Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Brahmst-Rock, Frau Teubner, Weiss ({0}) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Transport gefährlicher Güter - Drucksache 11/996 Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu 10 Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Brahmst-Rock.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Oktober vergangenen Jahres haben wir dem Bundesverkehrsministerium eine sehr umfängliche Große Anfrage zum Thema Gefahrgut vorgelegt. Wir hatten Verständnis dafür, daß diese Anfrage nicht in der Regelfrist beantwortet werden konnte. Wir waren auch damit einverstanden, daß der Termin für die Beantwortung bis März dieses Jahres verlängert werden sollte; denn wir wollten eine umfassende, sachlich fundierte Antwort, aus der wir Notwendigkeiten und Erkenntnisse für unsere weitere Arbeit ableiten konnten.
Nun ist es ja kein Geheimnis, daß im Bundesverkehrsministerium keine große Neigung besteht, Große und Kleine Anfragen der Fraktion der GRÜNEN zu beantworten.
({0})
Unsere Fragen werden als lästig und überflüssig abgetan. Die Antworten sind entsprechend unwillig gegeben und oberflächlich. Die Bundesregierung nimmt damit die Instrumente des Parlaments, die Anfragen von Fraktionen und Abgeordneten, nicht ernst und verhält sich hiermit im Widerspruch zu ihrem verbalen Anspruch, zur parlamentarischen Demokratie zu stehen.
Im Interesse der Thematik, die sich nicht für irgendwelchen Parteienzank oder das Austragen von Abneigungen eignet, haben wir uns entsprechend geduldet. Als nun aber im Februar mitgeteilt wurde, der Verkehrsminister wäre nunmehr bereit, unsere Anfrage
im Juli dieses Jahres zu beantworten, mußten wir annehmen, daß er an diesem Thema nicht arbeiten kann oder nicht will. Es wurde auf die am 20. April im Verkehrsausschuß anstehende öffentliche Anhörung zu Gefahrguttransporten verwiesen.
Es ist ein weiteres offenes Geheimnis, daß Teile der Verkehrspolitik nicht im Bundesverkehrsministerium, sondern in anderen Ressorts erarbeitet werden, die dann als fertige Vorlagen dem BMV, mitunter nach der Presseveröffentlichung, zugeleitet werden. So wird die Bahnpolitik weitgehend vom Finanzministerium erarbeitet, die Straßenbau- und Autopolitik zumindest teilweise vom Wirtschafts- und vom Verteidigungsministerium. Da sollte man doch meinen, daß für den Bereich Gefahrguttransporte, deren Verbesserung das Bundesverkehrsministerium in öffentlichen Äußerungen stets zu seiner Herzensangelegenheit macht, genügend Kapazität auch für die Beantwortung unserer Großen Anfrage frei wäre, steht doch am Anfang jeder Verbesserung - so sollte es jedenfalls sein - eine genaue Analyse des bestehenden Zustandes. Wenn ich nicht weiß, welche Mengen Gefahrgut über welche Relationen von A nach B transportiert werden und welche Verkehrsträger dafür eingesetzt werden, wie soll dann eine qualifizierte Veränderung oder Verbesserung vorgenommen werden können?
Wenn der Verkehrsminister jetzt darauf verweist, daß unsere Fragen erst nach der öffentlichen Anhörung am 20. April beantwortet werden könnten, habe ich den Eindruck, daß auch dieser Politikbereich nicht als originäre Verkehrspolitik aufgefaßt wird; denn im Klartext heißt diese Verschiebung: Erst wenn die Interessenverbände ihre Meinung dargestellt haben, hat auch das Verkehrsministerium eine. Dabei sind viele der von uns gestellten Fragen gar nicht Gegenstand der Anhörung. Demzufolge können auch keine Erkenntnisse zur Beantwortung unserer Anfrage aus der Anhörung gewonnen werden.
Da ist zum ersten der Bereich Transportaufkommen und die Verteilung auf die einzelnen Verkehrsträger und Relationen. Das können Sie für grüne Erbsenzählerei halten. Das ist Ihnen unbenommen. Gleichwohl sollten die Fragen beantwortet werden. Denn das Wissen über Transportvolumen und -strecken ist wesentliche Voraussetzung für mögliche Veränderungen.
Ein allgemeiner Appell, daß Gefahrgüter vorrangig über die Schiene transportiert werden sollten, hilft da nicht. Da muß die Bundesregierung schon die Infrastruktur schaffen bzw. die Bahn in die Lage versetzen, diese Infrastruktur zu schaffen, und, solange sie sich nicht zu dirigistischen Maßnahmen durchringen kann, der verladenden Wirtschaft Anreize geben.
Wir möchten wissen, welche Vorstellungen im Bundesverkehrsministerium bestehen, diese Verlagerungen erreichen zu können. Soll Bahnversand für eine Reihe von Gefahrgütern zwingend vorgeschrieben werden, wie indirekt der Broschüre „Informationen zur Beförderung gefährlicher Güter" vom 1. März 1988 auf Seite 10 zu entnehmen ist? Ist dieses Verfahren in der Vergangenheit angewandt worden? Genau das war eine unserer Fragen. Die Frage nach den Vorstellungen und Möglichkeiten an die Interessenverbände weiterzugeben empfinde ich als ein Armutszeugnis des Verkehrsministeriums.
Aus einem weiteren Grund ist es notwendig, das Transportvolumen, die Gefahrgutarten und Relationen zu kennen. Solange wir uns nicht zu einem Verbot von Produktion und Transport der gefährlichsten Stoffe durchringen können, benötigen wir Schutz-und Evakuierungspläne für die bei einem Unfall betroffene Bevölkerung, bzw. wir müssen zumindest die am wenigsten gefährliche Route festlegen können. Bislang bleiben die Bürger und Bürgerinnen dieses Landes über das Ausmaß der Gifte uninformiert, die täglich durch unser Land rollen. Im Falle eines Unfalls steht die örtliche Feuerwehr vor dem Problem bzw. dem Transporter und muß erst einmal überlegen, welche Maßnahmen sie am zweckmäßigsten ergreift. Da vergeht oft wertvolle Zeit, bis der Katastrophenschutz zu Hilfe gerufen und die Bevölkerung informiert wird.
Ein weiterer Teil unserer Anfrage beschäftigt sich mit dem Transport militärischer Gefahrgüter. Hier treffen wir auf einen Bereich, der allzuoft mit dem Hinweis auf die angeblich militärisch notwendige Geheimhaltung der Kontrolle der Öffentlichkeit entzogen wird. So rollen täglich Transporte mit chemischen und biologischen Kampfstoffen, Treibstoffen, Raketen und Sprengstoffen über unsere Straßen, gemeinsam mit Pkw, Lkw und Bussen. Es ist eine Frage der Zeit, wann es hier zu einer Katastrophe kommt. Es ist eine Frage der Zeit, wann der Slogan der Friedensbewegung, Rüstung tötet, auch jetzt, auch auf unseren Straßen zur grausamen, blutigen Wirklichkeit wird. Auch für militärische Gefahrgüter muß es eine zivile Überwachung geben. Auch über diese Transporte hat die Bevölkerung ein Recht auf Information.
Sie müssen sich hier fragen lassen, vor wem Sie was geheimhalten wollen. Bei dem heutigen Stand der Überwachungstechnik dürfen Sie doch davon ausgehen, daß ein potentieller Angreifer weiß, wo welche Materialien liegen, und daß er seinen Angriff kaum auf einen einzelnen rollenden Lkw konzentrieren wird. Sie halten also diese Transporte lediglich vor der eigenen Bevölkerung geheim.
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Geradezu prophetisch sind unsere Fragen zum Transport von radioaktivem Material. Hätte sich die
Bundesregierung im Oktober/November zügig mit einer Antwort befaßt, sie hätte vom Skandal um Transnuklear kaum so überrascht sein können. In diesem Teil kann das Verkehrsministerium auch nicht auf die öffentliche Anhörung vom 20. April verweisen. Denn diese Fragen sind nicht Gegenstand der Anhörung.
Gerade aus der Tatsache, daß die Verschiebung durch eine drei Jahre geltende Dauergenehmigung gedeckt wurde, sollte und müßte diese Bundesregierung Handlungsbedarf erkennen. Die Antwort auf unsere Fragen 29 und 31 hätte hier eine Handlungsgrundlage schaffen können. Aber die Notwendigkeit zum Handeln wird von dieser Regierung allzuoft erst nach Skandalen und Katastrophen erkannt.
Ein weiterer Teil des Fragenkomplexes gilt den Unfallursachen. Da gibt es drei Schwerpunkte, erstens das sogenannte menschliche Versagen, wenn der Fahrer z. B. durch Übermüdung nicht mehr in der Lage ist, sein Fahrzeug zu steuern. Der Sekundenschlaf unter Lkw-Fahrern ist berüchtigt.
Zweitens: die sogenannte unangepaßte Geschwindigkeit, d. h. wenn ein Lkw mit 100 km/h oder mehr über die Autobahn brettert. Das ist besonders gefährlich, wenn Witterungsbedingungen herrschen, die eine Vielzahl von Pkw-Fahrern zu langsamer Fahrweise veranlassen.
Drittens: die technischen Mängel am Fahrzeug. Bei Lkw-Sonderkontrollen in Hessen war nur ca. ein Fünftel der Fahrzeuge ohne Beanstandung.
All diese Mißstände sind nicht etwa dem Berufsstand der Lkw-Fahrer anzulasten, sondern den Arbeitsbedingungen im Verkehrsgewerbe, die sich nach 1992, nach Freigabe des Binnenmarktes, noch verschärfen werden. Auch notwendige technische Verbesserungen sind immer nur so gut wie der Mensch, der sie benutzt.
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Lassen Sie mich am Schluß zu einem Punkt kommen, den ich am Anfang schon einmal kurz erwähnt habe, zur Verlagerung von Transporten auf die Schiene. Wir wollen wissen, welche Maßnahmen die Bundesregierung getroffen hat oder zu treffen gedenkt, damit mehr Gefahrgütertransporte über den Schienenweg abgewickelt werden können. Wir wollen wissen, ob jemandem zwingend ein Bahntransport vorgeschrieben wurde oder ob stets der Verkehrsträger genehmigt wurde, der vom Verlader beantragt wurde. Der überwiegenden Anzahl der schriftlichen Antworten der Verbände ist zu entnehmen, daß dort stets auf den Rückzug der Bahn aus der Fläche verwiesen wird
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- ich habe es gelesen, Herr Lemmrich, sonst könnte ich es nicht wissen - , der eine Verlagerung ausschließe. Diesen Widerspruch zwischen Verlagerungsabsicht und Streckenstillegung muß der Bundesverkehrsminister aufklären. Wenn er ankündigt,
Gefahrgüter auf die Schiene zu verlagern, muß er doch Vorstellungen darüber haben, wie er seine Ankündigung setzen will. Diese Durchführungsregelungen können doch nicht geheim sein. Solange er aber auf unsere Fragen nicht antwortet, müssen wir annehmen, daß er keine Antworten hat. Wir haben nicht die Interessenverbände nach deren Vorstellungen und Meinungen gefragt, sondern die Bundesregierung und das Bundesverkehrsministerium nach Antworten auf unsere Fragen. Ich betrachte es als ein Armutszeugnis, wenn diese Antworten von den Stellungnahmen der Lobbyisten abhängig sind,
({4})
wenn das Bundesverkehrsministerium keine Meinung hat, sondern sich von Interessenverbänden erst eine Meinung mitteilen lassen muß.
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Frau Kollegin, auch wenn zwei Herren aus anderen Fraktionen Plätze Ihrer Fraktion okkupiert hatten, müssen Sie wahrscheinlich die gefährlichen Lasten noch eine Weile allein transportieren.
Jetzt hat Herr Kollege Börnsen ({0}) das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Brahmst-Rock, es ehrt Sie, daß Sie zumindest für Ihre Fraktion heute anwesend sind. Ich könnte mir vorstellen, daß bei Teilen Ihrer Fraktion eine alternative Uhrzeit gilt.
({0})
Sonst wären vielleicht mehr hier gewesen. Denn Sie haben die Debatte beantragt. Die Glaubwürdigkeit Ihres Beitrags leidet doch sehr unter der Nichtanwesenheit.
({1})
Ich glaube, wohltuend für uns alle war heute morgen die Koalition der Kollegialität der beiden Fraktionsgeschäftsführer, die wir auf den Plätzen der GRÜNEN gesehen haben.
Meine Damen und Herren, nun komme ich zum Thema der Debatte. Gefahrguttransporte sind Risikotransporte. Ihre Anzahl nimmt bei uns und in den Nachbarländern von Jahr zu Jahr zu. Bei uns waren es vor zwei Jahren noch 377 Millionen Tonnen, im letzten Jahre bereits 385 Millionen Tonnen - ein Zuwachs um 5,2 %. Damit wächst die Gefahr für Mensch und Umwelt, wenn es uns nicht gelingt, das Sicherheitsniveau ständig zu steigern.
Wir hier in der Bundesrepublik tragen eine besondere Verantwortung. Wir haben die größte Verkehrsdichte in Europa, wir sind das größte Transitland. Hier ist die Drehscheibe des grenzüberschreitenden europäischen Verkehrs. Der Rhein ist die meistbefahrene Wasserstraße der Welt. Die Bundesbahn übernimmt auf ihren Güterfernverkehrsstrecken fast 30 % der Gefahrgüter. Wir sind zu hohem Sicherheitsstandard verpflichtet. Deshalb begrüßen wir auch Debatten über den Stand der Sicherheit von Gefahrguttransporten, aber zum richtigen Zeitpunkt. Der Zeitpunkt am Vorabend der Anhörung sieht ein wenig nach Effekthascherei aus und nicht danach, daß man diese Materie glaubwürdig vertreten will.
Es geht doch nicht darum, wer mehr für die Sicherheit von gefährlichen Gütern tut, sondern es geht um ein gemeinsames Vorgehen aller Verantwortlichen, dafür zu sorgen, daß wir zu einer optimalen Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande kommen, dafür, daß auch die Umwelt geschützt wird, dafür, daß der Schutz der Gesundheit sichergestellt wird, aber auch dafür, daß notwendige Wirtschaftsabläufe gewährleistet werden -- in dieser Reihenfolge und nicht anders.
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Wer jedoch die Sicherheitsmaßnahmen - wie es einige tun - der achtziger Jahre jetzt kritisiert, der darf nicht vergessen, daß ein Großteil dieser Maßnahmen auf den Konzepten der siebziger Jahre fußt. Damals haben andere die Verantwortung getragen.
Einen Königsweg für einen verbesserten Transportschutz von Gefahrgütern gibt es nicht, da der überwiegende Teil des Transports im Nahverkehr auf der Straße erfolgt und Binnenschiffahrt und Schiene damit weitgehend ausfallen. Was im Fernverkehr von der Straße verlagerbar ist, sollte auf die beiden genannten Verkehrsträger verlagert werden.
Doch auch die Bahn ist nicht um so vieles sicherer, wie viele meinen. Bei ihr hat es in den letzten Jahren ebenfalls eine Reihe von Unfällen mit Gefahrgütern gegeben. Auch wäre eine Massierung von Gefahrgütern in innerstädtischen Güterbahnhöfen ein Sprengsatz, den viele nicht haben wollen.
Ich erkenne ausdrücklich an, daß die zahlreichen Vorschläge der SPD-Kollegen aus dem Verkehrsausschuß über die Bahnberücksichtigung hinausgehen. So kritisch-konstruktiv wie ihre Beiträge zur Gefahrgutsicherheit sind, so destruktiv, rechtsuntergrabend und ordnungswidrig - auch das muß ich sagen - haben sich Ihre Genossen in Schleswig-Holstein verhalten, als sie vor einigen Monaten Demonstranten und Blokkierer aktiv dabei unterstützten, den Transport von nuklearen Gefahrgütern rechtswidrig zu stoppen.
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Für den Protest Lübecker Bürger, geboren aus Angst und Besorgnis, habe ich Verständnis. Jedoch verurteile ich in aller Schärfe das Verhalten von kommunalen Mandatsträgern, Landtagsabgeordneten und an der Spitze Ihren Oppositionsführer Engholm. Wenn in Lübeck illegalem Widerstand aktiv der Rücken gestärkt wird, dann fällt man dabei dem Staat in den Rücken. Ein so wetterwendischer Ministerpräsidentenkandidat, der in diesem Fall das Gesetz mißachtet und die Glaubwürdigkeit der Demokratie untergräbt, hat das Ansehen und den Anspruch auf die Übernahme des von ihm angestrebten hohen Amtes verspielt.
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Börnsen ({5})
Das ist Ihnen unangenehm; aber ich denke, es muß deutlich gesagt werden, daß hier eine Rechtsuntergrabung stattgefunden hat.
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Doch Lübeck ist nicht Bonn. Hier ist ein Sicherheitspaket geschnürt worden, das sich sehen lassen kann. Der Bundesverkehrsminister hat nach Herborn gehandelt, nicht halbherzig, sondern klar, kraftvoll und konsequent.
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Zum Sicherheitspaket gehört die Verlagerung von zunächst 7 Millionen Tonnen besonders gefährlicher Güter von der Straße auf Bahn und Binnenschiffahrt. Fast jedes vierte gefährliche Gut im Fernverkehr wird in den kommenden drei Jahren einen neuen Transportweg nehmen müssen.
Zum Sicherheitspaket gehört der zügige Ausbau der Verkehrswege. Bis 1990 werden 140 Ortsumgehungen fertiggestellt sein; weitere 140 neue Ortsumgehungen sind bereits in der Planung, bzw. mit deren Bau wird man beginnen. Das bedeutet, hier wird eine größere Sicherheit unter Einsatz von 5 Milliarden DM geschaffen.
Wer ja sagt zu dieser Straßensicherheitsstrategie, der muß auch dazu ja sagen, daß dies vor Ort umgesetzt wird. Denn manch einer, der hier für den Menschen Sicherheit propagiert, vergißt, daß diese Maßnahmen vor Ort oft gegen Protest umgesetzt werden. Hier wären eine größere Durchsetzungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit sicher notwendig. Helfen Sie mit - auch Sie - , daß wir vor Ort zur Umsetzung dieses Straßensicherheitsprogramms kommen.
Zum Sicherheitspaket des Verkehrsministers gehört die Steigerung der Fahrzeugzuverlässigkeit. Automatische Blockierverhinderer werden Pflicht, automatische Nachsteller der Bremsgestänge ebenso; Tankfahrzeuge werden gesichert; die Ausrüstung der Gefahrgutfahrzeuge mit Geschwindigkeitsbegrenzern wird internationaler Standard werden.
Es ist gehandelt worden. Das gilt auch für das TOPAS-Programm. Dieses Programm muß zügig, gezielt und zeitlich übersehbar verwirklicht werden.
Zum Sicherheitspaket gehört auch die Stabilisierung der Gefahrgutkette. Verlader, Spediteur, Verbraucher und Transporteur müssen ihrer Verantwortung noch stärker gerecht werden. Fast 90 % aller Unfälle bei Gefahrguttransporten gehen auf menschliches Fehlverhalten zurück. Hier hat der Ansatzpunkt zu sein, mit besonderem Schwerpunkt für eine Veränderung zu sorgen.
Der Verkehrsminister will die Schulung und die Praxisorientierung verstärken, er will die Termine für die Wiederholungsprüfungen kürzer ansetzen.
Das ist richtig. Es ist eine anerkennenswerte Verstärkung bisher getroffener Maßnahmen. Doch noch mehr tut not. Was für Busfahrer gilt, muß auch für Gefahrguttransportfahrer gelten. Es gilt, für die Ausbildung, für die Arbeitsbedingungen und auch für das
Berufsfeld über solche Konsequenzen nachzudenken.
Aber es gehört vorrangig auch dazu, den Zeitdruck von Gefahrguttransportfahrern zu minimieren. Ein rasendes 40-Tonnen-Tankfahrzeug ist eine mobile Bombe auf Straße und Autobahn. Eine Erhöhung der Bußgelder bei Verstößen und die Bestellung von Gefahrgutbeauftragten gehören gleichzeitig zum Paket des Verkehrsministers.
Es ist richtig: Wir haben ein neues Sicherheitsniveau bei Gefahrguttransporten in der Perspektive. Daran ist auch in Zukunft weiterzuarbeiten.
Mich beunruhigt nur, daß in Schleswig-Holstein, in Rheinland-Pfalz und in anderen Bundesländern im vergangenen Jahr immer noch jeder vierte oder fünfte Gefahrguttransporter wegen Mängeln angehalten werden mußte und Verstöße vorlagen. Hier muß ein neues Denken einsetzen. Wir brauchen eine Kampagne für mehr Sicherheit und für mehr Risikobegrenzung bei diesen Fahrzeugen.
Wir brauchen eine internationale Kampagne für mehr Sicherheit bei Gefahrguttransporten. Das ist nicht nur ein nationales, sondern ein europäisches, ein Ost-West-Problem. Die Tankwagenunglücke gab es im gesamten Europa, ebenso die Schiffsunglücke.
Es gilt, die mehr als 1 000 verschiedenen transportierten gefährlichen Stoffe in den Griff zu bekommen. Ich denke, daß wir in Europa zu einer internationalen Harmonisierung der Abfall- und Gefahrguttransportwirtschaft kommen müssen, zu mehr internationalen Vereinbarungen, zu mehr internationaler Kontrolle.
Mir geht es auch darum, daß wir auf nationaler, eventuell sogar auf europäischer Ebene für eine Gefahrgutdatenbank sorgen, damit schnelle Informationen über gefährliche Stoffe gewährleistet sind.
Gefährliche Güter lassen sich nicht aus der Welt schaffen. Aber die Risikoschwelle für Mensch und Umwelt läßt sich immer weiter herunterdrücken. Dazu werden wir von unserer Fraktion her aktiv, konstruktiv und kritisch beitragen.
Danke schön.
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Das Wort hat der Abgeordnete Pauli.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Drei Monate nach der Beratung unserer Anträge und eine Woche, bevor sich der Verkehrsausschuß mit der von unserer Fraktion initiierten Anhörung zu den Fragen des Transports gefährlicher Güter befaßt, zeigen der bisherige Ablauf und die heutige Debatte, daß das Parlament Druck ausüben muß, um endlich in der Sache wirkungsvoll voranzukommen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat bereits 1985 eine Kleine Anfrage mit insgesamt 60 Einzelfragen an die Bundesregierung gerichtet. Unsere Schlußfolgerungen aus der Antwort der Bundesregierung haben dann im November 1987 in insgesamt 18 Anträgen zu diesem Themenkomplex unseren Willen bekundet,
den schweren Gefahren unverzüglich wirksam zu begegnen.
Meine Damen und Herren, es besteht in diesem Hause Einigkeit darüber, daß wir mehr Sicherheit bei den Gefahrguttransporten benötigen - und dies dringend. Es besteht auch Einigkeit darüber, daß endgültige Konzepte, wie wir eine optimale Sicherung erreichen, nicht vorliegen. Die Bundesregierung hat erkennen lassen, daß sie bereit ist, mehr Sicherheit bei Gefahrguttransporten herbeizuführen. Allerdings ist die Zeit der verbalen Ankündigungen vorbei. Es ist höchste Zeit, endlich zu handeln.
Meine Damen und Herren, 51 Verbände und Behörden wurden zu insgesamt 51 Fragen aus dem Problembereich des Gefahrguttransports befragt. Auf ca. 650 Seiten haben die Befragten Sach- und Fachbeiträge geleistet. Dies zeigt, daß sich das Problem in unzähligen Details darstellt. Schließlich kommt noch das Erschwernis hinzu, daß wir das Problem letztendlich nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft angehen müssen. Ich hoffe, daß die Bundesregierung ihre derzeitige EG-Präsidentschaft nutzt und entsprechende Impulse zur Problemlösung entwickelt.
Meine Damen und Herren, schon bei der Debatte unserer Anträge am 14. Januar ist deutlich geworden, daß im Bereich der Gefahrguttransporte noch viel zu tun ist. Ich darf für meine Fraktion hier nachdrücklich erklären: Wir brauchen bessere Verkehrssicherheitseinrichtungen für Gefahrgut-Lkw. Die Bundesregierung soll die vorliegenden Entwicklungsergebnisse für das Fahrzeug TOPAS in verbindliche Bauvorschriften umsetzen. Wir wollen die Ausrüstung der Gefahrguttransportfahrzeuge mit einem Antiblokkiersystem und einem sicheren automatischen Geschwindigkeitsbegrenzer auf maximal 80 km/h. Wir wollen eine besondere Qualifikation für Fahrer von Transporten gefährlicher Güter. Sie sollen sich nach unserer Auffassung besonderen Gesundheitsuntersuchungen unterziehen. Wir wollen technische Vorkehrungen mit entsprechenden Vorschriften, so daß künftig Überladungen von Gefahrgut-Lkw ausgeschlossen werden können.
Unternehmen, die gefährliche Güter transportieren, müssen in besonderer Weise zuverlässig sein. Deshalb ist eine besondere Konzession vorzusehen. Wir wollen, daß künftig die Verantwortlichkeit bei Gefahrguttransporten deutlich erkennbar wird. Wir meinen, daß ein sogenannter Gefahrgutbeauftragter diese Aufgaben erfüllen kann. Dieser Beauftragte soll jedoch den Unternehmensleitungen nicht dazu dienen, die Verantwortung von der Unternehmensleitung abzuwälzen. Der Beauftragte soll vielmehr für die Einhaltung der Vorschriften sorgen und die Unternehmensleitungen auf ihre Verantwortung immer wieder hinweisen. Wir wollen ein Informationssystem, über das sich die Transportunternehmen schnell und umfassend über die jeweils zu treffenden Maßnahmen unterrichten können. Wir wollen im Schadensfall eine unbeschränkte Haftung der Fahrzeughalter beim Transport gefährlicher Güter. Wir wollen, daß Wohngebiete und besonders unfallgefährdete Straßen für Gefahrguttransporte gesperrt werden. Die Erarbeitung eines Gefällstreckenatlasses durch den rheinland-pfälzischen Verkehrsminister Brüderle ist ein Schritt in die richtige Richtung. Sinnvoll ist es aber vor allem, dafür Sorge zu tragen, daß die technischen Systeme, vor allem die Bremssysteme, so ausgestattet sind, daß ein Höchstmaß an Sicherheit eintritt.
Besonders gefährliche Güter, die sogenannten Listengüter, benötigen für den Transport bereits jetzt eine Beförderungserlaubnis. Wir wollen, daß diese Liste beispielsweise um Benzin erweitert wird. Wir sind weiter der Auffassung, daß es möglich sein muß, die Beförderung zu untersagen, wenn es zumutbar ist, Gefahrgut an dem Ort zu produzieren, an dem es benötigt wird.
Wir wollen erreichen, daß Gefahrguttransporte aus unseren europäischen Nachbarländern denselben Standards unterworfen werden, die für deutsche Unternehmen gelten. Die Regelungen für mehr Sicherheit bei Gefahrguttransporten dürfen nicht nur auf zivile Beförderungen beschränkt bleiben; sie müssen auch Militärfahrzeuge einbeziehen.
