Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Sitzung und rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Der Chef des Bundeskanzleramts hat mitgeteilt, daß sich das Kabinett heute u. a. mit dem Aufbau der Justiz in den neuen Bundesländern befaßt hat.
Ich erinnere noch einmal an unsere Regeln, nach denen im Anschluß an dieses Thema Fragen zu anderen Bereichen gestellt werden dürfen.
Außerdem möchte ich Sie wissen lassen, daß der Rechtsausschuß heute in Dresden tagt und eine Anhörung durchführt und daher seine Mitglieder nicht hier anwesend sein können.
Die Bundesregierung hat mir mitgeteilt, daß der Bundesminister der Justiz berichtet. Darf ich Ihnen kurz das Wort geben.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Bundeskabinett hat sich heute außerordentlich ausführlich mit dem Wiederaufbau des Rechtsstaats in den neuen Bundesländern beschäftigt. Ihm kommt ganz zweifellos eine zentrale Bedeutung zu. Eine funktionierende Justiz ist im Hinblick auf die Regelung der Vermögensfragen und die Klärung der Eigentumsverhältnisse von elementarer Bedeutung für Investitionen und den wirtschaftlichen Aufschwung. Die Sehnsucht nach dem Recht - ich habe das hier schon zweimal erklären dürfen - war eine der großen Triebfedern für die Revolution in der DDR. Wir dürfen die Menschen in der früheren DDR nicht enttäuschen.
Die von mir in der ersten Februarhälfte durchgeführte Informationsreise in die neuen Bundesländer und die sich am 15. Februar unmittelbar daran anschließende Besprechung mit den Justizministern und Justizsenatoren der Länder hat zu einem sehr ernüchternden Ergebnis geführt. Vereinfacht und wahrscheinlich auch milde ausgedrückt: Der Zustand der Justiz ist in den neuen Ländern außerordentlich schwierig.
Zur Verdeutlichung einige Zahlen zur Personalsituation in den neuen Ländern: Wir haben derzeit ca. 1 200 Richter, ca. 900 Staatsanwälte und keinen einzigen Rechtspfleger, außer den aus den alten Ländern
entsandten. Ich gehe davon aus, daß nach der vorzunehmenden Überprüfung etwa 600 bis 700 Richter und 400 bis 450 Staatsanwälte verbleiben werden. Zum Vergleich die Personalsituation in Nordrhein-Westfalen, das bevölkerungsmäßig etwa gleich groß ist. Dort gibt es ca. 4 800 Richter, ca. 1 000 Staatsanwälte und ca. 3 000 Rechtspfleger.
Die personelle Misere hat - das hat sich bei meiner Rundreise in besonderer Weise gezeigt - in drei Bereichen verheerende Auswirkungen. Der erste ist die Arbeitsgerichtsbarkeit. Das ist wegen der Arbeitslosenzahl und der Gesamtsituation am Arbeitsmarkt besonders schlimm. Wir haben im Augenblick sage und schreibe 45 000 unerledigte arbeitsgerichtliche Verfahren. Der zweite Bereich sind die Rehabilitierungsprobleme. Dort haben wir im Augenblick mehr als 30 000 unerledigte Verfahren. Weitere kommen laufend hinzu. Schließlich der dritte Bereich: Absolut verheerend ist die Situation leider Gottes bei den Grundbuchämtern, in der freiwilligen Gerichtsbarkeit, die praktisch nicht stattfindet, und in den ganzen Registersachen. Kurz: Rechtspfleger fehlen hinten und vorn.
Das bedeutet als notwendige Folgerung: Die fünf neuen Länder benötigen dringend erfahrenes Personal der alten Länder.
Das Bundeskabinett hat heute auf meinen dringenden Vorschlag Maßnahmen zum Aufbau der Justiz in den neuen Ländern beschlossen. Die Bundesregierung hat Wert darauf gelegt, daß wir darüber im Bundestag berichten, bevor wir vor die Presse treten. Es handelt sich erstens um das Seniorenmodell, Ihnen vom Prinzip her bereits bekannt. Um es pensionierten Richtern, Staatsanwälten und Rechtspflegern aus den alten Ländern zu ermöglichen, über die Altersgrenze hinaus für drei weitere Jahre in den neuen Ländern tätig zu werden, stellt der Bund 17,5 Millionen DM für Aufwandsentschädigungen, Trennungsgeld und Fahrgeld zur Verfügung. Das Modell sieht etwa so aus: 75 % Pensionskosten, 35 % Bezahlung aus den neuen Ländern - so ist es mit den Justizministern der neuen Länder besprochen - , großzügige Aufwandsentschädigungen, Trennungsgeld, Fahrkosten - für, wenn möglich, wöchentliche Fahrten nach Hause - übernommen vom Bund. Da sind notwendige Gesetzes- und Verordnungsänderungen vorgesehen. Diese
werden durchgeführt. Ich möchte diese Gelegenheit hier erneut benutzen, um pensionierte Richter, Staatsanwälte und Rechtspfleger dringend aufzufordern, sich bei den Landesjustizverwaltungen und auch bei uns im Bundesjustizministerium zu melden. Das war der erste Punkt, Seniorenmodell.
Jetzt kommen die beiden neuen und besonders entscheidenden Punkte: Wir haben heute morgen ein Modell zur Erhöhung der Zahl der von den alten Bundesländern bisher entsandten 130 Richter und Staatsanwälte beschlossen, an deren Finanzierung der Bund 1990 und 1991 mit 50 % beteiligt ist -, und zwar hat dieses Modell etwa eine Verzehnfachung zur Folge. Das würde eine Man-Power von etwa 1 000 zusätzlichen Richtern und Staatsanwälten bedeuten. Für den Bund hat das Kabinett hierfür heute morgen 65 Millionen DM zur Verfügung gestellt.
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Für 500 Rechtspfleger - wenn es uns denn gelingen sollte, die Stellen zu besetzen - stehen weitere 22,5 Millionen DM zur Verfügung.
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Ich appelliere hiermit auch an die Justizminister der alten Länder, nun die eingelegten Bremsen zu beseitigen und alles zu tun, damit wir möglichst schnell zu der mir bei der Justizministerkonferenz zugesagten Entsendung von weiteren Richtern, Staatsanwälten und Rechtspflegern kommen.
Dritter Punkt. Das Kabinett hat sich heute morgen auch mit dem von mir vorgeschlagenen Fonds-Modell einer Mitfinanzierung Bund/Altländer befaßt. Notwendig ist eine gemeinsame Finanzierung Altländer/ Bund, die es den neuen Ländern ermöglicht, aus den alten Ländern kommende Bewerber, die in den neuen Ländern als Richter oder Staatsanwälte eingestellt werden, so zu besolden, daß man in etwa an die Besoldung der alten Länder herankommt.
Ich habe bei meiner Rundreise eindeutig gemerkt, daß - zwar regional verschieden, aber immerhin doch für die meisten Neuländer zutreffend - ohne eine solche Anhebung nichts geschieht. Die Bundesregierung hat heute beschlossen, dafür sofort 15,5 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, um zusammen mit den alten Ländern einen Fonds zu gründen, der es ermöglicht, neu eingestellte Richter in den neuen Ländern so zu bezahlen, daß wir sie bekommen.
Ich appelliere in diesem Zusammenhang an die neuen Länder, die in ihren Haushalten vorhandenen Stellen jetzt auch tatsächlich zu besetzen. Jetzt kann nicht mehr gesagt werden, man bekäme für dieses Geld keine Richter. Der Bund schießt zu.
Also noch einmal: Das Bundeskabinett hat heute für Personalgewinnung in den alten und neuen Ländern insgesamt Mittel in Höhe von 120,5 Millionen DM beschlossen und damit dem Aufbau des Rechtsstaats, der Justiz in den neuen Ländern für meine Begriffe die Bedeutung zugemessen, die ihr zukommt. Ich danke in besonderer Weise dem Herrn Bundeskanzler und dem Finanzminister für die Unterstützung, die ich bekommen habe.
Lassen Sie mich noch einen letzten Punkt anfügen. Die Länder haben - wie ich finde, zu Recht - großen Wert darauf gelegt, daß das Freistellen von Richtern, Staatsanwälten und Rechtspflegern in den alten Ländern natürlich auch irgendwie mit der Überprüfung aller Rechtspflege-Ressourcen, die es gibt, verbunden sein muß. Die Justizministerkonferenz hat eine diesbezügliche Arbeitsgruppe eingesetzt. Ich verstehe, daß die alten Länder sagen: Je mehr auf diesem Gebiet getan wird, um so mehr können auch Richter und Staatsanwälte, die frei werden, entsandt werden. Wir müssen Verfahrensvereinfachungen schaffen, die wesentliche Entlastungswirkungen versprechen. Sie müssen aber unmittelbar umsetzbar sein, und zwar jetzt sofort. Es darf nicht lange dauern.
Es geht beispielsweise um den verstärkten Einsatz von Einzelrichtern in der Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit, um die Verkleinerung der Besetzung von Strafkammern. Man wird das zweifellos ausloten müssen. Die Rechtspolitiker sind über die Maßnahmen nicht übermäßig glücklich. Ich weiß das. Aber Notzeiten - in einer solchen befinden wir uns - bedeuten eben auch, daß Notmaßnahmen notwendig sind. Wir müssen es aber vor allem auch verstehen, Schwerpunkte zu setzen. Wenn ich an die Rehabilitierung denke -
Herr Kinkel, darf ich Sie bitten, zum Schluß zu kommen. Sie können das ja noch bei den Fragen nachtragen.
Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich das etwas zu lange ausgeführt habe. Aber lassen Sie mich diesen einen Satz noch sagen.
Wir werden versuchen, die Rehabilitierungsprobleme, die uns besonders auf den Nägeln brennen - soweit sie nicht die strafrechtliche Problematik betreffen -, im Justizministerium mit einer neuen Abteilung anzugehen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke schön. - Als erster hat nun der Abgeordnete Singer eine Frage.
Herr Bundesminister, können Sie bei mir den Eindruck zerstören, daß sich beim Aufbau der Grundbuchverwaltungen im Beitrittsgebiet bisher kaum etwas spürbar verändert oder ergeben hat, daß beispielsweise diejenigen, die Ansprüche auf Grundstücke angemeldet haben, außer den Eingangsbestätigungen der Ämter für Liegenschaftsangelegenheiten bei den Kreisen nichts erhalten oder gehört haben?
Herr Bundesminister.
Ich habe mich bei meiner Rundreise - wie ich vorhin angedeutet habe - und bei vielen anderen Gelegenheiten vorher vor Ort sehr genau umgesehen. In der Tat liegen bei den Grundbuchämtern im Vergleich zu unseren Verhältnissen eine ungeheuer große Zahl unerledigter Anträge. Aber ich habe mich auch vergewissert, daß alles, was investiven Charakter hat, mit der VorfahrtsBundesminister Dr. Kinkel
regelung, die wir eingerichtet haben, im Grunde abgearbeitet ist.
Ich muß zugunsten der Länder auch darauf hinweisen, daß sie gerade auf dem Grundbuchsektor bisher das getan haben, was sie tun konnten. Ich muß allerdings einräumen, daß es noch erhebliche Defizite gibt.
Wir analysieren im Augenblick ein großes Grundbuchamt hauptsächlich daraufhin, woran es liegt, daß nicht in dem Maße, wie wir es uns vorstellen, eingetragen wird.
Ich hoffe, daß wir durch die angedeutete Aktion erheblich vorankommen. Es fehlt einfach an Rechtspflegern und Personal. Eigentum hat in den neuen Bundesländern bisher nicht die Rolle gespielt, die es eigentlich spielen müßte, mit den Ihnen bekannten Folgen.
Zusatzfrage.
Eine Zusatzfrage: Herr Bundesminister, halten Sie außer dem von Ihnen erwähnten Seniorenmodell, das von der SPD ebenfalls gefordert worden ist, es nicht für zukunftsträchtig, im Bereich der frisch examinierten Assessoren stärker nach Interessenten zu suchen, zumal eine Reihe von diesen Assessoren wegen der oft diskutierten Juristenschwemme in den westlichen Bundesländern keinen Zugang zum Justizdienst gefunden hat?
Ich schließe folgende Frage an: Stimmen Sie mir zu - sosehr wir begrüßen, daß sich der Bund in Zukunft finanziell stärker engagieren will - , daß die Länder bisher eine doppelte Last für den Aufbau der Justiz im Beitrittsgebiet haben tragen müssen, nämlich einmal durch die personellen Ausdünnungen ihrer Kapazitäten und zum anderen durch die Bezahlung der Differenz zwischen den Besoldungen, die Juristen im Westen erhalten hätten, und den tatsächlich empfangenen Gehältern?
Zu Ihrer ersten Frage, Herr Abgeordneter: Es geht gerade um die Ziffer 3 des neuen Modells, das den neuen Ländern sozusagen ermöglicht, Richter und Staatsanwälte jetzt bei sich einzustellen, damit sie nicht immer mit Gastrichtern und Gaststaatsanwälten arbeiten müssen, obwohl wir drei Jahre zum Überbrücken brauchen werden. Genau dafür ist der Fonds gedacht.
Sie müssen aber sehen, daß die Bewerbungssituation regional bedingt völlig unterschiedlich ist. In Thüringen haben sich tausend junge Richter und Staatsanwälte beworben. Es gibt ein Qualitätsproblem; das ist nicht ein Mengenproblem. Wir dürfen nicht eine zu starke Tendenz abnehmender Qualität von den alten zu den neuen Bundesländern bekommen. - Das war Ihre erste Frage. Wie lautete noch Ihre zweite Frage?
Die zweite Frage bezog sich darauf, daß die Länder bisher die doppelte und ausschließliche Last getragen haben.
Ich kann das so wirklich nicht bestätigen. Der Bund hat, auch was den Aufbau des Rechtsstaats anbelangt, bisher gewaltige Kosten aufgewandt. Damit will ich nicht mindern oder schmälern, was die Länder getan haben. Ich möchte ausdrücklich hervorheben, daß gerade im Justizbereich sehr viel getan worden ist.
Ich möchte sagen, daß wir vom Bund aus im Jahre 1990 allein rund 6 Millionen DM an Sachmitteln aufgebracht haben und daß wir unabhängig von den 120,5 Millionen DM, die ich erwähnt habe, im Jahre 1991 zusätzlich rund 26 Millionen DM qua Bund allein für Sachkosten und Personalkosten aufbringen. Deshalb kann ich wirklich nicht sagen, daß die Länder im Vergleich zum Bund auf diesem Gebiet überproportional eingetreten sind, im Gegenteil: Der Bund hat proportional erheblich mehr getan.
Herr Gerster.
Herr Justizminister, ich stimme Ihnen zu, daß es in den neuen Bundesländern wohl keinen Bereich gibt, der so auf die personelle Unterstützung aus dem Westen angewiesen ist, wie die Justiz, die Gerichtsbarkeit, die freiwillige Gerichtsbarkeit usw.
Könnten Sie uns vor diesem Hintergrund einmal mitteilen, wie groß nach Ihren Schätzungen der Bedarf an Juristen, aber auch an Mitarbeitern in der freiwilligen Gerichtsbarkeit, also im gehobenen Dienst, ist, um drüben kurzfristig eine funktionierende Justiz aufzubauen? Wieviel müßten vom Westen hinübergehen, und welche Zeitvorstellungen gibt es dazu? Bis wann könnte so etwas erfolgen?
Herr Bundesminister.
Herr Abgeordneter Gerster, ich habe versucht, diese Frage vorher schon zumindest inzidenter zu beantworten, und zwar durch den Verweis auf Nordrhein-Westfalen. Wenn ich nach meinen persönlichen Eindrücken davon ausgehe, daß ich nicht sofort die gleiche Personenzahl in den fünf neuen Bundesländern haben muß, meine ich, daß wir in absehbarer Zeit um die 4 000 Richter haben müßten. Ich meine, daß wir mit etwa 1 000 Staatsanwälten hinkommen.
Was die Rechtspfleger anbelangt, so ist das das größte Problem. Nochmals: Nordrhein-Westfalen 3 000. Ich meine, wenn es uns gelingt, über die drei Modelle, die ich jetzt vorzulegen versucht habe, in absehbarer Zeit rund 1 000 oder 1 500 Rechtspfleger insgesamt herüberzubekommen, hätten wir zunächst mal einen gewissen Erstbedarf gedeckt.
Zur Frage, wie lange es dauert: Ich habe gesagt, die Übergangszeit wird lange dauern. Die Übergangszeit, bis die neuen Länder auf dem Rechtssektor einigermaßen auf eigenen Beinen stehen können, schätze ich etwa auf drei Jahre.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesjustizminister, wenn ich das richtig verstanden habe, brauchen wir aus dem Westen etwa 3 000 bis 4 000 Juristen, und Sie werden diese Zahl nicht allein mit Pensionären abdecken können.
Gerster ({0})
Deswegen meine Zusatzfrage: Wenn wir wirklich bereit sind, diesen Notstand, diesen Rechtsprechungsnotstand drüben zu bewältigen und dazu auch unkonventionelle Mittel anzuwenden, fragt es sich, ob es nicht richtig ist, zusätzlich zu den durchaus begrüßenswerten Maßnahmen des Kabinetts heute weiterhin eine Laufbahnveränderung vorzusehen, die es ermöglicht, aus dem Überangebot an Rechtsanwälten, die wir im Westen haben, juristisches Personal zu rekrutieren, um dort drüben schneller die Rechtsprechung auf die Beine zu bringen. Wäre es nicht also auch vernünftig, neben den Pensionären aus den viel zu vielen Rechtsanwälten, die wir im Westen haben, ähnlich dem englischen Modell, eine Laufbahnöffnung herbeizuführen, um sie drüben mitzuverwenden und schnell einsetzen zu können?
Herr Bundesminister.
Herr Abgeordneter Gerster, ich kenne die Vorschläge aus dem Entschließungsantrag; ich begrüße sie ausdrücklich - , aber ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Es ist kein Quantitäts-, es ist eher ein Qualitätsproblem. Wenn Sie sich ansehen, daß Thüringen allein 1 000 Bewerbungen hat und in den anderen Ländern auch 500 bis 600 Bewerbungen vorliegen, dann sind das meistens Bewerbungen, die im Richter- und Staatsanwaltschaftsbereich in den Altländern einfach von der Qualifikation her keine Chance hätten.
Wir werden, was die Qualifikation anbelangt, runtergehen müssen - darüber gibt es überhaupt keinen Zweifel - , aber wir müssen, was ich heute auch im Kabinett vorgetragen habe, aufpassen, daß wir nicht eine zu steile Ebene nach unten in der Qualität bekommen. Das bekommt unserem Rechtsstaat insgesamt nicht. Wir müssen schon sehen, daß wir einigermaßen in der Qualität bleiben. Selbstverständlich werden von den Neuländern Rechtsanwälte in breiter Front aufgefordert und auch durchaus in die Prüfung einbezogen, aber eben unter diesen Qualitätsgesichtspunkten.
Sind noch Fragen zu diesem Sektor? - Wenn das nicht der Fall ist, vielen Dank, Herr Kinkel.
Herr Dr. Penner.
Am 15. November 1990 hat
Wenn ich dem Bürger jetzt vor dieser Wahl sage, wir machen keine Steuererhöhungen im Zusammenhang mit der deutschen Einheit, dann machen wir keine.
Im Februar 1991 hat derselbe Bundeskanzler erklärt, er habe sich geirrt, und fordert von demselben Bürger Steuererhöhungen in Höhe von 30 Millionen DM.
Ich frage die Bundesregierung: Was geschieht eigentlich in der freien Wirtschaft, wenn sich Firmenleitungen in diesem Maße irren, wie es der Bundeskanzler selbst für seine Person betont hat?
({0})
Wer antwortet? Staatssekretär Grünewald?
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Herr Kollege Penner, lassen Sie mich zunächst folgende Vorbemerkung machen.
({0})
- Nein, ich bin aufgefordert worden, für das Finanzministerium zu antworten. Ich stelle anheim.
Wenn kein Einspruch vom Fragesteller erhoben wird, möchte ich den Staatssekretär bitten, wie begonnen, mit der Antwort fortzufahren.
Danke schön. Dann darf ich in meiner Vorbemerkung fortfahren.
Es ist eine alte Erfahrung von mir, daß derjenige, der da meint, er habe immer recht, überhaupt nicht geeignet ist, Verantwortung zu tragen.
({0})
So gesehen, Herr Penner, wäre es gar nicht so schlimm, wenn andere Erkenntnisse zu anderen Schlußfolgerungen führen würden. Aber ich sage Ihnen folgendes: Nach den Bedarfsermittlungen, die wir im Hause des Finanzminsters für 1991 und die Folgejahre aufgestellt haben, können wir Ihnen beweisen, daß der Tatbestand der Wiedervereinigung allein Steuererhöhungen nicht nötig gemacht haben würde.
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Diese Steuererhöhungen sind durch die nicht voraussehb aren Kosten, insbesondere der besorgniserregenden Entwicklung am Golf, bedingt. Dafür haben wir - ohne Steuererhöhungen - im Etatentwurf allein 1991 über 11 Milliarden DM eingesetzt. Sie sind außerdem durch die Mehrkosten in Mittel-, Süd- und Osteuropa, insbesondere auch mit Sicht auf die leider etwas desolaten Verhältnisse in der Sowjetunion bedingt. Demgegenüber nehmen sich die zusätzlichen Kosten der Wiedervereinigung in diesem Jahr und in den Folgejahren in einer Weise aus, daß sie eine Steuererhöhung nicht erfordert haben würden.
Zusatzfrage, Herr Penner.
Herr Staatssekretär, ich hatte eigentlich erwartet, da Sie sich als Fachmann für Irrtümer hier zur Beantwortung vorgedrängt haben, daß Sie meine Frage beantworten würden. Aber Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Ich habe Sie gefragt: Was geschieht eigentlich in der freien Wirtschaft, wenn Firmenleitungen solche Irrtümer unterlaufen, wie sie dem Herrn Bundeskanzler kraft eigenen Eingeständnisses unterlaufen sind? Darauf hätte ich gerne eine Antwort.
