Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/1/1987

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich einiger Ereignisse gedenken. Am 21. März 1987 hat Herr Bundesminister Genscher seinen 60. Geburtstag gefeiert. Ich darf ihm die besten Wünsche des Hauses übermitteln. ({0}) Der Abgeordnete Strauß hat am 19. März 1987 auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. ({1}) - Sie klatschen etwas zu früh; die Nachfolgerin habe ich noch nicht genannt. Es ist die Abgeordnete Frau Hasselfeldt. Sie hat am 24. März 1987 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. ({2}) Ich begrüße die neue Kollegin und wünsche gute Zusammenarbeit. Der Altestenrat hat in seiner Sitzung am 19. März 1987 vereinbart, den Annahmeschlußtermin für Fragen, die in der Tagungswoche vom 4. bis 8. Mai 1987 beantwortet werden sollen, auf Donnerstag, den 30. April 1987, 11 Uhr vorzuverlegen. Das ist notwendig, weil Freitag, der 1. Mai 1987, ein gesetzlicher Feiertag ist. Diese Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde muß nach unserer Geschäftsordnung mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder des Bundestages beschlossen werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesordnungspunkte heute in veränderter Reihenfolge aufzurufen. Zunächst soll die Festlegung der Zahl der Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission mit Redebeiträgen von je fünf Minuten beraten werden. Die Wahl der Mitglieder, auf die ich noch zurückkomme, soll dann zeitlich verschoben werden. Dann soll die Beratung der Anträge zur Einsetzung von Ausschüssen mit Redebeiträgen von je fünf Minuten erfolgen, wobei der Antrag der Fraktion der SPD - Punkt 7 der Tagesordnung - abgesetzt werden soll. Danach stehen die Wahlen für den Gemeinsamen Ausschuß, den Vermittlungsausschuß und den Wahlprüfungsausschuß an. Als nächster Punkt ist die Beratung über das Gremium zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vorgesehen, und zwar ebenfalls mit einer Runde von je fünf Minuten. Auf die Wahl der Mitglieder dieses Gremiums komme ich sogleich zu sprechen. Anschließend sollen dann die Wahlen der Wahlmänner für das Bundesverfassungsgericht, der Mitglieder des Richterwahlausschusses, der Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission, der Mitglieder des Gremiums zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses durchgeführt werden. Die Wahlen der Vertreter in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und der Mitglieder des Verwaltungsrates der Filmförderungsanstalt schließen sich dann an. Ich gehe davon aus, daß die Beratungen und entsprechenden Wahlen bis gegen 11 Uhr abgewickelt werden können. Da interfraktionell vereinbart wurde, die Plenarsitzung dann bis 14 Uhr zu unterbrechen, wird als letzter Punkt der heutigen Tagesordnung die Aktuelle Stunde um 14 Uhr aufgerufen. Ich rufe nunmehr Punkt 2 der Tagesordnung auf: Festlegung der Zahl und Wahl der Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission - Drucksachen 11/105, 11/112, 11/114 Zu diesem Tagesordnungspunkt liegen Ihnen Anträge der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/105 sowie der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/114 vor. Wie schon bekanntgegeben, ist interfraktionell für die Beratung ein Redebeitrag von bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ich höre keinen Widerspruch. - Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Kleinert ({3}).

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht heute morgen um die Besetzung der Parlamentarischen Kontrollkommission. Ich denke, wir sollten jetzt versuchen, offen auszusprechen, welches der Streitpunkt ist, offen auszusprechen, worum es geht, und nicht mit den eigentlichen Absichten hinter dem Berg halten. Es geht, um das hier klipp und klar zu sagen, darum, daß CDU/CSU und FDP uns GRÜNEN auch diesmal den Zutritt zur Parlamentarischen Kontrollkommission verwehren wollen. ({0}) - Ihr Beifall zeigt, meine Herren, daß ich recht habe. - Das ist der Gegenstand dieser Auseinandersetzung. Es soll nicht sein, daß ein grüner Parlamentarier Einblick in das erhält, was die Geheimdienste in diesem Lande so alles treiben. ({1}) Daß das bitter nötig wäre, brauche ich hier nicht hinzuzufügen. Sie wollen uns erneut selbstverständliche parlamentarische Kontrollrechte verwehren. Das ist der Kern der Auseinandersetzung. In unserem Antrag schlagen wir vor, die Zahl der Mitglieder der PKK auf neun festzulegen. Wir wollen alle Fraktionen beteiligen, und wir wollen der Koalition dabei sogar eine Mehrheit von 5 : 4 sichern. ({2}) Der SPD-Antrag geht in eine ähnliche Richtung. Sie von der Koalition werden hier gleich mit äußerster Scheinheiligkeit erklären, Sie wollten bei der Zahl Acht bleiben, und Sie werden unserem Kandidaten anbieten, er könne sich ja hier bewerben, man werde dann ja sehen. Ich will das noch einmal klarstellen. 1983 haben Sie, als es um den gleichen Punkt ging, hier erklärt, man müsse bei acht Mitgliedern bleiben, von der Zahl Acht aus gesehen stünde den GRÜNEN kein Sitz zu, und Sie würden nicht einsehen, extra wegen der GRÜNEN an der Zahl etwas zu ändern. Nun sind wir zahlenmäßig so stark, ({3}) daß uns nach allen Auszählungsvarianten ein Sitz zustehen würde. Was machen Sie jetzt? Jetzt werden Sie wieder alles daransetzen, uns diesen Sitz erneut vorzuenthalten. Das ist Ihr Demokratieverständnis auf der rechten Seite dieses Hauses. ({4}) Es ist nicht das erste Mal, daß uns im Bundestag eigentlich selbstverständliche parlamentarische Kontrollrechte verwehrt bleiben sollen. Sie wollen diese Tradition ein weiteres Mal fortsetzen. Sie wollen uns hier zu Abgeordneten zweiter Klasse machen. Sie wollen hier eine Fraktion minderen Rechts schaffen. Das, was Sie vorhaben, trifft nicht nur uns, es trifft auch die Bürger, die die GRÜNEN hierhin gewählt haben. ({5}) Auch diese Bürger sollen hier quasi zu Bürgern minderen Rechts gestempelt werden, deren Stimme weniger wert sein soll als die Stimme derjenigen, die Sie hierhin gewählt haben. Sie halten sich ansonsten so viel auf Rechtsstaatlichkeit und demokratische Spielregeln zugute. Sie wollen gern den Oberzensor über das Politikverständnis der GRÜNEN spielen. Wir werden es morgen erleben; ich bin schon sehr gespannt. Die Wahrheit aber über Ihr Demokratieverständnis kommt einmal mehr heute morgen auf den Tisch. Die Wahrheit sieht so aus: Sie praktizieren eine Politik der Ausgrenzung, Sie praktizieren eine Politik der andauernden Diskriminierung gegenüber politischen Kräften, die Ihnen unbequem sind. Sie praktizieren eine Politik der Diskriminierung gegenüber politischen Kräften, die Ihnen lästig sind. Herr Seiters hat das hier vor ein paar Wochen deutlich gesagt, indem er ausgeführt hat: Sie gehören nicht in dieses Haus. - Ich behaupte an dieser Stelle noch einmal: Das ist Ihre eigentliche Einstellung gegenüber einer demokratisch gewählten Fraktion. ({6}) Diese Einstellung kommt an dieser Stelle erneut zum Ausdruck. Was Sie heute hier wieder vorhaben, setzt an eben dieser Stelle an. Ich sage Ihnen ganz bewußt dazu: Das ist eine Ausgrenzungspolitik, aber nicht nur das. Ich sehe das, was Sie vorhaben, als Bestandteil einer Politik, die ich als eine Politik der innerstaatlichen Feinderklärung gegenüber den GRÜNEN bezeichnen möchte. Wer verhindern will, daß Sie mit dieser Praxis ein weiteres Mal durchkommen, der ist aufgerufen, unseren Antrag zu unterstützen und damit sicherzustellen, daß alle Fraktionen am Gremium Parlamentarische Kontrollkommission beteiligt werden und daß damit alle Fraktionen die Möglichkeit erhalten, in diesem ganz wichtigen Bereich der parlamentarischen Kontrolle ihre Kontrollmöglichkeiten auch wahrzunehmen. ({7})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Becker ({0}).

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000127, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben uns hier vor wenigen Wochen darauf verständigt, daß wir bei der Besetzung parlamentarischer Gremien ein Rechenverfahren anwenden, das für kleinere Fraktionen bei der Vergabe der Sitze Vorteile bietet: das verfeinerte Verf ah-ren nach Herrn Schepers. Das war der erste Fakt, der hier gesetzt wurde. Wir haben vor vier Jahren in bezug auf die Parlamentarische Kontrollkommission durch den Kollegen Jahn für die SPD erklären lassen: Kontrolle ist nur dann wirksam und überzeugend, wenn sie uneingeschränkt von der Gesamtheit des Parlaments, also auch von der Minderheit, getragen und verantwortlich ausgeübt wird. Becker ({0}) Diesen Grundsatz sollten wir beibehalten. Die Parlamentarische Kontrollkommission ist ein Gremium, zu dem wir alle Vertrauen haben müssen. ({1}) Sie wissen, daß in diesem Gremium Dinge behandelt werden, die nicht jeder weiterverbreiten darf. Man muß also Vertrauen auch zu den Personen haben, die hier in Vorschlag kommen und die man wählen will. ({2}) Von diesem Grundsatz sollten wir auch nicht abweichen. ({3}) Bei der Besetzung von Gremien haben wir bisher dazu beigetragen - das haben wir für ganz in Ordnung befunden - , daß die Koalitionsfraktionen in diesen Gremien die Mehrheit haben. Deswegen gehen wir über Ihren Vorschlag hinaus. Sie wollen acht Mitglieder in dieser Parlamentarischen Kontrollkommission haben. Wir sagen: neun. Denn dann wäre nach dem erwähnten Verfahren die Sitzverteilung rein rechnerisch 4 : 3 : 1 : 1. Nun hängt es von uns ab, welche Vorschläge gemacht werden und wen wir in diese Parlamentarische Kontrollkommission wählen, egal, wozu wir uns jetzt entschließen, ob es neun oder acht Mitglieder werden. Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen. ({4})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bohl.

Friedrich Bohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000230, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst darf ich mich recht herzlich bedanken, Herr Kollege Becker, daß Sie um die Fraktion der CDU/CSU so besorgt sind. Wir werden bei passender Gelegenheit darauf zurückkommen. Ich darf Ihnen zunächst einmal den § 4 des Gesetzes hinsichtlich der Kontrolle des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Militärischen Abschirmdienstes und des Bundesnachrichtendienstes vorlesen: ({0}) Der Deutsche Bundestag wählt zu Beginn jeder Wahlperiode die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission aus seiner Mitte. ({1}) Er bestimmt die Zahl der Mitglieder, die Zusammensetzung und die Arbeitsweise der Parlamentarischen Kontrollkommission. ({2}) Gewählt ist - das ist sehr wichtig -, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages auf sich vereint. Das heißt also, es gibt hier keine Automatik. Es gibt nicht die Möglichkeit - wie bei der Besetzung der Ausschüsse des Deutschen Bundestages - , daß nach Fraktionsstärke Delegationen oder Entsendungen stattfinden, sondern ähnlich wie bei der Wahl der Vizepräsidenten brauchen die Bewerber das Vertrauen der Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages. ({3}) Diese Regelung ist auch vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 14. Januar letzten Jahres für verfassungsgemäß erklärt worden. Ich darf auf zwei Leitsätze in diesem Zusammenhang verweisen: Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, daß die Mitglieder - in diesem Fall nach § 4 Abs. 9 des Haushaltsgesetzes mit der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages zu wählen sind. Dieses Verfahren soll gewährleisten, daß nur Abgeordnete gewählt werden, die persönlich das Vertrauen der Mehrheit cies Bundestages genießen. ({4}) Der zweite Satz, Herr Kleinert, lautet: Jedenfalls aus zwingenden Gründen des Geheimschutzes kann es verfassungsrechtlich hinzunehmen sein, daß einzelne Fraktionen bei der Besetzung eines Ausschusses unberücksichtigt bleiben. Das ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes. ({5}) Ich kann nur sagen: Es kommt nun darauf an, ob die Kandidaten - wir bleiben bei acht Mitgliedern - das Vertrauen der Mehrheit des Deutschen Bundestages finden. ({6}) Ich muß Ihnen folgendes sagen: Wenn der Herr Abgeordnete Ströbele ({7}) ausweislich des Plenarprotokolls vom 3. September 1985 erklärt: ,,... wir GRÜNEN sind grundsätzlich gegen staatliche Geheimnisse ...", ,,... Geheimdienste wie das Bundesamt für Verfassungsschutz" seien „mit richtig verstandener Demokratie unvereinbar" , werden Sie doch bitte Verständnis dafür haben, daß wir den Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht empfehlen können, heute einen Kandidaten der Fraktion DIE GRÜNEN in das Gremium Parlamentarische Kontrollkommission zu wählen. ({8}) Angesichts alldessen sind wir der Auffassung, daß es richtig ist, an der bewährten Zahl von acht Mitgliedern der Parlamentarischen Kontrollkommission festzuhalten. Darüber hinaus werden wir es der Abstimmung, der Wahl, überlassen müssen, wie die Zusammensetzung der PKK ausgeht. Die CDU/CSU300 Deutscher Bundestag - 11.Wahlperiode 7. Sitzung. Bonn, Mitwoch, dn 1. April 1987 Fraktion wird sich jedenfalls nicht dazu hergeben, der Fraktion der GRÜNEN zu Sitz und Stimme in diesem wichtigen Kontrollgremium zu verhelfen. Vielen Dank. ({9})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm.

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Über die Zahl ist ja schon viel gesprochen worden. Schon in der 5. Legislaturperiode hat man sich darüber Gedanken gemacht. Zuerst hat man fünf Mitglieder vorgeschlagen. Dann ist man in einem Unterausschuß 1977 schließlich zu der Zahl Acht gekommen. Nach den Kriterien, die damals dort festgesetzt worden sind, wird für die Nachrichtendienste des Bundes ein parlamentarisches Kontrollorgan geschaffen. Die Zusammensetzung und Größe des Kontrollorgans muß die Arbeitsfähigkeit und Vertraulichkeit gewährleisten. Die politische Verantwortung der Minister und des Chefs des Bundeskanzleramtes bleibt bestehen. Danach sind wir bisher immer verfahren. Wir haben auch vor vier Jahren erklärt, daß wir keinen Anlaß sehen, an der Zahl etwas nach unten oder nach oben zu ändern. Deshalb bleiben wir auch heute bei der Zahl Acht, die sich bewährt hat. Der Kollege Becker hat für die Sozialdemokraten einen Antrag gestellt, mit dem er die Zahl auf neun erweitern möchte. Er hat auch gleichzeitig auf das Zählverfahren hingewiesen. Ich darf dazu korrigierend sagen: St. Lague/Schepers ist ein Zählverfahren, das kleinere Fraktionen entsprechend gleichstellt, d. h. nicht die Großen begünstigt. Das ist der Grund dieses Verfahrens. ({0}) Im übrigen habe ich den Eindruck, daß heute ein leichter Hauch von Ostern durch unser Haus weht - vom1. April will ich gar nicht reden -, ({1}) weil sich die große Oppositionspartei Sorgen um unsere Mehrheit macht. Wir werden schon mit unserer Mehrheit zurechtkommen. Wir werden vielleicht zu gegebener Zeit einmal auf dieses Angebot zurückkommen, aber nicht heute. Herr Kollege Kleinert ({2}), die Stimmen der GRÜNEN sind bei diesem Wahlverfahren nicht minder gewichtet. Sie sind genau gleich: Jeder hat eine Stimme. Jede Stimme hat genau das gleiche Gewicht. Sie von den GRÜNEN sind allerdings nicht sechsmal so stark, wie Sie meinen, denn dann müßten Sie Ihren Kandidaten in diesem Wahlverfahren aus eigener Kraft durchbringen. ({3}) Sie müssen die Mehrheit eben zusammen mit anderen sichern. Sie müssen andere davon überzeugen, daß Ihr Kandidat ein so geeigneter Kandidat ist. Genauso steht es im Gesetz: „Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages auf sich vereint." Ich bin der Meinung, Herr Kollege Kleinert, daß Ihre Rede möglicherweise - das müssen die Mitglieder des Hauses beurteilen - nicht unbedingt dazu beigetragen hat, daß Sie die Stimmen der Mehrheit dieses Hauses bei der Vertrauenswerbung auf Ihren Kandidaten vereinigen können. ({4})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Da weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, schließe ich die Aussprache. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung. Es liegen der Antrag der Fraktion der SPD und der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/105 und 11/114 vor. Diese Anträge sind in ihren Ziffern 1 bis 3 inhaltsgleich. Es ist deswegen zweckmäßig, über sie gemeinsam abstimmen zu lassen. ({0}) - Es wird Widerspruch erhoben. ({1}) - Ich habe gesagt, Herr Kollege Jahn, daß die Ziffern 1 bis 3 inhaltsgleich sind. Es entspricht der Praxis, daß wir über inhaltsgleiche Anträge - die beiden genannten Anträge sind zum Teil inhaltsgleich - gemeinsam abstimmen lassen. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat namentliche Abstimmung beantragt. ({2}) Ich eröffne die Abstimmung über die Ziffern 1 bis 3. Ich bitte die Schriftführer, an die Urnen zu kommen. Ich darf noch einmal darauf hinweisen - es hat eine Fehlinterpretation gegeben - : Abgestimmt wird über die Ziffern 2 und 3, nicht über die Einsetzung des Ausschusses, sondern über die Ziffern 2 und 3 der beiden Anträge der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarten abgegeben? - Ich schließe die Aussprache und bitte die Schriftführer, die Stimmkarten zu zählen. *= Meine Damen und Herren, es ist interfraktionell vereinbart worden, daß wir in der Tagesordnung fortfahren und die weitere Beratung dieses Punktes zunächst zurückstellen. Wie beschlossen wollen wir die Wahl der Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission in etwa 45 Minuten im Zusammenhang mit der Wahl des G-10-Gremiums, des Wahlmännerausschusses und des Richterwahlausschusses durchführen. *)rgebnis Seite 307A Präsident Dr. Jenninger Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung und Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN Einsetzung von Ausschüssen - Drucksache 11/68 Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Einsetzung eines Ausschusses für Frauenpolitik - Drucksache 11/101 Zum Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/102 vor. Meine Damen und Herren, interfraktionell ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Vennegerts.

Christa Vennegerts (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002365, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf Sie doch etwas um Ruhe bitten.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ja, ich bitte die Damen und Herren, die stehen, Platz zu nehmen. Einen Augenblick bitte, Frau Kollegin Vennegerts. Ich werde die Beratungen so lange nicht fortsetzen, wie die Damen und Herren nicht Platz nehmen oder den Saal verlassen. Das trifft auch für Sie zu, Herr Abgeordneter Lenzer. Bitte nehmen Sie Platz! Fahren Sie bitte fort, Frau Kollegin Vennegerts.

Christa Vennegerts (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002365, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben den Antrag auf Drucksache 11/101 - Einsetzung eines Ausschusses für Frauenpolitik - vorliegen. Frauenpolitik darf kein Anhängsel sein, schon gar nicht auf der bundespolitischen Ebene. Unseres Erachtens ist es nicht ausreichend und geht an der tatsächlichen Situation der Frauen vorbei, wenn wir hier die Unterordnung der Frauenpolitik unter den Begriff „Familie" und zum Teil auch den Begriff „Jugend" des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit so bestehenlassen. Tatsache ist: Frauenbenachteiligung in sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen besteht auch bei uns in der Bundesrepublik im Jahre 1987. ({0}) Das Grundübel ist meiner Meinung nach die geschlechtsspezifische Aufteilung der gesellschaftlichen Arbeit. Auch wenn das einige Herren hier vielleicht nicht so interessiert, weil sie glauben, sie seien davon weniger tangiert, denke ich, sie sollten der Frauensolidarität hier wenigstens einmal Aufmerksamkeit zollen. Haus- und Familienarbeit bleiben immer noch zu überwiegenden Teilen an den berufstätigen Frauen hängen. Das sind Tatsachen. Es sieht so aus, daß der durchschnittliche Arbeitstag von berufstätigen Müttern zwischen 12 und 16 Stunden liegt. Schlechtere Bezahlung, höherer Anteil von arbeitslosen Frauen im Vergleich zum Anteil der Männer, höherer Anteil arbeitsloser Mädchen im Vergleich zu den Jungen, das sind Tatsachen, denen wir heute nach wie vor gegenüberstehen. Rund zwei Drittel aller Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz haben, sind Mädchen. Über 80 % der weiblichen Auszubildenden werden schwerpunktmäßig in 25 meist frauenspezifischen Berufen ausgebildet. Über die Hälfte der Ausbildungsplätze wird nur Jungen angeboten. Es sind nur 50 000 Frauen in Männerberufen beschäftigt, 50 000 Frauen von 10 Millionen erwerbstätigen Frauen! Von 3 Millionen Arbeiterinnen sind 90 % un- und angelernte und nur 6 % Facharbeiterinnen. 1,5 bis 2 Millionen Frauen haben ungesicherte Teilzeitarbeitsplätze mit unter 15 Wochenstunden. Ich habe Ihnen hiermit an einigen exemplarischen Sachverhalten aufgezeigt, daß die Benachteiligung der Frauen in unserer Gesellschaft Tatsache ist und Tag für Tag weiterbesteht. Ich denke auch, daß die Frauenbenachteiligung keine abgeschlossene Phase in dem Sinne ist, daß man sagen könnte: Nach dem Berufsleben regelt sich das alles schon. Das stimmt nicht. Die Benachteiligung zieht sich bis ins Rentenalter hindurch; z. B. haben 550 000 Frauen unter 600 DM Rente im Monat. Daran sieht man: Dieser Frauenausschuß, der sich speziell mit den Belangen der Frauen in unserer Republik befassen soll, um die Benachteiligung der Frauen ernsthaft anzugehen, denn die uns im Grundgesetz garantierte Gleichbehandlung ist faktisch nicht vollzogen, ist überhaupt kein Luxus, sondern ein dringendes Erfordernis. Ich hoffe, das ist Ihnen jetzt klargeworden. ({1}) - Herr Kollege, ich denke, wenn Sie mir zugehört hätten, dann hätten Sie es verstanden. ({2}) Der Status quo, den wir jetzt mit dem Ausschuß für Jugend, Familie, und Gesundheit haben, erweckt den Anschein, als sei Familienpolitik Frauenpolitik. Dem ist nicht so. Das ist ein total falscher Ansatz. Das hätten einige politische Kräfte hier natürlich furchtbar gern. Diese Betrachtungsweise schreibt das traditionelle Rollenbild der Frau in der Weise fest, daß Frauen einmal wieder zu einer arbeitsmarktpolitischen Manövriermasse werden. Sie werden hin- und hergeschoben, so wie man es braucht. Ich denke, daß Frauenpolitik alle gesellschaftlichen Lebensbereiche durchziehen muß, um die existierende Benachteiligung aktiv anzugehen. ({3}) Der Frauenausschuß hätte noch einen weiteren Vorteil - das ist jetzt auch etwas für Ihre Reihen -: Frau Ministerin Süssmuth könnte durch den Frauenausschuß dadurch unterstützt werden, daß ihr Mini302 sterium mehr Kompetenzen bekäme, was meiner Meinung nach bitter nötig wäre. ({4}) Ich will ihr den Willen zur Bekämpfung der Benachteiligung der Frauen nicht absprechen, aber ich denke, daß der Wille hier nicht ausreicht, sondern daß die Forderungen durchgesetzt werden müssen. ({5}) Fazit ist, daß es hier nicht um eine Aufblähung durch Vergrößerung der Zahl der Ausschüsse geht, sondern daß die vielfältigen Aufgaben auf dem Gebiet der Frauenpolitik endlich erfüllt werden.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluß.

Christa Vennegerts (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002365, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, Herr Präsident. - Das geht nur in diesem Frauenausschuß und nicht - wie es jetzt der Fall ist - so, daß die Frauenpolitik über mehrere Kompetenzbereiche zersplittet wird. Man muß doch den Tatsachen Rechnung tragen, meine Damen und Herren. Es ist doch nicht einzusehen, daß wir Post und Sport einen höheren Stellenwert in unserer Gesellschaft als der Situation der Frau einräumen, denn für diese Politikbereiche gibt es Ausschüsse. Ich danke. ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Frau Kollegin, ich glaube, Sie rennen hier offene Türen ein. Wir haben bereits einen Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, übrigens in einer Kombination, die wir allen Damen natürlich weiter wünschen: Jugend und Gesundheit. ({0}) Ich meine, die Angelegenheiten der Frauen - auch wir gehen davon aus, daß sie nach wie vor benachteiligt sind - können in diesem Ausschuß sorgfältig beraten werden. Die Zahl seiner Mitglieder ist deswegen auch extra auf 31 erhöht worden, ({1}) damit hier die Möglichkeiten der Beratung auch durch die Besetzung intensiv und tatsächlich wahrgenommen werden können. Ich habe mir übrigens die Mühe gemacht, einmal festzustellen, wann in einem deutschen Parlament das erste Mal eine Frau das Wort ergriffen hat. Das war am 19. Februar 1919 in der Nationalversammlung. Frau Juchacz hat damals gesagt: Es ist das erste Mal, daß in Deutschland die Frau als Freie und Gleiche im Parlament sprechen darf. Sie hat dann in einer, wie ich glaube, umfassenden großen Rede, wenn ich das im nachhinein so bewerten darf, gesagt: Dann möchte ich nun den Wunsch aussprechen, daß an den Behörden, die mit Frauenangelegenheiten, mit Angelegenheiten von Frauen und Kindern zu tun haben, auch an leitende Stellen sozial erfahrene und geschulte Frauen berufen werden. Das ist ein Wunsch, den auch wir hier von unserer Seite nachdrücklich an die Behörden richten wollen, nämlich erfahrene und geschulte Frauen, an leitende Stellen zu berufen. ({2}) Ich meine, daß der Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit in der Lage und willens sein kann und ist, diese Bedingungen weiterzuentwickeln, wir wollen ihn auf diesem Wege unterstützen. ({3})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schmidt ({0}).

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kollegen! Meine Kolleginnen! Erstens, lieber Kollege Wolfgramm, sind die Türen nicht so offen, und das Thema ist mir ein ganz klein bißchen zu ernst, als daß wir das hier mit so galanten Schnörkeln versehen sollten. ({0}) Für uns geht es nämlich bei der Gleichstellung der Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen nicht darum, Frauen zu helfen, sondern es geht um die Glaubwürdigkeit unserer Demokratie. ({1}) Deshalb kämpfen wir darum und freuen uns über jeden Fortschritt in dieser Richtung. Für uns ist die Einrichtung eines solchen Frauenausschusses ein Schritt in die falsche Richtung, und deshalb bitte ich Sie, liebe Kollegen von den GRÜNEN, darüber mit uns noch einmal nachzudenken. Für uns gibt es drei Gründe dafür, daß wir diesen Ausschuß ablehnen. Erstens. Ein Frauenausschuß ohne ein entsprechendes Pendant auf Regierungsseite bleibt reine Beschäftigungstherapie. Sollte irgendwann einmal ein Amt oder eine Stelle auf Regierungsseite eingerichtet werden, die tatsächlich Kompetenzen, finanzielle Mittel, Entscheidungsbefugnisse hat, dann müßte über so etwas neu nachgedacht werden. ({2}) Der zweite Grund ist für mich der wichtigste: Die Existenz eines solchen Frauenausschusses verführt unsere Kollegen, wie ich sie aus langen Jahren kenne, dazu, die Probleme, die wir haben und die in allen Politikbereichen vorhanden sind, in so einen Frauenausschuß abzudrängen und so von sich wegzuschieben. ({3}) Deutscher Bundestag - 11.Walperiode - 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, cien 1. April 1987 303 Frau Schmidt ({4}) Unser Rezept ist ein anderes: Frauen sollten in jeden Fachausschuß hinein und den Männern so lange auf die Nerven gehen, bis sie es begreifen. ({5})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Frau Abgeordnete Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Vollmer?

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Schmidt, meinen Sie nicht, daß es eine Abwertung des Parlaments ist, zu meinen, ein Parlament oder ein parlamentarischer Ausschuß könne erst wirksam werden, wenn es auch ein entsprechendes Ministerium gibt? Ist das Parlament von der Regierung so abhängig?

