Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Dr. Emmerlich feierte am 10. Mai 1988 seinen 60. Geburtstag. Ich darf ihm die besten Wünsche des Hauses übermitteln.
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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Eid und der Fraktion DIE GRÜNEN: Aufkündigung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Südafrika - Drucksache 11/2310 -2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Eid und der Fraktion DIE GRÜNEN: Keine Hermesbürgschaften für Südafrika-Geschäfte - Drucksache 11/2311 -3.Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Eid und der Fraktion DIE GRÜNEN: Keine Kreditvergabe der Kreditanstalt für Wiederaufbau ({1}) an Südafrika - Drucksache 11/2313 -Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Stopp der Kohleimporte aus Südafrika - Drucksache 11/2312 -Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Verschärfte Repression in Südafrika - Drucksache 11/2326 -Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Eid und der Fraktion DIE GRÜNEN: Bekämpfung der Hungersnot in Eritrea und Tigray - Drucksache 11/2314 -3. Aktuelle Stunde: Die jüngsten Äußerungen des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Rupert Scholz, zum Verteidigungsetat und zu der Entwicklung in der Sowjetunion
Darüber hinaus soll von der Frist für den Beginn der Beratung zu Punkt 12 der Tagesordnung - das ist die Drucksache 11/2319 - abgewichen werden.
Weiterhin ist interfraktionell vereinbart worden, Punkt 4 der Tagesordnung - Drucksache 11/227 - ohne Debatte an die vorgesehenen Ausschüsse zu überweisen und Punkt 10 der Tagesordnung - Drucksache 11/2112 - abzusetzen.
Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes über die siebzehnte Anpassung der
Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz ({2}) - Drucksachen 11/2042, 11/2122 -
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({3})
- Drucksache 11/2315 -Berichterstatter: Abgeordneter Louven
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 11/2316 Berichterstatter: Abgeordnete Sieler ({5}) Strube
Zywietz
Rust
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Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/2321 bis 11/2325 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Louven.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In jedem Jahr, wenn die Kriegsopferversorgung auf der Tagesordnung steht, haben wir das gleiche Ritual: Die Opposition beschimpft die Regierung, beschimpft die Koalitionsfraktionen, sie seien herzlos,
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redet vom Wortbruch des Kanzlers, und ich kann mir vorstellen, Herr Heyenn, daß dies auch heute wieder so der Fall ist. In der ersten Lesung hat Frau Weiler hier ja kräftig zugeschlagen
({1})
Sie hat davon gesprochen, wir führten eine Politik mit der Sterbetafel, nach dem Motto: Nimm es den Armen und gib es den Reichen!
Wir weisen dann, meine sehr verehrten Damen und Herren, darauf hin, wie herzlos Ihre Kriegsopferpolitik während Ihrer Zeit gewesen ist.
({2})
Wir weisen dann darauf hin, daß Sie beispielsweise in den Jahren von 1978 bis 1982 Anpassungen immer unterhalb der Inflationsrate und im Jahre 1978 noch nicht einmal eine Anpassung vorgenommen haben.
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Ich meine, wir sollten uns hier einmal etwas Neues einfallen lassen.
In diesem Jahr bekommen die Kriegsopfer zum 1. Juli eine Erhöhung von 3 %. Im dritten Jahr in Folge haben sie ein echtes Mehr. Die Kriegsopfer profitieren somit von der Stabilitätspolitik dieser Bundesregierung.
({4})
In der ersten Lesung habe ich für die Koalition angekündigt, daß es auch strukturelle Verbesserungen geben solle. Auch in diesem Punkt haben wir Wort gehalten. Wir nehmen in fünf Bereichen strukturelle Verbesserungen vor. Ich möchte sie hier kurz vortragen dürfen.
Erstens. Die Ausgleichsrente bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird von 70 To auf das Niveau angehoben, das heute bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 80 % gilt.
Zweitens. Behinderte Familienangehörige von Beschädigten werden in die Leistungen der Kriegsopferfürsorge einbezogen.
Drittens. Bei Schwerbeschädigten wird nach Vollendung des 60. Lebensjahres von der Rechtsvermutung ausgegangen, daß ein Zusammenhang zwischen Schädigung und der Notwendigkeit von Kriegsopferfürsorgeleistungen besteht.
Viertens. In der Kriegsopferfürsorge wird bei ausschließlich schädigungsbedingtem Bedarf auf die Anrechnung von Einkommen und Vermögen verzichtet.
Schließlich fünftens. Für Begleitpersonen von Schwerbeschädigten wird ein Unfallversicherungsschutz eingeführt werden.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie hatten zur Ausschußberatung 15 Änderungsanträge vorgelegt. Zwei davon waren mit unseren deckungsgleich.
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Die Kosten hierfür würden 640 Millionen DM betragen. Heute haben Sie wiederum fünf Anträge vorgelegt; Kosten hierfür: 320 Millionen DM. Wir mußten und wir müssen Ihre Anträge ablehnen, und zwar nicht deshalb, weil wir die Anliegen der Kriegsopfer-verbände nicht anerkennten, sondern aus Kostengründen. Ich kann hier aber ausdrücklich zusagen, daß wir im nächsten Jahr wieder über strukturelle Verbesserungen reden und beschließen werden.
Erstaunt hat mich Ihr erneuter Antrag zum Thema „Berufsschadensausgleich", und zwar deshalb, weil wir im Ausschuß einvernehmlich das Bundesministerium für Arbeit aufgefordert haben, bis zum Jahresende einen Bericht über die Schadensabgeltung zu erstatten, wobei insbesondere auf den Problembereich der Überversorgung eingegangen werden soll. Daher verwundert mich Ihr heutiger Antrag, dies um so mehr, als die Aufforderung an das Ministerium ja von Ihnen, Herr Kirschner, initiiert worden ist.
Meine Damen und Herren, am Schluß möchte ich mich dafür bedanken, daß wir die Beratung im Ausschuß so zügig durchführen konnten. Bedanken möchte ich mich insbesondere beim Ausschußvorsitzenden, der mit einer geschickten Verhandlungsführung erreicht hat, daß wir in der vorletzten Sitzung die Beratungen abschließen konnten. Dafür herzlichen Dank! Im Interesse der Kriegsopfer war das eine richtige Entscheidung.
Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, darf ich kurz unterbrechen - das ist zwar ungewöhnlich, aber ich tue es trotzdem - , weil auf der Zuschauertribüne eine Reihe von ehemaligen Kolleginnen und Kollegen Platz genommen haben. Die Kollegen vom Haushaltsausschuß haben alle ehemaligen Mitglieder des Haushaltsausschusses eingeladen. Ich darf die Kolleginnen und Kollegen in der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages sehr herzlich begrüßen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kirschner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem uns heute zur abschließenden Beratung vorliegenden Gesetzentwurf über die siebzehnte Anpassung der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz werden wir Sozialdemokraten zustimmen. Wir werden aber Sie, meine Damen und Herren von der Koalition - natürlich einschließlich des Ministers - , nicht von Kritik ausnehmen, da nach unserer Auffassung die Schritte zu den notwendigen strukturellen Verbesserungen zu klein geraten sind.
Herr Louven, Ihre hellseherischen Fähigkeiten, was das angebliche Ritual angeht, sind, was meine Rede betrifft, schlecht; das sage ich Ihnen schon jetzt. Trotzdem will ich Ihnen nicht empfehlen, zu den Astrologen zu gehen, denn wie so etwas ausgehen kann, können Sie diese Woche im „Spiegel" nachlesen. Seien Sie also ein bißchen zurückhaltender!
({0})
- Da muß ich sagen: Das ist Ihr Fehler!
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Wir werden auf jeden Fall dem Gesetzentwurf zustimmen - ich sagte es schon -, weil mit ihm die Renten und die Geldleistungen an die Versorgungsberechtigten nach dem Bundesversorgungsgesetz
- in erster Linie sind das die Kriegs- und Wehrdienstopfer - zum 1. Juli 1988 um 3 % erhöht werden. Damit erhalten die Kriegsopfer zum erstenmal seit 1983 wieder eine ungekürzte Rentenerhöhung, weil
ihnen diesmal nicht wie all die Jahre vorher systemwidrig ein Anpassungsabschlag in Höhe des Beitrages der Rentner zu ihrer Krankenversicherung auferlegt wird.
Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, ich betone das Wort „diesmal" deswegen, weil zu befürchten ist, daß Sie die mit Ihrem sogenannten Gesundheitsreformgesetzentwurf zum 1. Januar 1989 vorgesehene weitere Erhöhung des Krankenversicherungsbeitrages der Rentner von derzeit 5,9 auf voraussichtlich 6,7 % auch wieder den Kriegsopfern aufbürden wollen. Sie werden bei einem solchen Versuch - das kann ich Ihnen schon heute ankündigen - wieder auf den entschlossenen Widerstand der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion stoßen.
Mit einem weinenden Auge betrachten wir den Gesetzentwurf, weil er in seinem Teil „Strukturelle Verbesserungen" leider ungenügend ist und der Bedarfssituation der Versorgungsberechtigten in der Kriegsopferversorgung weder aus sozialpolitischer noch aus entschädigungsrechtlicher Sicht gerecht wird. Damit sage ich Ihnen nun wirklich nichts Neues. Sie wissen, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, auch selbst ganz genau, daß es so ist. Sie haben lange genug entsprechende Versprechungen abgegeben und die Kriegsopfer immer wieder vertröstet.
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- Na, wenn wir die Sonntagsreden anschauen.
Gemessen an diesen Versprechungen, die von Sprechern der Koalitionsfraktionen über den Bundesarbeitsminister bis hin zum Bundeskanzler abgegeben wurden, ist das, was jetzt an Maßnahmen zur strukturellen Leistungsverbesserung in der Kriegsopferversorgung vorgeschlagen wird, wirklich nicht viel mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Insgesamt bedarf es in der Kriegsopferversorgung weit größerer Anstrengungen, um dem Anspruch des betroffenen Personenkreises auf eine angemessene wirtschaftliche Versorgung einigermaßen gerecht zu werden.
Vor allen Dingen: Die notwendigen strukturellen Verbesserungen müssen sofort wirksam werden und nicht, wie es von den Koalitionsfraktionen vorgesehen ist, erst zum Anfang des nächsten oder des übernächsten Jahres. Ankündigungen, Vertröstungen und Hinausschiebungen hat es von seiten der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen bereits genug gegeben.
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Wenn die Versorgungsberechtigten wirklich noch etwas von einer strukturellen Verbesserung ihrer Leistungen haben sollen, müssen die entsprechenden Maßnahmen jetzt ergriffen und ohne zeitliche Verzögerung in Kraft gesetzt werden.
Ich darf an dieser Stelle daran erinnern, daß die Beschädigten ein Durchschnittsalter von mittlerweile 69 Jahren haben, und bei den Hinterbliebenen liegt das Durchschnittsalter sogar bei 75 Jahren. Deshalb ist es einfach nicht mehr zumutbar, immer wieder die Notwendigkeit weitergehender struktureller Leistungsverbesserungen zu betonen, ihnen aber gleichzeitig zu sagen, daß sie darauf noch lange warten müssen, weil man die dafür notwendigen Mittel für eine ungerechte Steuerreform brauche, von der die Kriegsopfer ohnehin nichts haben. Ein einziges Prozent - lassen Sie mich dies sagen - Ihrer großartigen Steuerreform würde ausreichen, um diese notwendigen Strukturverbesserungen zu finanzieren. Das Geld ist also da, nur müßte es im Bundeshaushalt entsprechend umgeschichtet werden.
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Meine Damen und Herren, wir wollen die vorgesehenen Maßnahmen nicht nur kritisieren. Ich will sie als einen ersten Schritt - wenn es tatsächlich ein solcher sein soll und der zweite unverzüglich folgt - durchaus anerkennen. Wir begrüßen diese Maßnahmen und tragen sie auch mit, insbesondere auch deshalb, weil die Koalitionsfraktionen mit ihren Änderungsanträgen im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung in zwei Fällen, nämlich der vollen Einbeziehung der behinderten Familienangehörigen in die Leistungen der Kriegsopferfürsorge sowie der Erweiterung der Rechtsvermutung des Kausalzusammenhangs zwischen Schädigung und Notwendigkeit der Leistung in der Kriegsopferfürsorge auf die Gruppe der mindestens Sechzigjährigen, den von der SPD-Fraktion eingebrachten Änderungsanträgen gefolgt sind.
Wir Sozialdemokraten sind aber der Auffassung, daß eine darüber hinausgehende strukturelle Verbesserung der Kriegsopferversorgung unverzüglich erfolgen muß. Änderungsanträge mit dieser Zielrichtung haben wir bereits in den Ausschußberatungen eingebracht. Dort sind sie aber mit Ausnahme der bereits erwähnten Regelungen von Ihnen abgelehnt worden. Die wichtigsten und vordringlichsten unserer Verbesserungsvorschläge stellen wir auch hier nochmals zur Abstimmung, weil wir meinen - ich sagte es schon -, daß deren weiteres Hinausschieben nicht zu verantworten ist.
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Sie betreffen die Regelungsbereiche, die nach unserer Auffassung zuerst in Erwägung zu ziehen sind, wenn man sich ernsthaft bemüht, die vordringlichen und unaufschiebbaren Probleme in der Versorgung der Kriegsopfer zu lösen. Insofern ist das vom Kollegen Heinrich - ich sehe ihn leider nicht - in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs angekündigte Vorhaben, „mit einem Änderungsantrag" - so sagte er -„ab 1. Januar 1989 besonders vordringliche strukturelle Verbesserungen zu erreichen" , ziemlich danebengegangen.
Bei der Auswahl, die die Koalitionsfraktionen hinsichtlich struktureller Leistungsverbesserungen getroffen haben, drängt sich der Verdacht auf, daß dabei nicht in erster Linie die Bedarfslage der Versorgungsberechtigten, sondern nur finanzielle Gesichtspunkte im Vordergrund standen. Offensichtlich kam es weniger auf die Regelung der tatsächlich vordringlichen Probleme in der Kriegsopferversorgung als vielmehr darauf an, möglichst kostengünstige Maßnahmen zu ergreifen, um damit kostenträchtigere zu vermeiden. Das heißt, mit möglichst geringem finanziellen Aufwand soll der größtmögliche politische Erfolg erreicht
werden. Diese Taktiererei wird Ihnen von den Betroffenen - das wissen Sie selber - nicht mehr abgenommen.
Hätten die Koalitionsfraktionen wirklich die Lösung der vordringlichen Probleme im Auge gehabt, hätten sie zuallererst, wie dies einer unserer Anträge vorsieht, die Elternrenten verbessern müssen. Die volle Rente für ein Elternpaar liegt heute nämlich um rund 80 DM unter dem durchschnittlichen Regelsatz nach dem Bundessozialhilfegesetz. Wenn die Elternrente ihren Zweck, die Sicherung des Lebensunterhalts der Eltern, erfüllen soll, muß sie über die allgemeine Erhöhung hinaus mindestens auf die Höhe der Sozialhilfeleistungen angehoben werden.
Wer weiß - Sie kennen diese Zahlen, meine Damen und Herren -, daß die Empfänger von Elternrente in der Regel älter als 75 Jahre sind, und wer deren hohe Sterblichkeitsrate von über 20 % kennt, der zweifelt wohl nicht mehr daran, daß die Verbesserung der Elternrenten vordringlich ist.
Besonders an diesem Punkt hätte der Bundesarbeitsminister beweisen können, daß es ihm mit der von ihm so gerne im Munde geführten „Pflicht der Anerkennung der Opfer, die diese Generation für uns alle erbracht hat" , ernst ist.
Priorität hätte bei solchen Überlegungen auch der Einführung von Badekuren für Witwen oder der Verdopplung des Zeitraums, innerhalb dessen Pflegepersonen nach dem Ende der Pflegetätigkeit oder dem Tod des Pflegezulagenempfängers Kuren beanspruchen können, beigemessen werden müssen. Mit fortschreitendem Alter dieses Personenkreises kommt solchen gesundheitssichernden Maßnahmen immer stärkere Bedeutung zu.
Vordringlich ist für uns auch die Verbesserung des Berufsschadens- und Schadensausgleichs.
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In seiner heutigen Ausgestaltung ist er nicht mehr in der Lage, die wirtschaftlichen Einbußen derjenigen Geschädigten bzw. Witwen auszugleichen, deren Einkommen durch die Schädigungsfolgen bzw. durch den Verlust des Ehemannes gemindert ist. Es ist deshalb dringend geboten, die Entschädigungsquote beim Berufsschadens- und Schadensausgleich von heute 42,5 % auf 50 % zu erhöhen. Wir werden dazu einen Bericht hören.
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Ich möchte deshalb nochmals an Sie appellieren, den Änderungsanträgen der SPD-Fraktion, die diese vordringlichen strukturellen Leistungsverbesserungen zum Ziel haben, zuzustimmen. Damit wird der Anspruch der Kriegsopfer auf eine angemessene wirtschaftliche Versorgung besser erfüllt, und es wird ihnen vor allen Dingen keine weitere zeitliche Verzögerung bis zum Inkrafttreten der dringend notwendigen strukturellen Verbesserungen zugemutet.
Kommen Sie zum Schluß, bitte.
Wenn wir dem Gesetzentwurf auch bei einer Ablehnung unserer Änderungsanträge - Sie haben noch einmal die Chance, ihnen zuzustimmen - in dritter Beratung zustimmen, dann wollen wir damit auch zu erkennen geben, daß wir Verbesserungen für die Kriegsopfer, selbst wenn wir sie für unzureichend halten, nicht im Wege stehen wollen.
Ich beantrage gleichzeitig, Herr Präsident, über die Beschlußempfehlung und den Bericht des Ausschusses artikelweise abzustimmen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Thomae.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Politik heißt dicke Bretter bohren. Sozialpolitik betreiben heißt, an der dicksten Stelle des Brettes anzufangen zu bohren. Bis man an das Ziel gelangt, hat man viel Mühe und Zeit verwenden müssen.
So ist es auch bei der siebzehnten Anpassung der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz. Am Anfang stand die dreiprozentige Anhebung der laufenden Leistungen. Damit war im dritten Jahr hintereinander auch für die Kriegsopfer und ihre Angehörigen ein Anstieg der realen Kaufkraft erreicht. Das reichte uns jedoch nicht aus.
Wir Freien Demokraten fühlen uns den Kriegsopfern und ihren Angehörigen verpflichtet. Durch eine gemeinsame Initiative von CDU, CSU und FDP ist es gelungen, erste strukturelle Verbesserungen im Kriegsopferversorgungsrecht durchzusetzen.
Fünf Verbesserungen haben wir erreicht:
Erstens. Wir haben die Ausgleichsrente bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70 % auf ein Niveau angehoben, das heute bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 80 % gilt.
Zweitens. Behinderte Familienangehörige von Beschädigten werden in die Leistungen der Kriegsopferfürsorge einbezogen werden.
Drittens. Bei Schwerbeschädigten wird nach Vollendung des 60. Lebensjahres in der Kriegsopferversorgung von der Rechtsvermutung ausgegangen, daß ein Zusammenhang zwischen Schädigung und der Notwendigkeit von Kriegsopferfürsorgeleistungen besteht.
Viertens. In der Kriegsopferfürsorge wird bei schädigungsbedingtem Bedarf auf die Anrechnung von Einkommen und Vermögen verzichtet.
Fünftens. Begleitpersonen von Schwerbeschädigten werden in den Unfallversicherungsschutz einbezogen werden.
Durch diese strukturellen Änderungen ergeben sich für den Bund jährliche Mehraufwendungen von 26 Millionen DM - ein zweistelliger Betrag. Für die einen ist das ein zwar hoher, aber nicht befriedigender Betrag, für uns Liberale gegenwärtig das augenblicklich Mögliche.
Wir haben gehalten, was wir in den Koalitionsvereinbarungen festgelegt und versprochen haben.
({0})
An den Anfang struktureller Verbesserungen wollten wir dies stellen. Wir haben den ersten Schritt getan, und zwar, wie ich glaube, in die richtige Richtung. Die angespannte Haushaltslage heute und die anstehenden großen sozialen Strukturreformen zeigen uns den Rahmen auf, in dem unser politisches Handeln stattzufinden hat. Diesen Rahmen zu sprengen wäre töricht. Wir wecken keine falschen Hoffnungen,
({1})
auch für andere gesellschaftliche Gruppen nicht. Wir machen das, was wir halten können.
Mit diesem Anpassungsgesetz - das möchte ich deutlich betonen - machen wir jedoch nur einen Anfang. Eines möchte ich aber deutlich hervorheben: Integration und soziale Zufriedenheit der Kriegsopfer und ihrer Angehörigen schaffen wir nicht allein mit Geldleistungen. Solidarität und Teilnahme an ihren Problemen, Hilfe zur Selbsthilfe für diese Menschen und die Begegnung der älteren mit der jüngeren Generation sind unverzichtbar, damit dieses siebzehnte Anpassungsgesetz mit seinen finanziellen Verbesserungen auf fruchtbaren Boden fällt.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Unruh.
Herr Präsident! Werte Volksvertreter und Volksvertreterinnen! Ich habe das gehört, Herr Kollege. Bis Sie, einschließlich Herr Minister Blüm, am Ziel angelangt sind, sind, glaube ich, 70 To der Betroffenen verstorben.
({0}) Das geht anscheinend nicht in Ihren Kopf.
Jetzt stehen Sie wieder in einem Widerspruch: Sie wollten, habe ich gehört, den Jäger 90 eigentlich alle nicht - das sind ja immerhin fast 40 Milliarden DM, um die es da geht - , aber weil man so im Koalitionszwang ist, will man doch. Hier hören wir, Sie wollen eigentlich alle was Gutes tun. Nur, warum tun Sie es nicht? Also, wir schließen uns den Forderungen der SPD voll an.
Ich kann auch nicht verstehen, Herr Minister - da muß ich Ihnen einen großen Vorwurf machen - , daß Sie einen anderen Bereich sozial vernachlässigen. Ich will jetzt nicht von „Opfer, Opfer, Opfer" reden; denn wir reden immer dasselbe. Aber ich will doch einmal eine ganz neue Menschenmasse von ca. 300 000 als Opfer darstellen. Diese kommen wesentlich aus dem Bereich der Landwirte, Bauern. 300 000 sollen es nach einer Erhebung von Land und Forsten sein! Diese Männer und Frauen bezeichnen sich als Vergessene, als von der Politik an den Rand Gedrängte. - Hallo, Herr Dreßler, ich brauche dann irgendwo auch Ihre
Zustimmung, brauche, daß Sie wieder etwas Gutes reinbringen.
({1})
- Nein, nein, lassen Sie man, so ist das ja auch nicht. Nur bei Kriegsopfern sind sich die GRÜNEN auch ein Stück darüber einig, daß es um ein Opfer geht, das sie zwar nicht so kapieren können, das sie aber solidarisch mittragen. Sie reden von der Solidarität und tun sehr wenig. Und die GRÜNEN reden von der Solidarität und sagen: Da ist irgend etwas Komisches passiert, was nie wieder passieren soll, das heißt Krieg;
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also ist das ein Staatsdienst, den wir nicht begreifen können; wir werden uns aber für diese 300 000 Männer und Frauen einsetzen, die im wesentlichen keinen Pfennig Rente anerkannt bekommen.
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- Die gibt es! Bis zu 171/2 Jahre haben die einen Staatsdienst vollbracht. Man muß sich das vorstellen: Die einen Staatsdiener bekommen es vom Dienstrecht her voll anerkannt. Aber diese ca. 300 000 Männer und Frauen lassen Sie draußen herumhängen und geben ihnen null Bock, nur weil sie nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung waren oder weil sie es versäumt haben oder kein Geld hatten, für vier Monate nachzubezahlen.
({4})
Es gibt erschütternde Briefe. Sie als Mann müßten dafür besonderes Verständnis haben. Stellen Sie sich einmal vor, Sie hätten 171/2 Jahre im Dreck gelegen und wären für sieben Jahre in russische Gefangenschaft gekommen, und dann würden Sie heute erleben, daß ein Beamter das voll als Dienstzeit angerechnet bekommt, Sie aber gar nichts erhalten und dann als Landwirt mit einer Altersrente von 598 DM ab 1. Juli herumhängen!
Sie sind doch ein selbständiger Bäckermeister. Leuten wie Ihnen ist es doch genauso gegangen. Sie müssen doch absolut dafür sein. Ich verstehe die Welt nicht mehr in diesem Hause! Das geht doch alles gar nicht.
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- Nein. Sie doch genauso! Sie sagen: Sie kommen aus dem freien Unternehmertum und und und. Woher kommen denn Landwirte?
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- Ach, Sie reden ein dummes Zeug. Sie bringen noch nicht einmal die Solidarität zu denen auf, die im gleichen Dreck gelegen haben. Haben Sie denn auch im Dreck gelegen? Oder haben Sie die Gnade der späten Geburt? Auch der Herr Bundeskanzler fand es nämlich nicht nötig, diesen Sorgenbrief dieser Menschen, vereint über Land und Forsten, zu beantworten.
({7})
In welchem Staat leben wir?
Ich hoffe auf Ihre Unterstützung, Herr Bundesminister. Wenn diese Köpfe hier nicht fähig sind, das zu erkennen, hoffe ich, daß Sie es mit Ihrer „großen Solidarität" erkennen. Die SPD macht mit. Und die GRÜNEN haben es angeregt.
Danke schön.
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Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 1,5 Millionen Kriegsopfer sind auf unsere Hilfe, unsere Solidarität angewiesen. Mehr als 12 Milliarden jährlich wenden wir an Leistungen für Wehrdienstbeschädigte, Zivildienstbeschädigte, Opfer von Gewalttaten und ihre Hinterbliebenen auf. Sie bleiben in unserer Solidarität.
Es bleibt auch beim großen Anpassungsverbund. Das ist ja ein Solidarverbund. Die Renten der Kriegsopfer folgen der Anpassung der Rentenversicherung. Niemand eilt davon oder fällt zurück. Kriegsopfer und Rentner in einem Anpassungsverbund! Und Rentner und Kriegsopfer bleiben im Verbund mit den Lohnempfängern. Das ist das Solidaritätsbündnis unserer Sozialversicherung.
Es wird nicht Jahr für Jahr - auch wenn wir es hier beschließen - sozusagen etwas Neues verkündet, sondern die Kriegsopfer und Rentner bleiben in der Solidarität mit den Erwerbstätigen. Wenn der Lohn der Erwerbstätigen steigt, steigen auch Rente und Kriegsopferversorgung.
Was ebenfalls wiederholt werden muß, auch aus Anlaß dieser Schlußberatung, ist dies: Das Beste für Rentner, Lohnempfänger und Kriegsopfer ist Preisstabilität.
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Das ist das Wichtigste. Was nützt die schönste Anpassung, wenn die Preise stärker steigen als die Renten und die Kriegsopferversorgung? Das kann nicht oft genug gesagt werden, weil die Opposition dies offenbar vergessen hat.
Ich weise auch darauf hin, daß der proportionale Anteil der Kriegsopfer am Bundeshaushalt nicht sinkt, sondern seit 1985 wieder steigt. Mit anderen Worten: Die Kriegsopfer fallen nicht zurück.
Jetzt zu den strukturellen Verbesserungen. Ich will ausdrücklich sagen: Die Bundesregierung begrüßt diese strukturellen Verbesserungen, die aus dem Parlament hervorgegangen sind. Ich hoffe, daß auch die Sozialverbände anerkennen, daß wir einen weiteren Schritt neben vielen anderen, die wir zustande gebracht haben, vorwärtsgekommen sind.
({1})
- Wenn das so notwendig war, wie Sie es darstellen
- und auch ich - warum haben Sie es dann nicht in den 13 Jahren gemacht?
({2})
Wenn das alles so unausweichlich wäre, hätten Sie damals, als die Kassen noch voller als heute waren, das alles machen können.
({3})
Aber ich denke, den Kriegsopfern hilft diese Rückwärtsbetrachtung nicht.
Ich will hier nur einmal die Proportionen klarmachen. Wenn es so wäre, wie die Sozialdemokraten sagen, hätten sie es ja 13 Jahre machen können.
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Jetzt zu den strukturellen Verbesserungen. Da höre ich „Tropfen auf den heißen Stein". Andere sagen, es sei gar nichts geschehen. Da will ich doch noch einmal darauf hinweisen, daß allein die Ausgleichsrente der Beschädigten mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 70 To jetzt auf den Betrag angehoben wird, der bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 80 % gezahlt wird. Das heißt, daß bei dieser Erwerbsfähigkeitsminderung die volle Ausgleichsrente jetzt 666 DM beträgt. Das ist für diesen Personenkreis eine Erhöhung ihrer Ausgleichsrente um monatlich 116 DM. Seien Sie mal ein bißchen vorsichtig, das als einen „Tropfen auf den heißen Stein" zu bezeichnen. Das ist eine handfeste Verbesserung der Lebenslage dieser Menschen.
Im übrigen: Diejenigen Beschädigten mit 70 % Minderung der Erwerbsfähigkeit, die heute keine Ausgleichsrente erhalten, weil ihr Einkommen die Einkommensgrenze überschreitet, erwerben jetzt einen Anspruch auf Ausgleichsrente - ein wichtiger Fortschritt. Die Beschädigten, die neben der Ausgleichsrente noch Berufsschadenausgleich erhalten, bringt die Anhebung der Ausgleichsrente eine Verbesserung. Ihnen verbleiben 66 DM monatlich mehr. Sie können sagen, es sei wenig. Aber damit, zu sagen, es sei nichts oder ein „Tropfen auf den heißen Stein", Herr Kirschner, sollten Sie vorsichtig sein. Seien Sie nicht so großspurig. Das sind 66 DM mehr, die durch diese Gesetzgebung erreicht werden. Für 12 000 Beschädigte ist die Erhöhung der Ausgleichsrente eine handfeste Verbesserung ihrer Lebenslage.
Wenn die Begleitpersonen von Beschädigten jetzt auch Unfallschutz erhalten, folgt das wiederum unserer Philosophie. Man hilft den Beschädigten auch dadurch, daß man ihren Helfern hilft. Es ist ganz wichtig, daß die im Unfallschutz drin sind. Wir sind auf die Samariter in unserem Sozialstaat angewiesen. Deshalb: Man hilft den Hilfsbedürftigen, wenn man den Helfern hilft.
Behinderte Familienangehörige von Beschädigten werden hinsichtlich behinderungsbedingter Leistungen insofern bessergestellt, als sie nicht mehr an die Sozialhilfe verwiesen werden, sondern voll in die Kriegsopferfürsorge einbezogen werden. Das ist eine
alte Forderung der Verbände, die wir heute erfüllen.
Für Schwerkriegsbeschädigte soll nach Vollendung des 60. Lebensjahres in jedem Fall davon ausgegangen werden, daß ein Zusammenhang zwischen Schädigung und Notwendigkeit von Kriegsopferfürsorgeleistungen besteht. Dieser Personenkreis wird damit von einer aufwendigen Prüfung von Kausalzusammenhängen befreit. Auch das ist eine Verbesserung ihrer Lebenslage.
In der Kriegsopferfürsorge soll bei ausschließlich schädigungsbedingtem Bedarf auf die Anrechnung von Einkommen und Vermögen verzichtet werden. Damit wird der entschädigungsrechtliche Charakter dieser Leistungen besser zur Geltung gebracht.
Das sind fünf wichtige Schritte. So ist unsere Sozialpolitik: Wir warten nicht, bis das Wünschbare, bis das Ideal in fernen Zeiten erreichbar ist, sondern wir kommen Schritt für Schritt voran. Und die Legislaturperiode ist ja noch nicht zu Ende.
Meine Damen und Herren, ich lade Sie ein, weiter auf diesem Weg zu bleiben, weiter auf dem Weg der Solidarität mit unseren Kriegsopfern und der Verbesserung der Leistungen für sie zu bleiben. Wir sind heute, wenn dieses Gesetz beschlossen wird, einen Schritt vorwärts gekommen.
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Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung in der Ausschußfassung.
Ich rufe den Art. 1 auf.
Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist angenommen.
Ich rufe den Art. 1 a auf. Hierzu liegen auf den Drucksachen 11/2321 bis 11/2324 Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/2321? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/2322? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/2323? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/2324? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Art. 1 a in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Art. 1 a ist angenommen.
Ich rufe Art. 2 auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 2 ist angenommen.
Ich rufe Art. 3 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/2325 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für Art. 3 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 3 ist angenommen.
Es bleibt noch über Einleitung und Überschrift abzustimmen. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einleitung und Überschrift sind angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes
- Drucksache 11/2175 Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Innenausschuß ({0})
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß gem. § 96 GO
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist vereinbart worden, für die Beratung einen Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vorzusehen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann verfahren wir so.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Häfner.
Wenn die Herren, die sich für den Datenschutz nicht interessieren, aus dem Saal gegangen sind, dann können wir anfangen. Ich zähle gerade noch drei oder vier Abgeordnete auf den Plätzen der Union.
Herr Abgeordneter Häfner, ich bitte Sie um Verständnis, daß ich Sie unterbreche. - Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Unterhaltungen draußen fortzusetzen oder Platz zu nehmen.
({0})
- Das trifft für alle Kolleginnen und Kollegen zu, auch für die Regierungsbank.
({1})
Präsident Dr. Jenninger
Ich bitte entweder Platz zu nehmen oder den Saal zu verlassen. - Herr Abgeordneter Häfner, fahren Sie fort.
Ich danke Ihnen, Herr Präsident.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung aus aktuellen Anlaß. Willy Brandt hat sich vor fast zwanzig Jahren einmal hier vor dieses Haus hingestellt und hat gesagt: „Wir müssen mehr Demokratie wagen! " Gefolgt ist dieser Ankündigung gar nichts, eher das Gegenteil. Wir haben seither einen ständigen Abbau von demokratischen Rechten, einen Ausbau der staatlichen Überwachung und Kontrolle zu beklagen. Den traurigen Gipfel hat die Koalition gestern mit der Verabschiedung der sogenannten Sicherheitsgesetze gesetzt. Ich denke, das Schlimme daran ist, daß Sie genau das, was Sie vorgeben zu erreichen, nämlich Sicherheit, inneren Frieden, nicht erreichen - denn das geht nur durch eine Stärkung der Demokratie, der demokratischen Beteiligungsrechte der Bevölkerung - , sondern daß Sie die Spirale der Gewalt weiter anheizen. Indem Sie kriminalisieren, indem Sie vorbeugend in Haft nehmen wollen usw., schaffen Sie ein Klima der Angst und auch der Gewaltbereitschaft, übrigens auch indem Sie z. B. die Polizei zwingen, gegen friedliche Demonstranten einzuschreiten, auch wenn die Situation das überhaupt nicht verlangt.
Aber lassen Sie mich zu der Frage des Datenschutzes kommen, die damit sehr eng zusammenhängt. Im Zeichen zunehmender Automatisierung, Verdatung und Speicherung aller Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens bekommt der Schutz des einzelnen Menschen vor dem allzu selbstverständlichen Datenzugriff von Verwaltungen, Betrieben und sonstigen Stellen einen immer höheren Stellenwert in der Sicherung individueller Freiheitsrechte. Auch das Bundesverfassungsgericht - das ist allen im Hause bekannt - hat festgestellt und hat es der Regierung wie auch dem Parlament ins Stammbuch geschrieben, daß jede Bürgerin und jeder Bürger ein elementares, sich aus der Verfassung herleitendes Recht darauf hat, zu erfahren, wer was wann wo und zu welchem Zweck über sie oder ihn weiß.
Das Amt des oder der Bundesdatenschutzbeauftragten hat hier eine sehr wichtige Aufgabe. Es wurde geschaffen, um im Namen und Auftrag der betroffenen Bürger für die volle Beachtung und Anwendung der Datenschutznormen Sorge zu tragen, den Umgang mit Daten in datenverwendenden Stellen zu kontrollieren, Rechtsverletzungen zu untersuchen, festgesetzte Rechtsverstöße zu beanstanden und an der ständigen Fortentwicklung und Verbesserung des Datenschutzes in der Gesetzgebung und im Bereich der Verwaltungspraxis mitzuwirken.
Herr Hirsch, Ihr Zuruf „Da gab es die GRÜNEN noch nicht" trifft mich überhaupt nicht. Der Mangel an Vollzug in diesem Bereich und der Abbau von Demokratie sind eine Ursache für die Gründung der GRÜNEN. Sie sollten sich weniger auf Ihre Verdienste in den teilweise sinnvollen Programmforderungen von vor 20 Jahren zurückziehen, sondern sollten hier im Parlament demokratische Praxis beweisen, wo dies gefordert ist, z. B. in der Koalition.
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Herr Hirsch, die Debatten um Sie in der letzten Zeit würden es sinnvoll erscheinen lassen, daß Sie auch dieser Debatte folgen.
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- Das freut mich sehr.
Was ich eben zum Datenschutz dargestellt habe, erfordert eine möglichst starke und unabhängige Stellung des oder der Bundesbeauftragten für den Datenschutz, unabhängig natürlich vor allem von denen, die er oder sie kontrollieren soll. Bisher ist es nicht so. Das Verfahren zur Benennung des Bundesdatenschutzbeauftragten, das wir gerade wieder mit Schauder und mit Scham verfolgen können, beweist das genaue Gegenteil. Bisher nämlich wird der Bundesdatenschutzbeauftragte vom Innenminister und der Bundesregierung vorgeschlagen und dann vom Bundespräsidenten ernannt. Das heißt, die zu Kontrollierenden bestellen sich selbst ihre Kontrolleure. Diejenigen, in deren Verantwortungsbereich die größten Datensauereien passieren, wie beispielsweise die Speicherung von Volkszählungsgegnern in einer Datei für schweren Terrorismus und Staatsschutz beweist, sollen jetzt selbst die Leute benennen, die ihnen auf die Finger gucken und solche Schweinereien öffentlich machen sollen.
Das derzeitige Verfahren, der Ablauf des Verfahrens beweist es. Seit langer Zeit schon ist der Bundesregierung bekannt, daß die Amtszeit des Bundesdatenschutzbeauftragten ausläuft. Die Bundesregierung hat es bisher nicht für nötig gehalten, das Parlament über ihre Absichten für einen Nachfolger von Herrn Dr. Baumann in irgendeiner Weise zu informieren. Inzwischen ist die Amtszeit sogar abgelaufen; es ist nichts geschehen. Die Namen, die derzeit im Gespräch sind, machen uns erst recht angst. Statt dessen kursieren Spekulationen und Kolportagen an Stelle eines öffentlichen Verfahrens. Und bei dem Verfahren, wie es in der Bundesregierung abläuft, scheint die Frage nicht zu sein: „Wer ist der beste Datenschützer?’’, sondern: „Bei wem kann sich der Innenminister seiner Loyalität am sichersten sein?".
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Bayern hat das mit der Benennung von Herrn Oberhauser vorgemacht, was Herr Zimmermann offenbar in Bonn nachmachen will. Herr Oberhauser schützt bekanntlich nicht mehr die Daten vor den Behörden, sondern schützt die Behörden vor dem Informationsbegehren und den Beschwerden der Bürger.
Was liegt bei einem solchen Verständnis von Datenschutz, wie es auch der Bundesinnenminister hat - er hat z. B. in der „Stuttgarter Zeitung" am 10. April 1987 erläutert, der Datenschutz dürfe keinerlei Vorrang vor den Erfordernissen der inneren Sicherheit haben; innere Sicherheit ist also offenbar als das Gegenteil von Datenschutz -, was liegt da näher, als gleich den Leiter der Abteilung Innere Sicherheit aus dem eigenen Hause, dem Bundesministerium des Innern, als Strohmann für den Datenschutz zu benennen? Genau das
scheint mit Herrn Einwag zu geschehen. Ich frage Sie: Wollen Sie jetzt, wo wir schon die Axt im Walde haben, auch noch den Bock zum Gärtner machen? Würden Sie z. B. einen Kettenraucher zum Nichtraucherbeauftragten ernennen und den Chef des größten Tabakkonzerns als denjenigen betrachten, der diese Ernennung vorschlägt?
Uns hat das nicht nur zu einem eigenen Vorschlag für das Amt des Bundesbeauftragten für den Datenschutz veranlaßt, übrigens einen sehr ernsthaften und ausgewiesenen Kandidaten in diesem Bereich, sondern vor allen Dingen auch zu vorliegendem Gesetzentwurf. Wir halten es für sinnvoll und für geboten, die Stellung des Bundesdatenschutzbeauftragten aus der Abhängigkeit des Bundesinnenministeriums herauszulösen und ihn wie z. B. auch den Bundesrechnungshof zu einer unabhängigen Behörde mit einem eigenen Etat zu machen.
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Dies würde den jahrelangen Streit und die Versuche beenden, den Bundesbeauftragten insbesondere seitens des Innenministeriums zu disziplinieren und seine Kompetenzen zu beschneiden.
Für genauso entscheidend halten wir, daß der oder die Bundesbauftragte für den Datenschutz durch das Parlament, und zwar mit Zweidrittelmehrheit, gewählt wird, um zu sichern, daß er oder sie nicht zur einseitigen Vertretung politischer Interessen gedrängt werden kann. Dies würde sein oder ihr öffentliches Ansehen, und seine/ihre Stellung und Unabhängigkeit nachhaltig stärken. Es gibt hierzu im übrigen gute Erfahrungen in den Bundesländern.
Mit unserem Entwurf wollen wir ein Verfahren schaffen, das Transparenz ermöglicht, das öffentliche Beteiligung ermöglicht und das vor allen Dingen eine demokratische Wahl durch das Parlament sichert. Wir wollen eine öffentliche Anhörung der Kandidaten oder Kandidatinnen, in der sie auf ihre Qualifikation im Bereich des Datenschutzes befragt werden können, und zwar hier im Deutschen Bundestag.
Die Stellung des Datenschutzbeauftragten sollte - das habe ich schon gesagt - der Stellung des Bundesrechnungshofes vergleichbar sein. Das hat seinen guten Grund, denn die Unabhängigkeit des Bundesrechnungshofes hat sich bewährt, gerade weil er in die Bücher gucken und die Verwendung der Steuergelder durch die Bundesregierung kontrollieren muß. Ebenso unabhängig, wie der Bundesrechnungshof der Bundesregierung gegenübersteht, muß auch der Bundesdatenschutzbeauftragte, der ja überall in die Verwaltung und Verwendung der Daten hineinschauen können muß, gestellt sein.
Es würde uns übrigens freuen, wenn schon jetzt der Nachfolger von Herrn Baumann vom Deutschen Bundestag gewählt werden könnte, denn ich denke, wir als Bürgerinnen und Bürger, alle Bürgerinnen und Bürger wollen wissen, wer für den Datenschutz zuständig ist.
Wir denken im übrigen, daß unser Vorschlag nur ein sehr kleiner Schritt sein kann, um das Recht auf Selbstbestimmung bei der Erfassung und Verwendung personenbezogener Informationen an die Betroffenen zurückzugeben. Es gibt weitere Dinge, die hier von wesentlicher Bedeutung sind. Ich nenne nur das Akteneinsichtsrecht im Umweltbereich, aber auch darüber hinaus.
Ich möchte hier noch einen letzten Gedanken anführen. Seit dem Entstehen von Parlamenten, seit Jahrzehnten, teilweise Jahrhunderten ist eine der zentralen und wichtigsten Traditionen des Parlaments die Erweiterung seiner Rechte. Der vorliegende Gesetzentwurf ist auch ein Stück Parlamentsreform. Wenn Sie sich weigern, Ihre eigenen Rechte - das sage ich jetzt Ihnen allen als Abgeordnete, unabhängig davon, welcher Partei und Fraktion Sie angehören - zu erweitern, so ist das in meinen Augen nicht nur die Umkehr parlamentarischer Traditionen, sondern es ist auch eine Schwächung, eine Selbstentmachtung des Parlaments, der schon seit langem nicht mehr ersten Gewalt im Staat. Ein Parlament, das es ablehnt, sich einzumischen, Einblick zu nehmen, kann sich meines Erachtens die Diskussionen um Parlamentsreform sparen. Hier wie an anderen Stellen im Zusammenhang mit Parlamentsreform sind wir selbst gefordert, ist unser Selbstverständnis gefordert. Ein Parlament das solches ablehnt, würde Arbeitsverweigerung praktizieren und den Auftrag der Bürger verkennen.
Was wir hier vorschlagen ist keine Zumutung, sondern es ist eine Selbstverständlichkeit. Daß dies noch nicht selbstverständlich ist, das ist in meinen Augen die eigentliche Zumutung. Helfen Sie, diese Zumutung zu beseitigen! Haben Sie Mut für das Selbstverständliche - in Ihrem eigenen Interesse!
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Blens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die GRÜNEN begründen ihren Vorschlag, den Bundesbeauftragten in Zukunft mit Zweidrittelmehrheit des Bundestages wählen zu lassen und ihn zu einer Obersten Bundesbehörde zu machen, damit, daß das derzeitige Verfahren, die derzeitige Anbindung an den Bundesinnenminister, eine unabhängige und unbeeinflußte Aufgabenerfüllung durch den Datenschutzbeauftragten nicht zulasse; so die Begründung. Die Wirklichkeit ist natürlich völlig anders.
Wir haben hier vor 14 Tagen den 10. Datenschutzbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz diskutiert. Wir haben hier über die Amtszeit des Herrn Baumann, die ja abgelaufen ist, wenn er sein Amt zur Zeit auch noch weiterführt, gesprochen. Drei Fraktionen dieses Hauses waren sich darüber einig, daß die Amtszeit des Herrn Baumann ausgezeichnet ist durch die Unabhängigkeit seiner Amtsführung, durch die parteipolitische Unabhängigkeit, durch die Unabhängigkeit von der Regierung, durch die Unabhängigkeit vom Bundesminister des Innern. Jeder, der lesen kann, der Zeitung lesen kann, der Unterlagen des Bundestages lesen kann, weiß, daß sich dieser Bundesbeauftragte immer wieder mit Vorschlägen des Bundesinnenministers sehr kritisch - auch öffent5360
lich - auseinandergesetzt hat. Es kann überhaupt keine Rede davon sein, daß das derzeitige Verfahren eine unabhängige Amtsführung des Bundesbeauftragten nicht zulasse. Die Wirklichkeit spricht gegen Ihre Behauptungen.
Meine Damen und Herren, Sie sagen ferner als Begründung, durch die Wahl mit einer Zweidrittelmehrheit sei gewährleistet, daß der Bundesbeauftragte in Zukunft seine Aufgaben weniger von parteipolitischen Erwägungen beeinflußt wahrnehmen könne. Ich muß Ihnen sagen, zunächst einmal auf das verweisend, was ich vor 14 Tagen hier zu Herrn Baumann gesagt habe: Der Datenschutzbeauftragte, Herr Baumann, war ein parteipolitisch unabhängiger Mann. Ich habe damals gesagt und wiederhole heute: Auch sein Nachfolger sollte ein parteipolitisch unabhängiger Mann sein. Ich würde es sehr begrüßen, wenn ein parteipolitisch unabhängiger Mann sein Nachfolger würde. Ich habe gute Hoffnung, daß es so wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Häfner?
Ja.
Ich danke Ihnen herzlich. - Stimmen Sie mir zu, daß ich in meinem Beitrag in keiner Weise die Arbeit von Herrn Baumann qualifiziert habe, sondern daß ich über das Verfahren der Benennung durch den Bundesinnenminister gesprochen und darauf hingewiesen habe, daß das derzeitige Benennungsverfahren zeigt, daß immer mehr der Versuch gemacht wird, aus dem eigenen Bereich Leute auszuwählen, die nicht die Gewähr bieten, den Datenschutz wirklich zu sichern?
Ich gebe zu, daß Sie das soeben gesagt haben. Ich aber sage: Die Wirklichkeit spricht dafür, daß das derzeitige Benennungsverfahren die nötige Unabhängigkeit gewährleistet. Das ist nun einmal die Wirklichkeit, mit der Sie sich auseinandersetzen müssen.
Meine Damen und Herren, ich halte die parteipolitische Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten für wichtig, und zwar deshalb, weil sichergestellt sein muß, daß er bei seiner Kontrolltätigkeit auf keine Partei Rücksicht nehmen muß und daß er das Vertrauen aller Fraktionen dieses Hauses hat, insbesondere wenn es darum geht, hier schwierige Gesetze in Sachen Datenschutz zu beraten.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein weiteres sagen: Die Annahme, daß bei einer Zweidrittelmehrheit in einer Wahl durch den Bundestag die parteipolitische Einflußnahme geringer sei, ist doch ausgesprochen blauäugig. Alle Erfahrungen mit solchen Wahlen sprechen für das Gegenteil. Sie können davon ausgehen: Wenn durch den Bundestag gewählt würde, dann würde der Datenschutzbeauftragte wahrscheinlich in irgendwelche Pakete eingeschnürt. Dann wäre die parteipolitische Bindung sicherer, als sie heute ist.
Ich bin also der Überzeugung: Es gibt keinen zwingenden Grund, das Bestellungsverfahren zu ändern. Was Sie erreichen wollen, ist mit dem derzeitigen Verfahren - so zeigt es die Wirklichkeit - durchaus zu erreichen.
Es gibt keinen Grund, das Verfahren ausgerechnet jetzt in einem besonderen Gesetz zu ändern. Sie wissen alle, daß wir vor der Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes stehen. Wenn wir eine Änderung des Bestellungsverfahrens wollen, dann ist es sinnvoll, das zusammen mit der Gesetzesnovellierung insgesamt ins Werk zu setzen. Wenn wir eine Änderung des Verfahrens wollen, dann sage ich Ihnen gleich dazu: Mit Sicherheit nicht so, wie es die GRÜNEN vorschlagen, nämlich durch eine Wahl allein durch den Bundestag ohne jede Mitwirkung der Bundesregierung.
Wenn Sie sich einmal das Verfahren, das zur Zeit in den Bundesdatenschutzgesetzen niedergelegt ist, ansehen, werden Sie feststellen, daß es zwei Datenschutzgesetze gibt, in denen der Datenschutzbeauftragte nur durch die Regierung bestellt wird. Das ist das Bundesgesetz und das niedersächsische Gesetz. In Rheinland-Pfalz haben wir eine Sondersituation. Da gibt es keinen Datenschutzbeauftragten; da gibt es eine Datenschutzkommission. In allen übrigen neun Landesgesetzen ist sichergestellt, daß der Datenschutzbeauftragte immer nur im Zusammenwirken zwischen der jeweiligen Regierung und dem jeweiligen Parlament bestellt wird, also im Zusammenwirken von Legislative und Exekutive.
Das Zusammenwirken ist unterschiedlich organisiert. In fünf Ländern - Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen - wird der Vorschlag von der Regierung bzw. vom Senat gemacht. Auf Grund dieses Vorschlages wählt das Parlament. Es kann aber keinen anderen wählen als den, den die Regierung vorgeschlagen hat.
In vier Ländern, nämlich in Baden-Württemberg, Bayern, Saarland und Schleswig-Holstein, wird der Datenschutzbeauftragte durch die Regierung bestellt. Die Regierung kann aber nur jemanden bestellen, der die Zustimmung des jeweiligen Parlaments hat.
In keinem Fall ist bisher festgelegt, daß die Wahl nur durch das Parlament erfolgen sollte. Ich bin der Meinung, daß das nicht geht, und zwar deshalb, weil der Datenschutzbeauftragte nach dem Datenschutzgesetz - jedenfalls nach dem geltenden - auch Exekutivfunktionen wahrzunehmen hat, z. B. die Führung der Register über Dateien der Behörden. Dazu kommt, daß die GRÜNEN seine Stellung in der Exekutive noch dadurch stärken wollen, daß sie ihn zu einer obersten Bundesbehörde machen wollen.
Nun haben wir den Grundsatz der Gewaltenteilung im Grundgesetz in Art. 20 Abs. 2, und Sie können die Legislative, das Parlament, nicht ermächtigen, in dieser Weise in die Exekutive einzugreifen, daß Sie der Legislative ohne Mitwirkung der Regierung die Möglichkeit geben, die Spitze einer obersten Bundesbehörde zu besetzen, die dann noch Exekutivaufgaben hat. Das verbietet einfach das Grundgesetz.
Wenn Sie eine Wahl ausschließlich durch den Bundestag und ohne Mitwirkung und Zustimmung der Bundesregierung wollen, dann müssen Sie eine Konstruktion wie z. B. beim Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages wählen; dann müssen Sie den Datenschutzbeauftragten zu einem Hilfsorgan des BunDr. Blens
destags machen. Allerdings bekommen Sie dann wieder Probleme: Dann müssen Sie auch sehen, daß Sie diesem Hilfsorgan nicht mehr Rechte übertragen können, als der Bundestag selbst hat; dann können Sie einem Datenschutzbeauftragten z. B. kein Akteneinsichtsrecht geben, denn das hat der Bundestag auch nicht. Das hat zwar der Wehrbeauftragte; das hat er aber nur deshalb, weil er Hilfsorgan des Verteidigungsausschusses ist und der Verteidigungsausschuß nach dem Grundgesetz Untersuchungsausschuß ist, also eine Sonderstellung innerhalb des Bundestages hat.
Aus all diesen Gründen bin ich der Meinung: Das, was Sie vorschlagen, geht nicht, und wir werden dem so auch nicht zustimmen. Wenn wir über das Bestellungsverfahren im Rahmen der Novellierung des Datenschutzgesetzes insgesamt nachdenken, dann müssen wir allerdings auch die Diskussion wieder aufnehmen, die schon einmal geführt worden ist, ob es für den Datenschutz besser ist, eine externe Kontrolle durch den Datenschutzbeauftragten einzuführen oder eine interne, ob es besser ist, ihn gegenüber den Behörden oder in den Behörden zu installieren. Der Gesetzgeber hat sich bei Erlaß des Datenschutzgesetzes damals dafür entschieden, die interne Kontrolle einzurichten, den Datenschutzbeauftragten in den Behörden zu installieren. Ich muß Ihnen sagen: Nach allen Erfahrungen, die wir mit den Datenschutzberichten und mit der übrigen Tätigkeit des Datenschutzbeauftragten haben, hat sich das bewährt. Es ist nun ein alter und, ich meine, vernünftiger Grundsatz, daß man das, was sich bewährt hat, nicht ohne Not ändert. Wer gegenüber der bewährten bestehenden Regelung etwas ändern will, der muß den Beweis dafür erbringen, daß das Alte, das Bestehende schlecht ist und das, was er an Änderung vorschlägt, besser ist. Für mich ist dieser Beweis noch nicht erbracht, gleich welche Neuregelung Sie auch vorschlagen.
Ich sage Ihnen hier: Was Sie von den GRÜNEN vorgeschlagen haben, ist für uns meines Erachtens auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht akzeptabel. Über andere Dinge sind wir bereit nachzudenken. Aber ich sage noch einmal: Das Bestehende hat sich bewährt, und wer etwas anderes will, muß beweisen, daß es besser ist. Der Beweis ist für uns noch nicht erbracht.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Wartenberg ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Blens, daß sich das Bestehende bewährt hat, mag zum Teil stimmen, aber allein die Tatsache, daß Herr Dr. Baumann, den wir sehr herzlich begrüßen, hier heute noch sitzt, obwohl seine Amtszeit abgelaufen ist, zeigt wohl, daß das bestehende Verfahren keineswegs unproblematisch ist.
Wir haben die Diskussion um die Neubestellung des Bundesdatenschutzbeauftragten in den letzten Wochen in einer Art und Weise geführt, die nicht unbedingt zu Hoffnung Anlaß gibt. Das Kabinett hat die Neubestellung nur dreimal auf der Tagesordnung gehabt, und dreimal hat Herr Schäuble es von der Tagesordnung wieder abgesetzt, weil man sich innerhalb der Koalition nicht einigen kann. Nun ist nicht allein die Absetzung und die Nichteinigungsfähigkeit unser Problem, sondern die Tatsache, daß es eigentlich keine öffentliche qualifizierte Diskussion um die Neubesetzung dieses Amtes gibt. Darin liegt das eigentliche Problem. Die Diskussion findet auf der Hinterbühne der Koalition statt; es ist nichts weiter als ein Gemauschel und ein Gezerre. Das mindert die Wichtigkeit des Amtes des Bundesdatenschutzbeauftragten.
Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat durch die technische Entwicklung, aber auch durch die Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht gestellt hat, in den letzten Jahren eine viel wichtigere Bedeutung bekommen als noch in der Anfangszeit, als dieses Amt geschaffen wurde. Auch den Bürgern innerhalb unserer Gesellschaft ist klargeworden, daß Datenschutz Grundrechtscharakter hat. Unter diesem Aspekt ist es legitim, darüber nachzudenken, ja gar zu fordern, ob die Bestellung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz nicht in einer anderen Weise geregelt werden soll.
Unser Fraktionsvorsitzender, Herr Dr. Vogel, hat schon im März an den Bundeskanzler mit der Bitte geschrieben, einen breiten Konsens bei der Neubestellung des Bundesdatenschutzbeauftragten herzustellen, ohne daß in diesem Augenblick eine Gesetzesänderung zur Neubestellung durchgesetzt werden kann. Die Regierung ist darauf überhaupt nicht eingegangen.
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Das ist das Übliche. Ich glaube, hierin zeigt sich gerade nicht eine Stärke, sondern eine Schwäche der Regierung, daß sie es bei diesem wichtigen Amt vermeidet, einen breiten Konsens über die eigenen Koalitionsgrenzen hinaus zu schaffen.
Wie schwach die Regierung ist, zeigt sich daran, daß die Koalitionsfraktionen gestern im Innenausschuß den legitimen Wunsch der Opposition, dieses Thema zu besprechen, abgesetzt haben.
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- Man hat nicht zugelassen, daß es auf die Tagesordnung kommt. Was ist das eigentlich für eine Koalition, die nicht einmal im zuständigen Fachausschuß wagt, darüber zu diskutieren? Das ist eigentlich ein bißchen zu armselig und zeigt, daß man die Besetzung des Amtes des Bundesbeauftragten für den Datenschutz in der klassischen Mauschelform weiterführen will, wie man auf Ihrer Seite auch ansonsten Personalpolitik betreibt.
Meine Damen und Herren, durch das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, in dem das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung festgelegt wurde, hat sich herauskristallisiert, daß der Datenschutz und damit die informationelle Selbstbestimmung Grundrechtscharakter haben. Dies muß dazu führen, daß der Datenschutzbeauftragte in unserer Gesellschaft eine andere Stellung bekommt.
Wartenberg ({2})
Dabei geht es nicht nur um den Akt der Bestellung, sondern es geht auch um das Zusammenspiel der rechtlichen Möglichkeiten, die er in seinem Amt hat.
Insofern gebe ich Ihnen, Herr Blens, recht, daß die Frage der Bestellung eigentlich nicht isoliert diskutiert werden kann, sondern sie muß mit der Novelle des Bundesdatenschutzgesetzes angesprochen werden. Wir Sozialdemokraten werden deswegen auch mit unserer Novelle zum Bundesdatenschutzgesetz ein Gesetz zur Veränderung der Bestellung des Bundesdatenschutzbeauftragten vorlegen.
Der Antrag der GRÜNEN, der heute hier vorliegt, ist ein interessanter Denkanstoß, aber er greift zu kurz, weil er wirklich nur diesen einen Punkt herausgreift. Daraus ergeben sich dann bestimmte Probleme, die noch nicht gelöst worden sind.
Wir wollen den Datenschutzbeauftragten dem Wehrbeauftragten gleichstellen. Wir halten das für eine sinnvolle Lösung. Es ist übrigens nicht so, daß das, was Sie, Herr Blens, verfassungsrechtlich ausgeführt haben, so stimmt. Der Wehrbeauftragte wird weitestgehend ohne Auftrag des Parlaments tätig. Das Parlament hat ihm bis jetzt noch nicht einen einzigen Auftrag erteilt.
Bekanntlich hat der Wehrbeauftragte zwei Funktionen. Zum einen soll er Grundrechtsschützer sein, zum anderen soll er parlamentarischer Kontrollhelfer des Bundestags sein. Im Falle des Datenschutzbeauftragten wäre es so zu formulieren, daß er die Beachtung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung durch die öffentlichen Stellen des Bundes zu kontrollieren hat und den Bundestag bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle in dieser Hinsicht unterstützen soll.
Die Wahl durch das Parlament und die im Grundgesetz verankerte Stellung des Bundesdatenschutzbeauftragten würden eindeutig dazu führen, daß eine derartige Mauschelei, wie wir sie jetzt feststellen, nicht mehr möglich wäre. Bezüglich der Mauschelei beziehe ich die FDP übrigens mit ein. Ihre Kritik an den Vorstellungen des Innenministers stellt sich für die Öffentlichkeit nicht gerade als eine transparente Diskussion dar, in der über Qualifikationsmerkmale diskutiert wird, sondern das geschieht nach wie vor nur hinter der vorgehaltenen Hand und nicht offen.
Insofern ist das, was Sie intern gegen den Innenminister vorbringen, für die öffentliche Auseinandersetzung relativ bedeutungslos.
Durch die Wahl im Parlament wäre es notwendig, eine breite Vertrauensbasis für den Datenschutzbeauftragten zu schaffen. Deshalb müßte vorher natürlich eine öffentliche sachliche Diskussion geführt werden, die über die engen Parteigrenzen der jeweiligen Koalition hinausgeht.
Die Berufungen der beiden ersten Datenschutzbeauftragten waren Glücksfälle. Ich möchte noch einmal auf den Wechsel von Herrn Bull zu Herrn Baumann eingehen, weil behauptet wurde - und weil wir auch selbst den Eindruck vermittelt haben - , daß damals allein der Wechsel auf Kritik gestoßen sei und daß die Sozialdemokraten Herrn Baumann mit großem Mißtrauen begegnet seien, als er nach Herrn Bull in dieses Amt berufen wurde. Ich erinnere an die Ausgangssituation, die damals eine wesentliche Rolle gespielt hat. Nicht die Tatsache, daß Herr Baumann berufen wurde, war der eigentliche Ausgangspunkt der Kritik, sondern die Tatsache, daß Herr Bull nicht wieder berufen wurde, obwohl er sein Amt in vorzüglicher Weise ausgeführt hatte.
