerspruch zu der Sparankündigung des Herrn Bundeskanzlers?

Jürgen Echternach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000429

Nein, Herr Kollege. Erstens wissen Sie, daß wir den Bau des Deutschen Historischen Museums in diesem Hause schon in einer wesentlich größeren Dimensionierung ({0}) und mit einem wesentlich größeren finanziellen Aufwand beschlossen haben, und zweitens wissen Sie, daß das Zeughaus eine wesentlich geringere Fläche hat als das seinerzeit beschlossene Deutsche Historische Museum am Spreebogen. Das Zeughaus hat eine Hauptnutzfläche von vielleicht 14 000 Quadratmetern, jedenfalls weit weniger als die 36 000 Quadratmeter Hauptnutzfläche, die seinerzeit auf der Basis des Rossi-Entwurfes für das Deutsche Historische Museum am Spreebogen vorgesehen waren.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege?

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Muß ich aus der Tatsache, daß die Bundesregierung die für das nächste Jahr vorgesehenen Mittel für den Grunderwerb für Parlament und Regierung in Berlin um 400 Millionen Mark kürzt, gleichzeitig aber ein Projekt für das Deutsche Historische Museum von 450 Millionen Mark betreibt, den Schluß ziehen, daß das Deutsche Historische Museum in den Augen der Bundesregierung Vorrang vor den Bauten des Parlaments und der Regierung hat?

Jürgen Echternach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000429

Nein, Herr Kollege, das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wir setzen die Mittel in den Haushalt ein, die jeweils entsprechend dem Baustand benötigt werden. Was das Deutsche Historische Museum angeht, so ist es die Absicht, an dieser prominenten Stelle Unter den Linden neben den Parlaments- und Regierungsbauten in Verbindung zur Museumsinsel, z. B. zum Pergamon-Museum, einen wichtigen kulturpolitischen Akzent zu setzen.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Sorge.

Wieland Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002193, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie sagten, daß nicht nur eine Restauration stattfindet, sondern auch eine Erweiterung. Können Sie bereits sagen, ob die Objekte, die dann in diesen größeren Bau hineinkommen sollen, von anderen Museen hergeholt werden? Und können Sie schon sagen, welche Museen das sind? Liegt vielleicht auch schon fest, daß bestimmte Museen daraufhin schließen und hier nur dieser Erweiterungsbau erfolgen muß? ({0})

Jürgen Echternach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000429

Herr Kollege, es ist vorgesehen, daß im Zeughaus selbst eine Dauerausstellung über drei Stockwerke hinweg stattfindet und daß es daneben einen wesentlich kleiner dimensionierten Ausstellungsbau für Wechselausstellungen geben soll. Und zwar ist der, glaube ich, in der Dimensionierung von 5 000 Quadratmetern Hauptnutzfläche geplant. Selbstverständlich geht es nicht darum, daß irgendwelchen Museen etwas weggenommen wird. Das ist auch schon von Anfang an immer die Grundkonzeption des Deutschen Historischen Museums gewesen. Sicher würde sich das kein Bundesland, das ja für seine Museen zuständig ist, bieten lassen.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Duve.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß gestern der Unterausschuß für Kunst und Kultur des Deutschen Bundestages intensiv über diese neuen Planungen diskutiert hat und seinerseits auch verwundert darüber war, daß diese drastische Veränderung ursprünglicher Planungen völlig am Parlament vorbeiläuft? Und teilen Sie meine Auffassung, daß es jetzt dringend erforderlich ist, erstens eine gesetzliche Grundlage für dieses Projekt zu schaffen, wie beim Haus der Geschichte in Bonn auch, und daß wir zweitens die veränderte Konzeption hier im parlamentarischen Raum diskutieren müssen; denn es handelt sich um ein öffentliches Projekt der Bundesregierung?

Jürgen Echternach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000429

Herr Kollege Duve, jede Mark, die hierfür aufgewandt wird, bedarf der Zustimmung dieses Hauses. Selbstverständlich werden wir deswegen in diesem Bereich nur tätig werden können, wenn es dafür eine entsprechende Zustimmung des Deutschen Bundestages gibt, die wir möglicherweise im Rahmen des Haushaltsverfahrens durch die Beschlußfassung über den Bundeshaushalt in diesem Monat erwarten können.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Wir kommen damit zur Frage 29 des Kollegen Peter Conradi: Trifft es zu, daß der Architektenauftrag für dieses Projekt ohne Wettbewerb direkt vergeben worden ist?

Jürgen Echternach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000429

Herr Kollege Conradi, es trifft nicht zu, daß der Architektenauftrag bereits direkt vergeben worden ist. Es besteht allerdings die mit Berlin abgestimmte Absicht, ihn zu gegebener Zeit direkt an den Architekten Dipl.-Ing. Brandi, Göttingen, zu vergeben. Aus Zeitgründen und nicht zuletzt aus Gründen der Sparsamkeit hat die Bundesbauverwaltung die Absicht, auf bisherige Planungsarbeiten des Architekten Brandi und anderer Freischaffender aufzubauen.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Zusatzfrage.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung die freihändige Vergabe von Bauprojekten mit Kosten von 450 Millionen DM an einen Architekten ohne Veranstaltung von zumindest beschränkten Gutachterwettbewerben für normal und üblich, und welcher Zeitdruck besteht bei der Herrichtung und beim Ausbau eines Museums, der einen solchen Wettbewerb unnötig machen sollte?

Jürgen Echternach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000429

Herr Kollege Conradi, wir führen, wie Sie als Mitglied der entsprechenden Jury selbst wissen, zur Zeit bereits zwei große Wettbewerbe in Berlin durch. Es werden sicher noch eine Reihe weiterer Wettbewerbe in Berlin stattfinden: städtebauliche Wettbewerbe, Realisierungswettbewerbe, also Architektenwettbewerbe. Insofern wird dem verständlichen Wunsch der Architektenschaft nach möglichst vielen Wettbewerben durch die Bundesregierung in großem Umfang Rechnung getragen. In diesem Fall allerdings haben sich dadurch, daß zunächst der renommierte Architekt Professor Schattner den Auftrag bekommen hatte, als noch an eine Zwischenlösung im Zeughaus gedacht war und noch die ursprüngliche Planung bestand, innerhalb des Spreebogens das Deutsche Historische Museum zu errichten, bereits erhebliche Vorarbeiten ergeben. Professor Schattner hatte Herrn Brandi hinzugezogen. Auf dieser Basis ist ein sehr eindrucksvolles Planungskonzept entwickelt worden. Dieses Konzept hat überzeugt. Aus diesem Grunde beabsichtigt die Bundesregierung, Herrn Brandi diesen Auftrag zu geben. Das erspart Kosten, weil ein Teil der aufgewandten Honorarkosten verrechnet werden kann. Im übrigen ist es unser Ziel, noch in den 90er Jahren dieses Projekt durchzuführen. Wir haben dafür einen sehr engen Terminfahrplan. Wir würden ihn nicht einhalten können, wenn wir jetzt noch einen weiteren Architektenwettbewerb dazwischenschalten würden.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Die zweite Zusatzfrage, Kollege Conradi.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nachdem mir Ihr Ministerium mitgeteilt hat, Herr Staatssekretär, daß die von Ihnen einberufene Expertenkommission den von Ihnen vorgelegten Entwurf gutgeheißen hat, habe ich mir die Mühe gemacht, die acht Experten anzurufen. Von den acht Experten haben mir sechs erklärt - zwei habe ich nicht erreicht -, daß an dem Entwurf Kritik geübt wurde, daß er keineswegs gutgeheißen wurde. „Nachdem der vorgeschlagene Entwurf in wesentlichen Teilen abgelehnt wurde" - so hieß es wörtlich -, d. h. nachdem die von Ihnen berufenen Experten tatsächlich - entgegen der Auskunft Ihres Hauses an einen Abgeordneten - den Entwurf nicht gutgeheißen haben, frage ich Sie: Nehmen Sie die Anregung der von Ihnen selbst ausgesuchten Experten ernst, einen beschränkten Wettbewerb einzuführen, oder bleiben Sie bei der Direktbeauftragung eines Architekten, dessen Entwurf von den von Ihnen berufenen Experten abgelehnt wird?

Jürgen Echternach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000429

Herr Kollege Conradi, nur ein Teil der Architekten hat diesen Wunsch geäußert, nicht etwa alle Experten. Zweitens hat die Bundesbauministerin Ihnen in einem Schreiben bereits direkt mitgeteilt, daß die Auskunft zutreffend war, die Ihnen seinerzeit mein Kollege Günther gegeben hat, und daß dieses Vorhaben keineswegs insgesamt von den Experten kritisiert worden ist. Es gab Kritik an bestimmten Punkten. ({0}) - Herr Kollege Conradi, die Ministerin hat Ihnen im einzelnen dargelegt - sie war bei dem Kolloquium selbst dabei, Sie nicht -, daß die Auskunft, die der Kollege Günther Ihnen gegeben hat, zutreffend war. Darüber hinaus darf ich darauf verweisen, daß sich die Kritik auf eine bestimmte Erschließungsmaßnahme bezog - auch das hat Ihnen die Ministerin dargelegt -, auf die gläserne Zuwegung zwischen dem Zeughaus und dem Wechselausstellungsgebäude und die Fußgängerbrücke, nicht aber etwa auf den zentralen Punkt des Umbaus des Zeughauses selbst. Was die kritischen Punkte angeht, hat inzwischen insofern eine Veränderung der Planung stattgefunden. Die zentrale Planung allerdings bleibt. Sie ist auch von der Ministerin gutgeheißen worden. Im Einvernehmen mit Berlin beabsichtigen wir, auf dieser Basis Herrn Brandi einen direkten Auftrag zu erteilen.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Damit liegen aus diesem Geschäftsbereich keine weiteren Fragen vor. Ich bedanke mich für die Beantwortung. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung steht Frau Staatsministerin Ursula Seiler-Albring zur Verfügung. Die Frage 31 des Kollegen Lowack wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Vizepräsidentin Renate Schmidt Wir kommen zur Frage 32 des Kollegen Albrecht Müller: Wie begründet die Bundesregierung die Tatsache, daß sie im Zusammenhang mit dem „Zwei-plus-Vier-Vertrag" und vor Beginn der Verhandlungen zum Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut den Entsendestaaten ausländischer Streitkräfte mitgeteilt hat, sie erhebe keine Einwendungen gegen deren weitere Präsenz, und damit die Verhandlungsposition unseres Landes geschwächt hat?

Not found (Gast)

Herr Kollege Müller, die Bundesregierung hat mit Aufnahme der Verhandlungen zum Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut zu keiner Zeit die Absicht verfolgt, die weitere Präsenz unserer Bündnispartner in Deutschland grundsätzlich in Frage zu stellen. Mit dieser Mitteilung hat sie deshalb keine deutsche Verhandlungsposition geschwächt. Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß die Präsenz von Streitkräften unserer NATO-Partner nach wie vor dem sicherheitspolitischen Interesse Deutschlands entspricht und damit ein Beitrag zur Stabilität in Europa von uns und unseren Partnern geleistet wird.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Zusatzfrage, Herr Kollege.

Albrecht Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001543, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsministerin, können Sie bestätigen, daß die Bundesregierung mangels Verhandlungsmacht bei der selbstverständlichen Durchsetzung deutschen Arbeits- und Sozialrechts und damit Mitbestimmungsrechts deutscher Zivilbeschäftigter und damit der selbstverständlichen Gleichstellung zur Zeit nicht weiterkommt, daß sie bei der Durchsetzung eines hohen Anteils deutscher Zivilbeschäftigter im Vergleich zu den ausländischen Zivilbeschäftigten ebenfalls nicht weiterkommt und daß sie mangels Verhandlungsmacht auch bei der Beendigung von Sonderrechten der alliierten Streitkräfte im steuerlichen Bereich nicht sehr weiterkommt, auch insgesamt bei der Zielsetzung, gleiche Rechte für alle Partner im Bündnis zu erreichen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Müller, ich kann das nicht bestätigen. Zum einen haben die Verhandlungspartner Vertraulichkeit vereinbart. Ich kann Ihnen aber sagen, daß nach unseren Erkenntnissen die Verhandlungen in nicht allzu ferner Zeit unter Beachtung der von Ihnen mit Recht angesprochenen Fragen zu einem Ende geführt werden könnten, wenn es sich so weiterentwickelt, wie wir Anlaß haben zu glauben.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.

Albrecht Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001543, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Werden Sie die Gleichstellung erreichen, und werden Sie mit der alten Regierung verhandeln, oder warten Sie ab, bis Präsident Clinton im Amt ist? Das ist ja eine spannende und wichtige Frage in diesem Zusammenhang.

Not found (Gast)

Herr Kollege Müller, bis zum 20. Januar ist die Regierung unter Präsident Bush im Amt. Wir werden versuchen, unter dieser Administration zu einem Ende der Verhandlungen zu kommen.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Die Frage 33 des Kollegen Gansel wird entsprechend unserer Richtlinien schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Die Fragen 34 und 35 des Kollegen Dr. Klaus Kübler sind zurückgezogen. - Herzlichen Dank, Frau Staatsministerin. Wir kommen damit zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Hier steht zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Eduard Lintner zur Verfügung. Ich rufe Frage 36 des Kollegen Dr. Günther Müller auf: Beabsichtigt die Bundesregierung - ähnlich wie der Herr Bundespräsident die Schriftsteller -, die an der Manifestation am 8. November 1992 in Berlin teilnehmenden Arbeiter und Angestellten zu einem Imbiß einzuladen?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Kollege Dr. Müller, die Antwort lautet schlicht: Nein.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.

Dr. Günther Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001548, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, geht die Antwort „nein" darauf zurück, daß die Bundesregierung grundsätzlich der Meinung ist, daß es durchaus zwei Arten von Manifestanten geben kann, oder geht sie darauf zurück, daß schlicht und einfach kein Geld mehr vorhanden ist?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Kollege Müller, Geld wäre möglicherweise schon vorhanden, aber wir haben mit dem Vorgang nichts zu tun. Es handelt sich um eine Einladung des Bundespräsidenten. Es steht dem Bundesinnenministerium nicht zu, dies zu kommentieren.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Kollegen Müller? - Nein. Dann rufe ich die Frage 37 des Kollegen Dr. Günther Müller auf: Wie beurteilt die Bundesregierung, die ausdrücklich auf jeden Einsatz von Chemiewaffen verzichtet hat, die Verwendung von militärisch nutzbarem Reizgas durch Demonstranten in Mecklenburg-Vorpommern?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Nach § 37 Abs. 1 Nr. 9 des Waffengesetzes sind insbesondere die Herstellung, der Erwerb und der Besitz, die Einfuhr und die Verwendung von Gegenständen mit Reizstoffen grundsätzlich verboten. Allerdings läßt das Waffengesetz nach Maßgabe der ersten Waffenverordnung den Erwerb und Besitz von Reizstoffsprühgeräten durch Privatpersonen zur Selbstverteidigung zu. Art, Konzentration und Menge des Reizstoffes sind in den Anforderungen dieser Rechtsverordnung so festgelegt, daß der Reizstoff bei bestimmungsgemäßer Verwendung nur vorübergehend angriffsunfähig macht und keine bleibenden gesundheitlichen Schädigungen verursachen kann. Bei der von Ihnen genannten Demonstration in Mecklenburg-Vorpommern sind offenbar von Ausländern ausländische Reizstoffwaffen verwendet worden, die den deutschen waffenrechtlichen Vorschriften nicht entsprachen. Vor diesem Hintergrund der offensichtlich illegalen Einfuhr und mißbräuchlichen Verwendung des Reizstoffes zum Angriff auf Polizeibeamte, den die Bundesregierung scharf verurteilt, kann ein Zusammenhang mit dem Verzicht der Bundesrepublik Deutschland auf den Einsatz von chemischen Kampfstoffen bei militärischen Auseinandersetzungen nicht gesehen werden.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Zusatzfrage, Herr Kollege.

Dr. Günther Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001548, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, welches ist die Reaktion des Bundesinnenministeriums auf die Einfuhr von solchen Waffen in die Bundesrepublik? Gibt es mehrere solcher Fälle, bei denen derartige Waffen in die Bundesrepublik eingeführt wurden?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Kollege Müller, im Moment ist mir nur dieser Fall bekannt. Die Reaktion muß von den Behörden ausgehen, die zur Verfolgung von Straftaten zuständig sind.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Zweite Zusatzfrage des Kollegen Müller.

Dr. Günther Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001548, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kann das Bundesinnenministerium als in der Bundesrepublik für die Sicherheit zuständige Behörde in Zukunft dafür sorgen, daß derartige gefährliche Waffen in der Bundesrepublik nicht in Umlauf gebracht werden?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Dr. Müller, wie Sie wissen: Wir tun unser Bestes. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Weitere Zusatzfragen liegen nicht mehr vor. Wir kommen damit zur Frage 38 des Kollegen Jürgen Augustinowitz: Wie stellt sich - nach dem Kenntnisstand der Bundesregierung - die demographische Entwicklung in Deutschland bis zum Jahr 2030 dar?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Die im Frühjahr dieses Jahres vom Statistischen Bundesamt vorgelegte siebte koordinierte Bevölkerungsvorausschätzung kommt zu dem Ergebnis, daß die Bevölkerungsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland durch eine anhaltende niedrige Geburtenhäufigkeit, zunehmende Lebenserwartung und langfristig durch einen Bevölkerungsrückgang gekennzeichnet ist. Gegenüber dem heutigen Stand von knapp 80 Millionen Einwohnern wird die Gesamtbevölkerung bis 1998 auf 81,2 Millionen ansteigen und danach langsam - im Jahre 2000: 81,1 Millionen -, aber ständig zurückgehen. Bis zum Jahre 2030 wird sie dann auf 69,9 Millionen Einwohner deutlich abnehmen. Die Untersuchungen des Statistischen Bundesamtes zeigen, daß sich der Altersaufbau der Bevölkerung Deutschlands auch unter der Annahme einer andauernden Zuwanderung von Aussiedlern und Ausländern bis zum Jahre 2030 gravierend ändern wird. Dabei verschiebt sich das zahlenmäßige Verhältnis zwischen jüngeren und älteren Menschen langfristig zu Lasten der jüngeren Generation. Die Arbeiten an der Aktualisierung der Modellrechnungen zur Bevölkerungsentwicklung konnten bisher nicht abgeschlossen werden.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Zusatzfrage, Herr Kollege.

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie hatten mir im Juli dieses Jahres auf eine schriftliche Anfrage hin mitgeteilt, daß diese Arbeiten in Kürze abgeschlossen werden könnten. Wann wird diese Arbeit abgeschlossen?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Ich kann Ihnen im Moment nicht mehr als das sagen, was hier aufgeschrieben worden ist. Ich bin aber gern bereit, mich nach einem genaueren Zeitpunkt zu erkundigen und Ihnen diesen dann schriftlich mitzuteilen.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wie wird sich bis zum Jahre 2030 das Verhältnis zwischen deutschen und ausländischen Mitbürgern entwickeln?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Diese Frage kann ich Ihnen jetzt an Hand der Unterlagen, die mir vorliegen, nicht beantworten. Ich muß Ihnen anbieten, daß wir dies schriftlich nachreichen.

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Werden Sie es nachreichen?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Ja.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Dann noch eine Zusatzfrage des Kollegen Bindig.

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, kann ich aus der Tatsache, daß die Bevölkerungszahl in der Bundesrepublik Deutschland von derzeit rund 80 Millionen bis zum Jahre 2030 auf 61 Millionen zurückgehen wird, schließen, daß das Boot in Deutschland in der Perspektive nicht voller, sondern immer leerer wird?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Zunächst wird es voller, Herr Kollege, wie ich ausgeführt habe. Bis zum Jahre 2000 wird die Bevölkerungszahl auf 81,1 Millionen steigen. Erst danach ist ein Rückgang zu erwarten.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Die Frage 39 des Kollegen Stiegler ist zurückgezogen worden. Die Frage 40 des Kollegen Kubatschka wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Damit sind wir auch am Ende der Fragestunde, weil weitere Fragen nicht vorliegen. Ich rufe nun Punkt 8 der Tagesordnung auf: a) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({0}) zu der Unter- Vizepräsidentin Renate Schmidt richtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 05 02 Titel 686 12 - Humanitäre Hilfe im Ausland - - Drucksachen 12/3204, 12/3456 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Klaus Rose Dr. Sigrid Hoth Ernst Waltemathe b) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Außerplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 05 02 apl. Titel 686 46 - Errichtung winterfester Flüchtlingsunterkünfte in Kroatien -- Drucksachen 12/3206, 12/3457 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Klaus Rose Dr. Sigrid Hoth Ernst Waltemathe c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Konrad Weiß ({3}) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Humanitäre Hilfe und Unterstützung von Friedensinitiativen für Somalia - Drucksachen 12/2159, 12/3599 Berichterstattung: Abgeordnete Günter Verheugen Ulrich Irmer Gerd Poppe Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache zu diesem Punkt anderthalb Stunden vorgesehen. Als erster hat unser Kollege Hartmut Koschyk das Wort.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute im Parlament u. a. über die Verstärkung deutscher humanitärer Hilfe in dem von Krieg, Flucht und Vertreibung von Menschen erschütterten ehemaligen Jugoslawien sprechen, sollten wir zu Beginn und sicher im Namen des gesamten Hauses all jenen Dank sagen, die als deutsche Hilfsorganisationen im ehemaligen Jugoslawien Menschen helfen: dem Diakonischen Werk, der Caritas, dem Malteser-Hilfsdienst, dem Arbeiter-Samariter-Bund, dem Technischen Hilfswerk, der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit. Ebenso danken wir vielen privaten Hilfsorganisationen von Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes. Wir danken gleichfalls dem Verbindungsbüro der deutschen humanitären Hilfe in Zagreb, das hervorragende Arbeit leistet, und auch unseren Soldaten der Bundeswehr, die unter Gefahr für Leib und Leben ihren wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Luftbrücke nach Sarajevo und zur Versorgung dieser Stadt mit Hilfsgütern leistet. Wir sollten die Anwesenheit des Beauftragten der Vereinten Nationen für Menschenrechtsfragen im ehemaligen Jugoslawien, des ehemaligen polnischen Ministerpräsidenten Mazowiecki, heute bei den Auswärtigen Ausschüssen Polens, Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland - in Anwesenheit von Mitgliedern des Auswärtigen Ausschusses des ungarischen Parlaments - nutzen, um dem ehemaligen polnischen Ministerpräsidenten für seine mutige Mission im ehemaligen Jugoslawien zu danken. ({0}) Wir wissen, daß die leidgeprüften Völker und Staaten in dieser Region, vor allem auch Kroatien und Slowenien, kaum mehr in der Lage sind, über das hinaus, was sie bisher in sehr bemerkenswerter Weise geleistet haben, weitere Hilfe zu erbringen. Im ehemaligen Jugoslawien sind 3 Millionen Menschen auf der Flucht. Kroatien hat 750 000 Flüchtlinge und Vertriebene aufgenommen - das entspricht 20 % der Bevölkerung -, Slowenien 70 000 Flüchtlinge. Wir wissen, daß der bevorstehende Winter eine weitere Verstärkung der Hilfe besonders dringend macht. Wir beraten heute über einen Kabinettsbeschluß vom 21. Juli 1992, mit dem durch den Bau von drei Flüchtlingsdörfern für 8 000 Menschen in Osijek, Vinkovci und Karlovac sowie die Instandsetzung vorhandener Infrastruktur für die Aufnahme von weiteren Menschen die weitere humanitäre Hilfe aus Deutschland verstärkt werden soll. Die Bundesrepublik Deutschland - dies sollten wir deutlich machen - hat bislang neben dem Betrag von 50 Millionen DM weitere direkte Hilfen von mehr als 60 Millionen DM geleistet. Unser Anteil an der EG-Hilfe beträgt 160 Millionen DM. Der Gesamtbetrag Deutschlands in Höhe von 270 Millionen DM ist höher als die Hilfe aller Nicht-EG-Mitglieder der G 24 zusammen. Meine Damen und Herren, ich sage dies nicht, um uns Deutsche als Beispiel lobend herauszustellen, sondern um an die anderen Staaten zu appellieren, im Hinblick auf eine bevorstehende Katastrophe im Winter endlich ihren Beitrag zu verstärken. ({1}) Wir sollten natürlich auch den Bundesländern dankbar sein, die sich hier in bemerkenswerten Größenordnungen engagieren. Allein der Freistaat Bayern engagiert sich mit Hilfsmaßnahmen im Wert von 5 Millionen DM. Die Hilfe, die von Deutschland geleistet wird, kommt Flüchtlingen in Kroatien und auch der Zivilbevölkerung in Bosnien-Herzegowina zugute. Daneben werden auch Flüchtlinge in Ungarn, Serbien und Slowenien versorgt. Die Hilfe erfolgt durch Lebensmittelversorgung und medizinische Betreuung. Dabei sollten wir auch den Beitrag des Bundesministeriums der Verteidigung erwähnen, der die humanitäre Hilfe in Form von Sachleistungen aus Beständen im Wert von 10 Millionen DM unterstützt. Der wohl wichtigste Beitrag der Bundeswehr und unserer Soldaten ist die Beteiligung an der Luftbrücke nach Sarajevo. Bislang fanden rund 200 deutsche Hilfsflüge statt, mit denen 2 000 t Hilfsgüter transportiert wurden. Wir sollten ernst nehmen, was die Soldaten mir und unserem Kollegen Christian Schmidt bei einem Besuch in Zagreb in der vergangenen Woche mitgeteilt haben, nämlich daß die jetzt in den Bundeswehrmaschinen eingebauten Raketenabwehrvorrichtungen bislang nur für kleinere Kampfflugzeuge konstruiert wurden und unseren größeren Transportmaschinen, die dort im Einsatz sind, nur einen partiellen Schutz bieten. Der Bundesminister der Verteidigung sollte deshalb alsbald sicherstellen, daß die deutschen Transportmaschinen technisch so ausgerüstet werden, daß ein größtmöglicher Schutz vor einem eventuellen Raketenangriff gewährleistet wird. Bei der Diskussion über die Verstärkung und bessere Koordinierung der internationalen Hilfe sollten wir auch erwähnen, daß sich von den 540 000 Flüchtlingen, die aus Ländern des ehemaligen Jugoslawien in andere Länder geflohen sind, rund 230 000 in Deutschland befinden. Das sind 42 % der Gesamtflüchtlingszahl. Ich will es mir versagen, zu kritisieren, wie beschämend gering die Aufnahme von Flüchtlingen in anderen EG-Staaten ist. Deshalb ist es sicher politisch wichtig und richtig, daß die Auswärtigen Ausschüsse des Bundestages, des polnischen Sejm und der französischen Nationalversammlung auf Grund des Mazowiecki-Berichts in unsere laufende Debatte einen Antrag einbringen, in dem sie ihre Regierungen auffordern, auf der Ebene der EG, der KSZE und der internationalen Staatengemeinschaft sicherzustellen, daß, wie der ehemalige Ministerpräsident Mazowiecki uns berichtet hat, 15 000 Menschen, die zur Zeit in serbischen Lagern vom Tod bedroht sind, alsbald durch Vermittlung des Internationalen Roten Kreuzes diese Lager verlassen können. Dies scheitert aber, da keine Aufnahmezusagen der internationalen Gemeinschaft für diese Menschen vorliegen. Der Appell der drei Auswärtigen Ausschüsse ist sicher wichtig und richtig. Meine Damen und Herren, internationale Hilfe muß verstärkt und besser koordiniert werden. So war die Initiative des Bundeskanzlers sicher richtig, beim Sondergipfel der EG in Birmingham auf eine weitere Verstärkung dieser Hilfe zu dringen. Es war eine notwendige und richtige Entscheidung, hierfür rasch und effektiv 240 Millionen DM einzusetzen. ({2}) Es darf allerdings nicht dazu kommen, daß man nun auf EG-Ebene zunächst langwierig prüft, Strukturen aufbaut und damit wertvolle Zeit vergeudet, weil man sich z. B. davor scheut, die am besten ausgebaute Infrastruktur der deutschen humanitären Hilfe im ehemaligen Jugoslawien zu nutzen. Das wäre falsch, das wäre kurzsichtig. Die deutsche Infrastruktur ist vorhanden. Unser Büro der deutschen humanitären Hilfe ist bei einer Personalverstärkung in der Lage, pro Woche 1 000 t Hilfsgüter zu bewältigen. Es sollte jetzt nicht lange über neue Strukturen oder eine Verbesserung der bestehenden Strukturen nachgedacht werden. Vielmehr sollte die EG vorurteilsfrei prüfen, ob sie sich nicht bei bei Abwicklung der Hilfsmaßnahmen, die schnell geleistet werden müssen, der deutschen Infrastruktur bedient. Meine Damen und Herren, wir müssen natürlich in einer Debatte über humanitäre Hilfe für die leidgeprüften Menschen im ehemaligen Jugoslawien auch einige politische Bemerkungen machen. Denn, so französische Intellektuelle neulich in einem in Frankreich veröffentlichten Aufruf, „es macht keinen Sinn, den Menschen am Mittag humanitäre Hilfe zu geben und nicht zu verhindern, daß sie am Abend ermordet werden" . Deshalb muß von dieser Debatte auch ein Appell ausgehen, alles Mögliche zu unternehmen, um diesen menschenverachtenden Krieg, dieses Blutvergießen, diese Vertreibung, dieses Morden zu beenden. Es müssen umgehend Sicherheitszonen und -korridore eingerichtet werden, um die Zivilbevölkerung besser zu schützen. Ministerpräsident Mazowiecki hat uns bestätigt, daß man sich trotz vieler Konferenzen und Zusagen von serbischer Seite an nichts hält, die sogenannten ethnischen Säuberungen, die Vertreibungen weitergehen und man von serbischer Seite vollendete Tatsachen schaffen will, um sich für Friedenskonferenzen eine bessere Ausgangslage zu verschaffen. Dies darf die internationale Staatengemeinschaft nicht zulassen. Es muß klar sein, daß in einem eventuellen Friedensprozeß durch militärische Gewalt und Aggression geschaffene Grenzen niemals anerkannt werden dürfen. Das bedeutet auch, daß der Teil des Vance-Planes, der die Rückführung von Vertriebenen und Flüchtlingen in die sogenannten UNPROFOR-Zonen und Pink-zones vorsieht, so weit wie möglich angegangen werden muß, um das Schaffen vollendeter Tatsachen auf serbischer Seite zu verhindern. Wir brauchen sicher auch eine Überwachung und Sanktionierung des Flugverbots über Bosnien-Herzegowina. Wir brauchen die juristische Aufarbeitung der begangenen Kriegsverbrechen. Wir brauchen für all dies natürlich auch einen stärkeren operativen Beitrag, beispielsweise was die Mission von EG-Monitoren anbelangt. Es ist nicht gut, daß von deutscher Seite, wie wir beim Besuch gehört haben, dort zur Zeit der deutsche Beitrag nur in einer Person besteht. Das Auswärtige Amt sollte sich überlegen, ob zur Verstärkung eines deutschen personellen Beitrags für die über die Lage in den verschiedenen Gebieten Informationen liefernden EG-Monitoren im Ruhestand befindliche Beamte des Auswärtigen Amtes reaktiviert werden können. ({3})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Als nächster hat der Kollege Freimut Duve das Wort.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben vor 14 Tagen schon einmal über Hilfe für Bosnien für den bevorstehenden Winter gesprochen. Wir sprechen heute über ein ganzes Paket von zusätzlichen Hilfsmaßnahmen und beschäftigen uns mit zwei Regionen, die uns auf völlig ungewohnte Weise Abend für Abend mit apokalyptischen Bildern versorgen, und zwar in einer Form, wie sie vor uns möglicherweise noch niemand gesehen hat. Ich möchte daran erinnern, weil wir als Abgeordnete ja für die Öffentlichkeit da sind. Das hat es noch nicht gegeben, daß man vom Sterben von Menschen, vom Quälen von Menschen Abend für Abend Fotos und Filme sehen kann. Über den 30jährigen Krieg haben wir einige literarische Zeugnisse, und unser Bild vom 20jährigen Krieg ist durch diese Literatur entstanden. Von Auschwitz haben wir nach Öffnung der Tore vielleicht zehn Fotos. Mehr Bilder haben wir nicht. Und jetzt erlebt die Generation unserer Kinder Abend für Abend eine Bildhaftigkeit, wie sie sie in der Menschheitsgeschichte noch nicht gegeben hat. Es geschehen diese Verbrechen, und wir müssen es jetzt in einer merkwürdigen Distanz aushalten, an diesem Schrecken teilzunehmen und hilflos zu sein. Dies ist wahrscheinlich auch für die öffentliche Kultur unseres Landes eine neue Qualität. Darauf mache ich am Anfang aufmerksam, weil wir es in beiden Regionen, in Somalia und im ehemaligen Jugoslawien, mit der Zerstörung von Staatlichkeit und mit der Zerstörung politischer Kontrollen der Gewalt zu tun haben. In Somalia, so heißt es, ist das Gewehr jetzt billiger als das Brot. Das ist die wirkliche Aussage über die Mischung von Gewalt durch die verschiedenen Clans und Massensterben durch Hunger. Es gibt Formen, zu sterben, die einem Mord gleichkommen. Das ist das Gesicht des Todes im heutigen Somalia. Ein Amoklauf des Hasses scheint ausgebrochen zu sein. So berichten Journalisten. Ich will zu Bosnien wiederholen, was ich vor 14 Tagen gesagt habe: Solange sich die sich politisch nicht kontrollieren lassende Armee Serbiens an diesen völkermordähnlichen Aktionen in dieser Form beteiligt, ist es für mich und viele meiner Kollegen nicht möglich, eine ruhige, unparteiische, neutrale Position einzunehmen. Das bedeutet nicht, daß man die Untaten anderer nicht sieht. Aber hier besteht ein wirklicher Gewichtsunterschied. Eine Armee macht das weiter, was sonst nur ein krimineller Geiselnehmer tut. Ich habe bei dem, was zur Zeit ausgehandelt wird, wo die Bosnier sozusagen gezwungen sind, sich aushandeln zu lassen, das Gefühl, daß das, was nachher dabei herauskommt, so etwas Ähnliches ist wie die unter vorgehaltener Waffe erpreßten Abtretungserklärungen vieler Menschen aus Bosnien und Kroatien, wo die Armee oder die Tschetniks ihnen solche Verträge vorgelegt haben. Trotzdem werden wir mit dem Ergebnis leben müssen. Wir werden aber politisch, Herr Außenminister, nicht akzeptieren können, daß der Sieger seine Gewaltbeute behalten kann. Das werden wir nicht hinnehmen. ({0}) Es hat nach 1945 jedenfalls im überschaubaren europäischen Raum diese Form von ethnischer Vertreibung, von Massenmord und Quälerei von Menschen nicht gegeben. Europa darf das nicht hinnehmen. Wir helfen aus Hilflosigkeit. Aber wir sollten auch wissen, wenn wir jetzt über weitere Entwicklungen nachdenken, daß etwa in Afrika die afrikanischen Staaten, die überhaupt noch tätig sind - es gibt viele, wo die Staatlichkeit zerrieben wird -, 47 % ihrer öffentlichen Ausgaben für den Schuldendienst leisten. Das heißt, in den letzten 20, 30 Jahren ist in unseren wirtschaftlichen Beziehungen zu diesen Ländern etwas dramatisch falsch gelaufen. ({1}) Ich bin froh, daß unsere Fraktion heute ein Konzept vorgelegt hat, in dem die Frage der dauerhaften Ernährung angegangen wird, daß nämlich die Hilfe für Kleinbauern und alle solche Dinge Vorsorgehilfe sein muß, damit überhaupt wieder etwas entstehen kann. Ich will über einen letzten Punkt sprechen. Herr Außenminister, wir haben im Auswärtigen Ausschuß kurz darüber gesprochen, was mit den aus Zwangslagern entlassenen Häftlingen jetzt passieren kann. Mir hat der Staatssekretär auf Anfrage gesagt, daß die Bundesrepublik ihre Bereitschaft erklärt hat, aus den serbischen Zwangslagern entlassene Menschen zu übernehmen. Ich hätte heute gern gewußt, wie weit das ist. Wir haben gestern gehört, daß das wieder in der Luft hängt. Ich hoffe sehr, daß man da rasch zu einer Aufnahmemöglichkeit kommt, nachdem wir die Aufnahmebereitschaft bereits vernommen haben. ({2}) Herr Kollege Koschyk, ich bin froh, daß wir in diesen Tagen in vielen Punkten einer Meinung sind. Wir müssen allerdings aufpassen, daß wir uns im Gespräch mit unseren europäischen Nachbarn bei aller Bitterkeit, die auch ich bei der Unterschiedlichkeit der Hilfszahlungen empfinde - ich empfinde starke Bitterkeit -, nicht in einen Wettstreit, nicht in eine Art Olympiade der Hilfsbereitschaft eintreten. Wir tun das, was wir tun können. Wir hoffen, daß die anderen mehr tun; aber wollen uns da nicht in eine Diskussion einlassen. Ich bin froh, daß uns bei unserem Besuch, den Hans-Ulrich Klose und ich bei Außenminister Dumas und der französischen Regierung vor kurzem gemacht haben, Dumas zu den Hilfslieferungen für das ehemalige Jugoslawien im kommenden Winter gesagt hat: Wir wollen uns genauso engagieren wie die Bundesrepublik Deutschland. Es ist ganz wichtig, daß jene Handlungsfähigkeit Europas, deren Mangel jetzt immer so beklagt wird, wenigstens auf dem Gebiet der Hilfe zustande kommt; denn sonst gibt es überhaupt kein Europa. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jürgen Schmieder.

Dr. Jürgen Schmieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002027, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man die Fernsehbilder der letzten Tage von den Kriegshandlungen in Bosnien, wo sich jetzt die ehemals verbündeten Kroaten und Moslems auch noch untereinander bekriegen, und vor allem von den verschärften Angriffen auf Sarajevo sieht, wird sehr schnell deutlich, daß die humanitäre Hilfe für die betroffene Zivilbevölkerung unbedingt weitergeführt werden muß. Da nun außerplanmäßig weitere Gelder der Bundesregierung zur Winterhilfe für die Opfer des Krieges in Bosnien zur Verfügung gestellt werden, ist es jetzt Zeit, konkrete Projekte anzugehen. Während meines Besuchs im Verbindungsbüro des Auswärtigen Amtes für die Deutsche Humanitäre Hilfe in Zagreb wurde ich auf viele Probleme hingewiesen, die in absehbarer Zeit unbedingt gelöst werden müssen. Wegen der Kürze meiner Redezeit möchte ich hier nur über einige wenige dieser Projekte sprechen, die schnell und unbürokratisch realisiert werden könnten und zu einer effizienten Winterhilfe beitragen. Wichtig ist die Hilfe an Ort und Stelle. Hier nenne ich die Aktivitäten der Bundesregierung und der Deutschen Humanitären Hilfe im Wert von 50 Millionen DM zur Schaffung von Unterkünften in Kroatien für ca. 20 000 Flüchtlinge. Gleichzeitig ist die Winterhilfe unsere vorrangige Aufgabe. Hier könnten vor allem NVA-Ausrüstungsgegenstände, z. B. TatraLkw und Öfen, den deutschen humanitären Hilfsorganisationen oder dem UNHCR zur Verfügung gestellt werden. Der Fuhrpark der ehemaligen NVA ist aus meiner Sicht noch gut bestückt. Es dürfte also keinerlei Probleme bereiten, einige geländegängige Lkw bereitzustellen. Erste Gespräche hierzu habe ich bereits aufgenommen. Ich hoffe auf eine zügige Abwicklung. Ich zähle hier auf die Bundesregierung, Herr Minister Kinkel. Bei dieser Gelegenheit möchte ich Sie, meine Kolleginnen und Kollegen, dazu ermuntern, Hilfsaktionen zu fördern oder gar zu initiieren. In den Krisenregionen fehlt es immer noch an allem. Hier gibt es ein reiches Betätigungsfeld. Neben warmer Kleidung, den erwähnten Öfen und anderen für die kalte Jahreszeit überlebensnotwendigen Gegenständen fehlt es auch an Nahrung, Medikamenten und medizinischem Material. Grundnahrungsmittel wie Mehl, Fleischkonserven, Margarine, Öl, Milchpulver und Babynahrung werden genauso dringend benötigt wie Wasch-, Desinfektions- und Reinigungsmittel und Grundsortimente von Medikamenten und Ausrüstungsgegenständen für Krankenhäuser. Im Lauf der Zusammenarbeit mit den deutschen Hilfsorganisationen ist mir aufgefallen, daß fast ausschließlich Firmen der alten Bundesländer mit Lieferaufträgen für humanitäre Hilfsgüter betraut werden. Dies ist mir nicht einsichtig. Firmen der neuen Bundesländer können genauso gute Qualität zu teilweise niedrigeren Preisen liefern. Sie sollten durchaus als Hilfsgüterlieferanten ins Auge gefaßt werden. Das wäre sicherlich auch ein wertvoller Beitrag zum Aufschwung Ost. Einen Vorschlag des Leiters des Verbindungsbüros des Auswärtigen Amtes, Herrn Dr. Wulffen, möchte ich Ihnen hier noch zur Kenntnis bringen. Er schlug vor, in Ploce ein weiteres Lager der Deutschen Humanitären Hilfe zu eröffnen. Dies ist aus meiner Sicht absolut notwendig, wenn man bedenkt, daß die einheimischen Fahrer bisher rund 48 Stunden für die Fahrt aus den Ortschaften in Bosnien nach Zagreb und zurück benötigen. Durch die Einrichtung des zweiten Lagers in Ploce würde man mindestens 30 Stunden Fahrt vermeiden und damit eine zügigere Abwicklung der Hilfsleistungen erreichen. Dies sind nur einige wenige Beispiele, wie wir die unvorstellbar hohe Zahl von 400 000 befürchteten Wintertoten senken können. Wir dürfen in unseren Bemühungen, Frieden zu stiften und Hilfe zu leisten, nicht nachlassen, denn es ist ein schrecklicher Gedanke, hier Weihnachten zu feiern, während praktisch vor unserer Haustür Menschen sterben und verhungern. Danke. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Nun hat Frau Kollegin Angela Stachowa das Wort.

Angela Stachowa (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002211, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In meinem Beitrag möchte ich von den vorliegenden Drucksachen etwas weggehen. Ich möchte auch nicht konkret auf die Lage im ehemaligen Jugoslawien und nicht auf Somalia eingehen. Humanitäre Hilfe werden wir auch weiterhin in anderen Ländern leisten müssen. Ich möchte generell dazu etwas sagen, was humanitäre Hilfe kann und was sie nicht kann. „Wer das Menschsein eines anderen Menschen ignoriert, verneint das eigene." So lautet ein Ausspruch des afrikaansen Schriftstellers Breyten Breytenbach, der mit den Mitteln der Kunst für die Würde der Menschen eintrat. Das Menschsein hängt kausal von den Umständen ab, unter denen der Mensch lebt. Die Umstände in Mitteleuropa sind sicher ganz anders als die in Mittel- oder im Süden Afrikas. Was uns aber alle eint, sind der Wille zum Leben, der Wille zum Menschsein und natürlich auch die Bereitschaft von vielen Menschen, etwas für Menschen in einem anderen Land zu tun. Aber da fangen die Probleme schon an. Da sind wir bei einem Thema, das huminitäre Hilfe heißt und doch nur zu Schönheitskorrekturen am vernarbten Antlitz unserer Welt, unserer Erde und seinen Bewohnern führen kann. Manches wäre vermeidbar, manche Auswirkungen wären geringer, wenn in den vergangenen Jahrzehnten, ja Jahrhunderten anders mit der Natur umgegangen worden wäre, wenn die Menschen gelernt hätten, das Menschsein gegenseitig unabhängig von Rasse und Religion zu respektieren, wenn heute, am Ende des 20. Jahrhunderts, an Ort und Stelle entsprechende Strukturen und Organisationen für Notfälle und Katastrophen vorhanden wären. Nur ist die Wirklichkeit leider so, daß Katastrophen und Notfälle in der Regel auch noch die ärmsten der Länder, ja die Ärmsten der Armen treffen, wo schon zu normalen Zeiten Überlebensprobleme en masse auftreten. Der Zusammenhang zwischen Unterentwicklung und Katastrophenanfälligkeit scheint eindeutig. Wir reden hier und heute über humanitäre Hilfe und nicht über Entwicklungshilfe, die bekanntermaßen auch nur Folgen mindern kann und viel zu wenig in der Lage ist, Ursachen zu bekämpfen. Was die humanitäre Hilfe angeht, so ist sie in der Regel an ganz bestimmte Ereignisse gebunden und beruht auch zum nicht geringen Teil auf finanziellen und anderen AufAngela Stachowa wendungen und Spenden der Menschen, der Bevölkerung. Hier sehe ich ein weiteres Problem. Erst durch die Medien wird eine Katastrophe zu einer solchen und wird so in das Bewußtsein der Menschen und der Politiker getragen. Unabhängig davon, wie lange diese Katastrophe vorausschaubar war, manchmal sogar schon latent vorhanden war, erst bestimmte Ereignisse und die dazugehörige Medienwirksamkeit wecken das Interesse an diesem bestimmten Ereignis. Dann wachsen Spendenaufkommen und Bereitschaft, etwas zu tun. Doch die Zeit ist schnellebig. Einige Tage später wird es neue Katastrophenmeldungen und neue Aufrufe und neue Spenden geben. Die Anhörung des Unterausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im März dieses Jahres zu Fragen der humanitären Hilfe macht betroffen. Neben der berechtigten Würdigung der zahlreichen staatlichen Organisationen, die Herr Koschyk genannt hat - diesem Dank schließe ich mich an -, und der aufopferungsvollen Einzelkämpfer der verschiedenen nichtstaatlichen Organisationen, mußte dort darauf aufmerksam gemacht werden, daß nicht selten die humanitäre Hilfe nicht den Betroffenen geholfen hat, sondern denjenigen, die ihre Güter verkaufen konnten. Das ist für mich etwas makaber. Mißbrauch humanitärer Hilfe zur Selbstdarstellung und billiger Publicity, das entspricht keineswegs dem Ernst der Situation. Überlebenshilfe in akuten Fällen - wer wird daran vorbeigehen? Aber in der Regel geht es um viel mehr, um Rehabilitationshilfe und Wiederaufbau, um Gesundheit und trinkbares Wasser auch in der Zukunft, gerade in Somalia, aber eben nicht nur dort. Humanitäre Hilfe hat für mich etwas mit Humanismus zu tun. Humanitäre Hilfe darf nicht unter dem Gebot politischer Beliebigkeit erfolgen. Wer humanitäre Hilfe behindert, dem sollte öffentliche Ächtung widerfahren. Dies betrifft auch das von Präsident Bush unterzeichnete sogenannten Kuba-Demokratiegesetz, mit dem anderen Staaten vorgeschrieben werden soll, wie Sie ihre Beziehungen zu Kuba zu gestalten haben. Auch eine kritische Position zur Politik eines Staates berechtigt niemanden, eine Blokkadepolitik zu betreiben, die die Gefahr sozialer Explosionen steigert. Humanitäre Hilfe darf nicht durch geberorientiertes Handeln und aktionistisches Tun bestimmt sein, wie bei der bereits genannten Anhörung ebenfalls bemängelt wurde, sondern sie muß den Menschen tatsächlich helfen. Humanismus bedeutet, auch den Kindern in Kuba die noch in DDR-Zeiten zugesicherten Milchlieferungen zu garantieren und sich weniger darüber auszulassen, ob das nun einem kommunistischen Regime dient. Es geht hierbei um Milch für Kinder und nicht um Waffen. Wenngleich die humanitäre Hilfe gewaltige Summen ausmacht, die nicht alle durch den Haushalt erfaßt werden, so stehen diese Haushaltsausgaben doch in keinem Verhältnis zu anderen Ausgaben der Budgets der hochentwickelten Industrieländer. Humanitäre Hilfe muß angemessen, darf aber kein Almosen sein. Humanitäre Hilfe wird auch in der Zukunft notwendig sein, aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein bleiben. Wenn dieses möglicherweise etwas didaktisch geklungen hat, was humanitäre Hilfe sein kann und sein muß, dann ist daran meine Betroffenheit schuld. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Konrad Weiß.

Konrad Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002461, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich danke Ihnen, Herr Kollege Duve, für Ihre nachdenklichen Worte über unsere Fähigkeit oder Unfähigkeit, das, was in Jugoslawien, in Somalia, an vielen Orten der Welt geschieht, wirklich aufzunehmen und dementsprechend zu handeln. Ich denke, es werden sich uns in Zukunft immer mehr Fragen stellen, wie wir angemessen und vor allem rechtzeitig auf Krisensituationen und sich anbahnende Konflikte reagieren und deeskalierend friedenstiftend wirken können und daher nicht nur als Hilfebringer in einer Situation kommen müssen, wo Bürgerkrieg, Elend und Hungersnot schon in eine unausweichliche Sackgasse geführt haben. Unsere Unfähigkeit, auf einen aktuellen Notstand angemessen zu reagieren, wurde uns in Somalia überdeutlich vor Augen geführt. Unser Instrumentarium wird den tatsächlichen Herausforderungen nicht mehr gerecht. Es ist Zeit. Wir müssen nach neuen und humanen Strategien suchen. Ähnliches gilt für Jugoslawien. Auch dort haben die bewährten Muster versagt. Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat im Februar den Antrag „Humanitäre Hilfe und Unterstützung von Friedensinitiativen für Somalia" in den Bundestag eingebracht. Wir begrüßen es, daß diese Initiative von den Fraktionen aufgegriffen wurde und wir heute über eine interfraktionelle Initiative sprechen. Unbefriedigend ist aber, daß ein Antrag, in dem es um schnelle Hilfe für Menschen geht, die vom Hungerstod akut bedroht sind, erst fast zehn Monate später abschließend beraten wird. Menschen, denen durch unsere Hilfe geholfen werden sollte, sind heute vielleicht schon verhungert. Ich denke, derartige Hilfsaktionen müssen schnell, unkompliziert und koordiniert verlaufen. Auch der Deutsche Bundestag hat dazu flexibler und engagierter beizutragen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Weiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Duve?

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich teile die Kritik daran, daß dieser Antrag sehr lange in der Beratung war. Aber stimmen Sie mit mir darin überein, daß die Bundesre9966 gierung und auch wir in der Zwischenzeit sehr intensiv immer wieder beraten haben? Über diese Hilfe für Somalia ist im Unterausschuß für Menschenrechte fast in jeder zweiten Sitzung gesprochen worden. Das heißt, es darf hier nicht der Eindruck entstehen, daß durch die Länge der Beratung Ihres Antrags etwa keine Hilfe erfolgt sei. Sie ist erfolgt. ({0})

Konrad Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002461, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich würdige das durchaus. Den gegenteiligen Eindruck wollte ich nicht erwecken. Es geht mir aber darum, daß sich auch der Bundestag neue Instrumente schaffen und in der Lage sein muß, schneller und flexibler zu reagieren, gerade in solchen Notsituationen. Das wollte ich sagen. Ich verkenne nicht die Hilfe, die geleistet worden ist, und würdige sie voll und ganz. Die Situation in Somalia war frühzeitig abzusehen. Seit Anfang des Jahres haben somalische Flüchtlinge in Deutschland versucht, Kontakt zu Vertreterinnen und Vertretern der Parteien zu knüpfen und die Öffentlichkeit auf die drohende, ja schon eingetretene Katastrophe aufmerksam zu machen. Wirklich ins Bewußtsein gedrungen ist die Katastrophe jedoch erst, als uns die entsetzlichen Hungerbilder erreichten. Ich erkenne an, daß die Bundesregierung seit dem Zusammenbruch des Siad-Barre-Regimes im Jahr 1991 humanitäre Hilfe in Somalia leistet. Ca. 95 Millionen DM hat Deutschland allein 1992 zur Rettung von Menschenleben in den Flüchtlingslagern von Somalia bereitgestellt. Aber gemessen an der Not ist auch das zu wenig. Für Verteidigung haben wir im selben Zeitraum, also 1991 und 1992, - ich sage das, auch wenn es wie Asche in meinem Mund ist - mehr als das Tausendfache ausgegeben. Bei der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses geht es zum anderen um die Linderung akuter Not in Jugoslawien. Ich bin überzeugt, daß sich niemand hier im Hause - Ihre Beiträge, meine Kolleginnen und Kollegen, haben das gezeigt - gegen die außerplanmäßige Ausgabe für die Errichtung winterfester Unterkünfte für Flüchtlinge in Jugoslawien und Kroatien sperren wird. Angesichts des zu erwartenden Massenelends, das mit großer Wahrscheinlichkeit im kommenden Winter über die zahllosen Flüchtlinge im ehemaligen Jugoslawien hereinbrechen wird, kann auf diese Aufwendungen ganz und gar nicht verzichtet werden. Sie sind dennoch nicht viel mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. 20 000 Flüchtlinge in Kroatien werden von diesen zusätzlichen Maßnahmen profitieren, werden vielleicht die Chance erhalten, den nächsten Winter einigermaßen unbeschadet zu überstehen. Das ist ein guter und wichtiger Schritt, der sich in das überdurchschnittliche Engagement der deutschen Öffentlichkeit und auch der Bundesregierung einreiht - ich würdige das ausdrücklich-, das Flüchtlingselend auf dem Balkan lindern zu helfen. Leider sind es nur wenige Länder in Europa - ich gebe Ihnen, Herr Kollege Koschyk, da recht -, die wesentliche und wirksame Hilfe für die aktuelle Notsituation in den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens in gleichem Maße zu leisten bereit sind. In Deutschland haben viele Flüchtlinge zeitweilig Zuflucht gefunden, mehr als in jedem anderen Land Europas; und das ist gut. Bereits 1991 und verstärkt in diesem Jahr hat die Bundesregierung zusätzliche Mittel in erheblicher Höhe aufgewendet, um zum einen über die Europäische Gemeinschaft und die Organisation der Vereinten Nationen, zum anderen direkt und bilateral Hilfe zu leisten. Dennoch ist all das nicht genug. Die hier zur Beschlußfassung vorliegende Maßnahme soll etwa 50 Millionen DM umfassen. Ca. 20 000 Menschen, Flüchtlinge aus den Nachbarstaaten Kroatiens, wird dadurch geholfen werden. Das ist ziemlich genau ein Prozent der binnenjugoslawischen Flüchtlinge und der displaced persons, die in der neuesten Statistik der UNHCR für die Nachfolgestaaten Jugoslawiens registriert sind, nämlich mehr als 2 Millionen Menschen, ohne die Hunderttausende, die außerhalb des ehemaligen Jugoslawiens Zuflucht gefunden haben. Wir müssen uns das ganze Ausmaß dieser außerordentlichen Flüchtlingskatastrophe immer wieder neu vor Augen führen, um endlich auch im europäischen Zusammenwirken zu einem entschlossenen Eingreifen, zum politisch einheitlichen Vorgehen gegen den jugoslawischen Krieg zu kommen. Es geht einfach nicht an, daß sich einige unserer Partner mit politischen Demonstrationen begnügen und sich beharrlich weigern, ein dem unseren vergleichbares Engagement im Rahmen konkreter humanitärer Hilfe innerhalb und außerhalb Jugoslawiens aufzubringen. Dazu gehört auch, daß das Embargo endlich konsequent und überall durchgesetzt wird. ({0}) Dieser Krieg muß ausgetrocknet werden, radikal und endgültig; sonst werden alle unsere humanitären Bemühungen vergeblich sein. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile dem Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus Kinkel, das Wort.

