Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/30/1988

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1988 ({0}) - Drucksachen 11/2650, 11/2968 Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) - Drucksache 11/3012 Berichterstatter: Abgeordnete Carstens ({2}) Dr. Weng ({3}) Wieczorek ({4}) Frau Vennegerts ({5}) Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. - Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Neuling.

Dr. Christian Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf eingangs vielleicht in aller Kürze auf die Struktur des Nachtragshaushalts eingehen. Die wesentlichen Elemente des Nachtragshaushalts 1988 sind im Kern die Verringerung auf der Einnahmenseite; die Ausgabenseite schlägt sich mit weniger als 0,1 %, bezogen auf das Haushaltsvolumen, nieder. Insoweit können wir den Teil bei der Betrachtung außer acht lassen. Im Kern geht es darum, daß zum einen der Bundesbankgewinn in der vorgesehenen Höhe von 6 Milliarden DM ausgefallen ist und daß zum anderen die Abführung an die EG entsprechend der Vereinbarung erhöht werden mußte, so daß die Nettokreditaufnahme - das ist der letzte Stand - um ca. 9 Milliarden DM auf nunmehr ca. 38,6 Milliarden DM erhöht werden muß. So weit die Tatsachen. Nun zu der Bewertung. Wichtig ist, finde ich, in der finanzpolitischen Bewertung, zunächst einmal festzuhalten, daß die erhöhte Nettokreditaufnahme ausschließlich auf die Verringerung der Einnahmenseite und eben nicht auf eine Steigerung der Ausgabenseite zurückzuführen ist - ganz im Gegensatz übrigens - damit wir hier in eine Debatte hineinkommen; der Saal ist ja noch nicht allzu stark besetzt - zu der Politik der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung und sozialdemokratischen Finanzminister. ({0}) Ich darf daran erinnern, daß die Ausgaben des Bundes zwischen 1976 und 1982, also in diesen sechs Jahren, durchschnittlich um ca. 8 % gestiegen sind. Unsere Bilanz der vergangenen sechs Jahre liegt bei einem durchschnittlichen Steigerungssatz von 2,0 %. Übertragen wir nun einmal die 8 % Steigerungsrate Ihrer letzten sechs Jahre, so würde dies bedeuten, daß wir heute, 1988, bereits bei einem Ausgabevolumen von 390 Milliarden DM wären. Ich glaube, damit wird deutlich, in welcher unverantwortlichen Art und Weise Sie in den 70er Jahren und Anfang der 80er Jahre den Handlungsspielraum aller Regierungen danach verspielt haben. ({1}) Die Bundesregierung, die sie tragenden Koalitionsfraktionen halten - unbeschadet des Nachtragshaushaltes - an einer soliden und berechenbaren Ausgabenpolitik fest. Nun ist im Vorfeld - von Ihnen, Herr Kollege Esters, und anderen - auch die Steigerungsrate im Jahre 1989 mit 4,5 % kritisiert worden. Ich darf Sie daran erinnern, daß ein wesentliches Element dieser Steigerungsrate auch der sogenannte Strukturfonds ist. Ich habe also die Empfehlung an die Opposition, sich an die SPD-geführten Bundesländer zu wenden mit dem Ziel, daß diese auf die Investitionsmittel verzichten. Sie könnten dann einen eigenständigen Beitrag zur Minderung der Ausgabensteigerung leisten. ({2}) Ich sage dies deshalb, Herr Kollege Esters, damit auch hier im Bundestag eins mal deutlich wird: Es geht nicht, dem Bundesfinanzminister im Bundestag ständig Vorhaltungen wegen einer unsoliden, unverantwortlichen Ausgabenpolitik zu machen, um dann in den Bundesländern die Mittel anschließend abzukassieren. So können wir nicht miteinander umgehen. ({3}) Nun eine kurze Bemerkung zum Bundesbankgewinn. Die Tatsachen sind bekannt. - Herr Dr. Struck, wir kennen uns ja nun. Ich habe das Vergnügen, das angenehme Klima im Haushaltsausschuß zu genießen; nichtsdestotrotz sollten wir hier heute einmal eine muntere Diskussion führen. ({4}) Der Bundesbankgewinn ist wegen der bekannten Tatsachen ausgefallen: Wertberichtigung, historischer Tiefstand des Dollars; ich will mich damit nicht weiter aufhalten. Finanzpolitisch interessant ist vielmehr die Konsequenz, die der Bundesfinanzminister mit Unterstützung der Koalitionsfraktionen gezogen hat. Nach meiner Kenntnis wurde erstmalig ein nach oben begrenzter Betrag für den Bundesbankgewinn eingestellt. Der zufließende Bundesbankgewinn wird oberhalb dieser eingesetzten Größenordnung zur Tilgung der Altschulden verwendet. Herr Bundesfinanzminister, wir unterstützen diesen Vorschlag als einen wichtigen finanzpolitischen Meilenstein ausdrücklich. Wie unverantwortlich dagegen die Schuldenpolitik der SPD war, wird deutlich, wenn man sich die Zeit zwischen 1970 und 1982 ansieht. Allein in dieser Zeit stieg die Verschuldungsquote von ca. 7 % auf über 19%, ({5}) d. h., fast dreimal so schnell, Frau Kollegin finanzpolitische Sprecherin, wie die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit. - Ich kann nicht alles sagen; ich habe nur noch fünf Minuten, Frau Kollegin. Entscheidend ist vielmehr, daß wir heute einen wesentlichen Teil der Nettokreditaufnahme für die Bezahlung der Zinsen der alten Schulden der SPD verwenden müssen. ({6}) Wir dagegen haben diese dramatische Schuldenentwicklung nachhaltig gebremst. Ich vermerke jedoch bereits an dieser Stelle, daß hiermit ein langfristiges Strukturproblem in der Frage der Zinsquote im Haushalt gegeben ist, das, glaube ich, von allen Mitgliedern auch in unserer Fraktion in ihrer dramatischen Entwicklung noch nicht so deutlich gesehen wird. Diese Entwicklung der Zinsquote - sie stieg in Ihren 12 Jahren Regierungsverantwortung von knapp 3 % auf über 9 % - ist der eigentliche Sprengsatz, den Sie in den jeweiligen zukünftigen Haushalten hinterlegt haben. Wie sieht dann die Entwicklung eigentlich aus, wenn wir von einem erfolgreich gesenkten Zinsniveau von über 11 % auf jetzt knapp 5,5 % wegkommen und wieder steigende Zinsen haben? Dann stellt sich die Zinsquote im Haushalt in einer dramatischen Entwicklung dar, auch dies ein Sprengsatz, den wir letztendlich der SPD wegen ihrer unsoliden Ausgabenpolitik der vergangenen Jahre zu verdanken haben. ({7}) Ganz im Gegenteil dazu: Wir senken - auch unter Berücksichtigung der Verbrauchsteuern - die Steuerlast beim Bürger um ca. 40 Milliarden DM. Das Motiv ist ganz klar: Nicht der Staat soll bestimmen, was mit dem Geld zu geschehen hat. sondern der Burger selbst. Das ist der fundamentale Unterschied. ({8}) Der Art. 115 des Grundgesetzes im Zusammenhang mit dem Haushaltsgesetz wird sicherlich auch noch eine gewisse Rolle spielen. Auch hier darf ich daran erinnern, daß in den letzten 8 Jahren Ihrer Regierungsverantwortung die von Ihnen geführte Bundesregierung allein fünfmal die im Art. 115 des Grundgesetzes gesetzte Obergrenze für die Verschuldungsgrenze mißachtet hat. Das heißt, Sie haben die in der Verfassung als Ausnahme vorgesehene überhöhte Neuverschuldung schlichtweg zum finanzpolitischen Regelfall erklärt und damit ganz offensichtlich das Grundgesetz mißachtet. Desweiteren darf ich daran erinnern, daß Nachtragshaushalte in den letzten vier, fünf Jahren Ihrer Regierungszeit allein fünfmal eingebracht worden sind. Das heißt, wenn Sie sich in dieser Frage als Ankläger aufspielen, müssen Sie immer daran denken, daß jedes Wort, das Sie in dieser Frage an uns richten, eigentlich an Sie selber gerichtet ist. Im Grunde genommen sitzen Sie auf der Anklagebank. ({9}) Nun zu der Frage, inwieweit es heute berechtigt war, die Obergrenze des Art. 115 des Grundgesetzes zu überschreiten. Ich darf daran erinnern: Zum Jahreswechsel weltweite Erschütterung der Aktienmärkte, allgemein eine reduzierte Wachstumserwartung. - Übrigens: An der Spitze der Negativprognosen war die SPD. Sie unterliegen ja immer einen euphorischen Konjunkturpessimismus, indem Sie sich sozusagen in negative Erwartungen munter steigern. Da sind Sie nur zu warnen. -({10}) Ferner darf ich an den historischen Tiefstand des Dollars mit den Auswirkungen auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit erinnern. Dies alles hat dazu geführt, daß nach unserer Meinung die Überschreitung der im Art. 115 des Grundgesetzes festgelegten Grenze für die Nettokreditaufnahme letztendlich zu rechtfertigen ist, um eine drohende gesamtwirtschaftliche Störung abzuwehren. Desweiteren ist zu verweisen auf die Erfolge des letzten halben Jahres, die positive Wirtschaftsentwicklung im ersten Halbjahr 1988: mit 3,9 % die beste Zuwachsrate seit 1979. In diesem Zusammenhang ist als wesentlicher Träger dieser verbesserten Konjunktur die Binnennachfrage zu sehen. Auch hier wird der Gesamtzusammenhang unserer Steuer- und Finanzpolitik deutlich: ein klarer Beweis für die Richtigkeit unserer Steuerreform. Ich erinnere nur daran, daß mit dem 1. Januar 1988 im Vergleich zu 1985 allein 25 Milliarden DM mehr in den Taschen der Bürger bleiben. Das heißt, wir haben die Steuern gesenkt, Sie haben sie angehoben. ({11}) Im übrigen ist es natürlich immer so: Wenn es eine positive Entwicklung gibt, waren es im Grunde alle anderen, nur die Bundesregierung nicht. Nein, diese erfolgreiche Politik ist nur in Verbindung mit unserer erfolgreichen und konsequenten Wirtschafts- und Finanzpolitik zu sehen. Damit keine Zweifel über die Steuermehreinnahmen in den Jahren 1988 und 1989 bestehen, darf ich hier auch für die Fraktion erklären: Es gibt keinen Zweifel, daß die sich abzeichnenden Steuermehreinnahmen im Jahre 1988 und 1989 ausschließlich für die Senkung der Nettokreditaufnahme in diesen beiden Jahren zu verwenden sind. Dies ist eine ganz klare Aussage. ({12}) Ich fasse zusammen: Der Nachtragshaushalt 1988 verbunden mit der Anhebung der Nettokreditaufnahme über die in Art. 115 des Grundgesetzes definierte Grenze berücksichtigt einen Sondertatbestand und ist von unserer wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Verantwortung getragen. Die wirtschaftliche Entwicklung heute bestätigt unser politisches Handeln von damals. Zweitens. Nur eine solide Finanzpolitik heute ist die Voraussetzung für die politische Handlungsfähigkeit von morgen. Ich glaube, daß die Aussprache bei der ersten Lesung des Haushaltsgesetzes 1989 eines gezeigt hat: Die Opposition steht ohne finanzpolitisches Konzept da; die Handlungsfähigkeit liegt bei uns, bei der Bundesregierung und den sie tragenden Koalitionsfraktionen. Herzlichen Dank. ({13})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Esters.

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, wenige Stunden nach Ihrem Geburtstag noch einmal recht herzlich gratulieren und Ihnen Glück und Gesundheit wünschen ({0}) und hoffe - Sie werden meinen Ausführungen gleich entnehmen - , daß Sie in den nächsten Jahren dann eine etwas glücklichere Hand in der Finanzpolitik haben. ({1}) Mit der Vorlage des Nachtragshaushalts zum Bundeshaushalt 1988, den wir in zweiter und dritter Lesung heute verabschieden, wird die Neuverschuldung des Bundes auf rund 39 Milliarden DM angehoben. Dies wäre die höchste Neuverschuldung seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Diese schlimme Rekordziffer steht in einem krassen Gegensatz zu dem ständigen Eigenlob der Bundesregierung. Sie offenbart die ganze Malaise einer Finanzpolitik, die entgegen allen schönen Worten in Wahrheit ohne ein verläßliches Konzept dasteht. Trotz der günstigen weltwirtschaftlichen Bedingungen in den letzten Jahren, die zu einer stetigen konjunkturellen Entwicklung im Inland, zu niedrigen Zinsen und stabilen Preisen geführt haben, hat die Bundesregierung die selbstgesteckten Konsolidierungsziele nicht erreicht. ({2}) Wenn Sie schon in einem Jahr, das wirtschaftlich entgegen den Annahmen vom Jahresanfang bisher durchaus erfreulich verläuft, einen Schuldenrekord fabrizieren: Was steht uns dann noch bevor, wenn die weltwirtschaftliche Entwicklung wieder einmal ins Stocken gerät? Spätestens dann kommt die Stunde der Wahrheit. Dann werden Sie zugeben müssen, daß entgegen Ihren Versprechungen die Schulden des Bundes nicht so begrenzt wurden, daß wieder ein dauerhafter finanzpolitischer Spielraum entsteht. Ich empfehle Ihnen daher einmal, einen Blick in den Finanzbericht und damit einen Blick über die Grenzen. Eine solche vergleichende Betrachtung ist dann überaus aufschlußreich. In Belgien wurde der Nettofinanzierungssaldo in Prozent der Ausgaben, also der Anteil der Ausgaben, der kreditfinanziert wird, seit 1985 stetig zurückgeführt von 30,4 auf 25,1 %, in Dänemark im gleichen Zeitraum von 10,8 auf 1 %, in Frankreich von 14,3 auf 9,6 % und in Großbritannien von 7,5 auf 0,8 %. Die Reihe läßt sich an Hand der Statistik des Finanzberichts über Italien, Irland, Portugal und Spanien fortsetzen, und auch außerhalb Europas findet sich das gleiche Bild: in Japan ein Rückgang des Finanzierungssaldos von 33,3 auf 15,6 %, in Kanada von 30,9 auf 21,9 % und in den USA von 22,3 auf 11,8 %. Die einzige große Ausnahme ist hier die Bundesrepublik Deutschland. ({3}) Bei uns ist der Nettofinanzierungssaldo seit 1985 von 8,8 auf 14 % der Bundesausgaben gestiegen. Wir sind weit und breit das einzige Land unter den 17 Industrienationen, das in der neuesten Übersicht des Bundesfinanzministeriums eine derartige Negativbilanz aufweist. Das beweist, daß das hohe Rekorddefizit des Jahres 1988 nicht weltwirtschaftlich bedingt, sondern einzig und allein hausgemacht ist. ({4}) Es ist die zwangsläufige Folge einer Haushaltswirtschaft, die seit Jahren durch ein permanentes Ungleichgewicht von Einnahmen und Ausgaben gekennzeichnet ist. Der Bundesfinanzminister hat dies eine Zeitlang verschleiern können, indem er klar absehbare Ausgaben hinausgezögert und die Einnahmenseite systematisch durch optimistische Wachstumsannahmen und hohe Bundesbankgewinne geschönt hat. Der Bundeshaushalt 1988 ist dafür das beste Beispiel. Bereits bei der Verabschiedung des Haushalts für das Jahr 1988 wußten alle, daß die EG-Eigenmittel bei weitem nicht ausreichen würden, daß im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit eine Milliardenlücke klafft und daß der Bundesbankgewinn viel zu hoch veranschlagt war. Dem neuen Finanzplan des Bundes entnehme ich, daß die Bundesregierung in den kommenden Jahren daran festhalten will, den Bundesbankgewinn zumindest in Höhe von rund 7 Milliarden DM jährlich als eine normale Einnahme zu behandeln. ({5}) Dies ist leichtsinnig und auch falsch. Dies widerspricht auch allem, Herr Kollege Weng, was die Finanzpolitiker der Union zu Oppositionszeiten zu diesem Thema erklärt haben. ({6}) Ich hatte von Ihnen eigentlich erwartet - nach dem, was Sie uns in den 70er und 80er Jahren vom Pult des Deutschen Bundestages aus empfohlen haben - , daß Sie den Bundesbankgewinn als außerordentliche Einnahme betrachten würden und ihn gezielt dafür einsetzen wollten, notwendige Investitionen im Bereich des Umweltschutzes und Initiativen zur Überwindung der Massenarbeitslosigkeit zu finanzieren. Entgegen Ihren Erklärungen haben Sie die hohen Bundesbankgewinne der letzten Jahre dazu benutzt, sich zusätzliche Finanzierungsspielräume zu verschaffen. Sie haben die Nettokreditaufnahme lediglich vorübergehend auf dem Papier niedriger ausgewiesen. Aber in der Substanz haben Sie nichts bewegt. ({7}) In welchem argumentativen Notstand sich die Regierung befindet, haben wir soeben von dem Kollegen Dr. Neuling wieder gehört, der wiederholte, was Manfred Carstens hier im Bundestag auch behauptet hat, nämlich daß die heutige Neuverschuldung allein notwendig wäre, um die Zinsen für die Schulden zu zahlen, die von der SPD/FDP-Koalition übernommen worden sind. ({8}) Diese Behauptung hat der Parlamentarische Staatssekretär im Finanzministerium, Herr Dr. Voss, auch schon einmal verbreitet, nämlich am 22. Juni. Trotz verschiedentlicher Nachfragen - auch in der Fragestunde - ist es uns bisher nicht gelungen, von Herrn Dr. Voss Auskunft über seine Berechnungsmethoden zu bekommen. ({9}) In Wahrheit geht es doch um den Versuch, Nebenkriegsschauplätze zu eröffnen, mit denen Sie und die Bundesregierung davon ablenken wollen, wie tief Sie finanzpolitisch in die Bredouille gekommen sind. ({10}) Die Rekordverschuldung in der Nachtragsvorlage 1988 von rund 39 Milliarden DM ist nämlich verfassungswidrig. ({11}) Damit verstößt die Bundesregierung gegen Art. 115 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Mit dem Nachtrag 1988 überschreitet die Nettokreditaufnahme die Investitionsausgaben um rund 5 Milliarden DM. Ich vermisse bis heute eine klare Aussage des Bundesfinanzministers, ob er sich auf die Ausnahmeregelung des zweiten Halbsatzes beruft - was er müßte - und mit welcher Begründung er die Kreditobergrenze überschreitet. Das ist weder im Zusammenhang mit dem Kabinettsbeschluß geschehen noch bei der Einbringung der ersten Lesung am 6. September durch den Bundesfinanzminister. ({12}) In den Kommentaren zu Art. 115 wird klar festgestellt, wann eine Überschreitung der Kreditobergrenze zulässig ist. Gedacht ist an den Fall, daß die zur Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage notwendig zu erhöhenden Ausgaben nur durch entsprechend erhöhte Einnahmen aus Krediten ausgeglichen werden können. Dies ist der klassische Fall eines kreditfinanzierten Ausgabeprogramms. Es wird in den Kommentaren weiter festgestellt, daß eine bloße Abschwächung des Wirtschaftswachstums nicht als Begründung ausreicht. Auch das Bundesverfassungsgericht selbst erkennt nur bestimmte konjunkturpolitische Krisensituationen als Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts im Sinne des Art. 115 an. Gemessen an den Erklärungen, die die Bundesregierung in jüngster Zeit abgegeben hat, liegt die Voraussetzung einer Störung eines gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts keineswegs vor. Im Gegenteil: Gleich zu Beginn seiner Einbringungsrede hat Herr Dr. Stoltenberg uns mitgeteilt, daß die Wirtschaft über Erwarten gut laufe, und dies ist richtig. ({13}) Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium hat dies noch am 22. September in gleicher Richtung klar dargelegt. Wenn dem so ist, dann sind die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Überschreitung der Kreditobergrenze nicht erfüllt. Dann ist insbesondere überhaupt nicht zu verstehen, warum die Bundesregierung gerade jetzt die Ausnahmeregelung in Anspruch nehmen will. Wenn die Koalitionsparteien mit ihrer Mehrheit diesen Nachtrag trotzdem beschließen, dann begeben sie sich auf gefährliches politisches und verfassungsrechtliches Glatteis. Es ist schon eine besondere Ironie des Schicksals, daß die CDU/CSU-Fraktion gerade in dem Moment, wo sie sich anschickt, einen verfassungswidrigen Haushalt zu beschließen, von einer Verfassungsklage eingeholt wird, die die CDU/CSU-Fraktion als OppoEsters sition vor sechs Jahren in Karlsruhe angestrengt hat. ({14}) Unter dem Datum des 6. September 1982 haben eine Reihe von Bundestagsabgeordneten der CDU/ CSU-Fraktion ein Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht beantragt und darum gebeten, den Bundeshaushalt 1981 wegen Überschreitung der Kreditobergrenze für nichtig zu erklären. Grundlage dieses spektakulären Schrittes waren zwei Rechtsgutachten der Professoren Dr. Friauf und Dr. Kirchhof. Während die Klage damals mit großem propagandistischem Getöse der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, baten die Antragsteller das Bundesverfassungsgericht, den Antrag noch nicht zu behandeln, ({15}) weil das angeblich schon längst vorhandene maßgebliche wissenschaftliche Rechtsgutachten von Professor Dr. Friauf noch nicht vorgelegt werden könne. In Wahrheit ist es nie erstellt worden. Das mußte Professor Dr. Kirchhof im November 1983 gegenüber dem Verfassungsgericht ausdrücklich einräumen. ({16}) Damit war klar: Sie hatten das Verfassungsgericht und die Öffentlichkeit in wirklich unverantwortlicher Weise über ein Jahr lang und über die Bundestagswahl 1983 hinweg getäuscht. Sie haben das Verfahren in Karlsruhe systematisch verzögert und leichtfertig das Institut der Verfassungsklage diskreditiert. Es war allein parteitaktisch motiviert. ({17}) - Ich habe wiederholt bei Haushaltsdebatten hier, Herr Kollege, dies kritisiert und Sie aufgefordert - insofern waren Sie Herr des Verfahrens - , Ihren Antrag zurückzuziehen. Dazu waren Sie als Antragsteller nie bereit. Es ist falsch und eine Dreistigkeit sondergleichen, wenn heute Ihr Fraktionskollege Langner behauptet, Sie seien nicht Herr des Verfahrens gewesen, und die Verzögerung sei vom Bundesverfassungsgericht zu vertreten, ({18}) Pressedienst der CDU vom 16. September 1988. Das Gegenteil ist wahr: Sie haben den Fortgang des Prozesses verschleppt; nur Sie allein hatten es in der Hand, diese unmögliche Situation wieder in Ordnung zu bringen. In der Begründung des Antrags haben Sie behauptet, der seinerzeit und auch heute noch verwendete Investitionsbegriff sei nicht verfassungsgemäß, bei einer nach Ihrer Meinung verfassungskonformen Definition der Investitionsausgaben seien alle Haushalte von 1970 bis 1982 mit einer Ausnahme verfassungswidrig gewesen. Gerade hieran wird jetzt klar ersichtlich, daß Ihr Antrag vor dem Bundesverfassungsgericht ausschließlich partei- und wahltaktisch kalkuliert war. ({19}) Denn würde der von Ihnen damals vorgeschlagene Investitionsbegriff vom Verfassungsgericht jetzt bestätigt werden, so wären auch Ihre Haushalte 1983, 1984, 1987, 1988 sowie der Haushaltsentwurf 1989 verfassungswidrig. ({20}) Ich erkläre für die Sozialdemokraten hier, daß wir es aus diesem Grund für sinnvoll und notwendig halten, daß das Bundesverfassungsgericht einige Feststellungen und Auslegungen zum Inhalt des Art. 115 des Grundgesetzes trifft, um hier wieder Rechtssicherheit herzustellen. Wir sind der Ansicht gewesen, daß die Kreditermächtigung im Haushaltsgesetz 1981 sehr wohl die im Haushalt veranschlagten Ausgaben für Investitionen überschreiten durfte, weil vor allem wegen der hohen Arbeitslosigkeit das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht erheblich gestört war. Ich darf nur noch einmal, weil es schon etliche Jahre zurückliegt, an die damalige weltwirtschaftliche Lage erinnern, die sich von der heutigen ganz wesentlich unterscheidet. Damals mußten wir die schwerwiegenden Auswirkungen der zweiten massiven Verteuerung der Erdölpreise bekämpfen, die weltweit eine rezessive Entwicklung ausgelöst hatten. Damals war ein aktives finanzpolitisches Gegensteuern dringend angezeigt, und ein Unterlassen hätte die Folgen der Weltwirtschaftskrise für Wirtschaft und Arbeitnehmer noch weit verschlimmert. ({21}) Sie stehen dagegen heute vor Ihren hausgemachten Schuldenproblemen, während die Länder um uns herum, wie ich gezeigt habe, die Verschuldungsquote zurückführten. ({22}) Es gibt noch einen weiteren wichtigen Unterschied zwischen damals und heute: In den Haushalten seit 1983 wurden Jahr für Jahr mit Hilfe von hohen Gewinnen der Deutschen Bundesbank die Kreditermächtigungen formal um insgesamt 55 Milliarden DM zu niedrig ausgewiesen. Ohne diese hohen Ablieferungen hätte der Schuldenzuwachs des Bundes um den gleichen Betrag höher gelegen, durchschnittlich um 10 Milliarden DM im Jahr, d. h. jährlich um rund ein Drittel. Wenn der Bundesfinanzminister dies heute in Abrede stellt, dann möchte ich ihn an ein Zitat aus dem „Rheinischen Merkur" vom 31. Oktober 1981 erinnern, wo Herr Dr. Stoltenberg damals sagte: „Wenn jetzt 10 Milliarden DM Bundesbankgewinne zur Finanzierung des Bonner Haushalts 1982 herangezogen werden sollen, so ist das eine nicht vertretbare Geldschöpfung mit inflationsfördernder Wirkung." ({23}) Der damalige finanzpolitische Sprecher, Herr Dr. Häfele, erklärte: Bei einer volkswirtschaftlichen Betrachtungsweise - und die muß man hier ja wohl anstellen - ist jede Abführung von Bundesbankgewinnen das gleiche wie eine zusätzliche Verschuldung des Staates. ({24}) Diese Abführung von Bundesbankgewinnen muß also der Neuverschuldung noch hinzuaddiert werden. Dies aber zeigt deutlich, daß Ihre Argumentation in der Haushalts- und Finanzpolitik lediglich aus tagespolitischen Parteiopportunitäten und Wahlkampfüberlegungen heraus formuliert wurde, wobei Sie sich nicht scheuen, selbst das Bundesverfassungsgericht zu mißbrauchen, wie die Geschichte Ihrer Klage zeigt. ({25}) Herzlichen Dank. ({26})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weng.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Esters hat bei seinem Glückwunsch zum gestrigen Geburtstag des Herrn Bundesfinanzministers die Bemerkung gemacht, er wünsche dem Herrn Bundesfinanzminister in den nächsten Jahren eine glücklichere Hand. Ich glaube, diese Bemerkung ist unschwer in zwei Teile zu zerlegen. Der eine ist das mit der glücklicheren Hand. Wir wissen, daß sich die Erfolge des Finanzministers so sehen lassen können, daß dieser Wunschteil entfallen kann. ({0}) Der zweite Teil, „in den nächsten Jahren" , hat natürlich einen ganz anderen Aspekt. Ich gehe davon aus, der Kollege Esters meint eine langjährige Fortsetzung der Koalition mit ihrer erfolgreichen Finanzpolitik mit dem Herrn Bundesfinanzminister an verantwortlicher Stelle. Das ist zu begrüßen. ({1}) Meine Damen und Herren, der Haushaltsausschuß hat in seiner Sitzung am Mittwoch mit der Mehrheit der Koalition der Vorlage der Bundesregierung zum Nachtrag zum Bundeshaushaltsplan 1988 zugestimmt. ({2}) - Die Zwischenrufe machen deutlich, daß es die Mehrheit der Koalition war; d. h. diejenigen, die hier Verantwortung tragen, haben dieser Verantwortung auch im Haushaltsausschuß wieder Rechnung getragen. ({3}) Die politische Entwicklung, die den Nachtrag, über den wir heute in abschließender Lesung beraten, notwendig machte, ist noch in guter Erinnerung. Sie ist auch bei den Vorrednern mit unterschiedlicher Gewichtung angeklungen. In einem Augenblick weltwirtschaftlicher Turbulenzen, eines rasanten Niedergangs des amerikanischen Dollars und eines enormen Einbruchs an den Börsen der Welt waren die politisch Verantwortlichen hier im Land gefordert, einer Sondersituation Rechnung zu tragen. ({4}) Die Frage ist, Herr Kollege Esters, wie sich diese Situation im Blick auf die Verfassungsforderung definiert. Dazu werden wir, wenn das Urteil des Verfassungsgerichts mit seiner Begründung vorliegt, mehr sagen können als im Moment. Deswegen ist auch das, was Sie über Rechtsunsicherheit gesagt haben, ein bißchen mit Fragezeichen zu versehen. Rechtssicherheit besteht so lange, wie keiner nach dem Kadi ruft, von sich aus. ({5}) In dem Moment, wo nach dem Kadi gerufen wird, besteht die Rechtssicherheit dann, wenn ein abschließendes Urteil da ist, das als Urteil und mit seiner Begründung deutlich macht, wie die Rechtsprechung die Rechtsformeln auslegt. Ich kann nicht sagen, daß ich mich im Moment in Rechtsunsicherheit befinde. Im Moment gilt das, was noch nicht Recht gesprochen ist, also das, was gemacht worden ist und was in Ordnung war. Wenn Sie gesagt haben, der Bundesfinanzminister habe in früheren Erwähnungen darauf hingewiesen, daß es möglicherweise inflationäre Entwicklungen nach sich ziehen würde, wenn der Bundesbankgewinn in den Bundeshaushalt eingestellt wird, dann muß ich entgegnen: Wir haben den Bundesbankgewinn immer eingestellt, und die inflationäre Entwicklung hat nicht stattgefunden. ({6}) Insofern hat sich damals Herr Stoltenberg auf jeden Fall geirrt. ({7}) - Ob dummes Zeug geredet: Er hat das offensichtlich falsch vorausgesehen. Meine Damen und Herren, der Sondersituation, die ich vorhin apostrophiert habe, haben wir von seiten der Koalition zu Beginn dieses Jahres nicht ganz ohne Geburtswehen - daran werden Sie sich erinnern - in mehrfacher Weise Rechnung getragen. Zwei dieser Aspekte haben Haushaltsauswirkungen. Deswegen diskutieren wir heute wieder zu diesem Punkt. Zum ersten haben wir mit Blick auf die höheren Abführungen an die Europäische Gemeinschaft längst beschlossene Steuererhöhungen. Das muß man in Erinnerung zurückrufen. Wir hatten in der Koalitionsvereinbarung festgelegt, daß wir wegen dieser Erhöhungen der Abführung an die EG hier Verbrauchsteuern erhöhen wollten. Wir haben beschlossen, diese Erhöhung zu verschieben. Das ist politisch in anderem Zusammenhang nicht so furchtbar glücklich, weil dadurch die jetzt beschlossenen Erhöhungen in ein anderes Diskussionsfeld kommen. Es war aber zu diesem Zeitpunkt trotzdem richtig, keine Steuererhöhungen in dieser weltwirtschaftlich sehr Dr. Weng ({8}) angespannten Situation durchzuführen. Dieses bedeutet einen staatlichen Einnahmeverzicht von 4 bis 5 Milliarden DM, ohne daß man es auf den Pfennig genau sagen könnte. Der zweite Aspekt: Der Bundesbankgewinn blieb gegenüber den Erwartungen, die im Haushaltsgesetz ihren Niederschlag gefunden hatten, um nahezu 6 Milliarden DM zurück, insbesondere nicht deshalb, weil die Bundesbank weniger Gewinne aus Zinsen erwirtschaftet hätte, sondern weil sie auf Grund des Dollarkurses am Stichtag zu einer erheblichen Wertberichtigung aufgefordert war. Durch diese beiden genannten Aspekte klaffte also plötzlich gegenüber der Beschlußfassung des Deutschen Bundestags vom November 1987 eine Haushaltslücke von rund 10 Milliarden DM, die wir ja politisch vertreten. Wie diese fehlenden Einnahmen bei sowieso sparsamer Haushaltsführung noch hätten erwirtschaftet werden sollen, ist wirklich nicht zu sehen. Wer hier zusätzliche rigorose Einsparungen vorgeschlagen hätte, hätte zumindest die Gefahr erheblicher psychologischer Wirkungen, psychologischen Abschwungs in Kauf genommen. Dafür, daß sich die Unsicherheit in der Wirtschaft dann möglicherweise zu einer krisenhaften Entwicklung hochgeschaukelt hätte, gibt es in der Geschichte Beispiele. Insofern war es sicherlich richtig, das zu vermeiden. Wir haben es vermieden, wohlwissend, daß die Opposition hier eine offene Flanke zum politischen Angriff nutzen würde. Die Verschuldung des laufenden Haushaltsjahres erreicht auf Grund dieser Entscheidung trotz eines - ich weise wieder darauf hin - äußerst sparsamen Anstiegs der Bundesausgaben eine unerwünschte Höhe, auch wenn man heute noch, Herr Kollege Struck, hoffen kann, daß die Haushaltsrechnung besser aussehen wird. Wir gehen davon aus, daß der abgewickelte Haushalt besser sein wird, als es im Moment zu sehen ist und als wir es heute beschließen. Das weiß man ja erst, wenn die Haushaltsrechnung vorliegt. Meine Damen und Herren, wer die augenblicklichen Wirtschaftszahlen, wer die Prognosen, wer die Hoffnungen für die nächsten Jahre sieht, sollte seine Kritik an dieser einmaligen hohen Verschuldung des laufenden Jahres zumindest mäßigen. Der Erfolg gibt in jedem Fall denen recht, die zu Jahresbeginn dafür gesorgt haben, daß nicht noch mehr ins Trudeln kam. Die Bundesregierung und die Koalition haben hier eine Bewährungsprobe klar bestanden, und die haushaltspolitische Aufgabe einer konsequenten Konsolidierung bei Rückführung der Steuerlast wird von uns fortgeführt. Ich will auch dazu eine Bemerkung machen, daß sich die Steuerverteilung erheblich verschoben hat. Das Gesamtsteueraufkommen ist prozentual in den vergangenen Jahren in wesentlich größerem Umfang den Gebietskörperschaften Ländern und Gemeinden zugeflossen als dem Bund. Der Bund hatte noch vor wenigen Jahren rund 50 % Anteil. Dieser ist jetzt auf etwa 45 % abgesunken. Auch diese Finanzverteilung, Herr Finanzminister, kann kein Dauerzustand bleiben. Zumindest die Richtung kann nicht so beibehalten werden. Ich sage das noch einmal mit Blick auf die auch in anderen Reden erwähnte Initiative, strukturschwachen Ländern Zahlungen zu geben. Die Länder müssen - hier gilt das Zitat von Lothar Späth - im Bund mit ihrer Finanzausstattung ihre Aufgaben erfüllen können; sonst ist irgendwo etwas nicht in Ordnung, aber nicht auf der Seite des Bundes. Meine Damen und Herren, mit den hier gemachten Darlegungen ist klar, daß meine Fraktion dem Nachtragshaushalt zustimmen wird. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Abgeordnete Vennegerts. ({0})

