Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die heutige Tagesordnung wird gemäß § 39 unserer Geschäftsordnung um den Zusatzpunkt „Einspruch des Abgeordneten Thomas Wüppesahl gegen den am 21. April 1988 erteilten Ordnungsruf" erweitert. Über diesen Einspruch stimmen wir heute mittag gegen 13.15 Uhr nach dem Tagesordnungspunkt 16 ab.
Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 4 auf: Aktuelle Stunde
Auswirkungen der Vorhaben der Bundesregierung zur Strukturreform im Gesundheitswesen
Diese Aktuelle Stunde ist von der Fraktion DIE GRÜNEN gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung verlangt worden.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Hoss.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion DIE GRÜNEN hat diese Aktuelle Stunde beantragt, weil ein grundlegender Unterschied zwischen dem, wie das Reformwerk „Strukturreform" angegangen worden ist, und dem, was dabei herausgekommen ist, besteht.
Dieses Gesetz hat den Kurztitel GRG,
({0})
Gesundheitsreformgesetz. Dieses Ziel ist völlig verfehlt. Man kann auch nicht sagen, daß es ein richtiges Kostendämpfungsgesetz ist. Wir GRÜNEN bezeichnen es vielmehr als ein Kostenumverteilungsgesetz, das die Oberen schont und den Unteren, den Bürgern, das Geld wegnimmt.
({1})
Herr Blüm, Sie haben den Mund reichlich voll genommen,
({2}) hier in diesem Hause und auch außerhalb.
({3})
Herr Blüm, Sie haben - ich zitiere Sie einmal - gesagt: „Eine richtige Reform geht nicht ohne den Solidarbeitrag der Pharmaindustrie." Der „Spiegel" meldete in einem Gespräch mit Ihnen noch im Dezember vergangenen Jahres Skepsis an. In diesem Gespräch mit dem „Spiegel" haben Sie das starke Wort benutzt: Vertrauen Sie auf die Kraft der Regierung.
({4})
Sie haben gesagt, daß alle Besitzstände angegangen werden müssen: Ärzte und Pharmaindustrie, Krankenhäuser, Kassen, Beitragszahler und Kranke. Übriggeblieben aber ist, daß Sie die Beitragszahler und die Kranken zur Kasse bitten, die Pharmaindustrie aber außen vor geblieben ist.
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Wo und wie - das will ich beweisen - wird der kleine Mann zur Kasse gebeten?
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Es beginnt damit, daß Sie sagen: Der Selbstbeteiligungssatz für jedes Medikament, für jede Verschreibung wird von 2 DM auf 3 DM erhöht, außerhalb der Festpreise.
Weiter kann man sagen, daß Festpreise, wenn Sie Glück haben, nur für etwa 30 % aller Medikamente in Betracht kommen und daß den Beitragszahlern hinsichtlich der 70 % der übrigbleibenden Medikamente eine prozentuale Selbstbeteiligung abverlangt wird, die zwischen 5 % und 15 % liegen wird. Das stellt eine erhebliche Belastung der Beitragszahler dar.
Sie erhöhen ferner den Selbstbeteiligungsbeitrag für Kosten zahnärztlicher Behandlungen auf 50 %.
({7})
Stellen Sie sich einmal vor, daß eine Kassenrechnung von 2 000 DM mit 1 000 DM Selbstbeteiligung belastet wird. Zu der Behandlung von Brillen, Hörgeräten und anderen Hilfsmitteln haben Sie sich im übrigen noch nicht ganz klar geäußert.
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Es werden Weichen gestellt, daß die bisherigen Sachleistungen, die von den Ärzten und Zahnärzten er5060
bracht werden, umgewandelt werden, daß die Kosten von den Patienten vorgestreckt werden müssen und das Geld dann erst von den Kassen zurückgezahlt wird. Sie haben zwar eine Regelung für Härtefälle eingebaut, aber dieser Härtefall hört da auf, wo man als Alleinstehender mehr als 1 232 DM verdient.
Es ist also keine Gesundheitsreform, sondern im wesentlichen eine Schröpfreform, und statt den medizinisch-industriellen profitorientierten Wachstumsbranchenkomplex Pharmaindustrie anzugehen, setzen Sie sich nur mit den Beitragszahlern, mit den Bürgern auseinander.
({9})
Herr Forster von der „Süddeutschen Zeitung" hat ganz recht, wenn er sagt: „Nach dem von der Koalition entworfenen Reformkonzept sind die 45 Millionen Versicherten noch stärker dazu verdonnert, die Gesundheitsbranche mit Einkommen zu versorgen." - Das ist auch das eigentliche Problem. Sie werden dagegen eine breite Opposition vorfinden. Gestern hat der DGB Ihnen, Herr Blüm, gesagt, daß er das ablehnt und daß eine oppositionelle Bewegung dagegen stattfinden wird. Das ist auch unsere Meinung.
({10})
Wir brauchen statt einer einfachen Reform, wie Sie sie vorschlagen, die die Kosten von oben nach unten urverteilt, eine wirkliche Gesundheitsreform, und diese muß sich daran orientieren, daß die übermäßige Medikamentierung abgebaut wird,
({11})
daß man anfängt, berufsübergreifende Gruppenpraxen, Teams auf regionaler, kommunaler Ebene zu organisieren, wo Ärzte, Ernährungsberater, Psychologen zusammenarbeiten, um wirkliche Gesundheitspolitik zu machen.
({12})
Das muß dahin zielen, daß man die Honorarabrechnung verändert und von der Einzelabrechnung für jede einzelne Handlung, die der Arzt verrichtet, zu einer pauschalen Ableistung für den Krankenschein übergeht, damit es dem Arzt um so besser geht, je gesündere Patienten er hat, und damit er nicht mehr um so mehr Geld verdient, je mehr Leistungen er erbringt, was auch einen gewissen finanziellen Anreiz darstellt.
({13})
- Ich komme zum Schluß.
Die Gesundheitsreform muß auch die Stärkung der Selbstverwaltungsorgane und vor allen Dingen solidarische Beiträge umfassen, so daß nicht diejenigen, die krank sind, mehr als diejenigen zahlen müssen, die das Glück haben, gesund zu sein, und das Risiko des Krankseins nicht individualisiert wird.
({14})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Becker.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich müßten wir den GRÜNEN dankbar sein, daß sie uns Gelegenheit geben, diese Reform hier in ihren positiven Teilen vorzustellen,
({0}) und davon hat sie eine ganze Menge.
({1})
Die erste Stufe der Reform im Gesundheitswesen ist auf dem Weg ins Kabinett und erreicht in Kürze das Parlament. Heute sind bis auf wenige Außenseiter alle davon überzeugt, daß eine Reform notwendig ist, daß wir diese brauchen, und nur über den Weg ist man sich nicht einig.
Die Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung sind davongelaufen. Vier Kostendämpfungsgesetze konnten die Beiträge nicht stabil halten. Seit 1985 steigen sie wieder an. 1988, also in diesem Jahr, bezahlen Arbeitnehmer und Arbeitgeber allein auf Grund dieser Beitragssatzsteigerungen der letzten drei Jahre über 13 Milliarden DM mehr an Beiträgen. Dies kann so nicht weitergehen. Daher müssen wir in der ersten Stufe dieser Reform mit dem Leistungsbereich beginnen, denn alle volkswirtschaftlichen Zuwächse brauchen wir in der Zukunft, um die Sicherung unseres Rentensystems zu gestalten.
In unserem Gesundheitssystem sind noch viele Wirtschaftlichkeitsreserven. Daher kann hier gespart werden. Daß hier gespart werden muß, sagen alle, auch die Sozialdemokraten.
({2})
Aber dann, wenn es ernst wird, feiert Sankt Florian leidvolle Urständ. Fast alle Alternativvorschläge fangen bei dem Nachbarn an, um die eigene Kasse zu schonen.
Wir wollen 14 Milliarden DM in der gesetzlichen Krankenversicherung einsparen.
({3})
Die Hälfte davon soll den Beitragszahlern zurückgegeben werden, Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Das hilft der Wirtschaft und stärkt den Verbraucherhaushalt. Die andere Hälfte geht zurück an den Patienten, einmal für mehr Vorsorge bei Herz-, Kreislauf-, Nieren- und Zuckerkrankheiten und bei der Zahngesundheit. Den größeren Teil sollen die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen für die häusliche Pflege erhalten. Es ist der besondere Vorteil dieses Entwurfs, daß er nicht nur nimmt, sondern auch gibt.
Meine Damen und Herren, das Konzept hat viel Kritik erfahren,
({4})
selten wohlmeinend und konstruktiv, sondern durchweg überzogen und diffamierend, mit Halbwahrheiten, ja Unwahrheiten gespickt. Die Vorteile der Strukturreform wurden verheimlicht. Was da an Horrorgemälden vom gläsernen Patienten, von der Monsterbürokratie, von Ausschnüffelung vorwiegend von LeiDr. Becker ({5})
stungserbringern vorgetragen wurde, haben wir schon lange nicht mehr erlebt.
({6})
Zuletzt wurden auch noch schamlos die Patienten mit eingespannt. Bei ihnen wurden Ängste und Verunsicherung geschürt. Das war völlig überzogen.
Die mündigen Bürger merken außerdem, wenn sie vor den Karren anderer Leute gespannt werden und in erster Linie deren Eigeninteressen in die Scheuern einfahren sollen.
Aber auch die Versichertenverbände haben hier überzogen. Sie merkten auch nicht - dies, Herr Hoss, ist Ihnen auch entgangen - , daß die lautstark vorgetragene Kritik der Leistungserbringer anzeigt, daß diese auch massiv mit zum Sparen herangezogen werden; denn die Belastungen in dieser Strukturreform werden ausbalanciert zwischen Patienten und Leistungsträgern.
({7})
Aber auch die Politik hat sich in solcher Weise hervorgetan: polemisch, unsachlich, oft meilenweit von der Realität entfernt. Was z. B. der stimmgewaltige Boß der SPD-Sozialpolitiker so alles verlautbaren ließ, erinnert an teutonische Rundumschläge oder an jenen tolpatschigen Gärtner, der in den Gemüsebeeten die zarten Pflänzchen einer aufkeimenden gemeinwohlzentrierten Gesprächsbereitschaft zertrampelt.
({8})
Aber das ist nicht neu. Das wird sich so wiederholen.
Wenn er allerdings meint, diese Koalition sei bei der Strukturreform am Ende ihres Lateins, dann irrt er sich gewaltig. Diese Koalition hat auch weiterhin die Kraft und den Mut, den zweiten und den dritten Schritt der Strukturreform mit der notwendigen Krankenkassenneuorganisation, mit dem Krankenhausbereich und den Überkapazitäten anzupacken. Sie wird eine Gesamtreform zur Verbesserung des Gesundheitswesens vornehmen, zu der den Sozialdemokraten in den 13 Jahren ihrer Regierungsmacht die Fähigkeit und auch der Mut und der Wille gefehlt haben.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Dreßler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heutige Aktuelle Stunde bietet die Gelegenheit, über ein Thema zu diskutieren, das die Bürgerinnen und Bürger seit Wochen bewegt und erregt. Wir reden über das, was CDU/CSU und FDP, insbesondere aber Herr Blüm seit geraumer Zeit mit dem Etikettenschwindel „Gesundheitsreformgesetz" präsentieren.
({0})
Geworden ist daraus nichts anderes als ein Abkassierungsmodell bei den Versicherten.
({1})
Ich erinnere daran, daß Sie zu Beginn dieser Legislaturperiode unter der noch anspruchsvolleren Überschrift „Strukturreform im Gesundheitswesen" gestartet sind. Diesen Titel haben Sie sehr schnell beiseite gelegt, und das war auch gut so; denn das, was Sie jetzt vorlegen, hat mit einer Strukturreform im Gesundheitswesen nichts, aber auch gar nichts zu tun.
({2})
Die Strukturen unseres Gesundheitswesens bleiben im wesentlichen unberührt. Alle Mängel bleiben, alle Fehler bleiben. Was Sie in Wirklichkeit vorhaben - und das wird von Entwurfsstadium zu Entwurfsstadium immer deutlicher - , ist eine Neuverteilung der finanziellen Lasten im Gesundheitswesen. Sie wollen die Versicherten noch mehr belasten - und hier vor allen Dingen die Kranken unter den Versicherten -, Sie wollen die Arbeitgeber entlasten, und Sie wollen die Leistungserbringer im Gesundheitswesen im wesentlichen schonen. Nichts beweist dies deutlicher als Ihr derzeitiger Entwurf.
({3})
Dieser Bundesregierung kommt es auf nichts Weiteres an als darauf, bei den einzelnen Versicherten - ich wiederhole: vor allen Dingen bei den Kranken - abzukassieren. Über 8 Milliarden DM wollen Sie in der Endphase Jahr für Jahr bei den Versicherten abkassieren. Der Inhalt der geplanten Gesetzesbestimmungen beweist, daß die Überschrift dieses Gesetzes - ich wiederhole sie: Gesundheitsreformgesetz - nichts weiter als Täuschung und Schwindel ist.
Als dieses Haus im Dezember des vergangenen Jahres über Ihre ersten Pläne im Gesundheitswesen diskutiert hat, was haben da Herr Blüm und seine Abkassierungshelfer nicht alles versprochen! Sie haben versprochen, daß dieses Gesetz den Deutschen Bundestag nicht erreichen werde ohne einen Solidarbeitrag der pharmazeutischen Industrie. 1,7 Milliarden DM sollte er betragen.
({4})
Wie sieht das heute aus? Schwindel! Von vorne bis hinten Schwindel!
({5})
Vom Solidarbeitrag, Herr Scharrenbroich, der pharmazeutischen Industrie ist keine Rede mehr. Eine Festbetragsregelung haben Sie versprochen, mit der sichergestellt werde, daß der einzelne Patient alles Notwendige ohne Zuzahlung erhalten werde.
({6})
Ja, Sie sind sogar noch weitergegangen und haben gesagt, die bisherige Selbstbeteiligung könne damit entfallen. „Genial" nannten Sie damals Ihre Idee, Herr Blüm.
({7})
Wie sieht das heute aus? Alles Schwindel!
({8})
Sozialdemokraten haben bereits Ende des letzten Jahres gesagt, daß das, was am Ende herauskommt, in Wirklichkeit ein Festzuschußmodell oder der breite Einstieg in die Selbstbeteiligung der Versicherten sein werde. Die Regelung bei den Arzneimittelfestpreisen, die Sie planen, beweist das schlagend. Die FDP hat den großsprecherischen amtierenden Arbeitsminister zum wiederholten Mal über den Tisch gezogen.
({9})
Macht es Sie eigentlich nicht nachdenklich, Herr Blüm, wenn überregionale Tageszeitungen Ihr Verhalten in dieser Koalitionsdebatte mit der FDP als das eines Tütenkaspers bezeichnen?
({10}) Macht Sie das nicht nachdenklich?
Ab 1. Januar 1991 soll nämlich gelten, daß überall dort, wo es bis dahin noch keine Festpreise gibt,
({11})
eine prozentuale Selbstbeteiligung mit einer Obergrenze von 15 DM eingeführt wird. Ich sage Ihnen: Bis zum 1. Januar 1991 werden Sie noch nicht einmal die Hälfte des Arzneimittelmarktes auf Festpreise umstellen können. Ergebnis: Es wird erneut bei den Versicherten abkassiert.
({12})
CDU-Generalsekretär Geißler, meine Damen und Herren, hat gesagt, die SPD habe zum Blumschen Gesetzentwurf keine Alternative.
({13})
Herr Geißler, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU,
({14})
hat recht. Zu diesem Gesetzentwurf wollen wir keine Alternative.
({15})
Wir wollen nämlich nicht sagen, wie man alternativ zu Herrn Blüm abkassieren kann. Sozialdemokraten, meine Damen und Herren, wollen eine wirkliche Strukturreform. Mit der werden Sie sich hier demnächst auseinandersetzen müssen.
({16})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit Verlaub, ein so komplexes Thema wie die Strukturreform im Gesundheitswesen in Form einer Aktuellen Stunde abwickeln zu wollen halte ich für abenteuerlich. Im
Grunde genommen kann man in Beiträgen von fünf Minuten nicht über strukturelle Veränderungen, die einen wesentlichen Teil unserer Gesellschaft betreffen, debattieren.
Es handelt sich, verehrte Kolleginnen und Kollegen, immer um dieselbe Grundfrage, die wir gestern bei der Steuerreform und auch im Zusammenhang mit der Finanzierung der Arbeitslosenversicherung diskutiert haben,
({0})
die Frage nämlich: Wie viele von den sauer verdienten Groschen der Bürger darf der Staat, darf die Sozialversicherung kassieren? Was sind die Aufgaben des einzelnen? Was muß der Staat, was muß die Solidargemeinschaft der Versicherten übernehmen? Da gibt es prinzipielle Unterschiede zwischen uns, die nicht zu leugnen sind.
Wir wollen, daß die Bürger so wenig wie möglich an Beiträgen zahlen. Wir wollen, daß den Bürgern das Geld möglichst in der Tasche bleibt, weil wir überzeugt sind, daß es da besser aufgehoben ist als beim Finanzamt, bei der AOK oder bei anderen Institutionen.
({1})
Sie meinen, eine Steuerentlastung sei ein Geschenk des Staates an die Bürger. Wir meinen, der Staat, die Sozialversicherung, eine Pflichtversicherung, müssen sich immer bewußt sein, daß sie das sauer verdiente Geld der Bürger ausgeben. Das ist der große Unterschied.
Es gibt noch eine weitere Paralelle zur gestrigen Diskussion: Alternativen haben Sie nicht. Sie versprechen, Sie wollten sie demnächst beschließen. Aber ernsthaft damit auseinandersetzen kann man sich nicht.
Verehrter Kollege Dreßler, Herr AfA-Vorsitzender,
({2})
machen Sie sich einmal bewußt, daß von 54 000 DM Bruttojahresverdienst schon 20 000 DM - ohne Berufsgenossenschaftsbeiträge - an die Sozialversicherung abgeführt werden. Von 1 DM sauer verdientem Bruttolohn, die 1,80 Kosten im Unternehmen auslöst, bekommt der Arbeitnehmer nur 60 oder 62 Pfennig, je nach Steuerbelastung, ausgezahlt. Da beschweren Sie sich, daß wir zuviel entlasten wollen.
({3})
Wir sagen ja zu einer Pflichtversicherung, aber wir definieren die Aufgaben neu. Wir möchten mehr Vorsorge durch die gesetzliche Krankenversicherung finanziert sehen, um Krankheiten zu vermeiden,
({4})
nicht reparieren, sondern heilen. Wenn Sie meinen,
die Vorlage wäre keine Strukturreform, dann fragen
Sie einmal diejenigen die sich mit der Problematik
Cronenberg ({5})
ernsthaft auseinandersetzen, z. B. dort wo Kostenerstattung eingeführt wird. Man mag die Kostenerstattung ja ablehnen, aber eine strukturelle Veränderung ist dies bestimmt. Wir definieren neu, was die Aufgabe der Versicherung ist, was sie bezahlen muß. Wir sagen mit den Festbeträgen nicht mehr und nicht weniger,
({6})
als daß die gesetzliche Krankenversicherung in Vertretung der Interessen der Versicherten und der Beitragszahler die Höhe dessen definiert, was die Kasse zu erstatten hat. Mir hat kein Mensch bisher klarmachen können, daß die Solidargemeinschaft der Versicherten bei vergleichbaren Produkten das teurere Produkt bezahlen muß, wenn sie es billiger haben kann. Das leuchtet mir bei Gott nicht ein.
({7})
Deswegen habe ich gesagt: Überall da, wo die Produkte vergleichbar sind, hat die Versicherung nicht mehr zu bezahlen als das, was preiswert angeboten wird.
({8})
- Ich mache nicht das Volk dumm, sondern Sie verdummen das Volk, Herr Kollege Egert. Das ist die Situation und der Unterschied.
({9})
Meine Damen und Herren, ich weiß und leugne nicht, daß manche der Maßnahmen unpopulär sind; das ist nicht zu bestreiten. Aber es kommt nicht darauf an, Populäres zu tun, sondern es kommt darauf an, Richtiges und Notwendiges zu tun.
({10})
Sie können sich darauf verlassen, daß wir uns bemühen werden, im Interesse der Versicherten, im Interesse eines freiheitlichen Gesundheitssystems mit freier Arztwahl und Therapiefreiheit und auch im Interesse derjenigen, die im Gesundheitswesen beschäftigt sind,
({11})
eine Strukturreform vorzulegen, die die notwendigen Leistungen ermöglicht,
({12})
aber auch mit materiellen Anreizen vernünftige Verhaltensweisen sowohl bei den Versicherten wie bei denjenigen, die Leistungen in diesem System erbringen, bewirkt.
Wir laden Sie ein, sich mit uns über diese Dinge sachlich auseinanderzusetzen. Aber ich habe auch die Bitte: Verzichten Sie auf üble Polemiken, wie wir sie in den letzten Tagen erleben mußten.
({13})
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herr Dr. Blüm.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Oft angezweifelt, mehrfach in Frage gestellt, und jetzt kommt sie: die Gesundheitsreform.
({0})
Die Opposition staunt und schimpft, die Koalition handelt - das ist das Kontrastprogramm.
({1}) „Abkassieren bei den Versicherten"?
({2})
Sagen Sie mir einmal, warum die Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Taxifahrer und Pharmaindustrie protestieren? „Die Oberen schonen" ? Sind die Pflegebedürftigen die Oberen? 6 Milliarden DM geben wir für die Ärmsten, für die Pflegebedürftigen aus.
({3})
Sind das die Oberen? Ist Ihre Optik schon so verdorben, daß Sie nicht merken, wem wir helfen?
({4})
Keine Mark, die wir sparen, geht den Versicherten verloren. Entweder erhalten sie sie als Beitragszahler oder als Patienten zurück. Wir sparen und handeln für die Versicherten.
({5})
Entweder erhalten sie das eingesparte Geld als Beitragssenkung, oder sie erhalten es als neue Leistung, nämlich für die Pflegebedürftigen, für die Vorsorge. Wir sparen nicht für uns, wir sparen nicht für den Staat; wir sparen für die Versicherten.
Wir müssen sparen. Das Gesundheitssystem platzt aus allen Nähten. Dreimal so schnell wie die Löhne sind die Ausgaben der Krankenversicherung seit 1960 gestiegen. Wenn wir nicht haltmachen - 13 Jahre hatten Sie doch gar keinen Mut; Sie hätten doch haltmachen können -,
({6})
würden die Beiträge die Löhne auffressen, die Arbeitsplätze vernichten. Insofern ist das, was wir machen, Lebensrettung für die Solidarität.
({7})
Es stimmt auch nicht - auch das sei gegenüber der Öffentlichkeit gesagt - : Je mehr Geld ausgegeben wird, um so mehr Gesundheit. - Das ist, finde ich, eine banale Formel. 1960 haben wir 1 Milliarde DM für Arzneimittel ausgegeben, jetzt geben wir 19 Milliarden DM aus. Will jemand behaupten, die Gesundheit wäre um das Neunzehnfache gestiegen, weil wir 19mal mehr Geld für Arzneimittel ausgeben?
({8})
1970 haben wir für Krankenfahrten 180 Millionen DM ausgegeben, heute geben wir 1,6 Milliarden DM aus. Will jemand behaupten, damals hätte es weniger Gehbehinderte oder mehr Autos als heute gegeben? Nein, wir sparen, weil es in diesem System Verschwendung und Überversorgung gibt. Wir bauen die Überversorgung ab, um Mangel zu beseitigen.
({9})
Unsere Krankenversicherung leidet an der Gefahr, daß sie zur großen Melkmaschine wird. Jeder bedient sich, nicht nur die Versicherten, auch die Anbieter. Jeder Preis kann gefordert werden, jeder wird bezahlt. Wir sind die Verwalter des Gemeinwohls. Das Geld, das ausgegeben wird, muß zweimal umgedreht werden, bevor es ausgegeben wird, damit wir das Geld für die wirklich Kranken haben. Denen muß geholfen werden. Ich versichere Ihnen: Wer krank ist, dem wird geholfen. Die Krankenversicherung ist für die Kranken da. Wir können der Ausuferung der Gesundheitswünsche nicht tatenlos zusehen, weil uns sonst das Geld fehlen würde, um das Notwendige zu bezahlen.
({10})
Insofern bin ich ganz ruhig: Viele Mitbürger haben das längst eingesehen.
({11})
Man braucht überhaupt nicht zu glauben, die Funktionäre würden immer die Meinung des Volkes wiedergeben. Das halte ich für einen großen Irrtum. In diesen Tagen erhalte ich Tausende von Briefen, in denen es heißt: Standhalten! Laß dich nicht verrückt machen von den Lobbyisten und von den Funktionären! ({12})
Deswegen schreien Sie ja so. Die Bürger sind viel klüger als die Funktionäre und die Lobbyisten.
({13})
Und das Originellste, meine Damen und Herren - ({14})
- Ich bedanke mich für den Vorschuß. Wollen wir das zu Protokoll nehmen? - Meine Damen und Herren, das Originellste dieser Reform ist in der Tat der Festbetrag. Das ist neu.
({15})
Sie sagen, das wäre keine Gesundheitsreform. Wenn nicht auf den ausgetretenen Pfaden Ihrer alten Klamotten etwas vorgelegt wird, glauben Sie, es wäre keine Reform. Der Festbetrag ist originell, das ist neu, und es verbindet auf originelle Weise Solidarität und Wettbewerb, denn solidarisch wird das Notwendige abgesichert. Sie können ganz sicher sein, daß ein ungeheurer Wettbewerbsdruck durch die Festbeträge ausgelöst wird. Ich verwette mein bescheidenes Vermögen, daß sich die Anbieter ganz schnell in der Nähe der Festbeträge niederlassen werden. Ich frage die Versicherten, weshalb wir, wenn ein Medikament
30 DM kostet und ein anderes 90 DM und beide gleich gut sind, mit unseren Pflichtbeiträgen das teurere Medikament bezahlen sollen. Wieso eigentlich? Wir bezahlen unter gleich guten Medikamenten das preiswerte.
({16})
Der Festbetrag hat jetzt zwei Jahre Vorsprung vor prozentualer Selbstbeteiligung. Wer keine prozentuale Selbstbeteiligung will, der muß sehen, daß in diesen zwei Jahren der Festbetrag möglichst weit kommt. Deshalb rufe ich die Selbstverwaltung auf: Wer mit mir prozentuale Selbstbeteiligung zurückdrängen will, der muß dafür sorgen, daß der Festbetrag in diesen zwei Jahren viel Gelände gewinnt. Mit gutem Willen kann die Selbstverwaltung in zwei Jahren mehr erreichen als in vier Jahren mit schlechtem Willen und Bequemlichkeit. Wir brauchen im übrigen eine energische Selbstverwaltung, denn wenn die Selbstverwaltung nicht handelt, dann darf sich niemand beschweren, wenn dann mehr Staat kommt.
({17})
Den Gedanken des Solidarbeitrags habe ich keinesfalls aufgegeben. Jubeln Sie doch nicht so früh. Aber der Solidarbeitrag ist ja keine Sache der Gesetzgebung. Wenn - was die Pharmaindustrie behauptet - unser Festbetrag bereits im ersten Schritt dreimal soviel spart, wie wir selber geschätzt haben, dann wäre der Solidarbeitrag überflüssig. Im übrigen gibt es ganz originelle Vorschläge aus der Pharmaindustrie, beispielsweise in Richtung auf Werbebeschränkungen, oder den Vorschlag, daß man auch über Pakkungsgrößen verhandelt, was wir ja tun wollen. Zum erstenmal sind wir einen Schritt weitergekommen.
Aber, meine Damen und Herren von der SPD, wenn Sie sich in Sachen Solidarbeitrag üben wollen, dann üben Sie einmal in der eigenen Fraktion. Ihr angesehener Kollege Hermann Rappe - ({18})
- Mal langsam! Bevor Sie sich an mich wenden, schaffen Sie erst einmal Ordnung in Ihren eigenen Reihen. Ihr angesehener Kollege Hermann Rappe sagt, Preisstillhalteabkommen wären bereits ein Solidarbeitrag der Pharmaindustrie. Meine Damen und Herren, mehr kann man das Gemeinwohl eigentlich nicht im Stich lassen. Das ist der pure Egoismus, und Herr Rappe ist der Schutzpatron der Egoisten. Fangen Sie doch deshalb erst einmal bei sich an!
({19})
Preisstillhalteabkommen! Meine Damen und Herren, wir haben keine Inflation. Was ist denn da ein Preisstillhalteabkommen für eine besondere Leistung? Was ist denn das eigentlich? Ich sage noch einmal: Wenn der Festbetrag dreimal so hoch ist - ({20})
- Sprechen Sie eigentlich jetzt? Frau Präsidentin, wer hat gerade das Wort? Wenn ich das Wort habe, wäre ich dankbar, wenn ich auch reden dürfte.
Meine Damen und Herren, in der Tat, es ist etwas schwierig, wenn Zwischenrufe zu stark kommen. Lieber Herr Egert, hier muß man sich in der Aktuellen Stunde etwas zurückhalten.
({0})
Ich bin Ihnen dankbar.
Herr Minister, Ihnen ist jetzt eine Minute zugegeben.
({0})
Das Eis des Lobbyismus bricht. Ich bin ganz sicher, daß das Gemeinwohl eine Chance hat. Ich will auch in dieser Debatte darauf hinweisen, daß wir das Geld nehmen, um denen zu helfen, die in diesem Sozialstaat in Gefahr sind, vergessen zu werden: den Pflegebedürftigen. Schon mit Inkrafttreten des Gesetzes vier Wochen Urlaub für die Pflegeperson!
({0})
- Was heißt unglaublich? Vier Wochen Urlaub für die Pflegeperson! Da ist eine Frau, die ihre Mutter pflegt. Da ist ein Mann, der sein Kind pflegt. Vier Wochen Urlaub machen! Dann ist das noch unglaublich? Das ist Sozialpolitik mit Herz. Seid ihr denn schon so borniert, daß ihr das nicht für einen Fortschritt haltet? Liebe GRÜNE, seht ihr nicht, daß das für die armen Leute ist
({1})
und daß wir zwei Jahre nach Inkrafttreten der Strukturreform zum erstenmal in der Geschichte etwas für die Pflegebedürftigen tun? Sie reden. Sie haben immer nur darüber geredet. Große Programme, große Papiere! Wir handeln zum erstenmal für die Pflegebedürftigen. Dafür haben wir gespart. Das sind die Ärmsten. Die haben keine Lobbyisten. Die schreien nicht auf Marktplätzen herum. Wir arbeiten für die, die nicht protestieren können. Wenn wir uns nach den Protestierenden richten würden, wäre der Sozialstaat am Ende.
Nun, meine Damen und Herren, wir werden noch ausreichend Gelegenheit haben, die Sache zu diskutieren. Ich freue mich auf die Diskussion. Da wird die SPD einmal vorführen müssen, was ihre Vorschläge sind. Außer Kritik nichts gewesen!
({2})
Meine Damen und Herren, das Wort hat Minister Heinemann, Nordrhein-Westfalen.
({0})
Minister Heinemann ({1}): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich frage mich immer, Herr Kollege Blüm, woher Sie den Mut nehmen, mit Falschdarstellungen den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Lande etwas vorzumachen.
({2})
Der Berg kreißte, und heraus kam bei Ihnen wieder eine Maus. Der deutschen Öffentlichkeit wurde ein Jahrhundertreformwerk unseres Gesundheitssystems angekündigt, und heraus kam ein Kostendämpfungsgesetz, das die Strukturen unseres Gesundheitswesens weitgehend unangetastet läßt.
Dabei ist gerade die durchgreifende Reform dieser Strukturen, zu denen vor allen auch die erkennbaren Überkapazitäten im Gesundheitswesen gehören, überfällig. Allein hier liegt auch der Schlüssel, um auch für die Zukunft neuen Kostenexplosionen im Gesundheitswesen vorzubeugen. Dabei ist es schon fast eine Verhöhnung der 45 Millionen Versicherten, wenn jetzt mit dem Stichwort der angeblichen Gleichgewichtigkeit der Lasten einerseits der Eindruck erweckt wird, Versicherte und Gesundheitsanbieter hätten sich im gleichen Umfang zum eigenen Vorteil im Selbstbedienungsladen Krankenversicherung bedient, und andererseits so getan wird, als ob jetzt auf beiden Seiten gleichermaßen die Quittung für solches Verhalten präsentiert würde.