Dr. Klaus Kinkel (Minister:in)

Politiker ID: 11002696

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Not und Elend der Menschen in vielen Teilen der Welt wachsen leider immer noch. Die Gründe sind vielfältig: Kriege, Zusammenbruch der staatlichen Ordnung, Naturkatastrophen. Es ist schon gesagt worden: Tagtäglich erschüttern uns die schrecklichen Bilder, die uns über das Fernsehen und auf anderen Wegen erreichen. Entsprechend groß muß im Rahmen unserer Außenpolitik unsere humanitäre Soforthilfe sein. Die Krisen sind leider schneller gewachsen als die Instrumente, um mit ihnen fertig zu werden; ich habe es von dieser Stelle aus schon mehrmals gesagt. Es ist natürlich ein Unterton dabei, der mir richtig wehtut. Unsere besondere Sorge gilt und muß jetzt - angesichts des unmittelbar bevorstehenden Winters - den Flüchtlingen und Vertriebenen im ehemaligen Jugoslawien gelten - das ist hier erwähnt worden -, insbesondere in Bosnien-Herzegowina. Wenn hier nicht umgehend geholfen wird, werden wir gemeinsam Schreckliches erleben, und zwar nicht nur, weil wir es herbeireden, sondern weil es tatsächlich eintreten wird. Seit Ausbruch der bewaffneten Auseinandersetzungen Mitte 1991 leisten wir umfassende Hilfe in Form von Nahrungsmitteln sowie anderen lebenswichtigen Hilfsgütern und medizinischer Versorgung. Das im Dezember 1991 in Zagreb eingerichtete Verbindungsbüro „Deutsche Humanitäre Hilfe" sorgt dafür, daß, soweit es irgendwie geht, diese Hilfsgüter rasch und effizient zu den Menschen kommen. Über ein großes Zwischenlager in Zagreb - und demnächst auch eines an der Adria - werden die Hilfsgüter an die Flüchtlinge und Vertriebenen verteilt. Seit Juli 1992 beteiligen wir uns mit zwei in Zagreb stationierten Transportflugzeugen der Bundeswehr an der Luftbrücke nach Sarajewo. Wir haben bisher 7 Millionen DM dafür aufgewendet. Mit etwa 220 Flügen wurden über 2 100 Tonnen Hilfsgüter nach Sarajewo und Split gebracht. Wir liegen damit weit vorn. Im Juli 1992 hat die Bundesregierung außerplanmäßig 50 Millionen DM zur Schaffung winterfester Unterkünfte in Kroatien für immerhin 20 000 Flüchtlinge aus Bosnien und für kroatische Vertriebene zur Verfügung gestellt. Dieses Großprojekt wird im Augenblick realisiert. Ich habe gestern im Kabinett darüber berichtet. In drei Flüchtlingsdörfern sollen 8 000 Menschen in Fertighäusern untergebracht werden. Es war schwierig, das jetzt vor der Winterzeit noch zu schaffen. Übrigens gab es nicht die Möglichkeit, dies über eine deutsche Firma zu erreichen. Auch in Slowenien werden mit 1 Million DM Flüchtlingsunterkünfte winterfest hergerichtet. In der Gegend von Bihac, einer überwiegend von Moslems bewohnten Region im Nordwesten Bosnien-Herzegowinas, soll gemeinsam mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen ein deutsch-französisches Hilfsprojekt zur Linderung des Flüchtlingselends durchgeführt werden. Der Europäische Rat in Birmingham hat auf unseren Vorschlag kürzlich zusätzlich ein Hilfsprogramm von einer Milliarde US-Dollar für das ehemalige Jugoslawien im humanitären Bereich beschlossen. Die EG trägt ungefähr 600 Millionen US-Dollar; der Rest soll - übrigens auch auf unseren Vorschlag -, von allen Ländern einschließlich der islamischen Länder, aufgebracht werden, die an der Londoner Konferenz teilgenommen haben. Unsere unmittelbare humanitäre Hilfe für die Opfer des Jugoslawien-Konflikts beläuft sich bisher auf gut 114 Millionen DM. Bei Einbeziehung des deutschen Anteils an der EG-Hilfe in Höhe von 578 Millionen DM ergibt sich ein Gesamtbetrag von über 275 Millionen DM. Damit stehen wir - und das muß man auch einmal betonen dürfen - mit weitem Abstand an der Spitze der bilateralen Geber. Dazu kommen zahllose private Spenden und Unterstützung aus der deutschen Bevölkerung. Ich möchte das bei dieser Gelegenheit noch einmal deutlich und klar sagen: Die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung, gerade dem früheren Jugoslawien gegenüber, ist enorm. An der Spitze stehen wir auch mit unserer umfangreichen Soforthilfe für die Bevölkerung in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion. Ich will die Beträge hier jetzt nicht im einzelnen nennen. Ich war stolz darauf, daß ich als deutscher Außenminister bei der Lissaboner Konferenz darauf hinweisen konnte, daß über 50 % dessen, was da aufgebracht wird, aus der Bundesrepublik Deutschland kommt. Wir können uns also auch da mit unserer Leistung sehen lassen. Ich sage das nicht im Hinblick darauf, daß wir die Größten wären. Ich teile die Meinung von Herrn Duve, daß wir nicht eine „Olympiade" veranstalten sollten. Aber wir haben ja im Augenblick ein paar andere Probleme - ich will gleich noch darauf zurückkommen -, und schon deshalb ist es, glaube ich, wichtig, daß wir die Möglichkeit haben, auf diese Dinge hinzuweisen. Man muß auch sagen, daß wir dank der Mithilfe unserer Bürger über 250 000 Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien aufgenommen haben. Das ist - nach Kroatien - die mit Abstand höchste Zahl. Unsere Bevölkerung hat auch da unter Beweis gestellt, daß unsere Türen offen sind, wenn Not und Bedrängnis anklopfen, und dies in einer Zeit, wo wir zusätzlich einen immer dramatischer anschwellenden Strom von Asylbewerbern, die bei uns um Aufnahme bitten, vor der Tür sehen. Daß wir trotzdem praktisch als einziges EG-Land diese große Menge an Jugoslawienflüchtlingen aufnehmen, gehört auch zu dem Deutschlandbild, das gegenwärtig durch die Bilder von rechtsradikalen Ausschreitungen mit Schande bedeckt wird. Ich werde im Ausland immer häufiger auf diese Vorkommnisse angesprochen, die ich nicht wegzudrükken versuche und auch nicht wegdrücken kann; aber ich versuche, demgegenüber immer wieder das andere Bild, das Bild praktizierter Mitmenschlichkeit, hervorzuheben und darauf hinzuweisen, daß viel von dem, was im Augenblick geschieht, ja u. a. darauf zurückzuführen ist, daß wir wegen der Ereignisse des Dritten Reiches, der schrecklichen Ereignisse der Nazizeit, ein superliberales Ausländerrecht in Form des Art. 16 und unserer Ausländergesetze geschaffen haben. Und es ist eine gewisse Tragik, daß uns mit - ich sage: mit - aus diesem Grunde im Augenblick eine Dimension zu überrollen droht, die die Akzeptanz in der Bevölkerung verloren hat. Ich komme gerade von einer Asienreise zurück. Ich würde einschätzen, daß ich etwa ein Drittel meiner Gespräche mit den ausländischen Kollegen im Augenblick damit zubringe, daß ich versuche, dieses Thema zu erklären. Ich versuche es!

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Augustinowitz? - Bitte.

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, könnten Sie uns erklären, was Sie damit meinten, als Sie in Peking gesagt haben, daß Sie auf Grund der deutschen Situation Schwierigkeiten hätten, die Machthaber in Peking auch öffentlich deutlich auf die Menschenrechtssituation in China hinzuweisen?

Dr. Klaus Kinkel (Minister:in)

Politiker ID: 11002696

Ich bin Ihnen dankbar für diese Frage. Im übrigen habe ich mich dort nicht so ausgedrückt, wie Sie es jetzt sagen. ({0}) - Ja, gut, manchmal melden Medien ja auch Dinge, die nicht ganz so zutreffend sind. Ich habe mich, was Menschenrechte anbelangt, in China generell auf eine Art und Weise eingesetzt und dies auch nach draußen artikuliert, wie man das stärker nicht machen kann. Was spezielle Menschenrechtsfälle anbelangt, habe ich erklärt, daß ich ungern etwas nach außen trage, was nicht nach außen getragen werden sollte. Ich bin aber sehr gern bereit, Ihnen persönlich zu sagen, was ich insoweit besprochen habe. Leise Töne helfen in diesem Zusammenhang bei Einzelfällen manchmal mehr, als wenn man es laut sagt. Im übrigen - ich gehe davon aus, daß mir die Zeit jetzt nicht angerechnet wird - ({1}) - Erlauben Sie mir, daß ich die Antwort gebe, weil es ja, glaube ich, nicht ganz unwichtig ist, auf diese Frage zumindest knapp einzugehen. Wer seitens der Bundesrepublik und insbesondere als deutscher Außenminister Menschenrechte im Ausland vertritt, muß im Hinterkopf haben und wissen, was bis 1945 in diesem Lande war. Dazu haben wir uns zu bekennen. Er muß auch wissen, was im anderen Teil Deutschlands bis zur Wiedervereinigung war, nämlich auch ein Unrechtsregime, wenn auch völlig anderer Prägung. Und er muß letztlich auch einkalkulieren, daß ihm nicht zu Unrecht entgegengehalten wird, was im Augenblick hier in der Bundesrepublik abläuft, nicht veranlaßt durch die Regierung oder durch das Parlament, sondern von einzelnen Menschen. Aber die Bevölkerung in den Ländern der Dritten Welt empfindet, daß das Faktum als solches existiert, und hat den Eindruck, daß die Bundesregierung bzw. die Verantwortlichen in diesem Land damit nicht fertigwerden. So habe ich das angesprochen, und so meine ich es auch.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Bundesminister, Sie haben eine Frage gestellt bekommen, die nicht zu unserem Thema gehört. Man kann natürlich jede Frage mit jedem Thema in Verbindung bringen. Das ist Ihrer Redezeit nicht angerechnet worden. Aber ich bin nicht bereit, weitere Fragen außerhalb des Themas zuzulassen. Wir sprechen jetzt über die humanitäre Hilfe, und ich bitte, auch nicht über Eselsbrücken ein anderes Thema hier einzuführen. Ich kann den Bundesminister überhaupt nicht hindern zu reden. Er hat als Vertreter der Regierung jederzeit das Rederecht. Wenn Sie eine solche Frage anschneiden, die übrigens gestern ausführlich in der Fragestunde behandelt worden ist, ({0}) dann muß er Gelegenheit haben zu antworten. Wenn er kein Minister wäre, könnte ich ihn zur Sache rufen. Sie alle kann ich zur Sache rufen. Also bitte ich Sie herzlich darum, wenn Zwischenfragen gestellt werden, dann zu dem Thema, das jetzt abgehandelt wird. Herr Kollege Wallow? - Erledigt. Kollege Pinger? - Herr Bundesminister, sind Sie bereit, eine weitere Zwischenfrage zu beantworten? Das verlängert aber Ihre Redezeit beträchtlich! - Bitte.

Prof. Dr. Winfried Pinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001719, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich möchte Bezug nehmen auf die letzten Sätze des Ministers und folgende Frage stellen. Ich halte es für selbstverständlich, aber ich möchte es geklärt wissen: Herr Minister, ist bei Ihren Äußerungen und bei Ihren Antworten hinreichend klargeworden, daß zwischen dem, was an Rechtsverletzungen durch den Staat in China geschehen ist, und dem, was hier Terroristen tun -

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Entschuldigung, ich hatte eben gesagt, daß wir dieses Thema jetzt nicht auf der Tagesordnung haben. ({0}) - Den Minister kann ich nicht davon abhalten zu antworten. Aber Sie kann ich davon abhalten zu fragen. Das ist die Gewalt des Präsidenten hier. Es geht auch nicht, daß wir ein Thema auf der Tagesordnung haben und daß dann über eine Viertelstunde oder mehr durch ein völlig anderes Thema, das im Frage-und-Antwort-Spiel erledigt wird, die Tagesordnung verändert wird. Ich bitte also herzlich um Verständnis. Herr Minister, die Frage ist ja zum Teil bereits gestellt. Ich nehme an, Sie werden sie zum Teil beantworten wollen. Aber dann bäte ich doch, daß wir mit unserem Thema fortfahren dürfen.

Dr. Klaus Kinkel (Minister:in)

Politiker ID: 11002696

Herr Abgeordneter Pinger, selbstverständlich beantworte ich die Frage, wenn auch sehr knapp: Ja, dies ist, glaube ich, deutlich und klar zum Ausdruck gekommen. Ich darf fortfahren, Herr Präsident. - Über dem Leid vor unserer Haustür haben wir die Not und das Elend von Menschen in anderen Teilen der Welt nicht aus den Augen verloren. Unsere Hilfe für Somalia, auch vorher schon angesprochen, ist dafür beispielhaft. Im August 1992 wurden weitere 20 Millionen DM überplanmäßig zur Verfügung gestellt. Wir haben da - wie Sie wissen - mit zwei Transall-Maschinen geholfen. Einzelheiten will ich Ihnen ersparen. Die bilaterale Hilfe beläuft sich inzwischen auf gut 45 Millionen DM, also fast 50 Millionen DM insgesamt. Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch den Soldaten der Bundeswehr für ihre nicht ungefährlichen Einsätze sehr herzlich danken. ({0}) Die Schreckensbilder von Hunger und Flüchtlingselend tragen aber nicht nur die Namen Somalia und Bosnien-Herzegowina. Sie wissen, wo überall auf dieser Erde es noch brennt und Katastrophen entstehen. Ich habe dank Ihrer Unterstützung gerade auch nach Pakistan Gelder zur Hilfe nach der Flutkatastrophe bringen können. Das ist sehr, sehr dankbar aufgenommen worden. Lassen Sie mich noch ganz knapp auf zwei Dinge eingehen. Einmal hat die internationale humanitäre Hilfe inzwischen Dimensionen angenommen, die eine bessere Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten erforderlich machen. Auf Initiative der Bundesregierung ist die Stelle eines UN-Koordinators für humanitäre Hilfe eingerichtet worden. Wir haben auch national etwas getan. Herr Eiff, früher Botschafter in Belgrad, ist zum Beauftragten der Bundesregierung für humanitäre Hilfe bestellt worden. Ich glaube, daß das eine gute Entscheidung war. ({1}) - Der Bundesregierung!

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Eine Zwischenfrage des Kollegen Bindig.

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Außenminister, die Frage ist wichtig, weil uns im Unterausschuß gesagt worden ist, das sei nicht der Beauftragte der Bundesregierung für humanitäre Hilfe, sondern der Beauftragte des Auswärtigen Amtes. Man habe sich innerhalb der Bundesregierung nicht einigen können, einen solchen Beauftragten zu benennen. Würden Sie deshalb bitte einmal genau sagen, was denn nun der Fall ist?

Dr. Klaus Kinkel (Minister:in)

Politiker ID: 11002696

Also, da muß ich Ihnen sagen, daß das für mich neu ist. Ich war der Meinung, wir hätten uns darauf geeinigt, daß das ein Beauftragter der Bundesregierung ist. Im übrigen: Wenn es denn so wäre, daß es der Beauftragte des Auswärtigen Amtes ist, dann ist er ja, wenn Sie so wollen, auch ein Beauftragter der Bundesregierung. Aber ich will mich gern noch einmal sachkundig machen. ({0}) - So ist es, ja. ({1}) Meine Damen und Herren, ja, wir haben eigene interne Probleme. Dennoch werde ich nicht müde, hier in Deutschland immer wieder darauf hinzuweisen - ich tue es zum drittenmal von diesem Platz aus -, daß wir aus der Sicht des Auslands und gerade aus der Sicht der Dritten Welt eine Insel der Glückseligkeit sind - nach wie vor! Das müssen wir in Erinnerung rufen, wenn es um diese Probleme geht, die weltweit bestehen. Ich möchte dem Parlament für die Unterstützung danken, die mir, die dem Amt in diesen schwierigen Fragenkreisen immer zuteil geworden ist. Ich möchte auch dem früheren polnischen Ministerpräsidenten Mazowiecki für seinen Einsatz in besonderer Weise danken. Ich werde ihn übrigens nachher sehen. Herr Abgeordneter Duve, es kann überhaupt keine Frage sein - da brauche ich, glaube ich, gar nicht groß weiter zu fragen -, daß wir als Bundesrepublik, als Bundesregierung selbstverständlich Flüchtlinge aus den Lagern im ehemaligen Jugoslawien aufnehmen werden, und zwar in einem Umfang, wie es sich als notwendig herausstellen wird. Da brauchen keine großen Beschlüsse gefaßt zu werden; ({2}) das wird hier erklärt, und das wird auch geschehen. Die Bundesrepublik wird ja wohl in der Lage sein, auf diese Art und Weise zu helfen. Die beabsichtigte Entschließung, die Sie hier fassen wollen, wird von mir massivst unterstützt und begrüßt. Ich bedanke mich jetzt schon dafür. - Herzlichen Dank. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen Duve.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Außenminister hat eben darauf hingewiesen: Vor etwa einer Stunde haben die drei Ausschüsse des polnischen Sejm, der französischen Nationalversammlung und des Deutschen Bundestages, die für die auswärtige Politik arbeiten, eine gemeinsame Entschließung gefaßt und haben uns gebeten, daß wir diese auch hier im Hause mit verabschieden. Ich möchte, wenn Sie erlauben, Herr Präsident, diese knappe Entschließung hier verlesen: Die Auswärtigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages, der Assemblée Nationale der Französischen Republik und des Sejm der Republik Polen, in Bonn versammelt am 5. November 1992, unter dem Eindruck des erschütternden Berichts des Sonderberichterstatters für Menschenrechtsfragen der Vereinten Nationen in Jugoslawien, Ministerpräsident a. D. Dr. Tadeusz Mazowiecki, fordern die Regierungen ihrer Länder auf, über die bisherigen Hilfeleistungen hinaus in einer gemeinsamen Anstrengung den Menschen, die in Lagern im ehemaligen Jugoslawien unter menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten werden und die an Leib und Leben bedroht sind, unverzüglich Aufnahme zu gewähren. Sie appellieren darüber hinaus an ihre Regierungen, umgehend Initiativen zu ergreifen, um die Aufnahmebereitschaft der internationalen Staatengemeinschaft, insbesondere der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, zu verstärken. Da dies uns eben zugegangen ist, denke ich, daß wir das hier als einen gemeinsamen Antrag im Deutschen Bundestag einbringen können und vielleicht am Ende auch mit beschließen können. Das war der Grund für meine Kurzintervention. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat jetzt der Kollege Heinrich Lummer.

Heinrich Lummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001396, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sicherlich nicht so, daß die humanitäre Hilfe und die Katastrophenhilfe in einer katastrophalen Weise schiefgelaufen sind, wie das der Kollege Duve behauptete. Aber richtig ist zu sagen, daß nicht alles richtig gelaufen ist, und richtig ist zu sagen, daß wir uns immer wieder neuen Herausforderungen anpassen müssen; denn die Entwicklung hat sich in einer dramatischen Weise verändert. Wir müssen inzwischen damit rechnen, daß es eine gewisse Konstanz der Katastrophen gibt. Wir können nicht mehr daran glauben und die Hoffnung haben „Irgendwann passiert etwas; dann werden wir spontan helfen; wir werden plötzlich Mittel zur Verfügung stellen" , sondern können heute schon in einem gewissen Sinne voraussagen: Die Katastrophen werden uns erreichen, und die Hilfe ist notwendig. Das muß natürlich eine Reihe von Konsequenzen haben. Einmal taucht verständlicherweise das Problem auf, das ein mehr oder weniger banales Problem ist, nämlich ob man das denn in den Haushalten richtig berücksichtigen kann. Unter dem Gesichtspunkt der Haushaltsehrlichkeit müßte man eigentlich von vornherein viel größere Summen einsetzen, weil man weiß: Es wird viel mehr geschehen. - Aber genau weiß man es auch wieder nicht. Die Konsequenz, die sich daraus ergibt, ist in jedem Fall - damit, meine ich, sollten wir zufrieden sein -: Wir müssen bei diesen Haushaltspositionen hochgradig flexibel sein. Die Krisen wachsen offensichtlich schneller als die Etattitel, und dieses Problem kann man nur dann bewältigen, wenn man hier gemeinsam die notwendige Flexibilität bewahrt, um in der Lage zu sein, sich an die internationale Entwicklung und an das, was da passiert, anzupassen. Natürlich wird diese Hilfe nie genug sein. Sie ist mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, wie wir sehr wohl wissen, aber es wird immer Mängel geben. Natürlich werden wir in einem bestimmten Sinne Auseinandersetzungen haben. Wir haben gehört, es dürfe nicht in die politische Beliebigkeit gestellt werden, was hier mit humanitärer Hilfe geschehe. Sehr wohl richtig! Wir haben ja gelegentlich unsere Wünsche dahin gehend geäußert. Aber ich nenne einmal ein Beispiel: Wenn die Türken in einer ganz vorzüglichen Weise den Aserbaidschanern helfen - aus politischen Gründen, versteht sich -, dann haben wir, glaube ich, die Verpflichtung, in besonderer Weise den Armeniern zu helfen. Das ist nun einmal so. Wir haben ja diese Maßstäbe der Politik im Bereich der humanitären Hilfe nicht erfunden und nicht entwickelt. Aber wenn sie von anderen praktiziert werden, dann müssen wir, glaube ich, um Gleichheit oder Vergleichbarkeit herzustellen, in angemessener Weise darauf reagieren. Meine Damen und Herren, wir haben immer wieder das Problem der Information über die Orte in der Welt, wo es brennt, wo die Katastrophen sind und wo die humanitäre Hilfe erforderlich ist.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Lummer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Duve?

Heinrich Lummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001396, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lummer, Sie haben eben ein sehr dramatisches Problem angesprochen und haben wie selbstverständlich vorausgesetzt, daß wir Ihre Deutung teilen, nämlich: Wenn die Türkei den Aserbaidschanis in besonderer Weise hilft, dann müssen wir sozusagen im Wechselspiel in besonderer Weise den Armeniern helfen. - Wir müssen doch helfen, den Konflikt zu verhindern. Wir müssen doch, glaube ich, alle gemeinsam - stimmen Sie mit mir darin überein? - alles tun, um zu verhindern, daß wir zu globalen religiösen Auseinandersetzungen kommen. Sie dürfen nicht vergessen: Wir haben 3 Millionen Menschen islamischen Glaubens in unserem eigenen Land. - Also: Diese Linie kann ich jedenfalls nicht teilen; ich hoffe, Sie auch nicht.

Heinrich Lummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001396, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben diese Linie, Herr Kollege Duve, kräftig mißverstanden. Natürlich ist das Primäre, solche Konflikte zu vermeiden. Nur: Die Welt ist so, wie sie ist. Wir wissen, daß von bestimmten Ländern auf Grund von religiösen Positionen Entwicklungshilfe und auch humanitäre Hilfe geleistet wird. Dann, meine ich, müssen wir einen Ausgleich schaffen. Aber die primäre Aufgabe ist natürlich, diese Konflikte schlechthin zu vermeiden, und insofern befinden wir uns da, glaube ich, in schöner Übereinstimmung. Ich war dabei, etwas über das Thema der Informationen zu sagen, die wir manchmal bekommen. Dann machen wir die Erfahrung: Auf einmal wird humanitäre Hilfe geleistet, wenn nämlich durch die Massenmedien, durch das Fernsehen, in einem bestimmten Land eine Situation dramatisch geschildert wird. Dann ist die Öffentlichkeit bewegt. Dann ist die Spendenbereitschaft groß. Dann geschieht auch etwas. Aber wenn diese Neigung der Medien nicht vorhanden ist oder wenn die Medien nichts davon wissen - das kann dem Zufall unterliegen -, dann passiert auch nichts. Hier müssen wir, meine ich, ein Informationssystem aufbauen, so daß wir davon nicht abhängig sind. Natürlich wünschen wir uns, daß die Medien in diesem Bereich tätig sind, weil sie die Spendenbereitschaft und die Motivation fördern - das ist ganz selbstverständlich -, aber wir können uns mit unserer Hilfe nicht allein davon abhängig machen. Der Fall Somalia war beinahe ein solcher Fall. Gott sei Dank ist dort etwas geschehen, auch ohne daß die Medien darauf hingewiesen haben. Aber das Problem ist in diesem Bereich relevant. Meine Damen und Herren, wir haben auch das Problem der Hilfsmaßnahmen in einer Bürgerkriegssituation wie jetzt im ehemaligen Jugoslawien, wo bestimmte Maßnahmen gewollt sind, aber nicht durchgeführt werden können, weil kriegerische Auseinandersetzungen existieren. Da müssen, so meine ich, von den Vereinten Nationen Begleitinstrumentarien entwickelt werden, damit humanitäre Hilfe überhaupt an den Mann kommt, an die Menschen herankommt. Dies ist ein sicherlich nicht ganz einfacher Konflikt, der immer wieder die Grenzen unserer Hilfsfähigkeit und Hilfsmöglichkeiten aufzeigt. Wir haben die Problematik - wenn ich das Beispiel jetzt einmal nehmen darf - des Nordens des Irak. Es gibt einen Boykott, zu Recht; aber von diesem Boykott gegen den Irak sind zu einem wesentlichen Teil auch die Kurden in Nordirak betroffen. Das ist doch gar nicht gewollt. Aber wir werden in der Praxis mit diesem Thema schlecht fertig. Hier müssen wir uns überlegen, wie wir es in der Zukunft werden leisten können, daß die Boykottmaßnahmen nicht die Falschen treffen, sondern eben doch nur die Richtigen. Meine Damen und Herren, wir behandeln das Thema, das der Kollege Duve angeschnitten hat. Es geht um Hilfsmaßnahmen in Ländern, in denen die Staatlichkeit verschwunden ist. Dabei denke ich etwa an Somalia. Es geht um Länder, in denen unmittelbar vor Ort keine Organisation vorhanden ist, die uns Hilfsmöglichkeiten eröffnet. Damit werden wir auch in der Zukunft rechnen müssen; auch darauf werden wir uns in der Zukunft einstellen müssen. Es gibt eine ganze Fülle von Problemen, mit denen wir zu tun haben. Ich meine, es war sehr gut, daß sich der Unterausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe mit dem Thema der Koordination beschäftigt hat; denn immer wieder stoßen wir heute und hier auf den Begriff der Koordinierung von Maßnahmen und der Abstimmung in bestimmten Problemsituationen. Dabei geht es sicher um die Abstimmung im nationalen Bereich. Wir haben dafür soeben ein zartes Beispiel bekommen. Es geht um die Frage, wer letztendlich für die Gesamtheit der humanitären Hilfe zuständig ist. Ist es derjenige, der im Auswärtigen Amt diese Aufgabe hat? Oder: Gibt es eine besondere Organisation dafür? Gibt es eventuell noch gar keine Institution dafür? Diese Fragen zeigen, daß wir uns etwas einfallen lassen müssen. Wir haben die Möglichkeit, darüber nachzudenken. Wir könnten an ein Modell analog dem des Wehrbeauftragten denken. Wir haben aber auch die Möglichkeit, ein ganz anderes Modell zu wählen. In jedem Fall müssen wir aber einen Weg finden, um auf der nationalen Ebene zu einer anständigen Koordination im Bereich der Regierung und des Parlaments, aber auch zwischen den Organisationen zu kommen. Das wird nicht immer einfach sein. Die Organisationen leben in ihrer Eigenständigkeit. Sie wollen in ihrer individuellen Weise Spendenaufkommen für sich in Anspruch nehmen und Spenden weitergeben und vielleicht auch nach dem Motto handeln: Tue Gutes und rede davon. Ich finde, das kann man ihnen auch gar nicht übelnehmen. Insofern müssen wir dies bei allem, was wir koordinieren, beachten. ({0}) Wir dürfen nicht die Identität wegkoordinieren. Das kann nicht Sinn der Sache sein. Aber wir haben Verständnis von seiten dieser Verbände in der Anhörung erfahren. Es geht darum, das notwendige Maß an Koordinierung doch herbeizuführen, damit wir mit diesem Problem fertigwerden. Insgesamt müssen wir davon ausgehen, daß das Katastrophenpotential größer wird, nicht nur durch Naturkatastrophen, sondern auch durch Bürgerkriege und andere Situationen. Wir müssen uns auf eine ganz neue Lage einstellen, die eine Herausforderung für uns ist. Insofern müssen wir ein schlüssiges Gesamtkonzept in diesem Bereich entwickeln. Ich denke, das Parlament hat hier, auch bezogen auf die Koordinierung innerhalb der Regierung, eine vornehme Aufgabe. Wir sind im Unterausschuß dabei. Sicher muß das auch im Parlament übergreifend geschehen. Ich denke jedenfalls, daß wir auf unsere Weise humanitäre Hilfe geleistet haben und leisten, die sich international sehen lassen kann. Nun hat der Kollege Duve den Antrag der gemeinsam tagenden Auswärtigen Ausschüsse erwähnt. Ich denke, wir werden ihn gemeinsam tragen und unterstützen. Dennoch erlaube ich mir, darauf hinzuweisen, daß dies natürlich bis zu einem gewissen Grade voraussetzt, daß eine Vergleichbarkeit der Lastenaufteilung stattfindet. Es soll nicht um einen Wettlauf gehen, bei dem wir das meiste tun wollen. Wir wollen nur erreichen, daß die anderen mindestens genausoviel tun - relativ, das versteht sich - wie wir. ({1}) Ich finde, auch bei solchen Anträgen muß berücksichtigt werden, daß die Lastenverteilung in Europa stattfindet; dies vor allem jetzt, nachdem wir erkannt haben, daß es sich um eine Gemeinschaftsaufgabe handelt, nicht aber um eine Aufgabe, bei der nationale Interessen eine besondere Rolle zu spielen hätten. Ich denke aber, auch das wird ermöglicht werden. Ich glaube, daß die Debatte ihren Sinn darin hat, daß wir zu einer gemeinsamen Koordination kommen, die berücksichtigt, wie sich die Lage in der Welt inzwischen entwickelt hat. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Rudolf Bindig das Wort. Der Kollege Bindig möchte vom Platz aus sprechen. ({0})

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Außenminister hat darauf hingewiesen, daß die Krisen schneller gewachsen sind als die Instrumente, mit denen man mit ihnen fertig werden kann. Dies lenkt den Blick auch auf den Haushalt. Die Tatsache, daß wir hier über zwei Beschlußempfehlungen zur Genehmigung von über- und außerplanmäßigen Ausgaben beraten, zeigt, daß auch der Titel für humanitäre Hilfsleistungen im Ausland unter großen Problemen steht. Seit Jahren wissen und erleben wir, daß die effektiven Beiträge zwischen 140 Millionen und 160 Millionen DM liegen, die für humanitäre Hilfsleistungen aus diesem Etat ausgegeben werden müssen. Dazu kommen noch die Ausgaben für Nahrungsmittelhilfe im Entwicklungsetat. Das zuständige Fachreferat meint seit Jahren, daß es dringend erforderlich wäre, diesen Etat weiter anzuheben, nicht aber mit außer- und überplanmäßigen Ausgaben zu arbeiten. Es ist vorhersehbar, daß der Bedarf im Jahr mindestens 110 Millionen DM ausmacht. Auch im Sinne der Haushaltsklarheit und der Haushaltswahrheit wäre es wohl notwendig, daß wir den Versuch unternehmen, gemeinsam den Etat für humanitäre Hilfsleistungen heraufzusetzen. Es wurde vorhin mit Recht darauf hingewiesen, daß wir im Zusammenhang mit den Ereignissen in Jugoslawien einen bedeutsamen Beitrag an Mitteln erbringen. Das ist gut so. Aber wenn wir uns die Gesamtzahlen ansehen, dann fällt auf, daß es hier doch - nicht zuletzt durch die starke Inanspruchnahme aus Europa - zu einer Schieflage der Verteilung der Mittel für humanitäre Hilfe kommt. Wir werden im Jahre 1992 155 Millionen DM für humanitäre Hilfe aufwenden. 87 Millionen DM davon wenden wir - mit dieser Ausgabe, die wir jetzt hier genehmigen - für Europa auf. Ich betone: 87 Millionen von 155 Millionen! Für Afrika geben wir nur 13 Millionen DM aus. Dazu kommen jetzt die 20 Millionen DM für Somalia. Das sind insgesamt 33 Millionen DM. Das macht schon deutlich, wie sehr wir unsere Hilfsmaßnahmen auf Europa konzentrieren. Die große Notsituation, die in Afrika herrscht, beachten wir zwar, aber wir gewichten unsere Hilfe nicht dementsprechend. Wenn man dann sieht, was in anderen Bereichen, z. B. in Süd- und Zentralamerika sowie in Asien, geschieht, so fällt auch dies entsprechend zurück. Ich glaube schon, daß wir erkennen müssen, daß der Bedarf auf diesem Feld sehr groß ist. Wir müssen zu einer angemessenen Gewichtung unserer Hilfsmaßnahmen bezüglich der anderen Kontinente kommen. Das gilt insbesondere auch, wenn wir diese Mittel, die wir hier gemeinsam loben, mit dem vergleichen, was aus anderen Titeln - auch aus dem Etat des Auswärtigen Amts - ausgegeben wird. Ich möchte hier die Ausstattungshilfe nehmen. Diese hat für drei Jahre einen Finanzrahmen von 196 Millionen DM. Die größte Summe von 90 Millionen DM ist für 1993 vorgesehen. Da wiederum wird der größte Posten an Ausstattungshilfe für ausländische Streitkräfte verwendet. Da müssen wir uns doch wirklich einmal fragen: Sind die Gewichtungen eigentlich richtig gesetzt? Ist es richtig, daß wir in unserem Haushalt für das kommende Jahr für Hilfsmaßnahmen zur Bekämpfung der Not und des Elends wahrscheinlich 90 Millionen DM ansetzen wollen, den gleichen Betrag aber für die Ausstattungshilfe für ausländische Streitkräfte sowie für einige weitere, durchaus zu billigende Maßnahmen - Mittel zur Bekämpfung von Rauschgiftkriminalität bzw. Drogenkriminalität - ansetzen wollen? Ist es angesichts der Not auf der Welt wirklich notwendig, daß wir den Streitkräften in Marokko Geld geben und daß wir in Mali, in Ruanda und in Burundi entsprechend tätig werden? ({0}) Ist es nicht sinnvoller, diese Mittel statt für diese Zwecke für die Bekämpfung der Not und des Elends von Flüchtlingen und von Menschen, die in Schwierigkeiten sind, einzusetzen? ({1}) Da wir alle den Willen haben, etwas im humanitären Bereich zu tun, möchte ich den Blick noch einmal auf den internationalen Vergleich richten. Auch der Weltflüchtlingskommissar bittet uns regelmäßig, unseren Beitrag zu erbringen. In den letzten Jahren ist unser Beitrag, den wir an den Weltflüchtlingskommissar leisten, damit er seine Grund- und Sonderprogramme abwickeln kann, immer weiter zurückgegangen. Über Jahre hin waren wir an vierter Stelle der Geberländer. Inzwischen sind wir an die 13. Stelle der Geberländer, die Mittel für den UNHCR bereitstellen, abgefallen. Noch schlechter sieht es aus, wenn wir uns ansehen, was wir pro Kopf der Bevölkerung leisten. Die Schweden liefern 38mal soviel pro Kopf an humanitärer Hilfe an den Weltflüchtlingskommissar, die Norweger 31mal soviel, die Finnen 25mal soviel, die Schweiz noch 11mal soviel, die Niederlande 4mal soviel, United Kingdom 3,5mal soviel, auch Italien noch mehr als wir. Wir sind an die 16. Stelle gefallen, wenn wir die Hilfe pro Kopf berechnen. Ich nenne diese Zahlen, damit wir über dieses Problem nachdenken und erkennen, daß wir trotz der absoluten Zahlen, die wir hören, und dem Engagement, welches wir leisten, nicht doch allmählich in eine Schieflage kommen. Wir müssen neue Prioritäten zugunsten der humanitären Hilfe setzen. Ich sage als jemand, der in der Entwicklungspolitik engagiert ist: Wir müssen sogar fragen, ob es nicht manches Mal sinnvoller wäre, unmittelbar zur Bekämpfung von Not etwas zu tun, als einen Beitrag in der finanziellen Zusammenarbeit aus der Entwicklungshilfe zu leisten. Wir haben übrigens auf diesem Gebiet eine merkwürdige Lücke, wo wir kaum Förderinstrumente haben. Diese Lücke besteht zwischen der humanitären Hilfe aus dem auswärtigen Bereich und der Entwicklungshilfe. Es gibt Fälle, in denen man Flüchtlinge, die aus ihrem Land geflohen sind und sich in einem Nachbarland, in der Region aufhalten, mit Programmen betreuen müßte. Unsere vorhandenen Instrumente kennen nur die kurzfristige Not- und Soforthilfe der humanitären Hilfe, kennen dann per Regierungsabkommen geschlossene Projekte der Entwicklungszusammenarbeit. In dem Zwischenraum können allenfalls Nichtregierungsorganisationen tätig sein. Aber für längerfristig angelegte Programme für Flüchtlinge, die sich in ihrer jeweiligen Heimatregion aufhalten, haben wir kaum ein Instrument. Wenn wir die Asylproblematik bei uns diskutieren und wenn jemand auf einem Parteitag oder hier im Deutschen Bundestag sagt, wir müßten für die FluchtRudolf Bindig ursachenbekämpfung mehr tun, dann ist das der Punkt, wo es immer bei allen großen Beifall gibt. Wir müssen mehr für die Fluchtursachenbekämpfung tun. ({2}) Aber wenn es dann konkret wird und wir fragen: „Stellen wir für die Flüchtlinge, die sich in ihrer Heimatregion aufhalten wollen, denn genug Geld zur Verfügung, und haben wir ein Instrument?", dann müssen wir sehen, daß wir dort weder genügend Mittel zur Verfügung stellen noch ein hinreichendes Förderinstrument haben, um das alles zu betreuen. Ich glaube, daß wir an der Ausarbeitung und Verbesserung eines solchen Förderinstrumentes arbeiten sollten. Das können wir sicherlich auch im Zusammenhang mit dem Beauftragten - ist es nun der Beauftragte des Auswärtigen Amtes oder der Bundesregierung? - für humanitäre Hilfe tun. Er müßte sich dieser Frage einmal annehmen, damit wir hier ein Instrument finden. Denn meine große Sorge ist es vor allen Dingen, daß wir nicht nur den Flüchtlingen, die sich irgendwo in der Region aufhalten, nicht hinreichend die Mittel bereitstellen, sondern daß wir den ganzen Bereich Fluchtursachenbekämpfung, die durch die Entwicklungspolitik präventiv behandelt werden kann, noch nicht hinreichend bearbeiten. Ich hoffe, daß wir einen gemeinsamen Antrag zur Fluchtursachenbekämpfung entwickeln und verabschieden können. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Bindig, ich habe nicht Ihren Redebeitrag zu kommentieren. Nur, die Tatsache, daß Sie ohne Leuchtzeichen fast auf die Sekunde genau Ihre Redezeit eingehalten haben, erfordert ein Kompliment. ({0}) Ich erteile als nächster unserer Kollegin Dr. Michaela Blunk zu ihrer - es tut mir leid; das heißt nun einmal so - Jungfernrede das Wort.

Dr. Michaela Blunk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch im Falle Somalias kommt das Elend über das Fernsehen zu uns in die Wohnungen. Aber trotz aller Intensität der Bilder können wir das körperliche und seelische Leid der direkt Betroffenen nicht vollends nachvollziehen. Uns allen hier im Hause ist aber klar, daß das Elend dieses zerrissenen Landes und seiner Menschen nur von außen gelindert werden kann. Wir wissen aber auch, daß das Ausmaß dieser Katastrophe die gebündelte und abgestimmte Hilfe vieler Geberländer und der UNO erfordert - jeder nach seinem Vermögen. Die Ursachen für das Elend scheinen auf der Hand zu liegen; aber sie haben auch tiefergreifende Wurzeln. Bürgerkrieg und Dürre sind offensichtlich. Aber es wäre fahrlässig, die geschichtlichen Traditionen der Somalis zu verschweigen. Dann wäre ein erneutes, böses Erwachen nach einer scheinbaren Lösung nur eine Frage der Zeit. Für afrikanische Verhältnisse zeigen die Somalis zwar eine erstaunliche Homogenität in den Bereichen Ethnik, Sprache, Kultur und Geschichte. Nach der Befreiung von der Kolonialherrschaft der Briten und der Italiener 1960 bestimmte auch zunächst ein starkes somalisches Zusammengehörigkeitsgefühl die politische Zukunft. Aber die gemeinsame Geschichte war auch immer geprägt von einer nie endenden, meist blutig ausgetragenen Rivalität der Stämme und Sippen gegeneinander. Heute zeigt sich wiederum die ausgeprägte Kampfbereitschaft eines erheblichen Teiles der Somalis. Leidtragend ist - wie auch in den ebenfalls hier behandelten Gebieten Europas - die schweigende, hungernde, fliehende Mehrheit. Meine Damen und Herren, diese Fakten müssen wir im Auge behalten, wenn es um die Sicherung der flächendeckenden und regelmäßigen Nahrungsmittelversorgung geht, aber auch bei der Gestaltung der Zukunft dieses Landes. Die derzeitige Situation ist mit Rechtlosigkeit bzw. Recht des Stärkeren fast verharmlosend umschrieben. Deshalb ist die wichtigste kurzfristig zu lösende Aufgabe, Nahrung und Medikamente zu allen Bedürftigen zu bringen. Hierbei spielt das sogenannte Hundert-Tage-Programm eine entscheidende Rolle. Mehr Geld von den Geberländern hilft dabei nur bedingt. Die Bundesregierung hat 1992 bislang schon insgesamt 93,8 Millionen DM an Sachleistungen und Logistik bi- und multilateral gezahlt. Solange Mogadischu nicht als Standort für einen ständigen Koordinierungsstab in Frage kommt, sollte Nairobi dafür gewählt werden. Bislang sehen die Geber und die UNO die einzige Lösungsmöglichkeit in der Vergrößerung des UNOSOM-Kontingents auf 3 500 bewaffnete Soldaten. Nach UNO-Regeln müssen alle Kriegsparteien der Stationierung zustimmen. In Somalia ist das bisher nicht geschehen. Verehrte Kollegen und Kolleginnen, ein bislang noch nicht ausgereizter Weg wäre es, wenigstens die einflußreichsten Kriegsherren diplomatisch unter Druck zu setzen und ihnen die Isolierung anzudrohen. ({0}) Kein Geber, keine UNO können und wollen auf Dauer dem Gemetzel zuschauen und endlose humanitäre Hilfe leisten. Aber vielleicht kann es als Hoffnungsschimmer gelten, daß immerhin schon einmal drei Machthaber der Stationierung kleiner UNO-Kontingente in ihrem Herrschaftsgebiet zugestimmt hatten. Mittel- und langfristig sind Aussöhnung und Wiederaufbau materiell und strukturell die anzustrebenden Ziele. Die akute Notversorgung muß möglichst ansatzlos und schnell in Hilfe zur Selbsthilfe übergehen. Die damit verbundene gewaltige finanzielle Last muß gerecht auf möglichst viele Schultern verteilt werden. Für den Augenblick, in dem es die Sicherheitslage zuläßt, stehen 35 Millionen DM aus Deutschland für den Wiederaufbau zur Verfügung. Vor Jahren Dr. Michaela Blunk ({1}) begonnene Projekte könnten dann fortgeführt werden. Voraussetzung ist aber, den Prozeß der Versöhnung in Gang zu setzen. Vernunft, nicht Ermüdung sollte zur Annäherung und Versöhnung führen. Dann könnte die notwendige Entwaffnung vorgenommen und ein Teil der Kämpfer in elementaren Infrastrukturprogrammen eingesetzt werden, um die Mindestvoraussetzungen für die Rückkehr der Flüchtlinge zu schaffen. Gemeinsam könnten dann alle Somalis mit Hilfe von außen an den Wiederaufbau gehen. Bei 76 % Analphabeten werden Grund- und Berufsausbildung besonders wichtige Bereiche sein, außerdem Wasserversorgung, Gesundheitssektor und die Landwirtschaft. Der neue Staat muß dezentral strukturiert werden, wobei die Provinzgrenzen die Stammesgebiete berücksichtigen müssen. Es ist zu wünschen, daß das Hundert-TageProgramm nahtlos in ein Hundert-Monate-Programm einmündet, an dessen Ende - so hoffe ich - ein vergleichsweise stabiles und friedliches Somalia steht. Um dieses Ziel zu erreichen, werden die schon bislang bewundernswert engagierten Helfer aller Organisationen und Länder ihren Einsatz noch einmal steigern müssen. Um unseren Teil zu dem von uns allen angestrebten Erfolg in und für Somalia beizutragen, bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem interfraktionellen Antrag. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Der sympathische Beispielcharakter dieses Verhaltens, Herr Kollege Hoyer, gegenüber einer Kollegin, die zum erstenmal gesprochen hat, ist leider von den anderen Fraktionen bis jetzt nicht aufgegriffen worden. ({0}) Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans Wallow.

Hans Wallow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002417, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Somalia existiert die Apokalypse. Wir wissen davon nicht erst seit gestern, sondern sie hat sich seit Monaten, ja seit Jahren angebahnt. In den letzten Monaten sind in diesem Land über 300 000 Menschen als Opfer zu beklagen, ohne daß die Welt es geschafft hat, wirksame Anstrengungen zu ihrer Rettung zu unternehmen. Trotz der engagierten Hilfe werden es täglich mehr. Die Hilfe kommt zu spät, ist zu punktuell und zu unorganisiert. Angesichts der Katastrophe muß sich meines Erachtens die zivilisierte Welt fragen lassen, wie es möglich ist, daß wir beim Golfkrieg innerhalb kurzer Zeit in der Lage waren, Hunderttausende von Kämpfern, Tausende von Flugzeugen, riesige Transportkapazitäten, Organisationstalent und viel Intelligenz der Politiker und auch der militärischen Führer zu mobilisieren, während es, wenn es um die Überlebenshilfe für ein kleines Land geht, nur einen Bruchteil dieser Anstrengungen ausmachte. ({0}) Ich denke, ich übertreibe nicht, wenn ich sage: Das ist, gemessen an den Proportionen, ein Konkurs der Menschlichkeit. Ich sage ja zu den Anstrengungen, die bisher geleistet wurden, und ich sage ja zu diesem Antrag. Aber vergleicht man die Überlebenshilfe, über die wir hier diskutieren, mit den 18 Milliarden DM, die wir für den Golfkrieg ausgegeben haben, dann steht das eben außer jeder Verhältnismäßigkeit. ({1}) Lassen Sie es mich mit einem Bild versuchen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Hilfe und die Hilfsleistung verhält sich im Verhältnis zu dem, was wir zur Destruktion ausgeben - für Krieg - und dafür auch parat halten, wie ein rumpelnder Eselskarren zu einer Super-Concorde. Dieses Verhältnis ist die Frage, über die wir einmal nachdenken sollten. Ich möchte Sie zum Nachdenken einladen. Ich will Ihnen keinen Vorwurf machen. Es geht an alle von uns. Es geht nämlich um die Situation, wie wir sie auch in unserem Land haben. Den Helfern ist zu danken. Aber wir haben dort zwei Piloten, zwei Transall-Maschinen, an denen organisatorisch 16 Referate im Verteidigungsministerium beteiligt sind. Ich gebe Herrn Lummer recht, wenn er sagt: Wir müssen uns etwas einfallen lassen, weil die Situation in Zukunft nicht besser, sondern schlechter wird. Es ist absehbar, daß Somalia kein Einzelfall bleiben wird. Das Beispiel Madagaskar ist ebenfalls bedrohlich. Die Unterernährung in manchen Gebieten ist so hoch wie in Somalia, findet aber international keine Beachtung, weil das Fernsehen fehlt. Südsudan: Dort vegetieren über 200 000 Flüchtlinge mit riesigen Versorgungsproblemen. Und in Norduganda ist die Situation nicht viel anders. Ein Hinweis an den Außenminister - er ist nicht da -: Ich denke, man sollte bei der Bewertung von Hilfen von den Problemen und von seinen Möglichkeiten ausgehen. Bei der Aufnahme von Flüchtlingen liegen wir laut den Zahlen der Weltflüchtlingsorganisation bei 17 Millionen Flüchtlingen in der Welt an 20. Stelle. Ich denke, daß man unter diesen Prioritäten auch den Begriff „Staatsnotstand" einmal etwas anders bewerten kann. ({2}) Laut Weltbank ist die gesamte Region in Südafrika zwischen Angola und Tansania gefährdet; 18 Millionen Menschen sind von Hunger bedroht. Was heute fehlt, sind Frühwarnsysteme. Die Katastrophenvor- und -nachsorge ist völlig unzulänglich. Außerdem war allen großen humanitären Hilfsaktionen, die bisher - auch von uns - gestartet wurden, eins gemeinsam: Sie waren zu langsam, unzureichend und zu schlecht organisiert. Es ist ein kleiner Fortschritt, wenn die Bundesregierung jetzt einen Katastrophenbeauftragten hat. Aber ich denke, wir müssen weitergehen. Wir von der SPD-Fraktion haben einen Antrag zur Änderung des Grundgesetzes eingebracht. Beachtung gefunden hat in der Diskussion der Vergangenheit leider nur der erste Teil. Der zweite Teil ist genauso wichtig. Ich darf ihn kurz zitieren: Der Bund kann den Vereinten Nationen Angehörige der Streitkräfte nur für friedenserhaltende Maßnahmen ohne Kampfauftrag unterstellen. Den Vereinten Nationen - und darauf kommt es mir an oder den betroffenen Staaten sollen auf Anforderung unbewaffnete Angehörige der Streitkräfte zur Bekämpfung von Umweltschäden, für humanitäre Hilfsleistungen und Maßnahmen der Katastrophenhilfe zur Verfügung gestellt werden. Eine Arbeitsgruppe von uns, in der ich mich engagiert habe - und ich lade auch Sie zur Mitarbeit und Unterstützung ein -, hat ein fertiges Konzept für ein Umwelt- und Katastrophenhilfskorps erarbeitet, an dem die Bundeswehr und die Hilfsorganisationen gemeinsam beteiligt sind. Wir gehen davon aus, daß die sogenannten Naturkatastrophen hauptsächlich in der Dritten Welt Ergebnisse des zerstörerischen Zusammenwirkens von ökonomischen und ökologischen Fehlentwicklungen sind. Absehbar ist, daß sich die Situation - das ist bei einem Hearing unserer Fraktion klar geworden - von Somalia wiederholen wird. Der Feind der Zukunft heißt Hunger und Unterernährung. Es gibt keine nachvollziehbaren Gründe, warum wir nicht dem Beispiel unseres kleinen Nachbarlandes Österreich folgen sollen, das ein solches Korps entsprechend seiner Größe unterhält. Ich meine, daß mit einer derartigen Einrichtung auch die Antwort auf die Forderung nach einer angemessenen Weltrolle gegeben werden kann, nämlich lebenserhaltend, gestaltend - eine zivile Verantwortung. Wir könnten sehr, sehr viele Menschenleben damit retten und auch nach außen ein sichtbares Zeichen setzen, daß wir unser gewachsenes politisches Gewicht nicht in einen überkommenen militärischen Stärkekult umzusetzen gedenken, sondern daß wir ein helfendes Volk sein wollen. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Wallow, ich muß fairerweise darauf hinweisen, daß der Herr Bundesaußenminister jetzt verabredungsgemäß an der Sitzung des Unionsausschusses des Deutschen Bundestages teilnimmt und hier im Plenum von Frau Staatsministerin Seiler-Albring vertreten wird. Ich erteile als nächstem dem Kollegen Graf von Schönburg-Glauchau das Wort.