Christa Vennegerts (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002365, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Natürlich, hier geht es zur Sache. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Neuling hat hier krampfhaft versucht, abzulenken und sich an der Vergangenheit, vor allen Dingen an der SPD, abzuarbeiten. Bloß, wissen Sie, das ist Ihnen gründlich mißlungen. Bleiben Sie einmal bei Ihrer Rekordverschuldung. ({0}) Herr Kollege Weng, das, was ich hier höre, ist ja die neueste Gleichung. Ich meine die Gleichung: mehr Schulden gleich Haushaltskonsolidierung. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein; das ist doch lächerlich; darauf können Sie doch nicht bestehen; das ist doch schlimm. ({1}) Der vom Finanzminister bis heute absichtlich verschleppte Nachtragshaushalt zeigt den blamablen Zustand dieses Ministeriums. Die Ausgaben, die zu diesem Nachtragshaushalt führten, sind nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel gekommen. Denn die erhöhten Ausgaben für die EG, der Ausfall des Bundesbankgewinns und die vermehrten Ausgaben für die Bundesanstalt für Arbeit sind bereits vor der Verabschiedung des Haushaltes 1988 im letzten Herbst bekannt gewesen. Das sind die Fakten, das sind Tatsachen; davon kann die Regierungskoalition auch nicht ablenken; so ist es gewesen. Erinnern Sie sich einmal an unseren hervorragenden Antrag, den Bundesbankgewinnansatz wenigstens zu kürzen. Das wäre realistischer gewesen als das, was Sie gemacht haben. Die trügerische Hoffnung der Regierung, im Laufe dieses Jahres die sich abzeichnende Rekordverschuldung von über 39 Milliarden DM reduzieren zu können, ging nicht in Erfüllung. Dieser Nachtragshaushalt ist ein Beispiel für den Dilettantismus der Haushalts- und Finanzpolitik dieser Regierung. Von Seriosität, die Sie so gerne für sich in Anspruch nehmen, ist absolut nichts zu spüren. ({2}) Selbst der vorliegende Nachtrag ist ja schon Makulatur. So gibt es deutliche Anzeichen dafür, daß die Zahl der Arbeitslosen in diesem Jahr höher sein wird, als von der Regierung unterstellt. Damit werden auch die Ausgaben noch höher ausfallen, als im Nachtrag angenommen. Weitere Risiken, z. B. die Kokskohlenbeihilfe oder die Ausfuhrgewährleistung, sind nicht berücksichtigt. Diese finanztechnischen Details stehen für uns jedoch nicht im Mittelpunkt unserer Kritik an unserem Nachtragshaushalt. - Um Gottes willen, es ist nicht unserer; das wäre furchtbar. Ich meine: an diesem Nachtragshaushalt. Wenn es für die GRÜNEN darum geht, einen Haushalt politisch zu beurteilen, stehen zwei Kriterien im Vordergrund. Erstens. Welchen Beitrag leistet der Haushalt zur Beseitigung bzw. zur Linderung der sozialen Krise? ({3}) Insbesondere: Welche Maßnahmen sind zur Verringerung der Massenerwerbslosigkeit vorgesehen? ({4}) Zweitens. Welche Mittel werden zur Bekämpfung der Umweltkatastrophen bereitgestellt? Legt man dies als Maßstab für die Beurteilung des vorliegenden Nachtragshaushalts zugrunde, so kann ich nur sagen: absolute Fehlanzeige. ({5}) Ein Faktor, der wesentlich dazu beigetragen hat, daß ein Nachtragshaushalt notwendig wurde, ist der im Haushalt eingeplante Bundesbankgewinn von rund 6 Milliarden DM. Die Tatsache des ausbleibenden Bundesbankgewinns verweist darauf, daß auf der Einnahmenseite des Bundeshaushalts nicht solche Einnahmen verbucht werden sollten, die mit einem hohen Unsicherheitsgrad belastet sind. Dies war auch immer die Position des Bundesfinanzministers. Zu Zeiten, als sich die CDU/CSU noch in der Opposition befand, ist dies von Herrn Stoltenberg und anderen immer als Sündenfall unsolider Haushaltspolitik verdammt worden. Warum nun ausgerechnet Minister Stoltenberg seine früher geäußerte Kritik nicht mehr ernst nimmt und die angeblich unsolide Haushaltspolitik früherer Regierungen fortsetzt, bleibt sein Geheimnis. Wichtiger als dieser haushaltspolitische Argumentationsspagat von Minister Stoltenberg ist die Frage: Welchen Beitrag leistet dieser Nachtragshaushalt zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit? Auf den ersten Blick könnte man meinen, die Bereitstellung von 1,1 Milliarden DM mehr für die Bundesanstalt für Arbeit sei ein deutlicher Beweis dafür, daß die Regierung auch ein Herz für Arbeitslose und Arbeitslosenhilfeempfänger habe. Das genaue Gegenteil trifft jedoch zu. Das Defizit der Bundesanstalt für Arbeit, das nunmehr durch den Nachtragshaushalt notdürftig gestopft werden soll, ist dadurch entstanden, daß sich die Bundesregierung bei den Haushaltsberatungen 1988 darangemacht hat, die Kasse der Bundesanstalt zu plündern, indem sie die Bundesanstalt für Arbeit gesetzlich verpflichtet hat, Aufgaben auszuführen und zu finanzieren, die sachlich in keinerlei Zusammenhang mit ihren eigentlichen Aufgaben stehen. So ist der Bundesanstalt für Arbeit z. B. die Finanzierung von Sprachkursen für Asylbewerber und Aussiedler aufgedrückt worden. So kommt dieses Defizit nämlich zustande. Welche Politik die Bundesregierung gegenüber Arbeitslosen tatsächlich verfolgt, zeigen die brutalen Kürzungspläne für das Haushaltsjahr 1989. Insgesamt 1,8 Milliarden DM sollen bei der Bundesanstalt für Arbeit eingespart werden. Auch der Stellenwert, den diese Regierung dem Schutz von Umwelt und Natur einräumt, kommt in diesem Nachtragshaushalt uberdeutlich zum Ausdruck. Mittel zu Linderung bzw. Beseitigung der sich verschärfenden ökologischen Krise sind nicht vorgesehen. Wo sind denn innerhalb dieses Nachtragshaushalts die zusätzlichen Mittel zur Bekämpfung der von Minister Töpfer ansonsten mit sonorer Stimme wortreich beklagten Umweltgefährdungen? Wo ist denn das Nordseeprogramm mit einem Volumen von 20 Milliarden DM in diesem Nachtragshaushalt? Wir konnten es nicht entdecken. Wo ist denn das Programm zur Altlastensanierung? Wo ist das Konzept zu einem verbesserten Schutz des Bodens? Und wo sind die Mittel für die Entgiftung von Gewässern? ({6}) Der Nachtragshaushalt hätte der Regierung die Gelegenheit geboten, ihrem allseits bekundeten Verständnis für eine bessere Umwelt Taten folgen zu lassen. Die Einstellung finanzieller Mittel für die sofortige Bekämpfung der sich verschärfenden Umweltkrise z. B. an Nord- und Ostsee wäre eine Legitimation für die Erstellung eines Nachtragshaushalts gewesen. Diesem Nachtragshaushalt fehlt jegliche allgemeinpolitische und finanzpolitische Berechtigung. Deshalb lehnen wir ihn entschieden ab. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Herr Dr. Stoltenberg.

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die zum Teil dramatischen Entwicklungen im letzten Herbst und Winter, die sich ja auch in dem Nachtragshaushalt widerspiegeln, ({0}) sind im Deutschen Bundestag noch im vergangenen Jahr und vor allem im Januar und im Februar mit größerer Leidenschaft als heute, mit viel heftigeren Attacken und auch mit viel düstereren Vorhersagen der Opposition über den tatsächlichen Ablauf dieses Jahres mehrfach ausführlich erörtert worden. Wer das noch gut erinnert, muß feststellen, daß schon in der Betrachtung der Probleme eine gewisse Mäßigung in der Form und in der Sache erkennbar ist. Ich sage das, ohne damit die kritische Funktion der Opposition zu bestreiten. Aber bei aller Mäßigung, Herr Kollege Esters, es gab auch heute noch einige Übertreibungen. Zu diesen, aber auch zur Sache möchte ich Stellung nehmen. Es handelt sich bei den Ermächtigungen für Kredite in Höhe von fast 39 Milliarden DM, was die tatsächliche Inanspruchnahme betrifft, nicht um eine sichere Zahl. Ich will unterstreichen, was Herr Kollege Weng gesagt hat. Der tatsächliche Umfang, in dem wir diese Ermächtigung nutzen, ist noch offen. Möglich, aber noch nicht sicher erscheint mir, daß wir sie ein Stück unterschreiten. Insofern rate ich Ihnen, Herr Kollege Esters - ich habe es ja schon Herrn Vogel in der Haushaltsdebatte empfohlen, aber ohne Erfolg -, einmal abzuwarten, ob das wirklich die höchste jährliche Nettokreditaufnahme seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland ist. Ich mache für heute hinter diese propagandistische Behauptung nur ein Fragezeichen, die Sie deshalb wiederholen, weil Sie sie schon seit Monaten im Land verbreiten. Es ist möglich, daß wir die Größenordnung der Jahre 1981, 1982 einmal erreichen. Es ist auch sehr gut möglich, daß wir sie unterschreiten. Das alles werden wir im Januar sehen. Aber wichtiger ist mir etwas anderes. Aus Gründen, die ich noch einmal kurz beschreiben will, mußten wir in diesem Jahr einmalig eine überhöhte Neuverschuldung hinnehmen. Wir haben aber die Weichen dafür gestellt, daß diese Neuverschuldung im nächsten Jahr erheblich zurückgehen kann und daß wir wieder eine festere Grundlage für unsere Finanzen gewinnen. ({1}) Herr Kollege Esters, ich will nur kurz daran erinnern, daß noch vor wenigen Monaten Ihr Partei- und Fraktionsvorsitzender und viele aus Ihren Reihen so in der Sicherheit selbsternannter Propheten sagten, diese 40 Milliarden DM, die wir einmal als Größenordnung vermuteten, seien eine Irreführung der Öffentlichkeit; es gehe nur noch um die Frage, ob es 45 Milliarden oder 50 Milliarden DM seien. Das nur noch zur Vergangenheitsbewältigung. Die Ursachen dafür, daß wir die 40 Milliarden DM unterschreiten werden - soviel kann man heute schon sagen - , liegen in folgendem. Erstens. Wir setzen - darauf haben die Herren Kollegen Neuling und Weng hingewiesen - den Kurs einer sehr sparsamen Ausgabenpolitik fort. In diesem Jahr werden die Ausgaben des Bundes um etwa 21/2 %, vermutlich etwas weniger, ansteigen. Das ist eine qualitativ andere Haushaltspolitik, Herr Kollege Esters, als Sie sie in Ihrer Regierungszeit betrieben haben. ({2}) Von 1970 bis 1982 - Sie wissen das ja alles; Sie haben damals, wie ich weiß, vor der Euphorie der großzügigen Ausgabenwirtschaft vergeblich gemahnt und gewarnt - stiegen die Ausgaben des Bundes jährlich um 9 %. Wir können jetzt im sechsten Jahr sagen, daß wir sie im Schnitt dieser Zeit unter 3 halten, bei etwas über 2 %. Das ist sparsamer Umgang mit dem Geld der Steuerzahler. ({3}) Das ist ein wichtiger Beitrag, den wir für Stabilität in diesem Lande leisten. Der zweite Grund für die etwas besseren Perspektiven gegenüber den Diskussionen Anfang des Jahres, was den Etat 1988 anbetrifft, ist das über alle Erwarten dynamische Wirtschaftswachstum. Es führt zu gewissen Mehreinnahmen, am stärksten bei den Kommunen, deutlicher bei den Ländern und - etwas geringer - erfreulicherweise auch beim Bund. So werden wir im Januar den exakten Abschluß bewerten können, auch im Vergleich zur Entwicklung früherer Jahre. Nun hat Herr Kollege Esters einen Ausflug in die internationale Situation der Haushalts- und Finanzpolitik unternommen. Das interessiert mich ungemein, weil ich ja in Verbindung mit unseren steuerpolitischen Debatten immer vergebens versucht habe, den Blick der Opposition einmal auf andere Länder zu richten. Bisher ohne Erfolg. Es interessiert mich auch, Herr Kollege Esters, weil ich in den letzten Tagen in Berlin Gelegenheit hatte, mit vielen meiner Kollegen, auch aus den genannten Ländern, über deren Probleme zu reden. Man muß mit solchen Vergleichen etwas behutsam umgehen. Nehmen wir einmal Belgien. Belgien ist ein Land, das mit großer Folgerichtigkeit den Weg der Rückführung der Neuverschuldung beschritten hat. Aber es liegt trotz beachtlicher Erfolge - übrigens einer sehr tief einschneidenden Sparpolitik - immer noch bei einer Neuverschuldung in der Größenordnung von 6 bis 7 % des Bruttosozialprodukts, also des Zweieinhalb- bis Dreifachen dessen, was wir in der Bundesrepublik im Verlauf dieser Jahre im Schnitt erreicht haben. Sie haben Dänemark gelobt. Da kann man vieles loben. Nur müssen Sie eines sehen: In Dänemark hat man wegen der starken Auslandsverschuldung die Verbrauchsteuern in einer unvorstellbaren Größenordnung angehoben. Selbst wenn man alle massiven Steuererhöhungspläne der SPD bei den Energiesteuern und Verbrauchsteuern verwirklichen würde, blieben sie immer noch hinter der Steuerlast in Dänemark zurück, ({4}) selbst wenn Sie das verwirklichen würden - damit kommen wir gleich zur nächsten Debatte - , was Sie an weitreichenden Steuererhöhungen gegenüber unseren sehr begrenzten Vorhaben angekündigt haben. Das muß man natürlich sagen, wenn man die ausgeglichene Haushaltssituation in Dänemark betrachtet. So kann man den Vergleich im einzelnen fortsetzen. Ich will mich aber den Aufgaben der Finanzpolitik im Jahre 1988 zuwenden. Ich will noch einmal an die wirtschaftspolitischen Diskussionen erinnern, die wir nach dem 19. Oktober 1987 bis Anfang dieses Jahres hatten. Damals gab es einen weit verbreiteten Konjunkturpessimismus bis hin zu den wissenschaftlichen Instituten. Von dem Bundesverband der Deutschen Industrie bis zum Deutschen Gewerkschaftsbund und zur Sozialdemokratischen Partei bildete sich eine ganz ungewöhnliche Koalition und Kombination, die eine expansivere Finanzpolitik forderte, die Bereitschaft des Staates, die Neuverschuldung drastisch anzuheben. Die einen sprachen von massiven zusätzlichen Steuersenkun6714 gen, die anderen von massiven neuen Ausgabenprogrammen. Es ist gut, daß wir diesen Empfehlungen nicht gefolgt sind. Wären wir ihnen gefolgt, hätten wir jetzt eine Diskussion über gefährliche Überhitzungserscheinungen in der deutschen Wirtschaft und über notwendige Bremsmaßnahmen. Sie können solche Diskussionen in bestimmten europäischen Ländern registrieren. Wir haben insgesamt Kurs gehalten. Aber wir haben eine wichtige Entscheidung getroffen, die sich unmittelbar auf den Etat 1988 und die Nettokreditaufnahme auswirkt. Wir haben die an sich zum 1. April diesen Jahres auf der Basis der bekannten Koalitionsvereinbarung geplanten Verbrauchsteuererhöhungen zum 1. Januar des nächsten Jahres verschoben. Das genau bringt uns neben den durch die Wechselkursentwicklung entgangenen Bundesbankgewinnen diese überhöhte Verschuldung, die nur einmalig hinnehmbar ist, aber auch einmalig in der Situation dieses Jahres begründet. Ich sage das auch zu Ihren Anmerkungen zu Art. 115 des Grundgesetzes, Herr Kollege Esters. Natürlich war es in einer Zeit, in der der wirtschaftswissenschaftliche Sachverstand unseres Landes überwiegend Stagnation, Miniwachstum oder Rezession vorhersagte, begründbar, die Verbesserung der Einnahmesituation des Bundes zu vertagen und damit einmalig von der Ausnahmevorschrift des Art. 115 Gebrauch zu machen. ({5}) Meine Damen und Herren, wichtiger ist aber das andere, was ich schon angedeutet habe: Wir haben mit diesen Entscheidungen wesentliche Beiträge für die über alle Erwartungen hinweg dynamische wirtschaftliche Entwicklung geleistet. Nach dem Verdikt der Opposition will ich hier einmal den Deutschlandbericht 1988 des Internationalen Währungsfonds vom Frühjahr in Erinnerung rufen. Der Internationale Währungsfonds hat festgestellt, die Bundesregierung habe in ihrer Finanzpolitik in bewundernswerter Weise auf die kurzfristigen Veränderungen der Daten und Erwartungen reagiert. Mir ist das wichtiger, Herr Kollege Esters, als das, was ich heute von Ihnen an schlechten Zensuren bekommen habe, wobei ich mich für die persönlichen Glückwünsche noch einmal ausdrücklich bedanke. Nun, meine Damen und Herren, wenige Sätze zur Ausgabenseite: Am wichtigsten ist natürlich, daß wir der Bundesanstalt für Arbeit 1,1 Milliarden DM im Nachtrag zuführen wollen. Die neue Situation muß auch in Nürnberg gewisse Konsequenzen haben. Wer, wie das gestern hier der Fall war, bestimmte Einschränkungen kritisiert, muß zunächst einmal zur Kenntnis nehmen, daß die freiwilligen und steuerbaren Leistungen der Bundesanstalt für Arbeitsmarktpolitik seit 1983 von rund 7 auf bisher 14 Milliarden DM in diesem Jahr erhöht worden sind. Das darf man ja nicht unterschlagen, wenn man darüber redet. ({6}) Aber hier gibt es Dinge, die kritisch überprüft werden müssen. Wir sind für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Ich habe aber festgestellt, daß die kommunalen Gebietskörperschaften mittlerweile rund 40 000 Mitarbeiter auf Kosten der Bundesanstalt in Nürnberg beschäftigen, die wir natürlich mit den Mitteln des Nachtragshaushalts auch vom Bund alimentieren. Dies muß geändert werden, meine Damen und Herren. ({7}) Wir werden noch in diesem Jahr während der Haushaltsberatungen darüber zu reden haben. Es ist nicht der Sinn einer aktiven Arbeitsmarktpolitik, daß wir hier bei der Neuregelung der Finanzbeziehungen zur Bundesanstalt praktisch einen dritten Finanzausgleich zu Lasten des Bundes und zur Entlastung sehr vieler kommunaler Gebietskörperschaften einführen. Und anderes mehr ist hier zu sagen, was reformbedürftig ist. ({8}) - Ich hoffe ja, daß die Kommunen ihre erheblich höheren Steuereinnahmen dazu benutzen, das, was sie an Personalbedarf haben, aus eigenen Einnahmen zu bezahlen, so wie das in einer geordneten Staatspraxis geschieht, meine Damen und Herren. ({9}) 1989 ist eine erhebliche Rückführung der Neuverschuldung möglich. 1990 werden wir die niedrigste Steuerquote seit 1960 haben. Die jährliche Neuverschuldung - als Anteil am Bruttosozialprodukt - bei Bund, Ländern und Gemeinden, Herr Kollege Esters, mit etwa 2,9 % wird auch in diesem Jahr weit unter den Größenordnungen der sozialdemokratischen Regierungszeit liegen. Sie lag 1981 bei 4,9 %, 1982 bei 4,4 %. Wir erreichen in diesem Jahr etwa 2,9 % und wollen im nächsten Jahr zurück in eine Größenordnung von 2,2 oder 2,4 %. Das ist eine qualitativ andere Finanzpolitik. Wir müssen einmal eine überhöhte Neuverschuldung hinnehmen. Wir werden alles tun, daß wir sie zurückführen und damit das Vertrauen in Stabilität in unserem Lande festigen. Schönen Dank. ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe die Nachträge zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1988 auf, und zwar zuerst den Nachtrag zum Einzelplan 09 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der SPD und der GRÜNEN ist der Nachtrag zum Einzelplan 09 angenommen. Ich rufe jetzt den Nachtrag zum Einzelplan 11, Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? ({0}) Gegen die Stimmen von SPD und GRÜNEN ist der Nachtrag zum Einzelplan 11 angenommen. Wir stimmen jetzt über den Nachtrag zum Einzelplan 12, Geschäftsbereich des Bundesministers für Vizepräsident Frau Renger Verkehr, ab. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen von SPD und GRÜNEN angenommen. Wir stimmen jetzt über den Nachtrag zum Einzelplan 14, Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung, ab. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Gegen die Stimmen der GRÜNEN und einige Stimmen der SPD ist dieser Nachtragshaushalt angenommen. Wir stimmen über den Nachtrag zum Einzelplan 32, Bundesschuld, in der Fassung der Beschlüsse des Haushaltsausschusses ab. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen von SPD und GRÜNEN ist der Nachtrag zum Einzelplan 32 angenommen. Wir stimmen jetzt über den Nachtrag zum Einzelplan 60, Allgemeine Finanzverwaltung, in der Fassung der Beschlüsse des Haushaltsausschusses ab. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen von SPD und GRÜNEN ist der Einzelplan 60 angenommen. Ich rufe jetzt den Nachtrag zum Gesamtplan des Bundeshaushaltsplanes 1988 mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen von SPD und GRÜNEN ist der Nachtrag zum Gesamtplan angenommen. Ich rufe nunmehr den Entwurf des Nachtragshaushaltsgesetzes 1988 mit den Artikeln 1 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen von SPD und GRÜNEN ist das Nachtragshaushaltsgesetz 1988 angenommen. Wir kommen zum nächsten Tagesordnungspunkt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen ({1}) - Drucksachen 11/2970, 11/3008 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({2}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Steuerreformgesetzes 1990 - Drucksache 11/2864 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({3}) Sportausschuß Ausschuß für Verkehr Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hüser, Sellin und der Fraktion DIE GRÜNEN Aufhebung der Mineralölsteuerbefreitung des Flugverkehrs - Drucksache 11/2126 - d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte ({4}) - Drucksachen 11/2969, 11/3009 -Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß ({5}) Finanzausschuß Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluß des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 24. Juni 1988 über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften - Drucksache 11/2971 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß ({6}) Finanzausschuß Im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte zweieinhalb Stunden vorgesehen worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Schulhoff.

