Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich einige amtliche Mitteilungen zu machen:
Am 29. April 1987 hat der Abgeordnete Dr. Wallmann auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als sein Nachfolger hat am 29. April 1987 der Abgeordnete Weirich die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße Herrn Abgeordneten Weirich, der dem Bundestag ja schon in den vorausgegangenen Wahlperioden angehörte.
({0})
Ich wünsche weiterhin eine gute Zusammenarbeit.
Ich habe Glückwünsche zu übermitteln: Herr Abgeordneter Höffkes und Frau Abgeordnete Verhülsdonk feierten ihren 60. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch des Hauses.
({1})
Der Herr Abgeordnete Dr. Schwörer hat am 1. Mai 1987 seinen 65. Geburtstag gefeiert. Herzlichen Glückwunsch des Hauses.
({2})
Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresgutachten 1986/87 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
- Drucksache 10/6562 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Wirtschaft ({3})
Finanzausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahreswirtschaftsbericht 1987 der Bundesregierung
- Drucksache 10/6796 Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({4}) Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Forschung und Technologie
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß
c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Abbau der Massenarbeitslosigkeit
- Drucksache 11/18 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({5}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß
d) Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Überstundenabbau
- Drucksache 11/136 Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({6}) Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 d viereinhalb Stunden vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit der Verabschiedung des Jahreswirtschaftsberichtes 1987 sind mehr als drei Monate vergangen. Wir haben heute ein gutes Vierteljahr wirtschaftlicher Entwicklung zu betrachten, ein Vierteljahr mit wirtschaftspolitischen Entscheidungen, konjunkturpolitischen Debatten und nicht zuletzt auch mit Wahlen, die ja auch ein Ausdruck des Wählerwillens und -urteils über Wirtschaftspolitik sind und die in diesem Hause niemanden unbeeindruckt gelassen haben.
({0})
Auch die Devisenmärkte haben in diesen drei Monaten schwere Belastungsproben hinnehmen müs458
sen, die in internationalen Währungskonferenzen nur mit Schwierigkeiten zu bändigen waren.
Wir haben in unserem Lande Anpassungsprobleme bei Kohle, Stahl und Werften. Aber diese Probleme haben nicht nur wir; auch andere Länder müssen solche Strukturprobleme bewältigen.
Der internationale Freihandel befindet sich nicht in einer Hochkonjunktur. Wir haben eigentlich eher Abwehrkämpfe gegen eine wachsende Neigung zu Protektionismus zu führen, unglücklicherweise auch bei wichtigen Handelspartnern der Bundesrepublik.
Zugleich ist aber die marktwirtschaftliche Politik, die wir noch einmal im Jahreswirtschaftsbericht erläutert haben, von den Wählern eindrucksvoll und nachhaltig bestätigt worden. Ich denke, die Tatsache, daß die Koalition der Mitte und der marktwirtschaftlichen Erneuerung bei den Bundestagswahlen einen überzeugenden Sieg errungen hat, hat sehr wohl damit zu tun, daß die Wähler diese marktwirtschaftliche Politik wollen und unterstützen.
({1})
Auch in Hessen ist das nicht anders gewesen, und eigentlich zweifelt niemand mehr daran: In anderthalb Wochen - am 17. Mai - wird es in Hamburg und Rheinland-Pfalz ebenso ausgehen.
({2})
- Da ich zur Wahrheit verpflichtet bin, Herr Kollege Vogel, kann ich Ihnen das heute morgen nicht ersparen.
({3})
Ich würde Ihnen gerne mehr Mut machen, aber es sieht wohl so aus, als ob Sie auch nach diesen beiden Wahlen bestätigen müssen, daß der Wähler diese Politik eher will als die Ihrige.
({4})
Bei den Beschäftigungszahlen würde ich sogar sehr gerne bei der Wahrheit bleiben, nur,
({5})
Herr Kollege Ehrenberg, ich kann sie Ihnen noch nicht sagen aus Courtoisie der Anstalt gegenüber, denn diese hat um 10 Uhr ihre Pressekonferenz.
({6})
Ich weiß die Zahlen bereits. Ich kann Sie beruhigen: Sie sind ungewöhnlich günstig für den Monat April. Aber ich kann sie Ihnen leider nicht sagen, weil ich das dem Präsidenten natürlich nicht wegnehmen kann.
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Wir wollen die Schwierigkeiten ganzer Branchen und Regionen nicht übersehen. Wir haben das übrigens auch im Jahreswirtschaftsbericht nicht getan. Wir haben im Jahreswirtschaftsbericht deutlich auf die Risiken hingewiesen, und - wie ich schon gesagt habe - die protektionistischen Gefahren in aller Welt sind offensichtlich. Aber wir sagen auch: Die Wirtschaftspolitik dieser Regierung - damit meine ich jetzt nicht nur mein eigenes Ressort, sondern Wirtschaftspolitik im weiteren Sinne - hat vieles schon in der letzten Legislaturperiode zum Besseren gewendet, gerade auch in der Beschäftigung. Wir haben über 600 000 Beschäftigte mehr.
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Wir werden auch im Monat April eine ganz erhebliche Zunahme der Beschäftigung zu verzeichnen haben. Bei den Preisen ist der Erfolg so unübersehbar, daß, glaube ich, darüber niemand mehr streiten muß.
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- Wenn Sie das auch noch bestreiten wollen, dann überraschen Sie mich nun wirklich.
Investitionen, Wachstum und Haushalt, um nur einiges herauszugreifen, haben sich in die richtige Richtung entwickelt.
Wir stehen zu diesem Konzept, weil es erfolgreich ist, nicht aus orthodoxer Überzeugungsfreude, sondern weil sich dieses Konzept bewährt hat.
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Ich räume dabei ohne weiteres ein, daß diese wirtschaftspolitische Grundentscheidung häufig schwerer zu erklären und durchzusetzen ist als anderes, denn sie ist wenig spektakulär, sie setzt nicht auf Aktionismus. Es gibt deswegen immer wieder Erklärungsbedarf, weil steuerrechtliche Eingriffe hier, konjunkturpolitische Spritzen dort, kurz: eine Politik des Interventionismus und der Programme sich immer wieder leichter anpreisen als regierungsamtliche Fürsorge.
Wer auf die Konkurrenzunfähigkeit und die Schwierigkeit von Industriebetrieben - gleich in welcher Branche - mit dem Ruf nach Verstaatlichung reagiert, wer höhere Steuern fordert, wer konjunkturelle Schwächemomente mit Milliardenprogrammen unmittelbar überwinden will und das dann auch noch umweltpolitisch verbrämt, der scheint ja Rezepte zu haben, der scheint ja von Sorge und Vorsorge umgetrieben zu sein. Jedenfalls muß man ihm konzedieren: Macht er sich nicht wenigstens Gedanken über die Situation?
({11})
Aber, meine Damen und Herren, das sind, Herr Kollege Ehrenberg, kleine Gedanken, die nicht weit tragen. Ich frage Sie: Wo in der Welt hat sich verstaatlichte Stahlindustrie - um ein Beispiel zu nehmen, das offenbar auch die GRÜNEN als lohnende Zielbestimmung verstehen - jemals als konkurrenzfähiger erwiesen? Wo in der Welt sind Arbeitsplätze in der verstaatlichten Stahlindustrie sicherer als in einer privaten Industrie? Nirgends auf der Welt!
({12})
- Den Unterschied zur Vergesellschaftung kenne ich natürlich.
({13})
- Nein, ich will gar nicht von der Neuen Heimat reden. Keine Angst, keine Angst!
Der Unterschied zur Vergesellschaftung besteht ja, jedenfalls wenn man das so auffaßt, wie es die IG Metall vorgeschlagen hat, darin, daß in der ersten Stufe die deutsche Stahlindustrie verstaatlicht wird, damit der Steuerzahler die Verluste tragen kann, und daß in der zweiten Stufe die IG Metall die Unternehmensführung übernimmt. Das nennt man dann Vergesellschaftung. Das ist für uns nun wahrhaftigen Gottes kein lohnendes Ziel. Das will ich hier einmal ganz deutlich sagen.
({14})
Deswegen glauben wir, daß diese Politik keine Alternative bedeutet. In Wahrheit ist es ein hartnäckiges Wiederholen alter Rezepte, die sich schon längst als unwirksam erwiesen haben.
Wir setzen dagegen das Bemühen, das - ich will mich sehr zurückhaltend ausdrücken - intensive und erfolgreiche Bemühen um eine marktwirtschaftliche Politik aus einem gemeinsamen, alle ökonomischen Felder gleichermaßen umspannenden Guß, eine Politik, die auch den unaufhaltsamen Strukturwandel weder verlangsamt noch behindert, sondern akzeptiert, ihn natürlich begleitet, ihn fördert und ihn sozial so begleitet, daß der Strukturwandel nicht unzumutbare Opfer für die Betroffenen bedeutet.
Aber ich sage Ihnen hier: Erstens. Wer angesichts auch der Schwierigkeiten in bestimmten Branchen diesen Strukturanpassungsprozeß nicht unterstützen will, wer ihn behindern will, der tut niemandem etwas Gutes, in erster Linie nicht den Arbeitern, die in diesen Branchen und Betrieben beschäftigt sind.
({15})
Denn sie können andere Arbeitsplätze finden, wenn der Strukturwandel begünstigt wird. Sie werden niemals in nicht mehr wettbewerbsfähigen Industriebranchen auf Dauer einen sicheren Arbeitsplatz haben.
Zweitens. Sie unterstützen, wenn Sie den Strukturwandel behindern, auch die Wirtschaft insgesamt nicht. Denn unsere Volkswirtschaft, die zu einem Drittel vom Export abhängig ist, ist darauf angewiesen, wettbewerbsfähige Industrien zu haben. Wir können es uns, weil wir so sehr vom Weltmarkt abhängen, gar nicht leisten, in bestimmten Bereichen zurückzubleiben und damit andere Bereiche anzustecken und wettbewerbsunfähig zu machen.
Drittens sage ich mit Nachdruck: Strukturwandel in Industriestaaten ist auch nötig, um den Entwicklungsländern eine faire Chance zu geben, am wirtschaftlichen Wohlstand teilzuhaben.
({16})
Deswegen wollen wir diesen Strukturwandel nicht behindern.
({17})
- Lippenbekenntnisse? Wenn ich das schon höre! Habe ich jemals von Ihnen Unterstützung gehabt, als es darum ging, etwa der Gewerkschaft Textil zu erklären, daß es notwendig ist, einen Umwandlungsprozeß in der Textilindustrie bei uns zu haben, weil Textilproduktion für Entwicklungsländer eine Chance bietet?
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Haben Sie das jemals unterstützt?
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Sie sind immer wieder auf der Seite der Rückständigen gewesen und haben damit den Entwicklungsländern jede Chance genommen.
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Ihre Entwicklungspolitik besteht aus Lippenbekenntnissen und nichts anderem, weil Sie nicht in der Lage und zu feige sind, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Das ist die Wahrheit.
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- Bitte schön - ausnahmsweise, Herr Präsident -, weil ich Ihnen die Möglichkeit einräumen will, Ihre Position wenigstens schwach zu verteidigen. Bitte schön.
Einen Augenblick! Ich wollte den Herrn Minister nur darauf aufmerksam machen, daß er den letzten Akt der Worterteilung mir überlassen sollte. - Bitte schön!
({0})
Danke, Herr Präsident. - Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß in der Textilindustrie in den letzten Jahren bereits ein gewaltiger Abbau von Arbeitsplätzen stattgefunden hat?
({0})
Ich habe gerade davon gesprochen, daß ein Abbau von Arbeitsplätzen in der Textilindustrie stattgefunden hat. Mir ist das, wenn ich davon spreche, bekannt. Ich habe das als Beispiel dafür genommen, daß dieser Abbau nicht nur notwendig war, um die Textilindustrie bei uns wieder wettbewerbsfähig zu machen
- denn sie exportiert jetzt mehr, als wir an Textilprodukten importieren -; ich wollte damit auch zeigen, daß dieser Abbau von Arbeitsplätzen, die Veränderung der Struktur der Textilindustrie Entwicklungsländern auch eine Chance geben. Wenn Sie mir zugehört hätten, hätten Sie sich die Frage wirklich ersparen können.
({0})
Dieser Strukturwandel erweitert die Chancen einer Wirtschaft, wenn dabei kreative Kräfte freigesetzt werden, der Wettbewerb ermutigt wird und Kapital
460 Deutscher Bundestag - 1 1. Wahlperiode Bundesminister Dr. Bangemann
und Arbeit nicht in unproduktiven Verwendungen festgezurrt, sondern dort eingesetzt werden, wo sie am besten eingesetzt werden können. Natürlich weiß jeder, daß ein Stahlarbeiter in Hattingen, ein Werftarbeiter in Hamburg oder in Leer, der gerade entlassen wird, mit solchen Vorstellungen in seiner eigenen persönlichen Lage wenig anfängt; das ist das Problem. Das Problem besteht darin, daß jedermann weiß: Der Strukturwandel im allgemeinen ist richtig für jeden, aber die Umsetzung in das unmittelbare persönliche Leben eines einzelnen Betroffenen, der arbeitslos wird, wird nur schwer gelingen. Das ist in vielen Fällen auch hoffnungslos, weil man ja verstehen muß, daß der einzelne Betroffene mit diesen Erwägungen, soweit sie für ihn nicht ganz unmittelbar einen Erfolg aufweisen können, wenig anfängt.
Aber eine Regierung hat auch die Pflicht, die unangenehmen Wahrheiten zu sagen und sich so zu verhalten, daß diese Wirtschaft für alle und auf mittlere Sicht gedeihen kann. Sie muß sagen - und wir haben das verschiedentlich gesagt - , daß man weder Kohle lagern noch Schiffe bauen noch Stahl verkaufen kann, die man auf dem Markt nicht mehr absetzen kann. In jedem Wirtschaftssystem, auch in einem zentral verwalteten Wirtschaftssystem, ist die Produktion von Gütern, die niemand will, das beste Anzeichen dafür, daß der Wohlstand in dieser Wirtschaft sinken muß und jedermann negativ davon betroffen ist.
({1})
Sie kann sich deswegen nicht gegen den Strukturwandel stellen, der eine dynamische Wirtschaft immer begleitet hat und auch in Zukunft immer begleiten wird. Und ich füge hinzu: Je höher das Lohnniveau einer Wirtschaft ist - und wir sind dafür, daß über hohe, ausreichende Löhne auch Kaufkraft für diejenigen entsteht, die arbeiten; niemand darf ein hohes Lohnniveau beklagen, das natürlich Ausweis der Leistungsfähigkeit einer Wirtschaft ist - , um so stärker muß die Innovationsfähigkeit, muß die Fähigkeit einer Wirtschaft sein, auf den Strukturwandel zu setzen. Denn mit überalterten Strukturen kann man ein solch hohes Lohnniveau unter gar keinen Umständen verkraften.
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Wir helfen, wie ich gesagt habe, dort, wo das notwendig ist, mit sozial- und regionalpolitischen Mitteln, mit Ersatzarbeitsplätzen, die wir natürlich nicht selber schaffen können. Neulich habe ich gelesen, das sei ein Wort, das die Politiker jetzt erfunden hätten, um sich zu beruhigen. Dabei vergäßen sie, daß sie selber ja keine Arbeitsplätze schaffen. Das ist richtig. Aber natürlich werden wir mit Anreizen für neue Investitionen in den betroffenen Gebieten auch mittelbar Hilfe zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen leisten können.
Nötig und möglich ist darüber hinaus aber mehr, und unsere Wirtschaftspolitik versucht das: Wir verbessern und erleichtern durch marktwirtschaftliche Offensiven möglichst viele Bedingungen für Wachsturn und Investitionen und damit zugleich auch für Beschäftigung. Hier verzahnen sich konjunkturpolitische Erwägungen mit strukturpolitischen Notwendigkeiten. Hier zielt die Förderung des Wettbewerbs z. B. in die gleiche Richtung wie die Entlastung von Steuern und Abgaben. Die Deregulierung führt zum selben Ziel wie eine Haushaltspolitik, die dafür sorgt, daß wir niedrige Zinsen haben. Hier wirken auch die Gesetze für mehr Flexibilität, die natürlich zum Teil in der Entscheidungsgewalt der Tarifpartner liegen, in die gleiche Richtung wie die Politik der Preisstabilität und des permanenten Eintretens für einen freien Weltmarkt, für einen freien Zugang zu den Weltmärkten. Das ist eine marktwirtschaftliche Politik, die alle diese verschiedenen Bereiche zusammenbindet. So schaffen wir Anpassungen an den strukturellen Wandel, so wird für mehr Arbeitsplätze gesorgt, und so erwirtschaften wir die Mittel für den sozialpolitischen, umweltpolitischen und forschungspolitischen Fortschritt, der notwendig ist.
So stärken wir auch die Freiheit des Bürgers vor unnötiger staatlicher - und ich füge hinzu: verbandsverordneter - Gängelei. Denn, meine Damen und Herren, diese Politik hat nicht nur wirtschaftliche Auswirkungen, sondern sie schafft auch Freiheitsräume für den Bürger im Bereich der Wirtschaft, die er nötig braucht, um Freiheit insgesamt erleben zu können. Ich hoffe, daß gerade auch die Verbände mit ihren eigenen Entscheidungen, beispielsweise bei den Tarifvereinbarungen, dafür sorgen, daß der Freiheitsraum des Bürgers größer wird. Wir haben in den letzten Vereinbarungen schon einige Gedanken aufschimmern sehen - sehr undeutlich zwar, aber immerhin. Mehr Flexibilität in den Tarifvereinbarungen wird nicht nur mehr wirtschaftlichen Freiraum, neue Arbeitsplätze, neuen wirtschaftlichen Dynamismus schaffen, sondern in dieser Freiheit wird auch für den einzelnen ein Stück persönlicher Freiheit in seiner alltäglichen Arbeitswelt lebendiger.
Damit - und das will ich hier durchaus deutlich sagen - haben wir kein Patentrezept für alle Wechselfälle des wirtschaftlichen und politischen Lebens, sondern natürlich sind mit dieser Politik auch Friktionen verbunden. Vorübergehende Rückschläge können nicht ein für allemal ausgeschlossen werden. Dennoch: Wenn man die Entwicklung der vergangenen vier Jahre betrachtet und versucht, von daher eine allgemeine Tendenz abzuleiten, dann glaube ich schon, daß wir auf dem richtigen Wege sind. Ich will jetzt nicht alle Wirtschaftsdaten von 1982 mit denen von 1986 vergleichen. Jeder, der sie kennt, kann nicht bestreiten, daß wir in diesen vier Jahren wirtschaftlich Erfolgsgeschichte geschrieben haben.
({3})
Wenn man hört, daß das Wirtschaftswachstum zu niedrig war - es gibt nicht wenige Menschen, denen das zu niedrig ist; gerade aus dem Ausland, aus den USA hören wir immer wieder Aufforderungen und Ermahnungen, zu einem größeren Wirtschaftswachsturn zu kommen
({4})
- von der OECD ist es zu hören, Herr Ehrenberg; ich will das gerne um diese Organisation, die von uns hoch geschätzt wird, ergänzen - , dann sagen das übrigens meistens dieselben Leute, die sich und andeBundesminister Dr. Bangemann
ren ein paar Jahre zuvor noch alles Heil von einem permanenten Nullwachstum versprochen haben.
({5})
Das Interessante ist, daß diese Experten in internationalen Organisationen häufig auch Moden unterworfen sind.
({6})
Als es Mode war, von Nullwachstum zu reden, weil man angeblich mit Ressourcen zu leben hätte, die sich nicht erweitern ließen, und als deswegen gefordert wurde, daß man sich angesichts der Herausforderungen dieser Ressourcenknappheit vom Wirtschaftswachstum abkehren müßte, haben dieselben Leute das Nullwachstum gepredigt, die sich heute wieder hinstellen und uns vorhalten, wir hätten zu wenig Wachstum. Diese vergessen das oft.
({7})
Sie kommen mir so vor wie amerikanische Fernsehprediger, die in ihren Fernsehsendungen vor Moral triefen und in ihrem alltäglichen Leben dem nicht ganz gerecht werden, was sie da predigen.
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- Nein, ich lese nicht den „Spiegel", sondern ich war in Amerika, Herr Kollege, und habe alles hautnah und live miterleben können, was dort passiert.
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- Ja, sehen Sie, Herr Vogel, jetzt haben Sie es verstanden; das wollte ich Ihnen ja deutlich machen: „Prediger" und „hautnah" bilden ein bißchen einen Gegensatz. Sie haben es jetzt verstanden. Herzlichen Glückwunsch!
({10})
Meine Damen und Herren, ich möchte all diese Kritiker daran erinnern: 12 T. Wirtschaftswachstum und über 600 000 neue Arbeitsplätze sind in vier Jahren geschaffen worden,
({11})
in denen die deutsche Wirtschaft zugleich ihren Aufbau und ihre Zusammensetzung tiefgreifend verändert hat. Man darf dabei erstens nicht vergessen
- und dieses Starren auf Zahlen des Wirtschaftswachstums allein macht es ja manchen vergessen -: Eine Wirtschaft, die auf Strukturwandel setzt, wird notwendigerweise geringere Wachstumsraten haben müssen als eine Wirtschaft, die versucht, auch Fußkranke noch mitzuziehen.
Wenn wir Produktion in den Bereichen verlieren, die nicht mehr wettbewerbsfähig sind, dann fehlt natürlich diese Produktion statistisch bei der Ermittlung von Wirtschaftswachstum. In Wahrheit war aber der Verlust dieser Produktion notwendiger Strukturwandel, der die Wirtschaft in ihrer Konstitution gesünder macht und der dafür sorgt, daß wir auch in Zukunft Wirtschaftswachstum haben.
({12})
Zweitens - und ich sage das auch mit Nachdruck - : Mir sind im Schnitt 2 bis 3 % Wirtschaftswachstum pro Jahr auf längere Zeit hinaus wichtiger als ein Auf und Ab von Raten zwischen 6, 2 und 0 %; das ist schlechter zu verkraften als beständiges Wirtschaftswachstum.
({13})
Ich meine - vielleicht könnte da sogar ausnahmsweise einmal die Opposition zustimmen - : Arbeitnehmer und Unternehmer haben in diesen vier Jahren eine ökonomische Leistung erbracht, die ihnen weltweit neue Anerkennung und neuen Respekt eingebracht hat.
({14})
- „Arbeitnehmer und Unternehmer" habe ich ja jetzt gerade gesagt. Von der Leistung der Regierung sprach ich kurz zuvor.
({15})
Wir brauchen darüber nicht zu vergessen: Diese Leistung konnte sich nur auszahlen, weil die Koalition der Mitte vom ersten Tag ihrer Arbeit an mit neuem Mut und auch manchmal mit Mut zu schweren Entscheidungen diese Wirtschaft wieder auf eine verläßliche, klare und berechenbare Grundlage gesetzt hat. So wollen wir diese Arbeit auch in dieser Legislaturperiode fortsetzen, zunächst mit der Steuerreform. Sie bildet - jedenfalls in diesen vier Jahren - das Zentrum unserer marktwirtschaftlichen Politik. 1988 und 1990 wird diese Reform in zwei Schritten verwirklicht. Jeder - ich wiederhole es - , jeder, der hierzulande Geld verdient, wird das spüren und seine Dispositionen danach einrichten. Mit dieser Steuersenkung wird also eine Grundlage für Investitionen und Verbrauch, für Leistungsanreize und internationale Wettbewerbsfähigkeit geschaffen, die die Position der deutschen Wirtschaft entscheidend verstärken werden.
Diese Steuerreform beschränkt sich nicht auf kleine Korrekturen. Sie soll die Struktur des gesamten Steuersystems verändern. Deswegen gehen wir davon aus, daß sie stärker als in der Vergangenheit auch konjunkturelle Auswirkungen haben wird, daß sie die Schaffung neuer Arbeitsplätze erleichtern wird und daß sie auch einen Beitrag zur Eindämmung der Schwarzarbeit ist. Denn, meine Damen und Herren, die volkswirtschaftliche Leistung der Bundesrepublik wird ja in den statistischen Zahlen überhaupt nicht deutlich. Wir müßten eigentlich, wenn man das volkswirtschaftlich betrachtet, das in der Schwarzarbeit Geleistete dazuzählen. Wir würden dann zu erfreulicheren Ergebnissen kommen. Aber wir können das eigentlich auch nicht tun, denn Schwarzarbeit ist zugleich auch ein Angriff auf Handwerk und kleine und mittlere Betriebe, der die Leistungsfähigkeit dieses Wirtschaftszweiges beeinträchtigt.
({16})
Deswegen können wir nicht allein auf administrative und auch nicht allein - wie ich hinzufügen will - auf strafrechtliche Maßnahmen setzen, sondern wir müssen wirtschaftliche Bedingungen schaffen, die die Schwarzarbeit nicht mehr attraktiv machen. Eine Senkung der Steuerlast gehört dazu.
({17})
Wir handeln bei der Steuerreform auch sozial, denn wie Sie wissen und wie das hier mehrfach erläutert worden ist, liegt der Schwerpunkt der Entlastung am unteren Ende der Einkommens- und Lohnsteuerskala. Der Hauptschwerpunkt der Steuerreform liegt bei denen, die wenig verdienen. Ein Großteil der jetzt noch Steuern Zahlenden am unteren Ende der Einkommens- und Lohnsteuerskala wird überhaupt keine Steuern mehr zahlen. Der größte Teil der Gesamtentlastung liegt im unteren und mittleren Bereich, da, wo heute die hohe Steuerbelastung leistungshemmend wirkt.
Wir stärken damit auch die deutsche Wettbewerbsfähigkeit. Ich frage: Was ist effizienter als ein wettbewerbsfähiger Betrieb?
({18})
- So ist es. Sie haben es richtig erfaßt.
({19})
Die Opposition denunziert diese Reform als ein Geschenk an die Reichen, und Herr Breit redet ihr das nach. Wir konnten das vielleicht auch nicht anders erwarten.
({20})
Aber ich sage Ihnen: Mit dieser Steuerpolitik werden wir mehr und bessere ökonomische und soziale Wirkungen erzielen als mit allen Programmvorschlägen zusammen, die wir in den vergangenen Jahren von der SPD gehört haben und die wir immer noch hören
({21})
und die mit Belastungen für den kleinen Mann verbunden sind, die die SPD nicht auszurechnen gewagt hat und die die Wähler dennoch gemerkt haben. Ich wiederhole es: Was ist ein besserer Ausweis für gute oder schlechte Politik als das Votum der Wähler? - Wenn die Opposition erst einmal erkannt hat, daß das Votum der Wähler gegen sie nicht ein Votum gegen sie ist, weil sie Opposition ist, sondern weil sie schlechte Politik vorschlägt, dann werden wir vielleicht insgesamt zu besseren Verhältnissen auch bei den Diskussionen in diesem Hause kommen können.
({22})
Ich nehme eine andere Kritik ernster. Warum, so werden wir gefragt, ist mit dem Beschluß zur Steuerreform nicht auch der Beschluß zur Finanzierung in allen Einzelheiten gefaßt worden?
({23})
Das ist eine Frage, die man beantworten muß. Ich räume ein,
({24})
daß wir eine Entscheidung über beide Dinge eher hätten treffen können,
({25})
wenn wir nicht zu befürchten gehabt hätten, daß der Teil der Steuerreform, der unbestreitbar eine Nettoentlastung bringt, nämlich mit 25 Milliarden DM, in der öffentlichen Diskussion untergegangen wäre. Deswegen werden wir in diesem Jahre, wenn das Gesetzesvorhaben vorgelegt wird, insgesamt darüber Klarheit schaffen.
Wir werden dabei - ich sage das hier für die Regierung - Steuerentlastung und Subventionsabbau zusammenknüpfen. Sie gehören nicht nur finanzpolitisch, sondern auch ordnungspolitisch zusammen. Subventionsabbau ist nicht weniger marktwirtschaftliche Befreiung als Steuerreduktion. Subventionen, so dringlich sie uns auch immer wieder begründet werden - natürlich in erster Linie von den Betroffenen - und, ich füge auch hinzu, so unvermeidbar sie in manchen Fällen sind, wenn man politische Ziele damit verwirklichen will, bleiben trotzdem ein staatlicher, fragwürdiger Eingriff, der die Marktkräfte manipuliert und der höchste Ungerechtigkeiten schafft.
Ich sage es noch einmal, meine Damen und Herren: Ich werde, wie ich es schon in den vergangenen Haushaltsbeschlüssen getan habe, dafür sorgen, daß in meinem Haushalt, soweit ich dafür verantwortlich bin, Subventionen zurückgeführt werden.
({26})
Ich würde es sehr begrüßen, wenn sich das Haus daran beteiligt; denn in der Regel werden Subventionen den Großen gegeben, und die Kleinen bezahlen sie. Das ist eine unerträgliche Ungerechtigkeit in unserem Wirtschaftssystem.
({27})
Wer das dann wieder als Marktwirtschaftswahn zu verunglimpfen beliebt, wie das der Kollege Haar vor kurzem gemacht hat, der findet vielleicht an einer komplizierteren Formulierung mehr Gefallen: Subventionsabbau ist nötig, um die Ressourcen unserer Volkswirtschaft optimal dort einzusetzen, wo rentable Arbeitsplätze geschaffen werden können.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann? - Bitte sehr.
Herr Bangemann, können Sie mir bei Ihrem Plädoyer für Marktwirtschaft und Subventionsabbau erklären, warum die Bundesregierung seit ihrem Amtsantritt 1982 die Subventionen nicht abgebaut, sondern ausgebaut hat und dies kritisch
auch in den Frühjahrsgutachten der Forschungsinstitute vermerkt wird? Also genau das Gegenteil von dem, was Sie hier proklamieren, tun Sie tagtäglich. Wie erklären Sie den schreienden Widerspruch?
Das kann ich Ihnen erklären. Ich habe ja schon gesagt: Ich werde mich in meinem Haushalt darum bemühen, das zu tun. Wenn Sie meinen Haushalt ansehen, dann werden Sie feststellen, daß sich in meinem Haushalt die Struktur dieser Subventionspolitik geändert hat
({0})
- das ist kein Trick - , ohne daß wir - und da sind Sie sicherlich einer Meinung - schon verschiedene Mechanismen haben ändern können.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel aus meinem Haushalt: Der Kohlepfennig ist in seinem Mechanismus nicht verändert worden. Die neuen Belastungen, die sich ergeben haben, die über eine Milliarde DM an zusätzlichen Subventionen hinausgehen und die dann in diesen Berichten natürlich auftauchen, entstehen dadurch, daß der Weltmarktpreis für Energie gesunken ist. Da wir die Differenz zwischen Weltmarktpreis und deutschem Steinkohlepreis, der übrigens nicht gestiegen ist - damit da kein falscher Eindruck entsteht: der Kohlepreis ist gleich geblieben, nur der Weltmarktpreis ist gesunken - , ausgleichen, wird der Subventionsbetrag höher, weil wir keinen neuen Mechanismus eingeführt haben.
Sie können das auch am Beispiel der Agrarpolitik sehen: Weil die Agrarpreise als Garantiepreise festgesetzt sind, in den meisten Fällen ohne Mengenbegrenzungen, mit den Ausnahmen Zucker und Milch, ist das natürlich ein Vorgang, bei dem jede angelieferte Einheit bezahlt wird. Wenn die Mengen größer werden, werden selbst dann, wenn die Preise gleich bleiben oder fallen, die Subventionsbeträge höher. Das ist der Grund.
Deswegen müssen wir die Mechanismen ändern. Nun würde ich mich sehr freuen, Herr Stratmann, wenn Sie bei der Neustrukturierung des Kohlepfennigs tatkräftig mitarbeiten, damit wir diese Subventionen dann einschränken können.
({1})
Dann bitte ich Sie auch an das Mikrophon, wenn Sie, Herr Präsident, das gestatten.
Ich möchte aber auch nicht mißverstanden werden: Wir werden hie und da, wenn wir diese Subventionen zu diskutieren haben, natürlich politische Ziele mit dem Einsatz von Finanzmitteln erreichen müssen. Ich erwähne das Beispiel Berlin. Wer glaubt - das ist der größte Einwand gegen die Rasenmähermethode -, alle Subventionen ohne Unterschied Jahr für Jahr um fünf oder zehn Prozent kürzen zu können, der wird einen politischen Kahlschlag veranstalten, den wir natürlich nicht akzeptieren können. Das betrifft insonderheit Berlin, das betrifft aber auch die Landwirtschaft; denn ohne eine Unterstützung der Landwirtschaft, die vernünftiger sein muß als die jetzige Politik, werden wir eigene Nahrungsmittelversorgung nicht mehr betreiben können.
({2})
In diesen wirtschaftspolitischen Grundüberzeugungen haben uns die Sachverständigen immer wieder bestätigt. Sie haben bei aller Einzelkritik diesen marktwirtschaftlichen Grundkurs der Regierung für richtig gehalten. Das gilt auch für die Frühjahrsdiagnose der Konjunkturforschungsinstitute. Hier bestreitet niemand, daß die wirtschaftliche Entwicklung im Winterhalbjahr und dementsprechend auch im ersten Vierteljahr dieses Jahres ins Stocken geraten ist, übrigens nicht zum erstenmal während dieser ganzen Auf schwungsperiode.
Diesmal hat der Dollarkursverfall auf viele Unternehmen begreiflicherweise wie ein Schock gewirkt und seine Spuren hinterlassen. Meine Damen und Herren, innerhalb von zwei Jahren hat sich der Wert der D-Mark im Verhältnis zum US-Dollar um rund 80 % erhöht. Daß das bei der Exportindustrie Spuren hinterläßt, ist verständlich. Eine so brutale Veränderung in so kurzer Zeit hat es seit der Währungsreform nie gegeben. Die Anpassungsvorgänge mit deutlicher Investitionszurückhaltung bei uns sind verständlich. Aber niemand sollte darüber in Resignation oder Panik verfallen.
Denn es ist auch richtig: Alle Konjunkturforschungsinstitute, selbst wenn sie in den Vorhersagen für das Wirtschaftswachstum dieses Jahres variieren, unterstellen keine Rezession. Alle gehen davon aus, daß sich der wirtschaftliche Aufschwung fortsetzt. Das, meine Damen und Herren, ist der wirtschaftlich wichtige Grundtatbestand. Ob wir ein halbes Prozent Wachstum mehr oder weniger haben, als wir im Jahreswirtschaftsbericht prognostiziert haben, ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, meine Damen und Herren, daß sich der Prozeß des wirtschaftlichen Aufschwungs ungebrochen fortsetzt. Alle Beobachter sind sich darüber einig, daß er sich fortsetzt. Das sollten wir nicht vergessen.
({3}): Kennen Sie Ifo nicht?)
Wir haben auch heute Konjunktursignale, die zuversichtlich stimmen. Die Inlandsnachfrage ist weiterhin lebhaft.
Schon im Jahreswirtschaftsbericht am Anfang dieses Jahres haben wir festgestellt, daß sich angesichts der Exportsituation die Wachstumskräfte natürlich auf die Inlandsnachfrage verlagern müssen, sowohl nach Konsum- wie auch nach Investitionsgütern. Alle Umfragen zeigen, daß die Kaufbereitschaft der Verbraucher ungebrochen ist. Angesichts der stabilen Preise und der Einkommensentwicklung ist das auch verständlich.
Wir wollen - ich sage das hier mit aller Entschiedenheit - an diesem Kurs der Preisstabilität festhalten. Ich sage das vor allen Dingen den Kritikern gegenüber, die immer wieder behaupten, die übertriebene Angst vor Inflation - wie sie das nennen - sei ein spezifisch deutsches Charakteristikum und sei wirtschaftspolitisch unsinnig. Wenn man einmal in einem inflationären Prozeß steckt, dann hat das ver464
heerende Auswirkungen auf die Investitionen, die Arbeitsplätze und die Wirtschaft insgesamt. Die Länder, die mit der Inflation leichtsinnig umgegangen sind - zum Teil, weil sie glaubten, damit soziale Spannungen abbauen zu können, zum Teil, weil sie glaubten, sich durch die Abwertung ihrer eigenen Währungen Vorteile zu verschaffen - , werden in wenigen Jahren feststellen, wie verhängnisvoll das ist. Mit dieser Regierung wird es keine Abkehr von der Politik der Preisstabilität geben.
({4})
Wir werden auch durch die Investitionsplanungen der Unternehmen bestätigt. Nach der jüngsten Prognose des Ifo-Instituts haben die Großunternehmen der verarbeitenden Industrie - trotz der Zahlen, die auch für den vergangenen Monat im Bereich der produzierenden Industrie nicht günstig waren - ihre ursprünglichen Investitionsplanungen für 1986 zwar nicht voll realisiert, ihre Pläne für 1987 aber deutlich aufgestockt. Ich füge hinzu: Daß dieses Umfrageergebnis vom Institut selber bezweifelt worden ist, will ich eher als Kuriosität vermerken.
({5})
Christian Morgenstern hat dazu schon Anfang des Jahrhunderts das Richtige gesagt. In dem PalmströmGedicht stellte er fest:
weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf.
({6})
Nach dieser Methode verfahren leider auch manche Beobachter dieser Entwicklungen.
({7})
Meine Damen und Herren, alle Anzeichen, alle Beobachtungen und objektiven Bedingungen sprechen dafür, daß es eine Wachstumsdelle war, die wir überwinden werden und die in diesem Jahr den Aufschwungprozeß nicht unterbrochen hat. Entscheidend ist vor allem auch, daß der Wachstumstrend weitergeht. Das Wirtschaftsleben hört nicht am 31. Dezember auf. Alle Schwarzmalerei der Opposition, auch die gepflegte, wirkt, wie Sie sicher einräumen werden, zweifellos vertrauensstörend. Wir wollen darauf bauen, daß diese Kurve nach oben weist, und meinen deswegen, daß es nicht richtig wäre schwarzzumalen.
Die außenwirtschaftliche Flanke, meine Damen und Herren, ist sorgfältig zu beachten. Sie macht uns Sorgen. Sollten sich von daher akute Gefährdungen für den weiteren Aufschwung ergeben, wäre unsere mittelfristige Wachstums- und Beschäftigungsstrategie entsprechend zu akzentuieren. Das haben wir auch in Ziffer 12 des Jahreswirtschaftsberichtes eindeutig gesagt. Die Verstärkung der Steuerentlastung zum 1. Januar 1988 entsprach dieser wirtschaftspolitischen Orientierung. - Das ist ein vorsorglicher Hinweis. Die Chancen für eine Fortsetzung des soliden Aufschwungs stehen, wie gesagt, gut.
Wir werden in diesem Jahr auch mehr Beschäftigung, mehr Arbeitsplätze haben. Die unqualifizierten und zum Teil auch bösartigen Angriffe, die anläßlich des 1. Mai immer wieder gegen die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik der Regierung zu hören sind, treffen nicht zu. Niemand sollte die Augen davor verschließen, daß wir 600 000 neue Arbeitsplätze geschaffen haben.
({8})
Meine Damen und Herren, ich darf aus meiner eigenen Erfahrung sagen: Vor knapp drei Jahren hatten wir etwa die gleiche Zahl von Arbeitslosen wie heute. 50 % der Arbeitslosen von damals hatten keine abgeschlossene Hauptschulbildung oder keine Berufsausbildung.
({9})
- Nein, Herr Ehrenberg. Inzwischen sind es fast zwei Drittel. - Fast zwei Drittel der Arbeitslosen von heute haben keine abgeschlossene Hauptschulbildung oder keine abgeschlossene Berufsausbildung.
({10})
- Natürlich ist das noch schlimmer.
({11})
- Jetzt möchte ich zu Ende kommen, Herr Präsident.
Aber es ist nicht schlimm für diejenigen, die sich bemühen, Angebote zu machen. Diese Regierung hat zusammen mit der Anstalt seit Jahren einen Schwerpunkt auf die Ausbildung, insbesondere auf die nachträgliche Qualifikation von Arbeitslosen, gelegt. Es gibt genügend Angebote.
Meine Damen und Herren, wir richten noch einmal einen Appell an die Arbeitgeber, an die Gewerkschaften, aber auch an die Betroffenen, diese Chancen wahrzunehmen. Denn es ist klar: Eine Wirtschaft, die auf hohem Lohnniveau arbeitet, die technisch auf höchstem Niveau arbeiten muß, muß darauf zählen können, daß diejenigen, die Arbeitsplätze verlangen, die nötige Qualifikation selbst erwerben, wenn man ihnen die Chance dafür bietet. Das ist nicht unzumutbar.
Die Politik, die wir hier betreiben, setzt nicht allein auf die Weisheit derjenigen, die Angebote machen. Die setzt auch auf die Verantwortung des einzelnen. Sie will den Bürger in diese Verantwortung mit hineinnehmen.
({12})
Wir sind nicht ein Wohlfahrtsstaat, in dem der Staat dem Bürger von der Wiege bis zur Bahre jede Anstrengung, jedes Risiko abnimmt. Der Bürger muß selbst etwas dazu leisten, diese Chancen wahrzunehmen. Das ist deutlich zu sagen.
({13})
Ich füge hinzu: Für mich steht dahinter auch eine gesellschaftspolitische Zielsetzung; denn ein Staat, der sich als Wohlfahrtsstaat mißversteht und dem Bürger jede Entscheidung abnimmt, auch jedes Risiko abnimmt, führt den Bürger in eine tiefere Sklaverei, als jede klassische Sklaverei es sein könnte.
({14})
Natürlich werden wir das nicht ohne die Mitwirkung der Tarifparteien schaffen. Ich sage noch einmal: Tarifpolitische Entscheidungen, die über den Anstieg von Sockelbeträgen oder über die überproportionale Steigerung unterer Lohngruppen, über die Verhinderung der nötigen Flexibilität glauben, soziale Gerechtigkeit erreichen zu können, erreichen in Wahrheit nur neue Hindernisse für Arbeitsuchende. Das müssen die Tarifparteien wissen. Deswegen werden wir dauerhafte Erfolge nur mit einer Politik erreichen können, die diesen marktwirtschaftlichen Kurs fortsetzt und auf die Zusammenarbeit mit den Tarifparteien setzen kann.
Wir werden das, was wir tun können, fortsetzen. Wir haben eine Deregulierungskommission eingesetzt, die nicht eine Veranstaltung ist, mit der wir uns vor dieser Aufgabe verstecken wollen. Wir werden die Vorschläge sehr ernst nehmen und umsetzen; denn wir wissen, daß Deregulierung Betriebe von lästigen und überflüssigen Bestimmungen befreien kann, manchmal übrigens auch einen Schutz gegen überzogene Forderungen bedeuten kann.
Wenn man sich heute zum Beispiel über die Ausflaggung der deutschen Hochseeschiffahrt beklagt, gleichzeitig aber, wie das der Bürgermeister von Hamburg getan hat, ein zweites deutsches Register fordert, dann bestätigt man das, was wir immer gesagt haben: Überzogene Vorschriften, gerade solche, die angeblich sozialen Fortschritt bedeuten, haben in vielfacher Weise dazu beigetragen, daß Arbeitsplätze vernichtet worden sind.
({15})
Deswegen mehr und nicht weniger wirtschaftliche Freiheit! Das ist das Leitmotiv, unter dem wir auch heute die Novellierung des Kartellgesetzes prüfen werden. Die Regierung denkt nicht daran, ihr wettbewerbspolitisches Leitbild in Frage zu stellen. Das Kartellgesetz schützt den Wettbewerb, nicht den Wettbewerber. Aber wir haben beschlossen, zu prüfen, ob das Kartellgesetz zu ändern ist; denn wir nehmen die Sorgen im Lebensmitteleinzelhandel ernst. Es kann nicht so sein, daß die Konzentration zu Lasten des Wettbewerbs geht. Eine Konzentration, die Wettbewerb ausschaltet, ist nicht in Ordnung. Deswegen werden wir das in der notwendigen Gründlichkeit prüfen.