Natürlich gab und gibt es immer einige, die für ihre Krankenversicherungsbeiträge auch möglichst viele Leistungen erhalten wollen. Aber die große Masse der Versicherten geht doch nicht zum Arzt, damit möglichst hohe Kosten entstehen und sich der Krankenkassenbeitrag auch lohnt. Die gehen zum Arzt, wenn sie krank sind. Die Kosten, die hier entstehen, kann der einzelne dann nicht mehr steuern. Ich verstehe nicht, warum Sie immer die Versicherten beschimpfen, sie schmissen tonnenweise Medikamente in den Müll, und nicht den Ärzten sagen, sie sollten weniger verschreiben.
({3})
Sie beschimpfen immer die Falschen, die Bürgerinnen und Bürger.
({4})
Der Masse der Versicherten kann doch nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn Gesundheitsanbieter und Gesundheitsindustrie Jahr für Jahr ihren Umsatz ausweiten. Das sind doch die eigentlichen Gründe, Herr Blüm, für die Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Im Entwurf der Koalition sucht man für diese Entwicklung vergeblich nach einem Korrektiv.
({5})
Minister Heinemann ({6})
Was die Ausgewogenheit der jetzigen Kürzungen angeht: Zur Kasse werden einzig und allein die Versicherten gebeten, die Gesundheitsanbieter bleiben ungeschoren.
({7})
Die Selbstbeteiligung der Versicherten hat schon in der Vergangenheit fast 6 Milliarden DM im Jahr erreicht. Sie legen noch einmal mehr als 8 Milliarden DM drauf. Was hat das mit einer ausgewogenen Lösung zu tun?
({8})
Wir haben in Nordrhein-Westfalen andere Wege gesucht, um Überkapazitäten im Gesundheitswesen abzubauen. Das gilt z. B. für unsere bedarfsgerechten Umwidmungen und teilweise Reduzierung der Zahl der Krankenhausbetten. Der Bundesarbeitsminister fordert von Nordrhein-Westfalen zwar immer gern markig, den Abbau von Krankenhausbetten voranzutreiben.
({9})
Aber wenn es dann beim Bettenabbau, Herr Kollege Blüm, wie jetzt in Ostwestfalen zum Schwur kommt, geben Sie dagegen eine Presseerklärung heraus, die mit dem wirklich lächerlichen Spruch beginnt: „Es darf kein Bett abgebaut werden, in dem ein Kranker liegt. "
({10})
Das brauchen Sie mir nicht zu sagen, Herr Blüm. Das weiß auch ich. Zunächst einmal muß der Kranke aus dem Bett genommen werden, dann kann man das Bett abbauen.
Sie behindern sinnvolle Maßnahmen, um damit für sich parteipolitische Vorteile einzukalkulieren.
({11})
Warum geht die Bundesregierung eigentlich nicht auf unseren Vorschlag ein, die Zulassung zur Kassenpraxis auf das 65. Lebensjahr zu begrenzen? Da müßte man etwas tun. Dann hätte Ihre Reform den Begriff Strukturreform verdient. Gerade in diesem Bereich, der öffentlich-rechtlich finanziert wird, wird überhaupt keine Altersgrenze vorgegeben. Hier müßten Sie etwas tun. Wir haben 12 000 arbeitslose junge Ärzte. Sonntags reden Sie davon, den jungen Menschen eine Chance zu geben, und montags machen Sie eine Politik, die es verhindert, daß diese Menschen in einen Beruf kommen.
({12})
Ich erinnere aber auch an meinen Vorschlag, die Medikamentenkosten mit einer Positivliste zu senken. Eine vollständige Positivliste könnte mit zirka 3 000 bis 5 000 unterschiedlichen Arzneimitteln auskommen. Das entspricht dem Standard der Schweiz. Dort sind die Menschen mit Sicherheit auch nicht kranker, als das bei uns der Fall ist.
({13})
Hier, Herr Becker, könnte man sparen, ohne den Versicherten zu belasten, was Sie ja vorhin eingeklagt haben.
({14})
Der Vorschlag der Bundesregierung, über Arzneimittelfestbeträge zu Einsparungen zu kommen, ist demgegenüber zum Scheitern verurteilt.
Was Sie in Wahrheit wollen, ist ein massiver Ausbau der Selbstbeteiligung bei Arzneimitteln. Ab 1991 werden die Versicherten für Medikamente, für die keine Festbeträge festgestellt werden können - und das wird die Masse sein - , einen hohen Anteil zuzahlen müssen. Dafür wird die Industrie, die Ihnen bei dieser Passage wohl die Hand geführt hat, schon aus Wettbewerbsgründen sorgen. Aber dann hat es wohl schon Wahlen in Bonn und Düsseldorf gegeben. Sie hoffen, daß Sie dann über die Runden gekommen sein werden; denn Sie schieben hier das Wirksamwerden Ihrer Reform wie in anderen Fällen auch auf die Zeit nach 1990 hinaus, weil Sie Angst vor der Reaktion der Bevölkerung haben.
Was uns heute als sogenannte Gesundheitsreform präsentiert wird, führt zu einer weiteren Entsolidarisierung unserer Bevölkerung. Mancher wird aus finanziellen Gründen auf ein Stück Gesundheit und Wohlergehen verzichten müssen. Der Entwurf wird weder den Hunderttausenden von Menschen, die verantwortungsvoll und oft unter Opfern im Gesundheitswesen arbeiten, noch den Versicherten gerecht. Das nenne ich, Herr Kollege Blüm, eine Mogelpakkung. Sie werden in die Geschichte als der Arbeitnehmerbelastungsminister eingehen. Wenn noch die Karenztage eingeführt würden, wären wir um 30 Jahre zurückgeworfen.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Seehofer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stelle noch einmal fest: Diese Bonner Koalition ist die einzige Kraft, die bis zum heutigen Tage ein geschlossenes Gesamtkonzept zur Gesundheitsreform vorgelegt hat.
({0})
Ich habe mir, Herr Dreßler, noch einmal Ihre Leitsätze durchgelesen, die jetzt im Entwurf vorliegen.
({1})
Darin ist keine Rede von Ausgabenbegrenzung, sondern von der Beschaffung zusätzlicher Einnahmen, indem Sie die Versicherungspflichtgrenze erhöhen wollen. Das bedeutet im Klartext: Versicherungspflicht für alle Arbeiter und Angestellten. Sie wollen die Beitragsbemessungsgrenze erhöhen, d. h. zusätzliche Einnahmen für die Krankenkassen, aber keine Ausgabenbegrenzung.
Dann wollen Sie in perfekter staatlicher Planung diese zusätzlich erzielten Einnahmen über - wie es heißt - soziale Gemeindezentren und sozialmedizinische Regionalzentren wieder nach außen verteilen. Das ist typische sozialistische Planbürokratie, Herr Dreßler. Das ist sozialpolitisch ein Rückschritt, und ein Rückschritt ist keine Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit.
({2})
Meine Damen und Herren, der größte Block bei den Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung ist mit 40 Milliarden DM das Krankenhaus. Deshalb drängt sich natürlich die Frage auf: In welchem Umfang ist die stationäre Behandlung in diese Strukturreform einbezogen? Dazu muß man drei Bemerkungen machen.
Erstens. Herr Egert, der Gesetzgeber hat 1984 und 1985 das gesamte Krankenhausfinanzierungsrecht novelliert. Seine wichtigsten Bestimmungen sind erst 1986 in Kraft getreten. Es wäre wenig sinnvoll, wenn wir bei Maßnahmen, die tiefgreifende Umstellungen der Krankenkassen und Krankenhäuser erfordern, bereits nach nicht einmal einem Jahr der Anwendung als Gesetzgeber wieder alles in Frage stellen würden. Wir haben hier 1985 bereits einen Vorgriff auf diese Strukturreform bezüglich des Krankenhauses durchgeführt.
Zweitens. Wir sind bereit und haben dies auch vor, im Zuge dieser Strukturreform neue Maßnahmen durchzuführen, die die alten Instrumente zunächst einmal nicht tangieren. Die wichtigste Maßnahme ist hier eine Preisvergleichsliste bei den Krankenhäusern, die sicherstellen soll, daß der Patient im Regelfall in das preiswerteste Krankenhaus geht.
Hinzu kommt die Stärkung der vorstationären Diagnostik und der nachstationären Behandlung. Denn ich glaube, es ist billiger und menschlicher, weniger stationär und mehr ambulant zu machen.
({3})
Das dritte ist ein Kündigungsrecht der Krankenkassen bezüglich unwirtschaftlicher Krankenhäuser, wobei wir aber an der Planungshoheit der Länder festhalten, weil wir glauben, daß ein Punkt, der für alle Infrastruktureinrichtungen selbstverständlich ist, für die Kindergärten und für die Schulen, erst recht für die Krankenhäuser gelten muß, nämlich daß die Politik, die Landespolitik, die letzte Entscheidung darüber hat, wo ein Krankenhaus mit welcher Versorgungsstufe steht. Denn die Menschen kommen im Falle einer Stillegung eines Krankenhauses nicht zum Geschäftsführer der AOK, sondern zum Politiker. Deshalb sind wir der Auffassung, daß derjenige, der die politische Verantwortung trägt, auch die Entscheidungsbefugnis für den Standort der Krankenhäuser haben muß.
({4})
Ich bin der festen Überzeugung, daß die Absicherung der Familienpflege ein wesentlicher Beitrag dazu ist, daß die sogenannte Fehlbelegung der Akut
krankenhäuser mit Pflegefällen zurückgeführt werden kann.
({5})
Ein dritter Punkt zum Krankenhaus: Wir haben uns in der Koalition darauf verständigt, daß nach Vorlage des Krankenhausberichts der Bundesregierung Ende 1988 die Frage der wirtschaftlichen Betriebsführung in den Krankenhäusern in einem eigenen Verfahren neu aufgerufen wird. Wir wollen einmal sehen, was mit den Instrumenten aus den Jahren 1985 und 1986 geworden ist.
Ich denke also, es kann keine Rede davon sein, daß das Krankenhaus aus den Kostendämpfungsbemühungen dieser Koalition ausgenommen ist.
Diese Gesundheitsreform ist ein ganz wesentlicher Meilenstein, um auch künftig ein leistungsfähiges und finanzierbares Krankenversicherungssystem zu haben. Ich füge hinzu, es wäre blanke Illusion,
({6})
wenn man glauben würde, mit diesem Schritt wären wir bereits am Ziel. Wir brauchen weitere Schritte. Dazu gehört auch das Krankenhaus.
({7})
Ich möchte nur eines anfügen, was aus meiner Sicht das alles Entscheidende beim Krankenhaus in der zukünftigen Diskussion sein wird. Wir haben in den letzten zehn Jahren 50 000 Betten in Deutschland abgebaut. Die Verweildauer ist im Durchschnitt von 17 auf 13 Tage zurückgegangen. Dennoch sind die Kosten überproportional gestiegen, weil die Zahl der Krankenhausfälle in den letzten drei Jahren um 850 000 zugenommen hat.
Das heißt, wir haben in der Bundesrepublik Deutschland in weniger Betten mit kürzerer Verweildauer immer mehr Patienten. Deshalb müssen wir hier das Bewußtsein und auch die Verordnungsweise der Ärzte umkehren, nämlich weniger stationär und mehr ambulant zu behandeln. Sonst wird das Ganze nicht mehr finanzierbar.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Kirschner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Blüm und Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, können sich noch so oft mit hörbaren Erleichterungsseufzern dahin gehend äußern, Sie hätten die Hürden zu einem Entwurf für ein, wie Sie es nennen, Gesundheitsreformgesetz überwunden.
({0})
Über was Sie sich in der Koalition geeinigt haben, wird jedoch nicht im entferntesten dem Anspruch eines Gesundheitsreformgesetzes gerecht.
({1})
Sie behaupten, Herr Bundesarbeitsminister, Sie würden in der sozialen Krankenversicherung die Solidarität neu bestimmen. Das ist eine Irreführung der Öffentlichkeit, wie Sie selbst wissen.
({2})
Wenn Sie von Solidarität reden, dann heißt das für die Versicherten im Klartext: die Abschaffung des Sterbegeldes.
({3})
Sie können sich anscheinend gar nicht in die Situation der Arbeiterfamilie, der durchschnittlichen Angestellten- oder Beamtenhaushaltsfamilie hineindenken. Sonst könnten Sie nicht, wenn ein Todesfall eintritt, bei dem persönlichen Leid, bei den finanziellen Problemen, die nicht zuletzt durch die Beerdigungskosten entstehen, eine der ältesten Geldleistungen der Krankenversicherung, das Sterbegeld, streichen.
({4}) Das ist Ihre hochgepriesene Reform.
Damit es klar ist: Wir Sozialdemokraten lassen uns nicht vor den Karren derer spannen, die aus durchsichtigen, eigennützigen wirtschaftlichen Gründen ihre Proteste artikulieren, gegen eine von uns eindeutig als notwendig erachtete Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung. Es geht uns Sozialdemokraten ausschließlich um die Interessen der Versicherten und Patienten, die über Jahrzehnte mit ihren Beiträgen Rechtsansprüche erworben haben und denen Sie nun, Herr Bundesarbeitsminister, mit ihrem geradezu verhöhnenden Solidaritätsbegriff Leistungen wegstreichen oder die Sie durch höhere Selbstbeteiligung zusätzlich zur Kasse bitten.
({5})
Ich darf, Herr Bundesarbeitsminister, meine Damen und Herren von der Koalition, an dieser Stelle ein paar treffende Zeitungsausschnitte der letzten Tage zu Ihrem Entwurf zitieren:
({6})
Durch Selbstbeteiligung in eine andere Versicherungswelt.
({7})
Die Strukturreform im Gesundheitswesen schwächt den Solidaritätsgedanken.
So heißt es in der „Süddeutschen Zeitung" ; die kommt aus Ihrer Heimat, Herr Seehofer. In der „Frankfurter Rundschau" heißt es: „Blüms Minireform" ; in der „Osnabrücker Zeitung" : „Mehr Nachteile". Heute steht in der „Zeit": „Gewaltkur ohne Wirkung". Ich glaube, dem ist nichts mehr hinzuzusetzen.
Ihrem in monatelangem internem Gerangel ausgehandelten Koalitionskompromiß fehlt die Zielorientierung, deren unser Gesundheitswesen so dringend bedarf.
Herr Bundesarbeitsminister, Sie sagen: Wir handeln. Ihre Politik zielt nicht auf die Ursachen und die Beseitigung der Mängel unseres Gesundheitswesens, sondern auf deren Folgen und damit in Ihrer Sicht auf die Patienten. Ich frage Sie: Wo ist Ihr Konzept, um die
Unwirtschaftlichkeit, deren Ursachen entscheidend in den Überkapazitäten unseres Gesundheitswesens zu suchen sind, in den Griff zu bekommen? Eine Gesundheitsreform, die nicht bei der Primärprävention, d. h. der Beseitigung der krankmachenden Faktoren, soweit dies möglich ist, ansetzt, verdient diesen Namen nicht. Sie bieten keine Lösungen an, um die schwerwiegenden Verwerfungen der Krankenkassen im Mitgliedsleistungs- und Beitragsrecht zu beseitigen. Sie klammern den Krankenhausbereich ebenso aus wie die Psychiatrie und die Geriatrie.
({8})
- Sie haben selber begründet, warum sie nur diesen Teil drin haben. Wir werden uns darüber unterhalten.
({9})
- Na hör mal. Ich kenne das, besser als mancher, der hier losschreit.
Herr Bundesarbeitsminister, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, Sie zielen mit Ihrem Entwurf lediglich auf die Folgen einer ungesteuerten Gesundheitswirtschaft. Das heißt nach Ihrem Entwurf letzten Endes: abkassieren in Milliardenhöhe bei den Versicherten. Um es noch einmal klar und deutlich zu sagen: Sie betreiben mit Ihrem bis jetzt vorgelegten Entwurf weder eine Gesundheitspolitik
({10})
noch eine sinnvolle Kostendämpfung, sondern nichts anderes als eine massive Selbstbeteiligung der Versicherten, was nichts anderes bedeutet, als daß die Versicherten zusätzlich in Milliardenhöhe zur Kasse gebeten werden.
Ein weiteres ist heute schon abzusehen. Durch den Einstieg in die Pflege - damit das klar ist: das wird von uns Sozialdemokraten als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gefordert - wird ein finanzieller Sprengsatz bei den Kassen gelegt, der allein auf Grund der demographischen Entwicklung neue Ausgabenbelastungen der gesetzlichen Krankenversicherung mit entsprechenden Beitragserhöhungen nach sich ziehen wird. Darüber müssen Sie sich im klaren sein: Das, was Sie als Reform des Gesundheitssystems bezeichnen, verdient diesen Namen nicht.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Thomae.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Bundesrepublik Deutschland gibt es eine medizinische Versorgung, die im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz einnimmt. Der medizinische Fortschritt kommt allen
zugute. Wir haben freie Arztwahl, wir haben Therapiefreiheit.
({0})
Niemand wird aus Einkommensgründen von der notwendigen medizinischen Versorgung ausgeschlossen. Dies muß so bleiben, und dies ist abgesichert.
Wir machen uns Sorgen, daß einerseits mit einem weiteren Anstieg der Pflichtbeiträge die Entscheidungsfreiheit der Versicherten über ihre Einkommensverwendung eingeschränkt wird und andererseits die Lohnnebenkosten so ansteigen, daß sich die Wettbewerbschancen der deutschen Unternehmen verschlechtern. Wir wollen diese Reform, damit hier nicht englische oder schwedische Verhältnisse entstehen,
({1})
damit kein staatliches Gesundheitssystem entsteht.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sind mit Ihren Positivlisten, mit Ihrer Budgetierung und mit den von Ihnen favorisierten weitgehenden staatlichen Eingriffen auf dem Wege dorthin. Wollen Sie wirklich ein System wie in England, wo Sie unerträglich lange warten müssen, bis eine Operation durchgeführt werden kann?
({2})
Wollen Sie wirklich ein System, wo ab einer bestimmten Altersgrenze eine Operation nicht mehr möglich ist? Finden Sie dieses System human und nachahmenswert?
Wir wollen durch diese Strukturreform nicht nur die Wirtschaftlichkeit des Krankenversicherungssystems verbessern und den Solidarausgleich erhalten, sondern wir wollen diesen selbst in Richtung einer größeren Bedarfsgerechtigkeit bei gleichzeitig zunehmender individueller Handlungs- und Wahlfreiheit erweitern.
({3})
Es ist nicht gerechtfertigt - das wissen Sie selbst, verehrte Damen und Herren der Opposition - , hier abfällig nur von Kostendämpfung zu sprechen.
({4})
Wir haben marktwirtschaftliche Steuerungselemente sowohl auf der Seite der Anbieter als auch auf der Seite der Nachfrager eingebaut. Dies sind beispielsweise Festbeträge. Festbeträge - das sagen alle Experten - werden mindestens bis zu 60 % des Volumens des Arzneimittelmarktes eingeführt.
({5})
Ich nenne ferner: Selbstbeteiligung, Kostenerstattungen, Beitragsrückgewähr und Bonusregelungen. Die Festbetragsregelung zwingt die Leistungserbringer zu mehr Wettbewerb. Die Selbstbeteiligung, die Kostenerstattung, die Beitragsrückgewähr und die Bonusregelungen für die Versicherten führen zu mehr Eigenvorsorge und Eigeninitiative. Dies wollen wir.
({6})
Wir fordern keine Selbstbeteiligung in einer Größenordnung, die im Krankheitsfalle die Finanzkraft des einzelnen übersteigt. Wir wollen nicht, daß er der Allgemeinheit zur Last fällt. Nein, dafür haben wir ausgewogene Härte- und Überforderungsklauseln eingebaut.
Ich meine, wer heute Spitzenreiter bei den Auslandsreisen ist, wer so viel Geld für das Auto ausgibt, wer sogar jedes Restrisiko beim Auto durch bereitwillige Zuzahlung von Vollkaskoprämien abdeckt,
({7})
der kann auch mehr Verantwortung für seine Gesundheit übernehmen.
({8})
Diese Strukturreform sichert darüber hinaus den Vorrang der Selbstverwaltung, die Ausgewogenheit beim Datenschutz, die Stärkung des ambulanten Sektors, und über die Wirtschaftlichkeitsprüfungen werden auch andere Leistungsanbieter zur Kasse gebeten. Maßnahmen bezüglich der Kassenstruktur und des Krankenhauses werden folgen. Wir werden dann hier eine Reform für eine neue Gesamtstruktur vorlegen können.
({9})
Diese Strukturreform sichert allen Beteiligten mehr Freiheit, mehr Selbstverantwortung und mehr Möglichkeit zu Eigeninitiative. Das ist unser Ziel.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Unruh.
Frau Präsidentin! Werte Volksvertreter und -vertreterinnen! Daß Pflegeleistungen seit vielen, vielen Jahren überfällig sind, steht in der Bundesrepublik Deutschland außer Frage. Minister Blüm macht einen Einstieg, nur leider den falschen. Das kommt den Pflegebedürftigen nur indirekt zugute, weil Sie den Angehörigen etwas Gutes tun wollen. Dafür sind natürlich 7 Milliarden DM viel zu hoch. Vor allen Dingen haben Sie Kranke gegen Pflegebedürftige umverteilt. Dem können wir GRÜNEN natürlich nicht zustimmen. Gucken Sie sich unseren Pflegegesetzentwurf an, der kostet nur 10 Milliarden DM.
({0})
- Natürlich, Sie wollen doch 7 Milliarden DM für einen ganz, ganz kleinen Bereich ausgeben. Nehmen Sie unseren Pflegegesetzentwurf mit 10 Milliarden DM, und Sie haben den Pflegebedürftigen, egal, ob sie zu Hause sind oder in irgendein Heim müssen, egal, von wem sie sich pflegen lassen, echt geholfen.
Das ist Zukunft, nicht immer wieder das Übertupfen von irgendwelchen Geldern. Geben Sie es den Niegebedürftigen auf die Hand, dann haben Sie ein Jahrhundertwerk erreicht.
Danke.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Günther.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aktuellen Stunden sind offensichtlich neuerdings sehr geeignet, in kurzen Beiträgen Falschmeldungen in die Welt zu setzen.
({0})
Dies haben wir mit der Steuerreform erlebt. Die Debatte gestern über das wirklich eingebrachte Gesetz hat wesentliche Klarheit gebracht. Das wird sich bei der Gesundheitsreform wiederholen, und das ergibt sich schon daraus, daß von seiten der Opposition von diesem Pult aus ständig Falsches erzählt wird. Ich will dies belegen.
Herr Dreßler, immerhin haben Sie als stellvertretender Fraktionsvorsitzender eine bestimmte Verantwortung. Sie erklären in Ihrem Pressedienst vom 16. April 1988: „Die Patienten müssen bei allen diesen Leistungen" - es geht um das Kostenerstattungsprinzip bei Zahnersatz - „finanziell in Vorlage treten und sich hinterher" - hören Sie gut zu - „mit ihren Krankenkassen herumärgern, damit sie wenigstens einen Teil zurückerhalten. "
Erstens werden sich die Krankenkassen freuen, wie schlecht sie seitens der SPD angesehen werden. Ich habe von unseren Krankenkassen einen wesentlich besseren Eindruck, und der ist sicherlich auch begründet.
Zweitens, Herr Dreßler, haben Sie das, was Ihnen zur Verfügung steht, offensichtlich gar nicht oder falsch gelesen; denn der Versicherte braucht nicht in Vorlage zu treten. Er muß bei der Kostenerstattung erst zahlen, wenn er sein Geld von der Krankenkasse bekommen hat.
Dies ist der typische Fall von Falschmeldung, wenn man nicht informiert ist oder wenn man sich nicht an den Fakten orientieren will.
({1})
Herr Heinemann, Sie tragen hier vor, die Gesundheitsanbieter blieben völlig ungeschoren. Fragen Sie mal den gesamten Pharmabereich von der Industrie bis zu den Apotheken. Dort werden uns Zahlen zwischen 2,5 und 4 Milliarden DM an Einsparungen und Umsatzrückgängen vorgerechnet. Sie sagen, die blieben völlig unberührt. Mit einer Gesundheits- und Sozialpolitik, wie Sie sie in NRW betreiben, hat das allerdings auch nichts zu tun. Das will ich gerne dazusagen.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die SPD hat während ihrer Regierungszeit und auch nach ihren heutigen Konzeptionen, soweit sie überhaupt vorliegen, keinen vernünftigen und gangbaren Weg gefunden, um ein Ziel zu erreichen, nämlich Kostendämpfung und Strukturreform im Gesundheitswesen gleichzeitig angehen zu können. Unser Weg ist das Festbetragskonzept.
Damit auch dies gleich ausgeräumt wird: Wenn so getan wird, als wäre nach zwei Jahren die Umstellung auf den Festbetrag erledigt, ist auch dies falsch. Dies ist lediglich eine Zielsetzung, um möglichst schnell viele Medikamente umzustellen. Auch danach wird die Festbetragsregelung laufend überprüft und eingeführt; sie findet 1991 keinen Abschluß.
({3})
Wenn Sie also hier die Bürger ständig mit Falschdarstellungen verunsichern, muß ich dies deutlich zurückweisen.
Es ist auch kein Abkassierungsmodell, wie Herr Dreßler es ständig behauptet. Alle Einsparungen im Zusammenhang mit Festbeträgen oder mit Bagatelleistungen oder bei übermäßig ausgeweiteten Leistungen lassen die vollwertige Versorgung der Versicherten mit allen medizinisch notwendigen Leistungen völlig unberührt.
({4})
Einsparungen im Bereich des nicht medizinisch Notwendigen sind allenfalls ein vermeintlicher, aber kein wirklicher Nachteil für Versicherte. Dies werden die sehr rasch und sehr bald erkennen. Die hier erörterten Einsparungen gehen vornehmlich zu Lasten der Leistungserbringer, da sie deren Umsätze vermindern. Dies trifft insbesondere für den Festbetrag zu. Das muß ich doch einmal sehr deutlich machen.
Was bei dem Versicherten eingespart wird, geben wir ihm zurück. Jede Mark, die wir dort einsparen - das werden wir in der Debatte im Mai nachweisen -, wird dem Versicherten in Form von anderen, wichtigeren und nützlicheren Leistungen zurückgegeben. Meine Damen und Herren, an diesen Auswirkungen zeigt sich auch, wie unzutreffend der platte Vorwurf der reinen Kostendämpfung ist.
Ein weiterer ganz wichtiger Struktureffekt ist der folgende. Durch die Verbesserung der Transparenz über Kosten und Leistungen, die Einführung und Verwirklichung von Richtgrößen für die verschiedenen Leistungs- und Versorgungsbereiche, die Verbesserung der Wirtschaftlichkeitsprüfungen und die Verbesserungen des medizinischen Beratungsdienstes wird es in der ambulanten Versorgung sowie in der Versorgung mit Arzneimitteln und mit Heil- und Hilfsmitteln zu Mengenrückgängen und damit zu weiteren Einsparungen kommen.
Diese Struktureffekte treffen nicht die Versicherten - und die Versicherten sollten sich das auch nicht ständig einreden lassen -, denen auch insoweit keinerlei notwendige Leistungen vorenthalten werden, sondern sie treffen die Leistungserbringer. Der Widerstand aller Gruppen von Leistungserbringern gegen diese Maßnahmen ist daher äußerst heftig, wie jedermann beobachten kann. Für wie wirksam die LeiGünther
stungserbringer die Struktureffekte halten, ergibt sich auch daraus, daß sie, wo immer es möglich ist, entsprechende Maßnahmen per Gesetz oder per Rechtsverordnung zu verhindern suchen.
Meine Damen und Herren, Sie sehen also: All diese Einwände sind vordergründig, leicht durchschaubar und sachlich unzutreffend. Wir werden im Mai Gelegenheit nehmen, dies unseren Bürgern vertiefend darzustellen. Denn wir sind von diesem Konzept zutiefst überzeugt und haben im Gegensatz zur Opposition auch den Mut, eine Reform auf den Weg zu bringen, die am Ende den Versicherten hilft und unser leistungsfähiges System der Sozialversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung auf Dauer erhalten kann.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haack.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundesarbeitsminister, der Kern Ihrer Rede läßt sich auf folgenden Punkt bringen. § 1 Ihres Gesetzentwurfes heißt: Solidarität neu bestimmen.
({0})
Ab 1. Januar 1989 beträgt die Selbstbeteiligung beim
Zahnersatz nicht mehr 300 DM, sondern 3 000 DM.
Das ist die Botschaft „Solidarität neu bestimmen" !
({1})
Die Diskussion über die derzeitige Reform des Gesundheitswesens hat zahlreiche Aspekte. Meine sozialdemokratischen Freunde haben zu Recht darauf hingewiesen, daß es sich bei dem sogenannten Reformgesetz lediglich um ein Abkassierungsmodell handelt und daß Kostendämpfung nicht mit Strukturreform gleichzusetzen ist.
Aber, Herr Minister, es gibt noch einen anderen Punkt, der der öffentlichen Erörterung bedarf. Es ist die Frage der politischen Kultur, die Frage, wie hier über dieses Thema diskutiert wird. Als politischer Saubermann und Aufklärer haben Sie im März dieses Jahres Ihren Maßstab in einem „Spiegel"-Artikel dargelegt.
({2})
Der Kernsatz der Botschaft an die Öffentlichkeit lautet: Die Verbände übernehmen die Herrschaft; der Staat wird zum Notar, der lediglich das Ergebnis der Kungelei beglaubigt; das Gemeinwohl geht ins Exil. Markige Worte des Herrn Bundesarbeitsministers!
Aber zu jenem Zeitpunkt waren Sie bereits auf dem Pfad der Täuschung der Öffentlichkeit.
({3})
War die „Spiegel"-Story ein Heischen nach Kommentaren in den Gazetten in staatsmännischer Attitüde, so hatten Sie bereits ein Jahr vorher die Waffen niedergelegt.
({4})
In Ihrer Eröffnungsrede zur Sitzung der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen im Frühjahr vergangenen Jahres heißt es über die Leistungsanbieter: Die Einführung des einheitlichen Bewertungsmaßstabs - bei den Ärzten - ist bereits ein Beitrag zur Kostendämpfung.
({5})
Der Preisappell der pharmazeutischen Industrie ist bereits ein Beitrag zur Kostendämpfung.
({6})
Der Rückgang der zahnärztlichen Behandlung ist bereits ein Beitrag zur Kostendämpfung.
({7})
Damals lobten Sie Ihre Gegner von heute, die Sie dann im „Spiegel" beschimpft haben.
({8})
Ich zitiere aus Ihrer damaligen Einbringungsrede: Dieser Flankenschutz für die Vorbereitung der Strukturreform verdient Anerkennung.
({9})
Ein Jahr später starten Sie, Herr Bundesminister, im „Spiegel" die Beschimpfung eben jener Verbände, vor denen Sie zuvor eine Verbeugung gemacht haben!
Dann, Herr Cronenberg, der dritte Aufzug des Lobbyisten-Trauerspiels: Es erscheint eine FDP-Anzeige mit dem Titel „Unsere Gegner beschimpfen uns als Zahnärztepartei - Wir haben nichts dagegen" .
({10})
So haben Sie gesagt. Hier wirbt die SPD um das große Geld der Zahnärzte. Spendenkonto ist angegeben.
({11})
Damit umwirbt die FDP unverhohlen jene Lobbyisten, die Sie, Herr Bundesminister, im „Spiegel" beschimpfen. Der Feind - wenn das Bild einer Schlacht überhaupt erlaubt ist - steht demnach in den Reihen Ihrer Koalition.
({12})
Die letzte Koalitionsverhandlung ist ein deutlicher Beweis dafür.
({13})
Die Presseerklärung Ihres Kollegen Cronenberg vom 16. April, also nach der letzten Koalitionsrunde, beschreibt die Niederlage des „Spiegel"-Staatsmannes Norbert Blüm und den Triumph der FDP. Die FDP hat erreicht: Die Leistungsanbieter werden geschont. Al5072
Haack ({14})
les andere ist Kosmetik für das Abkassierungsmodell der Patienten.
