Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/20/1988

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Zusatzpunkt 7 der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde Die jüngsten Äußerungen des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Rupert Scholz, zum Verteidigungsetat und zu der Entwicklung in der Sowjetunion Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der eine geht, aber unmittelbar vorher unterzeichnet er noch den Vertrag zur Produktion des Jägers 90 und beschert damit künftigen Haushalten Risiken in der Größenordnung von 50 Milliarden DM. Der andere kommt, aber noch unvereidigt fordert er vom bankrotten Finanzminister schon eine kräftige Heraufsetzung der Militärausgaben. ({0}) Eine perfekte, aber zu durchsichtige Arbeitsteilung: Der eine stiehlt sich davon mit der politischen Verantwortung, der andere kommt mit unschuldiger Miene und zeigt seine leeren Taschen, und der Bundeskanzler steuert unbeirrt ins vorprogrammierte finanzpolitische Chaos. ({1}) Insofern ist es schon wichtig, diese Berufung hier zu diskutieren, die so deutlich die Zäsur vor der Endphase der Regierung Kohl markiert. ({2}) Wer ist der neue Militärminister? Was bedeutet seine Berufung? Er ist ein nationaler Mann, besser: Er ist ein Nationalist. ({3}) Der zuständigen Ministerin Wilms verweist er ihr zweifellos richtiges Wort vom „deutschen Nationalstaat", der nicht „um seiner selbst willen" Ziel unserer Politik sein könne; alle Optionen seien offen, also auch der Nationalstaat. Und die westeuropäischen Verbindlichkeiten, in die wir inzwischen eingetreten sind? Minister Scholz: Notfalls muß es auch ohne Europa gehen. Und die osteuropäischen Nachbarn? Die Einheit darf nicht abhängen von dem, was andere Nachbarvölker denken. Nun kann man ja an die Wiedervereinigung glauben, aber man kann - so wie die meisten ihrer An-hanger es tun - sie als vorläufig nicht aktuell ansehen. Aber Herr Scholz ist ein virulenter Wiedervereiniger. Zitat: „Langfristige Entspannung ist nicht erreichbar, solange die Teilung andauert. " Da sie aber ganz deutlich noch andauert und noch andauern wird, heißt das ja wohl im Umkehrschluß: Zurück zur Politik der Konfrontation, zurück zur Politik der Stärke, Herr Minister. Vielfach entpuppt sich das Weltbild unseres neuen Ministers als das der frühen Adenauer-Zeit, ({4}) so z. B., wenn er jene unselige Kontroverse um das unsägliche Motto des Schlesier-Treffens 1985 wiederaufgreift, die doch der Kollege Rühe dankenswerterweise mit dem Hinweis auf die politische Bindungswirkung des Vertrages vom Tisch gebracht hatte. Zitat Scholz: Der Warschauer Vertrag habe seine politische Bindewirkung unter den Gegebenheiten, unter denen er geschlossen sei. Das Deutsche Reich bestehe als „nicht handlungsfähiges Völkerrechtssubjekt" fort. - Oh, diese schrecklichen Juristen! Oder anders gefragt: Herr Minister, merken Sie vor lauter juristischer Fachterminologie gar nicht, wie Sie hier vom Nationalisten zum Revanchisten werden? ({5}) Herr Rühe - er ist leider nicht hier - , wo blieb Ihr Einfluß auf den Kanzler, um eine solche Berufung zu verhindern? Das Weltbild der frühen Adenauer-Zeit findet sich natürlich insbesondere in dem massiven Mißtrauen gegen die Sowjetunion. Perestroika sei möglicherweise nur eine Atempause im Wettrüsten, Dr. Lippelt ({6}) um zwischenzeitlich die Industrie zu modernisieren. Abrüstung? Nicht doch. Es geht um den Abbau des nuklearen Potentials, um „Kriege wieder führbar" zu machen; so immer wieder in den jüngsten Äußerungen. Überhaupt: Jedes Nachdenken über Veränderungen in der Sowjetunion - in den Augen unseres neuen Militärministers ist es nur „euphorischer Gorbatschowismus". ({7}) - Ja; es ist schwer auszusprechen; aber so schreibt er's. Wie ist der Bundeskanzler nur zu diesem Mann gekommen? Aber auch das erfahren wir ja nun dankenswerterweise von ihm selbst. Er hat es nämlich „Bild am Sonntag" mitgeteilt. Immer - so berichtet er dort - wenn der Bundeskanzler in Berlin war, rief er ihn an. Dann gingen sie über den Ku'damm spazieren. „Und" - Zitat - „wenn wir dann zusammen sind, abends noch ein Bier trinken, reden wir natürlich über alles mögliche." Also: Verwandte Seelen, das ist es. Und so plaudert es sich denn wohl auch am Biertisch behaglich über die Vorgänge in der Sowjetunion. ({8}) - Ja, es ist gelegentlich nötig, Frau Kollegin! - In der Version Scholz': „Das europäische Haus", was ist es?: „Eine verführerische, publizistisch äußerst geschickte Vokabel", „ein Bild, hinter dem wahrscheinlich ein antiamerikanisches Kalkül steht" . Wir haben glücklicherweise ähnliche Bemerkungen des Bundeskanzlers vor eineinhalb Jahren inzwischen vergessen. Aber wir wünschen dem Bundeskanzler alles Gute für seine Moskau-Reise, auf die er so lange hingearbeitet hat. Allerdings, die Stolpersteine wälzt er sich selber in den Weg. Oder tun es andere? Sie sehen - Herr Präsident, ich komme zum Ende -, die Linie ist deutlich. Sie führt über die CSU-Arbeitsgruppentagung. Sie ist völlig deutlich. ({9}) Deshalb will ich hier eines ganz klar sagen. Würde sich diese Linie durchsetzen, . . .

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, ich habe Sie gemahnt. Sie kommen offenbar nicht so schnell zum Schluß. Ich bitte, zum Ende zu kommen. ({0})

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich darf den Satz noch zu Ende bringen:... so wäre allerdings die immer noch mögliche Chance, die Abrüstungsbereitschaft der Sowjetunion zu einem europäischen Friedensprozeß zu vertiefen, . . .

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, Sie sind weit über Ihre Zeit. Bitte enden Sie!

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

... ernsthaft gefährdet. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich bitte alle Redner, darauf zu achten, daß es für den Präsidenten verbindlich ist, nach fünf Minuten mit der Redegenehmigung Schluß zu machen. Ich bitte, sich daran zu erinnern. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wimmer.

Willy Wimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute haben wir es wieder mit einer von den GRÜNEN beantragten Aktuellen Stunde zu tun, die die Bezeichnung „aktuell" nicht verdient. ({0}) Den Antragstellern geht es nicht um die Ad-hoc-Beratung eines akuten und deshalb viele Menschen bewegenden Sachverhalt durch das Parlament. Nicht einmal die wichtige sachpolitische Auseinandersetzung steht im Vordergrund. ({1}) Nein, diese Art von Aktion ist gegen den Mann gerichtet, gegen den neuen Verteidigungsminister, der sein Amt gerade zwei Tage innehat. Ich erinnere dazu an den ursprünglichen Antrag der GRÜNEN, diese Aktuelle Stunde unmittelbar nach der Vereidigung von Bundesminister Scholz stattfinden zu lassen. ({2}) Spätestens damit wurde die Absicht klar: Keine faire Chance für den neuen Mann, der jetzt sein Regierungsamt übernommen hat. ({3}) Es wird zum Einschießen auf die Person des Neuen geblasen, gleichsam als Ersatz für die mangelnde Fähigkeit zu solider Sachauseinandersetzung. Das, Herr Lippelt, ist grüne Politik, die für sich selber spricht. Die Wähler werden sich darauf ihren Reim zu machen wissen. Als designierter Bundesminister der Verteidigung hat Rupert Scholz damit begonnen, sich öffentlich an der sicherheits- und verteidigungspolitischen Diskussion zu beteiligen. Seine Gedanken liegen dabei in der Kontinuität unserer sicherheits- und verteidigungspolitischen Überlegungen. Sie werden uns aus guten Gründen weiterhin beschäftigen, und dies eben nicht in Aktuellen Stunden, sondern im Bohren dicker Bretter. Daß hier allerdings, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, Ihre Stärken nicht liegen, ist kein Geheimnis. Ihre Präsenz, etwa im Verteidigungsausschuß, wo die Arbeit geleistet wird, spricht dafür Bände. Der Verteidigungsminister ist beispielsweise mit folgenden Aussagen hervorgetreten, die den GRÜWimmer ({4}) NEN offensichtlich genug Grund geben, sich einer zweifelhaften Erregung hinzugeben: ({5}) „Entspannungspolitik ist fortzuführen. " - „Waffen allein führen nicht zum Krieg." - „Keine Fehleinschätzung der sowjetischen Absichten bei den gegenwärtigen Abrüstungsverhandlungen!" ({6}) „Die sowjetische Militärdoktrin kennt nach wie vor das Ziel, Kriege wieder führbar zu machen. " - „Pluralismus ist mit dem Ideologieprimat des Marxismus-Leninismus nicht vereinbar." - „Über die Konsequenzen der Politik Gorbatschows für die Außen- und Sicherheitspolitik der Sowjetunion ist noch nicht entschieden." - „Die Bundesrepublik Deutschland ist fest verankert im Bündnis, das über eine sicherheitspolitische Allianz hinaus eine Wertegemeinschaft auf der Basis der Demokratie und der Freiheit darstellt." Oder: „Dieses Land muß die notwendigen finanziellen Lasten aufbringen, wenn es verteidigungspolitisch glaubhaft bleiben will." Was ist an diesen Aussagen falsch, die die jüngsten Äußerungen des Verteidigungsministers wie ein roter Faden durchziehen? Ich meine, nichts; nichts jedenfalls für den, der sich für die Sicherheit unseres Landes und unserer Mitbürger in verantwortlicher Weise einsetzt. Daß dies nicht nach dem Geschmack der GRÜNEN ist, wissen wir nicht erst seit dem Zeitpunkt, in dem Ihnen die Legitimation für Ihre Kassandrarufe endgültig verlorengegangen ist. Um es mit einem alten Wort erneut zu sagen: Sie sind gewogen und für zu leicht befunden worden. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Koschnick.

Hans Koschnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001185, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Warum regen wir uns so auf? ({0}) Die GRÜNEN haben wegen Erklärungen zu Recht eine Frage gestellt, wegen Erklärungen, die auch ich nicht begreife, die ich aber dem Verteidigungsminister nicht vorwerfe; denn er war noch gar nicht vereidigt. Er hat diese Dinge noch als neutraler Neuling gesagt. Und ich bitte ihn jetzt ganz herzlich, sich in den nächsten 100 Tagen, für die ich - auf jeden Fall für mich - Hilfe und Unterstützung zusage, nicht mehr mit Genscher anzulegen, nicht über Außenpolitik, nicht über Deutschlandpolitik zu sprechen, sondern die Bundeswehr anzuschauen und die Probleme der Bundeswehr aufzuarbeiten. Daß Sie nichts davon verstehen, werfe ich Ihnen nicht vor - ich verstehe auch nicht allzuviel davon - , aber arbeiten wollen wir beide gemeinsam. ({1}) Und ich sage Ihnen: Die Bundeswehr braucht Ihren Einsatz. Wir sagen Ihnen eine Gratulation - ({2}) - Wir gratulieren sogar - - Ja, wir können gar nicht genug Verteidigungsminister haben, die sich einarbeiten. ({3}) Zweite Bemerkung: Ich glaube, es ist ein sehr mühseliges Unterfangen, sich mit Genscher anzulegen. Das haben viele versucht und sind reingefallen. Wenn Sie Ihre Kräfte ganz für den Verteidigungsauftrag nutzen, kommen wir ein Stück weiter. Und deswegen sage ich Ihnen: Bundesminister Klein fällt rein, Sie fallen rein, wenn Sie so weitermachen. Aber Sie können in der Bundeswehr vieles erreichen; ich verspreche Ihnen Hilfe. Da hat Ihr Vorgänger gerade noch den Jäger 90 beschließen lassen und damit eine subtile Abrüstungsentscheidung getroffen. Denn er hat der Hauptstütze der Verteidigung, dem Heer, das Geld entzogen, um hier das Geld hinsichtlich des Verteidigungsauftrags zu konzentrieren. ({4}) - Psch. Das dritte ist: Sie haben eine Zusage vom Kanzler - vielleicht vom Kabinett - auf mehr Geld. „Glück auf " sage ich Ihnen da nur. Beim letztenmal waren Ihre Kollegen im Verteidigungsausschuß baß erstaunt, wie die eigene Fraktion 500 Millionen DM weggesäbelt hat. Aber Wimmer kämpft jetzt gemeinsam mit Ihnen. Sie werden hoffentlich viel Erfolg haben. ({5}) Um so mehr als Stoltenberg Sie stützen muß; denn er hat ja seinen schleswig-holsteinischen Staatssekretär für Ihr Haus behalten. Das ist zwar für die Hardthöhe schwierig, aber für die Bewilligung von Geld kann das nützlich sein, einen Staatssekretär zu haben, der von Stoltenbergs Gnade lebt. Mit einem Satz: Hier arbeiten wir gemeinsam. Und zu den Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion, mit denen wir im Verteidigungsausschuß sind, sage ich: Freunde, helft ihm auch! ({6}) Seid ein bißchen nett. Wir brauchen das im Interesse unseres gemeinsamen Auftrags. ({7}) - Das will ich auch. Es wäre, Herr Kollege Biehle, sicher übertrieben, wenn ich sage, er - der Herr Verteidigungsminister - täte mir leid. Aber meine guten Wünsche begleiten ihn durch dieses Tal der Tränen, in das er jetzt hineinmarschiert. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ronneburger.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die ungewöhnlich unpräzise Formulierung des Themas der heutigen Aktuellen Stunde hat dem neuen Bundesverteidigungsminister dazu verholfen, daß all diejenigen, die heute in dieser Aktuellen Stunde zu sprechen gezwungen sind und damit ihre Zeit für ein Thema verwenden, für das es vielleicht bessere Gelegenheiten gegeben hätte, ({0}) nun ganz sorgfältig nachgelesen haben, was er denn wo auch immer gesagt hat. Sie haben dem neuen Verteidigungsminister jedenfalls einen Aufmerksamkeitswert - auch in unseren Reihen - verschafft, ({1}) den er sonst so leicht vielleicht gar nicht bekommen hätte. ({2}) Der Deutsche Bundestag aber, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, sollte sich meiner Meinung nach mit seiner großen Mehrheit dagegen verwahren, daß Äußerungen eines designierten Verteidigungsministers dann zum Gegenstand einer Aktuellen Stunde gemacht werden, wenn sich die „Prawda" darüber aufregt. Wenn es in der „Prawda" hieß, er beurteile die sowjetische Politik nach alten Denkmustern, dann ist ja wohl die Feststellung erlaubt, daß derzeit in der Sowjetunion offenbar ein heftiger Feldzug notwendig ist, um die alten Denkmuster innerhalb der Sowjetunion selbst zu verändern. Ob das bis zu dem Allunionstag im Juni 1988 tatsächlich gelingt, bleibt mit Spannung abzuwarten. Wer von uns weiß denn, wie groß die Hausmacht Gorbatschows tatsächlich ist, auf die er sich stützen könnte? Das, was sich zur Zeit vollzieht, meine Damen und Herren von den GRÜNEN - das ist das Eigentliche, was man heute ernsthaft sagen muß -, ist die Suche nach möglicher Übereinstimmung der Interessen auf beiden Seiten der Grenze, Übereinstimmung der Interessen der Staaten, aber auch der Menschen, die in diesen Staaten leben; Suche nach der positiven Antwort auf die Frage, wie es nicht nur zum Anhalten der Rüstungsspirale, sondern auch zum Abbau von Waffen kommen kann. Der erste Schritt auf diesem Weg hat sich mit dem INF-Vertrag vollzogen. Aber ich sage Ihnen auch sehr deutlich: Haben nicht gerade Sie, die widerlegten Propheten, die Unglückspropheten von damals, noch die Äußerungen im Ohr, die etwa lauteten, nach dem Doppelbeschluß der NATO sei es keine Frage mehr, ob ein Krieg ausbreche, sondern nur noch die Frage, wann ein Krieg ausbreche? Wer in allen seinen Prophetien so widerlegt worden ist, sollte allerdings sehr vorsichtig sein, wenn er dem neuen Bundesverteidigungsminister mit Aktuellen Stunden glaubt nachweisen zu können, er sei sozusagen ein kalter Krieger. Wir wünschen dem neuen Bundesverteidigungsminister Erfolg. Für uns hat die Erhaltung des Friedens mit immer weniger Waffen größeres Gewicht als jeder Gedanke an die Fortsetzung der gegenseitigen Bedrohung durch ständige Bereitschaft auf höchstem Niveau, die ja auch uns dringend benötigte Mittel für drängende Aufgaben entzieht. ({3}) - Ich erinnere Sie wirklich noch einmal an INF, wenn Sie jetzt vom Jäger 90 sprechen. ({4}) Wie sieht es denn tatsächlich aus? Wir haben verbale Ankündigungen der Sowjetunion, auch Gorbatschows, bezüglich der Bereitschaft zum Abbau von Waffen. ({5}) Aber wir haben noch nicht den faktischen Beweis dafür, daß die Anstrengungen, konventionelle Rüstung zu vermindern, in der Sowjetunion etwa bereits zum Erfolg geführt hätten. Abgesehen von vertraglichen Regelungen über die landgestützten atomaren Mittelstreckenflugkörper gibt es bisher nur verbale Angebote der Sowjetunion zur Abrüstung. Die Realität sieht bisher leider - ich sage: leider - anders aus. Die Potentiale, die uns bedrohen, werden verstärkt und modernisiert. Deswegen sage ich Ihnen: Wir werden uns auch mit dem neuen Verteidigungsminister ernsthaft darüber unterhalten, welche Wege wir zur Abrüstung, zur wirklichen Verminderung von Rüstung gemeinsam finden können. Herr Minister, Sie werden unsere Untersützung haben, wenn wir auf dem bisherigen Weg mit der Hoffnung auf Erfolg gemeinsam weitergehen können: zur Verringerung von Waffen, zur Sicherung des Friedens mit weniger Rüstungsaufwand. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Beer.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die NATO hat die nächste Runde nuklearer Aufrüstung bereits eingeleitet. Die Nukleare Planungsgruppe hat sich vor zwei Wochen in Brüssel folgendermaßen verständigt: Statt der Pershing und Cruise Missile, die nun hoffentlich auf Grund des INF-Vertrages abgezogen werden, bekommen wir mindestens drei andere Arten von Atomwaffen: ({0}) Erstens den Abstandsflugkörper. Das ist eine Rakete wie die Pershing, nur mit dem Unterschied ({1}) - Sie werden das Thema schon noch mitbekommen - , daß sie nicht vom Boden aus, sondern vom Flugzeug abgeschossen wird. Zweitens die nukleare Artillerie. Die etwa 1 000 atomaren Artilleriegranaten - sie reichen 16 km weit; jeder kann sich ausrechnen, wo sie explodieren, wenn sie abgeschossen werden - werden Zug um Zug durch neue ersetzt. Der Spaß dabei ist das kleine Modul, das eine Änderung zur Neutronenwaffe ermöglicht. Mit treuem Augenaufschlag wird jedesmal versucht, uns klarzumachen, daß es hier nicht eingeführt wird. Fakt ist aber, daß es auch hierherkommt. ({2}) Drittens. Die neue nukleare Kurzstreckenrakete, die hier noch bestehende Lance-Rakete, wird durch den taktischen Armeeflugkörper der USA ersetzt. Sie sagen, daß das alles hiermit nichts zu tun hat. Aber ich sage Ihnen, das hat sehr wohl damit zu tun, und zwar auch mit Ihnen, Herr Scholz. Sie haben bestätigt, daß Sie die Montebello-Beschlüsse einhalten werden, d. h. daß Sie sowohl mit der Einführung der Neutronenbombe als auch mit der neuen Lance einverstanden sind. ({3}) Herr Verteidigungsminister, Sie führen die Bundesrepublik als Nachfolger von Herrn Wörner direkt in die nächste atomare Nachrüstung hinein. Wir versichern Ihnen, daß wir dagegen mit aller Kraft Widerstand leisten werden. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Francke.

Klaus Francke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beneidenswert guten Formulierungen der Kollegen Koschnick und Ronneburger sollten allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß es dieses Parlament nach meinem Verständnis für die Folgezeit nicht zulassen sollte, daß hier wie von dem ersten Sprecher der GRÜNEN versucht wird, eine Karnevalsveranstaltung aufzuziehen. Den GRÜNEN geht es mit dieser Aktuellen Stunde nämlich nicht um eine Sachauseinandersetzung, sondern um vordergründige Schaueffekte. Nicht der neue Bundesminister der Verteidigung liefert den Anlaß dieser Debatte, sondern Ihr Bedarf an öffentlichkeitswirksamer Selbstdarstellung als Folge abnehmender Überzeugungskraft in friedens- und sicherheitspolitischen Fragen ist der Hintergrund. Was ist, so frage ich, eigentlich gegen die Äußerungen von Minister Scholz einzuwenden, daß das letzte Wort über die Entwicklung in der Sowjetunion noch nicht gesprochen ist, daß aus Abrüstung nicht automatisch Entspannung erwächst, daß Waffen allein nicht zum Krieg führen, daß Friedensgefährdung aus politischer Spannung erfolgt, daß die sowjetische Politik kritische Aufmerksamkeit verdient und daß das eigentliche Thema die Durchsetzung der Menschenrechte und der Selbstbestimmung ist? Erstens belegen die historischen Erfahrungen dieses Jahrhunderts, wie Recht Minister Scholz mit seiner vorsichtigen Beurteilung der innersowjetischen Entwicklung hat. Zweitens sollten die 70er Jahre auch Sie gelehrt haben, daß Rüstungskontrollvorgänge nicht die Ursachen der Spannungen beseitigen und folglich auch politische Entspannung nicht ersetzen können. Drittens ist das Eintreten für Menschenrechte und Selbstbestimmung nicht nur dann ein Gebot, wenn es sich um überseeische Länder handelt und Solidaritätsbekundungen wenig kosten, ({0}) sondern gerade dann, wenn wir für die Deutschen in der DDR praktische Fortschritte erreichen wollen. Wenn, meine Damen und Herren, Minister Scholz es für unzureichend hält, daß wir Deutsche nur gut 2 To des Bruttosozialprodukts im Jahr für die Verteidigung ausgeben, dann kann ich ihm nur zustimmen; denn das entspricht einer Summe, die deutsche Touristen Jahr für Jahr für Urlaubsreisen ausgeben. Ich finde es jedenfalls angemessen, daß wir für unsere äußere Sicherheit mindestens so viel Geld zur Verfügung stellen wie für unser Urlaubsvergnügen. ({1}) Der neue Bundesminister der Verteidigung befindet sich mit seinen Äußerungen nicht nur in Übereinstimmung mit der gesamten Bundesregierung und den sie tragenden Parteien, sondern auch im Konsens mit der weit überwiegenden Mehrzahl unserer Bevölkerung. Daß sich die GRÜNEN diesem Konsens von Anfang an verweigert haben, ist die eigentliche Botschaft dieser Aktuellen Stunde. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erler.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, man sagt Ihnen ungewöhnlichen Ehrgeiz nach. Offensichtlich bestand Ihr Ehrgeiz in den letzten Wochen darin, möglichst noch vor Ihrem Amtseid der Öffentlichkeit klarzumachen, daß man alles, nur nicht neues Denken von Ihnen erwarten darf. So haben Sie publikumswirksam die Brille des realistischen Sicherheitspolitikers aufgesetzt und die Änderungen in der Sowjetunion Gorbatschows Revue passieren lassen. Dann hat sich ganz schnell gezeigt: Sie schauen noch durch eine Feindbildbrille, die den 50er Jahren alle Ehre machen würde. ({0}) Die Technik dieser Sichtweise ist immer dieselbe geblieben. Sie funktioniert so: Ein ehrlicher Russe gibt zu, was er Böses im Schilde führt. Ein raffinierter Russe sagt was Nettes, verfolgt in Wirklichkeit aber weiter das Böse. Gorbatschow gehört natürlich zur zweiten Sorte. Diese Betrachtungsweise hat einen Riesenvorteil: Egal, was der Feind alles sagt oder tut, man braucht sich damit gar nicht auseinanderzusetzen. Man weiß ja schon, worauf es letztlich hinausläuft. Alle Ihre Äußerungen über Gorbatschows Moskau, Herr Minister, zeigen dieses Strickmuster. Ich nenne einige Beispiele. Der phantasieanregenden Idee des sowjetischen Generalsekretärs vom „gemeinsamen europäischen Haus" unterstellen Sie „antiamerikanisches Kalkül". Es interessiert Sie nicht, daß der Autor des Slogans immer wieder ausdrücklich solche Absichten verneint hat. Die sowjetischen Abrüstungsangebote denunzieren Sie als Versuche, lediglich eine „Pause im Rüstungswettlauf" einlegen zu können, um womöglich hinterher mit einer von Perestroika gestärkten Wirtschaft das Wettrüsten mit frischer Kraft wieder aufnehmen zu können. Es interessiert Sie nicht, daß diese Angebote auf einem neuen sowjetischen Sicherheitsdenken gewachsen sind, in dessen Zentrum eine verletzbare Welt steht, die weder Atomwaffen noch den bisherigen Rüstungswettlauf verträgt. ({1}) Der umformulierten sowjetischen Militärdoktrin unterstellen Sie „nach wie vor das Ziel, Kriege wieder führbar zu machen". ({2}) - Das ist wörtlich. Es interessiert Sie nicht, daß gerade die Einsicht in die Nichtführbarkeit atomarer wie konventioneller Kriege auf dem Gebiet moderner Industriestaaten für diese neue Doktrin Pate gestanden hat. Nun höre ich Sie schon einwenden, das seien ja alles nur unverbindliche Worte. Das Komische ist bloß, daß diese Worte, als sie noch anders klangen, immer für bare Münze genommen wurden. Schauen Sie einmal, Herr Minister, in ein beliebiges VerteidigungsWeißbuch der Bundesregierung oder in eine beliebige Ausgabe von „Soviet Military Power" der US-Regierung. Stets finden Sie dort als wichtigen Beleg für die östliche Bedrohung eine Beschreibung der offensiven und auf Sieg bedachten sowjetischen Militärdoktrin. Aber die Worte waren kriegerisch, und deshalb wurden sie ernst genommen. Jetzt, da diese besorgniserregenden Worte durch eher defensive Überlegungen ersetzt worden sind, werden sie abgetan. Mit Logik, zu der Sie, Herr Minister, so sagt man, ein besonders gutes Verhältnis haben sollen, hat das nichts mehr zu tun. ({3}) Welcher Anlaß besteht eigentlich, die neuen Gedanken und Einsichten, die aus Moskau zu uns herüberkommen, und ihre positive Resonanz im Westen als „euphorischen Gorbatschowismus" ({4}) verächtlich zu machen, wie Sie es getan haben, Herr Minister? Gibt es nicht genügend Anzeichen dafür, daß hier mehr passiert als nur eine Ausgabe neuer Propagandaparolen? Herr Minister, kann man das als Propagandatricks abtun, wenn die Sowjetunion anderthalb Jahre lang einen einseitigen Atomteststopp durchführt und in dieser Zeit versucht, die Vereinigten Staaten zu einem gleichartigen Verzicht zu bewegen; wenn die Sowjetunion ihre Mittelstreckenraketen in vorzeitiger Erfüllung des INF-Vertrags aus der DDR abzieht, obwohl die USA den Vertrag noch nicht einmal ratifiziert haben; wenn die Sowjetunion für alle Welt sichtbar ihre Truppen aus Afghanistan abzieht? Was muß eigentlich passieren, damit der neue Verteidigungsminister der Bundesrepublik nicht die ewig gleichen Vokabeln der ewig gleichen Warnung vor dem ewig gleichen Feind wiederholt - also diesem götzenhaften Feindbild huldigt, das uns nie aus dem Rüstungswahnsinn entlassen wird - , sondern statt dessen sagt: Leute, laßt uns die Gunst der Stunde nutzen und alle Angebote aus Moskau sorgfältig prüfen und unsere eigenen Vorschläge auf den Tisch legen, denn die Lage war noch nie so günstig für mehr Frieden und für weniger Waffen! ({5}) Ihre Äußerungen in den letzten Tagen veranlassen uns, Ihnen diese Frage heute, am dritten Tag Ihrer Amtsführung, hier im Deutschen Bundestag zu stellen, und wir werden es in Zukunft immer wieder tun. Danke schön. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoyer.

