Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich darf die Mitglieder des Hauses bitten, sich zu erheben. - Mit großer Trauer empfingen wir die Nachricht, daß der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Werner Nachmann, gestern in Karlsruhe in Alter von nur 62 Jahren plötzlich verstorben ist.
Werner Nachmann stand dem Direktorium des Zentralrats der Juden in Deutschland seit 1965 vor. Er hat in diesen 23 Jahren mit dem ganzen Einsatz seiner Persönlichkeit für die Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen und für das große Ziel der Verständigung zwischen Juden und Christen gewirkt. Auf seine Initiative hin wurde 1971 in Karlsruhe die erste neue Synagoge in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet, und seiner Anregung ist die Gründung der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg zu verdanken. Werner Nachmann gehörte seit 1964 auch zu den Herausgebern der „Allgemeinen jüdischen Wochenzeitung".
Wir erinnern uns seiner in Dankbarkeit für seinen unermüdlichen Einsatz für Versöhnung und Verständigung. Seiner Familie, seiner Frau und seinem Sohn und dem Zentralrat der Juden gilt unsere tiefempfundene Anteilnahme.
Sie haben sich aus Anlaß des Todes Werner Nachmanns von den Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen. -
Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 85/3/EWG über die Gewichte, Abmessungen und bestimmte andere technische Merkmale bestimmter Fahrzeuge des Güterkraftverkehrs
- Drucksachen 11/929 Nr. 2.26, 11/1007 -
Berichterstatter: Abgeordneter Kretkowski
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Einführung gemeinsamer Regeln für den grenzüberschreitenden Personenverkehr mit Kraftomnibussen
- Drucksachen 11/439 Nr. 2.10, 11/1008 Berichterstatter:
Abgeordneter Weiss ({2})
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({3}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung der Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmen zum Personenverkehr mit Kraftomnibussen innerhalb eines Mitgliedstaates, in dem sie nicht ansässig sind
- Drucksachen 11/138 Nr. 3.150, 11/1016 -
Berichterstatter: Abgeordneter Haungs
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({4}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission an den Rat Ausschaltung der Verzerrungen der Wettbewerbsbedingungen im Güterkraftverkehr, Untersuchung über Kraftfahrzeugsteuern, Mineralölsteuern und Straßenbenutzungsgebühren
- Drucksachen 11/138 Nr. 3.147, 11/1017 -
Berichterstatter: Abgeordneter Haungs
e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({5}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Rates über den Zugang zum Markt im Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten
- Drucksachen 11/138 Nr.3.146, 11/1196 3896
Abgeordneter Daubertshäuser
Zu den Tagesordnungspunkten 17 d und 17 e liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/1702 und 11/1703 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte 90 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Straßmeir.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vorliegenden europäischen Vorlagen, Vorschläge der Kommission an den Rat der europäischen Verkehrsminister über Richtlinien und Verordnungen zur Gestaltung des europäischen Verkehrsmarktes, geben uns die Gelegenheit, heute noch einmal den Standpunkt der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion zu den aktuellen Fragen europäischer Verkehrspolitik darzulegen.
Diese Debatte gewinnt vor dem Hintergrund der deutschen Präsidentschaft in der Europäischen Gemeinschaft an Aktualität. Ich glaube, es besteht kein Zweifel daran, daß wir alle den Weg nach Europa gehen wollen, daß wir Europa bejahen. Die Bundesrepublik Deutschland braucht Europa aus vielfältigen politischen Gründen, aber natürlich auch wegen der engen wirtschaftlichen Verflechtung.
Der Anteil des Außenhandels mit den EG-Staaten steigt überproportional, und das hat auch Auswirkungen auf die Verkehrspolitik. So stieg der Anteil des grenzüberschreitenden Straßengüterverkehrs am gesamten Straßengüterverkehr seit 1960 von 10 % auf 45 %. Es handelt sich also um einen Wachstumsmarkt, nicht um einen schrumpfenden Markt, und deshalb sind vielleicht auch manche Befürchtungen ein wenig übertrieben.
Was wir wollen, ist eine europäische Verkehrsmarktordnung mit fairem Wettbewerb durch Chancengleichheit, ein europäischer Verkehrsmarkt und eine europäische Verkehrsmarktordnung, die die EFTA-Staaten Schweiz und Österreich nicht ausgrenzt, sondern so weit als möglich einbezieht.
Was wir nicht wollen, ist ein völlig deregulierter Markt mit der Folge von Überkapazitäten, ruinösem Wettbewerb, Vernichtung mittelständischer Strukturen und einem Verlust an Verkehrssicherheit. Wir wollen auch keine Marktordnung, deren Kernstück die Festlegung eines unzureichenden Krisenmechanismus bei eingetretenen Marktstörungen ist.
({0})
Wir wollen auch nicht, daß auf dem Wege zum Binnenmarkt durch automatische Liberalisierung ohne den Abbau schwerwiegender Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten des deutschen Verkehrsgewerbes irreparable Schäden für das deutsche Verkehrsgewerbe entstehen.
({1})
- Deswegen, Herr Kollege Daubertshäuser, sind wir für die Feststellung des Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl in seiner Regierungserklärung vom 18. März 1987 besonders dankbar,
({2})
wonach die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Verkehrsmarktes Zug um Zug mit einer Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen verbunden sein muß.
({3})
Aber, meine Damen und Herren, zunächst müssen die Grenzen des Gemeinsamen Marktes durchlässiger gemacht werden. Es gibt noch immer das Ärgernis unkalkulierter Wartezeiten bei der Grenzabfertigung. Dadurch entstehen Lohn- und Zinskosten. Eine sinkende Umlaufgeschwindigkeit und eine sinkende Jahresfahrleistung der Fahrzeuge wirken mindestens genauso negativ wie ein hoher Zoll, der an den EG-Grenzen erhoben wird. Verkehrspolitik muß einen reibungslosen Grenzübergang innerhalb der EG gewährleisten.
Aber wir müssen unsere Verkehrspolitik natürlich auch mit den EFTA-Staaten Schweiz und Österreich abstimmen. Es hat bereits einen Auftrag des EG-Rates gegeben, mit diesen Staaten Gespräche aufzunehmen. Wir haben Verständnis für die besonderen Belange und Belastungen dieser Länder. Im Vordergrund aber muß stehen, daß der Transitverkehr ein normaler und integraler Bestandteil des internationalen Waren- und Dienstleistungsverkehrs ist. Er muß wie der bilaterale Verkehr auch im europäischen Umfang vereinfacht werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes und die Mailänder Beschlüsse, die die Vollendung des europäischen Binnenmarktes fordern, ist der politische Rahmen abgesteckt worden, aber dieser Rahmen ist durch die EG-Ministerratsbeschlüsse erst teilweise ausgefüllt worden. Es kommt nunmehr darauf an, den Weg zu finden, der den deutschen Anliegen gerecht wird. Hierbei gibt es das Problem, daß wir nicht immer in der Position der Mehrheit sind, sondern daß es auch Mehrheitsentscheidungen gegen uns geben kann, wenn wir nicht die geeigneten Bündnispartner finden; Entscheidungen, die bruchartige Auswirkungen auf die deutsche Verkehrswirtschaft haben können.
Wir müssen uns wohl damit abfinden, daß die deutsche Verkehrsmarktordnung nicht auf Europa übertragen werden kann. Wir müssen wohl hinnehmen, daß strukturelle Unterschiede, die zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den übrigen EG-Staaten beim Lohnniveau und bei den Lohnnebenkosten entstehen, nie ganz ausgeräumt werden können.
Wir können aber verlangen, daß Liberalisierung und Harmonisierung dort, wo sie möglich sind, gleichgewichtig behandelt werden. Weil das nicht geschieht, haben wir den Spiegel in den Beschlüssen des heutigen Tages, indem wir den Empfehlungen der Kommission an den Rat der europäischen Verkehrsminister nicht zustimmen können.
Um so erfreulicher ist es, meine Damen und Herren, daß das Europäische Parlament in seinen Entscheidungen und Beschlüssen weitgehend mit unserer deutschen Position übereinstimmt. Die Erhöhung des Gemeinschaftskontingentes wird auch vom Europäischen Parlament von Fortschritten bei der Angleichung der Wettbewerbsbedingungen abhängig gemacht. Die Kommission hat bereits Vorlagen erarbeitet und vorgelegt, die zwei Dinge zum Inhalt haben. Erstens. Sie beschreiben den Zustand des Binnenmarktes nach 1992. Zweitens legen sie den Weg der Liberalisierungsschritte bis 1992 fest. Es fehlt genau der für uns wesentliche Fahrplan für eine parallele Harmonisierung. Auf dem müssen wir bestehen.
Gleichfalls hat die Kommission noch keine Vorschläge unterbreitet, die Überkapazitäten und Marktmißbrauch verhindern können. Wir sind dem deutschen Verkehrsminister, Herrn Dr. Warnke, besonders dankbar, daß es ihm nach Jahren im Juni 1987 gelungen ist, endlich durchzusetzen, daß der Zusammenhang von Harmonisierungsbedürfnis und Anerkenntnis von Wettbewerbsverzerrungen in die Papiere und auch in die Beschlüsse Eingang gefunden hat. Was uns stört, ist, daß die Kommission noch keine geeigneten Vorschläge unterbreitet hat.
Wir sind deshalb so beharrlich bei unseren Forderungen, weil die Bundesrepublik Deutschland wegen ihrer zentralen Lage als Transitland Nummer eins in Europa zusätzlichen Straßenverkehr im Binnenmarkt magisch anziehen wird und sich deshalb weitere Integrationsschritte auf unserer Infrastruktur und Umwelt in besonderer Weise auswirken werden.
Wir haben natürlich Erwartungen an die deutsche Präsidentschaft. Wir ersuchen die Bundesregierung, während der deutschen Präsidentschaft die EG-Verkehrspolitik mit Nachdruck voranzutreiben und dabei insbesondere zu berücksichtigen, daß die Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen auf dem Gebiet der verkehrsspezifischen Steuern und Abgaben und bei der einheitlichen Anwendung der Sozialvorschriften Fortschritte erfährt.
({4})
Das heißt im einzelnen: Annäherung der unterschiedlichen Steuern und Abgaben für Fahrzeuge, Abbau von Investitionszulagen für die Beschaffung von Lkws in anderen Staaten, Harmonisierung technischer Kontrollen der Fahrzeuge und wirksame Kontrollmaßnahmen bei der Überwachung der Sozialvorschriften in ganz Europa.
Bei diesen Voraussetzungen, meine Damen und Herren, wird unser mittelständisches Gewerbe - Personenverkehr, Straßengüterverkehr - auch künftig flexibel und leistungsstark den Anforderungen des Marktes genügen können. Diese Entscheidungen werden natürlich auch Auswirkungen auf den Werkfernverkehr haben. Ihn gilt es abzubauen. Im übrigen, meine Damen und Herren, hegen wir viel eher die Besorgnis, daß sich der Straßengüterverkehr mit seiner mittelständischen Struktur viel schneller, viel wirkungsvoller den neuen Herausforderungen anpassen wird als die wenig flexiblen Staatsbahnen. Hier, glaube ich, gibt es noch viel größere Probleme auf dem Weg nach Europa.
Die Politik ist aufgefordert, bei dem Abbau der Grenzen dafür zu sorgen, daß Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleibt. Die CDU/CSU-Fraktion steht ständig und intensiv mit den Verbänden des Gewerbes - Güterkraftverkehrsgewerbe und Omnibusgewerbe - in Verbindung. Wir werden gemeinsam den erforderlichen Beitrag für Europa leisten. Hierzu gehört allerdings auch - das ist das Thema des heutigen Tages -, daß wir realitätsfremde Vorschläge der Kommission ablehnen. Wir müssen stets bereit sein, alle Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß es gar nicht erst dazu kommt, daß ein Krisenmechanismus entsteht und eingesetzt werden muß.
Wir wollen darauf hinarbeiten, daß die Europäische Gemeinschaft durch einen funktionsfähigen Verkehrsmarkt künftig weiter gestärkt wird.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Daubertshäuser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Straßmeir, Sie haben recht: Zu Europa und zur EG gibt es keine Alternative. Es ist auch unbestritten: Wir brauchen den europäischen Binnenmarkt. Es ist sicher unbestritten, daß leistungsfähige Verkehrssysteme wichtige Bausteine für ein geeintes Europa sind.
In den Zielen, die Sie auch heute hier beschrieben haben, sind wir uns durchweg einig. Der Weg aber, Herr Kollege Straßmeir, den die Regierung Kohl bisher eingeschlagen hat, ist eindeutig ein Irrweg.
({0})
Gerade in den letzten Jahren hat die deutsche Verkehrswirtschaft viele Vorleistungen auf dem Deregulierungssektor erbracht, ohne einen entscheidenden Durchbruch im Bereich der Harmonisierung zu erzielen. Die Bundesregierung darf nicht der Illussion anhängen, daß sich Europa nur durch Verzicht auf deutsche Interessenvertretung bauen läßt. Die Harmonisierung liegt nun einmal fast ausschließlich im deutschen Interesse. Deshalb muß das Ziel eines europäischen Verkehrsmarktes mit nationalen Maßnahmen unterstützt und beschleunigt werden.
({1})
Diese nationalen Maßnahmen müssen aber baldmöglichst durch europäische Lösungen ersetzt werden.