({15})
- Ja.
Die Verbände und deren Helfer im Parlament haben gesiegt. Die Verbände haben dabei den Bundesarbeitsminister an den politischen Bettelstab gebracht
({16})
Im „Spiegel" - hören Sie gut zu! - haben Sie noch getönt:
({17})
Die Krankenversicherungsreform wird nicht meistbietend versteigert. Den Versuch gab es via Spendenkonto und Versprechungen. Frage: Geht nun doch das Gemeinwohl ins Exil? - Die Patienten sind dieser Auffassung.
({18})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Limbach.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, in der Aktuellen Stunde sollte man weniger Schlagworte verbreiten, sondern vielleicht helfen, etwas aufzuklären, damit unnötig verängstigte Menschen erkennen, was tatsächlich passieren wird.
({0})
Ich finde das, was hier zum Teil gemacht wird, unverantwortlich. Unser Konzept zur Gesundheitsreform - das haben Sie ja selber erkannt - beruht im wesentlichen auf zwei Prinzipien. Das eine ist, daß man die Solidarität neu bestimmen muß. Das ist deshalb-nötig, weil sich die Zeiten ändern und die Arbeitnehmer von heute eben nicht mehr die Untertanen aus dem 19. Jahrhundert, sondern selbständige, eigenverantwortliche Menschen sind,
({1})
die sich übrigens auch mit gegenseitiger Unterstützung und der Unterstützung durch die Gewerkschaften Bedingungen geschaffen haben, unter denen sie eigenverantwortlich handeln können. Deswegen ist Eigenverantwortung
({2})
das zweite Prinzip.
({3})
Es ist verlangt worden, in dieser Aktuellen Stunde über die Auswirkungen der Vorhaben zur Strukturreform zu sprechen. Eine Auswirkung wird sein, daß endlich das Problem der Pflegebedürftigen und der Pflege zu Hause in einem Punkt in der Krankenversicherung angegangen werden kann.
({4})
Sie kennen doch alle den Bericht, den die Bundesregierung 1984 dazu vorgelegt hat. Sie wissen auch, was die Bundesregierung dazu in der Regierungserklärung gesagt hat. Wer persönlich auch nur eine Person kennt - meistens sind es Frauen, und zwar hauptsächlich nicht junge, sondern ältere Frauen -, die ein pflegebedürftiges Mitglied in der Familie zu Hause pflegt, den Vater, die Mutter, den Onkel, die Tante, der weiß, wie dringend nötig es ist, hier vor Überforderungen zu schützen.
({5})
Wenn wir heute sagen, die Arbeitnehmer sind in der Lage, sich ein Pflaster und eine Augenklappe selber zu kaufen, sagen wir gleichzeitig, sie sind aber nicht auf Dauer in der Lage, pflegebedürftige Angehörige rund um die Uhr zu pflegen, sollen sie nicht selber zusammenbrechen und schließlich zum Pflegefall werden.
({6})
Hier wird von Abkassieren gesprochen. Es kann höchstens sein, daß dort abkassiert wird, wo es unnötig ist, und dorthin gegeben wird, wo es nötig ist, nämlich für die Menschen, die die solidarische Hilfe und das Einstehen des Staates für sie brauchen.
({7})
Ich kenne eine ganze Reihe von Frauen, die Angehörige pflegen. Ich habe noch selten so viel Zuspruch zu einem Regierungsvorhaben gehört wie zu diesem hier, zu dem gesagt wird: Ist das ein Segen, wenn man zwei, drei oder vier Wochen im Jahr Entlastung bekommt!
({8})
Es ist auch gerechtfertigt, diesen einen Beitrag, der 1991 durch Pflegeleistungen ergänzt wird - 25 DM im Monat - , aus der Krankenversicherung zu finanzieren, weil nämlich der Ausweg heute im allgemeinen der ist - Kollege Seehofer hat es schon angesprochen - , daß man zu dem schwer Pflegebedürftigen, weil man Urlaub braucht - in Klammern gesagt: manchmal auch Urlaub will -, den Hausarzt ruft und sagt: Bitte, mein Onkel, meine Tante, meine Mutter, meine Schwiegermutter ist schwer krank; die muß doch sicher einmal 14 Tage ins Krankenhaus. Und finden Sie den Arzt, der bei einem Schwer- oder Schwerstpflegebedürftigen nicht reinen Gewissens feststellen kann - sei es, daß der Zucker hat, daß der Verdauungsapparat nicht funktioniert, sei es ein anderer Grund - , daß eine Einweisung ins Krankenhaus tatsächlich erforderlich ist. Da kostet es am Tag 300 DM und ist eine Fehlbelegung von Akutbetten. Hier brauchen wir allerdings auch die Unterstützung der Länder, damit der Effekt dieser entfallenden Fehlbelegung nicht wieder durch andere Punkte zunichte gemacht wird.
({9}) Ich bin sicher, daß wir dies schaffen.
Ich will zum Schluß noch einen weiteren Punkt bringen: Sie sprechen hier auch von den möglichen Selbstbeteiligungen bei den Arzneimitteln, die nicht in den Bereich des Festbetrags fallen, bei Verbandsmitteln und Fahrten zum Arzt. Hier gibt es nicht nur die allseits bekannte Härteklausel, sondern es gibt auch eine Überforderungsklausel.
({10}) Und da muß man einmal die Zahlen nennen:
({11})
Wer 54 000 DM, nämlich bis zur Beitragsbemessungsgrenze, verdient, der braucht eben nur 2 % seines Jahresgehaltes für Selbstbeteiligung aufzuwenden, und wer mehr verdient, 4 %.
Sie können von mir dazu gern noch einige Zahlen haben. Jedenfalls zeigt das Ganze, daß unser Konzept nicht nur notwendig, nicht nur sozial ausgewogen, sondern auch zukunftsorientiert ist.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Egert.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich habe dem Minister sehr aufmerksam zugehört.
({0})
Zum Schluß seiner Rede bin ich dann etwas lauter geworden. Warum bin ich lauter geworden? Lauter geworden bin ich, weil ich gedacht habe, der Minister würde uns wenigstens erklären, warum sich sein starkes Wort vor diesem Parlament, daß es ein Solidaropfer der Pharmaindustrie von 1,7 Milliarden DM geben und daß dieses Gesetz ohne dieses Solidaropfer nicht zustande kommen werde, nicht einlösen läßt.
({1})
Er hat sich an einer Antwort oder an einer Erklärung vorbeigemogelt.
({2})
Also, nicht nur die Mogelpackung wird uns angedient, sondern der Minister mogelt sich auch an seinen starken Worten von gestern vorbei.
({3})
- Nein, ich habe zugehört, sehr sorgfältig habe ich Ihnen zugehört. Immer, Herr Minister, höre ich Ihnen zu.
Deswegen ist mir auch aufgefallen, daß Sie eigentlich eine zweite Ungeheuerlichkeit begangen haben: Sie rühmen sich, Herr Minister - und ich finde es in Ordnung, daß man die Erfolge, die man erzielen kann, dem Parlament auch vorstellt - , daß es einen Einstieg in die Pflegeregelung gibt. Wenn diese Pflegeregelung aus der Solidargemeinschaft der Steuerzahler finanziert wäre, wenn sie, so sage ich sogar, finanziert wäre, ohne daß der Hintergrund all der anderen Maßnahmen aus anderen Solidargemeinschaften da wäre, dann dürften Sie sich zu Recht rühmen. Aber rühmen dürfen Sie sich nicht, wenn Sie den Finanzierungsspielraum für eine Pflegefallregelung zu Lasten der Kranken und Schwachen schaffen. Dies ist zynisch, Herr Minister!
({4})
Dann zu dem Festbetrag.
({5})
Denn die Erfolge sollen ja gelobt werden, wenn sie denn welche sind.
({6})
- Herr Kollege Seehofer, Sie haben mich in der Enquete-Kommission - ({7})
- Irgendeiner dieser Zwischenrufer sollte wenigstens einmal zuhören.
({8})
- Ach, das war der Herr Minister. Da fällt es mir jetzt immer schwer, zu glauben, es seien qualifizierte Zwischenrufe, aber gut.
In der Enquete-Kommission haben wir über die Festbetragsregelung - der Kollege Seehofer und die anderen Mitglieder der Enquete-Kommission werden sich erinnern - eine sehr intensive Diskussion gehabt. Ich habe dort gesagt - als Person, da sitzen wir ja alle als Person - , daß dies das einzige Element in diesem Gesetz sei, das meine Phantasie unter strukturellen Gesichtspunkten anrege. Nur, Herr Minister, wenn ich Herrn Cronenberg und andere als Sieger feiere, dann deshalb, weil sie sich da durchgesetzt haben. Aber ich nehme jetzt einmal Ihr Festbetragsmodell. Das ist eine Alternative zu dem, was wir Sozialdemokraten vorgeschlagen haben - wir haben die vertragliche Regelung, die Vertragsbeziehung zwischen Pharmaindustrie und Krankenkassen vorgeschlagen - , das ist ein anderer, möglicherweise auch geeigneter Weg. Nur, er wird dann ungeeignet, wenn z. B. die Fristen in den Referentenentwürfen und das, was dann wohl Kabinettsentscheidung wird, verwirklicht werden und eine Vorziehung auf 1991 kommt.
({9})
Denn dann ist es nur die intelligente Variante, die kaschieren soll, daß wir über die prozentuale Selbstbeteiligung in massivem Umfang in die Selbstbeteiligung einsteigen.
({10})
Ich halte das nur für eine intelligente Kaschierung dieses Unternehmens. Nichts anderes ist das.
({11})
Und dann, Herr Minister, war hier noch nicht die Rede von vielen anderen Punkten, die mich und andere in dieser Diskussion betroffen machen. Da steht irgendwo in einer harmlosen Formulierung:
({12})
Wir wollen den durchschnittlichen Beitrag in der Krankenversicherung künftig den Rentnerinnen und Rentnern abverlangen. Dies ist eine Rentenkürzung. Sie nehmen also nicht nur den Kranken, sondern auch den Rentnern etwas weg, die ihren Lebensunterhalt mit ihren Groschen finanzieren müssen. Auch diesen greifen Sie in die Tasche. Sie schaffen mit vielen anderen Regelungen Elemente, die das bewährte System der gesetzlichen Krankenversicherung zerstören können, die z. B. die Mitgliedschaftsrechte neu gestalten werden und den Zug aus der gesetzlichen Krankenversicherung in andere Bereiche erlauben.
Dies alles kommt nicht durch. Sie denken, Sie könnten das Volk besoffen reden. Wir werden unseren Beitrag leisten, Herr Minister, daß Sie mit dieser Absicht nicht erfolgreich sind.
Hier ist soeben die doppelte Null-Lösung aufgeleuchtet, und deswegen muß ich leider Schluß machen, obwohl es mich reizen würde, mich weiter mit Ihnen über Ihr unsoziales Machwerk auseinanderzusetzen.
Danke für Ihre Geduld.
({13})
Ich erteile dem Abgeordneten Wüppesahl das Wort.
Ich möchte dazu bemerken, daß wir uns noch darüber einig werden müssen, wie innerhalb einer eingeschränkten Redezeit hier auch einer Fraktion nicht angehörende Abgeordnete in Zukunft Redezeit bekommen. Sie haben jetzt drei Minuten Redezeit, Herr Abgeordneter Wüppesahl, bitte.
Danke schön, Frau Präsidentin! Guten Morgen, Kolleginnen und Kollegen! Daß eine Reform für mehr Gesundheit in diesem Lande erforderlich ist, dürfte unstrittig sein. Jedoch stellt sich bei dieser Reform, die wir jetzt vor uns liegen haben, die Frage, wohin die Reise geht.
({0})
Die AOK propagiert die Gesundheitskasse, und in der Tat sieht auch die Werbung der AOK und anderer Kassen so aus, daß nur noch junge, gesunde, modische, schicke und reiche Menschen darin auftauchen, und das ist auch der Klientelkreis, den sie am liebsten ausschließlich in ihrer Kasse haben möchten. Unterstützt wird das mit einer Broschüre aus Ihrem Hause, von Ihnen herausgegeben, Herr Minister Blüm. Der Titel dieser Broschüre lautet: „Damit unsere Krankenversicherung gesund bleibt". Die Krankenversicherung soll gesund bleiben, und das ist auch das wesentliche Kennzeichen dieser sogenannten Strukturreform im Gesundheitswesen, daß es weniger um die Stärkung der Patientenrechte als vielmehr um die Genesung der Kassen geht. Die Kräfteverschiebung zugunsten der Krankenversicherung ist das entscheidende Strukturmerkmal. Alles andere verdient nicht
die Bezeichnung einer Strukturreform im Gesundheitswesen.
Insgesamt werden keine Problemlösungen, sondern lediglich Problemverschiebungen angeboten, und dafür haben wir schon eine Reihe von Beispielen gehört. Das gravierendste, Herr Blüm, ist zweifelsfrei der Krankenhausbereich. Über ein Drittel der Kosten fällt dort an. Sie geben in Ihrer Propaganda vor, daß Sie dort 1,5 Milliarden DM einsparen wollen, und Sie sagen gleichzeitig, daß 20 000 Stellen im stationären Pflegebereich entfallen sollen, wo wir jetzt schon wissen, daß gerade dieser Bereich die größte Kritik bei den Patienten hervorruft und daß bei der Einführung der 39-Stunden-Woche, wenn man, linear rechnen würde, exakt 20 000 Stellen zusätzlich erforderlich wären. Da wollen Sie noch sparen!
Der gesamte Bereich der Patientenrechte fehlt in dieser Strukturreform, und das ist aus meiner Sicht ein weiterer entscheidender Kritikpunkt. Denn wenn jemand überhaupt den Mut und die Courage aufbringt, sich gegen seinen Arzt oder seine Ärzte zur Wehr zu setzen, dann ist es auf Grund der herrschenden Rechtsprechung geradezu unmöglich, daß er in dem Bereich, so wie der Kunstfehler nach herrschender Meinung in der Jurisprudenz definiert wird und auch in der Rechtsprechung behandelt wird, zu seinem Recht gelangen kann. Es sind absolute Ausnahmefälle, daß Patienten zu ihrem Recht kommen können.
({1})
Das wäre ein Ansatz gewesen, wo Sie mit Ihrer Strukturreform im Gesundheitswesen tatsächlich Fortschritte erreichen könnten.
Auch das Element des ordentlichen, des alten Hausarztes stärken Sie in keiner Weise. Im Gegenteil, durch Ihre sogenannte Strukturreform verstärken Sie noch die ohnehin viel zu stark vorhandene Überbewertung des Facharztes. Das Pingpongspiel, das zwischen den Ärzten stattfindet, wird ebenfalls an keiner Stelle Ihres Papiers abgestellt.
Ich denke, daß wir auf jeden Fall bei der Detaildiskussion noch sehr viel mehr Beispiele bringen werden, die belegen werden, wie aberwitzig Ihre Gedanken, die Sie zu Papier gebracht haben, im Interesse der Patienten sind.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kolb.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Dreßler hat in seiner Presseerklärung vom Abkassierungsmodell gesprochen.
({0})
Herr Kollege Dreßler, es gibt ein Abkassierungsmodell Nummer eins, d. h. Beitragszahler haben zu zahlen, egal, was anfällt, und zwar Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Es gibt das Abkassierungsmodell Nummer zwei, d. h. alle am System Beteiligten versuchen, einen möglichst großen Nutzen herauszuholen. Genau dort haben wir eigentlich angesetzt. Im Zusammenhang mit der Diskussion um die WirtschaftlichKolb
keitsprüfung wird argumentiert, sie sei das Schlimmste, das es überhaupt gibt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das erinnert mich fast an eine Stammtischrunde, die sich darüber aufregt, daß sie in eine Radarfalle geraten ist. Sie sagen: Die Unverschämtheit, eine Radarfalle aufzustellen, hat mir bewiesen, daß ich mit 80 Stundenkilometern gefahren bin, wo ich nur 50 Stundenkilometer hätte fahren sollen.
Es sind nicht nur die Betroffenen, die sich gegen die Wirtschaftlichkeitsprüfung wehren, es ist eigenartigerweise auch die Selbstverwaltung, die gar nicht so genau kontrolliert haben möchte, wie hoch die Mitnahmeeffekte der einzelnen sogenannten Versicherten sind.
Erstaunlicherweise kommt auch noch folgendes hinzu. Die Versicherten haben in der Vergangenheit nie gefragt, was es kostet, weil es in diesem System nicht notwendig war, danach zu fragen, welche Kosten man verursacht. Man hat ja den Beitrag bezahlt. Herr Dreßler, wenn Sie schon vom Abkassierungsmodell sprechen, dann muß ich Ihnen sagen: Es widerspricht der Summe der Lebenserfahrung, daß jemand 315 DM Beitrag im Monat bezahlt - das ist derzeit bei 7 % und 4 500 DM Beitragsbemessungsgrenze der Satz - und dafür nicht etwas haben will. Es werden plötzlich Dinge mitgenommen, weil man ja angeblich dafür bezahlt hat.
Herr Minister Heinemann, ich finde es toll, daß Sie die Schweiz erwähnt haben. Wenn ich ins Städtle fahre, kann ich bei gutem Wetter über den See hinweg nach dort schauen. Die Schweiz hat beispielsweise bei der Lohnfortzahlung eine ganz andere Lösung als wir. Wenn Sie schon die Schweiz ansprechen, müssen wir einmal den größten Kostenfaktor im gesamten Gesundheitswesen betrachten, nämlich die Lohnfortzahlung mit insgesamt 240 Milliarden DM. Ich glaube, das hat der Kollege Cronenberg vorhin in der Aufzählung nur vergessen.
Interessanterweise gibt es heute schon Gruppen, die im Zusammenhang mit der Lohnfortzahlung vom „gelben Urlaubsschein" sprechen. Das deutet darauf hin, daß auch in diesem Bereich die Dinge schon zu weit gegangen sind.
({1})
Ich gebe Ihnen zu, daß durch den vorliegenden Gesetzentwurf nicht alles geändert werden kann. Aber Herr Kirschner wird demnächst mit seiner Enquete-Kommission noch weitere Dinge der bisherigen Fehlentwicklung aufzeigen können, so daß wir hier in diesem Hause die Möglichkeit haben, das zu diskutieren.
Herr Hoss, es hat mich sehr gefreut, daß Sie über einen noch ausstehenden Gesetzentwurf, den wir eigentlich noch gar nicht kannten, schon so diskutiert haben, als sei er bereits Gesetz. Wenn wir bessere Vorschläge bekommen, können wir das sicher im Ausschuß behandeln und können dort Veränderungen vornehmen. Es ist ja niemand daran gehindert, bessere Vorschläge zu unterbreiten. Es würde unsere Arbeit eigentlich sinnlos machen, wenn man einen Gesetzentwurf von vornherein als das Endgültige bezeichnen wollte. Weshalb sind wir denn eigentlich hier? Wir wollen den Gesetzentwurf, der kommt, beraten.
Ich glaube, daß wir aus unseren Erfahrungen, die wir in der Praxis draußen gewonnen haben, sehr viel dazu beitragen können, diese Dinge zu verbessern.
Lassen Sie mich ein letztes sagen: Es muß uns gelingen, die Mitnahmeeffekte in diesem Bereich - und zwar von allen praktiziert; da nehme ich niemanden aus - zu beseitigen. Diese Effekte kamen dadurch zustande bzw. es wurde ihnen dadurch Vorschub geleistet, daß niemand gefragt hat, was es kostet.
Das ist genauso, als ob Sie in das beste Hotel gehen, sich vom Küchenchef das Beste vorsetzen lassen, um schließlich in die Tasche zu greifen und zu sagen: Mein lieber Freund, hier hast du einen Schein, rechne mit einem Dritten ab, ich interessiere mich nicht dafür, was es kostet.
Wir versuchen, dieses System aufzubrechen. Ich hoffe, daß wir im Laufe der Diskussion des Gesetzentwurfs noch zu besseren Lösungen kommen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich habe Ihnen eine Mitteilung zu machen. Der Herr Abgeordnete Schreiner legt sein Amt als Schriftführer nieder. Ich danke ihm für die gute Zusammenarbeit. Die Fraktion der SPD schlägt als Nachfolger für das Amt des Schriftführers den Abgeordneten von der Wiesche vor.
Ich frage das Haus, ob es damit einverstanden ist. - Danke schön. Der Abgeordnete von der Wiesche ist somit zum Schriftführer gewählt.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({0})
zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Susset, Eigen, Michels, Sauter ({1}), Herkenrath, Bayha, Kalb, Kroll-Schlüter, Niegel, Schartz ({2}), Freiherr von Schorlemer, Borchert, Fellner, Fuchtel, Freiherr Heereman von Zuydtwyck, Dr. Kunz ({3}), Link ({4}), Carstensen ({5}), Dr. Meyer zu Bentrup, Dr. Rüttgers, Scheu, Schmitz ({6}), Dr. Uelhoff, Frau Will-Feld, Glos, Müller ({7}), Graf von Waldburg-Zeil, Pesch, Dr. Schwörer, Lowack, Dr. Hoffacker, Spilker, Maaß, Zierer, Dr. Czaja, Kossendey, Werner ({8}), Hinsken, Tillmann, Wilz, Frau Geiger, Roth ({9}), Dr. Rose, Weiß ({10}), Dr. Neuling, Biehle, Nelle, Schulze ({11}), Frau Dr. Wisniewski, Schwarz, Pfeffermann, Sauer ({12}), Louven, Harries, Hedrich, Seesing, Clemens, Gerstein, Dr. Schroeder ({13}), Dörflinger, Ganz ({14}), Dr. Stark ({15}), Magin, Dr. Hüsch, Seehofer, Dr. Möller, Frau Rönsch ({16}), Dr. Jobst, Frau Limbach, Daweke, Lenzer, Engelsberger, Dr. Götz,
5076 Deutscher Bundestag - 1 ]..Wahlperiode Vizepräsident Frau Renger
Strube, Oswald, Deres, Börnsen ({17}), Schemken, Krey, Höffkes, Bohlsen, Schmidbauer, Dr. Grünewald, Dr.-Ing. Kansy, Rossmanith, Müller ({18}), Austermann, Dr. Olderog und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paintner, Bredehorn, Heinrich, Frau Folz-Steinacker, Dr. Rumpf, Timm und der Fraktion der FDP
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD
Agrarbericht 1987
- Drucksachen 11/536, 11/85, 11/86, 11/521, 11/1347 -
Berichterstatter:
Abgeordnete Oostergetelo Kroll-Schlüter
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Agrarbericht 1988
- Drucksachen 11/1760, 11/1761 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({19})
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Flinner, Kreuzeder und der Fraktion DIE GRÜNEN
Flächengebundene Bestandsobergrenzen in der Tierhaltung zum Schutz der bäuerlichen Landwirtschaft und der Umwelt
- Drucksache 11/1986 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({20})
Finanzausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
d) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Förderung der Stillegung landwirtschaftlicher Nutzflächen sowie der Extensivierung und Umstellung der Erzeugung ({21})
- Drucksache 11/2158 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({22})
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß gem. I 96 GO
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Rechtsausschuß
e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({23}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Flinner, Kreuzeder und der Fraktion DIE GRÜNEN
Einführung eines 50 %igen Beimischungszwangs von Getreide für die Mischfutterindustrie
- Drucksachen 11/580, 11/1535 ({24}) Berichterstatter: Abgeordneter Paintner
Zum Agrarbericht 1988 liegen Entschließungsanträge der Fraktion der SPD, der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP sowie der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/2138, 11/2159, 11/2164 und 11/2189 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieses Tagesordnungspunktes drei Stunden vorgesehen. - Kein Widerspruch. Es können aber auch weniger sein, dagegen erhebt sich sicherlich kein Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Herr Kiechle.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs am 11. und 12. Februar dieses Jahres in Brüssel hat auf dem weiteren Weg nach Europa eine ganze Reihe von Barrieren beiseite räumen können. So beschlossen die Staats- und Regierungschefs eine beträchtliche Erhöhung der Eigenmittel der Gemeinschaft, um die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit abzuwenden, eine neue Lastenverteilung zwischen den Mitgliedstaaten bei der Mittelaufbringung, eine Aufstockung der Mittel für die Strukturfonds, um verstärkt den wirtschaftlich schwachen Ländern und Regionen der Gemeinschaft zu helfen.
Speziell im Agrarbereich wurde die EG-Agrarpolitik insgesamt auf eine neue finanzielle Basis gestellt, wurde bei pflanzlichen Erzeugnissen neben Produktionsschwellen die sogenannte Flächenstillegung als obligatorisches Instrument der Mengenanpassung EG-weit eingeführt, kann älteren Landwirten ein Angebot gemacht werden, die Bewirtschaftung ihrer Betriebe einzustellen, bevor sie das normale Rentenalter erreichen.
Die EG-Agrarpolitik war in den letzten Jahren ganz eindeutig durch die schwierige Haushaltslage der Europäischen Gemeinschaft bestimmt. Mehr als einmal schien die EG dem finanziellen Zusammenbruch nahe. Mit den zukunftsweisenden Gipfelbeschlüssen zum EG-Haushalt gibt es nun auch wieder mehr Klarheit für die EG-Agrarpolitik.
Darüber hinaus ist deutlich geworden: Der Wille, den europäischen Binnenmarkt in den 90er Jahren zu vollenden, ist nicht nur gewachsen, er hat auch Kompromisse möglich gemacht, mit denen zuvor kaum einer gerechnet hat. Das weitere wirtschaftliche und politische Zusammenwachsen in der Europäischen Gemeinschaft ist somit eine Tatsache, auf die sich alle Bereiche - natürlich auch die EG-Landwirtschafts-und -Agrarpolitik - einzustellen haben; denn die Beseitigung von Handelshemmnissen und Grenzbarrieren, die Vereinheitlichung der Wettbewerbsbedingungen, zusätzliche Chancen für Wachstum und BeBundesminister Kiechle
schäftigung, aber auch mehr Wettbewerb werden die Folgen sein.
Die EG-Agrarpolitik hat in der Vergangenheit oft im Brennpunkt öffentlichen Interesses gestanden. Meist hat sie negative Schlagzeilen gemacht. Die in Art. 39 des EWG-Vertrages aufgeführten Ziele, nämlich die Produktivität der Landwirtschaft zu steigern, auf diese Weise der landwirtschaftlichen Bevölkerung bessere Einkommen und eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten, die Märkte zu stabilisieren, die Versorgung mit Nahrungsmitteln sicherzustellen, für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen Sorge zu tragen, hat die EG zum Teil erfüllt. Einige Ziele hat sie sogar übererfüllt.
Statt mit dem Mangel wie noch vor 30 Jahren kämpfen wir heute mit dem Überfluß in der Nahrungsmittelerzeugung.
Ein weiteres Beispiel für einen hohen Grad der Zielverwirklichung der EG-Agrarpolitik: Wären die Preise für Nahrungsmittel bei uns in den letzten acht Jahren in gleichem Umfang wie die übrige Lebenshaltung gestiegen, hätten die Verbraucher 1986/87 je rund 13 Milliarden DM mehr dafür ausgeben müssen.
Neben dieser Erfolgsbilanz zeigt der Agrarbericht 1988 aber auch ganz deutlich die Schattenseiten oder das auf, was nicht erreicht wurde. Die Einkommenssituation in der Landwirtschaft ist alles andere als befriedigend - zumindest bei uns. Während sich im abgelaufenen Wirtschaftsjahr die Gewinne der Vollerwerbsbetriebe im Durchschnitt des Bundesgebietes leicht verbessern konnten - je Unternehmen um 2,6 % auf 39 653 DM -, ist im laufenden Wirtschaftsjahr, das am 1. Juli zu Ende geht, wieder mit einem deutlichen Rückgang der Gewinne um 7 % zu rechnen.
Ein Auf und Ab bei den Einkommen ist für selbständige Berufe nichts Ungewöhnliches und für den landwirtschaftlichen Betrieb nicht selten eine Folge auch der Witterung, denn sie beeinflußt Erntemenge und -qualität. Seit gut einem Jahrzehnt, genauer seit dem Wirtschaftsjahr 1975/76, allerdings verharrt, mit Schwankungen, der durchschnittliche Gewinn unserer Vollerwerbsbetriebe jedoch ziemlich auf der Stelle. Er lag 1975/76 bei 25 900 DM und liegt im Wirtschaftsjahr 1986/87 je Arbeitskraft bei 26 700 DM. Der Abstand zum gewerblichen Vergleichslohn ist in dieser Zeit zunehmend größer geworden.
Für die, die sich die Sache sehr einfach machen, sind die Schuldigen dieser Einkommensmisere jeweils immer schnell ausgemacht. So wird der EG-Agrarpolitik vorgeworfen, den Bauern die notwendigen Preisanhebungen für ihre Produkte zu verweigern; der Bundesregierung wird vorgehalten, zuwenig für die Bauern zu tun.
({0}) Wo und was sind aber die Tatsachen?
Zunächst einmal zu den geforderten Preisanhebungen. Preisanhebungen müssen nicht nur gewollt, sondern am Markt auch durchsetzbar sein.
({1})
Es zeigt sich jedoch jeden Tag aufs neue: Solange auf wichtigen Agrarmärkten Überschüsse erzeugt werden, gibt es kaum Spielraum für positiv wirkende preispolitische Maßnahmen. Im Gegenteil: Ohne Reformschritte zur Mengenbegrenzung wächst die Gefahr, daß das preispolitische Netz der landwirtschaflichen Marktordnungen ständig schwächer, ja schließlich sogar völlig wirkungslos wird. Dies konnte die Bundesregierung bisher nie akzeptieren, und eine solche Entwicklung wird sie auch nicht hinnehmen.
({2})
Eines muß man aber sehen: Bei der Erzeugung sogenannter nördlicher Produkte, wie Milch, Getreide und Fleisch - Produkte, mit denen wir mit unseren direkten Nachbarn in Konkurrenz stehen - , wirtschaften viele unserer Betriebe unter schwierigen strukturellen und regionalen Verhältnissen. Immerhin liegen bei uns 50 % der Flächen in benachteiligten Gebieten. In größeren Tierbeständen - das kann man nicht bestreiten - und auf besseren Standorten kann im Regelfall kostengünstiger produziert werden. Dort könnten die Bauern länger auch noch mit Erzeugerpreisen auskommen, die in kleineren Betrieben und Beständen das schnelle Aus bedeuten würden.
Worauf es zukünftig ankommt, ist, Angebot und Nachfrage besser aufeinander abzustimmen, und dies EG-weit. Wie bei Milch muß auch bei pflanzlichen Produkten ein Weg gesucht werden, der das Preisstützungssystem soweit wie möglich erhält und trotzdem eine Begrenzung der Produktion möglich macht. Nach langen und, ich glaube, auch zähen Verhandlungen konnte in Brüssel schließlich eine Einigung gefunden werden, die darauf hinausläuft, daß alle Mitgliedstaaten Flächenstillegungsmaßnahmen durchführen müssen und finanzielle Anreize die EGweite Anwendung sicherstellen.
Ich kenne, meine Damen und Herren, die vielen Bedenken, die gegen dieses Konzept vorgebracht werden. Ich weiß auch: Es wird nicht ganz einfach sein, die beim Gipfel beschlossene sogenannte Flächenstillegung und die bereits vor einem Jahr beschlossenen Extensivierungs- und Umstellungsmaßnahmen in die Praxis umzusetzen. Für eine Reihe sehr praktischer Probleme, wie z. B. eine einigermaßen gleichmäßige regionale Verteilung und relative Pachtpreisneutralität, müssen wir, jedenfalls soweit als möglich, Lösungen finden.
Trotzdem: Realistische, die Einkommen der Bauern berücksichtigende Alternativen zur direkten Produktionsbegrenzung sehe ich nicht. Und: Je zögerlicher wir den Weg der direkten Mengenbegrenzung bei pflanzlichen Produkten gehen, desto drastischer könnte der Preisdruck sein, der dann folgt. Würde die Bundesregierung nur den Bedenkenträgern und Schwarzmalern folgen, geschähe nichts, weder bei uns noch in der EG.
({3})
Ich bin daher den Koalitionsfraktionen für den Initiativentwurf eines Extensivierungsgesetzes sehr
dankbar, das wir heute in erster Lesung und in verbundener Debatte mit dem Agrarbericht beraten.
