Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der guten Ordnung halber darf ich fragen: Ist jemand im Saal, der vor dem 18. Dezember 1913 geboren wurde? - Das scheint keiner zugeben zu wollen oder zu können.
({0})
Dann darf ich Sie, meine werten Kolleginnen und Kollegen, Mitglieder des am 2. Dezember gewählten 12. Deutschen Bundestages, hier im Reichstagsgebäude in der Hauptstadt Berlin willkommen heißen und die 1. Sitzung der 12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages eröffnen.
Erstmals nach vielen Jahrzehnten versammeln sich die in gesamtdeutschen freien Wahlen bestimmten Abgeordneten, fürwahr ein Ereignis, das historisch genannt werden wird.
Ich darf in Ihrer aller Namen sprechen, wenn ich sage: Wir danken dem Herrn Bundespräsidenten - auch dafür, daß er heute hier bei uns ist.
({1})
Mein respektvoller Gruß, Herr Bundespräsident, gilt zugleich Ihrem persönlichen Gast, dem Präsidenten der Italienischen Republik,
({2})
Herrn Professor Francesco Cossiga, der sich an diesem für uns bedeutungsvollen Tag hier eingefunden hat. Schönen Dank, Herr Präsident!
({3})
Wir wissen zu schätzen, daß Botschafter und Missionschefs von mehr als 70 Ländern und andere Gäste aus fern und nah an diesem nicht allein für uns Deutsche wichtigen Tag hierher gekommen sind.
Ich grüße die Mitglieder des Bundesrates und nicht zuletzt die anwesenden Landtagspräsidenten. Unser Gruß gilt im besonderen den Präsidenten der Parlamente der fünf neuen Bundesländer.
({4})
Sodann darf ich mich an all die Wahlbürgerinnen und Wahlbürger wenden, in deren Auftrag wir hier sind. In besonderer Verbundenheit grüße ich die Landsleute in den neuen Bundesländern, in Goethes und Schillers Thüringen, in Bachs und Leibniz Sachsen, in Luthers und Nietzsches Sachsen-Anhalt - wenn es das schon gegeben hätte -,
({5})
in Fritz Reuters und Ernst Barlachs Mecklenburg, in Caspar David Friedrichs Vorpommern, in Schinkels und Fontanes Brandenburg, in Humboldts und Hegels jetzt nicht mehr zerklüfteten Berlin.
({6})
Meine Damen und Herren, über seine Geschäftsordnung wird der 12. Deutsche Bundestag im weiteren Verlauf dieser Sitzung - unter Tagesordnungspunkt 4- beschließen. Bis es soweit ist, verfahren wir nach den Regeln, die für den 11. Deutschen Bundestag gegolten haben.
In Übereinstimmung mit den Fraktionen benenne ich als vorläufige Schriftführer die Damen und Herren Abgeordneten Hartmut Büttner, Peter Harry Carstensen ({7}), Gertrud Dempwolf, Hans-Joachim Fuchtel, Dr. Walter Hitschler, Susanne Jaffke, Ernst Kastning, Franz Heinrich Krey, Uwe Lambinus, Dr. Christine Lucyga, Dr. Michael Luther, Dr. Dietrich Mahlo, Dr. Rolf Niese, Doris Odendahl, Eduard Oswald, Dr. Gerhard Päselt, Rosemarie Priebus, Bernd Reuter, Hannelore Rönsch ({8}), Ortrun Schätzle, Heinz Schemken, Ursula Schmidt, Wolfgang Schulhoff, Heinrich Seesing, Lisa Seuster, Wieland Sorge, Margitta Terborg, Hans-Günther Toetemeyer, Barbara Weiler, Uta Würfel und Benno Zierer. Die Abgeordneten Krey und Lambinus bitte ich, neben mir Platz zu nehmen.
Meine Damen und Herren, die Wahlen zum ersten gesamtdeutschen Bundestag sind, was den Auftrag zur Regierungsbildung angeht, eindeutig. Gleichwohl lebt die parlamentarische Demokratie vom Wechselspiel zwischen Regierung und Opposition, vom Wettbewerb unterschiedlicher Angebote zur Lösung von Problemen. Daß hier gestritten wird, gehört zur freiheitlichen Ordnung. Meinungsstreit muß ja nicht Wahlkampf in Permanenz bedeuten. Demokratie gedeiht nicht ohne jenen Grundkonsens, der die verfassungsmäßigen Grundfesten sichert. Das gegenseitige
Alterspräsident Brandt
Wohlwollen mag gelegentlich strapaziert scheinen, die staatspolitische Gleichwertigkeit hat außer Zweifel zu stehen. Unsere Auseinandersetzungen sollten sachlich den Bürgern zugewandt sein, die wir zwar jeder für sich und mit seinen Gleichgesinnten, aber eben auch miteinander zu vertreten haben.
Parlamente in aller Welt haben sich heutzutage zu fragen, wie sie dem Drucksacheninfarkt vorbeugen.
({9})
Und doch führt nichts daran vorbei, daß auf diesen Bundestag viel und besondere Arbeit wartet. Die vier Jahre dieser Wahlperiode sind entscheidend dafür, wie die staatliche Einheit ausgefüllt wird, zumal in Richtung grundsätzlich gleicher Lebensverhältnisse, wie sie das insoweit nicht ergänzungsbedürftige Grundgesetz vorschreibt. Zum anderen ist dies der Zeitraum, in dem die Einigung Europas mindestens einen qualitativen Sprung nach vorn erfahren dürfte. Drittens ist die Mitverantwortung in der Welt gewachsen. Krieg droht vor der Haustür Europas. Die Überlebensfragen der Menschheit lassen jedenfalls kein Land unberührt, und Deutschland würde Schuld auf sich laden, wollte es über seinen eigenen die globalen Sorgen Welthunger, Armutswanderungen, Umweltzerstörung vergessen.
({10})
Darüber Bescheid zu wissen ist besser als das Gegenteil, aber sich zu entsprechendem Handeln durchzuringen, darauf kommt es an. Wohl wissend, daß die Aufgaben im eigenen Land nicht klein sind, dürfen wir doch in der Solidarität mit den Geplagten dieser Welt nicht versagen.
Zweimal, als der 10. und der 11. Bundestag zusammentraten, habe ich an die Pflicht erinnert, in die uns das Grundgesetz genommen hat: für den Frieden, für Europa, für des eigenen Volkes Recht auf Selbstbestimmung. Damals, vor acht Jahren, konzentrierte sich meine Hoffnung darauf, die beiden deutschen Staaten, die es damals gab, und ihre Bürger möchten sich nicht unnötig auseinanderentwickeln. Vor knapp vier Jahren sprach ich davon, in dieser Phase der geschichtlichen Entwicklung müßten wir Deutsche uns trotz staatlicher Trennung um Zusammenhalt bemühen.
Jene Phase der Ängste und der Hoffnungen ist versunken. Das Ende des Kalten Krieges und der militärischen Konfrontation, das friedlich-mutige Aufbegehren auch unserer Landsleute in der damaligen DDR und die Verwirklichung der staatlichen Einheit, die Chancen auf gesamteuropäische Einigung, dies alles war und bleibt Grund zu großer Freude.
Was aber wäre große Freude ohne Selbstprüfung? Nehmen wir, darf ich fragen, hinreichend wahr, wozu uns die Geschichte einlädt? - Verantwortung für die Geschichte: ich hoffe, das vereinte Deutschland nimmt sie mit allen ihren Seiten an.
Unsere parlamentarische Demokratie ist uns - uns im Westen - nach dem Zusammenbruch von 1945 geschenkt worden, erst in den alten und damals neuen Ländern, dann im Drei-Zonen-Bund. Und doch: Warum verschweigen, daß gerade in jener von Existenzangst erfüllten Zeit alte und schöne Traditionen wiederaufgelebt sind? Wir stehen jedenfalls, so denke ich, in der Tradition der Nationalversammlungen von Frankfurt 1848 und von Weimar 1919
({11})
und der freiheitlichen Kräfte im Reichstag vor und nach dem Ersten Weltkrieg. Wir sind dem Erbe des deutschen Widerstandes verpflichtet. In dieser Stunde denke ich an Julius Leber und an den Grafen Stauffenberg.
({12})
Nicht vergessen sind die Opfer der kommunistischen Diktatur.
({13})
Wir führen weiter, was 1948/49 von Bonn aus begonnen wurde, und haben nicht überhört, was uns die frei gewählte Volkskammer vor der Einschmelzung in den gesamtdeutschen Prozeß zu sagen hatte.
Der Blick aus dem Reichstagsgebäude schließt die Erinnerung ein. Da ist nicht nur der Freiraum, den der Fall der Mauer geschaffen hat; da sind auch die Plätze, von denen der Krieg und die Verbrechen ausgegangen sind. Wir brauchen den Reichstag nicht einmal zu verlassen. Dieses Gebäude ist, wie man weiß, in Flammen aufgegangen, nachdem sich das Gros der Insassen in einen gröhlenden Männerchor verwandelt hatte.
Mich kümmert die Frage: Ist den nachwachsenden Generationen deutlich gemacht worden, daß an die 200 Mitglieder des Reichstags in Konzentrationslager und Gefängnisse verbracht wurden - manche für kürzere Zeit, manche für Zeiten jahrelanger Peinigung? Wer weiß noch, daß über 100 Abgeordnete ihr Leben verloren haben? Darunter sind auch solche, die im westlichen Exil, oder von dort ausgeliefert, zugrunde gingen und ostwärts durch Stalins Schergen zu Tode gebracht wurden?
Die frei gewählte Volkskammer hat drüben, im damals noch anderen Teil dieser Stadt, am 12. April an die furchtbaren Leiden erinnert, die im deutschen Namen anderen im Osten zugefügt wurden. Ich denke, wir machen uns dies heute noch einmal zu eigen.