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Liberalen heißen den neuen Verteidigungsminister willkommen. Wir sind natürlich mächtig gespannt, wie der Neue denn so ist und wie es sich mit ihm arbeiten läßt. Da geht es uns natürlich nicht anders als den Angehörigen der Bundeswehr: Die Soldaten möchten ja auch gerne wissen, was für einer da auf sie zukommt und wen der Bundeskanzler als neuen Oberbefehlshaber ausgesucht hat. Rupert Scholz ist natürlich kein gänzlich Unbekannter. ({0}) Jüngere Juristen haben manche Stunde in Seminarbibliotheken über seinem brillanten Kommentar gebrütet. ({1}) Rechts- und Deutschlandpolitiker kennen ihn als kenntnisreichen und in der Sache notfalls knallharten Experten. Die Angehörigen seiner Berliner Administration schätzen ihn als fairen und konsequenten Chef, ({2}) und die, die mit ihm Politik gemacht haben, sagen, man solle ihn um Himmels willen nicht unterschätzen. Eigentlich sind das ganz gute Voraussetzungen für einen neuen Verteidigungsminister; denn auf einiges muß man sich ja schon gefaßt machen - nicht nur weil jeder Neue in einem so aufreibenden und mit allerlei Fallen versehenem Job wohl einige Schwierigkeiten haben wird, nicht nur weil er vieles erst wird umsetzen müssen, was sein Vorgänger noch auf die Schiene gebracht hat, ({3}) nicht nur weil er sich mit den 29 Fachidioten - Entschuldigung: Kollegen - im Verteidigungsausschuß und den oft so uneinsichtig-knauserigen Kollegen im Haushaltsausschuß wird auseinandersetzen müssen, nicht nur weil er dabei nicht immer so ganz sicher sein kann, ob das, was ihm seine 5 000 Mitarbeiter alles ins Manuskript hineingeschrieben haben, unbedingt immer der Weisheit letzter Schluß ist, auch nicht etwa, weil er einen zwar fairen und kooperativen, aber in der Sache - genauso wie er selbst - harten Partner in den Freien Demokraten haben wird, z. B. beim Thema Frauen und Bundeswehr, ({4}) oder etwa, weil im Nachbarhaus nicht ein von restaurativen Mietrechtsreform-Phobien mental bedrohter Sozialmieter oder ein manipulierender Erbhofverwalter, sondern ein ebenso kooperativer wie kompetenter, anerkannter und, von bellenden, aber - gottlob - so gut wie zahnlosen Wadenbeißern abgesehen, in der gesamten Nachbarschaft geschätzter Kollege lebt. Nein, das ist es in der Hauptsache nicht. In der Hauptsache wird es darum gehen, den unauflöslichen Zusammenhang zwischen Verteidigungsfähigkeit einerseits und Abrüstungsfähigkeit sowie Abrüstungsbereitschaft andererseits glaubwürdig herauszustellen. Herr Ronneburger hat hierzu das Notwendige gesagt. Darüber hinaus wird es darum gehen, die Finanzierung dessen, was zur Erfüllung des Auftrages unserer Bundeswehr erforderlich ist, zu sichern. Wir Liberalen sehen Sie hier vor einer Herkulesarbeit. Der Bundeskanzler hat Ihnen seine Unterstützung zugesichert. Auch wir tun dies, aber vor Illusionen ist zu warnen. ({5}) Nicht alles, was der Bedrohung gerecht werden würde, was militärisch wünschbar und was technologisch machbar wäre, wird sich bezahlen oder haushaltsmäßig verantworten lassen, das heißt halt auch, in der Abwägung zu anderen Politikfeldern. Andererseits sehen wir Liberalen ganz klar, daß wir den Satz „Mensch geht vor Material" endlich mit viel mehr Leben ausfüllen müssen, wenn schon nicht aus Einsicht in die Notwendigkeit der Verbesserung der sozialen Lage der Soldaten, dann doch bitte wenigstens wegen der zwingend erforderlichen Erhöhung der Attraktivität der Bundeswehr in einer Zeit, wo wir in die Schere kleiner werdender Geburtsjahrgänge einerseits und schwieriger werdender Wettbewerbsposition der Bundeswehr als Nachfrager auf dem Arbeitsmarkt andererseits kommen werden. Insofern werden Sie mit uns reden können, Herr Minister, übrigens auch insofern, als zu einer verantwortlichen Bundeswehrsozialpolitik auch gehört, die Soldaten vernünftig, d. h. auftrags- und zeitgemäß, mit Material zu versorgen. Hierüber werden wir bald reden müssen auf Grund einer soliden Bestandsaufnahme, die der Bundeskanzler ja bereits angekündigt hat. Das wird zu mancher kritischen Revision führen müssen ebenso wie auch zur Erhöhung manches Haushaltsansatzes. Eines aber muß klar sein: Selbst wenn es sich hierbei nicht um ein Nullsummenspiel handeln kann und wird, so werden wir schon dafür sorgen, daß nicht auf Grund unverantwortlicher Tabuisierungen der Haushaltsansatz von vornherein zur einzigen Variablen in diesem Spiel definiert wird. Sie haben also weiß Gott in der nächsten Zeit genug zu tun. Deshalb, Herr Minister, wäre es mir lieber, Sie müßten heute nicht hier sein, sondern würden sich jetzt endlich richtig in die Arbeit hineinknien. ({6}) Setzen Sie sich an den Schreibtisch, machen Sie sich fit für das, was auf Sie zukommt! Sausen Sie durch die Truppe, damit Sie eine persönliche Vorstellung davon bekommen, was da eigentlich los ist - nicht immer wird Ihnen die hohe Generalität ein völlig ungeschminktes Bild von dem liefern, worum es in der Bundeswehr geht - , und schließlich, damit in der Bundeswehr bald alle wissen, was der Neue denn für einer ist. Viel Glück und gute Zusammenarbeit! ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister der Verteidigung.

Prof. Dr. Rupert Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11002063

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Hoyer, ich wäre gern am Schreibtisch. Aber auf der anderen Seite bedanke ich mich bei den GRÜNEN, daß sie mir Gelegenheit geben, mich Ihnen schon so früh einmal zu präsentieren. Herzlichen Dank! ({0}) - Das ist immer das Gute. Meine Damen und Herren, ich habe die Verantwortung für diese unsere Bundeswehr übernommen, die den Prinzipien unserer freiheitlichen Demokratie verpflichtet und entsprechend ausgebildet und motiviert ist. Sie ist leistungsfähig und genießt bei unseren Verbündeten hohes Ansehen. Sie leistet einen hervorragenden Beitrag für die Erhaltung des Friedens in Freiheit und für unsere gemeinsame Sicherheit. ({1}) Es ist eine große Aufgabe für uns, aber insbesondere nun für mich, die Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland angesichts der engen finanziellen Perspektiven auf ihrem hohen Leistungsniveau zu halten. Ich erbitte für diese nicht leichte Zukunftsaufgabe eine breite Unterstützung durch die Mitglieder dieses Hauses, politisch wie auch finanziell. ({2}) Meine Damen und Herren, Sicherheit kostet Geld und Opfer. Diese Auffassung habe ich bereits vor meiner Amtsübernahme öffentlich vertreten, und ich vertrete sie auch künftig. Ich freue mich im übrigen, daß sie schon bis zu den GRÜNEN hin zur Kenntnis genommen ist. ({3}) Meine Damen und Herren, ich habe die Verantwortung als Verteidigungsminister in einer Phase politischer Entwicklungen übernommen, in der nicht nur ein intensivierter Dialog der Großmächte vorherrscht, sondern auch uns Chancen zur Mitgestaltung einer friedlicheren Welt geboten werden. Ich habe mein neues Amt in einer Phase übernommen, in der die Nordatlantische Gemeinschaft soeben in großer Einmütigkeit die Grundzüge unserer gemeinsamen Sicherheit bestätigt und den Kurs für die Zukunft abgesteckt hat. Politische Solidarität und gesicherte Verteidigungsfähigkeit sind und bleiben Voraussetzung für eine konstruktive Fortsetzung des Dialogs mit den Staaten des Warschauer Pakts, für einen Interessenausgleich, der die vitalen Interessen aller Beteiligten wahrt und der auch eine wirkungsvolle Politik der Rüstungskontrolle, der Abrüstung und der Entspannung ermöglicht. Fortschritte im politischen Interessenausgleich sind nach meiner festen Überzeugung Wegbereiter für Fortschritte in der Rüstungskontrolle und in der Abrüstung. Ich halte es für fragwürdig, wenn die Kausalität in umgekehrter Reihenfolge hergestellt wird. Diese Auffassung vertrete ich seit langem, und sie wird die Politik der Bundesregierung unter meiner Mitwirkung sicher auch mitbestimmen. Herr Koschnick, Sie haben wieder diesen alten Hut verwendet, den ich täglich in der Zeitung lese: „der Gegensatz zu Herrn Genscher" . Wissen Sie, was ich als erstes gelernt habe? Die Geschäftsordnung der Bundesregierung, die Sie natürlich viel länger kennen: Der Bundesaußenminister vertritt den Bundesverteidigungsminister, und der Verteidigungsminister vertritt den Bundesaußenminister. Ich bin mit Herrn Genscher absolut einig - eine wunderbare Kombination. ({4}) Meine Damen und Herren, was die Entwicklung in der Sowjetunion betrifft, so ist die Einschätzung durch die Bundesregierung klar und eindeutig: Es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, wenn sich die Sowjetunion nach innen und außen öffnet. So hat es der Bundeskanzler beim NATO-Gipfel im März dieses Jahres maßgeblich erklärt. Wir würden es begrüßen, wenn Glasnost und Perestroika zu mehr Offenheit und vor allen Dingen zu mehr Freiheit und zu mehr Demokratie auch für die Menschen in der Sowjetunion führten. Wir sind aber - auch dies maßgeblich - daran interessiert, daß die Sowjetunion ihren übermächtigen Militärapparat verändert und die vor allem konventionelle Überlegenheit sowie ihre Fähigkeit zur strategischen Überraschung und zur raumgreifenden Offensive in Europa abbaut, damit Kriege in unserer Region ein für allemal - ich wiederhole das: ein für allemal - nicht mehr führbar bleiben. ({5}) Deshalb haben wir große Erwartungen an die sowjetische Führung zu richten. Die unbestreitbar wichtigen Worte des sowjetischen Generalsekretärs hören wir gern, doch ihnen müssen Taten und konkrete Abrüstungsmaßnahmen folgen, damit Fortschritte im Abbau des Spannungsverhältnisses erzielt werden können. ({6}) Ich denke vor allem an die Worte zur asymmetrischen Abrüstung, denn asymmetrische Abrüstung ist das Thema zur Überwindung des konventionellen Übergewichts. ({7}) Unsere Aufgabe bleibt es, gemeinsame - nicht einseitige - Sicherheit im westlichen Bündnis verantwortungsbewußt mitzugestalten. ({8}) Das bedeutet, in erster Linie für eine glaubwürdige Verteidigung Sorge zu tragen. Der Bundeskanzler hat auf dem NATO-Gipfel ausgeführt - ich zitiere - : Wir müssen Chancen für eine Wende zum Besseren in den West-Ost-Beziehungen ernsthaft prüfen und, wo immer mit unserer Sicherheit vereinbar, entschlossen nutzen. ({9}) Das ist das Entscheidende. Unsere Sicherheit ist das Kriterium, an dem alles zu messen ist. Danach haben sich sowohl unsere Verteidigungsanstrengungen als auch unsere Bemühungen um Rüstungskontrolle, um Abrüstung und Entspannung insgesamt zu messen. Diese Auffassung, meine Damen und Herren, wird mein künftiges Handeln ganz maßgeblich bestimmen. Ich danke Ihnen. ({10})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lowack.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gäbe es nicht so humorvolle Beiträge wie den des Kollegen Koschnick oder so sachliche wie den des Kollegen Dr. Hoyer oder so substantielle wie den unseres neuen Verteidigungsministers, ({0}) dann wäre dies tatsächlich die abstruseste Diskussion, die ich jemals im Deutschen Bundestag erlebt habe. Das bedeutet nach fünf Jahren GRÜNE schon einiges. ({1}) Der Verteidigungsminister äußert sich zu dem, ein Verteidigungsminister zu dem sich äußern muß, nämlich dazu, wie unser Land verteidigungsfähig und verteidigungsbereit gehalten wird, um es damit unter anderem den GRÜNEN auch in Zukunft zu ermöglichen, sich frei zu jedem Blödsinn zu äußern. Dafür soll er sich dann hier dem Parlament einer Diskussion stellen. ({2}) Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren von den GRÜNEN, das Thema war ja schon bekannt. Bevor Sie sich gemeldet haben, hat es die „Prawda" bereits aufgegriffen. Sie hat den Bundesminister Scholz gescholten. Dieser Beitrag in der „Prawda" erscheint heute nun wörtlich vorgetragen von der grünen Fraktion. ({3}) Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht alles was „Prawda" heißt, ist auch wirklich die Wahrheit, und nicht alles, was im sowjetischen Interesse liegt, liegt auch im deutschen Interesse. Ich wäre dankbar, wenn Sie, da Sie Vertreter des deutschen Parlaments sind, auch deutsche Interessen wahrnähmen und nicht die, die im Interesse der Sowjetunion liegen. Hier müssen wir doch, meine sehr verehrten Kollegen, alle einräumen, daß ein gewaltiger Unterschied zwischen den Worten und den Taten vorliegt. Die Sowjetunion hat in den letzten drei Jahren in allen Bereichen, ob konventionell oder taktisch-nuklear, ob in bezug auf Kurzstreckensysteme, Mittelstreckensysteme oder Langstreckensysteme, nur aufgerüstet. Es kann doch nicht unsere Aufgabe sein, einseitig mit Vorleistungen anzutreten, ({4}) wenn bisher aus der Sowjetunion außer Worten überhaupt nichts gekommen ist. Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von den GRÜNEN, rate ich dringend, den Eindruck zu vermeiden, der entstehen muß, als seien Sie dem Lockruf aus der Mottenkiste der sowjetischen Revolution erlegen, der mit jeder Ausgabe der „Prawda" neu erscheint. Dort heißt es: Ich kann Ihnen das auch übersetzen: Proletarier aller Länder, vereinigt euch! Danke schön. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Steiner.

Heinz Alfred Steiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002235, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht ungewöhnlich, daß wir heute morgen eine Aktuelle Stunde haben. Es ist auch nicht ungewöhnlich, daß wir uns mit Äußerungen eines Regierungsmitgliedes zu befassen haben. ({0}) Aber ungewöhnlich ist dagegen, daß wir uns mit Äußerungen eines Regierungsmitgliedes zu befassen haben, das diese vor seinem Amtsantritt gemacht und der staunenden Öffentlichkeit präsentiert hat. ({1}) Die Medien haben den Weg des neuen Verteidigungsministers von seinem Berliner Senatsschreibtisch zur Bonner Hardthöhe, wie das so üblich ist, intensiv begleitet. Der Minister wurde über Nacht aus der Fast-Anonymität auf die politische Bühne geschleift. Er wurde damit dem Scheinwerferlicht ausgesetzt. Er wurde von allen Seiten beleuchtet und - wie das so üblich ist - auch quadratzentimeterweise abgetastet. Herr Minister, Sie hatten Interviewwünsche zu erfüllen, und das haben Sie freudig und fleißig getan. Ich möchte sagen: beinahe schon ungezügelt und rund um die Uhr. In der Hetze und in der Hitze der Scheinwerfer ist der kühle Kopf mit dem klaren Blick für politische Prioritäten, wie Sie der Kanzler am 26. April vorgestellt und gelobt hat, dann wohl doch etwas wärmer geworden; jedenfalls wollen wir dies zu Ihren Gunsten annehmen. Denn es kann ja wohl keine wohlüberlegte Äußerung gewesen sein, als Sie der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" sagten, der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttosozialprodukt von derzeit 2,5 % sei zu niedrig. ({2}) In der „Report"-Sendung haben Sie sinngemäß hinzugefügt: „Was in finanzieller Hinsicht notwendig ist, werde ich erfüllen; ich werde es erfüllen können; das wurde mir versprochen. " ({3}) Ich kann nur hinzufügen: Hoffentlich war das kein Versprecher des Versprechers! Am 28. April hat die regierungsfromme „Frankfurter Allgemeine Zeitung" in einem Kommentar an das Wechseljahr 1982 erinnert und festgestellt: Als die CDU 1982 die Regierungsverantwortung übernahm, tat sie dies mit der Versicherung, sie wolle die bisherige, an den zu knappen Finanzmitteln orientierte Bundeswehrplanung durch eine neue, bedarfsorientierte ablösen. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" weiter: Getan worden ist das Gegenteil. Ein wahrlich vernichtendes Urteil. Herr Minister, Sie haben mit Ihren Äußerungen die Voraussetzungen für eine in absehbarer Zeit ähnlich lautende Feststellung der Medien geschaffen. Es ist angesichts der Einnahmeausfälle durch die Steuerreform und angesichts der rückläufigen Einnahmen der öffentlichen Hand schlechthin ein ungedeckter Scheck, den Sie da ausgestellt haben. Denken Sie doch an die Diskussion, die zur Zeit über die Sozialhilfekosten stattfindet, wo die Länder zu Recht Fi5456 nanzhilfe vom Bund erwarten. Denken Sie an die Ausfälle der Bundesbankgewinne, an höhere Zahlungen an die EG, an die Rentenproblematik und an die höheren Zinslasten für den von Ihrem Kollegen Stoltenberg verursachten Schuldenberg, und denken Sie daran, daß die Verabschiedung Ihres Vorgängers auch eine ganze Menge Geld gekostet hat. Es ist doch bei der katastrophalen Finanzsituation des Bundes völlig ausgeschlossen, daß Sie als Verteidigungsminister ein noch größeres Stück des Finanzkuchens herausschneiden können. Sie werden mit dem Geld auskommen müssen, das jetzt vorhanden ist, nicht mit den Summen, die Sie sich vorstellen, oder mit dem, was man Ihnen angeblich versprochen hat. Sie werden wirklich damit auskommen müssen, und Sie müssen damit auch die schlimmen Hypotheken Ihres Vorgängers ablösen. Herr Minister, wir können Ihnen nur den guten Rat geben: Schauen Sie sich erst einmal in Ihrem Hause um, lassen Sie sich informieren, machen Sie eine Bestandsaufnahme - bei Soldaten heißt das übrigens „Beurteilung der Lage" - , machen Sie dann Ihre Äußerungen, treffen Sie dann Ihre Entscheidungen, und wenn die sinnvoll sind, werden Sie uns an Ihrer Seite haben. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Friedmann.

Prof. Dr. Bernhard Friedmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Die GRÜNEN haben diese Aktuelle Stunde auch damit begründet, daß hier über die Äußerungen des Ministers zum Verteidigungshaushalt gesprochen werden soll. Wir werden dies auch gerne tun. Was hat er denn gesagt? Er hat dargelegt, daß nach seiner Meinung die Bundeswehr mehr Geld benötigt. ({0}) Er hat gesagt, daß die Verteidigungsausgaben steigen sollen, und damit hat er recht. ({1}) Ich frage Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN: Was haben Sie eigentlich dagegen, wenn wir bemüht sind, die finanzielle und soziale Situation der Soldaten zu verbesssern? ({2}) Was haben Sie dagegen, wenn wir für die Familien unserer Soldaten bessere Wohnungen haben wollen? ({3}) Was haben Sie dagegen, wenn wir uns Gedanken darüber machen, ob wir die eine oder andere Mehrbelastung durch eine neue Zulage abdecken können? ({4}) So etwas kann man doch nur kritisieren, wenn einem die Verteidigungsfähigkeit zutiefst zuwider ist. Sie wollen doch in Wirklichkeit den Verteidigungswillen, der auch in der jungen Generation Gott sei Dank vorhanden ist, unterminieren. ({5}) - Ich höre eben das Stichwort „Jäger 90". Wer sich dazu einläßt, sollte sich einmal die Mühe machen, in die Bundeswehrplanung einzusteigen. Seit Jahren ist dort der Jäger 90 oder ein gleichwertiges Flugzeug eingeplant. Das ist überhaupt nichts Neues und führt auch nicht zu neuen Verteilungseffekten. ({6}) Das ist eine Irreführung, weil Sie auch an dieser Stelle gegen die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik sind. ({7}) Es war seit Bestehen der Bundesrepublik über alle Fraktionen hinweg üblich, einem neuen Minister eine 100tägige Schonzeit, eine Einarbeitungszeit, zu geben; Herr Koschnick hat freundlicherweise darauf hingewiesen. ({8}) Diese ungeschriebene Regel wird von Ihnen durchbrochen, weil Sie Ihren Ärger über unsere Verteidigungsfähigkeit nicht unterdrücken können. ({9}) Was ist denn tatsächlich die Lage, meine Damen und Herren? Der Verteidigungshaushalt sinkt real nunmehr im dritten Jahr, und er würde weiter sinken, wenn wir die Finanzplanung nicht ändern würden. ({10}) Der Anteil am Gesamthaushalt ist in diesem Jahr auf 18,7 % gesunken, und er würde nächstes Jahr die Schwelle unterschreiten, die Sie auf Ihrem Nürnberger Parteitag als optimal bezeichnet haben. ({11}) - Mit „Sie" habe ich die SPD gemeint - für das Protokoll. - Wir geben 2,5 % vom Sozialprodukt für die Verteidigung aus, unsere Verbündeten, die USA, 6,5 %. ({12}) Gut, wir sind keine Weltmacht, wir haben nicht dieselben Verpflichtungen, aber unsere Sicherheit muß uns doch einiges wert sein. ({13}) Die Bundeswehr hat ihren neuen Bundeswehrplan um etwa 10 Milliarden DM reduziert. Beschaffungen, die bisher für nötig gehalten wurden, hat sie in diesem Umfang weggestrichen. Auch dies ist durch die Finanzplanung bisher nicht abgedeckt. Wenn wir diesen reduzierten Bundeswehrplan finanzieren wollten, müßten wir im nächsten Jahr die Verteidigungsausgaben um über 2 Milliarden DM, gleich 4 %, erhöhen. Das wird nicht möglich sein. Aber eines sage ich Ihnen: Dieser Bundeswehrhaushalt sollte zumindest im Schnitt des Bundeshaushalts steigen. Warum soll uns die Verteidigung weniger wert sein als jedes andere Gebiet unserer Politik? Die Sicherheit hat ihren Preis, und wir haben einen freien Staat zu verteidigen. ({14}) Wir sind dem Verteidigungsminister dankbar, daß er diese Auseinandersetzung führt. Wir sagen ihm ein herzliches Dankeschön dafür. Lieber Herr Scholz, alles Gute in Ihrem neuen Amt! Wir wünschen Ihnen Glück und Segen. ({15})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jungmann.

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Friedmann, Sie haben zum Verteidigungsetat gesprochen und haben die soziale Situation der Soldaten und der zivilen Mitarbeiter in der Bundeswehr angesprochen. Es hätte diesem Verteidigungsminister, der sich bei den GRÜNEN dafür bedankt hat, daß er Gelegenheit hat, so schnell vor dem Parlament zu stehen, gut angestanden, auch etwas zu den Sorgen und Nöten und zu der sozialen Situation der Soldaten zu sagen. Dazu hat er nicht ein Wort verloren. ({0}) Herr Kollege Friedmann, der Verteidigungsetat hat enorme Ausmaße angenommen und bewirkt einen Verdrängungseffekt auf andere finanziell notwendige Maßnahmen in dieser Republik. Der Abgeordnete Karl-Otto Meyer, der in der Bundesrepublik wohl seit der schleswig-holsteinischen Affäre bekanntgeworden ist, ({1}) hat einmal trefflich gesagt: Zur Sicherheit gehört nicht nur die äußere, sondern auch die innere Sicherheit. Zum Frieden gehört nicht nur der äußere, sondern auch der innere Friede. Wer den inneren Frieden durch soziale Demontage gefährdet, der gefährdet den Zusammenhalt dieser Republik. Und wer den Verteidigungsetat unbegrenzt erhöhen will und glaubt, er könnte das zu Lasten von Sozialausgaben machen - ({2}) - Das hat dieser Minister gesagt. Nun stellt sich die Frage: Wofür will er denn das verwenden, was er mehr bekommt? Will er es für Rüstungsausgaben verwenden - was wir vermuten - , oder will er es - wie Sie, Herr Kollege Friedmann, es angedeutet haben - zur Verbesserung der sozialen Lage der Soldaten verwenden? Wenn er mehr tut für die soziale Sicherung der Soldaten und der Zivilbeschäftigten in der Bundeswehr und der Familien, um dadurch die Motivation der Soldaten zu erhöhen, dann hat er unsere Unterstützung. Will er es aber für mehr Rüstung ausgeben, wird er auf unsere Gegnerschaft treffen. ({3}) Meine Damen und Herren, es hätte einem designierten Verteidigungsminister gut angestanden, sich erst einmal auch an die ungeschriebenen Regeln zu halten, daß man sich in sein Amt einarbeitet, daß man sich eine Bestandsaufnahme vorlegen läßt, wenn man das Amt übernommen hat, daß man versucht, eine Lagebeurteilung aus dieser Bestandsaufnahme zu machen, um dann vielleicht ablaufende Fehlentwicklungen zu korrigieren. Das hätte ihm besser angestanden, als schon vor der Vereidigung hier im Deutschen Bundestag durch alle Studios zu hetzen und sich in außenpolitischen Ergüssen zu ergehen. Er hätte sich nach den 100 Tagen derart öffentlich äußern sollen, wie er das nun vorher getan hat. Dann hätte er die ungeschriebene Regel des Parlamentarismus in westlichen Demokratien in Anspruch nehmen können, für diese 100 Tage geschont zu werden, damit er an seinem Schreibtisch arbeiten kann. Ich hoffe, Herr Minister, daß Sie begriffen haben, daß die Bundeswehr aus 700 000 Menschen besteht, mit Familien, mit Kindern, die Sorgen und Nöte haben. Ich hoffe, daß Sie sich von dem Inspekteur der Marine berichten lassen, was er am letzten Montag in Oldenburg erlebt hat, wo ihm mitgeteilt werden mußte, daß ein junger verheirateter Unteroffizier mit drei Kindern in dieser Republik an der Armutsgrenze lebt. Dann werden Sie die Schwerpunkte Ihrer künftigen Arbeit feststellen können. Legen Sie sich in Zukunft nicht mit dem Außenminister an, sondern tun Sie etwas für die Menschen in der Bundeswehr! Schönen Dank. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Repnik.