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Vollmer, ich habe das Wort „Ministerium" absichtlich nicht verwandt, weil ich nicht der Meinung bin, daß es unbedingt ein Ministerium sein müßte. Wir hätten da andere Vorstellungen. Für mich ist die Frage - damit komme ich zu meinem dritten Punkt und auch schon zum Schluß - Was bedeutet eigentlich die politische Arbeit für uns Frauen? Im Regelfall ist es eine Vielzahl von zusätzlichen Terminen. Wir haben auch als Parlamentarierinnen eine größere Arbeitsbelastung auf uns zu nehmen, weil die meisten Kollegen, die Männer, in ihren Wahlkreisen zwischendrin auch mal eine Frau brauchen, weil irgendwo in bestimmten Dingen - ({0}) - Selbstverständlich, so ist es doch. Da brauchen Sie nicht zu lachen; Sie haben nur wenige Frauen in Ihrer Fraktion, und da sind diese Anforderungen noch sehr viel größer als bei uns. Wenn wir unsere Terminkalender hier in Bonn oder anderswo anschauen, dann stellen wir fest, daß wir mehr Termine wahrzunehmen haben. ({1}) Ein solcher Ausschuß, der zusätzliche Termine bringt, ohne daß wir damit etwas bewirken können - nur darum geht es mir - , ist für uns Frauen eine zusätzliche Belastung. Unsere Kräfte brauchen wir für etwas anderes, und deshalb lehnen wir diesen Ausschuß ab. ({2})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Knabe.

Dr. Wilhelm Knabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Die GRÜNEN beantragen die Umbenennung des 17. Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen in „Ausschuß für deutsch-deutsche Beziehungen". Diese Umbenennung ist notwendig, ja überfällig, weil das Wort „innerdeutsch" eine Fiktion beschwört, die Augen vor der Wirklichkeit der beiden deutschen Staaten verschließt und praktische Verständigungspolitik mit unserem deutschen Nachbarn behindert ({0}) wie jetzt die Verhandlungen mit der Volkskammer -, ohne auch nur den Funken einer politischen Utopie zu erzeugen. Die GRÜNEN fordern nicht die Auflösung des Ausschusses, weil hier nach wie vor ein wichtiges Arbeitsfeld für den Bundestag bleibt. Die GRÜNEN fordern auch nicht die Umbenennung in „Ostdeutsch-westdeutschen Ausschuß", denn eine solche Änderung könnte die Entwicklung einer ostdeutschen und westdeutschen Nation begünstigen, also von zwei Nationalstaaten, die gegeneinanderstehen und sich befeinden. Ich hoffe, es ist klar was wir wollen: Dieser Ausschuß soll die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten, Bundesrepublik und DDR, besprechen, aber nicht über Innerdeutsches philosophieren. Wir brauchen einen Ausschuß, der für die DDR ohne Gesichtsverlust als Verhandlungspartner in Betracht kommt, ({1}) weil wir die DDR eben als gleichberechtigten Staat anerkennen. Wir GRÜNEN stellen diesen Antrag, weil in unserer Republik weit mehr als zwei Millionen Flüchtlinge, die von drüben kommen, wohnen. Wir brauchen einen Ort, wo verhandelt wird, wo man sich einsetzt, daß die Besuchskontakte hin- und herlaufen. „Innerdeutsch" provoziert doch die Antithese „außerdeutsch", das wären alle anderen Nationen, auch die Ausländer in unserem Lande. Nein, das wollen wir nicht. Wir wollen keine Abgrenzung der Deutschen zu den anderen, sondern Verständigung und Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen Staaten. Wir wollen uns in diesem Ausschuß auch offiziell mit Vertretern der DDR über das Thema Einreiseverbote für GRÜNE in die DDR unterhalten. Es ist ja eine Affenschande, daß ausgerechnet die GRÜNEN in der DDR wie Aussätzige aus den Warteschlangen aussortiert und zurückgeschickt werden. Das geht die ganze Republik an, und das belastet das Verhältnis der beiden deutschen Staaten. Auch das wäre dort zu besprechen. Ich appelliere deshalb an Sie, meine Damen und Herren der anderen Fraktionen, dieser Umbenennung zustimmen. Wenn bei Ihnen selbst noch Diskussionsbedarf besteht, verweisen Sie ihn an den Ausschuß. Dann kann das dort überparteilich diskutiert werden. Der Ausschuß für deutsch-deutsche Beziehungen eröffnet neue Perspektiven - als Ort, wo die Umweltabkommen angeregt und vorangebracht werden und wo politisch nachgehakt wird - als Platz, wo über die Abrüstung zwischen diesen beiden deutschen Staaten gesprochen wird, und eben - als Ausschuß, in dem man sich für Menschen einsetzt, die betroffen sind, die aus ganz bestimmten Gründen politisch inhaftiert sind. Dies muß ohne Einmischung in den anderen Staat, sondern mit ihm als Ansprechpartner für bedrohte Menschen geschehen. Lassen Sie uns in diesem Ausschuß Politik machen und nicht Gespenster beschwören, Politik zum Nutzen der Menschen in beiden deutschen Staaten. In diesem Punkt sind wir oft gescholtenen grünen Fundis viel realistischer als die Realpolitiker der anderen Parteien. Machen Sie diesen Ausschuß endlich politikfähig! Danke. ({2})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Bohl.

Friedrich Bohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000230, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu diesem Antrag der Fraktion der GRÜNEN muß ich doch zunächst einmal mein Verwundern insofern zum Ausdruck bringen, als es natürlich nicht sehr gut ist, zunächst einen gemeinsamen Antrag zu unterschreiben und den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen einzusetzen, sich anschließend davon aber gleich wieder zu distanzieren und einen Ausschuß mit der jetzt beantragten Bezeichnung zu konzipieren. ({0}) - Also, ich muß sagen, Herr Kleinert: Darüber sollten wir uns in Zukunft dann doch vorher verständigen. Es ist etwas anderes, wenn Sie einen zusätzlichen Ausschuß beantragen; das geht in Ordnung. Aber man kann nicht unterschreiben, so solle der Ausschuß heißen, und sich anschließend davon wieder absetzen. Das zweite: Ich meine, alle Ausschüsse, die wir haben - jedenfalls soweit es die Überschrift anbelangt - , korrespondieren mit den Ministerien. Das heißt also, für jedes Ministerium haben wir auch einen vom Namen her korrespondierenden Ausschuß im Bundestag, so daß wir auch aus diesen formalen Gründen keine Veranlassung sehen, auf Ihren Antrag einzugehen. Aber ich will mich einer inhaltlichen Bewertung Ihres Antrages nicht entziehen. Die Bezeichnung „innerdeutsch" soll nach unserer Auffassung unmißverständlich zum Ausdruck bringen, daß das Verhältnis zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland nicht ein Verhältnis zwischen ausländischen Staaten ist, ({1}) sondern ein Verhältnis zwischen zwei Staaten innerhalb Deutschlands. ({2}) Es handelt sich also um die Planung, Gestaltung, Bewertung, Beschreibung - wie Sie wollen - von politischen Beziehungen innerhalb eines Volkes und einer Nation. Es ist deshalb schon bezeichnend, daß gerade die Fraktion DIE GRÜNEN jetzt den Antrag stellt, der hier erläutert wurde. Das ist diejenige Gruppierung in unserem Lande, die die Teilung Deutschlands als endgültige politische und historische Tatsache hinnehmen will und vor diesem Hintergrund auch bereit ist, die Geraer Forderungen der DDR zu akzeptieren. Wir als CDU/CSU-Fraktion können dazu nur erklären, daß es für eine solche Politik innerhalb des Deutschen Bundestages und, wie wir meinen, auch innerhalb der deutschen Öffentlichkeit keine Mehrheit gibt. Die DDR ist für uns kein Ausland, die Deutschen in der DDR sind für uns keine Ausländer und werden es niemals sein. Wir bürgern niemanden aus. Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb ist es völlig richtig, bei der Bezeichnung „Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen" zu bleiben. Wir lehnen Ihren Antrag ab. ({3})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Büchler ({0}).

Hans Büchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000294, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 1969 haben wir Sozialdemokraten das damalige Ministerium für gesamtdeutsche Fragen umbenannt in Ministerium für innerdeutsche Beziehungen. Das galt in der Folge selbstverständlich auch für den entsprechenden Bundestagsausschuß. Wir wollten mit dieser Regelung erreichen, daß wir mit den Verantwortlichen in der DDR besser ins Gespräch kommen. Dieses Ziel mußte deutlicher zum Ausdruck gebracht werden. Dazu wurde die Umbenennung, damals auch von Staatssekretär Günter Wetzel am 23. Oktober 1969, erklärt. Damit kam zugleich zum Ausdruck, daß wir an dem Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik nicht festhalten. Dies war der Grund der Umbenennung. Im Grundlagenvertrag mit der DDR heißt es dann auch: Beide deutsche Staaten regeln ihre inneren und äußeren Angelegenheiten selbst. In Willy Brandts Regierungserklärung hieß es: „Es existieren zwei deutsche Staaten, aber eine deutsche Nation" . Hans-Jochen Vogel erklärt auch heute, daß die deutsche Nation als Kultur-, Geschichts-, Sprach-und Gefühlsgemeinschaft fortbesteht. Dies ist unsere Position. Es gibt also keinen Anlaß, ein neues Firmenschild für den Bundestagsausschuß für innerdeutsche Beziehungen zu erfinden. Möglicherweise kann es unter anderen Gesichtspunkten einmal sinnvoll werden, eine Umbenennung zu vollziehen und den Vorschlag der GRÜNEN zu diskutieren. Jetzt aber haben wir keine entsprechenden Argumente. Auch Sie haben heute in Wirklichkeit dafür keine Argumente gebracht. Daß Sie keine Argumente haben, wird auch dadurch bewiesen, daß Sie den Antrag hier nicht schriftlich begründen, sondern lapidar die Umbenennung fordern. ({0}) Büchler ({1}) Weil dies nicht ausreicht und weil wir auch darüber diskutieren wollen, lehnen wir diesen Antrag heute ab. ({2})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Anträge, und zwar zunächst über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/101 betr. Einrichtung eines Frauenausschusses. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den interfraktionellen Antrag auf der Drucksache 11/68 betr. Einsetzung von Ausschüssen. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung ist der Antrag angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/102, Umbenennung des innerdeutschen Ausschusses. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Wahl der Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses nach Artikel 53 a des Grundgesetzes - Drucksache 11/107 - Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung über den interfraktionellen Antrag auf der Drucksache 11/107. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der interfraktionelle Antrag ist angenommen. Damit sind die Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses und deren Stellvertreter gewählt. Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf: Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Ausschusses nach Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes ({0}) - Drucksache 11/108 - Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem interfraktionellen Antrag auf Drucksache 11/108 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der interfraktionelle Antrag ist angenommen. Damit sind die Mitglieder des Vermittlungsausschusses und deren Stellvertreter gewählt. Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf: Wahl der Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses - Drucksache 11/109 - Eine Aussprache ist ebenfalls nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem interfraktionellen Vorschlag auf Drucksache 11/109 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der interfraktionelle Antrag ist angenommen. Damit sind die Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses und deren Stellvertreter gewählt. Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf: Gremium gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses ({1}) - Drucksachen 11/103, 11/106 Meine Damen und Herren, interfraktionell ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Kein Widerspruch. - Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Bohl.

Friedrich Bohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000230, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem geltenden Recht, und zwar § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, hat die Kommission fünf Mitglieder. Das ist also gesetzlich vorgeschrieben. Der Deutsche Bundestag hat zwischenzeitlich für die Berechnung der Stellenanteile hier im Bundestag das sogenannte Schepers-Verfahren beschlossen, ein Verfahren, das im übrigen die kleinen Fraktionen in besonderer Weise begünstigt. Nun hat die Wahl zum Deutschen Bundestag vom 25. Januar folgendes Ergebnis gehabt: Es gibt 234 Mitglieder der Fraktion der CDU/CSU, 193 der SPD, 48 der FDP und 44 der Fraktion DIE GRÜNEN. Das sogenannte Schepers-Verfahren führt dazu, daß bei fünf zu verteilenden Positionen auf die Fraktion der SPD zwei, auf die Fraktion der CDU/CSU ebenfalls zwei und auf die Fraktion der FDP eine entfallen. Die Fraktion DIE GRÜNEN geht bei fünf leer aus. Erst bei sieben zu vergebenden Positionen erhielte die Fraktion DIE GRÜNEN einen Sitz. Das ist der schlichte, einfache und unbestreitbare Sachverhalt. Deshalb ist der Antrag der GRÜNEN, hier nun ein anderes Verfahren einzuführen, sozusagen ein Grundmandat für jede Fraktion zu beschließen, abwegig. Das kann auch nicht mit Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eingeklagt werden. Dieser Versuch ist ja vor vier Jahren gemacht worden. Ich beziehe mich daher noch einmal auf die Entscheidung vom 14. Januar 1986, wo das Bundesverfassungsgericht unmißverständlich festgestellt hat, daß die Fraktion DIE GRÜNEN einen Anspruch, von vornherein in diesem Gremium vertreten zu sein, nicht hat. Das Stärkeverhältnis bei fünf, 2 : 2 :1, ist Ausdruck des Wählervotums vom 25. Januar 1987. ({0}) Das werden wir nicht verändern, nicht zu Ihren Lasten, allerdings auch nicht zu Ihren Gunsten verfälschen. Vielen Dank. ({1})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert ({0}).

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wissen Sie, Herr Bohl, wenn ich Sie nicht schon länger kennen würde, müßte ich sagen: Mir fehlen die Worte. Sie haben hier wirklich die Scheinheiligkeit in einer Weise auf die Spitze getrieben -

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter Kleinert, diesen Ausdruck muß ich als unparlamentarisch zurückweisen.

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, welchen?

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

„Scheinheiligkeit". Er ist nicht als parlamentarisch zugelassen.

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich muß das hinnehmen. Aber Sie treiben hier das, was ich vorhin gesagt habe, in einer Weise auf die Spitze, daß es eigentlich ungehörig ist. Vorhin, als wir über die Parlamentarische Kontrollkommission gesprochen haben, haben Sie von der Unionsfraktion und der FDP in aller Deutlichkeit erklärt, es gehe nicht um St. Lague/Schepers, es gehe nicht um mathematische Proportionen, es gehe darum, wer das Vertrauen der Mehrheit des Bundestages erhalte. ({0}) Jetzt, wo Sie von der gesetzlichen Ausgangslage her eine andere Chance haben, greifen Sie zu einem ganz anderen Argument, nehmen Sie das Argument, das Sie vorhin ausdrücklich ausgeschlossen haben, um daraus zu begründen, daß wir keinen Anspruch darauf hätten. ({1}) Ich kann dazu nur sagen: Wie immer Sie es drehen und wenden, eines ist doch ganz klar und eindeutig: Es geht Ihnen darum, jeweils Mittel und Wege zu finden, mit denen bzw. auf denen Sie die Fraktion der GRÜNEN aus diesen Kontrollgremien ausschließen können. ({2}) Das ist die politische Absicht. ({3}) Die Art und Weise des Verfahrens, mit dem Sie das erreichen, mag wechseln, die politische Absicht bleibt dieselbe. Sie suchen sich jeweils immer das aus, was Sie für das Geschickteste halten. Ich meine, daß damit wiederum klargeworden ist, was hier politisch eigentlich zur Abstimmung steht. Es geht um ein demokratisches Grundprinzip. Dieses demokratische Grundprinzip sieht so aus: Beteiligung aller Fraktionen des Deutschen Bundestages an der parlamentarischen Kontrolle. Oder aber - wie Sie das sehen - : Darf die Mehrheit darüber entscheiden, welche Teile des Parlaments an dieser Kontrolle beteiligt werden sollen oder nicht? So, wie Sie argumentieren, läuft es darauf hinaus, daß Sie sagen: Die Mehrheit des Parlaments hat das Recht, darüber zu befinden, wer die Vertretung dieser Mehrheit wiederum kontrollieren darf. Ich sage dazu: Das, was Sie da an Positionen vertreten, hat mit demokratischen Grundprinzipien nichts zu tun. ({4}) Wenn Sie eine Regelung finden wollen, die allen Fraktionen eine gleichberechtigte Teilnahme an dieser demokratischen Kontrolle ermöglicht - meinethalben auch entsprechend ihren proportionalen Stärkeverhältnissen - , dann geht das nur auf dem Wege, daß wir auch bei diesem Gremium sagen: Wir wollen sicherstellen, daß alle vier Fraktionen beteiligt sind. Da durch Gesetz vorgeschrieben ist, daß es sich hierbei nur um fünf Mitglieder handeln kann, schlagen wir vor, dieses Gremium in Zukunft im Verhältnis 2 : 1 : 1 : 1 zu besetzen. Damit können Sie sogar noch Ihre Mehrheit sichern: drei Vertreter der Koalition, zwei Vertreter der Opposition. Dann kommen alle Fraktionen zum Zuge. Die Diskriminierungsabsicht wäre zurückgewiesen. Ich darf deshalb um Zustimmung zu diesem Antrag bitten. ({5})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Becker ({0}).

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000127, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Bohl hat überzeugend dargelegt, was zu diesem Tagesordnungspunkt zu sagen ist, wie wir nämlich nach § 9 des Gesetzes zum Schutz des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses verfahren können. Wir haben in einer der ersten Parlamentsdebatten das Grundmandat abgelehnt. Herr Kollege Kleinert, es sind 193 Sozialdemokraten, die in diesem Gremium auf zwei Sitze angewiesen sind. Glauben Sie, wir könnten jemandem klarmachen, daß wir auf ein solches Mandat verzichten? Das können wir nicht. Solange also diese gesetzliche Regelung besteht, müssen wir auch das Verfahren korrekt anwenden, das wir gemeinsam beschlossen haben. Ich bitte daher, den Antrag der GRÜNEN abzulehnen. ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich schließe die Aussprache. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat auf Drucksache 11/103 eine Abweichung von dem am 18. März 1987 beschlossenen Verfahren für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen beantragt. Wir kommen zur Abstimmung über diesen Antrag. Wer dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/103 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Präsident Dr. Jenninger Die Wahl für das G-10-Gremium selbst wird ausgesetzt und zusammen mit den Wahlen zur Parlamentarischen Kontrollkommission, des Richterwahlausschusses und des Wahimännerausschusses beim nächsten Tagesordnungspunkt durchgeführt. Ich darf nun, bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, das Ergebnis der namentlichen Abstimmungen zu Tagesordnungspunkt 2, nämlich zu den Ziffern 2 und 3 auf den Drucksachen 11/105 und 11/114, bekanntgeben. Abgegebene Stimmen: 456. Davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben gestimmt 201, mit Nein haben gestimmt 254. Enthaltungen: eine. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 455; davon ja: 201 nein: 253 enthalten: 1 Ja SPD Frau Adler Dr. Ahrens Amling Andres Antretter Dr. Apel Bachmaier Bahr Bamberg Becker ({0}) Frau Becker-Inglau Bernrath Bindig Frau Blunck Dr. Böhme ({1}) Börnsen ({2}) Brandt Brück Büchler ({3}) Dr. von Bülow Frau Bulmahn Buschfort Catenhusen Frau Conrad Conradi Daubertshäuser Diller Dreßler Egert Dr. Ehmke ({4}) Dr. Ehrenberg Dr. Emmerlich Esters Ewen Frau Falle Fischer ({5}) Frau Fuchs ({6}) Frau Fuchs ({7}) Frau Ganseforth Gansel Dr. Gautier Gerster ({8}) Gilges Frau Dr. Götte Graf Großmann Grunenberg Haar Frau Hämmerle Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz Dr. Hauchler Dr. Hauff Heimann Heistermann Heyenn Hider ({9}) Dr. Holtz Horn Huonker Ibrügger Jahn ({10}) Jaunich Jung ({11}) Jungmann Kastning Kiehm Kirschner Kißlinger Klein ({12}) Klose Kolbow Koltzsch Koschnick Kretkowski Kühbacher Kuhlwein Lambinus Leidinger Leonhart Lohmann ({13}) Lutz Frau Luuk Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier Menzel Dr. Mertens ({14}) Meyer Dr. Mitzscherling Müller ({15}) Müller ({16}) Müntefering Nagel Nehm Frau Dr. Niehuis Dr. Niese Niggemeier Dr. Nöbel Frau Odendahl Oesinghaus Oostergetelo Paterna Pauli Dr. Penner Peter ({17}) Pfuhl Dr. Pick Porzner Poß Purps Reimann Frau Renger Reschke Reuschenbach Reuter Rixe Schäfer ({18}) Schanz Scherrer Schluckebier Frau Schmidt ({19}) Schmidt ({20}) Dr. Schöfberger Schreiner Schütz Seidenthal Frau Seuster Sielaff Sieler ({21}) Frau Simonis Singer Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell Dr. Sperling Dr. Spöri. Stahl ({22}) Steiner Frau Steinhauer Stiegler Dr. Struck Frau Terborg Tietjen Frau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Voigt ({23}) Vosen Waltemathe Walther Wartenberg ({24}) Weiermann Frau Weiler Weisskirchen ({25}) Westphal Frau Weyel Dr. Wieczorek Wieczorek ({26}) Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz Wimmer ({27}) Wischnewski Dr. de With Wittich Zander Zeitler Zumkley DIE GRÜNEN Brauer Ebermann Frau Flinner Frau Garbe Häfner Frau Hillerich Hoss Hüser Kleinert ({28}) Dr. Knabe Kreuzeder Dr. Lippelt ({29}) Dr. Mechtersheimer Frau Nickels Frau Oesterle-Schwerin Frau Rust Frau Saibold Frau Schilling Schily Sellin Frau Teubner Frau Trenz Frau Unruh Frau Vennegerts Frau Dr. Vollmer Weiss ({30}) Wetzel Frau Wilms-Kegel Wüppesahl Nein CDU/CSU Dr. Abelein Austermann Bauer Bayha Dr. Becker ({31}) Frau Berger ({32}) Biehle Dr. Blank Dr. Blens Börnsen ({33}) Dr. Bötsch Bohl Bohlsen Borchert Breuer Bühler ({34}) Buschbom Carstens ({35}) Carstensen ({36}) Clemens Dr. Czaja Dr. Daniels ({37}) Daweke Deres Dörflinger Dr. Dollinger Doss Dr. Dregger Echternach Eigen Engelsberger Eylmann Feilcke Dr. Fell Fellner Frau Fischer Fischer ({38}) Francke ({39}) Dr. Friedmann Dr. Friedrich Fuchtel Ganz ({40}) Frau Geiger Geis Dr. Geißler Dr. von Geldern Gerstein Gerster ({41}) Glos Dr. Göhner Gröbl Dr. Grünewald Präsident Dr. Jenninger Günther Dr. Häfele Harries Frau Hasselfeldt Haungs Hauser ({42}) Hauser ({43}) Hedrich Freiherr Heereman von Zuydtwyck Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Hörster Dr. Hoffacker Frau Hoffmann ({44}) Dr. Hornhues Frau Hürland-Büning Dr. Hüsch Dr. Jahn ({45}) Dr. Jobst Jung ({46}) Jung ({47}) Kalb Kalisch Dr.-Ing. Kansy Dr. Kappes Frau Karwatzki Kittelmann Klein ({48}) Dr. Köhler ({49}) Kolb Kossendey Kraus Krey Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({50}) Lamers Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Lemmrich Lenzer Frau Limbach Link ({51}) Link ({52}) Linsmeier Lintner Dr. Lippold ({53}) Dr. h. c. Lorenz Louven Lowack Lummer Maaß Frau Männle Magin Marschewski Dr. Meyer zu Bentrup Michels Dr. Miltner Dr. Möller Müller ({54}) Müller ({55}) Nelle Dr. Neuling Neumann ({56}) Niegel Dr. Olderog Oswald Frau Pack Pesch Petersen Pfeffermann Pfeifer Dr. Pfennig Dr. Pinger Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rauen Rawe Reddemann Regenspurger Repnik Frau Rönsch ({57}) Frau Roitzsch ({58}) Dr. Rose Rossmanith Roth ({59}) Rühe Dr. Rüttgers Ruf Sauer ({60}) Sauer ({61}) Sauter ({62}) Sauter ({63}) Scharrenbroich Schartz ({64}) Schemken Scheu Schmidbauer Schmitz ({65}) von Schmude Dr. Schneider ({66}) Freiherr von Schorlemer Schreiber Dr. Schroeder ({67}) Schulhoff Dr. Schulte ({68}) Schulze ({69}) Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seesing Seiters Spilker Spranger Dr. Sprung Dr. Stark ({70}) Dr. Stercken Straßmeir Strube Stücklen Frau Dr. Süssmuth Susset Tillmann Dr. Todenhöfer Dr. Uelhoff Uldall Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogel ({71}) Vogt ({72}) Dr. Voigt ({73}) Dr. Vondran Dr. Voss Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff Dr. von Wartenberg Weiß ({74}) Werner ({75}) Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wilz wimmer ({76}) Windelen Frau Dr. Wisniewski Wissmann Dr. Wittmann Dr. Wörner Würzbach Dr. Wulff Zeitlmann Zierer Dr. Zimmermann Zink FDP Baum Cronenberg ({77}) Eimer ({78}) Engelhard Dr. Feldmann Funke Gallus Gattermann Gries Grüner Dr. Haussmann Heinrich Dr. Hirsch Hoppe Dr. Hoyer Irmer Kohn Dr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff Lüder Mischnick Möllemann Neuhausen Nolting Paintner Richter Rind Dr. Rumpf Frau Dr. Segall Frau Seiler-Albring Dr. Solms Dr. Thomae Timm Dr. Weng ({79}) Wolfgramm ({80}) Frau Würfel Enthalten SPD Dr. Wernitz Damit sind in namentlichen Abstimmungen die Ziffern 2 und 3 der Anträge auf den Drucksachen 11/105 und 11/114 abgelehnt. Nach Ablehnung dieser Anträge zur Änderung der Mitgliederzahl der Parlamentarischen Kontrollkommission bleibt es bei der bisherigen Mitgliederzahl, die der Deutsche Bundestag beschlossen hat. Zu wählen sind deshalb acht Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission. Meine Damen und Herren, ich rufe nun die Punkte 3 und 4 der Tagesordnung auf: 3. Wahl der Wahlmänner gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht - Drucksache 11/113 ({81}) -4. Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses gemäß § 5 des Richterwahlgesetzes - Drucksache 11/115 - Außerdem wird die Behandlung der Tagesordnungspunkte 2 Wahl der Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission - und 5 Wahl des G10-Gremiums fortgesetzt. Interfraktionell ist vereinbart worden, diese Wahlen miteinander zu verbinden. Sind Sie mit diesem Verfahren einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Die Unterlagen für die Durchführung der Wahlen sind verteilt worden bzw. werden nunmehr verteilt. Haben alle Damen und Herren diese Unterlagen bekommen? - Ich stelle fest: ja. Die Wahlen sollen offen, aber mit Stimmkarten durchgeführt werden. Die Wahlvorschläge liegen in der Eingangshalle auf den Drucksachenwagen aus. Ich bitte Sie noch kurz um Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfahren. Zunächst zur Wahl der Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission. Nach § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit ist gewählt, wer die Präsident Dr. Jenninger Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, d. h. mindestens 260 Stimmen erhält. Auf der Stimmkarte können Sie höchstens acht Namensvorschläge ankreuzen, da die Parlamentarische Kontrollkommission, wie beschlossen, wie in der vergangenen Wahlperiode aus acht Mitgliedern bestehen soll. Zur Wahl des G-10-Gremiums. Nach § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses besteht das Gremium aus fünf Mitgliedern. Sie können also auf Ihrer Stimmkarte höchstens fünf Namen ankreuzen. Zu den weiteren Wahlen weise ich darauf hin, daß zwölf Wahlmänner aus der Mitte des Hauses sowie elf Mitglieder des Richterwahlausschusses nach den Regeln der Verhältniswahl zu wählen sind. Sie können Ihre Stimme jeweils nur für einen der drei Wahlvorschläge auf den Stimmkarten abgeben. Für alle der jetzt durchzuführenden Wahlen gilt folgendes. Ungültig sind Stimmkarten, die mehr als die zulässige Zahl von Ankreuzungen, andere Namen oder Zusätze enthalten. Wer sich der Stimme enthalten will, macht keine Eintragung auf der Stimmkarte. Ich bitte Sie, auf dem Wahlausweis, der als Nachweis Ihrer Teilnahme an allen vier Wahlen gilt, Ihren Namen - gegebenenfalls mit dem Ortszusatz - sowie Ihre Fraktion handschriftlich in Druckbuchstaben einzutragen. Nach Übergabe des Wahlausweises an die Schriftführer bitte ich Sie die vier Stimmkarten in die Wahlurne zu geben. Meine Damen und Herren, um die vor uns liegenden Wahlen in möglichst kurzer Zeit durchführen zu können, bitte ich Sie, nach Abgabe der Stimme bei Ihrem Weg zu den Wahlurnen die mittleren Gänge zu benutzen, für den Rückweg zu Ihrem Platz die äußeren Gänge. Ich bitte Sie weiterhin, bis zum Aufruf der nächsten Wahl wieder Ihre Plätze einzunehmen. Meine Damen und Herren, ich bitte die Schriftführer, jetzt die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Haben alle Schriftführer ihre Plätze eingenommen? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Wahlen. Zwischenzeitlich darf ich bekanntgeben, daß zur Auszählung alle Schriftführer benötigt werden und sich dafür zur Verfügung stellen müssen. Ein Kollege oder eine Kollegin hat den Wahlausweis nicht mit dem Namen versehen. Vielleicht ist er oder sie zufällig im Saal; dann kann dies nachgeholt werden. - Das ist nicht der Fall. Haben alle Mitglieder des Hauses, auch die Schriftführer, ihre Stimmkarten abgegeben? - Das ist der Fall. Ich schließe die Wahl und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Wahl wird heute nachmittag bekanntgegeben.*) Wir haben jetzt aber noch zwei Wahlen durchzuführen, beide ohne Aussprache. ) Siehe Seite 310 A Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf: Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats - Drucksache 11/110 Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem interfraktionellen Vorschlag auf Drucksache 11/110 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen. Damit sind die Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats und ihre Stellvertreter gewählt. Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf: Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrates der Filmförderungsanstalt - Drucksache 11/111 Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache 11/111? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen. Damit sind die Mitglieder des Verwaltungsrats der Filmförderungsanstalt und ihre Stellvertreter gewählt. Meine Damen und Herren, ich unterbreche jetzt die Sitzung. Wir setzen die Beratung um 14 Uhr mit der Aktuellen Stunde fort. ({82})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe Ihnen zunächst die Ergebnisse der Wahlen von heute vormittag bekannt, wobei ich darum bitte, daß Sie die Namen der Gewählten der Anlage zum Protokoll entnehmen. Zunächst das Ergebnis der Wahl der Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission. Von den 519 stimmberechtigten Abgeordneten haben 479 ihre Stimme abgegeben. Sie waren alle gültig. Es hat keine Enthaltungen und keine ungültigen Stimmen gegeben. Von den gültigen Stimmen entfielen auf die Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der SPD ausreichend Stimmen, um gewählt zu sein. Das sind 8 Abgeordnete. Das heißt, nach § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes ist die erforderliche Mehrheit von 260 Stimmen bei 8 Kollegen der drei genannten Fraktionen erreicht. Sie wurde nicht erreicht bei dem Kandidaten der grünen Partei. Sie sind damit als Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission gewählt. Ich hatte Sie gebeten, die Namen aus dem Protokoll zu entnehmen.*) Dann kommt das Gremium der Wahlmänner gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht gemäß Drucksache 11/113 ({0}). Von den 519 stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 479 ihre Stimme abgegeben. Davon waren 463 gültig, also 16 ungültig. Es hat keine Enthaltung gegeben. Von den 463 gültigen Stimmen entfielen auf den gemeinsamen Wahlvorschlag von CDU/CSU und *) Anlage 2 Vizepräsident Westphal FDP 258 Stimmen, auf den Wahlvorschlag der Fraktion der SPD 176 Stimmen, auf den Wahlvorschlag der Fraktion DIE GRÜNEN 29 Stimmen. Nach dem Höchstzahlverfahren d'Hondt entfallen auf den gemeinsamen Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP 7 Mitglieder, auf den Wahlvorschlag der Fraktion der SPD 5 Mitglieder und auf den Wahlvorschlag der Fraktion DIE GRÜNEN kein Mitglied. ({1}) Nach § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht sind die Mitglieder in der Reihenfolge gewählt, in der ihr Name auf dem Vorschlag erscheint. Auch dort bitte ich Sie, die Namen aus dem Protokoll zu entnehmen.*) Wir kommen zum Ergebnis der Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses gemäß § 5 des Richterwahlgesetzes, Drucksache 11/115. Von den 519 Mitgliedern des Hauses haben 479 ihre Stimme abgegeben. Davon waren 465 gültig. Bei 3 Enthaltungen hat es 14 ungültige Stimmen gegeben. Von den 462 gültigen Stimmen entfielen auf den gemeinsamen Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP 257 Stimmen, auf den Wahlvorschlag der Fraktion der SPD 177 Stimmen und auf den Wahlvorschlag der Fraktion DIE GRÜNEN 28 Stimmen. ({2}) Nach dem Höchstzahlverfahren d'Hondt entfallen auf den gemeinsamen Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP 7 Mitglieder, auf den Wahlvorschlag der Fraktion der SPD 4 Mitglieder, auf den Wahlvorschlag der Fraktion DIE GRÜNEN kein Mitglied. ({3}) Nach § 5 Abs. 2 des Richterwahlgesetzes sind die Mitglieder und ihre Stellvertreter in der Reihenfolge gewählt, in der ihr Name auf dem Vorschlag erscheint. Auch hier bitte ich, die Namen aus dem Protokoll zu entnehmen.** ) Meine Damen und Herren, sofern das dem einen oder anderen unverständlich erscheint, will ich das erläutern. Die Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses nach dem Richterwahlgesetz und die Wahl der Wahlmänner nach dem Gesetz über das Bundesverfassungsgericht wird, gesetzlich vorgeschrieben, nach dem Berechnungsverfahren d'Hondt durchgeführt. Dies hat zu dem Ergebnis geführt, das ich Ihnen vorgetragen habe. Da die Wahlvorschläge der Fraktion DIE GRÜNEN jeweils nicht ausreichend Stimmen aus der Fraktion DIE GRÜNEN erhalten *) Anlage 3 **) Anlage 4 haben, konnten diese Wahlvorschläge nicht zum Zuge kommen. ({4}) Ich komme zum Ergebnis der Wahl der Mitglieder des G-10-Gremiums. Von den 519 Mitgliedern des Hauses wurden 479 Stimmen abgegeben. Davon waren alle 479 gültig. Es hat 2 Enthaltungen gegeben. Von den gültigen Stimmen entfielen 389 auf den Abgeordneten Becker ({5}), 338 Stimmen auf den Abgeordneten Baum, 319 Stimmen auf den Abgeordneten Helmrich, 318 Stimmen auf den Abgeordneten Paterna, 309 Stimmen auf den Abgeordneten Dr. Wittmann und 59 Stimmen auf die Abgeordnete Frau Schilling. Demnach sind die Abgeordneten Becker ({6}), Baum, Helmrich, Paterna und Dr. Wittmann als Mitglieder des G-10-Gremiums gewählt. Das waren alle Wahlergebnisse. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 8 auf: Aktuelle Stunde Haltung der Bundesregierung zur angeblichen Äußerung des Bundesministers für Wirtschaft, nach der die Industriezweige Kohle und Stahl nicht mehr gerettet werden können Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat gemäß Nr. 1 Buchstabe c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem oben genannten Thema beantragt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Roth.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wirtschaftspolitik, zumal Politik für Kohle und Stahl, erfordert Verläßlichkeit und Beständigkeit. Der Wirtschaftsminister dieser Bundesregierung - das haben seine Aussagen zu Kohle und Stahl erneut gezeigt - ist inzwischen ein Symbol der Widersprüchlichkeit und der Unzuverlässigkeit. ({0}) Aber uns geht es heute um mehr als um eine Abrechnung mit dem Chef des Wirtschaftsressorts. ({1}) Es geht heute nicht um die Frage, ob das Interview so, überhaupt nicht, ähnlich oder ganz anders gegeben worden sei, sondern um die Frage, was in der Kohle-und Stahlpolitik in den nächsten Jahren gilt. Es geht uns um die Frage, ob auch künftig die Kohlevorrangpolitik die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung b estimmt. ({2}) Dabei - ich richte mich gerade an die CDU - ist Kohlevorrang eindeutig definiert: Einhaltung des Jahrhundertvertrags, ({3}) sofortige Anpassung des Kohlepfennigs, Einhaltung des Hüttenvertrages, Verlängerung des Jahrhundertvertrags über das Jahr 1995 hinaus. Wir verlangen von der Bundesregierung zu diesem Thema „KohlevorDeutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 7. Sitzung. Bonn. Mittwoch. den 1. Avril 1987 311 1 rang" heute klare Aussagen, keine Entschuldigung für irgendwelche Interviews. ({4}) Dabei kommt es auf die Klarheit der Begriffe an. Weder in der Regierungserklärung noch im gestrigen Kommuniqué der CDU-Fraktion bei ihrem Gespräch mit Vertretern des Steinkohlebergbaus kommt das Wort „Kohlevorrang" überhaupt noch vor. Ich erwarte von der CDU ein Ja oder ein Nein zu der Frage, ob sie zum Kohlevorrang steht. Holen Sie das heute nach! ({5}) Wir fordern Sie auf, in dieser Debatte auf den alten Konsens aller Parteien beim Kohlevorrang zurückzukommen. ({6}) - Machen Sie hier keine Ausflüchte! ({7}) Es ist eine üble Verdrehung der Tatsachen, so zu tun, als ob ein schnellerer Ausstieg aus der Kernenergie eine Bedrohung für den Kohlevorrang sei. Das Gegenteil ist richtig. ({8}) Ein schnellerer Ersatz der Kernenergie, die ja wohl auch Sie als Übergangstechnologie bezeichnen, schafft neue Chancen für die Kohle. Das ist die Wahrheit; das Gegenteil ist falsch. ({9}) Schaffen Sie auch Klarheit in der Stahlpolitik! Bisher gab es keine Massenentlassungen im Stahlbereich. Wir hatten zwar einen schmerzlichen Arbeitsplatzabbau, aber wir hatten immer wieder gemeinsam eine soziale Flankierung geschaffen, die nicht den Weg in die Armut bedeutet hat, auch nicht für die Kohleregionen und für die Stahlregionen in der Bundesrepublik Deutschland. Das war anders als in England. Kehren Sie zu dieser Politik zurück! ({10}) Meine Damen und Herren, über unverbindliche Gespräche hinaus wollen wir jetzt eindeutige Zusicherungen, was die Montanregionen anbetrifft. Wir sind zur Zusammenarbeit bereit. Wir sind auch bereit zu Gesprächen über einen neuen Konsens. Der Bundeskanzler und die Minister sind nach ihrem Amtseid gehalten, Gerechtigkeit gegen jedermann zu üben. Sie verletzen ihren Amtseid, wenn sie der Landwirtschaft, wenn sie anderen Interessenten - ich rede nur ein Wort über Airbus und MBB ({11}) Zusicherungen über Subventionen geben und den Montanregionen in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr helfen, sondern sie allein lassen. Korrigieren Sie das heute! ({12})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Wissmann.

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kann gar kein Zweifel daran bestehen, daß die Auseinandersetzung der letzten Tage und Wochen - wer in den letzten Tagen mit Stahlarbeitern oder mit Bergarbeitern gesprochen hat, weiß das - bei vielen Menschen existentielle Angste ausgelöst hat. Ich finde, wir sollten bei aller parteipolitischen Auseinandersetzung nicht vergessen, daß es um das Schicksal von Menschen geht ({0}) und daß es um die gemeinsame Aufgabe geht, ein Konzept zu entwickeln, das diesen Menschen hilft, das Anpassungen dort vornimmt, wo sie notwendig sind, das aber über der politischen und betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Auseinandersetzung nicht vergißt, daß es auch eine soziale Verantwortung für Menschen vor Ort gibt, meine Damen und meine Herren. ({1}) Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren gezeigt, daß sie zu dieser Verantwortung bereit ist. In den letzten Jahren der Legislaturperiode von 1983 bis 1987 sind 17,5 Milliarden DM als Kohlehilfe aufgewandt worden. In derselben Wahlperiode sind 5,2 Milliarden DM für Strukturverbesserungshilfen, Forschung und Entwicklung, für Saarstahl, für Abfindungen, für Übergangshilfen im Stahlbereich ausgegeben worden. ({2}) Wir bleiben bei einer aktiven Kohle- und Stahlpolitik. Wir wissen und auch Sie wissen, daß ein Strukturwandel erforderlich ist. Aber wir werden dafür sorgen, daß dieser Strukturwandel sozial verträglich und menschenwürdig abläuft, und wir stehlen uns nicht aus der Verantwortung, sondern wir sorgen dafür, daß es bei der aktiven Kohlepolitik beispielsweise bleibt. ({3}) Herr Kollege Roth, ich zitiere hier nur den § 8 des Jahrhundertvertrages. In ihm wird ausgeführt, daß der Energiebedarf nur gedeckt werden kann - jetzt hören Sie bitte genau zu - , wenn sowohl Kohle als auch Kernenergie ({4}) zum Einsatz kommen. Wir stehen zu diesen beiden, beiden Säulen des Jahrhundertvertrages. Tun Sie es bitte endlich auch, meine Damen und Herren von der SPD! ({5}) Wir stehen auch und gerade zum Kohleteil. Deswegen werden wir den Kohlepfennig auf 7,5 % erhöhen und gleichzeitig dafür sorgen, daß es zu einer neuen Berechnung kommt. Ich bitte aber, daß auch Sie Ihre Verantwortung für die Kohle als die nationale Energiequelle endlich wahrnehmen und dafür sorgen, daß auch von Ihrer Seite die Voraussetzungen zur Sicherung des Jahrhundertvertrages erfüllt werden. Was die Stahlpolitik angeht, meine Damen und Herren, so bleibt es dabei, daß die Bundesregierung mit den Tarifparteien, mit den Ländern - wir erwarten dazu auch den Beitrag der Länder Nordrhein-Westfalen und Saarland ({6}) an einer Stahlpolitik festhält, die den Strukturwandel sichert, die aber gleichzeitig dafür sorgt, daß sozial abgefedert wird, was an Anpassungen notwendig ist. Wir erwarten vom Bundeswirtschaftsministerium, daß noch stärker als in der Vergangenheit auch in Brüssel, ({7}) notfalls auch mit den rechtlichen Möglichkeiten, die Interessen der deutschen Stahlindustrie mit dem Nachdruck wahrgenommen werden, die die deutsche Stahlindustrie und die Stahlarbeitsplätze verdienen, meine Damen und Herren. ({8}) Zusammenfassend möchte ich sagen: Wir brauchen kein Schwarzer-Peter-Spiel - SPD, CDU/CSU, Land, Bund, Gemeinden - , sondern wir brauchen endlich wieder das Einstehen für eine gemeinsame Verantwortung zu Kohle und Stahl. ({9}) - Herr Vogel, meine Bitte wäre: Sorgen Sie dafür, daß Sie bei der Kernenergie, bei der Verantwortung von Herrn Lafontaine und Herrn Rau Ihren Teil zur Gesamtverantwortung beitragen! ({10}) Wir werden unseren Teil zu dieser Gesamtverantwortung für Kohle und Stahl auch in Zukunft beitragen, weil die Stahlarbeiter und die Bergarbeiter wissen sollten: Wir werden sie in dieser schwierigen Lage nicht allein lassen. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stratmann.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Bürgerinnen und Bürger! Die Fraktion DIE GRÜNEN im Bundestag hat gestern eine Fraktionssitzung im Stahlstandort Hat-tingen abgehalten, und zwar bewußt dort, weil nicht nur die Konzernstrategie des Thyssen-Konzerns, sondern auch in Handlangerschaft die Politik der Bundesregierung plant, den Stahlstandort Hattingen, wie Oberhausen, wie auch Teile von Duisburg plattzumachen und in eine radikale Massenentlassung einzusteigen. Wir haben, um auf die Zwischenrufe und Irritationen auch hinsichtlich der grünen Stahlpolitik zu reagieren, nach intensiver Diskussion eine stahlpolitische Erklärung mit deutlicher Fraktionsmehrheit - Dreiviertelmehrheit, Sie würden sich die Finger nach solchen Mehrheiten lecken ({0}) verabschiedet, die deutlich macht: Erstens. Kurzfristig müssen alle Stahlstandorte als auch Arbeitsplätze im Stahlbereich, wie übrigens auch im Kohlebereich, erhalten werden. Wenn dazu Subventionen des Staates, des Bundes und der Länder notwendig sind, dann nicht zur Flankierung von Arbeitsplatzabbau, sondern mit der Bedingung, daß Stahlstandorte und Arbeitsplätze erhalten bleiben; dies ist eine ganz klare Aussage der Fraktion gegenüber Irritationen, die in den letzten Tagen auf gekommen sind. Zweitens. Wir brauchen langfristig ein Gesamtkonzept zum Umbau der Stahlindustrie und der Stahlregionen. Als staatliche Flankierung dieses Umbauprojekts brauchen wir selbstverständlich staatliche Maßnahmen: Verlängerung und Aufstockung des Stahlstandorteprogramms, Aufnahme der bedrohten Arbeitsmarktregionen Bochum-Hattingen, Oberhausen, Duisburg und Siegen in die Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsförderung". Wir wollen aber deutlich machen: Nicht der Staat ist der Hauptadressat politischer Forderungen angesichts der Bedrohung von Stahlarbeitsplätzen, sondern die Konzerne. Der Thyssen-Konzern, Krupp-Gesamtkonzern und alle Gesamtkonzerne schreiben prächtige Gewinne, wie auch die Thyssen-Hauptversammlung ausgewiesen hat. In einer solchen Situation müssen der Hauptadressat politischer Forderungen die Konzerne sein. Drittens. Aus diesem Grunde und um von ihnen eine andere Unternehmenspolitik zu erzwingen, unterstützen wir GRÜNE als Gesamtfraktion wie auch als Gesamtpartei die Forderungen der IG Metall und der Stahlbelegschaften nach Vergesellschaftung der Stahlunternehmen. Das wollen wir als Forderung heute aktualisieren, nicht als irgendein Fernziel, und wir fordern kurzfristige Schritte in diese Richtung. Hierbei fordere ich auch die SPD auf, deutlich Stellung zu nehmen. Wenn staatliche Subventionen in der Form von Kapitalbeteiligungen gezahlt werden, sollen die Unternehmensrechte, die daraus resultieren, an die Belegschaften abgegeben werden. Auf diese Weise kommen wir schon heute zu einem Ausbau der Mitbestimmungsrechte und zu einer Überparität der Stahlbelegschaf ten. ({1}) In Art. 27 der nordrhein-westfälischen Landesverfassung haben wir eine Soll-Vorschrift zur Übernahme der Schlüsselindustrien in Gemeineigentum. Wir fordern die Landesregierung und den nicht anwesenden Minister Jochimsen auf, von diesem Art. 27 Gebrauch zu machen. Zur Kohlepolitik: Wer heute sagt: Wir brauchen den Verbund von Kohle und Atom, verkennt, daß es gerade der Ausbau der Atomenergie ist, der der Kohle den Garaus macht, sowohl der heimischen Braunkohle als auch der Steinkohle. ({2}) Wenn der energiepolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der CDU/CSU erklärt, unwidersprochen bisher, offensichtlich im Konsens mit der Regierung, solange die Landesregierung NRW als auch die Kohle und die Bergleute nicht der Atomenergie zustimmten, werde die Zukunft der Kohle nicht gesichert sein, ist das ganz klar eine Geiselnahme der Bergleute, um von ihnen die Zustimmung zur Atomenergie zu erpressen. ({3}) Wir betrachten das als eine politische Gewalttätigkeit und sagen: Solange wir nicht sofort aus der Atomenergie aussteigen, fordern wir, daß die Kapazitäten und die Arbeitsplätze im Bergbau erhalten werden. ({4}) - Herr Niggemeier, zu Ihnen gleich noch ein Wort. Statt des Kohle-Atom-Verbundes fordern wir einen Verbund von heimischer Steinkohle in umweltschonender Nutzung und Alternativenergien. Das muß die politische Devise zukünftiger Energiepolitik sein. ({5}) An die SPD-Fraktion: Solange Sie den Atomlobbyisten in Ihren eigenen Reihen wie Niggemeier & Co. nicht das Handwerk legen, ({6}) so lange stehlen Sie sich aus der Verantwortung Ihres eigenen Nürnberger Parteitagsbeschlusses heraus. ({7}) Solange Ihr Landeswirtschaftsminister Jochimsen in Nordrhein-Westfalen die Verantwortung dafür trägt, ({8}) dafür Sorge trägt, daß die Zukunft der Atomenergie in Nordrhein-Westfalen gesichert bleibt, so lange müssen Sie zusehen, wie Ihre eigenen Genossen Ihren Nürnberger Ausstiegsbeschluß kaputtmachen. Herr Minister Jochimsen hat in den letzten Wochen eine Gutachterkommission zur sicherheitstechnischen Überprüfung der Atomanlagen in NRW eingesetzt. Jochimsen selbst war es, der vor Monaten hier auf der Bundespressekonferenz erklärt hat, solche Kommissionen müßten erstens nach dem Stand von Wissenschaft und Technik arbeiten und zweitens sowohl mit Atomkritikern als auch mit Atombefürwortern besetzt werden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist leider zu Ende.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Letzter Satz! In diesen Tagen hat dieser Atomminister dafür gesorgt, daß acht von neun Mitgliedern dieser Gutachterkommission Atomlobbyisten sind, zum Teil selbst im Atomgeschäft stecken und das Öko-Institut Darmstadt als einzige atomkritische Stimme überhaupt nicht beteiligt ist.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, einen Schlußsatz zu sprechen.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sorgen Sie für politische Klarheit in Ihren eigenen Reihen, bevor Sie sich ernsthaft als Verteidiger der Arbeitsplätze bei der Kohle aufspielen! ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe als nächsten Redner den Abgeordneten Beckmann auf. Er hat das Wort.