Im deutschen Verkehrswesen sind eine Million Menschen beschäftigt. Wer auf ihrem Rücken den Binnenmarkt bauen will, der kann ganz einfach keinen dauerhaften Erfolg haben und verhält sich übrigens auch europapolitisch kontraproduktiv.
({2})
Es müssen auf diesem Wirtschaftssektor endlich faire Voraussetzungen geschaffen werden. Auch der Tüchtigste kann sich nicht durchsetzen, wenn seine Konkurrenten wesentliche Wettbewerbsvorteile erhalten. Dies lehnen wir ab. Wir sind nämlich für ein marktwirtschaftliches Fair play. Das herausragende Kennzeichen des heutigen europäischen Straßengüterverkehrs ist: Er wird, Herr Kollege Jobst, durch
massive Wettbewerbsverzerrungen geprägt. Diese gehen fast vollständig zu Lasten deutscher Unternehmen.
({3})
Ich bedauere es sehr, wenn Sie dies nicht anerkennen. Sie zahlen mit die höchsten Kfz-Steuern und die höchsten Mineralölsteuern in Europa. Die schärfsten internationalen Mitbewerber erhalten sogar noch Subventionen und Investitionsbeihilfen in einem nicht geringen Maße. Mit diesen insgesamt viel günstigeren Wettbewerbsbedingungen ihrer Konkurrenten kommen die deutschen Unternehmen kaum noch mit.
Trotz dieser Ausgangsposition hat diese Bundesregierung kräftig geholfen, die Wettbewerbsverzerrungen in Europa weiter zu verschärfen und die Wettbewerbsbedingungen für die deutschen Unternehmen massiv zu verschlechtern. Falls Sie es vergessen haben, ich rufe nur ganz kurz die Neustädter Beschlüsse in Erinnerung: Umrechnungsschlüsse bei den Zeitgenehmigungen, die Aufstockung der Gemeinschaftskontingente, die Aufstockung der 50-Liter-Freimengenregelung. Meine Damen und Herren, dies ist der Irrweg, von dem ich anfangs gesprochen habe.
Herr Kollege Straßmeir, Ihre anvisierten Ziele mögen noch so ehrenwert sein. Nur, mit dieser Politik der verbrannten Erde werden Sie die Ziele, die Sie formuliert haben, verfehlen, Sie werden sie damit nicht erreichen.
({4})
Die Auswirkungen für die Bundesrepublik sind nun einmal beängstigend. Der Lkw-Verkehr auf unseren Fernstraßen, den Sie zu Recht angesprochen haben, hat in den letzten Jahren immer mehr zugenommen. Schon heute ist jeder Verkehrsknotenpunkt im deutschen Autobahnnetz mit 10 000 bis 15 000 Lkw pro Tag belastet.
Durch eine ungehemmte Deregulierungspolitik wird dieser Lkw-Verkehr in Zukunft noch weiter steigen. Auf der Straße droht in der Tat ein Verkehrsinfarkt. Die Bahn hat bei dieser Ausgangsposition dennoch das Nachsehen, ebenso wie die deutschen Seehäfen, die von dieser Entwicklung genauso negativ betroffen sind.
Die vorgesehene jährliche Aufstockung der Gemeinschaftskontingente um 40 % bis zu einem Übergang in den freien Verkehrsmarkt bedeutet einen zusätzlichen riesigen Kapazitätsschub. Sogar die Kommission erwartet ja Überkapazitäten. Das ist doch der Grund, warum sie diesen Krisenmechanismus vorschlägt.
Angesichts der immer stärker werdenden Belastungen für Mensch und Umwelt ist eine Verkehrspolitik, die einzelwirtschaftlichen Interessen untergeordnet wird, unverantwortbar. Bei uns hier in der Bundesrepublik - Sie haben zu Recht darauf hingewiesen: bei uns im Kernland - bündeln sich diese Probleme nun allemal wie in einem Brennglas. Das hängt natürlich damit zusammen, daß in der Bundesrepublik 30 aller Verkehrsströme in der EG ihren Ursprung haben. Es ist deshalb eine Aufgabe einer verantwortungsvollen Verkehrspolitik, die Voraussetzungen für eine
ökonomisch und ökologisch verträgliche Verkehrsmarktordnung mit wirksamen Regelungsmechanismen zu schaffen.
Wenn Sie sich das Urteil des Europäischen Gerichtshofs anschauen, werden Sie sehen, daß darin eindeutig ein politischer Gestaltungsauftrag enthalten ist.
({5})
- Herr Kollege Jobst, hören Sie doch mit diesen Märchen auf. Diejenigen, die die Klage angestrengt haben - ich sage: zu Recht - , waren die Kollegen Seefeld von der SPD und Hoffmann von Ihrer Partei. Also hören Sie doch mit den Märchen auf, die Sie in der Öffentlichkeit verbreiten.
Mir geht es darum: Wenn wir alle miteinander
- und natürlich in erster Linie die Regierenden - diesen Gestaltungsauftrag, der im Urteil steckt, angenommen hätten, wären wir heute schon viel weiter. Wenn Sie sich die Beschlüsse des Europäischen Parlaments ansehen, dann wissen Sie, daß dieser Aspekt ausdrücklich auch von den Europäern unterstrichen wird. Ein Grund für die nationale und damit auch für die europäische Malaise auf dem Verkehrssektor ist doch, daß sich gerade unsere Bundesregierung durch Nichtstun vor diesem Gestaltungsauftrag, der mit im Urteil steckt, gedrückt hat, d. h. die Bundesregierung hat ihre Handlungsmöglichkeiten bisher nicht genutzt.
Sie hätte die Möglichkeit, die in Europa herrschenden unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen zumindest für das Gebiet der Bundesrepublik zu neutralisieren. In seinen Wirkungen wäre das darauf hinausgelaufen, die notwendige Harmonisierung für die Bundesrepublik zu erreichen.
Diesen Weg hat sich die Bundesregierung selbst verstellt. Sie hat bis heute weder eine Verkehrsträgerkonzeption noch eine verkehrszweigübergreifende Gesamtkonzeption. Aber wenn man selbst nicht weiß, wohin die Reise gehen soll, dann bestimmen halt andere die Ziele. Wir haben in der Vergangenheit unablässig vor dieser Entwicklung gewarnt. Wir gehen - übrigens in Übereinstimmung mit den Römischen Verträgen - davon aus, daß Verkehrspolitik als Teil der staatlichen Daseinsvorsorge konzipiert werden muß.
Wettbewerb und Berücksichtigung des Allgemeininteresses lassen sich vereinbaren. Der freie Wettbewerb muß für alle Marktteilnehmer innerhalb eines in der EG gleichen hoheitlichen Ordnungsrahmens ermöglicht werden. Dieser Ordnungsrahmen muß dem Prinzip der staatlichen Daseinsvorsorge verpflichtet sein.
Was ist Allgemeininteresse? Wir verstehen unter Allgemeininteresse einmal die flächendeckende Versorgung, die Lage der Eisenbahn, die Belastung der Transitwege, die Arbeitsplatzsicherheit, die Umwelt- und Energiesituation, die Verkehrssicherheit und nicht zuletzt natürlich die Existenz unserer mittelständischen Gewerbestruktur. Das alles muß bei der politischen Rahmensetzung Berücksichtigung finden. Wir halten das für unverzichtbar.
Wir haben deshalb auch einen Änderungsantrag eingebracht. Sie haben ja die Möglichkeit, diesem dann zuzustimmen.
Wir brauchen vernünftige Rahmenbedingungen in der Verkehrswirtschaft, und zwar nicht nur für die Unternehmen. Wir brauchen sie ebenfalls für die Arbeitnehmer.
({6})
Es liegt an der Bundesregierung, den Harmonisierungszug endlich auf die Gleise und in Fahrt zu bringen. Die Bundesregierung muß durch nationale Maßnahmen in einem ersten Schritt die Wettbewerbsbedingungen harmonisieren.
Wir haben bereits vor Jahren vorgeschlagen, die Kraftfahrzeugsteuer für Lkw, Herr Kollege Jobst, auf die Beträge abzusenken, die in unseren Nachbarländern gezahlt werden. Sie hatten nach unseren Instrumenten gefragt. Gleichzeitig wird eine Schwerverkehrsgebühr von allen inländischen und ausländischen Nutzfahrzeugen erhoben. Sie muß aufkommensneutral gestaltet werden. Da auch ausländische Lkw die Schwerverkehrsgebühr zu zahlen haben, sind damit die heutigen Wettbewerbsvorteile der Ausländer gegenüber den deutschen Lkw reduziert.
Das wäre ein wichtiger Schritt in Richtung Harmonisierung gewesen. Wir haben hierfür große Zustimmung erhalten. Selbst die EG hat diese Vorschläge teilweise aufgegriffen. Jetzt, nach langem Zuwarten, ist ja auch Herr Minister Warnke offenbar bereit, sich zu bewegen. Das käme zwar reichlich spät, aber trotzdem würden wir es begrüßen. Wenn die Regierungskoalition tatsächlich einen Umdenkungsprozeß eingeleitet hat, so kann sie das ja jetzt auch durch die Zustimmung zu unserem Antrag offenlegen.
Ich fasse noch einmal unsere Ziele einer europäischen Verkehrsmarktpolitik kurz zusammen. Wir wollen, daß die deutschen Unternehmen angemessen am Transport- und Verkehrsaufkommen in Europa beteiligt werden, die Arbeitsplätze im europäischen Verkehrswesen sicher und human gestaltet werden, daß zwischen den Verkehrsträgern Schiene, Straße, Wasserstraße und Luft eine vernünftige Arbeitsteilung stattfindet und daß die unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen in Europa harmonisiert werden, um damit einen funktionsfähigen Markt zu erhalten. Wir erteilen aber all denen eine Absage, die aus ideologischen und auch aus egoistischen Gründen die Deregulierung betreiben.
({7})
Wir wollen einen attraktiven und weltweit leistungsstarken europäischen Binnenmarkt und keinen europäischen Umverteilungsverein. Wir wollen ein Europa, das seine Vorzüge und Stärken im weltwirtschaftlichen Spiel der Kräfte optimal zur Geltung bringt. Deshalb kämpfen wir für ein leistungsfähiges europäisches Gesamtverkehrssystem.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gries.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich nutze die Gelegenheit hier gern, aus Anlaß der Anträge, über die bisher allerdings noch keiner der Vorgänger geredet hat, auch unseren Standpunkt zu europäischen Verkehrsfragen noch einmal zu bekräftigen. Ich will am Anfang an das anknüpfen, was der Kollege Daubertshäuser eben gesagt hat. Herr Daubertshäuser, wir wollen dieses Europa. Dieses Europa hat mit Ideologie nichts zu tun. Es ist für uns spätestens seit 1945 ein erstrebenswertes politisches Ziel. Zu diesem politischen Europa gehört eben auch der freie Austausch von Menschen, Gütern und Leistungen. Ich denke, daß wir uns darin einig sind. Wir wollen es schaffen, und ich bin auch überzeugt, daß wir es schaffen werden, wenn wir den nötigen Ernst und die Bereitschaft, unter Umständen auch selber Kompromisse zu schließen und sie nicht nur von anderen zu fordern, an den Tag legen.
Ich füge aber genauso deutlich hinzu, daß dieses Europa nicht auf unserem Altar geopfert werden kann und daß es die erwähnte Bereitschaft auf allen Seiten geben muß. Auch darüber, daß dabei einzelne Wirtschaftszweige diejenigen sind, die zahlen, während andere vielleicht nur Vorteile haben, soll man ganz realistisch reden. Es ist nicht nur eine Idee, es ist ein erstrebenswertes Ziel. Aber auf dem Wege sind natürlich noch Hindernisse zu beseitigen. Ich denke, daß man das am besten in dem offenen Gespräch mit den Partnern tun sollte.
Ich sage hier ganz deutlich und in einer etwas vereinfachten Form, daß ich als Verkehrspolitiker nicht die Sorgen erst noch anhäufen möchte, die unsere Agrarpolitiker schon haben.
({0})
Denn sonst wird man auf dem Wege zu Europa nicht sonderlich erfolgreich sein können.
Dazu gehört der gesamte Komplex, der hier schon angesprochen worden ist; ich will das jetzt nicht wiederholen, auch wenn es auf dem Papier steht. Ich will mich bemühen, hier freier zu reden und mich nicht so sehr an mein Manuskript zu halten. Wir müssen uns ernsthaft mit dem Problem der Harmonisierung und Liberalisierung befassen. Beide dürfen nicht nur Schlagwörter sein. Wir müssen auf unserem Wege zu Europa durch Harmonisierung und Liberalisierung weiterkommen.
({1})
Die Regierungserklärung hat das ja in einer erfreulichen Weise deutlich gemacht, so daß es nicht erlaubt ist, das in Zweifel zu ziehen. Der Bundeskanzler hat in der letzten Regierungserklärung noch einmal verdeutlicht, daß es hier ein Parallelverfahren, ein Verfahren Zug um Zug, gibt. Die Liberalisierung ist manchmal schnell gemacht, aber die Harmonisierung muß folgen, sonst treten negative Konsequenzen gerade für die deutsche Verkehrswirtschaft ein; dann ist der Schaden am Ende größer als vorher, und kein Schritt in Richtung Europa ist damit erreicht.