({4})
Ich wünsche unseren Bauern, daß wir damit bei pflanzlichen Produkten zu einem ähnlichen Ergebnis wie bei Milch kommen.
({5})
Trotz mancher Irritationen in den letzten Wochen über eine weitere vorübergehende Aussetzung von Milchquoten gegen finanziellen Ausgleich bleibt doch wahr: Bei Milch nähern wir uns mit großen Schritten dem Ziel, daß die Erzeugerpreise wieder vom Marktgeschehen bestimmt werden, und zwar positiv für die Milcherzeuger.
({6})
Der vor einem Jahr noch riesige Berg an Butter- und Magermilchpulvervorräten in der Europäischen Gemeinschaft ist von Mitte April 1987 mit 995 000 Tonnen Butter und 767 000 Tonnen Magermilchpulver bis jetzt, am selben Stichtag im Jahr 1988, also nur in einem Jahr, auf 530 000 Tonnen Butter und 200 000 Tonnen Magermilchpulver abgeschmolzen. Er ist damit so weit abgeschmolzen, daß schon bald von einer normalen, für die Sicherung der Ernährung notwendigen Lagerhaltung gesprochen werden kann. Die positive Tendenz bei den Preisen ist deutlich zu spüren.
({7})
Der Erzeugerpreis bei Milch hat sich mehr und mehr gefestigt. Das bestätigt auch der Agrarbericht 1988. Er belegt nämlich, daß die Futterbaubetriebe nicht nur gegenüber anderen Betriebsformen einkommensmäßig deutlich aufgeholt haben, sondern im laufenden Wirtschaftsjahr auch mit dem geringsten Einkommensrückgang rechnen müssen.
Unser Ziel bleibt es, bei Milch den nationalen Referenzmengenüberhang so schnell wie möglich abzubauen, um dann die Garantiemengenregelung flexibler gestalten zu können. Das heißt, es sollen Saldierungsmöglichkeiten für die in den Betrieben unter- und überlieferten Mengen genutzt werden, und es soll eine Lösung für die Handelbarkeit von Quoten gefunden werden.
Bei den derzeitigen EG-Verhandlungen über die Agrarpreise sind wir bemüht, eine Verbesserung der Kommissionsvorschläge zu erreichen. Eine Anhebung der administrierten Preise kann ich jedoch angesichts der Ratsmehrheit leider nicht in Aussicht stellen. Wegen der Vorgaben des Europäischen Gipfels dürfen wir schon von Erfolg sprechen, wenn wir die negativen Wirkungen einzelner Vorschläge der EG-Kommission - ich nenne als Beispiel die Halbierung der monatlichen Zuschläge für die Lagerkosten bei Getreide - in Grenzen halten können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz vieler Kritik kann niemand bestreiten, daß die jetzige
Bundesregierung wie keine andere zuvor ihre direkten Hilfen für die Bauern ausgeweitet hat.
({8})
So konnten die Gewinnunterschiede im Durchschnitt der landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebe zwischen benachteiligten und nicht benachteiligten Gebieten weitgehend ausgeliehen werden - etwas, was bisher kaum bemerkt oder genannt wird. Dies ist in erster Linie auf die erhöhte Ausgleichszulage zurückzuführen. In den benachteiligten Gebieten erhalten Vollerwerbsbetriebe mit Ausgleichszulage im Durchschnitt heute 3 729 DM.
({9})
Das sind immerhin fast 10 % ihres Gewinns. Von 1983 bis 1988 hat allein der Bund die Mittel für diese Zulage von 65 Millionen auf 445 Millionen DM aufgestockt.
({10})
Dazu kommen noch die Mittel der Länder.
Im gleichen Zeitraum sind die Bundesmittel zur agrarsozialen Sicherung um mehr als ein Drittel von 3,55 Milliarden DM auf 4,85 Milliarden DM - das ist ein Plus von 1,3 Milliarden DM - gestiegen.
({11})
Schließlich sollte auch der Einkommensausgleich über die Mehrwertsteuer in Höhe von 5 % - in dem jetzt laufenden Jahr werden das 2,8 Milliarden DM sein - berücksichtigt werden.
Viel zuwenig ist bekannt, in welchem Maß sich diese und andere direkte Hilfen des Staates auf die Einkommen in den Betrieben auswirken. Wir haben darüber Berechnungen angestellt und haben feststellen können: Die direkten Hilfen machen immerhin rund ein Drittel des Gesamteinkommens in den Vollerwerbsbetrieben aus - im Durchschnitt gesehen. Hierin zeigt sich die Solidarität der Gesamtbevölkerung mit der Landwirtschaft.
Aber man muß auch folgendes sehen: Trotz des beträchtlichen Umfangs staatlicher Hilfen für unsere Bauern gibt es weiterhin gut und schlecht strukturierte, hochleistungsfähige und kaum noch existenzfähige, besser und nichts verdienende Betriebe nebeneinander, manchmal auch unter gleichen Umständen. Ich ziehe daraus den Schluß: Mehr Geld allein sichert offensichtlich nicht die Zukunft der bäuerlichen Betriebe. Ich kann daher nur wiederholen, was ich bereits vor einem Jahr von dieser Stelle aus gesagt habe: Es gibt auf Dauer keine Agrarpolitik, die Leistungsschwäche in Wohlstand umzumünzen vermag.
({12})
Trotzdem treten immer wieder Verteilungskünstler
auf den Plan, die da meinen, einem Teil der Betriebe
Mittel, Marktanteile oder Einkommenschancen wegBundesminister Kiechle
nehmen zu können, um sie anderen Betrieben zu geben.
({13})
Dabei werden oftmals die strukturellen Verhältnisse in unserer Landwirtschaft vergessen oder schlicht und einfach verdrängt.
Laut Agrarbericht wiesen z. B. nur 0,7 % unserer Betriebe eine Fläche von 100 ha und mehr auf. Nur in 3,2 % der Betriebe standen 50 und mehr Kühe. Nur in 2,9 % der Betriebe wurden mehr als 400 Mastschweine gehalten. Das sind wahrlich keine Größenordnungen, bei denen man schon von dem Überhandnehmen sogenannter Agrarfabriken sprechen könnte,
({14})
bei denen etwa viel zur sogenannten Umverteilung zu holen wäre.
Ich kann deshalb auch einem Konzept nichts abgewinnen, die Preise am Markt sich einfach einpendeln zu lassen und sogenannten bedürftigen Betrieben - da sagt man dann immer „kleine und mittlere" - zum Ausgleich direkte Einkommenshilfen zu gewähren. Allein auf die Frage, was denn bedürftige Betriebe sind, fällt die Antwort schwer, gibt es im Grunde nur problematische Antworten. Neben sozialen Aspekten muß nämlich bedacht werden, daß unsere Landwirtschaft künftig im Wettbewerb um 320 Millionen Verbraucher auf dem europäischen Binnenmarkt noch mehr mithalten soll.
Das ist im übrigen auch bei Bewirtschaftungsbeschränkungen zu bedenken, die nur unseren Betrieben auferlegt werden oder werden sollen, aber nicht oder nicht gleichermaßen in den übrigen Mitgliedstaaten gelten oder gelten würden.
Zunehmend werden von der Gesellschaft Leistungen der Landwirtschaft für die Erhaltung von Natur und Landschaft nachgefragt. Es mehren sich jedenfalls die Sorgen, wie in einigen Jahren unsere Landschaft ohne die pflegende Hand der Bauern aussehen könnte. Meines Erachtens kommt die Bevölkerung nicht umhin, bestimmte Arbeiten, die der Landwirt im Dienst der Natur und Umwelt ausführt, finanziell zu honorieren.
({15})
Deshalb ist eine Agrarpolitik gefragt, die Augenmaß im wahrsten Sinne des Wortes besitzt und sich an den Realitäten orientiert. Eine wichtige Realität ist: Wir haben es heute in der Bundesrepublik Deutschland mit einer Vielfalt von Betrieben zu tun, wie sie sonst in Europa kaum zu finden ist. Jeder zweite Betrieb
({16})
- Sie könnten ja mal zuhören, Frau Flinner -,
({17})
- oder 336 000 Betriebe - ist heute bei uns noch voll auf das Einkommen aus der Landwirtschaft angewiesen. Rund 10 % der Betriebe - das sind 65 000 - verfügen über ergänzende, außerbetriebliche Einkommen. In den übrigen Betrieben - rund 40 % oder 280 000 - wird mittlerweile der größere Teil des Einkommens außerhalb der Landwirtschaft verdient.
({18})
Gezählt werden alle Betriebe ab 1 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche.
Wie immer man diese Tatsache beurteilen will, die Einkommenskombination wird in Zukunft für viele die bessere Chance sein und bleiben, den Beruf des Landwirts auszuüben, ohne auf eine Teilnahme an der allgemeinen Einkommensentwicklung zu verzichten. Entscheidend ist nicht, wo das Geld verdient wird, sondern daß für die ganze Familie nachhaltig genug verdient wird und bäuerliches Eigentum erhalten bleibt.
Der Agrarbericht 1988 belegt, daß in diesem Sinne in der Tat vieles für den Nebenerwerb spricht. Aber ich möchte ausdrücklich hinzufügen: Auf den leistungsfähigen Vollerwerbsbetrieb kann jedoch unter keinen Umständen verzichtet werden.
({19})
Besonders schwer haben es derzeit die älteren Landwirte, die keine Zusatzeinkommen außerhalb ihrer Betriebe mehr finden und die auch keinen Hofnachfolger haben.
({20})
Diesen Landwirten, die schon ein Leben lang hart gearbeitet haben, sollten wir eine Alternative bieten, damit sie nicht unbedingt auf ihren oftmals zu kleinen Betrieben bis zum üblichen Rentenalter weiter wirtschaften müssen. In diesem Sinne ist die durch den EG-Gipfel möglich gewordene Produktionsaufgaberente auch eine wichtige menschliche Hilfe für unsere bäuerlichen Familien.
Den Strukturwandel in der Landwirtschaft können und wollen wir nicht unterbinden.
({21})
Wir sind aber verpflichtet, ihn so weit wie möglich sozial erträglich zu gestalten. Es löst aber keine Probleme, mit dem Totschlag-Schlagwort vom Bauernsterben über Land zu ziehen und gegen den Strukturwandel in der Landwirtschaft sowie gezielte Umstellungshilfen für unsere Bauern Stimmung zu machen.
({22})
Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen: Maßgeblich für die Einkommensentwicklungen in der Landwirtschaft sind auch zukünftig die über den Markt erzielten Einkommen. Deshalb müssen die Betriebe ihre Bindungen zum Markt behalten und ausbauen können.
Natürlich brauchen unsere Bauern weiterhin die staatliche Unterstützung, um sich selbst helfen zu können. Wir werden auch dafür sorgen müssen, daß die übrigen Leistungen der Landwirtschaft für die Gesellschaft außerhalb der Nahrungsmittelproduktion angemessen honoriert werden. Staatliche Hilfen
können jedoch die über den Markt erzielten Einkommen letztlich nur ergänzen, nicht aber ersetzen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich fasse zusammen. Wir gehen mit großen Schritten auf die Vollendung des europäischen Binnenmarkts zu. Den Konsequenzen daraus wird sich auch die Agrarpolitik stellen müssen; denn es wird nicht möglich sein, auf dem Weg zum europäischen Binnenmarkt in allen anderen Bereichen die Schranken weiter abzubauen, aber gleichzeitig um unsere landwirtschaftlichen Betriebe neue oder höhere Schutzzäune zu ziehen. Daran muß man denken, wenn man die Agrarpolitik weiterentwickeln will.
Die Elemente unseres Konzepts sind: Erstens. Die beste Preis- und Marktpolitik ist die Ordnung der Märkte. Bei pflanzlichen Produkten sollen uns Flächenstillegungen, Extensivierung und Umstellung der Produktion gegen Ausgleichszahlungen in Verbindung mit Haushaltsstabilisatoren einen deutlichen Schritt nach vorne bringen. Das Problem der Getreidesubstitute müssen wir, soweit es geht, bei den laufenden GATT-Verhandlungen zu entschärfen versuchen.
Zweitens. Bei dem Werben um die Gunst der 320 Millionen Verbraucher auf dem EG-Binnenmarkt müssen unsere Betriebe konkurrenzfähig sein. Gleichzeitig soll die Produktion markt- und umweltgerecht sein. Angesichts sehr vielfältiger Forderungen an unsere Betriebe müssen wir aufpassen, daß ihnen nicht weitere unnötige Handschellen angelegt werden, die ihre wirtschaftliche Bewegungsfreiheit zusätzlich und über Gebühr einengen. Andererseits geht es zukünftig in der Nahrungsmittelproduktion nicht mehr darum, möglichst viel von allem zu produzieren. Vielmehr wird die Devise sein: Qualität und Vielfalt der Produkte. Ideenreichtum ist hier gefragt.
Drittens. Neben der Nahrungsmittelproduktion ist eine zweite Produktionslinie - nachwachsende Rohstoffe - zu entwickeln. Wir werden unserer Landwirtschaft dabei helfen, Stück für Stück in Produktionsrichtungen einzusteigen, die der wachsenden Nachfrage der Verbraucher nach Naturprodukten Rechnung tragen. Auch unsere Industrie hat die Zeichen der Zeit erkannt. Eine nachhaltige Entlastung der Nahrungsmittelmärkte ist davon vorläufig jedoch noch nicht zu erwarten. Damit wäre allerdings in dem Maße zu rechnen, wie sich die Erdölvorräte erschöpfen, die Preise für Erdöl steigen und Biomasse als Energielieferant wettbewerbsfähig oder -fähiger würde. Mit Blick darauf werden wir unsere Vorsorgestrategie fortsetzen.
Viertens. Allein über die Preise der Agrarprodukte sind landeskulturelle, landespflegerische und ökologische Leistungen der Landwirtschaft zukünftig immer weniger zu haben. Die Ausgleichszulage für Betriebe in benachteiligten Gebieten ist ein hilfreiches Instrument, um solche Leistungen der Landwirtschaft gezielt zu honorieren. Daneben müssen andere treten, die an den ökologischen Erfordernissen vor Ort orientiert sind.
Fünftens. Das außerlandwirtschaftliche Einkommen bleibt oftmals die einzige Möglichkeit, die Einkommenssituation in vielen landwirtschaftlichen Betrieben zu verbessern. Wir brauchen also im ländlichen Raum ausreichend alternative Erwerbsmöglichkeiten.
Sechstens. Den älteren Landwirten ohne Hofnachfolger ist aus sozialen, marktentlastenden und strukturverbessernden Gründen die Möglichkeit zu bieten, sich vorzeitig aus der aktiven beruflichen Tätigkeit zurückzuziehen.
Siebtens. Der gezielte Einsatz von Bundesmitteln in der Agrarpolitik zur Sicherung und Entwicklung bäuerlicher Betriebe ist konsequent fortzusetzen. Es gibt bereits eine Vielzahl von Maßnahmen, die diesem Anspruch gerecht werden. Das gilt besonders für die agrarsoziale Sicherung. Aber auch hier gibt es noch manches zu verbessern. Im Laufe dieser Legislaturperiode soll das ja auch geschehen. Dabei ist die Beitragsgestaltung noch stärker als bisher auf die Einkommenssituationen in den Betrieben auszurichten.
Sie sehen: Nicht eine einzige Maßnahme, ein ganzes Bündel von Maßnahmen ist notwendig, um unsere Landwirtschaft auf die zukünftigen Erfordernisse der Marktentlastung, der Wettbewerbsfähigkeit, des Umwelt- und Naturschutzes und des sozialen Ausgleichs einzustellen. Wir brauchen diese Maßnahmen nicht nacheinander, sondern nebeneinander. Das kostet natürlich Geld. Es ist gut eingesetzt, weil wir mit unseren Maßnahmen Orientierung geben für längerfristige betriebliche Entscheidungen und unseren Bauern und Bäuerinnen zugleich Mut machen, eine zweifellos schwierige Wegstrecke zu überwinden.
Ich, meine Damen und Herren, danke für Ihre Aufmerksamkeit. Ich danke dem Parlament für vielfältige Einsicht in bisher notwendige und erforderliche kommende Maßnahmen für unsere Landwirte. Ich wünsche unseren Bäuerinnen und Bauern ein gutes Erntejahr auf ihren Höfen.
({23})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Oostergetelo.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister, zunächst ein paar Anmerkungen zu Ihrer Rede. In vielem, was Sie in Ihrer Rede angesprochen haben, haben wir jetzt Konsens. Dies stelle ich mit Freude fest, weil viele Forderungen dabei sind, die alte Forderungen von uns sind.
({0})
Richtig ist, meine Damen und Herren, seine Äußerung, daß wir die Umweltleistungen besser honorieren müssen. Falsch ist, diese Hilfen dann, wie bei der Vorsteuerpauschale geschehen, nur an den Umsatz zu binden.
Richtig ist Ihre Feststellung, daß allein Preise für die Agrarprodukte den Umweltleistungen nicht gerecht werden. Warum haben Sie dann direkte Leistungen in den vergangenen Jahren abgelehnt?
Richtig ist, daß staatliche Hilfen die über den Markt zu erzielenden Einkommen ergänzen müssen. Warum sagen Sie dann immer, daß andere die am Markt zu
erzielenden Hilfen ersetzen wollen? Sozialdemokraten haben das nie gesagt.
Richtig ist, daß ein Bündel von Maßnahmen nötig ist und Maßnahmen nicht nacheinander, sondern nebeneinander durchgeführt werden müssen. Warum legen Sie dann immer, wie jetzt geschehen, Einzelmaßnahmen vor und nicht ein Bündel, z. B. bestehend aus direkter Einkommensübertragung und Extensivierungsmaßnahmen?
Herr Minister, Sie sind nun ein halbes Jahrzehnt im Amt. Dies ist der sechste Agrarbericht, den Sie vorlegen. Anzuerkennen ist die Offenheit Ihrer Rede, in der Sie zu einer ähnlichen Beurteilung kommen wie wir: Die Bilanz ist bedrückend.
Als Sie Ihr Amt antraten, hatten die deutschen Landwirte - jeder von Ihnen weiß das - ihr bisher höchstes Einkommen erwirtschaftet. Trotzdem forderten Sie damals zweistellige Preiserhöhungen. Nach einem Regierungsjahr hatten wir dann den Sturz bei den bäuerlichen Einkommen. Bis heute haben sich die Einkommen von diesem Absturz nicht erholt, im Gegenteil: Für das laufende Wirtschaftsjahr rechnen selbst Sie mit zweistelligen Einbußen bei den meisten Produktbereichen. Heereman sagt, selbst 7 % seien viel zu optimistisch, und redet von 12 % im Schnitt.
Auf dem Lande verbreitet sich weiter Hoffnungslosigkeit. Die Zahl der aufgegebenen Betriebe hat sich verdoppelt. 73 Betriebe pro Tag - den ersten Weihnachtstag eingerechnet - schließen die Hoftore. Wenn das so weitergeht, wird die Funktionsfähigkeit ganzer ländlicher Bereiche in Frage gestellt. Was das für die Menschen auf den Höfen, auf dem Lande und besonders für die Bauern bedeutet, wissen Sie genauso gut wie ich.
Die Landwirtschaft ist so alt wie unsere Kultur. Sie ist die Grundlage unserer Gesellschaft. Wenn ein Bauer seinen Betrieb aufgeben muß, verliert er nicht nur seine Existenz wie ein Arbeitsloser - das ist beides schlimm - , sondern er verliert seine Identität; Bauer sein ist eine Lebensform.
Obwohl der Strukturwandel weitergeht, ist massives staatliches Hinausdrängen unbarmherzig, unsozial und gegen die Interessen des ländlichen Raumes gerichtet.
({1})
Im gesamtgesellschaftlichen Interesse wollen wir die bäuerliche Struktur, weil sie leistungsfähig ist, weil sie Ökologie und Ökonomie durch ihre Vielfalt besser zum Ausgleich bringen kann und die Voraussetzung ist für die Erhaltung der herrlichen Dörfer und des ländlichen Raumes, wo 50 % der Menschen wohnen,
({2})
und weil Sie die Ernährung der Bevölkerung letztlich nur durch eine bodengebundene Landwirtschaft und eine dezentrale Versorgung auch in Krisenzeiten sicherstellen können.
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Darum, Freunde, müssen wir uns alle für eine Bündelung von Maßnahmen für eine möglichst große Zahl bäuerlicher Betriebe im Haupt- und Nebenerwerb einsetzen. Dazu gehören auch die Förderung und Verbesserung der Vermarktungsstrukturen und EG-weiter flächenbezogener Bestandsobergrenzen in der Tierhaltung, übrigens zur Stärkung der bäuerlichen Familienbetriebe und zum Schutz der Umwelt, sowie die strikte Einhaltung von Förderobergrenzen. Wiederholt haben wir die Abwendung von der gescheiterten Agrarpolitik und die Neuorientierung in Richtung auf mehr Markt und zusätzliche Einkommenssicherung durch produktionsneutrale direkte Einkommenshilfen gefordert.
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Doch die Bundesregierung beharrte auf der sogenannten aktiven Preispolitik, ohne einkommenswirksame Hilfen und eine Bündelung begleitender Maßnahmen früh genug einzuleiten.
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Sie tragen die Verantwortung für die Entwicklung, wie wir sie heute vorfinden.
Nun haben Sie nicht Preiserhöhung, wie Sie immer gefordert haben, sondern Preissenkung beschlossen, und das auf Vorschlag des Kanzlers drei Jahre im voraus, z. B. im Getreidebereich, wie Sie selber wissen.
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Das sind Tatsachen, Freunde. Es ist wahr: Keine Regierung hat mehr Geld ausgegeben als diese. Wahr ist auch, daß nie weniger auf den Höfen angekommen ist.
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Das kann man doch nicht bestreiten. Vor allem kleine und mittlere, meist umsatzarme Betriebe sind in immer stärkere Bedrängnis gekommen. Die von Ihnen in Brüssel durchgedrückte Milchquote hat drei Vierteln der Betriebe keine Perspektive gelassen. Man kann doch jetzt nicht von 16 Kühen leben, wenn man früher 20 brauchte. Und drei Viertel haben unter 20 Kühe. Mit der überschußtreibenden 5 %igen Vorsteuerpauschale wurden umsatzstarke Betriebe belohnt und umsatzschwache bestraft. Die Kluft innerhalb der Landwirtschaft vertieft sich zusätzlich.
Zum 1. Juli 1988 fällt nun der Währungsausgleich endgültig weg. Das neue System benachteiligt uns als währungsstarkes Land extrem.
Wir Sozialdemokraten haben uns seit langem für eine Flankierung des notwendigen Überschußabbaus durch direkte produktionsneutrale Einkommensübertragungen eingesetzt. Unser Programm von 1980, von 1985 und das Aktionsprogramm von 1988 machen hier eindeutige Vorgaben. Jedem Einsichtigen muß doch klar sein, daß in Zeiten wachsender Überschüsse trotz enormer Aufwendungen die bäuerlichen Einkommen allein über die Preise nicht gesichert werden können. Das geben Sie jetzt selber zu, dankenswerterweise, Herr Minister. Aber Bundesregierung und leider auch Bauernverband haben uns
wegen dieser Vorstellung lange Jahre kritisiert und nur eine aktive Preispolitik gefordert.
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Die Entwicklungen der letzten Jahre haben uns voll bestätigt. Wir sehen mit einer gewissen Befriedigung, daß sowohl in Brüssel als auch hier in Bonn eine wenn auch leider viel zu späte Einsicht in neue Wege der Einkommensübertragung gewachsen ist. Wir müssen diesen Weg energisch weiterbeschreiten. Allerdings muß der Finanzminister seine unsinnige Blockadepolitik aufgeben, die am falschen Ende spart. Wir müßten von dem Teufelskreis des Immer-mehr-produzieren-Müssens weg. Wir müssen dort herauskommen. Darum: weg von produktionstreibenden Hilfen und hin zu produktionsneutralen existenzsichernden Hilfen!
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Hier geht es nicht nur um mehr Geld, sondern darum, daß das Geld auf den Höfen ankommt, meine Freunde.
Unserer alten Forderung nach einer gerechten Einkommenspolitik hat die Bundesregierung nun nachzukommen.
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Damals haben wir sie schon gefordert. Von 1989 an ist ein Teil der Mehrwertsteuerpauschale - Sie verlangen ja 2 % mehr, Herr Eigen - neu zu gestalten. Dabei erwarten wir angemessen gestaffelte Ausgleichsbeträge, die an eine Einkommensschwelle gebunden sind. Existenzrettende und notwendende Hilfe für die Bauern: ja, Einkommensübertragung an Großverdiener, wer immer das sein mag: nein.
Nun zur Extensivierungspolitik.
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Wir begrüßen es, daß die Regierungschefs in ihrer Grundsatzentscheidung über Extensivierung, Flächenstillegung und Vorruhestand im letzten Februar einen Schritt hin zu einer Neuorientierung der Agrarpolitik getan haben. Es ist aber bedauerlich, daß die Regierungschefs keinerlei Anstöße für ein EG-weites direktes Einkommenssystem gegeben haben. Die EG-Kommission hat hier vor Jahresfrist Vorschläge vorgelegt, die, wenn auch unzulänglich, zumindest einen Einstieg in ein solches System bringen können. Ernsthaft darüber verhandelt wurde nicht. Dabei könnte dies ein Herzstück für die Verbesserung der Einkommenssituation sein. Die Bundesregierung sollte daher die Zeit ihres Vorsitzes im Ministerrat nutzen - und hierzu, Herr Minister, fordere ich Sie auf - , um hier zu entscheidenden Fortschritten zu kommen. Noch ist ein bißchen Zeit.
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Die Koalitionsfraktionen haben nun im Eilverfahren einen Gesetzentwurf vorgelegt, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß zumindest die Flächenstillegung zum 1. Juli 1988 Anwendung finden kann.
Diese Vorgehensweise entspricht zwar eher einem Überfall
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als einem ordnungsgemäßen parlamentarischen Verfahren,
({14})
aber, Freunde, trotz unserer Bedenken haben wir uns diesem Verfahren nicht widersetzt; denn es geht uns vor allem darum, daß den Landwirten rechtzeitig geholfen wird, und zwar noch vor der Aussaat im kommenden Herbst.
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Wer das will, der muß bis zum Juli wissen, wo er dran ist. Deshalb werden wir das nicht blockieren, sondern konstruktiv mitarbeiten.
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Noch eine kritische Anmerkung ist notwendig: Mit dem Extensivierungsgesetz wird nur die Flächenstillegung ab 1. Juli 1988 Anwendung finden. Die für uns wichtigere Extensivierung und die Umstellung der Erzeugung sollen dagegen erst zu Beginn des nächsten Jahres wirksam werden. Wieder ein Jahr vergangen. Das gilt auch für den Vorruhestand für ältere Landwirte. Wir halten eine derartige zusätzliche Zersplitterung des Maßnahmenbündels nicht nur für unsinnig, sondern vor allem für den Landwirt für unzumutbar. Alle diese Maßnahmen stehen doch in ursächlichem Zusammenhang. Der Landwirt muß bei seiner konkreten Entscheidung alle Einzelheiten wissen, weil er entscheiden will und weil er entscheiden muß.
Dieser magere Gesetzentwurf ist doch Ausdruck des offenen Streits zwischen den zuständigen Bundesressorts, zwischen Bundesregierung und Bundesländern sowie innerhalb der Regierungskoalition. Um diesen Streit zu überdecken, haben Sie diesen Weg gewählt und hoffen nun darauf, daß es noch rechtzeitig gelingt. Offen ist, ob dieses Verfahren wirklich Erfolg haben wird. Denn der Bundesrat kann das gesamte Verfahren noch zu Fall bringen.
Wir Sozialdemokraten werden uns im kommenden Gesetzgebungsverfahren konstruktiv verhalten. Wir wollen, daß die Ausgestaltung zum Besten der Landwirte und ohne Verzögerung geschieht und daß Extensivierung eindeutig Vorrang vor Flächenstillegung hat. Großräumige dauerhafte Flächenstillegungen kommen für uns nicht in Betracht. Eine solche Maßnahme führt doch besonders in strukturschwachen Regionen zu einer wachsenden Verödung ganzer Landstriche, und es besteht die Gefahr, daß dann andere den Markt übernehmen. Rotationsbrache, extensive Beweidung und alternativer Landbau sind hervorzuheben. Die Höhe der Beihilfe sollte entsprechende Anreize geben.
Soweit begrenzte Flächenstillegungen unter Berücksichtigung der Belange des Umwelt- und Naturschutzes vertretbar sind, sollten zusätzlich folgende Kriterien eingeführt werden: Die Maßnahmen sollten sich auf alle Ackerflächen beziehen. Die Stillegung sollte nur Teile eines Betriebes umfassen, es sollte
keine intensivere Bewirtschaftung auf den verbleibenden Flächen geben. Benachteiligte Gebiete und Berggebiete müßten von der Flächenstillegung ausgenommen werden können. Der sensible Pachtmarkt darf durch diese Maßnahmen nicht zusätzlich gestört werden.
Ein Erfolg wird nur möglich sein, wenn alle Länder mitmachen, Aber wir wissen, daß einige Länder nur wiederwillig zugestimmt haben. Deshalb fordern wir die EG-Kommission als Kontrollinstanz auf, hier zu prüfen - und wir fordern einen Bericht der Bundesregierung - , daß nun alle mitmachen und nicht andere den Markt übernehmen, während wir die Produktion zurückfahren.
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Wir beantragen deshalb Überweisung an den Ernährungsausschuß.
Meine Damen und Herren, Sie sehen, wir werden konstruktiv mitarbeiten.
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Alle Vorschläge, die der Minister angesprochen hat, sind Vorschläge, die unseren schon sehr verwandt sind, die er noch vor Jahren negiert hat.
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Besonders gilt es dafür zu sorgen, daß nun endlich auch im Bundeskabinett Klarheit herrscht und man nicht immer wieder bei einzelnen Maßnahmen den Eindruck haben muß, daß sich Stoltenberg und Kiechle nicht einig sind. Er spart wirklich am falschen Ende. Besonders die umsatzarmen Bauern haben in den letzten Jahren zuviel gelitten, meine Freunde. Wir müssen ihnen ohne jedes Wenn und Aber helfen, jetzt und sofort.
Vielen Dank.
({20})
Das Wort hat der Abgeordnete Susset.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bei der Bundesregierung, beim BML und bei den Beamten für die Vorlage des Berichts bedanken und vorab feststellen, daß diese Agrardebatte zum ersten Mal Gelegenheit gibt, nicht nur die Einkommenssituation der Landwirtschaft, sondern auch die Ergebnisse der erfolgreichen Umorientierung der europäischen Agrarpolitik hier zu diskutieren. Selbstverständlich wird diese Umorientierung nur dann erfolgreich sein, wenn sich alle Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft so daran beteiligen, wie es das Ergebnis des Rats in Brüssel war.
({0})
Der Minister ist auf die Einkommenssituation eingegangen. Die ist, auch angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt, sicherlich nicht so, wie wir sie heute in der Landwirtschaft brauchten. Die Einkommenssituation der deutschen Landwirtschaft macht aber auch im EG-Vergleich gewisse Sorgen. Während die
Betriebseinkommen in Dänemark und in den Niederlanden im Wirtschaftsjahr 1985/86 bei über
49 000 DM lagen, in Belgien bei 40 000 DM, lagen sie bei uns nur bei etwa 23 000 DM. Sicherlich - das müssen wir feststellen - ist hier die Struktur mitverantwortlich. Der Herr Minister ist darauf vorhin eingegangen. Verantwortlich hierfür ist aber natürlich auch das Problem des Währungsausgleichs. Deshalb müssen wir darauf drängen, daß das System des Währungsausgleichs so lange erhalten bleibt, bis wir eine gemeinsame Währungspolitik und eine einheitliche Wirtschaftspolitik haben. Auch im Vergleich zu den Einkommen, die in anderen Wirtschaftsbereichen erzielt werden, ist die Landwirtschaft im Nachteil.
Diese wenigen Ausschnitte, die auch in der Rede des Ministers zum Ausdruck kamen, machen deutlich, daß wir in der Agrarpolitik noch nicht über den Berg sind.