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stimme dem Kollegen Franke in der Beurteilung über den Sinn oder Unsinn dieser aktuellen Debatte zu. Dennoch meine ich, hat sich uns heute morgen die Chance eröffnet, das Augenmerk auf einen Sachverhalt zu richten, der uns in der Bundesrepublik Deutschland zunehmend Sorge bereitet, wenn wir in einem wichtigen Feld unserer Sicherheits- und Außenpolitik dabei sind, die Konturen verwischen zu lassen, oder wenn diese Konturen vielleicht sogar von der einen oder anderen Seite dieses Hauses ganz bewußt verwischt werden. Heute morgen wurde hier eine Reihe von interessanten Fakten aufgelistet, die die Äußerungen des neuen Verteidigungsministers Rupert Scholz nicht nur rechtfertigen, sondern die diese Äußerungen geradezu herausfordern. Herr Jungmann, wenn Sie die Einlassungen von Herrn Scholz heute vormittag beklagen, kann ich nur sagen: Er hat sich im Gegensatz zu einem Teil der Kollegen, die heute vormittag in dieser Debatte gesprochen haben, an die Tagesordnung und an das Thema gehalten, das uns vorgegeben ist. Dem Kollegen Erler möchte ich entgegenhalten: Ihre Sorgen über das neue Denken möchte ich haben! Wo kommen wir eigentlich hin? In der Sowjetunion machen sich Gorbatschow und eine Reihe seiner Freunde in der Tat Gedanken, im eigenen Lande ein neues Denken durchzusetzen. Sie sind dabei, sich dem Denken in westlichen Demokratien anzunähern, weil sie herausgefunden haben, daß sie in der Erstarrung, auch in der geistigen Erstarrung, in der sie sich in den letzten Jahrzehnten befunden haben, so nicht weiterkommen, nicht weitermachen können. In dieser Situation fordern Sie uns, den Verteidigungsminister, die Union heraus, uns ein neues Denken anzugewöhnen. Ich kann nur sagen: Ihre Sorgen möchte ich haben! ({0}) Was macht uns in diesem Zusammenhang besorgt? Neueste Umfragen in Europa, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, zeigen eine Einschätzung des sowjetischen Generalsekretärs und, was noch viel dramatischer ist, seiner Politik auf, die mit den tatsächlichen Verhältnissen in der Sowjetunion leider, muß ich sagen, nicht übereinstimmt. Wir wissen sehr wohl und begrüßen dies, daß es hoffnungsvolle Reformansätze gibt, gleichzeitig finden aber in den Führungsgremien der Partei heftige Richtungskämpfe statt. Kollege Ronneburger hat darauf hingewiesen: Kein Mensch weiß, wo schlußendlich diese Auseinandersetzungen enden werden. Wir wollen uns und sollen uns einer Zusammenarbeit gerade im Hinblick auf diese Reformmaßnahmen nicht verweigern und nicht verschließen. Mit gleicher Deutlichkeit muß darauf hingewiesen werden, daß Gorbatschow für die UdSSR keine Demokratie westlichen Musters vorschwebt und er diese nicht einführen will. Er will vielmehr das kommunistische System aus der Erstarrung herauslösen und seine Effizienz steigern. Es ist wichtig, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, daß wir darauf hinweisen, daß das Bild, der Inhalt, der Sinn der Sowjetunion von Freiheit, von Demokratie und von Pluralismus eben nicht unserem Inhalt, unserem Sinn und unseren Wertvorstellungen entspricht. ({1}) Leider Gottes ist es so, daß das bisherige Handeln Gorbatschows noch nicht den Einstellungswandel rechtfertigt, wie er in weiten Teilen unserer Bevölkerung zu verzeichnen ist. Solange dies der Fall ist, müssen wir als verantwortungsbewußte Politiker in der außenpolitischen Diskussion im eigenen Lande auf eine realistischere Einschätzung der östlichen Führungsmacht hinwirken. Nur dann werden wir uns den Handlungsspielraum, den finanziellen und den politischen Handlungsspielraum bewahren, den wir notwendig haben, um Maßnahmen zur Erhaltung eines gesicherten Friedens in Freiheit zu ergreifen, daß dies bei uns durchsetzbar bleibt. Die Wahrung deutscher und atlantischer Sicherheitsinteressen, meine sehr verehrten Damen und Herren, muß gegenüber der durchaus wünschenswerten Unterstützung der Gorbatschowschen Reformpolitik Vorrang haben. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe Punkt 21 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Miltner, Gerster ({0}), Dr. Kappes, Regenspurger und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Dr. Hirsch, Lüder, Richter, Gries, Cronenberg ({1}), Dr. Thomae, Heinrich, Wolfgramm ({2}) und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bildung von Jugend- und Auszubildendenvertretungen in den Verwaltungen - Drucksache 11/2264 -Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({3}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist eine Redezeit von insgesamt 30 Minuten vorgesehen. - Das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kappes. ({4}) - Meine Damen und Herren, ich habe das Wort für den nächsten Tagesordnungspunkt bereits erteilt. ({5}) - Herr Abgeordneter Kleinert, das Präsidium zählt nicht die Häupter seiner Lieben. ({6}) Aber wenn ich manchmal Ihre zählen sollte, käme ich mit der einfachen Regel aus: Bis drei kann ich noch zählen. ({7}) Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.

Dr. Franz Hermann Kappes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001065, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Vorlage eines Gesetzes zur Bildung von Jugend- und Auszubildendenvertretungen in den Verwaltungen tragen wir dem Umstand Rechnung, daß die Zahl der zur bisherigen Jugendvertretung wahlberechtigten Minderjährigen in den letzten Jahren immer mehr zurückgegangen ist. Das liegt, wie Sie wissen, vor allem an den längeren Schulzeiten. Immer weniger zur Berufsausbildung Beschäftigte konnten von den Jugendvertretungen betreut werden. Zugleich war die Zahl der Jugendvertretungen selbst stark rückläufig. Wir wollen daher nicht nur den jüngeren, sondern auch den schon etwas älteren Auszubildenden bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres eine gemeinsame Vertretung ihrer besonderen Belange gegenüber dem Personalrat gewährleisten. ({0}) Ich sage: gegenüber dem Personalrat. Denn wir halten an der bewährten Konzeption des Bundespersonalvertretungsgesetzes fest, nach der die Jugendvertretung kein selbständiges und gleichberechtigt neben dem Personalrat stehendes Organ, sondern in erster Linie Gesprächspartner des Personalrates ist. Den volljährigen Auszubildenden soll ihr bisheriges Wahlrecht zum Personalrat aber nicht etwa genommen werden. Damit haben wir uns für eine Lösung entschieden, die sich schon in den Ländern Bayern und Nordrhein-Westfalen bewährt hat und neuerdings auch in Hessen gilt. ({1}) Eine andere Regelung hätte bedeutet, daß die älteren Auszubildenden wichtige Einflußmöglichkeiten verloren hätten und sie gegenüber anderen Beschäftigten gleichen Alters benachteiligt worden wären. ({2}) Im übrigen, meine Damen und Herren, sind wir uns durchaus im klaren darüber, daß man zum Thema Jugend- und Auszubildendenvertretungen noch verschiedene weitere Fragen diskutieren kann. Zunächst war es uns aber wichtig, das Gesetz im Grundsatz einzubringen, damit die neuen Jugend- und Auszubildendenvertretungen rechtzeitig bis zum Ablauf der von uns gesetzlich verlängerten Amtszeiten der derzeitigen Vertretungen nach dem neuen Recht gewählt werden bzw. gewählt sein können. Als Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion plädiere ich nach Abstimmung mit unserer Arbeitsgruppe dafür, daß wir in den Ausschußberatungen insbesondere noch einmal gemeinsam die Vor- und Nachteile eines Beginns der nachfolgenden Wahlzeiten im Herbst oder Frühjahr vorurteilsfrei erörtern und möglichst auch - durch eine nur kleine Änderung - die Auszubildenden in der Krankenpflege wieder in den Geltungsbereich des Personalvertretungsrechts einbeziehen, aus dem sie mit der Novellierung des Krankenpflege- und Hebammengesetzes - wie ich annehme, wohl ungewollt - herausgefallen sind. Darüber hinaus, meine Damen und Herren, wird es allerdings sinnvoll sein, diese Novelle - es kommt noch eine weitere - nicht mit Zusätzlichem zu befrachten, weil sonst im Hinblick auf die Beratungen im Bundesrat kaum mit einer rechtzeitigen Verabschiedung gerechnet werden könnte. In diesem Sinne legen wir Ihnen also einen Gesetzentwurf vor, meine Damen und Herren, der nach unserer Auffassung einen wichtigen Schritt voran bei der Anpassung der Beteiligungsrechte in den öffentlichen Verwaltungen an gewandelte Umstände und Erfordernisse unserer Zeit bedeutet. Ich bitte Sie, den Entwurf zur weiteren Behandlung in die Ausschüsse zu überweisen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lutz.

Egon Lutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen - das möchte ich einleitend feststellen - haben diesem Haus schon schlechtere Gesetzentwürfe vorgelegt als den, über den wir heute diskutieren. Allerdings - und auch das gehört zur kritischen Würdigung - : Ein besonderer Markstein ihrer angeblichen Reformpolitik ist er nun auch wieder nicht. ({0}) Sie raffen sich dazu auf, die Jugendvertretung in den Verwaltungen in eine Jugend- und Auszubildendenvertretung umzuwandeln. ({1}) Es ist nicht zu verkennen, daß damit eine Aufgabenausweitung verbunden ist und daß sich damit auch deren Charakter verändert. Aber das war alles längst überfällig. Schon im Oktober 1987 haben wir mit unserem Gesetzentwurf - Drucksache 11/955 - den Weg gewiesen, nachdem unser Versuch, die Frage in der letzten Legislaturperiode zu lösen, an Ihrer Unlust oder Ihrer Schwerfälligkeit - Sie können es sich aussuchen - gescheitert war. ({2}) Damals argumentierten Sie, das Problem, daß die Jugendvertretung der schleichenden Auszehrung verfalle, wenn der Gesetzgeber nicht gegensteuere, sei sicher richtig, aber man müsse sich eine Lösung sorgfältig überlegen. - Dann haben Sie überlegt, viele Monate lang. Das Ergebnis Ihrer Kopfgeburt entspricht dem zeitlichen Aufwand bei weitem nicht. Die Veränderungen, die Sie vorschlagen, sind das allermindeste, was vom Gesetzgeber getan werden muß. Das hätten Sie mit uns auch schon in der letzten Legislaturperiode vereinbaren können. Die bisherige Beschränkung der Aufgaben der Jugendvertretung auf den Bereich der Jugendlichen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres ist, wie Sie richtig sagen, durch die Entwicklung längst überholt. Immer mehr Jugendliche treten erst mit 18 Jahren ins Berufsleben. In der Ausbildungsphase können sie folglich nicht mehr von der Jugendvertretung betreut werden. Deshalb war es nur logisch, die Altersbegrenzung für die in Ausbildung Stehenden auf das 25. Lebensjahr auszudehnen. Das wollen auch wir. Der DGB schlägt begründet vor, als Grenze für die Jugendvertreter und die Auszubildendenvertreter die Vollendung des 26. Lebensjahres zu nehmen. Das können wir uns zu eigen machen. Ich spüre, daß da auch bei Ihnen noch nicht alles festgefahren ist. Um so besser für das Vorhaben. Der ausgeweiteten Aufgabenstellung entspricht der neue Name. Keine Einwände. Den hatten wir vorgeschlagen. Verständigen sollte man sich auch über den Zeitpunkt, zu dem die Vertretungen zu wählen sind. Wir wollen zu dem alten Turnus zurückkehren, der nur durch die Verlängerung der Amtszeit der gegenwärtigen Jugendvertretung gestört wurde. Ich nehme an, auch hier läßt sich Übereinstimmung erreichen. Ich kann mir auch vorstellen, daß alle Ausbildungsverhältnisse im öffentlichen Dienst, wie Sie sagen, auch die der Krankenpflege- und Hebammenberufe, einbezogen werden können. Unsere Zustimmung dazu hätten Sie. Sie müßten sich nur bewegen, wie Sie es angekündigt haben. Bis dahin also ein gewisses Maß an Gemeinsamkeit. Dann aber hören Sie mit dem Denken und mit Ihrem Reformeifer auf, ({3}) Während wir bei dieser Gelegenheit weitere drängende Fragen lösen wollen. Wir wollen die Aufgabenstellung der Jugend- und Auszubildendenvertretung präzise definieren und auch ihr Verhältnis zum Personalrat zweifelsfrei klären. Wir fragen uns, was Sie eigentlich dagegen haben können, daß etwa die Jugend- und die Auszubildendenvertreter das Recht haben sollen, die Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu begehen, um Bestimmungen, die zugunsten der Jugendlichen gelten, überwachen zu können. Was ist dagegen einzuwenden? Was ist dagegen einzuwenden, die noch in der Berufsausbildung sich befindenden volljährigen Arbeitnehmer mit dem Wahlrecht zum Betriebsrat und Personalrat zweifelsfrei auszustatten, so daß die personelle Zusammensetzung dieses Gremiums, das allein über Mitwirkungsrechte auch in Ausbildungsfragen verfügt, mit beeinflußt werden kann? Und was ist dagegen einzuwenden, daß wir neue Bestimmungen im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses von Jugend- und Auszubildendenvertretern verankern wollen, weil es ja hier gehapert hat, was Sie übrigens gar nicht bezweifeln? Wir wollen die Rechtsstellung der Jugend- und Auszubildendenvertretung also der des Personalrats angleichen, sie also verbessern. Wir finden es schon bemerkenswert, daß Sie offensichtlich nicht bereit sind, uns auf diesem Wege zu folgen. Wir wollen festlegen, daß halbjährlich - und damit im Turnus - mit den Personalversammlungen eine Versammlung der Jugendlichen und der Auszubildenden einzuberufen ist. Es wundert uns schon sehr, daß Sie diese Anregung von uns nicht aufgegriffen haben. Das alles sind Vorschläge, die die Welt weiß Gott nicht verändern, aber es sind Vorschläge, die mehr Klarheit schaffen. Das kann für alle Beteiligten nur von Vorteil sein. Wenn man das nicht regeln will, dann leistet man - bewußt oder unbewußt - Mißdeutungen oder einer Einschränkung der Arbeitsmöglichkeit der Jugend- und Auszubildendenvertreter Vorschub. Man findet es in Ordnung, daß die Rechtsstellung der Jugend- und Auszubildendenvertreter nicht verbessert wird. Welchen Vorteil für den Dienstherrn sehen Sie darin, welche Benachteiligungen der Jugendlichen und Auszubildenden wollen Sie weiter bestehen lassen? Die Unlust zur Veränderung muß doch Gründe haben. Es wäre gut, wenn Sie sie offen auf den Tisch legen würden. Ich höre schon den Einwand, man wolle jetzt regeln, was unbedingt geregelt werden müsse. Alles andere wolle man sorgfältig überdenken ({4}) und in den Gesamtrahmen einer Reform des Bundespersonalvertretungsgesetzes stellen. ({5}) - Aber ich bitte Sie! Der Einwand sticht doch nicht, denn eine wirkliche Reform haben Sie ja gar nicht vor. Sie wollen die Personalvertretungen ja nur weiter atomisieren, indem Sie neben den Gruppenrechten jetzt neue Minderheitenrechte für konkurrierende Organisationen in den Personalräten verankern wollen. ({6}) In dieser Frage sind Sie von einer verdächtigen Beharrlichkeit. Das hat sich erst jetzt wieder im Anhörungsverfahren vor dem Bundestags-Innenausschuß gezeigt. ({7}) Und Sie schweigen sich beharrlich aus, wenn es um eine Verbesserung der Rechte und Einwirkungsmöglichkeiten der Personalräte geht. Die Parallelen zwischen beiden Gesetzesvorhaben sind nicht zu übersehen. Der sachliche Zusammenhang ist gegeben. Ihre politische Zielsetzung ist in beiden Fällen die gleiche. Deshalb bleibt Ihr gesetzgeberischer Eifer Flickwerk. Im Gesetzentwurf zur Bildung von Jugend- und Auszubildendenvertretungen in den Verwaltungen richtet er wenigstens keinen Schaden an. Er ist nur unvollkommen ausgeprägt. Bei der Änderung des Bundespersonalvertretungsgesetzes dagegen springen Sie nicht nur zu kurz, sondern Sie springen in die falsche Richtung. ({8}) Deshalb kann es in der Frage der ersten Vorlage ein Stück Gemeinsamkeit geben. ({9}) - Oder Sie springen gar nicht. Das ist Ihnen vielleicht eher angemessen. -Bei der zweiten ist unsere Beurteilung eine ungleich kritischere. Könnte es sein, so fragen wir uns natürlich, daß bei einem solchen Verhalten eine Grundmentalität der gegenwärtigen Koalition durchschlägt? Wir kommen zu der Ansicht: Sicher ist das so. Nicht alle, aber ganz sicher die, die in der gegenwärtigen Koalition das Sagen haben, haben ein sehr zwiespältiges Verhältnis zu allen Fragen der Mitwirkung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer, ({10}) sei das nun in den Betrieben der Privatwirtschaft oder in den Verwaltungen des öffentlichen Dienstes. Demokratie ist für Sie eine Sache des Feierabends, eine Angelegenheit, die im Sonntagsstaat oder in den von Ihnen gerade noch für satisfaktionsfähig gehaltenen Zirkeln abgehandelt gehört. ({11}) - Oh, ich weiß, daß Sie es so praktizieren. - Wie man mit einer solchen Einstellung junge Menschen - und von denen reden wir heute - an unsere Gesellschaft, an unseren Staat heranführen kann, wie man es vermag, in ihnen Mitentscheidungsfreude und Mitverantwortung zu wecken, bleibt Ihr Geheimnis. Mitentscheidung, Mitverantwortung haben peinlicherweise immer auch etwas mit Kritik zu tun. Die aber ist vielen von Ihnen lästig. Das schlägt sich, ob Sie es wollen oder nicht, auch in Ihrem Verhalten nieder. Dieses Defizit können wir bei Ihnen nicht abbauen. Wir können es nur zu mindern trachten, indem wir mit Ihnen den Millimeter gehen, den Sie gerade noch verantworten zu können glauben, und den politischen Boden für eine neue Mehrheit in diesem Hause vorbereiten, in dem aus Millimetern Meterstücke werden. Schönen Dank. ({12})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Richter.

Manfred Richter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001835, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Herr Kollege Lutz hier begann und sagte, die Koalitionsfraktionen hätten schon schlechtere Entwürfe eingebracht, hat mich dieses Ausmaß an Lob aus Ihrem Mund, mein lieber Herr Lutz, fast schon beängstigt. Da war ich geradezu beruhigt, als Sie am Schluß doch noch die Kurve kriegten und mit allerlei negativen Begriffen das, was wir Ihnen heute in der ersten Lesung vorlegen, belegt haben. Damit stimmte wenigstens das Weltbild wieder. Ich glaube auch, daß Sie mit Ihrem, so will ich einmal sagen, volkspädagogischen Ansatz in Sachen Demokratieverständnis nun doch ein bißchen über das Ziel hinausgeschossen sind. Denn mit der Vorlage dieses Entwurfs eines Gesetzes zur Bildung von Jugend- und Auszubildendenvertretungen in den Verwaltungen ziehen die Koalitionsfraktionen tatsächlich die Konsequenz daraus, daß es in der letzten Zeit einfach nicht mehr der Realität entsprach, daß die Auszubildenden lediglich bis zu einer Altersgrenze von 18 Jahren ihre Belange durch Jugendvertretung vertreten sahen. Die Schulzeiten werden länger. Immer mehr Auszubildende überschreiten diese Altersgrenze im Lauf ihrer Ausbildung. Gleichwohl bleibt die Tatsache der Ausbildung der Schwerpunkt ihrer Interessen, und zwar unabhängig davon, ob sie volljährig oder minderjährig sind. Deshalb soll die Jugendvertretung nun in eine Jugend- und Auszubildendenvertretung umgewandelt werden. Damit diese Institution eine Vertretung junger Beschäftigter bleibt, wird das Wahlrecht zur Jugend- und Auszubildendenvertretung auf diejenigen begrenzt, die das 25. Lebensjahr nicht vollendet haben. Ich will in diesem Zusammenhang nicht verschweigen, daß es für uns von großer Bedeutung ist, daß die Jugend- und Auszubildendenvertretung kein selbständiges und etwa neben dem Personalrat oder parallel zu ihm operierendes Organ der Personalverfassung ist. ({0}) Die Position des Personalrats bleibt durch diese Einrichtung einer Jugend- und Auszubildendenvertretung vollkommen unberührt. Denn der Personalrat nimmt die Interessen aller Beschäftigten wahr. ({1}) Dies ist auch der Grund, Herr Kollege, weswegen wir darauf Wert legen, daß die 18- bis 25jährigen, die jetzt neu von der Jugend- und Auszubildendenvertretung mitvertreten werden, gleichwohl das Wahlrecht zum Personalrat behalten. Das ist gerechtfertigt. Denn wenn man sie des Wahlrechts zum Personalrat verlustig gehen ließe, währen sie gegenüber dem geltenden Recht schlechter gestellt und erheblich benachteiligt. Denn die personelle Zusammensetzung des Personalrats, der ja allein über die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte verfügt, muß auch von ihnen beeinflußt werden. Die Grundkonzeption des Personalvertretungsgesetzes wird durch diese Umwandlung also nicht verändert. Beim Wahlverfahren kommt es uns sehr darauf an, die Chancen der Minderheiten zu wahren. ({2}) Daß Sie sagen, Minderheitenschutz sei weniger demokratisch, spricht gegen Sie, Herr Kollege. ({3}) Deswegen sollen die Jugend- und Auszubildendenvertretungen nach dem Grundsatz der Verhältniswahl gewählt werden. ({4}) Was die Änderung des Zeitraums anging, so ist der Hintergrund dafür, daß dem Datum der Schulentlassungen Rechnung getragen werden soll. Es gibt auch andere Überlegungen. Kollege Dr. Kappes hat darauf hingewiesen. Ich meine, wir sollten das in ruhiger und sachlicher Diskussion im Ausschuß erörtern und überlegen, ob dies die richtige Lösung ist. Insgesamt gewährleistet der von den Koalitionsfraktionen vorgelegte Gesetzentwurf eine bessere Vertretung der Interessen der Auszubildenden in den Verwaltungen, und er trägt den neueren Entwicklungen Rechnung. Ich denke, wir sollten dem Deutschen Bundestag eine zügige weitere Behandlung in den Ausschüssen empfehlen, damit die Wahlen für die neuen Jugend-und Auszubildendenvertretungen tatsächlich in Kürze stattfinden können. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Hillerich.

Imma Hillerich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000902, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man könnte ja meinen, daß alte Dichterworte noch stimmen: „Was lange währt, wird endlich gut." Wir haben daran ganz große Zweifel. Es hat viel zu lange gedauert, bis den Forderungen von Jugendvertretungen jetzt teilweise Rechnung getragen worden ist. Diese ihre Forderungen nach Ausweitung der Jugendvertretungen zu Jugend- und Auszubildendenvertretungen sind wirklich schon einige Jahre alt. Diese Verzögerungen haben eben mit dazu geführt, daß immer weniger Jugendvertretungen die Rechte der Jugendlichen in den Betrieben gerade in der Zeit des großen Mangels an Ausbildungsplätzen und der großen Schwierigkeiten während der Ausbildung tatsächlich haben vertreten können. ({0}) Im Vorspann, in der Problembeschreibung des Gesetzentwurfs der Koalitionsparteien steht: Wesentliche Aufgabe der Jugendvertretung ist es auch, sich für die Interessen der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten einzusetzen. Aber Sie halten es dann offenbar für ausreichend, hierfür nur das Wahlalter heraufzusetzen und das Wort „Jugendvertretung" durch das Wort „Jugend- und Auszubildendenvertretung" zu ersetzen. Das sind wirklich nur rein redaktionelle Änderungen. Ihr Gesetzentwurf besteht aus fast nichts anderem. Wir meinen allerdings, daß zu dem Einsatz für die Interessen der in der beruflichen Ausbildung Befindlichen einiges mehr gehört, nämlich die tatsächliche Stärkung der Rechte der Jugend- und Auszubildendenvertretungen. So meinen wir, daß die Jugend- und Auszubildendenvertretungen etwa auf die Qualität der Ausbildung, die Ausbildungsformen, die Ausbildungsinhalte, den Einsatz auf Ausbildungsplätzen und durchaus auch auf die Einstellung von Ausbildern und Ausbilderinnen Einfluß haben sollten. Wir halten dies gerade angesichts der neu geordneten und neu zu ordnenden Ausbildungsberufe auch im Büro- und Verwaltungsbereich - dort steht die Neuordnung ja demnächst an - für dringend notwendig. Bei den neu geordneten industriellen Metall- und Elektroberufen ist inzwischen schon deutlich geworden, gerade für die Jugendvertretungen, welche große Schwierigkeiten es bei der Umsetzung in der Praxis gibt. Große Schwierigkeiten gibt es dort gerade auch gegenüber und mit den Ausbildern und Ausbilderinnen, weil nämlich in den Ausbildungsordnungen ausdrücklich Wert darauf gelegt wird, daß es ein anderes Verhältnis gibt: nicht mehr das alte Meister-Lehrling-Verhältnis. Es wird darauf hingewiesen, daß die Jugendlichen sehr viel mehr Eigenständigkeit benötigen, um ihre Ausbildung sinnvoll durchführen zu können. Dafür benötigen die Jugendlichen und Auszubildenden mehr Rechte, auch mehr Rechte, als im Gesetzentwurf bisher vorgesehen sind. Wir haben uns im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft einvernehmlich dafür entschieden, daß wir diesen Gesetzentwurf mitberaten wollen. Das steht aber im Überweisungsvorschlag bisher nicht drin; denn wir haben diesen Beschluß im Ausschuß erst diese Woche fassen können. Deswegen, Herr Präsident, möchte ich Sie bitten, auch darüber hier noch kurz abstimmen zu lassen. Zum Wahlalter: Wir sehen nicht ein, weshalb das Wahlalter auf 24 oder 25 Jahre begrenzt werden soll. Kriterium für Wahlberechtigung für die Jugend- und Auszubildendenvertretungen sollte die Existenz eines Ausbildungsvertrages sein. Gerade die Tatsache, daß die Auszubildenden älter werden, daß auch Abiturienten in die betriebliche Ausbildung, daß auch Studenten nach vollendetem oder abgebrochenem Studium in die Ausbildung gehen, spricht unseres Erachtens dafür. Weitere Gesichtspunkte für die Stärkung der Rechte der Jugend- und Auszubildendenvertretungen: Wir meinen, daß sie durchaus auch gegenüber dem Personalrat gestärkt werden müssen. Das heißt: Die Bildung von Jugend- und Auszubildendenvertretungen darf nicht an die Existenz von Personalräten gebunden werden. Gerade in Verwaltungen, in denen noch kein Personalrat besteht, kann es dringend nötig sein, daß eine Jugend- und Auszubildendenvertretung gebildet wird. Dann halten wir an den Forderungen der Jugendvertretung in den Betrieben fest. Die sagen nämlich ausdrücklich: Wir wollen eine Persönlichkeitswahl und keine Listenwahl, weil die Listenwahl die Jugendlichen und Auszubildenden in Interessengruppen aufspaltet und den sozialen Beziehungen der Jugendlichen und Auszubildenden überhaupt nicht entspricht. ({1}) Des weiteren sind wir der Meinung, daß die Jugendlichen und Auszubildenden ein unabhängiges Begehungsrecht für Ausbildungs- und Arbeitsplätze benötigen und daß sie ihre Versammlungen, und zwar viermal im Jahr, unabhängig vom Personalrat durchführen sollten. Wir meinen, man sollte sogar mit einbeziehen, daß die Jugend- und Auszubildendenvertretungen eine Art Vetorecht gegenüber den Beschlüssen des Personalrats haben. Bisher bewirkt das Einspruchsrecht geFrau Hillerich genüber Beschlüssen des Personalrats nur die Verschiebung um eine Woche. Wir meinen, daß die Stellung der Jugend- und Auszubildendenvertretungen in Kompromißlösungen, die damit angestrebt werden, gestärkt werden muß. Ganz kurz noch ein letzter Punkt: Wir halten es für außerordentlich wichtig, daß die Jugend- und Auszubildendenvertreter/innen vor politischer Disziplinierung im Anschluß an ihre Ausbildung durch etwaige Nichtübernahme geschützt werden. Hier meinen wir, daß die öffentlichen Arbeitgeber verpflichtet werden müssen, die Auszubildenden drei Monate vor Ende der Ausbildungszeit davon in Kenntnis zu setzen, daß eine Weiterbeschäftigung auf unbestimmte Dauer nicht erwünscht ist. Falls der Auszubildende Widerspruch dagegen einlegt, muß der Arbeitgeber sie oder ihn weiterbeschäftigen, und das Verfahren, das dann einzuleiten wäre, muß vor dem Arbeitsgericht und nicht vor dem Verwaltungsgericht ausgetragen werden; denn es handelt sich immerhin um Arbeitsplätze und nicht um Verwaltungsakte. Hier müssen für die Nichtübernahme ernsthafte Gründe vorgetragen werden. Allein der Hinweis auf die Unzumutbarkeit der Übernahme in ein Arbeitsverhältnis reicht unserer Meinung nach nicht aus. Meine Redezeit ist leider zu Ende. Ich hätte gern noch etwas dazu gesagt, daß natürlich mehr Frauen in die Jugend- und Auszubildendenvertretungen müssen und daß wir auch in dem Bereich an unserer Quotierung von mindestens 50 % der Plätze festhalten. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. ({0}) - Zusätzlich soll der Gesetzentwurf zur Mitberatung an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft überwiesen werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 22 der Tagesordnung auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Garbe, Frau Oesterle-Schwerin, Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN Anwendungsverbot für Asbest und Verbot des Inverkehrbringens asbesthaltiger Produkte - Drucksache 11/2185 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Garbe, Frau Oesterle-Schwerin, Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN Sonderprogramm zur „Sanierung von asbestverseuchten Gebäuden" - Drucksache 11/2186 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Im Ältestenrat ist eine gemeinsame Beratung und ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Teubner.