Klaus Beckmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag steht unverändert zu ihrer bewährten Politik von Kohle und Stahl. ({0}) Das ist die Politik, die von den Bundesministern Friderichs, Graf Lambsdorff und Bangemann getragen und ausgeführt wurde. ({1}) Hier sehen Sie ein Beispiel von politischer Kontinuität in der Energiepolitik, ({2}) meine Damen und Herren von der SPD, das wir uns bei Ihnen gewünscht hätten. Leider sind Sie in Nürnberg davon abgekommen. ({3}) Die Förderung der heimischen Steinkohle ist als Sicherheitselement einer ausgewogenen Versorgungsstruktur bei den Primärenergieträgern unumgänglich. Weil die Förderung unserer Steinkohle nicht zum Weltmarktpreis erfolgen kann, hat sich eben der Staat in den vergangenen Jahren und auch heute zu entsprechenden Ausgleichsmaßnahmen verpflichtet, erstens dem Kohlepfennig im Rahmen des Dritten Verstromungsgesetzes mit dem Kostenausgleich gegenüber dem schweren Heizöl und teilweise der Importkohle, zweitens der Kokskohlenbeihilfe zum Ausgleich der Wettbewerbsnachteile der Stahlindustrie beim Einsatz heimischer statt der Weltmarktkohle. Diese Ausgleichszahlungen - und das muß auch einmal deutlich betont werden in dieser Debatte - für die deutsche Kohle erreichen beachtliche Größenordnungen. Allein 1984 bis 1987, in der Zeit der Koalition der Mitte, bezahlte der Stromverbraucher beispielsweise rund 13,9 Milliarden DM für den Einsatz deutscher Kohle nach dem Jahrhundertvertrag. Aus dem Bundeshaushalt fließen im gleichen Zeitraum rund 8,6 Milliarden DM in den deutschen Bergbau. Meine Damen und Herren, diese Subventionen sind von uns politisch gewollt. Ihnen stehen im übrigen Beckamnn - und auch das gehört in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung - Einsparungen bei der Ölrechnung in Höhe von 34 Milliarden DM gegenüber. Wir Freien Demokraten stehen zu den vertraglichen und zu den gesetzlichen Verpflichtungen zugunsten der deutschen Kohle. Wir haben uns energiepolitisch für den Verbund von Kohle und Kernenergie entschieden, um die politische Abhängigkeit vom Öl abzubauen. Das ist uns ja auch über alle Erwartungen hinaus in den vergangenen Jahren gelungen. Sie kennen die Zahlen alle. Wir sollten, meine ich, trotz der Phase des billigen Öls, in der wir uns jetzt befinden, nicht von dieser Politik abrücken. ({4}) Aber Kernenergie aus sicheren Kraftwerken ist auf absehbare Zeit in diesem Verbund auch nicht zu ersetzen. Wir begrüßen, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister die Erhöhung des Kohlepfennigs auf 71/2% vorschlagen wird. Wir begrüßen auch die Erhöhung des Kreditrahmens im Ausgleichsfonds von 500 Millionen DM auf immerhin 2 Milliarden DM, was einer Vervierfachung gleichkommt. Weitere Belastungen, so meinen wir, sind dem Stromverbraucher und dem Steuerzahler nicht zuzumuten. Absatzausfälle auf Grund der Stahlkonjunktur oder des Rückgangs am Wärmemarkt kann der Staat nicht ausgleichen. Hier sind auch Produktionsanpassungen nötig, die aber die Sicherung der Kohlepolitik im Kern erst ermöglichen. Herr Kollege Roth, ein letztes Wort zu Ihnen. In der Tat hat es eine Gefährdung der deutschen Steinkohle durch die Aufgabe des energiepolitischen Konsenses durch die SPD in Nürnberg gegeben. ({5}) Sie haben die Gemeinsamkeit, die ja hieß „Kohle plus Kernenergie", in Nürnberg aufgekündigt. ({6}) Sie haben die Geschäftsgrundlage aufgekündigt. Derjenige, der das als erster kapiert hat, ist Ihr Kollege Niggemeier, der vor wenigen Tagen als Chef seiner Kreistagsfraktion in Recklinghausen ein en Antrag eingebracht hat, der von der SPD und den anderen Fraktionen dort einstimmig verabschiedet worden ist und in dem Ministerpräsident Rau aufgefordert wird, Initiativen zur Schaffung eines neuen Konsenses zwischen Atomkraft und Kohle zu ergreifen. Unsere Unterstützung dabei wird er haben. ({7}) Ein letztes Wort noch zur Stahlsituation. Wir freuen uns, daß sich die Bundesregierung gestern mit den Beteiligten an einen Tisch gesetzt hat. Wir Freien Demokraten unterstützen die Stahlpolitik des Bundeswirtschaftsministers und unterstützen auch die Grundelemente: erstens ein striktes Subventionsverbot in der EG, zweitens den weiteren Abbau von Überkapazitäten in allen EG-Staaten. Wir sind auch bereit, einen angemessenen Abbau in der Bundesrepublik mitzutragen. Wir werden uns bemühen, eine soziale Abfederung des Anpassungsprozesses durch Sozialpläne und flankierende staatliche Maßnahmen vorzunehmen. Das ist die Position der Freien Demokraten und nichts anderes. Vielen Dank. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst bei der SPD-Fraktion für die Gelegenheit bedanken, die Sie mir mit dieser Aktuellen Stunde geben, zu den beiden Aspekten etwas zu sagen, die hier diskutiert werden müssen, ({0}) nämlich einmal der Frage, wie dieses angebliche Interview zustande kam, und zum anderen - ({1}) - Ich kann mir denken, Herr Roth, daß Sie das nicht interessiert. Sie haben von dieser Fälschung zunächst Gebrauch gemacht ohne Rücksicht darauf, was die Betreffenden sagen, und jetzt interessiert es Sie natürlich nicht, was richtig und wahr ist. ({2}) Das ist genau der Stil, den niemand in diesem Hause zulassen sollte, ganz gleich, wer davon betroffen ist. ({3}) Zum zweiten werde ich natürlich wiederholen, was ich in den vergangenen Wochen schon verschiedentlich gesagt habe: was die Elemente der Kohle- und Stahlpolitik der Bundesregierung sind. ({4}) Dieses Interview entlarvt sich selbst; denn wenn man die beiden aufeinanderfolgenden Ausgaben der „Welt" betrachtet, dann sieht man sehr genau, wie dieses angebliche Interview zustande gekommen ist. Es ist eine doppelte Fälschung. Der Journalist hat sich in diesem angeblichen Interview drei Fragen beantworten lassen. ({5}) - Sie können ja, Herr Staatsanwalt, wenn Sie glauben, daß diese eidesstattliche Versicherung falsch ist, eine Anzeige erstatten. ({6}) Dieses „Interview" beruht auf einem Tonbandmitschnitt einer Rede von mir, die ich in Darmstadt gehalten habe. Aus diesem Tonbandmitschnitt hat der Journalist drei längere Abschnitte verwendet und hat vor diesen Abschnitten drei Fragen eingefügt, die mir nie Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 7. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den .1. April 1987 315 gestellt worden sind. Das mag man vielleicht noch als eine Verletzung journalistischer Stilregeln empfinden. ({7}) Aber was schlimmer war und heute immer noch schlimmer ist - der Journalist und auch die Redaktion beharren auf dieser Position, und damit deckt die Redaktion die offenbare Fälschung des Journalisten - , ist, daß beide Texte, also der Text des angeblichen Interviews und der Text der Rede, voneinander abweichen. Dies kann man sehr gut und ohne Schwierigkeiten beim Vergleich der beiden Texte feststellen, die „Die Welt" selbst veröffentlicht hat. Ich habe in dieser Rede in weiten Passagen nur zur Problematik bei der Kohle Stellung genommen, während in dem angeblichen Interview die Situation beim Stahl mit dazugenommen worden ist. Das ist eine offensichtliche Fälschung. Jeder, der die beiden von der „Welt" selbst veröffentlichten Texte vergleicht, wird das erkennen. Ich möchte eigentlich der Opposition empfehlen, gemeinsam mit uns und mit mir das Fehlverhalten eines Journalisten und einer Zeitung nicht durchgehen zu lassen. ({8}) - Sie können, Herr Vogel, morgen in gleicher Weise davon betroffen sein. ({9}) - Dann werde ich Ihnen helfen, jawohl. ({10}) Ich finde, es ist ein bedauerlicher Stil, ({11}) wenn die Presse nicht in der Lage ist, eine offensichtliche Fälschung zurückzunehmen und sich dafür zu entschuldigen. Ebenso ist es ein ganz bedauerlicher Stil in diesem Parlament, den Sie nicht pflegen sollten, wenn die Opposition daraus Kapital schlagen will. ({12}) - Daß Ihnen das alles nicht mehr gefällt, nachdem offensichtlich ist, daß meine Darstellung richtig war, ist genau das, was ich Ihnen vorwerfe. Wenn Sie sich so verhalten, wie wollen Sie dann dafür sorgen, daß so etwas in Zukunft nicht mehr passiert? ({13}) Ich habe in dieser Rede zu Stahl und Kohle Stellung genommen, und zwar in der Weise, in der ich das vorher schon im Jahreswirtschaftsbericht getan habe. In der Regierungserklärung hat der Bundeskanzler diese Ausführungen noch einmal wiederholt. Auf der Länderwirtschaftsministerkonferenz am 20. März dieses Jahres habe ich erneut die Kohle- und Stahlpolitik der Bundesregierung dargestellt. Auf der Länderwirtschaftsministerkonferenz habe ich z. B. ausgeführt: Wir werden den Bergbau in seiner schwierigen Lage nicht alleinlassen. - Wir können vor dieser schwierigen Lage allerdings auch nicht die Augen verschließen. Ich bin gerne bereit, diese Politik hier noch einmal auszuführen und zu bekräftigen. Wer behauptet, daß ich mich für einen Kurswechsel in der Kohlepolitik ausgesprochen habe, wird allein schon durch die Fakten widerlegt. Ich habe, wie Sie wissen, meine sehr verehrten Damen und Herren, schon in der vergangenen Legislaturperiode den möglichen Rahmen, der dem Wirtschaftsminister zusteht, ausgenutzt und den Kohlepfennig auf 4,5% erhöht. Ich habe durch intensive Bemühungen in der Europäischen Gemeinschaft dafür gesorgt, daß die Methode, die wir anwenden, um den Steinkohlenbergbau bei uns zu unterstützen, europarechtlich möglich bleibt. Das war nicht einfach, denn die Kommission hatte ganz andere Vorstellungen, die dann in der Tat zu einem völligen Kurswechsel geführt hätten. Wir haben dann weiter, und zwar erst vor wenigen Tagen, beschlossen, eine Erhöhung des Kohlepfennigs auf 7,5 vorzuschlagen. Die Koalitionsfraktionen haben sich darauf verständigt und werden einen entsprechenden Vorschlag des Bundeswirtschaftsministeriums sicher unterstützen. Wir werden gleichzeitig - was Herr Beckmann und Herr Wissmann schon angeführt haben, wie ich glaube - den Kreditrahmen beim Verstromungsfonds von jetzt 500 Millionen DM auf 2 Milliarden DM erhöhen. Das sind Maßnahmen, die den Teil Kohleabsatz, soweit er in die Verstromung geht, weiterhin sichern. Es ist aber auch unabdingbar, meine sehr verehrten Damen und Herren - das hat in der Diskussion bei der Länderwirtschaftsministerkonferenz eine große Rolle gespielt - , daß wir uns in den Verhandlungen über die Anschlußregelung zum Jahrhundertvertrag ebenfalls über Korrekturen des laufenden Vertrages einigen. Denn wir müssen einen Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen der Stromverbraucher an günstigen Strompreisen und dem Beitrag der Steinkohle herstellen. Stromverbraucher sind nicht nur private Haushalte - die natürlich auch belastet werden - , sondern vor allen Dingen auch gewerbliche Unternehmen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in allem Ernst wiederholen, was ich in Darmstadt gesagt habe: Wir müssen dort einen Ausgleich finden. Denn wir können nicht über unmäßig erhöhte Stromkosten die Kostensituation der deutschen Industrie im Verhältnis zu ihren Wettbewerbern verschlechtern. ({14}) Wir würden nämlich dann nicht nur Produktionsbereiche verlieren, die vielleicht auch anderswo angesiedelt sein können - z. B. die Aluminiumproduktion -, sondern das würde eine Kostenbelastung der gesamten deutschen Wirtschaft. Wenn Sie sich - ich wünsche mir das - auf der Hannovermesse, die heute begonnen hat, einmal ansehen, in welchem Umfang bereits über Rechner, über automatisierte Produktionsprozesse stromintensive Modernisierungen der Produktionsprozesse vorgenommen werden, dann können Sie sich ausmalen, was es bedeuten würde, wenn wir weiter einseitig die Stromverbraucher über Gebühr belasteten. Dann würden wir ganze Teile unserer Volkswirtschaft wettbewerbsunfähig machen und dadurch Arbeitsplätze verlieren. Das kann nicht vernünftig sein. ({15}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch das in aller Offenheit sagen: Wenn wir jetzt die auf gelaufenen Verpflichtungen aus dem vergangenen Jahr und die Verpflichtungen dieses Jahres - unterstellt, der Ölpreis bleibt so, wie er jetzt ist - allein aus dem Kohlepfennig befriedigen wollten, dann müßten wir den Kohlepfennig auf 12 % anheben. ({16}) Das können wir nicht machen. Aber auch schon 7,5 % sind eine erhebliche Belastung. Deswegen stehen wir zu dieser Kohlepolitik. Aber wir stehen auch dazu, daß wir die notwendigen Anpassungen bei der Berechnung des Kohlepfennigs vornehmen müssen. Insoweit verstehe ich, was die Bundesländer, die nicht Revierländer sind, in der Länderwirtschaftsministerkonferenz ausgeführt haben. Ich will Ihnen auch dazu ein einfaches Beispiel geben. Wir haben vor kurzem beschlossen, 420 Millionen DM über das Küstenprogramm in die norddeutschen Küstenländer fließen zu lassen, um Ersatzarbeitsplätze für die wegfallenden Werftarbeitsplätze zu schaffen. Wenn ich den Kohlepfennig auf diese Höhe anheben wollte, dann würde der ganze Betrag oder etwas mehr aus diesen Ländern in die Revierländer zurückfließen. Das kann keine vernünftige Regionalpolitik sein. Deswegen muß man verstehen, daß diese Länder - Schleswig-Holstein, Niedersachsen, aber auch Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz - Wert darauf legen, daß die Berechnungsmethode und die Struktur des Kohlepfennigs neu überprüft werden. Meine Damen und Herren, es ist auch richtig, was Herr Wissmann hier ausgeführt hat: daß in der Länderwirtschaftsministerkonferenz diese Länder gefragt haben, wie es, wenn man den Konsens aufrechterhalten will, den Sie hier verlangen, dann mit der Einstellung der Revierländer zur Nutzung der Kernenergie bestellt ist. Denn es kann ja nicht Solidarität sein, wenn man auf der einen Seite von den revierfernen Ländern verlangt, über den Kohlepfennig den Steinkohlebergbau zu unterstützen, auf der anderen Seite aber politisch die Nutzung der Kernenergie diesen Ländern erschwert. ({17}) Solidarität kann keine Einbahnstraße sein. Ich habe hier an diesem Pult und an dem Pult in unserem alten Plenarsaal mehrfach davor gewarnt, diesen Konsens in der Weise aufzugeben, wie ihn die SPD in Nürnberg aufgegeben hat. Beklagen Sie sich nicht darüber, daß jetzt diese Schwierigkeiten in der Länderwirtschaftsministerkonferenz aufgetreten sind. ({18}) Der Rückgang der Stahlerzeugung und auch des Absatzes im Wärmemarkt haben die Absatzmöglichkeiten der deutschen Kohle verringert. Das ist ein strukturelles Problem. Die Bundesregierung kann die fehlende Nachfrage nicht ersetzen. Die Subvention des Kohleexportes, die wir einstellen wollen, trägt auch nicht zur Energiesicherheit bei. Wir können dies weder energie-, noch haushaltspolitisch noch außenwirtschaftlich rechtfertigen. Diese Lage macht Kapazitätsanpassungen, d. h. eine Verkleinerung der Förderkapazitäten, unausweichlich. Das weiß auch die Opposition. Ich finde, die Debatte wäre ehrlicher, wenn sie offener darüber sprechen würde. Sie wäre auch den betroffenen Arbeitern gegenüber menschlicher, denn unbegründete Hoffnungen zu erzeugen ist das Unmenschlichste, was man sich in der Politik überhaupt vorstellen kann. ({19}) Wir haben mehrfach zugesichert - ich sage das noch einmal - , daß wir diesen Kapazitätsabbau sozial flankieren werden. ({20}) Das heißt nicht nur, daß wir diesen Schutz über die bereits bekannten Maßnahmen, zu denen Norbert Blüm noch etwas sagen will, gewähren, sondern das heißt auch, daß wir Ersatzarbeitsplätze schaffen wollen, und zwar durch einen Ausbau der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, durch die Fortführung der Stahlstandorteprogramme, was wir bereits gesagt haben, durch die Forderung, die wir der Europäischen Gemeinschaft gegenüber bereits vor Monaten vorgetragen haben, daß sie selber diese Schwierigkeiten durch ein Stahlstandorteprogramm mit behebt. Das muß natürlich auch von den Ländern selbst begleitet werden. Ich kann nicht verstehen, daß der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, wenn z. B. die Situation der Stahlstiftung diskutiert wird - darüber haben wir gestern auch mit den Beteiligten gesprochen - , in einer Debatte im Landtag vorab erklärt, daß sich das Land Nordrhein-Westfalen natürlich an dieser Stahlstiftung finanziell nicht beteiligen kann. Gut, man kann ja darüber diskutieren. ({21}) - Das ist zunächst einmal eine Frage, die sich ja wohl an das betroffene Land richtet. ({22}) Das finde ich ja nun sehr schön, daß Sie darüber hinweggehen wollen. ({23}) Niemand kann sich dieser Verantwortung entziehen. Ich sage hier: Auch die Unternehmen selbst, die Vorstände und Aufsichtsräte der Unternehmen, tragen eine Verantwortung. Da wird die Montanmitbestimmung so hoch gelobt. Alle diese Unternehmen sind montanmitbestimmt. ({24}) Wenn die Anpassungen dort beschlossen wurden, möchte ich bitte wissen, wie sich die Vertreter der IG-Metall und der Arbeitnehmer in diesen Aufsichtsräten verhalten haben. ({25}) Die deutsche Kohle wird weiter einen Beitrag zur Energiesicherheit leisten. Wir werden diesen Beitrag möglich machen. Wir können aber nicht garantieren, daß diese Hilfe für die gleiche Kapazität wie bisher gegeben wird, wenn sie finanziell zu volkswirtschaftlich untragbaren Folgen führt. Das muß jeder wissen. Das weiß im Grunde genommen auch jeder. Zur Stahlindustrie. Auch die Stahlindustrie ist einem harten Anpassungsprozeß ausgesetzt, der übrigens in der Industrie nicht einmalig ist. Wir haben ihn in der Textilindustrie gehabt, wir hatten ihn in der Bauindustrie, insbesondere im Wohnungsbau. Einen Anpassungsprozeß durchzustehen ist nicht allein das Schicksal dieses Wirtschaftszweiges, sondern auch anderer. Die deutsche Stahlindustrie hat in zwölf Jahren, die nun die Krise im Montanbereich schon dauert, knapp 90 000 Arbeitsplätze verloren; das sind fast 40 %). Eine Besonderheit der deutschen Stahlindustrie, ist auch, daß sie sich in bestimmten Regionen konzentriert, und das unglücklicherweise oder aus der früheren Zusammenarbeit verständlicherweise in denselben Regionen, in denen auch die Kohle abgebaut wird. Diese Regionen sind - das ist das Gravierende an der Situation - heute noch monostrukturiert. All denen, die jetzt bei der Bundesregierung anklopfen und um Hilfe nachfragen, möchte ich auch einmal die Frage stellen: Was hat man in diesen zwölf Jahren eigentlich in diesen Ländern getan, um diese Monostruktur ein wenig aufzulockern? Gab es Bemühungen, andere Unternehmen dort anzusiedeln? ({26}) Diese Monostruktur ist historisch gewachsen und zu lang erhalten worden. Und wer sie heute noch erhalten will, der tut für diese Länder mit Sicherheit nichts Gutes. ({27}) Wir müssen diese Monostruktur aufbrechen. Das heißt, das Ruhrgebiet und das Saarland brauchen wieder eine Perspektive. Sie können sich nicht allein auf diese beiden Industriebereiche verlassen. Die Bundesregierung wird deswegen diesen Prozeß unterstützen. Sie wird dafür sorgen, daß durch Ersatzarbeitsplätze auch die Monostruktur sich verändert. Daß die deutsche Stahlindustrie im Vergleich mit anderen Stahlindustrien durchaus in der Lage ist, den Wettbewerb zu bestehen und diese Stahlkrise zu überstehen, daran hat niemand einen Zweifel. Sonst hätten übrigens auch nicht einige der Unternehmen in den vergangenen Jahren Gewinne erzielt. Daß das aber nicht für alle Unternehmen zutrifft, wissen Sie auch. Es gibt auch in der deutschen Stahlindustrie Unterschiede zwischen den einzelnen Unternehmungen. Immerhin - auch darüber sollte niemand hinwegsehen - , die deutsche Stahlindustrie hat auch in dem Kapazitätsanpassungsprozeß der letzten Jahre prozentual ihren Anteil in der Europäischen Gemeinschaft halten können. Nicht alle Unternehmen haben diese gleichen Chancen. Sie wissen, daß es gerade im Saarland ein Unternehmen gibt, das in besonderer Weise Unterstützung brauchte, weil es nicht in der gleichen Weise wie die anderen deutschen Stahlunternehmen wettbewerbsfähig war. Aber auch die anderen deutschen Stahlunternehmen haben noch Schwachstellen, die ihre Existenzfähigkeit durchaus mindern. Das ist aber nicht der eigentliche Grund für diese besondere Situation, sondern - auch darüber sollte man nicht hinwegsehen - die Stahlmarktsituation hat sich angespannt. Seit über zehn Jahren stagniert weltweit die Stahlnachfrage. In den Industrieländern geht sie sogar zurück; bei uns in der Bundesrepublik von 35 auf 29 Millionen t. Im Verein damit haben die Entwicklungs- und Schwellenländer neue Kapazitäten aufgebaut, die dazu geführt haben, daß diese Länder nicht mehr als Käufer auftreten. Was schlimmer ist: Sie treten auch als Verkäufer auf. Hinzu kommen die rasanten Fortschritte in der Stahltechnologie, die zu zusätzlichen Möglichkeiten geführt haben und natürlich auch durch Rationalisierung Arbeitsplätze haben verloren gehen lassen. Diese Faktoren - Nachfragerückgang, Angebotszunahme und technische Entwicklung - sind die Ursachen der Stahlkrise. Die Subventionen, die in der Vergangenheit gewährt worden sind - in anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft erheblich mehr als bei uns -, haben diesen Strukturanpassungsprozeß verzögert. Auch deswegen ist dieses angebliche Interview so blödsinnig. Denn man unterstellt mir, ich hätte dort den Abbau der Subventionen beim Stahl gefordert - und das, obwohl ich in der Europäischen Gemeinschaft dafür gesorgt habe, daß wir einen Beschluß gefaßt haben, daß ab 1. Januar 1986 jegliche stahlspezifische Subventionen in der Europäischen Gemeinschaft verboten sind.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Minister, darf ich Sie einen Moment unterbrechen. Ich möchte Sie nur formal darauf aufmerksam machen: Sie sprechen jetzt mehr als 20 Minuten. Das ist Ihr Recht. Aber das wirft Vizepräsident Westphal mehrere Geschäftsordnungsprobleme auf, weil ein weiterer Minister - vom Bundesrat - sich zu Wort gemeldet hat und nach den noch geltenden Regeln durch seine Zehn-Minuten-Rede möglicherweise zusätzliche Geschäftsordnungsprobleme auftreten. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie uns sagen würden, ob Sie weiterreden werden oder ob Sie zum Ende kommen.

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Herr Präsident, vielen Dank für diesen Hinweis. Wenn Sie gestatten, möchte ich meine Rede zu Ende bringen. Das wird noch etwa fünf Minuten in Anspruch nehmen. ({0}) - Erst verlangt die Opposition, daß die Bundesregierung zur Kohle- und Stahlpolitik Stellung nimmt. Und wenn wir das dann tun, beklagen sie sich darüber. ({1}) Die Kritik an den Subventionen in der Stahlindustrie ist berechtigt, soweit diese Subventionen in der Vergangenheit gezahlt worden sind. Sie kann für die Gegenwart gar nicht mehr erhoben werden. Denn solche Subventionen sind, wie schon gesagt, heute nicht mehr gestattet. Die Bundesregierung kann - und das haben wir gestern in dem Gespräch sehr deutlich gesagt - keine Stahlstandorte oder eine Grundausstattung der deutschen Stahlindustrie garantieren. Es gibt kein Instrument, um so etwas durchzusetzen. Wer solche Garantien wirklich praktizieren will, fordert damit Erhaltungssubventionen ohne Begrenzung. ({2}) Solche Subventionen kann niemand zahlen. Ein Staat jedenfalls kann sie nicht zahlen, ohne seine gesamte Volkswirtschaft dauerhaft aufs schwerste zu gefährden. Deswegen kann das nicht in Frage kommen. Jedenfalls wird die Bundesregierung solchen Vorschlägen und natürlich auch Vorschlägen zur Vergesellschaftung von Stahlunternehmen nicht folgen. Wir werden den Anpassungsprozeß auch hier begleiten. Und ich kann Herrn Wissmann sagen, daß wir dafür sorgen, daß alle Verstöße von der Kommission sofort geahndet werden; da kann ich ihn beruhigen. Das ist übrigens auch in der Vergangenheit geschehen. Es gibt vier Fälle, in denen die Kommission solchen Möglichkeiten nachgeht. Zwei davon betreffen deutsche Unternehmen, Herr Wissmann. Der Ministerrat hat übrigens am 19. März erneut einstimmig bestätigt, daß die Subventionsdisziplin eingehalten werden muß. Wir werden dafür sorgen, daß die Kommission sich daran hält. Wir haben auch in dem Gespräch gestern noch einmal darauf hingewiesen, daß wir die Überlegungen von Eurofer unterstützen. Eurofer will versuchen, auf dem Wege eines Tausches oder eines Verkaufs von Quoten zu Kapazitätsanpassungen zu kommen. Natürlich setzt das voraus, daß das Quotensystem eine gewisse Zeit weiterbesteht. Wir sind bereit, das mit zu unterstützen, und haben das im Ministerrat bereits getan. Wir haben die Stahlunternehmen aufgefordert, das Angebot, das bis jetzt vorliegt, zu ergänzen. Denn die Kommission schätzt den Anpassungsbedarf auf mindestens 20 Millionen, wahrscheinlich 30 Millionen Jahrestonnen. Bis jetzt liegen aber erst, wenn man es sehr großzügig rechnet, Angebote auf Stillegung von 15 Millionen, wenn man es sehr scharf rechnet, auf Stillegung von 10 Millionen Jahrestonnen vor. Das ist natürlich nicht ausreichend. Wir werden aber auch in diesem Fall alles, was die Stahlindustrie unternimmt, unterstützen und sind selbstverständlich auch bereit, die sozialen Maßnahmen, die hier erforderlich sind, einschließlich der Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen, mit zu unterstützen. Das, meine Damen und Herren, ist die Kohle- und Stahlpolitik der Bundesregierung. ({3}) Sie ist unverändert, seitdem wir Gelegenheit hatten, sie vorzutragen. Sie hat sich in die Dimensionen einer modernen Wirtschaft einzuordnen, die zwar auch mit Kohle und Stahl arbeiten wird, die aber Kohle und Stahl von den Mechanismen dieser Wirtschaft auf Dauer nicht ausnehmen kann. Das wäre weder im Sinne und im Interesse von Kohle und Stahl noch zum Vorteil der gesamten Volkswirtschaft. Wer das so sieht, der kann diese Politik nur unterstützen. Wir haben übrigens bei dem Gespräch gestern, auch bei der IG Metall und den Vertretern der Stahlindustrie, durchaus Verständnis für unsere Überlegungen gefunden. Natürlich gibt es unterschiedliche Beurteilungen. Aber es gab einen Ansatz, den wir in Gesprächen mit beiden Seiten weiter verfolgen wollen. Ich hoffe, daß wir dabei Lösungen finden können, die den Menschen, die davon betroffen sind, helfen. Das ist Sinn unserer Bemühungen. Ich hoffe auch, daß wir dabei Unterstützung bei allen Fraktionen des Hauses finden werden. Ich danke Ihnen. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Jahn.