Die derzeitige Überwachung der Gefahrguttransporte ist völlig unzureichend. Wir wollen eine Verbesserung der Prüf- und Kontrollmöglichkeiten, beispielsweise durch den Einsatz von mobilen Labors, wie es in den USA bereits üblich ist. Wir wollen manipulationsfreie Fahrtenschreiber, und wir wollen, daß sichergestellt wird, daß die Kontrollen in den Betrieben verstärkt und die hierbei gewonnenen Informationen ohne Einschränkung zwischen den Behörden ausgetauscht werden.
Meine Damen und Herren, unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Die Zielrichtung ist klar definiert: Wir werden als Parlament und Regierung nun gemeinsam daran gemessen, was an konkretem Handeln zur Steigerung der Sicherheit unserer Bürger erfolgt.
Wir wollen eine verstärkte Verlagerung der Gefahrguttransporte von der Straße auf die Schiene. Wir wissen, daß die Unfallrate im Straßenverkehr im Vergleich zum Schienenverkehr wesentlich ungünstiger ist.
Wir wollen, daß ein gewichtiger Anteil der rund 240 Millionen t gefährlicher Güter, die pro Jahr auf der Straße transportiert werden, zukünftig von der Deutschen Bundesbahn befördert werden. Die Absicht des Bundesverkehrsministers, in den nächsten drei Jahren nur 7 Millionen t auf die Schiene und auf das Binnenschiff zu verlagern, ist völlig unzureichend.
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Meine Damen und Herren, die bereits vorliegenden schriftlichen Stellungnahmen der Verbände und Behörden zeigen, daß sich insbesondere die betroffenen Interessenvereinigungen gegen die Verlagerung der Gefahrguttransporte von der Straße auf die Schiene sträuben. Die Argumente gegen diese Verlagerung sind nicht so ohne weiteres von der Hand zu weisen. Es gibt zur Zeit in der Tat gravierende Schwachstellen bei der Deutschen Bundesbahn. Natürlich wissen wir, daß den Verlagerungspotentialen von der gefährlichen Straße hin auf die weniger gefährlichen Schienen und Wasserstraßen Grenzen gesetzt sind. Doch es
wäre tatsächlich dumm und töricht, würde man aus diesen Sachverhalten die Konsequenz ziehen, von einer Verlagerung Abstand zu nehmen.
Durch intensive Maßnahmen bei der Deutschen Bundesbahn müssen die dort heute noch vorhandenen Schwachstellen tatsächlich ausgemerzt werden. Es dürfte doch jedem klar sein, daß die Schwierigkeiten bei der Bahn nicht im Grundsätzlichen, sondern in der Knappheit der finanziellen Möglichkeiten liegen.
Mit Sorge betrachten wir zur Zeit die Stillegung von Güterbahnhöfen und die fortschreitende Stillegung von schienenversorgten Tanklägern. Wir müssen endlich darangehen, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, daß die Deutsche Bundesbahn mit der Straße konkurrieren kann. Daß ist heute notwendig und wird für die Zukunft, von der wir bereits heute wissen, daß der Verkehr insgesamt zunehmen wird, zwingend, wenn Mensch und Natur überleben wollen.
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Den Hollywood-Traum, wonach die Freiheit auf der Straße zu Hause ist, müssen wir endlich zu Grabe tragen, damit unsere Bürger sicher leben können.
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Das Wort hat der Abgeordnete Gries.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gefahrguttransporte stellen heute - ich bin sicher, auch in Zukunft; ich mache mir da keine Illusionen - ein latentes Risiko dar. Das Maß an Vorsorge, das getroffen ist, reicht nicht aus. Verbesserungsvorschläge sind uns allen bekannt. Sie sind hier heute morgen genannt und bei verschiedenen anderen Gelegenheiten vorgebracht und geprüft worden.
Das heißt, wir können in unseren Anstrengungen nicht nachlassen, sondern wir müssen sie steigern, weil auch die Gefährlichkeit dessen, was transportiert wird, unabhängig davon, auf welchem Verkehrsweg es transportiert wird, zunimmt. Deshalb muß auch das Maß unserer Vorsorge größer werden.
Ich habe allerdings nicht den Eindruck - ich sage auch das hier ganz deutlich und wiederhole die Kritik meiner Vorredner - , daß wir mit dieser Debatte heute morgen, die den Rahmen des Verkehrsausschusses nicht ganz erreicht, auch nur einen einzigen Schritt weiterkommen. Insofern, meine ich, führen wir eine gespenstische Debatte zur Unzeit.
Nach dem schrecklichen Unglück in Herborn - wir wollen darüber ganz offen reden - hat man manchmal den Eindruck gehabt, daß zwar einige aufgewacht sind, daß aber andere durchaus bereit sind, mit der Angst der Menschen unter Umständen auch politische Geschäfte zu machen.
({0})
Danach ist allerdings einiges geschehen. Ich sage das hier ohne parteipolitische Wertung. Der Bundesverkehrsminister - ich weiß nicht, ob er aufgerüttelt werden mußte - ist jedenfalls tätig geworden, indem
er ein Bündel von Maßnahmen vorgeschlagen und auf den Weg gebracht hat. Der Bundesrat - auch das sollten wir einmal erkennen - , hat sich mit diesen Problemen sehr intensiv beschäftigt und eine sehr fundierte Erklärung abgegeben.
Ich habe schon damals gesagt: Ich begrüße auch, daß die SPD-Fraktion diese große Zahl von sehr konkreten und, ich glaube, weitgehend von uns in der Sache übereinstimmend betrachteten Vorschlägen und Anträgen eingebracht hat. Damit werden wir uns dann zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle beschäftigen können. Ich glaube, das ist alles lobenswert. Das gilt allerdings nicht für die - es tut mir furchtbar leid, Frau Brahmst-Rock, daß ich da noch einmal nachtarocken muß - eigentlich nur wehleidig geführte Debatte einer einzelnen Dame einer Fraktion, die dieses Gefahrenpotential offenbar für sich so nicht empfindet; sonst wäre sie hier mit dabei und würde sich aufklären lassen, was geschehen ist und was noch zu geschehen hat.
({1})
Ich verkneife mir die andere Bemerkung, daß inzwischen auch Ministerpräsidentenkandidaten zu Gefahrgut geworden sind. Das gehört wohl mehr in die Zeit bis Anfang Mai.
Hier ist über die Schwerpunkte gesprochen worden, was geschehen müsse. Ich stelle fest, daß wir in weiten Teilen übereinstimmen. Das wird sich wohl auch bei der Auswertung der Anhörung zeigen, die wir nächste Woche hier haben werden. Aus meiner Sicht, aus der Sicht der FDP, geht es um die Verbesserung der Qualifikation aller am Transport Beteiligten. Ich nenne nicht nur den Fahrer, die Konstrukteure, sondern auch den Unternehmer. Ich meine wirklich all die, die beteiligt sind. Dort geht es um eine Verbesserung ihres Wissens durch Schulung ihres Verhaltens.
Es geht zweitens um die Verbesserung der Fahrzeugtechnik. Hier haben wir uns mit dem Ausschuß vor wenigen Monaten bei der Vorstellung des TOPAS in Bonn ein Bild machen können. Das sind bemerkenswerte Verbesserungen, die schon auf den Weg gebracht sind, die Verbesserung der Bremssysteme und Blockierverhinderer, der Kontrollinstrumente und anderer technischer Einrichtungen. Ich bin sogar der Auffassung, daß wir darüber reden müssen, ob nicht wegen der erheblichen Verteuerung dieser so wesentlich sichereren Geräte die Frage nach einer zumindest vorübergehenden öffentlichen Förderung gestellt werden darf. Wir sollten das prüfen.
Das dritte ist die Verbesserung der Transportwege. Das ist natürlich ganz wesentlich. Hier ist der Gefällstreckenatlas meines Parteifreundes Brüderle schon genannt worden. Das sollte nachgeahmt werden, damit saubere Informationen für den Weg gegeben werden.
Das Programm des Baus von Ortsumgehungen muß sehr konsequent fortgeführt werden. Es nützt nichts, gegen Straßenbau zu sein und in der anderen Debatte zu fordern, die Straßen müßten sicherer sein, d. h. auch ein bißchen breiter sein, und sie müßten überhaupt gebaut werden. Hier ist der Bund mit seinem Fünf-Milliarden-Programm bis 1990 auf dem richtigen
Wege. Das heißt, dann sind 140 Ortsumgehungen, die jetzt im Bau sind, fertig, und 140 neue sind angefangen. Frau Brahmst-Rock, sagen Sie dann aber auch Ihren Parteifreunden vor Ort, sie sollen zustimmen, sollen sagen: „Wir wollen diese Ortsumgehungen haben" , und nicht hier so und dort so reden.
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Hier ist also viel zu tun, auch was die Verlagerungsmöglichkeiten angeht. Ich bin sehr gespannt, was bei der Anhörung und ihrer Auswertung herauskommt, ob die These zutrifft, die ich in diesen Tagen gelesen habe, daß mitnichten der Schienenweg so viel sicherer ist als die Straße.
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- Das habe ich in der Zeitung gelesen. Dazu sollen die Fachleute jetzt einmal Stellung nehmen. Ich habe gesagt: so viel sicherer. Bei der Binnenwasserstraße ist das genauso.
Wenn das so ist - und bisher sind wir davon ausgegangen - , halte ich es für richtig und vernünftig, daß wir verlagern, soweit das überhaupt geht. Der Bundesminister hat mit den sieben Millionen Tonnen den Anfang gemacht, d. h. es ist nicht ein Anfang, es sind sieben Millionen, die hinzugekommen sind.
Die Lenk- und Ruhezeiten sind ein nächster Punkt, d. h. die Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten der am Verkehr Beteiligten. National wie international ist es aber auch notwendig, daß die Vorschriften eingehalten werden. Ich habe schon bei anderer Gelegenheit gesagt: Sicherheit kennt keine Grenzen. Es wird immer enger; wir müssen auf den Binnenmarkt nicht warten, wir sind ja schon im europäischen Markt. Das heißt also, es muß alles eingehalten, kontrolliert werden. Das kann nicht einseitig auf deutscher Seite geschehen.
Schließlich gehört dazu auch die Bereitschaft, Verstöße, leichtfertiges und fahrlässiges Verhalten zu ahnden. Wir sind dabei zu prüfen, inwieweit der Bußgeldkatalog verändert werden muß, die Bußgelder erhöht werden müssen. Ich bin der Auffassung, bei der zunehmenden Gefährdung muß gefährliches Verhalten der Beteiligten - das sind wiederum nicht nur die Fahrer, sondern auch die Unternehmer - entsprechend hoch und wirksam geahndet werden. Das können Bußgelder sein, das können Fahrverbote sein, das kann aber auch bis zur Entziehung von Lizenzen und Genehmigungen gehen, wenn alles andere nicht hilft. Denn manchmal muß man diesen Druck ausüben. Und es darf vor allen Dingen gar kein Anreiz mehr bestehen, durch Verstoß gegen Vorschriften etwa wirtschaftliche Vorteile zu haben. Das heißt: Jeder wirtschaftliche Vorteil muß auf jeden Fall immer abgeschöpft werden.
({4}) Ich glaube, auch darüber sind wir uns einig.
Meine Damen und Herren, ich bin ganz sicher, daß wir in der Sache - trotz der Polemik, die ein bißchen mit dazugehört und die durch die Tatsache dieser Diskussion ja fast herausgefordert worden ist - doch weitgehend übereinstimmen und nach der Auswertung der Beratung und Anhörung auch zu vernünftigen Maßnahmen und gemeinsamen Beschlüssen hier kommen können. Wir jedenfalls sind bereit, weitere konkrete Maßnahmen einzuleiten. Ich meine, das müßten wir dann bald tun. Geredet haben wir jetzt schon ziemlich viel über Dinge, in denen wir so viel übereinstimmen.
({5})
Wir sollten jetzt darangehen - das ist zum Abschluß auch meine Bitte an den Bundesverkehrsminister, und darüber sind wir uns einig -, wenn in allernächster Zeit genügend Vorschläge auf dem Tisch liegen werden, soweit sie hier nicht schon vorgetragen worden sind, die Dinge in die Praxis umzusetzen, um die Sicherheit der Bürger entscheidend zu verbessern.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Bundesminister für Verkehr.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herborn jährt sich im Juli. Ich habe seinerzeit gleich nach dem tragischen Geschehen vor Vorverurteilungen, vor Schnellschlüssen und vor Schnellschüssen gewarnt. Gefordert waren und sind sachgerechte und gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit des Transports gefährlicher Güter. Und dabei steht für die Bundesregierung außer Frage: Sicherheit und Umweltschutz haben auch und gerade beim Gefahrguttransport Vorrang vor rein wirtschaftlichen Erwägungen.
({0})
Das enthebt uns natürlich nicht der Rechenhaftigkeit: ob eine Maßnahme auch unter voller Würdigung von Sicherheit und Umweltschutz unter volkswirtschaftlichem Gesichtspunkt kostenvertretbar ist. Keinesfalls dürfen Sicherheit und Umweltschutz zur Begründung von unsinnigen Forderungen mißbraucht werden, z. B. der nach der Verlagerung aller Gefahrguttransporte auf die Bahn, die Schiene. Dies ist nicht nur mit einer vernünftigen Verteilung in der Fläche unvereinbar, sondern es wäre wegen der Zunahme der Zahl der Umladungen ohne geeignete Umschlagseinrichtungen in Wirklichkeit auch risikoerhöhend.
Wir haben in Sachen Gefahrguttransport dem Parlament im Januar Rede und Antwort gestanden. Wir hatten die Beantwortung der Großen Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN für März vorgesehen. Und als im Januar bekanntgegeben und mitgeteilt wurde, daß das Parlament im April eine Anhörung durchführen wird, war es für uns ebenso Ausdruck der Achtung vor dem Parlament wie ein Gebot der Sachgerechtigkeit, die Ergebnisse dieser Anhörung in die Beantwortung der Großen Anfrage mit einfließen zu lassen.
({1})
- Frau Kollegin Brahmst-Rock - ich sage das jetzt
mit Sympathie - , die Gestalt der von Ihrer Fraktion
einsam in die Gefahrgutschlacht geschickten Kollegin
({2})
wird zu meinen bleibenden parlamentarischen Eindrücken gehören. Sie haben sich entschieden, diese Große Anfrage dadurch zu konsumieren, daß Sie ihre Debatte verlangt haben, bevor eine sachgerechte Antwort gegeben werden konnte.
Wir setzen auf ein Maßnahmenbündel, das dreierlei in Visier hat: erstens die Sicherheit des Verkehrsweges, zweitens die Fahrzeugsicherheit, drittens das verantwortliche Handeln des Transporteurs.
Zunächst zur Sicherheit des Verkehrswegs. Schiene und Binnenschiff bieten Vorteile für den Gefahrguttransport auf der langen Strecke. Wir haben sie genutzt. Bis 1989 werden weitere besonders gefährliche Güter von der Straße auf Schiene und Binnenschiff verlagert.
({3})
Erstens. Zum 1. Januar 1988 wurde die Zahl der als hochgefährlich eingestuften Güter um ein Drittel auf etwa 190 erweitert.
Zweitens. Großcontainer mit hochgefährlichen Gütern mit über 200 km Transportweg werden seit dem 1. Januar auf Schiene und Binnenschiff verlagert.
Drittens. Von 1989 an dürfen hochgefährliche Güter bei Entfernungen über 400 km nur noch im Huckepackverkehr auf der Schiene befördert werden.
Viertens. Wir streben noch in diesem Jahr an, entzündbare Flüssigkeiten mit einem Flammpunkt unter 21 °C - das ist zum Beispiel Benzin - bei vorhandenen Gleis- und Hafenanschlüssen bereits ab 100 km wie hochgefährliche Güter zu behandeln.
Über Möglichkeit und Notwendigkeit von Verlagerung wird viel Unsachliches geredet. Ein besonderer Punkt dabei sind die Nukleartransporte. Ich unterstreiche auch hier noch einmal: Nicht die Sicherheit des Verkehrsträgers, nicht die Sicherheit des Fahrzeugs oder der Verpackung haben hier gefehlt, sondern es lag Unzuverlässigkeit auf Managementebene vor.
({4})
Mein Kollege Töpfer hat es nun der Deutschen Bundesbahn übertragen, Nukleartransporte auf der Schiene oder auf der Straße durchzuführen, und hat ihr damit ein Vertrauen ausgesprochen, das der für die Bundesbahn zuständige Ressortminister mit Genugtuung zur Kenntnis genommen hat.
Zur Sicherheit des Verkehrswegs: Wir werden unser Ortsumgehungsprogramm zügig fortführen. Ich danke, Herr Kollege Gries, für Ihren Appell an die Verantwortlichen draußen in der Fläche, dieses Ortsumgehungsprogramm als das zu begreifen, was es ist: eine sicherheitsstärkende Maßnahme, und es mit der Unterstützung aufzunehmen, die es verdient.
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Diese Maßnahmen tragen dazu bei, Transporte mit
gefährlichen Gütern um die Ortskerne herumzuleiten.
Die rechtlichen Voraussetzungen, Ortskerne für Gefahrguttransporte zu sperren, haben wir geschaffen.
Die Fahrzeugsicherheit ist ein weiterer wichtiger Punkt. Bereits verwirklicht ist der seitliche Anfahrschutz für Tankfahrzeuge, und zwar nicht nur für neue, sondern auch für ältere Fahrzeuge, für die eine Umrüstpflicht eingeführt ist.
Noch 1988 werden für innerstaatliche Beförderung vorgeschrieben: a) automatische Blockierverhinderer, b) automatische Nachsteller des Bremsgestänges - es ist durchaus möglich, daß das Unglück von Herborn vermieden worden oder weniger katastrophal ausgegangen wäre, wenn wir diese automatischen Bremsgestängenachsteller gehabt hätten - , c) verbesserte Kippstabilität für kofferförmige Tankfahrzeuge.
Ferner habe ich bereits bei der Europäischen Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen beantragt, daß der Einbau von Geschwindigkeitsbegrenzern verbindlich wird.
Um die Unfallursache Nummer eins auch im Gefahrguttransport, nämlich menschliches Fehlverhalten, zu bekämpfen, wird die Bundesregierung mehrgleisig vorgehen. Eine Verschärfung der Sanktionen bei Verstößen im Zusammenhang mit Gefahrguttransport ist in der Tat, Herr Kollege Gries, angezeigt. Denn das Gefährdungspotential der Gefahrguttransporte ist einfach höher als das der sogenannten normalen Transporte. Die notwendigen Schritte sind in Vorbereitung.
Ferner: Die Schulung von Gefahrgutfahrern ist verbesserungsbedürftig und verbesserungsfähig. Die Bundesregierung strebt folgendes an: zusätzliche Schulung der Fahrzeugführer, Einbeziehung der Stückgutfahrer in die Schulung, schnellere Wiederholungsschulungen - Verkürzung der Frist auf drei Jahre - und Anforderungen an Qualität bei Ausbildern und Ausbildungsstätten sowie Verschärfung der Prüfungen. Betriebe, die mit gefährlichen Gütern zu tun haben - Absender, Verlader, Beförderer -, sollen künftig Gefahrgutbeauftragte bereitstellen; sicher nicht, Herr Kollege Pauli, um irgend jemandem einen Vorwand zu geben, sich vor seiner Betriebsführerverantwortung zu drücken.
Meine Damen und Herren, ich habe im Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft bereits im vergangenen Jahr über Herborn berichtet und habe diesen Bericht mit der Forderung verknüpft, Kernkonsequenzen auch im Bereich der Europäischen Gemeinschaft zu ziehen. Immerhin ist bis zum heutigen Tag noch nicht einmal jeder Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft auch Unterzeichner des Europäischen Abkommens über Gefahrguttransporte, jenes Abkommens, das ganz Europa umfaßt. Wir müssen sehen, daß wir diese Mindestvoraussetzung erfüllen, aber darüber hinaus über die Qualifikation der Fahrer, Geschwindigkeitsbegrenzungen und übrigens auch Kontrolle und Ahndung von Verstößen gegen Lenk- und Ruhezeiten im allgemeinen Lkw-Verkehr dafür sorgen, daß Europa wirksamer zu handeln lernt, als das bisher der Fall gewesen ist.
Für die genannten Maßnahmen liegen auf nationaler Ebene die notwendigen Rechtsverordnungen zum
Teil schon vor. Für die Einbeziehung leicht entzündlicher Flüssigkeiten in die Kategorie der besonders gefährlichen Güter, für die Maßnahmen zur Verbesserung der Fahrzeugsicherheit - automatische Blokkierverhinderer, Bremsgestängenachstellung - , für die Verbesserung der Schulung der Fahrer und die Bestellung von Gefahrgutbeauftragten gilt es, die notwendigen Rechtssetzungsakte noch einzuleiten.
Dies war zur Vorlage an das Parlament vorgesehen, das wir im April übungsgemäß unterrichten. Auch hier gebietet es der Respekt vor dem Parlament, eine Anhörung, die die Bundesregierung für sinnvoll hält, abzuwarten. Dies bedeutet, daß sich die Frist zur Verabschiedung dieser Verordnungen um etwa zwei Monate verschiebt. Aber ich richte auch hier einen Appell an das Parlament. Wir wollen über den Text der Verordnung vor der Sommerpause unterrichten. Wir bitten, dazu die notwendigen Voraussetzungen unverzüglich nach der Anhörung zu schaffen, damit die Verordnung dann in den gesetzlichen Gang des Bundesrates eingebracht werden kann und wir den Bürgern damit einen Beweis des gemeinsamen Willens von Parlament und Regierung geben können, hier so schnell wie möglich die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP
Berufsbildungsbericht 1987
- Drucksachen 11/98, 11/522, 11/551, 11/1705 Berichterstatter:
Abgeordnete Schemken Rixe
Frau Hillerich
Zu der Beschlußempfehlung liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/2085 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Oswald.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Berufsbildungsbericht 1987 liegen Statistiken zugrunde, die inzwischen mehr als eineinhalb Jahre zurückliegen. Seitdem hat sich die Entspannung auf dem Lehrstellenmarkt deutlich fortgesetzt, und in vielen Bereichen ist bereits ein signifikanter Lehrlingsmangel festzustellen. Nach Aussagen der Bundesanstalt für Arbeit hat sich der Ausbildungsstellenmarkt in der Bundesrepublik in der ersten Hälfte des Berufsberatungsjahres 1987/88 weiter entspannt. In diesem Halbjahr standen 468 000 gemeldeten nur noch 423 000 nachgefragte Lehrstellen gegenüber. Dies bedeutet einen Lehrstellenüberhang von 45 000.
Dabei verkenne ich keineswegs, daß es auch heute noch erhebliche regionale Unterschiede auf dem Ausbildungsstellenmarkt gibt, wobei ein enger Zusammenhang zur jeweiligen wirtschaftlichen Situation der einzelnen Regionen besteht. So spricht die Bundesanstalt erneut davon, daß der Lehrstellenmarkt im Süden sehr aufnahmefähig ist, während es im Westen und im Norden weiterhin Engpässe gibt.
Trotz der für die Lehrstellenbewerber erfreulichen Entwicklung wird aber auch in Zukunft nicht jeder Jugendliche die Lehrstelle finden, die ihm vorschwebt. Da sich die Lehrstellennachfrage vor allem bei den Mädchen auf wenige kaufmännische und Dienstleistungsberufe konzentriert, wird in Zukunft durch rechtzeitige Information bereits in den Schulen dafür gesorgt werden müssen, daß die Jugendlichen über die Entwicklungschancen der einzelnen Ausbildungsberufe besser informiert werden als bisher.
Hier besteht vor allem von seiten der Wirtschaft noch eine erhebliche Bringschuld. Andererseits muß die ausbildende Wirtschaft aber auch seitens der Arbeitsämter und der Schulen in ihrem Bemühen unterstützt werden, in ausreichendem Maße qualifizierte Nachwuchskräfte zu finden. Dies gilt in Besonderheit für den Bereich des Handwerks, für den vor allem die jungen Mädchen in noch weit stärkerem Maße interessiert werden müssen.
Ich halte es jedenfalls weder sprachlich noch inhaltlich für angemessen, wenn seitens der SPD, aber auch im Minderheitenvotum der Arbeitnehmerbeauftragten zum Berufsbildungsbericht immer wieder anklagend darauf hingewiesen wird, junge Frauen würden vom dualen System der Berufsausbildung ausgegrenzt. Dieser Vorwurf ist schon deshalb fragwürdig, weil sich die Nachfrage der weiblichen Jugendlichen immer noch auf sehr wenige Ausbildungsberufe konzentriert. Solange dieses einseitige Nachfrageverhalten sich nicht ändert - hier müssen alle Informationsbemühungen ansetzen - , führt uns auch dieser immer wieder angebrachte Hinweis, viele Jugendliche würden durch das duale System falsch ausgebildet, in der Sache nicht weiter, abgesehen davon, daß Fehlqualifikationen im schulischen und akademischen Bereich in der Vergangenheit weit häufiger und vor allem mit gravierenderen Folgewirkungen anzutreffen waren als in der betrieblichen Berufsausbildung.
Denn gerade hier haben die enormen Ausbildungsanstrengungen der vergangenen Jahre ein Potential an beruflich gut geschulten Jugendlichen geschaffen, die, selbst wenn sie nicht im erlernten Beruf unterkommen, zunehmend Chancen haben. Die Arbeitslosenquote der Jugendlichen bis 24 Jahre ist von 11 % im Jahre 1983 auf inzwischen unter 7 % bei anhaltend günstiger Tendenz gesunken - im internationalen Vergleich ein Spitzenwert, der zugleich als Bestätigung unseres hervorragenden Ausbildungssystems gewertet werden kann.
Meine Damen und Herren, jede Ausbildung ist besser als gar keine. Die Strukturuntersuchungen der Bundesanstalt beweisen: Wer ausgebildet ist, kommt schneller aus der Arbeitslosigkeit heraus als der Ungelernte. Die Beschäftigungschancen nach einer Lehre werden sich aber durch die demographische Entwicklung noch weiter verbessern. Handwerkspräsident Heribert Späth hat erst vor wenigen Tagen vor einem zunehmenden Facharbeitermangel und einem besorgniserregenden Nachwuchsmangel gewarnt.
({0})
1987, Frau Kollegin, seien bereits über 50 000 Lehrstellen unbesetzt geblieben, vor allem in den Bau-, Holz-, Nahrungsmittel- und Bekleidungshandwerken. Dieser Nachwuchsmangel weitet sich auch auf alle anderen Bereiche des Handwerks aus.
Ich halte deshalb eine Annäherung der Angebots-und Nachfragestrukturen auf dem Lehrstellenmarkt als langfristige Lösung der Beschäftigungsprobleme sicher für vordringlicher als das immer wieder angesprochene Qualitätsproblem in der Berufsausbildung. Denn letztlich ist jeder Betrieb schon aus Existenzgründen daran interessiert, mit modernsten Methoden und nach neuestem technischen Stand auszubilden, weil nur dies seine Konkurrenzfähigkeit sichert.