Maria Luise Teubner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002308, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wahrscheinlich, meine Herrschaften von der Koalition - es sind nur Männer da - , erwarten Sie wieder eine Panikrede wie so oft, wenn sich die GRÜNEN in diesem Hause zu einem Umweltthema äußern. Ich kann Ihnen auch gleich versprechen: Ich werde Sie nicht enttäuschen. Sie können getrost in Ihren Manuskripten stehenlassen: „Frau Teubner hat wieder Katastrophenstimmung erzeugt." Es handelt sich wieder einmal um ein Fünf-nachzwölf-Thema, will sagen: ein Thema, das schon vor Jahren, wenn nicht Jahrzehnten zu einschneidenden politischen Eingriffen hätte führen müssen. Heute kann es leider fast nur noch um Begrenzung von weiteren Schäden gehen. Das Thema ist Asbest. Asbest ist ein Supergift. Der Länderausschuß für Immissionsschutz hat es vor Jahren schon als den nach Benzpyren gefährlichsten krebserzeugenden Schadstoff in der Außenluft bezeichnet. In der MAK-Liste ist es aufgeführt unter den Stoffen, „die beim Menschen erfahrungsgemäß bösartige Geschwülste zu verursachen vermögen". Die MAK-Liste enthält deshalb für diesen Stoff keine Konzentrations- oder zulässigen Grenzwerte, „da keine noch als unbedenklich anzusehende Konzentration angegeben werden kann". Weil ich trotz dieser völlig eindeutigen Aussagen der MAK-Sachverständigenkommission damit rechnen muß, daß meine Nachredner - oder wenigstens einige von ihnen - , die sich gut eingedeckt haben mit den Argumenten der Asbestindustrielobby, unsere Anträge gleich mit einer Grenzwertdiskussion als überflüssig oder lächerlich hinzustellen versuchen werden, möchte ich Ihnen noch ein Zitat aus der Broschüre vorlesen, die Ihnen hoffentlich inzwischen auch bekannt ist, zumindest denen, die sich damit im Baubereich beschäftigen. Da heißt es: Grundsätzlich geht von Asbestfaserstaub in Innenräumen eine konkrete Gesundheitsgefährdung ({0}) für die Benutzer aus, insbesondere dann, wenn hohe Spitzenkonzentrationen möglich sind. Eine unbedenkliche Belastungskonzentration im Sinne eines Schwellen5464 wertes für einen krebserzeugenden Stoff wie Asbest kann nicht angegeben werden. Das ist ein Zitat aus der Empfehlungsbroschüre zum Thema Asbest, herausgegeben vom Institut für Bautechnik mit Unterstützung - Herr Schneider ist auch nicht da - des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Damit auch noch eins klar ist: Versuchen Sie bloß nicht - wie kürzlich bei dem großen Brand eines NATO-Lagers in England geschehen -, die Leute damit zu belügen, daß Sie sagen, es gibt schädliche und gesunde Asbestfasern. Auch hier sagt die MAK-Liste ganz klar: Egal, ob weißer, ob blauer, ob brauner Asbest, jede Sorte kann Asbestose oder Krebs hervorrufen. In den USA wurden bisher 100 000 asbestbedingte Todesfälle gezählt; für die Zukunft rechnet man dort mit 350 000. Auch in der Bundesrepublik steigt die Zahl der Erkrankungen dieser Art jedes Jahr, und vor allen Dingen muß man da mit einer ganz hohen Dunkelziffer rechnen. Ein Skandal ist zudem auch noch, daß viele dieser asbestbedingten Krankheiten bis jetzt gar nicht als Berufskrankheiten anerkannt werden. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis von der ersten Feststellung von Asbestkrankheiten durch medizinische Literatur hier Arbeitsschutzmaßnahmen gesetzlich vorgesehen wurden. Die ersten, die auf die Problematik reagiert haben, waren nicht die Gesetzgeber oder die Arbeitsschützer, sondern Versicherungsgesellschaften in den USA, die sich geweigert haben, den Asbestarbeitern Lebensversicherungen zu verkaufen. Asbestkrebs ist insofern besonders problematisch, als er eine extrem hohe Latenzzeit von bis zu 40 Jahren hat. Das heißt, eine enorme Häufung dieser Krankheitsfälle steht uns erst noch bevor; denn der Boom der Anwendung dieses Stoffes in der Bundesrepublik begann in den 50er Jahren und erreichte dann Ende der 60er Jahre einen Gipfel. Die harten Fakten mußte auch die Industrie spätestens vor einigen Jahren zur Kenntnis nehmen, als in Großbritannien ein Film über die Krankheit eines von Asbestose befallenen Arbeiters gezeigt wurde. Daraufhin sanken die Aktien in der Asbestindustrie. Da mußte man dann eben auch auf diese Weise reagieren. Heute hat die Industrie allerdings schon wieder die Unverfrorenheit, sich hinter atemberaubenden Verharmlosungen zu verstecken. Ich will Ihnen ein Zitat aus einem Brief vorlesen, den mir der oberste Lobbyverband der Asbestindustrie einen Tag, nachdem wir unsere Anträge hier vorgestellt haben, zugeschickt hat. Da schreiben die: Die Zahl der hypothetisch errechneten Krebstoten durch Asbest in der Umwelt wird beim gegenwärtigen Niveau der Umweltbelastung in der Bundesrepublik ... mit großer Wahrscheinlichkeit hypothetisch bleiben. Das Risiko ist so klein, daß es statistisch nicht signifikant ermittelt werden kann. Die Verbesserung der Statistik bliebe im Bereich ihrer jährlichen Schwankungen, sie ginge im statistischen „Rauschen" unter. Mit anderen Worten, da in diesem Lande inzwischen jeder fünfte Mensch, in Ballungsgebieten schon jede vierte Person an Krebs stirbt, sollen wir die Asbesttoten eben auch noch in Kauf nehmen, denn sie gehen sowieso, wie es hier so zynisch heißt, „im statistischen Rauschen unter" . Das ist menschenverachtend. ({1}) Welche Rolle spielt in diesem Skandal die Bundesregierung und unser oberster Krisenmanager Töpfer? In Sachen Asbest hat sich das grüne Aushängeschild - ich begrüße wenigstens seinen Vertreter, der gerade erschienen ist - bisher nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Man kann ihm noch nicht einmal vorwerfen, er laufe wie sonst so oft den Ereignissen hinterher, nicht einmal das. Nein, man sieht überhaupt keinen Handlungsbedarf! Spritzasbest ist verboten, im Hochbau hat sich die Industrie verpflichtet, bis 1990 Asbest durch andere Stoffe zu ersetzen, und seit dem 1. Januar 1988, also erst seit ein paar Monaten, dürfen in der Bundesrepublik - und zwar nur hier - keine Brems- und Kupplungsbeläge aus Asbest mehr verwendet werden. Das ist es dann auch schon. Das heißt, dieses Teufelszeug darf noch weiterhin hergestellt und verwendet werden, und in ein paar Jahren haben wir dann auch den Binnenmarkt, und dann kann sich die Regierung wieder wie auch jetzt immer schon, wenn es gerade als Ausrede paßt, hinter der EG verstecken. Oder vielleicht hat der gute Töpfer auch tatsächlich vor, in Sachen Umweltschutz mal nicht nur den starken Mann in der EG zu markieren, sondern tatsächlich zu handeln. Wenn er auf Tagungen erscheint, klopft er da immer tolle Sprüche. Da habe ich jetzt in der „Welt" wieder einen gelesen. ({2}) Da sagte er in der saarländischen Universität, die deutsche Umweltpolitik müsse „vor allem innerstaatlichen Anforderungen und der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung gegenüber der Bevölkerung in diesem Lande Rechnung tragen." „Deutsch sein" , so Töpfer, „heißt, für mehr Umweltschutz sein". ({3}) Weiter sagte er, auf die EG bezogen, „der Langsamste soll nicht länger das Tempo der umweltpolitischen Entwicklung in der Gemeinschaft bestimmen". Ich kann ihn da nur ermutigen. ({4}) Vor ein paar Tagen wurde zwar erst mit großem Getöse mit Blick auf die unermüdlich anwachsende Giftmüllawine in der Bundesrepublik von einem „Entsorgungsinfarkt" gesprochen, der uns bevorsteht, aber trotz dieser vernichtenden Bilanz im Abfallbereich darf täglich weiter Asbest produziert und verwendet werden. Wir haben heute schon eine Altlast von 2 Millionen Tonnen davon, und das, obwohl inzwischen, wie gesagt, eindeutig erwiesen ist, daß eine absolute Gesundheitsgefährdung davon ausgeht - vor allen Dingen für die, die damit arbeiten, aber auch für die, die in Räumen leben, die damit versorgt sind - , und obwohl inzwischen auch erwiesen ist, daß dieses Material gegen Umwelteinflüsse nicht so resistent ist, wie man lange Zeit angenommen hat. Haben Sie sich denn im letzten Monat eigentlich nie gefragt, als die Nachrichten von den massenhaft geschlossenen Schulen in Frankfurt, Berlin und Hamburg durch die Medien gingen, ob vielleicht auch die Schulen, in denen Ihre Kinder sind, betroffen sind? Das Zeug ist ja schließlich überall verbaut worden. Oder wollen Sie das einfach als zusätzliches Restrisiko in die Summe der Gifte einreihen, die uns durch die Feigheit dieser Regierung vor der Industrie sonst noch zugemutet werden? ({5}) Oder meinen Sie wieder einmal, daß das ein Problem für die Kommunen ist, die mit der Sanierung eben irgendwie fertigwerden müssen? Auf der einen Seite wird ihnen durch die Steuerreform bis zum Geht-nicht-mehr das Geld aus der Tasche gezogen, auf der anderen Seite sagt man: Das Altlastenproblem müssen die Kommunen regeln, schließlich fällt das Zeug ja auch bei denen an. Das wird dann wie in Berlin geregelt mit solch hilflosen Anweisungen, wo die asbestverseuchten Schulen nach wenigen Tagen oder höchstens Wochen wieder geöffnet wurden mit der Anweisung, man solle „unkontrolliertes Spielen in den Pausen, das Erschütterungen ({6}) zur Folge hat, verhindern." Warum gibt es bei uns nicht längst eindeutige Regelungen für die Entsorgung und für die Sanierung? Warum zählt Asbest nicht zum Sondermüll? Wir fordern Sie dringend auf: Schaffen Sie wenigstens klare Richtlinien für die Asbestsanierung! Sorgen Sie vor allem mit einem sofortigen umfassenden Verbot dafür, daß nicht immer noch mehr Menschen einem Gesundheitsrisiko ausgesetzt werden, bei dem es nicht einmal eine Halbwertszeit gibt! ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Lippold ({0}).

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Teubner, Sie haben uns wirklich nicht enttäuscht. Bedauerlicherweise wirkt überzogene Kritik nicht. Wenn Sie vernünftig und sachbezogen argumentiert hätten, hätte das sicherlich Eindruck gemacht, weil wir das Problem kennen. Aber im globalen Rundumschlag über die Probleme hinwegzugehen hilft uns nicht weiter. ({0}) Sie reden über Kommunalpolitik, aber Ihre Bundespolitiker wissen doch gar nicht, was vor Ort in der Kommunalpolitik gemacht wird. Ich mache aktiv Kommunalpolitik. Wir haben die Schulen saniert. Aber das nehmen Sie nicht zur Kenntnis, weil Sie Erfolge nicht zur Kenntnis nehmen wollen, ({1}) weil das Ihre Politik - jetzt greife ich auf, was Sie gesagt haben - der Panikmache stört. Das können Sie nicht gebrauchen, das wollen Sie nicht. Wenn wir Erfolge haben, versuchen Sie, sie durch globales Gerede zu überdecken. ({2}) Sie müssen endlich zur Kenntnis nehmen, auch wenn Ihnen das nicht paßt: Wir sind in der EG einer von vielen. Wir müssen die anderen überzeugen. Durch Ihre Sprüche wird in der EG keiner überzeugt. Das Vorwärtskommen in der EG hängt nicht von wilden Sprüchen ab, sondern von sachlicher Argumentation, mit der wir die Partnerstaaten überzeugen müssen. Das hat diese Bundesregierung bislang in bester Form getan. ({3}) Das Problem ist hinlänglich bekannt. ({4}) Asbest gibt es in über 3 000 Verwendungsformen. Asbest kann tödliche Krankheiten hervorrufen, ruft sie hervor. Wir wissen um die Schwere der Bedeutung dieses Problems. ({5}) Deshalb sage ich Ihnen auch: Wir haben gehandelt, und zwar nicht erst jetzt, sondern bereits, als Sie noch nicht im Parlament waren. Die Umweltschutzpolitik fing ja nicht erst mit Ihnen an, sondern - das muß ich zur linken Seite sagen - sie begann schon früher. Wir akzeptieren das, weil wir der Meinung sind, daß dort, wo gehandelt wurde, dies anzuerkennen ist. Ich komme zur Leistungsbilanz. Die Verwendung von Spritzasbest, der gefährlichsten Form, ist bereits seit 1979 verboten. Die Gefahrstoffverordnung aus dem Jahre 1986 enthält sowohl ein Verbot des In-Verkehr-bringens bestimmter besonders gefährlicher asbesthaltiger Stoffe, Zubereitungen und Erzeugnisse als auch besondere Vorschriften beim Umgang mit Asbest. Asbesthaltige Brems- und Kupplungsbeläge sind nach der Gefahrstoffverordnung seit 1. Januar 1988 verboten, wie Sie richtig gesagt haben. ({6}) Sie haben richtigerweise darauf hingewiesen, daß das nur in der Bundesrepublik Deutschland so ist. Dann akzeptieren Sie doch bitte, daß wir hier wiederum eine Führungsrolle übernommen haben, daß wir mehr tun, als in anderen Ländern getan wird. Erkennen Sie dies doch an. ({7}) Die Gefahrstoffverordnung enthält ferner Beschränkungen für die Verwendung solcher Stoffe und Zubereitungen, die aufgespritzt und aufgesprüht werden können. Sie enthält Beschränkungen für Anstrichstoffe, soweit sie Asbest enthalten. Das Umweltbundesamt hat einen Katalog der Substitute vorgelegt, mit dessen Hilfe die Prüfpflicht aus der Gefahrstoffverordnung erfüllt werden kann. Danach muß geprüft werden, ob anstelle des Einsatzes Dr. Lippold ({8}) von Asbest weniger gefährliche Stoffe zur Verfügung stehen. Wir handeln danach. ({9}) Übrigens: Die Kooperation mit der Wirtschaft bringt schon etwas. Wir haben sie genutzt. Daß hier Einschränkungen erfolgt sind, daß der Einbau von Asbestzementstoffen bis 1990 endgültig bereinigt sein soll, ist doch ein Erfolg. Man kann doch nicht weg-schwätzen, daß hier eine möglichst schnelle Umstellung erfolgen soll, daß Substitute eingebaut werden sollen und daß wir den verabredeten Fahrplan mit der Asbestzement-Industrie einhalten. Das heißt, hier geschieht auf allen Feldern etwas. Das können Sie auch an den Zahlen ablesen: früher 157 000 t, 1986 nur noch 60 000 t. Danach belief sich der Anteil aus deutscher Produktion auf nur noch 23 000 t. Das sind Reduktionserfolge, die wir hier ganz einfach zur Kenntnis nehmen müssen. Erfreulicherweise haben Sie auf die Broschüre des Instituts für Bautechnik hingewiesen. Der Bundesbauminister hat die Behörden angewiesen, entsprechend zu verfahren. Wir können davon ausgehen, daß in Bund, Ländern und Gemeinden entsprechend dieser Broschüre verfahren wird. Ich glaube, das ist eine ganz hervorragende Handlungsanleitung. Wenn Sie sie detailliert durchgehen, stellen Sie fest: Sie ist praxisorientiert, umsetzungsorientiert und vor allen Dingen - das halte ich für wesentlich - ausgesprochen vorsorgeorientiert. Ich kann Ihnen aus meiner kommunalpolitischen Erfahrung sagen, daß wir dieses zur Leitschnur unseres Handelns gemacht haben. Ich glaube schon, daß man sagen kann, insbesondere bezüglich der Schuldiskussion, daß wir für unsere Kinder hiermit etwas Gutes getan haben: vor Ort, konkret. Wir haben nicht geredet, sondern gehandelt. Das ist der entscheidende Ansatzpunkt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin der Überzeugung, daß hier weitergearbeitet werden muß. Ich glaube, daß wir nicht davon ausgehen können, daß damit alles abgeschlossen ist. Deshalb ein weiteres Wort: Der Ausschuß für Gefahrstoffe beabsichtigt, auf seiner nächsten Sitzung am 22. Juni die Umstufung von Asbest in die Gruppe I, die Gruppe der sehr stark gefährdenden Gefahrstoffe, zu beschließen. Diese Umstufung soll im Rahmen der nächsten Änderungsverordnung zur Gefahrstoffverordnung rechtlich verbindlich gemacht werden. Als Folge davon dürfen Arbeitnehmer beim Umgang mit asbesthaltigen Gefahrstoffen diesen nicht ausgesetzt sein. Sie wissen, was das in der Einstufung für weitgehende Konsequenzen hat. Für Bereiche, in denen eine Substitution von Asbest zur Zeit noch nicht möglich ist, für die noch nicht abzusehen ist, wann geeignete Ersatzstoffe zur Verfügung stehen, auf die nicht verzichtet werden kann, ({10}) müssen begrenzte zeitliche Ausnahmen vorgesehen werden. Diese vom AGS beabsichtigte Verschärfung der Gefahrstoffverordnung muß dann allerdings auch noch in die EG eingebracht werden. Sie wissen, wir sind allein nicht handlungsfähig. Wir unternehmen diesen Vorstoß nur, weil wir dies für richtig halten. Wir sind damit innerhalb der EG in einer Führungsposition und marschieren wiederum an der Spitze derer, die Vorsorgemaßnahmen ergreifen. ({11}) - Frau Garbe, das paßt Ihnen nicht, weil es ja das Bild verzerrt, das Sie zu zeichnen versuchen, was aber nicht wirkt. Frau Garbe, wir haben Erfolge im Umweltschutz. Nur meinen Sie, Sie könnten das nicht akzeptieren, weil es nicht in Ihre politische Kampflinie paßt. Sagen Sie den Leuten doch ruhig, daß eine auf die Soziale Marktwirtschaft hin orientierte Umweltpolitik wesentlich mehr Erfolge hat als jegliche Umweltpolitik solcher dirigistischer Systeme, wie sie Ihnen vorschweben. ({12}) Denn in vergleichbaren Staaten, denen Sie gedanklich näherstehen, passiert im Umweltschutz jedenfalls wenig bis gar nichts, während bei uns gehandelt wird. Im übrigen, meine Damen und Herren, will der Ausschuß für Gefahrstoffe in der gleichen Sitzung die Technische Regel Gefahrstoffe 517 - Asbest - beschließen. Hierdurch werden die Vorschriften der Gefahrstoffverordnung zu Asbest präzisiert, und es wird ausführlich auf die Arbeitsschutzmaßnahmen bei der Sanierung asbesthaltiger Bauteile eingegangen. ({13}) Ergebnis: Durch die Regelungen der Gefahrstoffverordnung sowie durch die getroffenen Aufklärungsmaßnahmen ist ausreichend Vorsorge getroffen. ({14}) Wir werden dies trotzdem ergänzen, um weitere Gefahren durch die künftige Freisetzung von Asbestfasern zu verhindern. Insbesondere auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes sind ausreichende Regelungen vorhanden, um den Schutz der Arbeitnehmer beim Umgang mit Asbest sicherzustellen. In diesem Punkt - das sagen wir ganz deutlich - werden wir uns von niemandem überholen oder übertreffen lassen. Das ist unser ganz eigenes Anliegen. Ich muß der Bundesregierung danken, daß sie in dieser Form so nachhaltig vorstellig wird, um den Schutz der Arbeitnehmer auf allen Gebieten - das ist ja nicht nur dieser Bereich - zu gewährleisten. Das sollten Sie anerkennen. Das ist wesentlich. ({15}) Ich habe schon vorhin darauf hingewiesen, daß es weitere Handlungserfordernisse gibt, daß die Sanierungsmaßnahmen im Baubereich und die Sanierung der Altlasten weiterhin zügig umgesetzt werden müsDr. Lippold ({16}) sen. Da sind wir völlig einer Meinung. Das sollten wir dann aber auch parallel so ausdrücken. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ihr Antrag ist wie üblich ein Horrorgemälde. Sie differenzieren nicht. Sie zitieren die Zahlen aus dem FraunhoferGutachten falsch. ({17}) Sie versuchen, durch diese Falschzitate ein unzutreffendes Bild zu zeichnen. Lassen Sie mich abschließend sagen: Selbst das Bundesgesundheitsamt, das sicherlich unverdächtig ist, hat die Daten und die Meßverfahren dieser Studie kritisiert. Sie sollten sich deshalb, wenn Sie dies zur Begründung heranziehen, wissenschaftlich exakt damit auseinandersetzen und nicht nur Ihre Vorurteile hier verbreiten. Das wäre der sachlichen Diskussion nützlicher und würde zum Schutz der Menschen mehr beitragen als die Verbreitung von Panik und das Malen von Horrorgemälden. Herzlichen Dank. ({18})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller ({0}).