Gerhard Jahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001012, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister hat hier viel über „Die Welt", viel über die Presse und insbesondere länger als zehn Minuten geredet. ({0}) Nach den Richtlinien über die Aktuelle Stunde, Abschnitt III Ziffer 7, verlangt die Fraktion der SPD nunmehr Eintritt in die Aussprache. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich kann bestätigen, was der Abgeordnete Jahn gesagt hat. Der Herr Minister für Wirtschaft hat länger als zehn Minuten gesprochen. Die Fraktion der SPD hat also nach den Richtlinien für die Aktuelle Stunde Deutscher Bundestag 11. Wahlperiode Vizepräsident Westphal in Verbindung mit § 44 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung verlangt, daß über die Ausführungen die Aussprache eröffnet wird. Ich schließe die Aktuelle Stunde und eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Minister für Wirtschaft des Saarlandes, Herr Hoffmann. Minister Hoffmann ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, die wichtigste Aussage der soeben gehörten Rede war die Feststellung des Bundeswirtschaftsministers, das sei die Kohle- und Stahlpolitik der Bundesregierung gewesen. Wenn das so ist, sehr verehrter Herr Bundesminister, dann kann ich nur sagen: Sie war dünn. ({1}) Ich habe versucht, sehr genau hinzuhören, ob wir denn neue Impulse oder eine stichhaltige Analyse bekommen würden. ({2}) Nichts davon ist der Fall. Sie haben in einer durchaus sympathischen Manier einige lockere Sprüche über ein schwieriges Thema abgelassen. ({3}) Das, worum es hier geht, ist ein bißchen mehr, als daß wir uns darüber auseinanderzusetzen hätten, wie ein Interview gelaufen ist. Ich gebe Ihnen gerne zu, das, was Ihnen mit einem nicht gegebenen Interview passiert ist, kann jedem von uns passieren. Deshalb bin ich in dieser Frage völlig mit Ihnen einverstanden, daß man sich dagegen zur Wehr setzen muß. Das ist richtig. Nur vermute ich, daß sich, als diese Meldungen aufgetaucht sind - und das macht die Aufregung erst erklärbar - , eine Reihe von Mitarbeitern bei Ihnen im Hause die Haare gerauft und gefragt haben: „Hat er das wirklich gesagt?" ({4}) Das ist der eigentliche Punkt: „Hat er es wirklich gesagt?" Ich will gleich auf ein paar Zitate von Ihnen zurückkommen. Wenn man sich über Fragen der Montanindustrie unterhält, wird man wie im übrigen in allen anderen Basiswirtschaftsbereichen gezwungen sein, eine Analyse anzustellen, auf Grund der Analyse Bewertungen zu geben und auf Grund der Bewertungen zu sagen, wie man politisch handeln will. Das muß man schon tun. Was Sie als Handlung vorgeschlagen haben, ist sozusagen der kleine, dünne, obere Teil, zu dem Sie per Gesetz und Vertrag verpflichtet sind, nichts weiter. Ich will Ihnen noch kurz erklären, wie das im einzelnen geht. Meine Damen und Herren, die Wunderformel „Subventionsabbau" hat nichts zu tun mit einer Fragestellung, wie Sie Strukturpolitik und regionale Wirtschaftspolitik betreiben können. ({5}) - Sie kommen gleich auf Ihre Kosten, ich hoffe es jedenfalls. Haben Sie ein bißchen Geduld! Damit wir uns nicht an Stellen verkämpfen, an denen es nichts zu verkämpfen gibt: Es gibt keinen, der beispielsweise in Sachen Stahl „Erhaltungssubventionen ohne Grenzen" verlangt hätte, wie Sie es vorhin vorgetragen haben. Darüber diskutieren wir nicht ernsthaft, weil jeder von uns weiß, daß das wirtschaftspolitisch, strukturpolitisch, aber vor allem auch arbeitsmarktpolitisch niemals einen Sinn machen kann. Es geht nicht um Erhaltungssubventionen über alle Grenzen hinweg, sondern es geht um die klare Frage, wie man in einer Notsituation das, was die Wirtschaft offensichtlich aus eigener Kraft nicht geschafft hat, auf Grund gesellschaftlicher, auf Grund politischer Intervention zu leisten imstande ist. ({6}) Es hat auch niemand von Kohlesubventionen einfach in dem Sinne gesprochen: Hauptsache, es wird subventioniert. Ich merke immer mehr, daß bei diesen Postulaten nicht klar ist, was der Hintergrund des Jahrhundertvertrages gewesen ist. Der Jahrhundertvertrag stellt die klare Erklärung dar, daß wir auf Grund unserer Produktionsmethoden Wettbewerbspreise im Kohlebereich im Verhältnis zum Weltmarkt nicht leisten können. Deshalb haben wir gesagt, auf der Grundlage des Konsenses über eine gemeinsame Energiebevorratung und eine Nichtabhängigkeit oder nur begrenzte Abhängigkeit von außen sind wir bereit, Steuergelder zu investieren. Das haben wir gemacht. ({7}) - Ich komme gleich noch zu dem Dissens. Nur keine Panik. Dann habe ich noch einige lockere Sprüche nachgelesen. Herr Bundesminister, auch auf der Wirtschaftsministerkonferenz gingen Ihnen einige Sätze ganz locker herunter. Wir sprachen über Stahl und Kohle, und Sie sprachen sehr schnell davon, „alte Industrien" könne man auf Dauer nicht subventionieren. Ich habe den Eindruck, daß Sie nicht wissen, welcher technologische Standard in diesen Industriebereichen in der Bundesrepublik inzwischen überhaupt erreicht ist. ({8}) Die Stahlindustrie ist in der Tat eine historisch gewachsene, seit langem bestehende Industrie. Sie hat heute in der Bundesrepublik einen Standard - im übrigen in allen Standorten, die ich kenne - , der sich, wenn es um die technische Wettbewerbsfähigkeit in Europa oder in der Welt geht, nicht zu verstecken braucht. ({9}) Deshalb diskutieren wir nicht über Erhaltungssubventionen, sondern wir diskutieren darüber, welche Subventionsauseinandersetzungen zwischen Staaten laufen. Darüber diskutieren wir, und dazu brauchen wir Antworten. ({10}) Die Feststellung, die Sie getroffen haben, ist in Ordnung, nämlich daß Sie mithelfen, mit dafür sorgen, 320 Deutscher Bundestag - l 1. Wahlperiode Minister Hoffmann ({11}) daß wir keine entsprechenden Subventionsläufe haben. Wenn die Wettbewerbssituation aber so ist, wenn die Subventionsströme so laufen, wie sie laufen, hat das Rückwirkungen auf unsere Situation, und dazu muß man Antworten formulieren und nicht einfach Sprüche klopfen. ({12}) - Das kommt gleich! Nur die Ruhe! Ich erlaube mir, zu versuchen, auf einige Argumente des Herrn Bundeswirtschaftsministers einzugehen, und ich bitte Sie um die Contenance, das auch anzuhören. ({13}) Reden wir nun einmal vom Kohlebereich. Auch im Kohlebereich ist es nicht so, daß es sich lohnte, über veraltete Technologien zu streiten, sondern auch da haben wir, was die technische Leistungsfähigkeit angeht, einen optimalen Standard. Wenn dann dennoch eine solche Verunsicherung, wie sie jetzt eingetreten ist, entsteht, ist der Hintergrund eigentlich ein ganz anderer; der Hintergrund ist dann nämlich, bezogen auf die Energiedebatte, die Frage, ob man auf kaltem Wege etwas verändern möchte, was man in der offenen Auseinandersetzung und ohne Erpressungsmethoden nicht durchsetzen kann. ({14}) - An dieser Stelle bin ich vorsichtig, Herr Schmitz, und ich will Ihnen auch sagen, was ich damit genau meine. Vorhin ist noch einmal gesagt worden, wir hätten den Konsens in Sachen Kohle und Kernenergie zerbrochen. ({15}) Nun, meine Damen und Herren, gibt es diesen Konsens, oder gibt es ihn nicht? Ich sage: Dieser Konsens ist nicht mehr vorhanden. ({16}) Warum ist er nicht vorhanden? Ist er beispielsweise deshalb nicht vorhanden, weil irgendeine Landesregierung festgestellt hat, sie sei nicht mehr dieser Auffassung, oder ist er etwa - viel tiefergehend - deshalb nicht vorhanden, weil es inzwischen einen Leidensprozeß und einen Diskussionsprozeß in der Gesellschaft gegeben hat, die dazu geführt haben, daß es diesen gesellschaftspolitischen Konsens nicht mehr geben kann? ({17}) Das heißt, wir diskutieren heute nicht darüber - und deshalb bitte ich doch einmal um intellektuelle Klarheit -, ({18}) ob wir zu einem alten Kompromiß, der nicht mehr zu halten ist, zurückkehren, sondern über die Frage: Wollen wir einen neuen Konsens, und wie sieht der aus? Darum geht es! ({19}) - Wir wollen ihn nicht aufgeben, sondern ich stelle dazu ganz deutlich fest: Es geht nicht darum, zu sagen, es müsse ein Konsens über Kohle und Kernkraft her, sondern darum, Sie selbst beim Wort zu nehmen und Ihre Aussagen, die Aussagen aus Ihren drei Parteien, wirklich ernst zu nehmen. Nach Tschernobyl haben Sie alle plötzlich auch in einer gewissen Weise Einsicht gezeigt. Ich habe keinen erlebt, der nach Tschernobyl gesagt hat: Das geht uns nichts an, wir machen weiter wie geschehen. In allen Parteien, auch bei CDU, CSU und FDP - ich könnte Ihnen das mit ein paar Zitaten nachweisen, aber das ist zu langweilig, denn eigentlich weiß das jeder -, überall hat man gesagt: Wir müssen aus dieser Übergangssituation heraus. Und wissen Sie, was das heißt? Der neue Konsens, der zu finden ist, heißt nicht, ob Kohle und Kernkraft, sondern heißt: Wie soll der Ausstieg aussehen, in welchem Zeitraum, mit welchen Technologien, mit welcher finanziellen Begleitung des Bundes und der Länder? Das ist die Frage! ({20}) Nun komme ich zur aktuellen Entscheidungssituation. Welche Entscheidung wird von der Bundesregierung verlangt? Zuerst einmal ist verlangt, daß sich die Bundesregierung nach Recht und Gesetz verhält. Das muß die erste Entscheidung sein, und ich bin Herrn Gerstein dankbar, denn er hat einen meiner Auffassung nach sinnvollen Vorschlag vorgelegt. Dieser Vorschlag lautet - ich versuche, mich differenziert auseinanderzusetzen, wenn Sie das bitte beachten wollen - : ({21}) eine Anhebung des Kohlepfennigs um 7 bis 8 % und eine entsprechende Kreditermächtigung, die es ermöglicht, diese Phase zu überbrücken. Ich bin einverstanden. Dies ist ein sinnvoller Vorschlag. Nur, Herr Gerstein, warum sind wir denn überhaupt in die jetzige Situation gekommen? Weil der Bundesminister nicht zu dem Zeitpunkt, zu dem zweifelsfrei klar war, daß er mit den 4,5 % nicht auskommt, hier vor dem Bundestag die entsprechende Konsequenz formuliert hat. ({22}) Das heißt, er hätte bereits vor einem Jahr hier stehen müssen und hätte nach Recht und Gesetz dem Bundestag - weil er das selbst nicht entscheiden kann - vorschlagen müssen, über die 4,5 % hinauszugehen. Wenn er sich heute damit quält, tut er nichts weiter, als das nachzuvollziehen, zu was er nach Recht und Gesetz verpflichtet ist, nichts weiter! Nun habe ich einmal nachgelesen, was denn in diesem Zusammenhang der Herr Bundeskanzler am 25. März, kurz vor der Kabinettssitzung, gesagt hat. Er hat, um sozusagen eine Verteidigungslinie aufzuMinister Hoffmann ({23}) bauen, u. a. gesagt, seit 1983 seien Bundeshilfen von rund 18 Milliarden DM in den Kohlebereich geflossen. Meine Damen und Herren, die Wahrheit ist etwas anders. Die Wahrheit ist - wir haben das noch einmal genau beziffert - : Es sind rund 9 Milliarden DM. Die übrigen 9 Milliarden DM kommen aus den Erträgen des Kohlepfennigs, die von den Verbrauchern bezahlt werden. Das ist eine Fehlerquote von 100 %. Ich hoffe, daß Sie in Ihrer Energiepolitik nicht immer so danebenliegen. ({24}) Aber jetzt will ich auf den eigentlichen politischen Kern zu sprechen kommen und Ihnen auch sagen, was mich wirklich betroffen macht. ({25}) - Hören Sie einmal, wenn Sie glauben, daß die Abhängigkeit der Länder vom Bund bei der Finanzierung dazu führen sollte, daß wir gefälligst den Mund zu halten haben, dann haben Sie ein anderes Demokratieverständnis als ich. Das will ich Ihnen aber einmal sagen! ({26}) Ich will jetzt auf den eigentlichen Kern der heutigen Auseinandersetzung zu sprechen kommen. Ich erinnere mich sehr präzise an das, was in der Bund-Länder-Wirtschaftsministerkonferenz vorgelegen hat. Dort ist gesagt worden: Wir - die B-Länder; also die CDU/CSU-, FDP-geführten Bundesländer - sind bereit, eine Anhebung des Kohlepfennigs unter zwei Bedingungen mitzutragen. Sie haben als erste Bedingung genannt: Wir verlangen von den A-Ländern ohne Wenn und Aber eine Unterstützung der entsprechenden Kernenergiepolitik der anderen Länder. Das können Sie auch wörtlich nachvollziehen. Dort steht: „... die Unterstützung der neuen Reaktorlinien und der Entsorgung" usw. Meine Damen und Herren, wissen Sie, was Sie da verlangen? Die saarländische Landesregierung beispielsweise ist nicht frei in ihren Entscheidungen; sie kann in Erkenntnis der Abhängigkeiten Kohlepolitik nicht nach Belieben betreiben. Wissen Sie, was Sie verlangen? ({27}) Sie verlangen von uns, daß wir den politischen Konsens, den wir in unserer Partei erarbeitet haben, an den Nagel hängen, vor die Bevölkerung treten und ihr sagen sollen: Alles, was wir überlegt haben, war verkehrt! Wir lassen uns in diesem Punkt erpressen, und deshalb stellen wir alles, was wir diskutiert haben, in den Regen! - Wollen Sie das ernsthaft von uns verlangen? Verlangen Sie wirklich von uns, daß wir politische Überzeugungen in den Wind schlagen, nur weil Sie wissen, daß wir in bestimmten Finanzfragen zu drücken sind? Nein, meine Damen und Herren, das wird nicht gehen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wissmann? Minister Hoffmann ({0}): Bitte schön.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, wenn Sie in Ihrer praktischen Politik bei dem bleiben, was Sie soeben gesagt haben, dann darf ich Sie fragen, was das für § 8 des Jahrhundertvertrags bedeutet, in dem ja Kohle und Kernenergie für unsere Energieversorgung ausdrücklich festgehalten sind. Heißt das, daß Sie in Zukunft auf den Jahrhundertvertrag in seiner bisherigen From verzichten wollen? Minister Hoffmann ({0}): Sie haben etwas zu früh gefragt, und zwar aus einem ganz einfachen Grund. Ich habe als ersten Dissens die entsprechende Verklammerung genannt, daß wir uns sozusagen das Hemd ausziehen und sagen sollen: All das, was wir in politischen Diskussionen erarbeitet haben, ist hinfällig. Sie wollten - das ist als Junktim ausgestaltet worden - klassische Veränderungen des Jahrhundertvertrages vornehmen, und Sie verlangten gleichzeitig, daß Zusagen der Bundesregierung in den Wind geschlagen werden. Auf diese Zusagen komme ich auch noch zu sprechen. Das Wesentliche für mich ist aber Folgendes. Ich sage Ihnen, worin das zweite Junktim bestand, daß Sie vorgetragen haben. - Bitte, Sie können sich ruhig setzen; ich will nicht darauf bestehen. ({1}) - Ich versuche gerade, es Ihnen zu erklären. Es sind ja komplizierte Zusammenhänge, und ich will Ihnen nicht zumuten, die ganze Zeit stehen zu müssen. Der Jahrhundertvertrag hatte im übrigen auch eine faktische Voraussetzung, nämlich daß es einen Kohlevorrang gebe. Wissen Sie, wie es zur Zeit im Bereich der Verstromung von Kohle aussieht? 1986 ist erstmals die Situation eingetreten, daß wir mehr Strom aus Kernkraft als aus Kohle gehabt haben. ({2}) Wer mir erklärt, er sei für eine Kohlevorrangpolitik, und dann nicht Konsequenzen im Sinne einer Einschränkung der Atomindustrie zieht, den verstehe ich nicht mehr. Er müßte uns erst einmal erläutern, welche Konsequenzen das zeitigen würde. ({3}) Nun will ich weitergehen. Als weiteres Junktim ist von uns verlangt worden - das ist in der Öffentlichkeit vielleicht nicht so deutlich geworden - , daß wir beispielsweise den jetzt gültigen Kohlevertrag, den jetzt gültigen Jahrhundertvertrag, bereits ab dem 1. Januar 1988 gravierend verändern. Wenn ich lese, welche Vorschläge Niedersachsen zum Ölausgleich gemacht hat, wenn ich die Diskussion über die Reduzierung der Menge der zu verstromenden Kohle höre, dann muß ich den Bundeswirtschaftsminister auffordern, zu seinen Worten zu stehen. 1985, als wir in der Minister Hoffmann ({4}) Bund-Länder-Ministerkonferenz diese Diskussion geführt haben, ist die Zusage gegeben worden, daß es ab 1991 eine sozialverträgliche und kapazitätsverträgliche Reduzierung der Hilfen für den Export von Kohle geben solle. Wissen Sie, was Sie heute gesagt haben? Sie haben gesagt: Das gilt nicht mehr, ab 1988 wird die entsprechende Hilfestellung heruntergeführt. Das hat zwar nichts mit der heimischen Energieversorgung zu tun - da haben Sie sicher recht -, aber es hat etwas mit der Frage der Arbeitsplätze im Revier zu tun, ({5}) und es hat etwas mit den Gesamtkapazitäten zu tun, um die wir uns streiten. Deshalb sage ich: Auch eine Reduzierung des Jahrhundertvertrages ist nicht mehr der Kern des Jahrhundertvertrages. Deshalb eine klare Aussage! Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom Kern und vom Zentrum des Jahrhundertvertrags gesprochen. Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, was ist denn der Kern? Definieren Sie ihn doch, damit wir wirklich wissen, um was wir streiten! Sagen Sie uns deutlich, was verändert werden soll und was nicht, damit wir überhaupt wissen, um welche Positionen Sie dabei ringen!

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff? Minister Hoffmann ({0}): Aus alter Tradition herzlich gerne.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Hoffmann, sind Sie sich darüber im klaren, daß die Zustimmung der Europäischen Gemeinschaft zur Subventionierung des deutschen Steinkohlenbergbaus deswegen auf zunehmende Hindernisse stößt, weil die fortgesetzte Subventionierung von exportierter Kohle nicht mehr mit dem Argument der heimischen Energieversorgung gerechtfertigt werden kann? Minister Hoffmann ({0}): Ich bin mir darüber völlig im klaren, und das war auch der Grund, warum wir 1985 gesagt haben: ({1}) Abbau muß sein, aber er muß in zeitlichen Folgen vor sich gehen. Wir haben das doch genau abgemacht; ich weiß das noch ganz genau. Damals ist Herr Jochimsen sozusagen vorgeprescht und hat gesagt: Ihr könnt doch von uns nicht verlangen, daß wir das jetzt ad hoc machen. Ihr müßt uns die Zeit dazu lassen, ihr müßt uns den Rahmen dazu setzen. Da ist 1991 und nicht der 1. Januar 1988 vereinbart worden; das möchte ich schon klarstellen. ({2}) Meine Damen und Herren, ich vermisse eine klare Aussage der Bundesregierung über die Kontinuität langfristigen energiepolitischen Denkens, was die Kohle angeht. Warum wird denn jetzt darum gekämpft, wie hoch der Kohlepfennig ist? Das geschieht nicht, weil der Strom in der Bundesrepublik dann teurer wird. Der Hintergrund ist vielmehr, daß die entsprechenden Weltmarktschwankungen, die Einbrüche auf dem Weltmarkt, nicht sofort bei uns durchschlagen sollen und damit bei uns die Existenz der Kohle in Frage gestellt wird. Sie können langfristige Investitionsentscheidungen im Bergbau nicht von kurzfristigen Schwankungen auf den Weltmärkten abhängig machen. Wer so etwas tut, hat von Strukturpolitik keine Ahnung. Das kann doch gar nicht sein! ({3}) Ich weiß auch, daß die Reaktion beispielsweise bei der CDU und CSU und den Fachkundigen in der FDP genauso war und auch heute noch so ist. Jeder von Ihnen, der sich damit auseinandersetzt, weiß genau, daß er die langfristige Investitionstätigkeit stabilisieren muß. Das ist der Punkt. Es gibt heute außer einer Kohlegrube in Australien keine einzige Importkohlegrube, die zur Zeit schwarze Zahlen schreibt. Das sollten Sie wissen. Das heißt, es wird kurzfristig auch wieder Änderungen im Preisgefüge am Weltmarkt geben, und wir wären gut beraten, wenn wir in dieser Politik ein bißchen langen Atem beweisen würden. ({4}) Meine Damen und Herren, deshalb ein paar klare Forderungen, was jetzt zu geschehen hat: Jetzt muß der Kohlepfennig mit dem Kreditrahmen erhöht werden. Ich freue mich, daß wir dazu im Bundesparlament offensichtlich eine große Mehrheit finden werden. Aber es wird nicht so gehen, daß Sie uns sagen, welche politischen Überzeugungen wir damit zu verknüpfen hätten. Das möchte ich Ihnen deutlich sagen. Jedenfalls wird das auf der Länderseite, in dem Bereich, den ich zu vertreten habe, nicht geschehen. Zweiter Punkt. Jetzt muß erklärt und definiert werden, was der Kern des Jahrhundertvertrages ist. Jetzt wird erklärt werden müssen - jetzt kann man handeln - , wie ein Fernwärmeprogramm aussieht, mit Investitionen, mit entsprechenden Arbeitsplatzeffekten, mit positiven ökologischen Effekten, mit positiven Außenhandelseffekten. Jetzt werden Sie erklären müssen, wie Sie mit den Investitionshilfen für Kohlekraftwerke und Kraft-Wärme-Kopplung weitergehen müssen. Da können Sie jetzt alles entscheiden. Sie sind doch Herr des Verfahrens. Sie können als Parlament mit Mehrheit beschließen, daß man solche Konsequenzen jetzt zieht. Jetzt müssen Sie dafür sorgen, daß die Kohleforschungsmittel entsprechend aufgestockt und die anderen heruntergesetzt werden. Das sind Alternativen, die Sie im Augenblick wirklich umsetzen können. Das bedeutet, Sie müssen jetzt auch klare Positionen mitgeben, wie Bergwerke und Standorte gesichert werden können. Meine Damen und Herren, wir auf der Länderebene - ich sage dies auch im Namen meines Kollegen Jochimsen - sind bereit, an einem künftigen Konsens über die Energiepolitik mitzuwirken. Aber dieser künftige Konsens kann nicht die Rückkehr in eine Situation bedeuten, die von Fakten und Meinungsbildungen überholt ist, sondern er kann nur bedeuten: Vorwärtsgehen, eine Konsensbildung über Zeit, Minister Hoffmann ({5}) Umfang, Art, Methode und Finanzierung des Ausstiegs. Vielen Dank. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}). - Herr Kollege, einen Moment, ich möchte gern die Kollegen über etwas unterrichten. Inzwischen ist interfraktionell vereinbart worden, die Aussprache bis etwa gegen 16.30 Uhr zu führen und dann zu beenden. Die Konstituierung der Ausschüsse, die wir uns eigentlich für 16.00 Uhr vorgenommen haben, findet zehn Minuten nach Schluß des Plenums statt. Ich bitte die Kollegen, dann in die Ausschußräume zu gehen, damit dort die Konstituierung vorgenommen werden kann. Bitte schön, Herr Müller.

Hans Werner Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001550, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Soeben hat hier der saarländische Wirtschaftsminister gesprochen. ({0}) Es trifft zu, daß Kohle und Stahl die Lebensadern der saarländischen Wirtschaft darstellen und daß es in absehbarer Zeit im Saarland zu Kohle und Stahl keine arbeitsmarktpolitischen Alternativen gibt. Ich will hier ganz offen sagen, daß deshalb die Bevölkerung auch im Saarland ({1}) auf unbedachte Äußerungen, sei es von Politikern, sei es von Journalisten, die an diesen Lebensadern rütteln, schon sehr, sehr sensibel reagiert. ({2}) Das bedeutet nicht, daß nicht auch Einsicht in unabwendbare Notwendigkeiten vorhanden wäre. Ich möchte gerade zu Ihnen, Herr Bundeswirtschaftsminister, sagen: Was Sie soeben geäußert haben, nämlich beim Stahl und bei der Kohle konzentrierten sich die Produktionsanlagen in bestimmten Regionen, und das sei auf ein historisches Gewachsensein dieser Monostrukturen zurückzuführen, ist richtig. Es seien Initiativen von allen Beteiligten gefordert, haben Sie weiter gesagt. Sie haben recht, Herr Bundeswirtschaftsminister. Nur: Es drückt uns schon - ich will das ganz offen hier sagen -, daß einige große Unternehmen, die anderthalb Jahrhunderte eine Region ausgebeutet ({3}) und Geschäfte gemacht haben, sich verabschiedet haben, als kein Geld mehr zu verdienen war, ({4}) und sich jetzt als Gralshüter der Ordnungspolitik aufspielen und gegen Subventionen polemisieren, obwohl es ihre moralische Pflicht gewesen wäre, auch für Ersatzarbeitsplätze zu sorgen. ({5}) Alle bisherigen Bundesregierungen, insbesondere aber die jetzige, haben gerade die saarländische Stahlindustrie durch vielfältige Entscheidungen unterstützt. Zuschüsse in Milliardenhöhe sind gegeben, Strukturhilfen sind gezahlt worden. Niemand kann also sagen, der Bund habe bisher nicht seine Pflicht getan. Warum hat er es getan? Weil man eingesehen hat, daß das wirtschaftliche Wiedererstarken einer Region wesentlich teurer käme, wenn einmal die Stahlindustrie völlig kaputt wäre. Wie war aber die politische Begleitmusik der SPD, der Lafontaines und der IG Metall? Von 1977 bis zur Landtagswahl 1985 kehrte der Vorwurf immer wieder, die CDU-FDP-Landesregierung sei an dem Stahldesaster schuld; Lafontaine werde, einmal Ministerpräsident, die Stahlpolitik zur Chefsache machen und die Arbeitsplätze der Stahlarbeiter retten; so der Originalton damals. Und wie sind wir als Union Verunglimpfungen ausgesetzt gewesen! Und heute? Heute entdeckt Lafontaine die internationalen Zusammenhänge und versucht damit sein Versagen zu kaschieren. ({6}) Wie schreibt eine angesehene Zeitung: Lafontaine läßt die sozialen Tabus fallen. Die Schreier von einst verhalten sich heute nach der Devise: Ruhe ist die erste Genossenpflicht. Nein, meine Damen und Herren, wir vom Bund geben das Geld und kriegen noch Prügel dazu, und Sie schüren die Emotionen. Das ist eine Arbeitsteilung, die wir ablehnen. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Roth?

Hans Werner Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001550, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, es tur mit leid, ich halte mich an meine Zeit, deswegen kann ich keine Zwischenfragen zulassen. ({0}) Meine Damen und Herren, wenn also weniger Stahl gebraucht wird, wird auch weniger Kokskohle gebraucht. Damit wären wir bei dem anderen Thema. Der Hüttenkoksbedarf geht zurück, der Absatz im Wärmemarkt stagniert. Damit bildet der Jahrhundertvertrag, also die Verstromung, die Hauptsäule des Kohleabsatzes. Bei der Verstromung gab es über Jahre Konsens über die Formel „Kohle und Kernenergie". Im Energiebericht der Bundesregierung vom September 1986 steht: „Die Gemeinsamkeit aller politisch Handelnden ist in politischer Überzeugung entstanden. " Gerade der Bergbau an der Ruhr und an der Saar hat von dieser Gemeinsamkeit profitiert. Da unsere heimische Kohle tief in der Erdrinde sitzt, ist sie teuer. Da sie aber die einzige heimische Energiequelle ist, hat man sie stets gestützt und ist auch weiter bereit, sie zu stützen - das sagen die Regierungserklärungen ein324 Müller ({1}) deutig -; denn Kohlepolitik ist Energiesicherungspolitik. Diese Stützung geschieht in einem recht komplizierten Mechanismus von Gesetz und Verträgen, ein Mechanismus, der Kohle und Kernenergie selbstverständlich nebeneinander sieht. Das ist soeben eindrucksvoll dargestellt worden. Noch im September 1985 hat die Wirtschaftsministerkonferenz - zwar ohne Hessen - die wechselseitige Solidarität unterstrichen, und es wurde festgestellt: Eine von den Ländern gemeinsam getragene deutsche Kohlepolitik kann auf Dauer nur erwartet werden, wenn auch andere Energiennutzungen - also auch die Kernenergie; dies ist hier ebenfalls schon ausgeführt worden - von allen Ländern mitgetragen werden. Dieser Konsens hat dazu geführt, daß zur Zeit so viel Kohle verstromt wird wie noch nie zuvor. Damit wird der Jahrhundertvertrag Punkt für Punkt und Komma für Komma erfüllt. ({2}) Die letzte Wirtschaftsministerkonferenz hat gezeigt, daß dieser Konsens nicht mehr vorhanden ist: Lafontaine und andere steigen aus. Sie kündigen die Geschäftsgrundlage. Sie hebeln sie mit einer ganz scharfen Antikernkraftpolitik aus. Lafontaine muß diese Politik machen; denn sonst funktioniert die Anbiederung an die GRÜNEN nicht. Mit anderen Worten: Lafontaines bundespolitische Ambitionen machen eine gemeinsame Energiepolitik kaputt und schaden damit den Interessen der saarländischen Arbeitnehmer. ({3}) Was werden nicht alles für Argumente herangezogen! Verehrter Herr Kollege Hajo Hoffmann, Wirtschaftsminister, Diplomökonom, Sie rechnen in einem 12seitigen Elaborat vor: Kohlestrom ist billiger als Kernenergiestrom. ({4}) Das „Handelsblatt" schreibt: Der Wirtschaftsminister des Kohlelandes Saar ist dabei, das energiepolitische Selbsttor des Jahres zu schießen. Und weiter: Für den Ausstieg aus der Kernenergie, so scheint es, ist ihm - Hoffmann nichts zu teuer, und sei es auch das Aus für die heimischen Zechen. ({5}) Wie die Milchmädchenrechnungen von ihm aussehen, haben wir soeben auch bei den Aufwendungen für die Kohleindustrie als Ganzes gesehen. Wir werden zu unseren Verpflichtungen stehen. Aber wir wehren uns gegen das Schüren von Emotionen. Wir wehren uns auch gegen den Vorwurf, die Bundesregierung und die CDU seien schuld, wenn eine Grube aus Gründen unausweichlichen Anpassungsprozesses, etwa an der Saar, geschlossen werden sollte. Bei der letzten Anpassungsrunde 1983 ist die Saar von der Schließung einer Grube verschont worden. Der Vorstand der Saarbergwerke soll, wie man hört, mit seinen Überlegungen in dieser Beziehung schon sehr weit sein. Wie bekannt, sind aber die Saarbergwerke ein montanmitbestimmtes Unternehmen mit Arbeitsdirektor und ähnlichem und damit mit sehr viel Kontakten zu Ihnen, Kollegen von der SPD. Ich weiß nicht, was der Vorstand dem Aufsichtsrat konkret vorschlagen wird. Wie die Entscheidung des Vorstandes auch immer ausfällt, wir werden es nicht zulassen, daß Leute dieser Bundesregierung dafür die Verantwortung aufbürden, Leute, die mit ihrem politischen Stil, ihrer politischen Sprache, ihrem Bekenntnis zum Ökosozialismus gerade dem saarländischen Arbeitsmarkt erheblichen Schaden zufügen. Lafontaine sollte sich an seinen Eid erinnern, in dem er geschworen hat, Schaden von der saarländischen Bevölkerung abzuwenden. Ich danke Ihnen. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Schanz.

Dieter Schanz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001940, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man hätte eigentlich sagen können: April, April! Aber nach einem Aprilscherz ist mir jedenfalls nicht zumute. ({0}) - Schlaumeier! Da machen sich nun viele auf den Weg, wie neuerdings auch Frau Schoppe, die Wichtigen, die Wichtigtuer und die Gewichtigen, und behaupten, sie verstehen etwas von Kohle und Stahl oder von deren Politik. Als ständen sie denen im Revier, in den Revierstandorten wie Oberhausen, Hattingen, Dortmund, Bochum oder Duisburg näher. In Oberhausen, meine Damen und Herren, stand und steht die Wiege der Ruhrindustrie. Seit 1758 ist dort Stahl geschmolzen und gut hundert Jahre später die Kohle gebrochen worden, mit welcher dann zum Nutzen der Natur Stahl gekocht wurde. ({1}) Das ist ein Standort, in dem also noch Kohle gebrochen und Stahl gekocht wird. Für die dort Lebenden, für die dort Arbeitenden spreche ich heute. Sie sind in Angst und in Sorge und fürchten um ihre Existenz. Sie gehen wie in Oberhausen auch in Hattingen auf die Straße. Und niemand sollte sich täuschen, daß sie nicht weiterkämpfen würden. ({2}) Denken Sie an die Zeit der 60er Jahre, als Heinz Kühn und Luise Albertz, die man die Mutter Courage des Reviers nannte, vor den schwarzen und roten Fahnen marschierten, um Schlimmeres zu verhüten. Aber eines steht fest: Danach gab es keine Regierung Erhard mehr. Frau Schoppe, wie weit sind Sie, sind die sogenannten Postmateriellen eigentlich von der Realität entfernt, daß Sie mit so billigen Worten auch noch Furore zu machen versuchen? Sie lieben und führen ein fröhliches Treiben in Ihrer Villa Kunterbunt in Bonn und glauben wirklich, Sie verstünden etwas von den hier zur Debatte stehenden Problemen. ({3}) Sie waren doch noch nie da, wo die Menschen leben, von denen ich spreche, wo ich herkomme. Allerdings decken Sie sich in einem mit Minister Bangemann, in der Inkompetenz, in jedem Falle. ({4}) Das beweist Ihre besondere Nähe zum bürgerlichen Lager, die hier wieder einmal offenbar wird. ({5}) Ich bin, meine Damen und Herren, dem Herrn Bangemann für seine - ich sage mal - klaren, wenn auch selten dümmlichen Äußerungen dankbar. Nun ist die Katze aus dem Sack. Die Menschen in Oberhausen und Hattingen, die Kumpels, die Stahlarbeiter, deren Familien, die Einzelhändler, die Handwerker, schlechthin: die Menschen des Reviers, wissen jetzt, was der Lohn von Arbeit und Schweiß für die Republik in den 50er, 60er und 70er Jahren war und ist. ({6}) Wer glaubt denn hier, daß die 60 000, die in Oberhausen und Hattingen demonstrierten, den Herrn Bundeskanzler bewegt hätten, das Stahl-Gespräch zu führen? Nein, der hat, wie wir alle wissen, schon Schlimmeres ausgesessen. Was sind da schon 60 000 Menschen?