Joachim Schönburg-Glauchau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002058, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anschließend an den Kollegen Wallow will ich auch noch ein paar nachdenkliche Worte zu Somalia sagen. Dabei will ich aber alle bitten, zu anderen ähnlichen Ereignissen doch selbst die Parallelen zu ziehen und zu sehen. Ich stimme mit dem Kollegen Wallow darin überein, daß Somalia leider kein Einzelfall bleiben wird. Das ist schon ein doppelter Grund, daß man sich dem ausführlich widmet. An diesem Beispiel sollten wir uns tatsächlich überlegen, was wir in der Zukunft und vielleicht auch in anderen Teilen der Welt in der Gegenwart besser machen könnten. Es ist ganz klar, daß manches Elend und mancher Tod hätten vermieden werden können, wenn wir vor einem Jahr diese Debatte geführt hätten. ({0}) Aber die Zahl der Menschen, die das damals kapiert haben, ist winzig klein. Wer weiß, ob wir heute die Debatte hier führen würden, wenn nicht zufällig ein paar gute Fernsehteams nach Somalia gekommen wären. ({1}) Schlimm ist die Hilflosigkeit, mit der die ganze Welt solchen Ereignissen gegenübersteht, angefangen von der UNO bis zu unseren Apparaten. Schlimm ist auch noch, daß diese Notlage nicht Folge von Erdbeben oder Orkanen ist, sondern daß hier ganz mutwillig und absichtlich gemordet wird. Dies macht es schwierig, es unseren Wählern zu erklären. Dort geschehen absichtlich Dinge, die leider nicht mit der weißen Salbe der humanitären Hilfe gutgemacht werden können. ({2}) Ich habe nichts gegen die huamanitäre Hilfe, nur sollten wir uns darüber im klaren sein, daß die radikale Bekämpfung der Ursachen, von der Wurzel her, noch wichtiger ist. Natürlich müssen wir dort, wo Not ist, humanitäre Hilfe leisten, aber wir werden uns dabei fragen müssen, was wir anders hätten machen können und was wir das nächste Mal anders machen werden. Das erste, das fallen muß, ist bei der UNO der Grundsatz der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. ({3}) Wenn wir auf dem Weg zur Weltinnenpolitik sind, was wir alle hoffen, darf dieser Grundsatz nicht mehr ein Grund sein, daß Menschen leiden und sterben müssen. Auch der Grundsatz, der immer noch nicht abgelegt ist, daß alle Konfliktparteien zustimmen müssen, ist schlimm und verderblich. Ich glaube, auch die guten Köpfe bei uns werden sich damit beschäftigen müssen, Schemen zu entwickeln, nach denen man in solchen Gegenden vorgehen kann. Es wird sicher notwendig sein, daß man so etwas wie einen UNO-Kommissar international einsetzt und ihm Macht gibt, wenn man erkennt, daß irgendwo die staatliche Ordnung zusammengebrochen ist. Es wird wichtig sein, daß solche Dinge vorgedacht werden, daß man sie dann in Bewegung setzen kann. Verzeihen Sie mir, der das Fernsehen abschaltet, wenn Western oder Krimis kommen, in denen auf Menschen geschossen wird, daß ich sage, es wird sehr wichtig und notwendig sein, daß der große Knüppel eingesetzt wird. Denn heute sind ein Kind oder ein Halbwüchsiger, die ein Care-Paket in den Armen haben, schon halb zum Tode verurteilt. Das ist sehr schlimm. Das müssen wir sehen. Es hilft nichts, ich bin wirklich gegen Schießen und ähnliche solche Dinge. Es ist fürchterlich, auf Menschen zu schießen, aber es gibt Situationen, da kommen wir um das Schießen nicht herum, da verstehen die anderen keine andere Sprache. ({4}) In Mogadischu gibt es ein ganz praktisches Beispiel: Die Wasserversorgung hat bis vor ein paar Tagen deshalb noch funktioniert, weil der Deutsche, der sie betrieb, sich eine Leibgarde organisiert hat aus Leuten, die gut bewaffnet und schnell zu schießen bereit sind. Die anderen wußten das, deshalb funktionierte es auch. Das ist nicht sehr edel und nicht sehr schön, das mag mit den Grundsätzen des einen oder anderen von uns nicht übereinstimmen. Aber es ist realistisch. Erst wenn wir die Situation überwunden haben, daß es gefährlich ist, ein Hilfspaket in der Hand zu halten, daß es für ein Kind gefährlich ist, in ein Stück Brot zu beißen, erst dann kommt die humanitäre Hilfe. Daran muß sich die Hilfe zum Wiederaufbau anschließen, und auch die kostet eine Menge Geld. Auch dazu müssen wir uns einiges einfallen lassen. Ich suche jetzt im Einzelplan 23 die Mittel, um Somalis zu repatriieren, die in ganz Europa und zum Teil in Amerika darauf warten, in ihre Heimat zurückgehen zu können, die aber nicht alle über die Ersparnisse verfügen, um dies aus eigener Kraft zu tun. Diesen Somalis sollten wir die Möglichkeit geben, als erfolgreiche Menschen in ihre Heimat zurückzukehren und das Land von unten her, aus ihren Stämmen und Sippen wieder aufzubauen. Sie sind dazu bereit, ich habe beste Kontakte zu ihnen. Sie haben eingesehen, daß am Anfang dieses Unglücks der Fehler stand, daß sie den Tribalismus bekämpften, wie man es ihnen an der Sorbonne und in London seinerzeit vorschlug. Heute wissen sie, daß sie ihren zukünftigen Staat aus den natürlichen Einheiten, den Sippen und Stämmen föderalistisch aufbauen können und müssen. Sie sind dazu bereit, und wir sollten ihnen dabei helfen. ({5}) Ich hoffe, wir werden daraus die Lehren ziehen und daran zusammenarbeiten. Es ist spät, aber nicht zu spät. Die nächste Katastrophe kann vielleicht schon unterwegs sein, und wir wissen es noch nicht. Es gibt Katastrophen wie im Südsudan, über die wir hier eigentlich genauso eine Stunde lang verhandeln können. Wenn die nächste Katastrophe kommt, sollten wir uns aber nicht den Vorwurf machen müssen, daß wir die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben. Danke schön. ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu einer überplanmäßigen Ausgabe für humanitäre Hilfe im Ausland, Drucksachen 12/3204 und 12/3456. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Keine Gegenstimme. Enthaltungen? - Auch keine, die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir stimmen ab über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu einer außerplanmäßigen Ausgabe für Flüchtlingsunterkünfte in Kroatien, Drucksachen 12/3206 und 12/3457. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch diese Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir stimmen jetzt noch ab über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Somalia, Drucksachen 12/2159 und 12/3599. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Niemand, dann ist auch diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen. Ich bin mir jetzt nicht ganz im klaren über den Antrag, der per Kurzintervention von dem Kollegen Duve eingebracht wurde, der mir aber inzwischen schriftlich vorliegt, und zwar von den Fraktionen der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und von Herrn Kollegen Schulz für die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Ich bekomme Signale, er solle an den Ausschuß gehen. Dann stelle ich dem Haus die Frage: Sind Sie einverstanden, daß der inzwischen verteilte Antrag, der vorhin vom Kollegen Duve mündlich verlesen worden und mit „Internationale Initiative zur Rettung bedrohter Menschenleben" betitelt ist, an die zuständigen Ausschüsse überwiesen wird? Darf ich um ein Handzeichen bitten! - Das ist eine so übersichtliche Mehrheit, daß es bereits so beschlossen ist. Ich rufe Zusatzpunkt 4 auf: Aktuelle Stunde Schutz und Unterstützung der Staatengemeinschaft für Salman Rushdie Die Fraktion der CDU/CSU und F.D.P. haben zu diesem Thema eine Aktuelle Stunde verlangt. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Hans-Dirk Bierling das Wort.

Hans Dirk Bierling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000179, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit 1 400 Jahren lebt die islamische Welt nach ihren eigenen Gesetzen, die auf den philosophischen Grundlagen des Koran und seinem Rechtsverständnis beruhen. Diese religiöse Grundlage menschlichen Zusammenlebens im persönlichen Bereich und im Verhältnis der Völker zueinander haben wir zu achten, denn sie ist Ausdruck des Selbstbestimmungsrechtes der Menschen. Daß dabei an den Nahtstellen zum christlich-abendländischen Kulturkreis von Zeit zu Zeit Irritationen auftreten, müssen wir hinnehmen, weil wir keinen Unfehlbarkeitsanspruch erheben. Allerdings haben sich auch die islamischen Völker in den multinationalen Organisationen einer Ordnung unterworfen, die auf der Grundlage eines humanistischen Weltbildes beruht. Daher können wir erwarten, daß sich islamische Völker, so islamisch sie auch ihre innere Ordnung gestalten, im Verhältnis zur übrigen Welt um eine Sensibilität bemühen, die die Rechte und Gefühle der übrigen Menschheit achtet und sich am humanistischen Weltbild orientiert. ({0}) Die Islamische Republik Iran befindet sich in einer postrevolutionären Situation. Die Bundesrepublik Deutschland hat in den letzten Jahren in mühsamer Kleinarbeit versucht, u. a. um der Menschen in diesem Lande willen, neue Beziehungen aufzubauen. Dies ist gelungen und findet seinen Ausdruck z. B. in den florierenden Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern. Das darf uns aber nicht daran hindern, auch Irritationen und Probleme beim Namen zu nennen, vor allem im Menschenrechtsbereich. Genau dies hat das Auswärtige Amt getan. Es hat dem Botschafter des Iran unmißverständlich zu verstehen gegeben, daß Deutschland nicht schweigt, wenn Menschenrechte in unerträglicher Weise beeinträchtigt werden. Auch die Rechte des einzelnen müssen gewahrt bleiben. Im Falle des Schriftstellers Salman Rushdie, der die Bundesrepublik Deutschland um Hilfe gebeten hat, stehen die Mitglieder der deutsch-iranischen Parlamentariergruppe auf dem Standpunkt, daß dies ein besonders krasser Fall der Störung im Zusammenleben der Menschen und der Völker ist. Die Unversehrtheit der Person des Salman Rushdie muß gewährleistet sein, der Mordaufruf muß zurückgenommen werden. ({1}) Wir haben Verständnis für den Schmerz, der durch blasphemische Passagen im Buch „Satanische Verse" den gläubigen Moslems zugefügt worden ist. Aber wir erwarten von den islamischen Völkern, daß sie sich an den Regeln im Zusammenleben mit anderen nichtislamischen Nationen orientieren, die sie sich selbst mit ihrem Beitritt zu internationalen Organisationen auferlegt haben. ({2}) Nun hat der Herr Botschafter der Islamischen Republik Iran sich in einem Interview dahin gehend geäußert, daß sein Land nicht in der Lage wäre, diesen Mordauftrag zurückzunehmen, da er eine islamische und nicht eine Sache des Iran wäre. Es handelt sich also - nach Darstellung des Herrn Botschafters - hierbei um eine Angelegenheit der Religionsführung der islamischen Welt, und der Herr Botschafter lehnt für seinen Staat die Verantwortung dafür ab. Aber wir wissen natürlich, daß dieses Land zumindest partiell eine Führungsrolle in der islamischen Welt spielt und daß der gegenseitige Einfluß zwischen Gesetzes- und Religionslehrern und damit geistigen Führern des Islam einerseits und der Staatsführung andererseits größer als eingestanden ist. Ich erinnere daran, daß die 46 Mitgliedstaaten der Islamischen Konferenz vor drei Jahren das Urteil noch bestätigt haben und daß auch das neue iranische Parlament das Urteil bestätigt hat. Wir erwarten daher trotz aller Äußerungen des Herrn Botschafters, daß die Regierung der Islamischen Republik Iran ihren Einfluß dahin geltend macht, den Straf- und Mordauftrag gegen Salman Rushdie zurückzunehmen. Mit seinen Einlassungen in dem eben angesprochenen Interview hat sich der Herr Botschafter der Islamischen Republik Iran zwar vielleicht für einen Vertreter eines so großen Landes ungewöhnlich geäußert, er hat sich aber mit dem Gesagten nicht in die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland eingemischt und wohl nur zum Ausdruck bringen wollen, daß durch den Fall Rushdie nicht die guten Beziehungen zwischen unseren Staaten beeinflußt werden sollten. Darum ging er sicher auf die guten Wirtschaftsbeziehungen ein, die auch Wirklich zu Hoffnungen Anlaß geben, vor allem was die neuen Bundesländer Brandenburg und Sachsen anbetrifft. Ich muß aber betonen, daß diese Beziehungen nicht Anlaß zum Schweigen bei Menschenrechtsverletzungen sein können. Wir haben die Pflicht, auch im Falle des Dichters Salman Rushdie unsere Stimme zu erheben und zu fordern, daß die islamische Welt nach den Grundsätzen der UNO-Charta handelt, da sie sonst nicht erwarten kann, daß ihre Rechte durch uns ebenfalls geschützt werden. Wir erwarten von der Islamischen Republik Iran, daß sie sich klar zu den Menschenrechtsgrundsätzen der Völkerfamilie bekennt und damit ein Zeichen auch für die anderen islamischen Staaten und die geistige Führung des Islam setzt.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, die Redezeit ist überschritten.

Hans Dirk Bierling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000179, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich danke für den Hinweis. Es ist der letzte Satz. - Der Mordbefehl gegen Salman Rushdie muß umgehend zurückgenommen werden,

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich hatte es bereits gesagt: Ich bitte jetzt zu schließen.

Hans Dirk Bierling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000179, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- damit der Konsens zwischen den verantwortungsbewußten Völkern der Welt in Fragen der Menschenrechte wiederhergestellt wird. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Wenn der amtierende Präsident sagt, die Redezeit sei bereits überschritten, dann bitte wirklich nur noch einen Satz. Bei der Fünf-Minuten-Regelung ist es einfach unfair, wenn man dann weiterredet. Als nächster Herr Kollege Duve, bitte.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der britische Autor Salman Rushdie hat Deutschland auf Einladung meiner Kollegin Thea Bock besucht, die nach mir dazu etwas sagen wird. Er hat viele Mitglieder dieses Hauses gesprochen. Er hat die Präsidentin dieses Hauses gesehen. Er war unser Gast. Die Antwort des iranischen Botschafters auf seinen Besuch, so von niemandem gefragt, war für mich jedenfalls zynisch und verletzend. ({0}) nach dem Motto: Geld kommt vor Geist, mit Wirtschaftsbeziehungen läßt sich auch ein Mordbefehl kaufen. Die Antwort iranischer Autoritäten auf den Besuch Rushdies in der Bundesrepublik war skandalös: Das Kopfgeld für die Tötung eines europäischen Bürgers wurde erhöht. Es liegt ein unglaublicher Zynismus darin, daß der Iran dieses Mordgeld nach Dollars bemißt und mit Prinzipien seiner Religion begründet - ich habe mich in meinem Leben ein wenig mit dem Koran beschäftigt -; ich finde, allein dieses ist eine Beleidigung des Koran. ({1}) Aber die Kopfgeld-Draufgabe ist eine Art geistiger Kriegserklärung an die deutsche Demokratie nach diesem Besuch Rushdies in Deutschland. Ich wiederhole hier, was wir alle am 22. Februar 1989 zum Ausdruck gebracht haben - wir waren damals das erste europäische Parlament, das sich dazu geäußert hat -: Der Mordauftrag muß von iranischen Autoritäten für null und nichtig erklärt werden. Herr Kollege, ich will hier noch einmal sagen: Ich habe diesen Mordauftrag genau geprüft. Es ist kein religiöser Auftrag, es ist ein staatsideologischer Auftrag. Er hat mit der Religion des Friedens, des Islam nichts zu tun, sondern er ist der Raub des Koran zugunsten einer Staatsideologie. Aber er ist nicht zurückgenommen worden. Jetzt ist das Mordgeld erhöht worden, sozusagen als Bestrafung für den deutschen Gastgeber. Der Botschafter hat dies in einer verklausulierten Weise begrüßt. Nach meiner Meinung - dies sage ich hier - muß er unser Land verlassen, dessen Gesetz und Kultur er nicht respektiert hat. ({2}) Bei der Freiheit der Literatur gegenüber staatlicher Intervention sind nämlich wir kompromißlos. Das Wort „Islam" - ich wiederhole, was ich damals gesagt hatte - heißt „Friede", und Teheran scheint immer noch Symbol für Gewalt zu sein. In der großen Kulturtradition des Islam hat es immer die Friedensbotschaft gegeben; daran müssen wir erinnern. Wir Europäer dürfen heute allerdings über unsere Beziehungen zur islamischen Welt nicht sprechen, wenn wir nicht auch auf die Verbrechen hinweisen, die in diesen Monaten an moslemischen Bosniern verübt werden. Wir sind uns alle darüber im klaren, welche Folge eine weitere Verschärfung des Konflikts etwa zwischen Armeniern und Aserbeidschanern auf religiöser Trennungslinie haben wird. Gerade deshalb fordere ich die Moslems in Deutschland auf, sich eindeutiger als bisher von diesem staatsideologischen Mißbrauch des Islam durch die Republik Iran zu distanzieren. Ich sage das vor allem an die Adresse der Mullahs in den schiitischen Moscheen in Deutschland. Wer den geplanten Mord an einem bestimmten Menschen begrüßt und auf diese Weise unterstützt, macht sich eines schweren Vergehens schuldig, ob er dieses nun in deutscher oder in persischer Sprache tut, ob er dies innerhalb oder außerhalb der Moschee tut. Wir fordern - ich glaube, es ist nicht mehr zu vermeiden - die Abberufung des Botschafters, die Aussetzung des Kulturabkommens, die Anstrengungen der deutschen und europäischen Politik, daß der Mordauftrag für null und nichtig erklärt wird. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Bierling, da die CDU/CSU-Fraktion im Gegensatz zu den Freien Demokraten ihre Erstredner dem Präsidenten nicht ankündigt, sie auch nicht mit Blumen ausstattet, war mir nicht bewußt, daß dies Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag war. Die ganze Strenge der präsidentiellen Intervention ist über Sie niedergegangen. Also: take it easy, beim nächsten Mal an die Zeit halten! ({0}) Ich erteile das Wort dem Kollegen Gerhart Baum.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte befaßt sich mit einer der gravierendsten Menschenrechtsverletzungen, die wir kennen: Ein Mann wird wegen einer literarischen Äußerung verfolgt und mit dem Tode bedroht; das Kopfgeld auf ihn wird erhöht. Er ist nach Bonn gekommen, um Unterstützung zu erfahren. Diese Aktuelle Stunde bietet die Möglichkeit, daß das deutsche Parlament ganz offiziell Stellung bezieht. Schweigen zu einem Unrecht ist immer falsch. Als Vertreter der deutschen Regierung in der UN-Menschenrechtskommission habe ich mich zusammen mit Vertretern anderer Staaten der EG für eine Resolution zur Menschenrechtsverletzung im Iran eingesetzt, die im März dieses Jahres mit Mehrheit angenommen worden ist. Sie befaßt sich mit Menschenrechtsverletzungen des Iran, in deren Zusammenhang der Fall Rushdie gehört. Wir haben unsere Besorgnis geäußert über die fehlenden Garantien rechtsstaatlicher Gerichtsverfahren, über die diskriminierende Behandlung von Minderheiten auf Grund ihrer religiösen Überzeugungen, über die Abwesenheit eines Klimas von Rechtssicherheit und Freiheitsgarantien, über das Fehlen der Meinungsfreiheit und der literarischen Freiheit. Wir haben unsere große Besorgnis über die zunehmende Anwendung der Todesstrafe geäußert. Es war und ist uns klar, daß es im Iran unterschiedliche Strömungen gibt, auch eine prowestliche, die es zu unterstützen gilt. Wir werden uns auch auf der nächsten Konferenz intensiv mit dem Iran befassen. Die Kommission hat eine moralische Wirkung, die wächst und hoffentlich auch neue Instrumente entwickelt. Was können wir im Falle Rushdie angesichts dieser Verletzung von fundamentalen Grundsätzen der Völkergemeinschaften tun, die auch der Iran formal anerkannt hat und die Vorrang vor allen religiösen Überzeugungen haben, die in diesem Falle nur von einem Teil des Islam geteilt werden? Es ist im übrigen völlig abwegig, wenn der iranische Botschafter darauf verweist, daß eine solche Strafe mehr als 1 400 Jahre existiert. Das ist falsch; diese Meinung wird auch nur von einem Teil des Islams geteilt. Die UN-Menschenrechtskonvention steht gegen diese Meinung. Sie ist verbindliches Völkerrecht und gibt uns auch das Recht zur Einmischung. Es war deshalb richtig, daß die EG-Außenminister 1989 beschlossen haben, keine hochrangigen Besuche mehr zuzulassen. Der Beschluß der EG ist allerdings zurückgenommen worden. Die EG geht offenbar davon aus, daß sich die Staatsführung des Iran vom Tötungsaufruf distanziert hat. Ich bin nicht dieser Meinung. Gerade nach den Äußerungen des iranischen Botschafters in Bonn muß ich feststellen, daß er diesen Mordaufruf geradezu bestätigt hat, indem er darauf hinweist, daß der Iran mit dieser Position die Unterstützung der islamischen Welt erfährt. Er weist stolz darauf hin, daß dies immerhin 1,5 Milliarden Menschen seien. Geradezu zynisch ist seine Furcht vor einem angeblichen Anschlag der Geheimdienste Israels oder der USA, der gegen Rushdie verübt werden könnte. Ich halte schon eine solche Vermutung für abwegig. Der Iran könnte sie aber sofort gegenstandslos machen, wenn er sich vom Mordaufruf distanziert. ({0}) Dieser ist ja nicht leichtzunehmen. Der japanische Übersetzer Rushdies wurde ermordet, dessen italienischer Kollege schwer verletzt. Die Furcht vor Anschlägen veranlaßte die Leitung der Frankfurter Buchmesse, den Rushdie-Solidaritätsstand beschämenderweise in eine Ecke der Messe zu verbannen, also zu verstecken. Ich meine, wir müssen jetzt ernsthaft überlegen, welche Konsequenzen in bezug auf die Beziehungen zu ziehen sind, die unser Land mit dem Iran hat, sei es im kulturellen, sei es im wirtschaftlichen, sei es im politischen Bereich. Wir müssen begreifen - wie die FAZ geschrieben hat -, daß Rushdies Besuch in Deutschland nicht nur ein Plädoyer in eigener Sache ist, sondern eine Verteidigung unserer selbst und unserer zivilisatorischen Werte. Ich sage das, auch wenn ich weiß, daß Menschenrechte nicht zum alleinigen Maßstab von Beziehungen zwischen Völkern gemacht werden. Es darf jedoch niemals der Eindruck entstehen, daß sie hinter wirtschaftlichen und anderen Interessen zurückstehen. Wir müssen die Beziehungen, die wir haben, gerade dazu nutzen, daß Menschenrechte nachdrücklich zur Geltung kommen. Das muß auch in diesem Falle noch deutlicher geschehen, als es bisher der Fall war. Der Mordaufruf muß zurückgenommen werden. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Angela Stachowa, Sie haben das Wort.

Angela Stachowa (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002211, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema der heutigen Aktuellen Stunde „Schutz und Unterstützung der Staatengemeinschaft für Salman Rushdie" hat mich nicht nur stilistisch etwas irritiert. Für welche Staatengemeinschaft sollen wir hier sprechen, für die Europäischen Gemeinschaften, für die zivilisierten Staaten Europas oder nur Westeuropas oder für wen? Ich gehe ganz einfach davon aus: Es handelt sich um den sogenannten Fall Rushdie, um unsere Haltung dazu und darum, dessen Aufenthalt in Deutschland zum Anlaß zu nehmen, erneut die Öffentlichkeit, aber auch die Politiker und die Bundesregierung anzumahnen, dieses schreckliche Vorkommnis eines staatlich verordneten Mordaufrufs nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Es gibt in der Geschichte zahlreiche Beispiele, daß Künstler, darunter Schriftsteller, erbarmungslose Kritiker, Vor- und Querdenker waren, die aber zum Nachdenken anregten. Verließen Sie den Weg der ungeschriebenen Gesetze ihres Lebensraumes, ihres Kulturkreises oder wie auch immer zu weit, wurden sie mit Mißachtung gestraft, fanden sie keine Verleger in ihrem Land, wurden ihre Werke in Diktaturen ganz einfach verboten. Sie alle haben eines gemeinsam: Ob geliebt, geachtet, mißverstanden, gehaßt oder geschaßt, sie waren in der Regel Vertreter der Idee der Meinungsfreiheit, die heute anerkanntermaßen zur politischen Kultur des Umgangs zivilisierter Menschen gehört bzw. gehören sollte. Die Gedanken sind frei. Schriftsteller fühlen sich eigentlich dazu berufen, Gedanken zu Papier zu bringen. Das ist ihr Recht, und die Menschheit wäre sehr arm, gäbe es keine Schriftsteller. Dann erleben wir zwei Millionen Dollar Kopfgeld für zu Papier gebrachte Gedanken. Ich zitiere Salman Rushdie: Jemand hat ein Buch geschrieben, jemand anderer will ihn dafür töten. Das ist keine intellektuelle Debatte, das ist Gangstertum. Allein der Aufruf zum Mord, hinzu kommt noch: gegen Belohnung, widerspricht jeglichem Verständnis von Menschenrechten und Grundfreiheiten, wie sie heute üblich sein sollten. Ich spreche bewußt von „heute"; denn auch im Namen des christlichen Glaubens sind Grausamkeiten in großem Umfange verübt worden, die einem Aufruf zum Mord in nichts nachstehen. Es ist bedauerlich, daß sich derartige Probleme und Ereignisse über Jahre hinwegziehen und nur von Zeit zu Zeit in das Bewußtsein der Menschen zurückgerufen werden. Deshalb begrüße ich diese Aktuelle Stunde und möchte sie nutzen, um eindeutig zu erklären: Der Fall Salman Rushdie ist für mich ein mir natürlich nahes, aber dabei besonders auffälliges und gravierendes Kettenglied einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen im Iran, in der Türkei, aber auch in anderen Regionen der Welt. Der Fall Rushdie sollte für uns Anlaß sein, noch stärker als bisher Menschenrechte einzuklagen und es nicht bei verbalen Protesten zu belassen. Deutschland ist für den Iran laut Zeitungsberichten der wichtigste Außenhandelspartner. Ich denke, es ist an der Zeit, die Bundesregierung an dieser Stelle zu fragen, wie sie die Beziehungen möglicherweise in Zukunft gestalten will. Hier wird eindeutig mit zweierlei Maß gemessen, verglichen mit Restriktionen anderen Staaten gegenüber. Denn anderen Staaten gegenüber gibt es ganz andere, strengere Maßstäbe. Ich kann nur hoffen, daß die heutige Aktuelle Stunde, die von den regierungstragenden Fraktionen des Bundestages beantragt worden ist, dazu beiträgt, der Bundesregierung ihre Verantwortung für das Schicksal vieler Menschen zu verdeutlichen und im Falle von Salman Rushdie auch praktische Schritte folgen zu lassen. Rushdie schlägt keineswegs vor, Wirtschaftsbeziehungen zu kappen. Er mahnt nur, man sollte sie nutzen. Ich möchte zum Schluß Salman Rushdie selbst sprechen lassen: Es geht nicht nur um mich. Wer mich verteidigt, verteidigt auch eine Idee, die Idee der Meinungsfreiheit, und daher eine ganze Kultur und die Iraner, die mehr als alle unter dem iranischen Regime leiden. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Ursula SeilerAlbring.

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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Fall Salman Rushdie bewegt die Öffentlichkeit und uns hier in diesem Hohen Haus mit Recht. Es geht um Meinungsfreiheit, um kulturelle Freiheit und um unser Selbstverständnis als souveräner Staat. Die Bundesregierung kann und wird keine Einschränkung der Meinungsfreiheit dulden. Diese ist in Art. 5 unseres Grundgesetzes verbürgt und gehört zu den zentralen Werten unserer Demokratie. Die Bundesregierung kann und wird es nicht zulassen, daß Menschen auf deutschem Boden wegen eines Werkes der Kunst angegriffen und verfolgt werden. Es geht hier nicht darum, über die literarische Qualität von Rushdies Buch zu urteilen. Ich habe mich auch nicht damit auseinanderzusetzen, daß die „Satanischen Verse" in den Augen vieler Moslems den Stifter des Islam beleidigen und deshalb die religiösen Gefühle vieler verletzen. Wenn wir uns schützend vor Rushdie stellen, so billigen wir damit nicht umstrittene Aussagen. Die Gestalt des Propheten Mohammed genießt auch bei uns Respekt als einer der großen religiösen Führer der Weltgeschichte. Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, tritt vorbehaltlos für die Unversehrtheit Salman Rushdies ein, wo immer er sich befindet. Die Völkergemeinschaft hat sich auf den Schutz der Menschenrechte verständigt. Dazu gehört an erster Stelle das Recht auf Leben. Diese Haltung hat das Auswärtige Amt bereits mit seiner Erklärung vom 16. Februar 1989 sehr deutlich gemacht. Sie ist der iranischen Regierung bei jeder sich bietenden Gelegenheit vermittelt worden, zuletzt von Staatssekretär Kastrup dem iranischen Botschafter am 29. Oktober 1992. Die Bundesregierung fordert, den Mordaufruf gegen Salman Rushdie zurückzunehmen. Mit seiner Fatwa vom 14. Februar 1989 erklärte Ayatollah Khomeini Salman Rushdie für vogelfrei. Eine religiöse Stiftung setzte eine Million US-Dollar für seine Ermordung aus. Die Bundesregierung hat - wie die Regierungen der EG-Partner - sofort und wiederholt gegenüber der iranischen Regierung mit allem Nachdruck deutlich gemacht, daß Gewalt oder die Androhung von Gewalt kein legitimes Mittel der politischen oder der religiösen Auseinandersetzung sein können. Mord oder Aufforderung zur Tötung sind inakzeptabel. Am 27. August 1989 erklärte der iranische Staatspräsident Rafsanjani öffentlich, daß der Iran seine Ansichten und Botschaften nur innerhalb der von den anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts gesetzten Grenzen veröffentlichen und in die Welt hinaustragen dürfe. Er müsse sich dabei jeglicher Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten enthalten. Bei dem Todesurteil handele es sich nicht um ein Urteil im rechtlichen Sinne, sondern um die - allerdings mit unumstößlicher religiöser Autorität ausgestattete - Meinung eines religiösen Experten. ({0}) - Herr Gansel, ich kann in diesem Zusammenhang nur wiedergeben, was Rafsanjani dazu gesagt hat. - Uns empört, daß sich die politische Führung der Islamischen Republik Iran bisher noch nicht deutlicher vom Aufruf zum Mord distanziert hat. Wir verurteilen, daß eine Institution, die den Organen des iranischen Staates zumindest nahesteht, Mord mit einer hohen Summe belohnt und damit zum Verbrechen aufruft. Die Bundesregierung erwartet eine klare Distanzierung der iranischen Regierung von diesem unerhörten Aufruf. Der iranische Botschafter hat vor wenigen Tagen öffentlich die Aussage seines Präsidenten bestätigt, daß die iranische Regierung dem Völkerrecht verpflichtet sei. In den bilateralen Beziehungen gelte der Grundsatz der Respektierung der innerstaatlichen Gesetze. Terrorismus in jeder Form und an jedem Ort sei ohne Wenn und Aber zu verurteilen. Diese Aussagen des Botschafters nehmen wir zur Kenntnis. Wir begrüßen sie nachdrücklich und werden der weiteren Entwicklung entgegenschauen. ({1}) Inzwischen hat die Stiftung das Kopfgeld für Salman Rushdie auf zwei Millionen Dollar erhöht. ({2}) Die Bundesregierung hält dieses für ungeheuerlich. Die Bundesregierung wird auch weiterhin darauf drängen, daß sich die iranische Regierung klar und deutlich von dem Mordaufruf gegen Salman Rushdie distanziert und ihr möglichstes tut, um die Unversehrtheit Rushdies zu schützen. Die Aussetzung eines Kopfgeldes, der weltweite Aufruf zum Mord sind auf das schärfste zu verurteilen. Wir werden Salman Rushdie auch weiterhin schützen. Salman Rushdie muß wieder als freier Mensch leben können. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile das Wort dem Kollegen Heinrich Lummer.

Heinrich Lummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001396, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Beginn des Jahres 1989 lebt Salman Rushdie versteckt, bedroht und ganz zweifellos in Angst. Die Prämie für das Killerkommando ist erhöht worden. Gläubige Muslime ebenso wie professionelle Killer sind aufgefordert, für Geld Leben zu vernichten, und das schon vier Jahre lang. Wir haben damals verurteilt. Wir redeten über Sanktionen. Wir sahen die ganze zivilisierte Welt herausgefordert. „Kriegserklärung", Herr Duve, haben Sie gesagt, und Sie haben es heute wiederholt. Aber ebendiese zivilisierte Welt lebt nun seit Jahren mit dieser Herausforderung. Die erneute Forderung auch aus ministeriellem Munde: Das muß aufhören mit dem Mordbefehl! klingt schal, weil keiner die Hoffnung hat, daß es denn auch geschehen werde. Damals wurden von uns die Rücknahme des Mordbefehls und die Publikation des Buches gefordert. Die Publikation ist erfolgt, der Mordbefehl ist nach wie vor da. Sanktionen hat es nicht gegeben, oder sie waren fruchtlos. Ein Kulturabkommen wurde auf Eis gelegt oder vielleicht auch nicht. In jedem Falle ist es klar: Wie könnte man mit jenen ein Kulturabkommen erneuern, die ein Beispiel für Unkultur liefern? Das scheint nicht sinnvoll zu sein. ({0}) Besuche auf hoher Ebene wurden eine Zeitlang ausgesetzt. Aber nach einer gewissen Zeit ging man zur Tagesordnung über. Wir haben uns damals allesamt in die Hand versprochen, über weitere Sanktionen nachzudenken, wenn der Mordbefehl nicht zurückgenommen wird. Nun ist er nicht zurückgenommen worden. Ich meine, wieviel mehr haben wir Veranlassung, darüber nachzudenken, was denn zu tun sei? Schließlich hat unser damaliger Außenminister seinerzeit gesagt: Wir schließen keinen Schritt aus. - Das klang gut. In Wahrheit sind wir keinen wirklichen Schritt gegangen, jedenfalls keinen weitergekommen. ({1}) Salman Rushdie hat mit seinem Buch gewiß die Gefühle aufrichtiger Muslime beleidigt, er hat sich dafür aber auch entschuldigt. Wir wollen auch nicht einem Recht auf Beleidigung das Wort reden, sondern wir wollen für das Recht auf die Rede kämpfen. Wir wollen für das Leben eines Menschen und für das Recht auf ein zuständiges Gericht kämpfen. Der Auftrag, meine Damen und Herren, auch auf fremdem Hoheitsgebiet zu töten, ist völkerrechtswidrig. Insofern haben die Vereinten Nationen das Recht, sich mit diesem Vorgang zu befassen. Wir wünschen auch, daß sie das tun. Es mag sein, daß in unserem Land in der einen oder anderen Moschee, vielleicht auch in einer Botschaft demnächst verkündet wird, daß dieser Mordauftrag zu Recht bestehe. Und da ist doch nun wirklich die Frage: Wie hältst du's mit solchen Menschen, die das in unserem Lande tun? Und ich meine: Persona non grata ist die wirkliche Konsequenz, die man ziehen muß. Meine Damen und Herren, wir haben uns bei Menschenrechtsverletzungen immer wieder die Frage vorgelegt, wie wir sie verhindern können. Wir haben zwar Grundsätze für die Entwicklungshilfe formuliert, haben im Irak aber zusehen müssen, wie Chemiewaffen eingesetzt wurden. Wir haben in Jugoslawien unsere Erfahrungen. Wir sehen unsere Grenzen, wir sehen unsere Hilflosigkeit. Das ist das Schlimme angesichts mancher Ereignisse auch hier. Da möchte ich doch daran erinnern, so wenig das auch sein mag: Die vorzügliche Waffe der Verteidiger der Menschenrechte sind offenbar immer noch das Wort und die Überzeugungsarbeit. Warum gibt es immer wieder Zeiten und Zonen, wo gerade das Wort verurteilt und verfolgt wird, und wieso ist das Wort Rushdies ausgesprochen todeswürdig? Offenbar gibt es eine Kraft der Worte, die wir nutzen müssen. Wir müssen den universellen Menschenrechten universale Geltung verschaffen. Wir müssen in den Köpfen und Herzen der Menschen dafür sorgen, daß sich derjenige isoliert, der die Menschenrechte mißachtet. Das ist mühsam, und sicherlich wird der Erfolg nicht sofort kommen. Aber das bedeutet an dieser Stelle, meine Damen und Herren: In jedem Gespräch mit Vertretern des Iran muß darüber geredet werden. Wir dürfen nicht zur Tagesordnung übergehen! Es muß ein ständiges „Ceterum censeo ..." in dieser Frage geben, und hier geht es um wichtigere Dinge als um Karthago aus der Sicht vom Rom. Denn hier geht es schließlich um die Säulen, auf denen unsere ganze Kultur und demokratische Struktur ruht, auch wenn das nur ein Einzelfall ist. Wir können schon gar nicht mehr sagen „Wehret den Anfängen! " - denn die haben wir -, sondern wir können nur noch sagen: Befördert, daß dieser Geist ein Ende findet in unserer Welt! ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Thea Bock.

Thea Bock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte noch einmal auf den einmaligen Vorgang eingehen. Wir müssen uns vergegenwärtigen, daß ein Staat einen Schriftsteller eines anderen Staates töten will, einen Mordaufruf an Millionen von Menschen richtet. Nachdem Proteste bei uns in der Bundesrepublik laut werden, wird das Kopfgeld erhöht. Wer sich dies vor Augen führt, muß einfach drastische Maßnahmen fordern. ({0}) Salman Rushdie ist ein mutiger Mann, wenn er nach drei Jahren Verstecktleben seine Isolation durchbricht, um auf das Ungeheuerliche dieser Sache aufmerksam zu machen. Dieser Mut verpflichtet uns Demokraten, genauso mutig zu sein. Deshalb bin ich froh, daß es gelungen ist, den Besuch Salman Rushdies in der Bundesrepublik zu organisieren. Ich möchte an dieser Stelle - auch im Namen von Salman Rushdie und, wie ich hoffe, im Namen aller hier Anwesenden - denjenigen ganz herzlich danken, die bei der Vorbereitung und Durchführung dieses schwierigen und auch riskanten Unternehmens geholfen haben, insbesondere dem Innenminister von Nordrhein-Westfalen, der sich prompt und mutig zur Unterstützung durch das Land Nordrhein-Westfalen zur Verfügung gestellt und durch die Bereitstellung einer hervorragenden Sicherheitsmannschaft das zunächst unmöglich Scheinende möglich gemacht hat. Sehr froh bin ich, daß es zu vielen eindeutigen Stellungnahmen gekommen ist, auch vor dieser Aktuellen Stunde. Stellvertretend möchte ich nur zwei nennen, die der Bundestagspräsidentin Frau Professor Dr. Süssmuth und die von Björn Engholm, die gezeigt haben, daß sie nicht bereit sind, diesen Fall zu vergessen, nicht bereit sind, vor diesem Mordaufruf zu kapitulieren. Denn es geht nicht nur um die Person Rushdies, es geht um einen elementaren Anschlag auf die Meinungsfreiheit. Wer den Fall Rushdie zu den Akten legen will, provoziert geradezu ähnliche zukünftige Anschläge auf die Meinungsfreiheit. Ich möchte den freundlichen Empfang Rushdies in der Bundesrepublik Deutschland als Geste der Solidarität interpretieren, aber auch als Ausdruck von Selbstrespekt; denn es geht um unsere Glaubwürdigkeit, um unsere eigenen Grundsätze, die nicht für andere Interessen aufs Spiel gesetzt werden dürfen. Und: Es ist höchste Zeit, daß wir durch eine politische Demonstration öffentlich auf eine Rücknahme der weltweit geltenden Morddrohung hinwirken. Es sind zivilisatorische und politische Selbstverständlichkeiten, die Rushdie in Bonn aussprach. „Zu schweigen heißt, den Leuten, die die Macht sowieso schon haben, noch mehr Macht zu geben." - Ich schließe mich diesem Zitat ausdrücklich an. Und ich weise die iranische Machtanmaßung auf internationalem Boden mit Nachdruck zurück! Das ist allein schon auf Grund eigener staatlicher Souveränität nicht länger hinzunehmen. ({1}) Die Identifikation des iranischen Botschafters in Bonn mit diesem Mordaufruf und sein zynischer Verweis darauf, daß die Bundesrepublik ihre guten Wirtschaftsbeziehungen nicht für Rushdie riskieren wird, erfordern eine klare Antwort des Parlaments und der Bundesregierung. Die Aussage des iranischen Botschafters ist auch eine Beleidigung für die Industrie und die Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Auch deren Vertreter sind Demokraten, auch sie achten die Menschenrechte und werden sich mit Sicherheit nicht mit Staatsterroristen verbrüdern. Der Iran muß politisch und ökonomisch für das Leben Rushdies in Haftung genommen werden. Die britische Regierung hat die von Teheran erhöhte Prämie für die Ermordung Salman Rushdies scharf verurteilt; sie stelle eine untolerierbare Verletzung der Menschenrechte dar. Die Öffentlichkeit der Bundesrepublik Deutschland erwartet auch von uns klare Antworten. Ich schließe mich den Forderungen nach Abberufung des iranischen Botschafters an und bitte die Bundesregierung und auch die Vertreter der verschiedenen Fraktionen, mitzuhelfen, daß diese Morddrohung nicht nur von Großbritannien und von unserem Parlament verurteilt wird, sondern daß die Aktion, die Salman Rushdie auch mit seinem Besuch erreichen wollte, eine europaweite Kampagne wird und Europa sich insgesamt gegen diesen Mordaufruf stellt. Ich bitte alle, das zu unterstützen. Ich danke herzlich. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Burkhard Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wahrscheinlich bin ich der einzige literarische Banause unter Ihnen. Ich kann mir die Bemerkung nicht verkneifen, daß ich das Werk des Autors literarisch nicht für besonders eindrucksvoll halte, daß ich davon nicht beeindruckt bin, sondern daß ich es teilweise als ausgesprochen schlechte Literatur betrachte. Ich denke, der Erfolg, den der Autor erzielt hat, ist möglicherweise eine Reaktion auf sein Schicksal und auf die Art, in der er verfolgt wird. ({0}) Die Verletzung religiöser Gefühle anderer kann nicht meinen Beifall finden. Ich halte sie für einen Mangel an Toleranz. Aber es ist natürlich ebenso ein Mangel an Toleranz, wenn die Reaktion darauf ist, daß zur Ermordung dieses Mannes aufgerufen und ein namhafter Geldbetrag - und für einen gläubigen Moslem die ewige Seligkeit - dafür ausgelobt wird. Dabei ist es natürlich nur ein gradueller Unterschied, ob der iranische Staat das selbst tut oder ob er den Aufruf einer Organisation zuläßt, ohne sich davon nachhaltig und eindeutig zu distanzieren. Selbst wenn der Iran als Staat die anderen Rechtsordnungen respektiert, bleibt der Sachverhalt unberührt, daß er die Aufforderung an einen jeden Moslem duldet, einen bestimmten anderen Menschen zu ermorden. Das ist mittelalterlich und eines zivilisierten Staates unwürdig, auch wenn man berücksichtigt, daß es für jede iranische Regierung schwer ist, Weisungen des früheren Revolutionsführers Khomeini in Einklang mit einer modernen Völkerrechtsordnung zu bringen. Wenn Staaten und Völker unterschiedlicher Religionen und Rechtsordnungen in einer Welt friedlich zusammenleben wollen, dann müssen sie gegenseitig Rücksicht nehmen, sich respektieren und sich dabei an den Grundsätzen der Vereinten Nationen und der Menschenrechtscharta orientieren. Darum kann man einen Menschen nicht für vogelfrei erklären und seine Ermordung erkaufen wollen, Es ist erstaunlich, daß insbesondere Großbritannien, dessen Staatsangehörigkeit Salman Rushdie besitzt, auf diese eklatante Bedrohung seiner Integrität nur sehr verhalten reagiert hat. Ein solches erstaunliches Stillhalten hat in aller Regel wirtschaftliche Gründe. Es bedarf sicherlich keiner längeren Ausführungen darüber, daß die europäische Menschenrechtspolitik nicht viel wert wäre, wenn sie nur gegenüber den Staaten durchgesetzt würde, die wirtschaftlich keinen Schaden verursachen können. ({1}) Ich habe nicht vor, von der Bundesregierung eine isolierte Aktion zu verlangen. Dazu wäre Großbritannien weit eher berufen als wir. Aber im Zusammenhang mit dem Kulturabkommen zwischen der Bundesrepublik und dem Iran muß natürlich geprüft werden, ob Vorgänge dieser Art im deutsch-iranischen Verhältnis ausgeschlossen sind. Wir halten es für eine schlichte Selbstverständlichkeit, daß sich die Bundesrepublik in jeder Weise solidarisch verhält, wenn Großbritannien oder andere europäische Staaten um unsere Unterstützung oder um eine gleichartige politische Reaktion bitten. Die Europäische Gemeinschaft ist in ihrer Gesamtheit dazu aufgerufen, dem Iran klarzumachen, daß er mit seinem Verhalten die Grundlagen europäischer Kultur verletzt und daß das nicht ohne Folgen hingenommen werden kann. Ich gehe davon aus, daß die Bundesregierung hier oder im Auswärtigen Ausschuß bestätigt, daß sie zu einer solchen politischen Solidarität ohne Einschränkung bereit ist. Ich nehme Ihre Erklärungen, Frau Staatsminister, in diesem Sinne dankbar entgegen. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Vera Wollenberger. ({0})

Vera Wollenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002721, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hirsch, egal, wie man die literarische Leistung von Rushdie beurteilt - ich halte ihn im Gegensatz zu Ihnen für einen guten Schriftsteller -, muß man doch sagen, daß er mehrfach klar erklärt hat, daß er nicht im entferntesten die Absicht hatte, religiöse Gefühle zu verletzen. Er hat des öfteren Diskussionen mit islamischen Führern gehabt, um das klarzustellen. Ich denke, daß es weniger darum ging, daß er religiöse Gefühle verletzt hat, sondern vielmehr das Regime im Iran, das deshalb das Todesurteil gegen ihn ausgesprochen hat. Günter Grass nannte es das „halb gequälte und halb genierte Weghören und Drumherumhören seitens der Politiker", das den Schriftsteller Rushdie seit der vor drei Jahren ausgesprochenen Morddrohung durch Ayatollah Khomeini noch immer begleitet. Das muß ein Ende haben. Deshalb genügt es nicht, daß Staatssekretär Kastrup vom Auswärtigen Amt dem Botschafter der Islamischen Republik Iran in Bonn „unmißverständlich klargemacht hat, daß die Bundesregierung den Mordaufruf aufs schärfste verurteilt". Im Gegenteil: Wir können uns nur den Forderungen des Verbandes deutscher Schriftsteller anschließen, der die Ausweisung des iranischen Botschafters aus der Bundesrepublik fordert, weil dieser auf unmißverständliche Weise das Weiterbestehen des Mordaufrufs bekräftigt und - so die Worte des Verbandsvorsitzenden Friesel - dadurch „dessen mögliche Vollstreckung auf deutschem Boden öffentlich sanktioniert" habe. Die Bundesregierung hat Rushdie Hilfe zugesagt. Aber worin besteht sie? Jetzt, im Anschluß an Rushdies Besuch in der Bundesrepublik, ist es allerhöchste Zeit, Farbe zu bekennen. Andernfalls bestätigen sich Rushdies Befürchtungen, wonach „Menschenrechte für Sonntagsreden" da sind. Schweigen heißt Billigen des Mordaufrufs, heißt Billigen der Kopfgelderhöhung, die von der privaten religiösen Stiftung des 15. Chordad ausgesprochen wurde. Schweigen heißt in Kauf nehmen, daß die Kopfgelderhöhung wegen des Besuchs Salman Rushdies in der Bundesrepublik vorgenommen wurde. Ich bin sehr froh, daß heute alle Fraktionen und Gruppen hier im Bundestag erklärt haben, daß sie nicht schweigen wollen. Gefordert ist außerdem die Solidarität nicht nur mit Rushdie, sondern auch mit den Tausenden politischen Häftlingen, die den Repressionen des Regimes im Iran ausgesetzt sind. ({0}) Gefordert sind deshalb Konsequenzen, die der Verwirklichung und Durchsetzung der Menschenrechte gerecht werden. Dazu gehören seitens der deutschen Regierung nach unserer Auffassung nicht nur die Verurteilung des Mordaufrufs, sondern auch die Aufkündigung der Wirtschaftsabkommen und der Aufschub des geplanten Kulturabkommens mit dem Iran, und zwar so lange, bis die iranische Regierung den Mordaufruf zurücknimmt und die Einhaltung der Menschenrechte im Iran gesichert ist. Andernfalls setzt sich Deutschland der Gefahr aus, erpreßbar zu sein. „Deutschland exportiert jährlich Waren im Werte von über 5 Milliarden Dollar nach Iran. Es wird diesen Betrag wegen Rushdie nicht gefährden", sagte der iranische Botschafter. Er darf nicht recht behalten! ({1}) Der Fall Rushdie und die Tausende von vollstreckten Todesurteilen im Iran müssen ein permanentes öffentliches Thema in Deutschland sein. Wir können nach Beendigung des Iran-Irak-Krieges - ungeachtet der damit für die Bundesrepublik verbundenen lukrativen Wirtschaftsgeschäfte beim Wiederaufbau des zerstörten Landes - angesichts der bekannten Tatsache schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen im Iran nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Wenn die Verantwortlichen der amtierenden Regierung im Iran durch weltweite Proteste nicht dazu zu bewegen sind, ihre Mordabsichten aufzugeben, sollte der Deutsche Bundestag von der deutschen Regie9984 rung die soeben genannten Boykottmaßnahmen fordern. Wer sich mit der diskreditierenden Stellungnahme des Botschafters zufriedengibt, „der Fall Rushdie sei keine iranische Angelegenheit, sondern eine islamische", läßt sich ablenken. Hier wird die Religion des Islam für politische Machenschaften instrumentalisiert und mißbraucht. Sie soll für Mordabsichten eines Regimes herhalten, das Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit aufs gröbste verletzt. Sie soll die stillschweigende Zustimmung aller Muslime dieser Erde vortäuschen. Für diesen staatlichen Mordauftrag trägt die Regierung des Iran die alleinige Verantwortung. Ihr religiöser Führer Khamenei ist oberster Hüter religiöser Stiftungen. Aus diesem Grunde gilt es, sich nicht von den Äußerungen des iranischen Botschafters täuschen und die Religion des Islam nicht in Mißkredit bringen zu lassen. Sonst würde man einem neuen Feindbild aufsitzen. Danke. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Friedbert Pflüger.