Ich erinnere an das, was der Kollege Schmude damals im Parlament mit Bezug auf den Standardkommentar zum Bundesdatenschutzgesetz ausgeführt hat, wo es heißt: „Die Bundesregierung wird bei dieser Entscheidung" - nämlich bei der Neubestellung des Bundesdatenschutzbeauftragten - „nicht völlig frei sein. Sie kann einen Bundesbeauftragten, der sein Amt gewissenhaft im Interesse des Bürgers ausübt und der durch begründete Kritik Mißstände innerhalb der Bundesverwaltung aufgedeckt hat" - kurz: einen unbequemen Kontrolleur - „nach fünf Jahren nicht die Wiederbestellung verweigern, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, sich eines Kritikers entledigen zu wollen. "
Das war damals die Diskussion: daß bei der Wende auch im Datenschutz eine Wende herbeigeführt werden sollte. Daß sich das anders entwickelt hat, daß die Opposition an dem Datenschutzbeauftragten mehr Freude gehabt hat als der Innenminister, der ihn bestellt hat, ist wiederum ein Glücksfall, zeigt aber trotzdem, daß der Mechanismus der Bestellung in dieser Art und Weise nicht akzeptabel ist, daß die Schwierigkeiten, die dadurch entstehen können, groß sind bzw. auch das, was einem Datenschutzbeauftragten vorab an Mißtrauen entgegengebracht wird, seine Arbeit behindern kann.
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Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf der GRÜNEN wird in der Debatte, die wir noch zu führen haben, bestimmt eine Rolle spielen. Wir glauben aber, daß eine umfängliche Diskussion zum Bundesdatenschutzgesetz, die über die Bestellung hinausgeht, wichtiger ist und daß in diesem Zusammenhang unser Vorschlag, die Wahl des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und seine Stellung der des Wehrbeauftragten gleichzustellen, ein sinnvollerer Vorschlag ist. Damit könnte endlich erreicht werden, diesem Amt die angemessene Stellung zuzuordnen, die auch noch einmal durch das Volkszählungsurteil sehr deutlich geworden ist. Wenn wir in dieser Art und Weise vorgehen, haben wir, glaube ich, Chancen, etwas zu verbessern.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist mit den GRÜNEN schon ein Jammer. Da möchten sie als ein fröhliches Völkchen lockerer, junger Menschen erscheinen, und dann halten Sie eine Rede von abgrundtiefer Schwärze; schrecklich, eine richtige Wallensteinrede:
„Nacht muß es sein, wo Friedlands Sterne strahlen. "
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Die Situation kann nur so dunkel sein, damit der Retter um so heller hervortritt. Sie legen einen Gesetzentwurf von einem solchen Perfektionismus vor, daß einem die Zähne grau werden. Da fehlt nichts an der Wunderwelt von Quoren, Anhörungen, Vorschlagsrechten und was Sie sich immer vorstellen.
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- Natürlich, Herr Baumann war ein Glücksfall, wobei man sieht, daß auch das gegenwärtige Verfahren durchaus zu einem vernünftigen Ergebnis führen kann.
Nun komme ich zu Ihnen, Herr Wartenberg. Sie wissen genau, daß wir den Punkt nicht auf die Tagesordnung des Innenausschusses gesetzt haben, weil wir heute vor der Öffentlichkeit in voller Offenheit darüber sprechen.
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Öffentlicher können Sie es nicht haben. Der neben Ihnen sitzende Kollege Nöbel wird Ihnen bestätigen, daß wir im Obleutegespräch gesagt haben: In der nächsten Sitzung des Innenausschusses können wir sofort über das Gesetz weiterberaten. Da haben wir überhaupt keine Probleme.
Wenn Sie von Mauschelei reden, möchte ich Ihnen sagen: Wir waren damals zusammen in der Regierung. Ich weiß nicht, ob wir damals - können Sie sich daran erinnern? - Gespräche mit der Opposition geführt haben. Meines Wissens nicht. Man muß ja einmal die Wahrheit sagen.
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- War nicht nötig, sagt Herr Nöbel. - Im ersten Referentenentwurf der Bundesregierung von 1971 war ein Datenschutzbeauftragter überhaupt nicht vorgesehen, weil die Bundesregierung die Auffassung vertreten hatte, daß der hierarchische Aufbau der Dienst-und Fachaufsicht ausreiche, um die Einhaltung der gesetzlichen Regelungen über den Schutz der Privatsphäre zu sichern.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jahn?
Ich könnte ihm gar nichts ablehnen. Das weiß er.
Herr Kollege Hirsch, können Sie hier einmal erläutern, warum ausgerechnet Sie sich den Schuh mit der Mauschelei anziehen?
Warten Sie bitte einen Augenblick; ich komme auf den Punkt gleich noch zurück. Keine Sorge!
Damals hat die Bundesregierung gesagt: Hierarchie reicht. Die Hierarchie versagt aber dann, wenn die Hierarchen die Bedeutung des Schutzes der Privatsphäre nicht so hoch veranschlagen wie der Bürger und wenn sie vor allen Dingen selbst die Möglichkeiten der modernen Technik nicht kennen, nicht mit ihnen vertraut sind und sie selber nicht genutzt haben.
Alle bisherigen Erfahrungen zeigen auch, daß es geradezu einen natürlichen Interessengegensatz gibt, weil das Argument der Perfektion und natürlich der Vereinfachung der Arbeitsvorgänge bei der Massenverwaltung bei jedem weiteren Ausbau der Datenverarbeitung eine geradezu verführerische Rolle gespielt hat. Wir haben uns damals für die Einrichtung eines Datenschutzbeauftragten entschieden, der nicht nur ein Instrument der Verwaltung sein sollte, nicht nur ein Beratungsinstrument der Hierarchen zur Erfüllung ihrer Aufgabe, sondern gleichzeitig auch ein Instrument des Parlamentes. Das Parlament kann sich nur auf diesem Wege Klarheit über die Verwaltungswirklichkeit in einem sehr komplizierten Bereich verschaffen. Darum soll der Datenschutzbeauftragte regelmäßig über seine Prüftätigkeit berichten - das tut er - , darum soll er im Auftrag des Innenausschusses spezielle Untersuchungen anstellen können, und darum hat er auch innerhalb der Exekutive eine herausgehobene Position, nämlich die der Weisungsungebundenheit.
Bei der ersten Beratung des Bundesdatenschutzgesetzes hat es auch Überlegungen innerhalb der CDU/ CSU, also der damaligen Opposition, gegeben, ob der Datenschutzbeauftragte tatsächlich beim Innenminister angesiedelt oder ob er vom Parlament gewählt und beim Parlament selbst angesiedelt werden sollte. Sie müssen einmal den Gesetzentwurf unseres Kollegen Gerster, den er damals vorgelegt hat, nachlesen. Wir haben uns damals deswegen für die jetzige Lösung entschieden, weil man einen Anfang machen wollte, weil der Datenschutzbeauftragte der Verwaltung gegenüber nicht als ein von außen her ihr aufgezwungender Kontrolleur erscheinen sollte, dem gegenüber man äußerste Zurückhaltung wahren müsse, sondern er muß sowohl vom Vertrauen der Regierung getragen werden als auch das Vertrauen des Parlaments erwerben. Das erreicht man, wenn es Gespräche darüber gibt, wen die Bundesregierung mit diesem Amt beauftragen will.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Penner?
Es wird ja alles nicht auf die Zeit angerechnet.
Aber selbstverständlich.
Herr Kollege Hirsch, würden Sie bitte dem Deutschen Bundestag mitteilen, wer nach Meinung der FDP Nachfolger des hochwohllöblichen Herrn Baumann werden soll?
Es ist manchmal Ihr Schicksal, lieber Herr Penner, daß Sie den Ereignissen vorauseilen. Ich bin gerade dabei, auf dieses Thema einzugehen.
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Ich will Ihnen das Anforderungsprofil eines Datenschutzbeauftragten nennen, das relativ leicht bestimmt werden kann. Es muß ein innerlich unabhängiger und freier Mann sein, er muß Verwaltungserfahrung haben.
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- Aber ja, natürlich, wie Sie an Frau Leuze sehen, die eine hervorragende Datenschutzbeauftragte ist.
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- Eine Frau kann auch ein Datenschutzbeauftragter im Sinne dieses Wortes sein. Ich bin gegen diese Schrägstrichbezeichnungen.
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Es muß also ein innerlich unabhängiger freier Mensch sein,
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er/sie muß Verwaltungserfahrung haben, die Datenverarbeitung sollte ihm in verwaltungsmäßiger, möglichst auch in technischer Hinsicht bekannt sein, er muß die Möglichkeiten der Datenverarbeitung beherrschen. Er muß gerade wegen des umfangreichen Einblicks in die Datenverarbeitung im Sicherheitsbereich ein Mann mit Augenmaß und common sense sein, darum vertrauenswürdig sein. Er sollte auch nicht unmittelbar aus den Bereichen kommen, die bei einer Prüfung im Brennpunkt des öffentlichen Interesses stehen, also der Peinlichkeit enthoben sein, seine eigenen Entscheidungen von einem anderen Stuhl her zu prüfen.
Nun haben Sie, Herr Blens, eine sehr gefährliche Bemerkung gemacht. Sie haben gesagt, daß ein Datenschutzbeauftragter, der von einem Parlament mit bestimmt würde, in ein parteipolitisches Spiel eingebunden würde. Ich muß Sie daran erinnern, daß die Richter des Bundesverfassungsgerichtes natürlich von den Parlamenten gewählt werden, wie Sie wissen, und ich frage mich, warum die Bundesregierung unpolitischer als das Parlament sein sollte. Ich glaube, mit diesem Argument können Sie nicht ernsthaft agieren.
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- Ich habe Ihnen ja gesagt, wie das Anforderungsprofil ist.
Die Ländergesetze sind, wie Sie ausgeführt haben, einen anderen Weg gegangen. In allen Ländern
- außer in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz, wo es eine andere Konstruktion gibt - wird das Parlament in mehr oder weniger exakter Weise, aber jedenfalls nach den Gesetzen formal geregelt, an der Bestellung des Datenschutzbeauftragten beteiligt. Ich habe die nordrhein-westfälische Regelung in der Praxis als sehr positiv kennengelernt. Ich meine die Wahl des Datenschutzbeauftragten durch den Landtag bei einem ausschließlichen Vorschlagsrecht der Landesregierung. Diese Regelung führt beide Partner, Regierung und Parlament, zusammen und erwirkt eine Einigung, die dem Amt dient und den Amtsträger, der es ohnehin nicht leicht hat, stärkt. Was in allen Bundesländern gemacht wird, kann in der Sache nicht falsch
sein. Ich kenne kein Bundesland und keine Landesregierung, die mit dieser Regelung unzufrieden wären.
Ich sage nicht, daß eine geeignete Persönlichkeit nicht auch auf anderem Wege gefunden werden könnte. Es scheint sinnvoll zu sein, daß die Bundesregierung die Möglichkeit des Gesprächs mit den Fraktionen wahrnimmt, um zu einer möglichst reibungslosen Ernennung einer geeigneten Persönlichkeit zu kommen, und es ist ganz selbstverständlich, daß der Ruf nach einer Gesetzesänderung um so stärker wird, je weniger vorher eine Abstimmung erfolgt. Das Parlament hat wegen der Erfüllung seiner eigenen Aufgaben ein Interesse daran, bei der Bestellung in irgendeiner Weise gehört zu werden, und es liegt in der Weisheit der Bundesregierung, ob das auf einem informellen Wege erfolgt oder ob es starrer gesetzlicher Regelungen bedarf.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Penner?
Ja.
Herr Kollege Hirsch, ist aus Ihren gewundenen Worten und aus dem geschilderten Anforderungsprofil des Datenschutzbeauftragten herzuleiten, daß die FDP dem Personalvorschlag des Bundesinnenministers nicht zustimmt?
Lieber Herr Penner, unsere Überlegungen sind überhaupt nicht gewunden. Ich habe für unsere Fraktion glasklar dargestellt, welche Vorstellungen wir in der Sache haben. Wir werden allerdings eines nicht tun: den Gesetzentwurf der GRÜNEN dadurch erfüllen, daß wir hier in eine öffentliche Personaldiskussion eintreten.
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Das widerspräche dem geltenden Gesetz, das Sie mitbeschlossen haben. Dazu werden Sie mich nicht gewinnen.
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Bitte keine Dialoge!
({0})
Ich nehme das als einen Zwischenruf, den ich zurückweise, weil die FDP eine öffentliche Diskussion darüber überhaupt nicht begonnen hat, wie Sie genau wissen oder wissen könnten.
({0})
- Herr Penner, das, was Sie sagen, ist nicht wahr. Wir haben keine öffentliche Diskussion begonnen. Ich will mich darin auch gar nicht verstricken. Was zu sagen war, ist gesagt worden: wie ein Anforderungsprofil aussehen sollte, daß wir eine Kontaktaufnahme mit den Fraktionen des Parlaments in dieser Frage begrüßen und daß man sehen muß, daß zwei Interessen
zusammengehören, das Interesse der Bundesregierung, einen Mann zu haben, dem sie vertrauen kann, und ein Interesse des Parlaments daran, daß ein Datenschutzbeauftragter ernannt wird, der auch den Interessen der Bürgerschaft dient, indem er dem Parlament die Möglichkeit des Einblicks und der Kontrolle eröffnet. Wir sind auf diesem Wege.
Wir werden also den Gesetzentwurf der GRÜNEN an die Ausschüsse überweisen. Es ist ganz selbstverständlich, daß es wenig Sinn hat, ein Ad-hoc-Gesetz, eine vorgezogene Einzelregelung, zu machen. Wir werden vielmehr im Lichte der Erfahrungen, die in den Landtagen gemacht werden, und der Erfahrungen, die wir im Bundestag mit der Ernennung von Datenschutzbeauftragten machen, die Frage zu erörtern haben, ob in der jetzigen Konstruktion der Bestellung des Bundesbeauftragten eine Änderung eintreten sollte oder nicht, wobei, glaube ich, unsere Positionen, Herr Kollege Blens, so schrecklich weit nicht auseinander sind.
Vielen Dank.
({1})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung und die Zusatzpunkte 1 bis 5 der Tagesordnung auf:
6. a) Antrag der Fraktion der SPD Lage im südlichen Afrika
- Drucksache 11/1753 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß ({0})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Siebte Zusammenfassung der Berichte von in Südafrika engagierten deutschen Unternehmen über die bei der Anwendung des Verhaltenskodex der Europäischen Gemeinschaft für Unternehmen mit Tochtergesellschaften, Zweigniederlassungen oder Vertretungen in Südafrika erzielten Fortschritte und Bewertung durch die Bundesregierung
- Drucksache 11/1531 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({1}) Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
c) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Neue Namibia-Initiative der Bundesregierung
- Drucksache 11/1845 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß ({2})
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
ZP1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Eid und der Fraktion DIE GRÜNEN
Aufkündigung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Südafrika
- Drucksache 11/2310 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({3})
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
ZP2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Eid und der Fraktion DIE GRÜNEN
Keine Hermesbürgschaften für Südafrika-Geschäfte
- Drucksache 11/2311 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({4}) Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Haushaltsausschuß
ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Eid und der Fraktion DIE GRÜNEN
Keine Kreditvergabe der Kreditanstalt für Wiederaufbau ({5}) an Südafrika
- Drucksache 11/2313 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({6}) Finanzausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Haushaltsausschuß
ZP4 Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Stopp der Kohleimporte aus Südafrika
- Drucksache 11/2312 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({7}) Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
ZP5 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Verschärfte Repression in Südafrika
- Drucksache 11/2326 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß ({8})
Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte zwei Stunden vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden?
({9}) - Es ist so beschlossen.
Präsident Dr. Jenninger
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Verheugen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir möchten den Versuch machen, heute eine Debatte zu führen, in der die Lage der Menschen in Südafrika und im südlichen Afrika im Mittelpunkt steht und in der nicht die SüdafrikaPolitik als ein innenpolitischer Knüppel mißbraucht wird. Nach unserer Meinung gibt es Klärungs- und Handlungsbedarf in Hülle und Fülle.
Wo sind die Fortschritte, die die Bundesregierung und die Koalitionsparteien in der Politik der südafrikanischen Regierung zu sehen geglaubt haben? Was will die Bundesregierung tun, was wollen die Koalitionsparteien tun, nachdem sich herausgestellt hat, daß die südafrikanische Regierung nicht bereit ist, einen fundamentalen Wandel der Verhältnisse in diesem Land in Gang zu setzen? Warum hat die Bundesregierung die jetzt schon fast fünf Monate ihrer Ratspräsidentschaft in der Europäischen Gemeinschaft nicht genutzt, um eine neue europäische Initiative zur Überwindung des Apartheid-Systems in Gang zu setzen?
Meine Damen und Herren, diejenigen von uns, die in der jüngsten Zeit in Südafrika gewesen sind, werden sicher in einem Punkt übereinstimmen: Die Unterdrückung in diesem Land ist noch massiver geworden. Allen Reformversprechungen zum Trotz ist die demokratische Opposition in den Untergrund getrieben worden. Jede demokratische Opposition gegen das unmenschliche System der Apartheid soll unmöglich gemacht werden. Verbote, Zensur, Verhaftungen ohne Prozeß, Zwangsumsiedlungen, Folter, exzessiver Gebrauch der Todesstrafe, das alles geht weiter.
Neue Gesetze sind in Vorbereitung. Die Stoßrichtung dieser neuen Gesetze richtet sich gegen die beiden großen gesellschaftlichen Gruppen in Südafrika, die heute die wichtigsten Träger des Kampfes gegen die Apartheid sind: gegen die schwarzen Gewerkschaften und gegen die Kirchen. In beiden Gruppen herrscht tiefe, tiefe Besorgnis. Den Gewerkschaften soll das Streikrecht genommen werden; den Kirchen soll die Möglichkeit genommen werden, mit Hilfsgeldern anderer Kirchen, aber auch von Regierungen, auch der Bundesregierung, auch der Europäischen Gemeinschaft, den Opfern der Apartheid zu helfen.
Die Erwartungen, die Hoffnungen, aber leider auch die Enttäuschungen der Mehrheit der Menschen in Südafrika uns gegenüber sind größer geworden. Die Bitte um Hilfe, der Appell, etwas zu tun, wird immer dringlicher. Ganz übereinstimmend hören wir, daß äußerer Druck auf die südafrikanische Regierung für dringender, für notwendiger denn je gehalten wird. Das mindeste, was von uns verlangt wird, ist, daß wir nichts mehr tun, was objektiv eine Unterstützung dieses rassistischen Regimes darstellt oder als solche Unterstützung verstanden werden könnte.
({0})
Meine Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns darüber im klaren sein, daß in Südafrika die Zeit knapp wird. Wir haben es hier nicht nur mit dem Rassenkonflikt im engeren Sinne zu tun, wir haben es mit immer schärfer werdenden sozialen Konflikten zu tun.
Wir müssen uns klar darüber sein, daß diese sozialen Konflikte in Südafrika noch bestehen werden, wenn die Apartheid eines Tages verschwunden sein wird; die großen Probleme können dann sogar erst beginnen. Das Problem der schärfer werdenden sozialen Konflikte besteht darin, daß ein immer größer werdender Teil der jungen Schwarzen - mehr als 50 % der schwarzen Bevölkerung Südafrikas sind jünger als 18 Jahre - überhaupt nicht mehr ansprechbar ist für den Versuch der Verständigung und des Dialogs, sondern daß er in der Elendssituation, in der er sich befindet, nur noch den Ausweg unterschiedsloser Gewalt nach allen Seiten sieht, auch gegen die eigenen Landsleute, auch gegen Schwarze selbst.
Deshalb kann es für eine friedliche Lösung in Südafrika bald zu spät sein. Es besteht nicht uneingeschränkt Zeit.
Ich meine, die Alternative, vor der wir in Südafrika stehen und die es in der Südafrika-Politik - auch in unserer - gibt, heißt: friedlicher Wandel jetzt, und zwar sofort, oder Krieg. Dieser Krieg, den keiner von uns will, wird ein schrecklicher Krieg sein.
Die Politik der Bundesrepublik Deutschland in Südafrika befindet sich im Zwielicht. Wir hätten über die Reise des Beauftragten des Bundeskanzlers und bayerischen Ministerpräsidenten hier gern ausführlich diskutiert, als die richtige Zeit dafür gegeben war. Es hat keinen Sinn, das jetzt alles noch einmal aufzurollen.
({1})
Ich will mich darauf beschränken zu sagen: Diese Reise war ein falsches Signal,
({2})
und es ist in Südafrika auch so angekommen.
Der Versuch des Bundeskanzlers, hier in der Aktuellen Stunde diese Reise zwischen einem offiziellen Auftrag und privaten Teilen, für die die Bundesregierung nicht verantwortlich ist, zu teilen, hat in Südafrika nicht überzeugt. Es war ja auch gar nicht möglich, so wie es angelegt war.
Klarheit über die Südafrika-Politik der Bundesregierung würde die Annahme unseres Antrages vom 3. Februar bringen; denn in diesem Antrag steht nichts anders als die inhaltlichen Positionen, die der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister in der Aktuellen Stunde nach der Südafrika-Reise des bayerischen Ministerpräsidenten hier vorgetragen haben.
Nun wollen wir gerne einmal wissen, ob es dem Deutschen Bundestag möglich ist, diese paar Punkte, die bedeuten, daß es wenigstens ein Stück Gemeinsamkeit in der Südafrika-Politik geben könnte, durch Bundestagsbeschluß festzuschreiben und zu unterstützen, ob also wenigstens das möglich ist.
Ich möchte nicht den Bundespräsidenten für die Argumentation in dieser Debatte in Anspruch nehmen. Aber es muß erlaubt sein, ihm dafür zu danken,
daß er in einer schwierigen Situation ein Stück Klarheit in die deutsche Südafrika-Politik gebracht hat.
({3})
Er hat gezeigt, daß es möglich ist, in diesem Teil der Welt verantwortungsbewußt aufzutreten und das Ansehen unseres Landes zu mehren.
Deshalb war die Kritik an seiner Reise und seinen Äußerungen aus den Reihen der Koalitionsparteien nach unserer Meinung unwürdig, ungerecht und in der Sache auch schädlich.
({4})
Die Äußerungen des Bundeskanzlers in Nigeria und Simbabwe bieten nach unserer Auffassung eine Chance zum Konsens. Auf dieser Linie müßte man sich einigen können und sich fragen können, was wir, wenn wir das für richtig halten, was dort gesagt wurde, gemeinsam tun können, um zum Wandel in Südafrika beizutragen.
Wenn ich schon beim Thema Reisen bin und den geschätzten Kollegen Blüm dort sitzen sehe, möchte ich sagen: Herr Blüm, Sie wissen, daß wir Ihre geplante Reise nach Südafrika für richtig halten; ich habe Sie das wissen lassen. Wir haben uns in Südafrika auch darum bemüht, Ihnen Tore zu öffnen.
({5})
- Das hat er nötig.
Aber das, was jetzt in der letzten Zeit im Zusammenhang mit dieser Reise geschehen ist, Herr Kollege Blüm, ist ein lächerliches und schädliches Schauspiel. Wir müssen nun wissen: Fahren Sie? Wann wollen Sie fahren? Für wen fahren Sie? Sind Sie in der Lage, für die ganze Europäische Gemeinschaft zu sprechen? Können Sie das? Sind Sie in der Lage, wenn Sie in Südafrika sind, im Namen der gesamten Europäischen Gemeinschaft eine Position gegen die geplanten neuen Gesetze gegen die Arbeitsmöglichkeiten und Betätigungsmöglichkeiten der Gewerkschaften vorzubringen? Werden Sie etwas in der Hand haben, was Sie der Regierung dort sagen können?
Ich muß Ihnen sagen - ich tue es mit allem Ernst -, Herr Kollege Blüm: Die Ankündigung Ihrer Reise nach Südafrika hat bei den schwarzen Gewerkschaften große Erwartungen geweckt. Sie warten auf Sie, und sie hoffen, daß Sie etwas für sie tun können. Ich kann nur sagen: Wir hoffen, daß diese Reise nicht im innenpolitischen Gestrüpp hierzulande untergehen wird und daß ein Erfolg zustande kommen kann.
({6})
- Vielleicht könnten Sie sich einmal bemühen, den Ton, den wir in dieser Debatte anschlagen, auch in der Qualität Ihrer Zwischenrufe ein bißchen mit aufzunehmen.
({7})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Irmer?
Nein, ich möchte keine Zwischenfragen zulassen.
Da wir schon beim Thema Reisen sind und ich hier einige Kollegen sehe, die gerne reisen, will ich folgendes sagen: Wir sind dafür, auch nach Südafrika zu reisen, und wir sind dafür, daß man sich persönliche Kenntnisse über die Verhältnisse in Südafrika erwirbt. Das kann nur nützen. Es kann auch nur nützen, mit möglichst vielen Seiten in Südafrika zu sprechen.
Aber es ist nicht nur erlaubt, sondern notwendig, zu fragen, ob es mit dem Selbstverständnis des Deutschen Bundestages vereinbar ist, den Versuchen der südafrikanischen Regierung nachzukommen, über ihre Botschaft hier in Bonn oder über Public Relations Agenturen einzelne Abgeordnete herauszusuchen, nach Südafrika einzuladen und ihnen dort ein selektives Programm anzubieten, das eben, weil es von der Regierung organisiert ist, niemals die Chance bieten kann, ein vollständiges Bild der Verhältnisse zu gewinnen.
({0})
Die Annahme solcher Einladungen bei Kenntnis all dessen, was in Südafrika in den letzten Jahren geschehen ist und jeden Tag noch geschieht, riecht nach einem Korrumpierungsversuch.
({1})
Es soll doch niemand glauben, daß da jemand wegen seiner blauen Augen eingeladen wird, sondern da wird man eingeladen, weil sich diese Regierung davon verspricht, daß hinterher hier in diesem Parlament ein politischer Preis dafür bezahlt wird, und dieser politische Preis besteht im Wohlverhalten.
({2})
Ich bitte im Namen meiner Fraktion den Herrn Bundestagspräsidenten, den südafrikanischen Botschafter darauf aufmerksam zu machen, daß es dem Selbstverständnis dieses Parlaments nicht entsprechen kann, wenn diese über Jahre laufende Praxis fortgesetzt wird.
({3})
Meine Damen und Herren, ein Wort zur Rolle der Wirtschaft in Südafrika: In den letzten Tagen hat die Industriegewerkschaft Metall einen Katalog vorgelegt, der Verhaltensanforderungen an die deutschen Unternehmen in Südafrika aufstellt. Wir möchten diese Initiative der IG Metall ausdrücklich begrüßen. Die Annahme dieser Forderungen der IG Metall würde den deutschen Unternehmen in Südafrika die Chance bieten, ihr wirtschaftliches Engagement dort moralisch zu rechtfertigen. Ich frage: Was soll eigentlich ein deutsches Unternehmen daran hindern, den Wunsch zu erfüllen, daß es sich in Südafrika seinen Arbeitnehmern gegenüber genauso verhalten möge,
wie es das hier in der Bundesrepublik Deutschland tut?
({4})
Die Forderung an die deutsche Wirtschaft, sich aus Südafrika zurückzuziehen, wird schärfer werden, wenn sie ihr Verhalten nicht ändert. Ich halte aber Disinvestment nach amerikanischem Vorbild nicht für einen gangbaren Weg. Die Lage ist durch das amerikanische Disinvestment nicht besser, sondern schlechter geworden. Richtig wäre es, wenn die Unternehmen selbst durch die Art und Weise des Auftretens und Verhaltens in Südafrika einen Beitrag zur Überwindung der Apartheid-Strukturen leisten würden, und sie können das.
({5})
Ich habe mir lange überlegt, ob es richtig ist, an dieser Stelle Firmen namentlich zu nennen. Ich halte es in einem Fall für notwendig. Ich halte es für notwendig, hier darauf hinzuweisen, daß jetzt der zweite Fall bekanntgeworden ist, in dem sich ein großes deutsches Unternehmen in Südafrika gegen alle unsere Grundsätze verhält: Das ist die Metallgesellschaft in Frankfurt, deren Tochterfirma Kolbenschmidt sämtliche Belegschaftsmitglieder entlassen hat, weil sie unerwünschte gewerkschaftliche Aktivitäten festgestellt zu haben glaubt. Das ist der zweite Fall. Dasselbe war mit einer anderen Tochterfirma der Metallgesellschaft vor einigen Jahren bereits geschehen, das war die Transvaal Alloys. Ich frage die Bundesregierung, was sie getan hat, um dieses große deutsche Unternehmen davon abzuhalten, diesen Weg weiter zu beschreiten und unseren Ruf und unser Ansehen in diesem Teil der Welt weiter zu beschädigen.
Zur Verbesserung unseres Rufs und unseres Ansehens würde es übrigens auch gehören, wenn wir uns endlich darauf verständigen könnten, die Arbeit im U-Boot-Untersuchungsausschuß zügig voranzutreiben und die Aufklärung nicht länger zu behindern. Wir haben das Gefühl, daß diejenigen, die hier eigentlich zur Aufklärung beitragen sollen, alles tun, um die erfolgreiche Arbeit des Ausschusses abzuwürgen. Es wird alles getan, um uns daran zu hindern, an die Kernfrage heranzukommen: Wer hat Provisionen genommen? Wer hat den Vorteil von diesem Geschäft gehabt? Darum muß die Frage berechtigt sein: Wer will hier warum etwas vertuschen?
({6})
Es hat in den letzten Tagen einen unzulässigen Pressionsversuch des Vorstandsvorsitzenden der Salzgitter AG gegeben.
({7})
Wir weisen diesen Versuch, den Betriebsrat der HDW unter Druck zu setzen und über den Betriebsrat die SPD unter Druck zu setzen, auf das schärfste zurück.
({8})
Wir werden unsere Bemühungen in diesem Ausschuß nicht einstellen.
Unsere Vorschläge, die wir bereits im vergangenen Jahr und in der letzten Legislaturperiode zur Frage der Sanktionen eingebracht haben, bleiben bestehen. Wir sind nach wie vor der Meinung - und werden davon auch nicht abgehen - , daß Südafrika wirtschaftlich veranlaßt werden kann, sein Verhalten zu ändern. Die Vorschläge bleiben. Wir haben jetzt Vorschläge gebracht, die unterhalb der Ebene wirtschaftlicher Sanktionen liegen, weil wir Ihnen eine Chance geben wollen, einem Vorschlag von uns zuzustimmen, damit wenigstens einmal was geschieht. Wir wissen, daß Sie noch nicht bereit sind, Sanktionen zuzustimmen. Aber ich frage: Wo sind die Argumente, die gegen das sprechen, was wir heute vorgeschlagen haben: gegen die Abberufung der Botschafter, gegen die Verringerung des diplomatischen Personals hier in Bonn, gegen den Entzug der Landerechte, gegen die Einführung des Visumzwangs und gegen einen verschärften EG-Verhaltenskodex? Da kann keiner sagen: Das schadet den Schwarzen. Alan Boesak hat dazu in Südafrika gesagt: Die einzigen Schwarzen, die davon betroffen wären, sind Desmond Tutu und ich; und das können wir aushalten.
({9})
Diese Maßnahmen wären ein ganz deutliches Signal. Es ist an der Zeit, dieses Signal zu setzen und der südafrikanischen Regierung klarzumachen, daß sie nicht länger darauf rechnen kann, daß sie Unterstützung findet. Diese südafrikanische Regierung ist nicht bereit, den fundamentalen Wandel, der notwendig ist, in Gang zu setzen. Sie wird weiter sogenannte Reformen vornehmen und bestimmte Formen von Rassendiskriminierung abbauen. Daran habe ich gar keinen Zweifel. Sie wird aber an das Entscheidende nicht herangehen. Sie wird nicht an die Verwirklichung der vollen politischen Gleichberechtigung in Südafrika herangehen. Das wird sie vermeiden. Es ist auch ihre feste Überzeugung, daß das vermieden werden muß. Darum ist der Konflikt mit dieser Haltung unlösbar.
Ich weiß wohl, daß es in unserer Südafrikapolitik Defizite gibt, daß wir uns vielleicht zuwenig Gedanken darüber gemacht haben, was wir eigentlich den Weißen in Südafrika sagen, was hinterher, wenn die Apartheid überwunden ist, geschehen soll. Die Frage ist ja berechtigt. Denn wir wollen ja, daß diese Menschen dort bleiben. Ich denke, es gehört zur Ehrlichkeit in der Politik, daß wir ihnen sagen, daß sich nach der Überwindung der Apartheid nicht nur die Machtverhältnisse in Südafrika ändern werden. Auch die sozialen und die ökonomischen Verhältnisse werden nicht so bleiben können, wie sie sind. Denn die Ungerechtigkeit in diesem Land ist ja nicht nur eine politische, ist ja nicht nur Verweigerung von Menschenrechten, sondern die Ungerechtigkeit in diesem Land ist ja auch eine soziale.
({10})
Aber wir sollten daran mitwirken, einen Weg zu finden, sie zusammenzubringen, die vielleicht letzte Chance zum Dialog noch zu nutzen. Ich denke, da werden wir alle einig sein: Für diesen Dialog über die
Ordnung eines Nicht-Apartheid-Südafrikas müssen Voraussetzungen geschaffen werden.
Wir allerdings müssen uns abgewöhnen, Südafrika mit einem anderen Standard zu messen als andere Länder in der Welt.
({11})
- Klatschen Sie nicht zu früh, Herr Schwarz! Ich möchte die Frage stellen, von welcher Seite und mit welcher Schärfe die Bundesregierung aufgefordert wäre, die massivsten Sanktionen zu ergreifen, wenn nicht der schwarze Generalsekretär der katholischen Bischofskonferenz in Südafrika ins Gefängnis geworfen und gefoltert worden wäre, sondern wenn es ein gleich hoher Würdenträger der katholischen Kirche in Polen oder in der DDR gewesen wäre.
({12})
Das ist das, was ich mit dem doppelten Standard meine.
Wir haben eine Verantwortung in diesem Land. Wir reden hier nicht über irgend etwas, was für uns weit hinten in der Türkei passiert. Unsere Verantwortung besteht darin, daß das, was seit vielen Jahren in Südafrika geschieht, nur deshalb möglich ist, weil die westlichen Industriestaaten - und wir mit - dieses System durch politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit stabilisieren. Damit muß nach unserer Überzeugung Schluß sein.
Wir wollen ja, daß wir etwas zustande bringen. Deshalb bestehen wir heute nicht auf Abstimmung über die vorgelegten Anträge. Vielmehr schlagen wir vor, diese Anträge in den Auswärtigen Ausschuß zu überweisen und dort den Versuch zu unternehmen, mit etwas Gemeinsamem in das Plenum des Deutschen Bundestages zurückzukehren.
({13})
Das gilt auch für die Anträge der GRÜNEN, von denen ich weiß, daß es ein bißchen problematisch ist, vor allem weil einige dabei sind, die außerordentlich dringlich sind.
({14})
Alle diese Anträge sind inhaltlich so, daß sie unseren Positionen entsprechen. Sie sind auch hier schon öfter behandelt worden. Wir sollten uns vielleicht darauf verständigen, daß wir schnell arbeiten. Dann kann auch die Dringlichkeit in dieser Sache noch unterstrichen werden.
Ich danke Ihnen.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hornhues.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat am 4. Februar 1988 hier vor dem Bundestag erklärt:
Die Bundesregierung verfolgt im südlichen
Afrika eine Friedenspolitik, mit der sie dazu beitragen will, die Konflikte zu entschärfen und Voraussetzungen für eine gerechte und dauerhafte Ordnung zu schaffen.
({0})
- Frau Kollegin Eid, ich fange doch gerade erst an. Warten Sie doch ab.
Dazu gehört vor allem die Überwindung der Apartheid, weil sie freiheitlich-demokratischen Wertvorstellungen widerspricht.
Sanktionen
- so der Bundeskanzler weiter sind als Druckmittel zur Überwindung von Konflikten ungeeignet. Sie erhöhen nur die Leiden derjenigen, denen wir helfen wollen, in Südafrika ebenso wie in den Nachbarstaaten.
Für den zentralen ... Konflikt in Südafrika selbst
- so der Bundeskanzler am 4. Februar bedarf es vermehrter Anstöße von außen, um die verfeindeten Gruppen zum Gespräch zusammenzubringen.
({1})
Seit jener Debatte hat die Regierung der Republik Südafrika ihre repressive Politik gegenüber oppositionellen Gruppen verschärft. Das Verbot der politischen Betätigung für jene 17 Gruppen Ende Februar dieses Jahres, eine weiter verschärfte Pressezensur, Zeitungsverbot, geplante Gesetze hinsichtlich des Verbots finanzieller Unterstützungen für oppositionelle Gruppen aus dem Ausland, die geplante Einschränkung von Rechten der Gewerkschaften kennzeichnen die Entwicklung.
Zum anderen hat der südafrikanische Staatspräsident eine Beteiligung Schwarzer am Kabinett, im Nationalrat, der zu einem Entscheidungsgremium und zu einem Verhandlungsforum über die Zukunft Südafrikas umgestaltet werden soll, in Aussicht gestellt, Beteiligung der Schwarzen auf regionaler Ebene angekündigt.
Dies ließe hoffen, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn da nicht der erste Teil wäre, nämlich die zunehmende Repression. Die alte fortbestehende Repression, Ausnahmezustand, die politischen Gefangenen und die neuen Maßnahmen sind der Grund, der es selbst denjenigen schwarzen Führern Südafrikas, die immer für friedliche Verhandlungslösungen waren, unmöglich macht, sich auf einen Verhandlungsprozeß einzulassen.
Ein Drittes kennzeichnet die Situation: Gleichzeitig droht nämlich bei den im Herbst anstehenden Kommunalwahlen in vielen Städten und Gemeinden des weißen Südafrika ein Sieg der Ultrarechten und damit eine Restaurierung von schon überwunden geglaubten Teilen der kleinen Apartheid. Diese Reaktion, mit der wir ein wenig rechnen müssen, leider rechnen müssen, hat vielleicht auch etwas mit dem zu tun, was wir hier an Politik betrieben haben; denn ihr größter Schlager neben dem Verrat am Burentum, den
man Botha vorwirft, ist auch sein Eingehen-Wollen auf jene komischen Leute da im Westen, die ihm im übrigen nur mit Sanktionen drohen.
Angesichts dieser Ausgangslage werden wir heute erneut mit einer Fülle von Anträgen konfrontiert. Die GRÜNEN haben es im Stoß gemacht. Anträge der SPD, die im Ausschuß noch nicht beraten sind, liegen vor; sie schiebt neue nach. Herr Kollege Verheugen, Sie haben deutlich gemacht, was unverändert Ihr politisches Ziel bleibt. Sie sind unverändert der Überzeugung, daß wirtschaftliche Sanktionen notwendig sind. Alles andere betrachte ich als eine gewisse
- nehmen Sie es mir nicht übel - Trickserei, um mal zu gucken, wieviel Ärger Sie in die Koalition reintragen können. So haben Sie es auch angekündigt.
({2})
- Natürlich ist das legitim. Aber ich wollte einmal sagen, was es ist, damit es hier nicht überhöht wird.
Sie bleiben also bei der Auffassung, Sanktionen seien das Mittel. Ich habe für meine Fraktion in vielen Debatten deutlich gemacht, weshalb wir Sanktionen für nicht geeignet halten, die Probleme zu lösen. An dieser unserer Grundhaltung hat sich nichts geändert.
({3})
Im Sinne der zuvor zitierten Ausführungen des Bundeskanzlers und angesichts der aktuellen Entwicklung in Südafrika sind wir allerdings der Auffassung, daß es Zeit wird für eine konzertierte politische Aktion im Sinne einer politischen Intervention,
({4})
um eine Strategie des friedlichen Wandels von Worten in Taten zu entwickeln.
({5})
Eine solche politische Intervention sollte von der Bundesregierung im Verbund vor allem mit den gegenüber Südafrika wichtigsten Ländern - den USA, Großbritannien und Frankreich - angestrebt werden.
({6})
Ziel der politischen Intervention muß sein, daß endlich
- um Helmut Kohl noch einmal zu zitieren - der Verhandlungstisch aufgestellt wird und die verfeindeten Gruppen zum Gespräch, zu Verhandlungen
({7})
über die gemeinsame Zukunft in einem gemeinsamen Südafrika Platz nehmen.
({8})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, bei aller von allen Seiten bekundeten Bereitschaft zu Verhandlungen ist, wie jedermann weiß, das größte Problem die Gewaltfrage im Vorfeld solcher Verhandlungen. Der ANC und auch andere Oppositionsgruppen legitimieren ihre Gewalt als Gegengewalt gegen Repression und Verweigerung von Bürgerrechten für die
Schwarzen. Apartheid insgesamt ist in ihren Augen Gewalt gegen die Schwarzen, gegen sie selbst.
({9})
Von daher beantwortet die schwarze Opposition die Erklärung der Regierung, nur mit schwarzen gewaltfreien Führern verhandeln zu wollen, mit der Gegenforderung nach der Beendigung der staatlichen Gewalt gegen die Schwarzen, Freilassung der Gefangenen, Aufhebung des Ausnahmezustands usw. Die schwarzen Führer machen deutlich, daß ihnen nicht zuzumuten sei, quasi mit dem Gewehr im Rücken am Verhandlungstisch Platz zu nehmen.
({10})
Auf der anderen Seite wiederum glaubt die südafrikanische Regierung auf die Vorbedingung von Gewaltverzicht auf seiten der Schwarzen nicht verzichten zu können, da sie Ruhe, Ordnung und Sicherheit vor allem für die Weißen braucht und mit Gewalt zu sichern meint, um in deren Namen über Machtverteilung überhaupt verhandeln zu können. Sie fürchtet, sonst bei allfälligen weißen Wahlen ihre Mehrheit und ihr Verhandlungsmandat an die Ultras der äußersten Rechten zu verlieren.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hirsch?
Nein, danke.
Nicht.
Nein.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe diesen Punkt ein wenig herausgegriffen, um deutlich zu machen, daß das, was ich gerade vorgeschlagen habe, keine einfache Geschichte ist, sondern einer erheblichen Anstrengung bedarf, um allein das Vorfeld so zu klären, daß man am Verhandlungstisch Platz nehmen kann. Deutlich wird nämlich damit, daß erstes Ziel von Vorverhandlungen sein muß, die Positionsbehauptung durch Gewalt im weitesten Sinne durch eine Situation abzulösen, in der Gewalt und Gegengewalt verzichtbar sind.
({0})
- Herr Kollege Hirsch, Sie beschäftigen sich neuerdings auch mit Südafrika.
({1})
Ich hätte die herzliche Bitte, daß Sie einige meiner älteren Reden einmal nachlesen.
({2}) Da habe ich sehr viel dazu gesagt,
({3})
auch deutlich gemacht, daß es den Schwarzen - ich
habe es gerade gesagt - nicht zuzumuten ist, mit dem
Gewehr im Rücken am Verhandlungstisch Platz zu nehmen. Reicht Ihnen das? Ich hoffe: ja.
({4})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe dies hier deutlich gemacht, um zu zeigen, wie schwierig ein solcher Prozeß ist. Deshalb sind wir der Auff as-sung, daß man das politisch nicht bewerkstelligen kann, indem man sich von Mal zu Mal, wenn es in Südafrika aktuell wird, wenn die Wellen wieder einmal hochschlagen, damit beschäftigt. Mit einer politischen Intervention, einer konzertierten Aktion meinen wir auch, daß hochrangige Beauftragte bestellt und gegebenenfalls Stäbe gebildet werden müssen, die sich nachhaltig und ausschließlich dem Aufgabenkomplex, einen Tisch aufzustellen, widmen.
({5})
Das würde den Konfliktparteien die große Ernsthaftigkeit des Bemühens signalisieren und zudem deutlich machen, daß die genannten Länder nicht nur simple Vermittler sein wollen, sondern auch bereit sind, ihr gesamtes politisches und ökonomisches Gewicht zur Lösung der Südafrika-Frage einzusetzen. Dabei sollte deutlich werden, daß ein Scheitern dieses Bemühens nicht ohne Konsequenzen sein wird. Insgesamt müßte eine kompakte Druckkulisse Richtung Verhandlungstisch entwickelt werden.
Flankiert werden müßte ein derartiges Bemühen durch eine größere Anstrengung, durch Maßnahmen, die die Auswirkungen der Apartheid mildern, die Brücken bauen, Vertrauen schaffen. Das Sonderprogramm „Südliches Afrika" der Bundesregierung sollte weiter ausgebaut werden. Es ist zu begrüßen, daß sich die deutschen Schulen weiter öffnen für nicht deutschmuttersprachliche, insbesondere schwarze Schüler. Bei Aus- und Weiterbildung gibt es noch eine Fülle von Möglichkeiten für die zahlreich am Kap vertretene deutsche Wirtschaft, sich einzusetzen. Es müßte zutiefst im eigenen Interesse dieser Unternehmen sein, sich hier wirklich massiv und nicht nur mit Kleingeld zu engagieren.
Südafrika - Kollegen haben schon in anderen Debatten betont - ist nicht nur erste, sondern auch dritte Welt. Deswegen gehört zu unserer Strategie für einen friedlichen Wandel flankierend und begleitend das Angebot für umfassende Entwicklungshilfe für Südafrika hinzu, wenn die Verhandlungen über die Zukunft Südafrikas begonnen haben. Haben sie erst einmal begonnen, sollten auch die Sanktionen, die bisher verhängt worden sind, aufgehoben werden. Südafrika braucht eine positive wirtschaftliche Entwicklung, wenn die Hoffnung auf Arbeit für Millionen, vor allem der jungen Schwarzen, erfüllt werden soll; denn sie wollen auch dies, sie wollen auch da Zukunft. Zugleich aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, macht eine positive wirtschaftliche Entwicklung es auch den Weißen leichter, Machtteilung und Machtverlust zu akzeptieren.
Zu allem kommt hinzu, daß als Resultat der Apartheidpolitik die Menschen, Schwarz und Weiß, einander ferngehalten wurden. Welche Weißen kennen denn eigentlich die Schwarzen in Südafrika als Menschen und nicht nur als Arbeiter, als Kellner, als Hausmädchen?
({6})
Brücken des Kennenlernens, des menschlichen Verstehens, des wechselseitigen Akzeptierens, auch hier haben wir eine Fülle von Möglichkeiten, die wir nutzen sollten: Goethe-Institute, Stipendienprogramme, Bildungseinrichtungen der Kirchen. Es müssen ja nicht immer nur bei uns die wunderschönen Akademien stehen. Warum stehen sie nicht auch in Südafrika, damit die Menschen dort diesen Prozeß des Kennenlernens nachholen können? Es gibt eine ganze Menge an Möglichkeiten, die in diesem Zusammenhang genutzt werden können. Aussöhnung fördern, Konfrontation abbauen,
({7})
das sollte das Leitmotiv für alle von uns sein, für Kirchen, Gewerkschaften, Unternehmen und Parlamentarier.
Herr Kollege Verheugen, ich begrüße es, wenn Sie sagen: Wir wollen uns bemühen, ob wir nicht eine gemeinsame Lösung finden können. Vielleicht wären wir ein Stück weiter, wenn Sie vor einigen Wochen genau wie die GRÜNEN über ihren Schatten hätten springen können und wir unsere gemeinsame Reise nach Südafrika, die diesem Ziele dienen sollte, tatsächlich durchgeführt hätten.
({8})
- Herr Kollege Duve, guten Morgen.
({9})
Eine Strategie zum friedlichen Wandel muß gleichzeitig auf drei Ebenen entwickelt werden:
Ein massives, geballtes Sich-ins-Spiel-Bringen der politisch und ökonomisch wichtigsten Länder, damit es konkret sobald wie möglich zu den Verhandlungen zwischen Schwarz und Weiß über die Zukunft Südafrikas kommt, die notwendig sind, wobei die gerechte Beteiligung aller an der politischen Macht nach demokratischen Grundsätzen und Zukunft auch für die Weißen in Südafrika Ziel sein muß.
Zum zweiten: Umfassende Unterstützung der Bemühungen, die darauf abzielen, die sozialen und ökonomischen Folgen der Apartheid durch Bildungs- und Entwicklungsmaßnahmen, wirtschaftliche Hilfe, De-sanktionierung mit dem Verhandlungsbeginn abzumildern, möglichst auszugleichen.
Zum dritten: Förderung des Dialogs, des gegenseitigen Sich-kennen-Lernens; denn Apartheid kann man nicht nur nicht so einfach abschaffen. Das große Problem wird sein, man muß sie überwinden. Das größte Problem ist das, was dabei in den Köpfen der Menschen steckt.
({10})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe diese Punkte unter Verzicht auf manche aktuellere
Anmerkung vorgetragen. Frau Kollegin Eid, um auf Ihren Zwischenruf ganz am Anfang einzugehen: „Wo ist denn die Alternative?" Wir sind überzeugt, daß dieser Weg, den ich grob skizziert habe, wirklich einmal konsequent gegangen,
({11})
tatsächlich Alternative sein kann und, wie wir glauben, ist.
Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, möchten wir die Bundesregierung auffordern,
({12})
im Sinne der Grundgedanken des Bundeskanzlers, die ich eingangs zitiert habe, erinnernd an die Ausführungen des Außenministers in der letzten Debatte, in genau diese Richtung konsequent und nachdrücklich und intensiv zu arbeiten und sich nicht dadurch entmutigen zu lassen, daß sich das eine oder andere der genannten Länder vielleicht gar nicht so leicht für einen solchen Prozeß gewinnen läßt, weil man dort - wie manchmal vielleicht auch bei uns - andere Interessen im Kopf hat, wenn man über Südafrika diskutiert, andere Interessen als die, die an sich Kernpunkt sein sollten, nämlich: Was können wir als deutsche Politiker tun, um tatsächlich einen Beitrag zu einer friedlichen Lösung zu leisten?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Entwicklung in Südafrika ist dazu angetan, die Bundesregierung nachdrücklich aufzufordern, ihre Anstrengungen in dem von mir skizzierten Sinne zu verstärken, zu konzentrieren.
({13})
- Frau Kollegin Eid, ich würde es nicht fordern, wenn ich nicht den Eindruck hätte, man könnte noch mehr tun. - Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir glauben, daß bei all unseren Verbindungen, Beziehungen ökonomischer, persönlicher, privater und sonstiger Art auch daneben noch ein gewaltiger Prozeß geleistet werden kann, wenn wir alle hier im Hause, aber auch draußen, wenn unsere Basisgruppen, die wir in verschiedenster Art und Weise dabei haben, wenn es um Südafrika geht, nicht gegeneinander agieren, sondern wenn wir uns tatsächlich einmal bemühen, gemeinsam etwas zu tun. Denn, meine sehr geehrten Damen und Herren, wer einmal einen Großteil der Diskussion in unserem Land verfolgt, der hat manchmal den Eindruck, daß von verschiedenen Seiten her nicht Beiträge zur Lösung von Konflikten, sondern zur Verschärfung von Konflikten geleistet werden.
({14})
Wissen Sie, ich habe in den letzten Monaten an mancher Tagung, an mancher Veranstaltung teilgenommen. Dabei habe ich nicht den Eindruck gewonnen, daß bei vielen, die sich dem Thema Südafrika widmen - in Akademien, in Veranstaltungen oder wo auch immer - wirklich das Ziel „Helft den Menschen dieses Landes" , sondern etwas anderes im Vordergrund steht.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Eid.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Bei der ersten Südafrika-Debatte des Deutschen Bundestages Anfang dieses Jahres hat die Bundesregierung eine Regierungserklärung zur Lage in Südafrika angekündigt. Doch Sie, Herr Bundeskanzler, schweigen sich bis heute aus, auch heute. Ich hätte es ihm gerne persönlich gesagt, aber er drückt sich vor solchen Debatten. Statt dessen hören wir seit Jahren von den Kollegen der CDU: Jetzt ist es aber fünf vor zwölf! Jetzt müssen wir einen letzten Versuch unternehmen, im Dialog auf die südafrikanische Regierung einzuwirken. - Wie oft schon haben Sie diesen Spruch aufgesagt! Herr Kollege Hornhues, heute der gleiche Spruch wieder.
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Getan haben Sie nichts. Die Politik dieser Bundesregierung gegenüber Südafrika ist ungeachtet aller Zuspitzungen, ungeachtet des völligen Abbaues demokratischer Rechte, ungeachtet der umfassenden Menschenrechtsverletzungen die gleiche geblieben, nämlich „Zusammenarbeit ohne Wandel", wie ein deutscher Afrikawissenschaftler dies treffend auf den Punkt gebracht hat. Von den Auswirkungen dieser Politik habe ich mich vor 14 Tagen in Südafrika überzeugen können.
Sie, Herr Bundeskanzler, reden viel vom friedlichen Wandel in Südafrika. Tatsächlich aber ist es die von Ihnen so wohlwollend und verständnisvoll gehätschelte weiße Regierung in Pretoria, die eine von der schwarzen Mehrheit gewollte friedliche Lösung unmöglich macht. Die noch nicht getöteten führenden Vertreter der demokratischen Opposition sind entweder im Gefängnis, im Exil oder mit einem Verbot der politischen Betätigung belegt. Ihre Organisationen sind seit dem 24. Februar dieses Jahres de facto verboten. Es muß damit gerechnet werden, daß in diesen Wochen in Kapstadt erneut der Ausnahmezustand über Südafrika verlängert wird. Dies bedeutet, um nur ein Beispiel herauszugreifen, daß 3 000 Menschen - darunter 300 Kinder und Jugendliche - , die auf Grund der Notstandsgesetze immer noch in Haft sind, nicht freigelassen werden.
Wichtige Gesetze zur Knebelung der Opposition werden noch vor der Sommerpause durch das südafrikanische Parlament verabschiedet. Ich möchte hier auf nur ein Gesetz eingehen, nämlich das „Gesetz zur Kontrolle ausländischer Finanzmittel".
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Diese Gesetzesinitiative zum Verbot der Auslandsfinanzierung von Bürger- und Menschenrechtsorganisationen in Südafrika soll Anfang Juni verabschiedet werden. Wenn dieses Gesetz in Kraft tritt, wird vielen Gruppen in Südafrika die finanzielle Basis entzogen, Gruppen, die Gefangene und deren VerFrau Eid
wandte materiell und durch Rechtsbeistand unterstützen,
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Gruppen, die Flüchtlinge betreuen. Stipendienprogramme für die so dringend notwendige Ausbildung der bisher im Erziehungssystem benachteiligten schwarzen Schüler und Schülerinnen müssen dann gestrichen werden. Die Gemeindearbeit und Nachbarschaftshilfe vieler Frauen- und Jugendgruppen werden dann gefährdet.
Wenn dieses Gesetz rechtskräftig wird, betrifft dies auch den EG-Spezialfonds für die Opfer der Apartheid. 44 Millionen DM sollen aus diesem Fonds 1988 nach Südafrika gehen. Der Herr Außenminister - ich muß es Herrn Staatsminister Schäfer sagen; richten Sie es ihm bitte aus - ist in ganz besonderem Maße verpflichtet, während der Präsidentschaft im Rat dafür Sorge zu tragen, daß dieses Gesetz nicht in Kraft tritt.
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Meine Gesprächspartner in Südafrika, besonders die Vertreter der drei betroffenen Trusts, haben mit großem Nachdruck darauf aufmerksam gemacht, daß es jetzt nicht darum gehen kann, Schlupflöcher zu suchen, um das Geld auch nach Verabschiedung des Gesetzes nach Südafrika kommen zu lassen. Jetzt geht es viel mehr um Ihren deutlichen Protest, Herr Minister! Ich hoffe, daß auch Herr Minister Blüm, wenn er nach Südafrika geht, dort deutliche Worte sprechen wird. Dieses Gesetz muß verhindert werden. Sollte es dennoch verabschiedet werden, so muß die Bundesregierung in der EG die Initiative ergreifen, dieses Gesetz bewußt und erklärtermaßen zu verletzen. Die Gelder müssen wie bisher den südafrikanischen Partnern zugeleitet werden.
Meine Herren und Damen, die südafrikanische Regierung „führt einen Krieg gegen die Opposition", so hat der Generalsekretär des Südafrikanischen Kirchenrates, Frank Chikane, mir gegenüber die Lage in Südafrika umschrieben. Dieser Krieg wird auf allen Ebenen geführt, durch psychologische Verunsicherung, durch Verhaftungen ohne Angabe von Gründen, durch Ermordung von Aktivisten, durch offenen Terror sogenannter Vigilantes.
Die Presse in Südafrika kann über diesen täglichen Krieg nicht berichten, weil sie schärfster Zensur unterliegt, weil kritische Zeitungen, wie z. B. „New Nation" , kurzerhand verboten werden oder weil „Weekly Mail" jeden Tag mit einer Schließung rechnen muß.
Da wir wissen, meine sehr geehrten Herren und Damen, daß Geschäfte für diese Bundesregierung wichtiger sind als Moral,
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da wir wissen, daß sie nicht bereit ist, ihren historischen Beitrag zur Abschaffung des Apartheid-Systems und des südafrikanischen Terrors im südlichen Afrika durch die Verhängung umfassender und bindender Sanktionen zu leisten, fordern wir erstens, daß die Bundesregierung mit sofortiger Wirkung jegliche Hermes-Bürgschaften für Südafrika-Geschäfte bundesdeutscher Unternehmen einstellt; zweitens, daß die Bundesregierung dafür Sorge trägt, daß die Kreditanstalt für Wiederaufbau keinerlei Kredite mehr für Lieferungen nach Südafrika gewährt; drittens, daß die Bundesregierung zum 30. September dieses Jahres das sogenannte Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik und der Republik Südafrika aufkündigt. Jede dieser Maßnahmen bedeutet ein Zeichen der Solidarität mit den Opfern der Apartheid in Südafrika und den Nachbarstaaten. Eine vierte Forderung ist, daß keine Kohle mehr aus Südafrika importiert werden darf.
Meine Herren und Damen, ich habe hier die letzte Ausgabe der verbotenen Zeitschrift „New Nation", herausgegeben von der katholischen Bischofskonferenz in Südafrika. Das Photo auf der Titelseite zeigt einen deutschen Wasserwerfer der Firma DaimlerBenz, der demonstrierende Menschen verjagt, die dem Parlament eine Petition übergeben wollen. Das ist der deutsche Beitrag zur Apartheid; daran muß sich die Bundesregierung messen lassen.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch die Fraktion der FDP empfindet die Situation alles andere als befriedigend, und auch die Fraktion der FDP hofft sehr, daß wir bei den jetzt vorliegenden Anträgen zu gemeinsamen Beschlüssen kommen, die dann von der Bundesregierung umgesetzt werden sollen und müssen.
Es ist nun langsam wirklich kaum noch erträglich, zum wievielten Male wir hier über Südafrika ziemlich folgenlos debattieren.
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Ich habe auch Herrn Hornhues wieder voll zustimmen können: Wir sind uns doch einig in der Verurteilung dieses menschenverachtenden Unrechtsregimes in Südafrika. Nun sollten wir uns doch wenigstens zu einigen wenigen Konsequenzen durchringen, die da nun zu ziehen sind,
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die unterhalb der Sanktionslinie und Wirtschaftssanktionen liegen können. Ich bin es wirklich leid, als Sprecherin der Fraktion immer wieder die bisherigen Positionen zu wiederholen und mit den verbalen Bekundungen hier wieder aus dem Raume zu gehen.
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Ich möchte wirklich an alle Zögernden appellieren; ich glaube, die Zögernden sitzen gar nicht so sehr hier im Hause, sondern sie sitzen mehr da
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und wohl auch in der EG. Ich möchte sie einmal fragen: Können wir denn allen Ernstes heute noch von der Reformierbarkeit der Apartheid sprechen,
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angesichts der Realitäten in Südafrika, wenn die Pressefreiheit außer Kraft gesetzt wird, wenn der Ausnahmezustand in Kraft bleibt, wenn Willkür, Verhaftung, Folter an der Tagesordnung sind? Baum und Hirsch haben die Zahlen mitgebracht: Es sind allein in den letzten anderthalb Jahren über 25 000 Menschen, fast überwiegend natürlich Schwarze, die ohne jeden Haftbefehl, ohne jede gerichtliche Nachprüfung verhaftet wurden und von denen am Ende kaum vier oder fünf Prozent ein ordentliches Gerichtsverfahren erhalten. Das ist doch keine Reformierbarkeit des Apartheidsystems.
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Meine Damen und Herren, wenn das Streikverbot droht, wenn die finanziellen Unterstützungen an die Kirchen gekürzt werden sollen, dann ist es doch an der Zeit - ich unterstütze das ausdrücklich, Herr Verheugen -, daß nun wirklich von seiten des Westens, der EG und aller zivilisierten Länder der Welt reagiert wird.
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Wir können uns doch auch nicht länger der Illusion hingeben, daß wir die südafrikanische Regierung durch verbale Proteste von ihrer menschenverachtenden Politik abbringen werden. Ich kann solche fadenscheinigen Feigenblätter nicht mehr akzeptieren.
Wir müssen etwas unternehmen, selbst wenn wir mit unseren Maßnahmen die Regierung nicht treffen. Ich komme gerade aus München von einer Konferenz in der Universität der Weiße-Rose-Stiftung. Da haben die Kinder und Nachfahren der Verurteilten vom 20. Juli gesagt, daß ihre Eltern bei ihrem Opfergang eigentlich nur auf eines gehofft und gewartet haben: daß das Ausland reagiert und daß sie sich von der westlichen Welt nicht total allein gelassen gefühlt hätten. Das ist es, was wir machen müssen.
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Diese Signale müssen wir setzen, selbst wenn wir im Augenblick die Regierung damit nicht zu der Abschaffung - nicht der Reformierung - der Apartheid bewegen können. Deshalb meine ich für meine Fraktion, daß wir es eben nicht länger bei verbalen Bekundungen lassen sollen. Ich stimme überein: Unsere Präsidentschaft läuft aus, und wir erwarten dringend nun eine neuerliche Beschlußfassung in Sachen Südafrika.
Einigen, in Ihrem Antrag genannten Maßnahmen, Herr Kollege Verheugen, sind wir durchaus geneigt zuzustimmen, der Abberufung des Botschafters jedoch nicht; das ist doch wohl eine wichtige Bastion, die von uns auch sehr gut genutzt wird. Dies gilt aber für die Verringerung des Personals der Botschaft, die Einführung der Visumpflicht dann und so lange, als wir unsere Gäste hier nicht begrüßen können.
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Wir können das sofort wieder aufheben; das beruht ja
nur auf Gegenseitigkeit. Meine lieben Kollegen, weshalb sehen wir tatenlos zu, wenn einerseits Einreisevisen für die Bundesrepublik verweigert werden und andererseits unser Land mit Regierungspropaganda und Propagandisten aus Südafrika überschwemmt wird? Ich sehe überhaupt nicht ein, warum wir das tatenlos hinnehmen sollen.
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Ich meine - ich sage das auch zu uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, unabhängig vom Ergebnis des parlamentarischen Untersuchungsausschusses - : Es gibt zunehmend Schlupflöcher, mit denen das Waffenembargo umgangen werden kann. Wir müssen doch etwas tun, energisch tun, um diese Schlupflöcher zu verschließen.