Der Agrarbericht zeigt aber auch eine positive Bilanz, nämlich dort, wo die Bundesregierung die Möglichkeit hatte, national Unterstützung zu geben. Wir waren 1983 mit dem Agraretat bei knapp 6 Milliarden DM. 1988 sind es bereits über 8,5 Milliarden DM. Während der Bundeshaushalt von 1983 bis 1988 um 11 % gewachsen ist, ist der Agraretat um 44 To aufgestockt worden. Allein diese Gegenüberstellung, Herr Kollege Oostergetelo, spricht eigentlich dem Hohn, was Sie hier als unsinnige Blockadepolitik des Finanzministers dargestellt haben. Der Finanzminister hat das an finanziellen Zuwendungen gegeben, was sicherlich bei einem SPD-Finanzminister überhaupt nie möglich gewesen wäre.
({1})
Was wäre geschehen, wenn wir noch einen SPD-Finanzminister hätten? 1982 wurden Beschlüsse gefaßt, etwa die Abschaffung der Bundeszuschüsse für die Berufsgenossenschaften, die Halbierung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe. Herr Kollege Oostergetelo, wie hätten Sie ausgleichen können, was Sie vorhin zum Ausdruck brachten? Wie hätten Sie Voraussetzungen geschaffen, daß unsere Dörfer besser werden? Wie hätten Sie das bei einer Halbierung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe geschafft? Das war SPD-Politik, und der frühere Finanzminister, der Herr Apel, macht doch auch heute immer noch deutlich, daß für ihn dieses „Verstreuen von Milliarden an die deutsche Landwirtschaft" bei einer SPDgeführten Bundesregierung nie möglich wäre.
Ich denke an die Ausgleichszulage.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was hat
sich hier in den letzten Jahren getan? Wir haben heute
50 To der landwirtschaftlichen Nutzfläche in dieser Ausgleichszulage. Herr Kollege Kreuzeder, ich glaube nicht, daß dies in Ihrem Wahlkreis als Almosen bezeichnet wird.
({3})
Ich nehme an, daß man in Ihrem Wahlkreis durchaus erkennt, daß die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung bereit sind,
({4})
natürliche Nachteile, die vorhanden sind, auch tatsächlich finanziell auszugleichen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe eingangs gesagt, daß wir heute auch über den Einstieg in die neue Agrarpolitik diskutieren können, und ich meine, da haben wir dem Bundeskanzler zu danken, der in Brüssel Agrarpolitik zur Chefsache gemacht hat, und wir haben unserem Landwirtschaftsminister Ignaz Kiechle zu danken, der in den Vorverhandlungen die Weichen dafür hat stellen können, daß das Ergebnis von Brüssel überhaupt möglich wurde.
Wir sind uns doch darüber im klaren, daß es ohne Neuordnung der Finanzen in der Europäischen Gemeinschaft und besonders in der europäischen Agrarpolitik überhaupt keine Chance mehr gegeben hätte, die Einkommen in der Landwirtschaft auch nur einigermaßen zu sichern. Was war denn seitens der Kornmission und was war seitens der Mitgliedsländer vorgeschlagen worden? Eine Preisdruckpolitik war die Vorgabe, die die Bundesrepublik damals in Kopenhagen vorgefunden hat. Wir haben in Kopenhagen nicht zugestimmt; denn das, was in Kopenhagen für die deutsche Landwirtschaft vorgesehen war, hätte zu dem geführt, was wir nur als ein massives und unsoziales Hinausdrängen aus der Landwirtschaft hätten bezeichnen können. Aber Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben keinen Grund, hier etwas dazu zu sagen.
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Wir wollen das, was auf dem Gipfel in Brüssel beschlossen wurde, auch umsetzen. Hier ist praktisch die Milchgarantiemengenregelung ein Vorläufer, bei dem deutlich wird, daß es die Chance gibt, die Preise in einem Produktionszweig zu halten. Hier wurden wir beschimpft.
Herr Abgeordneter Susset, der Abgeordnete Oostergetelo möchte Ihnen eine Frage stellen.
Aber bitte sehr kurz,
({0})
weil die Zeit ja eingeschränkt ist!
Herr Kollege, bezeichnen Sie es auch - wie Sie es jetzt wiederholt getan haben - als internationales Verhandlungsgeschick des Bundeskanzlers, daß er für drei Jahre im voraus praktisch
Preissenkungen im Getreidebereich beschließen läßt?
({0})
Es sind keine Preissenkungen für drei Jahre im voraus beschlossen worden, sondern es sind Maßnahmen eingeleitet worden, die in der Zukunft Preissenkungen nicht mehr so notwendig machen, wie sie bisher waren.
({0})
Meine Damen und Herren, die Garantiemengenregelung bei Milch, gegen die Sie immer vorgegangen sind, hat doch gezeigt,
({1})
daß wir in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa in einem Bereich durch Mengenbegrenzung die Preise halten konnten. Die sinnvolle Mengenrückführung auf dem Milchmarkt, die unser Landwirtschaftsminister durchgesetzt hat, sollte uns auch in der Zukunft für andere Produkte den Weg weisen.
Zum 1. April 1988 wollten wir einen weiteren Schritt tun: das Problem der zuviel ausgegebenen Referenzmengen in der Bundesrepublik Deutschland lösen und gleichzeitig die in den Koalitionsvereinbarungen angekündigte Flexibilisierung der Milchgarantiemengenregelung durchführen. Dies ist leider nicht möglich gewesen. Wir wollen und müssen die nächsten Wochen dazu nutzen, der EG-Kommission klarzumachen, daß es uns ernst ist, ab 1. April 1989 das durchzuführen, was wir 1988 nicht durchsetzen konnten. Wir müssen alle von der Richtigkeit, der Notwendigkeit und der Vorteilhaftigkeit dieser Regelungen überzeugen. Hier müssen wir rasch handeln, damit man in Brüssel sieht, daß es uns damit Ernst ist.
Auf die Ergebnisse von Brüssel wird nachher der Kollege Eigen eingehen.
Bei Getreide beispielsweise wäre es ohne den Einsatz des Bundeskanzlers und des Bundeslandwirtschaftsministers unmöglich gewesen, auf die 160 Millionen t Getreide zu kommen, von denen an erst Preissenkungen bzw. Mitverantwortungsabgaben eintreten.
Der Rat hat in Anbetracht der Lage auch bei der Einfuhr von Getreidesubstituten die Kommission nachdrücklich ersucht, zu untersuchen, durch welche Maßnahmen die Verwendung von Getreide in Futtermitteln gefördert werden kann. Bei den Ölfrüchten konnte einiges Schlimmes noch verhindert werden.
Blicken wir zurück: In Brüssel wurde durch die Flächenstillegung und die Extensivierung - das wurde einfach beschlossen, Herr Kollege Oostergetelo, auch wenn Sie es vorhin nicht wahrhaben wollten - der Einstieg in die neue Agrarpolitik geschaffen. Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft haben sich auf einen Gesamtkompromiß verständigen können. Damit ist der drohende finanzielle Kollaps der Gemeinschaft abgewendet. Für die Landwirtschaft ist wichtig, daß der anhaltende Zwang zur Mehrproduktion durchbrochen und eine Alternative, nämlich Honorierung der Nichtproduktion, aufSusset
genommen wurde. Der Landwirtschaft wurde eine Perspektive gezeigt. Sie gefällt nicht jedem; ich weiß es; das ist uns allen klar. Aber die drückende Verunsicherung der deutschen Landwirtschaft konnte abgemildert werden, und die Landwirtschaft hat die Klarheit, die sie braucht und die vor allem die jungen Menschen brauchen, wenn der Nachfolger vor seiner Berufsentscheidung steht. Aber das alles - ich wiederhole es - wird nur dann voll wirksam, wenn alle Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft bereit sind, den Weg konsequent zu gehen, den wir heute hier einschlagen.
({2})
Es geht nun darum, das, was wir in Brüssel erreicht haben, national umzusetzen. Wir beraten heute deswegen zusammen mit dem Agrarbericht der Bundesregierung den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Flächenstillegung, Extensivierung und Umstellung der Erzeugung.
Wenn hier kritisiert wird, was im Vorfeld geschehen sein mag, sage ich: Die Koalitionsfraktionen haben diesen Gesetzentwurf heute eingebracht. Zu den Koalitionsfraktionen gehört der Finanzminister, gehört der Landwirtschaftsminister, gehört der Sozialminister und gehören alle, die dieser Bundesregierung angehören. Deshalb können Sie davon ausgehen, daß das Einbringen im Bundestag auch dazu führen wird, daß wir am 1. Juli 1988 die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen haben werden.
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- Auch die Finanzierung, Herr Kollege Müller. Sie können sich darauf verlassen, daß die Finanzierung gesichert ist.
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Was die Umsetzung der Extensivierung und der Umwidmung angeht, ist einfach Eile geboten. Wir müssen mit der nationalen Durchführungsverordnung jedoch abwarten, weil hier Brüssel mitentscheidend ist.
Die Flächenstillegung ist keine einfache Sache. Wir haben aus guten Gründen der Preissenkungspolitik widersprochen. Wir müssen dafür jedoch auf uns nehmen, daß eine komplizierte Regelung getroffen werden muß.
Wir haben den Gesetzentwurf bereits eingebracht, damit er sorgfältig beraten werden kann. Wenn das, was der Kollege Oostergetelo hier heute angekündigt hat, bei den Ausschußberatungen gilt, bin ich guten Mutes.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist Bestandteil der Umsetzung der zentralen agrarpolitischen Entscheidungen des Europäischen Rates im Februar dieses Jahres. Die Flächenstillegung ist auf Betreiben der Bundesrepublik Deutschland zustande gekommen, weil damit durch eine direkte Entlastung der Agrarmärkte die Wirkung der marktpolitischen Entscheidungen des Europäischen Rates unterstützt wird und gleichzeitig einem Druck auf die Agrarpreise und Agrareinkommen entgegengewirkt werden kann.
Der Gesetzentwurf hat weitgehende, positive Auswirkungen auf die Umwelt, insbesondere durch die vorgesehenen Maßnahmen zur Herausnahme bereits intensiv bewirtschafteter Agrarflächen aus der Produktion,
({5})
durch die Extensivierung der landwirtschaftlichen Produktion, durch die vorgesehenen Möglichkeiten der Aufforstung sowie der Nutzung für nichtlandwirtschaftliche Zwecke und für Zwecke des Naturschutzes und der Landschaftspflege.
Wir bitten, meine sehr verehrten Damen und Herren, um Ihre Zustimmung für die Überweisung an die zuständigen Ausschüsse. Ich möchte die Oppositionsfraktionen eindringlich bitten, daß sie nicht nur im Landwirtschaftsausschuß, sondern in all den zuständigen Ausschüssen bereit sind, die Verhandlungen, die Beratungen nun so rasch wie möglich durchzuführen. Denn wenn es nicht gelänge, diesen Gesetzentwurf tatsächlich in Kraft zu setzen, dann hätten wir nicht nur gegenüber der deutschen Landwirtschaft für dieses Jahr wahrscheinlich eine schwierige Situation zu vertreten, sondern wir wären vor allen Dingen auch in der schwierigen Situation, den Partnern in der Europäischen Gemeinschaft, die von dieser Politik zuvor eigentlich nichts wissen wollten, die einseitig auf Preissenkungspolitik gesetzt haben, diesen Weg der Rückführung der Produktion klarmachen zu müssen, damit Preisdruck auch in der Zukunft nicht notwendig wird.
Nun, meine Damen und Herren, Sie können davon ausgehen - und das kommt in unserem Entschließungsantrag zum Agrarbericht zum Ausdruck - , daß wir auch im kommenden Jahr hinsichtlich all der Probleme, die agrarpolitisch auftreten - ob im Getreidebereich, ob im Bereich Wein und all dessen, was hier nun angesprochen wird,
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was jedoch aus Zeitgründen von mir jetzt nicht vorgetragen werden kann - , die Weichen stellen, damit die Landwirtschaft auch in der Zukunft wieder Vertrauen in die Entscheidungen in Brüssel haben kann. Auf uns, auf die Koalitionsfraktionen und auf die Bundesregierung kann sie sich verlassen.
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Ich bin fest davon überzeugt, daß die SPD ihrerseits hier von dem Abschied nehmen wird, was sie seither getan hat: dies alles nur kritisch zu begleiten, Forderungen zu stellen, die Sie sich in der Regierung überhaupt nie zu stellen getraut hätten. Die Landwirtschaft hat Solidarität aller politischen Parteien notwendig. Deshalb meine Bitte: Helfen Sie mit - durch Ihre Bereitschaft, mitzuarbeiten - , daß wir die Probleme lösen!
Ich danke schön.
({8})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Flinner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zuerst möchte ich einmal ganz kurz etwas zu der Ausgleichszulage sagen, die Sie hier ständig so hochpreisen. Sicher ist es richtig, daß Sie den Bauern wieder etwas für das geben müssen, was Sie ihnen zuvor wegnehmen. Und da möchte ich z. B. nur einmal das Thema Milchquotierung anschneiden. Wieviel haben Sie den Bauern denn da weggenommen? Die müssen ja wieder über die Runden kommen.
({0})
Da brauchen Sie sich hier doch nicht immer wieder hinzustellen und die Ausgleichszulage so hochzupreisen.
Ich möchte mich aber heute einmal ganz speziell auf den Agrarbericht beziehen. Denn der letzte Agrarbericht zeigt, daß die Bundesregierung nicht für uns Bauern und Bäuerinnen, sondern gegen uns Politik macht. Wie ist es sonst zu erklären, daß die Zahl der landwirtschaftlichen Arbeitsplätze durch den von Regierungsmaßnahmen beschleunigten Sturkturwandel um 5,8 % gegenüber dem Vorjahr abnahm? Das sind 50 000 Bauern und Bäuerinnen, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die auch noch den Arbeitsmarkt belasten. Oder wie ist es zu erklären, daß für die Vollerwerbsbetriebe Gewinneinbußen von 5 bis 10 % hinzunehmen sind?
Wenn Sie, Herr Kiechle, im Agrarbericht schreiben, daß „die Sicherung einer leistungsfähigen bäuerlichen Landwirtschaft und ihrer Wettbewerbsfähigkeit" notwendig ist, aber gleichzeitig den Abbau bäuerlicher Existenzen beschleunigen, ist mir klar, daß Sie etwas ganz anderes meinen, als Sie hier aussagen.
Sie, Herr Staatssekretär von Geldern, drückten es kürzlich sehr treffend aus: „Den modernen Bauern von morgen, allen technischen und ökonomischen Neuerungen aufgeschlossen, wirtschaftlich leistungsfähig und EG-weit wettbewerbsfähig, trennen Welten von traditionellen Nahrungsproduzenten von gestern. "
({1})
Man muß schon genau hinhören: Nach Ihrer Meinung ist die Zeit der bäuerlichen Landwirtschaft, die uns durchaus mit gesunden Nahrungsmitteln versorgen und mit der Natur in Einklang produzieren kann, vorbei. Für Sie hat nur die Agrarindustrie Zukunft, die ohne Rücksicht auf unsere natürlichen Lebensgrundlagen und Standorte zu Niedrigpreisen einheitlichen Industriefraß und andere Rohstoffe auf den EG-Markt werfen kann.
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Die Folgen solch einer Industrialisierung werden uns teuer zu stehen kommen
({3}) und noch schwer zu schaffen machen.
Unser Antrag zum Schutz der bäuerlichen Landwirtschaft mit flächengebundenen Bestandsobergrenzen in der Tierhaltung will dieser negativen Entwicklung entgegenwirken. Hier wird ein Weg vorgezeichnet, wie wir die Überschüsse abbauen und die Arbeitsplätze erhalten, wie wir die ökologischen Belastungen durch Gülle und Nitrat abbauen können.
Unser Antrag zur Einführung eines 50%igen Getreidebeimischzwangs für die Mischfutterindustrie geht in die gleiche Richtung: Überschußabbau, ökologische Verbesserung und Vermeidung von Einkommenseinbußen für die Getreideerzeuger. Wenn Sie wirklich die Ziele verfolgen, die Sie im Agrarbericht nennen, dann müssen Sie unseren Anträgen zustimmen.
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Die Durchschnittsgrenze, ab der Betriebe noch wachsen, hat sich in den letzten 10 Jahren von 25 auf 35 Hektar landwirtschaftlicher Fläche erhöht. Das bedeutet, daß kleinere Betriebe immer schneller in Gefahr geraten, aufgeben zu müssen. Das sehen wir an den klein- und mittelbäuerlichen Höfen in Süddeutschland; denn ihnen fehlen schon heute die finanziellen Mittel, um dringend notwendige Investitionen zu tätigen. Sagen Sie mir: Wie sollen dort die Bauern und Bäuerinnen auf ihren Höfen weiterexistieren können? Sie müssen aufgeben, und genau das ist von Ihnen so gewollt.
Es ist auch kein Wunder, daß in vielen Betrieben die Hofnachfolge nicht gesichert ist. Wer ist denn bei dem verschärften Existenzkampf noch gewillt und in der Lage, sich darauf einzulassen, bei sinkendem Einkommen diese Arbeit zu machen, deren überdurchschnittliche Belastung mir sehr wohl bekannt ist? Und so ist es der Regierung nur recht, daß im Rahmen des Generationswechsels auf kaltem Wege immer mehr landwirtschaftliche Betriebe aufgeben. Sie fallen der Ausbreitung der sogenannten leistungs- und wettbewerbsfähigen Betriebe zum Opfer. Unser Antrag zu Bestandsobergrenzen, der der übermäßigen Ausdehnung von Intensivbetrieben Einhalt gebieten sollen, paßt natürlich nicht in Ihr Regierungskonzept, das vergeblich versucht, den Konzentrationsprozeß der Holländer nachzumachen. Gegen diesen Versuch wehren wir uns deshalb, weil durch den sogenannten technischen Fortschritt und die Konzentration nicht nur ökologische Belange, sondern auch die selbstbestimmten Arbeitsplätze der Bäuerinnen und Bauern auf der Strecke bleiben.
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Mit einem üblen Trick wird im Agrarbericht versucht, die Einkommenseinbußen der Landwirte zu vertuschen. Indem die Einteilung in kleine, mittlere und größere Betriebe nach oben verschoben wurde, ergibt die statistische Aufstellung ein deutlich verbessertes Einkommensbild. Wenn in Wirklichkeit 12 der Betriebe weniger als 10 000 DM Gewinn im Jahr erwirtschaften, die Hälfte davon sogar ein Minus, wenn bei der ohnehin sparsamen Lebenshaltung der Landwirte die Ausgaben nicht mehr gedeckt sind, wenn die Gewinnkurven der landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebe gegenüber gewerblichen Vergleichslöhnen seit Jahren immer weiter absinken, dann ist das das Ergebnis Ihrer Agrarpolitik gegen die Bauern und Bäuerinnen.
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Ihr Trick besteht nun darin, daß jetzt alle Betriebe unter 40 000 DM Standardbetriebseinkommen als „kleine Betriebe" eingestuft werden. Das sind aber 53 % aller Betriebe überhaupt. Demgegenüber werden nur noch etwa 26 % als mittlere und etwa 20 % als größere Betriebe eingestuft. So wird ein viel zu hohes Durchschnittseinkommen für kleinere Betriebe angegeben, nämlich über 29 000 DM im Jahr. Wäre das Einkommen in Kleinbetrieben wirklich so hoch, dann hätten doch nicht 26 000 Betriebe aufgegeben, doppelt so viele wie ein Jahr zuvor. Die realitätsferne Untergliederung der Betriebe entspricht einem ebenso realitätsfernen Wunschdenken, daß wir mit neuer Technologie und Industriepflanzenanbau die Landwirtschaft verbessern könnten.
Eine ähnliche Entdeckung machen wir bei der statistischen Erfassung der Nebenerwerbsbetriebe: Es werden überhaupt nur die mit mehr als 5 000 DM Standardbetriebseinkommen erfaßt. Das sind aber deutlich weniger als die Hälfte aller Nebenerwerbsbetriebe. 168 000 von 280 000 bleiben unberücksichtigt. So erspart man uns das beschämende Ergebnis, daß viele Nebenerwerbslandwirte in Wirklichkeit zuzahlen müssen.
Herr Gallus, ich frage Sie: Was hat diese Statistik noch mit Wahrheit zu tun? Herr Gallus, ich fühle mich an Ihr Wort im Ausschuß erinnert, daß die halbe Wahrheit eine ganze Lüge ist.
({7})
Wie es um das Einkommen der deutschen Bauern wirklich steht, zeigt die Aufstellung der Nettowertschöpfung der Arbeitseinheiten. Bei uns ist die Abnahme die schwerste innerhalb der ganzen EG. In Holland hat man mit am meisten noch zugelegt. Diese Regierung betreibt den Ausverkauf der deutschen Bauern zugunsten der EG.
Frau Abgeordnete, der Herr Abgeordnete Gallus möchte gern eine Zwischenfrage stellen.
({0}) - Ich rechne Ihnen die Zeit nicht an.
Im Ausschuß streiten wir wieder, Herr Gallus.
Während hier mit Flächen- und Betriebsstillegungen die Kapazitäten freiwerden, produzieren die übrigen EG-Länder immer mehr. So sagte der Direktor im niederländischen Landwirtschaftsministerium Dr. Curfs kürzlich in Venlo, man lehne in Holland die Flächenstillegung ab, die holländischen Bauern profitieren gut von den verbrauchsstarken Märkten, vornehmlich im Bundesgebiet. Kein Wunder, wenn jetzt schon die Einfuhren land- und ernährungswirtschaftlicher Güter aus Holland laut Agrarbericht dreimal so hoch sind wie die Ausfuhren nach Holland.
({0})
Mit dem, was unsere Regierung in der EG durchgesetzt hat, subventioniert sie zu Lasten unserer bäuerlichen Landwirtschaft die holländische Agrarindustrie, deren gigantischer Gülleüberschuß eine ökologische Katastrophe ist. Soll ich Ihnen, Herr Kiechle, zu
dieser Entwicklungshilfepolitik für die Holländer vielleicht auch noch gratulieren?
({1})
Betrachten wir nun einzelne Wirtschaftszweige bei uns, zuerst den Weinbau. Gegenüber dem Vorjahr gibt es zwar einen durchschnittlichen Gewinnzuwachs von 3,4 % , aber das Einkommen der Jahre 1980 bis 1983 wird immer noch um 5 % unterschritten. Hatten die Baden-Württemberger diesmal sogar Gewinnsteigerungen von 100 %, so ist nur zu ahnen, wie schlecht es ihnen in den drei vorhergehenden Jahren gegangen sein muß.
In der Forstwirtschaft sind die Reinerträge im Privatwald laut Agrarbericht um 63 % zurückgegangen. Der Wald befindet sich nach wie vor in einem labilen Zustand. Die Schäden an Laubbäumen nehmen immer noch zu. Eine Regierung, die schon so lange im Amt ist wie diese, hätte die Zeit nutzen müssen, gravierendere Maßnahmen einzuleiten, um das Waldsterben zu stoppen.
({2})
Als Ausweg aus der hausgemachten Agrarkrise und als alternativer Weg wird uns Landwirten jetzt der Anbau von Industriepflanzen vorgeschlagen. Da aber das Wort „Wettbewerbsfähigkeit" in diesem Zusammenhang so oft vorkommt, kann ich den harten Konkurrenzkampf nur erahnen, der uns um billige Erzeugung zu Lasten von Boden, Grundwasser und Ökologie bevorsteht. Im formulierten Ziel einer „Produktion, die Naturgüter schont, mit Energie sparsam umgeht und zwischen ökologischen und ökonomischen Notwendigkeiten einen Ausgleich findet" ist der Zielkonflikt schon eingebaut: Die sogenannten ökonomischen Notwendigkeiten werden sich durchsetzen.
({3})
Man muß schon genau hinsehen. Im Hinblick auf die Qualität der Nahrungsmittel wird - ich zitiere -„eine ernährungsphysiologisch einwandfreie Beschaffenheit der Nahrungsmittel wie auch eine weitgehende Erhaltung ihrer natürlichen Eigenschaften" gefordert. Wieso nur „weitgehend"? Damit wir demnächst auch mit gentechnisch veränderten oder gentechnisch erzeugten Nahrungsmitteln versorgt werden können? Damit wir schon bald Milch- und Fleischimitate auf den Tisch bekommen dürfen? Sollen denn auch bei uns bald diese Imitate die Milchüberschüsse und Butterberge in die Höhe treiben? Hat die Bonner Regierung hier keinen Einfluß auf die EG, in die derzeit jährlich immer noch 78 000 t Butter zusätzlich aus Neuseeland über Großbritannien eingeführt werden?
Was steht uns wohl bevor, wenn sich der Verbraucherausschuß beim BML den Themen „EG-Binnenmarkt für Lebensmittel" und „Bio-/Gentechnologie im Hinblick auf Lebensmittel" zuwendet? Sicher das eine, daß der derzeitige Anteil der Verkaufserlöse der Landwirtschaft an den Verbraucherausgaben von 37 % noch schneller sinken wird.
Enttäuscht bin ich diesmal wieder davon, wie wenig Berücksichtigung wir Bäuerinnen in der Agrarpolitik finden. Obwohl ihr Anteil an der Arbeit in den Betrieben erneut gestiegen ist, . . .
Frau Abgeordnete, es tut mir schrecklich leid, aber die Kollegen, auch die, die noch sprechen wollen, wollen mit Zug und Flugzeug wegfahren.
... obwohl gerade sie besonders in Nebenerwerbsbetrieben für die Existenzsicherung mitverantwortlich sind, obwohl sie besonders häufig durch Mehrfachbelastungen psychisch und physisch überfordert sind, ist ihre soziale Absicherung völlig unzureichend. Sie haben Anspruch auf einen ausreichenden Mutterschutz sowie auf eine eigenständige soziale Absicherung, die ihnen immer noch verwehrt ist.
({0})
Wenn jeder sechste Arbeitsplatz mit der Landwirtschaft in Verbindung steht, frage ich Sie, weshalb Sie weiter gegen uns Landwirte Politik machen.
({1})
Nutzen Sie Ihren Einfluß in der EG, um europaweit die Abkehr von der Überschuß- und Industrielandwirtschaft zu erreichen! Merken Sie denn nicht, daß die von Ihnen eingebrachten Flächenstillegungspläne von der übrigen EG nur belächelt werden, daß mit diesem Programm unsere schöne Kulturlandschaft völlig zerstört wird?
Wenn Sie wirklich an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen interessiert sind, wie es ja im Agrarbericht steht, dann folgen Sie unserem Antrag nach ökologischer Intensivierung der Landwirtschaft.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordneter Paintner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn Sie so wollen: Mit dem jetzt zur Beratung anstehenden Agrarbericht liegen die Tatsachen wiederum auf dem Tisch. Die Diagnose ist gestellt, und wiederum sind die Ärzte gefordert, hier zu handeln. Ich meine, daß es besonders wichtig ist, daß wir dem Ärtzeteam, das ja an dieser Agrarreformpolitik maßgeblich beteiligt war, zunächst einmal danken, und zwar sicherlich dem Bundeskanzler, dem jetzigen Vizekanzler Hans-Dietrich Genscher, dem jetzigen Minister Kiechle und meinem Freund Wolfgang Mischnik.
({0})
- Und Stoltenberg, von mir aus auch; allen miteinander. Ich bin ja nicht so.
({1})
Ich bin der Überzeugung, daß hier so schnell wie möglich gehandelt werden muß. Die Landwirtschaft hat trotz ihres Schrumpfungsprozesses immer noch eine Schlüsselfunktion für den ländlichen Raum zu erfüllen. Gerade in einem Industriestaat sind die ländlichen Gegenden über den angestammten Lebensraum für die Einheimischen hinaus auch begehrte
Wohnstätte für Zugereiste geworden. Auf Bayerisch darf man sagen: Zuagroasde.
({2})
Zudem steht der ländliche Raum im Mittelpunkt der Sorge von Natur- und Umweltschützern. Ihn gilt es zu erhalten.
Der ländliche Raum darf wirtschaftlich nicht verkümmern; denn er bietet gerade dem mittelständischen Gewerbe und dem Handwerk große Entfaltungsmöglichkeiten. Das Bemühen der Liberalen ist es, durch eine ausgewogene Wirtschafts- und Agrarpolitik dazu beizutragen, daß die Arbeitslosigkeit in ländlich strukturierten Gegenden eingedämmt wird. Niemand wird bestreiten, daß die Landwirtschaft einen wirtschaftspolitisch wichtigen Teil der ländlichen Räume darstellt. Wir müssen aber gleichzeitig feststellen und gleichermaßen anerkennen, daß die Funktionsfähigkeit der ländlichen Räume allein durch die Landwirtschaft heute nicht mehr gewährleistet werden kann. Wer es also mit der Erhaltung der ländlichen Räume ernst meint, der darf sich nicht in Lippenbekenntnissen ergehen, der muß gewerbliche Arbeitsplätze in den ländlichen Regionen schaffen. Diesen Appell richte ich ganz besonders an die Bundesländer.
Die Einkommenssituation ist sicherlich schlecht, aber nicht für alle gleich schlecht. Hier gilt es, in der Zukunft sehr viel zu tun, um dies zu verbessern. Als praktischer Landwirt möchte ich aber diejenigen warnen, die meinen, daß heute ein Vollerwerbsbetrieb mit dem Durchschnittseinkommen überleben und dann vielleicht noch zwei Familien, Vater und Sohn, weiterhin ernähren kann. Ich glaube, hier brauchen wir einen verstärkten Strukturwandel, um mehr leistungsfähige Betriebe zu bekommen. Parallel hierzu werden wir eine wachsende Zahl von Nebenerwerbslandwirten bekommen, bei denen die Hauptsäule des Einkommens im außerlandwirtschaftlichen Bereich zu finden ist.
({3})
- Da muß ich Ihnen schon sagen: Wissen Sie nicht, daß wir in Niederbayern die BMW haben? Das sind ganz viele Arbeitsplätze; das haben Sie anscheinend noch gar nicht mitbekommen.
({4})
Trotz dieser grundlegenden Tatsachen dürfen wir die Augen vor der Überschußproduktion nicht verschließen. Sie ist zusammen mit der schlechten Agrarstruktur, die wir in der Bundesrepublik Deutschland haben, eigentlich das Grundübel für all das, was wir heute so beklagen. Die Landwirte der EG, besonders diejenigen in der Bundesrepublik Deutschland, befinden sich ganz sicher nach wie vor in einer äußerst schwierigen Situation. Nachdem wir im Kampf gegen die Überschüsse erst am Anfang stehen und kaum mehr als Teilerfolge aufzuweisen haben, gilt es die Frage zu beantworten, ob unsere Weichenstellung für die Zukunft richtig ist.
Die FDP ist davon überzeugt, daß ihr Thesenpapier „Perspektiven zur Agrarpolitik", das sogenannte
Gallus-Papier, das sie 1985 als Antwort auf das Grünbuch der EG entwickelt hat, die richtigen Grundsätze enthält. Es muß unter grundsätzlicher Aufrechterhaltung der Marktordnungen der EG soviel Markt wie möglich und soviel staatliche Hilfe wie nötig geben. Sollen die Preise nicht ins Bodenlose sinken, muß die Produktion durch Herausnahme von Flächen und Betrieben ins Gleichgewicht gebracht werden. Wir freuen uns, daß dazu die richtigen Entscheidungen beim Gipfel in Brüssel getroffen wurden.
Jetzt kommt es darauf an, durch das heute einzubringende Gesetz zur Flächenstillegung und Extensivierung und das nachfolgende Gesetz über eine Produktionsaufgaberente den Weg für einen ausgeglichenen Markt und eine wettbewerbsfähige deutsche Landwirtschaft zu ebnen. Dabei legt die FDP Wert auf die Tatsache, daß die Produktionsaufgaberente den Kern unserer politischen Leistungsansätze darstellt. Wer hier sparen will, spart am falschen Platz und verlängert die schwierige Zeit, die wir durchzumachen haben. Wer hier spart, spart zudem nur sehr vordergründig, denn Resultat einer nur halbherzig durchgeführten Produktionsaufgaberente würde sein, daß die Anstrengungen unserer Landwirtschaft, Anschluß an die Leistungsfähigkeit anderer EG-Länder zu halten, unnötig erschwert werden. Dies hätte zur Folge, daß sich die Agrarpolitik langfristig nicht verbilligt, sondern zwangsläufig verteuern würde.