({14})
Unsere Würde gebietet einen unübersehbaren Ausdruck der Erinnerung an die Ermordung der europäischen Juden. Die Last dieser schrecklichen Vergangenheit wird nur dann leichter, wenn wir sie für unser Volk immer noch einmal annehmen.
Ich füge mit Bedacht hinzu: Die Mitverantwortung für Sicherheit und Wohlfahrt des Staates Israel kann uns nicht loslassen. Daran knüpfe ich die eindringliche Hoffnung auf Ausgleich mit den arabischen Nachbarn.
({15})
Ich füge den leidenschaftlichen Appell hinzu: Am Persischen Golf möge völkerrechtswidriges Vorgehen korrigiert und dem Gebot der zu neuem Leben erAlterspräsident Brandt
wachten Vereinten Nationen Folge geleistet werden. Der Nahe Osten hat seine Friedensordnung verdient. Sie bräuchte weniger Zeit, könnte Europa seine guten Dienste einbringen. Mein knappes Wort ist das einer inständigen Bitte um Frieden und Gerechtigkeit auch im Nahen Osten.
({16})
Meine Damen und Herren, die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen: Das Ende des Kalten Krieges, über das wir uns aufrichtig freuen - ich sagte es -, könnte anderswo zerstörerische Kräfte freisetzen. Deshalb muß, was uns in Europa mit dem HelsinkiProzeß gelungen ist - nicht nur auf die Unverletzlichkeit der Grenzen bezogen - , auch in anderen Weltregionen versucht werden, nämlich Sicherheit und Zusammenarbeit auf eine breite Grundlage zu stellen.
Für uns in Deutschland geht es jetzt darum, mit welchem Inhalt wir das gemeinsame Gehäuse nicht nur materiell füllen. Wir mit unseren Wahlkreisen und Landeslisten im Westen wollen, so hoffe ich, aufmerksam auf die Kolleginnen und Kollegen hören, die in den neuen Bundesländern gewählt worden sind. Noch wichtiger ist, daß wir aufeinander hören mögen. Auch über dieses Hohe Haus hinaus mögen die Deutschen aus West und Ost unverkrampft aufeinander zugehen.
({17})
Sicherlich sind es wirtschaftliche Nöte und soziale Sorgen, die für viele im Vordergrund stehen und die die Gesetzgeber wie die Regierenden in der vor uns liegenden Zeit beschäftigen werden: Arbeitsplätze, Wohnungen, klare Eigentumsverhältnisse, Sicherheit im Gesundheits- und Bildungswesen, Erneuerung der Infrastruktur und nicht zuletzt deutlich erkennbarer Abbau der Umweltlasten. Ich bin davon überzeugt: Alles dies ist zu schaffen.
Aber ich meine auch, wir schaffen es leichter, wenn wir auch die nichtmateriellen Faktoren wichtig genug nehmen. Der Ministerpräsident von Brandenburg sprach dieser Tage von wundgescheuerten Seelen und davon, daß es das Selbstbewußtsein, das Selbstwertgefühl der Menschen zu festigen gelte. Ängste vor den Härten des Strukturwandels gehen um, und Demütigungen aus den Jahrzehnten der Diktatur wirken nach, und sei es nur das Empfinden, in das gemeinsame Haus weniger mit eingebracht zu haben.
Mauern in den Köpfen stehen manchmal länger als die, die aus Betonklötzen errichtet sind.
({18})
Nebenbei gesagt: Selbst in Europa gibt es immer noch scheußliche Trennwände, in Nikosia, in Belfast.
Ich beschwöre unsere Landsleute: Möge das Gefühl, auf der falschen Seite der Geschichte gestanden zu haben, sich nicht in Mutlosigkeit oder gar Aggressivität entladen. Möge es in dem Gefühl aufgehoben sein, daß niemand zu spät kommt, wenn sich das Leben weitet.
Die rechtliche und möglichst gerechte Bereinigung dessen, was das alte Herrschaftssystem hinterließ, muß, meine ich, zügig vorankommen. Das heißt aus meiner Sicht und Erfahrung: Es ist so deutlich wie irgend möglich zwischen denen zu trennen, die sich so verhalten und so bereichert haben, daß sie vor den Kadi gehören, und vielen anderen, die politisch geirrt oder sich bloß durchgemogelt haben. Ihnen wird die Demokratie die Chance des Mittuns und der Bewährung nicht vorenthalten.
({19})
Ich möchte folgendes hinzufügen, meine Damen und Herren: Die Maßstäbe des demokratischen Rechtsstaats lassen sich nun einmal an das Leben im diktatorischen Unrechtsstaat nicht anlegen, nicht an ein System, das von der kleinen Bestechung mindestens so lebte wie von der großen. Deshalb ist die moralische und juristische Beurteilung von Verhalten und Fehlverhalten, von Falschspiel und Doppelspiel so sehr schwer.
Eines ist sicher: Zu Helden konnten auch im Staat der SED nur wenige geboren sein. Und das andere: Wer fühlt sich berufen, seines Bruders Richter zu sein?
({20})
Wir in der alten Bundesrepublik haben unsere Landsleute im Osten nicht aufgefordert, ihre Heimat zu verlassen; wir haben sie gebeten zu bleiben, so es ging.
Die gegensätzlichen Entwicklungen und die so unterschiedlichen Lebenswege zu überbrücken, wird uns für geraume Zeit Herausforderung bleiben.
Was die vor uns liegende und diesem Bundestag bevorstehende Diskussion um Ergänzungen des Grundgesetzes betrifft: Es hat sich - das sagt einer, der seit 1949 dabei war - für die alte Bundesrepublik voll bewährt. Gleichwohl sollten wir nicht auf Erfahrungen verzichten, die die Landsleute im Osten für uns mit haben machen müssen.
Man konnte in der ersten Hälfte des Jahres den Eindruck gewinnen, bedenkenswerte Anregungen vom Runden Tisch seien unter demselben gelandet, noch bevor sie geprüft werden konnten. Vieles scheint mir dafür zu sprechen, daß das Ergebnis der Diskussion über das Grundgesetz, mit einer Zweidrittelmehrheit beschlossen, den Bürgerinnen und Bürgern des vereinten Deutschland vorgelegt wird.
({21})
Wenn sie ihr Votum zur gemeinsamen verfassungsmäßigen Grundlage abgeben, wird dies der inneren Zusammengehörigkeit der Volksteile zugute kommen können.
({22})
Alterspräsident Brandt
Im Westen - ich nehne den Faden noch einmal auf - brach hier und da eine Art Schuldvermutung gegenüber Landsleuten, die in der DDR zu leben hatten, hervor, als ob das Versagen des Systems den Menschen anzulasten sei. Das ist zutiefst ungerecht.
Aber man kann auch fragen: Woher sollte allen bei uns im Westen gleich bewußt gewesen sein, daß es nicht Verdienst, sondern Zufall gewesen ist, in die eine statt in die andere Ordnung hineingewachsen zu sein, und daß daraus das Gebot materieller Hilfe erwächst? Das muß ja nicht im Gegensatz zur Meinung derer stehen, die frühzeitig um Klarheit baten, wem was abverlangt werden wird.
Auch im eigenen Volk wollen Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit geweckt sein. Freilich, wenn man sich sicher fühlt, wie ich es tue, daß die Mehrheit der „Wessis" zu helfen bereit ist, wird man auch manchen „Ossis" von übertriebener Dünnhäutigkeit abraten dürfen.
({23})
Das sich vielerorts noch zeigende Verhältnis von oben und unten oder von Lehrern zu Belehrten wird sich, eher über kurz denn über lang, in eines von Gleichen zu Gleichen verwandeln. Wir tun uns alle miteinander auch keinen Gefallen, wenn wir den heute noch gegebenen Zustand hier der Westen, dort der Osten fortschreiben wollten. Es wäre zudem realitätsfern.
Schon heute gibt es eine Fülle neuer Querverbindungen - zusätzlich zu den wiederbelebten -, beides zu stärken und dabei die kulturelle Vielfalt nachhaltig zu fördern. Dies ist die eigentlich schöne Aufgabe, die wir vor uns haben.
Dazu gehört dann der Rat an die Landsleute: Scheut euch nicht, uns Abgeordnete - angefangen bei den Stadt- und Gemeinderäten - für die Vertretung eurer Interessen in Anspruch zu nehmen, und zögert nicht, euch zur Wahrung eurer Rechte mit anderen so zusammenzuschließen, wie dies zum Sozialstaat gehört.
({24})
Ein in sich ruhendes gemeinschaftliches Selbstwertgefühl erwächst nicht daraus, daß wir von neuen Bundesbürgern erwarten, sie möchten möglichst widerspruchslos aufgehen im Land des großen Bruders. Ich bleibe bei meinem Rat, zusammenwachsen zu lassen, was zusammengehört. Abgeschlossen ist dieser Prozeß erst, wenn wir nicht mehr wissen, wer die neuen und wer die alten Bundesbürger sind.
Gestatten Sie mir - es wäre verwunderlich, wenn ich darauf verzichtete - ein Wort zu Berlin und dazu, wie wir uns auch aus föderalistischer und europäischer Sicht hinsichtlich des Sitzes von Bundesorganen und Bundesbehörden verhalten sollten.
Berlin ist die Hauptstadt Deutschlands. Es lag deshalb auf der Hand, den gesamtdeutschen Bundestag hier zusammentreten zu lassen. Der Einigungsstaatsvertrag bestätigt, daß Berlin Hauptstadt ist, und läßt offen, was das praktisch bedeutet. Bedeutet es, daß Berlin künftig Sitz von Parlament und Regierung und
natürlich des Staatsoberhaupts sein soll - oder Bonn oder was?
({25})
Wir wissen, daß die Meinungen zu dieser Frage auseinandergehen. Mein Eindruck ist, daß Argumente kaum überzeugen, weil sie allzuoft nicht mehr der Urteilsfindung dienen, sondern nur noch der Urteilsbegründung.