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Wenn dies das Ergebnis des Untersuchungsausschusses wäre, wäre ich schon sehr, sehr froh.
Es ist die Meinung der FDP, daß Handlungsbedarf besteht. Wir wollen als frei gewähltes Parlament die Regierung heute zum Handeln auffordern. Wir sollten möglichst bald zu nach Möglichkeit übereinstimmenden Beschlüssen kommen.
Unsere Politik gegenüber Südafrika - das muß ich als ehemalige Staatsministerin noch einmal sagen - wird in der Dritten Welt - nicht nur in Südafrika, sondern in der gesamten Dritten Welt - mit allerhöchster Aufmerksamkeit verfolgt. Die Widersprüche werden dort registriert, meine Damen und Herren. Da können wir hinterher noch soviel mit Appeasement-Resolutionen versuchen. Daß die Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf ihre eigene Geschichte klarere und glaubwürdigere Positionen nicht nur bezieht, sondern durchhält, das ist eine Bewährungsprobe unseres Landes. Dazu muß der Deutsche Bundestag in seiner besonderen Verantwortung und auch in seiner Unabhängigkeit nun endlich ein gerüttelt Maß beitragen.
Ich danke Ihnen.
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Ich erteile das Wort Herrn Staatsminister Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier kommt der Zuruf, ich soll schön ruhig bleiben. Ich bin durchaus sehr ruhig. Ich weiß gar nicht, wie man dazu kommt, mir zu unterstellen, ich sei möglicherweise nicht mehr ruhig bei diesem Thema, zu dem man sicher anmerken kann: Frau Dr. Hamm-Brücher, ich würde z. B. anregen, den Blick zur Regierungsbank durch den Blick von Fraktion zu Fraktion im Ausschuß zu ersetzen, daß man sich auch dort bemüht, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen. Ich glaube, es ist in dieser Frage nicht nur Sache der Regierung, die Entwicklung der Dinge voranzutreiben, sondern das ist sicher auch Sache des Parlaments. Ich gehe davon aus, daß wir auf
Grund der Anträge im Auswärtigen Ausschuß dazu Gelegenheit haben werden.
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Meine Damen und Herren, die Afrikapolitik der Bundesregierung - das muß immer wieder deutlich gesagt werden - ist die Afrikapolitik der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft.
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Die Bundesregierung hat ihre Grundsätze, die Bundeskanzler und Bundesaußenminister am 4. Februar 1988 im Deutschen Bundestag hervorgehoben haben, in den Antworten auf die Großen Anfragen 1983 und 1986 niedergelegt. Hinzu kommen die Beschlüsse der Europäischen Gemeinschaft.
Die Situation in Südafrika - das ist von meinen Vorrednern beschrieben worden - wird zunehmend kritischer. Die politischen Gefangenen sind unverändert in Haft. Wenn sich nicht Unvorhergesehenes ergibt, wird Nelson Mandela im Juli 1988 seinen 70. Geburtstag im Gefängnis verbringen, trotz aller Zusagen, die uns seit Jahren gegeben worden sind. AntiApartheids-Organisationen wie der ANC und andere bleiben gebannt. Die Notstandsgesetzgebung gilt fort. Eine Pressefreiheit, die diesen Namen verdient, gibt es nicht mehr. Am 24. Februar 1988 hat die südafrikanische Regierung zudem 17 Organisationen, die mit friedlichen Mitteln gegen die Apartheid kämpfen, mundtot gemacht. Dem Gewerkschaftsdachverband COSATU wurden wesentliche politische Rechte genommen.
Die dramatische und sich laufend verschärfende Lage in diesem Land ist dabei nicht das Ergebnis einer finsteren Verschwörung von außen; sie hat ihre Ursache in der Aufrechterhaltung des Systems der Apartheid, das gegen Menschenrechte und Menschenwürde verstößt. Es widerspricht zutiefst unseren freiheitlich-demokratischen Wertvorstellungen.
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Die Politik der Apartheid wird täglich neu mit Gewalt aufrechterhalten. Diese Gewalt richtet sich gegen Junge und Alte. Selbst Kinder gehören zu ihren Opfern. Sie werden in Haft gehalten, sie werden auch gefoltert.
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Die Einrichtung der sogenannten Homeland-Gebiete ist Teil der Politik der Apartheid. Sie mißachtet - wie die Bundesregierung festgestellt hat - demokratische Grundprinzipien. Eine staatliche Anerkennung der Homelands kommt nicht in Frage.
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Sie sind und bleiben Teil Südafrikas.
Das Ziel unserer Politik ist klar - ich sehe hier auch zu allen Vorrednern keine Gegensätze - : Es kann nur heißen Abschaffung der Apartheid in allen ihren
Formen und Auswirkungen. Es kann nicht darum gehen, die Apartheid durch Reformen ein bißchen erträglicher zu machen. Apartheid, die Diskriminierung von Menschen wegen ihrer Rasse und Hautfarbe, ist nicht reformierbar. Sie ist eine der schändlichsten Menschenrechtsverletzungen.
Wir wollen in der Republik Südafrika den friedlichen Wandel zu einer wirtschaftlichen und politischen Ordnung, die von der Zustimmung aller Südafrikaner getragen wird und in der alle Südafrikaner eine gerechte Chance zur Gestaltung ihrer Geschicke sehen. Friedlicher Wandel bedeutet Absage an Gewalt als Mittel der Politik. Er verlangt Mitverantwortung der Mehrheit der Bevölkerung Südafrikas. Unsere Politik ist darauf gerichtet, diesen unerläßlichen Dialog zwischen allen Bevölkerungsgruppen zu fördern.
Unsere Politik wird deshalb auch unmittelbar betroffen, wenn die südafrikanische Regierung durch das Verbot der politischen Betätigung der AntiApartheids-Organisationen im Februar 1988 demonstriert, daß sie den möglichen Dialog mit diesen authentischen Repräsentanten der schwarzen Mehrheit für überflüssig hält und ablehnt. Die Bundesregierung will das Gespräch mit den Repräsentanten der weißen Minderheitsregierung und mit den im Parlament vertretenen Parteien fortsetzen. Wir führen einen stetigen Dialog mit den Repräsentanten der schwarzen Mehrheit, der die parlamentarische Betätigung verwehrt ist, ohne Unterschied, ob sie innerhalb Südafrikas leben oder ob sie außerhalb Südafrikas leben müssen. Wir führen das Gespräch mit den Kirchen, den Gewerkschaften, mit dem Präsidenten des ANC, Oliver Tambo, ebenso wie mit dem Chef der InkathaBewegung Buthelezi.
Voraussetzung für einen sinnvollen nationalen Dialog in Südafrika bleibt die Freilassung aller politischen Gefangenen, an der Spitze Nelson Mandela und Eric Molobi. Herr Hornhues, wir sind uns ja einig darüber, daß der Weg, den Sie auch beschrieben haben, gegangen werden muß. Aber es geht gar nicht um die Leute, die mit dem Gewehrlauf im Rücken am Tisch sitzen - wie Sie formulieren - , sondern sie müssen erst einmal durch die Öffnung der Gefängnistüren an den Tisch gelassen werden. Ich glaube, das ist die Voraussetzung.
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Unerläßlich ist auch die Aufhebung des Verbots der Organisationen der schwarzen Mehrheit einschließlich des ANC und des PAC.
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Wir verfolgen unsere Politik gemeinsam mit den westlichen Partnern - ich glaube, darauf muß immer wieder hingewiesen werden - durch den kritischen Dialog mit der weißen Minderheit.
Eine besondere Bedeutung messen wir den positiven Maßnahmen zu, mit denen der schwarzen Mehrheit solidarische Hilfe geleistet wird. Dazu gehören auch die als Konsequenz des Verhaltenskodex erreichten sozialen Verbesserungen für schwarze Arbeitnehmer in deutschen Unternehmungen. Herr Verheugen, ich stimme Ihnen zu: Diesen Verhaltenskodex gilt es schärfer anzuwenden. Das geht leider
nur durch Appelle an die Firmen. Wir haben keine gesetzlichen Möglichkeiten, seine Einhaltung zu erzwingen. Auch das ist eine alte Frage, Herr Roth, die wir über Jahre erörtert haben und über die wir mit den Unternehmen wieder sprechen müssen.
({7})
- Herr Kollege Roth, es gab auch schon in früheren Regierungen nicht die allergrößte Bereitschaft - ich erinnere mich daran - , in dieser Frage sehr mutig voranzugehen.
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Das muß man Ihnen einmal sagen.
Die südafrikanische Regierung beabsichtigt nun, ein Gesetz verabschieden zu lassen, mit dem sie politisch unerwünschte Geldleistungen an humanitäre, an Anti-Apartheids-Organisationen unterbinden will. Damit würde die südafrikanische Regierung auch unsere positiven Maßnahmen, die Leistungen der Zwölf an Kirchen, Gewerkschaften und andere Organisationen treffen.
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Frau Eid, dazu ist zu sagen - Sie haben das vorhin angemahnt - : Der deutsche Botschafter in Südafrika hat im Auftrag der Zwölf bei der südafrikanischen Regierung in dieser Frage bereits demarchiert. Sie haben uns aufgefordert, etwas zu tun. Das ist schon geschehen. Ich darf von dieser Stelle aus für die Bundesregierung, Frau Eid, erneut die ernste Mahnung an die Regierung der Republik Südafrika richten, diesen Weg aufzugeben. In Pretoria und Kapstadt sollte man bedenken: Derartige Schritte gegen positive Maßnahmen richten sich gegen die Europäische Gemeinschaft mit all den Konsequenzen, die es dann geben kann.
({10})
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hirsch?
Bitte schön.
Herr Staatsminister, Ihre Analyse ist zutreffend, und es ist sicherlich verdienstvoll, daß der deutsche Botschafter für die Botschafter der EG dort eine Demarche hinsichtlich dieses Gesetzes unternommen hat. Aber die Frage ist doch, was denn geschieht, wenn die südafrikanische Regierung erkennbar von ihrem Weg nicht abläßt,
({0})
auf diese Weise die Reste der Opposition in den Untergrund drängen zu wollen. Was soll denn dann geschehen?
({1})
Wollen wir zwar Gelder für die wirtschaftliche Entwicklung in das Land hineinlassen, aber kein Geld mehr für die Opfer der Apartheid hineinschicken dürfen?
Herr Kollege Hirsch, Sie stellen hier eine Frage, die die Europäische Gemeinschaft in dem Augenblick beantworten muß, wo dieses Gesetz verabschiedet ist.
({0}) Es ist noch nicht verabschiedet.
({1})
- Entschuldigen Sie bitte, ich kann hier nicht für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft im vorhinein sagen, wie man sich dann entscheiden wird, und ich bitte Sie, sich bei Ihren Kontakten mit den Vertretern der anderen elf Staaten einmal über deren Haltung zu orientieren, z. B. in Großbritannien.
({2})
Herr Kollege Hirsch, ich kann dazu nur sagen: Wir stehen dann natürlich vor einer neuen Lage, und über diese neue Lage muß nachgedacht werden;
({3})
denn diejenigen, die sagen, unter gar keinen Umständen Sanktionen, sondern positive Maßnahmen, werden sich düpiert fühlen, wenn ihnen auch die Möglichkeiten zu positiven Maßnahmen genommen sind, und das sollte man in Südafrika sehr genau bedenken.
({4})
Der Beschluß des Europäischen Rates vom 27. Juni 1986 über restriktive Maßnahmen ist ein Signal der Europäischen Gemeinschaft an die südafrikanische Regierung, daß die Mitgliedstaaten der EG nicht bereit sind, die fortdauernde Verletzung der Menschenrechte in Südafrika hinzunehmen. Die Bundesregierung hat sich am 8. März dieses Jahres im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bei der Abstimmung über eine Resolution, die sich gegen die jüngsten Repressionsmaßnahmen in Südafrika wandte und auch mandatorische Sanktionen vorsah, der Stimme enthalten. Sie hat damit ein ernstes Zeichen gesetzt, das in Südafrika verstanden werden sollte.
Die Aufrechterhaltung und Verteidigung der Apartheid ist nicht nur Spannungsursache für die Lage im Lande selbst, sie greift auch über die Grenzen der Republik Südafrika hinaus. Sie untergräbt zugleich die Bemühungen der Frontlinienstaaten um die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in der Region. Die Politik der Destabilisierung widerspricht der Auffassung der Bundesregierung, wie sie bereits 1983 erklärt worden ist. Die Sicherheit und Stabilität der Frontlinienstaaten ist eine wichtige Voraussetzung für eine gedeihliche Entwicklung der gesamten Region. Deshalb legen wir Wert auf eine enge Zusammenarbeit mit diesen Staaten. Deshalb geben wir Ländern wie Botsuana, Mosambik und vor allem Angola poliStaatsminister Schäfer
tische Unterstützung gegen grenzüberschreitende Übergriffe Südafrikas. Erst zu Beginn des Jahres hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Besetzung von Teilen Angolas durch Südafrika verurteilt und den sofortigen Rückzug der südafrikanischen Truppen gefordert. Diese Entschließung wurde einstimmig, also auch mit den Stimmen der westlichen Staaten, angenommen.
Unsere Beziehungen zu Mosambik haben sich positiv entwickelt. Dieses Land leidet unverändert an den schlimmen Folgen der terroristischen Tätigkeit der Renamo. Auch hierfür trägt Südafrika wesentliche Verantwortung.
({5})
Für Namibia ist die Bundesregierung dem Lösungsplan der Vereinten Nationen auf der Grundlage der Resolution 435 verpflichtet. Mit diesem Lösungsplan, den wir zusammen mit den USA, Kanada, Frankreich und dem Vereinigten Königreich entwickelt haben und der von allen Staaten der Europäischen Gemeinschaft unterstützt wird, treten wir für die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des namibischen Volkes auf der Grundlage international überwachter Wahlen ein. Daran hat sich nichts geändert und wird sich nichts ändern. Die von Südafrika eingesetzte Übergangsregierung wird von der Bundesregierung, wird von der EG, wird von den Vereinten Nationen nicht anerkannt. Sie kann nicht anerkannt werden. Auch nach dem letzten Besuch von Präsident Botha in Windhuk ist ja deutlich geworden, welche Rolle diese Übergangsregierung in Wirklichkeit spielt.
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Die Antwort auf die Großen Anfragen von 1983 und 1986 definiert, unter welchen Umständen wir bereit sind, einen Beitrag zur Vorbereitung der namibischen Bevölkerung auf die Unabhängigkeit zu leisten.
Die Bemühungen der Vereinigten Staaten, Angolas und Südafrikas in London - ohne die USA in Brazzaville - jetzt gerade, vorige Woche, haben die Implementierung von Resolution 435 und den Abzug kubanischer wie südafrikanischer Truppen aus Angola zum Ziel. Wir begrüßen diese Bemühungen und sind bereit, sie zu unterstützen. Wir sind auch von dem kubanischen Verhandlungsführer informiert worden, der gesagt hat: Diese Verhandlungen sind nicht negativ zu beurteilen; es gibt Ansätze zu einer Bereitschaft Südafrikas, seine bisherige Haltung zu überdenken.
Meine Damen und Herren, unsere Politik gegenüber Südafrika und dem südlichen Afrika kann nur glaubwürdig sein, wenn wir uns auch in Zukunft an den Wertvorstellungen unseres Grundgesetzes orientieren. Verantwortliche Politik muß jede Möglichkeit suchen, Stabilität und Zusammenarbeit im südlichen Afrika zu fördern und einen Rassenkrieg innerhalb der Republik Südafrika vermeiden zu helfen.
Meine Damen und Herren, das rassistische Regime in Südafrika ist nicht ein Vorposten der freien Welt, sondern eine Herausforderung für die Freiheit.
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Wir wollen in Südafrika eine demokratische Ordnung, in der jeder Bürger das gleiche Recht ausüben kann.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Toetemeyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte mich in der heutigen Debatte auf Namibia konzentrieren, weil ich das Gefühl habe, daß in unseren Südafrika-Debatten Namibia ein bißchen zu kurz kommt.
({0})
- Schönen Dank, Herr Kollege! Sie werden sicherlich auch etwas dazu sagen. Nur möchte ich zunächst auf die Debatte eingehen und deshalb kurz zu drei Punkten Stellung nehmen.
Herr Kollege Hornhues, für mich neu war, daß Sie für Ihre Fraktion heute - ich hoffe, ich gebe es richtig wieder - angesichts der Verfeinerung der Diktatur in Südafrika politische Interventionen - ich glaube, das war Ihre Formulierung - gefordert haben. Das war neu. Wir stimmen dem ausdrücklich zu.
({1})
Wir sollten uns dann im Auswärtigen Ausschuß darüber unterhalten, wie diese Interventionen aussehen, wir sollten jedoch nicht nur darüber reden. Das ist der entscheidende Punkt!
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Sehr geschätzter Herr Kollege, eine zweite Bemerkung zu Ihrer Rede: Sie haben davon gesprochen, daß es notwendig sei, im Zuge dieser politischen Interventionen gemeinsam mit den USA etwas zu unternehmen. Ich möchte Sie darüber informieren, daß unsere Kollegen im amerikanischen Kongreß viel weiter sind als die CDU/CSU-Fraktion.
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Das will ich hier nur anmerken. Wir brauchen die Kollegen in den USA da in gar keiner Weise zu befragen.
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Die Kollegen im amerikanischen Kongreß sind - das wissen Sie genauso gut wie ich - zur Zeit dabei, das, was sie schon beschlossen haben, zu verstärken. Wir sollten das nachahmen; das tut doch insbesondere Ihre Fraktion sonst so gerne.
Eine dritte Bemerkung, Herr Staatsminister: Ich bitte Sie, nicht zu unterschätzen, was das Gesetz, das Sie angesprochen haben - die Kollegin Eid hatte es als erste angesprochen - , auch für das Programm Südliches Afrika bedeutet. Sie wissen genauso gut wie ich, daß viele dieser Dinge - ich sage das bewußt nicht in der Öffentlichkeit - über Institutionen abge5378
wickelt werden, und diese werden voll getroffen. Das heißt, wenn wir dieses Gesetz nicht verhindern, können die Arbeiten, die wir im Sinne des friedlichen Wandels in Südafrika heute unterstützen, ab 1989 nicht mehr stattfinden.
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Ich bitte, die Tragweite zu sehen! Das bedeutet: Wir müssen hier und heute handeln, nicht erst, wenn das Gesetz verabschiedet ist; dann ist das Kind in den Brunnen gefallen, dann können wir nichts mehr ändern.
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Mich hat sehr beeindruckt, wie der Liberale van Zyl Slabbert mir vor wenigen Wochen gesagt hat: Ich bitte Sie, Herr Kollege, drängen Sie in Ihrem Parlament darauf, daß v o r der Verabschiedung des Gesetzes der Republik Südafrika durch die Bundesrepublik und durch die EG deutlich gemacht wird, was passiert, wenn dieses Gesetz verabschiedet wird.
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Nur so, Herr Staatsminister, kann es laufen!
So weit die Vorbemerkungen. Es schien mir sinnvoll zu sein, daß man, wenn man schon zur Gruppe Parlamentsreform gehört, auch auf die Debatte eingeht und nicht nur bei seinem Manuskript bleibt.
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Meine Damen und Herren, zur Situation in Namibia: Wir wissen, wir registrieren, daß dieses Land seit Jahrzehnten illegal von Südafrika besetzt ist. 1985 hat Südafrika eine Marionettenregierung - Herr Staatsminister, ich stimme diesem Ausdruck ausdrücklich zu - installiert. Zu meinem großen Bedauern haben sich auch Mitglieder dieses Hohen Hauses an der Inauguration in Windhuk beteiligt,
({9})
leider auch Mitglieder der FDP-Bundestagsfraktion. Ich möchte den Kollegen Baum und Hirsch an dieser Stelle ausdrücklich dafür danken, daß sie durch ihre Gespräche in Namibia vor wenigen Wochen diesen Eindruck korrigiert haben, Herzlichen Dank!
({10})
Ich habe schon 1985 gesagt: Diese sogenannte Interimsregierung wird scheitern. Das sind „puppets" der Südafrikaner, und genauso ist es gekommen: Wir haben es verfolgt, daß Anfang April P. W. Botha in Namibia war und gesagt hat: Was interessiert mich eure Verfassung? Ich stimme dem, was die „Interessengemeinschaft Deutschsprachiger Südwester" öffentlich gesagt hat, ausdrücklich zu. Sie hat P. W. Botha aufgefordert, er möge doch alle vorliegenden Verfassungsentwürfe einem Referendum aller Wähler in Namibia unterwerfen, auch der Schwarzen. Dann würde nämlich deutlich, was die Menschen im Lande über diese Verfassungsentwürfe denken.
Südafrika setzt nach dem alten Grundsatz divide et impera auf die erzkonservative Rechte, stützt sie und lehnt die Verfassung ab. Sie alle wissen oder haben es gelesen, daß dann Ende April P. W. Botha eine Proklamation herausgegeben hat und gesagt hat: Alle Macht beim Generaladministrator; mich interessiert nicht mehr, welche Verfassungsentwürfe es da gibt: Alle Macht beim Generaladministrator! Damit haben wir wieder die vollendete Diktatur in Namibia.
Ich finde auch folgenden Vorgang sehr schlimm - Herr Kollege, ich würde auf Ihre Reaktion sehr gespannt sein - : Sie kennen den Grundrechtskatalog, der am Anfang von der Interimsregierung verabschiedet worden ist. Danach ist eine Klage eines Deutschen, nämlich Herrn Eins, gegen den § 9 der Proklamation 33 erfolgt. In diesem Paragraphen steht, daß jeder Bürger Namibias ohne Anhörung vor Gericht aus dem Lande ausgewiesen werden kann. Dies verstößt nach seiner Meinung gegen den Grundrechtskatalog der Interimsregierung. Das Obergericht in Windhuk hat ihm dazu Recht gegeben, indem es sagte: Sie haben Recht; das ist so. Und was ist Ende April in Bloemfontein beim Berufungsgericht in Südafrika passiert? Es ist festgestellt worden: Das Windhuker Obergericht hat falsch geurteilt. Es muß so verfahren werden, wie es in der Proklamation 33 steht.
Das bedeutet - das muß man sich in bezug auf Menschenrechtsverletzungen wirklich überlegen - Jeder nicht in Namibia geborene Bürger, egal, ob er einen deutschen, südafrikanischen oder welchen Paß auch immer hat, kann ohne Anhörung eines Richters innerhalb von 24 Stunden aus Namibia ausgewiesen werden. Dies ist die Situation heute. Das ist eine Diktatur, das ist eine extreme Menschenrechtsverletzung, sanktioniert von südafrikanischen Richtern.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, der „Guardian" - damit möchte ich auf die jüngste Entwicklung der Gespräche in London und Brazzaville eingehen - hat am 30. April geschrieben - ich zitiere - : „Namibia bleibt der Schlüssel für den Durchbruch in Angola." Dies ist richtig. Sie wissen hoffentlich alle, daß diese Gespräche, die jetzt dort stattgefunden haben - USA, Kuba, Angola, Südafrika zunächst in London und dann in kleiner, in hochrangiger Besetzung der Südafrikaner vor wenigen Tagen in Brazzaville - , im Grunde genommen von einem Gespräch zwischen dem Unterstaatssekretär im russischen Außenministerium, Adanishin - wenn ich das richtig in Erinnerung habe - , und Chester Crocker ausgegangen sind. Die beiden haben sich darüber unterhalten, wie es möglich ist, den tatsächlich in Angola stattfindenden Ost-West-Konflikt aus diesem Lande herauszubekommen: Unterstützung über die Kubaner durch die Sowjetunion einerseits, Unterstützung der Unita durch die Vereinigten Staaten und durch Südafrika andererseits.
Hier findet - das ist ein Schlüssel für die Lösung des Namibia-Problems - auf Kosten der Menschen in Angola und Namibia eine Auseinandersetzung zwischen den Großmächten statt, und diese muß schnell beendet werden.
({12})
Deswegen können wir alle in diesem Hohen Hause nur wünschen, daß die angefangenen Gespräche zu einem guten Ende geführt werden.
Allerdings ist die Meinung Südafrikas dazu klar. Ich zitiere den Präsidenten aus einer Debatte am 9. Mai im südafrikanischen Parlament - wörtliches Zitat - :
Ein neues Spiel beginnt, wenn Kuba seine Truppen aus Angola zurückzieht. Dann ist Südafrika in der Lage, Fortschritte im Blick auf die Unabhängigkeit Namibias zu beginnen.
- Ende des Zitats. Sie sehen, der Teufel steckt im Detail. Nach dieser Bemerkung des Staatspräsidenten konstatiere ich, daß es eine ernsthafte Bereitschaft Südafrikas nicht gibt.
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Meine Damen und Herren, ein paar abschließende Bemerkungen im Blick auf die Bundesregierung. Herr Staatsminister, Sie haben eben für die Bundesregierung - so hoffe ich - erklärt, Bophuthatswana sei nicht anerkannt. Dann bitte ich doch, in der Bundesregierung dafür Sorge zu tragen, daß nicht ein Minister der Bundesregierung für seinen Staatssekretär eine Dienstreise in genau dieses Land anordnet. Ich habe auch erhebliche haushaltsrechtliche Bedenken, ob das korrekt gelaufen ist. Ich würde den Bundeskanzler bitten - sofern er das überhaupt kann -, ein bißchen für Ordnung in seinem Kabinett zu sorgen.
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Ich würde Sie ebenfalls sehr darum bitten, Herr Staatsminister, daß Sie ein wenig darauf achten, was das sogenannte „Namibia Information Office " in Bonn tut. Es überschwemmt mit unglaublichen Geldern der südafrikanischen Regierung den deutschen Markt mit unwahren Informationen über Namibia.
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Wenn das richtig sein soll, was Sie sagen, nämlich wir müßten handeln, dann unterbinden Sie das bitte. Dann sorgen Sie bitte auch dafür - das können Sie, wenn Sie wollen - , daß jene Minderheit von Weißen in Namibia, Buren, Engländer und Deutsche, die sich in der „Namibia Contact and Study Group 435" zusammengefunden haben, die darum kämpfen, daß wir im Blick auf Namibia langfristig denken und nicht kurzfristig auf die konservative Mehrheit setzen, sondern auf die Minderheit, die sagen, sie wollten auch nach dem Jahre 2000 als Weiße in diesem Lande leben, und die sehr intensiv dort arbeiten - die beiden Kollegen der FDP haben ja mit der Gruppe gesprochen - unterstützt wird.
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Sie brauchen unsere Unterstützung. Denn auch die deutsche Mehrheit im alten Südwestafrika, im heutigen Namibia, denkt doch: Was sollen wir Reformen betreiben? Wir wollen unsere Macht erhalten. Dies ist kurzfristig gedacht, und es ist nicht im Interesse unseres Landes. Helfen Sie diesen ehrenwerten Bürgern, daß sie weiter arbeiten können.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kittelmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie zu erwarten, steht auch die heutige Debatte unter der Frage: Wirtschaftssanktionen
- ja oder nein? Frau Eid hat dazu konkrete Vorschläge unterbreitet.
({0})
Herr Verheugen hat in Kontinuität zu seiner Rede vom Dezember dazu einige Bemerkungen gemacht.
Lassen Sie mich mit einem Zitat zu dieser Frage beginnen.
Die politische Weltkrise ist zu einer ständigen Bedrohung des internationalen Handels und des internationalen Kapitalverkehrs geworden, und leider ist auch die Neigung gewachsen, politische Konflikte mit wirtschaftlichen Sanktionen auszutragen. Das kostet Arbeitsplätze. Die Bundesregierung wird sich auch in Zukunft solchen Entwicklungen beharrlich entgegensetzen.
({1})
Das war ein Zitat des Weltökonoms Bundeskanzler Helmut Schmidt.
({2})
Zumindest kann man sagen, daß sich in der Frage der Ablehnung von Wirtschaftssanktionen die jetzige Regierung in Kontinuität zur früheren befindet.
({3})
- Warum sind Sie denn so nervös, wenn man Ihren ehemaligen Bundeskanzler zitiert? Nicht in allen Fragen war er doch so schlecht.
Meine Damen und Herren, es hat sich also immer gezeigt, daß der Konflikt in dieser Frage für Regierungen evident war. Daran hat sich auch heute nichts geändert. Es ist übrigens kein Beispiel in der Wirtschaftsgeschichte bekannt, in dem ein von außen verordnetes Embargo den angestrebten innenpolitischen Wandel eingeleitet
({4}) oder gar begünstigt hätte.
({5})
- Ich lasse keine Zwischenfrage zu. - ({6})
Im Gegenteil: Wirtschaftssanktionen treffen die ohnehin Benachteiligten am härtesten und drohen, Massenarbeitslosigkeit bis zur Verelendung mit sich zu bringen. Das heißt, meine Damen und Herren: Die CDU/CSU, die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß Wirtschaftsembargos nicht das Apartheidsregime
verändern würden, sondern die von der Apartheidspolitik ohnehin heimgesuchten Menschen treffen.
Ziel unserer Politik darf es also nicht sein, Revolutionen zu fördern. Vielmehr hat sie die friedliche Evolution anzustreben, wie es hier in Einzelbeiträgen auch zum Ausdruck gekommen ist.
({7})
Ich würde mich freuen, wenn es den Sozialdemokraten in Zukunft stärker gelänge, sich vom Gewaltbegriff zu distanzieren, der in Einzelbeiträgen immer wieder zum Ausdruck kommt.
({8})
Unser Ziel ist es, zu fördern, daß die Apartheid in einem konstruktiv-kritischen Dialog zu überwinden ist. Die Ausführungen unseres Kollegen Hornhues dazu haben im wesentlichen aufgezeigt, wie wir uns diese Politik gemeinsam vorstellen.
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Die kritische Auseinandersetzung mit der weißen Minderheitsregierung in Südafrika steht zu Recht im Vordergrund. Man darf sich in Südafrika nicht der Vorstellung hingeben, die menschenverachtende Apartheidspolitik mit zaghaften oder halbherzigen Reförmchen aus der Diskussion ziehen zu können. Restriktive Maßnahmen der weißen Minderheitsregierung wie die vom Februar 1988 verstärken den Eindruck, daß man dort von ersten Ansätzen einer Politik des Dialogs zurückschwenkt zur Konfrontation. Wir fordern die südafrikanische Regierung auf, mit dieser Politik schnell Schluß zu machen.
({10})
Die Embargo-Forderungen haben teilweise den verständlichen Wunsch, alles zu unternehmen, um die südafrikanische Regierung zu zwingen, ihre Apartheidspolitik aufzugeben. Aber wir wissen, wie ich schon ausgeführt habe, daß das falsch ist. Wir müssen z. B. auf dem aufbauen - auch wenn dies heute im Widerstreit der Meinungen steht - , was z. B. deutsche Firmen in Südafrika bereits geleistet haben. Der uns vorliegende Bericht der Bundesregierung zum EG-Kodex zeigt deutlich deren Engagement für eine Gleichstellung der schwarzen Arbeitnehmer vor Ort.
({11})
Und es ist lohnenswert, verehrte Kollegen der SPD und der GRÜNEN, sich dies in Ruhe durchzulesen.
Auf betrieblicher Ebene hat dieser Kodex wesentliche Verbesserungen für die Arbeiter aller Hautfarben gebracht. Gerade deutsche Unternehmen haben sich vor Ort teilweise um eine gleichberechtigte Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen bemüht. Rassendiskriminierung und Apartheid gehören in Betrieben, die sich dem EG-Kodex verpflichtet fühlen, immer mehr der Vergangenheit an. Immerhin sind es 85 % der deutschen Unternehmen, die sich an den EG-Kodex gebunden fühlen. In jahrelanger Aufbauarbeit konnte so die Apartheid vor Ort überwunden werden.
({12})
Dies bleibt auch bei der südafrikanischen Wirtschaft nicht ohne Eindruck.
({13})
- Herr Verheugen, wenn Sie sich die Mühe gemacht hätten, bei Ihren zahlreichen Besuchen in deutschen Betrieben dort mit den Betriebsräten zu sprechen,
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die alle aus schwarzen Bürgern bestehen, hätten Sie festgestellt, daß man dort schrittweise - wenn auch nicht so schnell, wie wir es uns teilweise wünschen ({15})
auf dem richtigen Wege ist. Durch wirtschaftliches Embargo würden Sie diese Erfolge in Frage stellen. Sie würden das Gegenteil erreichen.
({16})
Meine Damen und Herren, es bleibt dabei: Die ganze Diskussion um Wirtschaftssanktionen - ja oder nein - geht an den unmittelbar betroffenen Menschen vorbei. Es scheint offensichtlich immer moderner zu werden - leider auch in westlichen Staaten, auch hier in der Bundesrepublik Deutschland -, diejenigen nicht zu Wort kommen zu lassen, deren Wohl man angeblich im Auge hat.
({17})
Es ist äußerst zweifelhaft, ob die Rufe nach radikalen Lösungen von der großen Mehrheit der schwarzen Bevölkerung in Südafrika tatsächlich gewollt werden.
({18})
Wer hat eigentlich die schwarzen Arbeitnehmer gefragt? Es gibt Umfragen, Herr Hirsch
({19})
- so wie wir uns auch sonst bei uns auf das demokratische Mittel der Umfragen berufen, können wir das auch hier tun; es gibt eine EMNID-Umfrage und vieles andere mehr -, die zum Ausdruck bringen, etwa beim Kohleboykott, daß dies nicht gewollt wird. Und Sie müssen sich auch fragen: Was wird mit den schwarzen Bürgern, die dort arbeiten können, bei Schließung der Betriebe? Ich kann Ihnen auch nachweisen, daß sich das zurückgezogene Kapital
({20})
- ich lasse keine Zwischenfragen zu - , z. B. von amerikanischen Firmen, in keinem anderen Entwicklungsland engagiert hat. Dieses Geld verschwindet aus dem südlichen Afrika und taucht in einem anderen Land nirgendwo wieder auf. Nur, wenn wir einen Wandel in Südafrika gemeinsam erreichen wollen, dann kann er nur auf einer wirtschaftlichen Stärke
und Struktur aufbauen. Man kann nicht erst alles kaputtmachen und dann glauben, auf diesem Schrott wieder aufbauen zu können.
({21})
Deshalb ermuntern wir die deutschen Firmen, weiter in Südafrika zu verbleiben,
({22})
aber auf jeden Fall noch stärker als bisher mit dafür zu sorgen, daß dort wirkliche Gleichberechtigung der schwarzen Arbeiter gesucht wird.
Ich würde es auch begrüßen, wenn sich die deutschen Firmen mehr Mühe geben würden, im mittleren Management schwarze Arbeiter gezielt einzustellen,
({23})
in Betriebsleitungen schwarze Arbeiter einzustellen, wenn sie also in der Sache wirklich etwas mehr tun, als es in der Vergangenheit geschehen ist. Sie würden uns sehr helfen.
({24})
Was wäre die Folge von Wirtschaftssanktionen? Die weiße Minderheit würde sich in die Enge getrieben fühlen. Sie würde die heute ansatzweise erkennbaren Reformen weiterhin ablehnen. Die Rechtsextremen innerhalb der weißen Bevölkerung bekämen weiteren Zulauf. Die nächste, zumindest unter den Weißen vollzogene demokratische Wahl würde zu Ergebnissen führen, von denen, wenn sie eingetreten sind, alle sagen würden: Na, so haben wir es nicht gewollt.
({25})
Abschließend: Wir werden die Herausforderung Südafrika weiter annehmen, und zwar, so hoffe ich nach den heutigen Beiträgen, gemeinsam. Es geht uns um einen kritisch-konstruktiven politischen Dialog. Deshalb fordert die CDU/CSU die südafrikanische Regierung auf, den friedlichen Dialog mit der schwarzen Mehrheit und deren verschiedensten Gruppierungen endlich konstruktiv-kritisch einzuleiten. Sie darf sich nicht länger hinter die noch vorhandene wirtschaftliche und militärische Überlegenheit zurückziehen.
Ich danke Ihnen.
({26})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Duve.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kittelmann, wer so wie manche deutschen Firmen weiterhin in Südafrika auftritt, der betreibt Sanktionen gegen die Mehrheit der südafrikanischen Bevölkerung,
({0})
der beteiligt sich an Apartheid-Sanktionen gegen die Menschen im Lande.
Weil heute in Bonn der Präsident des Parlaments von Mosambik zu Gast ist, wollte ich etwas zur Situation in Mosambik sagen. Er ist, da wir früher diskutierten, leider noch nicht da.
({1})
- Es ist vielleicht doch eine richtige Geste, wenn wir endlich einmal zur Kenntnis nehmen, wie die Lage in Mosambik ist.
Apartheid war ja zu keinem Zeitpunkt nur ein System der Rassentrennung innerhalb Südafrikas. Es ist seit langem ein System der Hegemonialherrschaft einer hochgerüsteten Regionalmacht.
Südafrika war zu keinem Zeitpunkt in diesem Jahrhundert nur ein Polizeistaat zur Unterdrückung der Menschen im eigenen Land. Südafrika war stets auch ein Staat, der sich anmaßte, quasimilitärische Polizeiaktionen zum Stiften von Unruhe und Unordnung in der gesamten Region zu organisieren.
Wer immer Pretoria durch Wort oder Tat oder duldsame Freundlichkeit unterstützt, unterstützt ein polizeiliches Militär- und Terrorsystem gegen die Bürger anderer Staaten.
Die Südafrikanische Republik ist daher nicht nur ein Staat, der im Land selber Menschen- und Bürgerrechte mit Füßen tritt, sondern ein Staat, der seit Jahrzehnten die Grundlagen des Völkerrechts mißachtet, ein Staat, der täglich Völkerrecht bricht.
({2})
Seine Truppen operieren auf fremden Territorien in Angola. Sein Präsident Botha landet in zynischer Mißachtung der Souveränität mitten auf dem angolanischen Staatsgebiet; das alles ohne förmliche Kriegserklärung.
Südafrika behandelt seine Nachbarn als wirtschaftliche Geiseln und geht mit den souveränen Staaten der Region um wie mit den Bantustans des eigenen Herrschaftsraums, indem es seine wirtschaftliche Vormachtstellung und die Kontrolle der Infrastruktur schamlos ausnutzt.
Südafrika unterstützt direkt die grausamste Söldnertruppe,
({3})
die in Afrika Mord und Terror verbreitet: die RENAMO in Mosambik.
({4})
Südafrika will in Mosambik den psychischen, den kulturellen und den materiellen Zusammenbruch. Ein Land soll ins Elend terrorisiert werden.
Die RENAMO wird von portugiesischstämmigen Exkolonialisten angeführt. Eine Studie des amerikanischen Außenministeriums, die auch in unserem Außenministerium vorliegt, weist nach, daß es sich nicht nur um materielle Unterstützung durch Südafrika handelt, sondern daß auch die Einsätze selber von Südafrika aus gesteuert werden.
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Von zuverlässigen Zeugen sind im Norden des Krüger-Nationalparks RENAMO-Soldaten unter burischer Führung gesehen worden. Südafrika unterstützt
nicht nur eine Terrorbande, sondern unterhält bezahlte Söldner,
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denen bisher über 300 000 Kinder zum Opfer gefallen sind, vor denen über 1,1 Millionen Menschen geflohen sind, die das gut entwickelte System von Gesundheitsstationen auf dem Land zerstört haben - 2 000 Schulen auf dem Land sind zerstört worden; 900 Läden und 720 dieser Gesundheitsstationen sind kaputtgemacht worden - , die keinen Halt machen vor RotKreuz- oder anderen Hilfsorganisationen. Die RENAMO soll im Auftrag von Südafrika den Staat Mosambik zu einem hilflosen Wrack terrorisieren,
({7})
durch Mord und Massaker, durch Verstümmelungen von Frauen und Kindern.
Die US-Studie weist nach, daß diese Organisation keine ethnische und politische Basis im Land hat. Sie ist außengesteuert und erfüllt südafrikanische Ziele. Kinder werden durch Gewalt in die kämpfende Truppe hineinrekrutiert.
Warum? Ich denke, es gibt zwei Ziele, die Südafrika damit verfolgt.
Einmal wird das Spiegelbild „Barbarei dort und Zivilisation hier", das die südafrikanische Propaganda seit Anfang der 60er Jahre schürt und das alte Ängste wecken soll, nun selbst hergestellt. Südafrika macht sich wie ein zynischer Filmregisseur seine Kongogreuel selbst. Je erfolgreicher das Experiment Simbabwe funktioniert, um so brutaler muß es in Mosambik aussehen. Das zweite Ziel ist die Lähmung der Verkehrsinfrastruktur Mosambiks, um Simbabwe und Sambia auch weiterhin zu zwingen, südafrikanische Verkehrswege zu nutzen.
({8})
Mosambik als Küstenstaat ist strategisch für die Region zu wichtig, als daß Südafrika dulden könnte, hier eine friedliche Entwicklung und einen erfolgreichen Staat entstehen zu lassen. Südafrika handelt wie der räuberische Nachbar, der Nacht für Nacht in den Garten einschleicht, die frisch gepflanzten Bäume und Saaten vernichtet, um am nächsten Tag sagen zu können, was für ein erbärmlicher Gärtner der Nachbar sei.
Meine Damen und Herren, Franz Josef Strauß war in Mosambik. Er sollte, wie der Bundeskanzler hier gesagt hat, vermitteln. Wir fragen ihn und wir fragen die CSU-Kollegen hier im Deutschen Bundestag: Was hat er gesagt und getan, um seinen Einfluß zu nutzen? Wie hat er dazu beigetragen, den Massakern ein Ende zu bereiten?
Der bayerische Ministerpräsident behauptet stets, er sei kein Parteigänger Südafrikas und der Apartheid, sondern wolle nur die Brücken nicht abbrechen, um den friedlichen Wandel zu ermöglichen. Er war jahrelang Parteigänger der Apartheid. Ich habe das in der Aktuellen Stunde hier auch ausgeführt.
({9})
- Sie wollen das Zitat noch einmal hören:
Die Politik der Apartheid beruht auf einem positiven religiösen Verantwortungsbewußtsein für die Entwicklung der nichtweißen Bevölkerungsschichten. Es ist deshalb falsch von der Unterdrückung der Nichtweißen durch eine weiße Herrenrasse zu sprechen.
So Franz Josef Strauß am 16. Mai 1966. Ich werde es Ihnen noch einmal wiederholen, wenn Sie es gerne möchten.
({10})
Natürlich war er jahrelang ein Parteigänger. Wenn er heute Vermittler ist, dann fragen wir: Warum hat er ein terrorisiertes Land besucht und kein öffentliches Wort der Verurteilung dieses Terrors, begangen an Frauen und Kindern, gefunden?
({11})
Warum hat er die Verstümmelungen nicht gegeißelt? Tausende von Opfern und Beweisen gibt es in der Stadt Maputo.
({12})
Wir fragen: Was ist ein christlich-sozialer Vermittler, der sich an den Rand des Abgrunds von Inhumanität und Zynismus begibt, der bisher nichts, aber auch gar nichts Erkennbares gesagt oder getan hat, um die RENAMO zu stoppen?
({13})
Bekämpft er aktiv die mörderische Verwicklung von Pretoria? Nein. Er ist nach München zurückgekehrt und bekämpft statt dessen Hans-Dietrich Genscher. Das ist seine Antwort auf seine Mission da unten.
({14})
Die Spuren des Terrors und des Leids zu beseitigen, wird eine Aufgabe für die Staatengemeinschaft bleiben. Die offenen Worte Richard von Weizsäckers in Harare und der Besuch des Bundeskanzlers in Maputo sind positive Zeichen dafür, daß sich die Bundesrepublik an dieser humanen Aufgabe beteiligen wird - ich hoffe, dann auch unter Mitarbeit der CSU.
Danke, meine Damen und Herren.
({15})
Ich erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär von Wartenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir nach der teilweise sachlich engagierten und nachdenklichen Debatte einige kurze nüchterne Anmerkungen zum Verhaltenskodex der Europäischen Gemeinschaft, der von 1977 stammt und 1985 erneuert wurde. Er wurde in der Debatte mehrfach erwähnt.
Es handelt sich hierbei um einen Schritt der Außenminister im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit mit dem Ziel, durch die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der schwarzafrikanischen Arbeitnehmer zum Abbau der Rassendiskriminierung beizutragen. Die Bundesregierung hat dem Wirtschaftsausschuß des Bundestages jeweils über die Einhaltung des Kodex durch die Unternehmen berichtet.
Ich begrüße es, daß die Siebte Zusammenfassung der Unternehmensberichte
({0})
mit der Bewertung durch die Bundesregierung nunmehr als Bundestagsdrucksache auch dieser Debatte zugrunde liegt. Wir können feststellen, daß sich die Unternehmen mit steigender Tendenz kooperativ verhalten. Keines der 93 berichtenden Unternehmen stellt die Forderungen des Kodex in Frage. Die Verwirklichung der Grundsätze hat einen hohen Grad erreicht. Die Mindestlohnforderung des Kodex wird von allen Betrieben erfüllt bzw. übertroffen.
({1})
Die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften wird weiter verstärkt und ausgebaut. Gewerkschaftliche Präsenz gerade in deutschen Niederlassungen ist ganz überwiegend zur Selbstverständlichkeit geworden. Das heißt ja nicht, daß es nicht noch weiter verbessert werden kann. Aber die positive Entwicklung einmal zu registrieren ist auch der Wahrhaftigkeit dienlich. Die Haltung der deutschen Unternehmen zur Ausbildung und zu Aufstiegsmöglichkeiten schwarzer Arbeitnehmer ist durchweg positiv. Hervorzuheben sind die Bemühungen der Betriebe, Auszubildenden eine besondere berufliche Grundbildung zu vermitteln und Mängel des Bildungssystems auszugleichen. Ich möchte hier insbesondere an die Zusage erinnern, die die deutschen Unternehmen der Bundesregierung gegeben haben, auf diesem Gebiet weiter aktiv zu sein.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Baum?
Ich bin nur sehr kurz in der Zeit programmiert und bitte um Verständnis, wenn ich diesen Bericht kurz abgebe.
({0})
- Entschuldigung, dann haben Sie sehr gerne das Wort, Herr Kollege Baum.
Herr Kollege, ich möchte Ihre Ausführungen nicht in Frage stellen. Ich wollte Sie nur zusätzlich fragen: Ist Ihnen bekannt, daß einzelne Repräsentanten deutscher Firmen in Südafrika die geplante Gewerkschaftsgesetzgebung, die die Gewerkschaft in ihren Rechten empfindlich beschneidet, unterstützen, und was unternimmt die Bundesregierung, um ein solches Verhalten zu ändern?
Herr Kollege, wollen Sie eine Antwort?
Ja.
({0})
Wenn es so ist, wie Sie es darstellen, kann das nicht auf Unterstützung der Bundesregierung treffen. Wir halten uns an den Kodex selbst und appellieren auch an die deutschen Unternehmen dort, sich im Rahmen dieses Kodex für die Gewerkschaften einzusetzen und nicht gegen die Gewerkschaften.
({0})
Meine Damen und Herren, bei keinem der berichtenden deutschen Unternehmen besteht mehr eine Rassentrennung am Arbeitsplatz.
({1})
Natürlich wird mit dem Verhaltenskodex und seiner weitgehenden Befolgung - dessen sind wir uns bewußt - nicht die Apartheid in Südafrika beseitigt.
Herr Staatssekretär, es ist noch ein Wunsch für eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Eid. - Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß es z. B. bei Mercedes-Benz Exchange Unit Services im letzten Jahr Löhne gab, die 25 % unterhalb der Kodex-Forderungen lagen?
Das ist mir nicht bekannt, Frau Kollegin. Ich gehe aber der Anregung gerne nach.
({0})
Meine Damen und Herren, die Fortschritte in den Betrieben sind ein nicht zu unterschätzender Beitrag in einem politisch schwierigen Umfeld. Der wirtschaftliche Bereich entwickelt aber auch eine prägende Kraft zur Überwindung von Diskriminierung. Es kann also auch Beispiele dafür geben, daß und wie Konflikte mit friedlichen Mitteln zu überwinden sind.
Der Verhaltenskodex, meine Damen und Herren, sollte nicht mit politischen Forderungen überfrachtet werden, die er vernünftigerweise nicht erfüllen kann und die außerhalb der Wirkungsmöglichkeiten der Betriebe liegen. Ein kontinuierliches Voranschreiten in den gegebenen Grenzen erscheint uns wichtiger als spektakuläre Auftritte mit ausufernden Ansprüchen. Wer schließlich den deutschen Unternehmen vorwirft,
daß sie überhaupt noch in Südafrika tätig sind, verläßt damit die Basis, von der aus sich umfassende Forderungen an diese Betriebe überhaupt stellen lassen.
({1})
Die Bundesregierung erwartet demgegenüber von den deutschen Betrieben, daß sie die durch den Verhaltenskodex der EG angeregte positive Entwicklung im Interesse aller Beteiligten weiterführen. Wir werden deshalb dem Bundestag in Kürze die Achte Zusammenfassung der Unternehmensberichte und die entsprechende Bewertung vorlegen.
Meine Damen und Herren, wenn nach einer Verschärfung des EG-Verhaltenskodex und nach einer Umwandlung in einen verpflichtenden Kodex gerufen wird, so kann man das natürlich zunächst als eine Anerkennung dafür werten, daß der Verhaltenskodex grundsätzlich als ein positiver Ansatz eingestuft wird.
({2})
Der Kodex und die von ihm ausgehenden Wirkungen sind ja in der Tat eines der wenigen Felder, in denen konkret überhaupt etwas geschieht, was zur Überwindung von Diskriminierung und Benachteiligung dient. Die Erfolge mögen nach unseren Maßstäben bescheiden sein. Sie sollten aber nicht unterschätzt werden. Ob wir bei diesem Entwicklungsstand mit Verschärfungen, Sanktionierungen und ähnlichen draufsattelnden Vokabeln etwas Besseres erreichen können, ist bei seriöser Betrachtung doch recht zweifelhaft. Wir haben bisher keinerlei Vorschläge dafür bekommen, was mit Verschärfung konkret gemeint sein soll. Die Wortwahl läßt darauf schließen, daß es eher um Konfrontation als um sachlich mögliche Verbesserungen geht.
Wir sind offen für Vorschläge, die sich an dem orientieren, was unter den extrem schwierigen örtlichen Verhältnissen für deutsche Unternehmen mit Aussicht auf Verwirklichung möglich ist.
({3})
- Lesen Sie den Bericht. Das ist im Prinzip auch der Schlußsatz, den ich sagen will: Wer konkrete Vorschläge machen will, sollte die Berichterstattung der Bundesregierung in der Ihnen vorliegenden Bundestagsdrucksache zur Kenntnis nehmen und dort zumindest abschließend registrieren, daß wir angesichts der schwierigen wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen einige Fortschritte in dem Bereich anerkennen. Es besteht aber weiterhin „die Notwendigkeit von Verbesserungen". Die Bundesregierung ruft die deutschen Unternehmen deshalb auf, ihrer sozialpolitischen Verantwortung in noch stärkerem Maße gerecht zu werden.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Irmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute eine Zustandsschilderung in vielfältiger Weise gehört. Noch nicht erwähnt wurde, daß es in der letzten Zeit zunehmend Morde an Vertretern des ANC gegeben hat und daß es durchaus nicht abwegig ist, einen Zusammenhang zu vermehrten Aktivitäten der Republik Südafrika in Richtung auf Zurückdrängung der Versuche, im Lande etwas zu verändern, herzustellen. Wir müssen leider feststellen, daß gerade in jüngster Zeit der gewaltfreie Widerstand vermehrt verfolgt worden ist und daß unsere positiven Maßnahmen, die wir als Bundesrepublik Deutschland und als EG ergriffen haben, dadurch unmöglich gemacht zu werden drohen, daß dieses Gesetz ins Haus steht. Ich stimme in der Tat mit all denjenigen überein, die sagen: Wir dürfen nicht warten, bis dies geschehen ist, sondern wir müssen der südafrikanischen Regierung ganz eindeutig klarmachen: Dies ist für die Bundesrepublik und dies ist für die EG eine Art Kriegserklärung. Es ist zugleich eine Bankrotterklärung
({0})
für die angebliche Bereitschaft in Südafrika in friedlicher Weise weiterzukommen. Wir haben bisher immer hilflos reagiert und wie das Kaninchen auf die Schlange gestarrt, ob unsere Beschwörungen vielleicht doch etwas nutzen. Es ist in der Tat an der Zeit, daß wir auf der Ebene der EG im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit eine politische Offensive starten, um zu zeigen - ich zitiere hier den Bundespräsidenten - , daß für endlose und immer weitergehende Menschenrechtsverletzungen kein Freibrief existiert.
Wir müssen im übrigen auch - und da zitiere ich Herrn Hornhues - die Apartheid in den Köpfen bekämpfen. Herr Hornhues, Sie haben vollkommen recht, aber das gilt auch für uns; denn bei uns werden Irrtümer und Gerüchte verbreitet. Es wird z. B. gesagt, Südafrika sei strategisch und wirtschaftlich für uns so wichtig, daß wir es uns gar nicht erlauben könnten, irgend etwas gegen die Apartheid zu unternehmen. Meine Damen und Herren, das Gegenteil ist richtig. Wenn wir nichts unternehmen, dann richtet sich die wirtschaftliche und strategische Bedeutung Südafrikas eines Tages gegen uns, weil wir in der Gefahr sind, daß wir unseren Kredit in den Ländern der Dritten Welt verspielen, wenn man uns den Vorwurf macht, wir reagierten nur verbal auf diese nicht hinnehmbaren Zustände,
({1})
wenn wir zuschauen, wie die Destabilisierungsmaßnahmen weitergehen - das ist ja noch eine ganz harmlose Bezeichnung, die Herr Duve eben gebraucht hat - , daß Namibia nicht unabhängig wird. Meine Damen und Herren, ich betrachte das einmal unter ganz nüchternen, ganz zweckmäßigen außenpolitischen Gesichtspunkten. Wenn wir unsere politische Rolle in den Ländern der Dritten Welt, insbesondere in Afrika, und auch unsere wirtschaftliche Rolle dort weiter spielen wollen, dann dürfen wir nicht länger den Anschein dulden - ich sage: dulden -, daß wir diese Dinge alle gleichgültig hinnähmen.
Ich möchte noch eines ansprechen, meine Damen und Herren. Es wird immer gesagt, Südafrika sei ein
wichtiges Bollwerk gegen den Kommunismus. Und die sagen ja immer: Wir tun dies alles, um den Kommunismus da herauszuhalten. Die Apartheid und das, was sich in Südafrika abspielt, sind das beste Mittel, um dem Kommunismus in der Region überhaupt Möglichkeiten zu eröffnen.
({2})
Die Afrikaner sind von Haus aus keine Kommunisten, und sie sind nicht anfällig dafür. Aber wenn ich so behandelt werde, dann, mein Gott, greife ich nach jedem Strohhalm, der sich mir bietet, und dann haben die Ideologen dort plötzlich eine Chance. Wenn wir sagen - das ist doch auch das Schlimme - : wir müssen Südafrika unterstützen - es gibt ja solche bei uns, die das tun - , weil es ein Bollwerk gegen den Kommunismus ist, dann sage ich: Es war schon immer die falsche Methode, den Teufel mit Beelzebub austreiben zu wollen. Wir können es doch nicht dulden, daß hier das Eintreten für unsere Grundwerte mit einem derartigen Regime in Verbindung gebracht wird. Das ist doch unmoralisch, unmenschlich und nicht hinzunehmen.
({3})
- Davon rede ich in dem Zusammenhang überhaupt nicht. Das liegt sowieso auf der Hand.
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- Und illiberal; ich ergänze es gerne, Herr Kollege Toetemeyer.
Es gibt noch etliche andere Gerüchte. Dazu eines: Wir hatten gestern im Auswärtigen Ausschuß Gelegenheit, darüber zu sprechen. Ich meine das Problem der Gewalt. Hier wird leider sehr viel geheuchelt.
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Es ist doch nun so, daß jeder - ich sage das jetzt einmal als Liberaler - aus tiefster innerer Überzeugung gegen Gewaltanwendung ist. Ich würde, wenn ich die persönliche Entscheidung zu treffen hätte und das von dieser Stelle, wo ich ganz ruhig reden kann, überhaupt beurteilen kann, auch sagen: Ich werde nie zu gewaltsamen Mitteln greifen. Aber ich kann doch nicht diejenigen verurteilen, die aus schierer Verzweiflung, weil sie keine andere Möglichkeit mehr sehen, weil sie selbst ständig Opfer von Gewalt sind, sich selbst verteidigen.
({6})
Da ist die Heuchelei doch nicht mehr zu überbieten. Wir haben hier soeben gehört: Südafrika selbst setzt ja Terroristen ein, unterstützt sie und sagt dann auf der anderen Seite: Wir bekämpfen den Terrorismus. Und auch wir sollten sehr vorsichtig sein.
Wir haben mit Respekt die Widerstandsbewegung in Afghanistan gesehen. Wir verfolgen mit Respekt Widerstandsbewegungen in anderen Teilen der Welt, und wir haben selbst den Widerstand in unserem eigenen Land gegen das nationalsozialistische Terrorregime, das ich hier nicht in einen unzulässigen Vergleich einbeziehen will, doch immerhin in der Weise anerkannt, daß wir gesagt haben: Es gibt auch in unserer Verfassung ein Widerstandsrecht. Meine Damen und Herren, da muß ich schlicht die Frage stellen, obwohl ich immer für gewaltfreie Mittel eintrete: Können wir uns denn wirklich hinstellen und sagen, wir verurteilen diejenigen, die dort in ihrer Verzweiflung kein anderes Mittel mehr sehen? Ich glaube, wir können es nicht. Verstehen Sie es bitte nicht als eine Unterstützung gewaltsamer Aktionen. Es ist ein Appell an uns alle, in bezug auf uns selbst und auf andere in Zukunft vielleicht etwas ehrlicher zu sein.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Eid.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich nehme den Ball auf, den Herr Toetemeyer mir zugespielt hat. Ich möchte auch erst einmal auf das eingehen, was meine Vorredner gesagt haben.
Ich danke Ihnen, daß Sie Namibia hier thematisiert haben. Ich werde es nicht tun, weil die GRÜNEN vorhaben, im September eine Debatte auf die Tagesordnung setzen zu lassen, da wir dann den zehnten Jahrestag der UNO-Resolution 435 begehen.
Herr Kittelmann, Sie sagten: Die Schwarzen wollen keine Sanktionen. Ich frage Sie: Mit wem sprechen Sie überhaupt, wenn Sie in Südafrika sind?
({0})
Sie sind von der südafrikanischen Regierung eingeladen, und Sie werden dann natürlich nicht Gespräche mit der Opposition im Programm haben.
({1})
Herr Lowack, da Sie nach mir reden, ich aber weiß, daß Sie die Halskrausenmörder hier thematisieren möchten, kann ich Ihnen nur sagen, daß sich die Oppositionsorganisationen in Südafrika gegen diese Methode ausgesprochen haben.
({2})
Das nur im vorhinein zur Klarstellung.
Herr Staatsminister Schäfer, ich würde Ihnen gerne einmal Nachhilfeunterricht erteilen. Sie haben sich darauf zurückgezogen, daß die Forderungen, die gestellt werden, die Bundesregierung gar nicht durchsetzen könne, weil sie im Einklang mit den anderen EG-Staaten ihre Südafrikapolitik betreibt. Die drei Anträge, die wir eingebracht haben - Beendigung des Doppelbesteuerungsabkommens, keine Kredite der KfW an Südafrika und Beendigung der HermesBürgschaften - umreißen Möglichkeiten. Ich frage Sie: Wo in den einzelnen Punkten haben die anderen EG-Staaten ein Wörtchen mitzureden? Ich meine, es sind Maßnahmen, die nur in den Händen der Bundesregierung liegen.
Jetzt möchte ich gerne zu meinem eigentlichen Thema kommen. „Südafrikas Krieg gegen die Nachbarländer - Apartheid tötet auch in Mosambik" , unter diesem Motto haben die GRÜNEN im Bundestag vor drei Wochen ein Hearing durchgeführt, das die Verbrechen der weißen Regierung in Pretoria und die unselige Verquickung der Bundesrepublik mit diesem Regime in erschreckendem Maß aufgezeigt hat.
Südafrikas Destabilisierungspolitik in der Region findet in dem uneinsichtigen und borniert eigensüchtigen Kurs dieser Bundesregierung eine feste Unterstützung.
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Südafrikas Destabilisierungspolitik zielt darauf ab, die ganze Region in Unruhe zu halten, einzelne Länder wie Mosambik unregierbar zu machen, die Nachbarländer als eine Art Klienten in Abhängigkeit zu halten und dadurch das Überleben des Apartheidsystems zu sichern.
Der jährliche Schaden dieser Politik Südafrikas liegt für die Nachbarstaaten bei 2 Milliarden US-Dollar. Allein Mosambik hat durch diesen Krieg bisher volkswirtschaftliche Schäden in Höhe von über 5 Milliarden US-Dollar erlitten. Das ist das Anderthalbfache seiner Auslandsverschuldung.
Es ist aber unmöglich, das menschliche Leid der Mosambikaner in Zahlen auszudrücken. Mehr als 500 000 Menschen, darunter zigtausend Kinder und Jugendliche, sind der südafrikanischen Aggression und dem Terror der Renamo-Banden zum Opfer gefallen. Ich möchte das hier nicht ausführen, weil Herr Kollege Duve ausführlich darauf eingegangen ist.
Was tut die Bundesregierung dazu, diesen Krieg zu beenden? Was tut sie dazu, das wirtschaftliche Wiederaufbauprogramm der mosambikanischen Regierung zu fördern? Die Bilanz der Taten ist negativ: 255 Millionen DM Entwicklungshilfe hat die Bundesregierung insgesamt bis heute zugesagt, eine Zahl, die ich einmal in die Debatte bringen möchte. Typisch dafür ist, daß mit diesen Geldern Folgen der Destabilisierungspolitik und des Renamo-Terrors behoben werden sollen. Es ist also im nachhinein ein Auffangen dessen, was durch die Terroranschläge kaputtgemacht wurde. Es ist aber keine präventive Politik, die den Terror verhindert.
Der Herr Bundeskanzler gibt sich in seiner Politik zum südlichen Afrika als naiver Biedermann.
({4})
Tatsächlich aber steht er mitten im Kreis der Brandstifter. Er liefert mit seiner weichen Politik gegenüber Pretoria die Zündschnüre, mit denen das Feuer in der Region gelegt wird. Dann aber reist er mit Blaulicht und Martinshorn an, spielt Feuerwehr, indem er mit unschuldigem Augenaufschlag einen Eimer Wasser zum Löschen des Feuers anbietet.