Daß für uns - da stehen wir natürlich im Gegensatz, Frau Flinner - die nachwachsenden Rohstoffe nach wie vor von großer Bedeutung sind, möchte ich hier und heute noch einmal unterstreichen. Ohne Euphorie, aber mit Nachdruck wollen wir alles unterstützen, was für die Zukunft erfolgversprechend ist. Ich wünsche mir z. B. Verpackungsmaterial, welches aus Kunststoff besteht, der mit Stärke und Zucker als Rohstoff hergestellt wurde.
({5})
Vielleicht ist das etwas teurer, aber es wäre, meine ich, dann rückstandsfrei. Im übrigen bietet auch der Flachs hervorragende Einsatzmöglichkeiten, wenn die erfolgversprechenden Ansätze weiterverfolgt werden, insbesondere den kurzfaserigen Flachs im Verpackungsbereich einzusetzen.
Ich bitte diesbezüglich den Umweltminister, uns in diesen Bereichen zu helfen; gleichzeitig fordere ich die Vertreter der Landwirtschaft in den Chemiekonzernen auf, sich dafür einzusetzen, daß dort mehr Agrarrohstoffe verwendet werden. Meine Hoffnung geht auch dahin, daß wir eines Tages mit Rapsöl und Biosprit fahren werden, auch wenn es noch lange dauert.
({6})
Ab diesem Zeitpunkt hätten wir sicher keine Sorgen mehr mit der Flächenstillegung.
Bei unserem rein agrarpolitischen Denken wollen wir nicht vergessen, daß zum erstenmal in der europäischen Geschichte Land wieder an die Natur zurückgegeben oder zur Bewirtschaftung im naturnahen Zustand einschließlich Aufforstung zur Verfügung gestellt werden kann. Diese Chance muß von
Landwirtschaft und Naturschutz gemeinsam genutzt
werden; sie ist eine Herausforderung ersten Ranges.
An uns Agrarpolitikern liegt es auch, wieder an Glaubwürdigkeit zu gewinnen, die wir bei den Landwirten in einer Zeit sinkender Einkommen und schlechter Absatzperspektiven verloren haben. Deshalb hat die Bundesregierung den Agraretat mehr als andere Einzelhaushalte erhöht. Deshalb hat sie gerade kleinere und mittlere Vollerwerbsbetriebe von ihren Sozialausgaben entlastet. Sie hat durch die Ausweitung der Ausgleichszulage die Gewinnunterschiede zwischen Vollerwerbsbetrieben in benachteiligten Gebieten und den übrigen Gebieten abgeschwächt. Die Bundesregierung wird sicherlich auch in Zukunft - davon bin ich überzeugt - die Landwirtschaft nicht im Regen stehen lassen.
({7})
Wir müssen sicherlich noch vieles tun. Ich habe jetzt nicht mehr die Zeit, alles auszuführen, aber eines sage ich Ihnen: Völlig unerklärlich ist es mir, daß in der Landwirtschaft quer durch diese Republik unterschiedliche Sätze für die Hofübergabe verrechnet werden, im Süden ein Mehrfaches gegenüber dem Norden. Das, meine ich, kann nicht so bleiben.
({8})
Es muß die Ungerechtigkeit der Viehzuschläge, die zu überhöhter Tierhaltung führt, durch eine Halbierung der Viehzuschläge beseitigt werden.
({9})
Für die bayerischen Landwirte - ich meine, das sollte einmal der Ministerpräsident, unser sehr verehrter Herr Ministerpräsident Franz Josef Strauß hören ({10})
fordere ich nochmals von dieser Stelle aus, daß die Schlachtviehmonopolversicherung in Bayern, die eine eindeutige Wettbewerbsbenachteiligung der Bauern ist, so schnell wie möglich beseitigt wird.
({11})
Hier wäre noch vieles anzuführen, aber ich sage auch von dieser Stelle aus: Auch die Landwirte müssen zusammen mit uns alles tun, um den Weg in die Zukunft richtig zu meistern. Ich meine, daß sie aufgefordert sind, bei allen wichtigen Betriebsentscheidungen von kleinen Anschaffungen bis zu langjährigen Investitionsentscheidungen mehr denn je mit dem spitzen Bleistift zu rechnen. Die Möglichkeiten, Produktionskosten zu senken, sind noch bei weitem nicht ausgeschöpft. Der Schleppbesatz ist bei uns in der Bundesrepublik extrem hoch. Die Maschinenringidee hat sich leider noch nicht überall durchgesetzt.
Dort, wo es vom betrieblichen Standort her möglich ist, muß sich der Landwirt neue Marktnischen erschließen. Hier wird auch der Freizeitbereich ein besonderes Gewicht bekommen.
({12})
- Ja, sicherlich auch.
Der Landwirt tut gut daran, seine Hofnachfolge klar zu übersehen. Dies gilt sowohl für die Ausbildung der jungen Generation
({13})
als auch für die Prüfung der ihm jetzt vom Staat offerierten Programme zu Vorruhestend und Flächenstillegung.
Außerlandwirtschaftliche Arbeitsplätze gewinnen immer mehr an Bedeutung. Landwirte müssen mehr denn je aufgeschlossen sein, durch mehrere Einkommen gleichzeitig ein möglichst hohes Gesamteinkommen zu erzielen.
({14})
Die Bundesregierung fordere ich auf, neben den bekannten Hilfen, die nicht zuletzt auch auf die Unterstützung der FDP-Fraktion zurückzuführen sind, in den nächsten Jahren ihre Bemühungen auf den ländlichen Raum zu konzentrieren. Den Entschließungsantrag begrüße ich für meine Fraktion als Grundlage, Wege in die richtige Richtung aufzuzeigen. Den Landwirten draußen will ich Mut machen. Nicht Resignation ist die richtige Entscheidung für die Zukunft, sondern nur mit den richtigen Entscheidungen ist die Zukunft zu meistern.
({15})
Ich möchte auch nicht versäumen, gerade in der jetzigen Zeit, wo die Agrarpolitik besonders viel Verwaltungsaufwand erfordert, auch der Verwaltung recht herzlich zu danken. Abschließend möchte ich auch dem Minister nochmals für seine Arbeit danken. Ich möchte sagen, daß wir diese Arbeit schätzen, weil wir diese Regierung wollen und brauchen. Das wissen hoffentlich auch die deutschen Bauern.
({16})
Das Wort hat der Abgeordnete Jansen.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Mein Gott, gib uns endlich eine agrarpolitisch handlungsfähige Regierung! Mit Wind und Wetter werden wir schon selbst fertig. " Dieser Ausspruch eines Landwirts bringt in wenigen Worten die Situation der Landwirtschaft auf den Punkt.
Wer sich den Agrarbericht durchsieht und die Struktur beurteilt, der weiß, woran wir sind. Nach leichten Verbesserungen im Berichtsjahr 1986/87, Herr Minister, die ausschließlich auf Senkung der Betriebsmittelkosten beruhen, werden im laufenden Wirtschaftsjahr 1987/88 die Einkommen gravierend zurückgehen. Dabei müssen alle Betriebe mit Ausnahme der Milcherzeuger mit zweistelligen Minusraten rechnen.
Der Strukturwandel hat sich gegenüber dem Vorjahr um mehr als das Doppelte auf 3,8 % beschleunigt. Fast 27 000 Höfe mußten aufgeben, davon mehr als 12 000 Haupterwerbsbetriebe. Stärker noch war der Rückgang bei der Zahl der Lohnarbeitskräfte, welche um fast 13 % niedriger lag.
Das Investitionsvolumen hat den niedrigsten Stand seit Jahren erreicht. Nur 42 % der Vollerwerbsbetriebe sind solide finanziert, und davon mußte ein Drittel auch noch Eigenkapitalverluste hinnehmen.
Im EG-Vergleich befindet sich die deutsche Landwirtschaft unverändert im unteren Teil der Einkommenskala.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Regierungsparteien können sich glücklich schätzen, daß das deutsche Konkursrecht nicht für Regierungen gilt. Jeder Privatunternehmer mit einer solchen Bilanz hätte schon längst das Konkursverfahren im Haus.
({1})
Aber Sie, Herr Minister Kiechle, kommen heute in den Bundestag und eröffnen eine neue Partie im EuroSchach. Wer genau hinsieht, erkennt, daß erneut die Bauern, und zwar die deutschen Bauern zuerst, gefährdet und geopfert werden.
({2})
Ich warne Sie vor dieser Strategie; denn Sie werden kein Schachspiel gewinnen, in dem Sie die Funktion des Turmes übernehmen, der König Helmut Kohl heißt und die Herren von Heereman und Eigen sich als Querspringer betätigen.
({3})
Wer in der Politik oder im Schach die Bauern verheizt, wird das Spiel verlieren, beim Schach und in der Politik.
({4})
Apropos Karl Eigen. Sie haben am Montag in Schleswig-Holstein auf einem Kreisbauerntag die Bundesregierung kritisiert. Immerhin! Sie haben ihr vorgeworfen, daß es völlig falsch ist, die Mehrwertsteuer insbesondere wegen des Agrarfinanzierungsbedarfs nicht schon jetzt zu erhöhen. Ich meine, Herr Eigen, es hätte Ihnen bedeutend besser angestanden zu sagen: Es ist ein gesellschaftlicher Skandal, die Spitzensteuersätze für Konzerne und Millionäre zu senken, solange die deutsche Landwirtschaft in dieser Notlage ist. Das hätte Ihre Sprache sein müssen.
({5})
Die Lage wird sich weiter verschlechtern. Betroffen sind bei uns in Schleswig-Holstein vor allem die Getreide- und Ülsaatenerzeuger.
({6})
Bei Getreide wird ab 1. Juli 1988 die gegenwärtige
Mitverantwortungsabgabe von 3 % auf 6 % verdopJansen
pelt. Wird erwartungsgemäß die Garantieschwelle von 160 Millionen t überschritten, erfolgt im darauffolgenden Wirtschaftsjahr automatisch eine Preissenkung um 3 %.
({7})
Noch schlimmer sieht es bei Ölsaaten aus. Hier muß mit einer Überschreitung der Garantieschwelle von 30 % gerechnet werden.
({8})
Das bedeutet automatische Preissenkungen bis zu 15%.
Die EG-Kommission hat inzwischen ihre Preisvorschläge vorgelegt. Sie schlägt zwar eine Nullrunde für die Agrarpreise vor. Doch sind wiederum vor allem die Getreide- und Ölsaatenerzeuger durch technische Maßnahmen bei den Erlöseinbußen betroffen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege Jansen, ich freue mich darüber, daß Sie die Sorgen der Getreidebauern und der Ackerbauern so aufnehmen. Können Sie mir bitte sagen, was in diesem Zusammenhang der Satz in Ihrem Entschließungsantrag bedeuten soll, den ich Ihnen bitte vorlesen darf:
Nur durch eine stärker marktorientierte Ausrichtung der Agrarpolitik kann die Stabilisierung der Agrarmärkte und des EG-Haushalts gelingen. Dazu gehört eine Rückführung des Instrumenta-hums der Intervention auf seine ursprüngliche Funktion eines Ausgleichsmechanismus für saisonbedingte Angebotsschwankungen.
Können Sie mir bitte sagen, welche Auswirkungen das auf die Getreidebauern haben wird?
Lieber Herr Kollege aus Schleswig-Holstein, ich erbitte nur Ihr Zugeständnis, in meiner Rede genau auf diese Frage gleich zurückkommen zu dürfen.
Außerdem möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, Herr Abgeordneter, daß in unserer Geschäftsordnung steht, die Fragen sollten kurz sein.
({0})
- Das hat nichts an dem Zeitbedarf geändert.
({1})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung als gegenwärtige Präsidentschaft im Ministerrat ist aufgefordert, die Preisverhandlungen so schnell wie möglich durch konkrete Beschlüsse abzuschließen, damit die Bauern planen können. Die EG-Kommission will die grünen Paritäten der Schwachwährungsländer nicht verändern und damit Preiserhöhungen in nationaler Währung nicht zulassen. Dieser Vorschlag ist uneingeschränkt zu begrüßen; denn die nationalen Preiserhöhungen könnten bei der Agrarreform die vereinbarten Restriktionen, z. B. die Mitverantwortungsabgabe bei Getreide, mehr als kompensieren. Für uns sind solche nationalen Preiserhöhungen unter diesem Währungsausgleichssystem unannehmbar.
Aber genau diese Forderungen sind Ihnen, Herr Minister, am Dienstag dieser Woche auf den Verhandlungstisch gelegt worden. Sie, der Bundeskanzler und der Bundesfinanzminister haben bei den EG-Finanzierungsberatungen erneut, wie 1984, einen großen Fehler gemacht. Sie hätten die neue EG-Finanzierung einschließlich der Mittel für die Strukturfondserhöhung nicht beschließen dürfen, bevor die sogenannten Schwachwährungsländer nicht auf nationale Agrarpreiserhöhungen verzichtet hätten. Das hätten Sie raushandeln müssen.
({0}),
In Ihrer Regierungszeit gibt es eine Vielzahl gebrochener Versprechungen: Jahrelang hat die Bundesregierung durch unrealistische Zusagen, für höhere Preise zu sorgen, die Landwirte immer wieder in betriebswirtschaftliche Entscheidungen getrieben, die sich im nachhinein als verhängnisvoll erwiesen haben. Herr Kiechle hat die Erhaltung des Währungsausgleichs versprochen. Ergebnis: Seit 1984 ist der deutsche Währungsausgleich von damals 10 % ständig verringert worden; ab 1. Juli gibt es überhaupt keinen positiven Währungsausgleich mehr.
Die Bundesregierung hat sich zu einer durchgreifenden Reform der agrarsozialen Sicherung verpflichtet. Ergebnis: Nicht einmal Ansätze einer Sozialreform, die insbesondere die Beitragslasten gerechter verteilen muß, sind erkennbar. Eine verbesserte soziale Absicherung der Bäuerinnen fehlt immer noch.
„Wir haben in der Landwirtschaft eine klare Orientierung und damit auch eine verläßliche Zukunftsperspektive gegeben", sagte der Bundeskanzler nach dem europäischen Gipfel. Die Bonner Wirklichkeit heute sieht anders aus.
({1})
Verschärft wird diese Situation durch die von Herrn Kiechle für das nächste Jahr angekündigte erneute Kürzung der Milchquote um 3 %. Ob dieser erneute Quotenkahlschlag verhindert werden kann, ist mehr als zweifelhaft. Daß Sie bis dahin die Milchproblematik, die Sie lösen müssen, über Stillegungen in den Griff kriegen, daran glauben Sie sicherlich selbst nicht.
({2})
Für den Vorruhestand liegt überhaupt noch keine Regelung vor. Die wichtige Extensivierung und die Betriebsumstellungen sollen auf das nächste Jahr verschoben werden.
Für die Flächenstillegungen nennt die Regierungskoalition im Gesetzentwurf den 1. Juli 1988.
({3})
Sie mußten wohl endlich in die Entscheidungsphase kommen. Aber ich habe das Gefühl, daß der wichtigste Grund für dieses schnelle und nicht geschlossene, konzeptionslose Handeln nur die bevorstehende Landtagswahl in Schleswig-Holstein ist.
({4})
- Lieber Herr Eigen, vielleicht kann man die Frage, warum ich rede, so beantworten: Sicherlich nicht nur, weil wir beide aus einem Agrarland kommen. Aber wenn sich der zukünftige sozialdemokratische Minister für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Energie um Probleme der Landwirte kümmert, ist das, glaube ich, für die schleswig-holsteinischen Landwirte nur gut.
({5})
Das Entscheidende, was wir von Ihnen verlangen, ist, daß die Zusammenarbeit, die wir anbieten, auch ihren Niederschlag in einem Gesamtkonzept findet.
Erstens: Die Agrarüberschüsse in der EG müssen gezielt und wirksam abgebaut werden, und zwar in festgesetzten Stufen unter Beteiligung aller EG-Länder bis etwa zu dem Punkt, wo sich Angebot und Nachfrage entsprechen.
Zweitens. Dafür müssen für jedes EG-Land - wir brauchen nicht über nationale Quoten zu reden - die stufenweisen Produktionsverminderungen anteilig festgelegt werden; sonst sind wir wieder die Musterschüler, und in anderen Ländern wird die jetzt nur anzubietende Regelung nicht angenommen mit der Folge, daß in Frankreich z. B. im Pariser Becken und in England noch Luft ist für Getreidepreissenkungen, zumal bei negativem Währungsausgleich. Unsere deutschen Bauern aber erhalten dann für verringerte Mengen immer weiter sinkende Preise.
Drittens. Nur wenn die Agrarproduktion EG-weit ausgeglichen der Nachfrage angepaßt wird, besteht eine Chance, bei Beibehaltung preisstützender Maßnahmen zu besseren EG-Marktpreisen zu kommen.
Herr Carstensen, genau das ist es. Wir brauchen eine EG-Politik, die ausreichende Preise ermöglicht und gleichzeitig dem Spiel von Angebot und Nachfrage - Ihre These im marktwirtschaftlichen System - soweit es geht, eine Möglichkeit gibt. Dazu brauchen wir einen angemessenen, funktionierenden Außenschutz. Nur so können Sie für die Landwirte preispolitisch etwas erreichen.
Was müssen Sie in der jetzt verfahrenen Situation machen? Wenn wir Sozialdemokraten Ihnen einen Ratschlag geben sollten, ginge er nicht dahin, heute nur einen Gesetzentwurf für Flächenstillegungen, zukünftige Extensivierung und Betriebsumstellungen vorzulegen, sondern das Gesamtkonzept müßte heißen:
Erstens: Vorrang für ein wirkungsvolles und praktikables Extensivierungsprogramm mit klaren Umweltschutzauflagen.
Zweitens. Umstellungsbeihilfen sollten nicht nur für den Anbau von Nichtüberschußerzeugnissen, sondern auch für die Umstellung auf biologischen Landbau gezahlt werden.
Drittens: eine Vorruhestandsregelung, verbunden mit einem Naturentwicklungsfonds von Bund und Ländern, wobei nur ein Teil der frei werdenden Flächen für die Verbesserung der Betriebsstruktur, ein anderer Teil für einen großzügigen Biotop- und Waldverbund vorgesehen werden.
Bei dieser Gelegenheit lassen Sie mich deutlich sagen: Nur für solche konkreten Naturschutzprojekte können Sie die Mitfinanzierung der Länder abfordern. § 10 Ihres Gesetzes, in dem Sie 40 % der Kosten für Flächenstillegung, Extensivierung und Betriebsumstellungen den deutschen Ländern aufdrücken wollen, ist geradezu eine Provokation. Seien Sie doch bitte in dieser Frage ehrlich, und geben Sie zu, daß es sich hier um Marktordnungsmaßnahmen handelt und nicht um Naturschutz.
An vierter Stelle müssen Sie erst einmal klären, welchen Stellenwert in Zukunft bestehende Programme und Koalitionsvereinbarungen haben sollen.
Erstens. Was ist mit dem Programm für benachteiligte Gebiete? Betriebserhaltungen oder jetzt Stillegungen obendraufsatteln?
Zweitens. Was ist eigentlich mit Ihrem geplanten Strukturgesetz nach der Koalitionsvereinbarung? Wollten Sie landwirtschaftliche Familienbetriebe gegenüber der Agrarindustrie schützen, oder was war damit gemeint? Nichts hört man.
Drittens. Wie soll die zweiprozentige Vorsteuerpauschale, die nicht mehr produktionsorientiert gezahlt werden darf, ab 1989 gezahlt werden? Mit strukturellen Schwerpunkten? Je nach Betriebsgröße oder nur nach Hektarflächen? Es liegt kein Gesamtkonzept auf dem Tisch. Erst wenn wir dies ausdiskutiert haben, können wir über Flächenstillegungen und ihre Zielrichtungen reden.
Ich frage Sie: Wo bleiben der Gesamtansatz und ein Gesamtkonzept, das die Überproduktion nicht nur aus Kostengründen senkt, sondern den Landwirten auch am EG-Markt vernünftige Preise bringt, das endlich der Natur die Chance gibt und vom Grundwasser bis zum Boden unseren Kindern ein gesünderes Leben überhaupt erst ermöglichen soll?
Sie haben keine Konzeption; Sie wechseln nur das Spiel. Statt auf Schach setzen Sie in Ihrer Zielsetzung auf Monopoly, und dabei riskieren Sie Haus und Hof unserer deutschen Bauern. Das wird das Ergebnis Ihrer Politik sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es bleibt dabei: Die SPD ist zur Zusammenarbeit für eine wirkliche Agrarreform bereit.
Ich schließe meine Ausführungen mit den gleichen Worten wie zum Agrarbericht 1987:
Wir Sozialdemokraten verstehen Agrarpolitik als
nationale Verpflichtung, auch als RegionalpoliJansen
tik, auch als Chance für Landarbeiter, Handwerks- und Zulieferbetriebe. Meine Partei ist in ihrer Geschichte immer angetreten, Menschen, die in Not sind, zu helfen. Das gilt auch für die Landwirtschaft.
Dabei darf es uns eben nicht in erster Linie um Wahlkampfprozente gehen, sondern um Solidarität und Menschlichkeit, so wie wir es in 125 Jahren gelernt und vertreten haben.
Ich hoffe, wir kommen schnell zu Entscheidungen; denn jeder Tag wird sich so entwickeln, daß bis zu 100 weitere Betriebe kaputtgehen, und dies kann niemand wollen. Man kann nicht, egal in welcher Partei man ist, in die Politik gegangen sein und zusehen, wie Menschen, ihre Familien und unsere Landschaft kaputtgehen. Wir müssen so schnell und so wirksam handeln und so selbständig für die Landwirte eintreten, daß es endlich zu einem Gesamtkonzept dieses Parlaments kommt.
Landwirtschaftspolitik ist keine Streitpolitik zwischen Parteien mehr. Vielmehr ist geschlossenes Handeln die einzige Forderung, die heute noch auf den Tisch gehört.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Eigen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landwirtschaft steckt in einer schweren Krise - weltweit, europaweit und besonders auch in der Bundesrepublik Deutschland; daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Da wundere ich mich schon etwas über die Verhaltensweise unseres Ältestenrates, daß eine Aktuelle Stunde, die nichts an Aktualität hat, in der Zeitabfolge dem Agrarbericht vorgezogen wird
({0})
und daß erst am Freitagnachmittag im Deutschen Bundestag die Agrarpolitik abgehandelt wird.
Es ist zwar nicht die Aufgabe des Präsidenten, einzugreifen, Herr Abgeordneter Eigen. Aber das ist eine Vereinbarung der Fraktionen und nicht des Ältestenrates. Das muß der guten Ordnung halber festgestellt werden.
Dann ist eben die Vereinbarung der Fraktionen falsch.
({0})
- Ja, selbstverständlich.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das, was hier von den Kollegen Oostergetelo und Jansen gesagt worden ist, ist ja alles gar nicht so falsch. Die letzten Sätze vom Kollegen Jansen kann man nur unterstreichen.
({1})
Natürlich ist es so, daß wir alle gemeinsam für die
Landwirtschaft in dieser schweren Krise Verantwortung tragen und daß wir uns gemeinsam bemühen müssen, daraus das allerbeste, was nur möglich ist, zu machen. Nur muß man dann aber auch glaubwürdig sein. Lieber Herr Kollege Jansen, erst einmal werden unsere Bürger und Bürgerinnen in Schleswig-Holstein entscheiden, wer nach dem 8. Mai die Regierung stellt. Ich würde heute noch nicht so selbstbewußt hier auftreten: Ich werde Minister. Warten Sie einmal ab. Das kann auch noch anders kommen, besonders dann, wenn zwischen Ihren Aussagen und denen Ihres Spitzenkandidaten außerordentliche Differenzen bestehen, wie Sie wissen, z. B. im Energiebereich.
({2})
Glaubwürdigkeit vor allen Dingen auch in der Agrarpolitik wollen unsere Bauern haben. Wenn hier vom Kollegen Oostergetelo die Finanzpolitik Dr. Stoltenbergs in bezug auf seine zögerliche Hergabe von Millionenbeträgen bemängelt wird, dann will ich dazu einmal eine Aussage des „Agrarspitzenpolitikers" der SPD, unseres Kollegen Apel, in der „Süddeutschen Zeitung" vom März vortragen:
Milliardenrausch zugunsten der Landwirte
Wir wären in der Steuerpolitik sicherlich vorsichtiger gewesen, und insbesondere hätte es den Milliardenrausch zugunsten der Landwirtschaft nicht gegeben.
({3})
Das ist die ganze SPD, und die muß dabei auch einkalkuliert werden.
({4})
Ich erinnere daran, meine Damen und Herren, wie wir im vorigen Jahr um den Erhalt der Leistungsfähigkeit der BALM rangen. Weil die EG-Kommission nicht mehr in der Lage war, die Intervention zu finanzieren, hat sich uns die SPD verweigert, aus fadenscheinigen Gründen nach dem Haushaltsrecht.
({5})
In der Entschließung der SPD-Fraktion, die in Teilbereichen gar nicht so schlecht ist, steht, daß man die Landwirtschaft bei Belastungen wegen öffentlicher Maßnahmen entschädigen solle. Bei der Abstimmung hier im Deutschen Bundestag zum Wasserhaushaltsgesetz, meine sehr geehrten Damen und Herren, als es darum ging, die Landwirte für Belastungen durch Auflagen im Bereich Grundwasser zu entschädigen, haben Sie uns Ihre Zustimmung verweigert. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist das Entscheidende: daß so abgestimmt wird, daß den Landwirten geholfen ist.
({6})
Die Frage von Entschädigungen für die Landwirtschaft wird in der weiteren Gesetzgebung eine entscheidende Rolle spielen, so daß das Verhalten damals beim Wasserhaushaltsgesetz ein Präjudiz war:
bei uns zugunsten der Landwirtschaft war, bei Ihnen zum Schaden der Landwirtschaft.
({7})
So ist die Wirklichkeit.
Also bitte, meine herzliche Aufforderung: Handeln Sie auch so, wie Sie sprechen. Dann sind wir sehr wohl zur Kooperation bereit.
Im Wirtschaftsjahr 1986/87, das dem Agrarbericht 1988 zugrunde liegt, hat die Landwirtschaft noch ein relativ gutes Jahr gehabt, wenn es auch real gegenüber 1975/76 schon zu einem Einbruch von rund 30 gekommen ist und wenn auch etwa 35 % der Landwirte trotz dieses relativ guten Ergebnisses schon Vermögensverluste gehabt haben. Zu der Statistik der Europäischen Gemeinschaft für 1987 - da spielt die Ernte 1987 nämlich schon die entscheidende Rolle - heißt es ganz nüchtern: Die Einkommen in der deutschen Landwirtschaft werden um 16,3 % zurückgehen. Andere Landwirte, z. B. in Irland, verzeichnen einen Zuwachs von 13,4 %. Hier gibt es ein Problem, das immer wieder zu Lasten der deutschen Landwirtschaft geht: daß wir noch keine Währungsunion haben. Wir dürfen die EG nicht schelten, daß wir auf den Binnenmarkt zugehen, sondern wir müssen im Gegenteil alles dazu tun, daß wir schneller zu einer weiTen Integration kommen, damit es eben keine Aufvertung mehr gibt. Ich sage hier in diesem Hohen Hause ganz deutlich: Weitere Aufwertungen der D-Mark innerhalb des Europäischen Währungssystems kann die deutsche Landwirtschaft nicht mehr verkraften. Es muß also politisch alles getan werden - und das ist meine Bitte an die Bundesregierung - , Aufwertungen zu vermeiden oder sicherzustellen, daß bei Aufwertungen die Probleme der Landwirtschaft sofort und erschöpfend berücksichtigt werden.
({8})
Es gibt überhaupt keinen Zweifel, meine Damen und Herren - Kollege Paintner hat das in der ihm eigenen freundlichen Art hier dargelegt - : Die Bundesregierung hat am 13. Februar um 1 Uhr nachts im Rahmen ihrer Präsidentschaft einen Beschluß in der Europäischen Gemeinschaft durchgesetzt, der eine Wende in der Agrarpolitik bedeutet. Wir sollten jetzt nicht daran herumklittern, ob das so oder so gemacht werden sollte. Helfen Sie uns mit Ihrem Sachverstand - alle Parteien - , damit wir die Regelungen für Flächenstillegungen, Produktionsaufgaberente usw. so fassen, daß sie für die Bauern vernünftig sind, daß sie aber vor allen Dingen gewährleisten, daß die Produktion in Zukunft 160 Millionen t Getreide und 4,5 Millionen t Raps nicht überschreitet, weil das weitere Preissenkungen brächte. Gleichzeitig sollten die Maßnahmen ökologisch wertvoll sein. Das kann man nämlich wohl miteinander kombinieren, wenn man es in der richtigen Weise durchführt.
Wir Bauern sind doch die Umweltschützer Nummer eins, und wir wollen Flächenstillegungen, Umwidmungen natürlich in ökologisch vernünftiger Weise vornehmen.
Ich stelle also hier in aller Deutlichkeit fest: Bundeskanzler Dr. Kohl, Bundesaußenminister Genscher, I wie ich gerne hinzufügen will, unser Finanzminister Dr. Stoltenberg, besonders aber Ernährungsminister Kiechle und sein Staatssekretär Kittel, denen die Vorbereitung oblag, haben zwischen dem schlechten Gipfel in Kopenhagen und dem besseren Gipfel in Brüssel - ich sage nicht „guten", weil auch er noch Verluste für die Landwirtschaft mit sich gebracht hat - Wesentliches, eine Wende in der Politik, erreicht. Sie haben erreicht, daß endlich der Weg der Vernunft beschritten wird, mit dem wir in der Lage sind, die Milchprobleme zu lösen und die Butterberge abzubauen. Einen Magermilchpulverberg gibt es überhaupt nicht mehr. Der Butterberg ist an der Grenze dessen, was wir noch für die Versorgung der Bevölkerung brauchen. Wir haben hier also Lösungen durchgesetzt. Jetzt sind wir auch bei Getreide und bei Raps auf dem Wege der Vernunft, dem Weg zu besseren Regelungen beim Ackerbau, beim Pflanzenbau.
({9})
Meine Damen und Herren, natürlich müssen diese Maßnahmen EG-weit durchgeführt werden. Meine Bitte an die Bundesregierung ist, in den Agrarverhandlungen sicherzustellen, daß alle Länder nicht nur Angebote, sondern differenzierte Angebote entsprechend der Ertragskraft der Böden machen müssen, damit die Bauern in den anderen Ländern diese Maßnahmen auch annehmen.
Ich bin selbst dann für die Flächenstillegung - ich sage das hier etwas ungeschützt - , wenn es dazu kommen sollte, daß wir wegen der besseren Administration in Deutschland eher zu durchgreifenden Maßnahmen kämen und die anderen sozusagen erst durch uns in Zugzwang gerieten. Ich bin deshalb dafür, weil es zu diesen neuen Maßnahmen keine Alternative gibt.
({10})
Dabei darf nicht vergessen werden, meine Damen und Herren, daß auf dem Gipfel noch mehr beschlossen worden ist. Es ist nämlich auch beschlossen worden, daß sich die Kommission in den GATT-Beratungen um die Getreidesubstitute kümmern soll. Es ist beschlossen worden, daß mehr Getreide verfüttert werden soll. Es ist beschlossen worden, daß der Weg in Richtung auf nachwachsende Rohstoffe als zweiter Absatzweg geöffnet werden muß. Da befinden wir uns in entscheidendem Gegensatz zu der Fraktion der GRÜNEN, die diesen zweiten Absatzweg - nachwachsende Rohstoffe - nicht will. Ich sage in aller Deutlichkeit: Die einzige Zukunftsperspektive für unsere Landwirtschaft ist dieser zweite Absatzweg. Wir als Politiker haben die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, alles zu tun, um das, was in zehn, zwanzig Jahren sowieso kommen wird, zu beschleunigen, damit wir die Landwirtschaft schneller aus der Krise, in der sie steckt, herausführen können.
({11})
Zu dieser Politik gibt es keine Alternative. Ich bin
dankbar, daß wir schon im Mai im Ernährungsausschuß eine Anhörung haben werden, wie man VerEigen
packungsmaterial aus Erdöl durch Verpackungsmaterial aus Stärke ersetzen kann.