Prof. Wolfgang Schulhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Obwohl das jetzt zu beratende Verbrauchsteueränderungsgesetz nicht mit den Steuerreformgesetzen 1986, 1988 und 1990 in Verbindung zu bringen ist, gibt es doch gravierende finanzpolitische Zusammenhänge, die eine Gesamtbetrachtung zwingend notwendig machen, ja: Sie sind nur im finanzpolitischen Gesamtbild erklärbar. Da Finanzpolitik immer konkretisierte Wirtschaftspolitik ist, gibt uns die heutige Beratung - wie auch schon bei der Haushaltsdebatte - wiederum die Chance, unsere finanzpolitischen Entscheidungen im gesamtwirtschaftlichen Kontext zu betrachten und auch zu begründen, warum wir bei gleichzeitiger Steuersenkung Steuern erhöhen müssen. Um sofort mit der Türe ins Haus zu fallen - und damit sage ich Ihnen nichts Neues - : Kein Politiker erhöht gern Steuern, insbesondere dann nicht, wenn seines Erachtens trotz erfolgter und schon beschlossener weiterer Steuersenkungen die Belastung der Bürger immer noch hoch ist. Mir wäre es deshalb auch lieber gewesen - das gebe ich unumwunden zu -, wenn uns diese Verbrauchsteuererhöhung erspart geblieben wäre. ({0}) - Warten Sie ab, meine Damen und Herren von der Opposition! Der Unterschied dieser Verbrauchsteuererhöhung zu allen Verbrauchsteuererhöhungen in der Vergangenheit - die sozialliberale Koalition hat allein die Verbrauchsteuern um 25 Milliarden DM angehoben ({1}) liegt jedoch darin, daß durch das Steuerreformgesetz 1986, 1988 und 1990 unter dem Strich schon bei Gegenrechnung der jetzt zu behandelnden Belastungen auch für das Jahr 1989 der Bürger eine niedrigere Steuerlast zu tragen hat. ({2}) Zum ersten Mal nämlich wird in der Bundesrepublik Deutschland die Steuerquote, die sich bisher immer negativ - mit steigender Tendenz - auswies, nachhaltig gesenkt und 1990, trotz der Verbrauchsteuererhöhung, mit 22,7 % - der Herr Minister wies soeben darauf hin - sogar ihren niedrigsten Stand seit 1960 aufweisen. Also, trotz der jetzt anstehenden Verbrauchsteuererhöhungen bleibt es unter dem Strich bei der größten Steuerentlastung in der deutschen Nachkriegsgeschichte. ({3}) Das ist eine steuerpolitische Großtat dieser Regierung. ({4}) Im nachhinein betrachtet kann man sagen, daß man es ihr dabei weiß Gott nicht leicht gemacht hat. Das Störfeuer kam ja nicht nur von seiten der Opposition - das ist ihr gutes Recht und wird auch von ihr erwartet -, sondern oft auch aus den eigenen Reihen, insbesondere von wohlmeinenden Kollegen außerhalb dieses Hauses, die natürlich immer nur das Gemeinwohl im Auge hatten. ({5}) Sachliche Kritik war in einzelnen Punkten angebracht; auch ich schließe mich da nicht aus. So konnte ich mich auch nur mit Zahnschmerzen ({6}) über die Steuerbefreiung von Flugbenzin für Privatflieger hinwegsetzen ({7}) - warten Sie mal ab - , obwohl die Diskussion, was ihren tatsächlichen materiellen Inhalt betraf, weit überzogen war. Die ernsthaften Argumente der Befürworter wurden leider überhaupt nicht beachtet. Es wurde daraus in unangebrachter Weise nur eine reine Neidkampagne gemacht. ({8}) Jedenfalls bin ich froh, daß es im nachhinein gelungen ist, eine tragfähige und auch gerechte Korrektur vorzuschlagen. Der Vorschlag kam vom Bundesrat, auf bayerische Initiative. ({9}) Eine glaubwürdige Politik, meine sehr verehrten Damen und Herren, zeichnet sich durch Beharrlichkeit und Grundsatztreue aus, auch wenn sie dem Zeitgeist zuwiderläuft; so sinngemäß Fritz Ullrich Fack kürzlich in der „FAZ" . ({10}) Und ich füge hinzu: Sie zeichnet sich zudem dadurch aus, daß man die Hauptsache von den Nebensächlichkeiten zu trennen vermag. ({11}) Wenn man nur auf die kritischen Zuschriften aus der Bevölkerung und die von den Medien verbreitete angebliche öffentliche Meinung verweist, dann scheint leider nur noch wichtig zu sein, was heute ankommt, und nicht, worauf es ankommt. ({12}) Zum Glück hat sich die Bundesregierung - und in erster Linie ihr Finanzminister, der es in der letzten Zeit auch wahrhaftig nicht leicht hatte - in der Hauptsache nicht vom richtigen Weg abbringen lassen - und dies mit großem Erfolg für die Bundesrepublik Deutschland. Den Beweis dafür haben wir in der Haushaltsdebatte eindrucksvoll bringen können.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Schulhoff?

Prof. Wolfgang Schulhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn es mir nicht angerechnet wird, gern. - Bitte schön.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Schulhoff, wenn unsere Kritik an der Streichung der Steuer für Flugbenzin so schrecklich unberechtigt war, wie Sie hier darstellen: Können Sie mir dann erklären, warum Sie gleich ein Korrekturgesetz einbringen, das zwar nicht ausreicht, das aber immerhin eine Korrektur Ihrerseits ist?

Prof. Wolfgang Schulhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn Sie soeben richtig zugehört hätten, verehrte Frau Kollegin, ({0}) dann wüßten Sie, daß ich von der Maßlosigkeit der Kritik gesprochen habe. ({1}) Von der unverhältnismäßigen Neidkampagne, die Sie entfacht haben, davon habe ich gesprochen. ({2}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich im Kontext weitermachen. - Dies war die Stunde der Bundesregierung, in der ihr richtige Haushalts- und Finanzpolitik attestiert wurde - natürlich nicht von der Opposition, aber von allen Fachleuten im In- und Ausland. ({3}) Ich will jetzt nicht alle Fakten und Daten wiederholen. Ihnen ist doch bekannt, daß wir im ersten Halbjahr - wider alle Ankündigungen und Prognosen - ein reales Wachstum von 3,9 % hatten. Wann hatten wir das in den letzten Jahren in der Bundesrepublik? ({4}) Ohne als Finanzpolitiker unbescheiden zu sein: Dies war vor allem ein Erfolg unserer Konsolidierungspolitik und des Wirksamwerdens der beiden Entlastungsstufen der Steuerreform, insbesondere was den rasanten Anstieg der Binnennachfrage betrifft. ({5}) Mein Kollege Neuling hat soeben auch darauf hingewiesen. Interessant dabei ist, daß alle Konjunkturforschungsinstitute falsch gelegen haben. ({6}) Sie haben sogar unsere sehr vorsichtigen Ansätze für 1988 in Zweifel gezogen. ({7}) Es scheint in der Bundesrepublik schick zu werden, daß man die Zukunft möglichst pessimistisch betrachtet, anstatt sie wertneutral, realistisch zu prognostizieren. Dieses Spiel scheint wohl allmählich zum intellektuellen Image zu gehören. Man will unbedingt zu den sogenannten Nachdenklichen gehören, die schon immer darauf hingewiesen haben, daß es schlechter wird, wobei positive Nachrichten natürlich kaum zählen. Ich frage mich nur: Wie kann man mit diesen Menschen eine Wirtschaft gestalten, die ja nicht nur von der objektiven Fakten- und Datenlage lebt, sondern auch von den positiven Zukunftseinschätzungen? Diesen Prognostikern darf ich vorhalten, daß die Grenze zum bloßen Kaffeesatzlesen sehr schnell überschritten ist. Gerade als wir die positiven Zahlen des ersten Halbjahres verkünden konnten, kamen sie schon wieder mit den ersten Hiobsbotschaften. Wo nehmen diese Leute eigentlich ihren Mut her? Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einmal etwas sagen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden immer mehr zu einer weinerlichen Wohlstandsgesellschaft, deren wesentlichstes Strukturmerkmal der Gruppenegoismus zu sein scheint. ({8}) Kommen wir aber zur Steuergesetzgebung zurück. Diese Regierung hätte es sich mit den jetzt anstehenden Verbrauchsteuererhöhungen auch einfacher machen können, indem sie im Hinblick auf die unvorhergesehenen Zusatzbelastungen einfach auf einen Teil der Steuerreform verzichtet hätte. ({9}) - Die erste war ja schon da, Herr Kollege. Ich weiß nicht, ob Sie sich erst heute mit Steuerpolitik beschäftigen. Zum Beispiel hätte sie den Tarif anders gestalten können. ({10}) Sie hätte nämlich den „Facharbeiterbauch" nicht mehr so stark abzuflachen brauchen. Damit wären dann die Mehrausgaben finanziert gewesen. Dies wäre zweifellos der einfachere Weg, weil keine Verbrauchsteuererhöhungen zu erfolgen brauchten; jedoch wäre es ordnungspolitisch der falsche Weg gewesen. Er hätte nämlich das Herzstück der Steuerreform 1990, den linearprogressiven Tarif, gefährdet. Dies wäre in der Tat verhängsnisvoll gewesen. So schrieb Rainer Nahrendorf vor einigen Tagen zu Recht im „Handelsblatt" : Stoltenbergs bleibendes politisches Verdienst ist die Tarifreform. Damit hat er ein Stück Steuergeschichte geschrieben. ({11}) Aber, Herr Minister, ich gehe davon aus, daß Sie noch mehr zur Steuergeschichte beitragen werden. Das war mein Glückwunsch zum 60sten, natürlich. Es kommen aber noch mehr Glückwünsche; denn er hat es ja auch verdient. Denn zum erstenmal bremsen wir mit diesem neuen Tarif und den schon jetzt erfolgten Tarifkorrekturen einen unheilvollen Trend in unserer Steuergeschichte, daß nämlich Arbeit und Vermögen im Verhältnis zum Verbrauch und zum Umsatz immer stärker besteuert werden. Diese Entwicklung ist nicht nur ungesund, sondern führt dazu, daß sich Leistung einfach nicht mehr lohnt. ({12}) Die tendenzielle Flucht in die Schattenwirtschaft ist nur eine Folge; ich könnte hier mehrere Beispiele anführen. Die daraus resultierenden Probleme sind uns ja alle hinlänglich bekannt. Ein volkswirtschaftlich gesundes Steuersystem sollte möglichst Arbeit und Vermögen sowie Verbrauch und Umsatz zu gleichen Teilen besteuern. Von diesem Idealziel sind wir im Blick auf unsere Nachbarn und Konkurrenten auf dem Weltmarkt noch weit entfernt. Insbesondere wird es im Hinblick auf die nächsten Integrationsschritte im EG-Bereich dringend erforderlich, mit den anderen Partnern einen gemeinsamen Weg zu gehen. Bei der Umorientierung der Steuerlast wird uns immer wieder das Argument des Unsozialen und Unausgewogenen vorgehalten. Diesen Vorworf auszuräumen, scheint mir gerade im Hinblick auf die anstehenden Verbrauchsteuererhöhungen sehr wichtig zu sein. Kein geringerer als Helmut Schmidt bemängelte 1982 in einer beachtlichen Rede - jedenfalls, was ich von dieser Rede habe lesen können - vor seiner Fraktion die ungeheuer hohe steuerliche Belastung der Bürger und die damit verbundene Ausgabenausweitung des Staates. Auf die Frage, woher das ganze Geld gekommen sei, antwortete er, zwar verkürzt, aber doch treffend: Wir haben es uns von den Arbeitnehmern geholt. ({13}) In der Tat, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Lohnsteuer stieg viermal so schnell wie die Löhne selbst. Dies war das Resultat eines unseligen Steuertarifes. Immer mehr Arbeitnehmer kamen durch die Höhe ihrer Bezüge in den Bereich der Progression. So wurde aus dem sogenannten Mittel6718 standsbauch ein Facharbeiterbauch. Während sich 1961 noch 77 % aller Steuerzahler in der Proportionalzone befanden, so waren 1987 schon fast ca. 80 in der Progressionszone und litten unter der erdrükkenden Steuerbelastung; ({14}) in 20 Jahren also eine völlige Umkehr der steuerlichen Belastung. - Sie bestreiten die Zahl? Deshalb sind Sie ja in den letzten Jahren untätig geblieben. - Hier keine Korrektur vorzunehmen, sondern nur ganz kleine Abstriche zu machen, war eine in der Tat unsoziale Politik, die aber nicht wir, sondern Sozialdemokraten zu verantworten haben. Mit der neuen Tarifstruktur wird mit diesem Trend zum erstenmal Schluß gemacht. Deshalb frage ich Sie jetzt: Ist es unsozial, wenn von einem Bruttoentlastungsvolumen von 44 Milliarden DM jetzt 7 Milliarden DM auf die Anhebung der Grundfreibeträge fallen und 6,7 Milliarden DM auf die Senkung des Eingangssteuersatzes? Ich frage Sie weiter: Ist es unsozial, wenn künftig 500 000 bis 700 000 Steuerzahler keine Steuern mehr zu zahlen brauchen, also eine hundertprozentige Steuerentlastung bekommen? ({15}) - Natürlich keine Antworten. - Ist es letztlich unsozial, so frage ich weiter, wenn 23,7 Milliarden DM aufgewendet werden, um den linearprogressiven Tarif zu verwirklichen? Dieser Tarif entlastet breite Schichten der Bevölkerung, insbesondere die Bürger mit mittlerem Einkommen. Zum Glück ist die unselige Diskussion auch über den sogenannten Spitzensteuersatz beendet, weil man sieht, daß es kein Land in der Welt gibt, das nicht Spitzensteuersätze senkt, insbesondere zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Handel. ({16}) Dies tun insbesondere ihre sozialdemokratischen Kollegen, lieber Herr Poß. Im übrigen machen die Senkung des auch in unseren Reihen diskutierten Spitzensteuersatzes ({17}) die Diskussion gab es ja auch in unseren Reihen - nur 1 Milliarde DM und die des Körperschaftsteuersatzes 2,3 Milliarden DM aus. Diese Zahlen sprechen doch eine ganz eindeutige Sprache. ({18}) Die große, tiefgreifende und nachwirkende Entlastung breiter Bevölkerungsschichten bildet erst die Grundlage dafür, daß wir Verbrauchsteuererhöhungen in dieser bescheidenen Form vornehmen können; ({19}) sie sind deshalb auch sozial gerechtfertigt. ({20}) - Über Ihre unsozialen Vorschläge rede ich gleich noch, und dann können Sie ja werten, was sozial und was unsozial ist. Auch das Argument, daß die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, ist einfach unzutreffend. ({21}) Die Bundesbank stellte kürzlich fest, daß die verfügbaren Realeinkommen der arbeitenden Menschen und der Rentner in den letzten zwei Jahren im Schnitt um 8 % angestiegen sind. Dies ist realer Fortschritt und auch sozialer Fortschritt und bildet die Grundlage für mehr Kaufkraft und höhere Investitionen und Sparfähigkeit der Bürger. ({22}) Auch diese positive Entwicklung bietet bei weiterer Entlastung bei den direkten Steuern Raum für eine maßvolle Verbrauchsteuererhöhung. Die Finanzpolitik, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist zweifellos auch ein Instrument zum sozialen Ausgleich. Nach wir vor wird - das ist auch gut so - nach der persönlichen Leistungsfähigkeit besteuert; hieran hat sich nichts geändert. ({23}) Aber Finanzpolitik darf niemals zu einem Instrument der Gleichmacherei pervertieren, ({24}) es sei denn, man will eine andere Gesellschaftsordnung. Meine Damen und Herrn von der SPD, ich habe mit großem Interesse Ihren Parteitag verfolgt, insbesondere Ihre finanzpolitischen Aussagen, soweit sie natürlich vorhanden waren. Mit diesem Parteitag haben Sie uns implizit einen großen Dienst erwiesen, indem Sie nämlich der Öffentlichkeit gegenüber offenbaren mußten, daß Sie kein Alternativprogramm zu unseren Vorschlägen vorlegen können. ({25}) Dies und vielleicht auch eine klarere Sicht nach dem Kampfgetümmel um die Steuerreform haben dazu geführt, daß sich viele vorschnelle Kritiker verschämt zurückgezogen haben oder sich jetzt sogar positiv äußern. Zum Beispiel werben die Bausparkassen mit der Reform, und das nicht ohne Erfolg. Das ist auch gut so, denn nach wie vor gilt der Grundsatz: Jeder kann noch etwas dazulernen. Wo Sie, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, die richtigen Ansätze gefaßt haben - ich denke hier an die Besteuerung der in der Bundesrepublik sehr niedrigen Energiepreise bei MineralölSchulhof f produkten - sind Sie doch weit über Ihr Ziel hinausgeschossen. Wenn Sie - das waren ja Ihre Vorschläge - die Energie mit insgesamt bis zu 80 Milliarden DM zusätzlich besteuern wollen, müßten Sie doch heute unserem maßvollen Ansatz, der weit weniger als ein Zehntel dessen ausmacht, was Sie fordern, zustimmen. ({26}) Für Sie müßte das doch zumindest der erste Schritt in die richtige Richtung sein, ({27}) für uns hoffentlich der letzte. ({28}) Wir haben zweifellos zur Zeit sehr niedrige Preise für Mineralölprodukte, und das Argument einer Verbrauchsreduzierung durch Verteuerung ist aus umweltpolitischen Gründen nicht von der Hand zu weisen; denn wir müssen unsere nicht vermehrbaren lebenswichtigen Ressourcen schützen. ({29}) Jedoch muß dies alles mit Maß und Ziel erfolgen. Wenn Sie Ihre Finanzpolitik jetzt auch hochtrabend als eine ökologische Finanzpolitik bezeichnen, was das auch immer sein mag, ({30}) so dürfen Sie doch nicht mit radikalen Preisschüben die Bürger überfordern und die Wirtschaft lahmlegen. Dann erreichen Sie nämlich genau das Gegenteil. Leider müssen die Worte „Ökologie" oder ,,ökologisch" zur Zeit für alles herhalten. Ich bleibe da lieber bei den herkömmlichen Begriffen und bin dafür, dem Umweltschutz im Rahmen einer soliden Finanzpolitik Rechnung zu tragen, denn nur sie sichert uns unsere Zukunft und bringt in einer sinnvollen Güterabwägung auch den notwendigen ökologischen Fortschritt. ({31}) Mit semantischen Tricks sind wir noch nie weitergekommen. ({32}) Sie dienen nur dazu, Fakten und Tatsachen zu verschleiern. Ich denke hier nur an Worte wie „Nullwachstum", „Minuswachstum" oder ,,Negativwachstum". Lassen wir doch diese semantischen Versteckspiele, reden wir lieber im Klartext! ({33}) Es wäre nämlich auch falsch gewesen, wenn die Bundesregierung die unabweisbare Mehrbelastung jetzt durch eine höhere Nettokreditaufnahme hätte ausgleichen wollen. Diese Regierung ist mit dem Ziel angetreten, mit der Schuldenpolitik Schluß zu machen. ({34}) Sie hat auf diesem Gebiet große Erfolge erzielt. Trotz dieser Erfolge gab es - das geben wir unumwunden zu - bei der Rückführung der Nettokreditaufnahme mit dem Etat 1988 eine kleine Unterbrechung. ({35}) Dies zeigt deutlich, daß wir noch lange nicht am Ziel sind. Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang, einmal dem Argument entgegenzutreten, der Haushalt 1988 würde mit der höchsten Nettokreditaufnahme in der Nachkriegsgeschichte finanziert. Dies ist finanzpolitisch unzutreffend. ({36}) Der Haushalt 1975 lag, verglichen mit den heutigen Grundlagen, bei weitem höher. ({37}) Wir müssen das nämlich in Relation zum Bruttosozialprodukt sehen. ({38}) - Ich bitte Sie, die Zahlen nachzuvollziehen. Die Relation zum Bruttosozialprodukt beträgt für 1988 1,8 %; 1975 waren es 2,9 %. ({39}) Ich will mit dieser Feststellung nicht ablenken. ({40}) Es muß vorrangiges Ziel jeder soliden Haushalts- und Finanzpolitik sein, die Schuldenlast in einem vernünftigen Rahmen zu halten, sie langfristig sogar zu verringern. Dies ist eine der wichtigsten politischen Aufgaben unserer Zeit, denn davon, meine sehr verehrten Damen und Herren, hängt letztlich die Sicherheit unserer Zukunft ab. Die vorliegenden Gesetzentwürfe werden natürlich noch ausführlich zu beraten sein. Es gibt Beratungsbedarf z. B. bei der Überprüfung der Tabaksteuerformel und der Steuersätze bei Rauchtabak, um nur einige wenige Punkte zu nennen. Die für die Zuteilung einer Übertragung von weiteren Finanzmitteln an die Europäische Gemeinschaft, für weitere Hilfen zur Förderung der Investitionsfähigkeit finanzschwacher Länder und für Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit von der Bundesregierung gewählten Lösungsvorschläge sind richtig. Sie sind maßvoll, verkraftbar für Bürger und Wirtschaft und entsprechen einer solide angelegten finanzpolitischen Konzeption. Ich danke Ihnen. ({41})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wieczorek. ({0})

Dr. Norbert Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002502, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank für das Kompliment, Herr Kollege! Ich sehe das anders. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte eigentlich gern wieder zum eigentlichen Thema kommen und nicht über den Steuertarif reden, sondern über die Verbrauchsteuererhöhungen, um die es heute geht. ({0}) Der Herr Kollege Schulhoff hat da ein bißchen abzulenken versucht. In der Situation, in der Sie sind, kann ich das ja verstehen, sogar sehr gut verstehen. Das fängt schon an, wenn man sich Ihre eigene Zielsetzung aus dem Entwurf, über den wir heute beraten, vor Augen führt. Da heißt es - ich zitiere - : Für die Übertragung von weiteren Finanzmitteln an die Europäischen Gemeinschaften, für Hilfen zur Förderung der Investitionsfähigkeit finanzschwacher Länder und für Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit benötigt der Bund einen finanziellen Ausgleich. Da muß man sich nun wirklich gleich zweimal wundern. Erstens ist doch zu fragen, seit wann Steuermittel bestimmten Ausgaben zugeordnet werden. Gilt denn für diese Bundesregierung das allgemeine Haushaltsdeckungsprinzip nicht mehr? Das ist doch etwas ganz Neues! Zweitens ist zu fragen, ob diese Ausgabenbelastungen plötzlich vom Himmel gefallen sind. - Doch wohl kaum. Daß die EG mehr Mittel benötigt, haben wir Ihnen schon ein paarmal hier an diesem Platz erzählt. Ich finde es einfach unzulässig und im übrigen der europäischen Idee überhaupt nicht dienend, sich hier hinzustellen und die EG für Steuererhöhungen verantwortlich zu machen, wenn der Grund für die Steuererhöhungen in Wirklichkeit in Ihrem Steuer- und Haushaltsgebaren liegt. Das dient der EG überhaupt nicht. Ebenso ist es eine Verschleierung, die Hilfen für finanzschwache Länder dafür verantwortlich zu machen, ({1}) ganz abgesehen davon, daß Ihre Landesfürsten und Ihre Regierung sich noch nicht einmal einig werden. Ich finde es spannend, daß das Land Bayern, wenn es um's Geld geht, plötzlich entdeckt, daß es doch ein strukturschwaches Land ist. Es ist ja ganz lustig zuzugucken. ({2}) - So ist es doch. Warum wollen Sie denn davon etwas abhaben? Getroffene Hunde bellen offensichtlich! ({3}) Entscheidend ist etwas anderes, nämlich daß Sie Ihren mißglückten Länderfinanzausgleich, den wir erst vor einigen Monaten hier debattiert haben, geschönt haben wollen. Dem eigentlichen Grundgesetzauftrag, für gleiche Entwicklungschancen aller Bundesländer zu sorgen, werden Sie nicht gerecht. In Wirklichkeit wollen Sie damit die Albrecht-Initiative beiseite räumen. Diese aber fußt auf der richtigen Erkenntnis, daß die Sozialhilfelasten auf Grund der bekannten und von Ihnen nicht ernsthaft bekämpften Dauerarbeitslosigkeit vom Bund zu verantworten sind und nicht von Gemeinden und von Ländern. ({4}) Damit ist der dritte Punkt Ihrer Begründung angesprochen: die Löcher bei der Bundesanstalt für Arbeit. Wem wollen Sie eigentlich erzählen, daß das unvorhersehbar gewesen ist? Das können Sie doch niemandem mehr weismachen. Der Grund für die Steuererhöhungen liegt nämlich nicht in diesen Einzelbereichen. Er liegt in Ihrer insgesamt mißglückten Steuerpolitik und in Ihrer wirtschaftspolitischen Unfähigkeit, die Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen. ({5}) Tatsächlich wollen Sie durch die jetzt hier zu debattierenden Verbrauchsteuererhöhungen für Benzin, Gas, 01, Tabak, Versicherungen, Kfz einschließlich der darauf entfallenden Mehrwertsteuer die Steuerzahler um mehr als 8 Milliarden DM schröpfen, weil Ihre vor der Sommerpause beschlossene Einkommensteuersenkung - da liegt die Verbindung, Herr Kollege Schulhoff - ab 1990 für die Spitzenverdiener finanziert werden muß. ({6}) Dieser Betrag der Steuererhöhung, Herr Kansy, ist doch praktisch deckungsgleich mit dem, was Sie an Steuersenkung den Beziehern von Einkommen von mehr als 100 000 DM im Jahr gewähren. Das ist fast identisch. ({7}) Sie gehen nach Ihrem alten Motto vor: Versprich Steuersenkungen, sorge für die Finanzierung später, und achte darauf, daß die Entlastung bei denen erfolgt, die schon genug haben, aber die Belastung bei denen, die nicht zu den Wohlhabenden zählen. Gucken wir uns doch einmal an, was Sie den Bundesbürgern zumuten: Mineralölsteuer auf Benzin: 3,4 Milliarden DM mehr; Mineralölsteuer auf Heizöl: 1,6 Milliarden DM mehr; Steuer auf Gas: 1,6 Milliarden DM mehr; Tabaksteuer: 350 Millionen DM mehr; Versicherungssteuer: 1 Milliarde DM mehr; Kraftfahrzeugsteuer für Diesel: 720 Millionen DM mehr. Das alleine sind schon 8,8 Milliarden DM, ohne die Mehrwertsteuer. Herr Schulhoff, ich möchte Sie noch an etwas erinnern: Sie haben eben behauptet, 80 % der Bürger seien in der Progressionszone gewesen. Die neuesten Zahlen, die vorliegen, sind von 1983. Danach waren 49 % der Steuerpflichtigen in der Progressionszone und 58 % der Steuerzahler insgesamt - keine 80 %! Also, einmal langsam; wenn Sie zitieren, müssen Sie davon ausgehen, daß das korrigiert wird, Herr Kollege. ({8}) - Da sind doch die Zahlen, die Sie selber bzw. Ihre Regierung uns geben. Dann müssen Sie Herrn Stoltenberg vorwerfen, daß seine Zahlen nicht mehr stimmen, Herr Kollege; so einfach ist das. Oder gibt Ihnen die Regierung andere Zahlen als uns? - Das wäre natürlich ein spannendes Verfahren, wie man mit dem Parlament umgehen kann. Das können wir ja gerne einmal feststellen, Herr Schulhoff; das kann ja lustig werden. Das können wir gern einmal diskutieren. Vielleicht genauso, wie Sie jetzt Steueränderungen über den Bundesrat einbringen lassen; was Sie nämlich beim Steuergesetz im Sommer versaubeutelt haben - , korrigieren Sie jetzt über den Bundesrat. Das ist ja ein tolles Parlamentsverständnis. Da wäre ich mit Ihren Zwischenrufen einmal ganz vorsichtig. Nun zu dem drastischen Steuererhöhungsprogramm, Herr Schulhoff: Noch nie waren für die Arbeitnehmer die Belastungen durch Steuern und Sozialabgaben so hoch wie jetzt, ({9}) rund 42 Pfennig pro Mark. Das wird auch nach 1990 nicht gemildert. Ich empfehle Ihnen die Lektüre einer Untersuchung, die der Bund der Steuerzahler angestellt hat. In seiner Veröffentlichung „Verbrauchsteuererhöhung schädlich und vermeidbar" kommt der Bund der Steuerzahler zu dem Ergebnis, daß sich die Durchschnittsbelastung der Arbeitnehmer mit Lohn- und Einkommensteuer, Sozialversicherungsbeiträgen, Mehrwertsteuer und den speziellen Verbrauchsteuern in den letzten Jahren ständig erhöht hat. Betrug dieser Anteil im Jahre 1982 noch 39,8 %, so ist er im Jahre 1988 auf 42,2 % gestiegen, 1989 wird er 43,1 % betragen, 1990 - nach dieser famosen Steuersenkung - wird er kurz auf 42,2 % zurückgehen, aber immerhin noch wesentlich über dem Wert von 1982 liegen, und anschließend geht es dann sowieso wieder hoch, auch dank des Tarifs, den der Herr Kollege Schulhoff immer angeführt hat. Wenn wir uns angucken, was dabei für den einzelnen Bürger herauskommt, was Sie ihm heute zumuten, dann sind das durchschnittlich 500 DM für jeden Bürger mehr im Jahr, bei Benzin sind es 242 DM, beim Heizöl 182 DM. Beim Heizgas ist es noch lustiger; da weiß man nicht einmal, wieviel es ist. Sie muten dem Bürger eine Steuererhöhung zu, bei der Sie überhaupt nicht wissen, was sie ausmacht. Da sagt das Wirtschaftsministerium - daß Herr Bangemann nicht mehr da ist, ist nicht so tragisch, denn das Ministerium ist ja besser als sein Minister - : Das wirkt sich doppelt aus. ({10}) - Herr Uldall, da sind wir uns doch augenzwinkernd fast einig, was Herrn Bangemann und auch das Ministerium angeht. Da sagt das Bundeswirtschaftsministerium: Durch die Bindung der Heizgaspreise an die Heizölpreise ergibt sich eine Belastung, und durch die Heizgassteuer ergibt sich eine zweite. Das Bundesfinanzministerium sagt: Dies stimmt gar nicht. Nun möchte ich gern einmal wissen, was stimmt. Ich finde, es ist schon ein Musterbeispiel von Kabinettskunst des Kabinetts Kohl, so etwas der Öffentlichkeit zu präsentieren. ({11}) Es gibt bestehende Verträge, und man müßte sie nur einmal herausnehmen und abschätzen - das wäre eine Aufgabe der Regierung - , wie es aussieht. Es ist schon eine besondere Staatskunst, da Unsicherheit zu verbreiten. Wir werden versuchen, im Hearing Klärung zu bekommen. Vielleicht ist das Ganze auch nur ein Versuch, der Sowjetunion, Norwegen und den Niederlanden zu helfen, denn nach dem, was uns der Energieexperte Schmitt vorrechnet, wird aus dieser Erhöhung allein fast 1 Milliarde DM an diese Hauptgaslieferanten gehen. Das ist natürlich auch ganz lustig. Das ist praktische europäische Solidarität. Das betrifft nicht einmal nur die EG, sondern auch die Sowjetunion; das ist etwas Schönes. ({12}) Doch zurück zur Belastung der Bürger: Die Erhöhung der Benzinkosten und der Kfz-Steuer führt zu neuen Belastungen bei den Fahrtkosten der Arbeitnehmer zum Arbeitsplatz. Da hatten Sie uns doch im Sommer erzählt, daß bei der Streichung des Weihnachtsfreibetrages und des Arbeitnehmerfreibetrages ein Teilausgleich dadurch erfolgt, daß das absetzbare Kilometergeld künftig wieder 50 Pfennig betragen soll. Wir haben Ihnen damals schon gesagt: Sie werden als erstes wieder die Verbrauchsteuern erhöhen, und Sie nehmen es dann nocheinmal weg. Jetzt geschieht das; Sie nehmen es zum zweitenmal weg. Sie kassieren also wieder doppelt. Aber es bleibt nicht bei den Fahrtkosten, es ist auch bei der Heizung so. Eigenheimbesitzer, so die Schätzungen, werden für Heizung etwa mit 200 DM mehr jährlich rechnen müssen, Mieter mit ungefähr 1 DM pro Quadratmeter. Wir werden noch feststellen, wieviel; es ist auf jeden Fall ein erklecklicher Betrag. ({13}) - Herr Kollege, dafür sind andere Dinge aber auch im Preis gestiegen. Sie können doch jetzt nicht einfach sagen: Da nehme ich mal das oder das. - Faktisch erhöhen Sie die Kosten durch Ihre Steuererhöhung. Dazu kommen dann noch die Hausrat- und Feuerversicherung usw.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Uldall?