Dr. Friedbert Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001710, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der letzten Woche ist Salman Rushdie, ein Staatsbürger der Europäischen Gemeinschaft, zu uns gekommen. Er mußte mit einer Privatmaschine hierher reisen. Denn die Lufthansa hatte sich aus Sicherheitsgründen geweigert, ihn zu transportieren. ({0}) Es bedarf also nur einer Todesdrohung, und schon wird man nicht mehr mit der Lufthansa transportiert. Salman Rushdie hat hier erzählt, daß sich der Hessische und der Saarländische Rundfunk - ebenfalls aus Sicherheitsgründen - geweigert hätten, die „Satanischen Verse" auszustrahlen. Im Auswärtigen Amt ist Salman Rushdie lediglich auf der Ebene eines stellvertretenden Abteilungsleiters - der Kulturabteilung - wahrgenommen worden. Wenn ein weltbekannter Schriftsteller nach Deutschland kommt, freut sich normalerweise jeder darüber und will möglichst oft mit ihm abgelichtet werden. Hier hat es einen „Geheimbesuch" gegeben, wobei das „Geheime" keineswegs nur mit Sicherheitsvorkehrungen zu erklären ist. Viele wollten sich einfach nicht klar und deutlich zu Rushdie bekennen. Das ist ein schlechtes Zeichen für die politische Kultur und die Zivilcourage in unserer Gesellschaft. ({1}) Wer sich von Gewaltdrohungen aus dem Ausland einschüchtern läßt und zurückweicht, wird auch im Inland kein überzeugter Verfechter von Grundrechten sein. Wenn wir nicht mehr einstehen für den bedrohten Bürger in Deutschland, in England oder anderswo, dann werden wir die andauernde Auseinandersetzung mit der Tyrannei verlieren. Wenn wir unsere Überzeugung nur noch in wohlklingenden Worten bekunden - das geht eindeutig ans Auswärtige Amt -, aber nicht mehr entsprechend handeln, dann bestätigen wir das Vorurteil der Fundamentalisten gegenüber einer kraftlos gewordenen, sich selbst aufgebenden westlich-europäischen Zivilisation. Wenn wir uns so verhalten, geben wir uns selbst der Verachtung preis - oder nicht? ({2}) Es geht jedoch nicht nur um Rushdie. Es geht um Tausende von Menschen, die im Iran weiter verfolgt werden, die aus politischen Gründen im Gefängnis sitzen, Folter erleiden oder öffentlich hingerichtet werden. Und was tun wir? Wir schimpfen ein wenig, treiben business as usual und normalisieren unsere Beziehungen. Kann es zwischen einer freiheitlichen Demokratie und einer Diktatur normale Beziehungen geben? Das gilt übrigens nicht nur für den Iran, sondern auch für China. ({3}) Wir haben vor kurzem einen Staatssekretär einhellig dafür kritisiert, daß er einem führenden Repräsentanten in China um den Hals gefallen ist. Wenn wir aber die Beziehungen zu China für normal erklären - na, dann darf man doch Diktatoren um den Hals fallen. In dieser Situation halte ich es für wichtig, daß wir generell zur Menschenrechtspolitik vor dem Hintergrund des Falles Rushdie einige Bemerkungen machen. Erstens. Es ist wahr: Menschenrechte eignen sich nicht für einen Kreuzzug. Wir wollen sie - Herr Baum hat völlig recht -nicht zum einzigen Maßstab unserer Politik erklären. Moralischer Rigorismus wird sehr schnell zur Selbstgerechtigkeit, zu der wir vor dem Hintergrund z. B. von Anschlägen auf Asylbewerberheime im eigenen Land überhaupt keinen Grund haben. Zweitens. Menschenrechte sind nicht das einzige Ziel unserer Außenpolitik. Es gibt zwingende Notwendigkeiten, die der Entfaltung einer totalen Menschenrechtspolitik entgegenstehen, etwa die Wahrung des Friedens und der Stabilität in einer Region. Es ist auch ganz legitim, strategische und Wirtschaftsinteressen wahrzunehmen. Wir wollen Beziehungen und Handel mit allen Staaten auf der Welt. Wir haben ja auch z. B. mit der ehemaligen Sowjetunion ein Röhrengeschäft abgeschlossen und uns trotzdem öffentlich für Herrn Sacharow ausgesprochen. Der Iran und China benötigen wirtschaftliche Beziehungen noch viel mehr als wir. Es gibt deshalb überhaupt keinen Grund, Handel zu betreiben, ohne gleichzeitig Menschenrechtsverletzungen anzuprangern. Drittens. Nichts gegen sogenannte stille oder diskrete Diplomatie, von der in diesen Tagen soviel die Rede ist. In der Tat kann man in Einzelfällen oft besser helfen, wenn man sie im vertraulichen Gespräch vorbringt. Aber es darf nicht der Eindruck entstehen, als sei stille Diplomatie nur ein Vorwand für Nichtstun und moralische Indifferenz. Viertens. Menschenrechte gehören auf einen prominenten Platz auf der internationalen Tagesordnung. Unsere in der amerikanischen und der französischen Revolution begründete westlich-europäische politische Kultur bezieht ihre Stärke und Überlebenskraft letztlich nicht aus der Höhe des Bruttosozialprodukts oder der Größe des Waffenarsenals, sondern aus dem Adel der Ideen von Menschenrecht und Freiheit und der Bereitschaft der Menschen, Freiheit und Menschenwürde auch zu einem Maßstab des Handelns zu machen. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten könnten wir versucht sein, einige dieser Prinzipien aufzugeben. Aber freiheitliche Werte sind kein Luxus für gute Tage, sondern der Kern unserer politischen Existenz, ein Garant für die Einigkeit nach innen und für die Stärke nach außen. Wir müssen Salman Rushdie und überhaupt den Verfolgten auf der Welt mehr Solidarität als bisher geben. Die Ausweisung des Botschafters wäre ein wichtiges Signal, ebenso die Aussetzung einer geplanten deutsch-iranischen Kulturwoche. Es wirkt doch wirklich lächerlich, wenn man angesichts des Todesurteils gegen einen Bürger der Europäischen Gemeinschaft anfängt, mit Iranern offizielle Volksfeste zu feiern. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Christoph Matschie.

Christoph Matschie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich ein Wort zu Ihnen, Herr Kollege Pflüger, sagen, um das richtigzustellen: Nach meinem Wissen hat sich niemand, der gefragt wurde, geweigert, hier in der Bundesrepublik mit Herrn Rushdie zu sprechen. Ich glaube nicht, daß wir hier den Eindruck erwecken dürfen, als sei dies der Fall gewesen. Es ist erschütternd, daß es in unserer Welt noch möglich ist, einem Schriftsteller offiziell mit Mord zu drohen, weil er ein bestimmtes Buch geschrieben hat. Aber ich glaube auch, daß wir die Todesdrohung gegen Salman Rushdie nicht isoliert betrachten dürfen. Ihre Entstehung und mehrmalige Wiederholung - das sage ich hier auch als Vorsitzender der deutschiranischen Parlamentariergesellschaft - lassen sich nicht loslösen vom Kontext iranischer Innenpolitik. ({0}) Diese ist seit Jahren durch brutale Unterdrückung politischer Gegner und drastische Menschenrechtsverletzungen geprägt. Zwar hat sich der Iran außen- und wirtschaftspolitisch geöffnet; die Repression nach innen hält jedoch unvermindert an. Der dritte Bericht des Iran-Sonderbeauftragten der UNO-Menschenrechtskommission, Galindo Pohl, vom 2. Januar 1992 stellt fest, daß es keine substantiellen Fortschritte hinsichtlich der Achtung der Menschenrechte gibt. Allein im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 7. Dezember 1991 wurden laut diesem Bericht 884 Hinrichtungen verzeichnet. Viele wurden in manchmal nur Minuten dauernden Schnellverfahren abgeurteilt und hatten zum Teil nicht einmal die Möglichkeit, sich überhaupt zu den Vorwürfen zu äußern. Folter zur Erpressung von Geständnissen ist nach wie vor weit verbreitet. Der Bericht weist auch darauf hin, daß iranische Regierungsangehörige möglicherweise in Mordanschläge auf Regimekritiker im Ausland verwickelt sind. Die Repressionen gegen Kurden haben seit Machtantritt der Mullahs 30 000 bis 50 000 Todesopfer, vor allem unter der Zivilbevölkerung, gefordert. Die angesprochenen Verletzungen menschlicher Grundrechte lassen sich nicht mit andersartiger kultureller Tradition oder den Geboten des Islam begründen. Der Iran verstößt nicht nur gegen den Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte, den er übrigens selbst ratifiziert hat, sondern auch gegen die eigene Verfassung. Es kann hier also nicht um eine Kritik am Islam gehen. Jeder, der sich ein bißchen damit beschäftigt hat, weiß, daß es in der islamischen Welt sehr unterschiedliche Rechtsauffassungen und Rechtspraxen gibt. In den meisten islamischen Ländern finden die Strafen der Scharia heutzutage keine Anwendung mehr. Auch in der islamischen Rechtstradition gibt es schon verschiedene Vorschriften, die auf Strafmilderung drängen. Warum betone ich dies? Ich bin der Überzeugung, daß die drastischen Menschenrechtsverletzungen letztendlich politisch motiviert sind und einer politischen Antwort der Weltgemeinschaft bedürfen. Die Todesdrohung gegen Rushdie ist dabei nur die Spitze eines Eisberges. Ganz im Gegensatz zu der hier dargestellten und von vielen Seiten bestätigten Einschätzung steht nach meiner Meinung allerdings das Verhalten der Bundesregierung in den letzten beiden Jahren. Im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 9. September 1991 heißt es - Zitat -: Wenn Iran auch nicht als Rechtsstaat im westlichen Sinne verstanden werden kann, so geht es in Iran doch, nachdem die Revolution inzwischen mehr als 12 Jahre zurückliegt und das islamisch ausgerichtete System fest etabliert ist, nach islamischem Recht und Gesetz zu. Gerade in der letzten Zeit werden Bemühungen erkennbar, auf dem Gebiet des Gerichtswesens noch bestehende Unzulänglichkeiten ... zu beseitigen. Angesichts dieser verharmlosenden Darstellung drängt sich natürlich der Verdacht geradezu auf, daß die Bundesregierung auf Grund wirtschaftlicher Interessen beide Augen vor der menschlichen Tragödie im Iran verschließt. ({1}) Das zeigen auch die wirtschaftlichen Aktivitäten, die in den letzten beiden Jahren angekurbelt wurden. Die deutschen Lieferungen in den Iran erreichen einen Umfang von 7 Milliarden DM im Jahre 1991. Bei Irangeschäften wurde die Begrenzung für Hermesbürgschaften aufgehoben. 1991 erhielt der Iran Her9986 mesbürgschaften in Höhe von 3,8 Milliarden DM. Das ist mehr als ein Sechstel aller geförderten Auftragswerte für die Entwicklungsländer. Schon in der Debatte 1989 ist beispielsweise vom Kollegen Lummer hier gefordert worden, Wirtschaftssanktionen zu verhängen. Auch der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, Hans Peter Stihl, fand diese Forderung damals verständlich. Ich bin nicht sicher, ob der Abbruch von wirtschaftlichen Beziehungen und von Gesprächen immer die einzig richtige Reaktion ist. Aber ohne wirtschaftliche und politische Konsequenzen bleibt unser Reden hier das Bellen eines zahnlosen Hundes. In der Debatte 1989 ist gefordert worden, eine universelle Antwort auf die Morddrohung gegen Rushdie zu geben. Der Mordbefehl besteht seit 1989 fort. Die universelle Antwort, die wir zu geben versprochen haben, steht bis heute aus. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Günther Müller.

Dr. Günther Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001548, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin ein grundsätzlicher Gegner der Todesstrafe. Folglich bin ich auch ein grundsätzlicher Gegner der Todesstrafe in bezug auf Salman Rushdie. Religiöse und Weltanschauungsgruppen haben nicht das Recht, über andere und anderer Leben zu urteilen. Auch sie haben die Menschenrechte zu beachten. Die Zeit der Autodafés und Hexenprozesse ist vorbei. Um so schlimmer ist es, daß es sich hier nicht um leere Drohungen handelt; denn wir wissen, daß der japanische Übersetzer Salman Rushdies ermordet und bei einem Mordanschlag auf den italienischen Übersetzer dieser schwer verletzt wurde. Insoweit gehört unsere Sympathie und unsere Solidarität Salman Rushdie, obwohl er einmal in einem Interview Schriftsteller und Politiker als natürliche Feinde bezeichnet hat. Trotzdem, meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein paar Gedanken einbringen. Ich bin nicht der Meinung des Kollegen Baum, daß die zivilisatorischen Werte grundsätzlich zu erhalten sind, wenn er unter diesen zivilisatorischen Werten auch Obszönität und Blasphemie versteht. Unsere säkularwestliche Welt ist nicht das Maß aller Dinge; das wird in anderen Gesellschaften und Kulturen gelegentlich als Neokolonialismus empfunden. ({0}) Füruns ist es vielleicht ein diskutierwürdiges Ereignis, wenn in einem Kalender einer Staatsregierung als Gedenktag der Todestag einer Lebedame aufgeführt wird. In der islamischen Welt wäre so etwas sicher undenkbar. Wenn Salman Rushdie Mohammed mit dem schlimmsten christlichen Schimpfnamen, der aus der Zeit der Kreuzzüge stammt, und seine Frauen mit obszönen Epitheta bezeichnet, dann provoziert er damit; darüber gibt es keinen Zweifel. Auch wir - zumindest ich - würden dies gegenüber den Propheten und Heiligen der jüdischen oder christlichen Religion nicht tun. Ich sage, zu Recht hat Ignatz Bubis damals verhindert, daß das Faßbender-Stück in Frankfurt aufgeführt werden konnte. Man muß das differenziert sehen. Die zerstörerische Gewalt der Tabuverletzung kann nicht außer acht gelassen werden. Blasphemische und obszöne Äußerungen in kritischen Fällen sind zu unterlassen, wenn wir auf dieser Welt zusammenleben wollen. ({1}) Der Fundamentalismus ist nur ein Teil der islamischen Geschichte. Zur islamischen Tradition gehört auch, daß die von anderen Fundamentalisten aus Spanien und Portugal vertriebenen Juden zum größten Teil im Osmanischen Reich aufgenommen wurden, ({2}) als sie in den christlichen Ländern keine Zuflucht fanden. ({3}) Als Saloniki nach dem zweiten Balkankrieg griechisch wurde, war es noch zu 50 % von sephardischen Juden bevölkert, die erst unter Eichmann von dort in den Tod geschickt wurden. Wenn heute, wie ich gehört habe, Vermittlungsversuche über die Madrider Universität, die Beziehungen zum Islam hat, unternommen werden, zu einer Rücknahme der blasphemischen und obszönen Äußerungen von Rushdie zu kommen, dann könnte es möglich sein, einen vernünftigeren Weg zu gehen. Trotzdem muß eines immer klar sein: Menschenrechte sind unteilbar, die Todesstrafe ist unmenschlich. Das gilt für Rushdie genauso wie für die Tausenden, die im Iran bedroht werden, weil sie für Freiheit, Menschenrechte und Demokratie eintreten. Rushdie ist insofern nur ein Symbol. Der Mordaufruf, der gegen ihn ausgesprochen wurde, muß fallen. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Norbert Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Auswärtige Amt hat auf meine parlamentarische Anfrage, ob es bereit sei, den iranischen Botschafter auszuweisen, mitgeteilt - die Staatsministerin hat das vorhin bestätigt -, die Bundesregierung beabsichtige nicht, den iranischen Botschafter zur persona non grata zu erklären. Er habe - so das Auswärtige Amt; ich zitiere aus der Antwort des Amtes auf die parlamentarische Anfrage - „ausweislich der Niederschrift seines Interviews im Saarländischen Rundfunk vom 29. 10. 1992 einen Hinweis auf das islamische Recht gegeben. Kein Land und kein Moslem könne oder wolle eine Strafe des Islam ändern". Das nenne ich eine faule Ausrede. Genauso faul ist die Absicht des Auswärtigen Amtes. Khomeini ist nicht der Islam; ein Mordaufruf ist keine Strafe! Das Auswärtige Amt begründet seine Entscheidung zusätzlich damit, der iranische Botschafter habe, als er ins Amt einbestellt wurde, erklärt, der Iran respektiere die innere Rechtsordnung anderer Staaten. Außerdem sei in einer Presseerklärung der Botschaft Terrorismus ohne Einschränkung verurteilt worden. Dem Auswärtigen Amt reicht das. Ich kann nur sagen: „Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube." Ich bin aber gerne bereit, mich überzeugen zu lassen; denn ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, daß der Iran tatsächlich ein respektiertes Mitglied der zivilisierten Staatengemeinschaft wird. Ich sage nicht „wieder"; denn ich habe das Schreckensregime des Schahs nie als zivilisiert bezeichnet und deshalb, als Khomeini 1979 in den Iran zurückkehrte, in diesem Hause dafür geworben, der Islamischen Republik Verständnis entgegenzubringen. Wenn uns jetzt aber der iranische Botschafter in seinem Interview unterstellt, daß wir uns die Tolerierung eines Mordaufrufs mit Exportaufträgen abkaufen ließen, braucht er auch eine unmißverständliche Antwort. ({0}) Wir werden jetzt nicht für einen Abbruch der Handelsbeziehungen mit dem Iran plädieren, machen aber eine iranische Regierung, die sich so verhält wie sie sich verhält, für die Sicherheit Salman Rushdies verantwortlich. Wenn ein Mordanschlag gegen Rushdie erfolgt, wird nicht nur im Deutschen Bundestag, sondern auch in anderen westeuropäischen Parlamenten beantragt werden, gegen den Iran politische und wirtschaftliche Sanktionen zu verhängen. Wir wissen, daß Sanktionen nicht ewig währen. Sie können aber für den Iran sehr teuer werden und könnten ihn zu einem Zeitpunkt treffen, da er auf gute wirtschaftliche und politische Beziehungen mit Westeuropa angewiesen ist. Der Iran muß wissen, daß er eine Interessenabwägung vornehmen muß. Wenn im Iran der Mordaufruf gegen Rushdie verbreitet wird, wenn sich das iranische Parlament damit identifiziert, wenn sich iranische Regierungsmitglieder nicht distanzieren, wenn im Iran Kopfgelder in Millionenhöhe ausgesetzt werden, dann wird aus der Unsicherheit der persönlichen Zukunft Rushdies eine außen- und wirtschaftspolitische Unsicherheit des Iran. Wir müssen den Iran zwingen, eine Interessenabwägung vorzunehmen, für die im übrigen die Schia und auch die Verfassung der islamischen Republik sehr wohl Raum geben. Wir wissen, daß auch die Fatwa Khomeinis nicht ewig gelten muß. Sie ist einer Revision zugänglich, und wir werden sie bei jedem Gespräch mit iranischen Politikern verlangen. Ich finde es auch unerträglich, daß es das Auswärtige Amt urkommentiert läßt, daß der Botschafter in seinem Interview gesagt hat, er habe Angst, daß die Geheimdienste Israels oder der USA etwas gegen Rushdie unternehmen und die Schuld dafür dann dem Iran in die Schuhe schieben. Muß man es sich eigentlich in der Bundesrepublik gefallen lassen, wenn befreundete Staaten auf diese Art und Weise verdächtigt werden, um womöglich vorbeugend von dem Verdacht auf das eigene Land abzulenken? ({1}) Ich will aus dem Streit für Rushdie und die Meinungsfreiheit keinen Streit mit dem Auswärtigen Amt machen, warne aber davor, daß eine diplomatische Reaktion als opportunistisch mißverstanden werden könnte. Ich sage ganz bewußt: Wir müssen darauf achten, daß wir nicht unsere Würde verspielen. Wenn iranische Politiker keinen Respekt vor uns gewinnen, weil wir unsere fundamentalen Werte nicht genauso fundamental vertreten wie sie die ihren, dann wird es keine vertrauensvolle Beziehung zwischen Gleichen geben. An die Adresse des Irans sage ich, weil selbst auf diese Debatte mit Repressalien zu rechnen ist: Wir lassen unsere Solidarität für Salman Rushdie nicht in Geiselhaft nehmen, indem wir darauf verzichten, ihn nur deshalb bei seinem nächsten Besuch in Deutschland nicht zu empfangen, weil im Iran erneut das Kopfgeld erhöht wird. Ich bin sicher, daß es notwendig ist, daß der Deutsche Bundestag mit der gemeinsamen Resolution darauf reagiert, für die wir schon Vorbereitungen getroffen haben. Ich bin auch sicher, daß wir alle darin übereinstimmen: Es geht nicht nur darum, das Leben Rushdies zu verteidigen, sondern auch um die Verteidigung des Fundaments unserer demokratischen Rechtsgesellschaft, der Meinungs- und Informationsfreiheit. Wir teilen alle gemeinsam das Bedauern der Moslems, die sich durch Äußerungen von Rushdie in seinen Veröffentlichungen verletzt fühlen. Das schmerzt auch uns. Aber diesen Preis müssen wir für die Meinungsfreiheit und die Informationsfreiheit zu zahlen bereit sein. Wir verteidigen dabei eine europäische Errungenschaft, die universelle Bedeutung hat. Denn sonst gibt es keine Toleranz zwischen den Religionen und den Menschen. Ich danke Ihnen. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Leni Fischer.

Leni Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000553, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 17. Februar 1989 hat Khomeini gesagt, daß ihm das Volk für den Fall der Reue Salman Rushdies über das Schreiben des Buches und seine Veröffentlichung verzeihen könnte. Daran allein sieht man, daß es eine Möglichkeit der Wiederaufhebung der Fatwa gibt, die allerdings Anfang dieses Jahres vom iranischen Parlament noch einmal bestätigt worden ist. Seitdem hat sich Salman Rushdie ausführlich und öffentlich bei vielen Gelegenheiten - ich habe ihn selbst gehört - für jegliche Beleidigung und Verletzung der Gefühle von Muslimen entschuldigt. Aber immer - bis heute - wurde jegliche Form der Versöhnung und des Ausgleichs zurückgewiesen. Und heute ist der 1 360. Tag der Fatwa. In dem Mordaufruf des Ayatollah heißt es fast wörtlich: Das Buch ist gegen den Islam, den Propheten Leni Fischer ({0}) und den Koran, und deswegen wird der Autor zum Tode verurteilt. Das Buch ist keine religiöse Streitschrift, sondern ein Roman, und ist vor allem unter literarischen Aspekten zu beurteilen. Der Autor hat - genau wie jeder andere Mensch auf Erden - das Recht der freien Meinungsäußerung. Jeder Demokrat hat dieses Recht zu achten und zu verteidigen. Hier geht es um Art. 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Ich behaupte ganz entschieden - und ich finde mich. da nicht allein -, daß dieser Mordaufruf, verbunden mit mehreren Millionen Dollar für professionelle Killer, nichts, nun wirklich gar nichts mit rechtsstaatlichen Grundsätzen und mit der Wahrung der Menschenrechte zu tun hat. Ich gehe noch weiter: Die Sprache des Hasses und des Hohnes, gepflegt von militanten Muslims, vom Ayatollah Khomeini bis zum Botschafter des Iran in Bonn, ist nicht gedeckt von den Vorschriften des Korans ({1}) und auch nicht vom Geiste des Islam. ({2}) Denn die Sprache des Hasses ist eben nicht herausragendes Element des Islam. Wenn der Botschafter des Iran sagt, die Fatwa sei eine Sache des Islam und nicht des Iran, so möchte ich fragen: Wie ist dann die Position der iranischen Regierung in diesem Falle? Braucht sie den „äußeren Feind", um im Inneren des Landes die verarmten Bevölkerungsmassen mit Hinweis auf den Islam und die Heilsvorschriften und -versprechungen von ihrem Elend abzulenken? In der islamischen Gesellschaft gilt, daß die Sprache des Hasses von der Religion und der islamischen Kultur selbst als ungeheuerlich dargestellt wird. In einem muslimischen Land wie Ägypten ist die Sprache des Hasses gegenüber einer Minderheit in Rasse oder Religion ungesetzlich. Die religiösen und politischen Führer des Islam sind aufgerufen, offen gegen Gewalt und Intoleranz aufzutreten; denn Gewalt und Intoleranz widersprechen den Werten des Islam. In jeder der drei großen monotheistischen Religionen ist die Grundlage gelegt für die Toleranz und den gegenseitigen Respekt gegenüber dem Anders- oder Nichtgläubigen, da jeder Mensch als Geschöpf des einen Gottes betrachtet wird und ihm daher unabhängig von seiner weltanschaulichen Überzeugung dieselbe Würde beigemessen und dieselben Rechte zugebilligt werden. Ich hatte vor etwa drei Wochen, um den 14. Oktober 1992 herum, ganz überraschend und auch unter immensen Sicherheitsvorkehrungen die Gelegenheit, Salman Rushdie fast zwei Tage lang bei der Kulturkonferenz des Nordischen Rates zum Thema der kulturellen Kooperation in Europa zu erleben. Nach einer längeren Diskussion mit ihm im kleinen Kreis hat er zwei Stunden mit dem gesamten Plenum des Nordischen Rates, dem alle skandinavischen Länder angehören, diskutiert. Dort haben wir eine Resolution zu seiner Unterstützung gefaßt, die ja gerade in skandinavischen Ländern beispielhaft ist. Nach weiteren Gesprächen in Finnland sind wir übereingekommen, es nicht bei der Initiative des Nordischen Rates zu belassen, sondern auch im Bundestag ein Zeichen zu setzen. Des weiteren sind wir übereingekommen, die Forderung nach Aufhebung der Fatwa weiter zu unterstützen. Ich möchte noch eine Information geben: Vor der Tagung des Nordischen Kulturforums in Finnland hatten bereits die Mitglieder des Kulturausschusses des Europarates unter meinem Vorsitz am 6. Oktober 1992 eine schriftliche Erklärung gezeichnet mit der Aufforderung an die Parlamentarier der Mitgliedsländer des Europarates - das sind mittlerweile 27 -, alle Möglichkeiten der Verhandlung und Vermittlung auszuschöpfen, um eine friedliche Lösung und Aufhebung des Todesurteils zu erreichen. Das ist die Antwort auf Ihre Frage nach der Staatengemeinschaft. Herzlichen Dank. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Aktuellen Stunde. Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Ingomar Hauchler, Dr. Norbert Wieczorek, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Internationale Verschuldungskrise und wirtschaftliche Strukturanpassung in der Dritten Welt und in Osteuropa - Drucksachen 12/2160, 12/3300 Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von einer Stunde vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Ich eröffne die Debatte und erteile Professor Hauchler das Wort.

Prof. Dr. Ingomar Hauchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD zur internationalen Verschuldung beweist: CDU/CSU und F.D.P. verharmlosen nach wie vor die Verschuldungskrise. Sie verkennen, daß damit die Entwicklung für viele Länder des Ostens und Südens blockiert wird. Sie ergreifen keine ausreichenden Initiativen, um die internationale Zusammenarbeit auf solidere finanzielle Füße zu stellen und sozial und ökologisch verträglichere Formen der Weltwirtschaft einzuleiten. Die Bundesregierung sagt noch immer „Weiter so", wo doch in vielen Ländern des Südens nichts mehr geht. Sie sagt „Genauso" im Hinblick auf die Länder des Ostens. Sie baut damit auch dort eine Verschuldungs- und Entwicklungsfalle auf. Die Lernfähigkeit dieser Regierung scheint allmählich auf Null zu sinken. Kleine Eingeständnisse - das sei vermerkt - macht die Bundesregierung, wenn auch nur nebenbei. Sie anerkennt nach jahrelangen Vorhaltungen, daß die Industrieländer für die Verschuldungskrise nicht nur „mitverantwortlich" sind. Sie akzeptiert nach vielen Abwehrgefechten, daß man dieser Krise nicht durch immer neue Umschuldungen Herr werden kann, sondern daß es ohne eine Senkung des Schuldenstandes und des Schuldendienstes einfach nicht mehr geht. Aus vorsichtigen theoretischen Korrekturen werden aber keine Folgerungen für die politische Praxis gezogen. Diese Regierung redet und redet, doch sie handelt auch hier nicht. Ich werde das in vier Punkten näher erläutern. Erstens. Die Bundesregierung spielt die Verschuldungskrise und die dadurch verursachten wirtschaftlichen Belastungen, sozialen Härten und ökologischen Schäden nach wie vor herunter. Sie gibt Entwarnung, weil sich das internationale Bankensystem durch massive Wertberichtigungen auf Kosten des Steuerzahlers und durch eine Rekordspanne aus Soll- und Habenzinsen zu Lasten der Bankkunden stabilisieren konnte. Sie gibt Entwarnung, weil sich einige makroökonomische Indikatoren im Durchschnitt verbessert haben. Sieht man aber hinter den täuschenden Nebel statistischer Durchschnitte, wird deutlich, daß allein Asien eine positive ökonomische, wenngleich auch nicht human und ökologisch verträgliche Entwicklung aufweist und dadurch eine sonst negative globale Entwicklung statistisch auffrisiert. Lateinamerika als Ganzes ist noch lange nicht auf einem positiven Pfad. ({0}) Osteuropa und die GUS haben in wenigen Jahren riesige neue Schulden aufgebaut: in zwei Jahren 145 Milliarden DM. Gleichzeitig aber gibt es dort einen katastrophalen Einbruch der Produktion. Afrika ist dem wirtschaftlichen und sozialen Abgrund noch näher gerückt. Dem dürfen wir doch nicht länger zusehen. ({1}) Zweitens. Die Industrieländer verschleiern, daß sie im globalen Krisenmanagement versagt haben. Der Schuldenstand ist der Leistungsfähigkeit der Schuldner nicht angepaßt worden mit verheerenden Folgen für die Menschen und für die Natur. Die Bundesregierung führt die Öffentlichkeit seit Jahren hinters Licht, wenn sie sagt, sie habe durch bilaterale Schuldenerlasse einen wichtigen Beitrag zur internationalen Entschuldung geliefert. Sie muß jetzt nämlich eingestehen, daß diese Erlasse sage und schreibe nur 5 % des gesamten Forderungsbestands an diese Länder ausmachen. ({2}) - Es ist ja zynisch, wenn Sie sagen, das ist schon einmal etwas! Es sind nur 5 % Entlastung in einer Situation, in der die Länder in die Knie gehen. Es ist genau dieser Zynismus, der ihrer Politik zugrunde liegt, und den wir kritisieren. Die Bundesregierung rühmt die Schuldenerlasse des Pariser Clubs: 50 % der öffentlichen Schulden sollen ärmsten Staaten erlassen werden. Jetzt wird in der Anfrage aufgedeckt, daß dies nicht für den Gesamtbestand der Schulden, sondern nur für die in den ersten drei Jahren fälligen Forderungen gilt. Die Propaganda der Industrieländer übertrifft auch hier wieder einmal ihre wirkliche Leistung. Die Bundesregierung erweckt immer noch falsche Hoffnungen auf ausreichende Erleichterungen bei den - teuren - privaten Bankkrediten. Tatsache ist: Der Brady-Plan weist ab 1989 zwar in die richtige Richtung. Das Mix aus Zinsschulden- und Schuldendienstreduktion nutzt bisher aber nur ganz wenigen Ländern und überwiegend nur strukturell relativ wohlhabenden Schuldnern wie Mexiko und Venezuela, die über Ölreserven verfügen, ({3}) und nur Ländern im Vorhof der USA. Das ist die zweite Kategorie, bei der etwas getan wird, Herr Kollege Feilcke. Drittens. Die Bundesregierung sozialisiert die Verluste und schont die Gewinne der privaten Banken. - Sie bewilligt auf Kosten des Steuerzahlers den Privatbanken höchste und hohe Abschreibungen und zahlt mehr und mehr, um Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank zu finanzieren, obwohl deren Erfolge höchst umstritten sind. Eine Anhörung der SPD zur Politik der Weltbank hat dies vor wenigen Tagen erneut gezeigt. Bonn zahlt und läßt Washington die Politik machen. IWF und Weltbank müssen bei den Armen für fahrlässig vergebene private Kredite den Gerichtsvollzieher spielen. Ein Armutszeugnis für die Reichen. ({4}) Viertens. Die Bundesregierung leistet weltweit einer Strukturanpassungspolitik Vorschub, die ohne Rücksicht auf humane, soziale und ökologische Werte und mit höchst zweifelhaften wirtschaftlichen Ergebnissen in die Souveränität der Länder des Ostens und des Südens eingreift. Diese Politik zwingt zum Export statt zur Sicherung der eigenen Ernährung. Diese Politik integriert und liberalisiert den Süden und Osten, während der Norden protektioniert. Diese Politik erhöht die Preise für Überlebensmittel und senkt die Fähigkeit der Menschen, sich selbst zu helfen. Die Ausgaben für Bildung, Gesundheit und Umweltvorsorge mußten im Süden auf Druck des IWF drastisch zusammengestrichen werden. ({5}) Die Investitionen, das Pro-Kopf-Einkommen und das so wichtige sogenannte Humankapital, wie Sie das immer nennen, sanken drastisch, vor allem in Afrika und in Osteuropa. Das darf doch wirklich so nicht weitergehen, auch nicht im eigenen Interesse. Die vor uns stehende Krise der Weltwirtschaft ist eine deutliche Warnung. Niemand bestreitet, daß nach einer Zeit übertriebener Abschottung, staatlicher Überregulierung und oft skandalöser Selbstbedienung herrschender Eliten auch die Länder des Südens die Kräfte des Marktes stärker wecken, die Vorteile des Handelsaustausches nutzen und die Disziplin ihrer Geld-, Finanz- und Wirtschaftspolitik erhöhen müssen. Diese Ziele dürfen und können aber doch nicht durch eine Politik der verbrannten oder verdorrten oder ausgelaugten Erde erreicht werden. Eine auf langfristige wirtschaftliche Gesundung und Entwicklung gerichtete Strukturanpassung kann nur Erfolg haben, wenn folgende Bedingungen hergestellt werden - dafür werden wir uns auch einsetzen -: Erstens. Strukturanpassung muß politisch durchsetzbar sein. Das ist die Grundbedingung, damit sie gelingen kann. Das setzt soziale Mindeststandards, Menschenrechte, Rechtssicherheit und eine funktionierende Verwaltung voraus. Es muß endlich mit Hungerrevolten Schluß sein, die durch den Druck des IWF provoziert werden. Zweitens. Strukturanpassung, die nicht vor allem auf breite gesellschaftliche Reformen als Bedingung auch wirtschaftlicher Entwicklung, sondern einseitig und kurzfristig auf makroökonomische Größen fixiert ist, wird höchstens zu einem Strohfeuer führen. Nicht zuletzt in Osteuropa stehen schwere gesellschaftliche Umbrüche und ein ökonomisches Desaster bevor, wenn die IWF-geführte Schocktherapie nicht bald korrigiert wird. Diese Politik der verbrannten Erde muß endlich aufhören. Drittens. Strukturanpassung muß monetär solide flankiert werden. Das heißt zum einen: Das Finanzvolumen muß ausreichen, um Strukturreformen und ihre soziale Absicherung lange genug zu begleiten. Andernfalls sind sie verantwortungs- und wirkungslos. Zum anderen dürfen Maßnahmen, die keine kurzfristige Rendite bringen, aber langfristige Entwicklungserfolge versprechen, in Zukunft nicht länger durch Kredite finanziert werden. Aus Nothilfe für Sterbende und Nothilfe gegen Waldvernichtung dürfen wir nicht länger Zinsen kassieren. ({6}) Viertens. Strukturanpassung muß je nach dem Entwicklungsstand eines Landes differenziert werden. Das braucht - das ist die historische und die aktuelle Erfahrung der Industrieländer selbst - viel, viel Zeit, viel mehr Zeit, als wir sie den Entwicklungsländern bisher geben. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung darf die Verschuldungskrise nicht weiter verharmlosen. Sie muß eingestehen, daß die bisherigen Maßnahmen nicht ausgereicht haben, um vor allem in Lateinamerika, Afrika und Osteuropa eine Politik der ökologisch und sozial verträglichen Wirtschaftsentwicklung zu unterstützen. Sie muß endlich Folgerungen daraus ziehen, daß die Industrieländer die Verschuldungskrise des Südens, die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in der Welt und die Zerstörung der Weltressourcen nicht an zweiter, sondern an erster Stelle mitzuverantworten haben. Wir müssen endlich zu einer präventiven Finanz-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik in globaler Verantwortung übergehen. Ein Testfall wird der Haushalt 1993 sein. Die von der Regierung geplante Absenkung der öffentlichen Entwicklungshilfe auf 0,34 % widerspricht diametral den Versprechungen des Bundeskanzlers in Rio, Deutschland werde Vorreiter spielen, wenn es darum gehe, globale Verantwortung zu übernehmen, um den Anteil in Richtung auf 0,7 % anzuheben. ({7}) Dieses Versprechen darf nicht gebrochen werden. ({8})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Jochen Feilcke.

Jochen Feilcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der SPD-Fraktion, aber vor allen Dingen die Antwort der Bundesregierung ist eine hervorragende Dokumentation. Wir sollten unabhängig von der Bewertung der Antworten dafür sehr dankbar sein. Es ist ein Material, das wir aufbewahren sollten und sicherlich auch aufbewahren werden. Patentrezepte gibt es in der Frage der internationalen Schuldenproblematik nicht, und schon gar nicht, wenn wir uns klarmachen, welche Veränderungen innerhalb der letzten drei Jahre in der Welt stattgefunden haben - mit einem offenen Europa, mit einer Öffnung nach Ostmitteleuropa. Wir stoßen auf die gleichen Probleme, Kollege Hauchler, wie wir sie in der Vergangenheit gemeinsam zu lösen versucht haben; übrigens gar nicht so giftig, wie Sie es heute dargestellt haben, sondern sehr viel mehr im Konsens. Die Probleme, die wir im Süden zu lösen versucht haben, haben wir nun im Osten. Die haben völlig recht: Es dürfen nur bewährte Mittel eingesetzt, allerdings auch neue erprobt werden. Die Bewältigung der Schuldenprobleme der osteuropäischen Länder darf auf keinen Fall zu Lasten der Entschuldung der Dritten Welt, der südlichen Länder gehen. Daß es möglich ist, diese beiden Ziele miteinander zu kombinieren, beweist das Signal von 1991, als Ägypten und Polen ein 50 %iger, über drei Jahre verteilter Schuldenerlaß für die öffentlichen Schulden vom Pariser Club gewährt worden ist. ({0}) Damit wurde eine sehr weitreichende, jedoch dem Problem angemessene Schuldenstreichung außerhalb der Gruppe der ärmsten Länder zugestanden. Diese Zugeständnisse, die an die Durchführung mehrjähriger Strukturanpassungsprogramme und vergleichbare Zusagen durch die privaten Banken geknüpft sind, weisen deutliche Parallelen zum Londoner Schuldenabkommen von 1953 zur Regelung der deutschen Nachkriegsschulden auf, dem ja bekanntlich die Philosophie zugrunde lag, daß Schuldenregelungen letztendlich nur dann tragfähig sind, wenn die Kapitaldienstverpflichtungen des Schuldnerlandes in Einklang mit seiner wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit gebracht werden. ({1}) Die vergangenen Jahre des Schuldenmanagements haben gelehrt, daß es auf Schuldenregelungen im engeren Sinne allein allerdings nicht ankommt. Wichtiger noch als Schuldenerlasse, Umschuldungen oder neue Kredite sind höhere Exporterlöse der Schuldnerländer selbst sowie ein möglichst niedriges internationales Zinsniveau. ({2}) So hebt beispielsweise die Deutsche Bundesbank zu Recht hervor, „daß der starke Rückgang der Dollarzinsen in den vergangenen beiden Jahren den Schuldendienst weit stärker entlastet hat, als dies mit den im Rahmen des Brady-Plans vorgesehenen Schuldenerleichterungen möglich war". - Auf den engen Zusammenhang zwischen der Verschuldung der Entwicklungsländer und der immer noch nicht abgeschlossenen Uruguay-Runde sei nur am Rande hingewiesen. Faßt man die bisherigen Bemühungen um eine Lösung des Schuldenproblems zusammen, so läßt sich folgendes sagen: Erstens. Ein globaler Finanz-Crash konnte verhindert werden; immerhin, Herr Kollege Hauchler. Zweitens. Bei anhaltend hohem Niveau der Verschuldung gelang es, die Schuldenstruktur - insbesondere die Fristigkeit - nachhaltig zu verbessern. Drittens. In wenigen Einzelfällen konnten spürbare Entschuldungseffekte erreicht werden, die für die betreffenden Länder von erheblicher Bedeutung waren. Über die Beispiele in Lateinamerika haben Sie schon gesprochen. Es sind die Länder Argentinien, Chile, Mexiko und Venezuela. Übrigens, Entschuldungseffekte konnten in diesen Ländern nur erreicht werden, weil sie auch eine entsprechende Reformpolitik eingeleitet und realisiert haben. Viertens. Für die meisten hochverschuldeten Entwicklungsländer, insbesondere im Subsahara-Afrika, bleibt die Verschuldung ein zentrales Problem, wobei bedauerlicherweise überhaupt kein Anlaß zur Entwarnung gegeben ist. Die von dem ehemaligen amerikanischen Finanzminister Baker erhobene Forderung nach einer konzertierten Aktion aller Beteiligten bleibt aktuell. Niemand darf und kann sich aus der Verantwortung stehlen. Die Rolle, die die wichtigsten Akteure im internationalen Schuldenmanagement haben, muß klar sein: Erstens. Die Entwicklungsländer können nur durch die Überwindung unwirtschaftlicher Strukturen und ineffizienter Politiken die Grundlage für die Überwindung ihrer Schuldenprobleme legen. Dieses Ziel können sie am besten durch eine marktwirtschaftliche Wirtschafts-, Finanz- und Währungspolitik erreichen. Zweitens. Zu den Stabilisierungs- und Strukturanpassungsprogrammen von IWF und Weltbank gibt es keine alternativen Konzepte, so sehr Kritik über die Durchführung der Programme im einzelnen berechtigt sein mag. Darüber haben wir auch im Zusammenhang mit der Tagung der Weltbank in Berlin trefflich, aber sehr konstruktiv miteinander gestritten. Ich nehme an, Sie erinnern sich daran, lieber Herr Kollege Hauchler. Drittens. Die Geschäftsbanken müssen dem Beispiel der öffentlichen Gläubiger folgen und zu vergleichbaren Kompromissen beim Schuldenerlaß bereit sein. Das Insistieren zahlreicher Geschäftsbanken auf bloß formalen Rechtspositionen ist in dem Maße unangemessen, in dem ausstehende Forderungen bereits wertberichtigt worden sind. Viertens. Die nationalen Regierungen - insbesondere die der führenden Industrienationen - tragen ein hohes Maß an Verantwortung, daß das internationale Schuldenmanagement angesichts neuer Problemlagen in Osteuropa und wachsender nationaler Finanzprobleme nicht zum Erliegen kommt. Die Gesamtverschuldung der osteuropäischen Länder liegt mit 162 Milliarden Dollar deutlich unter dem Niveau der Verschuldung der Entwicklungsländer. Dennoch ist ihre aktuelle Kreditwürdigkeit prekär. Die größten Unsicherheiten bestehen in der Abschätzung der künftigen Entwicklung. Diese ließe sich durch ein entschiedenes Engagement aller Kreditgeber positiv beeinflussen. Die Risiken für ein derartiges finanzielles Engagement werden jedoch von vielen als zu hoch angesehen. Insbesondere die Geschäftsbanken und die privaten Investoren halten sich deutlich zurück. Wieder einmal sind es öffentliche bzw. multilaterale Kredite, die den Staaten Mittel- und Osteuropas einen gewissen Spielraum für die Durchführung ihrer Wirtschaftsreformen verschaffen. Viele Länder in diesem Raum verfügen über umfangreiche natürliche Ressourcen, die ein bedeutendes Entwicklungspotential darstellen. Dieses Potential kann nur durch ein marktwirtschaftliches System mobilisiert werden. ({3}) - Herr Professor Hauchler, Sie haben im Moment nicht zugehört. Ich rede von den Ressourcen in den sich entwickelnden Volkswirtschaften Ost- und Mitteleuropas. In der gegenwärtigen Situation sind Beratungsleistungen - gerade auch durch die Bundesrepublik Deutschland - genauso wichtig wie die finanzielle Unterstützung, wenn nicht sogar wichtiger. Finanzielle Hilfen an die Staaten Osteuropas müssen also Hand in Hand gehen mit dem Aufbau marktwirtschaftlicher Strukturen. Keinesfalls kann es sich der Westen leisten, mit materieller Hilfe so lange zu warten, bis dort die grundlegenden Voraussetzungen einer am Markt orientierten Wirtschaftspolitik bereits geschaffen worden sind. Dadurch liefen wir Gefahr, daß diese Länder ihre Probleme nicht mehr unter Kontrolle bekommen. Andererseits lehren alle Erfahrungen, daß Kredite, die als unkonditionierte Zahlungsbilanzhilfe gewährt werden, wenig Veränderungen in den Empfängerländern bewirken. Es ist daher in enger Abstimmung mit IWF und Weltbank von Fall zu Fall zu entscheiden, wann und in welchem Umfang neue Kredite zu vertreten sind. Patentrezepte gibt es nicht. Es muß - das sei abschließend noch einmal bemerkt - sichergestellt werden, daß - ebenso wie bei der Entwicklungszusammenarbeit insgesamt - die Entschuldung im Osten nicht auf Kosten der Länder des Südens gehen darf. Vielen Dank. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Konrad Weiß das Wort.

Konrad Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002461, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die armen Länder des Südens befinden sich in einer Krise, in die nun auch die osteuropäischen Länder abzudriften drohen: Sie befinden sich in einer Verschuldungskrise. Die Staaten der ehemaligen Sowjetunion und Polen stehen in der Liste der 25 größten Schuldnerländer inzwischen ganz oben. Die Bundesregierung hat seit 1978 38 Ländern Forderungen aus Krediten der finanziellen Zusammenarbeit und aus den von der Bundesregierung verbürgten Krediten in Höhe von 12,4 Milliarden DM erlassen. Dies entspricht einem Anteil von 5,3 % an den gesamten öffentlichen Auslandsschulden, die diese 38 Länder zum Jahresende 1990 hatten, bzw. 3,8 % an ihren gesamten öffentlichen und privaten Schulden. Allein 1991 aber flossen 17,6 Milliarden DM an Zinsen und Tilgungen an den Bundesfinanzminister zurück. Die internationale Verschuldung der Entwicklungsländer für das Jahr 1992 wird auf 1,379 Billionen DM geschätzt. Die Bundesregierung beziffert ihre Forderungen aus Entwicklungshilfe und Hermes-Krediten bzw. Bürgschaften auf fast 167 Milliarden DM. Die Forderungen deutscher Unternehmen und Kreditinstitute betrugen 1991 insgesamt 170 Millionen DM. Ohne eine weitreichende Reduzierung der Schuldenbelastung besteht keinerlei Aussicht, daß die Entwicklungsländer aus eigener Kraft jene Abhängigkeitsverhältnisse beenden können, unter denen sie heute leiden. Der Zwang zum Schuldendienst führt zu einer kurzsichtigen, auf quantitatives Wirtschaftswachstum gerichteten Politik und behindert eine solide und dauerhafte Entwicklung. Seit Beginn der achtziger Jahre haben sich die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen in den am stärksten verschuldeten Ländern der Dritten Welt - vornehmlich in Afrika und Lateinamerika - erheblich verschlechtert. In den afrikanischen Ländern sank die Investitionsquote auf den Stand der sechziger Jahre zurück. Die Reallöhne sind in den am meisten verschuldeten Staaten heute niedriger als 1982. Angesichts des schwachen wirtschaftlichen Wachstums hat sich die Arbeitslosigkeit deutlich erhöht. Der Trend, die öffentlichen Ausgaben zu reduzieren, wird durch die vom IWF auferlegten Strukturanpassungsprogramme verstärkt. Dabei sind diese Programme weder an soziale und politische noch an ökologische Faktoren geknüpft, sondern zielen auf einen Ausgleich der Handelsbilanz bzw. auf höhere Handelsüberschüsse, mit denen dann der Schuldendienst geleistet werden kann. Öffentliche Leistungen für Gesundheit, Erziehung und Bildung werden gekürzt. Ein Ausgleich findet dann paradoxerweise auch über deutsche Entwicklungszusammenarbeit statt, z. B. durch Bildungs- und Sozialprodukte. Wir geben mit der einen Hand, was wir mit der anderen genommen haben. Der Beitrag der Banken zur Lösung der Schuldenkrise ist bis jetzt gering; Kollege Hauchler ist darauf eingegangen. Ein anderes Verlustgeschäft für den Steuerzahler wie für die armen Länder im Süden und Osten sind die Hermes-Bürgschaften. Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzt sich angesichts der katastrophalen Situation in vielen Entwicklungsländern für den weiteren Erlaß von Schulden aus der Finanziellen Zusammenarbeit ein, sofern der Schuldendienst für die betroffenen Länder unzumutbar ist oder ihre weitere Entwicklung behindert. Zugleich muß sich die Bundesregierung gegenüber dem deutschen Steuerzahler in der Pflicht wissen, die Entschuldung mit solchen Vereinbarungen zu verbinden, die sichern, daß wirtschaftliche und finanzielle Potenzen, die den Ländern durch die Entschuldung zuwachsen, nicht für militärische oder menschenrechtswidrige Zwecke mißbraucht werden oder einer kleinen Führungsschicht zugute kommen. Wir fordern die Bundesregierung auf, gegenüber den Banken darauf zu bestehen, daß wertberichtigte Forderungen auch tatsächlich gestrichen werden, und darauf zu achten, daß keine ungerechtfertigten Steuervorteile in Anspruch genommen werden können. Insgesamt aber müssen wir gegenüber den Ländern des Südens und des Ostens zu einer völlig neuen Entwicklungszusammenarbeit finden. Wichtiger als die Vergabe von Krediten an Staaten ist die großzügige Finanzhilfe für kleine Unternehmen, Handwerker oder Genossenschaften. Hier sollte Deutschland künftig den Schwerpunkt der finanziellen Zusammenarbeit setzen. Durch langlaufende Kredite mit gleitenden Zinsen, die immer deutlich unter denen des Kapitalmarkts liegen, könnte wirkliche Hilfe zur Selbsthilfe geleistet werden. Im übrigen würde durch eine solche Vergabepraxis auch das Verlustrisiko gesplittet. Von finanziellen Großprojekten zugunsten von Staaten sollten wir uns nach aller Erfahrung mit deren Ineffizienz und unverhältnismäßig hohem Risiko endgültig verabschieden. Vor allem wichtig aber ist, daß wir durch eine wirkliche neue Welthandelspolitik allen Ländern den gleichberechtigten Zugang zu allen Märkten ermöglichen. Und wenn schon mit Subventionen, Quotierungen und anderen marktfremden Instrumenten gearbeitet wird, dann hat dies ausschließlich zugunsten der Entwicklungsländer zu geschehen, nicht aber zu deren Lasten, wie dies gegenwärtig die Politik und Konrad Weiß ({0}) Praxis der Europäischen Gemeinschaft und Nordamerikas ist. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Ingrid Walz.