Auch die Antwort will ich Ihnen gerne zu geben versuchen, Herr Kollege Penner.
({0})
Wenn Sie etwa die wirtschaftlichen Unternehmen in den neuen Bundesländern sehen, dann werden Sie feststellen, daß deren Budgetplanungen von heute auf morgen durch den unvoraussehbaren Tatbestand, daß 70 % der Exporte in die RGW-Staaten plötzlich ausgefallen sind, obsolet geworden sind. Auch in der freien Wirtschaft bei einer noch so sorgfältigen Planung gilt der allgemeine Lebensgrundsatz, daß, wenn der Himmel herunterfällt, die Spatzen tot sind.
({1})
Wir hatten soeben den Wechsel zu den freien Fragen vorgenommen. Darf ich zunächst fragen: Ist dies noch zum Steuerthema?
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Herr Gansel.
Ich bedanke mich, Frau Präsidentin.
Meine Frage richtet sich nicht an das Bildungsministerium, sondern an das Kanzleramt. Ich hätte gerne gewußt, ob das Kanzleramt mitteilen kann, ob der Bundeskanzler die „Bild"-Zeitung, die auf der Titelseite das Foto eines umgefallenen Kanzler Kohl zeigt, heute morgen so herum, so herum oder so herum gelesen hat.
Herr Gansel, Sie werden ja nicht davon ausgehen, daß wir diese Frage beantwortet bekommen.
Dies war nicht Gegenstand der Kabinettsberatungen. Ich will Ihnen nur eines sagen, Herr Kollege: Die Steuererhöhungen, die Sie in der Zeit, wo Sie regiert haben, gemacht haben, nachdem Sie den Leuten vorher etwas ganz anderes gesagt hatten, sind um ein Vielfaches höher als das, was hier notwendig wurde, weil sich die Situation objektiv einfach geändert hat.
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Übrigens, Herr Kollege Penner - da Sie immer so besonders klug sind - , auch die Bundesbank hat die Lage im Herbst vergangenen Jahres ebenfalls völlig anders eingeschätzt als heute. Denn auch die kluge Bundesbank konnte die Entwicklung weder in der Sowjetunion noch in den Staaten Mittel- und Osteuropas noch die Lage am Golf treffend einschätzen.
Herr Gansel, eine Zusatzfrage, die wir alle verstehen können.
Habe ich Sie richtig verstanden, daß der Bundeskanzler nicht umgefallen ist, sondern daß sich die Fakten auf den Kopf gestellt haben, so daß der Kanzler doch noch steht?
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Herr Staatsminister Stavenhagen.
Herr Kollege, ganz im Ernst: Wenn Sie vor drei Monaten in der Lage gewesen wären, die Situation am Golf und auch die notwendige deutsche Beteiligung richtig einzuschätzen, - ({0})
- 15 Milliarden.
({1})
- Das, was wir in diesem Jahr hinsichtlich der deutschen Einigung zusätzlich machen, hätten wir in der Kasse gehabt, wenn die Verpflichtungen am Golf nicht gewesen wären,
({2})
wenn zusätzliche Verpflichtungen in Mittel- und Osteuropa nicht gewesen wären und wenn der Markt in der Sowjetunion sowie in den Staaten Mittel- und Osteuropas nicht total weggebrochen wäre.
({3})
Das waren doch Zahlen, mit denen alle gerechnet haben, auch die Bundesbank sowie die deutsche Wirtschaft, die von Herrn Penner hier herangezogen worden ist. - Interessanterweise beruft er sich jetzt einmal auf die deutsche Wirtschaft; das macht er ja sonst nie. - Alle konnten diese Lage nicht einschätzen. Wenn Sie klüger gewesen wären, dann hätten Sie es sicher kundgetan. Aber Sie waren es natürlich auch nicht.
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Herr Abgeordneter Stockhausen.
Herr Staatsminister, stimmen Sie mir zu, daß die Sozialdemokraten eine viel bessere Information über die Verhältnisse in der DDR besitzen mußten, weil sie enge Kontakte zu den damals Herrschenden gehabt haben?
({0})
Herr Staatsminister.
Es spricht einiges für das Argument, aber es hat offenbar nicht zur Aufhellung der Situation bei der Sozialdemokratie geführt.
({0})
Ich erteile als nächster Rednerin der Frau Abgeordneten Adler das Wort für eine Frage zu einem weiteren Gebiet.
Frau Präsidentin, ich würde die Bundesregierung gerne zum Tierschutzbericht befragen, der ja wohl heute auch Gegenstand der Beratung im Kabinett war.
Ich gehe davon aus, daß wir noch Gelegenheit haben werden, in einer Plenardebatte die Themen zu beraten, die uns gerade im letzten Jahr sehr bewegt haben, z. B. tierquälerisches Handeln und Verhalten. Dabei sollten wir uns auch Fragen der Entwicklung von Alternativmethoden auf diesem Gebiet zuwenden.
Leider sind heute nur zwei Fragen an die Bundesregierung möglich. Meine erste Frage an Sie lautet: Welche Auswirkungen in Sachen Tierversuche und Gentechnikgesetz können Sie heute schon erkennen? Sie wissen, daß das Gentechnikgesetz Tierversuche ermöglicht. Vielleicht können Sie uns kurz etwas darüber sagen.
Herr Staatssekretär Gallus.
Frau Kollegin Adler, der Tierschutzbericht, der heute im Kabinett verabschiedet worden ist und der Ihnen demnächst zugehen wird, enthält für den Berichtszeitraum 1989/90 keine umfassenden Ausführungen zu diesem Thema, aber ich bin sicher, daß sich der nächste Bericht, der in zwei Jahren erstattet werden wird, auch dieses Gebiets annehmen wird.
Der diesjährige Tierschutzbericht gibt erstmals eine umfassende Auskunft über die Entwicklung und die Zahl der Tierversuche. Demnach sind insgesamt 2,64 Millionen Wirbeltiere in Versuchen verwendet worden. Das ist die erste Zahl überhaupt, die wir eruiert haben. Sie wissen ja, daß wir im August 1988 eine Verordnung erlassen haben, die das ermöglichte. Daher sind die nunmehr vorgelegten Zahlen die ersten Zahlen, die wir eruieren konnten, obwohl der diesjährige Tierschutzbericht der zweite seiner Art ist.
Nach Angaben der Pharmaindustrie ist der Verbrauch von Tieren für Tierversuche in den letzten Jahren laufend zurückgegangen. Diese Angaben können wir aber noch nicht bestätigen, da wir, wie gesagt, erstmals Zahlen eruieren konnten. Schneller ging es einfach nicht. Wir liegen in bezug auf die Erhebung von Zahlen und mit dem, was wir hier tun, so wie ich die Dinge international beurteile, durchaus an der Spitze.
Zusatzfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich gehe davon aus, daß wir im Ausschuß noch Gelegenheit haben werden, das alles, wenn uns der Bericht vorliegt, genauer zu beleuchten.
Erlauben Sie, daß ich Sie in einer zweiten Frage nach CEBET frage. Der Aufbau einer Datenbank beim Bundesgesundheitsamt bewegt uns natürlich auch. Inwieweit ist die Bundesregierung jetzt bereit, diesen Bereich auch personell besser auszustatten?
Frau Kollegin, CEBET wird stufenweise weiter ausgebaut. Wir sind weltweit das einzige Land, das staatliche Einrichtungen zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und
Ergänzungsmethoden bei Tierversuchen errichtet. Es ist ja vielfach Kritik an CEBET und dessen Aufbau geübt worden, aber die Dinge gehen jetzt zügig voran.
Frau Abgeordnete Schmidt.
Auch ich habe Fragen zum Tierschutzbericht. Ich möchte insbesondere an das anknüpfen, was die Kollegin Adler gerade gefragt hat. Meine Fragen richten sich vor allen Dingen an das Gesundheitsministerium, das ja dafür zuständig ist.
Frau Adler hat ja gerade mit Recht darauf hingewiesen, daß wir schon in vergangenen Zeiten versucht haben, eine besondere Förderung von Alternativmethoden bei Tierversuchen zu entwickeln. Es sind vom damaligen BMJFFG Preise ausgeschrieben worden. Es sind Versuche prämiiert worden. Institutionen wie das Institut in Neubiberg haben Versuche entwikkelt.
Wenn ich die stolze oder eher traurige Anzahl von 2,64 Millionen Wirbeltieren höre, die in Versuchen umgekommen sind - das Wort „verbraucht" gefällt mir nicht -, dann stellt sich mir die Frage: Wann können wir endlich damit rechnen, daß die Alternativmethoden von uns auf EG-Ebene eingebracht und die überflüssigen Versuche, bei denen die größte Zahl von Wirbeltieren umkommen, endlich eingestellt werden? In diesem Zusammenhang frage ich das Gesundheitsministerium ebenso: Hat sich das Gesundheitsministerium, nachdem die EG-Verordnung zu den kosmetischen Versuchen aus dem letzten Jahr eine Vielzahl von unnötigen und zusätzlichen Versuchen vorschreibt, wonach sich die eben genannten Millionenzahl noch rapide erhöhen wird, schon Gedanken darüber gemacht, wie viele Versuche das sein werden, und welche Initiative hat es ergriffen, um diese Kosmetikverordnung zu verhindern?
Zunächst Herr Staatssekretär Gallus.
Ich hatte das Gesundheitsministerium gefragt. Beides betrifft ursächlich das Gesundheitsministerium. Der Herr Gallus ist mir zwar lieb und wert, aber das Landwirtschaftsministerium kann zu Tierversuchen in diesem Bereich weniger sagen.
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Dann Frau Staatssekretärin Bergmann-Pohl, wenn das so gewünscht wird.
Ich regiere der Bundesregierung selbstverständlich nicht in ihre Zuständigkeit hinein. Aber für die Kosmetikverordnung ist das Gesundheitsministerium zuständig.
Sie werden aber sicherlich zugeben, Frau Kollegin Schmidt, daß es sich hier um eine ressortübergreifende Frage handelt.
Zur Frage der Tierversuche haben auch wir eine sehr differenzierte Meinung. Sie werden aber wissen, daß Tierversuche bei der Erprobung von Arzneimitteln und Schadstoffen unerläßlich sind. Es gibt bisher in der Wissenschaft keine Alternativmethoden. Wir setzen uns dafür ein, daß die wissenschaftliche Erforschung von Ersatzmethoden vorangetrieben wird. In den Haushaltsjahren 1983 bis 1989 wurden vom Bundesforschungsminister nahezu 61 Millionen DM für solche Projekte ausgegeben. Für die Jahre 1990 bis 1993 sind insgesamt weitere 41 Millionen DM vorgesehen. Dabei werden vor allem in den Bereichen Ersatzmethoden gefördert, in denen Tiere besonderen Belastungen ausgesetzt sind oder besonders viele Tiere verwendet werden. Das gilt genauso für den Kosmetikbereich.
Zusatzfrage.
Vielleicht ist meine Frage nicht ganz richtig verstanden worden. Ich formuliere deshalb etwas einfacher.
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Vor Jahren sind vom Ministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Alternativmethoden mit Preisen prämiert worden, die anwendbar sind und z. B. den LD-50-Test oder den sogenannten Fischtest ersetzen können. Diese müssen auf EG-Ebene umgesetzt werden. Ich habe nach den Initiativen des Gesundheitsministeriums gefragt, um endlich diese Versuche auf EG-Ebene einzuführen und überflüssige Versuche zu vermeiden.
Meine zweite Frage war: Welche Initiativen hat das Gesundheitsministerium ergriffen, um die Richtlinie für Kosmetikprodukte auf EG-Ebene in dieser Form zu verhindern, die eine Vielzahl von überflüssigen Tierversuchen zur Folge haben wird, und wie hoch beziffert es diese zusätzlichen Tierversuche?
Da der Herr Staatssekretär Gallus das weiß, wird er antworten.
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Frau Kollegin, es ist so, daß wir in der EG diejenigen sind, die auf allen Gebieten drängen, daß die Dinge schneller vorankommen. Gerade was die Kosmetikverordnung betrifft, sind die Dinge von seiten der Kommission in Vorbereitung. Wenn die Verordnung vorgelegt wird, werden wir sie umsetzen. Wir werden damit überhaupt keine Schwierigkeiten haben, weil wir, bis das fertig ist, höchstwahrscheinlich in der Bundesrepublik national weiter sein werden, als die Kommission anderen Ländern in der EG zu gehen zuzumuten bereit ist. In dieser Situation befinden wir uns. Wir sind in einer ausgezeichneten Position.
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Ich habe noch die Frage nach der Anwendung der Alternativmethoden gestellt.
Die Ausgaben auf diesem Gebiet sind schon genannt worden. Wir werden innerhalb von zehn Jahren - fünf Jahre davon sind schon verstrichen - für die Forschung auf diesem Gebiet insgesamt 100 Millionen DM ausgeben.
Die Zahl, Frau Kollegin, die besagt, daß wir heute weniger Tiere verbrauchen als noch vor einigen Jahren, ist im wesentlichen darauf zurückzuführen, daß auch auf diesem Gebiet Fortschritte erzielt worden sind. Es ist eine Tatsache, daß wir eine Ablösung der gesetzlich vorgeschriebenen Tierversuche durch andere Verfahren vollziehen. Hierzu zählt der Ersatz des LD-50-Tests durch die approximative Letalitätsbestimmung und die Ablösung des Pyrogentests am Kaninchen durch den Limulustest an den Krebsen.
Ich möchte die Befragung der Bundesregierung um fünf Minuten verlängern, weil wir noch zwei Fragen haben. Dann beginnt die Fragestunde.
Das Wort hat der Abgeordnete Klinkert.
Frau Präsidentin, meine Frage geht an den Bundesumweltminister. Herr Minister, meines Wissens hat sich heute die Elbe-Schutzkommission gegründet. Meine Frage ist in diesem Zusammenhang, wie die länderübergreifende Zusammenarbeit mit der CSFR geregelt ist. Ich bin der Meinung, daß ein Großteil der Schadstoffe in der Elbe bereits auf tschechischer Seite eingeleitet wird. Bei Ihrer Beantwortung dieser Frage können Sie vielleicht auch einen Ausblick geben, wie die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Luftreinhaltung mit der CSFR angedacht ist.
Herr Bundesminister Töpfer.
Herr Abgeordneter Klinkert, Ihre Ausführungen sind richtig. Das Kabinett hat heute das Ratifizierungsgesetz zur Elbe-Schutzkommission verabschiedet.
Wir haben an der Errichtung der Elbe-Schutzkommission über viele Jahre gearbeitet und sind außerordentlich froh, daß es ein Ertrag der deutschen Einheit ist, daß dies jetzt möglich geworden ist. Zwischenzeitlich ist das Sekretariat in Magdeburg errichtet worden. Die Bundesregierung fördert das Sekretariat mit knapp 700 000 DM, um die Arbeiten - vornehmlich am Einleiterkataster - voranzubringen.
Dazu nenne ich Ihnen drei Zahlen: Die Elbe ist nach wie vor mit über 22 t Quecksilber, über 12 t Cadmium und über 120 t Blei pro Jahr belastet.
Es ist richtig - ich kann das nur unterstreichen -, daß erhebliche Teile davon bereits beim Übergang der Elbe von der CSFR in die Bundesrepublik Deutschland in dem Gewässer enthalten sind.
Ich kann auch bestätigen, daß wir uns engagiert bemühen, zu einer dreiseitigen Kommission bezüglich der Luftreinhaltung in dem Grenzgebiet von Polen, der CSFR und der Bundesrepublik Deutschland - insbesondere unter Berücksichtigung von
Sachsen - zu kommen. Ich werde am kommenden Wochenende meinen polnischen Kollegen hier begrüßen können.
Wir hoffen, daß wir neben der Abrede für eine Oder-Kommission, die genauso wichtig ist wie die Elbe-Kommission, auch zu einer gemeinsamen Strategie zur Luftreinhaltung und zum Umweltschutz in dem Grenzgebiet von Sachsen, Polen und der CSFR kommen.
Ich habe auch das vor drei Tagen mit dem Ministerpräsidenten von Sachsen erörtert. Wir sind in diesen Punkten voll und ganz aufeinander abgestimmt. Wichtig ist, daß wir mit der heutigen Entscheidung im Kabinett dafür auch eine rechtlich tragfähige Grundlage geschaffen haben.
Als letzte hat Frau Abgeordnete Hartenstein das Wort.
Nach Presseberichten, die aber auch vom Bundesumweltminister bestätigt worden sind, sollen in den Kalibergwerken in Thüringen und Sachsen-Anhalt nach ihren Stillegungen Untertagedeponien für Sonderabfälle eingerichtet werden.
Offensichtlich sind die Planungen schon relativ weit gediehen. Es ist auch von riesigen Mengen die Rede, nämlich von der Ablagerung von bis zu 800 000 t jährlich.
Meine Frage, Herr Minister, ist: Warum haben Sie letzte Woche - das erstaunt mich außerordentlich - bei der Vorstellung des Aktionsprogramms „ökologischer Aufbau für die neuen Bundesländer" diese Absichten, diese Planungen mit keiner Silbe erwähnt, und zwar weder bei der öffentlichen Pressevorstellung noch bei Ihrem Bericht im Ausschuß? Welche Rolle spielt die Einrichtung der Deponien in Ihrem Konzept „ökologischer Aufbau"?
Herr Töpfer, bitte.
Frau Abgeordnete Hartenstein, gestatten Sie mir eine Vorbemerkung. Die Frage der Genehmigung von solchen Einrichtungen - egal welcher Art - obliegt natürlich den zuständigen Bundesländern.
Dies vor der Klammer, beantworte ich Ihre Frage wie folgt: Ich habe in der Vorlage des ökologischen Aufbauprogramms für die neuen Länder unter Punkt 3 sehr deutlich und sehr klar zum Ausdruck gebracht, daß wir zu dieser Sanierung eine entsprechend geeignete Infrastruktur brauchen, daß es unumgänglich erforderlich wird, Bodensanierungszentren einzurichten, also chemisch-physikalische Anlagen, Bodenwaschanlagen einzurichten, daß wir thermische Bodenbehandlungsanlagen brauchen und daß wir selbstverständlich auch über- und untertägige Deponien für Sondermüll brauchen, die entsprechend gebaut werden müssen.
Wenn Sie die Langfassung meiner Darstellung heranziehen, werden Sie das bis in die Zahlen hinein genau nachvollziehen können. Dort steht, daß wir es für erforderlich halten, zwei bis drei Untertagedeponien zu bekommen, und zwar schlicht und einfach auf Grund der Tatsache, daß sich einige Regionen in der ehemaligen DDR nach der Wende, als wir diese Dinge wirklich einmal grundsätzlich aufarbeiten konnten, als ungeordnete Sondermülldeponien erwiesen haben. Es kann nicht richtig sein, daß wir auf der einen Seite auf Dauer - zu Recht - aufgefordert werden, die Altlasten zu bewältigen, auf der anderen Seite aber jede Investition für Anlagen, die für diese Altlastensanierung unumgänglich notwendig sind, von vornherein als ein Anschlag auf die Umweltsicherheit bezeichnet wird.
Ich bekenne mich nachhaltig dazu - ich habe das auch in meiner Presseveröffentlichung klargemacht - , daß wir für die Altlastensanierung in den fünf neuen Bundesländern eine nach dem neuesten Stand der Technik ausgerüstete Entsorgungsinfrastruktur brauchen. Dazu gehören auch entsprechend gebaute Deponien. Ob sie eingerichtet werden und wie viele es sein werden, das obliegt den Bundesländern, die in eigener Zuständigkeit Genehmigungsverfahren durchführen.
Zusatzfrage.
Herr Minister, es wird Sie nicht verwundern, wenn ich sage, daß mich Ihre Ausführungen nicht völlig überzeugen. Sie sprechen in der Langfassung Ihres Aktionsprogramms zwar von „thermischen Anlagen" und auch von „Deponien", aber der entscheidende Satz ist:
Die Beseitigung der Altlasten mit modernster Technologie kann der Kristallisationspunkt für den Aufbau neuer Industriezweige werden.
Es wurde kein einziger konkreter Fall genannt. Aber das ist nicht meine Frage.
Wenn ich diese Zusatzfrage noch loswerden darf: Ich möchte gerne wissen, ob Sie konkret sagen können, für welche Art von Abfällen diese Kalibergwerke gedacht sind und vor allen Dingen ob sie für Abfälle, die aus der Bundesrepublik Deutschland kommen, vorgesehen sind oder ob Sie bereits Erwägungen hegen, die auch den Binnenmarkt mit einbeziehen.
Herr Töpfer.
Frau Abgeordnete Hartenstein, zunächst freue ich mich darüber, daß Sie sagen, ich hätte Sie noch nicht ganz überzeugt.
Das läßt mich vermuten, daß ich Sie zum Teil doch schon überzeugt habe. Ich freue mich auch darüber, daß Sie nach dem Nachlesen der Presseveröffentlichungen unterstreichen, daß ich in der Tat dort schon von der Untertagedeponie gesprochen habe.
Zu den beiden Fragen: Welche Abfälle dort abgelagert werden dürfen, kann und wird nur in einem Planfeststellungsverfahren zu entscheiden sein. Die Planfeststellungsbehörde wird dann festzulegen haben, welche Art von Abfallstoffen dort abgelagert werden dürfen - nebenbei: exakt dasselbe, was wir in der einzigen bestehenden Untertagedeponie der Bundesrepublik Deutschland in Herfa-Neurode auch haben. Herfa-Neurode liegt in Hessen und ist über viele
Jahre bereits für eine ganz klar festgelegte Abfallgruppe ein sicheres Endlager geworden, ohne daß das irgend jemand kritisiert oder in Frage stellt.
Zum zweiten: Es beeindruckt mich sehr, wenn Sie fragen, ob wir dort auch Abfälle aus der Bundesrepublik Deutschland ablagern wollen. Ich muß Ihnen sagen: selbstverständlich.
({0})
- Bitte?
Ich hatte gefragt, ob bereits auch Überlegungen bestehen, über die Ablagerung von Sonderabfällen aus den neuen Bundesländern und aus den alten Bundesländern hinaus möglicherweise Sonderabfälle aus dem Raum des EG-Binnenmarktes aufzunehmen.
Ich möchte mit allem Nachdruck sagen, daß wir in der Europäischen Gemeinschaft mit ganz großer Klarheit festhalten, daß wir Abfallexporte welcher Art auch immer nicht akzeptieren. Deswegen scheitert bis zur Stunde die Verabschiedung der entsprechenden EG-Richtlinie an dem Widerstand der Bundesrepublik Deutschland, weil wir Abfälle eben nicht als Wirtschafts-, sondern als Umweltthema sehen und deswegen nicht die Rechtsgrundlage des Binnenmarktes, sondern des Umweltkapitels einbringen. Genau deswegen scheitert diese Richtlinie. Daraus sollten Sie klar ersehen können, Frau Abgeordnete Hartenstein, daß wir keinerlei Abfallimporte oder Abfallexporte auf Dauer für sinnvoll erachten.
({0})
- Ja.
Ich beende die Befragung.
({0})
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 12/159 Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung der Fragen ist der Parlamentarische Staatssekretär Seehofer erschienen
Ich rufe die Frage 1 der Abgeordneten Frau Walz auf:
In welchem Umfang beteiligen sich private Pflegedienste an der häuslichen/ambulanten Pflege?
Herr Präsident, wenn die Frau Kollegin Walz einverstanden ist, würde ich gerne die Fragen 1 und 2 gemeinsam beantworten.
Dann rufe ich auch noch die Frage 2 der Frau Abgeordneten Walz auf:
Welche Initiativen zur Qualitätssicherung und Kontrolle kann die Bundesregierung ergreifen, um einen Wildwuchs unter den privaten Pflegediensten zum Schaden und Nachteil der Pflegebedürftigen zu verhindern und die seriösen Anbieter unter den privaten Pflegediensten zu stützen?
Frau Kollegin Walz, umfassendes Zahlenmaterial zur Beteiligung privater Anbieter an der häuslichen Pflege liegt der Bundesregierung nicht vor. Dies ist im Hinblick auf die Zahl möglicher Vertragspartner - immerhin mehr als 1 200 allein auf Krankenkassenseite - nicht verwunderlich. Insbesondere die Ersatzkassen schließen aber zunehmend Verträge mit privaten Anbietern, um die steigende Nachfrage nach Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit ab 1. Januar 1991 nach § 55 des Sozialgesetzbuches V zu decken.
Regionale Schwerpunkte der Beteiligung privater Anbieter sind nach unseren Informationen die Länder Berlin und Niedersachsen.
Zur Qualitätssicherung der gesamten häuslichen Pflege steht den Krankenkassen der Medizinische Dienst zur Verfügung, der schon bei Vertragsabschlüssen und bei Durchführung der Pflege die Qualität kontrollieren kann. Außerdem hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Hauskrankenpflege, der die Landesverbände privater Anbieter aus fast allen Bundesländern angehören, Kriterien zur Qualifikation der Pfleger sowie zur Organisation und zur Ausstattung privater Dienste erarbeitet. Sie sind Teil der Rahmenvereinbarung, die die Bundesarbeitsgemeinschaft mit den Verbänden der Ersatzkassen zur Erbringung häuslicher Pflege durch private Anbieter abgeschlossen hat. Eine entsprechende Rahmenvereinbarung für die Ortskrankenkassen wird derzeit erörtert.
Frau Abgeordnete, eine Zusatzfrage.
Ich habe eine Zusatzfrage. Wenn keine Leistungen nach dem Gesundheits-Reformgesetz erbracht werden, wer kontrolliert dann, z. B. im Falle der Selbstzahler?
Frau Kollegin Walz, das ist in der Tat ein offenes Feld. Dieses können wir am besten schließen, wenn wir zu der gesetzlichen Pflegeversicherung kommen, die der Bundesarbeitsminister seit einigen Monaten vorschlägt.
Frau Kollegin Walz, eine weitere Zusatzfrage.
Ihre Antwort amüsiert mich und geht der FDP direkt ans Leder. Daß Sie so antworten, ist ganz klar.
Aber trotzdem muß ich noch einmal nachfragen: Welche Vorstellungen haben Sie in der Zwischenzeit entwickelt? Es gibt Möglichkeiten, die bei den kommunalen Diensten liegen. Dabei sind die Landesgesetzgeber aufgerufen, die kommunalen Dienste zu animieren, daß sie Kontrollmechanismen entwickeln. Aber das täuscht nicht über die Tatsache hinweg, daß es in der Zwischenzeit schon zu Todesfällen gekom492
men ist und daß es möglicherweise auch noch zu weiteren kommen wird. In Stuttgart sind zwei Menschen zu Tode gekommen, weil unqualifizierte Pfleger gepflegt haben.
Ich frage Sie: Welche Kontrollmöglichkeiten sehen Sie vor, bis ein Gesetz in Kraft tritt, das das Pflegerisiko absichert?
Herr Staatssekretär, bitte.
Frau Kollegin Walz, ich denke, wir sollten an den Punkten anknüpfen, die Gegenstand der von mir geschilderten Mustervereinbarung sind. Inhalte sind die Berufsausbildung, die Berufsbezeichnung und auch die Verpflichtung zur regelmäßigen Fortbildung.
Nur dürfen wir uns nicht darüber täuschen, daß die Qualitätskontrolle und die Qualitätssicherung nur dort funktionieren, wo eine Sachleistung erbracht wird, bei ambulanten Sozialstationen etc. Dort, wo die Pflege über das Pflegegeld unterstützt wird, d. h. bei der Pflege in der Familie oder durch Nachbarschaftshilfe, kann natürlich auch keine Kontrolle in dem von Ihnen gewollten Sinne greifen. Ich glaube, das wäre auch gar nicht gut, weil wir nicht die gesamte Pflegetätigkeit professionalisieren können und wollen. Denn dann, wenn wir die Pflegedienste nur über Profis abwickeln wollten, könnten wir sie nicht sicherstellen.
Um dieses Spannungsverhältnis aufzulösen, Frau Kollegin Walz, lade ich Sie noch einmal ein, uns bei der notwendigen Einrichtung einer gesetzlichen Pflegeversicherung nachhaltig zu unterstützen. Ich weiß, daß Sie - im Gegensatz zu einigen Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion - hier näher beim Bundesarbeitsminister als bei den privaten Krankenversicherern stehen.
Frau Abgeordnete Walz, Sie haben, wenn Sie wollen, zwei weitere Zusatzfragen.
Mir geht es noch darum, inwieweit wir sicherstellen können, daß dann, wenn Pflegeleistungen durch private Pflegedienste erbracht werden, ein Pflegevertrag abgeschlossen wird; denn in sehr vielen Fällen ist nicht einmal der Abschluß eines Pflegevertrages erfolgt, so daß weder der zu Pflegende weiß, welche Leistungen er in Anspruch nehmen kann, noch die Verwandtschaft das weiß; im Grunde genommen gibt es dann auch keine Verpflichtung des privaten Pflegedienstes.
Der Gesetzgeber hat im Zuge der Gesundheitsreform die Grundregeln für die Pflegeleistungen aufgestellt und den Vollzug den Krankenkassen übertragen. Es liegt nun an den Krankenkassen, zum einen die Infrastruktur für die Durchführung der Pflege aufzubauen, zum anderen Verträge mit denjenigen abzuschließen, die die Pflege durchführen.
Ich darf daran erinnern: Die Pflegeleistungen gibt es ja im umfassenden Sinne erst seit 1. Januar dieses Jahres. Das Ganze braucht eine gewisse Zeit, bis es in der Praxis ausreichend umgesetzt ist. Wir haben diese neuen Leistungen gerade erst seit acht Wochen.
Frau Kollegin Walz, war es das? Frau Dr. Götte, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, es war schon vor der Verabschiedung des Gesundheits-Reformgesetzes klar, daß die Zahl der vorhandenen Pflegekräfte nicht ausreichen werde, um diese häusliche Pflege durchzuführen; darauf haben wir oft genug hingewiesen. Was hat denn die Bundesregierung unternommen, um die Zahl zu erhöhen?
Das Thema Pflegeengpaß oder Pflegenotstand in der Bundesrepublik Deutschland ist ein Thema mit vielen Facetten. Das reicht von der Bezahlung der Pflegekräfte über die Stellenpläne bis hin zur Ausbildung, zur Berufsbezeichnung und zum sozialen Umfeld der Beschäftigten, z. B. Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Wir haben beispielsweise eine Verordnung erlassen, die im stationären Bereich einen anderen Anrechnungsschlüssel für Krankenpflegeschülerinnen und -schüler vorsieht. Wir haben eine Psychiatrie-Verordnung erlassen. Beides zusammen wird in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 10 000 und 15 000 zusätzlicher Planstellen nach sich ziehen.
({0})
Die Tarifpartner haben bessere Tarifvereinbarungen für die Pflegekräfte getroffen, und wir arbeiten sehr stark z. B. an der Berufsbezeichnung im Altenpflegebereich. Hier ist also einiges vorangetrieben worden.
Ich möchte allerdings auch nicht verschweigen, daß die im stationären Bereich vorhandenen Planstellen nicht alle besetzt werden können. Auch darin liegt ein großes Problem. Damit wird schon deutlich, daß dies ein ganz breites Feld ist, das man nicht in einer Minute abhandeln kann.
({1})
Weitere Zusatzfragen zu diesem Bereich? - Das ist nicht der Fall. Dann darf ich Ihnen danken, Herr Staatssekretär Seehofer.
Die Frage 3 von Frau Kollegin Kastner aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Familie und Senioren wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheit. Zur Beantwortung ist Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Bergmann-Pohl anwesend.
Ich rufe Frage 4 der Frau Abgeordneten Wohlleben auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die im Einigungsvertrag getroffene Regelung, daß ab 1. Januar 1991 Arbeitnehmer nur am Ort ihrer Arbeitsstätte krankenversichert sein können, unverändert beizubehalten, oder will sie für langjährig in den alten Bundesländern Krankenversicherte, die eine Arbeitsstelle in den beigetretenen Bundesländern angenommen haben, eine Möglichkeit schaffen, weiter in den alten Bundesländern krankenversichert zu sein und dadurch auch ärztlich behandelt zu werden?
Vizepräsident Klein
Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort zur Beantwortung.
Frau Kollegin Wohlleben, im Fall der Aufnahme einer Beschäftigung im Beitrittsgebiet ist bei der Kassenzuständigkeit wie folgt zu unterscheiden.
Erstens. Personen, die aus dem Gebiet der alten Bundesländer in das Beitrittsgebiet entsandt werden, bleiben unter den Voraussetzungen des § 4 SGB IV weiterhin in den alten Bundesländern versichert. Eine Versicherungspflicht am Beschäftigungsort tritt nicht ein.
Zweitens. Nach dem weiter geltenden Art. 22 § 2 des Gesetzes zu dem Vertrag vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik können Beschäftigte, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt zuletzt in den alten Bundesländern hatten und für begrenzte Zeit in den neuen Bundesländern beschäftigt sind, auf Antrag bei einer Krankenkasse in den alten Bundesländern pflichtversichert werden. Erforderlich ist allerdings ein Antragsteller im alten Bundesgebiet, der die Arbeitgeberpflichten gegenüber der Krankenkasse übernimmt.
Drittens. Arbeitnehmer aus den alten Bundesländern, die im Beitrittsgebiet eine Beschäftigung mit einem monatlichen Arbeitsentgelt von über 2 250 DM aufnehmen, werden im Beitrittsgebiet nicht versicherungspflichtig. Als freiwillig versicherte Arbeitnehmer haben sie die Möglichkeit, Mitglied ihrer bisherigen Krankenkasse im alten Bundesgebiet zu bleiben.
Viertens. Für die Arbeitnehmer aus den alten Bundesländern, die eine Beschäftigung im Beitrittsgebiet mit einem monatlichen Arbeitsentgelt von unter 2 250 DM aufnehmen, tritt Versicherungspflicht im Beitrittsgebiet ein. Für diesen Personenkreis kann es zu den sich aus § 311 Abs. 1 Buchstabe c SGB V ergebenden Beschränkungen kommen, die Sie in Ihrer Anfrage ansprechen.
Diese Beschränkungen können vermieden werden, wenn Arbeitnehmer, die eine versicherungspflichtige Beschäftigung im Beitrittsgebiet aufnehmen, das Recht erhalten, bei der Krankenkasse im bisherigen Bundesgebiet Mitglied zu bleiben, bei der sie zuletzt versichert waren. Die Bundesregierung beabsichtigt, eine entsprechende Gesetzesänderung vorzuschlagen.
Vielen Dank.
Frau Kollegin Wohlleben, eine Zusatzfrage?
Ja, ich habe eine Zusatzfrage. Wann gedenken Sie, diese Änderung vollzogen zu haben?
Die Änderung dieses Gesetzes wird erarbeitet. Die Bundesregierung rechnet damit, daß diese Regelung ab 1. Juli 1991 in Kraft tritt.
Weitere Zusatzfrage?
Ja, Herr Präsident, ich habe noch eine Frage. - Haben diejenigen, die das jetzt betrifft, die Möglichkeit, umzusteigen?
Sie haben nach dem formulierten Änderungsgesetz dann die Möglichkeit, weiterhin im alten Bundesgebiet versichert zu bleiben, wenn sie bis zum 3. Oktober 1990 dort gewohnt haben.
Weitere Zusatzfragen zu diesem Bereich? - Das ist nicht der Fall. Herzlichen Dank, Frau Parlamentarische Staatssekretärin.
Die Frage 5 des Abgeordneten Weis ({0}) zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie die Frage 6 des Abgeordneten Wittmann ({1}) und die Frage 7 des Abgeordneten Paterna zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Post und Telekommunikation werden wunschgemäß schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Zur Beantwortung ist der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Lammert anwesend.
Ich rufe die Frage 8 der Frau Abgeordneten Dr. Höll auf:
Besteht in der Bundesrepublik Deutschland eine geltende Rechtslage, die eine Weiterbeschäftigung von in Jugendweihekommissionen tätigen oder tätig gewesenen Lehrern im Schuldienst ausschließt?
Herr Staatssekretär Lammert, Sie haben das Wort.
Frau Kollegin, die Weiterbeschäftigung von Lehrern im Schuldienst richtet sich nach den allgemeinen Kriterien für die Einstellung und Beschäftigung im öffentlichen Dienst. Dabei ist unzweifelhaft, daß sowohl für Einstellung wie für Weiterbeschäftigung Einzelfallentscheidungen erforderlich sind und angestrebt werden. Zuständig für die Einstellung und Beschäftigung von Lehrern sind allein und ausschließlich die Länder, wie Sie wissen.
Anweisungen, die generell die Übernahme von Lehrern regeln, die in Jugendweihekommissionen tätig gewesen waren oder noch tätig sind, sind der Bundesregierung nicht bekannt.
Zusatzfrage?
Ja. - Ich beziehe mich auf eine Meldung aus der „Mitteldeutschen Zeitun" vom 7. Februar dieses Jahres, aus der hervorgeht, daß eine solche Anweisung des Kultusministers in Sachsen-Anhalt existiert. Meine Frage ist, wie Sie darauf reagieren?
Frau Kollegin, Sie haben mich nach der geltenden Rechtslage gefragt. Ich habe Sie darauf aufmerksam gemacht, daß es keine gesetzlichen Bestimmungen gibt, die die Annahme stützen könnten, die Sie in Ihrer Frage und auch in der Zusatzfrage zum Ausdruck bringen.
Ich habe eine zweite Frage. Können auch Lehrer in den alten Bun494
desländern von solch einem Vorgehen bedroht sein, wenn sie in freigeistigen Vereinigungen wie dem Deutschen Volksbund für Geistesfreiheit in Jugendweiheangelegenheiten tätig sind?
Ich darf sie noch einmal darauf aufmerksam machen, daß für die Einstellung und Beschäftigung von Lehrern die Zuständigkeit ausschließlich bei den Ländern liegt, die diese Frage im Rahmen ihrer Zuständigkeit auf der Basis des geltenden Rechts im Einzelfall entscheiden müssen und entschieden haben.
Weitere Zusatzfragen dazu? - Das ist nicht der Fall.
Die Frage 9 des Abgeordneten Stiegler aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 10 und 11 der Abgeordneten Frau Schenk aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz sind umplaziert.
Ich rufe nun die Frage 12 der Abgeordneten Frau Dr. Höll auf:
Wie ist es mit dem Grundgesetz-Artikel 4 ({0}) vereinbar, daß Lehrern in unserem Lande durch amtlichen Erlaß verboten werden kann, in ihrer Freizeit Jugendliche, die über 14 Jahre alt sind und sich einer freigeistigen Weltanschauung zuwenden, bei der inhaltlichen und organisatorischen Gestaltung von Jugendweiheveranstaltungen zu unterstützen?
Herr Dr. Lammert vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft wird auch diese Frage beantworten.
Frau Kollegin, die Bundesregierung sieht keinen Anlaß, zu einem vermeintlich amtlichen Erlaß hypothetisch Stellung zu nehmen, der die Betätigung von Lehrern im Rahmen von Jugendweiheveranstaltungen regeln soll.
Der Bundesregierung ist ein solcher Erlaß nicht bekannt.
Zusatzfrage?
Ja, aber es ist etwas schwierig, das jetzt in Frageform zu kleiden. - Ich darf auf einen Brief aus dem Kultusministerium in Sachsen-Anhalt vom 1. Februar verweisen, der ausdrücklich eine Anweisung für Direktoren enthält, daß organisatorisch-inhaltliche Unterstützung von Jugendweiheveranstaltungen durch Kontaktlehrer zu unterbinden ist, obwohl dies in der Freizeit der Lehrer erfolgt. Wie ist das mit Art. 4 des Grundgesetzes in Übereinstimmung zu bringen?
Frau Kollegin, Sie wissen, daß bei der Entscheidung, die in bezug auf Lehrer ausschließlich Landesangelegenheit ist, von diesen die Frage der fachlichen und der persönlichen Eignung entschieden werden muß. Ich habe keinen Zweifel daran, daß man genau diese Prüfung in jedem Einzelfall mit aller gebotenen Sorgfalt vornehmen wird.
Weitere Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall. Weitere Zusatzfragen aus dem Plenum? - Auch das ist nicht der Fall.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Dr. Lammert.
Jetzt darf ich den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung aufrufen. Zur Beantwortung der Fragen ist der Herr Parlamentarische Staatssekretär Wimmer erschienen.
Ich rufe die Frage 47 des Abgeordneten Opel auf:
Wann plant die Bundesregierung, ihre Reduzierungspläne für die Bundeswehr, bezogen auf die Struktur und Standorte, bekanntzugeben?
Herr Staatssekretär, ich bitte, sie zu beantworten.
Herr Präsident, Herr Kollege Opel, auf Grund der erfolgreichen Politik der Bundesregierung wird die Friedensstärke der Streitkräfte in den kommenden vier Jahren auf, wie Sie wissen, 370 000 Soldaten verringert werden. Eine derart weitgehende Reduzierung der Streitkräfte erfordert über die Verminderung der Zahl der Soldaten hinaus grundlegende Reformen der Strukturen. Dies wird auch Auswirkungen auf die Stationierung von Streitkräften, bezogen auf die Anzahl und die Belegung von Standorten, haben.
Die Planungen zur Struktur und Stationierung der Bundeswehr werden voraussichtlich im Frühjahr 1991 so weit sein, daß wir die zuständigen politischen Gremien und die Bundesländer vor abschließenden Entscheidungen beteiligen können; dazu zählt auch der Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages.
({0})
Nach dem derzeitigen Stand der Arbeiten kann daher noch kein genauer Termin für die letzte Bekanntgabe von Reduzierungsplänen festgesetzt werden. Aussagen zu einzelnen Standorten werden deshalb nicht vor dem Sommer 1991 möglich sein.
Herr Abgeordneter Opel, haben Sie eine Zusatzfrage?
Ja, die habe ich, Herr Präsident. - Herr Präsident, Herr Staatssekretär, wir haben hier ja gelernt, daß Kommentare verboten sind. Aber ist es, Herr Staatssekretär, der Bundesregierung nicht möglich, angesichts der unleugbaren Tatsache, daß wir Ende Februar haben, genauer als „Ende Sommer" zu sagen, wann sie mit ihren Standortplänen überkommen will?
Ich hatte, wenn ich daran erinnern darf, ausdrücklich danach gefragt, wann Sie die Pläne veröffentlichen wollen, und nicht nach dem Enddatum. Können Sie freundlicherweise auch auf die Frage antworten, wann Sie geneigt sind, diesem Parlament den Zeitplan zur Kenntnis zu geben?
Herr Kollege Opel, Sie haben darauf aufmerksam gemacht, daß es eigentlich nicht zulässig ist, Kommentare abzugeben. Deswegen will ich das einmal ausklammern und etwas zum sachlichen Inhalt Ihrer Frage sagen.
Ich habe soeben ausdrücklich gesagt, daß wir letzte Aussagen zu den Standorten hier nicht „vor dem SomParl. Staatssekretär Wimmer
mer 1991 " - nicht: „zum Ende des Sommers 1991" - treffen können. Sie wissen aus den Beratungen des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages, daß ich in der letzten Sitzung darauf aufmerksam machen konnte: Wir werden die Ministerpräsidenten der Bundesländer und auch den Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestags etwa Anfang März über die dann mögliche Gesamtsicht unserer Strukturplanung unterrichten, damit der Verteidigungsausschuß und die Bundesländer in unsere Beratungen, bevor wir letztlich entscheiden, einbezogen werden können. Das ergibt sich schon aus dem von uns ständig praktizierten länderfreundlichem Verhalten, das wir natürlich auch in diesem Fall in die Tat umsetzen wollen. Dann werden wir vor der parlamentarischen Sommerpause, wie bereits im vorigen Jahr angekündigt, zur Veröffentlichung letzter Planungen kommen können.
Eine weitere Zusatzfrage?
Gern, Herr Präsident. - Herr Präsident! Herr Staatssekretär, gehört es zu Ihrem länderfreundlichen Verhalten, das Sie so sehr mit Eigenlob bedacht haben, daß Sie den Ländern genug Zeit geben, Ihnen ihre Reaktion zusammen mit den Gemeindeverbänden und den Gemeinden zur Kenntnis zu bringen und es der Hardthöhe zu ermöglichen, dies in die Pläne noch einzuarbeiten; und an welche Zeitspanne denken Sie dabei?
Ich habe soeben deutlich gemacht, daß wir wohl Anfang März diese Briefe schreiben können. Das bedeutet für uns, daß die Bundesländer die Möglichkeit haben müssen, mit den regionalen Gebietskörperschaften in der von Ihnen erwähnten Weise Kontakt aufzunehmen. Das bedeutet weiter, daß wir damit rechnen, daß die Bundesländer uns nach einigen Wochen - deren Zahl ich hier nicht genau festlegen will und auch nicht kann - ihre Antwort zukommen lassen.
Ich mache in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, daß uns einige Bundesländer diese Informationen bereits im Vorgriff haben zukommen lassen können. Das ist darauf zurückzuführen, daß wir im Zusammenhang mit der Abzugsplanung der alliierten Streitkräfte die Länder schon im vergangenen Herbst darauf hingewiesen haben, daß eine derartige Überlegung sinnvoll ist, wie wir sie in Zusammenarbeit mit den alliierten Streitkräften in gemeinsamen Beratungen umgesetzt haben. Das hat Auswirkungen bereits auf die Überlegungen gehabt, soweit die Reduzierung der eigenen Streitkräfte betroffen ist.
Ich gehe davon aus, daß wir nach einigen Wochen - Ende April oder Anfang Mai - die Rückläufe aus allen Bundesländern haben, um diese Rückläufe in unsere eigenen Überlegungen einzubauen. Etwas anderes kann unter länderfreundlichem Verhalten nicht verstanden werden, Herr Kollege Opel.
Zusatzfrage des Kollegen Erler.
Herr Staatssekretär, ich hoffe, Sie erinnern sich, daß Sie in der vorletzten Sitzung des Verteidigungsausschusses auf meine ausdrückliche
Nachfrage erklärt haben, es werde eine zeitgleiche Unterrichtung des Fachausschusses und der Länder geben. Wie erklären Sie dann, daß in einem Bericht der gestrigen „Süddeutschen Zeitung" über eine Pressekonferenz des Verteidigungsministeriums von einem anderen Fahrplan die Rede war, wonach zuerst die Länder und dann die Fachausschüsse unterrichtet werden; und wie erklären Sie sich, daß in derselben Ausgabe ein örtlicher Kommandant von München präzise Angaben über Verringerungen an diesem Standort gemacht hat? Heißt das im Klartext, daß die Mitglieder des Fachausschusses eben doch erst auf dem Umweg über die Beratungen der Länder und die örtlichen Truppenkommandanten von den konkreten Reduzierungen erfahren werden?
Herr Kollege Erler, ich habe keine Veranlassung, von meiner Anmerkung in dieser Sitzung Abstand zu nehmen. Es wird so kommen, wie ich es dort gesagt habe.
({0})
Was die Überlegungen örtlicher Kräfte betrifft, mache ich auf eines aufmerksam. Es ist klar, daß in einer so schwierigen Frage auch im nachgeordneten Bereich zahlreiche Personen aus ihrer Sicht der Dinge durchaus legitime Interessen haben. Sie bemühen sich selbstverständlich, ihre Überlegungen zu verfestigen. Aber das bedeutet noch lange nicht, daß das letztlich die Entscheidungen des Bundesministers der Verteidigung sein werden. Daher werden Sie verstehen, daß ich nicht jede Pressemitteilung in diesem Zusammenhang kommentieren kann, selbst wenn sie sich auf eine Aussage aus dem eigenen Bereich im nachgeordneten Sektor bezieht.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Adler.
Herr Präsident, ich frage den Herrn Staatssekretär, ob er mit mir der Meinung ist, daß das, was zwischen Herbst und heute durchgesikkert ist, vor allem bei jenen Gemeinden, die Standorte sind - mein Wahlkreis hat zehn Bundeswehrstandorte -, und auch bei der Truppe zur Verunsicherung geführt hat; und hielten Sie es nicht für besser, da mit etwas offeneren Karten zu spielen und z. B. auch den Fachausschuß über das zu unterrichten, was gewissermaßen vorab mitgeteilt wurde, so daß man nicht immer auf Spekulationen angewiesen ist?
Frau Kollegin, der Fachausschuß ist über jeden einzelnen Schritt im Zusammenhang mit der Bundeswehrplanung unterrichtet worden. Wir mußten zunächst einmal die Leitlinien für unsere neue Bundeswehrstruktur erarbeiten und sie dann noch mit dem zuständigen Ausschuß diskutieren. Weil wir eine ordnungsgemäße Planung durchführen wollen und dies auch tun, müssen Sie von daher verstehen, daß wir die einzelnen Schritte immer auch mit den verfassungsmäßig vorgesehenen Einrichtungen diskutieren, bevor wir sie letztlich zur Entscheidung in das eigene Haus bringen. Das ist ein Prozeß, der sich in der Tat über mehrere Monate hinzieht.
Wir sind vor die schwierigste Aufgabe seit der Neuschaffung der deutschen Streitkräfte gestellt. Wir reduzieren die deutschen Streitkräfte von derzeit etwa 560 000 Angehörigen am 3. Oktober 1990 auf dann 370 000 Soldaten Ende 1994. Da sind nicht nur zahlreiche Standort-, sondern auch soziale Fragen zu lösen. Das können wir nicht aus dem hohlen Ärmel heraus machen. Das gibt es in unserem Hause nicht. Deswegen werden Sie verstehen, daß ich auf sorgfältige Erarbeitung aller Überlegungen abstelle.
Sie sagten, daß sich aus diesem Umstand gewisse Verunsicherungen ergeben. Da Sie hier auch als Vertreterin Ihrer Fraktion sprechen, will ich Sie fairerweise darauf aufmerksam machen, daß auch aus Ihren Reihen massive Forderungen nach Abrüstung der Streitkräfte erhoben worden sind. Wir können eines nicht machen: diese Forderungen in die Tat umsetzen und anschließend so tun, als gäbe es keine Probleme. Deswegen sind wir heute in der Situation, daß wir vor dem Hintergrund unserer Verantwortung sehr sorgfältig planen. Ich bitte um Verständnis, daß wir das ordentlich tun.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Koppelin.
Herr Staatssekretär, kann es sein, daß der Kollege Opel die Pläne aus dem Ministerium bereits besitzt? Oder wie deuten Sie es, wenn ich in der Zeitung „Flensburg Avis" „Bestürzung über Stoltenbergs Pläne" lese und der Kollege Opel dann erklärt, die Standorte Westerland, Leck und Husum würden gestrichen.
({0})
Danach müßte er die Pläne ja wohl bereits besitzen.
Herr Kollege Koppelin, es ist in der Tat so, daß für die Entscheidung des Bundesministeriums der Verteidigung die politische Leitungsebene unseres Hauses und nicht der Kollege Opel zuständig ist.
({0})
Ich rufe die Frage 48 des Abgeordneten Dr. Rose auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Chance des Pionierstandortes Passau, im Zuge der Verlagerung von Behörden, Truppen oder Kommandostrukturen Sitz der Pionierschule ({0}) zu werden?
Herr Kollege Dr. Rose, die Ritter-von-Scheuring-Kaserne in Passau und der Standortübungsplatz haben nur ein Fünftel der Größe, die für die Pionierschule benötigt wird. Es müßten 80 % des Gebäudebedarfs der Schule und ein ca. 500 Hektar großer Übungsplatzbereich neu beschafft werden. Dies würde im Bereich der Infrastruktur Kosten in Höhe von 100 bis 130 Millionen DM verursachen.
Bei einer Verringerung des Verteidigungshaushalts müssen vor allem investive Kosten - dazu gehören auch die Infrastrukturausgaben - eingespart werden, zumal dann, wenn diese nicht zwingend erforderlich sind. Hinzu kommt, daß in den nächsten Jahren ein dringender Bedarf an Infrastrukturmitteln in den neuen Bundesländern besteht.
Die Pionierschule ist in München insgesamt befriedigend untergebracht. Daher sieht die Bundesregierung keine Möglichkeit einer Verlegung nach Passau.
Der Abgeordnete Dr. Rose hat eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn aus dem parlamentarischen Bereich Möglichkeiten aufgezeigt wurden, daß eine solche Pionierschule durchaus verlegt werden kann und das auch als sinnvoll angesehen werden kann - wenn das dermaßen gut begründet wird, sind Sie dann bereit, die Haltung der Bundesregierung zu überprüfen?
Herr Kollege Dr. Rose, Sie wissen, daß wir im Zusammenhang mit allen Planungsüberlegungen unsere Vorstellungen natürlich mit den parlamentarischen Gremien diskutieren, sei es nun in Einzelgesprächen oder auch mit den Ausschüssen in toto - und dazu zählt ja auch der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages. Wenn es noch bessere Argumente als diejenigen gibt, die wir haben, dann sind wir für jedes gute Argument zugänglich.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, meine Zusatzfrage bezieht sich eigentlich auf die vorhergehende Frage. Aber sie paßt hier auch noch; deshalb frage ich einmal so: Wenn Sie keine festen Planungen haben, die Sie der Öffentlichkeit bekanntgeben können, wie kann es dann sein, daß SPD-Kollegen aus dem Verteidigungsausschuß in der Öffentlichkeit - und zwar nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern auch in meiner niederbayerischen Heimat - offiziell davon sprechen, daß der eine Standort bleibt und der andere nicht? Sie berufen sich dabei auf hochrangige Vertreter des Verteidigungsministeriums. Kann es sein, daß dort nicht dichtgehalten wird, und können Sie dort für die Dichthaltung garantieren?
Wimmer, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Rose, es ist in der Tat so, daß wir für die Erklärungen der sozialdemokratischen Kollegen keine Verantwortung tragen. Das ist in deren Bereich angesiedelt. Jeder kann sich ein Urteil darüber machen, ob diese Aussagen solide oder nicht solide sind.
Das zweite, das ich in diesem Zusammenhang anmerken will, habe ich eben schon in der Beantwortung der Frage des Kollegen Opel wenigstens teilweise zum Ausdruck bringen können: Auch im nachgeordneten Bereich sind natürlich zahlreiche daran interessiert, für ihren Standort gewisse Referenzen festschreiben zu lassen. Das kann man als gezielte Informationspolitik bezeichnen. Für jemanden, der dem parlamentarischen Bereich angehört, ist es nichts Ungewöhnliches, daß so etwas geschieht. Er müßte also a priori Verständnis dafür haben, obwohl es nicht der richtige Weg ist. Aber so läuft das nun einmal in diesem Lande.
Wir haben durch die Entscheidungen auf der Leitungsebene des Bundesministeriums der Verteidigung sichergestellt, daß derartige Dinge autorisiert nicht betrieben werden können.
Gibt es weitere Zusatzfragen zu diesem Bereich? - Das ist nicht der Fall.
Für die Fragen 49 und 50 des Abgeordneten Dr. Schmude ist um schriftliche Beantwortung gebeten worden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 51 des Abgeordneten Steiner auf:
Ich frage die Bundesregierung, aus welchen Gründen soll die ehemalige Militärtechnische Schule der Landstreitkräfte ({0}) in Prora auf Rügen, an der zivilberufliche Weiterbildungsmaßnahmen durchgeführt werden, zum 31. März 1991 geschlossen werden?
Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Wimmer.
Herr Präsident! Herr Kollege Steiner, ein militärischer Bedarf an der Fortführung der ehemaligen Militärtechnischen Schule in Prora auf Rügen besteht nicht. Es ist deshalb beabsichtigt, die Schule als militärische Einrichtung am 30. Juni 1991 aufzulösen.
Die Möglichkeiten, die laufenden zivilberuflichen Weiterbildungsmaßnahmen zu Ende zu führen, werden derzeit noch geprüft.
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß es nicht nur in Ihrem Hause, sondern auch im Arbeitsministerium Überlegungen gegeben hat, die Schule nicht als militärische Einrichtung, sondern als zivile Weiterbildungseinrichtung auch über den 30. Juni hinaus zu erhalten, und daß das allgemein auch von Ihrem Hause als eine sinnvolle Maßnahme betrachtet worden ist, und wie weit sind diese Gespräche gediehen?
Herr Kollege Steiner, ich habe mich persönlich bereits im September des vergangenen Jahres dafür eingesetzt, daß wir im Zusammenhang mit der Schule in Prora alle Möglichkeiten ergreifen, die auf eine Fortsetzung der Weiterbildungsmaßnahmen ausgerichtet sind.
Ich möchte in diesem Zusammenhang anmerken, daß sich die Technische Schule des Heeres verdienstvoll um die Weiterführung von Ausbildungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Industrie- und Handelskammer in Aachen gekümmert hat. Nur zählt so etwas nicht notwendigerweise zum Aufgabengebiet des Bundesministeriums der Verteidigung. Sie kennen nicht nur unsere Zuständigkeit, sondern auch die finanzielle Enge, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.
Deswegen sind wir, was letztlich die Trägerschaft durch Dritte anbetrifft, in dem Sinne hilfreich tätig, daß wir diese Einrichtungen nach unseren Planungen erst zum Juni 1991 aufgeben werden.
Wir sind immer bemüht, im Zusammenhang mit Überlegungen über die Träger, die sich danach ergeben können, in der Tat Kooperationsbereitschaft zu zeigen. Aber wir sind auch vor dem Hintergrund der Verpflichtungen nach dem Haushalt gehalten, daß wir unsere Aufgaben in Deckung mit militärischen Aufgaben bringen. Aber hier steht keine militärische Aufgabe an.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Steiner.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß der Bundeskanzler in diesem Hause wiederholt davon gesprochen hat, daß es eine Gemeinschaftsaufgabe sei, für den Erhalt der neuen Bundesländer und für die Weiterentwicklung Sorge zu tragen, und sehen Sie darin nicht auch eine Verpflichtung, über das BMVg hinaus mit anderen Ressorts dahin gehend tätig zu werden, daß der Bestand dieser Schule über den 30. Juni hinaus - Sie haben dieses Datum ausdrücklich genannt - gewährleistet ist?
Herr Kollege Steiner, das ist uns nicht nur bekannt, sondern wir haben bereits weit im Vorfeld entsprechende Dinge unternommen. Sonst hätten wir manche Einrichtungen, die wir aus dem Bestand der ehemaligen NVA übernehmen mußten, bereits viel frühzeitiger geschlossen, als wir es tatsächlich getan haben. Nur kann das in der Konsequenz nicht dazu führen, daß wir, weil wir diese Schulen jetzt praktisch übernommen haben, diese unbegrenzt weiterführen, sondern unser Bemühen muß darauf gerichtet sein, daß wir diese Trägerschaft oder die Verantwortung bei uns in der Tat so lange halten, bis wir letztlich Verantwortliche, die an unsere Stelle treten, gefunden haben. In diesem Zusammenhang ist uns nicht nur die Verpflichtung bekannt; wir sind ihr nachgekommen.
Eine weitere Zusatzfrage zu diesem Bereich, Herr Abgeordneter Sperling.
Wie erfolgreich waren denn Ihre Bemühungen, Herrn Blüm zu „kneten", damit er die Schule übernimmt? Arbeitslose gibt es dort genug.
Unsere Bemühungen laufen bereits seit dem August des vergangenen Jahres, aber wir können diese Entscheidungen nicht für ein anderes Haus treffen. Wir müssen uns immer bemühen, daß das, was wir als verständnisvolle Position einbringen, in der Tat auch die Entscheidung eines Dritten wird.
Weitere Zusatzfragen? - Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Frage 52 auf:
Ist es vor dem Hintergrund der katastrophalen Lage auf dem Arbeitsmarkt in Mecklenburg-Vorpommern nicht unverantwortlich, eine qualifizierte Einrichtung, wie die in Prora, zu schließen?
Zur Beantwortung hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Wimmer das Wort.
Wimmer, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege Steiner! Herr Präsident! Alle Versuche des Bundesministeriums der Verteidigung, zivile Träger für die nicht mehr benötigte militärische Einrichtung zu gewinnen, sind
bisher wegen der zu erwartenden hohen Kosten fehlgeschlagen. Deshalb ist die Abgabe in das allgemeine Grundvermögen des Bundes vorgesehen. Damit wird weder eine Fortführung der laufenden Umschulungslehrgänge noch die spätere Übernahme durch das Land Mecklenburg-Vorpommern ausgeschlossen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß das Land Mecklenburg-Vorpommern bereit ist, diese Einrichtung dann zu übernehmen, wenn die finanziellen Voraussetzungen dafür geschaffen werden können, und daß diesbezügliche Aussagen sowohl des Kultusministers des Landes Mecklenburg-Vorpommern als auch des Ministerpräsidenten vorliegen?
Aber Herr Kollege Steiner, das ist keine originäre Aufgabe im Bereich des Bundesministerium der Verteidigung. Ich habe eben bereits ausgeführt, daß wir alles tun, um eine gedeihliche Übernahme dieser Schule und dieser Einrichtung durch Dritte sicherzustellen. Sonst hätten wir diese Schule schon erheblich früher auflösen können. Wir haben es nicht getan.
Wenn hier jetzt, was wir wissen und auch begrüßen, Dritte ein Interesse artikulieren, dann sind wir in der Tat gehalten, auch für einen weiteren sorgfältigen Übergang dieser Dinge zu sorgen, und wir tun das auch. Nur kann es nicht auf Dauer bei uns festgeschrieben werden. So gern wir das tun würden, es zählt nicht zu unseren Aufgaben.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich bin hier hartnäckig. Sie haben zugestanden, daß es eine gemeinschaftliche Aufgabe ist, hier zu helfen. Sehen Sie eine Möglichkeit, im Verteidigungsministerium in Absprache mit dem Arbeitsministerium und dem Land Mecklenburg-Vorpommern eine Übergangslösung zu finden, die dann sicherstellen könnte, daß die Schule auch über den 30. Juni hinaus erhalten bleibt?
Herr Kollege Steiner, wir haben diesen Übergang bereits jetzt auf unserer Seite praktiziert. Wir hätten diese militärische Einrichtung bereits zum Jahresende schließen können. Aus dem Umstand heraus, daß sie noch bis zum Juni geöffnet bleibt, in der Zuständigkeit des Bundesministeriums der Verteidigung, können Sie messerscharf schließen, daß wir dieser Verantwortung aus unserer Sicht in jedem Fall nachkommen wollen. Es kommt aber darauf an, daß hier auch bei anderen die Bereitschaft vorhanden ist, sie letztlich aus unserer Verantwortung herauszunehmen, weil sie bei uns auch nicht ressortieren kann. Wir sind an die Haushaltsordnung dieses Landes genauso gebunden wie andere.
Herr Abgeordneter Sperling, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie nach dieser überzeugenden Darlegung Ihrer Unzuständigkeit die Güte haben, das Kanzleramt auf den
Sachverhalt aufmerksam zu machen, daß die entsprechende Schule dem Bundesvermögen so oder so zur Last fällt und deswegen dann durch andere Ressorts genutzt werden kann, wenn das Kanzleramt in seiner großen Güte und Richtlinienkompetenz andere Ressorts auf die nützliche Verwendung der Schule aufmerksam macht?
Herr Kollege, Sie haben eben mit Sicherheit zugehört und festgestellt, daß ich eben bereits selbst von dieser Überweisung an das allgemeine Grundvermögen des Bundes selber gesprochen habe.
({0})
- Sie müssen sich mit dem Umstand auseinandersetzen, daß wir aus dem Bereich der ehemaligen NVA viele Probleme übernommen haben, die nach der Ordnung unseres Landes, der Bundesrepublik Deutschland, nicht zum originären Aufgabenbereich der Streitkräfte zählen. Wir stehen jetzt einfach in der Verpflichtung, der Ordnung dieses Landes dadurch zu entsprechen, daß wir die Dinge, die auf Dauer nicht in unseren Verantwortungsbereich gehören, ordnungsgemäß an diejenigen übertragen, die als Träger möglicherweise in Frage kommen. Das ist der ganze Prozeß, um den es hier geht. Ich glaube, daß das in allen Einrichtungen der Bundesregierung in zutreffender Weise gesehen wird.
({1})
Auf die Gefahr hin, Herr Staatssekretär, daß ich dem Kollegen Grünbeck jetzt ein Stück von seinem Spaß verderbe, muß ich doch die Bemerkung an die Adresse des Kollegen Sperling machen: Ich bin ein großer Anhänger auch blumiger Formulierkraft. Aber zum Regelwerk der Fragestunde gehört es eigentlich, keine qualifizierenden Bemerkungen einzuflechten, sondern knappe Fragen zur Sache zu stellen.
({0})
- Der Staatssekretär stellt keine Fragen, die Regierung entwortet.
({1})
Das Wort zu einer Zusatzfrage hat der Kollege Grünbeck.
Herr Präsident, ich möchte Ihre Bemerkungen gerne unterstreichen und eine knappe Frage an den Herrn Staatssekretär richten.
Herr Staatssekretär, hätten Sie die Güte, dem Kollegen Sperling zu sagen, daß Sie aus dem Hohen Hause des Verteidigungsministeriums kein Verteilungsministerium machen wollen?
Kein Verteilungsministerium.
Herr Kollege Stockhausen, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sehen Sie aus den massiven Forderungen der Kollegen der SPD die Absicht, den Verteidigungsetat deutlich aufzustocken?
({0})
Herr Kollege, die Kollegen aus der SPD sind mir seit Jahrzehnten bekannt.
Gibt es dazu weitere Zusatzfragen? - Das ist nicht der Fall.
Ich rufe die Frage 53 des Abgeordneten Heistermann auf:
Sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf auf Grund des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Minden vom 14. Januar 1991 ({0}), die Fernschreiberlasse des Bundesministers der Verteidigung - VR I 8 vom 20. und 27. September 1990 -, wonach die sogenannten administrativen Wehrdienstausnahmen, wie sie durch die Regelungen geschaffen werden, fünfundzwanzigjährige Wehrpflichtige und solche, die für eine bestimmte Zeitdauer nichts mehr von ihrem zuständigen Kreiswehrersatzamt gehört haben, seien rechtswidrig und unverbindlich?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, Herr Kollege Heistermann, der Beschluß des Verwaltungsgerichts Minden und der ihm zugrunde liegende Sachverhalt sind hier letztlich nicht bekannt. Er konnte in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit im Wortlaut nicht beigezogen werden. Dies wird geschehen. Ich werde Ihnen danach unverzüglich schriftlich die Antwort zukommen lassen.
Das erübrigt vermutlich die Zusatzfrage, oder wollen Sie doch eine stellen? - Bitte.
Herr Präsident, ich möchte doch eine Zusatzfrage stellen. Ich möchte ja zum Problem etwas hören.
Wenn Sie ihre Stellungnahme erst zum Urteil abgeben, bin ich damit einverstanden. Aber ich bitte jetzt um die Stellungnahme der Bundesregierung, wenn ein Gericht feststellt, daß die Erlasse eben nicht der Gesetzeslage entsprechen. Ist denn die Bundesregierung bereit, eine Änderung dieser Gesetzeslage in Angriff zu nehmen, oder behält sie den Erlaßrahmen so bei, wie er jetzt in Kraft ist?
Herr Kollege Heistermann, Sie kennen genauso gut wie ich die verfassungsmäßige Ordnung dieses Landes. Sie würde uns in einem solchen Fall das eine oder andere auferlegen, und wir würden dem unverzüglich nachkommen.
({0})
Weitere Zusatzfrage.
Herr Präsident, Herr Staatssekretär, da die Bundesregierung das Prinzip Wehrgerechtigkeit immer nach draußen getragen hat und hier durch Gerichtsbeschluß sozusagen anerkannt
wird, daß es eine bevorzugte Gruppe gibt und daß diese Erlaßlage nicht den gesetzlichen Vorschriften entspricht: Kann man daraus schließen, daß die Bundesregierung bereit ist, dieses aus der Sicht des Gerichtes - wenn ich das einmal so werten darf - ungerechte Verhalten des BMVg weiter fortzuführen, oder ziehen Sie jetzt Konsequenzen?
Herr Kollege Heistermann, es ist für uns beide besser, wenn wir vor dem Hintergrund des Wortlauts des Beschlusses zu derartigen Überlegungen kommen. Sie wissen, daß wir im Zusammenhang mit der von Ihnen angesprochenen Frage jede Beratung im Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages auf beiden Seiten ordentlich bewältigt haben. Ich will da keine Abstriche aufkommen lassen. Deswegen bitte ich um Verständnis, daß wir erst den Text vorliegen haben wollen. Es liegt nicht an uns, daß wir diesen Text nicht haben.
Zusatzfrage des Kollegen Erler.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie vorhin erklärt haben, daß wir uns schon seit Jahrzehnten kennen, stelle ich um so lieber die jetzige Frage: Gibt es in Ihrem Haus eigentlich eine Rechtsabteilung, die in einem solchen Fall beauftragt wird, wo Fernschreiberlasse, die in Rechte anderer eingreifen, verfügt werden, solche zu prüfen?
Herr Kollege Erler, da Sie d-em Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages schon seit mehreren Jahren angehören, erstaunt mich die Frage, ob unser Haus eine Rechtsabteilung aufweist, doch etwas.
({0})
- Das sollte man eigentlich wissen, und man sollte auch wissen, daß sie tätig wird.
Zusatzfrage des Kollegen Nolting.
Herr Staatssekretär, können Sie einmal die Kriterien aufzeigen, nach denen die Altersgrenze auf 25 Jahre festgelegt wurde? Hätte man nicht auch andere Altersgrenzen, z. B. 24 Jahre oder 26 Jahre, festlegen können?
Herr Kollege Nolting, Sie wissen, daß sich diese Entscheidung daran orientiert, wie wir die allgemeine Personalsituation in Zusammenhang mit den Streitkräften so organisieren können, daß auf der einen Seite der Verpflichtung der Gemeinschaft gegenüber auf der anderen Seite auch das Maß an Belastungen für den einzelnen entsprechen muß. Das ist immer ein Prozeß des Abwiegens. Sie wissen, daß wir dies auch verantwortlich getan haben. Das ist die zentrale Aussage dazu.
Herr Kollege Steiner, haben Sie eine Zusatzfrage dazu? - Bitte.
Herr Staatssekretär, gerade zu diesem Punkt möchte ich Sie fragen: Sind Sie nicht auch
der Meinung, daß sich inzwischen herausgestellt hat, daß Ihre Abschätzung der Bedarfslage vollkommen am Bedarf vorbeiging, und daß man hier wirklich eine Grenzziehung hätte vornehmen können, die dieses Problem, so wie es sich jetzt durch Gerichtsbeschluß darstellt, ausgeklammert hätte?
Herr Kollege Steiner, wir sind nicht in der Situation einer sozialdemokratischen Regierung, die sich regelmäßig verschätzt hat.
({0})
- Ja, so ist es in der Vergangenheit gewesen. - Sie wissen, daß wir alle diese Zahlen im Zusammenhang mit der Bedarfsplanung der Bundeswehr im Verteidigungsausschuß immer diskutiert haben. Wir haben aus Ihren Reihen nicht gehört, daß die Berechnungen falsch seien.
({1})
Herr Kollege Sperling, es gibt nur eine Zusatzfrage pro Kollege.
({0})
Ich rufe jetzt Frage 54 des Kollegen Heistermann auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die als notwendig erkannte Einberufungsgrenze für Wehrpflichtige auf fünfundzwanzig Jahre herabzusetzen, gesetzlich zu regeln, um Rechtssicherheit herzustellen und dadurch den jungen Männern eine bessere Lebensplanung zu ermöglichen?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Wimmer.
Herr Präsident! Herr Kollege Heistermann, um der Lebensplanung der Wehrpflichtigen genügend Rechtssicherheit zu geben, ist es nicht notwendig, die Altersgrenze für die Einberufung zum Grundwehrdienst gesetzlich herabzusetzen. Die Erlasse des Bundesministeriums der Verteidigung gewähren hier genügend Rechtssicherheit.
Um darüber hinaus dem einzelnen Wehrpflichtigen einen Rechtsanspruch einzuräumen, wird zur Zeit eine gesetzliche Herabsetzung der Altersgrenze für die Heranziehung zum Grundwehrdienst auf die Vollendung des 25. Lebensjahres geprüft. In diesem Prüfungsvorgang befinden wir uns bereits seit geraumer Zeit, auch vor dem hier angesprochenen Urteil.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heistermann.
Herr Staatssekretär, könnten Sie dem Hause mitteilen, wie viele Wehrpflichtige es gibt, die älter als 25 Jahre alt sind und die noch zur Ableistung des Wehrdienstes anstehen?
Herr Kollege Heistermann, damit ich mich jetzt nicht auch nur um die Zahl 10 000 verschätze, bin ich gerne bereit, Ihnen diese Frage schriftlich zu beantworten, damit Sie die absolut verbindliche Zahl haben.
Herr Kollege Sperling.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie uns wahrheitsgemäß mitgeteilt haben, daß Sie beim Schätzen nicht einer sozialdemokratischen Regierung angehören, frage ich Sie: Könnten Sie mir bestätigen, daß Ihre Schätzfehler viel gravierender als die sind, die Sozialdemokraten in der Regierung je begangen haben?
Aber, Herr Kollege Sperling, wie könnte ich Ihnen etwas bestätigen, an dem Sie selber mitgewirkt haben!
({0})
Gibt es weitere Zusatzfragen zu diesem Bereich? - Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Göhner wird die Fragen beantworten.
Ich rufe Frage 10 der Abgeordneten Frau Schenk auf :
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß der Artikel 2 Abs. 1 ({0}) und der Artikel 3 Abs. 3 ({1}) Grundgesetz das Recht von Frauen auf eine lesbische Lebensweise gewährleisten, und wie steht die Bundesregierung zu der Forderung, beispielsweise vom Runden Tisch der ehemaligen DDR, den Artikel 3 Abs. 3 um das Diskriminierungsverbot wegen der sexuellen Orientierung zu erweitern?
Sie haben das Wort, Herr Kollege Göhner.
Herr Präsident! Frau Kollegin Schenk, Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes gewährleistet die allgemeine Handlungsfreiheit, soweit sie nicht in verfassungsrechtlich zulässiger Weise eingeschränkt ist. Zur allgemeinen Handlungsfreiheit gehört auch die Freiheit im Sexualbereich; das Grundgesetz hat den Sexualbereich als Teil der Privatsphäre unter den verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz gestellt.
Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes verbietet dem Staat jede ungleiche Behandlung von Personen und Personengruppen im Vergleich zu anderen Personen und Personengruppen, sofern für eine unterschiedliche Behandlung kein hinreichender sachlicher Grund vorhanden ist. Auf diesen allgemeinen Gleichheitssatz kann sich jeder unabhängig von seiner geschlechtlichen Orientierung berufen. Eine Ergänzung des Grundgesetzes in Art. 3 Abs. 3 - er konkretisiert den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz - um ein ausdrückliches Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung eines Menschen erscheint der Bundesregierung daher nicht erforderlich.
Zusatzfrage.
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß trotz des verFrau Schenk
fassungsmäßig garantierten Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und trotz des Gleichheitsgrundsatzes im Erwerbsbereich und auch in anderen Bereichen des Lebens immer wieder eklatante Fälle der Diskriminierung von lesbischen Frauen vorkommen?
Frau Kollegin, ohne der Antwort auf die nächste Frage vorzugreifen, möchte ich darauf hinweisen, daß die Grundrechte das Verhältnis zum Staat regeln. Sie strahlen bei der Auslegung von allgemeinen Rechtsklauseln in das Privatrecht aus. Insoweit finden sie im Bereich des Arbeitsrechts - auch ausweislich der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts - uneingeschränkte Anwendung.
Weitere Zusatzfrage.
Kennt die Bundesregierung die 1985 herausgegebene empirische Untersuchung „Stichprobe: Lesben" von Reinberg und Roßbach, in der vielfältige Diskriminierung insbesondere im Erwerbsbereich quantifiziert dargestellt worden sind, und sind Sie persönlich mit mir nicht der Auffassung, daß diese vielfältigen Beispiele ein sicheres Indiz dafür sind, daß es sich bei der Diskriminierung lesbischer Frauen primär nicht um eine Frage der persönlichen Lebensführung handelt, sondern vielmehr um ein gesellschaftlich bedingtes Problem, das in der Art der Reaktion oder des Umgangs der Umwelt mit der lesbischen Lebensform liegt?
Frau Kollegin, die von Ihnen zitierte Untersuchung ist mir nicht bekannt. Ich kann nicht ausschließen, daß sie der Bundesregierung bekannt ist.
Was Ihre Schlußfolgerungen angeht, möchte ich darauf hinweisen, daß eine verfassungsrechtliche Konsequenz nach unserer Erkenntnis nicht erforderlich ist, weil dies durch Art. 3 Abs. 1 hinreichend abgedeckt ist.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Wolf.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung vor, durch Öffentlichkeitsarbeit und durch Unterstützung von Selbsthilfeorganisationen von Lesben der gesellschaftlichen Diskriminierung von Lesben - das sind immerhin 5 % bis 10 % - entgegenzuwirken?
Frau Kollegin, die verfassungsrechtliche Situation ist eindeutig. Die Bundesregierung hat das mehrfach betont. Insofern glaube ich nicht, daß es aus dieser verfassungsrechtlichen Situation heraus weiterer Maßnahmen bedarf.
({0})
Ich rufe die Frage 11 der Frau Abgeordneten Schenk auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß der Vorgang, bei dem die Deutsche Krebshilfe e. V. eine Mitarbeiterin, deren lesbische Lebensweise öffentlich bekannt wurde, mit dieser Begründung ihrer repräsentativen Aufgaben enthoben und sie in den Innendienst versetzt hat, im Einklang steht mit dem Grundrecht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit ({0}) und mit dem Gleichheitsgrundsatz ({1}), und leitet die Bundesregierung aus diesem Vorgang die Notwendigkeit ab, Artikel 2 Abs. 1 und Artikel 3 Abs. 3 Grundgesetz in bezug auf die lesbische Lebensweise durch ein Gesetz zum Verbot der Diskriminierung von Lesben in allen Lebensbereichen zu konkretisieren?
Frau Kollegin, die Grundrechte des Grundgesetzes richten sich gemäß Art. 1 Abs. 3 des Grundgesetzes, wie eben schon erwähnt, in erster Linie an den Staat. Ihre Wirkung im Privatrecht erweist sich darin, daß bei der Auslegung und Anwendung einfachen Rechts die grundgesetzlichen Wertmaßstäbe zu berücksichtigen sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind, soweit keine speziellen zivilrechtlichen Regelungen zur Verwirklichung bestimmter grundrechtlicher Wertentscheidungen existieren, die zivilrechtlichen Generalklauseln im Lichte der grundgesetzlichen Ordnung auszulegen und anzuwenden. Danach ist die Ungleichbehandlung einer Arbeitnehmerin wegen ihrer gleichgeschlechtlichen Orientierung grundsätzlich unzulässig. Der Arbeitgeber ist nicht der Sittenwächter der Arbeitnehmer.
Zu dem von Ihnen angesprochenen Einzelfall, bei dem Presseberichten zufolge die Mitarbeiterin der Auflösung des Arbeitsverhältnisses zugestimmt hat, vermag die Bundesregierung nicht Stellung zu nehmen. Ein Bedürfnis für ein spezielles Gesetz für ein Verbot der Diskriminierung lesbischer Frauen in allen Lebensbereichen sehen wir nicht.
Zusatzfrage.
Habe ich Sie richtig verstanden, daß es die Bundesregierung nicht für sinnvoll hält, das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts nach § 611 a BGB um das Verbot der Diskriminierung wegen lesbischer Lebensweise zu erweitern; wenn ja: warum nicht?
Sie haben die Bundesregierung richtig verstanden. Wir meinen, daß die derzeitige gesetzliche Lage ausreichend ist.
Weitere Zusatzfrage.
Vielleicht können Sie auf meine letzte Zusatzfrage präziser antworten. Durch welche anderen Maßnahmen außer denen, die durch den gesetzlichen Rahmen gegeben sind, z. B. durch öffentliche Aufklärungskampagnen, die Förderung lesbischer Vereine oder auch die Anerkennung ihrer Gemeinnützigkeit, gedenkt die Bundesregierung der Diskriminierung von Lesben insbesondere am Arbeitsplatz Einhalt zu gebieten?
Für den Bereich des Bundesministers der Justiz sehe ich hier keinen zusätzlichen Bedarf.
Frau Wolf, Sie haben das Wort für eine kurze und schnelle Frage. Wir sind fast am Ende. Bitte, Frau Wolf.
Ich stelle jetzt - im Anhang dieses aktuellen Falles - noch einmal die Frage: Sehen Sie nicht doch einen Handlungsbedarf, daß hier Öffentlichkeitsarbeit nötig ist, um diese Problematik sichtbarer zu machen?
Frau Kollegin, die Bundesregierung hat ihren Standpunkt dazu mehrfach deutlich gemacht. Ich möchte nicht wiederholen, was ich schon in Beantwortung der Frage 10 hier gesagt habe. Ich denke, meine Ausführungen waren hinreichend.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt „Aktuelle Stunde" auf:
Haltung der Bundesregierung zur Ausbildungssituation in den neuen Bundesländern
Die Fraktion der SPD hat gemäß unserer Geschäftsordnung diese Aktuelle Stunde beantragt.
Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Fischer.
Herr Präsident! Verehrte Abgeordnete! Ich komme aus einem neuen Bundesland und möchte Ihnen kurz die Situation der Berufsausbildung in unseren neuen Ländern schildern. Die Stimmung bei den ehemaligen DDRBürgern, d. h. die Stimmung bei den direkt betroffenen Familien, ist bezüglich der Berufsausbildung denkbar schlecht. Dort herrscht oft Ratlosigkeit in den Familien darüber, wie es weitergehen soll, weil sie nicht oder nur unzureichend informiert worden sind.
Es ist zwar Informationsmaterial herausgegeben worden, aber, ich glaube, in schriftlicher Form reicht dies nicht. Wir brauchen unbedingt geschultes Beratungspersonal.
Nach einer Umfrage in den neuen Bundesländern hielten sich nur 5 % der Betroffenen für ausreichend informiert.
Im Programm der beruflichen Bildung für die neuen Bundesländer steht wörtlich: Betriebe, Berufsschulen, Ausbilder und Berufsschullehrer müssen in die Lage versetzt werden, die neuen Ausbildungsordnungen inhaltlich und organisatorisch umzusetzen. - Ich frage Sie wirklich: Wie kann man das realisieren, da die Betriebe bei uns ums Überleben kämpfen bzw. diesen Kampf leider schon verloren haben?
Diese Betriebe schließen ihre Betriebsberufsschulen. Sie geben sie aber trotz der Vereinbarungen des Einigungsvertrags oft nicht an die Kommunen zurück, sondern vermieten sie als Lagerhallen oder als Büroräume an westliche Firmen. Diese westlichen Firmen sitzen jetzt in diesen Räumlichkeiten und wir fragen uns, wie wir sie wieder herausbekommen.
Es bahnt sich ein zusätzlicher Raummangel dadurch an, daß Berufsvorbereitungs- bzw. Berufsgrundbildungslehrgänge stattfinden. In Halle betrifft es ca. 800 bis 1 500 Schüler. Das wären also insgesamt noch einmal 40 Klassen, bei denen die Räume fehlen.
Jugendliche, die bereits in der Ausbildung standen und durch den Konkurs ihrer Betriebe in anderen Berufsschulen untergebracht werden müssen, kommen dann noch hinzu. Das waren bis Ende September 1990 etwa 18 500. Die Konkurslehrlinge, die 1990 überhaupt keinen Ausbildungsplatz hatten, bemühen sich natürlich 1991 wiederum, einen Ausbildungsplatz zu erhalten.
Es zeigt sich bei uns die Tendenz, daß die Berufsschullehrer in den Westen gehen, da sie dort etwas sicherere Bedingungen vorfinden als bei uns in den neuen Bundesländern.
Die Jugendlichen, die nahe der ehemaligen DDR-Grenze wohnen, lösen das Problem natürlich auf ihre eigene Weise. Sie gehen ebenfalls in den Westen, genau wie ihre Berufsschullehrer, und lassen sich dort ausbilden. Wahrscheinlich kehren viele anschließend nicht in die neuen Bundesländer zurück. Viele bleiben im Westen.
Der bei uns schon jetzt deutliche Mangel an Facharbeitern droht dann sicherlich chronisch zu werden.
({0})
Ich komme aus dem Wahlkreis, in dem Bitterfeld und Wolfen liegen. Ich weiß nicht, ob Ihnen das ein Begriff ist. Dort hat sich die chemische Industrie konzentriert. Wer einmal dort durchgefahren ist, hat es gerochen: Diese Betriebe sind hoffnungslos veraltet. Sie müssen Arbeitskräfte abbauen. Dort werden natürlich auch Betriebsberufsschulen geschlossen. Sie können sich vielleicht vorstellen, wie die Situation dort aussieht: Von 779 Schulabgängern erhalten nur 526 einen Arbeitsplatz. Das sind nur ca. 70 %. Es sind dann 30 %, die immer noch auf der Straße stehen.
({1})
In bestimmten Bereichen des Mittelstands gibt es bei uns - ich kann jetzt nur von meinem Wahlkreis sprechen - überhaupt keine Angebote. Das sind z. B.: Tischler, Köche, Optiker und - hören Sie richtig zu! - Kfz-Mechaniker.
Noch etwas möchte ich erwähnen, auch wenn es bis zum Überdruß genannt wird, wenn es um die neuen Bundesländer geht; das zieht sich wie ein roter Faden - es ist eigentlich schon ein roter Strick - durch alle Bereiche der ehemaligen DDR. Ich meine den roten Strick der Seilschaften. Sie sitzen immer noch oder wahrscheinlich schon wieder in den Arbeitsämtern. Sie sitzen immer noch in den Berufsschulen und leider auch noch in den Betrieben. Eines ist sicher: Die Kinder dieser Spezies Mensch des sogenannten realen Sozialismus gehören gewiß nicht zu denen, die im Herbst 1991 keinen Ausbildungsplatz bekommen.
Ich habe bemerkt, daß sich bei den Menschen in den neuen Bundesländern wieder das Gefühl der Ohnmacht bemerkbar macht. Ich bitte die Bundesregierung: Verstärken Sie bitte dieses Gefühl der Ohnmacht nicht durch eine Macht ohne Gefühl Ihrerseits.
Danke.
({2})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Eichhorn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den neuen Bundesländern haben wir derzeit eine schwierige Situation. Verehrte Frau Vorrednerin, es ist nicht einfach, die Umstellung von der SED-Planwirtschaft zum marktwirtschaftlichen System zu bewältigen. Allerdings hätte auch nur ein Törichter zu glauben vermocht, daß mit dem Eintritt in die Soziale Marktwirtschaft in den neuen Bundesländern von heute auf morgen alle Schwierigkeiten bewältigt würden.
Die Probleme des Arbeitsmarkts in den neuen Bundesländern erfüllen uns mit Sorge. Dies gilt auch für die Ausbildungsplätze. Es wird nicht leicht sein, zum 1. September für 120 000 Schulabgänger qualifizierte Ausbildungsplätze bereitzustellen.
({0})
Gleichwohl hilft es den jungen Menschen in den neuen Bundesländern überhaupt nicht, wenn jetzt Hiobsbotschaften verbreitet und Schreckgespenster an die Wand gemalt werden.
Als Anfang der 80er Jahre in der damaligen Bundesrepublik eine ähnliche Situation, nicht zuletzt auf Grund der verfehlten Wirtschaftspolitik der damaligen Regierung, zu verzeichnen war, ist es in einer gemeinsamen Aktion von Bundesregierung und Wirtschaft gelungen, das Problem zu bewältigen. Heute haben wir wieder einen Lehrlingsnotstand. Viele Ausbildungsbetriebe suchen händeringend nach Lehrlingen.
Bundeskanzler Helmut Kohl hat vor ein paar Tagen zu einer ähnlichen Initiative, zum sozialen Dialog für die neuen Bundesländer, aufgerufen und bei dieser Gelegenheit an die erfolgreiche Lehrstelleninitiative nach 1982 erinnert. Er will deshalb sehr bald zu Gesprächen einladen, die in einem Solidarpakt alle Beteiligten einbinden könnten.
Wir begrüßen es ausdrücklich, wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, diese Initiative unterstützen. Die Spitzenverbände der Wirtschaft haben ihre Bereitschaft zur Unterstützung bereits bekundet und konkrete Vorschläge gemacht. Die Wirtschaftsverbände sind willens zu helfen, so wie sie es in den 80er Jahren schon einmal getan haben.
Nach dem dualen System findet Ausbildung aus guten Gründen in den Betrieben statt. Erst in zweiter Linie ist der Staat gefordert. Die Bundesregierung stellt sich jedoch dieser Forderung. Dies beweist schon das persönliche Engagement des Bundeskanzlers.
Bereits im letzten Jahr wurden lautstark Befürchtungen geäußert. Ich kann jedoch feststellen, daß die Schwierigkeiten beim Start in das Berufsbildungsjahr 1990 in den neuen Bundesländern wesentlich geringer waren, als ursprünglich geglaubt wurde. Die von allen vorausgesagte Lehrlingskatastrophe ist nach dem 1. September 1990 ausgeblieben. Nach Auskunft des Generalsekretärs des Bundesinstituts für Berufsbildung, Herrn Schmidt, sind im vergangenen Jahr in den neuen Ländern 123 000 Ausbildungsverträge abgeschlossen worden. Auch für die im Spätsommer noch als unversorgt geglaubten Lehrstellenbewerber haben sich nach Darstellung Schmidts in den meisten Fällen tragfähige Alternativen ergeben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben allen Anlaß, die Sorgen der Lehrstellenbewerber sowie der Mütter und Väter in den neuen Bundesländern ernst zu nehmen. Zur Lösung des Problems bedarf es der Bündelung aller wirtschaftlichen und sozialen Kräfte. Es kann uns nicht gleichgültig sein, welche erste Erfahrung junge Menschen mit der Sozialen Marktwirtschaft bei der Suche nach einer Lehrstelle machen. Die positiven Erfahrungen des letzten Herbstes sollten uns aber hoffen lassen, besonders auch deswegen, weil das System der dualen Berufsausbildung seine einzigartige Leistungsfähigkeit bisher nachdrücklich unter Beweis gestellt hat.
Meine Damen und Herren, ich bin fest davon überzeugt, daß wir die Schwierigkeiten in den neuen Bundesländern meistern werden. Die Soziale Marktwirtschaft wird den jungen Menschen dort alle Zukunftschancen eröffnen.
Danke schön.
({1})
Ich erteile dem Abgeordneten Guttmacher das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ebenso wie Frau Fischer komme ich von den Freien Demokraten aus dem Land Thüringen. Ich teile Ihre Sorge sehr wohl, und ich muß Ihnen auch sagen, daß ich sehr erfreut darüber war, daß Sie heute einen solchen Antrag in der Fragestunde eingebracht haben.
({0})
Es ist ganz schlimm, daß es so viele Arbeitslose in den fünf neuen Ländern gibt. Aber es ist noch viel schlimmer, wenn die Basis der Ausbildung junger Menschen in Gefahr gerät.
Im Ausbildungsjahr 1990/1991 erhalten etwa 130 000 Jugendliche eine Berufsausbildung, wobei die Ausbildung in gewerblich-technischen Berufen gegenüber kaufmännischen und handwerklichen Berufen überproportional stark erfolgt. Das oberste Gebot ist, daß die Berufsausbildung zum berufsqualifizierenden Abschluß führen muß und Kompetenz, Einsicht und Bereitschaft zu Fort- und Weiterbildung vermitteln soll.
Hierbei hat sich die duale Ausbildungsform, d. h. die Ausbildung im Betrieb und in der Berufsschule, sehr bewährt. Die duale Ausbildung, meine Damen und Herren, wird aber nun in zunehmendem Maße infolge von Betriebsstillegungen und Konkursen vieler auch die Ausbildung tragender Betriebe stark gefährdet. Dabei ist der Bund nach Art. 74/Nr. 11 des Grundgesetzes natürlich in der Pflicht, den Teil der Berufsausbildung, der im Rahmen des sogenannten dualen Systems in den Betrieben der Wirtschaft bzw. in der Verwaltung durchzuführen ist, zu regulieren.
Mit Hilfe der Förderung nach dem Vorsorgeprogramm der Bundesregierung - darüber hat heute der Bundesbildungsminister im Bildungsausschuß berichtet - konnten gravierende Einbrüche am Ausbildungsstellenmarkt bis zum Jahresende 1990 noch abgewendet werden. Nach diesem Vorsorgeprogramm - so gab der Bundesbildungsminister heute seinen Bericht - wurden bis Jahresende 1990 die Berufsausbildung von rund 31 500 Jugendlichen und die Berufsvorbereitung von rund 3 500 Jugendlichen in den neuen Bundesländern - einschließlich der von der Bundesanstalt für Arbeit geförderten Maßnahmen - nach dem Ausbildungsförderungsgesetz gefördert.
Die FDP-Bundestagsfraktion befürwortet und unterstützt die Bemühungen des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft in der Form, daß eine Ausbildungskampagne angelegt wird. Wir sehen - damit wollen wir nicht nur klagen, sondern auch versuchen, konstruktiv einige wichtige Lösungsschritte zu tun - folgende Punkte:
Erstens. Zur Lösung der Probleme muß es zu einer öffentlichkeitswirksamen und koordinativen Aktion der Bundesregierung, der Sozialpartner und der Bundesanstalt für Arbeit kommen, um die noch bestehenden und neugegründeten Betriebe zu veranlassen, ihre Ausbildungskapazitäten voll auszuschöpfen. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang die durch das Ministerium für Bildung und Wissenschaft vorgenommene Ausarbeitung eines Programmes zur teilweisen Übernahme von Investitionen und Betriebskosten für überbetriebliche Berufsbildung.
Zweitens. Die Treuhandanstalt darf sich nicht nur als eine reine Kapitalverwaltungsgesellschaft verstehen, sondern hat entsprechend dem Einigungsvertrag auch strukturpolitische Aufgaben.
({1})
Dazu gehört auch eine mindestens bedarfsgerechte Nutzung der vorhandenen Ausbildungskapazitäten.
({2})
Ausbildung darf auf keinen Fall proportional zum notwendigen Beschäftigungsabbau in den Treuhandunternehmen zurückgeschraubt werden.
Drittens: Neu angesiedelte Firmen und Gesellschaften, besonders Versicherungsgesellschaften und Banken,...
Herr Kollege Guttmacher, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
- danke, Herr Präsident -.. müssen dazu gewonnen werden, über den Eigenbedarf hinaus besonders für die Ausbildung zu kaufmännischen Berufen zur Verfügung zu stehen.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Bläss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von Oktober 1990 bis Januar 1991 gab es in den neuen Bundesländern 53 210 gemeldete Ausbildungsplätze. Dagegen standen 54 996 Ausbildungssuchende, darunter 10 100, deren Lehrverträge gelöst wurden.
Bei diesen Zahlen muß berücksichtigt werden, daß viele der Betriebe, die noch im Oktober/November Ausbildungsplätze gemeldet haben, heute gar nicht mehr existieren. Im Januar 1991 gab es in den neuen Bundesländern 27 655 unbesetzte Ausbildungsstellen, aber 37 067 noch nicht vermittelte Ausbildungssuchende.
Perspektive für 1991 ist, daß 120 000 Schulabgängern in den neuen Bundesländern nur noch 40 000 Ausbildungsplätze gegenüberstehen. Allein für Berlin und Brandenburg wird befürchtet, daß 40 % der Ausbildungskapazität nicht mehr zur Verfügung stehen. In Berlin werden 11 000 Ausbildungsplätze fehlen.
Schon im September 1990 lag der Anteil der arbeitslosen Jugendlichen unter 25 Jahren bei 21 %. Diese Tendenz ist steigend. Sie setzt sich mit weiteren Betriebsschließungen, Stillegungen, Kurzarbeit auf Null und dem Abbau von Kündigungsvorschriften für Auszubildende ununterbrochen fort.
Lassen Sie mich bitte einige Beispiele anführen: Das Stahlwerk Hennigsdorf kündigt 80 % seiner bisherigen Ausbildungskapazitäten auf. Im Magdeburger Armaturenwerk sollen Ausbildungsplätze von 300 auf 48 reduziert werden. In der Region Eisenhüttenstadt/ Strausberg haben drei Viertel aller Schulabgänger seit Oktober 1990 keine Lehrstelle bekommen. In Thüringen ist jeder vierte Jugendliche ohne Arbeit.
Da in den alten Bundesländern der Trend der Zeit genau umgekehrt verläuft, 1990 beispielsweise 100 000 Ausbildungsstellen nicht besetzt werden konnten, läßt sich leicht ausrechnen, was in den nächsten Monaten passieren wird. Der Strom junger arbeitsfähiger Menschen in Richtung Westen wird nicht abbrechen. Tausende werden ihr Glück in den Altbundesländern suchen, um dort eine Berufsperspektive zu finden. Diese Abwanderung wird besonders die Regionen treffen, in denen flächendeckend vorhandene Industrie zerstört wird und damit auch Ausbildungskapazitäten vernichtet werden. Es wird zu einer systematischen Entvölkerung ganzer Landstriche kommen bzw. zu ihrer völligen Überalterung.
Das Bundesbildungsministerium kündigt nun eine Ausbildungsoffensive an und verspricht schnell wirkende Mittel zum Aufbau eines Berufsbildungssystems. Di ese Versprechungen bleiben Luftnummern, wenn der unüberbrückbare Widerspruch zwischen Ausbildungs- und Beschäftigungsversprechen der Regierung und dem durch die Treuhand täglich praktizierten Kaputtsanieren von Betrieben bestehen bleibt.
Angesichts der fortschreitenden Zerstörung der ehemaligen DDR als Industrie- und Produktionsstandort und angesichts der fehlenden Arbeitsmarkt- und Strukturkonzepte der Bundesrepublik für die neuen Bundesländer muß die Frage beantwortet werden, welche Stoßrichtung die Ausbildungsoffensive haben soll, für welche Bereiche eigentlich mit Zukunftsaussicht ausgebildet werden soll. Jede Berufsausbildung
landet in der Sackgasse, wenn nicht gleichzeitig in diesen Bereichen auch Berufserfahrungen gesammelt werden können.
Dadurch, daß schon bis heute flächendeckend Ausbildungskapazität vernichtet wurde, ist die Situation entstanden, daß Tausende von Lehrlingen nicht auslernen können. Da ihnen der Beruf sbildungsabschluß fehlt, haben sie auch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld und rutschen dementsprechend direkt in die Gruppe der Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger. Abgesehen von dem bedrückenden persönlichen Schicksal belastet das auch noch die Kommunen, deren Pleite sich bereits jetzt vielerorts drastisch ausdrückt.
Insofern war auch die Maßnahme, die Betriebsberufsschulen in die Trägerschaft der Kommunen zu geben, von vorneherein dazu angetan, Ausbildungskapazität zu vernichten statt zu erhalten. Einzelne Versuche, Betriebsberufsschulen in eigener Trägerschaft zu behalten, wie es z. B. bei Carl Zeiss, Jena, der Fall war, sind durch die Politik die Treuhand gescheitert.
Die Bundesregierung ist mit der Tatsache konfrontiert, daß es in der ehemaligen DDR einen sehr hohen Ausbildungsstand von 90 % bis 92 % gegeben hat. Es bedarf schon grundlegender Konzepte, wenn dieser Stand nur im Ansatz erhalten werden soll. Schließlich hat es schon regionale Versuche gegeben, mit der beschäftigungs- und ausbildungspolitischen Katastrophe umzugehen, bei denen der Verdacht naheliegt, daß sie sang- und klanglos eingestellt und ausgehungert werden. Ich erinnere an das beschäftigungspolitische Sofortprogramm des Ost-Berliner Magistrats und die für den Westen Berlins angekündigte Initiative „Berlin qualifiziert"
Die PDS/Linke Liste fordert deshalb eine Ausbildungsabschlußgarantie für alle Auszubildenden. Alle abgeschlossenen Ausbildungsverträge müssen aufrecht erhalten werden, und den Auszubildenden müssen gegebenenfalls Alternativangebote gemacht werden, so wie es im Einigungsvertrag festgelegt ist. Mit der Ausbildungsgarantie ist eine Übernahmegarantie zu verbinden, bzw. es sind Maßnahmen zu schaffen, damit die Ausbildungsabsolventen Berufserfahrungen sammeln können und nicht gleich nach Abschluß ihrer Ausbildung in der Langzeitarbeitslosigkeit landen.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist schon ein gutes Stück überschritten.
Vielleicht noch einen Satz?
Bitte.
Wir sind der Auffassung, daß in den sechs neuen Bundesländern nicht der Neuaufbau eines Berufsausbildungssystems vonnöten ist, sondern die dort gut entwickelte Infrastruktur der Ausbildungseinrichtungen zu erhalten, zu fördern und auszubauen ist.
({0})
Ich erteile dem Abgeordneten Küster das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Einführung des dualen Systems der beruflichen Ausbildung zum 1. September brachte einige Schwierigkeiten mit sich. Wir haben dazu gute Worte gehört; es hat sich in der Bundesrepublik bewährt. Es hat aber einen Nachteil: Die ostdeutschen Länder waren darauf nicht vorbereitet. Die Kommunen haben zum 1. September mit Mühe die Berufsschulen übernommen. Sie haben sich verwaltungstechnisch gewaltig anstrengen und finanztechnische Probleme auf sich laden müssen. Darüber wollen wir nicht reden.
Ich will auf den anderen Teil eingehen: Welche anderen Folgen hat dies? Die berufspraktische und die berufstheoretische Ausbildung erfolgten gemeinsam in den Betrieben, meistens in Industrieunternehmen. Nur zu einem geringen Teil wurde in den Handwerksbetrieben ausgebildet. Das ist ein wesentlicher Unterschied; er ist nicht beachtet worden.
Jetzt sind die Kommunen die Träger der Berufsschulen. Die Betriebe waren ehemals die Träger der berufspraktischen Ausbildung. Wir wissen, was mit den Betrieben passiert. Ich möchte an einen Punkt erinnern: Schlagen Sie eine Zeitung auf, die für den Osten Deutschlands zuständig ist. Darin lesen sie von Konkursen, z. B. von Konkursen der landwirtschaftlichen Betriebe. Das heißt, die Ausbildungsberufe in der Landwirtschaft werden drastisch kaputtgehen. Wir werden einen Mangel erfahren, den wir erst in Jahren wieder ausgleichen können.
Ich möchte darauf hinweisen, daß ein Großteil der Industrieunternehmen jetzt schon in Konkurs geht. Damit gehen die Ausbildungsplätze ebenfalls verloren.
Hotel- und Gaststättengewerbe - ein wichtiger Punkt, um auch Dienstleistung im Osten aufzubauen - ist mit Privatisierung verbunden - eine notwendige Konsequenz, die auch ich so sehe. Aber auch hier ist im Zeichen der Privatisierung, der Umstellung der Wirtschaft, meine Damen und Herren, einiges verlorengegangen, nämlich die Ausbildungsplätze; das ist das erste, was verlorengeht.
Die Industrieunternehmen wissen natürlich, was zum Überleben nötig ist - erst einmal. Das sind nicht die Lehrlinge; die sind erst einmal eine Belastung, eine Langzeitinvestition, die jetzt abgebaut wird. Mir sind Zahlen bekannt, daß die Ausbildungsplätze auf 10 bis 20 % reduziert werden. Das Baugewerbe in Magdeburg z. B. fährt die Plätze auf 10 % runter, also 90%iger Abbau der Ausbildungsplätze.
Der berufstheoretische Teil der Ausbildung in den Kommunen ist mehr oder weniger gut gesichert; das läuft. Natürlich fehlen auch Ausbilder. Alle guten Ausbilder sehen sich nach anderen Perspektiven um. Der berufspraktische Teil wird der Punkt sein, an dem wir die Ausbildungsinitiative jetzt messen müssen. Dieser Teil der Ausbildung erfolgt zum großen Teil in den Industrieunternehmen.
Die neu entstandenen Handwerksbetriebe hüten sich davor, Lehrlinge aufzunehmen. Sie möchten diese Last im Augenblick nicht auf sich nehmen; ich
kann das verstehen. Die gesamte Industrie ist höchst unsicher, der Boden ist schwankend. Die gestandenen Handwerksbetriebe, die jetzt vielleicht prosperieren, werden sich vor der Ausbildung hüten; sie haben auch nicht die Kapazität, den Verlust an Ausbildungsplätzen auch nur annähernd auszugleichen.
Zum anderen - das ist genauso wichtig - fehlt es an Ausbildern. Die Ausbilder waren vorher in den Industriebetrieben, nämlich Industriemeister. Industriemeister sind nach dem dualen System der Ausbildung für die Ausbildung in Handwerksberufen nicht zugelassen. Jetzt ist es also dringend nötig, die Ausbilder erst einmal auf ihre neue Aufgabe vorzubereiten. Hier ist eine Initiative nötig, daß nämlich jetzt ganz schnell entschieden wird: Was machen wir mit unseren alten Industriemeistern, die Lehrlinge, Auszubildende jahrelang an die Berufe herangeführt haben? Hier ist eine Initiative dringend vonnöten.
({0})
Ihnen ist sicherlich auch bekannt, daß diese Meister bereit sind, Teil 3 und 4 der Handwerksprüfung neu abzulegen und sich damit natürlich in das neue System einzufügen. Allerdings sind sie nicht bereit, die volle Ausbildung zu absolvieren.
Den Optimismus der Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion kann ich nicht teilen. Natürlich, der 1. September 1990 wird sich vom 1. September 1991 drastisch unterscheiden. Ich spreche jetzt einmal nur von einer Großstadt, Magdeburg. 6 500 Schulabgänger - um einmal Zahlen zu nennen - werden zum September erwartet. Jetzt vielleicht die Zahl, die dagegensteht - und ich nenne eine optimistische Zahl - : 2 000 von den 6 500 Abgängern werden einen Ausbildungsplatz bekommen. Vielleicht müssen wir uns an diese Zahlen gewöhnen, aber ich habe nicht die Absicht, mich daran zu gewöhnen.
({1})
Denn das sind nur 30 %, die einen Ausbildungsplatz bekommen; negativ formuliert: 70 % bleiben außen vor.
({2})
Stellen Sie keine Fragen mehr; die Redezeit ist abgelaufen.
Ich möchte auch noch einen Begriff in den Duden, in den deutschen Sprachgebrauch einführen: die Wanderlehrlinge, das sind alle die, die aus den grenznahen Bereichen jetzt in den Westen rübergehen.
Herr Kollege, die Bemerkung war auch an Sie gerichtet. Ihre Redezeit ist seit langem abgelaufen.
Herr Präsident, ich habe Ihre Geduld überstrapaziert.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Päselt.
Verehrter Herr Präsident! Verehrte Abgeordnete! Als Abgeordneter aus einem der neuen Bundesländer bin ich sehr dankbar dafür, daß das Problem der Berufsausbildung heute in der Aktuellen Stunde auf dem Plan steht. Als ehemalige DDR könnten wir sicher auch noch andere Themen liefern, aber es ist zumindest - das möchte ich dazusagen - erst einmal ein Anfang.
Ich habe zur Untermauerung etwas mitgebracht, weil hier Widersprüchliches gesagt und - das gilt für alle Kollegen - Zahlenmaterial vorgetragen wurde, das für die DDR nicht repräsentativ ist.
({0})
Ich wollte es in das Ganze einflechten; aber es paßt vielleicht besser hierzu. Es handelt sich um einen Bericht. Ich habe ihn nicht eigens für die heutige Debatte angefordert. Ich habe mich schon die ganze Zeit um Berufsausbildung gekümmert. In Gotha lief eine Messe, bei der auch der Parlamentarische Staatssekretär war. Ich habe mir diesen Bericht des Arbeitsamts Gotha für meinen Wahlkreis zustellen lassen; das Arbeitsamt Gotha ist allerdings nicht das einzige Arbeitsamt für meinen Wahlkreis. Ich möchte Ihnen aus diesem Bericht vorlesen, weil er jene Lehrlinge betrifft, die 1990 angefangen haben. Nun kommt die Konkursmasse auf uns zu. Sie können diesen Bericht einsehen. Ich habe ihn nicht gefälscht. Das muß ich dazusagen.
({1})
- Danke. - Es geht um Unternehmungen, die relativ groß sind.
Zuerst sind hier die Gummiwerke Thüringen in Waltershausen aufgeführt. Die Anzahl der Auszubildenden beträgt 193. Unter den Berufen sind u. a. sechs Köche aufgeführt. Ich erwähne das, damit Sie eine Vorstellung bekommen. Zu diesem Bertrieb heißt es in dem Bericht:
Die neuen Besitzer dieses Unternehmens ({2}) haben sich geäußert, daß sie die bestehenden Ausbildungsverträge zu Ende führen werden. Da eine breite Palette von Berufen auch in den anderen größeren Unternehmen ausgebildet wird, erspare ich mir die weitere Aufschlüsselung auf die Ausbildungsberufe.
Als nächstes ist das Gothaer Fahrzeugwerk genannt, das für den „Wartburg" das Gestell geliefert hat, also mit der Produktion des „Wartburg" eng verbunden ist. Es hat 233 Auszubildende. Hierzu heißt es in dem Bericht:
Kündigung ist noch nicht ausgesprochen, die Belegschaft ist überwiegend auf Kurzarbeit Null gesetzt. Die Gothaer Fahrzeug GmbH hatte für AWE die Untergestelle für den PKW „Wartburg" produziert. Wenn es zur Kündigung der Azubi kommt, gibt es für alle 233 eine Alternativlösung in der überbetrieblichen Ausbildung. Bildungsträger steht zur Verfügung. Voraussetzung ist, daß die praktische Ausbildungsstätte in der GoDr. Päselt
thaer Fahrzeugwerk GmbH erhalten bleibt und nicht durch Entscheidungen zweckentfremdet genutzt wird.
Ich habe mir dazu etwas aufgeschrieben, möchte aber davon abweichen. Die Überlegung, daß diese Ausbildungsstätten erhalten bleiben müssen, durchzieht alles.
({3})
Das Problem ist, wer dies tun soll. Der Industriemeister in der DDR ist mit dem bundesrepublikanischen Meister in keiner Weise zu vergleichen. Das muß ich dazusagen.
({4})
Die Lehrlingsausbilder waren es, die die Lehrlingsausbildung vorgenommen haben. Der Industriemeister war stärker im politischen Bereich tätig. Ich muß betonen: Auch in den DDR-Handwerkskammern durfte er nicht für das Handwerk tätig sein. Er mußte den Handwerksmeister nachmachen. Er hat auch keine Zulassung bekommen. - Die Weiterbildung ist jetzt sicher ein anderes Problem.
Ich möchte noch einige Angaben aus dem Bericht vortragen.
Für die Automobilwerke Eisenach - das berühmte „Wartburg"-Werk - werden 420 Auszubildende genannt. Hirzu heißt es in dem Bericht:
Nach gegenwärtigem Erkenntnisstand wird die Ausbildung vom Bildungsträger tbz Paderborn bis zum Abschluß geführt. Eine erneute Beratung mit den Abteilungen Arbeitsvermittlung und Berufsberatung findet am 8. 2. 1991 in Eisenach statt.
Ich bin eingeladen worden, mich in der nächsten Woche in Paderborn und auch in Eisenach verständig zu machen. Es handelt sich wirklich um ziemlich hohe Zahlen.
Dasselbe trifft für die Uhrenwerke Ruhla zu. Dort gibt es 387 Auszubildende. Dazu wird mitgeteilt:
Im ehemaligen Kombinatsbetrieb der Uhrenwerke Ruhla werden sich eine größere Anzahl von klein- und mittelständischen Betrieben niederlassen. Der gegenwärtige Stand ist, daß die begonnenen Ausbildungsverträge zum Abschluß geführt werden.
Da ich noch einiges andere aufgeschrieben habe, möchte ich Ihnen nicht den ganzen Bericht vorlesen.
Herr Kollege, es genügt, daß Sie jetzt noch einen guten letzten Satz sagen. Dann ist Ihre Redezeit abgelaufen.
Das Resümee lautet:
Die Übernahme von überbetrieblichen Ausbildungsplätzen durch Bildungsträger setzt in dem gewerblich-technischen Bereich voraus, daß die bestehenden praktischen Ausbildungsstätten in den Unternehmen erhalten bleiben müssen. Kein Träger ist in der Lage, kurzfristig für mehrere
Hundert Teilnehmer Ausbildungsplätze einzurichten.
Überall geht es, wie meine Frau Kollegin schon gesagt hat, um die Treuhand und um den Erhalt dieser Stätten. Ich möchte eigentlich sagen: Ich halte die Schätzung für richtig, daß 30 %, 35 %, 40 % - darüber, wie viele es wirklich sind, könnte man streiten ({0}) vermittelt worden sind.
Der Herr Minister hat uns heute früh - wir haben ja schon eine Sitzung hinter uns -
Vor allem gilt es jetzt die Zahl der fünf Minuten zu beachten, Herr Kollege.
Danke. Ich mache das.
({0})
- Es gibt Handlungsbedarf .. .
Nein; die Redezeit ist wirklich abgelaufen.
... für das Ganze. Ich hoffe, daß wir im Konsens darüber sind, daß wir der Treuhand die Stätten abjagen. Ich hoffe, daß wir einig sind, .. .
Bitte kommen Sie zum Schluß!
... daß wir die außerbetriebliche Ausbildung fortsetzen können. Ich habe Ihnen die Zahlen vorgetragen.
Ich danke Ihnen.
({0})
Lassen Sie mich eine ganz kleine Bemerkung machen. Diese Aktuelle Stunde lebt natürlich auch davon, daß wir fair mit unserer Redezeit umgehen. Wenn jeder um eine halbe oder um eine dreiviertel Minute die Redezeit überschreitet, dann verzerrt sich das. Ich bitte Sie doch herzlich, das gelbe und das rote Licht zu beachten. Das gelbe Licht leuchtet auf, wenn Sie noch eine Minute haben, das rote, wenn die Redezeit zu Ende ist.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hansen.
Herr Präsident, vielen Dank für die Aufklärung.
Meine Damen und Herren! Vielleicht ist es auch jemandem gestattet, der nicht aus den fünf neuen Bundesländern kommt - also aus „Ziswerranien", wenn ich das einmal abwandle - , zu diesem Thema etwas zu sagen; denn wir leben doch in einem Deutschland.
Es kann gar keine Frage sein, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse momentan natürlich auch deutlich machen, daß sich die Frage nach der Ausbildungssituation stellt. Wenn es im vergangenen Jahr - die Zahlen mögen schwanken und unterschiedlich ge508
handelt werden, wie auch immer - doch im wesentlichen ausgereicht hat, allen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz oder mindestens berufsvorbereitende Maßnahmen zu vermitteln, so ist auch klar, daß es jetzt schwere Einbrüche gegeben hat. Deswegen haben wir heute morgen im Ausschuß darüber debattiert, und deswegen ist auch diese Stunde heute natürlich aktuell und durchaus sinnvoll.
Viele Ausbildungsplätze sind aber aus letztlich wirtschaftlichen Gründen gefährdet. Nun stellen sich zwei Problembereiche: erstens die grundsätzlich erforderliche Anzahl der Ausbildungsplätze, die vorzubereiten ist. Frau Bläss hat vorhin die Zahl von 120 000 genannt. Dazu kommen zweitens noch die, die - im Grunde sind es schreckliche Wörter, aber sie sind doch treffend - als „Konkurslehrlinge" und „Wanderlehrlinge" bezeichnet werden. Das erhöht die Dramatik der Situation durchaus.
Für Liberale steht in diesem Zusammenhang der Grundsatz weiterhin fest: Bildung ist ein unverzichtbares Bürgerrecht. Dazu zählt eben auch die Berufsbildung. Sie ist das unverzichtbare Mittel dafür, daß der einzelne nicht zum Objekt von Ideologien, Technologien, Sachzwängen oder unverschuldeter Arbeitslosigkeit wird.
({0})
Gerade der junge Mensch hat in den neuen Bundesländern vor dem Hintergrund der Geschehnisse des vergangenen Jahres die Chance zu bekommen, ausgebildet zu werden, um seinen Lebensweg jetzt selbständig und nach seinen Befähigungen gehen zu können. Wir alle sind deshalb gefordert, die notwendigen Rahmenbedingungen zu setzen.
Die Erwartungen an den Bund - das haben wir gerade heute vormittag in den Debatten erlebt, und das erleben wir auch hier immer wieder - werden häufig überzogen oder zumindest überzeichnet. Das rührt daher, daß die Kompetenzen nicht ausschließlich oder nur in einem geringeren Maße beim Bund liegen. Aber der kooperative Föderalismus ist doch in besonderer Weise gefordert.
({1})
- Ich habe „nicht nur" gesagt. - Die Bildungspolitik vollzieht sich bei uns in den alten Bundesländern einerseits häufig nach dem Grundsatz „Einheit in der Vielfalt", aber die Kakophonie in der Bildungspolitik ist ja gar nicht zu überhören.
Die Koalitionsvereinbarungen geben, denke ich, einen ersten Hinweis darauf, wohin wir gehen wollen. Wir sind uns einig, die berufliche Aus- und Weiterbildung mit einer hohen Priorität zu versehen. Wir unterstützen nachhaltig ein Qualifizierungssystem in der beruflichen Bildung, wobei die Grundqualifikation notwendig ist, aber auch Zusatzqualifikationen - das ist eben hinsichtlich der Ausbildung der Ausbilder angesprochen worden - möglich zu machen sind.
Ausdrücklich betonen wir natürlich auch die Attraktivität des dualen Systems, das gegenüber Abitur und Studium gestärkt werden muß. Der sich allerorts
abzeichnende Fachkräftemangel ist nicht zu übersehen. Ihm muß entgegengesteuert werden.
Die Zahlen der Ausbildungssituation heute machen deutlich, daß zusätzliche Maßnahmen über das bisherige Maß, das zu Recht gelobt werden darf, hinausgehen müssen. Es darf nicht immer nur herumkritisiert werden. Insofern ist Herrn Dr. Päselt natürlich zuzustimmen. Er hat ja auch gesagt - ich unterstreiche das - : Es müssen zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden.
Die Erhaltung und Schaffung betrieblicher Ausbildungsplätze ist also das eine. Die Koalitionsfraktionen sehen in der Modernisierung überbetrieblicher Berufsausbildungsstätten - ebenso wie sie das für die elf alten Bundesländer getan haben - auch für die fünf neuen Bundesländer eine ständige Aufgabe, die sich stellen wird.
Die Bedeutung der überbetrieblichen Ausbildungsstätten als Ergänzung der betrieblichen Ausbildung ist nach mancherlei Wehen bei uns hier im Westen eigentlich nicht mehr umstritten. Ich darf, wenn Sie erlauben, einmal meinen früheren Kollegen Friedrich Neuhausen zitieren, der von dieser Stelle erst vor wenigen Monaten gesagt hat, daß gerade im Hinblick auf kleine und mittlere Betriebe auf diesem Gebiet den neuen Bundesländern eine besondere Aufgabe zukommt.
Die Steigerung der Attraktivität der Handwerksberufe ist deutlich; aber diese werden auch die wesentlichen Beiträge leisten. Die kleinen und mittleren Betriebe werden bei der erforderlichen Ergänzung und Modernisierung der Geräte und Maschinenausstattung dieser Ausbildungsstätten finanziell überfordert sein. Deswegen muß ihnen geholfen werden.
Man darf in diesem Zusammenhang vielleicht an die Schwarze Pumpe denken, an leerstehende Hallen, leerstehende Ausbildungsstätten, Großbetriebe, Industriebetriebe, die - das ist hier schon mehrfach gesagt worden - Kapazitäten vorhalten, die nicht genutzt werden. Im Grunde ist es in diesem Bereich notwendig zusammenzuwirken; von einem Pakt ist heute morgen bereits gesprochen worden.
Herr Kollege Hansen, das rote Licht leuchtet bereits seit einer ganzen Weile. Ihre Redezeit ist überschritten.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Der Aufschwung Ost muß auch in diesem Bereich der Ausbildungsplatzsituation verbessert werden, indem sich alle, Bund, Länder, Kommunen und Sozialpartner, nach bewährten Beispielen -
Das heißt, daß Sie bitte schließen!
- - verstärkt einsetzen. Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Rixe.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Alle meine Vorredner haben hier den katastrophalen Zustand der Ausbildungsplatzsituation in den fünf neuen Ländern vorgetragen. Dieser Situation dürfen wir in der Tat nicht länger zusehen.
Wir haben es dort, in den neuen Ländern, mit einer jungen Generation zu tun, der in der Tat von der Politik versprochen worden war, daß es genug Ausbildungsplätze und keine Arbeitslosigkeit geben werde. Wir haben ihnen Perspektiven für die Zukunft versprochen und nicht Lethargie und Tatenlosigkeit.
Erstaunt war ich, als ich heute morgen im Rundfunk den Bundeskanzler zu dieser Ausbildungsplatzmisere sagen hörte, es sei ein sozialer Dialog notwendig. Das haben wir doch schon einmal zu Beginn der achtziger Jahre gehört.
({0})
Aber dazu muß ich sagen: Dieser soziale Dialog konnte in einer Wirtschaft, die in den alten elf Ländern funktionierte, zum Erfolg führen - auch wenn das zehn Jahre gedauert hat -, aber nicht in den fünf neuen Ländern, wo die Wirtschaft zusammenbricht. Wir sind in der Tat alle gefordert zu handeln.
Herr Minister, ich begrüße es, daß man in dem neuen Haushalt einen neuen Punkt, Versuch zu Modelleinrichtungen, finden kann. Aber die Summe, die dort eingesetzt wurde, ist, muß ich sagen, ziemlich klein. Es nützt nichts, an diesem Punkt des Haushalts zu kleckern, sondern da muß geklotzt werden. Vor die genannten 32 Millionen DM schreiben Sie einmal eine 1. Das würde, denke ich, für das erste Jahr in den fünf neuen Ländern reichen.
Auch die Mittel der Bundesanstalt für Arbeit aus dem AFG sind nicht ausreichend. Es muß deswegen ein Aufbauprogramm her. Die sozialdemokratische Fraktion hat schon im letzten Sommer ein Sofortprogramm von 660 Millionen DM gefordert, in dem sich alle diese Punkte wiederfinden: berufsvorbereitende Maßnahmen für die Jugendlichen, die aus der Schule kommen, Schwerpunktprogramm zur Gründung überbetrieblicher Ausbildungsstätten.
Wir haben eben gehört, daß ungefähr 120 000 Schülerinnen und Schüler die Schule verlassen. 40 000 haben vielleicht eine Chance, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Im letzten Jahr, 1990, sind etwa 30 000 nicht vermittelt worden; sie kommen noch hinzu. Das heißt, daß wir ca. 100 000 bis 120 000 jungen Menschen - davon sind 60 % Mädchen; das muß man einmal deutlich sagen - helfen müssen.
Ich schlage deswegen vor, daß alle gesellschaftlichen Gruppen - Handwerk, Industrie- und Handelskammern, Gewerkschaften, die Länder und die Kommunen - in allen mittleren und größeren Städten in den fünf neuen Ländern über- und außerbetriebliche Ausbildungszentren ins Leben rufen, damit die jungen Leute dort eine Ausbildung beginnen können. Ich bestehe nicht darauf, daß dort dann 31/2 Jahre ausgebildet wird. Wenn das Handwerk in den fünf neuen Ländern funktioniert, können die jungen Leute überwechseln; das könnte man im Gesetz so regeln.
Die Gebäude sind da, die Polytechnischen Berufsschulen sind vorhanden. Eben hat der Kollege darüber gesprochen, wie sie bei der Treuhand verscherbelt werden. Wir müssen in diesem Punkt aufpassen. Die Schulen sind nämlich für den genannten Zweck eingerichtet worden und wurden nicht der Wirtschaft gegeben, um sie an den Mann zu bringen.
Wir könnten dies alles machen und dann in der Tat Gelder zur Verfügung stellen. Herr Minister, wir haben schon heute morgen im Ausschuß darüber gesprochen, daß, wenn wir das Benachteiligtenprogramm, das es für die elf alten Länder gibt, verdoppeln - auf die fünf anderen Länder -, es ausreichen würde, diese außerbetrieblichen Ausbildungszentren zu finanzieren, sogar mit Ausbildungsvergütung, und nach dem Benachteiligtenprogramm bekommen sie 460 DM im ersten Ausbildungsjahr. Ich denke, das ist schon eine dolle Sache.
Ich komme zum Handwerk, das in unseren alten Ländern in den letzten zehn Jahren die größte Ausbildungsleistung vollbracht hat. Es gibt eine ganze Menge Handwerker, die sich in den neuen Ländern als Handwerksmeister niedergelassen haben. Ich selber bin als Handwerksmeister oft drüben, diskutiere mit meinen Kollegen. Die sagen immer: Ich bin froh, wenn ich mal über die Runden komme; ich denke nicht an Ausbildung.
Vielleicht sollten wir auch darüber nachdenken, da noch Anreize zu schaffen. Ich bin für alles, was an Anreizen möglich ist, dankbar und wäre auch bereit, dem zuzustimmen, wenn wir damit nur den jungen Leuten in den fünf neuen Ländern helfen können.
Danke schön.
({1})
Vor allem hat er sich an die Zeit gehalten. - Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Doss.
Das ist das, was mich so enttäuscht, Herr Präsident, daß ein Handwerksmeister zu solchen Fehleinschätzungen kommt, weil ich normalerweise von solchen Leuten mehr Pragmatismus und Kenntnis über die Ausbildungsplätze vermuten darf. 80 % aller Ausbildungsplätze sind in den kleinen und mittleren Betrieben. Es ist nicht primär die Aufgabe des Staates - und kann es auch nicht sein - , Lehrstellen zu schaffen.
({0})
- Verehrter Herr Kollege, dann empfehle ich, daß wir uns hier über planwirtschaftliche Instrumentarien verständigen. Ich empfinde es fast als perfide, daß jemandem, der versucht, hier erfolgreiche Rezepte darzustellen, unterstellt wird, daß ihm das Schicksal der jungen
Leute nicht unter die Haut gehe. Ich weise das mit Entschiedenheit zurück.
({1})
Es ist hier in diesem Haus über Ausbildungsplätze diskutiert worden. Sie haben uns 1982 gejagt und haben versucht, uns anzuhängen, uns sei das Schicksal junger Menschen egal.
Mit den richtigen Rahmenbedingungen ist es bei uns heute so, daß die Handwerksmeister bei uns, in ihrer Mehrheit absolut anderer Meinung als Sie, den roten Teppich ausrollen, damit sie überhaupt einen Auszubildenden bekommen.
({2})
Das heißt, wir stehen ein halbes Jahr nach der Revolution vor der Herausforderung, daß die erste Erfahrung von jungen Menschen mit der Arbeitswelt nicht aus Arbeitslosigkeit bestehen darf.
({3})
Das ist der entscheidende Punkt. Wenn Sie, verehrte gnädige Frau, mich hätten ausreden lassen, wären vielleicht Ihre echauffierten Ausführungen unterblieben.
Ich bin deshalb der Auffassung: Wir sollten jetzt in einen Wettbewerb eintreten, wie es uns möglich ist, dafür zu sorgen, daß Handwerksbetriebe in die Lage versetzt werden, junge Leute drüben so schnell wie möglich einzustellen.
({4})
Noch etwas - ich sage das jetzt mal, und ich bitte, daß ich nicht mißverstanden werde - : Durch diese ununterbrochenen Horrorszenarien wird nicht die Realität verändert.
({5})
Ich darf das noch einmal sagen: Es wird nichts besser, wenn ich ununterbrochen behaupte, das Glas sei halb leer.
({6})
Wir sollten uns mit Realismus, mit einem berechtigten Optimismus dieser Frage zuwenden.
Bei den praktischen Dingen, die wir jetzt in die Wege leiten, wäre es z. B. sinnvoll - das ist von allen Rednern hier deutlich geworden - , daß wir mit den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die wir im Grunde genommen jetzt finanzieren können, verstärkt arbeiten. Dafür haben wir unsere Mitbürger um einen Solidarbeitrag gebeten, nicht für Gott weiß was. Mit diesen Mitteln sollten wir den Handwerksmeistern nicht die Arbeit wegnehmen, sondern z. B. freizustellende Ausbilder auf Zeit einstellen, um damit diese Phase zu überbrücken.
Die Herausforderung besteht also darin, daß wir so schnell, wie dies irgendwie möglich ist, Betriebe
schaffen, und zwar im Bereich der kleinen und mittleren Betriebe des Mittelstandes, und sie in die Lage versetzen, Ausbildungsplätze zu schaffen und bereitzustellen. Das ist die einzige Alternative.
Ich warne davor, die Illusion zu verbreiten, daß wir bereits ein halbes Jahr nach diesem revolutionären Prozeß eine Bilanz über Erreichtes vorlegen können.
({7})
Wir können froh sein, wenn wir heute eine Analyse über den Zustand und die Maßnahmen vortragen können.
({8})
Ich bin übrigens ganz froh, daß wir bereits in den neuen Betrieben, die wir Gott sei Dank ebenfalls haben - auch das ist eine Realität -,
({9})
schon um die 50 000 Auszubildende untergebracht haben. Bei den 130 000, die wir jetzt erwarten, sollten wir in einen Wettbewerb der guten Ideen eintreten und den jungen Leuten Mut machen,
({10})
damit sie da bleiben, wo sie sind, weil wir sie da brauchen.
Ich bedanke mich sehr für die Aufmerksamkeit und den Dialog mit den sozialdemokratischen Kollegen.
({11})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Odendahl.
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Unsere Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Ländern haben sehr anschaulich geschildert, warum die SPD-Fraktion diese Aktuelle Stunde „Haltung der Bundesregierung zur Ausbildungsplatzsituation in den neuen Bundesländern" verlangt hat.
Die Menschen in Deutschland erleben in diesen Tagen auf sehr bedrückende Art, wie leichtfertig die Bundesregierung mit ihren Versprechungen, die sie vor der Wahl gegeben hat, umgeht. Damit fertigzuwerden, ist für Erwachsene schwer genug, für junge Menschen, die anfangen wollen, ihr eigenes Leben zu gestalten, eine brutale Erkenntnis.
Die Bundesregierung muß ihren schönen Worten endlich auch in diesem Bereich Taten folgen lassen. In dem jetzt fertiggestellten Haushalt wird zwar versucht, Erhalt und Aufbau der beruflichen Ausbildung in den neuen Ländern über Modellversuche, über überbetriebliche Ausbildungsstätten und vor allem über das Arbeitsförderungsgesetz zu finanzieren. Damit läßt sich jedoch keine Ausbildungsstruktur schaffen, die den Anforderungen des Berufsbildungsgesetzes und den Anforderungen, Herr Kollege Doss - jetzt werden Sie sich freuen - , der Marktwirtschaft genügt.