Dr. Norbert Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002502, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wieczorek, könnten Sie uns einmal sagen, wie die Belastung pro Monat für einen Eigenheimbesitzer und einen Wohnungsmieter bei den Heizkosten steigen würde, wenn man den steuerpolitischen Beschlüssen der SPD folgen würde?

Dr. Norbert Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002502, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Uldall, da wir hier keine steuerpolitischen Beschlüsse, sondern ersteinmal ein Konzept vorgelegt haben und ich gleich noch darauf zu sprechen komme, was dieses Konzept zum Inhalt hat, möchte ich Sie bitten, sich bis zum Ende meiner Rede zu gedulden. Sie kriegen dann Ihre Antwort. ({0}) - Ich rechnete doch damit, daß Sie danach fragen, Herr Kollege. Das Ergebnis Ihrer Steuererhöhung ist aber ersteinmal, daß der kleine Mann die Zeche bezahlt. Dabei bleibt es aber nicht. Es gibt auch wirtschaftspolitische Auswirkungen: Das Preisniveau wird rechnerisch um 0,7 bis 1 To steigen, tatsächlich aber wohl um mehr, denn insgesamt haben wir jetzt schon wieder inflationäre Tendenzen, von den USA ausgehend. Sie werden im Moment im Hinblick auf die Novemberwahl noch ein bißchen unter dem Deckel gehalten, aber keiner weiß, wie es richtig weitergeht. Auf jeden Fall gehen die Preise nach oben, und dann wird Ihre Steuererhöhung - machen Sie sich da keine Illusionen - wohlfeile Ausrede für viele werden, ihre Preise um sehr viel mehr zu erhöhen, als die Steuererhöhung hergeben würde. Das können Sie dann vertreten. ({1}) - Wir können uns gern über Geldpolitik unterhalten. Ich fürchte, daß Sie da den Kürzeren ziehen, denn diese Geldpolitik, die jetzt das lockere Geld bewirkte, diente keinem anderen Zweck, als die Spekulationsfolgen des 19. und 20. Oktober 1987 zu überwinden. Deswegen hat die Fed wie verrückt Geld in den Markt gepumpt, deswegen läuft die Konjunktur anders, als es alle erwartet haben. Übrigens noch eine kleine Korrektur: Die niedrigste Schätzung für das Wachstum des Jahres 1988 stammt nicht von Sozialdemokraten, sondern von dem Institut der Deutschen Wirtschaft. Ich habe hier das „Handelsblatt" : Dort hat man 0,75 errechnet. Das war noch viel weniger, als Sozialdemokraten vermutet haben. Das nur zur Korrektur für folgende Reden, auch für die des Bundesfinanzministers. Nun zurück zum Thema. Wir werden also eine Inflationstendenz haben, und wir werden weitere Zinserhöhungen bekommen. Auch das ist schon absehbar. Dann führt die Belastung bei den Pkw-Fahrern dazu, daß die sich eh schon abflauende Automobilkonjunktur weiter abflauen wird. Als jemand, der einen Automobilwahlkreis vertritt, kann ich Ihnen sagen, wie groß die Sorgen an der Basis sind. Sie werden sich wundern. Aber dann kommt ein Weiteres hinzu. Der Wachstumsverlust wird von allen Instituten auf etwa 1% geschätzt. Nun können Sie sagen, diese hätten sich schon einmal verrechnet. Aber auch die Bundesregierung und das Institut der Deutschen Wirtschaft haben sich verrechnet. Dieser Wachstumsverlust dient mit Sicherheit nicht der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Ihre Verbrauchsteuererhöhung erfüllt nur einen Zweck, nämlich Löcher im Bundeshaushalt zu stopfen. ({2}) Vier Fünftel dieser Erhöhung fließen in die Bundeskasse des Herrn Stoltenberg, obwohl er schon aus dem Bundesbankgewinn, der höher als veranschlagt wird, mehr hat und in 1989 außerdem noch die Quellensteuer abkassiert. Das wird hier auch vergessen. ({3}) Die Länder, vor allem aber die Gemeinden sind dagegen wieder negativ betroffen. Sie werden selbst als Verbraucher mehr für die Heizung der Schulen und sonstiger öffentlicher Einrichtungen bezahlen, und sie werden bei der Sozialhilfe zusätzliche Leistungen für die Heizkosten der einkommensschwächsten unserer Mitbürger bezahlen müssen. Ihre Vorschläge sind daher haushaltspolitisch fragwürdig, steuerpolitisch unsauber und ungerecht und sozialpolitisch falsch. ({4}) Aber hinzu kommt der ökologische Aspekt. Ausgerechnet das Heizgas zu besteuern, das zu den umweltverträglicheren Energieträgern gehört, ist schon eine Glanzleistung von umweltpolitischer Fehlentscheidung. Das hat sich sogar in Ihren Reihen herumgesprochen. Wenn man sich das Bundesratsprotokoll ansieht und guckt, was Rheinland-Pfalz dazu gesagt hat, muß man sich eigentlich wundern, daß dieses Land noch zugestimmt hat. ({5}) - Aber so ist das nun einmal. Herr Kollege, ich habe vorhin schon gesagt, ich würde mich freuen, wenn Sie Steueränderungsvorschläge nicht über den Bundesrat einbringen, sondern das über den Bundestag machen. Dann müssen Sie es sich gefallen lassen, daß man hier den Bundesrat zitiert. Außerdem ist der Bundesrat hier auch vertreten, wenn auch etwas spärlich. Es paßt Ihnen wohl nicht, ({6}) daß Sie im Bundesrat von Ihren eigenen Leuten kritisiert worden sind. Das passiert Ihnen aber in letzter Zeit ziemlich häufig. Sie sollten über Ihre Politik nachdenken. So schlecht wie die Politik, die Sie hier machen, ist Ihre Partei doch gar nicht. ({7}) Zurück zur Steuerpolitik. Wie Steuerpolitik zur Verbesserung der Umwelt dienen kann, Herr Kollege Uldall, und zugleich sozial- und wirtschaftspolitisch vernünftiger sein kann, sollten Sie bei uns nachlesen. Unsere Vorstellungen - ich sage das sehr deutlich - sind ein zur Diskussion freigegebenes Konzept und kein den Bürger am 1. Januar 1989 belastendes Steuergesetz; das ist ein großer Unterschied. ({8}) Wir gehen von anderen Kriterien aus als Sie. Denn wir wollen erstens die Energiebesteuerung in einem europäischen Konzept verankern. Denn wir wissen, das geht gar nicht alleine bei uns in der Republik. Energieschindluder wird in ganz Europa getrieben. Wir wollen zweitens das Energiesparen insgesamt durch eine Verteuerung von Energie wieder anregen. Daß das geht, haben Sie daran gesehen, wie weit der Mineralölverbrauch heruntergegangen ist, ({9}) wenn auch damals durch die Preiserhöhungen der OPEC. Das ist jetzt wieder gefährdet. Wir wollen drittens die unterschiedlichen Umweltbelastungen der Energiequellen bei der Steuer berücksichtigen. Auch das ist eine notwendige Sache. Dann, Herr Kollege Uldall, kommt Ihr Punkt: Wir wollen viertens einen notwendigen sozialen Ausgleich für die Bürger schaffen, die von Energiesteuern unmittelbar unzuträglich belastet werden. Das sind diejenigen, die keine Steuervergünstigungen kriegen. Es sind aber auch diejenigen, für die wir vorsehen - das ist der fünfte Punkt -, daß sie insgesamt bei ihren Lohn- und Einkommensteuern im Gegenzug zu höheren Energiesteuern entlastet werden. ({10}) - Sie sagen, Sie haben das gemacht, Herr Meyer zu Bentrup. Der Witz ist ja der: Sie haben es nur für die gemacht, die viel verdienen, aber für die, die weniger verdienen, eben nicht. ({11}) Gucken Sie sich doch den Trick an - ich habe es Ihnen vorhin vorgeführt - : Sie erhöhen die Werbungskostenpauschale auf 2 000 DM, von der Sie wissen, daß sie durch die faktischen Kosten längst aufgebraucht wird, und streichen gleichzeitig den Arbeitnehmerfreibetrag und den Weihnachtsfreibetrag. Was haben Sie denn da gemacht? Das müssen Sie mir erklären, ehe Sie so empfindlich reagieren. Ich nenne einen letzten Punkt, den ich gar nicht unterschätzen würde und auf dem Sie sonst so gern herumreiten - wir haben ihn in unserem Konzept - : Wir wollen neue umweltverträgliche Energieerzeugungstechnologien fördern und damit einen Innovationsschub bewirken. Das ist das, was wir wollen. Das ist etwas anderes als das, was Sie mit diesem Gesetz erreichen wollen. Alles das, was wir vorgetragen haben, ist sicherlich nicht in allen Einzelheiten ein fertiges Konzept. Es ist ein Diskussionsentwurf. In der Diskussion mit der Wissenschaft ebenso wie mit den betroffenen Bürgern, den Gewerkschaften, den Unternehmen und den Gemeinden wird noch viel zu bedenken sein. Es ist aber wohl heute schon ein geschlossenes Konzept für die Nutzung von Verbrauchsteuern zur Verbesserung unserer natürlichen Lebensumstände und für mehr Beschäftigung durch technische Innovation. Ihr Gesetz hier und heute ist dagegen nur die Fortsetzung Ihrer unsozialen und ungerechten Steuerpolitik aus dem Sommer. Lassen Sie mich noch einmal zusammenfassen. Die Bundesregierung plant mit dem vorliegenden Gesetzentwurf für das kommende Jahr die größte Steuererhöhungsaktion in der Geschichte der Bundesrepublik. ({12}) - Gucken Sie sich doch die Summen an. Soll ich es Ihnen im einzelnen vorrechnen? 8,8 plus Quellensteuer und was alles dazukommt. Das brauchen Sie erst gar nicht nachzugucken. ({13}) - Herr Kollege Uldall, dieser Zwischenruf zeigt nur, daß Sie, obwohl ich Sie angesprochen habe, nicht zugehört haben. Sonst hätten Sie nämlich festgestellt, daß ich gesagt habe, daß das, was in unserem Konzept steckt, auch sehr stark die Verlagerung dieser Einnahmen in Entlastungen bei der Lohnsteuer beinhaltet. Das müssen Sie gegenrechnen, Herr Kollege. Es ist die Frage, wie Sie es verteilen. Das habe ich Ihnen jetzt schon dreimal gesagt; es noch einmal zu wiederholen lohnt nicht. Die Bundesregierung plant hier nämlich wirklich die größte Steuererhöhung. Viele Millionen Rentner, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und Studierende müssen bezahlen, nämlich für diejenigen, denen Sie Steuergeschenke machen. Die Lohn- und Einkommensteuerzahler bekommen 1990 zum Teil vielleicht etwas; ein erheblicher Teil gerade der Bezieher von niedrigen Einkommen bekommt wenig oder gar nichts, und zwar durch den Wegfall der Freibeträge und durch das, was Sie sonst noch alles angerichtet haben. Mit der Steuerpolitik belastet die Bundesregierung Konjunktur und Arbeitsmarkt. Diese Politik kostet uns Wachstum und treibt die Preise und die Arbeitslosenzahlen in die Höhe. Diese drastischen Steuererhöhungen haben daher mit einer vorausschauenden Politik nichts mehr zu tun. Hinter Ihren Steuererhöhungen steht nicht etwa ein planvolles Konzept zur ökologischen Erneuerung unserer Volkswirtschaft, zur Energieeinsparung und zum Schutz der Umwelt; Ihre Steuererhöhungen sind in dem Zusammenhang, in den Sie sie gestellt haben, nichts anderes als ein Teil Ihrer mißglückten Umverteilungspolitik. ({14}) Mit dieser Steuerpolitik zieht leider nicht mehr Gerechtigkeit ein, sondern mehr Ungerechtigkeit. Dieses ist das Ergebnis der Politik von Herrn Stoltenberg und der Koalition. Meine Damen und Herren, die Bürger können sich nur „freuen" , wenn das 1990 so wird. Ein Wort zum Schluß. Herr Stoltenberg, auch ich möchte Ihnen persönlich zum Geburtstag gratulieren. Ich hoffe allerdings, daß sie nach 1990 etwas mehr Zeit haben, Ihren Geburtstag in Ruhe zu feiern. ({15})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rind.

Hermann Rind (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf Herrn Kollegen Wieczorek im Detail einzugehen ist eigentlich nicht notwendig, denn es war nichts Neues. Ich erinnere mich an die Debatte, die wir Anfang September geführt haben. Es war nichts anderes als Wiederholungen. ({0}) Zwei Dinge sollte man aber vorab doch richtigstellen. Kollege WieCzorek. Sie sprachen von der Abgabenlast. Sie wissen natürlich genau, daß wir uns bei der Steuerpolitik eigentlich besser über die Steuerlast unterhalten müßten. Sie wissen auch, daß wir im Bereich der Abgabenlast, einschließlich der Sozialversicherungsbeiträge, sicherlich keine anderen Beitragssätze hätten, wenn Sozialdemokraten an der Regierung wären. Das Spiel mit der Abgabenlast ist kein ehrliches, korrektes Spiel. ({1}) Eine zweite Anmerkung vorab. Sie haben von der Belastung der Arbeitnehmer, die ihr Fahrzeug für die Fahrt zur Arbeitsstätte benötigen, gesprochen. Auch wir sehen die Mehrbelastungen durch die Mineralölsteuer. Aber zur korrekten Rede eines Oppositionspolitikers gehört auch, daß er die Erhöhung der Kilometerpauschale, die wir aus diesem Grunde einführen, nicht völlig unter den Tisch fallen läßt. ({2}) - Sie haben nur gesagt, daß wir die 50 Pfennig, die ich in dieser Form im übrigen auch nicht bestätigen kann, nicht erreichen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?

Hermann Rind (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich gestatte, ja.

Dr. Norbert Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002502, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, würden Sie mir zustimmen, daß ich die Erhöhung der Kilometerpauschale auf 50 Pfennig durchaus erwähnt habe, und zwar genau in dem Zusammenhang, in dem sie in den Debatten immer wieder angeführt wurde, nämlich als einen teilweisen Ausgleich für den Wegfall der beiden arbeitnehmerfreundlichen Freibeträge? Insofern habe ich dieses erwähnt, soweit ich mein Manuskript kenne und soweit ich geredet habe. Würden Sie mir zustimmen, daß dieser Zusammenhang aus der Debatte, die wir im Sommer geführt haben, korrekt ist?

Hermann Rind (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Wieczorek, ich habe Ihren Redebeitrag - vielleicht war es ein Hörfehler von mir - so verstanden, daß Sie gesagt haben: Ihr Ziel von 50 Pfennig erreichen Sie nicht; Sie erhöhen die Mineralölsteuer und belasten damit den Arbeitnehmer. Wenn es von mir falsch verstanden wurde, dann akzeptiere ich Ihre Erklärung. Meine Damen und Herren, das Gesetzespaket, das wir hier beraten - ich möchte eigentlich mehr auf das eingehen, was hier heute zur Beratung ansteht - , hat seine Grundlage in der Koalitionsvereinbarung, die wir im März 1987 geschlossen haben. Damit ist der direkte Zusammenhang mit der Verbesserung der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaft gegeben. Zu einer Erhöhung von Verbrauchssteuern haben wir Freien Demokraten im März 1987 in diesem Zusammenhang unsere Zustimmung gegeben. Im ersten Halbjahr 1988 kamen dann Dinge hinzu, die ich nur in einigen Stichpunkten skizzieren will: Finanzhilfen des Bundes für strukturschwache Länder, die Notwendigkeit von erhöhten Zuschüssen an die Bundesanstalt für Arbeit, die Problematik der Inanspruchnahme aus Hermes-Bürgschaften und die Notwendigkeit, weitere Mittel für Aussiedler bereitzustellen. Ich habe damit, glaube ich, nur einige der zusätzlichen Haushaltsinanspruchnahmen hier aufgeführt. All diese Maßnahmen, meine Damen und Herren von der SPD, wurden von Ihnen im Grundsatz als notwendig anerkannt. Im Detail sind Sie meist anderer Meinung; das ist verständlich. Im Grundsatz aber fordern auch Sie all diese Ausgaben, und in vielen Fällen fordern Sie noch erheblich höhere Haushaltsmittel. Der zweite Teil Ihres Szenarios ist dann, daß Sie mit trauriger Stimme die Nettoneuverschuldung beklagen. Da ist es in den letzten Wochen ein bißchen ruhiger geworden; aber ich erinnere an sehr viele Erklärungen, insbesondere des Kollegen Poß, die, glaube ich, am Ende schon bei einer jährlichen Nettoneuverschuldung von 50 Milliarden DM, wenn ich mich recht erinnere, geendet haben. ({0}) Mit diesem Meckern im Blick auf Sachverhalte, die Sie im Grundsatz alle auch selber befürworten, endet dieser Teil Ihrer Finanz- und Steuerpolitik. Ein Weiteres kommt hinzu: Sie kommen dann mit Modellen der steuerneutralen Umverteilung, z. B. Frau Matthäus-Maier im Bereich des Familienlastenausgleichs oder Herr Hauff bei der Forderung nach noch stärkeren Verbrauchsteuererhöhungen, und zwar ebenfalls steuerneutral, d. h. unter Einbeziehung von Lohnsteuersenkungen. Umschichtungen, Umverteilungen und Mäkeln an einer Nettoneuverschuldung, die durch Ausgaben bedingt ist, die Sie selber im Grundsatz fordern - das ist Ihr steuerpolitischer Vortrag und Ihr steuerpolitisches Konzept. Frau Matthäus-Maier, ich hätte Sie eigentlich ganz gerne - das spricht nicht gegen den Kollegen Wieczorek - heute als neue Sprecherin gehört. Sie sind um Ihre Aufgabe sicherlich nicht zu beneiden. Wenn Sie eine seriöse Oppositionspolitik darstellen wollen, müssen Sie auch irgendwann einmal für die Ausgabenforderungen Ihrer Fraktion Deckungsvorschläge beibringen. Sie dürfen sich nicht allein auf Umverteilungsdiskussionen beschränken. ({1}) Wir lassen Sie da nicht heraus. Nur eine Umverteilungsdiskussion ist zuwenig. Ich traue Ihnen Frau Matthäus-Maier, da Sie ja eine gute Ausbildung in den Reihen meiner Fraktion hinter sich haben, durchaus zu, daß Sie Konzepte entwickeln können. Ich bezweifle aber, daß diese Konzepte auf Grund Ihrer nunmehr sozialdemokratischen Denkstruktur richtig sind; das sehen Sie mir sicherlich nach. ({2})) - Ihr Kleid ist geblieben. Entschuldigung, sicherlich nicht das Kleid, aber die blaube Farbe Ihres Kleides ist geblieben. Aber die Denkstrukturen sind sicherlich nicht dieselben wie die der Liberalen. ({3}) - Das modische Interesse der GRÜNEN ist ja geradezu erheiternd. Ich werde doch demnächst einmal etwas mehr auf die Redner hier am Podium achten, die von den GRÜNEN kommen, und werde prüfen, ob sie wirklich den Erfordernissen morderner Kleidung entsprechen. ({4}) - Ich komme schon wieder zur Sache. Frau Matthäus-Maier, für unmöglich halte ich es aber, daß Sie dann, wenn Sie einmal eine solche Konzeption entwickelt haben, die, wie gesagt, über Umverteilung hinausgeht, in der Lage wären, diese in Ihrer Fraktion durchzusetzen. Die Diskussion in Münster hat dies deutlich gezeigt. Vielleicht kommt dies später einmal. Aber ich kann Ihnen versichern: Lassen Sie sich ruhig Zeit. Sie haben noch viel Zeit in der Opposition, sich ein finanzpolitisches Konzept zu überlegen, das den Ansprüchen gerecht wird, die wir hier in der Diskussion stellen sollten. Meine Damen und Herren, die FDP steht zu den Verbrauchsteuererhöhungen. Dies geschieht nicht nur, weil wir zu den Koalitionsvereinbarungen stehen. Ein wichtiger Grund ist für uns, daß alle anderen Maßnahmen zum Ausgleich der zusätzlichen Ausgaben gesamtwirtschaftlich schädlicher wären. Die Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, die mit zur Diskussion gestanden hat, wäre besonders schädlich gewesen, weil die Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe empfindlich getroffen worden wäre. Auch eine Mehrwertsteuererhöhung lehnen wir u. a. wegen der negativen Auswirkungen im Bereich der Schwarzarbeit und wegen der sozialen Härten, die sich gerade für die Schwächeren in unserer Gesellschaft ergeben würden, ab. Wenn eine Mehrwertsteuererhöhung in den 90er Jahren auf politischen Druck innerhalb der Europäischen Gemeinschaft und bei Verwirklichung des Europäischen Binnenmarkts auf uns zukommen sollte, so wollen wir diese Mittel für eine Gemeindefinanzreform, für eine Verbesserung der Einnahmesituation der Gemeinden einschließlich der Abschaffung der Gewerbesteuer verfügbar halten. ({5}) Wir werden uns - damit hier kein falscher Zungenschlag hineinkommt - nach Kräften bemühen, auch in den 90er Jahren Mehrwertsteuererhöhungen zu vermeiden. Wenn sie uns aber von den europäischen Partnern im Wege der Verhandlungen aufgezwungen würden, wären uns die Mehreinnahmen zu schade, um sie ohne Zweckbindung etwa zum Stopfen von Haushaltslöchern zu verwenden. ({6}) Nun wird hie und da vorgetragen, die Verbrauchsteuererhöhungen könnten doch ganz oder teilweise entfallen, da auf Grund der günstigen Wirtschaftsentwicklung die Steuereinnahmen ja wieder üppiger fließen würden. Meine Damen und Herren, in der Haushaltsdebatte Anfang September wurde vom Bundesfinanzminister und von Sprechern aller Fraktionen auf die Haushaltsrisiken hingewiesen. Ich habe zu Beginn dieser Rede wichtige Ausgabenbereiche noch einmal in Stichpunkten angesprochen. Zu diesen zusätzlichen Ausgaben kommt hinzu, daß wir Freien Demokraten die Haushaltskonsolidierung und den Plan, die Nettoneuverschuldung auf 25 Milliarden DM im Jahre 1990 zurückzuführen, nicht aus dem Auge verlieren können und wollen. Meine Damen und Herren, für unausweichliche Ausgaben, die wir schon kennen oder die wir schon absehen können - Stichwort: Bundeszuschuß zur Rentenversicherung - , reichen die Maßnahmen des Verbrauchsteueränderungsgesetzes 1988 und des Haushaltsbegleitgesetzes 1989, über die wir heute debattieren, alleine nicht aus. Wir erinnern deshalb den Bundesfinanzminister an dieser Stelle an unsere Forderung, einen Subventionsabbau bei den direkten Finanzhilfen vorzunehmen. Die FDP-Fraktion wird hierzu in Kürze ihre Vorstellungen vorlegen. Zur Haushaltskonsolidierung und zur Zurückgewinnung von finanzpolitischen Spielräumen für die 90er Jahre ist der Einstieg in den Subventionsabbau bei den direkten Finanzhilfen nicht nur politisch notwendig, sondern aus unserer Sicht auch unvermeidbar. ({7}) - Selbstverständlich. Wir werden Roß und Reiter nennen; das ist völlig klar. Es ist natürlich sehr viel populistischer zu erklären, man sei zwar generell für Subventionsabbau, es dann aber nicht zu tun, weil man nicht den Mut hat zu sagen, wo man eingreifen will. Aber wir werden diesen Mut aufbringen, weil uns dieses Anliegen einfach wichtig ist. ({8}) Befriedigt Sie diese Antwort? - Gut. Meine Damen und Herren, bei der Abstimmung der einzelnen Maßnahmen zur Erhöhung der Verbrauchsteuern haben wir darauf Wert gelegt, den Rahmen der EG-Steuerharmonisierung nicht zu überschreiten. Wir haben dieses Ziel mit der Gesetzesvorlage erreicht. Wir werden bei der Mineralölsteuer auf bleifreies und verbleites Benzin ebenso wie bei der auf leichtes Heizöl und bei der Tabaksteuer noch unter dem durchschnittlichen Steuerniveau auf EG-Ebene liegen. Das sollte die Opposition hier doch einmal zur Kenntnis nehmen. Bei der Erdgassteuer verstoßen wir wegen der Befristung bis zum 31. Dezember 1992 nach unserer Überzeugung eben nicht gegen EG-Recht. Wir sind auf dem Weg zu einer einheitlichen Besteuerung in diesem Bereich ab 1993, so sie kommt, durch die Gesetzesmaßnahmen, über die wir heute beraten, nicht behindert. Nun einige Anmerkungen zu einzelnen Sachverhalten des Gesamtpakets. Zunächst zur Erdgassteuer. Es ist ja bekannt - ich will es hier noch einmal deutlich sagen - , daß die Zustimmung zur Erdgassteuer vielen in meiner Fraktion besonders schwergefallen ist und nach wie vor schwerfällt. Wenn wir der Einführung einer Erdgassteuer zugestimmt haben, dann insbesondere unter folgenden Gesichtspunkten: Zum einen ist es gelungen, die Höhe dieser Steuer gegenüber den ursprünglichen Plänen in etwa zu halbieren. Zum anderen ist unser Ziel, den bisherigen Förderabstand im steuerlichen Bereich gegenüber dem leichten Heizöl zu erhalten. Bei einer Erhöhung der Steuer auf leichtes Heizöl ist es jedoch aus Wettbewerbsgründen eben nicht gerechtfertigt, das Erdgas weiterhin völlig steuerfrei zu lassen. Unser Motto bei den Beratungen zum Bereich Erdgassteuer wird sein: steuerliche Begünstigung des Erdgases im bisherigen Umfang, aber nicht höher. Wir werden in den weiteren Beratungen nach dieser Maxime prüfen, ob die vorgesehenen drei Pfennige pro Kubikmeter der endgültige Wert sein werden. Diese drei Pfennige sind insoweit für uns kein Evangelium, sondern nur Verhandlungsgrundlage. Wir werden jedoch auf der anderen Seite nicht hinnehmen, daß die mittelständische Mineralölwirtschaft durch die Steuerpolitik Nachteile hinnehmen muß, die wettbewerbsverzerrend und existenzbedrohend für viele kleine und mittlere Betriebe wären. Die wahre Situation im Bereich des Handels mit Primärenergie zeigt die Bilanz des Jahres 1987 der Ruhrgas AG. Dieses Unternehmen konnte es sich leisten, für 1987 eine Dividende von 43,3 % an seine Aktionäre auszuschütten. Zu den Aktionären gehören so interessante Adressen wie BP, Esso, Shell, Mobil Oil, Preussag, um nur einige zu nennen. Die Aktionäre haben diese 43,3 % Dividende - das sind 477 Millionen DM, also knapp eine halbe Milliarde DM - erhalten. Wohlgemerkt: Ausschüttung an die Anteilseigner, und zwar des gesamten Jahresüberschusses. Bedienung von Rücklagen war nicht nötig, weil ausreichend Kapital vorhanden ist. ({9}) Andersherum gesagt: Ein einziger Großhändler mit Erdgas hat in einem Jahr knapp 30 % des Betrags an seine Aktionäre ausgeschüttet, der 1989 von der ganzen Branche an Erdgassteuer an den Bundesfinanzminister abzuführen sein wird. Das ist die Situation. ({10}) Wer möchte da noch einer Verschiebung von Wettbewerbsvorteilen das Wort reden, wenn am Ende nicht der Verbraucher, sondern der Aktionär unverhältnismäßig daran verdient? ({11}) Wenn diese Unternehmen bereit gewesen wären, diese Gelder innerhalb ihrer Möglichkeiten, die sie ja haben - sie haben ja immerhin durch Anschlußzwang und ähnliche Maßnahmen schon von vornherein einen enormen Wettbewerbsvorteil - , den Verbrauchern zugute kommen zu lassen, wäre es in der Gaswirtschaft hinsichtlich der Anschlüsse von Haushalten wesentlich besser bestellt, als es jetzt der Fall ist. Aber das geschieht ja nicht. ({12}) Auf Sympathie stößt bei uns im Bereich Erdgassteuer eine Anregung des Bundesrats. Sie hat zum Inhalt bei der Erdgassteuer eine Härtefallregelung zu treffen. Bekanntlich ist Öl oder Gas als Rohstoff in der Industrie steuerbefreit. Wir wollen gerne prüfen, ob nicht auch Prozeßwärme befreit werden kann, soweit Erdgas dazu dient, Rohstoffe für den Produktionsprozeß aufzubereiten. Das betrifft insbesondere die Bereiche der Kalk-, Ziegel-, Fliesen-, Papier- und der Stahlindustrie. Wir wissen, daß diese Firmen im internationalen Wettbewerb möglicherweise Nachteile erleiden könnten. Wenn wir uns nicht in sehr sorgfältiger Prüfung - Fragen der Abgrenzbarkeit spielen hier eine Rolle - dieses Problems annehmen, würden wir unserem Auftrag gegenüber der gesamten Wirtschaft in diesem Bereich nicht gerecht werden. Ein weiterer Vorschlag des Bundesrats findet voraussichtlich unsere Unterstützung. Bei der Tabaksteuer empfiehlt der Bundesrat, es bei einem Verhältnis des steuerspezifischen Anteils und des proportionalen Anteils von 40:60 zu belassen. Die geplante Änderung - 30 To steuerspezifischer und 70 % proportionaler Steueranteil - fördert den Trend hin zu Niedrigpreiszigaretten und damit zur Importzigarette. Hier stehen fiskalische Überlegungen gegen wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Überlegungen. Ich will keinen Hehl daraus machen, daß bei uns die letzteren Argumente, ähnlich wie beim Bundesrat, überwiegen. Zum Thema Flugbenzin: Daß die Mehrheit unserer Fraktion - es wundert mich übrigens, daß das heute noch gar kein Thema gewesen ist; dazu gibt es doch Anträge; vielleicht kommt das dann noch von den GRÜNEN - die Steuerbefreiung des Flugbenzins nur mit äußerstem Zähneknirschen mitgemacht hat, um die Steuerreform insgesamt nicht zu gefährden, sei noch einmal für das Protokoll erwähnt. ({13}) - Das ist richtig. Wir müssen darüber in den Ausschüssen beraten, und wir müssen darüber abstimmen. Das Thema ist mir schon wichtig genug, auch wenn es weh tut. Es ist richtig, daß mit der Initiative Bayerns im Bundesrat jetzt diejenigen tätig werden, die die Mineralölsteuerbefreiung damals durchgesetzt haben. Sie müssen die Sache auch wieder in Ordnung bringen. Wir von der FDP-Fraktion wollen nun einmal im einzelnen sehen, wie dies geschehen soll. Wir werden uns im Beratungsverfahren z. B. mit möglicher mißbräuchlicher Inanspruchnahme der Mineralölsteuerbefreiung über Genehmigungen nach § 20 des Luftverkehrsgesetzes beschäftigen müssen. Außerdem spielen Fragen der Kosten und des VerwalRind tungsaufwands ebenso eine Rolle wie die Möglichkeit, durch einen kurzen Flug ins Ausland an billiges Flugbenzin heranzukommen. Mit diesen Themen werden wir uns intensiv auseinandersetzen müssen. Aber mögen sich zunächst diejenigen, die uns die Flugbenzin-Suppe eingebrockt haben, mal ihre eigenen Gedanken machen. Wir werden die endgültigen Vorschläge dann prüfen und behalten uns unsere Zustimmung insoweit vor. Sie ist abhängig von einer sauberen Regelung, die lediglich ein Minimum an Verwaltungsaufwand und Kosten erfordert. ({14}) Meine Damen und Herren, für die Freien Demokraten habe ich zweierlei deutlich machen wollen, zum einen, daß wir zu den Verbrauchsteuererhöhungen insgesamt wie auch zu den einzelnen Maßnahmen stehen. Wir erhöhen Steuern nicht gerne. Politik ist aber immer eine Güterabwägung. Dabei sind die Erhöhungen der spezifischen Verbrauchsteuern das kleinere Übel gewesen. Zum zweiten: Das Verbrauchsteueränderungsgesetz 1988 und das Haushaltsbegleitgesetz 1989 lösen nicht alleine die bereits beschlossenen oder noch zu beschließenden Maßnahmen auf der Ausgabenseite, soweit sie zusätzlichen Bedarf darstellen. Sie lösen auch nicht alleine die Ziele der Haushaltskonsolidierung und der Wiedererlangung finanzieller Handlungsspielräume für die 90er Jahre. Sie machen außerdem nicht das Ziel überflüssig, auf der Ausgabenseite des Haushalts weitere Einsparungen vorzunehmen, insbesondere im Bereich der direkten Finanzhilfen. Weitere gesetzliche Maßnahmen im Bereich von Leistungsgesetzen soweit sie nicht unabwendbar sind, sind nicht realisierbar, solange nicht das in der Koalitionsvereinbarung festgelegte Ziel einer Nettoneuverschuldung von 25 Milliarden DM erreicht ist. Verbrauchsteuererhöhungen sind für uns Liberale in dieses Steuer- und finanzpolitische Konzept eingebettet. Unsere Zustimmung ist erfolgt und wird erfolgen, mit den Änderungen, die in den Beratungen stattfinden, immer unter dem Vorbehalt, daß das Gesamtkonzept eingehalten wird, das sich die Koalition gegeben hat. Dies ist Finanzpolitik und Steuerpolitik, die bis zum Jahr 1990 tragen kann, wenn sich die Koalitionsparteien darüber einig und klar sind, und zwar alle Teile der Koalitionsparteien, daß der Zusammenhang zur Haushaltskonsolidierung, sprich: Nettoneuverschuldung, der Zusammenhang zu Verbrauchsteuererhöhungen, zu Steuerentlastungen bei den direkten Steuern und zu allen anderen Maßnahmen, die eventuell noch auf uns zukommen, gesehen werden muß, bevor wir an freiwillige Leistungen im sozialen Bereich oder wo auch sonst immer herangehen können. ({15}) Diese Ziele müssen im Gesamtzusammenhang gesehen werden und werden auch nur im Gesamtzusammenhang einen Erfolg dieser Koalition ausmachen. Wir werden uns um diesen Erfolg bemühen. Wir sind zur Verhandlung über die Details der Verbrauchsteuererhöhungen bereit. Wir hoffen, daß am Schluß ein Konzept herauskommt, das wir dem Bürger in diesem Gesamtzusammenhang darstellen und verwirklichen können. Vielen Dank. ({16})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Hüser.