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der krampfhaften Rhetorik und den Vorurteilen wieder zum Thema, nämlich Asbest. Asbest ist in der Tat ein Stoff, bei dem wie bei kaum einem anderen die gesundheitlichen Gefahren bekannt sind. Bereits 1936 ist die Asbestose als Berufskrankheit anerkannt worden, bereits 1943 - dies sind mit die frühesten Eingruppierungen - der asbestbedingte Krebs. In der Tat ist es auch heute so, daß das Bundesgesundheitsamt fordert, sowohl den Katalog der asbestbedingten Krankheiten im Berufskrankheitengesetz zu erweitern als auch für die Allgemeinbevölkerung entsprechende gesundheitliche Vorschriften und Vorsorgemaßnahmen zu erlassen. Von der Vertreterin der GRÜNEN - ich finde, das war kein Horror - ist immerhin die Zahl genannt worden, die im öffentlichen Bewußtsein nur unzureichend registriert ist. Das heißt, daß man in Amerika die Zahl der Asbesttoten auf 100 000 schätzt und daß man auf Grund der hohen Latenzzeit für die nächste Zeit immer noch davon ausgehen muß, daß es 350 000 weitere Menschen sind, die an asbestbedingten Tumoren sterben. Worauf ist das zurückzuführen? Das ist darauf zurückzuführen, daß Asbest eine ungeheuer lange Latenzzeit hat, nämlich von ungefähr 30 bis 40 Jahren, so daß man hier die Problematik der modernen Umweltvergiftungen in einer exemplarischen Weise nachvollziehen kann. Das heißt, daß selbst heutige Maßnahmen nicht verhindern, daß wir noch 30, 40 Jahre mit erheblichen Problemen fertigwerden müssen. Insofern finde ich es richtig, daß man auch auf solche Probleme immer hinweist; denn die asbestbedingten Krankheitsfälle von heute sind 1940, 1950 und vielleicht noch 1960 entstanden. Die Konsequenzen dessen, was wir heute freisetzen, werden wir erst nach dem Jahr 2000, 2010 sehen. Von daher finde ich es richtig, daß man die Vorsorge durch die Politik fordert. Hinzu kommt - das möchte ich als zweites erwähnen - die Untersuchung des Bundesgesundheitsamtes. Das Bundesgesundheitsamt weist darauf hin, daß es gerade bei Asbestfaserstoffen zu ganz kurzfristigen sehr hohen Ausstößen kommen kann, deren gesundheitliche Gefahren bisher nicht untersucht sind und von denen man auch nicht weiß, welche Synergismen sie erzeugen. Das heißt, gerade in dem Bereich der Innenraumkonzentration wissen wir über die Auswirkungen von kurzfristigen hohen Belastungen eigentlich nur wenig. Von daher hat das Bundesgesundheitsamt schon 1978 die Forderung erhoben, Asbest nicht nur im Arbeitsbereich, sondern für die Bevölkerung generell drastisch zu verringern, möglichst darauf zu verzichten. Der Kollege Lippold hat erwähnt, daß im März letzten Jahres die Arbeitsgruppe Toxikologie empfohlen hat, Asbest aus der Gruppe II der Gefahrstoffverordnung in die Gruppe I aufzunehmen. Dies bedeutet, wenn man es konsequent macht, in der Tat eine ganz entscheidende Verbesserung; denn hier gibt es dann nur noch radikale Verbote. Wir können deshalb nur fordern, daß die AGS das möglichst bald aufnimmt. Die Gefahren aus Asbest sind heute allgemein geworden. Wir erleben sie an verkehrsreichen Straßen, in der Nahumgebung von Produktionsstätten, im Tiefbau und immer mehr insbesondere in Innenräumen. Alleine in die Luft wurden 1985 ungefähr 500 Tonnen Asbestfasern abgegeben. Wir müssen einfach feststellen, daß wir nicht wissen, wo bei diesen Abgaben das gesundheitliche Risiko anfängt. Von daher ist es völlig zu Recht eine der entscheidenden Forderungen, daß wir schnell dazu kommen, daß es eine drastische Reduzierung insbesondere in den Innenräumen gibt. Wir fordern dafür eine Technische Anleitung Innenraum. Wir gestehen natürlich zu, daß die bisherigen Maßnahmen auf diesem Feld, sprich: Aufnahme in die Gefahrstoffverordnung bzw. freiwillige Vereinbarung mit der Faserzementindustrie, ein Schritt in die richtige Richtung waren. Aber wir gestehen ebenfalls zu, daß dies völlig unzureichend ist. Allein in den letzten Jahren sind die Importe drastisch angestiegen. Wir haben heute beispielsweise im Bereich der Asbestfasern eine Importzahl von 70 000 Tonnen. Das ist eine alarmierende Entwicklung, die zeigt, daß unter Umständen freiwillige nationale Vereinbarungen durch Importe völlig konterkariert werden. Das kann nicht der Sinn von Reduzierungsmaßnahmen sein. ({0}) Deshalb sagen wir auch deutlich: Es muß hier zu Verboten kommen, die generell gelten. Denn es ist ähnlich wie beispielsweise bei den Holzschutzmittelherstellern. Was nützen freiwillige Vereinbarungen, Müller ({1}) wenn sie sozusagen durch Importe unterlaufen werden? Bereits 1985 forderte die IG Chemie den Weg ohne Asbest. Besonders wichtig ist, daß sie zusammen mit dem Bundesumweltamt und anderen Gremien festgestellt hat, daß es zu der überwiegenden Zahl - die Zahl ist sicherlich bei weit über 95 % anzusetzen - Ersatzstoffe gibt, zum Teil natürlich teurere. Aber was ist uns teurer als die Gesundheit der Menschen? ({2}) Zu der Forderung, Asbest in den Anhang I der Gefahrstoffverordnung aufzunehmen: Was heißt das? Das heißt erstens, daß dann in Zukunft die zuständige Behörde die Verwendung von Asbest als Gefahrstoff überall dort untersagen kann, wo es Ersatzstoffe gibt. Ich sagte bereits, daß das faktisch in fast allen Bereichen der Fall ist. Es wäre ein Schritt nach vorne. Es bedeutet zweitens, daß Arbeitnehmer Asbest nicht mehr ausgesetzt werden dürfen. Was heißt das? Es bedeutet faktisch die Null-Exposition. Denn im Grunde genommen bedeutet eine solche Forderung, daß, wo überhaupt mit einer Asbestbelastung am Arbeitsplatz zu rechnen ist, dies zukünftig ausgeschlossen werden muß. Damit hätten wir zwei wesentliche Bereiche schon erreicht, nämlich erstens sozusagen die Verbotsmöglichkeiten der Behörden und zweitens, daß insbesondere Arbeitnehmer geschützt werden. Wir wollen als drittes eine Technische Anleitung Innenraum, in der klar bestimmt wird, daß Asbest in Zukunft auch in Innenräumen nicht mehr zu gesundheitlichen Schäden führen, was in erster Linie Verbote bedeutet. Aus dem Ganzen ergeben sich für uns elf Forderungen. Erstens. Wir wollen schon heute zum Schutz der Konsumenten eine generelle Kennzeichnungspflicht für alle asbesthaltigen Produkte. Vielfach wissen wir nämlich nicht, daß sie Asbest enthalten. Zweitens. Wir wollen Asbesthöchstwerte in einer TA Innenraum. Drittens. Wir wollen ein Bundesprogramm zur Sanierungsförderung. Das Berliner Beispiel ist zu Recht angesprochen. Es ist in der Tat lächerlich, zu meinen, nach wenigen Wochen mit einigen organisatorischen Hinweisen das Problem für Kleinkinder lösen zu können. Gerade bei Kleinkindern und bei Jugendlichen sind die Probleme deshalb sehr groß, weil diese in der Regel noch schlechtere, also noch nicht voll ausgeprägte Atmungssysteme haben. Viertens. Wir wollen ein bundesweites Entsorgungsprogramm. Fünftens. Die Liste der anerkannten Berufskrankheiten soll um alle asbestbedingten Krankheiten erweitert werden. Sechstens. Wir wollen einen Sanierungsrichtwert gesetzlich festlegen. Siebtens. Wir wollen Asbestzementprodukte im Tiefbau aus Arbeits- und aus Umweltschutzgründen grundsätzlich verbieten. Dasselbe gilt für den Hochbau. Achtens. Wir wollen die Selbstverpflichtungserklärung ab 1. Januar 1991 in eine rechtliche Verbotsvorschrift umwandeln. Neuntens. Wir wollen einen Immissionswert für Asbest in der TA Luft festlegen. Zehntens. Wir unterstützen die Forderung der Aufnahme von Asbest in die Gruppe I der Gefahrstoffverordnung. Elftens. Wir wollen, daß die technische Richtkonzentration am Arbeitsplatz für Blauasbest und Weißasbest sofort reduziert wird. Wir glauben übrigens - deshalb unterstützen wir den Antrag, und wir finden ihn deshalb wichtig; wir werden auch selber dazu einen Antrag einbringen -, daß wir jetzt handeln müssen. Denn es wird in der Tat nach 1992 ungleich schwieriger, die Asbestbelastungen zu reduzieren. Deshalb ist heute Handlungsbedarf gegeben. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Segall.

Dr. Inge Segall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002144, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Die Gefahren, die von der Bearbeitung und dem Einsatz von Asbest ausgehen, sind seit langem bekannt und durch Untersuchungen wissenschaftlich untermauert. Wieweit jedoch Asbestzementoberflächen durch Verwitterung zu Asbestimmissionen führen können, wird noch diskutiert. In jedem Fall ist es aber richtig, diesen Stoff so weit wie möglich aus Produktion und Verwendung herauszunehmen, und sei es - wie bei den Verwitterungserscheinungen - auch nur aus Gründen der Vorsorge. ({0}) Vorsorge ist ein Prinzip, das im Umweltschutz häufig die Maxime unseres Handelns darstellt, und zwar, wie ich meine, zu Recht. In der Politik muß ich zwar alle Auswirkungen einer Entscheidung in Erwägung ziehen und so bei Produktions- und Anwendungsverboten auch die ökonomischen Konsequenzen, z. B. den Verlust von Arbeitsplätzen in einem Industriezweig, bedenken; bei einer anerkannten Gefahr für Gesundheit und Leben muß jedoch gehandelt werden. In dieser Richtung hat die Bundesregierung schon vieles getan. Ich glaube, ich sollte diese Gelegenheit hier und heute dazu nutzen, dies den Bürgern unseres Landes einmal sehr deutlich zu sagen. ({1}) Denn unterschwellig erwecken die hier behandelten Anträge der GRÜNEN den Anschein, die Bundesregierung sei untätig geblieben. Dies ist nicht der Fall. ({2}) Wir haben eine Gefahrstoffverordnung, und nach dieser wird ein Inverkehrbringen bestimmter asbesthaltiger Stoffe, Zubereitungen und Erzeugnisse wie z. B. Anstrichstoffe, Spritzmaterialien und Bauasbest spätestens ab 30. Juni 1989 verboten sein. Für Asbestzement, Leichtbauplatten, asbesthaltige Isoliermaterialien und Dämmstoffe sowie für faserverstärkte Thermoplastmassen sieht die Gefahrstoffverordnung darüber hinaus Herstellungs- und Verwendungsbeschränkungen vor. In Umsetzung von EG-Richtlinien wurde im Anhang II der Gefahrstoffverordnung zum Schutz der Arbeitnehmer vor Gefährdungen durch Asbestfasern der sogenannte Blauasbest verboten. Weitere Beschränkungen gelten für asbesthaltige Hitzeschutzkleidung. Es ist nur noch in begründeten Ausnahmefällen zulässig, asbesthaltige Hitzeschutzkleidung einzusetzen. Ebenso hat die besagte Novellierung der Gefahrstoffverordnung Fortschritte bei asbesthaltigen faserverstärkten Thermoplastmassen gebracht. Danach konnte dieser Werkstoff inzwischen verboten werden, weil ausreichend erprobte Ersatzstoffe zur Verfügung stehen. Gleiches gilt für Beläge in Bremsanlagen und Kupplungen von Fahrzeugen. Flankiert wurde diese Regelung durch laufende Bemühungen der deutschen Industrie. Zwar konnte auf Grund von EG-rechtlichen Vorschriften die Betriebserlaubnis für ein Fahrzeug nicht davon abhängig gemacht werden, ob eine Bremsanlage asbestfrei ist. Inzwischen haben die deutschen Kraftfahrzeughersteller aber erklärt, bis Ende dieses Jahres Personenkraftfahrzeuge mit neuen, asbestfreien Bremsbelägen auszurüsten. Darüber hinaus hat die Industrie erklärt, auch für Kupplungen in allen Fahrzeugen Lösungen zu entwickeln, die die vollständige Zurückdrängung des Asbests aus der Fahrzeugproduktion erlauben. Dies halte ich für einen nicht zu unterschätzenden Fortschritt; denn leider passiert bei Umweltproblemen häufig eines: Ein Stoff wird verboten, es kommen Ersatzstoffe auf den Markt, und über kurz oder lang stellt sich heraus, daß der Ersatzstoff genauso gefährlich oder sogar noch gefährlicher ist. Dies ist bei Asbest glücklicherweise nicht der Fall. Wir haben vielfach Stoffe, die das gefährliche Asbest ersetzen können. Von den aufgeführten rechtlichen Regelungen ausgenommen sind bisher die Herstellung, Inverkehrbringung und Verwendung von hitzebeständigen Materialien aus Asbest im Hoch- und Tiefbau. Doch auch hier sind Fortschritte zu verzeichnen. Auf der Grundlage freiwilliger Vereinbarungen von 1982 und 1984 hat sich die deutsche Asbest- und Faserzementindustrie dazu verpflichtet, bis Ende 1990 Asbest auch im Hochbau vollständig ersetzen zu wollen. Ich weiß, daß ich mich damit wieder einmal dem Vorwurf von seiten der Opposition - insbesondere der GRÜNEN, wie ja vorhin auch gerade geschehen - aussetze, durch grenzenloses Vertrauen in die Industrie notwendige Schritte zur Abwendung einer Gefahr zu unterlassen. Doch auch hier kann ich nur auf die Erfahrungen hinweisen. Insbesondere bei nur auf Verdachtsmomenten beruhenden Gefahren - wie z. B. bei der Verwitterung von Asbestzementoberflächen - können auf Grund der Zweifel rechtliche Schritte nur unter erheblichem administrativen Aufwand realisiert werden. Damit sind dann unabsehbare Verzögerungen bei ungewissem Ausgang zu befürchten. Da ziehe ich allemal die freiwillige Vereinbarung vor, ({3}) ganz abgesehen davon, daß Liberale immer noch an die Kraft der Vernunft glauben, ({4}) um auf der Basis freiwilliger Kooperation schnellere und bessere Ergebnisse zu erzielen, als durch die Gesetzesmaschinerie möglich wäre. Die Automobilindustrie hat beim Asbest insoweit Vorbildliches freiwillig geleistet. Sie sehen, daß Ihr Vorwurf unbegründet ist. Er ist aber auch unbegründet hinsichtlich der Entschlossenheit des Staates, im Notfall seine für richtig erachteten Entscheidungen gesetzlich durchzusetzen. Insoweit möchte ich darauf hinweisen, daß die Umweltministerkonferenz erwogen hat, ab Januar 1991 auch rechtliche Verbote aufzustellen, um einer etwaigen Nichteinhaltung der getroffenen Vereinbarungen entgegenzuwirken. Allerdings gibt es im Bereich des Asbests noch Probleme, über deren Lösung man sich auch auf Länderebene streitet. So konnte sich die Umweltministerkonferenz nicht auf einen Beschluß einigen, welche Maßnahmen zur Verringerung der Umweltbelastung durch Asbest erforderlich sind. Das Bundesumweltministerium möchte ich insoweit bitten - Herr Grüner ist hier anwesend - , zu prüfen, ob auch im Tiefbau Asbest ersetzt werden kann, welche Sanierungsmaßnahmen insbesondere zur Sanierung von Spritzasbest empfohlen werden können und wie bei der Sanierung ein Arbeitnehmerschutz weitgehend hergestellt werden kann. Ich denke, die bisherigen Reaktionen der AsbestIndustrie zeigen, daß auch in diesem Bereich freiwillige Vereinbarungen z. B. zum Verzicht auf Asbest im Tiefbau möglich sind und so schneller als durch administrative Maßnahmen eine weitere Zurückdrängung des Asbests erreichbar ist. Da wir uns mit den hier behandelten Anträgen demnächst im Umweltausschuß beschäftigen werden, ergibt sich noch Gelegenheit, weitere Detailfragen zu disktutieren und zu ermitteln, welche Schritte sinnvoll zur schnellen Verminderung der Asbestemissionen möglich sind. ({5}) ({6})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Soweit ich sehe, gibt es keine Wortmeldungen mehr. Ich schließe die Aussprache. Meine Damen und Herren, zu Tagesordnungspunkt 22 a schlägt der Ältestenrat vor, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Außerdem Vizepräsident Frau Renger soll diese Vorlage zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung überwiesen werden. Zur Geschäftsordnung, bitte schön.

Maria Luise Teubner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002308, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte beantragen, daß - wie in der Tagesordnung ausgedruckt - der Antrag auf Drucksache 11/2186 federführend an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau überwiesen wird; es geht dort um das Sanierungsprogramm. Ich möchte kurz begründen, warum wir den Bauausschuß als federführend vorgeschlagen; wir haben uns schließlich dabei etwas gedacht. ({0}) - Doch, ich kann das hier begründen, wenn ich das Wort zur Geschäftsordnung habe. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich bitte Sie - Sie haben das Wort -, begründen Sie das in der Kürze der Zeit.

Maria Luise Teubner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002308, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir haben jetzt eine fast einstündige Debatte darüber geführt. Asbest ist ein Baustoff. Es geht in dem Sanierungsprogramm hauptsächlich darum, Richtlinien zur Sanierung von Gebäuden zu erarbeiten. Sie wissen vielleicht, daß, wenn Asbest in den Gebäuden enthalten ist, man heute immer noch nicht dafür sorgt, daß es vor einem Abbruch herauskommt, sondern das gelangt nachher z. B. in den Bauschutt; der kann nicht recycled werden. Wir möchten, daß hier Richtlinien eindeutiger Art festgesetzt werden, und die sind im Bauausschuß zu erarbeiten. Schließlich ist auch die Bauforschung, wo so etwas erarbeitet werden kann, diesem Ausschuß zugeordnet. Ein Bestandteil unseres Antrages ist der Auftrag an die Bundesregierung, für die Gebäude, die im Besitz des Bundes sind und für die der Bauminister Ressortminister ist, sozusagen als Vorbild ein Programm zur Asbestsanierung zu erarbeiten. Aus diesen Gründen möchten wir, daß wir im Raumordnungsausschuß den Antrag Drucksache 11/2186 zur federführenden Beratung überwiesen bekommen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Danke schön. - Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Bohl, bitte sehr.

Friedrich Bohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000230, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich muß gestehen, daß mich dieses Verfahren außerordentlich befremdet. Wir haben gestern eine Sitzung des Ältestenrates gehabt, wo noch einmal ausdrücklich bestätigt wurde, daß das, was bisher geplant war, so auch exekutiert werden sollte. Ich habe auch heute in der Sitzung von der Fraktion DIE GRÜNEN nicht den geringsten Hinweis bekommen, daß eine Änderung beabsichtigt sei. Man hätte dann vielleicht in der Debatte den einen oder anderen Zuständigen noch einmal fragen können. Ich sehe mich nicht in der Lage, jetzt auf diesen Vorschlag einzugehen, der möglicherweise sogar sachgerechter sein kann als das, was ursprünglich vorgesehen war. Das weiß ich nicht. Ich muß mich deshalb ausdrücklich auf die Vereinbarung beziehen und gehe davon aus, daß auch die anderen Fraktionen deshalb diesen Antrag ablehnen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort wird weiter zur Geschäftsordnung nicht erbeten. Ich lasse über den Antrag abstimmen. Wer diesem Vorschlag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag, die Federführung zu verändern, ist damit abgelehnt. Ich darf dann noch abstimmen lassen über die Überweisungsvorschläge, die in der Tagesordnung ausgedruckt sind, zunächst zu Punkt 22 a einschließlich des zusätzlichen Überweisungsvorschlags zur Mitberatung im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe. - Enthaltungen? - Dann ist das so beschlossen. Zu Punkt 22b ist abweichend vom Überweisungsvorschlag des Ältestenrates vereinbart worden, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu überweisen. Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau soll mitberaten, ansonsten bleibt es bei den auf der Tagesordnung aufgeführten Vorschlägen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit Mehrheit so beschlossen, wie eben dargestellt. Ich rufe Punkt 23 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Beruf der Rettungsassistentin und des Rettungsassistenten ({0}) - Drucksache 11/2275 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({1}) Innenausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Werner.

Herbert Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002484, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Jährlich leisten die Rettungssanitäter in der Bundesrepublik bei über 2 Millionen Notfalleinsätzen erste Hilfe. Hinter dieser großen Zahl von Einsätzen verbirgt sich eine Vielfalt unterschiedlichster Notfälle, die von den Rettungssanitätern eine umfassende Ausbildung verlangen. Die wachsenden Schwierigkeiten und Aufgaben der Lebensrettung, der Fortschritt in der Gerätemedizin und das bis zum Werner ({0}) Eintreffen des Arztes selbständige Handeln am Unfallort verlangen vom Rettungssanitäter eine Fülle von eigenständigen und eigenverantwortlichen Entscheidungen. Dies macht es erforderlich, die Tätigkeit in entsprechender Weise rechtlich und auch sozialrechtlich abzusichern. Der vorliegende Gesetzentwurf will beides tun. Bisher war es so, daß der Rettungssanitäter lediglich in einem Grundkurs von 520 Stunden in überwiegend ehrenamtlicher Tätigkeit ausgebildet wurde. In Zukunft soll der Rettungssanitäter, von der Bundesregierung Rettungsassistent genannt, hauptamtlich tätig sein. Er soll eine zweijährige Ausbildung durchlaufen, die sich in einem einjährigen Lehrgang mit Prüfung und ein einjähriges Praktikum gliedert. In anerkannten Schulen des Rettungswesens, in Krankenhäusern, verzahnt durch Unterrichtsblöcke, sowie in Rettungswachen soll der Rettungssanitäter in Zukunft seine theoretischen und praktischen Kenntnisse und Erfahrungen sammeln, die ihn befähigen sollen, lebensrettende Hilfe zu leisten. Dies wird von den kleineren Rettungsdiensten Kooperationsbereitschaft im Bereich der Aus- und Fortbildung verlangen. Die von vielen geforderte volle Professionalisierung des Rettungswesens lehnen wir ab. Wir finden sie auch nicht in diesem Entwurf. Wie bisher soll es auch in Zukunft die Möglichkeit der 520-Stunden-Ausbildung geben, jedoch soll nach dem Willen der Länder in Zukunft auf Rettungstransportwagen und Notarztwagen mindestens ein hauptamtlicher neuer Rettungssanitäter mitfahren. Dies erfordert insgesamt 7 300 hauptamtliche Rettungssanitäter, von denen allerdings die meisten schon vorhanden sind und verursacht einen jährlichen zusätzlichen Ausbildungs- und Ergänzungsbedarf von 700 Personen. Die Kosten dafür werden letztlich davon abhängen, in welchem Verhältnis ehrenamtliche und hauptamtliche Rettungssanitäter ausgebildet werden und tatsächlich zum Einsatz gelangen. Zu begrüßen sind nach unserer Auffassung die flexiblen Möglichkeiten des Einstiegs aus anderen Heil-hilfsberufen. Die Ausbildung im Rahmen der Feuerwehr, der Bundeswehr, der Polizei wird ebenso angerechnet wie die der übrigen Heilhilfsberufe. Geklärt werden sollte allerdings auch im Rahmen der jeweiligen Berufsbilder die Möglichkeit zum späteren Umstieg der Rettungssanitäter in andere Heilhilfsberufe. Für heute ehrenamtliche Rettungssanitäter, die hauptamtlich werden wollen, gilt eine großzügige Übergangsregelung. Denn sie müssen nur ihre 520Stunden-Ausbildung vor dem Inkrafttreten des Gesetzes begonnen und 2 000 Stunden Dienst erledigt haben. Daneben sollen weiterhin die ehrenamtlichen Rettungshelfer und Rettungssanitäter ihre Hilfe ausüben können. Noch ein Wort zur Berufsbezeichnung. Hier sind wir als Fraktion völlig offen. Das Ministerium hat angesichts des Fortbestehens der 520-Stunden-Rettungssanitäter - wie ich sie einmal nennen möchte - und angesichts der nunmehr zweijährigen Ausbildung für den neuen hauptamtlichen Rettungssanitäter den Begriff des Rettungsassistenten in das Gesetz hineingeschrieben. Es hat aber gleichzeitig deutlich gemacht, daß es an diesem Punkt für jede andere Bezeichnung und für jede Diskussion offen ist. Ich selber habe vor mehr als zwei Jahren den Begriff des staatlich geprüften Rettungssanitäters als Berufsbezeichnung vorgeschlagen und glaube, daß es im Hinblick auf die Motivierung der ehrenamtlichen Rettungssanitäter hilfreich sein könnte, auch den hauptamtlichen, voll ausgebildeten Rettungssanitäter einen Rettungssanitäter - mit staatlicher Anerkennung - zu nennen. Der Begriff des Rettungsassistenten hebt demgegenüber die Ausbildungsunterschiede hervor. Die Berufsbezeichnung ist in der Praxis meines Erachtens aber nicht von Bedeutung, da beide gemeinsam auf Rettungstransportwagen und Notarztwagen fahren sollen. Zum Schluß ein Dank an Frau Minister Süssmuth. Sie hat unser Drängen nach Schaffung eines Rettungssanitätergesetzes energisch aufgegriffen. Dank sagen möchte ich aber auch den Beamten im zuständigen Ressort, hier vor allen Dingen Herrn Kurtenbach, die sich große Mühe bei der Vorbereitung und Ausarbeitung des Gesetzentwurfs gemacht haben. Wir hoffen auf eine zügige Beratung, damit bald das Ende einer über 15jährigen Diskussion erreicht wird. Wir hoffen, daß mit der verbesserten Ausbildung der hauptamtlichen Rettungssanitäter oder Rettungsassistenten Qualität und Wirksamkeit der medizinischen Erstversorgung am Unfallort weiter ansteigen wird. Gerade die ersten Minuten der Versorgung sind oft von ausschlaggebender Bedeutung für das Ausmaß der Behandlung im Krankenhaus und für mögliche Unfallfolgeschäden. Wir hoffen daher, meine Damen und Herren, daß auch Sie aus den anderen Fraktionen die zügige Beratung dieses Gesetzes unterstützen werden. Lassen Sie mich zum Schluß allen Notärzten, allen Rettungssanitätern, allen Rettungshelfern und allen im Unfallwesen Tätigen unseren herzlichen Dank sagen und lassen Sie uns sie alle zur Mitdiskussion über diesen Gesetzentwurf einladen. Vielen Dank. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Wittich.