Meine Damen und Herren, im übrigen sollten wir nicht vergessen, daß auch die Lehrstellenbewerber sehr unterschiedliche Neigungen, Begabungen und Qualifikationen mitbringen. Die Koalitionsparteien haben deshalb in ihrem Entschließungsantrag an die Bundesregierung zu Recht die Forderung gerichtet, in Gesprächen mit den Sozialpartnern darauf hinzuwirken, daß eine Differenzierung von Ausbildungsordnungen hinsichtlich des jeweiligen Anspruchsniveaus erhalten bleibt. Es darf nicht zugelassen werden, daß immer mehr Jugendliche nur deshalb ohne jede berufliche Qualifizierung bleiben, weil das Anspruchsniveau neuer Ausbildungsordnungen vor allem bei den theoretischen Anforderungen immer mehr in die Höhe geschraubt wird. Dieser Frage müssen wir uns verstärkt annehmen.
Insofern ist auch die abermalige Forderung der SPD nach Abschaffung der zweijährigen Berufsausbildung nicht hilfreich, weil sie gerade die theorieüberdrüssigen, praktisch begabten Lehrstellenbewerber ins Abseits stellt. Diesen Schaden kann man durch noch so aufwendige Benachteiligtenprogramme nicht ausgleichen, weil es bei dieser Problemgruppe nur darum geht, möglichst lebensnah und praxisbezogen auszubilden und dabei jede weitere Verschulung und theoretische Überfrachtung der Ausbildung zu vermeiden.
({1})
Ich begrüße ausdrücklich, daß das bisherige, zwei Ausbildungsjahre umfassende Berufsbild „Verkäuferin/Verkäufer" auch nach der Neuordnung der Berufsausbildung im Einzelhandel bestehenbleibt; denn durch diese Regelung wird sowohl den Ausbildungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten vieler Einzelhandelsbetriebe als auch den Ausbildungswünschen vieler Jugendlicher Rechnung getragen.
Meine Damen und Herren, die häufig beschworene Qualitätsverbesserung der Berufsausbildung darf jedenfalls nicht dazu führen, daß, wie Sie in Ihrem Entschließungsantrag fordern, die theoretischen Anteile in der Berufsausbildung immer mehr zugunsten schulischer - ich nenne als Stichwort den zweiten Berufsschultag - und überbetrieblicher Ausbildungsanteile ausgeweitet werden.
({2})
Angesichts der weiterhin drastisch sinkenden Lehrlingszahlen halte ich die Forderung, das Netz der überbetrieblichen Ausbildungsstätten über die geplanten 77 000 Plätze hinaus auszuweiten, jedenfalls für wenig hilfreich. Ich füge aber ausdrücklich hinzu, daß das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft auch nach unserer Auffassung in den kommenden Jahren die nötigen Finanzbeiträge leisten muß, um die Zukunftssicherung der überbetrieblichen Ausbildungsstätten für das Handwerk zu gewährleisten.
Meine Damen und Herren, die technische Entwicklung wird zunehmend einen besonderen Einfluß auf die Berufsausbildung aller Ebenen ausüben. Die neuen Techniken werden dabei zu einem berufsübergreifenden Wandel und zu einer grundsätzlichen Neubestimmung des Verhältnisses von Ausbildung und Weiterbildung führen. Ausbildung und Weiterbildung werden gleichrangige Bedeutung erhalten. Die entsprechenden Maßnahmen werden zunehmend berufsübergreifend angelegt sein müssen. Weiterbildung wird ein Schlüsselwort für künftige Berufsbildung sein. Herr Minister, wir begrüßen Ihre Initiativen im Bereich der Weiterbildung.
Im Berufsbildungsbericht 1987 wird noch einmal ausdrücklich bestätigt, daß überdurchschnittlich viele Altbewerber aus den Sonderschulen, dem Berufsvorbereitungsjahr, dem Berufsgrundbildungsjahr sowie den Hochschulen kamen. Das heißt doch im Klartext, daß die besten Ausbildungs- und später auch Beschäftigungschancen diejenigen Jugendlichen haben, die direkt von der Schule in die Lehre und anschließend in den Beruf überwechseln. Gerade in dieser Erkenntnis liegt ja der Erfolg des dualen Systems, um dessen Effizienz wir in der ganzen Welt beneidet werden. Das ist schlicht und einfach die Wahrheit.
Sosehr wir den benachteiligten Jugendlichen, wo immer das sinnvollerweise möglich ist, unsere Hilfe anbieten müssen, halte ich gar nichts davon, wenn Sie in Ihrem Entschließungsantrag das Benachteiligtenprogramm jetzt auch noch auf eine gesetzliche Grundlage mit einklagbaren individuellen Rechtsansprüchen stellen wollen. Angesichts der unbestreitbaren Erfahrung, daß jedes noch so anspruchsvolle staatliche Sonderprogramm in der Regel immer schlechter ist als eine Ausbildung im dualen System, sollten wir doch die Konsequenz ziehen, die Benachteiligtenprogramme überall dort einzuschränken, wo das auf Grund der entspannten Lehrstellensituation heute möglich ist.
Die ordnungspolitische Grundsatzforderung, daß der Staat immer nur dort tätig werden soll, wo das freie Spiel der Kräfte nicht zu den erwünschten Ergebnissen führt, stellt sich auch gerade in der Berufsbildung. Ich verstehe nicht, warum die SPD in ihrem EntschlieOswald
ßungsantrag wieder einmal eine Ausweitung fast aller staatlichen Eingriffsmöglichkeiten fordert, obwohl die in den nächsten Jahren sich drastisch fortsetzende Entspannung auf dem Lehrstellenmarkt gerade den Lehrstellenbewerbern neue Freiheiten und Auswahlmöglichkeiten eröffnet.
Nach Angaben der KMK wird die Zahl der Hauptschulabsolventen von knapp 313 000 im Jahre 1986 auf 240 000 im Jahre 1990 sinken, und die Zahl der Absolventen mit mittlerem Abschluß wird im gleichen Zeitraum um über 95 000 auf 230 000 zurückgehen. Das ist in vier Jahren ein Rückgang um 170 000 oder mehr als ein Viertel aller Lehrstellenbewerber mit Haupt- und Realschulabschluß. Aus dieser Entwicklung ergeben sich für alle in der Berufsausbildung beteiligten Institutionen schmerzliche Anpassungsprozesse.
Dabei ist es für mich ein Gebot der Vernunft, daß die betrieblichen Ausbildungszeiten in den nächsten Jahren nicht etwa deshalb eingeschränkt werden dürfen, weil die vorhandenen schulischen und überbetrieblichen Kapazitäten anders nicht ausgelastet werden können. Das jedenfalls wäre für mich keine Qualitätsverbesserung unserer Berufausbildung, sondern ein verhängnisvoller Schritt zur Vertheoretisierung unserer Schulen und der Berufsausbildung. Ich kann vor einer solchen Entwicklung nur nachdrücklich warnen; denn sie würde nicht nur den Praxisbezug unseres bewährten dualen Systems der Berufsbildung, sondern zugleich auch das partnerschaftliche Verhältnis zwischen Ausbildungsbetrieben, Berufsschulen und überbetrieblichen Lehrwerkstätten auf das schwerste beeinträchtigen.
Meine Damen und Herren, eine Abschlußbemerkung: Die Ausbildungsprobleme der 80er Jahre werden sich also in den 90er Jahren umkehren. Alle Zahlen, die uns vorliegen, verdeutlichen das. Damit es nicht zu einem Fachkräftemangel kommt, müssen alle Beteiligten zusammenwirken. Betriebe und Verwaltungen müssen ihre Ausbildungsangebote stärker als bisher an den Möglichkeiten, Vorstellungen und Wünschen der Jugendlichen mit ausrichten. Auf der anderen Seite dürfen sich junge Menschen und all die, die ihnen beratend zur Seite stehen, bei der Berufswahl nicht von überkommenen Vorstellungen über die Attraktivität von Berufen leiten lassen. Vorurteile bei der Berufswahl sind immer schlechte Ratgeber. Unkenntnis macht eine fundierte Entscheidung unmöglich.
Unser gemeinsames Ziel muß es sein - wir sollten bei solchen Debatten auch das Gemeinsame herausstreichen - , möglichst alle Jugendlichen qualitativ gut auszubilden, um ihnen so eine Perspektive und eine gesicherte Zukunft in unserer Arbeits- und Wirtschaftswelt zu ermöglichen.
Ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Odendahl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere heutige Diskussion des Berufsbildungsberichts 1987 könnte eine ganz spannende Sache werden, wenn die Regierungskoalition aus dem Bericht endlich Konsequenzen zöge, wenn die Regierungskoalition nämlich endlich aufhörte, angesichts der zahlenmäßig kleiner werdenden Jahrgänge von einer Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt zu reden und überdies diese Tatsache auch noch - der Herr Kollege hat das gerade deutlich gemacht - als Verdienst ihrer Berufsbildungspolitik zu loben.
Sie können mit Ihrer Feststellung, daß der zahlenmäßige Ausgleich zwischen Nachfrage und Angebot auf dem Ausbildungsmarkt in greifbare Nähe gerückt sei, doch nicht davon ablenken, daß 1986 wiederum über 46 000 Bewerberinnen und Bewerber keinen Ausbildungsplatz erhielten und 32 400 Jugendliche mit einem schulischen Ersatzangebot vertröstet wurden.
Ich habe Ihnen schon bei der ersten Debatte dieses Berichts die 194 400 sogenannten Altbewerber vorgehalten. Von allen leer Ausgegangenen sind wie in jedem Jahr mehr als zwei Drittel Mädchen. Wenn Sie also die unversorgt Gebliebenen, die mit einem Ersatzangebot Versehenen und die sogenannten Altbewerber zusammenzählen, dann müssen Sie zugeben, daß rund 270 000 Jugendliche im Jahre 1986 keine Ausbildung erhalten haben. Das ist der Kernpunkt.
Über diese besorgniserregende Entwicklung gibt Ihnen der Bericht der Bund-Länder-Kommission über künftige Perspektiven von Absolventen der beruflichen Bildung im Beschäftigungssystem die nötigen Hinweise. Also, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, fast fürchte ich, Sie haben ihn gar nicht gelesen; denn sonst hätten Sie zu anderen Schlußfolgerungen kommen müssen
({0})
als zu Ihrer Beschlußempfehlung im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zu diesem Bericht. Wenn Sie also endlich damit anfingen, die wirklichen Probleme in der beruflichen Bildung aufzugreifen, anstatt immer wieder Defizite in Erfolge ummünzen zu wollen und darzustellen - warten wir doch noch ein bißchen, dann entspannt es sich noch etwas - , wäre viel gewonnen. Anstatt die Zahl der offen gebliebenen Ausbildungsplätze zu bejubeln, sollten Sie endlich einmal danach fragen, um welche Berufsangebote es sich dabei handelt.
Wenn man z. B. die Zahlen bei den Berufsanfängern der Stadt Stuttgart - das habe ich in meiner Heimatregion, der Region mittlerer Neckar, getan - betrachtet, stellt man fest: 57 % der Handwerkslehrlinge lernen nur zehn Berufe. Die Spitzenreiter unter den Ausbildungsberufen im Handwerk sind dort Friseur, Kraftfahrzeugmechaniker, Elektroinstallateur, Gas-und Wasserinstallateur, Zahntechniker, Bäcker, Verkäuferin im Nahrungsmittelbereich, Konditor, Maler und Lackierer und Bürokaufleute.
({1})
85 % der Ausbildungsplätze für die Berufe Fachverkäuferin im Nahrungsmittelbereich und für Bürokaufleute sind mit weiblichen Auszubildenden besetzt.
Gerade hier besteht auch das größte Angebot an nicht besetzten Ausbildungsplätzen. Deshalb ist es ganz wichtig, nach den Beschäftigungschancen in diesen Berufen zu fragen. Da muß doch nach der Ausbildung etwas hinterherkommen. Es wird immer schwieriger für junge Menschen, nach ihrer Ausbildung eine Beschäftigung zu finden.
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Im übrigen ist es dank Ihrer Beschäftigungspolitik leider die Regel geworden, jungen Menschen nach der Berufsausbildung nur noch Zeitarbeitsverträge anzubieten.
({3})
Schon heute sind 6 bis 9 % der Jugendlichen nach dem Abschluß ihrer Ausbildung sofort arbeitslos. Um ihre Zukunft ist es schlecht bestellt, wenn wir nicht heute anfangen, weitreichende Maßnahmen zur Beseitigung der Probleme an der sogenannten zweiten Schwelle zu ergreifen.
Selbstverständlich waren wir uns angesichts der geburtenstarken Jahrgänge einig, daß es auf jeden Fall besser ist, eine Ausbildung anzufangen und zu machen, als auf der Straße hängen zu bleiben. Aber wir haben heute tatsächlich eine Entspannung bei der Zahl der Bewerber um Ausbildungsplätze. Die muß man nützen. Klafft die Schere zwischen dem Bedarf an Fachkräften und dem Angebot an ausgebildeten Jugendlichen weiter auseinander, so werden wir nach dem Bericht der Bund-Länder-Kommission bereits 1990 - das ist in zwei Jahren - einen Fehlbedarf von 800 000 qualifizierten Arbeitsplätzen zu decken haben.
Faßt man die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften und die Nachfrage der Jugendlichen mit unqualifizierter Ausbildung in den nächsten fünfzehn Jahren zusammen, muß die Bildungspolitik in der Bundesrepublik in diesem Zeitraum mit 2,5 bis 3,1 Millionen junger Menschen rechnen, die für den Arbeitsmarkt nicht oder nur unzureichend ausgebildet sind.
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Dabei werden Ungelernte in Zukunft immer weniger Chancen haben, einen Arbeitsplatz zu finden. Schon heute liegt ihre Arbeitslosenquote um 10 % über dem Durchschnitt. Weil Sie seit Jahren so, wie das Kaninchen auf die Schlange starrt, die Zahl der Ausbildungsplatzbewerberinnen und -bewerber dem Angebot an Ausbildungsstellen gegenüberstellen, haben Sie die Anforderungen an die Qualität in der beruflichen Bildung sträflich vernachlässigt.
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Ihr Entschließungsantrag macht das auf sehr eindrucksvolle Weise deutlich. Bei den Defiziten in der Qualität der Erstausbildung vertrösten Sie die Jugendlichen mit einer konzertierten Aktion Weiterbildung. Das steht da drin. Ist Ihnen eigentlich klar, wieviel Millionen nicht ausgebildeter und fehlqualifizierter Menschen Sie hier auf einen grandiosen Verschiebebahnhof verweisen?
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Daweke?
Aber gern.
Frau Odendahl, sind Sie angesichts der Rechnungen, die Sie hier aufmachen, die ja weit in das nächste Jahrzehnt hineingehen, bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich die Sachverständigen der Enquete-Kommission „Bildung 2000" - auch die von Ihnen benannten - in der zweiten Sitzung darüber verstanden haben, daß das einzige, was an den Prognosen der Vergangenheit richtig war, das war, daß sie alle nicht stimmen?
({0})
Herr Kollege Daweke, erstens bin ich mir sehr wohl bewußt, daß wir bereits 1988 haben, bis zum Jahre 1990 also noch zwei Jahre sind. Zweitens bin ich sehr gespannt, was aus den Ergebnissen der Enquete-Kommission herauszulesen sein wird. Drittens bin ich sehr besorgt, wenn ich mir das bisherige Tempo Ihrer Umsetzung in der Berufsbildungspolitik vergegenwärtige.
Defizite in dem nicht ausreichenden und auswahlfähigen Angebot in allen Regionen der Bundesrepublik wollen Sie durch Mobilität und soziale Betreuung in fremder Umgebung regeln. Können Sie sich ausmalen, wie die geforderte Mobilität in der Praxis aussehen wird? Groß angelegte Verschiebungen von 15- bis 18jährigen Jugendlichen durch die ganze Bundesrepublik, in der Regel von Nord nach Süd, die aus ihren Familien gerissen werden und dafür in Wohnheimen, soweit vorhanden, soziale Betreuung anstatt Nestwärme erfahren dürfen!
({0})
Ich kann Ihnen dazu nur sagen, daß es in Baden-Württemberg Regionen gibt, in denen dann die von den Arbeitgebern oft als zu hoch bejammerte Ausbildungsvergütung kaum für die erforderliche Wohnungsmiete reichen dürfte, ganz abgesehen davon, daß Sie mit einer solchen Politik den Grundstein dazu legen, daß ganze Regionen mit ohnehin ungenügender Arbeitsplatzstruktur entvölkert würden. Verstehen Sie das unter einer sinnvollen Strukturpolitik?
Die SPD-Fraktion fordert die Bundesregierung auf, statt dessen dafür zu sorgen, daß in allen Regionen der Bundesrepublik ein auswahlfähiges Angebot an Ausbildungsplätzen zur Verfügung steht,
({1})
daß hierfür die notwendigen Programme und Mittel bereitgestellt werden. In unserem Entschließungsantrag, den wir heute zur Abstimmung stellen, geht es uns vor allem um die qualitative Umorientierung in der beruflichen Bildung. Wir sprechen darin noch einmal die finanzielle Ausstattung des Benachteiligtenprogramms an, über die wir uns nach der Übernahme durch die Bundesanstalt für Arbeit auf Grund der dort
bestehenden Haushaltslage große Sorgen machen müssen.
({2})
Mein Kollege Eckart Kuhlwein wird nachher insbesondere auf die Frage zukunftsorientierter Berufe eingehen und auf die notwendig werdenden Qualifikationen angesichts des technischen Innovationsprozesses. Er wird den Entschließungsantrag der SPD-Fraktion dahin gehend erläutern.
Meine Damen und Herren, die Berufsausbildung braucht neue Perspektiven, wie gesagt. Es wäre eine ganz spannende Sache, wenn wir endlich darangingen, uns in berufsbildungspolitischen Debatten darüber auseinanderzusetzen, anstatt das alte Strickmuster weiterzustricken: ein Bewerber, ein Ausbildungsplatz, Eine fallen lassen usw. usw. Die SPD-Fraktion kann dem Entschließungsantrag der Regierungskoalition nicht zustimmen. Ihr Strickmuster, meine Damen und Herren, läßt zu Viele fallen. Es ist ein Ladenhüter.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Neuhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch das Strickmuster dieser Debatten ist nicht so neu, wie wir gerade festgestellt haben.
({0})
Es gibt dieses gegenseitige Darstellen von Horrorszenarien, liebe Kollegin Odendahl - um auch dieses Strickmusterwort zu benutzen. Ich habe mich, während wir so sprachen, an die sozialliberale Zeit,
({1})
an meine erste Rede hier vor dem Deutschen Bundestag erinnert. Da sprach auch der Kollege Nelle. Wissen Sie, daß wir da unter umgekehrten Vorzeichen so ähnlich geredet haben? Da saß der Herr Daweke und sagte: Was tut diese Regierung angesichts des herannahenden schrecklichen demographischen Drucks? - Und was sagte der Minister Engholm dazu?
Meine Damen und Herren, bleiben wir realistisch. Wir haben heute den Berufsbildungsbericht 1987 vor uns und wissen, das sind die Zahlen von 1986. Wir kennen schon die Zahlen des Berufsbildungsberichts 1988 und wissen, das sind die Zahlen von 1987; das ist ja alles sehr verwirrend. Wir haben die Zahlen der ersten Hälfte des Berufsberatungsjahres 1987/88 vor uns, und wir können mit Fug und Recht sagen: Wir dürfen, was die quantitative Seite des Problems betrifft, aufatmen. Darf man wenigstens noch aufatmen, wenn sich ein Problem nicht so schrecklich darstellt, wie es leider in der Vergangenheit zeitweise war? Die Verhältnisse kehren sich doch nun tatsächlich da und dort um. Aus einem Mangel an Angeboten wird da und dort schon ein Mangel an Nachfrage.
Wie ein Schlaglicht erhellt manchmal die Schlagzeile einer lokalen Zeitung das, was wir in den Berichten sehr sorgfältig erarbeitet finden. Ich lese einmal aus einer Lokalzeitung meiner Heimat eine Schlagzeile vor, weil sie die Gemengelage deutlich macht. Da heißt es: Alle wollen ins Büro - davon hat Frau Odendahl auch gesprochen - , nur Fleischer und Maurer will keiner werden; das sollten sie nach Frau Odendahl auch nicht.
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Untertitel: „Tendenz: Mehr Stellen, weniger Bewerber - Mädchen haben es schwer. " Ich zitiere das, weil es die Gemengelage, von der ich sprach, deutlich macht; und die sollten wir beachten, wenn wir über das Thema seriös sprechen.
Niemand darf bezweifeln, daß wir uns nach wie vor auf dem Hochplateau der Nachfrage befinden. Das tun wir nicht. Wer uns das unterstellt, sagt schlicht die Unwahrheit. Wir wissen, wir stehen regional und branchenspezifisch nach wie vor erheblichen quantitativen Problemen gegenüber, und wir bestätigen das hiermit deutlich.
Wir beteiligen uns aber nicht an - - nein, ich will nicht sagen: an Zahlenkunststücken. Ich sage, ich habe erhebliche methodische Zweifel wie damals, als eine andere Regierung gegenüber der Stellungnahme der Arbeitnehmer im Hauptausschuß ihre Zweifel anmeldete. Sie sind bei mir geblieben. Ich bezweifele methodisch die Relevanz mancher Zahlen. Sie sollten in einer solchen Debatte auch nicht eine zu große Rolle spielen.
Das sind alles nur Stichworte, das ist ganz klar. Eines dieser Stichworte heißt „Qualifizierung" . In der Forderung nach Qualität treffen sich die Interessen von Auszubildenden und Betrieben gleichermaßen. In diesem Zusammenhang wird auch die Bedeutung der überbetrieblichen Ausbildungsstätten noch einmal zu unterstreichen sein. Denn es gibt viele kleinere und mittlere Betriebe, denen es nicht immer möglich ist, den Stand an Modernisierung vorzuhalten und auf Dauer zu sichern, der für eine hohe Qualität der Berufsausbildung erforderlich ist. Dem haben wir Rechnung zu tragen, und wir sollten das gemeinsam auch gegenüber dem Herrn Bundesfinanzminister tun, verehrte Kollegen von der CDU/CSU.
({3})
Aber dieser qualitative Aspekt ist keine neue Entdeckung; das muß man auch einmal sagen. Er hat unsere Diskussionen immer begleitet. Das gilt auch für den Begriff der zukunftssicheren Berufe. Es wäre doch - darauf sollte man auch einmal hinweisen - eine grobe Ungerechtigkeit, Ausbildern, Lehrern und überhaupt den in der Berufsausbildung Verantwortlichen und Tätigen im Umkehrschluß zu unterstellen, Ausbildung sei bisher und jetzt ohne Qualität und ohne Bezug auf die Zukunft.
Zur Qualität gehört auch Ausbildung an und für sich. Ich sage das sehr bewußt. Wir sollten die Betriebe, die auf unsere Anforderung hin über Bedarf ausgebildet haben, und die jungen Leute, die dort eine Ausbildungschance erhielten, nicht durch das Schreckgespenst einer übertriebenen Betonung der Gefahren einer Fehlqualifizierung verunsichern. Eine Ausbildung - Sie haben es gesagt, und das bleibt
doch wahr - ist immer besser als keine Ausbildung.
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Sie stärkt das Durchhaltevermögen - ich meine das nicht schlagwortartig, wir wollen doch darüber nachdenken -, sie lehrt, sich in betriebliche Zusammenhänge hineinzuversetzen, sie zu verstehen und sich in sie einzuordnen. Sie lehrt, was auch notwendig ist, praktisches Arbeiten, methodisches Vorgehen. Ich sage das vor allen Dingen auch im Hinblick auf die vielen jungen Leute, die aus verschiedenen, individuellen Gründen anderen gegenüber benachteiligt sind. Diese werden nämlich, wenn wir da zu falschen Zungenschlägen kommen, stärker verunsichert, als das im Normalfall wäre. Diese jungen Leute, meine Damen und Herren, wird es ja immer geben, weil es auch individuelle Gründe gibt, die zu Benachteiligungen führen. Die Maßnahmen, die geeignet sind, ihnen zu helfen, etwa auch im sogenannten Benachteiligtenprogramm, beziehen sich deswegen auf eine Daueraufgabe.
Unser Entschließungsantrag fordert die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, daß ausreichende Mittel zur Verfügung stehen. Wir werden diese Entwicklung sehr sorgfältig verfolgen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Hillerich?
Natürlich. Es wird ja nicht angerechnet.
Herr Kollege Neuhausen, stimmen Sie mit mir darin überein, daß die Ausbildung im Rahmen des Benachteiligtenprogramms, um die Entwicklung der Jugendlichen entsprechend auszuschöpfen, zu Recht unter Umständen länger als drei Jahre dauert, und wie verhält sich dies zur Forderung, die ja auch einer Ihrer Vorredner geäußert hat, nach möglichst doch beizubehaltenden zweijährigen Ausbildungsgängen?
Frau Hillerich, ich kann jetzt nicht von meinem Gedankengang abweichen, aber es ist mir wichtig, ganz allgemein folgendes zu sagen: Wir sollten uns nicht immer auf Einzelvorschläge, Einzelfragen und Einzelantworten beschränken. Ich bin vor vierzehn Tagen bei einer Tagung des DPWV in Hannover gewesen. Dort war auch Ihre Kollegin Frau Schoppe. Wenn man dann einmal mit Leuten spricht, die z. B. aus der Lebenshilfearbeit und auch aus ganz anderen Bereichen kommen, sieht man, daß es eine Vielfalt von Möglichkeiten geben muß.
({0})
Es ist ja richtig, daß die Qualifizierung von Arbeitskräften immer mehr gefördert wird. Aber es werden nicht alle Arbeitsplätze mit hochqualifizierten Menschen zu besetzen sein. Da gibt es doch eine große Grauzone, innerhalb deren man nach Möglichkeiten,
und zwar sehr verschiedenen Möglichkeiten, suchen muß.
({1})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ja.
Herr Abgeordneter, Sie haben vorhin über die individuelle Benachteiligung gesprochen, und Sie haben gefordert, diese müsse beseitigt werden. Was sagen Sie denn dazu, daß z. B. im Lande Nordrhein-Westfalen auf Grund der Zuteilung durch die Änderung der Zuständigkeit der Bundesanstalt für Arbeit schon jetzt abzusehen ist, daß im Herbst die bisher durchgeführten Lehrgänge „Arbeit und Lernen" nicht mehr begonnen werden können und daß die Jugendlichen ohne Schulabschluß erst einmal einige Monate auf der Straße liegen, weil voraussichtlich nicht vor 1989 mit neuen Lehrgängen begonnen werden kann?
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Frau Kollegin Steinhauer, ich stehe nicht an, das zu bedauern.
Ja, Moment. Darf ich noch etwas fragen?
Bitte, natürlich. Ich muß aber auch noch meine eigene Rede halten.