Ich muß zum Schluß kommen. Ich möchte nur noch, weil natürlich die Beschlüsse von Brüssel und die klassische Landwirtschaft im Zentrum der Auseinandersetzung stehen, sagen, daß Gartenbau, Fischerei und Forstwirtschaft natürlich in unsere Arbeit, unsere Überlegungen, unsere Fürsorge eingeschlossen sind. Ich möchte zum Schluß eines noch einmal feststellen, daß wir bei dieser Debatte nicht vergessen dürfen: Unsere bäuerlichen Familien, unsere Landwirte, wollen mit ihrer fleißigen Arbeit ihr Einkommen verdienen, das mit dem Einkommen der Bürger anderer Berufszweige vergleichbar sein soll. Sie wollen keine Dauersubvention. Deswegen müssen diese neuen Maßnahmen in Brüssel dazu führen, daß die Märkte in Ordnung gebracht werden und damit wieder gewisse Preisverbesserungen möglich sind, damit bei einem besseren Preis-Kosten-Verhältnis wieder eine konstruktive, den bäuerlichen Menschen und den Menschen im ländlichen Raum dienende Agrarpolitik und Agrarwirtschaft möglich sind.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Kreuzeder.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zuhörer! In zwei Dingen gebe ich Herrn Eigen recht: Es ist eine Schande für die Republik, wenn über Lebensgrundlagen, sprich: Landwirtschaft, Nahrung, Boden, im Parlament erst am auslaufenden Ende der Woche geredet wird.
({0})
- Über Landwirtschaft müßten wir zur Zeit tagelang reden, nicht bloß drei Stunden.
({1})
- Ruhe auf den billigen Plätzen, jetzt rede ich. ({2})
Der zweite Punkt, in dem ich Herrn Eigen recht gebe: Es ist nach wie vor so, daß die SPD keine Ahnung von der Landwirtschaft hat. Die SPD hat einen historischen Fehler gemacht. Sie setzt sich nach wie vor dafür ein, daß die Arbeitszeit der Menschen in der Rüstungsproduktion bezahlt wird, in der Landwirtschaft dagegen will man staatliche Almosen. Da gebe ich Ihnen recht.
Zum dritten Punkt, zur CDU/CSU. Jetzt seid ihr dran. Angeblich hat die CDU/CSU etwas vor, um die bäuerliche Landwirtschaft zu retten, wie sie es bei jeder Wahlversammlung kundtut. Ich denke da an Kohl und Kiechle: Die Erhaltung der bäuerlichen Landwirtschaft ist oberstes Gebot. - Gemessen daran, klingt das, was jetzt kommen soll, das sogenannte Extensivierungsprogramm, das Stillegungsprogramm, wie ein Faschingsscherz. Man kann freiweg sagen: Kiechle alaaf!
({3})
Es heißt: Zur Erhaltung der bäuerlichen Landwirtschaft wollen wir die Flächen stillegen. - Da lachen ja die Hühner.
({4})
- Herr Eigen, verstehen Sie nicht die Dimension? Sie können doch nicht Lebensgrundlagen stillegen. Jede vierte Mark in dieser Republik wird für Lebensvernichtung, für Rüstung, ausgegeben, und Sie vernichten Arbeitsplätze mit einem Programm, um Lebensgrundlagen stillzulegen. Lassen wir also den Krampf.
Selbst der Titel des sogenannten Extensivierungsprogramms ist ein Etikettenschwindel. Es gibt kein Extensivierungsprogramm. Es gibt auch kein Existenzerhaltungsprogramm. Was Sie wollen, ist ein Herauskaufprogramm für über zwei Milliarden DM, um den durchschnittlichen 17-Hektar-Betrieb der bäuerlichen Landwirtschaft zu ruinieren. Nichts anderes wollen Sie. Die sogenannte EG-Verordnung, die zu dem Extensivierungsgesetz führen sollte, die Verordnung 1760/87, hatte ursprünglich vor, die Bauernfamilien europaweit für flächendeckend weniger Produktion besser zu bezahlen, die Natur zu schützen, die Zahl der Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und die Intensität zurückzuführen. Und was machen Sie daraus? Warum machen Sie es nicht so wie Dänemark? Dänemark gibt in den nächsten Jahren über 20 Millionen Kronen pro Jahr für Umstellung auf biologischen Landbau aus.
({5})
Und was machen Sie? Sie wollen 20 % der Überkapazität durch Flächenstillegungen reduzieren.
Neulich waren wir im Landwirtschaftsministerium. Da sagte der Referent: Amerika hat 18 Millionen ha stillgelegt, 6 Millionen ha mehr, als unser Land Agrarfläche hat. Den Erfolg dieses Programms kennen wir inzwischen: Amerika hat noch nie soviel Überschuß produziert wie zur Zeit, und wöchentlich werden 2 000 Farmen versteigert.
({6})
Das schlimmste an dem Programm ist: Die bäuerlichen Vertreter - es ist ha wunderbar, daß der Herr Heereman wieder als bäuerlicher Vertreter dasitzt - treten natürlich außerdem dafür ein, daß die freiwerdenden Flächen von aufstockungswilligen Betrieben übernommen werden können.
({7})
Wie wollen Sie Überschüsse reduzieren, wenn diese Flächen in die Produktion übernommen werden, wie denn?
Herr Heereman, es gibt ein wunderbares Wortspiel, und da passen Sie wunderbar hinein: Cathmann, Pohlmann, Heereman, immer „Mann".
({8})
Das sogenante Extensivierungsgesetz ist erstens nicht geeignet, die Überschüsse zu reduzieren, und zweitens schon gar nicht geeignet, die bäuerliche
Landwirtschaft zu retten. Sie wollen jährlich mit 790 Millionen DM neue Arbeitsplätze für 50 000 Arbeitslose schaffen. Die Bauern und Bäuerinnen sind aber - da sollten die Zuhörer besonders gut aufpassen - in Zukunft die neuen Arbeitslosen in dieser Gesellschaft.
({9})
Für den Jäger '90 habt ihr 20 Milliarden Mark übrig, für die Verkabelung der Gesellschaft wird das Geld hinausgeschmissen, aber für die Erhaltung der Lebensgrundlage ist nichts da.
({10})
Es gibt einen Ausspruch von Georg Eisenberger, seines Zeichens Reichstagsabgeordneter von 1920 bis 1932, Bauer in Ruhpolding, in meiner Nachbargemeinde. Er hat damals schon gesagt: Die hohen Herren haben Milliarden übrig und schmeißen diese Milliarden in den Rachen des Militarismus. - Nach wie vor ist es in dieser Republik so.
({11})
- Ich sage Ihnen, was das dumme Zeug ist. Es gibt in diesem Lande einen Begriff, der heißt „natürlicher Strukturwandel" . Natürlicher Strukturwandel, so nennt man das Abmurksen der Bauernfamilien.
({12})
- Herr Seiters, seien Sie still, Sie haben sowieso keine Ahnung von der Landwirtschaft!
({13})
- Heißt er anders? Es ist auch nicht so wichtig, wie die Abgeordneten heißen. Wichtig ist, daß sie aufpassen, wenn sie endlich einmal etwas hören, was richtig ist.
Es gibt also den Begriff „natürlicher bäuerlicher Strukturwandel". Das ist ungefähr so wie bei den Menschen, die in den letzten beiden Kriegen nach einem Bauchschuß fünf Stunden haben schreien müssen, bis sie sterben konnten. Da sagt man nicht, wie ich es tue, daß sie furchtbare Schmerzen gehabt haben, bis sie haben sterben können, sondern sagt, sie seien „gefallen" . Zu dem, was Sie mit den Bauernfamilien machen, zum Abmurksen von sicheren selbständigen Existenzen, sagt man „natürlicher Strukturwandel".
({14})
Das ist die Sprache dieser Regierung, die Sprache der Verharmlosung. Gehen Sie einmal hinaus auf die Dörfer, da werden Ihnen die Bauern etwas anderes erzählen.
({15})
Noch etwas ist wichtig, und diese Dimension wird in der Agrarpolitik überhaupt nicht diskutiert. Herr Eigen, passen Sie auf:
({16})
Was passiert, wenn das so weitergeht? 26 000 Betriebe voriges Jahr, heuer werden es 50 000 sein. Den Menschen, die jetzt aus der Landwirtschaft ausscheiden, werden eines Tages der Krupp und der Flick, werden Unilever und Nestlé einen Wecker stellen, wenn sie in der Früh' aufstehen. Noch sind sie in der Lage, selbständige Arbeit zu leisten, noch sind sie in der Lage, ihre eigene Produktionsgrundlage zu besitzen, und das ist eines der Fundamente von Demokratie,
({17})
daß ich bestimmen kann, wann, was und wo ich arbeite. Genau dies geht mit dieser Agrarpolitik flöten, und das sollten wir endlich begreifen.
Was gibt es zu dem sogenannten Extensivierungsprogramm noch zu sagen?
({18})
Vordergründig wird den Leuten weisgemacht, es wäre ein Schutz der Natur, wenn wir dieses Programm einführten.
({19})
Es gibt einen Hubert Weinzierl, es gibt einen Hubert Weiger, das sind Spezialisten auf ökologischem Gebiet.
({20})
Wenn die den Begriff „Flächenstillegung" hören, sagen sie: Es ist ein trojanisches Pferd für den Naturschutz, Flächen stillzulegen, nichts anderes.
({21})
Nichts anderes!
({22})
Und um Sie zu erinnern, damit Sie mich nicht als Chaoten einstufen, sondern als einen Menschen, der auf dem Boden des Gesetzes steht:
({23})
In Art. 153 der Verfassung des Freistaates Bayern heißt es:
Der Aufstieg tüchtiger Kräfte aus nichtselbständiger Arbeit zu selbständigen Existenzen ist zu fördern.
In demselben Artikel steht:
Die selbständigen Kleinbetriebe und Mittelstandsbetriebe in Landwirtschaft ... sind in der Gesetzgebung und Verwaltung zu fördern und gegen Überlastung und Aufsaugung zu schützen.
Und Sie wollen diese kleinen und mittleren Betriebe stillegen.
Wenn das passiert und wenn die Bauern und Bäuerinnen nicht merken, was für ein Wahnsinn die bundesdeutsche Agrarpolitik ist,
({24}) dann Bfiadigod, armes Deutschland!
Herr Abgeordneter, Sie kommen zum Schluß.
Ich bin fertig.
Dann ist es ja gut.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Bredehorn.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß dem Kollegen der GRÜNEN hier doch sagen, nachdem ich das so gehört habe: Sie haben hier auch eine zutiefst unredliche Rede gehalten.
({0})
Wenn Sie draußen den Eindruck erwecken, daß Sie eine Politik machen, die allen Bauern die Zukunft garantiert,
({1})
dann verführen Sie diese Bauern zu falschen Investitionsentscheidungen und die jungen Leute zu falschen Berufsentscheidungen, und diese Leute verlieren dabei letztlich ihr gesamtes Eigentum.
({2})
Das ist eine unredliche Politik.
({3})
In der künftigen Agrarpolitik sind Wahrheit, Klarheit und Offenheit notwendig. Unsere Bauern brauchen klare Rahmenbedingungen für die Zukunft. Die Entscheidungen beim Europäischen Rat am 11. und 12. Februar zeigen trotz einiger schmerzlicher Eingriffe wieder eine Perspektive für unsere Bauern auf.
Die von der FDP in ihren Perspektiven der Agrarpolitik 1985 vorgeschlagenen Lösungswege, nämlich Produktionsmengenanpassung an den Markt durch Flächenstillegung, Produktionsaufgabe und Extensivierung, wurden von der Bundesregierung aufgenommen und konnten allen Widerständen zum Trotz auf der Brüsseler Konferenz durchgesetzt werden. Jetzt kommt alles darauf an, daß unsere Landwirte ihre Produktion dem Markt anpassen, um fortwährende Preissenkungen zu vermeiden.
Die Koalitionsfraktionen sehen hier ihre Verantwortung und legen Ihnen heute ein Extensivierungsgesetz zur ersten Beratung vor. Durch ein Flächenstillegungsprogramm, das in der gesamten EG angeboten wird, wollen wir erreichen, daß die Produktionsschwelle von 160 Millionen t bei Getreide möglichst nicht überschritten wird. Die Stillegung der Flächen gegen Entschädigung kann als Dauer- oder Rotationsbrache erfolgen. Es ist aber auch möglich, die Flächen aufzuforsten oder dem Naturschutz zur Verfügung zu stellen. Wir erreichen also neben der Marktentlastung durch die Flächenstillegung auch einen ökologisch positiven Effekt.
({4})
Entscheidend für den Erfolg des Flächenstillegungsprogramms in der EG wird allerdings auch sein, ob unsere Partnerländer mit dem gleichen politischen Willen an die Umsetzung dieses Gesetzes gehen, damit vom 1. Juli 1988 an alle Landwirte in der EG die Möglichkeit haben, an der Flächenstillegung teilzunehmen. Andernfalls gibt es nur neue Wettbewerbsverzerrungen.
Zum Stichwort Wettbewerbsverzerrungen hat Karl Eigen darauf hingewiesen, daß die Währungsumbewertungen natürlich immer zu Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der deutschen Landwirtschaft führen.
({5})
Wir brauchen letzten Endes also die gemeinsame Währung in der EG, damit diese Wettbewerbsverzerrungen zukünftig nicht mehr stattfinden.
({6})
Wenn es der Bundesregierung gelungen ist, das Flächenstillegungsprogramm in der EG durchzusetzen, so sind wir in einer besonderen Verantwortung, ein Flächenstillegungsprogramm mit genügend Finanzmitteln auszustatten.
Enttäuscht bin ich allerdings über die mangelnde Bereitschaft der Bundesländer, hier konstruktiv mitzuarbeiten, was ja auch heißt, mitzufinanzieren. Wenn ein Ministerpräsident vor nicht allzu langer Zeit einen Jahrhundertvertrag für unsere Landwirtschaft forderte, berührt es doch schon eigenartig,
({7})
daß derselbe Ministerpräsident, Herr Strauß, jetzt jede finanzielle Solidarität verweigert.
({8})
Zum 1. Januar 1989 wollen wir auch eine Extensivierungsverordnung auf den Weg bringen. Voraussetzung für die Gewährung der Extensivierungsbeihilfe ist die Verringerung der Produktion um mindestens 20 % für die Dauer von fünf Jahren. Auch hier erzielen wir neben der Marktentlastung einen nicht zu unterschätzenden ökologischen Effekt. Aus den vorliegenden Zahlen des Agrarberichts entnehme ich, daß die nach den strengen Richtlinien des Demeter-Bundes wirtschaftenden Landwirte um bis zu 25 % geringere
Erträge erzielen. Hier gibt eine Extensivierungs- und Umstellungsbeihilfe sicherlich Anreize für viele Landwirte, die sich in diesem Bereich stärker engagieren wollen.
Mit der Einführung einer Produktionsaufgaberente zum 1. Januar 1989 wird nun eine alte FDP-Forderung Wirklichkeit. Wir wissen, daß ca. 25 % der über 50jährigen Landwirte zur Zeit keinen Betriebsnachfolger haben. Daher werden sicher viele Landwirte ein solches Angebot annehmen, ja, sie warten schon darauf.
Besonders erfreut bin ich natürlich darüber, daß sich die FDP hier mit ihrer Forderung durchgesetzt hat, die Flächen nicht nur stillzulegen, sondern - alternativ - auch strukturverbessernd abzugeben. Strukturwandel ist zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft notwendig.
Entscheidend wird die finanzielle Ausgestaltung der Produktionsaufgaberente sein. Wir können die Produktionsaufgaberente nicht - wie beim Flächenstillegungsprogramm - nach dem Windhundverfahren gestalten. Die Produktionsaufgaberente ist ein Sozialgesetz. Jeder, der antragsberechtigt ist, muß also auch bedient werden. Nach Meinung der FDP darf das Produktionsaufgabegesetz finanziell nicht plafondiert werden.
Meine Damen und Herren, für die FDP ist die Landwirtschaft der Zukunft eine unternehmerische Landwirtschaft.
({9})
Dabei hat das unternehmerische Engagement eines Landwirtes nichts mit der Betriebsgröße zu tun.
({10})
- Sie haben doch keine Ahnung. ({11})
Unternehmerisch sein bedeutet für uns Liberale, daß ein Landwirt - sei es im Voll- oder im Nebenerwerb - aus seinem betrieblichen Standort und seinen Erwerbsmöglichkeiten vor Ort das Beste macht. Wir Politiker sollten ihm die Entscheidungsfreiheit, welchen Weg er dabei beschreiten will, selbst überlassen.
({12})
Um den leistungsfähigen bäuerlichen Familienbetrieb, der sich am Markt auch noch morgen durchsetzen kann, zu erhalten, ist es notwendig, daß die landwirtschaftlichen Strukturen der Bundesrepublik wettbewerbsfähig sind.
({13})
Wir haben hier im europäischen Vergleich noch Nachholbedarf: In der Bundesrepublik beträgt die Durchschnittsbetriebsgröße 16 Hektar, in Frankreich 27 Hektar und im Vereinigten Königreich 65 Hektar. Der Durchschnittskuhbestand in der Bundesrepublik beläuft sich auf 15 Kühe, in den Niederlanden auf
42 Kühe und im Vereinigten Königreich auf 60 Kühe pro Betrieb.
({14})
In der Bundesrepublik halten 2,9 % der Betriebe mehr als 400 Mastschweine. In den Niederlanden dagegen sind es 30 % der Betriebe, die mehr als 400 Mastschweine halten.
Angesichts dieser Tatsachen mutet es doch etwas eigenartig an, daß von interessierter Seite immer wieder versucht wird, uns weiszumachen, wir befänden uns auf dem Weg zu Großbetrieben und zur Agrarindustrie. Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat auf der Grünen Woche in Berlin auf diesen Tatbestand deutlich hingewiesen. Er sagte, daß weite Teile der deutschen Landwirtschaft wegen ihrer Struktur und Betriebsgröße gegenüber Preis- und Einkommenssenkungen wesentlich sensibler seien als andere EG-Länder. Er hat dafür plädiert, daß die Wirtschaftsstrukturen im ländlichen Raum verbessert und die dynamischen Kräfte der ländlichen Regionen mobilisiert werden. Er hat damit ein sehr wirklichkeitsnahes Bild der deutschen Landwirtschaft gezeichnet.
({15})
Für die FDP steht außer Frage, daß sowohl der Landwirt in Bayern mit 15 Kühen als auch sein Kollege in Schleswig-Holstein mit 150 Hektar und 2 000 Mastschweinen unter den Begriff „bäuerlicher Familienbetrieb" fällt.
({16})
Gerade die gewachsene Vielfalt unserer landwirtschaftlichen Betriebe ist doch die Stärke unserer bäuerlichen Agrarstruktur. Soziale Gerechtigkeit besteht für mich nicht in einer sozialistischen Gleichmacherei.
({17})
- Ich komme gleich noch darauf. - Die FDP-Agrarpolitik will den leistungsfähigen bäuerlichen Familienbetrieb und keine Agrarindustrie. Wir werden uns auch weiterhin für eine klare Unterscheidung zwischen unerwünschten Agrarfabriken und bäuerlichen Familienbetrieben einsetzen.
({18})
Unsere bestehenden Steuergesetze, Bau- und Umweltgesetze müssen entsprechend angewandt werden, um hier Auswüchse zu verhindern. Das jetzt vom Land Bayern in den Bundesrat eingebrachte Agrarstrukturgesetz und der vorliegende Entwurf eines niedersächsischen Agrarstrukturgesetzes werden die Ausweitung der Agrarindustrie nicht behindern. Beide Gesetze führen allerdings dazu, daß leistungs- und wettbewerbsfähige bäuerliche Betriebe in Existenzschwierigkeiten geraten. Dort, wo für unsere EG-Konkurrenten die Zukunft beginnt, soll in der Bundesrepublik der bäuerliche Familienbetrieb enden. Das bayerische Agrarstrukturgesetz hat - das muß man sich einmal vor Augen führen - dieselbe
Tendenz wie der hier vorgelegte Antrag der GRÜNEN zu Bestandsobergrenzen. In beidem steckt derselbe Geist, nämlich: Die Leute sind auf dem Trip, Folklore-Landwirtschaft und Bauernmuseum als Zukunft der deutschen Landwirtschaft zu sehen. Diese Politik, solche Gesetze führen direkt zur Planwirtschaft und sind mit liberaler Agrarpolitik nicht vereinbar.
({19})
Ich begrüße es sehr, daß Herr Minster Kiechle schon mehrmals in Bauernversammlungen darauf hingewiesen hat, daß wir in der Bundesrepublik wettbewerbsfähige Strukturen in der Landwirtschaft benötigen, um in den nächsten Jahren nicht unterzugehen.
Herr Minister Kiechle, gestatten Sie mir ein persönliches Wort. Gerade von dieser Stelle aus habe ich Ihre Agrarpoliitk immer sehr kritisch verfolgt. Ich möchte Ihnen heute Respekt zollen und Ihnen Dank sagen, daß Sie den Mut haben, vor Landwirten so klar und wahr zu reden. Ich sage das ohne jede Ironie. Gerade angesichts der Vorstellungen, die in Bayern und bei den GRÜNEN über die zukünftigen Landwirtschaftsstrukturen herumgeistern, müssen wir hier gemeinsam an einem Strang ziehen.
({20})
Es geht nicht an, daß wir eine Agrarpolitik nach dem Motto „small is beautiful" betreiben.
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch eine Bemerkung zum Milchmarkt einflechten, die mir auch menschlich sehr am Herzen liegt. Manchmal müssen in der Politik auch unpopuläre Maßnahmen ergriffen werden, gegen die sich Basisverantwortliche und Lobby aus Kurzsichtigkeit und ohne überzeugende Gegenargumente sträuben. Gerade in solchen Momenten muß man zueinander stehen. Im übrigen begrüße ich es, daß wir heute einen Entschließungsantrag vorlegen, in dem klar formuliert steht, daß bis zum 1. April 1989 die Milchgarantiemengenverordnung so anzupassen ist, daß eine Verrechnung von Über- und Unterlieferung auf Käuferebene möglich wird.
({21})
Zusammenfassend - lassen Sie mich das bitte noch sagen, obwohl hier schon wieder alles leuchtet - stelle ich fest, daß die Liberalen die Agrarpolitik auch in Zukunft konstruktiv mitgestalten wollen, wir aber gerne mit einem in sich einigen Koalitionspartner zusammenarbeiten. Im übrigen lehnen wir alle sozialistischen Neidkomplexe, die die Agrarpolitik der SPD und insbesondere der GRÜNEN infiltrieren, ab.
({22})
Uns geht es darum, daß wir agrarpolitische Rahmenbedingungen setzen, die es dem unternehmerischen Landwirt ermöglichen, sich frei zu entscheiden, wie er in Zukunft seinen Erwerb und sein Einkommen sichern will.
Ich danke Ihnen.
({23})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kißlinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, Ihr Agrarbericht ist eine gute Routinearbeit, die aber weder die Bauern noch die Steuerzahler noch die Naturschützer besonders erfreuen kann, und Sie alle werden sie brauchen, wenn Sie eine echte Agrarreform machen wollen.
Ministerpräsident Lothar Späth hat im Wahlkampf gesagt: Bei der derzeitigen Landwirtschaftspolitik ist die bäuerliche Landwirtschaft auf die Dauer nicht zu retten. Dem ist von der Opposition her nichts hinzuzufügen. Er hat recht, weil der Einsatz weiterer Steuermilliarden den Bauern keine Perspektive gegeben hat, weil es ihnen nicht besser geht.
({0})
Es wurde auch schon gesagt, daß in der Zeit zigtausend Arbeitsplätze verloren wurden, das Bauernsterben ging weiter, das Veröden der Dörfer beschleunigt sich, und das nennt man dann - der Herr Kollege Eigen würde es vielleicht so machen - wohl einen erfolgreichen Strukturwandel.
({1})
Die Böden und das Wasser wurden weiter ruiniert, und der schleichende Tod der Wälder setzt sich nach wie vor in Trab.
Sie haben sich früher kritiklos und ohne Nachprüfung immer weiter in eine Massenproduktion hineinjagen lassen, die heute gerade für die von der Struktur her kleinbäuerlich orientierten Gebiete katastrophale Folgen haben. Die Erzeugungsschlacht war erfolgreich - es sind schon etwa 1,3 Millionen Bauern ausgeschieden - : „Weiter so, Deutschland!"
Ich weigere mich als bayerischer Abgeordneter, den von Ihnen praktizierten Strukturwandel mitzutragen. In unserem Raum muß politisch angestrebt werden, daß übergeordnete Umwelt-, Arbeitsmarkt-, Regional- und soziokulturelle Gesichtspunkte so zum Tragen kommen, daß sie eine gezielte Existenzerhaltung möglichst vieler landwirtschaftlicher Betriebe erreichen, und nicht so, wie das hier geschieht, daß laufend mehr ausscheiden müssen. Sie müssen den Fortschritt in der Landwirtschaft zu einer umweltverträglichen Landnutzung verwenden.
In den ländlichen Bereichen brechen die Strukturen. Bestürzung, Trauer und Zorn können einen da packen. Gewachsenes, das getragen hat, für das es noch keinen Ersatz gibt, bricht weg. Die Verbundenheit mit dem Dorf, die Wurzeln im Boden, die Heimatliebe, der Gemeinschaftssinn, die Solidarität - ungeheure Werte - werden im großem Stil vernichtet. Ist das etwa das, was der Herr Kohl bei der Wende als kulturelle und geistige Erneuerung angekündigt hat?
In dem Bayerischen Wald, aus dem ich komme - sicherlich ist es in vergleichbaren anderen Gebieten der Republik genauso - , sieht man das ganz deutlich. Handwerker, Händler, Geschäfte, die von, in und mit den Landwirten lebten, gehen weg. Die Strukturen brechen. Sie können sich nicht mehr ernähren.
Wie soll sich dort ein Strukturwandel ohne katastrophale Folgen für die Betroffenen vollziehen? Wohin sollen denn unsere Bauern in einen Nebenerwerb gehen, auch wenn man es noch so sozialverträglich gestaltet? Hat die Regierung dafür schon Betriebe besorgt?
Sie machen eines: Sie vergrößern das Heer der Arbeitslosen, die draußen auf dem Lande keine Zukunft sehen. Bald werden Sie auf diese Art und Weise mit den Bauern eine zuverlässige Wahltruppe verlieren.
Wenn wir im Bayerischen Wald und in den anderen Fremdenverkehrsgebieten unsere Bauern nämlich nicht mehr als Landschaftspfleger haben, wenn wir sie da auch noch verlieren, dann werden Sie den Bauern und auch unseren Regionen nichts Gutes getan haben.
Ich bin sehr skeptisch, ob Ihre Flächenstillegungspläne den Bauern helfen und den Fremdenverkehrsgebieten Naturlandschaften erhalten. Wir stimmen Ihnen gern zu - das haben wir schon vor Ihnen gemacht und verlangt -, daß die Landwirte direkte Einkommensübertragungen für ihre Landschaftspflege im ökologischen Sinne bekommen.
({2})
- Sehr verehrter Herr Kollege Eigen, es war einer Ihrer Leute; ich glaube, Herr Engels von der „Wirtschaftswoche" ist ja CDU-Mitglied und wie ich meine, ganz unverdächtig, ein Sozialist zu sein. Er hat beispielsweise folgendes errechnet: Wenn Sie das täten, was die Naturschützer und alle wollen, nämlich daß Sie produktionsunabhängige Flächensubventionen zahlen, dann können Sie locker - ich zitiere Herrn Engels - 1 500 DM pro Hektar geben. Dabei bleibt der Allgemeinheit noch ein Teil von 10 bis 15 Milliarden DM. Das bedeutet, daß pro Haushalt in der Bundesrepublik 600 DM übrigbleiben. Das wäre doch auch schon etwas.
Sie können glauben, daß allen Bürgern dieser Republik die Landschaftspflege, die Schonung von Boden und Wasser und die Rettung der Wälder das wert ist. Sie wissen alle, daß es ohne die Natur für den Menschen keine Zukunft gibt. Für die Bauern gäbe es ohne die Natur erst recht keine Zukunft.
Sie alle wissen aber auch, daß man mit der Natur keine Kompromisse machen kann.
({3})
Ich glaube nicht, daß man mancher interessierten Lobby nachgeben und vergessen sollte, daß der Erhalt der Natur eine Menge wert ist. Die leben gut. Sollen wir sie alle aufzählen? Denken Sie doch an die Brüsseler Milliarden, Herr Kollege Eigen: Von den fast 70 Milliarden DM kommen bei den Bauern vielleicht 23 Milliarden DM an. Wo sind denn die anderen Gelder? Schichten Sie sie doch bitte um. Sonst glaubt
Ihnen ernsthaft niemand mehr, daß Sie eine echte Agrarreform durchführen wollen.
({4})
Sie reformieren nicht, Sie betonieren die Agrarreform.
({5})
Sie haben kein Fundament, auf dem Sie eine neue Agrarpolitik aufbauen können.
Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eigen?
Ich würde mich zwar sehr viel lieber und länger im Ausschuß darüber unterhalten, aber wenn es schnell geht - denn es drängt - , Herr Kollege Eigen, bitte.
Müssen Sie nicht zugeben, Herr Kollege Kißlinger, daß gerade die neue Politik, die unter der Präsidentschaft der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gipfel in Brüssel beschlossen wurde, ein Weg in die Richtung ist, daß man die Mittel anders als bisher verwendet und damit die ganze Agrarpolitik in einer neuen Richtung, wie Sie sie eben gerade gewollt haben, verbessert?
Herr Kollege Eigen, Herr Müller hat eben gesagt: Es muß vorher schlecht gewesen sein. Da hat er auch recht. Ich hörte diese Worte wohl, allein mir fehlt der Glaube.
({0})
Wenn Sie auf dem Weg zu einer Agrarpolitik wären, die von den Bauern auch vertreten wird, könnten Sie unserer vollen Unterstützung sicher sein.
({1})
Herr Kollege Eigen, ich bitte um Verständnis. Es sind hier Kollegen, die ihre Flugzeuge und Züge nicht bekommen. Ich bin sonst sehr großzügig, aber heute geht es wirklich nicht.
Sie retten die Bauern mit Subventionen nicht; Herr Minister, Sie haben es selber gesagt. Weisen Sie doch nach, daß Sie es anders machen wollen. Mit 31 verschiedenen Subventionen, mit 15 Steuererleichterungen, mit einer ganzen Reihe Hilfen von den Ländern ist es Ihnen nicht gelungen, eine Agrarpolitik zu betreiben, mit der zumindest unsere bayerischen Bauern auch nur annähernd zufrieden sind.
Wenn dieser ungeheure Mitteleinsatz nichts bringt, dann muß etwas geändert werden. - Hier leuchtet es schon wieder; ich muß schneller machen. - Es geht auch nicht damit, daß man sagt: Einhunderttausend müssen wieder hinaus in den Nebenerwerb. Dazu müssen sie vorbereitet sein. Das sind sie nicht. Sie haben sie zu einer Ablieferungsmentalität gebracht. Innovationen fehlten vollkommen.
Herr Minister, nicht jeder Bauer konnte wie Sie das Ausweichen z. B. in den ministeriellen Nebenerwerb existenzsichernd vollziehen. Die anderen sitzen da bei uns. Da geht nichts weiter. Geben Sie uns Arbeitsplätze, dann können sie ja gehen.
Abschließend noch ein Wort zu unseren Wäldern. Unsere Wälder sterben weiter. Ich will aber die wirtschaftliche Seite sehen. Ich habe mit Forstleuten gesprochen. Sie sagten mir hier in Bonn: Wenn man auch nur einen Teil der Gelder, die dazu genommen werden, um irgendwo andere Flächen mit hohen Belastungen zu stützen, verwenden würde, um Wald neu zu schaffen und vielleicht die Flächenstillegungen bleiben zu lassen oder nicht in dem geplanten Umfang durchzuführen, dann käme man ein ganzes Stück weiter.
Auch ich glaube das. Wenn Sie auf diesem Weg sind, werden wir das unterstützen. Machen Sie schnell! Sie können etwas tun. Ich glaube, man kann es so ausgestalten, daß die Bauern dann auch tatsächlich wirtschaftlich davon etwas haben, daß sie möglicherweise davon leben können, wenn man es richtig macht.