Wir wollen diesen EG-Verkehrsmarkt und diesen EG-Binnenmarkt schrittweise einführen, und wir wollen ihn zu fairen Bedingungen erreichen. Dazu gehört ganz besonders natürlich die Beseitigung der Wettbewerbsverzerrungen.
Meine Damen und Herren, Herr Daubertshäuser hat es auch schon angeschnitten: Wir haben erhebliche Wettbewerbsverzerrungen auf dem Markt. Darüber muß man reden, und man muß nach den besten Möglichkeiten für die Beseitigung suchen. Man darf nicht nur von Vorurteilen ausgehen und fragen, ob die einen Anhänger der Schwerverkehrsabgabe sind und die anderen dagegen sind. Vielleicht reden wir irgendwann einmal wieder darüber, weshalb einige dafür und andere dagegen sind, und benutzen nicht diese eingestanzten Schablonen, nach denen die Diskussion bisher meines Erachtens ein bißchen abläuft.
Wir haben natürlich Harmonisiserungsbedarf in der Frage der sozialen Verhältnisse, aber auch im Verhältnis zwischen den Absichten und den Vorschriften, die schon vorhanden sind einerseits sowie zwischen der Kontrolle und der Umsetzung der Ergebnisse andererseits. Da sind ja die großen Schwierigkeiten und die großen Unterschiede zu finden.
Wir haben ja große Differenzen, denn es bestehen Wettbewerbsverzerrungen im Bereich der fiskalischen Abgaben. Das flackert für den Laien immer nur dann auf, wenn es um Autobahnbenutzungsgebühren oder Maut oder ähnliche Dinge geht. Dahinter stehen ja aber - die Fachleute wissen das - die ganz erheblichen Unterschiede bei der Mineralöl- und bei der Kraftfahrzeugsteuer; das ist das, was so schwierig ist und was abgebaut werden muß. Niemand hat bisher den richtigen Weg dafür gefunden. Wir meinen es ernst damit.
Auch hier will ich dem Verkehrsminister Dank dafür sagen - auch wenn das mitunter unpopulär klingt, ja, fast antieuropäisch wirken könnte -, daß er es beim letzten Mal, von Italien und Frankreich unterstützt geschafft hat, voreilige Schritte in Richtung dieser dann allerdings sogenannten Harmonisierung zu verhindern, weil wir dabei die einzigen gewesen wären, die unter die Räder gekommen wären. Das heißt - ich will das hier noch einmal bekräftigen - : Harmonisierung muß mit Liberalisierung einhergehen; das gilt umgekehrt in der gleichen Weise. Diese Abhängigkeit muß immer wieder deutlich werden. Aber wir wissen, daß wir da nicht unbedingt in der stärksten Position sind und daß die Dinge für deutsche Politiker gerade im Jahr der deutschen Präsidentschaft sicher nicht einfacher werden.
Ich will aber auf der anderen Seite, damit kein zu düsteres Bild gemalt wird, auch durchaus darauf hinweisen, daß wir ja schon vernünftige Fortschritte erzielt haben, wenn ich z. B. daran denke, daß Maße und Gewichte, daß beispielsweise Achslasten schon vereinheitlicht sind, d. h. daß wir uns im technischen Bereich immer mehr annähern. Eine der Entschließungen, die hier heute vorliegt, hat ja auch einen technischen Vorgang zum Inhalt. Wir haben im Ausschuß mehrheitlich entschieden, daß wir uns dem angleichen, was unsere Nachbarländer für richtig halten. In diesem Antrag geht es um die Ausmaße von Kühlwagen, um das einmal denjenigen zu sagen, die die Unterlage nicht gelesen haben. Es ist wichtig, daß wir in dieser Frage nicht auseinanderfallen, daß wir uns in dem technischen Bereich - hier müßte es eigentlich am leichtesten sein - finden, daß wir ein hohes Maß
der Angleichung bei Sozialvorschriften, was Lenkzeiten, Ruhezeiten und andere Dinge angeht, haben und daß wir unsere europäischen Partner nach wie vor dafür gewinnen müssen, daß sie in der gleichen Weise wie wir, wir etwas weniger als die anderen oder sie etwas weniger als wir, kontrollieren. Das ist das große Problem dabei. Es ist einem deutschen Unternehmer und deutschen Mitarbeitern in deutschen Unternehmen einfach nicht zuzumuten, daß es zwar gleiche Gesetze gibt, aber daß ihre Kollegen im Ausland eben nicht oder ganz selten einmal kontrolliert werden, also daß Verstöße, die immer wieder vorkommen, hier geahndet und da nicht geahndet werden. Das ist ein Problem, über das man mit den europäischen Partnern offen reden kann und muß.
Das gleiche gilt natürlich für die Steuer, meine Damen und Herren. Wir sind hier in einer schwierigen Situation. Ich will das nur an dem Beispiel aufzeigen, daß wir unsererseits - auch intern - nicht über das Geld anderer Leute verfügen sollten. Es gibt den alten Vorschlag der FDP, den ich gerade in diesem Zusammenhang für sehr vernünftig halte, viele Dinge über die Abschaffung der Kraftfahrzeugsteuer zu regeln. Das ist eine unbürokratische Lösung. Damit wäre unter Umständen ein Personalabbau verbunden. Es gäbe im europäischen Maßstab eine große Erleichterung. Wir brauchen natürlich die Kompensation über die Mineralölsteuer; darüber sind wir uns klar. Aber ich weiß auch, daß das, was wir auf nationaler Ebene nicht schaffen, natürlich auch auf internationaler Ebene nicht so einfach umzusetzen ist. Deshalb müssen wir uns bemühen, hier andere Wege zu finden, über die Mineralölsteuer, über die Kraftfahrzeugsteuer. Nur müssen wir wissen, daß wir bei der Kraftfahrzeugsteuer über eine Ländereinnahme reden, deren Ertrag nicht ohne weiteres auf dem europäischen Markt abzugeben ist, und daß wir nur bei der Mineralölsteuer über unsere eigenen Einnahmen, über die Einnahmen des Bundes, reden. Wir haben also auch hier noch kein Patentrezept gefunden.
Nur, ich denke, es geht auf die Dauer nicht an, daß die bundesdeutschen Kraftfahrer über Maut und Autobahngebühren gemolken werden, daß also andere Länder Einnahmen daraus ziehen und umgekehrt an unseren Wegekosten so gut wie überhaupt nicht beteiligt sind.
({2})
Hier muß man sich noch vorbehalten, daß wir auch zu nationalen Lösungen kommen, wenn es nicht gelingt, in absehbarer Zeit internationale, europäische Gemeinsamkeiten zu entwickeln. Aber wir sind uns darüber klar, daß der Wegekostenanteil bei der Suche nach einem Gesamtkonzept wohl die entscheidende Rolle spielen wird.
In dem Zusammenhang ist das Territorialitätsprinzip zu nennen. Die Kommission hat in dem Entwurf vom Dezember ja einen entsprechenden Vorschlag gemacht. Danach soll jeder - das ist von der Idee her logisch und zu begrüßen - an den von ihm tatsächlich verursachten, am jeweiligen Ort entstehenden Kosten beteiligt werden. Es soll nicht nur das Nationalitätsprinzip gelten, was zur Folge hätte, daß jeder seinen Pkw oder seine Lkw gerade dort eintragen läßt, wo es am billigsten ist. Das wäre ja am Ende
sowieso die Folge. Zum Teil haben wir es jetzt schon, etwa bei der Schiffahrt das Ausflaggen. Das Ausflaggen gibt es ja inzwischen auch auf der Straße. Insofern würde das Territorialitätsprinzip dem entgegenwirken.
Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich, Herr Minister, auch für die weiteren Überlegungen, die wir ja im Ausschuß anstellen müssen: So ganz begeistert bin ich davon nach wie vor nicht. Was so logisch und so gerecht aussieht, ist natürlich auf der anderen Seite wohl mit einem geradezu wahnsinnigen bürokratischen Aufwand verbunden, zumal wenn ich höre, woran gedacht wird: an Induktionsschleifen und daran, das vielleicht durch Satelliten zu erfassen und irgendwelche Anstalten herunterzuspielen, um den Ausgleich zu schaffen. Das ist ja kein Zukunftsgemälde, sondern es ist Realität, im Verkehrsbereich so zu denken. Da graust es mir ein bißchen davor, wenn dieses an sich so vernünftige Prinzip so bürokratisiert umgesetzt werden sollte.
Auf der anderen Seite meine ich - lassen Sie mich das noch sagen - , wir sollten nicht zu ängstlich sein. Wir haben keinen Grund, der europäischen Öffnung entgegenzuwirken. Die Qualität des deutschen Verkehrsgewerbes ist anerkanntermaßen weltweit so hervorragend, daß es durchaus mit Mut und Zuversicht in den Wettbewerb gehen kann. Es ist ja nicht so, daß die anderen alle besser wären. Ich will keine Zeugnisse ausstellen, aber ich glaube, wir sind alle davon überzeugt, daß unsere deutschen Verkehrsunternehmer diesen Wettbewerb nicht zu scheuen haben. Das heißt, daß dieser europäische Markt auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine große Chance für das deutsche Verkehrsgewerbe bietet. Da sollten wir unseren Unternehmern und Mitarbeitern im Verkehrsbereich Mut machen. Wir sollten sie stärken und, soweit es Politik tun kann, die notwendigen Voraussetzungen für einen solchen freien Austausch in Europa schaffen.
Ich bin ganz sicher, daß wir auf dem richtigen Weg sind, daß wir es schaffen werden und daß wir uns um vernünftige und faire Bedingungen bemühen können.
Ich sage es für die Freien Demokraten: Wir sind durchaus bereit, da auch Kompromisse zu schließen, weil man auch hier nicht mit dem Kopf durch die Wand kann und weil man hier nicht allein die Wahrheit gepachtet hat und nicht allein die Maßstäbe setzen kann. Aber das Ganze muß fair in Übereinstimmung aller Europäer geschehen. Dazu sind wir bereit. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Brahmst-Rock.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den allgemeinen Reden zu Europa wird oft und gern von einem Europa der Zwölf, einem Europa der Bürger, von einem grenzenlosen Europa gesprochen.
In der kurzen Zeit, die ich hier als Abgeordnete tätig bin, ist mir eine ganze Reihe von EG-Vorlagen auf den Tisch gekommen. Dazu gehörten Verordnungen über die Schadstoffgrenzwerte bei diesel- und benzinbetriebenen Kraftfahrzeugen, die Änderung der Breiten für Kühlfahrzeuge, die Verzerrung der Wettbewerbsbedingungen und vieles andere. Mit einem Teil davon haben wir uns heute hier zu befassen.
Alle diese Vorlagen zeichnen sich durch eine Gemeinsamkeit aus: die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Von einem Europa der Bürger ist dabei nichts zu merken, viel aber von einem Europa der Konzerne und Wirtschaftsinteressen,
({0})
von zentralisierter Verwaltung und Umweltzerstörung.
({1})
Lassen Sie mich an einem Beispiel verdeutlichen, wohin die Reise geht. Der Kollege Gries erwähnte soeben schon die Änderung der Breiten von Kraftfahrzeugen. Dazu gibt es die Richtlinie des Rates 85/3 EWG über die Gewichte, Abmessungen und bestimmte technische Merkmale bestimmter Fahrzeuge des Güterkraftverkehrs. Dahinter verbergen sich in der Tat die spannende Frage und der Wunsch der Fahrzeugnutzer, bei Kühlfahrzeugen künftig eine Breite von 2,60 m zuzulassen statt 2,50 m wie bisher.
Das könnte man, wenn man es so liest, für ein absolut nachgeordnetes, dritt- bis viertrangiges Problem halten und sagen, daß die Seligkeit dieser Erde nicht an 10 cm mehr oder weniger hängt.
({2})
Tatsächlich ist es ein Einstieg in eine allgemeine EGweite Erweiterung von Maßen und Gewichten bei Lkw. Denn wenn wir eine Lkw-Breite von 2,60 m bei Kühlfahrzeugen gestatten, werden andere Transportbereiche kaum einsehen, daß sie nur mit 2,50 m breiten Lkw fahren dürfen. 10 cm mehr an Breite bedeuten aber gleichzeitig zusätzliche Ladekapazitäten. So wird der Antrag auf Heraufsetzung der Höchsttonnage nicht lange auf sich warten lassen.
Besonders kraß und umweltschädigend ist aber das, was unter dem Stichwort Liberalisierung und Vollzug des Binnenmarktes bis 1992 auf uns zurollt. Die Vorlage zur Liberalisierung und Eröffnung der Kabotagemöglichkeiten im Bereich des Personenbeförderungsgewerbes sind der Anfang. Erkannt wird das, was unter diesem Stichwort auf uns zukommt, in allen Fraktionen dieses Hauses. Nur das Handeln ist höchst unterschiedlich und widerspricht teilweise dem, was öffentlich vertreten wird.
Das Motto des EG-Binnenmarktes könnte ein Slogan des ADAC sein: Freie Bürger im freien Europa bekommen freie Fahrt, ungebremst; oder EG-vornehm ausgedrückt: harmonisiert. Harmonisiert auf dem niedrigsten Niveau werden so lästige Dinge wie Tarif- und Sozialvorschriften und Kontrollen von Lkw und Ladung.