Dieses klägliche Spektakel von Biedermann und Brandstifter spielt er auch gegenüber Angola. Während die angolanische Regierung einen weitgehenden Vorschlag zur friedlichen Lösung der Konflikte vorgelegt hat und zu ernsthaften Verhandlungen bereit ist, duldet er, daß Minister seines Kabinetts, daß Mitglieder seiner Partei diesen Friedensbemühungen in den Rücken fallen und sie zu sabotieren versuchen.
({5})
Es sind Mitglieder der Partei des Bundeskanzlers, die die großangelegte Hetz- und Propagandaoffensive UNITA in der Bundesrepublik finanziell unterstützen.
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Es ist Minister Klein, der offen zur Unterstützung der UNITA gegen die legale angolanische Regierung aufruft. Machen Sie diesem Unwesen in Ihren eigenen Reihen endlich ein Ende, Herr Bundeskanzler!
({7})
Meine Herren und Damen, Schluß mit jeder aktiven Unterstützung des Apartheidregimes! Wir fordern umfassende und bindende Sanktionen gegen Südafrika und eine verstärkte Förderung der wirtschaftlichen Unabhängigkeitsbemühungen der SADCC-Staaten. Diese drei Forderungen bilden eine untrennbare Einheit. Keine dieser Forderungen wird von der Bundesregierung erfüllt. Wir wissen, daß diese Bundesregierung immer wieder versucht, ihre begrenzte wirtschaftliche Unterstützung der SADCC-Staaten als Alibi für ihre Untätigkeit im Bereich der Sanktionen gegen Afrika herauszustellen. Damit geben wir uns nicht zufrieden.
Bei der Konferenz westeuropäischer Abgeordneter für Aktionen gegenüber Apartheid im April in Simbabwe, wo ich leider die einzige Abgeordnete des Deutschen Bundestages war,
({8})
wurde über die Zukunft des südlichen Afrikas und die Rolle Europas diskutiert. Dabei wurde klar: Sanktionen, die das Apartheidsystem im Mark treffen, und massive Unterstützung der Frontstaaten sind der einzige Weg zum Frieden in dieser Region.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lowack.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich würde mir wünschen, daß die Leidenschaft, die heute in diese Diskussion zur Verteidigung der Rechte der Schwarzen eingebracht wurde, genauso vertreten würde, wenn es um die Rechte der Deutschen ginge; dann wären wir manchmal ein groLowack
ßes Stück weiter, und dann wären wir uns wahrscheinlich einig.
({0})
Mein Eindruck bei dem, was hier beantragt wurde und in den Ausschüssen beraten werden soll, aber auch bei den Debattenbeiträgen ist, daß es sehr oft nicht um eine Anti-Apartheidspolitik, sondern in Wirklichkeit um eine Anti-Südafrika- und eine AntiAfrika-Politik geht.
({1})
Denn: Südafrika erwirtschaftet 42 % des Bruttosozialprodukts des gesamten afrikanischen Kontinents, und Hunderttausende afrikanischer Arbeiter aus anderen Ländern Afrikas arbeiten in Südafrika, und sie tun das freiwillig und nicht, weil sie gezwungen werden.
({2})
Viele, die hier in der Diskussion vorgeben, sie wollten den Schwarzen helfen, wollen in Wirklichkeit einer elitären Gruppe helfen, die einen revolutionären Wechsel haben will, der nicht in unserem Interesse liegt, weil er der Masse der Schwarzen nicht hilft,
({3})
sondern zu einem System führen würde, das doch zur Unterdrückung der Menschen in Südafrika beiträgt.
Ich weise in aller Schärfe zurück, wenn Winnie Mandela auftritt
({4})
und verlangt, daß mit der Halskrausenmethode Politik gemacht wird. Ich weise es zurück, wenn Bischof Tutu den deutschen Bundeskanzler und andere europäische Politiker als Rassisten bezeichnet; das werden wir uns nicht bieten lassen können.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Problem beginnt doch mit Ihrer Vorstellung von der zukünftigen Entwicklung Südafrikas. Wenn Sie immer nur die Vision von kriegerischen Umstürzen haben, dann werden Sie nicht die Freiheit haben, zu begreifen, daß Südafrika eine der Regionen sein wird,
({6})
die sich entwickelt, die eine der Regionen sein wird,
({7})
in der Schwarz und Weiß eines Tages in guter Zusammenarbeit und in einer guten Organisation des Staates Maßstäbe bilden können. Dieses Land hat unglaubliche menschliche Ressourcen. Es hat Bodenschätze, von denen andere nur träumen können. Es wird eine der großen sich entwickelnden Regionen dieser Erde sein. Wir können einen konstruktiven Beitrag leisten, oder wir können, indem wir Aufruhr unterstützen, dazu beitragen, daß dieses Land keine Chance hat, sich zu entwickeln.
Sehr verehrter Herr Kollege Duve, ich möchte mich nicht näher mit dem befassen, was Sie vorhin gesagt haben. Aber mit Schaum vor dem Mund werden wir die Probleme im südlichen Afrika mit Sicherheit nicht lösen.
({8})
Wir müssen uns doch auch einmal von der Vorstellung frei machen, verehrte Kollegen,
({9})
daß Südafrika ein Einheitsstaat mit einer Einheitspartei sein müßte.
({10})
Die Lösung für Südafrika besteht vielmehr doch nur darin, daß es eine Art Föderation dieses Staates gibt, indem einzelne ethnische Gruppen auch weitgehend ihre Autonomie, ihre Selbstverwaltung haben und es darüber ein föderatives Dach gibt. Sie machen doch eine Schwarzweißpolitik, wenn Sie schwarz mit schwarz und weiß mit weiß gleichsetzen. Nein, es gibt die unterschiedlichsten ethnischen Gruppierungen in Südafrika, die mitberücksichtigt werden müssen.
({11})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei vielen ist im Augenblick noch gar nicht klar, das Südafrika durchaus vor enormen wirtschaftlichen Problemen steht. Nur ungefähr sieben bis acht Prozent der Bevölkerung kommen für das gesamte Steueraufkommen des Landes auf. Die Apartheid ist auf Dauer nicht tragbar. Sie ist zu teuer; das ist überhaupt keine Frage.
({12})
Ich weise Sie beispielsweise darauf hin, daß es in Südafrika eine Universitätsklinik gibt, an der nur Schwarze und keine Weißen studieren dürfen. Das wird mit den Steuergeldern der Gruppe unterstützt, die dort die Steuern zahlt.
Ich sage Ihnen: Die Apartheid ist nicht haltbar, weil sie aus wirtschaftlichen Gründen auf Dauer einfach nicht aufrechterhalten werden kann.
Wir brauchen in Südafrika Investitionen, und zwar dort, wo Arbeitsplätze für Schwarze geschaffen werden. Wir brauchen mehr Austausch, damit keine Isolierung stattfindet. Mit Ihren Maßnahmen würde der Austausch eingeschränkt.
Sehr verehrter Herr Staatsminister, ich möchte - auch angesichts der Zuhörer, die heute hier sind - eines klarstellen: Wir helfen den Schwarzen in den sogenannten Frontstaaten in keiner Weise, wenn wir ihnen immer erklären, ihre Misere liege nur an der Politik Südafrikas. Damit halten wir sie nämlich davon ab, die notwendigen Maßnahmen in ihren Ländern zu ergreifen, damit sich diese Länder anders entwickeln können.
({13})
Südafrika braucht Zeit. Ich möchte meine Ausführungen zu dem Thema Südafrika mit einem Wort von Chief Buthelezi abschließen, der sicher eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Landes zu spielen hat: „Eine Reise von 1 Million Meilen beginnt mit dem ersten Schritt. " Der erste Schritt beginnt mit dem Blick in die richtige Richtung. Was die Opposition heute geboten hat, war mit Sicherheit nicht die richtige Richtung.
({14})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Es ist im Deutschen Bundestag üblich, Delegationen, die als offizielle Delegationen beim Deutschen Bundestag weilen, zu begrüßen. Ich habe natürlich nicht übersehen, daß der Präsident des Parlaments von Mosambik als Zuhörer auf der Ehrentribüne Platz genommen hat.
({0})
Ich wünsche dem Präsidenten einen angenehmen Aufenthalt und gute Gespräche in der Bundesrepublik Deutschland.
Meine Damen und Herren, interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist so beschlossen.
Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten, zu denen eine Aussprache nicht vorgesehen ist. Das sind die Tagesordnungspunkte 4 sowie 7 bis 9.
4. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder"
- Drucksache 11/2274 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({1})
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
'7. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes
- Drucksache 11/2276 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({2})
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Deutsche Siedlungs- und Landesrentenbank ({3})
- Drucksache 11/2169 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß ({4})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß
9. Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Pick, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Bachmaier, Dreßler, Klein ({5}), Schmidt ({6}), Schütz, Singer, Stiegler, Wiefelspütz, Dr. de With, Kretkowski, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Zivilprozeßordnung und des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ({7})
- Drucksache 11/1704 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Dann ist so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 und 12 auf:
11. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. Oktober 1986 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie
- Drucksache 11/891 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({8})
- Drucksache 11/2258 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Hüsch Schütz
({9})
12. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. Juni 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Bulgarien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
- Drucksache 11/1832 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({10})
- Drucksache 11/2319 Berichterstatter: Abgeordneter Jung ({11})
({12})
Wir kommen zuerst zur Abstimmung über den Gesetzentwurf zu dem internationalen Übereinkommen mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei drei Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN und ohne Gegenstimmen ist das Gesetz angenommen.
Vizepräsident Stücklen
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Gesetzentwurf zum Doppelbesteuerungsabkommen mit der Volksrepublik Bulgarien. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Drei Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN. Ich stelle fest, daß damit das Gesetz mit großer Mehrheit angenommen wurde.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 bis 16 auf:
13. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({13}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung ({14}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({15}) Nr. 823/87 zur Festlegung besonderer Vorschriften für Qualitätsweine bestimmter Anbaugebiete
Vorschlag für eine Verordnung ({16}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({17}) Nr. 358/79 über in der Gemeinschaft hergestellte Schaumweine im Sinne von Nummer 15 des Anhangs I der Verordnung ({18}) Nr. 822/87
Vorschlag für eine Verordnung ({19}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({20}) Nr. 3309/85 zur Festlegung der Grundregeln für die Bezeichnung und Aufmachung von Schaumwein und Schaumwein mit zugesetzter Kohlensäure
- Drucksachen 11/1785 Nr. 2.21, 11/2142 Berichterstatter: Abgeordneter Sielaff
14. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für das Post- und Fernmeldewesen ({21}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die elektromagnetische Verträglichkeit
- Drucksachen 11/1656 Nr. 3.36, 11/2256 Berichterstatter: Abgeordneter Kretkowski
15. Beratung der Sammelübersicht 59 des Petitionsausschusses ({22}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 11/2252 -16. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({23})
Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens
- Drucksache 11/2279 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Wernitz
Die Abstimmungen erfolgen getrennt.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu Vorlagen der Europäischen Gemeinschaft über den Weinanbau und die Herstellung von Schaumwein. Das betrifft Tagesordnungspunkt 13. Wer stimmt der Beschlußempfehlung zu? - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Bei vier Gegenstimmen aus der Fraktion DIE GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit angenommen.
Wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für das Post- und Fernmeldewesen zu einer weiteren Vorlage der Europäischen Gemeinschaft ab, die sich auf die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die elektromagnetische Verträglichkeit bezieht; Tagesordnungspunkt 14, Drucksache 11/2256. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei vier Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit angenommen.
Wir stimmen jetzt über die Sammelübersicht 59 des Petitionsausschusses ab; Tagesordnungspunkt 15, Drucksache 11/2252. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei vier Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit angenommen.
Wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 11/2279 ab; Tagesordnungspunkt 16. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, bevor wir in die Mittagspause eintreten, möchte ich folgendes mitteilen. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt. Da die Fragestunde bereits vorzeitig - gegen 14.45 Uhr; das ist wichtig - beendet sein wird, soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung Tagesordnungspunkt 17 - u. a. Vorlagen zur Entwicklungspolitik - bereits unmittelbar im Anschluß an die Fragestunde aufgerufen werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich wünsche eine angenehme Mittagspause. Die Sitzung ist unterbrochen.
({24})
Ich eröffne die unterbrochene Sitzung.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 11/2303 Wir haben noch einige Fragen Rest im Bereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Vogt steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Vizepräsident Westphal
Ich rufe Frage 63 der Abgeordneten Frau Bulmahn auf:
Wie viele der in diesem Jahr auslaufenden Lehrgänge der beruflichen Fort- und Weiterbildung im Bereich des Arbeitsamtes Hannover können durch neue Lehrgänge weitergeführt werden, und was wird die Bundesregierung tun, um die Fortführung der Maßnahmen trotz der finanziellen Schwierigkeiten der Bundesanstalt für Arbeit zu gewährleisten?
Frau Kollegin, im Bereich des Arbeitsamtes Hannover werden neben Auftragsmaßnahmen des Arbeitsamtes auch Maßnahmen freier Bildungsträger durchgeführt. Auf die individuelle Förderung der Teilnahme an diesen freien Bildungsmaßnahmen hat die Begrenzung der Haushaltsausgaben der Bundesanstalt für Arbeit auf das Vorjahresniveau keinen Einfluß, da es sich insoweit um die Erfüllung von Rechtsansprüchen handelt. In diesem Bereich ist mit einer deutlich höheren Zahl von Maßnahmen zu rechnen.
Einen Rechtsanspruch auf Förderung haben auch die Teilnehmer an Auftragsmaßnahmen. Ob und in welchem Umfang Auftragsmaßnahmen allerdings vergeben werden, hängt von der Entscheidung des Arbeitsamtes ab. Hier ist im Laufe dieses Jahres mit einer Senkung der Zahl der Maßnahmen zu rechnen.
Die im Rahmen der Qualifizierungsoffensive forcierten Aktivitäten der Arbeitsämter haben dazu geführt, daß der von Jahr zu Jahr gesteigerte Ansatz der Förderungsmittel im Bereich der beruflichen Weiterbildung im Jahre 1987 durch einen Nachtragshaushalt um 14 % - das sind rund 682 Millionen DM - aufgestockt werden mußte. Insgesamt betrugen die IstAusgaben 1987 mehr als 5,6 Milliarden DM. Dieser hohe Stand der Förderungsleistungen soll erhalten bleiben. Der Bundesanstalt stehen für 1988 mit 5,548 Milliarden DM Förderungsmittel in etwa dem gleichen Umfang wie 1987 zur Verfügung. Eine weitere Steigerung der Ausgaben ist jedoch finanzpolitisch nicht mehr vertretbar.
Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit hat deshalb nach entsprechender Beschlußfassung in der Selbstverwaltung die für 1988 zur Verfügung stehenden Förderungsmittel auf die einzelnen Dienststellen aufgeteilt. Diese Kontingentierung führt bei Arbeitsämtern, die im zweiten Halbjahr 1987 viele Bildungsmaßnahmen begonnen haben und deshalb auch am Ende des Jahres einen hohen Teilnehmerstand zu verzeichnen hatten, zu Einengungen in diesem Jahr. Ein wesentlicher Teil der zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel ist bereits durch laufende oder verbindlich geplante Maßnahmen gebunden. Der Spielraum für Planungen der Arbeitsverwaltung für neue, zusätzliche Auftragsmaßnahmen ist daher gering.
So verhält es sich auch beim Arbeitsamt Hannover. Aus den genannten Gründen können im Bereich des Arbeitsamtes Hannover in diesem Jahr etwa 25 neue Auftragsmaßnahmen vergeben werden.
Die Bundesregierung prüft im Augenblick, welche finanzpolitischen Möglichkeiten bestehen, den Planungsspielraum für die Auftragsmaßnahmen wieder zu erweitern. Diese Prüfung, in die auch die Bundesanstalt für Arbeit einzuschalten ist, ist noch nicht abgeschlossen.
Eine Zusatzfrage, Frau Bulmahn.
Herr Staatssekretär, ich kann Ihnen mehrere Maßnahmen nennen, die im Arbeitsamtsbezirk eingestellt werden müssen, und ich kann Ihnen auch die Summe nennen, um die die Mittel für den Arbeitsamtsbezirk Hannover gekürzt worden sind.
Sie haben auf den Rechtsanspruch auf individuelle Förderung nach dem AFG verwiesen. Ich frage Sie, wie Sie diesen Rechtsanspruch auf individuelle Förderung nach dem AFG mit dem Erlaß vereinbaren, der seitens der Bundesanstalt für Arbeit erlassen worden ist. In diesem Erlaß werden die Arbeitsämter angewiesen - ich zitiere aus dem Dienstblatt der Bundesanstalt für Arbeit -:
Um Maßnahmenabbrüchen entgegenzuwirken, sind die Förderungsvoraussetzungen Neigung und Eignung besonders zu prüfen . . ., sind die Fachdienste, insbesondere der Psychologische Dienst, einzuschalten.
Wie vereinbaren Sie den Rechtsanspruch auf individuelle Förderung mit diesem Erlaß und mit den Maßnahmen, die hier vorgeschlagen werden?
Frau Kollegin, die Anweisungen der Bundesanstalt für Arbeit stehen in Übereinstimmung mit der Rechtslage. Sie sind darauf natürlich von der Verwaltung der Bundesanstalt für Arbeit und auch von der Selbstverwaltung geprüft worden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Meines Erachtens ist dies ein klarer Fall von Rechtsbeugung. Um der Deutlichkeit willen möchte ich nur noch hinzufügen, daß die gewerkschaftlichen Vertreter in der Selbstverwaltung dieser Formulierung nicht zugestimmt haben.
Frau Kollegin, stellen Sie bitte eine Frage.
Ja, ich komme zu meiner zweiten Frage.
Das müssen Sie auch!
Meint die Bundesregierung, daß die Einführung eines Ausschreibungsverfahrens, das die Träger von Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen massiv begünstigt, die mit 440-DM-Arbeitsverträgen operieren, tatsächlich einer qualitativ guten Fortbildung bzw. Umschulung dient und damit die Arbeitsmarktchancen derjenigen, die an diesen Maßnahmen teilnehmen, verbessert?
Frau Kollegin, Ihre Frage ist sehr allgemein gehalten. Inhaltlich kann ich sie deshalb nicht beantworten, weil man von der Art der Anstellung von Mitarbeitern nicht allgemein auf die
Qualität der durchgeführten Maßnahmen schließen kann. Ich darf Sie also bitten, mir das konkrete Material zur Verfügung zu stellen; dann können Sie auch eine konkrete Antwort erhalten.
Der Herr Abgeordnete Andres möchte eine Zusatzfrage stellen.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort gesagt: Es ist mit der Senkung der Zahl von Maßnahmen zu rechnen. Das haben Sie wörtlich gesagt. Können Sie mir darin zustimmen, daß es dann, wenn es zu einer solchen Senkung kommt, drei Auswirkungen gibt? Die eine Auswirkung ist, daß die unmittelbar betroffenen Anspruchsberechtigten Schwierigkeiten haben werden, in entsprechenden Maßnahmen unterzukommen. Der zweite Punkt wird sein, daß qualifiziertes Personal, das eine ganze Reihe von Trägern beschäftigt haben, entlassen werden muß. Mir ist eine ganze Reihe von Fällen bekannt, in denen jetzt schon Entlassungen ausgesprochen sind. Die dritte Auswirkung könnte sein, daß insbesondere solche Träger von Maßnahmen, die sich mit dem Themenbereich „neue Technologien" befassen und dafür auch entsprechend investiert haben, insgesamt in ihrem Bestand bedroht sind. Können Sie so etwas für Hannover bestätigen?
Herr Kollege, ich kann zunächst nur wiederholen und Ihnen die Zusicherung geben, daß an eine Senkung der Teilnehmerzahlen nicht gedacht ist. Die Haushaltsmittel erlauben es auch, die Teilnehmerzahlen auf dem heute erreichten Stand zu halten. Ich habe gesagt, daß neue, zusätzliche Maßnahmen in einzelnen Bereichen nicht möglich sind, und zwar in den Bereichen, in denen im Jahre 1987 die Teilnehmerzahlen ein sehr hohes Niveau erreicht haben. Ich habe ferner gesagt, daß weitere Steigerungsraten nicht möglich sind, Steigerungsraten, von denen ich in der letzten Fragestunde gesprochen habe und die über 20 To gelegen haben.
Im übrigen ist es natürlich so, daß einige Bildungsträger den Bereich der Fort- und Weiterbildung als einen expandierenden Markt angesehen haben. Aber sie konnten nicht davon ausgehen - insbesondere seitdem wir von der Konsolidierung auf einem hohen Niveau sprechen - , daß diese Steigerungsraten fortgesetzt werden. Wenn sich die Träger von Bildungseinrichtungen auf Erwartungen, die unrealistisch waren, eingestellt haben, hat die Bundesregierung das nicht zu vertreten.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Ganseforth.
Herr Staatssekretär, ich möchte jetzt auf eine Maßnahme zu sprechen kommen, bei der es nicht um eine Ausweitung geht, sondern darum, daß bestehende Kurse, die bisher bei der Volkshochschule Hannover-Ost angeboten worden sind, eingestellt werden müssen. Es sind 21 Lehrerinnen und Lehrer sowie Sozialarbeiterinnen entlassen worden und ungefähr 150 Jugendliche betroffen, die den Hauptschul- und Realschulabschluß nachmachen wollten und sich darauf eingerichtet haben. Sie haben gesagt, es gibt Arbeitsamtsbezirke, in denen diese
Weiterbildungsmaßnahmen verstärkt angeboten worden sind. Könnte es sich dabei nicht um Arbeitsämter in den Regionen handeln, in denen die Arbeitslosigkeit besonders groß ist und in denen dieses Angebot deswegen eine ganz wichtige ergänzende Maßnahme ist?
Frau Kollegin, ich bestreite nicht, daß diese Angebote wichtig sind. Ich habe nur darauf verwiesen, daß der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit die Kontingentierung der Mittel auf die einzelnen Arbeitsamtsbezirke für 1988 in erster Linie nach den Ist-Ausgaben des Jahres 1987 vorgenommen hat. Es treten Engpässe dort auf - das habe ich gestern in der Fragestunde gesagt, das wiederhole ich hier -, wo am Ende des Jahres 1987 die Teilnehmerzahlen ein Niveau erreicht hatten, das aufgrund der Kontingentierung der Haushaltsmittel in '88 nicht aufrechtzuerhalten ist.
Der konkrete Fall, den Sie in Ihrer Frage ansprechen, liegt mir im Moment nicht vor. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir ihn vorlegen könnten. Wenn es zusätzliche Aspekte zur Beantwortung gäbe, würde ich Ihnen dann gerne schriftlich antworten.
Ich habe es dem Minister Blüm geschickt.
Es liegt mir trotzdem in der Fragestunde jetzt nicht vor.
Ich rufe die Frage 64 des Abgeordneten Hinsken auf:
Welche Bundesbehörden sind als „publikumsintensiv" einzuordnen, die im Falle der Einführung eines Dienstleistungsabends geöffnet haben müßten?
Herr Kollege, im Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Dienstleistungsabends wird Dienstleistungsbetrieben sowie den Dienststellen des Bundes mit regem Publikumsverkehr empfohlen, an jedem Donnerstag, der kein gesetzlicher Feiertag ist, einen Dienstleistungsabend bis 21 Uhr ({0}) einzurichten. Unter Dienststellen des Bundes mit regem Publikumsverkehr sind Dienststellen zu verstehen, in denen ein unmittelbarer, persönlicher Verkehr zwischen der Behörde und dem außenstehenden Bürger in erheblichem Umfang stattfindet.
Die Bundesregierung ermittelt zur Zeit, welche Bundesbehörden diese Voraussetzungen erfüllen. Zu denken ist insbesondere an Postämter und Arbeitsämter.
Zusatzfrage, Herr Hinsken.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie nur eine Feststellung: Dieses Ergebnis, das Sie mir hier mitzuteilen haben, ist ziemlich mager. Können Sie mir sagen, wieviel Einzelbehörden unmittelbar vor Ort, die dem Bund zuzuordnen sind, hier bundesweit in etwa betroffen sind?
Herr Kollege, wenn Sie den Eindruck hatten, meine Antwort sei im Ergebnis mager, dann deshalb, weil der Bund nicht viele Behörden und Dienststellen hat, bei denen es einen erheblichen Publikumsverkehr gibt und für die der Dienstleistungsabend in Frage kommt. Ich habe die beiden wichtigsten Bereiche genannt.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung schon Überlegungen und Berechnungen angestellt, daß bei Einführung des Dienstleistungsabends eventuell auch Neueinstellungen vorgenommen werden müssen, oder kann das mit dem bisherigen Personal in den von Ihnen genannten Behörden aufgefangen werden?
Im Schalterdienst der Bundespost werden zur Zeit ca. 20 000 Arbeitnehmer beschäftigt. Bei der Arbeitsverwaltung insgesamt - also Zentrale in Nürnberg, Landesarbeitsämter und Arbeitsämter - sind es ca. 70 000 Beschäftigte. Nur ein geringerer Teil der genannten Arbeitnehmer, die bei der Post im Schalterdienst tätig sind, und ein geringerer Teil der Bediensteten bei der Bundesanstalt für Arbeit wären bei Einführung eines Dienstleistungsabends in diesen Stunden zwischen 18.30 Uhr und 21 Uhr bzw. 22 Uhr zu beschäftigen.
Außerdem müßten es je nach der Organisation in diesen Behörden nicht immer die gleichen Arbeitnehmer sein, die an dem Dienstleistungsabend ihren Dienst zu erfüllen hätten.
Eine Zusatzfrage, Frau Ganseforth.
Herr Staatssekretär, kann man Ihre Antwort so auffassen, daß entgegen der jetzigen Tendenz die Öffnungszeiten der Postämter auf den Dörfern ausgeweitet werden? In dem Dorf, aus dem ich komme, ist die Post von 10 Uhr bis 11.30 Uhr und von 15.30 Uhr bis 17.30 Uhr geöffnet. Kann man davon ausgehen, daß sich an diesen Öffnungszeiten etwas ändern wird?
Frau Kollegin, es hängt davon ab, ob es in den genannten Postämtern oder Dienststellen der Bundespost, die Sie im Auge haben, an dem genannten Abend, der für einen Dienstleistungsabend vorgesehen ist, zu einem regen Publikumsverkehr kommt. Dies kann ich im Augenblick nicht beantworten. Ich glaube, selbst mein Kollege aus dem Bundespostministerium könnte dies so konkret heute nicht sagen. Das muß natürlich von Fall zu Fall vor Ort konkret geprüft werden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Andres.
Herr Staatssekretär, bei all Ihren Antworten erscheinen immer die Lieblingsvokabeln „prüfen" und „ermitteln". Sie haben eben in Ihrer Antwort erklärt, daß Sie zur Zeit ermitteln, welche Bundesbehörden besonders publikumswirksam oder publikumsintensiv sind. Wie lange, denken Sie, werden Ihre Ermittlungen dauern?
Herr Kollege, im Augenblick liegt ein Referentenentwurf zur Einführung eines Dienstleistungsabends vor.
({0})
Es gibt noch keinen Kabinettsbeschluß, und es gibt noch keinen Gesetzentwurf der Bundesregierung. Wenn wir dennoch jetzt schon zu ermitteln versuchen, in welchen Dienststellen des Bundes der Dienstleistungsabend in Frage kommt, können Sie daraus ersehen, daß wir diesem Projekt sehr zuversichtlich gegenüberstehen. Wir sind unserer Zeit voraus.
So daß aus einer Ermittlung, Herr Hinsken, auch noch eine fette Antwort werden könnte. Ob sie gut ist, ist eine andere Frage.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hennig steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 der Abgeordneten Frau Terborg auf :
Trifft es zu, wie das Flensburger Tageblatt vom 26. April 1988 berichtet, daß das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen Jugendreisen nach Polen fördert?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen prüft, ob und inwieweit Studienfahrten junger Menschen in die deutschen Siedlungsgebiete Mittelost- und Südosteuropas zu fördern sind. Zur Vorbereitung einer abschließenden Entscheidung werden erstmals im Jahre 1988 einige wenige solcher Fahrten finanziell unterstützt.
Eine Zusatzfrage, Frau Terborg.
Herr Staatssekretär, handelt es sich hierbei um Angelegenheiten des internationalen Jugendaustausches, und - ich meine, daß ich Sie jetzt so verstanden habe - ist dieser Bereich, der bisher beim Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit lag, in das innerdeutsche Ministerium herübergekommen?
Das ist er zweifellos nicht, Frau Kollegin. Ich hatte eigentlich die Absicht, die Frage der Zuständigkeit bei Ihrer nächsten Frage zu beantworten. Wenn der Herr Präsident einverstanden ist, werde ich das tun.
Dann vermehren sich nur die Zusatzfragen.
Bitte schön, dann beantworten Sie jetzt die Frage 9 der Abgeordneten Frau Terborg:
Wenn ja, auf Grund welcher Zuständigkeit im Rahmen der Bundesregierung wird das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen im Ausland tätig?
Ich will es gleich zusammen beantworten und komme dann auch auf
die Frage der Zuständigkeit im Rahmen der Bundesregierung zu sprechen.
Vorrangige Grundlage für die Förderung ist der Auftrag des § 96 des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes, wonach der Bund und die Länder verpflichtet sind, das kulturelle Erbe der Vertreibungsgebiete zu erhalten. Dieser Auftrag bliebe unvollständig, wenn junge Menschen nicht die Gelegenheit erhielten, diese Regionen durch eigene Anschauung von Kultur, Landschaft und Geschichte kennenzulernen.
Die Förderung vorbeschriebener Pilotprojekte erfolgt in Abstimmung mit dem Bundesminister des Innern, der eigentlich in der Hauptsache für § 96 dieses Gesetzes zuständig ist.
Eine Zusatzfrage, Frau Terborg.
Herr Staatssekretär, ist vor der Aufnahme dieser Förderungstätigkeit, die Sie jetzt als Pilotprojekt bezeichnen, eine Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt erfolgt, so daß eventuell außenpolitische Schäden vermieden werden? Denn wir kennen ja die besondere Sensibilität unserer polnischen Nachbarn.
Frau Kollegin, es ist, wie gesagt, eine endgültige Entscheidung, ob und in welcher Form wir diese Maßnahme dauerhaft einrichten, ob daraus ein eigener Haushaltstitel wird - all diese Entscheidungen sind in der Tat noch in der Regierung zu besprechen - , nicht gefallen. Wir wollen mit einigen wenigen Reisen - das betrifft einen Promille-Anteil dieses sehr großen Titels, den Sie genau kennen - versuchen, die Voraussetzungen dafür zu ermitteln, unter welchen Umständen das sinnvoll ist.
Aber ich glaube, daß die Vermutung, es könnte damit außenpolitischer Flurschaden angerichtet werden, wenn beispielsweise eine Gruppe junger Leute unter wissenschaftlicher Vorbereitung auch einmal nach Danzig oder Breslau und nicht nur nach Halle oder Magdeburg fährt, nicht naheliegend ist.
Weitere Zusatzfrage, Frau Terborg.
Ich glaube, daß man sich da inhaltlich sicher noch an anderer Stelle auseinandersetzen muß.
Aber ich habe noch eine zweite Frage: Ist die Jugendförderung, die in den Einzelplan 27 aufgenommen ist, wirklich so großzügig ausgestattet - bisher haben wir da nur Reisen in die DDR gefördert - , daß man diese Finanzierung jetzt übernimmt, und haben Sie auch mit den einzelnen Bundesländern, die ja für solche Reisen in osteuropäische Staaten eigene Mittel haben, überhaupt einmal Kontakt aufgenommen und abgecheckt, ob hier Überschneidungen nicht vermieden werden könnten?
Zunächst haben wir nicht den Eindruck, daß die Bundesländer bereit sind, in diesem Bereich in eigener Zuständigkeit oder mit eigenen Mitteln Wesentliches zu fördern.
({0})
Aber wir werden das bei der endgültigen Entscheidung über die Gestaltung dieses Titels selbstverständlich berücksichtigen. Nur hatten wir den Eindruck, daß auf diesem Sektor, dorthin organisierte Jugendfahrten durchzuführen, bisher relativ wenig geschieht, und daß wir deswegen versuchen sollten, mit einer ganz begrenzten Zahl solcher Reisen - in Abstimmung mit dem zuständigen Bundesminister des Innern - die Voraussetzungen für eine Verbreiterung dieses Antrags zu legen, über die dann auch im zuständigen Ausschuß sicher noch einmal zu sprechen ist.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage, Frau Terborg, wenn Sie wollen.
Ja, gern, wenn Sie das so auslegen.
Ich habe hier genau gezählt.
Danke schön, ich freue mich. - Ich weiß, Herr Staatssekretär, daß unsere Bundesländer solche Jugendfahrten unterstützen; Sie werden das bei Ihrer Prüfung feststellen. Ich mache mir wirklich Sorge, daß Sie diese Fahrten jetzt als Pilotprojekt ohne Rückkoppelung mit den Stellen anlaufen lassen, die eigentlich ein bißchen einbezogen werden sollten.
Ich frage Sie, warum Sie eine solche Maßnahme nicht auch einmal in dem zuständigen Fachausschuß diskutieren lassen und mitüberlegen lassen. Denn ich habe das, wie gesagt, aus dem „Flensburger Tageblatt" erfahren, in dem Frau Ministerin Wilms dies einfach angekündigt hat, und dies ist letztendlich eine Änderung der bisherigen Verfahrensweise in unserem Fachausschuß.
Dies vermag ich mit Blick auf das, was bisher tatsächlich abgelaufen ist, in dieser Form nicht zu akzeptieren, Frau Kollegin. Wir haben diesen Haushaltstitel 685 31, der der Förderung der deutschlandpolitischen Bildungsarbeit dient. Wir haben weiterhin den vorhin erwähnten § 96, aus dem wir alle miteinander verpflichtet sind, der Bund und die Länder, das kulturelle Erbe der Vertreibungsgebiete zu erhalten. Und darin, warum wir dann nicht versuchen sollten, Formen zu entwickeln, mit denen wir das unseren jungen Leuten auch einmal zeigen, vermag ich eigentlich gar kein Problem zu sehen. Ich kann da eigentlich nur Handeln der Regierung feststellen, wenn ich das einmal so sagen darf.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Ganseforth.
Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß man, wenn man solche neuen Gedanken aufgreift, wie Sie sie hier geschildert haben, sich wirklich sehr genau informieren müßte, was es alles gibt? Denn es gibt diese Reisen nicht nur auf der Länderebene, sondern auch die Kommunen und
Landkreise - jedenfalls in meinem Bereich - führen solche Reisen in Ostblockstaaten, nach Polen durch, Volkshochschulen bieten das an, speziell auch für Jugendliche. Wäre es nicht sinnvoller, ehe Sie so etwas Neues anfangen, sich da erst einmal richtig zu informieren?
Zunächst bin ich sehr sicher, daß das geschehen ist. Aber ich kann darüber hinaus auch sagen, daß ich überhaupt kein Problem darin sehe, wenn dort mehr geschieht als bisher. Ich kann nur sagen: Je mehr auf diesem Sektor geschieht, desto besser und sinnvoller ist das auch für einen sicher vernünftigen deutsch-polnischen Entspannungsprozeß.
Sie könnten eine zweite Zusatzfrage stellen. Wir haben zwei Fragen zusammen aufgerufen. In diesem Fall kann der Fragesteller vier Zusatzfragen und jeder andere Abgeordnete zwei Zusatzfragen stellen. Wenn Sie wollen, können Sie also noch eine Zusatzfrage stellen.
Dann stelle ich gern noch eine Zusatzfrage. Denn ich unterstütze den Jugendaustausch sehr und habe mich auch im kommunalen Bereich dafür eingesetzt, daß er stattfindet, weil ich ihn für ein wichtiges Element der Völkerverständigung halte. Nur, die Frage ist, ob man das im Rahmen des Ministeriums für innerdeutsche Beziehungen machen soll und ob das nicht gerade ein Problem ist, das für die Völkerverständigung und für die Beziehungen zu den Staaten des Ostblocks kontraproduktiv ist.
Frau Kollegin, man kann ein Problem natürlich auch herbeireden. Wir sollten das alle miteinander nicht tun. Bisher ist an dieser Stelle überhaupt keine Schwierigkeit aufgetreten. Ich glaube, wir sollten die Bedingungen miteinander so gestalten, daß es auch in Zukunft so ist.
Bitte schön, Herr Emmerlich, Zusatzfrage.
Wenn Sie, Herr Staatssekretär, sagen, es sollten keine Schwierigkeiten herbeigeredet werden, halten Sie es dann nicht für notwendig, daß ich Sie frage: Sehen Sie denn nicht die Möglichkeit solcher Schwierigkeiten ohne Herbeireden auf sich und uns zu kommen; und welche Folgerungen gedenken Sie daraus zu ziehen?
Herr Kollege Emmerlich, bisher sehe ich überhaupt keine Schwierigkeiten. Dieses Ganze hat bei dem Ansatz, den wir gewählt haben, mit Grenzfragen und derartigen Problemen ja nun wirklich überhaupt nichts zu tun. Deswegen habe ich von „Siedlungsgebieten" gesprochen und keine anderen Formulierungen gewählt. Wenn man den Zweck, dem dieser Titel im wesentlichen ansonsten dient, nämlich den organisierten Schüler-und Gruppenreisen in die DDR, zum Vergleich heranzieht, kann ich nur feststellen, daß das eine außerordentlich positive Wirkung hat und daß sich auch in der DDR niemand darüber aufregt, daß dies aus unserem Ministerium gefördert wird. Warum sollte das an anderer Stelle anders sein?
Zusatzfrage des Abgeordneten Lattmann.
Herr Staatssekretär, gehe ich fehl in der Annahme, daß diese Reisen in enger Abstimmung mit der polnischen Seite geplant und durchgeführt werden; und hat es von da Kritik in der befürchteten Art gegeben?
In dieser Fragestunde ist dieses Problem zum ersten Mal aufgegriffen worden. Bekanntlich können Reisen in kommunistische Länder nur in enger Abstimmung mit den dort Verantwortung Tragenden stattfinden.
Zusatzfrage, Frau Bulmahn.
Herr Staatssekretär, ich hoffe zumindest, daß Ihnen bisher klargeworden ist, daß es hier um die Frage der Kompetenzzuordnung geht. Wo werden die Kompetenzen hierfür angesiedelt? Ich bin immer davon ausgegangen - ich frage, ob dies nach wie vor zutreffend ist - , daß das Ministerium „Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen" und nicht „Ministerium für ehemalige ostdeutsche Gebiete" heißt. Das heißt schlicht und einfach: In die Kompetenz dieses Ministeriums fallen durchaus Reisen in die DDR; aber Reisen in ehemalige ostdeutsche Gebiete fallen nicht von vornherein, praktisch ohne Diskussion, in die Kompetenzen des innerdeutschen Ministeriums.
Die Debatte über „ehemalig" wollen wir, glaube ich, jetzt nicht führen, weil dann ein Zusammenhang hergestellt würde, der von uns an dieser Stelle überhaupt nicht gemeint ist. Aber, Frau Kollegin, ich weise Sie darauf hin, daß Sie ebenso wie wir in jedem Jahr das Haushaltsgesetz beschließen oder nicht beschließen; das kommt auf das Stimmverhalten der einzelnen an. Jedenfalls heißt es über die Aufgaben des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen sehr umfassend, es habe der Einheit der Nation zu dienen, den Zusammenhalt des deutschen Volkes zu stärken, die Beziehungen der beiden Staaten in Deutschland zu fördern - das sind die innerdeutschen Beziehungen im engeren Sinn - und die deutschlandpolitische Verantwortung der Bundesregierung wahrzunehmen. Es soll entsprechende Vorhaben der Ressorts umfassend koordinieren.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, daß objektive Information über die Probleme dazugehört. Ich habe überhaupt keine Bedenken, daß dies dem umfassenden Vorspruch des Haushaltstitels an dieser Stelle entspricht.
Zusatzfrage des Abgeordneten Lambinus.
Herr Staatssekretär, unter welchem der von Ihnen genannten Kriterien würden Sie die Förderung von Reisen in ehemals deutsche Gebiete einordnen?
Es ist ganz sicher eine Wahrnehmung der deutschlandpolitischen Verantwortung der Bundesregierung im Sinne des § 96.
Damit sind wir am Ende der Fragen aus diesem Geschäftsbereich. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen - es sind dies die Fragen 28 und 29 des Abgeordneten Lowack und die Frage 30 des Abgeordneten Marschewski - brauche ich nicht aufzurufen, weil alle vorliegenden Fragen schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Häfele steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Fragen 41 und 42 des Abgeordneten Weiß ({0}) sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 43 des Abgeordneten Dr. Emmerlich auf:
Welche Förderungsmöglichkeiten gibt es nach derzeitig geltendem Recht seitens des Bundes für die Errichtung und den Betrieb von Windkraftanlagen sowie die Herstellung und den Betrieb von Anlagen zur Produktion von Wasserstoff mit Hilfe von elektrischem Strom?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Nach geltendem Recht werden die Errichtung und der Betrieb von Windkraftanlagen sowohl nach § 82 a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung als auch nach § 4 a des Investitionszulagengesetzes gefördert.
Voraussetzung einer Förderung nach § 82 a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung ist, daß die in der Anlage erzeugte Energie überwiegend entweder unmittelbar oder durch Verrechnung mit Elektrizitätsbezügen des Steuerpflichtigen von einem Elektrizitätsversorgungsunternehmen zur Versorgung eines im Inland gelegenen Gebäudes des Steuerpflichtigen verwendet wird, einschließlich der Anbindung an das Versorgungssystem des Gebäudes.
Die Förderung nach § 4 a des Investitionszulagengesetzes setzt voraus, daß die Windkraftanlage ausschließlich der Strom- oder Wärmeerzeugung dient.
Im Rahmen der Förderung von Forschung, Entwicklung und Erprobung sind Anlagen zur Produktion von Wasserstoff in Verbindung mit erneuerbaren Energiequellen einbezogen worden. Darunter fallen z. B. das Solar-Wasserstoffvorhaben der Bayernwerk AG, München, in Neunburg vor dem Wald oder das in deutsch-saudischer Zusammenarbeit durchgeführte Hysolarvorhaben, an dem auch das Land Baden-Württemberg beteiligt ist.
Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auf dem Gebiet erneuerbarer Energien sind vom Bundesministerium für Forschung und Technologie seit 1974 mit rund 1,5 Milliarden DM gefördert worden. Dabei sind allein für die Windtechnik rund 200 Millionen DM und für die Wasserstofferzeugung rund 55 Millionen DM Haushaltsmittel eingesetzt worden.
Herr Dr. Emmerlich, Zusatzfrage, bitte schön.
Halten Sie, Herr Staatssekretär, den Umfang der bisherigen Förderungsmaßnahmen für ausreichend, um die erforderliche Markteinführung einerseits von Windkraftanlagen, sowohl kleinen als auch größeren, und andererseits von Anlagen zur Produktion von Wasserstoff zu erreichen?
Das sind doch ganz beachtliche Zahlen bei den Anreizsystemen, die bisher angewendet wurden.
Jetzt die zweite Zusatzfrage, Herr Dr. Emmerlich.
Herr Staatssekretär, ich gehe davon aus, daß Sie mir die Zahlen, auf die sich diese Aussage stützt, die ja eine wertende Aussage ist, noch zur Verfügung stellen. Darf ich das?
Ja, natürlich, 1,5 Milliarden DM, das habe ich schon in der Summe dargestellt.
Herr Staatssekretär, es dreht sich ja nicht um die Summe insgesamt, sondern um die Förderung der einzelnen Anlagen, die dafür entscheidend ist, ob sich der einzelne Unternehmer oder der einzelne Privatmann dazu verstehen kann, eine solche Anlage zu für ihn tragbaren Bedingungen zu errichten.
Der Staat kann immer nur Anstöße geben. Letztlich muß sich etwas dann durchsetzen. Mehr kann der Staat eben nicht.
Eine Zusatzfrage, Frau Bulmahn.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß der gesamte Jahresetat 1988 des Bundesministeriums für Forschung und Technologie für den Bereich regenerative Energien plus rationelle Energieverwendung, unter die z. B. auch Kohlezerkleinerung fällt, ca. 260 Millionen DM beträgt, daß diese Summe im letzten Jahr um ungefähr 30 Millionen DM höher lag, daß demgegenüber aber für den Bereich Kernenergie - wenn man nur die größten Blöcke nimmt - nach wie vor ca. 2 Milliarden DM aufgewandt werden? Sind Sie, wenn Sie diese Zahlen jetzt kennen, immer noch der Meinung, daß für den in Rede stehenden Bereich „beträchtliche" Mittel ausgegeben würden?
Es sind beachtliche Anstöße gegeben worden. Aber es ist letztlich immer eine andere Frage, ob sich etwas am Markt durchsetzt.
Ich rufe die Frage 44 des Abgeordneten Dr. Emmerlich auf:
Welche dieser Förderungen sollen nach Ansicht der Bundesregierung im Rahmen der Steuerreform 1990 beseitigt bzw. vermindert werden, und beabsichtigt die Bundesregierung, als Ersatz andere Förderprogramme aufzustocken?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Die Bundesregierung beabsichtigt, das Investitionszulagengesetz aufzuheben. Investitionszulagen für die Errichtung von Windkraft- und Solaranlagen sollen nur noch für alle vor dem 1. Januar 1990 abgeschlossenen Investitionen sowie vor diesem Stichtag angefallenen Anzahlungen auf Anschaffungskosten und Teilherstellungskosten gewährt werden, wenn mit den Investitionen vor dem 1. Januar 1989 begonnen wird.
Die erhöhten Absetzungen nach § 82 a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung zur Förderung der sogenannten erneuerbaren Energien sollen nicht über den 31. Dezember 1988 hinaus verlängert werden. Die geringe Inanspruchnahme der Fördermaßnahmen für Windkraftanlagen läßt darauf schließen, daß diese Art der Förderung nur in geringem Umfang entscheidende Anstöße zur Markteinführung geben kann. Es ist deshalb auch nicht zu befürchten, daß der Wegfall dieser Förderung die weitere technische und wirtschaftliche Entwicklung dieser Anlagen beeinträchtigen wird.
Zusatzfrage, Herr Dr. Emmerlich.
Herr Staatssekretär, muß ich aus Ihrer Antwort die Folgerung ziehen, daß die Bundesregierung Windkraftanlagen und Anlagen zur Produktion von Wasserstoff nicht in den Bereich der Zukunftstechnologien einordnet und infolgedessen auf eine Förderung auf die Dauer ganz verzichten will?
Nein.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Emmerlich.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß die Reduzierung der Förderung, über die Sie eben berichtet haben, im Zusammenhang mit der Finanzierung der Steuersenkungsmaßnahmen der Bundesregierung steht, ist es also richtig, daß um die Einkommen von wenigen Wohlhabenden zu erhöhen, die Bundesregierung von der Förderung eines wichtigen Bereichs der Zukunftstechnologie Abschied nimmt?
Das ist ein Irrtum. Die Abschaffung der beiden Steuervergünstigungen steht zwar im Zusammenhang mit der Steuerreform, aber nicht aus Finanzierungsgründen. Letzteres steht nicht im Vordergrund. Vielmehr haben sich genau diese beiden Vorschriften in der Praxis als so kompliziert erwiesen - wir sollen ja auch Steuervereinfachungen durchführen - , daß sie von der Finanzverwaltung nicht richtig praktiziert werden können. Das hat sich in der Praxis erwiesen. Wir haben eine Unsumme von Maßnahmen der steuerlichen Förderung, die in der Praxis nicht funktionieren. Steuervereinfachung ist auch ein Ziel der Steuerreform.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Bulmahn.
Herr Staatssekretär, könnten Sie sich vorstellen, daß ein Grund für die sicherlich nicht sehr gute Inanspruchnahme der Fördermittel darin liegen könnte, daß von seiten der Ministerien
Ausschreibungsfristen von drei bis vier Wochen vorgegeben werden, das Ministerium selbst allerdings schon drei Wochen benötigt, um die Ausschreibung zu formulieren?
Ich glaube nicht, daß das der Grund ist.
({0})
- Nein. Bei den steuerlichen Maßnahmen besteht ein Rechtsanspruch. Da spielen Ausschreibungsfristen überhaupt keine Rolle. Sie sind am wenigsten genutzt worden. Das ist also ein Gegenbeweis.
Sie haben sich vorhin aber insgesamt auf den Anspruch von Fördermaßnahmen bezogen -
Es tut mir leid. Ich finde Diskussionen hier auch sehr interessant. Aber es ist die Fragestunde, Frau Kollegin.
Herr Staatssekretär, die beiden Kollegen Lattmann und Lambinus sind einverstanden, daß wir die Frage von Herrn Gansel vorziehen, der mir seine Gründe vorgetragen hat, warum er es eilig hat. Sind sie einverstanden? Dann rufe ich die Frage 56 des Abgeordneten Gansel auf:
Gibt es aus den letzten fünf Jahren ein Ermittlungsverfahren nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz oder Außenwirtschaftsgesetz wegen illegaler Lieferungen von Kriegswaffen oder Rüstungsgütern, das durch eine Initiative der Bundesregierung in Gang gesetzt wird?
Zuwiderhandlungen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Außenwirtschaftsgesetz durch rechtswidrige Ausfuhren werden durch die Oberfinanzdirektionen und Zollfahndungsämter verfolgt. Diese Behörden haben in den letzten fünf Jahren rund 30 Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts von Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten im Zusammenhang mit der Lieferung von Kriegswaffen oder Rüstungsgütern eingeleitet.
Soweit die Bundesregierung selbst, z. B. als Genehmigungsbehörde nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz, Hinweise auf den Verdacht rechtswidriger Ausfuhren oder anderer strafbarer Handlungen erhält, gibt sie diese Hinweise an die zuständigen Ermittlungsbehörden weiter. Diese haben das Erforderliche zu veranlassen. Die Bundesregierung stellt im Rahmen ihrer Fachaufsicht sicher, daß die nachgeordneten Ermittlungsbehörden ihre Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen.
So ist z. B. auch in dem ihnen, Herr Kollege Gansel, bekannten Fall der Lieferung von Unterlagen nach Südafrika verfahren worden. Nachdem dem Bundeswirtschaftsminister bei Gesprächen mit Industrievertretern die Geschäfte mit Südafrika bekanntgeworden waren, unterrichtete der Bundeswirtschaftsminister das für die Außenwirtschaftsüberwachung zuständige Bundesfinanzministerium. Dieses wies seinerseits die ihm nachgeordnete Ermittlungsbehörde - das ist die Oberfinanzdirektion - an, die Angelegenheit zu prüfen und gegebenenfalls die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen.
Herr Gansel, Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, darf ich mit Hinweis auf meine Frage Ihre Antwort so verstehen, daß nur ein einziges Mal ein Verfahren von der Bundesregierung in den letzten fünf Jahren wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz oder Außenwirtschaftsgesetz in Gang gesetzt worden ist und daß das ausgerechnet die sogenannte U-Boot-Affäre ist?
Wir führen keine Statistik über die Informationen, die wir gelegentlich erhalten. Ich kann das also so nicht bestätigen, was Sie gefragt haben, weil die Statistik nicht geführt wird. Aber wir bekommen gelegentlich auch Informationen nicht nur im Rahmen von Genehmigungsverfahren, sondern auch durch andere Quellen bis hin zu nachrichtendienstlichen Quellen und auch - das funktioniert gelegentlich in der Steuerverwaltung so - über den internationalen Rechts- und Amtshilfeverkehr.
Weitere Zusatzfrage, Herr Gansel.
Herr Staatssekretär, können Sie heute die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der GRÜNEN bestätigen, derzufolge seit Ausbruch des iranisch-irakischen Krieges wegen der illegalen Lieferung von Kriegswaffen oder Rüstungsgütern an den Irak oder den Iran nur ein einziges Bußgeld in Höhe von 150 000 DM und keine einzige Strafe verhängt worden ist?
Ich muß hierzu im Augenblick Nichtwissen erklären. Wenn die Fraktion der GRÜNEN eine Kleine Anfrage gestellt hat, wird sie wahrheitsgemäß beantwortet.
Dann komme ich zur Frage 45 des Abgeordneten Lattmann:
Mit welchen Maßnahmen soll verhindert werden, daß nach einer Mineralölsteuerbefreiung für Privatflieger steuerbefreites Flugbenzin für den privaten Personenkraftwagen genutzt wird?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Die Versorgung mit unversteuerten Mineralölen erfolgt durch Steuerlager- und Verteilerverkehre. Diese werden von der Bundeszollverwaltung überwacht. Dem Mißbrauch von unversteuerten Luftfahrtbetriebsstoffen in Kraftfahrzeugen kann außerdem durch Steueraufsichtsmaßnahmen an den Flugdienststationen begegnet werden.
Bitte schön, Herr Lattmann. - Keine Zusatzfrage.
Ihre weitere Frage 46:
Ist damit zu rechnen, daß analog zu den bisher auf ca. 50 Verkehrs- und Regionalflughäfen geführten Zollägern auch auf den rund 550 Sport- und Privatflughäfen Zollkontrollen einzurichten sind?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Überwachung in ähnlicher Weise wie vor der Einschränkung der Mineralölsteuerfreiheit 1981 erfolgen wird und daß die Einrichtung von Verteilerverkehren und stichprobenweise Verwendungskontrollen an den Flugdienststationen ausreichen werden, die Abgabe von Luftfahrtbetriebsstoffen an Nichtberechtigte zu verhindern.
Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, können Sie also bestätigen, daß die Einführung dieser Maßnahme zu einem Verwaltungsmehraufwand gegenüber dem jetzigen Zustand führt, wie groß er auch immer sein mag?
Es wird so sein, wie es bis 1981 war. Es ist relativ mühelos bewältigt worden.
Weitere Zusatzfrage, Herr Lattmann.
Können Sie mir des weiteren erklären, an welcher Stelle eine Verwaltungsvereinfachung gegenüber dem Verwaltungsmehraufwand durch eine solche Maßnahme erreicht werden kann?
Bisher sind es rund 60 Stellen, wo die großen Luftfahrtlinien auf jeden Fall überwacht werden müssen, weil die Abgabe dort steuerfrei ist. Hinzu kommen jetzt 550 Stellen, allerdings kleinere und im Umfang völlig unbedeutend. Daß das einen zusätzlichen Aufwand bringt, liegt auf der Hand.
Damit kommen wir zu der Frage 47 des Abgeordneten Lambinus:
Welche Gründe sprechen für eine Mineralölsteuerbefreiung von Flugbenzin für Hobbyflieger, und welche Gründe sprechen gegen eine Mineralölsteuerbefreiung von Rasenmäherbenzin für Hobby-Rasenmäher?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren versucht, die Besteuerung aller Luftfahrtbetriebsstoffe in der Europäischen Gemeinschaft zu erreichen. Das ist ihr nicht gelungen. Sie ist deshalb der Ansicht, daß aus Gleichbehandlungsgründen auf die Besteuerung aller Luftfahrtbetriebsstoffe verzichtet werden sollte. Es geht dabei nicht bloß um Sportflieger, sondern vor allem um mittelständische Luftfahrtunternehmen und Betriebsflugzeuge, die bisher im Vergleich zu den großen Luftfahrtunternehmen stark benachteiligt sind, mit denen sie im Wettbewerb stehen. Derzeit sind bereits rund 95 % der verkauften Luftfahrtbetriebsstoffe steuerfrei.
Die Frage ist also nicht, ob eine Liebhaberei oder nicht vorliegt, wie z. B. bei den Rasenmähern, bei denen beides zutreffen kann. Vielmehr handelt es sich ausschließlich um eine Gleichbehandlung aller Flugbenzine.
Zusatzfrage, Herr Lambinus.
Herr Staatssekretär, messen Sie dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Käufer von Flugbenzin eine höhere Priorität zu als der
Gleichbehandlung all jener, die ein Hobby betreiben und dazu Benzin brauchen?
Es geht um die Gleichbehandlung all derer, die Flugbenzin in Anspruch nehmen. Da besteht schon das Problem der Wettbewerbsverfälschung. Wir haben gerade in wirtschaftsschwachen Gebieten, zumal in Randgebieten, sowohl die Tatsache, daß mittelständische Fluggesellschaften versuchen, dort die wirtschaftliche Dynamik zu befruchten, als auch den Umstand, daß Werkflugzeuge von großen Konzernen eingesetzt werden, die ja auch vom Staat ermuntert werden, mit Filialen in wirtschaftsschwache Gebiete zu gehen. Sie sind im Verhältnis zu den Ballungsgebieten benachteiligt, wo Luftfahrtlinien bestehen, die Flugbenzin steuerfrei erhalten. Das ist das Kernproblem bei dem Ganzen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Lambinus.
Herr Staatssekretär, ich verstehe schon, was Sie mir sagen wollen, aber Sie beantworten meine Frage ja nicht. Beantworten Sie mir doch bitte die Frage, wo hier die Gleichbehandlung mit jenen bleibt, die Benzin zu Hobbyzwecken verbrauchen und deshalb Mineralölsteuer bezahlen müssen.
Herr Kollege Lambinus, da ist nun nicht zu trennen. Wenn ich es auf den kleinen Flughäfen auch für steuerfrei erkläre, um Wettbewerbsgleichheit zwischen diesen mittelständischen Unternehmen und diesen Werkflugzeugen einerseits und den großen Fluggesellschaften andererseits herzustellen, wenn ich also auf einem kleinen Flughafen dann auch noch eine Trennung vollziehe, wäre das in der Tat der Gipfel der Verwaltungsbürokratie.
Ich rufe Frage 48 des Herrn Abgeordneten Lambinus auf:
Ist die Bundesregierung bereit, eine einheitliche Regelung für alle Verbraucher von Benzin zu Hobbyzwecken bezüglich der Mineralölsteuer zu treffen?
Herr Kollege Lambinus, wie sich schon aus meiner Antwort zu Ihrer vorhergehenden Frage ergibt: nein.
Keine Zusatzfragen. - Jetzt wissen wir, was aus dem Benzin und seiner Versteuerung wird.
Die Frage 49 des Abg. Dr. Lippelt ({0}) soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich brauche den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung nicht aufzurufen, weil die Fragen 65 und 66 des Herrn Abgeordneten Jungmann vom Fragesteller zurückgezogen worden sind und weil die Fragen 67 und 68 des Abg. Diller, die Frage 69 des Herrn Abgeordneten Dr. Weng ({1}) und die Fragen 70 und 71 des Herrn Abgeordneten Steiner auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Wir fahren entsprechend einer Vereinbarung in der Tagesordnung fort.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung sowie Zusatzpunkt 6 zur Tagesordnung auf:
17. a) Beratung und Unterrichtung durch die Bundesregierung
Siebenter Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung
- Drucksache 11/2020 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({2})
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über die Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 10. Dezember 1987 über die Ernährungssituation in Äthiopien
- Drucksache 11/2070 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({3})
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß
c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über die Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 10. Dezember 1987 „Ernährungssicherung in Hungerregionen"
- Drucksache 11/2071 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({4})
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß
ZP6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Eid und der Fraktion DIE GRÜNEN
Bekämpfung der Hungersnot in Eritrea und Tigray
- Drucksache 11/2314 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({5})
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Vizepräsident Westphal
d) Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses ({6}) zu der Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates über die Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 17. bis 25. September 1986 in Straßburg zu der Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates über die Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 26. bis 30. Januar 1987 in Straßburg zu der Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates über die Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 4. bis 8. Mai 1987 in Straßburg zu der Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europates über die Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 1. bis 8. Oktober 1987 in Straßburg
- Drucksachen 10/6296, 11/47, 11/478, 11/1398, 11/1989 Berichterstatter:
Abgeordnete Reddemann Dr. Scheer
Dr. Lippelt ({7})
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Der Siebente Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung sowie die Berichte über die Umsetzung der Beschlüsse des Deutschen Bundestages zur Ernährungssicherung in Hungerregionen und zur Ernährungssituation in Äthiopien liegen dem Hohen Hause schriftlich vor. Aus den drei Unterrichtungen wird die weitgehende Übereinstimmung in der Entwicklungszusammenarbeit zwischen dem engagierten Willen des Parlaments und seinem verantwortungsbewußten Vollzug durch die Bundesregierung deutlich.
Ich stehe nicht an, diese Gelegenheit zu einem Wort des aufrichtigen Dankes an Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, für Mit- und Vordenken, für Kritik und Ermutigung zu nutzen. Ob auch die Opposition bereit ist, diese weitgehende Übereinstimmung anzuerkennen, vermag ich nicht zu antizipieren. Für mich jedenfalls steht fest, das Schicksal der 3,5 Milliarden Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika, das unauflöslich mit unserem eigenen Schicksal verbunden ist, darf kein Thema innenpolitisch motivierter Parteipolemik sein.
Rund 600 bis 800 Millionen Menschen in den Entwicklungsländern leben unterhalb der Armutsgrenze. Ein großer Teil von ihnen hungert, und niemand weiß, wie viele verhungern werden. Wir Abgeordnete spüren ebenso wie die von uns vertretenen Bürger die moralische Unerträglichkeit dieses Zustandes. Wir leben in einem wirtschaftlich blühenden Staat, in - verglichen mit der Dritten Welt - luxuriöser sozialer Sicherheit. Doch ungeachtet aller subjektiv sicher ehrlich gemeinten Bekenntnisse zum christlichen Wertesystem und zu humanistischen Traditionen bringen wir für die Ärmsten der Armen dieser Welt nur einen Bruchteil von dem auf, was wir allein für Ferienreisen oder Freizeithobbys ausgeben.
Natürlich weiß ich Sie, meine Damen und Herren, fast alle auf meiner Seite, wenn ich weiteren besonders armen, besonders hochverschuldeten und besonders reformwilligen Entwicklungsländern die bilateralen Schulden erlassen, wenn ich sämtliche Kredite im Rahmen unserer finanziellen Zusammenarbeit unter den besonders günstigen IDA-Bedingungen gewähren und wenn ich einen weiteren Schritt zur Lösung der Rückflußproblematik unternehmen möchte. Ich würde mir sogar breite Zustimmung für eine entscheidende Erhöhung des Entwicklungshaushalts ausrechnen.
({0})
Aber bringen Sie, bringen wir alle die politische Kraft auf, dem Bundesfinanzminister, der ja bekanntlich kein Geld zaubern kann, zu sagen, wo er diese Mittel hernehmen, welchen starken oder auch nur lautstarken Interessengruppen er mit unserer gemeinsamen Unterstützung Paroli bieten darf?