Uwe Hüser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000978, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, Herr Rind, daß ich Ihren modischen Ansprüchen einigermaßen gerecht werde. Auch würde mich einmal interessieren, wie Ihre Anforderungen aussehen, damit wir das hier vielleicht einmal diskutieren könnten. ({0}) - Mich würde interessieren, ob das zwingend notwendig ist. ({1}) Gesetzentwürfe sind in der Regel so aufgebaut, daß in der Zielsetzung der Wille erkennbar sein soll, der den Antragsteller bei seinen Überlegungen beseelt hat. Danach werden, wie Sie alle wissen, die Lösungsvorschläge unterbreitet. Unter Punkt C stehen die Alternativen, die anscheinend meistens nicht vorhanden sind, und abschließend werden noch die Kosten dargelegt, wobei unterschiedlich mal der Staat, mal seine Bürger und Bürgerinnen diese zu tragen haben. Eine mehr oder weniger gute Begründung darf natürlich auch nicht fehlen. Unter diesen Aspekten habe ich mir mal die Gesetzentwürfe angeschaut, um die es heute hier in der ersten Lesung geht. Die Hauptzielsetzung der Bundesregierung ist es, wie sie so schön schreibt, einen finanziellen Ausgleich zu erhalten, um zusätzlich Geld an die EG zahlen zu können, einen Strukturfonds einzurichten und an die Bundesanstalt für Arbeit höhere Zuschüsse zu überweisen. Das kann man natürlich schreiben; aber, meine Damen und Herren, das ist meines Erachtens doch absolut willkürlich herausgegriffen. Genausogut hätte der Finanzminister, hätten Sie, Herr Stoltenberg, auch die wahnsinnigen Kosten des Jägers 90, die unsinnigen Subventionen an die Airbus-Industrie, die Fehlinvestitionen in den Schnellen Brüter und nicht zuletzt die Einnahmeausfälle aus der Steuerreform als Punkte aufführen können. ({2}) Aber dies hätte zu Recht die Entrüstung der Bevölkerung über die Steuererhöhungen noch stärker werden lassen. Ein sachlicher oder gar unmittelbarer Zusammenhang zwischen EG-Beiträgen, Strukturhilfe und Verbrauchsteuererhöhung besteht nämlich nicht. Sagen wir es doch offen und verständlich: Die Bundesregierung steckt Milliardenbeträge in ihre Prestigeobjekte und ist mit ihrer Geschäftspolitik gescheitert. ({3}) Sie sammelt Schulden wie andere Leute Briefmarken. Als Lösung fällt ihr dann nichts anderes ein, als den Anteilseignern des Staates, nämlich den Bürgerinnen und Bürgern, durch Steuererhöhungen eine Kapitalaufstockung aufs Auge zu drücken. Ich hoffe nur, daß auf der nächsten Hauptversammlung - sprich: Wahl - dieser Vorstand in den Ruhestand geschickt wird. ({4}) Nun bietet uns die Bundesregierung zur Lösung der hausgemachten Probleme Verbrauchsteuererhöhungen in Milliardenhöhe mit wirklich abenteuerlichen Begründungen an. Vorneweg Verbrauchsteuern und eventuell auch deren Erhöhung sind nicht grundsätzlich von Übel, vorausgesetzt allerdings, man hat ein gutes Konzept und die soziale Absicherung ist gegeben. Ich würde es mir zu leicht machen, wenn ich einfach sagte, die Bundesregierung habe kein Konzept, weil dies nicht zutrifft, zumindest nicht in vollem Umfang. Ein Hauptstrang ihrer Argumentation ist die Verschiebung von direkten zu indirekten Steuern - eine ideologisch verbrämte Absicht, die wissenschaftlich nicht haltbar ist; denn es gibt nicht die ideale Quote von indirekten und von direkten Steuern. Dieser Grund aber ist ja auch nur vorgeschoben. Sie betreiben hier ein Konzept der Umverteilung von unten nach oben, das mit der Steuerreform und der Verbrauchsteuererhöhung trotz aller Proteste seinen bisher traurigen Höhepunkt erreicht hat. Die Löcher, die u. a. durch die Steuerreform gerissen worden sind, müssen nun auch diejenigen stopfen, die auf der Entlastungsseite keinen Pfennig gesehen haben. Ich brauche all die Betroffenen nicht noch einmal aufzuzählen; ich bin aber sicher, daß sie Ihre Taten nicht vergessen werden. Ihr unsoziales Konzept wird an einer Stelle im Haushaltsbegleitgesetz besonders deutlich, auch wenn die Summe, an sich genommen, kein gigantischer Betrag ist. Sie wollen allen Ernstes den Wohngeldempfängern die neue Werbungskostenpauschale nicht zubilligen. Alle Gründe, die Sie noch bei der Anhörung und bei der Beratung der Steuerreform für eine Erhöhung dieser Pauschale vorgebracht haben, sind anscheinend vergessen, wenn es nur noch um die lapidare Einsparung geht. Bekanntlich sind die Wohngeldempfänger nicht die Begüterten in dieser Republik. Sie sind also bei der Steuerreform schon benachteiligt worden, und nun sollen sie durch Ihre Operation im nachhinein noch einmal mit 100 Millionen DM zur Kasse gebeten werden. In Anbetracht der zu erwartenden höheren Steuereinnahmen und der Bundesbankgewinne von mehreren Milliarden DM ist dies ein Skandal. Nun versucht die Bundesregierung auch noch, Kompetenz und Konzept in Sachen Ökologie und Energieeinsparung vorzutäuschen. Daß die SPD mittlerweile dazu überzugehen scheint, die Steuerpolitik auch zum Wohle der Umwelt einzusetzen, wie es die GRÜNEN schon seit Jahren fordern, begrüßen wir. Wir werden die Taten kritisch an den Worten messen. Oberflächlich betrachtet, könnte man jetzt auch annehmen, die Bundesregierung gehe neue Wege in Sachen Steuerpolitik. Bei dieser Bundesregierung - das weiß man durch langjähriges Tun - ist man allerdings des öfteren eines Besseren belehrt worden. Die Hinweise auf Ziele wie den sparsamen Umgang mit erschöpfbaren Energiequellen oder die Entwicklung neuer Energietechnologien, wie Sie in der Begründung schreiben, sind meines Erachtens nichts mehr als eine Verpackung, mit der die bittere Pille „Steuererhöhung" etwas schmackhafter gemacht werden soll. ({5}) Ein umweltpolitisches Konzept bei der Erhöhung und Auswahl der Verbrauchsteuern ist nicht einmal im Ansatz erkennbar. ({6}) Eine Erhöhung der Mineralölsteuer für sich bedeutet noch lange nicht, daß hier eine ökologische Verkehrspolitik angegangen wird. Ohne die gleichzeitige Verwendung der eingenommenen Mittel zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs und zur Verbreiterung des Angebots gerade auf dem flachen Lande sowie entsprechende begleitende soziale Maßnahmen bedeutet eine Mineralölsteuererhöhung nichts weiter als eine zusätzliche Belastung der Verbraucher und, wie es bei Verbrauchsteuern generell der Fall ist, eine überproportionale Belastung der Bezieher unterer Einkommen. Bei der Erdgassteuer haben Sie sich allerdings den größten Flop geleistet. Es ist mir fast unverständlich, wie eine Bundesregierung ihre Inkompetenz in Sachen Ökologie auf so eindrucksvolle Weise darstellen kann. Mich würde interessieren, welcher Teufel Sie geritten hat, Herr Stoltenberg, daß Sie gerade auch aus umweltpolitischen Gründen, wie Sie angeben, auf die Idee kamen, eine Erdgassteuer einzuführen. Von den fossilen Energieträgern ist das Erdgas eindeutig das natur- und umweltschonendste Produkt. Nicht nur daß das Erdgas schwefelfrei ist, nein, auch bei den Stickoxid- und bei den CO2-Emissionen, die ja gerade in der Debatte um den Treibhauseffekt eine große Rolle spielen, weist das Erdgas die geringsten Werte von allen herkömmlichen Energien auf. ({7}) - Hören Sie sich meinen Schluß dazu an! - Es mutet da schon wie ein Schildbürgerstreich an, daß gerade dieser Rohstoff mit einer zusätzlichen Steuer belastet wird und damit eben in Relation zu den anderen fossilen Energieträgern teurer wird und eventuelle Substitutionsprozesse aus Umweltschutzgründen damit abgewürgt oder zumindest erschwert werden. ({8}) Das Erdgas hat aber nicht nur bei der Verbrennung eindeutige ökologische Vorteile, sondern auch im Transport hat diese Energieart gegenüber dem Öl durchaus Vorzüge. Die Belastung der Umwelt durch Schwertransporte und auch die Unfallgefahren und deren Folgen sind ja offensichtlich. Ich habe den Eindruck, hier wird der Natur- und Umweltschutz der Fiskalpolitik geopfert. Da die Bundesregierung anscheinend keine Alternative zu ihrem Gesetzentwurf sieht, wie Sie schreiben, will ich Ihnen gerne einige Punkte nennen, die die GRÜNEN als Alternative anbieten. Verzichten Sie auf die Steuerreform, auf Airbus, Kalkar, auf Wackersdorf, die Raumfahrtforschung, den Jäger 90. - Und ich könnte Ihnen hier in einer Minute bestimmt noch einige weitere Projekte nennen, die Sie mit Ihrer Politik verfolgen. - Wenn Sie auf diese Projekte verzichten, haben Sie genügend Geld in den Kassen, und es ist keine Steuererhöhung notwendig. ({9}) - Das ist keine Milchmädchenrechnung, ({10}) sondern das ist nur eine logische Konsequenz. Gukken Sie sich doch an, wieviel Milliarden der Jäger 90 kosten wird! Da ist das, worüber wir hier reden, doch ein Klacks. Dasselbe gilt für den geplanten Strukturfonds, den wir hier ja noch ausführlich diskutieren werden. Hätten Sie nicht die Kassen der Gemeinden und Länder durch die Steuerreform geplündert, dann wäre ein Strukturfonds in der Form, wie Sie ihn planen, nicht notwendig gewesen. ({11}) Genauso hätten Sie sich die jetzt notwendig gewordenen Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit ebenfalls ersparen können, wenn Sie rechtzeitig eine aktive Arbeitsmarktpolitik betrieben hätten. Aber dies ist und war ja nicht Ihr Interesse. ({12}) Zu der Art und Weise, wie Sie mit den Energiesteuern umgehen, gibt es natürlich auch Alternativen. Unsere Auffassung haben wir hier im Bundestag schon mehrfach dargelegt. Ich verweise hier u. a. nur auf den Antrag vom Mai dieses Jahres, das Energiesparprogramm für den Wärmemarkt, in dem unsere Ausführungen sehr detailliert dargelegt sind. Ich möchte hier nur einen Punkt daraus hervorheben: Tatsache ist, daß der Marktpreis die natürliche Begrenztheit der fossilen Energieträger nicht ausdrückt, und dieser Mangel läßt sich nur durch politische Maßnahmen beheben. Die GRÜNEN treten gerade deswegen dafür ein, daß die gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden, um denjenigen Verbraucher, der Heizenergie auf der Basis fossiler Energieträger nutzt, wegen dieser Nutzung fiskalisch zu belasten. U. a. schlagen wir hier eine Primärenergiesteuer vor, die berücksichtigt, daß z. B. bei der Energieerzeugung hohe oder niedrige Umwandlungsverluste entstehen. So wäre z. B. bei Strom aus konventionellen Kraftwerken die Belastung dreimal höher als die aus den energiewirtschaftlich günstigeren Blockheizkraftwerken, da diese Kraftwerksart eben einen dreimal besseren Wirkungsgrad aufweist. Ebenso müssen auch die unterschiedlichen ökologischen Auswirkungen der Schadstoffemissionen berücksichtigt werden. Wenn man nur diese Kriterien zugrunde gelegt hätte, würde Gas sicherlich mit am geringsten belastet werden. Sie machen hier aber in Ihrer Kurzsichtigkeit genau das Gegenteil. Viel Hoffnung, daß auf Grund der Beratungen und Anhörungen, die hierzu beschlossen worden sind - dabei muß ich allerdings wirklich annehmen, daß das mehr Alibiveranstaltungen sind, weil Sie sich auf die Einnahmeseite ja schon festgeklopft haben, so daß sich an der Art und Weise mit Sicherheit nichts mehr ändern wird -, noch etwas geändert wird, habe ich nicht. Wir werden aber versuchen, in diesen Beratungen mit den Punkten, die ich hier angerissen habe, noch einmal deutlich zu machen, daß es auch auf eine andere Art und Weise geht, daß man Verbrauchsteuern sozial abgefedert und ökologisch sinnvoll erhöhen kann. ({13})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heute zur Erörterung stehenden Entwürfe des Verbrauchsteueränderungsgesetzes 1988 und des Haushaltsbegleitgesetzes 1989 sind wichtige Elemente einer längerfristigen finanzpolitischen Konzeption. In der Tat, es geht um die Neubestimmung des Verhältnisses von direkten und indirekten Steuern. Zugleich müssen wir, auch im Hinblick auf den strukturell rückläufigen Steueranteil des Bundes an den Gesamteinnahmen von Bund, Ländern, Gemeinden und EG, die finanziellen Grundlagen staatlicher Aufgabenerfüllung sichern und damit auch die Voraussetzungen für mehr wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung. Herr Kollege Schulhoff und Herr Kollege Rind haben eine Reihe von wichtigen Argumenten und Punkten vorgetragen, die ich im einzelnen nicht wiederholen will. Es trifft zu: Wenn auch zeitlich versetzt - aus Gründen, die wir ja heute beim ersten Tagesordnungspunkt, beim Nachtragshaushalt, erörtert haben -, stehen die Steuerreform, die massive Senkung der direkten Steuern in drei Stufen um fast 50 Milliarden DM, und das jetzt für 1989 vorgesehene Konzept einer begrenzten Anhebung indirekter Steuern in Höhe von 8 bis 10 Milliarden DM in einem inneren Zusammenhang. Es ist richtig: Auch wenn Bundestag und Bundesrat diesen Vorlagen zustimmen, werden wir 1990 die niedrigste Steuerquote seit 1960 haben. Ich würde es sehr begrüßen, wenn in unseren künftigen Debatten die begrifflichen Unterscheidungen klarer und deutlicher werden. Ich halte es für unzulässig, Herr Kollege Wieczorek - es geschieht jetzt zum siebten Mal in wenigen Jahren - , wenn immer wieder Steuerquote, die Entwicklung der Sozialversicherungsbeiträge und andere Elemente miteinander vermischt werden. Es ist auch deshalb unzulässig, weil damit eine klare Zuordnung politischer Verantwortlichkeiten nicht mehr möglich ist. Es ist auch nicht glaubwürdig, sich in einer finanzpolitischen Debatte über höhere Sozialversicherungsbeiträge zu beklagen und zugleich Reformvorschläge der Bundesregierung erbittert zu bekämpfen, die zu einer Stabilisierung der Sozialversicherungsbeiträge führen sollen. ({0}) Nein, wir erreichen - wir reden jetzt über Steuerpolitik - die niedrigste Steuerquote seit 1960. Ich glaube, das spricht für sich, auch in den Wirkungen für die arbeitenden Menschen und für die Verbraucher. ({1}) Im übrigen, Herr Kollege Poß, will ich Ihnen folgendes sagen: Es ist dem Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion auch heute nicht gelungen, einen Widerspruch zu erklären. Einmal fordern Sie - der Parteitagsbeschluß von Münster ist hier ja ein hinreichend deutliches Dokument, vor allem wenn man die Reden zur Begründung dieses Beschlusses hinzuzieht - eine massive Anhebung der Energiesteuern für die Verbraucher und die Betriebe. Das ist offenbar gut, wenn es von der SPD begründet wird, vor allem ökologisch. Auf der anderen Seite erklären Sie immer wieder, auch heute hier, eine vergleichsweise geringere Anhebung indirekter Steuern durch die Koalition sei sozial unannehmbar. Dieser Widerspruch ist auch heute nicht überzeugend erklärt worden. Der steuerpolitische Spagatversuch der SPD ist auch heute hier mißglückt, meine Damen und Herren. ({2}) Nein, aus steuerpolitischen Gründen ist die vorgeschlagene maßvolle Anhebung indirekter Steuern richtig. Sie ist natürlich auch finanzwirtschaftlich notwendig. Die drei Elemente sind beschrieben. Wir haben uns entschlossen, in einer langfristig auf die Zukunftsprobleme gerichteten Politik den Finanzbeitrag auch der Bundesrepublik Deutschland für die Europäische Gemeinschaft erheblich zu erhöhen. Es ist ja in europapolitischen Debatten in diesem Hohen Hause auch von fast allen - nicht unbedingt von den GRÜNEN, aber auch von der sozialdemokratischen Fraktion - für richtig gehalten, die Europäische Gemeinschaft zu stärken, den Gemeinsamen Markt durch den Binnenmarkt zu vollenden, die wachsenden Aufgaben der Gemeinschaft, insbesondere auch die Strukturmittel für die Entwicklung der schwächeren Volkswirtschaften höher zu dotieren. Wir haben das in der Perspektive weit über das kommende Jahrzehnt hinaus bejaht. Aber richtig ist auch, daß wir derartige erhebliche Übertragungen von Mitteln nicht durchführen können, ohne, wie es die Koalition zu Beginn dieser Wahlperiode vereinbart hat, einen gewissen Ausgleich für den Bund zu suchen. Auf die anderen Punkte, Strukturhilfen für die Länder und die besonderen Maßnahmen für die Bundesanstalt, ist in der Debatte hier schon eingehend eingegangen worden. Meine Damen und Herren, mit der vorgesehenen Verbesserung der Verbrauchsteuereinnahmen wird das Finanz- und haushaltpolitische Gleichgewicht gesichert. Wir haben heute morgen über Verschuldung geredet; ich brauche die Zahlen nicht zu wiederholen. Wir haben die Neuverschuldung des Bundes bis 1986 erheblich absenken können, in absoluten Zahlen und noch deutlicher in den relativen Zahlen, gemessen an der volkswirtschaftlichen Leistungskraft. Wir haben eine sehr positive Entwicklung, vor allem was die Finanzierungssituation der Länder und Gemeinden betrifft. Herr Kollege Hüser, den ich im Augenblick nicht sehe, ich weiß nicht, ob ich ihn übersehe - es ist ja auch ein besonderer parlamentarischer Stil, hier solche Attacken vorzutragen und anschließend den Saal zu verlassen; ich will das nur als Fußnote sagen - , hat die vollkommen unsinnige Behauptung aufgestellt, wir würden die Finanzen der Länder und Gemeinden mit der Steuersenkung ausplündern. Ich empfehle nach langjähriger Zugehörigkeit zu diesem Haus langsam wirklich einmal einen Sprachgebrauch, der den Traditionen des Deutschen Bundestages angemessener ist, meine Damen und Herren. Wir haben vor wenigen Wochen die Halbjahreszahlen über die Entwicklung der Steuereinnahmen für Bund, Länder und Gemeinden veröffentlicht. In diesem Jahr, wo wir die Einkommensteuer und Lohnsteuer um fast 14 Milliarden DM als Gemeinschaftssteuer senken, haben sich die Einnahmen insbesondere der Kommunen und der Länder in einer für sie ungemein positiven Weise entwickelt, als Folge einer erfolgreichen Wirtschafts- und Finanzpolitik. Wenn der finanzpolitische Sprecher einer Fraktion dies einfach nicht zur Kenntnis nimmt und nur seine unsinnigen Schlagworte aus früheren Debatten wiederholt, dann disqualifiziert er sich im Grunde als Finanzpolitiker. Ich will das hier einmal ganz offen und ohne Emotionen sagen. Es macht keinen Sinn, so miteinander zu diskutieren.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Struck?

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Bitte sehr, Herr Kollege.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Stoltenberg, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß solche Gesamtvergleiche der Einnahmesituation von Bund, Ländern und Gemeinden nicht der Tatsache gerecht werden können, daß wir insbesondere im Gemeindebereich doch erhebliche Strukturschwächen haben, und würden Sie mir nicht auch zustimmen, daß Ihre Behauptung, die Einnahmesituation der Länder sei im ganzen gesehen hervorragend, dadurch konterkariert wird, daß wir mit der Zustimmung der Sozialdemokraten im Haushaltsplan 1989 eine Strukturhilfe für die Länder vorsehen, die ja nun gerade die Einnahmesituation zur Verminderung der Strukturschwächen verbessern soll?