Wie wichtig gerade dieser Bereich ist, zeigt der Skandal um die Atomwirtschaft, um Nukem und
Transnuklear, der nicht zuletzt auch ein Skandal im Transportgewerbe ist.
({3})
Schon heute müssen wir uns fragen: Was passiert durch die Freigabe der Dienstleistungen? Auf welchem niedrigen Niveau soll diesmal der Kompromiß gefunden werden?
Nach der Grenzenlosigkeit wird die Schlacht um den Markt losgehen. Die Anbieter mit der geringsten Vorbelastung durch Steuern und Kosten werden im Vorteil sein und ihn auch nutzen. Die kleineren bundesdeutschen Anbieter werden, um überleben zu können, Aufträge auch noch zu Grenzkosten oder Fixkosten übernehmen müssen und auch übernehmen. Das geht dann zwangsläufig zu Lasten der technischen Bedingungen und der Arbeitsbedingungen der Fahrer. Denn ausschließlich in diesen Bereichen kann noch eingespart werden.
Das heißt dann in der Praxis: Lkw werden nicht mehr so oft gewartet, Reifen nicht mehr so oft gewechselt, die Kontrollen der Bremsen werden ein bißchen verschoben, dafür werden die Ladungsgrenzen ein bißchen, um ein bis drei Tonnen, überschritten. Schon heute zeichnen sich Bestrebungen ab, die Lenkzeiten nach oben zu verändern. Beachtet, eingehalten und kontrolliert werden sie dann wohl noch weniger als heute.
Da braucht es nicht viel Phantasie, sich folgendes vorzustellen: Ein mit Gefahrgut überladener Lkw, dessen Fahrer übermüdet und/oder dessen Bremssystem nicht ganz so in Ordnung ist, knallt in einen der täglichen Staus. Giftwolken und Gewässerverschmutzung sind grenzenlos, heute wie 1992.
Hinzu kommt, daß sich der Wettbewerb auf einigen wenigen Relationen abspielen wird. Dort werden, bedingt durch hohes Transportaufkommen, die niedrigsten Frachtraten gezahlt werden. Das werden die Kräfte des freien Marktes schon regeln.
Der ländliche, strukturschwache Raum, den Sie mit all Ihren Straßenbauprojekten der letzten Jahre und Jahrzehnte fördern wollten, wird nur mit relativ hohen Frachtraten bedient werden können. Denn es glaubt doch sicherlich niemand in diesem Hause daran, daß nach 1992 die Tarife des RKT aufrechterhalten werden können; bestenfalls wird der Ausnahmetarif die Regel sein.
Wenn es heute zum Teil wegen des schlechten Angebots im öffentlichen Personennahverkehr nur unbequem ist, auf dem Land zu leben, wird es ab 1992 auch teurer. Das Gefälle zwischen armen und reichen Regionen wird weder im eigenen Land noch in der EG aufgehoben werden, im Gegenteil, es wird verschärft. Die reichen Staaten der EG betrachten die ärmeren, die Habenichtse, doch längst als Billigproduktionsstätten, als die mit den miesen Sozialvorschriften, Tarifen und Umweltgesetzgebungen - oder mit den günstigen, je nach Standpunkt des Betrachters.
Rentabel wird diese Verschieberei von Arbeitskraft und Profiten erst durch die Tatsache, daß Verkehrsleistungen schon heute zu Schleuderpreisen angeboten werden.
Die europäische Arbeitsteilung, wie das so schön verharmlosend heißt, sieht so aus. Irische Stoffe werden per Lkw nach Spanien geliefert, damit dort aus ihnen Bezüge für Autositze hergestellt werden. Diese Sitze werden in die Bundesrepublik transportiert und dort in Pkws eingebaut.
Na gut, werden Sie sagen. Aber eben nicht gut. Denn die Sitzproduktion von Opel in Rüsselsheim wurde erst kürzlich von der Bundesrepublik nach Spanien verlegt, weil die Sitze dort ein paar Mark billiger hergestellt werden können. Diese Produktionsweise, gestützt durch billige Transportleistungen, beschert den Herren der Opel-AG einen besseren Gewinn, den Arbeitnehmern in Rüsselsheim aber einen Verlust, nämlich den ihrer Arbeitsplätze.
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Ein weiteres schlimmes Beispiel sind die Gefahrguttransporte. Solange es billiger ist, Giftstoffe in einem anderen Land zu entsorgen, statt auf deren Vernichtung am Ort des Gebrauchs zu bestehen, andernfalls aber die Benutzung oder Herstellung zu verbieten, so lange wird es grenzenlose Gefahrguttransporte geben, mit all ihren Risiken für Mensch und Umwelt. Die Atommülltransporte, die bislang offensichtlich unkontrolliert quer durch Europa liefern, sind hierfür ein besonders unrühmliches Beispiel. Dieser Skandal zeigt auf, wie eine Entsorgung im Sinne der Atomlobby aussieht und wie sie unter tätiger Mithilfe einiger Transporteure möglich ist. Die giftigsten Produkte menschlichen Handelns werden, statt sie zu beseitigen, was ja eh nicht möglich ist, oder wenigstens sicher zu lagern, wie uns jahrelang auf jeden Einwand erzählt wurde, auf Lkw oder Schiene gepackt und europaweit hin- und hertransportiert, sozusagen in Warte- und Verschiebeschleifen. Die Straße ersetzt das nicht vorhandene Endlager. Strahlende Zeiten rollen da auf uns zu.
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Lassen Sie mich auf einen weiteren Aspekt des Vollzuges des Binnenmarktes hinweisen, nämlich die negative Auswirkung der Liberalisierung auf die Eisenbahn. Durch die Europäisierung des Lkw kommt es zu einer weiteren Wettbewerbsverschärfung zuungunsten insbesondere der deutschen Bahn. Mit der sich abzeichnenden Harmonisierung und ihrer Auswirkung auf die Bahn wird diese weiter verdrängt. Die Defizite werden vergrößert. Die Zeche zahlt der Steuerzahler, wie immer doppelt und dreifach: durch die Abdeckung des Defizits, durch höhere Umweltbelastung, durch höhere Kosten im Bahnbereich. Nachdem sich die Bahn bereits im Personennahverkehr aus der Fläche zurückgezogen hat, wird sie das auch für den Güterverkehr tun. Die ersten Schritte dazu sind bereits eingeleitet. Was bleiben wird, ist eine Rumpf- und Schrumpfbahn, die nur noch die größeren Wirtschaftszentren verbindet.
Nun könnten Sie meinen Beitrag so interpretieren, daß die GRÜNEN in die Zeiten der Nationalstaaten
zurückwollten, in die Zeiten vor dem Deutschen Zollverein. Das allerdings wäre eine Fehlinterpretation.
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- Ja, das sagen sie immer so gerne. Aber wir wollen noch nicht einmal vor 1864 zurück. - Wir wollen das Europa der Bürger, nicht das der Profitinteressen einiger weniger.
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Wir möchten, daß die Kosten für die ökonomischen und sozialen Folgen einer möglichen Deregulierung des Verkehrsmarktes schon heute berücksichtigt werden, damit wir im Jahre 2000 im Verkehrsgewerbe nicht die gleichen Notstände haben wie heute bei den Landwirten und bei den Stahlarbeitern.
Vor dem Vollzug des Binnenmarktes fordern wir: den Schutz der Eisenbahn, die Harmonisierung der Straßensteuern auf der Grundlage des Territorialprinzips; die Angleichung der europäischen Transportvorschriften darf nicht zu einer Verringerung der Verkehrssicherheit führen; keine weitere Liberalisierung ohne Harmonisierung. Die heute hier zur Verabschiedung anstehenden Vorlagen sind Anfänge dieser Deregulierung. Sie leiten eine Entwicklung ein, der wir nicht zustimmen können und wollen.
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Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Verkehr.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes ist ein entscheidender Schritt zur Festigung und Stärkung der Stellung Europas in der Welt. Weit über die Wirtschaft hinaus hat der Binnenmarkt Bedeutung für das politische Gewicht Europas. Das Zusammenwachsen der Gemeinschaft nach innen wird unumkehrbar. Die Anziehungskraft der Gemeinschaft nach außen und damit ihre Leistungsfähigkeit für ganz Europa wächst. Deshalb ist der gemeinsame Binnenmarkt Schwerpunkt für den deutschen Ratsvorsitz im Jahre 1988.
Ein solches Ziel ist nicht zum Null-Tarif zu erreichen. Es rechtfertigt außergewöhnliche Anstrengungen und die Bereitschaft zum Strukturwandel, zu einem Strukturwandel, der sich zwar leicht aussprechen läßt, der aber oft auch bis an den Kern der Existenz gehen kann. Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Aber bitte, diese Späne dürfen nicht nur bei uns fallen, nicht nur zu Lasten der Bundesrepublik Deutschland.
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Das ist der Grund, weshalb ich im Dezember drohende Fehlentscheidungen in Europa gestoppt habe, Fehlentscheidungen zu Lasten der deutschen Verkehrswirtschaft, Fehlentscheidungen auch zu Lasten der Umwelt.
Die Vorstellungen unserer europäischen Partner gingen weit. Der Vorschlag der dänischen Ratspräsidentschaft hatte zum Ziel, die Gemeinschaftskontingente fünf Jahre hintereinander jährlich um 40 % zu erweitern und ab 1993 alle mengenmäßigen Beschränkungen aufzuheben.
Meine Damen und Herren, alle übrigen Delegationen - außer der der Bundesrepublik Deutschland - waren bereit, diesem Vorschlag zuzustimmen. Für die Bundesregierung kam eine Zustimmung nicht in Betracht. Ohne erkennbare Schritte zur Angleichung der Wettbewerbsbedingungen werden die deutschen Verkehrsunternehmen mit zerstörerischer Konkurrenz überzogen, muß es zu Firmenzusammenbrüchen, muß es zum Verlust von Arbeitsplätzen kommen, wird die künftige Rolle der Deutschen Bundesbahn durch eine ruinöse Konkurrenz auf einer nicht kostengerechten Grundlage in schwere Mitleidenschaft gezogen. Ich möchte den Regierungen von Frankreich und von Italien auch hier den Dank der Bundesregierung dafür sagen, daß sie an unserer Seite gestanden und diese Entwicklung mit ihrer Hilfe im Dezember verhindert haben.
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Ich sage es auch hier noch einmal: Es geht nicht an, daß ausländische Lastkraftwagen mit einer Deckung ihrer Wegekosten von nur 9 % auf unseren Straßen dahinrollen und auf dieser Grundlage europäische Liberalisierung betrieben werden soll.
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Dieser heutige Sachverhalt ist eine De-facto-Subvention der ausländischen Lastkraftwagen, unzumutbar für unsere Verkehrswirtschaft, unzumutbar aus Gründen des Haushalts und der Ordnungspolitik, unzumutbar aber auch unter dem Gesichtspunkt des Umweltschutzes.
Ich sehe auch, daß eine Abschaffung der Straßenbenutzungsgebühren, mit denen unser Fuhrgewerbe und übrigens natürlich auch unsere privaten Fahrzeughalter im Ausland zusätzlich zur Kasse gebeten werden, unseren Partnerstaaten nicht möglich ist und in dem Zeitraum, in dem wir über eine Liberalisierung im Binnenmarkt zu befinden haben, nicht kommen wird. Es geht aber nicht an, daß wir ein Straßennetz, um das uns die übrigen Länder beneiden, kostenlos zur Verfügung stellen und dann bei unseren Nachbarn erneut zur Kasse gebeten werden.
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Deshalb begrüße ich es, daß die Kommission - entgegen den Vorstellungen, mit denen ursprünglich auch wir an den Binnenmarkt herangegangen waren und die freiheitlicher gewesen wären als die der Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren - nun in einem neuen Vorschlag zur Beseitigung steuerlicher Wettbewerbsverzerrungen die Straßenbenutzungsgebühr nicht nur einbezieht, sondern sie zum eigentlichen Instrument macht, diese Wettbewerbsgleichheit herzustellen.
Ich stimme Ihnen zu, Herr Kollege Gries: Begeisterung für einen solchen Vorschlag kann von uns nicht verlangt werden. Angst vor Induktionsschleifen hätte ich übrigens auch nicht. Ich gehe davon aus, daß auch die FDP der modernen Elektronik, Datenverarbeitung und Datenübermittlung ohne Berührungsängste gegenübersteht. Ich bin sicher, daß wir hier einen Weg finden werden, etwas Marktwirtschaftskonformes und gleichzeitig eine ungehinderte Grenzquerung Ermöglichendes zu konstruieren.
Nur, meine Damen und Herren: Dieser Vorschlag enthält Ansatzpunkte für zukunftsweisende Lösungen. Wir werden die Zeit unserer Präsidentschaft nutzen, um diesen Ansätzen nachzugehen. Wenn aber Europas Mühlen zu langsam mahlen, dann müssen wir auch nationale Lösungen in Betracht ziehen, um auf dem Weg zum Gemeinsamen Markt nicht einseitig zu liberalisieren und mit der Angleichung der Wettbewerbsvoraussetzungen auf der Strecke zu bleiben.
({4})
An die deutsche Verkehrswirtschaft, d. h. sowohl an den Straßengüterverkehr als auch und gerade an die Bundesbahn, appelliere ich: Stellen Sie sich dem Strukturwandel, ergreifen Sie die Chancen, die Ihnen Europa auch bietet. Seien Sie nicht kleinmütig!