Mit Steuersenkung, weniger Bürokratie, auch mit einem freieren Telekommunikationsmarkt und Privatisierung, kurz: mit auf Wachstum gerichteter Politik, leisten wir dann auch einen Beitrag zu einer spannungsfreieren Weltwirtschaft. Damit wollen wir auch etwas zur wirtschaftlichen Entwicklung unserer Handelspartner beitragen.
Ich sage aber auch hier noch einmal: Wenn man nicht die Zahlen allein betrachtet, sondern die Mengen, die hinter den Zahlen stehen - denn die Preise haben sich durch den Verfall des Dollars entscheidend verändert - , dann haben wir schon im vergangenen Jahr weniger Export als im Jahr zuvor und mehr Importe als im Jahr zuvor gehabt. Das wird sich in diesem Jahr so weiterentwickeln. Wir werden durch mehr Importe auch zum Wirtschaftswachstum unserer Handelspartner beitragen.
Man sollte nicht immer nur auf die Zahlen starren, die natürlich diese Veränderungen des Wechselkurs-gefüges wiedergeben. Das gilt auch für die USA. Wenn die USA von den reinen Zahlen her im vergangenen Jahr ein höheres Handelsbilanzdefizit hatten, dann verbirgt sich dahinter auch eine bessere Entwicklung für die USA; denn in Mengen, also in unabhängig von Wechselkursveränderungen festgeschriebenen Preisen, haben sich die Ausfuhren der USA erhöht und die Einfuhren verringert.
Ich füge hier hinzu: Natürlich müssen wir dort, wo Märkte verschlossen sind - wie in Japan -, dafür sorgen, daß diese Märkte geöffnet werden; aber niemand, der heute ein Handelsbilanzdefizit hat, sollte glauben, daß allein die Öffnung eines bisher verschlossenen Marktes - oder allein die Änderung von Wechselkursen - erfolgversprechend ist. Man muß wettbewerbsfähige Produkte anbieten können, und man muß sich um die Märkte bemühen. Wenn man das nicht tut, wenn man sich nicht um ausländische Märkte kümmert oder wenn man Produkte anbietet, die trotz gesunkener Preise nicht wettbewerbsfähig sind, dann muß man sich nicht wundern, daß man ein Handelsbilanzdefizit hat.
({16})
Wir werden aber alles tun - ich sage das deutlich - , um den Freihandel auf der Welt sicherzustellen. Unserer Meinung nach ist der beste Weg dazu ein multilaterales System, wie wir es beim GATT haben. Das Erschreckendste und Gefährlichste wäre, wenn die Tendenzen überhand gewännen, die heute die Abkehr vom multilateralen System und einen Rückfall auf bilaterale Vereinbarungen fordern. Das ist ein Rückschritt, und zwar gerade für die Schwachen hochgefährlich; denn in bilateralen Vereinbarungen werden Entwicklungsländer niemals dieselben Chancen haben können wie in einem multilateralen System.
Deswegen wollen wir dieses GATT-System verteidigen. Die Bundesregierung wird sich sowohl bei der Tagung der OECD Mitte dieses Monats in Paris als auch auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Venedig entschieden dafür einsetzen, daß die begonnenen Verhandlungen im GATT-System mit dem Willen aller, zu Ergebnissen zu kommen, fortgeführt werden.
Wir sind uns darüber im klaren, daß vier Jahre eine lange Zeit sind, jedenfalls für den Kampf gegen Protektionismus zu lang erscheinen mögen; aber wir wissen auch, meine Damen und Herren, daß ein Vorziehen von Verhandlungsergebnissen während dieser vier Jahre seine Schwierigkeiten hat, mit einer Ausnahme: Wir können ohne Schwierigkeiten - und die Bundesregierung wird dieses Angebot machen - die
Verstärkung des Systems des GATT schon heute beschließen. Dafür braucht niemand eigene Verhandlungsmacht aufzugeben; niemand braucht eigene Interessen vorzeitig zu schmälern, sondern wir müssen alle daran interessiert sein, daß ein solches System handlungsfähig ist. Deswegen haben wir nichts dagegen, die Verstärkung der Regeln vor das endgültige Ergebnis vorzuziehen.
Meine Damen und Herren! Trotz unbestreitbarer Probleme wird das Jahr 1987, das im Jahreswirtschaftsbericht ökonomisch vorgestellt wird, ein Jahr des Wachstums, ein Jahr wirtschaftlicher Erfolge sein; denn das Entscheidende bleibt: Regierung und Koalition haben den Rahmen für mehr unternehmerischen Wagemut, für mehr Leistungswillen aller, für mehr Investitionen und mehr Beschäftigung Schritt für Schritt ausgeweitet. Wir setzen das fort, was wir in der vergangenen Legislaturperiode begonnen haben. Jedermann kann die Ergebnisse dieser Politik nachprüfen, und immer mehr Bürger stellen fest, daß wir auf dem richtigen Wege sind.
({17})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich die konfusen Reden des Herrn Wirtschaftsministers hier höre,
({0})
wundere ich mich immer, wie robust die deutsche Volkswirtschaft doch ist, so robust, daß sie diese Wirtschaftspolitik aushält.
({1})
Wir diskutieren heute einen Jahreswirtschaftsbericht, der schon jetzt das Papier, auf dem er gedruckt ist, nicht mehr wert ist.
({2})
Meine Damen und Herren, es gibt keine Möglichkeit, diesen Jahreswirtschaftsbericht ernsthaft und seriös zu diskutieren.
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Es stehen da rosige Wirtschaftsprognosen. Zum Beispiel werden 2,5 % Wirtschaftswachstum angekündigt, eine Zahl, die heute niemand mehr ernst nimmt, es sei denn, man ist Bundeswirtschaftsminister.
Im letzten Jahr habe ich anläßlich der Jahreswirtschaftsdebatte gesagt, daß die Bundesregierung in ein Jahr mit einer außenwirtschaftlichen Traumkonstellation geht. Wir hatten eine gewaltige Abwertung der D-Mark mit einer entsprechenden Exportausweitung, und anschließend kam eine drastische Ölpreissenkung mit einer Freisetzung von etwa 40 Milliarden DM Binnennachfrage. Deshalb ist es heute berechtigt, zu fragen, wie weit Sie bei diesen unvergleichlich positiven Ausgangsbedingungen in Ihrer Wirtschaftspolitik überhaupt gekommen sind.
Schauen wir uns die Daten an. Die Bundesregierung erhoffte sich einen Rückgang der Arbeitslosigkeit von 9,3 % auf 8,5 %; 150 000 Menschen weniger sollten arbeitslos sein. Tatsächlich sind Sie - bei diesen optimalen außenwirtschaftlichen Bedingungen! - bei 9 % Arbeitslosigkeit geblieben.
({4})
Sie sind mit Ihrer Arbeitsplatzpolitik im letzten Jahr völlig gescheitert! Sie sind im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit alles schuldig geblieben.
({5})
Die hervorragenden Möglichkeiten des letzten Jahres wurden verspielt und vertan. Diese Regierung hat sich faktisch - das zeigte auch die Rede gerade - aus dem Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit verabschiedet. Wann denn sonst eigentlich als in den Jahren der guten Konjunktur soll die Arbeitslosigkeit abgebaut werden? Wie wäre es denn gewesen - diese Frage ist ja ganz legitim -, auf welchem Niveau der Arbeitslosigkeit stünden wir denn jetzt, wenn Sie nicht die Abwertung mit der Exportdroge gehabt hätten und wenn Sie nicht die Ölpreissenkung mit der Freisetzung von Binnennachfrage gehabt hätten?
Herr Abgeordneter Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich komme gleich darauf zurück. - Diese Frage ist heute deshalb so berechtigt, weil wir ja wissen, daß diese beiden Faktoren jetzt auslaufen. Die Außenwirtschaft wird schwieriger, und die Ölpreissenkung hört jetzt auf. Was kommt dann? Auf diese Frage ist der Bundeswirtschaftsminister jede Antwort schuldig geblieben.
({0})
Herr Abgeordneter Roth, gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Herr Kollege, erinnere ich mich richtig, daß Sie im Sommer 1982 vor dem Regierungswechsel für die Bundesrepublik Verhältnisse wie in England und Arbeitslosenzahlen von 3,5 Millionen angekündigt hatten?
({0})
Herr Kollege, wir haben 2,25 Millionen Arbeitslose in der Bundesrepublik, die von der Bundesanstalt registriert sind. Wir haben 1,3 Millionen, die nicht registriert sind, und jeden Monat gibt die Bundesregierung zu, daß es diese unregistrierten Arbeitslosen gibt, denn wenn 100 000 mehr beschäftigt sind, gehen aus der Arbeitslosenstatistik nur 30 000 heraus. Das ist ein Beleg dafür, daß wir diese stille Reserve von anderthalb Millionen haben.
({0})
Herr Roth, es wird noch eine Zusatzfrage gewünscht.
Herr Präsident, ich möchte jetzt fortfahren. - Es ist kein einseitiges Urteil der Opposition, sondern am Ende des fünfjährigen Konjunkturaufschwungs Tatsache: Diese Bundesregierung hat den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit verloren, ja, sie hat diesen Kampf überhaupt aus dem Zielkatalog ihrer Wirtschaftspolitik gestrichen.
({0})
Der Bundeswirtschaftsminister verstößt damit auch gegen das Grundgesetz der Wirtschaftspolitik, das Wachstums-und-Stabilitäts-Gesetz. Es ist ja kein Zufall, daß das Wort „hoher Beschäftigungsstand" - das steht im Gesetz als Auftrag - in der Rede des Herrn Wirtschaftsministers überhaupt nicht vorkommt. Das wird überhaupt nicht mehr erwähnt.
Meine Damen und Herren, es ist schon atemberaubend - auch heute wieder -, welche Verrenkungen gemacht werden, um das Problem der Arbeitslosigkeit zu verharmlosen. Zuerst wurde davon geredet - ich bitte Sie, auch einmal auf die Sprache zu achten; denn es ist ja von Menschen die Rede - , die Arbeitslosigkeit sei ein Spätindikator der Konjunktur. Man wollte damit sagen, erst nach langem Konjunkturaufschwung könne es Verbesserungen am Arbeitsmarkt geben. Jetzt sind wir im fünften Jahr der Konjunktur, und die Arbeitslosenquote ist noch dieselbe wie am Beginn des sogenannten Aufschwungs. Das ist die Wahrheit.
({1})
Sie haben einen wahrhaft großen Aufschwung der Gewinne erreicht, aber der Aufschwung ging an der Arbeitslosigkeit völlig vorbei. Seit einiger Zeit wird davon gesprochen, das Arbeitslosenproblem sei überhaupt kein konjunkturelles Phänomen, sondern ein strukturelles Phänomen. Nun kann man ja darüber reden. Aber, meine Damen und Herren, es ist sehr gefährlich, über diese Strukturarbeitslosigkeit ständig so zu philosophieren, als ob die strukturellen Probleme unabänderlich seien.
Da wird von der Bundesregierung immer wieder gesagt, daß es im Grunde „den" Arbeitslosen überhaupt nicht gäbe. Sicherlich: Es sind alles Einzelschicksale. Aber, meine Damen und Herren, es sind Einzelschicksale von 2,2 Millionen Menschen. Die dauernde Wiederholung der Behauptung, das seien ja nicht solche Arbeitskräfte, die dem Arbeitsmarkt wahrhaft zur Verfügung stehen, ist doch besonders zynisch. Es wird ständig wiederholt - das ist auch gerade geschehen - , das seien doch in Wirklichkeit Arbeitslose, die keine richtige Berufsausbildung hätten: 51 % hätten keine Berufsausbildung, 20 % seien gesundheitlich beeinträchtigt, 13 To hätten keine Berufserfahrung, 13 % seien über 55, 12 % seien Ausländer und 11 % wollten ohnehin nur Teilzeitarbeit. Addiert sind das 101 %. Es wird häufig so argumentiert, als gäbe es keine wirkliche Arbeitslosigkeit. Das ist zynisch.
({2})
Denn gerade für diejenigen, die Benachteiligungen
haben, meine Damen und Herren, ist die Wirtschaftspolitik verantwortlich. Die wirkliche Arbeitsteilung zwischen Markt und Politik ist doch die: Derjenige, der gut ausgebildet ist, qualifiziert ist, der eine Ausbildung hat, dem hilft der Markt automatisch,
({3})
aber für die benachteiligten Gruppen ist die Politik da. Da aber verweigern Sie sich durch Ausreden.
({4})
Zu dieser Art Verschleierungstaktik gehört auch das Gerede vom sogenannten Beschäftigungswunder, von ihrem Beschäftigungszuwachs. Sie sagen, die Zahl der Arbeitslosen sei leider sehr verfestigt, aber die Beschäftigung hätte um 600 000 zugenommen. Meine Damen und Herren, 1982 betrug der Jahresdurchschnitt der Erwerbstätigenzahl 25 709 000; 1986 betrug der Jahresdurchschnitt der Erwerbstätigenzahl 25 806 000. Also sind es 100 000 mehr in fünf Erholungsjahren der Konjunktur. Anders ausgedrückt: Auch was die Beschäftigung anbetrifft, gibt es keinerlei Erfolg dieser Bundesregierung. Das ist wahr!
({5})
Was Sie machen ist schon ein übles statistisches Manöver. Sie nehmen immer den schlechtesten Monat des Jahres 1983, den Oktober, vergleichen ihn mit dem besten Monat des Jahres 1986 und sagen
- jenseits der Jahreszeit - : So hat die Beschäftigung zugenommen.
({6})
- Nicht einmal da stimmen die 600 000. Da bleibt es bei 400 000. Das ist wahr, Herr Ehrenberg.
Meine Bitte an Sie ist, jenseits von allem politischen Streit, doch endlich mit dieser Art von Manipulationen auf Kosten der Arbeitslosen in der Bundesrepublik Deutschland aufzuhören. Wir brauchen keine Beschönigungen, wir brauchen endlich Arbeitsplätze.
Wir brauchen Arbeitsplätze gerade für die Benachteiligten. Das meine ich auch in regionaler Hinsicht. Die Art und Weise, wie mancher südliche Landesfürst
- Strauß oder Späth - über die Arbeitslosigkeit und die strukturellen Probleme an der Küste, der Ruhr oder des Saarlandes redet, hat viel mit der Arroganz von Neureichen zu tun.
({7})
Was die Menschen in Leer, Osnabrück, Duisburg, Hattingen oder Neunkirchen an der Saar brauchen, ist aktive Solidarität.
({8})
- Ja, meinen Sie den Herrn Albrecht? Oder wen meinen Sie? Was hat denn die Sozialdemokratie mit Leer und Osnabrück zu schaffen, außer daß ihr 25 000 Stimmen für die Regierung in Niedersachsen gefehlt haben! Leider, meine Damen und Herren!
Es ist bedrückend, zu erleben, daß die ganzen Regionen durch Massenentlassung vor unerträgliche Situationen gestellt werden. Meine Damen und Herren, es ist beschämend, wenn eine Bundesregierung einfach konzeptionslos zusieht, manchmal mit Einzel468
subventionen herumläuft, aber ein strukturpolitisches Gesamtkonzept auch im regionalpolitischen Bereich verweigert.
({9})
Die Art und Weise ist ja seltsam, wie Herr Stoltenberg Finanz-, Regional- und Strukturpolitik betreibt. Wenn ihm die Bauern auf den Leib rücken, dann gibt es plötzlich kurzfristig Subventionen. Wenn ihm die Reeder auf den Leib rücken, wie vor kurzem geschehen, dann verspricht er wieder Geld. Aber eine Konzeption für die Küste und die Sektoren fehlt dieser Bundesregierung völlig.
({10})
Meine Damen und Herren, ich hätte gern den Wirtschaftsminister dazu gehört: Was sagen Sie zu dem Sachverhalt, daß die Kluft, die Schere zwischen wirtschaftsstarken und wirtschaftsschwachen Regionen, unabhängig davon, wer dort regiert, ständig mehr aufgeht? Während in dem letzten Konjunkturaufschwung die Differenz zwischen bestem und schlechtestem Arbeitsamtsbezirk 10 % war, ist sie jetzt auf mehr als 20 % angewachsen. Auf diesen neuen wirtschaftspolitischen Sachverhalt gibt es von dieser Bundesregierung keinerlei regionalpolitische Antwort. Das heißt, die sektoral-regionalen Dimensionen des Problems werden praktisch in ihrem gesamten Konzept nicht behandelt. Das bedeutet nun aber, daß zu befürchten ist, daß die reichen Regionen immer reicher, die armen Regionen immer ärmer werden, daß wir Armenhäuser der Region wie in Nordengland bekommen. Dies lehnen wir ab. Wir fordern die aktive Solidarität der Länder, die positive Zahlen aufweisen, mit den benachteiligten.
({11})
Z. B. wäre es jetzt eine Notwendigkeit, wie es der nordhrein-westfälische Landtag einstimmig - mit Zustimmung der CDU - beschlossen hat, eine Zukunftskonzeption, ein Zukunftsprogramm „Montanregionen" zu entwickeln. Ich glaube, das ist richtig.
Als wir 1966/67 die Arbeitslosigkeit hatten, war ja auch eine Reform der Regionalpolitik und eine Reform der kommunalen Finanzpolitik die Antwort, damit mehr Ausgleich möglich wurde. Das reicht heute nicht mehr hin. Wir brauchen dazu eine regionalpolitische Antwort. Es ist doch ein ökonomischer Unsinn, wenn Duisburg, Bochum, Bremen die Aufnahme in die Regionalförderung verweigert und nur eine vorübergehende Förderung zweiter Klasse akzeptiert wird, obgleich das Brennpunkte der Arbeitslosigkeit sind.
Für uns Sozialdemokraten ist der Verfassungsauftrag zur Herstellung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse nicht nur ein Gebot der Solidarität mit den Problemregionen, sondern auch ein Gebot der wirtschaftspolitischen Vernunft. Es ist doch unsinnig, wenn Regionen mit einer modernen leistungs- und entwicklungsfähigen Infrastruktur - und darum handelt es sich sowohl im Ruhrgebiet wie an der Küste -veröden, während andere immer größere Ballungsgebiete werden. Das ist ein Widerspruch.
Ein Wort, meine Damen und Herren, zur Konjunktursituation, eine Antwort auf Ihren blinden Optimismus. Wir wissen, daß im Herbst der obere Wendepunkt des Konjunkturzyklus erreicht worden ist. Auch Sie wissen das. Ihr Haus weiß das. Das Wirtschaftsministerium gibt Ihnen klare Daten, die das zeigen. Ich finde, Ihr Verdrängungsmechanismus bei dem Thema hat einen hohen Preis. Es wird nämlich zu spät zum Handeln.
Was spricht für einen stärkeren Rückschlag?
Erstens. Seit Herbst 1986 nimmt der Auftragseingang nicht nur aus dem Ausland, sondern insgesamt ab. Ich nenne nur eine aktuelle Zahl aus einer der wichtigsten Industrien der Bundesrepublik Deutschland: Im Jahresvergleich der ersten drei Monate 1987 zu 1986 fiel der Auftragseingang insgesamt um 9 %, aus dem Ausland um 12 %, aber aus dem Inland immerhin um 6 %.
Zweitens. Seit dem Frühjahr 1986 stagniert die Produktion in der Bundesrepublik Deutschland in der gewerblichen Wirtschaft. Im Herbst war sie bereits rückläufig. Für 1987 rechnet das Ifo-Institut bei der Industrie einen Rückgang von 1 bis 2 %.
Drittens. Der reale Export wird 1987 um 2,5 % gegenüber dem Vorjahr absinken.
Viertens. Die Investitionspläne werden wegen der schlechteren Erwartungen in der Wirtschaft ständig nach unten korrigiert.
Alles das sind Daten und Sachverhalte, die auch Sie kennen. Sie wissen, daß das Ifo-Institut und DIW schätzen, daß die Wachstumsrate nun nur noch 1 % beträgt. Sie wissen auch, daß bei 1 % Wirtschaftswachstum sich die Arbeitslosigkeit nicht nur nicht mehr abbaut, sondern saisonbereinigt zunimmt. Auch ich bin im Besitz der Zahlen, auch ich darf nicht vorgreifen, aber ich finde es unglaublich, daß der Bundeswirtschaftsminister, ohne Zahlen zu nennen, so tut, als wären das fabelhafte Zahlen, obgleich die saisonbereinigte Zahl der Arbeitslosen wieder zugenommen hat. Das ist doch unerträglich.
({12})
Der Zuwachs der Arbeitslosigkeit beginnt nun insgesamt auf einem Sockel, der in den letzten drei Jahren in der Aufschwungphase nicht verändert worden ist. Das heißt für uns wirtschaftspolitisch: Das ist ein ganz klares Bild, auf das man sich mit seinen Antworten jetzt einstellen müßte.
({13})
In der Rezession wächst die Arbeitslosigkeit schnell, im Aufschwung versockelt sie sich und wird nicht mehr verändert.
({14})
Das ist die neue Situation am Arbeitsmarkt, die jetzt Antworten verlangt.
({15})
Seit der sogenannten Wende vertritt die Bundesregierung die Überzeugung, nur deutlich steigende Gewinne würden zu kräftig steigenden Investitionen
und damit zu Arbeitsplätzen führen; umgekehrt, zu hohe Löhne und zu hohe Steuerlasten seien die Ursache der Arbeitslosigkeit. Die Schlußfolgerung war einfach und ist immer wieder gleichermaßen wiederholt worden: Reallohnsteigerung begrenzen, Steuern vor allem für hohe Einkommensbezieher senken und Kapitalgesellschaften besserstellen; dann wendet sich alles allmählich zum Besseren.
Meine Damen und Herren, diese Strategie ist gescheitert: Reiche wurden reicher, Arbeitsplätze aber sind so rar wie am Beginn der Gewinnexplosion. Schon die letzten Jahre haben Ihre Botschaft widerlegt, man brauche nur die Kassen der Unternehmen zu füllen und schon laufe ein Investitionsboom.
Die realen Nettoeinkommen der Unternehmer und Vermögensbesitzer stiegen zwischen 1982 und 1986 um 44,3 %, fast um die Hälfte und absolut um 115 Milliarden DM. Die Bruttoausrüstungsinvestitionen stiegen dagegen nur um 21 %, absolut um 24 Milliarden DM. Das heißt, die Mehrgewinne in Höhe von 115 Milliarden DM wurden nur zu einem Fünftel für Investitionen verwendet. Das ist die Tatsache.
Sie müßten sich überlegen, warum in der Vorperiode bei sehr viel geringeren Gewinnsteigerungen die Investitionssteigerungsrate sehr viel höher war: Im Schmidt-Aufschwung 1975 bis 1979 stiegen die Gewinne nur um 23 die Investitionen dagegen um 35,1 %.
({16})
Unsere Antwort ist seit Beginn dieses Aufschwungs immer die gleiche geblieben: Es fehlt, bezogen auf das Produktionspotential, das an und für sich da ist, bezogen auf die Ausstattung mit qualifizierten und übrigen Arbeitskräften, an hinreichender Binnennachfrage in der Volkswirtschaft.
({17})
Das heißt, wir wenden uns nicht, um Ihre billige Retourkutsche gleich jetzt abzufangen, gegen Unternehmensgewinne. Sie sind Voraussetzung zur Investitionstätigkeit, aber keine ausreichende Voraussetzung, wenn die Nachfrage fehlt. Die Nachfrage haben Sie systematisch vernachlässigt, insbesondere die Massennachfrage.
({18})
Ihr Konzept war nicht nur zu grob gestrickt, sondern Sie waren zu einseitig an den Gewinneinkommen orientiert. Sie haben nicht beachtet, was mit den Gewinnen geschah. Der Kapitalabfluß aus der Bundesrepublik Deutschland stieg von 4,3 Milliarden DM im Jahr 1982 auf sage und schreibe 60,7 Milliarden DM im Jahre 1986. 60,7 Milliarden DM Kapital ist ins Ausland aus den genannten Gewinnen abgeflossen, die Sie durch Steuerpolitik und durch Lohnzurückhaltung, durch Druck auf Gewerkschaften bewirkt haben.
Nur um eine Dimension dieses Kapitalabflusses aufzuzeigen: Das 1986 in das Ausland abgeströmte Kapital ist nahezu dreimal so hoch wie die Summe, die wir an Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Kurzarbeitergeld jährlich aufbringen. Nahezu dreimal so hoch!
({19})
Natürlich gibt es Auslandsinvestitionen, die sinnvoll sind. Diese Investitionen unterstützen wir auch. Die Handelstöchter, die unsere Industrieunternehmen errichten, sind genauso sinnvoll wie Produktionsunternehmen. Aber nur ein geringer Teil des Kapitalabflusses geht in derartige produktive Auslandsinvestitionen. Mit der Mehrheit des Kapitalabflusses haben Sie das Defizit des amerikanischen Budgets finanziert. Das ist die Wahrheit.
({20})
Da fragen wir: Warum nicht Umweltinvestitionen in Deutschland, warum die Finanzierung des Krieg-derSterne-Programms in den USA? Das ist die Frage.
({21})
Ein weiterer und besonders verhängnisvoller Fehler Ihrer Wirtschaftspolitik war, daß Sie in Ihren angebotspolitischen Träumen von der Wirtschaft schlechthin ausgingen. Dabei gab es große, gewaltige Unterschiede zwischen Großwirtschaft und kleinen und mittleren Unternehmen. Während Sie in einem Bereich tatsächlich von Gewinnexplosion sprechen können, können Sie hinsichtlich vieler kleiner und mittlerer Bereiche immer noch davon sprechen, daß die letzte Rezession nicht wirklich überwunden ist.
Die Ausdifferenzierung der Wirtschaftspolitik zwischen großer, mittlerer und kleiner Wirtschaft ist Ihnen niemals gelungen. Ich will nur ein Beispiel nennen, das die unterschiedliche Ausgangsvoraussetzung darstellt. Die Aktiengesellschaften der Bundesrepublik Deutschland hatten im Jahr 1984 einen Zinsüberschuß von nahezu 1 Milliarde DM während der Hochzinsphase. Die übrige Wirtschaft - außerhalb der AGs - zahlte netto 14 Milliarden DM Zinsen. Die einen haben verdient, und die anderen sind mehr als belastet worden.
Seither ist das für die Großfirmen noch besser geworden. Die Großfirmen machen große Profite an Finanzmärkten - nicht im produktiven Sektor -, während die kleinen und mittleren Unternehmen das mitfinanzieren. Das ist heute der Sachverhalt. Bezogen auf diese Frage haben Sie dann in der Steuerpolitik immer pauschale Antworten, als ob der Spitzensteuersatz einer zinsmäßig überlasteten kleinen Unternehmung in der Industrie oder einem Handwerkerbetrieb tatsächlich helfen würde. Diskutieren Sie doch einmal mit den Handwerkern, die auch in Ihren Mittelstandsvereinigungen sind, darüber, wer tatsächlich von der Spitzensteuersatzsenkung profitiert und wer von der Verwirklichung unseres Vorschlages profitieren würde, nämlich der steuerfreien Investitionsrücklage: nämlich alle, und in einem sehr positiven Sinn, was die Investitionstätigkeit anbetrifft.
({22})
Wir haben die letzten Jahre immer wieder gesagt: Ausdifferenzierung der Finanzpolitik auch im Hinblick auf die Investitionsförderung. Uns ist auch jede
Steuerpolitik recht, die das Großunternehmen dazu bewegt, sich nicht mehr am Finanzkapital zu beteiligen, sondern real Kapital zu schaffen. Der Sinn der Unternehmensgewinne ist nicht, daß Kriegskassen angelegt und anschließend serienmäßig Firmen aufgekauft werden. Der Sinn des Gewinnes ist vielmehr, selbst zu investieren, zu erneuern, zu modernisieren.
({23})
Ich kann nicht mit Bewunderung vor dem Hause mit dem Stern stehen, das dauernd Firmen aufkauft. Dadurch wird kein neuer Arbeitsplatz geschaffen. Dadurch erfolgen Fusionen, und wahrscheinlich wird dadurch sogar der interne Rationalisierungsprozeß beschleunigt. Das ist die Wahrheit.
({24})
Ich hätte dem Herrn Finanzminister, der nicht anwesend ist - vielleicht nicht sein kann; ich weiß es nicht - , gern gesagt, daß seine Finanzpolitik, bezogen auf die Rahmenbedingungen, vor allem jeder Verläßlichkeit entbehrt. Was soll denn die Wirtschaft mit einer steuerpolitischen Diskussion anfangen, in der dauernd 44 Milliarden DM versprochen werden und überhaupt nicht gesagt wird, wie die Finanzierung dieser Steuererleichterungen aussieht?
({25})
Graf Lambsdorff, sind das die verläßlichen Rahmenbedingungen, die Sie durch Ihre Wende in die neue Koalition machen wollten? Ist das verläßlich? Sind das Antworten, die in der Unternehmerschaft Klarheit schaffen?
Meine Damen und Herren, mit Ihrer Haushaltspolitik verschärfen Sie die Konjunkturabschwächung.
Es spricht im übrigen viel dafür, daß Sie Ihren Steuerentlastungsfahrplan überhaupt nicht mehr einhalten können. Plötzlich hören wir ja, daß es wieder „gute" Schulden gibt. Neuerdings hören wir, 33 Milliarden DM Staatsdefizit auf der Bundesebene seien „gute" Schulden, wenn die Stoltenberg-TÜV-Plakette darauf ist. Das ist eine seltsame Salto-Wende rückwärts.
({26})
Graf Lambsdorff, machen Sie das auch mit aus dem Sprunggelenk?
Ich bin der Meinung, hier ist eine diffuse Finanzpolitik am Werke, die jedenfalls der Wirtschaft überhaupt nicht hilft.
Meine Damen und Herren, wir machen kein Hehl daraus, daß wir in der sich jetzt abzeichnenden Konjunkturabschwächung nachfragestärkende Maßnahmen für notwendig halten. Auch richtig verstandene angebotsorientierte Politik ist Teil unseres Konzepts. Aber wir meinen damit eine Politik, die Sachinvestitionen fördert, den Wettbewerb stärkt und Kapital und Arbeit in möglichst produktive Verwendung lenkt.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion tritt für eine Integration beider Elemente - angebots- und nachfragepolitischer - ein. Markt, Staat, Notenbank und die großen sozialen Gruppen sind an dieser Politik gleichermaßen zu beteiligen.
Wir haben in unserem Antrag „Abbau der Massenarbeitslosigkeit", der heute zur Abstimmung steht, im einzelnen dargelegt, was wir zur Zeit für notwendig halten.
Den entscheidenden Gesichtspunkt möchte ich am Schluß noch einmal nennen: In der jetzigen Phase haben wir einen hohen Bedarf an Umweltverbesserung. Wir haben die Technik, wir haben die Ingenieure, wir haben die Wissenschaftler,
({27})
wir haben die Bauarbeiter, wir haben die Techniker, um diese Aufgabe zu bewältigen. Wir haben ein Konzept entwickelt - „Arbeit und Umwelt" -, das unmittelbar 400 000 Arbeitsplätze schaffen könnte.
({28})
Zusammen mit einer modernen Umweltpolitik wäre dadurch ein qualitatives Wachstum der Binnenwirtschaft möglich, das dringend geboten ist.
({29})
Geben Sie endlich den Weg frei für diese Chance einer Wirtschaftspolitik, die nicht auf pauschale Wachstumsraten schielt, sondern die endlich Kräfte für eine ökologische Erneuerung unserer Volkswirtschaft freisetzt. Das steht auf der Tagesordnung.
Jenseits des Programms „Arbeit und Umwelt" gibt es bei einer entsprechenden Umweltpolitik viele freie Investitionen, auch in den Unternehmen. Das zusammenzuführen ist die Aufgabe dieses Jahrzehnts. An dieser Aufgabe sind Sie von jeher gescheitert. In Ihrer Rede, Herr Bundeswirtschaftsminister, ist kein Ansatzpunkt für ein qualitatives Wachstum enthalten. Ich glaube, es ist dringend notwendig, daß wir Ihnen das in den nächsten Jahren aufzwingen.
Vielen Dank.
({30})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wissmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Roth hat heute - wie in den letzten vier Jahren insgesamt - wieder
({0})
ein Bild der Konjunktur gemalt, das düsterer nicht sein kann. An der entscheidenden Stelle seiner heutigen Konjunkturprognose fragt man sich allerdings, ob er seinen Redetext nicht mit einem Text aus dem Januar 1984 verwechselt hat. Herr Kollege Roth, Sie haben heute gesagt, der obere Wendepunkt der Konjunktur sei jetzt, spätestens im Herbst erreicht. Am 30. Januar 1984 haben Sie erklärt:
Aller Erfahrung nach wird der obere Wendepunkt der Konjunkturerholung spätestens 1985 erreicht werden.
({1})
- Herr Kollege Roth, Sie sind kein guter Prognostiker gewesen.
({2})
Sie sollten auch heute nicht versuchen, die Konjunktur herunterzureden, sondern Sie sollten die Tatsachen schildern.
({3})
Alle fünf Wirtschaftsforschungsinstitute haben gesagt, daß die Konjunktur zwar eine Atempause genommen hat, daß aber alles dafür spricht, daß sich die konjunkturelle Aufwärtsentwicklung im Jahr 1987 fortsetzen wird.
({4})
Die letzten Zahlen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, aus den letzten Tagen bestätigen diese Einschätzung. Heute morgen zeigt die jüngste Großhandelsstatistik, daß der Umsatz mit Fertigwaren im ersten Quartal um 4 % gestiegen ist. Eine Umfrage unter 3 000 norddeutschen Groß- und Außenhändlern, also auch in den Krisenregionen, zeigt, daß sie von einer deutlichen weiteren Erholung der Binnenkonjunktur ausgehen. Die Schlagzeile des „Handelsblatts" vom vorigen Donnerstag lautete: „Kräftiges Frühjahrshoch der Ein- und Ausfuhren" . Der Export ist im ersten Quartal um 1 % gestiegen.
Wir wissen, daß es Probleme gibt. Aber zur Wirklichkeit gehört, daß alle Daten dafür sprechen, daß sich die Aufwärtsentwicklung fortsetzt. Es wird Ihnen, Herr Kollege Roth, so wie 1984 auch heute nicht gelingen, die Konjunktur und die Lage schlechter darzustellen, als sie heute sind.
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Herr Abgeordneter Wissmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ehrenberg?
Bitte schön.
Bitte sehr.
Herr Kollege Wissmann, können Sie der Öffentlichkeit und dem Hause bestätigen, daß das Bruttosozialprodukt real 1984 um 3 %, 1985 um 2,5 %, 1986 um 2,4 % gewachsen ist und 1987 nach Aussage aller Konjunkturforschungsinstitute höchstens um 1 bis 2 % zunehmen wird und daß man bei abflachenden Wachstumsraten ja wohl auch von einem Wendepunkt reden kann?
Herr Kollege Ehrenberg, wir haben einen Aufschwung, der jetzt im fünften Jahr ist. Das ist in den Konjunkturzyklen der Nachkriegszeit der am längsten anhaltende Aufschwung.
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Ich sage ganz deutlich: Mir ist es lieber, wir haben jährliche Raten zwischen 1,5 und 3 % realen Zuwachses des Bruttosozialprodukts, als erratische Schwankungen zwischen 5, 6, 2 und 0 %, weil ein solcher Aufschwung länger anhält, robuster ist und auch tiefere Wirkungen am Arbeitsmarkt hinterläßt als jeder andere.
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- Ich verstehe nicht, warum sich die Kollegen von der SPD-Fraktion aufregen. Wir haben zwischen 1974 und 1982 einen Zuwachs der Arbeitslosigkeit von 584 000 im Jahr 1974 auf saisonbereinigt 2,04 Millionen im Oktober 1982. Wir hatten in derselben Zeit - Herr Kollege Ehrenberg, Sie waren ja als Minister teilweise mitverantwortlich - 17 Konjunktur- und Beschäftigungsprogramme. Trotzdem gab es in diesem Zeitraum einen solchen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Natürlich haben wir auch heute Probleme - wir leugnen sie nicht -; aber wir haben eine bessere Bilanz vorzuweisen, als Sie sie je vorweisen konnten; das gilt übrigens auch für den Arbeitsmarkt.
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Wir wissen, daß die größten Risiken für die gegenwärtige wirtschaftliche Entwicklung nicht in der Binnenkonjunktur liegen, sondern in den Wechselkurssicherheiten, in der dramatischen Änderung des Dollar-DM-Verhältnisses, auch im amerikanischen Budget-und Leistungsbilanzdefizit, nicht zuletzt in den wachsenden protektionistischen Bestrebungen - nicht nur in den Vereinigten Staaten - und auch in der Entwicklung der wachsenden Schuldenlast der Entwicklungsländer.
Wir wissen, daß diese Risiken nicht wegdiskutiert werden dürfen, sondern daß es im Sinn der Politik, die beim Louvre-Abkommen in Paris versucht wurde, weiterhin der entschiedenen Anstrengung aller großen Industrienationen bedarf, die Lage an der außenwirtschaftlichen Front zu stabilisieren, weil wir das, was wir an der außenwirtschaftlichen Front verlieren, auch durch die solideste Wirtschafts- und Finanzpolitik im Innern nicht völlig kompensieren können.
Wir wissen, daß im magischen Viereck der volkswirtschaftlichen Ziele das Ziel der Vollbeschäftigung das ist, mit dem alle Verantwortlichen am meisten zu kämpfen haben.
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Aber, meine Damen und Herren, es ist nicht hinwegzudiskutieren, daß es in den letzten Jahren selbst in diesem schwierigen Bereich eine Veränderung zum Positiven - zwar langsam, aber stetig - gegeben hat: 630 000 zusätzliche Beschäftigte, Rückgang der Arbeitslosigkeit im Jahre 1986 um 76 000.
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Die Arbeitsmarktzahlen von heute morgen zeigen, daß man auf diesem Weg langsam, aber stetig vorankommt
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und daß man davon ausgehen kann, daß im Jahre 1987 noch einmal etwa 100 000 bis 200 000 Beschäftigte zusätzlich einen Arbeitsplatz in der Bundesrepublik Deutschland bekommen werden.
Meine Damen und Herren, wir wissen, daß dieser Weg auch weiterhin steinig ist. Wir wissen, daß wir einer aktiven Arbeitsmarktpolitik bedürfen. Aber wenn der Kollege Roth heute gesagt hat, wir, die Koalitionsregierung aus CDU/CSU und FDP, täten nichts für diejenigen, die von der Arbeitsmarktentwicklung am meisten betroffen sind, dann spricht er - entweder aus Unkenntnis oder mit Absicht - gegen die wahren Tatsachen.
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Meine Damen und Herren, im Jahre 1986 wurden 102 000 Menschen mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen unterstützt. In Ihrer Regierungszeit waren es im Jahre 1982 29 000 Menschen.
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- Ja, ich weiß, Sie hören das ungern, aber ich muß es trotzdem sagen. - Hinsichtlich beruflicher Fortbildung, Umschulung und betrieblicher Einarbeitung wurden 1986 530 000 Menschen mit Mitteln des Bundes und der Bundesanstalt für Arbeit unterstützt. In Ihrer Regierungszeit 1982 waren es 266 000 Menschen.
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Wir haben für aktive Arbeitsmarktpolitik im Jahre 1986 mehr Geld ausgegeben als je in der Geschichte dieses Landes: 11,5 Milliarden DM, meine Damen und Herren. Deshalb sollten sich diejenigen, die weniger getan haben, nicht hinstellen und als Ankläger in den Fragen einer aktiven Arbeitsmarktpolitik betätigen, meine Damen und Herren.
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Die deutliche Beschäftigungszunahme der letzten Jahre hat sich - bisher allerdings nur teilweise - im Rückgang der Arbeitslosigkeit niedergeschlagen. Die Ursache hierfür liegt in den demographisch bedingten Entwicklungen einer größeren Nachfrage nach Arbeitsplätzen und der größeren Erwerbsbeteiligung vor allem der Frauen. 1982 bis 1986 sind rund 500 000 Erwerbspersonen zusätzlich auf den Arbeitsmarkt gekommen. Und, meine Damen und Herren, wie sich die Lage entwickelt hat, kann man auch daran sehen, daß wir heute nicht nur 630 000 Beschäftigte mehr haben als vor vier Jahren, sondern daß wir auch im Lehrstellenbereich - vor allem dank des engagierten Einsatzes eines großen Teils kleiner und mittlerer Betriebe - deutliche Fortschritte zu verzeichnen haben. 1986 standen 732 000 Lehrstellenbewerbern rund 716 000 Angebote gegenüber. Die Differenz zwischen Angebot und Nachfrage hat sich deutlich verringert. So hoch wie in den letzten Jahren war das Lehrstellenangebot noch nie. Und doch bleibt sowohl im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit und der Lehrstellenproblematik als auch der Arbeitslosigkeit allgemein noch viel zu tun.
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Nun gibt es zwei scheinbare Patentrezepte, die uns abwechselnd aus Ihren Reihen - auch heute morgen wieder vom Kollegen Roth - angeboten werden. Da wird gesagt, wenn die Auslandsnachfrage fehle, müsse eben die Binnennachfrage angekurbelt werden. Aber, meine Damen und Herren, ist angesichts einer - ich habe das vorhin in Zahlen gesagt - sehr guten Binnenkonjunktur nicht zu befürchten - so müssen doch auch Sie sich fragen - , daß zusätzliche staatliche Konjunkturimpulse entweder in Ersparnissen oder in Mitnahmeeffekten verpuffen würden? Das heißt, daß zusätzliche staatliche Konjunkturimpulse mehr Schulden, höhere Zinsen, höhere Preise verursachen und damit genau die Basis des Aufschwungs gefährden, die uns fünf Jahre lang getragen hat; das müssen doch auch Sie sich fragen.
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Sie müssen es sich vor allem doch deswegen fragen, weil Sie 50 Milliarden DM in Konjunkturprogramme zwischen 1974 und 1982 eingesetzt haben und trotzdem die Zahl der Arbeitslosen
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von 584 000 auf 2,04 Millionen gestiegen ist. Meine Damen und Herren, haben Sie denn aus Ihrer Regierungszeit, aus den Fehlern auch dieser Entwicklung nichts gelernt?
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Dann stellt sich der Kollege Roth hin und spricht von anderen regierungsamtlich verordneten Arzneien, von seinem immer wieder wiederholten Programm „Arbeit und Umwelt". Sie sollten den Mitbürgerinnen und Mitbürgern übrigens auch sagen, daß Sie dieses Programm entweder durch die Erhöhung der Steuern, beispielsweise der Energiesteuern, oder durch eine Erhöhung der Schulden finanzieren wollen.
Meine Damen und Herren, müssen nicht auch Sie sich fragen, ob ein solches staatlich verordnetes Programm am Ende nicht das Gegenteil von dem erreicht, was Sie bezwecken: mehr Steuerbelastung und damit eher Dämpfung der Nachfrage, Schuldenerhöhung und damit möglicherweise Wiederanstieg der Zinsen und teureres Investitionskapital vor allem für kleine und mittlere Betriebe. Ich sage es ganz offen: Die alten Rezepte, die Sie ständig neu auflegen, haben sich sachlich und konjunkturpolitisch überholt. Nehmen Sie deswegen endlich die alten Ladenhüter aus Ihrer Klamottenkiste weg, und reden Sie über phantasievollere Konjunktur- und Wirtschaftspolitik, meine Damen und Herren von der SPD!