({1})
Oder unterliegen wir da nicht doch wieder der Versuchung, daß sich jede Fraktion mit unauffälligem Seitenblick auf die nächsten Wahlen zum Fürsprecher ihrer jeweiligen Klientel macht?
({2})
Stehen nicht selbst Kirchen, Gewerkschaften, Unternehmer oder manche private Dritte-Welt-Initiativen, die allesamt Vorbildliches in der Entwicklungszusammenarbeit leisten, letztlich doch ihren eigenen Einrichtungen und Anhängern näher als den fernen Nächsten auf der südlichen Halbkugel?
Natürlich gibt es unabweisbare staatliche Notwendigkeiten. Natürlich werden wir tragfähige Kompromisse finden. Wenn wir aber für die Entwicklungszusammenarbeit mehr tun wollen, muß dieser Wille zumindest konkreten und nicht nur verbalen Ausdruck finden.
({3})
- Frau Kollegin Eid, darf ich Ihnen zu Ihrem gestrigen Geburtstag noch gratulieren?
({4})
Parlament und Regierung, politische Parteien und gesellschaftliche Organisationen sollten die Hilfsbereitschaft der Deutschen nicht unterschätzen. Wir sind kein Volk von kalten Egoisten, auch wenn die Rabiatheit mancher Interessenvertretung mitunter diesen Eindruck erweckt. Das Bedürfnis der Menschen, nicht nur der jüngeren in der Bundesrepublik Deutschland, sich für eine Zukunftsaufgabe von ethischem Rang zu engagieren, gehört zu jenen sozialen Phänomena, denen gegenüber Politik und Massenmedien offenkundige Wahrnehmungsprobleme haben.
Dabei geht es in der Entwicklungszusammenarbeit keineswegs nur um menschliche Zuwendung und materielle Hilfe für jene Völker, Volksgruppen oder Bevölkerungsteile, die in bitterer Not leben. So ernst wir Armutsbekämpfung und Graswurzel-Projekte der Hilfe zur Selbsthilfe nehmen müssen und nehmen wollen, so unabdingbar sind die Errichtung solider Infrastrukturen, die Schaffung von Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen, der Aufbau vor allem kleiner und mittlerer Gewerbebetriebe, der Transfer - wo nötig und möglich - auch moderner Technologien, insbesondere aber die Entwicklung des ländlichen Raums.
Der Siebente Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung beschreibt das Instrumentarium, das für die Lösung dieser Aufgaben geschaffen wurde. Er enthält ausgewählte Fallbeispiele für Erfolge, aber auch für Fehlschläge. Neben dem segensreichen Wirken der Nichtregierungsorganisationen wird in dem Bericht die Arbeit der staatseigenen, wiewohl privatwirtschaftlich oder öffentlich-rechtlich verfaßten Durchführungsorganisationen gewürdigt.
Die über- und ineinandergreifenden Problemf elder Bevölkerungswachstum, Hunger und Umweltzerstörung, die groß angelegter Gegenstrategien bedürfen, machen unsere Beteiligung an der multilateralen Zusammenarbeit notwendig. Sie reicht von der Weltbankgruppe über die regionalen Entwicklungsbanken und die Entwicklunsorganisationen im VN-System bis zur Entwicklungshilfe im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft.
Der Bericht, der im September 1987 redaktionell abgeschlossen wurde und die Jahre 1985 und 1986 umfaßt, gibt eine korrekte und objektive Darstellung der weltweiten Entwicklungsbemühungen wieder. Dennoch muß ich einige mir besonders wichtige Feststellungen anfügen: Ohne entscheidend verstärkte Anstrengungen auf seiten der Entwicklungsländer selbst, aber auch auf seiten der Industrieländer wird der Teufelskreis der Unterentwicklung eines großen Teils der Menschheit nicht durchbrochen werden. Wenn eine täglich um über 200 000 Menschen zunehmende Bevölkerung aus blanker Not, aus Unkenntnis und aus ehedem ungefährlicher alter Gewohnheit Hand an die eigenen natürlichen Lebensgrundlagen anlegt, reichen ein paar Zehntel unseres Bruttosozialprodukts als Hilfe nicht aus.
({5})
Dem illiteraten Wanderbauern zu erklären, daß der durch Brandrodung gewonnene Ackerboden nicht nur in wenigen Jahren verkarstet und verweht, sondern auch kein Wasser mehr speichert und folglich einige hundert Kilometer weiter vielleicht der Fluß versiegt und die Wüste gewinnt, macht wenig Sinn, wenn er keine andere Möglichkeit erhält, seine Familie zu ernähren. Der Regierung eines Entwicklungslandes verschärftes Umweltbewußtsein abzuverlangen ist nicht sehr aussichtsreich, wenn sie kaum in der Lage ist, die primitivsten Grundbedürfnisse einer wachsenden Bevölkerung zu befriedigen. Hier sind wir, die Industrieländer, mit unseren Erfahrungen und Erkenntnissen und mit unserer Finanzkraft gefordert. Denn, um nur einen eigennützigen Grund zu nennen: Die Entwicklung der klimatischen Bedingungen auf der nördlichen Erdhälfte hängt auch von der Existenz des tropischen Regenwaldgürtels ab.
({6})
Unsere Beiträge zur Ernährungssicherung in Hungerregionen, insonderheit in Äthiopien, sind mithin trotz ihres beträchtlichen Umfangs, weltweit betrachtet, nur Tropfen auf glühend heiße Steine.
Der Deutsche Bundestag hat mit seinen beiden Beschlüssen vom 10. Dezember 1987 die Bundesregierung kenntnisreich und detailliert zu Hilfsmaßnahmen aufgefordert. Die Regierung hat dem Verlangen des Parlaments, zum Teil auch durch bereits eingeleitete Aktionen, voll Rechnung getragen. Das wird durch die Unterrichtungen im einzelnen belegt. Wo Menschen bittere Not leiden und vom Hungertod bedroht sind - diese Erklärung gilt bis heute für alle Bundesregierungen - , können sie auf unsere Hilfe zählen, ohne Ansehen des politischen Regimes oder des wirtschaftlichen Systems. Aber sehen wir einmal von Naturkatastrophen als Ursachen solcher Not ab, dann drängt sich doch die nachdenkenswerte Frage auf, ob wir uneinsichtige Regime mit hungerproduzierenden Zwangswirtschaften ad infinitum vor dem Kollaps bewahren oder ob wir durch verstärkte Unterstützung von Ländern wie Bolivien oder den Philippinen, die sich mühsam zu rechtsstaatlicher Demokratie und freiheitlichen Wirtschaftsordnungen durchgerungen haben, Signale der Ermutigung setzen wollen.
Doch gegenüber allen Entwicklungsländern, wie wenig oder wie hart sie auch immer für ihren eigenen Fortschritt arbeiten, hängt unsere Glaubwürdigkeit davon ab, ob unsere Taten unseren Worten entsprechen. Unsere Entwicklungszusammenarbeit wird zur hohlen moralisierenden Geste verkommen, wenn die Märkte der Industrieländer durch Eskalationszölle, nichttarifäre Handelshemmnisse, Importquoten, Selbstbeschränkungsabkommen, selektive Präferenzsysteme und ähnliche Utensilien aus dem Gruselkabinett des Merkantilismus verbarrikadiert bleiben. Daß die Bundesrepublik Deutschland rund 60 % ihres Außenhandels mit den überwiegend ebenfalls hochindustrialisierten EG-Ländern abwickelt, müßte doch dem letzten Protektionismus-Anhänger die Augen dafür öffnen, daß wir gar nicht genug ebenbürtige Partner auf der Welt haben können.
Wir stehen an einem Scheideweg. Was La Bruyère vor 300 Jahren auf die Menschen als Individuen gemünzt hat, gilt heute mehr denn je auch für die VölBundesminister Klein
ker: Die Gegenwart gehört den Reichen, die Zukunft aber den Tüchtigen und Gescheiten.
({7})
Daran sollten wir reichen Europäer auch bei der Konstruktion unseres Binnenmarktes denken. Die Tüchtigkeit und Gescheitheit der Menschen in den dynamischen Wachstumsregionen Asiens und Lateinamerikas kann niemand mehr leugnen, und die begabten Afrikaner werden es trotz aller Schwierigkeiten eines Tages auch schaffen. Dann werden wir den gigantischen Potentialen von bis dahin 4 Milliarden Menschen auf der südlichen Halbkugel gegenüberstehen, und sie werden sich erinnern, wer ihnen auf der langen Durststrecke und in den schlimmen Hungerjahren geholfen, wer ihre Strukturen und Traditionen respektiert, wer Vertrauen und Kapital in sie investiert hat.
Deshalb müssen wir, meine Damen und Herren, aus mitmenschlicher Verantwortung und politischer Weitsicht entscheiden. So erhalten auch die Menschen in der Dritten Welt eine Stimme bei uns: die Stimme unseres Gewissens.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Holtz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hunger tut weh, Folter verursacht Schmerzen und zerstört die Freiheit der Menschen, Krieg tötet. Besonders auf der südlichen Hälfte unseres Planeten gibt es viele Menschen und besonders viele Kinder, die an Hunger und Krankheit leiden, die durch Unterdrückung und Krieg sterben.
Denen, die auf der nördlichen Hälfte leben, geht es da viel besser. Dennoch sind auch sie bedroht: von der Umweltzerstörung, von der Arbeitslosigkeit, von Unfrieden, dessen eine wichtige Wurzel in den ungerechten Beziehungen zwischen den benachteiligten Entwicklungsländern und den Industrieländern liegt.
Die Menschen im Süden sind in ihren Lebenschancen stark vom Norden abhängig. Dem Norden ist noch nicht ausreichend bewußt, daß sein Schicksal auf das engste mit dem des Südens verbunden ist. Vielen ist nicht klar, daß unsere Erde entweder eine gemeinsame Zukunft hat oder keine.
Deshalb führt der Europarat eine europäische Öffentlichkeitskampagne über Nord-Süd-Interdependenz und Solidarität durch, zu der auch die heutige Bundestagsdebatte einen Beitrag leisten will, und stellt sie unter das Leitwort „Nord-Süd - eine Zukunft, eine gemeinsame Aufgabe".
Dieser vom Europarat ins Leben gerufenen Kampagne geht es nicht darum, die Spendenbereitschaft der Bürger zu erhöhen, sondern die gegenseitigen Abhängigkeiten, das Aufeinander-angewiesen-Sein in der einen Welt herauszustellen. Der Europarat sowie die EG und die Nicht-Regierungsorganisationen, die diese Kampagne mittragen, haben sich als erstes Ziel gesetzt, die europäische Öffentlichkeit für das Thema Nord-Süd umfassender als bisher zu sensibilisieren.
Im Gegensatz zu anderen Staaten des Europarats findet in der Bundesrepublik die Nord-Süd-Kampagne bislang nicht in den großen Medien statt. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit macht zwar Telefonaktionen und plant für den 10. Juni einen „Informationstag Dritte Welt"; leider wird dabei jedoch kein ausdrücklicher Bezug zu den Europaratsaktivitäten hergestellt. Hier wird eine Chance vertan, der Nord-Süd-Kampagne größere Publizität zu geben.
({0})
Den Menschen in den 21 Mitgliedstaaten des Europarats soll bewußt gemacht werden, in welch hohem Maße die Industrie- und die Entwicklungsländer voneinander abhängen. Interdependenz ist deshalb das eine Schlüsselwort der Kampagne, wobei nicht vergessen werden darf, daß Nord und Süd immer noch sehr ungleiche Partner sind.
Die Interdependenz wird an sieben Schwerpunktthemen festgemacht: Handel, Landwirtschaft, Umwelt, Verschuldung, Entwicklungshilfe, Arbeitsplätze und soziokulturelle Beziehungen.
Zu allen sieben Themen haben Rundtischgespräche in einzelnen Europaratsstaaten stattgefunden, u. a. zum Thema Umwelt bei der Deutschen Stiftung für internationale Entwicklung in Berlin.
Darüber hinaus soll die Kampagne die Botschaft verbreiten, daß Solidarität - das zweite Schlüsselwort - , d. h. ein fairer Nord-Süd-Ausgleich, und die Beseitigung ungerechter Strukturen sowohl ein Gebot der Vernunft als auch eine moralische Verpflichtung sind. Für den Schirmherrn der Kampagne, den spanischen König Juan Carlos, ist Solidarität eine unabdingbare Prämisse für die Öffnung auf eine bessere Zukunft.
Im Nord-Süd-Verhältnis gibt es weiterhin dramatische Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten, wie der christdemokratische niederländische Kollege Harry Aarts und ich als die beiden Hauptberichterstatter für die Kampagne in unserem Bericht an die Parlamentarische Versammlung des Europarats feststellen. Die letzte päpstliche Enzyklika spricht von den Strukturen der Sünde, die beseitigt werden müssen.
Was macht statt dessen der zuständige Bundesminister? Er schiebt seinen „Informationstag Dritte Welt" wieder auf das Gleis Hilfe. So schreibt er z. B. an die Kunden einer Bank: „An diesem Informationstag wollen wir uns solidarisch zeigen mit denen, die in besonderer Weise unserer Hilfe bedürfen, indem wir uns zum deutschen Beitrag von Staat, Kirchen und privaten Organisationen für die Entwicklungsarbeit bekennen. " Damit wird die Stoßrichtung der Nord-SüdKampagne verbogen und von anderen Hauptthemen abgelenkt.
Zu Recht relativiert die Kampagne die Entwicklungshilfe und gibt anderen, viel wichtigeren Berei5402
chen der Nord-Süd-Zusammenarbeit wie Handel, EG-Agrarwirtschaft und Verschuldung mehr Raum.
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- Aber nicht in allen Öffentlichkeitsäußerungen, in den Telefonaktionen, wo es darum geht, die Publizität zu nutzen. Dieser Minister weiß die Trommel der Reklame für sich selbst zu schlagen. Mache er das bitte auch für die gute Sache der Europaratskampagne Nord-Süd.
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Der Zusammenbruch der Rohstoffpreise bescherte den Industrieländern in den vergangenen zwei Jahren Einsparungen von rund 100 Milliarden US-Dollar, die den rohstoffexportierenden Entwicklungsländern für die Sicherung des nackten Überlebens verlorengingen. Darauf muß man hinweisen. Es ist schön, ein paar Prozente mehr zu geben. Aber hier gehen 100 Milliarden US-Dollar - das Dreifache dessen, was die gesamte industrialisierte Welt in einem Jahr an Entwicklungshilfe gibt - verloren. Auf solche Strukturen gilt es auch hinzuweisen.
Die engen Verflechtungen der Weltwirtschaft sind heute häufig so geknüpft, daß sie für den Süden nicht zum rettenden Netz, sondern zur würgenden Schlinge geworden sind. Dazu vernimmt man aus dem BMZ leider nichts. Schade.
Drittens geht es darum, Politik in Bewegung zu bringen. Europa muß lernen, eine aktivere Rolle im Bereich der Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd zu spielen. Im Vorfeld der offiziellen Eröffnung der Nord-Süd-Kampagne forderten die beiden entwicklungspolitischen Ausschüsse der zweiten Kammer des niederländischen Parlaments und des Bundestages am 4. November 1987 in Bonn einmütig - das ist auch in die heute uns vorliegende Beschlußempfehlung zur Nord-Süd-Kampagne mit eingegangen - , Europa solle sich u. a. dafür einsetzen, daß eine gerechte Lösung des Problems der Verschuldung gefunden werde und daß Entwicklungsvorhaben stärker auf die ärmsten Bevölkerungsschichten ausgerichtet und vornehmlich Selbsthilfeansätze gefördert würden. Hier sind inhaltliche Hinweise zu Feldern gegeben, auf denen sich praktische Solidarität bewähren muß.
Zur Verschuldung hat der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit bereits am 18. April dieses Jahres eine Anhörung durchgeführt. Am 20. Juni 1988 ist eine öffentliche Anhörung zu dem Thema Armutsbekämpfung durch Selbsthilfe vorgesehen. Ich hoffe, daß der Bundestag letztlich zu Schlußfolgerungen und Handlungsanweisungen an die Bundesregierung kommt, die dem Geist dieser Willenserklärung entsprechen.
In dem gerade erwähnten Beschlußvorschlag an den Bundestag, den der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit vorbereitet, dem sich der Auswärtige Ausschuß angeschlossen hat und den auch wir Sozialdemokraten zur Annahme empfehlen, heißt es:
Das Überleben der Industrieländer wie der Entwicklungsländer kann nur gemeinsam sichergestellt werden, und dazu bedarf es eines gerechten Ausgleichs der jeweiligen Interessen.
Gerechter Ausgleich der Interessen! Die Bundesregierung wird aber nicht müde, immer wieder herauszustreichen, daß zu ihren entwicklungspolitischen Zielen auch die Wahrung legitimer Eigeninteressen gehöre, und dann wird meist die Klammer aufgemacht, dann steht dahinter Beschäftigungswirksamkeit.
Man fragt sich allerdings, um wessen Eigeninteressen es sich eigentlich handelt. Was die legitimen Eigeninteressen der Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland angeht, so macht die Erkenntnis von den wachsenden Interdependenzen jedenfalls deutlich, daß diese Definition der Bundesregierung entschieden zu kurz greift. Zu den legitimen Eigeninteressen gehört weitaus mehr als der schnelle Profit für einige wenige. Dazu gehört die Sicherung eines dauerhaften Friedens. Der Weltfriede kann aber auf Dauer nur auf sozialer Gerechtigkeit aufgebaut werden.
({3})
So der erste Satz in der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation.
Dazu gehört die Bewahrung unserer natürlichen Ressourcen. Dazu gehört die Sicherung von Arbeitsplätzen, die in Gefahr geraten, wenn der Süden nicht in die Lage versetzt wird, binnenmarktorientierte Entwicklungen voranzutreiben und sich darüber hinaus einen dauerhaften Platz auf dem Weltmarkt zu erobern.
Wir dürfen unser Blickfeld also nicht gerade dann einengen, wenn es um eine globale Sicht geht. Ein umfassendes Netz von politischen, wirtschaftlichen, soziokulturellen und ökologischen Beziehungen macht die Menschheit zu einer Gemeinschaft. Wir haben nur den einen Frieden, die eine Ressourcenbasis, die eine Zukunft. Eine solche Sichtweise verlangt auch eine neue menschliche Ethik in der Nord-SüdZusammenarbeit, wie eine zentrale Schlußfolgerung des Rundtischgesprächs in Bergen, Norwegen, zum Thema „Entwicklungspolitik" lautete.
Schlägt man jedoch Seite 15 des siebten entwicklungspolitischen Berichts der Bundesregierung auf, dann hat man nicht den Eindruck, daß hier überhaupt von Menschen die Rede ist. Da heißt es:
Indem Arme trotz widriger Umstände überleben, beweisen sie ein erstaunliches Maß an Kreativität, Selbsthilfe-Fähigkeit und Produktivität in der Nutzung ihrer oft geringfügigen Ressourcen. Sie organisieren sich und schaffen sich Zugänge, solange sie Chancen sehen, daß sich hierbei ein Nutzen für sie abzeichnet.
Der Ton, in dem hier von den Armen dieser Erde gesprochen wird, entspricht eher dem eines Verhaltensforschers, der eine Horde wilder Tiere beobachtet. Wie ich finde, ist es eine menschennegierende Wortwahl.
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- Lesen Sie es mal bitte nach!
Um so mehr freue ich mich, daß der „big push" in der entwicklungspolitischen Öffentlichkeitsarbeit nun schon nicht mehr zu übersehen ist. Was hier vom europäischen Organisationskomitee unter Koordination des österreichischen Botschafters Walter Lichem und vom nationalen Organisationskomitee mit seinem Sprecher Botschafter a. D. Per Fischer auf die Beine gestellt wurde und wird, ist beeindruckend.
In der Bundesrepublik sind bisher über 30 lokale Nord-Süd-Foren entstanden, seit Januar gibt es eine Kampagnezeitung, Tausende von Schulen wenden sich an dieses Nord-Süd-Organisationskomitee, um Material zu erhalten. Aus dem Plakatwettbewerb ist eine gute Ausstellungsmöglichkeit für Schulen, Rathäuser, Bürgerzentren und Dritte-Welt-Häuser geworden. Eine Kinderbuchaktion trägt das Motto: Guck mal über den Tellerrand, lies mal, wie die anderen leben! Entwicklungspolitisch engagierte Kinderbuchautorinnen und -autoren bieten Lesungen in Schulen, Bibliotheken und Buchhandlungen an. Terres des hommes hat eine Wanderausstellung zum Thema Schulden vorbereitet. Die Zeitschrift „Das Parlament" und die „Vierteljahresberichte" der EbertStiftung haben der Kampagne Sonderausgaben gewidmet. Die Kultusministerkonferenz - so im Dezember letzten Jahres - möchte das Europaratsanliegen in den Schulen berücksichtigt sehen. Die SPD hat als bislang einzige Partei in der Bundesrepublik ein Nord-Süd-Forum veranstaltet und damit auch Anstöße für die Beschäftigung mit dem Thema auf lokaler Ebene gegeben. Es ist unmöglich, die ganze Vielzahl dieser Kampagneaktivitäten „von unten" her aufzuzählen. Eines machen sie aber ganz deutlich: Noch nie konnte zu einer überparteilichen Aufgabe ein so breites Bündnis von Engagierten und Interessierten hergestellt werden: von den Kirchen über Gewerkschaften, Städte und Gemeinden, Jugendverbände, Frauenorganisationen, Schulen und Universitäten bis hin zu entwicklungspolitischen und sozialen Aktionsgruppen.
Wenn man diese ganzen Aktivitäten Revue passieren läßt, dann ist es um so bedauerlicher, daß sich der für die wirtschaftliche Zusammenarbeit zuständige Bundesminister als Zensor aufspielt. Die Ablehnung der Anträge des Bundeskongresses entwicklungspolitischer Aktionsgruppen - Buko - halte ich für falsch und der Sache nicht dienlich, zumal sich der Buko zur selbstverständlich gewaltfreien Durchführung der Kampagne bekannt hat,
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wie mir der Sprecher des nationalen Organisationskomitees mitteilte.
Die Beziehung zwischen Regierung auf der einen und Nicht-Regierungsorganisationen auf der anderen Seite ist häufig von tiefem Mißtrauen geprägt. Sie wird oft als eine tiefe Kluft zwischen Realpolitik und Idealismus angesehen. Die Nord-Süd-Kampagne des Europarates sollte auch genutzt werden, diese Kluft abzubauen. Sie ist eine Herausforderung für unsere Demokratie, die wir positiv annehmen sollten. Was macht die Bundesregierung statt dessen? Sie kündigte den anderen Nicht-Regierungsorganisationen Konsequenzen für den Fall an, daß sie sich weiterhin mit dem Buko solidarisierten. Eine solche Drohung ist kein Zeichen von Stärke, sondern eher ein Zeichen von Schwäche.
Die Anregungen und Ergebnisse der unterschiedlichen Aktivitäten auf europäischer und nationaler Ebene sollen auf der Madrider Konferenz diskutiert werden, die vom 1. bis zum 3. Juni stattfindet. Was Organisation und Zusammensetzung dieser Konferenz angeht, so wird es sich um eine bislang einmalige Konferenz handeln, an der zum erstenmal Parlamentarierinnen und Parlamentarier sowie Vertreterinnen und Vertreter von Nicht-Regierungsorganisationen sowohl aus dem Norden als auch aus dem Süden gleichberechtigt teilnehmen, dazu Regierungsmitglieder und Vertreter internationaler Hilfsorganisationen. Es wird vor allem darum gehen, aus den sieben Hauptthemen der Kampagne Schlußfolgerungen zu ziehen, um dann zu einem Nord-Süd-Appell für weiteres Handeln zu kommen.
Schon jetzt läßt sich feststellen, daß diese Europaratskampagne kein Strohfeuer war. Manches, was in den letzten Wochen und Monaten angestoßen worden ist, sollte auf eine dauerhaftere Grundlage gestellt werden:
Erstens. Wir Sozialdemokraten begrüßen den Vorschlag, den der portugiesische Premierminister am 3. Mai vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg unterbreitet hat, nämlich in Portugal ein Nord-Süd-Zentrum zu schaffen, das die jetzt angelaufenen europaweiten Aktivitäten und Initiativen weiterführen soll. Vielleicht kann dieses Zentrum besondere Impulse für die Erziehung zur Entwicklungspolitik für eine Entwicklungserziehung in den europäischen Ländern geben, wozu unsere Kollegin Leni Fischer mit einem Bericht in der Parlamentarischen Versammlung bedeutende Orientierungen gegeben hat.
Zweitens. Eine Folge dieser Kampagne sollte die Fortsetzung des jetzt im großen und ganzen erfolgreich begonnenen Trialogs zwischen Regierungen, Parlamenten und Nichtregierungsorganisationen sein. Mit gutem Grund schreibt Willy Brandt, Mitglied des Ehrenkomitees der Nord-Süd-Kampagne:
Diese Kampagne des Europarates sollte als Auftakt für eine breitere Bewegung verstanden werden; wir brauchen ein breites engagiertes Bündnis...
Ich schließe mich auch denen an, die fordern, dieses wirkungsvolle Bündnis, das sich im nationalen Organisationskomitee zusammengefunden hat, sollte zum Nutzen der deutschen Entwicklungspolitik auch in Zukunft zusammengehalten werden. Als Bundestags-und Europaratsabgeordneter möchte ich zur Verwirklichung dieses Trialogs beitragen - auch der demokratischen Kultur wegen.
Drittens. Politik in Bewegung zu bringen, dazu sind der Europarat, seine Mitgliedstaaten und insbesondere die EG aufgerufen. Der Europarat kann mit der Nord-Süd-Kampagne neue Denkprozesse initiieren und so Problemlösungsfähigkeiten erhöhen. Im übrigen hat die Europaparlamentarierin Katharina Focke recht: Der Europarat, sagt sie, setzt den Akzent stär5404
ker auf die Beeinflussung des öffentlichen Bewußtseins sowie auf die Felder der Erziehung und der Medienpolitik; das Europäische Parlament macht die Verantwortung und Rolle der EG als eines handlungsfähigen Partners der Entwicklungsländer in der Weltpolitik und in der Weltwirtschaft zur Basis seiner Forderungen nach politischer Aktion. Beides ist meines Erachtens unabdingbar, wenn es zu einer besseren Nord-Süd-Politik kommen soll. Zum erstenmal in der Geschichte des Europarates haben die 21 Außenminister, darunter Hans-Dietrich Genscher, am 5. Mai mit Kollegen aus Entwicklungsländern über den Stand der Nord-Süd-Beziehungen diskutiert. Das ist ein ermutigender Anfang.
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Für Europa ist der Nord-Süd-Ausgleich mehr als ein moralisches Ideal. Er liegt auch in seinem politischen Interesse. Europa hat, wie es der spanische Kollege Miguel-Angel Martínez in seinem Bericht darstellte, viel zu verlieren in einer Welt, die in zwei ideologische Blöcke geteilt ist. Europa muß seinen Blick auch auf den Süden richten, um die notwendige Pluralität in der Weltpolitik wiederherzustellen. Es sollte mit den Ländern der Dritten Welt zusammenarbeiten, um es ihnen zu ermöglichen, dem Druck der Supermächte zu entgehen, und ihnen Alternativen bieten.
Aber genauso, wie wir Europäer auf die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Dimension von Entwicklung verweisen, müssen wir deutlich machen, daß Entwicklung auch eine Frage der Befreiung, der Freiheit und der Verwirklichung von Menschenrechten ist. Europa kann viel dazu beitragen, daß die Völker des Südens westliche Politik und westliche Werte nicht länger mit einem Norden gleichsetzen, der aus ihrer Sicht oft nur als aufgeblasen, eigensüchtig und ausbeuterisch empfunden werden kann.
Wir Deutschen sollten unsere besonderen historischen Erfahrungen in einen konstruktiven Dialog mit einbringen. Als gebrannte Kinder in bezug auf dogmatische Selbstgewißheiten haben wir die Chance, uns den Ländern der Dritten Welt als Partner ohne Sendungsbewußtsein anzubieten. Wir sollten diese Chance nicht dadurch vertun, daß wir wirtschaftliche Abhängigkeiten als weltpolizeiliche Waffe gegen Schwächere einsetzen.
Bislang fehlt es an Mut und an politischem Willen, nach vorne gerichtete Lösungen im Nord-Süd-Bereich durchzusetzen.
Wir alle
um unseren Bundespräsidenten von Weizsäcker beim Neujahrsempfang für das diplomatische Korps in Bonn am 8. Januar 1988 zu zitieren,
werden vor der Geschichte schuldig werden, wenn wir nicht unsere Kräfte anstrengen, die eine Welt zu schaffen, in der es keine erste, zweite, dritte oder vierte mehr gibt.
Die Nord-Süd-Kampagne des Europarates muß einen dreifachen Beitrag leisten: zu einem neuen Denken, zu einer neuen Ethik, zu einem neuen Handeln.
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Das Wort hat der Abgeordnete Höffkes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Herr Kollege Dr. Holtz, Sie haben eben einiges über die Nord-SüdKampagne des Europarates gesagt. Ich möchte dazu bemerken: Diese Kampagne wird als Maßnahme zu einer noch breiteren Bewußtseinsbildung in weiten Schichten der europäischen Bevölkerung begrüßt. Ich kann nur hoffen, daß Ihre Erwartungen, die ja sehr hoch geschraubt sind, in Erfüllung gehen.
Meine Damen und Herren, mit dem Siebten Bericht zur Entwicklungspolitik gibt die Bundesregierung Auskunft über ihre Tätigkeit, derjenigen der Europäischen Gemeinschaft, anderer staatlicher Träger und der nichtstaatlichen Entwicklungshilfeorganisationen in den Jahren 1985 und 1986. Struktur und Umfang des Berichts entsprechen dem Wunsch des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit bei der Diskussion des sechsten Berichts.
Zu danken ist der Bundesregierung, daß sie bei der Gestaltung die Forderungen des Bundestages vom Oktober 1984 beachtet hat und der Aufforderung nachgekommen ist, die Ergebnisse der öffentlichen Anhörung von Sachverständigen zum Thema „Entwicklungspolitik, Bilanz und Perspektiven" zu berücksichtigen.
Des weiteren hat die Bundesregierung die Forderungen des Bundestages erfüllt, nämlich in einem gesonderten Kapitel die entwicklungspolitischen Aufgaben und Leistungen der Nicht-Regierungsorganisationen darzustellen. Hierauf wird in den Ausschußberatungen näher einzugehen sein.
An dieser Stelle scheint es mir aber angebracht, einmal darauf hinzuweisen, daß die Bundesregierung mit den Vorlagen des fünften, sechsten und siebten Berichts, zusammen mit den in den Berichten beigefügten Zahlen und Tabellenwerken gute Arbeit geleistet hat, eine Arbeit, die es jedem entwicklungspolitisch Interessierten erlaubt, sich sachkundig zu machen.
Die erwähnten Berichte und die jeweils dazu ergangenen Beschlußempfehlungen des Ausschusses stellen ein Kompendium, ein Nachschlagewerk für Entwicklungspolitik von - so meine ich - hohem Rang sowie äußerster Präzision und Aussagekraft dar. Es ist wohl angebracht, hier einmal ein herzliches Dankeschön all denen zu sagen, die mit großem Fleiß, Sachkunde und Einfühlungsvermögen, eben mit Engagement, am Zustandekommen mitgewirkt haben.
({0})
Es ist und war keine Arbeit für die Ablage in LeitzOrdnern oder Archiven, sondern eine lebendige Darstellung von politischen und wirtschaftlichen Ereignissen und Maßnahmen, die Anlaß und Ursache waren, um Aktivitäten zur Förderung der Staaten der Dritten Welt zu ergreifen, oftmals zur Überlebenshilfe gegenüber benachteiligten oder gefährdeten Menschen in der Dritten Welt, und zwar in partnerschaftlicher Solidarität, solchen Ansprüchen nachzukommen.
Wer den Siebten Bericht nüchtern liest, muß unbestreitbar feststellen, daß sich die Bundesregierung in
den Jahren 85/86 bemüht hat, allen Anforderungen gerecht zu werden, Anforderungen, die wegen Unterentwicklung aller Art berechtigt waren, aber oft auch heraufbeschworen durch Uneinsichtigkeit, Unfähigkeit und allgemeines Unvermögen von Regierungen und Staaten in der Dritten Welt. Allzuoft waren aber auch Kriege und Bürgerkriege Ursache von Hunger, von Flüchtlingsströmen, von Verelendungen und von riesigen ökologischen Zerstörungen.
Zur Situation der Entwicklungsländer heute, zu den zentralen Problemen wie Armut, Verelendung, Selbsthilfefähigkeit, Nahrungsmittelknappheit, zu den ökonomischen und ökologischen Grenzen der Ernährungssicherung, zur Agrarpolitik und zum Agrarhandel, zu Bevölkerungs- und zu Frauenfragen in der Dritten Welt werden noch eingehende Erörterungen in der Ausschußarbeit erforderlich sein. Jetzt darauf einzugehen, erlaubt die Zeit nicht.
Aber einige Anmerkungen zum Problem der Verschuldung.
Erstens. Die Verschuldung hat die schon fast unvorstellbare Summe von 1,2 Billionen US-Dollar überschritten.
Zweitens. Die Verschuldung der Entwicklungsländer hat sich zu einer globalen Herausforderung entwickelt. Sie belastet die internationalen Wirtschaftsbeziehungen, beeinträchtigt die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in vielen Ländern und gefährdet das internationale Finanzsystem. In vielen Entwicklungsländern blockiert sie den sozialen Fortschritt und gefährdet die politische Stabilität und demokratische Entwicklung. Sie verschärft die Konflikte zwischen Entwicklungs- und Industrieländern und belastet die internationalen Beziehungen.
Seit dem Ausbruch der Verschuldungskrise im Jahre 1982 haben die Gläubiger, nämlich Banken, Regierungen und internationalen Finanzierungsorganisationen, in Zusammenarbeit mit den Schuldnern die Stabilität des internationalen Finanzsystems bewahrt und ein Übergreifen der Krise auf das internationale Währungs- und Handelssystem verhindert.
Die Strategie zur Überwindung des internationalen Schuldenproblems zielt darauf ab, in den Schuldnerländern dauerhaftes Wachstum bei wirtschaftlicher und finanzieller Stabilität zu sichern und wieder zu normalen Finanzbeziehungen zwischen Schuldnern und Gläubigern zu gelangen und dies in sozial verträglicher Weise zu erreichen.
Dabei müssen alle Beteiligten ihren Beitrag leisten. Die verschuldeten Entwicklungsländer müssen ihrer Eigenverantwortung gerecht werden und durch eine Politik innerer Reformen ihre strukturellen Verzerrungen und sozialen Ungleichgewichte abbauen und damit ihre Voraussetzungen für inländische Ersparnisbildung, produktive Investitionen, ausländische Direktinvestitionen und die Rückkehr von Fluchtkapital schaffen.
Die Industrieländer tragen eine Mitverantwortung, durch Sicherung günstiger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen, ein nachhaltiges nicht inflationäres Wirtschaftswachstum, Wechselkursstabilität, niedrige Zinsen und offene Märkte für die Ausfuhren der Entwicklungsländer, deren Integration in den Weltmarkt zu erleichtern.
Die internationalen Finanzierungsorganisationen müssen durch Politikberatung und Finanzierung den Entwicklungsländern bei der Lösung ihrer wirtschaftlichen Probleme helfen. Die Geschäftsbanken bleiben aufgefordert, ausreichende Finanzierungsmittel zu angemessenen Bedingungen bereitzustellen.
Trotz der mit dieser Strategie bisher erzielten Erfolge hat sich die Lage vieler Schuldnerländer nicht verbessert. Hoher Schuldendienst, wirtschaftliche Ungleichgewichte und soziale Spannungen gefährden ihre Anstrengungen um Demokratisierung und Wachstum.
Eine umfassende Ursachen- und Zustandsbeschreibung unter Aufzählung der Maßnahmen, die zur Bewältigung der Schuldenkrise zu ergreifen sind, haben die beiden großen Kirchen in dieser Woche der Öffentlichkeit vorgestellt. Es handelt sich um sehr verdienstvolle, gründliche Sachverhaltsdarstellungen mit Lösungsvorstellungen, und zwar um die Studie der Evangelischen Kirche in Deutschland, um eine Stellungnahme der Kammer für Kirchlichen Entwicklungsdienst, zweitens um die Studie Nr. 7 der deutschen Bischöfe der Kommission Weltkirche über „Die internationale Schuldenkrise - eine ethische Herausforderung" und drittens um eine Arbeit der päpstlichen Kommission Justitia et Pax „Im Dienste der menschlichen Gemeinschaft - ein ethischer Ansatz zur Überwindung der internationalen Schuldenkrise " .
Ich empfehle allen, diese Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen und sie als Orientierungslinien zu würdigen. Namens der CDU/CSU-Fraktion danke ich den beiden Kirchen für diese guten und fundierten Handreichungen.
({1})
Gleichzeitig kann ich für meine Fraktion erklären, daß die Aussagen der Kirchen mit unseren Überlegungen parallel laufen und wir hier von einem guten Konsens der Kirchen mit den Auffassungen unserer Fraktion sprechen können. Wir werden die Anregungen erneut aufnehmen und in die Praxis umsetzen.
Zur Verschuldungskrise liegen dem Bundestag Anträge aus allen Fraktionen vor. Die CDU/CSU hofft, daß bei der Behandlung dieser Anträge ein möglichst breiter Konsens zwischen den Parteien erreicht werden kann. Wir alle wissen, daß sich dieses ernste Thema nicht eignet, um Polemik zu betreiben, und auch nicht zur politischen Profilierung dienen kann. Es geht hier um Leben und Überleben von Millionen von Menschen.
({2})
An dieser Stelle noch einige Worte über die Ernährungssituation in Äthiopien. Nach den Hungerjahren 1983 bis 1985, als das Ausmaß der Katastrophe sehr spät erkannt wurde und Hilfsmaßnahmen ebenfalls sehr spät - leider für viele zu spät - anlaufen konnten, war die Katastrophe diesmal frühzeitig absehbar. Aber gerade das bringt neue Probleme. In einer Hungersnot sind viele zum Helfen bereit, vor einer solchen Not bleiben viele abwartend. Stichwort: Vietnam.
Hinzu kommt, daß sich die marxistisch-leninistische Regierung, die umstrittenen Umsiedlungs- und Verdorfungsprogramme und der Bürgerkrieg negativ auswirkten. Eine namhafte Organisation stellte die rhetorische Frage: Darf man Äthiopien noch helfen? Und die selbstgegebene Antwort lautete: Es ist moralisch unverantwortlich, Mengistu und seiner Clique zu helfen, ihre Schandtaten fortzusetzen.
Gründliche Erkundigungen vor Ort haben ergeben, daß die Zuordnung, meine Damen und Herren, von „gut" und „böse", von „hilfreich" und „schädlich" so plakativ gar nicht möglich ist. Auf die Frage „Darf man Äthiopien noch helfen?" gebe ich ebenfalls selbst die Antwort: Es ist amoralisch und erst recht unchristlich, unverantwortlich, nicht zu helfen. Denn wer hier nicht hilft, trägt keinen politischen Streit aus, sondern verurteilt faktisch ungezählte Männer, Frauen und Kinder zum Tode.
({3})
In Würdigung der Unterrichtung durch die Bundesregierung über die Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bundestags vom Dezember 1987 über die Ernährungssituation in Äthiopien muß ich feststellen, daß die Bundesregierung in kooperativer Zusammenarbeit mit der internationalen Gebergemeinschaft und den NGOs alles ihr Mögliche und Zumutbare getan hat, um allen bedrohten Menschen in Äthiopien zu helfen. Für diese Leistungen möchte ich seitens der CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich Dank und Anerkennung aussprechen.
({4})
Es ist unverantwortlich und sachlich falsch, meine Damen und Herren, wenn - wie heute in einem Beitrag des Rundfunks - die Dinge so dargestellt werden, als ob die Bundesregierung, wie es dort hieß, der Bevölkerung von Tigray und Eritrea Nahrungsmittelhilfe „aus diplomatischen Gründen" verweigert habe.
({5})
Auch der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN baut falsche Fronten auf und erweckt den unzutreffenden Eindruck mangelnder Hilfsbereitschaft der Bundesregierung. Er fordert die Bundesregierung auf, zur Bekämpfung der Hungersnot in Äthiopien umgehend jeweils 10 Megatonnen Getreide und 10 Lkw an die humanitären Hilfsorganisationen ERA und REST zu liefern; das Getreide soll im Sudan gekauft werden.
({6})
Tatsache ist: Durch Fortsetzung und teilweise Verstärkung ihrer Kampfhandlungen gegen die äthiopische Zentralregierung haben die äthiopischen Widerstandsbewegungen in den letzten Monaten die Versorgung der Bevölkerung mit Hilfsgütern bedauerlicherweise erheblich erschwert. Die eritreische Befreiungsfront, die EPLF, hat Ende Oktober 1987 und Mitte Januar dieses Jahres zwei große Hilfsgüterkonvois angegriffen, die Lastwagen zerstört und das transportierte Getreide verbrannt,
({7})
obwohl zumindest einer der Konvois eindeutig als Hilfsgütertransport ausgewiesen war. Insgesamt sind bei derartigen Anschlägen der EPLF bisher 93 Lastwagen zerstört worden. Sowohl die Vereinten Nationen als auch die Europäische Gemeinschaft haben diese Anschläge der EPLF auf Hilfsgütertransporte in entsprechenden Erklärungen verurteilt und die Einstellung der Kampfhandlungen gefordert. Die äthiopische Regierung kann auf Grund der militärischen Lage nicht garantieren, daß die Nahrungsmittel ungefährdet in die von ihr nicht kontrollierten Gebiete Eritreas und Tigrays gelangen. Hier sind die Widerstandsbewegungen und die äthiopische Regierung aufgefordert, im Interesse der Versorgung der Bevölkerung ihre politischen Ziele gewaltfrei zu verfolgen. Dies sollte um so leichter möglich sein, als inzwischen Autonomieangebote der äthiopischen Zentralregierung für die Nordregionen Eritrea und Tigray vorliegen.
Der freie Zugang für die internationalen humanitären Hilfsorganisationen zu den bedürftigen Bevölkerungsgruppen in den von der äthiopischen Zentralregierung kontrollierten Gebieten ist gewährleistet. Das IKRK versucht seit geraumer Zeit, in allen Gebieten Äthiopiens eine open-roads-policy durchzusetzen. Nach den vorliegenden Erkenntnissen haben aber das Internationale Rote Kreuz und die Nicht-RegierungsOrganisationen von dem von der äthiopischen Regierung kontrollierten Territorium aus keinen freien und ungehinderten Zugang zu den von der EPLF und der TPLF kontrollierten Gebieten.
Herr Kollege, darf ich Sie unterbrechen. Werfen Sie mal einen Blick rechts auf das leuchtende rote Licht?
Ja; ich komme sofort zum Ende, Herr Präsident. - Daher erhält eine große Zahl der in diesen Gebieten lebenden und von Hunger bedrohten Menschen nur marginale Hilfe. Tatsache ist aber auch, daß die Bundesregierung beabsichtigt, bilateral und nach Abstimmung mit ihren europäischen Partnern bei der äthiopischen Regierung für eine konsequente Durchführung der open-air-policy zu intervenieren.
Na, das war doch ein guter Abschluß. Herr Kollege, Sie sind schon weit über die Zeit.
({0}) Höffkes ({1}): Ich bedanke mich.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Eid.
Herzlichen Dank, Herr Präsident! Erlauben Sie mir, meine Fraktion zu entschuldigen, die seit 14 Uhr eine Sondersitzung hat und deswegen nicht hier sein kann.
({0})
Der Minister hat mir sehr charmant zum Geburtstag gratuliert. Ich bedanke mich recht herzlich. Wenn Sie doch nur ebenso charmant unsere entwicklungspolitischen Forderungen umsetzen wollten, würde ich mich sehr freuen. Aber Sie kommen mit leeren Händen.
Außerdem kann ich mir eine Bemerkung zu dem Siebenten Bericht zur Entwicklungspolitik nicht verkneifen. Ich weiß, daß Sie damals, als Sie den Bundespräsidenten nach Simbabwe begleiteten, ganz dringend nach Hause mußten, weil dieser Bericht im Kabinett diskutiert werden sollte. Diese Begründung war die Sprachregelung des Auswärtigen Amts. Ich habe andere Interpretationen in Simbabwe gehört, nämlich daß Ihnen die Aussagen des Bundespräsidenten zu den Sanktionen gegen Südafrika vielleicht nicht gefallen haben. Ich sage das nur, weil es jetzt um diesen Bericht geht, der damals eine so wesentliche Rolle gespielt hat.
Nun zum Inhalt. Dieser Bericht zeigt erneut in aller Offenheit das Doppelgesicht der bundesdeutschen Beziehungen zur Dritten Welt. Auf der einen Seite wird die dominante Rolle der Bundesrepublik als einer führenden Wirtschaftsmacht dazu genutzt, die ausbeuterischen Weltwirtschaftsstrukturen zu verfestigen.
({1})
Auf der anderen Seite werden die armseligen Almosen der öffentlichen Entwicklungshilfe mit großem Werbeaufwand als Zeichen der Mitmenschlichkeit gegenüber den Armen in der Dritten Welt vermarktet. Schnell hat sich Minister Klein vom Hauptziel der Beschäftigungswirksamkeit bundesdeutscher Entwicklungshilfe unter seinem Vorgänger Warnke distanziert. Aber das CSU-geführte BMZ bleibt weiterhin einseitig den Außenwirtschaftsinteressen der bundesdeutschen Unternehmen verpflichtet.
Die zunehmende Ausrichtung der Bonner Entwicklungshilfe auf die Strukturanpassungsprogramme der Weltbank offenbart die strategischen Ziele der BMZ-Politik. Die nachhaltige Schwächung der meisten Dritte-Welt-Länder wird als historische Chance begriffen, um jegliche Solidarisierungsbemühungen im Süden zu zerschlagen und die Zwangsintegration dieser Gesellschaften in den Weltmarkt voranzutreiben.
Deckung der Grundbedürfnisse der Armen und die umfassende Verwirklichung der Menschenrechte treten nicht als eigenständige Ziele bei den Sanierungsprogrammen von Weltbank und IWF in Erscheinung. Die neuerdings so gerne geäußerte Sorge von Weltbank und BMZ um den Schutz der Armen im Anpassungsprozeß kann in keiner Weise überzeugen. Auch wenn es sich dabei um durchaus sinnvolle Einzelmaßnahmen handeln kann, ergeben sich daraus keinerlei Rückwirkungen auf die Gesamtausrichtung der Anpassungsprogramme.
Auch die neuen ökologischen Einsichten von BMZ und Weltbank werden die hemmungslose Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen in der Dritten Welt nicht aufhalten oder auch nur verlangsamen können. Das BMZ-Verfahren zur Umweltverträglichkeitsprüfung kann schon deshalb überhaupt nicht greifen, weil der politische Wille fehlt, der ökologischen Dimension höchste Priorität einzuräumen.
Die GRÜNEN kritisieren die völlig unzulängliche Behandlung der ökologischen Probleme im Siebenten entwicklungspolitischen Bericht. Der gesamte Kurs der erzwungenen Weltmarktorientierung in der Dritten Welt müßte zur Disposition gestellt werden. Sowohl die armutsbedingte Umweltzerstörung als auch die Ausplünderung der Natur für die Weltmarktproduktion sind in erster Linie unmittelbare Folgen der Schuldenkrise und der ungerechten Weltwirtschaftsstrukturen.
Die Politik der Bundesregierung in der Schuldenkrise als Gläubigerin gegenüber Dritte-Welt-Ländern ist weiterhin von großer Unnachgiebigkeit gekennzeichnet. In zwei Großen Anfragen zu den Rückflüssen aus den Entwicklungshilfekrediten und den Hermes-Krediten der Bundesregierung an die Dritte Welt haben die GRÜNEN dies ausführlich dokumentiert.
Die Zins- und Tilgungsleistungen aus der Dritten Welt an Bonn steigen unaufhörlich: Für 1988 wird mit 1,5 Milliarden DM gerechnet. Minister Klein hat wohl die Rolle seines CSU-Kollegen Zimmermann als Ankündigungsminister übernommen. Ständig läßt er verlauten, die Bundesregierung werde demnächst ihre vom Bundestag ausdrücklich eingeräumten Möglichkeiten zum Schuldenerlaß über den Kreis der ärmsten Länder hinaus ausweiten. Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie das vorhin wieder getan. Doch der Finanzminister hat bisher jede Initiative in dieser Richtung blockiert. Wann endlich wird das Kabinett in dieser Frage positiv entscheiden?
Auch bei den Schulden der Dritten Welt aus Schadenszahlungen für Hermes-Bürgschaften verfolgt die Bundesregierung eine eigensüchtige Linie. Die mittlerweile auf über 7 Milliarden DM gewachsenen Forderungen der Bundesregierung werden selbst bei den allerärmsten Ländern nur zu Marktbedingungen umgeschuldet. Wie hart die Bundesregierung dabei den verzweifelten Staaten jede Erleichterung verweigert, zeigt sich an ihrem Verhalten gegenüber dem britischen Vorstoß zu den Ländern südlich der Sahara. London hat angeregt, diesen Staaten einen Zinsnachlaß bei Umschuldungen im Pariser Club von 3 Prozentpunkten zu gewähren. Der harte Widerstand von Minister Stoltenberg hat bisher die Durchsetzung dieser minimalen Zugeständnisse verhindert.
Bei dieser Politik darf sich die Bundesregierung nicht wundern, daß die kritischen Stimmen im eigenen Land ständig lauter werden. Gerade im Vorfeld der anstehenden Jahresversammlung von IWF und Weltbank wächst das Interesse und entwicklungspolitische Engagement in vielen gesellschaftlichen Bereichen. Auf diese Kritik reagiert der Minister mit einer unerträglichen Polarisierungsstrategie.
Im staatlich kontrollierten Entwicklungshilfesektor wird Kritik konsequent zur Seite gedrückt.
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Jüngstes Beispiel ist die Kontakt- und Informationsstelle für rückkehrende Entwicklungshelferinnen und -helfer. Die KIS wurde vom BMZ wegen politisch nicht genehmer Positionen zum 1. Januar 1988 aufgelöst. Wir freuen uns deshalb sehr, daß die Rückkehrer/ innen jetzt aus eigener Initiative den Verein Vehement ins Leben gerufen haben und ihre Interessen wahrnehmen.
Die polemischen Angriffe und administrativen Zwangsmaßnahmen der BMZ-Leitung gegen den BUKO sind an Schärfe nicht mehr zu überbieten.
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Wir begrüßen es, daß die Mitgliedsorganisationen der Nord-Süd-Kampagne aus Solidarität auf die zugesagten Mittel des BMZ verzichtet haben, als die Anträge des BUKO abgelehnt wurden.
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Das verhalten des BMZ gegenüber dem Bundestag in dieser Angelegenheit war im höchsten Maße skandalös. So wurde das nationale Organisationskomitee der Nord-Süd-Kampagne angelogen, als das BMZ in schriftlicher Form mitteilte, die Finanzierungsentscheidungen seien in Abstimmung mit dem AwZ-Vorsitzenden und den Berichterstatterinnen und Berichterstattern im Haushaltsausschuß erfolgt.
Das BMZ verfolgt eine Diffamierungsstrategie gegenüber allen Gruppen, die sich kritisch mit IWF und Weltbank auseinandersetzen. Diese Strategie trägt bereits Früchte, und zwar die Strategie von BMZ und Bundeskriminalamt. Die Entscheidung der Stadt Frankfurt, dem BUKO die Räume für den Jahreskongreß Anfang Juni zu verweigern, ist das erste Indiz hierfür. Dem BMZ geht es nicht um eine offene Debatte über Entwicklungspolitik, sondern um eine Verschärfung der Diskussion an völlig sachfremden Themen.
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Wer nicht einstimmt in den Chor der Lobsänger des BMZ, wird finanziell stranguliert, politisch diskriminiert und soll zum Schweigen gebracht werden. Auch das gehört zu den unterdrückten Wahrheiten des Siebenten entwicklungspolitischen Berichts.
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Nun zu dem Bericht der Bundesregierung zum interfraktionellen Beschluß des Deutschen Bundestages über die Ernährungssituation in Äthiopien. Diesen Bericht finde ich schlichtweg skandalös. Ich will dafür drei Gründe geben.
Erstens. Es hungern fünf Millionen Menschen, leiden unter schlimmen Kriegsbedingungen, und die Bundesregierung bringt es nicht einmal fertig, einen Bericht mit den aktuellen Ereignissen dem Parlament vorzulegen. Bereits vor Fertigstellung des Berichts ergaben sich in Eritrea und Tigray wichtige militärische Veränderungen, die nachhaltige Auswirkungen auf die Erreichbarkeit der vom Hunger betroffenen Menschen haben. Es ist in der ganzen Berichterstattung unumstritten, daß nach der militärischen Niederlage der Regierungstruppen die Befreiungsfronten EPLF und TPLF mehr als 80 % der jeweiligen Regionen kontrollieren und die Zivilbevölkerung, die dort lebt, über die äthiopische Regierung nicht mehr erreichbar ist. Anfang April mußten die ausländischen Helfer der Hilfsorganisationen aus den äthiopisch besetzten Gebieten abziehen, wodurch weitere Verteilung praktisch unmöglich wurde. Sie können natürlich argumentieren, vieles habe sich erst nach der Fertigstellung des Berichts zugetragen. Ich meine aber: Ein Parlament, das über Nothilfemaßnahmen und damit gewissermaßen über das Überleben von Hunderttausenden entscheiden soll, muß von einer Regierung erwarten können, über die neuesten Entwicklungen unterrichtet zu werden.
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Frau Kollegin Eid, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wenn es mir nicht angerechnet wird, Herr Präsident.
Bitte schön, Herr Höffkes.
Frau Kollegin, ist Ihnen eigentlich bekannt, daß im Rahmen der sogenannten Cross Border Operations bis zu 20 000 Tonnen Nahrungsmittel monatlich über den Sudan nach Eritrea und Tigray geliefert werden, auch seitens der Bundesregierung?
Mir ist bekannt, daß Hilfe von einer namhaften Nichtregierungsorganisation von der äthiopischen Regierung konfisziert worden ist, weil der Kapitän dummerweise den falschen Hafen angelaufen hat. Das ist nicht öffentlich bekanntgemacht worden. Die Bundesregierung hat überhaupt nicht dagegen protestiert. Auch das sind Tatsachen.
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Zweitens. Der Bericht der Bundesregierung zeigt eine für mich unerträgliche Einseitigkeit, ja schon fast Sympathie mit einer Regierung, die Menschenrechte mit Füßen tritt und Ursache einer der größten Krisenherde am Horn von Afrika ist, auch wenn dies alle Welt verschweigt. Das entspricht nicht dem Beschluß vom 10. Dezember. Die Kollegen der anderen Fraktionen, mit denen ich damals gesprochen habe, stimmten mir ja zu, daß wir Kritik an der äthiopischen Regierung haben, daß Kontrolle über die Hilfsmaßnahmen gewährleistet sein müsse und die Bundesregierung sich nachhaltig für eine friedliche Lösung einsetzen solle. Statt dessen legt die Bundesregierung diesen Jubelbericht vor, der mit der Wirklichkeit in Äthiopien wenig zu tun hat. Die Hungernden in den Dörfern Eritreas und Tigrays wären verbittert, wenn sie wüßten, mit welcher Arroganz die Bundesregierung ihre tägliche Realität übergeht.
Drittens. Einen Teil des Beschlusses führen Sie einfach nicht aus. Ihre Sofortmaßnahmen sind nicht umfassend, wie Sie auf Seite 2 Ihres Berichtes vorgeben. Inhalt und Sinn des Beschlusses war unter anderem, daß die Bundesregierung Nahrungs- und Transportmittelhilfe auch über die Hilfsorganisationen der Befreiungsfronten organisiert. Es ist nun einmal Tatsache - und hier windet sich die Bundesregierung einfach darum herum; ich habe das Gefühl, es paßt ihr einfach nicht -, daß viele Menschen nur so erreicht werden können. Nun müssen wir in Ihrem Bericht erfahren, daß mit Ausnahmen von Diakonischem Werk und vielleicht der Welthungerhilfe mit winzigen
Beträgen alles über solche Organisationen abgewikkelt wurde, die ausschließlich über die äthiopische Regierung arbeiten. Das ist ein Verstoß gegen den Beschluß. Die Mengen, die Sie genannt haben, Herr Höffkes, reichen ganz einfach nicht aus. Ich meine, daß die Bundesregierung die Punkte II 1, 2 und 6 des Beschlusses nicht wahrhaben wollte. Es heißt nämlich dort u. a.: „Im Mittelpunkt steht der notleidende Mensch. Die Nahrungsmittelhilfe erfolgt daher ohne Ansehen der Person oder der politischen Systeme." Das ist doch unmißverständlich genug, oder etwa nicht?
Ich muß der Bundesregierung vorwerfen, einen Teil der in Eritrea und Tigray lebenden Menschen ihres Rechtes auf humanitäre Hilfe einfach zu berauben, weil sie in Gebieten einer Befreiungsfront leben, die sich an keine der Supermächte verkauft, einen konsequenten eigenen Weg geht und für die außenpolitischen Interessen dieser Bundesregierung keine Perspektive bietet. Wir haben heute einen Antrag eingebracht, der auf der Grundlage des Beschlusses vom Dezember konkrete Hilfe bieten soll.
Die erst kürzlich aus den Kriegsgebieten zurückgekehrte Leiterin des Katastrophenreferats des Diakonischen Werkes in Stuttgart bestätigt, daß rund 2,5 Millionen Menschen in Tigray und Eritrea nur über den Weg der Hilfsorganisationen ERA und REST geholfen werden kann. Das Diakonische Werk bittet um Mithilfe, diese Menschen mit Nahrungsmitteln zu versorgen.
Im Interesse der Hungernden bitte ich Sie, meine Damen und Herren, Ihre Partei- und Fraktionsinteressen hintanzustellen und unserem Antrag zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Folz-Steinacker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Armut in der Dritten Welt ist nach wie vor eine moralische und politische Herausforderung. Ich begrüße es daher ganz außerordentlich, daß heute im Deutschen Bundestag Gelegenheit zu einer umfassenden Aussprache über die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in der Dritten Welt, die Nord-Süd-Beziehungen und die Entwicklungszusammenarbeit besteht. Angesichts der in diesem Jahr unter dem Motto „Nord-Süd-Interdependenz und Solidarität" stattfindenden Kampagne des Europarats erhält diese Debatte eine ganz besondere Bedeutung.
Die Menschheit ist zur Überlebensgemeinschaft geworden. Niemand kann sich aus dem gemeinsamen Schicksal davonstehlen. Ein Atomkrieg würde uns alle vernichten. Verseuchte Flüsse, Meere und Böden, die Ausbreitung der Wüsten, das Sterben der Wälder, der tropischen Regenwälder zumal,
- nicht zu vergessen! die Vergrößerung des Ozonlochs, das trifft und betrifft uns alle und kann uns auf keinen Fall kalt lassen .. .
Viele Menschen leben in Armut, dem Hunger ebenso ausgeliefert wie der Unwissenheit und der Krankheit. Die Zukunftsaussichten der Dritten Welt bedrücken uns alle.
Mit diesen Worten hat Bundesaußenminister Genscher in seiner Rede vor den Vereinten Nationen am 24. September 1987 in New York die heutige Situation der Menschheit gekennzeichnet. Damit hat er das Leitmotiv der Europaratskampagne, denke ich, in ganz treffender Weise beschrieben.
Meine Damen und Herren, der von der Bundesregierung vorgelegte Siebte Bericht zur Entwicklungspolitik enthält einen Überblick über die Situation der Entwicklungsländer in der Mitte der 80er Jahre. Er beschreibt die zentralen Probleme der Entwicklungsländer, insbesondere ihre Lage in der Weltwirtschaft. Er stellt eine entwicklungspolitische Leistungsbilanz für die Jahre 1985 und 1986 dar und zeigt die internationalen Lösungsversuche im Rahmen des Nord-Süd-Dialogs auf. Auch zur Grundsatzkritik an der Entwicklungspolitik nimmt er Stellung. Dabei werden die Ergebnisse einer Sachverständigenanhörung im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit zum Thema „Entwicklungspolitik - Bilanz und Perspektiven" berücksichtigt. Auch enthält er eine Darstellung der entwicklungspolitischen Aufgaben und Leistungen von nichtstaatlichen Trägerorganisationen der deutschen Entwicklungshilfe. Damit hat die Bundesregierung den vom Deutschen Bundestag beschlossenen Vorgaben und Forderungen, denke ich, Rechnung getragen.
Meine Damen und Herren, es ist das unbestrittene Recht der Opposition, die Politik der Regierung durch eigene Vorschläge kritisch zu begleiten. Den Siebenten entwicklungspolitischen Bericht jedoch als ein Dokument des Versagens zu bezeichnen, liebe Kollegen, ist weit überzogen und wird den tatsächlichen Bemühungen der Bundesregierung, zur Lösung der Probleme in den Nord-Süd-Beziehungen beizutragen, wirklich nicht gerecht.
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Der Bericht stellt schon gar nicht eine Lobpreisung der Bundesregierung für vermeintliche Wohltaten gegenüber der Dritten Welt dar.
Meine Damen und Herren, Ziel deutscher Entwicklungspolitik muß es auch weiterhin sein, die Grundbedürfnisse der Menschen in der Dritten Welt zu sichern und sie in den Stand zu versetzen, sich selbst zu helfen. Bei unseren konzeptionellen entwicklungspolitischen Vorstellungen müssen wir jedoch auch die Ergebnisse der öffentlichen Anhörung zum Thema „Entwicklungspolitik - Bilanz und Perspektiven" berücksichtigen. Dazu gehört ganz besonders:
Erstens. Die Notwendigkeit der Schaffung entwicklungsfördernder Rahmenbedingungen und Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer.
Zweitens. Weltmarkt und Binnenorientierung sind keine sich gegenseitig ausschließende Strategien, sondern müssen und sollten sich sogar ergänzen.
Drittens. Die Verbesserung der Qualität der Hilfe und ihrer Koordination muß Vorrang haben vor einer Steigerung der Entwicklungshilfemittel. Darüber hin5410
aus müssen wir das Instrumentarium zur Stärkung privatwirtschaftlicher Elemente in den Entwicklungsländern weiter ausbauen.