Ingrid Walz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002426, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit ihrer Großen Anfrage hat die SPD-Fraktion ein nach wie vor ernstes internationales Thema aufgegriffen. Sie hat allerdings auch den untauglichen Versuch unternommen, der Bundesregierung anzulasten, die Situation in den Schuldnerländern durch ungenügende Hilfe und eigene unverantwortliche Schuldenpolitik noch verschärft zu haben. Meine Damen und Herren, dies ist eine Verdrehung der Fakten und zeigt ein großes Maß an Unverständnis für finanz- und wirtschaftspolitische Zusammenhänge. ({0}) Ich bin deshalb der Bundesregierung sehr dankbar. Sie versachlicht in ihrer Antwort dieses schwierige und komplexe Thema und läßt Realismus walten; denn schnelle Erfolge wird es bei der Überwindung der Schuldenkrise nicht geben. ({1}) Hauptziel muß nämlich sein - und ich glaube, darüber sind wir uns alle einig -, daß alle Anstrengungen auf die Beseitigung der Ursachen für die Verschuldung zu richten sind. Das von der SPD ins Auge gefaßte Szenario - wie Schuldenkonferenz, weitgehender Schuldenerlaß oder eine internationale Insolvenzregelung - ändern nichts an den Mißständen in den Schuldnerländern, d. h. an den Ursachen der Verschuldung. Eine internationale Insolvenzregelung ist schon deshalb illusorisch, meine Damen und Herren, weil die Schuldnerländer einen wesentlichen Souveränitätsverzicht leisten müßten, und ich fürchte, lieber Herr Kollege Hauchler, dazu sind die meisten nicht bereit. Schuldig geblieben ist die SPD auch die realistische Antwort, wie ein weltweit niedriges Zinsniveau durchgesetzt und die Kapitalflucht verhindert werden kann. Ihre Rezepte setzen auf staatliche Reglementierung und auf die Beschränkung des freien Kapitalmarktes. ({2}) Doch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, diese Zeiten sind vorbei! Die SPD sollte sich deshalb von der ihr angelasteten Formel freimachen, Sozialisten hätten schon immer eine Vorliebe dafür gehabt, das Geld anderer Leute zu verteilen. ({3}) Meine Damen und Herren, worum geht es wirklich? Es geht darum, Strategien zur Lösung der Verschuldungsprobleme zu entwickeln, die in den Schuldnerländern dauerhaftes Wachstum bei wirtschaftlicher, finanzieller und sozialer Stabilität ermöglichen. Dies setzt einzelfallgerechte Lösungen auf der Basis von Vereinbarungen zwischen Schuldnern und Gläubigern voraus. Wir meinen, daß der entscheidende Beitrag zur Erreichung dauerhaften Wachstums von den Schuldnerländern selbst geleistet werden muß. Ihre Wirtschaftspolitik muß den Leistungswillen stärken, sie muß Vertrauen für in- und ausländische Investoren schaffen und den Außenhandel liberalisieren, um damit gleichzeitig die Ursachen der Kapitalflucht zu beseitigen. Dies setzt natürlich einen verläßlichen Rechtsrahmen, eine funktionierende Verwaltung und vor allem eine interne Ersparnisbildung voraus. Dabei helfen wir den Entwicklungsländern, und ich glaube, diejenigen Entwicklungsländer, die sich an diesen Kriterien orientieren, fahren gut dabei. Denn das Fehlen dieser Rahmenbedingungen hat viele Länder erst in die Verschuldensfalle geführt. Ich glaube, darüber brauchen wir schon gar nicht mehr zu diskutieren. Sich dies in der Situation, in der wir uns jetzt im Hinblick auf MOE und GUS befinden, vor Augen zu halten, heißt natürlich, daß wir bei den jetzt laufenden Transformationsprozessen in diesen Ländern die Fehler der Vergangenheit vermeiden müssen. Eine neue internationale Verschuldenskrise wie in den 80er Jahren wäre heute nur schwer zu meistern. Meine Damen und Herren, eindeutig ist auf jeden Fall, daß die Länder, die entwicklungs- und wachstumsfördernde Rahmenbedingungen gesät haben, jetzt Früchte ernten können. Eine Reihe von Entwicklungsländern, insbesondere in Ost- und Südostasien, aber auch in Lateinamerika, verbucht dies mit wirtschaftlichen Fortschritten und mit wachsendem Wohlstand ihrer Bürger. Aber die Lage in Afrika - und um die handelt es sich doch im Grunde genommen, und das muß man immer wieder ansprechen -, vor allem südlich der Sahara, gibt natürlich weiterhin Anlaß zu großer Besorgnis. Für die Zuspitzung der Situation in diesen Ländern - und das wissen wir auch, waren neben soziokulturellen Faktoren vor allem das ungebremste Bevölkerungswachstum, ineffiziente Staatswirtschaften, ausufernder Bürokratismus und Korruption verantwortlich. Leider bekennen sich viele Länder Afrikas erst heute zur Marktwirtschaft und damit zu den entscheidenden Voraussetzungen für die Überwindung ihrer hausgemachten wirtschaftlichen und sozialen Probleme, wobei ich unsere Verantwortung dafür überhaupt nicht verdrängen will. Meine Damen und Herren, nicht nur Hilfen bei den schwierigen Strukturanpassungsprozessen der klassischen Entwicklungsländer sind gefragt, sondern auch die Unterstützung der Reformanstrengungen der Staaten Mittel- und Osteuropas. Wir haben dort eine ähnliche Situation wie in vielen Entwicklungsländern. Es fehlen die Rahmenbedingungen, es fehlen die geeigneten Modernisierungsansätze. An multilateraler und bilateraler Hilfe fehlt es nicht so sehr, schon eher an einer verläßlichen gemeinsamen Strategie der Geber und der Nehmer. Allerdings wissen wir inzwischen auch, daß Marktwirtschaft, daß Privatwirtschaft nicht einfach durch das Öffnen von Türen erreicht werden kann, sondern eher durch Einsicht und Beratung, vor allem aber durch Überwindung verkrusteter Strukturen und Privilegien. Marktwirtschaft will gewollt und gelernt sein. Dem muß unsere vorrangige Hilfe gelten. Im ersten Überschwang der Hilfsbereitschaft haben wir leider dieses eherne Gesetz vergessen. Dies könnte uns nun Milliarden kosten. ({4}) Meine Damen und Herren, noch ein Wort zu den Hilfen für die Schuldnerländer - und dies ist leider bisher unter den Tisch gefallen -: Die Entwicklungsländer erhielten von den Gläubigerstaaten Zahlungserleichterungen für Zins- und Tilgungsverpflichtungen in Höhe von 200 Milliarden US-Dollar und darüber hinaus erhebliche Nettokapitalzuflüsse, davon allein im Rahmen des Pariser Clubs rund 100 Milliarden US-Dollar im Jahr 1991 und rund 135 Milliarden US-Dollar im Jahr 1992. Osteuropa wurden 140 Milliarden US-Dollar gewährt. Vor allem die Bundesregierung hat sich an der Weiterentwicklung der internationalen Schuldenstrategie aktiv beteiligt und einen beachtlichen Beitrag zur Milderung der Finanzprobleme verschuldeter Lander geleistet. Seit 1978 hat die Bundesregierung aus Krediten der FZ und aus verbürgten, garantierten Krediten 12,4 Milliarden DM erlassen. Ein weiterer Schuldenerlaß für verbürgte, garantierte Handelsforderungen in Höhe von 2,6 Milliarden DM wurde im Rahmen der zweiten Stufe der Sonderumschuldungsvereinbarungen mit Polen und Ägypten ab 1992 zugesagt. Ein weiterer Erlaß von Entwicklungshilfeforderungen bis zu 1,65 Milliarden DM für weitere ärmere Länder wird gegenwärtig geprüft. Einer Gruppe von Ländern soll im Pariser Club zu konzessionären Umschuldungsbedingungen weiterhin Schuldenerleichterung gewährt werden. Dies müssen wir zur Kenntnis nehmen. Es ist eine gewaltige Anstrengung auch des deutschen Steuerzahlers. ({5}) Meine Damen und Herren, wir sind der Auffassung, daß eine Fortsetzung der einzelfallgerechten internationalen Schuldenstrategie in Verbindung mit Schuldenerleichterungen sowie strukturellen Anpassungs- und Reformanstrengungen in den Entwicklungsländern zur Überwindung der Verschuldungsprobleme und zur makroökonomischen Stabilisierung unverzichtbar ist. Wir stützen dabei - und das wissen Sie auch - die Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank mit beachtlichen Leistungen in der Strukturhilfe. Diese Summen haben wir noch nicht einmal dazugezählt. Wir erwarten aber, daß die Bundesregierung hierzu weiterhin ihren Beitrag leistet und gleichzeitig alles unternimmt, um endlich einen erfolgreichen Abschluß der Uruguay-Runde des GATT zu erreichen. Denn, meine Damen und Herren - das stimmt natürlich auch -: Die beste Hilfe ist die Selbsthilfe, und eigene Devisen müssen das Geld der anderen ersetzen. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Dr. Fischer.

Dr. Ursula Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000557, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Internationale Verschuldungskrise, wirtschaftliche Strukturanpassung, Dritte Welt, Osteuropa. - Allein diese Aufzählung verrät, daß es sich hierbei um brisante, hochaktuelle nationale wie globale Probleme handelt. Unbestritten ist, daß sich die Mehrzahl der Lander des Südens spätestens seit 1982 in einer schier ausweglosen Verschuldungsklemme, einer Krise, befindet. Ebenso unbestritten ist die äußerst angespannte wirtschaftliche und soziale Lage in Ost- und Südosteuropa. Es ist nur logisch, daß ein Ausweg aus der entstandenen Lage gesucht und gefunden werden muß, wenn diese Krise nicht eskalieren soll. Betrachtet man nun die Antwort der Bundesregierung, muß man konstatieren, daß eine wirklich Große Anfrage eine eher kleine Antwort erfahren hat. ({0}) Dabei möchte ich die Mühe und den Fleiß der daran Beteiligten in keiner Weise schmälern. Wenn man jedoch die entwicklungspolitische Lyrik der Bundesregierung ausklammert, lassen sich, wie mir scheint, folgende Hauptaussagen treffen: Erstens. Die Verschuldungsprobleme der Dritten Welt und Osteuropas werden nach Auffassung der Bundesregierung überbewertet. Zweitens. Die internationale Schuldenstrategie bzw. die sogenannte verstärkte Schuldenstrategie hat sich bewährt. Sie ist auf Schulden- und Zahlungserleichterung ausgerichtet. Drittens. Hauptziel dieser vielbeschworenen Schuldenstrategie ist die Wiederherstellung der Schuldendienstfähigkeit und Zahlungsfähigkeit der Verschuldeten. ({1}) Viertens. Die Strukturanpassungsprogramme des IWF und der Weltbank werden insgesamt als erfolgreich eingeschätzt. Fünftens. Hauptursachen für Verschuldungsprobleme der Entwicklungsländer sind die unterlassenen strukturellen Anpassungsprogramme, eine fehlgeleitete Wirtschaftspolitik, die Unterschätzung wachsender Schuldendienstleistungen sowie starke weltwirtschaftliche Verwerfungen. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß die hohe Verschuldung dem Verantwortungsbereich der Entwicklungsländer zuzurechnen ist. Sechstens. Die Industrieländer haben stets ihre Mitverantwortung für die Lösung der Verschuldungsprobleme anerkannt und sind dieser Verantwortung u. a. durch die Unterstützung wirtschaftlicher Reformen, Schuldenerleichterung gerecht geworden. Meine Damen und Herren, wie kann die Bundesregierung von einer unsachgerechten Überbewertung der Verschuldungsprobleme durch die Initiatoren der Großen Anfrage sprechen, wenn selbst aus ihren eigenen Anlagenübersichten hervorgeht, daß sich die Gesamtauslandsverschuldung der Entwicklungsländer innerhalb eines Jahrzehnts fast verdoppelt hat! ({2}) Der UNO-Generalsekretär spricht in seiner „Agenda für den Frieden" von erdrückenden Schuldenlasten. Für die Bundesregierung aber existiert eine Verschuldungskrise dieser Länder nicht. Die Anfrage der SPD ist somit gegenstandslos. ({3}) Entsprechend ist auch das Verhalten der Regierung. Natürlich kann niemand den Entwicklungsländern die Verantwortung für ihre Entwicklung abnehmen. Aber es ist eine irrige Annahme, so zu tun, als ob wirtschaftliches Wachstum und Öffnung der Märkte der Industrieländer es diesen Ländern - wie es in der Antwort heißt - ermöglicht, mit eigenen Ressourcen effizient zu wirtschaften und den Menschen Raum für die Entfaltung ihrer schöpferischen Kräfte zu geben. Die Länder des Südens sind und bleiben angesichts des sich ausweitenden Entwicklungsgefälles auf den sich öffnenden Weltmärkten - falls dieses denn geschieht - immer die Schwächeren, die Unterlegenen. Sie büßen auf Konkurrenzmärkten ein. Damit ich nicht mißverstanden werde: Wir sind selbstverständlich für den Abbau aller Restriktionen im Welthandel. Wir sind auch für Anpassung, und zwar für die Anpassung der weltwirtschaftlichen Bedingungen an die Erfordernisse der Entwicklungsländer. Die Strukturanpassungspläne dürfen nicht dem Diktat des IWF und der Weltbank unterliegen und nicht auf Kosten der Ärmsten der Armen erfolgen. Die Antwort der Bundesregierung ist ein eindeutiger Beweis für das eigentliche Motiv der internationalen Schuldenstrategie. Das internationale Kapital will den Schuldnern auch in der Zukunft eine solche wirtschaftliche Strukturanpassung verabreichen, damit ihre Schuldendienst- und Zahlungsfähigkeit verbessert werden. Mit anderen Worten: Nicht etwa die Überwindung der Verschuldungskrise, Hilfe zur Selbsthilfe und Befriedigung der Grundbedürfnisse von Menschen, sondern die weitere Sicherung der Schuldendienstfähigkeit steht im Mittelpunkt dieser von Profiterwirtschaftung bestimmten Strategie. Für treffend halte ich eine Bemerkung Henry Kissingers, die sich auf die Gefahren der politischen Destabilisierung durch IWF-Auflagen bezieht: Die Kur ist schlimmer als die Krankheit. Meine Damen und Herren, Sie werden von uns nicht erwarten können, daß wir eine solche Strategie mittragen. Wir lehnen sie rundweg ab. Es ist schon bedauerlich, daß die Bundesregierung eine Schuldenstrategie als „bewährt" qualifiziert, die es ermöglicht hat, daß aus Entwicklungsländern in den zehn Jahren seit 1982 laut ihren eigenen Angaben mehr als 1,5 Billionen US-Dollar an effektiven Zins- und Tilgungszahlungen herausgepumpt werden. Diese Ausbeutung der Schuldnerländer soll durch sogenannte Strukturanpassungsmaßnahmen nunmehr effektiviert werden. Alle diese Aussagen erinnern mich in fataler Weise an die Geschichte von dem geizigen Müller, der seinem Esel beibringen wollte, ohne Futter auszukommen. Er reduzierte dem Tier die Futterration jeden Tag um die Hälfte. Doch gerade als der Esel anfangen sollte, von nichts zu leben, verstarb er aus unerklärlichen Gründen. Zum wiederholten Male fordern wir die Bundesregierung auf, sich den Ursachen für Verschuldungskrise, für Massenarmut und Not in den Ländern der Dritten Welt zuzuwenden. Erst dann wird es möglich sein, Strategien zu entwickeln, die zu grundlegend positiven Veränderungen führen. Wir fordern die Bundesregierung auf, spätestens auf dem nächsten Weltwirtschaftsgipfel im Juli 1993 in Tokio ein tatsächlich die Entwicklung förderndes und solidarisches Konzept zur Überwindung der Verschuldungskrise vorzulegen, das im übrigen die Entschuldung der Länder Osteuropas einschließt. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nunmehr dem Parlamentarischen Staatssekretär Joachim Grünewald das Wort.

Dr. Joachim Grünewald (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000739

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Große Anfrage die Hintergründe der Schuldenkrise, aber auch ihre bisherige Entwicklung ausführlich dargestellt. Sie hat damit einem Informationsbedürfnis einer breiten Öffentlichkeit - wie ich aus vielen Zuschriften vor allem engagierter junger Leute weiß - Rechnung getragen. Das ist keine - wie Sie meinten, Herr Hauchler - verharmlosende Darstellung, sondern das ist eine objektive Darstellung der Verhältnisse. Ich bedanke mich ganz ausdrücklich bei der Kollegin Frau Walz und dem Kollegen Herrn Feilcke, die auf die Qualität dieser guten Dokumentation hingewiesen haben. ({0}) Es ist nunmehr zehn Jahre her, seit sich Mexiko und bald darauf eine zunehmende Zahl anderer Länder außerstande sahen, fällige Schulden in vollem Umfang zu bedienen. Inzwischen sind bei einer großen Anzahl von Entwicklungsländern - das läßt sich doch gar nicht leugnen, Herr Hauchler - deutliche Fortschritte bei der Überwindung der Schuldenprobleme festzustellen. Die Gläubiger haben Instrumente und Verfahren entwickelt, die geeignet sind, den Weg zu einer umfassenden Lösung für die Zukunft zu ebnen. Daß das nicht von heute auf morgen geht, wissen wir doch alle miteinander. Allerdings bedarf es dazu auch der Mithilfe der Schuldnerländer. Sie müssen konsequent die notwendigen wirtschaftlichen Anpassungsmaßnahmen durchführen. Gleichzeitig müssen aber auch die Indu9996 strieländer - das betone ich mit großem Nachdruck - ihrer besonderen Verantwortung für entwicklungs- und wachstumsfördernde wirtschaftliche Rahmenbedingungen gerecht werden. ({1}) In Lateinamerika konnten Länder wie Mexiko, Chile und Argentinien, die ihre wirtschaftlichen Strukturanpassungsmaßnahmen mit einer Reduzierung der Bankenschulden verbinden, erneut Zugang zu internationalen Kapitalmärkten finden, das Vertrauen privater Investoren wiedergewinnen und so ihre Wachstumsaussichten verbessern. Auch andere hochverschuldete Lander wie Nigeria und die Philippinen konnten sich mit den Banken auf umfassende Pakete zur Schuldenreduzierung einigen. Jetzt stehen die Verhandlungen Brasiliens kurz vor dem Abschluß. Damit hat der überwiegende Teil des Problems der Bankenschulden eine befriedigende Regelung gefunden. Für weitere Länder wie Polen, Ecuador, Bulgarien, Peru stehen die Schuldenreduzierungsmöglichkeiten weiterhin offen. Für die ärmsten Länder, die vor allem bei den öffentlichen Gläubigern verschuldet sind, hat der Pariser Club recht weitgehende Möglichkeiten zu Schuldenerleichterungen und Schuldenerlassen geschaffen. Diese Länder können nunmehr im Rahmen der multilateralen Umschuldungsvereinbarungen mit einem Erlaß von Forderungen bis zu 50 % rechnen. ({2}) Acht Ländern wurden diese Konditionen bereits eingeräumt. Entsprechend den Empfehlungen auf dem Wirtschaftsgipfel in München wird der Pariser Club bei künftigen Umschuldungen nunmehr auch die besondere Lage einiger hochverschuldeter Länder mit niedrigem mittleren Einkommen im Hinblick auf zusätzliche Schuldenerleichterungen prüfen. Zusätzlich zu diesen multilateral koordinierten Schuldenerleichterungen erfahren die Entwicklungsländer spürbare finanzielle Entlastungen durch bilaterale Maßnahmen. Hier darf ich besonders auf die bilateralen Schuldenerlasse der öffentlichen Gläubiger bei den Krediten aus der Entwicklungshilfe hinweisen, aber auch auf die Schuldenumwandlungen, die immer auch mit Erlaßelementen verbunden sind. So wurde beispielsweise noch gestern mit dem Königreich Marokko eine neue - es war die sechste - Umschuldungsmaßnahme vereinbart. Es darf auch noch einmal erwähnt werden - ergänzend zu den Zahlen, die Sie schon vorgetragen haben, Frau Kollegin Walz -, daß wir immerhin an Entwicklungshilfekrediten schon 9 Miliarden DM erlassen haben bzw. in Aussicht genommen haben, sie zu erlassen. Für das Haushaltsjahr 1993 hat die Bundesregierung zusätzlich vorgesehen, auf Zins- und Tilgungsleistungen in einer Größenordnung von 50 Millionen DM - insbesondere zugunsten von Umweltschutzprojekten - zu verzichten. Herr Hauchler, da kann man doch nicht sagen, wir redeten immer nur, wir handelten überhaupt nicht. Die Schuldenerlaßmaßnahmen der Regierungen der westlichen Gläubigerländer werden insbesondere Ländern in Afrika, aber auch einigen besonders armen Ländern im lateinamerikanischen Raum wie Bolivien und Nicaragua zugute kommen. Diese Erlaßmaßnahmen können nach einer Bewährungszeit von etwa drei Jahren jetzt auch auf den gesamten Schuldenstand angewandt werden und nach dem Vorbild der Vereinbarungen mit Polen und Ägypten zu einer großzügigen abschließenden Schuldenregelung führen. Diese Schuldenerleichterungen - mögen sie auch noch so weitgehend sein - können aber weder allein noch in Verbindung mit den öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen das bewirken, was die Entwicklungsländer brauchen, nämlich anhaltende und produktive Investitionen und ein dauerhaftes wirtschaftliches Wachstum. Beides ist nur zu erreichen, wenn die Entwicklungsländer selbst eine gute Wirtschaftspolitik betreiben. Aus den Erfahrungen wissen wir doch - Frau Walz, Sie haben schon darauf hingewiesen -, daß sich eine konsequente wirtschaftliche Anpassungspolitik auszahlt. Länder, die eine solche betrieben haben, weisen höhere Wachstumsraten auf. Zur Unterstützung der Eigenanstrengungen stehen den Entwicklungsländern breitgefächerte und laufend angepaßte Hilfsinstrumente der internationalen Finanzinstitutionen zur Verfügung. Die internationale Diskussion der letzten Jahre zeigt uns: Eine rasch wachsende Zahl von Entwicklungsländern versteht, daß sie zur Erweiterung ihres wirtschaftlichen Spielraums vor allem eine marktwirtschaftlich orientierte Politik betreiben, den Privatsektor stärken, verläßliche Rahmenbedingungen für ausländische Investoren schaffen und inländische Ersparnisse für Investitionen im Inland mobilisieren müssen. Die Entwicklungsländer, Herr Professor Hauchler, brauchen ganz einfach auch Exportmärkte - anders, als Sie das soeben meinten -, auf denen sie ihre Produkte auch verkaufen können. Das Gewicht zusätzlicher Exporterlöse kann weitaus größer sein, als die finanziellen Hilfen der Industrieländer und der internationalen Finanzinstitutionen. Eine Öffnung der Märkte der Industrieländer u. a. für Güter des gewerblichen, aber auch und insbesondere - ich betone dies - des agrarischen Bereichs erwartet die Bundesregierung von einem guten Abschluß der Uruguay-Runde. Dabei wissen wir natürlich, daß gestern der Agrarkommissar und der amerikanische Minister erfolglos auseinandergegangen sind. Aber wir werden alles daransetzen, daß noch in diesem Jahr die UruguayRunde zu einem erfolgreichen Abschluß geführt werden kann. Auf Ihre Forderung, Frau Walz, versprechen wir Ihnen, daß sich die Bundesregierung mit allen verfügbaren Mitteln dafür einsetzen wird. ({3}) Die 90er Jahre sind durch den Zusammenbruch der zentral gelenkten Kommandowirtschaften in den mittel- und osteuropäischen Staaten und den neuen Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 117. Sitzung. Borm, Donnerstag, den 5. November 1992 9997 Parl. Staatssekretär Dr. Joachim Grünewald unabhängigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion, also der GUS, geprägt. In vielerlei Hinsicht haben die kommunistischsozialistischen Diktaturen Verhältnisse und Probleme hinterlassen, die denen der Entwicklungsländer ähnlich bzw. vergleichbar sind. Insofern gilt auch für die Hilfen an die Länder Mittel- und Osteuropas und für die Hilfen an die GUS, daß sie nur Hilfen zur Selbsthilfe sein können. Den entscheidenden Beitrag für wirtschaftliches Wachstum müssen auch diese Länder selbst leisten. Die Bundesregierung wird trotz der hohen finanziellen Lasten für die Beseitigung der Schäden, die uns der Sozialismus in den neuen Ländern hinterlassen hat, auch in Zukunft ihrer Verantwortung für die Entwicklungsländer nachkommen und darüber hinaus ihren Beitrag zur Unterstützung des Transformationsprozesses im Osten leisten. Wir betreiben also nicht eine Politik des „entweder oder", sondern eine Politik des „sowohl als auch". Wir erwarten allerdings auch, daß sich die anderen westlichen Länder im Rahmen eines fairen und gerechten „burden-sharing" an diesen schweren Lasten beteiligen. Schönen Dank. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Hans-Günther Toetemeyer.

Hans Günther Toetemeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002336, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! An einer Stelle, Herr Staatssekretär Grünewald, stimme ich Ihnen zu. Das Material, das uns die Bundesregierung zur Verfügung gestellt hat, ist umfangreich und gut und läßt eine Menge Schlüsse zu. Ich bitte aber um Verständnis, daß ich zu anderen Konsequenzen komme als sie. Das Material beweist nach meiner Auffassung eindeutig, in welch dramatischer Weise sich im letzten Jahrzehnt trotz aller von ihnen dargestellten Maßnahmen die Verschuldungskrise zugespitzt, nicht aber abgenommen hat. Viele Länder der Dritten Welt sind in eine Schuldenfalle geraten, aus der sie sich aus eigener Kraft, auch wenn sie wollten, überhaupt nicht mehr befreien können, verehrte Kollegin Walz. ({0}) Ich will das an Fakten deutlich machen. In Afrika, speziell in den Ländern südlich der Sahara, sind die letzten zehn Jahre - ich sage das mit aller Deutlichkeit - ein verlorenes Jahrzehnt gewesen. Der Weltentwicklungsbericht der Weltbank beweist, daß es insgesamt 41 hochverschuldete Länder mit niedrigen Einkommen gibt. Herr Staatssekretär, für mich ist die Tatsache alarmierend, daß 24 dieser Länder - Sie haben kein einziges erwähnt, auch nicht bei den positiven Beispielen - in der Subsahara-Region liegen. Die Gesamtverschuldung der Länder südlich der Sahara ist entsprechend dem Bericht der Weltbank inzwischen auf 174 Milliarden US-Dollar angestiegen. Zum Vergleich: Als 1982 das sogenannte westliche Krisenmanagement - so wurde das von Ihnen dargestellt - zur Lösung des Verschuldungsproblems einsetzte, beliefen sich in denselben Ländern die Verbindlichkeiten auf 73 Milliarden US-Dollar. Das heißt: In zehn Jahren sogenannten Krisenmanagements ist eine Steigerung um 100 Millionen US-Dollar eingetreten. Als Indikator für das Ausmaß der Verschuldung der Länder Subsahara-Afrikas ist ein Vergleich mit ihren Exporterlösen - die Sie ausdrücklich angesprochen haben - sehr aufschlußreich. Der Anteil des Schuldendienstes an den Exporterlösen hat sich in den 80er Jahren deutlich erhöht. 1989 lag er im Durchschnitt bei etwa 25 %, also fast doppelt so hoch, wie die unter ökonomischen Gesichtspunkten - ich hoffe, hier stimmen wir überein - zumutbare Obergrenze von 13 %. Dies hat zur Folge, daß die meisten Länder Subsahara-Afrikas ihren Schuldendienst nur noch sehr eingeschränkt, d. h. im Schnitt etwa mit 40 % der vertraglich fälligen Zins- und Tilgungsleistungen, leisten können. Das ist ein Punkt. Das ist Faktum. Das ist nicht zu bestreiten. Das ist auch auf Grund Ihres Materials nicht zu bestreiten. ({1}) Zweiter Punkt: Verhältnis des Schuldenstandes zum Bruttosozialprodukt. 1989 erreichten die gesamten Auslandsschulden Subsahara-Afrikas im Durchschnitt 110 % des Bruttosozialprodukts. Ich nenne Ihnen ein Beispiel - Herr Kollege Schuster wird sich freuen -: Die Auslandsschulden Tansanias betrugen 1980 etwa 50 % des BSP, im Jahr 1989 186 % des BSP. Das sind erschütternde Zahlen. Das kann man nicht aus eigener Kraft verändern. Diese Entwicklung hat sich im letzten Jahrzehnt, wie ich dargestellt habe, dramatisch verändert. Die Bundesregierung weist in ihrem Bericht darauf hin - ich zitiere -, daß in den Dürregebieten im südlichen und östlichen Afrika für das kommende Jahr mit einem weiteren Rückgang des Bruttosozialprodukts um 0,5 %, in Einzelfällen sogar um bis zu 10 % zu rechnen ist. Anders ausgedrückt: Die Schere zwischen Verschuldung und Bruttosozialprodukt öffnet sich immer weiter. Die wirtschaftliche Entwicklung wird dadurch noch stärker gebremst. Das heißt, Herr Staatssekretär, die Länder südlich der Sahara sind nicht nur verschuldet, sie sind hoffnungslos überschuldet. ({2}) Die Folgen des zu hohen Schuldendienstes sind nämlich, volkswirtschaftlich gesehen, ein Ausbluten und ein Niedergang ihrer Wirtschaften. Frau Kollegin Walz, ich weiß gar nicht, wie Sie da ansetzen wollen. Sie sagen immer sehr einfach: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott. Das funktioniert nicht. ({3}) Die zunehmende Verarmung und das immer größer werdende Heer von Unterernährten steht in einem direkten Zusammenhang mit den Schuldendienstbelastungen. Wir müssen auch auf der Grundlage aller Daten, die die Bundesregierung geliefert hat, erkennen, daß die bisher entwickelten Verfahren zur Schuldenreduzierung das Problem eben nicht gelöst haben. ({4}) Von daher müssen wir zu neuen Methoden kommen. Aber hier möchte ich zum Ausdruck bringen - auch das ist in den Reden soeben angeklungen, sowohl in der der Kollegin Walz als auch in der des Herrn Staatssekretärs -, daß der Schuldenerlaß immer mit den Strukturanpassungsprogrammen der Weltbank verbunden sein muß. Ich zitiere: Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Strukturanpassungsprogramme, die in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank formuliert und umgesetzt werden, einen unverzichtbaren Beitrag zur Lösung der Verschuldungsprobleme leisten. Wie falsch die Bundesregierung mit dieser Auffassung liegt, wurde schon vom Kollegen Hauchler dargestellt. Alle Experten bei unserer durchgeführten Anhörung haben bestätigt, daß es ein Scheitern der bisherigen Strukturanpassungsmaßnahmen gegeben hat und daß im Gegenteil diese Strukturanpassungsmaßnahmen - ich bin nicht gegen Strukturanpassungsmaßnahmen - die Länder nur noch tiefer in die Schuldenfalle hineingetrieben haben. Das ist doch einfach so. ({5}) Das heißt, ein sinnvolles Entschuldungskonzept kann nur dann greifen, wenn es von grundlegenden strukturellen Veränderungen im Bereich des Welthandels und der Weltfinanzen begleitet wird. Sonst funktioniert es nicht. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Verehrter Kollege Toetemeyer, als erfahrener Schriftführer wissen Sie, daß das rote Licht, das seit geraumer Zeit aufleuchtet, nicht ganz ohne Sinn ist. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das berücksichtigen würden.

Hans Günther Toetemeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002336, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, als ein so erfahrener Mann komme ich zum letzten Satz. ({0}) Hierzu zähle ich primär den Abbau von Handelsschranken der Industrieländer. Verehrter Herr Staatssekretär, da ist das Beispiel GATT von gestern wirklich kein Hoffnungszeichen. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Hansgeorg Hauser aus Rednitzhembach. ({0})

Hansgeorg Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Auskunft der Bundesregierung ist nicht nur eine Fleißarbeit, sondern die zusammenfassende Feststellung, daß sich die internationale Schuldenstrategie bewährt hat. Dies ist beruhigend, was nichts mit Verharmlosung zu tun hat, verehrter Herr Kollege Hauchler. Das internationale Schuldenmanagement hat eine Reihe von Instrumenten entwickelt, die in vielen Entwicklungsländern - insbesondere in Ost- und Südostasien, aber vor allem auch in Lateinamerika - deutlich dazu beigetragen haben, daß sich die Situation verbessert oder zumindest Ansätze dafür zu finden sind, daß die Verschuldungskrise bewältigt werden kann. Lassen Sie mich dafür als ein Beispiel das Land Mexiko herausgreifen, das sich von einem nicht mehr kreditwürdigen Land zu einem der Wachstumsländer Lateinamerikas entwickelt hat. Dafür waren allerdings ganz einschneidende Maßnahmen notwendig. ({0}) Mexiko hat bestätigt, daß die Industrieländer hier nur Hilfe zur Selbsthilfe leisten können, indem sie die Schulden stunden oder in vertretbarem Maß erlassen. Die eigentlichen Gesundungsmaßnahmen muß das Land selber bringen. In Mexiko wurde dies erreicht, indem staatliche Betriebe privatisiert - also verkauft wurden, Geld gebracht haben -, eine strikte Haushaltssparpolitik betrieben und eine Ausweitung der Besteuerungsgrundlagen eingeführt wurde, so daß ein Teil der Schattenwirtschaft in den Bereich der Staatseinnahmen einbezogen werden konnte. Das Land ist heute wieder kreditfähig und gehört zu den hoffnungsvollsten Ländern Lateinamerikas, insbesondere natürlich durch die Bildung des gemeinsamen Marktes mit den USA und Kanada. Da die Anfrage auch die wirtschaftliche Strukturanpassung in Osteuropa betrifft, möchte ich mich auf diesen Punkt konzentrieren. In der Tat gibt es eine Sondersituation in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, den baltischen Staaten und den Staaten Mittelosteuropas.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?

Hansgeorg Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte keine Zwischenfrage beantworten, lieber Herr Kollege von Larcher. Die Auslandsverschuldung hat hier andere Ursachen als in den Entwicklungsländern. Allerdings - das möchte ich ausdrücklich betonen - verkennt die SPD die Lage völlig, ({0}) Hansgeorg Hauser ({1}) wenn sie davon spricht, daß sich im Übergang zu den 90er Jahren der offene Ausbruch einer umfassenden sozialökonomischen Krise in den ehemaligen kommunistischen Ländern Osteuropas ereignet hat. Sie führt in ihrer Anfrage aus, daß auch hier eine hohe Auslandsverschuldung die ökonomische Entwicklung behindere. Offensichtlich hat man hier Ursache und Wirkung verwechselt. ({2}) Ausgangspunkt für die Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Strukturanpassung in diesen Ländern ist der Bankrott des Sozialismus und Kommunismus. ({3}) Der Zusammenbruch der zentral gelenkten Kommandowirtschaft bringt nun für diese Länder gewaltige Probleme in der Umstrukturierung. Der Transformationsprozeß, wie wir das so technokratisch nennen, ist aber nicht nur ein organisatorisches Problem. ({4}) Das neue Denken, lieber Herr Kollege Hauchler, so haben wir bei einem Besuch der Delegation des Wirtschaftsausschusses in Moskau und Kiew offen zu hören bekommen, ist nur schwer und langsam durchzusetzen. Das können Ihre Kollegen, die dabei waren, ausdrücklich bestätigen. In vielen Schaltstellen von wichtigen Institutionen und Verwaltungen herrschen nach wie vor Funktionäre des kommunistischen Regimes der früheren Sowjetunion, die die Sehnsucht nach vorgestern offen pflegen. ({5}) Bei allen Diskussionen, wie die wirtschaftlichen Probleme bewältigt werden können, wird vorangestellt, daß zunächst einmal eine vernünftige Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, Medikamenten und anderen dringend notwendigen Dingen des täglichen Bedarfs sichergestellt werden muß; denn sonst könnte der bereits vorhandene soziale Zündstoff zur Explosion kommen. Niemand wagt, eine Prognose über die Leidensfähigkeit der Bevölkerung abzugeben. Was es gerade für uns bedeutet, wenn man die sozialen Schwierigkeiten nicht in den Griff bekäme und damit der Demokratisierungsprozeß gestoppt werden würde, braucht man nicht besonders zu betonen. Wir wären in besonderem Maß die Leidtragenden eines Fehlschlages dieser politischen und wirtschaftlichen Reformen in den östlichen Nachbarländern. Rußland hat rund 80 % der Auslandskredite der früheren Sowjetunion übernommen. Die Außenverschuldung liegt zur Zeit bei fast 80 Milliarden Dollar. Allerdings reichen die russischen Exporterlöse kaum für die fälligen Zinszahlungen aus, so daß die Bemühungen für eine Umschuldung dringend fortgesetzt werden müssen. Wenn es im Pariser Club nicht zu einer tragbaren Lösung kommt, würde sich die Lage Rußlands noch wesentlich verschlechtern. Woher soll das Geld kommen? Aus der Erdöl- und Erdgasindustrie als wichtigster Exportindustrie? Die Gewinnung geschieht offensichtlich so ineffizient, daß die Produktionskosten ein Mehrfaches des westlichen Niveaus erreichen. Für neue Importe fehlen deshalb die entsprechenden Devisenerlöse, so daß auch hier wieder nur der Kreditweg möglich ist. Die schlechte Versorgungslage zwingt jedoch dazu, daß nicht die dringend notwendigen Investitionsgüter beschafft werden, sondern vor allem die überlebensnotwendigen Ernährungsgüter, Medikamente und Rohstoffe. So ist es nicht verwunderlich, daß beispielsweise auf der einen Seite der Rahmen der HermesKreditbürgschaften für Investitionsausrüstungen um ein Mehrfaches überzeichnet ist, andererseits tatsächlich nur etwa drei Viertel des Bürgschaftsrahmens zur Zeit ausgeschöpft werden. Der erwünschte Ausweg aus der Verschuldungssituation könnte die Forcierung der westlichen Direktinvestitionen sein. Hier sind wir in der höchsten Prioritätsstufe. Aber die Kooperation in Form von Joint-ventures kranken noch in vielen Bereichen, insbesondere auf Grund der mangelnden gesetzlichen Grundlagen. Der Erwerb von Grund und Boden ist grundsätzlich ausgeschlossen. Was bei unserem Besuch als größtes Hindernis bezeichnet wurde, ist die mangelnde Flexibilität einer solchen Kooperation. Die staatlichen Lenkungsorgane behindern durch ihre zahlreichen bürokratischen Eingriffe die marktwirtschaftliche Handlungsfähigkeit der Betriebe. Die Demokratisierung hat hier nicht nur positive Elemente gebracht.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Hauser, Herr Abgeordneter Penner möchte wissen, ob Sie eine Zwischenfrage beantworten wollen.

Hansgeorg Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ist Ihnen bei Ihrer Rede eigentlich bewußt, daß sich die CSU noch auf einen Stimmenanteil von 38 % stützen kann?

Hansgeorg Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Penner, ich weiß nicht, woher Sie solche Informationen haben. Das ist eine vollkommen unnötige Zwischenfrage gewesen. Ich bedaure, daß ich sie zugelassen habe. ({0}) Ein weiteres großes Hemmnis in der wirtschaftlichen Entwicklung stellt die zunehmende Konfrontation zwischen den einzelnen Staaten der ehemaligen Sowjetunion dar. Ich habe erfreut gelesen, daß die Ukraine und Rußland in der Zwischenzeit zu einem Übereinkommen über den Erlaß der Schulden gekommen sind. Trotz all dieser negativen Feststellungen muß die Bundesregierung an ihren geplanten weiteren Finanzhilfen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene festhalten. Darüber hinaus müssen wir unsere Beratungshilfen verstärken, um die Struk10000 Hansgeorg Hauser ({1}) turanpassung von der Kommandowirtschaft zur Marktwirtschaft zu bewältigen. Die dafür für 1993 vorgesehenen 600 Millionen DM sind eine Investition in unsere eigene Zukunft. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, es ist mir ein besonderes Vergnügen, auf der Besuchertribüne eine Delegation des polnischen Parlaments begrüßen zu dürfen. ({0}) Es handelt sich um den Auswärtigen Ausschuß des Parlaments unter seinem Präsidenten Geremek. Meine Damen und Herren, wir wünschen Ihnen erfolgreiche Gespräche. Ich kann Ihnen sagen, daß Sie sozusagen hier ein Erstgeburtsrecht wahrnehmen. Sie sind die erste ausländische Delegation, die in dem neuen Saal begrüßt wird. ({1}) Ich erteile nunmher zu einer kurzen Intervention dem Abgeordneten von Larcher das Wort.

Detlev Larcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001290, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich bin betroffen darüber, wie mein Kollege Hauser die Situation der lateinamerikanischen Entwicklungsländer geschildert hat. Er hat Mexiko herangezogen, und ich habe das so verstanden, daß er es als Beispiel genannt hat, wie Entwicklungsländer aus ihrer schlimmen Situation herauskommen. Nun waren wir zusammen nicht nur in Mexiko, sondern auch in Venezuela und Nicaragua, und ich denke, Herr Hauser hat wie ich feststellen können, daß die Situation in Nicaragua natürlich eine grundsätzlich ganz andere ist als die des Landes Mexiko. Ich möchte hier sagen: Wenn die internationale Staatengemeinschaft Nicaragua nicht aus seiner Schuldenkrise heraushilft, dann wird dieses Land überhaupt nicht mehr hochkommen und keine Zukunftsperspektive haben. Ich habe sehr vermißt, daß zu diesem Land etwas gesagt worden wäre.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ihr Reisekollege Hauser hat sich da zu Wort gemeldet, und ich erteile ihm auch das Wort.

Hansgeorg Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, gestatten Sie mir eine Antwort auf diese Zwischenfrage des Kollegen von Larcher. Ich habe ausdrücklich gesagt, daß ich das Land Mexiko deshalb erwähnt habe, weil es sich von einem kreditunwürdigen Land durch eigene Maßnahmen wieder zu einem kreditfähigen Land entwickelt hat. Ich wollte das nur als Beispiel dafür verwenden, wie man durch eine solide Wirtschaftspolitik wieder Handlungsspielraum gewinnt. Das war sicherlich auch durch einen gewissen Ressourcenreichtum bedingt; das ist absolut richtig. Aber dieser war auch vorher vorhanden, und man ist nicht in der Lage gewesen, diesen Reichtum auszunützen. Erst durch eine konsequente Sparpolitik und vor allem auch die Versilberung des Tafelsilbers - wie Sie es genannt haben und was man so stehenlassen kann - hat man es geschafft, die Auslandsschulden drastisch zu verringern, und dadurch hat man wieder Handlungsspielraum gewonnen. Was Nicaragua betrifft, so hat das natürlich zwei Teile. Der eine Teil, den wir insbesondere besprochen haben, war der Erlaß der Schulden aus der früheren DDR. In diesen Schulden sind erhebliche Rüstungskäufe enthalten. Darüber haben wir uns unterhalten. Sie sollten dazusagen, daß das der wesentliche Teil des Inhalts der Gespräche war. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich dem Abgeordneten Dr. Sperling das Wort.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte eine Anleihe beim vorigen Tagesordnungspunkt und dessen Symbolik machen. Da ging es um die Satanischen Verse. Das, was uns die Bundesregierung mit Zahlen und Dokumenten vorgelegt hat, sind in der Tat satanische Zahlen und satanische Bilanzen. Wenn man sich anschaut, was darin steht, dann stecken darin Hunger und Darben und Not in der Dritten Welt, aber mittlerweile auch in der Zweiten. Wenn es um die Staaten Osteuropas und der früheren Sowjetunion geht, dann verweisen wir nunmehr dieses etwas mehr als ein Sechstel der Erde auf denselben Mechanismus, auf den wir vorher die Entwicklungsländer verwiesen haben. Wenn man das sehr roh betrachtet - ich gebe zu: wirklich sehr roh betrachtet -, dann stellen wir fest, daß für diesen Sektor die Weltkreditmärkte inzwischen zu staatlicher Geldwäsche dienen. Denn es wird entschuldet, um erneut Kreditfähigkeit herzustellen, und die Entschuldung selber erfolgt mit staatlichen Geldern, die man selbstverständlich dem Steuerzahler abknöpfen muß. Sonst könnte man die Entschuldung gar nicht vornehmen. Dies nenne ich - zwar ungewohnt, aber ich nenne es so - staatliche Geldwäsche auf internationalen Kreditmärkten, mit der dem Steuerzahler verschleiert werden soll, daß das Instrument der Kreditgewährung ein sehr unzulängliches ist. Wenn man sich den Zustand der Länder, die bisher auf diese Art und Weise Hilfe bekommen haben, anschaut, wird man feststellen: Dieser Zustand hat sich eigentlich fortlaufend verschlechtert. ({0}) Deswegen glaube ich - so ungewohnt auch das klingen mag -, daß in einer künftigen, nicht weitab liegenden Zeit die Direktoren des Weltwährungsfonds und großer internationaler Banken etwas Ähnliches werden tun müssen, wie es vor kurzem die Bischöfe der katholischen Kirche in den lateinamerikanischen Ländern getan haben: Heimlich ein Schuldbekenntnis ablegen, daß man früher einmal Konquistadoren unterstützt hat. ({1}) Und es wird etwas Ähnliches passieren, wie es der Papst gerade zur Zeit getan hat, als er mit dem Hinweis auf Folterinstrumente, die zu jener Zeit angewandt wurden, gemeint hat, Galilei sei Unrecht getan worden. Auch dies wird einst mit Bezug auf die Kreditinstrumente gesagt werden müssen, die man gewährt und die nicht jede Hilfe gewesen sind, sondern die sich als Folterinstrumente erweisen. Nur die Tatsache, daß in Zahlen ausgedrückt wird, hinter denen ein Dollarzeichen oder ein D-Markzeichen steht, verhindert, den satanischen Charakter dieser Instrumente zu erkennen. Denn würde man in realen Bedingungen ausdrücken, was da geschieht, wenn man sagt, man solle das nationale Sparpotential stärken und seine eigene Kreditfähigkeit herbeiführen, dann müßte man es in Zahlen nennen, die die Wahrscheinlichkeit des Hungertodes von Kindern und die Ermäßigung von ohnehin schon gezahlten Hungerlöhnen ausdrücken. Nur das Dollarzeichen oder das D-Markzeichen hinter den Zahlen verhindert, daß man sich konkret vorstellt, was denn eigentlich ein gut Teil der Ratschläge bedeutet, die auch die Bundesregierung in diesen Antwortbrief auf die Große Anfrage hineingeschrieben hat.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Dr. Sperling, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Professor Dr. Pinger zu beantworten?

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gern.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr, Herr Professor.

Prof. Dr. Winfried Pinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001719, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Sperling, wenn Kreditgewährung - so habe ich Sie jedenfalls verstanden - ein satanisches Instrument ist, würden Sie dann auch die Kreditgewährung etwa des Internationalen Währungsfonds als ein satanisches Instrument ansehen? Würden Sie glauben, daß die Entwicklungsländer in Zukunft überhaupt auf Kredite auch des Internationalen Währungsfonds verzichten können, und glauben Sie, daß dann, wenn sie gewährt würden, auf eine Rückführung der Kredite verzichtet werden könnte?

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich schlage Ihnen keineswegs vor, auf Kredite als Instrument zu verzichten, solange man nichts Besseres hat. Ich glaube aber, daß man sich den gesamten Prozeß der Kreditgewährung und seine Folgen einschließlich der Notwendigkeit der anschließenden Entschuldung mit Hilfe staatlicher Maßnahmen anschauen muß, um zu begreifen, wie wenig tauglich dieses Instrument war, um den Zustand zu verbessern, den man mit gutem Willen verbessern wollte. Täuschen Sie sich nicht! Ich spreche niemandem den guten Willen ab, auch nicht den Direktoren des Weltwährungsfonds, ebensowenig wie den Bischöfen und dem Papst von früher. ({0}) Alle sind gutwillig. Das Dilemma ist, daß die Wirkung leider nicht der guten Absicht entspricht, ({1}) so daß wir prüfen müssen, wie wir unsere gute Absicht so umsetzen können, daß sie so gut wirkt, wie sie gemeint war. Da frage ich mich, ob der internationale Kreditmarkt - egal, wer Kredite gibt oder wer Kredite nimmt - wirklich das herbeiführt, was er herbeiführen soll. Ich will uns die Inbrunst des guten Glaubens nehmen und dafür sorgen, daß wir uns den Einsatz dieses Instrumentes genauer überlegen. Was wir auch immer gegenüber den GUS-Staaten und Osteuropa in Zukunft tun, wodurch auch immer deren Misere verursacht sein mag: Ob die Instrumente mit einfachen Bekenntnissen zur Sozialen Marktwirtschaft erlangt und dann wirksam werden können, darüber lohnt es sich mehr nachzudenken. Die Antwort der Bundesregierung ist keine hinlängliche Hilfe, um Nachdenklichkeit bei der Bundesregierung zu entdecken. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Die Wortmeldung vom Platz aus ist eigentlich etwas völlig Normales, Herr Kollege Sperling. Die Schwierigkeit ist nur, daß man nicht sieht, wann die Redezeit abgelaufen ist. Deshalb bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, die vom Platz aus sprechen, doch ab und zu einen Blick auf den Präsidenten zu werfen, der dazu seine Miene macht. ({0}) - Nicht immer hilft das rote Licht, Herr Kollege! Ich schließe die Aussprache. Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Wartefristen für Eigenbedarfskündigungen in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet - Drucksache 12/2758 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1}) - Drucksache 12/3605 ({2}) Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Dr. Eckhart Pick ({3}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache auf Verlangen der Fraktion der SPD zwei namentliche Abstimmungen haben. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Dr. Michael Luther das Wort.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich vorweg darauf hinweisen, daß in der ausgeteilten Vorlage eine Seite fehlte. Deshalb wurde soeben die Seite 5 a ausgeteilt; sie gehört zur Vorlage. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das eigene Zuhause ist für den Menschen eine der wichtigsten Voraussetzungen für sein Leben und seine Lebensgestaltung. Deshalb achtet die Öffentlichkeit sehr darauf, wie der Gesetzgeber mit diesem Thema umgeht. Dieses Gesetz regelt in einem Punkt das Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter, und zwar den Fall der Kündigung durch den Vermieter auf Grund von Eigenbedarf. Der Mieterschutz ist in den alten Bundesländern schon sehr groß. Viele in den neuen Bundesländern wissen nicht, daß niemand einem Mieter bei noch so berechtigten Interessen von heute auf morgen kündigen kann. Wenn z. B. in einem Haus durch Teilung Wohneigentum geschaffen wird, ein Fremder - nicht der Mieter - das Wohneigentum erwirbt und diese Räume für sich oder die zu seinem Hausstand gehörenden Personen oder Familienangehörigen benötigt, kann in den meisten Städten der neuen Bundesländer auch nach geltendem Recht, also nach westdeutschem Recht, erst nach fünf Jahren auf Grund Eigenbedarfs gekündigt werden. Erst danach beginnt die normale Kündigungsfrist, die z. B. bei zehnjähriger Mietdauer ein Jahr beträgt. Dann hat der Mieter die Möglichkeit des Widerspruchs, wenn mit der Kündigung für ihn soziale Härten verbunden sind. Das schützt den Mieter zusätzlich und führt, wie Ihnen aus der Rechtsprechung dazu bekannt ist, dazu, daß z. B. ältere Mieter fast uneingeschränkten Kündigungsschutz haben. Es gibt massive und auch berechtigte Bedenken von Mietern und Vermietern, die jeweils ihre Rechte zu sehr eingeschränkt sehen. Das Mietrecht ist der Versuch, diese Interessen auszugleichen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Conradi?

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja; bitte.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, haben Sie schon einmal davon gehört, daß Mieter, vor allem ältere Mieter, in solchen Wohnungen zwar ein rechtliches und durch die Gerichte geschütztes Wohnrecht hatten, die Hausbesitzer aber mit schrecklichen Repressalien, Umbauten im Winter, Herausreißen von Fenstern und allen möglichen Schikanen versucht haben, sie aus dem Haus zu drängen und dabei meistens erfolgreich waren, obwohl die Mieter diesen von Ihnen so glänzend dargestellten Mieterschutz hatten? ({0})

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Conradi, das ist eine der bedauerlichen Tatsachen, die ich in der Bundesrepublik Deutschland feststellen muß. Nur kann ich nicht generell alle Vermieter in diese Ecke stellen. Für diese speziellen Fälle, die in der Öffentlichkeit bekannt werden, gibt es Möglichkeiten, dagegen gerichtlich vorzugehen. Deshalb kann ich Mietern in den neuen Bundesländern nur empfehlen, sich in Mietervereinigungen zu organisieren, weil dort ihre Rechte wahrgenommen werden können. Ich selbst war dort in meiner Heimatstadt Zwickau tätig. Ich habe schon gesagt, daß es massive und auch berechtigte Bedenken von Mietern und Vermietern gibt, die jeweils ihre Rechte zu sehr eingeschränkt sehen. Das Mietrecht ist der Versuch, diese Interessen auszugleichen. Es bildet quasi die Konsenslinie zwischen beiden Lagern. Nun ist in Deutschland aber etwas geschehen, was die meisten Deutschen zwar intellektuell erfassen, jedoch mental noch nicht akzeptieren: die deutsche Einheit. 40 Jahre Sozialismus erklärten Eigentum und Eigentümer zum Verderbnis des menschlichen Zusammenlebens. Das führte dazu, daß Vermieter nahezu rechtlos waren und demzufolge Vermietung fast nur durch den Staat erfolgen konnte. Neues Wohnungseigentum wurde nur zur Eigennutzung begründet, und - das war die Konsequenz - die Häuser in den Städten verfielen immer mehr. Nach der Herstellung der deutschen Einheit wurden den Vermietern die ihnen zustehenden Rechte wiedergegeben. Enteignete bekommen ihr Eigentum wieder zurück. Die Folge ist, daß die Sanierung der Häuser beginnt. Der statische Extremzustand des rechtlosen Vermieters pendelt seitdem wieder in Richtung Konsenslinie zwischen Vermieter und Mieter. Hier bedarf es jedoch des Schutzes der Mieter. Pendeln bedeutet Einpendeln. Das Pendel kann auch über die Linie hinausschlagen. Die Gründe liegen vor allem im Fehlen von Rechtskenntnissen, aber auch in den Ergebnissen der sozialistischen Erziehung, die den Eigentümer zum mephistofelischen Individuum stempelten. Damit das Gebiet der DDR unmittelbar nach dem Wirksamwerden des Einigungsvertrags nicht von einer Welle von Eigenbedarfskündigungen überrollt wird, wurde mit Art. 232 § 2 Abs. 3 und 4 EGBGB die Möglichkeit der Eigenbedarfskündigung weitestgehend bis zum 31. Dezember dieses Jahres ausgesetzt. Die Gründe dafür, die beim Abschluß des Einigungsvertrags vorlagen, bestehen jedoch größtenteils fort. Der Wohnungsmarkt in den neuen Ländern wird sich erst mit der Zeit fühlbar entspannen. Deshalb sollen die Wartefristen für Eigenbedarfskündigungen um drei Jahre verlängert werden. Dabei ist beachtet worden, daß die erneute Wartefrist für die Eigentümer hinnehmbar sein muß. Die kommenden drei Jahre sollten es den Mietern der neuen Bundesländer ermöglichen, sich mit dem Inhalt und besonders den Schutzvorschriften des sozialen Mietrechts des BGB so vertraut zu machen, daß das soziale Mietrecht seine Schutzwirkung in gleichem Maße entfalten kann wie im restlichen Bundesgebiet. Auch hier haben wir uns bemüht, den Interessenausgleich zwischen beiden Parteien zu wahren. Ich hoffe nicht, daß Sie mit dem Änderungsantrag, meine Damen und Herren von der SPD, diese notwendige Konsenslinie zwischen Mieter und Vermieter zerstören und sich bei den Mietern lieb Kind machen wollen. Wenn Sie dies aber wollen, dann sagen Sie bitte auch die Konsequenz daraus. Sagen Sie dann auch, daß Sie die sozialistischen Verhältnisse in den neuen Ländern, also den Verfall der Städte, konservieren wollen. Was bedeutet denn diese dreijährige Verlängerung? Bei zehnjährigen bestehenden Mietverhältnissen könnte erst im Jahr 1997 Eigenbedarf angekündigt werden. Der Wohnungsmarkt im Jahr 1997 wird jedoch auch hier im Sinn der Sozialklausel den Mieter stützen. Ich denke, daß dann schon die Nachwirkungen des DDR-Staates, die Gründe waren, um die Frist im Einigungsvertrag zu setzen und heute zu verlängern, abgeklungen sind. Meine Damen und Herren, auch Sie, von der SPD: Demagogen und Stimmungsmacher, meist exportierte, haben wir im Osten genug. Helfen Sie lieber bei der Aufklärung über die Vorteile der Demokratie und des Rechtsstaats mit! Nach dem zweiten Teil des Antrages der SPD sollen auch die Kündigungsmöglichkeiten für Zweifamilienhäuser bis 1998 beschränkt werden. Betrachten wir die heutige Situation. Auch heute würde der Mieter nicht sofort auf der Straße stehen. Denn wenn keine Ersatzwohnungsmöglichkeit gestellt werden kann, wird in der Regel die Sozialklausel des § 556a BGB greifen. Wenn jedoch Ersatzwohnraum zur Verfügung steht, muß dem Hausbesitzer die Möglichkeit gegeben werden, sein eigenes Haus zu nutzen. Noch etwas: Sagen Sie auch in der Öffentlichkeit, daß diese Regelung nur auf Zweifamilienhäuser zutreffen würde, wo der Vermieter selber in dem Haus wohnt! Es hat also nichts mit dem Kauf des sogenannten reichen Wessis zu tun oder mit dem Alteigentümer, der im Falle der Restitution sein Haus zurückbekommt. Im Gegenteil, ich glaube, Gerechtigkeit ist auch auf einem anderen Gebiet zu schaffen. Wie gehen wir mit begangenem Unrecht um, das durch die Willkür des SED-Staates entstanden ist? Waren Machtmißbrauch, Korruption, Täuschung von Staatswegen im Spiel, dann sehe ich die besondere Schutzwürdigkeit des nach dieser Methode begründeten Mietverhältnisses gerade in Ein- und Zweifamilienhäusern nicht. Hier bietet die Empfehlung des Rechtsausschusses Handlungsspielraum. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, daß das westdeutsche Mietrecht an noch vielen anderen Stellen Übergangsschutz für den Mieter bietet. Ich denke z. B. an den Artikel 232 § 2 Abs. 2 EGBGB, wonach der Wert eines Mietshauses durch die ausgeschlossene Freizugskündigung nicht gesteigert werden kann. Wir werden den Änderungsantrag der SPD ablehnen. Nicht zuletzt haben wir darüber im Rechtsausschuß ausführlich gesprochen. Ich bitte alle Damen und Herren dieses Hauses, die Mieter und die Vermieter in den neuen Bundesländern nicht durch unvollständige und einseitige Äußerungen zu verunsichern. Ich bitte, sie aufzuklären. Denn nur so kann der einzelne Mieter seine wahren Rechte, aber auch seine Pflichten lernen und einschätzen. Verdammen Sie nicht den Vermieter! Denn er ist Eigentümer. Er ist Investor. Er beschafft und sichert Arbeitsplätze. Er nimmt auch persönliches Risiko auf sich. Werben Sie für das Mietrecht und den Mieterschutz nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch!