Berthold Wittich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002538, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt grundsätzlich die Tatsache, daß heute der Entwurf eines Gesetzes über den Beruf der Rettungsassistentin und des Rettungsassistenten in den geregelten Gesetzgebungsprozeß einmündet. Dieser Schritt ist längst fällig, ja geradezu überfällig. Wir dürfen nicht mehr weiter hinnehmen, daß gerade dort, wo es um die Rettung des menschlichen Lebens und die Betreuung lebensgefährlich Verletzter, um die Transportbegleitung Schwerkranker geht, die Hilfe nicht angemessen und ausreichend ist, weil das zuständige Personal nicht umfassend genug ausgebildet worden ist. Frauen und Männer im Rettungsdienst müssen durch eine qualifizierte Ausbildung zu einem starken Glied der Rettungskette werden, zu einem verlängerten Arm des Notarztes und zu einem fachlich versierten Partner im Team. Das liegt nicht zuletzt und vor allem im Interesse der Menschen, die sich in einer großen Notlage befinden und dringend der Hilfe bedürfen, im Interesse der Kranken und Verletzten nämlich. Nach den Erkenntnissen maßgeblicher Wissenschaftler - das darf ich hier ergänzend anmerken - kann die Zahl der Unfalltoten in erheblichem Maße verringert werden, wenn nach den Gesichtspunkten der modernen Notfallmedizin ausgebildetes Personal zur Verfügung steht. Der vorliegende Entwurf greift in mehreren Punkten wesentliche Zielsetzungen und Regelungen eines Gesetzentwurfes der sozialliberalen Koalition aus dem Jahre 1973 auf. Dieser Gesetzentwurf scheiterte jedoch damals am Widerstand der Länder und Kommunen wegen der in diesem Zusammenhang befürchteten Kostenentwicklung. Der jetzige Gesetzentwurf nimmt einige Strukturmerkmale der damaligen Initiative auf, so auch die zwei Jahre umfassende Ausbildung. Wir begrüßen, daß die Auszubildenden einen zweijährigen Lehrgang absolvieren müssen. Die Dauer von zwei Jahren ist für uns das Minimum. In diesem Zusammenhang kann nicht nachdrücklich genug hervorgehoben werden - und da pflichte ich Ihnen bei, Herr Kollege Werner - : Nur eine qualifizierte Ausbildung sichert die Qualität des Rettungsdienstes! Die Männer und Frauen, die unter erschwerten Bedingungen eine besondere Leistung für die Allgemeinheit erbringen, können ihrer verantwortungsvollen Aufgabe nur nachgehen, wenn ihre Arbeit auf der Grundlage einer optimalen Ausbildung erfolgt. Wer nicht die Möglichkeit erhält, sich umfassende Kenntnisse für eine ausreichende Versorgung von Notfallpatienten zu erwerben, kann die mit Recht in der Öffentlichkeit erhobene Forderung einer verbesserten Betreuung und Transportbegleitung lebensgefährlich Verletzter oder Erkrankter nicht erfüllen. Wenn wir mehr Menschenleben retten wollen, dürfen wir den im Rettungsdienst Tätigen nicht die Qualifikationen vorenthalten, die zur Wahrnehmung dieser Aufgabe einfach notwendig sind. Die Ausbildung muß eine gründliche theoretische und praktische Unterweisung enthalten. Zum Ausbildungsprogramm sollte die Kenntnis aller Maßnahmen gehören, die für die Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der vitalen Körperfunktionen notwendig sind. Das ist meines Erachtens klar umrissen auch in den Zielsetzungen des vorliegenden Entwurfs herausgearbeitet worden. Die Auszubildenden müssen befähigt werden, unmittelbar vor Ort und beim Transport die Entscheidungen zu treffen, die erhebliche Konsequenzen für die Überlebenschancen von Unfallopfern und lebensbedrohlich Erkrankten haben. Größte Bedenken erheben wir allerdings gegen eine zu starke Verschulung der Ausbildung. Es widerspricht einfach den Gesetzen der Lernpsychologie, aber auch unseren persönlichen Erfahrungen, soweit wir mit Lernen und Lehren in Berührung gekommen sind, im ersten Jahr der theoretischen Unterweisung in der Schule eindeutig den Vorrang einzuräumen und diese Phase mit der Prüfung abzuschließen. Ein sinnvoll abgestufter Lernprozeß im Wechsel zwischen Schule, Klinik und Rettungsdienstpraktikum wird eine bessere Verzahnung von Theorie und Praxis gewährleisten. Andernfalls besteht die Gefahr, daß die Schülerinnen und Schüler die Motivation zum Lernen und den Antrieb verlieren, sich in ihrem Wissen und Können weiterzuentwickeln. Den Schülern muß die Chance gegeben werden, das erlernte Wissen der jeweiligen Ausbildungsstufe auch in der Praxis anzuwenden. Die Prüfung gehört logischerweise ans Ende der zweijährigen Ausbildung. Die Placierung der Prüfung zwischen dem theoretischen und praktischen Teil macht einfach keinen Sinn. Sie führt geradewegs zu einer Abwertung der praktischen Ausbildung. Ich glaube, wir sollten nicht zulassen, daß die Auszubildenden in der zweiten Phase die Rolle einer billigen Aushilfskraft übernehmen müssen. ({0}) Die Verschulung der Ausbildung ist im übrigen auch unter einem anderen Aspekt problematisch. Sie führt zu Nachteilen für den Sozialstatus der Auszubildenden. Auch die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr hat wiederholt auf die negativen Konsequenzen dieser Position hingewiesen: Schülerinnen und Schüler erhalten keine angemessene Vergütung und werden möglicherweise zu Schulgeldzahlungen verpflichtet. Das ist für uns nicht akzeptabel. ({1}) Deshalb fordern wir eindeutige Regelungen, die die Verpflichtung zu Schulgeldzahlungen ausschließen und den Status des Auszubildenden sozial und rechtlich absichern. Wir unterstützen selbstverständlich das Anliegen, den im Rettungsdienst tätigen Frauen und Männern, die eine 520-Stunden-Ausbildung erfolgreich abgeschlossen haben, durch Fortbildung den beruflichen Aufstieg zu ermöglichen. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt darüber hinaus die Möglichkeit, den haupt- und ehrenamtlichen Sanitäterinnen und Sanitätern die Berufsbezeichnung „Rettungsassistentin/Rettungsassistent" zuzuerkennen, wenn diese eine 2 000 Stunden umfassende Tätigkeit im Rettungsdienst nachweisen. Wir sollten im weiteren Verfahren - ich bin Ihnen, Herr Werner, sehr dankbar, daß Sie das Problem auch aufgegriffen haben - , vor allem in den Ausschußberatungen, untersuchen, ob das Wort „Rettungsassistent/Rettungsassistentin" dem neuen Berufsbild gerecht wird oder ob es nicht besser durch den in der Öffentlichkeit und im Selbstverständnis der Betroffenen verankerten Terminus „Rettungssanitäter/Rettungssanitäterin" ersetzt werden sollten. Wir sind hier offen und bereit, mit Ihnen gemeinsam eine Lösung herbeizuführen. Wir erheben keine Bedenken gegen die im Entwurf enthaltene Möglichkeit des Seiteneinstiegs für Krankenschwestern, Krankenpfleger, für Krankenpflegehelferinnen und Krankenpflegehelfer. Das nimmt uns allerdings auch in die Pflicht - auch hier gibt es Konsens, Herr Werner - , in Zukunft darüber nachzudenken, inwieweit auch Krankenpflegeberufe für Sanitäter und Sanitäterinnen geöffnet werden, die möglicherweise auf Grund ihrer physischen Konstitution ihrem Beruf nicht mehr nachgehen können. Ich fasse zusammen: Dieser Gesetzentwurf ist ein Schritt nach vorn. Er gibt uns die Chance, speziell in diesem Bereich eine grundlegende Reform des Gesundheitswesens zu verwirklichen. Das schulden wir den Männern und Frauen, die ein hohes Maß an Idealismus und Einsatzbereitschaft in diesen Dienst an der Gemeinschaft und am Nächsten einbringen. Das schulden wir den Männern und Frauen, die in der Ausübung ihres Berufes immer wieder an die Grenzen physischer und psychischer Belastbarkeit geführt werden. Das sind wir den Menschen schuldig, die nicht selten zwölf Stunden schwerste Arbeit leisten, täglich Dienst verrichten und ständig für den Einsatz im Rettungsdienst bereit sein müssen. ({2}) Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir noch eine abschließende Bemerkung. Wir Sozialdemokraten sind bereit, mit Ihnen gemeinsam über den besten Weg zu beraten, damit wir das Ziel erreichen: eine gesetzliche Grundlage, die der Gesundheit dient und die im Rettungsdienst tätigen Frauen und Männer durch einen anerkannten Ausbildungsberuf fachlich und sozial absichert. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Abgeordnete Würfel.

Uta Würfel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002569, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren, sehr geehrte Damen! Daß Politik verglichen werden kann mit dem Bohren dicker Bretter, ist eine Erfahrung, die wir Politiker täglich machen, aber es ist auch eine Erfahrung, die die Berufsgruppe der Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitäter in den letzten zehn Jahren machen mußte. Nach mehreren Anläufen liegt nun endlich ein Gesetzentwurf vor, mit dem die Voraussetzungen für die rechtliche Absicherung des Berufes einer Rettungsassistentin oder eines Rettungsassistenten geschaffen werden. Wir begrüßen es außerordentlich, daß dieser Gesetzentwurf in enger Abstimmung mit den Rettungsorganisationen erarbeitet wurde. Angesichts der Bedeutung, die dem Rettungssanitäter bei der Einleitung der erforderlichen Maßnahmen wie auch bei der Reanimation im Notfall am Unfallort zukommt, und angesichts der bedeutsamen Fortschritte auf dem Gebiet der Notfallmedizin und der Reanimation ist die Verbesserung der Qualität der Ausbildung ein berechtigtes Anliegen. Alle Fachleute - insbesondere die für das Rettungswesen zuständigen in den Bundesländern und hier insbesondere der Bund-Länder-Ausschuß Rettungswesen - sind vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der bisherigen Ausbildung von 520 Stunden zu dem Ergebnis gekommen, daß diese Ausbildung nicht ausreicht, um den gestiegenen Anforderungen an Kenntnisse und Fähigkeiten im Rettungswesen Rechnung zu tragen. Daß wir in der Bundesrepublik Deutschland ein so hervorragend ausgebildetes Notfallrettungswesen haben, ist der hohen Bereitschaft zur ehrenamtlichen, aufopfernden Tätigkeit vieler Bürger im Dienste der Hilfsorganisationen zu verdanken. Dies war einer der wesentlichen Gründe für meine Fraktion, die Gesetzesinitiative der Bundesregierung von 1986 noch einmal einer ausführlichen Prüfung zu unterziehen. Da jetzt sichergestellt ist, daß auch in Zukunft ehrenamtliche Kräfte auf der Basis der alten 520-Stunden-Ausbildungsregelung weiter ausgebildet und auch eingesetzt werden können, ist ein wesentliches Bedenken gegen den ursprünglichen Entwurf weggefallen. Die Zusage der Bundesländer, die landesrechtlichen Regelungen für die Besetzung von Rettungswagen so zu gestalten, daß neben den hauptamtlichen Kräften auch in Zukunft ein ehrenamtlicher nach der alten Regelung Ausgebildeter mitwirken kann, stärkt das ehrenamtliche Element im Rettungswesen und ist für die Zustimmung meiner Fraktion zu diesem Gesetzentwurf unverzichtbar. Wir begrüßen auch die Übergangsregelungen, mit denen sichergestellt ist, daß all jene, die schon heute auf Grund langjähriger Erfahrung qualifiziert tätig sind, die Berechtigung zur Führung der gesetzlich geschützten Berufsbezeichnung erhalten. Wir werden in den Ausschußberatungen noch einmal Einzelheiten des vorgesehenen Lehrgangs unter die Lupe nehmen. Es muß auf jeden Fall gewährleistet sein, daß sich keine Ausbildungsmonopole zu Lasten der privaten Unternehmen in diesem Bereich herausbilden. Ob und inwieweit den Bedenken des Bundesrats hinsichtlich der Verwendung der Berufsbezeichnung Rettungsassistentin bzw. Rettungsassistent Rechnung getragen werden kann, sollte nach eingehender Erörterung im Ausschuß entschieden werden. Wir sind hier in keiner Weise festgelegt. Das Ziel, jedem im Rettungswesen hauptberuflich Tätigen einen gesetzlich abgesicherten Berufsstatus zu geben und damit die im Rettungswesen Tätigen aus dem Status von Hilfsarbeitern herauszuholen, sollte durch diese Diskussion nicht gefährdet werden. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Abgeordnete Wilms-Kegel.

Heike Wilms-Kegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002519, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die berufsrechtliche Situation des Rettungspersonals in der Bundesrepublik Deutschland und die Qualität seiner Ausbildung stehen im krassen Gegensatz zum technischen Standard, zum Know-how und zur Bedeutung unseres Rettungswesens. Die Beseitigung dieses Mißstandes und damit die Verbesserung der Qualität der medizinischen Versorgung im Notfall als ursprüngliches Ziel dieses Gesetzesentwurfs halten wir für begrüßenswert, für längst überfällig. Aber schauen wir uns doch einmal an, was mit diesem Entwurf zum Beruf des Rettungssanitäters nun eigentlich festgeschrieben werden soll. Nach einem Jahr rein theoretischer Ausbildung sollen die künftigen „Rettungsassistenten" und „Rettungsassistentinnen" eine staatliche Prüfung absolvieren, um dann in einem zweiten Ausbildungsabschnitt, dem praktischen Jahr, ohne Kontrolle, ohne Aufsicht, ohne staatliche Prüfung in einer Einrichtung des Rettungswesens tätig zu werden. Eine solche Regelung ist bei den Gesundheitsberufen wirklich einmalig. Kein Arzt, keine Ärztin, kein Krankenpfleger, keine Krankenpflegerin darf zu Beginn des praktischen Teils der Ausbildung bereits eigenverantwortlich und ohne Aufsicht tätig werden. Durch diese strikte und pädagogisch zudem völlig falsche Trennung von theoretischem und praktischem Ausbildungsteil wird dem mißbräuchlichen Einsatz eines Auszubildenden im zweiten Abschnitt Tür und Tor geöffnet. Wir haben andere Vorstellungen von der Ausbildung einer qualifizierten Berufsgruppe im Gesundheitswesen. Auch an diesem Gesetzesentwurf ist, meinen wir, die Handschrift der Kostendämpfer im Gesundheitswesen unverkennbar. Es ist ja viel billiger, wenn das Rettungspersonal nach der Hälfte der Ausbildung schon voll eingesetzt werden kann, aber noch nicht voll bezahlt werden muß. Dem Wildwuchs im Rettungswesen durch das Ausnutzen ehrenamtlicher Kräfte auf der einen Seite und durch das Profitstreben der Träger der Rettungsdienste auf der anderen Seite wird mit diesem Gesetzesentwurf kein Ende gemacht. Das Gegenteil ist eher der Fall. Arbeiter-Samariter-Bund, das Deutsche Rote Kreuz, Johanniter-Unfallhilfe und der Malteser-Hilfsdienst werden sich auch weiterhin zum Wohle ihrer Bilanzen und auf Kosten der gutmeinenden Ehrenamtlichen um das Rettungswesen kümmern. Wir GRÜNEN sind entschieden gegen die Ausbeutung ehrenamtlicher Kräfte auch im Bereich des Rettungswesens ({0}) und für die Ausbildung einer qualifizierten Berufsgruppe. Dies ist dringend notwendig; ({1}) denn nach den Angaben der Bundesanstalt für Straßenwesen werden fast 40 % der Gesamteinsätze nicht von hauptberuflichen Kräften, sondern von ehrenamtlichen Kräften und Zivildienstleistenden gefahren. Für zwölf Stunden ,Ehre' erhält diese Person dann 30 DM, während die Gebühren für den Einsatz selbst, die der jeweilige Träger kassiert, immer die gleichen sind. Ein Gesetz über den Beruf des Rettungssanitäters muß den Mißbrauch von Zivildienstleistenden und Auszubildenden verhindern und nicht legitimieren. Welche Bedeutung die gute oder schlechte Qualifikation des Rettungspersonals hat, möchte ich ganz kurz an ein paar Zahlen aufzeigen: Jedes Jahr werden 6,5 Millionen Einsätze von den Rettungsdiensten gefahren. Dabei geht es in 30 % der Fälle um Leben oder Tod. Aber nur bei etwa einem Drittel dieser schweren Notfälle ist auch ein Notarzt dabei. Zwei Drittel der betroffenen Menschen werden zunächst ausschließlich von Rettungssanitätern und Rettungssanitäterinnen versorgt, und das sind schließlich Hunderttausende von Menschen! Daß ein solcher Einsatz mehr voraussetzt als ein Jahr theoretische Ausbildung, sollte allen klar sein. Dieses Gesetzesvorhaben ist wieder eine typische Halbheit dieser Regierung. Es enthält in den Übergangsbestimmungen die Möglichkeit, daß alles so bleibt, wie es ist, daß lediglich die Etikette geändert wird. Ein Zitat aus den „Mitteilungen des Malteser Hilfsdienstes" vom Januar 1987 zur Verdeutlichung: Im Hinblick auf die im Gesetzentwurf vorgesehene Übergangsregelung ... ist es angeraten, in der verbleibenden Zeit - voraussichtlich bis 1. Januar 1990 - noch möglichst viele Mitarbeiter die jetzige Rettungssanitäterausbildung absolvieren zu lassen. Wir möchten deshalb dazu aufrufen, vor Ort in verstärktem Maße entsprechende Kurse anzubieten sowie diese Angebote anzunehmen. Sie sehen, meine Damen und Herren, nicht das Sicherstellen einer qualifizierten Ausbildung, sondern „Rette sich wer kann" in den Rettungsdienst - und sei es ohne Qualifikation -, das ist hier die Absicht. Die Träger des Rettungsdienstes werden sich am Rettungsdienst weiterhin sanieren. ({2}) - Schauen Sie sich doch einmal die Kosten im Verhältnis zu den Bezahlungen der Rettungssanitäter an. - Der Ausbau der Ehrenamtlichkeit und nicht etwa die Schaffung einer qualifizierten Berufsgruppe sind die eigentlichen Auswirkungen dieses Entwurfs. Er ist damit ein weiteres Beispiel für eine Politik, die für uns so nicht akzeptabel ist. Danke schön. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Frau Dr. Süssmuth.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Minister:in)

Politiker ID: 11002287

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute über eine Gesetzesvorlage, die in der Tat einen langen und mühsamen Weg genommen hat und bei der bis zuletzt gerade Fragen der Professionalität und Ehrenamtlichkeit eine große Rolle gespielt haben und noch spielen. Auch angesichts dessen, was gerade gefragt worden ist, ob nämlich Ehrenamtlichkeit überhaupt noch eine Chance habe, war es uns wichtig, daß der Einsatz der in 520 Stunden ausgebildeten Ehrenamtlichen in den Länder-Regelungen abgesichert wird. Es ist zutreffend, daß durch dieses Gesetz auch Kosten auf die Länder zukommen. Mit den alten Regelungen treten vor allem zwei Probleme auf: die Frage der Qualität der Rettungssanitäter als im Rettungsdienst tätige Hilfskräfte des Arztes wie auch die Frage des hohen Einsatzes Nichtehrenamtlicher; dieser macht, wenn man nur einzelne LänBundesminister Frau Dr. Süssmuth der wie Berlin und Niedersachsen nimmt, heute schon im Verhältnis zu den Ehrenamtlichen den größeren Teil aus. Das Rettungswesen in der Bundesrepublik Deutschland ist in den letzten 20 Jahren insbesondere auf dem technischen Sektor zu einem hochqualifizierten System entwickelt worden. Moderne Rettungswagen, Notarztwagen und Rettungshubschrauber mit einer komplizierten apparativen Ausstattung befinden sich im Einsatz. Damit sind die technischen Voraussetzungen für eine wirksame und oft lebensrettende Hilfeleistung durch den Arzt und den Rettungssanitäter am Ort des Geschehens und beim Transport in das Krankenhaus geschaffen worden. Um so wichtiger ist deshalb für die Zukunft die ausreichende Qualifizierung, für die bisher eine gesetzliche Ausbildungsregelung fehlt. Eine solche gesetzliche Regelung ist aus fachlichen, gesundheitspolitischen und rechtlichen Gründen sowie aus sozialpolitischen Überlegungen unumgänglich geworden. Wir berücksichtigen dabei den Wunsch der das Rettungswesen tragenden Hilfsorganisationen, die bisherige und im wesentlichen von ihnen gestaltete 520-Stunden-Ausbildung zum Rettungssanitäter bzw. zur Rettungssanitäterin neben der neuen Ausbildung auch künftig weiter beizubehalten. Gerade über diesen Punkt ist lange mit den Rettungsorganisationen verhandelt worden; er entspricht dem ausdrücklichen Wunsch aller Beteiligten. Wir wollen damit die Motivation der zahlreichen ehrenamtlich tätigen Rettungssanitäter zum freiwilligen und kostenlosen Einsatz erhalten. Ich erwähne auch hier noch einmal: Von den Rettungsorganisationen ist immer wieder gefragt worden, ob wir gerade dieses Einsatzfeld den jungen Menschen, die hier in weitaus höherem Maße als in anderen Diensten aktiv sind, verschließen wollen, obwohl sie gerade hier Situationen mit Ernstcharakter erleben und hochmotiviert sind. Wir regeln aber andererseits die Ausbildung für den Rettungsdienst unter der neuen - wie ich für mich sagen muß: problematischen - Berufsbezeichnung des Rettungsassistenten bzw. der Rettungsassistentin. Ich sage das, weil wir an diesem Punkt mit den angehörten und mitwirkenden Organisationen keine Übereinstimmung erzielen konnten. Deswegen ist unsere Empfehlung, daß in weiteren Gesetzgebungsverfahren nach besseren Lösungen hinsichtlich der Bezeichnung Ausschau gehalten wird. Von der Logik her stimmt die Bezeichnung überhaupt nicht. Im Gesetzentwurf ist eine insgesamt zweijährige Ausbildung vorgesehen. Hier ist eben die Verschulung kritisiert worden. Das erste Jahr ist durch Theorie und klinische Anteile gekennzeichnet, das zweite Jahr ist ein Praxisjahr. Wir haben auch in anderen nicht medizinischen Heilberufen nach der theoretischen Ausbildung die Abschlußprüfung. Es wurde ferner kritisiert, daß das zweite Ausbildungsjahr ohne jegliche Aufsicht und Kontrolle ist. Ich möchte hierzu in der Kürze der Zeit sagen: Die qualitativen Anforderungen und die Regelungen, wie sie § 11 des Gesetzentwurfes vorsieht, sind mit den Ländern noch zu erarbeiten. Sobald wir diese Arbeit zum Abschluß gebracht haben werden, werden wir dem Parlament die Ausbildungs- und Prüfungsordnung nachreichen. Auch für den praktischen Teil ist zwar keine staatliche, aber eine Aufsicht und Kontrolle vorgesehen, wie aus § 8 zu entnehmen ist und wie sie nach § 11 näher ausgeführt werden muß. Wichtig war uns auch eine großzügige Übergangsregelung. Wenn wir an die demographische Entwicklung denken, müssen wir zu dem Ergebnis kommen, daß es wichtig ist, langjährig tätige, erfahrene Rettungssanitäter, die weit mehr als 1 600 Stunden Ausbildung hinter sich haben, durch eine Übergangsregelung in diesen Beruf sozusagen übernehmen zu können; d. h. sie können auf Grund dieser Übergangsregelung die Berufsbezeichnung Rettungssanitäter führen. Lassen Sie mich abschließend darauf hinweisen: Es ist wichtig, daß auf diesem Feld der unmittelbaren Lebensrettung qualifizierte Kräfte tätig sind. Wir können diesen Bereich nicht von der Qualifikation ausnehmen. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe Punkt 24 der Tagesordnung auf: a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Gesunde Lebensmittel - Drucksache 11/616 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({0}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Saibold und der Fraktion DIE GRÜNEN Radioaktive Bestrahlung von Lebensmitteln - Drucksache 11/1745 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({1}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Saibold und der Fraktion DIE GRÜNEN Erlaß einer Verordnung über technische Hilfsstoffe - hier vornehmlich Extraktionslösungsmittel - und einer ExtraktionslösungsmittelHöchstmengen-Verordnung - Drucksache 11/2177 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({2}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Vizepräsident Frau Renger Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung dieses Tagesordnungspunktes eine Stunde vorgesehen. - Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Martiny.

Dr. Anke Riedel-Martiny (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001428, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mehr als zehn Monate sind vergangen, seit die SPD-Bundestagsfraktion am 16. Juli vergangenen Jahres ihren Antrag „Gesunde Lebensmittel" eingebracht hat. Zehn Monate, in denen zu den bereits bekannten Lebensmittelskandalen mit Wein, Öl und Nudeln weitere hinzutraten: die Würmer im Fisch und Lösungsmittelsrückstände im Olivenöl. An der Problematik hat sich nichts geändert, jedenfalls nichts zum Besseren. Eine positive Entwicklung wurde in der Zwischenzeit nicht eingeleitet. Nun soll dieser Antrag zur weiteren Beratung den Ausschüssen überwiesen werden. Es sind deren vier: federführend der Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, mitberatend die Ausschüsse für Wirtschaft, für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Alle vier Ausschüsse haben sicherlich wichtiges zu der Problematik zu sagen; trotzdem ist einem nicht wohl bei diesem Verfahren. Denn das, was die SPD-Fraktion beabsichtigt hatte, nämlich die Herstellung von Öffentlichkeit für ein Thema, das sie seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten, besonders wichtig nimmt, nämlich gesunde Lebensmittel, dieser Wunsch nach Transparenz und Öffentlichkeit ist am Freitagvormittag vor Pfingsten sicherlich schwerlich zu befriedigen. Aber schließlich hat auch die Schlußabstimmung zur Gesamtreform des Lebensmittelgesetzes 1974 in Konkurrenz zum Endspiel der Fußballweltmeisterschaft stattgefunden. Auch da galt die größere Transparenz sicherlich dem Fußball und nicht den Lebensmitteln. Dabei beschäftigt die Menschen nichts so sehr wie ihre Gesundheit. Sie ist ihnen wichtiger als jede andere Frage ihres Lebens, und zwar je älter die Menschen werden um so stärker. Der Wunsch nach Gesundheit erstreckt sich nicht nur auf die eigene Person, sondern immer auch auf die nächsten Angehörigen und deren Wohlergehen, wie sich nach Tschernobyl besonders gezeigt hat, wo in den Verbraucherberatungsstellen ganz viele Großeltern erschienen sind, die um die Gesundheit ihrer Enkel bangten. Vor diesem Hintergrund ist eine Gesundheitspolitik, die sich bei den Lebensmitteln und beim Überlebensmittel Natur und Umwelt wirklich nur von Skandal zu Skandal hangelt, ohne gestaltend einzugreifen, menschenverachtend, ({0}) denn sie geht am wichtigsten Wunsch der Menschen tagtäglich, wöchentlich, monatlich, jahrelang konstant und konsequent vorbei. Unser Antrag nimmt Bezug auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Mai 1987, das exemplarisch eine erschreckende Lücke in unserem Lebensmittelrecht aufgezeigt hat. Dieses Urteil erlaubt nämlich formaljuristisch das In-Verkehr-bringen von mit Pflanzenschutzmittelinhaltsstoffen belasteten Gemüsen - Entschuldigung, das klingt sehr theoretisch, aber so ist es bei den Juristen -, wenn die Schuld für die Verseuchung nicht beim Bauern, sondern bei Dritten, im Beispielsfall bei einem Industrieunternehmen, liegt. Dieses Urteil führt in unschöner Konsequenz direkt zur Absicht der Bundesregierung bei dem vom Kabinett inzwischen verabschiedeten Produkthaftungsgesetz, hierbei nämlich die agrarische Urproduktion von der Haftung auszunehmen. Das heißt, künftig soll für ein unbehandeltes Lebensmittel, wenn es gesundheitsschädlich ist, der Erzeuger nicht haften müssen. Erst von den Verarbeitungsstufen an soll die Haftung einsetzen. Wie aber soll bitte schön aus einem vergifteten Rohprodukt ein gesundes Lebensmittel werden? ({1}) Die Ängste und Sorgen der Bevölkerung um ihre Gesundheit müssen endlich ernstgenommen werden, dies auch aus dem Interesse der anbietenden Wirtschaft heraus, denn gesicherte Absatzchancen hat nur der, dem die Kundinnen und Kunden vertrauen. Die Chemieindustrie, die Atomlobby, die Kreditvermittler, die Haustürverkäufer können ein Lied davon singen, wie schwer verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen ist. Nun werden sich nicht überall kleinteilige und überschaubare Erzeugungs-, Herstellungs- und Vermarktungsbedingungen für unsere Lebensmittel herstellen lassen, aber es ist notwendig, daß sich solche Bedingungen künftig nicht mehr so ausschließlich nach den Interessen insbesondere der industriellen Großproduzenten und Händler ausrichten. Wenn wir kleinteiligere überschaubarere Marktstrukturen hätten, würde sich in vielen Fällen die Verwendung von Agrarchemikalien, von Zusatzstoffen und Farbstoffen und von vielen fragwürdigen Methoden des Haltbarmachens von Lebensmitteln von selbst erledigen. Ein Weiteres kommt nämlich hinzu: Zwar haben die verbesserten technologischen und organisatorischen Möglichkeiten dazu geführt, daß die Bevölkerung insgesamt bei uns und generell in Mitteleuropa sehr viel besser als noch vor 50 Jahren mit hochwertigen und gesunden Lebensmitteln versorgt ist, der gesundheitliche Wert vieler Lebensmittel ist dabei aber oft fragwürdig geworden. In vielen Fällen bleibt er weit hinter den eigentlich gegebenen Möglichkeiten zurück. Wir müssen also ernsthaft darüber nachdenken, ob wir zu dezentralen Versorgungsstrukturen beitragen können und ob in manchen Regionen ein Ausbau der Direktvermarktung nicht äußerst vorteilhaft für die Verbraucherinnen und Verbraucher wäre. ({2}) Es gibt mir sehr zu denken, wenn ein ehemaliger Großhersteller von Fleisch- und Wurstwaren, nämlich Herr Schweisfurth, privates Geld in eine Stiftung eingebracht hat, um mit dieser in Südbayern solche Produktions- und Vermarktungsstrukturen zu erproben, die näher am Verbraucher sind und die kleinteiliger ansetzen. ({3}) - Das gehört inzwischen Nestlé. Wichtig aber wäre vor allem, daß die Verbraucherseite besser informiert wird. Zusatzstoffe müssen offen gekennzeichnet werden, und die Klassenbezeichnungen sind so unverständlich, daß man sie eigentlich als Kennzeichnung nicht mehr bezeichnen kann, sondern sie eine Irreführung nennen muß. Vor einigen Wochen haben wir uns über die notwendigen Kennzeichnung von schadstoffärmer produzierten Produkten unterhalten und waren uns einig, daß zur Vermeidung von Irreführung und zur Vermeidung von Geldschneiderei Kriterien erarbeitet werden müssen, nach denen man diese absatzfördernden Vorsilben „öko" und „bio " verwenden darf. Viele andere Dinge kommen aber hinzu: Fettgehalt, Alkoholgehalt, Nährwert, Herstellungsdatum und Herkunftsland, aber auch Hinweise auf die gewählten Konservierungsverfahren sind in vielen Fällen für die Verbraucherseite von unschätzbarem Nutzen. Wir fordern aber auch Hinweise darauf, wo möglicherweise Gefährdungen der Verbraucherinnen und Verbraucher liegen könnten. Jahr für Jahr wächst nämlich komischerweise die Zahl von Salmonellenvergiftungen; etwas, was man sich wirklich nur in Not- und Kriegszeiten als - wenn überhaupt - zu rechtfertigen denken kann. In einem hochzivilisierten Land ist eine Salmonellenvergiftung eigentlich ein Anachronismus. Sie ist meistens auf mangelnde Hygiene und auf Verderbnis zurückzuführen. Schwerer nachzuweisen sind aber oft die gegenseitigen Wirkungsbeeinflussungen der in Lebensmitteln enthaltenen Schadstoffe und Rückstände, worüber zentral geforscht werden müßte, um eine Art Frühwarnsystem aufstellen zu können. Immer noch stehen auch wichtige Grenzwerte für gefährliche Umweltschadstoffe aus. Die weithin noch lange nicht zufriedenstellende Situation mit der gesundheitlichen Unbedenklichkeit unserer Lebensmittel gewinnt dramatische Akzente vor dem Hintergrund des bis 1992 herzustellenden gemeinsamen Binnenmarkts. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden die Sorge nicht los, daß hier wegen des im Grunde verständlichen und unterstützenswerten Harmonisierungsbestrebens Hürden im Gesundheitsschutz fallen könnten, die wir für wichtig halten. Deshalb streiten wir ja so sehr dafür, daß die nötige Forschung jetzt geleistet wird, daß beim Bundesgesundheitsamt jetzt die Forschungskapazitäten dafür bereitgestellt werden, daß sich die Überwachung der Lebensmittelimporte jetzt verschärft und daß sich die Verbraucherberatung auf Bundes- und Länderebene intensiviert. Wir wollen keine Polizeistaatsmethoden, die hinter jede Konsumentin und jeden Konsumenten einen Kontrolleur und Polizisten stellen. Wir wollen auch nicht im Vorschriftendschungel ersticken oder die Wettbewerbssituation im Lebensmittelhandel deshalb zusätzlich verschärfen, weil weitere Auflagen und Reglementierungen Platz greifen. Manches veraltete Verfahren kann aber sicher aus dem Verkehr gezogen werden. Man muß durch die Gewerbeaufsichtsämter auch nicht immer die gleichen Raviolidosen in unterschiedlichen Geschäften prüfen lassen. Es sind bessere Verfahren denkbar. Die Kontrolleure könnten Nützlicheres tun. Unser Antrag versucht, konstruktive Hinweise zu geben, wie wir zu einem noch besseren Lebensmittelangebot kommen, das keine skandalträchtigen Schlagzeilen mehr liefert. Wir hoffen zuversichtlich, daß die Ausschußberatungen dazu führen, daß die Bundesgesundheitsministerin sofort und durchgreifend handelt. Unser Antrag liefert die richtigen Stichworte. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich gebe jetzt dem weiteren Antragsteller das Wort. Frau Abgeordnete Saibold, bitte.