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Ich will zum ersten sagen, daß es innerhalb der kommunalen Familie natürlich erhebliche Unterschiede gibt. Dies ist ein Tatbestand, der von aktuellen konjunkturellen Entwicklungen unabhängig ist. Aber im Aufbau unserer Verfassungsordnung und ihrer Zuständigkeiten ist es die Aufgabe der Landesgesetzgeber, diese Ausgleichsfunktion vor allem durch die Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleichs in den Ländern wahrzunehmen. Ich sehe aber mit Interesse und auch mit Befriedigung, daß von der starken und positiven Entwicklung dieses Jahres auch die Einnahmen solcher Kommunen positiv mitbeeinflußt werden, die strukturelle Probleme haben. Zum zweiten. Die Tatsache, daß eine ganze Reihe von Bundesländern aus zum Teil über Jahrzehnte angelegten Entwicklungen - man muß hier auch sagen: in manchen Fällen Fehlentwicklungen - erhebliche finanzielle Probleme haben, ändert nichts daran, daß sich in der Ländergesamtheit insgesamt in diesem Jahr eine über Erwarten positive Entwicklung der Einnahmen ergibt. Dies sind zwei Sachverhalte, die nebeneinandergestellt richtig und auch für die weitere Zukunft von Bedeutung sind. Meine Damen und Herren, wir haben die Neuverschuldung des Bundes von 1982 bis 1986 massiv zurückgeführt. Aus Gründen, die wir heute morgen diskutiert haben, wird sie in diesem Jahr auf eine Größenordnung steigen, die wir langfristig nicht für vertretbar halten. Die Weichen für eine erneute Rückführung sind gestellt. Aber zu diesem Konzept gehört natürlich auch, daß wir jetzt die notwendige Erweiterung der Einnahmenbasis vornehmen, die wir brauchen, weil wir damit nur einen Teil der gewaltigen Senkungen der Steuern auf Arbeit und unternehmerische Tätigkeit kompensieren. Wir haben das immer gesagt: vor der letzten Bundestagswahl, in den Koalitionsvereinbarungen und in den Beschlüssen zum Bundeshaushalt 1989. Wir können jetzt erwarten, daß die Neuverschuldung im nächsten Jahr bei etwa 30 Milliarden liegt. Ich habe hier in der Haushaltsdebatte unterstrichen, daß wir zu einer wirklichen Stabilisierung unserer Finanzierungsquote - vor allem des Anteils der Zinsausgaben an den Ausgaben des Bundes - kommen, wenn wir eine Größenordnung von etwa 20 bis 25 Milliarden DM erreichen. Wir sind also auch bei einer vorsichtig optimistischen Betrachtung des nächsten Jahres immer noch etwas von dem Zustand entfernt, den es in der Bundesrepublik Deutschland seit 1969 nicht gegeben hat, nämlich daß die Zinsausgaben nicht schneller steigen als die Gesamtausgaben des Staates. Das unterstreicht auch, daß in einer längerfristigen finanzpolitischen Strategie diese Maßnahme notwendig ist. Meine Damen und Herren, über die Erosion der Einnahmen des Bundes zugunsten der Länder und der Kommunen und jetzt der EG habe ich hier mehrfach gesprochen. Ich brauche die Zahlen nicht zu wiederholen. Gegenüber den 60er Jahren hat sich der Anteil des Bundes am Gesamtsteueraufkommen mittlerweile um fast 10 % - das heißt um rund 40 bis 45 Milliarden DM jährlich - verringert. Gegenüber dem Jahr 1982 sind es knapp 3 %, rund 15 Milliarden DM jährlich. Hier ist eine Korrektur erforderlich. Meine Damen und Herren, ich will auf den anderen Punkt noch einmal eingehen. Natürlich gibt es keine objektiv ermittelbare oder meßbare optimale Relation zwischen direkten und indirekten Steuern. Darin gebe ich Herrn Kollegen Wieczorek recht. Aber in Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung der Finanzwissenschaft und auch der finanzpolitischen Diskussion der anderen europäischen Länder kann man eines feststellen: Eine Situation, in der das Steueraufkommen immer stärker auf der Besteuerung von Arbeit und unternehmerischer Tätigkeit und vergleichsweise immer geringer auf Verbrauch beruht, ist nicht akzeptabel. ({0}) Eine solche Situation ist vor allem in einer Zeit gefährlich, in der wir zum einen eine nach wie vor zu hohe Arbeitslosigkeit haben und in der wir uns zum anderen für die verstärkten weltwirtschaftlichen Bedingungen eines härteren Wettbewerbs rüsten müssen. Das sind zwei Kernpunkte, wenn wir Finanzpolitik in Verbindung mit anderen strategischen Zielen oder Herausforderungen der kommenden 10 bis 20 Jahre diskutieren. Insofern ist es in sich logisch, daß einer so massiven Senkung der direkten Steuern jetzt in einem kleineren Element eine begrenzte Anhebung indirekter Steuern folgt. Ich könnte hier seitenlang aus Aussagen sozialdemokratischer Finanzpolitiker zu dieser Frage bis zum Jahr 1983 zitieren. Meine Damen und Herren, dies dient auch der volkswirtschaftlichen Kapitalbildung. Es dient im Grunde auch einer stärkeren Parallelität der deutschen Steuerpolitik mit der internationalen Entwicklung. Meine Vorredner haben schon auf das Thema der Steuerharmonisierung in der Europäischen Gemeinschaft hingewiesen. Wir haben Mitte September auf Einladung der griechischen Präsidentschaft ein Wochenende verbracht, um insbesondere Fortschritte bei diesem wichtigen Ziel zur Herstellung des Binnenmarktes zu diskutieren. Da sind noch sehr schwierige Probleme zu lösen. Es wird auch notwendig sein, daß die Kommission in einer Reihe von Punkten ihre Vorschläge modifiziert und verändert. Aber wir bleiben als Bundesregierung bei der Überzeugung, daß ohne eine weitgehende Annäherung der indirekten Besteuerung der Binnenmarkt nicht vollständig und nicht insgesamt verwirklicht werden kann. Nun müssen wir uns die Ausgangszahlen ansehen: Während bei uns die besonderen Verbrauchsteuern einen Anteil von 15,5 To beim Gesamtsteueraufkommen aufweisen, sind es in Großbritannien 19 %, in Portugal und Griechenland 40 %. ({1}) - Darüber zu reden, warum das so ist, übersteigt jetzt ein bißchen meine Redezeit. Ich will das gerne bei anderer Gelegenheit einmal nachholen. - Ich will nur Sachverhalte, Aufgabenstellungen und Problemlösungen hier darstellen. Natürlich müssen die Länder mit dem höchsten Anteil mit ihrem Anteil heruntergehen, wenn wir eine Annäherung der Steuersysteme haben wollen. Aber auch wir werden ein Stück Bewegung brauchen. Wir liegen mit dem, was wir jetzt machen, weit unter den von der Kommission vorgeschlagenen Werten. ({2})) - Wenn es mir der Präsident bei meiner Redezeit freundlicherweise zugute hält, dann will ich gerne eine Frage beantworten.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Diese Freundlichkeit hat der Präsident. Damit hat der Abgeordnete Sellin die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen.

Peter Sellin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002159, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Stoltenberg, ist es nicht so, daß der hohe Steuersatz bei der Mehrwertsteuer und bei anderen indirekten Steuern bei den Ländern, die Sie eben aufgezählt haben - z. B. bei Italien -, seine Ursache darin hat, daß die Steuereintreibung in Italien bei direkten Steuern ein schwieriges Unterfangen ist? ({0})

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Herr Kollege, ich wollte diese Diskussion jetzt nicht so weit führen, daß ich die Zahlen und die besonderen Probleme jedes einzelnen der Partnerländer darstelle. Das wäre einer besonderen Debatte wert. Ich habe nur - übrigens ohne Italien zu erwähnen - einige wenige Staaten genannt, in denen sich in einem signifikanten Umfang - wie in Großbritannien - oder in einem dramatischen Umfang die Sätze von den deutschen Sätzen unterscheiden. Ich habe dies getan, um darauf aufmerksam zu machen, daß wir mit den jetzigen Vorlagen in den entscheidenden, in den wesentlichen Teilen - nicht in allen Punkten - einen Beitrag auch dazu leisten, unser System stärker auf dieses Erfordernis einer Annäherung in Europa einzustellen. ({0})) - Sehr gut, vielen Dank. Das alles hat lange Traditionen, wenn man das in Deutschland und woanders verfolgt. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige wenige Bemerkungen zum Schluß machen, auch zu dem, was hier noch an kritischen Fragestellungen aufgeworfen worden ist. Wir glauben, daß wir mit den vorgeschlagenen Maßnahmen vor allem auch im Energiesektor sehr wohl eine ausgewogene Lösung zwischen den verschiedenen Energieträgern fördern und gewährleisten - leichtes Heizöl, Mineralöl und dann eben auch das Thema Erdgas, das hier noch einmal kritisch angesprochen wurde. Meine Damen und Herren, ich beziehe mich auf die Ausführungen von Herrn Kollegen Rind. Die Auseinandersetzungen um das Thema der Besteuerung des Erdgases, vor allem die massive und irreführende Kampagne der Gaswirtschaft hat den Blick schärfer als zuvor auf Fragen der Preisgestaltung und der internationalen Vertragsregelungen gerichtet. Dies scheint mir im Grunde auch heilsam zu sein - ich brauche nicht das zu wiederholen, was Herr Kollege Rind gesagt hat. Nach unserem marktwirtschaftlichen Verständnis kann kein Wirtschaftszweig als gesicherten Besitzstand ein derartiges Maß an unverhältnismäßigen Erträgen und Gewinnen auf Dauer für sich beanspruchen. ({1}) Wer bisher auf Kosten seiner Kunden eine Privilegierung in der staatlichen Politik, auch im steuerlichen System, zu einer derartigen Geschäftspraxis benutzt hat, sollte wesentlich zurückhaltender in der kritischen Kommentierung von Gesetzgebungsplänen der Bundesregierung und des Bundestages sein, als das einige Vertreter aus diesem Bereich waren. ({2}) Im Ergebnis steigen namlich die Kosten für diesen Energieträger nur sehr maßvoll, nach unseren Berechnungen um etwa 0,3 Pfennig je Kilowattstunde, an. Im Gegensatz zu Behauptungen, die wir auch heute morgen gehört haben, verschlechtert sich die Wettbewerbssituation des Erdgases nicht im Verhältnis zu seinem wichtigsten Konkurrenten, dem leichten Heizöl. Wir haben darauf in der Feinabstimmung unserer Vorschläge geachtet, und insofern bleibt für die Verbraucher Erdgas weiterhin eine kostengünstige und umweltschonende Energiealternative, was wir begrüßen. Unsinnig ist es auch, wenn von der betroffenen Wirtschaft behauptet wird, wir verhielten uns hier gegen EG-Recht. Alle Verhandlungen in der EG haben zu keinerlei Fixierung in diesem Bereich geführt. Es gibt zwei Länder, Frankreich und Italien, die, wenn auch mit zahlreichen Ausnahmen, eine Erdgassteuer haben, und es ist interessant, daß gerade in Italien jetzt eine weitere Anhebung der Erdgassteuer in der Gesetzgebung ist. Die umweltpolitischen Argumente muß man sehr ernst nehmen. Wir wollen Erdgas in seiner Attraktivität im Verhältnis zu anderen Energieträgern erhalten, weil es ohne Zweifel - darin stimmen wir überein - von den fossilen Brennelementen eine vergleichsweise umweltfreundlichere Energie ist. Nur: Das größte Produzenten- und Verbraucherland von Erdgas in der Europäischen Gemeinschaft, die Niederlande, erhebt auch auf Erdgas eine Umweltabgabe, was zeigt, daß die Schwarzweißmalerei in diesem Zusammenhang ebenfalls unangebracht wäre. Meine Damen und Herren, sicher werden die Vorschläge der Bundesregierung in den Ausschüssen noch einmal fachkundig zu untersuchen und zu diskutieren sein. Ich sage gleich, daß nach bestimmten Darstellungen, die wir von der Zigarettenindustrie gehört haben, z. B. der Vorschlag des Bundesrates für die Gewichtung der Elemente auch aus der Sicht der Bundesregierung durchaus erwägenswert sein kann. Auch der eine oder andere Punkt aus dieser Debatte wird zu untersuchen sein. Aber insgesamt bin ich den Koalitionsfraktionen dafür dankbar, daß sie das Konzept unterstützen, nicht weil es uns besondere Freude macht, einzelne Steuern anzuheben - ich teile hier die Empfindungen - , sondern weil dies ein wichtiges Element einer längerfristigen Strategie für die Neugewichtung unseres Steuersystems ist. Wir können es auch machen, weil es in eine Zeit fällt, in der - nicht zuletzt auch durch die Aufwertung der Deutschen Mark - die Energiepreise für die Verbraucher verstärkt rückläufig sind. ({3}) Ich glaube deshalb, daß unzumutbare soziale Härten aus diesen Maßnahmen nicht entstehen. Stabilitätspolitik weiterhin zu fördern, Frau Kollegin, wozu Sie bisher außer Zwischenrufen keinen Beitrag geleistet haben, bleibt eine unserer wichtigsten Aufgaben. Schönen Dank. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Poß.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verstehe ja, Herr Stoltenberg, daß Sie angesichts der Situation, in der Sie sich in den letzten Monaten befunden haben, jede Gelegenheit benutzen, sich hier schönzurechnen. Trotzdem muß ich noch einmal auf einige Fakten hinweisen. Sie haben vorhin die Steuerquote angesprochen. Ich komme mal auf die konkrete Steuerbelastung des Durchschnittverdieners zu sprechen. Das ist für die meisten Menschen interessant. Wenn Sie da die Zahlen von 1982, 1990, 1992 vergleichen, stellen Sie fest: 1990 liegt sie sowohl bei Ledigen als auch bei Verheirateten noch höher als 1982, und sie wird 1991, 1992 weiter steigen. Herr Stoltenberg, das sollten Sie hier nicht so semantisch verkleistern, wie Sie das versuchen. Das zweite. Sie sind so stolz auf den Umfang Ihrer Steuersenkungspolitik. Ihre Nettosteuersenkung für die Jahre 1983 bis 1990 beträgt 35,8 Milliarden DM. ({0}) - Sie können das von mir schriftlich haben. ({1}) Die Nettosteuersenkung der letzten acht Jahre der sozialliberalen Koalition beträgt 46 Milliarden DM. Herr Häfele, wenn Sie Ihren Kollegen, die hier vorne sitzen, schon Nachhilfeunterricht geben, dann statten Sie diese doch nicht mit so falschen Zahlen wie den Kollegen Schulhoff aus, der im Moment nicht da ist). ({2}) Er hat davon gesprochen, daß sich 1983 80 % der Steuerpflichtigen in der Progression befunden hätten. ({3}) Was ergibt der Steuerbelastungsbericht 1986, den ich auf meinem Platz habe? Daraus ergibt sich, daß es 1983 58 % der Steuerzahler oder 49 % der Steuerpflichtigen waren. ({4}) Ich bitte also künftig, Herr Rind, wenn Sie mit Begriffen wie „solide" kommen, auch wirklich solide zu argumentieren und sich nicht die Zahlen so zurechtzufummeln, wie sie in Ihre Argumentation passen. Was die Solidität angeht, komme ich jetzt auf ein Beispiel, das für sich spricht. Das berühmte Flugbenzin ist das Beispiel Ihrer Steuerpolitik, meine Damen und Herren, das den Menschen die Augen darüber geöffnet hat, ({5}) wie ungerecht diese Steuerpolitik unter dieser Bundesregierung und dieser Koalition geworden ist. Erinnern wir uns an den Juni dieses Jahres, wie die Koalition das auf Biegen und Brechen - ich habe noch den Bundeskanzler vor Augen, wie er sich die einzelnen hier vorgenommen hat - durchgepeitscht hat, um 7 000 Privat- und Hobbyfliegern eine neue Subvention von 3 500 DM jährlich zu gewähren, und das in einem Steuerpaket, das sowieso einseitig die Bezieher höherer Einkommen begünstigt. Bereits zu diesem Zeitpunkt, meine Damen und Herren, stand fest, daß 26 Millionen Autofahrer ab 1989 durch eine drastische Mineralölsteuererhöhung mit durchschnittlich 200 DM im Jahr zusätzlich belastet werden. ({6}) Das heißt: Steuerbefreiung für wenige da oben in den Lüften und Steuerbelastung für die vielen da unten. Noch anschaulicher hätte die Umverteilungspolitik dieser Koalition wirklich nicht dargeboten werden können. ({7}) Lassen Sie mich ein wenig auf die Geschichte dieses Skandals eingehen. ({8}) Im Jahre 1984 hatte Franz Josef Strauß seinen Freunden im „Fliegermagazin" versprochen, daß er die von der sozialliberalen Koalition eingeführte Besteuerung des Flugbenzins für Privat- und Hobbyflieger rückgängig machen werde. Er verstieg sich dabei zu der Behauptung, ({9}) daß diese Besteuerung die Sicherheit des Flugverkehrs beeinträchtige. Man höre. Was aber von großer politischer Bedeutung ist: Es gelang Herrn Strauß bereits 1985, den hier anwesenden Bundesfinanzminister davon zu überzeugen, daß die Steuerbefreiung für die Privat- und Sportfliegerei wieder eingeführt werden müsse. Laut „Handelsblatt" vom 3. Dezember 1985 sind mit diesem Vorgang zwei Dinge bewiesen worden: die Respektlosigkeit, mit der in dieser Regierung mit fremdem Geld umgegangen wird: Ministergunst ersetzt politische Ratio, der Klüngel ein ordnungsgemäßes Gesetzgebungsverfahren; ein bayerischer Sportflieger und ein friesischer Segler können das Ding schon schaukeln. ({10}) Das zweite ist die Instinktlosigkeit oder aber, was noch schlimmer wäre, die Kaltblütigkeit, mit der die Reaktionen der öffentlichen Meinung auf solche Vorgänge nicht gesehen oder ignoriert werden. Die „Zeit" wies am 6. Dezember 1985 unter der Überschrift: Luftangriff auf Bonn, darauf hin, daß die bayerischen Amateurpiloten Herrn Strauß zum Ehrenmitglied ihres Verbandes gemacht hätten, Herr Sauter. Der Vizepräsident der Luftsportler habe die Auszeichnung für den Ministerpräsidenten so begründet: Was er für den Luftsport getan hat, bewegt sich schon an den Grenzen der Legalität. ({11}) Der Vizepräsident versprach denn auch: Dafür wählen wir ihn auch alle. ({12}) Im Jahre 1985 gelang es einem deutschen Showmaster, diesen Luftangriff auf Bonn abzuwehren. ({13}) Auf Grund seiner Fernsehshow weigerten sich schließlich die Koalitionsabgeordneten in letzter Minute, den Subventionscoup in das Steuerbereinigungsgesetz aufzunehmen. Im Jahre 1985 ahnte noch niemand, daß es nur wenige Jahre später zu einem erneuten Überraschungsangriff auf die Steuerkasse in Bonn kommen würde. Aber auch diesmal gehorchten sowohl der Bundesfinanzminister als auch der Bundeskanzler. Mit welchem Hohn und welch feixender Schadenfreude diese Entwicklung aus München begleitet worden ist, zeigt das Bonmot des Strauß-Intimus Edmund Stoiber, wonach sich Kohl mit seinem ganzen Prestige für die Steuerbefreiung der Privatpiloten engagiert habe, mit dem Argument, die jungen Leute müßten ans Fliegen herangeführt werden. ({14}) Trotz heftiger Protestaktionen in der Öffentlichkeit und trotz gegenteiliger Beschlüsse des CDU-Parteitags - dort waren Sie alle vertreten, meine Herren, die Sie hier vorne sitzen - hatten die Abgeordneten der Regierungskoalition die Mineralölsteuerbefreiung für Hobby- und Privatflieger in namentlicher Abstimmung beschlossen. Aber Sie haben bei der Steuerpolitik dieser Koalition schon mehr Kröten geschluckt. Sie haben, allen voran Herr Blüm, viele Faustschläge in das Gesicht der Malocher lächelnd hingenommen. ({15}) Wenn nunmehr der Freistaat Bayern wenige Wochen nach dieser Beschlußfassung einen Antrag im Bundesrat einbrachte, diese Beschlüsse wieder zu annulieren, so kann man das nur als einen Treppenwitz in der deutschen Finanzgeschichte bezeichnen. Der Antrag aus Bayern stellt allerdings nicht den alten Rechtszustand wieder her, sondern wirft zahlreiche Probleme auf, weshalb er von der SPD abgelehnt werden wird. Nach den bayerischen Vorstellungen würde z. B. ein Zahnarzt, der sich mit einem Lufttaxi nach Sylt befördern läßt, auch weiterhin unbelastet von Mineralölsteuer bleiben. ({16}) Die Bayern wollen nämlich den gewerblichen Gelegenheitsverkehr unbedingt von der Steuer freistellen, Ein Vergleich mit dem vierrädrigen Taxi liegt auf der Hand. Die Mineralsteuerbelastung von Taxifahrten wird ab 1989 noch weiter ansteigen, gemäß Ihren Beschlüssen, auch wenn es sich hierbei z. B. um Notfahrten ins Krankenhaus handelt. Der Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion sieht die Rückkehr zu der Rechtslage vor, die vor dem Inkrafttreten des Steuerreformpakets bestanden hat. Die jahrelange Anwendung dieser Rechtslage hat bewiesen, daß sie leicht und einwandfrei zu handhaben ist und hierbei Abgrenzungsprobleme nicht entstehen. Bei jeder anderen Gestaltung muß hingegen befürchtet werden, daß die Steuerbefreiung für die Privat- und Hobbyflieger durch die Hintertür beibehalten werden soll. ({17}) Lassen Sie mich die Gründe, die für die Aufhebung der Mineralölsteuerbefreiung sprechen, wie folgt zusammenfassen. Erstens. Eine Steuerbefreiung von Luftfahrtbetriebsstoffen für Privat- und Hobbyflieger ist ein massiver Verstoß gegen die Steuergerechtigkeit: ({18}) 3 500 DM Entlastung für den Betuchten bei 200 DM Mehrbelastung im Jahr für den Autofahrer. Zweitens. Die Steuerbefreiung für Privat- und Hobbyflieger ist auch umweltpolitisch nicht zu vertreten. Der Privat-, Sport- und Kleinflugbetrieb wirkt sich neben dem Linien- und Charterflugverkehr immer mehr als eine zusätzliche Umweltbelastung aus: durch Lärm, Schadstoffemission sowie die Inanspruchnahme von Flächen für weitere Landebahnen. Insbesondere an Wochenenden und Feiertagen sorgt eine steigende Zahl von Privat- und Sportflugzeugen für massive Störungen gerade zu Zeiten, in denen die Bevölkerung Ruhe und Entspannung sucht. ({19}) Weil die Kleinflugzeuge niedriger fliegen als die großen Passagiermaschinen und auch nicht auf die festgelegten Flugrouten des Luftverkehrs angewiesen sind, vervielfacht sich der Störfaktor für Millionen von Betroffenen. Hervorzuheben ist unter umweltpolitischen Gesichtspunkten, daß Flugbenzin viermal soviel Blei enthält wie verbleites Superbenzin. Drittens. Die Steuerbefreiung ist auch verkehrspolitisch verfehlt. Es gibt bereits jetzt erhebliche Sicherheitsprobleme. Diese Situation wird sich weiter verschärfen, wenn die von Brüssel beschlossene Deregulierung des Luftverkehrs greift. Die Fachleute erwarten dann nämlich eine Verdoppelung des Luftverkehrs in den nächsten zwölf Jahren. Die Luftstraßen und Flughäfen geraten dann schnell an den Rand eines Kollaps. ({20}) - Wenn Sie meinen, daß Herr Strauß jetzt den Orden wider den tierischen Ernst bekommt, weil er mit ein paar Tropfen Flugbenzin das Volk zum Fliegen, zum Tanzen bringen kann, dann zeigt das nur, wie auch karnevalistischer Humor pervertiert werden kann - in Aachen ja nicht zum erstenmal. ({21}) - Das hat mit humorlos überhaupt nichts zu tun. Sie können doch das, was Sie sich in den letzten Wochen und Monaten haben zumuten lassen müssen, jetzt nicht plötzlich unter der Rubrik „Orden wider den tierischen Ernst" abbuchen. Das meinen Sie doch wohl nicht ernst. Das ist doch lächerlich. ({22}) Viertens. Die Steuerbefreiung für Hobbyflieger steht in krassem Widerspruch zur Steuerharmonisierung in der EG. Wie die Bundesregierung auf Anfrage selbst mitgeteilt hat, beabsichtigt die EG-Kommission, den privaten Luftverkehr voll zu besteuern. Das ist doch ein Sachargument. Das können Sie übrigens auch auf Unterbezirksparteitagen bringen. Jedenfalls bringe ich auf Unterbezirksparteitagen immer Sachargumente. ({23}) Ich weiß nicht, ob Sie das auch machen. Die EG schlägt einen einheitlichen Steuersatz von rund 70 Pfennig wie bei normalem Benzin vor. In der EG ist bisher nur in Dänemark das Flugbenzin für Privatflieger steuerbefreit. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß sich die Bundesregierung mit der Steuerbefreiung für Hobbyflieger in Widerspruch zu ihren eigenen Festlegungen gesetzt hat. Herr Dr. Stoltenberg, noch im Elften Subventionsbericht vom 25. November 1987 haben Sie den Abbau bestehender Steuerbefreiungen für den Flugverkehr, weil nicht mehr gerechtfertigt, angekündigt. Was hat sich denn inzwischen geändert? ({24}) - Sie werden sicherlich die Antwort darauf geben, was sich inzwischen geändert hat. Fünftens. Die beschlossene Steuerbefreiung des Flugbenzins für die Privatflieger würde zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand und zu zusätzlicher Bürokratie führen. Muß nicht auch in Zukunft auf den 550 kleinen Flugplätzen, auf denen jetzt kein steuerbefreites Flugbenzin abgegeben wird, ein neuer Überwachungsapparat aufgebaut werden, um die unbefugte Verwendung des kostengünstigen Flugbenzins für private Zwecke zu unterbinden? Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetzentwurf hat Ihnen die SPD-Fraktion ein erstes Gesetz zur Reparatur der sogenannten Steuerreform vorgelegt. Repariert werden soll hier etwas, was Ihnen persönlich in den letzten Wochen und Monaten an Ihrer Basis besonders viel Schmerzen bereitet hat. Die SPD bietet Ihnen hiermit eine Chance zur Umkehr, eine Möglichkeit, sich wenigstens in diesem Punkt der Steuerreform reinzuwaschen - wenn Sie dies für erforderlich halten, in namentlicher Abstimmung. ({25})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vondran.

Dr. Ruprecht Vondran (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002394, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Poß, das was Sie hier eben abgeliefert haben, war kein Zeugnis für sehr viel Sachverstand. Ich will das begründen. Wir reden heute über eine Größenordnung von ungefähr 10 Milliarden DM. In diesem Zusammenhang haben wir eben eine Rede gehört, die sich in ihrer ganzen Länge auf einen Tatbestand von vielleicht 20 Millionen DM erstreckte. Darin kam kein Gefühl für Gewichte zum Ausdruck. ({0}) Mir geht es darum, daß wir die Sprache wieder auf das zurückbringen, was heute hier wirklich ansteht. ({1}) Darum geht es jetzt. ({2}) Ich werde mich nicht auf den von Ihnen vorgezeichneten Weg zerren lasen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Ruprecht Vondran (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002394, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte jetzt keine Zwischenfrage gestatten.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Grundsätzlich nicht?