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?

Dieter Schanz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001940, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön, Herr Stratmann.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön, Herr Stratmann.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Können Sie mir bitte erklären, wie Sie Ihre absurden Aussagen, wir stünden dem bürgerlichen Lager, d. h. auch dem Kahlschlag-Lager, näher, angesichts folgender Tatsachen weiter aufrechterhalten wollen? In Klammern: Ich habe an der Großdemonstration in Oberhausen vor 14 Tagen selbst teilgenommen. ({0}) Die grüne Bundestagsfraktion war die einzige, die auf der Belegschaftsversammlung der Henrichshütte, Hattingen, vor drei Wochen ({1}) - die Frage war schon gekommen; aber wenn Sie nicht zuhören - in Anwesenheit von 4 500 Kolleginnen und Kollegen - ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Sie müssen eine Frage stellen, bitte.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich frage den Kollegen, wie er seine absurden Äußerungen angesichts dieser Tatsachen, deren erste ich genannt habe, aufrechterhalten will. Die zweite ist - ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Nein, nein, eine Frage.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die zweite Tatsache, zu der ich ihn frage, ist: Wie können Sie diese absurde Äußerung aufrechterhalten . . .

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Nein, Herr Stratmann, nun machen Sie es mal bitte - Stratmann ({0}): ... angesichts der Tatsache, daß wir gestern am Stahlstandort Hattingen unsere Solidarität ausgedrückt haben ({1}) und der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende der Henrichshütte selbst erklärt hat, ({2}) er wäre froh, wenn auch andere Fraktionen diese Solidarität mal ausdrückten? ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Stratmann, die Art der Zwischenfrage, wie Sie sie hier gestellt haben, ist keine, wie wir sie hier zulassen. Ich möchte gerne deutlich machen, daß das so nicht geht. ({0}) Jetzt ist der Abgeordnete Schanz wieder an der Reihe.

Dieter Schanz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001940, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Stratmann, ich halte Sie nun nicht für dumm. ({0}) Genau wie der Herr Wirtschaftsminister Bangemann heute haben Sie natürlich nach der Äußerung von Frau Schoppe Schadensbegrenzung betrieben. Völlig klar. Insofern sind Sie auch tätig geworden. ({1}) Ich stelle also fest: Nicht die Aussage an sich war es, die zum Stahlgespräch geführt hat, sondern die besondere Offenheit und taktische Unklugheit dieses Wirtschaftsministers haben die Herren auf der Regierungsbank erschreckt. „Die Welt" , das Leib- und Magenblatt dieser Regierung, hat uns dabei zur Seite gestanden. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren von der Presse.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, ich muß Sie noch einmal unterbrechen. Der Abgeordnete Schily wünscht eine Zwischenfrage.

Dieter Schanz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001940, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich muß auf meine Zeit achten. Ich kann auf einen solchen Wunsch nicht noch einmal Rücksicht nehmen. ({0}) Meine Damen und Herren, ich lasse nicht zu, daß der Herr Bundeskanzler und der Herr Wirtschaftsminister, die beide geschworen haben, dem ganzen deutschen Volk zu dienen, die Menschen im Revier ausgrenzen, diese Region verkommen lassen. ({1}) - Hören Sie bitte zu. - In Oberhausen, Duisburg, Bochum und Hattingen haben einige Konzerne - Herr Müller hat das ebenfalls gesagt - über Jahrzehnte die Standorte wie ihr persönliches Eigentum behandelt. Noch bis Anfang der 70er Jahre gehörten beispielsweise 80 % der gesamten Fläche meiner Heimatstadt Oberhausen den großen Konzernen. ({2}) 80 %! Wie ließe sich in einer solchen Stadt zukunftsweisende Industriepolitik machen? Wie kann dort Wirtschaftsförderung betrieben werden? Nein, Eigentümer an Produktionsmitteln waren und sind auch heute noch Eigentümer an Grund und Boden. Und wie Sie wissen: Wer besitzt, bestimmt. Bedenken Sie: 75 % des Bodens meiner Heimatstadt Oberhausen leiden unter Bergsenkung, teilweise bis zu 18 m in den letzten 20 Jahren. 265 ha bestehen aus Halden und Industriebrache. 120 ha sollen in den nächsten sechs Monaten dazukommen. Diese Verantwortung lassen wir uns nicht zuschieben. Strukturwandel ja - völlig klar - , aber die Chancen dazu müssen auch gegeben sein. Noch 1979 waren die Konzerne nicht einmal zu Gesprächen darüber bereit, der Stadt Grund und Boden zu verkaufen. Erst 1980 zeigte man sich verhandlungsbereit. Über die Landesentwicklungsgesellschaft Nordrhein-Westfalen, die für den über Jahrhunderte verwüsteten Boden viel Geld ausgeben mußte - 30 DM pro Quadratmeter und noch einmal 200 DM pro Quadratmeter, um ihn überhaupt nutzbar zu machen - , wurde dann Grund und Boden erworben. Dennoch, diese Region hat auch nach meiner Überzeugung Zukunft; denn sie hat ja, wie die Demonstrationen an der Ruhr gezeigt haben, Bäcker und Metzger, Ärzte und Handwerker, die sich durch Fleiß und Solidarität auszeichnen und auch bereit sind, zu kämpfen. ({3}) Sie hat, wie am Beispiel Oberhausen deutlich wird, auch Firmen wie Babcock als High-Tech-Führer im Umweltschutz, Gutehoffnungshütte, MAN und Ruhrchemie, Unternehmen, die gesund sind und sich durch unternehmerischen Geist auszeichnen. Sie hat fleißige, von Solidarität geprägte Menschen, die jetzt zusammenrücken und die Ärmel aufkrempeln werden. Man muß ihnen Gelegenheit geben, diese Absichten in Taten umzusetzen. ({4}) Der Herr Bundeskanzler und der Wirtschaftsminister sind aufgefordert - Herr Blüm kann dazu auch noch etwas sagen - , hierbei zu helfen. Wir haben Vorschläge gemacht. ({5}) - Auch Herr Rau. Da stimme ich mit Ihnen völlig überein. Er handelt schon. Das weiß ich. Es geht um die Durchsetzung der Interessen der deutschen Stahlunternehmen im Verhältnis zu unseren europäischen Nachbarn. Es geht um die Sicherung der Arbeitsplätze. Es geht um die Bereitstellung von Ersatzarbeitsplätzen. Es geht um die soziale Flankierung des Strukturwandels an der Ruhr, zu dem wir bereit sind. Wir brauchen nur die Hilfe aller. Danke schön. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Dieses Thema ist in der Tat ernst. Es ist erst recht ernst für Abgeordnete - wenn ich auch annehme, für alle - , die aus einem der betroffenen Länder kommen. Deswegen höre ich sehr genau hin, was hier gesagt wird. Herr Schanz, lesen Sie noch einmal das durch, was Sie eben vorgetragen haben. Es gibt nicht einen einzigen konkreten, praktischen, realisierbaren Vorschlag, um auch nur einen Teilbereich der Probleme anzugehen. Es gibt nichts. ({0}) Ich finde es auch nicht in Ordnung, wie Sie mit den Äußerungen von Frau Schoppe und deren Auswirkungen umgesprungen sind. Ich dachte, als ich das am Sonntagabend im Fernsehen sah, bei mir bricht ein Weltbild zusammen. Ich dachte, es stünde wirklich jemand bei den GRÜNEN auf, der etwas von Wirtschaftspolitik verstünde. Aber das haben die GRÜNEN in Hattingen sehr schnell wieder in Ordnung gebracht. Ich bin wieder ganz beruhigt. Ich habe von der Fraktionssitzung in Hattingen gehört; Herr Stratmann hat es ja berichtet. Nach dem, was heute morgen an Stimmen bei Ihnen zusammengekommen ist, müssen wohl ein paar von Ihnen in Hattingen zurückgeblieben sein. ({1}) Nun aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, zu Kohle und Stahl und - Herr Hoffmann, ich komme auf Ihre Ausführungen zurück - zum energiepolitischen Konsens. Zunächst einmal ist festzuhalten, daß Kohle und Stahl zwar in der Montanindustrie und seit Beginn der Industriegeschichte der Bundesrepublik zusammengehören, daß wir es aber mit zwei der Natur nach vollständig getrennten Bereichen und auch mit zwei vollständig getrennten Ansatzmöglichkeiten für Lösungen zu tun haben. In der Stahlindustrie stehen wir vor der Erkenntnis, daß es weltweit Überkapazitäten gibt, daß es in der Bundesrepublik Überkapazitäten gibt, daß es Überkapazitäten selbst dort gibt, wo wir technisch wettbewerbsfähig sind, Herr Hoffmann, daß wir selber dazu beigetragen haben, daß in den Entwicklungsländern Stahl produziert wird; wir haben ihnen nämlich die Anlagen geliefert. Wir müssen feststellen, daß Entwicklungsländer, die vor 20 Jahren keine Tonne Stahl produziert haben, heute so viel produzieren wie klassische Stahlproduktionsländer, etwa Großbritannien, daß es mehr an Substitution durch andere Werkstoffe gibt, daß wir in der Europäischen Gemeinschaft und auch in der Bundesrepublik überbesetzt sind, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland immer noch in fünf voll integrierten Hüttenwerken glauben Stahl kochen zu können, daß wir keine unternehmensübergreifenden Lösungen zustande bringen - auch wegen der Montan-Mitbestimmung, verehrter Herr Hoffmann. ({2}) - Das Moderatorenkonzept hat solche Lösungen vorgeschlagen, und sie sind zum Teil auch an den Widerständen der Gremien in der montanmitbestimmten Industrie gescheitert. ({3}) Welche Folgerungen sind zu ziehen? Welche Folgerungen sind gezogen worden? Jedenfalls wissen wir, daß wir Arbeitsplätze verlieren, und jedenfalls wissen wir, daß wir Kapazitäten zurückführen müssen. Ich finde es gut und fand es gut und auch couragiert, daß der Bundeskanzler zehn Tage vor der Wahl in Dortmund auf dem Marktplatz gesagt hat: Eine Garantie für Stahlstandorte kann es nicht geben. - Es darf sie auch nicht geben, weil Sie damit den Rest der noch existenzfähigen, noch wettbewerbsfähigen und erhaltenswürdigen Stahlstandorte aufs Spiel setzen. ({4}) Es ist natürlich, Herr Schanz, eine Kleinigkeit, zu sagen: Ihr Eigentümer habt verdient - im übrigen schreiben sie im Augenblick fast alle wieder rote Zahlen - , ihr müßt dableiben. - Das hat zum Ergebnis, daß das gesamte Unternehmen nicht mehr atmen kann und daß auch die Arbeitsplätze verlorengehen, die man jetzt durch Konzentrationsmaßnahmen auf wettbewerbsgünstige Standorte - da spielt die Rhein-Schiene eine Rolle - erhält und erhalten kann. So einfach ist es nicht. Mit solchen Appellen ist es, glaube ich, nicht getan. Wir haben subventioniert. Wir haben einmal mit 3 Milliarden DM subventioniert, um dem Wettlauf der europäischen Finanzminister zu begegnen, aus keinem anderen Grunde. Wir haben diese Subventionen bedingt rückzahlbar gegeben. Sie werden zurückgezahlt; sie müssen zurückgezahlt werden. Die Hauptaufgabe der Bundesregierung und des Bundeswirtschaftsministers besteht darin, das Wiederaufleben des Subventionswettlaufs in der Europäischen Gemeinschaft zu verhindern. Es ist ein Verdienst dieses Wirtschaftsministers, daß der Beschluß, wonach nach dem 31. Dezember 1986 alle Subventionen contra legem, also ungesetzlich sind, zustande gekommen ist. ({5}) Die Kommission ist zum ersten Male hingegangen und hat von einem französischen Stahlunternehmen die Rückzahlung gewährter Subventionen verlangt. Das ist der richtige Weg. Eines dürfen wir nicht tun: Wir dürfen nicht selber subventionieren. - Sonst schlagen wir uns selbst die Füße für unsere Argumentation in Brüssel weg. Herr Hoffmann, wir haben einen Teil davon gemeinsam getan. Damals saßen Sie noch im Haushaltsausschuß. Ich weiß nicht, ob es nicht einer meiner größten Fehler war, an der Subventionierung von Arbed-Saarstahl in diesem Umfang mitzuwirken. Daß ausgerechnet Sie, Herr Hoffmann, kommen und die Vorwürfe erheben, der Sie mit Arbed-Saarstahl in Ihrem Lande ja den Hauptwiderstand gegen unsere Argumentation bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaft auslösen, finde ich dann allerdings schon verwunderlich. Dazu gehört eine ganze Menge Mut, Energie und auch ein bißchen Chuzpe. Aber wir kennen uns ja lange genug, Herr Hoffmann. Zweitens. Da wir gerade bei der Stahlindustrie sind: Es muß uns gelingen, diesen Anpassungsprozeß sozial abzufedern. Wir müssen Ersatzarbeitsplätze schaffen. Aber wer kann sie denn schaffen? Hier wird einfach gesagt: Das Unternehmen, das Arbeitsplätze verliert und aufgibt, muß neue schaffen. Das ist eine rein theoretische, in der Praxis völlig unsinnige Betrachungsweise, mit Verlaub gesagt. Das kommt nicht zustande. Nein, die Wirtschaftspolitik von Bund und Ländern muß Rahmenbedingungen schaffen, unter denen es Unternehmen und Unternehmer interessant finden, an diesem Standort Arbeitsplätze zu schaffen. Und dazu, Herr Schanz, sage ich Ihnen - ich habe in Oberhausen lange genug gearbeitet und gelebt - : Das Ruhrgebiet hat die beste Infrastruktur in Europa, wahrscheinlich in der Welt. ({6}) Warum um alles in der Welt kommt dann dort niemand hin? Warum wird dort zu wenig investiert? Was tut die nordrhein-westfälische Landesregierung? Denken Sie einmal an das Stichwort Abstandserlaß im Ruhrgebiet. - Nein, diese Landesregierung betreibt eine Wirtschaftspolitik und eine Rahmenpolitik, die die Leute aus dem Lande verjagt, sie dem Lande fernhält und nicht in das Land hineinbringt. ({7}) Das ist der Punkt, warum es im Ruhrgebiet nicht funktioniert. ({8})

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn ich es nicht angerechnet bekomme, gerne.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lambsdorff, können Sie mir konkret - namentlich - sagen, wie viele Firmen aus Nordrhein-Westfalen verjagt worden sind?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Erkundigen Sie sich über den letzten Fall bei der Tochtergesellschaft von Babcock in Oberhausen zu den Themen Sozialverträglichkeit sowie Ansiedlung und Behinderung derselben. Ich will das im einzelnen nicht vertiefen. Herr Urbaniak, Sie kennen die Fälle, ich kenne die Fälle. Natürlich haben die Grundstücksprobleme eine Rolle gespielt, die Herr Schanz erwähnt hat. Aber alles das ist auch im Zusammenhang mit der Grundhaltung einer falschen Politik zu sehen ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter - Dr. Graf Lambsdorff ({0}) : Nein. Ich bitte um Entschuldigung. Herr Vogel, ich habe so wenig Zeit, daß ich keine Frage mehr beantworten kann. Bergbau ist ein völlig anderes Thema. Beim Bergbau geht es um die Grundvoraussetzung und die politische Entscheidung - nicht die betriebswirtschaftliche, nicht die wirtschaftliche Entscheidung - : Wollen wir einen deutschen Steinkohlenbergbau aus energiepolitischen und sicherheitspolitischen Gründen, oder wollen wir ihn nicht? Wenn wir ihn nicht wollen, könnten wir unseren Bedarf selbstverständlich durch Import decken. Meine Damen und Herren, die Sozialdemokraten haben das ja beschlossen. Im sozialdemokratischen Programm von Nürnberg steht: „Die Braunkohle sollte in der Grundlast wieder voll ausgefahren werden. Der Atomstrom ist aber nicht allein durch inländische Stein- oder Braunkohle oder KraftWärme-Koppelung und alternative Energieerzeugung zu ersetzen. Wir brauchen auch eine begrenzte Öffnung für Importkohle. " - Diese Politik ist das Todesurteil für die deutsche Steinkohle. ({1}) Wenn Sie die deutsche Steinkohle dem Wettbewerb mit Importkohle aussetzen, ist sie am Ende. Die Tonne Steinkohle frei Bremerhaven kostet weniger als die Hälfte dessen, was die Tonne ab Zeche Ruhrgebiet kostet. Ich rede gar nicht, verehrter Herr Hoffmann, von Camphausen. Ich bin einmal gespannt, wie Ihre Landesregierung zu den Notwendigkeiten und Überlegungen für Camphausen im Aufsichtsrat der Saarbergwerke Stellung nimmt, nach dem Motto: ({2}) Wir waschen uns die Hände in Unschuld. Der Bund darf die Lasten bezahlen, und wir werden im Aufsichtsrat mit unseren Stimmen und mit den Stimmen der Arbeitnehmerseite gegen eventuelle Kürzungen und Schließungsmaßnahmen stimmen. - Aber so kommen Sie nicht weg. Dann würde ich dem Bundesfinanzminister empfehlen: Geben Sie dem Saarland die gesamten Saarbergwerke, aber zahlen Sie jedenfalls kein Geld mehr. Meine Damen und Herren, wir haben die Entscheidung getroffen, daß wir den deutschen Steinkohlenbergbau aus diesen sicherheits- und energiepolitischen Gründen erhalten wollen. Dann müssen wir ihn subventionieren. Dann müssen wir den Unterschied zum Wettbewerbspreis bezahlen. Das führte zum Verstromungsgesetz. Das führt dazu, daß wir über den Hüttenvertrag die Kokskohle subventionieren müssen. Den Export müssen wir herunterfahren. Das haben wir übrigens nicht erst 1985, Herr Hoffmann, sondern in der alten Koalition so beschlossen und so angelegt, gemeinsam mit der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie. ({3}) Dies, meine Damen und Herren, kann nicht anders gefahren werden. Wir bekennen uns dazu. Ich halte es für richtig, daß sowohl der Hüttenvertrag, der verlängert worden ist, aufrechterhalten bleibt als auch der Verstromungsvertrag verwirklicht wird. Wer den Verstromungsvertrag nicht will, der stellt den deutschen Bergbau in der Tat ins Abseits. Denn dies ist das eigentliche Standbein. Die Mengen der Stahlindustrie können wir politisch nicht beeinflussen. Ich denke deswegen, daß diese Politik fortgesetzt wird und fortgesetzt werden muß, daß auch die Erhöhung des Kreditrahmens notwendig ist und daß der Bundeswirtschaftsminister vorgeschlagen hat und tut, was in diesem Bereich unvermeidlicherweise geschehen muß. Das hindert niemanden daran, die Unternehmen des Bergbaus einschließlich der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie aufzufordern, diese Subventionsbasis nicht zu mißbrauchen, den Steuerzahler nicht auszuplündern, und zwar dadurch, daß man die Kosten nach oben treibt und sagt: Macht ja nichts, das Geld kriegen wir sowieso. - Wir haben es bei der Kokskohle zu verhindern versucht; wir müssen das aber auch im Rahmen des Verstromungsvertrages verhindern. 45 Millionen t, die abgenommen werden, müssen auf einer vernünftigen preislichen Basis abgenommen werden. Ich kann niemandem empfehlen, die Berechnungsgrundlage jetzt in Frage zu stellen, weil man sagt, daß der Preis für schweres Heizöl so niedrig geworden ist. Wer weiß, wie lange das so bleibt? Wir haben uns vom Öl unabhängiger gemacht. Wollen wir die Abhängigkeit wiederherstellen? - Ich meine, wir sollten sie nicht wiederherstellen. Wir sollten bei der Unabhängigkeit bleiben. Aber nun, verehrter Herr Hoffmann und meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, kommt das Thema der Konsensfähigkeit, des energiepolitischen Konsenses, den Sie aufgekündigt haben und zu dem Herr Hoffmann sagt, einen Konsens könne es gesellschaftspolitisch nicht geben. Herr Hoffmann, warum denn nicht? ({4}) Weil Sie nach Tschernobyl mit Aufregung und Nervosität, zwar mit begründeter Besorgnis, aber auch kopflos, wie ich sagen muß, reagiert haben. Es gibt doch Stimmen aus Ihrer Partei, aus der Sozialdemokratischen Partei, die zu diesem Punkte wörtlich formulieren: Wir sitzen mit unseren eigenen Beschlüssen in der ,,Tschernobyl-Falle", und wir kommen aus dieser Falle nicht heraus. - Wenn der gesellschaftspolitiDr. Graf Lamosaorff sehe Konsens von einer der großen Parteien selbst so in Frage gestellt wird, wenn Sie Stimmungen und Meinungen nachlaufen, anstatt den Versuch zu unternehmen sie verantwortungsbewußt zu gestalten, ist es leicht, sich hier hinzustellen und zu sagen: Den Konsens gibt es eben nicht mehr; wir können nur noch darüber diskutieren, wie wir aus der Falle herauskommen. ({5}) Nein, Herr Hoffmann, eine realistische, auf absehbare Zeit bezogene Energiepolitik kann und muß auch dies tun, nämlich zu überlegen, wie wir herauskommen. Sie muß aber vor allen Dingen dafür sorgen, daß wir das Ob erst einmal bejahen, und dann sehen, daß wir mit dem Ob auch weiterkommen. Wer aber das Ob und die Weiterentwicklung - auch die Entsorgungsentwicklung; Stichwort Wackersdorf - , die notwendig ist, so in Frage stellt, wie Sie das landauf, landab tun, - ({6}) - Dies ist im energiepolitischen Konsens des Jahres 1979, getroffen von einem sozialdemokratischen Bundeskanzler und einem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens, einer der Entsorgungswege. Lesen Sie es doch bitte nach. ({7}) - Einige von Ihnen, Herr Roth, reden wirklich darüber und haben keine Ahnung von dem, was wir seinerzeit noch gemeinsam beschlossen haben. Es ist jammervoll, wo Sie Ihr Gedächtnis gelassen haben. ({8}) Schalten Sie doch meinethalben die Kernkraftwerke, aber nicht Ihr Gedächtnis und den Verstand ab. ({9}) Ich will Ihnen zum Schluß nur noch folgendes sagen. Ich lese heute, am 1. April 1987 - das ist kein Aprilscherz; dem stimme ich vollständig zu - , folgendes: Der Konsens Kohle und Kernkraft ist die Voraussetzung dafür, daß die in Regierungsverantwortung stehenden Parteien in Bund und Ländern sich auf die Fortsetzung der bisherigen Beihilfepolitik für die deutsche Steinkohle in Milliardenhöhe verständigen können. Dieses Zitat stammt aus der Zeitung „Die Einheit" , dem Organ der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie. Das sollten Sie lesen, wenn Sie über Energiepolitik reden. ({10})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Brahmst-Rock.

Helga Brahmst-Rock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Äußerung von Ihnen, Herr Wirtschaftsminister Bangemann, zur Kohle- und Stahlkrise, die Sie zwar heute wortreich zu dementieren versucht haben, ist nicht das Entscheidende. Es geht um den Grundinhalt, den Sie nicht dementiert haben. Der Grundinhalt heißt, daß Subventionen das schleichende Gift einer Volkswirtschaft seien. Das haben Sie hier und heute und auch gestern noch einmal bestätigt. ({0}) Diese Äußerung ist ein Schlag ins Gesicht der Arbeitnehmer in der Montanindustrie. ({1}) Sie und auch Bundeskanzler Kohl machen damit deutlich, was die Arbeitnehmer in der Montanindustrie von Ihnen zu erwarten haben, nämlich weiteren Arbeitsplatzabbau zugunsten der Kapitaleigner. Sie tun so, als seien die Arbeitnehmer in der Montanindustrie schuld an der Krise, als hätten sie allein ihren Tribut dafür zu zahlen. In der bundesdeutschen Stahlindustrie wurden in den letzten sechs Jahren ca. 56 000 Arbeitsplätze abgebaut. Ich frage mich, ob das Ihre bewährte Politik ist, auf deren Kontinuität Sie eben noch einmal abgehoben haben. Es sind also 56 000 Arbeitsplätze vernichtet worden. Ich meine, ich weiß ein bißchen, wovon ich rede. Ich habe 21 Jahre bei Krupp-Stahl gearbeitet. Ich habe erlebt, wie auf einmal Schreibtische leer waren, weil die Kollegen in die Arbeitslosigkeit entlassen bzw. wegrationalisiert worden waren. Für genau diese Rationalisierungsmaßnahmen haben Sie Subventionsgelder bezahlt, damit mit weniger Arbeitnehmern die gleiche Menge Stahl erzeugt werden kann. Sie machen sich damit zum Vollstrecker einer von EG-Kommissar Davignon verordneten Gesundschrumpfung der Stahlindustrie, und sie haben auch bei dem Problem der Überkapazitäten kräftig mitsubventioniert. ({2}) Ihre Äußerungen, Herr Bangemann, sollen vergessen lassen, aus wessen Taschen diese Steuermittel kommen. Wenn man Sie so hört, könnte man meinen, aus Ihrer eigenen. ({3}) - Die Stahlkrise gibt's seit 13 Jahren, Herr Lambsdorff. ({4}) Aber weit gefehlt: Diese Mittel stammen aus den Taschen der Stahlarbeiter, die Sie jetzt in der Krisenbewältigung allein lassen. Sie opfern die Arbeitnehmer, um das Kapital zu schonen. Man könnte auch meinen, daß Sie jedwede Subvention beschneiden müssen, um Ihre kostspielige Steuerreform zu finanzieren, die den Haushalt mit 44,4 Milliarden DM belastet und die wiederum eine Umverteilung zu Lasten der Kleinen und zugunsten der Großen ist. ({5}) - Sehr wohl, Herr Breuer! Ich weiß, was ich sage, und ich glaube auch daran. Nach Thyssen hat jetzt auch der Krupp-Konzern seine Schubladenpläne auf den Tisch gelegt. Nach diesen Plänen sollen ganze Standorte plattgemacht werden. Wenn dem nichts entgegengehalten wird, werden ganze Regionen zu Armenhäusern. Dann wird das, was sie als Subvention nicht zahlen wollen, als Sozialhilfe gezahlt werden müssen. Das gilt für alle Stahlstandorte; das gilt für das Ruhrgebiet; das gilt für das Siegerland und für das Saarland. Überall sind die Kolleginnen und Kollegen in gleicher Weise betroffen. Wenn da nichts unternommen wird, werden diese Regionen zu Armenhäusern werden. Wir fordern nicht, daß Sie weiter Rationalisierungsund Modernisierungssubventionen zahlen. Wir wollen auch nicht, daß die Stahlerzeugung zum staatlich subventionierten Selbstzweck wird. Aber wir möchten, daß Sie Subventionen zu einem Umbau der Stahlindustrie bereitstellen. Denn Subventionen sind nicht an sich schlecht; die Frage ist nur, an wen und wofür sie vergeben werden. ({6}) Wir fordern finanzielle Mittel - z. B. die 44,4 Milliarden DM, die Sie die Steuerreform kostet - für eine regionale Wirtschaftsförderung, damit nicht länger industrielle Monostrukturen aufgebaut werden. Wenn von dieser Bundesregierung beispielsweise eine bewußte Umweltpolitik betrieben würde, etwa weg von dem Atomstrom, dann würden sich auch für die Stahlindustrie und vor allem für die Arbeitnehmer neue Produktionsfelder und neue Arbeitsplätze eröffnen, z. B. im Bereich des Filter- und Apparatebaus, im Bereich der Nutzung von Nah- und Fernwärme, im Bereich der Verkehrstechnik. Ich verweise ausdrücklich noch einmal auf die Vorschläge, die Herr Steinkühler namens der IG Metall gemacht hat. Wir unterstützen diese Vorschläge. Aber hier ist die Bundesregierung mit Subventionen gefordert. Doch nicht nur die Bundesregierung ist gefordert, sondern auch die Stahlunternehmen sind es, die als Gesamtgesellschaften ja immer noch Gewinne machen. Sie sind gefordert, sich ihrer sozialen Verantwortung zu stellen. Denn die Arbeitnehmer haben ihren Beitrag lange geleistet. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Kollegin, ich wundere mich immer, wenn DIE GRÜNEN als Vertreter der Industriegesellschaft auftreten. Sie wollen doch aussteigen aus der Industriegesellschaft. ({0}) Ihr Vorschlag beispielsweise, in Köln die Ford-Produktion auf Fahrrad umzustellen, ist mit Sicherheit kein Vorschlag für die Stahlarbeiter. ({1}) - Doch, das ist so. Das ist so ähnlich, wie es sich mit dem Motto verhält: Wir sind für Schwimmer, aber gegen Wasser. Das ist Ihre Logik. ({2}) - Ja, in der Tat. - Nein, meine Damen und Herren, ich denke, jetzt ist die Koalition für die Malocher, nicht aber die Koalition für die Aussteiger aufgerufen. Für die Malocher muß hier gekämpft werden! ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann? ({0})