Sie tun dann noch etwas: Sie fördern die Natur. Sie schaffen ein Produkt, das noch ein Mangelprodukt ist. Sie tun dem Wald zusätzlich auch noch einen Gefallen.
Im übrigen wäre es gut, wenn Sie dann noch mit Ihrem Herrn Kollegen Töpfer reden würden, damit zum Wald zukunftsweisende und umweltpolitische Beschlüsse - auch unter dem sauren Regen - dieser ewig gestrigen Regierung wachsen; dann hätten Sie eine Menge getan.
({0})
Außerdem sollten Sie daran denken - jetzt, glaube ich, wird Herr Heereman wieder klatschen -, daß wir ein Umwelthaftungsrecht brauchen, damit die Bauern entschädigt werden, deren Sparbüchsen durch den sauren Regen leerer werden. Sie tun nichts dagegen! Machen Sie sich stark für ein Umwelthaftungsrecht! Da stehen wir dahinter.
Zum Schluß möchte ich zu den bäuerlichen Familien, so wie ich sie aus bayerischer Sicht sehe, sagen: Wir Sozialdemokraten wissen um ihre Probleme. Wir wissen auch um die Sorgen der Menschen in benachteiligten Gebieten. Wir werden der Verpflichtung den Menschen gegenüber nachkommen. Die Existenzsicherung, Herr Minister, muß aber vor Wachstum gehen.
Herr Abgeordneter, Sie müssen Ihr Versprechen, zum Schluß zu kommen, auch wahrmachen. Sie überziehen sehr deutlich.
Ich wollte nur noch sagen: Die Existenzsicherung muß vor Wachstum gehen, damit die Bauern nicht im Schwanken zwischen Hoffen und Bangen zermürbt werden. Ihr Agrarbericht war kein Signal; er ist auch kein Aufbruch zu neuen Ufern.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Niegel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz kurz: Herr Kollege Kreuzeder, Ihre Rezepte, die Sie dargelegt haben, geben der Landwirtschaft keine Zukunft. Nach Wurzelseppart eine Landwirtschaft zu betreiben ist, glaube ich, nicht der richtige Weg.
({0})
Biolandwirtschaft ist gut und recht, aber das ist nur für einige Idealisten etwas. Eigenvertrieb ist ebenfalls nur für wenige. Es ist keine Lösung der Probleme der Landwirtschaft.
Herr Kollege Bredehorn, ich glaube, wir setzen uns lieber im Ausschuß auseinander.
({1})
Aber ich muß doch eines sagen, weil Sie in der Öffentlichkeit davon gesprochen haben, wir in Bayern seien für eine Begrenzung der Veredelungswirtschaft: Manche Probleme hätten wir heute in der Landwirtschaft nicht, wenn wir bundesweit und vielleicht auch EG-weit eine Begrenzung der Veredelungswirtschaft nach oben durchgesetzt hätten, meine Damen und Herren. Ich spreche mich eindeutig gegen Agrarfabriken in der Landwirtschaft aus.
({2})
Wenn man die Struktur, die Betriebsgröße der Landwirtschaft immer weiter nach oben treiben will, immer höher,
({3})
nach dem alten Stil des Mansholt-Plans - siehe Amerika, die haben die größten Agrarbetriebe der Welt und das schlechteste Einkommen pro Arbeitskraft -, wird das Einkommen auch nicht besser. Wir müssen einen anderen Weg der Landwirtschaft beschreiten. Ich glaube, daß der bayerische Weg kein schlechter ist.
Machen Sie sich, bitte schön, keine Gedanken darüber, inwieweit Bayern seiner Verpflichtung hinsichtlich der Finanzierung der Bundesagrarpolitik und der beschlossenen Maßnahmen nachkommen wird. Es sind jetzt einfach noch Verhandlungen notwendig, die auch in entsprechender Weise abgeschlossen werden.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten vor dem Forum des deutschen Volkes, des Deutschen Bundestages, auch ein paar Überlegungen anstellen, wie es vielleicht in der Agrarpolitik weitergehen könnte. Ich meine, daß wir in der Agrarpolitik, die seit Tausenden von Jahren auf die Erzeugung von Nahrungsmitteln für den menschlichen Bedarf ausgerichtet ist, einen zweiten Weg beschreiten müssen, den Weg der Lieferung von Rohstoffen für die Industrie und der Lieferung von Energie, ob für den eigenen Betrieb oder auch für die Industrie und für den Verkehr.
Hier, glaube ich, sollten wir alternativ dazu neue Wege beschreiten. Die Möglichkeiten gibt es, und zwar sollten wir das herstellen, was von der chemischen Industrie meines Erachtens ohne große chemi5102
sche Prozesse umgewandelt werden und in den Verarbeitungsprozeß eingehen kann. Ich kann ein paar Beispiele aufzählen. Es besteht bei der Industrie, so ist mir gesagt worden, ad hoc ein Bedarf von 400 000 Tonnen Ölsäure, den wir bisher gar nicht decken können, weil wir die notwendige Pflanze noch nicht in der Menge haben. Das können wir über Rapsöl und Sonnenblumenöl noch nicht oder nicht erzeugen. Hier bietet sich z. B. die Züchtung der Pflanze Euphorbia Lathyris ({4}) an. Die ersten Versuche sind hervorragend, nur müssen wir sie auch von der Verwaltung und der Politik her stärker unterstützen. 400 000 Tonnen Öl würden 400 000 Hektar bedeuten, die aus der Food-Produktion heraus zur Non-food-Produktion kämen.
Das zweite - die Kollegen Eigen und Paintner haben dies angesprochen - ist die Frage der chemischen Stärke für die chemische Industrie. Die bisherige Stärke in Mais, Weizen und Kartoffeln ({5}) entspricht nicht allen chemischen Erfordernissen der Industrie. Eine andere Form, die Amylose, ist, um es chemisch zu sagen, ein nichtverzweigtes, langkettiges Stärkemolekül, das von der chemischen Industrie sofort aufgenommen und umgewandelt werden kann. Man findet sie in einer bestimmten Erbse oder in HA-Mais, d. h. High-Amylose-Mais. Diese Möglichkeit gilt es zu nutzen. Daraus könnte man dann Kunststoffträger und Farbstoffträger herstellen oder sie in der Acrylchemie verwenden, aber auch verrottungsfähige Verpackungsstoffe, z. B. Plastikbeutel, herstellen. Auch hierfür könnte man einige hunderttausend Hektar unterbringen.
Es besteht weiter ein Bedarf an Zellulose. Es gibt nicht nur die Leinfaser als Rohstoff für die Modeschikkeria, für Blusen, Jacken, Tischdecken und Betten, sondern auch als industrielle Textilfaser, als Faser für den industriellen Bedarf, z. B. als Ersatz für Asbest und als Isolier- und Filterstoffe. Wir haben 1953 die letzte Flachsröste stillgelegt. Hier sind gute Ansätze vorhanden, die jedoch stärker unterstützt werden müßten.
Ich sehe aber, meine Damen und Herren, einen ganz großen Weg, den die Landwirtschaft selbst beschreiten könnte, den sie selbst beschreiten muß, allerdings mit Unterstützung der Politik, der Verwaltung und der Industrie. Wir haben als Rohstoff, als Energiequelle bisher das Dieselöl. Es ist technisch möglich, zumindest in Deutschland, im Dieselmotor Rapsöl zu verfahren. Man braucht es nur auszuquetschen. - Ich habe hier eine Flasche Rapsöl zur Hand, meine Damen und Herren. Das geht in den normalen Dieselölmotor hinein.
({6})
Ich werde Ihnen das Verfahren jederzeit erklären können. Nötig ist eine Vorkammeränderung, und schon läuft der Motor.
Am Rande meines Wahlkreises läuft ein Motor mit Rapsöl, der bereits 7 000 Betriebsstunden ohne Reparaturen gearbeitet hat. Ich bin der Meinung, Herr Minister, wir müßten alle elf DUELA-Schulen damit ausstatten, wir müßten in jedem Regierungsbezirk einen solchen Versuch betreiben, und dann auch in jedem
Landkreis, dann hätten wir eine Möglichkeit zur Breitenwirkung.
Ich sage Ihnen eine Zahl: Wir verbrauchen 1,7 Millionen Tonnen Dieselöl in der Landwirtschaft pro Jahr. Man kann pro Hektar 1 000 Liter erzeugen. Nach Adam Riese ergibt das - es stammt aus einer Stadt in meinem Wahlkreis - Staffelstein - dann genau 1,7 Millionen Hektar. Stellen Sie sich dies einmal vor! Das geschähe zusätzlich zur Flächenstillegung. 1,7 Millionen Hektar sind das Vierfache der 400 000 Hektar, die jetzt über die Flächenstillegung herausgenommen werden sollen. Damit könnten wir auch die Ökologie in der Landwirtschaft, die Soziostruktur und die Ökonomiestruktur des Dorfes als solchen erhalten.
Sicherlich muß man dazu Subventionen geben, aber - das möchte ich sagen - sie sind geringer als bei der Lagerhaltung und bei der Prämie für die Flächenstillegung. Wenn ich nur zwei Drittel der Flächenstillegung nehme, kann ich dieses gesamte Programm finanzieren.
Neben dem Pflanzenöl kann man noch den Rapskuchen als Sojaersatz in der Verfütterung verwenden. - Auch hierfür habe ich ein Beispiel hier. Ihn kann man genauso ans Vieh als Eiweißfutter verfüttern. Würde man dies in die Rechnungen mit einsetzen, käme man bei Raps schon jetzt fast zur Kostendekkung. Das ist doch eine Möglichkeit!
Es gibt technisch noch andere Möglichkeiten: Umesterung des Rapsdiesel. Damit könnte man sogar Kraftstoff für den Personennahverkehr gewinnen. In Landshut werden Versuche anlaufen. Auch das ist eine Möglichkeit, um einen Weg aus den Problemen der Landwirtschaft zu finden.
Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt hier nicht die Frage des Agraralkohols und des Bioäthanols ansprechen. Das ist etwas, was schwieriger ist, was Überwindungen kostet. Aber gehen wir einmal den Weg mit Rapsdiesel, gehen wir einmal den Weg mit Rapsöl im landwirtschaftlichen Trecker. Wir können, so glaube ich, eine Lösung anbieten, die vor allem auch unseren jungen Bauern wieder eine Zukunft gibt. Dann müssen sie nicht auf die Flächenstillegung ausweichen, sondern können produzieren, das Dorf bliebe erhalten, und sie hätten langfristig eine Zukunft.
({7})
Natürlich muß man das - das gebe ich offen zu - langfristig anpacken; das wird noch nicht im nächsten Jahr sein. Aber irgendwie muß der Weg überwunden werden. Nach dem früheren alten Verwaltungsgrundsatz kann man hier nicht mehr vorgehen, der heißt: Das haben wir noch nie gemacht; das machen wir nicht; da könnte ein jeder kommen. - Diese Hürde muß überwunden werden. Hier müssen neue Wege gegangen werden. Hier ist ein Appell an Politik, Verwaltung, Industrie und Forschung zu richten.
({8})
Ich darf insbesondere noch die Industrie ansprechen. Bei diesen Wegen, die ich vorhin aufgezeigt habe - mit der Amylose, mit der Ölsäure, mit dem Flachs, mit der Leinfaser, mit dem Rapsöl - muß die Industrie mitmachen. Die deutsche Industrie profitiert von der Europäischen Gemeinschaft. 60 % ihrer Exporte gehen in die EG. Die Gegenleistung zur Landwirtschaft seitens der Industrie ist gleich null. Hier könnte sie einen Ausgleich bilden und sagen: Das gehört zur Vervollständigung des Jahrhundertvertrags oder zum Solidarbeitrag mit hinein, daß die Industrie, die von der EG profitiert, hier ihren Beitrag leistet, diese Produkte, die Non-Food-Produkte, für sich abnimmt und auch für die Treibstoffe usw. eine Möglichkeit findet. Das ist ein Weg, meine Damen und Herren, den man vorschlagen und den man gehen kann, gehen muß,
({9})
der aber natürlich weiter erörtert werden muß.
Ich habe in den letzten anderthalb Jahren einen halben Zentner Literatur gewälzt. Ich kann Ihnen sagen, auf dem Hof von Baron Rotenhahn in Ebelsbach bei Bamberg läuft dieser Schlepper, in Niederbayern wird das Umesterungsprogramm programmiert, und auch die Züchtung und Vermehrung der Euphorbia Lathy-ris muß unterstützt werden. Dann könnten wir unseren Bauern wieder eine Chance geben. Dann bräuchten wir nicht nur agrarpolitische Krisen zu verwalten.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
({10})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Adler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte zum Agrarbericht gibt Gelegenheit, über die Situation der Landwirte in der Bundesrepublik zu sprechen. Die ökonomische Seite wird dabei sehr betont. Strukturen werden erkennbar, wenn man zwischen dem Gesagten genau hinhört, um die Zukunft der Bauernfamilien darin zu erkennen. Der Minister lobt natürlich seinen Bericht, während Kollegen der CDU/CSU wohl Probleme haben, zwischen Lob und Tadel gut abzuwägen; denn die letzten Verhandlungen in Brüssel haben gezeigt, daß Preissenkungen ins Haus stehen, ohne daß flankierende Maßnahmen vorgeschlagen werden, die dem Konzentrationsprozeß, der eben auch in der Landwirtschaft vorhanden ist, entgegenwirken.
Ihr Flächenstillegungsprogramm wird ein Flop werden, da verbindliche Rahmenbedingungen bei den EG-Partnern nicht durchzusetzen waren. 160 Millionen Tonnen Getreide - mit links füllen die anderen die Lager voll, wenn deutsche Bauern aufgrund des Programms weniger liefern.
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Weniger - das neue Modewort - Produkte zu Marktordnungspreisen abliefern ist der Wunsch, das Wie wird hintangestellt.
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Unser Vorschlag, nicht den Weg der Intensivierung zu gehen, kommt in Ihrem Gesetzentwurf zum Glück auch vor. Weideland und Körnernutzung werden als Möglichkeiten genannt. Dabei wird den Linsen, den Wicken und vor allem den Kichererbsen der Vorzug gegeben.
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Es wäre zum Kichern, wenn das Ganze nicht so ernst wäre. Extensivierung zu nutzen, um eine ökologisch verträgliche Landwirtschaft zu fördern - auf den Gedanken kommen Sie nicht. Die Verflechtung mit den Wirtschaftsinteressen der vorgehenden und nachfolgenden Industrien ist zu klar erkennbar.
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So werden dann die nachwachsenden Rohstoffe zum Rettungsanker Ihrer Politik. Jeder hier im Haus aber weiß, daß damit die Strukturprobleme nicht gelöst werden. Die nachwachsenden Rohstoffe als Allheilmittel scheiden aus. Dennoch bestünden Möglichkeiten einer naturbelassenen Rohstoffsicherung für die Industrie. Diesen Weg gilt es konsequent zu gehen, um Rohstoffe z. B. auf Erdölbasis abzulösen, damit auch Abhängigkeiten von Ausfuhren - für Sie sonst ein wichtiger Punkt - vermindert werden.
Der Hauptgrund aber sind die Verarbeitungs-, Verbrauchs- und Beseitigungsmöglichkeiten, die weniger Gefahren für uns Menschen mit sich bringen. Die Tragtasche aus Bioplastik und nicht mehr aus Erdölprodukten, Schmieröle und Fette für landwirtschaftliche Geräte wären ebenfalls denkbar, ein Markt, der auf Hobbygärtner ausgedehnt werden könnte. Eine Anfrage von uns an die Bundesregierung will hier Aufklärung und auch Denkanstöße geben.
Dabei spielt der Begriff der Biotechnik eine Rolle. Mit Hilfe der Wortwahl will man die Gentechnologie in der Pflanzen- und Tierzucht dahinter verschwinden lassen. Es ist richtig, daß der weitgefaßte Begriff Biotechnik erst einmal verschiedene Verfahren umfaßt, aber der Schritt hin zur Genmanipulation ist dann sehr klein.
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Die Einsetzung von Arbeitsgruppen, die den Sicherheitsaspekt untersuchen sollen, ist begrüßenswert. Aber die entscheidende Frage, ob wir das alles tun sollen, was die Gentechnik an Manipulationsmöglichkeiten eröffnet, wird damit aufgeworfen, aber leider nicht beantwortet.
Der Wunsch nach Freilandversuchen mit genveränderten Mikroorganismen zeigt die Tragweite dieser Problematik. Einstimmig haben alle Fraktionen in der Enquetekommission ein Moratorium für solche Versuche vorgeschlagen. Haben die Mitglieder der CDU/ CSU-Fraktion solch ein kurzes Gedächtnis? Ich denke, daß wir hier noch einen unwahrscheinlichen Bedarf haben, miteinander zu sprechen, wie denn Gentechnik im Pflanzen- und Tierbereich aussehen kann, ob sie sich wirklich in der Weise vollziehen darf, herbizidresistente Pflanzen, Hybride und Chimären. Hier sollten wir sehr nachdenklich sein und unsere Positionen darlegen. Denn immer noch nicht bekannt sind die Auswirkungen auf die Ernährung und Ge5104
sundheit von Menschen, die wirtschaftlichen Auswirkungen auf Drittländer, die Folgen, die sich erst bei Anwendung in der Natur ergeben.
Der Null-Null-Raps, eine konventionelle Züchtung auf Wunsch oder besser auf Druck der Industrie, ist das Paradebeispiel dafür. Die ökologische Vernetzung ist übersehen worden. Risikoforschung vorher hätte Aufschluß geben können. Nun sollen bestellte Gutachten die Unachtsamkeiten ausbügeln, wie ich meine, zu spät.
2 Millionen ha in der EG beträgt die Anbaufläche für nachwachsende Rohstoffe. Biogene Rohstoffe hätten noch Zukunft auf den frei werdenden Ackerflächen. Nur, wie wird der Boden bestellt? So intensiv wie bisher? Oder läge in einer ökologisch ausgerichteten Anbauweise nicht eine Chance?
Wie sieht es denn mit der Erhaltung der genetischen Vielfalt, um ein weiteres Stichwort des Berichtes aufzugreifen, aus? Der Bericht sagt:
Die Erhaltung der genetischen Vielfalt insbesondere bei Pflanzen ist im Hinblick auf die dauerhafte Sicherung von Nahrungsmittelerzeugung und die Erschließung von Produktionsalternativen für die Landwirtschaft eine vordringliche langfristige Aufgabe, z. B. die Sammlung von biologischem Material und Langzeitkonservierung.
Durch Schaden endlich klug zu werden ist hart. Müssen wir in Zukunft Biotope schaffen, um der Natur noch Spielraum und gleichzeitig Schutz zu bieten? Welch ein Widersinn! Ökonomische Interessen, Existenzsicherung stehen dagegen.
Wie wird der Konflikt gelöst? Auf intensiv bearbeiteten gewerblichen Ackerflächen durch Marktordnungsprodukte? Der Rest wird unter Naturschutz gestellt und gepflegt oder - besser - konserviert?
Die Wissenschaftsgläubigkeit und die ökonomischen Interessen, die Vorgaben der Industrie müssen aufgebrochen werden. Wir als Parlamentarier müssen den Mut haben, Weichen für eine ökologisch orientierte Landwirtschaft zu stellen, die dem bäuerlichen Familienbetrieb eine gesicherte Existenz verschafft. Der Teufelskreis von immer mehr Produktion mit Hilfe von Stickstoff und Agrarchemikalien muß durchbrochen werden. Genügend Anträge und Vorschläge liegen diesem Parlament vor. Aber die Grundlinie ist immer noch nicht richtig angelegt. Wursteln heißt die Devise. Sich von einer schlechten Maßnahme zur anderen hangeln ist in dieser Koalition angesagt.
({5}) Ein weiteres Zitat aus dem Bericht:
Land- und Forstwirtschaft sind neben ihren übrigen Aufgaben auch der Sicherung der natürlichen Lebensgrundlage verpflichtet.
Schön. Wie ernst nehmen Sie nur Ihre eigenen Worte? Oder wie steht es mit der intensiven Auseinandersetzung mit dem Sondergutachten „Umwelt in der Landwirtschaft"? Die Umsetzung fehlt bis heute. Dabei gibt es dringenden Regelungsbedarf beim Bundesnaturschutzgesetz, beim Pflanzenschutzgesetz, beim Wasserhaushaltsgesetz, beim Flurbereinigungsgesetz, bei
der Produkthaftung, bei der Schadstoff- und Höchstmengenverordnung. Es ist also genug zu tun.
Noch haben wir die Chance zu handeln, meine Damen und Herren. Setzen wir auf die Fähigkeit der Menschen, dies positiv zu regeln! Die Landwirte und die Verbraucher, also wir alle, werden es danken.
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Meine Damen und Herren, nun hat der Abgeordnete Pfuhl als letzter das Wort, vor dem Minister selbstverständlich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die dicken Enden kommen zuletzt. Aber nichtsdestotrotz, glaube ich, muß ich auf einige Dinge eingehen, die vorgetragen werden, Herr Kollege Eigen.
Erstens. Wir haben dem Wasserhaushaltsgesetz deswegen nicht zugestimmt - wie ich in der Debatte ausgeführt habe - , weil Sie diese Zerfledderung in der Entschädigungsfrage wollten, weil von Ihnen eine bundeseinheitliche Lösung nicht getragen wurde, die wir zusammen mit dem Bauernverband gefordert haben. Das war der Grund.
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- Ja, wir haben dagegen gestimmt, weil wir gesagt haben, das ist falsch. Heute sehen Sie das ein. Auf der einen Seite bekämpft die FDP in Baden-Württemberg den Wasserpfennig, in anderen Ländern weiß man nicht, wie man es finanzieren soll. Dem Grunde nach wäre eine bundeseinheitliche Regelung erforderlich gewesen, um diese Frage zugunsten der Landwirtschaft zu lösen.
({1})
- Entschuldigung, natürlich können wir das als Rahmengesetzgebung tun. Das weiß ich nun besser als Sie.
Zweitens. Sie haben gefragt, warum wir nicht der Lösung zugestimmt haben, daß die BALM stellvertretend für den Bund im Rahmen von Kreditaufnahmen Vorfinanzierung durchführt. Wir haben Ihnen angeboten, das für ein Jahr zu tun, um dann eine ordentliche gesetzliche Regelung zu finden, um diese Dinge auch verfassungsrechtlich wasserdicht zu machen. Sie haben das abgelehnt. Aus diesem Grunde haben wir dem Gesetz nicht zugestimmt.
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Drittens. Der niedersächsische Entwurf für ein Agrarstrukturgesetz ist anscheinend gestorben. Nachdem die FDP hier erklärt hat - sie sitzt ja in Niedersachsen mit in der Regierung - , daß sie es nicht mitträgt, brauchen wir uns darüber wohl nicht zu unterhalten. In Bayern hat man einen bayerischen Weg gefunden, wie der Kollege Niegel das genannt hat. Er ist leider schon weg. Er mußte nach Kulmbach, sein Bier hinbringen.
({3})
Dieser bayerische Weg wurde im Rahmen eines Gesetzentwurfes vorgelegt, von dem jeder in Bayern weiß - auch der Bauernverband - , daß er so gar nicht zum Tragen kommt.
Was macht denn eigentlich der Entwurf zu einem Bundesstrukturgesetz, den Sie im vorigen Jahr noch propagiert haben? Sie haben davon doch auch geschrieben, Herr Kollege Susset. Wo bleibt denn hier die Butter bei die Fische?
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- Eins nach dem anderen? Sie haben doch gesagt, Sie wollten global einen einheitlichen Entwurf einer neuen Agrarpolitik vorlegen. Wir sind ja bereit, mit Ihnen daran zu arbeiten.
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Noch ein Weiteres: Die neue Politik des Herrn Minister Kiechle, seine Glasnost und Perestroika sehen so aus, daß er z. B. in der Frage der Milchquoten verkündet, wir müßten sie um 3 % senken, und daß er endlich das tut, was ich ihm schon vor drei Jahren gesagt habe: Er möge bitte davon abgehen, die Quote national zu regeln, und endlich zu einer regionalen oder einer Molkereiregelung kommen.
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Jetzt hat er diesen guten Vorschlag übernommen. Und was geschieht? Sein Parteivorsitzender in Bayern pfeift ihn zurück, nachdem er unter den Druck des bayerischen Bauernverbandes geraten ist.
Herr Minister, ich habe nicht die Absicht, Sie zum Rücktritt zu zwingen. Nur, wenn die Journalisten schon so weit sind und das schreiben, sollten Sie sich einmal überlegen, ob sich ein Minister das von seinem Parteivorsitzenden bieten lassen kann.
Meine Damen und Herren, ich habe wenig Zeit. Ich möchte es mit meinem Großvater halten, einem alten, gestandenen Bauern und Bürgermeister auf dem Dorf, der in der Nazi-Zeit einmal in die Kirche kam. Er war dort mit dem Pfarrer und dem Küster zu dritt. Da sagte der Pfarrer: Herr Bürgermeister, lassen Sie uns beten und nach Hause gehen. Lassen Sie uns für die deutsche Landwirtschaft beten und dann nach Hause gehen.
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Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke an Ihre Züge und an Ihre Flugzeuge und möchte nur ganz wenige Schlußbemerkungen machen.
Als erstes bedanke ich mich bei all den Kollegen, die mit Engagement an der Debatte teilgenommen, aber auch ihre Bereitschaft erklärt haben - soweit es die Opposition betrifft - , in schwierigen Fragen mitzuarbeiten, da, wo es ja nicht mehr um Parteipolitik geht, sondern um ein ganz grundsätzliches Problem, nämlich: Werden wir auch nach dem Jahr 2000 in allen deutschen Regionen noch Bauern haben? Dafür herzlichen Dank. Ich denke, wir haben in den Ausschüssen und auch bei den Haushaltsberatungen viele Gelegenheiten, hier ein wenig aufeinander zuzugehen.
Ich bedanke mich bei allen Rednern der Koalitionsfraktionen, die - selbst bei kritischer Einzelwürdigung in dem einen oder anderen Fall - doch viel Last mittragen bei der Umstrukturierung - wenn man so will - und bei der Umgestaltung einer Agrarpolitik, die drauf und dran war, meine Damen und Herren, alle Überschußfragen Europas über den Markt, den Preis und den Preisdruck zu regeln und damit eine Politik einzuleiten, in den schwächeren Regionen die kleineren und schwächeren und unter schwierigen Umständen wirtschaftenden Bauern zu vertreiben, vielleicht nicht immer willentlich, aber im Ergebnis.
Wir haben mit der Ausweisung eines großen Teils weiterer Gebiete als benachteiligt und auf vielen anderen Gebieten bis hin zur Sozialpolitik, die wir betreiben und noch weiter verbessern wollen, die Wege geebnet, um hier einen Ausgleich zu schaffen.
Leider muß ich hinzufügen - und das ist vielleicht auch der Eindruck bei dem einen oder anderen von Ihnen - : Nicht jede Rede war in diesem Geist gehalten. Ich würde gerne auf die eine oder andere eingehen, aber das ist aus Zeitgründen nicht möglich.
Schade, Herr Jansen, daß Sie gemeint haben, ausgerechnet hier eine Wahlrede halten zu müssen. Sie haben in zwei Minuten fünfmal hintereinander das Wort „kaputtgemacht" gewählt, was die Bauern anbetrifft. Mein lieber Herr Kollege, 1970 bis 1976 sind jedes Jahr 40 000 landwirtschaftliche Betriebe verschwunden; wir haben nicht gesagt: kaputtgemacht worden, sondern wir haben gesagt: dem Strukturwandel zum Opfer gefallen. Diesmal sind es 28 000. Im letzten Jahr waren es 16 000. Ja, wo bleibt die Wahrheit? Die Bauern merken es und sind verstimmt. Schade, daß Sie das taten, nur um der Hoffnung willen, in Schleswig-Holstein ein paar Stimmen zu bekommen.
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Es ist deswegen schade, weil andere SPD-Kollegen es ein bißchen anders gemacht haben.
Herr Oostergetelo, wir kennen uns ja seit vielen Jahren. Es ist nicht wahr, was Sie behauptet haben, daß auf Vorschlag des Bundeskanzlers Preissenkungen auf drei Jahre im voraus beschlossen wurden. Der Bundeskanzler hat verhindert, daß jährlich Preissenkungen von 7,5 % ohne jährliche Beschränkung, die im Vorschlag waren, sozusagen Richtlinie und Beschlußlage des Gipfels wurden. Wir konnten das vielmehr unter dem Zugeständnis einer neuen Politik, die auch zuläßt, mit öffentlichen Mitteln und mit den Instrumenten, die wir heute diskutiert haben, die Produktion zurückzufahren, auf die 3 % begrenzen. Wir sollten uns unter seriösen Politikern wenigstens hier im Deutschen Bundestag auf die Wahrheit verständigen können; in einer Wirtshausversammlung nehme ich es ja nicht so genau.
Frau Flinner, ich weiß, daß Sie viel guten Willen haben; Sie drücken es gelegentlich vielleicht ein bißchen verquer aus, aber ich nehme Ihnen das nicht übel. Ich möchte Ihnen lediglich sagen: Den Milchbauern haben wir damit, daß wir die Produktion an Milch begrenzt haben, die Preise gerettet.
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- Zu Ihnen komme ich gleich.
Daß die Milchpreise in den letzten sechs Monaten im Bundesdurchschnitt um 2 Pf gestiegen sind, verdanken wir dieser Regelung.
Was Sie anbetrifft, Herr Kreuzeder: Sie sind ein bayerischer Bauer. Deswegen tut es mir leid, daß Sie sich hier zum Hanswurst in der Agrarpolitik machen. Sie werden halt nicht mehr ernst genommen; das ist alles.
Schönen Dank.
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Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Rednerliste. Wir können jetzt zu den Abstimmungen kommen.
Zunächst einmal werden wir über die Überweisungen abstimmen.
Zu den Tagesordnungspunkten 16b bis 16 d schlägt der Ältestenrat Überweisung der Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Darüber hinaus wird interfraktionell vorgeschlagen, den Agrarbericht 1988 zusätzlich an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu überweisen. Außerdem soll der Entwurf des Extensivierungsgesetzes zusätzlich zur Mitberatung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, an den Rechtsausschuß sowie, außer gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung, auch zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß überwiesen werden.
Weiter wird gewünscht, daß die Entschließungsanträge der Fraktion der SPD, der Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP sowie der Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN, und zwar auf den Drucksachen 11/2138, 11/2159, 11/2164 und 11/2189, an dieselben Ausschüsse überwiesen werden wie der Agrarbericht 1988.
Gibt es außer diesen vielen Vorschlägen noch weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann darf ich das als beschlossen feststellen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 16 a der Tagesordnung. Es handelt sich um die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten auf Drucksache 11/1347. Wer stimmt für die Nr. 1 der Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/1347, den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen anzunehmen? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei wenigen Gegenstimmen angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt weiter unter Nr. 2 der Beschlußempfehlung, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf der Drucksache 11/521 im übrigen für erledigt zu erklären. Ich bitte um das Handzeichen, wer dafür ist. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN und Gegenstimmen der SPD ist diese Beschlußempfehlung angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung zu Punkt 16 e der Tagesordnung, über die Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/1535 ({0}). Wer stimmt für die Nr. 1 dieser Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der GRÜNEN ist diese Beschlußempfehlung angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt weiter unter Nr. 2 der Beschlußempfehlung, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/580 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der GRÜNEN ist diese Beschlußempfehlung angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einspruch des Abgeordneten Thomas Wüppesahl - der mir hat mitteilen lassen, daß er mandatsbedingt an dieser Abstimmung nicht teilnimmt - gegen den am 21. April 1988 erteilten Ordnungsruf. Der Einspruch liegt Ihnen schriftlich vor. Über diesen Einspruch entscheidet der Bundestag gemäß § 39 unserer Geschäftsordnung ohne Aussprache. Ich kann daher sofort zur Abstimmung kommen. Wer dem Einspruch des Abgeordneten Thomas Wüppesahl stattgeben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Damit ist dieser Einspruch zurückgewiesen.
So, meine Damen und Herren, wir sind nun am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 4. Mai 1988, 13 Uhr ein und wünsche Ihnen ein angenehmes und erholsames Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.