Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 11/2924 Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Der Abgeordnete Stiegler hat uns mitgeteilt, daß er mit einer schriftlichen Beantwortung der Frage 1 einverstanden ist. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit kann ich auf den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau übergehen. Zur Beantwortung steht uns der Herr Parlamentarische Staatssekretär Echternach zur Verfügung.
Ich rufe Frage 2 des Abgeordneten Conradi auf:
Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Aufwendungen des Bundes in den kommenden Jahren zur Wohnungsversorgung der Aussiedler aus den Ostblockstaaten?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundeskabinett hat beschlossen, den Bundesländern für das Programmjahr 1989 Finanzhilfen gemäß Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes in Höhe von 750 Millionen DM für die Schaffung von Wohnraum für Aussiedler anzubieten. Der Betrag soll - vorbehaltlich der Verabschiedung des Haushalts und des Zustandekommens der erforderlichen Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern - ab 1989 in vier gleichen Jahresraten von je 187,5 Millionen DM an die Länder ausgezahlt werden.
Bei einem anhaltend starken Zuzug von Aussiedlern in der kommenden Zeit ist vorgesehen, den Ländern für das Programmjahr 1990 nochmals 375 Millionen DM anzubieten; auch diese Summe soll gegebenenfalls ab 1990 in vier Jahresraten ausgezahlt werden.
Hinzugerechnet werden müssen selbstverständlich die Wohngeldleistungen des Bundes. Zuverlässige Schätzungen über die Höhe der für Aussiedler erforderlichen Beträge können nicht angestellt werden.
Diese Höhe hängt von der Höhe der von dem einzelnen Aussiedler zu zahlenden Miete und natürlich auch von der seines persönlichen Familieneinkommens ab. Da auf Wohngeld ein Rechtsanspruch besteht, werden aber in jedem Fall die erforderlichen Bundesmittel bereitgestellt werden.
Herr Conradi, ich nehme an, Sie wünschen eine Zusatzfrage. Bitte schön.
Danke schön, Herr Präsident.
Herr Staatssekretär, wie viele Wohnungen wollen Sie denn mit Bundes- und Länderunterstützung für die dieses Jahr zu erwartenden 200 000 und für die, wenn wir richtig hören, bis 1990 zu erwartenden 600 000 Aussiedler bauen?
Mit diesem Programm für das Jahr 1989 sollen 30 000 Wohnungen erstellt werden.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär, wie würden Sie einer Familie, die in einer Stadt seit Jahren auf eine Sozialmietwohnung wartet - in Stuttgart etwa stehen auf der Notfalliste 4 000 Haushalte -, antworten, die fragt: „Wieso hat denn die Bundesregierung jetzt Geld für Aussiedler, und müssen wir, die wir schon jahrelang warten, denn weiter auf Sozialwohnungen warten?"? Halten Sie es nicht für vernünftiger, das Programm für sozialen Mietwohnungsbau insgesamt auszuweiten, damit auch die hier lebenden auf eine soziale Mietwohnung wartenden Familien zu ihrem Recht kommen?
Herr Kollege Conradi, die Ministerpräsidenten der Länder haben die Forderung an den Bund gestellt, die Finanzierung und Förderung des sozialen Wohnungsbaus in eigene Regie zu übernehmen. Dementsprechend hat der Bund seine Mittel für den sozialen Wohnungsbau in den letzten Jahren auch deutlich reduzieren können. Die Mittel, die das Zweite Wohnungsbaugesetz auf seiten des Bundes vorsieht, werden allerdings auch in Zukunft im Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt wer6338
den. Im übrigen aber ist, wie gesagt, diese normale Förderung des sozialen Wohnungsbaus Sache der Länder.
Angesichts der großen Zahl von Aussiedlern ist der Bund jedoch bereit, den Ländern bei der Bewältigung der Probleme zu helfen; deshalb das Angebot des Bundes, das übrigens Wünsche, die vorher von einzelnen Ländern an den Bund herangetragen worden sind, deutlich übersteigt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sperling. Bitte sehr.
Ist sich die Bundesregierung
darüber klar, daß angesichts des Fördervolumens im Aussiedlerwohnungsbau die Mieten jenseits von 11, 12 und 13 DM liegen werden und angesichts dieser Tatsache die Obergrenzen des Wohngeldes dazu führen werden, daß die Gemeinden mit den zusätzlichen Kosten belastet sein werden?
Herr Kollege Sperling, diese Rechnung kann ich nicht nachvollziehen; sie ist unzutreffend. Wir gehen von einem Zuschuß - nicht von einem Baudarlehen - von 50 000 DM aus. Würden Sie diesen Zuschuß in ein im sozialen Wohnungsbau normalerweise eingesetztes zinsloses Baudarlehen umwandeln, was ja ohne große technische Schwierigkeiten möglich ist, würden Sie einen Betrag von rund '75 000 DM bekommen. Die im sozialen Wohnungsbau heute üblichen Baudarlehen für die Erstellung einer Sozialwohnung liegen im Schnitt bei 100 000 DM. Wenn Sie bedenken, daß dieses Programm ein Angebot an die Länder ist, nicht nur den Neubau zu fördern, sondern gleichzeitig auch durch Umbau, durch Erweiterung zusätzlichen Wohnraum zu schaffen, und hier nur ein Durchschnittsbetrag von 50 000 DM angegeben ist, so ist es ohne weiteres möglich, auch Sozialwohnungen nach dem bisherigen Standard zu fördern.
Darüber hinaus will der Bund, um auch hier Subventionsaufwand zu sparen, einen dritten Förderungsweg anbieten. Deswegen soll das Zweite Wohnungsbaugesetz geändert werden und eine privatvertraglich vereinbarte Förderung als zusätzliches Förderinstrument geschaffen werden. Das würde den Ländern und Gemeinden gestatten, auch mit einem geringeren Subventionsaufwand zusätzliche Belegungsbindungen einzukaufen und damit Aussiedler unterzubringen.
Frau Abgeordnete, Sie wollen eine Zusatzfrage stellen? - Bitte schön.
Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Aufwendungen des Bundes zur Wohnungsversorgung der einen Million Menschen, die in der Bundesrepublik schon heute, ganz ohne Aussiedler, in Wohnungsnot sind, und wie rechtfertigt die Bundesregierung die Bevorzugung einer speziellen Gruppe von Wohnungssuchenden - der Gruppe der Aussiedler - gegenüber den Gruppen der Asylsuchenden, der alleinerziehenden Eltern, der Großfamilien etc. etc.?
Frau Kollegin Oesterle-Schwerin, wir hatten hier bei einer Debatte im Plenum schon vor einiger Zeit Gelegenheit, über die Fragen von Wohnungsnot und Obdachlosigkeit zu diskutieren, die Sie allgemein angesprochen haben. Die Zahl, die Sie eingangs genannt haben, kann ich nicht bestätigen.
Was die Frage der Abgrenzung der Aufgaben im sozialen Wohnungsbau zwischen Bund und Ländern angeht, habe ich bereits vorhin geantwortet: Der soziale Wohnungsbau ist grundsätzlich Aufgabe der Länder. Der Bund beteiligt sich im Rahmen dessen, was das Zweite Wohnungsbaugesetz ihm an Förderungsbeitrag auferlegt, auch in Zukunft. Im übrigen aber entspricht es dem Willen der Länder, die Förderung des sozialen Wohnungsbaus in eigene Regie zu übernehmen.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht.
Ich rufe Frage 3 der Abgeordneten Frau Steinhauer auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Gefährdungen der Talsperren bei Dammbeschädigungen durch Flugzeugunfälle mit direktem Aufprall mit oder ohne Waffenzuladungen?
Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Katastrophenvorsorge für Talsperren fällt in die Zuständigkeit der Bundesländer.
Eine allgemeine Antwort auf die generell gestellte Frage ist schon wegen der unterschiedlichen Konstruktion der Talsperren und der Verschiedenartigkeit von Größe und Geschwindigkeit der Flugzeuge nicht möglich. Ein besonderes Risiko für die Bevölkerung ist aber nicht erkennbar. Da die überwiegende Zahl der Talsperren aus breitschultrigen Erddämmen mit großen Massen besteht, dürfte eine Gefährdung selbst bei direktem Aufprall praktisch ausgeschlossen sein. Das gleiche gilt für Talsperren aus Betonkonstruktionen, die in der Regel große Dicken aufweisen. Bei der Auslegung dieser Sperren sind extreme Hochwasserbeanspruchungen und gegebenenfalls Einwirkungen aus Erdbeben bereits berücksichtigt worden. Diese Risiken werden im allgemeinen höher als das eines Flugzeugabsturzes eingeschätzt.
Soweit die Fragestellerin besonders Unfälle mit bewaffneten Militärmaschinen anspricht, ist festzustellen, daß die Maschinen der Bundeswehr in der Regel ohne Waffen fliegen. Bei Militärübungen wird Übungsmunition mit Minderwirkung eingesetzt, aber auch bei voller Bewaffnung befinden sich die Waffen in nicht geschärftem Zustand. Selbst ein Aufprall würde daher zu keiner Detonation der Waffen führen.
Zusatzfrage. Bitte schön, Frau Abgeordnete.
Herr Staatssekretär, Sie haben zu Beginn Ihrer Antwort gesagt, daß der Katastrophenschutz in den Bereich der Länder fällt. Ich gehe wohl richtig in der Annahme - das haben Sie im zweiten Teil auch erwähnt - , daß die Probleme und die Beunruhigung bei der Bevölkerung z. B. im Zusammenhang mit der Obernautalsperre im Kreis SieFrau Steinhauer
gen dadurch entstanden sind, daß militärische Tiefflüge verstärkt zu beobachten sind. Sind Sie nicht der Auffassung, daß dies ja für den Ernstfall geprobt wird und daß, wenn zwar zur Zeit keine Waffen mitgeführt werden, bei Tankexplosionen auch das Kerosin nach Auffassung von Fachleuten - Sind Sie bereit, das gegebenenfalls noch einmal zu prüfen und mit dem Verteidigungsministerium Kontakt aufzunehmen? - zu erheblichen Sicherheitsproblemen für den Damm und damit zur Gefährdung der Bevölkerung, die unterhalb des Dammes wohnt, werden kann?
Frau Kollegin, wenn Sie noch einmal Militärmaschinen ansprechen, muß ich Ihnen sagen: In der Regel fliegen die Flugzeuge der Bundeswehr unbewaffnet, aber selbst wenn sie Waffen mit sich führen, sind diese Waffen nicht geschärft, so daß eine Detonation nicht zu befürchten ist.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage - ich nehme an, daß diese Zwischenbemerkung keine sein sollte.
Die Frage ist nicht beantwortet. Ich habe nämlich jetzt vom Kerosin gesprochen und die Waffen einmal ausgeklammert.
Was zivile Gefährdung von Talsperren angeht, so sagte ich schon: Dafür ist grundsätzlich das Bundesland zuständig, aber ich bin gerne bereit, wenn Sie dieses wünschen, auch dieser Frage besonders nachzugehen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich habe eine Talsperre erwähnt. Sie wissen, daß es sehr viele Talsperren, insbesondere Trinkwassertalsperren, gibt, die in verschiedenster Weise ihre Funktion erfüllen. Sind Sie bereit, einmal Erhebungen anzustellen, wie viele Talsperren in Tieffluggebieten der Bundeswehr und der alliierten Streitkräfte liegen?
Wenn Sie es wünschen, Frau Kollegin, können wir gerne dieser Frage nachgehen, aber ich sagte schon: Nach unseren Erkenntnissen ist angesichts der Konstruktion der Talsperren eine Gefährdung der Bevölkerung nicht erkennbar.
Herr Staatssekretär, die Frage betraf nicht die Gefährdung des Dammes, sondern des Wassers. Ich sage dies, ohne mich in die Debatte einmischen zu wollen.
Herr Abgeordneter Dr. Sperling hatte eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie verfährt denn die Bundesregierung, wenn sie erkennt, daß zwar für die Talsperren die Länder zuständig sind, sie selber aber für die fliegenden Maschinen?
Ich habe eben schon versucht deutlich zu machen, daß die Bundesregierung aus den Flugbewegungen keine besondere Gefahr für die Talsperren erkennen kann.
Hierzu gibt es keine weiteren Wortmeldungen. Dann kann ich diesen Abschnitt abschließen. Herr Staatssekretär Echternach, wir bedanken uns bei Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung steht uns Herr Staatssekretär Kroppenstedt zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Würtz auf:
Sieht der Bundesminister des Innern eine Möglichkeit, die für die Festsetzung des Kaufkraftausgleichs maßgebenden innerdeutschen Vergleichsdaten in einer Weise zu erheben, die entsprechende Mitteilung an die Betroffenen erlaubt, ohne gegen Bestimmungen des Datenschutzes zu verstoßen, wenn nein, warum nicht?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Die für Preisstatistiken erhobenen Einzeldaten unterliegen der Geheimhaltung nach § 16 des Bundesstatistikgesetzes. Dies gilt auch für die Einzelangaben, die für Zwecke des Kaufkraftausgleichs erhoben werden. Die statistische Geheimhaltung sichert dabei die Zuverlässigkeit der Daten und schützt die Befragten. Ich sehe daher keine Möglichkeit und auch keinen Anlaß, die statistischen Einzeldaten aus diesem Bereich Betroffenen zugänglich zu machen.
Zusatzfrage, bitte schön.
Verehrter Herr Staatssekretär, da Sie bei dieser Antwort erneut den Datenschutz bemühen, frage ich Sie, ob es nicht eine rechtsstaatliche Begründungspflicht gegenüber dem Betroffenen beim Kaufkraftausgleich im Ausland gibt?
Sicher gibt es eine rechtsstaatliche Begründungspflicht. Sie wissen, daß Preisstatistiken für viele Rechtsfragen eine Bedeutung haben. Wenn man bei all diesen Rechtsfragen den Betroffenen jeweils die Einzeldaten zugänglich machen sollte, wäre das völlig unmöglich. Im übrigen, so muß ich sagen, geht es immer um Abwägungen. Das statistische Geheimnis, das ja das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen sehr deutlich formuliert hat, hat hier zweifellos Vorrang.
Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, muß ich denn Ihre Antwort so verstehen, daß der Bundesinnenminister und Sie keine Notwendigkeit sehen, das Berechnungsverfahren insbesondere beim negativen Kaufkraftausgleich gegenüber den Bediensteten transparent und nachvollziebar zu machen?
Die Differenzierung ist bei dem negativen wie positiven Kaufkraftausgleich völlig gleich. Da gibt es keine Unterschiede. Sie haben vorhin auch nicht nach dem Berechnungsverfahren gefragt, sondern nach Einzeldaten. Ich sehe durchaus Möglichkeiten, über das Berechnungsver6340
fahren zu sprechen. Ich sehe die Möglichkeiten, die Daten vielleicht in einem etwas tiefer gegliederten Aggregationszustand zu liefern, nicht in der hohen Aggregation, in der das bisher gemacht wird. Aber die Einzeldaten sind ein absolutes Tabu.
Weitere Fragen liegen nicht vor, Herr Staatssekretär. Wir bedanken uns bei Ihnen.
Da der Abgeordnete Wüppesahl die von ihm eingereichte Frage 5 zurückgezogen hat, ist die Beantwortung der Fragen aus diesem Geschäftsbereich abgeschlossen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Hier steht uns Herr Staatssekretär Grüner zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Dr. Sperling auf :
Hält die Bundesregierung die Umweltbelastung, die aus der Tatsache folgt, daß die Bundesrepublik Deutschland ein hochindustrialisierter dichtbesiedelter Staat ist, nur für „potentiell" ({0}) oder auch für real?
Aus den genannten Gegebenheiten, Herr Kollege Dr. Sperling, nämlich hohe Industrialisierung und dichte Besiedlung, folgt ein hohes Maß potentieller Umweltbelastung. Dank der von der Bundesregierung frühzeitig entwickelten weitreichenden vorsorgenden Umweltpolitik konnte dieser potentiellen Umweltbelastung in wesentlichen Punkten begegnet werden. Dabei wird nicht verkannt, daß weitere einschneidende Maßnahmen notwendig sind, um real bestehenden Umweltbelastungen Rechnung zu tragen. Daran arbeiten Bundestag und Bundesregierung in ihrem Zuständigkeitsbereich mit Nachdruck.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Waldsterben und Belastung des Grundwassers durch Pflanzenschutzmittel und zunehmende Allergien in der Bevölkerung sowie Atemwegserkrankungen tatsächlich noch „potentielle Umweltbelastungen"?
Nein, Herr Kollege, das sind reale Umweltbelastungen. Wir können durchaus von zwei Begriffspaaren ausgehen: reale Umweltbelastungen, die wir erkannt haben, potentielle, die wir nicht erkannt haben, die aber zu einer intensiven Umweltvorsorgepolitik Anlaß geben müssen. Gerade das Waldsterben, das sehr spät erkannt worden ist, ist eine solche ursprünglich einmal potentielle Umweltbelastung gewesen, die heute als reale erkennbar geworden ist.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, muß man annehmen, daß die Bundesregierung bei der Beantwortung von Fragen und Anfragen inzwischen das Benutzen von beschönigenden, verniedlichenden und verharmlosenden Beiwörtern schätzt und sie ihr deswegen unterlaufen und deshalb von realen Umweltbelastungen lieber gar nicht erst die Rede ist?
Nein, Herr Kollege, davon sollten Sie wirklich nicht ausgehen. Aber ich gebe zu, daß die Formulierung der Antwort nicht immer das höchste Maß an wirklicher sprachlicher Prägnanz ausweist.
({0})
In diesem Falle meine ich, daß es im Eingangssatz etwas deutlicher hätte formuliert werden können. Aber die Gesamtbeantwortung der Kleinen Anfrage, auf die Sie sich beziehen, macht deutlich, in welch hohem Maße wir reale Umweltbelastungen sehen und dagegen angehen.
Die Beantwortung war offensichtlich, Herr Staatssekretär, so befriedigend, daß der Abgeordnete Conradi seine Absicht, eine Zusatzfrage zu stellen, aufgegeben hat. Wir bedanken uns bei ihm.
Ich kann damit die Fragen aus diesem Geschäftsbereich abschließen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Zur Verfügung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Probst.
Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Dr. Daniels ({0}) auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß das Kernforschungszentrum Karlsruhe ({1}) rechtmäßig handelt, wenn es - wie am 8. Juli 1988 - Mitarbeiter für eine Pro-WAA-Demonstration in Wackersdorf freistellt und einen Bus finanziert, und sieht die Bundesregierung nicht die Notwendigkeit, in diesem Fall den Bundesrechnungshof einzuschalten?
Herr Abgeordneter Daniels, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Die Initiative zur Kundgebung ging vom Betriebsrat der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe Betriebsgesellschaft mbH, WAK, aus, der den Betriebsrat des Kernforschungszentrums Karlsruhe, KfK, um solidarische Teilnahme gebeten hatte. Dessen Vertreter trug diese Bitte im wissenschaftlich-technischen Rat vor. Nach Auffassung des Bundesministeriums für Forschung und Technologie lag es im Rahmen des pflichtmäßigen Ermessens des Vorstandes des KfK, den Mitarbeitern freizustellen, an der Kundgebung bei der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf teilzunehmen, soweit dem nicht dienstliche Belange entgegenstehen.
Die 32 KfK-Teilnehmer sind überwiegend mit Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zur Wiederaufarbeitung und Abfallbeseitigung befaßt, so daß sie auf Grund einer Initiative des Betriebsrates wegen ihrer Fachkenntnis und des Arbeitsplatzbezuges ein verständliches Teilnahmeinteresse bekundeten. Das Bundesministerium für Forschung und Technologie wird jedoch dem Vorstand des KfK empfehlen, künftig bei vergleichbaren Anlässen die Wahrnehmung der satzungsgemäßen Aufgaben durch die Mitarbeiter
von der Ausübung des Demonstrationsrechts zu trennen.
Einen Bus nach Wackersdorf hat das KfK nicht finanziert. Die Bundesregierung sieht daher keine Notwendigkeit, den Bundesrechnungshof einzuschalten.
Sie haben eine Zusatzfrage, Herr Dr. Daniels, bitte sehr.
Nach meinen Informationen haben die zuständigen Stellen im KfK die Genehmigung erteilt, während der Dienstzeit dorthin zu fahren. Können Sie in irgendeiner Form belegen, daß dieser Bus tatsächlich nicht finanziert worden ist? Denn uns ist während der Pressekonferenz von den Betriebsräten selber dieses sehr stolz mitgeteilt worden.
Nach unseren Erkenntnissen wurde er von der KfK nicht finanziert.
Eine weitere Zusatzfrage wollen Sie nicht stellen, danke schön.
Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Stratmann auf:
Trifft es zu, daß wesentliche Teile der technischen Einrichtungen des Kernforschungszentrums Karlsruhe auf dem Gebiet des Trenndüsenverfahrens für die Weiterentwicklung des Trenndüsenverfahrens in das Forschungszentrum CDTN der Nuclebras in Belo Horizonte/Brasilien verlagert werden sollen, und unterliegen die dortigen Anlagen der internationalen Überwachung seitens der IAEO?
Herr Abgeordneter Stratmann, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Ja. Auf der Grundlage des deutsch-brasilianischen Regierungsabkommens zur Zusammenarbeit auf dem Gebiet der friedlichen Kernenergienutzung kooperiert das Kernforschungszentrum Karlsruhe mit dem CDTN in einem Forschungsprojekt zur Weiterentwicklung der Trenndüsentechnologie in Brasilien. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit sind zu Beginn dieses Jahrzehnts entsprechende Laborgeräte zum CDTN verlagert und gemäß dem Sicherungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Brasilien und der IAEO den Kontrollen der IAEO unterstellt worden. Für einige weitere Geräte hat die Bundesregierung das Notifizierungsverfahren für IAEO-Kontrollen veranlaßt.
Für 1989 ist die Verschiffung einer Trennstufe, Demo-Teststand genannt, zum CDTN vorgesehen. Auch dieses Gerät wird der IAEO-Sicherungsüberwachung unterliegen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stratmann, bitte schön.
Sie sagen, daß entsprechend dem Kontrollabkommen zwischen Brasilien, der BRD und der IAEO kontrolliert werde. Meine Frage: Wann ist von der IAEO zuletzt etwas in Brasilien bei den in Frage stehenden Atom-Anlagen kontrolliert worden?
Das kann ich Ihnen auswendig nicht sagen. Das wird laufend kontrolliert.
Weitere Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung bereit - und wenn ja, zu welchem Zeitpunkt - , dem Bundestag einen Bericht über die stattgefundenen Kontrollen durch die IAEO vorzulegen?
Wenn der Bundestag das anfordert, wird es ihm vorgelegt.
Sie haben Ihre zwei Zwischenfragen gestellt. - Herr Dr. Daniels hat sich noch gemeldet, bitte sehr.
Welcher Sinn ergibt sich eigentlich daraus, daß der weitere Ausbau dieser Trenndüsentechnik in Brasilien vollzogen wird, aber gleichzeitig das Atomprogramm in Brasilien stark reduziert und die Verträge mit der Bundesrepublik den verminderten Bedürfnissen angepaßt werden sollen?
Das ist eine Frage, die in erster Linie die brasilianische Regierung zu beantworten hat. Sie gehen von einer Voraussetzung aus, die mit dieser Frage nicht direkt zusammenhängt. Es ist eine Frage, in welchem Tempo die Entwicklung in Brasilien stattfinden kann. Es ist ein Finanzproblem, aber kein grundsätzliches.
Weitere Fragen sind in diesem Zusammenhang nicht zu stellen.
Die Fragen 11 und 12 des Abgeordneten Catenhusen werden auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich schließe den Bereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Herr Staatssekretär Dr. Probst, wir bedanken uns bei Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Hier steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Häfele zur Verfügung. Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten Conradi auf:
Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Steuermehreinnahmen aus dem Wegfall der steuerlichen Wohnungsgemeinnützigkeit?
Die Steuermehreinnahmen aus dem Wegfall der Steuerbefreiung der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen und der Organe der staatlichen Wohnungspolitik werden nach grober Schätzung auf 100 Millionen DM veranschlagt.
Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, die Bundesregierung hat in ihrem Gesetzentwurf vorgeschlagen, daß die Vermögenswerte der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft zum Buchwert übertragen werden sollen, wenn sie in die Steuerpflicht kommen, d. h. Nachversteuerung der stillen Reserven. Sie hat uns damals auf dieser Grundlage gesagt, das bringe 100 Millionen DM ein. Jetzt muß ich sagen: Der Bun6342
destag hat es geändert. Inzwischen übertragen die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen ihre Vermögenswerte nicht nach dem Buchwert, sondern nach dem Teilwert, d. h. nach einer völlig anderen Grundlage, und Sie schätzen die Steuermehreinnahmen genauso hoch ein. Für was halten Sie uns eigentlich?
Das ist ganz ordentlich geschätzt worden. Es ist eine grobe, schwierige Schätzung, weil Annahmen damit verbunden sind. In der Tat ist es so, wie Sie es darstellen, daß inzwischen an die Stelle der Buchwerte die Teilwerte getreten sind. Man kann sagen, damals war es an der unteren Grenze der Schätzung, heute ist es an der oberen Grenze der Schätzung.
Herr Staatssekretär, wollen Sie uns allen Ernstes hier sagen, daß der Unterschied zwischen der Nachversteuerung der stillen Reserven, die Sie vorhatten und der jetzt getroffenen Regelung, die diese Nachversteuerung nicht vorsieht, tatsächlich, auf die 100 Millionen bezogen, auf plus minus null hinausläuft?
Ja, so haben es die seriösen Sachverständigen geschätzt. Das ist nicht einfach zu schätzen. Da gehen sie von Mindestwerten, Oberstwerten und Mittelwerten aus, und das gibt es eben auch einmal, daß scheinbar das gleiche herauskommt, obwohl das eine an der unteren Grenze war, und jetzt ist es an der Obergrenze.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Oesterle-Schwerin.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zuzugestehen, daß die Annahme des Bundesfinanzministeriums, daß die Steuereinnahmen durch die Abschaffung der Gemeinnützigkeit 100 Millionen DM betragen würden, einer Milchbübchenrechnung entspricht?
Ich hatte vorhin betont, daß das nicht einfach zu schätzen ist, von der Sache her! Das ist eine grobe Schätzung, aber unsere Steuerschätzer sind erstaunlich genau. Wir machen immer wieder verblüffende Erfahrungen, wie sie doch die Wirklichkeit treffen.
Die Fragen 20 und 21 der Abgeordneten Frau Ganseforth sind zurückgezogen worden.
Der Abgeordnete Uldall befindet sich, soweit ich sehen kann, nicht im Saal, so daß die Fragen 22 und 23 nicht beantwortet werden.
Ich rufe Frage 24 des Abgeordneten Reuter auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, den Kleintierzuchtvereinen die Gemeinnützigkeit zuzuerkennen?
Ja.
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
({0})
- Entschuldigung, das habe ich gar nicht gehört. Wunderbar.
({1})
- Das bestreite ich ganz sicher nicht. Sie haben Ihre Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es denn schon entsprechende Entscheidungen der Regierung darüber?
Wir bereiten zur Zeit den Gesetzentwurf vor, wo auch dieses Problem in diesem Sinne gelöst wird.
Dann möchte ich noch eine Frage stellen.
Bitte schön.
Herr Staatssekretär, wie kann es eigentlich möglich sein, daß mir, als ich mich vor 14 Tagen bei der zuständigen Stelle im Ministerium nach diesem Sachverhalt erkundigt habe, bedeutet wurde, daß keine entsprechenden Überlegungen bekannt seien, einen Entwurf zu erstellen? Sie sagen mir jetzt, daß das in Vorbereitung sei.
Es gibt eine politische Verantwortlichkeit für das Ressort. Ich bin gefragt worden; ich habe Ihnen den Willen der Bundesregierung gesagt.
Zu welchem Zeitpunkt beabsichtigen Sie denn diese Regelungen einzuführen?
Wie wir immer erklärt haben: Wir werden das so rechtzeitig vorantreiben, daß es zeitgleich mit der Steuerrefom 1990 in Kraft treten kann.
Herr Abgeordneter Carstensen zu einer Zusatzfrage, dann Herr Abgeordneter Pfuhl.
Herr Staatssekretär, können Sie mir die Abgrenzung für „Klein"Tierzuchtvereine sagen?
Das wird eine schwierige Definition werden, aber ich glaube, alle betroffenen Vereine wissen, wer gemeint ist, und sie werden das dankbar begrüßen.
Nun der Abgeordnete Pfuhl.
Herr Staatssekretär, ist hinsichtlich der Größenordnung der Vereine ein oberes Limit vorgesehen?
Nein.
Nun die Abgeordnete Frau Steinhauer.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort, daß Sie hier präzise zugesagt haben, die Kleintierzuchtvereine hineinzunehmen, schließen, daß Sie die einschränkenden Feststellungen in dem berühmten Gutachten zur Gemeinnützigkeit nicht verfolgen, sondern der Auffassung der Mehrheit der Kollegen, wie ich das sehe, folgen und die Gemeinnützigkeit entsprechend regeln werden?
Das habe ich unmittelbar nach Veröffentlichung des Gutachtens der unabhängigen Kommission hier in einer Aktuellen Stunde für die Bundesregierung schon erklärt.
Nun rufe ich die Frage 25 des Abgeordneten Reuter auf:
Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung bereits getroffen, um die Steuerungerechtigkeit gegenüber den Kleintierzuchtvereinen zu beseitigen?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Die Absicht der Bundesregierung, künftig die Förderung der Kleintierzucht als gemeinnützig anzuerkennen, ist eine politische Entscheidung zur Förderung des Vereinswesens allgemein und hat mit der Beseitigung einer vermeintlichen Steuerungerechtigkeit nichts zu tun.
Die Bundesregierung wird in absehbarer Zeit einen Gesetzentwurf zur Verbesserung und Vereinfachung der Vereinsbesteuerung vorlegen. Die Neuregelung kann also zeitgleich mit der Steuerreform 1990 in Kraft treten.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung nicht bekannt, daß es die Kleintierzuchtvereine durchaus als ungerecht empfinden, wenn der Trabrennsport als gemeinnützig anerkannt ist und die Kleintierzuchtvereine nicht? Sie fragen zu Recht, ob das damit zusammenhängt, daß man Kaninchen nicht reiten kann.
Es war ja in der Vergangenheit nicht nur für diese Vereine, sondern auch für verschiedene andere immer eine Schwierigkeit, wo die Abgrenzung ist. Wir bringen jetzt, entgegen dem, was die unabhängige Kommission vorgeschlagen hat, eine großzügige Lösung, so daß diese Grenzfälle dabei bereinigt werden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Pfuhl.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer jetzigen Antwort entnehmen, daß, nachdem Sie die Pferde wahrscheinlich ebenfalls zu den Kleintieren rechnen, in dieser Hinsicht dem Tierreich keine Grenzen gesetzt sind?
Diese Abgrenzung haben wir aus der alten Regierungszeit übernommen.
({0})
Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für Ihre Bemühungen. Denn die Frage 26 des Abgeordneten Stiegler wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir können den nächsten Geschäftsbereich aufrufen, und zwar den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. von Wartenberg zur Verfügung.
Die Fragen 27 und 28 des Abgeordneten Hinsken und die Fragen 29 und 30 des Abgeordneten Marschewski werden auf deren Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich kann nun die Frage 31 des Abgeordneten Stratmann aufrufen.
({0})
- Dann wollen wir einmal schauen, daß wir ihn schnell wieder in den Saal bekommen. Sonst können wir den Herrn Staatssekretär nach Hause schicken.
Denn die Fragen 32 und 33 des Abgeordneten Gansel werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Herr Abgeordneter Stratmann, das Haus dankt Ihnen für Ihre Bemühungen, schnell wieder zu erscheinen. Denn sonst hätten wir tatsächlich den Geschäftsbereich beenden müssen.
Ich rufe jetzt also die Frage 31 des Abgeordneten Stratmann auf:
Hat die Bundesregierung den Export von Trennstufen für die brasilianische Urananreicherungsanlage durch die Firma MBB nach Brasilien genehmigt, und trifft es zu, daß der Export dieser Atomkomponenten in diesen Tagen erfolgt?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Herr Kollege Stratmann, Ihre Frage muß ich mit Nein beantworten.
Eine Zusatzfrage? ({0})
- Dann ist das erledigt.
Dann kann ich also tatsächlich den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft ebenfalls für beendet erklären. Herr Staatssekretär, wir danken Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. von Geldern zur Verfügung.
Da der Abgeordnete Kroll-Schlüter nicht in Sicht ist, verfahren wir hinsichtlich seiner Fragen 34 und 35 gemäß der Geschäftsordnung.
Vizepräsident Cronenberg
Ich rufe dann die Frage 36 des Abgeordneten Pfuhl auf:
Treffen Pressemitteilungen des niedersächsischen Landvolkverbandes zu, daß sich der Automobilkonzern Daimler-Benz im großen Stil am Aufbau von Schweineproduktionsstätten in Spanien beteiligen will, und wenn ja, was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu unternehmen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Pfuhl, nach Mitteilung der deutschen Botschaft in Madrid entbehren Pressemeldungen dieser Art jeglichen Wahrheitsgehalts. Bereits vor drei Wochen hat die „Stuttgarter Zeitung" ähnlich berichtet. Die Daimler-Benz AG hat dies durch eine Pressemeldung heftig dementiert.
Danke schön.
Bevor ich Ihnen, Herr Abgeordneter, die Möglichkeit zu einer Zusatzfrage gebe, bitte ich die anwesenden Geschäftsführer der Fraktionen, einmal durchrufen zu lassen, daß wir in der Fragestunde ein kräftiges Stück weiter sind als ursprünglich vorgesehen, d. h. die Fragesteller, die vielleicht rechtzeitig erscheinen wollten, aber nicht mit so schnellem Ablauf gerechnet haben, darauf aufmerksam zu machen, daß sie doch im Plenum erscheinen sollten. Sonst werden ihre Fragen nicht beantwortet. Ich bitte um Verständnis. Das scheint mir sinnvoll zu sein, um eine faire Abwicklung zu garantieren.
Herr Abgeordneter Pfuhl, Sie haben nunmehr das Wort zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß es jeglicher Grundlage entbehrt, daß anstelle des Sterns von Stuttgart in Zukunft ein springendes Schweinderl eingesetzt werden sollte?
Herr Kollege Pfuhl, das dürfen Sie meiner Antwort entnehmen.
Bitte schön, Frau Adler.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß ein anderes großes deutsches Unternehmen in Spanien Wein anbauen möchte?
Frau Kollegin Adler, das ist mir nicht bekannt. Vielleicht können Sie das spezifizieren, damit ich Ihrer Mitteilung nachgehen kann.
({0}) - Danke schön.
Abgeordneter Carstensen.
Herr Staatssekretär, da man des öfteren solche Gerüchte hört und solche Pressemitteilungen liest, frage ich Sie: Können Sie abklären, ob es bei anderen Firmen oder anderen Großkonzernen Bestrebungen gibt, in die Großtierzucht oder -mast im europäischen Ausland einzusteigen?
Herr Kollege Carstensen, bei dem Komplex, der durch den Kollegen Pfuhl hier in der Fragestunde zur Sprache gebracht worden ist, habe ich tatsächlich den Eindruck, daß es sich von Anfang an um ein substanzloses Gerücht gehandelt hat. Ich halte es für ein bißchen schwierig, generell eine solche Überprüfung, wie Sie sie angeregt haben, vorzunehmen. Tatsächlich sind mir aber auch Tendenzen und Bestrebungen dieser Art aus der deutschen Wirtschaft überhaupt nicht bekannt. Wenn so etwas bekannt wird, halte ich es aus agrarpolitischen Gründen allerdings für richtig, entsprechende Fragen an die Firmen zu stellen.
Abgeordneter Pfuhl zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, das bedeutet also, daß die Bundesregierung ein Interesse daran hat, gerade zum Schutze der deutschen bäuerlichen Landwirtschaft hier Maßnahmen zu treffen, damit die Großkonzerne hier nicht artfremde Produktion außerhalb der Bundesrepublik betreiben?
Herr Kollege Pfuhl, ich halte das für eine theoretische Fragestellung. Aber wenn solche Tendenzen sichtbar würden, die ich - das möchte ich noch einmal betonen - zur Zeit nicht sehe, dann hätten wir hier ein agrarpolitisches Interesse, dem entgegenzuwirken.