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Hans-Joachim Hacker, Sie haben das Wort.

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Luther, ich muß Ihnen sagen: Ich bin etwas enttäuscht über das, was Sie heute uns und vor allem den Mieterinnen und Mietern in den neuen Bundesländern angeboten haben. ({0}) Nach den Regelungen des Einigungsvertrages laufen die besonderen Schutzregelungen gegen Eigenbedarfskündigungen mit Wirkung vom 31. Dezember 1992 aus. Der Gesetzgeber ist aufgefordert, eine Regelung zu treffen, die den Gegebenheiten auf dem Wohnungsmarkt der neuen Länder gerecht wird. Ich meine, der Deutsche Bundestag ist insbesondere bei der Beratung und Verabschiedung dieses Gesetzes gefordert, durch entsprechende Regelungen den sozialen Frieden zu stabilisieren. Wohnen trägt dazu ganz wesentlich bei. Darüber sind wir uns wohl alle einig. Es liegt jetzt am Parlament, dieser Herausforderung gerecht zu werden. Dem Deutschen Bundestag liegt der Gesetzentwurf des Bundesrats auf der Drucksache 12/2758 vor, der im Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und im federführenden Rechtsausschuß beraten wurde. In beiden Ausschüssen sind auf Initiative der Koalitionsfraktionen Änderungen eingearbeitet worden, die den Inhalt des Artikels 5 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zu einem Vierten Mietrechtänderungsgesetz übernehmen. Ich weiß, zumindest war ich bis zum Redebeitrag von Herrn Dr. Luther davon überzeugt, daß viele Abgeordnete der CDU aus den neuen Ländern den Gesetzentwurf in dieser Form ebenfalls nicht wollen. Wir Sozialdemokraten haben deshalb in den Ausschußberatungen Kompromißvorschläge gemacht, um doch noch zu einem Konsens zu kommen. Die von der SPD-Fraktion in beiden Ausschüssen dazu gestellten Änderungsanträge sind von der Koalition leider abgelehnt worden. Ich wende mich deswegen heute nochmals vor allem an die Abgeordneten der CDU aus den neuen Ländern mit der Bitte, den Änderungsanträgen der SPD ihre Zustimmung zu geben, ({1}) und sich im Interesse unserer Landsleute in den neuen Ländern nicht dem Koalitionszwang zu beugen. Setzen Sie sich bitte mit uns für sozialverträgliche Regelungen ein, wie wir sie vorgeschlagen haben, und bekennen Sie sich zu den Interessen der sozial Schwächeren, in diesem Fall der Mieterinnen und Mieter! ({2}) Worum geht es bei den von uns vorgeschlagenen Änderungen? Erstens. Notwendigerweise sieht der Entwurf des Bundesrats in Art. 1 Nr. 1 die Verlängerung des Kündigungsschutzes bis zum 31. Dezember 1997 vor. Zweitens soll gemäß Art. 1 Nr. 2 das Recht des Vermieters bei Zweifamilienhäusern, das Mietverhältnis unter erleichterten Bedingungen zu kündigen, bis Ende 1997 an besonders geregelte Voraussetzungen geknüpft werden. Für beide Forderungen sprechen schwerwiegende sachliche Gründe, die in der bisherigen Argumentation von der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen nicht widerlegt werden konnten. Diese Gründe, die bei Abschluß des Einigungsvertrags maßgeblich waren, gelten nach meiner und nach unserer Auffassung heute nach wie vor. Die Lage auf dem Wohnungsmarkt in den neuen Ländern hat sich durch Umwandlung von Miet- in Gewerberäume sowie durch die Wirkungen der jahrzehntelangen Vernachlässigung der Wohnsubstanz nicht entspannt, sondern weiter verschärft. Zudem: Ein geschlossenes Konzept zur Beseitigung dieser Mißstände hat die Bundesregierung bis heute nicht vorgelegt. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Hacker, darf ich Sie eine Sekunde unterbrechen. Meine Damen und Herren, die akustischen Verhältnisse in dem neuen Plenarsaal sind noch nicht ideal, verleiten aber in größerer Entfernung vom Redner zu lauten Unterhaltungen, vor allem sozusagen im toten Winkel zum Präsidenten. Ich bitte sie also, Ihre Aufmerksamkeit dem Redner zuzuwenden. - Fahren Sie bitte fort. ({0})

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. Meine Damen und Herren, jetzt geht es darum, den von der Bundesregierung selber in der Begründung des Entwurfs des Vierten Mietrechtsänderungsgesetzes so bezeichneten angestauten Eigenbedarf nicht durch zigtausend Eigenbedarfsklagen zu regulieren, sondern für einen überschaubaren Zeitraum - nach unserer Auffassung fünf Jahre - soziale Sicherheit und sozialen Frieden durch kündigungsbeschränkende Maßnahmen zu schaffen. Hierbei muß der besondere Schutz für Mieter in Zweifamilienhäusern garantiert werden. Die Übernahme bundesdeutschen Rechts in der geltenden Fassung würde bedeuten, daß Mietern ohne Angabe von Gründen gekündigt werden kann, ohne daß der Vermieter Eigenbedarf geltend macht bzw. diesen nachweisen muß. Hier würden Kündigungswillkür und Kündigungsmißbrauch Tür und Tor geöffnet werden. Die Sozialklausel des Bürgerlichen Gesetzbuchs kann diese Entwicklung nicht verhindern. Die Gerichte in den neuen Ländern würden mit einer Prozeßlawine überzogen. Schwere soziale Verwerfungen, wie wir sie im Bereich des Eigentumsrechtes kennen, hätten im Bereich des Mietrechts noch schlimmere Auswirkungen. Herr Dr. Luther, Ihr Patentrezept mit den Mieterverbänden ist hier ebenfalls keine Lösung. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben die Chance, dies zu verhindern, ja, wir sind aufgefordert, sozial verträgliche Lösungen für den Wohnungsmietbereich in den neuen Ländern zu erlassen. Dazu zählt auch, daß der auf Antrag der Koalitionsfraktionen aus Art. 5 des Entwurfs des Vierten Mietrechtsänderungsgesetz es übernommene Katalog zusätzlicher Ausnahmen für den Kündigungsschutz nicht Eingang in das heute zu verabschiedende Gesetz findet. ({0}) In Anlehnung an entsprechende Regelungen im Vermögensgesetz soll nach dem bisherigen Willen der Koalitionsfraktionen Mieterschutz u. a. dann nicht gelten, wenn Räume dem Vermieter durch Zwangsmaßnahmen, Machtmißbrauch oder unter vergleichbaren Umständen, die im Entwurf genannt sind, entzogen wurden oder unredliches Handeln des Mieters bei Abschluß des Vertrags über die Mietwohnung vorlag. Diese Kriterien haben bereits bei der Anwendung des Vermögensgesetzes zu schweren Komplikationen geführt und sind für den Wohnungsmietbereich völlig ungeeignet. Dieser von der Bundesregierung vorgeschlagene und von den Koalitionsfraktionen bisher unterstützte Weg ist falsch. Noch ist Zeit für Korrekturen. ({1}) Vor allem müssen wir uns die Wirkungen einer solchen Regelung vor Augen führen: Es würden politisch bedingte und somit völlig sachfremde Sachverhalte als Gegenstand mietrechtlicher Auseinandersetzungen eingeführt werden. Richter kämen in die Situation, bei Entscheidungen über Mietstreitigkeiten politische Kriterien, die in der ehemaligen DDR gewirkt haben, zugrunde legen zu müssen. Jeder, der aus den neuen Ländern kommt, der die Verwaltungspraxis auf dem Gebiet der Wohnungspolitik in der DDR kennt und miterlebt hat, weiß, daß bei der Zwangsbewirtschaftung des Wohnraums oft für den Eigentümer unliebsame Entscheidungen getroffen wurden, die zum Teil nicht abwendbar waren, um die Bevölkerung mit Wohnraum zu versorgen. In den seltensten Fällen hatten wohnungssuchende Bürger ein Wahlrecht beim Bezug von Mietwohnungen in Zweifamilienhäusern. Hier geht es auch nicht darum, Herr Dr. Luther, sozialistische Verhältnisse zu konservieren. Ich möchte an dieser Stelle keine Polemik entwickeln. Aber denken Sie auch einmal daran, wer in diesen Abteilungen Wohnungspolitik in den örtlichen Räten gesessen hat und wer diese Entscheidungen getroffen hat! ({2}) Trotz dieser Sachlage würden bei Aufhebung des Kündigungssschutzes für Mieter in Zweifamilienhäusern Verdächtigungen und Unterstellungen in Verbindung mit der Begründung von Mietverhältnissen konstruiert werden. Die sich daraus ergebenden Wirkungen habe ich skizziert. Dies kann nicht richtig sein. Die SPD-Fraktion bringt daher in der heutigen Debatte Änderungsanträge ein, um deren Unterstützung ich Sie bitte. Ich fasse zusammen: Es geht erstens um die Verlängerung des Mieterschutzes gegen Eigenbedarfskündigungen bis zum 31. Dezember 1997, und zwar ohne politisch determinierte und wirklichkeitsfremde Einschränkungen, und zweitens um die Sicherung des Kündigungsschutzes für Mieter in Zweifamilienhäusern auf der Grundlage der Regelungen des § 564b Abs. 4 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Wegen der Bedeutung der Änderungsanträge und der Notwendigkeit der Sicherung des sozialen Friedens in den neuen Ländern haben wir namentliche Abstimmung beantragt. Ich bitte Sie, insbesondere die Abgeordneten der CDU aus den neuen Ländern: Unterstützen Sie die beiden Anträge der SPD-Fraktion! Danke schön! ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wolfgang Ullmann.

Dr. Wolfgang Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht nur Ministerpräsident Biedenkopf, sondern alle, die die nötige Sachkenntnis besitzen, haben mittlerweile erkannt, daß die soziale und ökonomische Anpassung in den Ostländern komplizierter ist und darum langamer voranschreitet, als alle ursprünglich angenommen haben. Zu den Sachkennern rechne ich auch Sie, Herr Kollege Luther. Darum muß ich sagen: Das einzige, was an Ihrer Rede klar gewesen ist, war, in wessen Interesse Sie gesprochen haben. ({0}) Sie haben hier klar die Interessen und die Rechte der Vermieter vertreten, und den Mietern empfehlen Sie, diese Rechte zu studieren. Ich frage mich, was das in dieser Lage helfen soll. Ich kann der deutschen Öffentlichkeit nur empfehlen, sehr genau aufzupassen, was jetzt in dieser Abstimmung passieren wird. ({1}) Wie kann man eine Verkürzung der Wartefrist fordern, wenn alle Welt weiß, die Entwicklung geht langsamer, als wir gedacht haben? Darum muß man heute in deutschen Landen sehen, wer hier in wessen Interesse abstimmt. Herr Luther, was Sie getan haben, war im Grunde genommen schlimmer als das, was die Bundesregierung sagt. Die konstatiert wenigstens: Es gibt keine Waffengleichheit auf diesem schwerwiegenden Gebiet sozialer Auseinandersetzungen. Wie wahr ist die Sprache der Bundesregierung! Ich füge aber hinzu: Was ist das für eine Sprache, in der das Recht als Waffe benutzt wird? ({2}) Auf diesem Wege kommen wir nicht zum sozialen Frieden. Zum sozialen Frieden kommen wir nur, wenn uns die Einheit von Gerechtigkeit und Frieden nicht nur in Fleisch und Blut, sondern auch in das Innerste unserer Sprache eingegangen sein wird. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Dr. Walter Hitschler, Sie haben das Wort.

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, darf ich Sie, bevor ich beginne, bitten, die Lautsprecher etwas lauter zu stellen, weil meine Stimme sehr zart ist? ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Sie sprechen zu einem sehr zartfühlenden Haus.

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mit diesem Gesetzentwurf wird die Wartefrist für Eigenbedarfskündigungen in den neuen Bundesländern vom 31. Dezember 1992 bis zum 31. Dezember 1995, also um drei Jahre, verlängert. Damit wird eine im Art. 232 EGBGB enthaltene Schutzklausel für Mieter, deren Auslaufen zum Ende dieses Jahres vorgesehen ist, zeitlich hinausgeschoben, Herr Dr. Ullmann, in der Erkenntnis, daß die schrittweise Überführung des Wohnungswesens im Beitrittsgebiet in eine marktwirtschaftliche Ordnung, wie das der Einigungsvertrag vorsieht, mehr Zeit, als ursprünglich gedacht, benötigt. Die Befürchtung, daß viele Mieter insbesondere angesichts der Fälle der Restitutionsansprüche mit Eigenbedarfskündigungen konfrontiert würden, veranlaßt uns, uns bei der Abwägung der Eigentümerrechte einerseits und der Kündigungsängste der Mieter andererseits in diesem Falle für die Erhaltung des sozialen Friedens zu entscheiden, da den Mietern zur Zeit noch keine ausreichenden Alternativen auf den Wohnungsmärkten zur Verfügung stehen. Eine Welle von Kündigungen könnte die Mieter zwar nicht aus ihren Wohnungen vertreiben, aber doch zu erheblicher Unsicherheit und Beunruhigung führen, da weithin noch Unkenntnis über den umfassenden Schutz der Sozialklausel unseres allgemeinen Mietrechts besteht. Wir stimmen der Verlängerung der Wartefrist zu, auch wenn wir uns darüber im klaren sind, daß sie nicht unerhebliche nachteilige volkswirtschaftliche Wirkungen zeitigt; denn das zeitliche Hinausschieben dieses Schutzzauns erschwert natürlich das Entstehen eines flexiblen Immobilienmarktes, der für das Funktionieren einer modernen Volkswirtschaft erforderlich ist. Dennoch dient diese Regelung einer sozialverträglichen Überleitung der bestehenden Mietverhältnisse in das Mietrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches. Nun sieht der Gesetzentwurf zumindest ab 1. Januar 1993 eine Erweiterung des Ausnahmekatalogs vor, um Eigenbedarfskündigungen in jenen Fällen zuzulassen, in denen den Vermietern die Wohnungen durch Zwangs- und Willkürmaßnahmen entzogen wurden bzw. den Mietern Unredlichkeit im Sinne des Vermögensgesetzes vorgeworfen werden kann. Umstritten ist der Ausnahmekatalog insofern, als er dem Vermieter für die zweite Wohnung in einem Zweifamilienhaus, das er selbst bewohnt, eine Eigenbedarfskündigung zugesteht. Dies wird dadurch bewirkt, daß die im Art. 232 Abs. 4 enthaltene Regelung unverändert erhalten bleibt und die Wartefrist somit Ende dieses Jahres ausläuft. Hier greift allerdings ebenfalls die Sozialklausel des Mietrechts, weshalb niemand zu befürchten hat, daß er auf die Straße gesetzt wird. Somit stellt sich der Sachverhalt wesentlich weniger dramatisch dar, als er von der Opposition geschildert wird.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ihre Redezeit, Herr Kollege!

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Ausnahmeregelung entspricht dem Willen des Gesetzgebers und der Rechtsprechung in den westlichen Bundesländern, derzufolge auf Grund der zahlreichen Berührungspunkte zwischen den Parteien in einem Zweifamilienhaus und daraus resultierender Störungen ein Sonderkündigungsrecht angebracht erscheint. Die Möglichkeit eines häufigen Zusammentreffens, zumal in der Regel gemeinschaftliche Einrichtungen benutzt werden müssen, legt es nahe, eine erleichterte Kündigung vorzusehen, um die oftmals durchaus unfaßbaren und nicht -

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Hitschler, Sie sind weit über die Redezeit. ({0})

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wieso? Ich habe fünf Minuten.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Sie haben drei Minuten.

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das ist mir neu. Mir wurden fünf Minuten zugebilligt.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Es tut mir leid!

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dann gestatten Sie mir einen letzten Satz.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ja.

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mein Kollege Kleinert hat diese Situation in unserer Fraktionssitzung überzeugend mit der Situation in einer zerrütteten Ehe verglichen, in der sich die Partner beim Zusammenleben auf engem Raum auf subtilste Weise zu molestieren verstehen. Abhilfe schafft hier in der Tat nur eine räumliche Trennung - und die Zustimmung zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile dem Kollegen Professor Dr. Heuer das Wort. Er wird von seinem Platz aus sprechen. ({0})

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Der Abgeordnete Luther hat hier erklärt, daß die Forderung der SPD, die Frist auf fünf Jahre auszudehnen, eine Verlängerung des Sozialismus bedeute. Nun ist mir nicht ganz klar, ob er meint, daß die SPD den Sozialismus um fünf Jahre verlängern will, die CDU dagegen nur um drei Jahre. ({0}) Ich meine, es geht hier nicht um Sozialismus, weder um modernen noch um autoritären noch um realen, sondern darum, daß einer bestimmten Situation in den Ost-Ländern Rechnung getragen wird. Was geprüft werden muß, ist, ob diese Situation für fünf Jahre oder für drei Jahre zu erwarten ist. Ich teile eben die Meinung der SPD, daß wir absolut nicht sicher sein können, daß diese Situation in drei Jahren eine wesentlich andere ist als heute. ({1}) Der Mietwohnungsbau ist - das wissen wir alle - in Ostdeutschland regelrecht zusammengebrochen. Es fehlen nach wie vor eine Million Wohnungen. Es gibt damit de facto keinen Ersatzwohnraum. Bei den Einliegerwohnungen geht es um mehr als 500 000 Häuser, in denen solche Einliegerwohnungen bestehen. Ich meine also, in Erkenntnis der realen Lage im Osten müssen wir der Fünf-Jahre-Regelung zustimmen. Lassen Sie mich eine zweite Bemerkung zu einem anderen Punkt machen. Es ist hier mit einer Ausnahmevorschrift vorgesehen, bei den Wohnungszuweisungen die Möglichkeit zu geben, sachfremde Tatbestände in das Mietrecht einzuführen. Natürlich hat es Unrecht gegeben; wir haben darüber diskutiert. Aber dafür kann der Mieter doch nichts. Ich meine, wir müssen auch diese Mieter schützen. Ich bitte deshalb darum, daß Sie alle dem Antrag der SPD zustimmen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz, unser Kollege Rainer Funke.

Rainer Funke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000624

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den besonderen Mieterschutzvorschriften des Einigungsvertrages sind Eigenbedarfskündigungen in den neuen Bundesländern bis zum Ende dieses Jahres nur ausnahmsweise dann zulässig, wenn der Ausschluß der Kündigung für den Vermieter eine nicht zu rechtfertigende Härte bedeuten würde. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll diese Schutzvorschrift um drei Jahre verlängert, aber zugleich dem sozialen Mietrecht des BGB angenähert werden. Dies entspricht auch dem Vorschlag der Bundesregierung. ({0}) Die im Einigungsvertrag angestrebte sozialverträgliche Überleitung der bestehenden Mietverhältnisse in das Mietrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs wird länger dauern als erwartet. Wir gehen davon aus, daß drei Jahre ausreichen dürften. Wir wollen nicht zahllose unerquickliche Zwangsmietverhältnisse des SED-Regimes über einen nicht mehr überschaubaren und für die Wohnungseigentümer nicht mehr hinnehmbaren Zeitraum verlängern. Wer einheitliche Lebensverhältnisse in ganz Deutschland will, der muß auf längere Sicht auch einheitliche Rechtsverhältnisse wollen. ({1}) - Natürlich müssen wir auch Wohnungen bauen. Aber Wohnungen werden doch nicht dadurch gebaut, daß wir reglementieren, Herr Kollege. ({2}) Wir wollen diese Rechtseinheit schrittweise einführen. Darum halte ich es für richtig, jetzt die Regelung über die Härtefälle zu erweitern, in denen der Eigentümer auch während der verlängerten Wartefrist Eigenbedarf geltend machen kann. Auch bei den Zweifamilienhäusern muß jetzt ein Anfang gemacht werden mit der Einführung des sozialen Mietrechts. Es geht dabei natürlich nur um Wohnungen in Zweifamilienhäusern, in denen der Eigentümer selbst wohnt. ({3}) Eigenbedarfsfälle treten hier auch kaum auf. Wenn aber der Eigentümer triftige Gründe hat, ein Mietverhältnis aufzulösen, dann dürfen wir ihm das nicht länger verwehren, auch im Hinblick auf Art. 14 des Grundgesetzes. Wir vertrauen bei dieser Regelung auf das soziale Mietrecht. Die Mieter sind nicht schutzlos. Wir haben künftig nur eine andere Qualität des Mieterschutzes. Kein Mieter braucht auf der Straße zu stehen, aber er soll auch nicht ohne weiteres eine ihm angebotene Ersatzwohnung ausschlagen dürfen. Es wird deshalb keine Kündigungswelle geben. Derartige Prophezeihungen sind - das darf ich auch einmal ganz klar sagen - unverantwortliche Panikmache. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({4})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine Damen und Herren, wir können erst abstimmen, wenn ich einigermaßen sicher bin, daß Sie hören, worüber wir abstimmen. ({0}) Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates in der Ausschußfassung, Drucksachen 12/2758 und 12/3605 ({1}). Die Fraktion der SPD beantragt auf Drucksache 12/3613 zwei Änderungen. Sie verlangt, daß über die Nr. 1 und 2 ihres Änderungsantrags getrennt und jeweils namentlich abgestimmt wird. Wir stimmen also zunächst über die Nr. 1 dieses Änderungsantrages ab. Ich bitte die Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Die Abstimmungsurnen befinden sich hier vorne am Stenographentisch, im Gang zwischen Bundesregierung und F.D.P.-Fraktion, im Gang zwischen Bundesrat und PDS/Linke Liste sowie an den Haupteingangstüren. Haben die Schriftführer ihre Plätze eingenommen? - Dann eröffne ich die Abstimmung. Sind alle Stimmen abgegeben? - Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Ich möchte gleich mit der namentlichen Abstimmung über Nr. 2 des Änderungsantrages der Fraktion der SPD anfangen. Sind die Abstimmungsurnen ausgetauscht? Sind die Schriftführer auf ihren Plätzen? - Ich eröffne die Abstimmung. Sind alle Stimmen abgegeben? Können mir die Schriftführer ein Zeichen geben? - Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmungen wird nach dem nächsten Tagesordnungspunkt bekanntgegeben.**) Erst dann können wir die Abstimmung über den Gesetzentwurf fortsetzen. ({2}) Meine Damen und Herren, wir möchten gern mit den Beratungen fortfahren. Ich bitte Sie, die Unterhaltungen einzustellen oder außerhalb des Raumes weiterzuführen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: a) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({3}) Sammelübersicht 55 zu Petitionen ({4}) - Drucksache 12/2296 - Beschlußfassung b) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({5}) Sammelübersicht 59 zu Petitionen ({6}) - Drucksache 12/2558 - Beschlußfassung *) Ergebnis Seite 10012 D **) Ergebnis Seite 10014 C Vizepräsident Hans Klein Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann bitte ich jetzt endgültig die Kolleginnen und Kollegen, die an den Beratungen nicht teilnehmen wollen, den Saal zu verlassen. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Siegrun Klemmer das Wort.

Siegrun Klemmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001125, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln heute zwei Petitionen, leider, wie uns das bei der Behandlung von Petitionen öfter passiert, zu relativ später Stunde und leider unter wesentlichem Ausschluß der Öffentlichkeit, Petitionen, bei denen die Vertreter von CDU/ CSU und F.D.P. im Petitionsausschuß es abgelehnt haben, sie der Bundesregierung wenigstens zur Erwägung und den Fraktionen des Deutschen Bundestages zur Berücksichtigung zu überweisen. ({0}) Wir haben zunächst eine Petition, die einen OzonImmissionsgrenzwert von 120 Mikrogramm je Kubikmeter Luft festgelegt haben will, der nur einmal im Jahr überschritten werden darf. Die Petition stellt fest, daß Ozon negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen hat und am Waldsterben ursächlich beteiligt ist: Aussagen, die auch vom Bundesumweltministerium nicht bestritten werden. Die Schweiz führt mit Beginn des Jahres 1994 denselben Grenzwert ein. Von den Vertretern der CDU/CSU und der F.D.P. im Petitionsausschuß aber wurde es abgelehnt, diese Petition auch nur zur Erwägung an die Bundesregierung weiterzuleiten. Warum? Die Kollegen von der CDU/CSU machten darauf aufmerksam, daß sich Ozon unter Einwirkung der Sonne auf verschiedene Vorläuferstoffe des Ozons entwickelt, daß man also besser bei der Entstehung dieser Vorläuferstoffe ansetze, um das Ozon selber erst gar nicht entstehen zu lassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wollen doch nicht etwa behaupten, ein Ozongrenzwert habe mit den Vorläuferstoffen nichts zu tun. Gesetzt den Fall, die Kommunen werden verpflichtet oder wenigstens befugt, bei Überschreiten des genannten Grenzwerts die von der SPD geforderten Maßnahmen zu ergreifen, so hat eine Verminderung des Autoverkehrs in der Stadt natürlich eine Verringerung des Ozons zur Folge, eben weil sie gerade die Vorläuferstoffe vermindert, die hauptsächlich im Straßenverkehr emittiert werden. Ein strengerer Ozongrenzwert setzt also sehr wohl an den Vorgängerstoffen des Ozons an. Dieser einleuchtende Sachverhalt darf auch Ihnen eigentlich nicht verborgen geblieben sein. Die Vertreter der F.D.P., in ihrer verzweifelten Suche nach Gegenargumenten, schließen sich dieser konfusen Argumentationslinie an. Da aber die Entstehung der Vorläuferstoffe bereits von der CDU/CSU in Anspruch genommen wurde, ist sich die F.D.P. nicht zu schade, darauf hinzuweisen, daß es ja gerade die Sonne sei, deren Einstrahlung auf die genannten Vorläuferstoffe erst zur Entstehung des Ozons führe, und die Sonne könne man schließlich nicht abschalten. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, da ist etwas dran. ({1}) Mit demselben Argument freilich könnte man auch behaupten, nicht das Ozonloch in der Atmosphäre gefährde das Überleben auf der Erde, sondern die böse Sonne sei es, die sich erdreistet, durch dieses Loch hindurchzuscheinen. Wenn wir uns allen Problemen mit der gleichen Entschlossenheit stellen, meine Damen und Herren, dann ist unsere Anwesenheit zu ihrer Lösung hier in diesem Hohen Hause in der Tat völlig überflüssig. Die Vertreter der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, lieber Herr Kollege Feige, weisen auf den Verkehr als Hauptfaktor bei der Ozonentstehung und darauf hin, daß ein entsprechendes Verkehrskonzept vorhanden sein müsse, um wirksam etwas gegen das Ozon zu unternehmen. Ein solches Konzept hat die SPD-Fraktion wiederholt vorgetragen. In unserem Antrag zur Bekämpfung des Sommer-Smogs/Minderung der Ozonbelastung haben wir bei Überschreiten des Grenzwerts auch Verkehrsvermeidung und -verlagerung, Tempolimit und strengere Emissionswerte für Pkw und Lkw gefordert. Die andere Eingabe, um die es heute geht, beschäftigt sich mit der Klagebefugnis bei genehmigungspflichtigen Anlagen im Zusammenhang mit dem Ausstoß von Schadstoffen in die Luft, der aus diesen Anlagen erfolgt. Einen schönen Zusammenhang zum Thema Ozon finden wir, wenn wir einen Blick in die Zeitschrift „Umwelt" Nr. 5/1992 werfen, jenes Organ, mit dem uns der Herr Bundesumweltminister regelmäßig darüber informiert, was er geleistet hat oder zu leisten gedenkt. Da heißt es nämlich, daß „aufgrund der grenzüberschreitenden Schadstofftransporte nationale Alleingänge wenig wirksam" seien. Dieses Argument, das hier dazu herhält, die Konsequenz des eigenen Verhaltens herunterzuspielen und die Verantwortung dafür zu minimieren, wird von Regierungsseite im Zusammenhang mit der Klagebefugnis bei genehmigungspflichtigen Anlagen unterschlagen, eben weil es für eine Ausweitung der Klagebefugnis spricht. Denn - darauf weist der Petent sehr richtig hin - die Belastung für die Bewohner der Umgebung einer solchen Anlage ergibt sich längst nicht nur aus den Emissionen dieser Anlage selbst, sondern aus dem Zusammenwirken zahlreicher Emissionen, die sich aus den teilweise weiten Schadstofftransporten ergeben. Das sehen wir besonders deutlich am Beispiel des Waldsterbens. Niemand bestreitet mehr ernsthaft die Beteiligung tschechoslowakischer Kraftwerke und früher auch derer der DDR an der Schädigung süddeutscher Waldgebiete. Die Technische Anleitung Luft aber berücksichtigt eine sich solcherart anhäufende Belastung durch Schadstoffemissionen gar nicht oder nicht genügend. Von seiten der Bundesregierung wird bei der Ablehnung dieser Petition wieder sehr konfus argumentiert, nicht allen Menschen auf der Erde könne ein Mitspracherecht bei der Errichtung von Industrieanlagen eingeräumt werden. Als ob das irgend jemand wollte! Es wird weiter gesagt: Schon die innerhalb des heute herangezogenen Beurteilungsgebiets lebenden Personen werden alle eventuellen Argumente gegen eine neue Industrieanlage aufführen, so daß man diejenigen nicht auch noch zu berücksichtigen braucht, die außerhalb des Beurteilungsgebiets leben. Der Petent dagegen fordert, daß auch dieser Personenkreis Klagebefugnis erhält. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Petent hat darin recht, daß die Klagebefugnis nicht auf das Beurteilungsgebiet von zwei Kilometern Umkreis beschränkt sein darf. Das folgt schon aus der Möglichkeit der Konzentration von Schadstoffen, die von anderen Anlagen herangetragen werden können und von denen nicht alle im Umkreis lebenden Menschen gleich betroffen sein müssen. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Klage eines EG-Ausländers gegen ein Atomkraftwerk auf deutschem Boden zugelassen. Das Gericht hat damit sehr deutlich dokumentiert, daß die Festlegung einer Übereinstimmung von Klagebefugnis und Beurteilungsgebiet dem deutschen Rechtssystem zumindest nichts nutzt, eher schadet. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, darf ich Sie unterbrechen. - Meine Damen und Herren, es sind - ich habe das soeben zu zählen versucht - an die 15 bis 17 Miniaturkonferenzen in diesem Saal im Gange, zum Teil unter heftiger Gestikulation der Teilnehmer oder unter Rückenzukehrung gegenüber der Rednerin. Unruhe ist etwas Fabelhaftes, wenn sie dem Gegenstand gilt. Aber Unruhe, die Desinteresse und Rücksichtslosigkeit signalisiert, finde ich unfair. Ich bitte Sie herzlich, wenn Sie Gespräche führen wollen, die nichts mit der Debatte zu tun haben, das draußen zu tun. Wenn Sie herinnen bleiben, nehmen Sie Anteil an der Debatte und schenken Sie der Rednerin die notwendige Aufmerksamkeit. Vielen Dank. Bitte fahren Sie fort.

Siegrun Klemmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001125, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Schönen Dank, Herr Präsident. Wir behandeln ein sehr schwieriges Thema, das möglicherweise nicht allen Kolleginnen und Kollegen beim bloßen Zuhören geläufig ist. Vielleicht liegt es auch daran. Es ist wirklich nicht einzusehen, warum die genannten Petitionen für die Regierung noch nicht einmal erwägenswert sein sollen. Von der inhaltlichen Fragestellung der konkret angesprochenen Regelungen abgesehen vertun wir damit eine Chance, die sowohl in der Umweltpolitik als auch in unserem Petitionswesen liegt, nämlich die Chance einer größeren Bürgerbeteiligung, die Chance, etwas gegen die vielzitierte Politikverdrossenheit zu tun. Wir sollten die Umweltpolitik auch als einen Politikbereich gestalten, in dem wir, modellhaft für andere Bereiche, die Bürgerbeteiligung bei der Gestaltung der konkreten Lebensverhältnisse so weit wie möglich in unsere Entscheidungsprozesse einbeziehen. Für das Petitionswesen brauche ich es nicht zu sagen. Sein Wesen besteht gerade darin, die Bürgerinnen und Bürger direkt bei den gewählten Entscheidungsträgern zu Wort kommen zu lassen. Das ist ein Grund mehr, die vorliegenden Petitionen nicht sang- und klanglos in der Schublade verschwinden zu lassen, zumal sie konkret und sachlich Hinweise geben, die in ihrem Gehalt auch vor Experten Bestand haben. So sollte in der TA Luft ein Passus eingeführt werden, dem zu entnehmen ist, daß das dort definierte Beurteilungsgebiet nichts über eine eventuelle Klagebefugnis aussagt. Ich appelliere an Sie von der Regierungskoalition, liebe Kolleginnen und Kollegen: Seien Sie sich nicht zu schade, diese Petitionen der Regierung zur Erwägung zu überweisen, und nehmen Sie sie als Fraktion zur Kenntnis. Denn eines Tages werden Sie sowieso nicht mehr darum herumkommen, Entwicklungen anzuerkennen, vor denen Sie heute offensichtlich noch die Augen verschließen. Ich danke Ihnen. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile dem Kollegen Steffen Kampeter das Wort.

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Sammelübersichten 55 und 59 liegen zwei Petitionen zugrunde, die sich mit der Luftreinhaltepolitik in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigen. Dieses Thema hat nicht erst seit dem Umweltgipfel in Rio, an dem sich in der ersten Junihälfte dieses Jahres 178 Staaten beteiligt haben, einen besonders hohen Stellenwert im Rahmen der Umweltschutzpolitik dieser Bundesregierung. Noch vor wenigen Tagen hat der Bundesumweltminister zentrale Ergebnisse dieses Weltklimagipfels von Rio auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen bekräftigt, insbesondere die Aussagen zur CO2-Reduktion in der Bundesrepublik. Die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Petitionsausschuß begrüßen es daher nachdrücklich, wenn Petenten ihr grundgesetzlich garantiertes Recht auf Petitionen dazu nutzen, um auch die wichtigen Anliegen der Luftreinhaltepolitik zum Gegenstand zusätzlicher parlamentarischer Beratungen zu machen. Die beiden Themen der Sammelübersichten 55 und 59 sind zum einen die Einführung eines Grenzwerts für bodennahes Ozon und zum anderen eine Veränderung der Technischen Anleitung Luft. Mit der Technischen Anleitung Luft hat der Bundesumweltminister im Jahre 1986 eine Verwaltungsvorschrift novelliert, die einen wesentlichen Impuls für die Luftreinhaltepolitik in der Bundesrepublik Deutschland bedeutete. Sie hat u. a. dazu beigetragen, daß für die Luftreinhaltung seither Investitionen in Höhe von über 12 Milliarden DM privat finanziert worden sind. Diese Technische Anleitung Luft hat durchaus für die unmittelbare Lebensumwelt in Ihren Wahlkreisen Bedeutung. Wenn Sie sich beispielsweise einmal bei Unternehmen umschauen, die mit Lacken und Farben arbeiten, werden Sie feststellen, welche für die Mitarbeiter gesundheitsentlastenden Wirkungen die strengen Vorschriften der TA Luft haben und wieviel Zustimmung diese Verwaltungsvorschrift bei den betroffenen Mitarbeitern, aber auch bei zahlreichen umweltbewußten Unternehmern gefunden hat. Aber auch mit anderen Elementen unserer Luftreinhaltepolitik, die sich neben der Technischen Anleitung Luft gegen die schädlichen Wirkungen des bodennahen Ozons richten, haben wir in den vergangenen Jahren wichtige Erfolge erzielen können. Uns allen ist die schleimhautreizende Wirkung des Ozons bekannt. Die Atemwege, das Lungengewebe und die körperliche Befindlichkeit werden bei hohen Ozonwerten stark behindert. Wir wissen sehr wohl um die Gesundheitswirkungen des Ozons. Ozon ist - darauf hat die Kollegin Klemmer richtigerweise hingewiesen - das Endprodukt einer umfassenden chemischen Wirkungskette. Es ist - dies haben mir Chemiker wiederholt überzeugend darlegen können - schwierig, ja geradezu unmöglich, Ozon direkt zu bekämpfen. Daher ist es Ziel der Politik unserer Bundesregierung, die Vorläufersubstanzen, die an dieser Kettenreaktion beteiligt sind, zu begrenzen. Lassen Sie mich einige Eckpunkte unserer Politik gegen das bodennahe Ozon erläutern. Fast jedes in der Bundesrepublik neu zugelassene Auto mit Verbrennungs-Benzinmotor und über ein Drittel des Gesamtbestandes an Pkw in der Bundesrepublik Deutschland haben heute bereits den geregelten Dreiwegekatalysator. In den neuen Bundesländern - dies ist ein zweiter wichtiger Punkt - wird zügig mit der Entstickung der Kraftwerkskapazitäten begonnen. Die Nachrüstung bei den Kraftwerken in den alten Bundesländern ist nahezu abgeschlossen. Ein dritter wichtiger Punkt ist folgender. Ich finde, es ist ganz erheblicher Erfolg der europäischen Umweltpolitik, daß es seit 1985 eine Stickoxidrichtlinie gibt, die europaweit für diesen Stoff strenge Grenzwerte festschreibt. Diese drei wichtigen Erfolgsbereiche haben uns noch nicht zufriedengestellt. Wir wollen auch zukünftig einen besonderen Schwerpunkt auf die Begrenzung der Vorläufersubstanzen des Ozons legen. Im Verkehr bedeutet dies u. a. eine drastische Verschärfung der Abgasnormen, die es europaweit durchzusetzen gilt. Der Bundesumweltminister hat auf den Verkehrsministerkonferenzen hierzu bereits für die Bundesrepublik entsprechende Vorschläge unterbreitet. Im Zusammenspiel mit anderen Maßnahmen soll für das Jahr 1999 eine nochmalige Halbierung der für den Sommersmog verantwortlichen Schadstoffemissionen angestrebt werden. In diesem Zusammenhang halte ich es für ein besonders ehrgeiziges und sicherlich nur mit Schwierigkeiten zu erreichendes Ziel, die CO2-Emissionen des Verkehrs deutlich zu verringern. Hier bedarf es noch weiterer zusätzlicher Anstrengungen, die wir im Deutschen Bundestag politisch unterstützen sollten. Schließlich - dies ist ein weiterer Punkt, an dem es in den nächsten Wochen und Monaten zu arbeiten gilt -, muß eine Verordnung nach § 40 Abs. 2 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vorgelegt werden, die sich mit sogenannten kleinräumigen Verkehrseinschränkungsmaßnahmen beschäftigt. Sie versetzt die zuständigen Länderbehörden in die Lage, bei Überschreiten vorgegebener Schadstoffkonzentrationen umweltgerechte Konzepte für den Verkehr in den bundesdeutschen Innenstädten umzusetzen. Lassen Sie mich darüber hinaus darauf hinweisen, daß dies eine wesentliche staatliche Rahmendatensetzung für die weitere Einführung von emissionsarmen Kraftfahrzeugen durch den Markt ist. Nun zu den Anliegen der Petenten im einzelnen. In der Technischen Anleitung Luft werden emissionsschutzrechtliche Standards genehmigungspflichtiger Anlagen festgelegt. Das in 2.6.2.2. festgelegte Beurteilungsgebiet für eine zu beurteilende Anlage setzt sich aus dem unmittelbar um die Emissionsquelle gelegenen Kernbereich und weiteren Beurteilungsflächen zusammen. Es ist so festgelegt, daß außerhalb dieses Beurteilungsgebiets relevante Emissionsbeiträge aus der stationären Anlage regelmäßig nicht zu erwarten sind. Wir sind der festen Überzeugung, daß es eine sachgerechte Lösung ist, wie das Beurteilungsgebiet derzeit in der Technischen Anleitung Luft festgelegt ist. Wenn nun der Petent glaubt, die Klagebefugnis hänge von der Größe des Beurteilungsgebiets ab, so ist dies leider nicht zutreffend. Die Befugnis der Klage gegen die Genehmigung einer entsprechenden Anlage ist allein nach § 42 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung zu bestimmen, nicht jedoch durch eine Änderung der Technischen Anleitung Luft. Bei der TA Luft handelt es sich im wesentlichen um eine Konkretisierung einer Verwaltungsvorschrift im Rahmen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Sie kann und darf nicht die Funktion haben, die Klagebefugnis betroffener Nachbarn im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu regeln. Eine Veränderung der TA Luft in bezug auf diesen Punkt wäre rechtssystematisch verfehlt. Sie kann die Gerichte weder positiv noch negativ beeinflussen. Würde man die Petition dahin gehend uminterpretieren wollen, daß man eine Popularklage, d. h. eine Jedermann-Klage zulassen wollte, könnte dies aus gutem Grunde ebenfalls nicht unsere Unterstützung finden, Ähnlich verhält es sich mit dem Anliegen aus der Sammelübersicht 59. Hier geht es um die Festlegung eines Eingriffswertes für bodennahes Ozon bei einem Wert von mehr als 120 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Ich weise darauf hin, daß wesentliche Elemente unserer Politik gegen bodennahes Ozon Eingang in eine EG-Richtlinie gefunden haben, in der ein Informationswert, aber kein Alarmwert bei 175 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft festgesetzt wurde. Diese Politik basiert u. a. auf einem Symposium, das der TÜV und der Verein Deutscher Ingenieure gemeinsam mit dem Bundesumweltministerium durchgeführt haben. Dort wurde unsere sehr vorsichtige und sehr weitsichtige Politik im Ozonbereich bestätigt. Insbesondere wird angeregt, großräumige Konzepte für die dauerhafte Ozonverminderung durchzusetzen. Für die Verringerung der Vorläufersubstanzen haben wir im Sofia-Protokoll einen wichtigen Schritt getan. Neben der Bundesrepublik haben sich zwölf weitere Staaten verpflichtet, ihre Stickoxidemissionen bis 1998 um 30 % zu verringern. 1991 wurde im Anschluß an dieses Protokoll vereinbart, auch bei den flüchtigen organischen Verbindungen zu wichtigen Verringerungen zu kommen. Wir sehen, daß es in der Bevölkerung in bezug auf die Ozonentwicklung in der Bundesrepublik ein dringendes Informationsbedürfnis gibt. Deswegen begrüße ich es ausdrücklich, daß der Bundesumweltminister in einem jährlichen Bericht die Ozonentwicklung darlegen wird. Dies halte ich auch für einen vernünftigen Schritt, um über die Erfolge der ozonverringernden Politik zu informieren. ({0}) Die Petition geht insoweit weit über das Realisierbare hinaus, als sie fordert, den Grenzwert von 120 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft zu einem Eingriffsgrenzwert zu machen, der schon bei lediglich einmaliger Überschreitung zu Verhaltensänderungen führt.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, die Überschreitung der Redezeit hat bereits stattgefunden.

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auch das Beispiel Schweiz zeigt nicht, daß wir hier einen falschen politischen Ansatz vertreten, denn dort wird lediglich ein Wert im Langfristkonzept gefordert. Wir gehen in eine ähnliche Richtung. Wir denken, daß es realistisch ist, weder die Klagebefugnis in der Technischen Anleitung Luft neu zu fassen, noch einem entsprechenden Grenzwert zuzustimmen. Daher wird die CDU/CSU-Fraktion diese beiden Petitionen hier wie schon im Petitionsausschuß für erledigt erklären. Herzlichen Dank. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Auch im neuen Plenarsaal bedeutet das gelbe Licht, daß die Redezeit noch eine Minute beträgt, und das rote Licht, daß sie beendet ist. Wenn der Präsident noch zusätzlich mahnt, sollte bitte wirklich nur noch ein Satz, nicht aber mit zehn Schachtelsätzen, gesprochen werden. Als nächste hat die Kollegin Birgit Homburger das Wort.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der eine Petent fordert die Festlegung eines Grenzwertes für Ozon von 120 Mikrogramm pro Kubikmeter. Diese Forderung wird, wie wir gehört haben, auch von der SPD erhoben. Es stellt sich durchaus die Frage, ob das überhaupt sinnvoll ist. Zunächst einmal muß man sich vor Augen führen, wie bodennahes Ozon überhaupt entsteht. Ozon ist ein Sekundärstoff, dessen Bildung in komplexer und nichtlinearer Weise von der meteorologischen Situation abhängt. Die Primärstoffe oder besser die Beschleuniger, aus denen Ozon gebildet wird, sind Stickstoffoxide und flüchtige organische Verbindungen. Aber, Frau Kollegin Klemmer, Ozon bildet sich durchaus auch ohne diese Primärstoffe. Ozon bildet sich zum Teil erst Stunden nach der Emission des Primärstoffes; ein großer Teil der Primärstoffe ist dann nicht mehr im Fällgebiet vorhanden. Das heißt, daß die Primärstoffe, die sonnenabhängig für die Bildung von Ozon verantwortlich sind, viel früher meßbar sind als das Ozon selber. Deswegen ist es sinnvoller, die Schadstoffkonzentration, nicht die Ozonkonzentration zu begrenzen. Das läßt sich aber nicht mit kurzfristigen Patentrezepten machen; es sind auch EG-weite Maßnahmen erforderlich, denn die Ozonbildung ist nicht örtlich begrenzt, sondern erfolgt häufig weit weg von der Primärstoffemission. Das, was Sie, Frau Kollegin Klemmer, vorhin als „diffuse Argumentation" bezeichnet haben, ist nichts anderes als chemisches Basiswissen. ({0}) Es gibt eine Vielzahl von technischen Möglichkeiten, mit denen die Ansammlung von Primärstoffen, infolge davon natürlich auch die Ozonbildung, verringert werden kann. Gerade bei den Pkw reicht es nicht aus, daß ein Auto mit Kat gefahren wird. Die F.D.P. fordert vielmehr, daß bezüglich des Kraftstoffverbrauchs verbrauchsärmere Fahrzeuge entwickelt werden bzw. die Industrie ihre Pläne für solche Fahrzeuge mit geringem Flottenverbrauch endlich aus der Schublade zieht. ({1}) Außerdem fordert meine Fraktion den Umweltminister auf, endlich die sogenannte Sommersmogverordnung nach § 40 Abs. 2 BImSchG einzuführen, in der Konzentrationswerte für die Primärstoffe festgelegt sein müssen. Damit kann der Ozonbildung erfolgreich vorgebeugt werden.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kampeter?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn es nicht auf die Redezeit angerechnet wird.