Meine Damen und Herren, die Beachtung soziokultureller Faktoren bei der Projektauswahl, bei der Planung und Durchführung muß sichergestellt werden.
Eine ganz wichtige Sache: Die Rolle der Frauen im Entwicklungsprozeß muß stärker berücksichtigt werden. Ziel sollte es hier sein, Benachteiligungen abzubauen und ihre Positionen in den unterschiedlichen Rollen in Wirtschaft und Gesellschaft zu verbessern.
Wir sind uns bewußt, daß es nicht gerechtfertigt ist, die Dritte Welt als homogenen Block zu betrachten. Zunehmende Differenzierungen sowohl zwischen den Entwicklungsländern als auch innerhalb dieser Länder bewirken höchst unterschiedliche wirtschaftliche und soziale Entwicklungen. Gegenseitige Abhängigkeiten zwischen Industrie- und Entwicklungsländern verlangen, bei allen wirtschaftspolitischen Entscheidungen insbesondere der Agrar-, Handels- und Währungspolitik, aber auch der Umweltpolitik, die Wirkung auf die Entwicklungsländer zu berücksichtigen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich im folgenden einige ganz zentrale Problembereiche ansprechen. In den Industrie- und Entwicklungsländern wachsen die Gefahren für die Bedrohung und Zerstörung der Umwelt. Wir haben inzwischen erkannt - zumindest sollten wir es inzwischen erkannt haben -, daß unsere Welt ein geschlossenes ökologisches Gesamtsystem ist. Störungen dieses Systems an einer Stelle können unabsehbare Auswirkungen auch in weit entfernten Regionen haben. Wir müssen dafür sorgen, Ökologie und Ökonomie in Einklang zu bringen, und so die natürlichen Lebensgrundlagen bewahren. Notwendiges Wachstum und Ökologie müssen keine Gegensätze sein. Der Brundtland-Bericht der Vereinten Nationen stellt ganz eindrucksvoll den Teufelskreis heraus, in den viele Länder der Dritten Welt verstrickt sind und aus dem sie sich ohne Hilfe nicht lösen können, und zwar den Teufelskreis von Armut und fortschreitender Umweltzerstörung, die wieder auf die wirtschaftlichen und ökologischen Systeme der Industriestaaten zurückwirken.
Der Kampf gegen die Armut in den Ländern der Dritten Welt ist daher für uns nicht nur ein Gebot humanitärer Solidarität und wirtschaftlicher Vernunft, sondern liegt auch in unserem eigenen ökologischen Interesse. Die ökologische Herausforderung zwingt zu entschlossenem politischem Handeln und zu einer noch stärkeren Gewichtung der Ökologie in der Entwicklungspolitik.
Erforderlich sind hier vor allem die Überprüfung aller Entwicklungsprojekte auf ihre ökologische Folgewirkung hin - siehe die UVP, die hier vorhin so verschmäht oder beschimpft wurde - , ein umfassender Erfahrungsaustausch der Industrieländer mit den Entwicklungsländern, eine Beratung der Entwicklungsländer bei der Ausarbeitung umweltpolitischer Programme, die Erarbeitung geeigneter Methoden und Strategien zur Erfassung der mit Umweltbelastungen verbundenen sozialen Kosten und deren Zurechnung nach dem Verursacherprinzip sowie letztlich eine Beratung der Entwicklungsländer bei Gesetzgebung und Aufbau von Kontrollinstitutionen im Umweltbereich.
Meine Damen und Herren, das von der Bundesregierung ab 1988 eingeführte neue Verfahren zur systematischen Überprüfung aller Vorhaben der bilateralen Zusammenarbeit stellt ein ganz wesentliches Element für eine ökologische Gestaltung der Entwicklungspolitik dar und ist nachdrücklich zu begrüßen. Die FDP hält hierbei auch weiterhin eine enge ganz sachbezogene Zusammenarbeit mit den Umwelt- und Naturschutzverbänden für erforderlich. Umwelt- und Naturschutz dürfen nicht einseitigen ideologischen Zielsetzungen untergeordnet werden.
({1})
- Dabei will ich noch nicht einmal in den Schlachtruf „Caretta caretta" ausbrechen, Herr Kollege.
Die weltweite Verschuldungskrise, Herr Kollege, ist eine weitere Herausforderung. Das Problem der Verschuldung stellt eine Gefahr für die wirtschaftliche und soziale Situation in vielen Entwicklungsländern und ebenso für die internationale Gemeinschaft dar.
Die bisherige Strategie zur Überwindung der internationalen Schuldenkrise konnte die Verschuldungsprobleme einigermaßen unter Kontrolle halten. Eine dauerhafte Lösung der Krise ist aber nach wie vor nicht in Sicht.
Wenn wir die internationale Verschuldungskrise lösen wollen, müssen wir zunächst die strukturellen Ursachen der Verschuldungsprobleme beseitigen. Hierzu sind weiterhin Bemühungen von Gläubiger-und Schuldnerländern sowie neue Schritte für eine politische Lösung der Schuldenprobleme notwendig. Wir dürfen uns allerdings nicht der Illusion hingeben, durch internationale Schuldenkonferenzen oder durch einen generellen Schuldenerlaß die bestehenden Probleme zu beseitigen.
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- Ich freue mich, daß Sie mit mir zufrieden sind.
({3})
Die Anpassung an einen weltweiten Strukturwandel ist unvermeidbar. Erforderlich ist die Mobilisierung aller nationalen und weltwirtschaftlichen Wachstumsreserven. Während die Entwicklungsländer durch eine marktorientierte Wirtschaftspolitik und durch die erforderlichen Anpassungsmaßnahmen das Investitionsklima verbessern und damit Anreize für einen neuen Kapitalzufluß und die Rückkehr von Fluchtkapital - das wurde heute schon mehrfach angesprochen - schaffen sollten, müssen die Industrieländer insbesondere durch den Abbau von Subventionen sowie durch den Verzicht auf protektionistische Maßnahmen für offene Märkte sorgen.
Die Strategie zur Lösung der Krise muß langfristig konzipiert sein und setzt Lösungen von Fall zu Fall auf der Basis von Vereinbarungen zwischen Schuldnern und Gläubigern voraus. Die zentrale Rolle von IWF und der Weltbank, den verschuldeten Entwicklungsländern bei der Überwindung ihrer Probleme zu helfen, muß nachhaltig gestärkt werden. Die Bereitschaft
und Fähigkeit der Entwicklungsländer zur Durchführung struktureller Anpassungsmaßnahmen ist eine ganz wesentliche Voraussetzung für die Gewährung von Schuldenerleichterungen. Wer Strukturanpassungen ablehnt, verhindert damit eine Lösung der Verschuldungskrise und die Überwindung von Armut in den Ländern der Dritten Welt.
Meine Damen und Herren, wir dürfen es auf keinen Fall zulassen, daß Entwicklungspolitik für einseitige ideologische Zielsetzungen mißbraucht wird. Aktionsgruppen, die den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank als „Instrument zur Ausbeutung der Entwicklungsländer" bezeichnen und die im September dieses Jahres in Berlin stattfindende Jahresversammlung dieser Institutionen auch durch gewaltsame Aktionen zu stören beabsichtigen, sollten alle Fraktionen - aber auch wirklich alle - des Deutschen Bundestages eine ganz klare Absage erteilen.
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- Lesen Sie die „Welt" vom 4. Mai. Da steht eine Parole drin, die Ihnen sicherlich bekannt ist, die Parole „Ein Schlachtfest im September in Berlin: Wir schlachten das Schwein Weltbank. "
Das ist auch Ihnen sicherlich bekannt.
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- Ich wollte es nicht sagen. Es ist heute drei Mal angesprochen worden; ich kann mich damit nicht solidarisch erklären. Das muß einmal gesagt werden.
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Armut, Hunger und Ernährungsunsicherheit gehören ebenfalls zu den zentralen Problemen der Entwicklungsländer. In der Dritten Welt sind trotz Erfolgen in der Steigerung der Agrarproduktion mehr als eine halbe Milliarde vom Hunger bedroht. Die Ursachen für das bestehende Ungleichgewicht zwischen Nahrungsmittelmangel in Ländern der Dritten Welt und Nahrungsmittelüberschüssen insbesondere in Industrieländern sind uns doch bekannt.
Eine weltweite Ernährungssicherung wird durch das die Produktionszuwächse übersteigende Bevölkerungswachstum, die aus Devisenmangel fehlenden Produktionsmittel und durch den Kaufkraftmangel breiter Bevölkerungsschichten in den Entwicklungsländern verhindert. Auch das ist doch alles bekannt. Verfehlte Agrarpolitiken in den Entwicklungsländern, aber auch die negativen Wirkungen versäumter Agrarstrukturreformen in den Industrieländern sind ebenfalls für diese Situation verantwortlich. Das alte Leiden, EG-Produktionsüberschüsse den Ländern der Dritten Welt für wenig Geld zu überlassen, ist doch keine Lösung. Es darf einfach nicht sein, daß z. B. EG-Fleisch für ganz wenig Geld verkauft wird und die
Entwicklungsländer daraufhin ihre eigene Produktion einstellen müssen.
({7})
Vor allem die Europäische Gemeinschaft muß dafür sorgen, daß die Überschußproduktion abgebaut, die wettbewerbs- und marktverzerrenden Exportsubventionen beseitigt und den Entwicklungsländern ein stärkerer Zugang zum EG-Markt ermöglicht werden.
Die Beschlüsse des Europäischen Rates vom 11./12. Februar 1988 in Brüssel zur Reform der Eigenmittel der EG zur Agrar- und Strukturpolitik haben hierbei einen wichtigen Fortschritt gebracht. Die Europäische Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten bleiben allerdings weiter aufgefordert, gemeinsam mit anderen Partnern der internationalen Gebergemeinschaft zur Lösung der Probleme in der Dritten Welt beizutragen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle auf die in verbundener Debatte zu behandelnden Berichte der Bundesregierung über die Umsetzung der Beschlüsse zu den Anträgen „Ernährungssituation in Äthiopien" und „Ernährungssicherung in Hungerregionen" noch ganz kurz eingehen. Die Berichte unterstreichen die Bedeutung der von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages getragenen Initiative, durch rechtzeitige und umfassende Maßnahmen das Überleben der Menschen in Hungerregionen zu sichern; ich wiederhole: durch rechtzeitige und umfassende Maßnahmen. Die von der Bundesregierung zum Ausdruck gebrachte Absicht, ihre Politik im Bereich der Ernährungssicherung fortzuführen und dabei die Zusammenarbeit auf internationaler Ebene weiter zu verstärken, möchte ich an dieser Stelle noch einmal ganz ausdrücklich begrüßen.
Mit großer Sorge müssen wir allerdings die gegenwärtige Situation in Äthiopien betrachten. Insbesondere in den umkämpften Bürgerkriegsgebieten ist die Fortsetzung der Nahrungsmittelhilfe nach wie vor sehr stark gefährdet. Die Bundesregierung sollte hier ihre Bemühungen verstärken, um eine Fortsetzung der Hilfelieferungen in dem notwendigen Umfang zu ermöglichen. Hierzu bedarf es wirklich keiner neuen parlamentarischen Initiative, sie haben wir ja schon; vielmehr ist sicherzustellen, daß alle in dem von diesem Hohen Haus beschlossenen Antrag enthaltenen politischen und organisatorischen Grundsätze verwirklicht werden. Die Versorgung der äthiopischen Bevölkerung muß Vorrang vor politischen und strategischen Überlegungen haben. Meine Damen und Herren, Hunger tut weh, und der Hunger führt, wie Sie, Herr Kollege, eben sagten, unweigerlich zum Tode.
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- Ich weiß nicht, wie lange Sie hungern können; ich kann es nicht sehr lange.
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- Ich meinte Sie auch nicht.
Meine Damen und Herren, die aufgezeigten Problembereiche machen deutlich, wie eng das Schicksal von Nord und Süd miteinander verbunden ist. Wir sind uns daher bewußt, daß das Überleben der Menschheit nur durch gemeinsame Bemühungen von Industrie- und Entwicklungsländern sichergestellt werden kann. Weltweit sind schwerwiegende strukturelle Anpassungsprozesse zu bewältigen. Dies erfordert erhebliche Eigenanstrengungen und eine noch engere internationale Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Solidarität mit den Ländern in der Dritten Welt heißt nicht zuletzt, den erforderlichen Strukturwandel auch bei uns nachhaltig zu unterstützen.
Wir wollen unseren Beitrag bei der Lösung der anstehenden Probleme und der Schaffung der Voraussetzungen für einen fairen Interessenausgleich zwischen Nord und Süd leisten. Nord-Süd-Politik ist keine Frage von Almosen, meine Damen und Herren; sie ist weltweite Friedenspolitik.
({10})
Die FDP erwartet von der Bundesregierung, daß sie auch weiterhin ihrer Verantwortung gerecht wird, zur Sicherung günstiger weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen sowie in den Entwicklungsländern zum Aufbau einer leistungsfähigen Wirtschaft und gesellschaftlichen Vielfalt als Voraussetzung für die Entwicklung aus eigener Kraft beizutragen.
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- Die Lampe leuchtet. ({12})
Bei der Verfolgung der in dem Siebenten entwicklungspolitischen Bericht aufgezeigten Lösungsansätze zur Überwindung der Probleme in den Ländern der Dritten Welt haben die Bundesregierung und insbesondere der Minster für wirtschaftliche Zusammenarbeit weiterhin unsere volle Unterstützung.
Danke.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Schanz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte dem Minister zunächst bescheinigen, daß er recht hat, wenn er sich für Kritik an seiner Politik bedankt; ich bin sicher, er wird dafür noch genügend Gelegenheit bekommen. Zweitens möchte ich ihm zustimmen, daß wir alle Grund genug haben, uns bei den Nichtregierungsorganisationen, insbesondere bei den Kirchen, für ihr Engagement für die Menschen in der Dritten Welt zu bedanken.
({0})
Ich bewundere seinen Mut, daß er hier in dieser Debatte auf Praktiken von Gruselkabinetten hinweist.
Herr Minister, haben Sie einmal daran gedacht, daß Sie vielleicht einem solchen angehören?
({1})
Der Siebente Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung liegt jetzt vor. Ihn heute umfassend zu würdigen, ist weder möglich noch nötig. Dies werden wir im zuständigen Ausschuß nachholen und in einer dann folgenden Plenardebatte vertiefen. Der Bericht dokumentiert die entwicklungspolitische Arbeit der Bundesregierung in den Jahren 1985 und 1986. Er ist auch nach meiner Meinung ein Dokument des Versagens.
({2})
Die Bedrohung der Umwelt, die in den Industrie-und besonders in den Entwicklungsländern mittlerweile katastrophale Ausmaße angenommen hat, ist dieser Regierung gerade anderthalb Seiten wert.
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Damit stellt sie sich ein Armutszeugnis aus. Obwohl Bundesminister Klein ein Meister der Öffentlichkeitsarbeit ist
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und sich wie kaum ein anderer darauf versteht, Berichte zu schönen, wird es ihm nicht gelingen, diesen Bericht als wegweisendes Dokument deutscher Entwicklungspolitik der Öffentlichkeit zu verkaufen.
Die Fakten stellen sich wie folgt dar. Im Jahre 2000 wird die Hälfte der noch 1980 existierenden Wälder verschwunden sein. Bis zu 2 Millionen Tier- und Pflanzenarten werden ausgestorben und für immer verloren sein. Ein Großteil fruchtbaren Ackerlandes wird versalzen und somit Wüste sein.
Zu befürchten ist eine Verschiebung der Klimazonen, die durch die fortschreitende Abholzung der tropischen Wälder bedingt ist, deren Funktion im Wasserkreislauf der Erde sowie als Sauerstoffabrik ausfällt.
Die Gefährdung findet allerdings nicht, wie manche oberflächlich glauben, nur im Süden statt. Mit dem Abholzen der Regenwälder wird auch unser Klima zerstört. Pestizide, die gewinnträchtig in die Dritte Welt verkauft werden, liefert man uns von dort in Futter-, Nahrungs- und Genußmittel verpackt wieder zurück.
Das Kapitel über Umwelt ist nicht nur reichlich knapp, sondern auch völlig substanzlos. Unter der Überschrift „Ursachen und Wechselwirkungen" wird z. B. folgendes ausgeführt:
Die meisten nährstoffarmen empfindlichen Böden des tropischen Regenwaldes verlieren durch intensiven ungeschützten Ackerbau in kurzer Zeit ihre Fruchtbarkeit.
So einfach macht man es sich. Die Bauern in der Dritten Welt sind durch unsachgemäße Bewirtschaftung und Abholzung der Regenwälder selbst an allen Problemen schuld.
Doch längst haben andere - das wissen Sie genausogut wie ich - festgestellt, daß es nicht die einheimischen Waldbauern sind und nicht die Leute, die
dort leben, die allein für dieses Zerstörungswerk die Hauptschuld tragen; denn die Gebiete, die derzeit flächenmäßig am stärksten eingeschlagen werden, z. B. brasilianisches Amazonasbecken, Sumatra und Kalimantan ({5}), Sarawak ({6}), Gabun und Zaire, sind nur äußerst dünn besiedelt. Diese Wälder haben, was Amazonas und Zentralafrika betrifft, im 16. Jahrhundert schon wesentlich größere Bevölkerungsteile aufgewiesen, ohne daß es zu Schäden am Ökosystem gekommen wäre. Die Masse der zuziehenden Waldbauern sind aus anderen Gebieten vertrieben worden. Man hat ihnen die Regenwälder als alternatives Siedlungsgebiet angepriesen und ausgewiesen.
Auch kann nicht wegdiskutiert werden, daß die Industrieländer immer größere Mengen an Edelhölzern nachfragen. Wo ist hier die Antwort der Bundesregierung? So ist der Verbrauch von tropischen Harthölzern in Japan, den USA und Europa von 4,2 Millionen Kubikmetern im Jahre 1950 über 35,7 Kubikmeter im Jahre 1970 auf 66 Millionen Kubikmeter im Jahre 1980 gestiegen. Er wird, wenn nichts geschieht, im Jahre 2000 auf 103 Millionen Kubikmeter ansteigen, wenn nicht vorher einschneidende Maßnahmen ergriffen werden. Diese Maßnahmen werden im Bericht weder angesprochen noch ausgewiesen.
Völlig Unzulängliches offeriert der Bericht auch im Bereich der Agrarpolitik. Zwar heißt es in dem Bericht, daß die Bundesregierung 1986 verstärkt Anstrengungen unternommen habe, um schädliche Nebenwirkungen der Nahrungsmittelhilfe für die Eigenproduktion und das Verbraucherverhalten im Empfängerland zu vermeiden. Gleichwohl werden über die EG-Schienen weiterhin Überschußproduktionen der Europäischen Gemeinschaft mittels heruntersubventionierter Preise in aller Welt abgesetzt mit allen negativen Nebenwirkungen für die Eigenproduktion in diesen Ländern selbst. Hier ist die Politik der Bundesregierung nicht schlüssig. Wenn sie einerseits darauf abzielt, dazu beizutragen, daß sich die Länder der Dritten Welt selbst ernähren können, aber andererseits im Rahmen der EG keine vernünftige, am Eigenbedarf der Bevölkerung der EG-Staaten ausgerichtete Agrarproduktion durchsetzt, kann das nur als krasses Versagen bezeichnet werden.
Ein weiterer wesentlicher Problembereich fehlt im Bericht ebenfalls. Der Pestizidsektor erweist sich als eine der zentralen Schienen für Umweltschädentransfer aus den Industrie- in die Entwicklungsländer. Durch die Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel, deren Anwendung bei uns zum Teil verboten ist, die jedoch weiterhin produziert und exportiert werden, werden in der Dritten Welt Tausende von Menschen vergiftet. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, daß die Zahl der jährlichen Todesopfer 10 000 bis 40 000 beträgt. Vor allem Kleinbauern und Landarbeiter fallen dem unkontrollierten Pestizideinsatz zum Opfer.
Auf die zunehmende Verwüstung unseres Planeten geht die Regierung in ihrem Bericht nicht ein. Dabei sind 80 % des heute genutzten Weidelandes, 60 To des normalen Ackerlandes und sogar 30 % des künstlich bewässerten Ackerlandes von dieser Bedrohung betroffen oder bereits stark in Mitleidenschaft gezogen.
Die Umweltorganisation der Vereinten Nationen geht davon aus, daß etwa 35 To der Landoberfläche unseres Planeten durch Verwüstung gefährdet ist. Legt man diese Zahl zugrunde, dann sind 850 Millionen Menschen betroffen. Wen wundert es, daß diese Menschen versuchen, vor der Bedrohung zu fliehen? Das führt zu einer neuen Art von Flüchtlingsströmen, zu Umweltflüchtlingen. Nochmals: Dieser Bericht ist ein Dokument des Versagens.
({7})
Besonders deutlich wird das in der Frage der Verschuldung der Dritten Welt. Ungeachtet aller Mahnungen, aller Forderungen und Empfehlungen - auch der beiden deutschen Kirchen - liegt immer noch kein Gesamtentwurf zur Lösung des Schuldenproblems vor. Dabei weiß ein jeder, daß nur mutige Schritte und politischer Wille, der auf eine langfristige Gesundung der Wirtschaft der Länder der Dritten Welt abzielt, helfen könnten. Hier wäre die Bundesregierung aufgerufen bzw. gefordert, in den internationalen Gremien wie Weltbank und IWF ihr großes Gewicht zu nutzen und auf eine tragfähige Lösung des Problems hinzuwirken. Mit Durchwurschteln ist es nicht mehr getan.
Völlig unzulänglich ist auch die Aussage zu dem Problem der Rückflüsse aus Tilgung und Zinsen früherer Kredite an Entwicklungsländer. Diese haben in den letzten Jahren die Milliardengrenze überschritten. Sie weisen eine wachsende Tendenz auf. Gelingt es aber nicht, diese Rückflüsse wieder zur Finanzierung einzusetzen, wird der Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen in der Bundesrepublik, gemessen am Bruttosozialprodukt, notwendigerweise weiter sinken.
Die Bundesrepublik als eines der reichsten Länder der Welt wird ihre international eingegangenen Verpflichtungen und selbst gesteckten Ziele nicht mehr einhalten können. Lediglich bis zu 100 Millionen DM sollen im laufenden Haushalt aus den Rückflüssen zur Finanzierung zusätzlicher Maßnahmen bereitgestellt werden. Wir haben dazu Alternativen aufgezeigt. Es wäre Zeit, daß die Regierung sie akzeptiert und umsetzt.
Das, meine Damen und Herren, sind nur einige Beispiele, die zeigen, wie sich Bundesminister Klein an den eigentlichen Problemen vorbeimogelt.
({8})
Ihm sei aber gesagt, daß eine gute Verpackung noch keine gute Politik ist. Macht man das Paket auf, sieht man, daß außer leeren Absichtserklärungen und volltönenden Worthülsen nichts drinsteckt. Aber mit Public-Relations-Arbeit allein Herr Bundesminister, kann man das Problem nicht bewältigen, schon gar nicht die Probleme der Dritten Welt nur annähernd lösen oder die Welt verändern. Wer sich aber auf die Erhaltung des Bestehenden beschränkt, macht sich überflüssig. Ich bin ganz sicher: Sie schaffen das bestimmt, und Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, werden ihm dabei helfen.
Danke schön.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Pinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Minister hat heute die Grundzüge seiner Entwicklungspolitik in einer beachtlichen Rede dargelegt.
({0})
Der Kollege Professor Holtz hätte dann unmittelbar darauf Gelegenheit gehabt, sich mit ihm natürlich auch kritisch auseinanderzusetzen, aber offensichtlich hatte er seine Rede vorher fertig
({1})
und hatte dann keine Gelegenheit mehr, dies zu tun. Er wollte es wohl auch nicht.
({2})
Wie wir ihn aus vielen sachlichen Diskussionen kennen, wäre er dazu in der Lage gewesen, aber heute wollte er dies nicht.
In einer billigen, polemischen Weise hat er sich mit dem Zerrbild einer Entwicklungspolitik auseinandergesetzt und damit, meine ich, eine Chance vertan, sich mit den wesentlichen Fragen der Entwicklungspolitik auseinanderzusetzen.
({3})
Ich meine, daß er damit auch dem wichtigen Anliegen der Nord-Süd-Kampagne, über die er ausführlich gesprochen hat, keinen guten Dienst erwiesen hat. Wenn wir die Bevölkerung, vor allen Dingen junge Leute, für Entwicklungspolitik aktivieren, engagieren, mobilisieren wollen, dann bitte in einer sachlichen, wenn auch harten Auseinandersetzung.
Er hat moniert, der Minister spreche von „Hilfe". Meine Damen und Herren, Entwicklungspolitik ist natürlich auch Hilfe. Dann hat es doch keinen Zweck, sich an diesem Punkt aufzuhalten. Daß Zusammenarbeit mit der Dritten Welt natürlich auch Politik ist, hat der Minister in seiner Rede dargelegt, und er hat sich nicht nur mit der Hilfe, sondern auch mit der Politik im übrigen auseinandergesetzt, am Beispiel der Zusammenarbeit auf dem handelspolitischen Gebiet.
Dann hat sich der Kollege Holtz, der den Bericht entweder nicht gelesen hat
({4})
oder vielleicht mal ganz kurz einen Blick hineingeworfen hat, gerade mit der Stelle auf Seite 15, Armutsbekämpfung, Beschreibung der Situation der Armen in der Welt auseinandergesetzt. Ich halte das für eine beachtliche Feststellung, die die Sondereinheit des Ministeriums ermittelt hat. Im einzelnen wird auch dargestellt, daß auch die Ärmsten in der Welt erfreulicherweise eine beachtliche Selbsthilfefähigkeit haben. Dies wird beschrieben, und das ist der Ansatzpunkt für unser zentrales Thema „Armutsbekämpfung in der Dritten Welt". Gerade zu diesem Thema, mit dem wir uns auch im Ausschuß immer wieder beschäftigt haben, enthält der Bericht sehr wesentliche Ausführungen.
Der Kollege Schanz hat sich sachlicher mit der Entwicklungspolitik auseinandergesetzt,
({5})
aber auch er sollte nicht nur mal die Rede des Ministers nachlesen, sondern vielleicht auch mal in den Bericht selbst hineinsehen.
({6})
- Dann ist Ihnen offensichtlich entgangen, daß sich dieser Bericht auf Seite 29 unter dem Stichwort „Zentrale Probleme" mit dem Thema „Umweltschutz" auseinandersetzt, und zwar an Hand des wichtigen Themas der tropischen Regenwälder. Ich könnte hier jetzt anfangen zu zitieren, Herr Kollege Schanz. Aber nicht nur bei der Beschreibung der zentralen Probleme, sondern auch bei der Frage der zentralen Aufgaben
- lesen Sie weiter auf Seite 49 ff. - finden Sie zu diesem Thema wichtige Ausführungen. Wenn hier schon Auseinandersetzungen geführt werden, dann sollte das, meine ich, mit einem Mindestmaß von Sachlichkeit geschehen.
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Wir freuen uns, daß der Minister in seiner Rede
- und zwar ausdrücklich, wie er sagte - das noch etwas weiter ausführt, was im Bericht zur Verstärkung der Armutsbekämpfung, der Unterstützung der armen Bevölkerung steht. Er hat das auch - wie ich meine, sehr beeindruckend - an dem Beispiel der Brandrodung exemplifiziert, daß es keinen Zweck hat, verbal dagegen vorzugehen, wenn man diesen armen Bevölkerungsschichten nicht die Möglichkeit gibt, auf andere Weise Einkommen und Beschäftigung zu bekommen.
Gerade mit diesem Thema möchte ich mich noch etwas weiter befassen. Ich meine, daß wir uns gemeinsam auch in Zukunft gerade diesem Thema widmen sollten, wie wir es übrigens in ziemlich großer Übereinstimmung auch im Ausschuß tun.
Ich stelle fest: Die armen Bevölkerungsmehrheiten in den Entwicklungsländern müssen die entscheidenden Zielgruppen für die Entwicklungszusammenarbeit sein. Dafür spricht nicht nur die Humanität. Dafür spricht auch, daß in diesen armen Bevölkerungsschichten eine erhebliche wirtschaftliche Produktivkraft sitzt, die es freizusetzen gilt. Damit würde es gelingen, auch die Wirtschaftskraft des jeweiligen Landes zu stärken.
In diesem Bereich ist auch eine Produktivitätssteigerung in größerem Maße möglich als etwa im modernen Sektor. Deshalb geht es vor allem darum, klarzustellen, daß es keinen Gegensatz zwischen der Armutsbekämpfung im Sinne der scheinbaren Verteilung von Almosen - die wir nicht wollen - und wirtschaftlich produktiver Tätigkeit gibt. Es geht gerade darum, daß die armen Bevölkerungsschichten an dieser produktiven Entwicklung teilhaben.
Wie dies zu bewirken ist, wie dies vor allen Dingen im informellen Sektor mit marktkonformen Mitteln
geschehen kann, ist allerdings eine sehr schwierige Frage. Wir müssen einfach feststellen, daß unsere herkömmlichen Mittel und Instrumente darauf noch nicht ausgerichtet sind. Ich halte es für einen wirklichen Fortschritt, daß im Entwicklungsbericht steht, daß sich - so wird ausdrücklich festgestellt - auch die staatlichen Durchführungsorganisationen an der Armutsbekämpfung zu beteiligen haben; man darf das nicht allein den Kirchen und den anderen privaten Trägern überlassen, so wichtig deren Arbeit auch ist.
Dann aber müssen wir uns noch mehr mit der Frage auseinandersetzen, wie sich auch die staatliche Durchführungsorganisationen, wie sich die Kreditanstalt, wie sich die GTZ diesem Thema noch stärker zuwenden können. Wir müssen dabei - diese These stelle ich auf - feststellen, daß wir, wenn wir die armen Bevölkerungsschichten als Zielgruppen haben, die staatliche Bürokratie im Entwicklungsland nicht quasi als Transmissionsriemen einsetzen können. Im Gegenteil, wenn die staatliche Bürokratie als diejenige, die angeblich den Armen helfen will, in Erscheinung tritt, werden wir nichts Gutes bewirken; da werden Kräfte nicht freigesetzt, sondern erstickt, und es wird Hilfe verhindert.
Meine Damen und Herren, private Kräfte, Selbsthilfekräfte gilt es in den verschiedendsten Bereichen freizusetzen. Es gilt, diese Kräfte auch dort freizusetzen, wo es darum geht, die Flüchtlingsproblematik stärker anzugehen. Wir haben über dieses Thema hier diskutiert. Ich will festhalten, daß es nicht nur darum geht, den Flüchtlingen dabei zu helfen, ihre nackte Not zu überwinden, und dafür zu sorgen, daß sie überleben, sondern auch darum, daß ihnen mit Selbsthilfemaßnahmen und entwicklungspolitischen Maßnahmen dabei geholfen wird, ihre Kräfte auch tatsächlich selbst einzusetzen.
Lassen Sie mich noch auf einen Punkt zurückkommen, der - jedenfalls aus meiner Sicht - ganz wichtig ist. Wenn der Minister meinte, daß die Reichen die Gegenwart haben, die Tüchtigen und die Gescheiten aber die Zukunft, müssen wir uns noch mehr als bisher der Frage zuwenden, welche Bildungsmaßnahmen möglich und sinnvoll sind, um vor allem die Armen in der Dritten Welt tüchtiger zu machen. Dazu gehört der vernachlässigte Bereich der beruflichen Bildung. Gewiß haben wir in den letzten 30 Jahre auf dem Gebiet der Bildung viel getan: bei der Allgemeinbildung, bei der Fortbildung; viel zu wenig jedoch auf dem Gebiet der beruflichen Bildung, weil wir uns auf irgendwelche Ausbildungszentren beschränkt haben, statt auf Grund der Erfahrungen, die wir hier in der Bundesrepublik gesammelt haben, dafür zu sorgen, daß der Betrieb zum eigentlichen Lernort wird. Wenn es uns nicht gelingt, die Vielzahl der gerade kleinen Unternehmer dafür zu gewinnen, berufliche Ausbildung durchzuführen, wird es eine Beschäftigung für die Vielzahl der Menschen nicht geben. Für die 200 000, die, wie wir heute gehört haben, täglich dazukommen, wird es die Chance, eine Beschäftigung zu bekommen, nicht geben.
Deshalb müssen wir uns der Frage zuwenden, wie es möglich ist, eine berufliche Bildung im Betrieb zu organisieren. Da in aller Regel der Betriebsinhaber selber keine qualifizierte und systematische Ausbildung bekommen hat, müssen wir, glaube ich, den Weg gehen, eine Fortbildung der Betriebsinhaber zusammen mit der Ausbildung der einzelnen Lehrlinge in überbetrieblichen Lehrwerkstätten durchzuführen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal auf das Thema Förderung der Frauen in Entwicklungsländern zurückkommen. Wenn es in der Vergangenheit gelungen wäre, wirklich die armen Zielgruppen an der Planung und Durchführung der Projekte zu beteiligen, dann wären ja die Frauen, die vor Ort oft den größeren Teil der Arbeit zu bewältigen haben, in die Entwicklungsmaßnahmen mit einbezogen worden. Da dies bisher nicht gelungen ist, konnten sie auch nicht in dem Ausmaß an dem Entwicklungsprozeß, was unsere Projekte betrifft, beteiligt werden.
Wir sind froh, daß es bei der Umstrukturierung des Entwicklungshilfeministeriums gelungen ist, die Arbeitseinheit zu verstärken, und daß vor allen Dingen in Zukunft in allen Entwicklungsprojekten die Frauen angemessener berücksichtigt werden sollen.
({8})
Meine Damen und Herren, der siebte entwicklungspolitische Bericht sei, wie Herr Schanz meinte feststellen zu müssen, ein Dokument des Versagens. Wir würden feststellen, es ist ein Dokument, das beweist, daß die Bundesregierung aus den Fehlern der Vergangenheit - dies jetzt nicht im Sinne dieser oder jener Regierung, obwohl natürlich auch das richtig ist - gelernt
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und daraus abgeleitet hat, was wir anders und besser machen müssen - und zwar anders und besser machen müssen, weil einfach die Probleme größer werden - und daß mit den steigenden Entwicklungshilfegeldern auch durch eine Verbesserung der Qualität der Entwicklungszusammenarbeit noch mehr bewirkt werden kann.
Unter diesem Aspekt stellen wir fest, daß der siebte entwicklungspolitische Bericht nicht nur aufzeigt, welche positiven Erfahrungen gemacht worden sind, und zwar durch verstärkten Einsatz, sondern auch, welche Aufgaben in der Zukunft vor uns liegen. Wir werden den Minister bei diesen Anstrengungen unterstützen.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Großmann.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Etwa fünf Monate ist es her, daß wir uns im Bundestag über die Ernährungssituation in Hungerregionen und speziell über die Ernährungssituation in Äthiopien unterhalten haben und entsprechende Beschlüsse gefaßt haben. Heute wollen wir die Berichte der Bundesregierung über die Umsetzung dieser Beschlüsse diskutieren und auswerten.
Dürre, Überschwemmungen und Bürgerkriegssituationen sind immer wieder Auslöser von Katastrophen, die Soforthilfeprogramme erfordern. Die Pro5416
gramme der Bundesrepublik waren nötig und haben sicher auch zur Bewältigung der Hungerkatastrophen in den betroffenen Gebieten einen guten Teil beigetragen. Die Politik der Katastrophenhilfe oder spektakuläre Sammelaktionen wie etwa „ein Tag für Afrika" oder anderes mehr täuschen aber leicht darüber hinweg, daß die Bekämpfung des Hungers bei dessen Ursache beginnen muß und nicht bei dessen Linderung.
Die von uns gefaßten Beschlüsse enthalten einige Passagen, die über diese Soforthilfe hinaus diesen mittelfristigen Aspekt unterstreichen. Wir sollten nicht auf seiten der Entwicklungsländer zunehmende Abhängigkeiten von und die Kalkulation mit Nahrungsmittellieferungen aufbauen sondern, ich denke, wir sollten Hilfe bei der Bekämpfung der Ursachen des Hungers leisten, und zwar unter der aktiven Einbeziehung der betroffenen Bevölkerung.
Die Aussagen der Bundesregierung zu diesen Bereichen sind unzureichend. Hinweise auf die Unterstützung eines Food-for-Work-Vorhabens in Äthiopien oder die angesprochene Förderung der äthiopischen Forstwirtschaft seit Anfang der 60er Jahre zeigen, wie sehr die Berichte gerade in diesen Bereichen an der Oberfläche bleiben. Wenn man dann noch bedenkt, daß im Katastrophenjahr 1985 Äthiopien etwa achtmal so viel an Rückzahlungen an die Bundesrepublik leisten mußte, wie das Land selber an Kapitalhilfen empfing, wird mein Vorwurf, glaube ich, noch deutlicher und verständlicher.
Wir sagen immer wieder, unsere Hilfe müsse verstärkt werden. Unsere Hilfe muß aber vor allen Dingen verändert werden. Dazu wenige Stichworte.
Erstens. Die Schuldenproblematik muß gelöst werden. Es darf nicht mehr vorkommen, daß unter dem Druck der Kreditrückzahlungen statt für den heimischen Markt für den Export produziert wird. Das geschah übrigens auch zu Zeiten der bisher größten Hungerkatastrophen 1974 und 1984 in Äthiopien, als die Regierung Nahrungsmittelexporte nach Ägypten vereinbarte, während gleichzeitig die äthiopische Bevölkerung in den Hungerregionen über Flugzeuge mit Reis und Mehl aus dem Ausland versorgt werden mußte.
Nebenbei bemerkt: Interessiert und mit Dankbarkeit haben wir die Erklärungen der beiden großen Kirchen zur internationalen Schuldenkrise zur Kenntnis genommen. Wir finden dort vieles von dem wieder, was auch wir politisch fordern und für richtig halten. Ich nehme einmal als Beispiel den Hinweis darauf, daß Hilfsprogramme nicht dazu führen dürfen, daß immer mehr Menschen zu Almosenempfängern werden.
Zweitens. Zusammen mit der betroffenen Bevölkerung müssen verstärkt ökologische Projekte durchgeführt werden, die durch Arbeit Verdienst und Ernährung schaffen und durch die ökologisches Verhalten gesichert wird, das jetzt sehr oft durch den Kampf um die nackte Existenz verdrängt wird, so daß ein Ausweg aus dem Teufelskreis ermöglicht wird.
Drittens. Zur Änderung unserer Hilfe gehört auch die Forderung nach stärkerer Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und der Vermarktungsstrukturen, also eine bessere Erschließung von Binnen- und Regionalmärkten.
Das alles will ich hier nur kurz anreißen, da ich ausführlicher über Äthiopien sprechen will.
Die Lage in diesem Land spitzt sich immer mehr zu. Hatten uns Erklärungen der an den kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligten Seiten zunächst noch optimistisch gestimmt, die da lauteten, man wolle Rücksicht auf die von der Hungerkatastrophe betroffenen Bevölkerung nehmen und man werde das sichere Geleit von Nahrungsmitteln auch in umkämpfte Regionen gewährleisten, so haben die Ereignisse diesen Optimismus inzwischen zerstört.
Statt Erfolgsmeldungen über den Kampf gegen den Hunger flatterten Meldungen über militärische Erfolge auf den Tisch. So heißt es in einer Meldung von AP vom 7. März 1988 - ich zitiere - :
Die Volksbefreiungsfront von Tigray hat nach eigenen Angaben in der vergangenen Woche vier Bataillone der Regierungstruppen aufgerieben. Die Zahl der umgekommenen Regierungssoldaten wird mit 2 500 angegeben.
In einem Telex der eritreischen Volksbefreiungsfront vom 20. März 1988 heißt es, daß - Zitat die EPLF-Kräfte drei äthiopische Infantriedivisionen ganz liquidiert haben.
Die äthiopische Regierung reagierte mit Gegenattakken und mit einer generellen Mobilmachung, aber auch mit uns unverständlichen Entscheidungen.
Am 6. April wurden die Mitarbeiter der internationalen Hilfsorganisationen aufgefordert, Eritrea und Tigray sofort zu verlassen. Anfang Mai schließlich trat das Äthiopische Rote Kreuz aus dem Internationalen Roten Kreuz aus.
Zur Erinnerung: In unserem Beschluß zu Äthiopien vom 10. Dezember heißt es - ich zitiere - :
Die drohende Hungersnot darf nicht für politische und militärische Ziele mißbraucht werden. Die äthiopische Regierung und die Befreiungsbewegungen müssen sich verpflichten, die Hilfe für alle bedrohten Menschen ohne Ansehen ihrer Religion, Volkszugehörigkeit oder politischen Überzeugung zuzulassen und humanitäre Hilfslieferungen weder zu zerstören noch zu beschlagnahmen oder auf andere Weise zu behindern.
In einem weiteren Passus heißt es:
Im Rahmen der koordinierten Hilfsmaßnahmen muß den internationalen humanitären Hilf sorganisationen der freie und ungehinderte Zugang zu den bedürftigen Bevölkerungsgruppen in allen Teilen Äthiopiens gewährleistet sein.
Heute müssen wir feststellen: Diese Bedingungen sind nicht erfüllt worden. Statt alle Kräfte auf die Bewältigung des Hungers zu konzentrieren, wird die Notlage der Menschen dazu ausgenutzt, rein militärische Ziele zu verfolgen. Seit nahezu 30 Jahren führen Menschen in Äthiopien gegeneinander Krieg, die internationale Politik klammert dieses Problem weitgehend aus.
Zwei Fragenkomplexe drängen sich auf:
Erstens: Was wird die Bundesregierung tun, um die Versorgung der mehr als 2 Millionen Menschen in Tigray und Eritrea sicherzustellen? Können wir untätig zusehen, wie diese Hungernden von jeder Hilfe abgeschnitten werden, oder müssen wir nicht vielmehr andere Wege suchen, um Hilfe nach Tigray und nach Eritrea zu bringen?
Die Bundesregierung selbst und die Europäische Gemeinschaft müssen die äthiopische Regierung von ihren unverständlichen Beschlüssen herunterbringen. Die äthiopische Regierung hat die internationalen Organisationen aufgefordert, zu helfen, sie hat sie in ihr Land geholt, sie hat ihnen den freien Zugang in alle Landesteile zugesichert, und jetzt schmeißt sie alle raus. Äthiopien wählt damit den Weg in die Isolation und läuft Gefahr, heranreifendes Vertrauen erneut zu verspielen. Wenn die äthiopische Regierung dies nicht einsieht, müssen wir den Hungernden auf anderen Wegen helfen. Die Hilfe muß dann über die in Tigray und Eritrea tätigen Hilfsorganisationen fließen. Wir dürfen es auf keinen Fall zulassen, daß Tausende in einer schrecklichen Hungersnot ihr Leben auf Grund politischer Strategien verlieren.
Zweitens. Der zweite Fragenkomplex zielt auf die Ursache des Konflikts. Solange der militärische Konflikt zwischen Tigray, Eritrea und der äthiopischen Regierung nicht gelöst wird, werden wir immer wieder vor solch ausweglos erscheinenden Situationen stehen.
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Die internationale Politik rafft sich in Abständen zu kleineren Resolutionen auf; ansonsten herrscht Schweigen. Während in anderen Konfliktbereichen Friedensmissionen, Friedenskonferenzen, internationale Vermittlungsversuche und vieles mehr stattfinden, findet der jahrzehntelange Kampf in Äthiopien fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt.
Die Fragen, die sich hier stellen: Was tut die Bundesregierung konkret, um diesen Konflikt lösen zu helfen? Was unternimmt die Europäische Gemeinschaft? Wer mobilisiert die Aufmerksamkeit der internationalen Politik und der internationalen Öffentlichkeit für einen Kampf, der mililtärisch keine Entscheidung findet, der jedes Jahr Tausende von Toten kostet und der die immer wiederkehrenden Hungerkatastrophen fördert und drastisch verschlimmert? Das sind die Fragen, die endlich Antworten, die konkrete Reaktionen erforderlich machen. Diese Fragen werden von der Bundesregierung - auch in ihren Berichten - nicht aufgeworfen und nicht aufgegriffen.
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Wir fordern hier deshalb - und nicht zum erstenmal - ernste und weitgehende Initiativen der Bundesregierung und der Europäischen Gemeinschaft.
Unsere erste Aufgabe ist es, den Hungernden zu helfen, und zwar ohne Ansehen ihrer Religion, ihrer Volkszugehörigkeit, ihrer politischen Überzeugung. Hier sind sofortige Schritte erforderlich. Diese Hilfe darf nicht zu einem neuen Abhängigkeitssystem führen. Die Betroffenen dürfen auf Dauer nicht zu Almosenempfängern werden. Wir müssen vielmehr mithelfen, daß sie ihre Probleme aus eigener Kraft in Selbstverantwortung lösen können und damit von internationaler Hilfe weitgehend unabhängig werden.
Unsere zweite, aber genauso wichtige Aufgabe muß es sein, bei der wirklichen Lösung der Konflikte in Äthiopien zu helfen. Dieses Feuer muß gelöscht werden!
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Eid.
Ich danke Ihnen, Herr Präsident, daß Sie mir diese Minute noch zur Verfügung stellen, die ich vorhin nicht ausgeschöpft habe.
Ich möchte auf den Kollegen Großmann eingehen: Ich freue mich, daß die SPD jetzt auch verstärkt dazu beitragen will, die Probleme am Horn von Afrika zu thematisieren und in die Öffentlichkeit zu tragen.
Aber eigentlich möchte ich noch mal auf Sie eingehen, Herr Höffkes: Ich sehe auf seiten der CDU immer nur,
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daß Sie das herausstellen, was von seiten der Befreiungsbewegungen gemacht wird. Ich habe von Ihrer Seite noch selten gehört - und habe es auch heute wieder vermißt - , daß Sie sagen, welche schlimmen Dinge auch die äthiopische Zentralregierung tut.
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Und da möchte ich doch ganz gerne einmal ganz klarmachen: Zwar werden die umstrittenen Überfälle auf die Nahrungsmitteltransporte von Ihnen hier immer wieder angeführt, aber Sie haben hier noch nicht ein einziges Mal gegen die Napalm-Bombardierungen der äthiopischen Regierung gegen die eritreische und tigrayische Bevölkerung protestiert. Es gab gerade vor einer Woche ein fürchterliches Massaker durch äthiopische Soldaten, bei dem 400 Zivilisten getötet und 2 000 Häuser abgebrannt worden sind. Darüber schweigen Sie hier.
Uns geht es darum, daß ganz klar gesagt wird, was auf äthiopischer Seite passiert. Jetzt, nachdem das Äthiopische Rote Kreuz aus dem Internationalen Roten Kreuz ausgetreten ist, ist überhaupt nicht gewährleistet, daß die Nahrungsmittel verteilt werden; und wenn sie verteilt werden, ist ungewiß, wohin sie kommen. Wir waren uns darüber klar, daß es nicht darum geht und auch nicht darum gehen kann, daß europäische Nahrungsmittelhilfe vom äthiopischen Militär mißbraucht wird. Da warte ich immer noch auf eine klare Aussage von der CDU und der CSU, nicht immer nur gegen die Befreiungsbewegung, sondern auch gegen die äthiopische Zentralregierung.
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Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Köhler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diese Debatte, die uns noch in den nächsten Wochen beschäftigen wird, flechte ich an dieser Stelle nur zwei Bemerkungen ein.
Die erste. Lieber Kollege Schanz, wenn in den letzten fünfeinhalb Jahren diese Bundesregierung in der Entwicklungspolitik in einem Teil signifikante Fortschritte gemacht hat, die sich international ohne weiteres sehen lassen können, dann ist es der Bereich des Schutzes der Umwelt und der Bekämpfung eingetretener Umweltschäden.
Ich erinnere auch daran, daß wohl kaum eine Regierung mehr und Intensiveres bei der Vorbereitung des FAO-Plans zur Rettung des tropischen Regenwalds getan hat als die deutsche Bundesregierung. Wir haben dieses Programm mit aktiver Unterstützung begleitet. Daß, wie in diesen Tagen in den Zeitungen steht, die Umsetzung dieses FAO-Programms sehr zögerlich ist, ist ganz gewiß nicht in der Verantwortung dieser Bundesregierung zu suchen.
Ich glaube, Sie haben, ob geflissentlich oder nicht, in Ihrer Rede einige Verschiebungen von Größenordnungen vorgenommen, die man kurz noch einmal nennen muß. Noch immer ist es so, daß drei Viertel und mehr der Entwicklung in den Ländern der Dritten Welt von den Ländern selber geleistet werden und geleistet werden müssen. Der Rest von etwa 20 % entfällt auf die internationale Gebergemeinschaft. Wenn Sie genau nachrechnen, stellen Sie fest: Die Bundesregierung ist bewegender Teil für vielleicht 1 bis 2 des Geschehens. Deswegen ist es einfach unredlich, dieser Bundesregierung für alle Übel dieser Welt an allen Orten ständig die Alleinverantwortung anzuhängen.
Im übrigen, verehrter Kollege Schanz: Die Sägewerke, die unter Ihrer Verantwortung in der Dritten Welt gebaut worden sind, funktionieren, was ich zum Teil feststellen konnte, noch heute ausgezeichnet. Dabei handelt es sich zum Teil um forstwirtschaftlich verantwortliche Nutzung von - Sie wissen, wovon wir reden - Wäldern in Benin, die forstlich dringend geboten ist. Also wollen Sie uns doch freundlichst hier nicht mit dem Bild des grundsätzlich bösen Sägewerks amüsieren! Ein bißchen mehr differenzieren können Sie doch. Mit diesen überzogenen Darstellungen und dann solchen dröhnenden Formeln wie „Dokument des Versagens" gewinnen Sie - das darf ich Ihnen nach fast 16jähriger Erfahrung in diesem Haus sagen - nicht die Glaubwürdigkeit für Regierungsverantwortung.
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Meine zweite Bemerkung richte ich an den von mir so hoch geschätzten Kollegen Professor Dr. Holtz. Herr Holtz, ich denke, wir werden uns nicht sehr streiten, wenn ich sage, daß Entwicklungspolitik letzten Endes ein wichtiger Dienst an der Gestaltung eines Prozesses ist, der uns übertragen ist, nachdem eine europazentrisch entwickelte Welt, eine Welt, die von Europa erschlossen wurde und die ökonomisch und machtpolitisch von Europa in engerem oder weiterem Sinn beherrscht wurde, nach dem Zweiten Weltkrieg in ihrer Struktur zusammengebrochen war und sich in einer Situation wiedergesehen hatte, in der die Bezüge, die Wechselwirkungen und die Zusammenarbeit neu geordnet werden mußten.
Wir haben diesen Weg mit dem Ziel eingeschlagen, durch friedlichen Interessenausgleich und Lösung und Verminderung von Konfliktursachen eine neue und, wie wir alle hoffen, bessere Form des Zusammenlebens der Völker in Bewegung zu bringen. Das ist weiß Gott ein großes Ziel, dessen Erreichung langer, langer Mühen bedarf und von dem wir nicht wissen, wann der Endzustand erreicht ist, wenn es jemals einen gibt.
Daß in diesem Spiel einer Neuordnung des friedlichen Zusammenlebens der wirtschaftlichen und politischen Interessen auch die Bundesrepublik, auch das deutsche Volk dem Wandel unterworfen sind, ist evident. Wir haben uns wie auch andere strukturell anzupassen. Wir brauchen hier jetzt nicht noch lange von Stahl, Werften und Landwirtschaft zu reden. Das ist allerdings der Grund, weshalb die Minister für Entwicklungspolitik und ihre Staatssekretäre in der Frage Agrikultur in den letzten Jahren mindestens so drängend gewesen sind wie die meisten anderen in diesem Hause. Aber wenn es so ist, daß das ein Prozeß der Neuordnung ist, in dem auch wir unseren Platz neu zu definieren haben, Herr Holtz, wäre von Eigeninteressen nicht zu reden das Höchstmaß der Unredlichkeit.
({1})
Sie können nicht einfach unterstellen, daß Eigeninteressen übersetzt werden dürften mit brutalem Egoismus. Diese Definition ist eine Unterstellung.
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Daß in diesem Prozeß die von Ihnen sehr geliebten Umverteilungsmodelle schon längst unter Ihrer Verantwortung ihre Untauglichkeit erwiesen haben, sollte Sie eigentlich davor schützen, heute das Rohstoffpreisthema so vordergründig zu behandeln, wie Sie es getan haben.
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Wer dies auch noch mit einem starken Akzent der Wiedergutmachung schuldhaften Verhaltens tut und dann als überwiegende Lösung eine Kampagne anzubieten weiß, die von neuem problematisiert, ohne Lösungen zu zeigen, der muß sich auch fragen lassen, ob er damit nicht denen Raum gibt, die in Wirklichkeit eine idealistisch interessierte Öffentlichkeit und Jugend zweckvoll zur Frustration hinführen wollen, aber nicht denen dabei hilft, denen der Systemzweifel, den Sie schüren wollen, wichtiger ist als die Lösung der Probleme der Dritten Welt.
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Nur durch Problematisieren, nur durch das Herstellen von Öffentlichkeit, Herr Holtz, kommen wir nicht weiter. Wir haben härter zu arbeiten.
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Eine solche Kampagne ist von Nutzen, aber es muß auch erlaubt sein, über ihren richtigen Sinn miteinander zu sprechen. Sie können sie hier nicht alleine als Wert für sich verkaufen.
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Da weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, schließe ich die Aussprache.
Auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung schlage ich Ihnen vor, die Vorlagen zu den Punkten 17 a bis 17 c sowie zu Zusatzpunkt 6 der Tagesordnung an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Das Haus ist damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen beschlossen.
Wir stimmen jetzt über Punkt 17 d der Tagesordnung ab. Die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses liegt Ihnen auf Drucksache 11/1989 vor. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr Punkt 18 der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Giftgaseinsätze der irakischen Regierung gegen die im Irak lebenden Kurden
- Drucksache 11/2247 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Irakisch-iranischer Krieg
- Drucksache 11/629 Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Auswärtiger Ausschuß
Es gibt eine Vereinbarung des Ältestenrates, daß dieser Tagesordnungspunkt in einer Stunde abgehandelt werden soll. Ergibt sich im Hause Widerspruch? - Das ist nicht der Fall.
Dann erteile ich zunächst dem Abgeordneten Gansel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muß es immer wieder sagen: Die Golfregion kann für die ganze Welt am Ende dieses Jahrhunderts die gleiche verhängnisvolle Bedeutung haben wie der Balkan zu Beginn dieses Jahrhunderts für Europa, für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Dieser schreckliche Moloch Krieg wird von den Rüstungsproduzenten und Waffenschiebern in der ganzen Welt genährt.
Die Bundesrepublik ist für den Ausbruch des Golfkrieges nicht verantwortlich; das ist wohl eher der
Irak. Sie trägt auch nicht die Verantwortung dafür, daß es noch keinen Frieden gibt; die trägt wohl eher der Iran. Aber die Bundesrepublik ist in der zivilisierten Völkergemeinschaft dafür mitverantwortlich, daß alles unternommen wird, um diesen Krieg zu beenden.
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Die Bundesregierung ist dafür mitverantwortlich, daß in der Bundesrepublik alles unternommen wird, um die Lieferung von Kriegswaffen und Rüstungsgütern an die kriegführenden Staaten zu verhindern. Bundesregierung und Bundestag sind dafür mitverantwortlich und deshalb sind sie auch dort mitschuldig, wo nicht alles Mögliche unternommen worden ist.
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Ich habe keine zuverlässigen Hinweise dafür, daß die Bundesregierung seit Kriegsausbruch Lieferungen nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz genehmigt hat. Es gibt aber das Eingeständnis der Bundesregierung, daß zumindest in den Iran Rüstungsgüter geliefert worden sind, die nach dem Außenwirtschaftsgesetz genehmigungspflichtig waren und nach Kriegsausbruch nicht hätten genehmigt werden dürfen.
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Das ist schlimm. Daß als Lieferant auch noch eine Firma auftrat, die sich im Bundeseigentum befindet, ist besonders schlimm.
Man kann davon ausgehen, daß seit Beginn des Krieges Waren im Werte von Milliarden D-Mark aus der Bundesrepublik an die kriegführenden Armeen für die Kriegführung geliefert worden sind. Dabei handelt es sich um Transportfahrzeuge, Motoren, Stahlteile, elektronische Geräte und Maschinenbauprodukte, die nicht ausschließlich zur militärischen Verwendung konstruiert wurden und auch als zivile Güter hätten benutzt werden können.
Die SPD hält den wirtschaftlichen Boykott von kriegführenden Staaten nicht in jedem Fall für wirkungsvoll und sinnvoll. Man muß dabei akzeptieren, daß man nicht ausschließen kann, daß auch zivile Güter militärisch mißbraucht werden. Wenn aber aus den Umständen erkennbar ist, daß Kraftfahrzeuge zum Transport von Kanonenfutter gebraucht werden sollen, wenn über Pontonbrücken Selbstmordkommandos die Sümpfe überqueren sollen, wenn mit Drehbänken Munitionshülsen und Gewehrteile fabriziert werden sollen, dann geht es nicht um zivile Exporte, sondern schlicht und einfach um das Geschäft mit dem Tod, und jede Mark, die damit verdient wird, riecht nach Blut.
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„Nichts riechen, nichts hören, nicht sehen und nichts sagen" , das ist bei der Kontrolle der Exporte, die in der Golfregion militärisch verwendet worden sind, jahrelang die Devise der Bundesregierung gewesen. Bei den Auswirkungen der barbarischen Giftgaseinsätze wird mein Kollege Koschnick das im einzelnen illustrieren.
Die insgesamt traurige Haltung der Bundesregierung bei den kriegsverlängernden Exporten in den Irak und den Iran ist in der Drucksache 11/2280 er5420
kennbar, die auf einer Kleinen Anfrage der GRÜNEN beruht. Aus der Antwort der Bundesregierung ergibt sich unter anderem, daß wegen illegaler Exporte in die Golfregion seit Ausbruch des Krieges nur ein einziger Bußgeldbescheid in Höhe von 150 000 DM erlassen worden ist. Aber weil allein eine Provisionszahlung im Zusammenhang mit Rüstungseinkäufen der irakischen Regierung von einem Kaufmann in München in Höhe von 2,4 Millionen DM nicht versteuert worden ist, ist eine Freiheitsstrafe verhängt worden - ich vermute: mit Bewährung.
Ich vermute auch, daß sich die Bundesregierung weiterhin darauf beschränken wird, sich in Zeitungsartikeln über die Beraterfunktion, Experimente und Erprobungen deutscher Raketentechniker im Irak zu informieren. Ich verweise auf die Antwort von Staatssekretär Riedl in der gestrigen Fragestunde.
Ich ergänze: Wenn ein Unternehmen wie MBB, das fast ganz von Aufträgen des Bundes und der Bundeswehr abhängig ist, sich in dieser Weise mit Raketentechnik an einem Kriegsschauplatz beschäftigt, ist der Verdacht nicht auszuschließen, daß einschlägige Kreise in der Bundesrepublik davon nicht nur finanziell profitieren wollen.
Es ist kein Ruhmesblatt in der Geschichte des Deutschen Bundestages, daß es acht Jahre gedauert hat, bis dieser schreckliche iranisch-irakische Krieg das erste Mal auf die ordentliche Tagesordnung gesetzt worden ist. Die SPD hatte dazu schon im Oktober 1986 einen umfassenden Antrag vorgelegt. Wir haben ihn im Juli 1987 erneut in den Bundestag eingebracht. Heute wird er endlich diskutiert, nachdem auch die GRÜNEN vor vierzehn Tagen einen Antrag zu den Giftgaseinsätzen eingebracht haben. Von den Regierungsparteien fehlt jede parlamentarische Stellungnahme.
Wir haben darauf verzichtet, unseren Antrag zu aktualisieren, weil wir dem Plenum vorschlagen wollen, beide Anträge an den Auswärtigen Ausschuß zu überweisen. Wir wollen versuchen, eine gemeinsame Stellungnahme des Deutschen Bundestages zu erarbeiten. Wir sind für einen ehrlichen Versuch, und deshalb will ich nicht verhehlen, daß ich die größten Probleme für eine wünschenswerte Gemeinsamkeit bei einer klaren und unmißverständlichen Stellungnahme zum Export von Rüstungsgütern in die Kriegsregion sehe. Ich hoffe, die Regierungsfraktionen werden in der Lage sein, mit ihr einen sauberen Trennungsstrich zwischen anständigem Export und dem verabscheuungswürdigen Geschäft mit dem Tode zu ziehen.
Zur aktuellen Entwicklung im Golfkrieg erkläre ich für die SPD-Fraktion:
Erstens. Die SPD weist die Forderung, Kriegsschiffe der Bundesmarine in den Golf zu schicken, wie sie jüngst wieder aus der CDU/CSU-Fraktion gekommen ist, mit Entschiedenheit zurück.
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Wir unterstreichen die bisher unzweideutige Erklärung von Bundeskanzler Kohl, daß ein Einsatz der Bundeswehr außerhalb des Vertragsgebietes der NATO durch die geltende Fassung des Grundgesetzes verboten ist. Wir sind gegen eine nationale Anmaßung von Weltpolizei und unterstützen in dieser Richtung auch die Haltung von Bundesaußenminister Genscher. Wir sind aber für die Stärkung der Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen. Die Bundesrepublik wird dabei, dem Friedensauftrag des Grundgesetzes folgend, insgesamt mehr Anteil und Verantwortung übernehmen müssen, wie immer sie im einzelnen geartet sein werden.
Zweitens. Wir begrüßen die Resolution 598 des Sicherheitsrates. Wir fordern, daß sie nunmehr auch umgesetzt wird. Der Iran ist berechtigt, eine Kommission zur Untersuchung der Kriegsschuldfrage zu verlangen. Wir sollten es eigentlich als unsere Verpflichtung begreifen, eine unabhängige Kommissionsarbeit zur Weiterentwicklung der Völkerrechtsgemeinschaft zu fördern. Der Iran darf allerdings nicht einen Waffenstillstand von Vorverurteilungen und zusätzlichen Forderungen abhängig machen. Wir fordern die Bundesregierung auf, ihre Bereitschaft zu erklären, dem Willen der Vereinten Nationen auf dem Weg zu einem Waffenstillstand mit gezielten und abgestuften Sanktionen gegen die kriegführenden Staaten Nachdruck zu verleihen.