({0})
Ich rufe die Frage 37 des Abgeordneten Pfuhl auf:
Aus welchen Milchlieferungen produzieren die Vereinigten Molkereizentralen deutsche Markenbutter, die in der Bundesrepublik Deutschland zu Billigpreisen verkauft wird, und stimmt es, daß die Milch mit riesigem Frachtaufwand nach Berlin gebracht wird, um dort zu Butter verarbeitet zu werden?
Herr Kollege Pfuhl, die Vereinigten Molkereizentralen GmbH & Co KG Berlin produzieren Butter aus Rahm, den sie bei Molkereiunternehmen mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland zur Weiterverarbeitung ankaufen. Die Butter und die Buttermilch werden zum größten Teil unter Inanspruchnahme der Umsatzsteuerpräferenz in die Bundesrepublik Deutschland zurückgeliefert.
Das praktizierte Verfahren steht im Einklang mit den im Berlinförderungsgesetz vorgesehenen Maßnahmen zur Erhaltung der Wirtschaftskraft des Industriestandortes Berlin und der Sicherung der dortigen Arbeitsplätze.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, vertritt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Meinung, daß eher Molkereien hier in der Bundesrepublik geschlossen werden sollten, als daß man diesen nach meiner Meinung aufwendigen Prozeß über Berlin durchführt?
Herr Kollege Pfuhl, ich hatte Ihnen Auskunft über die Rechtsgrundlage - Berlinförderungsgesetz - und auch die mit dieser Rechtsgrundlage verfolgte politische Absicht, die das geschilderte Marktverhalten möglich macht, gegeben. Ich widerspreche Ihnen, wenn Sie diese Berliner Vorgehensweise für ursächlich für den Konzentrationsprozeß halten, den wir im Molkereiwesen der Bundesrepublik Deutschland haben und haben müssen, schon auf Grund der Konkurrenz auf dem europäischen Binnenmarkt. Wie Sie wissen, haben wir mit z. B. 400 selbständigen Unternehmen auf dem Molkereisektor bei uns und nur noch drei oder vier in den Niederlanden oder Dänemark oder in anderen Nachbarländern eine kaum konkurrenzfähige Struktur. Hier muß ein Konzentrationsprozeß - aus Gründen, die mit Berlin gar nichts zu tun haben - stattfinden.
Herr Staatssekretär, in Anerkennung dessen, was Sie gesagt haben, frage ich Sie: Halten Sie es dem Grunde nach nicht doch für wirtschaftlicher, daß man die Milch dort, wo man sie produziert, auch verarbeitet, anstatt sie Hunderte von Kilometern nach Berlin zu transportieren, um sie dort zu verarbeiten, und wäre es nicht besser, wenn die Bundesregierung versuchen würde, dort andere Industriebereiche anstelle einer solchen für Berlin artfremden Industrie zu fördern?
Absicht des Berlinförderungsgesetzes ist es, die Erhaltung der Wirtschaftskraft des Industriestandortes Berlin und die Sicherung der dortigen Arbeitsplätze zu fördern. Diese Absicht läßt sich nicht auf bestimmte Branchen oder Bereiche der Wirtschaft beschränken.
Jetzt kommt der Abgeordnete Carstensen und dann die Abgeordnete Frau Blunck.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß auch diese Tendenzen, daß eben von weiter entfernten Meiereien Milch aufgekauft wird, in der Zeit der Konsolidierung des Milchmarktes ein gutes Zeichen sind und daß es gut ist, daß Bauern mehr Geld für ihre Milch bekommen und daß die Milch dort, wo sie verarbeitet wird, jetzt wieder zu einem relativ knappen Faktor wird?
Da stimme ich Ihnen gerne zu, Herr Kollege Carstensen. Der Sinn der Garantiemengenregelung Milch war, diesen Rohstoff, der vorher im Überfluß vorhanden war, wieder so zu verknappen, daß er auch wieder einen angemessenen Erzeugerpreis möglich macht.
Frau Abgeordnete Blunck.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung in ihren Förderungsmaßnahmen für Berlin nicht auch gehalten, Aufwand und Ertrag im Auge zu behalten, und ist es insofern nicht doch sehr sinnlos, jetzt mit riesigem Frachtaufwand Milch nach Berlin zu transportieren? Wäre es nicht doch sinnvoller, das dort zu machen, wo sie auch produziert wird?
Frau Kollegin Blunck, das, was ich eben auf die Frage des Kollegen Carstensen gesagt habe, gilt für die Bundesrepublik Deutschland, ja inzwischen eigentlich schon für den europäischen Binnenmarkt insgesamt: Die Produktion am Ort der Milchlieferung wird immer weniger der ausschließliche Fall sein. Immer mehr werden wir hier auch Transportwege erleben, weil der Rohstoff begehrt ist und die Verarbeitungskapazitäten nicht immer nur da vorhanden sind, wo die Milch produziert wird.
Aber im übrigen, glaube ich, sollte ich vielleicht noch zu diesem Komplex hinzufügen, daß bei einigen Fragestellern die Bedeutung dieses Vorgehens der Vereinigten Molkereizentralen Berlin doch ganz offenbar überschätzt wird. Es ist mir aus verschiedenen steuerrechtlichen und datenrechtlichen Gründen verboten, hier Angaben zu machen. Aber es ist nicht so, daß das für den gesamten Markt der Bundesrepublik Deutschland eine nennenswerte Auswirkung hätte.
Ich rufe die Frage 38 des Abgeordneten Funk ({0}) auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Absatzmöglichkeiten für deutsche Agrarprodukte nach Verwirklichung des Binnenmarktes?
Herr Kollege Funk, die Bundesregierung beurteilt die künftige Entwicklung des Absatzes deutscher Agrarprodukte positiv. Die Vorteile der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft liegen in einem hohen Qualitätsstandard, in der Vielfalt der Produkte und in einer großen Marktnähe. Deutsche Agrarprodukte haben daher schon heute einen hervorragenden Ruf in der Europäischen Gemeinschaft.
Das spiegelt sich in dem steigenden Anteil des Exports in die EG-Mitgliedstaaten wider, der zuletzt bei rund 71 % bei den Gesamtagrarausfuhren lag. Daher gilt es, diese Position unter dem verschärften Wettbewerb des europäischen Binnenmarktes zu festigen und möglichst weiter auszubauen.
Hemmend kann sich dabei die im EG-Vergleich teilweise ungünstige Struktur der Land- und Ernährungswirtschaft auswirken. Daher kommt es darauf an, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Agrarwirtschaft überall dort zu stärken, wo Defizite vorhanden sind, und die Bemühungen der Marktpartner um strukturelle Anpassungen zu unterstützen. Nur auf diese Weise können die Absatzchancen, die sich in dem Markt mit 320 Millionen Verbrauchern bieten, voll genutzt werden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Funk.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung in der Lage, diese strukturpolitischen Nachteile auszugleichen? Ich denke z. B. auch an das Marktangebot. Sie haben sicherlich auch gehört, daß die deutsche Nahrungsmittelindustrie festgestellt hat, daß der Druck auf diesem Markt immer stärker wird und daß dort wettbewerbspolitische
Funk ({0})
Verfälschungen insofern liegen, als die steuerrechtlichen und die anderen Harmonisierungsbestimmungen noch nicht endgültig sind.
Herr Kollege Funk, ich glaube, wir können im Rahmen dieser Fragestunde das große Thema, das Sie angesprochen haben, nicht ausdiskutieren. Aber ich gebe Ihnen gerne recht, daß Sie Tendenzen angesprochen haben, die auch der politischen Aufmerksamkeit wert sind. Wir haben Wettbewerbsverzerrungen. Ich erwarte von dem Entstehen des Binnenmarktes, daß ein großer Teil davon abgebaut wird.
Wir haben aber auch Chancen, auf die ich in der ursprünglichen Antwort hingewiesen habe. Immerhin ist die Bundesrepublik Deutschland heute - was der Öffentlichkeit viel zuwenig bekannt ist - der viertgrößte Agrarexporteur der Welt. Das zeigt, glaube ich, daß wir im internationalen Wettbewerb durchaus von einer grundsätzlich konkurrenzfähigen Position ausgehen können.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, stimmt es, daß es in Frankreich einen Marktfonds gibt, aus dem die französischen Schweineerzeuger entgegen den Abmachungen der EG für jedes verkaufte Schwein einen Zuschuß erhalten?
Herr Kollege Funk, auf diese Frage, die Sie mir überraschend stellen, habe ich mich nicht besonders vorbereitet. Ich kann das deswegen nicht bestätigen, aber auch nicht dementieren. Ich kann nur eins sagen: Wenn unzulässige Beihilfen - auf welche Weise auch immer - in irgendeinem Land der Europäischen Gemeinschaft gezahlt werden, ist das ein Beanstandungsfall für die EG-Kommission. Wir werden als Mitglied der Gemeinschaft wie in der Vergangenheit sicher auch in Zukunft darauf achten, daß die Kommission ihre Beanstandungsrechte und Beanstandungspflichten gegenüber allen Mitgliedstaaten wahrnimmt.
Ich darf die nächste Frage des Abgeordneten Funk aufrufen, die Frage 39:
Was kann die Bundesregierung tun, damit deutsche Agrarprodukte nach 1992 im EG-Wettbewerb bestehen können?
Herr Kollege Funk, die Bundesregierung geht davon aus, daß deutsche Agrarprodukte die Herausforderungen des Binnenmarkts bestehen werden. Um darüber hinaus die Chancen des einheitlichen Markts zu nutzen, kommt es darauf an, die unbestreitbaren Vorteile der deutschen Ernährungswirtschaft, die ich soeben schon nannte - Qualität, Marktnähe, Vielfalt - , auszubauen. Hierbei wird es eine besondere Aufgabe der Absatzförderung sein, diese Vorzüge des deutschen Angebots noch besser als bisher in den übrigen EG-Staaten zur Geltung zu bringen.
Die Vollendung des Binnenmarkts wird allerdings auch eine Verschärfung des Wettbewerbs mit sich bringen. Die Sicherung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft muß dabei ein zentrales Anliegen der Bundesregierung sein, und sie ist es auch.
Die Bundesregierung begrüßt aus agrar- und ernährungspolitischer Sicht alle Bestrebungen, die Rahmenbedingungen für den Einsatz etwa von Düngemitteln und Pflanzenschutzmitteln, im Bereich des Veterinär- und Futtermittelrechts, bei den Normen landwirtschaftlicher Maschinen und auch im Umweltbereich auf möglichst hohem Niveau EG-weit zu vereinheitlichen und damit Wettbewerbsverzerrungen abzuschaffen. Außerdem drängt die Bundesregierung auf eine Harmonisierung des Lebensmittelrechts ebenfalls auf möglichst hohem Niveau.
Die Bundesregierung kann die Land- und Ernahrungswirtschaft bei ihrer Anpassung an den Binnenmarkt unterstützen. Große Anstrengungen müssen aber auch von den Unternehmen selbst erbracht werden. Mehr als je zuvor kommt es auf das unternehmerische Gespür und die marktwirtschaftliche Orientierung der Betriebsleiter an. Strukturelle Defizite, die es in Teilen der deutschen Agrarwirtschaft gibt, müssen überwunden werden.
Die Bundesregierung wird alles tun, daß bei diesen notwendigen strukturellen und betrieblichen Anpassungen unvertretbare wirtschaftliche und soziale Härten vermieden werden. Dabei liegt ein Schwerpunkt der Agrar-, aber auch der regionalen Wirtschafts- und Strukturpolitik darin, daß auch die land- und ernährungswirtschaftlichen Betriebe in peripheren strukturschwachen Räumen so weit gestärkt werden, daß diese Räume ihre wichtigen Funktionen weiter erfüllen können und daß der bäuerliche Charakter der Landwirtschaft dabei erhalten bleibt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Funk. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, der Europäische Gerichtshof hat ja beschlossen, daß es in Zukunft nicht mehr möglich ist, Grenzkontrollen durchzuführen. Das ist vor allem bei Nahrungsmitteln besonders schwierig. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, daß es nicht tatsächlich zu einem Unterlaufen der scharfen deutschen Nahrungsmittelbestimmungen kommt?
Herr Kollege Funk, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, daß Sie gerade interpretieren, ist nicht so weitgehend, wie Sie sagen. Einige Pressemeldungen legen es nahe, es als so weitgehend anzusehen. Aber das ist es offensichtlich nicht. Hier ist nur der Bereich der Geflügelfleischkontrolle angesprochen. In dem Urteil ist keineswegs ausgesagt, daß an den Grenzen nicht mehr kontrolliert werden darf, sondern diese Kontrollen sollen sich künftig auf Stichproben beschränken. Wir meinen, daß wir dies auch bisher so gehandhabt haben: Zunächst eine Identitätskontrolle, ob Wagenfracht und Wagenpapiere übereinstimmen, und dann nur im Fall offensichtlicher Beanstandungen eine weitergehende Prüfung.
Aber wir werden uns - und in dem Sinn folge ich Ihnen - langfristig oder auch schon mittelfristig mit Blick auf das Jahr 1993 sicher darauf einstellen müsParl. Staatssekretär Dr. von Geldern
sen, daß die Bedeutung der Binnengrenzkontrollen immer geringer wird und daß deshalb gewährleistet sein muß, daß in allen Teilen der Europäischen Gemeinschaft ein gleich hohes Niveau an Kontrolle, Überwachung, Verbraucherschutz, Gesundheitsschutz in den Erzeugungsstätten, in den Schlachthöfen, in den Betrieben und in den Vermarktungsstätten gewahrt wird. Dies ist nach meiner Überzeugung auch eine zentrale Aufgabe der EG-Kommission, die sich nicht einfach auf die Mitteilungen der nationalen Regierungen verlassen darf, sondern sich einen eigenen Überblick darüber, daß ordentlich kontrolliert wird, verschaffen muß.
Frau Abgeordnete Blunck hat noch um eine Zusatzfrage gebeten. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, ich habe soeben Ihrer Antwort entnommen, daß in den peripheren Gebieten die Landwirtschaft besonders gefördert werden soll. Meine Frage ist: Wie soll das geschehen, und zwar auch unter dem Gesichtspunkt, daß die Agrarwirtschaft insgesamt auch nach Meinung der Bundesregierung ebenso wie die Agrarpolitik geändert werden soll, und auch im Hinblick darauf, daß wir alle schadstoffarme Nahrungsmittel herstellen sollen und das Trinkwasser, unser Nahrungsmittel Nummer eins, schadstoffarm bleiben soll?
Frau Kollegin Blunck, damit haben Sie eigentlich ein ganzes Bündel von Problemen angesprochen. Die Aufgabe einer umweltfreundlichen, naturfreundlichen, tierschutzgerechten und verbraucherfreundlichen gesundheitsunbedenklichen Nahrungsmittelproduktion ist die eine Aufgabe, zu der wir uns ganz zweifellos gemeinsam unschwer verständigen können, die dann viele einzelne Fragen der Umsetzung mit sich bringt.
Die andere Aufgabe, die einer Stärkung des ländlichen Raums auch in peripheren, weitab von den Ballungszentren liegenden Gebieten, wird z. B. mit der Maßnahme der Ausgleichszahlung in den benachteiligten Gebieten, aber auch mit der Agrarsozialpolitik angepackt.
Wir wissen, daß die Landwirtschaft gerade in solchen Räumen auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielt und im Kern erhalten bleiben muß. Wir wissen aber auch, daß dies eine Frage an die Wirtschaftspolitik ist, die hier für außerlandwirtschaftliche Arbeitsplätze in erreichbarer Nähe sorgen muß.
Ich meine, daß auch Ihre Frage eigentlich Anlaß zu längeren Ausführungen oder einer längeren Diskussion sein müßte, die wir hier im Rahmen der Fragestunde, Herr Präsident, sicher nicht führen können.
Es war auch nicht unbedingt der direkte Zusammenhang zu den ursprünglich gestellten Fragen zu erkennen. Insofern ist es schon eine großzügige Auslegung der Geschäftsordnung, daß ich die Frage zugelassen habe.
So, die Abgeordnete Frau Adler erwartet nunmehr Ihre Antwort auf ihre Frage 40, die ich hiermit aufrufe:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die über 3 000 verendeten Robben ein Beseitigungsproblem darstellen, und wenn ja, werden diese Kadaver vor der Anlieferung in eine Tierkörperbeseitigungsanstalt nochmals untersucht und erst dann für eine Weiterverwertung freigegeben?
Frau Kollegin Adler, der Bundesregierung liegen keine Informationen vor, daß sich bei der unschädlichen Beseitigung der verendeten Robben Kapazitätsprobleme für die Tierkörperbeseitigungsanstalten ergeben hätten. Bei ordnungsgemäßer Verarbeitung der Tiere in einer Tierkörperbeseitigungsanstalt sind Gefahren, die daraus entstehen können, daß die Tiere mit einem bislang nicht vollständig sicher erkannten Erreger infiziert sind, aus folgenden Gründen ausgeschlossen:
Alles Rohmaterial, das in Tierkörperbeseitigungsanstalten anfällt, muß bei der Verarbeitung generell einer Behandlung unterworfen werden, durch die eine Entkeimung gewährleistet ist. Als Behandlungsverfahren ist nur eine Wärmebehandlung bei hohen und höchsten Hitzegraden zulässg, bei der auch sehr widerstandsfähige Krankheitserreger abgetötet werden. Druck, Zeit und Temperatur sind vorgeschrieben und werden laufend kontrolliert.
Zur Feststellung der Todesursachen wird übrigens die Mehrzahl der verendeten Robben vor der Anlieferung in einer Tierkörperbeseitigungsanstalt in Untersuchungsinstituten und Labors untersucht.
Zusatzfrage? - Bitte schön, Frau Abgeordnete.
Herr Staatssekretär, Kapazitätsengpässe habe ich auch nicht gesehen, obwohl die auch zu erwarten stehen, vor allem auf dem Hintergrund der sehr vielen Tiere, die an unseren Stränden im Norden verenden.
Hier geht es vor allem um die Frage der Krankheit. Ich möchte von Ihnen gerne wissen, ob - über das normale Maß der Tatbestände hinaus, die da untersucht werden - ein Untersuchungsplan aufgestellt wurde, der gewährleistet, daß jedes einzelne Tier auf dem Hintergrund, daß es also jetzt auf Umweltschäden hin verendet ist, untersucht wird, um ganz sicher zu sein, daß dann auch tatsächlich die Beseitigungsart gefunden wird, die angemessen ist.
Frau Kollegin Adler, Kapazitätsprobleme bei den Tierkörperbeseitigungsanstalten sind uns nicht bekannt, und wir befürchten auch keine.
({0})
- Ich dachte, ich hätte das soeben anders verstanden.
({1})
- Dann ist es ja gut. - Zweitens ist es so, daß das Verfahren, das hier vorgeschrieben und vorgesehen ist - das ist ja nicht aus der hohlen Hand entwickelt, sondern wissenschaftlich begründet - , ausreicht, die Keime zu töten. Damit ist auch durch dieses Verfahren gewährleistet, daß Gefahren von der Beseitigung von Robbenkadavern nicht ausgehen.
Weitere Zusatzfrage zu dieser Frage? - Herr Abgeordneter Carstensen.
Herr Staatssekretär, gibt es eine tierseuchenrechtliche Verpflichtung, die toten Robben von den Sandbänken abzubergen, und wie beurteilt die Bundesregierung, daß dies in vielen Fällen unter bestimmten Gesichtspunkten - Nationalpark, Betretungsverbote - nicht immer geschehen ist?
Herr Kollege Carstensen, bei toten Robben, die nicht geborgen werden, sehe ich keine Möglichkeit, irgendwie einzugreifen. Bei denen, die geborgen und an Land verbracht worden sind, ist die Beseitigung in Tierkörperbeseitigungsanstalten vorgeschrieben. Wenn das nicht geschieht, dann handelt es sich um einen Verstoß gegen die Vorschriften.
Jetzt Frau Abgeordnete Bulmahn.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin von einem Verfahren gesprochen, dem Tierkadaver unterzogen werden. Können Sie bitte genauer erläutern, worin dieses Verfahren besteht, und können Sie uns bitte insbesondere auch genauere Angaben zur Temperaturbehandlung geben? Sie sagten, Tierkadaver würden mit hohen und höchsten Temperaturen behandelt werden. Hierzu hätte ich ganz gerne genauere Informationen.
Frau Kollegin, es tut mir leid, dafür bin ich nun wirklich kein Experte. Es gibt Vorschriften über die Beseitigung von Tierkadavern in Tierkörperbeseitigungsanlagen. Nach diesen Vorschriften, die - ich wiederhole das - wissenschaftlich begründet sind, findet eine Hitzebehandlung statt, die nach Auffassung der Wissenschaft gewährleistet, daß dabei die vorhandenen Keime abgetötet werden und anschließend das Material, das nach diesem Prozeß übrigbleibt, z. B. für Futtermittel verwendbar ist und daß keine gesundheitlichen Gefahren weder für ein Tier noch später durch den Genuß des Fleisches für den Menschen davon ausgehen können.
Nun die zweite Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Adler.
Herr Staatssekretär, auf Ihre Antwort auf die Frage meines Kollegen Herrn Carstensen würde ich gern noch einmal zurückkommen. Wenn dem so ist, daß Robbenkadaver nicht geborgen wurden, ist dann eine Pressemitteilung in der „Süddeutschen Zeitung" von heute vielleicht zutreffend, daß von diesen toten Robben eine Salmonellengefahr auf die norddeutschen Inseln ausgeht?
Frau Kollegin Adler, das kann ich nicht ausschließen.
Was unternehmen Sie?
Ich kann da überhaupt nichts unternehmen. Die Frage ist: Wer ist dafür zuständig, daß, in welchem Gebiet auch immer,
solche Robben gesucht, aufgefunden, dann an Land verbracht und in Tierkörperbeseitigungsanlagen beseitigt werden? Das ist ganz sicherlich keine Frage an die Bundesregierung, sondern eine Frage an verschiedene andere Behörden auf kommunaler und auf Landesebene.
Frau Abgeordnete Blunck.
Herr Staatssekretär, ich erkenne an, daß Sie zu dieser Fragestunde nicht wissen, wie die Tierkörper beseitigt werden. Ich möchte Sie aber fragen, ob Sie es nicht für sinnvoll erachten, sich kundig zu machen und uns dann Ihre Weisheit mitzuteilen. Ich würde Sie ganz herzlich darum bitten, weil das in vielfältiger Hinsicht ein gesundheitliches Problem für die Bevölkerung darstellen kann, und weil es auch von Bedeutung ist, mit welchen Temperaturen diese Kadaver beseitigt werden. Insofern sehe ich schon, daß die Bundesregierung ein Interesse daran haben müßte, besonders im Hinblick auf die Vorsorgepolitik, die sie hier im Umwelt- und Gesundheitsbereich propagiert.
Frau Kollegin Blunck, ich bin - möglicherweise im Gegensatz zu Ihnen - schon in Tierkörperbeseitigungsanstalten gewesen. Ich weiß durchaus, was dort passiert und wie das vor sich geht. Nur bin ich kein echter wissenschaftlicher Fachmann dafür, um zu sagen, bei welcher Temperatur die Beseitigung passieren muß, bei welchem Keimbefall oder Befall mit Viren welche Temperatur vorgesehen ist. Das können Sie von mir nicht erwarten.
Es gibt für mich außer Ihren Fragen jetzt hier überhaupt keinen Hinweis aus der Wissenschaft oder von irgendeiner sonst dafür verantwortlichen Stelle, daß hier Bedenken bestünden. Wir können zu diesem Thema nur folgendes sagen: Das Problem mit den Robben ist nicht etwas völlig Neues; wir liefern immer wieder an Krankheiten verendete Tiere seit Jahr und Tag und jeden Tag neu in Tierkörperbeseitigungsanstalten ein, und sie werden dort nach wissenschaftlicher Auffassung unschädlich beseitigt. Das ist der Zustand, an dem zu zweifeln ich keinen Grund habe.
Nun rufe ich die Frage 41 der Abgeordneten Frau Adler auf:
Ist die Verarbeitung der Robbenkadaver zu Fleischmehl unter der weiteren Verwendung als Zusatz für Kraftfuttermischungen zu verantworten, wenn bis zum augenblicklichen Datum die eindeutige Krankheitsursache nicht wissenschaftlich belegt werden kann?
Frau Kollegin Adler, die Frage ist schon weitgehend beantwortet; ich will es trotzdem noch einmal vortragen: Die verendeten Tiere werden in den Tierkörperbeseitigungsanstalten zu Futtermitteln oder Rohstoffen für die chemische Industrie, z. B. zu Fett, verarbeitet.
Futtermittel dürfen nur aus zuvor entkeimtem Rohmaterial hergestellt werden. Nach § 3 des Futtermittelgesetzes müssen Futtermittel so hergestellt werden, daß sie keine nachteilige Wirkung auf die Qualität der tierischen Erzeugnisse haben und die Gesundheit von Tieren nicht schädigen.
Durch die ordnungsgemäße Erhitzung des Rohmaterials ist dies auch dann sichergestellt, wenn die Ursachen des Robbensterbens in ihrer Gesamtheit noch nicht eindeutig feststehen.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, habe ich das jetzt so zu verstehen, daß alle Tiere untersucht werden und daß kein Kraftfutter, das über andere Tiere wieder in den Nahrungskreislauf gelangt, von kranken Tieren stammt? Denn es geht hier wohl auch um die Gewährleistung und um die Unbedenklichkeit, die bei einer solchen Tierkörperbeseitigung gegeben sein muß, damit hier nichts passiert, daß also diese Tiere nicht dann zu Fleischmehl verarbeitet werden.
Ich darf Ihnen, Frau Kollegin Adler, den entscheidenden Satz noch einmal sagen: Futtermittel dürfen nur aus zuvor entkeimtem Rohmaterial hergestellt werden. Das muß gewährleistet sein.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben immer wieder betont, daß Sie nicht genau wissen, woran die Tiere erkrankt sind. Wenn man das nicht weiß, kann man im Grunde genommen auch kein Verfahren wissen, das zu entkeimen oder das den Sicherheitsanforderungen entsprechend zu verarbeiten. Darf ich davon ausgehen, daß dann diese Tiere nicht zu Fleischmehl verarbeitet werden?
Ich habe Ihnen gerade, Frau Kollegin Adler, das Gegenteil gesagt. Die verendeten Tiere werden in den Tierkörperbeseitigungsanstalten zu Futtermitteln oder Rohstoffen für die chemische Industrie verarbeitet, weil das Verfahren der Entkeimung auch dann ausreichend ist, wenn wir nicht genau wissen, ob Hundestaupe oder ein anderer Virus den Tod dieser Tiere herbeigeführt hat. Wir wissen jedenfalls, daß wir ein Verfahren haben, mit dem wir sicherstellen können, daß das Material nach dem Prozeß in der Tierkörperbeseitigungsanstalt entkeimt ist und damit verarbeitet werden kann.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Blunck.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie jetzt richtig verstanden: Sie kennen zwar das Verfahren nicht genau, Sie wissen aber, daß die Keime da herausgenommen sind, aber Sie wissen nicht, ob z. B. Dioxin, bestimmte Furane, bestimmte Schwermetalle noch in diesen Futtermitteln enthalten sind, was Sie aber billigend in Kauf nehmen?
Frau Kollegin Blunck, ich wundere mich, daß Sie hier so polemisch werden. Das gefällt mir eigentlich gar nicht.
({0})
- Das hatte ich nicht erwartet.
Ich wäre dankbar, wenn wir uns an die Geschäftsordnung halten würden.
Ich kenne das Verfahren in den Tierkörperbeseitigungsanstalten genau, entgegen Ihrer Aussage. Ich weiß, daß Vorschriften für die Herstellung von Futtermitteln bestehen, z. B. was das Entkeimen betrifft, daß diesen Vorschriften in unseren Tierkörperbeseitigungsanstalten Genüge getan wird und daß es weitere Vorschriften für Futtermittel gibt, was die sonstige Belastung angeht. Sie sind schon weit vom Thema abgekommen; Sie sprechen gar nicht mehr von Viren, sondern von Dioxinen und was weiß ich. Für all diese Dinge gibt es Vorschriften, die nicht extra auf den Robbenfall zugeschnitten sind und nicht jetzt erfunden werden müßten, sondern die wir in unserem Futtermittelrecht längst haben. Daß dies alles auch bei dem Anfall der Robben in den Tierkörperbeseitigungsanstalten und bei der Produktion von Futtermitteln oder chemischen Stoffen aus diesen Robben beachtet wird, davon können Sie und ich ausgehen.
Frau Abgeordnete Unruh hat um eine Zusatzfrage gebeten.
Ihren Unwillen kann ich verstehen. Trotzdem noch eine Frage: Wieviel Stempel - sinngemäß - gibt es denn dann bei soviel Schadstoffen, daß die Entkeimung auch einwandfrei verläuft? Es gibt ja verschiedene Schadstoffe. Bei der Fleischbeschau ist es der Veterinärstempel. Wie können wir uns da geschützt fühlen?
Frau Kollegin Unruh, Sie haben überhaupt keinen Grund, beunruhigt zu sein, denn wir haben hier sehr eingehende, strenge, wissenschaftlich begründete Vorschriften, die nicht nur die Entkeimung von an Krankheiten verendeten Tieren betreffen, die später zu Futtermitteln verarbeitet werden, sondern die auch die Schadstoffbelastung von Futtermitteln betreffen. Alles das ist nach dem Vorsorgeprinzip ausgerichtet und muß jetzt - ich wiederhole das - nicht aus Anlaß des Robbensterbens neu erdacht oder erfunden werden, sondern das hat sich in vielen, vielen anderen Fällen, die seit Jahren praktiziert werden, bereits bewährt.
Ich rufe die Frage 42 der Abgeordneten Frau Blunck auf:
Wie kann es der Bundeskanzler verantworten, daß für den Schutz der Umwelt, insbesondere des Grundwassers und der Gesundheit der Menschen vor chemischen Pflanzenschutzmitteln, derjenige Minister die Verantwortung trägt, der die Förderung der Anwender dieser Pflanzenschutzmittel zu seinen Aufgaben zählt, und nicht der für Umwelt- und Gewässerschutz und Fragen von Umwelt und Gesundheit verantwortliche Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit?
Frau Kollegin Blunck, die Zuständigkeit für Pflanzenschutzmittel ist im Pflanzenschutzgesetz geregelt. Danach ist der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zuständig.
Bereits im Jahr 1968 wurde eine erste umfassende gesetzliche Regelung mit dem bisherigen Pflanzenschutzgesetz getroffen, das international als vorbildlich angesehen wurde. Seinerzeit wurde z. B. die obligatorische Zulassung von Pflanzenschutzmitteln ein6350
geführt. Mit dem neuen Pflanzenschutzgesetz vom 15. September 1986 wurde der Schutz des Naturhaushalts gleichrangig neben den Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier gestellt. In der Zweckbestimmung des Gesetzes heißt es, daß „Gefahren" abzuwenden sind, die durch die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, insbesondere für die Gesundheit von Mensch und Tier und für den Naturhaushalt, entstehen können. In den neuen Bestimmungen zur Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, zur Einführung des Sachkundenachweises für berufliche Anwender sowie für Verkäufer von Pflanzenschutzmitteln im Einzelhandel, in den verschärften Bedingungen für die Zulassung, Kennzeichnung und Ausfuhr von Pflanzenschutzmitteln sowie den Anforderungen an Pflanzenschutzgeräte findet der verstärkte Schutz des Naturhaushalts seine praktische Konkretisierung.
Der Erlaß von Rechtsverordnungen, die u. a. dazu dienen, Gefahren abzuwenden, die durch die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln enstehen können, bedürfen des Einvernehmens mit den Bundesministerien für Wirtschaft, für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit und für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Amtliche Zulassungsbehörde für Pflanzenschutzmittel ist die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft in Braunschweig. Sie entscheidet über die Zulassung nach dem Stande der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Einvernehmen mit dem Bundesgesundheitsamt und dem Umweltbundesamt.
All diese Regelungen zeigen, daß der Schutz der Gesundheit, der Umwelt und von Gewässern durch die Beteiligung der betroffenen Ressorts und deren nachgeordneter Behörden umfassend sichergestellt ist.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Blunck.
Herr Staatssekretär, darf ich aus der Antwort - sowohl aus ihrer Länge als auch aus der inhaltlichen Hinwendung zum Pflanzenschutzgesetz - schließen, daß der Bundeslandwirtschaftsminister mit sehr schlechtem Gewissen zum einen die Verantwortung für die Gesundheit der Menschen und für unbelastetes Grundwasser trägt und zum anderen gleichzeitig genau diejenigen fördert, die Pflanzenschutzmittel einsetzen?
Nein, Frau Kollegin Blunck. Sie dürfen meiner ausführlichen Antwort entnehmen, daß ich Ihre Frage als willkommenen Anlaß verstanden habe, die großen Leistungen des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf dem Gebiet des Pflanzenschutzrechts hier einmal darzustellen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich aus der Antwort, die Sie mir jetzt gegeben haben, schließen, daß dem Bundeslandwirtschaftsminister die Belastung unserer Gewässer, insbesondere unseres Trinkwassers, mit Pflanzenschutzmitteln unbekannt
ist oder daß sie ihn wenig interessiert, und darf ich weiter daraus schließen, daß das, was Sie mir gerade als Antwort gegeben haben, nämlich daß der Bundeslandwirtschaftsminister es richtig findet, daß er für beide Bereiche Verantwortung trägt, auch mit dem Bundeskanzleramt abgestimmt ist und daß der Herr Bundeskanzler das so auch für richtig hält?
Frau Kollegin Blunck, erste Antwort: Ich habe Ihnen nicht im eigenen Namen, sondern im Namen der Bundesregierung geantwortet, mit der ich mich aber bei dieser Antwort vollständig identifiziere.
Zweite Antwort: Weil der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft Forsten die von Ihnen
angesprochenen Sorgen im Bereich der Gewässer- und Bodenreinhaltung kennt und teilt, hat er diese besonderen Anstrengungen unternommen und Leistungen erbracht, die uns - ich glaube, das kann man ohne Übertreibung sagen - das weltweit führende Pflanzenschutzrecht beschert haben.
Danke schön, Herr Staatssekretär, für Ihre Bemühungen. Wir sind damit am Ende Ihres Geschäftsbereichs. - Entschuldigung, hatten Sie sich gemeldet? Haben Sie sich auch rechtzeitig gemeldet? Niemand hier oben hat das festgestellt.
Ich habe nicht sofort gestanden, sondern mich vom Sitz aus gemeldet. Ich werde das beim nächstenmal noch deutlicher machen.
Ja, Frau Abgeordnete, es wäre zumutbar, wenn dem Präsidium die Arbeit ein wenig erleichtert würde.
Ich habe es sehr deutlich gemacht! Länger war mein Arm nicht.
Bitte schön.
Ich habe noch eine Frage an den Herrn Staatssekretär. - Herr Staatssekretär, sieht der Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten keine Interessenkollision zwischen seiner Aufgabe als Landwirtschaftsminister und damit sicherlich auch als Minister, der diejenigen fördert, die
- darauf hat Frau Blunck ja verwiesen - Pflanzenschutzmittel einsetzen, einerseits und der anderen Aufgabe, praktisch Hüter der natürlichen Umwelt
- des Bodens und des Wassers - zu sein, andererseits?
Frau Kollegin, der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ist ausweislich dessen, was ich eben stichwortartig vortragen durfte, auf dem Gebiet des Pflanzenschutzes nicht nur hervorragend tätig gewesen, sondern hält für die Bundesrepublik Deutschland eine Spitzenstellung im internationalen Vergleich.
Ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß über die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln - das ist die Frage, die Sie angesprochen haben - in der Bundesrepublik Deutschland von einer unabhängigen Institution, nämlich der Biologischen Bundesanstalt, im
Einvernehmen mit dem Bundesgesundheitsamt und dem Umweltbundesamt entschieden wird. Dies sollten Sie, so meine ich, bei einer objektiven Würdigung der tatsächlichen Situation mit berücksichtigen.
Ich wäre den Damen und Herren Abgeordneten außerordentlich verbunden, wenn sie darauf verzichten würden, schon gestellte Fragen, die beantwortet worden sind, zu wiederholen. Es gibt Kollegen, die die Antworten auf ihre Fragen noch erwarten. Ich bitte Sie, das als Appell aufzufassen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Höpfinger zur Verfügung.
Die Fragen 43 und 44 des Abgeordneten Engelsberger werden auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 45 des Abgeordneten Grünbeck auf :
Welche Maßnahmen hat die Bundesanstalt für Arbeit unternommen, um den Presseberichten ({0}) über illegale Arbeitsverhältnisse beim Neubau des Flughafens München II nachzugehen und um eventuelle Mißbräuche zu beseitigen?
Herr Kollege Grünbeck, das Landesarbeitsamt Südbayern hat im Dezember 1987 die Arbeitsämter ausdrücklich angewiesen, dem Landesarbeitsamt alle Erkenntnisse über illegale Beschäftigung auf der Großbaustelle des Flughafens München II im Erdinger Moos umgehend mitzuteilen. Das Arbeitsamt Freising hat vor dem Baugelände eine besondere Vermittlungsstelle eingerichtet, die auf legale Beschäftigung hinwirkt. Die für das Baugelände eingerichtete besondere Polizeidienststelle ist von der Arbeitsverwaltung über die Abgrenzung zwischen legalen Werkverträgen und möglicherweise illegaler Arbeitnehmerüberlassung unterrichtet. Bei aufkommenden Zweifeln wendet sie sich an das Landesarbeitsamt Südbayern. In einer Reihe von Fällen haben Arbeitsämter einen hinreichenden Anfangsverdacht bejaht und Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Leistungsmißbrauchs und der illegalen Ausländerbeschäftigung eingeleitet. Diese Verfahren sind noch nicht abgeschlossen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Grünbeck.
Herr Staatssekretär, wenn man die bisherigen Berichte der Behörden zu diesem Vorhaben liest, so stehen dort zwei Dinge nachzulesen, nämlich daß sich jetzt etwa 1 000 Leute und demnächst, wenn die Hochbaumaßnahmen beginnen, etwa 5 000 Leute auf der Großbaustelle befinden. Teilen Sie meine Auffassung, daß gerade dieser Fall eigentlich ein Beleg dafür ist, daß bei uns insbesondere illegale Ausländer von Verleiherfirmen unter Hinterziehung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen mißbraucht werden und daß sich eigentlich keine Behörde richtig zuständig fühlt? Weder die Polizei noch das Arbeitsamt, noch die Steuerfahndung, noch das Gewerbeaufsichtsamt fühlen sich zuständig. Da reicht einer den Ball dem anderen weiter. Wäre es
nicht richtig, wenn die Bundesregierung einmal überlegen würde, bei der Bekämpfung der Schwarzarbeit eine Behörde für federführend und die anderen Behörden zu mithelfenden Behörden zu erklären?
Herr Abgeordneter Grünbeck, ich hatte Sie eigentlich nicht zu einem Debattenbeitrag, sondern zu einer Zusatzfrage aufgerufen.
Herr Staatssekretär, bitte sehr.
({0})
Herr Kollege Grünbeck, ich kann nur wiederholen: Es ist zunächst einmal all das geschehen, was erforderlich ist, und die Verfahren sind noch nicht zum Abschluß gebracht. Ich glaube, wenn diese Verfahren zum Abschluß gebracht sind, werden sich auch Erkenntnisse zeigen, welche Maßnahmen ansonsten erforderlich sind.
Keine weiteren Zusatzfragen zu dieser Frage.
Ich rufe Frage 46 des Abgeordneten Grünbeck auf:
Wie will die Bundesregierung sicherstellen, daß die in dem Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Sozialversicherungsausweises vorgesehenen Möglichkeiten für eine bessere Kontrolle illegaler Beschäftigung auch tatsächlich zu mehr und effizienteren Kontrollen genutzt werden, und welche Aufwendungen sind mit einer entsprechenden Aufstockung der personellen und finanziellen Ausstattung der mit diesen Kontrollen befaßten Institutionen verbunden?
Herr Kollege Grünbeck, durch den Gesetzentwurf zur Einführung eines Sozialversicherungsausweises und zur Änderung anderer Sozialgesetze sollen insbesondere der Bundesanstalt für Arbeit erweiterte Kontrollbefugnisse eingeräumt werden. Es wird Sache der Bundesanstalt für Arbeit sein, diese erweiterten Kontrollbefugnisse bei der Erfüllung ihrer Aufgaben wirksam zu nutzen.
Die Bundesanstalt für Arbeit hat den Umfang der für einen effektiven Gesetzesvollzug notwendigen Prüfungen noch nicht abschließend ermittelt. Sie schätzt die Mehrbelastungen für je 10 000 Außenprüfungen auf der Basis vergleichbarer Tatbestände auf anfänglich rund 20 Millionen DM, die jedoch in einem größeren Prüfungsumfang degressiv werden.
Zusatzfrage. Bitte schön, Herr Abgeordneter Grünbeck.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir gestatten, daß ich auf unsere letzte Fragestunde zurückkomme und noch einmal anfrage, ob die tatsächlichen Verwaltungsaufwendungen, insbesondere durch die Fortschreibung des Sozialversicherungsausweises beim Arbeitsplatzwechsel - wir haben immerhin 3 Millionen Arbeitsplatzwechsel im Jahr -, auf, wie Fachleute schätzen, 200 Millionen DM pro Jahr auflaufen könnten?
Diese Schätzung ist sicher zu hoch gegriffen, wenn man davon ausgeht, daß 10 000 Außenprüfungen zu Beginn auf etwa 20 Millionen DM auflaufen und daß sich diese Kosten
bei einer Ausweitung degressiv gestalten. Das heißt, wenn zunächst einmal die Grundeinrichtung geschaffen ist, dann sind Mehraufwendungen hierfür nicht mehr zu erbringen, sondern lediglich die Mehrkosten, die auf Grund des Personalbedarfs gegeben sind. Die Annahmen, die Sie hier genannt haben, Herr Kollege Grünbeck, könnte ich nicht bestätigen und sind auch im Hause nicht bekannt und werden auch von der Bundesanstalt für Arbeit in dieser Größenordnung nicht angegeben.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Grünbeck.
Herr Staatssekretär, deckt eigentlich der Gesetzentwurf die Frage ab, die ich Ihnen schon in der letzten Fragestunde gestellt habe, ob wir nicht durch die Ausstellung des Sozialversicherungsausweises der Schwarzarbeit nach Feierabend bzw. am Wochenende Vorschub leisten, indem dann jemand, der irgendwo legal beschäftigt ist, den Ausweis auch bei der illegalen Beschäftigung vorzeigen kann?
Herr Kollege Grünbeck, zwischenzeitlich liegt auch die Drucksache 11/ 2807 vor. Das heißt also, daß die Beratungen zum Sozialversicherungsausweis - wann, das kann ich noch nicht sagen - auf jeden Fall anstehen. Dann werden ja noch einmal die Gründe hervorgehoben, warum wir diesen Sozialversicherungsausweis wollen. Natürlich, ob alle Bereiche von Anfang an abgedeckt und abgesichert sind, das wird in vielen Debatten und Diskussionen vorgetragen und in Frage gestellt werden. Aber ich glaube, daß der erste Schritt schon einmal wichtig ist, um hier illegale Tätigkeit und Schwarzarbeit einzudämmen. Den Anfang muß man machen, und dann kann man etwas fortentwickeln.
Eine Zusatzfrage von dem Abgeordneten Professor Abelein.
Wo sieht die Bundesregierung die Ursachen für die illegale Beschäftigung?
Es gibt eine Reihe von Gründen, Herr Kollege Abelein. Ich erinnere mich an die Fragestunde vor einem Jahr. Da ging es z. B. auch darum, ob nicht erhöhte Steuern mit ein Grund für illegale Beschäftigung wären. Damals ist sehr deutlich hervorgehoben worden, daß z. B. die Steuerreform ein Gesetzeswerk ist, mit dem die Besteuerung gesenkt wird, um auf diese Weise legale Arbeit zu fördern und nicht Leute in die illegale Arbeit zu treiben. Das ist ein Grund. Es gibt natürlich auch noch andere Gründe.
Nur, wenn wir den Schaden durch den Steuerverlust und den Entzug von Versicherungsbeiträgen sehen, ist es für uns wichtig, dieser illegalen Tätigkeit entgegenzutreten und Schwarzarbeit zu bekämpfen, wo es nur möglich ist; denn es gehen dadurch sowohl Steuern als auch Versicherungsbeiträge verloren. Uns geht es darum, legale Arbeitsplätze und entsprechende Sozialversicherungsbeiträge zu erhalten, und darum, den redlichen Arbeitnehmer - der seiner Beschäftigung nachgeht und sich all diesen Verpflichtungen unterwirft - gegenüber dem illegalen Arbeitnehmer in Schutz zu nehmen.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Unruh.
Ihr Wort in Gottes Ohr! Warum gibt es denn sogar bei Staatsaufträgen illegal eingesetzte Arbeitskräfte?
Frau Kollegin, es ist mir nicht bekannt, daß es bei Staatsaufträgen illegal eingesetzte Arbeitskräfte gibt. Dort, wo es Mißbräuche gibt, wird dem Mißbrauch entgegengetreten. Aber auf Anordnung staatlicher Stellen gibt es sicher keine illegalen Arbeitsplätze und keine illegalen Aufträge.
Damit ist die Frage 46 erledigt.
Die Fragen 47 und 48 werden auf Wunsch des Antragstellers, des Abgeordneten Reimann, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Der Abgeordnete Rind, der die Frage 49 gestellt hat, befindet sich, wenn ich das richtig sehe, nicht im Saale, so daß ich den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung beenden kann.
Herr Staatssekretär, wir bedanken uns.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Würzbach steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Fragen 50 und 51 des Abgeordneten Steiner werden auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich darf dann die Frage 52 der Abgeordneten Frau Bulmahn aufrufen:
Trifft es zu, daß Mitte des Jahres beim Wehrbereichsgebührnisamt II in Hannover 28 Dienstposten nicht besetzt waren und es deshalb bei den Bediensteten des Amtes auf Grund der sich hieraus ergebenden Mehrbelastungen zu erheblichen gesundheitlichen Beschwerden und entsprechenden Krankschreibungen kommt?
Herr Präsident, Frau Kollegin, es ist richtig, daß im Juni 28 Dienstposten nicht besetzt waren. Das entspricht 6,4 % der dort Beschäftigten. Es sind Sachbearbeiter, Bürosachbearbeiter und Schreibkräfte gewesen, die gefehlt haben; eine fast zwangsläufige Folge der Auflagen aus dem Haushaltsgesetz, so daß eine Nachbesetzung erst ab Juni 1988 wieder möglich war.
Ob Mehrbelastungen, wie Sie fragen, zu gesundheitlichen Beschwerden geführt haben, läßt sich mit Sicherheit nicht feststellen. Ich möchte Ihnen zwei Zahlen nennen: die Ausfallzeiten betragen dort 8,7 %, und im Durchschnitt des öffentlichen Dienstes sind dies 6,5 %.
Eine Zusatzfrage, bitte schön, Frau Abgeordnete.
Herr Staatssekretär, gibt es Ihrer Kenntnis nach bei anderen Wehrbereichsgebührnisämtern eine ähnliche Situation wie die hier von mir beschriebene?
Ja.
Weitere Zusatzfrage, bitte sehr.
Könnten Sie mir sagen, für wie viele andere Wehrbereichsgebührnisämter eine ähnliche Situation zutrifft?
Fast für alle, Frau Kollegin.
Da weitere Zusatzfragen hierzu nicht gewünscht werden, rufe ich die Frage 53 der Frau Abgeordneten Bulmahn auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die Personalsituation beim Wehrbereichsgebührnisamt II in Hannover nachhaltig zu verbessern?
Von Juni bis August konnten bereits elf Stellen nachbesetzt werden, und für Oktober sind weitere Nachbesetzungen, und zwar sechs, vorgesehen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist für die anderen Wehrbereichsgebührnisämter bei akutem Personalmangel auch eine Aufhebung der Sparerlasse vorgesehen?
Im Rahmen des Haushaltsgesetzes, an das wir uns zu halten haben - sonst würden Sie als Abgeordnete das einklagen -, ja.
Eine weitere Zusatzfrage wird nicht gewünscht.
Dann rufe ich die Frage 54 des Abgeordneten Kolbow auf:
Ist die Bundesregierung bereit, dem Vorschlag zu folgen ({0}), die Bevölkerung von Güntersleben ({1}) lückenlos über das dort geplante Munitionsdepot aufzuklären und einen Tag der offenen Tür zu veranstalten?
Herr Kollege Kolbow, gemeinsam mit Ihrem Wahlkreiskollegen, meinem Kollegen Dr. Bötsch, haben Sie ja schon vor einiger Zeit um Informationen nachgesucht. Sie haben sie schriftlich, der Kollege Bötsch mit anderen Repräsentanten direkt vor Ort erhalten. Wir werden einen geeigneten Weg finden, um in diesem Stadium des Baus dieses Depots die Repräsentanten - ich denke da an Bundestagsabgeordnete, an die Institutionen Landrat und Bürgermeister - zu informieren über die Anlage, die Beschaffenheit, die Abstände, die Sicherheitsvorkehrungen und ähnliche Besonderheiten, wobei wir allerdings die Regel einhalten wollen, die alle Regierungen bisher beachtet haben, auch die früher von Ihnen gestellte, keine Auskunft darüber zu geben, was für ein Gut in einem Depot gelagert wird. Sie kennen den Grund, warum dies Gepflogenheit war und sein soll.
Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter Kolbow.
Herr Staatssekretär, könnten Sie sich nicht vorstellen, daß im Einklang mit Ihrer begrüßenswerten Informationspolitik bisher doch Angaben gemacht werden können, was für Munition dort gelagert werden soll - weil Sie uns doch schon mitgeteilt haben, daß es sich um 2 000 t Munition handeln werde?
Herr Kollege Kolbow, ich finde es gut, daß Sie begrüßen, was wir vorhaben in Abweichung von dem, was 30 Jahre in der Bundeswehr üblich war. Es spricht aber eine Menge dafür, daß wir bei dieser Gepflogenheit, die ich eben erwähnte und die ebenfalls 30 Jahre geübt worden ist, bleiben. Ich will Ihnen, weil Sie nachfragen, den Grund etwas deutlicher sagen:
So würde quer durch die Bundesrepublik jedes Depot von einer ähnlichen Gruppe besucht. Wenn wir dann sagten: Da liegt Gewehr-, Pistolen- oder irgendwelche andere Munition, könnten am Ende genau die fünf, sechs, zehn, fünfzehn oder zwanzig Depots festgestellt werden, wo ganz besonders sensible Dinge gelagert sind. Dies haben wir bisher NATO-weit, auch in Anlehnung an das, was der Warschauer Pakt tut, eben nicht veröffentlicht, sondern geheimgehalten. Damit wollen wir nicht dem Vorschub leisten, daß in einem Reißverschlußverfahren abgefragt werden kann und Bestimmtes übrigbleibt. Dieses ist der Grund, warum wir die Tore aufmachen, aber diese restriktive einzelne Maßnahme beibehalten.
Weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, dieses grundsätzliche Problem mit den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses einmal ausführlich zu erörtern und dabei die Frage zu berücksichtigen, inwieweit die bisherige Praxis der fehlenden Akzeptanz solcher Depots und überhaupt der Verteidigungsbereitschaft Rechnung trägt?
Ich finde es gut, wenn wir im Verteidigungsausschuß darüber sprechen. Ich sage hier wie schon häufig: In derselben Sekunde, in der die Sowjetunion hier eine andere Informationspolitik betreibt, können auch wir versuchen, die NATO dazu zu bewegen, dieses ebenfalls zu tun.
Ich rufe die Frage 55 des Abgeordneten Kolbow auf:
Ist die Bundesregierung ferner bereit, dies für alle ähnlichen Depots in der Bundesrepublik Deutschland zu tun?
Herr Kollege Kolbow, ich glaube, wir stimmen überein, daß ich eben das, was Sie hier gefragt haben, im Rahmen der Zusatzfragen beantwortet habe. - Ähnliches in ähnlichen Situationen in ähnlicher Form.
Dennoch stehen zwei weitere Zusatzfragen zur Verfügung.
Das will ich nicht ausschöpfen. Ich will im Rahmen einer Zusatzfrage nur noch einmal bitten, daß wir über den Gesamtzusammenhang im Verteidigungsausschuß sprechen.
Zusatzfrage von Dr. Mechtersheimer.
Mich würde dennoch interessieren, Herr Staatssekretär, wie Sie bei diesen Gelegenheiten und generell der Bevölkerung erklären wollen, weshalb gerade in der Zeit laufender Abrüstungsverhandlungen und eines wachsenden Abrüstungswillens und wachsender Abrüstungshoffnungen eine solche große Zahl von neuen Depots eingerichtet werden muß?
Herr Kollege Mechtersheimer, Sie sind Fachmann und wissen, daß wir die konventionelle Verteidigung eher zu stärken als zu schwächen haben. Wenn ich es richtig sehe, wird dies auch von der ganz großen Mehrheit dieses Hauses über die Regierung hinaus verstanden und unterstützt. Diese Depots sind zur Herstellung und zur Verbesserung der konventionellen Verteidigungsfähigkeit sowohl international für die NATO als auch national für die Bundeswehr - dies ist ein solches - erforderlich.
({0})
Nein, Ihnen steht nur eine Zusatzfrage zu. - Frau Abgeordnete Unruh, bitte schön.
Eine Frage zu Ihrem berühmten Reißverschluß: Können Sie verstehen, daß die Bevölkerung, die in der Nähe dieser Depots wohnt, enorme Befürchtungen hat - davon abgeleitet, daß selbst Sie Befürchtungen haben - , daß, wenn man in Betracht zieht, was da gelagert wird, sonst etwas passieren könnte? Ist nicht die Verpflichtung zu sehen, daß die Bevölkerung wissen muß, was passiert, ohne daß sie will, daß etwas passiert?
In unserer repräsentativen Demokratie gibt es kein Depot, das irgendwo besteht und erst recht keines, das gebaut wird, über das nicht die gewählten Repräsentanten in einer ähnlichen Form, wie ich es hier erwähnt habe, in einer ganz frühen Phase des Beginns - bei der Planung, bei der Landbeschaffung, beim Bau - exakt darüber informiert werden, was dort geschieht, so daß der Anlaß zu der Befürchtung, die Sie soeben geschildert haben, nicht besteht.
Ich rufe die Fragen 56 und 57 des Abgeordneten Dr. Niese auf. Der Abgeordnete Dr. Niese ist nicht im Saal. Die Fragen werden gemäß der Geschäftsordnung behandelt.
Ich rufe die Frage 58 der Abgeordneten Frau Steinhauer auf:
Welche Regelungen/Bestimmungen existieren hinsichtlich des Überfluges von Militärflugzeugen über Talsperren und besonders der Obernautalsperre in Netphen?
Frau Kollegin Steinhauer, es gibt keine Sonderregelungen für das
Überfliegen von Talsperren. Für die im Obernautal, nach der Sie fragen, besteht eine Mindestüberflughöhe von 150 Metern.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Steinhauer.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Auffassung, daß angesichts der Unruhe, die ohnehin in der Bevölkerung wegen der Tiefflüge vorhanden ist, besonders die Talsperren hinsichtlich der Gefährdung der Bevölkerung durch Tiefflüge - ich hatte vorhin schon Fragen dazu - zu beachten sind und daß das bei der Einschränkung bzw. Einstellung der Tiefflüge ein Sonderproblem ist, das vorab zu lösen ist? Ich denke z. B. daran, was passieren kann, wenn ein Flugzeug bei Tiefflugübungen einen Unfall hat, der Tank explodiert und das Flugzeug in eine Trinkwassertalsperre stürzt; wir wollen nicht an einen Dammbruch denken.
Frau Kollegin, sosehr ich verstehe, daß Sie an den schlimmsten aller Fälle denken, glaube ich, Sie werden mir zustimmen, wenn ich sage: Wenn Sie dies so sehen, dann müßten Sie nicht nur über die Tiefflüge reden, sondern über den gesamten Flugverkehr, egal in welcher Höhe dieser stattfindet. Wenn Sie ein Kernkraftwerk, eine chemische Anlage oder eine Talsperre aussparen wollen, dann müßten Sie in einer trichterähnlichen Form - relativ klein unten, ich sage einmal: 20 km, aber ganz breit nach oben bis 50, 60, 80 km darüber auseinandergehend - den Luftraum sperren, da ein Flugzeug, wenn es in größere Höhen fliegt, einen weiteren Weg hat, wenn es führerlos ist, wenn es abstürzen sollte.
Dieses logisch zu Ende gedacht, Frau Kollegin, hieße, den gesamten Luftraum über der Bundesrepublik für militärische wie auch für zivile Flugzeuge zu sperren.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Knabe.
Herr Staatssekretär, da sich Frau Steinhauer nach den Regelungen hinsichtlich des Überfliegens der Talsperre im Raum Netphen informieren wollte, möchte ich zusätzlich fragen: Wie sind die Regelungen, d. h. die Kontrollen, über die Flughöhe in den umliegenden Gebirgen? Ich habe mehrfach beobachten können, daß im Rothaargebirge die Flugzeuge außerordentlich tief fliegen, auch unmittelbar in der Nähe von Netphen. Daher die Frage: Wie erfolgt die Kontrolle der Flughöhe bei diesen Tiefflugübungen?
Einmal durch scharfe Gesetze, Regelungen und Vorschriften, die den Piloten vorgegeben werden. In aller Regel halten sie sich daran. Regelungen sind immer nur dann besonders gut, wenn sie immer wieder einmal überraschend und ohne, daß der Fliegende es merkt, überprüft werden können. Dafür haben wir die hier oft in der Diskussion erwähnten Radargeräte Skyguard, womit wir überraschend unangemeldet auftauchen und sporadische Überprüfungen vornehmen und Verfehlungen in erheblicher Weise, auch die bei den AlliParl. Staatssekretär Würzbach
ierten, disziplinarisch bis hin zum Entzug der Lizenz, ahnden. Bei einigen Flugzeugen haben wir - da ist allerdings nur ein kompliziertes Auswahlverfahren möglich - auch Flugschreiber, wo man dieses bei bestimmten Stichproben feststellen kann.
Herr Kollege, ich möchte Ihnen aber sagen, daß Ihr Eindruck richtig ist, und ich füge hinzu: leider. Wenn Sie ein Gelände mit einer breiten talähnlichen Mulde haben, und Sie stehen auf der Anhöhe, dann kann es sehr wohl sein, daß die Flugzeuge fast unter Ihnen fliegen, weil dann die Mindesthöhe, die der Pilot fliegt, von der Talsohle gemessen wird. Dies führt zu erheblich größerem Lärm, als es in der Ebene der Fall ist.
Wir sind im Grunde genommen am Ende der Fragestunde. Ich hoffe, daß Sie nichts dagegen haben, daß ich die Frage des Abgeordneten Kolbow noch zulasse, und der Herr Staatssekretär ist auch bereit, sie noch zu beantworten.
({0})
- Herr Mechtersheimer, wir kommen deutlich - ({1})
- Okay, bitte schön.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie recht verstanden, daß Sie für das in Frage stehende Gebiet besondere Flugmanöver ausschließen können?
Herr Kollege, der übliche Tiefflug, wie in der Bundeswehr vorgeschrieben, wie bei den Alliierten vorgeschrieben, wird in all den Gebieten, wo wir 150 Meter tief fliegen, durchgeführt.
Und nun wirklich die letzte Frage. Bitte sehr, Herr Abgeordneter Mechtersheimer.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben gesagt: Wir ahnden disziplinar, auch alliierte Piloten. - Können Sie mir ein Beispiel dafür nennen, was Sie unternommen haben und ob unter Umständen Fluglizenzen entzogen wurden?
Auch dies ist der Fall gewesen: auf Zeit Entzug der Fluglizenz.
Bei US-Piloten auf Grund von Verletzungen der Vorschriften? Können Sie mir das vielleicht schriftlich mitteilen?
Ich glaube, das war ein Angebot, das die Geschäftsordnung gerade noch akzeptieren kann.
Ich schließe die Fragestunde und rufe den Zusatztagesordnungspunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
Giftgaseinsatz und Verfolgung der Kurden
Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schily.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Der Auswärtige Ausschuß des Deutschen Bundestages hat in seiner heutigen Sitzung einmütig einen Entschließungsantrag verabschiedet, in dem der Befürchtung Ausdruck verliehen wird, daß Berichte zutreffend sein können, daß die irakischen Streitkräfte auf dem Territorium des Irak im Kampf mit kurdischen Aufständischen Giftgas eingesetzt haben. Diese Befürchtungen sind ungeachtet des Dementis aus Bagdad sehr ernst zu nehmen. Auch in der Vergangenheit während des Golfkrieges hat der Irak den Einsatz von Giftgas anfänglich energisch bestritten. Inzwischen steht fest, daß Giftgas seitens des Irak eingesetzt worden ist, nicht zuletzt auf Grund des Eingeständnisses des irakischen Außenministers vor der Bonner Presse am 30. Juni dieses Jahres.
Selbstverständlich ist der Einsatz von Giftgas nicht nur im Rahmen internationaler militärischer Auseinandersetzungen zu verurteilen, sondern ebenso im Innern und bei bürgerkriegsähnlichen Konflikten. Deshalb ist es richtig und notwendig, daß der Auswärtige Ausschuß einhellig mit Entschiedenheit die Auffassung zurückweist, daß der Einsatz von Giftgas im Innern und bei bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zulässig sei, weil er durch das Genfer Protokoll von 1925 nicht ausdrücklich verboten wurde.
({0})
Wenn der Irak wirklich ein reines Gewissen hat, muß man an ihn die Frage stellen: Warum läßt er nicht eine internationale, von der UNO ausgewählte Beobachtergruppe ins Land, um sich über die tatsächlichen Vorgänge zu unterrichten? Die Bundesregierung sollte ihren Einfluß nutzen, um bei der UNO darauf zu drängen, daß eine solche Beobachtergruppe in das Krisengebiet reisen kann.
Von der internationalen Staatengemeinschaft, auch von der Bundesrepublik, muß alles dafür getan werden, damit der Einsatz von chemischen Kampfstoffen in Zukunft unterbleibt. Es ist zu begrüßen und noch einmal daran zu erinnern, daß der Bundestag hier vor einigen Monaten Giftgaseinsätze während des Golfkrieges einhellig verurteilt hat. Glaubwürdig ist eine Politik insoweit aber nur, wenn sie sich vorbehaltlos um die weltweite Ächtung chemischer Waffen bemüht. Die Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik geriete in Gefahr, wenn sich herausstellen sollte, daß hiesige Firmen an der Produktion von Giftgas für den Irak beteiligt gewesen sind.
Deshalb ist es ebenfalls zu begrüßen, daß in dem einmütig verabschiedeten Entschließungsantrag des Auswärtigen Ausschusses die Bundesregierung aufgefordert wird, einen Bericht darüber zu geben, ob es solche Lieferungen gegeben hat und die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nachhaltig vorangetrieben werden sollen.
Ich denke aber, wir sollten uns in der Debatte heute nicht darauf beschränken, einen möglichen Giftgas6356
einsatz zu verurteilen, sondern Gegenstand der heutigen Debatte muß das Leiden des kurdischen Volkes überhaupt sein.
({1})
Selbst wenn Giftgas nicht eingesetzt worden wäre, ist die Vertreibung der kurdischen Bevölkerung aus den angestammten Gebieten im Irak zu verurteilen.
Wir müssen uns also dafür einsetzen, daß humanitäre Hilfe geleistet wird. Wir müssen uns für die Menschenrechte und für die kulturellen Rechte der Kurden einsetzen. Damit wir nicht bei der Verurteilung stehenbleiben, kommt es, meine ich, darauf an, eine langfristige Lösung anzustreben. Es müßte gelingen, für die Kurden in der dortigen Region einen Autonomiestatus zu erreichen. Die Kurden leben ja bekanntlich seit Urzeiten in Kurdistan, das in das syrische, das iranische, das türkische und das irakische Gebiet hineinreicht. Wir brauchen nicht der Vorstellung anzuhängen, daß daraus wieder ein eigener Nationalstaat wird. Aber es müßte die Möglichkeit geschaffen werden, daß die kurdische Bevölkerung ihre eigene kulturelle Identität wahren kann. Wir haben in Europa der Idee des Nationalstaats, der immer mit kultureller Identität kongruent sein muß, vielleicht leider viel Nachhall verliehen. Wir sollten uns jetzt, auch gerade aus der Erkenntnis heraus, daß wir damit in der Vergangenheit viel Unheil angerichtet haben, an Bemühungen beteiligen, im Rahmen der UNO für die Kurden einen Autonomiestatus zu erarbeiten.
Also ist mein konkreter Vorschlag, in der UNO eine Kommission unter Beteiligung der Staaten Irak, Iran, Türkei und Syrien und selbstverständlich von Vertretern der kurdischen Bevölkerung zu bilden, um einen solchen Autonomiestatus zu erreichen.
Ich bedanke mich.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Lummer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es schön, daß der Auswärtige Ausschuß zu einer gemeinsamen Resolution gekommen ist, deren Inhalt der Kollege Schily im wesentlichen vorgetragen hat - insofern ist dieser Teil seiner Ausführungen gemeinsame Auffassung -, nicht zuletzt deshalb, weil wir der Überzeugung sind, daß dann, wenn der Bundestag gemeinsam eine bestimmte Auffassung äußert, die Erfolgschancen am größten sind.
({0})
Denn die Erfolgschancen beziehen sich darauf, daß wir gemeinsam gegenüber dem Irak deutlich machen, daß wir Teile seiner Politik mißbilligen und verachten und daß wir hoffen, hier eine Besserung zu erreichen.
Meine Damen und Herren, Grausamkeit und Schrecken lassen sich durch Bilder oft gar nicht vermitteln. Wenn man aber Bilder von den Opfern chemischer Waffen sieht, dann wird, glaube ich, das ganz Entsetzliche deutlich, was hier vor sich geht. Sicher ist
jeder Krieg schlimm, und sicher sind alle Waffen böse,
aber die chemischen Waffen gehören, wie wir gemeinsam meinen, nicht in die Arsenale der Armeen.
Deshalb ist es zu verurteilen, daß der Irak Giftgas eingesetzt hat und gegenwärtig nicht bereit ist, sich von dem Verdacht zu befreien, solche Mittel auch gegen das kurdische Volk eingesetzt zu haben. Wenn jemand ein gutes Gewissen hat, dann kann er es getrost zulassen, daß Beobachter der Vereinten Nationen vor Ort feststellen, ob solche Mittel eingesetzt werden oder nicht. Die Bundesregierung hat diese Bemühungen in den Vereinten Nationen unterstützt. Wir danken ihr dafür, aber wir fordern sie hier auf, hier weiterzumachen.
Es ist, finde ich, nur ein schwacher Trost, wenn der irakische Außenminister jüngst geäußert hat, daß sein Land die Vereinbarung aus dem Jahre 1925 beachten wolle, d. h. in Zukunft keine chemischen Waffen mehr einsetzen wolle. Aber nach den Erfahrungen muß man das nicht unbedingt glauben, sondern man sollte auf dem Beweis vor Ort bestehen.
Dies heißt konsequenterweise, meine Damen und Herren - auch darin stimme ich dem Kollegen Schily zu - , daß sich die Bundesregierung in Genf darum bemühen muß, die weltweite Ächtung dieser Waffen zu erreichen. Sie hat lebhaften Anteil genommen. Ich glaube im Grunde nicht, daß wir die Bundesregierung noch ermuntern müssen, weil sie von sich aus ständig aktiv gewesen ist. Aber es ist Gelegenheit, ihr für die Bemühungen, weiterzumachen, zu danken. Wir alle kennen die Schwierigkeiten und auch den Ort des Widerstandes.
Wenn man die Geschichte der Kurden verfolgt, so stellt man fest, daß sie ein Volk sind, das eine Geschichte der Verfolgungen schreiben kann. Das liegt zum Teil sicher daran, daß sie, wie ich mich zu erinnern meine, in drei Nationalstaaten leben. Daß sie in Syrien leben, ist mir jetzt neu gewesen.
({1})
- Ja, gut, in relativ kleinen Größenordnungen, aber im wesentlichen in drei. Das ist aber kein Punkt der Auseinandersetzung.
Sicherlich sind die Kurden kein einfaches Volk, und sicherlich haben sie in ihrer Not auch manchen Fehler gemacht, z. B. wenn sie versuchten, sich die Konflikte zwischen diesen Staaten zunutze zu machen, indem sie sich auf die eine oder andere Seite geschlagen haben und dann plötzlich auf der Seite der Verlierer waren. Aber das alles kann ja nicht über das hinwegtäuschen, was dort geschieht. Ich kann nur sagen: Ein Sieger hat sich selbst in der Geschichte immer dann den besten Dienst erwiesen, wenn er großzügig war und nach dem Siege nicht zur Rache ausschlug.
({2})
Die Iraker haben die erfolgreichen Waffenstillstandsbemühungen offenbar dazu benutzt, nun ihre Rachegelüste gegenüber den Kurden auszulassen. Das ist nicht erträglich und auch historisch ein total falscher Weg.
Es ist richtig, daß wir uns darum bemühen müssen, eine dauerhafte Lösung zu finden. Wir können uns
sehr wohl darauf verstehen, einen Autonomiestatus zu finden, aber das wird lange dauern, und es wird sehr schwierig sein, so daß man in jedem Falle zunächst einmal auf dem aufbauen muß, was ja gesichertes Recht in der internationalen Politik ist: auf den Menschenrechten, den Bürgerrechten für die Kurden. Das ist es, was wir auch dem Irak und anderen Ländern abverlangen müssen.
Meine Damen und Herren, wenn 50 000 oder 100 000 Kurden - die Zahlen sind bis jetzt ja nicht sehr exakt - ihre Heimat verlassen und ausgerechnet in die Türkei gehen, dann kommt das nicht von ungefähr. Das ist nicht auf Grund von Streicheleinheiten gekommen, sondern da ist offenbar Gewalt im Spiele. Es besteht Veranlassung, der Türkei dafür zu danken, daß sie hier bereit ist zu helfen, und sicherlich sollten auch wir bereit sein, der Türkei zu helfen, wenn diese Menschen dort bleiben.
Meine Damen und Herren, notfalls muß die Staatengemeinschaft Maßnahmen ergreifen, um weiter voranzukommen. Was wir tun konnten, ist dieser gemeinsame Beschluß. Ich hoffe, daß diejenigen, an die diese Beschlußfassung adressiert ist, verstehen, was wir meinen, und auch verstehen, daß wir es ernst meinen.
Ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Duve.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt zwei unglaubliche Folgen, Postskripts nach diesem iranirakischen Krieg mit den vielen Hunderttausenden von Toten. Es gibt einmal eine europäische Reaktion auf das Ende. Aus einem der europäischen Staaten, in dem Rüstungsgüter hergestellt werden, kam auf Pressekonferenzen der beteiligten Industrie die bedauernde Bilanz, daß man nach diesem Friedensschluß nicht sehe, wo man seine Produkte loswerden würde, und daß man sich umorientieren wolle.
({0})
- Wir sind an so einem Bedauern auch beteiligt. Deshalb will ich gar nicht das eine oder andere Land nennen. Ich will nur sagen: Diese Reaktion war in Zeitungen zu lesen.
({1})
- Ich spreche von der französischen Rüstungsindustrie, die das auf zwei Pressekonferenzen zum Ausdruck gebracht hat.
Die zweite Folge ist dieser Giftgaseinsatz, der Kampf gegen die Kurden. Das hochgerüstete Land Irak wirft sich auf eine Minderheit und glaubt, dort abräumen bzw. aufräumen zu können. Das geht viel, viel weiter als die Frage des Einsatzes von Giftgas.
Es ist richtig, daß bisher alle Redner diese Dimension angesprochen haben. Wohin sind wir eigentlich gekommen, daß Staaten ihre kulturellen Minderheiten wie individuelle Gefangene im Gefängnis ihres Staates behandeln und auch glauben, umbringen zu dürfen?
Aber es geht heute in der Aktuellen Stunde um diesen Giftgaseinsatz. Es geht auch darum, daß wir wohl alle nicht laut genug geschrien haben, nicht laut genug gewesen sind, als wir die ersten Nachrichten über die Anwendung von Giftgas bekommen haben. Mit „wir alle" meine ich die westliche Staatenwelt. Wenn uns dieses - eines der ersten - internationale Übereinkommen zur Ächtung eines brutalen Stoffes, den man früher einmal als Waffe angesehen hat, unter den Händen zerbröselt, dann sind alle anderen Abkommen auch gefährdet. Ich bin deshalb mit Herrn Lummer und Herrn Schily sehr froh, daß wir heute morgen nach einer sehr langen und ausgiebigen Diskussion im Auswärtigen Ausschuß zu einer gemeinsamen Entschließung gekommen sind, die dann wohl auch in der nächsten Sitzungswoche noch das Plenum erreichen wird.