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Herr Wissmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?
Bitte schön.
Herr Wissmann, ich möchte an der Stelle die Sozialdemokraten einmal zum Stichwort Verschuldung unterstützen.
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Wenn Sie der Sozialdemokratie Verschuldungskonzepte vorwerfen, wie stehen Sie zu dem jüngsten Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, nach dem die Bundesregierung, und zwar die amtierende Bundesregierung, zu einer weiteren erheblichen Zunahme der Staatsverschuldung insbesondere auf Bundesebene durch ihre Politik beigetragen hat?
Also, dann haben Sie den Bericht der Bundesbank offensichtlich nicht genau gelesen. Die Bundesbank kritisiert die Entwicklung der Verschuldung in den Gebietskörperschaften auf Länder-, Gemeinde- und Stadtebene. Die Bundesbank sagt aber ausdrücklich ein positives Wort zur Konsolidierungsleistung des Bundesfinanzministers und zu der Tatsache, daß wir in jedem Jahr unserer bisherigen Regierungszeit die Neuverschuldung gegenüber den Vorjahren - zuletzt auf 22 Milliarden DM - gesenkt haben. Herr Kollege Stratmann, lesen Sie den Bericht genau, und lesen Sie nicht nur Zeitungsüberschriften.
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Meine Damen und Herren, ich komme zu der Frage zurück: Wie können wir denn angesichts des Versagens der alten Patentrezepte, der Scheinrezepte, die Probleme des Arbeitsmarkts wirksamer, phantasievoller und ernsthafter angehen? Ich will dazu fünf Punkte nennen.
Erstens. Alles spricht dafür, daß wir in einer großen Gemeinschaftsinitiative von Bund, Ländern, Gewerkschaften und Unternehmen noch mehr für eine bessere Qualifikation von Arbeitslosen tun müssen. Denn wir wissen, daß in vielen Gebieten Facharbeiter von den Betrieben gesucht und nicht gefunden werden und daß weniger Qualifizierte häufig keinen Arbeitsplatz finden.
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Deswegen meinen wir, daß eine Entwicklung, in der die Arbeitslosigkeit für Personen mit abgeschlossener Ausbildung im Schnitt sechs Monate, für Ungelernte aber 7,5 bis 8 und immer mehr Monate dauert, ein Zeichen dafür ist, daß wir alles daransetzen müssen, die Qualifikationsoffensive fortzusetzen, die eingeleitet ist, und durch betriebliche Maßnahmen zu ergänzen.
Zweitens. Es gibt heute schon einige vorbildliche Beispiele bei Unternehmen, die ganz gezielt, obwohl sie es betriebswirtschaftlich nicht dringend brauchten, einen bestimmten Prozentsatz der Beschäftigten, der Lehrstellenbewerber aus dem Bereich der Sonderschüler, aus dem Bereich der Hauptschüler ohne Hauptschulabschluß und aus dem Bereich der Wenig-qualifizierten holen. Ich meine, daß solche Beispiele weniger Großbetriebe Schule machen sollten und daß wir alles daransetzen sollten, daß die Wenigqualifizierten nicht endgültig auf der Strecke bleiben.
Drittens. Meine Damen und Herren, wir wissen, daß auf dem Arbeitsmarkt ältere Arbeitnehmer besondere Schwierigkeiten haben. Die Arbeitslosigkeit bei den 50- bis 55jährigen beträgt im Schnitt neun Monate, bei den Jüngeren, von 20 bis 25 Jahren, im Durchschnitt nur fünf Monate. Wir müssen dafür sorgen, daß die Wiederbeschäftigungschancen für Ältere verbessert werden, daß auch die Ausbildungsmaßnahmen für Altere und für Langzeitarbeitslose weiter verstärkt werden und die berufliche Qualifizierung auch in diesen Altersgruppen verbessert wird.
Übrigens zeigt eine Umfrage der IG Textil, also nicht der Regierung oder der CDU, daß das Beschäftigungsförderungsgesetz, das ja auch dieses Ziel hat, weit besser gewirkt hat, als Sie immer behauptet haben. Die IG Textil ermittelte bei ihrer Umfrage, daß 75 % der befristet Eingestellten in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen werden. Das heißt, die ganze Horrorpropaganda, die Sie verbreitet haben, fällt durch eine Umfrage der IG Textil in sich zusammen.
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Viertens. Wir dürfen nicht übersehen, daß ein erheblicher Teil derer, die nach Arbeit suchen, Teilzeitarbeit suchen. Wir sind - das sollten wir offen zugeben - sowohl in der privaten Wirtschaft wie auch im öffentlichen Dienst in diesem Bereich noch zu rückschrittlich. Wir tun noch zuwenig für Job-sharing und Teilzeitarbeit. Deswegen will ich hier ganz deutlich sagen, daß der Beitrag, den die IG Chemie und der Arbeitgeberverband Chemie zu einer Stärkung des Gedankens der Teilzeitarbeit geleistet haben, auf eine noch breitere Grundlage in allen Teilen der Wirtschaft gestellt werden sollte, weil er ein Schritt in die richtige Richtung ist.
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Fünftens. Meine Damen und Herren, ich sage es ganz deutlich: Alles spricht dafür, daß die kommenden Arbeitsplätze noch mehr als in der Vergangenheit vor allem aus kleinen und mittleren Betrieben kommen. Ich will Ihnen hier eine Statistik anführen, die doch ganz bemerkenswert ist.
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- Vielleicht ist sie auch für Sie lehrreich, Frau Unruh, obwohl nur weniges bei Ihnen noch zu Lernprozessen beitragen dürfte.
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In dem Zeitraum 1977 bis 1985 wurden in den deutschen Kleinstbetrieben unter zehn Beschäftigten 382 000 Arbeitsplätze geschaffen. In den deutschen Kleinbetrieben, zehn bis 19 Beschäftigte, wurden im selben Zeitraum 198 000 Arbeitsplätze geschaffen. In den deutschen Mittelbetrieben, 20 bis 100 Beschäftigte, wurden im selben Zeitraum 89 000 Arbeitsplätze geschaffen. In den größeren Mittelbetrieben, zwi474 Deutscher Bundestag - 1 1. Wahlperiode Wissmann
schen 100 und 999 Beschäftigte, wurden im selben Zeitraum noch 36 000 Arbeitsplätze geschaffen.
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Jetzt hören Sie bitte genau zu! In den deutschen Großbetrieben sind zwischen 1977 und 1985 221 000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Diese Zahlen sprechen ganz eindeutig dafür, daß wir alles daransetzen müssen, im Interesse des Arbeitsmarktes
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die Eigenkapitalbasis der kleinen und mittleren Betriebe und ihre Wettbewerbsfähigkeit weiter zu verstärken und zu verbessern.
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- Herr Kollege Vogel, ich weiß nicht, ob es Ihnen klar ist, aber die Reform des Lohn- und Einkommensteuertarifs trifft, da neun von zehn Unternehmen Personengesellschaften sind, gerade den entscheidenden Teil der Kleinst- und Mittelbetriebe positiv.
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Deswegen ist es nicht die vollständige Lösung, aber der Schritt in die richtige Richtung. Machen Sie doch endlich mit bei einer solchen Politik, statt von Mittelstand zu reden, aber dann, wenn es ums Handeln geht, sich dem Handeln zu verweigern.
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Meine Damen und Herren, deswegen werden wir alles daran setzen, daß sich die Angebotsbedingungen für kleine und mittlere Betriebe nicht nur steuerlich verbessern, sondern daß sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für kleine und mittlere Betriebe im Interesse des Arbeitsmarktes auch strukturell verbessern. Wir haben den Staatsanteil am Bruttosozialprodukt, der 1969 noch bei 38 % und 1982 bei 50 % lag, auf jetzt 46,5 % zurückgeführt. Wir wollen alles daran setzen, daß sich der Spielraum für Private, vor allem auch für kleine und mittlere Betriebe, weiter vergrößert, weil wir wissen, daß nur dann ein Klima entsteht, in dem auch neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Wir wollen alles daran setzen, daß wir mit unserer Politik der Privatisierung, des Rückzugs des Staates, wo es immer möglich ist, vorankommen, weil wir wissen, daß sich dadurch auch die Chancen für kleine und mittlere Betriebe verbessern. Im übrigen, meine Kollegen von der SPD: Bei uns ist jeder Privatisierungsschritt, sei es bei Veba und VIAG, sei es in Zukunft bei der Deutschen Siedlungsbank oder der Deutschen Pfandbriefanstalt oder bei anderen Unternehmen,
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mit der Ausgabe von Belegschaftsaktien verbunden,
weil wir wollen, daß die Arbeitnehmer von diesem
Prozeß nicht ausgeschlossen sind, sondern eingeschlossen werden, damit Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand Wirklichkeit wird.
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Meine Damen und Herren, wir wissen, daß zu einer vernünftigen marktwirtschaftlichen Mittelstandspolitik auch die Sicherung des Wettbewerbs gehört. Der Herr Bundesminister hat von der Absicht der Bundesregierung gesprochen, der Konzentrationsentwicklung insbesondere im Handel Einhalt zu gebieten. Wir werden die Bundesregierung unterstützen, ermutigen und anfeuern auf dem Weg, eine Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen noch in dieser Wahlperiode durchzusetzen, weil wir wissen, daß es im Handel, vor allem im Lebensmitteleinzelhandel eine besorgniserregende Konzentrationsentwicklung gibt:
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1973 noch 173 000 Geschäfte im Lebensmittelhandel, 1980 92 000, 1985 77 000. Ähnliche Entwicklungen gibt es auch im Radiofachhandel und in anderen Handelsbereichen.
Wir wollen - da stimme ich dem Bundeswirtschaftsminister zu - keinen Schutz einzelner Wettbewerber, keinen Schutzzaun um den Mittelstand. Wir wollen aber eine bessere Sicherung eines fairen Leistungswettbewerbs. Wir wollen Maßnahmen gegen den Mißbrauch der Nachfragemacht, gegen vernichtungsähnliche Wettbewerbsformen; und wir sind überzeugt: Dann werden sich kleine und mittlere Betriebe auch im Handel besser behaupten können als bisher. Dann werden wir übrigens auch arbeitsmarktpolitisch - ich komme auf das Thema zurück -die richtigen Entscheidungen treffen;
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denn ohne Mittelstand werden wir die Arbeitsplätze nicht bekommen, die wir bei allen Unterschieden in der Parteipolitik doch wohl gemeinsam in der Zukunft haben und sichern wollen. Deswegen unterstützen Sie uns auch hier, und sorgen Sie dafür, daß auch aus Ihrer Fraktion zu dem Thema „Handel", zum Thema „Wettbewerbsrecht" keine marktwirtschaftswidrigen, sondern marktwirtschaftskonforme Lösungen vorgetragen werden.
Meine Damen und Herren, ich habe das Bild einer Aufwärtsentwicklung gezeigt, die uns auf dem Gebiet des Arbeitsmarktes noch nicht befriedigt, die aber zeigt, daß wir eine Chance haben, auch 1987 und 1988 eine gute konjunkturelle Entwicklung und eine langsame und schrittweise Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt zu bewirken. Diesen Weg werden wir nur dann erfolgreich weitergehen können, wenn wir bei den bewährten Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft bleiben und wenn wir von den Scheinrezepten der Vergangenheit, Herr Kollege Roth, endlich Abstand nehmen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stratmann.
Liebe Bürgerinnen! Liebe Bürger! Der Kollege Wissmann hat gerade den Maßstab vorgegeben, an dem die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung gemessen werden muß und offensichtlich auch gemessen werden will, nämlich: Welchen Beitrag hat die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung geleistet, um die Massenerwerbslosigkeit, die wir seit zirka fünfzehn Jahren haben, zu überwinden?
In der Debatte haben bisher die Auseinandersetzungen um die Wachstumserwartungen einen wesentlichen Anteil gehabt. Herr Bangemann stellt sich hier hin und sagt: Die Bundesregierung erwartet 2 % bis 3 To Wachstum. Das wird nur von einem Teil der Wirtschaftsforschungsinstitute unterstützt. Das können Sie in Ihrem eigenen Protokoll nachlesen. Kollege Roth hat dagegen opponiert und eben das Minderheitenvotum in dem Frühjahrsgutachten zitiert: nur 1 % Wachstum. Wir GRÜNEN möchten uns an einer solchen Spekulation um Wachstumsprozente nicht beteiligen,
({0})
weil wir der Meinung sind, daß sich in den letzten Jahren gezeigt hat, daß die Wachstumspolitik - sei es der Bundesregierung, sei es der SPD-Opposition - grundsätzlich gescheitert ist. Sie ist erstens, wie die Erfahrung der letzten vier Jahre aufs neue zeigt, nicht im entferntesten in der Lage, einen nennenswerten Beitrag zur Überwindung der Massenarbeitslosigkeit zu leisten.
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Zweitens baut eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik ökologische und soziale Folgeschäden in Milliardendimension auf, schafft also Probleme,
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statt Probleme zu lösen.
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Ich möchte zu beiden Kritikpunkten im einzelnen Stellung nehmen.
Richtig ist, daß sich in den letzten vier bis fünf Jahren die Zahl der Beschäftigten erhöht hat. Ich steige nicht in den Streit darüber ein, ob es sechshunderttausend, vierhunderttausend oder nur einhunderttausend sind, wie Herr Roth vorgerechnet hat. Da gibt es die unterschiedlichsten Zahlenrechnereien. Entscheidend ist, daß sich trotz Zunahme der Beschäftigtenzahl die Beschäftigungsverhältnisse qualitativ verschlechtert haben. Ich nenne dazu zwei Bereiche.
Sicher ist richtig, Herr Wissmann, daß sich in der Erwerbstätigenbevölkerung der Wunsch nach gesicherter Teilzeitarbeit verstärkt. Das begrüßen wir GRÜNEN auch. Was wir nicht begrüßen, ist, daß Teilzeitarbeit in arbeits- und sozialrechtlich völlig ungesicherten Verhältnissen ausgeweitet wird
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und - das können Sie nachrechnen - daß Vollzeitarbeitsplätze zugunsten von Teilzeitarbeitsplätzen abgebaut werden. Wir hatten im Jahre 1986 eine Million Vollzeitarbeitsplätze weniger als 1980, im
gleichen Zeitraum 480 000 Teilzeitarbeitsplätze mehr, d. h., wir haben eine Umstrukturierung: weg von Dauerarbeitsplätzen in gesicherten Verhältnissen, auch Einkommensverhältnissen, hin zu ungesicherten Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen. Das ist ein qualitativer Rückschritt.
Zweiter Punkt. Schauen wir uns das Beschäftigungsförderungsgesetz an. Im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums hat das Wissenschaftszentrum Berlin nach zwei Jahren Erfahrung mit diesem Gesetz eine erste Zwischenbilanz vorgelegt. Diese ist in bezug auf qualitative Gesichtspunkte ebenfalls mehr als kritisch. Wir haben heute ca. 1,8 Millionen - die Schätzungen schwanken in diesem Bereich - befristete Arbeitsverhältnisse, davon nach Inkrafttreten des Beschäftigungsförderungsgesetzes ca. 900 000 zusätzliche befristete Arbeitsverhältnisse. Im gleichen Zeitraum, seit 1984, Herr Wissmann - auf diese qualitativen Kriterien müssen Sie eingehen - , seit Wirken des Beschäftigungsförderungsgesetzes haben wir eine Umwandlung von 600 000 Vollzeitarbeitsplätzen, d. h. unbefristeten Arbeitsverhältnissen, in befristete. Nach Schätzungen des Wissenschaftszentrums Berlin im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums wird heute jede zweite Neueinstellung befristet vorgenommen. Das Wissenschaftszentrum Berlin - also nicht irgendein grünes Institut - sagt, daß nach den bisherigen Erfahrungen nur zirka ein Drittel der befristet Eingestellten dauerhaft übernommen werden, zwei Drittel nicht. Das heißt, die fliegen wieder auf den Arbeitsmarkt. Somit leistet das Beschäftigungsförderungsgesetz, das Sie nur befristet angelegt haben, bisher überhaupt keinen Beitrag, um die Arbeitslosigkeit dauerhaft zu senken.
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Sehen wir uns die Arbeitslosigkeit - trotz Zunahme der Beschäftigung - an, stellen wir fest: Obwohl Sie vier Jahre Zeit hatten, mit Wachstumsraten von 2 bis 3 % die Massenarbeitslosigkeit zu senken, haben wir eine Zunahme der Massenerwerbslosigkeit von 1,8 Millionen, als Sie begonnen hatten, auf 2,2 Millionen, im Jahresdurchschnitt schwankend. Selbst wenn ich Herrn Bangemann beim Wort nehme, daß die Bundesregierung in ihrer mittelfristigen Finanzplanung mit Wachstumsraten von 2 bis 3 % rechnet, zeigt sich erfahrungsgemäß, daß solche Wachstumsraten nicht in der Lage sind, einen nennenswerten Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit zu leisten.
Deswegen schließen wir GRÜNEN uns der kritischen Einschätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung an - ebenfalls kein grünes Institut, sondern in diesem Fall ein sozialdemokratisches -,
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das zum erstenmal prinzipiell den Erfolg von wachstumsorientierter Wirtschaftspolitik in Frage stellt.
Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, stellen wir fest: Der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung ist für die über 3 Millionen Arbeitslosen ein Bericht der Hoffnungslosigkeit und der Zukunftslosigkeit. Er ist für eine bestimmte Personengruppe, die am Wirtschaftsleben beteiligt ist, ein Bericht der Zukunft und der Hoffnung, nämlich für die Großkonzerne,
angeführt von der Deutschen Bank, Daimler-Benz und den Chemieriesen, die hervorragende Gewinnexplosionen zu verzeichnen haben.
Die Deutsche Bank weist im letzten Jahresbericht eine Gewinnerhöhung von über 1 Milliarde DM aus, u. a. durch das Flick-Geschäft,
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wobei ihr auf Grund des geltenden Steuerrechts noch der Clou gelingt, trotz Gewinnzunahme in einer Milliardendimension weniger Steuern zu zahlen. Jetzt haben sich der Bund und das Land damit herumzuschlagen, daß sie in der Größenordnung von 2 Milliarden DM Körperschaftsteuer an die Deutsche Bank zurückerstatten müssen, wobei noch lange nicht gesichert ist, daß das haushaltsmäßig abgedeckt werden kann und kein Nachtragshaushalt für diese Steuerrückerstattungsoperation vorgelegt werden muß.
Herr Wissmann, so billig kommen Sie nicht aus Ihrer Klemme heraus. Ich möchte Sie daran erinnern: Wenn ich mir auf der einen Seite die Gewinnerwartung der Deutschen Bank und anderer Konzerne ansehe, von der Machtkonzentration in wirtschaftlicher Hinsicht ganz zu schweigen, und auf der anderen Seite die Finanzsituation der Kommunen, der Länder und des Bundes ansehe, stelle ich unter Berufung auf den letzten Monatsbericht der Deutschen Bundesbank fest, daß sich von 1979 bis 1986 die Gesamtverschuldung aller Gebietskörperschaften von ca. 400 auf 800 Milliarden DM verdoppelt hat. Davon entfällt die Hälfte auf eine zunehmende Verschuldung des Bundes.
Der Zahlenvergleich mit der sogenannten Erblast der sozialliberalen Koalition zeigt: In den Jahren 1979 bis 1982 ist die Verschuldung um ca. 100 Milliarden DM aufgebaut worden. In den Jahren 1982 bis heute, also unter Ihrer Verantwortung, ist die Verschuldung des Bundes ebenfalls um 100 Milliarden DM aufgebaut worden. Bei den Haushaltsberatungen in einem halben Jahr werden wir sehen, daß Sie in Ihrer mittelfristigen Finanzplanung schon nicht mehr wissen, wie Sie die zunehmenden Lücken in Ihrem eigenen Bundeshaushalt decken sollen.
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Die Überlegungen zur mittelfristigen Finanzplanung zeigen, daß dort zunehmend Löcher auftauchen, auch wegen der zurückgehenden Wachstumsentwicklung, und daß Sie die Nettokreditaufnahme von Jahr zu Jahr um zusätzlich 5 Milliarden DM steigern müssen. Das heißt, selbst unter Ihrem eigenen Kriterium der ökonomischen Solidität - Stichwort Staatsverschuldung, das Sie immer der Sozialdemokratie oder auch den GRÜNEN um die Ohren geschlagen haben - ist Ihre Wirtschaftspolitik erfolglos, von der Erfolglosigkeit auf dem Arbeitsmarkt ganz zu schweigen!
Wenn wir GRÜNEN eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik kritisieren, was kann an deren Stelle treten? Wir schlagen zur Überwindung der Arbeitslosigkeit und zur Vermeidung von ökologischen Folgeschäden ein Konzept vor,
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wie in vier bis fünf Jahren über 2 Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden können, wie also die offiziell registrierte Arbeitslosigkeit überwunden werden kann, wenn es politisch gewollt wird. Dazu drei Hebel.
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- Reden Sie doch nicht so einen Quatsch! Weisen Sie es mir nach, wir können eine Wette eingehen: Kein GRÜNER hat je die Abschaffung des Exports gefordert, auch wenn Herr Lambsdorff auf „Bild"-Zeitungsniveau immer wieder solchen Schwachsinn behauptet.
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Wir müssen von der überscharfen Exportorientierung und Exportabhängigkeit wegkommen durch eine Reduzierung des Exports, nicht durch seine Abschaffung, und die Ressourcen, die dadurch frei werden, für eine binnenorientierte Wirtschaftspolitik nutzen, die wir auch für den ökologischen Umbau unserer eigenen Binnenstruktur gebrauchen können.
Erster Hebel unseres Konzepts: Arbeitszeitverkürzung. Zweites Instrument neben Arbeitszeitverkürzung: Demokratisierung der Wirtschaft. Und ein drittes Instrument: ökologischer Umbau. Mit einem solchen Konzept - und ich werde es in den Einzelbereichen gleich noch vertiefen - können wir in vier bis fünf Jahren die registrierte Massenerwerbslosigkeit beseitigen.
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Zur Arbeitszeitverkürzung. Wenn wir den Tarifabschluß im Metallbereich - 37-Stunden-Woche in zwei Stufen bis 1990 - unter dem Gesichtspunkt beurteilen, welchen Beitrag dieser Tarifabschluß zur Überwindung der Erwerbslosigkeit leistet, dann müssen wir GRÜNEN sehr kritisch sagen, und zwar auch in Kritik an Steinkühler, der den Tarifabschluß als einen großen Erfolg seiner Einzelgewerkschaft feiert: Die 37-Stunden-Woche, festgeschrieben bis 1990 und auch nur in zwei Stufen eingeführt, wird noch nicht einmal den weiteren Anstieg der Massenerwerbslosigkeit verhindern können, geschweige denn, einen Beitrag zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit leisten.
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- Herr Jens, ich habe nicht sozusagen vom grünen Tisch aus gesagt: IG Metall, ihr hättet kämpfen und hättet streiken müssen, und das auch wochenlang - weil wir die schwierigen Kampfbedingungen auch auf der Grundlage von § 116 kennen.
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Das ist ein Punkt. Aber wer unter erschwerten Kampfbedingungen einen tarifpolitischen Mißerfolg, wenn wir ihn aus der Perspektive der Arbeitslosen betrachten, als großen Erfolg hinstellt, der streut den Arbeitslosen Sand in die Augen, und das halte ich für eine Fehlorientierung von Politik!
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Notwendig ist, da nun dieser Tarifabschluß so getroffen werden wird,
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daß parlamentarisch ergänzende Initiativen zum Abbau der Arbeitslosigkeit ergriffen werden. Hier ist insbesondere der Gesetzgeber auf Bundesebene gefragt. Wir GRÜNEN haben deswegen in den letzten Wochen einen Gesetzentwurf zum drastischen Abbau der Überstunden eingebracht, den der Kollege Hoss später noch im einzelnen erläutern wird.
Der Tarifabschluß zeigt aber - und dort sind wir uns nahe - : Die Gewerkschaften waren machtpolitisch nicht in der Lage, die 35-Stunden-Woche jetzt durchzusetzen. Deswegen ist neben der Arbeitszeitverkürzung ein zweiter Hebel notwendig, um die Arbeitslosigkeit zu überwinden, nämlich Demokratisierung der Wirtschaft. Das heißt hinsichtlich der Kampfbedingungen der Gewerkschaften: Der § 116 muß weg! Das heißt zweitens - damit eine Gewerkschaft nicht sozusagen unter der Drohung von Massenaussperrung und kalter Aussperrung steht - ein gesetzliches Verbot der Aussperrung. Ich freue mich, daß jetzt die Sozialdemokratie auch bereit ist - ich habe das Interview von Frau Fuchs gelesen - , einem Gesetzentwurf zum Verbot der Aussperrung grundsätzlich zuzustimmen.
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Der dritte Punkt in einer bedrohten Krisenbranche wie der Stahlindustrie ist: Wir müssen die Durchsetzungschancen der abhängig Beschäftigten, der Stahlarbeiter, stärken, um ihre Arbeitsplatz- und Standortinteressen durchsetzen zu können. Aus dem Grunde sagen wir - Herr Bangemann, wenn Sie das auch einmal in Ihren Kopf kriegen! - : Vergesellschaftung statt Verstaatlichung. Wir lehnen Verstaatlichung strikt ab. Und wenn Sie schon, Herr Wissmann, für die Vermögensbeteiligung in Arbeitnehmerhand sind, wie Sie das nennen, dann seien Sie doch konsequent auf diesem Weg: Die Vergesellschaftung der Stahlunternehmen, die die IG Metall fordert, die wir GRÜNE jetzt einstimmig auf dem Bundesparteitag beschlossen haben, ist der beste und der konsequenteste Weg, Vermögensbeteiligung in der Belegschaftshand durchzusetzen. Das heißt natürlich auch: Mitverantwortung für das ökonomische Ergehen des eigenen Konzerns, selbstverständlich!
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Der dritte Punkt für ein mittelfristig greifendes Konzept zum Abbau und zur Überwindung der Arbeitslosigkeit: ökologischer Umbau. Wichtig ist, daß wir einen ökologischen Umbau nicht mit qualitativem Wachstum verwechseln. Das ist auch unsere Hauptkritik am SPD-Programm „Arbeit und Umwelt" . Wer qualitatives Wachstum sagt und, wie im Programm „Arbeit und Umwelt" - Herr Roth oder Herr Jens, oder wer sonst noch daran beteiligt war - , feststellt, wir müßten uns aus ökologischen Gründen gegen die weitere Asphaltierung und Betonierung der Umwelt wehren - dem stimmen wir GRÜNEN ausdrücklich zu - , und dann im letzten Jahr im Deutschen Bundestag 8 000 Bundesfernstraßenkilometern zustimmt, was den Bund Jahr für Jahr 7 Milliarden DM kostet, der zeigt, daß er sein eigenes Programm „Arbeit und Umwelt" nicht ernst nimmt.
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Ökologischer Umbau heißt: Es gibt ausgewählte, notwendige Wachstumsbereiche im Energiebereich, Einstieg in eine alternative Energiepolitik, Energieeinspartechniken, alternative Energietechniken.
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Aber mit der gleichen Konsequenz, mit der wir „Ausbau von bestimmten Wachstumsbereichen" sagen, müssen wir auch sagen: Schrumpfung von schädlichen Bereichen. Deswegen sagen wir auch im Jahr nach Tschernobyl: Auch aus ökonomischen Gründen brauchen wir den Sofortausstieg aus der Atomenergie, und die Möglichkeit des Sofortausstiegs ist auch ökonomisch darstellbar. Ich kann das aus Zeitgründen nicht mehr darstellen. Wir können in einem Zeitraum von ca. einem Jahr aus der Atomenergie aussteigen, ohne massenhaft Arbeitsplätze zu gefährden - das können wir im einzelnen vorrechnen - , ohne die Strompreise und die Produktionskosten in die Höhe zu treiben und ohne das zu riskieren, was von Ihnen allen immer befürchtet wird, nämlich die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden.
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Allein der Verweis auf Japan zeigt - ich komme gleich zum Schluß - , daß es dort, insbesondere auf Grund eines progressiven Stromtarifs, doppelt so hohe Strompreise gibt, wobei aber doch keiner in diesem Hause den Japanern einen Mangel an Wettbewerbsfähigkeit vorwerfen wird.
Eine letzte Bemerkung zur Sozialdemokratie in Sachen Atomausstieg: Ich habe auf der einen Seite mit Freude die Erklärung des Bundesvorstandes der SPD anläßlich des Jahrestages von Tschernobyl gelesen, auch die SPD sei für den Ausstieg aus der Atomenergie, auch und insbesondere für die Beendigung des Exports von Atomanlagen.
Ich komme aus Nordrhein-Westfalen, kenne also den Ministerpräsidenten Rau sehr gut, seines Zeichens auch stellvertretender Parteivorsitzender und also an diesem Beschluß beteiligt.
Herr Kollege Stratmann, Ihre Zeit ist vorbei!
Darf ich noch eine Minute haben, um diesen Punkt eben darzustellen?
Ja, gut.
Die mit absoluter Mehrheit in Nordrhein-Westfalen regierende sozialdemokratische Landesregierung ist an dem Nuklearabkommen Bundesrepublik/Sowjetunion, das auch den gemeinsamen Bau und den Export von Hochtemperaturreaktoren in die Sowjetunion vorsieht, beteiligt. Im Dezember letzten Jahres - und ich fordere Sie auf, dazu einmal Stellung zu nehmen - hat die Landesregierung über ihren Wirtschaftsminister der Hochtemperaturreaktorlinie auf Dauer zugestimmt. Sie hat deswegen konsequent Ostern die letzte Betriebsgenehmigung für die Leistungsversuche beim Hochtemperaturreak478
tor erteilt, obwohl die sicherheitstechnischen Mängel des Reaktors längst bekannt sind.
Herr Abgeordneter, es tut mir leid. Sie müssen jetzt abbrechen.
Ich fordere Sie auf, zu dieser Inkonsequenz Ihrer Atompolitik Stellung zu nehmen und zu sagen, daß Arbeit und Umwelt, ein konsequentes, ökologisch orientiertes Programm, auch die Schrumpfung in ökologisch verheerenden Bereichen voraussetzt.
Danke schön.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sehe auf der Bank des Bundesrates den Hamburger Bürgermeister. Ich denke, wir werden etwas über den mangelhaften Länderfinanzausgleich zu hören bekommen. Da mag er noch zum Teil recht haben, soweit es nicht darum geht, falsche eigene Wirtschaftspolitik auszugleichen und zu kompensieren.
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Aber vielleicht berichtet er uns auch darüber, wie man 10 Tage vor Wahlen noch eben unter Einsatz öffentlicher Mittel eine große Menge Neue-Heimat-Wohnungen aufkauft,
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und vielleicht berichtet er uns auch etwas darüber, wie es mit der Satzungsänderung bei HEW aussieht, die dazu dient, eigene ideologische energiepolitische Vorstellungen unter Enteignung freier Aktionäre durchzusetzen.
Nun, als ich heute Herrn von Dohnanyi sah, kam mir Elisabeth II. ins Gedächtnis. Nicht wegen Ihres Regierungsstils, Herr Bürgermeister,
({2})
sondern wegen des Umbauauftrages für die deutsche Werftindustrie, eines großen Auftrages für den Wiederbau eines Luxusdampfers. Das war ein Auftrag von 100 Millionen DM. Wir verhandeln ja heute in verbundener Debatte auch über den Antrag der GRÜNEN auf ein Überstundenverbot. Wenn es dieses Verbot gegeben hätte, hätten wir diesen Auftrag in der deutschen Werftindustrie nicht durchführen können.
({3})
Ihr Antrag, meine Damen und Herren, ist ein Antrag auf Arbeitsplatzvernichtung, ein Antrag, der darauf abzielt, die Wähler zu täuschen.
({4})
Ohnehin, meine Damen und Herren, ist - das hat ja Duisburg am letzten Wochenende wieder bewiesen - die grüne Partei eine Partei der organisierten Wählertäuschung.
({5})
Für die Wahlen in Hessen stellen Sie eine Kandidatenliste ausschließlich von sogenannten Realos auf; auf der Bundesversammlung in Duisburg zeigt sich, daß die wahre Mehrheit dieser Partei die Fundamentalopposition, also die totale politische Verweigerung ist,
({6}) und das ist Wählertäuschung!
Wenn es in Hattingen in der Stahlindustrie brennt, halten Sie dort eine Fraktionssitzung ab. Reines Showbusineß, selbstverständlich nicht die geringste Hilfe für die bedrängten Stahlarbeiter! In Wiesbaden tritt am hessischen Wahlabend der Abgeordnete Schily vor die Fernsehkameras, um für alberne Wetten im besten Stil neudeutscher Illustrierten-Schickeria
({7})
teuren italienischen Wein auszuloben. Mit ein paar Flaschen Mosel- oder Ahrwein hätten Sie den bedrängten deutschen Winzern besser geholfen als mit einem solchen Ausloben!
({8})
Herr Stratmann hat hier verkündet, ich hätte Schwachsinn geredet. Meine Damen und Herren, in der Produktion von Schwachsinn sind Sie überhaupt nicht zu übertreffen.
({9})
- Verehrte Frau Kollegin Panther - Entschuldigung: Unruh - - Ich habe überhaupt nichts gegen den Namen Panther. Peter Panter und Theobald Tiger sind mir hoch und heilig, wertvolle Namen.
({10})
Interessant, verehrter Herr Kollege Roth, ist die Reaktion der Sozialdemokraten auf diese Entwicklung. Wer gestern früh Oskar Lafontaines Interview im Deutschlandfunk hörte, dem konnte die Luft wegbleiben, so schnell fegt dieser begnadete Opportunist durch die Kurven - Napoleon IV.
({11})
Wo sind denn nun, verehrter Kollege Roth - ich zitiere Ihre eigenen Kollegen - , die grünen Sozialdemokraten? So bezeichnen Sie sich ja: „grüne Sozialdemokraten" .
({12})
- Ich hatte mit Ihrer Frage gerechnet, Herr Ehrenberg. Der Abgeordnete Sperling sprach von sich auf der Novembertagung des Wohnungswirtschaftsinstituts in Bad Zwischenahn mehrfach als grüner Sozialdemokrat. Auf meine Frage, ob es so was denn gibt,
sagte er: Ja, es gibt noch mehr davon. Nun frage ich: Wo sind sie denn jetzt, nach dieser Entwicklung.
Meine Damen und Herren, was höre ich eigentlich landauf, landab? Ich will gerne einräumen, lieber Herr Roth, Sie haben sich heute etwas zivilisierter ausgedrückt, als das sonst landauf, landab der Fall ist.
({13})
- Er wird nicht nur älter. Meine Damen und Herren, es ist für einen ehemaligen Juso-Vorsitzenden ein ungewöhnlich erfolgreicher Lernprozeß, in einem mittelständisch geprägten Wahlkreis lange Zeit zu kandidieren. Das ist bei Herrn Roth ausdrücklich festzustellen.
({14})
Meine Damen und Herren, was hören wir denn zum Jahreswirtschaftsbericht? Da hören wir landauf, landab von den Sozialdemokraten das schöne Stichwort „Aufschwunglüge".
({15})
Gibt es eigentlich irgendwo ein Handbuch für Oppositionsstereotypen? Herr Ehrenberg, Sie erinnern sich: Dasselbe hat doch die CDU/CSU der damaligen Koalition nach 1980 vorgehalten.
({16})
Bei den Landtagswahlen 1980 in Nordrhein-Westfalen gab es SPD-Plakate: „Den Aufschwung wählen". Dann ging es in die Rezession. Dann kam die CDU/ CSU und sagte: „Aufschwunglüge". Also das kennen wir. Das ist nichts Neues.
Herr Roth, zum Kapitalabfluß darf ich Sie bitten, den Jahresbericht der Bundesbank 1986 zu lesen. Ich will die vier Zeilen - Seite 21 - vorlesen:
Nach früheren Erfahrungen wären angesichts des steigenden Leistungsbilanzüberschusses der Bundesrepublik 1986 verstärkte langfristige Kapitalabflüsse zu erwarten gewesen. Tatsächlich aber kam es zu hohen Zuflüssen langfristiger Gelder in die Bundesrepublik, und zwar per saldo in Höhe von 38 Milliarden DM.
Das läßt sich nachlesen. Das ist auch, glaube ich, richtig. - Das nur zur Korrektur Ihrer Behauptung.
Meine Damen und Herren, es ist in der Tat außerordentlich schwierig, den wirtschaftlichen Ablauf des Jahres 1987 vorherzusagen. Darüber kann man eigentlich keine Meinungsverschiedenheiten haben.
({17})
Die sehr unterschiedlichen Prognosen aller derjenigen, die sich mit Konjunkturprognosen beschäftigt haben, machen das auch sehr deutlich. Die unterschiedlichen Prognosen sagen aber doch zweierlei aus:
Erstens. Es ist auf der Basis gesicherter Daten für die Vergangenheit - über die kann man ja nicht streiten - offensichtlich noch schwieriger als sonst, Prognosen für die Zukunft zu stellen. Die Hinweise, die
Hans Dietmar Barbier in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gegeben hat über die Wirkung der Geldmengenexpansion und wie man das hochrechnet auf die wirtschaftliche Entwicklung, wie man sehr unterschiedlich hochrechnen kann, je nachdem, von welcher theoretischen Ausgangsbetrachtung her, sind ganz einleuchtende Überlegungen.
Zweitens aber: Alle Prognostiker, die internationalen und die nationalen, sagen, daß der Aufschwung im fünften Jahr anhält. Darauf kommt es an.
({18})
Ich will am Rande anmerken: Ich stimme dem Herrn Bundeswirtschaftsminister ausdrücklich zu. Wenn ein Institut eine Prognose stellt, dann durch seine Umfrageergebnisse an dieser Prognose zweifelnd gemacht wird und dann an den Umfrageergebnissen und an den Antworten der Befragten anfängt herumzudoktern, finde ich das nicht sehr überzeugend.
Aber die Grundtatsachen der deutschen Wirtschaft sind in Ordnung. Wir haben Wachstum, wir haben stabile Preise, wir haben niedrige Zinsen, wir haben ansteigende Beschäftigung, und wir haben einen Außenhandelsüberschuß.
Herr Roth, nun noch einmal zu einem Wort, zur Verpflichtung der Regierung gegenüber dem Arbeitsmarkt. Ich habe es hier in der letzten Debatte schon gesagt - es war schon später Abend, aber Sie waren da - : Die Fehler der Tarifpartner kann die Wirtschaftspolitik keiner Regierung in einer marktwirtschaftlichen Ordnung in Ordnung bringen.
({19})
Die Fehler der Sockellohnerhöhungen, über zehn Jahre hinweg betrieben und aus unserer Arbeitsmarktstatistik ablesbar, kann nicht die staatliche Regierungspolitik in Ordnung bringen. Das konnten wir damals nicht, das können wir heute auch nicht.
Unsere Probleme, meine Damen und Herren, liegen in der Tat im außenwirtschaftlichen Bereich. Gestern war der Dollar bei 1,76 DM. Die weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte, über die ja zu Recht viel gesprochen wird, führen zu Verwerfungen. Hier ist, glaube ich, schlicht und einfach - und enttäuschend - festzustellen: Die internationale Kooperation funktioniert nicht.
({20})
Interventionen in den Devisenmärkten lösen kein einziges langfristiges wirtschaftspolitisches Problem. Plaza-Agreement, Louvre-Agreement, IMF-Frühjahrstagung, - alles Schall und Rauch; Schall und Rauch jedenfalls so lange, wie die wirtschaftspolitischen Zusagen der Teilnehmer, im makroökonomischen Bereich ihren Verpflichtungen nachzukommen, nicht eingehalten werden. Das ist der Punkt. Ohne Rückführung des Haushaltsdefizits der Vereinigten Staaten ist das Leistungsbilanzdefizit der USA und damit eine der Hauptursachen weltwirtschaftlicher Verwerfungen und Ungleichgewichte nicht in Ordnung zu bringen.
({21})
- Ich sage ja gar nicht, daß Sie etwas Falsches sagen. Ich halte fest, daß wir das übereinstimmend sagen. Das reichste Land der Welt lebt über seine eigenen Verhältnisse.
({22})
Das Haushaltsdefizit der Vereinigten Staaten übersteigt bei weitem die private Sparquote,
({23})
und darauf ist der Zwang zurückzuführen, sich von außen her zu finanzieren. Die Vereinigten Staaten sind als reichstes Land das größte Schuldnerland der Welt geworden. Das kann so nicht anhalten.
({24})
Nun kann man nicht erwarten, daß das von heute auf morgen so umgedreht wird, daß wir morgen einen ausgeglichenen Haushalt oder ein vernünftiges Defizit in den USA haben. Aber glaubwürdige Signale an die Kapitalmärkte, Entscheidungen, die diese Signale vermitteln - die Kapitalmärkte glauben heute nichts davon, nach den bisherigen Erfahrungen ja auch zu Recht - , sind notwendig. Deviseninterventionen und Handelsprotektionismus sind untauglich. Und hier muß man dem Bundeswirtschaftsminister bescheinigen, daß er über den Beginn der Uruguay-Runde, über die handelspolitischen Bestrebungen, über seine jüngsten Gespräche in Washington Entscheidendes dazu beigetragen hat, unsere Position im handelspolitischen Bereich deutlich zu machen.
({25})
Aber Deviseninterventionen und Handelsprotektionismus sind der untaugliche Versuch, eigene Anpassungslasten auf andere abzuwälzen. Man muß sein eigenes Haus in Ordnung bringen. Das gilt für jeden, der sich am weltwirtschaftlichen Spiel beteiligt. Das gilt natürlich in erster Linie für denjenigen, der die größte, der die wichtigste Rolle und damit auch die größte Verantwortung hat.
Die japanische Liste nicht eingehaltener Versprechungen zur Marktöffnung - ich sage das mit aller Deutlichkeit an die Adresse auch meiner vielen japanischen Freunde - macht die zornigen Reaktionen der USA verständlich. Trotzdem sind die Reaktionen falsch.
({26})
- Sie sind überzogen. Ich kann nur mit Verwunderung feststellen, wie merkwürdig das Halbleiterabkommen beurteilt worden ist, wie falsch die Europäische Gemeinschaft, wie falsch die Kommission reagiert hat. Sich aufzuregen, daß Exporte vielleicht in den europäischen Markt umgeleitet werden könnten, das kommt Monate zu spät. Ein solches bilaterales Abkommen, das ein Kartellverhalten gegenüber Dritten - sprich: den Europäern - vorschreibt, hätte vom ersten Tag an aus Europa massiv bekämpft werden müssen. Daß es dann schließlich zusammenbricht, ist gar kein Wunder, sondern macht die alte Erfahrung deutlich, daß Kartelle nicht halten. Aber diese Art des Aufspaltens des multilateralen Welthandelssystems in bilaterale Selbstbeschränkungsabkommen - hier Vereinbarungen, dort Vereinbarungen - bringt das
System zum Einsturz. Das geht schließlich zu Lasten aller und hilft niemandem.
Andererseits sind wir auf der Seite der Japaner, wenn es darum geht, eben dieses Welthandelssystem zu verteidigen und uns gegen Protektionismus zu wehren. Kritik an die Japaner: Öffnet eure Märkte! Verteidigung der Japaner aus der Sicht der Bundesregierung, wenn es darum geht, Exportmöglichkeiten offen zu halten. Da gibt es volle Interessenidentität, und die muß gewahrt bleiben.
Die Bundesrepublik, meine Damen und Herren, spielt ihre Rolle und muß ihrer Verantwortung gerecht werden. Sie muß binnenwirtschaftliche Wachstumsvorsorge treffen, und zwar nicht durch Schuldenmacherei nach Ihren Rezepten,
({27})
sondern, meine Damen und Herren - lassen Sie mich ruhig das englische Wort benutzen -, durch „supply-side economics", durch angebotsorientierte Politik. Sie muß die Steuern senken, und das früher als geplant. Und, Herr Roth, es ist richtig - und ich bin froh darüber, daß der Bundesfinanzminister es jetzt zugestanden hat -, daß man als Folge von Steuersenkung in beschränktem Umfang und vorübergehend auch ein höheres Defizit in Kauf nehmen kann. Sie müßten einsehen und endlich begreifen, daß Defizite, die auf Schuldenmacherei, auf Ausgaben beruhen, von anderer Qualität sind als Defizite, die durch Einnahmenverzicht des Staates entstehen.
({28})
- Solange die SPD bei ihren verheerenden, falschen Vorschlägen bleibt, ist Ihre simplifizierende Formel sogar noch richtig, Herr Ehrenberg.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Roth?
Ja, ich habe noch so viel Zeit, hoffe ich; Herr Kollege Roth.
War das nicht exakt das Argument
- die Steuersenkung - , mit dem Präsident Reagan seine Überschuldung begründet hat?
Nein, das war zwar das Argument, das er dafür benutzt hat. Das wissen Sie ganz genau.
({0})
Wenn jemand Steuern massiv senkt und gleichzeitig die Ausgaben massiv erhöht, dann kommt er zu solchen Defiziten. Das habe ich nicht vorgeschlagen. Sie sind für Ausgabenerhöhung, ich nicht.
({1})
Herr Roth, wir sind im Gegenteil der Meinung, daß die
sparsame Haushaltspolitik auch im Zuge von Steuersenkung und wirtschaftlicher Wachstumsvorsorge
entschieden fortgesetzt werden muß. Das unterscheidet uns von Ihnen.
Sie meinen, Inflation sei keine ernsthafte Gefahr. Ich sage: Was im Augenblick bei der Geldmengenexpansion in der Bundesrepublik als Folge von Währungsinterventionen läuft, sollte die Bundesbank veranlassen, nicht nur ihre Besorgnis über künftige Defizite zu äußern, sondern einmal nachzusehen, wie sehr sie ihre eigenen Geldmengensteuerungsziele nunmehr im zweiten oder dritten Jahr hintereinander zu gefährden droht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mitzscherling?
Bitte sehr.
Bitte schön, Herr ;Mitzscherling.
Graf Lambsdorff, teilen Sie die Auffassung, daß die erhöhte Geldmenge zu einem Teil darauf zurückzuführen ist, daß Unternehmen liquide Mittel zur Zeit nicht in den Investitionskreislauf geben, weil sie ihre Lage angesichts der von Ihnen dargestellten ungesicherten außenwirtschaftlichen Situation so ungünstig einschätzen, daß sie sich zum Teil zu Investitionen nicht entschließen können?
Herr Mitzscherling, das kann durchaus eine Rolle spielen, aber es kann, was die Größenordnung anlangt, überhaupt nicht als vergleichbar angesehen werden mit den Folgen von Devisenmarktinterventionen in den Dimensionen, die wir in den letzten Wochen erlebt haben und tagtäglich weiter erleben. Das sind eben die Folgen von Plaza, Louvre, IMF-Währungstagung, daß interveniert wird, letztlich ohne Erfolg. Sehen Sie sich das japanischamerikanische Abkommen zwischen Baker und Myazawa an zur Stützung des Yen bei 160! Kein Mensch träumt überhaupt mehr von 160 Yen für einen Dollar. Dies alles funktioniert nicht, wenn die Wirtschaftspolitik, die dahinter steht, nicht koordiniert wird und nicht funktioniert.
({0})
Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland muß Subventionen abbauen. Sie muß die Flexibilität in allen Bereichen der deutschen Wirtschaft fördern. Ich wünschte mir manches konsequenter, wir wünschten uns manches etwas schneller, z. B. Steuersenkungen. Die Bundesregierung kann aber auf die nächsten internationalen Konferenzen gehen und dort sagen: Wir haben unseren Teil dessen, was wir in diesen Konferenzen versprochen haben, beigebracht und eingebracht.
Ich bleibe dabei - und das ist sicherlich kaum zu bestreiten, es ist wohl auch hier allgemeine Meinung - : Die außenwirtschaftliche Flanke, von der der Bundeswirtschaftsminister gesprochen hat, ist nicht ungefährlich. Bessere internationale Kooperierung und Koordinierung tun not. OECD-Ministerrat, Weltwirtschaftsgipfel und die neue GATT-Runde müssen von der Bundesregierung und von unseren Partnern dafür genutzt werden. Aber nicht dafür genutzt werden, Kommuniqués zu verfassen, denen keiner mehr traut, weil am nächsten Tag die Sitzungsteilnehmer vor die Pressekonferenzen gehen und jeder eine eigene Interpretation dessen von sich gibt, was beschlossen worden ist. Statt dessen müssen sie eine Politik vereinbaren, zu der man steht, die man dann auch wirklich versucht, zu Hause durchzusetzen.
Die Bundesregierung ist nach der Überzeugung der FDP auf dem richtigen Wege. Sie muß ihn konsequent weiter gehen und wird dabei die Unterstützung meiner Fraktion finden.
({1})
Das Wort hat der Präsident des Senats und Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Herr Dr. von Dohnanyi.
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich meine, es hat wenig Sinn, hier mit Zahlenspielen und politischem Hakenschlagen die schwierige Lage, die wir in der Bundesrepublik auf dem Arbeitsmarkt haben, zu verdecken. Eine Debatte, die zu Beginn einer Legislaturperiode stattfindet, muß den Versuch machen, zu prüfen: Wo liegen denn die wirklichen Probleme? Es ist richtig, wenn Graf Lambsdorff soeben und auch der Bundesminister vorhin gesagt haben: Bei den Preisen und bei dem konjunkturellen Aufschwung - wie wir alle wissen, im wesentlichen weltwirtschaftlich initiiert -, auch bei der gegenwärtigen Lage in der Außenwirtschaft liegen nicht unsere Hauptprobleme.
Aber wenn Sie eben, Graf Lambsdorff, gesagt haben, die Arbeitslosigkeit sei in erster Linie ein Problem der Tarifpolitik, dann, muß ich doch sagen, ist das entweder Polemik oder tiefe Unkenntnis.
({1})
Ich frage Sie einmal: Wie wollen Sie denn z. B. bei dieser viel diskutierten Werftenproblematik - aber ich kann Ihnen auch noch viele andere Bereiche nennen - mit der wachsenden internationalen Verflechtung und den Löhnen, die von dort zu uns kommen, wirklich fertig werden? Glauben Sie denn wirklich, wir könnten in der Bundesrepublik Tarifverträge machen, die auf den Werften chinesische Löhne einführen würden? Wer kann denn hier behaupten, Tarifpolitik sei ein zentraler Punkt?
Jeder weiß, daß Tarifpolitik zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung beitragen muß. Aber das Problem der Arbeitslosigkeit heute einer zehnjährigen Tarifpolitik der Gewerkschaften - oder der Gewerkschaften und der Arbeitgeber, wie es dann ja sein müßte - zuzuschieben, ist, Graf Lambsdorff - das wissen Sie doch selbst - , nicht ehrlich.
({2})
Die Probleme liegen tiefer, und an denen können wir uns doch nicht vorbeistehlen.
Wir haben eben eine Debatte gehört, ob nun 600 000 oder 500 000 mehr Beschäftigte in der Stati482
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({3})
stik zu finden sind. Richtig ist, daß die Zahl der Arbeitslosen, und zwar der registrierten Arbeitslosen, zugenommen hat.
({4})
- Herr Wissmann, ich rede zunächst von der Entwicklung der letzten vier Jahre und von den zu erwartenden Perspektiven.
({5})
- Verwechseln Sie nicht Demographie und Demoskopie. Damit kommen wir heute nicht weiter.
({6})
- Das war nicht Herr Wissmann, das war ein Nachbar. Das muß ich zu seiner Entschuldigung sagen.
Wenn Sie feststellen, daß es bei der Abwahl von Helmut Schmidt im Bundestag 1,8 Millionen Arbeitslose gab und die vergleichbare Zahl im vergangenen November bei etwa 2,4 Millionen lag, dann kann doch niemand bestreiten, daß dort unser zentrales Problem liegt. Die Bundesregierung hat uns durch einige ihrer Mitglieder im Frühjahr 1983 gesagt: Wir werden die Arbeitslosigkeit - es wird eine harte Arbeit sein, hat Herr Geißler gesagt ({7})
in einem Jahr oder in zwei Jahren auf 1 Million reduzieren, also damals etwa halbieren.
({8})
- Nein, ich gehe nicht davon aus, daß die Bundesregierung die Wähler hat täuschen wollen. Sie hat es selbst geglaubt. Das ist viel schlimmer, Herr Roth. Viel schlimmer!
({9})
Denn das zeigt, sie sind immer noch auf diesem Pfad. Sie haben es geglaubt, aber sie glauben es auch noch immer.
Sie glauben noch immer, Sie könnten auf dem Weg, den Sie eingeschlagen haben, das Problem bewältigen. Das ist eigentlich die wirkliche Problematik dieser Stunde.
({10})
Nun wollen wir über die Zensuren hier nicht reden, die auch im Sachverständigengutachten erteilt worden sind. Aber zitieren möchte ich doch den Satz:
Gemessen an der Arbeitslosenquote
- Herr Wissmann, darauf kommt es doch an kam die Bundesrepublik dem Ziel eines hohen Beschäftigungsstandes in den vergangenen vier Jahren nicht näher.
Das ist der Kern der Geschichte.
In der „Zeit" vom 17. April 1987 heißt es in einem Aufsatz von Peter Christ unter der Überschrift - Sie haben das sicherlich auch gelesen - „Der Eckpfeiler wird brüchig" als zentraler Satz:
Die Wirtschaft wird in diesem Jahr langsamer als erwartet wachsen. Damit ist die Strategie der Bundesregierung, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen, kaum noch realistisch.
Wenn Sie dann sagen, Sie hätten im April 1987, in diesem Augenblick - ich meine, Strohhalme sind immer nützlich, wenn sie vorbeischwimmen - positive Zahlen aus Nürnberg: Richtig ist, daß saisonbereinigt die Arbeitslosigkeit auch im April 1987 erneut um 3 000 - eine kleine Zahl, aber 3 000 Einzelschicksale - gestiegen ist.
Ich bin also davon überzeugt, daß es uns nicht weiterhilft, wenn wir hier parteipolitische Turnübungen machen, um darüber zu rechten, was aktiv geschieht oder wer aktiv mehr gemacht hat, und wenn Bilanzen gezogen werden weit in die 70er Jahre, zu ganz unterschiedlichen Bedingungen, Herr Wissmann.
Ich behaupte hier - das ist das wirkliche Problem - : Die Regierung hat 1983 gemeint, sie werde mit ihrer Politik die Arbeitslosigkeit reduzieren. Sie hat die Gefahr damals nicht erkannt, und sie erkennt sie auch heute nicht.
Herr Bundesminister, Sie haben gesagt, wir sollten uns dem Wettbewerb stellen. Ja, das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Wer tut das nicht? Alle müssen das. Sie haben gesagt: Wir müssen uns dem Strukturwandel stellen. Ja, meine Damen und Herren, wer bestreitet denn das? Wer hat denn - auch als Bundesregierung und in den Ländern - versucht, mit dazu beizutragen, daß die schwierigen Branchen - Kohle, Stahl, Textil oder auch Werften - im Strukturwandel neustrukturiert und überlebensfähig gemacht werden können? Das alles sind doch Banalitäten. Da haben Sie sogar in freier Rede, Herr Bundesminister, hier keinen Fehler gemacht.
({11})
Es ist völlig akzeptabel, was Sie da gesagt haben.
({12})
- Na ja, man sagt ja: „Es gilt das geschriebene Wort. "
Meine Damen und Herren, unser Problem liegt doch darin: Wir stehen heute in einer Situation, in der die Konjunktur offenkundig nachläßt, und das bestreitet doch niemand. Wenn Sie, Herr Wissmann, sagen - Graf Lambsdorff hat es soeben auch sehr stolz gesagt - : Das war ein langer Konjunkturzyklus, ein Aufschwung, dann wissen Sie - ich weiß es auch - , daß er wesentlich weltwirtschaftlich initiiert war. Aber gut, jede Regierung wird versuchen, das auf ihr Konto zu buchen. Das ist auch menschlich. Nur: je länger der Zyklus angedauert hat, um so wahrscheinlicher wird auch der Abschwung. Niemand glaubt doch, daß wir ohne einen Konjunkturabschwung durch das nächste Jahrzehnt kommen werden. Was tun Sie denn dafür? Es ist doch gar nicht übertrieben, zu sagen, daß die Arbeitslosenquote, die heute bei 2,2 Millionen registrierten Arbeitslosen liegt, in der nächsten Phase des Konjunkturabschwungs leicht in die Nähe von 3 Millionen oder auf 3 Millionen Arbeitslose kommen könnte. Das ist doch die Frage,
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({13})
die sich hier - gerade zu Beginn der Legislaturperiode - stellt.
Herr Wissmann, nun haben Sie fünf Punkte genannt. Ich will sie gerne aufnehmen.
Qualifikation: Ja, selbstverständlich, wer bestreitet denn das? Nur: Warum haben Sie denn zunächst in der Bundesanstalt und auch an anderer Stelle Umschulungsmöglichkeiten eher beschränkt, als sie weiter auszubauen? Das war doch Ihre Politik, und da ernten Sie doch heute die Folgen.
({14}) Und Sie sagen, Benachteiligte - ({15})
- Ich möchte die fünf Punkte gerne zu Ende bringen, und dann können Sie vielleicht dazwischenfragen.
({16})
- Ja, ich komme darauf zurück.
Dann sagen Sie: Die Unternehmen müssen freiwillig mehr Benachteiligte einstellen. Wissen Sie in der Union, wissen Sie in der FDP-Fraktion denn nicht, was die Voraussetzung dafür ist, daß Benachteiligte einbezogen werden können, daß man in der Bildung und Ausbildung frühzeitig mit dafür sorgt, daß die Schwächeren mitgenommen werden können? Was geschieht denn durch die Beseitigung der Förderstufe in Hessen heute?
({17})
Den Ausleseprozeß werden Sie verschärfen. Was ist denn das Ziel der Gesamtschule? Der Versuch, die Jugendlichen länger so zusammenzulassen. Was ist denn der Versuch der Integration von behinderten Kindern in den Kindergärten?
Meine Damen und Herren, Sie produzieren durch Ihre Politik und durch die Rücksicht auf den notwendig zu bestehenden Wettbewerb die Auslese und nicht die Integration und damit das Gegenteil von dem, was Sie wollen.
({18})
- Wenn Sie sagen, ich solle eine solche Rede in der Hafenstraße halten, dann würde ich mich gerne mal mit Ihnen darüber unterhalten. Aber ich sage Ihnen
- wenn der Präsident mir das erlaubt - : Ich empfinde es als eine Unverschämtheit, in einer Wirtschaftsdebatte so zu argumentieren.
({19})
- Ich bemerke, daß Sie das gar nicht verstehen. Herr Wissmann schaut mich ganz interessiert an.
({20})
- Der Einwurf hat sich selbst disqualifiziert.
Ich komme zum dritten Punkt: Ältere Arbeitnehmer wieder zu beschäftigen. Wir sind dabei, das wird doch gemacht. Aber glauben Sie nicht, daß man dazu Geld braucht? Werden die Betriebe wirklich freiwillig die ohne Zweifel bestehenden höheren betriebswirtschaftlichen Lasten, höheren Krankheitsrisiken usw. von älteren Arbeitnehmern, ohne weiteres übernehmen? Und ist es wirklich sinnvoll, dazu Steuersenkungen zu machen, die in den Betrieben nicht mal die Möglichkeit geben, Kapital zu bilden, sondern weiterhin den ausgeschütteten Gewinn geringer besteuern als den im Betrieb stehengelassenen? Also Sie leisten doch auch zu diesem Punkt keinerlei Beitrag.
({21})
Sie sprechen von Teilzeit. Sicher, auch von den GRÜNEN, auch von Herrn Stratmann wurde, wenn ich das richtig verstanden habe, soeben hier gesagt, vernünftige Teilzeitarbeit sei in Ordnung.
({22})
- Vernünftige; gesicherte! - Nur: Teilzeitarbeit als Zwang zu unzureichendem Verdienst macht doch später Sozialhilfe als Ergänzung zur Rente notwendig. Das ist doch klar. Aber wir brauchen doch Vollzeitarbeitsplätze für 2,2 Millionen Menschen, die Arbeitsplätze suchen.
({23})
Und wenn Sie denen Teilzeitarbeitsplätze geben, können die davon doch nicht leben.
Herr Bürgermeister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Cronenberg zuzulassen?
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({0}): Ich will erst den fünften Punkt behandeln. Danach gern.
Dann käme erst Herr Wissmann, wenn ich richtig unterrichtet bin.
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({0}): Sie sagen: Zeitverträge. Hierzu ist schon ein Wort gesagt worden. Sie haben dazu eine Statistik benutzt.
Ich sage Ihnen ganz offen: Gott sei Dank wird dieses Gesetz automatisch 1990 auslaufen. Ich halte es für das fatalste Gesetz, das diese Bundesregierung gemacht hat.
({1})
Denn wenn es dazu kommt, daß jeder, der seinen Arbeitsplatz wechseln will - weil er umziehen muß, oder aus welchen Gründen auch immer - , immer nur auf die Chance von Zeitverträgen stößt, weil es der billigste Weg ist, damit wegzukommen, werden Sie auf die Dauer jeden Kündigungsschutz unterlaufen.
({2})
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({3}) Deswegen bin ich sicher, daß Sie keine Mehrheit finden, dieses fatale Gesetz zu erneuern.
({4})
Schließlich zu den Arbeitsplätzen in den kleinen und mittleren Betrieben, von denen Sie gesprochen haben. Auch das ist unbestritten.
({5})
- Ja. Daß ich in Hamburg bleibe, ist ganz sicher. Da brauchen Sie keine Sorge zu haben. - Die Zahl der Arbeitsplätze in kleinen und mittleren Betrieben steigt schneller. Das ist richtig. Das bestreitet ja niemand.
({6})
- Dahin kommen wir vielleicht auch noch. Nur: Herr Wissmann, für die Zeit zwischen 1977 und 1985 haben Sie eine große Statistik angeführt. Aber das war doch die Zeit, in der zugleich die Gesamtarbeitslosigkeit so gestiegen ist. Also sogar dieser wichtige Strukturwandel, den wir alle sehen und unterstreichen, hat die Lücke nicht geschlossen.
Ich sage also: In Ihren fünf Punkten und in dem, was der Bundesminister hier gesagt hat, liegt keine Antwort auf die schwierige Frage: Was tut die Republik, wenn die Arbeitslosigkeit auf Grund eines irgendwann ja doch sicher eintretenden Abschwungs der Konjunktur wieder wächst?
({7})
Was tun wir dann?
({8})
- Ich werde dazu gleich etwas sagen. Daß das auch regional ungeheure Folgen hat, muß doch jeder sehen. Da brauchen Sie doch nicht über Hamburg besonders zu reden. Erstens gibt es in Bayern, Herr Kollege Probst, was Sie wissen, Regionen mit höherer Arbeitslosigkeit als in Hamburg.
({9})
- Das ist ja in Ordnung. Nur, man muß sehen: Es gibt das überall. - Zweitens müssen Sie doch wissen: Hamburg ist der große Arbeitsmarkt für die beiden CDU-geführten Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Wir haben dort hunderttausend Arbeitsplätze von Hamburg nach Schleswig-Holstein geborgt. Wenn das nicht wäre, würde sich die Arbeitslosigkeit dort nahezu verdoppeln. Wir haben 75 000 Arbeitsplätze nach Niedersachsen geborgt, und das alles nach Abzug - ({10})
- Wie bitte? Wegen der Schulen? Herr Kollege, wir haben 40 000 Schülerinnen und Schüler aus dem Umland, die bei uns zur Schule gehen.
({11})
- Was heißt: „Wir sind der Wasserkopf! "? Wir sind der Kopf!
({12})
Und nun müssen Sie mal sehen, welche Funktionen wir haben. Aber was geschieht denn da gegenwärtig? Natürlich ist in den Großstädten die Arbeitslosigkeit größer. Aber wissen Sie eigentlich, daß auch in Städten wie München und Frankfurt seit 1982 die Arbeitslosigkeit um 60 % gestiegen ist? Natürlich tragen die Großstädte hier ein großes Problem.
({13})
- Ich dachte, Sie wollten mich etwas fragen; ich habe mich schon gefreut, Graf Lambsdorff. ({14})
Wenn man das sieht, muß man doch fragen: Was geschieht denn hier regional in der Strukturpolitik?
({15})
Die Städte werden doch durch die zunehmende Sozialhilfe ausgeblutet. Fragen Sie doch mal Ihren Oberbürgermeister! Fragen Sie doch mal den früheren Oberbürgermeister Wallmann, was da los ist!
({16}) Teile der Republik werden doch verödet.
({17})
- München und Hamburg haben eine sehr unterschiedliche Lage.
Die Münchener Lage ist besser als die von Hamburg, unbestritten.
({18})
- Ist ja in Ordnung. Sprechen Sie jetzt vom 1. FC Bayern als Meister, oder wovon sprechen Sie jetzt?
({19})
- Also, ich will Ihnen sagen, es ist ja unbestritten, daß Münchens Lage besser ist als die Hamburgs; denn der Süden hat - das ist richtig - eine andere Struktur. Nur, Sie können das nicht den Sozialdemokraten anlasten. Denn in Schleswig-Holstein haben wir ziemlich lange nicht regiert, wenngleich sich das, so nehme ich an, ändern wird.
({20})
- Nein, nein. Natürlich sind wir gegenwärtig etwas skeptisch gegenüber Wahlerfolgen; das ist schon richErster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({21})
tig. Aber sie werden schon wiederkommen; Sie können sich darauf verlassen. ({22})
Nein, die Antwort, die gegeben werden muß, ist eine Antwort, die strukturpolitische Komponenten enthält, und zwar sowohl in regionaler Hinsicht als auch in bezug auf bestimmte Branchen.
Herr Bundesminister, zu Stahl, Werften und Schiffahrt haben Sie ja Ihre öffentlichen Äußerungen getan und sich auch wieder korrigiert. Aber zur Schiffahrt will ich doch ein Wort sagen: Sie haben vorhin behauptet, ich hätte den Vorschlag gemacht, ein Zweitregister einzuführen. Also, Sie dürfen nicht jeder Zeitungsüberschrift, die irgendwo erscheint, glauben; es gibt diesen Vorschlag nicht.
Sie sollten aber wissen, daß der Verband der Reeder und die ÖTV unter dem Vorsitz des Bürgermeisters am Montag ein ,gemeinsames Konzeptpapier verabschiedet haben, wie wir das Ausflaggen in der Bundesrepublik stoppen könnten. Es enthält sowohl Rationalisierungsvorschläge als auch Vorschläge zur Kostenentlastung der Schiffahrt.
Ich weiß - auch aus unserer Zeit in der Regierung - , wie strukturfeindlich im Bundesministerium für Wirtschaft leider gedacht wird. Es wird dort in strukturpolitischen Fragen nicht mitgedacht. Graf Lambsdorff und ich hatten während unserer gemeinsamen Zeit in der Regierung darüber gelegentlich auch unterschiedliche Auffassungen. Nur, in diesem Falle, Herr Bundesminister Bangemann, haben wir in Hamburg Ihre Arbeit gemacht. Sie hätten etwas dazu vorlegen müssen, wie das Ausflaggen aus der Bundesrepublik Deutschland gestoppt werden kann. Sie hätten die Tarifpartner, die Schiffahrt und die Gewerkschaften, an einen Tisch bringen müssen. Das war nicht primär eine Länderaufgabe, sondern das war primär Ihre Aufgabe, und Sie haben nichts dazu beigetragen.
({23})
Herr Bürgermeister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({0}): Aber gerne.
Bitte schön.
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({0}) : Ich schulde Herrn Wissmann, wenn er sie wiederholen will, auch noch eine Frage.
Dann muß er sich noch einmal melden. Ich kann das hier nun nicht im vorhinein festhalten.
Herr von Dohnanyi, darf ich in Erinnerung an die von Ihnen soeben angesprochene Vergangenheit doch noch einmal darauf hinweisen, daß wir auch damals - und nach meiner festen Überzeugung: richtigerweise - dasselbe gesagt haben, was die Bundesregierung heute sagt, nämlich: Wenn die norddeutschen Küstenregionen bei der Bewältigung ihrer Probleme Unterstützung von der Bundesregierung haben wollen, dann müssen die norddeutschen Küstenländer fähig und in der Lage sein, der Bundesregierung ein von ihnen erarbeitetes Konzept vorzulegen. Ist es richtig, daß das seit Jahren nicht zustande gebracht worden ist?
({0})
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({1}): Da sind Sie, Graf Lambsdorff, leider nicht mehr auf dem laufenden. Das liegt daran, daß Sie den Platz gewechselt haben. Es liegt natürlich ein Konzept der Küstenländer vor.
({2})
- Seit zwei Jahren.
({3})
- Ja nun, wir können ja nicht alle sechs Monate nur deswegen ein neues machen, weil Sie mit unserer Arbeit nicht mitkommen. Das ist ja nun zuviel verlangt.
({4})
Also, es liegt ein solches Konzept vor, und zwar zu vielerlei Bereichen, auch insgesamt.
Graf Lambsdorff, was ich meinte, war eigentlich eine andere Frage. Wir hatten ja auch Meinungsverschiedenheiten darüber, ob man den Airbus in die Lage bringen sollte, wie ich meinte, daß das sein sollte. Wir hatten unterschiedliche Auffassungen über die Frage Kohle und Stahl. Und ich glaube in der Tat: Unser Konzept ist grundverschieden, nicht in der Frage, daß man wettbewerbsfähig sein muß, und nicht in der Frage, daß die Wettbewerbsfähigkeit auch darin besteht, Strukturwandel zu akzeptieren, sondern in der Hinsicht, daß Sie an dieser Stelle die Hände tatenlos in den Schoß legen und sagen: „Das ist es dann auch. " - Und das kann so nicht bleiben!
({5})
Wir brauchen Strukturpolitik zusätzlich zur Wettbewerbsfähigkeit; das ist die Frage.
Herr Bürgermeister, wenn Sie jetzt dem Abgeordneten Wissmann seine Zwischenfrage erlauben.
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({0}): Da ich das ja in Gang gebracht habe, bitte sehr.
Herr Kollege von Dohnanyi, Sie hatten. vorhin gesagt, wir würden unseren Anspruch, mehr für Qualifikation zu tun, nicht in die Wirklichkeit umsetzen. Ist Ihnen bekannt, daß die Zahl derer, die die Umschulungs-, Qualifikations- und Hilfsmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit durchlaufen, heute fast doppelt so hoch ist wie zu den Zeiten Ihrer Regierung?
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({0}): Vielleicht habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt. Ich habe gesagt: Sie haben zunächst damit
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({1})
begonnen, die Umschulungsmaßnahmen zu streichen. Das war der erste Punkt.
Sie haben dann begonnen zu korrigieren, und das ist lobenswert. Allerdings ist die Arbeitslosigkeit seither in zweierlei Beziehung erheblich gestiegen: einmal in der Gesamtzahl und zweitens in einer erheblichen Verschiebung in Richtung auf die dauerhaft Arbeitslosen. Insofern reicht das, was Sie tun, noch nicht annähernd aus; das ist der Punkt.
({2})
Aber Ihre Zahl ist unbestritten.
Jetzt kommt Herr Cronenberg mit einer Zwischenfrage.
({0})
Herr Bürgermeister, ist Ihnen im Zusammenhang mit Ihrer Forderung nach 2,2 Millionen Vollzeitarbeitsplätzen bekannt, daß in unserer Statistik die Teilzeitarbeitssuchenden wie Vollzeitarbeitsplatzsuchende gewertet werden, d. h., daß diese Forderung so nicht richtig ist?
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({0}) : Doch. Sie ist wohl deswegen richtig, Herr Cronenberg
- wenn ich das kurz beantworten darf - , weil man in dieser Statistik zwar einen kleinen Teil Teilzeitarbeitsplatzsuchende hat,
({1})
- einen relativ kleinen Prozentsatz.
Zweitens muß man natürlich bedenken, was hier ja mehrfach schon gesagt worden ist: Die nicht registrierte Zahl von erkennbar Arbeitslosen, insbesondere von jugendlichen Arbeitslosen, die einen Ganztagsarbeitsplatz suchen, ist ja sehr viel größer.
({2})
Herr Cronenberg, ich hatte vorhin gesagt: Lassen Sie uns bitte nicht diese statistischen Turnübungen machen. Ob es zwei Millionen oder 1,8 Millionen oder 2,5 Millionen sind, wenn man die Arbeitssuchenden alle nimmt, das Entscheidende ist: Mit der Antwort Teilzeit ist keine ausreichende Antwort gegeben, weil es zu viele gibt, die davon am Ende leben müssen. Und Teilzeitarbeit kann ja gar nicht so bezahlt werden, daß man davon leben kann, es sei denn, man übt den Posten eines Aufsichtsratsvorsitzenden in Teilzeit aus. Da kriegt man vielleicht genug Geld, um davon zu leben.
({3})
- Bitte sehr, Herr Cronenberg.
Ich wollte weiter fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß der Anteil derjenigen, die diese viel beschimpften befristeten Arbeitsverträge eingehen, die in Dauerarbeitsverträge umgewandelt werden, eine steigende Tendenz aufweist, und ob Ihnen bekannt ist, daß die durchschnittliche
Arbeitslosigkeit erfreulicherweise nicht, wie Sie sich auszudrücken erlaubten, steigt, sondern sinkt?
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({0}): Ich habe gesagt: Die Arbeitslosigkeit ist seit 1982 von 1,8 Millionen damals im November auf vergleichbar 2,4 Millionen im vergangenen November gestiegen.
({1})
- Nein, der Anteil der dauerhaft Arbeitslosen ist gestiegen.
({2})
- Nein.
({3})
- Nein, der Anteil der dauerhaft Arbeitslosen ist in den letzten vier Jahren gestiegen
({4})
und ist das wachsende und steigende Problem; das muß man doch kennen. Mich wundert, daß Sie eine so zentrale Frage nicht kennen.
({5})
Jetzt würde ich gerne fortfahren, wenn Sie mir das gestatten, und dann die nächste Welle der Fragen vielleicht später nehmen.
Meine Damen und Herren, ich möchte auf das Problem der Städte noch einmal eingehen. Es gibt keine regionale Entwicklung ohne eine gesunde Entwicklung der Städte. Auch der Süden der Republik, der sich in den letzten 20, 30 Jahren so positiv entwickelt hat - das bestreitet ja niemand - , hätte das nicht gekonnt ohne die Entwicklung von Nürnberg, München, Augsburg, Stuttgart, Karlsruhe und so weiter.
Aber ich möchte das, Graf Lambsdorff, zu Ihnen sagen, weil Sie das Thema Finanzausgleich so ein bißchen beiseite gewischt haben: Man muß sehen, daß die beiden großen Städte in Norddeutschland, die beiden Hansestädte, in der besonderen Lage als Stadtstaaten in den Finanzen ungewöhnlich benachteiligt werden. Das Ifo-Gutachten, das der Bundesfinanzminister in Auftrag gegeben hat, macht ganz unmißverständlich klar, daß, wenn Hamburg behandelt würde
- obwohl es finanzausgleichzahlendes Bundesland ist - wie der Durchschnitt vergleichbarer Städte - München, Frankfurt, Stuttgart, Düsseldorf, Hannover, also Residenzzentralen und Metropolen mit zentralen Funktionen, mit Flughäfen und so weiter - , dann für jeden Hamburger pro Kopf 500 DM mehr in der Stadt zur Verfügung stehen müßte; das sind 800 Millionen DM. Die Zahl ist unbestritten. Nun habe ich dem Bundesfinanzminister niemals zumuten wollen und können, diese 800 Millionen DM für Hamburg aufzubringen. Aber ich halte es schon für sehr problematisch, wenn ich jetzt aus der Bundesregierung höre, der Bundesfinanzminister verstehe sich als ein Makler zwischen Länderinteressen, anstatt seinen Verfassungsauftrag wahrzunehmen,
({6})
nämlich ein Gesetz über den Finanzausgleich vorzulegen, das - wie es sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ergibt - Hamburg „gerecht"
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({7})
behandelt. Wenn Hamburg gerecht behandelt würde, dann würden wir zumindest keinen Finanzausgleich mehr zahlen müssen. Daß wir im vorletzten und letzten Jahr pro Kopf immer noch, größter Zahler waren, ist schon ein starkes Stück. Insofern bitte ich, daß auch hier im Deutschen Bundestag, wenn dieses Gesetz vorliegt, daran gedacht wird und die norddeutschen Städte, weil sie Stadtstaaten sind, nicht durch falsche Bundesgesetzgebung ruiniert werden, so daß man sich am Ende wundert, warum in der Regionalpolitik zwischen Süd und Nord die Strahlkraft der großen Städte nicht mehr so ist, wie sie eigentlich sein müßte.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Bürgermeister?
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({0}) : Ja, aber natürlich.
Bitte schön, Herr Lambsdorff.
Herr von Dohnanyi, ich darf noch einmal daran erinnern, daß ich das nicht beiseite gewischt habe, sondern gesagt habe: Es gibt auf Ihrer Seite ein paar berechtigte Argumente. - Aber darf ich auch daran erinnern, daß der Abstand vom höchsten Zahlerland pro Kopf zu einem, wie Sie meinen, notwendigerweise Empfängerland, zugegebenermaßen unter schwierigen wirtschaftlichen äußeren Bedingungen, wohl auch etwas mit den Ergebnissen jahrelanger verfehlter Politik zu tun haben könnte?
Das war ein schwach entwickeltes Fragezeichen.
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({0}): Ich kann, Graf Lambsdorff, Ihre Frage nicht verstehen. Bis einschließlich 1985 hat Hamburg Finanzausgleich nach Bayern und damit auch nach München gezahlt. Soll das heißen, daß die bayerische Landesregierung so miserabel gearbeitet hat, so daß Hamburg als gut geführter sozialdemokratischer Stadtstaat über die ganze Zeit, seit 1952, Finanzausgleich zahlen mußte und daß aus Hamburg pro Einwohner mit 4 000 DM - Baden-Württemberg als nächster Zahler folgt erst mit 2 000 DM pro Kopf - soviel geleistet werden konnte, weil Hamburg politisch so gut geführt worden ist?
({1})
- Nein, meine Damen und Herren, der Beifall darf nicht bedeuten, daß das an der politischen Führung liegt, denn die Zahlen sind eben auf Grund der Gesetze so ungerecht. Ich behaupte nicht, daß Hamburg so viel stärker ist, als München oder Bayern gewesen wäre, sondern ich sage nur: Uns wird etwas zugemutet.
({2})
- Natürlich müssen Sie es vergleichen. Ich habe den berechneten Status von München mit dem berechneten Status von Hamburg verglichen, und wir haben gezahlt. Ich fordere ja nicht, daß - ({3})
- Richtig, man hat uns schrittweise ausgeblutet. Wir haben seit 1970 7 Milliarden DM gezahlt.
({4})
Das müssen Sie doch einmal verstehen.
({5})
Wenn wir heute feststellen, daß uns im Vergleich zu Städten wie München, Stuttgart und Hannover 800 Millionen DM im Jahr fehlen und wir immer noch kraft eines Bundesgesetzes zum Zahlen verpflichtet sind, dann muß man doch sagen: das Gesetz muß so geändert werden, daß das aufhört. Graf Lambsdorff - Sie haben einen gewissen Einfluß auch auf diese Bundesregierung, das kann man nicht bestreiten -, machen Sie sich stark, und ändern Sie das Gesetz so, daß Hamburg gerecht behandelt wird!
({6})
Herr Bürgermeister, lassen Sie sich einmal einen Moment unterbrechen. Ich habe auch aus Gründen der Lebhaftigkeit sehr viele Zwischenfragen zugelassen und finde, daß es auch eine lebhafte Debatte war. Ich habe die Fragen auch nicht auf die Fraktionszeit angerechnet, auf die Ihr Konto geht. Trotzdem, Herr Bürgermeister - obwohl ich das nicht darf - : Irgendwann ist Ihre Redezeit dann auch vorbei.
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({0}) : Das ist richtig. Ich habe auch nicht die Absicht, hier bis zum Abend zu stehen.
({1})
Das liegt schon daran, daß wir heute nachmittag eine Bürgerschaftssitzung in Hamburg haben, und da muß ich auch sein. Nein, Herr Präsident, wenn Sie mir nur erlauben, jetzt kurz zusammenzufassen, weil er mit Recht gefragt hat: Was würden Sie denn machen?
Arbeitszeitverkürzung muß unterstützt und darf nicht blockiert werden.
({2})
Da hat sich auch die Bundesregierung korrigiert.
Das Konzept Arbeit und Umwelt ist nicht irgendein staatlich finanziertes Beschaffungsprogramm, sondern heißt, daß Mittel, die sonst in einen nicht unmittelbar struktur- und beschäftigungswirksamen Verbrauch gehen, für eine sinnvolle Veränderung der Gesellschaft umgesetzt werden und zugleich Arbeitsplätze geschaffen werden. Das ist so falsch nicht.
({3})
Ich wiederhole hier das Plädoyer für den zweiten Arbeitsmarkt. Das muß doch möglich sein. Andere Länder machen uns das vor. In Schweden ist die Arbeitslosigkeit bei 2,3 % und die schwedische Industrie - ({4})
- Graf Lambsdorff, ich habe mit einer Begleitung der
Hamburger Kammer und anderen eine Reise dorthin
Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi ({5})
gemacht, und es ist ein Studienbericht erstellt worden; den schicke ich Ihnen zu. Es ist unzweifelhaft so: Die Wettbewerbsfähigkeit der schwedischen Industrie ist unbestritten. Die Schweden sagen uns: Hätten wir das Konzept des zweiten Arbeitsmarktes nicht, wäre unsere Arbeitslosigkeit bei 7 %. So ist sie bei 2,3 %.
({6})
Das wird durch staatliche Politik gemacht.
Wir schulden das doch den Millionen Arbeitslosen. Da ist die Arbeit eines Bürgermeisters vielleicht doch etwas anders als die eines Abgeordneten im Deutschen Bundestag oder eines Bundesministers. Man sieht die Menschen jeden Tag, man hat mit ihnen zu tun. Sie kommen in die Sprechstunde, sie sprechen einen an. Das persönliche Unglück dieser Menschen muß einen doch dazu bewegen, mit mehr Phantasie Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Man kann das doch nicht einfach lassen.
({7})
Wir müssen doch in dieser Republik endlich in der Lage sein, angesichts des Bedarfs, den es gibt - ich nenne nur den Umweltschutz - , die Arbeitskräfte, darunter auch talentierte Ausgebildete - es ist doch nicht so, daß die alle nicht eingesetzt werden könnten: 40jährige hochqualifizierte Handwerker -, die arbeiten wollen, das Geld, das wir haben und das wir sonst für Arbeitslosigkeit bezahlen, und die Aufgaben, die es zu lösen gibt, zusammenzubringen, um auf diese Weise Arbeitsplätze zu schaffen, und wir dürfen nicht resignieren, wie dies diese Bundesregierung tut.
({8})
Man kann - das sage ich zu Beginn der Legislaturperiode - mit einer konsequenten Politik in diesem Feld innerhalb der vier Jahre die Arbeitslosigkeit halbieren. Sie werden leider zu mehr Arbeitslosigkeit führen und nicht zu geringerer Arbeitslosigkeit.
({9})
Ich bin im übrigen doch betroffen gewesen, Herr Kollege Bangemann, daß Sie vorhin gesagt haben, die Wahlen hätten ja diese Politik bestätigt. Ich glaube nicht, daß der breite Weg nach rechts, wie er in den USA und in Großbritannien gegangen worden ist, am Ende dazu führt, daß diese Länder eine größere; gerechtere Stabilität gefunden haben. Es mag ja sein, daß man in einer Situation, in der jeder zunächst an sich selbst denkt, sagen kann, man gewinnt Wahlen, wenn man an die appelliert, die die Arbeitsplätze haben, und die beiseite schiebt, die sie nicht haben.
({10})
Aber ich sage hier: Es wird sich rächen. Man darf sich nicht auf Wahlergebnisse beziehen und sagen: Dann ist die Wirtschaftspolitik wohl richtig. Das ist keine Antwort, meine Damen und Herren.
({11})
Auf jeden Fall möchte ich als ein, ich darf nicht sagen: Regierungschef, denn ich bin nur Kollege im
Senat, aber als ein Bürgermeister und Ministerpräsident eines nördlichen Bundeslandes sagen - ({12})
- Das ist - wie nach jeder Verfassung - an sich selbstverständlich, daß mit der Neubildung oder des Zusammentretens eines Parlamentes die Regierung zurücktritt. Nur, der Hamburger Senat hat eine andere Verfassung, und wir waren so fair, daß wir, obwohl die Verfassung das nicht vorschreibt, das getan haben. Da müßten Sie eigentlich froh sein, daß Sie einen so fairen Senat in Hamburg haben, der sich so verhält.
({13})
Ich muß sagen, daß der Norden der Republik aus dieser Bundestagsdebatte eigentlich nur enttäuscht herausgehen kann, denn die Bundesregierung hat hier eine Konferenzdebatte - Graf Lambsdorff hat sich sehr sachkundig über viele Konferenzen ausgelassen -, eine Papierdebatte, die Herr Bangemann uns vorgetragen hat, und eine Reihe von fünf Selbstverständlichkeiten vorgeführt, die wir alle machen, die aber am Ende eben die Arbeitslosigkeit nicht beseitigt haben. Das alles hat nicht geholfen.
({14})
- Doch! Sie, Herr Stratmann, haben eine Menge vernünftiger Sachen gesagt. Das will ich Ihnen ganz offen sagen, das sehe ich so.
({15})
- Nein, nein. Ich bin immer der Meinung gewesen, daß es vernünftige Stimmen aus allen Parteien gibt. Wenn man das nicht mehr hören könnte, muß man schon sehr borniert sein. Wer von Ihnen das gesagt hat, der muß doch wirklich Scheuklappen haben.
({16})
Nein, meine Damen und Herren, unter Ihrer Führung, mit dieser Regierung wird die Bundesrepublik in tiefere Arbeitslosigkeit hineingestürzt werden. Wir werden Ihnen diese Bilanz immer wieder vorhalten.
({17})
Das Wort hat der Abgeordnete Glos.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der schwache, aber langanhaltende Abschiedsbeifall erinnert mich an eine Szene, die wir vor vier Wochen hier erlebt haben. Hier an dieser Stelle stand Herr Krollmann und hat seine Abschiedsrede als hessischer Ministerpräsident gehalten.
({0})
Auch er hat seine Angst zu überspielen versucht. Ihnen ist das heute etwas besser gelungen, Herr „noch regierender Bürgermeister" der Freien und Hansestadt Hamburg. Sie haben heute ein paar Tatsachen gebracht, die man näher beleuchten muß. Auch ich habe das Ifo-Gutachten in der Hand gehabt.
({1})
Das Ifo-Gutachten kommt aber per Saldo zu dem Schluß, daß die Ausgleichszahlungen, so wie dieses System bisher praktiziert worden ist, richtig sind. Ich bin überzeugt, daß man im Laufe der Finanzverhandlungen zwischen den Bundesländern und mit dem Bundesfinanzminister zu einer Lösung kommt, die den Länderinteressen insgesamt gerecht wird.
Aber eines ist ganz sicher, Herr von Dohnanyi: Wenn der bayrische Ministerpräsident nicht mit einem ungeheuren Einsatz das Airbus-Projekt gepusht, in die Welt gesetzt und durchgetragen hätte, gäbe es in der Freien und Hansestadt Hamburg bedeutend weniger Arbeitsplätze.
({2})
Ich möchte jetzt auf die Rolle der Steuerpolitik beim Wirtschaftsaufschwung und bei der Wirtschaftsentwicklung eingehen. In dem Gutachten des Sachverständigenrats und der Forschungsinstitute nehmen wegen dieser bedeutenden Rolle Überlegungen zur Steuerpolitik einen sehr breiten Raum ein. Die Steuerpolitik ist schließlich nicht nur ein Gegenstand der allgemeinen Wirtschaftspolitik, sondern sie ist vor allen Dingen ein wirtschaftspolitisches Instrument. Der Sachverständigenrat bringt diese Tatsache dadurch zum Ausdruck, daß er die große Steuerreform als ein Kernstück der Wirtschaftspolitik für mehr Wachstum und für mehr Beschäftigung bezeichnet.
Wir von der CDU/CSU/FDP-Koalition haben den durch die Haushaltskonsolidierung gewonnen finanzpolitischen Spielraum genutzt, die Steuerbelastung aller Bürger und ganz besonders die Steuerbelastung der Wirtschaft abzubauen. Im Mittelpunkt der Entlastungen auf Grund des Steuersenkungsgesetzes 1986/88, das mit einem Nettoeinnahmeverzicht von ca. 20 Milliarden DM gegen die Stimmen der Opposition verabschiedet worden ist, standen die Abflachung der scharf angestiegenen Steuerprogression, die Anhebung des Grundfreibetrages sowie die Erhöhung der Kinderfreibeträge. Wie von uns bereits vor der Wahl angekündigt und in den Koalitionsverhandlungen vereinbart, werden wir diese richtige, erfolgreiche Politik in den nächsten Jahren fortsetzen. Meine Partei, die CSU, hat hier einen herausragenden Beitrag geleistet. Wir haben ein Entlastungsvolumen von ca. 44 Milliarden DM vorgesehen. Der Entlastungsschwerpunkt wird im Jahre 1990 liegen. Mit 5,2 Milliarden DM werden wir allerdings die zweite Stufe des Steuersenkungsgesetzes im kommenden Jahr ausbauen.
Wesentliche Elemente der großen Steuerreform sind im Bereich der Einkommensteuer die Linearisierung der Progressionszone, die weitere Anhebung des Grundfreibetrags und der Kinderfreibeträge sowie die Absenkung von Eingangs- und Spitzensteuersatz um jeweils 3 Prozentpunkte, weiterhin die Senkung des Einbehaltungssatzes der Körperschaftsteuer auf 50 und als ganz spezielle mittelstandsspezifische Maßnahme die Verbesserung der Abschreibungsmöglichkeiten für Klein- und Mittelbetriebe sowie die Erhöhung des Vorwegabzugs für Vorsorgeaufwendungen. 500 000 Steuerzahler, die bisher steuerpflichtig sind, werden dann nicht mehr steuerpflichtig sein. Die SPD bezeichnet dieses Maßnahmenpaket mit der bereits im Wahlkampf abgenutzten These der sozialen Kälte und der Behauptung einer Umverteilung von unten nach oben.
({3})
Ich muß allerdings sagen: Wer überhaupt keine Steuern zahlt, den kann man von der Steuer auch nicht entlasten. Das ist so ähnlich wie bei dem Mädchen, das nicht besonders ansehnlich war: es kann seine Schönheit nicht verlieren.
({4})
- Das gilt selbstverständlich auch für den Mann.
({5})
In diesem Moment ist es mir eingefallen.
Diese Argumente lassen sich nicht wegdiskutieren. Wir werden die falsche Ideologie, die auf der linken Seite verbreitet ist, alles Geld würde zunächst dem Staat gehören und es sei von der Gnade des Staates abhängig, wieviel Geld der Bürger bekomme, wieder zurückdrängen. Wir werden dafür sorgen, daß der Bürger von dem Geld, das er selbst verdient und erarbeitet hat, einen möglichst großen Teil behalten kann. Das wirkt sich auch wirtschaftspolitisch vernünftig aus.
({6})
Die Erkenntnis, daß man nur dem, der sehr viel Steuern zahlt, mehr zurückgeben kann, hat es auch bei der SPD schon gegeben, Ich denke daran, daß 1981 Ihre Steuerreform einen Verheirateten mit einem zu versteuernden Einkommen von 20 000 DM um ganze 4 DM entlastet hat, während derjenige mit einem Einkommen von über 100 000 DM 1 844 DM weniger Steuer zahlen mußte. Um die Nettoauswirkungen für die öffentlichen Kassen allerdings gering zu halten, wurden damals die Mineralöl-, die Tabak-und die Branntweinsteuer angehoben. Besonders infam war es, daß die SPD damals das Kindergeld gekürzt hat.
Angesichts dieser Fakten wären Sie gut beraten - Frau Kollegin Matthäus-Maier, Sie haben inzwischen die Front gewechselt - , wenn Sie die Erkenntnisse jetzt weitervermitteln würden und zugäben, daß diese ganze Kampagne vom Sozialabbau, von der Umverteilung von unten nach oben jeglicher Grundlage entbehrt.
({7})
Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage von Frau MatthäusMaier zu hören?
Ja, gern.
Bitte schön.
Herr Kollege Glos, sicher ist richtig, daß derjenige, der sehr viel mehr Steuern zahlt, auch mehr entlastet werden muß.
Frage eins: Halten Sie es für richtig, daß nicht nur die absolute Entlastung, sondern sogar die relative Entlastung sehr viel höher ist als. bei Geringverdienern?
({0})
- Selbstverständlich ist das richtig.
Zweitens: Halten Sie es für richtig, daß Höchstverdiener und Einkommensmillionäre um 20 000, 25 000 oder 30 000 DM im Jahr entlastet werden, also um so viel Geld, wie Normalverdiener in diesem Land netto überhaupt verdienen?
({1})
Ich habe schon einmal gesagt: Wer keine Steuer zahlt, kann auch nicht von der Steuer entlastet werden. Wer sehr hohe Steuern zahlt, wird natürlich stärker entlastet. Aber ich komme noch zur Verteilungswirkung der Steuerentlastung. Sie können sicher sein, daß ich Ihre Frage dann beantworten werde.
Die in den Koalitionsvereinbarungen beschlossenen Steuertarife bewirken eine nachhaltige Entlastung aller Steuerpflichtigen, eine Nettoentlastung von 25 Milliarden DM und dann eine Summe von 19 Milliarden DM, die wir allerdings noch aufbringen müssen. Unserer Meinung nach sollte sie hauptsächlich durch den Abbau von Subventionen und von komplizierten steuerlichen Ausnahmetatbeständen, die für den einzelnen Bürger nicht mehr durchschaubar sind, aufgebracht werden. Möglicherweise sind wir dann noch gezwungen, bestimmte Verbrauchsteuern kompensatorisch anzuheben. Aber unser Ziel muß sein, diese 19 Milliarden DM durch den Abbau der vorgenannten Begünstigungen und Ausnahmetatbestände zu finanzieren. Sie sind herzlich eingeladen, daran mitzuwirken und mitzuhelfen.
Mit der vorgesehenen Steuerreform tragen wir auch der vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung erhobenen Forderung nach einer offensiven wirtschaftspolitischen Strategie Rechnung. Durch die vorgesehene Steuerreform wird die Belastung für alle Steuerzahler merklich verringert, werden die dynamischen Antriebskräfte des wirtschaftlichen Wachstums verstärkt und gewinnt die Bundesrepublik Deutschland als Land für Kapitalanlagen und wirtschaftliche Investitionen im internationalen Vergleich vor allem wieder zusätzlich an Attraktivität. Wir haben selbstverständlich auch einen Wettbewerb der Steuersysteme untereinander, wenn es um Ansiedlungen und die Neuschaffung von
Arbeitsplätzen geht. Auch diese Tatsache müssen wir berücksichtigen.
Letztendlich wird unsere Steuerreform dazu führen, daß alle Bürger nachhaltig von der Steuer entlastet werden. Wenn Sie von der SPD behaupten, die vorgesehene Steuerreform sei unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten falsch angelegt, so müssen wir diese Behauptung zurückweisen; denn diese Behauptung dient lediglich im Zusammenhang mit dem Gerede von einem wirtschaftlichen Abschwung, wie es heute wieder von Herrn Roth gebracht worden ist, dazu, daß Sie wieder Werbung für Ihr überholtes Programm „Arbeit und Umwelt" machen wollen.
({0})
- Es ist überholt, staatlich finanzierte Ausgabenprogramme aufzulegen, die letztendlich einen Strohfeuereffekt verursachen
({1})
und dann nur Schulden hinterlassen. An diesen Schulden haben wir ja so hart zu kauen.
({2})
Das ist doch unser Problem, dem wir uns in der Haushalts- und Finanzpolitik gegenübersehen, Herr Kollege Ehrenberg. Sie wissen das ganz genau.
Wir wollen die langfristig wirkenden Kräfte für ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum stärken. Wir, die Union, und unser Koalitionspartner glauben nicht daran, daß man die Konjunktur kurzfristig sinnvoll über die Steuerpolitik steuern kann, und wir haben auch nicht die Absicht, dies zu erproben; denn der Preis dafür wäre ein Verzicht auf die Stetigkeit unserer Steuer- und Finanzpolitik, und dieser Preis ist für alle Betroffenen zu hoch. Wir orientieren uns konjunkturpolitisch nicht an vermeintlich kurzfristigen Handlungszwängen. Damit befinden wir uns auch wieder in Übereinstimmung mit dem zitierten Sachverständigengutachten; denn hier heißt es:
Wo es der Geldpolitik oder der Finanzpolitik übertragen wird, ständig für Schub zu sorgen, muß es zu Verspannungen und - wichtiger noch - zu einer Gewöhnung an die expansiven Impulse des Staates kommen.
Oder:
Selbst wenn es mit einer staatlich forcierten Nachfrageexpansion gelänge, kurzfristig die Beschäftigung verstärkt zu steigern, so wäre dies doch unter den gegebenen Bedingungen keine Steigerung von Dauer. Private Haushalte und Unternehmen hätten die Last höherer Steuern oder höherer Zinsen zu tragen. Investitionen versprächen insoweit weniger Ertrag. Die Ausweitung der Produktion würde früher auf Kapazitätsengpässe stoßen. Das Ende des Aufschwungs wäre programmiert und dann auch der erneute Einbruch bei der Beschäftigung.
Genau dies alles wollen wir vermeiden. Deswegen betreiben wir eine Finanzpolitik, die längerfristig angelegt ist, die nicht kurzfristigen Aktionismus darstellt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie können sich darauf verlassen, daß unsere Finanzpolitik auch in Zukunft zuverlässig kalkulierbar bleibt, daß unsere Steuerpolitik inhaltlich und zeitlich den wirtschaftspolitischen Erfordernissen gerecht wird
({3})
und daß wir zudem mit unserer Steuer- und Finanzpolitik einen entscheidenden Beitrag zu einem stetigen und dauerhaften Wirtschaftswachstum leisten werden.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde mich bemühen, mit zehn Minuten auszukommen, damit meinen Kollegen Ehrenberg und Müller auch noch Redezeit zur Verfügung steht.
Wir haben heute hier von der Regierung verständlicherweise viele schöne Dinge gehört. Wenn man Ihnen glauben will, sieht alles hervorragend aus. Sie werden von der Opposition nicht verlangen, daß wir dies alles nachbeten; das ist auch nicht unsere Aufgabe. Vielmehr gibt es meines Erachtens in der Wirtschaftspolitik drei Bereiche, in denen Sie elementar versagt haben. Das eine ist die extrem hohe Arbeitslosigkeit, gegen die nichts geschehen ist, die gestiegen ist Das ist deutlich von uns herausgestellt worden.
({0})
Der zweite Bereich, über den wir etwas weniger gesprochen haben, ist die extrem ungerechte Einkommensverteilung, die in den letzten fünf Jahren unter Ihrer Regierung, mit Ihrer Politik wesentlich ungerechter geworden ist, als das früher der Fall war. Das können Sie auch nachlesen.
({1})
Schließlich haben wir extreme Risiken im Bereich der Außenwirtschaft zu verzeichnen. Auch da tut die Bundesregierung nichts oder nur sehr, sehr wenig, um diesen Gefahren entgegenzutreten. Heute konnten Sie der Presse entnehmen: Wir haben jetzt den niedrigsten Dollarkurs seit sieben Jahren, und man befürchtet, daß das zu Preissteigerungen in den Vereinigten Staaten führt. Die Befürchtungen sind berechtigt. Wir fürchten auch Preissteigerungen bei uns; aber wir fürchten in erster Linie, daß die einzige Stütze der Konjunktur, nämlich der Export, noch weiter kaputtgeht und damit noch mehr Arbeitslosigkeit entsteht.
({2})
- Herr Wissmann, die nominalen Zinsen sind bei uns
zwar gesunken - das gebe ich gerne zu - , aber die
realen Zinsen sind bei uns noch immer viel zu hoch.
Und tun Sie doch nicht so, als würde die Steuerreform 1988 oder 1990 zusätzlich etwas an Nachfrage bringen. Wir brauchen jetzt binnenwirtschaftlich zusätzliche Nachfrage, nicht etwa 1988 oder 1990. Was erst dann kommt, löst unsere Probleme nicht.
Herr Dr. Jens, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Präsident, nur wenn es nicht angerechnet wird.
Ja, das ist gesichert. Dr. Jens ({0}): Bitte sehr, Herr Uldall.
Herr Kollege Jens, ist Ihnen bekannt, daß der renommierte AGA in Hamburg, der führende Zusammenschluß aller Außenhändler und der Binnengroßhändler in Norddeutschland, gerade heute in der „FAZ" festgestellt hat, daß quer durch alle befragten Branchen und Unterbranchen - 3 000
norddeutsche Betriebe wurden befragt - erklärt wurde, daß die Geschäftsentwicklung überwiegend zuversichtlich zu beurteilen ist?
Mir sind auch Untersuchungen des Ifo-Instituts bekannt, die ein bißchen breiter angelegt sind und die auch ein bißchen umfassender sind als das, was Sie eben zitiert haben, die besagen, daß die Erwartungen der deutschen Wirtschaft deutlich nach unten gerichtet sind. Herr Uldall, vielleicht lesen Sie das auch noch einmal nach.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe mir einmal angeschaut, wie es international mit unserer Wirtschaft eigentlich wirklich aussieht. Wir alle wissen ja, daß wir in die internationale Wirtschaftsentwicklung eingebunden sind. Das läßt sich ja nicht leugnen. Vergleichen wir einmal die Situation in einem Jahr unmittelbar vor einer schweren Ölpreisexplosion, nämlich im Jahr 1977, mit der heutigen, so müssen wir feststellen: Unter 13 vergleichbaren Industrienationen hat die Bundesrepublik hinsichtlich des Zuwachses des BSP 1977 den 6. Rang eingenommen - nicht übermäßig gut - , aber heute stehen wir, wenn wir den Zuwachs des Bruttosozialprodukts betrachten, an 10. Stelle.
Bei den Verbraucherpreisen, auf die die Regierung immer so stolz ist, hatten wir 1977 unter 13 Industrienationen den 2. Rang. Heute haben wir, obgleich die Preise - das gebe ich zu - stabil sind, international gesehen nur noch den 3. Rang inne.
Betrachten wir die Arbeitslosigkeit, so nahmen wir 1977 den 4. Rang ein, hatten die viertbeste Position. 1986 hatten wir die 8. Position.
Wir haben uns also in allen Bereichen - Wachstum, Preise und Arbeitslosigkeit - international gesehen wohlgemerkt verschlechtert.
({0})
- Das sind die Tatsachen, und das können Sie in den Weltkonjunkturdaten des Hamburgischen Weltwirtschaftsarchivs nachlesen. Vielleicht befassen Sie sich einmal damit.
Die Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung hat also nicht stattgefunden, oder sie hat, sofern sie stattgefunden hat, im Vergleich zu dem, was früher der Fall war, versagt.
({1})
Meine Damen und Herren, was die Arbeitslosigkeit angeht, will ich nur noch eine Bemerkung machen. Ich glaube, Sie alle von der Regierung haben das kleine Büchlein eines Engländers mit dem Titel „How to lie with statistics" - „Wie lüge ich mit der Statistik?" - gelesen. Das haben Sie alle hervorragend studiert. Sie können nämlich nicht einfach die Februarzahlen von 1982 mit den Oktoberzahlen von 1986 vergleichen. Wenn Sie nur ein bißchen Fairneß an den Tag legen, können Sie doch nur Jahresdurchschnittszahlen heranziehen, also den Durchschnitt 1982 mit dem Durchschnitt 1986 vergleichen. Dazu muß ich nun sagen: Wir haben heutzutage, im Jahre 1986 - , noch nicht einmal wieder die Beschäftigtenzahl aus dem Jahre 1981 erreicht.
({2})
Falls Sie es nicht glauben, nehmen Sie doch einmal die Monatsberichte der Deutschen Bundesbank zur Hand; da können Sie das schließlich nachlesen.
({3})
Was uns besondere Sorgen macht - die Arbeitslosigkeit will ich jetzt einmal zur Seite legen - , ist die extreme Ungerechtigkeit bei der Verteilung. Karl Schiller hatte immer von der sozialen Symmetrie gesprochen, die gewahrt bleiben muß. Sie kennen das Wort offenbar nicht mehr. Vollzogen hat sich eine gigantische Umverteilung von unten nach oben. Von 1982 bis 1986 stieg das Nettoeinkommen aus unselbständiger Arbeit um 50 Milliarden an. Das Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen erhöhte sich im gleichen Zeitraum um 144,5 Milliarden. Rund 90 Milliarden haben wir den Arbeitnehmern in den letzten fünf Jahren weggenommen und den im Markt stehenden Unternehmen gegeben. Das waren doch nicht die Kleinunternehmen, die Sie sonst immer so ans Herz drücken, Herr Cronenberg, sondern das waren die deutschen Großbanken und das waren die Konzerne wie Siemens und Mercedes, denen Sie kräftig gegeben haben. Dies kann nicht unsere Politik sein, und dieses wird niemals unsere Politik sein, meine Damen und Herren.
({4})
Es wird also wirklich höchste Zeit, daß in der Wirtschaftspolitik die Weichen neu gestellt werden. Die reine angebotsorientierte Politik, so wie sie von Ihnen praktiziert wird, hat sich als absurd herausgestellt.
Ich will noch einen zweiten Gedanken aufgreifen. Der entscheidende Unterschied zwischen den Sozialdemokraten und der CDU/CSU, der FDP und auch den GRÜNEN liegt unseres Erachtens darin, daß wir glauben, der Staat habe sehr wohl Verantwortung. Er hat Mitverantwortung für eine hohe Beschäftigung. Das kann man aus dem Grundgesetz entnehmen. Das kann man auch § 1 StWG entnehmen. Wir setzen also darauf, daß der Staat hier aktiv eingreift, um diese Probleme in der Wirtschaft zu beseitigen. Aber Sie wollen offenbar davon nichts wissen.
({5})
- Auch die GRÜNEN nicht, das Gefühl habe ich.
({6})
- Herr Stratmann, wer diese Verantwortung anerkennt, der kann dem Staat nicht Daten über Bevölkerungsstruktur, Erwerbstätigkeit oder Einkommen vorenthalten. Wer gegen die Volkszählung zu Felde zieht, ist gegen eine rationale Wirtschaftspolitik.
({7})
Wir sind aber für rationale Wirtschaftspolitik.
Meine Damen und Herren, wir glauben selbstverständlich nicht an den allwissenden und alles regelnden Staat. Das ist Quatsch. Das wäre eine bösartige Unterstellung. Aber Helmut Schmidt hat recht, wenn er jetzt gerade noch festgestellt hat:
Es kann einer noch so sehr von der Priorität der Privatwirtschaft überzeugt sein. In einigen Bereichen hilft uns das beim besten Willen nicht weiter.
Ich habe selten diese Ehre, aber ich muß den Papst zitieren. Er hat in Bottrop festgestellt:
Die unverschuldete Arbeitslosigkeit ist ein gesellschaftspolitischer Skandal. Man kann bei der Beseitigung der Arbeitslosigkeit nicht allein auf den Marktmechanismus vertrauen.
({8})
Aber das tun Sie eben. Dagegen wehren wir uns. Das ist Ihr elementarer Fehler.
({9})
- Das gelbe Lämpchen leuchtet schon auf.
({10})
Heißt das, daß Sie keine Zwischenfrage mehr zulassen?
Nein. Ich will meinen Kollegen nichts wegnehmen. Ich will langsam zum Schluß kommen.
Ich will nur eines sagen. Ich glaube, Herr von Dohnanyi hat recht, wenn er sagt, Sie versagen, wenn es darum geht, über Strukturpolitik verstärkt nachzudenken. Wir brauchen eine vorbeugende, eine zukunftsorientierte Industriestrukturpolitik. Sie können es doch den Bauern, den Werftarbeitern, den Stahlarbeitern nicht verdenken, daß sie bis zum letzten um ihre Arbeitsplätze kämpfen, wenn sie keine Alternativen haben.
Herr Bangemann hat unrecht, wenn er meint, das sei eine Sache etwa von Nordrhein-Westfalen oder von Baden-Württemberg. Diese Sache ist eine Sache der Bundesregierung. Man kann doch nicht etwa die Automobilindustrie oder die chemische Industrie in Baden-Württemberg anders behandeln als in Niedersachsen oder Schleswig-Holstein. Für Industriestrukturpolitik ist die Bundesregierung verantwortlich. Mittlerweile gibt es sogar liberale Professoren wie etwa Gemper, der sich in den Orientierungen jüngst ebenfalls für eine Industriestrukturpolitik eingesetzt hat, Herr Kollege Lammert.
Wir haben ja Ansätze: verstärkte regionale Strukturpolitik, mehr Mittel für Lohnkostenzuschüsse im Bereich von Forschung und Entwicklung. Das waren von uns konzipierte richtige Ansätze, die ausgebaut werden müssen.
Ich komme zum Schluß. Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung und ihre Wirtschaftsminister reden gerne und lautstark von einer Sozialen Marktwirtschaft. Nur: Wer sich die Forderungen der Väter dieser Sozialen Marktwirtschaft einmal wieder ansieht, der muß feststellen: Das Soziale ist dieser Bundesregierung längst verlorengegangen. Besser gesagt: Die Bundesregierung hat das Soziale an dieser Marktwirtschaft seit langem systematisch zerstört.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Saibold.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bisher wurde praktisch nur von einem Teil der Wirtschaft gesprochen. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, als hätten die meisten Redner einen Geldschrank im Kopf und sonst nichts! Einigkeit besteht darüber, daß produziert werden muß; aber kein Wort füllt darüber, wie und was produziert werden muß. Ökologische Probleme sind offensichtlich überhaupt nicht im Bewußtsein. Dabei fängt Umweltpolitik mit bei der Wirtschaft an.
Die andere Frage, die sich mir aufdrängt: Welchen Stellenwert haben eigentlich die Verbraucher und Verbraucherinnen in Ihrer Wirtschaftspolitik? Es handelt sich hier immerhin um die 60 Millionen Bundesbürger und -bürgerinnen, für die wir eigentlich stellvertretend hier sitzen. Die Verbraucher und Verbraucherinnen sind meist nur dann gefragt, wenn es darum geht, durch Mehrwertsteuererhöhungen das Loch im Staatssäckel zu stopfen, oder aber, wenn durch vermehrten Konsum die Wirtschaft angeheizt werden soll. Bundeswirtschaftsminister Bangemann rief 1986 sogar das „Jahr der Konsumenten" aus. Auch für 1987 erhofft sich die Bundesregierung laut Jahreswirtschaftsbericht 1987 „starke Impulse vom privaten Verbrauch." Die über 1 000 Milliarden DM, die den privaten Haushalten im Jahr zur Verfügung stehen, sollen das geplante und erhoffte Wirtschaftswachstum ermöglichen.
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Gefragt war und ist in Zeiten wirtschaftlicher Rezession der private Konsum und noch einmal der Konsum. Cäsar gab dem Volk „Brot und Spiele", um es bei Laune zu halten, und die Bundesregierung propagiert „Konsum und Sport",
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dabei immer die Wachstumsraten der Freizeitindustrie fest im Auge.
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Am besten wäre es, wenn die Verbraucher nur mehr einkaufen und wegwerfen würden, einkaufen und wegwerfen, einkaufen und wegwerfen - ohne die Folgen zu berücksichtigen. Es wird immer deutlicher, daß die Wirtschaft nicht mehr für die Bevölkerung da ist, sondern die Bevölkerung für die Wirtschaft.
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- Ich werde es Ihnen schon noch aufzeigen. - Doch immer mehr Menschen machen da nicht mehr mit; denn zu groß sind die negativen Auswirkungen unseres bisherigen Wirtschaftens, und die Folgen treffen die Schwächsten unserer Gesellschaft am stärksten, .die Kinder und Kranken. Pseudokrupp, Leukämie, Allergien und viele andere Krankheiten sind heute auf Grund der schleichenden Vergiftung an der Tagesordnung. Nicht einmal die Tatsache, daß keine schadstofffreien Lebensmittel in der Bundesrepublik mehr erzeugt werden können, noch die alarmierende Belastung der Muttermilch waren Anlaß für eine Umstrukturierung unserer Produktionsformen. Selbst nach Tschernobyl heißt es bei uns: Weiter so!
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Verbraucherschutz und Verbraucherpolitik führen in der Bundesrepublik ein Schattendasein. Daran zweifelt ja wohl niemand. Die Kompetenz, darüber zu entscheiden, was für die Verbraucher und Verbraucherinnen relevant ist, beansprucht nach wie vor der Wirtschaftsminister und die ihn beratende Wirtschaftslobby. Zwar gibt es auch eine staatliche Verbraucherpolitik, doch das ist mehr ein Alibi. Wenn z. B. die Verbraucherzentralen Informationen herausgeben, die der einen oder der anderen Lobby nicht passen, dann werden ihnen einfach die Bundes- oder Landesmittel gestrichen. Dabei sind die bereitgestellten Haushaltsmittel für die Konsumenteninformationen geradezu erbärmlich. Bund, Länder und Gemeinden haben 1985 lediglich 52 Millionen DM an die Verbraucherorganisationen weitergeleitet. Das ist ein Tausendstel der Werbeausgaben der Wirtschaft! Deshalb fordern wir GRÜNEN nicht nur ein Werbeverbot für gesundheits- und umweltschädliche Produkte, sondern vor allen Dingen mehr Geld für die Verbraucherarbeit.
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Umweltschutz ist heute gleichzeitig Verbraucherschutz, und umgekehrt: Verbraucherschutz ist Umweltschutz. Das beste Beispiel hierfür ist die Chemie. Luft, Wasser, Boden und Nahrung werden nicht nur durch die Anwendung, sondern schon durch die Emissionen bei der Produktion und Verarbeitung der diversen chemischen Substanzen verseucht.
Es ist für die derzeitige Politik bezeichnend, daß den Verbrauchern als Leidtragenden dann auch noch die Schuld in die Schuhe geschoben wird, wenn Schäden auch nach vorschriftsmäßiger Verwendung von Chemikalien auftreten, so geschehen im Fall der Holzschutzmittelgeschädigten. Trotz zum Teil schwerwiegender Erkrankungen und erheblicher materieller Einbußen der Anwender kommen die Hersteller ungeschoren davon. Das ist ein geglücktes Stück Produzentenschutz. Mit Verbraucherpolitik hat das nichts zu tun!
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Was wir brauchen, ist eine aktive Interessenvertretung für Verbraucher und Verbraucherinnen und vor allen Dingen auch ein Verbandsklagerecht gerade für die Konsumenten.
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Konsequente Produkthaftung und Beweislastumkehr sind weitere Schritte auf dem Weg zu einem effektiven Verbraucherschutz.
Bundeskanzler Kohl hat ja in der Elefanten-Runde vor der Bundestagswahl vesprochen, sich für die Rechte der Chemieopfer einzusetzen. Wir sind sehr gespannt, ob und wie er dieses Versprechen einlösen wird und ob er darüber hinaus endlich auch Schritte einleiten wird, mit einem Umbau der chemischen Industrie anzufangen; denn das muß eigentlich die Konsequenz aus den ganzen Vorfällen sein.
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Wir brauchen einen Abbau von höchst gefährlichen Produktionslinien und einen Aufbau einer sanften, umwelt- und menschengerechten Chemieproduktion.
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Doch davon liest man im Wirtschaftsbericht natürlich nichts. Statt dessen setzen die Chemiekonzerne ebenso wie die Bundesregierung verstärkt auf die Gentechnologie, die nächste Großtechnologie mit unwägbarem Risikopotential! Wieder einmal soll der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben werden.
Meine Damen und Herren, ein weiteres Beispiel für verfehlte Verbraucherpolitik, das ich heute hier ansprechen möchte, ist der Lebensmittelbereich. Hier wird nämlich ganz besonders deutlich, welche Funktionen den Menschen in diesem unserem Lande zugedacht sind: Zum ersten sollen die Verbraucher und Verbraucherinnen die Überschüsse einer falschen Agrarpolitik beseitigen.
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Denken Sie nur an die Werbetrommel der CMA, die uns immer noch einreden will, noch mehr Fleisch- und Milchprodukte zu essen, wobei selbst die Deutsche Gesellschaft für Ernährung zu einer starken Reduzierung des Fleischverbrauchs rät.
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Das will ja schon etwas heißen, wenn diese Gesellschaft das tut.
Das zweite: Manche Herren in der Ernährungsindustrie betrachten uns Verbraucher und Verbraucherinnen anscheinend auch als gewinnbringende Abfallbeseitigungsanlagen, und die Regierungen decken sie. Ein Beweis dafür ist ja gerade der neuerliche Vorfall mit dieser stinkenden Flüssigeibrühe, der sich ja in Baden-Württemberg wiederholt hat.
Zum dritten: Wir werden alle, auch Sie, als Versuchskaninchen im Großversuch für die chemische Industrie benutzt. Die Wissenschaft wäre sicherlich ganz froh über diese kostenlosen Untersuchungsobjekte, wenn sie nicht schon längst überfordert wäre.
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Die chemische Industrie hat nämlich auch in diesem Bereich, im Lebensmittelbereich, überall die Finger drin, angefangen beim Anbau und der Tierhaltung über die Lagerung bis hin zur Verarbeitung, Aromatisierung, Färbung, Vitaminisierung und Konservierung unserer Lebensmittel. Und wenn wir krank sind, dann verspricht sie uns im Gewande der pharmazeutischen Industrie Hilfe. Ein tolles Geschäft ist das!
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- Wenn Sie sich nicht informiert haben, dann kann ich nichts dafür. Wir werden uns bei Gelegenheit genauer auseinandersetzen können. Mit den Interessen und Wünschen der Konsumenten hat dies alles nicht mehr das geringste zu tun. Die Konsumenten wollen gesunde, möglichst schadstoffund strahlenfreie Lebensmittel, die diesen Namen noch verdienen.
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Mehr und mehr wird auch die ökologische Erzeugung von Lebensmitteln zu einem Entscheidungskriterium beim Einkauf. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, wirklich etwas für die Verbraucher, die Bauern und die Natur tun wollen, dann fördern Sie den ökologischen Anbau, überall wo Sie nur können!
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Sorgen Sie für eine dezentrale Vermarktungsstruktur mit kurzen Wegen zwischen Erzeugern und Verbrauchern. Damit erhalten und schaffen Sie sinnvolle Arbeitsplätze auch auf dem Land. Damit erhalten Sie die Landschaft und die ländlichen Strukturen. Und die Erzeuger könnten ein höheres Einkommen erzielen, wenn sie von der Mark, die ich als Verbraucherin ausgebe, z. B. 70 oder 80 Pf bekämen statt wie jetzt nur etwa 20 bis 30 Pf.
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Doch das würde natürlich das Ernährungsgewerbe nicht zulassen, das heute den größten Teil unserer Ausgaben für die Nahrung einkassiert. Beim Ernährungsgewerbe handelt es sich um eine riesige Wirtschaftsmacht, die sich still und leise zwischen Erzeuger und Verbraucher geschoben hat. Allein die Ernährungsindustrie macht heute mehr Umsatz als die chemische Industrie, nämlich über 160 Milliarden DM im Jahr. Den Interessen dieser Wirtschaftsmacht wird
Rechnung getragen, nicht jedoch den berechtigten Wünschen der Bevölkerung.
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Nun noch kurz zu einem ganz trüben Kapitel, Herr Bötsch: dem Lebensmitteleinzelhandel. Die Bundesregierung und ihre wissenschaftlichen Ratgeber setzen ja unbeirrt auf die Leistungsfähigkeit des „dynamischen Wettbewerbs" ; angeblich auch zugunsten der Verbraucher. An der Situation im Lebensmitteleinzelhandel gemessen hat die Wirtschafts- und Verbraucherpolitik der Bundesregierung glatt versagt! Jahr für Jahr nimmt die Konzentration in diesem Bereich zu. Jahr für Jahr werden Tausende von kleineren Lebensmittelläden verdrängt. Nicht mehr Wettbewerb, sondern lediglich mehr Macht für Großunternehmen ist zu erkennen. Die Mammutunternehmen wachsen ungehindert weiter, siehe Metro-Durchmarsch beim Kaufhof.
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Zum Schluß möchte ich noch ein paar grundsätzliche Bemerkungen machen.
Frau Kollegin Saibold, Sie haben noch Zeit für einen Satz, aber mehr nicht; denn von Ihren Kollegen möchte noch jemand reden. Ihre Redezeit ist abgelaufen. Einen guten Schlußsatz erlaube ich Ihnen aber gerne noch.
Nur eine Wirtschaftsform, in der sinnvolle und notwendige Produkte ohne Schädigung der Natur, der Arbeiter und der Konsumenten, aber auch ohne Ausbeutung der Dritten Welt hergestellt werden, ist letztlich im Interesse der Konsumenten und sollte auch im Interesse der Wirtschaft sein. Meine Hoffnung auf das Umlenken der Bundesregierung ist praktisch bei Null, fast bei Doppelnull. Deswegen setze ich auf die privaten Akteure - wie auch die Regierung - und werde alles tun, um eine Politisierung des Konsums zu erreichen, d. h. einen gezielten Einsatz des privaten Geldes; denn die angebliche Ohnmacht der Verbraucher muß in Macht verwandelt werden.
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Vizepräsient Westphal: Der Präsident muß natürlich anmerken, daß der Begriff „gut" nichts mit dem Inhalt der Rede zu tun hat und haben darf, sondern nur auf die rhetorischen Qualitäten gerichtet war.
Jetzt hat der Abgeordnete Kittelmann das Wort.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Saibold, zu Ihrem Redebeitrag fällt mir ein - das ist immer der Fall, wenn ein GRÜNER zu wirtschaftlichen Fragen Stellung nimmt - , daß Sie ein Problem haben: Ein riesiger Teil Ihrer Wähler wünscht sich im innersten Herzen, daß sie nie in die Verlegenheit kommen, unter Ihrer Wirtschaft - sollten Sie einmal regieren - leben zu müssen. Einem Teil der Schickeria macht es Spaß, Sie zu wählen - aus den verschiedensten Gründen, aber ganz bestimmt nicht wegen Ihres wirtschaftspolitischen Konzepts. So schlecht sind Ihre Wähler nicht.
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Herr Jens, Sie haben am Anfang Ihrer Rede drei Punkte genannt und hinterher gesagt, daß die CDU/ CSU falsche Daten und falsche Zahlen und auch die Lüge der Statistik verwende. Alleine die Tatsache, daß Sie gesagt haben, die Zahl der Arbeitslosen sei gestiegen, obwohl feststeht, daß sie 1986 um 70 000 gesunken ist, zeigt, daß Sie es mit der Wahrheit nicht genau nehmen.
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Keiner von uns ist nicht stark berührt von der hohen Zahl der Arbeitslosen. Aber ich finde, wir sollten das Problem nicht noch mit Zahlen verschlimmern, sondern wenigstens bei der Wahrheit bleiben.
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Ich komme zu einem Thema, das uns im analytischen Teil hoffentlich verbindet. Ich möchte einige Grundsatzprobleme der Weltwirtschaft und der Außenwirtschaft ansprechen. Die Weltwirtschaft und damit auch unsere Außenwirtschaft befinden sich, wie wir wissen und wir heute auch mehrfach gehört haben, in einer schwierigen Phase. Die weltwirtschaftlichen Risiken sind heute kaum noch überschaubar. Alle Handelspartner sehen sich enorm gewachsenen Herausforderungen gegenüber. Die deutsche Wirtschaft ist bekanntermaßen außerordentlich stark in die internationale Arbeitsteilung eingebunden. Weltwirtschaftliche Turbulenzen schlagen deshalb bei uns wesentlich schneller und stärker durch, als dies bei unseren eher binnenmarktorientierten Handelspartnern der Fall ist. Kein anderes Industrieland - dies betonen wir hier gemeinsam immer wieder - ist so stark eingebunden wie wir; ein Drittel unserer Waren und Dienstleitungen werden alljährlich auf dem Weltmarkt verkauft. Wir sind deshalb besonders anfällig, und wir müssen deshalb gegensteuern.
Dies können wir - dafür gibt es kein anderes Rezept - , indem wir Marktkräfte freisetzen, den Wettbewerb intensivieren und die wirtschaftspolitische Dynamik erhöhen. Deshalb steht für die CDU/ CSU der Ausbau der Freizügigkeit im internationalen Handel im Vordergrund ihrer Bemühungen.
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Unsere Wirtschaft - hier sind sich die Forschungsinstitute in ihrem Frühjahrsgutachten ja noch einig - sieht sich angesichts drastisch veränderter Preis- und Wechselkursrelationen einem schwierigen Anpassungsprozeß auf dem Weltmarkt gegenüber. Sie wissen, drei Institute verzeichnen, daß der Exportrückgang im Laufe dieses Jahres von einem leichten Aufschwung abgelöst wird. Zwei Institute gehen von einem Exportrückgang aus. Vor allen Dingen das IfoInstitut hat hier ja eine Meisterleistung vollbracht, indem es eigene Erkenntnisse später in Frage stellte. Die Vorhersagen von Wirtschaftsinstituten haben
häufig etwas von Wetterprognosen oder von Wahlprognosen an sich; auch sie können sich irren. Ab und zu fühle ich mich - gerade beim Ifo-Institut - an die alte Bauernregel erinnert, die heißt: Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich die Wirtschaft oder sie bleibt, wie sie ist.
Der norddeutsche Exporthandel - das ist heute schon erwähnt worden, und das muß doch für Herrn von Dohnanyi eine Beruhigung sein - sieht wieder hoffnungsvollere Zeichen und Zahlen, daß die seit Herbst 1985 anhaltende Talfahrt im Ausfuhrgeschäft zum Stillstand komme, und das müssen wir positiv sehen.
Letztlich hängt die tatsächliche Entwicklung davon ab, wie schnell sich die deutsche Wirtschaft den neuen Wechselkursrelationen auf den Auslandsmärkten anpassen kann, wie schnell sich die wirtschaftliche Entwicklung in den Industrieländern beleben läßt und die dämpfende Wirkung der höher bewerteten D-Mark nachlassen wird.
Wenn Sie, Herr Jens, darauf hinweisen - wie Sie es soeben getan haben -, daß der Dollar so erheblich nachgelassen hat, dann ist das ganz bestimmt nicht unsere Schuld, wie Sie es uns vorgeworfen haben; das Gegenteil ist der Fall. Herr Mitzscherling, Ihr Fachmann in dieser Frage - er ist im Moment leider nicht anwesend -, hat immer gesagt, daß es ist dringend notwendig, daß der überbewertete Dollar sinkt. Aber jetzt, da dieser Fall - wenn auch etwas zu stark - eingetreten ist, versuchen Sie, die Situation umzukehren.
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Aber was soll eine Opposition bei einer relativ erfolgreichen Wirtschaftspolitik anderes machen? Insofern nehme ich es Ihnen nicht übel.
Erfreulich ist, daß vor allen Dingen die Industrieunternehmen - nach den düsteren Aussichten vom Anfang dieses Jahres - wieder positiver nach vorn blicken, und die müssen es ja wissen: Die gucken in ihre Auftragsbücher, die müssen investieren, die machen die langfristige Planung.
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Die deutsche Wirtschaft ist gefordert, ihre Verkaufsstrategien im Ausland erheblich zu intensivieren. Überlegene technische Qualität, erstklassiger Kundendienst, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit sind wesentliche Gegengewichte zu den wechselkursbedingten Preisaufschlägen im Auslandsgeschäft. Das waren schon immer die hervorragenden Qualitätsmerkmale unserer Produkte. Deshalb ist es nötig, daß sich die Wirtschaft - unsere Wirtschaft kann es ja - immer wieder neu auf veränderte Gegebenheiten einstellt. Ich bin auch sicher, daß wir die Wirtschaft dabei erfolgreich unterstützen werden. Nach unserem Verständnis für Wirtschaftspolitik, können wir nur flankierende Hilfen geben. Die Lücken muß die Wirtschaft selbst erkennen, und sie muß sie auch selbst ausfüllen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sellin?
Ja, bitte.
Sie haben soeben ausgeführt, daß Sie die deutsche Wirtschaft zu weiteren Exportstrategien auffordern. Wie beurteilen Sie denn die Vorgänge in den Vereinigten Staaten, wo protektionistische Beschlüsse gefaßt werden? Der EG-Handel wird doch schweren Schaden leiden. Von daher wird es doch noch düsterer, um mich Ihrer Sprache zu bedienen.
Herr Kollege, ich werde gleich noch ausführlich darauf eingehen.
({0})
Wir werden die Wirtschaft in dieser Frage immer wieder daran erinnern - so wie wir es auch in unserer Großen Anfrage zum pazifischen Raum gemacht haben - , daß sie mehr Mut haben muß, auch intensiver in Märkte zu investieren, auf denen etwa die Japaner und die USA stärker sind. Ich denke z. B. an das pazifische Becken. Im pazifischen Raum haben wir noch nicht genug getan, und unsere Wirtschaft weiß das. Ich würde mich freuen, wenn wir in einer der nächsten Wirtschaftsdebatten hier positive Daten nennen könnten.
Ich erinnere an unsere immer wieder geäußerte Bitte und Forderung an die Regierung, die Wirtschaftsdienste zu verstärken. Gerade der Mittelstand und weniger die Großunternehmen bedürfen dieser Unterstützung. Was bisher geschehen ist, ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Deshalb fordert die CDU/ CSU immer wieder, die Wirtschaftsdienste zu verstärken, und zwar gerade in China, dem pazifischen Raum, Mittelamerika und Südamerika.
Wir versuchen, der Wirtschaft im Rahmen internationaler handelspolitischer Vorgaben den Weg zu ebnen. Unsere Außenwirtschaftspolitik muß sich besonders daran orientieren, zukunftsweisende Wege zu zeigen. Notwendig ist eine internationale Wettbewerbsorientierte Innovationspolitik.
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Obwohl sich die GATT-Verhandlungsteilnehmer das Ziel gesetzt haben, Protektionismus zu vermeiden, hat sich die daran geknüpfte Vision von weniger Protektionismus nicht bestätigt. Im Gegenteil. Wie der Alltag zeigt, sind Querelen und Sanktionen, also konterkarierende Maßnahmen, in Genf zu beklagen. Das bedeutet: Das GATT muß endlich auch von den großen Industrienationen ernstgenommen werden. Wir müssen weg von einer kurzfristigen und kurzsichtigen Handelspolitik.
Der nächste Wirtschaftsgipfel in Venedig bietet die Möglichkeit, endlich einmal praktisch umsetzbare Beschlüsse zu verabschieden. Leistungsbilanzungleichgewichte, internationale Verschuldung, Protektionismus , weitere Wechselkursentwicklung und künftige Entwicklung des Welthandels sind Fragen, die nur durch aktive und engagierte Kooperation
einer Lösung zugeführt werden können. Es genügt nicht, wenn die Handelspolitik lediglich auf aktuelle tagespolitische Ereignisse reagiert; notwendig ist ein zukunftsorientiertes Agieren.
Wir müssen auch weg von internationalen Konferenzen, die ohne große Erfolge im wesentlichen davon leben, daß man einander tagelang die Ohren vollredet. Die laufenden Warnungen der CDU/CSU, auf internationalen Konferenzen nicht den in diesem Fall unsinnigen Forderungen der Entwicklungsländer nach mehr Protektionismus nachzugeben, haben sich auf allen Ebenen als richtig erwiesen. Ich denke an das Seerechtsübereinkommen, das uns lange beschäftigt hat, und die bei UNCTAD-Konferenzen geschlossenen Rohstoffabkommen, die im wesentlichen lauter unpraktizierbare Preisabsprachen sind. Um so mehr müssen wir positive Beispiele setzen.
Liberale Handelspolitik kann nur umgesetzt werden, wenn alle am gleichen Strang ziehen. Ein Handelskrieg zwischen der EG und den USA konnte in letzter Minute abgewendet werden. Auf dem Fuß folgte ein handelspolitischer Konflikt zwischen den USA und Japan. Wenn die USA versuchen, die Prinzipien des freien und fairen Welthandels im Alleingang durchzusetzen und dabei ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen in den Vordergrund stellen, entsprechen sie nicht dem von ihnen erhobenen Anspruch der Fairneß. Drohgebärden, Sanktionen und einseitige Zwangsmaßnahmen sind völlig ungeeignet, einen liberalen Welthandel zu verwirklichen; eigenmächtig angeeignete Polizistenfunktionen darf es im System des freien Welthandels nicht geben.
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Der freie Welthandel ist notwendigerweise multilateral angelegt; bilaterale Absprachen wie das Chip-Abkommen zwischen Japan und den USA sind deshalb eine höchst fragwürdige Grundlage, Sanktionen als Maßnahmen im Interesse eines freien und liberalen Welthandels zu deklarieren.
({3}) - Danke, Herr Roth!
Es liegt uns fern, japanischen Bruch von Versprechen zu verteidigen. Aber was die USA machen, bedeutet: Hier werden Handelspolitik und Machtpolitik vermischt; schlimmer noch, es wird unter dem Mäntelchen der Handelspolitik reinste Machtpolitik praktiziert. Die USA sind dabei, Lücken in die freie Weltwirtschaft zu reißen, die sehr viel tiefer gehen und kaum mehr zu berichtigende Auswirkungen auf den Welthandel haben können, die ernster sind, als es der erste Anschein vermuten läßt. Die USA werden an ihre liberale Tradition erinnert. Es ist zu hoffen, daß sich Präsident Reagan mit seinem angekündigten Veto durchsetzt und daß die USA auf den Weg zurückkehren, den sie jahrelang vertreten haben.
({4})
Nur wenn die internationale Handelspolitik dem Anspruch gerecht wird, den wir uns selber setzen, vermag sie auch die Entwicklungsländer in das GATT-Regime einzubeziehen und ihnen die notwendige Hilfestellung zu bieten.
Die Industrieländer haben auf die Schuldenkrise bisher keine ausreichende Antwort gefunden. Wir können nicht Märkte schließen, wenn es für Entwicklungsländer die einzige Hilfe ist, durch Öffnung der Märkte zahlungsfähig zu sein. Ungeachtet all dessen, was man theoretisch als richtig erkannt hat, ist das praktische Versagen der großen Industrieländer in dieser Frage offenbar.
({5})
Es gibt sogar bei einem EG-Staat Fälle, die zu verurteilen sind. Dieser Staat macht z. B. Argentinien mit subventionierten Fleischwaren auf Drittmärkten Konkurrenz und nimmt ihm damit das einzige Mittel, womit etwa Argentinien in der Lage ist, seine Zahlungsbilanz zu verbessern. Das ist die falsche Politik, die wir auch von dieser Stelle hier geißeln müssen.
({6})
Meine Damen und Herren, es kann hier wirklich nicht alles gesagt werden, was getan werden muß, um internationale Wechselkurse zu konsolidieren. Aber' ich hoffe, daß sich gerade im Hinblick auf das Louvre-Abkommen, mit dem die Deutsche Bundesbank, die deutsche Bundesregierung wirklich Wesentliches geleistet hat, auch andere an die darin niedergelegten Vereinbarungen halten, die uns sehr viel Geld kosten. Denn sonst ist man irgendwann auch unsererseits müde, Vereinbarungen zu treffen, von denen man feststellt, daß es einseitig die deutsche Wirtschaft ist, die die Folgen zu tragen hat.
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Die neuesten Meldungen belegen, daß der deutsche Außenhandel trotzdem auch in diesem Jahr überraschend stark ist.
Unsere Wirtschaft kann sich jedoch nicht nur im internationalen Vergleich behaupten, sondern auch im Bereich der EG konnte sie von der Süderweiterung profitieren. Die hier abgebauten Zollbarrieren ermöglichen erheblich gesteigerte Ausfuhren. Unsere Aufgabe ist es nun, gemeinsam mit unseren EG-Partnern Marktwirtschaft im Sinne und zum Nutzen aller in Europa zu verankern.
Dabei ist klar, meine Damen und Herren, daß wir nicht nur verlangen können, sondern auch geben müssen. Die Verwirklichung des gemeinsamen Binnenmarktes wird bei allen Beteiligten Kompromißfähigkeit, Flexibilität und Verständnis für den anderen voraussetzen.
Die CDU/CSU. unterstützt voll die Bemühungen, den europäischen Binnenmarkt bis 1992 zu verwirklichen. Bereits jetzt macht sich der EG-Binnenmarkt für uns deutlich positiv bemerkbar. Bei Gesprächen auf internationaler Ebene stelle ich häufig fest, daß viele Freunde von uns hinsichtlich der Frage unseres Eintretens für die europäische Einheit auf Grund unserer berechtigten Verärgerung über die Maßnahmen der EG im EG-Agrarmarkt verunsichert sind. Ich kann hier für die CDU/CSU versichern: Wir lassen uns unsere Rolle als Lokomotive in der Frage der europäischen Einheit nicht nehmen.
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Die CDU/CSU wird sich ihre führende Rolle in Richtung Europäische Union nicht nehmen lassen. Ihr Engagement für Europa ist ungebrochen.
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Abschließend darf ich sagen: Es gibt auch in der Außenwirtschaft vieles, was wir hier im Hause gern noch konstruktiv kontrovers gemeinsam diskutiert hätten; von den GRÜNEN sei hier einmal abgesehen, da ich deren Sicht in der ganzen Sache nicht recht verstehe, weil die Einzelaussagen zu verschieden sind. Aber wir wissen gemeinsam, daß wir es tragen und international nur gemeinsam durchhalten. Ich hoffe, daß dieser Fundus von Gemeinsamkeit in der außenwirtschaftlichen Frage für die Zukunft ein Hebel ist, in binnenwirtschaftlichen Fragen ernster und seriöser miteinander zu streiten.
Schönen Dank.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehrenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe Verständnis für die Höflichkeit des Bundeswirtschaftsministers, dem Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit bei der Bekanntgabe der Arbeitslosenzahlen nicht vorgreifen zu wollen. Ich verstehe auch, daß er jetzt der Kohle-Frage wegen nicht hier ist. Ich wünschte, er hätte sich auch früher schon öfter um Kohle-Fragen gekümmert.
({0})
Aber die Sperrfrist für die Bundesanstalt für Arbeit galt nur bis 11 Uhr. Ich brauche also die Zahlen nicht mehr - wie noch der Bundeswirtschaftsminister - zu verheimlichen. Wenn man, obwohl er die Zahlen aus Höflichkeit nicht genannt hat, dann hören mußte, die April-Zahlen seien gut und bestätigten die Fortsetzung des Aufschwungs, dann ist das schon ein bißchen merkwürdig. Lesen Sie bitte nach, was heute dann veröffentlicht wird. Die Arbeitslosenzahl betrug im April 1987 2 215 000. Das sind ganze 14 000 weniger als im April 1986. Ein Rückgang um 14 000 als eine gute Entwicklung zu bezeichnen, kann nur Herrn Bangemann einfallen,
({1})
dessen von keinem Sachverstand getrübter Optimismus sich heute wiederum total gezeigt hat.
({2})
Denn es kommt noch hinzu,
({3})
daß zur gleichen Zeit die Zahl der Kurzarbeiter um 86 000 gestiegen ist. Wenn Sie noch Details aus der Statistik wollen, Herr Mischnick: Auch von diesem Rückgang um 14 000 gehen noch 8 400 auf das Konto
derer, die arbeitslos gemeldet sind und nach der Manipulation der Statistik heute nicht mehr geführt werden. Dann sind es nur noch 5 600 als Rückgang von 2 215 000. Das als Erfolg auszugeben, bedarf wirklich schon des Bangemannschen Optimismus. Ein anderer Mensch würde das nie können.
({4})
- Neue Arbeitsplätze sind in dieser monatlichen Statistik nicht enthalten. Aber über die neuen Arbeitsplätze hat Wolfgang Roth schon gesprochen. Ich kann Ihnen eine Zahl noch einmal wiederholen. Im tiefsten Rezessionsjahr 1982 war die Zahl der Arbeitsplätze um 60 000 niedriger als 1986. Aus diesem Anstieg um ganze 60 000 macht Herr Bangemann 600 000. Wahrscheinlich hängt er einfach eine Null an, und dann geht es.
({5})
- Aber Entschuldigung, so ist es. Das ist die amtliche Statistik, die ich hier nenne, Herr Mischnick, und keine andere Zahl. Die berühmten 600 000 von Herrn Bangemann sind in keiner Statistik zu finden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wissmann?
Bitte.
Herr Kollege Ehrenberg, gestatten Sie, daß ich Ihnen bei den Beschäftigtenzahlen aushelfe? Der Anstieg der Erwerbstätigen hat nach den neuesten Zahlen, die den März beschreiben, weiter angehalten. In diesem Monat waren 25,93 Millionen, also rund 235 000 mehr Menschen in Arbeit als vor einem Jahr.
({0})
Herr Wissmann, ich muß Sie leider korrigieren.
({0})
- „Leider" ; in der Statistik. Was Sie genannt haben, sind die saisonbereinigten Zahlen, die im März nach oben gehen. Wenn Sie sich daneben in der gleichen Spalte auch die Zahl der saisonbereinigten Arbeitslosenzahlen angeschaut hätten, hätten Sie gleich hinzufügen müssen, daß schon seit November 1986 Monat für Monat die saisonbereinigte Arbeitslosenzahl steigt und nicht zurückgeht; das gehört zum vollen Bild der Statistik.
Aber ich muß, da Herr Bangemann ja im Jahreswirtschaftsbericht, bei der Debatte der Regierungserklärung und heute auch wieder beschäftigungspolitischen Handlungsbedarf und strukturpolitische Aktivitäten schlicht gar nicht kennt, Sie doch so ganz nüchtern mit ein paar Zahlen mehr konfrontieren. Zur gleichen Zeit, in der Herr Bangemann keine Möglichkeiten und keinen Bedarf für Beschäftigungspolitik
sieht, beträgt die Arbeitslosenquote in Leer 26,3 % , in Vechta 23,3 %, in Emden 21,5 %, in Heide 20,0 %, in Passau 19,9 %.
({1})
Nicht nur in den ballungsfernen Gebieten, auch in der Landeshauptstadt Kiel sind es 13,7 Prozent, in der Landeshauptstadt Hannover 13,4 Prozent. In keiner Großstadt des Ruhrgebiets, in keiner Großstadt des Nordens gibt es Arbeitslosenziffern unter 10 Prozent; sie liegen wesentlich darüber.
Bei diesem Zustand von „Erfolg der Wirtschaftspolitik" zu reden zeigt ein sehr merkwürdiges Verständnis von Wirtschaftspolitik. Ich würde Sie, die Kollegen aus den Regierungsparteien, gern alle fragen, ob Sie eigentlich eine Vorstellung davon haben, wie es sich in einem Landkreis und in einer Stadt lebt, wo jeder vierte oder jeder fünfte Arbeitnehmer vergeblich einen Arbeitsplatz sucht, und dies nicht wenige Monate, sondern seit fünf Jahren, nämlich schon so lange, wie Sie regieren und sich selber für erfolgreiche Wirtschaftspolitik belobigen.
Ich würde Ihnen weiterhin dringend empfehlen, einmal mit einem Stadtkämmerer aus einer Stadt mit hoher Arbeitslosigkeit zu reden. In Wilhelmshaven sind zum Beispiel die Ausgaben für Sozialhilfe von 15,5 Millionen DM 1981 auf 31 Millionen DM 1986 gestiegen. Das ist eine Verdoppelung in den fünf Jahren, in denen Sie regieren. 15,5 Millionen DM mehr für die Pflichtaufgabe Sozialhilfe heißt gleichzeitig 15,5 Millionen DM kommunale Investitionen weniger, weniger Aufträge an die lokale Bauwirtschaft und damit Verschärfung des Zyklus nach unten in diesen Regionen.
({2})
- Das sind nicht die Pflegebetten; die gab es vorher auch, Herr Kollege. Das ist überwiegend durch Arbeitslosigkeit bedingte Sozialhilfe. Durch die Kürzung durch Herrn Blüm bei der Arbeitslosenhilfe ist die Verantwortung der Bundesregierung für die Beschäftigungspolitik in die Kommunen verlagert worden. Das ist der Tatbestand.
({3})
Es wird in den Kommunen mit der von vielen Rednern der Regierung so gelobten Steuerreform noch schwieriger werden. Da werden die Kommunen noch einmal wesentlich in ihren Möglichkeiten durch Entscheidungen der Bundesregierung beschnitten.
Ich muß zu Herrn Wissmann und auch zu Herrn Bangemann noch eine Anmerkung machen. Wenn Sie behaupten, die SPD würde nur „Patentrezepte" vorschlagen, die nicht gewirkt hätten, muß ich Sie darauf aufmerksam machen: 1980, nachdem wir ein paar „Patentrezepte" probiert hatten, betrug die Arbeitslosigkeit 800 000 und nicht 2,2 Millionen wie jetzt. 1981 lag sie erst bei 1,2 Millionen. Daß dann der große Anstieg kam, lag nicht an den „Patentrezepten". Das lag daran, daß die FDP auf dem Abmarsch zur Wende war und keiner vernünftigen Beschäftigungspolitik mehr zugestimmt hat. Das ist der Tatbestand.
({4})
Meine Damen und Herren, zum hochgelobten Aufschwung. In jedem Jahr Ihrer Regierungszeit lagen
- das hat es früher nie gegeben - die Wachstumsraten in der Bundesrepublik in der unteren Hälfte des OECD-Durchschnitts. Die Lokomotivrolle, die die Bundesrepublik einmal im internationalen Konjunkturgeschäft gespielt hat, haben Sie ebenso verschenkt wie den beschäftigungspolitischen Vorsprung. 1980 war unsere Arbeitslosenquote halb so hoch wie der OECD-Durchschnitt. Seit 1984 liegen wir genauso schlecht wie der Durchschnitt der OECD. Dies ist, weiß Gott, Herr Wartenberg - sagen Sie das Ihrem Minister - , kein Grund, auf diese Wirtschaftspolitik stolz zu sein!
Eine letzte Bemerkung. Die Arbeitnehmer an den Stahlstandorten, an den Werftstandorten warten darauf, etwas von der Bundesregierung über ihre Zukunft. zu hören. Zwölf Werften haben in den letzten zwölf Monaten Konkurs- oder Vergleichsantrag gestellt. Jahrelang hat der Wirtschaftsminister gesagt: Es sind nur die großen Werften, die in Schwierigkeiten kommen; die kleinen und mittleren schaffen das aus eigener Kraft. - Zur Zeit fällt eine kleine oder mittlere Werft nach der anderen und tritt den Gang zum Konkursrichter an. Gerade gestern hat der Präsident der Industrie- und Handelskammer von Ostfriesland mit seiner mittelständischen gut geführten Werft den Gang zum Vergleichsrichter angetreten. Die Bundesregierung stimmt auf der EG-Ebene zu, daß das Werfthilfeniveau auf 28 % angehoben werden kann, bleibt aber selber bei 12,5 % und verweigert sich, etwas mehr zu tun.
({5})
- Herr Wissmann, wenn ich abwarten soll: Die Debatte des Jahreswirtschaftsberichts wäre ja wohl für den Wirtschaftsminister Gelegenheit dazu, dies für die Kollegen an der Küste laut und deutlich zu sagen, wenn er bereit wäre, endlich Strukturpolitik zu machen.
({6})
Statt dessen hören wir schöne Worte und Selbstbelobigung. Es würde sich vielleicht auch lohnen, meine Kollegen von der Opposition und vor allen Dingen die Herren des Wirtschaftsministeriums
({7})
- von der Opposition gegen mich, die Sie hier jetzt rufen.
({8})
Es würde sich vielleicht einmal lohnen nachzulesen, was im März-Bericht der Bundesbank und in den Nachrichten des BMWi steht, daß im Jahre 1986 22 Milliarden DM deutsche Direktinvestitionen im Ausland und nur 11 Milliarden DM ausländische Investitionen in der Bundesrepublik stattgefunden haben. Die Attraktivität des Standortes Bundesrepu500
blik ist in Ihrer Regierungszeit für ausländische Kapitalanleger in einem Maße geschrumpft, wie es vorher nie der Fall war. Lesen Sie, Herr Unland, die Bundesbankstatistik. Da steht es drin.
({9})
- Auch da ist es so. In den 70er Jahren gab es mehr ausländische Investitionen hier. In den 80er Jahren war es umgekehrt. Lesen Sie es nach. Wir können ja im Wirtschaftsausschuß ausführlicher darüber reden.
Ich bedanke mich; die rote Lampe leuchtet.
({10})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Herr Vogt.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hatte eigentlich die Absicht, versöhnlich zu beginnen, aber der Kollege Ehrenberg mit seinem eigenartigen Charme macht es mir nicht so leicht, diese Absicht zu verwirklichen. Denn, Herr Kollege Ehrenberg, das Arbeitsförderungs -Konsolidierungsgesetz, in dem entscheidend in das Leistungsgefüge der Bundesanstalt für Arbeit eingegriffen worden ist, ist verabschiedet worden, als Sie Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung gewesen sind.
Herr Kollege Ehrenberg, Sie haben im Mai 1980 zusammen mit der verehrten Frau Kollegin Anke Fuchs ein Buch mit dem Titel „Sozialstaat und Freiheit" veröffentlicht. Ich darf daraus zitieren - Sie scheinen vergessen zu haben, was Sie damals geschrieben haben - :
Sozialhilfebezug allein ist kein Anzeichen für Armut, denn die Leistungsgewährung nach dem Geist des Gesetzes vermeidet Armut und ermöglicht ein menschenwürdiges, allerdings recht bescheidenes Leben.
Originalton Herbert Ehrenberg! Das steht in einem gewissen Mißverhältnis zu der Polemik, die Sie gerade an diesem Pult dargelegt haben.
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Ich bleibe versöhnlich und will mit einer Feststellung beginnen, die verdeutlicht, was uns, CDU/CSU und FDP einerseits und SPD andererseits, eint. Ich hoffe, daß Sie da zustimmen. Uns eint - davon gehe ich aus - die Auffassung, daß Arbeit nicht das Privileg eines Teils der Menschheit sein darf. Ich finde es nicht dem Niveau des Kollegen Wolfgang Roth entsprechend, wenn er zu Beginn seiner Rede den Eindruck erweckt hat, als gäbe es diese Einigkeit zwischen unseren Parteien nicht. Ich füge als christlich-sozialer Politiker hinzu: Arbeit ist Teilhabe an der Schöpfung, und Ausschluß von dieser Teilhabe durch
Arbeitslosigkeit ist ein Solidaritätsverstoß. Wir brauchen auf diesem Gebiet keine Belehrung.
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Meine Damen und Herren, ich hatte gestern bei der Vorbereitung dieser Debatte gewettet, ob der Kollege Wolfgang Roth die Rede von Papst Johannes Paul II. in Bottrop in diese Debatte einführt. Ich habe gesagt: Der Kollege Roth ist zu klug, er wird es nicht tun. Mein Wettpartner hat gesagt: Er wird der Versuchung nicht widerstehen. Ich habe diese Wette gewonnen. Überrascht bin ich aber darüber, daß der Kollege Uwe Jens diese Rede des Papstes in diese Debatte eingeführt hat nach dem Motto: einmal richtig reingreifen, ausschlachten und vermarkten, so, als wäre diese Rede ein Steinbruch, aus dem man einfach herausholen kann, was in die Zwecke der Diskussion hineinpaßt. Herr Kollege Jens, ich hätte dann doch gewünscht, daß Sie den maßgeblichen Gedanken dieser Rede zitiert hätten. Denn diese Rede steht unter dem Gedanken der Solidarität.
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Solidarität - Herr Kollege Ehrenberg, Sie schreien wieder einmal auf dem linken Fuß zu zeitig - ist nie ein abstraktes Ziel, sondern muß immer konkrete Antworten finden. Wer den Wert der Arbeit für den einzelnen so hoch einschätzt, wie wir dies tun - ich hoffe, wir tun dies gemeinsam - , der muß auch die Bereitschaft haben, neue Wege zu gehen, der darf nicht in den alten, ausgefahrenen Gleisen fortfahren.
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Wir sind neue Wege gegangen. Wir haben diesen Mut gehabt. Wir haben von dem Prinzip des Allesoder-nichts Abschied genommen. Denn für die Arbeitslosen bleibt bei Anwendung dieses Prinzips oft das deprimierende Nichts.
Wir haben die Teilzeitarbeit attraktiver gemacht. Ich nenne es hier in dieser Debatte nochmals eine Pioniertat - der Kollege Wissmann hat das schon gewürdigt - , daß die Tarifpartner der chemischen Industrie zu einer vorbildlichen Tarifvereinbarung für Teilzeitarbeitnehmer gefunden haben. Ganz im Sinne und im Geiste des Beschäftigungsförderungsgesetzes ist dieser Tarifvertrag über Teilzeitarbeit abgeschlossen worden.
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Wir haben die Bedingungen verbessert, damit die ausbildende Wirtschaft mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt. Sie haben das damals als einen Skandal bewertet und haben den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung für 4 Uhr morgens einberufen, als wäre das eine besondere Leistung. Wir haben im Interesse der Jugendlichen gehandelt.
Wir haben die Möglichkeiten für befristete Arbeitsverträge erweitert. Herr Kollege Stratmann, hier muß ich einem Eindruck entgegenwirken, der durch Ihre Wortwahl möglicherweise entstanden ist. Das Wissenschaftszentrum Berlin hat seit Verabschiedung des Beschäftigungsförderungsgesetzes keine Veröffentlichung über befristete Arbeitsverträge vorgenommen. Was Sie zitiert haben, sind Aussagen des Instituts auf
Grund von Untersuchungen vor dem Beschäftigungsförderungsgesetz und nicht danach.
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- Nein. Ich habe mich gerade nochmals erkundigt. Ich hatte genügend Zeit, das zu tun. Ich stelle fest: Das Institut hat sich nicht auf Untersuchungen bezogen, die nach Verabschiedung des Beschäftigungsförderungsgesetzes vorgenommen worden sind.
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Herr Kollege Ehrenberg - viel lieber hätte ich das dem Kollegen von Dohnanyi gesagt, weil er als Chef eines Landes vielleicht öfters mit Herrn Rau zusammenkommt, als das ein Abgeordneter tut -, sehen Sie: Wie kann Herr von Dohnanyi über die befristeten Arbeitsverträge in Anbetracht der Tatsache reden, daß das SPD-regierte Land Nordrhein-Westfalen in der Anwendung befristeter Arbeitsverträge einsamer Spitzenreiter ist?
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Denn von rund 180 000 Arbeitern und Angestellten des Landes Nordrhein-Westfalen sind fast 39 000 mit befristeten Arbeitsverträgen ausgestattet,
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mehr als 22 % der Beschäftigten.
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Sie können sich ja bei Herrn Rau und seiner Staatskanzlei informieren. Das Land Nordrhein-Westfalen führt einen Arbeitsgerichtsprozeß, weil ein Arbeitnehmer meint, er müsse nicht mit Hilfe eines befristeten Arbeitsvertrages, sondern unbefristet eingestellt werden. Aus dem Schriftsatz können Sie sehr leicht entnehmen, daß er sich fast wortwörtlich an der Begründung der befristeten Arbeitsverträge orientiert, so wie das im Beschäftigungsförderungsgesetz festgelgt ist.
Ich würde mir an Ihrer Stelle ein paar neue Ideen einfallen lassen. Es macht doch keinen Sinn, wenn Sie hier ständig die Arbeitslosigkeit anklagen, aber nicht bereit sind, irgendeinen neuen Weg zu gehen, der den Arbeitslosen helfen könnte.
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- Aber natürlich hat das geholfen.
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- Es ist für Arbeitnehmer eine Brücke zu einem Dauerarbeitsverhältnis. Das hat vielen bisher Arbeitslosen geholfen.
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Sie haben alle diese Versuche der neuen Wege immer nur unter Sperrfeuer genommen. Ich kann nur sagen: Starrheit und Sterilität, das ist der neue Name der SPD.
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Das war nicht mehr so ganz versöhnlich. Aber vielleicht gehört auch die Wahrheit zu dieser Debatte.
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Die Bilanz der letzten Jahre hat gezeigt, daß wir auf dem richtigen Wege sind.
Herr Kollege Ehrenberg, Sie sagen, daß Sie im Besitz der neuesten Arbeitsmarktzahlen sind - natürlich vor der Pressekonferenz des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit.
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- Bevor der Präsident die Zahlen bekanntgegeben hat. Sie hatten sie vorher. Dann hatten Sie wirklich genügend Zeit, alles durchzulesen. Dazu will ich nur feststellen, daß der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit auch auf der heutigen Pressekonferenz wieder die Zahlen über die Beschäftigtenentwicklung bekanntgegeben hat, die zusammen mit dem Statistischen Bundesamt erarbeitet worden sind.
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- Nach dessen Angaben berechnet. Herr Kollege Roth, Sie wollen doch wohl nicht die Neutralität und Seriosität des Statistischen Bundesamtes in Frage stellen!
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Nach den Berechnungen des Statistischen Bundesamtes belief sich die Gesamtzahl der Erwerbstätigen im März auf 25,67 Millionen. Sie übertraf damit den Vorjahresstand um 230 000 oder fast 1 %.
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- Im Vergleich zum Vorjahr, Herr Kollege. Ich weiß, daß es nach so einer Debatte etwas schwierig ist, noch weiter zuzuhören. Aber vielleicht lohnt es sich, wenn Sie die Anstrengung unternehmen.
Ich zitiere wörtlich:
Saisonbereinigt erhöhte sich die Beschäftigung von Februar auf März, wie schon in den letzten Monaten, um 10 000.
Saisonbereinigt ist die Zahl der Beschäftigten also angestiegen. Das hätten Sie schön nachlesen können, bevor Sie dies in der heutigen Debatte bezweifelt hätten.
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Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber selbstverständlich.
Herr Dr. Ehrenberg, bitte.
Herr Kollege Vogt, würden Sie dem Hause und der Öffentlichkeit bestätigen, daß die von Ihnen genannte Zahl immer noch wesentlich unter der Beschäftigtenzahl des Rezessionsjahres 1982 liegt? Denn diese Zahl betrug nach Ihrer eigenen
Statistik - erst muß ich sie finden; ich habe sie gleich - 26,1 Millionen.
Herr Kollege Ehrenberg, darum geht es doch gar nicht. Sie haben vorhin in der Debatte eine falsche Behauptung aufgestellt, und ich habe diese Behauptung korrigiert. Die Zahl der Beschäftigten ist im Vergleich zum Vorjahr um 230 000 angestiegen, und saisonbereinigt ist sie von März auf April weiter angestiegen. Sie haben etwas anderes behauptet; ich habe dies hier korrigiert. Ich darf Sie wirklich bitten, wenn Sie schon im Besitz der Unterlagen sind, diese richtig durchzulesen, damit wir uns hier nicht die Zeit stehlen müssen, um Berichtigungen vorzunehmen.
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Ich bleibe zunächst einmal dabei, daß wir uns in einem prinzipiellen Punkt einig sind. Uns trennen nicht die Absicht und die Notwendigkeit, Arbeitslosigkeit abzubauen. Uns trennen aber die Methoden, wie dem Übel der Arbeitslosigkeit beizukommen ist. Sie setzen, wie Sie das heute wieder gesagt haben, weiter auf Beschäftigungsprogramme. Wir setzen auf die Dynamik sozialer Marktwirtschaft und auf aktive Arbeitsmarktpolitik.
Die Forderungen, die Sie hier erheben, staatliche Beschäftigungsprogramme durchzuführen, haben Sie jetzt mit einem neuen Etikett versehen. Jetzt befürchte ich, mir den Unmut dieses Teils des Hauses zuzuziehen, aber ich will es dennoch wagen: Die Beschäftigungsprogramme, die Sie anpreisen, sind doch abgenagte Knochen, da ist kein Fleisch mehr dran. Das sind Skelette, auch mit neuem Gewand. Dazu fällt mir nur ein: Skelette werden auch durch Reizwäsche nicht schöner, meine Damen und Herren.
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- Ich habe ja vorhergesagt, daß Sie kommen, Frau Kollegin.
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Natürlich ist Sensibilität für die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt gefragt. Ich bestätige, daß wir vor einer Gefahr stehen, der wir begegnen müssen. Der Leistungsfähige, der Junge, der Qualifizierte, der Belastungsfähige hat auf diesem Arbeitsmarkt eine große Chance; das zeigt die Entwicklung der Jugendarbeitslosigkeit. Aber wir haben die Sorge, daß der weniger Leistungsfähige, der weniger Qualifizierte, daß der gesundheitlich Beeinträchtigte auf dem Arbeitsmarkt nicht diese Chance hat. Deshalb müssen wir eben auch - ({3})
- Nein, und deshalb vertrauen wir eben nicht allein auf den Marktmechanismus, auf dem Sie herumhakken. Auf den vertrauen wir auch; sonst hätten wir nicht die Zahl der Beschäftigten erreicht, die wir inzwischen erreicht haben; aber für diesen Teil des
Arbeitsmarktes setzen wir eben auf eine sozialverantwortliche, aktive Arbeitsmarktpolitik. Und da rennen Sie mit dem, was Sie in Ihrem Antrag mit Blick auf bessere Sicherung der Langzeitarbeitslosen, berufliche Bildungsmaßnahmen usw. vorgeschlagen haben, offene Türen ein. Sie haben hier doch etwas abgeschrieben, was wir schon längst, seit 1983, 1984, tun. Sehr originell ist es nicht, das abzuschreiben, was die Bundesregierung tut, meine Damen und Herren!
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Ich will darauf hinweisen, daß wir diese Bereiche der aktiven Arbeitsmarktpolitik noch ausweiten werden. Diese aktive Arbeitsmarktpolitik ist ja ein Kennzeichen, ein Markenzeichen dieser Bundesregierung. Wir haben in diesem Jahr 12,5 Milliarden DM für Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung. 1982 waren es lediglich 6,9 Milliarden DM.
Nun hat der Erste Bürgermeister von Hamburg vorhin in der Debatte gesagt, wir hätten die Bedingungen für berufliche Fort- und Weiterbildung verschlechtert. Herr Kollege Ehrenberg, ich hoffe, Sie haben ihm, bevor er nach Hamburg zurückgefahren ist, gesagt, daß Sie das Unterhaltsgeld bei Teilnahme an Maßnahmen der beruflichen Fort- und Weiterbildung eingeschränkt haben.
Wir haben im Gegenteil einen Schwerpunkt in der Qualifizierungsoffensive gesetzt. In diesem Jahr stehen 5,7 Milliarden DM zur Verfügung. Wir hatten 1986 über 530 000 Eintritte in Maßnahmen der beruflichen Fort- und Weiterbildung, und wir werden auf 600 000 kommen. 70 % der Arbeitnehmer, die an diesen Maßnahmen teilgenommen haben, finden einen Arbeitsplatz. Die Maßnahmen haben sich gelohnt.
Wir haben die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auf ein hohes Niveau geführt. Vielleicht überbringen Sie es dem noch Ersten Bürgermeister der Stadt Hamburg: Wenn er vom zweiten Arbeitsmarkt spricht und das hier in die Debatte einführt, sollte er doch einmal würdigen, welchen Anstieg wir bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen erreicht haben. Und er sollte sich, wenn er das schon in die Debatte einführt, mit dem Argument der Gewerkschaften auseinandersetzen. Denn wenn wir bei der Bundesanstalt für Arbeit in den Organen der sozialen Selbstverwaltung an den Beratungen teilnehmen, dann hören wir von ÖTV und Gewerkschaft Garten, Landwirtschaft und Forsten, daß das Instrument „Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen" sozusagen ausgereizt worden ist. Ich will hier gar nicht die berechtigten Einwände auch mittelständischer Unternehmen anführen; wer sich aber mit diesem Argument nicht auseinandersetzt, der macht es sich etwas billig, wenn er den zweiten Arbeitsmarkt ausweiten möchte.
Meine Damen und Herren! Wir werden ja in wenigen Tagen, am Freitag, in diesem Hause den weiteren Ausbau des Arbeitsförderungsgesetzes beraten. Ich will jetzt nicht im einzelnen darstellen, was auf diesem Gebiet vorgesehen ist. Ich stelle nur noch einmal fest, daß wir die Gefahr einer Spaltung des Arbeitsmarktes sehen, daß wir dagegen Maßnahmen ergreifen, die
unsere Solidarität mit den Arbeitslosen dokumentieren.
Wir stehen alle in der gemeinsamen Verantwortung. Gefragt ist unsere Solidarität; gefragt ist aber auch die Bereitschaft aller Beteiligten, außerhalb der eingeschlagenen und ausgetretenen Trampelpfade neue Wege zu gehen. Dieses Haus - das möchte ich aus meiner Sicht zum Abschluß dieser Debatte sagen - sollte eigentlich der Ort sein, in dem um die Lösung der Zukunftsprobleme gerungen wird. Aber Sie schlagen mit Ihren Redebeiträgen in der Regel die Schlachten der Vergangenheit.
Herr Kollege Jens, die Opposition ist nicht dazu da, der Regierung nach dem Munde zu reden. Da stimme ich Ihnen zu. Ich wünschte mir aber eine SPD, die uns, die Regierung, die CDU/CSU und die FDP, stärker herausfordert. In dieser Aufgabe versagen Sie, und das finde ich schade.
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Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoss.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Staatssekretär Vogt hat ein ökologisches Wirtschaftsprogramm - die Sozialdemokraten nennen es „Beschäftigungsprogramm" ({0})
als einen abgenagten Knochen bezeichnet, als ein Skelett, mit dem man sich eigentlich nicht mehr befassen solle. Wenn Sie aktive Arbeitsmarktpolitik nicht so verstehen, daß Investitionen ökologischer Art zur Sanierung unserer Verhältnisse - des Wassers, des Bodens, der Luft,
({1})
der Verkehrssituation, der Energiesituation - notwendig sind, wenn Sie nicht bereit sind, da Investitionen zu betreiben, sind Sie auf einem völlig falschen Dampfer, und dann muß man sagen, daß Sie mit Ihrer Politik nicht weit kommen. Das nur zu Ihnen.
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In diese Debatte über das Jahreswirtschaftsgutachten und den Bericht der Bundesregierung über die wirtschaftliche Entwicklung ist auch unser Gesetzentwurf zum Abbau von Überstunden mit eingeführt worden, und das ist kein Zufall. Es ist deshalb kein Zufall, weil die gesamte Debatte eigentlich erwiesen hat, daß unter dem Strich als Ergebnis der herrschenden Wirtschaftspolitik ein Abbau der Massenarbeitslosigkeit nicht stattgefunden hat und auch in der weiteren Perspektive mit der Politik, die Sie vorgestellt haben, nicht stattfinden wird. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche, und deshalb ist es wichtig, konkrete Punkte einzuführen, an denen man wirklich messen kann, ob Sie bereit sind, eine aktive Arbeitsmarktpolitik zu betreiben. Messen kann man das z. B. daran, ob Sie bereit sind, den Abbau von Überstunden zu betreiben und damit Arbeitsplätze zu schaffen.
Die diesjährige Tarifpolitik der IG Metall und auch der anderen kann man so beschreiben, daß sie nicht nennenswert dazu beiträgt, überhaupt beim Abbau von Arbeitslosigkeit zu helfen, weil die lange Laufzeit des Vertrages und auch die anderen Punkte, die darin enthalten sind, nicht dazu führen, daß sich das in Arbeitsplätze umsetzt.
Unser Entwurf zum Abbau von Überstunden geht davon aus, daß es angesichts von 1,5 Milliarden Überstunden - so der letzte Überstundenbericht der Bundesregierung - möglich ist, durch den Abbau von Überstunden auf gesetzliche Weise 800 000 Arbeitsplätze, wenn man es theoretisch umrechnet, zu schaffen. Wir gehen davon aus: Wenn wir die Überstunden abbauen, die heute als planerische Größe gefahren werden, um die Produktion zu steigern, die also reguläre eingeplante Überstunden sind - und das ist ein Drittel der 1,5 Milliarden Überstunden -, können wir satte 300 000 Arbeitsplätze schaffen. Meine Spannung besteht darin, ob es in diesem Hause, wo von allen Seiten zu dieser Frage der Überstunden Äußerungen gemacht worden sind, von Herrn Blüm über die SPD und die FDP - dort sehr verhalten - bis zu uns, die wir das natürlich stark betonen, möglich ist, eine Einigung zu erreichen, wenn unser Gesetzentwurf zum Abbau der Überstunden beraten wird.
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- Das ist mein Schlußsatz: Ich appelliere an alle, und mir ist es völlig gleichgültig, ob es am Ende heißt, es ist der Entwurf der GRÜNEN, der angenommen worden ist, oder ob es - das wäre mir auch recht - schließlich um einen gemeinsamen, interfraktionellen Entwurf geht. Wir müssen echt an diese Frage herangehen, um zu sehen, ob Sie wirklich bereit sind, Arbeitsplätze für Erwerbslose zu schaffen, oder nicht.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lammert.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik ist gewiß nicht perfekt, aber sie ist nach wie vor besser als in fast allen anderen Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft und der OECD
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und damit in den führenden Industrienationen der Welt, wie natürlich auch Sie, lieber Kollege Uwe Jens, sehr genau wissen.
({1})
Dennoch läßt sich nicht bestreiten, daß sich hinter den Durchschnittswerten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung immer sehr differenzierte, in Einzelfällen auch dramatische Entwicklungen einzelner Regionen oder Branchen verstecken, die mitberücksichtigt und auch mitdiskutiert werden müssen, wenn hier Jahreswirtschaftsberichte, Stellungnahmen von Sachverständigenräten und anderes zur Diskussion stehen.
Die Opposition hat jedes Recht, auf ungelöste Probleme, Fehlentwicklungen und strukturpolitische Herausforderungen hinzuweisen. Aber sie setzt sich
doppelt ins Unrecht, wenn sie auf der einen Seite ihre politische Mitverantwortung dafür unterschlägt, daß es zu solchen Fehlentwicklungen in Branchen und Regionen kommen konnte, und auf der anderen Seite verbindliche Auskünfte darüber verweigert, wie sie denn eigentlich eine Lösung dieser strukturellen Probleme in den betroffenen Branchen und Regionen tatsächlich betreiben will.
({2})
Ich will Sie mit dem Versuch, Polemik ganz zu vermeiden, auf ein Problem aufmerksam machen, das mir gerade im Zusammenhang mit der Diskussion über strukturpolitische Fragen ganz wesentlich und zentral erscheint.
Es muß ja bei diesen Diskussionen gelegentlich der Eindruck entstehen, als müßten wir miteinander darüber reden, ob überhaupt der Staat auch eine strukturpolitische Verantwortung und/oder Zuständigkeit habe. Über diese Fragestellungen sind wir seit vielen Jahren gemeinsam - wie ich denke - längst hinaus. Die Frage kann in der Tat nicht sein, ob strukturpolitische Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten wahrgenommen werden müssen. Die relevante Frage ist, wie, von wem, an welcher Stelle, mit welchen Mitteln sie wahrgenommen werden können und müssen.
Hier liegt ein großes Problem und nach meiner festen Überzeugung auch ein fataler Beitrag der Sozialdemokraten zur öffentlichen Behandlung dieses Themas seit einer Reihe von Jahren. Der Begriff „Strukturwandel" ist in der breiten Öffentlichkeit der Bundesrepublik inzwischen negativ besetzt. Ein Großteil unserer Mitbürger empfindet den Begriff „Strukturwandel" inzwischen eher als Bedrohung denn als Chance und hat daraus fatalerweise an Politik und an politisches Handeln die Schlußfolgerung hergeleitet, daß sie diesen Strukturwandel eher aufhalten denn fördern müsse.
Und die ganze Wahrheit ist, daß genau die Länder, die bei diesem Versuch des Aufhaltens und des Behinderns des Strukturwandels die größten „Erfolge" erzielt haben, nun nicht nur heute, aber auch heute in dieser Debatte als Beispiele für besonders intensiven staatlichen Handlungsbedarf eingeführt werden, wobei mit großer Selbstverständlichkeit davon ausgegangen wird, daß dieser Handlungsbedarf selbstverständlich von der Bundesregierung und von der Bundespolitik einzulösen sei.
Meine Damen und Herren, es macht keinen Sinn, darüber hinwegzusehen und darüber hinwegzudiskutieren, daß der größte Teil der strukturellen Probleme, die wir in Branchen und eng damit verbunden in Regionen unbestreitbar haben, zum einen damit zusammenhängt, daß man sich über viele Jahre entweder schlicht geweigert hat, die Unvermeidlichkeit des strukturellen Wandlungsprozesses zur Kenntnis zu nehmen und politisch umzusetzen, oder eben durch eigene politische Versäumnisse nicht das getan hat, was notwendig gewesen wäre, um flankierende Lösungen parallel zu diesem Strukturwandel in bestimmten Branchen tatsächlich durchzusetzen.
Ich will mich als Beleg für diese Einschätzung auf eine Quelle stützen, die hoffentlich auch Ihnen, verehrte Kollegen von der SPD, als unverdächtig erscheinen muß: den jüngsten Jahresbericht der nordrhein-westfälischen Landeszentralbank, deren Vorsitzender über viele Jahre sozialdemokratischer Finanzminister im gleichen Bundesland Nordrhein-Westfalen war. Aus diesem Jahresbericht geht ganz unmißverständlich und nicht von uns formuliert hervor, daß die wirtschaftliche Entwicklung des Landes Nordrhein-Westfalen nach wie vor deutlich hinter der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung hinterherhinkt und daß sich dieser Befund eben auch dann nicht ändert, wenn man statistisch die Effekte herausrechnet, die sich durch die besonderen Belastungen etwa im Bereich der Stahlindustrie und des Bergbaus ergeben. Es führt kein Weg an der fraglos schmerzhaften Erkenntnis vorbei, daß weder durch Ausflüchte noch durch Beschwichtigung daran vorbeizusehen ist, daß hier Versäumnisse im Bereich der Landespolitik selber aufgearbeitet werden müssen, die nicht durch Hilfsappelle und schon gar nicht durch Beschimpfungen an die Adresse der Bundesregierung kompensiert werden können. Wenn wir uns hier über den Stellenwert allgemeiner volkswirtschaftlicher Entwicklungen und bundespolitischer Initiativen verständigen wollen, dann wird ja niemand ernsthaft behaupten wollen, ein und dieselbe Bundespolitik habe den Strukturwandel in Bayern oder in Baden-Württemberg nicht behindert,
({3})
in Nordrhein-Westfalen oder im Saarland oder an der Küste
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dagegen wohl. Beides gleichzeitig, verehrter Herr Kollege Ehrenberg, kann doch wohl nicht zutreffen.
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Denn es findet in der Zuständigkeit des Bundes mit einem Instrumentarium, das überall in gleicher Weise Anwendung findet, eine Politik statt, die nun allerdings in der Zuständigkeit und mit einem Minimum an politischer Intelligenz verbunden werden muß mit Initiativen der jeweils vor Ort zuständigen Landesregierung
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und darüber hinaus auch der kommunalpolitischen Aktivitäten. Wenn man, verehrter Herr Kollege Ehrenberg, davon ausgeht, daß in der Tat die nicht zu bestreitenden Strukturprobleme eines Bundeslandes wie dem Saarland in Angriff genommen werden mit einer Mischung aus populär-marxistischer Ideologie
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und blankem Stimmungsopportunismus, wie Oskar Lafontaine das nun betreibt,
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oder wie in Nordrhein-Westfalen mit gequälter Resignation und institutionalisierter Hilflosigkeit durch Herrn Jochimsen,
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oder wenn, wie das heute morgen ja der Regierende Bürgermeister von Hamburg vorgeführt hat, er im Zusammenhang mit der Darstellung der Strukturprobleme seiner Stadt die Einlassung des Kollègen Stratmann von den GRÜNEN als besonders sachverständig lobt, dann darf man sich nicht wundern, wenn diesen Leuten nicht einmal die Betroffenheit für die dargestellten Probleme ihrer jeweiligen Bundesländer abgenommen wird, geschweige denn der Anspruch, über Lösungen zu verfügen, mit denen diese Probleme tatsächlich gelöst werden könnten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jens?
Aber immer, gerne.
Herr Jens.
Herr Lammert, was halten Sie denn von diesen 160 Millionen DM, die das Land Baden-Württemberg an Mercedes Benz zahlen will, und meinen Sie denn nicht, daß die Bundesregierung einmal intensiv dagegen Stellung beziehen müßte? Das ist doch eine Sauerei gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen.
Bei den Initiativen des Landes Baden-Württemberg, die Sie in Ihrer Frage kritisieren, handelt es sich ganz offensichtlich um eine Variante genau der struktur- und industriepolitischen Aktivitäten, die Sie auch heute in dieser Diskussion wieder ausdrücklich von öffentlichen Händen eingefordert haben.
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Ich kann Ihnen nur sehr empfehlen, daß wir, bevor wir miteinander über die Zweckmäßigkeit konkreter einzelner Initiativen in einem solchen Instrumentarium miteinander reden,
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uns darüber verständigen, welche der beiden Positionen Sie nun tatsächlich beziehen wollen: die, daß industriepolitische Aktivitäten stattfinden müßten - und dann müßten Sie den Herrn Späth für sein hohes Maß an Aktivität und Initiative hier belobigen - , oder die Position, daß das besser unterbleiben sollte, wie es jetzt in Ihrer Frage mitklingt, weil Sie sich auf Baden-Württemberg bezieht und eben nicht auf Nordrhein-Westfalen.
Meine Damen und Herren, ich stelle für die CDU/ CSU-Fraktion noch einmal klar, wir halten jeden Versuch, den Strukturwandel mit politischen Interventionen aufhalten zu wollen, für ebenso aussichtslos wie ökonomisch unsinnig. Aber wir stellen uns selbstverständlich der Verantwortung - auch der politischen Verantwortung - , die sich aus den Wirkungen des
Strukturwandels für Regionen, für Branchen und insbesondere für Arbeitnehmer ergeben, die dann in diesen Branchen vom Strukturwandel unmittelbar betroffen sind. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam machen, Herr Kollege Ehrenberg, der Sie ja meinten, hier Defizite der Bundesregierung einklagen zu müssen,
({2})
daß etwa die Aufwendungen des Bundes im Rahmen der regionalen Wirtschaftsförderung von Ihrer Regierung gekürzt, von dieser Regierung wiederhergestellt und inzwischen durch die Bemühung vieler Kollegen in den Koalitionsfraktionen im Haushalt wieder aufgestockt worden sind. Das heißt, wir haben in den vergangenen Jahren eben nicht eine Reduzierung, sondern eine Stabilisierung und Ausweitung der flankierenden Maßnahmen sowohl im Bereich des Instrumentariums regionalpolitischer Wirtschaftsförderung wie im Bereich sozialpolitischer Flankierung wie im Bereich von Forschungsaktivitäten, alle mit dem Ziel, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dieses Landes und ihrer Regionen durch Intensivierung der wirtschaftlichen Entwicklung und des strukturellen Wandlungsprozesses zu ermöglichen, ohne massive negative Folgen und Wirkungen für betroffene Arbeitnehmer damit zu bewirken. Deswegen lehnen wir den Versuch einer Verselbständigung von sozialpolitischer Sensibilität auf der einen und ökonomischem Sachverstand auf der anderen Seite ab. Wir halten an einer Politik fest, die das eine mit dem anderen sinnvoll verbindet.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Anders als heute früh vom Herrn Bundeswirtschaftsminister lächelnd behauptet, ist der Bruch der Konjunktur schon seit vergangenem Herbst glasklar erkennbar gewesen: Die Auftragseingänge beim verarbeitenden Gewerbe gingen seit Juli zurück. „Was dabei besonders unangenehm überrascht, ist der deutliche Rückgang der Bestellungen aus dem Inland." So stand es in einem Beitrag der „Zeit" vom 11. Dezember 1986 unter dem Titel „Abschied vom blinden Optimismus".
Gut einen Monat später schreiben Sie, die Bundesregierung, dann in Ihrem Jahreswirtschaftsbericht, die wirtschaftliche Entwicklung an der Jahreswende 1986/87 sei dadurch gekennzeichnet, daß die Antriebskräfte von der Auslands- zur Binnennachfrage übergegangen seien. Da reibt man sich verwundert die Augen; denn was die Statistiken schon seit Spätsommer aufwiesen, nämlich den Rückgang der Bestellungen aus dem Inland, wird in einem amtlichen Dokument dieser Bundesregierung noch im Januar 1987 geleugnet, ja ins Gegenteil verkehrt.
Was fast noch schlimmer ist: Der Sachverständigenrat hat die zitierfähigen Stichworte für diese gewollte
Müller ({0})
Fehleinschätzung geliefert. Das war im konkreten Fall Beihilfe zum Wahlbetrug.
({1})
Eine Institution, die wir geschaffen haben, damit sie mit wissenschaftlichem Sachverstand auf rechtzeitiges Handeln drängt, hat die Belegstellen dafür geliefert, damit sich die Regierung Kohl/Bangemann über den Wahltermin hinwegmogeln konnte: zu Lasten von 2,2 Millionen registrierten und über 1 Million nicht registrierten Arbeitslosen, also insgesamt über 3 Millionen arbeitslosen Menschen. Was Sie uns am 15. Januar als Jahreswirtschaftsbericht präsentiert haben, das war damals schon Makulatur. Kaum eine Vorhersagezahl des Jahreswirtschaftsberichtes stimmt noch. Es ist eine Zumutung für den Deutschen Bundestag, darüber heute noch diskutieren zu müssen.
Ohne Zweifel hatte dieses Dokument für die Bundesregierung einen hohen propagandistischen Wert. Sie haben damit zur rechten Zeit suggeriert, die Wirt. schaft laufe, wie es auf ihren Flugblättern stand. Dies ging nach dem alten Propagandamuster: Wenn Du den Menschen etwas Unwahres als wahr verkaufen willst, dann wiederhole es und lasse die gleiche Botschaft von verschiedenen, unabhängig erscheinenden aussenden.
({2})
Sie hatten und haben Kumpane der Fälschung: die Banken und die Industrieunternehmen mit ihren Anzeigen, die sogenannte Wissenschaft, die Verbände mit ihren Erklärungen, die Sie ja heute auch immer zitiert haben.
Dieser Vorgang vom Januar ist ein Musterbeispiel für den trostlosen Charakter der wirtschaftspolitischen Diskussion. Was für eine produktive Debatte nötig wäre: frischer Wind, Freiheit von Ideologie, selbständiges und differenziertes Urteil, dies alles geht der wirtschaftspolitischen Debatte mehr und mehr ab. Wir haben es heute früh besonders bei Herrn Wissmann und Herrn Bangemann deutlich miterlebt. Die Debatte ist verengt, im übrigen ein Spielfall modischer Strömungen auch in der Wirtschaftstheorie.
Lassen Sie uns doch etwas differenzierter an die Probleme herangehen. Ich will Ihnen dafür ein Beispiel nennen: die Verbesserung der Rahmenbedingungen. Selbst über diesen ideologisch aufgeladenen Begriff kann man ja reden, dann aber doch bitte differenziert.
Ihr Begriff von Rahmenbedingungen ist zu eng, er ist auf Unternehmen begrenzt. Wo bleibt Ihre Sorge um die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Anbieter von Arbeitskraft? Die Rahmenbedingungen der Arbeitnehmer haben sich in der Zeit Ihrer Regierung wesentlich verschlechtert. Wenn Sie Ihren ideologischen Begriff differenziert gebrauchen würden, dann wüßten Sie, daß diese Verschlechterung der Rahmenbedingungen der Arbeitnehmer auch unproduktiv ist.
Zum Beispiel: mit Nichtstun gegen Arbeitslosigkeit erzeugen Sie Druck in den Betrieben und meinen, das fördere die Produktivität. Sie fördern aber statt dessen gleichzeitig ein übersteigertes Sicherheitsbedürfnis. Als Abgeordnete haben wir doch täglich damit zu tun: Da kommen Schlosser und Kfz-Handwerker zu einem, die noch vor 10 Jahren selbstbewußte Partner auf dem Arbeitsmarkt gewesen wären, und wollen in den öffentlichen Dienst. Meinen Sie, diese Folge Ihrer Politik beständiger Arbeitslosigkeit sei produktiv?
Oder: Sie sind für mehr Flexibilität eingetreten, und Herr Lammert redet von der Blockade des Strukturwandels. Statt dessen behindern Sie durch Nichtstun gegen hohe Arbeitslosigkeit selbst den wirtschaftlichen Wandel. Sie beschränken die produktive, objektive Wahlfreiheit der Arbeitnehmer und damit eben diese produktive, aus eigener Entscheidung getroffene Beweglichkeit. Das ist wieder ein Grund dafür, warum der Wandel eben so schwierig ist.
Von der Verschlechterung der Rahmenbedingungen der Arbeitnehmer ist bei Ihnen nie die Rede, weil Arbeitnehmer aus der Sicht der Bundesregierung offenbar nicht zu den Subjekten des Wirtschaftsgeschehens gehören. Arbeitnehmer sind für die meisten von Ihnen Verfügungsmasse ; vielleicht nicht für Herrn Vogt.
({3})
Das erklärt, warum der Bundeskanzler und der Wirtschaftsminister so dickhäutig zusehen, wie die Konjunktur bei über 3 Millionen Arbeitslosen bricht. 3 Millionen Arbeitslose - das ist, objektiv betrachtet, der wichtigste Posten in Ihrer Regierungsbilanz,
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eine rote Zahl, die das, was Sie so eifrig als schwarze Zahlen in die Welt hinausposaunen, als graue Belanglosigkeit erscheinen lassen.
({5})
- Hören Sie doch endlich auf, von Erblast zu reden.
Dieser Mißerfolg charakterisiert Ihre Regierung. Sie persönlich sehen das offenbar nicht als Mißerfolg. Das ist das Traurige, das ist das, was einen aufwühlt.
Es mangelt Ihnen offenbar auch am Vorstellungsvermögen dafür, welche sozialen und psychischen Folgen Ihr wirtschaftspolitisches Nichtstun hat: Alkoholismus, psychischer Streß, Gewalt in Familien und Gesellschaft. Herr Zimmermann ruft nach neuen Gesetzen gegen die wachsende Kriminalität, und Sie fragen nicht nach dem Naheliegenden: Ist die wachsende Kriminalität nicht auch eine Folge der Ausweglosigkeit von Menschen ohne Beruf und ohne Perspektive?
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Hat die Gewalt in Kreuzberg oder im Heyselstadion vor Jahren nicht auch etwas zu tun mit der Tatenlosigkeit konservativer Regierungen - hier bei uns wie in Großbritannien? Zu diesen naheliegenden Fragen kommen Sie nicht, weil Sie dickhäutig sind.
Müller ({7})
Die Mehrheit der Menschen in unserem Land hat keinen Einfluß auf den Geist, der die wirtschaftspolitische Diskussion prägt. Sowohl der Jahreswirtschaftsbericht als auch das Sachverständigenratsgutachten sind geprägt vom sozialen Milieu der über Arbeitskraft Verfügenden. Da ist es dann kein Wunder, daß der Sachverständigenrat auch bei 3 Millionen Arbeitslosen noch davon spricht, die heimischen Kapazitäten seien gut ausgelastet. Wirtschaftspolitiker und Sachverständige, die die Interessen der Mehrheit im Blick hätten, könnten so nie sprechen; denn die volkswirtschaftliche Kapazität ist bei 3 Millionen Arbeitslosen nicht ausgelastet.
({8})
Sie ist absolut unterausgelastet. Sie fordert unsere Aktivität heraus, und zwar ohne Scheuklappen.
Der Sachverständigenrat und die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute werden nicht bezahlt, um die Interessen einer Minderheit der Verfügenden wahrzunehmen. Wir als Opposition können diese Wissenschaft aber nicht zwingen, sich aus ihrem sozialen Milieu zu befreien und gerecht zu beraten. Wir können aber an das Gewissen der Wissenschaft und vielleicht auch an ihr wissenschaftliches Ethos appellieren. Irgendein aufklärerischer Impetus ist vielleicht in dieser Wissenschaft eines Max Weber irgendwann auch noch spürbar. 3 Millionen Arbeitslose und den daraus folgenden Druck auf die noch Arbeit Besitzenden einfach links liegen zu lassen - das ist Ausdruck eines neuen Feudalismus nach dem Motto: Dem Land geht es gut, wenn es den Verfügenden gut geht. Wir sind aber ein demokratisches Land. Deshalb bekämpfen wir diese menschenverachtende Dickhäutigkeit der jetzigen Bundesregierung.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Doss.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Matthias Wissmann, herzlichen Dank für diese Rede, die die Bedeutung des Mittelstandes deutlich gemacht hat.
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- Herr Stratmann, bei Ihnen ist noch viel zu lernen.
Es gibt eine ganze Reihe von Leuten, die meinen, Mittelstandspolitik sei nicht alles. Ich sage Ihnen: Ohne Mittelstandspolitik ist alles nichts.
Einer der roten Fäden, die sich heute hier durch die Debatten gezogen haben, war die Frage: Wie geht es weiter mit unserer Konjunktur? Welchen Einfluß hat der Export darauf? Gestern erklärte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelstages, Dr. Franz Schoser, dazu, der Außenhandel werde in diesem Jahr nicht weiter wachsen. Wir wissen das; wir haben es heute diskutiert. Wir können also nicht mit weiteren Impulsen aus dem Export für unsere Konjunkturerwartung rechnen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, trotzdem wird es 1987 Wachstum geben. Der Binnenmarkt hält den Wirtschaftsmotor auf Touren. Was für die vergangenen Jahre galt, wird durch den Jahreswirtschaftsbericht dieses Jahres eindrucksvoll bestätigt. Die Inlandsnachfrage verzeichnet einen stabilen Aufwärtstrend, der in der Lage ist, die niedrigeren Exportquoten dieses Jahres aufzufangen. Jene, die aus einem wenig weniger Aufschwung gleich eine neue Rezession herbeireden wollen, werden sich - wie so oft - als falsche Propheten erweisen. Der Aufschwung trägt, er ist stabil, er steht nicht auf tönernen Füßen. Der scharfe Wind vom Weltmarkt wird uns nicht gleich aus der Bahn werfen.
Das ist der entscheidende Unterschied zu 1981, als die Kaufkraft im Inland von der Inflation aufgefressen wurde und der Binnenmarkt am Boden lag. Die Zeiten und die politischen Verantwortungen haben sich Gott sei Dank verändert.
Durch eine verbesserte Eigenkapitalausstattung der exportabhängigen Unternehmen sind selbst längere Flauten zu verkraften, meint der DIHT. Die von interessierter Seite gewünschte Rezession findet nicht statt. Davon sollte wirklich keine Rede mehr sein.
Die Politik der Bundesregierung, die Politik der Sozialen Marktwirtschaft zahlt sich aus. Stabile Preise, niedrige Zinsen und die von einer vernünftigen Finanz- und Wirtschaftspolitik vorgegebenen Rahmenbedingungen haben die Kräfte des Marktes neu belebt.
Die Verbraucher haben wieder Vertrauen in die Zukunft. Sie verwenden wieder mehr Geld für den Konsum, statt es in unproduktiven Anlagen anzulegen und es somit dem Marktkreislauf vorzuenthalten. Mehr Konsum, mehr Binnennachfrage - 5,7 % Kaufkraftzugewinn allein 1986; das ist der höchste Zugewinn seit 15 Jahren, und da statistische Zahlen immer ein wenig problematisch sind, sage ich: Es sind rund 40 bis 50 Milliarden DM, die dazukamen; ob man jetzt Programm über Programm macht oder so: Ich glaube, das ist die bessere Lösung. Diese verstärkte Binnennachfrage hat zu einer deutlichen Ertragsverbesserung insbesondere bei der mittelständischen Wirtschaft geführt.
Die verbesserte Ertragslage hat dort wiederum die Investitionsfähigkeit gestärkt. Mehr Investitionen bedeuten mehr Arbeitsplätze: 600 000 - wir müssen es oft genug erwähnen, damit es auch bei den Damen und Herren der Opposition präsent wird -; und worauf wir besonders stolz sind: Rund ein Viertel davon entfällt auf strukturschwache Gebiete - und das trotz der demographischen Entwicklung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die heutige Arbeitslosenzahl - April 1987 - lautet: 8,8 %. Auch hier ist eine degressive Entwicklung zu verzeichnen. Das ist mein Beitrag zum statistischen Verwirrspiel, das wir hier so gerne spielen.
Die Bundesregierung hat mit der Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft das erfolgreichste „Beschäftigungsprogramm" der letzten 20 Jahre aufgelegt. Sie hat damit erneut bewiesen, daß der Schlüssel für eine erfolgreiche Volkswirtschaft in erster Linie in ordnungspolitischen Rahmenbedingungen und in
der Motivation derer liegt, die Wirtschaft erzeugen und praktizieren.
Motivation läßt sich nicht verordnen. Verstetigte Investitionen lassen sich nicht durch Gesetze beschließen. Arbeit entsteht nicht durch Strohfeuerprogramme.
({1})
Motivation, die Bereitschaft zur Investition, die Bereitschaft zum Risiko entstehen ausschließlich bei der Aussicht auf Erfolg und Ertrag. Die Wirkung eines staatlichen Programms endet im Regelfall mit dem Auslaufen der dafür eingesetzten Mittel. Die Motivation, der Ideenreichtum, die Kreativität und der Fleiß von 1,9 Millionen selbständigen Mittelständlern sind der Reichtum unseres Landes und durch kein Programm zu ersetzen.
({2})
Sie stellen 64 % aller Arbeitsplätze und 80 % der Ausbildungsplätze. Sie sind das Rückgrat unserer Volkswirtschaft.
Wirtschaftslehren, die vorgeben, der Staat könne Wirtschaftsabläufe programmieren, Nachfrage und Angebot bestimmen, Löhne und Preise regeln und für ausreichende Beschäftigung sorgen, beglücken Theoretiker in politikwissenschaftlichen Seminaren und führen Unternehmer zur Verzweiflung und Resignation.
({3})
Auf diese Weise macht man aus Unternehmern Unter-lasser.
Die Sozialdemokraten mußten am Ende ihrer Regierungsverantwortung diese Erfahrung machen, ohne - was wir alle bedauern - aus diesem Scheitern gelernt zu haben. Sie tragen mit großer Beharrlichkeit ihre alten Programme mit neuen Etiketten vor, die von Angst vor dem Markt gekennzeichnet und von dem unbegrenzten Vertrauen in den Staat als Wirtschaftslenker getragen sind.
({4})
Die grüne Spielart des extremen Sozialismus reduziert die Vielfalt einer modernen Volkswirtschaft auf den antiquierten Gegensatz von Kapital und Arbeit und leitet daraus antiquierte Forderungen ab.
({5})
Was die GRÜNEN in ihrem Programm zur Bundestagswahl als Demokratisierung des Wirtschaftsprozesses fordern, ist in Wahrheit nichts anderes als Ausschaltung der selbständigen Unternehmerentscheidung, Aufhebung der Verfügbarkeit über das Eigenturn, also Enteignung der Unternehmer und Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Das muß deutlich und klar gesagt werden.
({6})
Die Maximen unseres Handelns dagegen sind: Mehr Freiheit statt Reglementierung! Mehr Selbstverantwortung statt bürokratischer Kontrollmechanismen! Mehr Aussicht auf Lohn und Gewinn statt Überbelastung mit Steuern und Abgaben! Mehr Markt statt mehr Plan! Mehr Privat statt Staat!
({7})
- Ich habe ganz wenig Zeit. Ich bin der letzte, und mich beißen die Hunde. So ist das oft im Mittelstand. Ich muß sehen, was ich aus meiner Zeit mache. Die Wirksamkeit und der Erfolg unserer Politik sind an einer deutlich erhöhten Motivation der Unternehmer und der Unternehmen ablesbar. Selbständigkeit hat wieder Zukunft; Initiative ist wieder gefragt.
Jedes Unternehmen wird investieren, wenn Aussicht auf Rendite besteht;
({8})
und jede Investition sichert Arbeitsplätze und schafft neue. Gewinnerwartung und das Zutrauen in die Stabilität der politischen Rahmenbedingungen sind die Grundlagen einer verantwortungsvollen langfristigen Investitionsentscheidung.
In einem Land ohne Rohstoffe und mit bescheidenen Energiereserven, das seine Wirtschaftskraft nahezu ausschließlich aus den Köpfen und Händen seiner Bürger schöpft, kann Politik nur erfolgreich sein, wenn sie auf die Förderung der Motivation dieser Bürger ausgerichtet ist.
Eine erhöhte Leistungsbereitschaft, die bereits heute infolge deutlicher Entlastungen im steuerlichen Bereich in der mittelständischen Wirtschaft festzustellen ist, ist Ausdruck gewachsener Motivation.
Die Reduzierung der 70%igen Steuerlastquote - in der gestrigen Ausgabe der „Welt" erneut nachlesbar - gibt Unternehmen wieder mehr Handlungsspielraum und Investitionsanreize. Besonders im Mittelstand sind wegen der dort noch vorhandenen nur knappen Eigenkapitaldecke weitere Schritte nötig.
Die in diesem Jahr in Kraft getretenen Gesetze, z. B. Börsenzulassungsgesetz, Gesetz über Unternehmensbeteiligungsgesellschaften, Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für institutionelle Anleger, haben die Möglichkeiten der Beschaffung von investiv einsetzbarem Kapital zwar deutlich erweitert, die schwierige Eigenkapitalsituation der mittelständischen Betriebe - durchschnittlich 10,1 % - aber nicht gelöst.
Das Lämpchen vor mir leuchtet. Die Rede, die ich mir vorgenommen habe, ist erst zur Hälfte vorgetragen.
Wir sind auf dem richtigen Weg. Der Jahreswirtschaftsbericht wird nicht nur durch die Gutachter, sondern auch von den die Bundesregierung tragenden Fraktionen bestätigt. Daß wir auf dem richtigen Weg sind, beweisen die Zahlen und Fakten.
({9})
Das bestätigt auch die Zustimmung der Wählerinnen und Wähler. Wir sind gestärkt auf diesem Weg.
Wir werden zum Erfolg dieses Landes so weiterarbeiten wie bisher.
Der von der Bundesregierung vorgelegte Bericht entspricht unseren Erwartungen. Er ist gut und ermutigt, so fortzufahren.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
({10})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 10/6562, 10/6796, 11/18 und 11/ 136 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu Ergänzungswünsche, oder erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Es ist beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir fahren jetzt mit Punkt 1 der Tagesordnung fort:
Fragestunde
- Drucksachen 11/207, 11/221 Ich rufe die Dringlichkeitsfragen des Herrn Abgeordneten Lowack zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf:
Kann die Bundesregierung die Pressemitteilung in der „Welt" vom 2. Mai 1987 bestätigen, wonach ein maßgeblicher Vertreter der SWAPO, Moses Garoeb, anläßlich einer Pressekonferenz in Bonn u. a. gesagt haben soll: „Wir werden folgendes tun, und das meine ich ganz ernst: Wenn mit deutschen Geldern in Namibia Straßen gebaut werden, werden wir sie in die Luft jagen. Wenn Flughäfen gebaut werden, werden wir sie in die Luft jagen. Auch den Ausbau der Fischerei werden wir zerstören. Wenn deutsche Experten nach Namibia geschickt werden, werden sie einen hohen Preis bezahlen müssen. Wenn sie wieder nach Hause kommen, haben sie einen Arm weniger oder ein Bein weniger. Oder sie kommen gar nicht mehr nach Hause" sowie „jetzt ist eine andere Form des Kampfes notwendig. Wir sind noch immer zu zivil. Solange die Bundesregierung nicht aufhört, die Interimsregelung zu unterstützen, werden wir sie bekämpfen. Und wir werden ebenso die Übergangsregierung bekämpfen, auch wenn es uns das Leben kostet."?
Ist die Bundesregierung bereit, aus dieser Äußerung Konsequenzen zu ziehen, sofort Strafantrag gegen Garoeb zu stellen und dafür Sorge zu tragen, daß das Büro der SWAPO in Bonn sofort geschlossen wird?
Zur Beantwortung steht der Herr Staatsminister Schäfer zur Verfügung. Bitte schön, Herr Staatsminister.
Herr Kollege, Ihre beiden Fragen darf ich zusammenfassend wie folgt beantworten:
Der Bundesregierung ist diese Pressemitteilung bekannt. Da ein Vertreter der Bundesregierung an der Pressekonferenz nicht teilgenommen hat, kann die Bundesregierung den Inhalt der Meldung nicht bestätigen.
Falls diese Äußerungen so gemacht worden sind, verurteilt die Bundesregierung der Drohungen des SWAPO-Vertreters Garoeb mit aller Entschiedenheit. Sie sieht hierin eine erhebliche Belastung ihrer Beziehungen zur SWAPO. Nach Auffassung der Bundesregierung ist es andererseits weder opportun noch sinnvoll, gegen derartige Aussagen des SWAPO-Vertreters Garoeb mit strafrechtlichen Mitteln vorzugehen.
({0})
Weder der in Bonn ansässige SWAPO-Angehörige
noch sein Büro haben in irgendeiner Form einen offiziellen Status. Ein Einschreiten gegen Ausländer ist nur möglich, wenn diese gegen die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland verstoßen. Hierfür liegen im Falle des in Bonn ansässigen SWAPO-Angehörigen keine Anhaltspunkte vor.
Sie haben eine Zusatzfrage? - Bitte, Herr Kollege Lowack.
Herr Staatsminister, glauben Sie nicht, daß sich die SWAPO mit einer derartigen Äußerung eines verantwortlichen Mitarbeiters als eine Terrororganisation entlarvt hat, der es nicht um das Wohl der Menschen in Namibia, sondern in erster Linie offenbar darum geht, mit Brutalität an die Macht zu kommen?
Herr Kollege, ich kann nur wiederholen, was ich gesagt habe: daß wir diese Äußerungen mit Entschiedenheit zurückweisen. Ich glaube aber, man muß einen Unterschied zwischen einer Äußerung, die zudem nicht voll bestätigt ist, und dem Anliegen dieser Organisation machen. Wir werden auch in Zukunft mit großer Sorgsamkeit darauf achten, ob es zwischen solchen Ankündigungen und der Praxis einen Zusammenhang gibt.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte schön.
Herr Staatsminister, im gleichen Gespräch, zu dem mir ein Protokoll vorliegt, hat der gleiche SWAPO-Vertreter auch einen persönlichen Angriff gegen den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts gerichtet und ihn mit Hitler verglichen. Er hat ein Mitglied der Bundesregierung angegriffen. Er hat also nicht nur in Aussicht gestellt, daß man die mit deutscher Entwicklungshilfe gebauten Flugplätze oder sonstige infrastrukturellen Maßnahmen zerstören werde. Hält die Bundesregierung es nicht für erforderlich, daß hier tatsächlich mit aller Härte reagiert und Strafantrag gestellt wird, weil ein Straftatbestand erfüllt ist, zumindest der der Nötigung, wenn nicht sogar der des Aufrufs zu Straftaten?
Ich glaube nicht, daß man auf Grund einer uns nur in Form einer Pressemitteilung vorliegenden Erklärung eines hier zufällig anwesenden Vertreters der SWAPO derart weitgehende Konsequenzen ziehen kann. Wir sind aber der Auffassung, daß wir die weitere Entwicklung beobachten sollten. Ich darf außerdem sagen: Wir haben heute Hinweise auf eine andere Äußerung des SWAPO-Führers Nujoma über angebliche Lieferungen von Atommüll nach Namibia bekommen, die wir auch mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen haben. Ich selbst habe in einem Gespräch mit der gleichen Gruppe sehr deutlich gemacht, was unser Standpunkt ist.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Lowack? - Bitte schön.
Herr Staatsminister, nur noch eine Frage: Da ja diese Äußerungen von Garoeb schon einige Tage vorliegen: Warum war es der Bun510
desregierung bislang nicht möglich, dieses Protokoll zu erhalten und zu überprüfen?
Von einem Protokoll ist mir nichts bekannt. Sie selbst verweisen in Ihrer Frage auf eine Pressemitteilung der Zeitung „Die Welt" , aber ein Protokoll über irgendwelche Gespräche, die Herr Garoeb geführt haben soll und in denen diese Äußerungen gefallen sind, ist uns nicht übermittelt worden. Sonst hätten wir wahrscheinlich auch sofort reagiert. Ich selbst hatte bei meinem Gespräch mit der gleichen Gruppe keine Veranlassung, darauf einzugehen, weil mir derartige Äußerungen nicht bekannt waren, die auch in meiner Gegenwart in dieser Form nicht gefallen sind.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Danke schön. Ich hätte zwar noch eine, aber ich mache keinen Gebrauch mehr davon.
Danke schön. - Herr Dr. Lippelt, zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, würden Sie bei der Bewertung dieser Nachrichten außer der „Welt" vielleicht auch die Berichterstattung der „Frankfurter Rundschau" heranziehen, in der diese Zitate - oder nur eines dieser Zitate - in einem sehr viel umfassenderen und verständigeren Kontext stehen?
Herr Kollege, Sie machen deutlich, daß bei Äußerungen die hier in Bonn bei zufälligen oder auch anderen Besuchen irgendwelcher Vertreter irgendwelcher Organisationen fallen, die Berichterstattung schon deutlich macht, daß nicht immer ganz klar nachzuweisen ist, was nun der Wahrheit entspricht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatsminister, könnte es eine Rolle gespielt haben, daß vor nicht allzulanger Zeit bedeutende Mitglieder der Bundesregierung selber sehr schlechte Erfahrungen mit der „Welt" gemacht haben?
Herr Kollege, Sie werden mich nicht dazu veranlassen, hier eine Journalistenschelte zu veranstalten. Wir alle, Sie und ich und wir, wir, die wir hier sitzen, und Sie, die Sie da sitzen, machen gelegentlich unsere Erfahrungen mit dem einen oder anderen Presseorgan; die „Welt" gehört dazu. Ich enthalte mich aber jeder kritischen Außerung zu der freien Presse. Wir nehmen ja manches hin, aber auch wenn wir uns ärgern, werden wir nicht aus jeder Pressemitteilung dann anschließend eine große Veranstaltung machen.
Keine weiteren Zusatzfragen. Danke schön, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Herr
Staatssekretär Gallus steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Bindig auf.
Hält es die Bundesregierung für möglich, daß es nicht gelingen könnte, das Verbot von Milchimitationsprodukten gemäß § 36 des Milchgesetzes und die Beibehaltung des § 4 der Fleischverordnung innerhalb der EG für die Bundesrepublik Deutschland wirksam zu erhalten?
Herr Kollege, die Bundesregierung bemüht sich mit Nachdruck darum, das nationale Verbot von Milchimitationsprodukten und die entsprechenden Vorschriften bei Fleisch und Fleischerzeugnissen in eine EG-einheitliche Regelung einzubringen. Sie wird darin von einigen Mitgliedstaaten unterstützt. Darüber hinaus wird im Rahmen der EG bei Milch und Milchprodukten über eine strenge Kennzeichnungsregelung und den Schutz herkömmlicher Bezeichnungen intensiv verhandelt. Das Ergebnis der Verhandlungen über beide Probleme ist abzuwarten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bindig.
Herr Staatssekretär, ist denn die Situation wirklich so offen, wie Sie in Ihrer Antwort eben angedeutet haben. Gibt uns das EG-Instrumentarium denn nicht ausreichend Möglichkeit, wenn wir dieses mit größtem Nachdruck, von der Regierung und vom Parlament unterstützt und unter Ausnutzung aller unserer Instrumente einsetzen, daß wir diese wesentlichen Reinheitsgebote für Milch und Fleischwaren doch für uns erhalten können?
Ich habe schon angedeutet, und ich wiederhole es, daß die Bundesregierung alles tun wird, um diese Reinheitsgebote bei Milchprodukten, Würsten und Fleisch zu erhalten. Aber die Kommission ist auf Grund der Kennzeichnungsrichtlinie anderer Auffassung; das muß man sehen. Deshalb sind intensive Verhandlungen notwendig. Es gibt auch Staaten, die anderer Auffassung sind als wir, wobei die Franzosen unsere Auffassung im Bereich der Milch vertreten und den entsprechenden Antrag kürzlich bei der Kommission eingebracht haben.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte, Herr Bindig.
Herr Staatssekretär, wenn diese Lage so ist, daß wesentliche und große Länder unsere Position unterstützen, dient dann die große Kampagne, die in der Bundesrepublik im Moment gemacht wird, um dieses Reinhaltsgebot zu verteidigen, vielleicht ein klein wenig dazu, etwas von anderen agrarpolitischen Problemen, die auch im Verschulden der Bundesregierung liegen, abzulenken, um damit eine Stoßrichtung gegen die EG zu erhalten, obwohl, wie Sie ja jetzt sagen, dort die Gefahr gar nicht so groß ist, daß es dazu kommt, daß man eventuell eine Maßnahme beschließt, die uns verpflichtet, dieses zu ändern?
Herr Kollege, erstens habe ich nicht davon gesprochen, daß die Gefahr nicht groß sei, daß dies und jenes passieren könnte. Tatsache ist, daß wir in Verhandlungen stehen. Am Ende wird man sehen, wie sie ausgehen.
Zum zweiten Teil Ihrer Anmerkung, nämlich daß diejenigen, die diese Kampagne veranstalten, von anderen agrarpolitischen Fehlern - wie Sie meinen
- der Bundesregierung ablenken wollten: Das kann ich nicht so sehen. Die Kampagne zur Reinhaltung bei Milchprodukten und - nach der Fleischverordnung
- bei Würsten wird in erster Linie von der Deutschen Landjugend getragen, und ich halte sie für sehr hilfreich.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Herr Staatssekretär, wie verstehen Sie die Verhaltensweise der Kommission, die mitten in den schwierigsten Verhandlungen, die es seit Bestehen der Europäischen Gemeinschaft im Agrarbereich gegeben hat, jetzt den Prozeß beim EuGH zur Aufhebung des Imitationsverbots für Milch und Fleisch und Wurst in Deutschland und Frankreich wieder aufleben läßt, wo doch, wenn das Gericht im Sinne der Kommission entscheiden würde, erstens die Europäische Gemeinschaft Schaden nimmt, weil die Finanzierung der 20 % Milch dann noch zusätzlich geschehen muß, die dadurch wieder als Überschuß entstehen würden, und zweitens der Verbraucher in der Europäischen Gemeinschaft und die Landwirtschaft in der Europäischen Gemeinschaft geschädigt würden? Wo liegt da die Motivation?
Herr Kollege, ich kann keine Auskunft für die Kommission in dieser Frage geben. Eines ist klar: Es ist so, wie ich gesagt habe, daß im letzten Agrarrat Frankreich darauf hingewiesen hat, daß die Ruhefrist abläuft und eine präjudizierende Entscheidung des EuGH droht. Deshalb hat mit unserer Unterstützung Frankreich die Kommission aufgefordert, eine Verlängerung der Ruhefrist zu beantragen. Auf diese Entscheidung warten wir jetzt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Carstensen.
Herr Staatssekretär, können Sie ungefähr die Größenordnung quantifizieren, in der Schäden auf die bundesdeutsche Landwirtschaft und auf die europäische Landwirtschaft zukommen würden, wenn das Imitations-verbot aufgehoben werden würde?
Von welchem sprechen Sie jetzt? Vom Imitationsverbot bei Milch oder bei Fleisch?
Ich überlasse es Ihnen. Ich gehe davon aus, daß Sie beides können.
Herr Kollege, ich muß daran erinnern, daß, wenn dies tatsächlich der Fall wäre und wir einen ähnlichen Urteilsspruch vom Europäischen Gerichtshof bekämen, wie Sie befürchten, dann die Milchproduktion in Europa schätzungsweise um noch einmal 6 % bis 10 % zurückgenommen werden muß. Die Situation im Fleischbereich kann noch viel gravierender werden. Allein die Beimischung von 1 % Soja in die Wurst würde in der Bundesrepublik Deutschland einen Minderbedarf von 120 000 bis 140 000 Schweinen und 12 000 Rindern nach sich ziehen.
Keine Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Jetzt rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Herr Staatssekretär Echternach steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Dr. Sperling auf :
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß in den Normen für den sozialen Wohnungsbau die Bedürfnisse von Kindern nicht einbezogen werden?
Herr Kollege, wenn Sie damit einverstanden sind, möchte ich die Fragen 2 und 3 gemeinsam beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Was unternimmt die Bundesregierung zur kindergerechten Änderung dieser Normen?
Die Bundesregierung teilt nicht die Auffassung, daß die Normen für den sozialen Wohnungsbau die Bedürfnisse von Kindern nicht berücksichtigen. Das Zweite Wohnungsbaugesetz enthält eine Reihe kinderfreundlicher Bestimmungen. Der Wohnungsbau für kinderreiche Familien ist nach § 26 vordringlich zu fördern. Die für die Förderung maßgebenden Einkommensgrenzen erhöhen sich nach § 25 mit der Zahl der Kinder, und die Wohnflächengrenzen können nach § 39 überschritten werden, wenn die Mehrfläche zu einer angemessenen Unterbringung eines Haushalts mit mehr als vier Personen erforderlich ist oder zur angemessenen Berücksichtigung der besonderen persönlichen Bedürfnisse des künftigen Wohnungsinhabers erforderlich ist. Schließlich sieht § 34 vor, daß ein im öffentlich geförderten Wohnungsbau geförderter Bauherr, der Kinder hat, Anspruch auf ein Familienzusatzdarlehen besitzt. Die Höhe des Darlehens steigt progressiv mit der Zahl der Kinder.
Im Wohnungsbindungsgesetz ist festgelegt, daß die Wohnungsgröße angemessen ist, wenn sie es ermöglicht, daß auf jedes Familienmitglied ein Wohnraum ausreichender Größe entfällt.
Schließlich legen die Länder in ihren Förderungsbestimmungen Prioritäten bei der Berücksichtigung von Antragstellern fest, und dazu zählen in erster Linie kinderreiche Familien.
In den Wohnungsbauförderungsbestimmungen einiger Bundesländer ist auch die Größe von Kinderzimmern ausdrücklich geregelt. Die vorgesehenen
Mindestwerte entsprechen dabei den sogenannten Kölner Empfehlungen des Internationalen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie nun für die Bundesregierung sprechen: Sprechen Sie damit auch für jedes Mitglied der Bundesregierung?
Ich verstehe nicht, warum Sie Zweifel daran haben, daß dies die Meinung der Bundesregierung ist. Es ist die Meinung der Bundesregierung.
Zweite Zusatzfrage.
Haben Sie schon Druck aus dem Bundesministerium für Jugend, Familie, Gesundheit und Frauen verspürt, das nach Auskunft der Ressortinhaberin anderer Meinung zu sein scheint?
Herr Kollege, wir haben im letzten Jahr ausführlich anläßlich einer Großen Anfrage, die Sie eingebracht haben, über dieses Thema hier debattiert. Wir haben dargelegt, inwiefern die Bestimmungen, die zur Zeit gelten, auch tatsächlich den Familien ein kindgerechtes Wohnen ermöglichen.
Dritte Zusatzfrage.
Könnten Sie denn dann erklären, warum Frau Ministerin Süssmuth genau gegenteiliger Auffassung ist als die Bundesregierung, obwohl sie ihr doch angehört?
Ich würde empfehlen, wenn Sie Zweifel an der Aussage von mir haben, sich dann an das von Ihnen angesprochene Mitglied der Bundesregierung zu wenden.
Letzte Frage.
Würden Sie die Güte haben, mit Ihrem gut eingerichteten Büro, das ich ja kenne, der Frau Ministerin Süssmuth diesen Teil der Fragestunde zukommen zu lassen?
Die Fragestunde wird protokolliert und anschließend allen Mitgliedern des Hauses zugeleitet.
Keine weitere Zusatzfrage? - Danke, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Herr Staatssekretär Dr. Jahn steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Frage 4 des Herrn Abgeordneten Marschewski:
Ist das am 22./23. Juli 1937 vom „Sondergericht" München gegen Pater Rupert Mayer SJ ergangene „Urteil" (sechs Monate Gefängnis wegen „heimtückischer Angriffe auf Partei und Staat" und „Kanzelmifibrauchs"( nichtig oder sonstwie rechtlich irrelevant, und wie beurteilt die Bundesregierung die Rechtsqualität u. a. dieses „Sondergerichtsurteils"?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Marschewski, das Sondergericht München hat Pater Rupert Mayer 1937 wegen Vergehens gegen den sogenannten Kanzelparagraphen, das war der damalige § 130 a des Strafgesetzbuches, in Tateinheit mit einem Vergehen gegen § 2 des sogenannten Heimtückegesetzes von 1934 zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten verurteilt. Pater Rupert Mayer hat diese Strafe bis auf einen Rest, der ihm erlassen wurde, in der Justizvollzugsanstalt Landsberg am Lech verbüßt. Pater Rupert Mayer hatte ein von der Gestapo willkürlich verhängtes Redeverbot mißachtet und war „als mutiger Zeuge der Wahrheit" , wie es Papst Johannes Paul II. am vergangenen Sonntag in München formuliert hat, von der Kanzel aus der antichristlichen und antikirchlichen Hetze der NS-Propaganda sowie rechtswidrigen Manövern und Repressalien gegen die Anhänger der im Konkordat von 1933 garantierten Konfessionsschule entgegengetreten.
Durch das bayerische Gesetz von 1946 über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege wurden NS-Urteile, welche eine Bestrafung allein auf das Heimtückegesetz stützten, automatisch aufgehoben, ohne daß es einer gerichtlichen Entscheidung bedurfte.
Hingegen sind Verurteilungen, die auch auf Bestimmungen des allgemeinen Strafrechts gestützt waren, nur auf Antrag in einem besonderen gerichtlichen Verfahren aufhebbar, sofern das inkriminierte Verhalten „allein nach nationalsozialistischer Auffassung zu bestrafen war" . Da die Verurteilung des Paters Rupert Mayer auch auf dem „Kanzelparagraphen" - ein Überbleibsel des Bismarckschen Kulturkampfs, 1953 aufgehoben - gestützt war, war das Urteil gegen ihn durch das Gesetz von 1946 nicht schon aufgehoben, sondern auf Antrag hin aufhebbar. Ein entsprechender Antrag ist zu keiner Zeit gestellt worden.
Die Frage, ob ein Antrag nach dem bayerischen Gesetz von 1946 auch heute noch gestellt werden könnte, ist rechtlich kompliziert. Nach Auffassung der Bundesregierung ist sie zu bejahen, obwohl eingeräumt werden muß, daß auch andere Rechtsauffassungen vertretbar erscheinen.
Auf diese Rechtsfrage kommt es aber nach Auffassung der Bundesregierung im vorliegenden Fall nicht an. Tatsächlich haben nämlich bis heute die Antragsberechtigten, das sind die Hinterbliebenen und die Staatsanwaltschaft, keinen solchen Antrag gestellt. Dafür war offensichtlich ausschlaggebend, daß weder die Angehörigen des Paters noch kirchliche Stellen ein Interesse an der Aufhebung des Urteils gezeigt haben. Dies hat offensichtlich die zuständige Staatsanwaltschaft akzeptiert. Offenbar sind alle, die es persönlich angeht, der Auffassung, daß es einer Aufhebung des Urteils nicht bedarf, da die Bevölkerung weiß, daß Pater Rupert Mayer allein wegen seines Widerstandes gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft verurteilt wurde und daß das Urteil ein Dokument des Widerstandes ist.
Pater Rupert Mayer hat in einem Tagebucheintrag selbst zu seiner Verurteilung folgendes bemerkt - ich zitiere:
Ich habe nämlich in der Verhandlung betont, daß die Richter der katholischen Sache keinen größeren Dienst erweisen könnten, als wenn sie katholische Priester, die für die Rechte und Freiheiten der Kirche eintreten, verurteilen und einsperren. In diesem Sinne habe ich für das Urteil gedankt.
Sie haben eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Marschewski.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß das alliierte Recht gemäß Art. 125 unseres Grundgesetzes als vorkonstitutionelles Recht noch heute gültig ist, und ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Antragsfristen, die zunächst einmal bestanden haben, nach dem Bundesentschädigungsschlußgesetz von 1965 aufgehoben worden sind, oder gibt es andere Rechtsauffassungen?
Herr Kollege Marschewski, das Heimtückegesetz wurde als typisches nationalsozialistisches Unrechtsgesetz durch das Kontrollratsgesetz Nr. 1 aufgehoben. Der Kanzelparagraph - das war der damalige § 130a des Strafgesetzbuches - wurde 1953 durch das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz aufgehoben. Beide gesetzlichen Grundlagen sind inzwischen aufgehoben.
Die Frage der Nichtigkeit der Urteile des Volksgerichtshofes und der Sondergerichte war schon einmal Gegenstand der Erörterung hier im Deutschen Bundestag. Entsprechend der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses hat man damals einen unterschiedlichen Akzent in bezug auf die Nichtigkeit von Urteilen des Volksgerichtshofes und in bezug auf die Nichtigkeit von Urteilen der Sondergerichte gesehen. Sie wissen, daß im Bundesrat entsprechende Initiativen liegen und noch einer Bearbeitung harren. Ich kann noch einmal für die Bundesregierung sagen, daß sie die Auffassung vertritt, daß ein solcher Antrag auf Aufhebung noch heute gestellt werden könnte.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Emmerlich.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für angemessen, daß ein sogenanntes gerichtliches Urteil, das Sie selbst als ein Dokument des Widerstandes bezeichnet haben, das ich mindestens zusätzlich als ein Dokument des Staatsterrorismus durch die Nazis bezeichnen würde, in bezug auf seinen Bestand davon abhängig ist und von uns davon abhängig gemacht wird, daß die Betroffenen selbst seine Aufhebung verlangen, oder ist es nicht vielmehr erforderlich, daß wir die Aufhebung eines solchen Urteils als die Angelegenheit aller und damit unseres Staates selbst betrachten?
Herr Kollege Emmerlich, die Frage, die Sie stellen, ist sehr ernst zu nehmen. Zunächst einmal gibt es zwei Antragsberechtigte. Das sind einmal die Hinterbliebenen. Sie haben den Antrag - offensichtlich aus wohlerwogenen Gründen - nicht gestellt. Auch eine Anregung der Kirchen, einen Antrag zu stellen, ist - offensichtlich ebenfalls aus wohlerwogenen Gründen - nicht ergangen. Dann bleibt die Frage, ob die Staatsanwaltschaft, die zuständig ist, einen solchen Antrag stellen sollte. Zuständig ist der Freistaat Bayern. Ich kann hier die Abwägung für den Freistaat Bayern nicht vornehmen. Offensichtlich hat die Staatsanwaltschaft die Gründe, die für die anderen Antragsteller maßgeblich waren, keinen Antrag zu stellen, gewürdigt.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Verhülsdonk.
Herr Staatssekretär, ich möchte nachfragen. Habe ich Sie richtig verstanden, daß von der katholischen Kirche - wie Sie es gedeutet haben - offensichtlich aus überzeugenden Erwägungen heraus keine Anregung ausgegangen ist, einen Antrag auf Aufhebung des gegen Pater Rupert Mayer ergangenen Urteils zu stellen?
Frau Kollegin Verhülsdonk, ich habe das eben bestätigt. Wenn Sie wollen, kann ich einige Ausführungen hinzufügen. Dem erzbischöflichen Ordinariat in München lagen nach unseren Erkenntnissen die Akten zum erstenmal im Jahre 1949 vor. Auch in jüngster Zeit hat sich das erzbischöfliche Ordinariat in München öffentlich dahin gehend geäußert, das Urteil gegen Pater Rupert Mayer sei eine Ehrenurkunde; Pater Rupert Mayer bedürfe weder einer juristischen noch einer moralischen Rehabilitierung. Auch Vertreter des Jesuitenordens haben bei Kontakten - wie wir ermittelt haben - mit dem Bayerischen Staatsministerium der Justiz deutlich gemacht, daß es aus ihrer Sicht auch im Falle von Pater Rupert Mayer keiner Aufhebung des Urteils bedürfe.
Zusatzfrage, Herr Geis.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß bei 288 während der NS-Zeit erfolgten Verurteilungen von katholischen bayerischen Priestern in keinem einzigen Fall ein Antrag auf Aufhebung eines solchen Urteils nach dem Krieg gestellt wurde?
Herr Kollege Geis, der Bundesregierung ist dieser Tatbestand bekannt. Das einzige Aufhebungsverfahren betraf Pater Nell Breuning. Grund für den Antrag war, daß die Verurteilung von Pater Nell Breuning auch wegen angeblicher Devisenvergehen erfolgt war und das Urteil, das auf drei Jahre Zuchthaus lautete, noch nicht vollstreckt war.
In der Zahl 288, die Sie nannten, findet meines Erachtens die Auffassung der Kirche Widerhall, daß die Urteile gegen die katholischen Priester Ehrenurkunden ihres Widerstandes sind und daß es einer Rehabilitierung nicht bedarf.
Zusatzfrage von Herrn Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, wenn Sie auf die Frage der Kollegin Verhülsdonk bestätigen, daß die Nichtaufhebung für kirchliches Selbstverständnis
offensichtlich sei, frage ich Sie: Gilt das denn auch für unser staatliches Selbstverständnis?
({0})
Herr Kollege Hirsch, ich habe eben darauf hingewiesen, daß die Zuständigkeit für diese Frage beim Freistaat Bayern liegt. Ich habe hinzugefügt, daß sich der Freistaat Bayern bei der Frage, ob die Staatsanwaltschaft tätig wird, offensichtlich auch von den Gedankengängen der Angehörigen und der Kirche hat leiten lassen. Weitere Fragen müßten zuständigkeitshalber an die Landesregierung des Freistaats Bayern gerichtet werden.
Noch eine Zusatzfrage? - Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ist die Praxis in den Bundesländern einheitlich?
Herr Kollege Pick, dieser Frage müßte ich nachgehen.
Darf ich die Antwort als Zusage werten, im Rechtsausschuß oder sonstwie zu berichten?
Ja, das sage ich Ihnen zu.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 5 des Abgeordneten Marschewski auf:
Befindet sich z. Z. noch eine diesbezügliche Eintragung im Bundeszentralregister, und falls nicht, wann wurde sie gelöscht?
Herr Kollege Marschewski, im Bundeszentralregister befindet sich keine Eintragung. Sie konnte auch gar nicht aus dem früheren Strafregister in das Bundeszentralregister übernommen werden, da sie spätestens am 23. Januar 1956, dem 80. Geburtstag von Pater Mayer, aus dem Strafregister zu entfernen war.
Wann sie tatsächlich aus dem Strafregister entfernt wurde, läßt sich heute nicht mehr feststellen, da Unterlagen über die bis 1971 bestehenden Strafregister nicht mehr vorhanden sind.
Keine Zusatzfrage dazu? - Danke schön, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Voss zur Verfügung.
Die Fragen 6 und 7 werden auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Dr. Solms, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Frage 8 des Herrn Abgeordneten Stahl:
Wie beurteilt die Bundesregierung die laufenden Planungen der britischen bzw. amerikanischen Militärdienststellen im Raum Mönchengladbach/Kreis Viersen bzw. Kreis Kleve, wonach Aufgaben, soweit sie bislang von bundesdeutschen Zivilangestellten erledigt wurden, künftig von Angehörigen der Stationierungsstreitkräfte erledigt werden sollen, unter dem
Gesichtspunkt des Abkommens zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages von London vom 19. Juni 1951 über die Rechtsstellung ihrer Truppen und den Zusatzvereinbarungen von August 1959 und 1961 sowie speziell auch des Artikels IX Abs. 4 Satz 1 des Abkommens zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen ({0}), also des Grundsatzes, daß der Bedarf der Stationierungsstreitkräfte an zivilen Arbeitskräften über die bundesdeutschen Arbeitsämter zu decken ist?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Stahl, die Bundesregierung ist über die von Ihnen genannten Überlegungen der Stationierungsstreitkräfte unterrichtet. Nach den Bestimmungen der von Ihnen genannten Abkommen und Zusatzvereinbarungen tragen die Stationierungsstreitkräfte die Kosten für Lieferungen und Leistungen zur Versorgung ihrer Truppen in vollem Umfang selbst. Deshalb bestimmen sie auch selbst, ob sie für diese Versorgungsleistungen private Unternehmen heranziehen oder hierfür eigene Arbeitskräfte beschäftigen.
Soweit sie hierfür eigene Arbeitskräfte beschäftigen wollen, können sie nach Art. 9 Abs. 4 des NATO-Truppenstatuts alle Bewerber einstellen, die Zugang zum örtlichen Arbeitsmarkt haben. Die Bundesregierung geht auf Grund ihrer Kontakte mit den Hauptquartieren der amerikanischen und britischen Streitkräfte davon aus, daß die genannten Überlegungen im Ergebnis zu keiner deutlichen Veränderung in der Personalstruktur der zivilen Beschäftigten bei den Streitkräften führen werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, war diese Passage des Abkommens zwichen den Streitkräften und dem Bundesfinanzminister unstrittig bezüglich der Auslegung und bezüglich der Handhabung?
Herr Kollege Stahl, soweit mir bekannt ist, hat es zwischen der Bundesregierung und der US-Seite in der Vergangenheit zu dieser Frage unterschiedliche Auffassungen gegeben; aber das Bundesarbeitsgericht hat im Ergebnis die Auffassung der US-Seite bestätigt.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, hält es die Bundesregierung für unter Bündnispartnern für angemessen, wenn Briten und Amerikaner ihre durch Währungsverfall und alles, was dazugehört, sozusagen hausgemachten Probleme nun auf dem Rücken bundesdeutscher Arbeitnehmer austragen?
Herr Kollege Stahl, ich habe soeben deutlich zu machen versucht, daß die Bundesregierung ihren Einfluß geltend macht, daß die deutschen Interessen weitestgehend gewahrt werden. Andererseits muß die Bundesregierung natürlich auch Verständnis dafür haben, daß rechtliche Möglichkeiten von den Alliierten genutzt werden, wenn
sie in Schwierigkeiten sind, wie Sie sie eben zum Teil genannt haben.
Herr Stiegler zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Ihnen ist sicher bekannt, daß der amerikanische Kongreß dem Pentagon die Auflage gemacht hat, Einsparungen bei den deutschen Zivilbeschäftigten vorzunehmen. Was hat denn die Bundesregierung bisher unternommen, um zu erreichen, daß der bisherige Stand der deutschen Zivilbeschäftigten bei den Stationierungsstreitkräf ten gehalten wird, damit nicht nur die Lasten des Übungsbetriebs auf der deutschen Zivilbevölkerung liegen, sondern ihr auch die Arbeitsplatzvorteile zugute kommen?
Herr Kollege, ich habe ja eben schon deutlich zu machen versucht, daß die Bundesregierung ihren Einfluß geltend gemacht hat und auch in Zukunft geltend machen wird, daß der Stand der deutschen Beschäftigten im wesentlichen erhalten bleiben kann. Aber darüber hinaus kann die Bundesregierung natürlich die Möglichkeiten, die die US-Streitkräfte, aber auch die anderen Alliierten auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen haben, nicht ganz ignorieren.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Rumpf.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß die Maßnahmen zur Abrüstung zwangsläufig wohl auch einen Abbau von zivilen Beschäftigten mit sich führen werden?
Das ist nicht ganz auszuschließen, Herr Kollege.
Keine weitere Zusatzfrage. Dann rufe ich die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Stahl auf:
Hat die Bundesregierung die genannten Planungen der Briten und Amerikaner - Verlagerung von Tätigkeiten auf private Unternehmen und Angehörige der Streitkräfte - unter dem Gesichtspunkt der Rechtsmäßigkeit gemäß dem in Frage 8 angesprochenen Abkommen geprüft, und zu welcher Bewertung der Ausfüllung des Vertrages durch die Streitkräfte kommt die Bundesregierung?
Die Bundesregierung hat selbstverständlich geprüft, Herr Kollege Stahl, ob die Stationierungsstreitkräfte an Stelle der Beschäftigung von deutschen Arbeitnehmern andere Möglichkeiten der Aufgabenerfüllung wählen können und ob sie hierbei irgendwelchen Beschränkungen unterliegen.
Es gibt natürlich eine ganze Fülle von deutschen Gesetzen, die die Stationierungsstreitkräfte zu beachten haben, wenn sie am deutschen Wirtschaftsverkehr teilnehmen, sei es, daß sie Firmen beauftragen, sei es, daß sie Arbeitnehmer beschäftigen. Wie bereits dargelegt, widerspricht die Beauftragung von privaten Unternehmen oder die Beschäftigung eigener Staatsangehöriger nicht den zu beachtenden Bestimmungen und Abkommen.
Dessen ungeachtet setzt sich die Bundesregierung dafür ein, daß die Arbeitsplätze für deutsche Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften nach Möglichkeit erhalten bleiben.
Zusatzfrage, Herr Stahl.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen vorhin in der Beantwortung davon, daß die Zahl des deutschen Personals „im wesentlichen" aufrechterhalten werden soll. Wie kann ich den Zusatz „im wesentlichen" verstehen? Unbestritten ist ja wohl, daß es auf Grund dieser Passage, die zwischen der Bundesregierung und den alliierten Streitkräften auch wohl schon des öfteren strittig verhandelt wurde, doch eigentlich Ihre Aufgabe ist, insbesondere darauf zu drängen, daß sich die alliierten Streitkräfte auch bei einem sehr starken Dollarkursverfalll ihren Pflichten gegenüber den deutschen Arbeitnehmern nicht. entziehen.
Herr Kollege Stahl, ich will hier kein Seminar über die deutsche Sprache eröffnen. „Im wesentlichen" heißt, daß mit geringen Verschiebungen, geringen Abänderungen der Zustand erhalten bleibt, wie wir ihn jetzt haben. Nach unseren Verhandlungen wissen wir auch, daß die Streitkräfte ein Interesse daran haben, das bestehende gute Verhältnis nicht durch Maßnahmen zu beeinträchtigen, wie Sie sie befürchten. Von daher kann ich mit Recht davon ausgehen, daß wir - mutatis mutandis, muß ich sagen - den Zustand, den wir jetzt haben, auch in Zukunft aufrechterhalten können. Da wird es wieder die eine oder andere Verhandlung geben müssen.
Die zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, dann darf ich noch einmal nachfragen: Welche neueren Erkenntnisse hat denn die Bundesregierung auf Grund der Planung der alliierten Streitkräfte, auf Grund vergebener Gutachten und auf Grund des in den Gutachten schon erkennbarem Faktums, daß eine große Zahl von zivilbeschäftigten Bundesrepublikanern dort eingespart werden soll, darüber, wie sich dies eigentlich mit Ihrer jetzigen Antwort in Verbindung bringen läßt, und meinen Sie nicht, daß die Fürsorgepflicht der Bundesregierung hier etwas größer ist, als in dem, was Sie ausgeführt haben, zum Ausdruck kommt?
Herr Kollege Stahl, Sie können davon ausgehen, daß die Bundesregierung ihre Fürsorgepflicht gerade in diesem Bereich auf Grund der Belastungen, die an anderer Stelle bestehen, besonders ernst nimmt und daß sie nichts unterlassen wird, hier das Optimale, das Bestmögliche auch zu erreichen.
Unsere bisherigen Verhandlungen haben gezeigt, daß wir hier auch durchaus auf positive Resonanz stoßen, und von daher glaube ich nicht, daß die Befürch516
tungen, die Sie haben, die sich offensichtlich auf viel, viel stärkere Größenordnungen beziehen, realistisch werden, Gott sei Dank nicht!
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, es gab ja in den 80er Jahren schon eine „Fact Finding Commission", die die Zahl der Arbeitnehmer im gegenseitigen Einvernehmen festzustellen versuchte. Sind Sie denn in der Lage, uns einmal für die letzten 10 Jahre eine Übersicht darüber zu geben, wie sich die Zahl der deutschen Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften entwickelt hat, möglichst aufgegliedert nach Bundesländern oder nach Standorten?
Ich werde versuchen, etwas Derartiges erstellen zu lassen, wenn das nicht allzu großen Arbeitsaufwand nach sich zieht. Ich gehe davon aus, daß das möglich sein wird, und werde Ihnen das dann zustellen.
({0})
Sie möchten es auch haben? - Herr Emmerlich ebenso. Vielen Dank!
Nun rufe ich Frage 10 des Herrn Abgeordneten Dr. Mertens ({0}) auf:
Hält die Bundesregierung den Anstieg der Neuverschuldung des Bundes von anvisierten 22,3 Milliarden DM in diesem Jahr auf 28 Milliarden DM im Jahr 1988 und 33 Milliarden DM im Jahre 1990 für einen „vorübergehenden, begrenzten Anstieg der Neuverschuldung"?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Dr. Mertens, wie Sie wissen, erfolgt die Aufstellung von Haushalts- und Finanzplan in einem festen, geordneten Verfahren. Wir sind jetzt dabei, auf der Arbeitsebene Gespräche mit den Ressorts zu führen. Danach folgen vom 18. bis zum 20. Mai die Steuerschätzungen und Anfang Juni die Chefgespräche. Die Kabinettsberatungen werden Anfang Juli geführt.
Abschließende Zahlen zum Bundeshaushalt 1988 und zum Finanzplan liegen daher zur Zeit noch nicht vor. Es bleibt aber das Ziel der Bundesregierung, daß ein infolge der Steuerentlastung unvermeidlicher Anstieg der Nettoneuverschuldung vorübergehend und begrenzt bleibt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mertens.
Herr Staatssekretär, darf ich noch einmal konkret nachfragen: Welche Zeitvorstellungen hat denn die Bundesregierung, wenn Sie von einem nur vorübergehenden Anstieg der Neuverschuldung spricht? Denkt sie an einen Zeitraum von 5 Jahren, von 10 Jahren, von 15 Jahren?
Herr Kollege Mertens, wenn Sie sich die letzte Legislaturperiode noch einmal vor Augen führen und wenn Sie sich die Rückführung der Nettoneuverschuldung ansehen, erkennen Sie, daß die Bundesregierung das in sehr schnellen Schritten getan hat. Wir gehen davon aus, daß die Neuverschuldung nach einem vorübergehenden Anstieg ohne schuldhaftes Verzögern wieder auf den Stand zurückgeführt wird, den wir zu erreichen in der Lage sind und den wir erreichen wollen.
Die zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wann ist denn damit zu rechnen, daß nach 33 Milliarden DM Neuverschuldung im Jahre 1990 wieder der jetzige Stand von 22 Milliarden DM erreicht werden kann?
Herr Kollege Mertens, diese Frage wird Ihnen mit Fug und Recht heute niemand beantworten können. Stellen Sie sich bitte wieder die Situation der letzten Legislaturperiode vor: Sie wissen, daß für den Haushalt 1983 eine Neuverschuldung von rund 55 Milliarden drohte, nachdem in dem Haushalt, den Herrn Lahnstein noch entworfen hatte, 37 Milliarden enthalten waren. Sie wissen auch, wie schnell sich dann, nachdem es im Haushalt 1983 im Ansatz, im Soll, 40,9 Milliarden waren, die bei der Durchführung des Haushalts auf 31,5 Milliarden zurückgeführt werden konnten, in den folgenden Jahren erheblich niedrigere Ansätze ergeben haben, die sich dann noch einmal reduziert haben. Von daher können Sie sehen, wie schnell der Weg gegangen werden kann.
Das setzt natürlich voraus, daß die entsprechenden Umstände günstig sind. Ich gehe zum jetzigen Zeitpunkt einmal davon aus, daß das - mit kleinen Schwankungen - so sein wird. Von daher glaube ich, daß es möglich sein wird, in einem viel, viel kürzeren Zeitraum, als Sie ihn genannt haben, wieder zu einer, wenn Sie so wollen, Normalverschuldung - auch hier ist ja die wissenschaftliche Meinung nicht ganz einheitlich - zurückzukehren.
Zusatzfrage, Abgeordneter Poß.
Herr Staatssekretär, Sie sind jetzt in der Tat von sehr günstigen Umständen ausgegangen, nämlich von den Bundesbankgewinnen der letzten Jahre. Ich frage Sie: Halten Sie eine Steigerung der Neuverschuldung von 22 Milliarden DM, geplant, auf 33 Milliarden DM - die Zahl haben Sie ja im April selbst veröffentlicht -, also um fast 50 %, für einen begrenzten Anstieg?
Herr Kollege, was den Bundesbankgewinn anbetrifft, so sind wir hier nie von euphorischen oder zu optimistischen Daten ausgegangen, sondern wir sind uns immer der Tatsache bewußt gewesen, daß der Bundesbankgewinn degressiv sein wird. So haben wir ihn auch eingesetzt. Wir haben ja erlebt, wie stark er heruntergegangen ist. Das ist im Zahlenwerk auch so verarbeitet. Infolgedessen werden wir von daher keine Überraschungen erleben
Was das weitere Ihrer Frage anbetrifft, so meine ich, daß eine Erhöhung der Nettoneuverschuldung, wie sie sich hier nach den Beratungen und nach den EntParl. Staatssekretär Dr. Voss
scheidungen, die noch zu treffen sein werden, als unvermeidbar darstellen wird, für einen sehr, sehr guten Zweck erfolgt, nämlich für eine Steuerentlastung, wie wir sie bisher in dieser Größenordnung noch nie gehabt haben, Herr Kollege. Von daher glaube ich, daß es sowohl konjunkturpolitisch als auch wirtschaftspolitisch und haushaltspolitisch verkraftbar ist, hier einen gewissen Anstieg der Nettoneuverschuldung für einen begrenzten Zeitraum in Kauf zu nehmen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, trifft es nach dem, was Sie jetzt ausgeführt haben, zu, daß das damalige Gerede bzw. die damaligen Aussagen des jetzigen Herrn Bundeskanzlers und damaligen Oppositionsführers sowie wichtiger Mitglieder der Opposition, der Staat wäre Pleite, bezogen auf die zusätzliche Verschuldung heute nicht mehr stimmt?
Herr Kollege, Sie müssen sich hier den Zeitpunkt Oktober/November 1982 vor Augen führen und das, was haushaltspolitisch geschehen wäre, wenn die Dinge so weitergelaufen wären, wie sie weiterzulaufen schienen.
({0})
Hier ist eine Zäsur erfolgt, Herr Kollege.
({1})
Diese Zäsur hat im Laufe der letzten Legislaturperiode zu einer deutlichen Verbesserung geführt. Diese deutliche Verbesserung erlaubt es uns heute, eine Steuerentlastung vorzunehmen - wenn auch in Stufen - , von der ich glaube, Herr Kollege, daß Sie sie - wenn Sie ehrlich sind - nie zustande gebracht hätten und auch nach der veränderten und unterschiedlichen Konzeption, die Sie wirtschaftlich, finanzpolitisch und haushaltspolitisch haben, auch nie gewollt hätten.
({2})
Das ist zwar gestattet, aber nicht ganz gut umsetzbar.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Carstensen.
Herr Staatssekretär, da ich wie viele andere Bürger sehr schnell viele Dinge vergesse: Können Sie mir vielleicht noch einmal helfen und in Erinnerung rufen, wie die Entwicklung der Nettoneuverschuldung von 1979 bis 1983 gewesen ist und wofür seinerzeit diese Schulden verwendet worden sind?
Herr Kollege, ich kann Ihnen die Zahlen nennen: 1980 27,1, 1981 37,4, 1982 37,2. Das wurde dann von uns wieder zurückgeführt: 1983 31,5, 1984 28,3, 1985 22,4, 1986 22,9 und 1987 22,3. Wenn Sie diese Linie verfolgen, wird sehr, sehr deutlich, wie die Nettoneuverschuldung reduziert worden ist. Bei diesem Ergebnis, so glaube ich, ist es angebracht und auch vertretbar, eine Steuerentlastung in dem Umfang zu machen, wie die Bundesregierung sie geplant hat.
Jetzt kommt der Herr Abgeordnete Stiegler zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn ich mich recht erinnere, ist damals sogar unter Ihrer persönlichen Beteiligung eine Klage wegen der damaligen Bundesverschuldung eingereicht worden. Wie beurteilen Sie die rechtliche Situation im Hinblick auf Ihre Schuldenaufnahme und auch im Hinblick darauf, daß damals die Arbeitslosigkeit etwa halb so hoch war wie jetzt, trotz dieser angeblich geplanten Schuldenaufnahme? Werden Sie die Klage zurückziehen, oder werden Sie andere Kriterien erfinden?
Herr Kollege, Ihr Gedächtnis will ich hier nicht auffrischen. Aber fest steht, daß die Fraktion der CDU/CSU diese Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht hat, so daß auch die Verfügungsgewalt über diese Klage, . wenn überhaupt, der Fraktion zusteht und nicht der Bundesregierung.
({0})
Von daher ist die Bundesregierung der Frage enthoben, hier etwas zu unternehmen.
Gegen diese Argumentation kann man nichts sagen.
Herr Dr. Struck, Sie haben eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, da Sie häufiger das Wort „begrenzter" Anstieg benutzt haben, ob Sie es tatsächlich für einen begrenzten Anstieg halten, wenn die geplante Neuverschuldung von 22 auf 33 Milliarden DM steigt, was nach meiner Berechnung eine Erhöhung um 11 Milliarden bedeutet. Deshalb noch einmal meine Frage: Halten Sie es tatsächlich für einen begrenzten Anstieg, oder müßte nicht eine andere Vokabel genommen werden?
Herr Kollege Struck, ad 1 habe ich diese Vokabel „begrenzt" nicht selbst erfunden, sondern habe Sie übernommen, weil sie in der Frage im Zitat erwähnt war. Aber, Herr Kollege, Sie dürfen hier nicht die fehlerhafte Schlußfolgerung ziehen, daß die Nettoneuverschuldung von 22,3 Milliarden auf 33 Milliarden gehen würde; dazwischen liegen nämlich einige Stufen. Im Jahre 1988 werden es, wenn die Verhandlungen so laufen, wie ich mir das vorstelle - aber, wie gesagt, das letzte Wort ist darüber noch nicht gesprochen - , bei weitem keine 33, sondern 5 Milliarden weniger, nur 28 sein. Im darauffolgenden Jahr 1989 wird es vielleicht in dieser Größenordnung sein. Das kann heute niemand genau sagen. In dem Zeitpunkt, wo dann die große Steuerentlastung eintritt, wird es etwas höher sein. Aber hier zu argumentieren, es steige von 22,3 auf 33, ist nicht solide, Herr Kollege, und von daher kann ich das in dieser Form nicht stehenlassen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Diller.
Herr Staatssekretär, wenn ich die Entwicklung recht in Erinnerung habe, hatte die Union 1983 im Wahlkampf der Bevölkerung Abbau der Staatsverschuldung versprochen. Könnten Sie noch einmal die Zahlen der Staatsverschuldung von damals in absoluter Höhe in Erinnerung rufen, und wie weit ist sie heute?
Ich habe das eben schon genannt, Herr Kollege. Wenn Sie das zur Kenntnis genommen hätten, brauchte ich das jetzt nicht zu wiederholen, glaube ich.
({0})
Ich kann es gerne noch einmal tun. Wir haben einen Abbau der Neuverschuldung versprochen und haben ihn auch auf Bundesseite durchgeführt. Gott sei Dank sind durch die Entscheidungen im Finanzplanungsrat Bund und Länder dieser Entscheidung auch gefolgt, so daß wir von den für den Haushalt 1983 drohenden 55 Milliarden auf 22,3 Milliarden heruntergekommen sind. Das ist mehr als eine Halbierung, Herr Kollege.
({1})
Mehr und etwas Deutlicheres kann man sich an sich gar nicht vorstellen in einem derart begrenzten Zeitraum. Sie dürfen ja nicht vergessen, daß das halt nur vier Jahre waren, die hier zur Verfügung standen.
Zusatzfrage, Herr Dr. Lippelt ({0}).
Herr Staatssekretär, mit wieviel Bruttoneuverschuldung rechnen Sie denn 1988?
Herr Kollege, Sie wissen, daß die Bruttoneuverschuldung insofern keine Rolle spielt, als das davon abhängt, mit welchen Zeitläufen und mit welchen Daten die Papiere, die zur Finanzierung der Verschuldung dienen, versehen sind. Von daher ist das ein Problem, das in diesem Zusammenhang völlig zu vernachlässigen ist.
Frau Traupe, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir bestätigen, daß im letzten Jahr einer sozialliberalen Bundesregierung der Schuldenstand der öffentlichen Körperschaften, nämlich 1981, bei 534 Milliarden DM lag und im Jahre 1986, dem letzten geschlossenen Jahr einer CDU/CSU-Bundesregierung, bei 796 Milliarden DM liegt? Und würden Sie mir bestätigen, daß dies ein ungeheuerer Anstieg ist, an dem die Sozialdemokraten nicht beteiligt waren?
Verehrte Frau Kollegin, bei Ihrem Charme bin ich immer versucht, das, was Sie fragen, auch zu bestätigen. Ich kann das aber nur tun, indem ich hier erklärend hinzufüge: Nachdem Ihre Regierung die Nettoneuverschuldung in diese Höhe gebracht hatte, war es unmöglich, sie schneller zu reduzieren oder gar nach null zurückzuführen.
({0})
- Frau Kollegin, wenn Sie sich Ihre Verhandlungen aus den letzten Jahren Ihrer Regierungszeit noch einmal vor Augen führen, werden Sie das doch bestätigen müssen.
({1})
Infolgedessen hätten Sie von uns doch nicht erwarten können, daß wir die Nettoneuverschuldung von dieser Höhe auf Null reduziert hätten. Was hätte das denn für eine Zerreißprobe gegeben? Wo hätten Sie denn die Einschnitte alle machen wollen, Frau Kollegin? Sie haben doch davon geredet, daß wir uns kaputt sparen würden. Das sind doch Ihre Argumente. Von daher ist natürlich das Zahlenwerk des Wachstums, des Schuldenbergs zu erklären und damit auch plausibel.
Zusatzfrage, Herr Bohl.
Herr Staatssekretär, wie können Sie Ihre Behauptung, daß im Zuge des Abbaus der Neuverschuldung beim Bund sich auch die Länder an dieses gute Beispiel gehalten haben, aufrechterhalten, wenn das Land Nordrhein-Westfalen faktisch zahlungsunfähig ist?
Herr Kollege, ich kann nur von der Gesamtheit der Länder reden. Aber ich will auch dem Lande Nordrhein-Westfalen konzedieren, daß es zumindest im Finanzplanungsrat die Linie, die hier für die Gesamtheit der Länder, für die Gesamtheit der Gemeinden konzipiert worden ist, mitgetragen hat. Darüber haben wir soeben hier debattiert.
Ich rufe die Frage 11 des Abgeordneten Scherrer auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß in den angekündigten Betragen für die Neuverschuldung des Bundes 1988 und 1990 die in den Koalitionsvereinbarungen vorgesehene Erhöhung von speziellen Verbrauchsteuern zur Abdeckung höherer Finanzierungsbeiträge an die EG in Höhe von 2 Milliarden DM pro Jahr ab 1988 enthalten ist?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Scherrer, die Bundesregierung kann dies nicht bestätigen, weil ihre Meinungsbildung zum Bundeshaushalt 1988 und zum Finanzplan bis 1991 noch nicht abgeschlossen ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Scherrer.
Herr Staatssekretär, welche Konsequenzen für die Höhe der Neuverschuldung von 1988 bis 1990 ergeben sich, wenn zur Abdeckung höherer Finanzbeiträge an die EG nicht spezielle Verbrauchsteuern erhöht werden?
Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß Sie die Koalitionsvereinbarungen zumindest im wesentlichen kennen. Hierzu ist etwas gesagt worden. In welcher Form das aber in die Tat umgesetzt wird, vermag im Moment noch niemand zu sagen, da die Verhandlungen noch nicht
geführt worden sind. Das muß einem späteren Zeitpunkt vorbehalten bleiben.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Scherrer.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung bestätigen, daß sich die angekündigte Neuverschuldung 1988 und 1990 um wenigstens 2 Milliarden DM pro Jahr erhöhen würde, wenn kein Ausgleich der erhöhten Finanzbeiträge an die EG über die Erhöhung spezieller Verbrauchsteuern erfolgt?
Herr Kollege, Sie wissen, wie sich die Situation bei der EG und bei der EG-Finanzierung darstellt. Wenn hier in den dafür festgesetzten Zeiträumen und Zeitpunkten entsprechende Erhöhungen erfolgen und dafür keine Kompensation möglich sein sollte, dann wird sich dies im Zahlenwerk entsprechend niederschlagen, wenn Sie nicht an anderer Stelle Möglichkeiten der Einsparungen haben.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Poß.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung bestätigen, daß die Meldung der „Bild"-Zeitung vom 29. April 1987, falsch ist - ich zitiere -, „daß spezielle Verbrauchsteuern um 2 Milliarden DM angehoben werden sollen" ?
Diese Meldung kann ich zur Zeit nicht bestätigen, Herr Kollege, weil darüber die letzten Entscheidungen nicht getroffen sind.
Zusatzfrage, Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß Sie vor den Wahlen immer vom Abbau der Verschuldung und nach den Wahlen vom Abbau der Neuverschuldung gesprochen haben, so wie Sie vor der Wahl diesmal von einer Bruttoentlastung gesprochen haben und nach der Wahl von einer Nettoentlastung? Wann werden Sie hier in Zukunft für semantische Klarheit sorgen?
Herr Kollege, ich glaube, der Vorwurf ist ungerecht, daß wir uns hier semantisch unklar ausgedrückt hätten. Wir haben immer von einem Abbau der Neuverschuldung geredet. Jeder, der das Geschäft auch nur etwas kennt und sich der Terminologie bedient, die hier angebracht ist, der konnte nicht von einem Abbau der Verschuldung reden; denn wir haben von Ihnen ja die 308 Milliarden DM übernommen, Herr Kollege.
({0})
Sie haben nicht zwei Fragen.
({0})
- Ich weiß; dennoch sage ich es Ihnen.
Das, was ich gesagt habe, Herr Kollege, kann ich auch in einem kirchlichen Seminar sagen.
({0})
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, werden Sie einmal die Protokolle des Deutschen Bundestages des Jahres 1982 durch Ihre Beamten nachlesen lassen, in denen der damalige Oppositionsführer vor dem Deutschen Bundestag wohl unmißverständlich erklärt hat, daß nicht nur die Neuverschuldung, sondern auch die Verschuldung insgesamt zurückgeführt wird und dazu z. B. die Bundesbankgewinne im besonderen hinzugezogen werden. Würden Sie mir dann schriftlich antworten, ob das, was ich Ihnen hier jetzt vorführe, stimmt, und dann das, was Sie hier geantwortet haben auf Fragen von Kollegen, nun wohl eine - sehr grob gesagt - mehr als falsche Einschätzung Ihrer Seite ist?
Herr Kollege, ich will versuchen, Ihre archivarischen Aufträge im Rahmen des Möglichen zu erfüllen. Nur, das eine steht fest: In dem Moment, in dem ich an eine Reduzierung der Nettoneuverschuldung herangehe - das hat diese Bundesregierung in der letzten Legislaturperiode sehr deutlich gemacht -, verhindere ich natürlich, daß der Schuldenberg, daß die Verschuldung weiter anwächst, als sie angestiegen wäre, wenn diese Rückführung der Neuverschuldung nicht stattgefunden hätte. Von daher habe ich natürlich Verständnis, wenn diejenigen, die in der Materie nicht täglich drin sind, von einer Rückführung der Verschuldung geredet haben, in Wirklichkeit aber die Rückführung der Neuverschuldung und den Einfluß auf die Verschuldung insgesamt gemeint haben. Ich meine, Herr Kollege, soviel Entgegenkommen und soviel Verständnis sollten wir auch anderen gegenüber haben.
({0})
- Herr Kollege, meine Antwort bezog sich generell auf das, was eben genannt worden ist. Daß wir insgesamt die Begriffe Neuverschuldung und Verschuldung in einem Maße miteinander verwechselt hätten, das zu einem falschen Bild hätte führen können, ist nicht der Fall. Das können Sie auch an allen einschlägigen Stellen nachlesen, wenn Sie das tun wollen, Herr Kollege.
Ich rufe die Frage 12 des Herrn Abgeordneten Scherrer auf:
Welche Konsequenzen sind für die Neuverschuldung des Bundes im Bundeshaushalt 1987 dadurch zu erwarten, daß jetzt schon feststeht, daß die Mittel für die Kokskohlenbeihilfe nicht ausreichen, das AIDS-Sonderprogramm noch zu finanzieren ist und auf Grund konjunktureller Entwicklung Steuerausfälle auch schon für 1987 zu erwarten sind?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Scherrer, vom Bundeshaushalt 1987 ist uns erst die Ist-Entwicklung des ersten Quartals bekannt. Daher können wir derzeit noch keine Schlußfolgerungen für das Jahresergebnis ziehen.
Bei der Kokskohlenbeihilfe wird sich, wenn beim Dollarkurs keine gravierenden Änderungen eintreten, auch 1987 ein Überhang in der Größenordnung wie 1986 ergeben. Im Rahmen der bestehenden vertraglichen Regelungen kann dieser Mehrbedarf aus dem Haushalt 1988 abgedeckt werden.
Für die AIDS-Initiative der Bundesregierung sind 1987 90 Millionen DM überplanmäßig bewilligt worden.
Mit der Frage möglicher Steuerausfälle wird sich der Arbeitskreis Steuerschätzung auf seiner nächsten Sitzung vom 18. bis 20. Mai 1987 befassen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Scherrer, bitte.
Herr Staatssekretär, ist die Höhe der Neuverschuldung für 1987 gefährdet, weil unter Umständen die Ausgabensperre, die Sie in Höhe von 1,1 Milliarden DM beschlossen haben, nicht erwirtschaftet werden kann?
Ich habe Ihnen gesagt, Herr Kollege, daß das nach jetziger Sicht der Dinge, nach jetziger Kenntnis der Umstände nicht gefährdet ist. Aber, wie gesagt, wir haben erst das erste Quartal hinter uns. Bei einer Sperre gehen wir natürlich auch davon aus, daß gewisse Bereiche nicht in der Form erbracht werden können, die Umschichtungen nicht in dem Maße möglich sind, wie man sich das wünscht. Aber das ist einkalkuliert. Von daher besteht aus jetziger Sicht, zum jetzigen Zeitpunkt keine Gefahr.
Eine zweite Zusatzfrage bitte.
Herr Staatssekretär, welche Konsequenz ergibt sich für die Neuverschuldung in diesem Jahr, also für 1987, wenn die geplante Veräußerung von VW-Anteilen des Bundes auf das nächste Jahr verschoben wird?
Herr Kollege, Sie wissen, daß wir bei der Privatisierung, die wir in diesem Jahr bei der Veba durchgeführt haben, ein recht gutes Ergebnis erzielt haben. Die Frage, ob VW in diesem Jahr zur Privatisierung anstehen kann, ist im Moment noch nicht mit letzter Sicherheit zu beantworten. Aber nach der Entwicklung - auch wenn ich mir den Kurs ansehe - kann ich es auch nicht ausschließen. Von daher, meine ich, müssen wir das abwarten.
Wenn sich, was den Privatisierungsansatz von 3,3 Milliarden DM anbetrifft, eine deutliche Änderung ergeben sollte, wird zu überlegen sein, ob man vielleicht in einem anderen Bereich eine Privatisierung, die für das nächste oder übernächste Jahr vorgesehen worden ist, vorziehen kann. Aber darüber kann ich im Moment nur spekulieren und keine Entscheidung treffen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, ist denn auch ausreichend Vorsorge für etwa zusätzlich notwendige Maßnahmen im Stahlbereich getroffen? Ich denke an den Stahlrat im Juni, an Anforderungen, die die Maxhütte und andere Hütten betreffen. Können Sie hier helfen, ohne den Haushalt zu strapazieren, oder wie sieht es da aus?
Herr Kollege, Sie kennen die hier einschlägigen Vorschriften, einmal die der EG. Sie kennen auch die grundsätzliche Meinung der Bundesregierung. Von daher war es bis jetzt nicht angebracht, hier weitere Dinge mit einzuplanen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Fragestunde angekommen. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Die noch nicht aufgerufenen Fragen werden in der morgigen Fragestunde in der Reihenfolge der Drucksache 11/207 beantwortet.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 7. Mai 1987, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.