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Drittens. Wir fordern eine unzweideutige Verurteilung der irakischen Giftgaseinsätze durch die Bundesregierung und entsprechende Initiativen im Sicherheitsrat. Eine allgemeine Verurteilung von chemischer Kriegsführung, ohne Roß und Reiter zu nennen, wie in der vergangenen Woche, ist pure Heuchelei. Wir fordern die Bundesrepublik auf, mit allen rechtsstaatlichen Mitteln die Möglichkeit auszuschließen, daß aus der Bundesrepublik Beihilfe zu Giftgaseinsätzen im Golfkrieg geleistet werden kann. Gegenüber dieser Verpflichtung sind die Exportrechte der deutschen chemischen Industrie für die Dauer des Krieges ohne Gewicht.
Viertens. Die SPD hat schon vor Jahren den Einsatz von Jugendlichen und Kindern in den iranischen Streitkräften verurteilt. Die jüngste Erklärung des stellvertretenden iranischen Bildungsministers - ich zitiere aus der iranischen Presseagentur IRNA -, nach dem amerikanischen Angriff auf zwei iranische Ölbohrinseln seien nun zwölf Millionen Grund- und Oberschüler bereit, die Verbrechen Amerikas und seines regionalen Söldners Saddam bis zum letzten Blutstropfen zu bekämpfen, gibt zu schlimmen Befürchtungen Anlaß. Darauf mit dem Finger zu zeigen, sind wir berechtigt, auch wenn Finger derselben Hand auf die jüngste deutsche Geschichte zurückweisen.
Fünftens. Wir fordern den Abzug aller fremden Flottenverbände aus dem Golf. Seitdem diese Flottenverbände im Golf stationiert sind, haben die Angriffe auf Handels- und Kriegsschiffe nicht abgenommen, sondern zugenommen. Seewege sind nicht sicherer, sondern unsicherer geworden. Die Gefahr militärischer und politischer Eskalation ist nicht gesunken, sie ist gestiegen. Wir fordern eine friedensstiftende Politik der Vereinten Nationen mit den nach der UNO-Satzung gegebenen Machtmitteln. Keine Supermacht hat das Recht, sich als Weltpolizist aufzuGansel
spielen und das Risiko dafür auch noch auf die verbündeten Staaten zu übertragen.
({6})
Wir lehnen es deshalb auch ab, daß Schiffe der Bundesmarine im Mittelmeer stationiert werden, um amerikanische Kriegsschiffe zu ersetzen, die in den Golf verlegt worden sind. Wir kritisieren die Unehrlichkeit der Bundesrepublik, die darin besteht, die jüngsten Mittelmeerfahrten der Bundesmarine je nach Bedarf zu routinemäßigen Ausbildungsreisen zu erklären oder als demonstrative Solidaritätsgeste für die USA darzustellen.
({7})
Wir weisen vorsichtshalber darauf hin, daß wie der NATO-Vertrag so auch der Vertrag über die Westeuropäische Union keine Möglichkeit bietet, Einheiten der Bundeswehr zu anderen Zwecken als zu denen der Verteidigung einzusetzen. Auch über eine eigenartige und extensive Interpretation des WEU-Vertrages darf das Grundgesetz nicht ausgehöhlt werden.
({8})
Meine Damen und Herren, von dem neuen Bundesverteidigungsminister erwarten wir, daß er die Außenpolitik des Außenministers nicht konterkariert. Vom Außenminister erwarten wir mehr Festigkeit und Linie in seinen politischen Manövern gegenüber dem Iran und dem Irak. Vom Wirtschaftsminister und vom Finanzminister wird erwartet, daß alles Mögliche getan wird, um Rüstungsgeschäfte mit den kriegführenden Staaten zu unterbinden.
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Weil wir nach den bisherigen Erfahrungen nicht allzuviel Verlaß darauf haben, appellieren wir an die Bürgerinitiativen und die initiativen Bürger, an die vielen Journalisten, wie bisher weiter und mehr noch über den Krieg zu berichten, Mahner zu sein, dunkle Geschäfte aufzudecken, Anstoß zu geben, vor Gefahren zu warnen, die Realität des Krieges nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, damit wir nicht vergessen, für den Frieden mitverantwortlich zu sein.
Es war höchste Zeit, daß der Deutsche Bundestag eine Diskussion über den iranisch-irakischen Krieg begann.
({10})
Meine Damen und Herren, bevor ich der Abgeordneten Frau Olms das Wort gebe, ist es mir ein großes Vergnügen und eine Freude, den Staatsminister David Mellor aus Großbritannien auf der Diplomatentribüne begrüßen zu dürfen.
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Herr Staatsminister, wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt und erfolgreiche Gespräche.
Frau Abgeordnete, Sie haben nun das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach offiziellen Untersuchungen der Vereinten Nationen setzt das irakische Regime seit etwa 5 Jahren die international geächteten chemischen Kampfstoffe Senfgas und Tabun im Krieg gegen den Iran und im Krieg gegen die überwiegend kurdische Zivilbevölkerung im Norden des Irak ein.
Nachdem bereits tausende kleinerer Ortschaften und Dörfer im Nordirak entweder dem Erdboden gleichgemacht oder aber mit Giftgaseinsätzen unbewohnbar gemacht wurden, erregten die jüngsten Giftgaseinsätze der irakischen Luftwaffe gegen die kurdische Bevölkerung in der Stadt Halabscha Bestürzung und Entsetzen in der Weltöffentlichkeit. Ca. 5 000 Menschen, unter ihnen vor allem alte Menschen, Frauen und Kinder, starben qualvoll an den Folgen der eingesetzen Giftgase. Tausende wurden verletzt. Wiederum Tausende waren zur Flucht gezwungen. Die Stadt Halabscha, einst von rund 70 000 Menschen bewohnt, gleicht heute einer Geisterstadt, in der sich noch rund 200 Menschen aufhalten.
Diese Giftgaseinsätze sind verabscheuungswürdig. Sie sind seit 1925 im Genfer Abkommen international geächtet, und auch die irakische Regierung hat dieses Abkommen im Jahre 1931 ratifiziert.
Dennoch setzt das irakische Regime diese grauenvollen Waffen sowohl gegen die überwiegend kurdische Bevölkerung im Nordirak als auch im Krieg gegen den Iran ein. Und der irakische Außenminister hat erst kürzlich bei seinem Besuch in Brasilien den Einsatz von Giftgasen auch offiziell zugegeben.
Das Hauptanliegen unseres Antrages ist die Verurteilung des irakischen Regimes durch die Bundesregierung hinsichtlich ihrer Giftgaseinsätze gegen die überwiegend kurdische Bevölkerung im Nordirak, den an der kurdischen Bevölkerung begangenen Hinrichtungen und Massakern sowie den Zwangsvertreibungen und Umsiedlungen.
Die Giftgaseinsätze gegen die nordirakische Stadt Halabscha waren die bisherige Spitze des Eisberges. Uns liegen Berichte - unter anderem von amnesty international und der Gesellschaft für bedrohte Völker - vor, aus denen eindeutig hervorgeht, daß die irakische Luftwaffe bereits im letzten Jahr, und zwar im Frühjahr 1987 und im September 1987, flächendeckende Bombardements mit Giftgas gegen die von Kurden bewohnten Ortschaften im Nordirak flog, daß zumindest in einem Fall bekannt ist, daß 426 namentlich bekannte Giftgas-Verletzte zunächst verschleppt wurden und seitdem als spurlos verschwunden gelten, daß am 26. März dieses Jahres, nur zwei Tage nach den Giftgas-Angriffen auf die Stadt Halabscha, ca. 400 verletzte Kurden aus dieser Stadt verschleppt und anschließend in einem Internierungslager in der Nähe von Sulaimaniya umgebracht wurden, daß bestimmten Nahrungsmitteln Rattengift beigemengt wurde, an denen die Menschen starben, daß - in der Summe der Politik der Massaker und der Vertreibung - eine halbe Million Kurden in den Iran fliehen mußten, zwischen 350 000 und 500 000 Kurden innerhalb des Irak zwangsumgesiedelt wurden und Tausende von Toten zu beklagen sind.
Die Gesellschaft für bedrohte Völker spricht in diesem Zusammenhang von einer seit Jahren betriebenen „systematischen Vergasung kurdischer und assyrisch-christlicher Siedlungsgebiete" und einem „derzeit wohl einmaligen Kriegsverbrechen".
Der Antrag zielt also speziell darauf ab, daß endlich Schluß sein muß mit dem Terror und den verbrecherischen Giftgaseinsätzen seitens des irakischen Regimes gegen die irakischen Kurden im eigenen Land.
Selbstverständlich ist mir bekannt, daß die Kurdenfrage im Irak inzwischen sehr eng mit dem Golf-Krieg zusammenhängt. Und genau so selbstverständlich fordere ich eine unverzügliche Beendigung des Golf-Krieges und des Einsatzes chemischer Waffen in diesem Krieg.
Mir kommt es aber gerade bei unserem Antrag darauf an, den Umgang des irakischen Regimes mit der nach Autonomie strebenden kurdischen Bevölkerungsminderheit zu verurteilen, weil die bevölkerungs- und menschenrechtsverachtende Politik des Iraks in dieser Frage durch die Ereignisse des GolfKrieges permanent überschattet wird.
Das Problem der kurdischen Bevölkerung im Irak leitet sich keineswegs aus dem Golf-Krieg ab, sondern ist wesentlich älter als dieser schreckliche Krieg. Daß große Teile der kurdisch-irakischen politischen Opposition inzwischen den Schutz und das Bündnis mit dem iranischen Regime eingegangen sind, ist die Folge einer irakischen Politik, die die kurdische Bevölkerung geradezu in dieses Bündnis mit dem Iran getrieben hat.
Umgekehrt erkennt das iranische Regime die Kurden im eigenen Land und im Irak keineswegs als eigenständigen Widerstand an und bezeichnet sie fälschlicherweise als islamische Kämpfer des Irak. Mehr noch: Das iranische Regime brachte vor sieben Jahren rund 10 000 iranische Kurden um und bedient sich der kurdisch-irakischen Widersprüche, um im Nordirak eine sogenannte zweite Front im Rahmen des Golf-Krieges zu eröffnen.
Das Eindringen iranischer Truppen auf das Territorium des überwiegend von Kurden bewohnten Nordostirak dient dem irakischen Regime wiederum als Vorwand, von den Massakern und Zwangsumsiedlungen der irakischen Kurden abzulenken und diese mit dem Krieg gegen den Iran zu begründen. Wenn wir hier also die Verurteilung des irakischen Regimes durch die Bundesregierung fordern, so bedeutet das absolut keine Beschönigung oder gar Parteinahme für das iranische Regime.
Auch der neuerliche Hungerstreik von kurdischen Gefangenen in der Türkei gegen die Folter und für verbesserte Haftbedingungen verweist auf die politische Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung in der Türkei.
Worauf es mir aber mit unserem Antrag ankommt, ist, daß das irakische Regime wegen seiner Verbrechen an der kurdischen Bevölkerung im eigenen Land gewissermaßen im Schatten des Golf-Krieges verurteilt wird, zumal es an diesem Punkt an politischen Initiativen bisher mangelt.
Anfang Mai dieses Jahres verurteilte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf Initiative der Bundesrepublik den Einsatz chemischer Waffen im Golf-Krieg, ohne daß dabei jedoch Roß und Reiter genannt noch die Giftgaseinsätze gegen die kurdische Bevölkerung erwähnt wurden. Unseren Intentionen kommt da eine Dringlichkeitsentschließung des
Europäischen Parlaments vom April dieses Jahres schon näher, in der neben der Verurteilung der Chemiewaffeneinsätze im Golf-Krieg und neben der speziellen Verurteilung des Irak auf die Kurdenproblematik im Irak hingewiesen wird.
Die Dringlichkeit unseres Antrags ergibt sich daraus, daß das irakische Regime weitere Giftgaseinsätze angedroht hat, und zwar gegen die nordirakische Stadt Sulaimaniya mit rund 1 Million Einwohnern. Angesichts der bisherigen Erfahrungen muß also mit dem Schlimmsten gerechnet werden. Daß das irakische Regime von der Bundesregierung und darüber hinaus auch international wegen seiner Giftgaseinsätze und der völkermordähnlichen Politik gegenüber der kurdischen Bevölkerung verurteilt wird, kann nur einen ersten Schritt bedeuten.
Einer der Schlüssel zur Beendigung sowohl des Giftgaseinsatzes als auch des Golf-Krieges sowie den Massakern und Zwangsvertreibungen der irakischen Kurden liegt in den NATO-Staaten. Denn die nach wie vor laufenden Waffenlieferungen an die beiden kriegführenden Länder ermöglichen überhaupt erst die Fortsetzung des mittlerweile schon knapp acht Jahre andauernden Krieges.
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Auch die Herstellung der chemischen Waffen wäre ohne die Hilfe seitens der NATO-Staaten nicht möglich.
In unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, geeignete Formen des Drucks wie Sanktionen gegen den Irak in Erwägung zu ziehen - wir haben uns da sehr vorsichtig ausgedrückt - und sie auch anzuwenden, wenn der Irak nicht unverzüglich die Giftgaseinsätze im Golf-Krieg und speziell gegen die irakischen Kurden unterläßt. Bislang aber sind massivere politische und diplomatische Aktivitäten seitens der Bundesregierung nicht erfolgt.
Warum wurde z. B. der bundesdeutsche Botschafter nach den Giftgaseinsätzen in Halabscha nicht unverzüglich zur Berichterstattung nach Bonn abberufen? Warum - um ein weiteres Beispiel zu nennen - hat die Bundesregierung ihrerseits nicht den Besuch des irakischen Außenministers in Bonn - ebenfalls einige Tage nach den Gaseinsätzen in Halabscha - von sich aus abgesagt? Der irakische Außenminister erschien nicht in der Bundesrepublik, aber wegen einer kurzfristigen Absage seinerseits.
Sanktionen, seien es politische, diplomatische oder wirtschaftliche, stellen immer das äußerste Mittel der Außenpolitik dar, wenn alle übrigen herkömmlichen Maßnahmen gescheitert sind. Das gilt für das Rassistenregime Südafrikas genauso wie für das irakische Regime. Ich fordere also die Bundesregierung auf, ihre Initiativen gegen die völker- und menschenrechtsverletzende Politik des Iraks gegen die irakischen Kurden zu verstärken.
In Punkt 3 unseres Antrags fordern die GRÜNEN von der Bundesregierung, mit allen Mitteln die Lieferungen von Produktionsanlagen und Chemikalien, die zur Herstellung und Produktion chemischer Kampfstoffe dienen oder dienen könnten, zu unterFrau Olms
binden. Die Bundesregierung wird dieser unserer Forderung wahrscheinlich zustimmen, denn sie selbst hat eine Reihe von Maßnahmen in dieser Hinsicht getroffen. So unterliegen bestimmte Chemikalien, die zur Herstellung von Giftgasen dienen könnten, einem Genehmigungsvorbehalt.
Der vorliegende Antrag der SPD ist von der Sache her zu unterstützen. Er bezieht sich jedoch stärker auf den Golf-Krieg und behandelt die Problematik unseres Antrags überhaupt nicht. Von der Sache her gesehen würden sich die beiden vorliegenden Anträge jedoch ergänzen, wobei mir unverständlich ist, daß der vorliegende SPD-Antrag erst heute auf die Tagesordnung gekommen ist.
Wir erleben aber gerade in den letzten Wochen, daß sich die Bundesregierung des Themas Menschenrechte angenommen hat. Ich hoffe, daß die Stichworte Abschaffung der Todesstrafe, Ächtung der Folter, Verurteilung von Giftgaseinsätzen im Golf-Krieg nicht hohle Worte sind. Nur: Stille Diplomatie und internationale Appelle haben nicht bewirken können, daß das irakische Regime von den Giftgaseinsätzen Abstand nimmt. Hier werden nunmehr Taten verlangt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Lummer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nun das dritte Mal, daß sich der Bundestag heute mit einem Teil des Leides beschäftigt, das in unserer Welt vorhanden ist: zunächst das südliche Afrika, dann der Bericht über Entwicklungshilfe mit dem Schwerpunkt des Schicksals in Äthiopien und seiner Umgebung und nun die Golfregion. Dabei wird man sicher erkennen müssen, daß der Krieg zwischen dem Iran und dem Irak zu den schrecklichsten Erfahrungen unserer Tage gehört; dies kann natürlich niemanden kaltlassen.
Chemische Waffen auf der einen und der Fronteinsatz von Kindern auf der anderen Seite machen es einem nun wirklich schwer, nach der größeren Hälfte der Schuld zu suchen. Aber sicher geht es auch nicht darum, für die eine oder die andere kriegführende Seite Partei zu ergreifen, sondern darum, Partei für die Menschen auf beiden Seiten zu ergreifen, die nichts anderes wollen als den Frieden.
In der Verurteilung gerade des Einsatzes chemischer Waffen wird und will sich die Bundesrepublik Deutschland von niemandem übertreffen lassen. Ihre Politik ist konsequent darauf gerichtet, daß die chemischen Waffen aus den Arsenalen verschwinden. Wenn man aber den Begriff chemische Waffen hört und verwendet, ist zumindest mir unwohl dabei, weil die ganze Grausamkeit und Unmenschlichkeit in einem solchen Begriff nicht zum Ausdruck kommt. Es klingt geradezu wie eine Verharmlosung der Dinge, um die es wirklich geht. Schon die Bilder lassen die barbarischen Greuel und die Todesqualen erkennen, denen die Menschen dort zum Opfer fallen, aber alle Bilder fangen die ganze Dimension des Schreckens nicht ein, der doch Wirklichkeit ist. Mag das Ausmaß des Schreckens, der uns hier begegnet, nicht apokalyptisch sein - die Art und Weise ist es in jedem Fall.
Obwohl ein Einsatz von chemischen Waffen schon jetzt dem Völkerrecht widerspricht, müssen alle Bemühungen fortgesetzt werden, ein weltweites Verbot der chemischen Waffen vertraglich zu sichern und Verifikationsmechanismen zu vereinbaren. Ich denke, die Bundesregierung muß sich hier nichts vorwerfen. Sie hat noch jüngst, im April 1988, in einer Verbalnote an die Teilnehmerstaaten der Genfer Abrüstungskonferenz appelliert, dem weltweiten C-Waffen-Verbot nun allerhöchste Dringlichkeit zu geben. Zusammen mit Italien und Japan hat sie im Sicherheitsrat eine Resolution eingebracht, die den Einsatz von C-Waffen verurteilt und die Bemühungen um ein weltweites Verbot unterstreicht. Sie ist hier mit gutem Beispiel vorangegangen. Wenn Sie, Herr Gansel, nicht damit zufrieden sind, daß der Irak nicht expressis verbis genannt wird, so sei doch darauf hingewiesen, daß der Giftgaseinsatz von seiten des Iraks der Anlaß für diese Aktion gewesen ist.
Meine Damen und Herren, nach Lage der Dinge aber kann unser Ziel nicht nur darin bestehen, den Einsatz chemischer Waffen zu verhindern, den Kinderkrieg zu stoppen oder den Verzicht auf die Lieferung von Kriegsmaterial durchzusetzen. All dies ist wichtig, all dies ist nötig, und wir müssen auch alles dafür tun. Dennoch erscheint es wahrscheinlich, daß erst mit dem Ende des Golf-Krieges all dies erreicht werden kann.
Die Vereinten Nationen haben in ihrer Resolution 598 die sofortige Beendigung des Golf-Krieges gefordert. Es hat auch Gespräche und Verhandlungen gegeben. Es bleibt schwer einzusehen, daß die Vorabfeststellung der Schuldfrage zur Voraussetzung des Endes des Mordens gemacht wird. Dafür haben sicher alle die kein Verständnis, die vom Tod bedroht sind: die Menschen auf beiden Seiten, die Besatzungen von Tankern und alle für den Frieden engagierten Menschen.
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In der Tat, darin ist dem Kollegen Gansel wiederum zuzustimmen: Auch wir fühlen uns verantwortlich für den Frieden in dieser Region. Die Vereinten Nationen hatten für den Fall des Scheiterns ihrer Bemühungen im Zusammenhang mit der Resolution 598 konkrete Schritte in Aussicht gestellt. Darauf warten wir noch.
Meine Damen und Herren, wir haben viel über Sanktionen im Zusammenhang mit Südafrika und anderem geredet. Warum gibt es in bezug auf das Ende des Golf-Krieges nicht die wirklich brennende und lautstarke Frage nach Sanktionen? Hier müßte es doch möglich sein, einen breiten Konsens zu finden. Das Ziel wäre wahrlich lohnend. Es mag sein, daß die Welle des weltweiten Protestes nicht laut genug war, aber es ist nicht geschwiegen worden. Dennoch sehen wir uns in aller Hilflosigkeit dergestalt, daß alle Reden und alle Vereinbarungen nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt haben. Man fragt sich, was das für eine Völkergemeinschaft ist, die bestimmte Vereinbarun5424
gen trifft, an die sich bestimmte Glieder dieser Gemeinschaft nicht halten.
Es stellt sich in der Tat die auch von den Vorrednern angesprochene Frage nach einem gemeinsamen Handeln der Vereinten Nationen und insbesondere auch der Großmächte, um unverzüglich einen Waffenstillstand zu erreichen. In der erwähnten Resolution der Vereinten Nationen heißt es zum Schluß:
Der Sicherheitsrat beschließt, erforderlichenfalls erneut zusammenzutreten, um weitere Schritte zu erwägen, die die Befolgung dieser Resolution sicherstellen sollen.
Meine Damen und Herren, auch wir sind der Meinung, diese Schritte sind überfällig. Es lohnt sich wirklich, den ehrlichen Versuch zu unternehmen, die beiden Anträge zu einer gemeinsamen Resolution zusammenzubringen, damit wir unseren Teil dazu beitragen, daß am Golf Frieden herrscht und die schrecklichen Zustände ein Ende finden.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch die Fraktion der Freien Demokratischen Partei begrüßt die Initiative der Oppositionsfraktionen, das Thema des schrecklichen, nun über acht Jahre währenden iranisch-irakischen Krieges in einer Debatte im Deutschen Bundestag zu behandeln und hierzu Anträge vorzulegen, die wir tendenziell unterstützen. Wir hoffen sehr, wie Herr Kollege Lummer das eben gesagt hat, daß wir im Lauf der Beratungen zu einer gemeinsamen Beschlußfassung kommen.
Lieber Herr Gansel, Sie sollten es uns nicht zu schwer machen, daß wir uns hier nicht zu sehr auseinanderreden, sondern daß wir ein bißchen mehr aufeinander zureden. Denn fast alles, was Sie inhaltlich gesagt haben, ist von uns zu unterschreiben. Aber daß Sie der Bundesregierung in diesem Komplex des Krieges eine traurige Haltung vorwerfen, das muß ich zurückweisen.
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Es entspricht einfach nicht den Tatsachen, und darauf möchte ich jetzt genauer eingehen.
Die vielfältigen Bemühungen der Bundesregierung werden von uns unterstützt. Vielleicht wird der Herr Staatsminister darauf nachher auch noch einmal eingehen. Ich habe das alles nachgelesen, weil ich mir das auch nicht so leichtmache und immer gleich hurra rufe: Die Bundesregierung wird es schon richten. Aber ich glaube doch, daß die Bemühungen der Bundesregierung gerade im Zusammenhang mit diesem Konflikt sehr beachtlich sind und auch gewürdigt werden müssen.
Frau Abgeordnete, der Abgeordnete Gansel möchte gern eine Zwischenfrage stellen.
Aber natürlich.
Frau Hamm-Brücher, von der traurigen Haltung der Bundesregierung habe ich im Zusammenhang mit der Ahndung von Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz bzw. Außenwirtschaftsgesetz gesprochen, ausgehend von Ihrer - in der Anfrage der GRÜNEN bestätigten - Auffassung, daß es schlimm ist, wenn auf der einen Seite ein einziges Bußgeld in Höhe von 150 000 DM verhängt wird, man aber auf der anderen Seite weiß, daß allein die Provision des wegen Steuerhinterziehung verurteilten Rüstungshändlers 2,4 Millionen DM betragen hat. Sie selbst haben das oft problematisiert.
Herr Kollege, ich habe die Anfrage und die Antwort vor mir liegen. Aber, ich glaube, wir stimmen doch darin überein, daß die Rechtsprechung - gottlob - von der Regierung unabhängig ist und die Regierung darum auf die Erteilung von Bußgeldbescheiden keinen Einfluß hat.
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Sie kann das bedauern, aber es ist doch keine traurige Bilanz der Bundesregierung, daß die Strafe in diesem Fall nach Ihrer Meinung - auch nach meiner Meinung - viel zu niedrig ist.
Sie gestatten eine weitere Zwischenfrage? - Aber, Herr Abgeordneter, Sie denken daran, irgendwo das Fragezeichen einzubauen.
Entschuldigung.
Frau Kollegin, darf ich in Ihre Erinnerung zurückrufen, daß die Verhängung eines Bußgeldes im Rahmen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens der zuständigen Oberfinanzdirektion - eine weisungsabhängige Behörde - erfolgt, die bei solchen Verfahren in der Regel vorher das Ministerium um Zustimmung fragt?
Herr Kollege Gansel, da haben Sie völlig recht. Aber diese Bußgeldverfahren sind ja durchgeführt worden, weil keine ordentlichen Gerichtsverfahren eingeleitet worden sind. Zunächst waren also die Gerichte am Zuge. Diese haben die Sache wohl nicht für verfolgungswert gehalten. So entnehme ich das der Antwort auf die Anfrage. Aber ich bin gerne bereit, der Sache mit Ihnen gemeinsam noch einmal nachzugehen.
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Ich will zu diesem Komplex nachher auch noch etwas sagen.
An der Sicherheitsratsresolution 598, von der schon die Rede war, hat der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland im Sicherheitsrat sehr aktiv mitgearbeitet. Er hat zur Ausgewogenheit dieser Resolution wesentlich beigetragen. Wir stimmen mit den Vorrednern überein, daß diese Resolution nun auch umgesetzt werden muß. Resolutionen des Weltsicherheitsrats der Vereinten Nationen haben wie andere Resolutionen leider immer den Nachteil, daß sie zwar gefaßt werden, daß aber hinterher zuwenig für ihre Umsetzung ganz einfach deshalb geschehen kann, weil den Vereinten Nationen dazu das Instrumentarium fehlt.
Es ist dann eben die Aufgabe der beteiligten Regierungen, hier energischer für die Umsetzung zu sorgen. Das erfordert die Einwirkung auf beide Seiten zur Mäßigung, zur Zurückhaltung bei den Kampfhandlungen und zur Bereitschaft, die Freiheit der Schiffahrt im Persischen Golf zu beachten. Insoweit sind leider keine Fortschritte festzustellen.
Ich glaube, wir müssen auch die Bemühungen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen würdigen, dem es ja gelungen ist - was erstaunlich ist - , auf beiden Seiten Vertrauen zu erwerben. Er läßt sich auch in dieser Frage nicht entmutigen. Wir wollen ihm als Deutscher Bundestag unseren Respekt dafür nicht versagen.
Wir wissen, daß die Bundesrepublik in diesem Konflikt neutral ist und zu beiden kriegführenden Ländern diplomatische Beziehungen unterhält. Die FDP-Fraktion geht davon aus, daß die Bundesregierung gerade diese Neutralität dazu nutzt, im Rahmen ihrer Einflußmöglichkeiten friedenstiftend zu wirken; denn neutral sein darf ja keinesfalls zu Untätigkeit oder gar zu Gleichgültigkeit führen. Deshalb führen wir ja auch diese engagierten Debatten.
Die Schrecken und Opfer dieses sinnlosen Krieges verpflichten uns alle, alle Möglicheiten einzusetzen, um auf ein Ende der Kampfhandlungen einzuwirken. Ich stimme Ihnen, Herr Gansel, und Ihnen, Frau Olms, voll zu, daß dieser Krieg längst beendet wäre, wenn nicht Waffenschieber und Waffenhändler aus aller Welt beiden kriegführenden Seiten immer wieder neue Waffen liefern würden. Deshalb ist wohl ein Waffenembargo die wichtigste Voraussetzung für eine Friedensstiftung.
Ich bin der Meinung, daß die Vereinten Nationen dieses Waffenembargo beschließen sollten, wie es auch im Falle Südafrika vor vielen Jahren geschehen ist. An diesem Waffenembargo müssen sich natürlich alle Länder in West und Ost beteiligen. Frau Kollegin Olms, es ist keinesfalls so, daß die Waffen nur aus dem NATO-Bündnis dorthin strömen, sondern sie kommen natürlich genauso aus der Sowjetunion und genauso aus dem Ostblock.
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- Verantwortung haben alle, die Waffen liefern, und alle, die zulassen, daß - auf welchen Wegen auch immer - Waffen dorthin transportiert werden.
Soweit - Sie sprachen davon, glaube ich, Herr Gansel - Verbote des Kriegswaffenkontrollgesetzes oder des Außenwirtschaftsgesetzes nicht eingehalten wurden, müssen allerdings die zuständigen Instanzen hier nachfassen und unnachsichtig ahnden. Ich denke, wir sollten diesen Komplex sehr gründlich im Auswärtigen Ausschuß und dann wahrscheinlich auch im Wirtschaftsausschuß behandeln; denn es ist erschreckend - man sieht das, wenn man sich einmal damit beschäftigt - , welche Fluchtwege, Schlupflöcher es heute im Bereich der Waffenexporte gibt.
All das genügt nicht, meine Damen und Herren. Das Grausamste in diesem Krieg sind die Giftgaseinsätze gegen die zivile Bevölkerung. Es ist nicht nur die kurdische Minderheit, die diesen schrecklichen Angriffen ausgesetzt ist. Es ist auch so, daß der Iran ganz offensichtlich mittlerweile Giftgas einsetzt. In der Bundesrepublik sind auch Giftgasopfer zur Behandlung in unseren Krankenhäusern.
Auch wir sind zutiefst entsetzt über die jüngsten Meldungen und Bilder über den erneuerten Einsatz chemischer Waffen im Konflikt zwischen Irak und Iran. Der Öffentlichkeit wird damit die grausame Wirkung dieser Massenvernichtungsmittel in erschrekkender Weise vor Augen geführt. Ich glaube, der Schwerpunkt unserer Überlegungen sollte die Achtung von chemischen Waffen, die Ächtung des Exports von allen Stoffen sein, mit denen man Giftgas erzeugen kann.
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Wir müssen unsere humanitäre Hilfe verstärken, meine ich - das sollte auch noch in diesen Antrag aufgenommen werden - , und wir müssen versuchen, die Genfer Verhandlungen zur Ächtung der chemischen Waffen nun voranzubringen und endlich auch zu einem guten Abschluß zu bringen.
Ich muß auch einflechten: Wenn es zutrifft, daß hier verwendete Giftgase auch nur teilweise aus deutscher Produktion stammen sollten, dann ist das ein außerordentlicher Skandal, den wir nicht zulassen dürfen. Unser erklärtes Ziel ist es, daß alle chemischen Waffen weltweit geächtet und verboten werden. Alle beteiligten Staaten sind aufgerufen, ihre Anstrengungen in Genf zu intensivieren und den ja erzielten Grundkonsens bei den Verhandlungen nicht wieder durch immer neue Verhandlungspositionen neuerlich in Frage zu stellen, sondern statt dessen auf dem erzielten Ergebnis aufzubauen. Die jüngste Entwicklung im Golfkrieg muß eine Mahnung an alle Beteiligten in Genf sein, ihrer Verantwortung endlich und umgehend gerecht zu werden.
Bei den chemischen Kampfstoffen geht es in Wahrheit ja nicht um Waffen, sondern um Menschen - und auch um Naturvernichtungsmittel, denn die verseuchten Gebiete sind für Menschen, Tiere und Pflanzen jahrelang unbewohnbar. Deshalb ist es die moralische Verantwortung auch der Bundesrepublik, jetzt und nicht erst irgendwann in ferner Zukunft auf einen Abschluß der Verhandlungen in Genf hinzuarbeiten. C-Waffen dürfen keinen Platz mehr in den Waffenarsenalen der Welt haben. Das Verhalten bei den Verhandlungen in Genf muß auch unter diesem Gesichtspunkt als ein Prüfstein der moralischen Verantwortung der freien Welt angesehen werden.
In diesem Sinne möchte ich in diesen Antrag auch noch einen deutlichen Auftrag in dieser Richtung eingefügt wissen, damit wir nicht nur auf den Einzelfall, sondern auf das Prinzipielle dieser Problematik in unserer Entschließung eingehen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Staatsminister Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In tiefer Betroffenheit verfolgen wir alle den blutigen Krieg zwischen
dem Iran und dem Irak. Dieser Krieg dauert nunmehr fast acht Jahre. Eine Lösung ist noch nicht in Sicht. Wohl kaum ein anderer Konflikt nach dem Zweiten Weltkrieg hat mehr Blut gefordert, mehr Elend über die Menschen gebracht als der Golfkrieg. Die Eskalation durch den Städtekrieg und den massiven Einsatz von C-Waffen hat vor allem auch unter der Zivilbevölkerung - wie das bereits beschrieben worden ist - zahllose Opfer gefordert. Der sogenannte Tankerkrieg gefährdet zunehmend die freie Schiffahrt im Golf. Die Gefahr des Übergreifens auf benachbarte Staaten ist nicht auszuschließen. Ein militärischer Sieg der einen oder der anderen Seite ist auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Nur eine politische Lösung kann zu einem Ende führen. Hierfür hat sich die Bundesregierung zusammen mit ihren EG-Partnern von Anfang an eingesetzt. Die Zwölf haben immer wieder deutlich gemacht, daß es unerläßlich ist, eine für beide Seiten akzeptable Lösung auf dem Verhandlungswege zu suchen.
Die Bemühungen im Rahmen der UN und hier insbesondere die Tätigkeit des UN-Generalsekretärs erscheinen uns als der einzig mögliche Weg. Am 27. Juli 1987 hat der UN-Sicherheitsrat in Anwesenheit von acht Außenministern die Entschließung 598 verabschiedet. Diese Resolution sieht als erste Schritte sofortigen Waffenstillstand und Truppenrückzug vor, darüber hinaus eine umfassende Lösung für alle Aspekte des Konflikts zwischen Irak und Iran.
Die Bundesregierung hat einen ganz wesentlichen Beitrag zum Zustandekommen dieser Entschließung geleistet. Dies war und ist ein Stück praktizierter Friedenspolitik. Die Bundesregierung hat sich seither immer wieder dafür eingesetzt, daß diese Entschließung rasch und vollständig implementiert wird. Die Bundesregierung unterstützt daher auch den Durchführungsplan, den der UN-Generalsekretär im Herbst letzten Jahres dazu entwickelt hat.
Der Generalsekretär hat in den letzten Wochen eine Einladung an Irak und Iran zur Aufnahme sogenannter indirekter Verhandlungen über die Durchführung seines Planes ausgesprochen. Beide Seiten sollten dieser Einladung ohne Vorbedingung Folge leisten. Wir haben die Sorge, daß das leider wieder nicht der Fall sein wird. Ich selbst habe vor 14 Tagen mit dem Generalsekretär ein sehr langes Gespräch in New York über diese Frage gehabt, und er war - das darf ich hier dazu sagen - relativ optimistisch, daß der Iran sich bewegt. Aber wir haben neue Indizien dafür, daß auch von der anderen Seite Schwierigkeiten gemacht werden, die Vorschläge des UN-Generalsekretärs zu befolgen.
Trotzdem müssen wir an diesem Weg festhalten. Es wäre illusionär zu glauben - was in einigen Debattenbeiträgen zum Ausdruck kam -, daß die Bundesregierung allein mit Druck oder mit öffentlichen Verurteilungen diesen Krieg beenden könnte. Das kann nur durch die mühsamen Bemühungen des Generalsekretärs geschehen, die wir voll unterstützen.
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Meine Damen und Herren, mit Abscheu und Empörung mußte die Staatengemeinschaft erleben, daß in diesem Krieg eine der unmenschlichsten Waffen eingesetzt worden ist, die die ohnehin fürchterlichen Arsenale der Welt enthalten. Der Chemiewaffeneinsatz gegen den kurdischen Ort Halabja im März 1988 forderte - das ist beschrieben worden - Tausende von Toten und Verwundeten. Dieser Chemiewaffeneinsatz ist bei einer Untersuchung durch UN-Experten bestätigt worden. Auf beiden Seiten der kriegführenden Parteien hat es Opfer gegeben. Der Einsatz von Giftgas ist ein verabscheuungswürdiges Verbrechen gegen die Menschlichkeit und eine eindeutige Verletzung des Völkerrechts. Die Völkergemeinschaft darf dazu nicht schweigen und zur Tagesordnung übergehen.
Die Bundesregierung hat daher die Giftgaseinsätze im irakisch-iranischen Krieg bereits mehrfach scharf verurteilt und ihre Position am 24. März 1988 in der Form einer Demarche gegenüber dem UN-Generalsekretär erneut zum Ausdruck gebracht. Ferner hat sie ihre Auffassung von der Notwendigkeit eines totalen Verbotes chemischer Waffen in einer Note vom 7. April dieses Jahres an die Teilnehmerstaaten der Genfer Abrüstungskonferenz verdeutlicht. Am 9. Mai 1988, also vor wenigen Tagen, hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einstimmig die EntschlieBung 612 angenommen. Diese Resolution - es ist bereits gesagt worden, aber ich darf es wiederholen - geht auf die Initiative der Bundesregierung zurück. Der britische Staatsminister - der vorhin hier oben saß - hat mir eben noch einmal bestätigt, daß man uns auch in Großbritannien für diesen Entwurf gedankt hat und daß man froh ist, daß dieser Entwurf einstimmig verabschiedet werden kann.
Aber er hat genauso darauf hingewiesen - wie wir alle darauf hinweisen müssen - , daß die Gefahr besteht, daß das Modell Iran/Irak ganz gefährlich dadurch werden kann, daß der Giftwaffeneinsatz in diesem Krieg bei anderen Konflikten Schule macht. Genau das steht zu befürchten und muß zunehmend unsere Beachtung finden.
Es gibt sogar die Möglichkeit - auch darauf darf ich noch einmal hinweisen - , daß man Giftgas bzw. chemische Waffen mit Hilfe von Raketen befördern und damit ganz schreckliche Folgen hervorrufen kann. Das ist eine Angelegenheit - Herr Kollege Gansel, da sind wir uns einig - , die wir zunehmend auch in anderen Bereichen der Welt mit größter Sorge verfolgen müssen. Wir dürfen uns nicht immer nur auf einen gängigen Krieg berufen. Ich glaube, das muß die internationale Völkergemeinschaft immer deutlicher sehen und entsprechend alles tun, um solche Entwicklungen zu verhindern.
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter Gansel.
Herr Staatsminister, gerade weil wir die Befürchtungen hinsichtlich der Gefahr, chemische Waffen auch noch auf Raketen zu setzen, teilen, darf ich Sie fragen, ob Sie den Hinweis entgegennehmen wollen, daß es besonders wichtig ist, daß sich die Bundesregierung nicht nur um die Spuren von deutschen Chemieprodukten im Irak kümmert, die für Giftgas benutzt werden können, sondern auch um die RakeGansel
tentechniker von MBB, die sich dort zumindest aufgehalten haben oder möglicherweise noch dort sind?
Herr Kollege Gansel, es ist selbstverständlich, daß wir allen Hinweisen in dieser Richtung nachgehen. Nicht nur die Bundesregierung geht diesen Hinweisen nach
- darauf hat Frau Hamm-Brücher hingewiesen -, sondern das gilt natürlich auch für unsere Gerichte, soweit das Kriegswaffenkontrollgesetz verletzt worden ist. Herr Kollege Riedl wird zu diesem speziellen Thema anschließend noch Stellung nehmen.
Meine Damen und Herren, der Export von chemischen Produkten in die kriegführenden Staaten
- gleichgültig, durch wen er erfolgt - , die zur Herstellung von chemischen Waffen dienen, muß unter strikte Kontrolle gestellt werden. Es ist das erste Mal in seiner Geschichte, daß der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in der Form einer Entschließung mit präventiver Zielrichtung auf den seit 1984 von den Vereinten Nationen festgestellten Einsatz von chemischen Waffen reagiert. Zugleich hat er in klarer und grundsätzlicher Weise zu den unmenschlichen Mitteln, die im irakisch-iranischen Konflikt wiederholt Anwendung fanden, Stellung bezogen.
Der Sicherheitsrat hat sich damit erstmals auch zur Art und Weise, wie ein Konflikt geführt wird, geäußert. Dies ist im Vergleich zur bisherigen Praxis im Sicherheitsrat eine neue, begrüßenswerte Entwicklung.
Wir gehen davon aus, daß die Ansätze, die es im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gibt - auch die einstimmigen Ansätze, die wir für besonders erfreulich halten -, von West und Ost, von der Dritten Welt und Europa, dazu führen werden, die schreckliche Ausbreitung solcher Waffen einzudämmen und alles zu unternehmen, um eine Ausdehnung dieser gefährlichen Entwicklung zu verhindern.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Wüppesahl.
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei der Diskussion des Israel-Problems mußten wir hier die Technik erleben, daß im wesentlichen nur über uns gesprochen wurde und nicht über das Problem in der dortigen Region. Heute mußten wir mit wenigen Ausnahmen - Herr Gansel, Frau Olms - erleben, daß sehr stark in umgekehrter Spielart verfahren wurde. Ich will das bei der Behandlung dieses Themas etwas anders machen.
Nicht erst seit heute, sondern nun schon seit sieben Jahren wird darüber geredet, diesen Krieg zu beenden. Auch werden die Bundesregierung und die Parteien nicht müde, ihren moralischen Anspruch zu artikulieren. Aber mehr scheint auch nicht drin zu sein.
Denken wir bloß an den Nachbarkonflikt in dieser Region und an die Debatte dazu. Notwendige klare Worte zur Verurteilung des israelischen Vorgehens gegenüber den Palästinensern kamen nicht. Gleichzeitig werden Israel jährlich 6 Milliarden DM an Unterstützung - größtenfalls für Waffen - u. a. von der BRD gewährt.
Aber es geht ja noch perfider. Unser Land gebraucht Israel längst zum Waffenexport in Krisengebiete, u. a. in das, über das wir heute sprechen.
Dies alles wird nicht benannt und schon gar nicht geändert. Dafür muß dann der moralische Anspruch unserer Vergangenheit herhalten, damit wir die aktuell - auch wieder von Deutschen - mit Füßen getretene Moral nicht zu benennen brauchen. Dies gilt sowohl gegenüber dem Israel-Problem als auch gegenüber dem Irak-Iran-Konflikt.
Damit komme ich wieder auf den Gegenstand dieses Antrages der GRÜNEN im engeren Sinne zurück. Es sollten endlich konkrete Schritte, die zu einer Beendigung des Krieges beitragen könnten, auf der Tagesordnung stehen. Diese benenne ich am Ende.
Bei alledem ist uns dennoch klar, daß dieser Krieg erst durch die Zustimmung der USA zu den irakischen Angriffsplänen möglich wurde - oder etwa nicht?
Weiterhin ist uns doch allen klar, daß der Krieg nur durch einen nicht versiegen dürfenden Strom von Waffenlieferungen weitergeführt werden kann - oder etwa nicht? Die Waffenlieferungen kommen zu einem nicht gerade geringen Teil aus der Bundesrepublik. Oder ist uns das allen nicht bekannt? Wird deshalb so gekonnt an der Sache vorbeidiskutiert und vorbeibeantragt?
Die Bundesrepublik ist sowohl bei direkten als auch indirekten Waffenlieferungen, wie z. B. über Israel, involviert. Eine weitere Spielart ist der Transfer von Waffenlieferungen über NATO-Staaten und andere Verbündete, wie z. B. Frankreich.
Doch nicht nur die Waffen liefert die Bundesrepublik: Sie sorgt auch dafür, daß sie beispielsweise transportiert werden können und so erst ihren Einsatzwert erhalten. Dafür gibt es dann spezielle Sattelschlepper zum Transport von Panzern und vielem anderen mehr. So etwas wird wiederum mit „Zivilgeräten" betitelt. Und so etwas nennt man wiederum unter aufrichtig gebliebenen Menschen Augenwischerei. Tatsächlich handelt es sich um Produkte, die für die Kriegführung wichtig sind, und die Lieferungen sind ein weiterer Beitrag zum Kriegsmord.
Ein weiteres trauriges Kapitel ist die Rolle, die die Bundesrepublik im Zusammenhang mit dem Giftgas spielt. Auch in diesem Hohen Hause wurde mehrmals die Forderung nach rückhaltloser Aufklärung gestellt. Doch bis heute befindet sich dieser Komplex im Dunkeln. Darüber konnten auch die Worte des Staatssekretärs nicht hinwegtäuschen.
Eine Überprüfung deutscher Firmen, wie z. B. der Firma Kolb, die Düngemittelanlagen lieferte, welche heute natürlich zur Giftgasproduktion verwendet werden,
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findet nicht statt. Für die auf der Hand liegenden Fragen nach den Experten, die für die Umrüstung dieser Anlagen verantwortlich sind, werden ebenfalls keine Antworten geliefert.
Dies sind nur einige der Realitäten, bei denen sich die Bundesrepublik eine goldene Nase verdient. Führen wir uns noch einmal die heute so häufig formulierten moralischen Ansprüche vor Augen, so müssen wir erkennen, daß kaum noch zu ermitteln ist, ob es der Moral in diesem Hohen Hause so schlecht geht, daß sie an Krücken geht oder bereits im Siechtum liegt.
Zum Abschluß wenige Anmerkungen zum politischen Nutzen des Iran-Irak-Krieges für die Bundesrepublik. - Die Zersplitterung der Erdölländer nützt dabei, Einfluß auf die OPEC nehmen zu können. So wird das Preisniveau durch das ganz und gar nicht so freie Spiel der Kriegskräfte, aber auch durch direkte Einflußnahmen in weiteren Ländern wie Kuwait und Saudi Arabien dem Westen wohlgefällig gemacht. Diese Staaten wiederum lassen diese Fernsteuerungen und Fremdbestimmungen auf Grund einer scheinbaren Bedrohung ihrer selbst zu.
Die Forderungen, die ich im Mittelpart ankündigte und die zusätzlich erhoben werden müßten, sind aus meiner Sicht folgende: sofortiges Verbot von Waffenlieferungen aus der Bundesrepublik, sowohl der direkten wie auch der als zivil deklarierten wie auch der über Dritte-Welt-Länder, Verbot des Transfers von Waffen über verbündete Staaten, Einflußnahme auf diese verbündeten Staaten, ebenfalls ein Waffenembargo zu verhängen. Dieses Embargo soll auch alle sogenannten „Zivilgeräte", die kriegsnotwendig sind, z. B. Sattelschlepper, Transportflugzeuge und vieles mehr, umfassen.
Herr Präsident, ich bin gleich am Ende.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre Zeit nicht allzusehr überziehen würden.
Weitere Forderungen sind sofortige Aufklärung über die Verwicklung von deutschen Firmen in die Giftgasherstellung, Nichteinmischung der Bundesmarine im Mittelmeer, Nichtmitwirkung deutscher Truppen in der sogenannten NATO-Friedenstruppe und letztens, Lockerung der Bedingungen zur Aufnahme von Kriegsflüchtlingen und Verwundeten.
Ich denke, daß durch diese Ausführungen deutlich geworden ist, daß diese beiden Anträge noch sehr viel schärfer formuliert werden müßten und daß die Selbstkritik der Bundesrepublik in dieser Diskussion stark zu kurz gekommen ist.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Abgeordnete Koschnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich greife auf, was schon mein Kollege Norbert Gansel zu den Giftgaseinsätzen im Krieg zwischen dem Irak und Iran gesagt hat. Wie er warne ich vor den bedrohlichen Entwicklungen im Mittleren Osten für den Frieden in der Welt. Ich verhehle nicht, Herr Staatsminister, daß die weitergehenden Sorgen, die Sie genannt haben, bei Giftgaseinsätzen auch uns bewegen.
Dem Töten, dem Morden in diesem Konflikt muß ein Ende bereitet werden. Das gilt für den Tod der in den Kampf geschickten Kinder, das gilt für das Schicksal der beteiligten Soldaten, und das gilt insonderheit für die Opfer des Giftgaseinsatzes durch die Iraker. Ich spreche nicht nur von der betroffenen kurdischen Zivilbevölkerung, sondern ich denke auch an die übrigen Opfer. Gleichwohl ist das kurdische Beispiel das schlimmste, das wir vor Augen haben.
Die grausamen Folgen des Einsatzes von chemischen Kampfstoffen wie Senfgas und Tabun sind erneut deutlich geworden. Die erst vor wenigen Wochen um die ganze Welt gegangenen erschütternden Bilder von der hingerafften Bevölkerung haben uns alle bewegt. Der Einsatz dieser - wie wir es nennen - Massenvernichtungsmittel fordert unseren nachdrücklichen Protest heraus. Wir verurteilen mit Entschiedenheit diesen erneuten Verstoß gegen das Genfer Protokoll vom 17. Juni 1925, mit dem die Mitglieder des Völkerbundes den Giftgaskrieg aus den Arsenalen der Kriegsführungsmittel verbannen wollten.
Damals, im Jahre 1925, haben sich die Staaten in konkreter Erinnerung an die Schrecken des Giftgaseinsatzes im Ersten Weltkrieg zu dieser ersten, allgemein verbindlichen Waffenbegrenzungsmaßnahme entschlossen. Doch wir erinnern uns auch, daß das damals formulierte hehre Ziel, den Giftgaskrieg für alle Zeiten unwiederholbar zu machen, nicht von sehr langem Bestand war, setzte doch Italien in dem kolonialistischen Eroberungskrieg gegen Abessinien bereits zehn Jahre später Giftgas gegen die Verteidigungsverbände des Negus ein.
Die Reaktion der Völkergemeinschaft war damals nicht sehr eindrucksvoll. - Übrigens auch nicht beim Waffenembargo bei dem Bürgerkrieg in Spanien. - Seit dieser Zeit gab und gibt es bei regionalen Konflikten immer wieder die Verwendung von chemischen Kampfmitteln, wenn es auch im Zweiten Weltkrieg selbst nicht mehr zu solchem Waffengebrauch kam. Doch Gas zur Vernichtung ist auch angewandt worden. Wir haben da unsere Erfahrung in der deutschen Geschichte.
Und so beschäftigen wir uns heute aus aktuellem Anlaß wieder mit den Folgen chemischer Kriegsführung, einer Kriegsführung, die nicht nur gegen bewaffnete Verbände gerichtet ist, sondern auch ganz bewußt zur Demoralisierung einer kritischen Zivilbevölkerung genutzt wird.
Doch nicht nur der Einsatz von chemischen Kampfmitteln fordert Antworten heraus, sondern auch die Frage von Entwicklung, Herstellung, Lagerung und Verwendung von Giftgasen gebietet umfassendere Antworten als nur das Problem des Einsatzes.
Ich stelle die Frage nach dem Aufbau der waffentechnischen Produktionsstätten in der Golfregion. Nicht wenige Industriestaaten des Nordens haben sich dort mit lukrativem Erfolg an dieser fragwürdigen „Wirtschaftsförderung" beteiligt. Wir sind jedenfalls angesichts fundierter Hinweise besorgt, daß die beiden am Krieg beteiligten Länder ihre Kapazität zur Produktion solcher Waffen ausbauen.
Deshalb hat mein Fraktionsvorsitzender den Bundeskanzler am 31. März aufgefordert, den VerdachtsKoschnick
momenten einer Beteiligung auch der deutschen Industrie kritisch nachzugehen. Die Reaktion ist blamabel.
Ebenso blamabel war die ausweichende Reaktion der Bundesregierung auf das seit Jahren wiederholte Drängen meines Kollegen Gansel im Auswärtigen Ausschuß, den Abgeordneten endlich reinen Wein einzuschenken. Es schien so, als handle man in der Absicht: business as usual. Von Moral und Verantwortung war jedenfalls wenig zu spüren. Ich bin gespannt, ob der Staatssekretär Riedl dazu gleich etwas Konkreteres sagen wird.
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Meine Damen und meine Herren, wir Sozialdemokraten haben uns nicht erst jetzt gegen eine Kriegsführung mit Massenvernichtungswaffen ausgesprochen. Unsere Haltung war in den Jahren nach dem Ende des Ersten Weltkrieges ebenso eindeutig wie nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Wir können mit einer bestimmten Befriedigung auch feststellen, daß die Gemeinschaft der sozialdemokratischen Parteien in der Welt die gleiche Grundhaltung vertritt. Entsprechende weltweite Proteste gegen den Giftgaseinsatz im Irak, gegen das Morden der kurdischen Bevölkerung belegen das.
Auf unseren eigenen Antrag aus dem Jahre 1986 - mein Kollege Gansel sprach davon - brauche ich nach den Ausführungen von ihm nicht mehr einzugehen. Ich bin mit ihm der Meinung, daß dieser Antrag ebenso wie der Antrag der GRÜNEN im Auswärtigen Ausschuß beraten werden sollte mit dem Ziel, eine möglichst einvernehmliche Stellungnahme aller Fraktionen des Deutschen Bundestages herbeizuführen. Ich halte nämlich den Gegenstand unserer Besorgnisse nicht für geeignet, fraktionelle Unterschiede herauszuarbeiten. Der Konsens sollte das Ziel sein. Ich begrüße ausdrücklich die entsprechenden Erklärungen von der CDU/CSU, von der FDP und von den GRÜNEN. Ich bin sicher: Damit ist die Chance gewachsen, zu einer gemeinsamen Verständigung zu kommen und damit deutlich zu machen, wie der Deutsche Bundestag zu dieser Frage einheitlich steht.
Es geht dabei um die Vorkommnisse im Golf-Krieg. Aber es geht weiter. Es muß auch eine Erklärung sein, die zum erfolgreichen Abschluß der Genfer Verhandlungen über die Ächtung von C-Waffen hinführt.
Das Jahr 1925 war nur ein erster Schritt. Das Verbot des Einsatzes bakteriologischer Waffen hatte schon größere Dimensionen. Jetzt muß es bei den chemischen Waffen zu ähnlichen Achtungsregelungen kommen.
Außenminister Genscher ist es vor wenigen Tagen gelungen, eine gemeinsam mit Italien und Japan ausgearbeitete Resolution im Weltsicherheitsrat gegen den Einsatz von chemischen Kriegsführungsmitteln im Golfkonflikt durchzubringen. Wir hätten es begrüßt - hier folge ich meinem Kollegen Gansel -, wenn in dieser Resolution Roß und Reiter konkreter genannt worden wären. Denn wir können es eigentlich nicht hinnehmen, diplomatische Umschreibungen zu akzeptieren, wo es um die Existenz und die Gefährdung einer so großen Zahl von Menschen in dieser Region geht. Die einstimmige Annahme dieser
Resolution verstärkt gleichwohl die Hoffnung, daß die Staaten der Welt sich zu einer gemeinsamen Lösung im Sinne der Achtung dieser Waffensysteme durchringen können.
Wir begrüßen es insonderheit, daß in dieser Resolution nicht nur der Einsatz chemischer Waffen im Golf-Krieg nachdrücklich verurteilt wurde, sondern auch alle Staaten aufgerufen wurden, den Export von Chemikalien, die für die Produktion von Chemiewaffen verwendet werden können, strikt zu kontrollieren.
Ich hoffe sehr, daß diese Resolution bezüglich der Beteiligung der deutschen Industrie nicht nur Alibi-Charakter haben soll.
Wenn wir uns also für ein weltweites kontrollierbares Verbot nicht nur des Einsatzes, sondern auch der Herstellung und Lagerung von chemischen Kampfstoffen aussprechen, so wissen wir andererseits, daß die Bundesregierung es nicht in der Hand hat, ein solches weltweites Verbot allein durchzusetzen. Alle Mitglieder der Vereinten Nationen müssen den Weg der Ächtung mitgehen wollen. Sie müssen insonderheit die Bedenken überwinden, die einer realistischen Verifikation entgegenstehen. Wann das geschieht, ist unsicher. Trotz aller bisherigen Annäherungen befürchte ich, daß an dieser Kontrollfrage ein baldiger Abschluß der Verhandlungen scheitern wird.
Ich erhoffe mir allerdings, daß der Versuch meiner Fraktion, in Übereinstimmung mit den Führungskräften der DDR und der CSSR einen Zwischenschritt durch die Errichtung einer chemiewaffenfreien Zone in Mitteleuropa zu erreichen, eine Perspektive sein kann, bei der die Regierungskoalition ihre alte Haltung überdenken sollte. Wir sehen darin auch eine Chance, die Verifikationsmöglichkeiten konkret zu erproben, um hier eine Perspektive für eine größere Aufgabe in der Welt sichtbar zu machen.
Vertrauensbildende Maßnahmen sind eine Aufgabe der Politik. Hier könnten wir einen eigenen Beitrag leisten und bräuchten nicht auf das hinzuweisen, was in der großen weiten Welt nur bei den Vereinten Nationen möglich ist.
Wenn wir uns mit den heutigen Debattenbeiträgen ernsthaft beschäftigen und auch das ernst nehmen, was der Kollege der GRÜNEN soeben gesagt hat, zeigt das eigentlich, daß wir bei prinzipiellen Fragen und auch bei Einzelfragen sehr wohl etwas aufmerksamer auf das reagieren müssen, was draußen in der Welt vor sich geht und was unsere Menschen spüren.
Lassen Sie uns gemeinsam nachdenken, gemeinsam befinden und eine Position aufbauen, mit der wir uns sehen lassen können.
Aber Sich-sehen-Lassen genügt nicht. Wir müssen handeln. Ich hoffe, daß diese Resolution zu Handlungen führt.
({1})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Riedl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der bisherige Verlauf dieser auch von der Bundesregierung begrüßten Debatte beweist, daß es offensichtlich - Herr Kollege Koschnick, ich darf Sie hier besonders ansprechen - eine gute Chance gibt, mit einer sehr großen Mehrheit dieses Hohen Hauses in dieser außerordentlich bedeutenden Frage doch zu einem grundsätzlichen Konsens zu kommen.
Darf ich aus der Sachkompetenz des Bundeswirtschaftsministers für die Bundesregierung zu den beiden Themen - chemische Kampfstoffe Iran/Irak; Kriegswaffen- und Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung gegenüber Iran/Irak - wie folgt Stellung nehmen.
({0})
Zum Thema chemische Kampfstoffe, Iran/Irak: Die Bundesregierung hat bereits vor mehreren Jahren, als sich zum erstenmal bei der Ausfuhr von Chemieprodukten, -anlagen und -anlagenteilen der Verdacht ergab, daß diese Waren zur Herstellung chemischer Waffen mißbraucht werden könnten, unverzüglich mit der Einführung von zusätzlichen Exportgenehmigungspflichten im Rahmen des Außenwirtschaftsgesetzes reagiert.
({1})
Darüber hinaus unterstützt sie entsprechende internationale Initiativen und beteiligt sich aktiv an ihnen. Im einzelnen weise ich auf folgende Maßnahmen hin:
Erstens. Mit Wirkung vom 15. Mai 1984 wurde durch Rechtsverordnung die Ausfuhr bestimmter chemischer Produkte, die als Vorstufen bei der Produktion chemischer Kampfstoffe dienen könnten, einem Genehmigungsvorbehalt unterworfen.
Herr Kollege Gansel, Ihre Zwischenrufe nehme ich sehr ernst: Bis 1982 hat Ihre Partei regiert und nicht reagiert, und wir haben 1984 diese Regelung eingeführt. Ich darf Sie herzlich bitten, dieses wirklich einmal zur Kenntnis zu nehmen.
({2})
- Das ist sehr angemessen; denn die gehässigen Angriffe von Herrn Gansel in dieser Frage, wo es unter uns, gnädige Frau, überhaupt keinen Dissens geben sollte, habe ich noch sehr gut im Ohr.
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Zweitens. 1984 wurde durch Rechtsverordnung der Kreis von Gütern, deren Ausfuhr ohne Genehmigung nach den Vorschriften des Außenwirtschaftsrechts unzulässig ist, in Ergänzung schon bestehender Regelungen auf solche Anlagen ausgedehnt, die zur Herstellung, Erprobung oder Untersuchung von chemischen Kampfstoffen auch nur geeignet sind. Die Ausfuhrgenehmigungsbestimmungen in der Bundesrepublik Deutschland gerade in diesem Bereich sind weitergehend und umfassender als in den anderen vergleichbaren westlichen Ländern einschließlich der in dem Antrag genannten Staaten.
Drittens. Mit Wirkung vom 1. Januar 1987 wurde auf Grund einer im Rahmen der EPZ getroffenen Vereinbarung unsere Ausfuhrliste um weitere drei Chemikalien erweitert, bei denen die Gefahr einer mißbräuchlichen Verwendung für chemische Kampfstoffe besteht.
Viertens. Im Rahmen der von der Bundesrepublik Deutschland und 18 anderen westlichen Industrieländern unterstützten sogenannten australischen Initiative setzt sich die Bundesregierung für eine möglichst wirksame Selbstkontrolle durch Industrie und Handel der Teilnehmerstaaten beim Export von Vorprodukten und Anlagen zur Herstellung chemischer Waffen ein. Im vergangenen Monat hat eine weitere Sitzung dieser „australischen Gruppe" in Paris stattgefunden. Die Bundesregierung hat mehrere Vorschläge gemacht, die zur Zeit in entsprechenden Maßnahmen umgesetzt werden, um die jeweiligen Kontrollen praktikabel und möglichst effektiv zu machen.
Meine Damen und Herren, ich bin kein Chemiker, aber wer weiß, mit welchen relativ einfachen Mitteln
({4})
heute tödliches Giftgas hergestellt werden kann, der wird auch verstehen, wie schwer es ist, solchen einfachen chemischen Prozessen auch politisch wirksam zu begegnen.
Ich darf zusammenfassend zu diesem Bereich betonen: Die Bundesregierung hat ein umfassendes Instrumentarium, mit dem Ausfuhren von Chemikalien, Vorprodukten, Anlagen und Anlagenteilen kontrolliert werden. Einer Aufforderung, derartige Maßnahmen anzuwenden, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, bedarf es daher nicht, und die Bundesregierung lehnt die in Ihrem Antrag diesbezüglich gemachten Bemerkungen ab.
Herr Kollege Koschnick, es wäre sicherlich - ich weiß nicht, ob es im Rahmen Ihrer Zeitvorgabe möglich war - auch richtig gewesen, wenn Sie als Vertreter der Sozialdemokratischen Partei die Antwort hier veröffentlicht hätten, die der Herr Bundeskanzler am 11. April 1988 an den Herrn Vorsitzenden Ihrer Fraktion, Herrn Dr. Hans-Jochen Vogel, auf dessen Schreiben vom 30. März 1988 gegeben hat. Die Haltung der Bundesregierung zu den dort aufgeworfenen Fragen ist so eindeutig und klar, daß ich Sie herzlich bitte, diesen Antwortbrief des Herrn Bundeskanzlers auch Ihrer Fraktion zugänglich zu machen.