Hannelore Saibold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001915, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD ist mit „Gesunde Lebensmittel" überschrieben. Ich möchte diesen viel gebrauchten und oft auch schon mißbrauchten Begriff auf den ursprünglichen Sinn zurückführen. Lebensmittel sollen Mittel zum Leben sein, die uns gesund erhalten. Von Hippokrates ist folgender Ausspruch überliefert: „Unsere Nahrung sei unser Heilmittel - unser Heilmittel sei unsere Nahrung! " Davon sind wir heute leider meilenweit entfernt, und zwar in Theorie und Praxis. Die immensen Kosten für ernährungsbedingte Krankheiten in Höhe von 52 Milliarden DM sind der Beweis dafür. Dieses Ergebnis ist ja auch kein Wunder; denn das, was heute schön aufwendig verpackt in den Regalen der Supermärkte steht, verdient die Bezeichnung „Lebensmittel" nicht. ({0}) - Ich erkläre es Ihnen gleich, Herr Bohl. Es sind mit Umweltgiften, Rückständen von Agrarchemikalien, Reinigungsmitteln und chemischen Hilfsstoffen belastete Konstruktionen aus isolierten Nährstoffen, Emulgatoren, Farb-, Aroma- und Konservierungsstoffen, Trenn- und Säuerungs-, Gelier- und Verdickungsmitteln, Antioxydantien, Stabilisatoren und anderen Zusatzstoffen. Wenn die GRÜNEN von Lebensmittelqualität sprechen, spuken in unseren Köpfen nicht nur jede Menge Schad- und Zusatzstoffe, Bequerels und Nährwertangaben herum. Lebensmittelqualität ist mehr als die Summe der chemischen Analysewerte. Darin liegt eigentlich das Hauptproblem der Misere; denn zu wenige wissen heute etwas über die Wichtigkeit der Naturbelassenheit der Lebensmittel. Zu wenige bedenken, welche negativen Auswirkungen allein aus der Zerteilung und Bearbeitung z. B. eines Weizenkorns oder aber auch einer Kartoffel, die ja beide lebendige Systeme sind, auf die Dauer resultieren. Die einzelnen Bestandteile, wie z. B. Weizenkeime, Kleie, Weißmehl Type 405 und Weizenkeimöl, erzielen - selbst wenn sie in gleicher Menge gegessen wer5478 den - eine wesentlich weniger positive Wirkung als die gleiche Menge frisch gemahlenen Weizens. Für die Zerlegung in einzelne Bestandteile oder aber die Extraktion und Isolierung von einzelnen Inhaltsstoffen werden eine Reihe von technischen Bearbeitungsmethoden sowie eine breite Palette chemischer Substanzen zum Einsatz gebracht. Dies führt neben der Wertminderung zu einer weiteren unnötigen Belastung der Lebensmittel. Was passiert eigentlich in den Fabrikhallen und in den Labors der Ernährungsindustrie? Ich bin sicher, daß weder Sie, Frau Süssmuth, die Sie ja angeblich auch Gesundheitsministerin sind, noch sonst jemand im Saal darüber Bescheid weiß, durch welche Prozeduren und durch Zuhilfenahme welcher chemischen Substanzen Speiseöl, Instantprodukte oder aber auch der so beliebte Orangensaft hergestellt wird. ({1}) Weder der Vertreter des BGA noch der Vertreter der Chemischen Industrie konnten bei der Anhörung am letzten Mittwoch darüber Auskunft geben, mit welchen Lösungsmitteln Aroma- und Farbstoffe der Orangenschale extrahiert werden, um sie anschließend den transportgerechten Saftkonzentraten wieder zuzusetzen. ({2}) Schließlich soll das zur besseren Ausbeutung enzymatisch angedaute, geklärte, erhitzte und eingedampfte Produkt wieder nach Saft schmecken! Durch den PER-Skandal beim Olivenöl ist ein Problembereich ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt, der bisher praktisch keinerlei Beachtung fand. Die Extraktion von diversen Inhaltsstoffen natürlicher Lebensmittel ist ein weites Betätigungsfeld der Lebensmitteltechnologen. In der Drucksache 11/2177 beantragen wir daher eine Verordnung über technische Hilfsstoffe, insbesondere für Extraktions- und Lösungsmittel, sowie Höchstgrenzwerte hierfür. Für diese Stoffe gibt es nicht nur keine Regelung, sondern auch keine Übersicht, obwohl hier u. a. halogenierte Kohlenwasserstoffe mit nerven- und organschädigenden Wirkungen eingesetzt werden oder die zum Teil im Verdacht stehen, Krebs zu erzeugen oder Erbgut zu schädigen. Bei der entscheidenden Novellierung des Lebensmittelgesetzes von 1974, die unter der Obhut der SPD-Regierung entstanden ist, wurde die Unterwerfung der technischen Hilfsstoffe unter das Verbotsprinzip ganz bewußt ausgenommen und damit einer Gleichstellung mit den Zusatzstoffen entzogen. Zum damaligen Zeitpunkt bestanden noch Chancen, auf EG-Ebene nur Wasser, Wein, Spirituosen, Fette und Speiseöle als Extraktionsmittel zuzulassen, die auch heute noch ausreichend wären. Diese Chance haben Sie von der SPD damals verspielt. Heute weht natürlich ein anderer Wind in der EG. In unserem zweiten Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, sich für ein weltweites Verbot der verbrauchertäuschenden und gesundheitsschädlichen radioaktiven Bestrahlung von Lebensmitteln einzusetzen. Dadurch sollen die diesbezüglichen Bemühungen der internationalen Verbraucherverbände unterstützt werden, die sich beim Weltkongreß 1987 in Madrid nachdrücklich gegen dieses unnötige großtechnische Konservierungsverfahren ausgesprochen haben. Gleichzeitig wird die Bundesregierung aufgefordert, einen Bericht zu erstellen, der Aufschluß über die Rolle der Internationalen Atomenergiebehörde - IAEO - bei der Förderung der Lebensmittelbestrahlung und darüber gibt, wie weit die Entwicklung von praktikablen Nachweismöglichkeiten für Importe gediehen ist, und über die zwischenzeitlich eingetretene Weiterentwicklung unschädlicherer und verbraucherfreundlicherer Konservierungsmethoden. Da das Verbot der radioaktiven Bestrahlung auch in dem ebenfalls zur Beratung anstehenden SPD-Antrag enthalten ist, müßte unser Antrag eigentlich auf eine breite Unterstützung stoßen. Bevor ich jedoch kurz noch auf den SPD-Antrag eingehe, möchte ich noch einige Fragen stellen: Warum müssen wir uns eigentlich ständig gegen die Einführung neuer Techniken wehren? Warum werden die Inhalte von Lebensmitteln heute in solcher Menge isoliert, wenn dadurch eine Wertminderung eintritt und eine überflüssige Belastung mit chemischen Substanzen erfolgt? Die Hauptursache besteht darin, daß das übliche Ernährungswissen sowohl in der Industrie als auch in den Schulbüchern von der einseitig naturwissenschaftlichen Grundhaltung zu Beginn dieses Jahrhunderts geprägt ist. Danach zählt nur, was meß- und wiegbar ist. Auf Wechselwirkungen oder Synergismen von Lebensmittelbestandteilen oder verschiedenen Lebensmitteln bei einer Mahlzeit wurde keine Rücksicht genommen. Noch heute werden deshalb praxisferne Kalorien- und Nährwerttabellen, vielleicht noch durch Bequerel-Listen ergänzt, als Grundlage für die Bewertung der Mahlzeit verwendet. Ein Beispiel soll das Problem besser begreifbar machen: Stellen Sie sich vor, wir würden Bücher nur nach der Papier- und Druckqualität sowie dem Gewicht beurteilen! Wenn wir diese Grundeinstellung nicht verändern, dann werden wir mit weiteren Kontrollen, besserer Etikettierung und ähnlichem nur eine reine Symptombehandlung betreiben. Beim SPD-Antrag stellt sich mir, obwohl er sich, wenn man ihn oberflächlich liest, ganz gut anhört, die Frage, ob er nicht ein Schauantrag ist. Sie fordern darin die Kennzeichnung der biologisch erzeugten Produkte. Unseren Antrag auf die gesetzliche Regelung der Bio-Kennzeichnung haben Sie strikt abgelehnt; ebenso haben Sie eine wirtschaftlich unabhängige Informationskampagne für die Verbraucher und Verbraucherinnen abgelehnt. Ich hoffe, daß wir in der weiteren Beratung trotzdem zu günstigeren Ergebnissen kommen; denn ich gehe auch davon aus, daß die SPD, aber auch die Damen und Herren der Regierungskoalition lernfähig sind und die Konsequenzen ziehen. ({3}) - Und was haben Sie gemacht? Sie stellen eine Forderung und machen überhaupt keinen konkreten Vorschlag.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Jetzt ist die Redezeit nun wirklich um anderthalb Minuten überschritten. Ich habe nicht aufgepaßt. Das Wort hat der Abgeordnete Rüttgers.

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Saibold, Sie haben gerade die Frage gestellt: Warum müssen wir uns immer gegen die Einführung neuer Techniken wehren? Ich will Ihnen das sagen; einfach deshalb, weil das Leben dadurch auch gesünder werden kann und geworden ist und weil wir dadurch in der Lage sind, 5 Milliarden Menschen auf dieser Welt satt zu machen. Ich meine, das ist ein Punkt, den Sie in Ihrer Rede vielleicht auch einmal hätten ansprechen können. Dabei will ich gar nicht verkennen, daß es in den letzten Jahren immer wieder Berichte über Verunreinigungen und Verfälschungen bei Lebensmitteln gegeben hat, die auch mit Recht eine große öffentliche Resonanz gefunden haben. Aber ich meine, wir sollten, wenn wir hier eine Debatte führen, ebenso feststellen, daß der weitaus größte Teil unserer Lebensmittel sauber und unbedenklich ist. Dies bestätigen die Lebensmittelkontrolle und ihre Ergebnisse ebenso wie medizinische Statistiken und wissenschaftliche Untersuchungen. Ich glaube, die vorliegenden Anträge machen deutlich, daß es bei diesem Thema irgendwo so etwas wie eine Differenz zwischen Wahrnehmung und Tatbestand gibt. Die skandalösen und skrupellosen Manipulationen und Schlampereien von verunreinigten Eiern bis zu verseuchtem Öl haben die Bürger mit Recht aufgeschreckt. Über solche Ergebnisse wollen wir nicht zur Tagesordnung übergehen. Aber wir müssen auch sagen, daß solche Fälle Einzelfälle bleiben. Wichtiger erscheinen mir im Rahmen des Kontextes dieser Beratung die Befürchtungen, die sich mit dem Schlagwort von der schleichenden Vergiftung der Nahrung durch Schadstoffe verbinden. Ich meine, daß dieser pauschale Vorwurf mehr Agitation als Information enthält. Der subjektive Eindruck von der wachsenden Gefährdung ergibt sich zum Teil aus der rasant verbesserten Analysetechnik und neuen medizinischen Erkenntnissen über Wirkungszusammenhänge. ({0}) Das deutsche Lebensmittelrecht und seine Kontrollinstanzen stehen dieser Entwicklung keineswegs - diesen Eindruck haben Sie hier zu erwecken versucht - hilflos gegenüber. Wer dies behauptet, wie Sie es getan haben, verzerrt die Wirklichkeit, und zwar, wie ich meine, aus durchsichtigen Gründen. Die Bundesregierung hat das Lebensmittelgesetz aus dem Jahre 1974 in den letzten Jahren weiterentwickelt. Wir haben heute eine Schadstoffhöchstmengenverordnung. Wir haben eine Pflanzenschutzmittelverordnung, ({1}) mit der Rückstandsbelastungen - nun warten Sie einmal ab - erfaßt werden. Eine Verbesserung der Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel ist in Vorbereitung. Das Fleischhygienerecht wurde verbessert. Ein Hormonverbot wurde erlassen. Eine Tierarzneimittelrichtlinie wurde durchgesetzt. Diese Aufzählung ließe sich verlängern. Es ist unverantwortlich, wenn hier der Eindruck erweckt wird und auch in den Anträgen so getan wird, als ob der absolute Schutz der Gesundheit eine neue Erkenntnis oder ein umstrittener Punkt wäre. Dieser Leitsatz kennzeichnet die Politik und das Verwaltungshandeln in Bund und Ländern. Er ist auch im Gesetz von 1974 enthalten. Im Bereich der Lebensmittelkontrolle hat die Bundesregierung die Einrichtung eines bundesweiten Meß- und Beobachtungssystems für Lebensmittel angeregt. Dieses Programm wird - so glaube ich - eine wichtige Vorsorge- und Frühwarnfunktion übernehmen können. Für ein entsprechendes Forschungsvorhaben werden 15 Millionen DM bereitgestellt werden. Die Qualität der Lebensmittel in der Bundesrepublik - dies zeigen die Fakten eindeutig - bietet weder Anlaß zur Panikmache noch zur Untätigkeit. Es gibt sicherlich Bereiche mit gesetzlichem Regelungsbedarf und Möglichkeiten einer weiter verbesserten Kontrolle. Ich möchte hier einige Aspekte ansprechen. Erstens. Der Aufbau von irrationalen Feindbildern und falschen Gegensätzen in einem so sensiblen Bereich ist - so meine ich - wenig hilfreich. Die Gleichungen: natürlich gleich gesund und synthetisch gleich gesundheitsgefährdend, sind aus meiner Sicht ebenso dumm und gefährlich wie Kampagnen gegen die industrielle Nahrungsmittelverarbeitung. Zusatzstoffe zur Konservierung, zur Qualitäts- und Geschmacksverbesserung sind nicht generell Teufelszeug, im Gegenteil: Sie haben verdorbene Lebensmittel aus unserem Alltag weitgehend verbannt und der weltweiten Bekämpfung des Hungers erst eine erfolgreiche Perspektive gegeben. Der Verzicht auf industrielle Verarbeitung und auf Zusatzstoffe würde geringere Qualität, größere Gesundheitsrisiken und höhere Preise bedeuten. Aber ich will auch deutlich machen, Herr Kollege Gilges, daß dies kein Plädoyer für eine unkritische Hinnahme aller Zusätze ist. Zusatzstoffe sind in Deutschland grundsätzlich verboten und werden nur im Einzelfall nach langjähriger Prüfung zugelassen, und dabei muß es bleiben. ({2}) Zweitens. Über 99 % unserer landwirtschaftlichen Betriebe bauen Nahrungsmittel nach konventionellen Methoden an. Bei ordnungsgemäßer Anwendung von Pflanzenschutz- und Düngemitteln - darüber ist in diesem Hause mehrfach diskutiert worden - gibt es keine Gefahr für die Gesundheit unserer Bevölkerung. ({3}) Die Lebensmittel sind grundsätzlich in einwandfreiem Zustand. Alles andere ist eine ungerechtfertigte Diskriminierung der Landwirte. ({4}) - Ich weiß gar nicht, warum Sie sich aufregen, Herr Gilges. Lassen Sie mich vielleicht mal vortragen, und hören Sie zu. ({5}) Wie ich Sie kenne, werden Sie dabei sicherlich auch etwas lernen. Nach heutigem Stand liegen keine gesicherten Erkenntnisse über einen qualitativen Unterschied zwischen alternativ und konventionell erzeugten Produkten vor. Deshalb ist die einseitige Förderung des alternativen Landbaus nicht der richtige Weg. ({6}) Wichtig ist, daß die Landbewirtschaftung die biologischen Zusammenhänge berücksichtigt. Drittens. Die Nachfrage nach biologisch, ökologisch oder ähnlich titulierten Lebensmitteln steigt weiter. ({7}) Die Verbraucher sind in diesem Bereich oft der bewußten Täuschung und Verwirrung ausgesetzt. Frau Kollegin Dr. Martiny hat dazu gesprochen. Es werden hohe Preise für Produkte verlangt - auch das ist bekannt -, die in Wahrheit konventionellem Landbau entstammen. Diesem Millionengeschäft mit dem Etikettenschwindel muß EG-weit ein Ende bereitet werden. Ich verweise hier auf die Initiative der Kollegen Kroll-Schlüter und Bredehorn, die zu einem entsprechenden Beschluß des Ernährungsausschusses geführt hat. Viertens. Im Jahre 1987 hat die Bundesregierung 35,7 Millionen DM für Verbraucheraufklärung bereitgestellt. ({8}) Dies hat zu einer hohen Sensibilität der Bürger beigetragen. Reaktionen auf entsprechende Berichte und Meldungen zeigen dies eindrucksvoll. Von manchen wird diese Sprache des Marktes - ich glaube, das ist ein Punkt, den Sie bedenken sollten - offenbar besser verstanden und beherzigt als rechtliche Vorschriften. Bei schweren Verstößen hat das Bundesgesundheitsministerium in den letzten Jahren verstärkt die Öffentlichkeit unterrichtet. Diese Informationspolitik, Frau Minister Süssmuth, entspricht der Forderung nach einem wirksamen Schutz der Verbraucher. Sie sollte fortgesetzt werden. Verbraucheraufklärung umfaßt aber mehr als die Warnung vor Schadstoffen in Lebensmitteln. Falsche und einseitige Ernährung ist heute wesentlich gefährlicher als vermeintliche oder tatsächliche Belastungen von Lebensmitteln. Fünftens. Die Lebensmittelkontrolle ist eine Aufgabe des Staates, aber sie muß nicht sein Monopol sein. Hier sind auch die Eigenverantwortung und das Eigeninteresse von Produzenten und Verarbeitern angesprochen. Ich glaube, da gibt es noch Schwachstellen und Reserven. Die verarbeitende Industrie muß ihre Kapazitäten der Eigenkontrolle verstärken, und für kleine und mittlere Betriebe müssen neue Wege - etwa gemeinsame Kontroll- und Untersuchungseinrichtungen - gefunden werden. Sechstens. Europa muß für mehr, nicht für weniger Verbraucherschutz und Gesundheitsvorsorge stehen. Wir wollen den Binnenmarkt aus europapolitischen und wirtschaftspolitischen Gründen. Die Abschaffung der Kontrollen an den Binnengrenzen birgt im Bereich der Lebensmittel sowohl Chancen als auch Risiken. Es wäre aber falsch und kurzsichtig, wenn irgend jemand auf eine Senkung des deutschen Lebensmittelstandards durch EG-Harmonisierung spe - kulieren würde. Meine Damen und Herren, die bei uns angebotenen Lebensmittel sind für die Verbraucher grundsätzlich unbedenklich. Diese Feststellung schließt ein, daß der Staat ein Null-Risiko bei Lebensmitteln anstreben muß und doch gleichzeitig nicht garantieren kann. Die CDU/CSU-Fraktion wird auch weiterhin alle Bemühungen unterstützen, vorhandene Schwachstellen in diesem Bereich auszumerzen. Wir wehren uns allerdings dagegen, die Frage der gesunden Lebensmittel als Vehikel für völlig andere politische Zwecke zu mißbrauchen. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte schön, Frau Abgeordnete Saibold.

Hannelore Saibold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001915, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sind Sie denn nicht auch der Meinung, daß die gesundheitliche Unbedenklichkeit für Lebensmittel eigentlich ein viel zu geringes Kriterium ist? Eigentlich sollten Lebensmittel doch gesundheitsfördernd sein, nicht nur unbedenklich. Das ist ein ganz gravierender Unterschied.

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ich glaube, wir müssen zuerst einmal erreichen, daß das Null-Risiko, das ich eben angesprochen habe, weitestgehend gewährleistet ist. Ich habe darauf hingewiesen, daß das schwierig ist. Die Frage nach der Gesundheitsförderung geht meines Erachtens einen Schritt weiter. Ich habe dazu aber eben auch Stellung genommen, indem ich darauf hingewiesen habe, daß die Zahlen, die Sie genannt haben, weniger die Frage der Qualität als quantitätsmäßige Überlegungen ansprechen. Herr Kollege Gilges, Sie haben gefragt, was ich mit dem Ausdruck „andere politische Zwecke" gemeint habe. Da will ich einmal die Frau Kollegin Vollmer zitieren. Sie hat am 18. Februar 1988 im WDR den Gesetzentwurf der GRÜNEN zur Biokennzeichnung als einen gezielten Angriff mit parlamentarischen Mitteln gegen die Giganten chemische Industrie und Ernährungsindustrie bezeichnet. Herr Gilges, wer so argumentiert, gerät zwangsläufig in den Verdacht, daß es ihm nicht um die Gesundheit der Menschen, sondern um den Mißbrauch von Ängsten geht. Frau Kollegin Saibold, eine abschließende Berner-kung: Ich habe Verständnis dafür, daß Sie hier in Ihrem Beitrag versucht haben, eine gewisse Dramatik zu erzeugen, aber auch Sie können nicht verhindern, daß ich mich jetzt auf ein gutes Mittagessen freue. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Würfel.

Uta Würfel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002569, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren! Sehr geehrte Damen! Daß die Verbraucher in unserem Lande eine besonders sensible Beziehung zum Lebensmittel haben, ist verständlich und auch zu begrüßen. Lebensmittel dienen längst nicht mehr nur der Ernährung, Lebensmittel sind für viele von uns zugleich Genußmittel, auf die wir nicht verzichten wollen und, wie viele von uns wissen, auch nicht verzichten können. Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen; diese Einschätzung ist - nicht zur Freude der Mediziner und der Krankenkassen - weit verbreitet. Aber bereits bei diesem Punkt, bei ernährungsbedingten Erkrankungen, wird deutlich, daß es bei dem hier zur Diskussion stehenden Thema notwendig ist, einiges auseinanderzuhalten und nicht alles in einen Topf zu werfen. Dazu gehört z. B. die Tatsache, daß für übermäßigen Konsum und die damit verbundenen Erkrankungen nicht die Lebensmittelhersteller verantwortlich gemacht werden können. Machen wir uns auch bewußt, daß es sehr viele Zusatzstoffe in unseren Lebensmitteln gibt, auf die wir nicht verzichten können, und daß es sich dabei um Zusatzstoffe handelt, die zur Lebensmittelsicherheit erheblich beitragen. Die Sicherstellung eines qualitativ und quantitativ ausreichenden Angebots an Lebensmitteln ist ohne den Einsatz von Zusatzstoffen gar nicht möglich. Der mündige Verbraucher reagiert höchst sensibel auf Fragen der Lebensmittelsicherheit; diese darf nicht in Frage gestellt werden. Uns allen bekannte bestürzende Vorkommnisse der jüngsten Vergangenheit haben unser Bewußtsein noch weiter geschärft. Ich denke dabei an den Weinskandal, an die Kontamination von Lebensmitteln nach dem Unfall in Tschernobyl oder an die Verseuchung von Speiseölen mit Per. Solche gravierenden Gefahren für die Gesundheit müssen - sie werden es auch - schonungslos aufgedeckt werden. Die Schuldigen müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Wo es sich erweist, daß die bestehenden lebensmittelrechtlichen Grundlagen nicht ausreichen, muß dies aufgezeigt werden, und sie müssen dann selbstverständlich auch nachgebessert werden. Was die von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, in Ihrem Antrag vom Juli 1987 angesprochene Gesetzeslücke anbetrifft, so ist diese inzwischen ausgeräumt worden. Am 25. April 1988 wurde die neue Höchstmengenverordnung Pflanzenschutz herausgegeben. In dieser Höchstmengenverordnung ist geregelt, daß nicht mehr nach Anwender und Produzent von Lebensmitteln unterschieden wird. Wer anbaut, muß sich inzwischen einer Sorgfaltspflicht unterziehen. Somit ist in diesem Punkt Ihr Antrag überholt. Auch die Schadstoffhöchstmengenverordnung liegt seit dem 1. April 1988 vor. Die für die Festsetzung der Höchstmengen erforderlichen Daten berücksichtigen die Belastung der Lebensmittel und die Exposition der Konsumenten. Bislang gab es nur vom Bundesgesundheitsamt festgelegte Richtwerte von Schwermetallen, da noch nicht genügend Daten vorlagen. Nachdem die betreffenden Daten für Quecksilber und die Biphenyle erfaßt und erarbeitet worden sind, ist jetzt ein Anfang gemacht, um die anderen Schwermetalle sowie weitere Umweltchemikalien nach und nach in die Datenlager einzuspeisen. Nunmehr benötigen wir eine verbesserte Datenlage für Blei, Kadmium, Per und andere Schadstoffe. Der Verbesserung dieser Datenlage dient das Lebensmittelmonitoring, das am 1. April 1988 beim Bundesgesundheitsamt und in den Bundesländern angelaufen ist. Dieses Lebensmittelmonitoring ermöglicht die repräsentative Ermittlung der Belastung der Konsumenten mit Schadstoffen. Es ist in der Bundesrepublik Deutschland, weltweit noch einmalig. Das Neue an dieser Art Untersuchung bestimmter Lebensmittelgruppen ist, daß hierbei auch herstellungs- und verbraucherorientiert vorgegangen wird, d. h. es werden Proben beim Produzenten auf dem Wege zum Verbraucher und kurz vor der Übergabe an den Konsumenten gezogen. So wird es möglich, die Betriebe rechtzeitig vor Produktionsunstimmigkeiten zu warnen, damit diese abgestellt werden können. Auf diese Weise kann nun wissenschaftlich nachgewiesen werden, inwieweit die Vorwürfe gegenüber der Lebensmittelindustrie wirklich begründet sind und ob wir in der Bundesrepublik mit unserer Gesetzeslage nicht doch gut oder sogar besser bedient sind, als manche von uns wahrhaben wollen. Bislang ist es doch so: Gibt es bei einem Lebensmittel einen überschrittenen Höchstmengenwert, dann wird unter Umständen vielfach pauschaliert und gesagt, alles sei vergiftet. Mit Hilfe des Lebensmittelmonitoring sind die Wissenschaftler nun in der Lage, uns konkrete Angaben an die Hand zu geben, um Vorwürfen entgegenzutreten und handeln zu können. Natürlich müssen Produzenten auch betriebswirtschaftliche Kostengesichtspunkte berücksichtigen. Das schließt aber nicht aus, daß gleichzeitig gesundheitliche Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit gestellt werden, nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Direktvermarktung von Bioprodukten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Kollegin? - Frau Saibold, bitte.