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Bitte.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Blüm, können Sie mir näher erklären, was Sie unter „Koalition für die Malocher" verstehen? Noch drei Wochen vor der Koalitionsvereinbarung zur Steuerreform haben Sie gesagt, diese Art der Steuerreform ist ein Schlag ins Gesicht der Malocher.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Stratmann, wir können jetzt gern noch eine Steuerdebatte führen. Ich will Sie darauf hinweisen, daß wir den unteren und mittleren Einkommensschichten mehr Entlastung bieten, als das in jeder Steuerreform vorher geschehen ist. ({0}) Aber wir sollten uns heute - ich wiederhole es - auf die Interessen der Malocher, der Stahlkocher und der Bergleute, konzentrieren. Darüber, daß ihre Sorgen ernst zu nehmen sind, sollten wir uns doch einig sein. Wir sollten hier nicht ein parteipolitisches Hickhack veranstalten und ständig Schuldzuweisungen vornehmen. Es geht darum, die Sorgen ernst zu nehmen. ({1}) Ich könnte zur Vergangenheit viel sagen, aber unsere Anstrengung muß den Sorgen der Arbeitnehmer um ihre Zukunft gelten. Und da können Sie ganz sicher sein: Wir werden weder die Stahlkocher noch die Kumpels im Stich lassen, und wir haben sie auch nicht im Stich gelassen: 5 Milliarden DM haben wir von 1983 bis heute für Stahl ausgegeben. Es kann doch niemand sagen, wir würden auf den Zuschauerbänken sitzen und nichts machen. Mehr als 6 Milliarden DM werden wir allein 1987 für den Bergbau ausgeben. Also laßt uns hier jetzt nicht in einer Schwarzweißmanier arbeiten: Die einen sind die Heiligen - die, die für die Arbeitnehmer sind - , und die anderen sind die Teufel. Laßt uns eine gemeinsame Anstrengung für die Ruhr, für die Saar, für Salzgitter, ({2}) - für die Maxhütte und für all die unternehmen, die jetzt in Sorge sind. Meine Damen und Herren, ich glaube auch, daß hier zwei ganz unterschiedliche Ansatzpunkte gegeben sind: Das, was die Stahlarbeiter brauchen, ist etwas ganz anderes als das, was die Bergleute brauchen. Die Stahlarbeiter brauchen - wir haben mit die modernsten Stahlwerke in Europa - eine faire Wettbewerbschance. Deshalb halte ich es für einen Fortschritt, daß Martin Bangemann einen neuen Subventionskodex durchgesetzt hat. Wir brauchen keine Almosen für die Stahlarbeiter, sondern es muß gewährleistet sein, daß sie nicht durch Wettbewerbsverzerrungen um die Früchte ihres Fleißes gebracht werden. ({3}) Man kann keinen Wettbewerb akzeptieren, in dem der eine mit Turnschuhen und der andere mit Bleistiefeln läuft. Sie können da ganz sicher sein: Diese Bundesregierung, Martin Bangemann, wir werden in Brüssel und überall dort, wo der Wettbewerb verzerrt wird, auftreten. Da sind wir die beiden besten Wachhunde, die es dafür überhaupt gibt. ({4}) - Ich fordere Sie doch geradezu zur Zusammenarbeit auf. Laßt uns immer dann, wenn sich Anhaltspunkte für Wettbewerbsverzerrungen ergeben, diese gemeinsam vortragen. Sie können sicher sein, daß wir die berechtigten Interessen der deutschen Stahlkocher auch morgen in dem Gespräch mit der EG-Kommission auf den Tisch legen. ({5}) Macht jetzt nicht SPD-Politik, FDP-Politik oder CDUPolitik, sondern eine Politik für eine faire Wettbewerbschance. Je mehr mitmachen, je weniger wir uns darüber streiten, desto nachdrücklicher ist unser Einsatz. ({6}) - Gut. Meine Damen und Herren, freilich, auch die Sozialpolitik muß ihren Beitrag leisten. Dabei sage ich allerdings einschränkend: Macht die Sozialpolitik nicht zum Lastesel aller Fragen. ({7}) Versucht nicht, betriebswirtschaftliches Versagen auf die Sozialpolitik umzulenken. ({8}) - Nein, ich bleibe dabei: Die beste Sozialpolitik ist Arbeit. ({9}) Arbeit ist besser als Abfindung. ({10}) Und deshalb, meine Damen und Herren: Abbau von Arbeitsplätzen verhindern und dann, wenn er sich nicht verhindern läßt, Ersatzarbeitsplätze schaffen - das ist unsere gemeinsame Aufgabe. ({11}) Ich bleibe auch dabei: Die Sozialpolitik kann nicht die Betriebswirtschaft ersetzen. Den Unternehmern an Rhein und Ruhr und anderswo möchte ich dies sagen. Diese Arbeitsteilung kann man natürlich nicht akzeptieren: erst betriebswirtschaftliche Tatsachen zu setzen, mit deren Konsequenzen sich dann anschließend die Sozialpolitik herumschlagen soll. ({12}) Zu meinem Verständnis vom Unternehmer gehört nicht nur die Betriebswirtschaft, sondern auch die sozialpolitische Verantwortung. ({13}) Ich habe die Soziale Marktwirtschaft nie so verstanden: erst Wirtschaft, und dann fährt die Sozialpolitik als Rettungswagen hinterher. Mein Verständnis ist das nicht. Die soziale Verantwortung muß in den wirtschaftspolitischen Ansatz integriert sein. Anders ist es nicht nur teurer, sondern auch unmenschlicher. Deshalb wäre es eindrucksvoller gewesen, die Unternehmen an der Ruhr hätten nicht nur betriebswirtschaftliche Abbaupläne vorgelegt, sondern gleichgewichtig und gleichzeitig auch die soziale Flankierung. Das hätte sehr viel zur Beruhigung beitragen können. Meine Damen und Herren, auch Bund und Land müssen zur Seite stehen, freilich nicht in dem Sinne: Für die Gewinne sind die Unternehmer zuständig, für die Verluste sind Bund und Land aufgerufen. ({14}) - Nein. Deshalb bleibe ich dabei: Die Hauptverantwortung in der Marktwirtschaft haben die Unternehmungen, und die werden aus dieser Verantwortung auch nicht entlassen. Deshalb kann staatliche Politik auch nicht sozusagen die Fluchtburg sein, ein Alibi für unternehmerisches Versagen. Freilich, in einer montanmitbestimmten Industrie - ich bin, wie jeder weiß, für Montanmitbestimmung - tragen Gewerkschaften und Arbeitnehmer eine besondere, auch unternehmerische Verantwortung. Wenn ich von öffentlicher Flankierung spreche, dann meine ich nicht nur den Bund, sondern auch das Land. Wenn hier gesagt wurde, das Land sei besonders aktiv, so kann ich das an Rhein und Ruhr nicht feststellen. Das scheinen noch Geheimpläne zu sein. Ich sehe nicht, wie neue Initiativen, kreativ und einfallsreich, zur Neuansiedlung moderner Industrien an Rhein und Ruhr entwickelt werden. Einen Teil der Zeit haben wir auch verpaßt. Ich füge hinzu: Ich werbe mit Ihnen gemeinsam für Nordrhein-Westfalen, für die Saar, für Maxhütte, für Georgsmarienhütte. Da gibt es einen Stamm von hochqualifizierten Arbeitnehmern. Das sind keine Aussteiger, sondern hochqualifizierte Arbeitnehmer. Es lohnt, sich gerade in jenen bedrängten und bedrohten traditionellen Arbeitnehmergegenden anzusiedeln. Ich bleibe auch dabei, daß die Sozialpolitik flankierend Hilfe leisten muß. Was die Stahlarbeiter betrifft - jetzt kündige ich nicht an, sondern das machen wir - : Mit dem heutigen Tag tritt die Verordnung in Kraft, wonach die Zahlung des Kurzarbeitergeldes allgemein auf zwei Jahre verlängert wird. Sie sehen, wir haben nicht geredet und diskutiert, wir handeln. ({15}) Durch das Reden wird ja nichts verändert. Ich verstehe, daß die Kollegen demonstrieren. Das ist nicht nur ihr gutes Recht, sie machen damit auf ihre Sorgen aufmerksam, und wenn sie das unvermumrnt tun, wie sie es tun, ist es noch eindrucksvoller. Das ist eine klassische Demonstration. ({16}) Nur, demonstrieren allein genügt nicht; es muß gehandelt werden. Zweiter Punkt: In der vorgesehenen AFG-Novelle werden wir die Zahlung des Kurzarbeitergeldes für die Stahlarbeiter auf drei Jahre verlängern. Und jetzt fordere ich auch dieses Parlament auf, keinen Tag zu verlieren, damit wir diese Regelung zum 1. Juli in Kraft setzen können. Da müssen wir über alle Geschäftsordnungsschwierigkeiten hinwegspringen, um diese Regelung rechtzeitig in Kraft zu setzen. Wir verlängern die Zahlung des Arbeitslosengeldes. - Bitte schön, Herr Kollege.

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, können Sie hier auch zusagen, daß Sie § 128 AFG so novellieren wollen, daß angrenzende Wirtschaftszweige wie Röhrenproduktion oder Gießereien auch in den Genuß dieser Hilfen kommen, wenn deren Arbeitnehmer mit 50 ausscheiden?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Kollege, der Balanceakt, den wir vorzunehmen haben, liegt darin, § 128 so zu regeln, daß die Betriebe ihre Sozialpläne nicht auf Kosten der Bundesanstalt, also aller Beitragszahler, abwickeln, daß wir aber bei denen, die Sozialpläne nicht vorlegen können, die in Schwierigkeiten sind, über alle Schatten springen, damit dieser Streit nicht auf dem Buckel der Kollegen ausgetragen wird. ({0}) - Gemeinsam. Ich will die Verlängerung der Zahlung des Arbeitslosengeldes auch deshalb als eine Hilfe für die Stahlarbeiter hinstellen, weil sie den Unternehmern Erleichterung bei den Kosten der Sozialpläne verschafft und weil gerade die bedrängten Kommunen - Oberhausen, Duisburg, Dortmund - von Sozialhilfekosten entlastet werden und dies, wie ich hoffe, auch einen Beitrag dazu leistet, daß diese Kommunen Spielraum für Investitionen erhalten. Wir wollen im Zusammenhang mit den Montanhilfen ebenso das Wartegeld entsprechend der Verlängerung des Arbeitslosengeldes verlängern, wir wollen die Umschulungsbeihilfen erhöhen, und zwar von 60 DM für Ledige und 75 DM für Verheiratete auf 200 DM, weil Qualifizierung auch ein Beitrag dazu ist, mit unserer Sozialpolitik eine Perspektive zu verbinden und nicht einfach einen Zustand zu verwalten, und wir wollen bei den Übergangshilfen den Einkommenshöchstbetrag erhöhen. Meine Damen und Herren, ich füge hinzu: Solche Hilfen können auch gebündelt werden, wenn Land, Bund, Arbeitgeber und Gewerkschaften nach neuen Wegen Ausschau halten. Laßt uns nicht in einen dogmatischen Streit über Stahlstiftung oder Beschäftigungsgesellschaft eintreten; laßt uns ohne Prestigedenken zusammen an einem Tisch sitzen, laßt uns klären, welche neuen Wege beschritten werden können! Da müssen sich alle etwas bewegen. Zu den Bergleuten nur soviel: Graf Lambsdorff hat es gesagt, und ich denke auch, daß das Thema „Bergbau" ein anderes Thema als das Thema „Stahl" ist. Hier geht es darum, unsere energiepolitische Unabhängigkeit zu sichern, und das muß dieser Nation auch etwas wert sein. Das ist nicht mit den Kategorien des Wettbewerbs zu schaffen, sondern ist ein Stück unserer energiepolitischen Sicherheit. Wir wollen doch keineswegs von den Wellenbewegungen und manchmal auch Zufällen des Ölpreises abhängig sein. Insofern ist in Sachen Kohle die ganze Nation gefordert, und deshalb muß es - bei allen Weiterentwicklungen - bei dem Jahrhundertvertrag als einem Akt der Solidarität bleiben. Ich füge etwas hinzu, was in der Politik ja auch eine Rolle spielen muß: Treue für Treue! Die Kumpels, wo immer sie Kohle aus der Erde geholt haben, haben im Nachkriegsdeutschland ein ganzes Volk davor bewahrt, daß es verhungert oder erfriert. ({1}) Wer damals geholfen hat, dem muß heute auch geholfen werden. Laßt uns auch hier bei allem Streit, zu dem wir fähig sind und der notwendig ist, den energiepolitischen Konsens suchen! Dabei muß ich allerdings sagen, daß dazu auch die Kernenergie gehört. Zum energiepolitischen Konsens gehört eine gemischte Energieversorgung. ({2}) Wir wollen unsere energiepolitische Sicherheit nicht auf ein Bein stellen, denn ein Bein - das merken Sie bei jedem Stuhl - reicht nicht zur Balance. Deshalb, meine Damen und Herren, lassen Sie uns die Debatte heute dazu nutzen, zu versuchen, über Fraktionsgrenzen hinaus den Stahlkochern und den Kumpels zu helfen! ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Sieler.

Wolfgang Sieler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Blüm, Sie sind schon ein exzellenter Nebelwerfer. Das muß man Ihnen konzedieren. ({0}) Ich möchte an dieser Stelle für die Sozialdemokraten auch unmißverständlich sagen, daß wir natürlich überall dort, wo sich die Gemeinsamkeit anbietet, wenn es darum geht, unseren Kumpeln und unseren Stahlkochern zu helfen, diese Gemeinsamkeit suchen werden. Aber was wir in diesen Tagen - und das wissen wohl diejenigen am besten, die aus den klassischen Regionen der Stahlindustrie kommen, aus Nordrhein-Westfalen, dem Saarland, Bremen und Niedersachsen, aber auch aus der bayerischen Oberpfalz - erleben müssen, was die Betroffenen hautnah zu spüren bekommen, das, was die Kumpels und die Stahlarbeiter und ihre Familien an diesen Standorten bedrückt, ist, auf eine einfache Formel gebracht: Die Angst geht um, die Angst nämlich, zu denen zu gehören, die in der nächsten Zeit vom Personalbüro der Hütte oder der Grube ihre Entlassung erhalten und einfach nicht wissen, wie es weitergehen soll. Was ist das auch für eine Zukunft, in einer Region wie z. B. der Region Oberpfalz leben zu müssen, wo an den Standorten der Maxhütte die Winterarbeitslosigkeit bei über 20 % liegt? Was ist das für eine Zukunft, meine Damen und Herren, in einer Region entlassen zu werden, in der es für Hütten- und Bergarbeiter keine andere Beschäftigungsmöglichkeit gibt, weil man es versäumt hat, rechtzeitig durch gezielte regionale und sektorale Strukturpolitik Vorsorge zu treffen? Was müssen die Menschen dort von der Bundesregierung halten, die die Probleme der deutschen Stahlindustrie zunächst nicht zur Kenntnis nehmen wollte ({1}) - Herr Kollege, ich kann das sehr wohl belegen; wenn Sie das noch haben wollen, kann ich es Ihnen sogar schriftlich geben ({2}) und nun erklärt, für sie komme ein nationales Stahlprogramm nicht in Frage? ({3}) Schließlich, meine Damen und Herren, ist die Verlängerung des Stahlstandorte-Programms angekündigt worden, obwohl jedermann weiß, daß die Mittel, die hierfür zur Verfügung stehen, viel zu gering sind, als daß sie eine spürbare Abhilfe bringen könnten. Aber, meine Damen und Herren, hier geht es ja gar nicht allein um die Frage, ob Stahl subventioniert werden soll oder nicht. Wir wissen doch auch, daß pure Erhaltungssubventionen keine Lösung für die Strukturprobleme der Stahlindustrie bringen. Aber welche Alternativen gibt es denn gegenwärtig für diese Kahlschlagpolitik der Stahlindustrie, bei der ganze Regionen wirtschaftlich auszubluten drohen? Die Entwicklung in den Stahlrevieren betrifft Zehntausende von Menschen, sie betrifft Familien, die seit Generationen in der Grube oder in der Hütte tätig waren und die man nunmehr den Marktkräften, denen Sie ja nun besonders zugetan sind, oder - um es besser zu sagen - den privatwirtschaftlichen Profitinteressen opfern will, die in die Hoffnungslosigkeit entlassen werden. Meine Damen und Herren, hier - das ist unsere Meinung - hat der Staat, hat die Bundesregierung einzugreifen, um zu verhindern, daß sich in diesen Regionen Hoffnungslosigkeit ausbreitet oder daß die Menschen dort gar in Agonie versinken. Wir fordern daher von dieser Regierung mehr als pflaumenweiche Absichtserklärungen zur sozialen und wirtschaftspolitischen Abfederung. Wir brauchen eine Beschäftigungsalternative. Ich habe gut zugehört: Herr Kollege Blüm, Sie sagten, die beste Sozialpolitik sei die Arbeit. Nur, Sie haben es in den letzten Jahren, auch in der letzten Legislaturperiode versäumt, die politischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß dort überhaupt Arbeit vorhanden ist. Dies müssen Sie sich wohl vorhalten lassen. Anders die bayerische Staatsregierung, die uns natürlich die Wiederaufarbeitungsanlage in Wakkersdorf als politische Alternative angeboten hat. Meine Damen und Herren, wir wissen zwischenzeitlich - das paßt ja auch sehr gut in Ihr energiepolitisches Konzept -, daß dies aller Wahrscheinlichkeit als ein Milliardengrab und eine energiepolitische Ruine dieser Ara auch der nachkommenden Welt erhalten bleiben wird. Meine Damen und Herren, wir verlangen, daß auch in der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel die Interessen der Stahlarbeiter endlich konsequent vertreten werden, so wie man das bei der Landwirtschaft auch tut. Dazu gehört auch, daß die Bundesregierung verstärkt die Möglichkeit der EG-Hilfen aus dem Regionalfonds, aus dem Sozialfonds, den EGKS-Beihilferegelungen und des Montanunion-Vertrages nutzt und überall dort wo nötig auf eine entsprechende Aufstockung der Mittel aus dem EG-Haushalt drängt. Meine Damen und Herren, wir brauchen Sofortmaßnahmen, die den kommunalen Gebietskörperschaften wieder die finanzielle Möglichkeit für arbeitsplatzschaffende Investitionen gibt, und wir brauchen Sofortmaßnahmen für die Arbeitsbeschaffung in den betroffenen Stahlstandorten sowie zukunftsorientierte Umschulungs-, Weiterbildungsund Fortbildungsangebote. Meine Damen und Herren, wir begrüßen die Vorschläge der IG Metall für die Stahlarbeiter und fordern die Bundesregierung auf, endlich zu handeln und aufzuhören, wie das Kaninchen auf die Schlange zu starren. Danke schön. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Stratmann.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auf einige Beiträge in dieser Debatte eingehen und zunächst an die Rede des Kollegen Schanz anknüpfen. Herr Schanz, Sie behaupten, wir hätten gestern nur Schadensbegrenzung hinsichtlich des Interviews von Frau Schoppe gemacht. Dazu möchte ich Ihnen sagen: Unsere Fraktionssitzung gestern in Hattingen war mehrere Wochen vorher geplant, sie war abgesprochen mit dem Betriebsrat vor Ort, mit der IG Metall vor Ort, dem Bürgerkomitee „Hattingen muß leben" vor Ort ({0}) und dem Bürgermeister vor Ort. Wie Sie heute in der Zeitung nachlesen konnten, sagte dort Otto König, erster IG Metall-Bevollmächtigter, er begrüße den Schritt der Fraktion, daß wir dort unsere Fraktionsveranstaltung vor Ort aus Solidarität mit den Kollegen abgehalten haben, und forderte die anderen Bundestagsfraktionen auf, dem Beispiel zu folgen - wörtliches Zitat - : „Ansonsten müssen wir denen mal auf die Bude rücken". Soweit zur „Schadensbegrenzung". Natürlich hat es bei uns Ärger über das Interview von Frau Schoppe gegeben, und deswegen haben wir gestern mit einer stahlpolitischen Erklärung noch einmal die Stahlpolitik der letzten vier Jahre bestätigt und deutlich gemacht, daß die gesamte Fraktion wie die Partei kurzfristig klar für den Erhalt der Standorte und Arbeitsplätze, mittel- und langfristig natürlich für den ökologischen und demokratischen Umbau Stellung bezieht. ({1}) Herr Blüm, Sie versuchen, sich immer wieder sozusagen als „Minister für Maloche" zu profilieren. Gleichzeitig treten Sie dafür ein, daß sowohl beim Stahl als auch im Bergbau Arbeitsplätze abgebaut werden, was Sie dann ein bißchen sozial flankieren wollen. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Malocher. - Das ist nicht meine Sprachregelung, weil es diese noch nicht mal gern haben, wenn sie so von oben herab als „Malocher" bezeichnet werden. ({2}) Wenn dann noch der ehemalige Minister für Wirtschaft dort meint, er habe sozusagen die Kompetenz für sich gepachtet, Herr Lambsdorff, dann frage ich Sie: Wie stehen Sie dazu, daß EG-Kommissar Narjes, CDU-Mitglied, in einem Interview mit der „ Wirtschaftswoche" im Februar dieses Jahres erklärt, die Behauptung, der bundesdeutschen Stahlindustrie ginge es wegen der EG-Subventionitis schlecht, gehöre zu einer Kampagne, die sozusagen, vom Interesse der bundesdeutschen Stahlkonzerne geleitet, über die Bundesrepublik ausgebreitet wird? Können Sie mir diesen Widerspruch erklären, der darin liegt, daß derselbe Herr Narjes hinsichtlich der Behauptung, wir brauchten einen Kapazitätsabbau, sozusagen wie bei einer Kirmesschießbude in der Gegend herumschießt und sagt: Nach seinen Berechnungen müßten wir bei Warmbreitband in der Größenordnung von 7,7 bis 10,6 Millionen Jahrestonnen abspekken, und hinsichtlich der Quartobleche müßten wir ungefähr in der Größenordnung von 5,6 bis 5,9 Millionen Jahrestonnen abspecken. Dagegen kommt die EUROFER-Gutachterkommission zum Ergebnis, bei Quartoblechen müsse nur in der Größenordnung von 0,6 Millionen Jahrestonnen - das ist zehnmal so niedrig - und bei Warmbreitband müsse nur in der Größenordnung von 3,7 Millionen Jahrestonnen abgebaut werden. Wenn wir also Schätzungen zum notwendigen Kapazitätsabbau von 3,7 Millionen bis 10,6 Millionen Jahrestonnen haben, so komme ich mir vor wie auf einer Kirmesschießbude, ({3}) wo die Verantwortlichen in der Gegend herumschießen und jeweils behaupten, wir brauchten soundso viel Abbau. Herr Lambsdorff, erklären Sie erstmal ganz genau die Berechnungsgrundlagen für den angeblich notwendigen Kapazitätsabbau! Wenn Sie die genauen Unterlagen vorlegen, so daß sie von den Stahlbelegschaften und auch von den politischen Entscheidungsträgern überprüft werden können, dann sagen wir auch undogmatisch: Wenn das nachgewiesen werden kann, sind auch wir bereit, über Kapazitätsabbau nachzudenken. Allerdings muß vorher klar sein: Wir sind nicht bereit, über Kapazitätsabbau nachzudenken, wenn die absolut unmenschlichen Arbeitsbedingungen in den Hütten unangetastet bleiben, wo die Kollegen rund um die Uhr an die Maschinen, an Hochofenstahlwerke usw. gehetzt werden und dadurch ihre Gesundheit kaputtmachen. Mit den Folgen haben Sie, Herr. Blüm, dann zu tun. Jeder zweite Industriearbeiter geht mit 54 Jahren vorzeitig in Rente, weil er kaputtgearbeitet ist. In der Stahlindustrie sieht es noch schlimmer aus.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

: Ja.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Stratmann, glauben Sie denn allen Ernstes, daß irgendein Unternehmen, in diesem Fall der Stahlindustrie, seine Produktionskapazitäten zurückschneiden würde, wenn es dieselben ausnutzen, die hergestellten Produkte verkaufen und damit Geld verdienen könnte? ({0})

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Lambsdorff, Sie wissen genauso so gut wie ich, daß Unternehmen selbst profitable Produktionszweige stillegen und ihr Kapital in andere Bereiche lenken, wenn sie dort noch höhere Profite erwarten. ({0}) - Kennen Sie denn überhaupt die Jahresbilanzen vom Thyssen-Konzern, von Krupp, Mannesmann usw.? Wissen Sie, daß Mannesmann 1985 die Dividende von 4 auf 6 DM je Aktie erhöht hat, um dann im folgenden Jahr 6500 Arbeitsplätze bei den Röhrenwerken kaputtzumachen? Es ist ein Skandal, wenn in demselben Konzern auf der eine Seite Gewinne gemacht werden und auf der anderen Seite in der Stahlsparte Arbeitsplätze abgebaut werden! ({1}) Damit das aufhört, damit die Stahlkonzerne gezwungen werden, tatsächlich eine Umstrukturierung vor Ort zu machen, was Sie ihnen auch nicht zumuten wollen, sagen wir: Die Gewinne sind da, die Finanzmasse ist da. Damit die Vorstände gezwungen werden können, vor Ort umzustrukturieren, brauchen wir die Vergesellschaftung. Wir haben klipp und klar erklärt: Vergesellschaftung heißt nicht Verstaatlichung. Bürokratische Formen der Unternehmensverfassung lehnen wir ab. Bei verstaatlichten Konzernen ist es genauso bürokratisch wie bei der Neuen Heimat. Auch diese Art von Bürokratie wollen wir nicht, sondern wir wollen eine Vergesellschaftung, wo der dominierende Einfluß auf die Unternehmens- und Investitionspolitik von Belegschaften in Verbindung mit den Standortkommunen und den Umweltverbänden ausgeht. Das ist auch eine Frage an Herrn Roth und an die SPD-Fraktion: Wenn selbst Ihre Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen die Vergesellschaftung der Stahlindustrie fordert und damit die IG Metall-Aufforderung aufnimmt, wo bleiben Sie dann, wenn die Gesamtfraktion wie die Gesamtpartei diese Position der AfA noch nicht einmal übernimmt, sondern die AfA die Arbeitnehmer in der eigenen Partei im Regen stehen läßt und die Interessen von ganz anderen wahrnimmt? ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage, des Abgeordneten Roth? - Offensichtlich ja. Bitte schön, Herr Roth.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Abgeordneter Stratmann, merken Sie eigentlich nicht, wie hohl Ihre Argumente dadurch werden, daß Sie praktisch in der gesamten Bundesrepublik Aktionen gegen jedes größere Projekt der Industrie oder der Infrastruktur machen und gleichzeitig mehr Stahlproduktion verlangen?