Dr. Ruprecht Vondran (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002394, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte keine Zwischenfragen zulassen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, Sie haben das zu respektieren. ({0})

Dr. Ruprecht Vondran (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002394, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe mir in dieser Frage nichts vorzuwerfen, wenn Sie so wollen. Das ist meine Antwort, und das ist, glaube ich, eine hinreichend klare Antwort, Herr Kollege Poß. ({0}) Meine Damen und Herren, in ihrer Klarsichtigkeit haben ja einige Abgeordnete der Opposition hervorgehoben, daß wir uns über eine Steueranhebung miteinander auseinandersetzen. Das ist für eine CDU/ CSU-Fraktion eigentlich ein etwas ungewohntes Thema. Ich will es anders sagen: Wir haben da sehr viel weniger Erfahrungen, als Sie sie haben. Um es mit dem alten Finanzminister der Franzosen, Colbert, zu sagen: Sie haben sehr viel mehr Erfahrungen, wie man der Gans bei möglichst wenig Gezische möglichst viele Federn rupft. ({1}) Deshalb tun wir uns manchmal in dieser Abteilung etwas schwerer als Sie. Ich meine, es ist wichtig - auf diesen Punkt würde ich die Debatte gerne noch einmal zurückführen -, wozu der Staat das Geld braucht, über das wir heute hier sprechen. ({2}) Der Finanzminister hat nicht über unsere Verhältnisse gewirtschaftet. Er hat heute erneut, wie ich finde, überzeugend dargetan, daß die Regierungsfraktionen den Daumen auf der Kasse halten und daß wir weiter einen Konsolidierungskurs fahren. Aber uns gemeinsam - auch Ihnen - sind einige Probleme durch das Dach gefallen. Daran darf ich dann doch noch einmal erinnern. Europa ist eine sehr teure Veranstaltung geworden. Das kann man sicherlich beklagen. Aber entscheidend ist doch wohl, daß es dem deutschen Bundeskanzler gelungen ist, das auf der Sandbank ungelöster Finanzprobleme festgefahrene europäische Schiff wieder flottzumachen. ({3}) Der deutsche Beitrag zu diesem Manöver ist mit über 4 Milliarden DM nicht niedrig. Aber seither heißt es überall, gerade auch in der deutschen Wirtschaft: 1992 läßt grüßen! Mehr als 50 % unseres Exports geht in die Europäische Gemeinschaft. Wir haben im letzten Jahr für rund 300 Milliarden DM Waren und Dienstleistungen in die EG exportiert. Das soll noch mehr werden. Mein Votum hier: Die Schubkosten werden sich lohnen. Wir alle wissen, daß uns zur gleichen Zeit aus der Lebkuchenstadt Nürnberg eine schlechte Nachricht erreicht hat. Es führt kein Weg daran vorbei: Die Bundesanstalt muß künftig mehr haushalten. Gute Zwecke heiligen auch hier nicht die Mittel. Die Gelder müssen von der Wirtschaft verdient werden, ehe sie ausgegeben werden können. Im nächsten Jahr bleibt in Nürnberg - selbst bei sparsamer Haushaltsführung - erst einmal ein unerwartetes Loch von knapp 3,5 Milliarden DM, das zu füllen ist. Der bereits austarierte Haushalt hat noch einen dritten Stoß erhalten. Die Länderkammer hat mit einer großen Koalition der norddeutschen Bundesländer auf eine Verteilung der Sozialhilfelastgen gedrängt. Ich mache gar keinen Hehl daraus: Der daraus erwachsene Strukturfonds findet nicht gerade meine große Begeisterung. Es ist nicht gut, die Entscheidung über die Ausgaben von der Verantwortung für die Anschaffung der Mittel abzukoppeln. Mit fremdem Geld geht mancher weniger sorgsam um als mit seinen eigenen Mitteln. ({4}) Aber es gibt nun einmal einen Mehrheitswillen im Bundesrat, der zu respektieren ist, und das kostet den Finanzminister 2,5 Milliarden DM. Es wäre aber ein Fehler, die Sache nur von diesem Punkt her zu sehen. Das gäbe einen zu engen Blickwinkel. Ich gehöre zu denen, die nicht empfehlen, auf neue Ausgaben gleich mit neuen Steuern zu reagieren. Sparsamkeit steht an erster Stelle, wenn es um den Ausgleich von öffentlichen Haushalten geht. Schmalhans Küchenmeister ist ordnungspolitisch kein schlechter Koch. Deshalb muß noch etwas hinzukommen wenn mir schmecken soll, was mit diesem Steuergesetz auf den Tisch kommt. ({5}) Ich sage Ihnen, was hinzukommt. Ich finde das, was mir schmeckt, in dem Gedanken, daß der Steuertopf durch mehr indirekte und weniger direkte Steuern gefüllt werden soll. Wir belegen Arbeit heute bis zum Übermaß mit Steuern und Abgaben. Einem Facharbeiter - es ist gut, das ab und zu in Erinnerung zu rufen - verbleiben heute von jeder zusätzlich verdienten Mark nur noch 45 Pfennig. ({6}) Anders ausgedrückt: Der Arbeitgeber muß 3,60 DM aufwenden und in seine Kosten einstellen, wenn bei dem Arbeitnehmer eine Mark ankommen soll. Das lähmt sowohl den Leistungswillen des Arbeiters als auch die Innovationskraft und die Investitionskraft des Unternehmens. Mit der kleinen Kapitalertragsteuer sind wir den Weg gegangen, auch das Einkommen aus dem Kapital stärker zur Finanzierung der öffentlichen Haushalte heranzuziehen. Volkswirtschaftlich vernünftiger ist es sicher, künftig auch den Verbrauch höher zu belasten, aber, meine Damen und Herren, natürlich nur, wenn der so gewonnene Freiraum tatsächlich genutzt wird, um die Lohn- und Einkommensteuer und andere direkte Steuern zu senken. Aber genau damit sind wir als Christliche Demokraten nicht in Beweisnot. Mit einer solchen Politik hat es Europa natürlich auch leichter, zusammenzuwachsen. Unsere Verbrauchsteuern - darauf ist bereits hingewiesen worden, aber ich möchte die Dimensionen noch einmal nennen - sind vergleichsweise niedrig. Benzin wird bei uns mit 53 Pfennig je Liter besteuert; im Vereinigten Königreich sind es 65 Pfennig, in Frankreich 86 Pfennig, in Italien sogar 1,15 DM. Ich wiederhole: In Deutschland sind es 53 Pfennig. ({7}) Wer in diesem Wirrwarr einen Schritt hin zur Harmonisierung tut - und das tun wir mit diesem Gesetz -, dient der Sache Europas. Dennoch gibt es auch Probleme, die mit diesem Entwurf verbunden sind. Ich möchte sie in den letzten zwei Minuten meiner Redezeit noch kurz ansprechen. Das Gesetz trifft nicht nur den Endverbraucher, sondern es belastet auch den Produzenten, der Heizöl oder Erdgas für Unternehmenszwecke einsetzt. Der Hersteller von Spanplatten und der Papierfabrikant sind davon ebenso betroffen wie der Gießerei- und der Schmelzbetrieb. Ich füge in Klammern hinzu: Die Stahlindustrie rangiert dabei nicht an erster Stelle. Die Mehrbelastung tut den betroffenen Unternehmen weh, weil wir ja gerade nicht mit Standortvorteilen gesegnet sind. Wir haben eine ganze Reihe von staatlich verordneten Lasten. Ich erinnere an die soziale Sicherheit, ich erinnere an die Lasten, die sich aus dem Umweltschutz ergeben, ich erinnere an die Verkehrstarife, aber auch an die Lasten aus der Energieversorgung. In all diesen Fragen haben es die deutschen Unternehmen schwerer als die Konkurrenz jenseits deutscher Grenzen. Ich darf beispielsweise daran erinnern, daß die deutsche Industrie, allein was das Thema Strom angeht, im Vergleich mit französischen Verbrauchern mit Mehrkosten von ungefähr 9 Milliarden DM jährlich belastet ist und daß die Unternehmenssteuern bei uns höher als in unseren Nachbarländern sind. Das letzte sind natürlich Wucherungen, die sich aus der Zeit der SPD bis heute erhalten haben. Gefährlich ist das alles in der Summierung. Sichtbar werden solche Verwerfungen weniger in der Hochkonjunktur als vor allem in der Baisse. Wir reden alle - oder jedenfalls doch wohl fast alle - davon, daß wir die Unternehmen steuerlich entlasten müssen. Mit einer Verbrauchsteuererhöhung, die teilweise auch eine Steuer auf die Produktion ist, tun wir zunächst das Gegenteil. Das muß ich einräumen. Wir legen leider noch eine Schippe drauf. ({8}) Das ist nicht gut. Das ist nur zu verantworten, wenn wir uns vornehmen, diesen Weg nicht weiterzugehen. Die Unternehmen tragen als Steuerzahler, aber auch über den sogenannten Kohlepfennig daran, daß auch weiterhin deutsche Kohle gefördert werden kann. Wenn wir ihnen zum Ausgleich - und Sie spüren den Unterton - nun auch noch die importierten Energien deutlich verteuern würden, so würden wir damit auch der deutschen Kohle keinen Dienst leisten. Dann ist der ohnehin brüchig gewordene Konsens, der sich um die Kohle gebildet hat, wirklich in Gefahr. Ich bin gegen Übertreibungen: Die Belastungen für die industriellen Verbraucher, die mit diesem Gesetz verbunden sind, dürften noch zu verkraften sein. Aber es darf in dieser Richtung nicht weitergehen! Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen. In der Summe ist das heute eingebrachte Verbrauchsteueränderungsgesetz keine Abkehr von einer auf Sparsamkeit gerichteten Haushaltspolitik. Es ist ein Baustein zur Schaffung eines leistungsfreundlicheren Steuersystems. Es ist zugleich ein Beitrag zur Steuerharmonisierung innerhalb der EG und dient damit der europäischen Sache. Wir dürfen allerdings die Auswirkungen auf die Qualität unserer Produktionsstandorte nicht aus den Augen verlieren. In diesem Verständnis sollten wir an die Beratungen der wichtigen Details gehen. Ich bedanke mich, Herr Präsident. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Sellin.

Peter Sellin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002159, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Auseinandersetzung mit dem Bundesfinanzminister fällt schwer. Er hat auch den Raum verlassen, so daß wir dieselbe Situation wie vorhin haben. ({0}) Die Mineralölsteuererhöhung wäre aus der Perspektive der GRÜNEN dann richtig, wenn sie mit dem Ziel einer ökologisch orientierten Wirtschaftspolitik verbunden wäre. Eine ökologisch begründete Steuerreform verlangt jedoch, daß Energiepolitik und Steuerpolitik aufeinander bezogen werden. Der Ölpreisverfall hat dazu geführt, daß das Energiesparen praktisch aus dem Alltagsbewußtsein verschwunden ist. Die Endlichkeit der fossilen Energieträger wird verdrängt. Die Markteinführung von dezentralen Systemen regenerativer Energieanlagen - auch neben fossilen Heizsystemen - gelingt betriebswirtschaftlich so lange nicht, wie die Weltenergiepreise keinen Investitionsanreiz für Energiesparinvestitionen signalisieren und auslösen. Ihre Mineralölsteuererhöhung bewirkt nicht das gewünschte Preissignal für energiesparsames Investieren, und sie ermöglicht nicht die zweckgebundene Ausgabe der erhöhten Mineralölsteuereinnahmen für die Markteinführung z. B. von solaren Energieanlagen. Erhöhte Primärenergiepreise sind gesellschaftspolitisch dann sinnvoll, wenn das Energiesparen mittel- und langfristig Kostenersparnisse für jeden privaten Haushalt und die Volkswirtschaft bringt. Der Importbedarf an Mineralöl sinkt und die Exportnotwendigkeit zur Finanzierung von Rohstoffimporten läßt sich vermindern, wenn Energiesparen allgemeine Wirtschaftsphilosophie wird. Die relativen Heizenergiepreise sind unseres Erachtens so zu gestalten, daß die Preishierarchie lautet: Die Nachtstromheizung muß der teuerste Energieträger sein. Dann folgt das Öl, dann folgt die Kohle. Und relativ preiswert in Relation zu den anderen fossilen Energieträgern soll das Erdgas sein, weil hier die Emissionswerte noch am verträglichsten sind. Solches Gedankengut verwenden wir GRÜNEN auch, wenn es um das Thema steuerfreies Flugbenzin geht. Wir sind der Auffassung, daß die Mineralölsteuerbefreiung für alle Inlandsflüge gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 4 des Mineralölsteuergesetzes wegen ihrer ökologischen Unvertretbarkeit aufzuheben ist. Verbleites Flugbenzin enthält bis zu 0,56 Gramm Blei je Liter gegenüber 0,15 Gramm Blei in verbleitem Superbenzin für Pkw. Flugbenzin und Kerosin sind kräftig an der Zerstörung der Ozonschicht beteiligt. Die Prognose der Entwicklung des weltweiten Flugzeugverkaufs der Airbus-Größenklassen geht laut Staatssekretär Riedl von 10 000 bis 12 000 Flugzeugen bis zum Jahr 2000 aus. All diese Düsenjets werden dazu beitragen, daß die Verpestung der Luft zunimmt und die Ozonschicht zerstört wird. Jede Mineralölsteuerbefreiung für den Flugverkehr bedeutet eine Benachteiligung anderer, umweltverträglicherer Transportmittel. Wir GRÜNEN sind der Auffassung, daß die Hierarchie der relativen Preise zwischen unterschiedlichen Verkehrsmitteln die ökologisch verträglichsten bevorzugen muß. Dies bedeutet, daß das Fliegen steuerlich besonders benachteiligt werden und das Benutzen der Eisenbahn und des öffentlichen Nahverkehrs bevorzugt werden muß. Die Bundesregierung verfährt genau entgegengesetzt, indem sie die Steuerbefreiung für Flugbenzin auf alle Luftfahrtunternehmen ausdehnt. Laut Bundesregierung gibt es bisher 177 Luftfahrtunternehmen und rund 7 500 private Luftfahrzeuge. Meine kleine Anfrage an die Bundesregierung erbrachte keine Auskunft darüber, wie leicht es einem Unternehmen gemacht wird, sein Geschäftsflugzeug in ein Luftfahrtunternehmen zu verwandeln, so daß auch in Zukunft es in den Genuß steuerfreien Flugbenzins kommen wird. Herr Strauß fliegt für MBB! Die Begründung des vorgelegten Gesetzentwurfs enthält folgende Öffnungsklausel, um sich das steuerfreie Flugbenzin beschaffen zu können - ich zitiere: Allerdings besteht hier die Möglichkeit, Luftverkehrsunternehmen im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 des Luftverkehrsgesetzes zu gründen und von diesen die entsprechenden Flüge durchführen zu lassen ... Um eine möglichst einfache Handhabung zu erreichen, knüpft der hier vorgeschlagene Befreiungstatbestand an die ohnehin nach dem Luftverkehrsgesetz vorgesehene Genehmigungspflicht an. Es ist daher nicht erforderlich, die Verwendung des Flugtreibstoffes im Einzelfall nachzuprüfen. Man höre und staune. - Diese Möglichkeit eröffnet jedem Unternehmen, ein Luftfahrtunternehmen mit einem Flugzeug und einem Piloten separat zu gründen, um in das Privileg der Steuerfreiheit für Flugbenzin zu gelangen. Geschäftsfliegerei wird als Exportförderung seitens der Bundesregierung begriffen. Die Ökonomie hat wieder einmal gegenüber der Ökologie dominiert. DIE GRÜNEN fordern die Besteuerung des gesamten Inlandsflugverkehrs ohne Ausnahme für Herrn Strauß und Compagnie. Der Betriebsunfall der Regierungskoalition im Rahmen der Steuerreform wird nicht rückgängig gemacht, sondern ausschließlich kaschiert. Herr Stoltenberg hatte dem Bundeskabinett auch die Alternative vorgelegt, den gesamten Inlandsflugverkehr zu besteuern, so, wie wir es fordern. Seine Durchsetzungskraft endete am Kabinettstisch. Kein Wunder. Die CSU widersprach. Das Desaster mit dem Thema Flugbenzin wird die Regierung Kohl nicht mehr los. Jeder Bürger hat erkannt, daß hier die Selbstbedienung praktiziert wird. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Struck.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vom Thema Flugbenzin zurück zu einem Thema, bei dem ich glaube, daß wir uns alle relativ einig sind, nämlich zu dem Gesetzentwurf über die künftige Finanzierung der EG über das System der Eigenmittel der Gemeinschaft. Die einheitliche Europäische Akte eröffnet neue Perspektiven für Europa. Der Binnenmarkt ist bis 31. Dezember 1992 zu vollenden. Und deshalb muß die Gemeinschaft über stabile und garantierte Einnahmen verfügen, um die ihr zugewachsenen gemeinsamen Aufgaben auch durchführen zu können. Erinnern wir uns jedoch: Ende 1987 reichten die Finanzmittel der Europäischen Gemeinschaft nicht mehr aus, die Ausgaben des laufenden Haushaltsjahres zu gewährleisten. Nur durch Zwischenfinanzierung seitens der Mitgliedstaaten über die nationalen Haushalte konnten die Haushaltslücken bei den Agrarausgaben von rund 10 Milliarden DM gedeckt und die Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschaft vermieden werden. Durch die Beschlüsse des Europäischen Rates von Brüssel vom 11. und 12. Februar 1988 gelang ein überfälliger erster Schritt zum notwendigen Integrationsprozeß und zum Ausbau der Europäischen Gemeinschaft. Ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft war dabei die Unterstützung der wirtschaftlich schwächeren Regionen durch die Verdoppelung der Mittel für die Strukturfonds bis 1983 und die Einigung über das sogenannte Delors-Paket, welches die Finanzen der EG auf eine neue Grundlage stellen sollte. Der Europäische Rat hat am 24. Juni den Text eines Beschlusses über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften angenommen, den wir heute in 1. Lesung beraten. Es ist mir eine Freude, Herr Minister Stoltenberg, daß wir bei allen Diskussionen um unterschiedliche Auffassungen in der Finanzpolitik gemeinsam feststellen können - ich tue das für die SPD-Fraktion - , daß wir diese Vorschläge für die neue Finanzverfassung der Europäischen Gemeinschaften bejahen, daß wir ihnen zustimmen und dieses Gesetz mittragen werden. Es wird darüber keine politische Kontroverse zwischen uns geben. Wir begrüßen die Verdoppelung der Strukturfonds unter gleichzeitiger Konzentration auf die weniger wohlhabenden Regionen, die hoffentlich den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt innerhalb der EG stärken wird. Erfreulich ist in diesem Zusammenhang auch, daß Regeln für die Haushaltsdisziplin aufgestellt und vereinbart werden konnten und dabei auch die Mitwirkung des Europäischen Parlaments abgesichert wurde. Allerdings muß man nach den Erfahrungen in der EG Zweifel daran haben, ob diese Haushaltsdisziplin auch eingehalten werden wird. Durch die Agrarleitlinie soll eine Ausgabenbegrenzung im Agrarbereich möglich werden. Das ist allerdings nicht der notwendige Einstieg in die Agrarreform, weil sie die Überschußproduktion auch weiterhin nicht ausreichend einschränkt und damit sowohl kurz- als auch mittelfristig nicht die vorgesehene Haushaltsdisziplin stützt. Wer die Kosten der europäischen Agrarpolitik unter Kontrolle haben will, muß sehr wachsam sein. Kaum hat der durch den Dollarkurs bedingte Anstieg der Weltmarktpreise die akute Finanznot der EG etwas gemildert, wittern einige Agrarpolitiker bereits wieder Morgenluft. Ich spreche hier von den seit 1984 eingeführten Milchquoten und dem neuesten Urteil des Europäischen Gerichtshofes dazu. Ich spreche auch über das von der EG der Bundesrepublik angekündigte Anlastungsrisiko von über 500 Millionen DM bei den Milchquoten, welches der Herr Finanzminister in der ersten Lesung des Haushaltsentwurfs, Herr Kollege Stoltenberg, nicht bestritten hat. Es ist zu befürchten, daß die weitere Entwicklung leider nicht dazu führt, den Agraranteil am EG-Haushalt zu verringern. Wir werden damit auch in Zukunft keine zusätzlichen finanziellen Mittel für andere Bereiche, die zur Vollendung des Binnenmarktes von Bedeutung sind, zur Verfügung haben. Obwohl wir die weitere Entwicklung, die Integration und den Ausbau der EG wollen, müssen wir doch darauf hinweisen, mit welchem Ressourcentransfer diese Entwicklung zu Lasten des nationalen Haushalts verbunden ist. Die erhöhten Abführungen an die Europäische Gemeinschaft auf Grund des vorliegenden Eigenmittelbeschlusses betragen in den Jahren 1988 bis 1992 gegenüber der geltenden Finanzplanung 33 Milliarden DM. Und es kommen zusätzlich 3 Milliarden an nationalen Ausgaben aus dem Bundeshaushalt hinzu, die Sie bis 1992 den deutschen Bauern für die Einkommensausfälle durch andere Maßnahmen bezahlen müssen. Das sind insgesamt 36 Milliarden DM, die der nationalen Volkswirtschaft für notwendige Zwecke nicht mehr zur Verfügung stehen. Bereits 1984 hat diese Bundesregierung zum Ausgleich der Einkommensverluste aus den EG-Beschlüssen die unglückselige, weil wirkungslose Vorsteuerpauschale eingeführt - wir erinnern uns, Herr Kollege Stoltenberg: im Zusammenhang mit einer Landtagswahl in Schleswig-Holstein - , die zusammen mit anderen zwischenzeitlich erfolgten steuerlichen Verbesserungen für die Land- und Forstwirtschaft bis zum Jahre 1987 insgesamt 10 Milliarden DM zusätzliche Haushaltsmittel gebunden hat. Diese ungeheuren finanziellen Mehrbelastungen machen erneut deutlich, wie wichtig eine wirklich durchgreifende Reform des Agrarmarktes ist, wobei wir nicht wollen, daß dies über eine sogenannte Renationalisierung geschieht. Deshalb muß man wirklich fragen, ob die mit diesen hohen finanziellen Lasten erkaufte Aussicht auf den 1992 zu verwirklichenden Binnenmarkt, von dem heute keiner die Vor- und Nachteile genau benennen und quantifizieren kann, nicht zu teuer erkauft wurde. Ich denke mir, meine Damen und Herren Kollegen, wir haben die Aufgabe, uns in diesem Haus in allernächster Zeit einmal gemeinsam die Zeit für eine ausführliche Debatte über die Auswirkungen des europäischen Binnenmarktes zu nehmen, weil ich den Eindruck habe, daß viele von uns nicht genau überblicken, was wirklich auf uns zukommen wird. ({0}) Wir wissen, daß die Integration der Europäischen Gemeinschaft, ihr Ausbau und das Ziel in einer Europäischen Union zusätzliche Aufwendungen notwendig machen. Wir sollten dabei aber auch betonen, daß diese Aufwendungen erst gerechtfertigt sind, wenn die erklärten Ziele auch von allen beteiligten Mitgliedstaaten mit dem notwendigen Nachdruck verfolgt und realisiert werden. Das kann man heute bestimmt nicht sagen. Denken wir dabei nur daran, daß der EG-Ministerrat dem Auftrag, fristgerechte Entscheidungen für die bis 1992 vorgesehene Vollendung des europäischen Binnenmarktes zu treffen, bisher nur sehr unzureichend nachgekommen ist. Die Kommission hat eine Reihe von Vorschlägen vorgelegt, die jedoch wegen Uneinigkeit im Ministerrat nicht verabschiedet werden konnten. Außerdem ist eine Reihe von Mitgliedstaaten der Verpflichtung zur Umsetzung getroffener Entscheidungen in nationales Recht bisher nur mangelhaft oder überhaupt nicht nachgekommen. Oder denken wir an den Bereich der Steuerharmonisierung. Hier haben sich keine Fortschritte ergeben, insbesondere deshalb, weil mehrere EG-Mitgliedstaaten erhebliche Einwände gegen die Kommissionsvorschläge erhoben haben. Erschwerend kommt dabei hinzu, daß die Bundesregierung bis heute über kein zwischen den Koalitionspartnern konsensfähiges Konzept verfügt. Wir fordern Sie daher auf, im Ministerrat mit Nachdruck darauf hinzuwirken, daß die für die Vollendung des Binnenmarktes erforderlichen Beschlüsse umgehend gefaßt werden, um das Ziel 1992 zu erreichen. Wir fordern Sie ferner dazu auf, baldmöglichst ein Konzept für eine Steuerharmonisierung zu entwickeln und dem Deutschen Bundestag vorzulegen. Dazu merken wir jedoch an, daß unsere Zustimmung zur Steuerharmonisierung, die Zustimmung des Deutschen Bundestages nämlich, kein Vorwand für eine Erhöhung der nationalen Mehrwertsteuer sein kann, mit der Lücken im Bundeshaushalt der kommenden Jahre abgedeckt werden sollen. ({1}) Außerdem bitten wir Sie dringend, bei den künftigen Beratungen im Europäischen Rat dafür Sorge zu tragen, daß der Anteil der EG-Agrarausgaben am EG-Haushalt nachhaltig vermindert wird und die Regeln der Haushaltsdisziplin im Agrarbereich voll angewendet werden. Wir sollten bei allen unterschiedlichen Auffassungen in der Finanzpolitik, Herr Kollege Stoltenberg, versuchen, das gemeinsame Ziel, nämlich europäischer Binnenmarkt 1992 - auch mit den Auswirkungen in der Steuer- und Finanzpolitik - , in einem Konsens zu erreichen, der die Unterschiede nicht verwischt, aber uns doch wenigstens einig erscheinen läßt in dem Ziel, daß wir den europäischen Binnenmarkt 1992 wollen. Vielen Dank. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten, Sauter. Staatssekretär Sauter ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist im Zuge der heutigen Debatte gelegentlich auch das Thema der Steuerbefreiung für Flugbenzin angesprochen worden. Lassen Sie mich darauf mit einigen Sätzen eingehen. Ihre Rede, verehrter Herr Abgeordneter Poß, ist leider ein Beweis dafür, daß an die Stelle sachlicher Argumentation in diesem Bereich Verwirrung und emotionale Entgleisung getreten sind. ({1}) Auch um dem ein Ende zu setzen, wurde der bayerische Antrag eingebracht, wonach bei der anstehenden Änderung des Mineralölsteuergesetzes lediglich die gewerbliche Luftfahrt, die im Wettbewerbsverhältnis mit den ohnehin steuerbefreiten Linien und dem grenzüberschreitenden Flugverkehr steht, von der Mineralölsteuer freizustellen ist, während der restliche Teil, auf den damit wohl nur noch ein halbes Prozent des gesamten Flugbetriebstoffes entfällt, der Steuer unterworfen wird. ({2}) Ich halte die jetzige Lösung fiskalisch für unwirtschaftlich. Entscheidend für die Bayerische Staatsregierung war aber, daß die Verabschiedung des Steuerreformkonzepts 1990 wegen des mikroskopisch kleinen Teils der Mineralölsteuer auf Flugbetriebstoffe nicht noch in letzter Minute gefährdet werden sollte und daß damit auch der Unruhe, die teilweise gestiftet worden ist, ein Ende bereitet worden ist. Lassen Sie mich feststellen, daß für Äußerungen Dritter, die unter anderem von dem Herrn Abgeordneten Poß hier ins Feld geführt worden sind, die Bayerische Staatsregierung und der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß nicht verantwortlich sind. Es ist aus meiner Sicht deshalb unfair und unredlich, hier von diesen Äußerungen Gebrauch zu machen und sie gewissermaßen dem bayerischen Ministerpräsidenten zuzuschreiben. Aus meiner Sicht ist dies leider ein neuer Beweis dafür, daß es in der Auseinandersetzung nicht um die Sache geht, sondern daß man vielmehr ein Interesse daran hat, Stimmung und Klamauk zu machen. ({3}) Ich möchte die Äußerung des Herrn Abgeordneten Poß, wonach Klüngel die Gesetzgebung ersetzt, hier entschieden zurückweisen. ({4}) - Herr Poß, das spricht weder für Sie noch für Ihre Einschätzung dieses Parlaments. Sie haben das völlig unreflektiert übernommen, weil es gerade heute in den Ton Ihrer Rede gepaßt hat. Ich frage Sie, wie Sie wohl reagieren würden, wenn Sie bei einer Veranstaltung, welcher Art auch immer, hinsichtlich der parlamentarischen Verwirklichung irgend etwas in Aussicht stellen - sei es bei Gewerkschaften oder wo auch immer - und Sie sich dann die Frage stellen lassen müßten, ob Sie dies im Klüngel ausgehandelt und zugesagt hätten.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Poß? Staatssekretär Sauter ({0}): Nein, Herr Präsident. ({1}) - Nur, wenn ich es bei der Redezeit nicht angerechnet bekomme.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Der Präsident pflegt in diesem Punkt immer sehr großzügig zu sein. Staatssekretär Sauter ({0}): Gut, dann mache ich von Ihrer Großzügigkeit Gebrauch.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr, Herr Abgeordneter Poß.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß das, was ich hier vorgetragen habe, laut „Handelsblatt" vom 3. Dezember 1985 geschehen ist und daß das „Handelsblatt" davon gesprochen hat, daß der Klüngel ein ordnungsgemäßes Gesetzgebungsverfahren ersetzt? Staatssekretär Sauter ({0}): Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang erklären, daß ich bereit bin, zur Kenntnis zu nehmen, was Sie soeben von sich gegeben haben. Ich betone nochmals, daß Sie dies völlig unreflektiert aus dem „Handelsblatt" übernommen haben und es nicht für notwendig gehalten haben, es zu kommentieren. ({1}) - Nicht alles, was in seriösen Zeitungen steht, Frau Abgeordnete Hamm-Brücher, muß ebenfalls seriös sein. ({2}) Ich glaube, darüber sind wir uns einig. ({3}) Staatssekretär Sauter ({4}) Sie haben es völlig unreflektiert übernommen, und zwar deshalb, weil es zu dem gepaßt hat, was Sie heute ganz gerne als Eindruck erwecken wollten. ({5}) Lassen Sie mich auf einige der Abgrenzungsprobleme eingehen, die angesprochen worden sind. Die Abgrenzung Privatpflieger/gewerbliche Flieger ist relativ leicht und erfordert keineswegs den übermäßigen Verwaltungsaufwand, der hier ins Feld geführt worden ist. Befreit werden sollen künftig nur noch solche Luftverkehrsunternehmen, die nach § 20 Abs. 1 Satz 1 des Luftverkehrsgesetzes zur gewerbsmäßigen Beförderung von Personen oder Sachen eingesetzt werden. Der Nachweis der luftverkehrsrechtlichen Genehmigung ist ohne Schwierigkeiten zu erbringen. Darum dürfte es diese Schwierigkeiten wohl nicht geben. Wenn hier gelegentlich in den Raum gestellt wird, es gebe einige, die eine GmbH gründen würden, um entsprechende Umgehungsmöglichkeiten zu besitzen, dann seien diese zunächst einmal darauf hingewiesen, daß auch die Gründung einer GmbH Geld kostet, was sich also für die Privatflieger, von denen wir jetzt reden, zunächst finanziell auswirkt, und daß außerdem unabhängig davon noch immer eine gewerbsmäßige Beförderung von Personen und Sachen stattfinden muß, um in den Genuß der Steuerbefreiung für Flugbetriebstoffe zu kommen. Es ist unter anderem auch gefragt worden, warum denn eine Sonderregelung für gewerbliche Unternehmen in unserem Vorschlag vorgesehen ist. Da ist bei uns ein regionalpolitischer Akzent von größter Bedeutung. Es ist strukturpolitisch paradox, daß ein in einem Ballungsgebiet ansässiges Unternehmen ohne weiteres für Geschäftsreisen auf den vorhandenen und steuerfreien Linienflugverkehr naher Flughäfen zurückgreifen kann, während ein Unternehmen in einer strukturschwachen oder verkehrsfernen Region zur Überwindung seiner Standortnachteile auf die teure Charterung inklusive der Mineralölsteuer eines Flugzeugs angewiesen ist. Ich glaube, das ist ein Argument, das wir alle miteinander übernehmen sollten, weil es wirklich darum geht, jetzt diejenigen gleichzustellen, die gleichgestellt werden müssen. Ich darf dann noch, weil Franz Josef Strauß auch hinsichtlich seiner fliegerischen Aktivitäten hier gelegentlich als Kronzeuge benannt worden ist, daran erinnern, daß Strauß nicht Privatflieger, nicht Hobbyflieger ist. ({6}) Jeden von euch könnte er mit der Gewißheit fliegen, daß man mit ihm herunterkommt, und zwar sicher. ({7}) Das ist auch etwas wert, weil die meisten, die hier links sitzen, sich dann, wenn sie Höhenflüge machen, nicht immer so wohlfühlen. ({8}) - Da nimmt er Sie aber auf alle Fälle nicht mit. - Strauß ist Geschäftsreisefliegender, er fliegt ausschließlich aus dienstlichen Gründen und im Auftrag der Partei. Daher war Ihre Bemerkung im Hinblick auf MdB unplaziert und völlig unpassend. Ich möchte ein Wort noch zum Kollegen Wieczorek im Zusammenhang mit dem Strukturhilfegesetz des Bundes sagen. Sie haben es für notwendig gehalten, hier zu erwähnen, daß Bayern entdeckt hätte, daß es ein armes Land sei. Diese Feststellung ist in sich falsch; sie steht auch in keinerlei Zusammenhang mit dem Strukturhilfegesetz. ({9}) Sie wissen genau, daß Anspruchsvoraussetzung nicht die Finanzschwäche eines Landes, sondern die Strukturschwäche einer Region ist. Das Förderziel ist der Ausgleich regionaler Strukturschwächen. Investitionshilfen sollen gerade nicht der allgemeinen Stärkung der Finanzkraft eines Landes, sondern der Verwirklichung im Gesetz bezeichneter konkreter Förderziele dienen. Insofern gibt es da keine Zweifel, daß Bayern bei der Strukturhilfe und der Verteilung der hierfür vorgesehenen Mittel einzubeziehen ist. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich kann die Aussprache schließen. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 25 a, 25 b und 25 e an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Werden aus dem Hause weitere Vorschläge unterbreitet? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/2126. Das ist der Tagesordnungspunkt 25 c. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Gegen die Stimmen der anderen Fraktionen ist dieser Antrag abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 25 d. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 11/2969 mit Drucksache 11/3009 zur federführenden Beratung an den Haushaltsausschuß zu überweisen und zur Mitberatung an den Finanzausschuß, den Ausschuß für Verkehr und den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Gibt es hier weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Somit ist die Überweisung beschlossen. Meine Damen und Herren, ich darf das Haus nun von einer erfreulichen Entwicklung unterrichten. Sinnvollerweise haben sich die Geschäftsführer darauf geeinigt, daß Tagesordnungspunkt 26 und der Zusatzpunkt 5 als Einheit behandelt werden. Das ist von der Sache her ganz sicher gerechtfertigt. Vizepräsident Cronenberg Ich rufe daher beide Punkte zur gemeinsamen Beratung auf: 26. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Konkursordnung - Drucksache 11/2065 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({0}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ZP5 Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Wittmann, Marschewski, Dr. Hüsch, Eylmann, Dr. Langner, Seesing, Geis, Hörster und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Kleinert ({1}), Funke, Irmer und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren - Drucksache 11/2991 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({2}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ebenso erfreulich ist die Selbstbeschränkung, was die Redezeit anbelangt. Alles in allem kann ich davon ausgehen, daß wir heute eher fertig werden, als Sie sich das gedacht haben. Ich eröffne die Aussprache. Als erster hat das Wort der Abgeordnete Dr. Pick.