({5})
Ich darf zum zweiten Thema, Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung gegenüber Iran/Irak, wie folgt Stellung nehmen: Mit den Bestimmungen des Kriegswaffenkontrollgesetzes und des Außenwirtschaftsgesetzes steht der Bundesregierung ein wirksames Instrumentarium für ihre bewährte restriktive Rüstungsexportpolitik zur Verfügung.
Es ist heute hier in der Debatte erwähnt worden, man sollte eine Verschärfung der strafrechtlichen BeParl. Staatssekretär Dr. Riedl
Stimmungen des Außenwirtschaftsgesetzes ins Auge fassen.
({6})
Meine Damen und Herren, für die Bundesregierung darf ich Ihnen erklären, daß wir einer solchen Verschärfung positiv gegenüberstehen. Bei uns im Bundeswirtschaftsministerium wird über dieses Thema ganz konkret nachgedacht. Der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung als Gesetzgebungsorgane stehen nach meiner Auffassung in dieser Frage sicherlich nicht kontrovers gegenüber.
({7})
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Herr Riedl, ich möchte Sie fragen: Wie viele Ausnahmen sind in der Praxis eingetreten, daß deutsche Waffen in Kriegsgebieten gelandet sind?
Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen das im Augenblick aus dem Gedächtnis nicht sagen. Ich lasse Ihnen das feststellen. Sie bekommen morgen oder übermorgen Bescheid.
({0})
- Ich gebe Ihnen die konkrete Antwort.
({1})
Sie haben mich nach der Zahl der Fälle gefragt. Ich lasse das feststellen, und Sie kriegen von mir Bescheid.
({2})
Diese Politik hat die Bundesregierung in ihren politischen Grundsätzen für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern vom 28. April 1982 festgeschrieben und bekräftigt. Ich unterstreiche das Datum: 28. April 1982. Nach diesen Grundsätzen verfährt die Bundesregierung in ihrer Exportgenehmigungspraxis und wird das auch in Zukunft ohne jeden Abstrich tun. Wie ich wiederholt im Namen der Bundesregierung vor diesem Hohen Hause erklärt habe, sind Genehmigungen für den Export von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern seit Ausbruch des Golfkonflikts in die kriegführenden Länder Iran und Irak nicht erteilt worden.
({3})
Es ist bekannt, daß die Bundesregierung im internationalen Vergleich bei ihren Rüstungsexporten einen besonders strengen Maßstab anlegt. Für andere Waren als Waffen und Munition hat es, wie die Bundesregierung bereits mehrfach erklärt hat, Ausfuhrgenehmigungen nach dem Außenwirtschaftsgesetz in Einzelfällen gegeben. Bei diesen Einzelfallentscheidungen hat sich die Bundesregierung an den Grundsatz der Neutralität gehalten. Sie hat dabei auch die Gesamtbeziehungen zu dem jeweiligen Empfängerland berücksichtigt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gansel?
Frau Präsidentin, wenn Sie es mir bitte freundlicherweise nicht auf die Redezeit anrechnen.
Auf gar keinen Fall.
Das ist sehr liebenswürdig. - Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, stimmt es, daß, wenn Sie sagen, Sie haben keine Genehmigung für kriegswaffennahe Rüstungsgüter gegeben, Sie damit gleichzeitig sagen, daß Sie Genehmigungen für Rüstungsgüter erteilt haben, und daß die von Ihnen angesprochene Neutralität nur insofern den Sachverhalt richtig beschreibt, als Sie diese Genehmigung sowohl für den Iran wie für den Irak gegeben haben, oder hat uns Staatsminister Schäfer auf entsprechende konkrete Fragen im Auswärtigen Ausschuß vor einiger Zeit eine falsche Antwort gegeben?
Das hat er mit Sicherheit nicht. Denn Ihre Interpretation dessen, was ich ausgeführt habe, ist falsch.
({0})
Die im Einzelfall erteilten Ausfuhrgenehmigungen betrafen vor allem die Lieferung von Ersatz - - Herr Kollege Gansel, ich kann nichts dafür, daß Sie mit den Antworten, die ich Ihnen gebe, nicht einverstanden sind.
({1}) Aber Sie müssen mir doch unterstellen,
({2})
daß ich Ihnen nach bestem Wissen und Gewissen in einer so exzellent hochpolitischen Frage antworte.
({3})
Aber ich bitte Sie, Herr Kollege Gansel. Sie müssen doch wirklich davon ausgehen, daß es nach bestem Wissen und Gewissen ist.
({0})
Ob Ihnen das ausreicht, ist eine andere Frage.
Schade, daß das, was der Herr Gansel
hier in schäbiger Weise von sich gibt, nicht laut und deutlich übers Mikrophon kommt.
({0})
Sie sollten sich schämen, als Bundestagsabgeordneter einen solchen Stil an den Tag zu legen. Herr Gansel, schämen Sie sich.
({1})
Meine Damen und Herren! Ich bitte jetzt fortzufahren. Denn das, glaube ich, ist nicht Teil der Auseinandersetzung.
({0})
Frau Präsidentin, vielen Dank. - Darf ich, meine sehr verehrten Damen und Herren, wiederholen: Die im Einzelfall erteilten Ausfuhrgenehmigungen betrafen vor allem die Lieferung von Ersatz-und Verschleißteilen für Industrieanlagen, die vor Ausbruch des iranisch-irakischen Konflikts mit Genehmigung der Bundesregierung geliefert worden waren. Bei diesen Ersatz- und Verschleißteilen handelte es sich um Maschinen und Maschinenteile sowie um Werkzeuge und nicht um Güter, die zur unmittelbaren militärischen Verwendung bestimmt sind.
({0})
Durch den Ersatz für zuvor gelieferte Güter ist es nicht zu einer Kapazitätsausweitung der Industrieanlagen und damit zu einer Erhöhung des militärischen Potentials gekommen.
Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß sie sich mit ihrer Exportgenehmigungspraxis auch gegenüber Iran und Irak im Einklang mit den politischen Grundsätzen von 1982 befindet.
Ich bedanke mich.
({1})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN und den Antrag der Fraktion der SPD an den Auswärtigen Ausschuß zu überweisen. Frau Abgeordnete Hamm-Brücher hat darum gebeten, die beiden Anträge auch mitberatend an den Wirtschaftsausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll Nr. 6 vom 28. April 1983 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe
- Drucksache 11/1468 - Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({0})
- Drucksache 11/2287 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. de With Seesing
({1})
b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll Nr. 6 vom 28. April 1983 zur Konvention des Europarates zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe
- Drucksache 11/458 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2})
- Drucksache 11/2287 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. de With Seesing
({3})
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({4})
zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Protokoll Nr. 6 vom 28. April 1983 zur Konvention des Europarates zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe
zu dem Antrag der Abgeordneten Klein ({5}), Frau Dr. Däubler-Gmelin, Antretter, Bachmaier, Bahr, Frau Blunck, Duve, Gansel, Heyenn, Hiller ({6}), Jahn ({7}), Jansen, Jungmann, Kastning, Kirschner, Klose, Kolbow, Kuhlwein, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny, Pauli, Dr. Pick, Frau Schmidt ({8}), Schmidt ({9}), Dr. Schöfberger, Schütz, Sielaff, Frau Simonis, Singer, Stiegler, Waltemathe, Wiefelspütz, Dr. de With, Würtz, Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Weltweite Abschaffung der Todesstrafe
- Drucksachen 11/802, 11/459, 11/2287 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. de With Seesing
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/2288 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte 30 Minuten vorgesehen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. de With.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion hatte schon in der letzten Legislaturperiode einen
Gesetzentwurf zum Protokoll Nr. 6 vom 28. April 1983 zur Konvention des Europarates zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten für die Abschaffung der Todesstrafe im Deutschen Bundestag eingebracht. Die Bundesregierung war damals noch nicht zur Ratifikation bereit. In dieser Legislaturperiode haben wir den Antrag erneut vorgelegt, um wiederum die Bundesregierung anzumahnen. Heute können wir erfreut feststellen, daß das Ratifikationsgesetz zur Abschaffung der Todesstrafe auf Europaratsebene mit übergroßer Mehrheit - ich hoffe, sogar einstimmig - verabschiedet werden wird.
Seit Bestehen des Grundgesetzes existiert der Art. 102 unverändert. Er lautet: „Die Todesstrafe ist abgeschafft. " Wie in der letzten Legislaturperiode haben wir erneut den Antrag eingebracht, der die Bundesregierung auffordert, sich weltweit nachhaltig für die Abschaffung der Todesstrafe einzusetzen. Ich bedanke mich, daß auch dieser Antrag von einer großen Mehrheit - wünschenswert wäre es, von allen - getragen werden wird.
Der Deutsche Bundestag, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat sich oft mit dem Problem der Todesstrafe auseinandergesetzt,
({0})
und manch einer könnte meinen, hier werde eine selbstverständliche moralische Haltung ein bißchen zur Routine. Außerdem hätten Deutsche keinen Grund, sich weltweit als Schulmeister aufzuspielen. Der Kampf um die Eindämmung der Todesstrafe ist jedoch zu ernst, als daß er en passant abgetan werden könnte. Für uns geht es nicht um vordergründiges Moralisieren: Unsere geschichtliche Entwicklung und das unsägliche Leid derer, die unter Hitler im Namen der Gerechtigkeit Leben und Würde verloren haben, sollten uns nicht ruhen lassen, unsere Erfahrung weiterzutragen.
Das erste gesamtdeutsche Strafgesetzbuch, die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. und des Heiligen Römischen Reiches aus dem Jahre 1532, liegt heute sage und schreibe 456 Jahre zurück. Gefängnisse als Vollzugsanstalten gab es damals nicht. Das Strafensystem wurde völlig beherrscht von einem Katalog für Todes- und für Leibesstrafen. Vierteilen, Rädern, Lebendigbegraben und Pfählen, Ertränken und Hinrichten mit dem Schwert bildeten in der Tat die Abstufungen der Todesstrafe. Die Folter war wesentlicher Bestandteil der Prozedur. Für uns ist das Geschichte, nein, Historie. Und doch: Erst am 3. Juni 1740 wurde die Folter in Preußen abgeschafft, durch Friedrich den Großen am vierten Tag seiner Regentschaft - eine Großtat in absolutistischer Zeit. 1782 wurde im deutschen Sprachraum, in der Schweiz, die letzte Frau als Hexe gerichtet. Das berühmte Bayerische Strafgesetzbuch von Paul Johann Anselm von Feuerbach vom 16. Mai 1813, das als Vorreiter jede qualifizierte Todesstrafe und alle Verstümmelungsstrafen beseitigte, hielt die Todesstrafe noch für elf Deliktarten bereit, ebenso wie es die Kettenstrafe vorsah.
Der erste wirklich große reichseinheitliche Schritt in Gestalt von § 139 der am 28. März 1849 beschlossenen
Verfassung des Deutschen Reiches, der PaulskirchenVerfassung, wie es gemeinhin heißt, lautete:
Die Todesstrafe, ausgenommen wo das Kriegsrecht sie vorschreibt oder das Seerecht im Falle von Meuterei sie zuläßt, sowie die Strafen des Prangers, der Brandmarkung und der körperlichen Züchtigung sind abgeschafft.
Aber wir wissen, daß diese Vorschrift nie Geltung erlangte.
Die Ähnlichkeit dieser epochalen PaulskirchenVorschrift mit dem heute zu ratifizierenden Gesetzesprotokoll ist in einem Punkt frappant: Damals wie heute wird die Todesstrafe abgeschafft; eine Ausnahme hiervon ist jedoch für das Kriegsrecht möglich.
In der zweiten Lesung des Reichstages des Norddeutschen Bundes für ein neues Strafgesetzbuch entschieden sich - man höre und staune - 118 gegen und nur 81 für die Todesstrafe bei einer Enthaltung. Kurze Zeit später jedoch, am 23. Mai 1870, in der ausschlaggebenden dritten Lesung, kehrte sich die Mehrheit um, unter dem Einfluß von Bismarcks und nach dem Kompromißvorschlag, die Todesstrafe nur noch für Mord und für Mordversuch am Bundesoberhaupt oder Landesherrn zu fordern. Mit 197 zu 119 Stimmen wurde die Todesstrafe beibehalten. Alle sechs Abgeordneten der Sozialdemokraten hatten übrigens für die Abschaffung votiert. Dieses Straf gesetzbuch des Norddeutschen Bundes wurde ein Jahr später zu unserem StGB.
Von 1933 bis 1945 ergingen 16 554 Todesurteile,
({1})
die überwiegend vollstreckt wurden. Nicht mitgerechnet sind dabei die Todesurteile im Heer während des Zweiten Weltkrieges: Von 10 000 wurden mehr als 6 000 vollstreckt, und das sind Mindestschätzungen.
Ein Mann, der sich einen Löffel im Wert von 75 Pf bei einer Metallsammlung angeeignet hatte, war ebenso zum Tod verurteilt worden wie eine Mutter von vier Kindern, die wegen Entwendung von Wollsachen im Werte von 30 Mark bei einer Wintersammlung hingerichtet wurde. Wir können nur schaudernd sagen: vestigia terrent, die Spuren schrecken.
Am 18. März 1987 hat ein US-Militärgericht in Frankfurt den US-Sergeant James Murphy wegen Mordes an seiner deutschen Ehefrau und an den gemeinsamen Söhnen zum Tode verurteilt. Die Verhängung der Todesstrafe durch ein NATO-Militärgericht in der Bundesrepublik gegenüber einem eigenen Staatsangehörigen ist nach dem NATO-Truppenstatut möglich, wenn auch die Vollstreckung bei uns nicht erfolgen darf. Presseberichten zufolge werden zur Zeit in den Vereinigten Staaten Vorbereitungen getroffen, den obersten Gerichtshof der USA, den Supreme Court, mit dem Ziel anzurufen, das in der Bundesrepublik verhängte Todesurteil billigen zu lassen. Geschähe dies, kann die Vollstreckung der Todesstrafe nicht mehr ausgeschlossen werden.
Die SPD-Fraktion hatte deshalb am 16. März 1988 eine Kleine Anfrage eingebracht und die Bundesregierung u. a. gefragt, ob sie bereit sei, mit den NATO5434
Staaten auf eine Revision des NATO-Truppenstatuts zu drängen, um die Verhängung der Todesstrafe durch NATO-Militärgerichte auf unserem Territorium auszuschließen. Die Bundesregierung hat sie bis heute nicht beantwortet.
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Nach unserer Geschichte, vor allem nach den Jahren 1933 bis 1945, haben wir allen Grund, überall für die Abschaffung und Eindämmung der Todesstrafe zu streiten.
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Die sogenannte Staatsräson darf uns dabei nicht daran hindern, auch unbequem für unsere Freunde zu werden.
Rolf-Peter Callies schreibt im April in der „Neuen Juristischen Wochenschrift" :
Von Verfassungswegen und unter dem Aspekt der Fortentwicklung im Bereich der internationalen Beziehungen besteht ein dringender Handlungsbedarf, die bestehenden Praktiken der Todesstrafe auf dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland und im Geltungsbereich des Grundgesetzes abzustellen. Es besteht ein Nachholbedarf, den innerstaatlich überholten Rechtszustand zumindest der Fortentwicklung im internationalen Bereich anzugleichen. Auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland
- so fährt er fort dürfen keine Todesstrafen verhängt werden, und die Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland dürfen keine Beihilfe leisten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, stellen wir uns bitte geschlossen hinter diese Forderung
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- ich sage das ganz unpolemisch -, damit wir der Bundesregierung das Verhandeln erleichtern.
Vielen Dank.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Hoffmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Juni dieses Jahres wird im britischen Unterhaus zum Entsetzen vieler Menschen erneut über eine Gesetzesänderung zur Wiedereinführung der Todesstrafe abgestimmt werden. Noch im Jahre 1983 war eine solche Gesetzesänderung mit 368 zu 223 Stimmen abgelehnt worden, 1987 jedoch nur noch mit 342 zu 230 Stimmen. Für mich sind das besorgniserregende Zahlen. Es ist bedrückend, daß in Großbritannien dreimal in relativ kurzer Zeit der Versuch unternommen wird, die Todesstrafe wieder einzuführen. Eine Wiedereinführung der Todesstrafe in einem so wichtigen Staat wie Großbritannien wäre ein Rückschlag für alle Bemühungen, die Todesstrafe weltweit abzuschaffen. Darum geht es ja heute.
({0})
Leider ist die Todesstrafe noch heute in 126 Staaten der Welt Gesetz, wobei man sagen muß, daß in 16 Ländern seit mehr als 10 Jahren keine Hinrichtungen mehr vollzogen wurden. Der wohl größte Rückschlag für den Kampf gegen die Todesstrafe war ihre Wiedereinführung in den USA im Jahre 1976. Hier warten derzeit 2 048 Straftäter auf ihre Hinrichtung, und dies in vielen Fällen schon seit vielen Jahren.
Dient denn die Todesstrafe wirklich der Abschrekkung? Eindeutige Untersuchungen haben gezeigt, daß die Androhung der Todesstrafe bei Kapitalverbrechen keineswegs die abschreckende Wirkung hat, die deren Befürworter vermuten. Als die Vereinigten Staaten im Jahre 1976 die Todesstrafe wieder einführten, wurde sie in Kanada im gleichen Jahre abgeschafft. Hier hat seitdem die Kriminalität deutlich abgenommen.
Die Verhängung und Vollstreckung der archaischen Todesstrafe brutalisiert alle, die an diesem Prozeß beteiligt sind. Öffentliche Hinrichtungen, wie sie noch heute in ostasiatischen Ländern wie Pakistan und China an der Tagesordnung sind, sind unmenschlich. Es bleibt weiterhin zu beachten, daß zudem Hinrichtungen unwiderrufliche Strafen sind, die die Möglichkeit der Wiedergutmachung an Unschuldigen nicht mehr erlauben.
Die Bundesregierung beruft sich eindeutig auf ihre staatliche Pflicht, ohne Ausnahme das Leben jedes Menschen in unserem Rechtsbereich zu schützen. Dies gilt auch für das Leben von Mördern. Wir lehnen die Todesstrafe uneingeschränkt ab.
({1})
Dies spiegelt sich eindeutig im Gesetzentwurf der Bundesregierung wider. Ich begrüße die im Gesetzentwurf genannte Kritik am Zusatzprotokoll, welches den Staaten des Europarates einräumt, „in Kriegszeiten und bei Kriegsgefahr eine Ausnahme" vom grundsätzlichen Verbot der Todesstrafe zu machen. Mit Art. 102 unseres Grundgesetzes wurde die Todesstrafe bereits 1949 gänzlich abgeschafft.
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Ich bedaure, daß unser bundesdeutsches Rechtsverständnis in bezug auf die völlige Abschaffung der Todesstrafe noch nicht auf alle europäischen Staaten zu beziehen ist, hoffe aber, daß wir nun mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung einen richtungweisenden Schritt getan haben. Eine ersatzlose Streichung des Art. 2 der Menschenrechtskonvention, wie ihn die Fraktion der GRÜNEN fordert, ist rechtlich nicht möglich.
Wir stimmen dem Gesetzentwurf der Bundesregierung uneingeschränkt zu. Dem Antrag der SPD-Fraktion auf weltweite Abschaffung der Todesstrafe stimmen wir zu. Den Entschließungsantrag der GRÜNEN lehnen wir ab.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Olms.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 7. Dezember vergangenen Jahres legte die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll Nr. 6 vom 28. April 1983 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe dem Deutschen Bundestag vor. Die Fraktion der GRÜNEN hat mit ihrem Antrag deutlich gemacht, daß wir die Konvention zwar im Grundsatz begrüßen, jedoch die Streichung des Art. 2 sowie der Nr. 2 und 3 des Art. 5 fordern. Außerdem beantragen wir die Änderung des Art. 5 Nr. 1.
Zum einen darf es unserer Meinung nach keinerlei Ausnahmeregelungen unter den Bedingungen des Krieges oder bei drohender Kriegsgefahr geben. Zum zweiten sollte die Abschaffung der Todesstrafe für alle Hoheitsgebiete der betreffenden Unterzeichnerstaaten gelten. Die Konvention bleibt hinter dem nationalen Recht der Bundesrepublik zurück, denn hierzulande gibt es ein grundgesetzlich verankertes absolutes Verbot der Todesstrafe. Andere europäische Länder fallen demgegenüber hinter dem Verbot der Todesstrafe zurück. In der Schweiz, in Italien und in Spanien gilt die Verhängung der Todesstrafe in Kriegszeiten. In der Türkei gilt die Todesstrafe, und Todesurteile werden bis in die jüngste Vergangenheit gegen politische Oppositionelle verhängt. Jetzt befürchten wir, daß am 10. Juni wieder zwei Todesurteile verhängt werden, und zwar gegen die beiden KP-Führer Sargin und Kutlu. Ich denke, daran kann man dann wieder deutlich machen, inwieweit die Türkei ihren Worten folgen kann. Allerdings muß man dazu noch sagen, daß dort seit 1984 kein Todesurteil vollstreckt wurde. In der Republik Irland wird bis heute an der gesetzlichen Verankerung der Todesstrafe festgehalten. In Belgien ausgesprochene Todesurteile werden durch einen Begnadigungsakt des Königs in lebenslange Haftstrafen umgewandelt.
Fallen also die jeweiligen Gesetze über die Todesstrafe in den Mitgliedstaaten der EG höchst unterschiedlich aus, so klaffen Verfassungsanspruch und Realität weit auseinander. In Nordirland wird an der „shoot-to-kill"-Politik, der Exekution von vermeintlichen Terroristen nach ihrer Festnahme, ebenso festgehalten wie an der üblichen Praxis in türkischen Gefängnissen, wo Oppositionelle zu Tode gefoltert werden.
Aber, meine Damen und Herren, wie sieht die Wirklichkeit in der Bundesrepublik aus? Besonders glaubwürdig ist es ja gerade nicht, wenn ausgerechnet Herr Dr. Jaeger, der Leiter der Delegation der BRD bei der UN-Menschenrechtskommission ist, denn dieser Dr. Jaeger hat sich selbst u. a. im „Sonntagsblatt" vom 4. März 1984 als ein „Anhänger der Todesstrafe" bezeichnet. Und, meine Damen und Herren, auch der gerade vereidigte Minister für Tiefflüge und unproduktive Ausgaben, der Herr Professor Dr. Scholz, soll nach Verlautbarungen eine Todesstrafe im „Verteidigungsfall", wie es bei uns so beschönigend heißt, befürwortet haben. Vielleicht kann sich der frischgebakkene Minister in dieser Frage einmal äußern.
Wenn die Bundesregierung von der Unteilbarkeit der Menschenrechte ausgeht, wozu selbstverständlich auch die Abschaffung der Todesstrafe zählt, dann müßte gesetzlich klargestellt werden, daß Ausländer, denen in ihren Herkunftsländern die Todesstrafe droht - die Todesstrafe ist derzeit in 130 Ländern der Welt verfassungsmäßig festgeschrieben - , nicht von der Bundesrepublik abgeschoben werden. Es reicht meiner Ansicht nach nicht aus, wenn das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 1. Dezember 1987 davon spricht, daß die im Ausland drohende Todesstrafe bei aufenthaltsbeendenden Entscheidungen nur „zu berücksichtigen" sei. Nein, in diesem Fall gehört die Abschiebung generell verboten.
({0})
Meine Damen und Herren, die Todesstrafe ist in diesem Land verboten. Diesem Verbot liegt die grundsätzliche Entscheidung gegen unmenschliche, grausame Strafen zugrunde. Aber wie sieht die Realität in bundesdeutschen Gefängnissen aus? Jedermann weiß, daß Straftätern und Straftäterinnen in den Haftanstalten allzu häufig eben nicht dieses Prinzip zugrunde liegt, sondern die klassische, mittelalterliche Auffassung von Strafe.
Die hohe Zahl von Selbstmordversuchen und begangenen Selbstmorden in bundesdeutschen Gefängnissen wirft für mich die Frage auf: Wo liegt eigentlich der feine Unterschied zwischen der praktizierten gesetzlichen Todesstrafe einerseits und inhumanen Haftbedingungen andererseits?
Die zweite Frage, die sich mir stellt, ist, ob die Todesstrafe, so wie sie im Protokoll 6 definiert ist - als ein gesetzlich verankertes Strafmaß - , überhaupt noch den Realitäten in der Welt ausreichend gerecht wird. Für ein in der Frage der Menschenrechte, speziell in der Frage der Todesstrafe, weit unterentwikkeltes Land, die Vereinigten Staaten von Amerika, wäre die Einhaltung des Protokolls bereits ein immenser Fortschritt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schmude?
Ja.
Frau Kollegin Olms, habe ich Sie richtig verstanden, daß Selbstmordversuche und Selbstmorde auf inhumane Haftbedingungen zurückzuführen seien, und wie wollen Sie das bitte erläutern?
Ich kann nicht sagen, daß inhumane Haftbedingungen ausschließlich der Grund seien, aber sie tragen dazu bei, auch durch die besondere persönliche Situation.
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- Nein, nicht ausschließlich, aber sie tragen dazu bei.
Wir alle wissen doch, daß es längst verfeinerte, subtile Formen der Todesstrafe gibt. In Lateinamerika gibt es Zehntausende von sogenannten Verschwundenen, die später ermordet aufgefunden werden.
Nicht der Staat exekutiert, sondern er läßt exekutieren, z. B. durch Todesschwadronen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß noch eine kleine persönliche Bemerkung machen. Ich möchte auf ein Problem kommen, das mich als Berlinerin direkt berührt. Es ist an der Zeit, daß die westlichen Alliierten endlich ein Relikt aus der Nachkriegszeit beseitigen. Ich meine, die Alliierte Kommandantura sollte endlich die von ihr erlassene und bis heute gültige Todesstrafe für Berlin streichen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ratifizierung des 6. Protokolls zur Abschaffung der Todesstrafe ist keine Gelegenheit für eine parteipolitische Auseinandersetzung. Wenn auch dieses Protokoll die Rechtslage in der Bundesrepublik nicht verändert, so erfüllt uns doch ein Gefühl der tiefen Befriedigung darüber, daß die Todesstrafe nicht nur in der Bundesrepublik, sondern im größten Teil der Europäischen Gemeinschaft definitiv der Vergangenheit angehört.
Frau Olms, die von Ihnen beantragte Streichung des Art. 2 ist deswegen nicht möglich, weil er Bestandteil eines internationalen Abkommens ist, das bereits ohne Unterzeichnung durch die Bundesregierung in Kraft getreten war.
In der Bundesrepublik gibt es über diese Frage keine ernsthafte Diskussion mehr. Wir wissen, daß die Entscheidung unserer Verfassung nicht eine Folge rechtswissenschaftlicher oder kriminologischer Untersuchungen war, die schon viele Jahre vorher abgeschlossen waren und sich trotzdem politisch nicht hatten durchsetzen lassen, wie es Herr de With eindrucksvoll dargestellt hat. Die Abschaffung der Todesstrafe in der Bundesrepublik war die Folge der schrecklichen Erfahrungen, die wir damit gemacht hatten. Diese Entscheidung wird nicht revidiert werden. Sie ist nicht nur für Friedenszeiten getroffen worden, sondern auch für äußerste Notfälle und auch für den Verteidigungsfall, wie die Bundesregierung wiederholt zutreffend dargestellt hat.
({0})
Die Ratifizierung bezieht sich nach einer Erklärung der Bundesregierung auf die strafrechtlichen Tatbestände. Sie wird aber auch Auswirkungen auf andere Rechtsgebiete haben. Für den Fall der Auslieferung ist schon höchstrichterlich entschieden, daß sie dann nicht erfolgen kann, wenn dem Täter in dem Land, dem er ausgeliefert werden soll, die Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe droht. Für den Fall der Abschiebung ist das höchtrichterlich noch nicht endgültig entschieden. Wir hoffen aber, daß sich die Rechtsprechung nicht zu der Unterscheidung verleiten läßt, daß es für die Menschenwürde einen Unterschied mache, ob wir den Menschen auf Wunsch des
Verfolgerstaates ausliefern oder ob wir ihn ihm nur zuschieben.
({1})
Der weltweite Kampf um die Abschaffung der Todesstrafe ist damit nicht beendet. Wir tun einen Schritt, aber wir sind noch nicht am Ziel. In über 130 Staaten der Welt wird die Todesstrafe nicht nur verhängt, sondern auch vollstreckt. Das berührt uns besonders schmerzlich bei den Diktaturen, die ihre Gegner kriminalisieren, die Opfer und Zeugen foltern, um sie in einem nur äußerlich gerichtsförmigen Verfahren zu Tode bringen zu können. Es berührt uns aber auch schmerzlich, daß eine so große und hervorragende Demokratie wie die Vereinigten Staaten den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte nicht unterzeichnet hat, in dem es z. B. verboten wird, einen Täter zum Tode zu verurteilen, der die Tat als Minderjähriger begangen hat.
({2})
Wir wissen aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, Menschen von der moralischen und tatsächlichen Sinnlosigkeit der Todesstrafe zu überzeugen. Wir haben darum keine Veranlassung, uns über diejenigen zu erheben, die wir noch nicht haben überzeugen können. Aber wir müssen alles tun - und wir werden die Bundesregierung nach Kräften darin unterstützen - , zu einer vorbehaltlosen internationalen Achtung der Todesstrafe zu kommen, weil der Staat nach unserem Verständnis nicht das Recht hat, sich am menschlichen Leben zu vergreifen.
Wir möchten allen danken, die dazu beigetragen haben, daß wir heute zu einer Ratifizierung des Protokolls gelangen können.
({3})
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz, Herr Engelhard.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der ersten Lesung des Entwurfs am 14. Januar dieses Jahres habe ich als der Minister für die Grund- und Menschenrechtsfragen an dieser Stelle erklärt, daß wir mit dem 6. Protokoll ein Zeichen auch für andere Regionen unserer Welt setzen wollen. Wir wollen die anderen Staaten, die die Todesstrafe noch vorsehen, ermutigen und anspornen, dem europäischen Beispiel zu folgen. Noch heute - das ist in dieser Debatte wiederholt ausgesprochen worden - halten weit über 100 Staaten und damit die Mehrheit der Staaten dieser Erde an der Todesstrafe fest. Das zeigt, wie wichtig diese Menschenrechtsinitiative ist.
Vor diesem Hintergrund bin ich dankbar dafür, daß sämtliche Fraktionen des Deutschen Bundestages die Bundesregierung in ihrem Kampf um die weltweite Ächtung der Todesstrafe engagiert unterstützen. Ich bin dafür dankbar, auch wenn die Sprecherin der Fraktion der GRÜNEN meinte, in einigen Punkten dem, auch bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland, Anmerkungen hinzufügen zu müssen, die nicht
richtig sind, die haltlos sind, die keine Grundlage haben. Ich meine, unser Engagement gegen die Todesstrafe wird um so glaubwürdiger, wird um so durchschlagender, je stärker wir uns davor hüten, in einer solchen Diskussion parteipolitische Akzente zu setzen.
Wir sollten bei der Todesstrafe aber nicht nur immer an die Verhältnisse in fernen Ländern denken, sondern auch nicht vergessen, uns vor der eigenen Haustür genau umzuschauen. Nachdem erst kürzlich die DDR die Todesstrafe abgeschafft hat, ist nicht zu verstehen, daß das von den Westalliierten in Berlin angewendete Recht immer noch die Todesstrafe kennt. Von dem Fortbestand dieses Relikts hängen die Sicherheit und der Status von Berlin nicht ab. Auch in Berlin muß darum auch insoweit die Todesstrafe abgeschafft werden.
({0})
Der Kampf um die Abschaffung der Todesstrafe erfordert einen langen Atem. Ich bitte Sie, durch Zustimmung zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung für ihre weiteren Bemühungen um die weltweite Abschaffung der Todesstrafe Unterstützung zu geben und den Rücken zu stärken.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Schmude.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe um die Gelegenheit einer Erklärung zur Abstimmung gebeten, um deutlich zu machen, daß ich dem Anliegen in dem Entschließungsantrag der GRÜNEN Drucksache 11/2288, in beiden Punkten mit großer Sympathie gegenüberstehe. Ich finde aber, daß das, was uns vorgelegt wird, zu kurz und zu schnell gegriffen ist. Hierzu bedarf es einer sorgfältigeren Vorbereitung. Deshalb werde ich mich der Stimme heute enthalten mit der Ankündigung, daß wir darauf später zurückkommen. Viele meiner Kollegen in der Fraktion denken genauso.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Meine Damen und Herren, wir kommen zunächst zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zustimmungsgesetzes zum Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe. Der Ausschuß empfiehlt unter Buchstabe a der Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/2287, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist das Gesetz angenommen.
Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/2288 ab. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen jetzt zu dem von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Zustimmungsgesetzes zum Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe, Tagesordnungspunkt 19b. Der Ausschuß empfiehlt unter Buchstabe b der Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/2287, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD für erledigt zu erklären. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 19 c. Der Ausschuß empfiehlt unter Buchstabe c der Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/2287, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/802 abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt weiter unter Buchstabe d der Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/2287, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/459 anzunehmen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Damit ist dieser Tagesordnungspunkt abgeschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetzes
- Drucksache 11/1942 Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pfeifer.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf bildet den Schlußpunkt der 1984 in Kraft getretenen Reform des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes. Diese Reform hat sich in mehrjähriger Erprobung bewährt. Das gilt es zu sichern, und dem gilt dieser Gesetzentwurf.
Ich will noch einmal die wichtigsten Reformziele nennen, die der Reform des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung zugrunde liegen. Uns ging es darum, das mündliche Prüfungsverfahren abzuschaffen und das schriftliche Verfahren für alle ungedienten Wehrpflichtigen einzuführen. Der Zivildienst selbst ist zur Probe auf die Ernsthaftigkeit der Gewissensentscheidung geworden. Die Verlängerung der Dienstzeit und die Bereitstellung ausreichender Zivildienstplätze ha5438
ben das ermöglicht. Wir haben heute die Höchstzahl von 91 000 Plätzen. Gerade diesen Voraussetzungen hat das Bundesverfassungsgericht bekanntlich bei seiner Bestätigung der Reform besondere Bedeutung beigemessen.
Meine Damen und Herren, ich kann heute also mit Fug und Recht feststellen, daß diese Reform des Jahres 1984 gelungen ist. Das ist um so wichtiger, als es hier in erster Linie um die nachwachsende Generation geht. Verstummt ist das Gerede von unwürdiger Gewissenserforschung, von Wehrungerechtigkeit oder von Drückebergertum. Vielen jungen Menschen und ihren Familien ist die Belastung genommen worden, die das alte mündliche Verfahren mit sich brachte. Der neugestaltete Zivildienst erfüllt die ihm zugedachte Funktion als tragendes Indiz für das Vorliegen einer Gewissensentscheidung.
Wichtig ist schließlich, daß diejenigen, die dem neuen Recht einen Abschreckungscharakter unterstellt haben, nicht recht behalten haben. Wie die Antragsentwicklung zeigt, hat die Reform weder zu einer Antragslawine geführt noch junge Menschen davon abgehalten, sich als Kriegsdienstverweigerer anerkennen zu lassen.
Ich will hier auch deutlich darauf hinweisen, daß ich die ab Juni 1989 anstehende, mit der Verlängerung des Grundwehrdienstes verbundene längere Dauer des Zivildienstes von 24 Monaten für gerecht halte. Die feste Relation zwischen dem Grundwehrdienst und dem Zivildienst erfüllt ja nicht nur die bereits erwähnte Funktion als tragendes Indiz für das Vorliegen einer Gewissensentscheidung, sondern es geht hier auch um den Grundsatz der Dienstgerechtigkeit, also darum, ein Gleichgewicht der Belastung von Wehr- und Zivildienstleistenden sicherzustellen.
Meine Damen und Herren, wenn wir all das berücksichtigen, gibt es nur eines: Das neue, seit 1984 geltende Recht muß auch über das Jahr 1990 hinaus fortgelten. Deswegen bitte ich Sie, dem Gesetzentwurf und damit der Aufhebung der in dem bisherigen Gesetz enthaltenen Befristung Ihre Zustimmung zu geben.
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Herr Staatssekretär, ich bitte um Entschuldigung, daß ich Sie vorhin als Abgeordneten angekündigt habe. Sie haben natürlich als Staatssekretär gesprochen.
({0})
- Das ist er auch, aber er hätte einen anderen Status gehabt, wenn er als solcher gesprochen hätte.
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Das Wort hat der Abgeordnete Gilges.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vorweg möchte ich eine Bemerkung machen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Pfeifer. In einer Zeitung, die in Hamburg erscheint, habe ich gelesen, daß der General Dr. Schäfer die Aussage gemacht hat - ich zitiere -:
Sollte sich der Anteil der Wehrdienstverweigerer noch erhöhen, sehe ich keine andere Möglichkeit, als zu dem alten Verfahren der Gewissensprüfung für Verweigerer zurückzukommen.
Das paßt zu der Aussage, die der neue Verteidigungsminister gemacht hat, als er vom „wankenden Wehrwillen" sprach. Deswegen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wäre es an der Zeit, daß Ihre Frau Ministerin, Ihre Chefin, dazu endlich einmal öffentlich etwas sagt. Sie sagt ja sonst zu allem, was landauf, landab passiert, etwas, aber dazu hat sie bis heute überhaupt nichts gesagt. Also müssen wir vermuten, daß die Ministerin nicht Manns genug ist - oder nicht Frau genug ist, wie Sie wollen - , dem öffentlich zu widersprechen. Ich glaube, es wäre an der Zeit!
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Nun will ich zu dem Gesetz kommen. Es ist in einem Punkt gescheitert, nämlich insofern, als Sie mit dem Gesetz beabsichtigt haben, den Versuch zu unternehmen, eine Gewissensbeugung vorzunehmen. Diese Gewissensbeugung ist gescheitert, wie die Antragszahlen, die Sie selbst genannt haben, zeigen. Wir sind sehr froh darüber, daß sich kein Jugendlicher, kein junger Mann - so hoffen wir - hat einschüchtern lassen, sondern daß jeder seinem Gewissen gefolgt ist und seinen Antrag gestellt hat.
Eines aber bleibt übrig: Die FDP hat in bezug auf die 24 Monate Zivildienst eine Täuschung vorgenommen. Sie hat vor dem Wahltag 1987 gesagt - insbesondere der Herr Bangemann und die Frau Adam-Schwaetzer haben das angedeutet - , sie wolle in den Koalitionsverhandlungen erreichen, daß man von den 24 Monaten herunterkomme. Das ist nicht geschehen. Diese 24 Monate werden nun mit Zustimmung der FDP für die Zukunft ein fester Bestandteil dieses Gesetzes sein. Ich glaube, diese Wählertäuschung sollte man offen ansprechen. Die FDP muß den jungen Menschen erklären, weshalb sie diese Wählertäuschung vorgenommen hat.
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Ich komme nun zu einem weiteren Punkt, der uns sehr beunruhigt. Es geht um die Drittelautomatik, also darum, daß diejenigen, die den Zivildienst am 1. Juni 1989 antreten, 24 Monate Dienst leisten müssen. Es gibt einen Antragsstau. Das bedeutet, daß diejenigen, die unter Umständen noch die Möglichkeit haben, auf 20 Monate ihren Zivildienst zu leisten, durch die Unfähigkeit der Regierung oder durch die mangelnden Kapazitäten des Bundesamtes für Zivildienst in die Gefahr kommen, 24 Monate Zivildienst leisten zu müssen.
Wir werden in der Gesetzesberatung darauf noch einmal zurückkommen. Wir bitten Sie heute schon, darauf zu achten - das scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein - , daß kein junger Mensch unnötigerweise 24 Monate Dienst leisten muß nur deswegen, weil die Kapazitäten beim Bundesamt oder sonst irgendwo nicht ausreichen.
Ich komme zum nächsten Punkt: Sie sagen im Vorblatt, das Gesetz habe sich bewährt. Davon kann überhaupt keine Rede sein. Es gibt viele Einzelpunkte, die nach wie vor sehr strittig sind. Ich beginne mit einem, der mir sehr am Herzen liegt: Für 10 bis
Deutscher Bundestag - 1 i. Wahlperiode Gilges
15 % der jungen Menschen findet nach wie vor die Gewissensprüfung statt, nämlich für die, die schon einmal bei der Bundeswehr waren oder die während der Bundeswehrzeit ihren Antrag auf Wehrdienstverweigerung stellen. Für diese gilt das.
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- Entschuldigen Sie einmal, Herr Sauer: 10 bis 15 % der Antragsteller ist kein kleiner Teil, das sind jährlich einige zigtausende. Sprechen Sie hier also bitte nicht von einem kleinen Teil; ich glaube, daß das unnötig ist. Es wäre sinnvoll, daß auch für diese Betroffenen die Gewissensprüfung in der alten Form, wie sie heute noch existiert, abgeschafft wird.
Das Gesetz hat sich z. B. auch nicht bei der Frage des Einsatzes bewährt. Wir stellen zunehmend fest, daß Sie beginnen, die Einsatzorte so zu strukturieren, daß ich manchmal den Eindruck habe, daß Sie zwei wichtige Punkte vernachlässigen: Das ist zum einen die Arbeitsmarktneutralität. Ich nenne hier den Einsatz in landwirtschaftlichen Betrieben. Ich habe weiterhin den Eindruck, daß sich der Zivildienst zunehmend zu einem Arbeitsdienst mausert. Ich glaube, daß da manch einem die Verhältnisse in der DDR im Kopf herumschwirren und daß man den Zivildienst nicht als Friedensdienst ausbauen will. Wir Sozialdemokraten wollen keinen Arbeitsdienst.
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Ich hoffe, daß auch Sie den Zivildienst nicht so ausweiten wollen.
Ich will weiterhin auf die Probleme aufmerksam machen, die durch die Verlängerung entstehen: Durch den 24monatigen Zivildienst wird der Studienanfang der Betroffenen erschwert oder problematisch; wir werden im Ausschuß darauf noch einmal zurückkommen. Die Frage der Ausbildung und auch die Frage des Arbeitsplatzes werden zunehmend zu einem Problem, je länger die Zeit wird; Sie wissen das, Sie kennen das auch aus der Praxis.
Ein nächster Punkt, der uns sehr am Herzen liegt und der uns große Schwierigkeiten macht, ist die Frage der Einführungslehrgänge. Für 50 % der Zivildienstleistenden finden heute keine Einführungslehrgänge statt. Das ist eine große Erschwernis, insbesondere wenn Sie berücksichtigen, daß die Verschärfung des Zivildienstes gerade in Einsatzbereichen stattfindet, die sehr problematisch sind. Ich halte es auf die Dauer nicht für zulässig, daß junge Menschen, die mit Schwerstbehinderten umgehen, die bei alten Menschen Einzelbetreuung vornehmen oder die im Rettungsdienst tätig sind, keinen Einführungslehrgang haben. Dies ist eine schlimme Geschichte, und es ist angebracht, daß sich das Bundesministerium nun einmal aufrafft und sich bemüht, diese Einführungslehrgänge grundsätzlich für alle Zivildienstleistenden sicherzustellen.
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Das gilt auch für die Betreuung der Zivildienstleistenden während dieser Zeit. Es gibt ja schwierige Einsatzorte, die psychische Probleme mit sich bringen. Ich denke jetzt gerade wieder an Fälle, in denen ein junger Zivildienstleistender mit einem Schwerstbehinderten umgehen muß. Das ist ja keine einfache Geschichte. Auch da findet keine laufende Betreuung statt.
Ich glaube, es ist auch angebracht, daß in der Ausgestaltung des Zivildienstes das Bundesministerium den Zivildienststellen - ob Arbeiterwohlfahrt, Caritas oder Diakonie - die Möglichkeiten schafft, daß eine Betreuung während dieser schweren Arbeit stattfindet. Dazu muß auch Geld bereitstehen, und das Ministerium sollte da eine Lösungsmöglichkeit schaffen.
Ich will zu einem nächsten Problem kommen, das Sie überhaupt nicht lösen wollen oder lösen können. Das ist die Frage der Totalverweigerung. Hier findet eine Doppelbestrafung statt. Ich meine, es wäre wirklich an der Zeit - Sie sagen ja, es sei jetzt abgeschlossen; so haben Sie das formuliert - , auch dieses Thema einmal abzuschließen und uns hier eine Lösung vorzulegen, mit der wir alle gemeinsam umgehen können.
Unsinnig ist auch die Regelung, daß derjenige, der seinen Antrag später stellt, also nach der oder während der Bundeswehrzeit, noch sechs Monate nachdienen muß. Das ist schlicht und einfach eine bösartige Bestrafung desjenigen, der das macht. Ich weiß nicht, wer sich das ausdenkt und wer sich das ausgedacht hat. Ich muß Ihnen sagen: Man braucht schon viel Einfallsreichtum, um solche Bösartigkeiten zu erfinden; ich sage es einmal so. Es gibt überhaupt keinen Grund dafür, daß man das macht.
Wir fordern, daß über dieses Gesetz in Zukunft hier jährlich berichtet wird, damit wir die Möglichkeit haben, im Deutschen Bundestag über all die Schwachstellen, die dieses Gesetz hat und auch in Zukunft noch haben wird, wenn es auf Dauer fortbesteht, zu debattieren.
Abschließend mächte ich sagen: Anläßlich des 50. Todestages von Carl von Ossietzky will ich daran erinnern, daß er einmal gesagt hat: „Ich war Pazifist, und ich werde Pazifist bleiben. " Ich hoffe, daß sich auch in dieser Republik noch viele junge Männer dieser Aussage anschließen und in Zukunft ihr im Grundgesetz verbrieftes Recht zur Verweigerung des Wehrdienstes und des Kriegsdienstes in Anspruch nehmen werden.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetzes wird die Befristung der Reform des Zivildienstes und des Anerkennungsverfahrens für Kriegsdienstverweigerer aufgehoben. Diese Befristung war vor allem auf Drängen der FDP vorgenommen worden, weil wir abwarten wollten, wie sich das Gesetz in der Praxis bewährt, und uns, d. h. das Parlament, selber unter Druck setzen wollten, uns zur gegebenen Zeit wieder mit diesem Gesetz zu beschäf5440
Eimer ({0})
tigen. Ich bin froh, daß wir dieses Thema nun endlich abschließend behandeln können. Damit wird eine Reform festgeschrieben, die sich in der Praxis bewährt hat.
Die Auseinandersetzung um den Zivildienst und um die sogenannte Drittellösung ist neu aufgekommen durch die Verlängerung des Wehrdienstes von 15 auf 18 Monate. Dies bedeutet nach der Drittellösung eine Verlängerung des Zivildienstes von 20 auf 24 Monate. Anders ausgedrückt: Bei einer Wehrdienstzeit von 15 Monaten dient ein Zivildienstleistender fünf Monate, bei einer Wehrdienstzeit von 18 Monaten sechs Monate länger.
Der ganze Streit und die gesamte Auseinandersetzung ging darum, ob die Zeit, die ein Zivildienstleistender länger dienen soll, bei fünf Monaten bleibt oder ob die Drittellösung beibehalten wird, d. h. ob er einen Monat länger dienen soll. Das bedeutet, es geht nur um einen Monat. Darüber kann es keine Grundsatzdiskussion geben.
Wie Sie wissen, war die FDP der Meinung, daß fünf Monate genügt hätten.
({1})
- Ich will die Zeit nicht verlängern. Wir haben noch genügend Zeit, darüber zu streiten.
Sie lassen also keine Zusatzfrage zu?
Nein.
({0})
- Herr Kollege, Sie wissen genau, was die FDP gesagt hat. Wir stehen dazu, und auch ich stehe hier zu unserer Meinung.
({1})
Sie wissen, daß wir der Meinung waren, daß fünf Monate genügt hätten. Sie wissen aber auch, daß man in einer Koalition Kompromisse eingehen muß. Daß Kompromisse notwendig sind, das weiß die SPD sehr genau.
({2})
- Sie bestätigen es ja sehr eindrucksvoll.
Wir haben uns auf der anderen Seite in anderen Punkten sehr gut durchsetzen können. Ich nenne als Beispiel den Umweltschutz. Da hat unser Koalitionspartner, die CDU, Federn lassen müssen. Wir haben uns z. B. bei der Verankerung des Staatsziels Umweltschutz in der Verfassung durchsetzen können. Wenn man das vergleicht, glaube ich, brauchen wir uns nicht zu verstecken.
({3})
- Herr Kollege, ich würde mich freuen, wenn Sie hier nicht so moralisierend argumentieren würden. Sie
wissen ganz genau, daß es in jeder Koalition ein Geben und ein Nehmen gibt.
({4})
Ich finde es ein bißchen schäbig, wie Sie hier das Finden von Kompromissen abhandeln. Das zeigt ein wenig Ihr Verständnis von Demokratie.
({5})
An die Zivildienstleistenden möchte ich mich wenden: Auch wenn uns - ({6})
- Also, meine Damen und Herren, jetzt sind wir so wenig in dem Saal. Ich finde es eigentlich unangebracht, daß eine Rede auf diese primitive Weise laufend gestört wird; ich finde es unangebracht.
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Wenn Sie Argumente haben, dann können Sie hier hergehen und sie vortragen, dann können wir darüber diskutieren.
({8})
Aber diese Art finde ich stilmäßig miserabel. - An die Ziuvildienstleistenden möchte ich mich wenden und sagen: Auch wenn uns dieser eine Monat weniger lieber gewesen wäre, wegen eines Monats mehr als Verweigerer würde ich mein Gewissen nicht verkaufen. Und ich bin sicher, daß auch die jungen Männer dies nicht tun.
({9})
Das Wort „Gewissensbeugung", das Herr Gilges gebracht hat, ist eine Unverschämtheit.
({10})
Heute wird der überwiegende Teil des Zivildienstes im Sozialbereich abgeleistet. Diesen jungen Männern will ich für ihr Engagement ausdrücklich danken. Hier brauchen wir die gute und engagierte Arbeit der Zivildienstleistenden auch weiterhin.
Auch wenn die Länge des Zivildienstes durch die Schaffung eines zeitlich unbefristeten Gesetzes endgültig geregelt ist, so wird dies natürlich nicht bedeuten, daß wir uns nicht auch weiterhin um die Probleme des Zivildienstes kümmern, die Probleme sorgfältig verfolgen werden. Wir werden deswegen über diese Fragen noch öfter zu diskutieren haben, auch über die Fragen, die Sie, Herr Gilges, angesprochen haben. Da werden Sie bei uns, bei der Koalition immer Partner finden.
Hier geht es um diesen einen Punkt der Befristung, und wir wollen dieses Gesetz zügig verabschieden.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Beer.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die regierungsamtliche Begründung für die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes lautet - wir haben es heute mehrmals gehört - , es habe sich insgesamt bewährt.
Die GRÜNEN haben bereits in der letzten Legislaturperiode ausführlich begründet, warum sie die politischen Vorgaben sowie wesentliche materiellrechtliche Bestimmungen des Kriegsdienstverweigerungs-
und Zivilrechts entschieden kritisieren und ablehnen.
Die heute zu verabschiedende Gesetzesvorlage befindet sich seit vier Jahren in Erprobung. Die Bundesregierung hat es nicht für nötig befunden, ihren Bericht über die Erfahrungen seit der Einführung des Gesetzes vom 2. Oktober 1985 zur Entfristungsdebatte zu aktualisieren. Hätte sie dies getan, wäre deutlich geworden, daß die Behauptung, der Gesetzentwurf würde eine Reform auf Dauer fortschreiben, reine Propaganda ist.
Dies ergibt sich auch aus den Stellungnahmen der „Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen" sowie denen der Evangelischen Kirche Deutschland. Danach ergibt sich ein völlig anderes Bild der Praxis, die hier angewandt wird.
Deshalb fordern die GRÜNEN eine öffentliche Anhörung durch den zuständigen Ausschuß unter Beteiligung der Kriegsdienstverweigerer selber, der Zivildienstorganisationen und der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer in Bremen.
Die eklatantesten Mißstände will ich hier benennen - ich will nicht über Nebenpunkte reden, sondern wirklich etwas Grundsätzliches zum Hauptpunkt meines Beitrages machen - : Kriegsdienstverweigerer müssen - im Gegensatz zu Wehrdienstleistenden - ihre Gewissensentscheidung noch immer begründen.
Die Bestimmung des § 25 Abs. 2 Zivildienstgesetz, wonach der Zivildienst automatisch um ein Drittel länger als der Wehrdienst ist, verstößt gegen Art. 12 a des Grundgesetzes. Denn in Art. 12 a Abs. 2 des Grundgesetzes heißt es - und es lohnt sich, diesen Passus einmal vorzulesen, und ich bitte Sie, zuzuhören; denn anscheinend haben Sie sich selber nicht bemüht, in dieses kleine Buch hineinzuschauen - :
({0})
- Herr Bohl, wir sind hier nicht im U-Boot-Untersuchungsausschuß. Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, kann zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden. Die Dauer des Ersatzdienstes darf die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen. Das Nähere regelt ein Gesetz, das die Freiheit der Gewissensentscheidung nicht beeinträchtigen darf und auch eine Möglichkeit des Ersatzdienstes vorsehen muß, die in keinem Zusammenhang mit den Verbänden der Streitkräfte und des Bundesgrenzschutzes steht.
All diese Punkte sind in dem Gesetzentwurf nicht enthalten, sondern es wird ihnen widersprochen.
Wenn Professoren ihre Studenten heute dahin gehend zu erziehen versuchen und wohl auch erziehen sollen, daß Richter an den Wortlaut des Gesetzes gebunden sind, dann ist die Verabschiedung dieses Gesetzes ein abschreckendes Beispiel und zeigt zugleich auf, daß dieser Grundsatz für Verfassungsrichter anscheinend nicht gilt. Dies ist ein Paradebeispiel und zeigt das Ergebnis verfassungswidriger Verfassungsrechtsprechung.
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Weitere Mißstände des Gesetzes sind: Der Zivildienst kann nicht als Friedensdienst, sondern nur als Wehrdienst ohne Waffen geleistet werden. Der Zivildienst ist in militärische Strukturen eingebunden.
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Die zunehmende Militarisierung des Zivildienstes im Konzept der Gesamtverteidigung zwingt friedenspolitisch engagierte Menschen zur Totalverweigerung. Diese wiederum - das wissen Sie alle - werden mit allen möglichen staatlichen Repressionsmaßnahmen belegt, das heißt mit Knast bestraft.
Die Grundgesetzgeber zogen mit dieser Verfassungsnorm des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung Konsequenzen aus der Behandlung von Kriegsdienstverweigerern in der Zeit des Faschimus. Auch hierzu zitierte ich aus einer Schrift der erwähnten KDV-Initiative:
Zwischen 1931 und 1945 wurden Tausende von generellen Kriegsdienstverweigerern ebenso wie die Verweigerer des unter Hitlers Befehl von Deutschland geführten Angriffskriegs von Wehrmachts- und Sondergerichten zum Tod verurteilt, in KZs oder in den berüchtigten Straflagern und Strafbataillonen der Deutschen Wehrmacht gefoltert und ermordet.
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Die Behandlung der Kriegsdienstverweigerer heute ist deshalb auch ein Hinweis darauf - ich sage das nicht gern - , inwieweit dieses Parlament bereit ist, Lehren aus der Geschichte zu ziehen.
Ich bitte Sie, solange noch Zeit ist, auch diese Broschüre rechtzeitig zu lesen. Sie können nicht sagen, Sie hätten davon nichts gewußt.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Sauer ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Gilges, zuerst zu Ihnen. Nahezu 90 To unserer jungen Männer leisten den Wehrdienst. Zweitens. Wenn Sie von einem Antragsstau sprechen, müssen Sie sich an Ihre Zeit erinnern, wo die jungen Männer jahrelang warteten, bis sie ihre Zivildienststelle zugeteilt bekamen. Zwei oder drei Monate heute sind sicher ein Problem.
Sauer ({0})
Aber zu Ihrer Zeit ging der Antragsstau über Jahre hin. Wir werden bei den Beratungen im Ausschuß diese Frage zu klären haben. Wir werden uns bemühen, daß es hier nicht zu Ungerechtigkeiten kommt. Hier sind wir Ihrer Meinung.
Herr Staatssekretär Pfeifer hat schon klar gesagt: Diese Reform hat sich bewährt. Für die jungen Männer, die den Wehrdienst aus Gewissensgründen - ich betone: aus Gewissensgründen - verweigern, wird nun ein klares und zügiges Verfahren durchgeführt, und dies auf Dauer. Das wird durch diese Fortschreibung sichergestellt.
Die Zahl der Zivildienstplätze ist auf fast 90 000 erhöht worden. Derzeit sind 76 000 junge Männer im Zivildienst tätig. Jeder Zivildienstleistende wird in kurzer Zeit zum Dienst herangezogen. Das ist auch ein Beitrag zur Wehrgerechtigkeit, wie sie früher nicht vorhanden war. Wir hatten früher - ich habe es schon einmal betont - einen Antragsstau von über 100 000 Antragsstellern. Damit bestand für die jungen Männer lange Zeit Ungewißheit über ihre weitere Lebens- und Berufsplanung. Damals gab es eben zu wenige Zivildienstplätze. Dies alles gilt heute nicht mehr.
Lassen Sie mich an dieser Stelle grundsätzlich festhalten: Auch dieses Gesetz schafft keine Wahlfreiheit zwischen Wehrdienst und Zivildienst. Der Zivildienst ist die Ausnahmeregelung, nämlich der Ersatzdienst, wenn ernsthafte Gewissensgründe vorliegen. Falls die SPD den Kräften in Ihrer Partei folgt, meine Damen und Herren, die in das neue Grundsatzprogramm der SPD eine Wahlfreiheit zwischen Wehrdienst und Zivildienst schreiben wollen, werden Sie bei dieser Forderung, falls Sie sie zum Gesetz erheben wollen, auf unseren erbitterten Widerstand stoßen. Die Sicherheit unseres Landes werden wir nicht aufs Spiel setzen. Wir werden eine Wahlfreiheit zwischen Wehrdienst und Zivildienst nicht zulassen.
Hier wissen wir das höchste deutsche Gericht an unserer Seite. Schon 1977 wurde das Postkartenverfahren der damals sozialdemokratisch geführten Bundesregierung als verfassungswidrig zurückgewiesen und vom Bundesverfassungsgericht erklärt, der Ersatzdienst sei keine alternative Form für die Erfüllung der Wehrpflicht, sondern er sei nur Wehrpflichtigen vorbehalten, die den Dienst mit der Waffe aus Gewissensgründen verweigerten.
Ich möchte auch noch etwas zum Bund der Deutschen Katholischen Jugend sagen. Als ehemaliger Pfarrjugendführer der Katholischen Jugend schäme ich mich wegen der schlimmen Vorgänge bei der letzten BDKJ-Hauptversammlung, bei der der gesamte Bundesvorstand wegen Intoleranz und Dogmatismus einzelner Verbände, an deren Spitze wie immer die Katholische Junge Gemeinde steht, zurückgetreten ist.
({1})
Diese Fundamentalisten, Herr Kollege Gilges, der Jungen Gemeinde halten offensichtlich nichts von einer wirklichen Gewissensentscheidung, wie sie unser Grundgesetz vorsieht. Für sie ist die Wehrdienstverweigerung der allein zulässige Dienst für den Frieden. Dies weisen wir entschieden zurück.
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- Hören Sie sich das ruhig an. Herr Gilges, wenn Sie wieder ruhig sind, werde ich weiter sprechen.
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Diese unglaubliche Haltung, die nur so von moralischem Hochmut strotzt, diskriminiert die vielen Wehrpflichtigen und Soldaten bei ihrem friedenssichernden Dienst für dieses Land.
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Für uns - das sage ich mit voller Betonung - ist Wehrdienst Friedensdienst. Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland hängt entscheidend davon ab, ob genügend Wehrpflichtige ihren Dienst in der Bundeswehr ableisten. Ich betone nochmals: Die Wehrdienstverweigerung bleibt nur die Ausnahme.
Wir werden uns bei unseren Bemühungen im Bereich der Friedenssicherung auch nicht auf den Erfolg oder Mißerfolg eines Mannes in Moskau verlassen dürfen. Weiterhin muß sich unsere Sicherheitspolitik an den realistischen Fakten in Europa wie in der Welt orientieren. Wir werden auch nicht akzeptieren, daß der Zivildienst immer mehr zur leichteren Alternative wird. Die leichte Alternative zum Wehrdienst darf auch im Interesse der vielen Wehrpflichtigen, die z. B. nicht Heimschläfer sind, die in der Zukunft verstärkt zu Wehrübungen herangezogen werden müssen, nicht länger hingenommen werden. Die Dauer des Zivildienstes wird daher nach der Verlängerung des Wehrdienstes auf 18 Monate einen Zeitraum von 24 Monaten in Anspruch nehmen. Damit schaffen wir bereits frühzeitig Rechtssicherheit für die jungen Menschen.
Zum Schluß möchte ich mich bei den vielen Zivildienstleistenden bedanken, die ihren Beitrag in Altenheimen, in Behinderteneinrichtungen sowie anderen sozialen Bereichen leisten. Ich möchte mich aber auch ganz nachdrücklich bei den vielen Wehrpflichtigen bedanken, die ihren Dienst in der Bundeswehr Jahr für Jahr versehen. Gerade sie garantieren mit ihrem Beitrag für den Frieden auch das Recht auf Wehrdienstverweigerung.
Herzlichen Dank.
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Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Das Wort nach § 30 der Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Jaunich erbeten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Eimer hat, wohl offensichtlich bezogen auf mich und meine Zwischenrufe, den Vorwurf der Primitivität erhoben. Ich weise das hiermit zurück.
Erstens. Zwischenrufe sind eine parlamentarische Usance. Das sollten wir auch gelten lassen, wenn sie einmal nicht passen.
({0})
Zweitens sollten meine Fragestellungen an Sie Ihnen die Gelegenheit zur Klarstellung geben. Ich wollte Sie mit meinen Zwischenrufen befragen, ob es denn tatsächlich so ist, daß die Verlängerung des Zivildienstes, also die Drittel-Automatik, in Koalitionsvereinbarungen gegen die Zustimmung der Unionsfraktion zur Aufnahme des Umweltschutzes als Staatszielbestimmung ins Grundgesetz ausgetauscht worden ist. Dies war der Gegenstand meiner Zwischenrufe.
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Meine Damen und Herren, wir haben noch den Gesetzentwurf zu überweisen.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Das Haus ist damit einverstanden. - Dann ist das so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 20. Mai 1988, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.