Wir werden von der Bundesregierung aus die deutsche Präsidentschaft nutzen, um Lösungen zu finden, die die Interessen aller Partner respektieren. Wir werden dabei die Blicke unserer Partner insbesondere auf den Schutz der Umwelt im europäischen Gemeinsamen Markt lenken.
Frau Kollegin Brahmst-Rock, eines haben Sie hier vergessen, nämlich zu sagen, daß es die Bundesregierung ist, die in Fragen des gemeinschaftlichen Umweltschutzes Speerspitze und Rammbock gewesen ist, um den Katalysator voranzutreiben, um die Entschwefelung und Entstickung voranzutreiben und dafür zu sorgen, daß bleifreies Benzin eingeführt wird.
({5})
Das war so, und das wird auch während der deutschen Präsidentschaft so sein. Das wird auch in Zukunft so bleiben.
Wir sorgen dafür, daß Rahmenbedingungen vorhanden sind, innerhalb deren sich dann Marktwirtschaft entfalten kann.
Zu Ihrer Aussage, daß Sie Gefahren sehen, daß Arbeitsplätze aus Deutschland in ärmere Länder der Gemeinschaft verlagert werden, kann ich nur sagen: Oh, ihr Eigensüchtigen; aber auch: Oh, ihr Kurzsichtigen! Wir werden nämlich unsere Stellung als stärkstes Exportland nicht behalten, wenn wir nicht bereit sind, uns einem Strukturwandel dergestalt zu stellen, daß das, was bei uns kostengünstig und wettbewerbsfähig produziert werden kann, zu uns verlagert wird, während andere Dinge, bei denen wir auf dem Weltmarkt anderen unterlegen sind, dorthin gegeben werden, wo andere Menschen in der Europäischen Gemeinschaft Arbeit und Brot brauchen.
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Ein bißchen mehr Solidarität wünsche ich den GRÜNEN auf dem Weg nach Europa.
({7})
- Sie müßten sich einmal in der Welt umsehen, wie
die Verhältnisse auch nur in den anderen Ländern der
Europäischen Gemeinschaft im Vergleich zu der Bundesrepublik Deutschland sind; von weiteren Gegenden will ich gar nicht reden.
({8})
Dann würden Sie das etwas wirklichkeitsnäher beurteilen und auf dem Boden der Tatsachen bleiben.
({9})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gilt, alle Verkehrsträger und Verkehrswege zu nutzen, damit das weiter steigende Verkehrsaufkommen so sicher und so umweltfreundlich wie möglich befördert werden kann. Wichtig ist vor allem ein vernünftiges Verhältnis von Schiene und Straße. Die Eisenbahnen sollen im innergemeinschaftlichen Verkehr mittelfristig einen größeren Anteil am Zuwachs des Verkehrs übernehmen.
Herzstück eines europäischen Schnellbahnnetzes ist nach unserer Vorstellung die Magistrale ParisBrüssel-Köln mit weiterer Fortsetzung nach dem Osten. Die Beschleunigung und Vereinfachung des grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehrs wird aber in allen Teilen der Gemeinschaft nötig sein. Die deutsche Präsidentschaft wird sich bemühen, diesen Fortschritt auch zu erzielen.
({10})
Die Schiene stärker am Transportaufkommen zu beteiligen, meine Damen und Herren, bedeutet besonders auch eine Lösung der Probleme im alpenquerenden Verkehr. Auch dieses wird für den deutschen Ratsvorsitz ein Schwerpunkt sein.
Die Europäische Gemeinschaft muß sich bewußt bleiben, daß sie nur ein Teilstück Europas ist, das Teilstück, in dem sich der große Teil der freien Staaten Europas befunden hat. Mit der Schaffung des gemeinsamen Binnenmarktes werden wir unserer Verantwortung gegenüber dem ganzen Kontinent gerecht. Deshalb wird für die Bundesregierung und für die Bundesrepublik Deutschland der Verkehrsmarkt über die fachlichen Belange hinaus ein Beitrag sein, Europa als Ganzes näher zusammenzubinden und in seiner Unverwechselbarkeit zu stärken.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Niese.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Ein Gespenst geht um in Europa: Liberalisierung ohne Harmonisierung." Ich glaube, treffender als die „Verkehrsrundschau" im November 1987 kann man es nicht zum Ausdruck bringen. Das Dilemma der EG-Verkehrspolitik liegt eben in der schrittweisen Vollziehung der Liberalisierung ohne gleichzeitige und gleichgewichtige Harmonisierung der Wettbewerbsverzerrungen. Dem Verkehrsminister ist es bislang nicht gelungen, Harmonisierung und Liberalisierung in Einklang zu bringen. Auch Ihre heutigen
Deutscher Bundestag - 1 1. Wahlperiode Dr. Niese
Ausführungen, Herr Bundesverkehrsminister, bewegen mich nicht dazu, diese Beurteilung abzuändern.
({0})
Deutsche Interessen werden einseitig auf dem europäischen Altar geopfert. Oder sollen wir es etwa als Fortschritt ansehen, daß sich der EG-Verkehrsministerrat in Sachen Regelung des Gemeinschaftskontingentes bis auf weiteres vertagt hat? Ist tatsächlich die Gefahr des Automatismus der jährlichen Aufstockung der Gemeinschaftskontingente um 40 % gebannt? Ich sage nein.
Notwendig und wichtig ist aber, daß wir auch bei einem europäischen Binnenmarkt eine Kapazitätssteuerung haben, um ruinösen Wettbewerb zu verhindern.
({1})
Bevor wir uns überhaupt einen freieren Marktzugang leisten können, muß die Bundesrepublik ihren europäischen Partnern erst noch Harmonisierungsschritte auf den Feldern Steuervorschriften, Sozialvorschriften und technische Vorschriften abringen. Die Kontrolle der Einhaltung dieser Vorschriften muß endlich vereinheitlicht werden. Verstöße, vor allem gegen die Sozialvorschriften, müssen, wenn wir deutschen Transportunternehmen nicht weiter Wettbewerbsnachteile auf dem europäischen Verkehrsmarkt zumuten wollen, einheitlich sanktioniert werden, Ich kann mir keinen funktionierenden Wettbewerb im europäischen Verkehrsmarkt vorstellen, wenn die deutsche Kfz-Steuer und die Steuer für Dieselkraftstoff weiterhin im europäischen Vergleich Spitzenreiter bleiben.
Herr Verkehrsminister, auch Sie haben die unterschiedlichen Wegekostenbelastungen anerkannt. Warum ergreifen Sie dann aber nicht die Möglichkeiten, die Sie für nationale Politik haben?
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Greifen Sie unseren Vorschlag der Schwerverkehrsabgabe auf, und Sie beseitigen einen Teil der Wettbewerbsnachteile für die deutschen Transportunternehmen. Hier sind Sie gefordert.
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Gerade was diese Wettbewerbsverzerrungen anbetrifft, die ich eben geschildert habe, möchte ich als Hamburger Abgeordneter darauf hinweisen, daß auch hieraus erhebliche Nachteile für unsere deutschen Seehäfen entstehen.
({4})
Es verwundert ja nicht, wenn bei diesen Wettbewerbsnachteilen die Waren ihren Weg über die sogenannten ARA-Häfen nehmen, also z. B. Rotterdam, und dann auch der Seehafenhinterlandverkehr dort von z. B. holländischen Verkehrsunternehmen bedient wird - zu Lasten unserer Verkehrsunternehmen.
Ein weiterer Punkt sind die Sozialvorschriften. Zwar sind sie in Europa auf dem Papier vereinheitlicht, z. B. Lenk- und Ruhezeiten, aber die Anwendung dieser Vorschriften, die Überwachung und die Ahndung von Verstößen wird unterschiedlich streng
gehandhabt. In keinem Staat der EG werden diese Vorschriften strenger überwacht - das muß zugegeben werden - als in der Bundesrepublik. Dies ermöglicht aber ausländischen Transportunternehmen, die teilweise einer weniger strengen Überwachung unterliegen, weitere Wettbewerbsvorteile. Endlich müssen unserer Auffassung nach die nationalen Überwachungsbehörden international koordiniert werden, damit eine Gleichbehandlung und damit auch Gleichbelastung der Transportunternehmen gewährleistet ist.
Die strikte Anwendung der allgemein anerkannten Sozialvorschriften muß daher von allen EG-Staaten sichergestellt werden.
Natürlich besteht weiterhin ein Harmonisierungsbedarf im Bereich der technischen Vorschriften. Die strenge Überwachung der Einhaltung der technischen Vorschriften und Standards, wie sie z. B. in der Bundesrepublik und in Belgien praktiziert wird, muß europaweit vereinheitlicht werden. Gleichwohl darf aus verkehrssicherheitstechnischen Erwägungen an den bundesdeutschen Vorschriften und Standards keine Abschwächung vorgenommen werden. Vielmehr müssen diese zur EG-Norm werden. Die Bundesregierung muß gerade bei einer deutschen EG-Präsidentschaft unsere Interessen im Verkehrsministerrat, was die Verkehrspolitik anbetrifft, mit besonderem Nachdruck vertreten.
Ich glaube, die Unfallkatastrophe von Herborn, über die wir in der vergangen Woche diskutiert haben, hat jedermann vor Augen geführt, welchen Stellenwert technische Vorschriften z. B. in dem Bereich der Gefahrguttransporte haben. Die im Vergleich hohen deutschen Sicherheitsstandards müssen dennoch ständig weiterentwickelt und dann auch in verbindliches EG-Recht umgesetzt werden.
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Auf Grund unseres dichten Straßenverkehrsnetzes und der starken Frequentierung unserer Autobahnen und Straßen durch ausländische Lastkraftwagen ist die Festlegung, Durchführung und Kontrolle einheitlicher technischer Vorschriften auf EG-Ebene auch von höchster nationaler Priorität.
Die Verwirklichung all dieser Harmonisierungsschritte auf steuerlichem, technischem und arbeitsschutzrechtlichem Gebiet halte ich für dringend geboten. Jedoch meine ich, daß jede Angleichung von Vorschriften unseren ureigensten Interessen nicht entgegenstehen darf.
Jetzt möchte ich auf die mehrheitlich gefaßte Beschlußempfehlung des Verkehrsausschusses auf Drucksache 11/1007 eingehen. Wenn wir dieser Beschlußempfehlung folgten, die höchstzulässige Breite der Kühlfahrzeuge von 2,50 auf 2,60 Meter zu erhöhen, wäre eine solche Änderung nun gerade ein klassisches Beispiel dafür, welche Harmoniserungsschritte wir uns nicht vorstellen.
Sie, Herr Verkehrsminister, haben auf der Ministerratstagung im Dezember Ihre Zustimmung in dieser Frage signalisiert. Wir können uns aber einer solchen Entscheidung nicht anschließen, weil wir sie weder für notwendig noch für verkehrspolitisch sinnvoll hal3906
ten. Wir teilen in dieser Frage die Auffassung des Bundesrates; denn wir befürchten, daß wir zu immer breiteren und größeren Kraftfahrzeugen kommen. Nun wird argumentiert, auf Grund technischer Gegebenheiten der Isolation und Luftzirkulation müßten diese Kühlfahrzeuge bei den genormten Paletten, die da sind, die Außenbreite von 2,60 Meter haben. Aber auch in anderen Bereichen des Warentransportes gibt es genormte Paletten, gibt es Container, und hier ist die Verkehrswirtschaft in der Lage, mit einer Innenbreite von 2,30 Meter auszukommen. Ich kann nicht begreifen, warum die Wirtschaft nicht auch in der Frage der Kühlfahrzeuge in der Lage ist, mit den jetzt höchstzulässigen Breiten auszukommen.
Die Folge ist doch - und das ist das Entscheidende dabei -, daß unsere Straßen vor allem im kommunalen Bereich doch auf die jetzt höchstzulässigen Breiten ausgelegt sind. Wenn Sie jetzt also größere Fahrzeugbreiten zulassen, werden wir dort, um den Verkehrsfluß, aber vor allen Dingen auch die Verkehrssicherheit zu gewährleisten, zu Ausbaumaßnahmen kommen, so daß diese Frage, die zunächst ziemlich unbedeutend scheint, doch erhebliche Auswirkungen auch auf unseren Verkehr haben wird. Wir sind der Meinung, daß wir diesen Trend auch an dieser Stelle stoppen sollten, immer breitere, immer größere Fahrzeuge zu bekommen.
Nebenbei graben wir damit der Bundesbahn weiter das Wasser ab. Ihre Aussage, einen Gleichklang zwischen Schiene und Straße zu erreichen - wir, ich glaube, alle Fraktionen im Parlament, sagen sogar: mehr Güter auf die Schiene -, diese Aussage wird doch zur Farce, wenn wir durch andere Maßnahmen die Möglichkeit, Güter auf der Straße zu transportieren, ausweiten. Deswegen wollen wir an dieser Stelle nicht mitmachen. Auch die umweltpolitischen Belastungen, die durch größere, breitere Fahrzeuge auf unseren Straßen entstehen, müssen an dieser Stelle bedacht werden.
Das angebliche Harmonisierungskonzept der Bundesregierung im Verkehrsbereich - das möchte ich zum Schluß zusammenfassend feststellen - stellt sich wie folgt dar. In den Bereichen, in denen eine Harmonisierung wirklich notwendig wäre - ich habe ein Beispiel angegeben, wo mit einer nationalen Maßnahme ein Harmoniserungseffekt erzielt werden kann -, werden kaum oder gar keine Anstrengungen unternommen. In den Bereichen aber, die vordergründig und kurzfristig keinerlei finanzielle und sonstige Konsequenzen erfordern - ich hatte das mit den Fahrzeugbreiten geschildert - , werden leichtfertig Zusagen auf EG-Ebene durch den Bundesverkehrsminister gemacht, die sich bei näherer Betrachtung leicht als Bumerang erweisen könnten. Die Bundesregierung und der Verkehrsminister haben kein langfristig tragbares Konzept zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit bundesdeutscher Transportunternehmen. Die betriebene Verkehrspolitik ist volkswirtschaftlich teilweise unsinnig, ökologisch aber sehr bedenklich.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haungs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der europäische Binnenmarkt bedeutet für den deutschen Verkehrsmarkt einen Umbruch. Es soll ein freier Markt ohne mengenmäßige Beschränkungen werden, wie wir dies in einer Marktwirtschaft auf vielen Gütermärkten kennen. Es wird Abschied genommen von Konzessionen, Kontingenten, Tarifen und Verordnungen; Deregulierung und Liberalisierung stehen auf der Tagesordnung.
So ist es verständlich, daß im Verkehrsgewerbe Unruhe herrscht, da man sich auf eine neue Situation einstellen muß, die man aus dem betrieblichen Alltag gar nicht kennt. Freier Markt heißt, daß es keine quantitativen Beschränkungen geben wird und jeder Unternehmer Güterfernverkehr betreiben kann, der gewissen qualitativen Kriterien genügt. Die geschlossene Gesellschaft konzessionierter Unternehmer sollte in der Vergangenheit die Bahn schützen, was nicht gelang, und wird jetzt von Interessenverbänden - auch von Ihnen, von der SPD, Herr Daubertshäuser - mit dem Argument verteidigt, sie sei mittelstandspolitisch erforderlich. Das sehen viele bei uns, dies sehen vor allem unsere europäischen Nachbarn anders. Das politische Dilemma, meine Damen und Herren, besteht darin, daß die Bundesrepublik Deutschland, durch die Soziale Marktwirtschaft wohlhabend geworden, auf einem Teilmarkt wesentliche Elemente des Wettbewerbs, nämlich die freie Preisbildung und den Zugang zum Markt, in hohem Maße regulierte und verbürokratisierte.
Ein Hindernis auf dem Weg zur Integration des europäischen Binnenmarktes ist bis heute - dies wurde in der Debatte mehrmals angesprochen - die mangelnde Harmonisierung unterschiedlicher nationaler Regelungen vor allem fiskalischer Art, aber auch bei der Kontrolle der Sozialvorschriften oder bei den technischen Vorschriften. Der hohe technische Standard unserer Fahrzeuge im Personen- und Güterverkehr kostet Geld. Wir wollen aber nicht, daß unsere EG-Nachbarn zu günstigeren Preisen fahren können, weil an Sicherheitsprüfungen gespart wird.
({0})
Auch ohne Rechtsverpflichtung ist es für uns - dies ist eine Selbstverständlichkeit - unverzichtbar, die bestehenden Wettbewerbsverzerrungen schnell abzubauen. Wir müssen einen gemeinsamen europäischen Verkehrsmarkt schaffen und dabei - auch dies wurde mehrmals betont - Wettbewerbsbedingungen harmonisieren, um dem deutschen Verkehrsgewerbe eine faire Chance zu geben. Es kann also heute nicht mehr darum gehen, wie früher in der Diskussion öfter geäußert, vor allem mit unseren europäischen Nachbarn, die Existenz von Wettbewerbsverzerrungen erstmals zu leugnen. Wir haben die Untersuchungen der Kommission vorliegen, wir haben mehrere Gutachten, zuletzt von Prognos, über Ursachen, Ausmaß und Auswirkungen unterschiedlicher Wettbewerbsbedingungen im europäischen Binnenverkehr. Sie belegen eindeutig, daß die deutschen Fahrzeuge die höchste absolute wie relative Belastung durch staatliche Abgaben verzeichnen.
Der Hinweis des deutschen Transportgewerbes auf eine überproportionale Belastung wird durch Prognos bestätigt. Das bemerkenswerte Ergebnis dieses Gutachtens ist, daß für das deutsche Gewerbe internationale Transporte im Durchschnitt unrentabel sind, daß sich allerdings die Wettbewerbssituation durch die Abgabenharmonisierung wesentlich verbessern würde.
Daraus kann man folgern: Wenn die internationalen Transporte wegen niedriger Tarife einerseits und hoher Kosten des deutschen Standorts andererseits nicht kostendeckend zu betreiben sind, betreibt das deutsche Gewerbe heute eine Mischkalkulation mit den nationalen Transporten. Wenn wir jetzt beim Personen- und Güterverkehr Kabotage zulassen, d. h. daß nichtdeutsche EG-Unternehmen vorübergehend Transporte in der Bundesrepublik durchführen dürfen, so verschärft sich die Wettbewerbslage zu Lasten des deutschen Gewerbes.
Die EG-Kommission hat zu Beginn des Jahres eine Richtlinie vorgelegt, die sowohl die Steuerbelastungen in den EG-Ländern harmonisieren als auch das Problem der Wegekostendeckung einer Lösung zuführen soll. Sie zieht damit die Konsequenz aus einer 1986 vorgelegten Untersuchung über den Komplex der Kraftfahrzeug- und der Mineralölsteuern und der Straßenbenutzungsgebühren. Sie zieht aus ihrer Untersuchung die eindeutige Folgerung, daß sich durch die Schaffung eines freien Verkehrsmarktes ohne mengenmäßige Beschränkung bis 1992 die jetzt bestehenden Verzerrungen erheblich verschärfen würden. Deshalb müssen - so die Kommission - in der Zwischenzeit Maßnahmen ergriffen werden.
Genau dies ist unsere deutsche Position. Die Übergangszeit der nächsten Jahre darf nicht nur dadurch gekennzeichnet sein, daß mehr Kontingente verteilt werden, sondern durch nachprüfbare Harmonisierungsschritte müssen auf den im Orientierungsbeschluß der europäischen Verkehrsminister gemeinsam vereinbarten Feldern auch die entsprechenden Harmonisierungen durchgeführt werden.
Die Kommission hält das bisherige Prinzip der Besteuerung von schweren Nutzfahrzeugen für unangebracht. Sie glaubt, daß so wie bisher weder die Wegekosten gerecht angelastet noch die Wettbewerbsbedingungen fair gestaltet werden können. Deshalb schlägt die Kommission vor, ab 1992 vom bisherigen Nationalitätsprinzip der Besteuerung zum Territorialitätsprinzip überzugehen. Dies bedarf - und damit müssen wir sofort beginnen - einer intensiven Beratung, weil man für einen solchen entscheidenden Übergangsschritt Jahre benötigt.
({1})
Wichtig und unverzichtbar ist es für uns aber, in der Übergangszeit durch europäisch abgestimmte nationale Regelungen die Bedingungen so zu gestalten, daß z. B. durch Senkung der Lkw-Steuer oder durch die Einführung einer Straßenbenutzungsgebühr zur Abgeltung der Infrastrukturkosten Harmonisierungen möglich sind.
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All dies muß in dieser Übergangszeit so geregelt werden, daß sich die Verzerrungen, die wir alle heute
feststellen und die objektiv nachweisbar sind, nicht noch verstärken.
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Das politische Problem besteht darin, daß wir jetzt nicht nur über theoretische Prinzipien und politische Maßnahmen nach 1992 diskutieren dürfen, sondern auch alles dafür tun müssen, daß in der Übergangszeit die Anteile der deutschen Verkehrswirtschaft am europäischen grenzüberschreitenden Verkehr nicht deshalb zurückgehen, weil unsere Unternehmer durch hohe Steuern im Inland einerseits und durch Autobahngebühren im Ausland andererseits doppelt belastet werden, während der ausländische Lastkraftwagen bei uns nicht einmal 10 % der Wegekosten deckt.
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Wir stellen fest: In der Übergangszeit von 1988 bis 1992 wird über Erfolg oder Mißerfolg des dann zu gestaltenden europäischen Binnenmarktes entschieden.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Antretter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die klaren Worte, die der Kollege Haungs im zweiten Teil seiner Rede ausgesprochen hat, hätten wir eigentlich von Ihnen erwartet, Herr Minister.
({0})
Ich hoffe und fordere Sie auf, daß Sie auf der Basis der Grundsätze und der Überlegungen, die wir eben gehört haben, Ihre Arbeit in der Ratspräsidentschaft angehen. Wir, Herr Kollege Haungs, sehen nach dem, was Sie gesagt haben, nun überhaupt keinen Grund mehr, weshalb Sie nicht heute unseren Anträgen zustimmen sollten. Wir sind auf dieser Basis zu gemeinsamen Initiativen mit Ihnen bereit und stehen zur Verfügung.
Die beiden den Personenverkehr mit, wie es heißt, Kraftomnibussen betreffenden Beschlußempfehlungen dieser verbundenen Debatte befassen sich mit Vorschlägen, deren Ziel es ist, Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmen zum Personenverkehr mit Kraftomnibussen innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind, festzulegen und zweitens gemeinsame Regeln für den grenzüberschreitenden Personenverkehr mit Omnibussen einzuführen. Ich erinnere daran: Die Fraktionen sind sich im Verkehrsausschuß im wesentlichen wegen fehlender Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen in der Ablehnung dieser Vorschläge einig gewesen.
Worum geht es in der Sache? Nach dem EWG-Vertrag ist der Rat verpflichtet, Regeln für den internationalen Verkehr und für den Verkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, die sogenannte Kabotage, zu erlassen. Der Verkehrsministerrat ist vom Europäischen Gerichtshof wegen Untätigkeit verurteilt worden. Nach diesem Urteil ist der Rat verpflichtet, für den Perso3908
nen- und Güterverkehr in der Gemeinschaft das Prinzip des freien Dienstleistungsverkehrs zu verwirklichen. Das bedeutet laut Gerichtshof, daß alle Diskriminierungen der Verkehrsunternehmer auf Grund ihrer Staatsangehörigkeit und ihres Sitzes in einem anderen Mitgliedstaat beseitigt werden müssen. Die vorliegenden Vorschläge sollen die Verwirklichung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs bezwecken.
Nun sieht der eine Vorschlag vor, daß Unternehmer des gewerblichen Personenverkehrs mit Omnibussen, die in einem Mitgliedstaat niedergelassen und dort berechtigt sind, Personenbeförderung durchzuführen, nun auch in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen werden und berechtigt sein sollen, sich zeitweilig in diesem anderen Staat zu betätigen, ohne daß sie dort einen Geschäftssitz oder eine Filiale haben.
Dieser Vorschlag, meine verehrten Kollegen, wirft eine Reihe von Fragen auf.
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Soll die Personenbeförderung im Linienverkehr in die Verordnung aufgenommen werden? Kann Linienverkehr überhaupt zeitweilig ausgeübt werden? An wen halten sich die Fahrgäste, wenn der Verkehrsunternehmer weder Sitz noch Geschäftsstelle in diesem Staat hat? Was hat man überhaupt unter einer zeitweiligen, vorübergehenden Tätigkeit zu verstehen? Ich meine also den Grenzbereich der Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit. Dies sind die Fakten, und dies sind die ungeklärten Fragen.
Was haben wir zu tun? Im Hinblick auf die Gleichbehandlung inländischer und ausländischer Omnibusunternehmer bei der Kabotage, aber ebenso beim grenzüberschreitenden Verkehr haben wir vor allem darauf zu achten, daß Wettbewerbsgleichheit besteht, also für alle Verkehrsunternehmer die gleichen Rahmenbedingungen gelten. Das könnte entweder durch die Nichtdiskriminierung der Anwendung des jeweiligen Rechts des Landes, in dem der Personenverkehr durchgeführt wird, oder durch eine EG-weite Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen erfolgen. Wettbewerbsverzerrungen bestehen, wir haben es gehört, vor allem bei den fiskalischen Belastungen der Fahrzeuge durch die Kraftfahrzeug- und die Mineralölsteuer. Ich will hier eine Zahl hinzufügen: Die Disharmonie beläuft sich bei der Kraftfahrzeugsteuer auf 1 200 % und bei der Mineralölsteuer auf 450 %. Diese Wettbewerbsverzerrungen entstehen aber auch durch die Autobahngebühren, sie bestehen bei den Sozialvorschriften für das Fahrpersonal und deren Überwachung, und sie bestehen bei den technischen Bau- und Betriebsvorschriften für Nutzfahrzeuge und deren Überwachung.
Der Verwirklichung des Binnenmarkts im Verkehrssektor stehen also äußerst unterschiedliche nationale Regelungen und Marktordnungen entgegen. Hier sei einmal angemerkt: Konservative und liberalistische, aber auch manch andere mit verkehrspolitischen Problemen nicht vertraute Politiker fordern deshalb schlichtweg die Beseitigung der nationalen Regelungen. „Entregulierung" ist das Schlagwort dieser politischen Richtung. Sie vertraut darauf, daß die Verkehrsbedürfnisse in einem großen europäischen
Markt ohne jede hoheitliche Beeinflussung rationeller befriedigt werden können.
Im Gegensatz hierzu sagen wir Sozialdemokraten und haben wir unabhängig davor gewarnt, daß sich nach einer Entregulierung die Märkte nach dem Gesetz des Stärkeren ordnen. Sowohl Verkehrsnutzer wie Arbeitnehmer der Verkehrsunternehmen würden durch das Catch-as-catch-can der Unternehmen volkswirtschaftlich sinnlose Nachteile erleiden.
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Sozialdemokratische Politik bejaht den Wettbewerb im Rahmen eines freien Marktgeschehens. Sie geht aber ebenso davon aus, daß Verkehrspolitik als Teil der staatlichen Daseinsvorsorge konzipiert werden muß. Ich brauche dies nicht weiter auszuführen. Mein Kollege Daubertshäuser hat in seinen heutigen Darlegungen erneut aufgezeigt, daß es möglich ist, diese beiden Grundsätze miteinander zu vereinbaren.
Im Hinblick auf den dabei erforderlichen Harmonisierungsbedarf begrüßen wir es, daß nun in Richtung Territorialitätsprinzip nachgedacht wird. Dieses Prinzip ermöglicht, daß die in den verschiedenen Staaten unterschiedlich hohen Wegekosten abgegolten werden. Es garantiert die Gleichbehandlung der Verkehrsunternehmen aus verschiedenen Staaten auf denselben Beförderungsstrecken. Es ist geeignet, Probleme von Transitländern wie der Bundesrepublik zu lösen. Die Bundesrepublik Deutschland exportiert ja sehr viel weniger Verkehrsleistungen ins Ausland, als ausländische Fahrzeuge auf ihrem Territorium erbringen. Der Verkehrsminister hat ja auf die von seinem Hause in Auftrag gegebene Studie verwiesen, die belegt, daß von den ausländischen Güterkraftverkehrsunternehmen nur etwa 9 % ihrer Wegekosten bei uns finanziert werden.
Ich frage Sie nur, Herr Minister: Warum haben Sie dann nicht längst unseren Vorschlag der Schwerverkehrsgebühr aufgegriffen? Er wäre ein Weg, diese dramatisch ungünstige Situation zu lindern. Ein im Sinne der Harmonisierung funktionsfähiges Territorialprinzip kann, glaube ich, auch dieses Problem lösen.
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Schließlich, meine Damen und Herren: Da eine immer größer werdende Zahl europäischer Staaten dieses Territorialprinzip eingeführt hat, ermöglicht dessen Übernahme in die gesamte Europäische Gemeinschaft eine gerechte und am Verursacherprinzip orientierte europäische Harmonisierung.
Die uns vorliegenden Vorschläge lehnen wir ab, weil die offenen Fragen der Harmonisierung der Wettbewerbsvoraussetzungen, des -Zeitraums, in dem die Kabotageverkehre durchgeführt werden dürfen, und der Anwendung nationalen Rechts einschließlich der technischen Normen und Überwachung nicht geklärt sind.
Ich weise darauf hin, daß auch der Verkehrsausschuß des Europäischen Parlaments nur bedingt auf die Dauer eines Jahres zugestimmt hat. Er erwartet in dieser Zeit Fortschritte vom Rat auf den von mir angesprochenen Gebieten.
Damit ist die Bundesregierung als Inhaberin der Ratspräsidentschaft gefordert. Sie finden uns an Ihrer Seite, wenn es um die Verwirklichung des Binnenmarktes geht.
({4})
Ich denke, wir stimmen auch darin überein, daß die Verwirklichung des Binnenmarkts im Verkehrssektor eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Zustandekommen des Binnenmarkts überhaupt ist.
Wir brauchen ein Verkehrssystem - ob zu Land, ob zu Wasser oder in der Luft - , das die Transportbedürfnisse umfassend befriedigt, das die Umwelt schont und die Energie rationell einsetzt. Es muß ein Verkehrssystem sein, das aus wirtschaftlich gesunden Unternehmen mit sicheren Arbeitsplätzen besteht. Diese vier einander nur scheinbar widersprechenden und widerstrebenden Zielsetzungen müssen in optimaler Abstimmung zueinander verwirklicht werden.
({5})
Wir Sozialdemokraten werden darüber wachen, daß Sie keines dieser Ziele aus dem Auge verlieren.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jobst.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte heute hat gezeigt, daß wir einig sind in der Zielsetzung, daß wir weitgehend einig sind in den Forderungen, die bei der Schaffung eines gemeinsamen Verkehrsmarktes erfüllt sein müssen. Wir sagen ja zu einem gemeinsamen Europa. Wir sagen ja zu einem europäischen Binnenmarkt. Wir sagen ja zu einem gemeinsamen Verkehrsmarkt.
Ein großer, einheitlicher Markt eröffnet Möglichkeiten für den intensiveren Austausch von Waren und Dienstleistungen. Er bringt positive Auswirkungen für die Beschäftigung, für Wachstum, für technische Innovation. Hier, Herr Kollege Daubertshäuser, sind wir nicht Ihrer Auffassung, daß der Verkehr insgesamt ein Bereich der Daseinsvorsorge sei. Für uns ist der Verkehr, mit Ausnahme des öffentlichen Personennahverkehrs, ein Teil der Wirtschaft. Ich darf sagen: Die Verkehrswirtschaft hat den Strukturwandel in den vergangenen Jahren großartig gemeistert.
Unsere Verkehrswirtschaft, vor allem die mittelständischen Unternehmen, dürfen nicht auf der Strecke bleiben.
({0})
Die Sorgen, die Existenzängste der Unternehmer sind ernst zu nehmen. Sie sind berechtigt. Wir müssen die Tatsachen sehen. Wir können uns nicht mit Lippenbekenntnissen abspeisen lassen.
Für unsere nationale Verkehrswirtschaft entstehen große Probleme und Risiken, wenn bei einem europäischen Verkehrsmarkt lediglich die Grenzen beseitigt werden. Der europäische Verkehrsmarkt darf nicht zu einer Gefährdung der mittelständischen Unternehmer, nicht zu einer Ausflaggung der Betriebe, nicht
zur Verlegung der Betriebssitze ins Ausland, nicht zur Benachteiligung der peripheren Räume unseres Landes und nicht zu einer Schwächung der Deutschen Bundesbahn führen.
Wir haben ein leistungsfähiges Verkehrsgewerbe und damit einen zuverlässigen Partner unserer Wirtschaft. Wir brauchen aber auch ein intaktes und leistungsfähiges nationales Verkehrsgewerbe in einem europäischen Verkehrsmarkt. Es sind mittelständische Betriebe, die einen hohen Leistungsstand im Güterkraftverkehr garantieren. Ich bin der festen Überzeugung : Die deutschen Verkehrsunternehmer werden sich in einem europäischen Verkehrsmarkt behaupten, wenn sie faire, gleiche, zumindest aber annähernd gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen haben.
Die deutschen Unternehmer haben durch fiskalische Abgaben, durch Vorschriften auf den verschiedensten Gebieten erheblich höhere Kosten als ihre europäischen Konkurrenten. Sie zahlen eine weitaus höhere Kraftfahrzeugsteuer. Sie haben im Ausland Verkehrsabgaben zu entrichten; ich denke hier an die Autobahngebühren, die Mautgebühren, die die ausländischen Verkehrsunternehmen in unserem Lande nicht zu zahlen haben. Sozialvorschriften für das Fahrpersonal werden bei uns in weitaus höherem Maße eingehalten als in den anderen EG-Staaten. Die technischen Vorschriften, die zu beachten sind, werden bei uns weitaus stärker kontrolliert als in den anderen EG-Staaten.
Diese Tatsachen haben Kostenwirkungen. Sie bedeuten eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der deutschen Unternehmer. Das macht etwa 15 bis 20 % der Gesamtkosten aus.
Die deutsche Wettbewerbsordnung mit Kontingentierung, Regelung des Marktzuganges, Tarifzwang, Tarifgenehmigung läßt sich in einem europäischen Verkehrsmarkt sicherlich nicht aufrechterhalten. Die deutschen Unternehmer müssen aber gleiche Wettbewerbsbedingungen erhalten. Das ist eine unabdingbare Forderung.
({1})
Liberalisierung im Bereich des Verkehrs ohne Harmonisierung der Wettbewerbsverhältnisse würde zu einem ruinösen Wettbewerb führen, würde zu einer Verdrängung der deutschen Unternehmer, zum Export von Arbeitsplätzen ins Ausland und zu einer Verschlechterung der Verkehrssicherheit führen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das deutsche Verkehrsgewerbe darf nicht auf dem Altar Europas geopfert werden.
({2})
Wir können uns eine ähnliche Situation, wie wir sie heute leider Gottes im Bereich der Landwirtschaft haben, nicht mehr erlauben.
Das deutsche Güterkraftverkehrsgewerbe steht heute bereits in einem harten Wettbewerb. Durch die Anhebung der Gemeinschaftskontingente hat es bereits Marktanteile verloren. Die Eigenkapitalquote ist gering; teilweise beträgt sie 10 %, teilweise nur 5 %. Wir wissen, daß 80 % aller Verstöße gegen die EG3910
Sozialvorschriften in der Bundesrepublik festgestellt werden und nicht in anderen Ländern.
Die bestehenden Wettbewerbsverzerrungen werden nicht bestritten; sie werden in den Richtlinien der EG-Kommission bestätigt. Dies ist ein Erfolg der Bundesregierung. Der Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen wird aber von den anderen Regierungen nicht die notwendige Bedeutung beigemessen. Die niederländische Verkehrsministerin Frau Neelie Smit-Kroes sagte: Ein Junktim zwischen Liberalisierung und Harmonisierung besteht für uns nicht.
Wir sagen ja zur Liberalisierung, aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, nur bei gleichzeitiger Harmonisierung.
({3})
Das Prinzip Hoffnung reicht hier nicht aus. Mit einer Scheinharmonisierung und einer Augenauswischerei können wir uns nicht abspeisen lassen. Parallele, und zwar handfeste Schritte auf dem Gebiete der Harmonisierung sind unverzichtbar.
Ich weiß, die Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen ist schwierig. Deshalb muß jetzt die Übergangszeit bis 1992 genutzt werden, und notfalls darf das Jahr 1992 im Bereich des Verkehrs kein Evangelium sein,
({4})
wenn die nötigen Erfolge nicht eingetreten sind.
({5})
Manche Vorschläge aus Brüssel sind nichts anderes als optische Harmonisierungsschritte. Mit einer lediglichen Anpassung der Strukturen bei den fiskalischen Abgaben ist es nicht getan. Die tatsächlichen Abgaben müssen angepaßt werden.
({6})
Meine Damen und Herren, der europäische Markt leidet auch darunter, daß zu den Nicht-EG-Staaten ebenfalls Barrieren im grenzüberschreitenden Verkehr bestehen. Immer drängender stellen sich die Probleme beim transalpinen Verkehr. Tirol stöhnt unter dem enormen Transitverkehr. Um den Verkehr auf Schiene und Straße normalisieren zu können, brauchen wir eine bessere Infrastruktur für den transalpinen Verkehr. Dies ist auch eine gesamteuropäische Aufgabe.
Die Bundesregierung hat die volle Unterstützung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bei ihren weiteren Bemühungen um die Schaffung gleicher Wettbewerbsvoraussetzungen in einem europäischen Verkehrsmarkt. Ich darf dem Bundesverkehrsminister Warnke für seinen tatkräftigen Einsatz danken. Ich darf diesen Dank auch an seinen Vorgänger Bundesminister a. D. Dollinger sagen, der das Junktim zwischen Liberalisierung und Harmonisierung herbeigeführt hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, für einen europäischen Verkehrsmarkt, den wir wollen, ist die Angleichung der unterschiedlichen fiskalischen Belastungen der Transportunternehmer eine zentrale Voraussetzung. Ein erster Schritt dazu kann die Lösung
im Wege des Territorialitätsprinzips bei der Straßenbenutzung sein. Die sozialrechtlichen, die technischen und die verkehrssicherheitsrechtlichen Vorschriften müssen angeglichen werden, und vor allem muß auch die Überwachung harmonisiert werden. Die Bemühungen der Deutschen Bundesbahn um eine Erhöhung ihrer Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit darf dabei nicht beeinträchtigt werden.
({7})
Das Junktim zwischen Liberalisierung und Harmonisierung muß bei allen Teilschritten eingehalten werden.
Unser Ziel, meine Damen und Herren, ist es, einen europäischen Binnenmarkt mit Dienstleistungsfreiheit bei gleichen und fairen Chancen für alle Beteiligten, auch für die deutschen Verkehrsunternehmer herbeizuführen.
Ich bedanke mich.
({8})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Verkehr zu den einzelnen Vorlagen der Europäischen Gemeinschaft.
Tagesordnungspunkt 17a! Wer stimmt für die Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/1007? - Wer ist dafür? - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? -Das erste war die Mehrheit; keine Enthaltungen. Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Tagesordnungspunkt 17b! Wer stimmt für die Beschlußempfehlungen auf Drucksache 11/1008? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN mit großer Mehrheit angenommen.