Prof. Dr. Eckhart Pick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001715, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ein Unternehmen in Konkurs fällt oder eine Betriebsänderung erfolgt, hat dies für die Beteiligten eine ganze Reihe von negativen Folgen, insbesondere finanzielle Einbußen. Im Konkursfall erhalten - das ist bekannt - die nicht bevorrechtigten Gläubiger bestenfalls eine Quote von einigen Prozent ihrer Forderungen, falls überhaupt das Konkursverfahren eröffnet wird; in den meisten Fällen geschieht nicht einmal dies. Die Verluste treffen Privatpersonen genauso wie die öffentlichen Hände. Solche Einbußen sind für Unternehmen auf der Gläubigerseite ein leider alltäglicher Vorgang. Die nicht mehr eintreibbaren Forderungen werden abgeschrieben und schließlich ausgebucht. Die Wirtschaft wird diese Verluste in den meisten Fällen verkraften können. Meine Damen und Herren, ganz anders stellt sich die Situation für die vom Konkurs des Unternehmens - ich betone: ihres Unternehmens - betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen dar. Sie sind existentiell mit dem Schicksal ihres Betriebes verbunden. Schließt er, verlieren sie ihre Arbeitsplätze, ein bitteres Schicksal. Auch wenn es millionenfach erlitten wird, ist es immer auch ein individuelles Schicksal. Insbesondere ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die das Unternehmen - oft jahrzehntelang - mit aufgebaut haben und ihm die Treue gehalten haben, ernten nun statt verdienter Anerkennung das Schicksal der Arbeitslosigkeit. Unbarmherzig - das wissen wir alle - verlangt der Markt jüngere Kräfte. Mit 50 z. B. wird die Chance der Vermittelbarkeit auf einen neuen Arbeitsplatz immer geringer. Im Zeichen der Massenarbeitslosigkeit, bei über zwei Millionen registrierten Arbeitslosen, bleiben aber auch andere, Jüngere auf der Strecke, etwa wenn sie keinem der geforderten Qualifikationsmerkmale entsprechen. Deswegen verdienen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen besonderen Schutz. ({0}) Sie können mit Fleiß und fachlichem Können Fehler des Managements, aber auch Strukturverwerfungen der jeweiligen Branche in keiner Weise beeinflussen. Für sie hängen die Lebensführung und, denke ich, auch das Familienleben untrennbar mit dem erreich ten Standard, mit dem erreichten Unterhalt aus ihrer Arbeitsleistung zusammen. Über diese Zusammenhänge muß man sich im klaren sein, wenn wir heute über das Thema „Sicherung von Forderungen aus einem Sozialplan und auf Nachteilsausgleich im Konkurs" reden. Die SPD-Bundestagsfraktion hat den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Konkursordnung eingebracht, der zum Ziel hat, die genannten Forderungen im Konkursfall vorrangig vor anderen Ansprüchen Dritter zu behandeln. Insbesondere soll dies durch eine Änderung des § 61 Abs. 1 der Konkursordnung geschehen. Ansprüche aus einem Sozialplan auf Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes und Ansprüche auf Nachteilsausgleich sollen danach bevorrechtigte Konkursforderungen mit dem Rang vor den bisherigen Fällen der Nr. 1 des § 61 Abs. 1 der Konkursordnung sein. Ich darf erwähnen, daß dies bereits einmal Rechtsprechung gewesen ist. Allerdings wurde die damalige Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichtes bekanntlich vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben, was übrigens keine Entscheidung in der materiellen Frage war; vielmehr ist sie mit der Begründung verworfen worden, hier liege eine unzulässige richterliche Rechtsfortbildung vor. Wir alle wissen aber, welche Bedeutung dem Rang von Konkursforderungen zukommt. Nach den Massekosten und Masseschulden, die zunächst zu erledigen sind, haben Konkursforderungen nur dann eine Realisierungschance, wenn sie ganz oben auf der Rangliste stehen. Die jetzige Lösung im „Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren" ist als eine Übergangsregelung bis zum 31. Dezember 1988 konzipiert. Sie ist in der 10. Legislaturperiode von den Fraktionen, die die Regierung tragen, mit der Begründung durchgesetzt worden, daß innerhalb der Gesamtreform des Insolvenzrechts eine Regelung erfolgen würde. Eine solche Gesamtregelung wird weder in dieser Legislaturperiode noch in diesem Jahr kommen. Sie wird also nicht mehr Wirklichkeit werden, selbst wenn ein Diskussionsvorentwurf zur Zeit vorliegt. Er wird das Schicksal aller angekündigten großen Jahrhundertvorhaben haben, nämlich: Rechtspolitik ist unter dieser Regierung zu einer Absichtserklärungspolitik degeneriert. ({1}) So geht man zwar Auseinandersetzungen aus dem Wege, aber wichtige Fragen unserer Gesellschaft werden nicht entschieden. Wir wollen, daß unabhängig von der Gesamtreform diese notwendige Berücksichtigung der sozialen Belange innerhalb der Konkursordnung herbeigeführt wird. Diese Forderungen sind einfach näher als andere Forderungen Dritter. Es gibt aus unserer Sicht keine rechtlichen Bedenken, auch nicht verfassungsrechtlicher Art, gegen diese Lösung. Der Gesetzgeber kann im Rahmen seines Ermessens eine solche Regelung treffen. Sie gehört auch hierhin, nämlich in die Ordnung von Konkurs und Vergleich. Was tut die Bundesregierung? - Sie hat bisher nichts getan. In allerletzter Minute haben die Koalitionsfraktionen die Verlängerung dieses Gesetzes über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren eingebracht. Bis heute vormittag lag übrigens noch keine gedruckte Vorlage vor. Offenbar ist dies in aller Hast und nur unter dem Eindruck unserer Gesetzesinitiative geschehen. Insofern stelle ich mit Genugtuung fest, daß wir den Koalitionsfraktionen zumindest Beine gemacht haben, bedauerlicherweise aber nur krumme Beine, so krumme, daß sie wiederum nicht weit tragen, sondern nur bis zum 31. Dezember 1989. ({2}) Es gehört wenig Prophetie dazu, vorauszusagen, daß es nächstens wiederum verlängert werden wird. Ich finde, daß dies ein Schauspiel abgibt, das in der Geschichte der Gesetzgebung wohl wenig ähnliche Beispiele hat. Ich finde, als Bundesregierung hätte man sich früher Gedanken darüber machen müssen, daß ein Gesetz ausläuft und was an seine Stelle treten soll. ({3}) Es ist schon ein einmaliger Vorgang, daß auch der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung nicht auf die Idee gekommen ist, sich für die Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen hier einzusetzen. In dieser Situation sind die Koalitionsfraktionen hilfreich, vielleicht sollte man sagen: als Ausputzer, als Libero, hier eingetreten. Materiell wollen Sie - das ist der Kern des Gesetzes - aus einer „8" eine „9" machen. Das ist - materiell gesehen - das, was Sie hier eingebracht haben. Eine einzige Ziffer wird ausgetauscht: Statt 1988 soll es künftig 1989 heißen. Darüber könnte man sicher noch hinwegsehen und das Ganze unter dem Stichwort „Kuriositätenarsenal" der Koalition ablegen. Wichtiger ist aber der Hinweis, daß die Koalition in dieser Form auf die soziale Notlage der Betroffenen reagiert. Diese werden nach wie vor in Ungewißheit gehalten, ob eine Absicherung auch noch nach 1989 erfolgt. Ich frage mich: Was hätte die Koalition eigentlich hindern können, aus einem befristeten Gesetz wenigstens eine Dauerlösung zu machen? Wir versprechen Ihnen, meine Damen und Herren, die SPD wird diese Regelung in die Konkursordnung letztlich einfügen. Vielen Dank. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Helmrich.

Herbert Helmrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000862, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Pick, es ist schon ein Kunststück hier vorzutragen, die Koalitionsvorschläge seien nichts anderes als die Veränderung von einer „8" zu einer „9", das sei doch ein Bubenstück, und Sie als SPD schlügen einen Gesetzentwurf vor, der dem Schutz der Arbeitnehmer diene. Sie verschweigen völlig, daß das, was Sie im Grunde genommen erreichen wollen, derzeit Gesetz ist, und zwar ein Gesetz, das wir im Jahre 1985 verabschiedet haben, ({0}) weil die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben worden ist. Weil wir die Arbeitnehmernachteile ausgleichen wollten, haben wir dann die aufgehobene Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Prinzip wieder hergestellt. ({1}) Wir haben dies mit einem vorläufigen Gesetz getan, das wir befristet haben, weil wir dabei sind, wie Sie genau wissen, die Konkursordnung und die Vergleichsordnung insgesamt neu zu fassen. Beide Gesetze stammen aus dem vorigen Jahrhundert, und es soll ein modernes Insolvenzrecht entstehen. Konkurs- und Vergleichsordnung sollen aufgehoben werden. Deswegen hat es gar keinen Sinn, wie Sie sagen, daß Sie eine dauerhafte Regelung in der Konkursordnung treffen möchten. Das wird nicht geschehen. Wir wollen es bei dem Extragesetz belassen, wollen dieses Gesetz verlängern. Wir haben uns eine relativ kurze Frist gesetzt, um dann innerhalb dieser Frist möglichst mit der Insolvenzrechtsreform überzukommen. Wenn nicht, werden wir es noch mal um ein oder zwei weitere Jahre verlängern. Nichts anderes tun wir. Wenn Sie sagen, Sie wollen es in die Konkursordnung hineinhaben, dann sagen wir Ihnen: Es hat wenig Sinn, in ein Gesetz, das wir ohnehin demnächst aufheben, nun diese Änderung zu schreiben. Wir belassen es zunächst bei dem Übergangsgesetz. Vielen Dank. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Briefs.

Dr. Ulrich Briefs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000266, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Thema „Konkurs" könnten wir, meine ich, auch über ganz andere Dinge reden als die rechtliche Berücksichtigung von Sozialplanforderungen im Insolvenzrecht. Wir könnten z. B. reden über den steuerpolitischen Kurs oder besser Konkurs dieser Bundesregierung, deren Folgen allerdings nicht die Bundesregierung, sondern die Bürger und Bürgerinnen zu tragen haben. Oder wir könnten reden über das groteske Mißverhältnis - auch das ist, meine ich, eine Form von politichem Konkurs - von Polizeieinsatz und Polizeigewalt in Berlin auf der Tagung des IWF ({0}) - ich habe es selbst gesehen - , wo zum Teil mehrere hundert, in einigen Fällen ging es weit über die Hunderte hinaus, Polizeibeamte, zum Teil aus BadenWürttemberg und Nordrhein-Westfalen herangekarrt, kleine, ganz kleine Gruppen von Passanten einkesselten. ({1}) - Ich habe es wirklich sehr konkret gesehen, Frau Roitzsch. Vielleicht sollten Sie sich ab und zu auch mal so an die Stätten des Geschehens begeben. In einem Fall haben sie 60 bis 80 Passanten am Wittenbergplatz eingekesselt, und da war buchstäblich nicht einer drunter, der z. B. eine schwarze Lederjacke trug. ({2}) - Wenn ich zum Wetter käme, dann würde ich ungefähr zum Sinn Ihrer Ausführungen kommen, Herr Blens, dann würde ich zur Substanz Ihrer Ausführungen kommen, Herr Blens. Ich meine jetzt nicht Sie persönlich, sondern Ihre Fraktionskollegen. ({3}) Das müssen Sie sich jedenfalls mal klarmachen: Auch das ist politischer Konkurs, und ich finde, das muß gerade heute hier noch einmal gesagt werden, nachdem es weit über 500 Verhaftungen dort gegeben hat und nachdem selbst Journalistinnen - das sage ich als medienpolitischer Sprecher dazu - mißhandelt worden sind. Was ich angesprochen habe, ist auch ein Konkurs des Staates als Einrichtung der Bürger, ({4}) der ja schließlich für die Bürger und Bürgerinnen dasein soll und sie nicht zu Paaren treiben soll. Insbesondere müßten wir auch reden über den Dauerkonkurs des mörderischen kapitalistischen Weltwirtschaftssystems, ein Konkurs, der sich insbesondere und gerade in der Armut und dem Elend der Dritten Welt niederschlägt. ({5}) Meine Damen und Herren, Sie haben überhaupt nichts dazu zu sagen, wozu wir uns hier äußern. Die Materie, die wir hier zu regeln haben, zeigt zugleich, wie wenig wirklich sozial dieses Land und seine Regierung sind. Manche der sozialen Verhältnisse hier in diesem unseren Lande, um einen bekannteren Politiker zu zitieren, berühren sich durchaus auch mit Verhältnissen in bestimmten Teilen der Dritten Welt, obwohl man die Unterschiede natürlich nicht übersehen darf, gerade wenn wir über so etwas wie den Sozialplan sprechen. Dem Eindruck muß entgegengetreten werden, daß, wer Sozialplan hört, einfach meinen kann: Da wird abkassiert, da wird abgesahnt. Das geschieht an anderer Stelle, nicht im Zusammenhang mit Sozialplänen in irgendwelchen normalen Betrieben in der Bundesrepublik, im Zusammenhang mit dem Ausscheiden von normalen Beschäftigten. Aus einer Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung geht folgendes hervor. Etwa 18 % der Interessenausgleich- und Sozialplanfälle entstehen im Zusammenhang mit Konkursen. Die durchschnittliche Abfindung - das sollten Sie auf der Rechten sich einmal klarmachen - liegt - das gilt jetzt nicht für die Konkursfälle, darüber liegen bis heute keine gesonderten Daten vor, sondern insgesamt - bei unter 20 000 DM, bei 18 800 DM. Um diese Größenordnung geht es. 80 v. H. der im Zusammenhang mit Sozialplänen und Interessenausgleichsmaßnahmen Erfaßten erhalten unter 30 000 DM. Ein 50 Jahre alter Angestellter mit 20 Jahren Betriebszugehörigkeit und einem Bruttoeinkommen von 4 200 DM monatlich, ledig, ohne Kinder, erhält 40 200 DM, und das angesichts einer fast sicheren Arbeitslosigkeit für den Rest seines Arbeitslebens. Das sind die Dimensionen, über die wir reden. Wir reden also über ein Minimum an sozialer Sicherung in Fällen, in denen den Betroffenen zumeist ein ganz, ganz tiefer Einbruch in ihrer Lebenssituation, auch und gerade finanziell bevorsteht. Wir reden nicht über Bundeswehroffiziere, denen das Geld buchstäblich nachgeworfen wird, oder über Vorstandsmitglieder von Industriefirmen und Banken, die locker 1 Million DM oder mehr Abfindung mitnehmen, ({6}) wenn sie aus ihrer ach so verantwortungsvollen Tätigkeit, gelegentlich unter etwas dubiosen Umständen - Fall Poullain etwa - ausscheiden. Wir GRÜNEN sind deshalb der Meinung, daß das Recht und die Praxis der Sozialpläne entscheidend verbessert werden muß, solange überhaupt Sozialplanfälle entstehen. Der Sozialplan und die Regelungen, die damit verbunden sind, sind sicherlich nicht das Ideal der Lösung der mit Beschäftigungsabbau, Betriebsschließung und Konkursen entstehenden Probleme. Aber solange das notwendig ist, muß das Recht entscheidend verbessert werden. Die Wirtschaftspolitik dieser Regierung - um das von dieser Seite her noch einmal kurz anzusprechen - führt allerdings dazu und wird in der Zukunft sogar noch stärker dazu führen, daß Sozialplanfälle vermehrt anfallen. Die Regelung, die Sie vorschlagen, nämlich nicht etwas in bezug auf die Konkursordnung zu machen, sondern sozusagen nur in schnoddriger Kürze das Datum des Auslaufens um ein Jahr zu verschieben, deutet für mich ein bißchen darauf hin, daß Sie etwas anderes im Auge haben, nämlich die rechtliche Absicherung von Sozialplanforderungen im ZusamDr. Briefs menhang mit der Insolvenzrechtsneufassung grundlegend zu Lasten der betroffenen Beschäftigten noch zu verschlechtern. Das ist ja die generelle Linie Ihrer Politik. Empfänger von Zuwendungen aus Sozialplänen müssen deshalb gerade auch im Konkursfall - ich sage es noch einmal - verstärkt geschützt werden. Der Gesetzentwurf der Koalitionsparteien trägt dem nicht Rechnung. Die neue Insolvenzordnung wird mit Sicherheit nicht in 1989 fertig gemacht und verabschiedet werden können. Der Entwurf der Koalitionsparteien - ich habe es eben schon angedeutet - spielt in seiner schnoddrigen Kürze irgendwie - das finde ich ganz unverantwortlich - mit der Angst einer größeren Zahl von Betroffenen. Der Sozialplan kann nur ein Notbehelf sein - das habe ich mehrfach betont - , bis endlich einmal in der Bundesrepublik Deutschland eine sinnvolle Wirtschaftspolitik betrieben wird, d. h. eine Wirtschaftspolitik wirklich im Interesse der großen, großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger. Solange aber eine soziale Sicherung unerläßlich ist, müssen wir alles tun, um rechtlich und auch faktisch mit wirtschaftlichen Mitteln, auch durch entsprechende betriebliche Prozesse, Verbesserungen zu erreichen. Da erscheint uns der Vorstoß der SPD, Sozialplanforderungen im Konkursfall als bevorrechtigte Konkursforderungen mit Rang 1 zu berücksichtigen, sehr viel sinnvoller. Ich sage aber dazu: Das ist auch keine auf lange Sicht ins Auge zu fassende Lösung. Auch dieser Vorschlag spiegelt durchaus das ganze soziale Elend, das in weiten Bereichen dieser Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung existiert und sich, wie wir alle wissen, ausbreitet, wider, ein soziales Elend, das angesichts des riesigen und weiter wachsenden Reichtums der Betriebe völlig überflüssig wird. Wirkliche Lösungen liegen deshalb jenseits der Sozialplanpraxis und auch der Berücksichtigung von Sozialplanforderungen im Insolvenzrecht, in welcher Form auch immer. Ich danke Ihnen. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Funke.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich versuchen, nach den Ausführungen des Kollegen Dr. Briefs wieder zur Sache, nämlich zu dem Antrag der SPD und dem Antrag der Koalitionsfraktionen, zu kommen. Herr Kollege Pick, der Gesetzentwurf der SPD wird - um das Ergebnis gleich vorwegzunehmen - von uns nicht getragen werden, sondern wir werden das Gesetz, das die Koalitionsfraktionen zwar in aller Kürze, aber nicht in schnodderiger Kürze eingebracht haben, unterstützen. Wir haben uns bei der Regelung mit der einjährigen Verlängerung natürlich etwas gedacht, weil wir wissen, daß dieses Gesetz eine Vorstufe für die Neufassung der Konkursordnung sein soll. Sie wissen, daß diese Konkursordnung neu überdacht wird, daß es inzwischen ein Diskussionspapier des Bundesjustizministeriums gibt. Dieses Diskussionspapier mit ausformulierten Gesetzesvorschlägen ist an die Ministerien gegangen. Es soll interministeriell abgestimmt werden und dann so schnell wie möglich als Referentenentwurf ins Kabinett gehen, um dann hier beraten zu werden. Sie wissen genauso gut wie ich, Herr Kollege Professor Pick, daß es auf dem Wege vom Diskussionsentwurf zum Referentenentwurf natürlich gelegentlich Hemmnisse gibt und daß es bis zur Kabinettsvorlage dann manchmal noch etwas dauern kann. Um diesem Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums etwas Beine zu machen, und zwar nicht wegen des Bundesjustizministers, sondern - ich will das gleich einmal deutlich machen - wegen des Bundesarbeitsministers, sind wir bereit gewesen, um ein Jahr zu verlängern. Auf diese Weise werden auch unsere Ministerialbeamten etwas unter Druck gesetzt ({0}) - das ist auch nötig; vielen Dank, Herr Kollege Seesing -, dieses Gesetz schleunigst zu beraten und dann ins Kabinett zu bringen. Wir wollen eine neue Konkursordnung, denn die alte kann mit ihrem Zerschlagungscharakter uns allen nicht dienen. Da werden Arbeitsplätze vernichtet, da wird volkswirtschaftliches Vermögen vernichtet. Sie beschäftigen sich mit Konkursrecht genauso gut wie ich und wissen, daß bei der derzeitigen Konkursordnung die Arbeitnehmer im Grunde genommen die Geschädigten sind. Tatsache ist doch, daß wegen des Sozialplans die Konkursverwalter im Konkurs die Firma in der schwierigen, kritischen Phase sozusagen erst einmal ausbluten lassen und erst nach vier, fünf Monaten die letzten Teile des Unternehmens veräußern. Das schadet den Arbeitnehmern, weil sie dann nämlich entlassen worden sind, nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können. Viel besser wäre es doch, wenn unabhängig von dem Sozialplan im Konkurs die Möglichkeit bestehen würde, das Unternehmen in seiner Gesamtheit zu veräußern, ohne daß der Übernehmer große Belastungen aus dem Sozialplan mittragen muß. Die Sozialpläne im Konkurs führen doch dazu, daß heute die Unternehmen nicht mehr fortgeführt werden. Das ist ja auch gerade die Aufgabe dieser neuen Konkursordnung. Bundesminister Engelhard hat deutlich gemacht, wie die Grundsätze dieser neuen Konkursordnung sein werden. Diese neuen Grundsätze werden auch den Arbeitnehmern helfen. Vielen Dank. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Bundesminister der Justiz, Hans Engelhard.

Hans A. Engelhard (Minister:in)

Politiker ID: 11000472

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hatte Ende 1984 den Gesetzentwurf der Bundesregierung über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren verabschiedet. Das Gesetz hat die vorher sehr schlechte Position der Sozialplanfor6746 derungen im Konkurs der Arbeitgeber entscheidend verbessert. Es hat ihnen den gleichen Vorrang eingeräumt, wie ihn die Lohnforderungen genießen. In dem Gesetz ist aber auch dafür gesorgt worden, daß es nicht mehr vorkommen kann, daß der Sozialplan allein die Konkursmasse des Unternehmens völlig aufzehrt. Der Umfang des Sozialplans im Konkurs ist angemessen begrenzt worden. Wir haben uns das sehr gut überlegt. Hier ist eine sehr sachbezogene und richtige Entscheidung getroffen worden. Es hat eine Begrenzung stattgefunden, nämlich auf zweieinhalb Monatsverdienste der entlassenen Arbeitnehmer und auf ein Drittel der vorhandenen Teilungsmasse. Das Sozialplangesetz ist nun ein Zeitgesetz für nur vier Jahre gewesen. Damit sollte unterstrichen werden, daß es sich um eine Übergangsregelung bis zur Gesamtreform des Insolvenzrechts handelt. Es sollten keine Besitzstände geschaffen werden, die später eine Gesamtreform präjudizieren würden. Zwischenzeitlich hat die Gesamtreform ganz erhebliche Fortschritte gemacht. Ende August dieses Jahres konnte ich den interessierten Kreisen einen ausformulierten und begründeten Diskussionsentwurf zuleiten. Sie wissen, daß dieses Papier den Titel ,,Diskussionsentwurf" deshalb trägt, weil innerhalb der Bundesregierung noch nicht schlußendlich alle Abstimmungen vorgenommen werden konnten. Ansonsten ist dies ein Papier, das sich den Titel Referentenentwurf zu tragen später sehr schnell verdienen wird. Denn das Echo im Lande auf diesen Entwurf war querbeet sehr, sehr positiv. Der Entwurf schafft ein einheitliches Insolvenzverfahren, das unserer marktwirtschaftlichen Ordnung entspricht und soziale Gesichtspunkte nicht vernachlässigt. Für den Sozialplan im Insolvenzverfahren ist dort eine Lösung vorgesehen, die in der rechtlichen Konstruktion etwas vom jetzigen Sozialplangesetz abweicht, die aber zu ähnlichen Ergebnissen führt. Die Sozialplanforderungen werden nicht mehr als Konkursforderungen eingeordnet. Sie werden vielmehr völlig ungekürzt aus der Masse bezahlt. Damit dann das Gleichgewicht wieder stimmt, ist man mit der Neuregelung darangegangen, bewirkte Besserstellungen der Sozialplangläubiger durch eine Absenkung der Höchstgrenzen für das Sozialplanvolumen wieder auszugleichen. Bei allem Nachdruck, mit dem nun die Gesamtreform vom Bundesministerium der Justiz und von den sie unterstützenden Fraktionen der Koalition und, wie ich hoffe, auch von der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei vorangetrieben wird: Es ist klar, bis zum Ende dieses Jahres haben wir es selbstverständlich nicht geschafft. Eine Verlängerung der Geltungsdauer des Sozialplangesetzes ist daher erforderlich. Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen stellt diese Verlängerung sicher. Demgegenüber, meine Damen und Herren, hat der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion das alte Sozialplangesetz durch eine inhaltlich ganz andere Regelung zu ersetzen gesucht. Die angemessene Begrenzung des Sozialplanvolumens und die rangmäßige Gleichstellung von Sozialplanforderungen und Lohnforderungen sollen durch eine Lösung ersetzt werden, die auch im Konkurs keinerlei Begrenzung der Höhe von Sozialplänen vorsieht und die zusätzlich den Sozialplanforderungen den Vorrang vor allen anderen Konkursforderungen einräumt. Es ist ja richtig, wie Sie in Ihrer Begründung schreiben, daß diese Lösung dem Beschluß des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 13. Dezember 1978 entspricht - aber unvollständig, Herr Kollege de With. Denn Sie hätten hinzufügen müssen, daß das Bundesverfassungsgericht als es diesen Beschluß 1983 als unzulässige richterliche Rechtsfortbildung aufhob, es dabei nicht belassen hat. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung auch Zweifel an der inhaltlichen Angemessenheit einer solchen Lösung geäußert, und es hat zu Recht die Frage aufgeworfen, ob die sozialen Gewichte richtig verteilt sind, wenn die Sozialplanforderungen gegenüber allen anderen Forderungen, auch gegenüber den Lohnforderungen der Arbeitnehmer, derart uneingeschränkt privilegiert werden. Mit den Vorschlägen der Kommission für Insolvenzrecht zum Sozialplan im Konkurs und mit dem Sozialplangesetz ist die Entwicklung ja endgültig über den Beschluß des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts hinweggegangen. Für die Insolvenzrechtsreform kann sich jetzt wohl niemand mehr einen so uneingeschränkten Vorrang der Sozialplanforderungen vorstellen, offensichtlich auch die Opposition nicht, denn die hat ja wiederholt eine zügige Umsetzung der Vorschläge der Kommission für Insolvenzrecht gefordert. Aber dann ist es doch widersinnig, jetzt als Zwischenlösung eine derart extreme Regelung vorzusehen. Ich bin fast versucht, Herr Kollege Professor Pick, nach unserer damals gereimten Kontroverse um den Wildschütz Jennerwein heute wie folgt zu formulieren: Verehrter Herr Professor Pick, nun üben Sie mal Selbstkritik! Wir müssen das Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren zeitlich verlängern, aber im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht inhaltlich ändern. Die Regelung, die wir bisher hatten und die jetzt verlängert werden soll, hat sich voll und ganz bewährt. Sie führt nicht zu irgendwelchen praktischen Schwierigkeiten. Das Gesetz hat jenen Rechtsfrieden in einem Bereich gebracht, in dem vorher stets großer Streit herrschte. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende dieser Debatte. Wir haben nun über zwei Überweisungsvorschläge abzustimmen. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung der Konkursordnung an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu weitere Vorschläge? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist dies beschlossen. Vizepräsident Cronenberg Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag der CDU/CSU und FDP an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Auch dies findet die Zustimmung des Hauses. Dann ist das auch beschlossen. Meine Damen und Herren, damit sind wir am Schluß der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 12. Oktober 1988, 13 Uhr ein. Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen.