Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
({0})
Meine Damen und Herren, wir alle haben die Ereignisse der letzten Woche im hessischen Borken mit Erschütterung, aber auch mit Hoffen und mit Bangen verfolgt. Bei dem schweren Grubenunglück wurden 57 Bergleute verschüttet. 48 von ihnen konnten nur noch tot geborgen werden, drei sind trotz aller Rettungsversuche bisher nicht gefunden worden. Die Freude über die glückliche Rettung der sechs Bergleute wird überdeckt von der Trauer über den Verlust der Toten.
Im Namen des Deutschen Bundestages spreche ich den Hinterbliebenen der toten Bergleute meine aufrichtige Anteilnahme aus.
Unser Dank gilt den Rettungsmannschaften, die selbstlos, aufopfernd und unter Einsatz ihres Lebens um die Rettung der Verschütteten gekämpft haben.
Sie haben sich zu Ehren der Toten von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung einige Mitteilungen: Am 20. Mai 1988 hat der Herr Abgeordnete Dr. Miltner auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als sein Nachfolger hat der Abgeordnete Funk ({1}) am 20. Mai 1988 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.
Der Herr Abgeordnete Dr. Spöri hat am 5. Juni 1988 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Sein Nachfolger, Abgeordneter Dr. Osswald, hat am 6. Juni 1988 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.
Ich begrüße die beiden Kollegen, die uns bereits aus früheren Wahlperioden bekannt sind, sehr herzlich.
({2})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zum Defizit der Bundesanstalt für Arbeit und zu damit eventuell verbundenen Beitragserhöhungen ({3})
2. Aktuelle Stunde:
Haltung der Bundesregierung zur möglichen Verlängerung des Ausnahmezustands in Südafrika
3. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes
- Drucksache 11/2384 4. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP sowie der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes ({4}) - Drucksache 11/2436 5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Laufs, Dr. Lippold ({5}), Carstensen ({6}), Fellner, Dr. Friedrich, Dr. Göhner, Harries, Dr. Hoffacker, Dr. Hüsch, Dr. Müller, Frau Rönsch ({7}), Schmidbauer, Schulhoff und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Baum, Bredehorn, Dr. Hirsch, Kleinert ({8}), Frau Dr. Segall, Frau Seiler-Albring, Dr. Weng ({9}), Frau Würfel, Wolfgramm ({10}) und der Fraktion der FDP:
Verbesserung der Gesundheits- und Umweltvorsorge im Chemikalienbereich
- Drucksache 11/2348 Zugleich soll mit der Aufsetzung dieser Tagesordnungspunkte - soweit erforderlich - von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Interfraktionell ist ferner vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN betreffend Verzicht auf Diätenerhöhungen, statt dessen Förderung von Arbeitsloseninitiativen - Drucksache 11/2439 - zu erweitern. Die Vorlage soll zusammen mit dem Tagesordnungspunkt 17 aufgerufen werden. Sind Sie auch mit dieser Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? -Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Bevor ich den Tagesordnungspunkt 2 aufrufe, darf ich einige Gäste in unserem Haus begrüßen. Auf der Ehrentribüne hat der Präsident des Repräsentantenhauses von Neuseeland, The Honourable Thomas Kerry Burke, mit einer parlamentarischen Delegation Platz genommen.
({11})
Herr Präsident, meine verehrten Kollegen, im Namen des Deutschen Bundestages begrüße ich Sie
Präsident Dr. Jenninger
herzlich in der Bundesrepublik Deutschland. Ihr Besuch unterstreicht die guten und freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Parlamenten.
Ich hoffe, Sie hatten bisher einen angenehmen Aufenthalt und nützliche Gespräche in unserem Land, und ich wünsche Ihrem Besuch weiterhin einen guten Verlauf. Wir sind Ihnen besonders dankbar, daß Sie außer Hamburg, München und Bonn auch Berlin in Ihr Besuchsprogramm aufgenommen haben. Die geteilte Stadt vermittelt Ihnen wie sonst kein anderer Ort ein Bild von der politischen Lage im Herzen Europas.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({12}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Wohngeld- und Mietenbericht 1987
- Drucksachen 11/1583, 11/2394 Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Rönsch ({13}) Menzel
Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf der Drucksache 11/2423 und ein Änderungsantrag der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 11/2432 vor. Im Ältestenrat ist vereinbart worden, für die Beratung eine Stunde vorzusehen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Rönsch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren! Meine Damen! Auch dieser von der Bundesregierung vorgelegte Wohngeld- und Mietenbericht für das Jahr 1987 spricht für den Berichtszeitraum eine eindeutige Sprache. Die Ergebnisse unserer 1982/83 eingeleiteten neuen Mietenpolitik können sich sehen lassen. Wir schützen die Interessen der Mieter, achten aber auch darauf, daß es für den Vermieter noch interessant bleibt, Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
({0})
Noch nie seit dem Bestehen des neuen Mietenindex sind die Mieten so langsam gestiegen wie im vergangenen Jahr. Nie zuvor erhielten so viele Mieter Wohngeld wie 1985. Nie hat das Wohngeld in vergleichbarer Höhe gelegen.
Lassen Sie mich jetzt einmal die Ergebnisse im einzelnen darstellen. Vielleicht wird dann den Kollegen von der Opposition klar, weshalb ihre Politik bei den Menschen draußen nicht verfängt. Denn die Mieter in sozial- und freifinanzierten Wohnungen, die Familien, die ein Eigenheim erworben haben, und die Bewohner in Neu- und Altbauten spüren die Vorteile, die ihnen aus unserer Politik erwachsen.
({1})
Sie konnten feststellen, daß die monatlich abgebuchte Miete stabil geblieben ist, daß die Zins- und Tilgungsraten gegenüber dem steigenden verfügbaren Einkommen an Bedeutung verloren haben, und sie spüren, daß es bei den jährlichen Nebenkosten durch die niedrigen Energiekosten oft zu Rückzahlungen kommt.
({2})
Wir konnten feststellen: Die Entwicklung der Mieten und der Wohnraumversorgung verlief im Berichtszeitraum durchweg entspannt und erfreulich. Heute haben wir die niedrigste Mietsteigerungsrate seit dem Bestehen des Mietenindex. 1986 waren es 2 % und 1987 sind es sogar noch weniger, nämlich 1,8 %. Allein gegenüber der Zeit geradezu explodierender Mieten Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre - Sie werden sich erinnern, wer damals an der Regierung war, nämlich Sie, meine Kollegen von der Opposition - ist ein Rückgang von über 50 % zu verzeichnen.
({3})
Wir haben 1982 die neuen Mietgesetze geschaffen: gegen Ihren großen Protest. Sie haben uns damals in wirklich sehr diffamierender Weise angegriffen und die neuen Kappungsgrenzen von 30 % als Mieterhöhungsklausel abqualifiziert. Sie haben heute hier Gelegenheit - Sie hätten bei der Beratung des letzten Wohngeld- und Mietenberichts schon einmal Gelegenheit gehabt; aber ich nehme an, Sie nutzen sie heute hier - , sich bei den Mietern zu entschuldigen, die Sie 1982/83 verunsichert haben,
({4}) denen Sie Angst gemacht haben.
({5})
- Frau Oesterle-Schwerin, zu Ihnen komme ich noch und auch zu Ihrem recht umfangreichen, aber nichts aussagenden Antrag.
({6})
Sie haben Horrorgemälde an die Wand gezeichnet. Heute haben Sie Gelegenheit, sich zu entschuldigen und den Mietern die Wahrheit zu sagen.
Sie haben sich mit Ihrer Politik vor sechs Jahren und auch in der Vergangenheit vollkommen ins Abseits gestellt.
({7})
Die inzwischen gesammelten Erfahrungen mit dem neuen Mietrecht bestätigen unseren Kurs. Nur 17 % aller Mieterhaushalte sahen sich von 1983 bis Mitte 1985 einer Erhöhung der Nettokaltmiete jährlich gegenüber. Die Kappungsgrenzen wurden im Gegensatz zu dem, was Sie behauptet haben, nicht zu einer Mieterhöhungsnorm. Die durchschnittliche Mieterhöhung lag vielmehr zwischen 9 % und 10 %.
({8})
Knapp 60 % der Mieterhöhungen lagen unter 10 %,
und 90 % aller Haushaltungen mit Mieterhöhungen
Frau Rönsch ({9})
verzeichneten eine Anhebung der Miete von weniger als 20 %. Bezogen auf alle Haushalte änderte sich die Kaltmiete im gleichen Zeitraum nur um 2 %.
Die Belastungsquote ist von 13 % auf 16 % gestiegen. Sie ist gestiegen; das gestehen wir ein. Aber warum? Mit gestiegenen Löhnen haben natürlich auch die Mieter erhöhte Bedürfnisse an Wohnraum und an Wohnqualität. Sie sind bereit und in der Lage, für Wohnraum mehr Geld auszugeben. Auch die neuen Mietvertragsformen mit Zeit- und Staffelmietverträgen wurden von den Vertragsparteien positiv aufgenommen und in wirklich nicht wenigen Fällen gemäß den persönlichen Bedürfnissen ausgestaltet. Vermieter und Mieter haben sich an einen Tisch gesetzt und nach den eigenen Bedürfnissen Miethöchstgrenzen festgelegt.
Meine Herren und Damen von der SPD, ich verstehe ja durchaus Ihren Unmut, den Sie haben müssen, wenn Sie diese Zahlen hören. Sie widerlegen nämlich eindeutig das, was Sie 1982 hier vorgetragen haben.
Der vorgelegte Wohngeld- und Mietenbericht kann Ihnen unter gar keinen Umständen gefallen. Er bestätigt unsere Politik und verweist Sie wieder einmal auf das Abstellgleis.
Ich komme nun zu der Sozialverträglichkeit unserer Wohnungspolitik: Ich meine das Wohngeld, das unter unserer Regierungsverantwortung ein bisher unbekanntes Ausmaß erreicht hat. Wenn Sie heute beantragen, das Wohngeld weiter zu erhöhen, muß ich Sie fragen, was Sie in Ihrer Regierungszeit gemacht haben.
({10})
Wir mußten das Wohngeld in der sechsten Novelle in einem solchen Ausmaß anheben, damit Wohnen für sozial schwache Familien überhaupt wieder möglich wurde. Das wäre nicht notwendig gewesen, wenn Sie in Ihrer Regierungszeit das Geld dazu gehabt hätten, eine Wohngeldnovelle vorzulegen.
Wir betrachten das Wohngeld als Teil der sozialen Leistungen der Solidargemeinschaft. Es schützt einkommenschwache Haushalte, damit sie über angemessenen und familiengerechten Wohnraum verfügen können.
1986 gaben der Bund, die Länder und die Gemeinden mit 3,4 Milliarden DM insgesamt fast 1 Milliarde DM mehr aus als im Jahr zuvor. 1987 stiegen die Zahlungen gar auf die Rekordhöhe von 3,8 Milliarden DM. Das Gros der Wohngeldempfänger bildeten die Mieterhaushalte mit 1,8 Millionen, was immerhin 12 % aller Mieter sind. Demgegenüber beziehen nur 1,5 % oder 150 000 Eigentümerhaushalte einen Lastenzuschuß. Frau Oesterle-Schwerin, wenn Sie in Ihrem Antrag behaupten, das Wohngeld sei nur darauf ausgerichtet, Leuten in Einfamilienhäusern zu helfen, so müssen Sie sich einmal diese Zahlen ansehen.
({11})
- Der Antrag, den Sie vorgelegt haben, ist ausgesprochen umfangreich, aber nichtssagend. Sie zielen damit aber darauf ab, daß ein Lastenzuschuß an Eigentümer nicht gegeben werden soll. Ich meine, daß das der vollkommen verkehrte Weg ist.
({12})
Wir wollen, daß Eigentum gebildet wird.
({13})
Allein diese Ziffern führen hinreichend aus, welche Wirkungen die Novelle hinterlassen hat.
Doch damit ist es noch nicht genug. Für noch bedeutsamer halte ich die ab 1986 eingeführten familiären und strukturellen Neuerungen. Die Treffsicherheit - Frau Oesterle-Schwerin, dieses Wort gebrauche ich immer wieder, weil es zielsicher das angibt, was wir meinen, und ich betrachte es keineswegs als militant oder militaristisch - der Wohngeldleistungen wurde wesentlich verbessert. Die jetzt fünf statt vorher drei regionalen Mietenniveaus sorgen dafür, daß die Mietentlastung in den Orten besonders effektiv ist, wo die Mietanforderungen angehoben wurden. Familienfreibeträge sorgen seit 1986 für die Besserstellung der großen Haushalte, also der Familien mit Kindern. Hervorheben will ich den Freibetrag für Jugendliche, der in 140 000 Fällen Berücksichtigung fand und das Wohngeld monatlich im Schnitt um 20 DM erhöhte.
({14})
Das ist wirklich praktizierte hilfreiche Familienpolitik, so wie wir sie verstehen.
Dagegen liegt der Altersfreibetrag, der auf die Mehr-Generationen-Haushalte abzielte, mit 11 000 Fällen etwas hinter unseren Erwartungen zurück. Hierzu ist jedoch zu sagen, daß dies nur der Beginn einer Reihe von Maßnahmen ist, die das Wohnen mit den Großeltern - mit einer anderen Generation - insgesamt attraktiver werden lassen sollen. Ich meine, daß wir diese Hilfe für Familien draußen noch mehr publizieren müssen. Sehr vielen jungen Familien ist noch gar nicht bekannt, daß sie ein erhöhtes Wohngeld bekommen können, wenn sie die Großeltern in die Familie aufnehmen.
({15})
- Der Mieterbund hat natürlich anderes zu tun, als Hilfestellungen der Bundesregierung nach draußen zu geben. Sehr oft erschöpft sich aber das, was der Mieterbund tut, nur in Diffamierungen.
({16})
Meine Herren und Damen, der Wohngeld- und Mietenbericht 1987 zeichnet ein sehr ansehnliches und erfreuliches Bild mit einem ausgeglichenen Wohnungsmarkt, den niedrigsten Mietsteigerungsraten seit mehr als 20 Jahren und einem Höchstmaß an sozialer Absicherung durch das Wohngeld. Wir können uns mit dieser neugestalteten Wohnungspolitik sehen
Frau Rönsch ({17})
lassen. Trotzdem müssen wir noch einiges verbessern.
({18})
Probleme, die es künftig anzufassen und zu lösen gilt, sehe ich bei der methodischen Verbesserung des Mietenindexes und bei der Bereitstellung von Wohnraum in Ballungsgebieten. Dort haben wir noch eine neue Aufgabe. Hier haben z. B. die Umsiedler aus Osteuropa, Ausländer, junge Familien, aber auch Senioren, die einen kleineren Wohnraum suchen, zum großen Teil Schwierigkeiten, eine angemessene Bleibe zu finden. Das werden die Aufgaben sein; denen werden wir uns in den nächsten Jahren widmen müssen.
Auch das Antragsverfahren für Sozialhilfeempfänger sieht immer noch einer endgültigen Lösung entgegen. Wir haben hier schon viel darüber diskutiert, sind aber bisher leider noch zu keinem Ergebnis gekommen. Auch in der vergangenen Legislaturperiode haben wir schon darüber gesprochen. Aber ich bin jetzt sehr zuversichtlich, daß wir bis Ende dieses Jahres von der Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorliegen haben, der praktikabel ist. Die Praxistests sind inzwischen abgeschlossen.
({19})
- Ich gebe Ihnen recht, Herr Kollege Grünbeck: Es wird Zeit. Wir haben es mehrfach angemahnt, und wir haben deshalb hier heute einen Antrag vorgelegt und die Bundesregierung damit in die Pflicht genommen.
({20})
- Wir hatten noch keinen Antrag; wir haben sie immer nur gebeten. Aber diesmal liegt ein Antrag vor, und Sie haben Gelegenheit, Herr Kollege Menzel, diesem Antrag nachher zuzustimmen. Stimmen Sie unserem Antrag zu; dann nehmen wir gemeinsam die Bundesregierung in die Pflicht. Denn die Tests sind abgeschlossen. Die Länder und Kommunen müssen jetzt zusammen an einen Tisch und müssen endlich eine Vorgehensweise beschließen.
Ich bitte Sie deshalb: Stimmen Sie unserem Antrag zu, der eine verbesserte Aussagefähigkeit des Mietenindexes fordert und von der Bundesregierung einen Gesetzentwurf verlangt, der die schon lange angekündigte Regelung für eine vereinfachte Wohngeldzahlung an Empfänger von Sozialhilfe und Kriegsopferfürsorge enthält. Stimmen Sie zu!
Sie werden dafür Verständnis haben, daß wir Ihren Antrag, meine Kollegen von der SPD, ablehnen müssen.
({21})
Sie hatten in der Vergangenheit ausreichend Zeit, das Wohngeld auf ein entsprechendes Niveau zu bringen. Sie hatten kein Geld, haben es natürlich nicht getan.
Frau Oesterle-Schwerin, der schon angesprochene sehr umfangreiche Antrag Ihrer Fraktion ist für uns leider nur reine Makulatur, weil er an den Erkenntnis sen aus dem Wohngeld- und Mietenbericht vollkommen vorbeigeht.
({22})
Das Wort hat der Abgeordnete Menzel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der Änderung des Wohngeldgesetzes 1986 haben wir das erste Mal Gelegenheit, über den Wohngeld- und Mietenbericht zu diskutieren, und damit auch die Möglichkeit, uns mit den Ergebnissen Ihrer Wohnungspolitik auseinanderzusetzen.
({0})
- Das werden wir gleich sehen, Herr Kansy.
Zwischen allen Parteien besteht darüber Einigkeit, daß es zur sozialstaatlichen Verpflichtung gehört, durch gezielte politische Maßnahmen dafür zu sorgen, daß jede Familie ohne Rücksicht auf ihre Einkommenslage eine familiengerechte Wohnung beziehen kann.
Dafür wurden zwei Instrumente entwickelt: zum einen der soziale Wohnungsbau - auch als Objektförderung bekannt - , zum anderen kam später mit dem Wohngeld die Subjektförderung hinzu.
Durch Objektförderung sollte sichergestellt werden
- das haben Sie wohl vergessen -, daß moderne, preisgünstige Wohnungen für die breiten Schichten in ausreichendem Umfang zur Verfügung gestellt werden. Durch eine gemeinsame Kraftanstrengung sind auf diesem Wege bis Anfang der 80er Jahre in großem Umfang Wohnungen gefördert und errichtet worden.
Das hat dazu beigetragen, daß wir Anfang der 80er Jahre fast im gesamten Bundesgebiet von einem einigermaßen befriedigenden Wohnungsangebot reden konnten. Dabei wissen wir natürlich, daß der Wohnungsmarkt immer ein Teilmarkt ist und von einem befriedigenden Angebot erst dann gesprochen werden kann, wenn ein leichtes Überangebot an Wohnungen in allen Teilmärkten - das möchte ich betonen - vorhanden ist.
Dieser Zustand war Anfang der 80er Jahre erreicht. Damals wurden noch knapp 100 000 Wohnungen jährlich öffentlich gefördert. 1985 ist diese Zahl auf 68 000 zurückgegangen. Die Zahl der insgesamt fertiggestellten Wohnungen betrug 1980 noch über 388 000.
Damals, Anfang 1982, klagte der Kollege Möller die damalige Regierung an, daß 40 000 Bauarbeiter arbeitslos werden und die Arbeitslosenversicherung dadurch mit 800 Millionen DM jährlich belastet würde. Damals fanden noch 1 152 000 im Bauhauptgewerbe Arbeit und Brot. 1986, also nach vier Jahren Wenderegierung, ist diese Zahl auf unter eine Million zurückgegangen. Das heißt, allein 152 000 Arbeitnehmer im Bauhauptgewerbe haben ihren Arbeitsplatz während Ihrer Regierungszeit verloren. Die Frage ist,
inwieweit Sie durch Ihre Politik dazu beigetragen haben.
({1})
Sie haben sich aus der Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus vollkommen zurückgezogen mit dem Ergebnis, daß die öffentliche Förderung von Wohnungen von Anfang der 80er Jahre bis 1985 um ein Drittel zurückgegangen ist. Frau Rönsch, wahrlich eine eindeutige Sprache des Berichtes!
Das hat wiederum dazu geführt, daß sich in vielen Regionen heute erneut eine akute Wohnungsnot anbahnt mit all ihren negativen Folgen für die Mieter.
({2})
Nach fünf Jahren Wenderegierung bleibt festzustellen, daß Sie das Erbe auf dem Sektor des sozialen Wohnungsbaus nicht bewahrt, sondern verwirtschaftet haben.
({3})
Wahrlich eine negative Bilanz.
Diese Politik muß natürlich auf das andere Instrument, mit dem jedem das Bewohnen einer familiengerechten Wohnung ermöglicht werden soll, Auswirkungen haben. Ich meine das Wohngeld. Durch die Subjektförderung soll sichergestellt werden, daß die Belastung durch die Miete einen bestimmten prozentualen Anteil am Familieneinkommen nicht übersteigt. Sozialpolitisch halten wir Sozialdemokraten das Wohngeld für eine der sinnvollsten und gerechtesten Leistungen, weil auf diesem Wege staatliche Mittel gezielt eingesetzt werden können und das Wohnen in ausreichend großen und ausreichend ausgestatteten Wohnungen auch breiten Bevölkerungsschichten wirtschaftlich möglich gemacht wird. Das Wohngeld, Herr Kansy, kann aber eine verfehlte Wohnungsbaupolitik nicht ersetzen.
({4})
Der Mieten- und Wohngeldbericht sagt aus, daß die Mietbelastung, also der Anteil des für Mietzahlungen aufgewandten Teils des Einkommens, 1985 im Durchschnitt 18,6 % betrug. 1973 lag dieser Anteil noch bei 13 %. Es ist schon grotesk, wenn die Bundesregierung diese Zahlen in Zweifel zu ziehen versucht, indem sie z. B. darauf hinweist, daß das Urlaubsgeld, das 13. und 14. Monatsgehalt, Zinseinkünfte und Steuerrückzahlungen bei der Einkommensfeststellung außer Betracht blieben. Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ich kenne keinen Arbeitslosen oder Sozialhilfeempfänger, der ein 13. oder 14. Monatsgehalt bezieht.
Natürlich steigen die Mieten genauso, wie wir eine ständige Preissteigerung zu verzeichnen haben. Erstmalig in dieser Republik sind die Mieten aber weitaus stärker gestiegen als das allgemeine Preisniveau; 1986 sogar um das Zehnfache, und auch 1987 war die Mietsteigerung neunmal höher als die des allgemeinen Preisniveaus.
({5})
- Seien Sie doch nicht so aufgeregt. Das steht alles im Mietenbericht.
Auch wenn Sie es nicht hören wollen: Die Mietsteigerungslokomotive setzt sich durch Ihre Politik immer stärker in Bewegung. Dazu trägt Ihre Wohnungsbaupolitik entscheidend bei.
({6})
Durch den Rückgang der öffentlich geförderten Wohnungen, durch den ständigen Rückgang der Fertigstellungen insgesamt sind Wohnungen wieder zur Mangelware geworden. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Mietpreisbildung. Dazu kommt, daß schätzungsweise 300 000 Sozialwohnungen seit 1978 aus den förderrechtlichen Bestimmungen herausgefallen sind. Aber noch ein größeres Gewicht haben die Freisetzungen infolge vorzeitiger Rückzahlungen öffentlicher Darlehen. Davon sind von 1982 bis 1987 zirka 1 Million Wohnungen betroffen gewesen. All das wirkt sich auf das Mietenniveau aus.
Bei diesen Wohnungen, die für die preisgünstige Versorgung der breiten Schichten zur Verfügung standen, handelt es sich in der Regel um Wohnungen, die in den 50er und 60er Jahren errichtet worden sind und deswegen für Bevölkerungskreise mit niedrigem Einkommen von ganz besonderer Bedeutung sind. Ich sage das ganz bewußt, weil im Wohngeld- und Mietenbericht der Anstieg der Mietbelastung auch mit dem gestiegenen Wohnkomfort begründet wird. Der Wohnkomfort hat sich bei diesen Wohnungen trotz Mietsteigerungen nicht geändert.
Die Folge Ihrer Politik ist besonders an den Mieten in den Ballungsräumen abzulesen. Dort stiegen die Preise für neuvermietete Wohnungen im vergangenen Jahr um 12 %.
({7})
- Da haben Sie recht. - Das ist genau die Entwicklung, die Sie mit Ihrer Politik bezwecken. Schließlich hat ja der Herr Minister vor den Haus- und Grundeigentümern diese Entwicklung geradezu herausgestellt. Er hat gesagt: Ihr könnt wieder mit höheren Mieten rechnen; das sollte euch veranlassen, mehr im Wohnungsbau zu tun.
Durch die Verabschiedung aus dem sozialen Wohnungsbau hofft er also, - ({8})
- Nun lassen Sie doch diese ollen Kamellen! Wenn Ihnen nichts anderes mehr einfällt, kommen Sie mit der Neuen Heimat und versuchen damit, Ihre mangelhafte Politik zu ersetzen.
({9})
Meine Damen und Herren und Herr Grünbeck, Sie können doch auf die erfolgreiche Wohnungspolitik, die Sie ja bis 1982 mitgetragen haben, beruhigt zurückblicken. Für Sie ist es allerdings bedrückend, Herr Grünbeck, wenn Sie jetzt feststellen, daß Sie die
Substanz, die damals angeschafft wurde, in diesen sechs Jahren verwirtschaftet haben. Daß Sie das bedrückt, daß Sie diese Entwicklung mit zu verantworten haben, dafür habe ich Verständnis.
({10})
Sie haben darauf hingewiesen, Frau Rönsch, daß die Wohngeldausgaben drastisch gestiegen sind. Das ist richtig. Das war nach jeder Novellierung so; denn wir haben ja bewußt auf eine Dynamisierung des Wohngeldes verzichtet und das Wohngeld jeweils von Fall zu Fall angepaßt. Die Situation des außerordentlich hohen Sprunges ist darauf zurückzuführen, daß der Anteil der Arbeitslosen, der Anteil der Sozialhilfeempfänger während Ihrer Regierungszeit durch Ihre Wirtschaftspolitik drastisch gestiegen ist und heute einen Anteil von 40 % der Wohngeldempfänger ausmacht. Das ist die entscheidende Ursache für diese Entwicklung.
Ich sehe, meine Redezeit ist abgelaufen. Ich möchte noch zu Ihrem Antrag sagen: Wir haben einen Antrag im Sinne der Mieter vorgelegt. Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß wir Ihren Antrag ablehnen, weil er nicht nach vorne geht. Herr Präsident, wir bitten, über die Ziffer 4 des Antrages des Ausschusses gesondert abzustimmen.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Grünbeck.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Freien Demokraten fühlen sich durch den vorgelegten Wohngeld- und Mietenbericht der Bundesregierung in Ihrer langfristigen Konzeption bestätigt, nämlich wegzugehen von der Gießkanne des Objektbaus hin zur gezielten subjektiven Förderung der Mieter.
Die Mietpreissteigerung 1987 hat 1,8 % betragen. Herr Kollege Menzel, nach Ihren Ausführungen habe ich Hoffnung, daß die Mietenlüge der SPD ein Ende hat; denn dazu haben Sie eigentlich nicht viel ausgeführt,
({0})
und dadurch fühle ich mich bestätigt. Ich bedauere allerdings sehr, daß der Präsident des Deutschen Mieterbundes den Saal wieder verlassen hat.
({1})
Mir wäre es lieber gewesen, wenn er hiergeblieben wäre. Aber anscheinend ist das Interesse an einer seriösen Diskussion über die Mietenentwicklung bei dem Präsidenten des Deutschen Mieterbundes nicht besonders ausgeprägt.
Herr Abgeordneter Grünbeck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müntefering?
Ja, Herr Präsident, wenn mir das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.
Das pflegen wir nicht zu tun.
Danke sehr.
Herr Kollege Grünbeck, Herr Jahn und Herr Seiters sitzen im Augenblick vor dem Plenarsaal und beraten wichtige Punkte für heute. Wenn Sie Wert darauf legen, kann ich ihn hereinholen. Soll ich das tun?
({0})
Ich fürchte, bis der kommt, ist meine Redezeit zu Ende. Aber ich überlasse es Ihnen.
({0})
Ich glaube, daß wir eine zweite Feststellung treffen müssen, meine Damen und Herren. Der Anteil der Miete am netto verfügbaren Einkommen ist von 13 auf 16 % gestiegen. Und das hat seine Gründe. Herr Kollege Menzel, wir haben die durchschnittliche Wohnfläche pro Einwohner in der Bundesrepublik in wenigen Jahren von 24 qm auf 32 qm erhöht. Mehr Wohnfläche ist mehr Miete. Wenn Sie sagen, daß der technische Komfort in den Wohnungen nicht zugenommen hat,
({1})
dann kennen Sie die gesamte Sanitär- und Heizungsbranche nicht. Was haben wir denn - Gott sei Dank - mit großem Aufwand an Modernisierungen und Sanierungen durchgeführt! Ich glaube, wir können uns hier mit einem guten Gewissen vor der Öffentlichkeit hinstellen.
Auch die Nebengebühren für Wasser, Abwasser, Müll und Stromversorgung sind im Grunde genommen in vertretbarem Maße gestiegen, obwohl natürlich Umweltmaßnahmen und Modernisierungsmaßnahmen auch auf diesem Gebiet in die Kosten gehen. Der Anstieg der Gebühren ist spürbar, er ist im Mietenindex inbegriffen, und wir müssen natürlich wissen, daß Umweltpolitik nicht zum Nulltarif zu haben ist. Allerdings - so muß ich sagen - hat die Entlastung der Kosten bei der Energieversorgung und hat die Stabilitätspolitik der Bundesregierung wesentlich dazu beigetragen, daß die Kaufkraft der Bevölkerung nicht durch Mieten gelitten hat. Dies ist eine ganz wesentliche Feststellung, weil es in die Gesamtbetrachtung hineingehört.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch etwas zur Mietenentwicklung in den Ballungsräumen sagen. Alle erklären, wir sollten den sozialen Mietwohnungsbau in den Ballungsräumen in besonderem Maße fördern. Dort ist natürlich auch ein Bedarf vorhanden. Ich persönlich äußere hier in aller Öffentlichkeit meine Bedenken; denn wenn Sie die Mietenentwicklung beispielsweise in München betrachten, dann stellen Sie fest, daß dort der drastischste MietenGrünbeck
anstieg von ganz Bayern stattgefunden hat, weil der Bedarf an Wohnungen größer geworden ist, da mehr Arbeitsplätze geschaffen worden sind. Wenn Sie diesen Trend weiter staatlich fördern, wenn Sie die Zuzugsmentalität, bezogen auf die Ballungsräume, die ja attraktiv sind, durch mehr Studienplätze, durch mehr Bildungsangebote, durch mehr Mobilität im Beruf fördern - ({2})
- Herr Roth, Sie brauchen mit mir über Mobilität nicht zu reden. Darüber streite ich mich mit Ihnen gar nicht.
({3})
Wir sind der Auffassung, daß die Entwicklung im ländlichen Raum mehr Aufmerksamkeit verdient, als Sie denken. Die ländlichen Räume machen mir, nicht nur was die Mietenpolitik betrifft, sondern auch was die Verkehrspolitik und andere Politiken betrifft, Sorgen. Ich bin dafür, daß wir in Deutschland eine ausgewogene ländliche Strukturpolitik betreiben. Dazu gehört, daß nicht nur die Ballungsräume gefördert werden.
({4})
Wir müssen feststellen - darauf hat der Markt hervorragend reagiert - , daß junge Menschen das Elternhaus heute früher als je zuvor verlassen, daß es mehr Alleinerziehende als je zuvor gibt, daß ältere Menschen - leider - manchmal zu sehr allein wohnen. Man braucht im Grunde genommen kleine und mittlere preiswerte Wohnungen. Die Ergebnisse der Volkszählung werden uns sicher die notwendigen Daten für eine langfristige Anpassung der Wohnungsbaupolitik liefern.
Ich möchte noch einen Satz zur Modernisierung sagen. Es besteht ein großer Bedarf bei der Wohnungsmodernisierung. Ich glaube, daß wir im Mietrecht nachprüfen müssen, ob man nicht die Modernisierung durch den Mieter selbst in Abstimmung mit dem Vermieter erleichtern könnte. Man sollte überlegen, ob man nicht im vernünftigen Interesse der Mieter, insbesondere was die Hygiene der Mietwohnungen angeht, die Duldung der Modernisierung und Sanierung erleichtern könnte.
Ich glaube, daß wir auch - da stimme ich Ihnen voll zu, Frau Kollegin Rönsch - über den Abbau der Bürokratisierung reden müssen. Die Sozialhilfeempfänger sollte man wirklich so bald wie möglich von der Antragstellung befreien.
Damit bin ich beim Wohngeld. Ich glaube, man müßte der Öffentlichkeit einmal sagen, wie sich das Wohngeld entwickelt hat. 1965 wurden 147 Millionen DM an 394 000 Wohngeldempfänger gezahlt. 1980 waren es 1,8 Milliarden DM bei über 1 Million Wohngeldempfängern. Wenn ich mich nicht täusche, waren Sie zu dieser Zeit noch mit uns in der Regierung, Herr Kollege Menzel.
({5})
1986 wurden 3,3 Milliarden DM an 1,6 Millionen Wohngeldempfänger gezahlt. 1987 betrug die Wohngeldleistung 3,8 Milliarden DM. Dieses Wohngeld entfällt natürlich in besonderem Maße auf die Nichterwerbstätigen, auf die Rentner mit niedrigem Einkommen, auf die Arbeitslosen und die kinderreichen Familien. Eine bessere Wohn- und Mietenpolitik kann man sich gar nicht wünschen.
Herr Minister, die FDP wird mit Ihnen gemeinsam und mit den Kollegen der CDU/CSU-Fraktion diese Linie fortsetzen.
({6})
Wenn ich Ihren Antrag, Frau Kollegin von den GRÜNEN, lese, könnte mich schaudern. Sie sollten endlich zu einer Konzeption finden. Beim Hochbau beklagen Sie, daß die Ghettobildung zu stark ist. Aber in die Fläche wollen Sie nicht gehen, weil da zuviel Versiegelung stattfindet.
({7})
Vielleicht taufen Sie sich um und machen aus den GRÜNEN eine bunte Partei, dann sind die Möglichkeiten für künftige Visionen größer. Dieses Angebot könnte ich Ihnen machen.
Den Kolleginnen und Kollegen von der Opposition möchte ich zum Abschluß folgendes sagen. Ich verstehe eines nicht; das hätte ich gern Herrn Jahn gesagt, richten Sie es ihm bitte aus.
({8})
Da ist schon der Verdacht des Mißbrauchs eines Mieterpräsidenten zu parteipolitischen Zwecken nicht mehr von der Hand zu weisen.
({9}) - Nicht „Na!"; so ist es.
Sie werden sich überlegen müssen, ob Sie mit der Mietenlüge weiter leben können. Denn ich halte es nicht für eine sozial verantwortliche Politik, wenn ich unsere Menschen mit Prognosen verunsichere, daß die Mieten ins Unermeßliche steigen, daß sie kaum noch bezahlbar sind, und nicht nur den Menschen Angst mache, die tatsächlich in Not sind, sondern auch noch jenen Menschen Angst mache, die in gesicherten Mietverhältnissen leben.
Wir werden gegen diese Politik durch eine seriöse Wohngeld- und Mietenpolitik entschiedenen Widerstand leisten.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Oesterle-Schwerin.
({0})
Wenn Sie meine Redezeit verlängern, gern. - Kolleginnen und Kollegen! Als ich neulich im Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit unseren Obdachlosen-Antrag begründet habe, da sagte jemand zu mir: Sie wollen ja eine ganz andere Wohnungspolitik. Das stimmt!
({0})
Wir wollen eine ganz andere Wohnungspolitik.
({1})
Wir wollen eine Wohnungspolitik, die Mieterinnen und Mietern das Recht auf sicheres Wohnen, und zwar unabhängig von ihrem Einkommen, gewährleistet.
({2})
Wir wollen eine Wohnungspolitik, die garantiert, daß niemand dazu gezwungen wird, Wohneigentum zu erwerben, um sicher wohnen zu können.
({3})
Wir wollen eine Wohnungspolitik, die damit aufhört, Menschen in das Abenteuer Wohneigentum hineinzuzwingen,
({4})
ein Abenteuer, daß jedes Jahr für 30 000 Haushalte mit dem Antrag auf Zwangsversteigerung endet.
Wir wollen eine Wohnungspolitik, die nicht dazu führt, daß sich der Staat selber jedes Jahr seiner hohen Wohngeldkosten rühmen muß. Wir wollen vielmehr eine Wohnungspolitik, die für tragbare Mieten sorgt und das Wohngeld überflüssig macht.
({5})
Sie haben überhaupt keinen Grund dazu, auf Ihre hohen Wohngeldausgaben stolz zu sein. Diese hohen Wohngeldausgaben sind kein Erfolg Ihrer Wohnungspolitik, sondern eine Bankrotterklärung derselben.
({6})
Der vorliegende schöngefärbte Mieten- und Wohngeldbericht kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Bundesregierung eine ganz gezielte Politik der Verknappung von Wohnraum betreibt, um die Position der Haus- und Grundbesitzer auf dem Markt zu stärken.
({7})
Sie machen eine Politik, die dazu führt, daß die Zahl der billigen Wohnungen auf dem Markt immer geringer wird, wodurch die Mieten aller Wohnungen immer teurer werden. Nur so ist es zu verstehen, daß einer der ersten Beschlüsse der Wende-Regierung schon 1983 der war, 25 000 Wohnungen aus dem Bestand des Bundes - ohne Rücksicht auf Mieterinnen und Mieter - auf dem sogenannten freien Wohnungsmarkt zu verscherbeln.
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Hierbei handelt es sich durchweg um Wohnungen, die nicht von begüterten Personen bewohnt werden.
Fast jede Woche erreicht ein neuer Hilferuf das wohnungspolitische Büro unserer Fraktion. Helmstedt, Salzgitter, Ravensburg, Dortmund, Neu-Ulm etc. - überall die gleiche Masche: Zuerst werden die Wohnungen ganz scheinheilig den Mieterinnen und Mietern angeboten, obwohl die Bundesregierung ganz genau weiß, daß gerade diese Menschen nicht dazu in der Lage sind, Wohneigentum zu bilden. - Das ist übrigens gar nichts Besonderes, weil sie dieses Schicksal mit 58 % der übrigen Bevölkerung teilen. - Danach wird ebenso scheinheilig versucht, die Gemeinden dazu zu überreden, diese Wohnungen zu kaufen, was meist ebenfalls scheitert. Und zum Schluß macht die Bundesregierung genau das, was sie von Anfang an vorgehabt hat: Sie verkauft die Wohnungen als Spekulationsobjekte an Private.
Zur Beruhigung der Gemüter wird dann ein Vertrag gemacht, der den Mieterinnen und Mietern einen sechsjährigen Kündigungsschutz garantiert, wobei völlig klar ist, was mit den Wohnungen nach Ablauf dieser Frist passiert. Sie können weiterverkauft oder abgerissen werden. Letzteres ist besonders dann lohnend, wenn sie sich auf einem Grundstück befinden, das in einem Industriegebiet oder in der Nähe irgendeines Großmarktes liegt. Und genau das passiert im Moment in Neu-Ulm, in der Stadt, in deren unmittelbarer Nähe ich wohne. Dort sollen 372 Wohnungen, die sich direkt gegenüber einem großen Möbelmarkt befinden, an die Sparkasse verkauft werden. Da sich dieser Möbelmarkt schon jetzt nach allen Seiten ausdehnt, ist zu erwarten, daß nach Ablauf der Karenzzeit von sechs Jahren die Stadt Neu-Ulm 372 preiswerte Wohnungen weniger und dafür ein paar tausend Quadratmeter Möbelmarkt mehr haben wird.
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Ein ganz besonders abscheulicher Aspekt an diesem Geschäft ist die Tatsache, daß auch in dieser Siedlung genau wie in einer ähnlichen Siedlung in Dortmund heute noch ca. 70 ehemalige Zwangsarbeiter wohnen, die von den Nazis nach Deutschland verschleppt worden sind. In Dortmund wohnen in der betreffenden Siedlung noch 180 ehemalige Zwangsarbeiter. Auf meine Kleine Anfrage an die Bundesregierung, ob der Erhalt des Dauerwohnrechts für diese Menschen in ihren Wohnungen nicht das Mindeste wäre, was diese an sogenannter Wiedergutmachung erwarten könnten, antwortet mir die Bundesregierung ganz eiskalt: „Zwischen der Veräußerung entbehrlicher Wohnungen und Maßnahmen der Wiedergutmachung besteht kein Zusammenhang." Da kann ich Ihnen nur sagen: Wer so etwas schreibt, wer so redet,
der hat nichts gelernt, der hat kein Unrechtsbewußtsein, der hat kein Schamgefühl.
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Kolleginnen und Kollegen, ich schließe mit einem Zitat des verstorbenen Bundespräsidenten Gustav Heinemann, der 1972 zu unserem Freund Rudi Dutschke gesagt hat: Ihr werdet wohl erst Häuser besetzen müssen, ehe wir ein anderes Mietrecht bekommen.
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Ich erteilte das Wort dem Herrn Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich auf die wichtigsten Ergebnisse des Wohngeld- und Mietenberichts eingehe, bedanke ich mich bei denen, die an der Erstellung und Beratung des Berichts mitgewirkt haben. Dieser Dank gilt den Mitgliedern des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, insbesondere den Berichterstattern: Frau Rönsch und Ihnen, Herr Kollege Menzel. Der Dank gilt auch meinen Mitarbeitern im Bundesbauministerium.
Der Wohngeld- und Mietenbericht 1987 ist ein Leistungsbericht und eine ansehnliche Leistungsbilanz dieser Bundesregierung.
Der Wohngeld- und Mietenbericht 1987 ist das Zahlenwerk einer erfolgreichen Wohnungspolitik.
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Der Wohngeld- und Mietenbericht 1987 ist eine unbestechliche Dokumentation unserer wirksamen Wohnungspolitik, die ja immer zugleich Sozialpolitik, Familienpolitik und Vermögensbildungspolitik ist.
Das Wohngeld erweist sich - darin, glaube ich, besteht Übereinstimmung - immer mehr als treffsicheres und leistungsfähiges Instrument der sozialen Absicherung. Die Wohngeldleistung hat im Durchschnitt den Betrag von 144 DM monatlich erreicht. Dabei gibt es keine Finanzierungsvorbehalte, denn jeder, der die Voraussetzungen erfüllt, hat einen Rechtsanspruch auf Wohngeld.
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- Wer das bundesdeutsche Wohngeldsystem kritisiert, Frau Kollegin, ist aufgefordert, vergleichbare Leistungen in westlichen Industrieländern nachzuweisen. Vergleichszahlen etwa aus der DDR, der Sowjetunion oder Polen, soweit solche Vergleiche überhaupt angestellt werden können, belegen eindrucksvoll die Überlegenheit unserer marktwirtschaftlich angelegten Wohnungs- und Mietenpolitik.
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Wir - das ist der Gegensatz - verwalten nicht den
Mangel; wir verbessern die Rahmenbedingungen für
die Investoren und beseitigen auf diese Weise den Mangel. Wohnungsbau ist immer noch der beste Mieterschutz.
Die Mieten weisen eine Stabilität auf, die vor wenigen Jahren kaum jemand für möglich gehalten hätte. Der Mietenindex stieg 1987 nur noch um 1,8 %. Das ist die niedrigste Rate seit Einführung des Mietenindex überhaupt, nämlich seit dem Jahre 1962. Für die Vielzahl der Mieter in unserem Lande erweist sich damit: Die erfolgreiche Stabilitätspolitik der Bundesregierung seit 1983 ist gleichzeitig die beste Sozialpolitik und die beste Mieter- und Mietenpolitik.
Die marktwirtschaftliche Wohnungspolitik sorgt für ein hohes Angebot. Wir haben die beste Wohnversorgung, die es in der Bundesrepublik Deutschland je gegeben hat. Jedem Bundesbürger stehen - hier nenne ich als Bundesminister natürlich eine auf Bundesebene ermittelte statistische Durchschnittszahl - mehr als 34 qm Wohnraum zur Verfügung.
Ich weiß natürlich auch, daß es - und dem widmen wir unsere Aufmerksamkeit - Familien gibt, die mit sehr viel weniger Wohnraum auskommen müssen.
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Ich weiß, daß es auch heute noch Familien und Einzelpersonen gibt, die in Not geraten und unserer Hilfe bedürfen. Wir helfen ja auch entsprechend.
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Unser Ziel muß es sein, wirksame und differenzierte Hilfen anzubieten. Dabei gibt es eine klare Teilung der Aufgaben und der Verantwortung: Die Bundesregierung hat vor allem für ein insgesamt hohes Wohnungsangebot zu sorgen und tut das auch. Daneben sorgt sie gemeinsam mit den Ländern für eine wirksame soziale Absicherung durch das Wohngeld.
Niemand wird behaupten können, daß mit dem Wohngeld alle sozialen Probleme des Wohnens bereits gelöst werden könnten. Aber für differenzierte Hilfen im Einzelfall müssen die Städte und Gemeinden ihre Verantwortung wahrnehmen. Notfälle müssen vor Ort behandelt, gelindert und beseitigt werden. Der Bund hilft mittelbar, indem er sich am vertikalen Finanzausgleich beteiligt und indem er die Wohnkosten für Sozialhilfeempfänger mitträgt, was viele übrigens nicht wissen.
Die Gemeinden erhalten einen Großteil der Sozialhilfeaufwendungen für das Wohnen von Bund und Ländern erstattet. Die Entlastung der Gemeinden durch Wohngeld betrug im Jahre 1987 rund 1,4 Milliarden DM.
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Ich würde mich freuen, wenn dies durch die Medien auch bundesweit bekannt würde.
In jüngster Zeit wird den Koalitionsparteien und der Bundesregierung vorgeworfen, sie erschwerten die kommunale Wohnungsfürsorge durch die Einführung der Steuerpflicht für gemeinnützige Wohnungsunternehmen und durch die Aufhebung des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes. Meine Damen und Herren,
die Entscheidung, ob gemeinnützige Wohnungsunternehmen künftig steuerpflichtig sein werden, ist noch nicht getroffen. Der Gesetzgeber wird darüber in den nächsten Wochen zu befinden haben.
Aus der Sicht der Bundesregierung ist festzuhalten: Die Bundesregierung will die Wohnungsgemeinnützigkeit weder abschaffen noch schwächen, sondern sichern und auf Dauer stärken.
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Die Bundesregierung gibt den Gemeinden mit der Aufhebung veralteter und sozialpolitisch hinderlicher Bindungen
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mehr sozialen Handlungsspielraum.
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Der sich jetzt abzeichnende Weg für die gemeinnützige Wohnungswirtschaft sichert die wirtschaftliche Grundlage der Unternehmen und damit des Wohnungsangebots.
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Er läßt den Unternehmen mehr Freiheit und Selbstverantwortung für soziales Handeln. Er ermöglicht den gemeinnützigen Unternehmen wie allen anderen Investoren, dort neu zu bauen und ein zusätzliches Angebot bereitzustellen, wo Nachfrage besteht. Unsoziale Mietverzerrungen werden beseitigt, bürokratische Regelungen und Kontrollen werden verringert. Unser Weg schafft ein einheitliches, überschaubares Mietrecht. Er sichert das vorhandene Sozialkapital gegen Substanzverzehr und gegen den Zugriff des Fiskus.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte, Herr Kollege.
Herr Minister, wie erklären Sie es sich, daß im Gegensatz zu Ihnen alle Landeswohnungsbauminister die Streichung der Gemeinnützigkeit als Schwächung bezeichnen?
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Ich darf Sie daran erinnern, daß sich die gemeinnützigen Wohnungsverbände von Rheinland, Westfalen und Lippe einstimmig für die Beseitigung der Steuerfreiheit
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der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen ausgesprochen haben.
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- Verehrter Herr Mieterbundpräsident, im größten Bundesland, in Nordrhein-Westfalen, haben sich also die Gemeinnützigen für eine Regelung im Sinne der Bundesregierung ausgesprochen.
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Wie die Gemeinnützigkeit gestärkt wird, läßt sich am Beispiel der kommunalen Wohnungsunternehmen zeigen.
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- Sie erhalten jetzt die Antwort. Die Gemeindeordnung schreibt vor, daß die kommunalen Unternehmen nur dann auf normale Renditen verzichten dürfen, wenn sie einen sozialen Zweck erfüllen.
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Herr Kollege, Sie verstoßen nicht gegen die Geschäftsordnung. Ich nehme an, daß Sie die Anfrage noch nicht als beantwortet ansehen.
Herr Kollege Reschke, Sie erhalten die Antwort jetzt. Wird der soziale Zweck nachgewiesen, dann können sie kostendeckend oder sogar mit Zuschüssen arbeiten. Genau das ist mit der Wohnungsgemeinnützigkeit gemeint. Dafür wird den Gemeinden der selbstverantwortliche Handlungsspielraum geschaffen.
Nicht der Bund, nicht das Land, sondern die Gemeinden können vor Ort entscheiden, ob ein sozialer Zweck erfüllt wird, ob eine gemeinnützige Leistung erbracht wird.
Von Mietervereinen und vom Deutschen Mieterbund werden schon wieder Flugblätter verteilt, um Mieterängste zu schüren. Ich bedaure das sehr. Wer sich so blamiert hat, wer durch die Ereignisse so widerlegt worden ist wie der Deutsche Mieterbund, der sollte es unterlassen, Flugblätter zu verteilen, wo von Mietsteigerungen um 50 bis 60 DM im Monat die Rede ist, in vielen Einzelfällen sogar von 100 DM und mehr. Die Zahlen werden sicher - bei der jetzt vorhandenen Polemik - noch steigen, aber die Erfahrungen und die Praxis werden diese Behauptungen widerlegen.
Am Schluß des Flugblattes heißt es: Helfen Sie mit durch Ihre Unterschrift, noch besser durch Ihren Beitritt zum Mieterverein. - Ich habe nichts dagegen, daß die Mietervereine Mitgliederwerbung betreiben, aber sie sollten es nicht auf Kosten der Mieter machen, indem sie ihre Angst schüren.
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So stellen beispielsweise der Verband Rheinischer und der Verband Westfälischer und Lippischer Wohnungsunternehmen fest:
Im übrigen war und ist gemeinnütziges Preisverhalten nicht an das Bestehen eines Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes gebunden.
Und Karl Quadt sagte in seiner Stellungnahme zur Anhörung am 6. Juni 1988:
Im Übrigen sehe ich bei Genossenschaften keinen Anlaß zu einer „Mietenexplosion".
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jahn?
Bitte sehr.
Herr Bundesminister, ich will Sie ja nicht fragen, für wie redlich Sie eigentlich Ihre Methode der ausgesuchten Zitierung halten. Nachdem Sie aber eben auf ein Flugblatt zu sprechen gekommen sind, frage ich Sie: Sind Sie bereit zu bestätigen, daß die dort angegebenen Zahlen auf einer ausführlichen wissenschaftlichen Untersuchung des Instituts „Wohnen und Umwelt" in Darmstadt beruhen, daß sie nicht eine freie Erfindung sind, sondern die Wiedergabe einer wissenschaftlichen Untersuchung?
Ich kann das nicht bestätigen, weil ich das nicht überprüft habe. Ich bin aber überzeugt, daß die dort angegebenen Zahlen falsch und irreführend sind und unnötig Ängste bei den Mietern schüren.
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Ich sage zum Schluß noch einmal: Wegen der Abschaffung der Steuerfreiheit braucht nicht eine einzige Miete angehoben zu werden. Steuern zahlt nur, wer Gewinne macht. Wer seine Gewinne durch niedrige Mieten an die Mieter weitergibt, der zahlt keine Steuern, und wer baut, investiert oder modernisiert, der zahlt auch keine Steuern. Die Bundesregierung läßt sich in ihrem wohnungspolitischen Kurs nicht beirren. Wir machen eine Wohnungspolitik für Mieter und Vermieter. Wir sorgen dafür, daß das Angebot steigt und daß es wirtschaftlich möglich ist, Mietwohnungen anzubieten. Nur wenn es leistungsfähige Vermieter gibt, kann es auch Mieter geben. Nur wenn die Leistungsfähigkeit der Unternehmen und Vermieter ausgeschöpft wird, gibt es kostengünstige Wohnungen. Wer diese einfachen Grundsätze mißachtet, zerstört den Wohnungsmarkt, mißachtet die Bedürfnisse der Wohnungssuchenden und verhält sich in hohem Maße unsozial.
Meine Damen und Herren, ich darf sagen, der Wohngeld- und Mietenbericht ist eine stolze Leistungsbilanz.
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Ich bedanke mich bei all denen, die diese Politik unterstützt haben. Ich bitte die Damen und Herren aus der SPD-Fraktion, sich in Geduld zu üben. Die Wirklichkeit wird sie einholen. Am Ende wird die Bundesregierung recht behalten.
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Das Wort hat der Abgeordnete Müntefering.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierung und die Koalition wollen sich offensichtlich immer noch die Hände an der Wohngeldnovelle wärmen, die inzwischen zweieinhalb Jahre alt ist und in ihrer Wirkung immer geringer wird; denn man wächst mit seinen Ansprüchen im Bereich Wohngeld aus Novellen heraus - das wissen wir - , und dann muß man von Zeit zu Zeit nachsteuern. Statt über das zu sprechen, was vor zweieinhalb Jahren einmal gemacht worden ist, sollten Sie, Herr Minister, darüber sprechen, wie die Situation denn heute ist und wie die Probleme zu lösen sind, die wir morgen haben.
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Da gibt es in der Tat dringlichen Handlungsbedarf. Die Haushalte werden schnell kleiner. Wir werden 1990 700 000 Einpersonenhaushalte, 450 000 Zweipersonenhaushalte und 800 000 Dreipersonenhaushalte mehr haben als Anfang der 80er Jahre. Das wirkt sich natürlich auch auf den Markt aus, und von daher erklärt sich auch, daß viele Menschen heute mehr Quadratmeter Wohnfläche haben, als das noch vor einigen Jahren der Fall gewesen ist. Aber das löst nicht die Wohnungsprobleme, in denen wir uns bewegen. Die Zahl der Haushalte nimmt bis 1990 um 800 000 zu. Wir sind mitten in einer galoppierenden Umstrukturierung des Wohnungsmarktes. Durch die Saumseligkeit der Bundesregierung eskalieren die Probleme.
Ein paar Schlagzeilen, ein paar Schlaglichter dazu: In Frankfurt wurden im Februar dieses Jahres 10 300 Wohnungssuchende gezählt, die nicht aus eigener Kraft eine Wohnung finden konnten. In Düsseldorf waren 86 % der Wohnungssuchenden Menschen, die Minderverdienende sind, die keine Chance hatten, sich am Markt durchzusetzen. In diesem Jahr, 1988, kommen rund 150 000 Aussiedler und Umsiedler aus der DDR und aus osteuropäischen Ländern zu uns und suchen hier Wohnung und Integration. Dazu will ich einmal etwas in Klammern sagen: Daß die Bundesregierung das Kommen dieser neuen Bürger herzlich begrüßt und im übrigen die Städte und Gemeinden und Länder bei dem Problem der Integration - das ist ja viel mehr als nur das Wohnungsproblem - so allein läßt, wie sie es tut, ist eine Schofeligkeit sondergleichen.
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Die Bundesregierung verkauft Bundeswohnungen. Ich nehme einmal das Beispiel Neu-Ulm, wo im Augenblick an eine Bank, an eine Sparkasse verkauft wird. Es ist doch klar, daß die Menschen Angst haben, was denn eigentlich mit der Wohnung wird, wo sie sich bisher sicher gefühlt haben, wenn wir wissen, daß modernisiert und verdrängt wird und die, die bisher in den Wohnungen gewesen sind, nicht mehr darin wohnen können. Die Verknappung am Wohnungsmarkt treibt die Mieten. 1987 sah das so aus: bei Wiedervermietung in Kiel 5,5 % Mietensteigerung, in Mannheim 7,7 %, in Frankfurt und Braunschweig 8,3 %, in Stuttgart über 10 %. Bei Erstvermietungen war das noch eindeutiger: Berlin, Stuttgart, Düsseldorf, Karlsruhe, Heidelberg, Saarbrücken - alle über 10 % Mie5536
tensteigerung im Jahre 1987. Sie sprechen über 1985/86, und wie schön es gewesen ist, daß Sie die Wohngeldnovelle machen durften, aber Sie sprechen nicht darüber, wie die Situation im Augenblick ist und wie sich das Ganze entwickelt. Das Problem ist, daß Sie nicht an das denken und danach handeln, was jetzt eigentlich ansteht, sondern sich immer nur rückblickend auf das konzentrieren, was irgendwo einmal gewesen ist.
In dieser schwierigen wohnungspolitischen Situation gibt die Bundesregierung keinen Pfennig für neue Sozialmietwohnungen. Sie streicht die Mittel für den selbstgenutzten Sozialmietwohnungsbau drastisch zusammen, und sie streicht jetzt die Wohnungsgemeinnützigkeit. Dazu lassen Sie mich wirklich einen Satz sagen, weil das, was Sie da eben gemacht haben, unter der Würde eines Ministers ist. Sie wissen genau, Herr Minister, daß die Mehrheit der Unternehmer im Bereich der Wohnungsgemeinnützigkeit dafür ist, daß Wohnungsgemeinnützigkeit erhalten bleibt und gestärkt wird. Die, die in Nordrhein-Westfalen heraus wollen, wollen heraus, weil sie Angst davor haben, daß Sie eine Reform machen könnten, die dann die gemeinnützigen Unternehmen stranguliert. Wenn sie sicher sein könnten, daß eine Novelle zustande käme, so wie sie Sozialdemokraten vorgeschlagen haben und wie Sie sie mittragen sollten,
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dann wären auch diese gemeinnützigen Unternehmen zum großen Teil gern bereit, gemeinnützige Unternehmen zu bleiben, statt aus der Gemeinnützigkeit herauszumarschieren oder herausgedrängt zu werden. Was Sie im Augenblick mit der Wohnungsgemeinnützigkeit tun, ist, daß Sie ein wichtiges Instrument - es ist ja nicht das einzige - im Bereich der Wohnungspolitik kaputtmachen. Das wird uns in den nächsten Jahren noch teuer zu stehen kommen, weil wir die Wohnungen in diesem Bereich für die Lösung der Probleme, um die es jetzt geht, wirklich brauchen.
Sie belobigen sich für die Wohngeldnovelle 1985, die 1986 anfing wirksam zu werden, aber auch das stimmt nicht einmal. Sie haben Ihre Regierungszeit damit begonnen, daß Sie 1983 das Wohngeld gekürzt haben. Es wurden Freibeträge bei den Alleinerziehenden, bei den Behinderten und bei den Familien mit mehreren Kindern gestrichen; das ist nie wieder in Ordnung gebracht worden. Es folgte dann ein Wortbruch. Minister Schneider hat gesagt: Zum 1. Januar 1985 neues Wohngeld. - Das wurde aber nichts. Es fing ein Jahr später an, so langsam wirksam zu werden. Nachdem die Novelle 1986 dann da war, stellten wir auf einmal fest: Es wird ja viel mehr Wohngeld ausgegeben, als Sie eigentlich prognostiziert hatten. - Dafür belobigen Sie sich, aber das Problem ist doch: Das Wohngeld steigt in diesen Jahren so drastisch, weil so viel mehr Menschen arbeitslos sind und so viel mehr Menschen Sozialhilfeempfänger sind.
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Man kann sich doch dafür nicht belobigen, daß so viel Geld an dieser Stelle eingesetzt werden muß.
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1986 flossen 1,24 Milliarden DM Wohngeld an Sozialhilfeempfänger. Sie sprachen eben sogar von 1,4 Milliarden DM für das Jahr 1987. Das sind in diesem Bereich 750 Millionen DM mehr als 1981, weil es 1981 noch nicht eine so große Zahl von Langzeitarbeitslosen und noch nicht eine so große Zahl von Sozialhilfeempfängern gab, die darauf angewiesen waren, daß sie diese Hilfe bekommen. Es ist doch eine absurde Logik, wenn sich eine Regierung selber dafür belobigt, daß sie so viel Mittel in diesem Bereich einsetzen muß, weil so viele Menschen darauf angewiesen sind, dieses Geld zu bekommen.
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Die Wahrheit ist: Die wachsende Summe an Wohngeld ist auch Ausfluß Ihrer Politik. Das geht ja noch weiter: Für den einzelnen Berechtigten wird das Wohngeld Jahr für Jahr weniger. Die 3 % mehr an Rente führen auch zu weniger Wohngeld.
Die Betroffenen müssen auch noch eine höhere Mineralölsteuer, irgendwann höhere Heizölpreise und irgendwann eine höhere Mehrwertsteuer bezahlen. Das heißt, über das, worüber wir sprechen müßten, reden Sie nicht, nämlich über das, was nächstes und übernächstes und überübernächstes Jahr denn eigentlich sein wird.
Immer mehr ältere Menschen wohnen zu zweit oder alleine in einer Wohnung, die für sie eigentlich zu groß ist, die ihnen aber Heimat geworden ist, und die sie auch behalten wollen. Sie müssen dafür hohe und immer höhere Mieten zahlen, und zwar über das hinaus, was sie eigentlich zu finanzieren in der Lage wären. Das ist ein Problem, das durch das Wohngeldgesetz, so wie es jetzt dasteht, nicht gelöst wird.
30 % derer, die Wohngeld erhalten, bekommen ihre volle Miete gar nicht angerechnet, weil die Miete höher ist, als das Wohngeld als Höchstbetrag berücksichtigt. Das heißt, es gibt eine ganze Gruppe, bei der nachgesteuert werden muß, weil sie es aus eigener Kraft nur schwer finanzieren können.
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Es wäre jetzt an der Zeit, eine neue Novelle anzukündigen; das haben Sie nicht getan. Offensichtlich wollen Sie sich auch 1990, wenn der nächste Bericht vorgelegt werden muß, noch einmal an dem ergötzen, was 1985 von Ihnen geleistet worden ist.
Die SPD-Fraktion hat deshalb die Initiative ergriffen. Wir legen einen Antrag vor. Er steht hier gleich zur Abstimmung. Er besagt, daß wir als Deutscher Bundestag noch in dieser Legislaturperiode eine Novelle zum Wohngeldgesetz einbringen, verabschieden und wirksam machen sollten, weil keine Zeit bis
in die 90er Jahre hinein verstreichen darf, ehe sich überhaupt etwas bewegt.
Wir werden dem Punkt 4 Ihrer Beschlußempfehlung natürlich zustimmen; denn er heißt ja, die Bundesregierung solle jetzt dringendst noch einmal gebeten werden, endlich dafür zu sorgen, daß dieser Schimmel der Bürokratie, der da geritten wird, indem die Sozialhilfeempfänger einen doppelten Antrag stellen müssen und viel Verwaltungskram ausgelöst wird, endlich aufhören kann zu wiehern.
Sie haben sechs Jahre Zeit dafür gehabt, Herr Minister. Sie haben kein Wort dazu gesagt. Es wäre schon gut gewesen, wenn Sie hier deutlich gemacht hätten, daß das inzwischen auch Ihr Begehr ist.
Insgesamt: Hören Sie auf,
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sich für das, was 1985 und 1986 - ich habe dies mit einer größeren Lücke gesagt, weil das „Hören Sie auf " auch für sich einen gewissen Sinn gemacht hat - gemacht wurde, zu belobigen.
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Herr Minister, hören Sie auf, sich für das, was vor drei Jahren gelungen ist und was dann noch hinter dem zurückblieb, was eigentlich vernünftig war, zu belobigen, Denken Sie an das, was heute ein Problem ist, und an das, was für morgen geleistet werden müßte. Dazu ist eben von Ihnen hier kein Wort gesagt worden.
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Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache über den Tagesordnungspunkt 2.
Wir kommen nun zur Abstimmung, und zwar zunächst über die vorliegenden Änderungsanträge zu der Beschlußempfehlung.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/2423? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/2432? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Diese ist der Drucksache 11/2394 zu entnehmen. Die Fraktion der SPD hat eine getrennte Abstimmung beantragt.
Ich rufe daher zunächst die Nummern 1 bis 3 der Beschlußempfehlung auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Nummern 1 bis 3 sind angenommen.
Ich rufe jetzt die Nummer 4 auf. Wer ist dafür? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Nummer 4 ist mit Mehrheit angenommen. Damit ist auch die Beschlußempfehlung angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({0})
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hauchler, Dr. Wieczorek, Frau Matthäus-Maier, Dr. Mitzscherling, Dr. Apel, Bindig, Brück, Dr. Holtz, Klejdzinski, Kretkowski, Frau Luuk, Frau Dr. Niehuis, Schanz, Schluckebier, Toetemeyer, Frau Dr. Martiny, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Schuldenkrise der Dritten Welt
zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Bundesdeutsche Beiträge zu Lösungsansätzen für die internationale Verschuldungskrise
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Pinger, Wissmann, Dr. Stercken, Frau Hoffmann ({1}), Herkenrath, Kittelmann, Spilker, Frau Dr. Hellwig, Zink, Schwarz und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Solms, Frau Folz-Steinacker, Timm, Hoppe, Frau Seiler-Albring, Frau Dr. Hamm-Brücher, Irmer, Dr. Feldmann, Dr. Haussmann, Grünbeck, Dr. Hitschler, Nolting und der Fraktion der FDP
Überwindung der Verschuldungskrise der Entwicklungsländer
- Drucksachen 11/826, 11/893, 11/905, 11/2342 Berichterstatter:
Abgeordnete Feilcke Frau Folz-Steinacker Dr. Hauchler
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, für die Beratung eine Stunde vorzusehen. - Sie stimmen dem zu. Ich sehe keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Feilcke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute als Grundlage unserer Beratung eine Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Dem sind Beratungen im Ausschuß vorausgegangen. Dem ist ein Hearing vorausgegangen, das wir durchgeführt haben. Ich glaube, wir alle sind seit dem vergangenen Herbst, seitdem die Anträge der Fraktionen hier beraten wurden, etwas klüger geworden. Ich habe auch den Eindruck, wir haben uns in einigen Positionen aufeinander zubewegt. Eines jedenfalls ist für mich klargeworden: Ich glaube auch, Tendenzen in dieser Richtung bei den Mitgliedern der anderen Fraktionen erkennen zu können. Wir sollten notwendigerweise nicht von d e r Schuldenkrise der Dritten Welt reden, sondern ich glaube, man wird davon ausgehen müssen: Es gibt viele Krisen, die insgesamt gesehen natürlich eine große Krise sind. Wenn man sagt, es gibt die Schuldenkrise, suggeriert man damit automatisch, es gibt auch die Lösung der Krise.
Die katholische Kirche hat z. B. in einer Schrift der Kommission Weltkirche hierzu ausgeführt:
Es muß vor jeder globalen, vereinfachenden Sicht gewarnt werden. Nur eine differenzierte Betrachtung kann zu tragfähigen Aussagen führen.
Die evangelische Kirche hat in einer Schrift, die am gleichen Tag, am 16. Mai, von der Kammer der EKD vorgelegt wurde, formuliert:
Da die Ursache der Verschuldung und die Inhalte einer Sanierungspolitik von Land zu Land sehr unterschiedlich sein können, kommen nur Einzelfallösungen oder Lösungen für Ländergruppen in Betracht.
Ich glaube, das ist eine sehr wichtige Erkenntnis. Ich glaube auch - ich wiederhole es - , feststellen zu können, daß wir uns in dieser Frage annähern. Eine Differenzierung von Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent ist notwendig. Die Krise hat in jedem Land unterschiedliche Ursachen, also wird es auch unterschiedliche Lösungen geben. Sie hat auch unterschiedliche Auswirkungen in den einzelnen Ländern. Anders formuliert: Es gab viele Wege in die Krisen, und so wird es auch viele Wege aus diesen Krisen geben. Das darf für uns keine Beruhigung sein, sondern es ist eine Erschwernis. Es gibt auch nicht die eine Lösung, sozusagen die Möglichkeit, den Knoten mit einem Schlag durchzuhauen.
Ich will versuchen, an einigen wenigen Zahlen deutlich zu machen, wie unterschiedlich die Situation ist. Alle Entwicklungsländer haben heute im Durchschnitt eine Schuldendienstquote, also einen Anteil des Schuldendienstes an den Exporterlösen, von 37 %.
({0})
- Durchschnitt! Das ist schon fast doppelt soviel wie das, was Sie in Ihrem Antrag überhaupt für zumutbar halten, wobei wir auch da übereinstimmen. In Lateinamerika beträgt die Schuldendienstquote 46 %, in Afrika 30 % und in Asien, in den asiatischen Entwicklungsländern 13 %. Das heißt, diese Durchschnittszahl von 37 % sagt überhaupt nichts, sie hilft uns nicht bei der Lösung dieses Problems. Wenn man dann noch einzelne Regionen oder einzelne Länder heraussucht wie z. B. Ghana, dann stellt man fest, fast 60 % der Exporterlöse sind in diesen Jahren für die Bedienung der Schulden aufzubringen.
({1})
- Im Sudan über 90 %, höre ich. Ich kannte die Zahl nicht. Das wäre natürlich katastrophal.
Wir konzentrieren uns in der Betrachtung dieses Problems in aller Regel auf die Länder, die zahlenmäßig ganz vorne liegen, Argentinien, Brasilien, Mexiko. Wir wissen: Ein Viertel der Schulden von 1 200 Milliarden US-Dollar oder über 2 Billionen Deutsche Mark entfällt auf eben diese Länder.
Die Auswirkungen der Schulden sind in den Ländern mit geringeren Schulden oft sehr viel gravierender; denn die Länder Lateinamerikas sind oft Schwellenländer, die auch Rohstoffvorkommen haben, die in der Lage wären, sich auch aus eigener Kraft mit diesen Problemen so zu arrangieren, daß sie eines Tages herauskommen könnten, während Länder wie - um das Beispiel noch einmal zu erwähnen - Ghana dazu nicht in der Lage sind, weil sie über keine Ressourcen verfügen. Das heißt, die Exporterlöse, die in solchen Ländern erzielt werden, führen dazu, daß Ressourcen vernichtet werden, die für die Lebensgrundlagen in der Zukunft von Bedeutung sind. Ghana ist darauf angewiesen, den tropischen Regenwald abzuholzen, um überhaupt noch Exporterlöse zu erzielen.
Wir haben unsere Aufmerksamkeit den kleinen Schuldnern zuzuwenden, weil sie oft die größeren Probleme im Lande haben. Nach meiner Auffassung sollte das Ziel dieser Debatte der Versuch sein, einen Weg in Richtung dauerhafte Lösung der Krisen zu finden, nicht nur Schuldenmanagement. Wir müssen wegkommen vom bloßen Schuldenmanagement, hin zu dauerhaften Lösungen. Es nützt uns gar nichts, kurzfristige Entschuldungen vorzunehmen und damit möglicherweise die Grundlage für eine Wiederholung der alten Fehler zu schaffen. Wir können zwar feststellen: Der große Kollaps ist ausgeblieben. Aber wir müssen auch sehen: Es ist nicht auszuschließen, daß er eines Tages noch kommen wird. Durch geschicktes Schuldenmanagement ist die eigentliche Bedrohung des internationalen Finanzsystems verschoben worden.
Wir müssen also die Entschuldungsmaßnahmen mit strukturellen Auflagen verbinden und darauf unsere Aufmerksamkeit richten, daß unsere Bundesregierung hier ihren Beitrag leistet. Auf der anderen Seite, meine ich, sollten wir bei dieser Debatte auch ausdrücklich begrüßen, was die Bundesregierung schon tut. Beispielsweise ist gestern beschlossen worden, einen Schritt in Richtung Entschuldung zu gehen, der über das hinausgeht, was bisher schon positiv zu verzeichnen war. Länder, die besonders arm sind, Länder, die besonders verschuldet sind, und Länder, die besonders anpassungsbereit sind, sollen in den Kreis der Länder aufgenommen werden können, denen Schuldenerlasse gewährt werden. Das heißt natürlich auf deutsch: über den Kreis der willkürlichen Grenze der LLDCs hinaus.
({2})
- Länder, die bereit sind, in ihrem eigenen Bereich die Voraussetzungen dafür zu schaffen, wirtschaftlich stabile Verhältnisse herzustellen, wie z. B. Ghana.
({3})
Ich sage ausdrücklich: Mir ist bekannt, daß das Finanzministerium und das Entwicklungsministerium gestern im Kabinett aufgefordert worden sind, diesen Beschluß zu konkretisieren. Ich hoffe sehr - weil das auch einer Beschlußlage unserer Fraktion entspricht - , daß bei dem Kreis der begünstigten Länder das schon mehrfach zitierte Ghana dabei ist. Das Pro-Kopf-Einkommen in Ghana liegt über der Grenze von 375 Dollar pro Jahr, aber noch unter 400 Dollar, Beträge, die für uns unvorstellbar niedrig sind. Ich glaube, daß die Anpassungsbereitschaft gerade dieses Landes vorbildlich ist.
({4})
Deshalb verdient dieses Land unsere ganz besondere Solidarität, gerade damit das, Herr Kollege Volmer, nicht zwangsläufig so weitergeht - der Kakao-Preis ist heute international im Keller - , damit dieses Land nicht darauf angewiesen ist, um die Schulden bedienen zu können, die natürlichen Lebensgrundlagen zu vernichten. Deswegen müssen wir ihm durch Entschuldungsaktionen helfen.
Über das hinaus sind natürlich auch die privaten Gläubiger gefordert. Ich glaube, daß auch die Banken ihren Beitrag zu leisten haben. Es ist unmöglich, in einer solchen kurzen Debatte alle Vorschläge zu nennen. Natürlich müssen marktorientierte Wege gegangen werden. Das Abs-Modell sei hier mindestens vom Namen her genannt.
Wir brauchen dauerhafte Entschuldungen und nicht nur einen ausgedehnten Schuldenerlaß. Der ist natürlich die Voraussetzung für eine dauerhafte Änderung der Strukturen in der Weltwirtschaft. Industrieländer und Entwicklungsländer müssen hier ihren Beitrag leisten. Die Entwicklungsländer - wir haben darüber schon kurz gesprochen, Herr Volmer - durch Strukturanpassungsmaßnahmen. Mobilisierung der Marktkräfte, Wachstum und Stabilität können nur so geschaffen werden.
Meine Damen und Herren, ich glaube, das wesentlich Neue an der Beschlußempfehlung des Ausschusses ist, daß wir uns nun - gemeinsam, so hoffe ich - verstärkt den Industrieländern zuwenden und die Forderung nach Abbau von Protektionismus erheben. Ich sage auch: Abbau von Subventionen. Denn diese bereiten den Ländern auf der südlichen Halbkugel erheblichen Schaden. Ich füge hinzu: Die Sanierung dieser Länder ist im eigenen Interesse. Nur wenn wir dort gesunde Märkte haben, sind wir auch in der Lage, in unseren eigenen Ländern neue Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen. Ich fand es sehr wohltuend, was der Präsident der Weltbank, Barber Conable, hier in Bonn in Richtung Industrieländer ausgeführt hat. Ich meine, die Bundesregierung sollte auf diesem Weg fortschreiten. Eine gute Gelegenheit bietet sich dafür auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Toronto. Es muß alles unternommen werden, um den Entwicklungsländern einen verstärkten Zugang zu den Märkten der Industrieländer zu verschaffen. Sie müssen natürlich auch in die Lage versetzt werden, unsere Produkte einkaufen zu können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, ein gutes Vorbild ist das Lomé-Abkommen. Denn damit werden Einfuhrerleichterungen durch Zollermäßigungen, Stabilisierung der Exporterlöse und Abnahmegarantien geschaffen.
Wir müssen auch an die Konkretisierung von Einzelmaßnahmen gehen. Das ist mir aus zeitlichen Gründen jetzt nicht möglich. Ich möchte sie deshalb nur stichwortartig nennen. Bereits im Herbst habe ich die Forderung des Sprechers der Deutschen Bank nach einem Zinsausgleichsfonds in die Debatte eingeführt. Ich halte das nach wie vor für eine sehr erwägenswerte Idee, die sehr seriös zu prüfen ist.
Ich möchte einen Gedanken einführen, der auch in dem Papier der katholischen Kirche auftaucht, der zumindest sinngemäß auch von einem Sprecher des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik formuliert worden ist: ein Frühwarnsystem, damit eben nicht die Entschuldung die Grundlage für eine neue Verschuldung ist. Ich will es einmal „Internationales Aufsichtsamt für das Kreditwesen" nennen. Hiermit sollte geprüft werden können, wie die wirtschaftliche Situation in den einzelnen Ländern ist, wie die Kreditbeziehungen sind, wie die Gesamtverschuldung ist, wie die Leistungsfähigkeit dieser Länder ist. Eventuell sollten auch Empfehlungen für Kreditobergrenzen ausgesprochen werden können, damit das Windhundrennen nach einer hoffentlich bald stattfindenden Entschuldung nicht von vorn losgeht.
Letzte Bemerkung, meine Damen und Herren. Diese Debatte findet zu einem guten Zeitpunkt statt. Nicht nur, daß sich die internationale Aufmerksamkeit zunehmend dieses Themas bemächtigt hat: Wir diskutieren es auch im Bundestag in immer größerer Häufigkeit. Wir werden das wahrscheinlich - leider - weiter so tun müssen. Morgen ist der DritteWelt-Tag. Ich glaube, das ist eine gute Gelegenheit, morgen in den Medien etwas darüber zu erfahren, was heute in dieser Debatte - hoffentlich im Konsens - diskutiert worden ist. Ich meine, auch im Vorfeld der Weltbanktagung in Berlin sollten wir alles daran setzen, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, daß es nicht nur Dissens, sondern auch Konsens in diesem Hause gibt.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hauchler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die internationale Verschuldung der Dritten Welt wird immer mehr zur Entwicklungsblockade für den Süden, zur Gefahr für die Weltwirtschaft und zu einer immer schwereren Hypothek für die gesamten Nord-Süd-Beziehungen. Die Frage, ob die reichen Industriegesellschaften den Weg zu einer ökonomisch vernünftigen und gerechten Lösung freimachen, wird immer mehr zum Testfall dafür, ob sie die politische Kraft und die moralische Qualität besitzen, um ihrer globalen Verantwortung gerecht zu werden.
({0})
Dieser Herausforderung muß sich vor allem auch die Bundesrepublik stellen. Unser Land gehört zum Kreis der größten Wirtschaftsmächte der Welt. Wir profitieren an vorderster Front vom internationalen Handel. Unsere Konzerne und Banken drehen kräftig am Rad der internationalen Kapitalbewegungen mit, und unsere Regierung spricht im Internationalen Währungsfonds und in der Weltbank entscheidend mit.
Die Verantwortung der Bundesrepublik leitet sich aber auch aus ihrer eigenen Geschichte her. Die Weimarer Republik ist nicht zuletzt durch die hohe internationale Schuldenbelastung geschwächt worden. Der wirtschaftliche Aufschwung und die politische Stabilität der Bundesrepublik nach 1945 hingegen waren auch eine Folge davon, daß die siegreichen
Gläubigermächte genügend Einsicht und Weitsicht hatten,
({1})
um unserem Land im Londoner Abkommen von 1953 Schulden zu erlassen, Tilgungen zu strecken und Zinsen zu senken.
({2})
Die starke wirtschaftliche Position und die eigenen historischen Erfahrungen verpflichten die Bundesrepublik heute, da andere Länder durch einen überzogenen Schuldendienst in ihrer Entwicklung gehemmt werden, stärkere Initiativen zu ergreifen, um die Schuldenkrise der Dritten Welt strukturell zu lösen.
Der Deutsche Bundestag debattiert heute über diese Fragen im Vorfeld der Jahrestagung von IWF und Weltbank. Sie findet erstmalig auf deutschem Boden statt. Die Welt wird auf Berlin schauen und registrieren, ob die Minister, Notenbankchefs und Banken aus 151 Ländern endlich ökonomisch vernünftige und sozial und politisch tragfähige Vereinbarungen treffen werden oder ob die Hochfinanz auf dem Kongreß tanzt, während sich immer dunklere Wolken über der Dritten Welt zusammenziehen.
({3})
Wir Sozialdemokraten werden die Jahrestagung kritisch, aber auch konstruktiv begleiten. Wir begrüßen auch ausdrücklich konstruktive Kritik von allen Gruppen, die sich in Berlin öffentlich mit der Rolle von IWF, Weltbank und Privatbanken auseinandersetzen werden.
({4})
Nur eine gewaltfreie Demonstration kann aber wirklich zu Lösungen führen.
({5})
Gleichzeitig muß aber natürlich sichergestellt werden, daß das Recht der freien Meinungsäußerung, das wir von anderen, jenseits der Mauer einfordern, auch bei uns in Berlin gewahrt wird.
({6})
Wenn vor der Jahrestagung deutlich wird, daß vor allem der Gastgeber Bundesrepublik konstruktive Vorschläge macht, um Durchbrüche an der Schuldenfront zu erzielen, so wird dies der wirksamste Beitrag dafür sein, daß sich die Auseinandersetzung um diese Fragen ausschließlich in friedfertigen Formen vollzieht.
({7})
Die Bundesrepublik erweist sich in dieser Hinsicht allerdings bisher als reichlich borniert.
({8})
- Die Vorschläge kommen noch.
Der Finanzminister hat die politische Dimension des Schuldenproblems anscheinend noch immer nicht erfaßt.
({9})
Er interessiert sich auch nicht dafür, denn er ist ja gar nicht da. Er verweist achselzuckend auf die Privatbanken und unterstützt bis zum bitteren Ende die Auflagenpolitik des IWF, der - allerdings bei etwas gewachsener Nachdenklichkeit, das muß man zugeben - die Last der Anpassung einseitig auf die Schuldnerländer abwälzt.
Der Entwicklungsminister wiederum versucht, engagierte Nord-Süd-Organisationen zu diffamieren und sperrt diesen schon zugesagte Gelder für die Nord-Süd-Kampagne des Europarates.
({10})
Herr Minister, wer gewalttätig über Gewalt redet, beschwört sie eher selbst herauf, als daß er zur konstruktiven Diskussion beiträgt.
({11})
Ich hoffe, daß die Bundesregierung noch rechtzeitig zu einer Wende in der Sache und in der Sprache findet.
({12})
- Ich hoffe das immer.
Die heutige Debatte jedenfalls bietet die Chance, daß die Parteien ihre Positionen in aller Ruhe einander gegenüberstellen. Herr Feilcke hat dankenswerterweise damit begonnen. Gleichzeitig sollten die Parteien zumindest in Kernfragen zu einem Konsens über wichtige Lösungsansätze zur Bewältigung der Schuldenkrise gelangen. Die vom Deutschen Bundestag kürzlich veranstaltete Anhörung für Experten hat dafür eine geeignete Basis geschaffen.
Wenn man sich über einige Fragen auch nicht verständigen wird, so können doch meines Erachtens die folgenden Grundsätze von einer breiten Mehrheit des Deutschen Bundestages getragen werden:
Erstens. Die Ursachen der Schuldenkrise sind im Verhalten der Schuldnerländer und der Gläubigerländer zu suchen. Auf Grund dieser gemeinsamen Verantwortung müssen sich die Industrieländer - neben den notwendigen Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer - stärker als bisher an den damit verbundenen Lasten beteiligen. Auf Grund des größeren Wohlstandes und des breiteren Einflusses und Handlungsspielraumes und unserer Möglichkeiten, die weltwirtschaftlichen Strukturen stärker zu bestimmen, müssen wir insgesamt einen höheren Beitrag erbringen.
Zweitens. Im Rahmen allgemein zu vereinbarender Regeln sind von Fall zu Fall - nicht „nur" von Fall zu Fall, Herr Feilcke - Forderungsverzichte auf öffentliche und private Kredite unverzichtbar. Wir brauchen endlich ein internationales Insolvenzrecht und eine funktionierende internationale Kreditaufsicht.
({13})
Damit soll sichergestellt werden, daß Forderungsverzichte von Fall zu Fall erleichtert werden - das geht dann nämlich besser - und die Vergabe neuer Kredite an national längst anerkannte Grundsätze gebunden werden.
({14})
- Das erzähle ich Ihnen später privat; dazu habe ich jetzt keine Zeit.
Die Regierungen müssen die privaten Banken dazu bewegen, an dauerhaften Lösungen mitzuwirken. Die Bundesrepublik muß vor allen Dingen den ärmsten, hochverschuldeten Ländern weitere Erlasse auf öffentliche Schulden aussprechen.
Drittens. Der Schuldendienst muß an die langfristige Leistungskraft und Transferfähigkeit der Entwicklungsländer angepaßt werden. Ein Land, das 20 % und mehr seiner Exporterlöse für die Bedienung alter Verbindlichkeiten, denen keine produktive Basis mehr entspricht, aufwenden muß, kann weder ausreichend wachsen noch investieren. Neben Regelungen für einen teilweisen Forderungsverzicht müssen deshalb Vereinbarungen über die Streckung von Tilgungsfristen und die Senkung der Zinsen auf Altschulden getroffen werden. In diesem Zusammenhang kann auch die Umwandlung kurzfristiger Forderungen in langfristige Schuldtitel eine wichtige Rolle spielen.
Viertens. Die Anpassungsprogramme unter Führung von IWF und Weltbank sollen Reformen in den Schuldnerländern fördern, um Wachstum und Produktivität zu steigern. Sie müssen zugleich die sozialen, politischen und ökologischen Wirkungen berücksichtigen und sich auf Rüstungshaushalte und Kapitalflucht erstrecken.
In diesem Zusammenhang sollte der Vorschlag einer jetzt in Madrid abgehaltenen Konferenz zur NordSüd-Kampagne des Europarats geprüft werden. Er sieht vor, durch ein internationales parlamentarisches Gremium prüfen zu lassen, ob IWF und Weltbank ihre Strukturanpassungsvorschläge auch wirklich in diesem erweiterten Sinne abfassen.
({15})
Fünftens. Eine strukturelle Lösung der Schuldenkrise erfordert auch eine größere Anstrengung der Industrieländer um die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Entwicklungsländer zu verbessern.
({16})
Dies betrifft Zinsen, Wechselkurse, Rohstoffpreise, freien Marktzugang - insbesondere bei Agrar- und Industrieprodukten - und den Abbau von Leistungsbilanzüberschüssen.
Sechstens. Die Schuldnerländer sollten eine Politik verfolgen, die wirtschaftliche und soziale Reformen miteinander verbindet. Jene Länder verdienen unsere besondere Unterstützung, die Kapital produktiv verwerten, sich auf die eigenständige Befriedigung der Grundbedürfnisse konzentrieren, eine breite Beteiligung der Menschen am wirtschaftlichen und politischen Leben ermöglichen und konkrete Schritte zu einer Agrarreform, zur Senkung der Rüstungsausgaben und zu einer disziplinierten Wirtschafts- und Haushaltspolitik einleiten.
Siebtens und letztens. Der Nettokapitaltransfer vom Süden zum Norden, der heute jährlich etwa 30 Milliarden Dollar beträgt, muß umgekehrt werden.
({17})
Dazu muß neben einer Senkung des Schuldendienstes auch eine stärkere Entwicklungsfinanzierung beitragen. Neben anderen Maßnahmen müssen insbesondere auch die Rückflüsse aus der Kapitalhilfe voll dafür verwendet werden. Auch die finanzielle Ausstattung von IWF und Weltbank muß deutlich verstärkt werden.
Meine Damen und Herren, schon der bevorstehende Weltwirtschaftsgipfel in Toronto bietet der Bundesregierung die beste Gelegenheit, im Hinblick auf die Jahrestagung von IWF und Weltbank in Berlin entsprechende Initiativen zu ergreifen. Die großen Industriestaaten müssen endlich über den eigenen Schatten springen, den sie selbst auf die Weltwirtschaft werfen.
Auf dem Spiel steht nicht nur das Schicksal vieler Menschen und die Zukunft der Nord-Süd-Beziehungen, auf dem Prüfstand steht auch unsere eigene Fähigkeit, global denken und international im gemeinsamen Interesse wirksam handeln zu können.
({18})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Folz-Steinacker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die gesamte Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer hat inzwischen ein riesiges Volumen von 1200 Milliarden US-Dollar erreicht. Dies ist eine bedrückende Zahl. Das Ausmaß der Verschuldung stellt eine Gefahr für die wirtschaftliche und soziale Situation in den betroffenen Ländern und für die internationale Gemeinschaft dar.
Dies bedeutet nicht nur zunehmende materielle Not besonders in den ärmeren Bevölkerungsschichten der Schuldnerländer, sondern auch eine stärkere soziale Polarisierung und Fortdauer ungleicher Einkommens- und Vermögensverteilung. Dadurch wird die Gefahr sozialer Unruhen und politischer Radikalisierung erhöht, und vorhandene Ansätze zur Demokratisierung können gefährdet werden. Schuldner- und Gläubigerländer müssen sich diesen Herausforderungen stellen und durch gemeinsame Lösungsbemühungen den Gefahren begegnen.
Die im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit vor kurzem durchgeführte Anhörung zu diesem Thema hat nochmals ganz deutlich gemacht, daß eine Lösung der Verschuldungskrise nur erreicht werden kann, wenn die strukturellen Ursachen der Verschuldungsprobleme beseitigt werden. Globale Schuldenerlasse wurden von den Sachverständigen einmütig abgelehnt. Wir wissen, daß die Strategie zur Lösung der Verschuldungskrise langfristig angelegt werden muß. Sie muß darauf abzielen, in den Schuldnerlän5542
dern dauerhaftes Wachstum bei wirtschaftlicher und finanzieller Stabilität zu sichern.
Eine globale Betrachtung der Verschuldungskrise, ohne die spezifische Situation eines Landes zu berücksichtigen, läßt keine Rückschlüsse zu. Ganz entscheidend für die Beurteilung der Verschuldungssituation eines Landes ist auch nicht in erster Linie das absolute Ausmaß der Verschuldung und ihrer Entwicklung, sondern das Verhältnis der Auslandsverschuldung zur Wirtschaftskraft des Schuldners.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Holtz?
Aber natürlich, wenn mir das nicht angerechnet wird.
Bitte sehr, Herr Kollege Holtz.
Besten Dank. - Ich möchte Sie fragen, ob nicht doch Sofortmaßnahmen notwendig sind. Sie sprachen von einer längerfristigen Lösung. Aber es leiden jetzt sehr viele Menschen unter den Verschuldungen, die es gibt. Ist es da nicht nötig, jetzt direkt etwas zu tun?
Man muß wirklich von Fall zu Fall entscheiden, lieber Kollege, sofort.
Für die individuellen Verschuldungsprobleme der jeweiligen Entwicklungsländer kann es daher nur eine Fall-zu-Fall-Lösung geben.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Pinger?
Aber natürlich, wenn mir das nicht angerechnet wird.
Wir rechnen grundsätzlich nicht an.
Bitte sehr.
Frau Kollegin, stimmen Sie mir zu, daß wir eben auch von der SPD hinsichtlich irgendwelcher Sofortmaßnahmen keine konkreten Vorschläge gehört haben, abgesehen von der sehr allgemeinen Forderung, daß das Insolvenzrecht international entwickelt werden müsse?
({0})
Aber natürlich, Herr Kollege, stimme ich Ihnen da zu.
({0})
Internationale Schuldenkonferenzen, die lediglich zu politischen Blockbildungen führen, stellen keinen realistischen Lösungsansatz dar.
({1})
- Ach lieber Herr Volmer, wissen Sie, ich lerne von Ihnen. - Die bisherigen Bemühungen zur Überwindung der Verschuldungskrise haben Fortschritte erzielt. Eine dauerhafte Lösung der Krise ist jedoch nach wie vor nicht in Sicht. Einseitige Schuldzuweisungen, Herr Volmer, helfen dabei nicht weiter. Schuldner und Gläubiger dürfen aus ihrer gemeinsamen Verantwortung nicht entlassen werden. Sie bleiben aufgefordert, ihre Anstrengungen zu verstärken und neue Schritte für eine politische Lösung der Schuldenprobleme zu unternehmen.
Die verschuldeten Entwicklungsländer müssen auch weiterhin ihrer Eigenverantwortung gerecht werden. Durch eine marktorientierte Wirtschaftspolitik und die erforderlichen Anpassungsmaßnahmen müssen sie das Investitionsklima verbessern und damit Anreize für neuen Kapitalzufluß und die Rückkehr von Fluchtkapital schaffen.
Zur Reform der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gehört vor allem ein Abbau der vielfältigen staatlichen Eingriffe in den Ablauf der privaten Wirtschaft in Form von Subventionen, Kontrollen oder durch die direkte Einflußnahme staatlicher Unternehmen. Nur wenn diese Anpassung in den Schuldnerländern tatsächlich erfolgt, sollten die für Investitionen erforderlichen zusätzlichen finanziellen Mittel zur Verfügung stehen.
Die Industrieländer müssen die Eigenanstrengungen der Schuldnerländer durch Sicherung günstiger weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen, ein nachhaltiges, nicht inflationäres Wirtschaftswachstum, Wechselkursstabilität, niedrige Zinsen und offene Märkte für die Ausfuhr der Entwicklungsländer unterstützen. Strukturwandel ist hierzu auch in den Industrieländern erforderlich. Eine deutliche Liberalisierung des Welthandels durch den Abbau von Subventionen sowie ein Verzicht auf protektionistische Maßnahmen muß daher unbedingt das Ergebnis der laufenden Verhandlungsrunde des GATT sein.
Meine Damen und Herren, da es für die Schuldnerländer keine Alternative zu einer glaubwürdigen Anpassung gibt, muß die zentrale Rolle von IWF und Weltbank, diesen Ländern bei der Überwindung ihrer Probleme zu helfen, nachhaltig gestärkt werden. Ich verweise hierzu auch auf unsere gemeinsame Beschlußempfehlung.
Der bevorstehenden Jahrestagung von IWF und Weltbank in Berlin ({2}) kommt in diesem Zusammenhang eine ganz besondere Bedeutung zu. Entwicklungspolitischen Aktionsgruppen, die diese wichtigen Veranstaltungen mit vielfältigen Aktionen von der Mahnwache bis zur Verhinderung zu stören beabsichtigen und dabei auch das Mittel der Gewalt in der politischen Auseinandersetzung nicht ausschließen
({3})
- nicht ausschließen, Herr Volmer - , sollten alle Mitglieder dieses Hohen Hauses eine klare Absage erteilen, auch Sie.
({4})
Denn, Herr Volmer, diese sind an einer sachlichen Diskussion über die Ziele entwicklungspolitischer Zusammenarbeit nicht wirklich interessiert.
({5})
Das muß ich ihnen dann in aller Bescheidenheit unterstellen. Das tut mir leid.
({6})
Meine Damen und Herren, wir sind uns darin einig,
({7})
daß die Hilfe für die Menschen in der Dritten Welt aus moralischer Verantwortung und aus politischer Weitsicht notwendig ist. Wir sind zu einer ständigen kritischen Analyse der Ergebnisse und Wirkungen unserer Entwicklungshilfe bereit und brauchen hierbei auch keine sachliche Kritik zu fürchten.
Wer entwicklungspolitischen Fortschritt in den vom Verschuldungsproblem betroffenen Entwicklungsländern fordert, darf diese Länder nicht mit ihren Problemen alleinlassen. Im Rahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit müssen wir gerade den Entwicklungsländern verstärkt und flexibel helfen, die zu Reformanstrengungen bereit sind, wie z. B. Bolivien. Die Bereitschaft und Fähigkeit der Schuldnerländer zur Durchführung struktureller Anpassungsmaßnahmen sind daher eine wesentliche Voraussetzung für die Gewährung von Schuldenerleichterungen.
Wir fordern die Bundesregierung auf, ihre Schuldenerlaßpolitik fortzusetzen, und begrüßen die Überlegung, den Schuldenerlaß auch auf weitere besonders arme und hochverschuldete Entwicklungsländer auszudehnen. Der Anteil nicht rückzahlbarer Zuschüsse an den Gesamtzusagen sollte bei Entwicklungsländern mit schlechter Ressourcenbasis erhöht werden. Ich denke, da sind wir uns alle einig.
({8})
Wir begrüßen daher, daß die Bundesregierung Rückflüsse aus früher gewährter Kapitalhilfe schrittweise - hoffentlich in nicht zu kleinen Schritten - für neue Maßnahmen der finanziellen Zusammenarbeit einsetzen wird.
Die Positionen der Regierungsparteien und der SPD zeichnen sich durch ein bemerkenswert hohes Maß an grundsätzlicher Übereinstimmung aus. Es war daher nur folgerichtig, daß im Zuge der parlamentarischen Beratung wesentliche Teile aus dem Antrag der Fraktion der SPD in den Antrag von CDU/CSU und FDP übernommen wurden.
({9})
Unter diesen Umständen hätte ich mir gewünscht, daß der so ergänzte Antrag der Koalitionsfraktionen auch von den Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion mit getragen worden wäre. Ich bedauere sehr, daß sich die SPD-Fraktion dazu nicht durchringen konnte;
denn einvernehmliche Positionen haben in der Entwicklungspolitik nie geschadet, sondern nur genutzt.
Der dem Hohen Haus vorliegende Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP trägt unserer Auffassung nach der Situation der verschuldeten Entwicklungsländer und ihrer Situation in der Weltwirtschaft Rechnung und zeigt gleichzeitig die erforderlichen Schritte auf, die zur Überwindung der Verschuldungskrise führen. Im Namen der FDP-Bundestagsfraktion bitte ich Sie, diesem Antrag Ihre Zustimmung zu erteilen.
({10})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Volmer.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der IWF, die Weltbank und die dahinterstehenden Ministerien treiben keine case-by-case-Politik, sondern eine globale Politik mit Methoden, die für alle Länder gleich sind. Die Strukturanpassungsmaßnahmen verfolgen alle dasselbe Muster und führen in allen Ländern der Qualität nach zum selben Ergebnis. Diese Ergebnisse kann man nur als pervers bezeichnen.
({0})
Durch den Exportzwang werden die Binnenmärkte ausgetrocknet. Dies betrifft vor allem die Grundbedarfssicherung. Die Importrestriktionen führen zu einer Zerstörung der Produktivpotentiale in den Ländern. Die Austeritätspolitik führt gleichermaßen überall zu einer Verstärkung der Verelendung. Überall werden die Demokratien, die sich herangebildet haben, systematisch destabilisiert.
({1})
Alle diese Opfer nutzen überhaupt nichts; denn selbst wenn produziert werden kann, können diese Güter der Drittweltländer auf dem Weltmarkt kaum verkauft werden bzw. nur zu sehr niedrigen Preisen, weil das Angebot künstlich, synthetisch, zu hoch geschraubt worden ist.
Die größte Katastrophe, die sich zur Zeit anbahnt, ist das ökologische Problem in diesem Zusammenhang. Was sich zur Zeit im Amazonasgebiet durch die Abholzung auf Grund der Exportorientierung tut, wird eine der größten ökologischen Katastrophen nach sich ziehen. Dagegen ist die Algenpest in der Nord- und in der Ostsee ein harmloser Vorbote. Was sich dort in Amazonien tut, ist ein epochales Verbrechen. Anders kann man es gar nicht bezeichnen.
Die Anträge, die hier vorliegen, müssen daran gemessen werden, ob sie in der Lage sind, diese Politik zu stoppen, und zwar radikal und endgültig zu stoppen. Gemessen an diesem Anspruch greifen die Anträge der Koalition und auch der SPD erheblich zu kurz.
Anzuerkennen ist, daß sich die Union unter dem Druck der internationalen Opposition bequemen mußte, einige Revisionen vorzunehmen, einige ökolo5544
gische und soziale Flankierungen einzubauen. Herr Feilcke hat diese Rolle hier gerade übernommen.
Diese Politik läuft parallel zu den Akzeptanzstrategien, die die Weltbank eingeschlagen hat, um ihre im Grunde perverse Politik in der Öffentlichkeit akzeptierbar zu machen, durch soziale und ökologische Flankierungen, die reine Kosmetik sind und an der Substanz dieser Politik überhaupt nichts ändern.
({2})
Auch der SPD-Antrag geht nicht weit genug. Da gibt es wieder den Kompromiß zwischen Finanzpolitik und Entwicklungspolitik, der zu halbherzigen Konsequenzen führt. Die Zinsobergrenze friert die Problematik höchstens ein, aber sie kann nicht dazu beitragen, sie zu beseitigen. Die Koppelung der Rückzahlung an die Exporterlöse führt höchstens zu einem verstärkten Exportzwang. Die Forderung, Schulden case by case, im Einzelfall, als letztes Mittel zu streichen, hinkt der Praxis der Banken letztlich hinterher.
Wenn sich die Politik in der Lage sehen will, den ökonomischen Prozeß zu steuern, muß sie schneller sein, muß sie weitergehende Forderungen aufstellen. In diesem Sinne fordern die GRÜNEN, daß es nur eine globale und umfassende Schuldenstreichung sein kann, die wirklich in der Lage ist, diesen Prozeß zu stoppen und Chancen für eine Neuentwicklung einzuräumen.
Gleichzeitig fordern wir eine außenpolitische Offensive zur Unterstützung der Emanzipationsbewegungen in den Ländern der Dritten Welt, die diese neuen Spielräume auch wirklich nutzen können im Sinne der Grundbedürfnisse der Bevölkerung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Professor Hauchler?
Bitte.
Herr Kollege, Sie fordern einen globalen Schuldenerlaß ohne Konditionen. Was halten Sie von unserer These, daß dadurch die Probleme der Zukunft wieder verschärft würden, weil bei einer solchen Lösung natürlich neue undisziplinierte Schuldenprozesse in Gang kämen?
({0})
Herr Kollege, die Problematik, die dahinter steht, sehen wir genauso. Wir meinen auch, daß sich in den Ländern der Dritten Welt vieles ändern muß, daß viele der korrupten Eliten dort fehl am Platze sind und sich die wirklichen Volkskräfte durchsetzen müssen.
Wir meinen allerdings, daß die Konditionierung, die Sie empfehlen, ein ungeeignetes Mittel ist, weil man Demokratie nicht von oben und von außen in diese Länder hineinzwingen kann; man muß sie von unten wachsen lassen. Diese Wachstumsprozesse sollten wir unterstützen.
({0})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Feilcke?
Von mir aus ein Symposion.
Herr Kollege Volmer, meine Frage geht in dieselbe Richtung. Nehmen wir einmal an, es gäbe die von Ihnen geforderte Entschuldung, den globalen Schuldenerlaß. Welches Patentrezept haben Sie, um auszuschließen, daß das von mir so genannte Windhundrennen nicht wieder von vorn beginnt, daß also das böse Spiel, das in der Vergangenheit von beiden Seiten betrieben worden ist, nicht nach wenigen Jahren wieder dieselbe Dimension hat wie heute?
Wir können das überhaupt nicht ausschließen. Wir sagen, daß die Schuldenstreichung eine Chance einräumt. Ob die Chance genutzt wird, ist von zwei Komponenten abhängig: erstens von der Demokratisierung innerhalb der Entwicklungsländer - dies sollten wir fördern - und zweitens von der Bereitschaft der Industrieländer, wirklich tiefgreifende weltwirtschaftliche Strukturänderungen vorzunehmen. Wenn dies beides nicht passiert, gibt es überhaupt keine Chance für eine gerechte Weltwirtschaft und für eine Entwicklung.
({0})
Mittlerweile haben sich beide großen Kirchen mit ihren Positionen auf den Pol einer umfassenden Schuldenstreichung hinbewegt. Auch die Nicht-Regierungsorganisationen tendieren in diese Richtung. Der Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen hat diese Forderung letztes Wochenende noch einmal bekräftigt. Wir werden diese Forderung in der diesjährigen Kampagne in das Zentrum der Auseinandersetzung stellen.
Ich kann hier eines sagen: Der einzige Radaubruder sitzt auf der Regierungsbank.
({1})
Herr Abgeordneter, ich muß diese Vorwürfe zurückweisen. So sollte man im Parlament nicht miteinander reden.
Der Herr Bundesminister hat uns vorgeworfen, wir wollten Krawall machen. Ich kann sagen: Wenn jemand Krawall macht - wir sind es nicht. Das sind vielleicht die Provokateure, die in die Kampagne eingeschleust werden.
({0})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Feilcke?
Herr Kollege Volmer, da Sie versuchen, die Kirchen für sich in Anspruch zu nehmen: Haben Sie zur Kenntnis genommen oder sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß zufälligerweise in beiden Schriften - sowohl der evangelischen als auch der katholischen Kirche - jeweils auf Seite 11 genau das anders gesehen wird und mit guten Begründungen davon die Rede ist, daß wir zu Fall-zuFall-Lösungen kommen müssen - in beiden SchrifFeilcke
ten? Ich bin gern bereit, sie Ihnen zur Verfügung zu stellen.
Ich kenne die Schriften, und ich kenne auch die Diskussion innerhalb der Kirche.
({0})
Wir führen ja einen sehr intensiven Dialog, auch mit der „Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung" . Ich habe gesagt: Die Diskussion innerhalb der Kirche hat sich auf den Pol umfassender Schuldenstreichung zubewegt.
({1})
Wenn Sie die Kirchenleute fragen, dann sagen die, daß auch sie dafür sind, ein generelles Muster zu finden und dies anzuwenden. Wir sagen ja auch: In der Anwendung eines generellen Musters muß man natürlich die länderspezifische Situation berücksichtigen; das ist überhaupt kein Widerspruch.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Lüder?
Bitte.
Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Kollege, sind Sie bereit, die Aufrufe zu dem, was Sie Kampagne nennen, nur dann mitzutragen, wenn ausdrücklich und ausschließlich zu friedfertiger Auseinandersetzung aufgerufen wird?
Es gibt Aufrufe zur Kampagne, eine sogenannte Fuldaer Erklärung, und es gibt jetzt eine Selbstdarstellung der Kampagne. Da steht überhaupt nichts von dem drin, was unterstellt wird, nämlich daß verhindert werden sollte; davon steht überhaupt nichts drin. Solche Vorstellungen, so sie irgendwo kursieren sollten, haben innerhalb der Kampagne nicht die geringste Basis.
({0})
Eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Lüder?
Darf ich meine Frage dahin präzisieren: Sind Sie bereit, ausdrücklich die Friedfertigkeit der Kampagne zu fordern, oder begnügen Sie sich damit, wie Sie es soeben gesagt haben, die Gewalt nicht erwähnen zu lassen?
Wir haben die Friedfertigkeit der Kampagne immer gefordert, sind auf offene Ohren gestoßen. Ich gehe davon aus, daß die Kampagne von seiten der Kampagne-Teilnehmer sehr friedfertig geführt wird. Die einzigen Mißklänge und schrägen Töne, die in die ganze Diskussion hineingebracht worden sind, kamen von Bundesminister Klein und vom Bundeskriminalamt. Wir werden uns keine Debatte über die innere Sicherheit aufzwingen lassen, wir werden uns auch in keine Gewaltdebatte hineinzerren lassen. Wir werden unsere massive Kritik am Weltwirtschaftssystem öffentlich artikulieren und auch für die öffentliche Durchsetzung dieser Thematik sorgen.
({0})
Wenn wir schon, meine Damen und Herren, über die Position der einzelnen gesellschaftlichen Gruppen reden, dann möchte ich einen Verband nach seiner Meinung fragen, der sich bis jetzt überhaupt noch nicht geäußert hat, und das ist der Deutsche Gewerkschaftsbund.
Erstens: Die Schuldenstreichung, die wir fordern, hat auch positive Auswirkungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Bundesrepublik. Es ist die Austeritätspolitik in den Drittweltländern, die dort zur Lohnsenkung führt und die dann hier zum Vorwand für die Lohndrückerpolitik genommen wird, zum Vorwand - mit Verweis auf die internationale Situation - , auch hier die Löhne senken zu wollen.
Zweitens: Der Exportzwang, der den Drittweltländern zur Devisenerwirtschaftung auferlegt wird, führt natürlich dazu, falls die Märkte wirklich geöffnet werden sollten, daß Konkurrenzprodukte auf den Markt fließen, die dazu beitragen, daß einheimische Produktion verdrängt wird - mit negativem Arbeitsplatzeffekt. Deshalb sagen wir: Schuldenstreichung ist im Sinne der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in der Bundesrepublik, weil diese beiden negativen Folgen vermieden werden.
Zum Schluß möchte ich sagen: Die GRÜNEN unterstützen die Forderungen, die von 56 Gewerkschaftsdachverbänden aus 25 Ländern Lateinamerikas und der Karibik aufgestellt worden sind, und die Kernforderung dieser Gewerkschaftsverbände lautet: Die Schulden können und dürfen nicht zurückgezahlt werden.
Danke.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Wieczorek.
Meine Damen und Herren! Frau Folz-Steinacker, Sie haben gefragt, warum wir Ihrem Antrag nicht zustimmen können, nachdem Sie doch netterweise einige Elemente unseres Antrags aufgenommen haben. Dazu muß ich sagen: Das ist sicher eine Verbesserung Ihres Antrags. Aber damit wird er insgesamt noch nicht gut. Deswegen können wir ihm nicht zustimmen.
Ich will Ihnen das deutlich machen. Ich sehe mir dazu nur die Ausgangsposition Ihres Antrags an:
Seit Ausbruch der Verschuldungskrise im August 1982 haben die Gläubiger ({0}) in Zusammenarbeit mit den Schuldnern die Stabilität des internationalen Finanzsystems bewahrt und ein Übergreifen der Krise auf das internationale Währungs- und Handelssystem verhindert.
Ist das wirklich Ihre Ansicht? Haben wir denn keine
Krise im Bereich des Handels etwa der Südländer?
Haben wir keine Krise im Bereich des Handels zwischen Nordamerika und Lateinamerika?
({1})
- Entschuldigung! Ist denn eine Krise erst dann da, wenn ein Kollaps da ist? Was ist denn das für ein Verständnis! Ich würde schon bitten, daß Sie ein bißchen nachdenklich werden, was tatsächlich abläuft.
Es geht weiter:
Die Strategie zur Überwindung der internationalen Schuldenprobleme zielt darauf ab, in den Schuldnerländern dauerhaftes Wachstum bei wirtschaftlicher und finanzieller Stabilität zu sichern und wieder zu normalen Finanzbeziehungen zwischen Schuldnern und Gläubigern zu gelangen.
({2})
Den Satz kann man so akzeptieren. Nur: Haben wir das denn erreicht? Ich glaube, wir haben bisher das Gegenteil erreicht.
({3})
- Langsam! - Wenn das aber Ihre Ausgangsposition ist, Herr Kollege Lammert, dann kann auch der Rest nicht ganz in Ordnung sein. Darüber würde ich an Ihrer Stelle nachdenken, statt dazwischenzurufen. Das will ich Ihnen vorführen. Es geht nämlich weiter: „Dabei müssen alle Beteiligten ihren Beitrag leisten" : Dazu hätte ich gern die Würdigung dessen, was bei den verschuldeten Ländern alles passiert ist.
Sehen wir uns das doch einmal an. 1987 ist allein der Nettokapitaltransfer zurück an den Internationalen Währungsfonds für die sogenannten Baker-Länder 4,2 Milliarden Sonderziehungsrechte gewesen. Hinzu sind an die privaten Banken netto 23 Milliarden USDollar geflossen. Die Leistungsbilanzen haben diese Länder unter großen Schwierigkeiten ausgeglichen
- das ist eine tolle Leistung - , obwohl sich ihre Terms of trade seit 1980 um 25 % verschlechtert haben. Man möge sich vorstellen, welche Anstrengung dahintersteht.
({4})
Und wie ist das gelungen? Indem sie ihre Importe
- der Anteil am Sozialprodukt ist seit 1980 um 6 gesunken - heruntergedrückt haben. Das hat sicher nicht dazu beigetragen, daß es den Leuten dort besser geht, und hat sicher nicht dazu geführt, daß bei ihnen ein stetiges Wachstum laufen kann. Denn es ging zu Lasten der Investitionen und selbst der Erhaltung der gegebenen Strukturen.
({5})
- Das ist bei den Summen, die ich Ihnen genannt habe, unvermeidlich. Gucken Sie sich doch an, was abgelaufen ist.
Wenn Sie sowohl monetäre Transfers als auch reale Transfers - nichts anderes sind nämlich diese Exportüberschüsse - angucken, ist ganz erklärlich, daß das Pro-Kopf-Einkommen 1987 im Schnitt um 7 % niedriger als 1980 lag und gleichzeitig die Kapitalbildung in diesen Ländern, jeweils gemessen am BSP, von 25 % auf unter 16 % gesunken ist.
Das heißt, diese ganzen deflationierenden Maßnahmen, alles, was den Schuldnerländern durch die Politik des heutigen Schuldenmanagements aufgezwungen wurde, hat diese Länder in eine Situation gebracht, wo Ihr Ausgangssatz nach meiner Ansicht beim besten Willen nicht berechtigt ist.
({6})
Die Schuldendienstquoten - ich zitiere ein amerikanisches Institut - sind heute noch so: In Argentinien machen die Zinszahlungen 50 % der Exporterlöse aus, in Bolivien 45 %, in Brasilien 30 %, in Mexiko 28 % - um nur die wichtigsten Länder zu nennen.
Wenn ich mir dies angucke, muß ich doch fragen
- und es wäre gut, wenn auch Sie sich das fragen würden - : Was haben denn eigentlich die Gläubigerländer in ihrer Bringschuld bisher gemacht?
({7})
- Langsam! Nein! Bei diesen Zinsangaben sind die öffentlichen enthalten.
({8})
- Irrtum! Irrtum! Da sind die drin. Machen wir es doch hinterher! Das geht von meiner Zeit ab. Oder stellen Sie eine Zwischenfrage!
({9})
- Ich führe hier kein Zwiegespräch mit Ihnen! Entschuldigung! Dies geht wirklich nicht. - Dies sind Zahlen für die Gesamtverschuldung. Nehmen Sie sie zur Kenntnis! Ich kann sie Ihnen nachher in die Hand drücken.
Ich habe noch eine Frage. Was haben denn die entwickelten Länder wirklich getan? Was wir gesehen haben, ist, daß man, obwohl diese Anstrengungen beim Export unternommen wurden, die Exporte erschwert hat. Protektionismus! Im Agrarbereich können wir uns auch an die eigene Nase fassen, bei manchen Rohstoffen, erst recht aber bei Industriegütern sind die USA besonders zu nennen.
Der zweite Punkt. Wie ist es denn mit Wachstum? Da kann man die USA sicher nicht prügeln. Aber wie sieht es denn mit dem europäischen Wachstum und insbesondere der Wachstumspolitik der Bundesregierung aus? Da kann man ja wohl, um es einmal ganz freundlich und höflich auszudrücken, Zweifel anmelden.
Schauen wir uns nun einen anderen Faktor an, der mit der Kapitalbindung zusammenhängt, nämlich die Kapitalflucht. Da ist es doch auffällig, daß die Gläubigerländer bisher überhaupt nicht damit begonnen haben, zu helfen, die Kapitalflucht einzudämmen.
({10})
- Wie wir das machen sollen, kann ich Ihnen sagen. Ist es denn nicht zufälligerweise so, daß diejenigen, die als Gläubiger mit diesen Ländern verhandeln, gleichzeitig die Empfänger der Kapitalfluchtmittel
sind? Es sind nämlich die großen Gläubigerbanken, bei denen das Geld in Wirklichkeit liegt.
({11})
- Ja, was können wir tun? Machen Sie doch z. B. eine Auflage über den Währungsfonds, indem Sie sagen, daß in den betreffenden Ländern Gesetze erlassen werden müssen, nach denen diese Kapitalanlagen im Ausland zumindest besteuert werden.
({12})
Dann wird ein Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen, und es werden die entsprechenden Mitteilungen gemacht. Mit den USA haben wir als Bundesrepublik übrigens so etwas, falls Ihnen das entgangen sein sollte. Es geht nämlich!
Das ist nur ein Beispiel. Ich glaube nicht, daß wir die Kapitalflucht insgesamt beseitigen können, aber wenn Sie 40 oder 50 % der Kapitalflucht in den Griff bekommen, haben Sie schon kräftige Summen in der Hand. Dabei ist das noch eine bescheidene Größenordnung, die ich realistischerweise überhaupt nur ins Auge fasse.
Dann wird auch behauptet, die Gläubigerländer könnten ja nichts tun, denn es sei schon einiges geschehen. Was ist denn geschehen? Schauen wir uns doch erst einmal das an, was unfreiwillig geschehen ist und wovon die verschuldeten Entwicklungsländer nichts gehabt haben. Da sind die Steuerausfälle, die sich daraus ergeben, daß die Banken ihre Reserven gebildet haben und mit diesen Reserven weiter arbeiten können. Die sind nämlich nach wie vor vorhanden. Sie haben darauf aber keine Steuern gezahlt. Da ist etwas drin! Nur sind die Konzessionen des Fiskus, um die es sich letztlich handelt, politisch nicht dafür eingesetzt worden, mit den Banken einmal darüber zu reden, wie Strategien aussehen können.
Wir haben auch Wachstumsverluste gehabt, auch bei uns. Ich habe es schon erwähnt: Unsere Exporte sind zurückgegangen. Nehmen Sie die USA, aber auch unser Verhältnis zu Lateinamerika. Und um es nicht zu vergessen: Meinen Sie wirklich, wir hätten diese hohen Spannen zwischen den Einlagezinsen und den Zinsen, die den Bankkunden abgenommen werden, wenn nicht die „Notwendigkeit" da wäre, daß die Banken mit diesem Geld Reserven bilden?
Ich möchte nur darauf hinweisen, was das für das Zinsniveau heißt. Es ist wohl kein Zufall, daß wir im Moment wieder zusätzliche Schwierigkeiten bekommen, und zwar auf Grund der US-amerikanischen Situation, wo die innere Verschuldung die Banken jetzt auch drückt, weswegen das Zinsniveau in Amerika wieder hochgeschoben wird, übrigens zu Lasten der Schuldnerländer. Es wird schlimm werden, wenn das noch weitergeht; über 100 Basispunkte sind wir schon höher.
Ich glaube, daß es deswegen an der Zeit ist, zu einem anderen Schuldenmanagement zu kommen, als wir es bisher hatten.
({13})
Bisher hatten wir auf diesem Gebiet die Bankenkonsortien. Ja, wo sind die denn? Die sind langsam auseinandergefallen. So sehr ich die Forderung des Institute of International Finance in Washington, Sonderziehungsrechte von 21,4 Milliarden bereitzustellen, unterstütze, ist das doch auf der anderen Seite nichts anderes als die Bankrotterklärung der privaten Banken, das Eingeständnis, daß sie die Lage nicht mehr im Griff haben.
({14})
Wenn ich mir dann das Auseinanderfallen zwischen den europäischen und den amerikanischen Banken und zwischen den Regionalbanken und den Großbanken in den USA ansehe, ist das doch der Beweis dafür. Halten Sie es eigentlich für einen Zufall, daß - ich nenne Ihnen jetzt ein paar illustre Namen - Herr Rotberg, der frühere Treasurer der Weltbank, heute im Vorstand bei Merrill Lynch, jetzt sagt, wir müßten eine andere Lösung finden, und entsprechende Vorschläge macht? Meinen Sie eigentlich, es sei zufällig, daß Herr Robinson von „American Express" und Senator Bradley im amerikanischen Senat das auch sagen?
Wir müssen uns auch fragen: Was machen wir eigentlich mit dem Pariser Club? Da laufen wir hinterher! Da sind doch aber die Regierungen direkt dran!
Und was ist denn aus all diesen hervorragenden Umschuldungsinstrumenten geworden? Da haben wir eine Zeitlang von „debt/equity swaps" gehört, also davon, daß man Schulden gegen Anlagekapital eintauscht. Schaut man genau hin, stellt man fest, daß die Filetstücke in den Entwicklungsländern jetzt offensichtlich weg sind, und schon funktioniert das Ganze nicht mehr so richtig. Das Beispiel des schiefgegangenen Umschuldungsversuchs in Mexiko ist ja deutlich.
({15})
Dies alles ließe sich nun noch ausdehnen, aber ich kann das wegen der Zeit jetzt nicht mehr tun. Genau das jedoch ist der Punkt, an dem wir sagen: Wir brauchen ein anderes Instrument, mit dem wir herangehen. Unsere Schuldenkonferenz soll nicht die Schuldenprobleme der Länder, die daran teilnehmen, lösen, sondern Regeln dafür herausarbeiten, wie gemeinsam eine Lösung gefunden werden kann.
({16})
Was Sie dann brauchen, ist ein Gremium, in dem Schuldnerländer und Gläubigerländer gleichberechtigt zusammensitzen
({17})
und Regeln für eine Agentur aufstellen, die das Ganze dann umsetzt. Ich sage Ihnen offen: Ich habe nichts dagegen, wenn das eine Agentur ist, die Verbindung mit Weltbank und Währungsfonds hat,
({18})
weil da auch die Expertise da ist. Dagegen habe ich überhaupt nichts; darauf können wir uns einigen. Nur wird das gebraucht, und das muß eingebracht werden, damit wir endlich die Probleme der Altschulden lösen können. Dann erst können wir auf der Basis vernünftiger Projektkredite den Ländern, die betroffen
sind, wieder zum Laufen verhelfen. Das muß der Weg sein, und das steht hinter unserer Forderung nach einem anderen Schuldenmanagement als dem, was Sie vorgeschlagen haben, hinter unserer Forderung, die Sie in den Ausschüssen ja ausdrücklich abgelehnt haben. Wenn Sie dahin kommen, daß Sie dies anerkennen, müssen wir da anders vorgehen als bisher. Dann müssen Sie erst einmal Ihre Analyse ein bißchen ändern. Damit habe ich begonnen. Aber dann müssen Sie auch sagen: So geht es nicht weiter, wir können nicht ein Mischmasch aus privaten, untereinander zerstrittenen Banken, dem Pariser Club, der sich hinten dranhängt, und von irgendwelchen internationalen Organisationen hinnehmen, die wiederum von den Finanzministern abhängig sind, aber mit Quotierung und Stimmrechten dem Gewicht der Geberländer entsprechen, nicht dem Gewicht der Entwicklungsländer. Wir brauchen Gleichberechtigung bei der Lösung des gemeinsamen Problems.
Ich danke Ihnen.
({19})
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Reden in dieser Debatte - den gedanklich absurden und sprachlich abstoßenden Beitrag der GRÜNEN nehme ich ausdrücklich aus - haben ein hohes Maß an Übereinstimmung auch mit der Bundesregierung gezeigt. Die Kollegen der SPD hatten schon einige Schwierigkeiten, wenigstens partiell Gegenmeinungen darzustellen.
Ich meinerseits habe keine Schwierigkeiten, dort Gemeinsamkeiten zu konstatieren und auch dankbar zu begrüßen, wo sie erkennbar sind. Der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat mit seiner Beschlußempfehlung, Drucksache 11/2342, einen wohldurchdachten, sachkundigen und verantwortungsbewußten Beitrag zu den internationalen Bemühungen um die Lösung der Schuldenkrise geleistet. Dafür bedanke ich mich namens der Bundesregierung bei allen Mitgliedern des AwZ und der mitberatenden Ausschüsse.
Mir ist bewußt, daß der vorliegende Text in seinen wesentlichen Teilen dem Antrag der Koalitionsfraktionen vom 7. Oktober vorigen Jahres entspricht. Gleichwohl gebietet es die Fairneß, die Tatsache zu würdigen, daß der erste Anstoß für die parlamentarische Befassung - zumindest was die Reihenfolge der Vorlagen anbetrifft - von den SPD-Kollegen Hauchler und, wenn ich richtig informiert bin, Wieczorek ausging und daß die vorliegende Beschlußempfehlung auch eine Reihe wichtiger Elemente aus dem SPD-Antrag enthält. Die Ernsthaftigkeit Ihrer aller Arbeit, meine Kolleginnen und Kollegen, wird auch noch durch die Sachverständigenanhörung unterstrichen, die Sie Mitte April veranstaltet haben.
Die inzwischen - die Zahl ist heute öfter gefallen - auf 2 000 Milliarden DM angestiegene Verschuldung der Entwicklungsländer ist eine historische Herausforderung an unser moralisches Bewußtsein und unsere wirtschaftliche Intelligenz. Eine nüchterne Analyse der Ursachen macht deutlich, daß Gläubiger und Schuldner gleichermaßen am Zustandekommen dieses Problems beteiligt waren. Fast zwei Drittel der Schulden, das ist eines der großen Argumente gegen die Globallösungsvorschläge, wurden von den 23 am weitesten entwickelten Ländern der Dritten Welt gemacht. Die ärmsten und die ärmeren Entwicklungsländer haben einen Anteil von nur wenigen Prozent an der Gesamtverschuldung. Aber während etwa ein hochverschuldetes Schwellenland mit ungebrochener Wachstumsdynamik seinen Gläubigern mit großem - wenn auch gelegentlich kontraproduktiven - Selbstbewußtsein gegenüberzutreten vermag, kann der Schuldendienst für eines der ärmsten oder ärmeren Entwicklungsländer, auch wenn er für wesentlich geringere Kreditsummen zu leisten ist, zu gefährlichen wirtschaftlichen Rückschlägen führen.
Bei aller Mitverantwortung, die auch solche Länder an ihrer Verschuldung haben mögen, waren es doch im wesentlichen weltwirtschaftliche Faktoren, die sie kaum oder gar nicht beeinflussen konnten, von denen sie aber mit voller Härte getroffen wurden. Ich denke an den Verfall der Rohstoffpreise, ich denke an die Verwerfungen des internationalen Währungsgefüges, ich denke aber auch an die sichtbaren und unsichtbaren Abwehrmechanismen, mit denen die Industrieländer - alle Industrieländer! - zumindest Teile ihrer Märkte vor überseeischer Konkurrenz zu schützen trachten.
({0})
Dieser Gruppe armer und ärmster, dieser Gruppe fast oder gänzlich schuldendienstunfähiger Länder helfen neue Kredite, mit denen sie bestenfalls aufgelaufene Zinsen und Tilgungsraten bezahlen könnten, wenig oder nichts und Umschuldungen, die ihr Problem zwar erleichtern, aber auch verlängern, ganz wenig. Wie ich überhaupt Lösungsvorschläge, die stärker am Interesse der Gläubiger als am Interesse der Schuldner orientiert sind, höflich ausgedrückt, für kurzsichtig halte.
({1})
Die Anregungen des Parlaments, wie sie in der Beschlußempfehlung enthalten sind, werden von der Bundesregierung nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch aufgegriffen. Das Kabinett hat sich nach Vorbereitung durch die zuständigen Ressorts gestern eingehend mit dem Schuldenproblem in der Dritten Welt befaßt und eine Reihe wichtiger Grundsatzentscheidungen getroffen. Der Bundeskanzler widmet sich dieser Frage mit großer Intensität und - das möchte ich diesem Hohen Hause sagen - mit starker menschlicher Anteilnahme.
Wiewohl Bundesfinanzminister Stoltenberg und ich den Auftrag haben, Einzelheiten noch abzustimmen und zu konkretisieren, kann ich Ihnen heute doch schon so viel mitteilen, daß jenen LDCs - least developed countries - , also jenen ärmsten Ländern, denen die Bundesregierung bereits den größten Teil ihBundesminister Klein
rer Schulden erlassen hat, noch offene Restschulden gestrichen werden.
({2})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hauchler?
Bitte sehr.
Herr Bundesminister, es ist ja sehr anerkennenswert, wenn sich beim Schuldenerlaß wieder etwas bewegt. Aber wie beurteilen Sie die Zahlen der Vergangenheit in diesem Punkt? Bis jetzt wurden seit 1978 4,2 Milliarden DM Schulden erlassen und, wenn ich richtig unterrichtet bin, davon von 1978 bis 1982, 3,8 Milliarden DM, also 90 %, während in der Zeit Ihrer Regierung nur 400 Millionen DM erlassen wurden, also 10 %. Wie beurteilen Sie diese Tatsache?
({0})
Verehrter Herr Professor, mit dieser Frage geben Sie mir eine fabelhafte Vorlage. Daß diesen armen Ländern nicht gleich Zuschüsse gegeben wurden, sondern - unsinnigerweise - Kredite gewährt wurden, gehört genauso in die Verantwortung Ihrer Regierungszeit wie dieser Teil der Schuldenerlasse.
({0})
Meine Damen und Herren, die Erwägungen über weitere Schuldenerlasse und mögliche Vorgehensweisen beziehen sich außerdem auf Länder, die neuerdings als LDCs anerkannt wurden, und auf Länder, die von der Weltbank als besonders arm, besonders hoch verschuldet und anpassungsbereit identifiziert wurden.
Die Bundesregierung will mit diesen Maßnahmen, die mit einer Ausnahme afrikanische Länder südlich der Sahara betreffen, einen weiteren Beitrag zu den wahrhaft notwendigen Anstrengungen leisten, die auch von den beiden Kirchen sorgenvoll und mahnend eingefordert wurden. Ich spreche - es ist mehrfach darauf Bezug genommen worden - von der Stellungnahme der Kammer der Evangelischen Kirche Deutschlands für kirchlichen Entwicklungsdienst, die ein Papier unter dem Titel „Bewältigung der Schuldenkrise - Prüfstein der Nord-Süd-Beziehungen" vorgelegt hat, und von der Erklärung der Kommission für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz unter dem Titel „Die internationale Schuldenkrise - eine ethische Herausforderung " .
Neben den bisherigen Schuldenerlassen, die im Anschluß an die UNCTAD-Resolution von 1978 erfolgt sind, hat die Bundesregierung insbesondere seit dem Weltwirtschaftsgipfel in Venedig eine Reihe von Initiativen ergriffen oder unterstützt, die spürbare Hilfe -Herr Kollege Hauchler, wir sollten auch honorieren, daß eine Reihe anderer Maßnahmen ähnlich wirksam sein können wie Schuldenerlasse - für hochverschuldete ärmere Länder bedeuteten.
An der achten Wiederauffüllung der Mittel der International Development Agency - IDA - , einer Tochterorganisation der Weltbank, hat sich die Bundesrepublik Deutschland mit 1,3 Milliarden US-Dollar beteiligt.
Der deutsche Anteil an bilateralen Kofinanzierungen im Rahmen der Sonderinitiative der Weltbank für ärmere hochverschuldete und reformbereite Subsaharaländer beträgt 450 Millionen DM.
Zur fünften Wiederauffüllung des Afrikanischen Entwicklungsfonds haben wir mit 437 Millionen DM und zur Verdreifachung des Kapitals der Afrikanischen Entwicklungsbank mit 830 Millionen DM beigetragen.
Für die Aufstockung zinsgünstiger Ausleihemöglichkeiten des Internationalen Währungsfonds unter der erweiterten Strukturanpassungsfazilität - ESAF; verzeihen Sie, dieses Robotervokabular ist leider weltweit benutzter Nord-Süd-Sprachgebrauch - ist ein deutscher Beitrag von bis zu rund 1,6 Milliarden DM Kredit und bis zu rund 300 Millionen DM Zinssubventionen vorgesehen.
Diese Aufzählung dient nicht dem Zweck, die Anstrengungen der Bundesregierung gegenüber dem Parlament herauszustreichen. Sie, meine Kolleginnen und Kollegen, waren ja am Zustandekommen dieser Maßnahmen in der einen oder anderen Form jeweils beteiligt. Vielmehr erscheint mir der Hinweis auf den beachtlichen finanziellen Umfang dieser deutschen Leistungen erforderlich, wenn von uns oder anderen internationale Vergleiche angestellt werden.
Dennoch bitte ich Sie, aus dieser Aufzählung keine Selbstzufriedenheit herauszuhören. Im Gegenteil, die Bundesregierung ist sich bewußt, wie sehr die ohnehin gigantischen Probleme der Dritten Welt - Bevölkerungsexplosion, Hunger und Umweltzerstörung, um nur einige der gravierendsten.zu nennen - durch die Verschuldung noch verschärft werden. Sie ist entschlossen, ungeachtet aller anderen, ebenfalls kostspieligen inneren und äußeren Verpflichtungen das Menschenmögliche zur Lösung dieses Problems beizutragen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch auf zwei leider selbst von der interessierten Öffentlichkeit viel zu wenig gewürdigte Entwicklungen in der Dritten Welt hinweisen.
Erstens erkennen immer mehr Länder in Asien und Lateinamerika, aber auch in Afrika, daß staatsdirigistische Wirtschaftsmodelle eher entwicklunghemmend, wenn nicht entwicklungsfeindlich sind,
({1})
liberale Wirtschaftsformen, die private Initiative und Wettbewerb zulassen, aber rasch jenes Wachstum bewirken, das auch die Lösung sozialer Probleme ermöglicht.
Zweitens hat die Demokratie auf der südlichen Erdhälfte im doppelten Wortsinn Terrain gewonnen. Nicht nur, daß etwa in Lateinamerika mehrere Diktaturen oder autoritäre Regime, denen der Westen antagonistisch gegenüberstand, inzwischen von demokratischen Staatsformen abgelöst wurden; auch zahlreiche Entwicklungsländer, mit denen wir auf gutem
Fuße stehen, in denen die demokratischen Verhältnisse aber gleichwohl zu wünschen übriglassen, haben da erkennbare Fortschritte erzielt. Das heißt immer ein Stück mehr Menschenrechte, ein Stück mehr Rechtssicherheit und ein Stück mehr sozialer Ausgleich.
In beiden Prozessen sind große objektive Schwierigkeiten und bedeutende subjektive Widerstände zu überwinden. Ohne unsere umfassende Hilfe sind sie vom Scheitern bedroht. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, welch dramatische Gefahren das Fortbestehen der Schuldenkrise heraufbeschwört und welch ungeahnte Chancen ihre Lösung eröffnet, auch für den Frieden in der Welt.
({2})
Meine Damen und Herren, die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt unter Buchstabe A I und II der Beschlußempfehlung, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Das erstere war die Mehrheit. Die Beschlußempfehlung ist damit angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt weiter unter Buchstabe B der Beschlußempfehlung, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/826 abzulehnen. Wer für die Ablehnung ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! ({0})
Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Dieser Antrag ist gemäß der Ausschußempfehlung mit Mehrheit abgelehnt.
Der Ausschuß empfiehlt darüber hinaus unter Buchstabe B, auch den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/893 abzulehnen. Wer für die Ablehnung ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Ich stelle fest: Dieser Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung des Vorruhestandsgesetzes
- Drucksache 11/1808 Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1}) Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Heyenn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung den Antrag der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, den Vorruhestand über den 31. Dezember 1988 hinaus bis zum 31. Dezember 1991 zu verlängern. Im Grunde hätte dieser Antrag nicht von der Opposition, sondern von der Regierung kommen müssen,
({0})
denn sie hätte doch darum besorgt sein müssen, ihren einzigen Beitrag zu einer aktiven Beschäftigungspolitik zu erhalten. Weil dieser Antrag nicht kommt, muß ich feststellen: Diese Regierungskoalition hat endgültig vor der Massenarbeitslosigkeit kapituliert,
({1})
denn die Arbeitsmarktsituation hat sich seit der Einführung des Vorruhestands nicht verbessert. Also haben sich auch die Gründe, die für den Vorruhestand gesprochen haben, in keiner Weise verändert. Die Zahl der Arbeitslosen lag im Jahresdurchschnitt 1987 - wie schon 1984 - über 2,2 Millionen. Für das Jahr 1988 und das kommende Jahr ist eine erneute Verschlechterung anzunehmen.
Deswegen fordern wir Sie, meine Damen und Herren von den Mehrheitsfraktionen, auf, Ihre Haltung heute zu erläutern. Wollen Sie verlängern? Oder wollen Sie nicht verlängern? Eine ablehnende Haltung zu unserem Entwurf würde zu einer weiteren Verschärfung auf dem Arbeitsmarkt führen. Sie wäre aus unserer Sicht unverantwortlich.
({2})
Lassen Sie mich nun kurz auf die Entwicklung in den letzten Monaten auf seiten der Koalition eingehen; denn diese war doch ausgesprochen spannend. Nachdem der Kanzler - schon selten genug - vorgeprescht war und gesagt hatte, der Vorruhestand werde nicht verlängert, mußte man in der Koalition eine gemeinsame Linie finden, die Herrn Kohl bestätigte. Aber da war der Widerstand offenkundig größer als erwartet. So hat man das - wie üblich - einer Kommission übertragen. Diese sollte kurzfristig, bis zum 15. März - heute schreiben wir, glaube ich, fast den 15. Juni - , zusätzliche Möglichkeiten zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit prüfen.
({3})
In der gemeinsam verabschiedeten Resolution hieß es vielsagend:
Unter Berücksichtigung der finanziellen Lage der sozialen Sicherungssysteme sind insbesondere Möglichkeiten eines gleitenden Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand in die Prüfung einzubeziehen.
Dies heißt doch mit anderen Worten, daß im Grunde die zu erwartenden hohen Defizite - wir haben gestern darüber gesprochen - bei der Nürnberger Bundesanstalt für die geplante Beendigung der Vorruhestandsregelung verantwortlich sind. Einige zehntausend Arbeitslose mehr sind Ihnen dabei offenbar völlig gleichgültig.
Der dann von der Regierungsseite in Umrissen diskutierte Kompromiß für einen Teilvorruhestand war aus meiner Sicht nichts anderes als ein Täuschungsmanöver vor damals anstehenden Landtagswahlen. Sie haben - ich komme auf das Datum zurück, Herr Kollege Günther - am 2. Februar beschlossen, geHeyenn
genüber der Öffentlichkeit versichert, daß Sie bis spätestens Mitte März - und das habe ich als 15. März „mißdeutet" ; wenn Sie das anders auslegen, können Sie es sagen - Vorschläge für zusätzliche Möglichkeiten zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erarbeiten wollten. Heute, drei Monate später, herrscht bei Ihnen - wie eigentlich immer in dieser Frage bei der Koalition - Sprachlosigkeit. Bis heute haben wir keine Vorschläge auf dem Tisch.
({4})
Als man das Vorruhestandsgesetz bei Ihnen kassierte, ging es eben nicht um eine effizientere Regelung, sondern das war der erste Schritt zu einer neuen Sparwelle in den Sozialhaushalten.
Wenn Sie, meine Damen und Herren, wirklich einen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit leisten wollen: Stimmen Sie heute unserem Antrag zu, den Vorruhestand zu verlängern. Über weitergehende, erforderliche Verbesserungen kann dann anschließend diskutiert werden.
({5})
Im übrigen halte ich das von Ihnen diskutierte Modell eines Teilvorruhestands für so nicht brauchbar. Es wurde von Ihnen angenommen, daß gut hunderttausende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer diesen Teilvorruhestand in Anspruch nähmen. Das würde bedeuten, wenn es gelänge, alle diese Plätze neu zu besetzen, daß hunderttausend halbe gleich fünfzigtausend Arbeitsplätze zur Verfügung stünden. Sofern diese Zahlen richtig sind, würde das ferner bedeuten, daß allein hunderttausend Vorruheständler jährlich von der Bundesanstalt für Arbeit einen Betrag von mindestens 800 Millionen DM erhalten würden, wenn man ihnen für die 20 Stunden, die sie nicht mehr arbeiten wollten, Kurzarbeitergeld zahlte. Das aber würde auf der anderen Seite wiederum die Einsparbemühungen, die doch hinter der beabsichtigten Streichung des Vorruhestands stehen, völlig konterkarieren.
Ich möchte in aller Sachlichkeit zum Ausdruck bringen, daß die Idee des Teilvorruhestands mit dem 55. Lebensjahr ein diskussionswürdiger Vorschlag ist. Aber dieser Teilvorruhestand ist weder eine Alternative zur Verkürzung der Wochenarbeitszeit noch ist er eine Alternative zum Vorruhestand. Er kann, zusätzlich angeboten und, vernünftig ausgestaltet, eine Hilfe sein.
Wir müssen aber beachten, daß vergleichende Studien ergeben haben, daß Teilvorruhestandsmodelle bisher nur in ohnehin funktionierenden, mit nahezu Vollbeschäftigung ausgestatteten Arbeitsmärkten wie dem in Schweden funktionieren. In Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit haben solche Teilvorruhestandsmodelle bisher nicht zum Abbau der Arbeitslosigkeit beigetragen.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie bitten, zu einer Entscheidung zu kommen. Es muß doch auch für Sie unerträglich sein, wenn Herr Scharrenbroich, heute leider nicht anwesend, die Verlängerung des Vorruhestandes um fünf Jahre fordert. Es muß doch für Sie unangenehm sein, wenn Herr Hörsken sagt: Wir, die christlich-demokratischen Arbeitnehmer, sind enttäuscht, daß noch keine Ergebnisse vorliegen. Wir erwarten, daß es nun endlich zu konkreten Taten kommt. - Herr Hörsken sagt weiter, daß es für die Sozialausschüsse unverständlich ist, daß ein Vorruhestand für Landwirte mit dem 55. Lebensjahr beschlossen wird, daß dieses Instrument für Arbeitnehmer mit dem 58. Lebensjahr aber auslaufen soll. - Meine Damen und Herren, weiß bei Ihnen die Linke nicht mehr, was die Rechte tut? Herr Hörsken hofft auf Einsicht bei den Mitgliedern der Bundestagsfraktion. Ich kann ihm nur zustimmen. Aber ich fürchte, er hofft vergebens.
Meine Damen und Herren, auch Herr Blüm will sich inzwischen, wie ich gelesen habe, für den Fall des Scheiterns der Bemühungen an die Spitze der Bewegung setzen, die das Vorruhestandsgesetz verlängern will. Ich kann nur sagen: Herr Blüm, ich wünsche Ihnen dabei mehr Erfolg als in der Vergangenheit.
({6})
Ich will nur an den Spitzensteuersatz erinnern. Ich könnte viele Beispiele nennen, wo sich Herr Blüm an die Spitze der Bewegung gestellt hat, aber während der Bewegung von der Spitze weggebrochen ist.
({7})
Wir wollten 1984 ein besseres Vorruhestandsgesetz durchsetzen. Wir konnten Ihrem Gesetz nicht zustimmen, weil der Zuschuß der Bundesanstalt für Arbeit von lediglich 35 % zu gering erschien und es auch war. Wir konnten nicht zustimmen, weil das Versorgungsniveau von lediglich 65 % des letzten Nettogehalts nicht ausreichend war. Wir konnten nicht zustimmen, weil eine Wiederbesetzungspflicht gefehlt hat.
Aus heutiger Sicht bestätigt sich, meine Damen und Herren, daß unser Gesetzentwurf
({8})
eine erheblich größere Beschäftigungswirkung gehabt hätte, als sie der Ihre bis heute gebracht hat.
Aber trotz der beschriebenen Hemmnisse haben nach der Schätzung des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung 140 000 Personen für sich den Vorruhestand in Anspruch genommen. Die Angaben des Arbeitsministeriums liegen bei gut 110 000. Es ist davon auszugehen, daß bisher rund 60 000 bis 70 000 Arbeitslose und Jugendliche nach Beendigung ihrer Ausbildung einen Arbeitsplatz durch den Vorruhestand erhalten haben. Darum bleibt die Frage: Warum wollen Sie die Vorruhestandsregelung nicht verlängern?
Herr Kollege Cronenberg hat sicherlich recht, wenn er erklärt, daß der Vorruhestand arbeitsmarktpolitisch nicht das gebracht hat, was die Koalition angenommen hatte. Ich habe Ihnen schon gesagt, weshalb das so war. Aber das kann, Herr Kollege Cronenberg, noch lange kein Grund sein, den Vorruhestand jetzt ersatzlos zu streichen.
Ich will bei der arbeitsmarktpolitischen Enthaltsamkeit der Bundesregierung nicht nach den Motiven für die Streichung forschen. 1984 haben Sie den Vorruhe5552
stand eingeführt, um ein Kampfinstrument gegen die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit zu haben. Heute streichen Sie den Vorruhestand aus finanziellen Erwägungen.
Nun weiß ich nicht, ob es Rechenfehler bei Ihnen gibt, ob es mit den 400 Millionen DM hinhaut, die die Bundesanstalt bei der Streichung des Vorruhestands einsparen könnte. Da sagt die Bundesanstalt für Arbeit durch Herrn Franke, insgesamt würde die Streichung des Vorruhestands 2 Milliarden DM zusätzlich kosten. Das bestreitet nun die CSU. Die Bundesregierung hält sich in dieser Auseinandersetzung vornehm bedeckt. Aber wenn ich, meine Damen und Herren, die Wahl zwischen einer Äußerung der Bundesanstalt für Arbeit und ihres Präsidenten Franke, also der Äußerung aus Franken, und einer Äußerung der bayerischen CSU aus München habe, dann erscheint mir die Aussage der Franken aus Nürnberg um ein Vielfaches glaubhafter zu sein als die Aussage der bayerischen CSU. Deswegen steht hier im Raum, daß Sie mit Ihrer Streichung zusätzliche Belastungen von 2 Milliarden DM provozieren werden.
({9})
- Das mag davon kommen, daß es in Bayern noch keine CDU gibt und er zwangsläufig Mitglied der CSU sein muß.
({10})
Lassen Sie mich zusammenfassen, meine Damen und Herren. Wir Sozialdemokraten waren 1984 für eine verbesserte Vorruhestandsregelung. Wir sind heute für die Verlängerung des Vorruhestandsgesetzes, weil der Vorruhestand in der Lage ist, jährlich einige zehntausend Arbeitslose - mehr als 700 000 Arbeitslose sind schon länger als ein Jahr arbeitslos - wieder in eine Beschäftigung zu bringen. Die Bundesregierung sollte sich unserer Forderung anschließen. Es nützt nichts, wenn Herr Blüm sich nur an die Spitze einer Bewegung stellt. Vielmehr müssen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, hier ganz deutlich erklären, ob Sie dafür sind, in den kommenden Jahren einige zehntausende Arbeitslose wieder in Beschäftigung zu bringen, oder ob sie aus finanzpolitischen Gründen dagegen sind.
Wenn Sie nicht bereit sind, den Vorruhestand zu verlängern, so haben Sie dafür keinerlei Begründung außer der, daß Sie das aus finanzpolitischen Gründen nicht tun wollen. Sie würden dann ein beschämendes Schauspiel bieten, wenn Sie auf Ihr einziges beschäftigungswirksames Instrument zu Lasten von Zehntausenden von Arbeitslosen verzichteten.
({11})
Meine Damen und Herren, ich fordere Sie auf zu handeln. Ansonsten haben sie auf diesem Sektor Ihre Glaubwürdigkeit völlig verspielt. Sie haben bei den Beratungen die Chance, zu unserem Gesetz sehr schnell ja zu sagen.
Herr Abgeordneter, Sie haben noch 40 Sekunden Redezeit. Gestatten Sie eine Zwischenfrage von der Frau Abgeordneten Unruh?
Ich war am Ende meiner Ausführungen. Ich nutze die 40 Sekunden gern.
Danke, Herr Kollege. Ich habe zur Richtigstellung eine Frage: Sind Sie dafür, daß ältere Arbeitnehmer, die in den Vorruhestand gehen, dadurch Rentennachteile haben?
Unser Vorschlag, liebe Kollegin Unruh, sah 1984 so aus, daß wir nicht 65 % wie die CDU, sondern 75 % geben wollten. Außerdem beinhaltete er die volle Weiterzahlung der Rentenversicherungsbeiträge, so daß in der Rentenversicherung, anders als beim Vorruhestandsmodell dieser Koalition, keinerlei Nachteile hätten eintreten können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, meine Damen und Herren!
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kolb.
({0})
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Heyenn, nachdem Sie soviel Wert auf Franken legen, kann ich hier fortsetzen, denn ich bin geborener Franke. Ich bin zwar seit 25 Jahren in Baden-Württemberg, habe aber immer noch die Erfahrungen aus diesem Land.
({0})
- Ach, da lebt es sich hervorragend. Ich sage immer, mein Wahlkreis sei einer der zweitschönsten dieser Republik. Ich überlasse es Ihnen, ihn sich selbst einmal anzuschauen. Wir haben eine hervorragende Gastronomie. In dieser Landschaft, in der ich lebe, gibt es einen schönen Spruch, der lautet: Gott schütze mich vor meinen Freunden, meiner Feinde kann ich mich selbst erwehren.
Lieber Kollege Heyenn, ich kann mich sehr gut an die Diskussion 1984 erinnern, wo das gleiche Institut, das Sie heute genannt haben, nämlich das Institut der deutschen Wirtschaft, gesagt hat, es seien höchstens 20 000. Da ist - Gott sei es geklagt, denn dies ist das Problem, je höher die Zahlen sind, desto kritischer wird es mit den Nullen - mit ganz niedrigen Summen gerechnet worden, obwohl wir das gleich um eine Zehnerpotenz höher nehmen mußten.
Deswegen wundere ich mich über etwas ganz anderes: Ich habe 1984 hier im Deutschen Bundestag gesagt, wir würden Mitte der 90er Jahre eine dramatische Veränderung im demographischen Bereich bekommen und, ob es uns gefiele oder nicht, wir würden dann auch über eine Verlängerung der Lebenszeit nachdenken müssen.
({1})
Seit dem 1. Januar 1988 haben wir jährlich mehr 65jährige als 15jährige. Das wird sich dramatisch entwickeln: Im Jahre 2002 sind es 231 000 65jährige in einem Jahr mehr als 15jährige. Nun ist natürlich die Frage, ob ich dieser immer kleiner werdenden Schicht der Aktiven eine immer höhere Belastung zumuten
will, nur weil ich das, was 1984 richtig war, noch weiter anwenden möchte.
Wir haben 1984 - ich habe das damals auch sehr ausführlich dargelegt - das Vorruhestandsgesetz in der Hoffnung gebracht - Herr Dreßler, da muß ich Sie ganz scharf fixieren - , daß der § 128 AFG von der Großindustrie nicht mehr mißbraucht würde. In der Zwischenzeit gibt es nicht nur den § 128 des Arbeitsförderungsgesetzes, um die 59jährigen mit zusätzlichen Leistungen in die Arbeitslosigkeit zu entlassen, sondern auch den § 105c für den 58jährigen, der sich nicht mehr arbeitslos meldet.
Ich hatte meine großen Schwierigkeiten, beim Achten Arbeitsförderungsgesetz gegen den Bundesverband der Deutschen Arbeitgeber durchzusetzen, daß zur Berechnung des Arbeitslosengeldes zwölf Monate genommen werden und nicht nur drei Monate, weil man plötzlich gesagt hat: Dies ist eigentlich die idealste Situation, sich der Arbeitnehmer über diesen „Sozialplan" zu entledigen.
Herr Heyenn, auch Sie, Herr Dreßler, haben gesagt, die Arbeitslosenzahl sei gleich geblieben. Von der Zahl her gebe ich Ihnen recht; sie ist sogar um 400 000 höher als die Zahl vom September 1982. Nur hat sich die Struktur gewaltig verändert. Wenn Sie heute hören - wir haben in Baden-Württemberg eine etwas positivere Situation - , daß Arbeitsamtsbezirke mit 4,5 oder 5 % Arbeitslosigkeit als „leergefegter" Arbeitsmarkt gelten, dann müssen wir darüber nachdenken - was gestern die Diskussion sehr deutlich gezeigt hat - , ob sich hier nicht Verbindungen ergeben. Wenn ich die Meldungen der Bundesanstalt für Arbeit für den Monat Mai nehme, kann ich bei „Arbeitslosenmeldung im Berichtsmonat" lesen: 76 000 ohne vorherige Erwerbstätigkeit.
Wir erleben jetzt - dafür gibt es verschiedene Gründe - , daß sich Monat für Monat Leute beim Arbeitsamt melden, manche mit dem festen Wunsch, Arbeit zu bekommen, manche auch nicht. Es gab den Aufruf Ihrer Arbeitsgemeinschaft für Frauen, man möge sich, auch wenn man nicht unbedingt an Arbeit interessiert sei, arbeitslos melden.
({2})
- Entschuldigung, Herr Dreßler, das war ein Flugblatt von Ihnen im Wahlkampf 1986.
({3})
- Entschuldigen Sie, das haben wir Ihnen hier sogar gezeigt. Ich gebe Ihnen das Flugblatt gerne, und ich hoffe dann, daß Sie die nächste Gelegenheit, wenn Sie einmal nicht mit Polemik und Rabulistik argumentieren, sondern einen sachlichen Vortrag bringen, wahrnehmen, um sich hier zu entschuldigen und zu sagen: Ich habe das nicht gewußt. Das kann doch passieren.
Nur, sehr verehrte Damen und Herren, was wollten wir, die Koalition damals, mit dem Vorruhestand? Wir haben gefragt: Ist es sinnvoll, volkswirtschaftlich falsch zu handeln, den Einstieg in die Verkürzung der Wochenarbeitszeit mit der Begründung vorzunehmen, dies schaffe Arbeitsplätze? Ich verhehle Ihnen nicht, daß das in einigen Bereichen Arbeitsplätze geschaffen hat, wie z. B. im öffentlichen Dienst, in Krankenhäusern etc. Nur, die Kostenwirkung diskutieren wir heute im Gesundheitsreformgesetz, weil die Krankenkassenbeiträge gestiegen sind. Wir diskutieren darüber, daß wir einen Bereich der Klein- und Mittelbetriebe haben, die plötzlich feststellen, daß sie mit den Belastungen nicht mehr zurechtkommen.
Nun lassen Sie mich noch einmal die Bilanz des Arbeitsmarktes ansprechen: Wir haben seit 1982
- darüber sind wir alle froh; ich meine, er ist gemeinsam geschaffen - eine positive Bilanz von 1 250 000 neuen Arbeitsplätzen bei Klein- und Mittelbetrieben.
({4})
- Liebe Frau Steinhauer, die Klein- und Mittelbetriebe, denen ich angehöre, haben nicht die positive Situation wie die Stahlbosse, die, wenn sie in Schwierigkeiten kommen, zum Ministerpräsidenten oder zum Bundeskanzler gehen und sagen: Gib mir wieder mal Millionen, ich habe falsch gehandelt.
Wir haben aber die negative Bilanz der Großindustrie, nämlich daß sie 250 000 Arbeitsplätze abgebaut hat. Ich habe Ihnen immer gesagt: Dort, wo Sie an die Kostenbelastung derer gehen, die Dienstleistungen erbringen, wird die Dienstleistung immer teurer werden, mit dem Ergebnis: Die Schwarzarbeit wird zunehmen.
({5})
- Herr Dreßler.
Herr Abgeordneter Dreßler, bitte.
Herr Kollege Kolb, darf ich erstens davon ausgehen, daß Sie unseren Antrag gelesen haben, und darf ich Sie zweitens bitten, uns mitzuteilen, welche Gründe nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion gegen eine Verlängerung des Vorruhestandsgesetzes auf drei Jahre bei vorherrschender Massenarbeitslosigkeit sprechen?
Erstens spricht dagegen, daß die Auswirkungen des jetzigen Vorruhestandsgesetzes in der Baubranche schon bis 1993 reichen. Wenn wir das Gesetz noch einmal um drei Jahre verlängern, reichen sie bis maximal 1998. Zweitens ist exakt das eingetreten, wovor ich damals schon gewarnt habe: Wir suchen in der Zwischenzeit Lehrlinge. In Süddeutschland werden in diesem Jahr 80 000 Lehrstellen nicht besetzt werden können, weil keine Bewerber vorhanden sind.
({0})
- Gewaltig.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ich gestatte noch eine Zwischenfrage. Die Kollegen Reimann und Dreßler mögen entscheiden, wer diese Zwischenfrage stellt.
Darf ich daraus entnehmen, Herr Kolb - da Sie für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sprechen - , daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Auffassung der CDU-Sozialausschüsse in dieser Frage nicht teilt?
Exakt das ist Ihre richtige Meinung.
({0})
Ich habe damals einen großen Teil meiner Kollegen in der Mittelstandsvereinigung überzeugen müssen, daß der Vorruhestand für einen begrenzten Zeitraum ein mögliches Mittel ist, den Überhang an Lehrstellenbewerbern zu korrigieren. Ich habe damals gesagt - ich wiederhole das, was ich 1984 geäußert habe - : Wir werden 1988 über eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit reden müssen.
Noch gestern ist angedeutet worden - ich bitte, auch darüber noch einmal ruhig nachzudenken -, daß es Langzeitarbeitslose gibt, die eine Tätigkeit suchen, die mit der Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt angeboten wird, nicht übereinstimmt. Sie möchten, um diese gewünschte Tätigkeit ausführen zu können, vom Staat gerne Geld, aber sie möchten keine Kontrolle. Ich halte es schon für sehr, sehr gefährlich, wenn wir glauben, daß der Staat, d. h. wir alle - die Arbeitnehmer, die in aktiver Beschäftigung sind, die Arbeitgeber - , in der Lage ist, für sämtliche Wünsche, die nicht in die Arbeitswelt passen, geradezustehen. Da fällt mir der Spruch ein, den man Johannes Hus zuschreibt: „O heilige Einfalt". Deswegen sind wir gefordert.
Lassen Sie mich auch noch einmal zu der Zahl der Arbeitslosen und vor allem zu denen kommen, die Sie, Herr Dreßler, immer als stille Reserve bezeichnen. Da hat eine Dame in Franken - wir bleiben in Franken - erklärt, die Zahl der stillen Reserve habe sich von 1982 bis 1988 von 1,5 Millionen auf 1 Million verringert. Die Dame steht Ihnen viel, viel näher als mir. Ich bitte doch, daß wir, wenn wir in Zukunft mit diesen Zahlen argumentieren, das vortragen, was uns diese Dame richtigerweise gesagt hat.
Lassen Sie mich noch einmal zur Bauindustrie kommen. Die Bauindustrie hat exakt das getan, was der Kollege Heyenn wollte. Sie hat das auf 75 % aufgestockt. Das Ergebnis war für uns eine 5 %ige Lohnkostensteigerung. Darauf haben wir aufmerksam machen müssen. Wir haben deswegen gesagt: Unter diesem Aspekt war der Vorruhestand eine Zwischenlösung, aber sie ist keine Lösung, um die 90er Jahre zu meistern.
Nun lassen Sie mich den zweiten vom Kollegen Heyenn angesprochenen Punkt ansprechen, den der Teilrente. Es ist vier oder fünf Wochen her, daß ich hier gesagt habe: Wir sollten über die Frage der Renten einmal nicht, wie es immer geschieht, unter Wahlkampfaspekten diskutieren. Wenn Sie heute Potentialrechnungen für 1990, 1995, 2000 anstellen, müssen Sie schon fragen: Wie sinnvoll ist es, einer kommenden Generation Lasten aufzubürden, die sie wahrscheinlich unter heutigem Aspekt schon nicht tragen kann?
Ich freue mich ja, daß es für uns alle so angenehm ist - einige unserer Kollegen sind in dem Alter, demnächst in Rente zu gehen; ich habe das auch irgendwann vor - , daß wir heute Rentenerwartungszeiten von 15 bis 20 Jahren haben. Nur, wenn ich jetzt jemanden mit einem Vorteil in die Rente entlasse, dann wirkt das noch bis 2010. Das ist ein Zeitpunkt, zu dem ich von anderen verlangen werde, daß sie wesentlich länger arbeiten oder höhere Lasten tragen. Deswegen, Herr Dreßler, auch insoweit mein Angebot, darüber einmal nachzudenken, wenn wir sagen: Laßt jeden in Rente gehen, wenn er es für richtig hält und glaubt, daß das, was er sich erarbeitet hat, ausreichend ist. Nur eines werden wir nicht tun können: immer später ins Berufsleben gehen und immer früher aus dem Berufsleben ausscheiden, dabei aber glauben, daß das mit immer höheren Rentenleistungen möglich ist.
({1})
Hier liegen unsere Schwierigkeiten. Ich warne davor, Maßnahmen zu ergreifen, die notwendigerweise diese Konsequenzen haben müssen.
Nun muß ich doch einmal an die Diskussion in dieser Republik erinnern -
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich gestatte keine Zwischenfrage mehr; ich habe vorhin schon zwei beantwortet.
Ich mußte schon den Kopf schütteln darüber, wie die Zahlenbegriffe trotz langjähriger Mengenlehre so fürchterlich durcheinandergekommen sind. Da ist über die Steuerreform mit 40 Milliarden DM so diskutiert worden, als ginge die Welt unter. Dies bei einer Billion Lohn- und Gehaltssumme! Das heißt, das sind 4 % der Lohn- und Gehaltssumme. Wenn morgen die Gewerkschaften mit einer Lohnforderung von 6 kommen und anschließend bei 4 % abschließen, ist das gleiche bewegt worden wie bei einer Steuerreform mit 40 Milliarden DM. Nur, wir haben die Begriffsverwirrung so weit getrieben, daß wir meinen, bei 40 Milliarden DM stürzt die Welt ein, während wir gleichzeitig das Sozialbudget pro Jahr um 45 Milliarden bis fast 50 Milliarden DM erhöhen.
({0})
- Liebe Frau Unruh, ich gehe noch davon aus, daß, weil ich nicht so viele Ausfallzeiten wie manch anderer habe, die Höhe meiner Beitragsleistung der erste Hauptbewertungsfaktor meiner Rente ist. Und ich fordere uns nur auf, dies insgesamt zu tun. Je mehr Arbeitszeiten und je weniger Ausfallzeiten gefordert werden, desto leichter kommen wir hin.
({1})
Nun lassen Sie mich auch zu dem, was der Vorruhestand echt gekostet hat, noch eine letzte Bemerkung machen. Der Vorruhestand hat für die anständigen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die dies getan haben, eine Belastung pro Vorruheständler von
240 000 DM gebracht. - 240 000 DM! Derjenige, der den § 128 oder den § 105c genutzt hatte, konnte mit 30 000 DM zu Lasten der Solidargemeinschaft eine viel bessere Lösung bringen.
({2})
- Liebe Frau Unruh, die Frage für Sie als Kauffrau sollte endlich sein, daß Sie sich vernünftiger mit Zahlen als mit diesen nicht sehr seriösen Zwischenrufen beschäftigen.
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Deswegen muß ich hier vor allem an die Opposition die Frage stellen: Wie lange wollen wir folgendes Spiel mitmachen? Die Großindustrie entledigt sich immer mehr Arbeitnehmern, weil sie sagt, den Druck, den wir von draußen kriegen, fangen wir durch Rationalisierung auf. Die Arbeitsplätze werden bei den Klein- und Mittelbetrieben geschaffen,
({4})
und die sollen dies im Dienstleistungsbereich weitergeben können.
Deswegen sage ich für einen großen Teil meiner Fraktion und vor allem für den Mittelstand: Wir können weder einer Verlängerung des Vorruhestandes noch einer Teilrente zustimmen, weil es der Versuch einer Lösung mit falschen Mitteln wäre.
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- Entschuldigen Sie, lieber Herr Dreßler, es muß in einer Demokratie auch möglich sein, hier gemeinsam eine Lösung zu finden, die eben zukunftsorientiert ist und nicht vom nächsten Wahltermin abhängig ist.
Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, wollte ich hier als einer wiederholen, der sich 1984 für den Vorruhestand eingesetzt hat - gegen Ihre Argumentation - und der heute Ihre Argumentation ablehnen muß, weil sie nicht mehr in die Zeit paßt.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Hoss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man Herrn Kolb so reden gehört hat, dann wird einem klar, daß er den Grundwiderspruch, mit dem wir es zur Zeit zu tun haben, überhaupt nicht begriffen hat.
({0})
Es geht nämlich darum, daß wir es in einer Phase hochkonjunktureller Entwicklung - mehr ist konjunkturell nicht drin; darüber müssen wir uns im klaren sein - mit 2,2 Millionen Arbeitslosen im Schnitt des Jahres 1987 zu tun hatten - dies ohne die stille
Reserve, ohne die anderen, die sich nicht gemeldet haben und als Frauen zu Hause sitzen und wissen, wenn sie zum Arbeitsamt gehen, daß das sowieso keinen Sinn hat - und daß wir ohne Umverteilung der vorhandenen Arbeit das Problem nicht lösen können. Das haben Sie nicht begriffen.
({1})
Sie sind im wahrsten Sinne dabei, die Arbeitslosigkeit wegzudiskutieren, indem Sie ganze Programme und Kommissionen einsetzen, die an der Statistik „rummachen", um die Arbeitslosenzahlen herunterzudrükken.
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Und mich würde es gar nicht wundern, wenn Sie am Ende dieses Jahres oder im nächsten Jahr sagten, wir sind endlich unter die Zwei-Millionen-Grenze gekommen. Wenn man dann einmal genau den Lack wegkratzt, dann bleibt nämlich übrig, daß Sie im Grunde einen Betrug an den Arbeitslosen betreiben.
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- Deshalb rede ich auch so, weil ich meine Erfahrungen im Arbeitsleben gemacht habe.
Wir GRÜNEN sind deshalb für den Antrag, den die SPD gestellt hat, die Vorruhestandsregelung nicht Ende dieses Jahres auslaufen zu lassen, sondern sie zu verlängern.
Uns ist bekannt, daß der Vorruhestand, als er 1983/84 eingeführt wurde, sehr umstritten war. Wir haben damals dagegen gestimmt. Er war ein politisches Signal von Ihrer Seite und ein Gegenmodell zur Arbeitszeitverkürzung, die damals durch die IG Druck und die IG Metall als Methode der Umverteilung vorangetrieben wurde. Wir hatten erhebliche Bedenken. Wir haben die finanzielle Ausstattung damals schon als dünn angesehen, und das Ergebnis kann auf dieser Basis nicht besser sein.
Ihre eigene Vorgabe von damals, Herr Kolb, war - das kann man in den Reden von damals nachlesen - , daß Sie 250 000 bis 300 000 Arbeitsplätze schaffen wollten.
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In Wirklichkeit haben 70 000 Arbeitslose durch die Vorruhestandsregelung Arbeit bekommen. Das entspricht einer Erfolgsquote von 25 %. Das ist für ein arbeitsmarktpolitisches Konzept der Regierung entschieden zu wenig. Es ist völlig ungenügend. Es ist aber für jeden einzelnen der 70 000 Arbeitslosen, die in ein Arbeitsverhältnis kommen konnten, wichtig. Das müssen wir sehr wohl unterscheiden.
Man kann dieses Instrument daraufhin untersuchen, ob es ausreichend war. Wir sind der Meinung, daß es nicht gereicht hat. Sie müssen, wenn Sie eine andere Form finden wollen, wenigstens dafür sorgen, daß der vorhandene Level bei der Schaffung von Arbeitsplätzen für Arbeitslose erhalten bleibt. Sie streichen es, ohne ein neues Instrument anzubieten.
Die Kommission, die Sie gebildet haben, war eine typische Kommission, die auf dem Höhepunkt einer bestimmten Bewegung ins Leben gerufen wurde. Die Leute draußen hatten begriffen, daß Sie ein Instrument streichen wollten, das immerhin für einige Leute Arbeitsplätze gebracht hat. Sie haben aber nichts Neues angeboten.
Die Unruhe reichte bis in Ihre Reihen. Der Bundeskanzler hat mit den Worten „Wir bilden eine Kommission, die bis Mitte März etwas anderes auf den Tisch legen soll" die Öffentlichkeit beruhigt. Wie das bei den Kommissionen so ist: Der Berg kreißte, aber geboren ward noch nicht einmal ein Mäuslein.
Das ist die Fortsetzung des Prinzips, das Sie auch auf anderen Gebieten praktizieren, nämlich daß Sie oben, bei den Bessergestellten, etwas zulegen, die Unteren hingegen belasten. Denjenigen, die sich in der Arbeitslosigkeit befinden, nehmen Sie auch noch das letzte Instrument, das Sie als geschlossenes System anzubieten haben.
Mit leichter Hand setzen Sie Regelungen wie die dagegen, daß Privatflieger laut Sonderregelung keine Mineralölsteuer zu zahlen brauchen. Ich denke auch an die Regelung, daß eine Firma, der ich 25, 26 Jahre angehört habe - ich rede von Daimler - , eine Risikoabsicherung bekommen soll, wenn sie sich bei MBB engagiert. Das heißt, wenn sich Daimler dort engagiert und es danebengeht, dann wird mit dem Geld der Steuerzahler dieses Risiko abgesichert. Welcher Mittelständler - Herr Kolb, Sie zählen sich doch dazu - oder welcher Handwerker, welcher einfache Mensch bekommt das Risiko von seiner Regierung abgesichert, wenn etwas schiefgeht?
({5})
Aber die großen Firmen, die Milliardensummen liquide haben - Siemens oder Daimler, die dieses Jahr 14 Milliarden DM liquide Mittel haben, die sie gar nicht für die Schaffung neuer Arbeitsplätze investieren -, bekommen obendrauf das Risiko von dieser Regierung abgesichert.
Dagegen ist klar, daß Sie mit den einzigen Instrumenten, die Sie haben, um eine Entlastung auf dem Arbeitsmarkt herbeizuführen, Schiffbruch erleiden. Ich sehe, nachdem ich Ihre Politik einige Jahre intensiv beobachtet habe, drei Instrumente, die Sie anbieten:
Das erste ist der Vorruhestand.
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Dieser Vorruhestand hat nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht; den wollen Sie streichen.
Das zweite ist die Qualifizierungsoffensive und sind die AB-Maßnahmen. Da kommen Sie zu Entscheidungen, Positionen im Sinne der Steuerreform, also im Sinne der Umverteilung von unten nach oben, zu streichen. Sie haben vom Bund auf die Bundesanstalt für Arbeit abgewälzt: die Förderung der Berufsausbildung von benachteiligten Jugendlichen, die Förderungsmöglichkeiten des Bildungsbeihilfengesetzes für arbeitslose Jugendliche, die Sprachförderung von Aussiedlern, Asylanten und Kontingentflüchtlingen. Und Sie streichen im Rahmen der ABMaßnahmen Qualifizierungs-, Fortbildungs- und Umschulungsmöglichkeiten. Bei Ihnen verkommt die Arbeitsmarktpolitik zu einer Auseinandersetzung mit der Arbeitsmarktstatistik; das habe ich vorhin schon gesagt.
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Das muß unter dem Strich einmal so festgehalten werden.
Und das dritte Instrument, das Sie hinsichtlich des Arbeitsmarktes haben, sind die „Selbstheilungskräfte des Marktes". Da sind Sie in einer engen Vertrautheit mit Ihren liberalen Verbündeten.
Das bleibt übrig. Und das sieht dann so aus, daß der Kleine wirklich die Zeche zahlen muß, daß das alles an ihm hängenbleibt und die Oberen entsprechend gut wegkommen.
Wir GRÜNEN sind für die Fortführung des Vorruhestandes so lange, bis man entsprechende Ersatzinstrumente geschaffen hat.
Das Vorruhestandsgesetz besteht aus zwei Teilen: Der eine Teil ist der Rententeil. Er befaßt sich mit der Möglichkeit - im Sinne der Umverteilung von Arbeit auf alle Schultern -, auf dem Rentenwege zu versuchen, Leuten die Möglichkeit zu geben, früher aus dem Arbeitsleben herauszukommen. Und da bieten sich eben die Möglichkeiten über Teilrente an: sei es, daß man halbtags arbeitet, sei es, daß man halbwöchentlich oder halbmonatlich arbeitet,
({8})
sei es, daß man eine Form findet, die es den Leuten ermöglicht, einen sanften Übergang in die Rente zu finden,
({9})
natürlich mit der Beschränkung, daß man, wenn man mit 60 in Rente geht, nicht den vollen Rentenanteil kriegen kann, den man mit 65 kriegt.
({10})
- Das ist ja auch heute schon so. - Jemand, der fünf Jahre länger arbeitet, muß selbstverständlich auch mehr Rente kriegen. Aber die erworbenen Ansprüche müssen garantiert sein.
Was Sie jetzt als Ergebnis einer anderen Kommission auf den Tisch legen, ist, daß Sie den Leuten, die durch eigene Entscheidung im Rahmen des flexiblen Rentensystems früher in Rente gehen wollen, noch besondere Abzüge zumuten wollen, d. h., daß Sie noch nicht einmal den erworbenen Rentenanspruch auszahlen wollen.
({11})
Und ich finde es sehr befremdlich, daß Herr Kollege Dreßler von der SPD erklärt hat, daß das auch mit zu den Bereichen gehört, über die man reden könne. Dieser Teil des Vorruhestandsgesetzes müßte im Rahmen der Rentenreform aufgearbeitet werden und dort seinen Niederschlag finden.
Dabei ist völlig klar, daß die Finanzierung eng mit einer Harmonisierung des Rentensystems insgesamt zusammenhängt. Das heißt nämlich auch, daß wir im Rentensystem einmal dazu kommen müssen, die neue Solidarität, die sich gegenwärtig in der großen Debatte befindet, bei der Gestaltung des neuen Rentensystems auch anzuwenden, indem wir diejenigen, die heute keine Beiträge zahlen, wie es bei den Beamten ist, wie es bei Teilen der Selbständigen mit selbständigem Einkommen ist, zu einem solidarischen Rentensystem mit heranziehen, das den Unteren, den Geringverdienern bessere Möglichkeiten gibt und für die Oberen zu entsprechenden Belastungen kommt.
({12})
Der zweite Teil des Vorruhestandsgesetzes ist der Arbeitsmarkt: Und da steht an erster Stelle das Instrument - ich nenne die Instrumente nur ganz kurz, weil meine Zeit abgelaufen ist - des Überstundenabbaues. Das ist das Instrument, das am leichtesten angewandt werden kann. Die Zahl von Überstunden, die die Leute machen,
({13})
führt dazu, daß 900 000 Arbeitsplätze nicht besetzt werden können. Diese Überstunden müssen abgebaut werden, damit die Arbeitslosen in die Betriebe reinkommen. Das zweite Instrument ist die Umverteilung der Arbeit im Sinne von Arbeitszeitverkürzungen. Das dritte Instrument ist, daß wir auch langfristige ökologisch-soziale Programme und Projekte auflegen, die arbeitsintensiv sind und dazu führen, daß die Arbeitslosigkeit abgebaut werden kann.
Danke schön.
({14})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wie bekannt, predigen wir Liberalen, werben wir für Flexibilität. Flexibilität ist notwendig: in der Wirtschaft, in der Politik. Dennoch war ich, mit Verlaub zu sagen, überrascht, mit welch wieselartiger Geschwindigkeit die Genossen ihre Argumente wechseln.
Vergessen wir nicht, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Frau Anke Fuchs hat früher das Vorruhestandsgesetz mit den Worten charakterisiert: „Sie werden von uns nicht erwarten, daß wir diese Mißgeburt als einen ernsthaften Versuch werten, den Tarifvertragsparteien eine vernünftige Vorruhestandsregelung anzubieten. "
({0})
Nun sind Sie offensichtlich Befürworter dieser „Mißgeburt". Fürwahr eine leicht verkehrte Welt!
Allerdings ist diese späte Einsicht, befürchte ich,
({1})
nicht Einsicht, sondern menschlich nachvollziehbare taktische Überlegung, ein Stückchen Schaueffekt - was Ihnen ja heute morgen gelingen wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heyenn?
Herr Präsident, weil ich mit der Zeit knapp bin, unter der Voraussetzung, daß wir das nicht allzu scharf verrechnen.
Bitte schön.
Ich bin in einem Zwischenruf angesprochen worden, Herr Kollege Cronenberg. Halten Sie es nicht auch für unseriös, wenn Sie wider besseres Wissen unsere Kritik am nicht zureichenden Entwurf der Koalition zum Vorruhestand aus dem Jahr 1984 als Ablehnung des Vorruhestands insgesamt ansehen und dabei in Ihrer Äußerung unterschlagen, daß wir ein besser ausgestattetes Vorruhestandsmodell alternativ dem Deutschen Bundestag vorgelegt hatten?
({0})
Herr Kollege Heyenn, für unseriös halte ich es, mir zu unterstellen, wider besseres Wissen hier zu sprechen oder zu handeln. Das weise ich zunächst mit aller Deutlichkeit und Entschiedenheit zurück.
Zweitens. Ich halte das Instrument für falsch und werde das sogleich im Detail begründen. Aber insbesondere muß man in diesem Zusammenhang doch wohl festhalten dürfen, daß die Bedenken, die uns heute zur Ablehnung veranlassen, als Fragen - weil nicht sicher - bei der Verabschiedung dieses Gesetzes von mir von diesem Pult aus vorgetragen worden sind und damals zum Teil Ihre Zustimmung gefunden haben. Und dann frage ich Sie, ob Ihre in sich widersprüchliche Argumentation Ihrem Anspruch auf Seriosität gerecht wird.
({0})
- Nein, nein, Herr Kollege Dreßler.
({1})
- Frau Kollegin Unruh, es wird überhaupt nicht bestritten, daß die SPD mehr gewollt hat.
({2}) .
Aber, Frau Kollegin Unruh, vielleicht hilft es Ihnen ein wenig weiter, wenn Sie in die Vorlage der Sozialdemokraten schauen: Sie fordern das Haus auf, einem Gesetz in unveränderter Form so zuzustimmen, wie es damals gemacht worden ist. Das ist doch das Entscheidende.
({3})
- Kollege Dreßler, eine Zwischenfrage noch. Gut. Aber dann bitte ich um Verständnis, wenn ich keine Zwischenfrage mehr zulasse. Sonst kann ich Ihnen
Cronenberg ({4})
nämlich nicht begründen, warum ich den Gesetzentwurf ablehne.
Bitte schön.
Herr Kollege Cronenberg, räumen Sie ein, daß die SPD in ihrem Entwurf in der Begründung ausdrücklich ausgewiesen hat, daß sie für jede Art von Verbesserung im Rahmen der Ausschußberatungen, beispielsweise auf der Basis der Forderungen der CDU-Sozialausschüsse, bereit ist?
({0})
Herr Kollege Dreßler, es wäre das erste Mal, daß in einer Ausschußberatung sozusagen nicht die Bereitschaft bestände, Verbesserungsvorschläge zu diskutieren.
({0})
Derartige Selbstverständlichkeiten nützen in der Sache null.
Ich möchte nun begründen, warum wir die Vorlage ablehnen. Sieht man von den Kosten ab, wird zweierlei deutlich. Herr Kollege Dreßler, Sie rechnen selber nicht mit nennenswerter Inanspruchnahme eines verlängerten Vorruhestands. Damit haben Sie recht. Denn die tarifpolitische Landschaft hat sich seit 1983 wesentlich gewandelt. Die Alternative „Vorruhestand oder Arbeitszeitverkürzung" ist tot. Sie wissen, ich halte das für falsch und bedauere das. Aber es ist ja nun einmal so. Die Tarifvertragsparteien haben sich auf diesen in meinen Augen falschen Weg begeben. Dieser Grund ist also, wenn Sie so wollen, weggefallen.
Vergessen Sie zur Frage der Arbeitszeitverkürzung nicht, daß unsere Hauptkonkurrenten sehr viel mehr arbeiten. Ein japanischer Entwicklungsingenieur arbeitet bis zum Jahr 2000 dreieinhalb Jahre länger als der deutsche Entwicklungsingenieur, und das nicht zum Nutzen, sondern zum Schaden unseres Arbeitsmarktes.
Wir leben in einem Land, in dem wir eine hervorragend qualifizierte und motivierte Arbeitnehmerschaft haben - dank eines dualen Ausbildungssystems -, in dem wir Arbeitsfrieden haben - was ich dankbar feststelle - und in dem wir eine hervorragende Infrastruktur - eine bessere als in allen anderen Ländern - haben. Aber wir leben auch in dem Land mit den höchsten Steuern, mit den höchsten Sozialversicherungsbeiträgen
({1})
und mit den höchsten Löhnen, und all dies zusammen verschlechtert unsere Position.
({2})
Dieser Vorruhestand ist für die Unternehmen eine finanzielle Belastung, die Arbeitsplätze nicht schafft, sondern kaputtmacht.
({3})
Damit bin ich beim zweiten Punkt, bei der Kostenbelastung der Betriebe.
({4})
- Frau Adam-Schwaetzer hat das genauso gesagt. Das ist kein Grund, herumzustänkern oder zu mäkeln, Herr Kollege Heyenn. Die Analyse ist vom Bundespräsidenten, von Frau Dr. Adam-Schwaetzer und auch von mir schon mehrmals in dieser deutlichen Form vorgetragen worden, und sie stimmt.
Damit es klar und deutlich und unmißverständlich ist: - ({5})
- Auf diesen Unsinn mit den Lohnstückkosten komme ich gleich auch noch!
Ich möchte also festhalten: Erstens. Wer nicht weiß, daß für die mittelständischen und kleinen Unternehmen jeder Vorruhestandsarbeitsplatz 80 000 DM mehr kostet, verkennt die Situation.
Punkt 2. Herr Kollege Heyenn, ich will Ihnen einmal etwas sagen: Wenn Sie über verschlechterte Rahmenbedingungen - auch über zu hohe Löhne und Sozialbelastungen - alle mittelständischen und kleinen Dienstleistungsbetriebe wegbekommen und in die Schwarzarbeit jagen, sind natürlich in den paar hochtechnisierten Betrieben à la Mercedes usw. die Lohnstückkosten immer noch ausgezeichnet. Da haben wir die beste Lohnstückkostenbilanz; nur sind die Arbeitsplätze in den anderen Bereichen weg, und das kann nicht im Interesse der SPD und insbesondere nicht im Interesse der MA sein.
({6})
Deswegen bitte ich doch, die Frage der Lohnstückkosten und die Überbelastung mit Sozialabgaben zu nennen, damit Klarheit herrscht.
Herr Abgeordneter Cronenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, aber ich möchte meine Zeit für die Beendigung meiner Rede behalten, denn sonst sagt die SPD mir hinterher, ich hätte nicht begründet, warum ich ihren Entwurf ablehne. Diese Möglichkeit möchte ich der SPD beim besten Willen nicht gewähren.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit bleibt uneingeschränkt und in vollem Umfang erhalten. Nur verringert sich Ihre Mittagspause, meine Damen und Herren; aber das nehmen Sie dann wohl in Kauf.
Mit Verlaub, den Schaden tragen wir dann solidarisch.
Bitte sehr.
Herr Kollege Cronenberg, nun höre ich von Ihnen - Sie sind Unternehmer - wie auch von Herrn Kolb - ebenfalls Unternehmer - immer wieder das wahrscheinlich berechtigte Argument der Lohnnebenkosten. Jetzt frage ich Sie: Was sind denn eigentlich die wesentlichen Gründe für das Steigen
der Lohnnebenkosten? Sie nennen die Sozialversicherung, die Krankenversicherung und die Arbeitslosenversicherung.
Und die Tarifvertragsparteien!
Möchten Sie nicht auch bestätigen, daß es gerade die kapitalintensiven Betriebe sind, die Großunternehmen, die der Gesellschaft die Entlassungen bereiten, die dann von den kleinen Betrieben und vom Mittelstand in Form erhöhter Beiträge zu bezahlen sind, und müssen wir nicht dort etwas tun?
({0})
Lieber Herr Kollege Reimann, diesen Ansatz zu unterschreiben fällt mir nicht schwer. Mich fuchst es doch bis zum Gehtnichtmehr, daß die kleinen und mittleren Steuern erwirtschaftenden Betriebe dann - auch mit Ihrer Unterstützung - für die Montanindustrie, für die Kohle, für all diese großen Industrien am laufenden Band blechen müssen. Das ist doch das, was uns den großen Kummer macht!
({0})
- Die lösen dieses Problem in keiner Weise.
({1})
- Richtig.
Meine Damen und Herren, nun möchte ich noch einmal im einzelnen begründen, warum wir den Vorruhestand für falsch halten.
Erstens. Der Vorruhestand hat arbeitsmarktpolitisch nicht das gebracht, was seine Initiatoren sich erhofft hatten. Eine Reihe großer Gewerkschaften haben das ja auch nicht gewollt; sie sind den in meinen Augen problematischen Weg der Wochenarbeitszeitverkürzung gegangen. Das Kapitel Alternative zur 35Stunden-Woche ist damit erledigt.
Zweitens. Der Vorruhestand ist insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, wie ausgeführt, zu teuer.
Drittens. Die Alternative Vorruhestand oder Arbeitszeitverkürzung stellt sich nicht mehr. Wir müssen sehen - es ist vom Kollegen Kolb schon darauf hingewiesen worden - , wie problematisch die 59er Regelung in diesem Zusammenhang ist. Das Bundessozialgericht hat diese Angelegenheit - ich meine die Erstattungsvorschrift - dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt, um prüfen zu lassen, ob das Ganze überhaupt verfassungsrechtlich in Ordnung ist.
Viertens. Die Vorruhestandsregelung war auch im Hinblick auf die Jugendarbeitslosigkeit konzipiert. Dieses Problem sollte durch den Vorruhestand entschärft werden. Gott sei Dank kann man heute feststellen: Eine überproportionale Jugendarbeitslosigkeit gibt es nicht mehr. Der Grund ist weggefallen.
({2})
- Die Begründung ist ja ganz anders. Nur verstehen Sie: Es ist aus diesem Grund nicht mehr notwendig, den Vorruhestand zu verlängern.
({3})
- Das habe ich gar nicht bestritten.
Fünftens. Ich darf daran erinnern, daß die BfA in den damaligen Beratungen nachdrücklich die Befürchtung geäußert hat, daß dadurch der Trend zur Frühverrentung weiter verstärkt wird. Eine solche Entwicklung können wir uns, wie wir alle wissen, auf Dauer nicht leisten. Denn wir müssen langfristig dazu kommen, daß das derzeitige problematische Verhältnis von Rentenlaufzeit und Beitragszeit wieder normalisiert wird. Jede Verlängerung des Vorruhestands gibt ein falsches Signal, schafft neue Besitzstände. Ich kann Ihnen prophezeien: Wenn wir so handeln würden, wie Sie es wollen, würden Sie nach der Verlängerung hier mit den gleichen Argumenten wieder auftreten, um die erneute Verlängerung zu beantragen.
Kollege Hoss hat hier mit Recht, so meine ich, festgestellt, wo das Grundproblem liegt. Das leugne ich nicht. Die Frage ist nur, Kollege Hoss, ob wir mit diesen Methoden, mit der Umverteilung, die Sie als Instrument vorschlagen, und der damit unvermeidbar verbundenen Verteuerung des Faktors Arbeit nicht mehr Schaden als Nutzen anrichten. Das Instrument „Verteilung" ist falsch und zu teuer.
Ich leugne nicht, daß wir zwar nicht gerade Hochkonjunktur, aber eine gute Konjunktur haben. Es wäre unredlich, wenn man nicht sagen würde, daß die Problematik Arbeitslosigkeit offensichtlich kurzfristig allein mit einer guten Konjunktur nicht zu lösen ist. Aber das ist keine hinreichende Begründung, die Hauptursachen, die ich eben auch dargestellt habe, die im Preis für den Faktor Arbeit liegen, noch zu verschärfen, sozusagen den Schaden zu vergrößern. Deswegen, Kollege Hoss, bei aller Zustimmung zu einem Teil der Analyse, die Sie hier getroffen haben, müssen wir uns doch verpflichtet fühlen, die Instrumente darauf zu untersuchen, ob sie den Ansprüchen, mehr Arbeit für alle zu schaffen, gerecht werden. Das ist doch die Frage, mit der wir uns beschäftigen müssen.
Ich möchte übrigens an der Stelle auch ausdrücklich festhalten, daß die Idee Teilrente, Teilarbeitszeit, die die Freien Demokraten 1979 schon in ihren 32 Thesen vorgeschlagen hatten, nach wie vor und ausdrücklich unsere Billigung findet, wenn dies mit den notwendigen versicherungsmathematischen Abschlägen erfolgt.
Meine Damen und Herren, es darf aber in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, daß entscheidende Ursachen für die ganze Kostenbelastung von den Tarifvertragsparteien gesetzt werden, denn auch sie bestimmen in erheblichem Umfang, wie hoch die Personalzusatzkosten sind. Tarifverträge tragen beide Unterschriften, die von Gewerkschaftern und
Cronenberg ({4})
Arbeitgebern, Kollege Reimann. Deswegen unterstreiche ich nachhaltig, daß nicht nur der Gesetzgeber
- nicht wir alleine - über die Höhe der Personalzusatzkosten entscheidet. Es entscheiden ebenso die Gewerkschaften, die Arbeitgeberverbände, und sie sind ebenso in die Pflicht genommen wie dieses Parlament, Bedingungen zu schaffen, die den Faktor Arbeit nicht unerträglich verteuern.
Die Tarifpolitik sollte mehr Rücksicht auf die Arbeitslosen und weniger Rücksicht auf die Arbeitbesitzenden nehmen. Ich habe nicht mit irgendwelcher Häme, sondern mit Beruhigung festgestellt, daß diese ernste Diskussion nun auch in den Reihen der SPD stattfindet. Das, was wir von hier aus seit Jahr und Tag predigen, hat offensichtlich zu einer parteiinternen Auseinandersetzung geführt, die ich nicht mit Häme sehe, sondern in der Hoffnung, daß etwas Vernünftiges dabei herauskommt.
({5})
- Das habe ich ja nun deutlich und, wie ich meine, auch überzeugend begründet. Herr Kollege Heyenn, statt qualifizierte arbeitswillige und -fähige Mittfünfziger oder Endfünfziger in den Vorruhestand zu schikken oder - wie die betrieblichen Verhältnisse sind - teilweise auch zu drängen, bitte ich Sie und fordere Sie auf: Erleichtern Sie die Bedingungen für Arbeit, verbessern Sie die Möglichkeit für Arbeit, insbesondere bei den kleinen und mittleren Betrieben, wo zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden, dann dienen Sie den Arbeitslosen am besten. Arbeit schafft Arbeit; nicht Umverteilung, sondern neue Arbeit durch Arbeit schaffen, die Bedingungen für Arbeit verbessern, das ist die Alternative, statt die Leute frühzeitig und unter unerträglichen Kosten von der Arbeit abzuhalten.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Höpfinger.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich darf mich zunächst einmal dem Kollegen Heyenn zuwenden.
({0})
- Sie wissen doch, daß zur Zeit die Bundesrepublik die Präsidentschaft bei der Europäischen Gemeinschaft innehat, und da ist er terminlich eben eingespannt. Ich glaube, Herr Kollege Urbaniak, das ist doch klar.
({1})
- Das kommt sicher auch von der Arbeitsfülle.
({2})
Aber jetzt wollen wir uns dem Thema zuwenden. Ich sagte, ich wollte mich gerne dem Wortbeitrag des Kollegen Heyenn widmen. Herr Kollege Heyenn hat den Eindruck erweckt, es mache der Bundesregierung nichts aus, ob etwa 10 000 Arbeitslose mehr oder weniger da wären. Herr Kollege Heyenn, ich darf diese Unterstellung zurückweisen. Die Zielsetzung der Bundesregierung ist es, Arbeitsplätze zu schaffen. Wenn Sie da die Politik beurteilen und wenn Sie allein den Zettel in die Hand nehmen und sich die Statistik vom Mai 1988 ansehen, dann müssen Sie ja feststellen: im Vergleich zum Mai 1987 115 000 Erwerbstätige mehr. Und wenn wir es von 1983 bis 1987 betrachten: 700 000 Erwerbstätige mehr. Herr Kollege Heyenn, 700 000 Erwerbstätige mehr! Hätten wir das nicht, wie sähe die Arbeitslosenstatistik wirklich aus?
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Ich halte es für legitim, daß die Opposition mit ihren Punkten überall angreift, aber dann muß man sachlich und ganz offen auch zugeben: Die Maßnahmen dieser Bundesregierung bedeuten Abbau der Arbeitslosigkeit
({4})
- gleich - und Mehrung der Arbeitsplätze. Es ist genau das, was Herr Kollege Cronenberg gesagt hat: Es geht um mehr Arbeitsplätze, um dem einzelnen wirklich die Möglichkeit eines Arbeitsplatzes zu geben.
Bitte schön.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, zuzugeben, daß wir die Zahl der Arbeitsplätze in der Bundesrepublik, die wir 1980 hatten, heute noch nicht wieder erreicht haben, und wären Sie bereit, die Zunahme der Beschäftigtenzahlen, die Sie hier eingeführt haben, einmal in Relation zu den geleisteten Arbeitsstunden und ihrer Entwicklung in den letzten fünf oder acht Jahren zu setzen?
Gern, Herr Kollege Heyenn. Aber wenn Sie das Jahr 1980 ansprechen, dann darf ich Ihnen schon sagen: Gerade ab dem Jahr 1980 war doch der Marsch in die Arbeitslosigkeit. Und wer trägt für diese Zeit die Verantwortung? Das darf ich auf Ihre Frage sagen.
Ich möchte mich dann dem Kollegen Hoss zuwenden. Herr Kollege Hoss, Sie haben eine Reihe von Maßnahmen genannt und kritisiert. Wenn Sie die Qualifizierungsmaßnahmen ansprechen: Gestern haben wir im Zusammenhang mit dem Problem der Langzeitarbeitslosen doch einen ganzen Tag lang auch diese Maßnahmen diskutiert. Wir haben zwar eine Reihe von Vorschlägen erhalten; es hat aber auch eine Reihe von Wortmeldungen gegeben, die gelautet haben: Die Maßnahmen helfen mit, Arbeitslosigkeit abzubauen. Wenn 351 660 Leute in Qualifizierungsmaßnahmen sind, dann ist die Vermittlung doch eine ganz andere. Wenn wir gegenüberstellen, daß die Hälfte der Arbeitslosen beruflich nicht genügend qualifiziert ist, dann ist es doch eine Antwort der BundesParl. Staatssekretär Höpfinger
regierung und der Bundesanstalt für Arbeit und ein Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit,
({0})
daß man den Leuten die beruflichen Fähigkeiten vermittelt, damit sie auf diese Weise auf einen Arbeitsplatz vermittelt werden können. Das ist meines Erachtens doch eine enorm große Hilfe.
Oder wenn wir uns die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ansehen: Da hat es den Personenkreis getroffen, über den wir gestern ausführlich diskutiert haben. Ich will jetzt nicht alles ansprechen, was wir geleistet haben. Aber daß jetzt nahezu 120 000 Leute in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind und davon ein gewisser Prozentsatz die Chance hat, wieder auf einen echten Arbeitsplatz, einen Dauerarbeitsplatz vermittelt zu werden, ist doch eine Hinführung zum Arbeitsplatz, und das halte ich, vom einzelnen her betrachtet, für auf jeden Fall positiv.
Sie haben auch die Sprachförderung genannt. Da ist im Haushalt 1988 übrigens eine Besserung erfolgt. Zunächst gab es einmal die Verlagerung zur Bundesanstalt für Arbeit. Aber Sie haben ja auch im Zusammenhang mit der Finanzsituation gehört, daß der Bund hier voll in die Deckung geht. Die Ausweitung von acht auf zehn Monate ist meines Erachtens ein enormer Vorteil, weil immer mehr Spätaussiedler kommen, die immer weniger Deutschkenntnisse haben. Dafür können die Leute nichts; das ist die Situation. Darum muß man ihnen stärker helfen.
Wenn die Zahl der Spätaussiedler heuer zunimmt - es wird angegeben, daß es etwa 150 000 sein werden -, dann wird man diesem Personenkreis auch durch die Sprachförderung helfen, damit sie möglichst bald nicht nur bei uns im Lande, sondern auch an einem Arbeitsplatz, den die Leute brauchen, integriert werden können.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Herr Abgeordneter Schreiner, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, da Sie soeben die gestrige Anhörung angesprochen haben, bei der ja zu hören war, daß 57 % der Langzeitarbeitslosen keine abgeschlossene Ausbildung haben, und da Sie auch die Qualifizierungsbemühungen der Bundesregierung angesprochen haben, frage ich Sie, ob Sie zustimmen können, daß wir in den letzten Wochen zahlreiche Signale aus der Bundesrepublik empfangen haben, die da lauten, die gut ausgebildeten Qualifikationsträger würden zunehmend aus dem Markt herausgedrängt, und zwar zugunsten von Leuten, merkwürdigen Gestalten, die zu Dumping-Preisen anbieten und bei denen die Qualität der Wissensvermittlung und der Vermittlung anderer Fähigkeiten in hohem Maße in Frage gestellt wird, also im Ergebnis das Bildungsangebot wie eine Ware behandelt wird, d. h. der zweifelhafte Billigstanbieter bekommt den Zuschlag, und seit Jahren bewährte Träger werden aus dem System herausgedrängt?
Herr Kollege Schreiner, ich kann das nicht beurteilen; mir ist das bis jetzt nicht vorgetragen worden. Ich weiß nur, daß Bildungsträger, die ich kenne, und die sich immer wieder an uns wenden, nicht hinausgedrängt, sondern enorm gefördert werden, weil wir wissen, was auf diesem Wege gerade für beruflich weniger qualifizierte Arbeitslose geschieht. Wir sind auf diese Mitarbeit geradezu angewiesen. Aber wenn es hier konkrete Fälle gibt, dann bitte ich, diese einmal vorzutragen. Vielleicht kann man dann in dieser Hinsicht mit behilflich sein. Denn entscheidend ist ja hier die Bundesanstalt für Arbeit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf mich jetzt noch einmal dem Vorruhestandsproblem zuwenden. Die Vorruhestandsregelung wurde 1984 geschaffen, und sie wurde 1984 gleich zeitlich befristet. Ich glaube, es war damals eine richtige Erkenntnis, daß man so etwas nicht auf Dauer macht. Allerdings muß ich sagen: Auch beim SPD-Antrag ist jetzt eine zeitliche Befristung - bis 1991 - angegeben.
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Wenn wir bei dieser Befristung bleiben, dann deshalb, weil ich glaube - das ist bis jetzt noch nicht angesprochen worden -,
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daß man den älteren Arbeitnehmer nicht aus dem Arbeitsmarkt ausgrenzen darf. Auch der ältere Arbeitnehmer hat ein Recht auf den Arbeitsplatz. Auf die Berufserfahrung des älteren Arbeitnehmers kann im Erwerbsleben nicht verzichtet werden. Das muß man auch an die Adresse der Wirtschaft sagen, wo heute manchmal der Eindruck entsteht, über 50 oder 55 Jahren geht nichts mehr. Der ältere Arbeitnehmer bringt Berufserfahrung, er bringt Fleiß, er bringt Betriebstreue und all diese Dinge mit. Diese sollten bei der Beschäftigung des älteren Arbeitnehmers nicht vergessen werden.
Dann darf ich darauf hinweisen, daß der Ruf nach Fachkräften in mehreren Regionen der Bundesrepublik Deutschland sehr laut ist. Das ist ja mit dem Problem der Arbeitslosigkeit verbunden. Man darf es nicht nur von der Zahl her diskutieren, sondern man muß sagen, welche Personenkreise betroffen sind und wie es in den einzelnen Regionalbereichen aussieht. Man muß also das ganze Problem sehr differenziert diskutieren.
Ich darf einen weiteren Grund angeben: Die demographische Entwicklung wird die Nachfrage nach Arbeitskräften noch sehr, sehr stark und sehr laut werden lassen.
Die Vorruhestandsregelung bedeutete eine Entlastung auf dem Arbeitsmarkt zugunsten der jungen Generation. Der Kollege Cronenberg hat das am Schluß seiner Rede noch aufgezeigt. Die Vorruhestandsregelung war nicht als Entlastung der Arbeitslosigkeit des älteren Arbeitnehmers gedacht, sondern sie war als Generationensolidarität gedacht: Wenn der Ältere früher in den Ruhestand geht, nimmt dafür ein Jüngerer einen Arbeitsplatz ein.
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Unruh?
Bitte.
Sind Sie nicht meiner Meinung, daß wir hier doch nicht von einer zwangsweisen Vorruhestandsregelung reden, sondern von einer freiwilligen?
Ja, sicher. Das steht ja auch im Gesetz. Man hat eine Quotenregelung getroffen, damit keine Überforderung im Betrieb erfolgt - natürlich. Auch eine Zustimmung des Arbeitnehmers muß gegeben sein. Aber darum sagte ich ja auch, Frau Kollegin: Es handelt sich um eine Generationensolidarität: Der Ältere ist bereit, früher in den Ruhestand zu gehen, damit der Jüngere eine Chance hat, einen Arbeitsplatz zu bekommen.
Wenn wir uns das Zahlenbild anschauen: Gut 130 000 ältere Arbeitnehmer sind in den Vorruhestand gegangen, 75 000 jüngere Arbeitnehmer konnten damit einen Arbeitsplatz erhalten.
Dabei möchte ich folgendes hervorheben. Ich möchte nicht die Statistik verschönern. Aber wer über Arbeitslosigkeit diskutiert, muß sich immer das echte Zahlenbild vorhalten. Man muß schon zugeben - ich sage, man sollte es positiv anerkennen - : Die Arbeitslosigkeit unter den Jugendlichen ist merklich zurückgegangen. Im Mai 1988, also in der jetzigen Arbeitsmarktstatistik, 4,8 %. Wir hatten schon 7 %. Das muß man auch sagen. Also: Merklich zurückgegangen!
Und weiter: Die Vermittlung von Jugendlichen gestaltet sich wesentlich einfacher. Die Dauer der Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen unter 20 Jahren beträgt im Schnitt 4,1 Monate, die Dauerarbeitslosigkeit bei bis zu 25jährigen beträgt im Durchschnitt 6,1 Monate, und bei allen Arbeitslosen beträgt sie im Durchschnitt 13 Monate. Also, die jüngeren Leute können wesentlich schneller wieder vermittelt werden. Insofern ist das Argument von 1984 für den Vorruhestand praktisch eingelöst worden durch die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt.
Es ist richtig, daß der ältere Arbeitnehmer von Arbeitslosigkeit stark betroffen ist. Dennoch ist es sinnvoller, den älteren Arbeitnehmer nicht freizusetzen, sondern zu integrieren. Die Lebenserwartung des Menschen nimmt zu. Da darf es doch nicht sein, daß man im Betrieb im Alter von 50 Jahren schon zum alten Eisen gehört. Ich glaube, das ist eine Frage der Humanität. Auch unter diesem Gesichtspunkt sollte man es sehen.
Die Bundesregierung hat wichtige Maßnahmen zur Integration der älteren Arbeitnehmer ergriffen. Ich nenne die Verbesserung der Lohnkostenzuschüsse, die Eingliederungshilfen, die Einarbeitungszuschüsse nach dem Arbeitsförderungsgesetz. Auch der soziale Schutz der älteren Arbeitnehmer wurde verbessert durch die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes bis zu 32 Monaten.
Anzustreben ist ein gleitender Übergang vom Arbeitsleben in den Ruhestand, nicht plötzlich, von heute auf morgen, von der Werkbank auf die Rastbank. Ein gleitender Übergang könnte auch den sogenannten Rentenschock vermeiden. Eine stufenweise Herabsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit für den älteren Arbeitnehmer wäre der bessere Weg zum Ausstieg aus dem Erwerbsleben.
Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben eine Kommission eingesetzt, die alle damit im Zusammenhang stehenden Fragen prüft. Hier darf ich schon sagen: Solange ein Gremium die Arbeit nicht abgeschlossen hat, soll man über das Ergebnis noch nicht urteilen. Die Kommission ist nach wie vor tätig. Ich nehme an, daß die Kommission sehr bald Ergebnisse der Beratungen vorlegen wird. Dabei werden folgende Grundsätze zu beachten sein.
Meine Damen und Herren, ich habe die wesentlichen Züge genannt. Ich sehe auf der Uhr, daß die Zeit abgelaufen ist. Ich habe versucht, aufzuzeigen, als was der Vorruhestand gedacht war, welche Entwicklung der Arbeitsmarkt genommen hat. Von daher die Diskussion über das Auslaufen des Vorruhestandes! Ich bedanke mich für das Zuhören.
({0})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Steinhauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Mir hätte heute morgen bei der Beratung ja auch etwas gefehlt, wenn nicht zunächst wieder die schlechte Lage der Unternehmer hinsichtlich der Lohnnebenkosten vorgebracht worden wäre. Ich frage mich nur: Wie kommt es eigentlich, daß wir einen so hohen Export haben? Da können die Chancen doch nicht so schlecht sein. Wenn Sie Probleme mit der Großindustrie haben, tragen Sie die doch bitte in Ihrem Wirtschaftskreis aus.
({0})
Oder seien Sie für unseren Wertschöpfungsbeitrag! Dann wird auch etwas ausgeglichen.
Mir hätte weiter etwas gefehlt, wenn hier nicht wieder die angeblich nicht arbeitswilligen Arbeitslosen zitiert worden wären. Wir brauchen nicht eine Statistikbereinigung; Arbeitsplätze brauchen wir.
({1})
Wenn ich mir die Statistik zum letzten Monatsende betrachte
({2})
- ich komme darauf; ich weiß, was Sie fragen wollen; Sie haben ja auch keine Fragen mehr zugelassen -, so stelle ich fest, daß diese gegenüber dem Vorjahr ein Plus von 50 000 aufweist.
Frau Steinhauer, ich möchte Sie fragen, ob Sie generell Zwischenfragen zulassen oder nicht zulassen wollen.
Herr Kolb kann fragen, bitte.
Schönen Dank, Frau Kollegin Steinhauer. Wie erklären Sie sich das Phänomen, daß
nach der Untersuchung jetzt schätzungsweise 4,5 Millionen Menschen täglich in Nebenbeschäftigung und nicht in vollen Arbeitsplätzen sind?
({0})
Ja, natürlich, Herr Kolb. Da gibt es die verschiedensten Nebentätigkeiten. Aber Sie waren ja nie bereit, das im öffentlichen Dienst einmal generell zu untersuchen. In dem Bereich liegt nämlich der größte Prozentsatz. Wir könnten einmal darüber reden.
Im übrigen zeigt auch manches, daß der Lohn nicht ausreicht, um in verschiedenen Bereichen überhaupt den Lebensunterhalt zu bestreiten.
Hinzu kommen noch die Arbeitsverträge mit kleinen Bezügen, für die Sie keine Versicherung wollen.
Die Statistik ohne Bereinigung weist in diesem Jahr noch mehr Arbeitslose aus - und das, obwohl Sie an sich gesagt haben, die Arbeitslosenzahl gehe herunter. Der Arbeitsminister - er hat ohnehin nicht mehr Ihr Vertrauen - hat gesagt, er wolle die Arbeitslosigkeit unter die Millionengrenze drücken. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die Massenarbeitslosigkeit wächst weiter. Wir haben gestern die drängenden Probleme der Langzeitarbeitslosigkeit noch einmal vorgetragen bekommen.
Ausgerechnet in dieser Situation stimmen Sie den Abgesang des Vorruhestandes an und denken an Verlängerung der Lebensarbeitszeit, frei nach dem Motto: Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen. Die Bundesregierung und, wie ich heute gehört habe, auch die Fraktionen wollen das Vorruhestandsgesetz auslaufen lassen. Dabei war das eine der vernünftigsten, kostengünstigsten und auch humansten Formen der Lebensarbeitszeitverkürzung.
({0})
- Das stimmt ja nicht. Wir wollten etwas Besseres.
Im Vergleich zu der sogenannten 59er-Regelung, die von allen Arbeitnehmern und Versicherten getragen werden muß, führte sie zu einer besseren Effizienz in der Beschäftigungspolitik.
Wir haben hier gehört: Bis 1987 haben 140 000 Arbeitnehmer diese Vorruhestandsregelung in Anspruch genommen. Das entspricht zwar nicht den ursprünglichen Erwartungen, aber es ist doch so, daß 70 % der Berechtigten die Regelung in Anspruch genommen haben.
Die arbeitsmarktpolitischen Effekte des Vorruhestandes möchte ich nicht herunterspielen. Ohne die Vorruhestandsgesetzgebung und ohne die Tarifvertragsparteien wäre die registrierte Arbeitslosigkeit noch höher. Hinzu kommt - das sage ich auch angesichts der Ausführungen des Staatssekretärs Höpfinger - , daß viele Jugendliche als Folge der Vorruhestandsregelung die Möglichkeit hatten, nach ihrer Ausbildung in ein Arbeitsverhältnis übernommen zu werden.
({1})
Das ist noch heute ein Problem. Es ist zwar nicht mehr ein so großes Problem, aber es ist noch ein Problem.
Unter großem Werbeaufwand haben Sie den Vorruhestand hier seinerzeit propagiert und gemeint, daß eine ungewöhnliche Situation ungewöhnliche Maßnahmen erfordere. Damals wie heute haben wir gesagt, daß wir für die Maßnahme sind, für alle Maßnahmen, die neue Arbeitsplätze schaffen und den Abbau der Arbeitslosigkeit zum Inhalt haben. Daß diese Regelung nun ausgerechnet in einer Zeit, wo uns neue Massenarbeitslosigkeit bedroht, beseitigt werden soll, sehe ich als verantwortungslos an. Das zeigt auch, daß Sie beschäftigungspolitisch nichts tun wollen, daß Sie überhaupt Beschäftigungspolitik aus fiskalischen Gründen ablehnen.
Die Sozialausschüsse und die Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU hatten sich mehrfach für die Fortführung des Vorruhestandes ausgesprochen. Wo sind sie übrigens heute?
({2})
So war es auch am Anfang, als der Bundeskanzler eine von der gesamten Fraktion getragene Entscheidung herbeigeführt hat, eine Kommission einzusetzen, die zusätzliche Beschäftigungmöglichkeiten prüfen sollte. Ich habe gehört, das Prüfen soll noch andauern. Aber wenn ich die Diskussionen heute morgen sehe, meine ich, das Ergebnis ist sehr wohl da. CDU/ CSU und FDP, alle sagen: Die Vorruhestandsregelung wird nicht verlängert. Ich stelle fest: Der Bundesarbeitsminister hat das Vertrauen der Regierungskoalition nicht mehr.
({3})
Er hat nämlich nach einer Zeitungsmeldung vom 21. Mai für den Fall des Scheiterns eigenes Handeln angekündigt. Er will sich an die Spitze einer Bewegung stellen, die die einfache Verlängerung der noch geltenden Vorruhestandsregelung fordert. Wo ist das?
({4})
Das ist wohl längst abgelehnt.
Weiter: Die Länderarbeitsminister haben in einer Sitzung im September 1987 - wenn ich das richtig sehe, hatten Sie da noch die Mehrheit - gefordert,
({5})
daß eine Verbesserung bei der Verlängerung der Vorruhestandsregelung ausgearbeitet werden sollte. Wie ging es aber weiter? Ich sage: Es handelt sich hier um Täuschungsversuche. Frei nach Tucholsky sei gesagt - : Und weiß du nicht mehr weiter, mein Sohn, so bilde eine Kommission. Die Koalition wurde damit zur Gefangenen ihrer eigenen Strategie. Bereits damals, als Sie den Vorruhestand mit großem Trara hier angekündigt haben, war nicht Abbau der Arbeitslosigkeit das Ziel, sondern die Spaltung der Gewerkschaften. Ich erinnere: Damals war die Diskussion um die Verkürzung der Wochenarbeitszeit, die Einführung der 35-Stunden-Woche, auf dem Höhepunkt. Zwischen die Gewerkschaften sollte ein Keil getrieben werden:
auf der einen Seite die Befürworter einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit, auf der anderen Seite die Befürworter der Lebensarbeitszeitverkürzung.
({6})
Offenbar hat der Vorruhestand in dieser Spalterfunktion ausgedient. Wir Sozialdemokraten haben das von vornherein nicht mitgemacht. Wir haben immer gesagt: Sowohl Wochenarbeitsverkürzung als auch Vorruhestandsregelung werden von uns unterstützt. Alles dient der Arbeitslosigkeitsbekämpfung. Dazu hat es noch ein Stück Humanität.
({7})
Denn schauen Sie sich einmal um, gerade wenn Sie immer die Bauindustrie zitieren: Im Alter zwischen 55 und 60 Jahren ist kaum ein Bauarbeiter noch voll arbeitsfähig.
({8})
Sie sind nämlich auf Grund der äußeren Umstände verbraucht.
Der Bundeskanzler und insbesondere der Arbeitsminister, der kürzlich das nochmals so vollmundig gesagt hat, müssen zur Kenntnis nehmen, daß sie ihr Ziel nicht erreicht haben, die Arbeitslosigkeit abzubauen, auch nicht das Ziel, die Diskussion darüber, die Wochenarbeitszeit zu verkürzen, vom Tisch zu bekommen. Beides ist heute nach wie vor unverzichtbar. Wenn nicht beide Instrumente genutzt werden, bleiben die Verlierer von gestern, die Arbeitslosen, die Verlierer von morgen. Die arbeitnehmerfeindliche Politik der Bundesregierung zeigt sich einmal mehr daran, daß sie grünes Licht für den Vorruhestand der Landwirte gibt. Der Vorruhestand der übrigen Arbeitnehmer soll beseitigt werden. Und das ist dann Solidarität mit den Arbeitslosen. Ich kann nur sagen: Welcher Zynismus!
({9})
Es ist schon abenteuerlich, daß die angespannte Finanzlage der Bundesanstalt für Arbeit als Argument gegen das Vorruhestandsgesetz ins Feld geführt wird. Die Nürnberger Kasse leert sich deshalb so schnell, weil die Koalition sie mit Finanzausgaben belastet hat, die an sich in den Bundeshaushalt gehören:
({10})
auch das, was hier erwähnt wurde, vor allem Aussiedlerförderung, etwa Sprachförderung, Umschulung usw. All das haben Sie der Bundesanstalt aufgebürdet. Das bringt die weitere Belastung der Bundesanstalt für Arbeit. Der Bonner Schuldenberg hat auch die Eigenschaft, den Vorruhestand zu begraben. Dabei ließe sich selbst eine nachgebesserte Vorruhestandsregelung noch so gestalten, daß sie immer noch billiger als die Finanzierung von Arbeitslosigkeit ist.
({11})
Nicht von ungefähr hat der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit immer wieder betont, daß es besser ist,
({12})
den Vorruhestand zu fördern und damit das Arbeitslosengeld für die Jüngeren einzusparen.
({13})
Mehr als 2 Millionen Arbeitslose sind das Teuerste, was wir uns als Gesellschaft leisten.
({14})
Solange es in der Bundesrepublik Massenarbeitslosigkeit gibt, führt kein Weg daran vorbei, alles zu tun, um die Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Dazu gehört auch die Verkürzung der Lebensarbeitszeit.
({15})
Es ist besser, für Vorruhestand und Ersatzarbeitsplätze zu sorgen, als sich damit abzufinden, 2 Millionen Arbeitslose zu haben, die eine Arbeitszeit von Null haben.
Es ist schon zynisch, wenn man in der Öffentlichkeit argumentiert, wir hätten einen Mangel an Fachkräften
({16})
und das zwinge zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Auf diese Weise sollen doch die Versäumnisse der Unternehmer und der Regierung bei der Berufsausbildung vertuscht werden. Dies, obwohl sich Tag für Tag Betriebsräte und Gewerkschaften gegen die Aussonderung gesundheitlich angeschlagener und insbesondere älterer Kolleginnen und Kollegen zur Wehr setzen.
Die Bundesregierung ist am Arbeitsmarkt so tätig wie auf dem Warenmarkt. Der Mensch wird als Arbeitsware betrachtet, die je nach Bedarf einmal bis zum 58., ein anderes Mal bis zum 65. Lebensjahr oder länger zum Angebot freigegeben wird. Das geschieht jeweils nach dem gerade herrschenden Kalkül der Unternehmen.
({17})
Die Bedürfnisse und Nöte von Arbeitnehmern und Arbeitslosen spielen dabei keine Rolle. Das ist regierungsamtliche Politik, das ist die Folge der Wende.
Für uns Sozialdemokraten sind die Sorgen der Menschen nicht Objekte, sondern sie sind Anlaß zum schnellen Handeln. Wir wollen durch die Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes Klarheit für die Tarifvertragsparteien. Diese bringt unser Gesetzentwurf. Wir haben aber ausdrücklich betont, daß wir nicht eine bloße Verlängerung wollen, sondern auch eine Verbesserung. Wir wollen insbesondere eine Verbesserung der Zuschußleistung für die Wiederbesetzung des Arbeitsplatzes. Ferner wollen wir eine generelle Einkommensteuerfreiheit für das Vorruhestandsgeld.
Durch die Verlängerung des Vorruhestandes würde auch die notwendige Zeit für die Erarbeitung weitergehender Lösungen gewonnen. Wir müssen dafür sorgen, daß alle Menschen in unserer Gesellschaft die Möglichkeit haben, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen. Ich denke, Herr Kolb, Sie werden auch noch einmal die Aussagen von gestern - insbesondere die der Vertreter der beiden großen Kirchen - durchlesen.
({18})
Ich hoffe, daß trotz der Diskussion heute morgen in der Sache noch nicht das letzte Wort gesprochen ist.
({19})
Insbesondere sind die CDA-Mitglieder dieses Hauses gefordert. Ihre Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel.
({20})
Die Glaubwürdigkeit ist mal wieder in Frage gestellt. Sonntagsreden nützen da nichts; es nützt auch nichts zu sagen, man gehe an die Spitze der Bewegung. Taten sind gefragt.
({21})
Nun wird es darauf ankommen, ob Sie den Mut haben, eine große Koalition der Vernunft für den Vorruhestand einzugehen und seine Verlängerung hier in diesem Hause praktisch mit durchzusetzen. Das ist auch ein Härtetest für die politische Glaubwürdigkeit gerade der CDA und ihrer politisch Tätigen in diesem Hause.
Ich danke Ihnen für das Zuhören.
({22})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schemken.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Vorruhestand war. im Jahr 1984 als ein Instrument gedacht,
({0})
um mit flexiblen Lösungen auf das Problem der Arbeitslosigkeit einzugehen. Die SPD setzte damals voll auf die Verkürzung der Wochenarbeitszeit.
({1})
Die Zahl der Vorruheständler liegt bis heute bei 120 000. Sie können gleich noch manches andere belegen, weil ich noch einiges nachzufragen habe. Die Zahl der Wiederbesetzung neuer Arbeitsplätze lag bei 70 000. Man weiß, daß nur wenige Tarifpartner von diesem Gesetz Gebrauch machten. Das zeigt, daß insbesondere große Einzelgewerkschaften nicht bereit waren, diesen Weg zu gehen. Wir haben das bedauert. Sie haben sich in die Front dieser Gegner eingereiht, sich damals sozusagen an die Spitze der Gegner dieses Vorruhestandsgesetzes gesetzt. Sie haben damit Unsicherheit und Ablehnung in die Tarifpartnerschaft hineingetragen.
Es ist deshalb schwer - nehmen Sie uns das bitte nicht übel -, Ihnen das, was in Ihrem Gesetzentwurf steht, abzunehmen. Dies ist ein Stück blanker Opportunismus: damals so, heute so.
({2})
Die Glaubwürdigkeit, Frau Steinhauer, steht bei Ihnen und nicht bei uns auf dem Spiel.
({3})
Vielleicht ist es ganz gut, daß ich in diesem Zusammenhang, da Sie mich anmahnen, daß ich mich schämen soll, dann doch zu diesem Flugblatt Stellung nehme - Herr Kolb hat dies soeben zum Ausdruck gebracht - : Wir sind durch Herrn Dreßler aufgefordert worden, dieses Flugblatt vorzulegen. Das Flugblatt weist auf eine Veranstaltung vom 27. Februar 1986 hin - ein sehr „junges" Flugblatt! - : „Frauen, stürmt die Arbeitsämter und meldet euch arbeitslos! " Eine weitere Schlagzeile: „Boxen Sie sich in die Arbeitslosenstatistik! " Unterstüzer: SPD-Ortsverein Barsinghausen, Vorstand der Jungsozialisten Barsinghausen und auch die GRÜNEN von Barsinghausen in versammelter Brüderlichkeit.
({4})
Herr Abgeordneter Schemken, wir haben jetzt drei Wünsche nach Zwischenfragen.
Ja, bitte schön.
Sie genehmigen also alle drei Zwischenfragen?
Wenn es auf die Zeit nicht angerechnet wird, alle drei; dann ist es aber gut.
({0})
von der Wiesche ({1}) : Herr Kollege Schemken, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich in der Diskussion um das Vorruhestandsgesetz 1984 für meine Fraktion und für mich hier von diesem Pult aus deutlich gemacht habe, daß die SPD sowohl die Wochenarbeitszeitverkürzung als insbesondere auch den Vorruhestand als geeignete Mittel angesehen hat, um Arbeitslosigkeit zu bekämpfen?
({2})
Sie haben damals dieses Gesetz so belastet, daß es unmöglich gewesen wäre, es einzurichten: Sie wollten die Rente besserstellen,
Sie wollten die Bundesanstalt höher belasten, und jetzt kommen Sie erneut mit weiterer Steuerfreiheit.
({0})
- Ja, doch, das ist die Frage. Ich kann natürlich jetzt sagen: Ich bin für etwas, stelle aber solche Forderungen an die Sache, daß die Durchführung unmöglich gemacht wird. Sie haben damals mit diesen Forderungen die Sache unmöglich gemacht, und damit haben Sie sich gegen das Gesetz gestellt,
({1})
das heute von Ihnen hier zur Diskussion gestellt wird.
Zweite Zwischenfrage, bitte sehr, Herr Abgeordneter Urbaniak.
Herr Kollege Schemken, können Sie sich daran erinnern, daß, als wir in der öffentlichen Anhörung die Experten zu Rate gezogen haben, welche Gesetzesvorlage über den Vorruhestand zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wirklich durchschlagend sei, fast ausschließlich geantwortet wurde, dies ginge nur mit der Vorlage der sozialdemokratischen Fraktion? Können Sie mir das bestätigen?
Das kann ich Ihnen im Moment nicht bestätigen. Ich kann mir nicht vorstellen,
({0})
- nein, Herr Dreßler - , daß ausnahmslos alle in der Anhörung Befragten dies erklärt haben sollen.
({1})
Eine weitere Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Unruh.
Sind Sie nicht meiner Meinung, daß gerade dieses rosa Blättchen der SPD
- ausnahmsweise bin ich einmal dafür, daß auch die GRÜNEN da mitgemacht haben - z. B. einer Mutter mit zwei Kindern eine Aufklärung gibt: Mutter, melde dich, wenn du arbeiten willst; Mutter, hüte dich aber, zu sagen, daß du zwei Kinder hast; denn dann sagt der Herr Sachbearbeiter - ich nehme an, Sie wissen das - : Wie bringen Sie Ihre Kinder unter? Also müßten Sie es eigentlich sehr begrüßen, daß wir solche Aufklärungsarbeit für sehr wichtig halten. Sie sind doch sicher meiner Meinung, daß auch Frauen und Mütter durch solche Aufklärung in die bezahlte Arbeit hineinkommen können.
Ich bin mit Ihnen einer Meinung, daß man sich um jedes Einzelschicksal zu kümmern hat. Ich würde das vor Ort im Arbeitsamt für eine solche Mutter erledigen. Sehr wahrscheinlich werden Sie das auch so wie ich tun. Ich würde aber keine Frau dazu anhalten, zu boxen und zu stürmen.
({0})
Was 1984 für die 80er Jahre galt, ist heute in einem anderen Zusammenhang zu sehen, auch im Hinblick auf die Situation des Arbeitsmarktes. Wir haben es sozusagen mit einer fortgeschriebenen Situation zu tun. Vielleicht sehen die Tarifpartner das auch so. Sie müssen sich doch einmal fragen, warum in diesem Jahr nicht weitere Verträge abgeschlossen werden. Das ist ja noch bis zum 31. Dezember 1988 möglich. Wieso geschieht das nicht? Anscheinend sehen die Tarifpartner das auch so, Und Sie haben sie ja nicht gerade ermuntert. Das zeigt diese Diskussion, das zeigen auch die letzten Zwischenfragen.
Jungen Menschen sollte damals nachhaltig geholfen werden, indem ältere Erwerbstätige den Arbeitsplatz räumten und junge Erwerbslose in die frei werdenden Arbeitsplätze einrückten. Das konnte nur durch eine bessere Qualifikation geschehen.
Herr Hoss, Sie sind einer der ganz wenigen, die in der Fraktion der GRÜNEN dialogfähig sind.
({1})
Aber wenn Sie sagen, es werde zu wenig bei den Qualifizierungsmaßnahmen getan, dann ist das falsch; denn von 1984 bis heute haben wir die Zahl mindestens verdoppelt.
({2})
- Es wird nicht gekürzt. Es steigt sogar an. Es wird im Augenblick auf hohem Niveau umgeschichtet.
Wenn wir jetzt über flexible und gleitende Lebensarbeitszeiten reden, müssen wir auch bereit sein, über Formen zu reden. Der Hauptgrund dafür, daß wir in dieser Frage nicht weiterkommen, ist doch der, daß wir uns immer wieder blockieren.
({3})
- Nein, wir tun es; ich komme gleich noch darauf zu sprechen. - Die Unzulänglichkeit der Vorschläge zur Verkürzung der Arbeitszeit liegt einfach darin, daß jeder für seinen Vorschlag immer einen Absolutheitsanspruch erhebt. Wir sind nicht bereit, jenseits der Parteigrenzen flexibel miteinander umzugehen und auch flexibel zu reagieren. Das ist das Problem.
({4})
Oft werden nur Hochrechnungen gemacht - das stellen wir doch fest - , die fernab jeder Wirklichkeit sind. Die Härte der Arbeitslosigkeit ist eben nicht von der Höhe der Arbeitslosenzahl abhängig, sondern von ihrer Dauer. Das müssen wir doch einmal sehen. Wir haben das doch gestern in voller Breite in der Anhörung gehört.
({5})
- Bitte hören Sie doch einmal zu.
Gerade die Anhörung der Kirchen und Verbände gestern hat mir vieles gegeben. Das sollte nicht im Lärm untergehen. In der Anhörung ist viel von Solidarität geredet worden. Ja, dann sollten wir einmal solidarisch sein mit den Arbeitslosen und ihren Familien. Ich sage Ihnen: Dazu gehört der bewußte Verzicht auf zusätzliches Einkommen zugunsten der ErSchemken
werbslosen. Das sollte man von jedem ernsthaft fordern.
({6})
Ein weiterer Punkt: Das schließt auch eine Umstellung von Voll- auf Teilzeitbeschäftigung ein. Dieses Angebot einer flexiblen Arbeitszeit wollen wir ebenfalls in einem Paket beraten.
Ich muß auch noch einmal sagen - damit das klar ist, Herr Heyenn - : Ursprünglich war an den März gedacht. Aber dieser Termin ist schon, als die Vorlage erarbeitet wurde, korrigiert worden. Wir haben damals gesagt: alsbald. Es ist eine komplizierte Materie.
({7})
- Ich komme gleich noch dazu. Sie haben eine falsche Vorlage.
({8})
- Ich möchte erst einmal etwas zur Sache sagen. Ich komme gleich noch darauf zurück.
Überstunden könnten zugunsten auch befristeter Neueinstellungen abgebaut werden. Aber dann müssen Sie auch einmal bereit sein, mit uns über diese befristeten Neueinstellungen zu sprechen. Sie dürfen in diesem Zusammenhang nicht immer das Argument der tariflichen Situation vorbringen, was sicherlich berechtigt ist. Darüber kann man reden. Schwarzarbeit ist als Ausdruck - das sage ich ausdrücklich - nicht nur mangelnder Solidarität, sondern verfehlter Solidarität zu bekämpfen und zu verfolgen.
({9})
- Entschuldigen Sie vielmals, Frau Unruh. Wir sollten hier keinen Berufsstand nennen, sondern wir sollten alle ansprechen, die dieser schlimmen Erwerbstätigkeit nachgehen und anderen die Möglichkeit nehmen, Arbeitsplätze zu bekommen.
({10})
Nun müssen wir aber auch die finanzielle Lage der Sozialsysteme und auch die Belastung,
({11})
die Erhöhung der Lohnnebenkosten sehen. Herr Dreßler, Sie sprechen doch in diesen Tagen über die Rente, was ich über alle Grenzen hinweg einmal sehr begrüße. Wir wissen auf Grund der demographischen Hochrechnungen - wir wissen, daß demnächst 114 Erwerbstätige für 112 Rentner arbeiten; im Moment sind es noch 112 Erwerbstätige für 50 Rentner - , daß wir in Zukunft diese Sozialsysteme bei dieser demographischen Verwerfung nicht weiter belasten können.
Das gleiche gilt auch für die weitere Steigerung der Lohnnebenkosten wegen des Wettbewerbs, der ja wichtig ist, der ja durchgehalten werden will, wenn Arbeitsplätze gesichert sein sollen und auch Mehrung der Arbeitsplätze möglich gemacht werden soll. Dies wollen wir hier doch einmal offen und ehrlich sagen. Es hat doch keinen Sinn, diese Dinge einfach wegzuwischen.
Die Möglichkeiten, die sich jetzt in unseren gemeinsamen Verhandlungen zwischen CDU/CSU und FDP bieten, sind die, daß wir über neue Rahmenbedingungen sprechen möchten, daß wir einiges ausloten möchten. Daß dies ein komplizierter Vorgang ist, ist klar; denn es handelt sich ja nicht um den normalen Fall des Ruhestandes. Wir müssen hier in der Tat über weitere, auch differenziertere Wege nachdenken,
({12})
zusätzliche Möglichkeiten ausloten, prüfen, wie wir in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit weiter vorankommen. Dies ist unser ausdrückliches Ziel. Die Erfolge sind am Arbeitsmarkt abzulesen. Herr Staatssekretär Höpfinger hat das hier soeben noch einmal deutlich mit Zahlen belegt.
Dies liegt im übrigen auf der Linie von Dr. Blüm, von unserem Minister, auf den wir im übrigen stolz sind; den lassen wir auch nicht im Regen stehen. Wenn er etwas sagt, dann versucht er auch, es durchzuboxen. Vielleicht aber - das möchte ich abschließend sagen - sollte uns der Appell der Kirchen, den wir gestern aus der Diskussion mitgenommen haben
- das sage ich auch einmal ganz offen -, dem Schicksal der Arbeitslosigkeit nachzugehen, in den Beratungen, die jetzt folgen, doch zu einer gewissen Gemeinsamkeit zusammenführen.
({13})
- Herr Dreßler, es wird ja hier gesagt. Warum sagen Sie sofort wieder, daß der andere anfangen muß?
({14})
Bei Gemeinsamkeit und Dialogfähigkeit werden beide Seiten angesprochen. Dies sollten wir bei den Beratungen im Sinne der Betroffenen auch wirklich zu erreichen versuchen. Ich glaube, wir tun damit den Familien, die darunter leiden, einen großen Dienst, und wir würden auch im Sinne der gestrigen Anhörung wirklich einmal ein Zeichen setzen.
Ich möchte mich herzlich bedanken.
({15})
- Der Termin wird in Kürze sicherlich zu einem Abschluß geführt. Wir wollen eine gründliche Beratung, weil es sich hier um ein sehr differenziertes Thema handelt. Das Geschrei am heutigen Morgen - das muß ich auch einmal sagen -, das der Sache nicht gerecht geworden ist, zeigt, daß es falsch ist, kurzatmig zu handeln. Wir sollten gründlich handeln und sollten dann zu einer guten Vorlage kommen.
({16})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Nach einer interfraktio5568
Vizepräsident Stücklen
nellen Vereinbarung wird der Tagesordnungspunkt 5 nach der Mittagspause aufgerufen.
Der Ältestenrat schlägt zu dem Tagesordnungspunkt, den wir eben behandelt haben, vor, den Gesetzentwurf den Ausschüssen zu überweisen, die in der Tagesordnung ausgedruckt sind. Gibt es dazu weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Meine Damen und Heren, ich habe Ihnen noch eine kurze Mitteilung zu machen. Der Tagesordnungspunkt 5 - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Überstundenabbau - konnte heute vormittag nicht mehr behandelt werden. Deshalb schlägt der Ältestenrat vor, diesen Tagesordnungspunkt nach der Aktuellen Stunde und den daran anschließenden Abstimmungen zu den Tagesordnungspunkten ohne Debatte gegen 16.45 Uhr zu behandeln. Das Haus ist damit einverstanden? - Ich bedanke mich.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf. Fragestunde
- Drucksache 11/2401 Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Stroetmann zur Verfügung. Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Fischer ({0}) auf:
Wie vereinbart sich die Feststellung des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und der Reaktorsicherheitskommission ({1}) - laut „Saarbrücker Zeitung" vom 19. Mai 1988 -, eine massive Bildung von Wasserstoff in deutschen Kernkraftwerken sei bloß hypothetisch ({2}), mit Bundesminister Dr. Töpfers eigener Aussage, ebenfalls laut „Saarbrücker Zeitung" vom 19. Mai 1988, daß der Sicherheitsstandard deutscher und französischer Kernkraftwerke vergleichbar sei?
Herr Abgeordneter, Bundesminister Töpfer hat in der Pressekonferenz vom 18. Mai 1988 darauf hingewiesen, daß es sich nicht um Sicherheitsmängel oder die Betrachtung von Auslegungsstörfällen handelt. Vielmehr wird auch im Rausch-Bericht eine Wasserstoffexplosion als hypothetisch schwerer Störfall bezeichnet. Der Rausch-Bericht schlägt deshalb vor, die Untersuchungen zu diesem Problemkreis zu intensivieren. Dieses Problem stellt sich in deutschen Druckwasserreaktoren in vergleichbarer Weise. Die Reaktorsicherheitskommission hat am 21. Oktober 1987 im Zuge der Sicherheitsüberprüfung der deutschen Kernkraftwerke nach Tschernobyl empfohlen, die entsprechenden Untersuchungen und Versuche voranzutreiben.
Da es sich - auch dies ist vom Minister in der Pressekonferenz so dargelegt worden - um hypothetische Ereignisse handelt, ist die Sicherheit nicht in Frage gestellt. Die Aussage des Ministers über die unverändert fortbestehende Vergleichbarkeit der Sicherheit deutscher und französischer Kernkraftwerke bleibt daher bestehen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fischer.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie den Widerspruch zwischen Ihrer Antwort und dem, was im Rausch-Gutachten steht? Ich zitiere: „Die Eliminierung des Wasserstoffs, der derzeit in einigen Reaktoren eingesetzt ist, kann für 60 bis 200 Kubikmeter pro Stunde erfolgen. Dies ist ungenügend. Aktivere Katalysatoren in Form von katalytischem Pulver sind sehr umstritten."
Herr Abgeordneter, ich habe ja schon darauf hingewiesen, daß es sich um eine hypothetische Betrachtung handelt. In Verfolg einer Verbesserung der Sicherheit der Kernkraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland wie in Frankreich beziehen wir auch solche hypothetischen Betrachtungsweisen in die Überlegungen mit ein. Was Sie darstellen, ist die Ursache, nicht die Folgerung, die aus dem Rausch-Bericht zu ziehen ist. Der Rausch-Bericht hat ausdrücklich gesagt: Hier sind die Untersuchungen zu intensivieren. Insoweit ist dies in der Bundesrepublik völlig gleichlautend zu betrachten.
Zweite Zusatzfrage? - Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, können Sie uns vielleicht einmal erklären, warum SCSIN - das ist der Zentrale Strahlenschutzrat - empfohlen hat, Studien zu vergeben, die u. a. folgendes untersuchen sollen: Einsatz von Robotern nach einem schweren Unfall, Möglichkeit der Kühlung eines beschädigten Kerns, Durchbruch einer Fundamentplatte und Folgen eines schweren Unfalls eines Graphitgasreaktors? Hat er dies getan, weil er von der Sicherheit der französischen Kernkraftwerke überzeugt war oder weil er nur hypothetisch überzeugt war?
Herr Abgeordneter, es liegt in der Natur von Sicherheitsüberlegungen, daß sie eben auch hypothetische Ereignisse mit in Betracht zu ziehen versuchen und aus Vorsorgegründen auf das eigentlich Undenkbare vorbereiten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner.
Herr Staatssekretär, es tut mir leid: Wenn der Begriff „hypothetisch" einen Sinn macht, heißt das doch wohl, daß ein solcher Störfall zwar nicht wahrscheinlich, aber denkbar ist. Wie kann man bei einer solchen Begriffsbestimmung denn die Schlußfolgerung ziehen, die soeben von Ihnen zitiert worden ist, die Herr Bundesminister Töpfer in dem
Sinne gezogen hat, daß die Sicherheit nicht gefährdet sei?
Herr Abgeordneter, nicht alles, was denkbar ist, hat auch eine Eintrittswahrscheinlichkeit. Bei dem hier beschriebenen hypothetischen Ereignis müssen mehrere Voraussetzungen gleichzeitig gegeben sein: Es müssen a) die Annahme einer mindestens schweren Kernschmelze und b) der Ausfall sämtlicher Sicherheitsvorkehrungen gegeben sein. Dies ist abstrakt zwar denkbar, aber in der Wahrscheinlichkeit außerordentlich gering.
Ich rufe die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Fischer ({0}) auf:
Bewertet Bundesminister Dr. Töpfer die Ergebnisse der Rausch-Studie, denen zufolge ein Unglück in der Art von Tschernobyl in Frankreich durchaus möglich wäre, ebenfalls als nur hypothetisch?
Der Rausch-Bericht, Herr Abgeordneter, enthält keine Aussage, daß ein Unglück in der Art von Tschernobyl in Frankreich durchaus möglich wäre. Insoweit ist es richtig, daß die Überlegungen über eine solche Möglichkeit als hypothetisch bewertet werden können.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung denn die Forderung im Rausch-Bericht, die älteren Kernkraftwerke abzuschalten, was durch die Überkapazitäten des französischen Nuklearparks möglich sei?
Herr Abgeordneter, es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, Forderungen eines Berichtes, den die dafür zuständige französische Regierung selbst noch nicht bewertet hat, im Vorgriff zu bewerten.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fischer.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß das Saarland und Gemeinden und Städte aus Rheinland-Pfalz und Luxemburg vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt haben und ihnen jetzt vom Generalanwalt bestätigt worden ist, daß die französischen Behörden gegen Art. 37 Euratom-Vertrag verstoßen haben? Warum hat sich die Bundesregierung nicht entschieden, dieser Klage beizutreten?
Herr Abgeordneter, ich unterstelle einmal den Zusammenhang am Beispiel der Tatsache, daß es sich hier um das Kernkraftwerk Cattenom handelt.
({0})
Die Aussagen des Generalanwalts sind nicht das Urteil des Europäischen Gerichtshofes. Das Urteil bleibt abzuwarten, ist in seinen einzelnen Urteilsbegründungen zu prüfen. Schon heute aber scheint erkennbar zu sein, daß dies - selbst einmal unterstellt, der Verfahrensverstoß gegen Art. 37 Euratom-Vertrag
läge vor - ein Verfahrensfehler ist, der die Sicherheit der Anlage in keiner Weise beeinträchtigt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner.
Herr Staatssekretär, wenn Sie den Begriff des hypothetischen Störfalls, bezogen auf die denkbare Explosion von Wasserstoff, als so unwahrscheinlich definieren, daß Sie gleichzeitig zu der politischen Schlußfolgerung kommen, die Sicherheit der Reaktoren sei nicht in Frage gestellt: Wie ist dann der Widerspruch zu erklären, daß gleichermaßen nach Ihren eigenen Aussagen die Reaktorsicherheitskommission just diesen Fragen nachgehen soll, wenn, wie mehrfach von Ihnen gesagt worden ist, die Sicherheit nicht in Frage gestellt ist? Ist die Sicherheit dann doch in Frage gestellt, oder ist das eine Beschäftigungstherapie für die Reaktorsicherheitskommission?
Herr Abgeordneter, es ist weder das eine noch das andere. Ich bin mir darüber im klaren, daß es immer mit gewissen Schwierigkeiten verbunden ist, in der Öffentlichkeit und anderswo deutlich zu machen, daß Sicherheit ein dynamischer Prozeß ist. Das heißt, immer dann, wenn wir darüber nachdenken, wie weiterführende Sicherheitsmaßnahmen auf einen hohen Sicherheitsstandard aufgesetzt werden, wird die Frage entstehen, ob es vorher unsicher war. Dies ist aber expressis verbis nicht der Fall. Nur, wenn wir umgekehrt verfahren würden, müßten wir einen Sicherheitsstandard als ein statisches Element betrachten, das neuen Überlegungen nicht zugänglich ist.
({0})
Ich rufe die Frage 17 der Frau Abgeordneten Wollny auf:
Für welche Behältertypen existiert eine Genehmigung zur Langzeitlagerung von abgebrannten Brennelementen, und zu welchem Zweck wurde ein TN 900 Behälter im Winter in das Transportbehälterlager Gorleben transportiert?
Frau Abgeordnete, eine - auf maximal 40 Jahre begrenzte - atomrechtliche Genehmigung zur Aufbewahrung bestrahlter Brennelemente aus Leichtwasserreaktoren existiert für nachfolgende Behälter vom Typ Castor: Castor I a, Castor I b, Castor I c, Castor II a. Für den Behältertyp TN 900 wurde eine atomrechtliche Genehmigung beantragt. Das Genehmigungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Ein leerer und unbenutzter Behälter vom Typ TN 900 befindet sich derzeit zur Erprobung von Handhabungseinrichtungen im Brennelementzwischenlager Gorleben.
Zusatzfrage, Frau Wollny.
Wer hat wann die Genehmigung für den Dauerbetrieb der Behälter gegeben, und welchen Anforderungen mußten oder müssen die Behälter im einzelnen entsprechen?
({0})
Frau Abgeordnete, ich kann Ihnen im Augenblick nicht das Datum sagen, zu dem die Genehmigungsbescheide für die Behälter ausgestellt sind. Die Genehmigungsbehörde ist die Physikalisch-Technische Bundesanstalt. Die Behälter werden unter einer Vielzahl unterschiedlicher Parameter auf ihre Zulassung geprüft. Darunter sind - um die wichtigsten zu nennen - die Dichtheit, der Innendruck, die Auswirkungen der Temperatur der abgebrannten Brennelemente, die Gasbildung und die Restfeuchte.
Die zweite Zusatzfrage, bitte.
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß beim heißen Test eines Castors vom Typ I a in Jülich dieser geöffnet werden mußte, um eine unerwartet hohe Restfeuchte im Behälter durch Nachtrocknen zu entfernen?
Die Bundesregierung kann dies bestätigen, Frau Abgeordnete, weist aber darauf hin, daß es sich in diesem Fall um einen technischen Fehler bei der Beladung und anschließenden Trocknung handelt. Die für die Beladung der Behälter geltenden Prüfvorschriften und Arbeitsanweisungen sind daraufhin neu gefaßt worden und schließen aus, daß ähnliches wieder vorkommt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sellin.
Welche Gründe haben die Bundesregierung bewogen, die Betreiber der Atomkraftwerke aufzufordern, doch endlich die Anträge zur Génehmigung der Reparatur von defekten Castor-Behältern zu stellen, wie von Minister Töpfer auf der Jahrestagung „Kerntechnik" in Travemünde geschehen, und wie erklärt sich die Bundesregierung das Nichthandeln der meisten Betreiber bis zum heutigen Tag?
Herr Abgeordneter, ich bin in dieser Frage überfragt. Ich bin gern bereit, Ihnen die Antwort schriftlich nachzureichen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Saibold.
: Reicht es nach Ansicht der Bundesregierung für die Betriebsgenehmigung für das Transportbehälterlager Gorleben aus, wenn die einlagernden Atomkraftwerke lediglich einen Antrag zur Genehmigung der Reparatur und Aufnahme defekter Castor-Behälter gestellt haben, oder müssen die diesbezüglichen Genehmigungen effektiv vorliegen, bevor mit der Einlagerung begonnen werden kann?
Frau Abgeordnete, die Einlagerung von befüllten Brennelementebehältern in das Zwischenlager Gorleben ist von der Erteilung sämtlicher dafür erforderlicher atomrechtlicher Voraussetzungen abhängig.
({0})
- Das Brennelementelager wird nach § 6 Atomgesetz grundsätzlich für die Aufnahme solcher Behälter genehmigt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wüppesahl.
Sind weitere Tests für den Dauerbetrieb dieser Behälter erforderlich, und wann ist mit dem Abschluß und den Ergebnissen zu rechnen, falls weitere Tests erforderlich sind?
Herr Abgeordneter, ich habe eben darauf hingewiesen, daß es für die vier Castor-Behälter eine Genehmigung gibt und daß sich der eine Behälter TN 900, der ein Konkurrenzprodukt ist, noch im Genehmigungsverfahren befindet. Das Genehmigungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.
Wann ist mit den Ergebnissen zu rechnen?
Das ist eine zweite Frage, aber stellen Sie sie.
Nein, das war die Frage. Sie ist nicht beantwortet worden, deswegen noch einmal.
Der Behälter TN 900 wird im Augenblick von der Bundesanstalt für Materialprüfung einer Prüfung unterzogen. Es ist nicht möglich, Zeiträume für den Abschluß einer Prüfung vorauszusagen, die mit hoher Sorgfalt zu erfolgen hat.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Unruh.
Welche Gründe haben die Bundesregierung bewogen, die Betreiber der Atomkraftwerke aufzufordern, doch endlich die Anträge zur Reparaturgenehmigung von defekten Castor-Behältern zu stellen, wie es Minister Töpfer auf der Jahrestagung „Kerntechnik" in Travemünde getan hat, und wie erklärt sich die Bundesregierung das Nichthandeln der meisten Betreiber bis zum heutigen Tag?
Frau Abgeordnete, ich habe, wenn ich mich richtig erinnere, auf eine wortgleiche Frage des Herrn Abgeordneten Sellin gesagt, daß ich im Augenblick überfragt bin, aber gern bereit bin, dies nachzureichen.
Ich rufe Frage 18 der Abgeordneten Frau Wollny auf:
Wie hoch sind die Ausfallkosten, die seit dem durch den Unfall am 12. Mai 1987 verursachten Stillstand am Endlagerbau Gorleben entstanden sind, und wer muß nach Ansicht der Bundesregierung für die Ausfallkosten aufkommen?
Frau Abgeordnete, die Stillstandskosten am Erkundungsbergwerk Gorleben belaufen sich nach Angaben der PhysikalischTechnischen Bundesanstalt und der Gesellschaft für den Bau und Betrieb von Endlagern auf rund 3,25 MilStaatssekretär Stroetmann
lionen DM je Monat. Die Frage, wer für diese Ausfallkosten aufkommen muß, wird zur Zeit geprüft.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Wollny.
Wer kommt für die Kosten der Konzeptentwicklung für die neue Art des Schachtausbaus für das Endlager auf, und hält die Bundesregierung weitere Kosten und Investitionen für verantwortbar?
Frau Abgeordnete, die im Zusammenhang mit der Vorbereitung eines Endlagers entstehenden Kosten werden gemäß der Endlagervorausleistungsverordnung erhoben und auch in diesem Falle dafür eingesetzt.
Die Bundesregierung hat in ihrem Entsorgungsbericht, den sie im Januar dem Parlament zugeleitet hat, darauf hingewiesen, daß sie unverändert der Auffassung ist, daß Endlager in der Bundesrepublik Deutschland betrieben werden müssen. Sie hält an dieser Auffassung fest.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete? - Bitte.
Wann ist mit der Fertigstellung des neuen Konzepts und mit dem Weiterbau zu rechnen?
Die Fertigstellung des neuen Konzepts hängt davon ab, wie rasch die Klärung der Ursachen des Schachtunglücks in Gorleben zu Ende gebracht werden kann. Dies bedarf einer sorgfältigen Prüfung. Ein Zeitrahmen dafür kann im Augenblick nicht angegeben werden.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Saibold, bitte.
Hält es die Bundesregierung für vertretbar, daß weiterhin die beteiligten Institutionen und Firmen wie PTB und DBE, die das Endlager betreiben und laut Gutachten der BGR für den Schachteinbruch im Mai 1987 verantwortlich sind und gegen die die Staatsanwaltschaft ermittelt, für den weiteren Bau und den Betrieb des Endlagers verantwortlich sind?
Frau Abgeordnete, das Gutachten der BGR hat Bundesumweltminister Töpfer dem Ausschuß und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Er hat dabei darauf hingewiesen, daß es sich um ein geowissenschaftliches Gutachten handelt, das einer weiteren bergwissenschaftlichen Prüfung bedarf. Ich bin heute weder in der Lage, einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren vorzugreifen,
({0})
noch imstande, die Ergebnisse der durchzuführenden Untersuchungen vorwegzunehmen.
Ich bitte nur darum, wirklich immer den Bezug zur Frage herzustellen.
({0})
Bitte, Herr Abgeordneter Sellin.
Sieht sich die Bundesregierung im Rahmen der Neukonzeption genötigt, in diese Neukonzeption alternative Standorte einzubeziehen?
Herr Abgeordneter, ich darf auch hier auf den Entsorgungsbericht der Bundesregierung und auf die in jüngster Zeit wiederholten Stellungnahmen verweisen. Eine Prüfung von Alternativstandorten hält die Bundesregierung derzeit weder für nützlich noch für erforderlich.
Ich rufe Frage 19 des Herrn Abgeordneten Pauli auf:
Welche Gründe waren dafür maßgebend, daß das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in einem Schreiben an den Bundesminister der Finanzen vom 13. Oktober 1987 die Unternehmensgruppe Ernst & Kaaf für den geplanten Bau des Bundesministeriums favorisierte, obwohl um ca. 50 Millionen DM kostengünstigere Angebote der Firmen „Hoch-Tief" und „Strabag" vorlagen?
Es trifft nicht zu, daß am 13. Oktober 1987 weitere Angebote für den Neubau des Ministeriums vorlagen. Weitere Angebote von Mitbewerbern gingen vielmehr erst am 15. Oktober bzw. am 20. Oktober 1987 im Bundesumweltministerium ein, als das in der Frage herangezogene Schreiben vom 13. Oktober bereits verschickt war. Bei diesen nachgereichten Angeboten handelte es sich allerdings im Unterschied zum Angebot der genannten Unternehmensgruppe um unverbindliche Grobschätzungen, die weiterer Konkretisierung bedurften und teilweise keinen Grundstücksanteil enthielten.
Mit Schreiben vom 13. November 1987 hat der Bundesumweltminister, nachdem zuvor eine erste Konkretisierung erfolgt war, den Bundesbauminister und den Bundesfinanzminister vom Vorliegen insgesamt dreier Angebote unterrichtet, die unter Beteiligung des Bundesfinanzministers auf Arbeitsebene näher zu prüfen seien. Zur beabsichtigten Prüfung der drei Angebote kam es nicht mehr, weil sich die beteiligten Bundesressorts Anfang Dezember 1987 darauf verständigten, den Neubau des Ministeriums durch die staatliche Bauverwaltung auf einem bundeseigenen Grundstück errichten zu lassen. Der Weg über einen privaten Bauträger wurde daher nicht weiterverfolgt.
Es war das ausschließliche Ziel des Schreibens vom 13. Oktober 1987, noch für den Haushalt 1988 die grundsätzlichen Voraussetzungen für eine vertragliche Bindung mit einem privaten Bauträger zu schaffen. Das detaillierte Angebot der genannten Unternehmensgruppe war dabei lediglich der exemplarische Beleg für die grundsätzliche Gangbarkeit eines solchen Weges.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pauli.
Herr Staatssekretär, haben Sie Kenntnis davon, daß der Haushaltsexperte des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit der Unternehmensgruppe Ernst & Kaaf in der Form Hilfeleistungen gegeben hat, daß er einen Entwurf des schriftlichen Angebotes mehrfach überarbeitet hat, um für die Unternehmensgruppe Kaaf eine günstigere Ausgangssituation zu erreichen, und daß er Herrn Kaaf sogar schriftlich an dessen Privatanschrift unterrichtet hat, er könne nun das Angebot in der endgültigen und von ihm überarbeiteten Fassung dem Staatssekretär zuleiten?
Herr Abgeordneter, ich habe Kenntnis davon, daß bei der Vorbereitung eines solchen Angebotes natürlich intensive Verhandlungen über die einzelnen Punkte, die in einem solchen Angebot Berücksichtigung finden müssen, stattgefunden haben. Dabei geht es insonderheit darum, daß dieses Angebot an dem abgesicherten Raumbedarfsplan des Ministeriums und den Anforderungen, die an einen solchen Neubau zu stellen sind, ausgerichtet sein muß. Diese Anforderungen haben wir, soweit wir in Verhandlungen auch mit den übrigen Mitbewerbern waren, in gleicher Weise allen anderen Mitbewerbern zugänglich zu machen. Ein Einfluß auf die kalkulatorischen Kosten im einzelnen hat nicht stattgefunden.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung - und ich denke, da sollten Sie einmal konkret werden - die um ca. 50 Millionen DM kostengünstigeren Angebote der Firmen Hoch-Tief und Strabag im Vergleich zum Angebot der Unternehmensgruppe Ernst & Kaaf?
Herr Abgeordneter, ich habe schon in meiner ersten Antwort darauf hingewiesen, daß mit den nachgereichten Angeboten - und das, was Sie im Auge haben, ist am 15. Oktober eingegangen - bestimmte Anteile, die hineingerechnet werden müssen, wenn das Angebot exemplarisch durchformuliert sein sollte, nicht enthalten waren. So waren zum Beispiel hier Grundstücksanteile nicht enthalten.
Im übrigen muß ein solches Angebot im anschließenden Verfahren mit dem Bundesfinanzminister und dem Bauminister durchgegangen und im einzelnen geprüft werden. Ich darf gerne hinzufügen, daß ich in einer letzten Verhandlungsrunde, die mit der von Ihnen zitierten Unternehmensgruppe stattgefunden hat, die Unternehmensgruppe darauf hingewiesen habe, daß Mitbewerber am Markt seien, die jedenfalls nach erster Durchsicht deutlich günstigere Angebote hätten, und daß die Wahrscheinlichkeit sehr groß sei, daß im Laufe des weiteren Prüfverfahrens einem anderen Bewerber nähergetreten werden muß.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, muß ich aus Ihrer Antwort schließen, daß das Vorhaben im Wege der Angebotseinziehung und nicht im Wege der öffentlichen Ausschreibung betrieben worden ist, und was war denn Veranlassung dafür, ein Objekt mit diesem Volumen abweichend von der VOB nicht öffentlich auszuschreiben?
Herr Abgeordneter, im Stadium der öffentlichen Ausschreibung haben wir uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht befunden.
({0})
Ich habe versucht deutlich zu machen, daß es hier darum ging, im Rahmen und im Zusammenhang mit den laufenden Haushaltsverhandlungen - wir haben auch den Haushaltsausschuß darüber unterrichtet - die exemplarische Möglichkeit eines Neubaus durch einen privaten Träger darzutun. Die Notwendigkeit für diesen Neubau dürfte im Hinblick auf die Tatsache, daß der Bundesumweltminister noch heute an sieben Standorten in Bonn mit Entfernungen von teilweise über 10 Kilometer untergebracht ist, hinlänglich dargetan sein. Es ist unser Interesse, es war unser Interesse und es wird unser Interesse mit Ihrer Hilfe bleiben, die Arbeitsfähigkeit des Ministeriums möglichst bald an einem Standort zu optimieren.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sellin.
Ich möchte Sie fragen: Ist es berechtigterweise ein sinnvolles Anliegen, den Bundesrechnungshof auf dieses Bauprojekt schon einmal hinzuweisen?
Es gehört, Herr Abgeordneter, zum Regelfall des Umgangs mit dem Haushaltsausschuß, auch mit dem Bundesrechnungshof, daß wir ihn möglichst frühzeitig von solchen Überlegungen unterrichten.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Unruh.
Herr Staatssekretär, werden die Beamten, die den Steuerzahler dann um immerhin mindestens 50 Millionen DM betrogen haben, bestraft?
Frau Abgeordnete, ich muß die in Ihrer Frage enthaltene Unterstellung des Betrugs durch Mitarbeiter meines Hauses mit Deutlichkeit zurückweisen. Hier sind Angebote eingegangen, die einer Prüfung noch zu unterziehen waren. Bevor es zu einer weiteren Prüfung kam, ist dieser Weg abgebrochen worden, weil in gemeinsamen Überlegungen mit dem Bundesfinanzminister und dem Bundesbauminister der Weg des Baus über die staatliche Bauverwaltung eingeschlagen worden ist.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Wollny.
Ich bitte um Entschuldigung, Herr Staatssekretär, aber ich habe manches jetzt vielleicht nicht ganz begriffen. Sie haben gesagt, Sie haben mit dieser Firma im Vorwege beraten, wie man es denn am besten machen solle, und haben dann gesagt, Sie befanden sich noch nicht im Stadium der öffentlichen Ausschreibung. Jetzt würde ich wirklich gern einmal fragen: Ist es üblich, daß man mit einer
bestimmten Firma, die dann schließlich auch den Zuschlag bekommt, schon vor der öffentlichen Ausschreibung Besprechungen unternimmt, wie sie es denn schließlich machen soll?
Frau Abgeordnete Wollny, auch Ihre Frage enthält eine nicht zutreffende Unterstellung. Hier ist kein Zuschlag erfolgt. Der Deutlichkeit halber wiederhole ich noch einmal, daß der Neubau des Bundesumweltministeriums nicht mit einem privaten Bauträger durchgeführt wird, daß Kosten in der vorbereitenden Überlegung für den Bund nicht entstanden sind und daß wir nunmehr mit der staatlichen Bauverwaltung den Neubau eines Ministeriums vorantreiben.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fischer.
Herr Staatssekretär, können Sie mir einmal erklären, warum nicht von allem Anfang an die Bundesbauverwaltung mit eingeschaltet war?
Herr Abgeordneter, wir haben nach unkonventionellen Wegen für eine möglichst rasche Realisierung einer dringenden Zusammenführung des Ministeriums gesucht und dar- über nachgedacht. Im Hinblick darauf, daß die staatliche Bauverwaltung bisweilen längere Fristen bei der Verwirklichung ihrer Vorhaben einzuhalten pflegt als private Bauträger, schien uns der Gedanke, mit einem privaten Bauträger zu bauen, vom Grundsatz her nicht verkehrt zu sein.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen im Rahmen Ihrer Überlegungen auch die Idee gekommen, die Bundesbauverwaltung dann gleich ganz abzuschaffen?
Herr Abgeordneter, diese Frage kann ich mit einem klaren Nein beantworten.
({0})
Ich rufe Frage 20 des Herrn Abgeordneten Pauli auf:
Steht die Begünstigung der Unternehmensgruppe Ernst & Kaaf wie das Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL" mutmaßt, in einem Zusammenhang mit der Büroausstattung durch die Fa. Kaaf, wobei insbesondere die Kostenabrechnung der Büroausstattung des Abteilungsleiters „Z" auffallend ist?
Wie bereits in der Presseerklärung des Ministeriums vom 23. Mai 1988 ausgeführt, kann von einer Begünstigung der genannten Unternehmensgruppe keine Rede sein. Ein Zusammenhang zwischen den Planungen für einen Neubau des Bundesumweltministeriums und der Beschaffung von Ausstattung für bestimmte Dienstzimmer besteht nicht.
Der Bezug des Dienstgebäudes Kennedyallee 5 im Oktober 1987 machte die Einrichtung der Dienstzimmer des Leitungsbereichs und einiger zentraler Bereiche erforderlich. Die Innenausstattung der Diensträume des Ministers, der Parlamentarischen Staatssekretäre, des beamteten Staatssekretärs sowie des Abteilungsleiters Z ist nach einer Ausschreibung, an der sich mehrere Büroausstatter beteiligt hatten, an die jeweils preisgünstigsten Anbieter vergeben worden. Die für derartige Ausschreibungen geltenden Vergabevorschriften wurden in vollem Umfang eingehalten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pauli.
Herr Staatssekretär, war der Beauftragte des Haushaltsreferates an dem Vorgang „Ausstattung des Dienstzimmers des Abteilungsleiters Z" beteiligt, und wenn ja, wann und in welcher Form?
Herr Abgeordneter, der Referatsleiter für den Haushalt war an allen Beschaffungen gemäß § 9 der Bundeshaushaltsordnung beteiligt.
Ihre zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pauli.
Herr Staatssekretär, wie viele Firmen sind mit welchem Ergebnis wegen der Büroausstattung des Abteilungsleiters Z zwecks Einholung eines Angebotes angeschrieben worden, und sind Sie bereit, Herr Staatssekretär, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich Ihre Antworten als äußerst zurückhaltend, wenn nicht gar blockierend bezeichne und ich Sie deshalb in den kommenden Fragestunden weiterhin mit diesem Thema befassen werde?
Herr Abgeordneter, es haben über die Gesamtsituation der Büroausstattung insgesamt acht Angebote vorgelegen, die nach den einschlägigen Bestimmungen der Haushaltsordnung geprüft und bewertet worden sind und nach denen anschließend der Zuschlag erteilt worden ist.
Ich bin bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Sie diese Auskünfte nicht befriedigen, und muß Ihren weiteren Fragen dann entgegensehen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, muß ich Ihrer Antwort entnehmen, daß auch die Büroausstattung unkonventionellerweise nicht ausgeschrieben worden ist, sondern wieder im Wege der schlichten Angebotseinziehung erledigt worden ist?
Dieses, Herr Abgeordneter, durften Sie meiner Antwort nicht entnehmen. Ich habe gerade versucht, deutlich zu machen, daß eine Ausschreibung - in diesem Fall eine beschränkte Ausschreibung - stattgefunden hat, daß die Angebote geprüft und bewertet worden sind und daß dem preisgünstigsten der Zuschlag erteilt worden ist.
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Frau Saibold.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, ob es in diesem Fall der Büromöbelausstattung genauso gehandhabt wurde, daß also vor der Ausschreibung ein schriftlicher Entwurf für das Angebot vorgelegen hat, der dann entsprechend verändert wurde, damit es für den Zuschlag richtig und treffend und passend gewesen ist, ähnlich wie beim vorhergehenden Fall?
Frau Abgeordnete, ähnlich wie beim vorhergehenden Fall kann ich dies nicht bestätigen. Aber ähnlich wie beim vorhergehenden Fall wird mit allen Anbietern natürlich über die Wünsche an die Ausstattung und die Möglichkeiten gesprochen. Dies ist Voraussetzung für die Abgabe eines fundierten Angebots.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Unruh.
Herr Staatssekretär, was heißt „beschränkt" ? Hat es etwas damit zu tun, daß Sie, immer wenn es beschränkt wird, die Hand in die Hosentasche stecken?
Frau Abgeordnete Unruh, mit meiner Hand in der Hosentasche hat die beschränkte Ausschreibung nichts zu tun. Aber sie hat etwas damit zu tun, daß man unter bestimmten Gegebenheiten nicht eine offene Ausschreibung durchzuführen braucht, sondern sich auf die Auswahl einer Reihe von Anbietern beschränken darf.
Man muß zugeben, Herr Staatssekretär, daß Sie sich gut aus der Affäre ziehen.
Zusatzfrage, bitte schön, Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihnen einmal aus meiner Erfahrung aus einer ähnlichen Tätigkeit, wie Sie sie jetzt ausüben, eine Anregung in Form einer Frage geben: Wäre es nicht einmal erwägenswert, festzustellen, ob man nicht, statt die völlig überdimensionierten Angebote der sogenannten Büroausstatterfirmen anzunehmen, die notwendigen Möbel einzeln auf dem Markt erwerben sollte, und kommen Sie damit nicht in den Kosten einer solchen Ausstattung mindestens auf die Hälfte, wenn nicht auf weniger herunter?
Frau Abgeordnete, ich kann Ihre Anregung nur dankbar aufgreifen und darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß in meinem eigenen Dienstzimmer nicht alle Möbel vom gleichen gekommen sind, um die Kosten zu senken.
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Danke schön, Herr Staatssekretär. Sie haben alle Fragen beantwortet, soweit Sie das können.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen.
Der Abgeordnete Gansel hat gebeten, daß seine Fragen 7 und 8 schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf.
Die Fragen 9 und 10 des Abgeordneten Hedrich sowie die Fragen 11 und 12 des Abgeordneten Dr. Hitschler werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
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Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Spranger steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 21 der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher auf:
Zu welchem Ergebnis ist das Kuratorium der Bundeszentrale für politische Bildung in seiner Sitzung vom 5. Mai 1988 hinsichtlich der Beurteilung des Inhalts und des Ankaufs des Buches „Zeitgenössische Schriftsteller als Wegbereiter für Anarchismus und Gewalt" gekommen?
Frau Abgeordnete, nach dem Protokoll der Sitzung des Kuratoriums für politische Bildung vom 5. Mai dieses Jahres bestand Einvernehmen, in einer der nächsten Sitzungen noch einmal über allgemeine Kriterien zum Bücherankauf der Bundeszentrale zu reden. Im übrigen weist die Bundesregierung darauf hin, daß die Mitglieder des Kuratoriums der Bundeszentrale für politische Bildung vom Präsidenten des Deutschen Bundestages auf Vorschlag der Fraktionen des Deutschen Bundestages berufen werden. Sie sieht es nicht als ihre Aufgabe an, über Ergebnisse von Beratungen in parlamentarischen Gremien zu berichten oder sie zu bewerten.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, gehen Sie nicht davon aus, daß es das Recht eines Abgeordneten ist, wenn Sie sich hier bei der letzten Beantwortung auf jene Kuratoriumssitzung berufen und Sie ihr nicht vorgreifen wollten, nachher zu fragen, was dabei herausgekommen ist?
Das ist richtig. Aber da müssen Sie beispielsweise den dafür zuständigen Vorsitzenden des Kuratoriums oder die Mitglieder Ihrer Fraktion, die in diesem Kuratorium mitarbeiten, fragen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Hamm-Brücher.
Wollen Sie mich nicht verstehen, Herr Staatssekretär, oder soll ich es wiederholen? Sie haben sich letztes Mal darauf berufen, daß Sie einer Meinungsbildung im Kuratorium nicht vorgreifen wollten. Dann wird es wohl unser gutes Recht sein, daß Sie hier Rechenschaft über das ablegen, was dabei herausgekommen ist.
Ich habe selbstverständlich auf die Entscheidung des Kuratoriums verwiesen und habe Wert darauf gelegt, zu betonen, daß
es ein unabhängiges parlamentarisch gebildetes Gremium ist, auf das die Bundesregierung keinen Einfluß nimmt und nehmen will und, wie ich meine, nicht nehmen darf. Ich stelle heute klar, daß es nicht Aufgabe der Bundesregierung ist, hier über die Beratungsergebnisse, die der Bundesregierung im einzelnen nicht bekannt sind, zu berichten oder sie zu bewerten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, Sie sind nicht darum gebeten worden, irgend etwas zu bewerten, sondern Sie sind gefragt worden, ob die Bundesregierung weiß, was in dem Kuratorium beraten worden ist und mit welchem Ergebnis, und ich bitte Sie, klar zu sagen, ob sich die Bundesregierung darum gekümmert hat oder nicht.
Sie haben mich gebeten, hier über die Diskussion in diesem Gremium zu berichten. Ich habe dabei zum Ausdruck gebracht, daß es nach unserer Auffassung nicht Aufgabe der Bundesregierung ist, aus diesem Gremium hier im Parlament zu berichten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, die Frage lautet doch, zu welchem Ergebnis das Kuratorium gekommen ist. Ich frage Sie: Wissen Sie, zu welchem Ergebnis das Kuratorium gekommen ist? Falls nicht, haben Sie sich bemüht, in Erfahrung zu bringen, zu welchem Ergebnis das Kuratorium gekommen ist?
Herr Kollege Stiegler, wenn Sie meinen ersten Satz zur Kenntnis genommen hätten,
({0})
dann hätten Sie festgestellt, daß dem Parlament laut Protokoll über das Ergebnis der Sitzung im Rahmen des nach unserer Auffassung Zulässigen berichtet worden ist, nämlich dergestalt, daß das Kuratorium nach der Diskussion zu der Ansicht gekommen ist, in einer der nächsten Sitzungen noch 'einmal über die allgemeinen Kriterien zum Bücherankauf der Bundeszentrale zu beraten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lüder.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, uns über die Ergebnisse der weiteren Beratungen zu gegebener Zeit - möglicherweise im Ausschuß - zu informieren, oder, wenn das nicht möglich ist, wären Sie bereit, die haushaltsmäßigen Konsequenzen zu ziehen? Sie sind ja wohl haushaltsmäßig verantwortlich.
Herr Kollege Lüder, ich glaube nicht, daß ich mich zukünftig in Widerspruch zu meiner heutigen Aussage setzen kann.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sellin.
Herr Staatssekretär, begrüßen Sie den Ankauf des Buches „Zeitgenössische Schriftsteller als Wegbereiter für Anarchismus und Gewalt" durch die Bundeszentrale?
Dieses Thema haben wir in einer der letzten Sitzungen hier bereits ausführlich diskutiert, und ich nehme Bezug auf die Stellungnahmen, die ich damals abgegeben habe.
({0})
Könnten Sie vielleicht noch ergänzen, was das für eine Stellungnahme war, damit wir nicht noch einmal nachfragen müssen?
Frau Präsidentin, sinngemäß lautete meine Antwort damals, es handle sich um eine Entscheidung der Bundeszentrale, die dann anschließend auch in dem Kuratorium diskutiert worden sei und die sich der Bewertung der Bundesregierung entziehe.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fellner.
Herr Staatssekretär, verstehe ich die Summe Ihrer Antworten so richtig, daß Sie sich nicht zum Pressesprecher eines Kuratoriums im Hinblick auf Entscheidungen des Kuratoriums machen wollen, wie es Mitglieder des Kuratoriums, denen einzelne Damen und Herren der Fragesteller wesentlich näher stehen als Sie, in besserer Art und Weise machen könnten?
Diese Interpretation ist meinen Aussagen auch zu entnehmen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Unruh.
Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß Sie nicht einmal ja und einmal nein sagen können, immer wie es Ihnen paßt, und daß es dringend notwendig ist, daß eine Parlamentsreform dahin gehend kommt, daß Sie ehrlich zu antworten haben?
Der Herr Staatssekretär hat hier zur Parlamentsreform keine Äußerungen zu machen, würde ich sagen. Entschuldigen Sie, Frau Kollegin.
Ich schließe mich der Frau Präsidentin vollinhaltlich an.
Ich rufe die Frage 22 der Frau Abgeordneten Dr. Hamm-Brücher auf:
Ist das genannte Buch, das vom deutschen PEN-Club als „rechtsextrem argumentierendes Pamphlet" eingestuft wurde, auch an deutschsprachige Bibliotheken im Ausland ({0}) verteilt worden, und wenn ja, wohin und in welcher Stückzahl?
Frau Kollegin Dr. Hamm-Brücher, die von der Bundeszentrale angekauften Buchtitel werden in einem Publikationsverzeichnis in einer Auflage von 40 000 zweimal im Jahr veröffentlicht, das den :Mittlern aus dem Bereich der
politischen Bildung zur Verfügung gestellt wird. 30 Exemplare dieses Verzeichnisses werden jeweils auch an die Zentrale der Goethe-Institute in München versandt. Aus diesem Verzeichnis können nur Einzelpersonen im Halbjahr bis zu drei Verlagspublikationen kostenlos abrufen.
Im konkreten Fall haben zehn Einzelpersonen aus dem Ausland neben anderen Titeln das Buch von Ulsamer bestellt. Die Institute im Ausland haben nicht die Möglichkeit, Verlagspublikationen anzufordern.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, uns zu sagen, wer diese zehn Einzelpersonen gewesen sind, die das Buch angekauft haben?
Ich kann sie jetzt nicht nennen. Ich weiß nicht, ob die Zentrale diese Adressen noch hat. Aber ich kann mich gerne darum bemühen.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es im Ausland einen verheerenden Eindruck machen muß, wenn deutsche Literaturpreisträger in der Welt als Wegbereiter des Terrorismus denunziert werden?
Ich bitte sehr um Verständnis; da das wieder eine Frage zur Bewertung dieses Buches durch die Bundesregierung ist, möchte ich hier bei meiner bisherigen Haltung bleiben.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 23 des Abgeordneten Dr. Hirsch auf :
Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus den amtlichen Leitsätzen Nr. 4 und Nr. 5 des Bundesverwaltungsgerichts zu seiner Entscheidung vom 15. Dezember 1987 - BVerwG 9 C 285.86 - nämlich:
4. § 2 AsylVfG n. F. findet nicht schon dann Anwendung, wenn der politisch Verfolgte ein objektiv sicheres Drittland lediglich als Fluchtweg zum Erreichen der Bundesrepublik Deutschland benutzt.
5. Sicherheit vor politischer Verfolgung in einem anderen Staat i. S. des § 2 AsylVfG n. F. setzt neben dem Schutz vor unmittelbarer oder mittelbarer Abschiebung in den Verfolgerstaat voraus, daß dem politisch Verfolgten eine Hilfestellung zur Überwindung der Umstände gegeben wird, die in seiner Person als Folgen der politischen Verfolgung dadurch entstanden sind, daß er seinen Heimatstaat hat verlassen müssen, wie beispielsweise Heimatlosigkeit, Obdachlosigkeit, Mittellosigkeit, Hunger oder Krankheit?
Herr Kollege Dr. Hirsch, die Bundesregierung hat bereits in ihrer Antwort vom 31. März 1988 auf die schriftliche Frage des Abgeordneten Wartenberg ({0}) dargelegt, daß sie keine Veranlassung sieht, aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, die § 2 des Asylverfahrensgesetzes ausdrücklich als verfassungskonform ansieht und anwendet, grundsätzliche Konsequenzen zu ziehen. Die Anwendung des § 2 des Asylverfahrensgesetzes auf den Einzelfall obliegt den insoweit weisungsgebundenen Entscheidern des Bundesamtes und den unabhängigen Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Diesen ist die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bekannt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß diese Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in einem augenfälligen und wesentlichen Gegensatz zu der bisherigen Praxis des BMI bei der Zurückweisung von Asylbewerbern an der Grenze und auch im Gegensatz zu der Rechtsauffassung steht, die das BMI bisher vertreten hat?
Ich stimme Ihrer Auffassung nicht zu, weil, wie Sie wissen, infolge einer vorhergehenden Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Kassel - der Innenminister hat im Innenausschuß darüber mehrfach berichtet - das Innenministerium seit geraumer Zeit insbesondere auch in Frankfurt eine Praxis anwendet, und zwar vor dem Erlaß dieses Urteils im Dezember, die der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts im Rahmen der Entscheidung im Dezember 1987 Genüge tut und entspricht.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es nicht entgegen Ihrer Antwort in Wirklichkeit so, daß der BMI bisher nur gesagt hat, er wolle von der von den hessischen Verwaltungsgerichten verworfenen rechtswidrigen Praxis, die er beim Flughafen Frankfurt bis dahin geübt hat, nur in Frankfurt Abstand nehmen und sich weiter darum bemühen, ein höchstrichterliches Urteil herbeizuführen, von dem er hoffte, daß es seine Praxis bestätige, und ist es nicht so, daß nun durch diese Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts diese höchstrichterliche Entscheidung ergangen ist?
Herr Kollege Dr. Hirsch, das ist so nicht zutreffend. Denn wie Sie wissen, hat sich der Bundesinnenminister die Endentscheidung bei allen Zurückweisungen nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs in Kassel vorbehalten - so wurde auch verfahren - , so daß gewährleistet ist, daß keine unzulässigen Zurückweisungen erfolgen. Das ist die Praxis, die mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts durchaus im Einklang steht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lüder.
Herr Staatssekretär, erwartet die Bundesregierung, daß weitere Urteile vom Bundesverwaltungsgericht ergehen werden, die etwas anderes erbringen?
Ich bitte um Nachsicht. Ich hatte den zweiten Teil der Frage des Herrn
Abgeordneten Dr. Hirsch nicht beantwortet. Das steht ja im Zusammenhang mit Ihrer Frage.
Es ist zutreffend, daß verschiedene Verfahren am Bundesverwaltungsgericht anhängig sind. Ich glaube, am 21. Juni werden hier Entscheidungen getroffen. Wir werden sehen, was dabei herauskommt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wüppesahl.
Herr Staatssekretär, ist es nicht vielmehr so, daß sich die Bundesregierung hier gegen höchstrichterliche Rechtsprechung wendet und auch in der Praxis so handelt, obwohl seitens der Regierung auf diesem Gebiet nicht das Mindestmaß dessen an Aktivitäten an den Tag gelegt wird, was an den Tag zu legen wäre, wenn man sich gegen so ein Urteil stellt, nämlich ein neues Gesetz abzufassen?
So ist es nicht, Herr Abgeordneter Wüppesahl.
({0})
Das habe ich nicht in der Hand.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 24 des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Hält die Bundesregierung an der Auffassung fest, die sie in ihrer Antwort auf die Frage 24 des Abgeordneten Wartenberg ({0}), Drucksache 11/2094, vertreten hat, es handele sich um rechtlich bedeutungslose obiter dicta?
Herr Dr. Hirsch, in der Antwort vom 31. März auf die schriftliche Frage des Abgeordneten Wartenberg ist nicht die Auffassung vertreten worden, die Ausführungen in den beiden Leitsätzen seien rechtlich bedeutungslos. Die Bundesregierung ist aber der Ansicht, daß diese Ausführungen in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall nicht von entscheidungserheblicher Bedeutung waren und insoweit als obiter dicta anzusehen sind.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie nun wiederholen, es seien obiter dicta, also Nebenausführungen, die nicht erheblich sind: Welche Schlußfolgerungen zieht die Bundesregierung denn nun daraus, daß die beiden wesentlichen Grundsätze u. a. daß jemand nicht an der Grenze zurückgewiesen werden darf, der in einem anderen Land keine Lebensgrundlage als Flüchtling gefunden hat, in zwei offiziellen Leitsätzen des Bundesverwaltungsgerichts als wesentlicher Inhalt der Entscheidung veröffentlicht worden sind?
Ich möchte nochmals betonen, daß wir offensichtlich unterschiedliche Interpretationen des Terminus „obiter dicta" vornehmen. Ich habe nicht gesagt, daß das rechtlich bedeutungslos sei. Wir haben vielmehr zum Ausdruck gebracht, daß dieses nicht entscheidungserhebliche, ergänzende Rechtsausführungen sind, die natürlich nicht rechtlich bedeutungslos sind. Aber wie Sie auch der Entscheidung entnehmen können, haben die Ausführungen, die Sie angesprochen haben, letztendlich die Entscheidung nicht beeinflußt, weil dem Asylantrag des Antragstellers ja nicht stattgegeben worden ist.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wollen Sie denn nicht verstehen, daß Sie hier nicht als eine Art Nach-Richter in einer Einzelfallentscheidung in Anspruch genommen werden, sondern daß es ein wesentlicher neuer rechtlicher Tatbestand ist, der von grundsätzlicher Bedeutung ist, nämlich, daß das Bundesverwaltungsgericht seine bisherige Rechtsprechung zu dem § 2 alter Fassung gegen Erwarten des Bundesinnenministers nun auch auf den neuen § 2 des Asylverfahrensgesetzes anwendet mit dem Ergebnis, daß die Abschiebepraxis an der Grenze nicht fortgesetzt werden kann?
Herr Dr. Hirsch, ich darf noch einmal betonen: Das Bundesverfassungsgericht hat seine Entscheidung vom März 1987 insofern bestätigt, als es diesen § 2 ausdrücklich als verfassungsgemäß bestätigt hat. Es hat ihn dann in einer Weise interpretiert, die gewisse Kriterien aufstellt, welche dann jeweils im Einzelfall rechtlich natürlich von Bedeutung sind. In dem konkreten Prozeßfall waren sie nicht entscheidungserheblich. Es wird zukünftig in jedem Einzelfall - es sei denn, das Verwaltungsgericht ändert bereits am 21. Juni wieder seine Entscheidung und ergänzt es - für die Entscheidung in Zirndorf und für die Praxis an der Grenze verbindlich sein.
Zusatzfrage, Abgeordneter Lüder.
Herr Staatssekretär, führen wir keinen Streit um die Juristerei, ob obiter dicta obiter sind oder nicht, aber es sind Richterworte. Ist die Bundesregierung bereit, den Verwaltungen diese Richterworte als Hinweise darauf zur Kenntnis zu geben, was Richterworte sind?
Ich führe den Streit, was obiter dicta sind und wie sie von uns aus interpretiert werden, nicht von mir aus. Wir haben hier offensichtlich unterschiedliche Interpretationen. Ich habe die Auffassung der Bundesregierung mit der Maßgabe dargelegt, daß das, was hier in dem Urteil steht, für uns natürlich keineswegs rechtlich bedeutungslos ist, in diesem Fall jedoch entscheidungsunerheblich war. Selbstverständlich wird das, was das Bundesverwaltungsgericht gesagt hat - vorausgesetzt, es hat Bestand -, bei den Entscheidungen der dem Bundesinnenministerium unterstehenden Behörden und auch im Bundesinnenministerium selbstverständlich Beachtung finden.
Zusatzfrage, Abgeordneter Fellner.
Herr Staatssekretär, könnten Sie dem Kollegen Hirsch, der das, was er hier sozusagen unwissend erfragen will, in Wirklichkeit selber natürlich viel genauer kennt, einmal bestätigen, daß diese Haltung der Bundesregierung, die Situation sozusagen abwartend zu beobachten, eigentlich dadurch entstanden ist, daß wir hier im Bundestag ein Gesetz gemacht haben, eine mehrheitliche Entscheidung getroffen haben, die dazu geführt hat, daß es zunächst auf der Ebene unterhalb des Bundesverwaltungsgerichts unterschiedliche Entscheidungen gegeben hat, und daß es jetzt darauf ankommt, daß wir Klarheit bekommen, wie das Bundesverwaltungsgericht die Frage des § 2 letztendlich entscheidet?
Wir gehen bisher davon aus, daß der § 2 verfassungsgemäß ist, und entsprechend ist die Praxis des Bundesinnenministeriums bei der Anwendung des § 2 und den entsprechenden Anweisungen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Olms.
Herr Staatssekretär, Sie sagten in Ihrer Antwort: Diese Entscheidung ist keineswegs rechtlich bedeutungslos. Ziehen Sie es nach einer solchen Entscheidung, die ja ziemlich maßgeblich ist, in Erwägung, die Zurückweisungen auszusetzen, bis es eine eindeutige Stellungnahme gibt?
Es gibt - das ist auch mehrfach im Innenausschuß berichtet worden - Anweisungen aus dem Juni des vergangenen Jahres. Nach diesen Anweisungen wird verfahren, insbesondere daß außerhalb von Frankfurt jeweils nach Rückfrage im Innenministerium entschieden wird.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner.
Nachdem sich nun mehrfach der Kollege Fellner über Sie als Medium an den Kollegen Hirsch gewandt hat: Können Sie mir bestätigen, daß sich im Hohen Haus der Eindruck verfestigt, daß Koalitionsgespräche hier zukünftig in der Form von Fragestunden geführt werden?
Ich will die Interpretation der Fragestunde gerne Ihnen überlassen; wir interpretieren sie aus unserer Sicht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wüppesahl.
Herr Spranger, sind Sie meiner Auffassung, daß Sie die Abfassung des § 2 über die bestehende Bundesregierung im Bundestag nicht mehrheitlich so treffen konnten, wie die derzeitige Praxis durch die Exekutive aussieht, weil es ansonsten verfassungswidrig geworden wäre, und der zweite Widerspruch -
Verzeihen Sie, Sie haben eine Frage.
Diese beiden Widersprüche gehören zur Fragestellung.
Ach so, haben Sie ein Glück, daß ich nicht richtig zugehört habe.
Ich habe volles Vertrauen in Ihre Auffassungsgabe, Frau Präsidentin. - Der zweite Widerspruch: Können Sie mir bestätigen, daß Sie die jetzt ergangene Gerichtsentscheidung nach wie vor nicht so auf die Exekutive umzusetzen bereit sind, daß ein verfassungskonformes Verhalten der Beamten, insbesondere des BGS, vor Ort an den Einreisestellen möglich ist?
Ich bin in beiden Dingen nicht Ihrer Auffassung. Ich bin der Auffassung - das Bundesverwaltungsgericht hat das in zwei Entscheidungen bestätigt - , daß die jetzige Fassung des § 2 verfassungsgemäß ist. Ich bin auch der begründeten Auffassung - das habe ich auch darzulegen versucht - , daß die Praxis der Bundesregierung und der ihr unterstellten Behörden bei Anwendung des § 2 und auch des § 9 der Verfassungslage entspricht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Richter.
Herr Staatssekretär, haben Sie denn Anweisungen an die Grenzbehörden gegeben, die diesem Spruch entsprechen?
Ich sagte schon vorhin: Wir haben bereits nach der Entscheidung des VGH Kassel eine Modifizierung der früheren Handhabung in Form einer Entschließung vom Juni 1987 herausgegeben. Es ist modifiziert worden; es ist im übrigen ausführlich auch im Innenausschuß dargelegt worden.
({0})
- Für Frankfurt speziell und mit der Auswirkung der Rückfrage beim BMI für die anderen.
Ich rufe die Frage 25 der Abgeordneten Frau Unruh auf:
Wie hoch sind die Mindest-, Höchst- und Durchschnittsbeträge, die Beamte und Ruhestandsbeamte bzw. ihre Angehörigen als Sterbegeld erhalten?
Frau Abgeordnete, ich nehme an, daß der Anlaß für Ihre Frage die Diskussion über den Wegfall des Sterbegeldes der gesetzlichen Krankenversicherung ist. Es beträgt zur Zeit zur Deckung der Bestattungsaufwendungen gemäß § 201 der Reichsversicherungsordnung in Verbindung mit § 18 des IV. Buchs des Sozialgesetzbuches mindestens 2 000 DM und höchstens 5 700 DM. Das Pendant zu diesem Sterbegeld ist für Beamte, Ruhestandsbeamte und ihre Angehörigen die Pauschalbeihilfe in Höhe von maximal 1 300 DM zu den Bestattungsaufwendungen, auf die bestimmte andere Sterbe- und Bestattungsgelder etc. angerechnet werden, zuzüglich einer Beihilfe zu den Überführungskosten.
In der Bundesregierung wird geprüft, welche Konsequenzen aus den Neuregelungen im Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung für die Leistungen der Beihilfe zu ziehen sind.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Unruh.
Beabsichtigt denn die Bundesregierung, zur Gleichstellung der Beamten mit den Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung den Sterbegeldparagraphen, § 18 des Beamtenversorgungsgesetzes, ersatzlos zu streichen und die Beihilfevorschriften zu ändern?
Sie vermischen hier zwei verschiedene Komplexe: Was die Beihilfe anbelangt, habe ich in meiner Antwort zum Ausdruck gebracht, daß die Bundesregierung hier eine Neuregelung in Anpassung an die Regelung bei der Krankenversicherung erwägt. Was den § 18 des Beamtenversorgungsgesetzes anbelangt, ist das Ausdruck eines eigenen Versorgungssystems, beispielsweise nach den Vorschriften des Tarifrechts, des Rentenrechts, des Kriegsopferversorgungsrechtes und des Beamtenversorgungsrechtes, das hier Sterbegelder und sterbegeldähnliche Leistungen vorsieht. Das ist von dem zu trennen, was in der Beihilfe und von der Krankenversicherung vom System her vorgesehen ist.
Weitere Zusatzfrage, bitte, Frau Unruh.
Sie gestatten mir die Bemerkung, daß das Volk nicht versteht, was alles zu trennen ist und dann unter dem Strich herauskommt.
Aber meine Frage: Soll denn diese Änderung - Sie haben sich ja irgendwo änderungswillig gezeigt - zum selben Zeitpunkt erfolgen, wie das Gesundheitsreformgesetz in Kraft treten soll?
Ich hoffe schon, verständlich machen zu können, um welch unterschiedliche Systeme es sich hier handelt. Man muß nur entsprechend zuhören.
Was im übrigen die Beihilfe anbelangt, sagte ich, daß die Bundesregierung prüft, inwieweit hier Änderungen in Anlehnung an die Änderungen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung erforderlich sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sellin.
Herr Staatssekretär, hält es die Bundesregierung für richtig, daß Parlamentarier Sterbegeld erhalten?
Sie müssen hier wieder trennen; ich betone das noch einmal. Das hat mit der Frage der Krankenversicherung und der Beihilfe im Sinne einer Verbindung überhaupt nichts zu tun. Das ist vielmehr eine Frage der Versorgungsregelungen, die nicht allein Abgeordnete betreffen, sondern zu 90 % im Tarifrecht festgelegt sind. Das ist im Rentenrecht, in der Kriegsopferversorgung, in der Beamtenversorgung vorgesehen. Sie wissen, daß entsprechend diesen Regelungen auch das Abgeordnetengesetz ähnliche bzw. gleiche Regelungen vorsieht.
({0})
Eine Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, im Beamtenrechtsrahmengesetz und in anderen gesetzlichen Bestimmungen ist ja festgelegt, welches Sterbegeld im einzelnen gezahlt wird. Könnten Sie eine Summe nennen? Was ist das höchste Sterbegeld, das nach den beamtenrechtlichen Vorschriften gezahlt werden kann?
Ich bedauere sehr, daß wir Mindest-, Höchst- und Durchschnittsbeträge nicht genau fixieren können. Es gibt hier keine Festbeträge, da sich die Höhe des Sterbegeldes nach der Höhe der Bezüge richtet. Und die Bezüge sind sehr unterschiedlich.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner.
Herr Staatssekretär, es gibt doch Höchstbezüge. Insoweit muß es doch möglich sein, das zu fixieren.
Es gibt auch Mindestbezüge.
Die Frage war, ob Sie die Höchstbezüge fixieren können. Da bitten wir um eine Antwort. Das muß doch möglich sein. Selbst nach der bayerischen Mengenlehre ist das nicht ausgeschlossen.
Sie wissen doch genau, daß jeder im öffentlichen Dienst eine unterschiedliche Einkommenssituation hat: von seinem Dienstalter, von dem Eintritt in den öffentlichen Dienst, von seiner Qualifikation, von seinem Familienstand und von seinem Ortszuschlag her.
({0}) Sie können das nicht exakt fixieren.
({1})
Herr Staatssekretär, Sie können das im Augenblick nicht beantworten, jedenfalls nicht so, wie es gewünscht wird.
({0})
- Bitte, warum nicht?
Ich bitte Sie, Sie können doch nicht bei so vielen Mitgliedern im öffentlichen Dienst jeweils im Einzelfall festschreiben, was - ({0})
- Nein, Sie können weder die Mindest- noch die Höchst- noch die Durchschnittssätze bestimmen. Das ist nicht möglich.
Herr Staatssekretär, können Sie das vielleicht noch einmal prüfen? Dann könnten Sie dem Haus die entsprechende Mitteilung machen.
Ich bin gern bereit, das zu prüfen und Ihnen Informationen zugänglich zu machen.
Herr Abgeordneter Hirsch, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es denn in Ihrem Hause Bemühungen, aus dem beamtenrechtlichen und tarifrechtlichen Sterbegeld den Bestattungskostenanteil herauszurechnen, der für einen Vergleich mit der Kürzung des Sterbegeldes in der Krankenversicherung entscheidend wäre?
In dem Zusammenhang gibt es sicherlich Überlegungen. Nur muß man wissen, daß angesichts der versorgungsrechtlichen Regelung die Beihilferegelung im öffentlichen Dienst praktisch nicht zum Tragen kommt. Deswegen sind Berechnungen natürlich außerordentlich schwierig.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lüder.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, uns Formulierungshilfen zu geben, damit wir im Beihilferecht für den öffentlichen Dienst und auch für uns Parlamentarier die gleichen Kürzungen bekommen, wie sie den Arbeitnehmern zugemutet werden, oder müssen wir das selbst erarbeiten?
Was die Parlamentarier betrifft, sollten wir das wohl selber machen. Oder?
Ich frage nach Formulierungshilfen zum Berechnen. Das ist meist eine Exekutivaufgabe. Was wir dann machen, Frau Präsidentin, werden wir entscheiden.
Herr Kollege Lüder, das BMI ist wie stets zu jedem Hilfsdienst bereit.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 26 der Abgeordneten Frau Unruh auf:
Wie hoch sind die jährlichen Aufwendungen der öffentlichen Hand dafür?
Die Sterbegelder werden als Teil der Beihilfe bzw. als Versorgungsbezüge nicht gesondert ausgewiesen. Über die jährlichen Aufwendungen der öffentlichen Hand kann ich daher keine Zahlenangaben machen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Unruh.
Herr Staatssekretär, sterben ist schwer. Könnten Sie sich denn Mühe geben, zu all den Dingen - einmal Beamtengesetz § 18, dann Beihilfe Nr. x und Beihilfezusatz Nr. y - doch bitte einmal einen Beamten anzusetzen, etwas sehr Gutes zu tun, damit wir zu einer Vergleichsebene kommen - das war ja auch der Wunsch etlicher Parlamentarier querbeet durch alle Fraktionen - und sehen, was so ein mittleres Begräbnis wohl kosten würde?
Ich habe schon dem Herrn Kollegen Lüder versichert, wenn hier entsprechende Anträge oder Wünsche kommen, sind wir gern bereit, es aufzugreifen. Wenn Sie es entsprechend formulieren, sind wir gern bereit, Ihnen entsprechende Antworten zu geben.
Zusatzfrage.
Dann möchte ich meine Zusatzfrage dahin gehend ordnen: Alles das, was ich unverständlich gesagt habe - Sie haben es ja sicherlich verstanden - , mir dann so schriftlich zu beantworten.
Das ist außerordentlich schwierig. Um nicht irgendeinen Fehler zu begehen, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie das, was Sie gesagt und gemeint haben, schriftlich fixieren könnten.
({0})
- Aber die Zusammenfassung ist für mich dann sehr schwierig.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Wollny.
Gibt es bei der Bundesregierung Überlegungen für den Fall, daß die Familien von Sozialhilfeempfängern oder Arbeitslosen oder Rentnern, die nach dem Fortfall des Sterbegeldes nicht mehr in der Lage sind, ihre Angehörigen zu beerdigen, wieder Notbegräbnisse einzuführen wie vor ein paar hundert Jahren?
Es gibt keine solchen Überlegungen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sellin.
Herr Spranger, ist Ihnen bekannt geworden, daß die privaten Versicherungsgesellschaften seit der Verkündung der Gesundheitsreform und der Streichung des Sterbegeldes im Zuge derselben einen Reibach machen?
Wenn Sie mir hier Informationen übermitteln, die mir bisher fehlen, bin ich gern zu einer entsprechenden Überprüfung bereit.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker ({0}).
Herr Staatssekretär, da Sie die Frage 26 mangels Unterlagen nicht beantworten können: Wären Sie bereit, mir Unterlagen, getrennt nach Besoldungsordnung A - aufsteigende Gehälter - und Besoldungsordnung B - feste Gehälter - , darüber zur Verfügung zu stellen, wie das
Becker ({0})
Sterbegeld für die einzelnen Besoldungsgruppen ausgewiesen ist?
Das kann ich gern tun.
({0})
Ich rufe die Frage 27 des Herrn Abgeordneten Dr. de With auf:
Ist die Bundesregierung bereit, durch eine Gesetzesinitiative sicherzustellen, daß die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten entsprechend ihrem Auftrag auf umfassende Berichterstattung über alle Sportveranstaltungen kostenlos auch durch Übertragung von laufenden Bildern berichten können ({0})?
Herr Kollege Dr. de With, Gesetzesinitiativen in diesem Bereich liegen im Zuständigkeitsbereich der Bundesländer. Die Bundesregierung weist aber darauf hin, daß vor entsprechenden Schritten eine sorgfältige Abwägung zwischen dem allgemeinen, für die öffentliche Meinungsbildung unerläßlichen Informationsbedürfnis der Bevölkerung einerseits und den durch Art. 14 des Grundgesetzes geschützten vermögenswerten Rechten des Veranstalters andererseits vorzunehmen wäre.
Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter de With.
Herr Staatssekretär, wenn ich Ihre Meinung auch teile, was die Kompetenz des Bundes anlangt: Nachdem Art. 75 des Grundgesetzes statuiert, daß dem Bund die Rahmengesetzgebung nur bei der Presse und beim Film obliegt, also der Rundfunk ausgeschlossen ist, so frage ich Sie dennoch, ob Sie es begrüßen würden, wenn alle Länder es gesetzlich regelten, daß es trotz eines bestehenden Exklusivvertrages den Rundfunkanstalten möglich sein muß, jederzeit Kurzberichte zu geben, so wie es die Länder Hamburg und das Saarland bereits geregelt haben.
Herr Kollege Dr. de With, es ist die grundsätzliche Frage, ob man diese Materie gesetzlich zu regeln versucht oder ob man der Ansicht ist, das könne auch vertraglich geregelt werden. Die Entscheidungen von ARD, ZDF, DFB und RTL plus in den letzten Tagen haben gezeigt, daß in einer sehr schwierigen Situation vertragliche Regelungen möglich sind. Ich sehe bisher nicht, daß auf anderen Gebieten ähnliche Regelungen oder eine Fortschreibung dieser Regelung zu dieser Materie nicht möglich sein sollten.
Zusatzfrage, Herr de With.
Ich darf Sie noch allgemeiner fragen: Würde es die Bundesregierung begrüßen, daß für die Rundfunkanstalten generell die Möglichkeit besteht, über alles Wissenswerte, auch über Sportveranstaltungen, kostenlos oder wenigstens ohne Honorar Kurzberichte auch mit laufenden Bildern abzugeben?
Wir sind uns völlig einig, wenn wir anzustreben versuchen, daß die öffentlich-rechtlichen und die privaten Rundfunk- und Fernsehgesellschaften über alles, was wichtig ist, berichten können und auch entsprechend berichten. Das ist eine Frage, deren Lösung nach meiner Auffassung auch ohne eine gesetzliche Regelung in Ergänzung über das, was wir bereits jetzt gesetzlich geregelt haben, möglich erscheint.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sellin.
Begrüßt die Bundesregierung, daß der Deutsche Fußballbund als Monopolist die Senderechte vergeben darf?
Ich habe keinen Anlaß, jetzt den DFB als einen der Vertragspartner zu bewerten und zu sagen, er habe hier einen guten Vertrag mit den Fernseh- und Rundfunkanstalten abgeschlossen. Daß er offensichtlich als Vertragspartner anerkannt worden ist, ergibt sich aus der Tatsache, daß nicht nur die privaten, sondern auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten ihn als Vertragspartner akzeptiert haben.
Ich rufe die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Dr. de With auf:
Welche sonstigen Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, den Berichtsauftrag der Rundfunk- und Fernsehanstalten für Sportveranstaltungen nach der bisherigen Übung sicherzustellen, um so den bisherigen Zustand ohne Gebührenerhöhung zu erhalten?
Die Bundesregierung hat keine Möglichkeit, Einfluß darauf zu nehmen, wie die Rundfunk- und Fernsehanstalten ihre Berichterstattung wahrnehmen. Sie hält dies auch nicht für erforderlich, sondern geht davon aus, daß die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten alle ihnen sich bietenden Möglichkeiten ausschöpfen werden, um weiterhin über alle interessierenden Sportveranstaltungen zu berichten. Die Bundesregierung sieht hierbei keinen Zusammenhang mit Gebührenerhöhungen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter de With.
Ist die Bundesregierung nicht der Meinung, daß ein Wort von ihr mit dazu beitragen könnte, daß Auswüchse einer Kommerzialisierung in diesem Bereich gestoppt werden könnten, zumal am Ende alle Rundfunkteilnehmer dies mit ihren Gebühren zahlen müssen?
Es ist die Frage, ob man dieses Problem mit dem Stichwort „Kommerzialisierung" umschreiben kann. Ich erinnere daran, daß früher natürlich auch ARD und ZDF, als sie ein Monopol hatten, Verträge mit dem DFB gegen Bezahlung abgeschlossen haben. Auch damals hat niemand von „Kommerzialisierung" gesprochen. Erst jetzt, als ein freier Wettbewerber auf den Markt kam, tauchte diese Terminologie auf.
Es ist ein Markt, der sich jetzt öffnet. Hier entscheiden die Vertragspartner, wie das Ergebnis der möglichen Berichterstattung über bestimmte Ereignisse auszusehen hat, wobei die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten durch Gesetz jeweils auch die Möglichkeit einer engen Beteiligung im Wettbewerb haben.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter de With.
Ist die Bundesregierung mit mir denn wenigstens der Meinung, daß auch bei einer freien Marktwirtschaft, wie die Vergangenheit gezeigt hat, gewisse Mißbräuche entstehen und diesen begegnet werden muß, wie das durch gesetzgeberische Maßnahmen in der Bundesrepublik Wirklichkeit ist, daß aber solche Marktmißbräuche auch hier zu befürchten sind, nachdem wir in Erinnerung haben, was bei der letzten Winterolympiade gezahlt wurde, welche Auswirkung das sogar auf die Ausgestaltung hatte? Ähnliches kann auf Dauer in der Bundesrepublik nicht ausgeschlossen werden.
Herr Kollege de With, Mißbräuche sind nirgendwo auszuschließen, auch in diesem Fall nicht. Wenn solche entstehen, die zur Änderung auch einer Gesetzeslage zwingen sollten, wird die Bundesregierung handeln. Zur Zeit sind solche Mißbräuche nicht vorhanden, die ein gesetzgeberisches Handeln notwendig machen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sellin.
Sie haben gerade den freien Wettbewerb so beschworen. Wie beurteilen Sie denn die Tatsache, daß die 18 Bundesligavereine nicht jeweils selbständig als Wirtschaftsunternehmen mit den Fernsehanstalten Verträge abschließen, sondern der DFB als Monopolanbieter auf dem monopolistischen Markt auftritt?
Ich bitte Sie! Es ist doch Sache des DFB, wie er sich und seine Vertretungsrechte organisiert. Es ist doch nicht Sache der Bundesregierung, das zu beurteilen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Baum.
Meinen Sie nicht, Herr Staatssekretär, daß die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten etwas geschickter hätten verhandeln sollen, statt sich hinterher wehklagend selbst in die Ecke zu stellen, und meinen Sie nicht, daß Fußball nun einmal - ganz anders als die Olympischen Spiele - eine Art Showbusineß ist?
Ich stimme zumindest hinsichtlich des ersten Teils Ihrer Frage in vollem Umfang mit Ihnen überein. Wir haben uns ja auch vor der Entscheidung entsprechend geäußert. Ich hoffe, daß sich diese Erfahrungen, die die „Öffentlich-Rechtlichen" in diesem Zusammenhang machen konnten, in ihren zukünftigen Verhandlungen ähnlicher Art, auch beim Bewerben um andere Veranstaltungen und Berichterstattungen, positiv niederschlagen.
Frau Abgeordnete Wollny.
Hält es die Bundesregierung nicht vielleicht zumindest für überlegenswert, den einzelnen Fußballvereinen angesichts dieser horrenden Einnahmen des Fußballbundes in Zukunft möglicherweise die Gemeinnützigkeit abzusprechen, so daß sie Steuern bezahlen wie andere Sparten des Showbusineß auch?
Ich kann nur wieder empfehlen, sich in Sachen Gemeinnützigkeit sachkundig zu machen. Denn dann wäre bekannt, daß die Sportvereine in der 1. und 2. Bundesliga eben nicht unter das Gemeinnützigkeitsrecht fallen.
({0})
- So ist es, ja.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Die Fragen 29 und 30 der Abg. Frau Schmidt-Bott werden auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Stiegler auf.
Wie beurteilt die Bundesregierung die bisherige Praxis bei Auskunftsersuchen der Verfassungsschutzämter an Gemeinden aus den Paß- und Melderegistern, und was ist verwaltungsintern unternommen worden, um diese Auskunftsersuchen durch für Bund und Länder geltende Verwaltungsvorschriften auf einwandfreier rechtsstaatlicher Grundlage, insbesondere unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips, abwickeln zu lassen?
Herr Kollege Stiegler, die Bundesregierung hat nur die Praxis von Auskunftsersuchen des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu bewerten. Soweit die Frage die Praxis der Landesbehörden für Verfassungsschutz berührt, ist darauf hinzuweisen, daß es ständiger Praxis der Bundesregierung entspricht, zu landesinternen Vorgängen nicht öffentlich Stellung zu nehmen.
Rechtsgrundlagen für die Einsichtnahme des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Personalausweis-, Paß- und Melderegister sind Art. 35 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 3 Abs. 1 und 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes sowie § 2 b des Bundespersonalausweisgesetzes, § 22 des Paßgesetzes und § 18 des Melderechtsrahmengesetzes in Verbindung mit den Landesmeldegesetzen. Danach dürfen die Personalausweis-, Paß- und Meldebehörden dem Bundesamt für Verfassungsschutz Registerdaten oder andere nur unter der Voraussetzung übermitteln, daß der Verfassungsschutz ohne Kenntnis der Daten nicht in der Lage wäre, die ihm gesetzlich obliegenden Aufgaben zu erfüllen. Hinsichtlich des Paßrechts, für das dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zusteht, sind weitere Einzelheiten in den mit Zustimmung des Bundesrats erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Paßgesetzes vom 2. Januar 1988 geregelt.
Nach Auffassung der Bundesregierung wird diese bundesgesetzliche Regelung in Verbindung mit den genannten Verwaltungsvorschriften allen rechtsstaatlichen Erfordernissen, zu denen auch die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gehört, gerecht.
Hinsichtlich des Personalausweis- und Melderechts hat der Bund nur eine Rahmengesetzgebungskompetenz, so daß die entsprechenden Verwaltungsvorschriften von den Ländern erlassen worden sind.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, gibt es denn auf Bundesebene Verwaltungsvorschriften, die festlegen, welche Kriterien die entscheidenden Beamten dieser Ämter beachten müssen, um die Abwägung, daß nämlich das Bundesamt für Verfassungsschutz ohne Kenntnis dieser Daten nicht in der Lage wäre, eine ihm obliegende Aufgabe zu erfüllen, auch sachgerecht vorzunehmen und einer uferlosen Ausweitung dieser Methode, Daten zu erheben, Einhalt zu gebieten?
Ich gehe davon aus, daß - wie in allen anderen Behörden auch - dienstliche Regelungen zur Ausfüllung dieser Gesetzesgrundlagen existieren.
Herr Staatssekretär, sehen Sie sich in der Lage, mir diese Regelungen zur Kenntnis zu bringen, damit man einmal nachprüfen kann, ob sie den Ermächtigungsvorschriften entsprechen?
Ich werde Ihr Anliegen gerne prüfen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wüppesahl.
Sind Sie, Herr Spranger, der Auffassung, daß es notwendige Richtlinien zu erarbeiten gilt, den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes Mitteilung zu machen, die von einer Weiterleitung ihrer Daten durch die Melde- oder Paßämter, an welches Verfassungsschutzamt auch immer, betroffen sind, und gibt es solche Überlegungen in Ihrem Hause, und, wenn nicht, warum nicht, wo doch gleichzeitig bekannt ist, daß dies von allen Datenschutzbeauftragten als ein dringendes Erfordernis dargestellt wird?
Der erste Teil Ihrer Frage war inhaltsgleich mit der zweiten Frage von Herrn Stiegler, - wenn ich darauf aufmerksam machen darf.
Herr Abgeordneter Wüppesahl, ich habe Ihnen eine Fülle von Vorschriften genannt, auf denen die Handlungsberechtigung der Verfassungsschutzbehörden beruht. Diese Regelungen sind nicht nur umfassend, sondern auch verfassungsgemäß und bedürfen nach meiner Auffassung keiner Ergänzung.
Ich rufe die Frage 32 des Abgeordneten Stiegler auf:
Überwachen der Datenschutzbeauftragte und die Parlamentarische Kontrollkommission die Auskunftsersuchenspraxis nach dem Personalausweisgesetz und dem Paßgesetz regelmäßig, und welche Rechte haben die von Auskunftsersuchen betroffenen Bürger, über die sie betreffenden Auskunftsersuchen informiert zu werden?
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz kontrolliert regelmäßig - gemäß dem Bundesdatenschutzgesetz - das Bundesamt für Verfassungsschutz. Dabei unterliegt auch die Auskunftsersuchenpraxis nach dem Personalausweisgesetz und dem Paßgesetz seiner Kontrolle.
Die Kontrolle der Landesämter für Verfassungsschutz obliegt den zuständigen Stellen der Länder.
Die Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission erfolgt nach dem Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes vom i 1. April 1978. Danach unterrichtet die Bundesregierung die Parlamentarische Kontrollkommission regelmäßig über die allgemeine Tätigkeit der Nachrichtendienste des Bundes und über Vorgänge von besonderer Bedeutung. Hierbei ist aus besonderem Anlaß eine Unterrichtung über Auskunftsersuchen des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Sinne der Fragestellung möglich.
Die Rechte des Betroffenen ergeben sich aus § 13 des Bundesdatenschutzgesetzes, sofern die Auskunft aus einer Datei erfolgt ist. Jedoch ist das Bundesamt für Verfassungsschutz gem. § 13 Abs. 2 nicht verpflichtet, Auskunft zu erteilen. In diesen Fällen verbleibt es bei der zuvor dargestellten Kontrolle durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Parlamentarische Kontrollkommission.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß nur ad hoc im Einzelfall berichtet wird, daß aber der Datenschutzbeauftragte oder der Innenminister der Kontrollkommission nicht generell über die Anwendung dieser neuen Vorschriften berichtet?
Herr Kollege Stiegler, wir sollten erst einmal feststellen, daß wir davon ausgehen können, daß sich die Behörden entsprechend der Gesetzesgrundlage, die ich vorhin genannt habe, bewegen und entscheiden. Erst wenn es Anhaltspunkte gibt, daß hier vielleicht Fehler passiert sind, besteht im Einzelfall die Möglichkeit, im Rahmen der Kontrollkommission nachzufragen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, im Fall des Paßgesetzes hat der Bund die ausschließliche Zuständigkeit. Gibt es hier denn entsprechende Verwaltungsvorschriften, die sich auch an die Länder richten?
Es gibt hier entsprechende Verwaltungsvorschriften.
({0})
- Ich kann sie Ihnen vielleicht sogleich in wesentlichen Teilen zur Kenntnis geben. Im Gemeinsamen Ministerialblatt ist die Allgemeine Verwaltungsvorschrift vom 2. Januar 1988 zur Durchführung des Paßgesetzes abgedruckt.
({1})
- Zu § 22 - Verarbeitung und Nutzung der Daten im Paßregister - sind ausführliche Anweisungen enthalten.
({2})
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sellin.
Erlauben die umfassenden verwaltungsrechtlichen Regelungen den jeweiligen Verfassungsschutzämtern auch, Zugriff auf Ergebnisse der Volkszählung zu nehmen?
Ich sehe hier, Frau Präsidentin, zu der Frage 32 keinen Zusammenhang.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wüppesahl.
Herr Staatssekretär, sind Sie ernstlich der Auffassung und damit womöglich in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung im Hause, daß die Weiterleitung von Personendaten aus den Paß- und Melderegistern der Gemeinden an die Verfassungsschutzämter - also nicht die Weiterleitung irgendwelcher Verfahrensabläufe - die jeweils betroffenen Gemeinden noch in Übereinstimmung mit der Substanz der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung zum Bereich des Datenschutzes bleiben läßt, wenn diese Gemeinden nicht verpflichtet oder auf Anfrage berechtigt sind, die weitergegebenen Daten den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern zur Kenntnis zu geben - also die Tatsache, daß solche Daten weitergegeben wurden?
Die Vorgehensweise der Länderbehörden kann ich hier nicht bewerten. Ich übertrage den Sachverhalt auf den Bund und kann hierzu feststellen, daß es nach § 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes Aufgabe des Verfassungsschutzes ist, Informationen über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, zu sammeln und auszuwerten.
Die Mitgliedschaft in einer Bürgerinitiative gegen die WAA allein unterliegt nicht dem gesetzlichen Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes, es sei denn, diese Bürgerinitiative würde zur Verwirklichung ihrer Ziele selbst verfassungsfeindliche Aktivitäten entwickeln.
Da sich nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes in Bürgerinitiativen gegen Kernenergieanlagen auch Mitglieder extremistischer Organisationen betätigen und dort versuchen, Bürger für die Unterstützung verfassungsfeindlicher Aktivitäten zu gewinnen, ist zur Klarstellung darauf hinzuweisen, daß solche Bestrebungen von Extremisten selbstverständlich vom Verfassungsschutz zu beobachten sind. Die Gründe für das Tätigwerden des Verfassungsschutzes in der Gemeinde Bruck sind der Bundesregierung weder konkret bekannt, noch sind sie von ihr zu bewerten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fellner.
Herr Staatssekretär, nachdem dargestellt worden ist, daß die Rechtsgrundlagen für die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden wohl eindeutig sind, und nachdem jedem hier im Hause bekannt ist, daß diese Rechtsgrundlagen in den letzten Jahren - auch unter Führung der SPD - nicht in Zweifel gezogen worden sind, bleibt nur die Frage, ob es tatsächlich Anhaltspunkte dafür gibt, daß es angemessen erscheint, daß sich die Verfassungsschutzbehörden ein bestimmtes Potential des WAA-Protests etwas näher ansehen. Dafür gibt es ja innerhalb der deutschen Politik, z. B. im Verfassungsschutzbericht 1987, konkrete Hinweise.
({0}) Können Sie dazu etwas sagen?
Ich verweise auf eine Reihe von Feststellungen im Verfassungsschutzbericht 1987. So heißt es auf Seite 46 zum Kommunistischen Bund: KB-Mitglieder wirkten auch 1987 wieder als Initiatoren und Organisatoren in zahlreichen Aktionsbündnissen u. a. der Anti-AKW-Bewegung mit.
Zu den Autonomen heißt es auf Seite 53: Autonome schlagen dann den Bogen von den Problemen des täglichen Lebens; sie sprechen vom Kampf gegen Maloche und Schule, u. a. im Bereich Anti-AKW.
Was die Beteiligung der im Verfassungsschutzbericht dargestellten Neuen Linken an Aktionen gegen die Nutzung der Kernenergie anlangt, ist auf Seite 59 ausgeführt, daß zentrales Thema zunächst der Widerstand gegen den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage für Kernbrennstoffe in Wackersdorf blieb; in der zweiten Jahreshälfte konzentrierten sich vor allem in Norddeutschland viele Gruppen auf die Ausspähung und Behinderung von Atommülltransporten u. ä.
Die Zitate ließen sich fortsetzen, auch und insbesondere was die Anschläge und die Gewalttätigkeit von linksextremistischen Gruppen im Raum Wackersdorf bzw. gegen die WAA anlangt.
Die Fragen 33 und 34 werden auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Weiss ({0}), schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
({1})
- Nein, es wird keine Frage mehr zugelassen. Ich habe Ihnen sogar schon eine Frage mehr zugestanden, als erlaubt gewesen wäre.
Vizepräsident Frau Renger
Jetzt rufe ich Frage 35 des Abgeordneten Dr. Daniels ({2}) auf:
War die Bundesregierung von den Aktionen des Verfassungsschutzes in Bruck/Oberpfalz informiert, bei denen persönliche Meldeunterlagen von Mitgliedern der Bürgerinitiative gegen die geplante Wiederaufarbeitungsanlage ({3}) Wackersdorf fotografiert wurden, und in welcher Weise gedenkt sie dagegen einzuschreiten, damit sich dies nicht in anderen Städten und Gemeinden wiederholt?
Die Bundesregierung war über die in der Frage genannten Aktionen nicht informiert. Im übrigen entspricht es ständiger Praxis der Bundesregierung, zu landesinternen Vorgängen nicht öffentlich Stellung zu nehmen.
Allgemein läßt sich folgendes sagen - ich bitte sehr um Nachsicht, wenn ich mich wiederholen muß, aber die Fragen betreffen ja jeweils im Grunde denselben Sachverhalt - : Nach den Erkenntnissen der Verfassungsschutzbehörden betätigen sich in Bürgerinitiativen gegen Kernenergieanlagen auch Mitglieder extremistischer Organisationen und versuchen dort, Bürger für die Unterstützung verfassungsfeindlicher Aktivitäten zu gewinnen. Solche Bestrebungen von Extremisten sind vom Verfassungsschutz von Gesetzes wegen zu beobachten; unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen die dazu erforderlichen personenbezogenen Informationen erhoben und ausgewertet werden.
Auf die Aktivitäten von Linksextremisten in der Anti-Kernkraft-Bewegung weist auch der Verfassungsschutzbericht 1987 hin. Ich habe das ja schon im einzelnen dargelegt.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß dieser Personenkreis, der sich hier linksextremistisch betätigt, zum Schutze der Grundwerte unserer Verfassung der Beobachtung durch den Verfassungsschutz unterliegen muß. Sie hat andererseits wiederholt erklärt, daß ein Engagement in einer Bürgerinitiative ohne extremistischen Hintergrund kein Anlaß für ein Tätigwerden des Verfassungsschutzes ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Daniels.
Herr Staatssekretär, wie will die Bundesregierung die vollständige Überwachung des Anti-WAA-Widerstandes oder von Bürgerinitiativen in der gesamten Republik verhindern, wenn demnächst eine Gesetzesänderung die Amtshilfe von Meldebehörden in eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit umwandeln will?
Wir wollen nicht in der gesamten Bundesrepublik die Beobachtung dieses von Ihnen so bezeichneten Widerstands behindern, wir wollen ihn auch nicht einführen, sondern wir wollen, daß die Behörden entsprechend ihrem gesetzlichen Auftrag ihre Pflicht tun, und dabei unterstützen wir sie.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Daniels.
: Können Sie mir noch einmal sagen, wohin voraussichtlich die Fotografien der Paßbilder der betroffenen besorgten Bürger in Bruck hingelangt sind?
Ich habe wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß die Bundesregierung keinen Anlaß hat, zu landesinternen Vorgängen Stellung zu nehmen.
Wenn Sie einverstanden sind, Herr Dr. Daniels, auf eine weitere Zusatzfrage zu verzichten, dann kann ich noch die nächste Frage durch den Herrn Staatssekretär beantworten lassen, da die Fragestunde bereits abgelaufen ist.
Gut, dann nehmen wir die nächste Frage.
Ich rufe die Frage 36 des Abgeordneten Dr. Daniels ({0}) auf.
Wie weit sieht die Bundesregierung den beschriebenen Vorfall und die Zustände in Bayern noch von denen des von Staatsrechtlern befürchteten „Atom-Staates", bei dem persönliche Freiheitsrechte den Atom-Interessen des Staates untergeordnet werden, entfernt, und gedenkt sie, die festgestellten persönlichen Unterlagen von Mitgliedern der Bürgerinitiativen gegen die Wiederaufarbeitungsanlage ({1}) und sonstigen, dem Verfassungsschutz durch seine umfassenden Aktivitäten bekanntgewordenen WAA-Gegnern vernichten zu lassen?
Die in der Frage enthaltenen Unterstellungen weist die Bundesregierung entschieden zurück. Sie lehnt es ab, zu diesen rein polemischen Äußerungen sachlich Stellung zu nehmen.
Soweit die Vernichtung persönlicher Unterlagen angesprochen wird, ist die Bundesregierung der falsche Adressat. Es entspricht ständiger Praxis der Bundesregierung, zu landesinternen Vorgängen nicht öffentlich Stellung zu nehmen.
Eine weitere Zusatzfrage von Herrn Daniels ist erlaubt.
Die Frage der Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns spielt hier in diesem Zusammenhang eine große Rolle. Wie können die Lücken im Paß- und Meldegesetz so geschlossen werden, daß solchermaßen erfahrenes freies Schalten und Walten des Verfassungsschutzes eingeschränkt werden kann?
Ich kann hier wieder nur bezogen auf den Bund antworten und nur entschieden Ihre Unterstellung zurückweisen, daß hier das freie Schalten und Walten des Bundesamtes für Verfassungsschutz vorprogrammiert sei. Ich habe vorhin die umfassenden Rechtsgrundlagen genannt, in denen sich der Verfassungsschutz zu bewegen hat, und wir haben keinen Anlaß anzunehmen, daß er das nicht tut.
Ist eine Parallele zwischen den Polizeiausschreitungen durch die berüchtigte „Berliner Einheit" vom 10. 10. und den Aktionen in Bruck durch den Verfassungsschutz zu sehen, um den Widerstand gegen die WAA von vornherein weiter zu kriminalisieren, um Menschen von
Dr. Daniels ({0})
ihrer Teilnahme an demokratischen Grundrechten abzuschrecken, weil sie entweder um ihre Gesundheit oder um ihre Bürgerrechte fürchten müssen?
Ich habe keinen Anlaß, solche Zusammenhänge zu sehen. Im übrigen ist das wieder eine Frage, die Sie hier nicht an den Bund richten sollten.
Danke, die Fragestunde ist beendet.
Meine Damen und Herren, die noch nicht behandelten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich darf Ihnen eine Mitteilung machen. Der Altestenrat schlägt vor, in Abweichung von der Geschäftsordnung, die Frist für die Einreichung von Fragen zur mündlichen Beantwortung in der Tagungswoche vom 20. bis 24. Juni 1988 wegen des gesetzlichen Feiertages am 17. Juni auf Donnerstag den 16. Juni 1988, 11.00 Uhr, vorzuverlegen. Sind Sie damit einverstanden? - Kein Widerspruch, dann haben wir das so beschlossen.
Ich rufe nun den Zusatztagesordnungspunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zur möglichen Verlängerung des Ausnahmezustands in Südafrika
Die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Eid.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Die GRÜNEN im Bundestag haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil morgen das südafrikanische Parlament erneut die Verlängerung des Ausnahmezustandes über Südafrika beschließen wird. Wir möchten von dieser Stelle aus die nahezu drei Millionen südafrikanischen Arbeiter und Arbeiterinnen beglückwünschen, die, dem Aufruf der beiden größten Gewerkschaftsdachverbände COSATU und NACTU folgend, in einen dreitägigen Generalstreik machtvoll gegen Ausnahmezustand und neue Terrorgesetze protestiert haben.
({0})
Der Deutsche Bundestag sollte heute deutlich machen, daß wir diesen Generalstreik begrüßen und uns mit den Zielen der Streikenden solidarisieren. Diese Ziele sind: Der Ausnahmezustand darf nicht verlängert werden, die Gesetzesvorlage zur weiteren Knebelung der Gewerkschaften darf nicht verabschiedet werden, der Gesetzentwurf zum Verbot der Auslandsfinanzierung oppositioneller Gruppen muß ersatzlos zurückgezogen werden.
Wenn es stimmt, daß, wie die „FAZ" vom 7. Juni d. J. schreibt, sich Mitarbeiter der deutschen Botschaft für die Zurücknahme des Gesetzes zum Verbot der Auslandsfinanzierung eingesetzt haben, begrüßen wir GRÜNEN dies ausdrücklich. Wir betonen aber zugleich, daß auch die vorgesehene Neufassung dieses Gesetzes mit gleicher Entschiedenheit zurückgewiesen werden muß.
Morgen wird nun der Ausnahmezustand in Südafrika wieder um ein Jahr verlängert. Das heißt, 3 000 Menschen, die auf Grund der Notstandsgesetze am heutigen Tag noch in Haft sind, werden nicht freigelassen. Ungefähr 1 000 von ihnen sind länger als ein Jahr in Haft, ohne jemals einem Richter vorgeführt worden zu sein. Weit über 25 000 Menschen sind seit Beginn des Ausnahmezustandes am 12. Juli 1986 verhaftet worden. Mehr als 10 000 davon sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, die Jüngsten sind erst 7 Jahre alt. Eltern und Angehörige werden nicht informiert; niemand weiß, wo die Verhafteten geblieben sind. Folter in den Polizeikasernen und Gefängnissen ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel.
Die internationale Juristenkommission, die im vergangenen Jahr mehrere Wochen lang in Südafrika die dauernde Verletzung der Menschenrechte, darunter Folter an Kindern und Polizeiterror, aufgespürt hat, berichtet von verhafteten Jugendlichen, die so schwer gefoltert wurden, daß die Spuren noch neun Monate später deutlich sichtbar waren - ich zitiere -:
Einem 16jährigen hatte ein Polizist mit der Faust das linke Auge eingeschlagen, so daß es erblindet war, einem anderen war kochendes Wasser über die Füße geschüttet, einem dritten ein Plastikring um die Fußzehen gelegt und angezündet worden, so daß der Fuß zusammenschmorte.
Dort, wo Polizei und Militär nicht selbst direkt gegen die schwarzen Apartheidgegner vorgehen, setzen die Behörden Schläger- und Mordbanden, sogenannte Vigilantentrupps ein. Die Aktionen dieser Vigilanten haben in einigen Fällen, wie amnesty international berichtet, ein Ausmaß an Brutalität erreicht, das bisher nur von den sogenannten Todesschwadronen aus Lateinamerika bekannt war.
({1})
Die Verlängerung des Ausnahmezustandes in Südafrika bedeutet hunderttausendfaches Leid für die Menschen dieses Landes, bedeutet Mord und Folter, Angst und Not für Abermillionen. All dies ist die erklärte Politik der südafrikanischen Regierung. Wer dies hinnimmt, wer heute immer noch, wie es die Bundesregierung tut, behauptet, dieses menschenverachtende System sei reformfähig und reformbereit, wer sich weigert, die Regierung in Südafrika massiv unter Druck zu setzen, der macht sich mitschuldig an jedem weiteren staatlichen Terrorakt in Südafrika.
({2})
Unser Mitgefühl gehört den Tausenden von Gefangenen, deren Hoffnung, morgen die Gefängnisse und Folterzellen verlassen zu können, nicht in Erfüllung gehen wird; es gehört den Familienangehörigen, die morgen vergebens auf die Heimkehr ihrer Väter, Mütter, Brüder, Schwestern und Kinder warten. Wir dürfen diese Menschen nicht alleine lassen. Sie brauchen unsere Unterstützung und Solidarität.
Wir GRÜNE haben in den letzten Wochen verschiedene Sanktionsanträge eingebracht, die in der komFrau Eid
menden Woche in den Ausschüssen beraten werden. Ich bitte Sie, sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen, diese Anträge gemeinsam zu beschließen und jetzt ein deutliches Zeichen unserer Ablehnung des Apartheitsystems zu setzen und unsere Solidarität mit allen Gegnern der Apartheid zu bekunden.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hornhues.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor zwei Jahren auf dem Höhepunkt der Unruhen in Südafrika verhängte die Regierung Südafrikas den Ausnahmezustand. Mit aller Gewalt und mit allem, was ein Ausnahmezustand bedeutet, sollten Ruhe und Ordnung wiederhergestellt werden. Zugleich wollte man mit der Fortsetzung einer Politik der Reformen eine politische Befriedung des Landes erreichen.
Vorweggegangen waren damals, 1984 beginnend, schwere Unruhen, die zum Teil friedlich waren, zum Teil in Gewalt umschlugen und die über 2 000 Tote forderten, zum großen Teil Opfer der brutalen Gewaltanwendung von Polizei und Militär, zum Teil aber auch Opfer eines lynchenden Mobs, der schwarze Kollaborateure steinigte und verbrannte. Wichtigste Ursache für diese Unruhen waren die fortdauernde Verweigerung von Grundrechten vor allem für die schwarze Bevölkerungsmehrheit.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, damals vor zwei Jahren, als die Regierung Südafrikas diese Entscheidung traf, gab es selbst innerhalb der südafrikanischen Regierung, innerhalb des südafrikanischen Kabinetts und der sie tragenden nationalen Partei starke Kräfte, die den eingeschlagenen Weg für falsch hielten und heute noch halten. Sie waren und sind der Auffassung, daß es auf dem von ihrer Regierung eingeschlagenen Weg unmöglich sei, zu einer wirklichen politischen Befriedung des Landes zu kommen, Sie waren und sind heute erst recht der Auffassung, daß nur durch entscheidendes Entgegenkommen, Gespräche und Verhandlungen eine wirkliche politische Befriedung ihres Heimatlandes erreichbar sei.
Selbst in vielen Kreisen der Regierung der herrschenden nationalen Partei wächst die Erkenntnis, daß es zu keiner wirklichen Befriedung gekommen ist und auch nicht kommen kann, daß es im Gegenteil mit wachsender Repression, dem Verbot der politischen Betätigung für die 18 Organisationen, dem Verbot von Zeitungen, der weiter verschärften Pressezensur, weiteren Verhaftungen und so weiter und so fort und mit den geplanten Gesetzen, die schon angesprochen worden sind, selbst für gemäßigte schwarze Führer immer unmöglicher wird, Verhandlungsangebote unter den gegebenen Bedingungen anzunehmen. Gerade zuletzt haben es die Homeland-Führer von QwaQwa und Lebowa abgelehnt, unter diesen Bedingungen am Nationalrat teilzunehmen.
Jede dieser Maßnahmen, die ergriffen worden sind oder ergriffen werden sollen, bedeutet nicht nur, daß man immer mehr Rechte einschränkt und beseitigt, sondern sie bedeutet zugleich auch das Aufbauen neuer Hindernisse und neuer Hürden, die erst einmal abgebaut werden müssen, bevor der von uns immer wieder geforderte und an sich auch von allen Seiten angestrebte Prozeß von Verhandlungen über die gemeinsame Zukunft Südafrikas beginnen kann.
Wenn in diesen Tagen Gewerkschaften und Kirchen aus gegebenem Anlaß gegen die Fortdauer des Ausnahmezustandes und gegen beabsichtigte, sie betreffende Gesetze protestieren, dann hat dieser Protest unsere Sympathie und Unterstützung.
Insgesamt müßten an sich auch die Verantwortlichen in Südafrika selber erkennen, daß sie mit ihrer Politik in einer hoffnungslosen Sackgasse stecken. Die immer schärfere Repression und das Anziehen dieser Repressionsschraube haben trotz weiterer Reformschritte und weiterer Angebote zur Mitwirkung von Schwarzen in verschiedensten Institutionen bis in die Regierung hinein eben keinen konkreten Fortschritt gebracht. Man ist hinsichtlich des Hauptpunktes der politischen Befriedung des Landes keinen Schritt weitergekommen.
Von daher fordern wir mit allem Nachdruck die südafrikanische Regierung auf, die Politik von Ausnahmezustand und Anziehen der Repressions-schraube aufzugeben und die Voraussetzungen für einen umfassenden nationalen Dialog zu schaffen.
Ich möchte an dieser Stelle den Parlamentarierinnen und Parlamentariern der drei Kammern in Südafrika danken, die sich engagiert genau in diese Richtung bemühen, selbst weit in die herrschende NP hinein. Ich möchte ihnen dafür danken, daß sie sich bemühen, die Gesetze zum Arbeitsrecht, bezogen auf die Finanzen der gesellschaftlichen Gruppen aus dem Ausland, zu verhindern, wenigstens aber so zu gestalten, daß sie keine Einschränkungen bedeuten.
Ich möchte an die Bundesregierung appellieren, das, was wir wiederholt eingefordert haben, zu tun, nämlich stärker darauf hinzuwirken und hinzuarbeiten, daß endlich der Tisch für Verhandlungen über die Zukunft Südafrikas zum Wohle aller Menschen in Südafrika aufgestellt werden kann.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Verheugen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die südafrikanischen Zeitungen berichten heute, daß wohl nicht nur mit der Verlängerung des Ausnahmezustandes zu rechnen ist, sondern daß verschärfte Maßnahmen innerhalb der südafrikanischen Regierung erwogen werden. Das ist dann die Antwort der Regierung Botha auf den Protest, mit dem sich die Kollegin Eid und der Kollege Hornhues in ihren Reden eben solidarisch erklärt haben. Ich kann mich für meine Fraktion diesen Solidaritätserklärungen nur anschließen. Wir stehen auf der Seite derjenigen, die alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um dieses Sy5588
stem des Unrechts und der Unterdrückung in Südafrika zu überwinden.
Es ist aber nicht nur der Ausnahmezustand, dessen scheußliche Auswirkungen wir hier im einzelnen schon oft diskutiert haben und der in meinen Augen auch nur ein äußeres Symptom für die Verderbtheit dieses ganzen Systems ist, sondern es sind zwei weitere ernsthafte Probleme, die uns in den letzten Wochen in allen Fraktionen beschäftigt haben, die heute hier angesprochen werden müssen. Im Gegensatz zur Berichterstattung einiger großer deutscher Zeitungen ist es nicht wahr, daß die südafrikanische Regierung das Gesetz, mit dem das Streikrecht praktisch abgeschafft werden soll, zurückziehen will. Es ist auch nicht wahr, daß sie in der Substanz das Gesetz zur Kontrolle der ausländischen Hilfsgelder verändern will.
({0})
Beides ist nicht wahr. In der Substanz ist keinerlei Kompromißbereitschaft vorhanden.
({1})
Das heißt, daß der Druck, der bisher ausgeübt worden ist, nicht ausreichend war. Wir haben es begrüßt, daß der Herr Bundeskanzler und der Herr Außenminister die Delegation hochrangiger Kirchenführer aus Südafrika empfangen haben und deutlich gemacht haben, daß diese Gesetze aus unserer Sicht für unannehmbar gehalten werden. Aber das Erklären, das etwas für uns unannehmbar ist, reicht ja nicht aus, wenn hinterher keinerlei Reaktion erfolgt.
Ich muß die Frage wiederholen, Herr Staatsminister Schäfer, die ich in der letzten Debatte schon gestellt habe: Was hat die Bundesregierung in der Zeit ihrer EG-Präsidentschaft getan, um das, was schon vor zwei Jahren angekündigt war, nämlich im Licht der Entwicklung in Südafrika die Politik der Europäischen Gemeinschaft gegenüber Südafrika zu überprüfen, zu realisieren? Wo sind die neuen Initiativen? Wo ist der Druck, der von der Europäischen Gemeinschaft ausgeht? Daß dieser Druck hilfreich sein kann, haben wir ja gespürt. Es ist ja nicht so, daß Südafrika, die südafrikanische Regierung, völlig unabhängig ist von dem, was das Ausland tut. Der massive weltweite Protest gegen die Hinrichtung der Sharpeville Six hat ja gezeigt, daß etwas bewirkt werden kann. Wir wünschen uns ähnlich massiven Protest bei diesen Fragen, um die es jetzt geht.
Wir können noch nicht einmal erkennen, daß die Minimalmaßnahmen, die wir in der letzten Debatte vorgeschlagen haben, in Gang gesetzt werden. Ich sehe nichts an Verringerung des Personals der südafrikanischen Botschaft in Bonn. Ich höre nichts von der Abberufung der europäischen Botschafter in Pretoria. Vom Visumzwang ist nichts zu sehen.
Ich will Ihnen ein Beispiel aus den jüngsten Tagen nennen. Sie wissen ja, daß die SPD-Fraktion am Montag und Dienstag der nächsten Woche mit Vertretern des südafrikanischen Widerstandes eine Anhörung veranstaltet. Ein großer Teil derjenigen, die wir zu dieser Anhörung als Sachverständige hierhaben wollten, kann nicht kommen, weil die südafrikanische Regierung ihm den Paß verweigert. Sie können das Land nicht verlassen. Aber diejenigen, die aus Südafrika in dieses Land reisen, um hier für ihr System Propaganda zu machen oder um hier Kredite aufzunehmen, neue Geschäfte anzubahnen, die können einreisen. Da passiert nicht das Geringste.
Ich sage Ihnen noch einmal: Solange wir nicht dafür sorgen, daß diejenigen, die wir aus Südafrika als Gäste hierhaben wollen, auch hierherkommen können, solange können wir es nicht hinnehmen, daß jeder andere einfach ohne Visum einreisen kann.
({2})
Ich wiederhole diese Forderung sehr nachdrücklich.
Erlauben Sie mir an die Bundesregierung gerichtet eine letzte Frage. Wird denn nun ein Mitglied der Bundesregierung noch vor Ablauf der deutschen EGPräsidentschaft nach Südafrika reisen? Konkret: Wird Herr Blüm nun im Juni die x-mal angekündigte Reise antreten und diesem Protest - ({3})
- Lieber Herr Schwarz, ich muß hier immer die gleichen Kamellen bringen, weil Herr Blüm immer wieder sagt, er fährt, und dann sagt ein anderer, er fährt nicht. Wir wollen jetzt endlich wissen: Mit was kann man rechnen? Fährt Herr Blüm nach Südafrika? Wird er dort im Namen der Europäischen Gemeinschaft und der Bundesregierung dafür eintreten, daß der Ausnahmezustand aufgehoben wird und daß diese Gesetze, über die hier gesprochen worden ist, zurückgezogen werden?
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Irmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch meine Fraktion ist selbstverständlich, wie es die Sprecher der anderen Fraktionen gesagt haben, solidarisch mit den Unterdrückten und mit den Opfern.
({0})
Ich meine aber, daß es wenig Sinn macht, jetzt hier erneut in die allgemeinen Klagen einzustimmen. Wir haben kluge Analysen gehört. Wir haben unserer Empörung und unserem Abscheu Ausdruck gegeben und dies immer wiederholt.
Die Maßnahmen, die die internationale Staatengemeinschaft bisher ergriffen hat, sind aber leider im wesentlichen wirkungslos geblieben. Als wir das letztemal hier über Südafrika gesprochen haben, habe ich gefordert, daß die Europäische Gemeinschaft eine politische Offensive einleiten solle, um einen politischen Ansatz zu finden, die Probleme des südlichen Afrika zu lösen. Ich möchte dies heute wiederholen, und ich möchte es konkretisieren:
Ich schlage vor, daß die EG im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit noch vor Ende dieses Jahres ein mit Fristen versehenes Aktionskonzept vorlegt. Ich möchte das einen „Zehnjahresplan
für Freiheit, Frieden und Gleichberechtigung im südlichen Afrika" nennen.
Das Ziel eines solchen Planes müßte es sein, spätestens bis zum Jahre 2000 nach einem präzisen Plan phasenweise, Schritt für Schritt, folgendes zu erreichen: die völlige Beseitigung der Apartheid, die volle wirtschaftliche, soziale und politische Gleichberechtigung aller Bevölkerungsgruppen in Südafrika, die Unabhängigkeit Namibias und die Sicherung der Frontlinienstaaten gegen Interventionen Südafrikas, die innere Befriedung der Frontlinienstaaten und die drastische Verringerung der wirtschaftlichen Abhängigkeit dieser Nachbarländer von der Republik Südafrika.
Es ist doch nicht realistisch, zu verlangen, daß dieses alles über Nacht eintritt.
({1})
Auf der anderen Seite ist es auch nicht realistisch, zu sagen, daß man dies auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben könnte. Zehn Jahre, mit konkreten Fristen erscheinen mir eine ausreichende, aber auch eine angemessene Zeit.
Südafrika selbst muß deutlich machen, daß die ständigen Reformbeteuerungen auch ernst gemeint sind. Es muß sich verbindlich verpflichten, diesen von der Europäischen Gemeinschaft vorzuschlagenden Zeitplan einzuhalten, die Fristen strikt zu beachten.
Ich stelle mir das ungefähr so vor - ohne daß man hier jetzt Einzelheiten ausbreiten könnte - , daß in einer ersten Phase von etwa drei Jahren die Apartheid des täglichen Lebens, und die soziale und wirtschaftliche Diskriminierung der Schwarzen beseitigt werden müßten, und zwar vollständig, daß es in dieser ersten Phase den Schwarzen gleichzeitig ermöglicht wird, zunächst ihre eigenen politischen Vertreter frei zu wählen. In der zweiten Phase müßten dann die gewählten Vertreter aller Bevölkerungsgruppen gleichberechtigt an einem Tisch sitzen und eine Verfassung für das künftige Südafrika ausarbeiten. In der dritten Phase von wiederum drei bis vier Jahren müßte dann die Vorbereitung erfolgen, damit dieser Verfassungstext in Verfassungswirklichkeit umgemünzt werden könnte. Mit diesem Plan müßte eine massive Bildungs- und Ausbildungsoffensive für die schwarze Bevölkerung einhergehen.
({2})
Die Hilfe der EG könnte hierbei zugesichert werden.
Ich sagte, daß über Details hier heute in der Aktuellen Stunde nicht gesprochen werden kann. Aber ich bitte die Bundesregierung, diese Anregung aufzunehmen und in der EG hier initiativ zu werden.
Auch die Republik Südafrika und ihre Regierung werden sich solchen Vorschlägen nicht auf Dauer verschließen können. Für sie ist es nun wirklich fünf Minuten vor zwölf. Wenn sie das blutige Chaos und den Untergang der weißen Bevölkerung verhindern will, muß sie sich auf derartige ernstgemeinte Vorschläge einlassen, die mit dem öffentlichen Druck der Staatengemeinschaft verbunden werden sollten.
Eine Voraussetzung, elementare Vorleistung der südafrikanischen Regierung, damit dieser Plan oder etwas ähnliches für die schwarze Bevölkerungsmehrheit akzeptabel wäre, sind allerdings folgende Punkte: erstens die sofortige Aufhebung des Ausnahmezustands, zweitens die Wiederzulassung aller verbotenen Oppositionsorganisationen und drittens die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen, an der Spitze der nunmehr 30jährige Nelson Mandela.
Meine Damen und Herren, wenn es für das südliche Afrika überhaupt noch Hoffnung geben soll, dann muß die Europäische Gemeinschaft hier die volle politische Verantwortung übernehmen, und zwar sofort.
Ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort hat der Staatsminister Schäfer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Politik der Bundesregierung gegenüber Südafrika habe ich zuletzt am 19. Mai dieses Jahres im Deutschen Bundestag dargelegt. Diese Politik ist Teil der Afrikapolitik der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Auch darauf habe ich hingewiesen. Die Beschlüsse der 12 sind für uns maßgebend. Die Bundesregierung hat ferner ihre Grundsätze in den Antworten auf die Großen Anfragen von 1983 und 1986 dargelegt und im Deutschen Bundestag wiederholt bestätigt.
Die Lage in Südafrika wird unverändert durch Fortgeltung des Notstandrechts bestimmt - darauf haben alle Vorredner hingewiesen - , das nach unseren Informationen am 14. Juni 1988 verlängert werden soll. Die politischen Gefangenen bleiben somit weiter in Haft, allen voran Nelson Mandela und Eric Molobi. Darüber hinaus soll durch das bestehende Verbot der Anti-Apartheids-Organisationen und andere Maßnahmen das System der Apartheid gesichert werden.
Die Politik der südafrikanischen Regierung zeigt die befürchteten Ergebnisse. Die unterdrückten Schwarzen wehren sich gegen die staatliche Unterdrückung. Eine Steigerung der staatlichen Gewalt ist die Folge. Friedliche Protestbewegungen wie der Ausstand von etwa zwei Millionen schwarzer Arbeitnehmer haben unsere Unterstützung. Sie sind Ausdruck des Wunsches dieser Südafrikaner, friedlich für demokratische Grundrechte, die ihnen vorenthalten werden, zu demonstrieren. Zugleich ist diese Demonstration ein Zeichen, daß der Versuch der südafrikanischen Regierung, mit der Entscheidung vom 24. Februar dieses Jahres die Organisationen, die mit friedlichen Mitteln gegen Apartheid kämpfen, mundtot zu machen und dem Gewerkschaftsbund COSATU die politischen Rechte zu nehmen, nicht erfolgreich war.
Wir fordern die Abschaffung der Apartheid. Sie widerspricht der Menschlichkeit und unseren freiheitlich demokratischen Wertvorstellungen. Wir verlangen von der südafrikanischen Regierung die Beseitigung dieses Systems, das sie nur mit Gewalt gegen
den Willen der Mehrheit der Südafrikaner aufrechterhalten kann. Wir fordern auch die Beendigung der Gewalt gegen Jung und Alt, Frauen und Kinder. Wir verlangen die Aufgabe der Homeland-Politik und der erneut vorgesehenen Zwangsumsiedlungen.
Das Ziel unserer Politik heißt unverändert Beseitigung der Apartheid in all ihren Formen und Auswirkungen. Apartheid ist nicht reformierbar. Sie muß abgeschafft werden. Sie bleibt eine der schlimmsten Menschenrechtsverletzungen. Darauf haben wir wiederholt hingewiesen.
Die Bundesregierung wird auch in Zukunft alle Bemühungen der Anti-Apartheid-Organisationen einschließlich Kirchen und Gewerkschaften, die um die friedliche Überwindung der Apartheid ringen, unterstützen. Neben den von uns ergriffenen restriktiven Maßnahmen, Herr Kollege Verheugen, die sicher vielen in diesem Hause nicht ausreichen, hat es auch eine ganze Reihe positiver Maßnahmen gegeben. Sie haben mich vorhin danach gefragt, inwieweit die Bundesregierung während ihrer EG-Präsidentschaft etwas unternommen hätte. Sie hat es. Sie hat in Konstanz sehr intensiv über diese Frage mit ihren Partnern diskutiert. Es ist durch eine Demarche des deutschen Botschafters in Südafrika auf Grund dieser Beratungen in Konstanz ein sehr deutliches Zeichen für die Präsidentschaft gegeben worden: Sollte die südafrikanische Regierung den Entwurf des Gesetzes weiter verfolgen, mit dem politisch unerwünschte Geldleistungen an Anti-Apartheid-Organisationen unterbunden werden sollen, so würde das einen Kern deutscher und europäischer Südafrikapolitik treffen, mit den denkbaren Folgen. Aber, Herr Kollege Verheugen, Sie kennen die Lage in der Europäischen Gemeinschaft.
({0})
Ich habe bereits in meiner letzten Rede darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung nicht bezichtigt werden kann, sie verhindere ständig, daß mehr getan würde.
({1})
Ich bitte Sie, sich auch einmal über die Stimmungslage in einigen anderen europäischen Städten zu erkundigen.
Wir registrieren deshalb mit großer Aufmerksamkeit auch die Hinweise, die es neuerdings gibt, daß der Entwurf dieses Gesetzes in dieser Form nicht weiterverfolgt werden soll. Es gibt Hinweise darauf, aber noch keine Beweise. Ich habe das gerade sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Hierzu wäre ein klares Wort der Regierung Südafrikas deshalb sehr wünschenswert.
Wir wollen in der Republik Südafrika den schnellen und friedlichen Wandel zu einer wirtschaftlichen und politischen Ordnung, die auf der Zustimmung aller Südafrikaner gebaut wird und in der alle Südafrikaner eine gerechte Chance zur Gestaltung ihrer Geschicke sehen. Dieser Wandel bedeutet Absage an Gewalt als Mittel der Politik.
({2})
Es ist unser Ziel, den unerläßlichen nationalen Dialog zwischen allen Bevölkerungsgruppen Südafrikas zu fördern. Herr Kollege Irmer, wir greifen Ihre Vorschläge gerne auf.
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Wir sind dankbar für konstruktive Vorschläge.
Herr KollegeVerheugen, zu Ihnen. Sie hatten in diesem Zusammenhang eine weitere Frage gestellt. Wir sind natürlich - auch nach einem Schreiben des SPD-Fraktionsvorsitzenden - der Sache nachgegangen, wer möglicherweise nicht ausreisen darf, um an Ihrem Hearing teilzunehmen. Dazu ist zu sagen, daß jeder einzelne Fall von uns verfolgt wird, d. h. daß wir uns bemühen und daß sich ferner herausgestellt hat, daß eine Reihe der von Ihnen eingeladenen Gewerkschaftsführer bisher keinen Antrag gestellt haben soll - ich bitte, das auch zu überprüfen - , und zwar wegen des Streiks. Aber jedenfalls haben wir auch in der Vergangenheit - darauf darf ich hinweisen - immer wieder erreicht, daß Leute, die nicht hätten ausreisen dürfen, auf Grund massiver Intervention ausreisen durften.
Meine Damen und Herren, wenn den Anti-Apartheid-Organisationen die politische Betätigung verboten bleibt, wenn ihnen nicht die Chance gegeben wird, im Ausland überhaupt auftreten zu dürfen, dann findet kein Dialog statt. Es ist töricht, wenn die südafrikanische Regierung diesen Dialog zu verhindern sucht, weil dadurch die Atmosphäre im Lande verschlechtert wird. Der Ausnahmezustand muß aufgehoben werden; er darf nicht verlängert werden.
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Herr Kollege Irmer, es ist schlimm genug, daß Nelson Mandela am 18. Juli seinen 70. Geburtstag wahrscheinlich immer noch im Gefängnis verbringen muß, obwohl in den vergangenen Jahren von der südafrikanischen Regierung vielerlei Versprechungen gemacht worden sind, auch gegenüber Personen aus allen Fraktionen dieses Hauses. Die übrigen Vertreter der schwarzen Mehrheit müssen ebenfalls ihre Freiheit wiederfinden, um sich an der Vorbereitung und der Durchführung eines solchen Dialogs beteiligen zu können.
Um diese Ziele zu erreichen, werden wir fortfahren, Herr Kollege Ehmke, gemeinsam mit unseren Partnern in der EG nach Mitteln und Wegen zu suchen, um die Regierung Südafrikas von der Notwendigkeit einer Änderung ihrer Politik zu überzeugen.
Ich wiederhole, was hier wiederholt auch schon angedeutet worden ist, was der Bundespräsident angedeutet hat: Die Regierung Südafrikas darf nicht etwa glauben, daß sie einen Freibrief für die Fortführung ihrer Politik der Apartheid hat. Dies ist die Bedeutung des Beschlusses des Europäischen Rates vom 27. Juni 1986.
Es ist heute nicht der Ort, um die Destabilisierungspolitik Südafrikas gegenüber den Frontlinienstaaten
zu behandeln. Nur soviel soll gesagt sein: Diese Destabilisierungspolitik widerspricht der Auffassung der Bundesrepublik, wie sie bereits 1983 erörtert worden ist. Die Sicherheit und Stabilität der Frontlinienstaaten ist eine ganz wichtige Voraussetzung für eine gedeihliche Entwicklung der ganzen Region.
Deshalb geben wir Ländern wir Botsuana, Mosambik und vor allem Angola politische Unterstützung gegen grenzüberschreitende Übergriffe Südafrikas. Wir begrüßen die Bemühungen der Vereinigten Staaten, in gemeinsamen Verhandlungen mit Angola, Kuba und Südafrika eine regionale Lösung herbeizuführen, die die Implementierung von Resolution 435 und den Abzug kubanischer wie südafrikanischer Truppen aus Angola zum Ziel hat.
Es ist höchste Zeit, daß die Leiden des angolanischen Volkes enden und dieses große und zukunftsträchtige Land Frieden findet. Es ist aber ebenso notwendig, endlich dem namibischen Volk seine Unabhängigkeit zu geben.
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Dies - und das ist die Auffassung aller Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen - kann nur durch die Implementierung der Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen erfolgen. Es gibt gelegentlich andere Meinungen in diesem Lande, aber ich darf immer wieder darauf hinweisen, daß es in den Vereinten Nationen keine andere Meinung zu diesem Thema gibt.
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- Unsere Politik gegenüber Südafrika, Herr Kollege Lowack, und dem südlichen Afrika muß glaubwürdig bleiben. Das ist sie nur, wenn wir uns auch in Zukunft an den Wertvorstellungen unseres Grundgesetzes orientieren. Verantwortliche Politik muß jede Möglichkeit suchen, um Stabilität und Zusammenarbeit im südlichen Afrika zu fördern und einen Rassenkrieg innerhalb der Republik vermeiden zu helfen.
Meine Damen und Herren, wir werden uns mit diesem Thema sicher noch sehr häufig zu beschäftigen haben. Sie wissen, daß es sehr unterschiedliche Meinungen über den Weg gibt, die Apartheid abzuschaffen. Wir sind noch nicht am Ende mit dieser Diskussion.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Holtz.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Staatsminister, auf jeden Fall tut die Bundesregierung zu wenig, wie eben ja selbst die FDP bestätigt hat. Zwischen Wort und Tat, klafft ein langer Pfad. Ihre Politik ist nicht so glaubwürdig, wie Sie es hier dargelegt haben.
Zu einer glaubwürdigen Politik gehört nicht zuletzt die Überwindung der unerträglichen Trennung von Moral und Geschäft, wie sie die Bundesregierung gegenüber Südafrika immer noch praktiziert. Denn es werden weiterhin Exportgeschäfte bis zu 50 Millionen DM mit Hermes-Krediten abgesichert. Das muß aufhören, wenn Sie eine glaubwürdige Politik betreiben wollen.
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Gestern abend wurde im BBC-Fernsehen ein aus Südafrika herausgebrachter Film über die Mißhandlung von Kindern ausgestrahlt, ein erschütterndes, aufrüttelndes Dokument. Dort wurde gezeigt, daß 13jährige, 12jährige, 9jährige Kinder inhaftiert werden, daß sie ausgepeitscht werden, daß sie mit Elektroschocks gequält werden. Mit einem solchen barbarischen Regime - da sind wir uns hoffentlich alle einig - darf es keinerlei Kumpanei geben.
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In diesem Zusammenhang halte ich den Vorschlag für interessant, den die Interparlamentarische Union auf ihrer Konferenz im Herbst 1987 in Bangkok angenommen hat. Die IPU befürwortet eine extensivere Auslegung der Grundsätze von Nürnberg zur Ahndung und Bestrafung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, und zwar mit dem Ziel, ihren Anwendungsbereich auch auf das Verbrechen der Apartheid auszudehnen - ein wichtiger Vorschlag, für dessen Verwirklichung sich gerade eine deutsche Regierung einsetzen sollte.
Da wollte vor zwei Tagen einigen Damen und Herren auf dem Festbankett, daß der Herr Bundeskanzler zu Ehren des indischen Ministerpräsidenten in der Redoute gab, der Sekt nicht mehr munden, als Rajiv Gandhi ein internationales Anliegen zur Sprache brachte, nämlich die Beendigung der Apartheid in Südafrika sowie die Beendigung des Kolonialismus in Namibia. Die Apartheid, meinte er zu Recht, könne nur „auf Grund der Unterstützung fortbestehen, die Pretoria durch seine Wirtschaftsbeziehungen nach außen erhält" .
Kurz zuvor hatte er noch die Bundesrepublik in seiner Rede als eines der einflußreichsten Länder in der westlichen Welt bezeichnet. Jetzt machte er deutlich, wozu der Einfluß auch benutzt werden soll. An den Bundeskanzler gewandt, fuhr er fort: „Der wirksamste Weg zur Untergrabung der Apartheid wären umfassende, verbindliche Sanktionen gemäß Kapitel 7 der Charta der Vereinten Nationen. " Auf diese Weise könne vielleicht dem drohenden Blutbad Einhalt geboten werden.
Er setzte noch nach: „Es ist eine moralische Pflicht und eine praktische Notwendigkeit, die internationalen Bemühungen in dieser Richtung abzustimmen." Dem können wir uns nur anschließen. Wir fordern den Bundeskanzler auf, den Ratschlag der von ihm in diesen Tagen hoch gewürdigten größten Demokratie der Welt, Indien, zu beherzigen und in die Tat umzusetzen.
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Von der südafrikanischen Regierung werden gesetzliche Regelungen vorbereitet, die darauf hinauslaufen, daß die Gelder von außen „kontrolliert" werden sollen - so heißt es neuerdings -, damit sie nicht gesetzwidrig eingesetzt werden. Hier würde dann eine Regierung entscheiden, was z. B. eine Kirche zu
tun oder zu lassen hat, und nicht mehr die Kirche selbst. Dies will sie nicht mit allseits geltenden Gesetzen, sondern mit einem Sondergesetz.
Wir erwarten von der Bundesregierung - da verstecken Sie sich bitte nicht hinter der EG - schärfsten Protest gegen diese geplanten Regelungen.
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- Wir werden ja sehen, was dabei herauskommt. Herr Irmer hat zu Recht Kritik daran geäußert und gesagt, was er zukünftig erwartet. Im übrigen, meine ich, Herr Irmer, ist es interessant, was Sie an Maßnahmen vorgeschlagen haben. Aber wollen wir noch zehn Jahre weiteres Leiden zulassen? Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist zwölf Uhr. Es muß schneller gehandelt werden.
Letzte Woche Freitag, am 3. Juni 1988, forderten Parlamentarierinnen und Parlamentarier sowie Vertreterinnen und Vertreter der Nichtregierungsorganisationen auf einer internationalen Konferenz in Madrid, die im Zusammenhang mit der Nord-Süd-Kampagne des Europarats stand, übereinstimmend von den Mitgliedstaaten des Europarates, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um die Apartheid beenden zu helfen, den Opfern der Apartheid beizustehen, die Unterstützung für die Frontlinienstaaten zu verstärken und jegliche Gesetzgebung in Südafrika zu verurteilen, die die auswärtige finanzielle Unterstützung für die Gegner der Apartheid betrifft. Handeln Sie endlich in diesem Sinne!
Danke schön.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Geiger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren in diesem ersten Halbjahr zum wiederholten Mal über Südafrika. Wir hören immer wieder die gleichen Vorwürfe gegen die Union und gegen die Bundesregierung. Aber ich möchte noch einmal klarstellen: Wir sind weder halbherzig noch unentschlossen, und wir sind auch keine Komplizen der Apartheid. Vielmehr wollen wir mit unserer Politik allen Menschen im südlichen Afrika helfen. Wir wollen aber die Konflikte friedlich überwinden und Blutvergießen und Gewalt verhindern.
Südafrika befindet sich derzeit in einem Übergangszustand, der alles andere als zufriedenstellend ist. Trotzdem müssen wir bei der Befriedung des südlichen Afrika den Wirklichkeitssinn einsetzen, nicht das Wunschdenken. Konkret bedeutet das folgendes:
Südafrika muß Heimat für alle dort wohnenden Bevölkerungsgruppen sein, für Schwarze, für Weiße, für Farbige und Inder. Alle müssen dort Heimatrecht haben. Die Apartheid ist ein historischer Irrweg und muß mit friedlichen Mitteln vollständig überwunden werden. Der Prozeß dazu ist vor allem auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet eingeleitet worden. Aber er ist in letzter Zeit leider steckengeblieben.
Nötig ist jetzt ein genau durchdachter Umwandlungsprozeß, für den zwischen den maßgeblichen Repräsentanten und den Bevölkerungsgruppen ein Fahrplan ausgearbeitet werden muß. Wir müssen darauf hinwirken, daß dieser Verhandlungsprozeß nun endlich in Gang kommt.
Natürlich stimmt es, daß die weiße Regierung in Südafrika in den vergangenen Jahrzehnten mit ihrer rigorosen Apartheidspolitik in eine Sackgasse geraten ist. Aber wichtiger, als das anzuklagen, ist es jetzt, denjenigen Weißen, die das eingesehen haben, dabei zu helfen, einen Weg in eine für alle Südafrikaner gerechtere Zukunft zu finden. Das kann nur durch Dialog geschehen, nicht durch Isolierung und Ausgrenzung.
Es muß ein tragfähiges Konzept gefunden werden. Es muß die vollen Menschenrechte aller Südafrikaner gewährleisten, aber auch Sicherungen für das Existenzrecht der Minderheiten vorsehen. Wer heute als einzigen Vorschlag die Verwirklichung des Prinzips „one man one vote" für Südafrika fordert, der handelt wirklichkeitsfern und letztlich unverantwortlich;
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denn er stärkt die radikalen Geister, und der Weg für eine große, umfassende Lösung wird verbaut. Graf Lambsdorff hat den Nagel auf den Kopf getroffen, als er festgestellt hat: Weiße Sicherheit ist die Voraussetzung für schwarze Freiheit.
Die Regierungspartei in Südafrika muß erkennen, daß sie politischen Wandel nicht allein bewerkstelligen kann. Die Mitarbeit der maßgeblichen schwarzen Führer ist dabei unverzichtbar. Die südafrikanische Regierung muß auch endlich einsehen, daß sich kein schwarzer Führer von Rang an den Verhandlungstisch setzen wird, solange nicht die politischen Gefangenen, allen voran Nelson Mandela, freigelassen und die verbotenen Organisationen wieder zugelassen werden.
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Ich appelliere an die südafrikanische Regierung, diese Voraussetzungen zu erfüllen, den Ausnahmezustand und die Pressezensur aufzuheben und mit den Folterungen aufzuhören.
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An die Führer der Schwarzen appelliere ich, keine Politik des Alles oder Nichts zu treiben und der Gewalt eine klare Absage zu erteilen.
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Die gebetsmühlenartig vorgetragene Forderung nach weiteren Wirtschaftssanktionen hilft ebenfalls nicht weiter. Strafsanktionen lösen keine Probleme, sondern verschärfen sie und schaden jenen am meisten, denen sie eigentlich helfen sollten. Wir sollten statt dessen darüber nachdenken - und nicht ständig dieselben Sachen sagen -, was wir konkret dazu beitragen können,
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um diejenigen Kräfte zu stärken, die auf Ausgleich
und friedlichen Wandel setzen. Mit gezielten InvestiFrau Geiger
tionen in den Sparten, die bereit sind, sich zu öffnen, und mit Hilfsprogrammen wie die Aus- und Fortbildung der unterprivilegierten Schwarzen könnten wir helfen.
Deshalb hat die Union - allen voran der Bundeskanzler - von der Regierung in Südafrika auch mit Nachdruck gefordert, den Gesetzentwurf zurückzuziehen, mit dem die ausländische Unterstützung von Oppositionsgruppen, die die Apartheid mit friedlichen Mitteln bekämpfen, verboten werden sollte. Die südafrikanische Regierung scheint hier inzwischen einzulenken, was ich als Zeichen der Vernunft begrüßen würde. Sie muß jetzt endlich den ins Stocken geratenen Reformprozeß zügig vorantreiben. Vor allem sollte sie die richtige Lehre aus den Vorgängen ziehen. Konzessionen an die unnachgiebigen und uneinsichtigen Teile der weißen Bevölkerung führen nicht weiter. Notwendig ist jetzt ein Zweckbündnis aller reformwilligen Kräfte unter den Weißen, die den Mut zu einem echten Wandel aufbringen. Nur wenn dies rasch geschieht, gibt es noch Chancen für den Ausgleich und für die Versöhnung zwischen allen Südafrikanern.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf von Waldburg-Zeil.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Daß wir uns so oft über dieses Thema im Deutschen Bundestag unterhalten, muß ja einen Grund haben.
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Ich glaube, daß abgesehen von dem sehr formalen Grund, den Sie hier in die Debatte geworfen haben, ein tieferer Grund dahintersteckt. Der schlimmste Rassismus, den es je auf dieser Welt gegeben hat, der verbrecherischste Rassismus, den es je auf dieser Welt gegeben hat, hat in Deutschland stattgefunden. Ich glaube, daß deshalb bei vielen nicht nur der Kopf, sondern das Herz mitspricht, wenn man von uns eine besondere Sensibilität in Fragen der Menschenrechte, der Freiheit, der Demokratie fordert. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, mich beschleicht ein Unbehagen in derselben Erinnerung, wenn ich daran denke, daß bei uns nur ein Weltkrieg in der Lage war, dieses Rassismussystem zu beseitigen. Ich glaube, wir können nichts mehr wünschen, als daß es in Südafrika gelingen möge, ohne Weltkrieg und ohne Bürgerkrieg die Apartheid zu beseitigen.
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Deshalb meine ich, daß unsere besondere Erinnerung und unsere besondere Situation Anlaß sein sollten, uns mit Augenmaß, Gesprächsfähigkeit und Wirklichkeitssinn dem Thema immer wieder anzunähern.
Augenmaß: Wenn wir von der Notstandsgesetzgebung reden, die wir so gern beendet sehen würden, wäre es natürlich ganz falsch, wenn wir Notstandsgesetzgebung als solche ablehnten. Die gibt es in allen Staaten der Welt, auch in demokratischen Staaten. Gefährlich wäre es, wenn wir der Theorie, daß hier ungerechte Gewalt mit gerechter Gegengewalt beantwortet wird, das Wort in dem Sinne reden würden, daß wir sagen, deshalb darf sich die staatliche Gewalt nicht mehr gegen die Gegengewalt wehren. Wir würden nämlich dann denjenigen unter den „Verkrampten" eigentlich Hilfestellung leisten, die sagen, es gibt ja nur noch diesen Weg.
Nein, ich glaube, wir sollten die Begründung, die auch der Kollege Hornhues angesprochen hat, stärker in den Vordergrund stellen, daß die Gespräche mit den nun gerade friedenswilligen Schwarzen faktisch nicht möglich werden unter den Vorzeichen des Ausnahmezustandes.
Das zweite, die Gesprächsfähigkeit: Frau Kollegin Eid, ich habe mich ganz besonders gefreut, daß Sie in Ihrem Beitrag heute ein Lob für das Auswärtige Amt ausgesprochen haben, weil man nicht nur Druck gemacht hat - der Bundespräsident, der Bundeskanzler, der Außenminister, der Oppositionsführer - , sondern weil man einen ganz neuen Weg probiert hat, nämlich den, mit allen Abgeordneten, die ja das Sagen haben, ins Gespräch zu kommen. Ob nun die Meldung, die am Montag in der „Frankfurter" stand, richtig ist oder nicht, daß das Finanzierungsgesetz weg ist, ist zweitrangig. Wenn es gelingt, es wegzubekommen, dann haben diese Gespräche ganz bestimmt einen wichtigen Anteil daran gehabt. Deshalb - meine ich - ist es immer wieder wichtig, gesprächsfähig zu bleiben. Wenn wir immer nur anklagen, immer nur den anderen einen Verbrecher heißen, ist es sehr schwierig, mit ihm nachher das Gespräch zu führen, das eine Veränderung bewirken kann und bewirken soll.
Als letztes würde ich meinen, daß Realismus und Phantasie not tun. Herr Kollege Irmer, auch über Ihre Ausführungen habe ich mich heute deshalb besonders gefreut, weil sehr viel Realismus mit dabei war. In der Tat, wir brauchen etwas Zeit, und wir müssen auch den Südafrikanern, die Reformen durchführen wollen, das Gefühl geben, man verlange von ihnen nichts Unmögliches - nicht sofort, morgen und über Nacht -, sondern man ist bereit, mit ihnen zu reden, Schritt um Schritt, mit positiver und negativer Antwort, so wie die Kirchen dies ebenfalls fordern.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Ganseforth.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Das Konzept des südafrikanischen Terrorregimes darf nicht aufgehen. Einerseits wird der Ausnahmezustand verhängt. Dadurch versucht das Apartheidregime in Südafrika, durch Unterdrükkung, mit geheimpolizeilichen Methoden und Willkürmaßnahmen Ruhe und Ordnung zu schaffen. Darüber hinaus wird durch das Gesetz zur Kontrolle ausländischer Finanzmittel den Bürgerrechts- und Menschenrechtsorganisationen, der Opposition, die materielle Basis entzogen. Das alles wird durch Pressezensur in der Berichterstattung über den Zustand Südafrikas verheimlicht. Ergänzt wird es durch einen Propagandafeldzug der südafrikanischen Regierung.
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Das gehört zusammen. Dadurch soll in der Bundesrepublik der Eindruck erweckt werden, es gehe vorwärts, wie es hier ja auch bei einigen Rednerinnen und Rednern angeklungen ist.
Die wahren Verhältnisse werden verschleiert. Diese Taktik des südafrikanischen Gewaltregimes darf nicht zum Erfolg führen: einerseits den Ausnahmezustand zu verhängen, andererseits durch Pressezensur die wahren Verhältnisse nicht offenzulegen. Wer in welchem Maße zu dieser Verschleierung beiträgt, will ich an einem Beispiel deutlich machen.
Da flatterte mir vor kurzem ein Schreiben einer Organisation auf den Tisch, die sich „Internationale Gesellschaft für Menschenrechte" nennt. Mitglieder sind z. B. Otto von Habsburg, Europa-Abgeordneter, oder Constantin Freiherr von Heereman, Bundestagsabgeordneter der CDU/CSU.
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- Eben; anerkannte Leute. Einige von den hier Anwesenden hätten das auch mit unterschreiben können. Unter der Überschrift „Südafrika und die Menschenrechte - auf Vertrauen setzen" - das ist wirklich eine Verschleierung dessen, was in dem Text stand; „einen Schritt vorwärts wagen" hieß es noch - stand neben anderen schlimmen Sachen, skandalösen Sachen - ich zitiere - : „Die Ausrufung des Ausnahmezustandes im Juni 1986 hat erwiesenermaßen dazu beigetragen, in bestimmten Regionen des Landes furchtbares Blutvergießen zu beenden."
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Wenn das nicht eine Handreichung im Sinne der südafrikanischen Machthaber ist!
Ich denke, das, was Frau Geiger sagte, nämlich wir könnten nicht fordern „one man, one vote", ist eine ganz schlimme Ergänzung dessen.
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- Lesen Sie es nach! Minderheitsrechte und die Forderung, daß jeder mit einer Stimme wählen darf, schließen sich nicht aus. Sie haben das gegeneinandergestellt. Ist das die Haltung der Bundesregierung auch zum Ausnahmezustand?
Die zweite Seite ist die Pressezensur, die Südafrika fast völlig aus den Medien verschwinden läßt. Immer wieder beginnt sich der Vorhang des Schweigens über den Staats- und Polizeiterror zu senken.
Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien tun nichts. Sie kritisieren sogar immer wieder, daß wir keine Ruhe geben, daß wir immer wieder darüber sprechen.
In der Debatte vor 14 Tagen sagte Kollege Lowack für die CDU/CSU, Südafrika brauche Zeit. Das fand ich schon skandalös. Eben wurde es wiederholt. Es wurde wieder gesagt: Wir brauchen etwas Zeit.
Nein, es ist keine Zeit zu verlieren. Das Land treibt in eine Katastrophe, und wir dürfen nicht durch Abwarten und Nichthinsehen dazu beitragen und das dann auch noch Augenmaß nennen, wie es hier hieß.
Ich appelliere auch an die Medien: Wirken Sie der Pressezensur entgegen, durchbrechen Sie das Schweigen! Wenn Sie nicht selber berichten können, fragen Sie diejenien, die die Verhältnisse kennen. Lassen Sie sich etwas einfallen! Hier ist viel zu tun. Öffentlichkeit ist nötig.
Noch ein Beispiel, weil Sie vorhin die Ausführungen zur südafrikanischen Propaganda kritisierten. Auch dieses Jahr wieder hatte Südafrika auf der Messe in Hannover einen Stand.
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Das ist vielleicht der Wirklichkeitsinn, von dem Frau Geiger vorhin sprach. Dieser Stand befand sich neben dem Stand von Australien, als sei Südafrika ein Land wie jedes andere. Das ist ein Skandal.
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Wir, Bürgerinnen und Bürger, Politikerinnen und Politiker, die wir diesen Stand besetzt haben, die wir empört waren, daß für Investitionen in Südafrika geworben wird, sind nicht Störer, sondern wir sind nicht mehr bereit, diese Verharmlosung hinzunehmen. Wir wollen die nötige Öffentlichkeit schaffen. Im übrigen hat unsere Aktion bei vielen Besuchern, vor allen Dingen bei solchen aus dem Ausland, sehr viel Sympathie gefunden.
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Und das ist nötig: daß das Konzept der Südafrikaner, Ausnahmezustand und Schweigen darüber verhängen durch Pressezensur, nicht aufgeht.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Hornhues hat am Beginn dieser Debatte eine sehr sorgsame Analyse von Entwicklungen innerhalb und außerhalb des Parlamentes in Südafrika gegeben. Es gibt Zeichen, die zu Hoffnungen berechtigen, die aber nicht darüber hinwegtäuschen dürfen, daß es eine wirkliche Besserung der Lage der schwarzen Bevölkerung in Südafrika nicht gibt, die nicht darüber hinwegtäuschen dürfen, daß mit Appellen, mit Worten allein in Südafrika nichts mehr bewegt werden wird.
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Und, Graf Waldburg: Die Kirchen, auf die Sie sich beziehen, gehen mit ihrem dramatischen Appell, den sie an uns gerichtet haben, über diese Position weit hinaus und fordern ganz konkrete Maßnahmen.
Jeder, der sich mit Südafrika beschäftigt, in Politik und Wirtschaft, muß sich mit dem dramatischen, gemeinsamen Hilferuf gerade des Südafrikanischen Kirchenrates und der Katholischen Bischofskonferenz auseinandersetzen, in dem die freie Welt geradezu angefleht wird, die weitere Verschärfung der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung nicht taDr. Hirsch
tenlos hinzunehmen. In diesen Tagen zeigt der Protest von Millionen Schwarzen, daß die Erbitterung über Willkür, politische Entrechtung und Demütigungen im täglichen Leben von Tag zu Tag wächst. Dabei muß man ja daran denken, daß jeder einzelne, der an diesem Generalstreik teilnimmt, unter der Herrschaft der Notstandsgesetze seine persönliche Freiheit und seine soziale Existenz riskiert.
Niemand täusche sich darüber, daß die friedliche Opposition der Mehrheit gegen die Minderheit in Südafrika unverändert kriminalisiert und unmöglich gemacht wird!
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Niemand täusche sich, daß Menschen dort getötet werden, weil sie einer anderen Rasse angehören und ihre Rechtlosigkeit nicht weiter akzeptieren wollen!
Niemand täusche sich, daß dort schwarze und weiße Geistliche an Leben und Freiheit bedroht werden, weil sie das Evangelium nach ihrer Überzeugung im Sinne der Gleichheit der Menschen verkünden wollen und so leben!
Niemand täusche sich darüber, daß die Notstandsgesetze um ein weiteres Jahr verlängert werden, mit denen mehrere tausend Schwarze, darunter Kinder, nach polizeilichem Ermessen und ohne richterliche Kontrolle auf unbestimmte Zeit im Gefängnis gehalten werden!
Es wird unter dem Schutz dieser Gesetze gefoltert, die Presse zensiert. Und es ist unverändert geplant, die gewerkschaftlichen Rechte in das Belieben der Verwaltung zu stellen.
Das Schicksal der „Sharpeville Six" steht unverändert auf Messers Schneide, nachdem Staatspräsident Botha jede Intervention abgelehnt hat, obwohl er nach Artikel 327 des Strafverfahrensrechts die gesetzliche Möglichkeit hat, die Wiederaufnahme des Verfahrens anzuordnen, und obwohl er in anderen Fällen zugunsten weißer Täter Strafverfahren durchaus niedergeschlagen hat.
Es gibt Zeichen der Hoffnung. Dazu gehört die klare Haltung der europäischen Regierungen, zu sagen: Wenn dieses Gesetz über das Abschneiden finanzieller Hilfe in Kraft tritt oder weiter verfolgt wird, dann betrachten wir das als einen Angriff auf uns selber. Frau Geiger, die südafrikanische Regierung hat von diesem Gesetz keinesfalls Abstand genommen. Es gibt ein vorsichtiges Zögern im Parlament. Das ist alles, was wir dazu bisher wissen.
Wir nehmen auch wahr, daß es im südafrikanischen Parlament selbst eine wachsende Unruhe gegen die schleichende Umwandlung der südafrikanischen Republik in eine Diktatur der Sicherheitskräfte gibt, in der von Gesetzes wegen die Exekutive von jeder Kontrolle freigestellt wird. Es gibt eine wachsende Unruhe auch weißer Südafrikaner, daß Staat und Regierung ihre Legitimität verlieren.
Es gehört für mich zu den großen Merkwürdigkeiten, daß viele Menschen durch dieses Land reisen, sich von seiner Schönheit, seiner Fassade blenden - auch Kollegen dieses Hauses - und sich daran hindern lassen, die soziale und politische Wirklichkeit zu sehen,
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und wie viele im Lande selbst lebende Unternehmer bewußt verdrängen, daß sie den schwankenden Boden nur befestigen können, wenn sie selbst daran mitwirken, daß es zu einem nationalen Dialog im Land kommt.
Die europäischen Staaten haben nicht nur eine Bewegungsfreiheit im Rahmen von Sanktionen. Natürlich müssen wir die Frontstaaten aus ihrer Abhängigkeit lösen. Natürlich müssen wir durch ein Programm der Schulung gerade der schwarzen Bevölkerung im Lande selber die südafrikanische Regierung vor die Frage stellen, ob sie solche massiven Hilfsmaßnahmen ablehnen will oder nicht. Da bleibt viel zu tun.
Nur, eines ist klar: Die Zeit des unverbindlichen Zusehens geht für uns Europäer zu Ende,
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wenn wir uns nicht selbst endgültig aus diesem Erdteil und aus der Dritten Welt verabschieden wollen.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Olms.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war am Montag und Dienstag dieser Woche in Pretoria als Prozeßbeobachterin beim beantragten Wiederaufnahmeverfahren der zum Tode verurteilten „Sharpeville Six".
Der Prozeß fand genau in dem Saal statt, in dem bereits Nelson Mandela und viele Hunderte nicht so bekannte Schwarze verurteilt worden waren.
Bei dem Richter mit Namen Human handelt es sich um genau den Richter, der erstinstanzlich die Todesurteile gegen die „Sharpeville Six" verhängt hat. Dieser Richter müßte also im Fall der Wiederaufnahme selber zugeben, beim vorherigen Verfahren ein Fehlurteil verhängt zu haben.
Im Verlaufe des bisher zweitägigen Prozesses spielten die von der Verteidigung vorgebrachten Tatsachen, vor allem die widerrufenen Zeugenaussagen, die unter Polizeifolter erpreßt wurden, eine völlig nebensächliche Rolle.
Das Gericht beschäftigte sich vor allem mit der Frage, ob ein Wiederaufnahmeverfahren nach südafrikanischem Recht - oder besser gesagt: Unrecht - überhaupt zulässig ist.
Überraschend vertagte der Richter am Dienstagmittag die Entscheidung auf den 13. Juni, 10 Uhr. Damit dauert die Ungewißheit für die Sechs weiter an.
Bei aller internationalen Aufmerksamkeit für die „Sharpeville Six" sollte jedoch nicht vergessen werden, daß seit Jahresbeginn bereits 66 Menschen hingerichtet wurden und mehr als 260 Menschen noch hingerichtet werden sollen.
Meine Damen und Herren, ich frage Sie:
Was muß eigentlich noch geschehen? Wie viele Hingerichtete, wie viele Gefolterte, wie viele Tote, vor allem wie viele gefolterte Kinder brauchen die Herrschenden hier eigentlich noch, um das Rassistenregime wirksam zu bekämpfen?
Was ist eigentlich ihre menschenrechtliche Hemmschwelle?
Wie viele Menschenrechtsverletzungen, wieviel Staatsterror vertragen die hiesige Regierung, der Markt, die Firmen KWU, Siemens, Daimler-Benz, BMW und die Deutsche Bank?
Meine Damen und Herren, ich fordere Sie auf: Wenn Sie schon nach Südafrika reisen, dann klagen Sie dort das Regime an! Und lassen Sie sich nicht, wie in Besuchsprogrammen von MdBs vorgesehen, die vorgeblichen Sonnenseiten zeigen oder gar von Helikoptern des Rassistenregimes einen Flug über Soweto organisieren! Machen Sie endlich Schluß mit der Komplizenschaft!
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Das Wort hat der Abgeordnete Repnik.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Gewalt in Südafrika fordert Gegengewalt heraus. In den letzten zwei Jahren sind Gewalt und Gegengewalt in Südafrika spiralenförmig eskaliert. Das Land ist jetzt nur noch durch Ausrufung des Ausnahmezustandes regierbar. Ich habe weiße Südafrikaner wiederholt davor gewarnt, daß der Zorn der Schwarzen in steigendem Maß in der Anwendung von Gewalt Ausdruck finden wird, wenn die südafrikanische Regierung gewalttätig auf gewalttätige Revolution eingeht. Die für die südafrikanische Situation charakteristische Gewalt beruht auf dem Zorn der Schwarzen, der mittels bedeutungsvoller Reformen entschärft werden kann, indem den Schwarzen soziale, politische und ökonomische Gleichberechtigung in dem Land ihrer Geburt eingeräumt wird.
So der schwarze Zulu-Chef Gatsha Buthelezi vor etwas mehr als einem Jahr in einem - übrigens sehr bemerkenswerten - Vortrag, den er in Bonn gehalten hat.
Es hat sich seit jener Zeit in der Republik Südafrika, wie wir heute schon gehört haben, nichts geändert. Ich teile ausdrücklich die Auffassung und die Analyse, die Buthelezi in Bonn vorgetragen hat. Wir alle teilen seine Sorgen und seine Befürchtungen hinsichtlich der inneren Entwicklung in diesem Land.
Ich meine, die weiße Regierung in Südafrika wäre gut beraten, sich diesem friedensliebenden und auf friedlichen Wandel hinarbeitenden Demokraten stärker zuzuwenden und seine Ratschläge ernst zu nehmen.
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Der Kollege Irmer hat vorhin einige bemerkenswerte Vorschläge, die sachgerecht und realistisch sind, gemacht, Vorschläge, denen wir nähertreten sollten, und ich denke, auch Graf Waldburg-Zeil hat den richtigen Ton gefunden, in dem wir mit den Südafrikanern sprechen sollten.
Ich möchte im Rahmen dieser Aktuellen Stunde nur einen Aspekt herausgreifen; auch er wurde schon angesprochen. An diesem Montag sind, wenn die Informationen aus der Presse stimmen, über zwei Millionen schwarze südafrikanische Arbeitnehmer in einen dreitägigen Generalstreik getreten. Die Frage ist: Weshalb sind diese Menschen in diesen Streik getreten? Sie sind deshalb in den Streik getreten, weil durch die Vorlage eines Gesetzentwurfes der Regierung elementare gewerkschaftliche Rechte beschnitten werden sollen.
Es gibt durchaus Leute, die sehr schnell mit dem Argument zur Hand sind, es sei problematisch, sich darüber aufzuregen, daß ein politischer Streik in diesem Land verboten werden soll, weil ein solches Verbot ja auch Bestandteil unserer Gesellschafts- und Rechtsordnung sei. Dem möchte ich doch entgegenhalten, daß es natürlich einen ganz elementaren Unterschied gibt. Der Unterschied besteht darin, daß die Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland über ihre Bürgerrechte verfügen, daß sie an der politischen Willens- und Meinungsbildung teilhaben können und daß sie auch an der politischen Macht teilhaben können. All diese Bürgerrechte sind natürlich den schwarzen Arbeitnehmern in Südafrika verwehrt, und die einzige Chance, sich überhaupt politisch zu engagieren, sich möglicherweise auch zu organisieren und politisch etwas zu bewirken, ist der Weg über die Gewerkschaften. Von daher können wir die Situation in unserem Lande und die in der Republik Südafrika nicht miteinander vergleichen.
Ich meine - und möchte mich da auch dem Appell der verschiedenen Kolleginnen und Kollegen anschließen - : Die Regierung in Südafrika ist gut beraten, diesen Gesetzentwurf zurückzuziehen, und sie ist übrigens auch gut beraten, die Entwicklung in den Gewerkschaften in Südafrika sorgfältig zu beobachten. Wir stellen ja fest, daß die schwarzen Gewerkschaften in den vergangenen Jahren einen sehr großen Zulauf zu verzeichnen haben, und das, was uns und vor allen Dingen die südafrikanische Regierung besorgt machen sollte, ist die Tatsache, daß diejenigen gewerkschaftlichen Organisationen den stärksten Zulauf haben, deren Führer sehr stark politisiert sind und radikale Maßnahmen vorschlagen.
Ich meine also, daß sich die südafrikanische Regierung insbesondere in diesem Bereich, im Bereich der gewerkschaftlichen Rechte und der Arbeitnehmerrechte, bewegen sollte. Sie allein hat es in der Hand, ob der Streit eskaliert oder ob die schwarzen Arbeitnehmer bereit sind, so, wie Buthelezi es gefordert hat, in einem friedlichen Wandel eine gerechte Gesellschaft mit herbeizuführen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Großmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema „Südafrika" beschäftigt uns
im Deutschen Bundestag wahrlich nicht zum erstenmal. Im Gegenteil, die Politik des Apartheid-Regimes, seine Brutalität und seine Grausamkeit, die zunehmende Perversion der Unterdrückungsmethoden in diesem Lande sind hier oft angeprangert worden, so auch heute. Wir haben diskutiert, Anträge formuliert und eingebracht, die Bundesregierung aufgefordert, endlich Schritte gegen die Apartheidpolitik zu unternehmen. Nach der heutigen Aktuellen Stunde möchte ich versuchen, ein vorläufiges Fazit zu ziehen, und auf Gefahren hinweisen.
Wir debattieren seit Monaten, ohne daß sich die Bundesregierung zu konkreten Maßnahmen durchringen kann. Die Realität in Südafrika wird derzeit von Tag zu Tag schlechter. Unterdrückung und Grausamkeiten nehmen zu. Die Menschenrechtsverletzungen, die wir zur Kenntnis nehmen müssen, werden immer häufiger und stärker, und die Schwelle zur Aggression in diesem Lande wird fast täglich zusehends niedriger. Die südafrikanische Regierung versucht durch immer neue Repressionsmaßnahmen, Berichte über diese Entwicklung zu verhindern und zu unterdrücken. Die Bundesregierung hat Handlungen gegen diese Verschärfung bisher weitestgehend vermissen lassen.
Ich denke, bei dieser Gelegenheit muß ich ein paar Worte zu den Äußerungen von Frau Geiger sagen. Ich meine, die Äußerungen von Frau Geiger zeigen, daß sie den Kern der demokratischen Selbstbestimmung in Südafrika in Frage stellt.
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Damit wird erneut deutlich, wo innerhalb der Koalition in der Südafrika-Frage der Graben verläuft. Ich meine, das ist letztlich auch einer der Gründe für die Handlungsunfähigkeit der Bundesregierung in dieser so wichtigen Frage.
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Wer dann noch etwas weiter aufmerksam zugehört hat, der wird finden, daß Herr Hirsch in seinem Beitrag im Grunde genommen dies voll bestätigt hat, ohne im einzelnen auf die Äußerungen einzugehen.
Ich glaube, daß wir zwei Probleme haben. Das eine ist das Problem der Glaubwürdigkeit nach außen. Die Glaubwürdigkeit nach außen geht verloren - das ist schon angesprochen worden - , weil die afrikanischen Staaten den Unterschied zwischen Reden und Handeln sehr genau registrieren, und nicht nur die Regierungen, sondern auch die Menschen in Afrika nehmen das sehr wohl und sehr genau zur Kenntnis.
Das zweite Problem ist die Glaubwürdigkeit nach innen. Auch sie geht verloren, wenn man überlegt, daß viele Menschenrechtsgruppen - kirchliche Organisationen, gewerkschaftliche Gruppen und andere mehr - sich gegen die Apartheid richten, sich dagegen wenden, demonstrieren, sich für Verbesserungen einsetzen und daß auch diese vielen Menschen feststellen müssen, daß ein Unterschied zwischen dem Reden und dem Handeln dieser Regierung klafft.
Ich glaube, die Gefahr liegt darin, daß sich viele von der Politik abwenden, weil sie merken, daß Probleme nicht angefaßt, nicht gelöst werden, sondern daß nur geredet wird. Das wäre fürwahr ein verhängnisvoller Weg für unsere Demokratie.
Der zweite Bereich: Was geschieht in dieser monatelangen Diskussion eigentlich mit den Gefühlen wie Mitleid oder Mitmenschlichkeit, Menschenwürde, Trauer, Solidarität? Die Liste kann man fortsetzen. Wie empfindsam sind wir noch? Wie steht es mit unserer Betroffenheit in einer Welt, in der ein Skandal den anderen, ein Verbrechen das andere ablöst?
Gerade in der Südafrika-Frage, glaube ich, dürfen wir diese Betroffenheit auf keinen Fall verlieren. Glaubwürdige Quellen in Südafrika haben noch vor wenigen Wochen berichtet, daß bis zu 40 % der unter dem Ausnahmezustand Internierten zwischen 9 und 18 Jahre alt, d. h. Kinder und Jugendliche sind. Ich brauche nur wenige Beispiele zu nennen. Es ist schon von den vielen Organisationen gesprochen worden, die das Land bereist haben und die uns entsetzliche Berichte mitgebracht haben.
Ich denke, wenn man drei Einzelschicksale zum Schluß noch nennt, dann wird das helfen, diese Betroffenheit noch einmal klarzumachen, ohne die wir die Südafrika-Frage nie diskutieren dürfen. Es wird von einer Dreizehnjährigen berichtet, die weglief, als südafrikanische Soldaten ins Dorf kamen. Die Soldaten schossen, das Mädchen ist gelähmt und sitzt im Rollstuhl. Ein elfjähriger Junge war zwei Monate in Haft; ihm wurden alle Zähne ausgeschlagen. Ein Sechzehnjähriger wurde geblendet; er leidet heute noch an Sehschwächen.
So wie Südafrika Orangen und Kohlen immer noch exportiert, so exportiert Südafrika, das Apartheidsystem, immer noch Tod und Folter in die Nachbarländer. Ich möchte nicht, daß unsere Betroffenheit, unser Mitleiden, unser Gefühl für Menschenwürde, Menschlichkeit und Solidarität verlorengehen.
Deshalb ist mein dringender Appell an die Bundesregierung: Die Zeit des nur Redens muß schleunigst beendet werden, um der Glaubwürdigkeit, mehr noch: um der Menschlichkeit willen. Die Zeit, Koalitionsstreitigkeiten auszutragen, ist nicht da. Handeln Sie!
({2})
Als letzter Redner in der Aktuellen Stunde hat der Abgeordnete Schwarz das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Frau Kollegin Hamm-Brücher hat mich gestern Abend als Vorsitzende der parlamentarischen Initiative noch aufgefordert, doch nicht immer nach Manuskript zu reden. Das erschwert es mir natürlich, morgen zitiert zu werden, aber es gibt mir doch vielleicht auch Gelegenheit, auf ein paar Bemerkungen einzugehen, die hier gefallen sind.
Zunächst einmal möchte ich noch einmal voll unterstreichen, was für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Hornhues und Frau Kollegin Geiger gesagt haben. Ich möchte allerdings auch einen ganz eigenen Akzent hineinbringen.
In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" stand in der vergangenen Woche ein Bericht über Korea. Dort wurde ein Beispiel geschildert, wie ein Deutscher, als er nach Korea kommt, einem alten Mann, dem der Stock hinfällt, den Stock aufhebt. Er meint nach unserem Verständnis damit etwas Gutes zu tun, aber demütigt damit im Grunde nach koreanischem Verständnis den alten, schwachen Mann, weil es sich mit seiner Mentalität nicht verträgt. Dieses Beispiel der unterschiedlichen Mentalität in einem völlig anderen Teil der Welt wird, finde ich, in unserer Debatte über bestimmte kulturelle, psychologische Vorgänge in anderen Teilen der Welt unzureichend berücksichtigt. Wir legen unsere Meßlatte an, so ein bißchen nach der Fasson: Wer nicht so selig wird wie wir, ist eigentlich nicht selig. Damit werden wir in vielen Punkten der Debatte in anderen Regionen unserer Welt nicht gerecht.
({0})
Deshalb meine ich, daß wir ein paar Punkte sehr deutlich herausstreichen müssen. Ich bin mit dem Kollegen Verheugen in dem Unverständnis darüber völlig einig, daß die Südafrikaner Leuten, die wir einladen, den Paß verweigern und sie nicht mit uns reden lassen. Ich kann der südafrikanischen Regierung nur raten, viel mehr Selbstbewußtsein auch im Umgang mit ihrer innenpolitischen Opposition zu zeigen, die ja nicht nur in schwarz-weiß darzustellen ist. Dort gibt es vielmehr auch Unterschiede bei weiß-weiß und schwarz-schwarz. Ich glaube, daß dies wichtig ist.
Wenn ich ein Südafrikaner guten Willens wäre und die Absicht hätte, die Apartheid ganz schnell zu beseitigen, und manche Debatte im Deutschen Bundestag verfolgte, dann würde ich zunächst einmal die GRÜNEN im Deutschen Bundestag nicht so ernst nehmen. Das wäre eine wichtige Voraussetzung für mich. Allerdings würde ich als Südafrikaner guten Willens dann auch fragen,
({1})
warum man sich hier im Deutschen Bundestag aufregt, wenn meine Frau Kollegin Geiger sagt: Wer heute statt dessen als einzigen Vorschlag „one man, one vote" für das Südafrika von morgen fordert, handelt wirklichkeitsfremd. - Ich würde mich als Südafrikaner fragen: Warum regen die sich nicht über die Tatsache auf, daß wir in Afrika 28 Einparteienstaaten haben, wo „one man, one vote" gilt? Warum regen die sich nicht auf, daß wir in Afrika 11 Militärdiktaturen haben und dort nicht „one man, one vote" fordern? Wenn ich ein Südafrikaner guten Willens wäre, würde ich diese Fragen stellen. Ich finde, daß es mit dazugehört, daß wir daran denken.
Wenn von großer Betroffenheit über Folter in Südafrika geredet wird, dann ist es richtig, daß von Betroffenheit geredet wird. Aber wenn ich Südafrikaner guten Willens wäre, würde ich fragen: Wo ist denn die Betroffenheit der Europäer für die Hunderte und Tausende von Menschen und Kindern im Sudan, die dort vor Hunger sterben? Dann würde ich mich fragen: Warum immer nur wir, die wir uns bemühen, Armut zu beseitigen, die wir - die Südafrikaner guten Willens - uns bemühen, zurechtzukommen?
({2})
Wir reden auf der ganzen Welt vom Dialog mit Kommunisten und allen möglichen. Wir müssen das Gespräch auch mit den Südafrikanern suchen. Wir können nicht mit Sanktionen helfen. Wenn wir mit denen in Südafrika reden und diejenigen stärken, die dort guten Willens sind, dann wird Apartheid überwunden werden und am Ende in Südafrika „one man, one vote" stehen.
({3})
Damit sind wir am Ende der Aktuellen Stunde.
Zunächst einmal habe ich dem Hause mitzuteilen, daß interfraktionell vereinbart worden ist, daß der Tagesordnungspunkt 9 - die Beratung des Antrags betreffend Berichtspflicht zu den Erkrankungen Asthma und Allergie - von der Tagesordnung abgesetzt werden soll. Ist das Haus mit diesem interfraktionellen Vorschlag einverstanden? - Widerspruch erhebt sich nicht. Dann darf ich dies als beschlossen feststellen.
Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten, zu denen eine Aussprache nicht vorgesehen ist.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 bis 8 und die Zusatztagesordnungspunkte 3 bis 5 auf:
6. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Zweiten Zusatzprotokoll vom 17. März 1978 zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957
- Drucksache 11/1821 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
7. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Zusatzprotokoll vom 17. März 1978 zum Europäischen Übereinkommen vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen
- Drucksache 11/1822 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({0})
Finanzausschuß
8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes
- Drucksache 11/2357 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({1})
Ausschuß für Wirtschaft
ZP 3 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes
- Drucksache 11/2384 Überweisungsvorschlag :
Innenausschuß ({2})
Verteidigungsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
Vizepräsident Cronenberg
ZP4 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP sowie der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes ({3})
- Drucksache 11/2436 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({4})
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
ZP5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Laufs, Dr. Lippold ({5}), Carstensen ({6}), Fellner, Dr. Friedrich, Dr. Göhner, Harries, Dr. Hoffacker, Dr. Hüsch, Dr. Müller, Frau Rönsch ({7}), Schmidbauer, Schulhoff und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Baum, Bredehorn, Dr. Hirsch, Kleinert ({8}), Frau Dr. Segall, Frau Seiler-Albring, Dr. Weng ({9}), Frau Würfel, Wolfgramm ({10}) und der Fraktion der FDP Verbesserung der Gesundheits- und Umweltvorsorge im Chemikalienbereich
- Drucksache 11/2348 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({11})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Vorlage unter Zusatztagesordnungspunkt 4 soll jedoch nicht, wie in der Tagesordnung vorgesehen ist, zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu Tagesordnungspunkt 10:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen
Einwilligung in die Veräußerung eines bundeseigenen Grundstücks in Bonn gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung
- Drucksache 11/2112 Überweisungsvorschlag des Ältestensrates: Haushaltsausschuß
Die Fraktion DIE GRÜNEN hat beantragt, diesen Antrag über den Überweisungsvorschlag des Ältestenrates hinausgehend - es wird Überweisung an den Haushaltsausschuß vorgeschlagen - in Abweichung von der Geschäftsordnung zur Mitberatung an folgende Ausschüsse zu überweisen: an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, an den Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit und an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Zur Information möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß es gemäß § 126 unserer Geschäftsordnung einer Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder bedarf, um diesen zusätzlichen Überweisungsantrag zu beschließen.
Ich lasse nunmehr über diesen Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN, in Abweichung von der Geschäftsordnung den Antrag an die eben genannten Ausschüsse zu überweisen, abstimmen. Wer für diesen Antrag der GRÜNEN ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Ich darf feststellen, daß die Zweidrittelmehrheit nicht erreicht ist.
Somit ist die Überweisung an den Haushaltsausschuß zu beschließen. Wer für die Überweisung an den Haushaltsausschuß ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Überweisung an den Haushaltsausschuß beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu Tagesordnungspunkt 11:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen
Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung zur Veräußerung der Bundeseigenen Wohnsiedlung in Mariental-Horst bei Helmstedt
- Drucksache 11/2301 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Haushaltsausschuß ({12})
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({13})
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll dieser Antrag zur federführenden Beratung an den Haushaltsausschuß und in Abweichung von unserer Geschäftsordnung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zur Mitberatung überwiesen werden. Auch hier brauchen wir eine Zweidrittelmehrheit. Wer in Abweichung von der Geschäftsordnung für die Überweisung an den genannten Ausschuß ist, den bitte um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Hier ist die Zweidrittelmehrheit vorhanden, somit ist diese Mitberatung beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 12 auf :
a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Protokollen vom 25. Mai 1984 zur Änderung des Internationalen Übereinkommens von 1969 über die zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden und zur Änderung des Internationalen Übereinkommens von 1971 über die Errichtung eines Internationalen Fonds zur Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden
- Drucksache 11/892 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({14})
- Drucksache 11/2145 5600
Abgeordnete Dr. Hüsch Schütz
({0})
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Haftung und Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden durch Seeschiffe ({1})
- Drucksache 11/1108 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2})
- Drucksache 11/2145 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Hüsch Schütz
({3})
Auch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen. Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Entwurf eines Zustimmungsgesetzes der Bundesregierung zu den Protokollen vom 25. Mai 1984 zur Änderung von Internationalen Übereinkommen über Ölverschmutzungsschäden. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer dagegen stimmt, den bitte ich sich nunmehr zu erheben. - Wer sich enthalten will, den bitte ich, sich zu erheben. - Dann darf ich feststellen, daß dieses Gesetz als Ganzes einstimmig angenommen worden ist.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ölschadengesetzes.
Ich rufe die §§ 1 bis 14, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann darf ich feststellen, daß die Vorschriften in zweiter Lesung angenommen worden sind.
Wir treten nunmehr in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung.
Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich sehe, das ist einstimmig. Ich kann es mir also ersparen, zu fragen, ob jemand dagegen ist. Das Gesetz ist damit einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 61 des Petitionsausschusses ({4}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 11/2334 - b) Beratung der Sammelübersicht 62 des Petitionsausschusses ({5}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 11/2335 Wer stimmt zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei Enthaltung der Fraktion der GRÜNEN sind die Beschlußempfehlungen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({6})
Anträge auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens
- Drucksache 11/2359, 11/2360, 11/2361 - Berichterstatter: Abgeordneter Buschbom
Wer stimmt für die Beschlußempfehlungen des Ausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit sind die Beschlußempfehlungen einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Überstundenabbau
- Drucksache 11/136 -
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({7})
- Drucksache 11/1921 - Berichterstatter: Abgeordneter Louven
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({8}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 11/2340 Berichterstatter:
Abgeordnete Sieler ({9}) Strube
Zywietz
Frau Rust
({10})
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist eine Beratung von bis zu 10 Minuten je Fraktion vereinbart worden. Erhebt sich Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache und erteile Herrn Abgeordneten Sellin das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir GRÜNEN haben als kurzfristig wirkendes Instrument ein Gesetz zum Überstundenabbau gegen Massenarbeitslosigkeit vorgelegt. Es gibt in Zeiten steigender Massenarbeitslosigkeit ein Volumen von 1,9 Milliarden Überstunden in der Bundesrepublik. Dies ist ein Skandal erster Ordnung.
Die Industrie unternimmt freiwillig nichts, um das Volumen der bezahlten Mehrarbeitsstunden abzubauen. Zirka ein Drittel aller Überstunden hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung für abbaubar erklärt. Das entspricht einer Arbeitsplatzzahl von 300 000 bis 400 000; soviele Beschäftigte könnten
also sofort eine Beschäftigung finden. Unternehmen erweisen sich als unfähig, ihrer sozialpolitischen Verantwortung für den Kampf gegen das soziale Elend Arbeitslosigkeit gerecht zu werden. Unternehmen setzen eiskalt das Instrument der Marktkräfte auf dem mit arbeitslosen Menschen vollgestopften Markt gegen diese Menschen ein, um Kosten zu sparen und Löhne und Gehälter, längerfristig betrachtet, zu senken.
Die Gleichsetzung von Güter- und Arbeitsmärkten, die Entfesselung der Marktkonkurrenz gegen Arbeitssuchende und noch Beschäftigte drückt sich auch in dem Element aus, eine gesetzliche Regelung für das Maß an zulässigen Überstunden zu verhindern.
Unser Vorschlag zur Überstundenbegrenzung lautet:
Erstens. Die gesetzliche wöchentliche Normalarbeitszeit ist auf 40 Stunden zu begrenzen. Die tarifvertraglich vereinbarte Wochenarbeitszeit unter 40 Stunden hat Vorrang.
Zweitens. Überstunden über die normale Arbeitszeit hinaus sollen nur bis zu zwei Stunden wöchentlich möglich sein, und zwar nur dann, wenn unvorhergesehene und unaufschiebbare Arbeiten auftreten.
Drittens. Falls Überstunden geleistet werden müssen, müssen diese durch Freizeitausgleich abgegolten werden.
Diese Eckdaten sind keine Knebelung der Unternehmen, sondern ausschließlich die politische Antwort auf das Scheitern hinsichtlich der Erwartung von freiwilligen Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Betriebsräten. Jedem Politiker/jeder Politikerin, der/die sich für den Kampf gegen Massenarbeitslosigkeit stark macht, muß klar sein, daß jede Überstunde, die auch noch der tariflich vereinbarten Wochenarbeitszeitverkürzung entgegenläuft, die Beschäftigungswirkung von allgemeiner Arbeitszeitverkürzung raubt. Arbeitnehmer/innen, die gern auf Überstunden verzichten wollen - das ist die große Mehrheit der Befragten - , sehen in dem Verzicht auf Mehrverdienst durch abgeleistete Überstunden einen sofort wirksamen Beitrag zur Neueinstellung von Arbeitslosen.
Für uns GRÜNE hat im Rahmen von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen die Umverteilung der Erwerbsarbeit eindeutig Priorität. Diese Priorität setzt auf eine beschleunigte allgemeine Wochenarbeitszeitverkürzung über die Entwicklung der Arbeitsproduktivität hinaus, und dieser dürfen Überstunden nicht widersprechen.
Erst wenn tarifliche Auseinandersetzungen wieder ein Ergebnis herbeiführen, das die bereinigte Lohnquote aus dem Keller der 60er Jahre herausholt und die Gewinnquote drückt, und dieser Umverteilungserfolg für eine beschleunigte Wochenarbeitszeitverkürzung eingesetzt wird, sind Erfolge im Kampf gegen Massenarbeitslosigkeit denkbar. Es ist schon fatal, daß relevante gesellschaftliche Kräfte aus der Sozialdemokratie Sozialpakte mit Unternehmen schmieden. Herr Lafontaine und Herr Necker vom Bundesverband der Deutschen Industrie sind sich darüber einig, daß allein ein Solidarpakt den Weg aus der Massenarbeitslosigkeit weist. Ich möchte diesem Begehren ausdrücklich widersprechen, da die Kräfte zwischen Unternehmen und Gewerkschaften gegenwärtig so verteilt sind, daß ein Solidarpakt allein dazu geeignet ist, Löhne weiter zu senken und Gewinne weiter explodieren zu lassen.
({0})
Mehr Gewinne haben die Unternehmen seit Regierungsantritt der CDU eingesackt, mehr investiert haben sie deshalb in der Bundesrepublik nicht. Die Bruttogewinne stiegen von 1983 bis 1987 um 54 %, die Bruttoeinkommen aus Arbeit nur um 20 %.
({1})
Die Zahl der Arbeitslosen stieg seit 1983 um 500 000. Von 168 Milliarden DM, die die Unternehmer mehr verdienen, wurden nur 36 Milliarden DM neu investiert. Dominiert hat der Kapitalexport in das Ausland durch Ankauf von Firmen und durch den Kauf von festverzinslichen Wertpapieren. Die Finanzspekulation siegte über ökologische und soziale Investitionserfordernisse. Die Nordsee kippt um. Die dritte Klärstufe von Abwasserwerken fehlt, weil die Kommunen kein Geld haben. Die viel zu laschen Einleitungsgenehmigungen von Chemiefabriken werden nicht gekündigt. Die umweltbedingte Produktkonversion wird nicht zugunsten unserer Lebensgrundlagen vorangetrieben. Politik unterwirft sich Wirtschaftslobbyisten, anstatt gestaltende Vorgaben z. B. durch ein Überstundengesetz und Rahmenbedingungen zu setzen, die zumindest mittelfristig ökologische Interessen und soziale Interessen nach mehr Beschäftigung miteinander kombinieren können. Ich will die Sozialdemokratie davor warnen, mit Christdemokraten vom Schlage eines Lothar Späth oder eines Elmar Pieroth konzertierte Aktionen zu vereinbaren. Lesen Sie ab und zu doch einmal die ,,Bild-Zeitung". Manchmal rentiert es sich tatsächlich.
({2})
Der Mittelstandssprecher der CDU, Herr Pieroth, hat sich dort geäußert. Sein erster Vorschlag, befristete Verträge von 18 auf 36 Monate zu verlängern. Zweitens. Arbeitslose sollen bei Aufnahme einer Arbeit nicht gleich den vollen Lohn bekommen, sondern nur 60 bis 70 % des Lohnes von bereits Beschäftigten. Babysitter als Beruf, das ist anscheinend die Perspektive. Alle Vorschläge, die da veröffentlicht sind, laufen auf Lohn- und Gehaltsdrückerei hinaus. Wer in solchen Zeiten über Solidarpakte redet, ist verantwortlich für den Erdrutsch, den er zu Lasten der Einkommen von geringverdienenden Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen mit organisiert.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Grünbeck?
Aber nicht zu Lasten der Redezeit.
Dann, Herr Abgeordneter, dürfen Sie Ihre Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege, darf ich Sie mal fragen: Hatten Sie in Ihrem Leben schon einmal etwas mit einer Entscheidung über Arbeitszeiteinteilung und mit der Genehmigung von Überstunden in einem mittelständischen Unternehmen zu tun?
Ich habe sehr wohl Kenntnisse aus wissenschaftlichen Studien,
({0})
was möglich ist und was nicht möglich ist. Es gibt Differenzen zwischen Groß-, Mittel- und Kleinbetrieben. Das gestehe ich Ihnen zu. Aber das kann man in einer Gesetzgebung noch ausgestalten.
Der Industriestandort Bundesrepublik hat 1987 einen Rekordaußenhandelsüberschuß erreicht, der zu berechtigten Angriffen aus den anderen EG-Ländern, den Vereinigten Staaten und der Dritten Welt geführt hat. Der Industriestandort Bundesrepublik erkämpfte trotz veränderter Währungsrelationen im ersten Quartal 1988 einen Zuwachs an Auftragseingängen im Maschinenbau um 21 %. Die hohe Arbeitsproduktivität schafft Lohnstückkosten in der Bundesrepublik, die geringer sind als in den Vereinigten Staaten, Japan und Großbritannien. Löhne machen allenfalls einen Anteil von 10 bis 20 % der Gesamtkosten aus.
({1})
Das bedeutet, daß die Löhne nur nachrangig dafür verantwortlich sind, daß die Unternehmen eventuell Schwierigkeiten bei ihrem Absatz bekommen.
Mangelhaft ist die Situation, die Sie zu verantworten haben, die dadurch geprägt ist, daß die Qualifikation von Arbeitslosen und auch von noch Beschäftigten durch mangelhafte und fehlende Ausbildung und Weiterbildung nicht an neue Tätigkeitsfelder herangeführt wird. Diese Qualifikationslücke hat die Industrie verursacht. Die Politik hat versäumt durchzusetzen, daß diese beseitigt wird. Hier liegen nicht erledigte Aufgaben der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, die neben der notwendigen beschleunigten Arbeitszeitverkürzung ergriffen werden müssen. Es ist korrekt, wenn Frau Adam-Schwaetzer in einer Rede vor dem BDI geäußert hat, daß dem Klagelied der Industrie über angeblich fehlende Fachkräfte mit der These entgegengetreten werden könne, daß dies ein Versäumnis der deutschen Industrie und der Mitgliedsfirmen des BDI sei. Berufliches Qualifizieren für veränderte Produktionsweisen ist wesentliche Aufgabe der Industrie. Die Ausbildungsquote der Industrie ist nur halb so hoch, wenn nicht noch weniger, wie die beim Handwerk oder beim Handel.
({2})
Hier liegt die strukturelle Verwerfung im Arbeitsmarkt begründet, deren Beseitigung ausschließlich die Industrie in Eigenregie in Angriff nehmen muß.
({3})
Wir sollten uns alle bemühen, einen Beitrag zu leisten und jeder Frau und jedem Mann eine Lebensperspektive in der Gesellschaft zu eröffnen, auch dadurch, daß wir die Qualifikationsfragen lösen.
Ich möchte daran erinnern, daß die Behauptungen, die Lothar Späth und andere in die Welt setzen, daß es arbeitsunfähige und arbeitsunwillige Jugendliche in unserer Gesellschaft gebe, dazu geeignet sind, den Wählerzuwachs im rechtsradikalen Bereich mit zu betreiben.
({4})
Arbeitszwang durch Streichen von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ist der Tod von Humanität auf dem Arbeitsmarkt. Die Luft wird dünner, und die sozialen Auseinandersetzungen werden härter werden, wenn man den Weg der sozialen Dequalifizierung fortsetzen will. Heuern und Feuern sollten wir den Amerikanern überlassen. Die Verhältnisse sind schrecklich genug. Eine Arbeitsmarktstudie der Harvard-Universität hat ergeben, daß mittlerweile die Einkommen von 36 derer, die einen Arbeitsplatz haben, unterhalb der gesetzlich festgelegten Armutsgrenze liegen. Solch eine Strategie sollten wir hier nicht fahren, auch nicht herbeireden.
({5})
Erfolgreiche Strategie gegen diese Entfesselung der Marktkräfte auf dem Arbeitsmarkt sind kampffähige Gewerkschaften, die sich auch in der Lage sehen, im Rahmen des europäischen Binnenmarktes Mindeststandards auf dem Arbeitsmarkt und Mindesteinkommen durchzusetzen, die ein menschenwürdiges Leben für alle Menschen in der Europäischen Gemeinschaft eröffnen. Die Tarifvertragsqualität, die sich z. B. die IG Metall in der Bundesrepublik erkämpft hat, muß Mindeststandard für eine gewerkschaftliche Europapolitik sein, um die 35-StundenWoche überhaupt auf die Tagesordnung im Hinblick auf den entstehenden Binnenmarkt zu setzen. Vielleicht sollten Sozialdemokraten noch einmal Keynes studieren, um sich zu vergewissern, wie wichtig es ist, daß der Arbeitsmarkt durch Tarifverträge nicht flexibel im Sinne der Neoklassik auf ein Überangebot an Arbeitskräften reagieren darf. Es wäre der soziale und gemeinschaftliche Untergang.
Unbestritten ist, daß die Einkommensverteilung unter den abhängig Beschäftigten durch prozentuale Lohn- und Gehaltserhöhungen so ungleich geworden ist, daß Besserverdienende für in Zukunft zu vereinbarende Einkommenserhöhungen keinen vollen Lohn- und Gehaltsausgleich benötigen. Allein im öffentlichen Dienst kann dieses Instrument im Rahmen eines Tarifvertrages greifen. In der Privatwirtschaft greift nur die durchgreifende Steuerprogression, die Sie abschaffen, oder eine Ergänzungsabgabe. Die ca. 20 % Besserverdienenden in der Gesellschaft, wozu in einer großen Zahl auch Selbständige wie Herr GrünSellin
beck gehören, sind ohne Wohlstandsverlust in der Lage, die Einkommensumverteilung zugunsten von Arbeitslosen zu finanzieren. Es ist schon unchristlich im Sinne des Wortes, daß die Steuerreform der CDU/ CSU genau umgekehrt verfährt. Die oberen 20 % der Einkommensbezieher erhalten 56 % der Lohnsteuerentlastung, die unteren 20 % 1 %.
({6})
Wer die massenhafte Arbeitslosigkeit ernsthaft bekämpfen will, der muß beschleunigt die Wochenarbeitsverkürzung mit Einkommensumverteilung kombinieren. Solch eine Strategie läßt sich nicht im Solidarpakt mit der Industrie vereinbaren, sondern nur in der radikalen politischen Auseinandersetzung mit den besserverdienenden Schichten der Bundesrepublik.
({7})
Diese Erkenntnis muß leider erobert werden. Sie geht anscheinend verloren.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Warrikoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem die GRÜNEN zwar wortreich, aber immerhin ganz darauf verzichtet haben, zu ihrem eigenen Gesetzentwurf zu reden - das habe ich vermißt; Sie haben die ganze Welt behandelt, aber nicht Ihren Gesetzentwurf - , möchte ich mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, mich doch mit der vorliegenden Vorlage befassen, auch wenn das ungewöhnlich erscheinen mag.
Mein Thema ist, damit das nicht ganz verlorengeht, nicht die weltpolitische Gesamtlage und schon gar nicht in dialogischer Sicht, sondern der Gesetzentwurf der GRÜNEN zum Überstundenabbau. Auch wir, die CDU/CSU, sind der Ansicht, daß unnötige Überstunden unter allen Umständen vermieden werden sollten, weil es in der Tat ein Akt der Solidarität gegenüber den Arbeitslosen und Arbeitsuchenden ist, wenn Überstunden reduziert werden. Sie sollten auf das notwendige Maß zurückgebracht werden. Wir haben entsprechende Empfehlungen der Sozialpartner immer begrüßt.
Die Überstunden, meine Damen und Herren, haben zwei Gesichter. Das eine Gesicht, das man sehr ernst nehmen muß, ist das Gesicht des Gesundheitsschutzes. Dafür gibt es schon Regeln. Es gibt die alte Arbeitszeitordnung. Hierfür haben wir Überlegungen über eine Reform des Arbeitsrechts angestellt, und zwar mit dem Schwerpunkt des gesundheitlichen Schutzes der Arbeitnehmer und auch des Schutzes bei Sonn- und Feiertagen. Das zweite Gesicht ist das Gesicht der Arbeitsbeschaffung, wenn Sie so wollen. Ausschließlich diesen Punkt sprechen Sie im Rahmen Ihres Gesetzentwurfes an. Da sind wir völlig anderer Ansicht. Wir halten Arbeitszeit- und Überstundenregelung für ein ungeeignetes System, um Arbeitsmarktfragen zu lösen. Wir halten es für ein sehr wichtiges Instrument für die Frage der Gesundheit der Menschen im Arbeitsleben.
Meine Damen und Herren, wir haben in unserer Arbeitswirklichkeit ein Übermaß an Reglementierung. Wir sind meterweise eingepackt in alle möglichen Vorschriften,
({0})
Unfallvorschriften, Betriebsverfassung und alle möglichen arbeitsrechtlichen Nebengesetze.
({1})
Es ist inzwischen so weit, daß man einen Mitarbeiter, der auf diesem Gebiet tätig ist, ausschließlich damit befassen kann, neu eingehende Gesetze zu lesen bzw. auf dem Stand dieses Übermaßes an Reglementierungen zu bleiben.
({2})
Deswegen sind wir der Ansicht, daß weitere Eingrenzungen der Flexibilität nicht möglich sind. Hierbei müssen wir auch berücksichtigen, daß es unsinnig ist, sämtliche Branchen über einen Kamm zu scheren. Es gibt nun einmal Branchen - z. B. die Gastronomie, z. B. den Einzelhandel - , wo es verschiedene Belastungen in Abhängigkeit von der Saison gibt. Das gibt es übrigens auch in der Industrie.
({3})
Wir können doch nicht in einer Zeit, wo wenig Arbeit da ist, 40 Stunden arbeiten und das hart durchfahren, wenn alle sagen, wir könnten jetzt mit 35 oder 34 Stunden auskommen, weil einfach wenig Arbeit da ist, und dann hart deckeln, wenn es Wochen gibt, wo wirklich viel zu tun ist und alle rangehen und die Aufgaben bewältigen wollen. Das ist nicht im Interesse der Mitarbeiter.
({4})
Das wollen die auch gar nicht. Sie wollen immer, daß ihre Arbeitszeit auf das vernünftigste eingesetzt wird. Übrigens ist das auch eine Frage der Würde des Menschen. Ich stelle doch niemanden hin und lasse ihn Däumchen drehen, wenn er später keine Gelegenheit hat, die entsprechende Arbeit nachzuholen.
Wir müssen mit dem wertvollsten Gut, das wir in unserer Volkswirtschaft und darüber hinaus haben, nämlich der menschlichen Arbeitskraft, sorgfältig umgehen. Deswegen ist die Ergreifung restriktiver Maßnahmen keine Methode, die wir hier anwenden sollten, sondern es geht darum, daß wir mit positiven Maßnahmen insbesondere neue Arbeitsplätze schaffen und die Hemmschwelle zur Einstellung von neuen Mitarbeitern abbauen.
Ich erinnere hier an unsere Arbeitsförderungsmaßnahmen, die ja von der Opposition - sowohl von der roten als auch von der grünen - immer wieder konsequent ignoriert werden. Die Tatsache, daß wir die Mittel dafür verdoppelt haben, wird von den Damen und Herren der Opposition wahrscheinlich nie zur Kenntnis genommen.
Ich erinnere auch an das Beschäftigungsförderungsgesetz, das von der SPD nachdrücklich angegriffen wurde. Ich bin der Ansicht, daß es Konfliktsituationen gibt, etwa der Art, daß ein Betrieb sieht: Im
nächsten Vierteljahr sind zusätzliche Aufgaben zu erfüllen, es sind zusätzliche Arbeiten abzuwickeln. Jetzt hat dieser Betrieb die Wahl, das entweder durch Überstunden zu machen oder durch die Einstellung von Mitarbeitern, allerdings nur mit einem Teilzeitvertrag. Ich sehe einen zusätzlichen Anreiz für den Arbeitgeber - im übrigen im Einvernehmen mit dem Betriebsrat -, das per Überstunden zu machen, wenn nicht oder kaum die Möglichkeit besteht, das mit einem Teilzeitvertrag zu machen. Insofern hat sich das Beschäftigungsförderungsgesetz aus unserer Sicht bewährt. Wir wollen ja auch dafür sorgen, daß sich die Dinge weiterentwickeln.
Man sollte vor diesem Hintergrund aber nicht vergessen, allen, die hier beteiligt sind - den Sozialpartnern, Arbeitgebern, Betriebsräten, Verwaltungsräten - , für die Erfolge zu danken, die bereits erzielt worden sind. Es ist ja schon eine ganze Menge geschehen in bezug auf den Abbau von Überstunden. Die Statistiken zeigen hier ein gutes Bild. Ich selber würde es gern sehen, daß wir eine Methode finden, um das ständige Ableisten von Überstunden zu verhindern. Es gibt Situationen, in denen in einer Allianz zwischen Betriebsräten, Arbeitnehmern und Arbeitgebern ganz bewußt und gezielt auf Dauer Überstunden geleistet werden. Ich habe Verständnis dafür, daß man Überstunden, die innerhalb eines Zeitraumes von drei Wochen einmal anfallen, einfach vergessen kann, aber wenn Woche für Woche, jahraus, jahrein Überstunden geleistet werden, dann sollte in der Tat ein zumindest politischer Druck auf die Betroffenen einsetzen, damit hier zusätzliche Arbeitsplätze besetzt werden.
({5})
Herr Kollege von den GRÜNEN, das einzige, was Sie zu Ihrem eigenen Gesetzentwurf gesagt haben, war ja diese geradezu überwältigende Umrechnung der Überstunden in neue Arbeitsplätze. Meinen Sie denn allen Ernstes, Sie könnten eine Überstunde, die ein hockqualifizierter Mann, sagen wir einmal ein Fluglotse am Frankfurter Flughafen, leistet, mit der Arbeitsleistung eines anderen hochqualifizierten Mannes, nämlich eines Stahlkochers in Rheinhausen, verrechnen? Das ist doch nicht Ihr Ernst. So haben Sie aber gerechnet.
({6})
- Bitte, stellen Sie eine Zwischenfrage, wenn Sie wollen.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Sellin.
Ich möchte Ihnen eine Frage dazu stellen. Die Ausbildungsquote in der Industrie über alle Branchen hinweg ist halb so hoch wie die von Handel und Handwerk, und diese Situation hat dazu beigetragen, daß Sie keinen „Vorrat" von qualifizierten Arbeitskräften schaffen, die z. B. auch als Fluglotsen oder in anderen Sektoren der neuen Technologien, wo es Engpässe gibt, eingesetzt werden können.
Ich kann Ihnen nur sagen: Ihre Ausdrucksweise - Sie sagen, wir wollen irgendwelche Leute auf „Vorrat" ausbilden - finde ich auch abenteuerlich. Wir bilden Leute nicht auf Vorrat aus, sondern ausschließlich zu dem Zweck, daß sie auch eine entsprechende Tätigkeit ergreifen können. Das ist doch selbstverständlich.
Es wäre nett, wenn Sie Ihre Zwischenbemerkungen nächstens mindestens formal in die Form einer Frage kleiden könnten, Herr Abgeordneter.
Ich habe mir erlaubt, es zu einer Frage umzudeuten.
Meine Damen und Herren, im übrigen würde das sehr starre Konzept, das die GRÜNEN hier vorlegen - Sie haben ja nur vor, bis zu zwei Überstunden wöchentlich, also 42 Stunden zuzulassen - , bei Katastrophen, Unglücksfällen o. ä. wirklich zu ernsten Schwierigkeiten führen. Es kommt also überhaupt nicht in Frage. Würden Sie einen Betrieb mit 1 000 Beschäftigten allen Ernstes deswegen vollkommen stillegen, weil die Mitarbeiter der Instandsetzung schon ihre 42 Stunden in der betreffenden Woche abgeleistet haben? Das können Sie doch nicht ernsthaft wollen. Es gibt sowohl Mangelsituationen in bezug auf bestimmte Berufsrichtungen als auch in bezug auf bestimmte betriebliche Ausnahmezustände, in denen es überhaupt nicht anders geht, als durch die Ableistung von Überstunden über die Schwierigkeiten hinwegzukommen.
Meine Damen und Herren, zum Schluß meiner Bemerkungen möchte ich noch ein Wort zu einem besonders beliebten Thema sagen, nämlich zur wöchentlichen Arbeitszeit und zu dem Weg in die 35-StundenWoche. Es gibt ja hier im Hause viele, die sich ganz engagiert für die 35-Stunden-Woche einsetzen.
({0})
- Es gibt da feine Unterschiede. Auch ich bin für die 35-Stunden-Woche. Ich bin sogar für die 20-StundenWoche, allerdings ohne Lohnausgleich. Wir treten sehr für Teilzeitarbeit ein, allerdings - ich wiederhole mich - ohne Lohnausgleich.
Wenn das die Gewerkschaften gemeinsam mit den Arbeitgeberverbänden so hartnäckig wollen: Wer immer die wöchentliche Arbeitszeit drastisch verkürzt, hebt natürlich die Versuchung zur Leistung von Überstunden an. Das ist doch ganz selbstverständlich. Deswegen wird die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit automatisch dazu führen, daß wir auch immer mehr Überstunden fahren werden.
Meine Damen und Herren, es wird Sie nicht überraschen, wenn ich Ihnen jetzt mitteile, daß die CDU/ CSU-Fraktion den Gesetzentwurf der GRÜNEN ablehnt.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Schreiner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin nicht sicher, ob es sich die KolSchreiner
legen von der CDU in dieser Frage nicht zu leicht machen. Die Diskussion um die Überstunden gewinnt ihre besondere dramatische Qualität vor dem Hintergrund von über zwei Millionen Arbeitslosen bzw., wenn man die stillen Reserven einrechnet, von mehr als drei Millionen. Das kann man nicht einfach so salopp wegtun. Ich werde auf die zentralen Argumente einzugehen versuchen.
Wenn die Untersuchungen, die wir unter anderem auch vom IAB in Nürnberg haben, richtig sind, dann existiert in der Tat ein Block von 1,6 bis 1,9 Milliarden Überstunden. Wenn man sie sehr theoretisch - das ist ja eingeräumt - in Vollzeitarbeitsplätze umrechnen würde, käme eine Summe von rund einer Million Arbeitsplätzen heraus. Das ist eine sehr theoretische Berechnung, darum geht es mir nicht.
Der entscheidende Punkt ist, daß es bei einer nennenswerten Reduzierung von Mehrarbeit oder, auf gut deutsch: von Überstunden zu einem nennenswerten Block von neuen Erwerbsarbeitsplätzen kommen könnte. Dies könnte ein Mosaikstein im Gefolge einer Strategie in Richtung Vollbeschäftigung sein. Das ist der entscheidende Punkt; um mehr geht es nicht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grünbeck?
Bitte.
Herr Kollege Schreiner, würden Sie einmal in Ihrer Blockrechnung nicht nur die Überstunden, die ja geleistet und bezahlt werden, und zwar mit Zuschlägen, einrechnen, sondern würden Sie da einmal die Summe aller in der Schwarzarbeit geleisteten Stunden dagegenrechnen, die möglicherweise theoretisch ebenso eine Million neue Arbeitsplätze ergeben könnten?
Ich habe überhaupt keine Schwierigkeiten mit Ihrer Frage, Herr Kollege. Das ist ja nicht alternativ zu sehen, sondern das kann man kumulativ sehen.
({0})
- Meine Güte, es ist doch nicht so, als ob wir als Sozialdemokraten jetzt die Schwarzarbeit als Alternative feiern wollten. In welches Licht wollen Sie uns denn da bringen? Das ist ja etwas ganz Neues. Also, das war keine besonders spannende Frage.
({1})
- Auf völlig daneben liegenden Fragen kann man auch keine besonders klugen Antworten geben; das ist eine große Schwierigkeit. Die eigentliche Kunst, Herr Kollege, besteht darin, kluge Fragen zu stellen. Kluge Antworten zu geben ist wesentlich einfacher.
({2})
Der zweite Punkt: Die Zahl der Überstunden liegt, wenn man sie auf die Beschäftigten umrechnet, bei etwa 1,6 Stunden je Beschäftigten. Diese Zahl ist wenig aussagekräftig, da nur jeder fünfte Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Überstunden ableistet. Das heißt, die Durchschnittsgrößen drücken das teilweise extrem hohe Überstundenvolumen in bestimmten Betrieben und Branchen überhaupt nicht aus.
Wir haben eine Reihe von Erhebungen aus der Arbeitsmarktforschung, die im übrigen sagen - da wird es ja interessant - , daß die Überstunden weitestgehend kontinuierlich gefahren werden, also fester Bestandteil der Produktions- und Arbeitsplanung in den Betrieben sind und im Regelfall nicht dazu dienen, sporadisch auftretende, nicht vorhersehbare Auftragserweiterungen abzudecken.
({3})
- Das sind Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg; diese kann man Ihnen beibringen.
Der zentrale Punkt dabei ist folgender: Es muß unterschieden werden zwischen bestimmten Formen von Dauermehrarbeit, die wir problemlos reduzieren könnten, und Überstunden als Flexibilitätsreserven, die auch wir als Sozialdemokraten nicht angreifen wollen. Das ist im übrigen der Punkt, warum wir den Antrag der GRÜNEN zwar nicht ablehnen, da wir die Grundtendenz für richtig halten, aber ihm auch nicht zustimmen können, weil die verbleibenden Spielräume aus unserer Sicht zu eng sind.
Wir haben in unserem eigenen Arbeitszeitgesetzentwurf, der ebenfalls in den parlamentarischen Beratungen ist, eine Flexibilitätsreserve von zwei plus zwei. Das heißt, unter bestimmten Voraussetzungen ist eine wöchentliche Mehrarbeit von bis zu vier Stunden möglich. Mir ist es bislang nicht gelungen, Argumente zu finden, die belegen könnten, daß bei einer Flexibilitätsreserve von vier Mehrarbeitsstunden in der Woche Betriebe nicht mehr handlungsfähig sein können. Das ist mir bisher trotz intensiver Studien entsprechender Untersuchungen nicht gelungen.
Herr Stratmann, ich glaube, der Abgeordnete Schreiner ist einverstanden, daß Sie eine Zwischenfrage stellen.
Es füllt sich aber jetzt allmählich. Aber wenn mir das nicht angerechnet wird.
Bis jetzt habe ich das nicht angerechnet. Ich werde, wenn ich das tue, Sie vorher darauf aufmerksam machen, Herr Abgeordneter Schreiner.
Herr Abgeordneter Stratmann.
Ich will mich anstrengen, eine kluge Frage zu stellen.
({0})
Herr Schreiner, Sie wissen sicherlich wie wir, daß nach groben Schätzungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zirka 65 % der geleisteten Überstunden regelmäßige Überstunden sind, die von vornherein sowohl in der Unternehmensplanung als auch in der Einkommensplanung der Überstunden leistenden Beschäftigten enthalten sind.
({1})
Stimmen Sie mir deswegen zu, daß ein wesentlich drastischerer Abbau der Überstunden notwendig ist, nämlich auf zwei Stunden, wobei man natürlich über einen unvorhergesehenen Flexibilitätsbedarf in Notfällen - das hat auch Herr Warrikoff angesprochen - in der Ausschußberatung reden kann?
Ich stimme Ihrer Ausgangseinschätzung zu. Das ist das, was ich vor wenigen Minuten nach den Untersuchungen, die mir vorliegen, als eigene Einschätzung vorgetragen habe. Man kann nun in Ruhe darüber diskutieren, ob zwei oder zwei plus zwei die angemessene Antwort ist. Wir sind der Auffassung gewesen, die Spielräume relativ weit zu ziehen, um es denen ganz schwer zu machen, die Gegenargumente vorbringen. Man kann darüber reden, ob nicht in einer zweiten Phase die Spielräume enger gezogen werden müssen. Das ist der weiteren Diskussion vorbehalten. Aber ich denke, daß unsere Antwort sowohl eine Antwort ist im Blick auf Arbeitslosigkeit als auch im Blick auf die notwendigen unternehmerischen Spielräume, nämlich in bestimmten Situationen gewisse Flexibilitätsreserven zu haben.
Nun noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grünbeck. Danach müßte ich die Zeit allerdings anrechnen.
Dann ist Schluß, dann reicht es.
Ich kann keine kluge Frage stellen, aber eine ganz realistische: Ist Ihnen z. B. eine feste unternehmerische Planung für Überstundenzahlen im Bereich der Auslandsmonteure bekannt - ihre Zahl macht in der Bundesrepublik etwa 300 000 aus -, d. h. ist Ihnen bekannt, daß die Unternehmen, die mit Auslandsmonteuren arbeiten - wir sind froh, daß wir sie haben - , feste Größen von Überstunden einplanen, weil wir sonst überhaupt keine Auslandsmonteure mehr hätten, die wochenlang von ihren Familien getrennt leben müssen und den zusätzlichen Verdienst von vornherein einkalkulieren? Wir hätten sonst gar nicht mehr genug Leute in der Auslandsmontage.
({0})
- 300 000. Das sollte ein Gewerkschaftler eigentlich wissen.
({1})
Herr Kollege Grünbeck, mir ist diese Zahl bislang nicht bekannt gewesen. Aber mir ist darüber hinaus nicht bekannt, wieso das dort notwendige Maß an Überstunden - ich unterstelle einmal, daß das in der Tat notwendig ist - nicht abgedeckt werden kann durch die Regelung, die wir in unserem Arbeitszeitgesetzentwurf vorschlagen.
({0})
Die beiden zentralen Argumente, die von der politischen Rechten bislang in der Diskussion gegen eine Einschränkung von Mehrarbeit vorgetragen worden sind, lauten: Erstens. Die Tarifpartner sind originär zuständig für Eingrenzungen von Mehrarbeit. Ich will dazu eine Bemerkung machen. Bisher bestand in diesem Haus eigentlich ein Konsens darüber - dieser
Konsens reichte, glaube ich, zumindest bis weit hinein in die CDU - , daß, was die Funktion des Arbeitsrechtes anbelangt, ein Spannungsverhältnis zwischen den gesetzlichen Schutzrechten auf der einen Seite und den tarifvertraglichen Vereinbarungen auf der anderen Seite besteht. Die zentrale Funktion des Gesetzgebers in diesem Bereich besteht darin, Mindestarbeitsbedingungen festzulegen. Das ist der zentrale Punkt.
Aufbauend auf diesen Mindestarbeitsbedingungen im Bereich Urlaubsregelung, im Bereich Lohnfortzahlung, im Bereich Kündigungsschutz, im Bereich Arbeitszeit ist es dann natürlich den Tarifvertragsparteien völlig unbenommen, weitergehende und den spezifischen Verhältnissen der einzelnen Branchen Rechnung tragende Vereinbarungen zu treffen. Das ist das Wechselspiel zwischen staatlicher Sozialschutzgesetzgebung auf der einen Seite und den tarifvertraglichen Vereinbarungen auf der anderen Seite.
Meine feste Überzeugung ist, daß dieses Wechselspiel im Bereich des Arbeitszeitsektors überhaupt nicht mehr funktioniert, weil die staatliche Schutzgesetzgebung von den sozialen Verhältnissen vollständig überrollt worden ist. Das will ich Ihnen in wenigen Sätzen belegen. Wir haben eine gesetzliche Regelarbeitszeit in der Woche von 48 Stunden. Mir kann doch im Ernst keiner der hier anwesenden Damen und Herren erläutern, wieso diese gesetzliche Wochenregelarbeitszeit von 48 Stunden angesichts der realen Verhältnisse - fast 100 % aller Beschäftigten arbeiten 40 Stunden und weniger - noch irgend etwas mit der sozialen Wirklichkeit zu tun haben soll.
({1})
Das heißt, daß die soziale Schutzgesetzgebung im Bereich der Arbeitszeit nicht mehr funktioniert, auf Null ist.
({2})
Das ist auch völlig klar. Wir haben ein Arbeitszeitgesetz von 1938, ein Arbeitszeitgesetz, das in seinen Grundbestandteilen in der ersten Phase nach dem Ersten Weltkrieg entwickelt worden ist und die sozialen Verhältnisse der damaligen Zeit reflektiert.
Wenn Sie nun behaupten, die Tarifparteien seien allein und vorneweg dafür verantwortlich, dann heißt dies im Ergebnis,
({3})
daß Sie das Wechselspiel zwischen staatlicher Schutzgesetzgebung und den Tarifparteien aufkündigen und die staatliche Schutzgesetzgebung auf Null bringen wollen. Das würde für bestimmte Positionen ja auch einen Sinn machen, die seit Jahren davon reden, daß die Notwendigkeit der Deregulierung staatlicher Schutzgesetze für Arbeitnehmer massiv vorangetrieben werden müßte. In einigen Teilen ist das in den vergangenen Jahren ja auch geschehen.
({4}) Das ist der erste Punkt.
Die Frage an die CDU-Kolleginnen und -Kollegen müßte sein: Gilt das eigentlich noch? Ist das noch Konsens? Legen wir noch Wert auf eine staatliche SchutzSchreiner
gesetzgebung im Bereich Arbeitszeit? Wenn ja, wie müßte sie dann aussehen, wenn sie nicht zur Farce oder zum bloßen Alibi verkommen soll?
Im übrigen wissen Sie genauso gut wie wir, daß die Betriebsräte, die in die Pflicht genommen werden sollen, Überstunden einzugrenzen, unter einem doppelten Druck stehen, daß auf der einen Seite die Unternehmensführungen auf die Betriebsräte Druck machen und daß auf der anderen Seite nicht unerhebliche Teile der Belegschaften die Betriebsräte unter Druck setzen, weil ihnen natürlich auch das Hemd, ein kleines bißchen mehr zu verdienen, näher ist als der Rock der Solidarität mit den Arbeitslosen. Also, das weiß jeder, daß die Betriebsräte diesen doppelten Druck gar nicht aushalten können, es sei denn um den Preis ihrer Abwahl;
({5})
daß auch aus diesen Gründen der ständige Hinweis auf die Pflicht der Betriebsräte mit der sozialen Wirklichkeit so gut wie nichts gemein hat, daß es nur als Alibi dazu dient, den Staat aus seiner Schutzfunktion, uns, den Gesetzgeber, aus unserer Schutzfunktion zu entlassen.
({6})
Ich nenne Ihnen noch ein anderes Argument: Gesundheit. Das ist in einer sehr allgemeinen Formulierung angedeutet worden; ich glaube, vom Kollegen Warrikoff. Ich sage Ihnen: Nach den Untersuchungen des IAB erfolgt der Einsatz von Überstunden ergänzend mit anderen vom Normalarbeitstag abweichenden Arbeitszeiten. Beispielsweise 13 % der Samstagsarbeiter leisten an jedem Tag Überstunden, 18 % der Sonntagsarbeiter und 13 % der Schichtarbeiter. Das heißt, hier kulminieren besondere Belastungen. Und es ist kein Wunder - man kann Ihnen das jedes Jahr erneut sagen; das ist ja gewissermaßen wie Schall und Rauch - , daß jeder zweite tödliche Betriebsunfall im Überstundensektor passiert, daß fast jeder zweite schwere Betriebsunfall im Überstundensektor passiert. Das heißt, aus dem zwingenden unmittelbaren Interesse der Kollegen müßten hier vernünftige Verbesserungen getroffen werden. Es geht nicht nur um die Solidarität mit Arbeitslosen,
({7}) es geht auch um Solidarität mit sich selbst.
Ich will zum zweiten Argument, das ebenso häufig vorgetragen worden ist, noch einige Schlußbemerkungen machen. Es ist gesagt worden, eine der Sinngebungen des Beschäftigungsförderungsgesetzes sei es gewesen, durch die massive Einführung von Zeitverträgen die Überstunden zu kappen. Alle Zahlen, die wir bisher gehört haben, geben genau dieses nicht her. Es hat in den letzten Jahren keinen nennenswerten Abbau von Überstunden durch Zeitverträge gegeben. Aber der Preis, den die Arbeitnehmer, die mit Zeitverträgen bedacht werden, zahlen, ist sehr hoch und für uns zu hoch.
Ich sage Ihnen auch hier noch einmal das zentrale Argument. Ein Arbeitnehmer, der einen Zeitvertrag von drei Monaten hat, anschließend wieder arbeitslos wird, eine Weile später vielleicht wieder etwas Kleines findet, der kann sein Leben nicht mehr planen, und er kann schon gar nicht das Leben einer Familie planen. Ein solcher Arbeitnehmer lebt buchstäblich von der Hand in den Mund. Das sind Arbeitsverhältnisse minderer, diskriminierender Qualität.
({8})
- Das ist amerikanisches Prinzip: heuern und feuern. Und das wollen wir nicht als Sozialdemokraten.
({9})
Deshalb fordern wir Sie nachdrücklich auf, an Lösungen mitzuwirken, die auch die Arbeitnehmer in eine angemessene Situation bringen.
Sie haben heute morgen die Verlängerung der Vorruhestandsregelung abgelehnt. Es wird Ihnen wenig nützen, hier gegen die Verringerung von Mehrarbeit zu polemisieren. Sie haben gestern im Sozialausschuß Betroffenheit gezeigt, als wir die Studie der Evangelischen Kirche zur Langzeitarbeitslosigkeit angehört haben.
Ich sage Ihnen zum Schluß folgendes.
({10})
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diese Ihre Ankündigung wahrmachen würden, Herr Abgeordneter, weil Sie schon deutlich überzogen haben. Dabei habe ich Ihnen die Zeiten nicht angerechnet.
Ich möchte zum Schluß nur noch auf den Vorwurf eingehen, ich würde 60 Stunden in der Woche arbeiten.
({0})
So, wie Sie mit Teilen unserer Bevölkerung umgehen, müßte jeder Sozialdemokrat 100 Stunden in der Woche arbeiten, damit Sie möglichst schleunigst aus dem Amt gejagt werden!
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Heinrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der GRÜNEN beschreitet wieder einmal den falschen Weg. Wenn ich richtig aufgepaßt habe, was der Kollege Schreiner gerade gesagt hat, kann er sich, wenn das die Politik der SPD ist, in gleichem Maße so angesprochen fühlen. Auch Sie beschreiten den falschen Weg: Mehr Reglementierung, mehr Bürokratie ist diese Devise. Auf diesem Weg werden wir Ihnen nicht folgen.
Wir haben heute morgen vom Kollegen Hoss, von Herrn Sellin, von Ihnen Rechenbeispiele gehört. Das erbringt den Beweis, daß Sie zwar Rechenkünstler, aber keine Arbeitsmarktpolitiker sind.
({0})
- Ich komme darauf. - Sehen Sie denn nicht den
Unterschied zwischen einem rechnerischen Beispiel
und den Realitäten, wie sie draußen herrschen? Ich sage Ihnen: Die Solidarität mit sich selbst müssen Sie sich wohl vom Staat verordnen lassen, damit Sie überhaupt in der Lage sind, die Dinge in der Zukunft richtig zu meistern.
Können wir uns einen solchen Luxus auf Dauer in einem gemeinsamen Markt, im internationalen Wettbewerb leisten? Ihr Gesetzentwurf läuft letztendlich auf Arbeitsplatzvernichtung hinaus. Alle wissen, daß mehr Flexibilität notwendig ist, wenn wir im internationalen Wettbewerb mithalten wollen. Ich erwähne nur den Umbau des Luxusdampfers „Queen Elizabeth" in Bremen. Hier wurde Arbeit geschaffen, hier wurde in kürzester Zeit eine Arbeit erledigt. Die Arbeiter in Bremen haben davon profitiert.
({1})
Selbstverständlich unterstützen wir die Bestrebungen der Tarifpartner, nicht unbedingt notwendige Überstunden einzuschränken. Die Betriebe und ihre Arbeitnehmer vor Ort müssen darüber entscheiden können.
({2})
Es leuchtet keineswegs ein, daß man einerseits mehr Mitbestimmungsrechte für die Betriebsräte fordert, andererseits aber in jedem Fall, wo ein ausdrückliches Mitbestimmungsrecht besteht, nach dem Gesetzgeber ruft.
({3})
Was das Argument angeht, die Betriebsräte seien machtlos dem Druck der Belegschaft oder des Arbeitgebers ausgesetzt, so kann ich dieses nicht akzeptieren.
Eine gesetzliche Beschränkung hilft hier nicht weiter. Sie gefährdet die Flexibilität der Unternehmen und verringert unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit.
({4})
Außerdem ist es - lassen Sie mich ein Argument hinzufügen - familienfeindlich. Es gibt in vielen Familien, in denen nur ein Ernährer da ist, eine ganz schöne Aufbesserung der Kasse, wenn hin und wieder eine Überstunde verdient werden kann. Auch das ist ein Argument, das man, glaube ich, nicht ganz übersehen darf.
({5})
- Reden Sie mal draußen vor Ort mit den Leuten, ob sie das gern tun oder nicht.
({6})
- Ich sage: Es ist nicht das Argument, aber es ist ein zusätzliches Argument.
Herr Abgeordneter Heinrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?
Bitte sehr.
Können Sie mir Ihr Familienverständnis näher erläutern? Wenn ich der Logik Ihres Arguments von eben folge, würde das doch heißen: je mehr Überstunden, desto mehr Geld in der Familienkasse, desto länger ist in der Regel der Mann von zu Hause weg, desto besser die Familie.
({0})
Herr Kollege Stratmann, ich weiß nicht, von welcher Erfahrung vor Ort Sie ausgehen können,
({0})
um sich tatsächlich einmal in eine Familiensituation hineinzudenken, in der die Frau Mutter ist und nicht arbeiten kann oder will und der Vater die Möglichkeit eines Zuverdienstes hat. Ich lege zwar nicht den Schwerpunkt auf dieses Argument, aber es ist mit ein Argument, das ich als positiv bezeichnen möchte.
({1})
Die Gründe für Überstunden liegen meist in zwei Bereichen: Die Unternehmen scheuen vor Neueinstellungen zurück, wenn sie keinen langfristigen, ausreichenden Auftragsbestand haben. Bleiben nämlich die Anschlußaufträge aus, so können sich die Unternehmen von neu eingestellten Arbeitnehmern in der Regel nur schwer lösen. Zum anderen ist es eine Illusion, zu glauben, die zur Vermeidung von Überstunden notwendigen qualifizierten Arbeitnehmer ließen sich auf dem Arbeitsmarkt so rasch finden. - Jetzt bin ich an dem Punkt, bei dem ich eingangs gesagt habe: Das ist ein bloßes Rechenexempel. - Der qualifizierte Schweißer kann eben nicht durch einen noch so qualifizierten arbeitslosen Lehrer ersetzt werden.
({2})
Gerade in den Regionen, in denen Überstunden anfallen, gibt es vielfach einen Mangel an geeigneten Fachkräften. Ich komme aus Baden-Württemberg, ich kann mir hier ein Urteil darüber erlauben. Viele Betriebe stehen dort in einer komischen Situation, nämlich in der, daß sie auf der einen Seite Facharbeiter brauchen und auf der anderen Seite diesen Mangel angeblich nicht mit Überstunden sollen kompensieren können.
Falsch sind auch Überlegungen, Überstunden, die ohnehin schon teurer sind als normale Arbeitszeit, durch Verteuerung, beseitigen zu wollen. Denn die Schwarzarbeit beweist täglich, daß es mehr Arbeit gibt, als offiziell angeboten wird, daß sie aber zu teuer geworden ist. In diesem Zusammenhang, glaube ich, kann man auch - das ist vorhin von Herrn Dr. Warrikoff diskutiert worden - die Schwarzarbeit als einen Indikator in die Diskussion mit einbeziehen.
Für Unternehmen sind Überstunden oft die einzige Möglichkeit, auf Schwankungen in der Kapazitätsauslastung spontan zu reagieren. Wer dies verbietet, wer dies über Gebühr einschränkt, schafft nicht neue Arbeitsplätze, sondern gefährdet bestehende. Wollen Sie den Unternehmen wirklich nahelegen, auf lukrative Aufträge zu verzichten, weil sie kaum mehr Überstunden fahren können?
Um es noch einmal ganz klar und deutlich zu sagen: Eine gesetzliche Rasenmäherregelung läßt die Vielfalt der unterschiedlichen Belange und Interessen zwangsläufig unberücksichtigt. Sie wirkt kontraproduktiv und entläßt auch die Tarifpartner aus ihrer Verantwortung.
({3})
Hier haben wir auch gestern einige sehr deutliche Worte von Sachverständigen gehört, die bemängelt und klar zum Ausdruck gebracht haben, daß wir auf Grund unserer staatlichen Eingriffe die Tarifpartner in ihrer Zuständigkeit im letzten Jahrzehnt immer weiter in den Hintergrund gedrängt haben. Die Folge davon haben wir heute zu beklagen.
Unser System ist zu starr geworden, unser System ist nicht beweglich genug. Wir wollen, daß die Tarifparteien ihre Aufgabe hier wieder Schritt für Schritt zugewiesen bekommen
({4})
und diese Aufgabe im Sinne einer weiteren und besseren Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik entsprechend nutzen.
({5})
An ihnen, aber auch an den Betriebspartnern liegt es, wie dieses Problem praxisnah und leistungsgerecht gelöst wird. Aus dieser Verantwortung wollen wir die Tarifpartner auch nicht entlassen.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Höpfinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion DIE GRÜNEN hält ein neues Gesetz für erforderlich, weil gesamtwirtschaftlich ein hohes Überstundenniveau bestehe und weil angeblich von den Tarifvertragsparteien keine angemessenen Impulse zur Einschränkung der Überstunden ausgingen. Diese Begründung mag für manche zwar einleuchtend sein. Sie geht aber an unserer differenzierten Wirklichkeit vorbei.
Dazu zunächst zwei Vorbemerkungen. Erstens. Es gibt keine einfachen Antworten auf komplexe Sachverhalte.
({0})
Zweitens. Zwischen Theorie und Praxis bestehen oft erhebliche Unterschiede.
({1})
Deshalb kurz ein Blick auf die Wirklichkeit.
Erstens. Nach den neuesten Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit hat sich das Gesamtvolumen der Überstunden 1987 im Vergleich zu 1986 noch mal spürbar verringert und lag mit 1,382 Milliarden Stunden um 7,5 % unter dem Vorjahresvolumen von damals 1,494 Milliarden Stunden. Auch der Anteil der
Überstunden am gesamten Arbeitsvolumen hat 1987 mit 3,8 To einen historischen Tiefstand erreicht.
Zweitens. Diese Zahlen belegen, daß die wiederholten Aufrufe der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände sowie der Bundesregierung Früchte getragen haben. Die Verringerung der Überstunden ist noch höher einzuschätzen, wenn man berücksichtigt, daß sich in den letzten Jahren auch die Normalarbeitszeiten vermindert haben. So hat sich die tarifliche Wochenarbeitszeit von 40 Stunden im Jahr 1984 auf 39,3 Stunden im Jahr 1987 verkürzt. Entgegen vielen Befürchtungen ist die Arbeitszeitverkürzung nicht durch mehr Überstunden aufgefangen worden. Im Gegenteil; Normalarbeitszeit und Überstunden sind zurückgegangen. Das ist ein ermutigendes Signal dafür, daß die Tarifvertragsparteien sowie die Arbeitgeber und die Betriebsräte auf dem richtigen Weg sind.
({2})
Ich will damit nicht sagen, daß das Problem der Überstunden schon gelöst wäre. Alle Beteiligten müssen sich nachhaltig dafür einsetzen, daß die Überstunden noch weiter zurückgefahren und statt dessen Neueinstellungen vorgenommen werden, wo immer es möglich ist. In der derzeitigen Beschäftigungslage geht es nicht an, daß immer noch Unternehmen über längere Zeiträume hinweg kontinuierlich Überstunden leisten lassen und auf diese Weise bewußt Neueinstellungen vermeiden.
Wir sollten uns aber darin einig sein, daß ein staatlicher Dirigismus nach Art des von den GRÜNEN vorgelegten Gesetzentwurfs zum weiteren Abbau der Überstunden nicht taugt. Eine gesetzliche Regelung, die den Betrieben fast jegliche Flexibilität nimmt, ist Gift für unsere Wirtschaft. Sie gefährdet bestehende Arbeitsplätze und verhindert die Schaffung neuer Arbeitsplätze.
({3})
Wer so unbekümmert in die geltenden Tarifverträge eingreifen will, wie es die GRÜNEN in ihrem Gesetzentwurf vorschlagen, attackiert die Gewerkschaften; er attackiert die Arbeitnehmer und die Unternehmen. Das ist ein Angriff auf die Tarifautonomie, die zum Grundbestand unserer sozialen Errungenschaften zählt. Sie darf nicht leichtfertig gefährdet werden.
Wir wissen, daß Arbeitszeit und Überstunden heute praktisch flächendeckend durch Tarifverträge geregelt sind. Selbst Bestimmungen über das Abfeiern von Überstunden finden sich mittlerweile in Tarifverträgen, die für rund zwei Drittel der Arbeitnehmer gelten. Dabei wird übrigens nach den Tarifverträgen den Betrieben für Überstunden sehr viel mehr Spielraum gelassen, als im Gesetzentwurf der GRÜNEN vorgesehen ist.
({4})
Vorschriften über die Zulässigkeit von Überstunden und über ihren Ausgleich durch Freizeit gehören in Tarifverträge. Denn während die Maßnahmen des Gesetzgebers in der Regel nur sehr begrenzt wirksam sein können, verfügen die Tarifvertragsparteien, die
Betriebsräte und die Arbeitgeber über Instrumente, die sehr viel feiner und besser eingesetzt werden können. Der Gesetzgeber tendiert immer mehr zu einheitlichen Lösungen, um damit viele zu erreichen. Weil die Sozialpartner am Ort auf die Besonderheiten einzelner Betriebe und Branchen eher Rücksicht nehmen können als der Gesetzgeber, lassen sich unangemessene Belastungen der Betriebe vermeiden. Dabei soll es bleiben. Auch die GRÜNEN sollten erkennen, daß ein Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung für den Abbau von Überstunden mehr tun als ein Gesetz.
Die bisherigen Erfahrungen bestätigen, daß eine Lösung über die Verbindung tarifvertraglicher Arbeitszeitregelungen mit Betriebsvereinbarungen mehr für den Überstundenabbau leistet als ein Gesetz. Warum soll sich das Spezialisten-Problem nicht dadurch lösen lassen, daß der Tarifvertrag generell das Abfeiern von Überstunden vorschreibt und dann unter Vorgabe branchenspezifischer Kriterien Ausnahmen durch Betriebsvereinbarungen - abgestimmt auf die einzelnen Betriebe und auf die Art des Betriebs - zuläßt?
({5})
Sicher leuchtet es auch ein, daß sich die Berechnung des Ausgleichszeitraums für das Abfeiern von Überstunden in saisonabhängigen Branchen anders regeln läßt als in Branchen mit unregelmäßigen Beschäftigungsspitzen.
({6})
Auch hier sind die Tarifverträge dem Gesetz überlegen.
({7})
Das Gesetz als zweitbeste Lösung kommt erst dann in Betracht, wenn Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen versagen. Wir werden daher die Entwicklung der Zahl der Überstunden weiter sehr kritisch im Auge behalten. Für uns gilt die Überlegung, daß autonome Regelungen dem Gesetz vorzuziehen sind. Sie sind einfach praxisnäher, sie können rascher korrigiert werden und entsprechen damit besser den Bedürfnissen der im Einzelfall Betroffenen als allgemein gehaltene gesetzliche Vorschriften.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN abzulehnen.
Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt. Gemäß § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung unterbleibt die weitere Beratung.
Ich rufe nunmehr Punkt 15 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes nach Artikel 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes an die Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Freie Hansestadt Bremen, Freie und Hansestadt Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Saarland ({0})
- Drucksache 11/1551 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Wirtschaft ({1})
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Sofortprogramm „Arbeit, Umwelt und Investitionen"
- Drucksache 11/1552 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Wirtschaft ({2})
Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Roth, Dreßler, Becker ({3}), Becker-Inglau, Dr. Böhme ({4}), Brück, Conrad, Dr. Emmerlich, Fischer ({5}), Dr. Gautier, Großmann, Grunenberg, Haack ({6}), Hasenfratz, Heistermann, Dr. Holtz, Ibrügger, Jaunich, Dr. Jens, Jung ({7}), Dr. Klejdzinski, Koltzsch, Koschnick, Kretkowski, Lennartz, Lohmann ({8}), Matthäus-Maier, Menzel, Dr. Mertens ({9}), Meyer, Müntefering, Niggemeier, Dr. Nöbel, Dr. Penner, Poß, Purps, Reschke, Reuschenbach, Schanz, Scherrer, Schluckebier, Schmidt ({10}), Dr. Schmude, Schreiner, Schröer ({11}), Sieler ({12}), Stahl ({13}), Steinhauer, Stiegler, Toetemeyer, Urbaniak, Vosen, Walthemathe, Weiermann, Westphal, Wieczorek ({14}), Wiefelspütz, von der Wiesche, Zeitler, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Gemeinschaftsinitiative Montanregionen
- Drucksache 11/1912 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({15}) Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß
d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Sechzehnter Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur"
- Drucksache 11/583 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Wirtschaft ({16})
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß
Vizepräsident Cronenberg
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist eine Beratungszeit von zwei Stunden vereinbart worden. Ich gehe davon aus, daß sich Widerspruch nicht erhebt. - Es ist so beschlossen.
Ich kann die Aussprache eröffnen. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich behaupte: Unserer Wirtschaft mangelt es seit Anfang der 80er Jahre an Dynamik. Ich füge hinzu: Unserer Wirtschaftspolitik mangelt es an Logik. So sind die realen Anlageinvestitionen bei uns von 1980 bis 1986 im Jahresdurchschnitt um 0,6 % zurückgegangen; in mit uns konkurrierenden Ländern wie den USA und Japan sind sie dagegen um 3 bis 4 % gestiegen. Noch schlechter sieht im internationalen Vergleich die Entwicklung der Ausrüstungsinvestitionen aus. Die Ausrüstungsinvestitionen sind ein Indiz dafür, daß sich unsere Wirtschaft in der letzten Zeit eben nicht mehr modernisiert hat. Unser Produktionsapparat ist dementsprechend ineffektiver und unmoderner geworden.
Ich sagte: Der Wirtschaftspolitik mangelt es an Logik. Die globale Angebotspolitik ist - das sage ich sehr deutlich - in unserem Lande seit 1980 betrieben worden, aber bisher ohne Erfolg. Die Anzahl der Arbeitslosen ist in diesem Lande seit 1980 beharrlich angestiegen, im Durchschnitt dieses Jahres auf schätzungsweise 2,5 Millionen - eine erschreckende Entwicklung.
({0})
Meine Damen und Herren, was wir deshalb für notwendig halten, haben wir in unserem Sofortprogramm „Arbeit, Umwelt und Investitionen" festgelegt. Es geht uns, weil wir aus der Erfahrung lernen wollen, um eine Nachfragebelebung, um eine Belebung der öffentlichen Investitionen, der privaten Investitionen und des privaten Konsums. Hier liegen nämlich die Schwachstellen der Wirtschaftspolitik und der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik seit 1981. Diese Schwachstellen, meine Damen und Herren, sind politisch bedingt.
Vor kurzem noch hat der gemeinsame Wirtschaftsausschuß von Senat und Repräsentantenhaus in den Vereinigten Staaten die Bundesrepublik erneut aufgefordert, verstärkt etwas zur Nachfragebelebung zu tun. Auch andere Industrienationen innerhalb der OECD haben darauf gedrängt, daß die Bundesrepublik mehr tut, um die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben. Keiner verlangt von der Bundesregierung, daß sie etwa die Rolle einer Lokomotive übernimmt, aber alle verlangen von ihr, daß sie die Bremserrolle, die sie seit Jahren innehat, endlich aufgibt.
Wer das Bruttosozialprodukt steigern will - und ich füge hinzu: qualitativ, nicht quantitativ - , der muß vor allem an den privaten Verbrauch denken; denn etwa 55 % des BSP sind privater Verbrauch. Die Bürger in unserem Land sparen zuviel. Sie haben Angst vor der Zukunft. Diese Entwicklung hat leider auch die Arbeitslosigkeit, die wir zu verzeichnen haben, mit bewirkt. Es ist völlig falsch, wenn diese Bundesregierung erneut die Verbrauchsteuern erhöht. Dies schreckt die Verbraucher vor einem zusätzlichen Konsum ab. Die Verbrauchsteuern dürfen nicht erhöht werden, das ist eine falsche Maßnahme. Es ist falsch, wenn diese Bundesregierung durch die Steuerreform vor allem die Besserverdienenden begünstigt. Wenn man den Konsum anregen will, dann muß man gerade etwas für die Schlechterverdienenden in diesem Land tun;
({1})
denn die haben eine Sparquote von Null und eine Konsumquote von 100 %.
({2})
Herr Dr. Jens, der Herr Abgeordnete Stratmann bittet Sie um eine Zwischenfrage.
({0})
Wenn es mir nicht angerechnet wird.
Nein. Dr. Jens ({0}): Bitte sehr.
Herr Kollege Jens, was halten Sie von dem Vorschlag des Wirtschaftsministers Jochimsen von Nordrhein-Westfalen - den ich für ausgesprochen gut halte - , die Mineralölsteuer anzuheben, um Energieeinspareffekte auszulösen?
Ich kann Ihnen sagen: Unser Hauptziel ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, und wenn das wirklich das Hauptziel ist, dann dürfen wir zur Zeit nicht an eine Erhöhung der Verbrauchsteuern denken. Langfristig kann man mit mir über alles reden,
({0})
aber im augenblicklichen Zustand, bei dieser Arbeitslosenzahl, muß alles verhindert werden, was die Verbraucher zusätzlich verunsichert. Leider zielt das, was die Bundesregierung plant, in diese Richtung.
({1})
Meine Damen und Herren, es geht uns aber in dem Antrag auch um die Belebung der öffentlichen und der privaten Investitionen. Dazu gehört für uns die Erhöhung der Bundesmittel für die Städtebauförderung und die Dorferneuerung. Hier gibt es einen gewaltigen Bedarf. Diese Nachfrage hilft gleichzeitig übrigens auch der Bauindustrie, wenn wir sie entfachen. Der Bund, die Bundespost und die Bundesbahn müßten die Investitionen vorziehen und soweit wie möglich jetzt erhöhen.
Wenn man die privaten Investitionen beleben will, dann, muß ich leider sagen, ist diese Steuerpolitik dieser Regierung auch verfehlt. Man darf nicht die Herausnahme von Gewinnen immer wieder fördern, umgekehrt wird ein politischer Schuh daraus. Man muß
dafür sorgen, daß die Gewinne wieder reinvestiert werden und im Betrieb bleiben und nicht etwa herausgenommen werden. Das ist eine falsche Politik. Ein Schritt in die richtige Richtung wäre die von uns ebenfalls vorgeschlagene steuerfreie Investitionsrücklage. Es mangelt eben nicht nur an Dynamik, es mangelt auch an wirtschaftspolitischer Logik.
Ich höre immer wieder von den Konservativen das Patentrezept, die Löhne müßten herunter und die Lohnstruktur müsse flexibler gemacht werden. Wir Sozialdemokraten sind stolz darauf, daß die Löhne in diesem Lande so hoch sind, wie sie sind.
({2})
Wir wollen dieses Lohnniveau erhalten. Wir wollen es nicht herunterbringen, sondern wir wollen nach einer offensiven Strategie verfahren, indem wir das Produktivitätsniveau der Wirtschaft erhöhen und somit die Möglichkeit schaffen, auch weiterhin hohe Löhne zu zahlen, mehr für Soziales auszugeben und gleichzeitig Umweltschutz zu finanzieren.
Meine Damen und Herren, auch das Thema Lohnstruktur ist aus meiner Sicht verfehlt. Ich weise darauf hin, daß wir etwa in den 70er Jahren eine flexiblere Lohnstruktur als heutzutage hatten, und dennoch war die Arbeitslosigkeit wesentlich niedriger. Bei gleicher Lohnstruktur ist die Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren gestiegen. Man sollte die Schuld für die zusätzliche Arbeitslosigkeit doch nicht der Lohnstruktur zuweisen; das ist aus meiner Sicht völlig verfehlt. Wenn Sie immer über die mangelnde Flexibilität der Lohnstruktur sprechen, dann denken Sie doch vielleicht auch einmal an die Güterpreise auf den industriellen Märkten; die sind seit eh und je ziemlich starr und gehen eher nach oben.
Ich glaube, die Regionen, meine Damen und Herren, über die wir hier sprechen, haben jetzt einen Anspruch auf finanzielle Hilfe durch diese Bundesregierung. Montan- und Küstenregionen haben nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschlands entscheidend zum Wiederaufbau in der Bundesrepublik Deutschland beigetragen,
({3})
und sie haben den Wirtschaftsaufschwung in den ersten Jahren eingeleitet und getragen. Sie sind jetzt in Schwierigkeiten gekommen, und jetzt sind andere Regionen auf der Seite der Gewinner. Deshalb glaube ich schon, diese anderen Regionen und auch der Bund müssen unbedingt helfen, wenn es um die Umstrukturierung der Montanregionen geht.
({4})
Deshalb sieht unser Antrag „Zukunftsinitiative Montanregionen - Zukunftsprogramm Küste" vor, daß der Bund im Rahmen des Art. 104 a des Grundgesetzes Finanzhilfen in Höhe von 2,3 Milliarden DM in einem Zeitraum von vier Jahren zur Verfügung stellt. Ich sage noch einmal: Diese Forderung, die wir hier fixiert haben, ist mehr als berechtigt.
({5})
Wir müssen auch erkennen, daß die regionale Wirtschaftsspolitik von der Dynamik in der Wirtschaft insgesamt abhängig ist. Wenn es uns gelingt, die wirtschaftliche Dynamik zu erhöhen, dann brauchen wir nicht so viel regionale Strukturpolitik. Aber angesichts der Situation, daß es kaum wirtschaftliche Dynamik in diesem Lande gibt, ist ein Mehr an regionaler Politik dringend erforderlich.
({6})
Es ist ein Fehler, wenn z. B. die steuerfreie regionale Investitionsrücklage jetzt von Ihnen im Rahmen der Steuerreform abgeschafft wird; ein absoluter Fehler.
({7})
- Die steuerfreie Investitionsrücklage wird im Rahmen der Steuerreform abgeschafft!
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Sicher ist es notwendig, an vielen Orten ein wirtschaftsfreundlicheres Klima zu schaffen; das gebe ich gerne zu. Aber wichtiger als die Psychologie ist aus meiner Sicht die materielle Basis. Der Bundeswirtschaftsminister muß jetzt in Brüssel dafür sorgen, daß die deutsche Stahlproduktion in dieser Höhe gesichert bleibt. Weitere, zusätzliche Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der deutschen Stahlindustrie wären unerträglich.
({9})
Zusätzliche Subventionen - es tut mir leid: auch an Finsider in Italien - kann es nicht geben und müssen deshalb bei den anstehenden Verhandlungen von Herrn Bangemann abgelehnt werden. Eine Verlängerung des Produktionsquotensystems in Brüssel - sei es auch nur in den besonders sensiblen Kategorien II und III - ist aus unserer Sicht dringend notwendig.
({10})
Herr Abgeordneter, Sie gestatten eine Zwischenfrage von Dr. Lammert?
Wir Sozialdemokraten sind davon überzeugt: Stahl und Kohle haben in der Bundesrepublik eine Zukunft, und zwar im Ruhrgebiet und in allen anderen Regionen.
({0})
Bitte schön, Herr Dr. Lammert.
Herr Kollege Jens, ich wollte mich nur einmal vergewissern, ob ich Sie richtig verstanden habe, daß der Wirtschaftsminister in Brüssel nach Auffassung der SPD nicht nur Produktionsquoten, sondern jetzt auch die heute von der deutschen Stahlindustrie produzierten Mengen sicherstellen müsse. Wenn ja, wie soll er das anstellen?
({0})
Herr Kollege Lammert, ich habe davon gesprochen, daß die Quoten, die festgelegt sind, verlängert werden müssen, und das ist die richDr. Jens
tige Aussage. Ich begrüße die augenblickliche Menge, die zur Zeit kurzfristig produziert wird. Aber ansonsten geht es darum, daß die Quoten insbesondere in den Kategorien II und III festgeschrieben und für mindestens drei Jahre gesichert werden.
Meine Damen und Herren, es ist ein großer Irrtum, wenn die Konservativen immer wieder glauben, wir könnten unsere Strukturprobleme durch neue Arbeitsplätze etwa im Dienstleistungsbereich schaffen. Das ist aus meiner Sicht falsch. Wir brauchen in der Bundesrepublik Deutschland, um 60 Millionen Menschen einigermaßen gut zu versorgen, eine industrielle Basis. Ich will aus unserem Antrag „Gemeinschaftsinitiative Montanregionen" nur drei Bereiche hervorheben, die mir besonders wichtig erscheinen, um dies zu erreichen.
Verstärkt notwendig sind in Zukunft: erstens die Sanierung von Altlasten und eine weitere Verbesserung des Umweltschutzes, zweitens die finanzielle Förderung von Innovationen und neuen Technologien und drittens eine zukunftsorientierte Qualifikation der Arbeitnehmer. Nur wenn wir verstärkt in diesen wichtigen Feldern Mittel gewähren und aktiv werden, werden wir, glaube ich, die weltwirtschaftlichen Herausforderungen in der Bundesrepublik meistern können.
Zum Schluß noch ein Wort zur Ordnungspolitik des Wirtschaftsministers, der leider heute nicht hier sein kann. Ich muß sagen: Das, was der Bundeswirtschaftsminister im Bereich der Fusion zur Zeit versucht, nämlich eine Mammutfusion zwischen Mercedes Benz und MBB, macht mich sehr böse und sehr besorgt.
({0})
Man will offenbar die Altlasten für den Airbus dem Bund aufbürden und das Wechselkursrisiko ebenfalls auf Dauer beim Bund belassen.
Es ergibt aus meiner Sicht jedoch überhaupt keinen Sinn, wenn man versucht, die großen Produzenten im Rüstungsbereich, Dornier und MBB, noch zusammenzuschmelzen. Dann ist der Bund von einem Monopolisten abhängig. Was ergibt es eigentlich für einen Sinn, wenn der Bundeswirtschaftsminister so etwas versucht und praktiziert?
Ich vermisse leider auch den Protest derjenigen, die sich sonst so gerne als Marktwirtschaftler rühmen. Ich habe meine Bedenken, ob die Unternehmensleitung von Mercedes Benz allzuviel auf Zusagen von Herrn Bangemann geben kann.
Vor wenigen Tagen forderte der Bundeswirtschaftsminister im „Handelsblatt" , das unproduktive Lamentieren über Standortnachteile müsse nun endlich aufhören. Ich habe noch sehr gut in Erinnerung, daß er selber im Januar dieses Jahres einen Artikel in der „Wirtschaftswoche" geschrieben hat, in dem er sich über den schlechten Industriestandort Bundesrepublik Deutschland ausgelassen hat.
Die Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung wird in der Tat immer unglaubwürdiger, wie mir scheint.
({1})
Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande spüren, daß der Wind mittlerweise aus einer anderen Richtung weht. Es ist an der Zeit, daß das Ruder in der Wirtschafts-, Struktur- und Ordnungspolitik im Interesse aller Menschen in unserem Lande in eine neue, zukunftsweisende Richtung umgelegt wird.
({2})
Es mangelt eben - ich wiederhole mich - nicht nur an wirtschaftlicher Dynamik; es mangelt auch an wirtschaftspolitischer Logik.
Schönen Dank.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich habe mich zunächst bei Koalition und Opposition zu bedanken. Herr Austermann hat mich freundlicherweise, weil ich wegen des Verschiebens der Debatte in eine zeitliche Bedrängnis geraten bin, jetzt hier vorgelassen, und Herr Jens und Herr Stratmann haben mir Verständnis dafür bekundet, daß ich nach dieser Rede leider sehr schnell verschwinden muß.
({0})
- Das kann doch nicht sein. Ist das wahr und ernst gemeint? Vielen Dank.
({1})
Meine Damen und Herren,
Es kann im wirtschaftlichen und sozialen Bereich derzeit keine wichtigere Aufgabe geben, als die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, durch neues Wirtschaftswachstum wieder mehr Beschäftigung und auch eine allmähliche Lösung der öffentlichen Finanzierungsprobleme zu ermöglichen und damit schließlich alle Bürger am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt teilnehmen zu lassen.
- dies ist ein wörtliches Zitat.
Wir haben seit 1982 wieder ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum erreicht, jetzt im sechsten aufeinanderfolgenden Jahr. Neue Arbeitsplätze und mehr Beschäftigung sind geschaffen. Bei der Konsolidierung der öffentlichen Finanzen hat es spürbare Fortschritte gegeben, vielleicht sogar zu viele. Die verbesserte Haushaltssituation hat dem Finanzminister wenig Freude gebracht; sie hat eine Flut von neuen Ausgabenwünschen, vor allem im Sozialbereich ausgelöst, denen die Koalition - ich nehme dabei niemanden aus - nicht von Anfang an entschieden genug Widerstand entgegengesetzt hat.
In der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit steht die durchgreifende Wende aber noch aus. Stimmt deshalb die Richtung unsrer Politik nicht? Wir brauchen keine neue Wende. Ich sage das mit allem Nachdruck, weil
das eingangs angeführte Zitat am Schluß meines Wendepapiers aus dem September 1982 steht.
({2})
Die Richtung unserer Politik stimmt. Manchmal wäre mehr Nachdruck nötig und wünschenswert gewesen. Die Steuerreform ist aller Kritik zum Trotz eine beachtliche Leistung. Mit einer Steuerentlastung von netto 50 Milliarden DM kann sich die Bundesrepublik auch in Toronto sehr wohl sehen lassen.
Ich habe Ihnen gestern schon im Ausschuß gesagt, Herr Jens: Es gibt keinen sozialdemokratischen steuerpolitischen Vorschlag, vor allem aus der Zeit vor der Bundestagswahl, der annähernd ein solches Entlastungsvolumen in den unteren Einkommensbereichen bedeutet hätte, wie wir es jetzt beschlossen haben.
({3})
Tatsächlich, meine Damen und Herren - das müssen wir an unsere Adresse sagen -, streiten wir uns mit Eifer und Ausdauer über Jahreswagenrabatte von drei oder fünf Prozent, wobei dann - welch Wunder - wahrscheinlich ein Kompromiß von vier Prozent herauskommt, was erst recht niemanden zufriedenstellt. Über solchen recht kleinlichen Streitereien geht die große Linie verloren.
({4})
Die Koalition braucht keine andere Politik, aber sie muß ihre Politik anders umsetzen. Mit Sicherheit wären Konjunktur- und Beschäftigungsprogramme im Stil der 70er Jahre nicht der richtige Weg. Der SPDVorschlag für ein Sofortprogramm ist noch ganz diesen Uraltkategorien verhaftet. Ein Rückfall in diesen Programmaktionismus wäre ein schwerer wirtschaftspolitischer Fehler. Das kommt für uns nicht in Frage. Im übrigen ist ja selbst in der SPD die Diskussion über diesen Ladenhüter längst hinweggegangen. Auch dort wird - wie man gestern in der Zeitung lesen konnte - über eine Angebotspolitik der SPD nachgedacht - noch besser wäre einfach: Angebotspolitik. Auch wer kein besonderer Verehrer von Herrn Lafontaine ist, kann ihm ein Verdienst sicherlich nicht streitig machen: Er hat die wirtschaftspolitische Diskussion in der SPD vom toten Punkt weggebracht.
({5})
In der Wirtschafts- und Finanzpolitik hatte die SPD den Anschluß verloren. Vielleicht ändert sich dies jetzt. Ich sage dies ohne jede Häme: Eine Regierung ist meistens um so besser, je besser die Opposition ist.
Das Thema privater Verbrauch wird von Ihnen, Herr Jens, wirklich gebetsmühlenartig wiederholt. Gestern nach der Wirtschaftsausschußsitzung saß ich im Auto: OECD und DIW bestätigen beide, daß der private Verbrauch der Träger der Konjunktur 1987 und 1988 in der Bundesrepublik ist.
({6})
Dies ist nun wirklich nicht zu bestreiten.
Meine Damen und Herren, es gibt aber in der Wirtschaftspolitik keine Knopfdruckautomatik. Man kann nicht mit Finanzhilfen, Subventionen und mehr Geld allein schwerwiegende strukturelle Probleme in einzelnen Branchen und Regionen lösen. Der Staat setzt immer nur die Rahmenbedingungen, ausgefüllt werden sie durch die Unternehmen
({7})
und im Bereich des Arbeitsmarktes durch die Entscheidungen der Tarifvertragsparteien.
Gerade hier liegt bei uns vieles im argen. Mangelnde Flexibilität, starre Reglementierungen, stures Festhalten an Besitzständen sind die Kennzeichen einer Tarifpolitik, wie sie vor allem von den großen Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden betrieben wird.
({8})
Die meisten Tarifverträge sind allein an den Interessen der Arbeit Besitzenden ausgerichtet, die Belange derer, die Arbeit suchen, bleiben unberücksichtigt.
Herr Jens, wenn man in unserem Lande nach konservativen Kräften sucht, stellt man fest, das sind nicht Bundesregierung und Koalition. Steuerreform, Gesundheitsreform, Rentenreform, Postreform, Ladenschlußnovelle sind nur einige Beispiele für eine umfassende Reformpolitik im Bereich der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik. Wirklich konservativ ist eine Tarifpolitik, die den tiefgreifenden Strukturwandel in Wirtschaft und Gesellschaft nicht zur Kenntnis nimmt,
({9})
die an den althergebrachten Zielen Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung ohne Rücksicht auf die Arbeitslosen festhält und sich der Notwendigkeit einer stärkeren Differenzierung nach Regionen, Branchen und persönlicher Leistung verschließt.
({10})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Lassen Sie mich den Gedanken zu Ende führen.
Als mir vor drei Tagen in Moskau ein Mitglied des Politbüros der KPdSU sagte, es muß Schluß sein mit der Gleichmacherei, habe ich an deutsche Tarifpolitik und ihre Sockellohnerhöhungen gedacht.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Wenn mir das nicht auf die Zeit angerechnet wird, Herr Präsident!
Bitte schön, Herr Abgeordneter Sperling.
Herr Lambsdorff, hätten Sie die Güte, die „Zeit" des heutigen Tages zu lesen, um das, was dort an Mär vom Einheitstopf der einheitlichen Löhne und Tarifverträge beschrieben wird, in der Tat einmal zur Kenntnis zu nehmen und zu begreifen, daß Sie zur Zeit hier ein Märchenerzähler sind?
Verehrter Herr Kollege, das einzige, was mich kränkt, ist nicht die Behauptung, daß Sie mich einen Märchenerzähler nennen, sondern daß Sie mich am Donnerstag abend um 18 Uhr noch auffordern, die „Zeit" und den Artikel von Frau Martens zu lesen. Das habe ich selbstverständlich längst getan.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kenne aus meiner eigenen Erfahrung im Aufsichtsrat ein Unternehmen, das in einer Region mit hoher Arbeitslosigkeit Arbeitsplätze schaffen könnte und möchte, sofern flexiblere Arbeitszeiten unter Einschluß des Samstags eingeführt werden könnten. Alle Versuche sind hier am hartnäckigen Widerstand der IG Metall gescheitert. Das Unternehmen schafft trotzdem 190 neue Arbeitsplätze, aber nicht in der Bundesrepublik, sondern in Großbritannien.
Dieses Beispiel, meine Damen und Herren, zeigt aber auch und gleichzeitig: Der Industriestandort Bundesrepublik ist gut. Die Voraussetzungen bei uns sind günstig. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen auf den Weltmärkten ist aktuell nicht ernsthaft bedroht. Aber es ist doch eine ebenso unbestreitbare Tatsache, daß immer mehr Unternehmen bei Investitionsentscheidungen ins Ausland ausweichen.
({1})
Dort sind gerade die Bedingungen günstiger, die in die Zukunft orientiert sind: Flexibilität, Dynamik, von der Sie gesprochen haben, Herr Jens, unternehmerische Entscheidungsfreiheit, aber auch die Belastungen der Unternehmen mit Steuern und sozialen Abgaben. Sicherlich sind es nicht 2 Millionen Arbeitsplätze, die bereits ins Ausland abgewandert sind. Aber jeder einzelne Arbeitsplatz, der auf diese Weise verlorengeht, ist zuviel, solange es bei uns noch mehr als 2 Millionen Arbeitslose gibt.
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?
Bitte.
Bitte schön, Herr Stratmann.
Herr Lambsdorff, täusche ich mich, oder ist jüngst aus der Führungsspitze Ihrer Partei und Fraktion, von Frau Adam-Schwaetzer, deutliche Kritik an dem neumodischen Gerede von der Benachteiligung des Industriestandortes Bundesrepublik vor der Bundesvereinigung der Deutschen Industrie geübt worden?
Ich weiß nicht, ob Sie die Rede gehört oder gelesen haben. Ich habe sie gelesen. Sie steht sicherlich auch Ihnen zur Verfügung. Das, was dort inhaltlich gesagt worden ist, findet meine Zustimmung. Ich habe hier gerade gesagt, daß der Industriestandort Bundesrepublik in vielen Bereichen wettbewerbsfähig und nach wie vor ein guter Standort ist, daß wir aber die auf Investitionsentscheidungen beruhende Abwanderung ins Ausland wohl nicht übersehen können und uns fragen müssen: Warum geschieht das, obwohl der Investitionsstandort grundsätzlich in Ordnung ist? Wir müssen uns doch an den Ergebnissen orientieren und nicht an dem, was wir als Landschaft für Investitionen erkennen und vielleicht für zufriedenstellend halten. Leider teilen diese Zufriedenheit nicht diejenigen, auf deren Entscheidungen es ankommt. Herr Stratmann, Sie und ich, wir investieren nämlich nicht.
Meine Damen und Herren, in der Bundesrepublik ist die Kluft zwischen den prosperierenden Regionen und solchen mit schwerwiegenden strukturellen Problemen größer geworden. Die Gefahr, daß der innere Zusammenhalt unseres Staatswesens hierdurch auf Dauer Schaden leidet, wächst. Diese Entwicklung, die nicht unbedingt mit einem Süd-Nord-Gefälle gleichzusetzen ist, kann nicht ungestraft hingenommen werden. Niemand, keine Bundes- und keine Landesregierung, hat die politische Verantwortung dafür, daß sich in bestimmten Regionen konzentriert ein Strukturwandel vollzieht wie der, der z. B. die Montanregionen vor große Probleme stellt. Aber daß die Anpassung an den notwendigen Strukturwandel bei uns nur schleppende Fortschritte macht, daß die Bundesrepublik in dieser Hinsicht international ins Hintertreffen gerät, dafür muß sehr wohl nach den Ursachen geforscht werden.
Andere Länder stehen vor den gleichen Problemen. Aber sie werden sehr viel besser und schneller damit fertig. Die Art und Weise, wie die japanischen Unternehmen der Werftindustrie, des Stahlbaus, der Petrochemie die alten Anlagen stillgelegt und sich auf neue Produktionen umgestellt haben, ist sicherlich nicht ohne weiteres bei uns nachzuahmen. Tatsache ist aber auch, daß der Strukturwandel dort bei vergleichbaren Ausgangsbedingungen inzwischen sehr viel erfolgreicher bewältigt worden ist als bei uns. In den USA, in England und in vielen anderen Ländern ist es ähnlich.
Worin die wirklichen Ursachen der regionalen Ungleichgewichte zu suchen sind, hat Professor Siebert, demnächst Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, vor kurzem an einem plastischen Beispiel sehr deutlich gemacht. Wenn es bei uns - was natürlich nur eine theoretische Vorstellung sein kann - eine norddeutsche Hansamark und einen süddeutschen - lassen Sie mich das mal so nennen - Späth-Strauß-Batzen als eigenständige Währungen gäbe, wenn die Wechselkurse zwischen Leer und Ludwigsburg frei schwanken könnten, würden sich die strukturellen Verschiebungen über Auf- und Abwertung der Nord- bzw. Südmark ausgleichen. - Selbstverständlich, meine Damen und Herren, ist dieser Weg in der Bundesrepublik verschlossen. Aber wegen einheitlich starrer Tarifverträge kann der Norden die mangelnde Wettbewerbsfähig5616
keit seiner Industriestrukturen auch nicht durch niedrigere flexible Löhne wettmachen.
({0})
Warum, meine Damen und Herren, können nicht wenigstens die in Neumünster im Vergleich zu Stuttgart niedrigeren Bodenpreise und die daraus folgenden niedrigeren Mieten ihren Niederschlag in den Tariflöhnen finden?
({1})
In den USA haben die wirtschaftlich benachteiligten Gebiete des Südens und des Westens inzwischen voll den Anschluß gefunden. Zumindest in der Anfangsphase haben dabei die niedrigen Arbeitskosten eine wichtige Rolle gespielt. In der Bundesrepublik fehlt diese Flexibilität des Arbeitsmarktes. Die Anpassung erfolgt statt dessen über eine geringere Produktion, damit über einen Rückgang der Beschäftigung, also über Arbeitslosigkeit. Das ist das Ergebnis dieser Strukturverhältnisse.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling?
Nein, ich will jetzt nicht mehr. Ich will das jetzt zu Ende bringen.
Die Anpassungslast, meine Damen und Herren, verlagert sich dorthin, wo Gesetze und starre Tarifverträge nichts ausrichten können. Die Arbeitnehmer finden im Norden nicht mehr genügend rentable Arbeitsplätze. Sie werden arbeitslos. Daran werden Sie nichts ändern, wenn Sie diese Unflexibilität nicht beseitigen, durch keine staatliche Zuwendung. Keine noch so gute Wirtschaftspolitik - ich will gar nicht behaupten, daß unsere völlig fehlerfrei sei; wer könnte das schon von sich behaupten ({0})
kann solche Fehlentwicklungen, die auf falscher Sozial-, vor allem Arbeitsmarktpolitik beruhen, ausgleichen. Über dieses Dilemma, Herr Jens, kommt auch die regionale Wirtschaftsförderung des Bundes nicht hinweg. Die Milliarden, die Sie und auch andere fordern, die in die benachteiligten Gebiete fließen, haben dort Arbeitsplätze geschaffen und gesichert. Daß läßt sich einigermaßen sicher nachweisen. Aber sie können die Gebiete nicht insgesamt wettbewerbsfähiger machen. Und darauf käme es an.
Deswegen ist auch Herr Albrecht mit seiner Initiative nicht auf dem richtigen Weg. Wenn die Soziallasten, die aus der höheren Arbeitslosigkeit des Nordens resultieren, teilweise auf den Bund übertragen werden, verschafft das den benachteiligten Ländern natürlich vorübergehend eine Entlastung. Aber das alles kuriert nur an den Symptomen. Es beseitigt nicht die Ursachen. Ich habe den Eindruck, daß das bei unserem Koalitionspartner inzwischen ebenso gesehen wird. Der Weg über die Sozialhilfe ist übrigens auch deshalb falsch, weil die Entscheidung über die Ausgaben nicht von der Kostenträgerschaft getrennt werden darf. Über fremdes Geld läßt sich immer leicht befinden.
({1})
Worauf es jetzt ankommt, ist nicht, Arbeitslosigkeit zu finanzieren, sondern Arbeitslosigkeit zu verhindern und zu beseitigen.
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Dazu bedarf es konsequenter Marktöffnung, des Abbaus von wettbewerbshemmenden Reglementierungen und der Anpassung an die gewandelten Strukturen auf internationalen Märkten.
({3})
Einer solchen Politik der schrittweisen Verbesserung der Rahmenbedingungen haftet in der Tat nichts Spektakuläres an. Sie muß gegen vielfältige Widerstände und gegen Beharrungstendenzen mühsam durchgesetzt werden. Wer aber die Zukunftsperspektiven wirklich verbessern will, der muß diesen Weg beschreiten. Eine erfolgversprechende Alternative zu diesem Weg gibt es nach allen Erfahrungen, die wir gemacht haben, nicht.
Ich bedanke mich für Ihr Zuhören.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Stratmann.
Liebe Mitbürgerinnen und liebe Mitbürger! Ich möchte meine Ausführungen, die sich wesentlich auf das Instrument der Gemeinschaftsaufgabe regionale Wirtschaftsförderung und auf die SPD-Initiativen beziehen, die heute zur Debatte stehen, mit ein paar thesenhaften Vorbemerkungen einleiten.
Erstens. Die verfehlte Politik auf Bundesebene und Landesebene, egal, welcher Parteizugehörigkeit die jeweiligen Landesregierungen sind, verschärft die Krisenauswirkungen, wie sie aus notwendigen Marktanpassungen hervorgehen, verschärft die Krisenauswirkungen in den Krisenregionen.
Beispiel: Die Initiativen, die die SPD vorschlägt, etwa mit dem Programm Gemeinschaftsinitiative Montanregionen und Zukunftsinitiative Montanregionen, muß sich natürlich der Tatsache stellen, daß der Abbau von hunderttausend Arbeitsplätzen allein im Ruhrgebiet im engeren Montanbereich, also bei Kohle und Stahl, und dann induziert durch die Folgewirkung in der Zulieferindustrie mit Zustimmung und in Mitverantwortung von Bundes- und Landesregierung geschieht: in der Kohlerunde und in der Stahlrunde. Damit sind Sie mit Ihrer Politik mitverantwortlich dafür, daß die Krise diese Ausmaße annimmt.
({0})
- Ob es einfallsreich ist, steht hier überhaupt nicht zur Debatte. Die Frage ist, ob es richtig ist.
Was die Bundesregierung betrifft: Die Krise in den von Strukturproblemen gebeutelten Regionen wird durch die Auswirkungen der Steuerreform, Schwächung der kommunalen Finanzen und damit Schwächung ihrer Investitionsfähigkeit, verschärft; sie wird weiter dadurch verschärft, daß die Finanzausstattung der Gemeinschaftsaufgabe regionale Wirtschaftsförderung durch die geplante Streichung des Investitionszulagengesetzes ebenfalls ausgehöhlt wird.
Zweite Vorbemerkung. Das Instrument der Gemeinschaftsaufgabe, das in dem Bericht der Bundesregierung darüber zur Debatte steht, ist von vornherein relativ unwirksam, wenn man es mit dem Problemdruck in den Regionen konfrontiert, die zu fördern sind.
Im Jahre 1987 ist die Gemeinschaftsaufgabe mit über 1,5 Milliarden DM ausgestattet. Während einerseits das Investitionszulagengesetz gestrichen wird, wird dies teilweise über eine Anhebung der GA-Zuschüsse kompensiert. Unter dem Strich werden selbst diese 1,5 Milliarden DM noch um weitere ca. 30 % gekürzt, also um ca. 350 Millionen DM. Das heißt: Mit einem solchen Instrument der regionalen Wirtschaftsförderung können Sie den Problemen in den Krisenregionen auch nicht annähernd gerecht werden.
({1})
- Freuen Sie sich doch, wenn wir einmal übereinstimmen. Kein Widerspruch.
Dritte These. Was die drei verschiedenen SPD-Initiativen, die hier zur Debatte stehen, anbetrifft, so müssen Sie sich der Tatsache stellen, daß die staatlichen Zuschüsse und Investitionsförderungsmaßnahmen, die Sie hier fordern, zum Teil geringer sind als die von Ihren Landesregierungen mitverursachten Krisenbelastungen, also z. B. die von Ihrer Landesregierung in Nordrhein-Westfalen im Ruhrgebiet mitzuverantwortenden Kahlschläge bei Kohle und Stahl.
({2})
Deswegen sind auch die drei Initiativen, die Sie vorschlagen, im wesentlichen eine inszenierte Öffentlichkeitstäuschung und eine Politik des Sich-Durchwurstelns.
Das möchte ich an den folgenden konkreten Beispielen deutlich machen.
({3})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie zwischendurch eine Zwischenfrage?
Gerne, aber lieber, wenn ich die konkreten Dinge genannt habe.
Also danach? Stratmann ({0}) : Ja.
Melden Sie sich bitte noch einmal, Herr Grünbeck.
Konkret: Sie führen ja am Ende Ihres Antrags „Arbeit, Umwelt und Investitionen" aus, daß Sie insgesamt 23 Milliarden DM an Bundesmitteln zur Investitionsförderung mobilisieren wollen. Allerdings müssen Sie diese Bundesmittel über den Haushalt finanzieren, d. h. vorher durch Steuerabschöpfung. Was wir daran kritisieren, ist, daß Sie diesen Weg der Umwegfinanzierung über den Haushalt gehen, statt unmittelbar bei den Unternehmen, die beispielsweise für Umweltbelastungen verantwortlich sind, die finanzielle Verantwortung einzufordern, beispielsweise durch verursacherbezogene Abgaben, durch - was den Energiebereich anbetrifft - Primärenergiesteuer. Deswegen haben wir den Eindruck, daß Sie der Konfrontation mit den Verursachern von Krisen und von Umweltzerstörungen ausweichen.
({0})
- Die TA Luft kenne ich sehr gut, aber wir sprechen hier nicht über die TA Luft, sondern über Ihre drei auf die Krisenregionen bezogenen Anträge; nur darüber spreche ich gerade.
Zur zweiten konkreten Sache. Sie betreiben eine Strukturpolitik aus der Pose heraus, daß Sie sich von vornherein der Verfügungsmacht des Kapitals unterwerfen. Konkretes Beispiel: In Ihrer „Gemeinschaftsinitiative Montanregionen" fordern Sie - das unterstützen wir - mit der IG Metall Beschäftigungsgesellschaften innerhalb der Stahlkonzerne, um den Strukturwandel in der Stahlindustrie selbst zu befördern. Sie treten aber als Bittsteller an die Konzerne heran und schreiben an anderer Stelle, daß Sie lediglich die Montanmitbestimmung, die Ende dieses Jahres ausläuft, auf Dauer sichern wollen. Die Geschichte der Montanmitbestimmung in diesem und im letzten Jahr zeigt - sowohl bei Rheinhausen als auch in Hat-tingen, Henrichshütte - eindeutig, daß sie völlig versagt hat, wenn man sich an Belegschaftsinteressen orientiert.
Da kommt ein neutraler Mann - Walter Scheel - und spricht dann mit 11 : 10 Kapitalseite gegen Arbeitnehmerseite das Aus über wesentliche Teile der Henrichshütte. Das ist die Montanmitbestimmung. Gleiches haben wir gerade bei Rheinhausen erlebt. Mit dem neutralen Mann, Professor Krelle, sind die Arbeitnehmerseite und das Interesse der Belegschaft ausgehebelt worden. Und dann wollen Sie dieses völlig untaugliche Instrument, um Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsinteressen durchzusetzen, auf Dauer sichern. Wie wollen Sie mit diesem völlig untauglichen Instrument Beschäftigungsgesellschaften konzernintern durchsetzen, und zwar gegen Managementinteressen und gegen Kapitalinteressen der Stahlkonzerne, die ja überhaupt kein Interesse haben, diesem Vorschlag zu folgen, wie die Geschichte des Rheinhausen-Konflikts zeigt?
Deswegen meine Kritik: Sie betreiben Ihre Strukturpolitik aus einer Bittstellerpose, indem Sie sich der Kapitalseite von vornherein unterwerfen.
Dritter Kritikpunkt. Sie sprechen in Ihren drei Initiativen von der notwendigen ökologischen Erneuerung
sowohl der Montanregion als auch der Küstenregion.
({1})
Sie betreiben diese ökologische Erneuerung allerdings nur als - ({2})
- Aber setzen Sie sich doch mit den Argumenten auseinander statt mit irgendwelchen inhaltslosen Zwischenrufen.
({3})
- Schön. Dann sagen Sie doch gleich konkret - das Mikrophon steht Ihnen ja zur Verfügung - etwas zu der Kritik, daß Ihre sogenannte ökologische Erneuerung nichts als eine Vorleistung für weitere Umweltzerstörung in den Montanregionen, in den Krisenregionen ist.
Sie fordern z. B. in Ihrem Antrag „Gemeinschaftsinitiative Montanregionen" im Interesse des Kohleerhaltes eine Reduzierung der Kernenergienutzung. Was machen Ihre Genossen vor Ort in den Montanregionen, für die Sie hier großartige Anträge formulieren? Die SPD-Kommunen bei VEW haben gerade, vor wenigen Monaten, in Ihrer Verantwortung das Atomkraftwerk Lingen II in Betrieb genommen, was derzeit von 30 % Nutzung auf 100 % Nutzung hochgefahren wird. Gleichzeitig wagen Sie es, hier einen Antrag zu stellen, daß die Kernenergienutzung reduziert werden soll.
Das gleiche Trauerspiel erleben wir beim Hochtemperaturreaktor in Nordrhein-Westfalen, wo die Kernenergienutzung nicht reduziert wird, sondern wo noch in diesem Jahr mit 28,5 Millionen DM Landesmitteln der Ausbau dieser Reaktorlinie gefördert wird. Also das Gegenteil von dem, was Sie hier beantragen, findet bei Ihnen in der praktischen Politik statt.
({4})
- Wieso „Verträge müssen eingehalten werden"? Sie bestimmen wesentlich die Politik über Ihre SPD-Kommunen und über den Kapitalanteil bei VEW; Sie bestimmen wesentlich die Unternehmenspolitik.
Ein letztes Beispiel zum wahren Gesicht der sogenannten ökologischen Erneuerung: Sie versuchen gerade mit den Bundesmitteln, die Sie hier beantragen, Nordrhein-Westfalen und das Ruhrgebiet mit sogenannten Entsorgungs- und Bodensanierungszentren zu überziehen. Wenn wir uns die Techniken angukken - das haben wir in Bochum, in Castrop-Rauxel und anderswo genau gemacht - , stellen wir fest: Die Techniken sind so unausgereift, so hanebüchen, daß dann z. B. Sondermüll mit Beton vermischt wird und dann auf Hausmülldeponien - z. B. in Bochum-Kornharpen - , die überhaupt nicht für Sondermüll vorgesehen sind, deponiert wird. Dabei kommt nichts anderes heraus, als daß Sie aus dem bestehenden Müll Neulasten schaffen, statt Altlasten zu sanieren.
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- Wir werden alles andere tun, als Ihnen bei der Ausweitung von neuen Sondermülldeponien behilflich zu sein, weil das Ruhrgebiet derzeit - täglich und jährlich - 40 % des industriellen Sondermülls in der gesamten Bundesrepublik produziert. Eine wirkliche Politik des ökologischen Umbaus oder der ökologischen Erneuerung muß an Müllvermeidung, an der Förderung von Produktionsinnovationen und Verfahrensinnovationen ansetzen, statt Sondermüllstandorte auszuweisen.
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Unsere Alternative in fünf Punkten: Erstens. Um eine Alternative in den Krisenregionen - an der Küste, im Ruhrgebiet und im Saarland - durchzusetzen, brauchen wir eine Stärkung der kommunalen Finanzen. Das erfordert einen Verzicht auf die geplante Steuerreform der Bundesregierung, das erfordert den Verzicht auf die Streichung der Investitionszulage, und das erfordert die vollständige Übernahme der Sozialhilfekosten durch den Bund.
Lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grünbeck zu? - Bitte schön, Herr Grünbeck.
Herr Kollege Stratmann, könnten Sie mir ein einziges konkretes Investitionsprojekt in den Krisenregionen nennen, das am Geld gescheitert ist?
Am Geld gescheitert ist? - Können Sie mir den Sinn Ihrer Frage erklären?
Sie haben gerade über Geld geredet. Sie sprachen von kommunaler Finanzkraft und sagten, sie müsse gestärkt werden. Können Sie mir denn ein konkretes Investitionsprojekt in Krisenregionen nennen, das etwa am Geldmangel gescheitert wäre?
Es ist am Geldmangel gescheitert, kombiniert - wenn ich von Nordrhein-Westfalen und vom Ruhrgebiet spreche - mit mangelndem politischen Willen der SPD-Landesregierung und der SPD-Kommunen. Nehmen wir den Ausbau des Kohleheizkraftwerk- und Fernwärmeausbauprogramms: Es ist einerseits gescheitert, weil das entsprechende Bundes- und Landesprogramm ausläuft. Aber es ist auch gescheitert, weil der politische Wille zur Inanspruchnahme solcher Gelder gefehlt hat. Das muß man der Wahrheit halber natürlich dazusagen.
Zweite konkrete Maßnahme: Wir wollen für das Ruhrgebiet, für die Montanregion, einen Umbau in Richtung Ökogebiet Ruhrgebiet haben. Dabei muß man ganz deutlich sagen: Bei einem solchen Umbau liegt die Zukunftsperspektive im wesentlichen jenseits von Kohle und Stahl, also nicht in der Konservierung von bestehenden Strukturen, sondern im wesentlichen jenseits von Kohle und Stahl.
Dafür ist allerdings eine ganz wesentliche Voraussetzung, daß jetzt bei der auf der Tagesordnung stehenden Neudebatte der Montanmitbestimmung diese nicht konserviert wird, wie Sie das wollen, sondern ausgebaut wird. Wir müssen von der paritätischen Mitbestimmung zur Überparität der Arbeitnehmer kommen. Es muß gesetzlich gesichert werden, daß gegen den Willen und gegen die Interessen der Belegschaft nichts mehr in den Unternehmen läuft. Überparität!
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- Herr Lammert, lassen Sie mich noch folgendes sagen: Natürlich müssen wir auch in der Unternehmensverfassung in den Montanunternehmen garantieren, daß Umweltinteressen institutionalisiert sind. Deshalb möchte ich als Diskussionsvorschlag in die Debatte bringen, daß man entsprechend der Institution des Arbeitsdirektors im Unternehmensvorstand einen Umweltdirektor vorsieht,
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der so eingesetzt wird, daß er sowohl von der Kapital-als auch von der Arbeitsseite unabhängig ist, beispielsweise von Gewerbeaufsichtsämtern eingesetzt wird, ein voll gleichberechtigtes Mitglied im Vorstand ist mit Vetorechten bei Verletzung fundamentaler Umweltinteressen.
Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lammert? - Bitte schön, Herr Lammert.
Herr Kollege Stratmann, ich hatte eigentlich erwartet, daß Sie nach Ihrer Kritik vorhin an der Funktion der Neutralen im Rahmen der Montan-Mitbestimmung den Vorschlag machen würden, daß die Funktion des Neutralen vom jeweiligen wirtschaftspolitischen Sprecher der GRÜNEN wahrzunehmen sei. Aber nachdem Sie gerade den weitergehenden Vorschlag gemacht haben, an Stelle einer paritätischen eine überparitätische Mitbestimmung einzuführen, würde ich von Ihnen doch gerne wissen: Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, daß der von Ihnen gerade lebhaft beschworene Strukturwandel zu einer Zukunft des Ruhrgebietes jenseits von Kohle und Stahl unter solchen institutionellen Voraussetzungen zustande kommen könnte?
Wenn bei einem Konzern wie Thyssen, der im Ruhrgebiet jährlich allein 1 Milliarde DM investiert - nehmen wir diesen Konzern einmal als Beispiel - , die Belegschaft und das von ihr gewählte Management die Entscheidung über strategisch angelegten Strukturwandel, Produktdiversifizierung, Aufbau von ganz neuen Produktalternativen hätte
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- im Ruhrgebiet; gleich - , dann wäre es nicht möglich, daß bei Krupp, bei Mannesmann und Thyssen solche Arbeitsplatzeinbrüche gegen die Interessen der Belegschaft organisiert würden, wie wir es in
Rheinhausen erlebt haben, in Oberhausen und in Hat-tingen erleben.
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- Das war meine Antwort in meinem Sinne.
Wenn Sie mich fragen, wie wir uns den Strukturwandel in Richtung einer Ökoregion vorstellen, ein Beispiel mit Finanzierung: Wenn wir im wesentlichen in der langfristigen Perspektive über den Montanbereich, auch über den Kohlebereich hinaus müssen, heißt das Aufbau von Energiealternativen - arbeitsintensiv - in der Kohleregion selber. Dafür braucht man Geld. Das Geld kommt dadurch herein, daß wir eine Primärenergiesteuer auf alle fossilen Energieträger vorschlagen. Durch das Mittelaufkommen werden wir die Entwicklung und Markteinführung von Energiealternativen im Ruhrgebiet fördern, die, wie jeder Fachmann weiß, arbeitsplatzintensiver sind als die sehr kapitalintensive Kohleindustrie und AKW-Industrie, d. h. es werden wesentlich mehr Arbeitsplätze geschaffen. Das ist ein Beispiel dafür, welche Alternativen wir wollen und wie wir das gleichzeitig finanzieren können.
Drittes Beispiel: Perspektive im wesentlichen jenseits von Kohle und Stahl. Wir müssen gerade in den Krisenregionen eine Perspektive in dem Ausbau des Kultur- und Freizeitsektors sehen. Wenn es richtig ist, daß wir die Arbeitsplatzsituation durch eine radikale Arbeitszeitverkürzung verbessern wollen, müssen wir uns politisch viel stärker als bisher - das sage ich auch an die Adresse der GRÜNEN - mit Freizeitpolitik und Kulturpolitik beschäftigen. Das muß allerdings jenseits einer Kommerzialisierung dieses Sektors erfolgen. Dafür ist eine stärkere Mittelausstattung dieses Sektors erforderlich, d. h. die Basisinitiativen im kulturellen und im Freizeitsektor müssen gestärkt werden.
Das vierte konkrete Beispiel bezieht sich auf die Küste. Gerade in der Küstenregion wäre einerseits durch den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie, d. h. die Stillegung der vielen Atomanlagen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen, und andererseits durch den gleichzeitig stattfindenden intensiven Einstieg in die Windenergie die Möglichkeit gegeben, dort sowohl Energiealternativen aufzubauen als auch sinnvolle Arbeitsplätze zu schaffen. Dort könnte auf schon bestehende Initiativen von Betrieben zurückgegriffen werden - ich denke an die ArbeitnehmerFabrik in Bremen - , und durch die Nutzung von Produktions- und Werkzeugkapazitäten auf den Werften könnten bestehende Arbeitsplätze und bestehende Produktionsanlagen auch zum Aufbau von umweltfreundlichen Produktionsalternativen genutzt werden.
Herr Abgeordneter, Sie müssen zum Schluß kommen. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ein letzter Punkt.
Nein, das geht nicht mehr. Einen Satz würde ich Ihnen noch gestatten.
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Dann danke ich Ihnen, insbesondere dem Kollegen Grünbeck, für die Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Abgeordnete Austermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bürger erwarten von der heutigen Debatte eine Antwort auf die Frage, worin sich die Konzepte der einzelnen Parteien unterscheiden, wenn es darum geht, im Strukturbereich etwas mehr zu tun, vor allem auch für die nördlichen Länder.
Man muß feststellen, daß sich meine beiden Vorredner im wesentlichen über eine ökologische Erneuerung ausgelassen haben. Meine beiden Vorredner zur Linken unterschieden sich lediglich in der Art und Weise, in der sie Planwirtschaft zum Durchbruch verhelfen wollen. Das Programm „Arbeit und Umwelt", daß Herr Stratmann hier angeboten hat und das die SPD anbietet, ist das übliche Beschäftigungsprogramm, das mehr Verschuldung, mehr Zinsen bedeutet; es hebelt das Verursacherprinzip aus, drosselt die private Verantwortung, Marktmechanismen werden beseitigt; jeder weiß, daß in allen Ländern, in denen Planwirtschaft funktioniert, die Umwelt zugrunde geht.
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Jetzt ist die Frage: Was hat diese Bundesregierung bisher im Bereich der Strukturpolitik für die nördlichen Länder getan?
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Seit Ende der 70er Jahre gibt es z. B. Bemühungen, die Struktur der Küstenländer zu verbessern. Diese Wünsche sind damals nicht auf die Gegenliebe vor allem des Bundesfinanzministers Matthöfer gestoßen. Es gibt reihenweise Briefe, in denen er das abgelehnt hat, was vom Norden gefordert wurde. Erst nach dem Regierungswechsel 1982 gab es eine spürbare Verstärkung bei den Gemeinschaftsaufgaben, gab es ein Hilfsprogramm für die Werften, für Ersatzarbeitsplätze, eine neue Wettbewerbshilfe und eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die dank der Hilfe unserer Freunde, die für Arbeitsmarktpolitik zuständig sind, in den letzten Tagen noch einmal um 210 Millionen DM für Fortbildung und Umschulung aufgestockt worden ist.
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Speziell die Gemeinschaftsaufgaben, die das eigentliche Instrument für die Hilfen für bestimmte gemeinsame Bemühungen von Bund und Ländern darstellen, wurden wesentlich erhöht. Der vorgelegte Regierungsbericht ist ein eindrucksvoller Beleg dafür.
Da gab es z. B. Hilfen für die Saar, da gab es Hilfen für die Küstenländer, für das Ruhrgebiet im Länderfinanzausgleich und das neue Programm der Kreditanstalt für Wiederaufbau, das allein ein Volumen von 15 Milliarden DM hat. Wir setzen uns für einen weiteren Ausbau dieser Instrumente zur Hilfe der strukturschwachen Länder nach Art. 91 und nach Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes ein, weil wir wissen, daß bisher noch nicht Ausreichendes passiert ist.
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Trotzdem dürfen diese Bemühungen nicht übersehen werden.
Was in diesen Ländern unterentwickelt ist, ist nicht so sehr die Zahl der öffentlichen Investitionen, auf die Sie ja gerade abheben - aber auch im Bereich der öffentlichen Investitionen gibt es sicherlich ein SüdNord-Gefälle -; sie machen nur einen Teil der Gesamtinvestitionen aus. Es fehlt in vielen Bereichen an strukturellem Wandel, an wissenschaftlichen Einrichtungen, die den technologischen Fortschritt und damit neue Arbeitsplätze ermöglichen.
Eine Initiative, die den strukturschwachen Ländern helfen will, müßte also fragen: Wie sieht es mit dem Leistungsstand der Unternehmen in der Summe in diesen Ländern aus, mit der Innovationskraft, der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen? Was wird für Forschung ausgegeben? Welche wissenschaftlichen Einrichtungen mit Transfercharakter sind ausbaufähig? Die nächste Frage - die dürfte für Sie besonders interessant sein - wäre: Was tut die jeweilige Landesregierung, um die Eigendynamik der Wirtschaft zu unterstützen? Da gibt es in der Tat beträchtliche Unterschiede in den einzelnen Bundesländern. Das Motto muß also lauten: Hilf dir selbst, dann hilft der Bund.
Die SPD weist mit ihren Anträgen in die falsche Richtung; abgesehen davon, daß sie unbezahlbar sind. Ich habe das einmal durchgerechnet - Sie offensichtlich nicht - : Das KfW-Programm kostet 300 Millionen DM, die Investitionszulage 1 Milliarde DM, das sogenannte Zukunftsprogramm 2,35 Milliarden DM, die Bundesmittel für Städtebau betragen 2,5 Milliarden DM - die sind übrigens bei Ihnen im Jahre 1982 ganz kläglich gewesen - , die öffentlichen Investitionen von Bund, Post und Bahn - die Post gibt in diesem Jahr so viel für Investitionen aus wie noch nie - kosten zusätzlich 2,5 Milliarden DM; die höhere Arbeitslosenhilfe soll die Gemeinden angeblich von Sozialhilfe entlasten, was 3 Milliarden DM kostet. Das ist ein Gesamtprogramm der SPD für ein Jahr in der Größenordnung von 13,8 Milliarden DM. Das ist nicht finanziert. Man könnte zusammenfassend zu Ihrem Programm sagen: Keine neue Idee, keine Finanzierung.
Aber selbst wenn man die SPD-Anträge unterstützt, muß man fragen, wie es denn in der Realität aussieht. Und das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt, und zwar gerade für mich als Abgeordneten, der aus Schleswig-Holstein kommt und der sich nun fragt, was wird sich denn möglicherweise in der Politik ändern. Dort, wo das Geld vom Bund angeboten wird, wird es oft aus ideologischen oder aus vordergründigen Umweltschutzgründen nicht ausgeschöpft. Ich
nenne das Stichwort Straßenbau; da wurden Mittel aus Nordrhein-Westfalen zurückgegeben, weil man nicht in der Lage war, rechtzeitig zu planen, oder weil man nicht wollte.
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Beispielhafte Infrastruktureinrichtungen - Elbquerung, Flughafenanbindung Fuhlsbüttel - kommen nicht voran. Technischer Wandel wird beargwöhnt. Großprojekte werden durch lange Genehmigungsverfahren behindert.
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Das Küstenprogramm des DGB setzt mit der Forderung nach mehr Steuern, nach mehr Staat, nach mehr Einflußnahme auf die Wirtschaft die Investitionsbereitschaft aufs Spiel. Der Aussteigerkurs in der Energiepolitik fördert nicht gerade das Vertrauen der Wirtschaft in günstige Energiepreise.
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Ich glaube, dies alles gehört mit zur Realität, zu dem, was Situation in unserem Land ist, was unterschiedliche Situation in den einzelnen Bundesländern ist.
Erfolgreiche Wirtschaftspolitik für mehr Arbeitsplätze besteht vor allem in besseren Rahmenbedingungen, nicht aber in staatlicher Beschäftigungswirtschaft.
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Sie besteht in größerer Flexibilität, in den Tarifvereinbarungen z. B. auch beim Abbau von Überstunden; das haben wir vorhin diskutiert. Arbeitslosigkeit ist das Spiegelbild von nicht rentablen Arbeitsplätzen.
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Wir wollen den Strukturwandel auch im Norden ermöglichen, wenn die Länder mitmachen. Dies zeigt der Bericht über die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur und dies zeigt auch unsere bisherige Politik. Unsere Schwerpunkte zielen darauf ab, die Investitionsbedingungen für Unternehmen weiter zu verbessern, durch das Instrument der regionalen Wirtschaftsförderung Arbeitsplätze dort zu schaffen, wo die Menschen wohnen, die Forschungs- und Entwicklungsinfrastruktur beschleunigt auszubauen, eine leistungsfähige Verkehrsanbindung zu gewährleisten, um Randlagen zu beenden, den strukturschwachen Räumen stärker als früher durch eine bevorzugte Förderung Entwicklungschancen zu eröffnen und eine stärkere Differenzierung in der Tarifpolitik sowie eine flankierende Arbeitsmarktpolitik vorzusehen - dies alles, was bei der Union wichtig ist, bei konsequenter Begrenzung staatlicher Ausgaben.
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Unsere Politik entzündet kein Strohfeuer mit Langzeitbrandschäden. Sie schafft längerfristig Erfolge über mehr wirtschaftliche Dynamik.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Seit 1983 ist die Zahl der Bürger in der Bundesrepublik, die Arbeit haben, um 700 000 von 25,3 Millionen auf knapp 26 Millionen gestiegen. Es haben also heute mehr Bürger in der Bundesrepublik Arbeit als 1982, auch im Norden. Weniger Jugendliche sind ohne Arbeit, weniger Kurzarbeiter sind zu verzeichnen, Lehrstellen werden knapp. Da sich aber die Erwerbsbevölkerung in der Zeit seit 1982 praktisch auch um 700 000 erhöht hat, liegen die Arbeitslosenzahlen immer noch auf dem Niveau der Zeit nach dem Regierungswechsel: 2,14 Millionen im Mai 1983 zu 2,14 Millionen in diesem Mai.
Mittelfristig hat bei der anderen Bevölkerungsentwicklung, die abzusehen ist, unsere Politik noch stärker sichtbare Erfolge bei den Arbeitslosenzahlen auch im Norden, wenn die SPD von ihrer alten wirtschaftsfeindlichen Politik Abstand nimmt und mehr Dynamik zuläßt.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft, Herr von Wartenberg.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Jens, in einer Debatte, die auf Ihren Antrag hin die Bereitschaft zum Strukturwandel in bestimmten Regionen wecken soll, haben Sie nichts weiter als düstere Gemälde für die Gegenwart und für die Zukunft gezeichnet. Sie haben die Fakten nicht erkennen lassen: Wir haben den höchsten Stand der Beschäftigten seit 1982,
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trotz der starken Jahrgänge, die aus den Schulen kommen und auf den Arbeitsmarkt drücken,
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trotz des veränderten Verhaltens der Frauen; wir haben die höchste Erwerbsquote bei den Frauen seit Bestehen der Statistik. Wir haben festzustellen, daß alle Konjunkturforschungsinstitute einschließlich der internationalen Organisationen ihre Prognosen für das laufende Jahr nach oben korrigieren. Wir haben die höchsten realen Einkommen, die jemals in Deutschland verdient wurden, und wir haben die höchsten Exportüberschüsse. So schlimm und so schlecht kann es also nicht aussehen.
Ich komme zum Strukturwandel. In der Montan- und Werftindustrie ist, das haben wir zu konstatieren - das ist der Gegenstand unserer heutigen Debatte - , ein tiefgreifender Prozeß festzustellen, der für die Betroffenen und für die Regionen oft mit Opfern verbunden ist. Hier ist Hilfe zur sozialen Abfederung und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in den betroffenen Regionen notwendig. Die Bundesregierung hat hier konsequent und erfolgreich gehandelt.
Im Zentrum der Bemühungen, meine Damen und Herren, muß dabei die Schaffung neuer Arbeitsplätze
stehen. Der notwendige Strukturwandel kann nicht verhindert werden. Niemand kann die Stahlstandorte garantieren, wie es der Antrag der SPD-Fraktion wiederum suggeriert, wenn er auch von einem Erhalt der Stahlstandorte „im Kern" spricht, was immer das heißen mag.
Lassen Sie mich zuerst einige Anmerkungen zu Kohle und Stahl machen. Es ist erfreulich, daß es der Stahlindustrie derzeit deutlich besser geht als noch vor einigen Monaten. Eine gute Stahlkonjunktur löst aber natürlich nicht alle Strukturprobleme beim Stahl. Immer noch gibt es in Europa Kapazitätsüberhänge. Die Stahlnachfrage ist tendenziell weiter rückläufig. Es ist die Aufgabe der Unternehmen, die notwendigen Anpassungsentscheidungen zu treffen.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müntefering?
Bitte sehr.
Zum Bereich Stahl: Sind Sie bereit, das Wort des Bundeskanzlers von der Montankonferenz einzulösen, entweder auf der Sitzung des Ministerrats oder spätestens auf dem EG-Gipfel dafür einzutreten, daß die Quoten über den 30. Juni 1988 hinaus verlängert werden, zumindest die Kategorien 2 und 3?
Herr Kollege, die Bundesregierung steht zu dem Ergebnis des EG-Ministerrats vom 22. Dezember letzten Jahres, wonach das Quotensystem für wichtige Flachprodukte und schwere Profile verlängert werden soll, wenn bis zum 10. Juni, d. h. bis morgen, verbindliche Zusagen der Stahlindustrie über bestimmte Kapazitätsstillegungen vorliegen. Der Ministerrat wird sich am 24. Juni mit dieser Frage befassen. Die Bundesregierung verfolgt diese Linie, obwohl der Auffassung der EG-Kommission, daß die rechtlichen Voraussetzungen für eine Verlängerung des Quotensystems angesichts der guten Stahlkonjunktur nicht mehr vorliegen, kaum widersprochen werden kann.
Die Bundesregierung wird sich zusammen mit der EG-Kommission weiterhin nachdrücklich dafür einsetzen und darauf achten, daß der Subventionskodex eingehalten wird. Und lassen Sie mich hinzufügen: Die derzeit insgesamt deutlich verbesserte Lage der deutschen Stahlindustrie bestätigt ja auch die wirtschaftspolitische Grundhaltung der Bundesregierung, kein staatlich verordnetes Strukturkonzept vorzugeben.
Ich muß Sie noch einmal unterbrechen, Herr Staatssekretär. Sind Sie bereit, eine Frage des Herrn Abgeordneten Jens zu beantworten?
Bitte sehr.
Würden Sie denn zugeben, daß die augenblicklich günstige Lage in der Stahlindustrie wirklich nur ganz kurzfristig ist und daß Sonderfaktoren, die überhaupt nicht zu übersehen sind, dazu beigetragen haben, daß diese günstige Situation gegeben ist, und daß deshalb die immanente Krise langfristig sehr wohl vorhanden ist?
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Herr Kollege Jens, ich habe gerade zum Ausdruck gebracht, daß ich mich über die aktuell gute Lage in der Stahlindustrie freue, die wir beide vor wenigen Monaten nicht erwartet haben. Insoweit gehe ich auch davon aus, daß wir beide nicht in der Lage sind, die Prognose auch nur für ein halbes Jahr zu geben. Aber ich habe zum Ausdruck gebracht: Tendenziell haben wir in Europa Überkapazitäten in der Stahlindustrie, deshalb sind wir zum Handeln aufgefordert.
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Wir haben, meine Damen und Herren, aktiv dazu beigetragen, den Anpassungsprozeß zu flankieren. Ich erinnere an die Strukturanpassungshilfen und die 20%ige Investitionszulage bis Ende 1985. Ich erinnere an die Stahlkrisenmaßnahmen der Europäischen Gemeinschaft, und ich erinnere an die umfangreiche soziale Absicherung des Anpassungsprozesses. Der Bund hat dafür auch im letzten Jahr erneut 300 Millionen DM zugesagt. Die Stahlländer beteiligen sich zusätzlich mit 150 Millionen DM. Im Gegenzug dazu haben sich die Stahlunternehmen verpflichtet, auf die im Rahmen der notwendigen Strukturanpassungsmaßnahmen ursprünglich vorgesehenen betriebsbedingten Kündigungen zu verzichten. Wir als Bundesregierung gehen davon aus, daß die Frankfurter Vereinbarung eingehalten wird.
Meine Damen und Herren, auch für Schiffbau und Schiffahrt hat die Bundesregierung eine Reihe von flankierenden Maßnahmen ergriffen. Die 1987 eingeführte und bis 1990 befristete Wettbewerbshilfe soll die Bemühungen der deutschen Werften, ihre Betriebsstrukturen durch Rationalisierung und Kapazitätsanpassung zu verbessern, flankieren und ihnen helfen, ihren hohen Leistungsstand beim Bau hochwertiger Schiffe zu behaupten.
Inzwischen hat sich der Auftragsbestand der Werften auch deutlich verbessert, auch wenn es Auslastungsprobleme bei einigen kleineren Werften gibt, insbesondere auf Grund der drastisch geschrumpften Inlandsnachfrage nach Küstenmotorschiffen. Hier sollte nach unserem Eindruck einmal die Mittelverteilung innerhalb der betroffenen Länder überprüft werden.
Daneben wird weiterhin die traditionelle Werfthilfe eingesetzt, über deren Verlängerung - wenn auch mit einem den verringerten Kapazitäten angepaßten Volumen - im Rahmen der Haushaltsverhandlungen gesprochen wird.
Auch der Kohlebergbau befindet sich in einem langen, schwierigen Anpassungsprozeß. Wir wissen, was das für die Betroffenen heißt. Wir wissen auch, wie schwer und gefährlich diese Arbeit manchmal ist.
Ich möchte an dieser Stelle auch im Namen von Minister Bangemann nochmals unser tief empfundeParl. Staatssekretär Dr. von Wartenberg
nes Beileid gegenüber den Angehörigen der verunglückten Bergleute auf der Zeche Stolzenbach in Borken zum Ausdruck bringen und den Verletzten rasche Genesung wünschen. Dank und Anerkennung gebühren auch den Rettungsmannschaften für ihren unermüdlichen Einsatz.
Die Kohlepolitik der Bundesregierung ist klar: Sie steht voll und unverändert zu den Beschlüssen der Kohlerunde vom 11. Dezember des vergangenen Jahres. Beschlossen wurde eine Anpassung von 13 bis 15 Millionen Tonnen Steinkohle bis 1995; sie wird sozialverträglich durchgeführt. Und seien wir uns dessen bewußt: Dies bedeutet erhebliche zusätzliche Kosten für den Bundeshaushalt. Die Bundesregierung hat hierfür - trotz der angespannten Haushaltslage - Vorsorge getroffen.
Die Bundesregierung steht auch zu dem Verstromungsvertrag. Wir sind derzeit mitten in Verhandlungen mit Elektrizitätswirtschaft und Kohlebergbau. Wir streben dabei unverändert eine Lösung an, die einerseits das Mengengerüst sichert, andererseits die Belastungen für die Verbraucher in vertretbaren Grenzen hält.
Nur die aktive Bewältigung des Strukturwandels und die Erschließung neuer Wachstums- und Beschäftigungsfelder schaffen zukunftsträchtige und damit sichere Arbeitsplätze. Das geschieht nicht von allein. Hier müssen alle Beteiligten an einem Strick ziehen: für mehr Ersatzarbeitsplätze. Das gilt vor allem für die betroffenen Regionen selber. Die Kräfte vor Ort müssen mobilisiert werden. Die Verbesserung der Infrastruktur und die Möglichkeit neuer Arbeitsplätze kann man nicht am grünen Tisch entscheiden. Wie die Wirtschaft Duisburgs verbessert werden kann, weiß man in Duisburg am besten.
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Ich weise auch an dieser Stelle noch einmal auf die Verantwortung der Tarifpartner hin. Wenn sie auf die regionalen Probleme keine Rücksicht nehmen, kann dies ein Hemmnis für neue Investitionen sein. Wenn ein Unternehmer im Ruhrgebiet höhere Löhne als in Süddeutschland zahlen muß, muß das doch Konsequenzen haben, ob uns das paßt oder nicht.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Hillerich?
Nein; danke. Ich möchte fortfahren.
Aber zur Bewältigung des Strukturwandels konkret am Ort gehört auch, daß den Menschen die Wahrheit nicht verschwiegen wird. Politische Forderungen nach dem Erhalt alter Strukturen, die den Menschen eine sichere Zukunft vorgaukeln, sind doch nicht geeignet, für eine Aufbruchstimmung zu sorgen, in der die Herausforderung durch den Strukturwandel angenommen wird. Ich meine, Rheinhausen ist hierfür ein trauriges Beispiel. Es wäre sicher besser gewesen, wenn alle Politiker den Arbeitern der Hütte rechtzeitig die Wahrheit gesagt hätten.
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Die Bundesregierung sieht es als eine zentrale Aufgabe an, den Strukturwandel zu erleichtern und regional zu flankieren. Es ist ein großer Erfolg, wenn mit Hilfe der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" viele Regionen Anschluß an die Entwicklung gefunden haben. Jetzt gilt es, verstärkt die Schaffung neuer Arbeitsplätze in den altindustriellen Regionen, besonders in den Kohle-und den Stahlregionen, voranzutreiben.
Die Montankonferenz des Bundeskanzlers vom Februar dieses Jahres ist ein Meilenstein auf diesem sicher schwierigen und langwierigen Weg. Entscheidend ist vor allem die positive Signalwirkung dieser Konferenz.
Das Kernstück der Beschlüsse der Montankonferenz ist ein zusätzliches Sonderprogramm für Montanregionen in Höhe von 1 Milliarde DM. Es ist am 14. April vom Bund und von den Ländern im Planungsausschuß beschlossen worden. Davon entfallen auf das Ruhrgebiet 800 Millionen. Zusammen mit den vom Bund vorher beschlossenen Hilfen stehen der Montanregion somit rund 1,5 Milliarden DM zur Verfügung.
Darüber hinaus ist es Minister Bangemann - der heute in Brüssel ist - gelungen, das EG-Programm für Stahlstandorte gegen den Widerstand der EGKommission bereits im Februar dieses Jahres im EGMinisterrat durchzusetzen. Das Programm ist damit auch für deutsche Stahlstandorte wirksam. Ein beachtlicher Teil der Gesamtmittel von 300 Millionen ECU steht für diese Standorte zur Schaffung neuer Arbeitsplätze zur Verfügung.
Vergessen Sie bitte auch nicht, daß die Wirksamkeit dieses Programms in den Regionen nur dadurch verstärkt werden kann, daß der Bund, wie in der Montankonferenz beschlossen, auch seinen Eigenanteil an den EG-Rückflüssen an die Bundesländer direkt weiterleiten wird.
Um den Gemeinden mit vergleichsweise hoher Arbeitslosigkeit zu helfen, wurden vor wenigen Tagen zusätzliche Kreditpräferenzen im KFW-Gemeindeprogramm für diese Gemeinden beschlossen. Hiervon profitieren sowohl Montanregionen und Werftstandorte als auch traditionelle Problemregionen des ländlichen Raums.
Dann kommen die abgestimmten Maßnahmen aus den verschiedenen Bereichen von Wirtschaft, Verkehr, Post, Umwelt, Technologie hinzu. Sie könnten und sollten zu einer neuen Aufbruchstimmung im Ruhrgebiet führen.
Ich begrüße es deshalb sehr, wenn die Beteiligten hier weiter vorangehen, und fordere sie dazu auf. Es gibt für mich keinen Zweifel: Das Ruhrgebiet hat gute Chancen,
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die es nur wahrnehmen muß. Das gleiche gilt für Osnabrück, für die Saar und für die mittlere Oberpfalz.
Das in der Montankonferenz beschlossene Programm wird zügig umgesetzt. Die Bundesregierung und das Land Nordrhein-Westfalen überwachen gemeinsam die Umsetzung. Ich glaube, wir sind hier auf dem richtigen Weg. Ich denke auch, daß die Menschen im Ruhrgebiet dies wissen und dies akzeptieren. Die SPD-Fraktion sollte deshalb mitziehen. Forderungen nach mehr Geld vom Bund führen nicht weiter.
({2}) An Geld fehlt es nicht.
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Notwendig ist die konsequente Umsetzung des Beschlossenen. Notwendig ist eine positive, die Attraktivität der Montanstandorte erhöhende Wirtschaftspolitik, z. B. durch Abbau des verbreiteten Eindrucks, Nordrhein-Westfalen sei technologiefeindlich.
Meine Damen und Herren, ein Punkt ist bei den Maßnahmen für die Regionen wichtig: Die Hilfen des Bundes können nur Hilfen zur Selbsthilfe sein. Sie müssen von den betroffenen Regionen und Ländern als Bausteine in ein umfassendes Umstrukturierungskonzept eingebaut werden.
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- Nein, ich möchte keine Zwischenfrage zulassen.
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Dabei sind Kommunen, örtliche Wirtschaft, Verbände und Gewerkschaften ebenso gefordert wie etwa örtliche Forschungs- und Berufsbildungseinrichtungen.
Ein solches Gesamtkonzept muß vor allem von folgenden Aktionsfeldern ausgehen: Zunächst von einer aktiven Bodenpolitik. Dazu gehört die Ausweisung von genügend Industrie- und Gewerbefläche auch durch eine Wiedernutzbarmachung von brachliegenden alten Flächen.
Dazu gehört die Verbesserung der beruflichen Qualifikationen. Dazu gehört die Erleichterung von Unternehmensgründungen durch spezielle Beratungsangebote und entsprechende Anstrengungen der örtlichen Behörden. Dazu gehört die Beschleunigung des Technologietransfers durch verstärkte Zusammenarbeit zwischen örtlicher Wirtschaft und Hochschulen und durch die Einrichtung und den Ausbau der Technologieberatung bei den Kammern und den Wirtschaftsförderungsgesellschaften. Dazu gehört die Verbesserung insbesondere der wirtschaftsnahen Infrastruktur. Dazu gehört die Verbesserung der Wohnortattraktivität durch zusätzliche Anstrengungen etwa bei Naherholung, Städtesanierung und Kulturangeboten. Dazu gehört auch - last but not least - die Beseitigung von bürokratischen Hindernissen.
Meine Damen und Herren, nur die Akzeptanz des notwendigen Strukturwandels und nur die Bereitschaft aller, aktiv an der Umstrukturierung der betroffenen Regionen mitzuarbeiten, kann den regionalwirtschaftlichen Erfolg sicherstellen. Wir sollten diese Herausforderungen annehmen, die Ärmel hochkrempeln und den Weg gemeinsam gehen.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Skarpelis-Sperk.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Debatte ist bisher schon etwas eigenartig verlaufen. Ich hatte gedacht, wir würden uns über die regionalen Probleme unterhalten. Wir haben hier aber - mit Ausnahme der des Kollegen Wartenberg - treffliche Reden über viele andere Dinge als über die regionalen Probleme und über die Instrumente zur Lösung dieser Probleme gehört.
Herr Lambsdorff hat ausgiebig über die Tarifpolitik und die Inflexibilität der Löhne geredet. Er hat wieder einmal - wie immer bei der FDP - dafür gesorgt, daß der Schwarze Peter bei den Gewerkschaften landet. Er hat schön sein Manuskript vorgelesen.
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- Aber natürlich hat er das getan, indem er wieder einmal auf die Inflexibilitäten hingewiesen hat. Herr Grünbeck, es ist ja, jedenfalls wenn man keine Instrumente anzubieten hat und nichts Konkretes zur Sache sagen kann, eine praktische Methode, wieder einmal den alten Hut der Tariflohndifferenzierung vorzutragen. Das hat er übrigens, als er Wirtschaftsminister war, in diesem Hause und im Wirtschaftsausschuß Gott sei Dank nicht erzählt, weil er dann nämlich die eigenen Gutachten, die er selbst damals in Auftrag gegeben hat, um die Ohren geschlagen bekommen hätte. Es ist doch so, daß in allen Strukturberichten aller wesentlichen wirtschaftswissenschaftlichen Institute steht, daß es erstens immerhin - leider hat Herr Lambsdorff ja keine Zwischenfrage zugelassen - so etwas wie einen Unterschied zwischen den Tariflöhnen und den tatsächlichen Löhnen gibt, daß sich zweitens die Unterschiede in den Lohnhöhen zwischen den Sektoren außerordentlich erhöht und nicht erniedrigt haben, und sie sind mittlerweile entscheidender als manche regionalen Differenzierungen, und daß drittens die wirtschaftswissenschaftlichen Institute darauf hingewiesen haben - dies tun sie alle paar Jahre regelmäßig wieder - , daß sie mit dieser Art von niedrigeren Lohnkosten nichts anderes betreiben als eine Subventionierung und damit eine Erhaltung gewisser Branchen und daß dies keine wirtschaftspolitisch besonders sinnvolle Maßnahme ist.
Herr Staatssekretär, Sie reden von Dynamik und von allem was erhalten werden muß. Das ist auch richtig, aber was Sie machen, ist nichts anderes, als diesen Betrieben einen zusätzlichen Rentabilitätsbonus zu geben und zu sagen, die Arbeitnehmer sollen mit niedrigen Löhnen dies akzeptieren. Dies hilft in der Sache nicht weiter. Alle wirtschaftswissenschaftlichen Institute erzählen Ihnen dies - in amtlichen Berichten abgedruckt - immer wieder und erneut, und die Antwort ist, daß Herr Lambsdorff und andere dies mit Gebetsmühlenhaftigkeit wieder bringen, obwohl sie wissen, daß im Grunde genommen erstens die Unterschiede jetzt schon gewaltig sind und daß dies zweitens, den Betrieben in den Regionen überhaupt nicht hilft. Dies sind à la longue Erhaltungssubventionen, und die sind auf Dauer nicht nützlich.
Ich hatte gehofft, wir würden uns heute einmal konkreter - Herr Staatssekretär Wartenberg hat dies weFrau Dr. Skarpelis-Sperk
nigstens etwas getan - über die Gemeinschaftsaufgabe „regionale Wirtschaftsförderung" unterhalten.
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- Aber Herr Hinsken, ich gebe doch immer etwas Vernünftiges vor. Im Unterausschuß haben wir schon so häufig einmütig, ja manchmal sogar einstimmig unsere Vorschläge gemacht, daß ich mich über Ihren Zwischenruf wundere. Ich komme gleich auf die Sache, die bei Herrn Stoltenberg nicht durchgesetzt werden konnte, nämlich auf die Investitionszulage, deren Beibehaltung wir im Wirtschaftsausschuß, im Unterausschuß „regionale Wirtschaftsförderung", einmütig unterstützt haben.
Aber es ist doch eigentlich viel schlimmer: Die Tatsache, daß hier jeder von der Regierungsseite über ganz andere Dinge, ganz andere Instrumente geredet hat, verrät doch im Grunde genommen nur eines: daß hier in den Parlamenten - ({2})
- Herrgott, die Herren üben wieder einmal ihr Traditionsinstrument des Zwischenrufs.
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- Entschuldigen Sie, Sie lesen im D-Zug-Tempo Ihr Referat herunter, und da hat man Sie nicht mit dauernden Zwischenrufen gestört.
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- Wie wäre es denn, wenn Sie mich einmal zu Wort kommen ließen, und dann hören Sie mal vier Minuten zu. Das wird Sie hoffentlich nicht überfordern.
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- Vielleicht kann der Kollege Austermann in der Tat einmal in einer wirtschaftspolitischen Debatte zuhören. In seiner Debatte hat man jedenfalls nicht viele Möglichkeiten für Zwischenrufe gehabt, weil dies in einem solchen Eiltempo heruntergeredet war, daß man nicht einmal die Worte vernehmen konnte.
Wir haben leider nur ein Problem gehabt. Wenn ich mir einmal die ersten zwölf Seiten dieses 17. Rahmenplanes, den die Bundesregierung vorgelegt hat, durchlese, dann kann ich nur zu dem Schluß kommen, daß der 17. Rahmenplan eher den Informationsgehalt und die politische Zündkraft eines Kommuniqués des Politbüros der KPdSU vor Gorbatschows Zeiten gehabt hat, so inhaltsleer und oberflächlich ist über die Probleme hinwegformuliert.
Man muß in der Tat schon sehr eingeweiht sein und viele Hintergrundinformationen aus den Länderministerien haben, um aus diesem Bericht wenigstens ein paar Informationen über das herauszuhören, was zunehmend die Menschen hier bei uns beunruhigt: Das ist das immer deutlichere Auseinanderfallen der Republik in prosperierende Gebiete auf der einen und strukturschwache ländliche sowie altindustrielle Regionen auf der anderen Seite.
Im Jahreswirtschaftsbericht 1988 - das ist immerhin schon ein Fortschritt, Herr Wartenberg - haben Sie über diese Probleme ja noch nicht einmal gesprochen. Dafür aber wird nun in einer Weise im 17. Rahmenplan verharmlost, die nach den heftigen Auseinandersetzungen zwischen Finanzminister Stoltenberg, den CDU-Ministerpräsidenten und den Herren Späth und Strauß noch etwas verblüfft.
Nun habe ich ja Verständnis dafür, daß Herr Bangemann nicht schreiben wird, daß die globale Wirtschafts- und Finanzpolitik zu katastrophalen Arbeitslosenzahlen in den strukturschwachen ländlichen Gebieten mit ihrer immer überdurchschnittlichen Arbeitslosigkeit geführt hat. Ich habe auch Verständnis dafür, daß Sie die Zukunftsaussichten der Problemregionen in den altindustriellen Räumen mit ihrer Konzentration auf Stahl, Schiffbau und Kohle - Herr Staatssekretär, Sie haben die Probleme in der Textil-und Schuhindustrie heute gar nicht einmal erwähnt - , die sich immer mehr verdüstern, nicht so deutlich darstellen. Statt dessen hat der Herr Staatssekretär heute ein optimistisches Bild verbreitet. Man möchte fast annehmen, die Arbeitslosenzahlen in Leer hätten sich halbiert, oder in Niederbayern in der Oberpfalz stünden Massen von Arbeitsplätzen offen und was haben Sie gesagt? - , die Bewerber um Ausbildungsplätze würden sogar knapp. Für die Problemregionen, die wir hier in dem Unterausschuß zu behandeln haben, können wir ein derartig günstiges Bild leider nicht abgeben.
({6})
Die arbeitsplatzvernichtenden Wirkungen des Strukturwandels, lieber Herr Staatssekretär, haben Sie überhaupt nicht beziffert, und das verstehe ich ja auch, weil Sie gar keinen Anlaß bieten wollen, einmal hart an den Fakten zu diskutieren.
Dann stehen beschönigende Sätze in dem Bericht wie:
Die veränderte gesamtwirtschaftliche Lage erschwert auch die Erreichung regionalpolitischer Ziele.
Und:
Auch wenn sich für die nahe Zukunft die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen der regionalen Strukturpolitik nicht mit hinreichender Sicherheit angeben lassen, so zeichnen sich doch einige neue Schwierigkeiten für die Lösung regionalpolitischer Probleme ab . . .
Herr von Wartenberg, da war der Bericht ein bißchen ehrlicher als Ihre optimistische Erklärung heute.
({7})
- Was steht denn dann in dem Bericht? Ist das die
realistische Einschätzung der FDP, und die CDU ist
dann optimistisch? Ist das eine neue interessante Koalitionsvariante, die Sie uns vorführen? Ich meine, man trifft Sie auch sonst häufiger streitend vor. Vielleicht trägt jetzt der Staatssekretär den Regierungsbericht nicht mehr mit. Das wäre immerhin eine interessante Information.
({8})
Dann steht auch noch darin - wörtlich - , daß „die Ansiedlung neuer und die Erweiterung vorhandener Betriebe schwieriger geworden" sei. Wie verträgt sich das mit Ihrer Erklärung hier? Und daß der „regionale Wettbewerb um gewerbliche Investitionen" sich „verschärft" hat, na ja, diese Informationen kennt nicht nur jeder Kommunalpolitiker, sondern jeder Zeitungsleser, der immerhin spätestens alle halbe Jahre den Streit der Ministerpräsidenten um die Ansiedlung irgendwelcher Großbetriebe mitverfolgt.
Aber es steht, was deutlicher und ehrlicher ist, auch darin:
... durch die verstärkte Arbeitsplatznachfrage auch außerhalb der Fördergebiete hat sich gleichzeitig die Dezentralisierungsbereitschaft der Industrie verringert. Die regionale Strukturpolitik
- sagen Sie dürfte es daher in Zukunft schwerer haben, eine ausgewogenere regionale Verteilung der Investitionstätigkeit zu bewirken.
Wohl wahr! Das ist die etwas verschlüsselte Mitteilung, daß es erstens mittlerweile auch in den sogenannten prosperierenden Gebieten genügend Arbeitslosigkeit gibt, so daß sich die Betriebe gar nicht mehr in den sogenannten altindustrialisierten und strukturschwachen ländlichen Regionen nach Arbeitskräften umsehen müssen, und daß es zweitens immer geringere Einwirkungsmöglichkeiten für die traditionelle Regionalpolitik gibt, d. h. für die Rahmensetzungspolitik, die der Herr Lambsdorff hier immer so predigt.
Nach dieser faktischen Bankrotterklärung Ihrer Politik fragt man sich nun: Was ist Ihnen denn an neuen Instrumenten eingefallen? Was schlägt diese Bundesregierung tatsächlich vor? Und da steht darin:
Für die regionale Strukturpolitik geht es heute mehr als früher darum, attraktive Bedingungen für potentielle Investoren in den Fördergebieten zu bieten.
Oh, das ist eine interessante Mitteilung, da könnte man sagen: Gibt es jetzt den neuen Koalitionskrach? Sieht der Herr Bangemann tatsächlich neue regionale Förderinstrumente vor?
Wenn wir morgen sehen, wie der Finanzausschuß im D-Zug-Tempo die Steuerreform beraten wird, dann möchte ich nur daran erinnern, daß Sie genau hier ein ganz schönes Päckchen regionalpolitischer Lasten verteilt hatten. Ich erinnere hier nur einmal kurz an die Absenkung der Förderintensität, vor allem aber an den Ausfall der Mittel, der durch die Abschaffung der regionalen Investitionszulage entsteht. Allein die letzte Maßnahme kostet die Problemgebiete über eine Milliarde DM pro Jahr.
Jetzt verweisen Sie bitte nicht auf die Zuschüsse im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe, die der Herr Austermann so eifrig hier verlesen hat. Die wurden zwar um 500 Millionen DM aufgestockt, aber da sie von den Unternehmern zu versteuern waren, wird die Kürzung nur zu einem Viertel kompensiert. Netto verlieren die Problemregionen etwa 750 Millionen DM.
Nein, davon ist nicht die Rede, statt dessen folgt der Satz:
Dabei müssen die besonderen Vorteile der Fördergebiete ({9}) noch stärker in den Dienst der regionalen Strukturpolitik gestellt werden.
Das ist praktisch: Sie senken die kurz- und mittelfristige Kapitalrentabilität fast aller Neu- und Erweiterungsinvestitionen in den Problemregionen deutlich ab, fordern dann attraktive Bedingungen für potentielle Investoren und kommen mit dem Vorschlag, die Regionen sollten sich halt ihrer besonderen Reize besinnen und sich besser darstellen.
Wissen Sie, was das ist? Das ist PR statt Politik; das ist Werbung statt Wirtschaftspolitik. Es ist kein Wunder, daß Sie deswegen neue Ideen von den Regionen verlangen, statt ihnen realistische Hilfsangebote zu machen. Ihnen mußten neue Ideen von den Ländern, von den Ministerpräsidenten aufgezwungen werden, deren Finanzlage durch Ihre Globalpolitik und durch Ihren Lastenverschiebebahnhof in der Steuerpolitik sehr schwer angeschlagen wurde.
({10})
Deswegen unterstützen doch auch wir Sozialdemokraten den Antrag der Bundesländer auf Sonderzuschüsse und Finanzhilfen. Aber wir wissen auch, daß diese Maßnahmen nur das Zuwerfen eines Rettungsrings an einen Schwimmer sind, dem Sie vorher mit Ihrer Steuerreform und mit Ihren Maßnahmen ein paar Bleikugeln an die Füße gebunden haben.
({11})
- Das ist doch wahr. Schauen Sie sich doch an, wie Sie die kommunalen Säckel vorher geplündert haben. Schauen Sie sich doch einmal an, was Ihre Steueränderungen für die Länderfinanzen bedeutet haben.
({12})
Wenn Sie grundsätzlich etwas an den Regionalkrisen ändern wollen, muß mehr geschehen. Die Bundesregierung muß endlich die Massenarbeitslosigkeit wirksam bekämpfen und eine Expansion der Binnennachfrage einleiten, und sie muß endlich auch eine vernünftige, vorausschauende Strukturpolitik machen.
({13})
Leider beginnt jetzt meine Zeit abzulaufen.
({14})
Ich hätte mich mit einem wirklich innigen Vergnügen noch mit den Vorschlägen von Herrn Lothar Späth befaßt,
({15})
der ja immerhin einige vernünftige Sachen angeboten hat. Aber diese habe ich leider hier und heute von der CDU und von der FDP nicht gehört, so daß ich Ihnen nicht zu dem gratulieren kann, was ich eigentlich am Schluß meiner Rede vorhatte. Ich wollte Ihnen nämlich Glückauf zu einer neuen Nachdenklichkeit in der Wirtschafts- und Regionalpolitik auf der rechten Seite des Hauses wünschen.
({16})
Aber statt ein paar neuer Ideen kommen nur die alten optimistischen Erklärungen und Ihre PR-Politik.
({17})
Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! So ganz neu, verehrte Frau Kollegin, ist das ja auch nicht, was Sie uns heute mit Ihren Anträgen auf den Tisch gelegt haben. Das sind ja ebenfalls, wie Graf Lambsdorff vorhin richtig gesagt hat, schon Ladenhüter der älteren Bauart. Auch Sie könnten vielleicht einmal innerhalb Ihres Kreises der Wirtschaftspolitiker eine neue Nachdenklichkeit anregen, um dann zu neuen und vernünftigen Vorschlägen zu kommen.
Das einzig Neue, was ich bei Ihren Anträgen gesehen habe, ist das Wort „Investitionen". Das gilt dann als Hinzufügung zu Ihrem Sofortprogramm „Arbeit und Umwelt". Ich will anerkennen, daß das aus unserer Sicht immerhin ein gewisser Fortschritt ist. Aber ich glaube, es ist nicht ausreichend, um der SPD den gewünschten Anschein wirtschaftspolitischer Kompetenz zu verleihen, die wir seit vielen Jahren dort vermissen.
({0})
Sie gehen im übrigen, meine Damen und Herren von der Opposition, von einer falschen Diagnose der gesamtwirtschaftlichen Lage aus. Sie stellen zudem dann daraufhin noch eine falsche Prognose, und Sie geben auch eine falsche Therapie. Wie es wirklich aussieht, hat der Staatssekretär von Wartenberg eben im einzelnen dargestellt. Auch für die kommenden Jahre, meine ich, sind unsere Aussichten nicht ungünstig.
Das ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß die Bundesregierung durch entschlossenes wirtschaftspolitisches Handeln im Inland wie auch auf internationaler Ebene dazu beigetragen hat, daß sich die wirtschaftliche Entwicklung weltweit im positiven Bereich bewegt. Ich will als Erinnerungsstütze gerne noch einmal einige dieser Aktionsfelder hier aufzeigen.
Erstens. Die internationalen Abreden im Rahmen der OECD und auf dem Weltwirtschaftsgipfel drängen die Vereinigten Staaten zum Abbau ihrer Defizite. Das ist eines unserer Hauptprobleme.
Zweitens. Mit der bereits in zwei Stufen vollzogenen Steuerreform hat die Bundesregierung erheblich zur Stärkung der Wachstumskräfte, insbesondere der Konsumnachfrage, beigetragen.
({1})
Wir spüren ja diesen positiven Effekt schon in diesem Jahr.
Drittens. Die Realisierung des europäischen Binnenmarktes 1992 wird weitere Impulse zur Verstärkung des Wachstums im größten supranationalen Verbrauchermarkt der Welt geben.
Viertens. Die weitere Öffnung des japanischen Marktes kommt trotz immer noch vorhandener großer Hindernisse prima voran.
({2})
Fünftens. Ich glaube auch, daß die maßgeblich von der Bundesregierung initiierte neue GATT-Runde die neu aufkommenden protektionistischen Tendenzen im Welthandel bekämpfen wird.
Sechstens meine ich, daß eine abgestimmte und koordinierte Währungspolitik bruchartige und damit schädliche Entwicklungen an den Währungsmärkten hat vermeiden helfen können.
Meine Damen und Herren, mit der bisherigen Steuerentlastung, der Steuerstrukturreform 1990 und mit weiteren Fortschritten zur Verbesserung der Unternehmensbesteuerung werden wir in den 90er Jahren die Voraussetzungen für gesunde und wirtschaftliche Entwicklung neuer Arbeitsplätze und Investitionen weiter verbessern. Aber auch bei öffentlichen Investitionen, der Städtebauförderung und insbesondere bei der Infrastruktur und beim Umweltschutz tun wir das Gebotene, wie Sie allzugut wissen.
({3})
Wir setzen dabei allerdings nicht allein auf staatliche Vorsorge und Programme, sondern wir wollen durch eine mittelfristig orientierte Umweltpolitik auch die private Wirtschaft wieder in den Stand setzen, durch Investitionen weitere Verbesserungen der Umweltsituation umzusetzen.
Die Bundesregierung jedenfalls - so meine ich - hat in der Wirtschaftspolitik keine Vollzugsdefizite aufzuweisen.
({4})
Sie stützt Konsum und Investitionsgüterkonjunktur durch die richtigen und steuerpolitisch abgewogenen Maßnahmen. Sie tut an den Problemstandorten über die Gemeinschaftsaufgabe das Richtige zur Schaffung neuer Arbeitsplätze, Frau Kollegin,
({5})
und sie ergreift konkrete Maßnahmen in der Städtebauförderung, in der Verkehrspolitik, im Postbereich, Maßnahmen, die die Standortqualität der Bundesrepublik Deutschland weiter verbessern, und sie hat schließlich über das KfW-Programm öffentliche Investitionen gerade im Bereich des Umweltschutzes wieder verstärkt angeregt.
Welches Fazit darf ich ziehen? Ich sage: Wir setzen in der Regierungskoalition um, was wirtschaftspolitisch vernünftig ist; die unausgegorenen Vorschläge überlassen wir gern weiterhin der Opposition.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Hinsken.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich rekapituliere, was unsere ansonsten charmante Kollegin, Frau Skarpelis-Sperk, heute an schulmeisterlichen Tönen von sich gegeben hat, dann möchte ich eingangs gleich feststellen: Es war ein bißchen überzogen. Man muß daran erinnern, daß wir zu vier verschiedenen Themen sprechen, die alle im wirtschaftlichen Zusammenhang zu sehen sind. Wenn nicht jeder unserer Kollegen zu regionalpolitischen Fragen gesprochen hat, speziell zum 16. Rahmenplan, dann ist das damit zu begründen, daß eben auch die anderen Themen angesprochen werden mußten.
({0})
Deshalb möchte ich mich bei meinen Vorrednern herzlich bedanken, die die Probleme aus ihrer Sicht heraus gesehen so hervorragend und treffend wie Kollege Austermann dargestellt haben. Insgesamt möchte ich auch Ihnen, verehrter Herr Staatssekretär von Wartenberg, beipflichten mit Ihrer richtungweisenden Rede, weil Sie nicht nur auf die Vergangenheit geblendet haben, sondern auch das eine oder andere ansprachen, wie es in Zukunft auf die einzelnen Regionen bezogen weitergehen soll.
({1})
Nun, meine Damen und Herren, es liegt ja ein Entschließungsantrag der SPD zu dieser Debatte vor. Ich bedauere, daß bislang niemand von den SPD-Kollegen auf diesen Entschließungsantrag eingegangen ist. Deshalb möchte ich aus unserer Sicht dazu im einzelnen Stellung nehmen.
Erstens. Das Investitionszulagengesetz läuft nicht zum 1. Januar 1990 aus, sondern mit Wirkung vom 1. Januar 1991.
Zweitens. Dieser Antrag enthält kein Wort von der Aufstockung der GA-Mittel um 500 Millionen DM. Es wird auch nicht erwähnt, daß das Instrument der steuerstundenden Investitionsrücklage
({2})
- ich bitte Sie, jetzt ganz besonders aufzupassen - insbesondere im Zonenrandgebiet verbessert wird.
Drittens. Das Auslaufen ist sicherlich kein Grund zur Freude, aber im Gesamtzusammenhang mit der Steuerreform und den damit verbundenen Entlastungen auch für die Wirtschaft im Zonenrandgebiet erforderlich.
Viertens. Die Aufstockung der GA-Mittel bietet die Möglichkeit der Effizienzsteigerung, d. h. Mitnahmeeffekte, die es bisher sicherlich gab, werden in Zukunft ausgeschlossen. Schließlich erhielten allein im Jahre 1986 fünf Betriebe von insgesamt ca. 1 800 Förderfällen 55 % des Fördervolumens. Zudem sollen von den GA-Mitteln 45 % dem Zonenrandgebiet zugute kommen und selbstverständlich als Vorwegabzug zur Verfügung gestellt werden.
Ich meine, daß vor diesem Hintergrund auch die Zonenrandpolitiker und die Politiker, die aus strukturschwachen Räumen kommen, mit diesen Maßnahmen durchaus einverstanden sein können.
({3})
Ich möchte mich an dieser Stelle herzlich bei Herrn Staatssekretär Dr. Voss bedanken, der für die Fläche immer das notwendige Verständnis gezeigt hat, so daß nicht das Platz gegriffen hat, was ursprünglich beabsichtigt war.
({4})
Meine Damen und Herren, in der deutschen Regionalförderung haben sich in den vergangenen Jahren mit der Weiterentwicklung des Förderinstrumentariums, der Neuabgrenzung der Fördergebiete und der Überprüfung des Schwerpunktorteprinzips in der Gemeinschaftsaufgabe weitreichende Veränderungen ergeben. Zusätzlich zu nennen sind die umfangreichen Beihilfeprüfverfahren der EG-Kommission, die das Ziel haben, drastische Einschränkungen zu erreichen, aber auch die unsinnige Initiative Hamburgs, die der EG-Kommission weitere Munition gegen die Zonenrandförderung liefert, die bekanntlich in erster Linie auf deutschlandpolitischen Erwägungen basiert. Ich bedaure, daß Sie, Frau Skarpelis-Sperk, die Sie sonst viel regionalpolitischen Sachverstand einbringen, dieses scheinbar nicht erkannt und deshalb nicht angesprochen haben.
({5})
Insbesondere aber ist Regionalpolitik, meine Damen und Herren, doch mehr als ein Vehikel kurzfristiger konjunktur- und arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen. Sie darf nicht durch Sektoralpolitik ausgehöhlt werden.
Die Zusammensetzung der Förderkulisse innerhalb der Gemeinschaftsaufgabe beruht schließlich auf bestimmten Kriterien. Diese fünf Abgrenzungsindikatoren als Kriterien für die Zusammensetzung der Förderkulisse sollen dem Ausgleich der Chancen strukturschwacher, peripher gelegener Räume dienen. Die in letzter Zeit aufgelegten Sonderprogramme verschieben tendenziell den Präferenzvorsprung dieser benachteiligten Gebiete, weil der Faktor Arbeitslosigkeit zu sehr ins Zentrum gerückt wird.
Zum Beispiel wird zu wenig die gute Infrastruktur der Montanregionen berücksichtigt. Ich pflichte dem Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Herrn Rau, bei, der gestern ausführte, daß allein im Umkreis von 200 km von Düsseldorf 44 Millionen Menschen wohnen und diese Region daher EG-weit als bester Standort betrachtet werden muß. So die Aussage des Ministerpräsidenten, Ihres Parteikollegen Rau.
({6})
Die Feststellung von Rau, meine Damen und Herren, allein nützt natürlich nichts. Solche Chancen müssen genutzt werden, wenn sie genutzt werden können. Und sie können genutzt werden, aber wahrscheinlich nicht mit der sozialdemokratisch geführten Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen.
({7})
Wichtig ist, daß man sich wieder mehr auf das eigentliche Ziel der Regionalpolitik besinnt. Es lautet: Verringerung der wirtschaftlichen Ungleichgewichte durch Hilfe zur Selbsthilfe zwischen den hochentwikkelten und den schwach strukturierten Räumen in der Bundesrepublik.
In diesem Zusammenhang muß natürlich auch sichergestellt werden, daß der zu errichtende Freihafen an der Donau in Deggendorf zumindest nicht schlechter gefördert wird als der in Duisburg.
Die Gemeinschaftsaufgabe, meine Damen und Herren, hat sich bewährt. Das geförderte Volumen gewerblicher Investitionen von 1972 bis 1986 beträgt rund 157 Milliarden 2,2 Millionen Arbeitsplätze wurden hierdurch gefördert. Untersuchungen beweisen, daß die Wirtschaftsentwicklung in den Fördergebieten günstiger ist als anderswo.
Wo liegen nun die Schwerpunkte der Zukunft, nach denen Sie, Frau Kollegin, gefragt haben?
Erstens. Die EG-Kommission muß wissen - das müssen wir alle ihr klarmachen -, daß unsere Kompromißfähigkeit erschöpft ist. Eine weitere Gebietsreduzierung sowie anderweitige Beschränkungen wie die Verringerungen der Förderhöchstsätze sind nicht mehr hinnehmbar.
Zweitens. Bund und Länder müssen weiterhin ausreichende Gestaltungsmöglichkeiten behalten.
Drittens. Sonderprogramme dürfen nicht zunehmend den Präferenzvorsprung der anderen Regionen nivellieren oder verwässern.
({8})
Viertens. Das Förderinstrumentarium muß weiterentwickelt und die starre Handhabung des Schwerpunktorteprinzips aufgelockert werden, weil es entwicklungsfähige Standorte diskriminiert.
Herr - Hinsken ({0}): Lassen Sie mich zusammenfassend feststellen - vielleicht darf ich das noch sagen, Herr Präsident -
Einen Satz, ja.
Wenn wir uns auf diese Voraussetzungen und Ziele besinnen, sehe ich gute Chancen für eine erfolgreiche Politik zugunsten der strukturschwachen peripher gelegenen Räume. Auf jeden Fall ist hier sicherzustellen, daß die dringend benötigten Präferenzvorteile von Bestand sind.
Herr Kollege, nun - Hinsken ({0}): Eine andere Politik für diese Räume, auch im Hinblick auf die sich verschärfende Randlage
({1})
durch den beabsichtigten EG-Binnenmarkt, würde unübersehbare Risiken in sich bergen.
({2})
Ich bedanke mich, Herr Präsident, daß ich diesen letzten Satz, der für die Regionalpolitik wichtig ist, am Schluß noch sagen durfte.
({3})
Sie sprechen jetzt gerade noch einen. Das verlängert die Redezeit nochmals.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat der Abgeodnete Dr. Sperling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hinsken, Sie haben mit einem Bedingungssatz eingeleitet: „Wenn man sich besinnt, ... " Aber nichts in der Vergangenheit spricht dafür, daß diese Besinnung stattfinden wird.
Ich darf mich zunächst einmal bei allen, die anwesend sind, dafür bedanken, daß sie noch da sind. Meine Absicht ist immer, zu den Anwesenden zu sprechen und nicht zu den Abwesenden.
({0})
Leider wird diese gute Absicht auch noch dadurch zuschanden, daß sich einer der wichtigsten, zu denen ich etwas sagen wollte, in die Abwesenheit begeben hat: Herr Lambsdorff nämlich.
({1})
- Er ist weggelaufen, natürlich. Er hat das so wunderschön gemacht. Er hat uns den Redetext vorher durch den Pressedienst frei Haus geliefert,
({2})
so daß wir sehen konnten, was er sagen würde. In dem Redetext ist fast alles richtig, bis auf die beiden Buchstaben, jeweils mit einem Pünktchen gefolgt: u. a. Denn der Pressedienst hat mitgeteilt, er würde „u. a. " etwas sagen. Aber wer seine Rede verfolgt hat, wird feststellen müssen: Das war Hochstapelei. Anderes hat er gar nicht gesagt als das, was hier drinsteht. Insofern ist dieser Prediger von Flexibilität in der Tat zu bewundern. Denn er hatte nicht einmal die Flexibilität, seinen Redetext zu ändern, seit er den Artikel von Erika Martens gelesen hat. Er hat doch wortwörtlich vorgetragen, was er mutmaßlich vorher alles aufgeschrieben hatte.
({3})
Das ist in der Tat für das Predigen von Flexibilität kein gutes Vorbild.
({4})
Nun könnte man natürlich fragen: Warum redet und argumentiert der Herr Lambsdorff so, daß das heute in der „Zeit" stehende Urteil, die Mär von der fehlenden Flexibilität, das Märchen nämlich, in der Tat gerechtfertigt ist? Man könnte ja auch erwarten, daß Herr Lambsdorff auf Strukturberichterstattung der Institute eingehen würde, die von dem, was der Sachverständigenrat zum Thema Lohnflexibilität sagt - ({5})
- Das werden Sie vielleicht doch noch erleben müssen: daß er eingeht. Vielleicht gehen Sie sogar mit ihm ein, was ich natürlich dem deutschen Volk wünschen würde.
({6})
- Aber Sie behaupten doch, Herr Lambsdorff könnte eingehen. Sonst hätten Sie sich nicht so ausgedrückt. Diese Wortverdrehung haben Sie zu verantworten.
Wenn Herr Lambsdorff so argumentiert, wie er es hier getan hat, dann hat er nicht zur Kenntnis genommen, was in der - vom Wirtschaftsministerium bezahlten - Strukturberichterstattung der Institute über die unterschiedlichen Löhne und Lohnhöhen in den Regionen und in den Branchen steht. Dort steht auch, daß seit 1970 die Unterschiede größer und nicht kleiner geworden sind.
Da er sich gern am Ruhrgebiet festmacht, der Herr Lambsdorff, sollte man vielleicht auch sagen, daß es lohnt nachzulesen, was leider noch nicht die Bundesregierung erforscht hat, aber was in den Berichten auch nachzulesen ist, nämlich daß das Ruhrgebiet eine bestimmte Branchenmischung hat. In keiner der im Ruhrgebiet enthaltenen Branchen, die im Bundesdurchschnitt Hochlohnbranchen sind, ist das Ruhrgebiet mit seinen Betrieben in den Löhnen führend, sondern die Lohnführerschaft liegt eindeutig in anderen Räumen als dem Ruhrgebiet. Wenn es danach ginge, dürfte nicht in Stuttgart und nicht in Frankfurt und nicht in München investiert werden, dann müßte man wegen der Lohndifferenz zum Ruhrgebiet in bestimmten Branchen ins Ruhrgebiet gehen. Es ist nicht die Lohnhöhe im Ruhrgebiet, die als Investitionshindernis wirkt. Aber es ist die Märchenerzählerei, die man, aus welchen Gründen auch immer, auf Ihrer Seite braucht, die ständig zu der Wiederholung von falschen Argumenten führt.
({7})
- Doch. Herr Grünbeck, lesen Sie seinen Text nach, dann werden Sie es haben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sellin? - Bitte, Herr Sellin.
Ist Ihnen bekannt, Herr Sperling, daß in dem hochsubventionierten Bereich der Flugzeugindustrie von MBB, wo der berühmte Airbus von Herrn Strauß produziert wird und wo 45 000 DM pro Arbeitsplatz pro Jahr an Subventionen fließen, höhere Löhne als im Ruhrgebiet gezahlt werden?
In der Tat, Herr Strauß benutzt die Investitionshilfen oder Subventionen, um Löhne zahlen zu lassen, die von Herrn Lambsdorff hier heftig kritisiert werden. Nun mag man ja etwas dafür übrig haben, daß die Arbeiter hohe Löhne verdienen, wenn man Aufsichtsratsvorsitzender oder Vorstands- oder Gewerkschaftskollege in dem Betrieb ist - ich bin auch für hohe Löhne - , aber wenn man so kritisiert, dann müßte doch eigentlich der Herr Lambsdorff dem Herrn Strauß wegen der Nutzung von Subventionen, die dort hingeflossen sind, längst ins Gesicht gesprungen sein. Deswegen ist eigentlich das Reden in diesem Feld, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition und von der Regierung, keineswegs eine saubere Auseinandersetzung mit den Tatsachen, sondern der Versuch, aus welchen Gründen auch immer schwarzweißzumalen, statt nach den sachlich berechtigten Grautönen zu schauen.
Zweiter Bereich, in dem Sie dasselbe machen: Sie haben uns hier erzählt, die Steuerreformpolitik wirke eigentlich beschäftigungswirksam. Mit dem Beschäftigungsvolumen werde es besser werden, wenn das Entlastungsvolumen von 50 Milliarden DM erreicht sei. Das, was Sie da machen, halte ich nun auch nicht für ehrlich. Die 50 Milliarden DM an Entlastung, die Sie da zusammenzählen, kommen aus sehr unterschiedlichen Paketbestandteilen, deren Präzisierung Sie jeweils dann vorgenommen haben, wenn wieder einmal eine Wahl vorbei war. Und nun, nachdem die Wahlen dieses Jahres gelaufen sind, erfahren wir ja den Gesamtzusammenhang, in dem die Steuerreform eigentlich steht: Es stehen nämlich Steuererhöhungen bei Verbrauchsteuern bevor, eine Erhöhung der Sozialabgaben, der Arbeitslosenbeiträge und der Sozialversicherungsbeiträge, steht bevor. Wenn man die Steuer- und Abgabenlast, die Sie insgesamt in einem realen Zusammenhang bewegen, berücksichtigt, dann reden Sie bitte nicht losgelöst von den 50 MilliDr. Sperling
arden DM, die Sie wirklich nicht loslösen können von den Belastungen in Milliardenhöhe, die Sie gleichzeitig schon wieder ins Auge fassen und der Bevölkerung zur Minderung ihrer Konsumfähigkeit aufwälzen wollen,
({0})
denn dies ist der tatsächliche Vorgang. Daher rührt doch auch Ihre hausgemachte Kritik. Die Steuerreform wird Ihnen in dem Moment schon wieder von eigenem Mund kaputtgeredet. Stoltenberg muß sich auch schon anhören, er habe mit seiner Verbrauchsteuererhöhung eigentlich schon wieder den Propagandaeffekt der Steuerreform zunichte gemacht. Dasselbe ist doch geschehen, als man jetzt mit der Ankündigung der Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und zur Sozialversicherung, zur Rentenversicherung die Katze aus dem Sack ließ. Die Selbstbeteiligung im Gesundheitssektor ist doch auch nichts anderes als eine Einschränkung der Konsumfähigkeit der Bevölkerung und damit der Stütze, die Sie dauernd für sich reklamieren, nämlich der Stütze der Inlandskonjunktur. Herr Wartenberg und auch Herr Voss, der Sie nach mir reden, es besteht kein Grund dazu, die Horizonte rosa anzumalen.
Was liegt tatsächlich vor, seit Sie regieren?
({1})
Wir haben, was Beschäftigungspolitik angeht, ein Defizit in der Wirkung. Daß gut geredet worden ist, wohlmeinend gelegentlich, stimmt, aber was die Wirkung Ihres Handelns angeht, hat Beschäftigungspolitik nicht stattgefunden.
Was wir in der Regionalpolitik sehen, dürfte man vielleicht so umschreiben: Seit Sie regieren, ist von Rheinhausen bis zur Maxhütte die Menge der Katastrophenregionen gewachsen. Dort, wo es Strukturprobleme gibt, sind die Probleme größer geworden, und dort, wo es vorher keine so deutlichen gab, sind sie auch größer geworden, und die Menge der strukturell problematischen Krisenregionen ist gewachsen. Dies gilt für alle Stahlstandorte, und es gilt - trotz der etwas verbesserten Lage in bezug auf die Auslandsaufträge - auch im Küstenbereich, denn inzwischen haben auch Werften zugemacht. Beschäftigungseinbußen in Krisenregionen haben also stattgefunden.
({2})
- Nein, er soll erst einmal ordentlich lesen. Ich kenne seine Lesefähigkeit.
({3})
- Richtig. Dann werde ich mich nachher mit Ihnen unterhalten.
({4})
Wenn man umschreiben will, was Sie in der Regionalpolitik gemacht haben, dann muß man feststellen: Die Blößen Ihrer Regionalpolitik sind ständig gewachsen, seit Sie regieren. Was machen Sie mit Ihren Maßnahmen? Sie tun so, als müßte man in Japan eine Anleihe machen und mit einer Bonsai-Technik die Feigenblätter schaffen, mit denen Sie Ihre gewachsenen Blößen verdecken wollen. Dies ist Ihr Blößenverdeckungsprogramm.
({5})
- Das, was Sie immer schamhaft verstecken wollen, lieber Kollege. - Das, was in der Regionalpolitik tatsächlich geschehen ist, führt dazu, daß Sie sich hier nach Redaktionsschluß zwar vergnügen, daß Sie sich aber in den Regionen, wo die Arbeitslosigkeit, seit Sie regieren, tatsächlich gewachsen ist, eigentlich nicht mehr sehen lassen dürfen.
Nun will ich noch etwas Hartes hinzufügen: Ich habe volles Verständnis dafür, daß Herr Bangemann angesichts dieser Situation seinen Stuhl tauschen möchte. Ich wünsche dem Nachfolger von Herrn Bangemann, daß er die Reißzwecken, die Herr Bangemann auf dem jetzigen Stuhl hinterläßt, auch alle brav aussitzen darf. Aber ich hoffe, daß diese Reißzwecken dazu dienen, daß er in der Tat etwas für die Beschäftigungspolitik und für die Regionalpolitik tut und dafür sorgt, daß die wachsende Krisenstimmung in manchen Regionen, die ja in den sozialen Folgen teuer wird, von dieser Bundesregierung tatsächlich bekämpft wird.
Der Hinweis von Frau Skarpelis-Sperk, daß man bei Herrn Späth zuhören könne, weil da einiges an Nachdenklichkeit komme, ist ja richtig. Aber man muß dann doch auch sehen, daß es der Herr Späth war, der in Rastatt Subventionen gibt, die regionalpolitisch völlig am falschen Ort sind. Wenn man dann die Finanzverteilungspolitik betrachtet, muß man sich in der Tat fragen, ob nicht die finanziell starken Regionen alles „kaputtkonkurrieren", was man mit Bundesregionalpolitik macht.
({6})
Wenn Sie das Investitionszulagengesetz streichen, wird damit die Konkurrenzfähigkeit einer vom Bund betriebenen Regionalpolitik gegenüber dem, was finanzstarke Länder und Gemeinden machen, noch einmal geschwächt. Denn selbst wenn Sie ein Stück weit an anderer Stelle aufstocken, wird dieses Aufstocken zu wenig bewirken, um die Minderung, die für die Region bei Streichung des Investitionszulagengesetzes entsteht, aufzuheben.
Wir müßten von Ihnen eigentlich folgendes erwarten: Sie müssen begreifen, daß weitere Ballung in zweierlei Hinsicht teuer kommt - deswegen ist aktive Regionalpolitik gefragt - : Weitere Ballung bedeutet unweigerlich weitere ökologische Schäden in den Ballungsräumen. Gleichzeitig werden Sie die Kosten in den sich entleerenden Regionen nicht los, weil die Infrastrukturkosten dieselben bleiben.
Angesagt ist eine Regionalpolitik, die den Ballungswirkungen, die zur Zeit immer noch munter eintreten und von Herrn Späth sogar noch angeheizt werden, entgegenwirkt.
Für diese Frage gibt es zwar den Anschein neuer Nachdenklichkeit, aber leider nicht bei denen, die bisher hier von diesem Pult geredet haben.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lippold.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD hat heute zu ihrem Sofortprogramm „Arbeit, Umwelt und Investitionen" und dem damit verbundenen Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" nahezu nichts gesagt.
({0})
Man kann das verstehen: Das ist die Wertung der SPD über dieses Programm; der Ausdruck „Ladenhüter" ist hier mehr als angebracht. Es trifft auch inhaltlich nicht zu, und dazu sage ich Ihnen jetzt etwas.
Sie gehen, wenn man es genau liest, von zwei Grundannahmen aus: erstens von einer krisenhaften Entwicklung der Wirtschaft und zweitens von einer sich ständig noch verschärfenden Umweltkrise.
Lassen Sie mich etwas zum ersten sagen: Von einer krisenhaften Entwicklung der Wirtschaft kann wohl nicht gesprochen werden: Der Verbrauch nimmt zu. Der nicht mehr anwesende Herr Jens liest überhaupt keine Berichte von Forschungsinstituten und Sachverständigen, denn sonst würde er wissen, daß seine These, daß hier eine Schwäche liegt, wohl das Absurdeste ist, was hier in der letzten Zeit in der wissenschaftlichen, in der sachverständigen, in der wirtschaftlichen Diskussion vorgetragen worden ist.
Wir können sehen, daß auch von den Auftragseingängen her, die um mehrere Prozentpunkte über den vergleichbaren Raten des Vorjahres liegen, deutlich wird, daß in absehbarer Zeit die konjunkturelle Situation stabil sein wird. Ich halte das für positiv; und wenn dies positiv ist, soll man das auch ausdrücken.
Darüber hinaus zeigt die Zuwachsrate des Bruttosozialproduktes im ersten Quartal, daß die Annahme, daß wir in diesem Jahr einen zweiprozentigen Zuwachs erreichen werden, mehr als begründet ist. Ihre Kritik - von Januar bis März vorgetragen, heute keine Abstriche gemacht - ist völlig unbegründet.
Wenn die konjunkturelle Situation so aussieht, sollten wir uns mit den entscheidenden Fragen auseinandersetzen. Das sind die Grundsatzfragen, das sind die Rahmenbedingungen, mit denen wir uns mit Blick auf die Zukunft auseinandersetzen müssen. Wir müssen uns z. B. fragen, warum Investitionen von Ausländern nicht in der Bundesrepublik stattfinden. In ersten Schritten hat die Bundesregierung jetzt strukturentscheidende Vorhaben in Angriff genommen: die Steuerreform, die Kostendämpfung im Gesundheitswesen und auch die Poststrukturreform. Das ist wichtig, damit wir die Zukunft des Wirtschaftsstandortes, des Industriestandortes Bundesrepublik sichern.
Wir werden das fortsetzen, weil das nur erste Schritte sein können. Wir werden das in der nächsten
Legislaturperiode fortsetzen mit einer Reform der Unternehmensbesteuerung, mit einer Politik, die mehr Flexibilisierung bringt, mit einer Politik des Stopps der Lohnzuwachskosten und auch mit einer konsequenten Politik der Deregulierung. Nur so können wir sicherstellen, daß diese positive Entwicklung bleibt.
Die Sozialdemokraten tun genau das Gegenteil. Wenn man Ihren schüchternen Versuch, einen Gegenentwurf zur Steuerreform vorzulegen, betrachtet, merkt man ganz deutlich, daß Sie Ihr Heil in den alten sozialistischen Rezepten suchen. Sie sehen eine mehrstellige Milliardenbelastung der Unternehmen und der Wirtschaft vor. Davon können Sie sich doch nichts versprechen. Das wird weder die Rahmenbedingungen verbessern noch die Neigung von Ausländern zu Investitionen in der Bundesrepublik stärken. Damit wird auch nicht das Problem der Arbeitsplätze gelöst, die Sie ja ansonsten in den Vordergrund stellen. Insofern also falsche Grundannahme, falsche Politik.
Zweite Grundannahme der SPD: ständig sich verschärfende Umweltkrise. Auch das stimmt nicht. Wir haben z. B. die Schadstoffbelastung gestoppt. Wir haben ganz deutliche Erfolge bei der Abkopplung von Wirtschaftswachstum und Umweltschädigung erzielt. Wir brauchten früher mehr Energie als heute für ein mittlerweile um 30 % gewachsenes Bruttosozialprodukt. Wir können nachweisen, daß sowohl in der Luft wie auch im Wasser die Schadstoffbelastung von der Spitze her gesehen abgenommen hat.
({1})
Auch für diesen Punkt gilt: Ihre Analyse ist nicht zutreffend.
Das ist einer konsequenten Umweltpolitik der Bundesregierung zu verdanken. Dazu gehört eine ganze Reihe von Gesetzesvorhaben, von der Novellierung der TA Luft über die Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes bis hin zum umweltfreundlichen Auto.
({2})
Wir werden diese Politik fortsetzen. Die TA Abfall wird novelliert. Die Störfallverordnung ist gerade novelliert worden. Wir werden das Naturschutzgesetz völlig neu überarbeiten. Wir werden das Haftungsrecht neu gestalten. Sie sehen also, wir betreiben aktiven Umweltschutz, etwas, was in Ihren Ausführungen nicht vorkam.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sellin? - Bitte schön, Herr Sellin.
Wie erklären Sie sich denn, daß die Abfallmengen von giftigen Schadstoffen, von verschiedensten Schwermetallen, chlorierten Kohlenwasserstoffen, die in die Nordsee geleitet werden, zunehmen und die Nordsee bereits umgekippt ist?
Erstens ist die Nordsee noch nicht umgekippt. Jeder Fachmann wird Ihnen das bestätigen. Zweitens können wir nachweisen, daß wir - nehmen Sie z. B. den Rhein, auf den
Dr. Lippold ({0})
wir den meisten Einfluß haben - die Schwermetallbelastungen durch Kupfer, Blei, Cadmium - um nur einige zu nennen - in den letzten Jahren um mindestens 50 % gesenkt haben.
({1})
Wir haben natürlich auf unsere Oberlieger keinen Einfluß. Das ist bedauerlich. Deshalb sind wir jetzt mit den Oberliegern, mit der DDR, mit der CSRR, in Verhandlungen, um dort eine ähnlich günstige Situation herzustellen. Das macht die Bundesregierung. Aber Sie können uns nicht etwas anlasten, was nicht in unserem Einflußbereich liegt.
({2})
Ich darf ganz kurz darauf hinweisen, daß in dem Vorschlag der SPD - Sofortprogramm - natürlich auch davon ausgegangen wird, daß das Verursacherprinzip, das Sie sonst in den Vordergrund stellen, durch das Gemeinlastprinzip ersetzt wird. Das führt zu einer Fehlsteuerung von Ressourcen. Das führt zu völlig falschen Ansatzpunkten. Das bestätigt Ihnen auch der Sachverständigenrat. Ich will darauf gar nicht im einzelnen eingehen.
Was wir brauchen, ist integrierter Umweltschutz, sind neue Produkte, die umweltschonend sind, neue Produktionsverfahren, die schadstoffvermeidend sind. Das geht aber nur, wenn wir eine investitionsfreundliche, wenn wir eine innovationsfreundliche Politik betreiben. Sie tun genau das Gegenteil. Ich sage es noch einmal: Wenn man Ihren Programmentwurf liest, findet man zweistellige Milliardenbelastungen der Wirtschaft, findet man ganz einfach zusätzliche Belastungen.
Das gilt übrigens auch für Ihr Programm „Arbeit und Umwelt". Das ist ja das Schöne: In dem ursprünglichen Entwurf stand noch, daß es durch Steuern, durch Energieabgaben finanziert werden soll. Die Gewerkschaften haben das kritisiert. Jetzt haben Sie überhaupt keinen Finanzierungsvorschlag mehr. Unsolide sind Sie also auch noch. Auf Einzelpunkte will ich gar nicht eingehen.
Das heißt also: Wenn wir wirklich eine vorsorgende Umweltpolitik betreiben, eine Vermeidung von Schadstoffen erreichen wollen, dann kann das nur über eine innovationsfreundliche Politik geschehen. Sie wollen genau das Gegenteil. Deshalb ist der Ansatz, wie er hier von Ihnen vorgestellt wird, nicht nur alt, sondern in der Tendenz verfehlt. Manchmal kann Altes gut sein; hier kann man das nicht sagen. Dies gehört wirklich abgelegt, gehört unter die alten Ladenhüter. Sie sollten es beim besten Willen nicht mehr aufwärmen. Sie haben es ja heute kaum noch erwähnt. Belassen Sie es dabei. Wir sollten es von der Tagesordnung nehmen.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lammert.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser immerhin zweistündigen Debatte haben die sozialdemokratischen Kollegen über vielerlei geredet - bis hin zu wachsenden Blößen, mit deren Entdeckung der Kollege Sperling den Deutschen Bundestag erfreut hat.
({0})
Aber Sie haben über die eigenen Anträge, um derentwillen diese Debatte angesetzt war, nahezu kein Wort verloren. Dafür muß es Gründe geben.
({1})
In ihrem Antrag „Gemeinschaftsinitiative Montanregionen" entdeckt die SPD bemerkenswerterweise mit Datum 1. März 1988 die seit Jahren bestehenden gravierenden Strukturprobleme in den Montanregionen und kommt zu der in vielfacher Hinsicht beachtlichen Erkenntnis, daß ein nachhaltiger Schaden für die gesamte deutsche Volkswirtschaft nur dann abgewendet werden könne, wenn - ich zitiere - „die Bundesregierung die Begleitung des Strukturwandels bei Kohle und Stahl und eine Zukunftsperspektiven bietende Politik für die Montanregionen als gesamtpolitische, nationale Aufgabe begreift und entsprechend handelt. "
Völlig richtig! Aber diese Erkenntnis, meine verehrten Kollegen von der SPD, kommt reichlich spät, und die daraus abgeleiteten Forderungen an die Bundesregierung sind inzwischen längst überholt.
Keine Bundesregierung zuvor hat auch nur annähernd vergleichbare Mittel in Milliardenhöhe zur Förderung des Strukturwandels in den Montanindustrien zur Verfügung gestellt wie die Regierung Helmut Kohl und hat dabei die eingeforderte Solidarität anderer Bundesländer und der ganzen Republik nicht rhetorisch, sondern praktisch in Anspruch genommen. Mit der vom Bundeskanzler vor wenigen Monaten durchgeführten Ruhrgebietskonferenz hat die CDU, hat diese Bundesregierung die Initiative zu einer solchen gemeinsamen Kraftanstrengung von Politik und Wirtschaft zur Erneuerung und Wiederherstellung der wirtschaftlichen Leistungskraft des Ruhrgebiets ergriffen und damit deutliche Signale für die Zukunft des Ruhrgebiets gesetzt.
Helmut Kohl hat in der Tat die Lösung der an Rhein und Ruhr entstandenen Probleme als nationale Aufgabe begriffen. Er hat sich dabei die Freiheit herausgenommen, diese von seinen Vorgängern nicht wahrgenommene Erkenntnis in die Tat umzusetzen,
({2})
bevor die SPD ihn sieben Tage nach Durchführung dieser Konferenz in einem Antrag dazu öffentlich aufforderte. Er hat praktische Konsequenzen aus der Erkenntnis gezogen, daß die Zukunft dieser nach wie vor größten Industrieregion der Bundesrepublik nicht an der erklärten Hilflosigkeit der eigentlich zuständigen nordrhein-westfälischen Landesregierung scheitern darf.
({3})
Nun ist es sicher wahr, daß mit einer solchen Konferenz und auch mit den Ergebnissen, die dort verein5634
bart worden sind, die Probleme nicht über Nacht erledigt sind. Dabei finde ich es schon auffällig, daß wenige Wochen nach dieser Konferenz zum Teil die gleichen Leute, die am Abend der Konferenz von beachtlichen Maßnahmen und wichtigen Schritten zur Revitalisierung der Regionen gesprochen haben, nun den Eindruck zu erwecken versuchen, als habe eine Vereinbarung dieser Maßnahmen überhaupt nie stattgefunden.
({4})
Wir alle sind nun an einer schnellen und unbürokratischen Umsetzung der Ergebnisse interessiert, um die sich im übrigen ja für die Bundesregierung der Chef des Bundeskanzleramtes und für die nordrhein-westfälische Landesregierung der Leiter der Staatskanzlei bemühen, die im übrigen entgegen manchen Presseverlautbarungen noch vor wenigen Tagen in einer gemeinsamen Erklärung - in einer gemeinsamen Erklärung! - festgehalten haben, daß man mit der Umsetzung dieser Konferenzergebnisse zügig vorankomme. Wie immer, wenn Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen miteinander verhandeln, ist zunächst die Produktion von Korrespondenzpapieren noch eindrucksvoller als die Produktion konkreter Maßnahmen. Das ist wohl war. Erstaunlich finde ich allerdings die plötzliche Ungeduld der sozialdemokratischen Oberbürgermeister und der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, die seit der Kanzlerrunde wöchentlich lamentieren,
({5})
die Bonner Hilfen kämen erstens zu spät und reichten zweitens nicht aus.
({6})
- Stapelweise können wir die entsprechenden Presseerklärungen des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministers Jochimsen, aber auch des heute leider nicht anwesenden Kollegen Reuschenbach, den ich in dieser Debatte gern gehört hätte, vorlegen.
({7})
Diese famosen Sozialdemokraten hatten 13 Jahre lang in Bonn die Möglichkeit, rechtzeitig und ausreichend genau das für das Ruhrgebiet und die Bewältigung der Strukturprobleme in den Montanindustrien zu tun, was sie jetzt lautstark für notwendig erklären.
({8})
13 Jahre lang hat sich in Bonn für das Ruhrgebiet und für die Montanregion überhaupt nichts bewegt. Wer 13 Jahre lang keine besondere Eilbedürftigkeit gesehen hat, obwohl er in Bonn, in Düsseldorf und vor Ort jede politische Möglichkeit zum Handeln gehabt hätte, der hat jede Legitimation verwirkt, ganze drei Monate nach der Ruhrgebietskonferenz des Bundeskanzlers andere zu größerer Eile anzutreiben.
({9})
Eines ist allerdings auch wahr - das will ich zum Schluß gern festhalten; der Kollege Wartenberg hat vorhin zu Recht darauf hingewiesen - :
({10})
Es ist nicht wahr, Herr Kollege Müntefering, daß das Ruhrgebiet in erster Linie unter mangelnder Förderung litte.
Die Wahrheit ist: Diese Region leidet unter mangelnder Phantasie. Sie leidet auch unter mangelnder regionaler Kooperation, und sie leidet unter einer geradezu notorischen Vernachlässigung der kleineren und der mittleren Betriebe, in denen auch im Ruhrgebiet die überwiegende Mehrzahl aller Arbeitnehmer beschäftigt sind, obwohl sich sozialdemokratisch orientierte Politik noch immer an den großen Tankern orientiert, mit denen der Strukturwandel sicher nicht und schon gar nicht in dem notwendigen Tempo herbeizuführen ist.
Hier muß der Wechsel, die Veränderung im Denken anfangen, wenn praktische Hilfsmaßnahmen, die hier in Bonn vereinbart worden sind, auch wirklich einen praktischen Niederschlag finden sollen.
({11})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Herr Dr. Voss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus der Sicht des Bundesministers der Finanzen kann dem vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktion der SPD nicht zugestimmt werden. Der Entwurf soll den Bund in den Jahren 1988 bis 1991 mit zusätzlichen Ausgaben von insgesamt 2,3 Milliarden DM belasten. Diesen Betrag, für dessen Finanzierung im übrigen ein Deckungsvorschlag fehlt, hat die Opposition nicht einmal in ihre aktuellen Berechnungen zur Lage des Bundeshaushalts aufgenommen.
({0})
- Herr Kollege Sperling, Sie veröffentlichen ja laufend Horrorzahlen über die Zukunft des Bundeshaushalts, und in diese Horrorzahlen haben Sie das noch nicht einmal mit aufgenommen. Das zeigt eigentlich, daß Sie Ihren eigenen Antrag nicht sehr positiv bewerten.
({1})
Ohne Refinanzierungsmöglichkeit kann der Bund zusätzliche Ausgaben in dieser Größenordnung nicht leisten. Der Bund hat nämlich in den letzten Jahren stets eine länder- und gemeindefreundliche Finanzpolitik betrieben. Dies führte zu einer massiven Umverteilung zu Lasten des Bundes. Hierfür nur einige Beispiele: Finanzhilfen nach Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes für das Saarland in den Jahren 1985 bis 1987 in Höhe von 300 Millionen DM; Finanzhilfen an die norddeutschen Küstenländer von insgesamt ebenfalls 300 Millionen DM in den Jahren 1987 und 1988; das Entgegenkommen des Bundes bei der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs durch Erhöhung der Ergänzungszuweisungen auf 2 v. H. des
Umsatzsteueraufkommens bis 1993 mit einem Gesamtvolumen von rund 3,4 Milliarden DM.
Hinzu kommen die bereits erwähnten 500 Millionen DM, die der Bund auf der Ruhrgebietskonferenz zugesagt hat. Nach der Billigung durch den Planungsausschuß der Gemeinschaftsaufgabe regionale Wirtschaftsförderung im April wird jetzt mit dem Nachtragshaushalt die rechtliche Grundlage hierfür geschaffen.
Diese Leistungen erfolgen, obwohl der Bund seit Jahren rückläufige Steueranteile zu verkraften hat. Der Bundesanteil am Steueraufkommen ist von 1982 bis 1988 um 3 Prozentpunkte von 48,4 v. H. auf 45,3 v. H. gesunken, während andererseits die Finanzkraft der Länder zugenommen hat.
Die Kreditfinanzierungsquote des Bundes lag trotz seiner Ausgabendisziplin und seiner Konsolidierungspolitik seit 1982 stets deutlich höher als die der Länder und Gemeinden. Für 1987 sind es beim Bund 10,2 v. H., bei Ländern und Gemeinden 6 v. H.
Das Instrument der Finanzhilfe nach Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes stellt eine Ausnahmeregelung dar. Sie kann daher nicht als Dauerregelung eingesetzt werden. Hinzu kommt, daß es sich bei einigen der vorgeschlagenen Maßnahmen, z. B. insbesondere der Förderung von zukunftsorientierten Qualifikationen der Arbeitnehmer, nicht um Sachinvestitionen handelt, Herr Kollege Sperling, so daß im Hinblick auf die Förderfähigkeit mittels Finanzhilfen im Sinne von Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes Bedenken bestehen. Starke verfassungsrechtliche Bedenken bestehen auch hinsichtlich der Förderung von Altlastensanierungen sowie Maßnahmen zur Verbesserung der Umweltsituation.
Die Bundesregierung ist aber auch nach der Neuregelung des Finanzausgleichs bereit, gemeinsam mit den Ländern zu prüfen, wie eine ausgeglichenere Struktur zwischen den Regionen erreicht werden kann. Dabei muß natürlich die Prüfung von Hilfen Vorrang haben, die mit unserer finanzverfassungsrechtlichen Ordnung in Einklang stehen. Die Bundesregierung bemüht sich um einvernehmliche Regelungen. Sie beachtet dabei den föderativen Gleichheitsgrundsatz, nach dem die Länder gleichen Status besitzen und gleichberechtigt nebeneinanderstehen.
Ich danke Ihnen.
({2})
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende dieser Aussprache. Ich schließe diese.
Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau
Hensel und der Fraktion DIE GRÜNEN Vollzug des Abfallgesetzes ({0})
- Drucksache 11/1927 ({1}) -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2})
Ausschuß für Wirtschaft
Der Ältestenrat hat für die Beratung dieses Tagesordnungspunktes einen Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Saibold.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es geht bei diesem Antrag speziell um die Einwegflasche aus dem PET-Material.
Ich möchte zu Beginn noch einmal darauf hinweisen, daß ich es sehr erstaunlich finde, daß wir für diesen Problemkreis hier zehnminütige Redebeiträge leisten können, während wir zu dem nachfolgenden Tagesordnungspunkt, bei dem es um die Diätenerhöhung geht, lediglich fünf Minuten reden können. Soll das jetzt auch von einem ökologisch geprägten Umweltbewußtsein hier im Bundestag zeugen, oder soll da vielleicht der Skandal der Selbstbedienung aus der Staatskasse wieder einmal vertuscht werden?
({0})
- Trotzdem bleibt diese Tatsache verwirrend. Ich würde mich ja freuen, wenn ich recht hätte, daß sie von Umweltbewußtsein zeugt.
Meine Damen und Herren, seit kurzem hat die Firma Coca-Cola mit dem Vertrieb einer neuen Einwegflasche aus dem Zungenbrechermaterial Polyethylenterephthalat, kurz PET genannt, begonnen. Seit Bekanntwerden dieses Vorhabens sind vor allem Kommunalpolitiker und ökologisch orientierte Verbrauchervertreter und -vertreterinnen aufgeschreckt, befürchten sie doch dadurch zu Recht eine weitere Zunahme des Müllberges.
Die Einführung der neuen 1,5-Liter-PET-Einwegflasche, die von dem Essener Konzern bewußt den irreführenden Namen Recyclingflasche erhalten hat, stellt den massivsten Angriff auf das Mehrwegsystem für Getränkeflaschen dar. Mit einer ausgeklügelten Marketingstrategie wird versucht, diese Flasche im Markt zu etablieren, um auf mittlere Sicht die bisher noch vertriebene 1-Liter-Mehrwegglasflasche zu ersetzen und gleichzeitig noch den Umsatz auszuweiten. Glauben Sie wirklich, daß Coca-Cola einen solch immensen Investitions- und Werbeaufwand betreiben würde, wenn durch die PET-Einwegflasche lediglich die firmeneigene Glas-Einwegflasche mit einem Umsatzanteil von nur 4 % ersetzt werden soll, wie der Essener Konzern es behauptet?
Völlig unglaubwürdig werden solche Behauptungen, wenn man einmal hinter die Kulissen blickt. Da kann man schnell feststellen, daß 1986 - just zum
Inkrafttreten der 4. Novelle des Abfallgesetzes - eine ganz im Trend der Zeit liegende „Arbeitsgemeinschaft Verpackung und Umwelt" begründet wurde, an der u. a. große bundesdeutsche Handelsketten beteiligt sind, z. B. der Aldi-Konzern. Und genau diese Arbeitsgemeinschaft hat den Anstoß zur Gründung einer „PET-Recycling GmbH" gegeben, an der wiederum Coca-Cola mit einem Drittel beteiligt ist.
Es liegt auf der Hand, meine Damen und Herren, daß der Essener Konzern keinen Alleingang macht, sondern sein jüngstes Produkt in Abstimmung mit den Handelsketten durchpowert. Genau diese Handelsketten - z. B. ALDI - bieten bereits heute ausschließlich Einwegprodukte an oder verfolgen das Ziel, Mehrweggebinde aus ihrem Angebot zu verbannen. Dadurch soll das - aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht - arbeitsaufwendige und personalintensive Entgegennehmen und Ordnen des Leergutes entfallen, wodurch Arbeitsplätze eingespart und Kosten gesenkt werden können. Die Zechen allerdings zahlen am Ende der Verbraucher und die Verbraucherin und natürlich wieder einmal die Umwelt.
Nun gibt es aber seit Jahren massive Kritik an der weiteren Verbreitung von Einwegprodukten, weil sich einfach nicht mehr verheimlichen läßt, daß wir alle bald im Müll ersticken. Die Kommunen wissen sowieso schon nicht mehr ein und aus mit den Müllbergen. Im Vorfeld der Diskussion um das neue Abfallgesetz gab es denn auch eine ganze Reihe von Initiativen, nicht zuletzt von meiner Partei, den GRÜNEN, die schärfere Auflagen, z. B. Zwangspfand oder Verpackungssteuer, gegen abfallbelastende Verpakkungen und Einwegprodukte gefordert haben. Groß tönte der damals zuständige Innenminister Zimmermann, daß der beste Abfall der sei, der erst gar nicht entsteht,
({1})
um nach solchen vollmundigen Ankündigungen wie so oft in die Knie zu gehen, als insbesondere die Firma ALDI Druck ausübte.
({2})
Die ach so beliebten freiwilligen Absprachen mit der Industrie sollten das Abfallaufkommen dämpfen. Was davon zu halten ist, wissen mittlerweile beinahe jeder Bürger und jede Bürgerin in diesem Land: nämlich nichts.
Die hoffnungslose Lage der Kommunen wird vielleicht auch daran erkennbar, daß zum Beispiel der CSU-Landrat von Passau an mich als GRÜNE Bundestagsabgeordnete schreibt, ich möge mich dafür einsetzen, daß die Bundesregierung hier endlich handelt, weil die Kommunen nicht mehr wissen, wohin mit dem Müll. Das bedeutet gerade in Niederbayern einiges.
({3})
- Nein, Sie sehen nur, wie groß die Not ist.
In einem Papier des Umweltbundesamtes wurde schon 1985 dargelegt, daß zur Senkung des Müllaufkommens und zur Rettung des Mehrwegsystems drastische und rechtzeitige Maßnahmen ergriffen werden müssen. Prognostiziert wurde damals, daß bei halbherzigen staatlichen Maßnahmen oder gar bei freiwilligen Absprachen die Wirtschaft diese durch den Ausbau von Recyclingsystemen umgehen würde, außerdem, daß eine starke Zunahme von PET-Einwegflaschen zu erwarten sei.
Heute, 1988, ist diese Prognose bereits Wirklichkeit geworden. Denn die Firma Coca-Cola hat sich ja etwas Besonderes einfallen lassen. Ein Sammel- und Recyclingsystem für gebrauchte PET-Flaschen wird gleich mitgeliefert. Das magische Wort „Recycling" wird dabei benutzt, um den Verbraucherinnen und den Kommunalpolitikern Sand in die Augen zu streuen. Umweltminister Töpfer betätigt sich als Obersandstreuer, indem er von Zwangspfand und Flaschenrücknahme immer noch nur redet. Er tut nämlich nichts.
Töpfer ermöglicht durch dieses zögerliche Verhalten den Dolchstoß für das Mehrwegsystem. Denn seine Vorstellungen sind nicht durchsetzbar, weil das Einsammeln dieser PET-Flaschen nach dem Willen von Coca-Cola mittels Containern und anderer Behälter und nicht im Geschäft erfolgen soll. Das steht alles in den firmeneigenen Unterlagen und müßte längst bekannt sein.
Coca-Cola rechnet übrigens nur mit einem Rücklauf von 65 bis 70 % nach einer fünfjährigen Einführungszeit. Das heißt, der Rest der Flaschen geht auf die Mülldeponie. Es ist bekannt, daß die PET-Flasche praktisch nicht verrottet. Auch alle anderen Produkte aus wiederaufbereiteten PET-Flaschen kommen über kurz oder lang auf den Müll, wo sie dann ebenfalls nicht verrotten. Das ist hier alles mitangelegt.
Es handelt sich hier jedoch nicht nur um ein Abfallproblem. Es geht vielmehr um das Kunststück, wie die Bundesregierung den Interessen der Wirtschaft nachkommen und das Ganze noch als Erfolg für den Umweltschutz verkaufen kann. Coca-Cola hat nämlich nur eine Pressure-Group-Funktion übernommen. Vorteile erwartet sich von dieser Aktion die chemische Industrie, die den Markt für PET-Verpackungsmaterial aller Art nach amerikanischem Vorbild ausbauen will. Die Handelsketten wollen unbedingt ihre Einwegverpackungen beibehalten, wie ALDI, oder endlich das ökologisch sinnvolle Mehrwegsystem kippen. Die Lobby der chemischen Industrie, der Handelsfirmen und von Coca-Cola ist allemal größer als die Lobby der Glasindustrie oder gar der kleinen Brauereien. Von der Lobby der Natur will ich hier gar nicht sprechen.
({4})
Wenn dann z. B. Graf Lambsdorff in diesem Zusammenhang wieder einmal den „freien Markt" verteidigt und behauptet, die Auswirkungen auf die Glasindustrie seien kein Grund, hier einzugreifen oder Einfluß zu nehmen, dann soll es dies gefälligst auch beim Airbus praktizieren!
({5})
- Ich verlasse mich ganz auf Sie, Herr Baum.
({6})
- Falls man es nicht gemerkt hat: Das war ironisch gemeint.
Meine Damen und Herren, das ganze Vorgehen ist aber auch ein Frontalangriff auf das wachsende Umweltbewußtsein der Verbraucherschaft. Durch die psychologisch ausgeklügelte Werbung soll das Streben nach Bequemlichkeit der großen und kleinen Flaschenkinder in unserer Nation die Oberhand gewinnen. Durch das propagierte Einsammeln oder auch durch ein gewisses Zwangspfand in der Anfangszeit soll das ökologische Gewissen ja wieder beruhigt werden. Man tut ja quasi etwas für den Umweltschutz! Dabei wird aus den eingeschmolzenen PET-Flaschen nur immer mehr Plastikramsch produziert, der unsere Umwelt schädigt.
Das Schlimmste an dieser ganzen Angelegenheit ist, daß der angeblich so viel Glaubwürdigkeit ausstrahlende Umweltminister diese Machenschaften indirekt unterstützt. Das Image von Herrn Minister Töpfer schwindet rasant, nicht nur durch die Vorgänge im Atombereich oder durch das Robbensterben. Machen Sie nur so weiter, Herr Töpfer!
Die PET-Flasche ist der Prüfstein für alle Parteien in diesem Hause: An der Zustimmung oder der Ablehnung unseres Antrages wird ganz eindeutig klar, wer tatsächlich für eine Verringerung der Müllberge ist und wer nicht.
Uns ist dabei ganz klar, daß nicht die PET-Einwegflasche das alleinige Übel ist, sondern daß auch in anderen Bereichen drastische Schritte notwendig sind, um die Abfallvermeidung ein Stück weiter voranzubringen. Mit einem Verbot der PET-Einwegflasche könnte aber ein deutliches Signal gesetzt werden, das zeigt, daß verbraucherfeindliche und umweltfeindliche Produkte in diesem Lande nicht länger geduldet werden.
({7})
Bis dahin fordere ich allerdings die Verbraucher und Verbraucherinnen auf, diese Flasche einfach nicht zu kaufen. Das ist die wirksamste Sprache, die die Wirtschaft hier bei uns versteht.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Friedrich,
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorrednerin Frau Saibold hat hier, bezogen auf den Müll allgemein, von einer hoffnungslosen Lage gesprochen. Ich würde davor warnen, die Situation so undifferenziert zu kommentieren. Wir sind uns darüber einig, daß wir in weiten Teilen der Bundesrepublik Deutschland beim Sondermüll einen allgemeinen Notstand ausrufen müssen. Beim Hausmüll und bei hausmüllähnlichen Gewerbeabfällen ist das nicht der Fall. Ich habe mir mehrfach noch einmal die letzten verfügbaren Statistiken angesehen und festgestellt, daß hier erfreulicherweise eine sinkende Tendenz in Erscheinung tritt.
({0})
- Trotzdem - Frau Kollegin, ich will hier nicht verharmlosen - drücken die Müllberge uns allen schwer auf den Magen, nicht nur den Landräten und den Oberbürgermeistern, sondern auch uns Abgeordneten. Die bisherige Praxis, den größten Teil des Mülls unbehandelt einfach abzulagern, hat sich als Scheinlösung erwiesen und hat uns ein Folgeproblem beschert, nämlich die Altlast. Müllverbrennungsanlagen sind politisch nur noch mit einem Kraftakt durchzusetzen. Vorhandene Deponien laufen voll. Neue Standorte lassen sich kaum mehr finden, und ich muß hinzufügen: Wir möchten gar nicht, daß im Bundesgebiet noch allzu viele Deponien ausgewiesen werden müssen.
Deshalb waren wir alle uns bei der letzten Abfalldebatte eigentlich darüber einig - und haben das in Anträgen zum Ausdruck gebracht - , daß die Bundesregierung die neuen Instrumente des § 14 des Abfallgesetzes anwenden soll.
({1})
- Herr Kollege, wir wissen seit dieser Debatte am 14. Januar aber auch, daß die Bundesregierung nicht nur seit Monaten oder Jahren mit den beteiligten Kreisen über Ziele verhandelt, sondern auch die Absicht hat, die erste Verordnung zu erlassen. Anlaß ist die 1,5-Liter-PET-Einwegkunststoffflasche.
({2})
- Ich komme nachher schon noch darauf! ({3})
Vorgesehen ist, daß diese Kunststoffflaschen vom Handel zurückgenommen werden müssen, und es wird eine Verwertung - und zwar außerhalb der allgemeinen Abfallentsorgung - vorgesehen.
Bei der letzten Debatte haben wir alle dies eigentlich gemeinsam begrüßt, und ich meine, es ist wirklich wichtig, daß wir der Industrie und dem Handel immer wieder zwei Dinge deutlich machen:
Erstens. Wir suchen mit Ihnen die Zusammenarbeit, und wir sind froh, wenn wir uns auf Ziele bei der Abfallvermeidung und der Abfallwiederverwertung einigen können. Wenn sich aber herausstellt, daß Einzelinteressen notwendige Fortschritte blockieren, dann wollen wir auch einseitig vorgehen und hoheitlich handeln.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sellin?
Wie hoch erwarten Sie die Recycling-Quote, also Rücklauf der Flaschen, wenn ein Pfand erhoben wird, und wie niedrig wird die Rücklaufquote aus verschiedensten Gründen des Verbaucherverhaltens sein?
Herr Kollege, ich bin kein Hellseher. Ich bin der Überzeugung, daß die Angaben der Firma Coca-Cola, daß ohne Pfand eine hohe Rück5638
führquote erreichbar ist, unrealistisch ist. Wir glauben, daß man das erhöhen kann auf eine Größenordnung von hoffentlich 60 bis 80 %. Ich werde Ihnen nachher noch im Detail begründen, warum der andere Weg, den Sie als Alternative zum Pfandsystem vorschlagen, nämlich ein generelles Verbot dieses Kunststoffes, aus unserer Sicht abzulehnen ist. Darauf komme ich noch, ich versichere Ihnen das.
(Sellin [GRÜNE]: 40 ({0})
Der Versuch, die PET-Einwegflasche auf dem Markt durchzusetzen, hat wahrscheinlich uns alle enttäuscht, weil damit eine Absprache, die elf Jahre lang gehalten hat, aufgekündigt wurde. Der Versuch hat uns auch alarmiert, weil wir vorhersehen, daß die Einweg-Kunststoffflasche nicht nur Einweg-Glasflaschen ersetzen wird, sondern daß auch abfallvermeidende Mehrwegsysteme destabilisiert werden.
Der Verband Deutscher Mineralbrunnen hat es unserer Fraktion Ende letzten Jahres schriftlich gegeben: Er hat in einem Schreiben darauf hingewiesen, daß z. B. bei Mineralwasser die Erwartungen, daß die Mehrweganteile bei 90 % bleiben können, in den nächsten Jahren nicht unrealistisch sind. In dem Schreiben wurde aber auch aufgezeigt, daß dafür die vorhandenen Rahmenbedingungen beibehalten werden müssen; und unter Rahmenbedingungen versteht man, daß nicht neue Verpackungstypen eingeführt werden, wie uns das jetzt bevorsteht.
In den anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft - ich komme noch auf Ihren Antrag - können wir sehen, wozu das führt, dort hat der Anteil an Kunststoffflaschen inzwischen 30 % erreicht, und diese Kunststoffflaschen werden kaum recyclet, sie werden fast überwiegend über den allgemeinen Abfall entsorgt. Nur in der Bundesrepublik konnten sich bisher beachtliche Mehrwegsysteme einigermaßen halten. Wir sehen darin ein umweltpolitisches Kapital, das wir auch gegen die Absatzstrategie einer bekannten Markenfirma verteidigen werden.
Der Bundesminister Töpfer, Frau Saibold, hat nicht nur irgend etwas angekündigt, er wird auch handeln. In der Demokratie dauert dies übrigens ein bißchen. Am 22. Juni wird sich nach unseren Informationen das Bundeskabinett endgültig mit der Verordnung bef assen und sie beschließen. Die Verordnung sieht vor: erstens eine Rücknahmepflicht. Zweitens. Die Rückgabequote soll durch ein Pfand in der Größenordnung von 50 Pf. erhöht werden. Drittens. Die Wiederverwertung außerhalb der allgemeinen Abfallentsorgung wird vorgeschrieben. Vom Bundesrat, der zustimmen muß, wissen wir ohnehin, daß er mit großer Sorge beobachtet, daß der Verpackungsmüll inzwischen 50 % des Hausmülls ausmacht. Er wird also sicher zustimmen.
Bei der Erstfassung, und jetzt komme ich zu dem Antrag der GRÜNEN, gingen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN, noch ein Risiko ein, nämlich daß man Sie dahin gehend mißversteht, daß Sie den Bundesumweltminister Töpfer bei seinem entschiedenen Handeln unterstützen wollen. Sie haben offensichtlich eine Gefahr gesehen, daß wir den eigentlichen Beschlußtext hier einvernehmlich verabschieden, und das scheint für Sie etwas Schreckliches zu sein. Deshalb haben Sie etwas nachgeschoben, was als Möglichkeit im alten Antrag nur in der Begründung einmal erwähnt war, nämlich die Forderung, die PET-Flasche zu verbieten. Sie wollen damit - das können wir sagen - wieder an der Spitze der Bewegung stehen. Wir werden Ihnen in diesem Punkt aber nicht mehr folgen, weil wir glauben, daß Sie mit diesem Antrag nicht an der Spitze des Fortschritts stehen.
({1})
Wir glauben - das ist eine ordnungspolitische Begründung - , daß nicht der Staat in der Lage ist, optimal im Detail zu regeln, wie man Abfall am besten vermeiden kann. In einem freiheitlich verfaßten Wirtschafts- und Gesellschaftssystem sollte sich der Staat darauf beschränken, Ziele vorzugeben. Darüber, wie diese Ziele erreicht werden können, sollte in Eigenverantwortung die Wirtschaft und immer wieder auch der Konsument entscheiden.
({2})
Nur dadurch ist gewährleistet, daß für Innovation der erforderliche Spielraum bleibt.
Daß Getränke heute überwiegend in Glasflaschen angeboten werden, wollen auch wir im Interesse unserer Umwelt nicht für alle Zeiten festschreiben. Wir sind nicht generell dagegen, daß z. B. Glasflaschen durch Kunststoffflaschen ersetzt werden. Diese haben doch einige unübersehbare Vorteile. Man hat uns vorgerechnet, daß mit der PET-Flasche - ({3})
- Die Frage ist doch, ob es stimmt, und nicht, von wem die Rechnung stammt. Wir sind alle in der Lage, die Rechnungen zu überprüfen. Wenn sie stimmen, dann müssen wir das in unsere Überlegungen einbeziehen. - Man hat uns vorgerechnet - das ist meines Erachtens richtig - , daß 50 % mehr Produkte mit 90 % weniger Verpackung verkauft werden können. Man hat uns Vergleiche bezüglich des Energieverbrauchs und der Wasserbelastung vorgelegt - ich würde das nicht ohne weiteres als reine Firmenpropaganda abtun - : Die Kunststoffflasche ist - da brauche ich gar kein Spezialist zu sein - anders als Glas bruchsicher, sie ist gesundheitlich unbedenklich, läßt sich ohne viel Lärm abfüllen und reduziert das zu transportierende Gewicht. - Gegen was wir etwas haben - das ist der Punkt - ist, daß die PET-Einwegflasche Mehrwegflaschensysteme verdrängen soll. Dies ist das, bei dem wir einschreiten wollen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Saibold?
Bitte sehr.
Herr Friedrich, ist Ihnen bekannt, daß in einer Stellungnahme des Umweltbundesamtes die Angaben stehen, daß für die PET-Flasche bei der Produktion und Wiederverarbeitung fünfmal mehr Energie draufgeht als bei der Beibehaltung des Mehrwegsystems?
Frau Kollegin Saibold, ich habe es jetzt nicht hier oben, aber ich bin bereit, es Ihnen nachher zu geben. Ich kenne ein Protokoll einer Sachverständigenanhörung durch das Umweltministerium. Dort haben die Sachverständigen offensichtlich übereinstimmend festgehalten, daß die PETMehrwegflasche der Glas-Mehrwegflasche ökologisch eindeutig überlegen ist.
({0})
- Frau Kollegin Saibold, ich bin in der Lage, Ihre Anträge zu lesen. Ich habe sie nicht hier oben, aber bitte lesen Sie noch einmal nach! Sie beantragen, die „PET-Flasche" zu verbieten, und nicht, die „PET-Einwegflasche" zu verbieten. Bitte lesen Sie Ihren Antrag noch einmal durch!
({1})
Ich darf hier noch einmal festhalten: Wir haben nichts gegen Kunststoffflaschen ganz generell, wir haben nur etwas dagegen, daß Einwegflaschen Mehrwegsysteme verdrängen. Wir erwarten uns von der Verordnung der Bundesregierung - das ist unser Ziel -, daß die offensichtlich schon existierende PETMehrwegflasche nicht nur in einem Raum im Rheinland getestet wird, sondern daß sie anstelle der Einwegflasche generell eingeführt wird.
Am GRÜNEN-Antrag stört mich übrigens auch noch ein weiteres: daß Sie ausgerechnet bei einem bestimmten Kunststoff mit Ihrem Verbot ansetzen wollen. Ich sehe auch nicht ansatzweise eine Begründung dafür, weshalb andere Kunststoffflaschen, z. B. aus Polyethylen oder aus PVC umweltpolitisch unproblematisch sein sollen.
({2})
Meines Erachtens würde das von den GRÜNEN geforderte Verbot nur eines Kunststoffes und laut Ihres Antrags unabhängig davon, ob Einweg oder Mehrweg, schon wegen der Verletzung des Gleichheitssatzes von den Gerichten sehr schnell beerdigt werden.
Mit der geplanten ersten Verordnung nach § 14 Abs. 2 des Abfallgesetzes wollen wir belegen, daß die neugeschaffenen Instrumente in der Praxis tatsächlich greifen. Wir sind an echten Erfolgen interessiert, und wir können die dann ja eines Tages überprüfen. Bei einem Verbot, das nur darauf hinausläuft, daß sich der Bund juristisch blamiert und ökologisch teilweise ein Eigentor schießt, machen wir nicht mit.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hartenstein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag will, daß die neue Welle der Kunststoffeinwegflaschen, die jetzt auf den Markt brandet, abgestoppt wird; damit hat der Antrag recht. Er will dies allerdings durch ein schlichtes Verbot tun; damit hat er nicht recht. Denn über die Tatsache, daß wir uns als Bundesrepublik im EG-Verbund befinden, kann man nicht so einfach hinweggehen. Ich denke, daß ist ein Faktum, das wir im Auge behalten müssen.
Es bleibt also die Frage: Gibt es nationale Instrumente, um die unerwünschte Aufblähung der Müllberge durch die neue PET-Riesenflasche zu verhindern? Antwort: bislang keine; totale Fehlanzeige.
Jetzt rächt es sich, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, daß die Mehrheit dieses Hauses vor zwei Jahren eben leider ein lahmes Abfallgesetz verabschiedet hat. Damals schwor der neu installierte Umweltminister Wallmann zusammen mit den Sprechern der Koalition einen Rütlischwur, man wolle mit diesem Gesetz den Weg für Abfallvermeidung und Abfallverminderung ebnen; es solle vor allem der ausufernden Verpackungsflut zuleibe gerückt werden; es solle speziell im Getränkebereich alles unternommen werden, um das bewährte umweltfreundliche Mehrwegsystem zu stabilisieren.
Jetzt bekommen Sie die Quittung dafür. Die Industrie respektiert nicht hohle Worte, sondern sie tut das, was in ihr Kalkül paßt.
Wenn man sich heute in der Abfallandschaft umschaut, dann sieht man eben, daß diese großblumigen und großvolumigen Absichtserklärungen keinen Pfifferling wert sind. Die Gemeinden stehen, lieber Kollege Friedrich, wirklich spätestens Anfang der 90er Jahre vor überfüllten Deponien. Von einem durchgreifenden Vermeidungskonzept ist überhaupt keine Rede. Das sollten wir nicht beschönigen.
Es spricht nicht für die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung, daß zwei Jahre nach Verabschiedung des Gesetzes noch keine einzige Rechtsverordnung zu § 14 vorliegt, keine einzige.
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Es spricht ebenfalls nicht für die Qualität des Gesetzes, daß bis heute Unklarheit darüber herrscht, ob der Minister überhaupt befugt ist, eine Verordnung zur Beschränkung der Einwegverpackungen zu erlassen. Denn nach dem Gesetzeswortlaut muß er mit der Industrie Zielvorgaben zur Vermeidung und Verringerung der Abfallmengen aushandeln, und er darf erst dann zupacken, wenn dabei keine befriedigenden Ergebnisse erreicht werden.
({1})
Es gibt kein Wort darüber, bis wann Ergebnisse vorliegen müssen, und kein Wort darüber, welche Mindestverringerungsmengen erreicht werden müssen.
Gewiß, Herr Kollege Baum, der Bundesumweltminister hat, wenngleich nach langer Bedenkzeit, im Falle der Kunststoffflaschen inzwischen Zielvorgaben auf den Tisch gelegt. Das war im Herbst letzten Jahres. Sie besagen: 50 Pfennig Pflichtpfand, Rücknahmepflicht, Wiederbefüllung, Gewährleistung, daß innerhalb von zwei Jahren 80 % der Flaschen dem
Materialrecycling zugeführt werden sollen. Das ist immerhin kein schlechter Anlauf; das will ich ausdrücklich sagen.
Aber der betroffene Großkonzern schert sich nicht um diese Zielvorgaben. Er sagte schlicht: Nein, wir akzeptieren nicht.
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Daraufhin hat Minister Töpfer seinen Verordnungsentwurf aus der Tasche gezogen, sozusagen als Knüppel aus dem Sack. Aber die Wirkung war doch gleich Null.
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Denn der Konzern hat im Frühjahr dieses Jahres begonnen, großflächig die Einführung der 1,5 1 PET-Einwegflasche in Angriff zu nehmen. Ich finde, daß dieser Vorgang symptomatisch ist.
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Denn er beweist, daß die Wirtschaft den Verordnungsknüppel überhaupt nicht ernst nimmt. Sie weiß genau, daß die Gesetzesgrundlage pflaumenweich ist, mit anderen Worten: daß sie einfach zu schwach ist.
Man wird ja sehen, Herr Kollege Friedrich, ob sich dies bis zum 22. Juni - Sie haben einen Kabinettsbeschluß angekündigt - noch ändert; ich fürchte nein.
Der § 14 Abs. 2 ist in seiner heutigen Fassung nicht tragfähig. Denn damit kann man dem Ansturm der Kunststoffeinwegverpackungen keinen Damm entgegensetzen. Für uns lautet die Konsequenz aus dieser Tatsache: Das Abfallgesetz muß novelliert werden, und zwar schleunigst.
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Meine Fraktion hat dafür einen eigenen Antrag vorgelegt. Wir fordern die Festlegung der Abfallvermeidung als oberste Priorität, die Streichung der verwässerten Passagen des § 14 und die Neufassung, die eindeutige Kennzeichnungspflicht für Einweg und Mehrweg, damit der Verbraucher nicht getäuscht wird.
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Denn das ist bei den jetzigen Methoden nicht nur zu befürchten, sondern das liegt klar auf der Hand. Wir fordern weiterhin die Erhebung einer Einwegabgabe, gestaffelt nach der Umweltverträglichkeit der verwendeten Materialien.
Wenn dies erfolgt, dann hat der Verbraucher auch die Freiheit, auszuwählen und sich für das umweltfreundliche Mehrwegsystem oder für das teurere und umweltschädliche Einwegsystem zu entscheiden. Es macht aber keinen Sinn, liebe Kollegin Frau Saibold, allein bei der PET-Flasche ansetzen zu wollen. Es geht um das Problem der Einwegbehälter generell, denn mittlerweile sind immerhin allein bei Bier und Mineralwässern und Erfrischungsgetränken über 8 Milliarden Stück auf dem Markt. 80 % davon landen jährlich auf unseren Deponien. Wir können es doch nicht wollen, daß auf dem Getränkesektor - ich will es einmal so nennen - amerikanische Zustände eintreten. In den USA werden bereits heute 90 % aller Getränke in
Einwegbehältern, vornehmlich in Dosen, auf den Markt gebracht, der Mehrweganteil ist inzwischen auf kümmerliche 10 % abgesunken. Wenn es einmal soweit ist, meine liebe Kolleginnen und Kollegen, dann ist die Entwicklung irreversibel.
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Dann ist überhaupt nichts mehr zu machen. In diesem Stadium ist der Konzentrationsprozeß zu weit fortgeschritten, die mittelständische Getränkewirtschaft einschließlich des Fachhandels ist verschwunden, die dezentralen Versorgungssysteme sind aufgelöst mit allen Folgen für Angebotsvielfalt, für fehlenden Wettbewerb, Verlust von Arbeitsplätzen. Das ließe sich ganz genau belegen, ja, ganz genau berechnen.
Übrigens sind auch in der Bundesrepublik schon heute vier große Konzerne da, die bei Erfrischungsgetränken einen Marktanteil von nicht weniger als 85 % erobert haben. Wenn das keine Konzentration ist, weiß ich nicht mehr, wie man das nennen soll. Eine einzige Firma füllt bereits 65 % aller Getränkedosen ab. Wenn dieser Prozeß nicht gebremst wird, können wir ihn, wenn man noch einige Zeit vergehen läßt, auch mit den besten Verordnungen nicht mehr aufhalten, denn das Vordringen der Einwegflaschen beschleunigt ihn von Tag zu Tag.
Bei der Debatte über den Abfallbericht im Januar des Jahres hat ein Sprecher der Regierungsfraktionen, der Kollege Schmidbauer, gesagt,
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jetzt müsse ein Signal gesetzt werden. Er hat dabei gerade von der bevorstehenden - wie er es vornehm genannt hat - großvolumigen Kunststoffflasche geredet. Er meinte übrigens bedeutungsvoll, das Kooperationsprinzip dürfe nicht überstrapaziert werden. Er sagte wörtlich:
Es kommt der Punkt,
- Herr Staatssekretär Grüner wo wir beweisen müssen, daß hier keine zahnlosen Tiger operieren.
Der Punkt ist da, meine Damen und Herren von der Regierung. Handeln Sie! Solange Sie an der ideologiebefrachteten Vorstellung festhalten, es müsse partout alles auf freiwilliger Basis ausgehandelt werden, marschieren Sie pfeilgerade auf den Müllnotstand zu, und Sie lassen die Gemeinden hoffnungslos im Stich.
Daß Produzenten und Handel betriebswirtschaftlich rechnen und durch Rationalisierung Kosten einsparen wollen, kann man ihnen im Prinzip nicht einmal übel nehmen. Es darf aber doch nicht so sein, daß die Entsorgungskosten einfach auf die Allgemeinheit übergewälzt werden. Dann nämlich haben Kommunen und Verbraucher letztlich die Zeche zu bezahlen - das sind wir alle - mit höheren Beseitigungskosten, mit größeren Umweltschäden und nicht zuletzt auch mit höheren Preisen. Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen: Die ökologischen Kosten kommen immer wieder auf uns zurück. Deshalb ist es ein Gebot auch der ökonomischen Vernunft, jetzt einen Riegel vorzuschieben.
Danke schön.
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Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Frau Präsident!
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Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muß sagen, die Kritik verwundert mich etwas, Frau Hartenstein, denn zum erstenmal wird jetzt der Paragraph 14 des Abfallgesetzes angewandt. Ich gebe gern zu, daß auch wir darauf gewartet haben. Jetzt ist die erste Verordnung da. Nun kann man sich mit dieser Verordnung auseinandersetzen.
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Zunächst einmal muß aber festgestellt werden, daß die Zielvorgabe - das, was Sie hier immer wieder kritisieren, die Überlegungen, die die Regierung anstellt, um sich selber einmal ein Ziel zu formulieren - den Umweltminister nicht daran gehindert hat, eine Verordnung zumindest anzukündigen. Wir haben eben gehört, Herr Schäfer, daß Sie vor der Sommerpause - Herr Grüner wird dazu gleich etwas sagen - ins Kabinett kommen soll.
Ich bin der Meinung, daß der Umweltminister hier Unterstützung verdient. Er hat die Unterstützung meiner Fraktion. Wir stehen hinter dieser Absicht, alles zu tun, um das Mehrwegsystem nicht weiter zurückzudrängen. Wir brauchen das Mehrwegsystem aus verschiedenen Gründen. Einige sind hier schon aufgezeigt worden. Ein wichtiger Grund ist, daß es in Zukunft eben doch schwierig ist, Deponieraum zu finden. Wir haben ein Ansteigen der Abfallmengen. Das Abfallproblem wird uns in den nächsten Jahren erheblich beschäftigen. Wir dürfen nicht zulassen, daß hier eine Volumensteigerung wie in anderen Ländern stattfindet. Wir müssen uns gegen die Strategie großer internationaler Konzerne wehren - es ist nicht allein Coca-Cola, andere werden folgen - , nun auch unser Land mit der Einwegkunststoffflasche zu überziehen.
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Das würde auch zu einer weiteren Konzentration bei der Getränkeherstellung und beim Getränkehandel führen. Ich führe hier auch ein mittelstandspolitisches, ein Wettbewerbsargument ein, obwohl es nicht unmittelbar in diesen Zusammenhang des Umweltschutzes gehört.
Ein Sachverständiger hat ausgeführt: Die Folgen einer Untätigkeit der Regierung seien abzusehen, wenn die Regierung untätig bliebe. Die PET-Anteilsmenge würde sich entsprechend den Entwicklungen in Frankreich und in Großbritannien auch im Bundesgebiet rapide erhöhen. Damit einher ginge eine Reduzierung von Glas- und Weißblechverpackungen, also eine Reduzierung des Umsatzes in Branchen, die sich ohnehin nicht in der Sonne der Konjunktur befinden. Demgegenüber stiege der Umsatz der kunststofferzeugenden Industrie und damit von Großunternehmen merklich an.
Ich möchte also, daß wir diesem Trend entgegenwirken.
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Nun fragt sich: Was ist das geeignete Mittel? Ist das, was die Bundesregierung macht - in den Zielsetzungen sind wir ja einig - , geeignet?
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- Ja, Herr Kollege Stahl, ich sage: Dies sollte die Bundesregierung jetzt tun. Ich weiß nicht genau, welche Wirkung die Bepfandung haben wird. Ich weiß nicht genau, welche Wirkung die wichtige Forderung der Bundesregierung hat, daß gewährleistet werden muß, daß eine Verwertung außerhalb der Abfallentsorgung gesichert wird. Hier gibt es gewisse Erfahrungen. Die Sachverständigen im Ministerium haben sich darüber ausgelassen. Ich möchte, daß durch diese Maßnahme bewirkt wird, daß wir hier einen Riegel vorschieben, daß die Kunststoffflasche als Einwegflasche möglicherweise überhaupt nicht die Regel wird, sondern daß man, wenn überhaupt, zu der wiederbefüllbaren Flasche kommt. Ich möchte also, daß wir hier wirklich einen Beitrag zum Mehrwegsystem leisten.
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- Bitte, was haben Sie eben so treffend ausgeführt, Herr Kollege? Sie kommen ja angeregt von einer Diskussion, an der auch ich teilgenommen haben, die allerdings auf einem höheren Niveau stattgefunden hat. Das muß ich sagen.
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Ich meine, daß der Umweltminister hier unsere Unterstützung verdient.
Ich möchte festhalten, daß freiwillige Vereinbarungen eben nicht zum Zuge gekommen sind. Wir können uns ein Ansteigen der Abfallberge nicht leisten,
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und wir möchten, daß sich die Entwicklung auf dem Getränkesektor nicht weiter zuungunsten des Mehrwegsystems verändert.
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- Bitte, das ist doch kein Stil der Auseinandersetzung, Frau Kollegin.
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Hier ist zum erstenmal eine Verordnung auf dem Tisch. Setzen Sie sich doch mit der auseinander! Sie fordern immer das einfache Mittel Verbot. Damit ist für Sie der Fall erledigt. Haben Sie einmal darüber nachgedacht, wie die Europäische Gemeinschaft darauf reagieren könnte? Sie konfrontieren uns im Ausschuß immer mit Ihren Maximalforderungen.
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Wenn wir sagen: Das geht europäisch nicht, sitzen Sie da, nehmen das zur Kenntnis und wiederholen Ihre Forderungen beim nächsten Mal.
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Sie müssen doch zur Kenntnis nehmen, daß wir auf einen europäischen Binnenmarkt hinsteuern. Sie können hier national doch nicht tun, was Sie wollen. Die Bundesregierung muß diese Verordnung europäisch notifizieren. Sonst laufen wir auf wie bei
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den Kraftfahrzeugen. - So ist es, Herr Schäfer. Sie wissen es besser. Kommen Sie hier herauf und sagen Sie, daß es nicht so ist, begründen Sie das.
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Herr Baum, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Sellin?
Bitte.
Bitte.
Das Europa-Argument erschlägt jede Norm, wenn man solche Einzelfragen sieht. Ich möchte Sie fragen: Geht der föderalistische Gedanke zwischen Ländern, Bund und Europa unter?
({0})
Der föderalistische Gedanke ist natürlich auch durch die größere Einheit Europa berührt. Es ist ganz eindeutig, daß die Länder genauso wie wir in diesem Hause Kompetenzen abgeben und wie es die Bundesregierung auch tun muß.
({0})
- Das ist die Entwicklung zu einem gemeinsamen Europa. Warum haben sich die Bundesländer in Brüssel Büros eingerichtet? Weil sie diese Entwicklung sehen. Man kann nicht einerseits einen gemeinsamen Markt wollen und alle seine Vorteile nutzen und andererseits auf alten nationalen Rechten beharren. Das geht nicht. Wir gehen auf einen gemeinsamen Binnenmarkt im Jahre 1992 zu. Es kann nicht so sein, daß an deutschen Vorschlägen oder am deutschen Wesen Europa genesen muß.
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Wir müssen uns an den europäischen Befindlichkeiten orientieren. Wir sollen ja kämpfen. Ich unterstütze den Umweltminister, daß er für unsere Ziele kämpft.
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Aber Sie tun so, als seien Sie auf einer Insel, wo Sie alles alleine machen können. Das geht leider oder Gott sei Dank nicht. Wir sind in diesem Kontext der Europäischen Gemeinschaft. Ich sehe in der Bepfandung von Kunststoffflaschen einen ersten wichtigen Schritt zur Ausfüllung des Abfallgesetzes. Ich erhoffe mir, Herr Staatssekretär, daß weitere Maßnahmen auf den verschiedenen Sektoren folgen.
Es ist nicht die Aufgabe des Parlaments, sondern es ist jetzt die Aufgabe der Regierung, § 14, und zwar in beiden Absätzen, im Abs. 1, was die Schadstoffvermeidung angeht, und im Abs. 2, was die Mengenproblematik angeht, auszufüllen. Wir sehen hier einen ersten Schritt. Wir hoffen, daß die Verordnung möglichst bald verabschiedet wird. Wir werden genau beobachten, welche Wirkung sie hat. Wenn die gewünschte Wirkung nicht eintritt, werden wir uns weitere Maßnahmen überlegen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Herr Grüner.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist hier schon von Herrn Dr. Friedrich und von Herrn Baum darauf hingewiesen worden, daß der Bundesumweltminister eine Verordnung vorlegen wird - voraussichtlich im Juli werden wir damit im Kabinett sein - , deren Inhalt die Einführung von Rücknahme-, Verwertungs- und Pfandpflichten darstellt, und zwar für Kunststoffflaschen, für Getränkeverpackungen aus Kunststoff. Anlaß für diese Verordnung ist die Absicht von Coca-Cola - die hier diskutiert worden ist - , mit einer Einweggetränkeverpakkung auf den Markt zu gehen. Es ist richtig, daß damit das Einvernehmen, das hergestellt worden ist und über viele Jahre gehalten hat, nämlich das Mehrwegsystem in der Bundesrepublik aus abfallwirtschaftlichen Gründen zu stabilisieren, gestört worden ist. Es ist sicher nicht zu weit gegriffen, wenn man sagt, daß diese Kooperationsbereitschaft gegeben gewesen wäre, wenn nicht eine zentrale Marketing-Strategie der Mutter in den USA weltweit eine Absatzstrategie mit Einwegkunststoffflaschen propagierte, der sich die Zentrale in Essen nicht entziehen konnte.
Es ist kein Anlaß, darüber in Wehklagen auszubrechen, sondern wir sind entschlossen, den ökologischen Rahmen zu ziehen, unter dem abfallwirtschaftliche Gesichtspunke hier Vorrang erhalten müssen. Das Ziel der Pfandregelung, die wir vorsehen, ist auf der einen Seite, die Rücknahmegarantie durch dieses Pfand zu sichern. Wir erwarten uns davon einen Rücklauf von 80 %. Das kann man nicht mit Sicherheit voraussagen. Das ist aber die Erwartung. Es ist durchaus auch denkbar, daß die von uns durchgeführte Maßnahme dazu beitragen kann, daß die beteiligten Kreise, insbesondere Coca-Cola, aber auch andere, die mit Einwegkunststoffflaschen operieren, das Thema Wiederbefüllbarkeit, die ein Ziel ist, mit noch größerem Nachdruck angreifen.
({0})
Es kann auch wirtschaftlich sein, angesichts eines vorgesehenen Pfandes von 50 Pf gleich wieder auf die Wiederbefüllbarkeit abzuheben.
({1})
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Frau Abgeordnete Saibold.
Herr Staatssekretär, Ihnen sind doch die Pläne von Coca-Cola bekannt, diese Flaschen über Container wieder einzusammeln. Könnten Sie mir bitte erklären, wie dann das Pfand zurückgezahlt werden soll? Soll ein Automat an den Container angebracht werden, der immer 50 Pf ausspuckt, oder wie soll das überhaupt gehen?
Die Organisation der Rücknahme ist durchaus unabhängig von der Tatsache, daß mit der Erhebung eines Pflichtpfands eine Verteuerung verbunden ist, daß ein Anreiz zur Rückgabe gegeben ist, zunächst beim Verbraucher, aber natürlich auch beim Händler, und zwar ein durchaus wirtschaftlich sinnvoller Anreiz, und daß mit einem solchen Lenkungsinstrument nach unserer Erwartung die volkswirtschaftlich sinnvollsten Lösungen für die Abfallvermeidung eingeleitet werden.
({0})
- Die Abgabe ist nach dem Abfallgesetz nicht möglich.
({1})
Was zu diskutieren ist und was bei uns auch überlegt
wird: Wir könnten natürlich nach dem Abfallgesetz
- das hat uns der Deutsche Bundestag an die Hand gegeben - eine Einwegverpackung untersagen; wir könnten eine Wiederbefüllbarkeit vorschreiben. Das wäre aber angesichts der Tatsache, daß wir alle Einwegverpackungen erfassen müssen, ein sehr viel weitergehender Eingriff, der selbstverständlich
({2})
problematisch ist. Es ist ein Instrument - ich betone das - , das uns trotzdem zur Verfügung steht.
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- Die haben wir im Gesetz nicht als eine Möglichkeit. Aber ich meine auch, wir sollten jetzt nicht über einzelne Elemente diskutieren. Mit dieser Verordnung
- wenn sie vom Kabinett verabschiedet ist - wird eine Notifizierung - ({4})
- Ich habe die Frage beantwortet.
({5})
- Das ist jedenfalls mein Urteil.
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Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Wie soll die Pfandrückgabe an die Verbraucher und Verbraucherinnen erfolgen, wenn die Erfassung der Flasche mittels Container erfolgen soll?
Wenn es je eine Container-Rücknahme geben würde, dann würde diese Container-Rücknahme zur Voraussetzung haben, daß der Verbraucher dort diese 50 Pf automatisch zurückbekommt, sonst würde das unserer Verordnung nicht entsprechen. Aber ich vermute, daß es ganz andere, sinnvollere und weniger kostspielige Wege geben wird, die nach unserer Verordnung allerdings in der Verpflichtung des Produzenten und des Händlers und nicht in der Verpflichtung des Staates liegen.
Wir wollen mit dieser Verordnung gleichzeitig eine Verordnung zur Kennzeichnung von Getränkeverpackungen auf den Weg bringen, denn das ist ja auch ein übereinstimmendes Ziel. Mit der Getränkekennzeichnung wird dem Verbraucher gleichzeitig ein eindeutiger Hinweis gegeben, um ein sinnvolles, abfallwirtschaftlich richtiges Verhalten zu initiieren. Wir werden zugleich mit dem Entwurf der Verordnung zur Kennzeichnung von Getränkeverpackungen auch Zielfestlegungen für den gesamten Bereich der Getränkeverpackungen vorlegen, um in diesem Bereich ein abgeschlossenes Konzept zu verwirklichen.
({0})
- Ich möchte keine weiteren Fragen mehr beantworten.
({1})
- Nein, es wird nicht kritisch, aber die Zeit schreitet fort.
({2})
Ich möchte sehr deutlich sagen, daß sich herausgestellt hat, daß die Bemühungen, in dieser Frage zu einer freiwilligen Vereinbarung zu kommen - das wäre uns lieber gewesen - , erfolglos waren, daß die Interessengegensätze auch zwischen den einzelnen Betroffenen zu groß waren. Ich verbinde damit gar nicht eine Kritik, sondern treffe eine Feststellung, die in der unterschiedlichen Interessenlage der an diesem Markt Beteiligten begründet liegt. Gerade für diese Fälle hat ja der Gesetzgeber der Bundesregierung ein entsprechendes Instrumentarium an die Hand gegeben.
Ich möchte deutlich machen, daß mit dieser Diskussion, aber auch mit dieser Verordnung ein ganz klares Zeichen für den Gesamtbereich unserer Industrie, aber natürlich insbesondere für den Bereich der Getränkeindustrie gesetzt wird, daß wir auf das Mehrwegsystem setzen, daß wir aber jeder Entwicklung, dieses Mehrwegsystem aus betriebswirtschaftlichen Gründen zu unterlaufen - aus der Sicht einer Firma mag das im Einzelfall betriebswirtschaftlich durchaus
berechtigt sein -, entgegentreten werden. Auf diese Art und Weise wird auch durch eine solche Verordnung sichergestellt, daß nicht Investitionen und Überlegungen in eine solche Richtung angestellt werden.
Damit hat diese Verordnung nach unserer Einschätzung eine sehr viel weitergehende ordnungspolitische Wirkung, weil für jeden etwaigen Investor klar ist, daß wir den Bemühungen, das Abfallvolumen weiter auszuweiten und die Kosten dieses Abfallvolumens auf eine Vielzahl von Verbrauchern abzuwälzen, entgegentreten werden. Es ist das entscheidende Ziel unserer Umweltpolitik, dafür zu sorgen, daß die Kosten des Abfalls von denen kalkuliert und von denen in ihre Produktionsstrategie einbezogen werden, die die Verursacher dieses Abfalls sind - seien das die Produzenten, seien das die Händler oder sei es der kaufende Verbraucher. Das ist die Zielsetzung, die mit dieser Verordnung verfolgt wird.
Sie wird sicher einen Beitrag dazu leisten, wenn wir sie erfolgreich bei der Europäischen Gemeinschaft, die uns ja in ihrer EG-Getränkerichtlinie zu solchen Maßnahmen generell aufgefordert hat, notifizieren. Sie hat sich allerdings vorbehalten, derartige Maßnahmen auf die Vereinbarkeit mit dem Verbot nicht tarifärer Handelshemmnisse in der Europäischen Gemeinschaft zu überprüfen. Diese Notifizierung muß erfolgen. Sie ist auch Voraussetzung für den endgültigen Erfolg dieser Verordnung, von der wir hoffen, daß sie das notwendige Zeichen setzen wird, daß wir unsere marktwirtschaftliche Ordnung zielgerichtet zu einer ökologischen Marktwirtschaft in allen Bereichen ausbauen, in denen das offensichtlich notwendig ist.
({3})
Ich betone noch einmal: Wir wollen uns das wertvolle Kapital eines funktionierenden Mehrwegsystems, das es nur noch in ganz wenigen Industrieländern gibt, nicht zerstören lassen. Wir sind entschlossen, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Der Deutsche Bundestag hat uns dafür die Mittel an die Hand gegeben.
({4})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 sowie den heute morgen aufgesetzten Zusatzpunkt auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und des Siebenten
Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes
- Drucksache 11/2420 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0})
Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
ZP Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN „Verzicht auf Diätenerhöhung - statt dessen Förderung von Arbeitsloseninitiativen"
- Drucksache 11/2439 Interfraktionell ist eine gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte sowie ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Becker ({1}).
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben heute in erster Lesung die neunte Änderung des Abgeordnetengesetzes zu beraten, das wir nach langen Vorberatungen im Jahre 1976 und 1977 in diesem Hause verabschiedet haben.
Es ging damals um eine völlige Neustrukturierung des Standes, der Situation und auch der Bezahlung, der Vergütung, der Entschädigungen, die Abgeordnete im Deutschen Bundestag erhalten sollen.
Ich will dazu noch ein paar Vorbemerkungen machen, weil ich meine, daß es in den Zusammenhang mit dem gehört, was wir heute abend hier zu behandeln haben.
Nachdem wir damals diese neue Grundlage gefunden hatten, wo wir versucht haben, die unterschiedlichsten Verhältnisse - Einkommensverhältnisse, aber auch persönliche Verhältnisse - derjenigen, die Mitglieder im Deutschen Bundestag waren, auf eine gemeinsame neue Grundlage zu stellen, haben wir sieben Jahre lang an dieser Situation überhaupt nichts geändert. Wir haben vielmehr gesagt: In dieser Zeit kann sich alles das konsolidieren, was wir im Jahre 1976/77 beraten und in einem Gesetz festgelegt haben.
Nun konnten die damaligen Bezüge - 7 500 DM Bezüge und 4 000 DM Entschädigung - der Abgeordneten natürlich nicht für alle Zeit festgeschrieben werden. Das war schon damals jedem klar. Daß man sieben Jahre mit einer Änderung dieses Gesetzes gewartet hat, zeigt, daß sich in diesem Bundestag all diejenigen, die Verantwortung getragen haben, auch gegenüber den Einkommensentwicklungen in der Bundesrepulbik in allen möglichen Bereichen sehr maßvoll und zurückhaltend verhalten haben.
Im Jahre 1983 haben wir überlegt, wie wir denn die Abgeordneten des Deutschen Bundestages an der allgemeinen Einkommensentwicklung in diesem Lande teilhaben lassen können. Es war nicht ganz einfach, eine Formel zu finden. Wir meinen, diese Formel muß so aussehen, daß wir zur Grundlage der Anpassung an die Einkommensentwicklung den Durchschnitt der
Becker ({0})
Anhebung aller Bezüge in der Bundesrepublik nehmen, angefangen bei der Verbesserung derjenigen, die als Arbeitslose Arbeitslosenhilfe oder Arbeitslosenunterstützung beziehen, bei denjenigen, die Sozialfürsorge beziehen, und geendet bei denjenigen, die als Manager bei uns in der Wirtschaft tätig sind, sowie unter Berücksichtigung aller Tarifabschlüsse.
Diese Formel haben wir gefunden, indem wir gesagt haben: Wir wollen diesen Querschnitt jährlich festlegen und uns durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages nach § 30 des Abgeordnetengesetzes einen Vorschlag machen lassen, wie wir in eigener Zuständigkeit - und das hat das Verfassungsgericht festgelegt: daß niemand anders als wir selbst dies festlegen können - unsere Einkommen für die folgende Zeit, für das jeweils folgende Jahr anpassen. Das geschieht jetzt seit 1983 regelmäßig und geschieht auch in diesem Jahr.
Der Präsident hat uns ordnungsgemäß und sachgerecht seinen Bericht Ende Mai vorgelegt. In diesem Bericht wird empfohlen, die Abgeordnetenbezüge um 3,25 % und die Pauschale um 1,5 % anzuheben. Wir haben diesen Bericht in den Fraktionen entgegengenommen und geprüft und uns nach vielen Diskussionen entschlossen, ihn zur Grundlage eines gemeinsamen Gesetzentwurfs zu machen. Wir haben diesen gemeinsamen Gesetzentwurf, der die von mir erwähnten Daten - 3,25 % und 1,5 % - enthält, jetzt eingebracht.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, das ist ja keine Geschichte gewesen, um die sich niemand gekümmert hat. Im Vorfeld hat es viele Diskussionen gegeben, einmal darüber, ob es nicht besser wäre, die Bezüge der Abgeordneten z. B. an die Bezüge der Minister zu koppeln, einen bestimmten Prozentsatz, z. B. 50 %, festzulegen, und ob es denn eigentlich gerechtfertigt ist, daß breite Schichten der Gesellschaft ein 13. Monatsgehalt beziehen, Abgeordnete des Bundestages das aber nicht erhalten.
({1})
- Herr Kollege Stratmann, ich darf Ihnen mit Bezug auf den Zwischenruf des Kollegen Pfuhl sagen: Es gibt zwei Landtage, in denen die Bezüge der Abgeordneten dreizehnmal gezahlt werden. Auch GRÜNE-Abgeordnete erhalten natürlich diese 13 Bezüge.
Auf der anderen Seite hat es - auch das will ich noch einmal ausdrücklich hervorheben - eine Debatte gegeben, in der es um die Frage gegangen ist: Soll man erneut aussetzen? Diese erneute Aussetzung, also keine Anhebung der Bezüge, hätte aber möglicherweise eine Spirale zur Folge, die wie 1977 zu längerfristigen Konsequenzen führen müßte. Deswegen ist in den verschiedenen Fraktionen des Bundestages diskutiert worden.
Ich sage für die SPD-Fraktion: Wir haben in einer mehrstündigen Diskussion darüber geredet, Kollege Stratmann, ob wir in diesem Jahr auf die Anhebung verzichten und ob es überhaupt gerecht wäre, wenn man das machen würde; denn die Differenz zwischen den Einkommen von Abgeordneten aus ihren Bezügen hier und aus anderen Bezügen ist unterschiedlich, teilweise riesengroß.
({2})
- Davon spricht doch überhaupt keiner. Wir haben nur gefragt, ob die Relationen stimmen und ob das dann noch gerecht wäre.
Nachdem auch in unserer Fraktion das vorgeschlagen worden ist, was Sie hier heute vertreten wollen, ist nach sorgfältigem Abwägen von der Mehrheit der Fraktion gesagt worden: Nein, wir wollen den Weg der Freiwilligkeit gehen; wir wollen uns nicht festnageln und über undifferenzierte Wege diese Beträge in einer Summe irgendwo für unterschiedliche und sicherlich gute Zwecke zur Verfügung stellen in dem Augenblick, wo Massenarbeitslosigkeit bekämpft werden muß. Das war ja unsere Intention, und das war die Diskussion in der Fraktion.
({3})
Wir haben uns für den freiwilligen Weg entschieden, und deswegen stimmen wir hier zu. Wir empfehlen allen denjenigen im gesamten Parlament, die sich mit dieser Frage in diesem Sinne beschäftigt haben, ihre Eigeninitiative einzeln oder in Gruppen wirksam werden zu lassen.
({4})
Das war das, war wir uns bei dieser Debatte überlegt haben.
Ich kann jetzt nur sagen: Wir werden diesen Gesetzentwurf und Ihren Antrag in den Ausschußberatungen noch einmal gründlich prüfen und alle Argumente gegeneinander abwägen.
({5})
Dann werden wir uns in zweiter und dritter Lesung wieder über die Fragen unterhalten, mit denen wir uns hier jetzt auseinandergesetzt haben.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Bohl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich namens meiner Fraktion dem Herrn Bundestagspräsidenten herzlich für den Bericht danken, den er gemäß § 30 des Abgeordnetengesetzes fristgemäß am 26. Mai vorgelegt hat. Die vorgesehenen und empfohlenen Anhebungen sind vom Kollegen Becker hier schon zutreffend wiedergegeben worden. Ich meine aber, daß ich doch noch einmal darauf hinweisen sollte, daß der Präsident des Deutschen Bundestages auch in seinem diesjährigen Bericht zu dem Ergebnis kommt, daß unter Berücksichtigung der Anpassungen in den Jahren 1983 bis 1987, die ja erfolgt sind, immer noch ein beachtlicher Abstand zur allgemeinen Einkommensentwicklung seit 1977 besteht. Dieser Ab5646
stand ist auf den hier schon erwähnten Umstand zurückzuführen.
({0})
- Herr Stratmann, Debatten sind keine Sache des Kehlkopfes,
({1})
sondern der intellektuellen Auseinandersetzung.
({2})
Deshalb wäre ich Ihnen herzlich dankbar: Wenn Sie nachher reden werden, werde ich Ihnen zuhören, und schreien Sie hier nicht so herum.
Während die tariflichen Löhne und Gehälter der Arbeitnehmer von 1977 bis 1987 um durchschnittlich 41,3 % gestiegen sind, wurden die Abgeordnetenentschädigungen im selben Zeitraum um 16,4 % angehoben. Das ist eine Zahl, die für sich spricht und die, glaube ich, jeder angemessen werten wird.
({3})
Wir meinen deshalb, daß - - Nichts netto! Von 7 500 DM bis zu unserer heutigen Aufwandsentschädigung ist es eine Steigerung von 16,4 %,
({4})
und die sonstigen Erhöhungen betrugen 41 %. Das ist doch ein Punkt, den Sie auch nachrechnen können. Da brauchen Sie sich doch nicht aufzuregen. Wenn Sie das stört, kann ich es nicht ändern. Also, der Vorschlag des Präsidenten, die Kostenpauschale um 1,5 % und die Entschädigung um 3,25 % zu erhöhen, scheint mir auch angesichts der Anhebungen im Tarifbereich und im Rentenbereich maßvoll und angemessen zu sein.
Ich meine, auch im Vergleich zu den Länderparlamenten sind wir durchaus maßvoll verfahren. Ich sagte schon, daß wir eine Steigerung um 16,4 % haben. Bis auf zwei Länder sind eigentlich alle anderen Bundesländer in den Steigerungen erheblich höher gegangen. Nur zwei - wie gesagt - haben geringere Steigerungen. Es ist auch richtig - das sagte der Kollege Becker schon -, daß auch zwei Länder inzwischen eine dreizehnte Monatsentschädigung haben, während es bei uns zwölf sind.
Ich glaube, daß hier auch zu Recht darauf hingewiesen wurde, daß Maßstab für unsere Entscheidung die Kriterien sein sollen und müssen, die das Bundesverfassungsgericht herausgearbeitet hat und wonach die Abgeordneten durch die Belastung des Mandats, die Verantwortung, die wir übernommen haben und die sich aus der Position des Abgeordneten im Verfassungsgefüge ergibt, eine angemessene und die Unabhängigkeit sichernde Entschädigung brauchen. Ich bin jetzt 17 Jahre Abgeordneter, zunächst im Landtag, jetzt im Bundestag, und ich habe eigentlich die Erfahrung gemacht, daß sich, wenn man mit den Menschen draußen vernünftig und sachgerecht über das redet, was wir tun, sogar sehr viel Verständnis für unsere Entscheidungen zeigt.
Es ist nämlich keine Insider-Information mehr, daß heutzutage Bürgermeister und Oberkreisdirektoren zum Teil erheblich mehr bekommen. Das ist beim letztenmal schon vertieft worden. Ich habe dieser Tage vom DGB die neue Besoldungstabelle bekommen und festgestellt, daß ein Bürgermeister, der in der Besoldungsgruppe B 2 ist - das ist bei mir in Hessen die Bürgermeisterposition in einer Gemeinde mit 20 000 Einwohnern - ,
({5})
der z. B. drei Kinder hat, zusammen mit dem Ortszuschlag höher liegt als wir Abgeordneten.
Das ist der Sachverhalt, den ich hier durchaus feststellen muß. Ich glaube, diese Insider-Information sollten wir auch nicht für uns behalten.
Meine Damen und Herren, ich möchte abschließend sagen: Die Entschädigung, die wir hier festsetzen, ist für den Abgeordneten kein Selbstzweck. Sie ist auch für diesen Bundestag kein Selbstzweck, sondern die Voraussetzung für ein funktionierendes und gut arbeitendes Parlament
({6})
- das haben Sie mir doch eben so über den Tisch zugerufen -, in einem demokratischen Gemeinwesen. Ich bin ganz sicher, daß den Bürgerinnen und Bürgern, den Wahlberechtigten in der Bundesrepublik Deutschland die es bei vernünftiger Darstellung und nicht dem Wecken von Neidgefühlen die Sache durchaus wert ist.
In diesem Sinne gehen wir davon aus, daß wir in den Ausschüssen gute Beratungen haben und eine entsprechende Beschlußfassung noch vor der Sommerpause hier im Deutschen Bundestag in dritter Lesung herbeiführen.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Stratmann.
({0})
Liebe Mitbürgerinnen! Liebe Mitbürger! Was hat der Deutsche Bundestag mit dem Bundesverband der Arbeitgeber gemeinsam? - Die Abkürzung BDA; denn mit der geplanten Diätenerhöhung drohen die antragstellenden Fraktionen von CDU/CSU, FDP und SPD zu einem Bundesverband der Abkassierer zu degenerieren.
({0})
Die geplante Diätenerhöhung ist sozial zynisch. Wir GRÜNEN lehnen sie deswegen ab. Wir beantragen
statt dessen, die 4,6 Millionen DM, die 1988 und 1989 zur Finanzierung allein der Diätenerhöhung und der Erhöhung der Aufwandsentschädigung vorgesehen sind, umzuwidmen zur Förderung der Arbeitsloseninitiativen und der Arbeitslosenzentren in der Bundesrepublik.
({1})
Vor wenigen Wochen war die bundesdeutsche Öffentlichkeit beschäftigt mit der öffentlichkeitswirksamen Auseinandersetzung über die Frage: Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich oder ohne vollen Lohnausgleich. Insbesondere die Regierungsfraktionen haben damals lauthals an die Lohn- und Gehaltsempfänger appelliert, in Solidarität mit den Erwerbslosen doch Lohnverzicht in Kauf zu nehmen. Teile der Sozialdemokratie haben das ebenfalls getan.
Man stellt fest, daß die Vorschläge sozial zynisch sind, wenn man sich ansieht, um welche Diätenerhöhung es überhaupt geht. Die Einkommen der Bundestagsabgeordneten liegen im außertariflichen Bereich, d. h. sie liegen in einer Höhe, bei der die Gewerkschaften gar nicht mehr verhandeln, weil die Einkommen so hoch sind. Die Diäten liegen heute bei 8 729 DM brutto pro Monat und sollen auf 9 013 DM pro Monat erhöht werden, d. h. um 284 DM pro Monat. Hinzu kommt die Aufwandsentschädigung - steuerfrei - von heute 5 078 DM pro Monat. Sie soll erhöht werden auf 5 155 DM pro Monat. Die Erhöhung der Diäten und der Aufwandsentschädigung zusammen macht insgesamt 361 DM pro Monat aus.
({2})
Angesichts der Appelle der Regierungsfraktionen noch vor ca. vier Wochen an die Lohn- und Gehaltsempfänger, die wesentlich weniger verdienen als wir, im Interesse der Erwerbslosen Lohn- bzw. Gehaltsverzicht zu üben, ist das unverantwortlich und sozial zynisch. Wir fordern Sie auf, insbesondere auch die Sozialdemokratie, die im Dezember 1986 einen Antrag gestellt hat, Arbeitslosenzentren aus Haushaltsmitteln zu fördern, was wir vorbehaltlos unterstützen, aus Ihrem Solidaritätsgerede einen konsequenten Schuh zu machen und die vorgesehenen 4,6 Millionen DM zur Förderung von Arbeitsloseninitiativen umzuwidmen.
({3})
Am übernächsten Wochenende tagt der Zweite Bundeskongreß der Initiativen gegen Arbeitslosigkeit und Armut in der Bundesrepublik. Wenn Sie sich mit Kongreßteilnehmern unterhalten, werden Sie hören, daß viele Delegierte der einzelnen Arbeitsloseninitiativen gar nicht zu dem Bundeskongreß kommen können, weil sie wegen ihrer Arbeitslosigkeit noch nicht einmal die Fahrt- und Übernachtungskosten bezahlen können. Damit es diesem Bundeskongreß, diesen Arbeitsloseninitiativen nun in einem zweiten Anlauf gelingt, eine bundesweite Koordination der Arbeitsloseninitiativen hinzukriegen, damit sie sich auch auf Bundesebene politisches Gehör verschaffen, was wir alle wollen oder was wenigstens wir GRÜNEN und auch Sie, die Sozialdemokraten, wollen, müssen wir dazu beitragen, daß sie ein bundesweites Koordinationsbüro einrichten, eine bundesweite Zeitung auflegen und ihre Delegierten zu den bundesweiten Arbeitsgruppen schicken können. Wir müssen dazu beitragen, daß die Arbeitsloseninitiativen und -zentren auch vor Ort, in jeder einzelnen Kommune eine personelle Grundausstattung für ihre laufende Arbeit bekommen können, ihre Betriebskosten erstattet und auch Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt bekommen, mit Mietkostenerstattung und Nebenkostenerstattung.
({4})
Und diese 4,6 Millionen DM, die Sie sich zuschustern wollen, die auch die Sozialdemokraten sich zuschustern wollen, sind wesentlich sozialer für diejenigen eingesetzt, die sich in einer Woche endlich einmal bundesweit Gehör verschaffen wollen, nämlich den bundesweiten Zusammenschluß der Arbeitsloseninitiativen und der Arbeitslosenzentren.
Ich fordere Sie auf, aus dem Solidaritätsgeklingel, das gerade aus Ihren Reihen in den letzten Wochen zu hören war, die Konsequenzen zu ziehen, auf diese unverantwortliche Erhöhung Ihrer eigenen Einkommen zu verzichten und praktische Solidarität zu üben.
({5})
- Da ich noch eine halbe Minute habe, sage ich Ihnen gerade die Daten.
Nein, Sie haben keine mehr. - Ach, doch, 13 Sekunden.
({0})
In der letzten Legislaturperiode haben wir GRÜNE im Bundestag eine Abführung an den Öko-Fonds in der Größenordnung von 4 Millionen DM vorgenommen,
({0})
im Jahre 1987 schon in der Größenordnung von 1 Million DM. Allein der Öko-Fonds Nordrhein-Westfalen hat 500 000 DM zur Unterstützung von Arbeitsloseninitiativen, zur Schaffung von Arbeitsplätzen bei Arbeitsloseninitiativen bereitgestellt.
({1})
Das sind konkrete Zahlen, an denen wir uns messen lassen und an denen auch Sie sich messen lassen müssen.
({2})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Seiler-Albring.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Stratmann, ich habe vorhin beobachtet, wie Sie da hin- und hergelaufen sind und offenbar Ihre Rede memoriert haben. Ich hätte mir gewünscht, daß Sie diese Zeit genutzt hätten, um vielleicht darüber nachzudenken, wie man dieses Thema etwas weniger polemisch und populistisch angehen kann.
({0})
Ich würde mir wünschen, von Ihnen einmal zu hören, wie Sie es eigentlich rechtfertigen wollen, einer Gruppe, deren Situation mit Recht zu beklagen ist, helfen zu wollen, indem Sie eine andere Gruppe von der allgemeinen Einkommensentwicklung abkoppeln wollen.
({1})
Dies muß also erst noch einmal dargestellt werden.
Ich habe mir die Rede Ihrer Kollegin Unruh vom letzten Jahr noch einmal angesehen und mich gefragt, ob Sie es wohl schaffen würden, sie zu übertreffen. Ich kann Sie beglückwünschen; Sie haben es in der Tat geschafft.
Ich bin nicht besonders glücklich, meine Damen und Herren - wer von uns ist das denn schon? - , über das Procedere der Anhebung der Diäten; dies wiederholt sich alljährlich. Wir haben demzufolge alljährlich eine Diskussion im Plenum, die uns alle nicht besonders glücklich machen kann. Die Tatsache, daß wir über unsere eigene finanzielle Ausstattung entscheiden müssen - wir sind nicht nur Betroffene, sondern auch Entscheider - kann nicht zufriedenstellen. Wir sind allerdings - das wissen wir alle - rechtlich hierzu verpflichtet.
Natürlich hat die Öffentlichkeit ein Recht, die Begründung und die jeweilige jährliche Höhe der Anhebung zu erfahren. Wenn das dazu führen könnte, daß in der Öffentlichkeit eine fairere Bewertung erfolgen würde, könnten wir mit dem Weg zufrieden sein. Leider Gottes ist diese Diskussion, wie wir gerade wieder gesehen haben, von Emotionen begleitet, die nicht immer besonders glücklich sind.
Die Rechtslage ist eindeutig. Sie wird durch das Abgeordnetengesetz und durch die Kriterien bestimmt, die das Bundesverfassungsgericht uns vorgegeben hat. Grundlage für die Entscheidung, die wir hier zu treffen haben, ist der Vorschlag des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, bei der Beratung über die Höhe der Diäten die Einkommenssteigerung folgender Gruppen zugrunde zu legen: die Löhne und Gehälter in Industrie und Handel, die Dienst- und Versorgungsbezüge im öffentlichen Dienst, die Vergütung der Angestellten und Löhne der Arbeiter im öffentlichen Dienst, die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz.
Bei der Diskussion über die Höhe ist festzuhalten, daß unter Berücksichtigung der Anpassungen in den Jahren 1983 bis 1987 noch immer ein erheblicher Abstand zur allgemeinen Einkommensentwicklung besteht, weil nämlich die Abgeordnetenentschädigung in den Jahren 1977 bis 1983 nicht angehoben worden ist, was hier schon ausgeführt worden ist. Und während die tariflichen Löhne und Gehälter der Arbeitnehmer von 1977 bis 1987 um durchschnittlich 41 gestiegen sind, wurden die Abgeordnetenentschädigungen im gleichen Zeitraum nur um rund 16 % erhöht.
Nach Auswertung all der genannten Kriterien hat der Präsident in seinem Bericht eine Anhebung der Entschädigung um 3,25 % vorgeschlagen und eine Erhöhung der Kostenpauschale um 1,5 % für angemessen gehalten.
Erwähnenswert ist der Hinweis in dem Bericht auf die in Tarifverhandlungen häufig vorgenommenen, zum Teil erheblichen Arbeitszeitverkürzungen, die für Mitglieder des Deutschen Bundestages naturgemäß ausgeschlossen sind. Ich sage das ohne Wertung. Während die Tarifpartner darum ringen, in welchen Stufen sie die 35-Stunden-Woche einführen, kann ich, glaube ich, für die Mehrzahl der Kollegen hier festhalten, daß in Sitzungswochen für uns die doppelte Arbeitszeit die Regel ist, und dies fern von den Familien. Und jeder weiß, daß auch die Wochenenden von Terminen geprägt werden.
Ein anderes Beispiel. Die Diäten betrugen vor zehn Jahren 51 % der Ministergehälter; heute betragen sie nur noch rund 40 %. Und wir wissen, daß wir die Diäten nur zwölfmal im Jahr bekommen.
Lassen Sie mich eine Bemerkung als Mitglied des Haushaltsausschusses machen. Ich habe in der Personalübersicht des Haushalts versucht, die Anzahl der Planstellen der Beamten, gemessen an den Abgeordnetendiäten, zu ermitteln, und bin auf eine Zahl von mehr als 2 000 Ministerialbeamten, Generälen und anderen Beamten gekommen, mit denen wir z. B. in Haushaltsberatungen zu tun haben, die mehr als jeder Abgeordnete des Deutschen Bundestages verdienen - und diese sind 519 -.
Einer meiner Kollegen hat im Zusammenhang der Diskussion über die Definition der leitenden Angestellten herausgefunden, daß wir nach der Erhöhung unserer Diäten uns nun immerhin bis auf 150 DM der unteren Grenze des Salärs eines leitenden Angestellten genähert haben, wie ihn die Bundesregierung soeben neu definiert hat.
Ich bin der Ansicht, daß wir Abgeordneten mit der Erhöhung der Diäten um 3,25 % und der Anhebung der Kostenpauschale um 1,5 % durchaus bestehen können. Diese Anpassung ist ein vertretbarer Kompromiß.
Meine Fraktion stimmt dem Vorschlag des Präsidenten in dieser Angelegenheit zu. Wir hoffen, daß in der zweiten und dritten Beratung die Diskussion etwas weniger polemisch geführt wird.
Danke schön.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Vizepräsident Frau Renger
Interfraktionell wird vorgeschlagen, dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung sowie zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Der Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP soll zusätzlich zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Sammelübersicht 60 des Petitionsausschusses ({0}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 11/2253 -Hierzu liegt auf der Drucksache 11/2424 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Im Ältestenrat ist für diese Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Ganseforth.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich schildere zuerst den Fall, um den es hier geht. Es handelt sich um Kooperationsverträge der Deutschen Bundespost und um Breitbandverkabelung. Ein Petent hat bei der Deutschen Bundespost den Antrag auf Kabelanschluß gestellt. Die Post hatte ja lange und laut geworben, um Bürgerinnen und Bürger für die Verkabelung zu gewinnen.
Dieser Petent möchte nun verkabelt werden. Für das Gebiet der Stadt, in dem er wohnt, hat die Post aber einen Kooperationsvertrag mit einer Privatfirma, die die Verkabelung übernehmen soll. Man muß sich einmal vorstellen, daß die Post hier nun nicht mehr tätig werden kann!
Der betroffene Petent möchte aber gern von der Post verkabelt werden, und zwar deswegen, weil sich das bei den Gebühren auswirkt. Die Privatfirma hat ein völlig anderes Gebührensystem als die Post. Am Anfang ist die Post teurer, aber schon nach vier Jahren wird die Privatfirma teurer sein. Das ist der Hauptgrund, warum der Petent von der Post verkabelt werden will. Das geht aber nach dem Vertrag nur, wenn die Firma zustimmt. Bei einigen Leuten in der Stadt hat die Firma zugestimmt. Bei dem Petenten versagt sie aber die Zustimmung. So kann der Petent den Antrag nicht bei der Post stellen, sondern muß das bei der Firma tun.
Wir haben im Petitionsausschuß den Staatssekretär gefragt, wieso das so sein kann. Da hieß es, daß - was immer man darunter verstehen kann - diese private Gesellschaft nur einige Härtefälle wirtschaftlich verkraften kann. - Das ist also der Fall, der uns vorliegt.
Wir haben dann gefragt, wie es zu solchen Kooperationsverträgen kommen kann. Der Staatssekretär hat uns gesagt, daß es sich um Betriebsversuche handelt, mit denen man ausprobieren möchte, wie die
Zusammenarbeit mit Privaten funktioniert. So weit kann man diesem Fall vielleicht noch folgen, aber das, was nun kommt, ist für uns unverständlich.
Wir haben nämlich beantragt, daß das Ergebnis dieses Versuchs dem Postminister und damit der Regierung als Material überwiesen wird, denn wir wollen, daß in Zukunft Verträge gemacht werden, die nicht zu dieser Knebelung der Post führen, die nicht der Post die Hände binden und die die Bürger nicht dazu zwingen, einen Vertrag mit Privaten zu schließen.
In welchem Maße die Regierungsparteien ideologische Scheuklappen haben, sieht man daran, daß sie der Überweisung nicht zustimmen. Sie wollen nicht, daß das als Material an die Regierung weitergegeben wird.
Nun sind wir nicht der Meinung, daß man bei der Verkabelung nicht Private einschalten kann. Aber wir sind der Meinung, daß dabei die Post die Fäden in der Hand behalten muß.
Ergebnis dieses Einzelfalles müssen folgende Forderungen für künftige Verträge sein: Erstens müssen die Verträge so gestaltet sein, daß die Verantwortung bei der Post bleibt. Zweitens muß für den Kunden die Post Ansprechpartnerin bleiben. Was passiert z. B., wenn die Firma Konkurs macht oder sich auflöst? Wie steht dann der Kunde da? Drittens müssen die Verträge so gestaltet sein, daß die Kunden überall dieselbe Gebühr zahlen müssen. Es darf nicht verschiedene Gebührensysteme geben. Wo kommen wir hin, wenn in Norddeutschland im Vergleich zu Süddeutschland oder in der Stadt im Vergleich zum Land andere Gebührensysteme für dieselbe Leistung gelten?
In diesem Sonderfall gibt es noch eine weitere pikante Ungereimtheit. Der Geschäftsführer dieser Privatfirma, der Kabelcom, ist ein Bediensteter der Post, der beurlaubt worden ist. Das ist noch eine Merkwürdigkeit am Rande.
({0})
Die Post selber räumt in ihrer Stellungnahme ein, daß im Falle des Petenten die private Firma nicht ausreichend informiert hat und daß es zu zeitlichen Verzögerungen gekommen ist. Uns genügt diese Aussage nicht. Wir meinen, der Fall muß der Regierung zur Kenntnis überwiesen werden, und dahin geht unser Antrag.
Ich danke.
({1})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Limbach.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wegen der späten Stunde werde ich meine Redezeit nicht ausnutzen. Der Kollege Baum hat ja auch gerade darum gebeten, kurz und bündig zu sprechen.
Die Petition, die hier in Rede steht, ist im Petitionsausschuß sehr sorgfältig geprüft worden, und das Minsterium hat umfangreiches Material zur Verfügung gestellt. Wir haben uns damit sehr intensiv be5650
schäftigt, haben dazu noch den Staatssekretär angehört und sind dann zu dem Ergebnis gekommen - diesem Ergebnis hat ja auch die SPD-Fraktion, die hier Einzelberatung verlangt hat, zugestimmt -, daß in dem Einzelfall dem Petenten wegen der Rechtslage und wegen der Verträge, die Rechtens zustande gekommen sind, nicht geholfen werden kann. Es herrschte insofern auch Übereinstimmung darin, daß im Einzelfall die Petition als erledigt anzusehen war.
Zu dem allgemeinen Aspekt hat die SPD den Antrag gestellt, die Sache als Material an die Bundesregierung zu überweisen. Dazu muß man sagen, daß dies kein besonders erheblicher Überweisungsvorschlag war, weil man weiß, daß „Material" im Grunde - Frau Ganseforth hat es selbst gesagt - nicht viel mehr bedeutet, als daß die Bundesregierung das zur Kenntnis nimmt. Nach dem Gespräch mit dem Parlamentarischen Staatssekretär bin ich der Auffassung, daß sie es - zwar nicht auf dem offiziellen, aber auf dem inoffiziellen Wege - auch längst zur Kenntnis genommen hat.
({0})
- Nein, Herr Peter, ich wollte nur darauf hinweisen, daß die Regierung bereits einiges zugesagt und getan hat, daß sie nämlich mit der Verkabelungsfirma korrespondiert und dieselbe aufgefordert hat, ihre Informationen zu verbessern und auch dafür zu sorgen, daß so lange Zeiträume, wie sie bei den Petenten entstanden waren, nicht mehr entstehen. Aus grundsätzlichen und ordnungspolitischen Erwägungen haben im übrigen alle im Postverwaltungsrat vertretenen Fraktionen, also auch Vertreter der SPD-Fraktion, es aus ordnungspolitischen Gründen für richtig gehalten, daß die Verkabelung auch durch Privatfirmen mit solchen Verträgen durchgeführt wird. Deshalb bleiben wir bei unserem Votum, die Petition insgesamt als erledigt anzusehen.
({1})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Nickels.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die uns vorliegende Petition ist ein weiteres Beispiel dafür, wie bürgerfeindlich und allein den Interessen des Kommerzrundfunks dienend die Politik von Bundespostminister Schwarz-Schilling ist. Es geht darum, mit allen Mitteln die Kabelanschlußzahlen zu erhöhen, damit die Kommerziellen endlich die Zuschauerinnenzahlen bekommen, die der Minister ihnen versprochen hat. Hoffte die Post Ende 1987 4,4 Millionen Haushalte der insgesamt etwa 26 Millionen am Kabel haben zu können, waren es tatsächlich am 31. Dezember 1987 nur 3,2 Millionen, und die drastische Erhöhung der Kabelgebühren um 44 %, von 9 auf 12 DM, wird die Begeisterung am Kabelanschluß nicht gerade gesteigert haben.
Um die schleppende Anschlußwilligkeit der Bürger zu beschleunigen, hat der Postminister dann erlaubt, daß private Firmen Kabelanschlüsse an die Haushalte verkaufen können. Neben dem Drücker für Zeitungsabonnements erscheint jetzt also an den Türen der
Wohnungen ein Drücker für den Kabelanschluß. An diesen Gesellschaften sind Kommerzfunker wie Bertelsmann und Leo Kirch beteiligt, das finanzielle Risiko in Braunschweig tragen aber z. B die Postkundinnen und -kunden, da die Post mit 24 % beteiligt ist, außerdem die Steuerzahler des Landes Niedersachsen, da Niedersachsen eine Bürgschaft für das Projekt trägt.
Daß in diesem Fall mit allen Tricks gearbeitet wird, ist bei etwa 200 DM Provision für die Kabelgesellschaft pro Anschluß logisch. Der „Spiegel" meldete bereits in Heft 15/87, daß in Ludwigshafen einem Blinden ein Kabelanschluß verkauft worden ist.
Im Falle des Petenten wird klar, daß es bei der Auseinandersetzung nur um die Interessen der kommerziellen Interessenten geht. In der Stellungnahme des Postministeriums vom 28. April 1987 zu dieser vorliegenden Petition wurde uns Mitgliedern des Petitionsausschusses klargemacht, daß es bei den Kooperationsmodellen um den politischen Wunsch gehe, flächendeckende Verkabelung zu erreichen. Ich zitiere aus der Stellungnahme des Ministers. Da heißt es wörtlich: „Die Kooperation bietet die Chance, daß schnell hohe Anschlußzahlen erreicht werden, um so die wirtschaftliche Grundlage für neue Programme zu geben. "
Die Wünsche und Interessen der Menschen interessieren da natürlich wenig. Im Gegenteil, für das Bebauungsgebiet wurde ein Antennenverbot ausgesprochen, um die Bewohnerinnen ans Kabel zu zwingen. Dabei hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof diese Praktik am 27. September 1985 für rechtswidrig erklärt, da das Kabel die verfassungsbewährte Informationsfreiheit einschränke. So kann man per Kabel keinen Hörfunk von Lang- und Mittelwelle empfangen, was mit einer Hausantenne natürlich möglich ist. Das ist die Logik des Ministers, der sich doch angeblich so für die Bedürfnisse seiner Mitbürger und Mitbürgerinnen interessiert.
({0})
- Ich habe noch zwei Minuten, Herr Bohl.
({1})
Die Begründung, warum der Petent nicht von der Post verkabelt werden kann, ist auch mehr als bürgerfeindlich. Der Kabelgesellschaft sei es wirtschaftlich nicht zumutbar, heißt es da, der Post Kunden und Kundinnen zu überlassen. Die Leidtragenden sind in diesem Fall wieder mal die Bürger und Bürgerinnen.
Für uns zeigt sich an diesem Fall jedenfalls wieder einmal überdeutlich, daß die Verkabelung und Kommerzialisierung des Rundfunks ein Milliardengrab ist. Bezahlt wird dieses von allen Bürgerinnen und Bürgern, aktuell gerade deutlich belegbar durch die unsoziale Erhöhung der Posttarife für die einfachen Postkundinnen und -kunden.
Wir lehnen die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ab. Allerdings muß ich zur SPD sagen: Frau Limbach hat natürlich völlig recht: Diese Petition als Material und dann mit einer Begründung zu überweisen, die für meine Begriffe dehnbar wie KauFrau Nickels
gummi ist, dient dem Petenten in diesem Fall überhaupt nicht. Wir werden uns da enthalten.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Funke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Debatte zeigt mir einmal wieder, daß selbst diejenigen, die im Petitionsausschuß sachlich arbeiten - dazu zähle ich auch Sie, Frau Nickels -, wenn sie hier im Plenum sprechen, dann doch gern in Polemik machen und grundsätzliche Angriffe gegen an und für sich vernünftige Politik, die der Bundespostminister macht, starten.
({0})
Es ist in der Tat eine grundsätzliche Frage der Verkabelung durch die Deutsche Bundespost, die die Petition berührt. Die Deutsche Bundespost hat zu Recht bereits in frühen Jahren, auch mit den Stimmen der SPD, im Postverwaltungsrat beschlossen, in kurzer Zeit eine großflächige Verkabelung vorzunehmen und dazu auch die unternehmerischen Aktivitäten und privates Kapital zu mobilisieren. Dies ist auch in großem Umfang gelungen. Wir haben nicht nur Pilotprojekte, sondern in zahlreichen Städten der Bundesrepublik Deutschland und gerade in Niedersachsen sind Gesellschaften als beliehene Unternehmer der Deutschen Bundespost tätig geworden und haben die Verkabelungsmodelle erfolgreich durchgeführt. Diese Kooperationsmodelle haben sich bewährt. Dies ist auch ordnungspolitisch
({1})
- ich komme gleich, Frau Ganseforth, zu dem konkreten Fall - sehr gewollt; denn wir wollen nicht, daß nur der Staat und die Deutsche Bundespost als Monopolunternehmen tätig werden, sondern wir wollen auch eine Zahl von kleinen und mittelständischen Unternehmen an diesen Projekten beteiligen. Das stärkt unsere Wirtschaft, das stärkt das Subsidiaritätsprinzip, das in unserer Marktwirtschaft ja hochgehalten wird. Dies hat sich im Ergebnis bewährt.
Ich komme jetzt zu dem Einzelfall. Es ist richtig, daß es bei diesen Kooperationsmodellen zu unterschiedlichen Gebühren kommen kann und sogar kommen muß. Die Deutsche Bundespost hat bei ihrer Struktur natürlich einheitliche Tarife.
Die Kooperationsmodelle in den einzelnen Städten müssen sich natürlich nach den jeweiligen Gegebenheiten, nach der Dichte der Besiedlung, nach der Dichte der Anschlußmöglichkeiten richten, sie müssen sich aber auch nach den Tarifstrukturen richten, die in den Städten jeweils gegeben sind. Das kann die Bundespost nicht, das kann aber der jeweilige Unternehmer, so daß es in einzelnen Fällen zu geringeren oder auch einmal zu höheren Gebühren kommen kann.
Frau Ganseforth, Sie haben die Akte offensichtlich sehr gründlich gelesen, aber einen Punkt haben Sie dann verschwiegen, nämlich den Punkt, daß in diesem Fall die TELECOM GmbH in Braunschweig ja auch mehr Dienstleistungen anbietet und in diesem konkreten Fall auch angeboten hat, als die Bundespost normalerweise anbietet. Dadurch hat sich die Gebühr - auch das muß ich sagen - geringfügig erhöht.
({2})
- Ich habe das gelesen. Sie wissen, daß ich die Akten immer lese.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Becker, Herr Funke? - Bitte.
Herr Kollege Funke, können wir uns, nachdem Sie eben gesagt haben, das sei auch schon bei der damaligen Regierung der Koalition aus SPD und FDP überlegt worden, denn darauf verständigen, daß das, was jetzt hier passiert, niemals eine Intention des damaligen Bundespostministers war, daß jemand so etwas also bei einer Privatfirma beantragen muß?
Ich weiß nun nicht, was im Jahre 1979 im Postverwaltungsrat im einzelnen beschlossen worden ist. Aber es ist heute sicherlich Intention der Deutschen Bundespost, daß der Unternehmer, der hier als beliehener Unternehmer tätig wird, seine Kalkulation nach den jeweiligen Gegebenheiten vor Ort vornimmt und hier nicht bundeseinheitlich vom Postministerium entschieden wird, welche Gebühren er nehmen darf.
({0})
- Aber das derzeitige Konzept sieht eben vor, daß die KABELCOM GmbH auch die Adresse ist, bei der der Bürger heute seine Anträge zu stellen hat.
({1})
Insgesamt sind wir der Überzeugung, daß hier die Deutsche Bundespost richtig gehandelt hat, nämlich als Aufsichtsbehörde gegenüber KABELCOM. Aus diesem Grunde haben wir votiert, den Antrag als erledigt zu betrachten.
Vielen Dank.
({2})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/2424. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 11/2253 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Vizepräsident Frau Renger
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Knabe, Frau Flinner, Kreuzeder und der Fraktion DIE GRÜNEN
00-Raps und Wildsterben - Drucksache 11/1336 -Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({0})
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Knabe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 00-Raps und Wildsterben! Im Winterhalbjahr 1986/87 wurde in einigen Regionen des Bundesgebietes ein Hasensterben beobachtet, das nach Meinung verschiedener Wissenschaftler im Zusammenhang mit den neu angebauten 00-Raps-Sorten steht. Gleichzeitig kam es im Winter 1986 in Österreich zu gehäuften Rehwildverlusten, die ebenfalls auf die Aufnahme von 00-Raps zurückgeführt wurden.
Diesen 00-Raps-Sorten hat man Senföle und Bitterstoffe weggezüchtet, damit der Raps industriell, z. B. zur Margarineherstellung, besser verarbeitet werden kann. Mit den Bitterstoffen fielen aber die Futterbremsen weg. Die Hasen haben sich so wohl überfressen. Der Anbau dieser bitterstofffreien Rapssorten stieg innerhalb eines Jahres, von 1986 bis 1987, von 1 auf 40%. Für das laufende Jahr schwanken die Schätzungen zwischen 70 und fast 100 %.
({0})
Zurückzuführen ist diese explosive Anbauflächenausdehnung auf einen Beschluß der EG-Kommission, ab 1991/1992 nur noch 00-Raps-Sorten finanziell zu fördern.
Nach Ansicht des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ist der Zusammenhang von 00-Raps-Anbau und Wildsterben jedoch nicht eindeutig geklärt, so daß kein Handlungsbedarf gesehen wird. Gleichzeitig gibt man aber zu, daß ein Wiederausstieg aus dieser Industriepflanzensorte dann notwendig wäre, wenn sich die Gefährlichkeit als real erweisen sollte. Es ist jedoch widersinnig, auf der einen Seite die Totalumstellung auf 00-Raps zu forcieren und auf der anderen Seite einen eventuellen Wiederausstieg aus dieser Sorte nicht auszuschließen.
In der Antwort auf die Kleine Anfrage der GRÜNEN - Drucksache 11/864 - heißt es:
Theoretisch wäre ein Wiederausstieg dann möglich, wenn eine diesbezügliche politische Entscheidung EG-weit gefällt würde und die technischen Voraussetzungen erfüllt werden ({1}).
Genau letzteres jedoch, also das Vorhandensein von genügend 0-Raps-Saatgut, erscheint aber bei der jetzigen Praxis nahezu ausgeschlossen. Wenn man heute an der ausschließlichen Förderung von 00-Raps-Sorten festhält, dann wird eine Entwicklung vollzogen, die kaum noch umkehrbar ist.
Um es einfacher zu sagen: Sollte ein Zusammenhang zwischen Wildsterben und 00-Raps-Anbau bestehen, dann wäre es unverantwortlich, den Anbau dieser Sorten auf der gesamten Fläche zu forcieren. Bestünde dagegen kein Zusammenhang zwischen beiden, dann brauchte man zwar keine zwangsläufigen Einschränkungen vorzunehmen; aber die Maßnahmen wären eine verantwortliche Vorsorge bis zur abschließenden Klärung. Gänzlich unredlich aber ist es, blindlings auf die erste Möglichkeit zu setzen und sich den Rückweg abzuschneiden, wie es jetzt geschieht. Die Ungefährlichkeit einer züchterisch umgestalteten Pflanze muß vor ihrer Entlassung in den Naturhaushalt gewährleistet werden, nicht danach.
({2})
Die Umkehrbarkeit von Fehlentscheidungen muß für uns zum handlungsleitenden Prinzip werden.
Im übrigen kann man da eine schwache Ahnung bekommen, was passieren könnte, wenn wir durch Gentechnologie stärker veränderte Pflanzensorten draußen in die Landschaft einführten. Wenn selbst mit herkömmlichen Saatzuchtmethoden nur geringfügig veränderten Pflanzen Tausende von Hasen das Leben kosten, dann sollte klar sein, daß gentechnisch manipulierte Pflanzen in der Natur nichts zu suchen haben. Die Folgen wären unabsehbar.
({3})
Vielleicht ist das ein Menetekel, letzte Warnung vor dem gentechnologischen Angriff auf die Natur.
Wir fordern deshalb mit unserem Antrag die Bundesregierung auf, bei der EG-Kommission vorstellig zu werden, daß für 0-Raps-Sorten zunächst bis 1995 die gleichen Beihilfen gewährt werden wie für 00Raps-Sorten. Damit würde der ökonomische Druck von den Landwirten genommen, ihre Anbauten total auf 00-Raps-Sorten auszurichten. Nur eine Übereinstimmung des EG-Interventionspreises für beide Rapssorten würde einen Ausstieg aus dem 00-Raps erlauben, wenn sich seine Gefährlichkeit bestätigen sollte.
Damit Schluß. Ich hoffe, Herr Carstensen kann diesen Antrag wohlwollend unterstützen.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Carstensen ({0}).
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! An sich wollte ich auf Plattdeutsch anfangen, weil inzwischen hier im Raume viel mehr aus Nordfriesland und Dithmarschen sitzen, die normalerweise plattdeutsch sprechen, als solche, die hochdeutsch sprechen.
({0})
Carstensen ({1})
Aber ich will es doch im Sinne der Kollegen auf Hochdeutsch machen.
Herr Kollege Dr. Knabe hat das Problem geschildert, über das wir hier sprechen. Die Ergebnisse der Wissenschaftler reichen in dieser Beziehung von dem ursächlichen Zusammenhang zwischen 00-Raps und Wildsterben bis hin zu einer Leugnung dieses Zusammenhangs. Die Bundesregierung hat deshalb zu Recht in ihrem Bericht vom September 1987 festgestellt, daß eine ursächliche Mitbeteiligung dieser Rapssorten derzeit weder angenommen noch ausgeschlossen werden kann.
Auch wenn es sicher öffentlichkeitswirksamer wäre, hier und heute wohlklingende Forderungen an Regierung und Verwaltung zu stellen, halte ich es für verantwortungsvoller, alle Anstrengungen zur weiteren wissenschaftlichen Aufklärung dieses Phänomens zu intensivieren.
({2})
- Wer politisch handeln will, sollte dies nicht im luftleeren Raum, sondern auf der Grundlage gesicherter Erkenntnisse tun, Herr Dr. Knabe.
Wer sich die Zahlen noch einmal genauer ansieht, muß feststellen, daß nach dem großen Sterben 1986/87 im Winterhalbjahr 1987/88 Gott sei Dank Flaute war. Also trotz gleicher, zum Teil - Sie haben es ausgeführt - sogar vergrößerter Rapsanbaufläche
- in Schleswig-Holstein blühten in den letzen Wochen knapp 100 000 ha Raps mit den Doppelnullsorten - war im letzen Winter kein Wildsterben zu verzeichnen. Es besteht also kein Grund, panikartig den Rapsanbau zu unterbinden.
({3})
Der Antrag der GRÜNEN ist, wie ich es bei dem Kollegen Dr. Knabe schätze, für GRÜNE ungewohnt moderat formuliert. Aber die Erfüllung dieses Antrags würde faktisch den Anbau von 00-Raps, den ich für notwendig halte, blockieren.
Raps - Sie wissen es - ist ein Fremdbefruchter. Deshalb werden die Flächen, die heute mit einfachem 0-Raps oder sogar mit erucasäurehaltigem Raps bebaut werden, auf Jahre hinaus nicht in der Lage sein, Raps mit den Grenzwerten zu produzieren, die nicht nur von der EG, sondern auch von den Verbrauchern gefordert werden. Heute ist es noch nicht möglich, die geforderten Grenzwerte bei einem Glucosinolatgehalt von 20 Mikromol einzuhalten. Die Grenzwerte von 35 Mikromol für den Zuschlag werden sicherlich auch nicht eingehalten werden. Ich schätze, daß das auch nicht 1991 möglich wird. Würden wir dem Antrag der GRÜNEN folgen, lieber Herr Dr. Knabe,
({4})
würden wir die Bundesrepublik insbesondere im Rapsanbau völlig aus dem Geschäft bringen.
Die CDU/CSU-Fraktion will im Gegensatz zu den nicht zu erfüllenden, vielleicht auch überstürzten Forderungen der GRÜNEN dem Phänomen in einem Dreipunkteprogramm zu Leibe rücken: Vorrangig ist eine weitere wissenschaftliche Erforschung bei Auftreten von Wildsterben.
({5})
- Ich habe es doch gerade gesagt, Frau Nickels. Nun hören Sie doch, auch wenn es halb zehn ist, noch einen Augenblick zu: Wir haben im letzten Jahr dieses Wildsterben nicht gehabt.
Ohne gesicherte Erkenntnisse, wo und wie eingegriffen werden kann, wären alle weiteren Schritte verantwortungslos. Wenn nötig, müssen durch Sofortmaßnahmen der Revierinhaber Fütterungsalternativen zum Raps bereitgestellt werden. Dabei dürfen Vorschriften, die Bundes- und Landesjagdgesetze zum Zeitpunkt von Wildfütterungen machen, dem nicht entgegenstehen.
({6})
Der Trend zur einseitigen Landwirtschaft, die dem Wild die Nahrungsvielfalt nimmt, muß gestoppt werden. Eine artenreich strukturierte Landschaft ist die beste Medizin gegen das Wildsterben.
({7})
In diesem Zusammenhang sind auch die von der Bundesregierung initiierten Flächenstillegungs- und Ackerrandstreifenprogramme ein Schritt in die richtige Richtung. Hier ist eine intensive Zusammenarbeit der Jäger mit den Landwirten anzumahnen.
Die Bundesregierung hat durch die von ihr angestoßene Untersuchung dazu beigetragen, die Verwirrung um das Thema Wildsterben aufzulösen und Licht in das Dunkel zu bringen. Vor dem Hintergrund des grünen Antrags, der sich um berechtigte Nöte und Anpassungsprobleme in der Landwirtschaft keinen Deut schert, fällt mir zum Schluß nur ein Goethe-Wort aus dem „Faust" ein:
O Glück, wer da noch hoffen kann,
aus diesem Dunkel aufzutauchen.
Denn was man braucht, das weiß man kaum, und was man weiß, kann man nicht brauchen.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pfuhl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, niemand in diesem Hause ist der Meinung, daß wir wegen des Anbaus einer bestimmten Rapssorte auf die Tierarten des Hasens oder des Rehs verzichten sollten. Niemand ist der Meinung, daß wir um des Profites aus dem Rapsanbau willen unsere Wildarten dezimieren sollten.
({0}) Darüber denken wir alle gleich.
Wenn ich aber den Antrag der GRÜNEN heute lese, muß ich sagen: Die GRÜNEN kommen mir vor wie
eine Marktfrau, die mittags um 3 noch anbietet, nachdem um 1 Uhr der Markt verlaufen ist.
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Denn 90 % des Rapses, der heutzutage in der Bundesrepublik angebaut ist, ist schon 00-Raps.
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- Genau. Wären Sie doch früher aufgewacht.
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- Verehrtester Herr Kollege, ich habe im Juni letzten Jahres einen öffentlichen Brief an den Minister in dieser gleichen Sache geschrieben. Da haben Sie geschlafen.
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Ich habe eine Antwort bekommen. Wir haben darüber diskutiert, auch im Agrarausschuß. Aber daß sie da immer schlecht vertreten sind, dafür kann ich doch nichts. Das ist doch Ihre Sache, nicht meine.
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Das heißt also praktisch: Ihr Antrag will nichts anderes, als das in Griff zu bekommen, was mit 90 % 00-Raps-Anbau in der Bundesrepublik schon gelaufen ist.
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Herr Abgeordneter, wünschen Sie eine Zwischenfrage zuzulassen?
Aber natürlich. Ich habe bei Ihnen so viele Zwischenrufe gemacht, da dürfen Sie auch mich einmal fragen.
Herr Kollege, können Sie sich darüber freuen, wenn wir GRÜNEN mit mehrmonatiger Verspätung auch auf den Trichter kommen, daß Ihr Vorstoß von damals der richtige war?
Verehrter Herr Kollege, ich bin immer froh, wenn aus einem Saulus später ein Paulus wird.
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Meine Damen und Herren, die Problematik liegt also darin begründet - der Kollege von den GRÜNEN hat das vorgetragen - , daß, wenn die wissenschaftlichen Ermittlungen, die von mehreren Instituten jetzt erarbeitet werden - ich erinnere an die österreichische Forschung, ich erinnere an die Wildbiologie in Gießen, ich erinnere auch daran, was in Göttingen geschieht - , zu dem Ergebnis kämen, daß der 00-Raps eindeutig eine Gefahr für den Wildbestand bedeuten würde, wir - und nicht nur wir in Deutschland, sondern auch in der EG - dafür plädieren müßten, den 00-Raps abzuschaffen. Nun haben Sie die Sorge, wir hätten dann nicht mehr die Möglichkeit umzuschalten.
Im empfehle Ihnen einmal, den Leitartikel der Getreide-Zeitung vom 7. Juni zu lesen. Dem können Sie entnehmen, daß z. B. in Frankreich im Gegensatz zur Bundesrepublik die Masse des Rapsanbaus noch aus altem 0-Raps besteht. Man hat ihn teilweise etwas verändert, aber er stellt noch die alte Form des Rapses dar. Das heißt, die Gefahr, Herr Kollege, daß wir von dem neuen Raps auf die alte Form, der gegenüber das Wild unempfindlicher war, nicht mehr umschalten könnten, ist nicht gegeben. Deswegen, glaube ich, ist Ihr Antrag in dieser Form ins Leere gelaufen.
Worüber wir uns in diesem Zusammenhang Gedanken machen müßten, wäre die wirtschaftliche Problematik, die im Zusammenhang damit besteht, daß die Landwirte in der Bundesrepublik 00-Raps schon zu 90 % anbauen, während die Franzosen das nicht getan haben. Denn sie haben mit einer Erhöhung der Anbaufläche um etwa 15 % bis 20 % die Möglichkeit, den Ausgleich im wirtschaftlichen Sinne herbeizuführen, den unsere Bauern durch eine Erhöhung der Qualitätsbeihilfen erhalten haben. Das wird ein Thema sein, über das sich der Agrarausschuß in der nächsten Zeit unterhalten muß.
Wir sind der Meinung, daß man hier nicht mit Wenn und Aber argumentieren kann. Herr Kollege, Sie haben so oft gesagt: Wenn das so ist, dann wird das so sein. Ich kenne einen alten Spruch von mir zu Hause: Wenn der Hund nicht - -, dann hätte er den Hasen bekommen. - Das heißt: Mit Wenn und Aber kann ich hier nicht argumentieren. Nur wissenschaftliche Grundsätze sind in der Lage, ein Fundament zu schaffen, auf dessen Grundlage wir ordentlich argumentieren können.
Herzlichen Dank.
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Jetzt hat der Herr Abgeordnete Bredehorn das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Noch ist das Wildsterben, bei dem man einen Zusammenhang mit dem Anbau von 00-Raps vermutet, nicht eindeutig geklärt. Sicher ist nach heutigem Erkenntnisstand, daß es sich bei dem vermehrten Wildsterben Ende 1986, das vornehmlich regional in Hessen zu beobachten war, um ein multikausales Geschehen handelte. Neben besonders harten Witterungsbedingungen im Winter 1986/87 hat es eine Rolle gespielt, daß die Rapsflächen in der äsungsflächenarmen Zeit oft die einzig verfügbare Nahrung für das Wild bereithalten, eine Nahrung, die durch das Herauszüchten der Bitterstoffe natürlich schmackhafter geworden ist.
In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, daß - historisch belegt - in unregelmäßigen Abständen immer wieder Wildsterben in der äsungsflächenarmen Zeit, wenn nur Raps zur Verfügung stand, stattgefunden hat. In der Vergangenheit handelte es sich allerdings noch um erucasäure- und senfölhaltigen Raps. Insofern wehre ich mich dagegen, im 00-Raps eine „Killerpflanze" für das Wild zu sehen.
Bei Äsungsvielfalt und ausreichenden Ablenkungsflächen tritt das Problem sowieso nicht in Erscheinung. Hier wird sich meines Erachtens das zum 1. Juli
1988 in Kraft tretende Grünbracheprogramm sicher positiv auswirken können. Wie wir am Mittwoch in Niedersachsen vor Ort sehen konnten - leider waren Sie ja wohl nicht dabei -, wird das Wild durch den vielfältigen Aufwuchs bei der Selbstbegrünung, aber auch durch die Einsaat von Klee, Gras, Lupinen, Ölrettich, Senf, Wicken, Seradella usw. angelockt und findet auf solchen Flächen gutschmeckende und ausreichende Nahrung.
Der Antrag der GRÜNEN beschäftigt sich hauptsächlich mit der agrarpolitischen Frage, ob die EGMarktordnung für Ölsaaten ökologisch sinnvolle Vorgaben beinhaltet. Ohne an dem EG-Marktordnungssystem für landwirtschaftliche Probleme grundsätzlich zu rütteln, stellt sich gerade im Rückblick auf die Ereignisse beim Raps die kritische Frage, auf welcher sachlogischen Grundlage das Preisstützungssystem für Raps und andere Ölsaaten überhaupt steht.
Beispiel: Noch vor wenigen Jahren haben die Preisprämien für Raps als Mangelprodukt zu einem wahren Rapsanbauboom geführt. Die Rapsflächen sind um über 40'% ausgeweitet worden. Kürzlich aber leiteten die Verantwortlichen in Brüssel durch eine drastische Preissenkung eine radikale Kehrtwende ein. Die Landwirte sind bei diesem politischen Willkürspiel dann die Leidtragenden. Für die Landwirte ist es wichtig, daß von der EG genau definiert wird, was eine marktkonforme Rapsproduktion ist, damit sie sich länger als eine Anbauperiode darauf einstellen können.
Bei dem Antrag der GRÜNEN vermisse ich bei aller Sympathie für Ihre Problematisierung des Spannungsfeldes Landbewirtschaftung/Wild - Biotop einmal wieder den Wirtschaftlichkeitsaspekt. Die Umstellung auf 00-Rapssorten, die bei uns weitgehend erfolgt ist, hat u. a. zum Ziel, den Anteil des europäischen Rapsschrots in Mischfuttern zu erhöhen. Dieser lag 1986 erst bei 3,5 Millionen t - wenn auch mit steigender Tendenz -, während wir gleichzeitig 16,9 Millionen t Sojaschrot einsetzten.
Wenn sowohl 00-Sorten als auch 0-Sorten gleichrangig zu Ernährungszwecken gefördert würden, ergäbe sich im Anbau die Schwierigkeit der räumlichen Trennung, die gerade beim Raps so wichtig ist, weil Vermischungen die Sortenqualitäten in Frage stellen.
Die GRÜNEN müssen zur Kenntnis nehmen, daß derzeit eine Renaissance alter erucasäurehaltiger Rapssorten - wenn auch vorläufig begrenzt auf den Pilotanbau - im Zusammenhang mit der Rohstoffversorgung für die chemische Industrie - z. B. als Schmiermittel oder als natürliche Schaumbremse in der Waschmittelproduktion - erfolgt.
Die Gefahr ist vorhanden, daß durch agrarpolitische Festlegungen von Marschrichtungen, z. B. durch die Marktorganisation für Ölsaaten, die Pflanzenzüchtung bzw. der Kulturpflanzenanbau in eine einseitige Richtung gelenkt werden, in eine Richtung, die kurzfristig ökonomisch sinnvoll sein kann, aber mittelfristig möglicherweise ökologische Nachteile mit sich bringt.
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Forschungsgelder sind meines Erachtens deshalb besonders im Bereich Landbewirtschaftung und Wildpopulationen sinnvoll angelegt.
Wir müssen diesen Zusammenhang im Auge behalten und dies sowohl im Ernährungs- als auch im Umweltausschuß beraten und entscheiden. Für die anstehenden Beratungen hoffe ich, daß das BML möglichst rasch das vorgesehene Symposium veranstaltet, indem es die Ergebnisse der verschiedenen Forschungsvorhaben, die diesbezüglich an die Universitäten Göttingen und Gießen vergeben wurden, analysieren und vorstellen wird.
Schönen Dank.
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Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN federführend an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, mitberatend an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu überweisen. - Das Haus ist damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 10. Juni 1988, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.