Hannelore Saibold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001915, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Würfel, ist Ihnen bekannt, daß z. B. über die Belastung mit Kadmium bei Getreide sehr genaue Unterlagen und Zahlenanga5482 ben vorliegen, daß aber deswegen kein Grenzwert eingeführt wird, weil sonst weite Gebiete in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern nicht mehr für die Nahrungsmittelproduktion benutzt werden dürfen?

Uta Würfel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002569, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Konsequenz aus Ihren ersten Angaben ist mir natürlich nicht geläufig, und ich kann mir auch nicht vorstellen, daß das so ist. Aber ich danke Ihnen für den Hinweis; ich werde mir das einmal ansehen. Wir waren bei der Direktvermarktung von Bioprodukten. Bevor sogenanne Bioprodukte unter der Gütebezeichnung „Bio" vertrieben werden, muß eine klare Definition dafür vorliegen, was unter Bio zu verstehen ist, um zu verhindern, daß eine Irreführung der Verbraucher betrieben wird. Dem Produzenten von Bioprodukten muß das Wissen zugemutet werden können, daß er die Zusammenhänge der Kontamination seiner Produkte, z. B. auch durch Pflanzenschutzmittelrückstände aus einem früheren Bodeneintrag, kennt und in der Lage ist, einen Unbedenklichkeitsnachweis für seine Produkte zu führen. Es geht hier also, wie wir bereits gehört haben, um die Festsetzung von Normen. Ich bin der Auffassung, daß die Lösung dieses Problems sowie insgesamt das Anlegen strengerer Maßstäbe an die Zulassung von Zusatzstoffen und die Schadstoffhöchstmengenbegrenzung nicht allein national, sondern selbstverständlich EG-weit angegangen werden muß, um unerwünschte Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden und auch in diesem Bereich eine Harmonisierung zu erreichen. Die Methoden der gesundheitlichen Risikobestimmung werden inzwischen Gott sei Dank immer eingefahrener. Der hierbei gewonnene Kenntnisstand kommt den notwendigen Überprüfungs- und Zulassungsaufgaben nutzbringend entgegen, so daß wir vor allem dann, wenn wir EG-weit vorgehen, dem Verbraucher einen hohen Stand an qualifizierten Informationen vermitteln können. Wir sind allerdings schon heute bei der Deklaration von Schadstoffgehalten, die sich in Wertbereichen von einem Teil pro Billion bewegen, so daß wir durchaus sagen können, daß der Verbraucher in den meisten Fällen von der Unbedenklichkeit der ihm angebotenen Lebensmittel ausgehen kann. Außerdem ist es in der Bundesrepublik nach einer entsprechenden Verordnung verboten, Lebensmittel zu bestrahlen. Dieses Problem muß allerdings auf EG-Ebene noch gelöst werden. Wir werden im Ausschuß noch Gelegenheit haben, die in den Anträgen gemachten Vorschläge im einzelnen zu diskutieren. Wir sollten dies aber vor dem Hintergrund einer soliden Bestandsaufnahme über die bereits heute bestehenden lebensmittelschutzrechtlichen Bestimmungen machen. Wir sollten uns auch davor hüten, das vielfältige Angebot an Lebensmitteln, das uns heute nicht zuletzt auch dank technologischer und lebensmittelchemischer Errungenschaften zur Verfügung steht, pauschal in Frage zu stellen. Die Selbstversorgung aus dem Garten und dem eigenen Anbau, so wünschenswert dieser auch sein mag, ist in einer hochentwickelten Volkswirtschaft eine Utopie. Um so wichtiger ist es, daß wir Rahmenbedingungen schaffen, die den vorbeugenden Gesundheitsschutz fördern und die Erzeuger in eine strenge Pflicht und Verantwortung für die Qualität der Lebensmittel nehmen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Götte.

Dr. Rose Götte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Rüttgers, es geht hier nicht darum, irrationale Feindbilder zu schaffen, wie Sie das gesagt haben. Das tun Sie, wenn Sie uns unterstellen, wir wollten mit unserem Antrag die Angst der Bürger schüren, wie Sie das formuliert haben. Es geht heute vielmehr um das Recht der Bürger, zu erfahren, was sie essen, und um die Pflicht des Parlaments, schädliche Zusatzstoffe und schädliche Methoden zu verbieten. Nur darum geht es. Nun ist es so, daß sich tatsächlich viele Menschen sehr dafür interessieren, wie sie sich ernähren und wie sie gesund bleiben. Es wird ihnen aber nicht leicht gemacht. In der Schule erfährt man darüber so gut wie nichts. Es gibt kein Gymnasium in der ganzen Bundesrepublik, wo einmal praktisch geübt würde, wie man sich gesund ernährt. Auch die Ernährungsberaterinnen, die bei den Verbraucherberatungsstellen angesiedelt sind, sind so dünn bestückt, daß beispielsweise für Rheinland-Pfalz, woher ich komme, ganze zwei Ernährungsberaterinnen für das ganze Land zuständig sind. Wie soll eine Ernährungsberatung denn da noch funktionieren? ({0}) - Wir brauchen für die Verbraucherberatungsstellen dringend eine Aufstockung der Mittel. Das haben wir seit Jahren gefordert. Dort sind auch die Ernährungsberaterinnen angesiedelt. Das habe ich auch bei der letzten Diskussion deutlich gesagt. Selbst dann, wenn so eine Ernährungsberaterin ans Telefon zu kriegen ist, weil ein Bürger eine Frage, ein Problem hat, kann es ihm passieren wie jetzt bei dem Ölskandal, daß die Verbraucherberatungsstellen trotz eigenen Bemühens nicht die Liste der Firmen bekommen haben, die in diesen Ölskandal verwickelt wurden, so daß sie gar nicht in der Lage waren, zu sagen: Die und die Marke könnt ihr in Zukunft nicht mehr kaufen, weil die Gefahr besteht, daß Lösungsmittel in diesem 01 enthalten sind. Sie mußten vielmehr passen und sagen: Wenden Sie sich bitte an irgendein anderes Amt; vielleicht erfahren Sie dort die Namen. Ein Glück, daß sich trotzdem viele Verbraucher intensiv bemühen, mehr Informationen zu bekommen, um von ihrem Grundrecht auf Mitbestimmung auch bei der Frage, was sie essen, Gebrauch zu machen. Es ist ja nicht einfach. Mehr als 80 % der derzeit angebotenen Nahrungsmittel sind schon mehr oder weniger verarbeitet oder zumindest bearbeitet, wenn sie beim Verbraucher ankommen. Deswegen hat der Verbraucher einfach viel zu wenig Möglichkeiten, zu erfahren, aus welchen Teilen sich das zusammensetzt, was er da kauft oder ißt. Wir wollen mit unserem Antrag nicht mehr und auch nicht weniger als den Verbraucher endlich zu seinem Recht zu verhelfen, genau zu erfahren, was ihm da eigentlich an Lebensmitteln angeboten wird. Es geht dabei um die gesundheitliche Gefährdung nicht nur durch Lebensmittelzusätze, die den Lebensmitteln direkt beigemischt sind - ganz bewußt -, sondern auch durch solche Stoffe, die sozusagen aus Versehen in die Lebensmittel hineinkommen, wie das beispielsweise bei den Lösungsmitteln auch über die Luft geschieht, wenn sich etwa eine Bäckerei in unmittelbarer Nähe eines Reinigungsinstituts befunden hat und die Abgase aus der chemischen Reinigung in die Fette der darunter, darüber oder daneben liegenden Bäckerei eingegangen sind, ohne daß das natürlich beabsichtigt war. Auch wenn Lebensmittel durch radioaktive Teilchen aus der Luft verseucht werden, ist das kaum beabsichtigt. Beides muß im Mittelpunkt unseres Interesses stehen. Beides darf nicht mehr sein. Aber es geht vor allem auch um das Problem der arglistigen Täuschung des Verbrauchers. Nehmen wir das Beispiel Bestrahlung. Bestrahlung von Lebensmitteln ist zwar bei uns in der Bundesrepublik verboten, in den meisten EG-Ländern aber noch erlaubt. Deswegen erhebt sich die Frage: Wie wird es sein, wenn der EG-Markt geöffnet wird und wir dann bei uns möglicherweise bestrahlte Lebensmittel bekommen werden? ({1}) - Auch jetzt ist es schon so, daß viele Lebensmittel auf dem Markt sind, die bestrahlt sind. Man kann von außen nicht erkennen, ob sie bestrahlt sind oder nicht. Die Bestrahlung von Lebensmitteln mit einer Energiemenge von bis zu 10 kGy - das ist die Energie, die das Produkt aufnimmt - ist in einigen Mitgliedstaaten der EG erlaubt, weil die Internationale Atomenergiekommission und die Weltgesundheitsorganisation die Meinung vertreten haben, daß eine Bestrahlung, die unterhalb dieses Grenzwerts liege, gesundheitlich unbedenklich sei. Selbst wenn das so stimmen würde - was von einigen Experten, z. B. von Professor Pfeilsticker hier aus Bonn, bestritten wird - , bleibt immer noch die von allen unbestrittene Tatsache, daß bestrahlte Lebensmittel - nehmen wir das Beispiel der Früchte - einen Zustand vortäuschen, der eben nicht gegeben ist. Beispielsweise reifen bestrahlte Früchte langsamer und haben deshalb eine intensivere Färbung. Bestrahle Zwiebeln oder Kartoffeln keimen nicht und erwecken deswegen den Eindruck, sie wären noch nicht lange geerntet. Bestrahlte Champignons öffnen ihren Hut nicht und täuschen somit Frische vor, die in Wirklichkeit gar nicht vorhanden ist. Frisches Obst - das wissen wir - ist vitaminreich. Das gilt aber nicht für bestrahltes Obst. Denn durch die Bestrahlung wird unter anderem auch der Vitamingehalt der Früchte in ähnlicher Weise reduziert, wie dies beim Kochen geschieht. Nur: Man sieht es eben nicht. Der Verbraucher muß ein Recht darauf haben, zu erfahren, ob das so frisch aussehende Obst tatsächlich frisch ist oder ob es sich um bestrahlte Lebensmittel handelt. Die Liste der Täuschungen von Verbrauchern oder der Nichtinformation von Verbrauchern könnte endlos fortgesetzt werden. Ich brauche nicht unseren ganzen Antrag zu wiederholen. Wir dürfen es einfach nicht länger hinnehmen, daß Maßnahmen, die ein Produkt zwar leichter verkäuflich machen, ohne Rücksicht darauf ergriffen werden, ob damit Qualitätsverschlechterungen verbunden sind. Bis zum Jahre 1990 sollen nach dem Beschluß der Weltgesundheitsorganisation in allen Mitgliedstaaten die Gesundheitsgefährdungen durch kontaminierte Lebensmittel signifikant verringert werden und Maßnahmen zum Schutz der Verbraucher gegen schädliche Lebensmittelzusätze ergriffen worden sein. Das dauert uns Sozialdemokraten zu lange. Je klarer und entschiedener wir hier in der Bundesrepublik Normen für uns setzen, um so größer wird unser Einfluß auf die notwendigen EG-weiten Verhandlungen sein. Deshalb meinen wir, daß es höchste Zeit ist, in den Haushaltsberatungen ins Detail zu gehen und im einzelnen zu prüfen, wie wir die Forderungen, die in unserem Antrag enthalten sind, umsetzen. Wenn wir es mit dem Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz und mit der Verschärfung von Grenzwerten und Kennzeichnungspflichten wirklich ernst meinen, müssen wir aber auch mit einer wirksameren Lebensmittelkontrolle ernst machen. Frau Martiny hat gesagt, wir wollten keinen Polizeistaat. Aber wenn zwei Lebensmittelkontrolleure für einen ganzen Landkreis zuständig sind, die neben der Kontrolle auch noch die Büroarbeiten und zum Teil auch noch Laborarbeiten - mindestens in Ansätzen - vorzunehmen haben, ist das natürlich eine Lebensmittelkontrolle, die kein Mensch ernst zu nehmen braucht; denn die Gefahr, erwischt zu werden, ist dabei statistisch so gering, daß man so tun kann, als gäbe es überhaupt keine Lebensmittelkontrolle. ({2}) Wenn darüber hinaus klar ist, daß die Bürger überhaupt nicht wissen, an wen sie sich wenden können, wenn sie der Meinung sind, daß das, was sie gekauft oder gegessen haben, nicht in Ordnung war, wird deutlich, daß die Lebensmittelkontrolle, wie sie jetzt funktioniert, einfach nicht befriedigend ist. Wenn wir es ernst meinen mit der Verschärfung des Lebensmittelrechts, müssen wir es auch mit der Verschärfung der Kontrolle ernst meinen und die notwendigen Mittel bereitstellen sowie die Bürger darüber informieren, wohin sie sich wenden können, wenn sie der Meinung sind: Hier muß der Staat überprüfen und eingreifen. Danke. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Bundesminister Dr. Süssmuth.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Minister:in)

Politiker ID: 11002287

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir alle sind uns darin einig, daß, wie in dem Antrag der SPD-Fraktion dargelegt, die Sicherung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit und der Qualität unserer Lebensmittel die zentrale verbraucherpolitische Aufgabe darstellt. Hier sind Staat und Wirtschaft gleichermaßen in die Pflicht genommen. Wir sollten uns nicht vormachen, daß der Staat mit dem dichtesten Netz der Kontrolle die Wirtschaft aus der Eigenverantwortung entlassen könnte. Das läßt sich überhaupt nicht kontrollieren. Deswegen kann das als Ansatz nicht ausreichen. Daher gehen unsere Bemühungen sehr dahin, gerade die Wirtschaft in die Eigenverantwortung und Eigenkontrolle zu nehmen. ({0}) - Deswegen muß man an anderen Regelungen ansetzen und nicht das Kontrollnetz allein zu verbessern versuchen. Daß daneben immer wieder Verunreinigungen, auch Skandale auftreten, werden wir auch in Zukunft nicht verhindern können. ({1}) Ich denke, positiv kann man sagen, daß dies weit mehr, als in der Vergangenheit aufgedeckt worden ist, entscheidend zum Verbraucherschutz beiträgt. Von daher muß man das als positive Weiterentwicklung und nicht als eine Vernachlässigung des Verbraucherschutzes sehen. Auch die hier schon von Herrn Rüttgers genannten 35,7 Millionen DM Bundesmittel für den Bereich der Verbraucherberatung sind doch ein Anlaß, zu fragen: Wie sieht das denn in vergleichbaren anderen Institutionen aus? ({2}) Von anderen ist hier auch schon gesagt worden, daß wir uns um Verbesserungen in verschiedenen Bereichen bemühen. Zu nennen sind ein Frühwarnsystem - Frau Würfel hat auf das Monitoring hingewiesen - , der Ausbau unserer Erkenntnisse bei den Bioprodukten, wo ein großes Forschungsprojekt auch zum Bereich der Vermarktung angelaufen ist, oder der Bereich der Hygiene. Es gibt nach wie vor unterentwickelte Bereiche, in denen wir tätig sind. Ich wage trotzdem, zu sagen, daß das 1974 geschaffene Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz in der Bundesrepublik eines der strengsten der Welt ist. Warum haben denn unsere Experten bei der EG ständig Probleme mit der Durchsetzung der Werte aus der Bundesrepublik, und warum ist es die Seltenheit, daß wir einen Wert von dort übernehmen und dann zu besseren Ergebnissen kommen? Ich denke, das spricht zunächst einmal für die Maßstäbe, die wir hier gesetzt haben. Wenn das Verhältnis des Gesundheitsschutzes zu wirtschaftlichen Interessen in Rede steht, leugnet niemand, daß es immer wieder zu Ausgleichssituationen kommen muß. Aber in Gefährdungssituationen muß es den Vorrang des Gesundheitsschutzes vor jedem Wirtschaftsinteresse geben. In diesem Zusammenhang scheint mir noch eines wichtig zu sein: Wir müssen sehen, daß auf Grund der heutigen Untersuchungs- und Analysemethoden auch Substanzen in einer Dosis ermittelt werden, die so gering ist, daß wir sie früher nie herausgefunden hätten. ({3}) - Ich bedaure das überhaupt nicht. ({4}) Ich sage nur, daß wir hier nicht ständig so reden können, als hätten wir es mit einer Verschlechterung in diesem Bereich zu tun. Wir sind jedoch nicht in der Lage, alle Substanzen - ich nenne nur die Probleme bei der Muttermilch - , die wir gegenwärtig auf Grund von Analysemethoden, die wir früher nicht hatten, erkennen können, auch zugleich zu beseitigen. Auch Cadmium können wir national nicht allein beseitigen, sondern hier bedarf es der europäischen und der internationalen Regelung. Mir ging es nur darum, über die verfeinerten Analysemethoden auch die neu entstandenen Probleme darzustellen und zu sagen, daß wir in bestimmten Bereichen noch auf Grenzen der Technik stoßen. Dies gilt auch für den soeben angesprochenen Bereich: Die Nematoden-Verordnung ist auf dem Weg zum Bundesrat. Es ist durchaus gehandelt worden. Auch da gibt es technische Grenzen in der Röntgenologie. Nicht alle Verfahren stehen zur Verfügung, um letztes auszuschließen. In diesem Sinne gibt es kein Null-Risiko. Ich muß Ihnen sagen: Unbedenklichkeit ist soeben in Frage gestellt worden. Bei den Arzneimitteln gilt das Kriterium der Wirksamkeit und der Unbedenklichkeit, und ich wehre mich energisch dagegen, daß wir bei den Lebensmitteln pauschal sagen: Lebensmittel sind in der Bundesrepublik eher gesundheitsschädigend als gesundheitsfördernd. Alle Aussagen, die zur Ernährungssituation getroffen worden sind, müssen doch mit dem Satz kommentiert werden: Es liegt auch an falschen Ernährungsgewohnheiten und nicht an den schlechten Lebensmitteln. ({5}) - Sie rühren daher - das ist hier soeben auch schon gesagt worden -, daß der Mensch ein vernünftiges und zugleich ein genießendes Wesen ist und für sich den Anspruch erhebt, daß er Genuß nicht immer mit Gesundheitsförderung verbinden muß. ({6}) - Ich muß Ihnen sagen: Wenn zu allen Zeiten so große Lernchancen im Bereich gesunder Ernährung wie gegenwärtig bestanden hätten, dann wären wir weltweit schon ein Stück weiter. Die Chancen waren noch nie so günstig wie zur Zeit. Wir haben sie zu nutzen. Ich möchte zu den Anträgen noch kurz folgendes sagen. Wir müssen sehen, daß wir, was die deutschen Standards angeht, längst in einem Prozeß der EG-Regelungen und der Harmonisierungsarbeiten in Brüssel stehen. Bei allen Einzelforderungen, die in den Anträgen aufgestellt werden, geht unser Bemühen dahin - ob das nun die Zusatzstoffe oder die Kennzeichnung betrifft -, Regelungen herbeizuführen, die zum einen Verbrauchertäuschung ausschließen und zum anderen unsere Regelungen im EG-Bereich soweit akzeptabel machen, daß wir uns damit durchsetzen können. ({7}) - Ich denke, wenn wir in bezug auf die Bestrahlung in der EG dieselben restriktiven Bestimmungen wie in der Bundesrepublik hätten, dann bräuchten wir dieses Thema hier nicht zu problematisieren, denn auch der Gesundheitsrat hat festgelegt, daß Bestrahlungen dort durchzuführen sind, wo sie anderen Verfahren überlegen sind und gesundheitsfördernder als andere Verfahren sind. ({8}) Nur unter diesen restriktiven Voraussetzungen ist die Bestrahlung in der Bundesrepublik erlaubt. Ich möchte zu den Anträgen der SPD und den GRÜNEN, z. B. zur Zulassung und Kenntlichmachung von Zusatzstoffen, zur allgemeinen Kennzeichnung und zur Festsetzung von Grenzwerten für eine radioaktive Belastung der Lebensmittel, zu weiten Bereichen der Hygiene, zur Bestrahlung und auch zu den von den GRÜNEN in einem besonderen Antrag angesprochenen technischen Hilfsstoffen, speziell für die Extraktionslösungsmittel, sagen, daß diese Punkte gegenwärtig im Rahmen der EG verhandelt werden. Die Bundesregierung wird in diesen Fällen im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles unternehmen, um auch in Zukunft ein hohes Schutzniveau im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft und damit auch für die deutsche Lebensmittelgesetzgebung sicherzustellen. Da nun für die Abstimmung über die Vorschläge der EG-Kommission in Brüssel durchgängig das Mehrheitsprinzip und nicht mehr das Einstimmigkeitsprinzip gilt, wird es entscheidend darauf ankommen, daß wir die übrigen Mitgliedstaaten von der Notwendigkeit strenger lebensmittelrechtlicher Regelungen überzeugen. Der Deutsche Bundestag ist mit seinen Stellungnahmen zu EG-Vorhaben für die Bundesregierung eine wichtige Hilfe. Ich werde nicht zögern, erforderlichenfalls um diese Hilfe aus dem Bundestag zu bitten. Aber auch das sei gesagt: Unrealistische Forderungen, etwa ein weltweites Verbot der Bestrahlung von Lebensmitteln, sind angesichts der Stellungnahmen maßgebender internationaler wissenschaftlicher Gremien und im Hinblick auf die in einer ganzen Reihe von Ländern bestehenden Regelungen wenig hilfreich. Es hat keinen Zweck, eine Forderung, die absolut nicht realisierbar ist, in den Katalog unmittelbarer Forderungen aufzunehmen. Hier kommt es vielmehr darauf an, die Bundesregierung bei den Beratungen in Brüssel in ihrer sehr restriktiven Haltung zu unterstützen, sobald es zur Vorlage eines formellen Vorschlags der EG-Kommission an den Rat kommt. Was schließlich die im Antrag der SPD behandelte Lebensmittelkontrolle betrifft, so hat sie ihre Effizienz eindrucksvoll durch ihr Vorgehen bei den in den letzten Jahren aufgedeckten Lebensmittelskandalen und sonstigen Manipulationen unter Beweis gestellt. ({9}) - Man kann eine Behörde auch dadurch untauglich machen, daß man sie ständig nur kritisiert. Jedenfalls: Woher kommen denn die vielen fast jede Woche auftretenden Meldungen? Wenn die Behörden nicht funktionieren würden, wären sie nicht da. ({10}) Dies bedeutet nicht, daß wir uns nicht ständig bemühen müssen, gemeinsam mit den Ländern nach Wegen zu suchen, die verfügbaren personellen und apparativen Ressourcen noch wirksamer einzusetzen. Auch dies ist eine Geldfrage, nicht nur eine Frage der Möglichkeit. Entsprechende Modelle, die auch auf eine steigende Eigenverantwortung der Wirtschaft hinauslaufen, werden seit längerem diskutiert.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frau Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Dr. Martiny-Glotz?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Minister:in)

Politiker ID: 11002287

Ja, bitte.

Dr. Anke Riedel-Martiny (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001428, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Süssmuth, es erspart mir einen Brief und Ihnen eine schriftliche Antwort, wenn ich Sie jetzt folgendes fragen darf. Die ganze Zeit denke ich darüber nach, ob ich in der Vermutung richtig liege und ob Sie sie bestätigen können: Ist der Gesetzeszustand, was die Bestrahlung angeht, nicht so, daß die Bestrahlung generell verboten ist und daß der Gesundheitsrat zwar vorgeschlagen hat, eine Ausnahmeregelung für Gewürze zuzulassen, daß aber eine solche Regelung nicht in Kraft ist - denn Sie müßten ja dafür das Gesetz ändern? Oder liege ich da falsch?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Minister:in)

Politiker ID: 11002287

In der Bundesrepublik ist es nach meinem Wissensstand so; den ersten Teil bestätige ich. Bestrahlung nein, aber versehen mit Erlaubnisvorbehalt. So sieht das Gesetz aus. Die Regelung des Erlaubnisvorbehalts - etwa im Bereich der ionisierenden Bestrahlung von Gewürzen - sieht im Kontext der Empfehlungen des Gesundheitsrats so aus, daß dieses Verfahren gesundheitsfördernder als andere ist. Es geht also um den Erlaubnisvorbehalt. ({0}) - Zu dem Stichwort Kennzeichnungsregelung muß ich sagen, daß besonders in bezug auf die hereinkommenden Lebensmittel die Kennzeichnung unverzicht5486 bar ist, weil wir ja die Bestrahlung nicht kontrollieren können. ({1}) - Das ist die Rechtsregelung. Aber wenn ich trotzdem den Schutz gewährleisten will, weil ich es ja nicht kontrollieren kann, dann kann ich es nur über eine EG-Regelung im Rahmen der Kennzeichnung. Abschließend komme ich darauf zurück, daß für die Weiterentwicklung des Verbraucherschutzes und im Rahmen der amtlichen Lebensmittelüberwachung das zwischen Bund und Ländern vereinbarte Schnellinformationssystem - das im Licht der mit ihm gemachten Erfahrungen ebenfalls verbessert wird -, eine wesentliche Rolle spielt. Bewährt hat sich in diesem Zusammenhang auch ein zentrales Warnsystem im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft, das unter unserer maßgeblichen Beteiligung zustande gekommen ist. Angesichts der zahlreichen importierten Lebensmittelskandale ist es schließlich ein besonderes Anliegen der Bundesregierung, daß das international anerkannte hohe Niveau der deutschen Lebensmittelüberwachung EG-weit festgeschrieben wird. Dies ist eine unabdingbare Voraussetzung für den für das Jahr 1992 angestrebten vollständigen Wegfall der Binnengrenzen. Wir wollen ein einheitliches Europa. Aber wir wollen auch die Sicherstellung eines optimalen Verbraucherschutzes. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen. Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 8. Juni 1988, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.