Damit zeigen wir, daß wir auf vielen Feldern in der Frage der Menschenrechte, der kriegerischen Auseinandersetzung in der Lage sind, zu gemeinsamen Entschließungen zu kommen. Ich erinnere an eine Entschließung zu Tibet, an eine andere zu Rumänien, auch zu Iran und zu Afghanistan, wo uns das gelungen ist. Ich denke, das ist für den Deutschen Bundestag ein gutes Zeichen; denn jeder von uns aus dem Auswärtigen Ausschuß weiß: Wenn er irgendwo in der Welt auftritt und sagen kann, der gesamte Bundestag steht hinter dieser Position, die er dort vertritt, dann ist das von einer ganz anderen Wucht, dann hat dieses Argument ein ganz anderes Gewicht, als wenn man als Vertreter nur einer Partei kommt.
Ich will in dem Zusammenhang sagen: Ich bedaure, daß wir in Sachen Chile nicht zu einer gemeinsamen Erklärung gekommen sind.
({2})
Es wäre schön gewesen, aber in der Beurteilung des Vorgangs gibt es zu grundsätzliche Auffassungsunterschiede. Aber das ist heute nicht das Thema.
Zum Schluß: Herr Lummer und Herr Schily haben darauf hingewiesen: Wir müssen auch zu einer wirklich europäischen Politik, vielleicht auch zu einer Politik der Vereinten Nationen für diesen Raum in bezug auf die kulturelle Selbständigkeit der Kurden kommen. Das wird sehr schwer sein. Jeder, der sich einmal mit der Kurdenfrage befaßt hat, weiß, wie ungeheuer kompliziert das ist. Aber wir müssen natürlich von der uns so nahe gerückten Türkei auch verlangen, daß die Kurden ihre eigene Sprache sprechen dürfen,
({3})
daß die Kurden ihre eigenen Bücher haben dürfen und daß die Kulturgeschichte eines ganzen Volkes nicht einfach negiert wird, als hätte es dieses Volk nicht gegeben.
Aber dieses Volk ist sehr real, so real, daß Staaten zu solchen Mitteln greifen, über die wir heute mittag diskutieren.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident, erlauben Sie mir
Aber selbstverständlich!
-, daß ich im Vorgriff auf künftige Sitzordnungen, welcher Art auch immer, um auch den Charakter dieser Debatte ein bißchen zu unterstreichen, hier vom Platz aus spreche. Vielen Dank.
Unsere Geschäftsordnung sieht das ausdrücklich vor.
Ich wollte am Beginn meines kurzen Beitrags deutlich machen, daß wir doch sehr genau abgrenzen müssen, was im Krieg seitens des Iraks an Giftgaseinsätzen leider geschehen ist. Herr Kollege Duve, vor 14 Tagen habe ich in der Aussprache über den Etat des Außenministers eine lange Passage der Verurteilungen dieser Vorkommnisse zu Protokoll gegeben. Wir haben im Mai oder im März hier darüber debattiert. Also wir haben als Deutscher Bundestag schon rechtzeitig unsere Stimme erhoben.
Wir müssen davon sorgfältig unterscheiden, daß bis jetzt kein Nachweis vorliegt, daß bei der Vertreibung der Kurden, so grausam und unverantwortlich sie ist, neuerlich Giftgas eingesetzt wurde. Bei den in die Türkei geflüchteten Kurden konnte es jedenfalls bisher nicht nachgewiesen werden. Die Amerikaner glauben, Beweise zu haben. Darum stimme ich mit allen Vorrednern in der Forderung überein, daß eine Kommission Klarheit schafft. Es wäre im Interesse des Iraks, diese Kommission einreisen zu lassen.
Ich fasse zusammen. Es steht fest, daß nach dem Waffenstillstand irakische Truppen auf das grausamste mit diesen kurdischen Bevölkerungsteilen umgegangen sind, die versucht haben, sich während des Krieges auf die Seite des Irans zu stellen, und Widerstandstruppen gebildet haben. Diese Rachefeldzüge sind unglaublich. Wenn 50 000 bis 100 000 arme Menschen sich auf den Weg machen, dann ist das ein Zeichen dafür, daß hier gegen Menschenrechte und gegen jede Form des Umgangs nach einem abgeschlossenen Krieg mit der eigenen Bevölkerung verstoßen wurde. Das müssen wir ganz deutlich machen.
({0})
Es steht weiter fest, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß auch die EG nicht tatenlos zugesehen hat. Es wurde vor einer Woche in Bagdad demarchiert, und zwar wegen genau der Punkte, die wir in unserer Entschließung aufgenommen haben: Verlängerung der Amnestie für rückkehrwillige Kurden - es ist ein
ganz wichtiger Punkt, daß die Flüchtlinge zurückkehren können, ohne weiterer Verfolgung ausgesetzt zu sein - , zufriedenstellende Reintegration - Herr Duve, Sie haben wichtige Aspekte dazu gesagt - und Zulassung einer VN-Delegation. Ich glaube, diese Bedingungen müssen hier auch von seiten der FDP noch einmal ganz besonders unterstrichen werden, weil sie die Voraussetzung dafür sind, daß hier eine innere Befriedung stattfinden kann.
Auch ich möchte den Gedanken unterstreichen, der von Vorrednern gekommen ist: Ich meine die grausame Verfolgung ethnischer Minderheiten, die ja überall in der Welt leider verstärkt stattfindet, ob Sie Sri Lanka nehmen, ob Sie Burundi nehmen, ob Sie Spanier und Basken nehmen. Es ist einfach schrecklich, zu sehen, daß das nationalstaatliche Denken, bei dessen Überwindung wir in Europa nunmehr sind, jetzt in anderen Kontinenten so traurige und grausame Früchte trägt. Gerade wir, die es überwunden haben, können vielleicht dazu beitragen, daß die Forderung, niemanden wegen seiner ethnischen Zugehörigkeit zu verfolgen oder zu vernichten, zu dem Grundkatalog unserer Menschenrechte gehört. Hier muß in der Staatengemeinschaft dringend Abhilfe geschaffen werden.
Das letzte ist das Ceterum censeo. Wenn die Amerikaner jetzt für mögliche Giftgasangriffe auf die kurdische Zivilbevölkerung Beweise haben, dann sollte das unsere amerikanischen Freunde und Verbündeten ermuntern und ermutigen, in Genf endlich den ja schon beinahe greifbar nahen Ergebnissen eines endgültigen Bannes gegen C-Waffen zuzustimmen. Denn es geht nur noch um Verifikationsprobleme. Die Verhandlungen sind jetzt von seiten der Amerikaner in der letzten Phase gestoppt worden. Ich habe gestern einen Bericht gelesen, daß diesen Genfer C-WaffenVerhandlungen die politische Motorik leider im Augenblick fehlt. Solche Vorfälle, wie sie vorgekommen sind und wie wir sie jetzt vermuten, müssen beschleunigt zu Ergebnissen führen. Denn - Herr Genscher hat es immer wieder gesagt, und auch die Bundesregierung und wir haben es gesagt - ohne das weltweite Verbot dieser C-Waffen wird auch der Abrüstungsprozeß insgesamt nicht weitergehen.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat Herr Staatsminister Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Ende der Kampfhandlungen im irakisch-iranischen Krieg beschäftigt uns erneut die Frage des Einsatzes chemischer Waffen. Die irakische Regierung hat nach Beginn des Waffenstillstandes am 20. August 1988 in großem Umfang Truppen in den kurdischen Norden des Landes verlegt und dort unter Einsatz u. a. der Luftwaffe und Artillerie nach ihren eigenen Angaben kurdische Widerstandsgruppen bekämpft, die im Kriege mit Iran zusammengearbeitet hatten. Den Truppen gelang es Ende August/Anfang September, die irakische Souveränität über Gebiete wiederherzustellen, die von den Kurden zum Teil jahrelang als
„befreite Gebiete" gehalten worden waren - befreite Gebiete nach der Auffassung der Kurden.
Die Militäraktionen gegen die Kurden wurden mit großer Härte und Intensität geführt. Sie bewirkten eine Fluchtbewegung kurdischer Zivilisten in die Türkei. Im Grenzgebiet zu Irak befanden sich zuletzt nach ungenauen Schätzungen zwischen 60 000 und 100 000 Flüchtlinge, die von den türkischen Behörden betreut wurden und noch betreut werden.
Schon sehr früh im Verlauf der Kämpfe wurden Nachrichten verbreitet, laut denen die irakischen Truppen bei ihren Einsätzen gegen die kurdischen Flüchtlinge Giftgas eingesetzt hätten. Die irakische Regierung hat solche Einsätze bis heute bestritten.
Türkische und andere Ärzte haben Giftgasverletzungen bei den geflüchteten Kurden bisher nicht feststellen können. Die USA und Großbritannien behaupten, es lägen eindeutige Beweise für irakischen Chemiewaffeneinsatz vor. Die Beweise wurden jedoch nicht zugänglich gemacht, offenbar, weil damit nachrichtendienstliche Erkenntnisquellen hätten kompromittiert werden können. Chemiewaffeneinsatz ist zwar nicht nachgewiesen, jedoch angesichts des früheren Einsatzes durch Irak im Krieg gegen den Iran nicht ausgeschlossen.
Die Bundesregierung hat ihrer Sorge über die militärischen Aktionen gegen die kurdische Zivilbevölkerung und über die Meldungen betreffend den Einsatz chemischer Waffen gegen die Kurden in einer gemeinsamen Erklärung der Zwölf vom 7. September 1988 Ausdruck gegeben.
Um Klarheit zu erlangen, haben wir gemeinsam mit einigen anderen Sicherheitsratsmitgliedern für die Entsendung einer UN-Expertendelegation nach Irak und in die Türkei plädiert, damit dort geprüft werden kann, ob chemische Waffen eingesetzt wurden oder nicht.
Wie bereits bekannt, haben sowohl Irak als auch die Türkei der Entsendung bedauerlicherweise nicht zugestimmt. Irak versäumt damit eine wichtige Gelegenheit, meine Damen und Herren, den eigenen Aussagen Glaubwürdigkeit zu verleihen. Auch auf eine Demarche im Namen der Zwölf vom 18. September 1988, auf die Frau Dr. Hamm-Brücher hinwies, in der wir für eine Verlängerung der Amnestie für Kurden und eine menschenwürdige Reintegration der Kurden in ihrem alten Siedlungsgebiet plädiert haben, hat Bagdad unter Hinweis auf den rein internen Charakter dieser Maßnahmen nur unverbindlich reagiert. Dem irakischen Botschafter, der mich mit anderen arabischen Botschaftern und dem Vertreter der Arabischen Liga in der vergangenen Woche, am 13. September, aufgesucht hat, um sich über die angebliche Medienkampagne zu beklagen, die als Störversuch der Waffenstillstandsverhandlungen gesehen wird, habe ich nahegelegt, die irakische Regierung möge durch entsprechendes Verhalten - und dazu gehört natürlich auch die Bereitschaft, eine UN-Delegation in das Land zu lassen - die Vorwürfe gegen Irak entkräften. Ich habe unsere große Besorgnis über die Maßnahmen gegen die Kurden zum Ausdruck gebracht, und das, meine Damen und Herren, bezieht sich keineswegs nur auf den Einsatz chemischer Waffen, sondern natürlich auch auf den Einsatz anderer Waffen.
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Das sollten wir hier nicht vergessen; das kommt auch in der Resolution des Deutschen Bundestages zum Ausdruck.
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Wie die Bundesregierung zum Einsatz von chemischen Waffen steht, ist bekannt. Sie hat die Verwendung derartiger Waffen im irakisch-iranischen Krieg mehrfach verurteilt, insbesondere auch im März dieses Jahres, als in Halabja/Irak mehrere tausend Menschen Opfer von Giftgasangriffen wurden.
In der Folge hat sie in den Vereinten Nationen zur Verabschiedung einer Resolution zum Chemiewaffeneinsatz im Konflikt das Wort ergriffen. Daraus wurde die Resolution 612 vom 9. Mai dieses Jahres. Auf Grund weiterer C-Waffen-Einsätze nach Beginn des Waffenstillstandes zwischen Irak und Iran am 20. August dieses Jahres sind wir im UN-Sicherheitsrat erneut tätig geworden, was zur Verabschiedung der Resulution 620 vom 26. August dieses Jahres geführt hat.
Es kann keine Frage darüber geben, daß wir den Einsatz von Giftgas aufs Schärfste verurteilen. Ich habe die Position der Bundesregierung in meiner Intervention im Plenum des Deutschen Bundestages am 19. Mai dieses Jahres erläutert, als dort bereits Anträge zu dem auch heute angesprochenen Thema behandelt wurden. Wir haben - darauf ist hingewiesen worden - heute morgen im Auswärtigen Ausschuß über einen neuen gemeinsamen Antrag beraten.
Zusammenfassend möchte ich auch hier noch einmal unsere Position zur Problematik der chemischen Waffen wie folgt umreißen: Die Bundesregierung beteiligt sich aktiv an der Stärkung aller Instrumente, die schon vor Abschluß eines weltweiten ChemiewaffenVerbotsabkommens dem Einsatz und der Proliferation chemischer Waffen entgegenwirken. Dazu gehören die Bemühungen der Vereinten Nationen um ein wirksames, jederzeit einsatzbereites Instrument zur Aufklärung von mutmaßlichen Einsätzen chemischer Waffen. Dazu gehören auch umfassende Exportkontrollen für waffenrelevante chemische Substanzen, die die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit 19 anderen Staaten anwendet.
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- Die ist uns zu klein, Herr Kollege Ehmke. Wir haben bei den Mittelstreckenwaffen auch nicht die kleine Zone gemacht und waren dann mit der globalen Beseitigung erfolgreich. Das hoffen wir auch bei den Chemiewaffen zu erreichen.
Herr Kollege Ehmke, alle diese Maßnahmen haben jedoch, wie die jüngste Entwicklung gezeigt hat, nur begrenzte Wirkung: Nur die völlige Abschaffung dieser grausamen Waffenkategorie kann ihren Einsatz für alle Zeit verhindern. Immer neue Meldungen vom Einsatz chemischer Waffen mahnen eindringlich alle Beteiligten, mit allem Nachdruck die weit fortgeschrittenen Genfer Verhandlungen um ein weltweites
und verifizierbares Verbot chemischer Waffen nunmehr zu Ende zu führen.
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In diesem Sinne hat Bundesminister Genscher Anfang Juli an die Außenminister der 40 Mitgliedstaaten der Genfer Abrüstungskonferenz erneut appelliert.
Die Bundesregierung war auch in den vergangenen Monaten mit umfassenden Beiträgen und Lösungsvorschlägen um zügige Fortschritte in Genf bemüht. Ich bin insofern allen Fraktionen dankbar, daß Sie diese Bemühungen heute nachhaltig unterstrichen und begrüßt haben.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Abelein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Einsatz von Giftgas im Golfkrieg war einer der entsetzlichen Höhepunkte dieser Auseinandersetzung. Offensichtlich hatte er auch eine gewisse kriegsentscheidende Bedeutung, was die Sache noch viel schlimmer macht.
Es gibt Meldungen über den Einsatz von Giftgas jetzt auch in inneren Auseinandersetzungen im Irak gegen die Kurden. Es gibt darüber hinaus Meldungen, daß sich weitere Staaten ein Arsenal an diesen entsetzlichen Waffen zulegen. Das heißt, es ist allerhöchste Zeit, Maßnahmen auf diesem Gebiet zu unternehmen, damit es nicht zu Weiterungen über die grausamen Vorgänge hinaus kommt, die wir gegenwärtig schon haben.
Es ist eine der vorrangigen Aufgaben der Außenpolitik der Bundesregierung, mit dazu beizutragen, daß die Minderheiten auf dieser Welt einen Schutz ihres Status und ihrer Eigenart erhalten. Es gibt keinen besseren Gradmesser für den Charakter einer jeweiligen Regierung als ihre Einstellung gegenüber den Minderheiten in ihrem Staatsverband.
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Die Bundesregierung bemüht sich deswegen zu Recht - wir unterstützen aus allen politischen Parteien diese Bemühungen -, zu einer weltweiten Ächtung dieser Waffen zu kommen. Es gibt berechtigte Aussichten, daß in unmittelbarer Zukunft, wenn auch leider nicht in diesem Jahr, ein solches Abkommen möglich sein wird. Wir unterstützen nachdrücklich, daß - das ist notwendig - entsprechende Kontrollmechanismen in ein solches Abkommen eingebaut werden. Gerade die vor uns liegenden Vorgänge, die wir alle verurteilen, zeigen, daß ein Abkommen ohne solche Kontrollmechanismen nichts nützt.
Wir bestehen nachdrücklich darauf - die Bundesregierung muß sich überlegen, welche Möglichkeiten der Ausübung des Drucks auf die Beteiligten hier eingesetzt werden - , daß unabhängige internationale Kontrollkommissionen die Vorgänge im Bereich des Irak kontrollieren.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zumkley.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kurden und auch Assyrer wurden im Zuge des Iran-Irak-Krieges und werden nach dem Waffenstillstand am Golf von irakischen Streitkräften mit Waffengewalt angegriffen und sind in einer verzweifelten. ihre Existenz bedrohenden Lage. Erschütternd kommen für mich glaubwürdige Berichte über den Einsatz chemischer Waffen gegen diese Völkergruppen hinzu und fordern unseren entschiedenen Protest gegen ein derartiges hartes, die Menschenrechte mißachtendes Vorgehen von irakischen Truppen. Tausende von Toten und Verwundeten, insbesondere unter der kurdischen Zivilbevölkerung, werden gemeldet, Tausende vom Krieg gebeutelte Menschen sind auf der Flucht.
Obwohl der Ersteinsatz chemischer Kampfstoffe durch Genfer Protokoll von 1925 verboten ist und der Schutz der Zivilbevölkerung besonders herausgestellt wurde, müssen wir davon ausgehen, daß Giftgase völkerrechtswidrig eingesetzt worden sind. Dies birgt, meine Damen und Herren, die Gefahr in sich, daß andere Staaten ebenfalls den Einsatz von chemischen Waffen im Konfliktfall, unter Hinweis auf Präzedenzfälle wie im vorliegenden Fall erwägen könnten, dies insbesondere dann, wenn internationale Sanktionen ausbleiben. Dies wäre eine äußerst fatale Entwicklung, von der man nur hoffen kann, daß sie nicht eintritt. Der Einsatz von chemischen Kampfstoffen ist in keinem Fall - ich füge ausdrücklich hinzu: auch nicht militärisch - zu rechtfertigen, weder gegen einen Kriegsgegner noch im Inneren, z. B. gegen bestimmte Völkergruppen.