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Homburger, ist Ihnen bekannt, daß der Bundesumweltminister hierfür nicht alleine zuständig ist, es vielmehr eines Beschlusses des Bundesrates bedarf, sich Ihr Appell also nicht allein an den Bundesumweltminister, sondern insbesondere an die Bundesländer richten muß, die einer entsprechenden Verordnung nach dem Bun des-Immissionsschutzgesetz zustimmen müssen? ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Kampeter, selbstverständlich ist mir klar, daß der Bundesrat zustimmen muß. Ich denke aber, daß der Bundesumweltminister, als solcher für die Umwelt verantwortlich, schlicht und ergreifend die Initiative übernehmen sollte. ({0}) Gemeinsam sollte diese Sommersmogverordnung eingeführt werden. Ich denke, daß dies nicht weiter hinausgezögert werden darf, vor allen Dingen weil die Städte gewisse Vorlaufzeiten brauchen, um Meßstationen einzurichten, um zu lernen, damit umzugehen, und um entsprechende Verkehrskonzepte zu entwickeln. Ich will, nachdem schon wieder die letzte Minute meiner Redezeit angebrochen ist, zu der zweiten Petition bezüglich der Änderungsvorschläge zur TA Luft kommen. Zunächst einmal ist zu sagen, daß die Begrenzung des klagebefugten Personenkreises nicht durch die TA Luft, sondern durch die Verwaltungsgerichtsordnung vorgegeben ist und schon allein deswegen der Forderung der Petition nicht entsprochen werden kann. Die Festlegung des Begrenzungsgebiets erfolgt aus der Erfahrung, daß außerhalb bestimmter Grenzen keine relevanten und regelmäßigen Emissionsbeiträge zu erwarten sind. Das Beurteilungsgebiet ist dadurch, daß es über zwei Kriterien definiert wird, schon weitergefaßt, als das früher der Fall war. Damals war die Ausdehnung des Beurteilungsgebiets lediglich von der Schornsteinhöhe abhängig. Wenn der Petition entsprochen würde, bedeutete dies, daß alle ca. 5 Milliarden Menschen dieser Erde bei allen nach der TA Luft genehmigungsbedürftigen Anlagen in der Bundesrepublik Deutschland ein Klagerecht hätten. Das wäre die Konsequenz, Frau Kollegin Klemmer. Einer solchen Sache können wir nicht zustimmen. Das ist in keiner Weise sachgerecht. Die Unterstützung durch die SPD-Fraktion ist für mich reiner Ausfluß der Verhinderungspolitik, wenn man daran denkt, daß genehmigungsbedürftige Anlagen im vorliegenden Sinne z. B. auch Müllverbrennungsanlagen sind. ({1}) Das hätte zur Folge, daß Genehmigungsverfahren nicht mehr in angemessener Zeit abgeschlossen werden könnten. Das ist nicht der Sinn des Einzelklagerechts. Wir lehnen ein Popularklagerecht ab. Anders sieht es die F.D.P. mit dem Verbandsklagerecht. Wenn anerkannte Umweltverbände bei Planfeststellungsverfahren beteiligt werden, sollen sie nach unserer Auffassung auch ein Klagerecht erhalten; dafür tritt die F.D.P. weiterhin ein. Eine solche sinnvolle Sache ist aber nicht Gegenstand der Petition. Wenn Sie, Frau Kollegin Klemmer, fordern, daß die Fraktionen des Bundestages die Petition zur Kenntnis nehmen, möchte ich darauf hinweisen: Das haben wir längst getan; sonst hätten wir uns keine Meinung bilden können. Ich kann nur empfehlen, diese beiden Petitionen abzulehnen und abzuschließen. Danke schön. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 12/2296, Sammelübersicht 55. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/3610 vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 12/2558, Sammelübersicht 59, ab. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/3611 vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zurück zu Zusatztagesordnungspunkt 5, zum Gesetzentwurf des Bundesrates zur Verlängerung der Wartefristen für Eigenbedarfskündigungen.*) Ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über Nr. 1 des Änderungsantrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/3613 bekannt: abgegebene Stimmen: 447, davon ungültig: keine. Mit Ja haben gestimmt: 168. Mit Nein haben gestimmt: 274. Enthaltungen: 5. *) Vgl. Seite 10007 C Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 443; davon ja: 166 nein: 273 enthalten: 4 Ja CDU/CSU Krause ({0}), Wolfgang SPD Adler, Brigitte Andres, Gerd Barbe, Angelika Bartsch, Holger Becker ({1}), Helmuth Berger, Hans Bindig, Rudolf Dr. Böhme ({2}), Ulrich Dr. Brecht, Eberhard Büchner ({3}), Peter Dr. von Bülow, Andreas Bulmahn, Edelgard Burchardt, Ursula Bury, Hans Martin Caspers-Merk, Marion Conradi, Peter Daubertshäuser, Klaus Dr. Dobberthien, Marliese Dreßler, Rudolf Duve, Freimut Eich, Ludwig Dr. Elmer, Konrad Erler, Gernot Ewen, Carl Ferner, Elke Fischer ({4}), Lothar Formanski, Norbert Fuchs ({5}), Katrin Ganseforth, Monika Gansel, Norbert Gilges, Konrad Gleicke, Iris Graf, Günter Haack ({6}), Karl Hermann Habermann, Frank-Michael Hacker, Hans-Joachim Hampel, Manfred Eugen Hanewinckel, Christel Hasenfratz, Klaus Hilsberg, Stephan Iwersen, Gabriele Jäger, Renate Janz, Ilse Dr. Janzen, Ulrich Jaunich, Horst Jung ({7}), Volker Kastner, Susanne Kirschner, Klaus Klappert, Marianne Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Dr. sc. Knaape, Hans-Hinrich Kolbow, Walter Kubatschka, Horst Vizepräsident Hans Klein Dr. Küster, Uwe Lange, Brigitte von Larcher, Detlev Leidinger, Robert Lennartz, Klaus Dr. Leonhard-Schmid, Elke Dr. Lucyga, Christine Maaß ({8}), Dieter Mascher, Ulrike Matschie, Christoph Dr. Matterne, Dietmar Meckel, Markus Mehl, Ulrike Dr. Meyer ({9}), Jürgen Mosdorf, Siegmar Müller ({10}), Albrecht Müller ({11}), Rudolf Müller ({12}), Jutta Müller ({13}), Christian Müntefering, Franz Neumann ({14}), Volker Neumann ({15}), Gerhard Dr. Niehuis, Edith Niggemeier, Horst Odendahl, Doris Oostergetelo, Jan Opel, Manfred Ostertag, Adolf Dr. Otto, Helga Dr. Penner, Willfried Peter ({16}), Horst Dr. Pfaff, Martin Pfuhl, Albert Dr. Pick, Eckhart Poß, Joachim Reimann, Manfred von Renesse, Margot Rennebach, Renate Rixe, Günter Roth, Wolfgang Schaich-Walch, Gudrun Schanz, Dieter Dr. Scheer, Hermann Schily, Otto Schloten, Dieter Schluckebier, Günter Schmidbauer ({17}), Horst Schmidt ({18}), Ursula Schmidt-Zadel, Regina Schreiner, Ottmar Schröter, Gisela Schröter, Karl-Heinz Schulte ({19}), Brigitte Dr. Schuster, R. Werner Schwanhold, Ernst Seidenthal, Bodo Seuster, Lisa Sielaff, Horst Simm, Erika Singer, Johannes Sorge, Wieland Dr. Sperling, Dietrich Steen, Antje-Marie Dr. Struck, Peter Tappe, Joachim Dr. Thalheim, Gerald Vergin, Siegfried Verheugen, Günter Dr. Vogel, Hans-Jochen Voigt ({20}), Karsten D. Wallow, Hans Walter ({21}), Ralf Wartenberg ({22}), Gerd Weiermann, Wolfgang Weiler, Barbara Weis ({23}), Reinhard Weisheit, Matthias Welt, Hans-Joachim Dr. Wernitz, Axel Westrich, Lydia Wettig-Danielmeier, Inge Dr. Wetzel, Margrit Weyel, Gudrun Dr. Wieczorek, Norbert Wieczorek-Zeul, Heidemarie Wiefelspütz, Dieter Dr. de With, Hans Wittich, Berthold Wohlleben, Verena Wolf, Hanna Zapf, Uta PDS/Linke Liste Bläss, Petra Dr. Enkelmann, Dagmar Dr. Fischer, Ursula Dr. Fuchs, Ruth Dr. Heuer, Uwe-Jens Dr. Höll, Barbara Dr. Keller, Dietmar Lederer, Andrea Dr. Modrow, Hans Philipp, Ingeborg Dr. Schumann ({24}), Fritz Stachowa, Angela BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Feige, Klaus-Dieter Köppe, Ingrid Poppe, Gerd Schenk, Christina Schulz ({25}), Werner Dr. Ullmann, Wolfgang Weiß ({26}), Konrad Wollenberger, Vera Fraktionslos Henn, Bernd Nein CDU/CSU Dr. Ackermann, Else Adam, Ulrich Dr. Altherr, Walter Augustin, Anneliese Augustinowitz, Jürgen Bargfrede, Heinz-Günther Dr. Bauer, Wolf Baumeister, Brigitte Bayha, Richard Belle, Meinrad Bierling, Hans-Dirk Dr. Blank, Joseph-Theodor Blank, Renate Dr. Blens, Heribert Bleser, Peter Dr. Blüm, Norbert Dr. Böhmer, Maria Börnsen ({27}), Wolfgang Dr. Bötsch, Wolfgang Bohl, Friedrich Brähmig, Klaus Brudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg Bühler ({28}), Klaus Büttner ({29}), Hartmut Buwitt, Dankward Clemens, Joachim Dehnel, Wolfgang Dempwolf, Gertrud Deß, Albert Diemers, Renate Doss, Hansjürgen Dr. Dregger, Alfred Echternach, Jürgen Ehlers, Wolfgang Ehrbar, Udo Eichhorn, Maria Engelmann, Wolfgang Falk, Ilse Dr. Fell, Karl Fischer ({30}), Leni Fockenberg, Winfried Frankenhauser, Herbert Dr. Friedrich, Gerhard Fritz, Erich G. Fuchtel, Hans-Joachim Ganz ({31}), Johannes Geiger, Michaela Dr. Geiger ({32}), Sissy Geis, Norbert Dr. von Geldern, Wolfgang Gerster ({33}), Johannes Gibtner, Horst Glos, Michael Göttsching, Martin Götz, Peter Grochtmann, Elisabeth Gröbl, Wolfgang Grotz, Claus-Peter Dr. Grünewald, Joachim Günther ({34}), Horst Frhr. von Hammerstein, Carl-Detlev Harries, Klaus Hasselfeldt, Gerda Haungs, Rainer Hauser ({35}), Otto Hauser ({36}), Hansgeorg Heise, Manfred Dr. Hellwig, Renate Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Hinsken, Ernst Hintze, Peter Hörsken, Heinz-Adolf Hörster, Joachim Dr. Hoffacker, Paul Hollerith, Josef Hornung, Siegfried Hüppe, Hubert Jäger, Claus Jagoda, Bernhard Dr. Jahn ({37}), Friedrich-Adolf Janovsky, Georg Jeltsch, Karin Dr. Jobst, Dionys Dr. Jüttner, Egon Jung ({38}), Michael Junghanns, Ulrich Kampeter, Steffen Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Karwatzki, Irmgard Kittelmann, Peter Klein ({39}), Günter Klein ({40}), Hans Klinkert, Ulrich Köhler ({41}), Hans-Ulrich Dr. Köhler ({42}), Volkmar Kossendey, Thomas Kraus, Rudolf Krey, Franz Heinrich Krziskewitz, Reiner Eberhard Lamers, Karl Lamp, Helmut Johannes Lattmann, Herbert Dr. Laufs, Paul Laumann, Karl Josef Dr. Lehr, Ursula Limbach, Editha Link ({43}), Walter Lintner, Eduard Dr. Lippold ({44}), Klaus W. Dr. sc. Lischewski, Manfred Löwisch, Sigrun Lohmann ({45}), Wolfgang Louven, Julius Lummer, Heinrich Dr. Luther, Michael Maaß ({46}), Erich Männle, Ursula Magin, Theo Dr. Mahlo, Dietrich Marienfeld, Claire Marschewski, Erwin Dr. Mayer ({47}), Martin Meckelburg, Wolfgang Meinl, Rudolf Horst Dr. Merkel, Angela Dr. Meseke, Hedda Dr. Meyer zu Bentrup, Reinhard Michels, Meinolf Dr. Mildner, Klaus Gerhard Dr. Möller, Franz Müller ({48}), Elmar Nelle, Engelbert Neumann ({49}), Bernd Nitsch, Johannes Nolte, Claudia Ost, Friedhelm Oswald, Eduard Dr. Päselt, Gerhard Dr. Paziorek, Peter Paul Pesch, Hans-Wilhelm Petzold, Ulrich Pfeffermann, Gerhard O. Dr. Pinger, Winfried Pofalla, Ronald Dr. Pohler, Hermann Priebus, Rosemarie Dr. Probst, Albert Dr. Protzner, Bernd Raidel, Hans Rau, Rolf Rauen, Peter Harald Rawe, Wilhelm Regenspurger, Otto Reichenbach, Klaus Dr. Reinartz, Berthold Reinhardt, Erika Riegert, Klaus Dr. Riesenhuber, Heinz Ringkamp, Werner Rode ({50}), Helmut Romer, Franz Rother, Heinz Dr. Ruck, Christian Rühe, Volker Dr. Rüttgers, Jürgen Sauer ({51}), Helmut Scharrenbroich, Heribert Schätzle, Ortrun Dr. Schäuble, Wolfgang Schemken, Heinz Scheu, Gerhard Schmalz, Ulrich Schmidt ({52}), Christian Dr. Schmidt ({53}), Joachim Schmidt ({54}), Andreas Schmidt ({55}), Trudi Dr. Schockenhoff, Andreas Graf von SchönburgGlauchau, Joachim Vizepräsident Hans Klein Dr. Schreiber, Harald Schulhoff, Wolfgang Dr. Schulte ({56}), Dieter Schulz ({57}), Gerhard Schwalbe, Clemens Schwarz, Stefan Seehofer, Horst Seesing, Heinrich Seibel, Winfried Sikora, Jürgen Skowron, Werner H. Dr. Sopart, Hans-Joachim Sothmann, Bärbel Spilker, Karl-Heinz Spranger, Carl-Dieter Dr. Sprung, Rudolf Steinbach-Hermann, Erika Dr. Stercken, Hans Dr. Frhr. von Stetten, Wolfgang Stockhausen, Karl Dr. Süssmuth, Rita Susset, Egon Uldall, Gunnar Verhülsdonk, Roswitha Vogel ({58}), Friedrich Vogt ({59}), Wolfgang Dr. Voigt ({60}), Hans-Peter Dr. Vondran, Ruprecht Dr. Waffenschmidt, Horst Dr. Warrikoff, Alexander Werner ({61}), Herbert Wetzel, Kersten Wiechatzek, Gabriele Wilz, Bernd Wimmer ({62}), Willy Wissmann, Matthias Dr. Wittmann, Fritz Wittmann ({63}), Simon Wonneberger, Michael Wülfing, Elke Yzer, Cornelia Zeitlmann, Wolfgang Zöller, Wolfgang F.D.P. Dr. Babel, Gisela Baum, Gerhart Rudolf Dr. Blunk ({64}), Michaela Cronenberg ({65}), Dieter-Julius Eimer ({66}), Norbert Engelhard, Hans A. van Essen, Jörg Dr. Feldmann, Olaf Friedhoff, Paul Friedrich, Horst Funke, Rainer Dr. Funke-Schmitt-Rink, Margret Ganschow, Jörg Gries, Ekkehard Günther ({67}), Joachim Hansen, Dirk Dr. Haussmann, Helmut Heinrich, Ulrich Dr. Hirsch, Burkhard Dr. Hitschler, Walter Homburger, Birgit Dr. Hoyer, Werner Irmer, Ulrich Kleinert ({68}), Detlef Kohn, Roland Dr. Kolb, Heinrich L. Koppelin, Jürgen Dr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Nolting, Günther Friedrich Paintner, Johann Peters, Lisa Dr. Pohl, Eva Richter ({69}), Manfred Rind, Hermann Dr. Röhl, Klaus Schmalz-Jacobsen, Cornelia Schmidt ({70}), Arno Dr. Schmieder, Jürgen Dr. Schnittler, Christoph Dr. Schwaetzer, Irmgard Sehn, Marita Seiler-Albring, Ursula Dr. Semper, Sigrid Dr. Solms, Hermann Otto Dr. Starnick, Jürgen Dr. Thomae, Dieter Timm, Jürgen Walz, Ingrid Wolfgramm ({71}), Torsten Würfel, Uta Zurheide, Burkhard Enthalten CDU/CSU Dr. Lieberoth, Immo F.D.P. Dr. Menzel, Bruno Schuster, Hans Fraktionslos Lowack, Ortwin Der Antrag ist abgelehnt. Ich gehe jetzt das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über Nr. 2 des Änderungsantrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/3613 bekannt: abgegebene Stimmen: 462, davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben gestimmt: 171. Mit Nein haben gestimmt: 285. Enthaltungen: 6. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 459; davon ja: 169 nein: 284 enthalten: 6 Ja SPD Adler, Brigitte Andres, Gerd Barbe, Angelika Bartsch, Holger Becker ({72}), Helmuth Berger, Hans Bindig, Rudolf Dr. Böhme ({73}), Ulrich Dr. Brecht, Eberhard Büchner ({74}), Peter Dr. von Bülow, Andreas Bulmahn, Edelgard Burchardt, Ursula Bury, Hans Martin Caspers-Merk, Marion Catenhusen, Wolf-Michael Conradi, Peter Daubertshäuser, Klaus Dr. Dobberthien, Marliese Dreßler, Rudolf Duve, Freimut Eich, Ludwig Dr. Elmer, Konrad Erler, Gernot Ewen, Carl Ferner, Elke Fischer ({75}), Lothar Formanski, Norbert Fuchs ({76}), Katrin Ganseforth, Monika Gansel, Norbert Gilges, Konrad Gleicke, Iris Graf, Günter Haack ({77}), Karl Hermann Habermann, Frank-Michael Hacker, Hans-Joachim Hampel, Manfred Eugen Hanewinckel, Christel Hasenfratz, Klaus Hilsberg, Stephan Iwersen, Gabriele Jäger, Renate Janz, Ilse Dr. Janzen, Ulrich Jaunich, Horst Jung ({78}), Volker Kastner, Susanne Kirschner, Klaus Klappert, Marianne Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Dr. sc. Knaape, Hans-Hinrich Kolbow, Walter Koltzsch, Rolf Kubatschka, Horst Kuessner, Hinrich Dr. Küster, Uwe Lange, Brigitte von Larcher, Detlev Leidinger, Robert Lennartz, Klaus Dr. Leonhard-Schmid, Elke Dr. Lucyga, Christine Maaß ({79}), Dieter Mascher, Ulrike Matschie, Christoph Dr. Matterne, Dietmar Meckel, Markus Mehl, Ulrike Dr. Meyer ({80}), Jürgen Mosdorf, Siegmar Müller ({81}), Albrecht Müller ({82}), Rudolf Müller ({83}), Jutta Müller ({84}), Christian Müntefering, Franz Neumann ({85}), Volker Neumann ({86}), Gerhard Dr. Niehuis, Edith Niggemeier, Horst Odendahl, Doris Oostergetelo, Jan Opel, Manfred Ostertag, Adolf Dr. Otto, Helga Dr. Penner, Willfried Peter ({87}), Horst Dr. Pfaff, Martin Pfuhl, Albert Dr. Pick, Eckhart Poß, Joachim Reimann, Manfred von Renesse, Margot Rennebach, Renate Rixe, Günter Roth, Wolfgang Schaich-Walch, Gudrun Schanz, Dieter Dr. Scheer, Hermann Schily, Otto Schloten, Dieter Schluckebier, Günter Schmidbauer ({88}), Horst Schmidt ({89}), Ursula Schmidt-Zadel, Regina Schreiner, Ottmar Schröter, Gisela Schröter, Karl-Heinz Schulte ({90}), Brigitte Dr. Schuster, Werner Schwanhold, Ernst Seidenthal, Bodo Seuster, Lisa Sielaff, Horst Simm, Erika Singer, Johannes Sorge, Wieland Dr. Sperling, Dietrich Steen, Antje-Marie Dr. Struck, Peter Tappe, Joachim Dr. Thalheim, Gerald Vergin, Siegfried Verheugen, Günter Dr. Vogel, Hans-Jochen Voigt ({91}), Karsten D. Wallow, Hans Walter ({92}), Ralf Wartenberg ({93}), Gerd Weiermann, Wolfgang Weiler, Barbara Weis ({94}), Reinhard Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter Welt, Hans-Joachim Dr. Wernitz, Axel Westrich, Lydia Wettig-Danielmeier, Inge Dr. Wetzel, Margrit Weyel, Gudrun Dr. Wieczorek, Norbert Wieczorek-Zeul, Heidemarie Wiefelspütz, Dieter Dr. de With, Hans Wittich, Berthold Vizepräsident Hans Klein Wohlleben, Verena Wolf, Hanna Zapf, Uta PDS/Linke Liste Bläss, Petra Dr. Enkelmann, Dagmar Dr. Fischer, Ursula Dr. Fuchs, Ruth Dr. Heuer, Uwe-Jens Dr. Höll, Barbara Dr. Keller, Dietmar Lederer, Andrea Dr. Modrow, Hans Philipp, Ingeborg Dr. Schumann ({95}), Fritz Stachowa, Angela BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Feige, Klaus-Dieter Köppe, Ingrid Poppe, Gerd Schenk, Christina Schulz ({96}), Werner Dr. Ullmann, Wolfgang Weiß ({97}), Konrad Wollenberger, Vera Fraktionslos Henn, Bernd Nein CDU/CSU Dr. Ackermann, Else Adam, Ulrich Dr. Altherr, Walter Augustin, Anneliese Augustinowitz, Jürgen Bargfrede, Heinz-Günther Dr. Bauer, Wolf Baumeister, Brigitte Bayha, Richard Belle, Meinrad Bierling, Hans-Dirk Dr. Blank, Joseph-Theodor Blank, Renate Dr. Blens, heribert Bleser, Peter Dr. Blüm, Norbert Dr. Böhmer, Maria Börnsen ({98}), Wolfgang Dr. Bötsch, Wolfgang Bohl, Friedrich Brähmig, Klaus Breuer, Paul Brudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg Bühler ({99}), Klaus Büttner ({100}), Hartmut Buwitt, Dankward Clemens, Joachim Dehnel, Wolfgang Dempwolf, Gertrud Deß, Albert Diemers, Renate Doss, Hansjürgen Dr, Dregger, Alfred Echternach, Jürgen Ehlers, Wolfgang Ehrbar, Udo Eichhorn, Maria Engelmann, Wolfgang Eppelmann, Rainer Falk, Ilse Dr. Fell, Karl Fischer ({101}), Leni Fockenberg, Winfried Frankenhauser, Herbert Dr. Friedrich, Gerhard Fritz, Erich G. Fuchtel, Hans-Joachim Ganz ({102}), Johannes Geiger, Michaela Dr. Geiger ({103}), Sissy Geis, Norbert Dr. von Geldern, Wolfgang Gerster ({104}), Johannes Gibtner, Horst Glos, Michael Göttsching, Martin Götz, Peter Grochtmann, Elisabeth Gröbl, Wolfgang Grotz, Claus-Peter Günther ({105}), Horst Frhr. von Hammerstein, Carl-Detlev Harries, Klaus Haschke ({106}), Udo Hasselfeldt, Gerda Haungs, Rainer Hauser ({107}), Otto Hauser ({108}), Hansgeorg Dr. Hellwig, Renate Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Hinsken, Ernst Hintze, Peter Hörsken, Heinz-Adolf Horster, Joachim Dr. Hoffacker, Paul Hollerith, Josef Hornung, Siegfried Hüppe, hubert Jager, Claus Jagoda, Bernhard Dr. Jahn ({109}), Friedrich-Adolf Janovsky, Georg Jeltsch, Karin Dr. Jobst, Dionys Dr.-Ing. Jork, Reiner Dr. Jüttner, Egon Jung ({110}), Michael Junghanns, Ulrich Dr. Kahl, Harald Kampeter, Steffen Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Karwatzki, Irmgard Kittelmann, Peter Klein ({111}), Günter Klein ({112}), Hans Klinkert, Ulrich Köhler ({113}), Hans-Ulrich Dr. Köhler ({114}), Volkmar Kossendey, Thomas Kraus, Rudolf Dr. Krause ({115}), Rudolf Karl Krause ({116}), Wolfgang Krey, Franz Heinrich Kronberg, Heinz-Jürgen Krziskewitz, Reiner Eberhard Dr. Lammert, Norbert Lamp, Helmut Johannes Lattmann, Herbert Dr. Laufs, Paul Laumann, Karl Josef Lehne, Klaus-Heiner Dr. Lehr, Ursula Dr. Lieberoth, Immo Limbach, Editha Link ({117}), Walter Lintner, Eduard Dr. Lippold ({118}), Klaus W. Dr. sc. Lischewski, Manfred Löwisch, Sigrun Lohmann ({119}), Wolfgang Louven, Julius Lummer, Heinrich Dr. Luther, Michael Maaß ({120}), Erich Männle, Ursula Magin, Theo Dr. Mahlo, Dietrich Marienfeld, Claire Marschewski, Erwin Dr. Mayer ({121}), Martin Meckelburg, Wolfgang Meinl, Rudolf Horst Dr. Merkel, Angela Dr. Meseke, Hedda Dr. Meyer zu Bentrup, Reinhard Michalk, Maria Dr. Mildner, Klaus Gerhard Dr. Möller, Franz Müller ({122}), Elmar Nelle, Engelbert Neumann ({123}), Bernd Nitsch, Johannes Nolte, Claudia Ost, Friedhelm Oswald, Eduard Dr. Päselt, Gerhard Dr. Paziorek, Peter Paul Pesch, Hans-Wilhelm Petzold, Ulrich Pfeffermann, Gerhard O. Pfeifer, Anton Dr. Pinger, Winfried Pofalla, Ronald Dr. Pohler, Hermann Priebus, Rosemarie Dr. Probst, Albert Dr. Protzner, Bernd Raidel, I lans Rau, Rolf Rauen, Peter Harald Rawe, Wilhelm Regenspurger, Otto Reichenbach, Klaus Dr. Reinartz, Berthold Reinhardt, Erika Dr. Rieder, Norbert Riegert, Klaus Dr. Riesenhuber, Heinz Ringkamp, Werner Rode ({124}), Helmut Romer, Franz Dr. Ruck, Christian Rühe, Volker Dr. Rüttgers, Jürgen Sauer ({125}), Helmut Sauer ({126}), Roland Scharrenbroich, Heribert Schätzle, Ortrun Dr. Schäuble, Wolfgang Schemken, Heinz Scheu, Gerhard Schmalz, Ulrich Schmidt ({127}), Christian Dr. Schmidt ({128}), Joachim Schmidt ({129}), Andreas Schmidt ({130}), Trudi Dr. Schockenhoff, Andreas Graf von SchönburgGlauchau, Joachim Dr. Schreiber, Harald Schulhoff, Wolfgang Dr. Schulte ({131}), Dieter Schulz ({132}), Gerhard Schwalbe, Clemens Schwarz, Stefan Seehofer, Horst Seesing, Heinrich Seibel, Winfried Sikora, Jürgen Skowron, Werner II. Dr. Sopart, Hans-Joachim Sothmann, Bärbel Spilker, Karl-Heinz Spranger, Carl-Dieter Dr. Sprung, Rudolf Steinbach-Hermann, Erika Dr. Stercken, Hans Dr. Frhr. von Stetten, Wolfgang Stockhausen, Karl Dr. Süssmuth, Rita Susset, Egon Uldall, Gunnar Verhülsdonk, Roswitha Vogel ({133}), Friedrich Vogt ({134}), Wolfgang Dr. Voigt ({135}), Hans-Peter Dr. Vondran, Ruprecht Dr. Waffenschmidt, Horst Dr. Warrikoff, Alexander Werner ({136}), Herbert Wetzel, Kersten Wiechatzek, Gabriele Dr. Wilms, Dorothee Wilz, Bernd Wimmer ({137}), Willy Dr. Wisniewski, Roswitha Wissmann, Matthias Dr. Wittmann, Fritz Wittmann ({138}), Simon Wonneberger, Michael Wülfing, Elke Yzer, Cornelia Zeitlmann, Wolfgang Zöller, Wolfgang F.D.P. Dr. Babel, Gisela Baum, Gerhart Rudolf Dr. Blunk ({139}), Michaela Cronenberg ({140}), Dieter-Julius Eimer ({141}), Norbert Engelhard, Hans A. van Essen, Jörg Dr. Feldmann, Olaf Friedhoff, Paul Friedrich, Horst Funke, Rainer Dr. Funke-Schmitt-Rink, Margret Ganschow, Jörg Gries, Ekkehard Günther ({142}), Joachim Dr. Guttmacher, Karlheinz Hansen, Dirk Dr. Haussmann, Helmut Heinrich, Ulrich Dr. Hirsch, Burkhard Dr. Hitschler, Walter Homburger, Birgit Dr. Hoyer, Werner Irmer, Ulrich Kleinert ({143}), Detlef Kohn, Roland Dr. Kolb, Heinrich L. 10016 Deutscher Bundestag 12. Wahlperiode Vizepräsident Hans Klein Koppelin, Jürgen Dr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Nolting, Günther Friedrich Paintner, Johann Peters, Lisa Dr. Pohl, Eva Richter ({144}), Manfred Rind, Hermann Dr. Röhl, Klaus Schmalz-Jacobsen, Cornelia Dr. Schmieder, Jürgen Dr. Schnittler, Christoph Dr. Schwaetzer, Irmgard Sehn, Marita Seiler-Albring, Ursula Dr. Solms, Hermann Otto Dr. Starnick, Jürgen Dr. Thomae, Dieter Timm, Jürgen Walz, Ingrid Wolfgramm ({145}), Torsten Würfel, Uta Zurheide, Burkhard Enthalten F.D.P. Dr. Menzel, Bruno Schmidt ({146}), Arno Schuster, Hans Dr. Semper, Sigrid Türk, Jürgen Fraktionslos Lowack, Ortwin Nr. 2 des Änderungsantrags ist damit abgelehnt. Damit ist der Änderungsantrag der Fraktion der SPD insgesamt abgelehnt. Ich rufe jetzt den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt für diesen Gesetzentwurf? Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? Keine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Wir treten ein in die dritte Beratung und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich der Stimme? Bei einer Gegenstimme und der Enthaltung der SPD-Fraktion ist der Gesetzentwurf angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({147}) Sammelübersicht 68 zu Petitionen ({148}) Drucksache 12/2943 Nach Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Horst Peter das Wort.

Horst Peter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001693, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer weiß, wie viele Beschäftigte die Religionsgemeinschaften in der Bundesrepublik haben, der kann ermessen, daß es sich bei der Petition, die uns vorliegt, um ein Problem von erheblicher Reichweite handelt. In der Bundesrepublik gibt es insgesamt 1,2 Millionen Beschäftigte bei der Evangelischen und bei der Katholischen Kirche. Allein bei den sozialen Einrichtungen, der Caritas und der Diakonie, sind es 220 000 bzw. 300 000 Beschäftigte. Wenn man zum Vergleich der Dimension ergänzt, daß die Volkswagenwerke in der Bundesrepublik 120 000 Beschäftigte haben, dann wird deutlich, daß es bei der arbeitsrechtlichen und der mitbestimmungsrechtlichen Gesetzgebung in der Bundesrepublik ein Gebiet gibt, wo Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowohl gegenüber den Mitbestimmungsregeln in der gewerblichen Wirtschaft als auch im öffentlichen Dienst ungleich behandelt werden. So sprechen die Petenten mit ihrer Petition ein Problem von beträchtlicher gesellschaftlicher und sozialstaatlicher Reichweite an. Sie fordern erstens die ersatzlose Streichung des § 118 Abs. 2 des Betriebsverfassungsgesetzes, in dem es heißt, daß das Betriebsverfassungsgesetz keine Anwendung findet auf Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen unbeschadet ihrer Rechtsform. Zweitens fordern sie: Die von den Kirchen verfaßten Regeln für Mitarbeitervertretungen sollen der Arbeitsgerichtsbarkeit unterworfen werden, indem der Rechtsweg zum § 2 a des Arbeitsgerichtsgesetzes geöffnet wird. Nach Auffassung der SPD-Fraktion sind heide Forderungen berechtigt. Dabei sind die verfassungsrechtlichen Bedenken bekannt. Wir wissen, daß die Religionsgemeinschaften nach Art. 140 GG, der von Art. 137 der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz übernommen wurde, das Recht haben, ihre eigenen Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten. Wir wissen auch, daß in der herrschenden Rechtsprechung daraus das Recht abgeleitet wird, frei darüber zu entscheiden, ob und in welcher Weise die Arbeitnehmer und ihre Vertretungsorgane in betrieblichen, ihre Interessen berührenden Angelegenheiten mitwirken und mitbestimmen können. Wir meinen daher in der Tat, daß eine ersatzlose Streichung von § 118 Abs. 2 ({0}) einer Beschränkung der Bestimmungen von Art. 137 der Weimarer Reichsverfassung bedurfte. Das wird in der Verfassungsdiskussion in der Tat von verschiedenen Seiten empfohlen. Dies ist nach unserer Auffassung auch richtig so. Es muß die Frage geprüft werden, ob Art. 137 der Weimarer Reichsverfassung für die heutige Zeit mit der immer größer werdenden Zahl von nicht konfessionell gebundenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in diesen Bereichen noch zeitgemäß ist. Bei der Forderung nach der Zuständigkeitserweiterung der Arbeitsgerichte für Streitigkeiten aus den kirchlichen Mitarbeitervertretungsordnungen oder -gesetzen finden die Petenten unsere volle Unterstützung. Wenn die Arbeitnehmer ihre individualrechtlichen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis vor cien staatlichen Arbeitsgerichten geltend machen können und folglich das staatliche Arbeitsrecht Anwendung findet, ist es für mich vorstellbar, auch cien Rechtsweg zum § 2 a des Arbeitsgerichtsgesetzes zu öffnen. Deshalb wollen wir von der Bundesregierung Wege aufgezeigt bekommen, wie eine Regelung aussehen könnte. Wir begrüßen, daß die Mehrheit des Ausschusses diese Argumentation zum Anlaß genommen Horst Peter ({1}) hat, Überweisung als Material an die Bundesregierung zu empfehlen. ({2}) Wir meinen allerdings, daß hier keine Zeit mehr zugewartet werden kann, um das Problem offen anzugehen. Deshalb unser weitergehendes Votum, die Petition an die Bundesregierung zur Erwägung zu überweisen. Die Notwendigkeit, daß in diesem Bereich etwas geschehen muß, ergibt sich aus der Petition selbst. Das Kirchengesetz der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck sieht die Mitbestimmung einer Mitarbeitervertretung bei der Regelung der Arbeitszeit vor. Bei der Ausübung dieser Mitbestimmung ist es zwischen Mitarbeitervertretungen und der anderen Seite, dem Amt für Kirchliche Dienste, zu keiner Einigung gekommen, woraufhin die im Kirchenrecht vorgesehene Anrufung der Schlichtungsstelle erfolgte. Diese Schlichtungsstelle hat im Sinne der Mitarbeitervertretung entschieden. Nun beginnt das Problem: Nach diesem Entscheid der Schlichtungsstelle ist nach einer höchstrichterlichen Entscheidung innerhalb des Kirchenrechts die Funktion eines Gerichtes erfüllt, ({3}) und zwar nicht nur in den Landeskirchen KurhessenWaldeck, Kollege Göttsching, sondern in den verschiedenen Landeskirchen. ({4}) Bei der Diskussion der Synode über ein Mitarbeitervertretungsrahmengesetz hat sich ergeben, daß es gerade in den neuen Ländern dringend notwendig ist, die rechtlichen Voraussetzungen für Mitarbeitervertretungen auch in diesen Landeskirchen zu schaffen. ({5}) Das Amt für Kirchliche Dienste teilte der Mitarbeitervertretung im Zuge der Entscheidung dieser Schlichtungsstelle also mit, daß es vom Landeskirchenamt angewiesen worden sei, die von der Schlichtungsstelle entschiedene Regelung nicht auszuführen. Dies ist ein Problem, das nicht nach unserem Rechtsverständnis gelöst wurde; denn wir meinen, daß die Entscheidung eines Gerichtes für diejenigen, die beklagt worden sind, auch bindend zu sein hat. Auf Grund dieser Überlegung hat sich auch die Mitarbeitervertretung an das Arbeitsgericht gewandt und ist dort aus Kompetenzgründen zurückgewiesen worden, was nach der gegenwärtigen Rechtslage zu Recht geschehen ist. Wir haben allerdings beim staatlichen Recht die Möglichkeit, daß Entscheidungen von Gerichten von der obsiegenden Partei zwangsweise durchgesetzt werden. Diese Regelung ist im Kirchenrecht nicht gegeben, so daß es nach unserer Auffassung bei Wahrung der Unabhängigkeit der Religionsgemeinschaften auf Grund von Art. 140 Grundgesetz höchste Zeit ist, hier den Weg zur staatlichen Arbeitsgerichtsbarkeit zu öffnen, weil wir nicht hinnehmen können, daß die 1,2 Millionen Beschäftigten letztlich bei ihrer kollektivrechtlichen Vertretung schlechter als andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gestellt werden. Sie werden fragen, wieso wir nicht Berücksichtigung der Petition verlangt haben. Einfach aus dem Grunde, weil wir der Bundesregierung verschiedene Möglichkeiten zur Lösung dieses Problems überlassen möchten. ({6}) Wir sehen durchaus die Chance, daß die Bundesregierung bei ihren regelmäßigen Kontakten mit den Spitzen der Kirchen in diesem Lande die Möglichkeit hätte, zumindest innerkirchlich die Rechte und die Beschwerdemöglichkeiten von Mitarbeitervertretungen so auszugestalten, daß sie nicht zu einer Schlechterstellung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesen Bereichen führen. Das ist der Grund, warum wir nicht Berücksichtigung, sondern Erwägung beantragen. Ich glaube, daß dann, wenn Sie akzeptieren, daß etwas getan werden muß, für Sie auch der Schritt von der Überweisung als Material zur Überweisung zur Erwägung möglich sein müßte. Dazu fordere ich Sie auf. Schönen Dank. ({7})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Franz Romer, Sie haben das Wort.

Franz Romer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001879, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Wieder einmal darf ich mich an dieser Stelle zu einer Sammelübersicht zu Petitionen äußern, deren Beschlußempfehlung von der SPD nicht mitgetragen wird. Die SPD stellt statt dessen einen Änderungsantrag. Vordergründig geht es dabei um die Unterstützung einer Petition. Mir scheint aber eine weitere Zielsetzung damit verbunden, ein Angriff auf die staatlich garantierte Unabhängigkeit der Kirchen. ({0}) Doch zunächst zum Sachverhalt. Da wendet sich die Mitarbeitervertretung einer unter kirchlicher Trägerschaft stehenden Einrichtung an den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages. Sie fordert, daß die staatliche Arbeitsgerichtsbarkeit auch für Rechtsprobleme zwischen Kirchen und Arbeitnehmern zuständig wird. ({1}) Damit will sie erreichen, daß z. B. auch kircheninterne Schlichtungsvorschläge wirklich verbindlich werden, wie es bei Schlichtungsvorschlägen nach dem staatlichen Arbeitsrecht bereits der Fall ist. Wir haben die Problematik im Ausschuß durchaus erkannt. Tatsächlich scheint es im Kirchenbereich Lücken im Mitarbeitervertretungsrecht zu geben. Durch die Überweisung der Petition als Material wird die Angelegenheit dem zuständigen Arbeits- und Sozialministerium zur Kenntnis gebracht. Dort kann sie rechtlich geprüft werden. Dieses Vorgehen entspricht einerseits der Fürsorgepflicht des Staates für die Arbeitnehmer und allgemein für den Bereich der Arbeitsbeziehungen. Andererseits widerspricht es nicht dem Prinzip des Art. 140 des Grundgesetzes, in dem folgende Bestimmung der Weimarer Verfassung bestätigt wird: Jede Religionsgemeinschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Dieses Prinzip ist die Grundlage des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat, und wir tun gut daran, es nicht in Frage zu stellen. Genau das aber tun Sie, meine Damen und Herren von der SPD, wenn Sie fordern, die Bundesregierung solle sich mit dieser Einzelpetition als solcher befassen und rechtliche Konsequenzen daraus ableiten. Sie begründen Ihre abweichende Beschlußempfehlung damit, daß eine immer größer werdende Anzahl von Mitarbeitern in kirchlichen Einrichtungen nur lockere religiöse Bindungen hat. Daher wollen Sie, daß in Zukunft auch Mitarbeiter in Einrichtungen unter kirchlicher Trägerschaft der staatlichen Arbeitsgerichtsbarkeit unterstellt werden. Gerade das aber wäre ein Eingriff in die verfassungsmäßig garantierte kirchliche Autonomie. Denn wie bei der zugrunde liegenden Petition würde der Staat grundsätzlich zur Auseinandersetzung mit einem innerkirchlichen Rechtsstreit gezwungen. Damit darf der Staat nach der Verfassung gar nichts zu tun haben. Als Gewerkschafter und Arbeitnehmervertreter bin ich selbstverständlich auch für eine möglichst starke Position der Arbeitnehmer im Arbeitsrecht. Aber ich kann hier nur vor dem Ansatz der Opposition warnen. Durch eine eigenmächtige Einflußnahme des Staates auf die Beziehungen zwischen der Arbeitgeberin Kirche und ihren Angestellten würde die Unabhängigkeit der Kirchen vom Staat ernsthaft bedroht. Eine solche Konfrontation zwischen staatlichem und kirchlichem Recht würde niemandem nutzen, nur schaden. Sie wissen das, meine Damen und Herren von der Opposition, und ich frage Sie, warum Sie das Verhältnis zwischen Staat und Kirche einer unnötigen Belastung aussetzen wollen. Natürlich hat der Staat eine grundsätzliche Fürsorgepflicht für seine Bürger. Sie gilt natürlich auch dort, wo sich das staatliche und das kirchliche Spannungsfeld schneiden: in der Arbeitswelt. Aber die Kirchen haben sich ja auch schon unter Rückgriff auf ihr gesetztlich verankertes Selbstbestimmungsrecht eine Mitbestimmungsregelung erarbeitet. Diese orientiert sich durchaus an den allgemein üblichen Bestimmungen des Arbeitsrechts. Schließlich ging es ja in dem konkreten Fall, der der vorliegenden Petition zugrunde liegt, um die Gültigkeit einer kirchenintern vorgenommenen Schlichtung. Wenn es hier Lücken und Unklarheiten gibt, dann ist es nach unserer Verfassung Sache der Kirchen, sie zu schließen. Das kann nicht von Staats wegen geschehen, wie es die Opposition will. Die Kirchen haben selbst ein Interesse daran, solche möglichen Lücken zu schließen. Was der Staat machen kann, ist eine Bestandsaufnahme und mögliche Prüfung der rechtlichen Zusammenhänge. Möglicherweise kann er auch Lösungsvorschläge anbieten. Aber er kann nicht so tun, als ob die verfassungsmäßige Unabhängigkeit der Kirchen in diesen Fragen der Selbstverwaltung nicht bestünde. Ich halte daher den Beschluß, die Petition als Material an die Bundesregierung zu überweisen, für behutsamer und dem Verhältnis zwischen Staat und Kirche für angemessener, als es der Ansatz der Opposition ist. Was Sie wollen, ist, entgegen der Verfassung den Kirchen eine Übernahme der staatlichen Arbeitsrechtsprinzipien aufzuzwingen. Dies wäre ein unzulässiger Eingriff in kirchliche Belange.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Romer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Weiler?

Franz Romer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001879, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Barbara Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn Sie sagen, der Staat solle sich in die Belange der Kirche nicht einmischen, würden Sie dann im Umkehrschluß zu der Schlußfolgerung kommen, daß die Kirche ihre Belange, z. B. das Einziehen der Kirchensteuer, auch für sich wahrnehmen sollte? ({0})

Franz Romer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001879, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich weiß, was Sie damit wollen. Es geht Ihnen um das Thema Kirchensteuer. ({0}) - Ich bin der Meinung, der Staat sollte sich in allen Bereichen aus den kirchlichen Dingen heraushalten. ({1}) Umgekehrt natürlich genauso. Das ist ganz klar. Er kann natürlich seine Meinung dazu äußern, wie wir es ja auch tun. Das ist richtig so. Wir sollten aber nicht in Reglementieren verfallen und Vorschriften erlassen. Das sollten auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, einsehen. Nun zum letzten Punkt meiner Gedankenkette. Was ist der eigentliche Hintergrund des Änderungsantrags der SPD? Er scheint nicht zufällig mit der Forderung der ÖTV nach einer Stärkung der Gewerkschaftsposition innerhalb der kirchlichen Mitarbeiterschaft parallel zu laufen? Die ÖTV hat dies in dieser Woche während der EKD-Synode in Suhl vergeblich eingefordert. Es ergibt sich also die Vermutung, daß die SPD auf diesem Wege den Einfluß der Gewerkschaften auf die Kirchen stärken will. Wir können aber den Deutschen Bundestag und den Petitionsausschuß nicht als Vehikel benutzen lassen, mit dem die SPD den GewerkFranz Romer schaften einen Gefallen tun will. Wir lehnen es grundsätzlich ab, den Staat in die kirchlichen Belange eingreifen zu lassen, auch wenn dies scheinbar erstrebenswert wäre. Man würde eine der Grundlagen des Verhältnisses zwischen dem deutschen Staat und den Glaubensgemeinschaften gefährden. Es bleibt also festzuhalten: Wir sollten das Verhältnis zwischen Staat und Kirche weiterhin nach bewährter Manier gestalten. Lassen wir die Petition, wie in der Beschlußempfehlung formuliert, der Bundesregierung als Material zukommen. Hüten wir uns aber, die Unabhängigkeit der Kirchen anzutasten. Nur so werden wir dem besonderen, vom Grundgesetz geschützten Verhältnis zwischen Staat und Kirche wirklich gerecht. Der SPD möchte ich zum Schluß raten, mehr sachbezogene Oppositionsarbeit zu leisten, statt überflüssige Änderungsanträge zu formulieren. Sie sind überflüssig, weil sie offensichtlich nicht verfassungsgemäß sind. Mit anderen Worten, um mit Jesaja, Kapitel 30, Vers 15, zu sprechen: „Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein." ({2}) Ich bitte den Deutschen Bundestag, die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses in Sammelübersicht 68 anzunehmen und den Änderungsantrag der SPD abzulehnen. Danke schön. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Ullmann.

Dr. Wolfgang Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In meinen Augen ist es keineswegs befriedigend, die Petition zur Frage des Vertretungsrechts der Mitarbeiter in kirchlichen Betrieben der Bundesregierung lediglich als Material zu überweisen und das Petitionsverfahren abzuschließen. Die Gründe dafür hat der Herr Kollege Peter vorgetragen. Sie sind keineswegs entkräftet. Auf das arbeitsrechtliche und arbeitsvertragsrechtliche Problem kann ich auf Grund meiner kurzen Redezeit nicht eingehen. Um so wichtiger ist es aber, darauf hinzuweisen, daß es hier um die Frage der Auslegung von Art. 140 des Grundgesetzes bzw. Art. 137 der Weimarer Reichsverfassung geht. Es geht um die Frage, ob die Selbständigkeit der Kirchen bei der Verwaltung ihrer Angelegenheiten diese an das staatliche Betriebsverfassungsrecht bindet oder nicht. Die Frage ist zu bejahen, weil die Selbständigkeit der Kirchen an das für alle geltende Recht gebunden ist. Deswegen, meine Kollegen, hat das Kuratorium für einen demokratisch verfaßten Bund Deutscher Länder in Art. 9 c seines Verfassungsentwurfs darauf hingewiesen, daß für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Kirchen und Religionsgesellschaften das allgemeine Arbeits- und Sozialrecht gilt. Als ein Abgeordneter dieses Hohen Hauses trete ich dafür ein, daß in unserem Lande nicht zweierlei Recht gilt. ({0}) Das ist der Inhalt der Frage, um die es hier geht. Die Verfassungsaussage, daß das Gesetz für alle gilt, ist klarzustellen. Es muß eben für alle gelten, nicht nur für die einen und für die anderen etwas weniger oder gar nicht. Das ergibt sich aus der Tatsache, daß die Mitarbeiterschaft kirchlicher Betriebe auf Grund gesellschaftlicher Wandlungen keineswegs immer oder auch nur mehrheitlich dem christlichen Glauben mehr angehört. Darum muß ein Parlament ihre Rechte doch schützen. Die Tatsache dieses gesellschaftlichen Wandels aber sollte wie in anderen Fällen, die jetzt anhängig sind, ein Anlaß sein, daß die Gemeinsame Verfassungskommission ihre Zuständigkeit erklärt und in diesem Fall die Frage aufwirft, ob das 1949 vom Grundgesetz adoptierte Staatskirchenrecht der Weimarer Verfassung den gesellschaftlichen Realitäten im geeinten Deutschland noch entspricht. ({1}) Meine Herren Kollegen von der CDU/CSU, ich stelle diese Frage als ein Theologe, der der Meinung ist, daß die Selbständigkeit und die Unabhängigkeit der Kirche Anlaß zu der rechtlichen Frage gibt, ob es ein Staatskirchenrecht überhaupt geben kann. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile dem Kollegen Burkhard Zurheide das Wort.

Burkhard Zurheide (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002610, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es einigermaßen erstaunlich, daß wir in einer Debatte, in der es in Wirklichkeit nur darum geht, ob eine Petition der Bundesregierung zur Erwägung oder als Material überwiesen wird, eine Grundsatzdiskussion über Kirche und Staat führen, ({0}) übrigens vor einem Auditorium, das ähnlich gefüllt ist wie die Kirche am Sonntagmorgen; aber das nur am Rande. ({1}) - Bedauerlicherweise. Dabei möchte ich auch sagen: Man soll, wenn man sich über die leere Kirche beschwert, nicht diejenigen beschimpfen, die in der Kirche sitzen. Das bitte ich nicht mißzuverstehen. Das Grundgesetz sichert den Freiraum der Kirchen durch Art. 140 in Verbindung mit Art. 137 Abs. 4 der Weimarer Reichsverfassung. Sie können mir abnehmen, daß es für einen Liberalen kaum etwas Reizvolleres gibt, als sich mit dem Thema „Freiheit von Kirche und Staat" und den Trennungslinien zwischen Kirche und Staat zu beschäftigen. Allerdings möchte ich gerade als Liberaler vor dem Trugschluß warnen, unsere Verfassung, unser Grundgesetz gewähre der Kirche, den Religionsgemeinschaften, wie es im Grundgesetz treffenderweise heißt, einen vollständigen Freiraum, die Kirche habe alle Privilegien und einen Freibrief zur Regelung ihrer arbeitsrechtlichen Bestimmungen. Dies ist eindeutig nicht der Fall. Die Privilegierung der Kirche in Art. 140 des Grundgesetzes sichert die Glaubensfreiheit und trägt allerdings auch dazu bei, daß die Bereiche von Kirche und Staat voneinander getrennt sind. Die Regelungen des Grundgesetzes bewirken also nicht nur die Selbständigkeit der Kirche - eine Garantie, die wichtig ist -, sondern sozusagen auch eine Sicherheit des Staates auf Abgrenzung beider Bereiche. Ich sagte schon: Das Grundgesetz gibt keinen arbeitsrechtlichen Freibrief für die Kirche. Die Kirche steht auch nicht im rechtsfreien Raum, in dem Willkür herrscht. Individualansprüche aus dem Arbeitsverhältnis können vor den Arbeitsgerichten geltend gemacht werden, mit winzigen Ausnahmen. Diese Möglichkeit besteht. In der Petition, um die wir uns heute abend streiten, geht es nur um eine winzige Frage, nämlich um die Frage, ob die Regelung des § 118 des Betriebsverfassungsgesetzes, wonach die Kirchen aus dem Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes herausgenommen werden, aufgehoben werden soll und ob der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für Streitigkeiten aus dem kirchlichen Mitarbeitervertretungsrecht eröffnet werden soll. Nun - der Kollege Peter hat es gesagt - ist es ziemlich eindeutig - es ist rechtlich auch nicht anfechtbar , daß die Fragen der Mitarbeitervertretung innerkirchliche Angelegenheiten sind, die dem Bereich des kirchlichen Ämterrechts zuzuordnen sind und insoweit unter dem Schutz der Kirche steht. Das Ganze ist auch gar nicht schlimm und auch gar nicht problematisch für den Fall, daß die Kirche selber für Streitigkeiten dieser Art ein eigenes rechtsförmliches Verfahren zur Verfügung stellt. In dem konkreten Fall tut die Kirche es. Die Kirche hat einen Schlichtungsausschuß für Streitigkeiten zwischen der Mitarbeitervertretung und der Kirchenleitung als Pendant zur betrieblichen Einigungsstelle eingesetzt. Wenn das Arbeitsministerium in einer Stellungnahme schreibt, daß das System des Betriebsverfassungsgesetzes dem Wesensgehalt der kirchlichen Leitideen widerspreche, dann habe ich allerdings doch meine Zweifel daran und würde das doch eher in Frage stellen. Aber - das ist der entscheidende Punkt, auf den es hier ankommt - zu einem ordentlichen rechtsförmlichen Verfahren gehört natürlich auch die Vollstrekkung eines Rechtstitels. Dies ist überhaupt keine Frage. Genau dies ist hier aber nicht gewährleistet. Die Kirchenrechtsordnung, über die wir hier reden, sieht vor, daß es einen Schiedsspruch gibt, der die Rechtsform eines Titels hat, der aber nicht vollstreckt, der nicht durchgesetzt werden kann. Nun wissen wir, daß Recht haben und Recht bekommen zweierlei Dinge sind. Wenn Recht zugesprochen wird und dieses Recht nicht durchgesetzt wird, dann ist es so, als ob Sie sich einen Rechtstitel an die Wand heften könnten. Er bleibt wirkungslos. Dies kann und darf nicht richtig sein. Deswegen muß natürlich darüber geredet werden, daß die Kirche in ihr Rechtsverfahren ein entsprechendes Vollstreckungsverfahren aufnimmt. Wenn dies nicht geschieht, dann muß notfalls der Staat eingreifen, aber nachrangig, subsidiär, wie ich finde. ({2}) Ich denke, das kirchliche Mitarbeitervertretungsrecht hat drei Dinge einzuhalten: Zum einen muß die Einhaltung der tragenden Prinzipien unserer Rechtsordnung gewährleistet sein. Zum anderen muß ein faires Verfahren vorgesehen sein. Schließlich ist notwendig, daß Titel durchgesetzt werden. Im Ergebnis bin ich wohl der Auffassung, daß die Freiheit und die Autonomie der Religionsgemeinschaften geschützt bleiben sollen. Der Staat darf sich nicht überall einmischen und soll es hier auch nicht tun. Allerdings sind dieser Autonomie auch Grenzen gesetzt, die ich soeben benannt habe.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ihre Redezeit ist zu Ende.

Burkhard Zurheide (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002610, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Entschuldigung, Herr Präsident. Wenn es denn so ist, daß in diesem Bereich des kollektiven Arbeitsrechts ein Freibrief nicht gegeben ist, die Kirche aber möglicherweise einen solchen Freibrief annimmt, dann muß in der Tat darüber geredet werden. Aber wir sind der Auffassung, daß es ausreicht, wenn wir die Petition als Material überweisen und uns in einem möglichen Gesetzgebungsverfahren Gedanken darüber machen, wie eine Regelung rechtlich auszugestalten ist. Vielen Dank. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Zurufe von der SPD: Eine gute Rede, aber eine falsche Schlußfolgerung! - Gleiche Beobachtung, falsche Schlußfolgerung!

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Abzustimmen ist über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses in Sammelübersicht 68 auf Drucksache 12/2943. Dazu liegt eine Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/3612 vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD Stand und Perspektiven der Arbeitsförderung - Drucksachen 12/1990, 12/2678 - Es ist jetzt fast 21 Uhr. ({0}) Vizepräsident Hans Klein Das Institut des Zu-Protokoll-Gebens ist legitim. Wir werden in den Fraktionen jetzt wirklich einmal ernsthaft die Frage besprechen müssen, wie sinnvoll es ist, um diese Zeit in einer ganz kleinen Gruppe, in der selbst die Antragsteller nur sehr spärlich vertreten sind - das zielt jetzt nicht auf Sie, das ist in all diesen Fällen so -, eine ganze Debatte voll durchzuziehen. Das müssen wir in den Fraktionen besprechen. ({1}) Das ist keine Sache, die hier oben entschieden wird, sondern eine Sache, die von den Fraktionen entschieden werden muß. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Barbara Weiler das Wort.