({26})
Zudem vermuten viele von uns - ich vermute es jedenfalls - , die Güte deutscher Politik hänge nicht in erster Linie davon ab, ob sie von B 1 oder B 2 aus betrieben wird. Gewiß ist zu vermuten, daß sich die künftige Dimension engen europäischen Zusammenwirkens erheblich von der bisherigen westeuropäischen unterscheiden wird. Doch auch dafür spielen die 600 km, die B 2 und B 1 voneinander trennen, keine entscheidende Rolle. Ebensowenig wie die Geographie läßt sich die Geschichte zugunsten nur der einen oder nur der anderen Stadt wenden. Ich denke freilich an Ernst Reuter, wenn ich eine für mich wesentliche Ausnahme mache. Wenn zwischen 1946 und, sagen wir, 1962 - ich könnte auch sagen: 1971 - Berlin ({27}) nicht standgehalten hätte, wären wir heute nicht hier versammelt.
({28})
Zu beantworten sind, so will mir scheinen, mindestens vier Fragen.
Erstens. Sollten wir nicht davon ausgehen, wenn wir denn in die Beratung einsteigen, daß der Deutsche Bundestag jedenfalls darüber zu entscheiden hat, wo er seinen Sitz haben und wo er tagen will?
({29})
Zweitens. Sollten wir nicht unsere neu zu wählende Präsidentin, wer immer es sein möge ({30})
ich habe mit der, von der ich vermute, daß sie es sein wird, gestern schon ein Wort hierüber sprechen dürfen - , bitten, hierzu wie zum Sitz der anderen Verfassungsorgane sowie der obersten Gerichte und Bundesbehörden unter Berücksichtigung der Bundesstaatlichkeit im allgemeinen und der neuen Bundesländer im besonderen den Rat einer hochrangigen Kommission von auch geschichtlich versierten Sachkundigen einzuholen und dem Bundestag hierüber alsbald zu berichten?
({31})
Drittens. Wäre nicht der Bundesrechnungshof am besten in der Lage, uns über die Kostenfrage unparteiisch aufzuklären?
({32})
Alterspräsident Brandt
Sollte dabei nicht berücksichtigt werden, was die Zusammenfügung und der Ausbau des vereinigten Berlin uns auf jeden Fall abverlangen werden?
Viertens. Würde es der Sache nicht am besten gerecht werden, wenn wir die insoweit anstehende Entscheidung ohne Fraktionsbindungen fällten
({33})
und wenn wir sie nicht ohne Not über die erste Hälfte des vor uns liegenden Jahres hinausschöben?
({34})
Schließlich, wenn Sie noch erlauben, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen: Ich denke, bei dem Begriff „Bundesrepublik" wird es bleiben.
({35})
Wir sollten dieses Wort auf zweierlei Weise denken und sagen lernen: zum einen als Bestätigung der in Länder gegliederten Ordnung, die zum Besten gehört, was wir aus dem Staat von Bonn ins vereinte Deutschland herübernehmen. Zum anderen: Das vereinte Deutschland soll sich vom Beginn an als Teil des werdenden Europa verstehen, nicht weniger als die anderen europäischen Staaten auch.
({36})
Nationalismus, denke ich, ist der großen Mehrheit unseres Volkes fremd geworden und zuwider. Deutsch und europäisch gehören jetzt und hoffentlich für alle Zukunft zusammen. Europa wird nicht an den Staaten vorbei, sondern nur mit diesen geschaffen werden. Gute und lebendige Traditionen werden dabei nicht untergehen, regionale Zusammenschlüsse neue Chancen erhalten.
Wir erinnern uns noch einmal: Ohne die freiheitliche Selbstbehauptung des deutschen Westens und Berlins hätte jede Hoffnung unserer Landsleute zwischen Elbe und Oder erlöschen müssen. Wir wissen auch: Unsere Freiheit hätten wir nicht bewahren können, wäre sie nicht durch die Atlantische Allianz und im wachsenden Maße durch die Prosperität und Solidarität der Europäischen Gemeinschaft geschützt worden. Zu den Gründervätern des vereinten Deutschland zählen in diesem Sinne - wir sollten es nicht vergessen - die Urheber des Marshallplans und Männer wie Jean Monnet, die unseren Völkern den Weg nach Europa haben weisen helfen, noch ehe Hitler zur Hölle gefahren war. Wenig später hat Thomas Mann das Wort geprägt, das auch zu unserer Verfassung paßt: Nicht ein deutsches Europa, sondern ein europäisches Deutschland muß das Ziel unserer Anstrengungen sein.
({37})
Europa bauen, das ist gewiß nicht Sache Deutschlands allein, aber von unserer Mitverantwortung hängt es ab, daß der wohlstandshungrige und freiheitsdurstige europäische Osten nicht alleingelassen wird.
Die Europäische Gemeinschaft wird in dieser Legislaturperiode des Bundestages eine ihrer entscheidenden Etappen erreichen: die umfassende Wirtschaftsunion 1993, den folgenden bedeutenden Schritt hin zur Währungsunion und dann, so hoffen wir, auch zur sozialen und ökologischen Gemeinschaft, zu einer politischen Union, zu einer solchen der Sicherheit.
Die Gemeinschaft der Zwölf muß erstens demokratisiert werden und darf sich zweitens nicht abschotten.
({38})
Als die EWG, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, ins Leben trat, wurde festgelegt, daß ihr demokratische Staaten aus allen Teilen des Kontinents beitreten könnten. Das bleibt vernünftig; denn es sollte auf längere Sicht kein Europa der zwei Klassen geben.
({39})
Nüchterne Erfahrung sagt uns zugleich: Wenn wir unseren Nachbarn in Zentral- und Osteuropa helfen wollen, dann dürfen wir das Haus der bestehenden Gemeinschaft keiner Einsturzgefahr aussetzen. Perfektionismus wird nichts erreichen und alles bedrohen; aber schöpferische Politik hat stets den Mut zum Wagnis verlangt. So ist es auch jetzt.
Meine Damen und Herren, Menschen, die mir freundlich gesonnen sind, bemerken dann und wann, der Tag, an dem sich die Deutschen in Freiheit vereinten, müsse die Erfüllung meines politischen Lebens sein. Das ist zu kurz gedacht und zu eng. Ich möchte den Tag sehen, an dem Europa eins geworden sein wird.
({40})
Nun zum Schluß schlicht und einfach: Ich wünsche uns gute Arbeit und diesem 12. Deutschen Bundestag jeden möglichen Erfolg.
({41})
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Wahl des Präsidenten, verbunden mit Namensaufruf und Feststellung der Beschlußfähigkeit
Ich bitte um Vorschläge zur Wahl des Präsidenten. - Herr Abgeordneter Dr. Dregger, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre und die Freude, im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Frau Professorin Dr. Rita Süssmuth zur Präsidentin dieses Hauses vorzuschlagen.
({0})
Meine Damen und Herren, Sie haben den Vorschlag gehört. Die Abgeordnete Frau Professor Dr. Rita Süssmuth ist vorgeschlagen worden.
Werden weitere Vorschläge gemacht! - Das ist nicht der Fall.
Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfahren: Die Wahl findet mit ver6
Alterspräsident Brandt
deckten Stimmzetteln, also geheim, statt. Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erhält.
Die für die Wahl allein gültige weiße Stimmkarte erhalten Sie nach Aufruf Ihres Namens von den Schriftführern vor den Wahlkabinen. Sie dürfen Ihre Stimmkarte nur in der Wahlkabine ankreuzen und müssen ebenfalls noch in der Wahlkabine die Stimmkarte in den Umschlag legen. Die Schriftführer müssen jeden und jede zurückweisen, der oder die seine oder ihre Stimmkarte außerhalb der Wahlkabine kennzeichnet oder in den Umschlag legt. Die Stimmabgabe kann in diesem Fall jedoch vorschriftsmäßig wiederholt werden.
Gültig sind nur Stimmkarten mit einem Kreuz bei „Ja", bei „Nein" oder bei „Enthaltung". Ungültig sind Stimmen auf nichtamtlichen Stimmkarten sowie Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten.
Bevor Sie die Stimmkarte in die vor mir aufgestellte Wahlurne werfen, bitte ich Sie, dem Schriftführer Ihren Namen zu nennen. Der Schriftführer kennzeichnet dann Ihren Namen in der Namensliste. Das gilt als Nachweis für die Beteiligung an dieser Wahl und ersetzt die Eintragung in die Anwesenheitsliste.
Abschließend bitte ich noch besonders um Ihre Aufmerksamkeit für einen Hinweis zu der später erfolgenden Wahl der Vizepräsidenten. Die Wahl der Vizepräsidenten erfolgt nicht mit Namensaufruf, sondern mit Wahlausweisen. Die Wahlausweise finden Sie in Ihren Schließfächern in der Lobby. Ich bitte Sie, schon während des gleich beginnenden Namensaufrufs die für die Wahl der Vizepräsidenten benötigten Wahlausweise aus Ihren Schließfächern zu holen. So ist sichergestellt, daß Sie die Wahlausweise später rechtzeitig zur Hand haben.
Jetzt bitte ich die Schriftführer für die Wahl des Präsidenten, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Die beiden Schriftführer neben mir werden nun die Namen der Abgeordneten in alphabetischer Reihenfolge aufrufen. Ich bitte Sie, den Namensaufruf zu verfolgen und sich rechtzeitig zur Entgegennahme einer Stimmkarte zu einer der Wahlkabinen in den Ecken des Plenarsaales zu begeben. Haben alle Schriftführer Ihre Plätze eingenommen? - Das ist offensichtlich der Fall.
Ich eröffne die Wahl und bitte, mit dem Aufruf der Namen zu beginnen.
({0})
Meine Damen und Herren, der Namensaufruf wurde schon vor einer Weile beendet. Ich darf fragen, ob alle Mitglieder des Hauses, auch die Schriftführer, ihre Stimme abgegeben haben. - Das ist offensichtlich der Fall.
Ich schließe die Wahl und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Zur Auszählung unterbreche ich die Sitzung für 30 Minuten.
({1})
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist wiedereröffnet.
Ich gebe Ihnen das Ergebnis der Wahl bekannt: Es wurden 650 Stimmen abgegeben; die Mitgliederzahl des Bundestages beträgt 662. Von den 650 abgegebenen Stimmen waren 650 gültig.
({0})
Mit Ja haben gestimmt 525 Mitglieder des Hauses,
({1})
mit Nein stimmten 81 Abgeordnete. Die Zahl der Enthaltungen beträgt 44. Ich stelle fest, daß die Abgeordnete Frau Professor Dr. Rita Süssmuth die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Hauses erhalten hat. Sie ist damit zur Präsidentin des Deutschen Bundestages gewählt. Ich frage Sie, Frau Kollegin Süssmuth: Nehmen Sie die Wahl an?
Frau Dr. Süssmuth: Ja, Herr Alterspräsident, ich nehme die Wahl an.
Frau Präsidentin, ich übermittle Ihnen die Glückwünsche des Hauses. Auch ich selbst wünsche Ihnen Glück und Erfolg für Ihr verantwortungsvolles Amt. Ich bitte Sie, Frau Präsidentin, Ihr Amt zu übernehmen.
({0})
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Amtsübernahme durch den Präsidenten.
Herr Bundespräsident! Herr Alterspräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zuallererst herzlich für das große Vertrauen bedanken, das Sie mir mit Ihrer Wahl entgegengebracht haben. Ich möchte denen, die mich gewählt haben, und jenen, die mich nicht gewählt haben, sagen: Ich bin selbstverständlich die Präsidentin aller Abgeordneten und trete für die Belange aller Abgeordneten ein. Was ich mir dabei wünsche, ist ein starkes Parlament. Das braucht die Demokratie; davon lebt sie. Das ist unser aller politischer Auftrag.
Herr Alterspräsident, ich möchte Ihnen ganz herzlich danken. Sie haben nun zum drittenmal eine konstituierende Sitzung geleitet. Ich danke im Namen aller Mitglieder dieses Hauses für das, was Sie uns heute morgen in Ihrer Rede mit auf den Weg gegeben haben.
({0})
Als Sie die Belange unseres Volkes, die europäischen und die internationalen Belange ansprachen, wurde deutlich, welche Wegweisung uns damit für unsere parlamentarische Arbeit in den nächsten vier Jahren gegeben ist. Möge es uns gelingen!
Unser Parlament konstituiert sich zu seiner 12. Wahlperiode, seiner ersten gesamtdeutschen, hier in Berlin, in der Stadt, in der wir sehr lange mit Gegensätzen und Widersprüchen, Hoffnung trotz Hoffnungslosigkeit, Freiheit im Angesicht der Unfreiheit gelebt haben. Sie ist seit dem gewaltlosen Fall der
Präsidentin Dr. Süssmuth
Mauer wieder eine freie, ungeteilte, weltoffene Hauptstadt. Sie gehört wieder ganz zu uns, ebenso wie die Menschen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Einer unserer wichtigsten Wünsche muß sein, daß wir, wenn wir vom Zusammenwachsen unseres Volkes sprechen, hier, im Parlament, zusammenwachsen und daß am Ende dieser Wahlperiode noch deutlicher wird als am Anfang: Wir sind ein Parlament, wir sind alle zuständig für ein und dieselbe Aufgabe: zum Wohle unseres ganzen Volkes zu arbeiten.
Dies ist das erste Parlament nach dem Ende des Krieges, in dem wir zu Beginn einer neuen Wahlperiode nicht an die Trennung und Teilung erinnern, nicht mehr auf die Einheit hoffen oder an sie mahnen müssen.
Was bleibt, ist die Verpflichtung gegenüber der Vergangenheit; sie ist heute morgen für uns alle verbindlich hier angesprochen worden.
Besonders sage ich dies gegenüber jenen Opfern, die wir hier unmittelbar in Berlin zu beklagen haben. Aber ich sage es auch für jene, die anderswo in den Tod gegangen sind oder verfolgt wurden. Und ich sage es für jene, die von uns erwarten, daß wir die Rehabilitierungsarbeit schnellstens fortsetzen, die in der Volkskammer begonnen wurde und die von den vom System Unterdrückten auch von uns erwartet wird.
({1})
Wir nehmen es fast schon als zu selbstverständlich hin, daß wir in einem freien Parlament geeint unsere konstituierende Sitzung abhalten. Ich möchte am heutigen Tage daran erinnern, daß das keineswegs selbstverständlich ist. Wir sind so schnell im Vergessen. Wir eilen mit Übergeschwindigkeiten durch die Zeit. Ich möchte für uns alle sagen: Diese Einheit ist Leistung von unzählig vielen Menschen, und sie ist Geschenk. Sie ist Grund für Dankbarkeit und Zuversicht.
All diejenigen, die schon die Nachricht vom Rücktritt des sowjetischen Außenministers Schewardnadse zur Kenntnis genommen haben, wissen, was das bedeuten kann. Wir können nicht dankbar genug sein, daß wir die Einheit in dem zurückliegenden Zeitraum vollziehen konnten.
({2})
Herr Alterspräsident, lieber Herr Kollege Brandt, ich möchte Ihnen bei dieser Gelegenheit auch sagen, daß Sie zu Recht hier im Reichstag gerade noch einmal gefragt haben: Wie halten wir es mit den Verfolgten des Naziregimes, mit seinen Opfern?
Ich kann unseren Kolleginnen und Kollegen sagen: In der vergangenen Wahlperiode wurde die Arbeit an der Dokumentation der Schicksale der verfolgten Abgeordneten des Reichstages abgeschlossen. Wir haben alle Einzelschicksale verfolgt. Wir werden sie hier in diesem Reichstag dokumentieren. Zugleich ist in
dieser Wahlperiode auch die Entscheidung über ein Mahnmal für diese verfolgten Reichstagsabgeordneten gefallen, das ebenfalls in diesem Reichstag in Kürze, wie ich hoffe, seinen Platz finden wird. Ich bin froh, dies am heutigen Tag sagen zu können; denn zu Recht wurde eben auf Einheit und Brüche in diesem Reichstag verwiesen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch einiges zu unserem neuen Parlament sagen. Es ist in der Tat größer geworden. Es gibt einige, die sagen: Es ist viel zu groß. Zunächst möchte ich sagen: Der Grund für die Vergrößerung ist der beste, den ich mir überhaupt vorstellen kann.
({3})
Mit der Vergrößerung ist es zugleich jünger und weiblicher geworden. Allein in den beiden letzen Wahlperioden hat sich der Anteil der weiblichen Mitglieder verdoppelt.
({4})
Das ist noch nicht genug, aber es ist ein guter Start.
Diejenigen, die sagen, das Parlament sei zu groß geworden, möchte ich an das erinnern, was heute morgen gesagt wurde: Auch die Erwartungen in unseren Wahlkreisen haben sich verändert, nicht nur im Zusammenhang mit den Direktmandaten. Ich bin nicht dafür, daß wir die Wahlkreise vergrößern, wenn damit der Einsatz vor Ort verringert wird. Je mehr uns die Bürger und Bürgerinnen direkt erreichen, um so besser ist es. Deswegen sollte es keine Verkleinerung des Parlaments geben.
({5})
Ich möchte uns in diesem Zusammenhang vor Augen führen, daß die vor uns liegende Zeit keine Zeit sein wird, in der wir uns abstrakt über eine Parlamentsreform unterhalten sollten. Wohl aber bin ich der Auffassung, daß die vor uns liegende Zeit noch mehr vom Parlament fordert, als es die Vergangenheit getan hat. Warum? Weil die Aufgaben mit einem nicht mehr in Blöcke eingeteilten Europa nicht kleiner, sondern größer geworden sind, weil von uns erwartet wird, daß wir nicht nur mit dem alten Denken und mit alten Lösungsmustern neue Aufgaben und neue Anforderungen angehen, sondern daß wir in der Lage sind, die neuen Aufgaben auch mit neuen Ideen zu füllen. Keine der Aufgaben im Innern unseres Landes kann gelöst werden, ohne daß sie im europäischen Zusammenhang gesehen wird, im Zusammenhang mit der Europäischen Gemeinschaft und mit unseren Nachbarn im Osten. Denn von uns wird erwartet, daß wir zeigen, daß wir uns mit den Lösungen, die wir vorschlagen, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa bewähren.
Ein weiteres ist unverzichtbar: Nur wenn es uns gelingt, dieses Europa beschleunigt zu einer Einigung zu führen, werden wir in der Lage sein, die jungen Demokratien sozial und wirtschaftlich wie auch politisch zu stärken. Dies ist unsere gemeinsame Aufgabe.
Präsidentin Dr. Süssmuth
Es gibt ein Drittes. Nichts bedrängt im Augenblick auch die Menschen bei uns so sehr wie die Frage: Werden wir den Frieden wahren können? Es ist die Aufgabe dieses Parlamentes, es ist die Aufgabe der politisch Verantwortlichen, alles zu tun, um einen Krieg des Wahnsinns zu verhindern.
({6})
Wir haben nicht für den Frieden in Europa gestritten, damit er in anderen Teilen der Welt nicht aufgebaut oder nicht gewahrt werden kann.
In Europa und gerade auch bei uns werden die Bedrängnisse in bestimmten Bereichen größer werden. Viele Menschen sind unterwegs, weil sie Not leiden. Wir werden nicht unsere Grenzen schließen und die Notleidenden draußen lassen können. Das heißt, wir sind verantwortlich für diese eine Welt und für menschenwürdige Verhältnisse in der ganzen Welt, für den Erhalt des Planeten und tatkräftige Arbeit an Verhältnissen, die die Weltflüchtlingsbewegung geringer machen. Dies fordert uns ebenfalls europäische Lösungen ab.
Wichtig ist dabei, daß wir Fremdheit im eigenen Land überwinden und Solidarität praktizieren.
({7})
Hier muß nach den Erfahrungen, die wir gegenwärtig wieder machen, unser dringendstes Anliegen sein, daß die Vergangenheit die Zukunft nicht beherrscht. Die Stasi darf nicht Macht über uns bekommen; dagegen müssen wir uns gemeinsam in der Demokratie wehren.
({8})
Dies bedeutet, daß wir die Vergangenheit nicht verdrängen dürfen, sondern so mit ihr umgehen müssen, daß die Schuldigen bestraft werden, daß aber die Unschuldigen und jene, die in diesem System leben mußten, eine neue Chance, eine neue Zukunft haben. Wir können unsere gemeinsame Zukunft auch nur gemeinsam bauen, nicht im Mißtrauen, sondern im Zutrauen zueinander. Dazu sind große Anstrengungen von uns allen erforderlich.
Auch wenn ich meine Rede mit Blick auf die weiteren Geschäftsgänge kurzhalten will, so möchte ich diesem Hause doch noch eines sagen: Anläßlich der 25-Jahr-Feier der Ruhruniversität Bochum wurde mir das Original-Siegel der Frankfurter Paulskirche überreicht; es wurde mir von der Familie Simon überreicht, deren Ahnherr Heinrich Simon 1848 dem radikalen Flügel der Frankfurter Paulskirche angehörte. Er wurde gezwungen, Deutschland zu verlassen, ging in die Schweiz; aber er konnte dieses Siegel mit sich nehmen. Es ist dann in der Familie Simon verblieben und wurde dem Deutschen Bundestag auf Grund des neuen Zutrauens in Deutschland und Europa im Juni dieses Jahres geschenkt als Zeichen der Verbundenheit, als Zeichen dafür, daß sich demokratische Traditionen bei uns fortsetzen mögen. Ich denke, dieses Geschenk ist ein Zeichen der Anerkennung, aber auch ein Zeichen der Verpflichtung, und es ist ein Zeichen der Zuversicht.
Ich schließe mit dem Wort: Demokratische Traditionen verpflichten, aber nichts ist stabil, ohne daß wir uns immer wieder selbst fordern und gefordert wissen. Ich wünsche uns, daß wir so miteinander umgehen, aufeinander achten, hören und vor allem voneinander lernen, daß die Erfüllung der uns gestellten Aufgaben auch in dieser Wahlperiode gelingt. Ich danke schon jetzt allen, die mich dabei unterstützen werden.
Ich danke Ihnen.
({9})
Kolleginnen und Kollegen, ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beschlußfassung über die
Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
Gemeinsame Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Ausschuß nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({10})
Geschäftsordnung für den Gemeinsamen Ausschuß nach Artikel 53 a des Grundgesetzes
Geschäftsordnung für das Verfahren nach Artikel 115d des Grundgesetzes
Die Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP beantragen außerdem, heute über die vorläufige Übernahme des Beschlusses des Bundestages vom 31. Oktober 1990 zur Behandlung von Verdächtigungen gegen Mitglieder des Deutschen Bundestages zu beschließen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Es liegen noch verschiedene Anträge vor.
Die Abgeordneten des Bündnisses 90/GRÜNE haben auf Drucksache 12/2 ({11}) einen Antrag auf Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vorgelegt.
Außerdem liegt ein Antrag des Abgeordneten Dr. Gysi auf Drucksache 12/5 vor.
Beide Anträge betreffen die Herabsetzung der Fraktionsmindeststärke auf 7 Mitglieder.
Weiter liegt ein Antrag der Abgeordneten des Bündnisses 90/GRÜNE auf Drucksache 12/11 vor, mit dem § 12 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages - Stellenanteile der Fraktionen - geändert werden soll.
Schließlich wird von den Abgeordneten des Bündnisses 90/GRÜNE auf Drucksache 12/9 beantragt, die Zählung der Wahlperioden des Deutschen Bundestages nicht fortzuführen, sondern nunmehr mit der 1. Wahlperiode neuer Zählung zu beginnen.
Zur Geschäftsordnung hat sich Herr Dr. Ullmann gemeldet.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Abgeordneten von Bündnis 90/GRÜNE beantragen die Vertagung der Beschlußfassung bis zur Bildung der Gemeinsamen Kommission aus Bundestag und Bundesrat zur Beratung der anstehenden Grundgesetzänderungen. Sie beantragen das im Blick auf die Geschäftsordnung für das Verfahren nach Art. 115d des Grundgesetzes.
Zur Begründung darf ich folgendes sagen, meine Damen und Herren Abgeordnete, verehrte Frau Präsidentin. Ich stelle anhand einer routinemäßigen Geschäftsordnungsfrage fest, welche Lapalien uns im Wahlkampf beschäftigt haben. Das gilt sicherlich auch für die politische Gruppierung, für die ich hier spreche. Wir stellen anhand dieser Geschäftsordnungsfrage plötzlich fest, vor welcher Grundalternative der gegenwärtigen Epoche wir stehen: ob dem Gebrauch lebens- und umweltzerstörender technischer Mittel oder dem den Frieden erhaltenden und neu stiftenden Weg des Rechts lokal, regional oder global die Entscheidungsgewalt gebührt. Art. 115 d des Grundgesetzes hat mit dem Verteidigungsfall zu tun. Wir begründen unseren Vertagungsantrag damit, daß der Verteidigungsfall unter diesen Bedingungen neu zu definieren ist. Der Verteidigungsfall ist gegeben, wo immer Menschenwürde oder Menschenrechte in Gefahr sind, nicht erst dort, wo sie verletzt werden. Der Verteidigungsfall ist gegeben, wo immer soziale Gegensätze so tief sind, daß das Zusammenleben gefährdet ist. Der Verteidigungsfall ist gegeben, wo immer ein Teil der für die Lebensqualität unentbehrlichen außermenschlichen Wirklichkeit gefährdet ist. Unser Land hat sich an diesen Maßstäben messen zu lassen. Es hat, gemessen an diesen Maßstäben, keine rühmliche Rolle gespielt und spielt sie so lange noch nicht, als die Teilnahme am internationalen illegalen Waffenhandel nicht aufgedeckt und unterbunden wird. - Das ist die eine Begründung.
Die zweite Begründung. Es hat in unserem Lande eine Diskussion über die Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr begonnen, eine Diskussion, die eine verfassungsrechtliche Dimension hat, wie jeder Abgeordnete und jede Abgeordnete dieses Hauses weiß. Vor diesem Hintergrund ist das in Rede stehende besondere Gesetzgebungsverfahren alles andere als verfassungsrechtlich belanglos. § 1 Abs. 1 der in Rede stehenden Geschäftsordnung, die übernommen werden soll, spricht der Bundesregierung eine ganz besondere Kompetenz für die Einleitung dieses besonderen Gesetzgebungsverfahrens zu. Zweitens sieht diese Geschäftsordnung vor, daß die Geschäftsordnung des Bundestages - mitsamt ihren Mehrheitsverhältnissen - übernommen wird. Außerdem ist das Verhältnis zum Art. 53 a, Gemeinsame Kommission, durchaus berührt, weil dieser Artikel eine Vorbehaltsklausel hinsichtlich der Verfassungsrechte der Gemeinsamen Kommission enthält. Hier muß die Frage gestellt werden, wie sich das besondere Verfahren der Gesetzgebung zu dieser Vorbehaltsklausel verhält. Außerdem haben wir gerade vor dem Hintergrund der von dem Herrn Alterspräsidenten Brandt geschilderten neuen europäischen Situation unsere Verfassungsgesetzgebung im Verteidigungsfall ins Verhältnis zu der gewachsenen Bedeutung der KSZE-Konferenz zu setzen.
Meine Damen und Herren, ich denke, daß das Gründe sind, die es rechtfertigen, zu beantragen, daß die Beschlußfassung zu diesem Punkte so lange auszusetzen ist, bis jene in Aussicht genommene Gemeinsame Kommission für die Diskussion der anstehenden Änderungen des Grundgesetzes ins Leben gerufen ist. Sie darf in keiner Weise bei ihrer Arbeit präjudiziert werden.
Lassen Sie mich schließen, indem ich darauf hinweise, daß sowohl der Herr Alterspräsident wie die Frau Präsidentin uns heute verpflichtet haben auf die Traditionen der Paulskirche und die Traditionen der Weimarer gesetzgebenden Versammlung. Mir ist beides aus dem Herzen gesprochen, und ich fühle mich als einer, der mit tiefem Respekt in dieser Tradition steht. Aber diese Tradition besagt nicht, daß man unter veränderten historischen Bedingungen gegebenes Recht fortschreibt, sondern daß man unter geänderten historisch-politischen Bedingungen verfassungsrechtliche Konsequenzen zieht. Das müssen wir gemeinsam tun.
Meine Damen und Herren von der konservativen Seite dieses Hauses, . . .
({0})
Herr Ullmann, darf ich Sie darauf verweisen, daß Ihre Redezeit beendet ist?
Eine Minute noch.
... wenn Sie mich auch nicht mit der Familie Simon vergleichen können, aber doch einem gewissen radikalen Flügel zuordnen, darf ich vielleicht sagen: Bitte, meine Damen und Herren, bedenken Sie, daß die Güter, die Sie verteidigen möchten, unter Umständen dadurch Schaden leiden könnten, daß Sie bei dieser Verteidigung zu zögerlich und zuwenig entschlossen und zukunftszugewandt vorgehen.
Danke schön.
({0})
Wird zu dem Antrag auf Vertagung der Beschlußfassung über die Geschäftsordnung noch von einer anderen Fraktion das Wort gewünscht? ({0})
- Dann möchte ich über diesen Antrag abstimmen lassen.
Wer stimmt für Vertagung? - Dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Antrag unter Zustimmung des Bündnisses 90/GRÜNE und einiger Abgeordneter der PDS gegen die Stimmen der Fraktionen der CDU/ CSU, FDP und SPD bei einigen Enthaltungen abgelehnt.
Ich erteile jetzt das Wort zur Geschäftsordnung Herrn Dr. Heuer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es geht bei unserem Antrag um eine Änderung des § 10 Abs. 1 der Geschäftsordnung. Danach sollen nach unserem Vorschlag nicht mehr fünf vom Hundert, 34 der Mitglieder des Bundestages, sondern sieben Abgeordnete der in dem kleineren Zählgebiet der Bundestagswahl, also in der ehemaligen DDR, gewählten Abgeordneten, für die Bildung einer Fraktion ausreichen.
Die Grundlage für die richtige Beantwortung dieser Fragestellung und für die Behandlung dieses Antra10
ges ist das richtige Verhältnis der Widerspiegelung des Wählerwillens einerseits und der Arbeitsfähigkeit des Parlamentes andererseits. Nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist die Arbeit des Parlaments an den Interessen des Volkes orientiert, geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Deshalb ist vorgesehen, daß das Wahlrecht darauf zielt, diese Widerspiegelung des Willens des Volkes zu sichern.
Damit verbunden, davon abgeleitet ist die Chancengleichheit der Parteien. In dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Wahlrecht heißt es:
Die Demokratie kann nicht funktionieren, wenn nicht die Parteien grundsätzlich unter gleichen rechtlichen Bedingungen in den Wahlkampf eintreten.
Nun gibt es eine Gegenargumentation, wie sie in einer gemeinsamen Sitzung der Ausschüsse Deutsche Einheit am 26. Juli 1990 der Abgeordnete Schröder vortrug. Er sagte damals:
Das Parlament ist kein Repräsentantenhaus, das möglichst das politische Spektrum des Landes vollständig widerspiegeln soll.
Das sei Aufgabe der Medien.
Auch der Abgeordnete Vogel erklärte damals die Arbeitsfähigkeit des Parlamentes als die Hauptforderung, als die Hauptgrundlage und forderte deshalb die Anwendung der Sperrklausel für das gesamte Wahlgebiet.
({0})
Grundlegend müssen aber nach unserer Auffassung Wählerwillen und Chancengleichheit sein. Parteien, Parlament, Fraktionen sind Mittel zum Zweck der Demokratie.
Ich meine, daß in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Sperrklausel dieser Grundgedanke seine Widerspiegelung gefunden hat. Dort heißt es, eine einheitliche Sperrklausel verletze die Chancengleichheit zu Lasten der Parteien der DDR und bedeute eine Intervention zugunsten der Parteien der BRD. Die DDR-Parteien müßten sich gewissermaßen aus dem Stand heraus um ein neues Wählerpotential bemühen, das um das mehr als Dreifache größer sei als ihr bisheriges.
Es geht auch um Chancengleichheit der Wähler dieses Gebietes, die, historisch begründet, ganz andere Interessen haben, die sie so schnell nicht in gesamtdeutsche Interessen einbringen können.
Die Regelung war getroffen worden, um spezifischen Parteien, spezifischen Interessen der Wähler im Gebiet der DDR die Möglichkeit zu geben, in den Deutschen Bundestag zu kommen. Das aber muß zur Konsequenz haben, daß sie auch im Rahmen des Parlaments entsprechend auftreten können. Dafür ist aber der Fraktionsstatus entscheidende Voraussetzung.
Die Rolle der Fraktionen wurde im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Juni sehr stark hervorgehoben. Sie seien maßgebliche Faktoren der parlamentarischen Willensbildung. Frau Hamm-Brücher hat ausdrücklich vom „Parlament der Fraktionen" gesprochen und sogar gesagt, daß hier ein Mißbrauch bestehe, daß hier schwere Probleme bestünden.
Die Bildung der Fraktionen ist in der Geschäftsordnung offensichtlich der Wahlrechtsregelung nachgebildet. Daraus ergibt sich nach unserer Auffassung zwingend die Konsequenz: Wenn zum Einzug der Parteienlistenverbindungen vom einheitlichen Wahlgebiet abgegangen wurde, wegen der Widerspiegelung des Wählerwillens, dann muß das auch für die Arbeit im Parlament gelten. Zwar hat das Parlament eine autonome Befugnis, seine Geschäftsordnung zu regeln, aber die Arbeitsfähigkeit des Parlamentes ist inhaltlich und formell an die Macht, an den Willen des Volkes gebunden. Es kann deshalb in der Geschäftsordnung keine andere Entscheidung als im Wahlgesetz getroffen werden.
Lassen Sie mich noch einen Gedanken hinzufügen: In der Arbeit dieses Hauses werden noch für längere Zeit Interessenunterschiede zwischen den beiden Teilen Deutschlands eine Rolle spielen. Viele ökonomische Unterschiede bestehen fort; sie verstärken sich gegenwärtig sogar.
Es gibt eine positive Entwicklung der Kultur im westlichen Teil unseres Landes, eine negative Entwicklung im östlichen Teil. Im Westen gibt es den Beamtenstatus, bei uns werden Hunderttausende in den Wartestand versetzt, wissenschaftliche Einrichtungen abgewickelt. Wir haben starke soziale Konflikte in diesem Land.
Ich meine, daß zur Bewältigung dieser juristischen und sozialen Konflikte eine Bewehrung der Institutionen des Verfassungs- und Sozialstaates notwendig ist. Das erfordert auch, daß die Menschen in der DDR, die mit diesem Lande in Leid und Widersprüchen verbunden waren - das sind nicht nur die Wähler der PDS, auch die Wähler des Bündnisses 90/GRÜNE - , Menschen, die diese Geschichte nicht einfach streichen können und wollen, die mit diesem neuen Deutschland zu Rande kommen wollen, in diese Ordnung hineinwachsen, ökonomisch, sozial, aber auch ideell-psychologisch.
Dieser Weg für Millionen Menschen wird besser geebnet, wenn Parteien und Bewegungen, die diese Interessen vertreten wollen, nicht durch Verbotsdrohungen eingeschüchtert werden, sondern gleichberechtigt an diesem Prozeß teilnehmen können. Deshalb bitte ich Sie eindringlich, durch Änderung der Geschäftsordnung diese Entwicklung zu einem Stück zu erleichtern.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Bohl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eine gute Tradition, daß der Deutsche Bundestag zu Beginn einer Wahlperiode die Fortgeltung seiner Geschäftsordnung beschließt. Die Geschäftsordnung hat sich in der Vergangenheit bewährt, und es spricht viel dafür, daß dies auch in Zukunft so sein wird. Das schließt Änderungen selbstverständlich nicht aus, so wie wir dies
immer wieder getan haben, aber diese Änderungen müssen genau überlegt und auch sorgfältig beraten werden. Ablehnen oder zustimmen sollten wir deshalb heute keinem der vorgelegten Änderungsanträge, sondern wir sollten sie zur weiteren Beratung dem Ältestenrat überweisen. Ich glaube, das ist ein Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme.
Der entscheidende Antrag, der vorliegt, beschäftigt sich mit der Frage der Anerkennung des Fraktionsstatus. Die Frage ist: Sollen wir den beiden neuen Gruppierungen mit 17 bzw. mit acht Abgeordneten gleichfalls den Fraktionsstatus einräumen? Ich möchte an dieser Stelle aus meiner Sicht klarstellen: Gewählt werden nicht Fraktionen, sondern Abgeordnete, und das parlamentarische Leben beginnt nicht erst bei den Fraktionen, sondern bei den einzelnen Abgeordneten.
({0})
Darauf hat Frau Kollegin Dr. Hamm-Brücher in der vergangenen Wahlperiode dankenswerterweise auch immer hingewiesen.
({1})
Es fragt sich, ob nun besondere rechtliche Gründe vorliegen, die es erforderlich machen, auch den beiden neuen Parteien den Fraktionsstatus einzuräumen. Ich bin der Auffassung, daß das nicht der Fall ist. Beide Gruppierungen haben auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zwar die Fünf-Prozent-Klausel überschritten. Daraus folgt aber keineswegs, daß wir verpflichtet wären, die Fraktionsmindeststärke herabzusetzen; denn die Festsetzung der Fraktionsmindeststärke ist eine Frage der Autonomie des Bundestages, und dabei ist in erster Linie auf seine Funktionsfähigkeit zu achten.
Wenn wir nur den Parteien aus den fünf neuen Bundesländern eine niedrigere Fraktionsstärke einräumen wollen, wäre auch zu beachten, daß wir bei dieser Zweigleisigkeit nicht nur eine problematische, sondern auch eine rechtlich sicherlich anfechtbare Regelung schaffen würden.
Aber auch die allgemeine Herabsetzung der Fraktionsmindeststärke auf sieben oder acht Abgeordnete würde im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages durchaus problematisch sein; denn die Festsetzung der Fraktionsmindeststärke dient dazu, handlungsfähige politische Einheiten hier im Parlament zu schaffen. Wenn diese Zahl zu niedrig angesetzt wird, besteht ja durchaus die Gefahr, daß sich der Bundestag verzettelt und seinem verfassungsrechtlichen Auftrag insgesamt nicht mehr sachgerecht nachkommen könnte.
({2})
Würde man sieben Abgeordnete tatsächlich als ausreichend erachten, Herr Kollege Duve von der SPD, so könnte sich allein die SPD-Fraktion in 34 Fraktionen atomisieren. Das aber wollen wir weder der SPD noch uns zumuten, meine Damen und Herren.
({3})
- Ich will es gerne noch einmal wiederholen: Das wollen wir weder dem Bundestag noch der SPD zumuten, meine Damen und Herren.
({4})
An dieser Stelle ist auch noch ein weiterer Punkt zu erwähnen: Wir können sicherlich nicht durch Rechtsänderungen den Ausgleich dafür schaffen, daß Bündnis 90 und PDS bei den Wahlen einen geringeren Prozentsatz erzielt haben. Ich glaube, das wäre auch im Hinblick auf den Wählerwillen, der verfälscht würde, durchaus problematisch. Die CDU/CSU-Fraktion z. B. ist nun einmal 40mal größer als das Bündnis 90.
Meine Damen und Herren vom Bündnis 90, haben Sie eigentlich auch folgendes bedacht? Wenn Ihnen der Fraktionsstatus eingeräumt wird, könnten Sie wie alle anderen Fraktionen Mitglieder in die Ausschüsse des Deutschen Bundestages entsenden. Wie viele Mitglieder entsandt werden können, ergibt sich dann aus der Fraktionsstärke. Bündnis 90 würde aber zum ersten Mal in den Ausschüssen mit 42 Mitgliedern Berücksichtigung finden. Solche Ausschüsse haben wir bisher nicht, und wir wollen sie sicherlich auch nicht, weil solche großen Ausschüsse ineffektiv arbeiten.
Mit dem Zuerkennen des Fraktionsstatus wäre in dieser wichtigen Frage für Sie gar nichts gewonnen. Sie brauchen also nicht Konfektionsware, sondern Maßarbeit. Wir wollen Ihnen deshalb gerne helfen, damit Sie auch in den Ausschüssen entsprechend mitwirken können.
({5})
Ich halte es deshalb für richtig, daß wir uns im Ältestenrat über die Rechte für die neuen Gruppierungen im einzelnen unterhalten. Großzügig werden wir bei allen solchen Rechten sein, die Ihre verfassungsmäßigen Rechte betreffen. Bei Geschäftsordnungsregelungen sollten wir dagegen stets auch an die Funktionsfähigkeit des Parlaments
({6}) und an unser aller Zeitbudget denken.
({7})
Meine Damen und Herren, ich glaube, bei gutem Willen auf allen Seiten werden wir zu einer Regelung kommen, die es den neuen politischen Kräften ermöglicht, ihre Interessen und Wünsche im Deutschen Bundestag sachgerecht und angemessen zur Geltung zu bringen.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat Herr Dr. Struck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion stellt den Antrag, die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages unverändert zu übernehmen.
Wir hätten uns sehr gewünscht, daß die Abgeordneten des Bündnisses 90 nicht den jetzt vorliegenden Antrag gestellt hätten, den Fraktionsstatus schon bei
sieben Mitgliedern zu erhalten, sondern einen Weg gewählt hätten, der diesen Abgeordneten ohne Änderung der Geschäftsordnung die Rechte einräumt, die jede Fraktion hat. Wir Sozialdemokraten sind verhandlungs- und gesprächsbereit, wenn von Ihnen ein Antrag nach § 10 Abs. 1 Satz 2 der Geschäftsordnung gestellt wird.
Aus politischen und rechtlichen Gründen sind wir dafür, daß eine Lösung gefunden wird, die der besonderen Situation der 12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages gerecht wird. Die eigentlichen Träger der Revolution, zu denen die Gruppe Bündnis 90 ebenso gehört wie die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in der ehemaligen DDR,
({0})
haben nach unserer Auffassung einen Anspruch darauf, in diesem Bundestag gebührend zu Wort zu kommen und das politische Leben in der Bundesrepublik Deutschland mitzugestalten.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, zwei getrennte Wahlgebiete für die Wahl zum Deutschen Bundestag zu bestimmen, muß nach unserer Auffassung auch Auswirkungen auf die Arbeit in dem so gewählten Deutschen Bundestag haben.
({1})
Wir sind uns darüber im klaren, daß Rechte, die wir für das Bündnis 90 verabreden, auch für eine andere Gruppierung aus dem Wahlgebiet der ehemaligen DDR gelten müssen.
Den in den Regierungsfraktionen offenbar für richtig gehaltenen Weg, einen Gruppenstatus zu bestimmen, halten wir für fragwürdig. Eine solche Festlegung würde einen Präzedenzfall auf möglicherweise unabsehbare Zeiten schaffen, den wir mit unserem Vorschlag vermeiden können.
Es sind komplizierte Fragen im Zusammenhang mit dem Status der Abgeordneten zu klären, die diese Anträge gestellt haben. Wir müssen uns ausreichend Zeit nehmen, um darüber im Ältestenrat und im Geschäftsordnungsausschuß ausführlich debattieren zu können. Deshalb stimmen wir der Überweisung dieser Anträge zu.
Im übrigen ist, Herr Kollege Ullmann, Ihrem Beitrag zu Art. 115 d des Grundgesetzes auch hinzuzufügen, daß wir, solange es Art. 115 d des Grundgesetzes gibt, natürlich auch eine Geschäftsordnung für das Verfahren nach dieser Vorschrift brauchen. Deshalb konnten wir Ihrem Antrag nicht zustimmen.
Für die Beratungen im Geschäftsordnungsausschuß weise ich für meine Fraktion darauf hin, daß auch die Sprache der Geschäftsordnung dem Grundsatz der Gleichstellung der Geschlechter entsprechen muß,
({2})
so wie wir das auch schon in vielen Gesetzen getan haben.
Wir werden uns an die Arbeit machen. Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Wolfgramm.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Für die Fraktion der Freien Demokraten darf ich sagen: Wir übernehmen diese Geschäftsordnung heute ohne jeden Abstrich und auch ohne jede Änderung. Das bedeutet nicht, daß wir sie in der Zukunft nicht ändern werden. Wir haben die Geschäftsordnung bisher in jeder Legislaturperiode geändert, aber wir haben das nach sorgfältiger, intensiver und kundiger Beratung im Ältestenrat, im Geschäftsordnungsausschuß, in den Fraktionen und in den Arbeitskreisen getan.
Wir wollen uns damit eingehend auseinandersetzen. Wir gehen offen in die Beratungen dieser Gremien hinein, auch in der Frage des Fraktionsstatus oder in der Frage des Gruppenstatus. Wir sind da nicht festgelegt. Ich darf an die Anmerkung des Alterspräsidenten vor wenigen Stunden erinnern: Die Argumente sollten der Urteilsfindung dienen und nicht bereits das Urteil begründen. Wir möchten dabei zu einer sorgfältigen Urteilsfindung kommen. Wir wollen ein Ergebnis anstreben, das sich eng an die einschlägigen Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts anlehnt.
Wir werden über diese Fragen in den Ausschüssen sorgfältig beraten. Heute werden wir die Geschäftsordnung annehmen.
({0})
Das Wort hat jetzt Frau Köppe.
Ich spreche für die acht Abgeordneten des Bündnisses 90 und der GRÜNEN, um die es hier geht und um deren Rechte in diesem Parlament es geht. Ich denke, wenn wir uns hier mit der zur Beschlußfassung vorliegenden Geschäftsordnung beschäftigen, müssen wir schon davon ausgehen, daß diese Geschäftsordnung nicht nur den vielbeschworenen ordnungsmäßigen Ablauf der Parlamentsarbeit regelt, sondern zugleich auch ein Spiegelbild des demokratischen Selbstverständnisses dieses Parlaments ist.
Bei Beibehaltung der jetzigen Geschäftsordnung wären wir, die Abgeordneten von Bündnis 90 und GRÜNEN, zu weitgehender parlamentarischer Wirkungslosigkeit verurteilt. Die Listenverbindung Bündnis 90/GRÜNE stand nur im Gebiet der ehemaligen DDR zur Wahl. Nachdem diese Listenverbindung die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erwirkte regionalisierte Sperrklausel im Gebiet der ehemaligen DDR überwunden hat, stehen wir, die Abgeordneten, jetzt dennoch vor einer neuen Hürde - man sagt uns immer wieder, dieses Hürdenspringen, das wir nun ständig vollziehen müssen, sei Demokratie, aber wir bezweifeln das - , und zwar vor einer gesamtdeutschen Fünfprozenthürde, nämlich jener, oberhalb derer erst die Bildung von Fraktionen ermöglicht wird.
Wir beantragen, daß die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts zum Wahlrecht entsprechend auf die Regelung der Mindestfraktionsstärke in der GeFrau Köppe
schäftsordnung übertragen wird, und wir tun das deswegen, weil wir hier arbeitsfähig sein wollen, weil wir hier unsere Mitwirkungsrechte wahrnehmen wollen. Ich meine, es handelt sich dabei nicht um Almosen, sondern um die parlamentarischen Rechte, von denen wir Gebrauch machen wollen.
({0})
Die uns vorliegende Geschäftsordnung sichert großen Fraktionen sämtliche Möglichkeiten und Rechte für die parlamentarische Arbeit. Das bedeutet in der Praxis: Große Fraktionen halten sicheren Einzug in Präsidium und Ältestenrat und in die Ausschüsse; kleine Fraktionen sind benachteiligt und oft auch ausgegrenzt.
Wir wollen - deswegen haben wir einen zweiten Änderungsantrag zur Geschäftsordnung eingebracht -, daß alle Fraktionen gleichberechtigt an der Arbeit des Parlaments mitwirken können. Ich denke, daß es für die Mehrheitsfraktionen auch interessant sein könnte, die Meinung einer Minderheit zu hören.
Um jeder Fraktion diese Mitwirkung zu garantieren, ist eine Grundmandatsregelung notwendig. Demokratische Parlamentsarbeit bedeutet für uns nach unserem Demokratieverständnis - vielleicht haben wir da ein unterschiedliches - gleiche Rechte für alle Abgeordneten und Chancengleichheit für große und kleinere Fraktionen.
Wir, die acht Abgeordneten von Bündnis 90 und GRÜNEN, sind durch die Wahl ebenso legitimiert wie Abgeordnete der größeren Fraktionen.
({1})
Wir wollen in diesem Parlament nicht einfach stumm Ihrer Arbeit zusehen, sondern möchten uns an dieser Arbeit beteiligen.
({2})
Wir möchten mit Ihnen zusammen in den Ausschüssen sitzen und möchten dort mit Ihnen zusammen debattieren. Wir wollen hier unsere Ideen und unsere Anträge einbringen.
({3})
- Es wäre nett, wenn Sie mir zuhören könnten.
({4})
Deswegen fordern wir die Mehrheitsfraktionen und die großen Fraktionen dieses Parlaments auf, uns, der Minderheit, die gleichen Rechte zuzugestehen. Ich denke, ein Gradmesser für Demokratie ist auch immer der Umgang mit den Minderheiten.
Ich danke Ihnen.
({5})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Anträge zur Übernahme und Änderung der Geschäftsordnung.
Für die Anträge der Abgeordneten des Bündnisses 90/GRÜNE sowie des Abgeordneten Dr. Gysi auf den Drucksachen 12/2 ({0}) und 12/5, Herabsetzung der Fraktionsmindeststärke, wird Überweisung an den Ältestenrat beantragt. Ein Antrag auf Überweisung geht bei uns nach ständiger Übung der Abstimmung in der Sache vor.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Überweisungsantrag. Wer der Überweisung der Anträge auf den Drucksachen 12/2 ({1}) und 12/5 an den Ältestenrat zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Der Überweisungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten des Bündnisses 90/GRÜNE auf Änderung des § 12 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, Stellenanteile der Fraktionen, Drucksache 12/11. Auch hier wird Überweisung an den Ältestenrat beantragt. Wer stimmt für die Überweisung?
- Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsantrag ist bei einigen Enthaltungen der PDS angenommen.
Wir kommen zu dem Antrag der Abgeordneten des Bündnisses 90/GRÜNE zur Einführung einer neuen Zählung der Wahlperioden des Deutschen Bundestages auf Drucksache 12/9. Auch dieser Antrag soll an den Ältestenrat überwiesen werden. Wer stimmt für die Überweisung? - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Der Überweisungsantrag ist angenommen.
Wir stimmen über die Anträge der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP zur Übernahme der Geschäftsordnung, Drucksache 12/1, sowie auf vorläufige Übernahme des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 31. Oktober 1990, Drucksache 11/8386 ab. Wer den Anträgen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. ({2})
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Anträge sind bei Gegenstimmen der PDS und des Bündnisses 90/GRÜNE und einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:
Festlegung der Zahl der Stellvertreter des Präsidenten
Hierzu liegen zwei Anträge vor. Die Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP beantragen auf Drucksache 12/4, die Anzahl der Stellvertreter auf vier festzusetzen. Die Abgeordneten der PDS haben auf Drucksache 12/6 einen weitergehenden Antrag vorgelegt, der eine größere Zahl von Stellvertretern vorsieht. Wird hierzu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Präsidentin Dr. Süssmuth
Dann kommen wir zur Abstimmung. Ich lasse zunächst über den weitergehenden Antrag der Abgeordneten der PDS auf Drucksache 12/6 abstimmen.
({3})
Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU, FDP, SPD und einigen Stimmen des Bündnisses 90/GRÜNE abgelehnt.
Wir kommen zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP, die Zahl der Stellvertreter auf vier festzusetzen. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist gegen die Stimmen des Bündnisses 90/GRÜNE und der PDS bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:
Wahl der Stellvertreter des Präsidenten
Die Wahl der Vizepräsidenten erfolgt geheim. Der Nachweis der Teilnahme an der Wahl geschieht durch Wahlausweis.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der CDU/ CSU schlägt den Abgeordneten Hans Klein ({4}) vor. Von der Fraktion der SPD werden die Abgeordnete Renate Schmidt ({5}) und der Abgeordnete Helmuth Becker ({6}) vorgeschlagen. Die Fraktion der FDP schlägt den Abgeordneten Dieter-Julius Cronenberg ({7}) vor. Von den Abgeordneten der PDS wird die Abgeordnete Jutta Braband und von den Abgeordneten des Bündnisses 90/ GRÜNE der Abgeordnete Dr. Wolfgang Ullmann vorgeschlagen.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Wahl der Stellvertreter der Präsidentin mit Wahlausweis und einer Stimmkarte, auf der alle vorgeschlagenen Kandidaten aufgeführt sind, durchzuführen. Wird nunmehr beantragt, die Wahl entgegen der interfraktionellen Vereinbarung in getrennten Wahlhandlungen vorzunehmen? - Das ist nicht der Fall. Dann erfolgt sie nach dem vorgeschlagenen Verfahren.
Ich erläutere jetzt kurz das Wahlverfahren: Falls Sie Ihren Wahlausweis noch nicht zur Hand haben sollten, besteht jetzt noch Gelegenheit, ihn aus Ihren Schließfächern in der Osthalle vor dem Plenarsaal zu holen. Vor den Wahlkabinen erhalten Sie die Stimmkarte mit einem Umschlag. Auf der Stimmkarte sind die vorgeschlagenen Kandidaten in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt.
Im übrigen ist das Verfahren dasselbe wie vorhin. Ich mache jedoch besonders darauf aufmerksam, daß auf Grund des soeben gefaßten Beschlusses über die Zahl der Stellvertreter auf der Stimmkarte höchstens vier Vorschläge angekreuzt werden dürfen. Stimmkarten, die mehr als vier Ankreuzungen, andere Namen als die der vorgeschlagenen Kandidaten oder Zusätze enthalten, sind ungültig. Wer sich der Stimme enthalten will, macht keine Angaben auf der Stimmkarte. Bevor Sie die Stimmkarte in eine der vor den Wahlkabinen aufgestellten Wahlurnen werfen, müssen Sie dem Schriftführer an der Wahlurne Ihren Wahlausweis übergeben.
Ich bitte jetzt die Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Haben alle Schriftführer ihre Plätze eingenommen? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Wahl. Meine Damen und Herren, haben alle Mitglieder des Hauses, auch die Schriftführer, ihre Stimmkarten abgegeben?
({8})
- Gut, dann warten wir noch. Sind jetzt alle Stimmkarten abgegeben? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Wahl.
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Ich unterbreche die Sitzung für ca. 30 Minuten.
({9})
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe Ihnen das Ergebnis der Wahl der Vizepräsidenten bekannt.
({0})
- Ich vernehme hier, daß Sie auf diese Weise Richard Stücklen herzlich begrüßt haben.
Ich wiederhole: Ich gebe das Ergebnis der Wahl der Vizepräsidenten bekannt.
Abgegebene Stimmen: 638, ebensoviele gültige Stimmen. Von den gültigen Stimmen entfielen auf den Abgeordneten Becker 621 Stimmen,
({1})
auf die Abgeordnete Braband 28 Stimmen, auf den Abgeordneten Cronenberg 597 Stimmen,
({2})
auf den Abgeordneten Klein 511 Stimmen,
({3})
auf die Abgeordnete Frau Schmidt 479 Stimmen,
({4})
auf den Abgeordneten Ullmann 101 Stimmen.
({5})
Damit sind die Abgeordneten Herr Becker, Herr Cronenberg, Herr Klein und Frau Schmidt mit der erforderlichen Mehrheit von 332 Stimmen, die sie erreicht haben, zu Stellvertretern der Präsidentin gewählt. Ich sage meinen ganz herzlichen Glückwunsch und frage jetzt einen nach dem anderen - ich bePräsidentin Dr. Süssmuth
ginne beim Abgeordneten Becker -, ob er die Wahl annimmt.
Frau Präsidentin, ich nehme die Wahl an und bedanke mich für das wirklich sehr große Vertrauen.
({0})
Herr Abgeordneter Cronenberg, nehmen Sie die Wahl an?
Frau Präsidentin, ich nehme die Wahl gerne an und bedanke mich ebenso für das große Vertrauen.
({0})
Herr Abgeordneter Klein?
Frau Präsidentin, ich schließe mich den Worten meiner Vorredner an und bedanke mich für das Vertrauen.
({0})
Frau Abgeordnete Schmidt?
Frau Präsidentin, ich habe den Worten der drei Herren nichts hinzuzufügen.
({0})
Damit haben alle Vizepräsidenten die Wahl angenommen. - Ich wünsche Ihnen Glück und Erfolg im Amt und uns eine gute Zusammenarbeit.
Nun komme ich zum Schluß unserer heutigen Sitzung und teile Ihnen noch folgendes mit. An dem Sitzungstag, an dem der Bundeskanzler gewählt und vereinigt wird
({0})
- man sollte nie ablesen, entschuldigen Sie -, an dem Sitzungstag, an dem die übrigen Mitglieder des Kabinetts vereidigt werden, und schließlich an dem Sitzungstag, an dem die Regierungserklärung abgegeben wird, sollen weder eine Regierungsbefragung noch eine Fragestunde oder eine Aktuelle Stunde durchgeführt werden. Dies ist interfraktionell vorgeschlagen worden, und ich hoffe, Sie sind damit einverstanden.
Der Termin der nächsten Sitzung steht noch nicht fest; er wird Ihnen rechtzeitig mitgeteilt. Nach Abschluß der heutigen Sitzung möchte ich Sie recht herzlich einladen zu einem Empfang, den wir vorn in der Osthalle geben, bei dem Sie sich kräftigen, stärken und Ihre Freude haben sollen.
Ich wünsche Ihnen ein gutes Weihnachtsfest, ein gutes neues Jahr und für uns alle ein gutes Gelingen im nächsten Jahr.
Herzlichen Dank.
Die Sitzung ist geschlossen.