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Der Kampf der irakischen Streitkräfte gegen die Kurden unter Einsatz von Giftgas wäre keine interne Angelegenheit Iraks, sie berührt die gesamte Völkergemeinschaft. Eine internationale Überwachung im Irak entlang der irakisch-iranischen und irakisch-türkischen Grenze durch die Vereinten Nationen könnte ein wichtiger Beitrag zum Erreichen der Waffenruhe auch in diesen Gebieten sein.
Im Lichte dieser uns alle bewegenden aktuellen Ereignisse im Irak sind die Teilnehmerstaaten an der Genfer Abrüstungskonferenz gefordert, ein generelles Verbot chemischer Waffen endlich zu erreichen. Geschieht dies nicht sofort, Herr Staatssekretär, wäre eine chemiewaffenfreie Zone, wie wir sie fordern, ein richtiger Schritt zum Erreichen des ganz großen Ziels.
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Nur wenn die weltweite Ächtung dieser Waffen, die überprüfte Vernichtung vorhandener Bestände und ein Verbot zur künftigen Herstellung vereinbart werden, haben wir die Chance, daß nie mehr Giftgase eingesetzt werden. Besonders die Bundesregierung ist aufgerufen, weiterhin ihren internationalen Einfluß energisch einzusetzen, um das weitere Vorgehen der
irakischen Armee gegen Kurden und Assyrer zu verhindern.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lippelt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Kürze der mir nur zur Verfügung stehenden zwei Minuten möchte ich zwei Bemerkungen machen.
Erstens. Wir haben in der Tat heute im Auswärtigen Ausschuß sehr darum gerungen, ob wir sagen können, daß diese Massenflucht, die wir vor Augen haben, immer noch auf den Einsatz von Giftgas zurückgeht, und wir haben uns entschlossen, nur unsere Befürchtungen zu äußern. Mit dem Eingeständnis des irakischen Außenministers im Ohr, mit den schrecklichen Bildern von Halabya vor Augen sind wir sehr vorsichtig gewesen. Dann kommt man nach Hause, schlägt die „International Herald Tribune" auf und liest über dem Leitartikel „Too Tough on Iraq - No". Man liest die - unter Zitierung der Mitteilungen der US-Regierung vorgetragene - klare Meinung, daß diese „incontrovertible evidence" eines massiven Gebrauchs von Gas gegen die kurdischen Guerillas und Zivilisten einen Umfang hat, der nahe an Genozid reicht; so ist es dort wörtlich zu lesen. Man liest dazu die Bewertung: In einer Welt, wo viele Dinge dunkel sind, ist dieses eine ganz klar.
Zweitens: Nun habe ich sehr genau hingehört, Herr Staatsminister. Sie haben sich darum bemüht, die Frage der Evidenz hier zu klären. Ich denke trotzdem: Muß es nicht in einer Frage wie dieser, wo es ja wirklich um ein ganz schlimmes und barbarisches Vorgehen geht, unter befreundeten Regierungen möglich sein, auch dann, wenn Geheimdienstquellen mit im Spiel sind, genau zu prüfen, ob wir das hier auch behaupten können? Ich möchte mir wünschen, daß die Regierung an dieser Stelle weiterkommt. Bei allem Schutz, den die USA ihren Quellen verständlicherweise widmen mögen, muß das doch zwischen Regierungen einfach prüfbar sein. Ich habe nämlich keine Lust, hier gewissermaßen eine Diskussion „soft on Iraq" zu führen, während in Wirklichkeit die Dinge viel schlimmer, viel grausamer sind. Ich will keine antiquierte Diskussion führen, und deshalb meine ich: So etwa müssen Sie uns genauer sagen können, und so etwas müssen Sie dem Verbündeten genauer abverlangen können.
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Das Wort hat der Abgeordnete Lamers.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Eines der möglicherweise folgenschwersten und problematischsten Ergebnisse des Krieges im Golf ist der sanktions-, folgen- und straflose Einsatz von Giftgas,
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ein Einsatz, der nach der Meinung mancher Beobachter vielleicht sogar kriegsentscheidend gewesen ist;
jedenfalls hat dieser Einsatz einen maßgeblichen Einfluß auf das Ergebnis dieses Krieges gehabt.
Die Reaktion der internationalen Staatenwelt, unsere eigene eingeschlossen, war - aus zum Teil durchaus verständlichen Gründen - außerordentlich zurückhaltend.
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Das ist ungewöhnlich problematisch. Daß nun - so die Befürchtung, die wir alle gemeinsam hegen - Giftgas auch gegen die eigene Bevölkerung, gegen eine Minderheit, eingesetzt worden ist, ist durch diesen ,;Erfolg" vielleicht ermuntert worden. Deswegen sind wir alle, so glaube ich, aufgerufen, zu überlegen: Wie kann denn zumindest für die Zukunft eine Wiederholung verhindert werden?
Selbstverständlich ist das, was sich dort abgespielt hat, ein weiteres Argument für die Notwendigkeit, ein weltweites Chemiewaffenverbot einzuführen. Aber man muß natürlich nüchtern sehen, daß dieser „Erfolg", von dem ich gesprochen habe, den Abschluß und die Realisierung eines solchen Abkommens nicht gerade wahrscheinlicher macht. Das gehört mit zu den möglichen bitteren Konsequenzen dieses Giftgaseinsatzes.
Man macht es sich entschieden zu leicht, wenn man die Schwierigkeiten nur auf die Probleme, die die Vereinigten Staaten haben, zurückführt. Das ist wirklich zu einfach! Es ist dies, so meine ich, überhaupt nicht in erster Linie ein Ost-West-Problem. Es ist eben ein Problem der - wie immer wieder gesagt wird - Atomwaffe des kleinen Mannes. Das ist also das eine: Das Chemiewaffenabkommen mit dem weltweiten Verbot ist noch dringender, aber auch noch schwieriger geworden.
Deswegen muß wirklich überlegt werden - mit oder ohne Abkommen -, welche Sanktionen es geben kann. Ich gehöre zu denjenigen, die gegenüber Sanktionen - aus einer Reihe von Gründen, die ich hier nicht aufführen will - äußerst kritisch sind. Aber es gibt Fälle, da muß die internationale Gemeinschaft in ihrem eigenen Interesse, im Interesse einer Weltordnung, in der wir leben können, reagieren und auch hart reagieren, und wir können nicht mit Chemiewaffen leben.
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Die Folgen eines verbreiteten Chemiewaffeneinsatzes wären katastrophal. Ich bin froh, daß unsere heutige Debatte in dieser für das Zusammenleben der Menschheit in der Zukunft wirklich fundamentalen Frage einen Fundus an Gemeinsamkeiten erbracht hat, auf dem wir aufbauen können.
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Es wird schwer genug sein, etwas zu erreichen. Aber wir müssen die Bundesregierung in der gemeinsamen Position unterstützen, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, damit sich so etwas wie im Golfkrieg nicht wiederholt.
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Das Wort hat Frau Professor Ganseforth.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich möchte auf das Volk der Kurden zurückkommen, die in diesen Tagen und in den letzten Wochen die Leidtragenden dieser Aktion sind. Mindestens 200 000 von ihnen sind auf der Flucht. Damit hat der Leidensweg dieses Volkes, das seit Jahrzehnten verfolgt wird und gegen seine Unterdrückung und gegen die Auslöschung seiner Kultur kämpft, eine neue Stufe erreicht.
Die Regierung in Bagdad mißbraucht den Waffenstillstand vom August dazu, die irakische Armee gegen die Kurden und Assyrer im eigenen Land einzusetzen. Fruchtbares Ackerland wird verbrannt, Dörfer werden zerstört. Viele Kurden versuchen dem brutalen Zugriff des Militärs zu entkommen und fliehen in die Türkei. Von der irakischen Armee wird Giftgas eingesetzt. 3 000 Kurden, so habe ich gehört, die sich den irakischen Truppen ergeben hatten, wurden erschossen. Das sind schwere Verletzungen des Völkerrechts und der Menschenrechte. Es ist wichtig, dies laut zu sagen. Ich denke, daß der Antrag, den Norbert Gansel heute im Auswärtigen Ausschuß eingebracht hat, ein wichtiger Schritt in dieser Richtung ist.
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Unglaublich, wenn der UNO-Botschafter der Arabischen Liga Clovis Maksud den Kampf der irakischen Streitkräfte gegen Kurden als interne Angelegenheit bezeichnet. Das ist keine interne Angelegenheit! Wenn er meint, daß die Genfer Konvention den Einsatz chemischer Waffen nur gegen einen äußeren Feind, nicht aber den Einsatz im Innern verbietet, so ist das ganz besonders zu beachten.
Die Reaktion der Bundesregierung auf die Völkermorde an den Kurden und Assyrern ist noch unzureichend. Es muß endlich mit aller Entschiedenheit unser Einfluß geltend gemacht werden, um den Angriffen der irakischen Streitkräfte Einhalt zu gebieten und das Vorgehen gegen die Kurden zu beenden. Ich denke, da dürfen wir nicht warten, bis fundamentale Fragen beantwortet sind oder das weltweite Verbot chemischer Waffen durchgesetzt ist, sondern wir müssen dafür sorgen, unsere Regierung muß dafür sorgen, daß die Verletzung der Menschenrechte der Kurden jetzt und hier und heute in den Mittelpunkt der Überlegungen gestellt wird. Die Bundesregierung sollte überlegen, ob der Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr mit dem Irak, auch über Drittländer oder den Internationalen Währungsfonds, beendet werden sollte. Der Einsatz von chemischen Waffen gegen die kurdische Bevölkerung durch die irakische Armee muß bei den Genfer Friedensverhandlungen zur Sprache gebracht werden. Die Entsendung von Beobachtern der UNO, des Internationalen Roten Kreuzes, des Hohen Flüchtlingskommissariats sowie von Journalisten und Journalistinnen in die betroffene Region muß ungehindert möglich sein. Da genügt es nicht, wie es vor 14 Tagen gewesen ist, daß eine Rundreise von 120 Journalisten mit sorgfältig vorbereiteten Kontakten mit Kurden vom Irak medienwirksam inszeniert wird. Dies schafft den Verdacht nicht aus der Welt.
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Es ist zu begrüßen, daß die Türkei ihre Grenzen für die Flüchtlinge öffnet, welches auch immer die Motive der türkischen Regierung sein mögen, die ja mit den Kurden im eigenen Land auch ihre großen Probleme und Schwierigkeiten hat und wo Menschenrechtsverletzungen durchaus an der Tagesordnung sind. Es verdient Anerkennung, daß die Türkei diese riesige Zahl von Flüchtlingen aufnimmt. Die Flüchtlinge müssen allerdings unter menschenunwürdigen und armseligen Bedingungen in Notlagern leben. Ihre Lage wird sich weiter verschlimmern, wenn der Einbruch der Kälte in den nächsten Wochen und Monaten kommt. Daher müssen die Bemühungen der Türkei durch internationale Hilfsorganisationen an denen sich auch die Bundesregierung beteiligen muß, unterstützt werden.
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Die Flüchtlinge müssen mit Nahrungsmitteln und mit medizinischer Hilfe versorgt werden. Allerdings ist es dazu auch erforderlich, daß internationale Hilfsorganisationen ungehindert humanitäre und medizinische Hilfe für die Giftgasopfer leisten können, und die Türkei muß diese Gruppen hereinlassen. Den in die Türkei geflüchteten Kurden muß der Flüchtlingsstatus gemäß der Genfer Konvention zuerkannt werden. Die Völkergemeinschaft, und ganz besonders die Bundesrepublik, darf dem Leidensweg des kurdischen Volkes nicht tatenlos zusehen und muß jetzt handeln.
Schönen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Osswald.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist ja zum Teil schon paradox: Plötzlich, nachdem alle Welt über das Ende des Golfkriegs gejubelt hat, tritt das Kurdenproblem in das Bewußtsein der Weltöffentlichkeit. Eigentlich war erwartet worden, daß sich die freigewordenen arabischen Kräfte nun ganz auf Israel konzentrieren würden, daß die Intifada eine enorme Unterstützung erhält und daß die Forderung nach einem palästinensischen Staat ins Zentrum der arabischen Politik geraten würde. Aber was passiert? Nutzt der Irak das Ende des Golfkriegs, sein Kurdenproblem ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen? Die arabische Welt schweigt dazu. Ich habe morgen früh, 11.30 Uhr, einen Termin mit dem irakischen Botschafter und bin gespannt, wie er mir die Situation erklären wird. Internationale Vorwürfe werden von der arabischen Liga als israelische Propaganda abgetan, und man erklärt kurzerhand alles zu einer innerirakischen Angelegenheit, in die sich niemand einzumischen hätte.
Es ist auch leichter, Resolutionen gegen Südafrika zu verabschieden, als sich klar zu Rassen- und Minderheitsproblemen in der eigenen Welt, wie z. B. im Libanon, im Südsudan, im Tschad oder in Mauretanien zu äußern. Diese Probleme anzurühren, würde viele arabische Bruderstaaten im Nerv treffen.
Nun zum Kurdenproblem: Unsere Behörden haben seit Jahrzehnten viele Erfahrungen mit kurdischen Asylbewerbern, die sowohl als christliche Kurden aus der Türkei oder als muslimische Kurden aus dem Iran
und dem Irak kommen. Die Kurden stellen im Orient immerhin - das möchte ich hier ganz deutlich sagen - nach den Arabern und Türken mit über 20 Millionen Menschen die drittgrößte Bevölkerungsgruppe dar.
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Daß sie trotz vieler Versprechungen bis heute keinen eigenen Staat haben, geht historisch gesehen auf das Konto der Siegermächte des Ersten Weltkriegs. Die im Vertrag von Sevres bereits 1920 versprochene Autonomie für die Kurden wurde von Großbritannien und Frankreich bei der Aufteilung des osmanischen Reiches in die neuen Nationalstaaten nicht eingehalten. Die unausweichliche Folge ist der seit damals immer wieder aufflackernde Unabhängigkeitskampf der kurdischen Bevölkerungsteile in der Türkei, dem Iran, dem Irak und in Syrien und - Herr Schily - zusätzlich noch in der Sowjetunion. Erschwerend kommt hinzu, daß die Kurden ihr Siedlungsgebiet noch mit anderen, seit Jahrzehnten verfolgten Minderheiten im Orient, den Armeniern, in vielen Ländern teilen müssen und sich dort benehmen, wie die Irakis sich den Kurden gegenüber benehmen.
Alles, was man jetzt wohl zu Recht dem Irak vorwirft, ist im Grunde genommen nichts Neues, sondern hat eine lange Tradition. In allen Nahoststaaten, in denen Kurden leben, gab es immer wieder Unterdrükkung, Umsiedlungen, Pogrome. Umschrieben und verharmlost wurde dies oft mit der Bezeichnung „Arabisierung". In der Türkei wird die Existenz der Kurden seit Atatürk sogar verneint. Man nennt sie dort offiziell „Bergtürken". So gesehen ist das Kurdenproblem, vor dem wir heute stehen, bereits seit langem vorhanden, nun aber durch das Ende des Golfkriegs endlich in das Interesse der Weltöffentlichkeit gerückt.
Über 100 000 Kurden sind in den letzten Wochen vom Irak in die Türkei und in den Iran geflüchtet. Beide Länder bringen nun das Kurdenproblem an die Weltöffentlichkeit. Ihre humanitäre Hilfe für die Kurden muß aber mit Skepsis betrachtet werden. Einerseits brauchen der Iran und vor allem die Türkei natürlich internationale Unterstützung zur Lösung der Flüchtlingsprobleme, andererseits bedeuten die Kurden in den Flüchtlingslagern auch eine latente Gefahr für beide Länder. Beide Länder haben ja ihre eigenen Kurdenprobleme und sind dabei oft nicht weniger brutal in ihren Methoden vorgegangen als der Irak. Schließlich gibt es seit Jahren ein Abkommen zwischen der Türkei und dem Irak, nach dem türkisches Militär das Recht hat, aufständische Kurden auf irakisches Territorium zu verfolgen.
Die „Neue Zürcher Zeitung" spricht seit Monaten von schweren Menschenrechtsverletzungen im Irak, ja sogar von Völkermord. All dies gab es schon während des Krieges zwischen Irak und Iran, wenn auch versteckt. Die eingesetzten Waffen waren wohl dieselben, und es wurde kein Unterschied gemacht zwischen dem iranischen Feind und den irakischen Kurden, vor allem auf Grund der Tatsache, daß sich Teile des kurdischen Widerstandes im Irak mit dem Iran verbündet hatten. Nach Schätzungen der „Neuen Zürcher Zeitung" wurde etwa die Hälfte der kurdischen Bevölkerung im Irak zwangsumgesiedelt, eine halbe Million floh in den Iran, etwa 200 000 in die Türkei. Zirka 3 000 kurdische Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht.
Ich komme zum Schluß: Hier geht es eindeutig um Völkermord. Und hier ist, Herr Schäfer, die Bundesregierung gefordert, die bisher in jedem Dokument zu ihrer Entwicklungspolitik gebetsmühlenartig die Beachtung der Menschenrechte gefordert hat. Wenn schon in allen Zeitungen steht, daß diese Bundesregierung maßgeblich an der Beilegung des Golf-Krieges beteiligt gewesen sei soll, dann erwarten wir von genau derselben Bundesregierung nun auch, daß sie ihr ganzes Gewicht in die Waagschale wirft, um dem Völkermord an den Kurden im Irak entgegenzuwirken und ihn sofort zu beenden.
Ein eigener Kurdenstaat ist sicher Illusion. Alle betroffenen Länder müssen aber endlich akzeptieren, daß Minderheiten ein Recht auf Autonomie und auf kulturelle Eigenständigkeit haben.
Vielen Dank.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, so daß ich die Aktuelle Stunde beenden kann. Wir sind damit auch gleichzeitig am Schluß unserer Tagesordnung angelangt.
Es bleibt mir nichts anderes übrig, als die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 22. September 1988, 9 Uhr, einzuberufen.
Die Sitzung ist geschlossen.