Herr Kollege Neuhausen, mit Bedauern ist es ja nicht getan. Wie sehen Sie es denn, daß der Bundesanstalt für Arbeit die entsprechenden Mittel bewilligt werden müssen? Bisher waren genügend Mittel da.
Frau Steinhauer, ich bitte wirklich ernsthaft um Verständnis. Ihre Fraktionen haben alle drei oder noch mehr Redner. Ich kann jetzt nicht auch noch finanzpolitische Ausführungen machen. Ich muß mich hier ja doch auf meinen Gedankengang beschränken dürfen.
Ich sage Ihnen: Ich bedaure das. Soll ich Ihnen jetzt finanzpolitische Vorstellungen vortragen? Ich habe mich eben an die Kollegen der Union gewandt und gesagt, wir wollten gemeinsam mit den finanzpolitisch Zuständigen sprechen. Wir sprechen hier aber als Bildungspolitiker.
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Meine Damen und Herren, ich will nun zum Teil auch das aufgreifen, was Frau Odendahl gesagt hat. Frau Odendahl, Sie haben - das ist ja auch in den schriftlichen Presseerklärungen immer zu lesen - von den zukunftssicheren Berufen gesprochen. Auch jetzt sage ich wieder: Das ist natürlich richtig, aber wir dürfen uns das doch nicht zu leicht machen. Die Zukunftsbezogenheit und die Zukunftssicherheit haben sehr viele allgemeine und individuelle Aspekte. Auch überlieferte Berufe haben Zukunft; andere verändern sich. Neue Notwendigkeiten werden sichtbar. Und
wer bestimmt und wer entwirft überhaupt das Bild von Zukunft, auf das hin wir dann ausbilden sollen? Das sind doch alles offene Fragen. Daß sich Prognosen allzuoft als falsch erwiesen haben, ist hier schon gesagt worden. Unsere Erfahrung und die Ehrlichkeit gebieten, das zu sagen.
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- Lieber Ernst Kastning, wie kannst du nun von „Nichtstun" sprechen, wo ich mich hier so abrackere!
Meine Damen und Herren, es stellen sich doch viel grundsätzlichere Fragen. Könnte es nicht sein, daß im Zuge einer solchen Forderung nach Zukunftssicherheit, die ich unterstreiche, das ganze Problem der Erstausbildung ganz anders zu sehen ist? Darüber werden wir in der Enquete-Kommission zu sprechen haben. Könnte es nicht sein, daß die Begriffe - nehmen wir nur den Begriff Umschulung; da stellt man sich vor, daß man von einem Ausbildungsblock in den anderen umgeschult werden muß; daher kommt der Begriff Umschulung - gar nicht mehr stimmen? Ist es nicht wichtiger, das, was wir Flexibilität, Bereitschaft zur Weiterbildung nennen, schon in der Erstausbildung zu stärken, ohne die qualifizierte Spezialisierung zu vernachlässigen?
Das sind Fragen, meine Damen und Herren, die, wenn der Berufsbildungsbericht 1987 auf der Tagesordnung steht, grundsätzlich wenigstens angetippt werden sollten. Es sollen hier doch keine Patentlösungen gegeben werden.
Das gilt natürlich auch für die eben kritisierte Mobilitätsfrage. Je ernster man die Forderung nach Zukunftssicherheit nimmt, desto deutlicher muß man Möglichkeiten eröffnen und darf nicht vor ihnen abschrecken, wie Sie das eben getan haben. Glauben Sie wirklich, man könne zukunftssichere Berufe - was auch immer Sie darunter verstehen - so abstrakt und gleichmäßig planbar über das ganze Land verteilen? Entstehen hier nicht Widersprüche, mindestens Spannungsverhältnisse?
Darüber, meine Damen und Herren, sollten wir nachdenken und uns nicht gegenseitig Zahlen oder kurzschlüssige Patentrezepte um die Ohren schlagen.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hillerich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz kurz ein paar Worte zur Frage der Zukunftsträchtigkeit, weil mit diesem Begriff immer so herumgeworfen wird. Wenn in einem Beruf die Übernahme nach der Ausbildung recht gering ist, wenn bis zu 20% der Jugendlichen, die diese Ausbildung gemacht haben - beispielsweise im Bereich der Fleischereien, der Bäckereien, als Kfz-Mechaniker -, arbeitslos sind, dann spreche ich diesem Beruf zwar nicht die Zukunft ab, aber ich gestehe den Jugendlichen zu, Lehrstellen in diesem Bereich nicht anzunehmen. Das zum Gerede über Zukunft und Lehrlingsmangel.
Das allseits beschworene Phantom der Entspannung auf dem Ausbildungsstellenmarkt - ich kann es nicht anders denn als Phantom bezeichnen - ist mehr dem Genossen Trend in Gestalt des Pillenknicks zu verdanken als der Bildungspolitik dieser Bundesregierung. Das ist schon gesagt worden.
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- Ich habe ja auch nur gesagt: Genosse Trend; politisch farbenblind.
Um künftig ein ehrliches Bild von der Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt wiederzugeben, empfehle ich Ihnen, Herr Minister Möllemann, die z. B. im nordrhein-westfälischen Berufsbildungsbericht praktizierte erweiterte Erfassungsmethode der Angebot-Nachfrage-Relation. Dort werden vom Gesamtangebot die mit staatlichen Mitteln geförderten Ausbildungsplätze abgezogen; es geht ja um den Markt. Zur Nachfrage werden neben den unvermittelten Bewerberinnen und Bewerbern auch diejenigen gezählt, die sich in Ersatzmaßnahmen befinden und ihren betrieblichen Ausbildungswunsch ausdrücklich aufrechterhalten. Nur so wird nämlich der politische Handlungsbedarf deutlich. In Nordrhein-Westfalen bedeutete dies 1986, daß pro 100 Nachfragern und Nachfragerinnen 21 betriebliche Ausbildungsplätze fehlten. Die normale und unkritische Ausbildungsplatzbilanz wies eine Unterversorgung von nur 6,6 aus.
Unter dem Strich können wir festhalten: Ob ein junger Mensch in der Bundesrepublik die Möglichkeit hat, seine Arbeitsfähigkeit entsprechend seinen persönlichen Fähigkeiten und Wünschen zu entwickeln, ob er oder sie in die Lage versetzt wird, eine positive Arbeits- und Berufsperspektive aufzubauen, das ist und bleibt Glücksache. Je nach Geschlecht, Wohnort, Nationalität, je nach Konjunkturen, strukturellen Veränderungen, je nach Investitions- und Rationalisierungsentscheidungen der Wirtschaft und - nicht zu vergessen - nach der sozialen Stellung der Eltern werden ihr oder ihm nach wie vor die Lebenschancen zugemessen. Durch begrenzte staatliche Einwirkungen wird dies zwar geringfügig gemildert, aber insgesamt heißt die alles beherrschende Logik: Markt. Mehr davon wollen besonders Herr Möllemann und seine Partei. Ihnen und offensichtlich auch Herrn Oswald scheint es ganz recht zu sein, daß hier ein Grundrecht vermarktet wird.
Niemand käme heute wohl noch auf die Idee, das staatlich garantierte Recht auf schulische Bildung von wirtschaftlichen Konjunkturen oder anderen Marktmechanismen abhängig zu machen. Das Menschenrecht auf Bildung und sinnvolle Arbeit - und so nenne ich Berufsausbildung - kann der Markt aber nicht garantieren. Eine Gesellschaft, die ihrem demokratischen Anspruch gerecht werden will und die dazu noch so reich wie die unsere ist, muß in der Lage sein, dies politisch zu lösen.
Im Zusammenhang mit der Berufsbildungspolitik heißt dies nach unserer Auffassung: Wir brauchen ein gesetzlich abgesichertes und einklagbares Recht auf berufliche Ausbildung und Weiterbildung. Das bedeutet Aufbau und Sicherung einer entsprechenden Ausbildungs- und Weiterbildungsinfrastruktur in allen Regionen, ein auswahlfähiges Angebot in zu4876
kunftsträchtigen Berufen, ausbildungsbegleitende Hilfen und Förderung, wo dies nötig ist. Ebenso wie im Bereich der öffentlichen Allgemeinbildung ist dieses Recht unabhängig von der Ab- oder Zunahme der Bevölkerungszahl zu gewährleisten.
Um Mißverständnisse zu vermeiden: Finanziert werden soll dies nicht durch Steuererhöhungen, auch nicht durch zusätzliche Belastung der Solidargemeinschaft der versicherungspflichtig Beschäftigten, sondern durch eine allgemeine Ausbildungsabgabe insbesondere der nicht oder zuwenig ausbildenden Betriebe; denn sie sind schließlich Nutznießer von qualifizierten Arbeitskräften.
Dies alles ist offensichtlich nicht auf der alleinigen Grundlage des dualen Systems zu leisten. Bewiesen ist doch allenfalls die quantitative Aufnahmekapazität des dualen Systems, nicht jedoch das vorhandene Ausbildungspotential. Die Steigerungsraten im Handwerk halte ich eher für abenteuerlich. Die geringe Übernahmequote nach Abschluß der Ausbildungen sagt dazu schon genug. Das Handwerk produziert auch die höchsten Durchfallquoten bei den Prüfungen: Bei männlichen Auszubildenden sind es durchschnittlich 20 %, und bei den sogenannten Altbewerbern mit Hauptschulabschluß liegt die Durchfallquote bei fast 40 %. Das Handwerk produziert ebenfalls weit überproportional viele Ausbildungsabbrüche.
Meine Damen und Herren, ich weiß, daß die meisten von Ihnen das duale Sytem als sakrosankt ansehen. Ich möchte Sie dennoch bitten, sich ein paar Minuten auf eine Grundsatzkritik einzulassen.
Das duale System, das die Marktabhängigkeit und -anfälligkeit der beruflichen Bildung in unserem Land bewirkt, sichert gerade nicht die notwendigen strukturellen Veränderungen in der Berufsbildung. Im Gegenteil, es garantiert die ständige Fortschreibung bereits vorhandener wirtschaftlicher Disparitäten - bei meinen Vorrednern ist dies zum Ausdruck gekommen - , und dies teilweise staatlich alimentiert. Fehlqualifikationen größten Ausmaßes werden produziert, ohne daß in nennenswertem Umfang von der politischen Ebene her korrigierend eingegriffen werden könnte. Politisch eingegriffen wird vielmehr in die ungeschminkte öffentliche Darstellung dieser Problematik, wie die peinlichen Vertuschungen im Vorfeld der Veröffentlichung des BLK-Berichts im letzten Herbst gezeigt haben.
Als scheinbare Problemlösung wurden in den letzten Jahren massenweise Jugendliche in zukunftslose Ausbildungsverhältnisse und schulische Warteschleifen ohne qualifizierte Beschäftigungsperspektiven abgedrängt, und trotz der stolz hochgehaltenen Modellversuchsbemühungen „Mädchen in Männerberufen" wurde und wird jungen Mädchen in großer Anzahl eine Orientierung auf berufliche Tätigkeit wieder ausgetrieben, indem sie in schulischen Ausbildungen, im Ernährungs- und Körperpflegebereich systematisch auf Heim und Herd zurückorientiert werden. Neben den damit verbundenen persönlichen Rückschlägen bedeutet dies auch eine sträfliche Vergeudung von Fähigkeiten, von Arbeitsmotivation und Begabung. Die Menschen sind da, die lernen und arbeiten wollen.
Woran fehlt es dann?
Nicht die Kombination der Lernorte, Betrieb und Berufsschule, ist meiner Ansicht nach das Hauptkennzeichen des dualen Systems, sondern vielmehr die ausgeprägte Dominanz von betrieblichen, also Unternehmerinteressen in Bereichen der Ausbildung, auch im Lernort Schule. Sie äußert sich als Kontrolle über die Ziele und Methoden der Ausbildung. Sie bezweckt die oft möglichst schon kurzfristig zu verwertende Arbeitskraft. Sie erstreckt sich auch auf die überbetrieblichen Ausbildungszentren, über die Kammerprüfungen auch auf die Berufsschulen und natürlich auf die eigene Lehrwerkstatt im Betrieb.
Es ist eine Tatsache, kein moralischer Vorwurf, daß Betriebe ihrer ökonomischen Logik folgen und daß sie insofern an Qualität und Quantität der Ausbildung nur so wenig aufwenden wollen wie nötig. Dies erklärt einerseits die relativ große Zahl handwerklicher Ausbildungsplätze, die ja doch vielfach, jedenfalls im zweiten und im dritten Lehrjahr, wenn es dies gibt, für das betriebliche Kalkül billige Arbeitsplätze sind. Andererseits ist doch der Widerstand - man kann es jetzt ja schon Boykott nennen, nicht wahr, Herr Minister und auch Herr Kollege Oswald - gegen den zweiten Berufsschultag im handwerklichen Ausbildungsbereich im wesentlichen durch die damit verbundenen Einbußen betrieblicher Rentabilität der Auszubildenden begründet. Im Betrieb endet offensichtlich der Sektor öffentlicher Verantwortung unseres Bildungssystems.
Meine Damen und Herren, auch unter berufspädagogischen Gesichtspunkten ist das duale System höchst problematisch. Unter dieser Perspektive ist sein Hauptmerkmal seine pädagogische und organisatorische Zerrissenheit. Wissen Sie, wie eine Ausbildung im Baubereich aussieht?
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Praktische Arbeit auf Montagestellen, Block- oder Tagesunterricht in teilweise wechselnden Berufsschulen, je nach Fachklassen, überbetriebliches Ausbildungszentrum und unter Umständen auswärtige überbetriebliche Lehrwerkstatt. Zwischen diesem Lernortmix findet kaum eine pädagogische und didaktische und häufig nicht einmal eine organisatorische Abstimmung statt. Die Integration dieser getrennten Erfahrungen zu einem gelungenen beruflichen Lernen bleibt den Auszubildenden selbst überlassen. Wen wundern da noch Abbrecherquoten?
Für die Auszubildenden, die durchhalten, gilt eines aber ganz gewiß: Sie lernen, sich an fremdbestimmte formale und organisatorische Regelungen anzupassen, ein rigider, heimlicher Lehrplan mit dem Hauptfach Sachzwang. Wo bleibt da Raum und Zeit für längere Projekte, für ganzheitliches Lernen und Persönlichkeitsentwicklung, für eigene Gestaltung und Verantwortung, für die Entwicklung von Fähigkeiten für eine kritische innovative Berufspraxis?
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordnete Daweke?
Ja, aber nur, wenn die Zeit nicht angerechnet wird.
Bitte schön.
Frau Kollegin, ich kann in einer Frage nicht auf Ihre teilweise abenteuerlichen Behauptungen eingehen. Aber könnten Sie mir sagen, weshalb bei dieser von Ihnen als so schlimm beschriebenen Ausbildung fast die ganze Welt in unser Land kommt, um sich anzusehen, wie wir das machen, weil sie großen Respekt vor der Facharbeiterschaft in diesem Lande hat?
Ich fände es gut, wenn Sie die Jugendlichen aus der ganzen Welt fragen würden, ob sie dieses Ausbildungssytem wollen. Davon bin ich nicht überzeugt.
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Ich habe aus der Perspektive der Jugendlichen gesprochen, aus der Perspektive ihrer Entwicklung.
Praxisnähe: Der hochgepriesene große Vorteil des Lernorts Betrieb steht in vielen Betrieben, besonders in der Industrie, nur noch auf dem Papier. Wegen einer häufig hochkomplexen, hochtechnisierten und dadurch ausbildungsungeeigneten Betriebsstruktur findet Ausbildung dort weitgehend außerhalb der eigentlichen Produktion in relativ verschulter Form in Lehrwerkstätten statt. Die Ausbildungsphasen in der betrieblichen Fertigung ähneln eher Betriebspraktika. Die Frage liegt nahe, ob sich durch diese Entwicklung die Betriebe als bestimmende Hauptträger in der Berufsausbildung nicht selbst entbehrlich machen. Ist der Lernort Betrieb nicht vielfach zu einer Fiktion geworden?
Wegen der knapp bemessenen Redezeit kann ich nur kurz auf das Problem des Ausbildungspersonals im betrieblichen Bereich eingehen. Besonders hervorstechend sind dort die Klagen von Ausbilderinnen, Ausbildern und Auszubildenden über mangelnde pädagogische und - hier meine ich mit Blick auf das Alter der meisten Auszubildenden - auch erwachsenen-pädagogische und fachliche Vorbildung sowie weitgehend fehlende Weiterbildungsmöglichkeiten für die Ausbilderinnen und Ausbilder. Ihre Weiterbildung muß dringend verbindlich geregelt werden. Da reicht eine konzertierte Aktion nicht aus. Sie muß geregelt werden gerade im Hinblick auf die betriebliche Durchsetzung der neuen Ausbildungsordnungen. Die vom Bundesinstitut für Berufsbildung, Gewerkschaften und anderen Trägern angebotenen Weiterbildungsveranstaltungen und auch die vom BIBB entwickelten Arbeits- und Umsetzungshilfen sind bisher nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
In diesem Zusammenhang ist das Subsidiaritätsprinzip, das Sie anpeilen, Herr Minister, ziemlich abenteuerlich. Modernisierte Ausbildungsordnungen auszuhandeln und gesetzlich zu verankern war sicher überfällig. Das ist aber nur die eine, in Hochglanzbroschüren kräftig aufpolierte Seite der Medaille. Sie in der Praxis aber auch durchzusetzen entzieht sich im dualen System weitgehend der staatlichen Steuerung bzw. der öffentlichen Kontrolle. Das ist die andere, nicht ganz so ansehnliche Seite. Ich rate Ihnen sehr, sich darüber einmal mit den Jugendlichen zu unterhalten.
Es läge nun nahe, wenigstens von den Berufsschulen eine effektive Durchsetzung staatlicher Bildungspolitik zu erwarten. Weit gefehlt! Die restriktive Einstellungspraxis der Länder in den vergangenen Jahren hat hier einen Lehrermangel produziert, der heute schon zu Abwerbungskampagnen einzelner Bundesländer führt. Baden-Württemberg bietet Berufsschullehrerinnen und -lehrern Gehaltszuschläge an, um sie ins Ländle zu locken. Der Verband der Berufsschullehrer annonciert verzweifelt in zahlreichen niedersächsischen Tageszeitungen, um Lehrerkolleginnen und -kollegen für Metall- und Elektroberufe nach Nordrhein-Westfalen zu holen. Hier fehlen 4 000 Berufsschullehrer. Die Folgen sind Unterrichtsausfall und mangelnde Qualität des Unterrichts. In allgemeinbildenden Fächern fällt zur Zeit jede zweite Unterrichtsstunde aus. Auch da ist längerfristig kaum eine Entlastung abzusehen, da berufspädagogische Fächer kaum noch studiert werden. Die materielle Ausstattung der Berufsschulen entspricht vielfach nicht den Anforderungen an die proklamierte technologische und ökonomische Erneuerung der Wirtschaft.
Meine Damen und Herren, da haben Sie Ihren stolzen Schwan, das vielgepriesene duale System; er ist in Wirklichkeit ein häßliches Entlein. - Jetzt blinkt es hier so fürchterlich. Ich würde eigentlich gerne noch etwas zu unseren Alternativvorstellungen sagen, aber das schaffe ich leider nicht mehr.
Sie hatten eigentlich einen ganz schönen Schlußsatz gehabt, Frau Kollegin.
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Jetzt kommt der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die hier zur Debatte stehende Beschlußempfehlung bezieht sich auf den von der Bundesregierung am 30. März 1987 zugeleiteten Berufsbildungsbericht 1987; dieser wiederum informiert über die Situation im Jahre 1986.
Ich begrüße es, daß sich der Deutsche Bundestag bereits in zwei Debatten hier im Parlament und in fünf Sitzungen des zuständigen Ausschusses damit beschäftigt hat. Das hat allerdings leider auch dazu geführt, daß wir erst heute über diese entsprechende Entschließung beraten. Deren Aussagen zu empfohlenen Maßnahmen sind gleichwohl aktuell. Sie richten sich vor allem auf ein quantitativ und qualitativ zufriedenstellendes Ausbildungsangebot.
Nun zur Situation, von der wir hier sprechen. Die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen im dualen System betrug 1987 679 000 und lag damit erstmalig seit 1981 unter dem Angebot, daß 690 000 erreichte. Dieses leichte rechnerische Überangebot von 10 000 Plätzen darf aber nicht als Signal zur Entwarnung verstanden werden, und trotzdem trifft es zu, daß, insgesamt gesehen, sich der Lehrstellenmarkt in eine für die Jugendlichen günstigere Richtung entwickelt. Das belegt auch die Halbjahresbilanz der Berufsberatungsstatistik. Zum 31. März 1988 - damit sind wir in der Zeit jetzt - wurden 467 000 Ausbildungsplätze
gemeldet. Das sind 6,7 % mehr als im Vorjahr. Demgegenüber hat sich Nachfrage um 9,3 % auf 423 000 verringert. Der Trend ist eindeutig.
Nun habe ich hier gehört: „Das verdanken wir nur der demographischen Entwicklung. " Natürlich verdanken wir es ihr auch. Darüber kann kein vernünftiger Mensch hinwegreden. Wenn die Geburtenquote heruntergeht, dann wirkt sich die Bevölkerungsentwicklung auch auf diesem Sektor aus. Damit haben Sie nichts zu tun, damit haben wir nichts zu tun, d. h. jeder einzelne von uns vielleicht ein bißchen, aber im großen und ganzen jedenfalls die Parteien nicht. Das ist ein Faktum, mit dem alle rechnen müssen, die Länder und der Bund.
Es gibt aber auch politische Einflußfaktoren. Natürlich war es nicht selbstverständlich, daß sich in den vergangenen sechs Jahren ein so hohes Angebot von Lehrstellen hat erreichen lassen, und es war nur möglich, weil offenkundig Betriebe, Verwaltungen, Praxen dem Appell folgen wollten, über den eigenen Bedarf hinaus aus gesellschaftspolitischer Verantwortung Lehrstellen zur Verfügung zu stellen.
({0})
Liebe Freunde, wir waren uns in den Jahren der starken Jahrgänge auch darüber einig, daß das notwendig ist. Wir haben gesagt: Stellt bitte mehr Lehrstellen zur Verfügung, als ihr selbst Leute braucht, damit jeder eine Lehrstelle bekommt, denn eine Lehre ist immer noch besser als keine Ausbildung.
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Das sollten wir nicht im nachhinein herunterreden, denn wir wollen doch, daß die Unternehmen weiterhin möglichst viele Lehrstellen anbieten, damit am Ende, wenn es denn möglich ist, ein Überangebot - ich denke mir: von etwa 100 000 - und damit wirklich Wahlfreiheit zustandekommt. Das kann man nur erreichen, wenn wirklich alle weiterhin anbieten. Das ist also notwendig.
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Wir sind also noch nicht über den Berg, denn die Bilanz ist ambivalent. Es gibt keinen Grund, darüber hinwegzureden. Wir haben einen positiven Trend, aber es gibt noch Schwierigkeiten. Wo gibt es die Schwierigkeiten? In bestimmten Regionen. Hier muß Regional- und Strukturpolitik mit Ausbildungspolitik verbunden werden. Da wäre die Bildungspolitik überfordert, wollte sie alleine etwas bewerkstelligen. Ich habe hier keinen wirtschaftspolitischen Debattenbeitrag zu leisten, aber natürlich kann ich den Handwerksmeister, der einer Flugzeugfirma zuarbeitet, nicht zwingen, seinen Betrieb von Sindelfingen nach Ostfriesland zu verlegen. Es gibt da keine Maßnahmen, und wir wollen auch nicht den Staat in dem Sinne, daß man einzelne Unternehmen zwingen könnte, sich da oder dort anzusiedeln.
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- Ich halte nichts von einer Hundert-MillionenMark-Prämie für Großunternehmen, um einen Betrieb da oder dort anzusiedeln.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Weyel?
Ja, gern.
Bitte schön, Frau Weyel.
Herr Minister, sind Sie bereit, dafür zu sorgen, daß auch im kommenden Ausbildungsjahr die Ausbildungsplätze vor allem in technischen Berufen bei Bundesbahn und Bundespost, soweit sie die betrieblichen Notwendigkeiten übersteigen, weiterhin finanziert werden und erhalten bleiben, vor allem in Räumen mit wenig anderen Ausbildungsplätzen?
Ich will die Beantwortung dieser Frage in einen Zusammenhang einordnen. Ich komme damit auf den Punkt: Was kann getan werden, um die unbestreitbar bestehenden Probleme zu lösen?
Zunächst: Wenn wir von anderen verlangen, über Bedarf anzubieten, dann muß der Bund mit gutem Beispiel vorangehen.
({0})
Der Bund wird deswegen - das kann ich Ihnen zusagen; ich habe mich in den Beratungen des Kabinetts dafür eingesetzt, und wir haben uns darauf verständigt - per saldo - ich kann das jetzt nicht für jede einzelne Werkstatt sagen, aber per saldo - bei Bahn und Post das gleiche Angebot an Ausbildungsplätzen auch in diesem Jahr wieder zur Verfügung stellen. Das sind wie in den vergangenen Jahren rund 32 000 Plätze. Frau Kollegin, ich kann Ihnen jetzt nicht sagen, ob das bedeutet, daß in Limburg oder in Marburg nun statt 23 vielleicht 24 oder 12 Plätze angeboten werden. Nur, per saldo wird der Bund seine Vorbildfunktion wahrnehmen.
Zweiter Punkt: Wir müssen alles vermeiden, was in den Unternehmen - und für die kostet Ausbildung in aller Regel Geld - dazu führt, daß die sagen: So haben wir nicht gewettet. Wir engagieren uns in diesem Bereich und werden dafür beschimpft. Frau Hillerich, wenn das, was Sie über das Handwerk gesagt haben, etwa Meinung auch nur einer relevanten Fraktion wäre - aber ich bin sicher, das ist weder die Meinung der SPD noch der Union noch der FDP - , dann würden wir erleben, daß die Handwerker erklären würden: So haben wir nicht gewettet. Das deutsche Handwerk hat - anteilig - weit mehr als jeder andere Wirtschaftszweig ausgebildet, es hat sich vorbildlich verhalten.
({1})
Dafür sind wir ihm Dank und Anerkennung schuldig und nicht eine - aus einer, wie ich finde, ja ziemlich unverständlichen Ideologie herrührende - Ideologiekritik, die auch niemandem weiterhilft.
Was sind die Problemgruppen? Mädchen und junge Frauen. Ich plane zusammen mit den Verbänden der Wirtschaft und den Arbeitnehmerorganisationen eine Kampagne, die dringend notwendig ist, um bei der
Wirtschaft wie bei den Mädchen und jungen Frauen die Bereitschaft zu verstärken, endlich von dieser Einengung auf die zehn Ausbildungsberufe abzugehen, auf die sich immer noch mehr als die Hälfte aller Mädchen und jungen Frauen konzentrieren. Das Klischee bei Ihnen ist offenbar: Wir sind nicht geeignet, die und jene Berufe zu besetzen, zu beherrschen. Aber auch bei der Wirtschaft ist dieses Klischee vorhanden: Die können das nicht. Die Praxis zeigt: Das ist unrichtig. Bei ganzen 16 Ausbildungsberufen bestehen noch gesetzliche oder tarifvertragliche Einengungen. Bei allen anderen von den 383 können Mädchen und junge Frauen das genausogut leisten wie Jungen auch. Deswegen mein Appell an Mädchen und junge Frauen, die Vielzahl der Ausbildungsangebote zu nutzen.
Stichwort: Mobilität: Also, Frau Odendahl, ich habe nicht davon geredet, daß wir ganze Landstriche entvölkern wollen. Aber nehmen wir doch den konkreten Fall, nehmen wir die kleine Gemeinde X
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im nordwestdeutschen Bereich, in der Sie es bei allen Anstrengungen nicht schaffen, jeden gewünschten Ausbildungsplatz in einem Betrieb anzubieten. Und dann nehmen wir die Tatsache, daß mehr als 50 % aller Lehrlinge, wenn sie heute anfangen, 18 Jahre und älter sind - so wie die Studenten, wenn sie ein Studium aufnehmen.
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- 52 % ! - Kein Mensch würde es lustig finden, wenn wir sagen würden: Es ist für einen 19jährigen Studenten eine Zumutung, von Münster nach Freiburg zu gehen und zu studieren. Sie gehen dort gerne hin.
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Aber für einen Lehrling soll es eine Zumutung sein.
Also, derjenige, der eine Ausbildungsvergütung
- und das ist nun wirklich kein Sonderfall - von 800 DM hat, kriegt so viel wie jemand, der BAföG bekommt. Und der soll jetzt nicht nach Baden-Württemberg gehen können? Wenn wir das Problem nicht lösen, daß die Menschen mobiler werden, daß sie bereit sind, mal dahin zu gehen, wo Arbeit und Ausbildungsstätten vorhanden sind, dann werden wir die Schwierigkeiten nicht lösen.
({5})
Herr Kastning, ich habe vorhin gesagt: Wirtschaftsstrukturpolitik und Bildungspolitik müssen verzahnt werden. Wir können aber die Aufgaben nicht alleine lösen. Unser Problem ist heute häufig - und darunter leidet doch auch die Gewerkschaft; Kollegen aus dem Gewerkschaftsbereich sagen mir das -, daß eine mangelnde Mobilität, die eigentlich nicht erklärlich ist, vieles an Möglichkeiten zur Verbesserung der Arbeitsmarktsituation verhindert. Deswegen lassen Sie uns doch 18-, 19-, 20jährige von dieser verhängnisvollen Mentalität wegbringen, daß sie sagen - ich erlebe das doch, wenn ich frage: Warum geht ihr denn nicht nach Baden-Württemberg? - : Ja, meine Freundin ... Mein Gott, da kann ich nur sagen: Auch die
Mütter in Baden-Württemberg haben hübsche Töchter.
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Da werdet ihr euch mit 18 Jahren doch noch ein bißchen umgucken können.
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- Das ist nicht albern, das ist so. Wir müssen 18-, 19-, 20jährige zu mehr Mobilität bekommen.
Sie sagen nun: Ja, aber sie müssen Wohnmöglichkeiten bekommen. Das stimmt.
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Der, der eine Ausbildungsplatzvergütung von 800 DM bekommt, ist in der gleichen Lage wie der Studierende. Aber ich habe gesagt: Wir reden mit den Verbänden der Jugendsozialhilfe. Wir reden mit Einrichtungen, die verfügbare Plätze haben, und dazu gehört z. B. das Kolpingwerk. Es ist nicht unzumutbar, einem Lehrling zu sagen: Wohne doch für ein, zwei Jahre im Kolpinghaus, wenn noch Plätze vorhanden sind! Dazu gehören unter Umständen sogar Jugendherbergen, die heute einen Status haben, der jedem Studentenheim vergleichbar ist. Wir müssen nach unkonventionellen Lösungen suchen und dürfen den Leuten nicht einreden: Bleibt in eurem Dorf; der Staat hat die Verpflichtung, euch die Lehrstelle zu bringen.
- Wir können das nicht.
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Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte, Frau Odendahl.
Augenblick, Augenblick!
- Ich wollte noch einen Halbsatz hinzufügen und Sie auf die Uhrzeit aufmerksam machen. Ich darf Ihnen nach der Geschäftsordnung zwar nicht in die Länge Ihrer Rede dreinreden, aber auf die Uhrzeit darf ich aufmerksam machen.
Herr Präsident, den Verdacht, daß Sie mir dreinreden würden, hätte ich nie gehabt.
Das beruhigt mich außerordentlich. Gestatten Sie die Zusatzfrage? Danach machen wir Schluß.
Ja. Eine Schlußbemerkung kommt dann noch.
Herr Minister, sind Sie bereit, in Ihre Überlegungen über die Mobilität einzubeziehen, daß da, wo diese Ausbildungsplätze angeboten werden, nämlich in den wirtschaftsstarken Regionen
- mittlerer Neckarraum, Raum München -, die Wohnungsmieten für ein Einzimmerapartment, eine Einzimmerwohnung bei 400 bis 600 DM liegen, und halten Sie auch das im Rahmen Ihrer Mobilitätsüberlegungen noch für vertretbar?
Diese Überlegung muß mit einbezogen werden. Ich finde es gut, daß z. B. Unternehmen Wohnmöglichkeiten anbieten. Über die anderen Möglichkeiten habe ich soeben andeutungsweise gesprochen.
Ich mache eine Schlußbemerkung zu einer kritischen Anfrage, die aus den Reihen der Opposition an mich gerichtet worden ist. Das Benachteiligtenprogramm wird in diesem Jahr mit einem höheren Betrag als im vergangenen Jahr ausgestattet sein, nämlich mit 430 Millionen DM.
Die konzertierte Aktion Weiterbildung geht im April in fünf Arbeitskreise. Es ist nicht ein Verschiebebahnhof, sondern eine ernstgemeinte Aktion.
Schließlich: Ich bin bestrebt, bei den jetzt anstehenden Ressortgesprächen die Beträge, die ich brauche, um die überbetrieblichen Ausbildungsstätten so auszustatten, daß sie ihre Funktion voll erfüllen können, zu bekommen. Es gibt eine Vereinbarung der Koalition, daß dieser Bereich prioritär behandelt werden wird. Wir bauen Ihnen hier also keine Luftschlösser, sondern ich gehe davon aus, daß das von mir vorgelegte inhaltliche Konzept auch finanziert werden kann.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Rixe.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die Mühen der Berge liegen hinter uns; vor uns liegen die Mühen der Ebene. " Mit diesem Zitat von Bertolt Brecht schloß der Sprecher der Lehrlinge auf einer Freisprechungsfeier der Fachinnung für Elektrotechnik seinen Beitrag. Dieser junge Mann hat nach seiner gerade abgeschlossenen Ausbildung schon die Notwendigkeit der ständigen Weiterbildung im Blick.
Einen vielschichtigen Einblick in die Probleme vor und während der Berufsausbildung habe ich aus Äußerungen von Jugendlichen in den letzten Tagen. Die 19jährige Sabine sagt:
Mit meiner Fachoberschulreife habe ich mir eigentlich gute Chancen ausgerechnet. Ich habe mehr als 40 Bewerbungen geschrieben in den verschiedensten Berufen. Alles Absagen. Meine Eltern wollen, daß ich endlich was mache. Ich will ihnen auch nicht weiter auf der Tasche liegen wie schon in den letzten zwei Jahren.
Für eine andere Gruppe spricht die 16jährige Katja:
Ich bin schon Sonderschülerin, und uns halten die doch alle sowieso für bekloppt. Mir ist das echt peinlich, zu sagen, von welcher Schule ich komme. Mit meinem Schulabschluß kann ich froh sein, wenn ich überhaupt einen Ausbildungsplatz bekomme. Am liebsten würde ich Friseuse werden. Aber die nehmen mich sowieso nicht. Ich habe mich bei der Arbeitsverwaltung wieder eintragen lassen, um im nächsten Jahr einen Ausbildungsplatz zu bekommen.
Von der Industrie- und Handelskammer Ost-Westfalen zu Bielefeld, meiner Heimatstadt, wird z. B. gesagt, das Mädchenproblem werde deshalb noch geraume Zeit andauern, weil es dafür keine durchgreifenden Lösungsmöglichkeiten gebe.
Wenn der Bundesbildungsminister auch vor diesem Hintergrund sagt: „Es muß uns deshalb allen gemeinsam darum gehen, die Trends zu stabilisieren" - das kann man ja nachlesen, Herr Möllemann -, dann müssen wir Sozialdemokraten ihm erneut entgegenhalten: Auch das, was ich soeben vorgetragen habe, sind Trends: Trends zur ständigen Ausgrenzung und Verweigerung von Lebenschancen für erhebliche Gruppen innerhalb der Jugendlichen. Diesen Trends wollen wir Sozialdemokraten ganz entschieden entgegentreten.
Unter der Überschrift „Neue Normalität und altes Dilemma" beschrieb die „Süddeutsche Zeitung" am 10. Februar nach der Unterüberschrift „Jugend und Betriebe zwischen Arbeitslosigkeit und Nachwuchsmangel" zusammenfassend so:
Doch im Einzelfall gibt es noch immer zu viele Schulabgänger/innen ohne berufliche Perspektive, zu viele „schwarze Schafe" im Ausbildungsbereich, zu viele Lücken, Brüche, fehlende Koordination im dualen System, oft kaum zu überwindende Hindernisse an der berüchtigten Schwelle zwischen Ausbildung und dementsprechend qualifizierter Beschäftigung.
Der Deutsche Bundestag hat bereits am 25. Juni 1987 den Berufsbildungsbericht 1987 mit allen seinen statistischen Daten und seinen bildungspolitischen Schlußfolgerungen diskutiert. Die alltäglichen Erlebnisse und Erfahrungen der Betroffenen vor Ort sind dazu durchaus Beleg für die vom Deutschen Gewerkschaftsbund vorgelegte Berufsbildungsbilanz 1987 und die Berufsbildungsprognose 1988; man sollte sie einmal genau lesen. Danach wird es weiterhin 364 000 Jugendliche in nicht voll qualifizierten Ausbildungsmaßnahmen geben; voraussichtlich ohne Ausbildung werden auch 1988 etwa 225 000 Jugendliche bleiben - alles nachzulesen im Minderheitenvotum des Berichts des Hauptausschusses beim BIB. Das sind die Zahlen, und nicht nur die 36 000, von denen Herr Möllemann eben gesprochen hat, die keinen Ausbildungsplatz fanden; es sind die vielen Altbewerber, die noch warten, heute schon 20, 21 Jahre sind und in den letzten Jahren noch keine Chance hatten, einen Ausbildungsplatz zu bekommen.
Auch diese Zahlen müssen dem Bundesminister Möllemann doch wohl bekannt gewesen sein, als er am 4. Februar 1988 vor dem Hauptausschuß des Berufsinstituts für Berufsbildung die bundesweite Ausbildungsbilanz mit den Worten kommentierte:
Diese Zahlen weisen darauf hin, daß wir auf einem guten Wege sind. Es muß uns deshalb allen gemeinsam darum gehen, diese Trends so beizubehalten und zu stabilisieren.
Die von mir gerade mit zwei Zahlen, insbesondere aber mit den Äußerungen der betroffenen Jugendlichen belegte Entwicklung wollen wir Sozialdemokraten nicht stabilisieren, Herr Möllemann. Der Bundesbildungsminister flüchtet sich in schöne Reden und
leere Worte. Bei der schon zitierten Gelegenheit beklagte er den Zahlenfetischismus in der Berufsbildungsdiskussion. Herr Möllemann, ich will mit Ihnen keine Gesetze auslegen, aber es bleibt dabei: Auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts erfüllt das Berufsbildungssystem nur dann seine Aufgabe, wenn „grundsätzlich alle ausbildungswilligen Jugendlichen die Chance erhalten, einen Ausbildungsplatz zu bekommen". Und in § 1 Abs. 2 des Berufsbildungsgesetzes wird eine breitangelegte Berufsgrundbildung vorgeschrieben. Die Berufsausbildung hat danach „ferner den Erwerb der erforderlichen Berufserfahrungen zu ermöglichen", auch wenn es zwischen den Normen des Gesetzes und den tatsächlichen Gegebenheiten Unterschiede gibt. Gerade Ihre Aufgabe als Bundesbildungsminister wäre es, diese Unterschiede abzubauen und dem zitierten Rechtsanspruch der Jugendlichen tatsächlich zur Durchsetzung zu verhelfen.
Der Änderungsantrag der Fraktion der SPD trägt diesen Erkenntnissen insoweit Rechnung, als dies im Zusammenhang mit einem Berufsbildungsbericht abgehandelt werden kann. Dem Deutschen Bundestag und der Öffentlichkeit sind die weitreichenden Vorschläge der SPD zur Finanzierung der beruflichen Bildung, zum Problem der Weiterbildung, zu Fragen der Mitbestimmung usw. bekannt.
Heute geht es um die Beschlußempfehlung zum Berufsbildungsbericht 1987. Das hielte ich einfach für unzulässig, auf die regional sehr unterschiedlichen Entwicklungen und die bekannten qualitativen Probleme nicht angemessen hinzuweisen. Außerdem muß auch die Ausbildung und die Berufstätigkeit junger Frauen im gewerblich-technischen Bereich weiterhin gefordert und gefördert werden. Mit der auch in diesem Zusammenhang zu unterstreichenden Reform der Ausbildungsordnung soll eine wesentliche Grundlage für die Qualifizierung der betrieblichen Ausbildung geschaffen werden. Dazu muß dann allerdings auch die Abschaffung der zweijährigen Berufsausbildung und die Durchsetzung eines zweiten Berufsschultages in allen Berufsbildungsstufen gehören.
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Die Neuordnung der Berufsausbildung und die zunehmende Bedeutung neuer Technologien auch schon in der Ausbildung bringen neue Anforderungen, für die Jugendlichen und Ausbilder, aber auch bei der Ausstattung der Lehrwerkstätten; da stimmen alle zu. Doch dieser Bundesbildungsminister tut dann genau das Gegenteil. Herr Möllemann, Sie haben es zumindest zugelassen, daß die Zuschüsse Ihres Hauses für überbetriebliche Ausbildungsstätten des Handwerks und der Industrie massiv zusammengestrichen wurden. Mit Stand vom Dezember 1987 ist davon auszugehen, daß 1988 für die Bundesrepublik insgesamt eine Förderung von 45 Millionen DM gewährt wird. Das sind weniger als 20 % des vorliegenden Antragsvolumens. Als Handwerksmeister fühle ich mich da von Ihnen, Herr Möllemann, ziemlich an der Nase herumgeführt; ich habe nicht das Wort gesagt, das in meinem Manuskript steht; denn jetzt habe ich festgestellt, das wäre unparlamentarisch. Am 2. März dieses Jahres erklärten Sie nämlich vor den
Obermeistern des Handwerks - nachzulesen in der gelb-blauen Presseerklärung Ihres Ministeriums -, das den überbetrieblichen Ausbildungsstätten des Handwerks im Verlauf der nächsten fünf Jahre 500 Millionen DM aus der Staatskasse zufließen.
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Mit Blick auf die Mittel für das laufende Jahr kann es da wohl nicht um das Geld aus dem Bildungsministerium gehen. Schon jetzt liegen Anträge über 266 Millionen DM vor. Davon sind allein für Modernisierung und Ausstattung mit neuen Technologien 60 Millionen DM gedacht.
Dem Erhalt funktionstüchtiger moderner überbetrieblicher Ausbildungsstätten kommt im Interesse der Aus- und Weiterbildung in Klein- und Mittelbetrieben eine ganz besondere Bedeutung zu. Was wollen Sie hierzu über leere Worte hinaus beitragen? Ich will nicht an die Fragestunde von Mittwoch erinnern. Ich habe mich zu Hause über die Angebote und die Ausstellung des Handwerkerbildungszentrums informiert. Für die SPD muß ich auch vor dem Hintergrund solcher praktischen Einblicke weiterhin betonen: Angesichts der Reform der Ausbildungsordnungen muß das Netz der überbetrieblichen Ausbildungsstätten über die geplanten 77 000 hinaus ausgeweitet werden. Hieran muß sich wie in der Vergangenheit der Bund maßgeblich planerisch und finanziell beteiligen.
Meine Damen und Herren, die wohlmeinenden Verweise auf eine Entspannung bei den Zahlen der Ausbildungsplatzsuchenden sind oberflächliche Schönfärbereien. Dies wird heute besonders an der zweiten Schwelle sichtbar, dem Übergang von der Ausbildung in den Beruf: Arbeitslosigkeit und Fehlqualifikation. Jeder siebte Jugendliche ist nach einer erfolgreichen Ausbildung zunächst einmal arbeitslos. Wenn von freien Ausbildungsplätzen gesprochen wird, dann leider meist in Berufen mit vorprogrammierter Arbeitslosigkeit. Frau Odendahl hat vorhin in ihrer Rede die ganzen Berufe aufgezählt. Ich will das nicht wiederholen. Die immer wieder geforderte Ausbildungsoffensive sollte in den wirklich zukunftsträchtigen Berufen stattfinden.
Alle Beteiligten müssen begreifen, daß es nicht einfach um die Masse geht, sondern daß eine breite Grundausbildung und eine zukunftsträchtige Qualifikation das Gebot der Stunde sind. Insofern stimme ich dem schon einmal zitierten Junggesellen zu, der sagt: Vor uns liegen die Mühen der Ebene.
Mit unseren Bemühungen, einen Schritt voranzukommen, sehr geehrte Damen und Herren, bitte ich um die Zustimmung zu dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Schemken.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, die gemeinsamen Anstrengungen auf dem wichtigen Teil
des Arbeitsmarktes, was die Ausbildungsplatzproblematik angeht, haben sich gelohnt. Frau Odendahl, wenn Sie wirklich einmal aus Ihrer Ecke herauskämen und sich mitten ins Geschen stellten, dann müßten Sie zugeben, daß dieser Bericht 1987 und vor allen Dingen auch dessen Fortschreibung im Berufsbildungsbericht 1988 deutlich machen, daß sich die Zahl entscheidend verändert hat. Ich sage bewußt: die Zahl.
Im übrigen ist die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen unter 20 Jahren mit Ende des Monats März um 14 % zurückgegangen. Auch in den Altersgruppen der 20- bis 25jährigen ist ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Die Besserungstendenz für jüngere Arbeitnehmer hält an. Wer dies nicht wahrhaben will, nehme dann bitte den Bericht der Bundesanstalt für Arbeit von März 1988.
Zu den Qualifizierungsmaßnahmen - Frau Steinhauer ist leider nicht mehr im Saale - : Im ersten Quartal begannen 156 000, fast 157 000 Personen eine berufliche Fortbildung, Umschulung oder eine betriebliche Einarbeitung. Ich komme bewußt einmal auf diesen Teil, weil wir, wenn wir ständig nach hinten blicken und nicht die Entwicklung von heute wahrnehmen, Fehler für die Zukunft begehen. Das ist entscheidend. Da dies 21 900 mehr als im Vorjahreszeitraum sind, stimmt es nicht, daß die Arbeitsverwaltung hier nachläßt. Im Gegenteil: Sie stabilisiert auf einem hohen Niveau.
Nach den Jahren dramatischer Entwicklungen auf dem Ausbildungsstellenmarkt sind wir über den Berg der großen Zahlen - ich sage bewußt noch einmal: der großen Zahlen - , die zu bewältigen waren, hinweg. Die geburtenstarken Jahrgänge hatten diesen Druck erzeugt - dies wissen wir alle - und die Nachfrage entsprechend ausgelöst. Das war die Spitzenmarke von 764 000 im Jahre 1984, die leider - das sage ich auch - uns über einige Jahre so beschäftigt hat, daß wir Schulschleifen in Kauf nehmen mußten. Insofern sind die grauen Zonen nicht unnötig. Es war ein Teil an Schulschleifen dazwischen. Ich darf feststellen, daß jetzt aber diese Entwicklung rapide rückläufig ist, was die Zahlen angeht. Sie werden bald unter 650 000 liegen, und wir werden sogar die Marke von 600 000 erleben. Sie wird sich darauf absenken.
Jetzt aber kommt das, was wir zur Kenntnis nehmen müssen, was wir auf das Jahr 2000 hin auch zu bewältigen haben. Die Schwere der nun folgenden Aufgabe liegt in der Qualifizierung und Nachqualifzierung der arbeitslosen Jugendlichen, aber auch der Arbeitslosen insgesamt. Es gilt allerdings auch für die im Beruf stehenden Ungelernten. Auch für diese gilt: Nachqualifikation und Fortbildung. Die Aufgabe ist deshalb für die Zukunft nicht geringer einzuschätzen; im Gegenteil. Sie ist zwar eine völlig andere, aber mindestens so wichtig wie das, was wir an Zahlen in der Vergangenheit zu bewältigen hatten.
Klein- und Mittelbetriebe haben besondere Probleme. Hier müßten wir einmal ansetzen.
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- Ja, bitte schön, Frau Hillerich, wenn es nicht angerechnet wird, Frau Präsidentin. Da Frau Hillerich sicherlich noch Bedarf daran hat, daß das eine oder andere korrigiert wird, ist es ganz gut, daß wir uns auch einmal so miteinander unterhalten.
Bitte schön, Frau Hillerisch, Sie haben das Wort.
Danke schön! - Herr Kollege Schemken, ich wollte noch einmal kurz auf die von Ihnen angesprochene Problematik der Qualifizierung von Arbeitslosen zu sprechen kommen. Sie haben gerade von jugendlichen Arbeitslosen und von Arbeitslosen insgesamt gesprochen. Ich frage Sie in diesem Zusammenhang, wie Sie es bewerten, wenn in der letzten Zeit mehr und mehr Jugendlichen ohne Hauptschulabschluß die Möglichkeit verwehrt wird, Lehrgänge der Arbeitsverwaltung mit der Möglichkeit, den Hauptschulabschluß nachzuholen, mitzumachen, was eine ganz wichtige Voraussetzung dafür wäre, nicht arbeitslos zu werden oder nicht allzu lange arbeitslos zu werden. Sie wissen ja, womit die Kürzung und Streichung dieser Maßnahmen zusammenhängt, nämlich mit der Knappheit der Gelder der Bundesanstalt, bewirkt durch die 8. AFG-Novelle.
Wir haben in diesen Maßnahmen der Qualifizierung, der Fortbildung und auch der Einführung in die berufliche Welt insgesamt Zahlen wie noch zu keinem Zeitpunkt, nämlich 360 000 Teilnehmer an Lehrgängen. Noch 1982 lag diese Zahl bei gut 100 000. Auf diesem Niveau will die Arbeitsverwaltung diese Qualifizierungsmaßnahmen halten, und ich meine, das reicht auch. Im übrigen gilt das, was Sie ansprechen, nur für den schulischen Teil, nicht für den praktischen Teil. Hierüber müssen noch Gespräche mit der Bundesanstalt für Arbeit geführt werden. Die Zahlen, Frau Hillerich, zeigen das Gegenteil. Ich habe es gerade ausgeführt: 21 900 mehr in diesen Qualifizierungsmaßnahmen!
Aber wir müssen uns eigentlich völlig anderen Dingen zuwenden. Wir müssen uns denen zuwenden, die uns auch in der Vergangenheit geholfen haben, denn ich bin fest davon überzeugt, daß sie das auch in der Zukunft bewältigen werden. Ich spreche von den Klein- und Mittelbetrieben, von den Handwerkern.
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Die Einführung neuer Technologien ist für diese kleinen Betriebe sehr schwierig. Die Zeiträume zwischen den Schüben werden immer enger. Investitionen sind notwendig. Das bedeutet einen hohen Kapitaleinsatz, und das hat mit Bildung zu tun. Es wäre auch gut, Frau Hillerich, wenn die Pädagogik die Jugendlichen einmal dahin führen würde, damit sie nicht freischwebend im Raum auf Halde produziert werden, sondern sich wirtschaftlich orientieren. Ich halte das für sehr wichtig! Das ist ein wichtiges Bildungselement. Wenn sie nicht von der Technologie beherrscht werden wollen, müssen sie dort hingeführt werden.
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Wir werden uns damit abfinden müssen, daß die Investition in berufliche Qualifikation noch wichtiger ist als in der Vergangenheit. „Bildung 2000" wird das sicherlich zeigen. Es geht um Investitionen nicht nur in der Technologie, sondern auch in der beruflichen
Bildung. Nur so können wir die Verwerfungen in der Tat bewältigen. Wir müssen diesen Kostenfaktor beachten und anerkennen, und wir wissen, daß handwerkliche und mittelständische Betriebe ihm Rechnung tragen müssen.
Wer die Technik beherrschen will, kann das nicht allein in der Schule lernen. Frau Hillerich, ich muß das einmal sagen. Das sind ideologische Rezepte von vorgestern. Damit werden Sie morgen bauchlanden. Wir müssen ja davon ausgehen, daß die Formel „3 Jahre Ausbildung, 40 Jahre Berufstätigkeit" nicht mehr stimmt. Sie geht einfach nicht mehr auf. Fachkräfte benötigen eine ständige berufliche Weiterqualifikation. Ungelernte und Angelernte sind besonders hart betroffen. Ihre Weiterbildung stellt an die Unternehmen besondere Anforderungen. Neue Technologien stellen große Anforderungen an Leitungs- und Führungskräfte. Auch dies werden wir in Zukunft mehr beachten müssen, um Nutzen und Risiken solcher Entscheidungen auch zu erkennen und zu vertreten, was sehr wichtig ist.
Im Verbund mit den Einrichtungen überbetrieblicher Ausbildungsstätten des Handwerks und der Wirtschaft läßt sich dies wohl am ehesten bewältigen. Der Herr Minister hat hier eindeutig ausgeführt - und ich weiß auch, wie sehr er darum ringt - , daß wir in diesen Einrichtungen Reinvestitionen ermöglichen. Kapazitätserweiterungen sind sehr wahrscheinlich nicht mehr die Frage; es geht um Reinvestitionen im Hinblick auf die Technologie. Wir brauchen funktionstüchtige und moderne überbetriebliche Ausbildungsstätten. Sie sind für die Weiterbildung und die Nachqualifizierung gerade bei Mittel- und Kleinbetrieben unverzichtbar.
Aber ich meine, die berechtigten Forderungen nach immer mehr angesiedelter Qualifikation dürfen nicht dazu führen - das sage ich auch mit Blick auf die Pädagogik - , daß wir die Jugendlichen vergessen, die auf Grund ihrer Situation den theoretischen Ansprüchen eben nicht gerecht werden können.
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Das müssen wir einfach sehen. Es gibt auch in Zukunft einen großen Teil von Jugendlichen, die nach Eignung und Neigung die besten Voraussetzungen für eine stark praktisch orientierte Ausbildung und für eine praktisch orientierte Tätigkeit mitbringen.
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Sie sind kreativer, als wir das manchmal glauben. Nur können wir sie nicht allein auf die Schule verweisen. Das reicht einfach nicht. Irgendwann sind sie schulmüde, und dann möchten sie sozusagen etwas praktisch anfassen. Dann können Sie sie nicht noch einmal verschulen, wie Sie das gerne möchten. Im Gegenteil.
Der Anteil dieser Jugendlichen beträgt teilweise über 10 %. Sicherlich ist es nachteilig, wenn man keinen Hauptschulabschluß hat. Aber auch diese Jugendlichen sind für uns wertvolle Menschen in dieser Gesellschaft, die über Fähigkeiten im Praktischen, Kreativen verfügen.
Überhaupt werden uns in Zukunft Felder beschäftigen müssen, die wir in der Vergangenheit nicht so beachtet haben. Ich denke hierbei an das Stichwort „Europa". Wir reden alle darüber, daß unser duales System gelobt wird. Wir müssen aber auch darauf achten, daß bei der Schaffung eines Gemeinsamen Marktes trotz der unterschiedlichsten Ausgangsqualifikationen und der unterschiedlichsten Beschreibungen der Ausbildungsstufen in den einzelnen Ländern auch den ausländischen Mitbürgern in unserem Land eine Chance eröffnet wird. Das gilt noch mehr im Hinblick auf die Problematik der ungleichen Berufsabschlüsse, die in Europa in der Tat gegeben sind.
Das Thema „Mädchen und Beruf" ist nach wie vor ein vordringliches Thema, aber auch von herausragender Bedeutung für die Pädagogik. Ich kann einem Mädchen - das sage ich Ihnen ganz offen - nicht in drei Stunden erklären, daß auch über einen technischen Beruf eine Chance besteht, in die Erwachsenenwelt einzusteigen. Das muß die Schule in Zukunft mit aufbereiten. Sie muß frühzeitig damit beginnen, auch hier einen pädagogischen Beitrag zu leisten.
Wir brauchen eine Schule, die sich mehr und mehr mit den Problemen der Arbeitswelt und der Hinführung dorthin beschäftigt. Das wir in Zukunft ganz entscheidend sein.
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- Auch! Sehr richtig, Herr Kuhlwein. Überall mehr Wirtschaft, mehr Einsicht in diese Zusammenhänge.
Um den Herausforderungen im Sinne der jungen Menschen und ihres Vorwärtskommens in Zukunft tatsächlich gerecht zu werden, brauchen wir die Zusammenarbeit von Schule und Eltern, von Wirtschaft und Wissenschaft, von Meistern und Ausbildern vor Ort, denen ich an dieser Stelle auch einmal herzlichen Dank sage für ihren Einsatz in der Vergangenheit.
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Zu Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von der SPD: Wir können ihm nicht folgen. Wir haben Weiterbildung in ausreichendem Maße diskutiert und in der gemeinsam erarbeiteten Konzeption des Ausschusses erfaßt. Die Umlagefinanzierung ist nun wirklich ein Hut von gestern. Das können wir doch morgen nicht anbieten, wenn wir die Probleme der Zukunft lösen wollen.
({6}) - Das ist ein Hut von gestern.
Die Detailanträge, die Sie sozusagen aus der Hüfte geschossen auf jeden Tisch legen, würden enormes Geld kosten. Wir können dem nicht auf Anhieb zustimmen. Das will doch besser beraten sein.
Ich wünsche uns gemeinsam, daß wir auf dem Wege der Bewältigung der Zukunft für unsere jungen Menschen weiterkommen, daß wir ähnliche Erfolge im Hinblick auf die Qualität der Ausbildung haben werden, wie wir sie in der Vergangenheit bei der Bewältigung der Quantität gehabt haben.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kuhlwein.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, daß die Beschlußempfehlung zum Berufsbildungsbericht 1987, über die wir heute abstimmen sollen, wenig oder gar nichts zur Lösung qualitativer Probleme in der Ausbildung beiträgt. Das ist um so erstaunlicher, als doch wohl niemandem verborgen geblieben ist, daß in den vergangenen zehn Jahren wegen der großen Zahlen der Bewerber die Frage nach der Qualität häufig zurückgestellt wurde. Hier gibt es also Nachholbedarf und gleichzeitig beschleunigten Anpassungsbedarf an immer neue technologische Entwicklungen. Die Beschlußempfehlung wird dieser Erkenntnis genauso wenig gerecht wie der neue Berufsbildungsbericht von 1988.
Um zunächst auf den Nachholbedarf einzugehen: Trotz der großen Anstrengungen von Wirtschaft und öffentlicher Hand sind in den letzten zehn Jahren etwa 1,3 Millionen junge Menschen völlig ohne Ausbildung geblieben. Und diejenigen, die nach dem Motto „Besser irgendeine Ausbildung als gar keine" den Beruf ihrer dritten oder vierten Wahl akzeptiert haben, sind sehr häufig in Sackgassen auf dem Arbeitsmarkt gelandet. Nach der Ihnen ja auch bekannten Studie der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung vom Oktober 1987 trifft das vor allem für die Berufe Bäcker/ Bäckerin, Sprechstundenhelfer/Sprechstundenhelferin, Friseur/Friseurin, Apothekenhelfer/Apothekenhelferin zu. Aber auch Kraftfahrzeugmechaniker, Gärtner, Konditoren, Stahlbauschlosser, Tankwarte, Gärtnerinnen, Tischlerinnen und Konditorinnen haben große Schwierigkeiten, im erlernten Beruf einen Arbeitsplatz zu finden.
Das Motto, auf das sich einige heute wieder berufen haben, ist von Anfang an nur ein Notbehelf gewesen, der die Unfähigkeit von Staat und Gesellschaft kaschierte, das Recht aller jungen Menschen auf eine qualifizierte Ausbildung in konkrete Ausbildungsplätze umzusetzen. Wir sollten dieses Motto deshalb so schnell wie irgend möglich aus dem Verkehr ziehen.
Wir sollten auch nicht verdrängen, daß wegen der großen Zahl die Zulassung von Betrieben zur Ausbildung gelegentlich sehr großzügig gehandhabt worden ist. Herr Bundesminister, es ist nicht sinnvoll, zu sagen: Alle sollen anbieten, sondern alle, die die Kriterien des Berufsbildungsgesetzes erfüllen, sollen auch in Zukunft Ausbildungsplätze anbieten.
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Wenn wir von Qualität in der Berufsausbildung reden, meinen wir nicht nur die Erarbeitung und Umsetzung neuer Ausbildungsordnungen, wir meinen auch die Frage, ob die erworbenen Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt verwertbar sind. Und wir meinen nicht zuletzt auch die Frage, ob alle jungen Menschen nach gründlicher Beratung einen ihrer Neigung und Eignung entsprechenden Ausbildungsplatz erhalten und die Ausbildung auch erfolgreich absolvieren können - Problem der Abbrecher, wachsende Zahlen.
Bei der Neuordnung hat es dank der Bemühungen der Tarifparteien in den vergangenen Jahren zweifellos Fortschritte gegeben. Die beiden anderen Fragen jedoch hat die Regierung bis heute nicht befriedigend beantwortet. Fehlqualifizierungen scheint es für sie nicht zu geben. Probleme von jungen Frauen auf dem Ausbildungsstellenmarkt und an der zweiten Schwelle finden zwar verbale Beachtung, gehandelt wird jedoch nicht. Und nahezu skandalös wird es, wenn die Studie der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung einfach zu den Akten gelegt wird und folgenlos bleibt, als ob eine weitere Million von Ungelernten bis zum Jahr 2000 so etwas wie eine schicksalhafte Heimsuchung wäre, die man eben einfach hinnehmen muß. Wenn es stimmt, was dort ausgerechnet worden ist, und weil wir die Jahre ja noch vor uns haben, gäbe es heute die Chance, tätig zu werden, um zu verhindern, daß im Jahre 2000 eine weitere Million Menschen ohne Qualifikation Arbeit suchen.
Der Bund ist für die Ordnung und Förderung der Berufsausbildung zuständig. Er hat dazu eine Reihe von Instrumenten entwickelt. Aber diese Instrumente müssen auch genutzt werden, wenn das Recht auf eine zukunftsorientierte Ausbildung eingelöst werden soll. Wenn die vorhandenen Instrumente nicht ausreichen, muß über neue nachgedacht werden. Wir haben in unserem Änderungsantrag einige Vorschläge gemacht, und ich will hier einige Punkte nennen.
Die Reform der Ausbildungsordnungen muß zügig fortgesetzt werden. Dabei sollte auf zweijährige Ausbildungen generell verzichtet werden, weil sie für den Arbeitsmarkt der Zukunft nicht mehr ausreichend sind,
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schon gar nicht ausreichend für diejenigen, die mit einer schwächeren schulischen Vorbildung eine berufliche Ausbildung absolvieren wollen; denn die lernen in zwei Jahren wirklich nichts, was man auf dem Arbeitsmarkt verwerten könnte.
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Wachsende Anforderungen an Allgemeinbildung und Fachtheorie müssen durch einen Ausbau der Teilzeitberufsschulen erfüllt werden. Herr Kollege Schemken, nicht nur in der Schule, aber auch in der Schule, muß eine Verbesserung der Berufsausbildung stattfinden.
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- Gleich kommen Sie dran.
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Und machen wir uns nichts vor: Berufsfeldbreite Grundbildung und Schlüsselqualifikationen machen auch einen zweiten Berufsschultag erforderlich.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Sofort.
Die Bundesregierung wird hierzu bei den Ländern initiativ werden müssen.
Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Kuhlwein, meinen Sie nicht auch, daß, wenn in Zukunft permanent gelernt werden muß, der Einstieg durchaus in einer kürzeren Zeit stattfinden könnte, weil eben der einzelne doch in Permanenz gefordert sein und ihn eine befristete Ausbildung nicht mehr für das ganze Leben befähigen wird?
Ich sehe durchaus, daß wir über eine andere Verteilung der Bildungszeiten über das Leben werden diskutieren müssen. Aber ich hielte es für den falschen Weg, wenn man von vornherein sagte: Den Schwächeren schneiden wir die Bildungswege ab und verkürzen wir die Bildungswege, während wir für die guten Hauptschulabsolventen und für die Realschüler, die jetzt die neuen Metallberufe lernen, mit Ihrer Zustimmung selbstverständlich gesagt haben: Es dauert dreieinhalb Jahre, bis man daraus einen Beruf gemacht hat, den man auch auf dem Arbeitsmarkt verwerten kann. Das ist das Problem. -Jetzt dürfen Sie sich wieder setzen.
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Die neuen Ausbildungsordnungen müssen auch umgehend in die Praxis umgesetzt werden. Vor allem das Handwerk braucht dazu deutliche Orientierungen, aber auch finanzielle Hilfen. Das heißt, Sie werden mithelfen müssen. Ich bitte Sie, die Kollegen rechts von der Mitte dieses Hauses, daß im Handwerk vor Ort gesagt wird: Diese Ausbildungsordnungen sind etwas Vernünftiges, und die sollen auch in die handwerkliche Praxis umgesetzt und nicht irgendwie - die Gefahr könnte ja bestehen, ich habe so etwas in meinem Wahlkreis gehört - boykottiert werden, nach dem Motto: Was kümmert uns, was die da oben sagen, wir machen einfach so weiter wie bisher.
Angesichts der Reform der Ausbildungsordnungen muß das Netz der überbetrieblichen Ausbildungsstätten über die geplanten und damals sehr willkürlich gegriffenen 77 000 Plätze hinaus ausgeweitet und auf den neuesten technischen Stand gebracht werden. Die Qualität von Ausbildung und Weiterbildung in Klein- und Mittelbetrieben wird nur dann gesichert und verbessert werden können, wenn die finanzielle Förderung von Investitionen und laufenden Kosten als Daueraufgabe des Bundes gesehen wird. Wenn Herr Möllemann dafür kämpfen wird, wie er heute gesagt hat, hat er dafür unsere Unterstützung. Wenn er 500 Millionen DM für die nächsten fünf Jahre haben will, dann werden wir ihn auch dabei unterstützen.
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Aber es ist schon eine reife Leistung, daß der Bundesbildungsminister ausgerechnet in der derzeitigen Umbauphase der Berufsausbildung kein Konzept dafür zustande gebracht hat und daß deshalb ein Teil der ohnehin spärlichen Mittel für die OAS vom Haushaltsausschuß gesperrt worden ist.
Der Bund muß auch einen eigenen Beitrag zur Weiterbildung von Ausbildern und Mitgliedern in den Prüfungs- und Berufsbildungsausschüssen leisten. In diesen Ausschüssen findet ein gewaltiges ehrenamtliches Engagement statt. Nicht alle können ihre Mitglieder dort mit den eigenen Mitteln so weiterbilden, wie das eigentlich erforderlich wäre. Wenn die neuen Ausbildungsordnungen tatsächlich umgesetzt werden sollen, darf auch dieser Bereich nicht vernachlässigt werden.
Wenn sich die Bundesregierung in ihrem Beschluß vom 8. März 1988 für eine weitere Verbesserung der Informations- und Beratungsdienste einsetzen will, dann muß auch das Folgen für die Ausstattung der Arbeitsämter mit Berufsberatern und Weiterbildungsberatern haben. Aber statt dessen werden, wie wir alle in den Wahlkreisen erfahren, bei der Arbeitsverwaltung Stellen eingespart. Da scheint mir die Logik nicht so ganz zu stimmen, Herr Kollege Schemken. Fehlqualifikationen, Ausbildungsabbrecher und 1,3 Millionen Ungelernte aus den letzten zehn Jahrgängen verlangen nach zusätzlichen Anstrengungen bei Fortbildung und Umschulung. Aber statt dessen, Herr Kollege Schemken, müssen die Arbeitsämter in diesen Bereichen massiv sparen - das wissen Sie auch ganz genau - , und zwar 1988 gegenüber 1987 und 1989 noch mehr, weil der Finanzminister der Bundesanstalt eine zusätzliche Milliarde versicherungsfremde Leistungen aufgedrückt hat.
Eine abschließende Bemerkung zur Umlagefinanzierung. Solange die Bundesregierung eine solche Finanzierung für die Berufsausbildung ablehnt, kann sie sich auch nicht hinter finanzpolitischen Zwängen verstecken. Die Alternative, Herr Kollege Neuhausen, zur gemeinsamen Finanzierung der Wirtschaft ist die Finanzierung aus dem Staatshaushalt. Verzichtet man auf die Umlage, muß man sagen, wie notwendige Aufgaben sonst aus Steuermitteln geleistet werden können. Denn so oder so: Der Anspruch aller auf eine qualifizierte Ausbildung muß eingelöst werden. Die Finanzfragen werden sich noch verschärfen, wenn wir die Weiterbildung im erforderlichen Umfang ausbauen und ordnen.
Systemgerecht wäre es für mich, daß dies alles von den Arbeitgebern bezahlt wird. Man könnte ja vielleicht, wenn alles nicht geht und alle Umlagefinanzierungsmodelle der Vergangenheit nicht mehr diskutiert werden sollen, einmal darüber nachdenken, ob es nicht einen zweckgebundenen zusätzlichen Arbeitgeberbeitrag zur Bundesanstalt für Arbeit für die berufliche Erstausbildung und Weiterbildung geben müßte, um zu verhindern, daß zwar die einen es machen, weil sie es bezahlen können und auch das Know-how haben, die kleinen und mittleren das aber nicht machen, ihre Leute nicht mehr ordentlich erstausbilden und schon gar nicht ordentlich weiterbilden, weil sie dafür das Geld und auch das Know-how nicht haben. Ich bin hier für eine Lastenverteilung, gerade wenn die Bundesregierung wieder im Berufsbildungsbericht 1988 sagt, eigentlich sei die Finanzierung der Berufsausbildung Sache der Wirtschaft.
Meine Damen und Herren, es gibt in den Fragen der Weiterentwicklung unseres Berufsbildungssystems zwischen den Fraktionen des Deutschen Bundestages eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Ich denke etwa an unsere gemeinsamen Bemühungen, das Benachteiligtenprogramm auch für die Zukunft abzusichern. Wir wollen in der Enquete-Kommission „Bildung 2000" ausloten, ob sich aus solchen Punkten, aus solchen
Gemeinsamkeiten ein gemeinsames Gesamtkonzept entwickeln lassen kann. Was die Koalition heute allerdings in ihrer Beschlußempfehlung bietet, ist uns nicht ausreichend erschienen, und es enthält einige Thesen, die wir nicht mittragen wollen und nicht mittragen können. Herr Kollege Schemken, unser Änderungsantrag ist allerdings nicht besonders teuer, auf keinen Fall teuerer als die 500 Millionen DM, die Herr Möllemann versprochen hat. Deswegen könnten Sie unserem Antrag ruhig zustimmen, auch weil Sie dort den einen oder anderen Punkt wiederfinden, zu dem Sie im Ausschuß schon Ihre Geneigtheit erklärt haben.
Wir werden uns bei der Abstimmung über die Beschlußempfehlung der Stimme enthalten.
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Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Änderungsantrag der SPD-Fraktion, Drucksache 11/2085. - Es ist getrennte Abstimmung über die einzelnen Punkte beantragt.
Ich rufe Punkt 1 des Änderungsantrags auf. Wer stimmt dem zu? - Gegenprobe! - Punkt 1 ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Wer stimmt Punkt 2 zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dies ist abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über Nr. 3 ab. Wer stimmt dem zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nr. 3 ist abgelehnt.
Ich rufe Nr. 4 auf. Wer stimmt zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nr. 4 ist mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe Nr. 5 auf. Wer stimmt dem zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nr. 5 ist mit Mehrheit abgelehnt.
Damit ist der gesamte Änderungsantrag abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft auf Drucksache 11/1705 ab. Die Fraktion der SPD verlangt zu den Nr. 1 bis 8 getrennte Abstimmung.
Wer stimmt für Nr. 1? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Wer stimmt für Nr. 2 der Beschlußvorlage? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Wer stimmt für die Nr. 3 der Beschlußvorlage? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen jetzt zu Nr. 4. Wer stimmt dafür? - Die Gegenprobe! - Einstimmig angenommen.
Wer stimmt für die Nr. 5? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.
Wer stimmt für die Nr. 6? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. ' Wer stimmt für Nr. 7? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Wer stimmt für die Nr. 8? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.
Damit ist Abschnitt I der Beschlußempfehlung angenommen.
Meine Damen und Herren, wir haben jetzt noch über Abschnitt II der Beschlußvorlage abzustimmen. Darin wird empfohlen: Der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD - Drucksache 11/522 - wird abgelehnt. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen ist es so beschlossen.
Damit ist dieser Tagesordnungspunkt erledigt.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Bachmaier, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Hauff, Frau Blunck, Duve, Dr. Emmerlich, Frau Dr. Hartenstein, Jansen, Kiehm, Klein ({0}), Lambinus, Lennartz, Frau Dr. Martiny, Müller ({1}), Dr. Pick, Reuter, Schäfer ({2}), Schmidt ({3}), Dr. Schöfberger, Schütz, Stahl ({4}), Singer, Stiegler, Frau Weyel, Wiefelspütz, Dr. de With, Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Umweltkriminalität
- Drucksachen 11/172, 11/1555 Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Bachmaier.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der bittere Satz, im Umweltstrafrecht gelte weiterhin der Grundsatz, daß man die Kleinen hänge und die Großen laufen lasse, wird durch die uns vorliegenden Statistiken und auch die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage nicht widerlegt. Tatsache ist, daß die polizeilich ermittelten Umweltstraftaten zwar alljährlich kräftig ansteigen, Verurteilungen aber eher Seltenheitswert haben.
Sieht man sich dann noch die Struktur der Verurteilungen an, so ergibt sich, daß sich die Strafen weitgehend aus relativ geringfügigen Geldstrafen zusammensetzen; Freiheitsstrafen haben absoluten Ausnahmecharakter. Freiheitsstrafen, die gar ohne Bewährung ausgeworfen werden, muß man mit der Lupe suchen. Die ausgewiesenen Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Die meisten, d. h. etwa 75 %, der rund 15 000 Umweltdelikte, die das Bundeskriminalamt 1986 registriert hat, enden mit einer Einstellung des Verfahrens. Fälle, in denen es dann tatsächlich zu einer Verurteilung kommt, enden zu 97 % lediglich mit einer - wie gesagt - meist geringfügigen Geldstrafe. Nur in 3 % aller Fälle wurden Freiheitsstrafen verhängt, die in aller Regel zur Bewährung ausgesetzt worden sind.
Mißt man diesen doch recht deprimierenden Zustand an dem Schaden, der unserer Umwelt tagtäglich durch strafbares Verhalten zugefügt wird, dann spürt man schnell, daß das Umweltstrafrecht, allerdings auch das Umweltbußgeldrecht trotz aller Bemühungen insbesondere der Polizeibeamten vor Ort zu einer stumpfen Waffe bei der Bekämpfung der Umweltkriminalität zu werden drohen. Inzwischen wird der in Geld ausdrückbare Schaden auf jährlich ca. 24 Milliarden DM geschätzt. Die jährlich ausgeworfenen Geldstrafen und Geldbußen belaufen sich demgegenüber lediglich allenfalls auf einen Bruchteil dieses Betrages.
Wir Sozialdemokraten, meine Damen und Herren, sind weit davon entfernt, zu glauben, daß das Umweltstraf- und Umweltbußgeldrecht ein Allheilmittel gegen umweltschädliches Verhalten ist, und das kann es auch nicht sein. Diejenigen allerdings, die durch eindeutig kriminelles Verhalten unserer Mitwelt oft nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen, sollten damit rechnen müssen, daß sie unnachsichtig auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.
Das, was wir seit nunmehr einigen Jahren über die Wirksamkeit des Umweltstrafrechts wissen, ist nicht dazu angetan, potentielle Täter, die sich einen wirtschaftlichen Vorteil aus umweltkriminellem Verhalten versprechen, hinreichend abzuschrecken. Es ist leider noch immer so, daß die Rechnung derjenigen aufgeht, die sich letztlich einen Gewinn von ihrem strafbaren Verhalten versprechen. Das Risiko, angemessen, d. h. entsprechend dem Schaden, bestraft zu werden, ist nach wie vor äußerst gering.
Auch wir, meine Damen und Herren, müssen uns der Tatsache bewußt sein, daß Umweltkriminalität eine gesteigerte Form der Wirtschaftskriminalität darstellt, und zwar deshalb, weil viele der Umwelt zugefügten Schäden weder durch Geld noch durch andere Maßnahmen wiedergutgemacht werden können. Es war sicherlich eine Pioniertat, als im Jahre 1980 die damalige sozialliberale Koalition die damals erfaßbaren Umweltstraftatbestände aus allen erdenklichen nebenstrafrechtlichen Gesetzen zusammengezogen, überarbeitet und ergänzt in das Strafgesetzbuch aufgenommen hat. Dadurch wurde - auch das ist aus den uns vorliegenden Statistiken und Untersuchungen erkennbar - das Bewußtsein der Öffentlichkeit für umweltkriminelles Verhalten deutlich gestärkt.
Inzwischen wissen wir aber auch - und aus dieser Erkenntnis müssen wir Konsequenzen ziehen - , daß es bei der Anwendung des Umweltstrafrechts erhebliche Vollzugsdefizite gibt, die dringend einer Abhilfe bedürfen. Die SPD-Fraktion hat bereits im Sommer 1984 nach einer öffentlichen Anhörung von Sachverständigen deutlich gemacht, daß diese Vollzugsdefizite auf Länder-, allerdings auch auf Bundesebene ausgeglichen werden müssen.
Nach wie vor tut sich die Polizei trotz aller Anstrengungen schwer bei der Ermittlung schwerer umweltstrafrechtlicher Verstöße, insbesondere soweit sie von Betrieben und Unternehmungen ausgehen. Hier wird immer wieder und, wie uns scheint, zu Recht eine verstärkte Kooperation mit anderen Bereichen der Verwaltung und insbesondere auch mit den Kommunalverwaltungen gefordert. Noch immer werden von den Verwaltungsbehörden, die oft beträchtliche Kenntnisse über umweltstrafbares Verhalten haben, zu wenig Delikte zur Anzeige gebracht.
Unsere schon seit längerer Zeit erhobene Forderung, eine strafbewehrte Anzeigepflicht für die Amtsträger zu schaffen, denen umweltstrafbares Verhalten zur Kennnis gelangt, sollte schleunigst in die Tat umgesetzt werden, nachdem mittlerweile auch die Bundesregierung in der Antwort auf unsere Große Anfrage auf diesem Felde ein nicht unerhebliches Regelungsdefizit nicht bestreiten kann.
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- Herr Kleinert, Sie machen sich die Hände nicht schmutzig, wenn Sie die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage lesen. Ich finde darin eine nicht unerhebliche Bestätigung dessen, was wir schon länger hierzu sagen. Ich weiß, daß das schwierig ist. Vieles ist schwierig und muß trotzdem getan werden.
Darüber hinaus scheint unsere seit 1984 immer wieder erhobene Forderung, zur effektiveren Bekämpfung der Umweltkriminalität die Bildung von Umweltstrafkammern und Schwerpunktstaatsanwaltschaften gesetzlich zu ermöglichen, nach wie vor ein sinnvoller Weg zu sein, um insbesondere bei raffiniert eingefädelter und professionell begangener Umweltkriminalität mit hoher Schadensverursachung angemessener als bisher zu reagieren.
Die Antwort der Bundesregierung hat auch unsere Vermutung bestätigt, daß in der tagtäglichen gerichtlichen Praxis von der Möglichkeit, die durch eine Straftat erlangten Gewinne abzuschöpfen, in zu geringem Umfang Gebrauch gemacht wird, und dies deshalb, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ermittlung des durch eine Umweltstraftat erlangten Gewinns entschieden zu kompliziert sind.
Wenn allenthalben Klage darüber geführt wird, daß man kaum jemals die eigentlichen Verantwortlichen bei umweltkriminellem Verhalten großen Stils zur Verantwortung ziehen kann, dann müssen wir auch hier über ein besseres Instrumentarium unseres Strafrechts nachdenken. Es geht einfach nicht an, daß die Verfolgung der Umweltkriminalität kaum jemals Chancen hat, in die Chefetagen der Unternehmen vorzudringen.
Im Gegensatz zur Bundesregierung sind wir allerdings auch mit Gerd Pfeiffer, dem ehemaligen Präsidenten des Bundesgerichtshofs der Ansicht, daß der vom Gesetz vorgegebene bisherige Strafrahmen bei der Bekämpfung der Umweltkriminalität den heutigen Anforderungen nicht mehr entspricht. Wir werden sowohl über die Mindeststrafen, allerdings auch über die im Gesetz vorgesehenen Höchststrafen nachzudenken haben und alsbald Abhilfe schaffen müssen. Warum eigentlich soll es bei der Bekämpfung der Umweltkriminalität lediglich Vergehen mit einer einer Höchststrafe bis zu zehn Jahren Freiheitsentzug und keine Verbrechen mit der Möglichkeit höherer Freiheitsstrafen geben, und zwar dann, wenn unsere Existenzgrundlagen so nachhaltig und existentiell gefährdet sind, daß solche Strafen, die wir in vielen Be4888
reichen des Strafgesetzes kennen, sehr wohl schuld- und schadensangemessen sind?
Wir wissen auch, daß diejenigen, die in der Versuchung stehen, sich zu ihrem eigenen Vorteil umweltkriminell zu verhalten, mit nichts mehr abgeschreckt werden können als mit einer drohenden und im Ernstfall auch zu vollstreckenden Freiheitsstrafe. Hier hat die Generalprävention, diese Androhung einer Freiheitsstrafe dann, wenn die potentiellen Kriminellen auf diesem Gebiet davon wissen, daß sie auch vollzogen wird, einen hohen Wirkungsgrad. Auch dies wissen wir aus vielen Untersuchungen, die auch Ihnen, meine Damen und Herren, vorliegen.
Dringend einer Novellierung bedarf der § 325 des Strafgesetzbuchs, also der Tatbestand, der die Luftverunreinigung unter Strafe stellt. Wie alle uns vorliegenden Untersuchungen ausweisen, läuft dieser Straftatbestand praktisch völlig leer, und dies nicht deshalb, weil es gerade bei der Luftverschmutzung kein strafwürdiges Verhalten gibt - das Gegenteil erleben wir alle tagtäglich -, sondern weil diese Vorschrift im Gegensatz z. B. zur Gewässerverunreinigung oder zu den Delikten bei der Abfallbeseitigung wegen ihrer strengen Verwaltungsakzessorietät und den schwierigen Nachweisproblemen nur äußerst schwer umsetzbar ist.
Zwingend geboten ist auch die Einfügung eines Straftatbestandes gegen die Verunreinigung des Bodens. Die Vorschriften über umweltgefährdende Abfallbeseitigung und die Gewässerverschmutzung reichen einfach nicht aus, um den Boden hinreichend vor strafbaren Verunreinigungen zu schützen.
Auch die lange verzögerte Antwort der Bundesregierung auf unsere bereits in der letzten Legislaturperiode eingebrachte Große Anfrage hat deutlich gemacht, daß unser Umweltstrafrecht und unser Umweltbußgeldrecht nach seiner Neuschaffung im Jahre 1980 durch die damalige sozialliberale Koalition nunmehr der Fortschreibung bedarf. Die Fakten und Defizite, die sich in den letzten Jahren entwickelt haben und mittlerweile sichtbar sind, bedürfen der Abhilfe.
Nachdem die Regierung, die sonst sehr schnell bei der Hand ist, wenn es gilt, strafrechtlich bevormundend in den geschützten Freiheitsbereich der Bürger einzugreifen, sich bei den zu lösenden Problemen lange völlig taub gestellt hat, würde es ihr gut anstehen, wenn sie bald das Notwendige in Angriff nähme. Es reicht einfach nicht aus immer dann, wenn sich ein die Öffentlichkeit erregender Umweltskandal erreignet hat, pauschal nach schärferen Gesetzen und einer unnachsichtlichen strafrechtlichen Verfolgung zu rufen, und dann, wenn die verbalen Drohgebärden verklungen sind, nichts zu tun, um die Wirksamkeit unseres Umweltstrafrechtes zu verbessern.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eylmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei einer kritischen
Würdigung der Umweltkriminalität tut man gut daran, sich zunächst frei von Wunschdenken und emotionalen Affekten mit der Frage zu beschäftigen, was denn nun das Strafrecht auf dem Gebiet des Umweltschutzes überhaupt zu leisten vermag. Sie, Herr Bachmaier, haben das nur am Rande gestreift. Man macht zuweilen die etwas verblüffende Feststellung, daß diejenigen, die in anderen Lebensbereichen z. B. das Legalitätsprinzip in Frage stellen, also die Verpflichtung zur Strafverfolgung einschränken wollen oder auch ganze Straftatbestände abschaffen wollen
({0})
- wir haben gestern abend hier eine entsprechende Diskussion schon erlebt - , daß also diejenigen, die in anderen Lebensbereichen vom Strafrecht gar nichts halten, gerade auf dem Gebiet des Umweltschutzes am lautesten nach dem Strafrichter rufen.
({1})
Das ist etwas merkwürdig, meine Damen und Herren: Sie haben die Generalprävention, ein sehr wichtiges Thema sicherlich, Herr Bachmaier, angesprochen. Nur erlebe ich es in anderen Bereichen, daß Sie von der Generalprävention sehr, sehr wenig halten. Sie ist auch nicht nur von der Höhe der Strafe abhängig, das ist ein sehr diffiziles Gebiet. Sie sollten es sich nicht so leicht machen, daß Sie argumentieren: Setzen wir nur die Strafen im Umweltbereich, im Umweltstrafrecht gewaltig hoch, dann wird sich der Erfolg schon zeigen.
Um das Ergebnis meiner Auffassung dazu zusammenzufassen: Das Strafrecht hat im Umweltschutz nur eine flankierende Funktion. Es ist auch im Umweltschutz wie überall die Ultima ratio, es sichert das ethische Minimum. Wir wollen aber mehr als das ethische Minimum, und deshalb müssen wir auch in erster Linie andere Instrumentarien einsetzen. Zum einen ist, wie wir wissen, das Umweltverwaltungsrecht im weitesten Sinne unentbehrlich, das wir zur vorbeugenden Vorsorge und auch zur Kontrolle einsetzen und das sich in erster Linie der Ordnungswidrigkeit und nicht der Kriminalisierung einer Tat als Sanktion bedient.
Zum andern wollen wir - das ist besonders wichtig und ist ein Schwerpunkt unserer Umweltpolitik - das private Haftungsrecht ausbauen. Denn wenn wir es realistisch betrachten, müssen wir erkennen, daß die Gefahr, für umweltschädliche Handlungsweisen Schadenersatz in beträchtlicher Höhe leisten zu müssen in einem Verfahren, das nicht wie bisher den Geschädigten in einer ziemlich schwierigen Situation läßt, in ihrer abschreckenden Wirkung in vielen Fällen weitaus effektiver ist als manche bürokratische Kontrolle oder Strafandrohung.
({2})
Sollte somit das Mittel des Strafrechts nicht überschätzt werden, so bedeutet das aber keineswegs, daß der Bereich des Umweltstrafrechts zu vernachlässigen ist. Wir haben im Jahre 1980 - es ist erwähnt worden - durch ein Änderungsgesetz zum Strafgesetzbuch eine Reihe von neuen Straftatbeständen in den
§§ 324 ff. des Strafgesetzbuches bekommen. Im großen und ganzen haben sich diese Vorschriften bewährt. Es haben sich allerdings auch Lücken aufgetan, und die Vorschriften haben sich, auch weil sie zu perfekt konstruiert worden sind, nicht in allen Fällen als praktikabel erwiesen. So bedarf wohl der in § 325 des Strafgesetzbuches enthaltene Straftatbestand der Luftverunreinigung einer Erweiterung. Wir werden dabei insbesondere überlegen müssen, ob wir bei Luftverunreinigungen mehr auf die Emissionen als auf die Immissionen abstellen müssen.
Ein Schwerpunkt der Umweltpolitik dieser Bundesregierung ist der Schutz des Bodens. Hier müssen wir leider feststellen, daß ein umfassender strafrechtlicher Schutz fehlt. Ist z. B. eine Grundwasserverunreinigung nicht sicher nachweisbar oder beruht sie nicht auf einer Lagerung gefährlicher Stoffe, dann haben wir es mit einer Strafrechtslücke zu tun, dann ist dieses Verhalten strafrechtlich nicht faßbar. Es ist deshalb zu überlegen - diese Überlegungen sind in vollem Gange - , hier einen neuen Tatbestand gegen Bodenverunreinigung zu schaffen.
Vorrangig ist allerdings die Lösung eines anderen Problems - ich habe festgestellt, Herr Kollege Bachmaier, daß wir hier übereinstimmen - : Wir müssen die Möglichkeiten verbessern, Vermögensvorteile, die einem Täter aus strafbaren Handlungen zugeflossen sind, einzuziehen. Das geltende Recht, die §§ 73ff., die 1970 durch das Zweite Strafrechtsänderungsgesetz geschaffen worden sind, ist auch hier zu perfektionistisch und in der Praxis nicht handhabbar.
Meine Damen und Herren, nichts beleidigt das Rechtsgefühl so sehr wie der Umstand, daß einem Straftäter die Vorteile seiner Straftat verbleiben. Der Gewinn, der aus kriminellem Tun erlangt wird, ist nicht selten immens und steht häufig auch in keinem Verhältnis zum Strafmaß. Deshalb müssen wir der Maxime, daß Verbrechen sich nicht lohnen darf, größere Beachtung schenken. Das gilt nicht allein für die Umweltkriminalität, das gilt für die Wirtschaftskriminalität in allen ihren Bereichen, z. B. auch für die Produktpiraterie oder auch für den Betäubungsmittelhandel, wo es in der Regel um große Gewinne geht. Hier ist es also dringend erforderlich, unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze - das versteht sich von selbst - das geltende Recht mit dem Ziel zu reformieren, es praxisnäher auszugestalten und dem Richter leichter die Möglichkeit zu geben, diese durch kriminelles Handeln erzielten Gewinne abzuschöpfen. Das Justizministerium ist bestrebt, einen entsprechenden Gesetzentwurf noch in dieser Legislaturperiode vorzulegen.
Strafgesetze sind wenig wert, wenn sie nicht angewandt werden; das ist sicherlich richtig. Nun müssen wir uns aber auch darüber im klaren sein, daß die Ermittlung und Aufklärung neuartiger Kriminalitätsformen - das Umweltstrafrecht ist ja eine neue Form; wir haben neue komplizierte Vorschriften geschaffen - besondere Anforderungen an die Strafverfolgungsbehörden stellen. Bund und Länder sind bestrebt, die Aus- und Fortbildung sowie die fachliche Spezialisierung zu verbessern. Hier sind sowohl in den Ländern als z. B. auch beim Bundeskriminalamt ganz erhebliche Fortschritte erzielt worden.
Die Zahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren hat sich stark erhöht. Es wäre falsch, daraus zu schließen, die Zahl der Verstöße gegen Umweltstrafgesetze hätte sich dramatisch erhöht. Ich meine vielmehr, daß die steigende Zahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren eine Folge der stärkeren Aufklärungstätigkeit ist. Sie ist auch eine Folge des geschärften Umweltbewußtseins der Bevölkerung. Dieses geschärfte Umweltbewußtsein spiegelt sich in einer erhöhten Anzeigebereitschaft wieder.
Es ist wie überall: dort, wo wir die Strafverfolgung allein der Polizei überlassen, haben wir es mit hohen Dunkelziffern zu tun. Die rechtsvergleichende Forschung zeigt uns, daß in den Ländern, in denen die Verhinderung und auch die Ahndung von Straftaten als eine Aufgabe empfunden wird, die insgesamt den Bürgerinnen und Bürgern obliegt, die Dunkelziffern geringer sind. Dabei spielt auch eine Rolle - lassen Sie mich das nur am Rande erwähnen -, daß man die Polizei nicht als ein Organ empfindet, mit dem man möglichst nichts zu tun haben will, das man sogar, wie das ab und zu bei uns geschieht, in eine sehr entfernte Ecke stellt, wo die Sünder stehen, sondern daß man die Polizei wirklich als Helfer der Gesamtbevölkerung empfindet.
Die Dunkelziffer - lassen Sie mich das zum Schluß sagen - der gegen die Umwelt gerichteten Straftaten wird sich um so schneller verringern, je mehr die Verhinderung und Aufklärung von Umweltstraftaten als eine allen Bürgerinnen und Bürgern obliegende Aufgabe begriffen wird.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat Herr Abgeordnete Häfner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Sprecher einer Partei, die gemeinsam mit Bürgerinitiativen und vielen Menschen in diesem Land mitgeholfen hat, Umweltschutz zu einem der wichtigsten Themen in der politischen Diskussion der Bundesrepublik zu machen, kann ich heute feststellen, daß das Umweltbewußtsein in der Bevölkerung deutlich gewachsen ist, gerade auch im Verhältnis zu einigen anderen Ländern. Man muß ja hier auch einmal etwas Positives feststellen dürfen. Aber während heute immer mehr Leute ihr Altöl nach dem Ölwechsel ordnungsgemäß abliefern und nicht mehr in den Gulli kippen, während immer mehr Leute sogenannte leere, also gebrauchte Batterien, die ja nicht leer sind, sondern voll Gift und voll wertvoller Rohstoffe, bei den entsprechenden Stellen abliefern - das gilt auch für Altpapier und Glas -, damit sie dort wiederverwendet werden können und nicht die Umwelt belasten, während also alles dies geschieht, geht die Umweltverschmutzung im großen Stil unverändert weiter. Schon auf den Deponien - ich habe mir das neulich im bayerischen Gallenbach angesehen - werden dann die sorgsam gesammelten und getrennt abgelieferten Batterien wieder in die Erde gekippt und ihrem Schicksal überlassen. Sandoz, Hoechst, Bayer usw.:
kleine Leute werden bestraft, große, gigantische Umweltverschmutzer läßt man unsere Erde, unseren Lebensraum vergiften, und zwar ungesühnt.
Lassen Sie mich an dieser Stelle etwas Grundsätzliches bemerken. Unser Recht basiert auf dem Römischen Recht, dem Privatrecht. Privatrecht kommt von lateinisch privare - berauben. Das Privatrecht fing damit an, daß ein bestimmter Mensch anderen etwas wegnahm, z. B. ein Stück Land, und Pfosten oder Steine in die Erde gesetzt hat. Heute macht man das mit Stacheldraht, Betonmauern oder einem Zaun. Er hat dann gesagt: „Das ist mein Land. "
({0})
- Herr Bohl, es schadet Ihnen sicher nicht, wenn Sie sich das einmal anhören.
({1})
„Das ist mein Land, wer hier eindringt, macht sich strafbar." Strafbar ist heute vor allen Dingen, wer einen anderen in seinem Besitz, in seinem Eigentum schädigt. Umwelt aber ist kein Eigentum. Das heißt, dort, wo Umwelt Eigentum ist, da wird sie heute massiv vom Gesetz geschützt. Wenn ich die Zweige in Nachbars Garten abschneide, ist es ein schlimmes Vergehen. Wer aber durch eine schlimme Politik der Umweltzerstörung Tausende von Bäumen - ich sage nur: Buschhaus; vieles andere wäre zu nennen - , den ganzen Wald, schädigt, der geht ohne Strafe aus. Kleine Kaufhausdiebe wandern manchmal schon wegen absoluter Bagatelldelikte über Monate hinter Gitter. Mir persönlich ist ein Fall bekannt, wo ein junger Mann wegen eines Ladendiebstahls in Höhe von 15 DM zu einer Strafe von eineinhalb Jahren verurteilt wurde
({2})
- im Wiederholungsfall - , also für jede Mark einen Monat, mehr noch sogar.
Dagegen gehen Umweltstraftäter mit Strafen in der Höhe eines Taschengeldes aus, Herr Sauter. Ein Beispiel:
Ein Kapitän, der in der Elbmündung aus seinem Schiff Öl abpumpen ließ, wurde zu einer Geldstrafe von 3 000 DM verurteilt.
({3})
Das ordnungsgemäße Reinigen des Tanks im Hafen, wie das Gesetz es vorschreibt, hätte das Zehnfache, nämlich 30 000 DM gekostet.
Oder ein anderes Beispiel:
Wolfgang W., ein freier Unternehmer in WestBerlin,
- ich zitiere jetzt, wie vorhin auch, aus einem Artikel von Michael Sontheimer in der „Zeit" verpflichtete sich, für die Ölgesellschaft AGIP, 18 000 Kubikmeter ölverseuchtes Erdreich nach Vorschrift zu ,entsorgen'.
Was hat er gemacht? Er hat dieses vergiftete Erdreich in einem Spandauer Kiesteich gekippt, hat gefälschte Dokumente abgeliefert und wurde dafür vom Landgericht Berlin zu sechs Monaten auf Bewährung und einem Bußgeld von 3 000 DM verurteilt.
({4})
Die Kostenersparnis bei krimineller Sondermüllbeseitigung liegt heute in vielen Fällen bei 900 % und aufwärts
({5})
- bezogen auf die dabei eingesparten Gelder.
Der SPD ist daher ohne weiteres darin zuzustimmen, daß das geltende Umweltstrafrecht seine Lücken hat und einzelne Straftatbestände geändert werden können. So spricht z. B. nichts dagegen, Herr Bachmaier, den Beteiligtenbegriff nach § 14 StGB dadurch zu erweitern, daß der Vertreter eines Betriebsinhabers auch dann haftet, wenn kein ausdrücklicher Auftrag seitens des Betriebsinhabers vorliegt.
Wir stimmen auch dem Vorschlag der SPD zu, die Voraussetzungen des Vermögensverfalls nach § 73 StGB zu erleichtern. Ich sage dazu nicht mehr viel, weil auch der Vorgänger darauf schon eingegangen ist.
({6})
Es ist auch nicht einzusehen, warum beispielsweise Strafverfolgungen wegen Luftverunreinigungen eine strengere Tatbestandserfüllung voraussetzen als Strafverfolgungen wegen Gewässerverunreinigungen und warum die verwaltungsrechtliche Akzessorietät bei diesen Straftatbeständen, also Gewässer- bzw. Luftverunreinigung, einen unterschiedlichen Grad hat.
Nur, meine Herren und meine - ja, Frau Traupe ist da - Dame von der SPD
({7})
- die Frau Präsidentin habe ich schon zu Beginn angesprochen - : Die Erwartungen, die Sie in das Umweltstrafrecht setzen, sind zu hoch; das muß ich hier deutlich sagen. Durch Änderung der Strafvorschriften allein ist dem Problem der Umweltzerstörung nicht beizukommen.
({8})
Es reicht nicht, die Verwaltungsbehörden mit besseren und effektiveren Überwachungsmöglichkeiten beim Vollzug der Umweltgesetze auszustatten, wenn damit nicht insgesamt eine Demokratisierung der Umweltpolitik einhergeht. Solange sich die Umweltpolitik als eine rein staatliche Umweltpolitik darstellt
- Herr Eylmann, ich hoffe, Sie haben nicht zu früh geklatscht -,
({9})
als eine Umweltpolitik, die sich ausschließlich zwischen den Behörden und der Industrie abspielt, wird sich an der derzeitigen Umweltsituation auch wenig ändern.
({10})
Erst durch eine demokratische Kontrolle und Beteiligung der Bevölkerung selbst kann die staatliche Umweltpolitik beeinflußt, kann ein ökologisches und demokratisches Gegengewicht gebildet werden.
({11})
Erst wenn Verfahren bestehen, die den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit geben, sich in das Umweltgeschehen aktiv einzumischen, besteht die Aussicht, daß sich gesellschaftliche Veränderungen vollziehen. Wir haben ja das große Glück, daß auf Antrag der GRÜNEN gerade in diesen Tagen hier im Bundestag Gesetzentwürfe zur Verankerung des Umweltschutzes als Grundrecht, zum Akteneinsichts- und zum Verbandsklagerecht vorliegen, durch die in diesem Bereich ein ganz entscheidender Schritt nach vorn gegangen werden kann.
Ich fordere Sie auf, lade Sie ein, daran mitzuwirken.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert ({0}).
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Da traf ein Schüler seinen alten Mathematiklehrer, Herr Häfner, und der fragte: Was machen Sie denn jetzt so? - Darauf der frühere Schüler: Ich handele mit gebrauchten Autos. - Und dann fragte der Lehrer: Ja, und wie geht so etwas? - Da sagte der frühere Schüler: Ja, ich kaufe die z. B. für 100 DM, und dann verkaufe ich sie für 200 DM, und von den 2 % lebe ich. ({0})
Ähnlich sind Ihre Rechnungen hier auch ausgefallen. Ganz interessant an der Geschichte aber ist: Wenn man nicht richtig rechnen kann, kann man sich dieser zweifellos sehr bedeutenden Frage nicht richtig nähern.
Auch die SPD hat hier allerdings ein Rechenexempel mit 26 Fragen abgeliefert. Zu jeder Frage hätte ich jetzt also etwas mehr als zehn Sekunden Zeit - so habe ich mir errechnet - , um das Wichtigste dazu herauszugreifen. Weniger wäre viel mehr gewesen, z. B. drei grundsätzliche Fragen.
Warum tut sich die Rechtsprechung so schwer? Ich teile ja sehr viel von dem, was Sie, Herr Bachmaier, gesagt haben. Herr Eylmann hat einen Hinweis gegeben. Natürlich ist das alles ganz neu, und natürlich greifen erst allmählich die Mechanismen, genauso wie sich auch das Bewußtsein erst allmählich bildet, ein Bewußtsein, das übrigens von einem Innenminister, den zu stellen die Freien Demokraten die Ehre hatten, erstmals in mehreren Gesetzen sehr deutlich vorangebracht worden ist, nämlich von Hans-Dietrich Genscher, der z. B. das Benzinbleigesetz seinerzeit, als es von GRÜNEN noch nicht viel zu sehen und zu hören gab, gegen sehr starken Widerstand durchgesetzt hat. Und so, wie es sich entwickelt - es muß sich so entwickeln - wird es auch leichter werden, Verstöße aufzufangen. Ich bin übrigens persönlich ganz optimistisch, daß das Strafrecht wirklich die Ultima ratio in diesem Zusammenhang ist. Es gibt viele andere Mechanismen, mit denen man Umweltkriminalität oder Umweltbeschädigung entgegenwirken kann, die erheblich erfolgversprechender als die Perfektionierung des strafrechtlichen Instrumentariums sind.
Sie haben z. B. den Kapitän an der Elbemündung erwähnt. Ich bin mit Ihnen in der Beurteilung, auch was die Bestrafung angeht, einig. Sie scheint mir in dem Fall nicht abschreckend genug ausgefallen zu sein. Aber Sie erleben hier Diskussionen - wir haben eine solche vor einem Jahr oder anderthalb Jahren gehabt -, ob man es verantworten kann, kostenlos Ölentsorgung in den Häfen anzubieten. Dann kommen die Fiskalisten und sagen: Das können wir nicht bezahlen; wieso müssen wir diesen Schlingeln helfen, kostenlos ihr Öl loszuwerden? - Ich bin nun mal der Meinung, daß es ein vernünftiger Weg ist, den Leuten Anreize zu geben, ihr Öl auf vernünftige Weise loszuwerden. Dazu gehören auch Kostenanreize. Sonst kommt man eben nicht damit zurecht.
Es ist genauso wichtig - da sind wir bei einer etwas grundsätzlicheren Frage -, daß der zuständige Beamte sich auch mit einem Menschen, der durch seinen Betrieb so oder so die Umwelt schädigt, vergleichsweise einigen kann, daß man vernünftig miteinander spricht, daß der zuständige Beamte gescheite Ratschläge gibt und daß daraufhin die Umweltverschmutzung in dem speziellen Punkt unterbleibt. Dies würde man sehr gefährden, wenn man den Mann strafbar stellen würde, wenn er nicht anzeigt, was er da mit dem Täter bespricht.
Ich meine durchaus: Es ist wichtiger, daß hier nachhaltig die Umweltverschmutzungen unterbleib en, als daß der einzelne bestraft wird, noch dazu der Beamte, der kein Vertrauensverhältnis mehr zu dem von ihm - ich sage es einmal so - auch zu beratenden Täter entwickeln kann, wenn feststeht, daß er sich strafbar macht, wenn er nicht als Ergebnis des Gesprächs den Mann anzeigt. Darüber muß man ja mindestens einmal ganz sorgsam nachdenken.
({1})
Ob der Strafrahmen in diesem Zusammenhang eine Rolle spielt, wie hier vermutet worden ist, wage ich besonders nachhaltig zu bezweifeln. Denn es kommt in erster Linie fast in allen strafrechtlichen Bereichen darauf an, daß die Täter gefaßt werden.
({2})
Kleinert ({3})
Wenn Sie das wissen, dann kommt es auf den Strafrahmen nicht mehr so sehr an.
Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Der Bundesjustizminister wird uns dazu noch einiges an Hand Ihrer Fragen sagen. Aber da Sie überall für Entkriminalisierung eingetreten sind - wie ich meine, aus guten Gründen -, sollten Sie nicht auf einmal hier, nur weil die Grünen derzeit noch in Mode sind, über das Ziel hinausschießen, sondern sollten über die vielen Möglichkeiten nachdenken, die sich außerhalb des Strafrechts aufdrängen, um Umweltschäden nachhaltig zu vermeiden. Da wollen wir dann auch gern alle zusammenarbeiten.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz, Herr Engelhard.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Praktische Erfahrungen und wissenschaftliche Erörterungen zeigen, daß das 1980 neu gestaltete Umweltstrafrecht in bestimmten Teilbereichen Probleme aufwirft und deshalb der Fortentwicklung und Ergänzung bedarf. Dieses Ergebnis zeichnet sich auch bei den Prüfungen der aus Vertretern des Bundesjustiz- und Bundesumweltministeriums gebildeten interministeriellen Arbeitsgruppe ab. Diese Prüfungen haben auf Grund der besonderen Schwierigkeit, aber auch des Umfangs der Materie mehr Zeit in Anspruch genommen, als dies ehedem absehbar war. Im Arbeitskreis Umweltstrafrecht der Arbeitsgruppe stehen die Arbeiten jetzt aber vor dem Abschluß. Das endgültige Ergebnis des Berichts kann ich nicht vorwegnehmen, aber wie teilweise bereits in Tendenzaussagen in der Beantwortung der Großen Anfrage deutlich geworden ist, kann man, was die Richtung der Ergebnisse angeht, an dieser Stelle doch schon einiges sagen.
Seit Jahren ist eine steigende Zahl von Ermittlungsverfahren zu beobachten. So stieg die Anzahl der polizeilich registrierten Fälle von 2 321 im Jahre 1973 auf 14 853 im Jahre 1986. Dieser Anstieg ist ganz wesentlich auf intensivere Strafverfolgung und auf das gestiegene Umweltbewußtsein zurückzuführen, das verstärkt zu Anzeigen geführt hat. Überdurchschnittlich hoch ist allerdings die Zahl der Verfahrenseinstellungen. Auffallend ist auch - Herr Kollege Bachmaier, ich gebe Ihnen hier ganz recht -, daß im Regelfalle Geldstrafen verhängt werden und nur sehr beschränkt, in Ausnahmefällen, zu der Möglichkeit der Verhängung einer Freiheitsstrafe gegriffen wird.
Diese oft kritisierten Ergebnisse dürften allerdings nur teilweise auf Mängel des materiellen Strafrechts zurückzuführen sein. Soweit solche Mängel gleichwohl festzustellen sind, wird die Bundesregierung nicht zögern, zu ihrer Behebung die erforderlichen Maßnahmen einzuleiten.