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir sind dann auf der Matte und machen Aktionen gegen Großprojekte, wenn sie - wie in Boxberg in Baden-Württemberg - zur Umweltzerstörung führen. Dann sind wir selbstverständlich dagegen. ({0}) Wir sind dann für Industrieansiedlung und auch Industrieprojekte - und dann können es auch im Einzelfall Industriegroßprojekte sein - , wenn sie erstens umweltverträglich und zweitens sozialverträglich sind. ({1}) Ich möchte - ich habe nur noch wenige Minuten - zum Bereich Kohle noch was sagen. Mich hat die Aussage von Minister Hoffmann gefreut, daß wir einen neuen Konsens in der Bundesrepublik haben. Ich halte ihn persönlich dort auch für glaubwürdig. Der neue Konsens heißt: Ausstieg aus der Atomenergie. Wir GRÜNEN sagen: Wir brauchen statt des KohleAtom-Verbundes einen Verbund von heimischer Steinkohle, umweltschonend genutzt, und Alternativenergien. ({2}) Es geht nicht mehr - und es ging noch nie - mit der Position: Kohle und Atom. Atomenergie ist der Totengräber für die heimische Steinkohle. ({3}) Es heißt: Kohle oder Atom. Herr Hoffmann, Sie sagen, Sie hätten in dieser Frage Konsens mit Wirtschaftsminister Jochimsen, den Sie ja noch besser kennen als ich. ({4}) Erklären Sie mir, wie der Konsens in Ihren eigenen Reihen zustande kommen soll, wenn im Dezember letzten Jahres, im Wahlkampf, Minister Jochimsen ({5}) in einem Beitrag auf dem Energieforum in Nordrhein-Westfalen erklärte, er will als zuständiger Minister an dem Hochtemperaturreaktor in Hamm - das ist ein Atomreaktor - perspektivisch festhalten. Wie will dann dieser Minister aus der Atomenergie aussteigen? Wie können Sie da behaupten, Sie hätten Konsens mit ihm? Jochimsen will sich weiter in die Atomenergie hineinmogeln mit einer Technologie, die die Nutzung der Atomenergie noch ins nächste Jahrtausend hinein verlängert. Er hat die Bündnisgenossen in Ihren eigenen Reihen - Herr Niggemeier und Co.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, nun muß ich Sie einmal unterbrechen. Jetzt ist die Redezeit überschritten, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie zu einem Schluß kämen.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dann bedanke ich mich für Ihre Geduld, bitte aber noch Herrn Hoffmann, auf den behaupteten und nicht vorhandenen Konsens in den eigenen Reihen einzugehen. Ich danke Ihnen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Jobst.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Sieler, Sie sind ansonsten ein sehr vernünftiger Kollege. Aber wenn Sie den Bundesarbeitsminister Blüm hier als Nebelwerfer bezeichnen, ({0}) dann muß ich Sie doch allen Ernstes fragen, ob es der SPD und gerade der SPD, aus der Sie kommen, nämlich der ostbayerischen SPD, wirklich noch um die Stahlarbeiter und deren Familien geht. Denn die SPD in diesem Raum hat die Probleme der Maxhütte, um die es uns ja geht, in einer demagogischen Weise, in einer schlimmen Form in den Bundestags- und in den Landtagswahlkampf hineingezogen und fährt jetzt dort fort, dieses Thema in dieser Weise weiterhin zu behandeln. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kohle und Stahlindustrie befinden sich zweifellos in einer schwierigen Lage. Dies bedeutet aber noch lange nicht, daß sie nicht überlebensfähig sind. Die Sorgen der Arbeiter, deren Familien, der Menschen in den betroffenen Regionen sind auch unsere Sorgen. Die Stahlkrise und die Kohleprobleme können nicht mit verstaubten Klassenkampfparolen behoben werden. Die Forderung nach Vergesellschaftung, die heute wieder gestellt wurde, bringt keine Lösung. Hier wird auch übersehen, daß in den Ländern, in denen verstaatlicht wurde, der Abbau an Arbeitskräften in der Montanindustrie weitaus erheblicher vorgenommen werden mußte als bei uns in der Bundesrepublik. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus unserer Verantwortung auch für künftige Generationen bekennen wir uns zur Kohle, weil sie unser einziger wesentlicher Rohstoff ist und unsere Unabhängigkeit von Energieeinfuhren garantiert. ({2}) Wir sind auch in Bayern zur Solidarität bereit und stehen deshalb zum Jahrhundertvertrag. ({3}) Wir sind auch bereit, die Lasten, die aus der Sicherung unserer nationalen Energiereserve entstehen, mitzutragen. ({4}) Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, Solidarität kann nicht einseitig sein. Wir verlangen, daß der grundlegende Konsens für den Jahrhundertvertrag wiederhergestellt wird, daß sich also auch die SPD und die Kohleländer zur Nutzung von Kohle und Kernenergie bekennen. Die üble Hetze gegen die preiswerte und verantwortbare Kernenergie muß eingestellt werden. ({5}) Nur mit dem billigen Atomstrom ist es möglich, den teuren Kohlestrom zu finanzieren. ({6}) Eine Tonne Steinkohle frei Erlangen kostet aus Import 100 DM, eine Tonne aus heimischen Bereichen kostet 280 DM. Daraus sehen Sie, daß nur durch den Einsatz der Kernenergie der Strom zu noch einigermaßen konkurrenzfähigen Preisen produziert werden kann. Die Kernenergie ist für uns keine Energie auf Dauer. Sie ist für uns genauso wie für Sie eine Übergangsenergie. Aber solange es keine andere Energie gibt, die gleichwertig ist, die die Lücke ausfüllt, die umweltschützender ist, die wirtschaftlicher und sicherer ist, können wir auf Kernenergie nicht verzichten. Mit Ihrer Forderung, meine Damen und Herren von der SPD, bis zum Jahre 1995 aus der Kernenergie auszusteigen, geben Sie doch zu, daß die Nutzung der Kernenergie wirtschaftlich notwendig und moralisch verantwortbar ist; sonst müßten Sie ja sofort abschalten. Es geht nicht an, die Vorteile der Kernenergie entgegenzunehmen, sie dann aber auf der anderen Seite zu verteufeln und Hysterie zu erzeugen. Wir müssen darauf bestehen, daß künftig die Lasten gerechter verteilt werden. Die Koppelung der Ansprüche der Betreiber von Kohlekraftwerken an den Preis des schweren Heizöls ist nicht mehr zeitgemäß. Das Zuschußvolumen muß vorausssehbar sein und deshalb plafoniert werden. Die Ausgleichsabgabe muß stärker differenziert werden. Als hockentwickelte Industrienation können wir auf eine moderne Stahlindustrie nicht verzichten. Unsere Stahlindustrie ist wettbewerbs- und überlebensfähig, ({7}) solange sie nicht mit Subventionen in anderen Ländern konkurrieren muß. Die Rettung vor unlauterer Konkurrenz ist das Gebot der Stunde. Subventionitis, Dumpingpreise auf der einen Seite, Marktwirtschaft bei uns, das verträgt sich auf Dauer nicht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Strukturwandel in der Stahlindustrie hat auch eine regionalpolitische Komponente. Die Maxhütte in der Oberpfalz ist für uns unverzichtbar. Die wirtschaftliche Existenz Tausender von Familien und Zehntausender von Menschen hängt von diesem Stahlwerk ab. Die Arbeitslosigkeit würde in unverantwortlicher Weise in die Höhe geschraubt werden, wenn das Unternehmen einginge. Dieser Stahlstandort steht für uns nicht zur Debatte. Auch die Maxhütte muß dabei ihre Lasten tragen. Sie hat aber bereits ihre Kapazitäten erheblich abgebaut und auch ihre Vorleistungen bei der Reduzierung der Arbeitsplätze gebracht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, was für die Oberpfalz erforderlich ist, sind einmal ein realistisches Unternehmenskonzept für die Maxhütte, dann die notwendigen Hilfen, um dieses Unternehmen zu erhalten, aber auch die Verantwortung des Unternehmens. Wir haben dort ja ein voll mitbestimmtes Unternehmen. Es ist nicht fair, sich einfach aus dem Staube zu machen. Der Abbau von Kapazitäten allein ist unverantwortlich. Neue Arbeitsplätze durch neue Produktionsmethoden müssen von den Unternehmen geschaffen werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, noch eines ist wichtig: Es muß bei uns in der mittleren Oberpfalz wieder ein politisches Klima hergestellt werden, das Betriebsansiedlungen möglich macht.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Sie sind weit über Ihre Zeit. ({0})

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die SPD hat dort mitgeholfen, daß ein radikales politisches Klima entstanden ist, das auch Gewalt und Terror herbeigeführt hat. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit tragen Sie nicht dazu bei, daß das Los der betroffenen Menschen verbessert wird.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, bitte sprechen Sie einen Schlußsatz. Es ist weit überzogen.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wer es ernst meint mit dieser Region, läßt Hetze und Demagogie sein. Vernunft und soziale Verantwortung sind gefragt. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Reuschenbach.

Peter W. Reuschenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001827, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich dem Versuch meines Kollegen Beckmann, Horst Niggemeier ins Zwielicht zu bringen, widersprechen und ihn zurechtrücken. Der Originaltext lautet: Die unterschiedlichen Bewertungen und Zeithorizonte der Parteien im Hinblick auf die begrenzte Nutzung der Kernenergie dürfen nicht in eine energiepolitische Verhandlungsunfähigkeit unter allen daran Beteiligten einmünden. Es muß der Versuch gewagt werden, unter Beibehaltung der jeweiligen prinzipiellen Positionen zum Thema Kernenergie praktische Lösungen für die drängendsten Existenzfragen der deutschen Kohle zu finden. Ich halte es für eine ganz vernünftige und richtige Position, ({0}) zu sagen: Was uns im übrigen immer und langfristig trennt, heute stehen Arbeitsplätze, Standorte, Regionen, schlicht und einfach die Montanindustrie, zur Debatte. Und sie darf nicht über den Jordan gehen. Das, was Herr Blüm hier als Mahnung ausgesprochen hat, nämlich den parteipolitischen Hickhack nicht in den Vordergrund zu stellen, sondern sich darum zu kümmern, daß das, was jetzt zu entscheiden ist, auch entschieden wird, ist in der Entschließung jenes Kreistages enthalten. Das war übrigens ein merkwürdiges Kontrastprogramm, verehrter Herr Blüm und Herr Bangemann. Herr Blüm hat zwar, als er redete, immer uns angeschaut ({1}) und von der sozialverpflichteten Wirtschaft, den Unternehmern und Unternehmungen gesprochen, die sich um die Region zu kümmern hätten. Aber eigentlich hätte er Herrn Bangemann ansprechen müssen; ({2}) denn das, Herr Blüm, was Sie an Sorge zum Ausdruck brachten, haben wir in den Bemerkungen und Reden von Herrn Bangemann kaum bis gar nicht gespürt. Im Grunde hat er ausgesprochen, was viele in der Union denken und hinter vorgehaltener Hand auch gesagt und zum Teil niedergeschrieben haben, nämlich daß das, was am Markt und nach Weltmarktpreisen nicht mithalten könne, eben sterben müsse. Das meinen Sie auch so, wie Sie es sagen. So berechtigt die Empörung über Ihre Rede, über das angeblich nicht gegebene Interview und sonstige Beiträge ähnlicher Art war, so gut ist es wahrscheinlich, verehrter Herr Minister, daß damit der Vorhang vor dem, was dahinter, auch hinter der Bühne, im Gange war, weggerissen wurde und nun die Fragen der Existenz der deutschen Stahlindustrie und des Steinkohlenbergbaus offen und knallhart erörtert werden müssen; denn es ist doch bis zum 25. Januar geleugnet worden, daß Vorbereitungen im Gange seien, die Kohlevorrangpolitik zu korrigieren und den Jahrhundertvertrag zu einem anderen Zeitpunkt zu korrigieren, als es bisher die Verabredung war. Dies ist vor der Wahl geleugnet worden, und nun ist offenkundig, daß solche Verabredungen getroffen worden sind; denn anders ist der Beschluß der CDU/CSU-Fraktion überhaupt nicht zu deuten, wo es heißt: Es wurde auch Einvernehmen darüber erzielt, - in einem Gespräch mit Herrn Horn und anderen daß auf Grund des vereinbarten Absatzes an die Stahlindustrie und der Rückführung der subventionierten Kokskohlenexporte in die EG-Partnerländer Anpassungen unvermeidbar sind, die nun vor 1991 stattzufinden haben. Genau das ist bis zum 25. Januar ausdrücklich und ständig geleugnet worden. ({3}) Deshalb ist es gut, daß durch diese - aus seiner Sicht leichtsinnigen - Bemerkungen von Herrn Bangemann klar ist, was er meint. Am 30. März 1987 hat er das im „ZDF" ja noch einmal gesagt: „Da Kohle nicht wettbewerbsfähig ist, wird sie nicht überleben." Natürlich kann sie nicht überleben. ({4}) - Lesen Sie es bitte nach - ich habe es getan - in dem Text der Bundesregierung: „Da Kohle nicht wettbewerbsfähig ist, wird sie nicht überleben." Die deutsche Steinkohle kann gegenüber der ausländischen Steinkohle überhaupt nicht wettbewerbsfähig werden. Das wissen Sie so gut wie ich. ({5}) - Nein, Sie irren sich. ({6}) - Sie haben Konditionen weggelassen, die in dem Zusammenhang niedergeschrieben worden sind. ({7}) Wir fragen in der Tat: Was bedeutet es denn nun, die Substanz des Jahrhundertvertrages zu erhalten: 40 Millionen oder 35 Millionen oder 30 Millionen? Davon kann man ablesen, welche Anzahl von Schachtanlagen Sie der Stillegung anheimgeben wollen. Aber das muß in der Tat präzisiert werden. Im Augenblick treiben die Koalitionsfraktionen ja eine verblüffende Doppelstrategie. Herr Lammert hat hier nicht geredet, Herr Gerstein hat hier nicht geredet; Klaus Beckmann hat geredet. ({8}) - Na gut, ich weiß ja nicht, wie lange das hier noch dauert. - Aber wenn man die Äußerungen der eben Genannten in ihren Lokalpressen nachliest - Klaus Beckmann in Essen, Herr Lammert in Bochum und Herr Gerstein in Dortmund - , dann kann man sich überhaupt keine glühenderen Verfechter der Kohle vorstellen, wenn man nicht wüßte, wie ihre Position in der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion ist. Diese Position ist ja ganz deutlich geworden. Herr Bangemann hat nur von Anpassung, nur von Flankierung der Anpassung, nur von Einschränkungen der Kapazitäten gesprochen. Das ist das Gegenteil von dem, was Herr Blüm hier zum Ausdruck gebracht hat. Diesen Streit sollten Sie dort austragen. Ich muß Ihnen offen sagen: Bei den Bergleuten und bei den Stahlarbeitern wächst das Gefühl, Opfer einer Strafaktion für Wahlergebnisse im Ruhrgebiet, in Aachen und an anderen Standorten zu werden. ({9}) Sie fragen sich, warum sie anders behandelt werden als die Bauern, die sich noch in anderem Maße wahlpolitisch verhalten haben. In den Rathäusern fühlt man sich getäuscht.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.

Peter W. Reuschenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001827, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Jawohl. All den schönen Worten über die Notwendigkeit von Umstrukturierung, der Hilfe und der Mithilfe für die Städte und das Land bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze folgen ja keine Taten. ({0}) - Nein. Bis zur Stunde, verehrter Herr Lambsdorff, macht die Bundesregierung keine Anstalten, das Revier in die Kulisse der Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur aufzunehmen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, das war ein guter Schlußsatz, finde ich.

Peter W. Reuschenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001827, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bis zur Stunde wird es abgelehnt, über Städtebauförderungsmittel .. .

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, es tut mir leid, Sie müssen jetzt Schluß machen.

Peter W. Reuschenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001827, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

... Industriebrachen aufzubereiten. Bis zur Stunde lehnt es die Bundesregierung ab, sich an der Beseitigung von Altlasten zu beteiligen. Alles Voraussetzungen für eine Umstrukturierung.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Sie müssen sich an unsere Regeln halten.

Peter W. Reuschenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001827, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bitte um Nachsicht für das Überziehen. Aber wer wie Herr Bangemann hier eine halbe Stunde geredet hat, verdient eigentlich eine längere und klarere Antwort. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Nun kommt der von Ihnen, Herr Reuschenbach, sehnlichst erwartete Abgeordnete Dr. Lammert zu Wort.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! ({0}) - Ich werde genau das nicht tun, lieber Kollege Breuer, weil ich fest davon überzeugt bin, daß die betroffenen Arbeitnehmer in den Montanrevieren - im Ruhrgebiet, in Niedersachsen und Bremen, an der Saar und in der Oberpfalz - den Nutzen dieser Debatte eben nicht an der Heftigkeit der Kontroverse messen, die wir miteinander austragen, sondern an der Verbindlichkeit der Auskünfte, die wir darüber geben, was wir tun können und tun wollen, ({1}) was bei diesem komplizierten Problem tatsächlich geht und was eben nicht geht. Deswegen will ich am Schluß dieser Diskussion den Versuch unternehmen, ohne jede Polemik - obwohl es mir zugegebenermaßen auch ein bißchen schwerfällt - noch einmal unsere Position in der Sache zu beschreiben, und dabei manche Replik verschlucken, die ich auch auf der Zunge habe nach manchem Beitrag, dem ich auch geduldig zugehört habe. Erstens. Die deutsche Stahlindustrie braucht, um überleben zu können, keine Subventionen, sondern faire Wettbewerbsbedingungen. Deswegen lehnt die CDU/CSU-Fraktion weitere Subventionen an deutsche und europäische Stahlunternehmen ab. Zweitens. Die deutsche Steinkohle kann für die überschaubare Zukunft ihren Beitrag als einzige verfügbare nationale Energiereserve nur dann weiter leisten, wenn wir öffentliche Beihilfen aufrechterhalten. Deswegen steht für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion völlig außer Zweifel, daß wir bei diesem bewährten Instrumentarium unserer Kohle- und Energiepolitik bleiben. ({2}) Gerade weil es so ist, daß inzwischen auf Grund der Entwicklung in einer Reihe von Industriebranchen die Abnahmeverpflichtungen der Stromindustrie die wichtigste Säule für die Absatzmöglichkeiten der Kohle geworden sind, stehen wir selbstverständlich zu dem Jahrhundertvertrag und legen nach der Verlängerung des Hüttenvertrages auf die Fortschreibung dieses Vertrages den größten Wert. Herr Kollege Reuschenbach, ich sage hier wie im Ruhrgebiet, wie in meinem Wahlkreis: Ich halte persönlich auch die Aufrechterhaltung des Umfangs des Jahrhundertvertrages für notwendig. ({3}) Ich will Ihnen auch sagen, warum. Weil die an anderer Stelle unvermeidlichen Rückgänge der Förderung nach meiner festen Überzeugung sonst einen sozialverträglichen Abbau der Kapazitäten, den wir alle wollen, nicht mehr möglich machen. Deswegen sage ich das mit aller Deutlichkeit auch hier zu Protokoll. Aber, meine verehrten Kollegen von der SPD, ich denke schon, Sie täten der Sache einen guten Dienst, wenn Sie im Zusammenhang mit dem Jahrhundertvertrag, auf den Sie sich auch immer berufen, dann eben auch deutlich machten, daß der Jahrhundertvertrag keine gesetzliche Verpflichtung der EVUs zur Abnahme von Kohle enthält, sondern daß der Jahrhundertvertrag die freiwillige vertragliche Verpflichtung von Elektrizitätsversorgungsunternehmen zur Abnahme von über 40 Millionen Tonnen Kohle pro Jahr enthält, für die der Gesetzgeber eine Ausgleichsverpflichtung eingegangen ist. Das ist gemeint, wenn wir hier über Geschäftsgrundlage reden. Jeder, der sich an die Spitze der Interessenvertretung für die Bergleute setzt und sich gleichzeitig auf den Marsch weg von dieser Geschäftsgrundlage begibt, muß eben wissen, daß er damit die wichtigste Säule des Jahrhundertvertrages zum Einsturz bringt. Das ist der Punkt, der noch einmal deutlich gemacht werden muß. ({4}) Wir haben, was den Stahl angeht, in den vergangenen vier Jahren den Nachweis geführt, daß wir die Stahlarbeiter nicht im Regen stehen lassen. Die Krise in der Stahlindustrie ist über ein Dutzend Jahre alt. Konkrete Hilfsmaßnahmen haben vor vier Jahren begonnen. Das war nach dem Regierungwechsel. ({5}) Wir haben auch in den vergangenen Tagen unsere prinzipielle Bereitschaft zur Hilfestellung weiter konkretisiert. Über das Ergebnis der gestrigen Gespräche im Kanzleramt kann überhaupt nur derjenige enttäuscht sein, der von der treuherzigen Vorstellung ausgegangen ist, das schlichte Treffen der Spitzen von Regierung, Unternehmen und Gewerkschaften beseitige bereits Überkapazitäten oder verdeckte und offene Subventionen an konkurrierende europäische Stahlunternehmen. Wir haben zu jedem Zeitpunkt deutlich gemacht, daß es eine politische Garantie für Standorte nicht geben kann. Der Bundeskanzler hat dies persönlich bei seinem Besuch in Dortmund vor der Wahl klargestellt. Wir haben vor rind nach dem Wahltermin erklärt, daß es einen Eingriff und eine Vermeidung des Strukturwandels durch politische Intervention nicht geben kann. Gestern hat zum erstenmal, nachdem er aus dem Kanzleramt kam, der IG-Metall-Chef Steinkühler erklärt, er halte weitere Verluste an Arbeitsplätzen in der Stahlindustrie für nicht vermeidbar. Es wäre nur redlich, wenn er dieser Erkenntnis auch bei Kundgebungen seiner Gewerkschaft in Zukunft folgen würde und nicht wider bessere Einsicht die Bundesregierung zu gegenteiligen Garantieerklärungen auffordern würde. Wir stehen zu den Zusagen, die wir gemacht haben. Wir werden in den nächsten Wochen das aufarbeiten und konkretisieren, was in der Regierungserklärung und gestern im Stahl-Gespräch im Zusammenhang mit der Verlängerung des Stahlstandorte-Programms angesprochen worden ist, bei dem auch über Fördersätze und damit über Haushaltsansätze gesprochen worden ist. Wir werden über die Beihilfen nach dem Montanunionsvertrag und über die Regelungen, die zur sozialen Flankierung erforderlich sind, weiter reden und uns hier um einvernehmliche Lösungen bemühen. Letzte Bemerkung. Ich denke, es ist nicht in Ordnung, wenn wir auch und gerade unter Berücksichtigung existenzieller Nöte von Bergleuten oder Stahlarbeitern hier den Eindruck erwecken, als würden die Arbeitnehmer in diesen Branchen im Regen stehen gelassen. Die Wahrheit ist: Es gibt außerhalb der Landwirtschaft keine zwei anderen Branchen, in denen auch nur annähernd so hohe öffentliche Aufwendungen aus Steuermitteln zur Erhaltung vorhandener oder zur Schaffung neuer Arbeitsplätze geleistet worden sind wie im Bereich von Bergbau und Stahlindustrie. ({6}) Tausende von Arbeitnehmern in der Bauindustrie und in der Textilindustrie stehen fassungslos vor dem Argument, hier finde eine Politik statt, die die Stahlarbeiter und die Bergleute diskriminiere. Das Gegenteil ist richtig. Jede andere Behauptung ist zynisch. Ich denke, auch das gehört zur Komplettierung der Argumentation. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Letzter Redner der Debatte ist Herr Urbaniak.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vertreter der Regierungsparteien haben sich in einigen Ankündigungen auf konkrete Dinge eingelassen. Das wird bei der weiteren Verfolgung der Stahl- und Kohlevorrangpolitik, wie wir sie sehen, zu prüfen sein. Dennoch will ich hier feststellen, meine Damen und Herren: Wir haben 1982 ein Stahl- und Stahlstandorteprogramm verabschiedet. Seitdem sind ein weiteres Programm oder Initiativen der Regierung nicht vorgeschlagen worden. ({0}) Sie haben lediglich darauf verwiesen, was damals in der sozialliberalen Koalition als Grundlagen für die Behandlung dieses Bereiches zustande gebracht worden ist. Ich sage Ihnen hier ganz deutlich: Was sich bisher an den Stahlstandorten entwickelt hat, ist immer mit einer ausreichenden sozialen Flankierung für die betroffenen Arbeitnehmer und ihre Familien geschehen. Dies, Kollege Blüm, ist der Unterschied: daß uns Massenentlassungen drohen und daß ganze Stahlstandorte möglicherweise - was wir nicht wünschen - plattgemacht werden. Dagegen kämpfen Sie nicht entscheidend. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Breuer? - Bitte schön. 340 Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Urbaniak, könnten Sie etwas zur Frage der Finanzierung des Stahlhilfeprogramms sagen, das bekanntlich auch aus dem Jahre 1982 stammt? Wenn ich mich recht erinnere, war für die Finanzierung damals zunächst vorgesehen, daß 50% der Bund und 50 % die Länder tragen sollten, wozu das Land Nordrhein-Westfalen allerdings nicht in der Lage war.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir haben in diesem Bereich bei den Strukturhilfen und den Investitionshilfen eine Mischfinanzierung. Wir haben eine 100 %ige Finanzierung bei der sozialen Flankierung. Dies war also nie ein Thema. Man ist mit den Ländern zu einem Konsens gekommen. Daher ist Ihre Frage für die Behandlung der Problematik unbrauchbar. ({0}) Ich will Ihnen daher sagen, meine Damen und Herren, wenn Sie hier feiern, Herr Bangemann sei derjenige gewesen, der nun endlich erreicht hat, daß Subventionen nicht mehr gewährt worden sind, dann, Kollege Lambsdorff, werden Sie zustimmen müssen: Wir haben seinerzeit, aus der Not geboren, 3 Milliarden DM bereitstellen müssen, um unsere Betriebe modern zu machen, also uns auf den Markt einzustellen und mit günstigen Produktionskosten der Entwicklung entgegenzutreten. Bangemann hingegen - das hat er zu verantworten - hat dazu beigetragen, daß über den ganzen Zeitraum hinweg in der Europäischen Gemeinschaft 100 Milliarden DM für die Konkurrenzunternehmen zugestimmt worden ist, die uns jetzt bedrängen. Deshalb ist hier von einem Erfolg überhaupt nicht zu reden. Für mich, Herr Bangemann, haben Sie Ihre Schularbeiten in Brüssel nicht gemacht und nehmen sich ein Beispiel an unserem Kollegen Ignaz; Sie wissen ja, wer das ist. ({1}) Daher mache ich noch einmal darauf aufmerksam, meine Damen und Herren: Die Opposition hat immer ihre Solidarität angeboten, wenn es darum ging, Subventionen und Marktverwerfungen zu bekämpfen. Das haben Sie in der Vergangenheit abgelehnt. Kollege Blüm, es hat keinen Zweck, hier von der Solidarität der Malocher zu reden. Jetzt kommen Sie in eine Situation, die wir bisher nicht kannten und die diese Bundesregierung zu verantworten hat, Massenentlassungen stehen an. Die Familien sind in großer Unruhe. Stahlstandorte wie Hattingen und Oberhausen sollen ausradiert werden. Sie hätten frühzeitiger handeln müssen, damit dies nicht passiert. ({2}) Darum sage ich noch einmal: Sie können das mit den schönen Worten nicht verdecken. Was jetzt geschieht, haben Sie zu verantworten. Dennoch werden wir mithelfen, zu einem Konsens zu kommen, der uns dazu führt, daß wir den Menschen überall an den Stahlstandorten helfen können und das Schlimmste verhüten. Die Bereitschaft der sozialdemokratischen Opposition ist dabei selbstverständlich. Aber tun Sie mehr, als Sie hier heute gesagt haben! ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 2. April 1987, 9 Uhr, ein. Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, daß zehn Minuten nach Ende der Plenarsitzung die Ausschüsse konstituiert werden, d. h. also um 17 Uhr, und zwar in den dafür vorgesehenen Sälen. Die Sitzung ist geschlossen.