Wir müssen heute feststellen, daß es das duale System der Erstausbildung in Betrieben und Berufsschulen in den neuen Ländern noch nicht gibt,
({0})
daß dieses System erst aufgebaut werden muß und daß dazu auch Bundesmittel dringend notwendig sein werden.
Wir müssen in den neuen Ländern eine geordnete berufliche Bildung erst ermöglichen. Wir haben großes Interesse daran, daß dort schnell ein gut strukturiertes Bildungssystem auf allen Ebenen aufgebaut werden kann. Über die Einmütigkeit darüber habe ich mich sehr gefreut.
Im letzten Jahr gab es in den neuen Ländern ca. 156 000 Schulabgänger. 33 000 bekamen keinen Ausbildungsplatz, und die meisten dieser Jugendlichen werden sich weiter um eine betriebliche Ausbildung bemühen. Wie hoch die Zahl der noch zu erwartenden Konkurslehrlinge sein wird, läßt sich nicht genau beziffern. Es kommen immer neue hinzu; das wissen wir.
Meine Damen und Herren, deshalb wird es mit Appellen an die Wirtschaft, auch wenn die Bundesregierung im Appellieren über eine noch so reichhaltige Praxis verfügt,
({1})
allein nicht getan sein. Die Finanzierung der Berufsschulen durch Kommunen und Länder ist ungesichert. Für eine qualifizierte Berufsbildung sind der Erhalt bzw. der Aufbau der Strukturen, die Sicherung und Schaffung von Ausbildungsplätzen sowie deren Modernisierung jedoch entscheidend. Eine Schlüsselrolle bei der Modernisierung in der beruflichen Aus-und Weiterbildung wird die Qualifizierung der Ausbilder und Ausbilderinnen in den neuen Ländern sein. Ebenso wichtig ist die Fortbildung der Lehrer und Lehrerinnen an den berufsbildenden Schulen.
Ohne eine durchgreifende Unterstützung gibt es keine geordnete aufbauende Neugestaltung der beruflichen Bildung in den neuen Ländern. Auch in der Bundesrepublik wurde die Einführung des Berufsbildungsgesetzes vor 20 Jahren von einem entsprechendem Aktionsprogramm erfolgreich begleitet. Nur so konnte ein hoher Qualitätsstandard im Bereich der beruflichen Bildung erreicht werden. Wir wollen doch nicht wieder in den alten Fehler verfallen, meine Damen und Herren, hier nur mit Quantitätsdiskussionen über die Qualität hinwegzuschludern.
({2})
Das wäre in den neuen Ländern genauso verhängnisvoll, wie es bei uns der Fall gewesen ist.
Meine Damen und Herren, der Grund, warum wir heute diese Aktuelle Stunde gefordert haben, ist die Tatsache, daß es - weit über das hinaus, was heute schon an Signalen aus dem Bundeshaushalt kommt - nun darum geht, wirklich ein konkretes Programm zu erstellen. Die Bundesregierung darf nun nicht, wie es der Haushalt leider mit einer von vornherein zu gering dosierten Tropflösung signalisiert, versuchen, die hier bei der Ausbildungsnot Mitte der 80er Jahre gemachten Fehler zu wiederholen. Viele der damals ohne
Ausbildungsplatz gebliebenen Jugendlichen haben bis heute keine Berufsbildung erhalten. Sie haben viele Warteschleifen gedreht, immer wieder ihren Arbeitsplatz eingebüßt und werden dadurch ihr ganzes Leben lang benachteiligt sein.
Wir wollen nicht, daß es wieder in der Praxis mündet, daß ein Arbeits- und Sozialminister die Ausbildungsplätze in der Lostrommel verhökert - auch darin hat die Bundesregierung Praxis - , sondern wir wollen erreichen, daß endlich ein Programm vorgelegt wird. Ich möchte die Bundesregierung dringend bitten, nun über das hinaus, was vorgesehen ist, konkret zu werden.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Meckelburg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es erfreulich, daß heute nicht nur Sprecher aus den Reihen der Opposition, wie ja zu erwarten war, sondern Redner aller Fraktionen die Situation am Ausbildungsstellenmarkt in ihrem ganzen Ausmaß deutlich gemacht haben, weil das den Druck in allen Fraktionen, dieses Problem im Blick zu behalten, erhöht.
Es kann nicht Ziel dieser Aussprache sein, Schönfärberei zu betreiben, es kann aber auch nicht Ziel dieser Debatte sein, Herr Rixe, das Ganze mit möglichst drastischen Formulierungen und hohen Zahlen dramaturgisch in die Höhe zu heben,
({0})
denn das hilft keinem Jugendlichen, auch nicht denen, die die Ausbildungsplätze benötigen. Herr Rixe, wenn Sie sich ein wenig darüber mokieren, daß der Bundeskanzler von einem sozialen Dialog spricht, dann frage ich einmal: Was ist denn die Alternative dazu, vernünftig miteinander darüber zu reden, was man miteinander tun kann?
({1})
Es ist wichtig, festzuhalten, daß wir 1982 die Erfahrung gemacht haben, daß es mit einem Sozialpakt möglich war, enorm viele Ausbildungsplätze zu schaffen.
({2})
Es ist auch wichtig, festzuhalten, daß es im letzten Jahr in den neuen Bundesländern mit einer enormen Kraftanstrengung gelungen ist, Ausbildungsplätze bereitzustellen. Es ist ferner wichtig, festzuhalten, daß dies auch die Basis in diesem Jahr sein muß.
Lassen Sie mich deswegen noch einmal in aller Deutlichkeit sagen: Wir sind ja dabei, Soziale Marktwirtschaft einzuführen; das ist gerade richtigerweise gesagt worden. Das bedeutet in erster Linie, auch drüben nicht so zu tun, als habe sich nichts geändert, als gehe es darum, die eine staatliche Maßnahme - ich sage jetzt einmal: alte DDR - durch neue Staatsprogramme zu ersetzen, sondern deutlich zu machen, daß Soziale Marktwirtschaft heißt, wo immer möglich,
auch in diesem Jahr duale Ausbildung bereits einzuführen und durchzusetzen.
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Deswegen kann heute von dieser Stelle aus doch wirklich nur appelliert werden - wir sprechen zum gegenwärtigen Zeitpunkt über die Ausbildungsplätze im Herbst 1991 -, deutlich zu machen, wo immer das möglich ist, daß das duale System durchgesetzt werden muß.
Wenn der Handwerkspräsident gesagt hat, wir hätten im letzten Jahr 30 % mehr Betriebe, und wenn zu erwarten ist, daß die Auftragslage in diesem Jahr mit Hilfe der Länder und des Bundes recht schnell verbessert werden kann, dann, meine ich, können wir auch davon ausgehen, daß in dem Bereich noch einiges zu erwarten ist. Das ist vorrangig vor allen staatlichen Programmen zu fördern, weil es Teil der Sozialen Marktwirtschaft ist.
Es ist sicherlich auch erforderlich, darüber nachzudenken, was der Bund tun kann und tun muß. Aber es wäre die falsche Stelle, hier heute ein Programm zu verkünden
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und damit Flagge zu zeigen: Der Bund wird das schon regeln.
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Private Maßnahmen seien nicht notwendig. Nein, es ist dringend notwendig, deutlich zu machen: Wir brauchen private Initiative.
Deswegen kann von hier aus nur der Appell ausgehen, daß der Bundeskanzler in dem Solidaritätspakt möglichst viel bewegen kann, zu einer großen Bewegung für Ausbildungsplätze zu kommen. Deswegen kann von hier aus der Appell an die Handwerksbetriebe in den neuen Bundesländern nur lauten: Bildet im eigenen Bereich aus, wenn es irgend möglich ist, weil das Teil eurer eigenen Zukunft ist. Ihr braucht in zwei, drei Jahren die Fachkräfte, die sonst verlorengehen. Von hier aus kann der Appell auch an die Jugendlichen in den neuen Bundesländern nur lauten,
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den Mut zu haben, dort zu bleiben und mitzumachen.
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Ich glaube, das ist heute wichtig festzustellen. Wir werden im Ausschuß sicherlich Gelegenheit haben, dieses Problem bis zum Herbst weiter zu verfolgen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Engelmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist richtig, daß die Ausbildungssituation in den neuen Bundesländern schwierig ist und daß wir uns auf komplizierte Entwicklungen vorbereiten müssen. Nicht richtig ist, Zahlen über eine große Ausbildungsplatzlücke in der Öffentlichkeit so zu verwenden, als wären diese bereits Wirklichkeit.
Wie ist nun der tatsächliche Stand auf dem Ausbildungsmarkt? Zwischen Oktober 1990 bis Ende Januar 1991 wurden den Arbeitsämtern im Beitrittsgebiet 53 000 Lehrstellen zur Vermittlung gemeldet; es gab 55 000 Bewerber. Ende Januar gab es noch 27 000 unbesetzte Ausbildungsstellen und 37 000 nicht vermittelte Bewerber.
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In diesen 37 000 Nichtvermittelter sind auch die Lehrlinge enthalten, die ihren Ausbildungsplatz wegen Konkurs oder Betriebsstillegung verloren haben. Die Gesamtzahl der gelösten Lehrverträge seit Oktober 1990 beträgt 10 100. Diese Zahl stimmt.
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Zweifellos gibt es Risiken bei der Absicherung von Ausbildungsplätzen für alle Jugendlichen. Die Bereitschaft vieler Betriebe Lehrlinge auszubilden, wird im Sommer durch die ungünstigen wirtschaftlichen Aussichten geringer sein. Hinzu kommt, daß ein großer Teil der Ausbildungszeit durch den Übergang auf Ausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz verlängert wird und dadurch Kapazitäten gebunden sind. Aber wir möchten hier betonen, daß Vorsorge getroffen ist. Ich bin mir sicher, daß die Bundesregierung und mit ihr die Bundesanstalt für Arbeit nichts unversucht lassen, daß die Vorsorgemaßnahmen in die Praxis umgesetzt werden.
Wir Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind uns der Verantwortung für unsere Jugend besonders im Beitrittsgebiet bewußt, ihr eine solide Perspektive und eine gediegene Ausbildung zu ermöglichen, damit sie den ihr in der Sozialen Marktwirtschaft gebührenden Platz einnehmen kann und in ihrer angestammten Heimat bodenständig wird. Dazu wird von Wirtschaft und Politik die Voraussetzung zu schaffen sein. Zunächst brauchen wir eine Ausbildungsplatzkampagne, wie sie die Altbundesländer in den 80er Jahren führten.
({2}) - Ich komme dazu. Gedulden Sie sich.
Vor allen staatlichen Maßnahmen gilt: Ausbildung ist vornehmlich Aufgabe der Betriebe, der Verwaltungen und der Praxen der freien Berufe.
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Wer heute nicht ausbildet, wird morgen Schwierigkeiten haben, seinen Fachkräftebedarf zu decken.
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Kammern, Verbände und Gewerkschaften, alle gesellschaftlichen Gruppen, Bundesregierung, Länder,
Kommunen und die Arbeitsämter müssen die SelbstEngelmann
hilfebereitschaft der freien Wirtschaft vor Ort aktivieren und unterstützen.
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- Ich bin noch nicht fertig. - Die Ausbildungsberater der Kammern müssen die sich neu gründenden Betriebe im Bereich Handel, Handwerk und Dienstleistung dahingehend beraten, daß sie sich von Anfang an an den Ausbildungsaufgaben beteiligen. Gute Anzeichen werden aus dem Raum Thüringen und Chemnitz verzeichnet. Staatliche Maßnahmen sollten daneben nur subsidiär ergriffen werden, also nur dann, wenn in der Übergangszeit die Ausbildung im Betrieb noch nicht voll verwirklicht werden kann.
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Ich freue mich, daß wir im Einigungsvertrag den § 40c Abs. 4 des Arbeitsförderungsgesetzes der DDR haben fortgelten lassen. Diese Regelung ermöglicht, daß im Herbst 1991 nicht untergebrachte Schulabgänger notfalls in überbetriebliche Ausbildungen aufgenommen werden können.
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Für die Förderung der beruflichen Ausbildung in den neuen Ländern hat die Bundesanstalt für Arbeit in ihrem Haushalt insgesamt 900 Millionen DM bereitgestellt. Damit können im Jahresdurchschnitt ca. 46 000 Jugendliche gefördert werden, darunter auch benachteiligte Auszubildende.
Da ein großer Teil der geförderten Ausbildungsverhältnisse erst im Laufe des Jahres - im Sommer oder im Herbst - beginnen, könnte die Zahl der Neuaufnahmen von nicht vermittelten Schulabgängern und Konkurslehrlingen in überbetrieblichen Ausbildungsverhältnissen weit über 30 000 liegen.
Ich betone: Diese Maßnahmen der Vorsorge sind subsidiär und sollen den Vorrang der Berufsausbildung im Betrieb nicht aufheben.
Herr Kollege Engelmann, Schlußsatz!
Wir sollten die Bundesanstalt für Arbeit ermutigen und unterstützen, daß sie sich bereits jetzt um überbetriebliche Bildungsträger bemüht. Erfreulich ist die Tatsache -
Schlußsatz! Engelmann ({0}): Ja.
Wir werden die Frage der Ausbildung der jungen Menschen zu einem Schwerpunkt unserer Arbeit machen; denn Ausbildung ist eine Investition in die Zukunft. Wir wollen -
Bitte hören Sie auf zu reden. Sie haben Ihre Redezeit weit überschritten.
Wir wollen, daß jedem Jugendlichen ein Ausbildungsplatz zugewiesen wird.
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Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat 1990 mit dem Vorsorgeprogramm dafür gesorgt, daß nahezu alle Jugendlichen in den neuen Ländern, die dies wünschten, eine Berufsausbildung oder eine Berufsvorbereitung beginnen konnten. Wir haben damit durch rasches Handeln vielen Tausenden von Jugendlichen geholfen. Wir werden auch in diesem Jahr die Jugendlichen in den neuen Ländern nicht im Stich lassen. Auch gegenwärtig ist die Bundesregierung nicht untätig.
Auch ich gehe davon aus, daß in den neuen Ländern für die Schulabgänger dieses Jahres 120 000 Ausbildungsplätze gebraucht werden. Hinzu kommt, was ich nicht übersehen will, eine derzeit nicht genau einschätzbare Zahl an Lehrlingen, die schon in Ausbildung sind und infolge von Konkursen oder Betriebsstillegungen im Laufe der nächsten Monate ihren Ausbildungsplatz verlieren könnten. Ziel muß sein, diese Jugendlichen noch vor dem Herbst erneut zu vermitteln, um den ohnehin angespannten Ausbildungsstellenmarkt für die Schulabgänger nicht zusätzlich zu belasten.
Dafür müssen in erster Linie alle betrieblichen Ausbildungskapazitäten in den neuen Ländern mobilisiert werden. In diesem Ziel sind wir uns mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft einig. Wir haben eine interministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet, die die Entwicklung sorgfältig beobachtet und in enger Abstimmung mit den Sozialpartnern, also Arbeitgebern und Arbeitnehmern, Vorschläge für notwendige Maßnahmen entwickelt.
Ich halte eine breit angelegte Gemeinschaftsaktion von Wirtschaft und allen staatlichen Ebenen für erforderlich.
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Die organisatorische Hilfe und Beratung für die Mobilisierung und Sicherung von Ausbildungskapazitäten muß in den nächsten Monaten wesentlich verstärkt werden. Ich weiß, daß die Bereitschaft dazu auf vielen Seiten vorhanden ist.
Ebenso wichtig ist, daß die in den neuen Ländern zuständigen Ministerien und Verwaltungen wesentlich aktiver werden. Die alten Länder sind aufgefordert, dies noch tatkräftiger als bisher durch personelle Hilfen zu unterstützen. Ausbildungsplätze müssen in den Regionen aktiviert und organisiert werden. In den Regionen müssen die Beteiligten an einen Tisch. Nur so kann ein verläßlicher Überblick über regionalen Ausbildungsplatzbedarf und regionales Ausbildungsplatzangebot gewonnen werden. Nur so können auch Ausbildungsplatzaktionen erfolgreich sein. Es nützt nichts, nur auf Bonn zu schauen.
Frau Bläss, eine staatliche Plankommission paßt nicht in die Struktur der Bundesregierung.
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Maßnahmen des Bundes können die Verantwortung vor Ort nicht ersetzen. Ich bin Dr. Päselt sehr dankbar, daß er auch ein positives Beispiel aus seiner Kenntnis vor Ort gebracht hat. Nur: Wir dürfen auch
die Augen vor den negativen Beispielen selbstverständlich nicht verschließen. Wir müssen die örtlichen Aktivitäten allerdings nachhaltig flankieren. Dies werden wir tun.
Ich sage aber auch, wir dürfen mit all unseren Hilfen nicht Strukturen und Mentalitäten unterstützen und zementieren, die das Entstehen eines zukunftsorientierten und bedarfsgerechten Ausbildungsplatzangebotes massiv behindern könnten. Wir können die Erneuerung der Berufsausbildung in den neuen Ländern nicht damit beginnen, bewährte berufsbildungs und ordnungspolitische Grundsätze auf den Kopf zu stellen. Das wäre weder im Interesse der Jugendlichen noch im Interesse der ostdeutschen Wirtschaft. Die Jugendlichen wollen und brauchen eine Ausbildung, die Zukunftschancen bietet.
Die Betriebe werden den Strukturwandel nur bewältigen, wenn sie jetzt den Nachwuchs, mit Blick auf den Zukunftsbedarf, ausbilden und nicht darauf warten, daß andere ihn frei Haus liefern. Eine Verlagerung der Ausbildung von Ost nach West ist deshalb keine auf Dauer tragfähige Lösung. Es ist deswegen auch kontraproduktiv für das Ziel, das wir anstreben, wenn wir ständig von den freien Ausbildungsstellen in der Bundesrepublik - alt - reden. Wir müssen vordergründig davon reden, daß wir die Ausbildungsplätze im Osten schaffen, sonst demoralisieren wir unsere Jugendlichen.
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Die Betriebe in den neuen Ländern müssen erkennen, daß Ausbildung im Betrieb auch und gerade in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten in ihrem ureigensten Interesse liegt. Vor diesem Hintergrund sind 50 000 bei den Arbeitsämtern bis jetzt gemeldete betriebliche Ausbildungsplätze entschieden zu wenig. Andere haben hier heute andere Zahlen gesagt, im Tenor stimmen wir doch überein.
Vorrangiges Ziel der Bundesregierung ist es deshalb, den Betrieben in den neuen Ländern diese Zusammenhänge und ihre Verantwortung für die Berufsausbildung der Jugend bewußt zu machen. Dazu werden wir gemeinsam mit den Sozialpartnern im Frühjahr eine Kampagne starten. Wir werden uns dabei nicht auf Appelle beschränken. Ich werde Informations- und Beratungsaktivitäten für Betriebe und Jugendliche unterstützen. Ich werde gemeinsam mit der Wirtschaft dafür sorgen, daß dringend benötigte Ausbildungskapazitäten nicht ungenutzt bleiben oder verloren gehen, weil es vor Ort an Organisationserfahrung und -fähigkeit fehlt.
Ich werde mich nachhaltig dafür einsetzen, daß die Treuhand als Eigner von Unternehmen in die Lage versetzt wird, alle Treuhandbetriebe dazu anzuhalten, eine bedarfsgerechte Zahl neuer Ausbildungsverträge abzuschließen und die Auflösung von bestehenden Ausbildungsverträgen zu verhindern. Dann noch vorhandene Überkapazitäten in den Berufsbildungseinrichtungen von Treuhandbetrieben müssen, soweit notwendig, außerbetrieblichen Trägern der Berufsausbildung zur Verfügung gestellt werden. Das gehört zu den strukturpolitischen Aufgaben, die die
Treuhand nach den Bestimmungen des Einigungsvertrages hat. Zudem ist die Treuhand als öffentlichrechtliche Anstalt des Bundes der gesellschaftspolitischen Aufgabe von Unternehmen, Ausbildungsplätze für die junge Generation in ausreichendem Umfang zur Verfügung zu stellen, besonders verpflichtet.
Die Bundesanstalt für Arbeit organisiert in den Arbeitsamtsbezirken der neuen Länder eine Reihe von Aktionstagen. Die Beratungs- und Informationstätigkeit der Arbeitsämter für Jugendliche und Betriebe und die Aktivitäten zur Gewinnung betrieblicher Ausbildungsplätze werden mit Unterstützung der westdeutschen Arbeitsverwaltung erheblich intensiviert.
In den beruflichen Schulen der neuen Länder sind - nicht zuletzt mit Hilfe des Vorsorgeprogramms der Bundesregierung - Kapazitäten für die Berufsvorbereitung und Berufsgrundausbildung von rund 10 000 Jugendlichen aufgebaut worden.
Für die Förderung außerbetrieblicher Berufsausbildung und von berufsvorbereitenden Maßnahmen stehen im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit erhebliche Mittel bereit. Es lohnt sich, die Zahl nachzulesen. Wir verfügen damit über ausreichende Reserven. Ich will aber auch ganz deutlich sagen: Wir wollen kein Notprogramm, das die Probleme nur in die Zukunft verlagert, aber nicht löst.
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Deshalb sage ich zum Schluß noch einmal: Unsere Jugendlichen in den ostdeutschen Ländern dürfen die Einigung nicht als Zerrüttung ihrer beruflichen Entwicklung begreifen müssen.
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Wir werden ein zukunftsorientiertes Ausbildungsplatzangebot in den neuen Ländern schaffen und sichern. Staatliche Programme und staatliche Finanzierung können dazu aber allenfalls Nothilfen für eine begrenzte Zeit darstellen. Sicher kann man sie anwenden. Aber Verantwortung und Eigeninitiative der Wirtschaft sind unverzichtbar. Dafür werde ich mit aller Kraft in Ost- und Westdeutschland vorrangig werben, auch weil ich selbst aus dem Osten bin.
Danke.
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Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 28. Februar 1991, 9.00 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.