Ein erstes Ziel wird es sein, den strafrechtlichen Schutz von Wasser, Luft und Boden stärker anzugleichen. Die geringe Zahl von sieben bzw. zwölf Verurteilungen in den Jahren 1985 und 1986 läßt auf mangelnde Praktikabilität des Straftatbestandes der Luftverunreinigung und der Lärmverursachung schließen. Der Tatbestand ist wohl zu eng und bedarf daher der Erweiterung.
Anzustreben ist auch eine Verbesserung des strafrechtlichen Bodenschutzes, die Schaffung eines neuen Tatbestandes gegen Bodenverunreinigung. Aus der Praxis sind mehrfach Fälle bekanntgeworden, in denen durch unsachgemäßen Umgang mit gefährlichen Stoffen der Boden erheblich verunreinigt wurde, Lücken des geltenden Rechts jedoch auch hier zur Einstellung der Verfahren geführt haben.
Bei der näheren Ausgestaltung von Umweltstraftatbeständen ist künftig auf mehr Einheitlichkeit zu achten. Auf den engen Zusammenhang mit den Vorgaben des Umweltverwaltungsrechts, die sogenannte Verwaltungsakzessorietät, wird man dabei auch in Zukunft nicht verzichten können. Was das materielle Umweltverwaltungsrecht erlaubt, das kann ja schließlich das Strafrecht nicht verbieten. Verbesserungen haben also zunächst einmal das Umweltverwaltungsrecht zum Gegenstand der Bemühungen zu machen.
Noch nicht voll ausdiskutiert ist das Problem der strafrechtlichen Erfassung von Amtsträgern. In dem interministeriellen Arbeitskreis Umweltstrafrecht wird vor allem daran Anstoß genommen, daß die Ausgestaltung von Tatbeständen als Allgemeindelikt oder aber als Sonderdelikt dann zur Ungleichbehandlung von Amtsträgern führt, die in verschiedenen Umweltbereichen tätig werden.
Umstritten ist in diesem Zusammenhang ja auch die Einführung einer Anzeigepflicht von Umweltverwaltungsbehörden gegenüber den Strafverfolgungsbehörden. Die Erkenntnis, daß vielfach nur Fachbehörden in der Lage sind, Fehlverhalten von Anlagebetreibern zu erkennen und aufzuklären, hat in den letzten Jahren in verschiedenen Bundesländern zu entsprechenden Erlassen geführt. Ehe eine weitergehende gesetzliche Regelung mit strafrechtlichen Konsequenzen eingeführt wird, sollte zunächst einmal abgewartet werden, ob und inwieweit sich solche Regelungen bewährt haben.
Wir werden in diesem Zusammenhang auch Hinweise von Fachleuten nicht unbeachtet lassen können, die uns, so etwa auch aus dem Bereich des Umweltministeriums, mit großer Sorge sagen, daß den Behörden manchmal durchaus etwas zur Kenntnis gebracht wird, so daß vielleicht ein Ansatz dafür besteht, als Behörde selbst etwas zu erkennen, das Ganze aber nicht aufgedeckt werden kann, weil die Karten nicht offen auf den Tisch gelegt werden.
Die Frage ist, ob dann, wenn eine Anzeigepflicht besteht, das Strafverfahren damit vorprogrammiert vor der Tür steht, so manche Behörde das Wissen, das ihr heute erfreulicherweise zuteil wird, auch von dem, der sich fehlverhalten hat, weiterhin noch wird zur Kenntnis nehmen können. Dies alles muß sorgfältig überlegt und gegeneinander abgewogen werden.
Meine Damen und Herren, Schwierigkeiten der Aufklärung von Umweltdelikten in Unternehmen beruhen nicht zuletzt auf deren Organisationsstruktur
mit Arbeitsteilung und Aufgabendelegation. Die Bundesregierung hatte hierzu schon 1983 Vorschläge für eine behutsame Ausweitung allgemeiner Regelungen vorgelegt. Der Gesetzgeber hat sie bisher nur zu einem geringen Teil übernommen. Die Justizministerkonferenz hat demgegenüber letztes Jahr eine Überprüfung insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Erleichterung des Nachweises der strafrechtlichen Verantwortlichkeit bei Personen, Vereinigungen und juristischen Personen für erforderlich gehalten. Im Arbeitskreis sind die früheren Vorschläge in teilweise modifizierter Form wieder aufgegriffen worden. Sie bedürfen noch weiterer Konkretisierung und Erörterung.
Zur Frage möglicher Strafverschärfung hat das Bundesministerium der Justiz letzten Monat in diesem Haus bereits näher Stellung genommen. Grundsätzlich hält die Bundesregierung das geltende Sanktionssystem für ausreichend, was allerdings - ich sage das sehr deutlich - Änderungen bei einzelnen Straftatbeständen nicht ausschließt.
Große Bedeutung messe ich der Aktivierung der Vorschriften über die Abschöpfung von illegalen Vermögensvorteilen bei. Umweltdelikte dürfen sich nicht rentieren. Die Steuerzahler, die Millionen und abermillionen von Mark für den Umweltschutz aufzubringen haben, haben kein Verständnis dafür, daß Umweltstraftätern auch noch wirtschaftliche Vorteile aus ihren Taten verbleiben. Die bestehenden Vorschriften über Verfall und Einziehung im Strafgesetzbuch sind offenbar zu kompliziert, so daß sie in der Praxis bisher zu wenig angewandt werden. Auch wenn in der Rechtsprechung hier in jüngster Zeit ein gewisser Wandel zu beobachten ist, brauchen wir doch einfachere Regelungen. Es muß möglich sein, kriminelle Gewinne wirksamer abzuschöpfen, und zwar grundsätzlich zunächst auch ohne Rücksicht auf etwaige Ersatzansprüche von Geschädigten, denen die Gewinne dann in einem Nachverfahren zur Verfügung stehen. Die Reform ist dringlich, und sie wird sich nicht auf die Umweltdelikte beschränken.
Zum Umweltstrafrecht selbst werden wir nach Vorlage des Berichtes und nach den einschlägigen Erörterungen auf dem Deutschen Juristentag im September dieses Jahres die rechtspolitischen Entscheidungen auch unter Berücksichtigung dieser Debatte konkretisieren. Eine Stärkung des Umweltschutzes auch durch eine verbesserte Bekämpfung der Umweltkriminalität bleibt weiterhin ein wichtiger Punkt auf der Tagesordnung dieser Bundesregierung.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schütz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will auf die Anmerkungen von Herrn Eylmann und Herrn Kleinert eingehen, die gesagt haben, daß das Umweltstrafrecht natürlich nur eine flankierende Maßnahme und nicht Ultima ratio ist. Ich stimme dem selbstverständlich zu.
({0})
Umweltstrafrecht kann nur flankierend sein. Die Aufgaben liegen anderswo. Aber die generalpräventive
und erzieherische Kraft des Strafrechts mußte eingesetzt werden. Insofern war die Novelle von 1980 hilfreich, und sie war sicher ein entscheidender Schritt zum Umweltschutz. Ich glaube, das ist auch allgemein anerkannt.
({1})
Dieses Strafrecht darf auch nicht zahnlos sein, sondern muß kräftig dorthin beißen, wo tatsächlich Umweltkriminalität ist. Insofern, Herr Eylmann, ist der Hinweis nicht richtig, daß wir in allen anderen Lebensbereichen von Strafe gar nichts halten und hier, im Umweltstrafrecht, plötzlich drakonisch werden wollen. Ich denke, wir müssen uns wohl einmal das Schutzgüter- und Sanktionensystem anschauen. Herr Pfeifer hat jüngst in einem Artikel im „Spiegel" darauf hingewiesen, daß wir an dieser Stelle umbauen müssen. Ich glaube, er hat recht. Wir sollten das tun.
({2})
- Ich halte ihn an der Stelle für richtig.
Wir sollten wirklich fragen, welche Richtung dieses Zubeißen und welchen Nachdruck das Zufassen haben soll. Wir könnten - Herr Bachmaier hat darauf schon hingewiesen - zum Thema „Die Kleinen hängt man, die Großen läßt man laufen" viele Beispiele geben. Wir alle wissen aber, daß weder die Staatsanwaltschaft noch die Richterschaft und erst recht nicht die Polizei ein Interesse daran haben, Umweltdelikte nicht nachhaltig zu ahnden.
Gleichwohl weist die in der Antwort vorgelegte Statistik der Strafverfolgung und insbesondere der Verurteilungen aus, daß fast ausschließlich Geldstrafen verhängt werden und daß, wenn in seltenen Fällen Freiheitsstrafen ausgesprochen werden, diese zwangsläufig zur Bewährung ausgesetzt werden, weil es meistens Ersttäter sind.
Auch die jetzt vorgelegten Zahlen bestätigen die Aussage einer empirischen Untersuchung zum alten Rechtszustand, wonach verfolgter Umweltkriminalität ganz überwiegend Bagatellcharakter zukommt. Diese Auffassung wird durch die in der Antwort der Bundesregierung vorgelegten Zahlen bestätigt. Auch nach dieser Statistik gibt es im Umweltstrafrecht überwiegend Kleinkriminalität, häufig nicht einmal in der Größenordnung des Ladendiebstahls.
Gleichwohl ist die Bundesregierung der Auffassung
- Sie haben das noch einmal bestätigt, Herr Minister -, daß das derzeitige Sanktionensystem für Umweltdelikte einen ausreichenden Strafrahmen bietet. Ich will mir die vordergründige Polemik ersparen, die Umweltkriminalität werde von der Bundesregierung durch dieses Festhalten am Sanktionensystem bagatellisiert. Dies stimmt zwar auch, aber nur eben teilweise.
({3})
- Ein bißchen polemisch darf man ja werden.
Es kommen für mich erkennbar zwei Faktoren zusammen, die den durch die Statistik zu untermauernden öffentlichen Eindruck der bei Umweltdelikten zahnlosen Polizei und Justiz erhärten. Einer wurde
hier schon deutlicher ausgeführt: Es ist der Umstand, den auch Herr Pfeifer angesprochen hat, daß wir den Strafrahmen bei Umweltdelikten deutlich erhöhen müssen. Ich halte das für evident und will das hier nicht weiter ausführen.
Ebenso wichtig für die Erhöhung der Wirksamkeit des Umweltstrafrechts ist es, so meine ich, daß wir uns mit der Frage beschäftigen, in welchem Umfang das Umweltstrafrecht akzessorisch zum Verwaltungsrecht sein muß. Wie weit sind Verwaltungsträger selbst für Umweltschäden verantwortlich, und inwieweit müssen sie verpflichtet werden, Umweltverstöße den Strafverfolgungsbehörden zu melden?
Das Thema ,,Strafrecht und Verwaltung" hat dieses Parlament und die Ausschüsse schon 1980 im Zusammenhang mit den Beschlüssen der Umweltstrafrechtsnovelle nachhaltig beschäftigt. Mir scheint, daß es hier nach wie vor zahlreiche ungelöste Fragen gibt. Die jetzige Regelung der teilweise strengen Verwaltungsakzessorietät, der quasi Straffreiheit von Amtsträgern und der nur sehr begrenzten und tatsächlich zurückhaltend geübten Anzeigepflicht von Amtsträgern in der Verwaltung hat möglicherweise den skizzierten Bagatellisierungszustand, aber vor allem den öffentlichen Eindruck mitgeprägt, es werde nichts getan.
An einem für mich entlarvenden Beispiel aus dem niedersächsischen Polizeialltag wird die Problematik, aber auch die unterschiedliche Haltung von Polizei und Verwaltungsbehörden besonders deutlich. Ich meine die Rücknahme des sogenannten Umweltkoffers für die Polizei zu dem Zeitpunkt, als sich herausstellte, daß die Polizei eine besonders wirksame Überwachung vor allem der Gewässer vornahm und sich ihr Vorgehen auch gegen Verwaltungsbehörden und Kommunalbehörden selbst richtete.
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Dieses Beispiel zeigt, daß theoretisch wohl auch Amtsträger strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt sind. Praktisch spricht aber einiges dafür, daß sie nie in der Statistik auftauchen.
Die uns vorliegende Antwort der Bundesregierung nennt drei Ermittlungsverfahren gegen Amtsträger, die alle eingestellt wurden. Das Beispiel zeigt aber auch, daß die Polizei gebremst werden muß und daß sie sich nicht selber bremst. Außerdem zeigt das Beispiel, daß der Tatbestand der Gewässerverunreinigung einer ist, den sie selbst auch ohne fremde Hilfe aufklären kann. Deswegen gibt es auch so viele Verfahren.
Auch die starke Dominanz der Gewässerverunreinigung im Rahmen registrierter Kriminalität, die aus der Statistik in der uns vorgelegten Antwort erkennbar ist, deutet auf eine vor allem an Gesichtspunkte optischer Wahrnehmbarkeit gebundene Erfassungsstruktur hin. Das eben leistet Schutz- und Wasserschutzpolizei. Dort, wo man weitgehend auf technisch umfangreicher ausgerüstete Verwaltungsbehörden, insbesondere auf die Gewerbeaufsichtsämter angewiesen ist, liegt die Anzeigehäufigkeit deutlich niedriger.
Nach einer mir vorliegenden Untersuchung erfolgte bei 6 267 Besichtigungen durch Gewerbeaufsichtsämter in Schleswig-Holstein in den Jahren 1981 und 1982, die zu 1 726 Beanstandungen führten, nur in 28 Fällen eine Anordnung, in drei Fällen eine Verwarnung ohne Bußgeld, und nur in drei Fällen erging ein Bußgeldbescheid.
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Nach einer Studie von Frau Mayntz wird hieran deutlich, daß Verwaltungsbehörden eben verhandlungsorientierte Strategien dem Gebrauch verwaltungs- und strafrechtlicher Zwangsmaßnahmen vorziehen. Das erscheint mir - Herr Kleinert, Sie haben sich damit auch beschäftigt - im Grunde auch als ein plausibles Vorgehen, solange Straftaten nicht tatsächlich unangezeigt bleiben. Aber wo bleibt die Grenze?
Die Anzeigepflicht - Herr Engelhard hat vorhin noch einmal darauf hingewiesen - wurde im Umweltbereich wegen der notwendigen gegenseitigen Kooperation zwischen Behörden und Anlagebetreibern, wegen der notwendigen gegenseitigen Information nicht ins Strafrecht eingeführt. Böse meinende Kritiker können schon aus der amtlichen Begründung leicht das Bild von Umweltsündern entnehmen, die unter einer Decke stecken.
Das Problem des Verhältnisses von Verwaltungsrecht zu Umweltstrafrecht wird aber eben noch deutlicher durch das Prinzip der bedingungslosen Verwaltungsakzessorietät einiger umweltstrafrechtlicher Normen. Bei § 324 StGB, nämlich der Gewässerverunreinigung, ist es das Merkmal des „Unbefugten", das die Verwaltung ausfüllen muß. Bei § 325 StGB, der Luftverschmutzung, ist es die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, die grob pflichtwidrig sein muß. Dadurch werden die Straftatbestände verwaltungsrechtlich erst festgelegt. Während bei § 324 StGB alles, was verwaltungsrechtlich nicht erlaubt ist, auch strafrechtliche Relevanz bekommt, genügt das bei § 325 StGB nicht. Erst wenn die Verwaltung in Auflagen und Anordnungen die Pflichten eines etwaigen Betreibers unanfechtbar festgelegt hat und dieser dagegen grob verstößt, greift das Strafrecht ein.
Es überrascht deshalb nicht, daß die vorgelegte Antwort im Bereich des § 325 StGB fast keinen Verstoß aufzeigt. Die Wirklichkeit des Verwaltungsverfahrens zeigt auch, daß sich Großemittenten in der Regel nicht strafbar machen, weil sie - von Störfällen abgesehen - die Umwelt im Rahmen der erforderlichen Erlaubnis benutzen. Im Ergebnis kann bei den einengenden Tatbestandsmerkmalen des § 325 StGB keiner mehr dagegen verstoßen.
Es ist deshalb zu begrüßen, daß zumindest an dieser Stelle die Bundesregierung über eine Novellierung dieses Straftatbestandes nachdenkt. Sie will aber das Prinzip der Verwaltungsakzessorietät nicht aufgeben, weil nicht bestraft werden kann - wie Sie vorhin noch einmal gesagt haben -, wer sich an das materielle Umweltverwaltungsrecht hält. Ich will dem grundsätzlich nicht widersprechen. Ich halte aber eine weitere Diskussion in Wissenschaft und Praxis für unabdingbar, für erforderlich.
Wir wissen alle, daß das Verwaltungsrecht als sogenanntes „soft law" ganz anderen Gestaltungsmaximen unterworfen ist als das Strafrecht. Auflagen und
Bedingungen in Verwaltungsbescheiden werden häufig ausgehandelt; Herr Kleinert hat vorhin darauf hingewiesen. Die Gestaltungsmacht eines potenten Anlagebetreibers ist dabei evident. Auf Grund der Akzessorietät des Strafrechts hat er dabei im Grunde häufig auch über den Umfang seiner eigenen Strafbarkeit mit zu verhandeln, weil nämlich das auch den Strafrahmen ausfüllt. Die beiden sich widersprechenden Prinzipien des Verwaltungsrechts einerseits und des Strafrechts andererseits lassen sich häufig nicht vereinen. Die Frage ist: In welchem Umfang kann das Strafrecht im Verwaltungsrecht abgekoppelt werden? Wie kann dem Strafrecht ein selbständigerer Schutzbereich zugewiesen werden? Die Bundesregierung sieht für eine Änderung ihrer kriminalpolitischen Haltung in dieser Frage keine Veranlassung.
Aber angesichts der eben kurz skizzierten Ungereimtheiten, auch angesichts der unbefriedigenden Verwaltungspraxis, wo in den Verwaltungsbehörden in den verschiedenen Ländern, aber auch in verschiedenen Behörden, sehr unterschiedliche Verfahrensweisen entwickelt wurden, die auch zu unterschiedlichen Strafrechtspraxen führen, ist die Antwort der Bundesregierung hierzu nicht zufriedenstellend. Ich meine, die Arbeitsgruppe muß darüber weiter nachdenken.
Auch die Anzeigepraxis ist in der Regel so, daß die strafwürdigen Fälle nach den Merkmalen der Hartnäckigkeit bei Verhandlungen über Auflagen und nach dem Merkmal der wiederholten Umweltschädigung herausgefiltert werden. Erst dann wird angezeigt. Dies ist auch für Verwaltungsbeamte selbst problematisch, die manchmal durchaus viel eher das Strafrecht bemühen wollen oder anderen Anforderungen ausgesetzt sein möchten.
Ich gestehe, daß ich selber keine befriedigende Lösung zu diesem Problem kenne. Mir scheint aber, daß die vorhandenen Regelungen, nicht nur im § 325, geändert werden müssen, daß nicht nur das Bodenrecht ergänzt werden muß, sondern daß die Bundesregierung auch im Sanktionenbereich durch die Einführung eines Verbrechenstatbestandes und in der systematischen Frage des Verhältnisses zum Verwaltungsrecht in absehbarer Zeit tätig werden müßte.
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Der häufig geäußerte öffentliche Eindruck im Zusammenhang mit dem Umweltstrafrecht: „Die Großen läßt man laufen" und „Die stecken alle unter einer Decke", muß uns auffordern, an diesen Stellen zu handeln.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Sauter ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Einstellung zur Umwelt hat sich in unserer Gesellschaft in den letzten Jahren erfreulicherweise nachhaltig geändert. Es ist deutlich geworden, daß uns die Achtung vor der Schöpfung und die Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen gebietet, Natur und Umwelt vor Schäden zu bewahren, entstandene Schäden zu beseitigen und mit den Gütern der Natur verantwortungsvoll und schonend umzugehen. Überall, in Verwaltung und Rechtsprechung, bei Produzenten und Verbrauchern, ist ein Prozeß des Umdenkens eingeleitet worden. Das Recht hat - und das ist gut so - diese Entwicklung in die Wege geleitet und unterstützt. Bereits im Jahre 1980 wurde das Umweltstrafrecht auf Grund eines breiten politischen Konsenses aller damals im Bundestag vertretenen Parteien grundlegend novelliert. Die für die Umwelt gefährlichen Verhaltensweisen wurden in neuen Straftatbeständen in das Strafgesetzbuch aufgenommen. Das Parlament hat auf diese Weise die Notwendigkeit eines stärkeren strafrechtlichen Schutzes im Umweltbereich unterstrichen und den sozialschädlichen Charakter von Umweltstraftaten verstärkt in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt. Selbstverständlich schließt dies nicht eine ständige Überprüfung aus, ob die geltenden Umweltstrafnormen der Entwicklung des Rechtsbewußtseins entsprechen.
Umweltkriminalität, die unsere Gesundheit gefährdet, und Schlampigkeit im Umgang mit gefährlichen Stoffen verdienen harte Strafen. Umweltsünder müssen für den Schaden aufkommen, den sie verursacht haben. Umweltschädliches Verhalten darf sich nicht lohnen. Es muß selbstverständlich werden, daß Umweltverschmutzung kein Kavaliersdelikt ist.
Dennoch muß eine Verbesserung des Umweltschutzes in erster Linie mit außerstrafrechtlichen Mitteln angestrebt werden. Vor allem gilt es, für eine weitere Verbesserung des öffentlich-rechtlichen Umweltschutzes und für eine stärkere Berücksichtigung dieses Schutzes im Privatrecht zu sorgen. Das Strafrecht hat eine flankierende Funktion; es kann auch im Rahmen der Umweltpolitik nur Ultima ratio sein.
Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in ihrer Auffassung bestärkt, daß im Bereich des Strafrechts folgende Themen aufgegriffen werden müssen, um ein wirksameres und problembewußteres Umweltrecht zu schaffen:
Erstens. Die Umweltkriminalität muß weiter nachhaltig bekämpft werden. Obwohl die Aufklärungsquote der einzelnen Umweltschutzdelikte bei 76 liegt und damit im Vergleich zur Gesamtkriminalität, bei der die Aufklärungsquote bei 45,2 % liegt, weit überdurchschnittlich ist, muß die Strafverfolgungsintensität weiter zunehmen. In erster Linie gilt es hierbei, das Umweltbewußtsein der Bevölkerung weiter zu schärfen. Wir müssen jedermann klarmachen, daß umweltschädliches Verhalten Unrecht ist, daß gravierende Verstöße gegen Umweltvorschriften Straftaten darstellen und nicht in den Bereich der Bagatellkriminalität abgedrängt werden können.
Zweitens. Wir müssen dafür Sorge tragen, daß in den Betrieben klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten für Fragen des Umweltschutzes geschaffen werden. Die Bedeutung des Umweltschutzes erfordert es, ihn bei einem Mitglied der Geschäftsführung anzusiedeln.
Drittens. Die bei den Umweltdelikten bestehende unterschiedliche Amtsträgerverantwortung kann
Sauter ({0})
nicht länger hingenommen werden. Es bedarf gesetzlicher Klarstellungen in diesem Bereich, wenn die bestehenden Zweifelsfragen nicht in absehbarer Zeit durch die Rechtsprechung geklärt werden, was möglich und denkbar erscheint.
Viertens. Die Umweltschutzbehörden sind durch Verwaltungsvorschriften zu verpflichten, bei schwerwiegenden Straftaten Anzeige bei den Strafverfolgungsbehörden zu erstatten.
({1}) - Moment: durch Verwaltungsvorschriften.
Eine gesetzliche Regelung der Anzeigepflicht empfiehlt sich nicht, da sich andernfalls jeder Amtsträger wegen Strafvereitelung strafbar machen würde, der in Verhandlungen mit den Anlagebetreibern und sonstigen Emittenten versucht, eingetretene Schäden zu beheben und einen rechtmäßigen Zustand herbeizuführen. Allerdings sollte eine Anzeigepflicht bei schwerwiegenden Umweltverstößen außer Diskussion stehen.
Fünftens. Die umweltschützenden Ge- und Verbote müssen präziser und klarer gefaßt werden. Nur so kann eine effektive Strafverfolgung erreicht werden, da im Umweltstrafrecht der Grundsatz der Verwaltungsakzessorietät gilt, d. h. eine enge Verzahnung des Umweltstrafrechts mit dem Umweltverwaltungsrecht. Das Umweltstrafrecht kann deshalb nicht verbieten, was das materielle Umweltverwaltungsrecht erlaubt.
Sechstens. Die Zusammenarbeit zwischen Fachbehörden, Polizei und Staatsanwaltschaften muß optimiert werden, um eine wirksame Vorbeugung und Strafverfolgung zu gewährleisten. Dies gilt in erster Linie für die Konzentration der Verfahren in der Hand bestimmter Sachbearbeiter. Bei den Staatsanwaltschaften wurden bereits Sonderabteilungen bzw. Sonderdezernate für Umweltstrafrecht geschaffen. Bei den Gerichten hat sich die Spezialisierung im Wege der Geschäftsverteilung bewährt. Im übrigen sollten auf allen Ebenen die Möglichkeiten der Aus- und Fortbildung ausgebaut werden. Den Polizeidienststellen sollte eine noch bessere Grundausrüstung zur Beweissicherung gegeben werden.
Siebtens. Grundlegende Verschärfungen oder Erweiterungen der Umweltstraftatbestände sind nicht notwendig. Die durch das 18. Strafrechtsänderungsgesetz vom 28. März 1980 in das Strafgesetzbuch eingefügten §§ 324 ff. sehen Strafrahmen im Normalfall bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe sowie bei schweren Umweltdelikten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe vor. Diese Sanktionsmöglichkeiten haben sich bewährt. Ein Bedürfnis nach Erhöhung des Strafrahmens besteht auch deshalb nicht, weil diese Strafrahmen bislang maximal zur Hälfte von den Gerichten ausgeschöpft worden sind. Bisher wurden nämlich für Umweltdelikte maximal zwei bis drei Jahre Freiheitsstrafe verhängt. Zwar nimmt der Anteil der höheren Kategorien zu; es ist aber trotzdem bemerkenswert, daß der bislang gültige Strafrahmen maximal zur Hälfte, bei besonders schwerwiegenden Taten gar erst zu einem Viertel ausgeschöpft wurde. Im übrigen scheint mir bemerkenswert zu sein, daß bei verschiedenen Straftatbeständen, wie z. B. § 328 StGB - unerlaubter Umgang mit Kernbrennstoffen - oder § 311 e StGB - wissentlich fehlerhafte Herstellung einer kerntechnischen Anlage - , bislang kein einziges - Gott sei Dank kein einziges - Verfahren geführt wurde. Allerdings könnten einzelne Tatbestände, wie z. B. § 325 StGB, griffiger gestaltet werden.
Achtens. Wesentlich scheint mir auch - wie der Kollege Eylmann bereits zutreffend angeführt hat - eine Erweiterung der Möglichkeiten zur Gewinnabschöpfung wirtschaftlicher Vorteile von Straftaten zu sein.
Meine Damen und Herren, gerade in unserem dichtbesiedelten und hochindustrialisierten Land kommt dem Schutz der Umwelt eine existentielle Bedeutung zu. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird wie bisher konstruktiv an einer Verbesserung des Umweltrechts mitwirken.
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Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Damit sind wir am Schluß unserer Tagesordnung angelangt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf Mittwoch, den 20. April 1988, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.