Barbara Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident, wenn Sie Sozialpolitiker wären, dann wäre, glaube ich, Ihre Bemerkung in dieser Weise hier nicht gefallen. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, meine Bemerkungen stehen dem Redner nicht zur Diskussion! ({0})

Barbara Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gut, einverstanden. Aber Sie werden an meiner Rede merken - ich glaube, auch Herr Laumann weiß das -, wie wichtig nicht nur die Arbeitsmarktpolitik insgesamt ist, sondern auch das Thema, über das wir heute reden, nämlich die Perspektiven, d. h. nicht nur die Politik von gestern und heute, sondern auch die von morgen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage unserer Fraktion liegt erst fünf Monate zurück und ist dennoch durch die bittere Realität längst eingeholt worden. Die Antwort zeichnet sich durch einen erstaunlichen Mangel an Perspektiven aus und wird von dem phantasielosen Motto getragen: Ausreden, Vertagen, Prüfen, Unverbindlichkeiten und Selbstverständlichkeiten. Wie blanker Hohn muß es doch anmuten, wenn im Mai dieses Jahres von der - ich zitiere -„erfolgreichen Finanz- und Berufsbildungspolitik der Regierung" gesprochen wird und man jetzt im November ein Haushaltsstrukturgesetz ankündigt, das den finanzpolitischen Offenbarungseid dieser Regierung darstellt. Wie Hohn muß es doch anmuten, wenn auf Seite 8 ein weiterer Anstieg der Leistungen für aktive Arbeitsmarktpolitik angekündigt wird und vor wenigen Tagen eine Novellierung beschlossen wurde, die die bisherige Relation von 40 % aktiver Arbeitsmarktpolitik zu 60 % passiven Leistungen in der Gesamtbilanz verschlechtern wird. Sie haben nicht einmal ein Gesetz zur Konsolidierung der bisherigen Maßnahmen vorgelegt; nein, Sie haben mit 5,2 Milliarden DM Einsparungen akzeptiert, daß im nächsten Jahr über 150 000 Maßnahmen weniger angeboten werden. Wie Hohn muß es auch die Frauen in Deutschland anmuten, wenn diese Regierung in ihren Antworten sehr wohl die Notwendigkeit einer gerechteren Frauenförderung bejaht, aber mit der 10. Novelle durch die Einsparungen bei der Weiterbildung Frauen besonders benachteiligt. Es ist schon bezeichnend für die Konzeptionslosigkeit dieser Regierung, daß alle Möglichkeiten zur Weiterentwicklung des Arbeitsförderungsgesetzes und zu Perspektiven der Arbeitsmarktpolitik im Herbst dieses Jahres bei Ihnen mit bloßen Einsparungen enden. Hier wird von Ihrer Seite auch politisches Vertrauen verspielt, ({0}) Vertrauen, das nicht nur Betroffene in Ost und West, sondern auch die Wohlfahrtsverbände in Politik setzen. Aktive Arbeitsmarktpolitik ist ein wichtiges Instrument für jeden Sozialstaat. Es muß behutsam weiterentwickelt werden, erkennbare Defizite müssen korrigiert und zielgerichtet ausgeglichen werden. Das Stop and go der Regierung jedoch ist tödlich für verläßliche Rahmenbedingungen. Besonders kleinere finanzschwache Träger werden dabei völlig aufgerieben. ({1}) Nicht nur der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber, auch die evangelische Kirche haben in der Anhörung zur 10. Novelle noch einmal eindringlich eine kontinuierliche Arbeitsmarktpolitik gefordert. Selbst den Vertretern der Bundesministerien ist die Politik der Bundesregierung suspekt. Ich will Ihnen nur eine kurze Episode berichten, die sich in der letzten Woche zugetragen hat: Eine Besuchergruppe aus meinem Wahlkreis, mit der ich in der letzten Woche über die AFG-Novellierung diskutiert habe, besuchte anschließend das Frauenministerium. Dort erläuterte der zuständige Referent ganz stolz die Programme und Hilfen, die von seinem Ministerium ins Leben gerufen worden seien. Unter anderem nannte er die Orientierungskurse zum Wiedereinstieg von Frauen in den Beruf. Daraufhin wurde umgehend aus der Gruppe darauf hingewiesen, daß doch gerade diese Kurse bei der Neufassung des AFG der radikalen Kürzung anheimgefallen seien. Der sichtlich aus dem Konzept gebrachte Referent versuchte zu relativieren, daß es diese Kurse auch weiterhin geben müsse, daß sie aber privat finanziert werden müßten, und im übrigen sei man im Ministerium auch nicht über alles froh, was an anderer Stelle beschlossen werde. Ich frage mich, ob es nicht auch in diesem Hause eine deutliche Mehrheit gibt, die gleichfalls nicht froh über das ist - um es gelinde auszudrücken -, was an anderer Stelle, d. h. von der Regierung vorgeschlagen wird. Ich will noch einmal auf einige Entwicklungen zurückkommen, die für Frauen in Deutschland von großer Bedeutung sind. Die Arbeitslosenquote bei Frauen in Ostdeutschland ist inzwischen auf 13 % angestiegen. Sie ist doppelt so hoch wie die Quote bei Männern. Der Anteil der Frauen an den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beträgt jedoch lediglich 42,9 %. In der letzten Novelle hat die Frauenministerin nur eine unverbindliche Absichtserklärung eingebracht. Die Formulierung, Frauen sollten entsprechend ihrem Anteil an den Arbeitslosen gefördert werden, ist doch, wie wir aus langjähriger Erfahrung wissen, nur ein schönes Versprechen, wenn nicht konkrete Umsetzungen folgen. Herr Franke von der Bundesanstalt für Arbeit hat uns auch erläutert, aus welchen strukturellen Gründen der Anteil von Frauen an ABM bisher nicht erhöht werden konnte. Aber wie sieht die Realität aus? Wann bearbeiten Sie denn endlich zusammen mit der Bundesanstalt, den Arbeitsämtern vor Ort und möglichst auch mit der Frauenministerin die Voraussetzungen, damit mehr Frauen in ABM kommen? Auch die Anrechnung der Pflegetätigkeit neben der Erziehungstätigkeit ist bei den Leistungen des AFG für Frauen auf der Strecke geblieben. Darüber hinaus gibt es jetzt weitere Streichungen und Kürzungen, die für Frauen besonders gravierend sind. Ich nannte schon die Orientierungskurse. Frauen werden also dafür bestraft, daß sie gesellschaftlich wichtige Aufgaben, wie Betreuung pflegebedürftiger Familienangehöriger, Betreuung von Kindern, übernehmen und daß sie ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen. Frau Merkel nennt das nur „schmerzlich". Getan hat sie nichts. Ich denke, wenn wir alle wollen, auch die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der F.D.P., daß die Frauen in Zeiten einer wirtschaftlichen Krise nicht wieder als stille Reserve an den Herd zurückgeschickt werden, dann müssen wir die richtigen Ansätze im Arbeitsförderungsgesetz ausbauen und die Benachteiligung für Frauen durch gezielte Maßnahmen ausgleichen. Ihrem Minister traue ich dabei, wie Sie wissen, nicht. Aber gemeinsam könnten wir es, wenn wir etwas für die Frauen erreichen wollen, erneut versuchen. Frau Merkels Handschrift ist bei der 10. Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz so gut wie nicht zu erkennen. Ich sehe daher schwarz bei den Bemühungen um ein Gleichstellungsgesetz und um die Verfassungsreform in dieser Frage. Unwirksame Absichtserklärungen allein reichen den Frauen heute nicht mehr. Eine letzte Bemerkung zu der Antwort auf unsere Große Anfrage. Auf der letzten Seite ist vom anhaltenden Wirtschaftswachstum die Rede. Ich weiß nicht, ob das nun Verdummung der Parlamentarier sein soll oder Blauäugigkeit ist. Vielleicht hat der Minister für Arbeit und Sozialordnung ({2}) die Realität in unserem Lande noch nicht erkannt. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Karl-Josef Laumann, Sie haben das Wort.

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! ({0}) Ich bin der SPD-Fraktion für ihre Große Anfrage zum Thema „Stand und Perspektiven der Arbeitsförderung" außerordentlich dankbar. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Ich bin Ihnen dankbar, weil die Beantwortung Ihrer Großen Anfrage der von uns getragenen Bundesregierung die Möglichkeit eingeräumt hat, die erfolgreiche Arbeit, die wir in diesem Bereich der Politik geleistet haben, darzustellen. ({1}) Auch Sie müssen zugeben, daß wir mit 23,5 Millionen Arbeitsplätzen mit Sozialversicherungspflicht, mit 29 Millionen Erwerbstätigen in der alten Bundesrepublik nach zehn Jahren Regierung Helmut Kohl ({2}) den höchsten Beschäftigungsstand in der Geschichte unseres Landes, in der alten Bundesrepublik, haben. Besonders positiv ist es - das müssen Sie sich einmal in Ruhe anhören -, daß die Zahl der Arbeitslosen in den alten Bundesländern seit 1985 gesunken ist. Anfang der 80er Jahre, als wir die Regierung von Ihnen übernahmen, war z. B. die Jugendarbeitslosigkeit ein Riesenproblem. Heute ist dies in der alten Bundesrepublik überhaupt kein Thema mehr. Im Gegenteil: Oft haben Handwerksbetriebe das Problem, qualifizierten Nachwuchs zu finden. Es macht mich schon nachdenklich, daß junge Leute in einigen Regionen in größerer Zahl ein Architekturstudium als eine Maurerlehre beginnen. ({3}) Auch darüber hinaus sollten wir einmal nachdenken. ({4}) Auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen, Frau Weiler - das können Sie in der Antwort der Bundesregierung sehr genau nachlesen -, ist 1991 mit rund 455 000 - wir sind uns einig, daß die Zahl schrecklich hoch ist - ein Drittel niedriger als Ende 1988. Sie müssen auch zugeben, daß wir geeignete Programme haben. Wir haben das 2,14-Milliarden-DMProgramm im Bundeshaushalt, aus dem den Firmen Beschäftigungszuschüsse gezahlt werden, die Langzeitarbeitslose beschäftigen. Wir haben das 750Millionen-DM-Programm, aus dem Arbeitsloseninitiativen, die Langzeitarbeitslose sozial betreuen und sie wieder an das Arbeitsleben heranführen, die Arbeit finanziert wird. Es ist doch nicht so, daß wir in diesem Bereich nichts getan haben! Ich sage Ihnen hier zum wiederholten Male: Diese Regierung war es, die ABM zu einem effektiven Instrumentarium in der Arbeitsmarktpolitik gemacht hat. Es ist doch wahr, daß Sie 1982, bei einer höheren Arbeitslosigkeit als heute, knapp 30 000 AB-Maßnahmen durchgeführt haben, während wir im Jahre 1990 bei 94 000 AB-Maßnahmen in der alten Bundesrepublik lagen. Es ist doch wahr, daß wir trotz der AFG-Novelle - auf die komme ich gleich noch zu sprechen - in 1993 in den alten Bundesländern rund 60 000 AB-Maßnahmen und in den jungen Ländern 300 000 AB-Maßnahmen durchführen können und dafür 12,5 Milliarden DM aufbringen. Tun Sie doch nicht so, als wenn wir in diesem Bereich nichts machten! ({5}) Wir Politiker müssen in der Situation, in der wir jetzt stecken, in der wir uns aus guten Gründen Sorgen um die konjunkturelle Entwicklung in unserem Land machen, einen Beitrag dazu leisten, daß menschliche Arbeit bezahlbar bleibt, ({6}) daß der Wirtschaftsstandort Deutschland gegenüber dem Ausland konkurrenzfähig bleibt oder - da, wo er es nicht mehr ist - konkurrenzfähiger wird. Das können wir u. a. dadurch erreichen - da sind wir uns in vielen Bereichen einig -, daß wir, soweit wir die Politik im Bereich der gesetzlichen Sozialversicherungen beeinflussen können, darauf hinwirken, daß die Beitragsbelastungen für Wirtschaft und Arbeitnehmer möglichst gering bleiben. Deswegen ist es richtig, daß wir z. B. die Kostenexplosion im Bereich der gesetzlichen Krankenkassen gemeinsam einzudämmen versuchen, weil wir eben nicht wollen, daß die Beiträge dazu weiter steigen. Ich sehe die AFG-Novelle auch in diesem Zusammenhang als sinnvoll an. Ich bin der Meinung, daß die Rentenreform 1992, die wir gemeinsam gemacht haben, auch aus diesem Grunde richtig war. Wir können Arbeitsplätze am besten erhalten, wenn wir dafür sorgen, daß menschliche Arbeit, wie ich sagte, bezahlbar bleibt. ({7}) Meine Damen und Herren, meine Fraktion wird in den nächsten Wochen das sogenannte Standortsicherungsgesetz in den Deutschen Bundestag einbringen. Mit diesem Gesetz wird in Deutschland bei der Besteuerung endlich ein Unterschied gemacht zwischen Einkommen, das wieder in den Betrieb investiert wird, um Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen, und Einkommen, das für solche Investitionen nicht zur Verfügung steht. ({8}) Das ist genau das, was wir in dieser Situation, in der die Konjunktur abzuflachen beginnt, brauchen. Die beste Arbeitsförderungspolitik machen wir dann, wenn wir - wie wir das auch durch unsere richtige Politik in den 80er Jahren getan haben - einen Beitrag dazu leisten, daß menschliche Arbeit bezahlbar bleibt. Hierüber müssen auch die Tarifvertragsparteien in verstärktem Maße nachdenken. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen auch das ganz deutlich: Sie sollten sich einmal die Zahlen angucken, die wir auch nach dem neuen AFG im Bereich der Arbeitsförderung noch realisieren können. Es werden auch in 1993 480 000 Menschen Empfänger von Unterhaltsgeld im Bereich von beruflicher Fortbildung sein. Etwa 300 000 Maßnahmen werden in diesem Bereich in den neuen Bundesländern durchgeführt. Wir werden 760 000 Teilnehmer - einschließlich der Fälle nach § 41 AFG - an beruflichen Bildungsmaßnahmen haben. ({9}) Wir werden für fast 70 000 Personen Einarbeitungszuschüsse zahlen. - Das sind Zahlen, die deutlich machen, daß wir Arbeitsmarktförderungspolitik auf einem hohen Niveau fortführen wollen. ({10}) Ich sage Ihnen: Es ist vernünftig, über die Sozialversicherung jetzt nur noch das zu machen, was eben notwendig ist. Wenn Sie, Frau Weiler, von Ihren Orientierungskursen und davon sprechen, daß wir eine Politik gegen Frauen machen, dann sage ich Ihnen: Es ist diese Regierung, die als erste etwas für Frauen getan hat: ({11}) Wir haben Erziehungszeiten im Rentenrecht anerkannt, was Sie nie fertiggebracht haben; wir haben das Erziehungsgeld eingeführt; wir haben für vernünftige Kinderfreibeträge im Steuerrecht gesorgt, meine Damen und Herren! ({12}) Ich lasse mir von Ihnen also nicht vorwerfen, wir würden eine frauenfeindliche Politik machen. ({13})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat die Kollegin Petra Bläss.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte zur Arbeitsmarktpolitik trägt reichlich skurrile Züge. Ich empfinde es als Zumutung für die Betroffenen und auch als Verhöhnung der Betroffenen, daß wir heute über den Schnee von gestern reden. Oder wie würden Sie es nennen, wenn wir heute über Positionen der Bundesregierung von Ende Mai 1992 reden, wohlwissend, daß diese Positionen längst ad acta gelegt ({0}) und spätestens mit der Verabschiedung der 10. AFG-Novelle in den zentralen Fragen in ihr Gegenteil verkehrt sind? Dabei dürfte es jeder und jedem hier klar sein, daß die 10. AFG-Novelle schon weit vor dem Mai 1992 in den Schubladen des Blumschen Ministeriums bereitlag, als in denselben Amtsstuben an den wohlklingenden Antworten auf die SPD-Anfrage gebastelt wurde. ({1}) Ein aktueller Novellierungsbedarf des AFG wurde dort noch Ende Mai verneint, weil sich das AFG insgesamt bewährt habe. Ich will im folgenden auf einzelne Punkte aufmerksam machen, aus denen die ganze Widersprüchlichkeit von Wort und Tat der Bundesregierung deutlich wird. Noch Ende Mai erklärte die Bundesregierung, daß mit dem starken Einsatz des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums - insbesondere im Bereich der beruflichen Weiterbildung und im Bereich der ABM - die individuellen Beschäftigungsmöglichkeiten für eine möglichst große Zahl von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verbessert werden, um wenige Monate später massive Spar- und Kürzungsmaßnahmen vor allem in diesem Bereich durchzusetzen. Der durchgängige Tenor bei den Antworten: Die Förderinstrumentarien des AFG sind bedarfsgerecht und flexibel anwendbar. Höchstens einzelne Regelungen könnten neuen Erfordernissen angepaßt werden. Daß solche Erfordernisse Konsolidierung der Finanzen auf Kosten der Arbeitsmarktpolitik sein können, hätte ich dabei am allerwenigsten vermutet. ({2}) Mein Verständnis von der gegenwärtigen Situation verlangt, daß es angesichts der sich weiter zuspitzenden Situation auf dem Arbeitsmarkt notwendig ist, die Brückenfunktion der Arbeitsmarktpolitik weiter auszubauen - und nicht umgekehrt. Wußte die Bundesregierung im Mai noch nicht, daß über das AFG sachfremde Leistungen aus Versicherungsbeiträgen finanziert werden, die eigentlich in den Kompetenzbereich von Ländern und Kommunen gehören? Kein Wort darüber, daß hier eine Änderung beabsichtigt ist. Statt dessen wird in der Antwort auf Frage 24 ausdrücklich darauf hingewiesen, welche Bedeutung die Möglichkeit, den Hauptschulabschluß nachzuholen, für den Abbau beruflich schwerwiegender Bildungsdefizite hat. Wenige Monate später ist eben diese Maßnahme aus dem AFG gestrichen, sind Hunderte dieser engagierten Ausbilder, Lehrerinnen und Lehrer sowie Sozialpädagoginnen und -pädagogen ihrerseits von Arbeitslosigkeit bedroht. Weiter wird betont, daß sich Maßnahmen nach § 41 a AFG bewährt hätten, daß Einarbeitungszuschüsse ein ebenso wichtiges Instrument der Arbeitsmarktpolitik sind wie solche zur Rehabilitation und beruflichen Integration Schwerbehinderter. Nichtsdestoweniger: Auch hier wird bedenkenlos gestrichen. Im Mai war die Bundesregierung auch noch der Auffassung, daß das AFG die Anforderungen, die sich aus dem Gebot der Gleichstellung von Frau und Mann ergeben, erfüllt. Geprüft werde allerdings, ob nicht noch Verbesserungen denkbar seien. Das Ergebnis dieser Prüfungen kennen wir schon; Frau Weiler hat bereits darauf hingewiesen. Es ist der - leider eher unverbindliche - Appell, daß Frauen entsprechend ihrem Anteil an den Arbeitslosen gefördert werden sollen. Dieser Appell wird aber in der praktischen Konsequenz gleich wieder zurückgenommen, weil mit der 10. AFG-Novelle eben jene Regelungen gestrichen bzw. gekürzt werden, die eine besondere Berücksichtigung von Frauen hätten befördern können. In unseren Anträgen zur 10. AFG-Novelle haben wir nachgewiesen, daß das AFG schon deshalb einer gründlichen Reform bedarf, weil es zunächst darum gehen muß, alle frauendiskriminierenden Regelungen im AFG abzuschaffen, bevor überhaupt an Gleichstellung zu denken ist. Bei der Verfügbarkeitsregelung wird z. B. ausschließlich bei Frauen nicht nur die subjektive, sondern ausdrücklich auch die objektive Verfügbarkeit ausgeforscht. Ähnliches gilt für die leidige Bedürftigkeitsprüfung. Benachteiligt werden Frauen auch dadurch, daß sie durch ihre Arbeit in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen in zunehmendem Maße den sozialen Schutz verlieren, ohne daß die Möglichkeit vorgesehen ist, wenigstens mehrere geringfügige Beschäftigungen zu einer zusammenzufassen, die dann versicherungspflichtig ist. Die Bundesregierung befürchtet Mißbrauch, wenn sie auch anerkennt, daß es Härtefälle geben kann. In welchem Verhältnis Mißbrauch und Härtefälle stehen, darüber schweigt sie sich leider aus. Statt die notwendige soziale Schutzfunktion des AFG auszubauen, verstärkt die Bundesregierung die Schnüffel- und Kontrollmechanismen. ({3}) - Darüber reden wir ein andermal. - Typisch für diese Mentalität: Es wird nicht etwa eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich mit dem Notstand „Arbeitslosigkeit" befaßt - die neuesten Arbeitslosenzahlen unterstreichen die Notwendigkeit -, nein, es wird eine Arbeitsgruppe gebildet, die den Leistungsmißbrauch untersuchen soll. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns den gestern von der Bundesanstalt für Arbeit veröffentlichten Bericht zur Lage auf dem Arbeitsmarkt zur Grundlage einer wirklich sachlich geführten arbeitsmarktpolitischen Debatte nehmen. Danke. ({4})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Dr. Eva Pohl, Sie haben das Wort.

Dr. Eva Pohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001727, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Am 6. November 1992, also morgen, steht die von uns im Oktober verabschiedete 10. Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz auf der Tagesordnung des Bundesrates. ({0}) Die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialpolitik des Bundesrates hat die Anrufung des Vermittlungsausschusses in elf Punkten der Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes verlangt. ({1}) Ich hoffe, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß diese meines Erachtens bedenkliche Entwicklung nicht zu einem Scheitern der 10. AFG-Novelle führen wird. ({2}) Dies ist mir als Abgeordnete aus einem jungen Bundesland ein ganz besonderes Anliegen, da ich - vielleicht mehr als manch Abgeordneter aus dem Westen - fast täglich mit der prekären Situation auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt konfrontiert bin. Ich weiß - bei aller Anteilnahme für die Notlage von Arbeitslosen oder der von Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen - um die Notwendigkeit einer politisch vernünftigen und haushaltsrechtlich tragbaren Lösung. Die 10. AFG-Novelle bildet da den kleinsten gemeinsamen Nenner. ({3}) Eine erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik hängt eben auch von der Flexibilität des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums ab. Nur so lassen sich die arbeitsmarktpolitischen Zielsetzungen, wie in § 2 AFG formuliert, in der Praxis auch verwirklichen. Mit der 10. AFG-Novelle und der Antwort auf die heute zur Beratung stehende Große Anfrage der SPD-Fraktion trägt die Bundesregierung dem in vollem Maße Rechnung. Die Bundesregierung und auch ich halten die Instrumente des AFG für geeignet, den in § 2 AFG geforderten Beitrag zu leisten. Aber man muß diese Instrumente innerhalb des gesetzlichen Rahmens flexibel und weitgehend situationsgerecht einsetzen. Dafür notwendige gesetzliche Änderungen sind als eine Intention des Gesetzgebers im AFG impliziert. Der Einsatz der AFG-Instrumente innerhalb der Sozial- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung darf bei aller sozialpolitischer Bedeutung nicht den Blick auf die finanzielle Gesamtsituation verstellen. Finanzielle Luftschlösser lösen die Probleme der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik nicht. ({4}) Weil das so ist, lehnen wir die von der SPD-Fraktion in die Diskussion gebrachte Arbeitsmarktabgabe von Selbständigen, Beamten und nicht beitragszahlenden Einkommensteuerpflichtigen ab. ({5}) Meine Damen und Herren, niemand in diesem Hohen Hause wird leugnen können, daß Einsparungen im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit dringend notwendig sind.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Eva Pohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001727, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte.

Dr. h. c. Gerd Andres (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Dr. Pohl, ich möchte Sie fragen, ob Sie geneigt sind, zur Kenntnis zu nehmen, daß just die Arbeitsmarktabgabe, die Sie soeben abgelehnt haben, in einem gesonderten Antrag der Koalitionsfraktionen in den Beratungen des Ausschusses beschlossen worden ist und in den Bericht des Ausschusses zur 10. AFG-Novelle wortwörtlich so aufgenommen wurde. Können Sie mir vor diesem Hintergrund erklären, wie Ihre soeben gemachte Aussage zu verstehen ist? Denn ich kann mich daran erinnern, daß auch Sie der Arbeitsmarktabgabe zugestimmt haben; denn die Koalition hat das einstimmig beschlossen.

Dr. Eva Pohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001727, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie haben recht. Andererseits ist nicht gesagt worden, daß die Mittel aus dem Haushalt der Bundesanstalt und des BMA kommen sollen, sondern daß das möglicherweise aus dem Solidarpakt zu zahlen ist. ({0}) Hier geht es jetzt um Einsparungen, die im Bereich des Bundesministeriums für Arbeit vorgenommen werden sollen. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Schreiner, halten Sie sich zurück. Sie haben vorhin auch die Sache mit dem Tropenholz dazwischengerufen. ({0}) Bitte, Frau Kollegin, fahren Sie fort.

Dr. Eva Pohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001727, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber Schwarzmalerei hinsichtlich der Situation auf dem ost- wie westdeutschen Arbeitsmarkt bringt uns auch nicht weiter. Die neuesten Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit für den Monat Oktober weisen für das Bundesgebiet Ost sogar einen geringen Rückgang der Arbeitslosenquote auf 13,5 % aus. Positiv entwickeln sich auch der Aufbau und die Funktionsfähigkeit der Arbeitsamtsbereiche in den neuen Bundesländern. Die Arbeitsvermittlung läuft gut an, und den in der Vergangenheit beobachteten Mißbräuchen - insbesondere bei ABM-Stellen - wird heute entschieden und effektiv entgegengetreten. Vor diesem Hintergrund ist die von verschiedener Seite vorgetragene Kritik an der AFG-Novelle nicht nachvollziehbar. Bei ihr geht es eben nicht, wie der Bundesrat glaubt und wie es in der Schweriner Erklärung zum Ausdruck kommt, um eine reine Sparvorgabe zur Haushaltskonsolidierung. Nein, im Gegenteil: Diese AFG-Novelle ist die praktische Notwendigkeit, um die Funktionsfähigkeit und Finanzierbarkeit der Arbeitsförderung zu erhalten und damit weiterhin einen möglichst hohen Standard der Arbeits- und Bildungsförderung vor dem Hintergrund knapper Finanzmittel durch deren zielgerichteten Einsatz zu gewährleisten. Uns kann man nicht vorwerfen, Sozialpolitik losgelöst von gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen zu betreiben. Als Alternative zu den notwendigen Ein10026 sparungen des Arbeitsförderungs-Änderungsgesetzes bietet die F.D.P.-Fraktion die Sicherung und Schaffung von mehr Arbeitsplätzen durch verstärkte Investitionen der Privatwirtschaft und eine moderate Lohnpolitik an. Als guten Ansatz in diesem Zusammenhang begrüße ich Überlegungen des Bundeswirtschaftsministers, ernsthaft über Tariföffnungsklauseln nachzudenken. ({0}) Wir vertrauen daher darauf, daß die mit der AFG-Novelle verbundenen Änderungen in einer Gesamtschau sehr wohl der Wirtschaftsstabilisierung dienen. ({1}) Mit der ablehnenden Haltung des Bundesrates zu diesem Gesetz droht ein Ausverkauf der Sozialleistungen. Das darf nicht sein! Der Bundesrat ist bei seiner morgigen Entscheidung jetzt gemahnt, weitsichtig zu handeln, anderenfalls er die politische Verantwortung für die jetzt noch nicht abschätzbaren Folgen seiner Verweigerungshaltung tragen muß. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Horst Günther, das Wort. ({0})

Horst Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000749

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Andres hat eigentlich schon alles gesagt: „Dank und Anerkennung". Ich bedanke mich dafür. Die Große Anfrage der SPD-Fraktion gäbe eigentlich Gelegenheit zu einer breiten Präsentation all der arbeitsmarktpolitischen Instrumente, die wir „gefahren" haben. Aber die Redezeit reicht nicht aus, um all das darzustellen, was wir auf diesem Gebiet geleistet haben. Lassen Sie mich deshalb darauf verweisen, daß die Antworten auf Drucksache 12/2678 natürlich präzise sind, und einige Anmerkungen zu den wichtigsten Eckpunkten machen. Meine Damen und Herren, die Politik der Bundesregierung hat dazu beigetragen, daß die Zahl der Beschäftigten im Verlaufe der 80er Jahre um mehr als 3 Millionen - von 1983 bis 1992 exakt um 3,2 Millionen - angestiegen ist, daß die Erwerbsbeteiligung der Frauen deutlich zugenommen hat - Frau Weiler, von 1983 bis 1991 hat sich die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Frauen um rund 1,7 Millionen auf rund 9,6 Millionen erhöht -, daß die große Zahl von deutschstämmigen Aussiedlern aus Osteuropa und von Übersiedlern beruflich integriert und selbst die besondere Problemgruppe der Langzeitarbeitslosen um rund ein Drittel abgebaut werden konnte. Entscheidend für diese positive Entwicklung ist die Politik der Bundesregierung, die ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum sichergestellt hat. ({0}) Frau Kollegin Weiler, wenn Sie kritisieren, daß wir bei unserer Beantwortung Ihrer Großen Anfrage im Mai weiterhin auf Wachstum gesetzt haben, dann ist darauf hinzuweisen, daß die rezessiven Ansätze, die wir jetzt sehen, im Mai noch nicht erkennbar waren; das wissen Sie genau. Sie können hier deshalb nicht kritisieren, wenn wir im Mai gesagt haben: „Wir setzen auf anhaltendes Wirtschaftswachstum", das damals noch gegeben war. Unsere aktive Arbeitsmarktpolitik hat Arbeitnehmern und vor allen Dingen Arbeitslosen geholfen. Wir haben Strukturprobleme auf dem Arbeitsmarkt nicht nur sozial abgefedert, sondern mit unseren Maßnahmen auch dazu beigetragen, den Wirtschaftsstandort Deutschland zu sichern. Auch das muß man in diesem Sachzusammenhang einmal erwähnen dürfen. ({1}) Der beschäftigungspolitsche Erfolg der Bundesregierung ist nicht in vollem Umfang am Abbau von Arbeitslosigkeit ablesbar; denn durch Zuwanderer, Einpendler und vor allem durch Frauen, die wieder eine Chance auf dem Arbeitsmarkt gesehen haben, werden viele neu geschaffene Stellen besetzt. Mit der Wiedervereinigung kam dann eine noch größere Herausforderung auf die Arbeitsmarktpolitik zu. Es galt, in den neuen Bundesländern eine flächendeckende Arbeitsverwaltung aus dem Boden zu stampfen und ein umfassendes System von aktiver Arbeitsmarktpolitik und von Lohnersatzleistungen zu errichten. Dies ist uns gelungen, gemeinsam mit den Bürgern in den neuen Ländern und der Bundesanstalt für Arbeit. Wohl haben Fachkräfte aus Westdeutschland beim Aufbau der Arbeitsverwaltung tatkräftig geholfen. Geschultert werden die Aufgaben aber im wesentlichen von den Menschen in den neuen Ländern, die binnen kürzester Zeit - auch dies eine tolle Leistung - zu Fachkräften herangereift sind. Heute umfaßt die Arbeitsverwaltung auf dem Gebiet der neuen Länder 26 800 Beschäftigte. Die Arbeitsverwaltung in den neuen Ländern mag zwar noch verbesserungsbedürftig sein - was ist schon perfekt? -, aber sie gilt unter den Verwaltungen in den neuen Ländern als vorbildlich und effektiv. ({2}) Andere Verwaltungen in den neuen Ländern haben demgegenüber noch einen ganz erheblichen Nachholbedarf, wie die immer wieder beklagten bürokratiebedingten Investitionshemmnisse deutlich machen. Die Umstellung von einer ineffizienten Planwirtschaft auf die Soziale Marktwirtschaft hat das ganze Ausmaß von Inkompetenz und Verantwortungslosigkeit der SED-Führung offenkundig gemacht. Seit 1990 sind rund ein Drittel der Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern leider weggefallen. Wenn dem Verlust von weit über 3 Millionen Arbeitsplätzen heute nur eine Zahl von rund 1,1 Millionen Arbeitslosen gegenübersteht, dann ist dies ein Erfolg unserer Arbeitsmarktpolitik. Sie hat im Durchschnitt der Jahre 1991 und 1992 Arbeitslosigkeit von rund 1,8 Millionen Arbeitnehmern verhindert. In einzelnen Monaten waren es sogar rund 2 Millionen. Wir leisten damit einen gewaltigen Beitrag zur wirtschaftlichen Umstrukturierung der neuen Länder: durch berufliche Weiterbildung für rund 1,7 Millionen Arbeitnehmer in den Jahren 1991 und 1992, durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, vor allem im Bereich der wirtschaftsnahen und ökologischen Infrastruktur. Gut die Hälfte der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen findet in diesen Feldern statt. Deshalb ist, Frau Weiler, der Frauenanteil bei ABM, gemessen an den Arbeitslosen, hier logischerweise nicht so hoch wie bei Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen; denn - das haben wir im Ausschuß diskutiert - bestimmte Felder können nicht mit Frauen besetzt werden; das wissen Sie ganz genau. Durch Arbeiten im Bereich der Umweltsanierung, die wir mit einem neuen Instrument anstoßen und mitfördern wollen, wird ebenfalls das Feld für einen ökologischen und wirtschaftlichen Neuanfang bereitet. Mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und mit dieser neuen Förderungsform zur Umweltsanierung werden wir auch 1993 wieder Beschäftigungsmöglichkeiten in einer Größenordnung von insgesamt rund 400 000 schaffen. Erfolge schaffen aber auch Ansprüche. Dies gilt heute auch für die Arbeitsmarktpolitik in den neuen Ländern. Würde man manchem Ruf aus den neuen Ländern folgen, müßten wir die Arbeitsmarktpolitik zum allumfassenden Instrument staatlicher Aufgabenerledigung ausbauen. Das kann aber nicht sein. Wir würden das wichtige Instrument Arbeitsmarktpolitik dann zu Tode hetzen. Wir wollen die sozialistische Planwirtschaft durch eine Soziale Marktwirtschaft und nicht durch eine flächendeckende ABM-Gesellschaft ersetzen. ({3}) Wir dürfen keine staatlichen Pflichtaufgaben durch ABM-Kräfte erfüllen lassen. Fortbildung und Umschulung sind kein Selbstzweck, sondern müssen zu marktgerechten Arbeitsplätzen führen. Außerdem: Auch die öffentliche Hand kann jede Mark, meine Damen und Herren, nur einmal ausgeben. Die beste Sozialpolitik kann nur mit einer guten Finanz- und Wirtschaftspolitik geleistet werden. Das heißt nicht, daß wir die Mittel für eine aktive Arbeitsmarktpolitik kürzen werden; wir werden aber das Ausgabenwachstum begrenzen. Wir werden also die aktive Arbeitsmarktpolitik in den neuen Bundesländern 1993 auf dem Niveau von 1992 halten. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen werden wir auf einem Rekordniveau weiterführen. Ich darf daran erinnern - ich glaube, der Kollege Laumann hat das schon gemacht -: 1982, dem letzten Jahr der sozialliberalen Regierung, hatten wir ganze 29 000 ABM-Beschäftigte. 1993 werden wir in ganz Deutschland zwischen 400 000 und 500 000 ABM-Beschäftigte haben. ({4}) Unsere aktive Arbeitsmarktpolitik bleibt also auf hohem Niveau, in ganz Deutschland. Das ist gut so. Man darf - ungeachtet immer neuer Forderungen - nicht übersehen, daß Gewaltiges geleistet worden ist und auch in Zukunft geleistet werden wird. Der solidarischen Gesellschaft der Beitragszahler will ich hier an dieser Stelle ein besonderes Lob und ein Dankeschön sagen. Vielen Dank. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Renate Rennebach, Sie haben das Wort.

Renate Rennebach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001822, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Nach den Beiträgen vorher, insbesondere des Herrn Staatssekretärs, frage ich mich nur, in welchem Land wir eigentlich leben. ({0}) Die SPD-Fraktion hat am 22. Januar dieses Jahres die heute zur Debatte stehende Große Anfrage zu Stand und Perspektiven der Arbeitsförderung an die Bundesregierung gestellt. Diese hat am 26. Mai dieses Jahres geantwortet. Wenn die Plenardebatte zu dieser Anfrage erst heute, also erst ein halbes Jahr später und vor allem erst nach der Verabschiedung einer unsäglichen AFG-Novelle stattfindet, so ist dies bereits ein unerhörter Vorgang an sich. Derlei miese Spielchen der dafür verantwortlichen Regierungsfraktionen verdeutlichen nicht nur Ihren Stil im Umgang mit der Opposition, meine Damen und Herren von der Koalition. Nein, es zeigt sich darin vielmehr auch Ihr fahrlässiger und verantwortungsloser Umgang mit den politischen Inhalten und gegenüber den sozial Benachteiligten in unserer Gesellschaft. Weil die Lage auf dem Arbeitsmarkt durch Ihre Politik des wüsten Streichens notwendiger Leistungen und des Problemaussitzens inzwischen noch katastrophaler geworden ist, müßten und würden wir Ihnen heute ganz andere Fragen stellen. Ihre Antworten wären - wie dies bei Ihnen in der Regierung so üblich ist - zwar wiederum gleich: ein Potpourri aus nichtssagenden, ausweichenden, unverständlichen, aber dafür immer schön alles rosarot färbenden Floskeln, schwebend auf Wolke 7. Den Menschen würde jedoch noch viel deutlicher vor Augen geführt, wie konzeptlos und realitätsfern die Antworten der Bundesregierung sind und daß sie sich bereits auf ihrer Flucht vor den Tatsachen auf Wolke 12, wenn nicht gar auf Wolke 13 befindet. Als wir im vorigen Jahr, im Mai 1991, darüber redeten, wie die Reihe der notwendigen Instrumente und Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik in den neuen Ländern finanziert werden kann, war die Aussage von uns Sozialdemokraten klar: Statt einer sozial unausgewogenen und ungerechten Beitragsfinanzierung zu Lasten der Versichertengemeinschaft forderten wir bereits damals eine Arbeitsmarkt10028 abgabe bzw. Solidaritätsabgabe für Besserverdienende, für Selbständige, Freiberufler, Beamte und Abgeordnete. Da haben Sie recht, Frau Pohl, und das wäre besser gewesen als das, was Sie heute veranstalten. ({1}) Nahezu wie selbstverständlich haben Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, nicht auf die SPD gehört. Nun liegt der Scherbenhaufen vor uns: Der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit ist nicht nur erschöpft, sondern das Defizit steigt und steigt. ({2}) Gestern im Ausschuß wurden die Fehlbeträge mit 10,6 Milliarden DM zum Ende Oktober 1992 und mit geschätzten 13 Milliarden DM zum Jahresende 1992 beziffert. ({3}) Wenn es nicht so traurig wäre, so könnte man über die Antwort der Bundesregierung zu diesem Finanzloch lachen. Diese nämlich lautete, man habe nicht die tatsächliche Größenordnung der Zahl der Leistungsempfänger falsch eingeschätzt, sondern sich allenfalls um 6 Milliarden DM beim Altersübergangsgeld verkalkuliert. Hier wird mit Milliardenbeträgen, mit den Versicherungsabgaben vieler hart arbeitender Beitragszahler hantiert und jongliert, als handelte es sich um wert- und bedeutungsloses Spielgeld. Ich garantiere Ihnen, daß jeder Kassenwart in jedem noch so kleinen Verein eine seriösere Abrechnung machen muß, um seinen Posten zu behalten. ({4}) Statt nun aber in der Regierungskoalition darüber nachzudenken, wie eine wirksame aktive Arbeitsmarktpolitik gestaltet und natürlich auch finanziert werden kann - notfalls auch mit uns zusammen bzw. mit unserer Beratung -, kreisen die Gedanken in der Koalition fieberhaft darum, wo und wie man denn den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern noch weiter in die Tasche greifen könnte, welche ihrer erworbenen Rechte denn noch abgebaut werden können und wo sich mit dem Zauberwort Deregulierung das Soziale an unserer Marktwirtschaft weiter aushöhlen läßt. Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer heißt das: Ein bißchen Einschränkung hier, ein bißchen Einschränkung da. Was macht das schon? Ich werde Ihnen sagen, was das macht; denn die Folgen erleben wir nur zu deutlich: Der soziale Druck wächst und wächst und entlädt sich letztendlich in der Gewalt gegen Menschen, die anders aussehen oder anders sind. Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang die folgende Bemerkung. Ich freue mich über jeden, der am kommenden Sonntag in Berlin an der Großdemonstration gegen Rassismus teilnimmt. ({5}) Hoffentlich finden Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, wenn Sie denn kommen, dabei auch einmal die Gelegenheit zur inneren Einkehr, ({6}) zum Nachdenken über die tatsächlichen Ursachen dieser verheerenden und menschenverachtenden Ausschreitungen. Herr Waigel und Herr Möllemann können Sie daran nicht hindern. Im Sinne unseres Landes und des Friedens wünsche ich mir dies von ganzem Herzen. Hören Sie deshalb endlich auf, das Feuer mit der Asyldiskussion weiter anzuheizen. Sie lenken damit von den eigentlichen Problemen in unserem Land ab. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Sie legen hier einen Flächenbrand, der Erinnerungen an die schlimmste Zeit der deutschen Geschichte wach werden läßt. ({7}) Wissentlich versuchen Sie, uns Sozialdemokraten zu dieser Zündelei einzuladen, um hinterher, wenn Sie gar nicht mehr wissen, wie Sie die Geister wieder loswerden sollen, die Sie gerufen haben, uns als Mitschuldige zu haben. Dieses unsaubere Spiel wurde nicht zuletzt gestern in der Aktuellen Stunde wieder überdeutlich, wo Unbeteiligte den Eindruck haben mußten: Björn Engholm ist unser Kanzler, der die Situation zu verantworten hat, die sozialdemokratisch regierten Länder sind seine Macher, die CDU/CSU dagegen ist das bedauernswerte Opfer der Misere. Die Arbeitsmarktsituation ist so, wie sie sich heute darstellt, von der Regierung provoziert und somit auch von ihr und den sie tragenden Fraktionen zu verantworten. Diese Regierung schaut zu, wie die desolaten Zustände immer weiter hochgeschaukelt werden, ({8}) sie ignoriert unsere Mahnungen und putzt die praktikabelsten und wirksamsten Vorschläge vom Tisch, wie z. B. unsere Anträge „Sofortmaßnahmen zur Arbeitsmarktpolitik" und „Zukunftsorientierte Arbeitsmarktpolitik - Arbeit statt Arbeitslosigkeit" . Ja, diese Regierung setzt sogar noch einen obendrauf, indem sie mit der kürzlich beschlossenen 10. Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes auch da noch kürzt, wo Instrumente einer aktiven Arbeitsmarktpolitik vorhanden waren. Die Folgen sind ebenso eindeutig wie hinlänglich klar beschrieben: Immer mehr Menschen müssen von Arbeitslosengeld und in Zukunft auch von Arbeitslosenhilfe leben, die Kaufkraft insbesondere in den neuen Ländern wird weiter sinken, die Steuereinnahmen werden sinken, das Defizit der Bundesanstalt für Arbeit dagegen wird weiter steigen, Kleingewerbe und Einzelhandel in den neuen Ländern werden aus zarten Ansätzen nicht herauskommen bzw. kaputtgehen, hoffnungsvollen ABM wird der Finanzhahn zugedreht, und, und, und. So provoziert und produziert diese Bundesregierung immer mehr Arbeitslose und wundert sich, daß aus dem zweiten Arbeitsmarkt kein erster Arbeitsmarkt wird. Sie wälzt die Probleme auf die TarifparRenate Rennebach teien und vor allem auf die Bundesanstalt für Arbeit ab. Und dieser werden dann noch als Dankeschön die Bundeszuschüsse gestrichen. Meine Damen und Herren, die Freude aller über die deutsche Einheit war riesengroß. Die Menschen im Westen wie im Osten waren zu Opfern für das Zustandebringen auch einer inneren Einheit mit gleichen Lebensverhältnissen bereit. Leider hat diese Regierung und allen voran ihr Kanzler diesen so wichtigen Kredit der Hilfsbereitschaft mit ihrer sattsam bekannten und alle Tatsachen vernebelnden Schönrederei immer weiter verspielt. ({9}) Der Solidaritätszuschlag bis Juni 1992 war ja nur für den Golfkrieg, wenn wir uns richtig erinnern. Die Bundesregierung hat nicht ein einziges Mal das Rückgrat gehabt - oder war es Unfähigkeit? -, den Menschen im vereinigten Deutschland die Wahrheit darüber zu sagen, was an Belastungen auf sie zukommt. Die logische Konsequenz ist, daß in den neuen Ländern ein Wechselbad zwischen Aufbruchseuphorie und tiefer Enttäuschung entstanden ist. War es am Anfang die Hoffnung „Nun wird alles besser, endlich richtiges Geld, Konsum und volle Schaufenster!" , so ist heute die bange Frage „Was hat es gebracht?", verbunden mit Existenzangst und dem Kampf gegen Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und zunehmende Verelendung. Genau dies führt dann letztlich zu den von mir bereits vorhin genannten Ausbrüchen von Gewalt und Ausländerfeindlichkeit. Gleiche Lebensverhältnisse, so scheint es im Moment, werden wir wohl höchstens in dieser negativen Hinsicht bekommen. Lassen Sie mich abschließend noch ein Wort zu dieser offensichtlich die Sozialpolitik der Bundesregierung völlig prägenden Wirtschaftspolitik des Herrn Möllemann sagen. Dieser redet und agiert inzwischen ohne jeglichen Rückhalt selbst seitens der Unternehmerinnen und Unternehmer. Herr Möllemann versucht immer noch, sein sozialfeindliches Deregulierungsprogramm durchzusetzen, während auch die Unternehmer der Ansicht sind, daß wir solcherlei Maßnahmen nicht brauchen. ({10}) - Fragen Sie doch einmal Herrn Himmelreich. - Notwendig ist vielmehr eine verläßliche und ehrliche Wirtschaftspolitik mit einer funktionierenden Infrastruktur und einem sicheren Umfeld, die mehr Absatz durch mehr Kaufkraft schafft. Hinzu kommt noch die Tatsache, daß eine große Zahl motivierter und qualifizierter junger Menschen, die in den neuen Ländern keine Perspektive sahen, den Weg von Ost nach West angetreten haben und nun am ostdeutschen Arbeitsmarkt fehlen. Dies sehen die Unternehmer, die bereit sind, unter bestimmten Bedingungen zu investieren, natürlich auch. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wo man auch ansetzt bei der Beurteilung der Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Renate Rennebach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001822, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

-, man kommt immer wieder zum gleichen Resultat: Hier wird an einer Schraube ohne Ende gedreht, die nicht nur den inneren Vereinigungsprozeß behindert, sondern sogar aktiv verhindert. Wie anders lassen sich sonst die vermehrt in Ost und West zu hörenden Worte über eine neue, diesmal fünf Meter höhere Mauer erklären? War es das, was Herr Kohl mit seinem Silberstreifen meinte? Es ist auf alle Fälle nicht das, was wir Sozialdemokratinnen wollen. Wir werden mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln diese Regierung zu schleunigem Handeln antreiben. Die Zeiten haben sich geändert. Nichts läßt sich mehr schönreden. Bitte denken Sie von der Koalition immer daran. Es ist schön, daß unser Land vereint ist. Setzen Sie den Prozeß der inneren Einheit nicht weiter leichtfertig aufs Spiel. Unsere Demokratie wird nicht von Flüchtlingen und Asylbewerbern bedroht, sondern von Ihrer Politik, bei der die Kleinen zahlen sollen und die Großen weiterhin unverdrossen ihre Kassen füllen dürfen. ({0}) - Ich habe nicht für das Protokoll gesprochen, sondern für die paar Ohren, die hier noch zuhören. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, Sie haben jetzt schon genug gesprochen. Entschuldigung. ({0}) Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Dr. Werner Hoyer.

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Um auf den AFG-relevanten Teil der soeben gehörten Rede einzugehen, würde ich Ihnen jetzt eine Kurzintervention zu später Stunde nicht zumuten. Zwei Punkte möchte ich aber doch zumindest für das Protokoll festhalten. Zum einen hatten wir in diesem Hause eine Gepflogenheit, die wir vor kurzem noch einmal bekräftigt haben: Bei aller notwendigen kontroversen Auseinandersetzung über zweifellos diskussionswürdige Themen wollen wir nicht auf Vergleiche mit Geschehnissen aus Zeiten zurückgreifen, die in Deutschland seit mehr als 45 Jahren und auch in der früheren Deutschen Demokratischen Republik seit zwei Jahren vorbei sind. Die zweite Feststellung, die ich machen will: Mir ist die Demonstration der demokratischen Kräfte, zu der der Bundespräsident für nächsten Sonntag nach Berlin gerufen hat, so wichtig, daß ich es nicht für zweckmäßig halte, sie in den parteipolitischen Schlagabtausch in diesem Hause einzubeziehen und damit möglicherweise den einen oder anderen an der Sinnhaftigkeit der Veranstaltung zweifeln zu lassen, die ich für unbedingt erforderlich, sinnvoll und unterstützenswert halte. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Engelmann. ({0})

Wolfgang Engelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000474, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube wohl, daß das deutsche Volk weiß, wer uns daran hindert, in der Asylfrage eine Klärung herbeizuführen, die dem deutschen Volk hilft, ({0}) aufkeimenden Haß gegen andere zu vermeiden. ({1}) Die Arbeitsmarktsituation in den neuen Bundesländern ist weiterhin besorgniserregend. Noch brechen mehr Arbeitsplätze weg, als neue entstehen. Besonders gefährlich wird es, wenn die Werksplätze in der Industrie wegfallen. Deutsche Arbeiter mit den Händen in den Hosentaschen sind ein trauriges Bild. Aber dieser gegenwärtige Zustand ist nicht den Grundwerten der freiheitlichen Staats- und Rechtsordnung geschuldet, geschweige denn der Sozialen Marktwirtschaft oder gar der deutschen Wiedervereinigung. Dieser Zustand hat seine Ursachen im sogenannten sozialistischen Staats- und Wirtschaftssystem der DDR, eingebunden in die russische Vorherrschaft in Ostdeutschland. Dieses System hat unsichere, gedemütigte Menschen hinterlassen, heruntergewirtschaftete Betriebe, kaputte Straßen, dahinsiechende Städte, zerstörerische Monokulturen und eine Umwelt, die sträflichst geschädigt wurde. Diese Gesellschaftsordnung hat sich nicht bewährt. ({2}) Das chaotische Ergebnis der 45jährigen kommunistischen Zwangsherrschaft im Osten unseres Vaterlandes zu beseitigen ist die historische Herausforderung an alle Deutschen guten Willens, aber auch eine Chance für ein friedliches und geeintes Europa. Haben wir diese Aufgabe schon erfüllt? Zweifelsohne können zwei Jahre deutsche Einheit und Marktwirtschaft mit 45 Jahren Mißwirtschaft nicht verglichen werden. ({3}) Aber ich meine, wir hätten in der Umstrukturierung von einer sozialistischen Plan- zu einer Sozialen Marktwirtschaft bereits weiter sein können. ({4}) Leider ist die Bereitschaft, im Osten zu investieren - das ist allgemein bekannt -, ehemalige Produktionsstätten zu übernehmen, neue aufzubauen und wertschöpfende Arbeitsplätze zu schaffen, äußerst bescheiden. Vorgeschobene Hemmnisse, meist subjektiver Art, haben an Argumentationskraft verloren. Die Vermutung wird immer deutlicher: Die deutsche Wirtschaftspolitik hat weitestgehend versagt. ({5}) Den Prozeß zur inneren Einheit Deutschlands haben die Industriemagnaten, die wirtschaftsführenden Unternehmen und die Wirtschaftspolitiker nicht mitbegleitet. ({6}) Allein durch die arbeitspolitischen Instrumente des Arbeitsförderungsgesetzes konnte bislang der Kollaps auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt vermieden werden. ({7}) Es ist eine unglaubliche und ungeheure Leistung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales unter Herrn Minister Blüm und der Bundesanstalt für Arbeit, innerhalb kürzester Frist eine funktionierende Arbeitsverwaltung in den neuen Ländern aufzubauen und sofort Hunderttausende von Bürgern sozial aufzufangen, sie umzuschulen, qualifiziert zu vermitteln, in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu beschäftigen und Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zu gewährleisten. Das sollte nicht vergessen werden, auch nicht von der Opposition. Das ist eine unschätzbare Solidarleistung aller Deutschen, die ihren Beitrag für die Arbeitslosenversicherung entrichten. ({8}) Ich wollte Ihnen noch einmal die Zahlen nennen, die das erhärten sollen. Aber Sie wissen selbst, daß fast 2 Millionen Maßnahmen durch die Instrumentarien des AFG in den neuen Ländern abgesichert sind. ({9}) Wenn die Kritiker der eben verabschiedeten AFG-Novellierung dieser vorwerfen, dem Sozialabbau Vorschub zu leisten, muß ihnen entgegengehalten werden, daß das Arbeitsministerium haushälterischen Notwendigkeiten Rechnung trägt, ({10}) indem dort gespart wird, wo durch Mitnahmeeffekte und Mißbrauch einem sinnvollen Einsatz des AFG entgegengewirkt wird. ({11}) Wir ersetzen Quantität durch Qualität. ({12}) Ich sehe in dem Projekt „Umwelt Ost" eine kluge Modifizierung des Instrumentariums AFG. Durch eine sinnvolle Beschäftigung von Arbeitslosengeldempfängern Dauerarbeitsplätze zu schaffen, ist das erklärte Ziel dieses Modells. ({13}) Ich muß aber erwarten, daß die finanzielle Absicherung der Projekte gewährleistet wird. ({14}) Meine Damen und Herren, wenn auch die Mittel der Bundesanstalt für Arbeit ausgeschöpft sind und eine für mich dringlich gebotene Zusatzabgabe für Besserverdienende leider noch nicht in greifbare Nähe gerückt ist, ({15}) möchte ich vor diesem Hohen Hause anmahnen, daß für die älteren Arbeitnehmer, vornehmlich für die Altersgruppe ab dem 55. Lebensjahr, nach dem Auslaufen des ALÜG eine Alternativlösung angeboten wird. ({16}) - Das wollen auch die Kollegen der CDU/CSU; ich weiß das. - Diese Bürger sollten nicht die Verlierer der deutschen Einheit sein. ({17}) Unterstützen Sie meinen und den von der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Fraktion gemachten Vorschlag des Teilvorruhestandes Ost als einen Beitrag zum hoffentlich mehrheitsfähigen Solidarpakt. Da sind auch Sie gefragt. ({18}) - Ja, wir sind schon dabei. Bevor aber etwas Neues angegangen wird, muß die von mir schon mehrfach bemängelte unselige 78Tage-Regelung für die 55jährigen in der Zeit ab 3. Oktober 1990 beseitigt werden. ({19}) Gleiches Recht für Gleiche. ({20}) Wir Sozialpolitiker haben die Aufgaben der deutschen Einheit ernst genommen. Das Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, die Bundesanstalt für Arbeit und die Arbeitsämter ({21}) erbringen ihren Anteil zur Einheit Deutschlands. Aber Sozialpolitik kann nur eine Brückenfunktion übernehmen. Die Stützpfeiler sind eine einheitsbezogene Wirtschaftspolitik für ein gemeinsames Deutschland. ({22})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Hoyer, auf Ihren Zwischenruf kann ich nur sagen: Dafür waren Sie dazwischen. Ich schließe die Aussprache. Wir sind am Schluß der Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, 6. November 1992, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.