Tagesordnungspunkt 17 c! Wer stimmt für die Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/1016? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit bei einer Reihe von Enthaltungen und Gegenstimmen angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 17 d, und zwar zunächst über den hierzu vorliegenden Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1702. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit bei einer Reihe von Enthaltungen abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/1017 ab. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen nunmehr zu Tagesordnungspunkt 17e. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1703 vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Reihe von Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.
Vizepräsident Stücklen
Wer für die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/1169 zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Diese Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Anwendung der Begriffe „bio", „biologisch", „öko" und „ökologisch" zur Kennzeichnung von Lebensmitteln im Handel ({0})
- Drucksache 11/1039 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({1})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vorgesehen worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Saibold.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im November vergangenen Jahres haben wir GRÜNE den Gesetzentwurf zur Kennzeichnung ökologisch erzeugter Lebensmittel eingebracht. Die positive Resonanz darauf war enorm und zeigte deutlich, welche Bedeutung diese Problematik in der Öffentlichkeit hat.
Wir stehen heute vor folgender Ausgangssituation: Immer mehr Menschen wollen ökologisch erzeugte Lebensmittel kaufen, weil sie zum einen mit der Qualität konventionell erzeugter Produkte nicht mehr zufrieden sind, zum anderen aber auch, weil sie mit dem Kauf von Bioprodukten eine umweltgerechte Landwirtschaft unterstützen wollen.
Doch die Marktsituation ist alles andere als übersichtlich. Wer sich wirklich in dem Begriffsdschungel von „Bio", „Öko", „Natur" und „Vollwert" auskennt und nach diesen Bezeichnungen noch die Spreu vom Weizen trennen kann, zählt schon zu den Kennern der Materie. Denn diese Begriffe sind gesetzlich nicht geschützt, und dies wird weidlich ausgenutzt.
Immer wieder mißbrauchen gewinnsüchtige Anbieter die umsatzträchtigen Kennzeichnungen und führen die Konsumenten damit in die Irre. Was da so alles als „Öko" und „Bio" ausgegeben wird, ist wirklich kaum vorstellbar! Viele kritische Verbraucherinnen erhalten auf Nachfrage so vage und ungenaue Auskünfte von den Herstellern, daß man sicher sein kann: Hier ist etwas faul.
Dies ist ja kein Wunder, werden doch weit größere Mengen verkauft, als hier produziert werden. Der „gute Glauben" der Kunden wird nicht nur finanziell, sondern auch ideell ausgenutzt, da ja mit dem Kauf solcher umetikettierter Waren der konventionelle
Landbau mit all seinen negativen Folgen unterstützt wird.
In unserem Gesetzentwurf zur Kennzeichnung wird als Kriterium die Anbauform festgelegt. Das heißt, es werden Kriterien für Anbau und Tierhaltung genannt, nach denen die so produzierten Lebensmittel als „bio-", „biologisch", „öko-" und „ökologisch" bezeichnet werden dürfen. Hierbei haben wir uns eng an die Rahmenrichtlinien der Anbauverbände gehalten.
Doch wir haben es nicht bei der Urproduktion belassen. Darüber hinaus werden Vorgaben für Lagerung, Verarbeitung und Verpackung gemacht. Die Qualität von Lebensmitteln aus ökologischer Landwirtschaft soll nicht durch wertmindernde oder unnötige Be- und Verarbeitungsmethoden beeinträchtigt werden. BioTraubenzucker oder gar Bio-Gold H-Milch aus normaler Produktion, ultrahocherhitzt und homogenisiert, wird es dann nicht mehr geben.
({0})
Selbstverständlich sollen z. B. auch keine synthetischen Farb- und Aromastoffe oder PVC-haltige Verpackungsmittel verwendet werden.
Die Bundesregierung sträubte sich bisher mit Händen und Füßen, der von vielen Seiten geäußerten Forderung nach einer eindeutigen Kennzeichnung nachzukommen. Vielmehr wurde alles getan, um die Bio-Produkte in Mißkredit zu bringen. Erinnert sei hier an die haarsträubende, vor Fehlern strotzende und immerhin 6 Millionen Mark teure Untersuchung des Verbandes Deutscher Landwirtschaftlicher Untersuchungs- und Forschungsanstalten, die sogenannte VDLUFA-Studie aus dem Jahre 1983. Sie gehörte zu einer breit angelegten Diffamierungskampagne gegen den ökologischen Landbau und seine Erzeugnisse.
({1})
Finanziert wurde sie - wie könnte es anders sein - etwa je zur Hälfte von der Chemie-Industrie und aus Steuermitteln.
({2})
Ich danke an dieser Stelle all jenen, die sich trotz der ganzen Verleumderei nicht von dem einmal als richtig erkannten Weg abbringen ließen: den Biobauern und Biobäuerinnen.
({3})
Sie brachten und bringen noch immer den Beweis, daß Landbau ohne Chemie, ohne Umweltzerstörung und ohne Ausbeutung der sogenannten Dritten Welt möglich ist - bei gleichzeitiger Existenzsicherung.
({4})
Hätten die Verantwortlichen in Politik und Wissenschaft diesen Beweis früher anerkannt und daraus Konsequenzen gezogen, so wären die Probleme der Überschüsse, des Bodens und der Gewässer kleiner
und die Roten Listen kürzer, und Flächenstillegungsprämien könnten dann heute eingespart werden.
({5})
Ich danke in diesem Zusammenhang aber auch den vielen Menschen in der Naturkost- und Gesundheitsbewegung, denn ohne sie, d. h. ohne den Absatz der Produkte, hätten die Bauern nicht durchgehalten.
({6})
Gegenseitige Hilfe und Vertrauen, viele Anstrengungen und zum Teil leidvolle Lernschritte auf beiden Seiten haben Erfahrungen und Erkenntnisse gebracht, die heute der ganzen Gesellschaft dienen, und das alles ohne einen Pfennig Geld aus Staats- oder Industriekassen!
({7})
Um so notwendiger ist aber jetzt endlich der Schutz derer, die sich entschlossen haben, nicht gegen die Natur, sondern mit der Natur zu wirtschaften und zu leben. Was wir mit dem Biokennzeichnungsgesetz wollen, ist die klare und eindeutige Kennzeichnung ökologisch erzeugter Produkte.
Die Bundesregierung wird an einschlägigen Regelungen nicht vorbeikommen. In Frankreich und Osterreich beispielsweise gibt es ähnliche Regelungen seit längerer Zeit , und sogar ein EG-Entwurf zu diesem Thema liegt bereits vor.
Ich freue mich auf die Anhörung, die am 27. Januar in Berlin stattfinden wird, obwohl sie nicht von den GRÜNEN beantragt wurde und die Sachverständigen dementsprechend ausgesucht wurden.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kroll-Schlüter.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Angebot an Lebensmitteln, die mit „bio" und ähnlichen Bezeichnungen versehen werden und werben, hat zweifelsfrei zugenommen. Wir wissen auch aus repräsentativen Umfragen, daß mit derart beworbenen und herausgestellten Lebensmitteln hohe Qualitätsvorstellungen verbunden werden
({0}) und auch verbunden werden können,
({1})
wenn auch nicht immer, so doch in bestimmten Fällen.
({2})
Der Verbraucher ist jedoch etwas verunsichert. Es gibt für ihn eine unbefriedigende Situation, da er nicht immer genau weiß, was sich hinter solchen Bezeichnungen wie „bio", „biologisch", „öko" und ,,ökologisch" verbirgt. Zudem gibt es in unserem Lande mehrere Landbauorganisationen, die damit werben; aber ihrem Werben liegt keine einheitliche Richtlinie zugrunde.
Deswegen ist Einheitlichkeit bei aller Vielfalt geboten und auch deswegen halten wir es für dringend geboten, daß zum Schutze der Verbraucher Irreführungen durch klare Kennzeichnungen vermieden werden. Wir als CDU/CSU-Fraktion sind daher der Meinung, daß einheitliche Richtlinien zur Herstellung und Kontrolle biologisch angebauter und hergestellter Nahrungsmittel gebraucht werden.
({3})
Neben Verbraucherschutzargumenten besteht Regelungsbedarf auch deshalb, weil sowohl die alternativ wie auch konventionell wirtschaftende Landwirtschaft vor Scharlatanen geschützt werden müssen, die völlig zu Unrecht mit solchen Bezeichnungen, wie sie hier in Rede stehen, werben und sich so manchen Wettbewerbsvorteil erschleichen.
Wir halten es aber auch unbedingt für erforderlich, eine Lösung auf europäischer Ebene anzustreben,
({4})
weil es dort, Frau Kollegin, schon Vorarbeiten gibt.
({5})
Deshalb wäre es besser, unsere Initiative mit einzubringen, im Ausschuß darüber zu beraten und nicht eine eigene nationale Gesetzgebung vorzunehmen, sondern europäische Richtlinien anzustreben.
({6})
Denn das Bestehen unterschiedlicher Rechtsregelungen in einzelnen Ländern der EG und der freie Warenverkehr erfordern zwangsläufig eine EG-einheitliche Regelung.
({7})
Das müßte plausibel sein. Wem die Sache am Herzen liegt - das unterstelle ich bei uns allen - , sollte auf eine europäische Regelung drängen.
Die Kommission hat, wie gesagt, seit 1986 Entwürfe für eine entsprechende Richtlinie vorgelegt; sie werden zur Zeit beraten. Wir sollten uns in diese Beratungen einfügen und unsere Vorstellungen einbringen, so daß alsbald eine solche europäische Richtlinie verabschiedet werden kann.
Ich möchte aber auch zum Ausdruck bringen, daß es in diesem Zusammenhang falsch wäre, um jeden Preis biologischen Anbau und konventionellen Anbau gegeneinander auszuspielen.
({8})
Es wäre auch falsch, eine ungerechtfertigte Attacke gegen die Chemie zu reiten;
({9})
denn es muß auch unter Benutzung chemischer Mittel gesunde Nahrungsmittel geben. Denn wenn es nur diesem alternativen Wege gesunde Nahrungsmittel geben könnte, wären wir schlecht dran.
({10})
Auch auf anderen Wegen gibt es sehr viel gesunde Nahrung.
({11})
Sie sollten auch hier die Leute nicht täuschen; es wäre ganz ungerechtfertigt.
Wir befinden uns sozusagen in einem alternativen Wettbewerb - warum auch nicht -, die einen so, die anderen anders. Es ist aber wichtig, daß die Nahrung gesund ist. Sie wird sozusagen auch durch unsere Regelungen immer besser, immer gesünder, und verschiedene Wege führen zu einer solchen gesunden Nahrung. Deswegen sollten Sie auch hier im wahrsten Sinne des Wortes alternativ bereit sein, mit uns darüber zu sprechen, um gute Regelungen auf europäischer Ebene, vor allem im Sinne des Verbrauchers und der gesunden Ernährung zu erreichen.
Herzlichen Dank.
({12})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Martiny-Glotz.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf dem Gebiet der Lebensmittelkennzeichnung strotzt es nur so von Lükken, das muß man wirklich feststellen. Wenn es um Lebensmittel geht, gibt es für Verbraucherinnen und Verbraucher sicherlich kaum ein Problem, welches sie stärker beschäftigt, als das, ob alles, was dort angekündigt ist, tatsächlich auch eingehalten wird.
Trotzdem liegt dieser Gesetzentwurf in der Tendenz wahrscheinlich nicht ganz richtig. Soweit es nämlich um Irreführungen und Täuschungen geht, haben wir, denke ich, im Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz sowie im Gesetz zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, UWG, die entsprechenden Grundlagen. Wir haben sie nicht bei der Kennzeichnung von biologischen oder ökologischen Anbaumethoden und auch Weiterverarbeitungsmethoden. Das ist sicherlich eine Frage, die wir lösen müssen. Ich denke, daß die Anhörung, die nächste Woche in Berlin stattfindet, wo in acht großen Fragenkomplexen mit einer ganzen Reihe von Sachverständigen, worunter auch solche sind, die der Tendenz nach den GRÜNEN nicht unangenehm sein dürften, eine ganze Menge Aufschluß geben wird.
Der Gesetzentwurf wird uns, fürchte ich, nicht sehr viel weiterhelfen. Ich habe das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz in den 70er Jahren mit beraten. Wir haben uns damals sehr bemüht, an allen Punkten, die strittig waren, so konkrete und genaue Formulierungen wie irgend möglich zu finden, was sehr schwierig ist.
({0})
An vielen Punkten konnten wir dann nur mit Verordnungen arbeiten, weil wir das im Gesetz gar nicht unterbringen konnten. Es wäre sonst noch viel spezieller und dadurch problematisch geworden. Mit Verordnungen zu arbeiten hat natürlich auch seine Haken - ich glaube, wir haben damals 64 Verordnungsermächtigungen gegeben -, denn an Verordnungen sind die Parlamentarier überhaupt nicht mehr beteiligt; diese werden zwischen Ministerium, Bundesrat und den entsprechenden Interessenverbänden geregelt. Das ist sicherlich extrem unbefriedigend.
Aber der Gesetzentwurf, den Sie hier vorgelegt haben, enthält zu viele unbestimmte Rechtsbegriffe. Beispielsweise steht in § 8, daß bei der „Bearbeitung, Verarbeitung und der Behandlung von Lebensmitteln" Verfahren anzuwenden seien, „die möglichst schonend sind und die wertgebenden Inhaltsstoffe der Lebensmittel weitestgehend erhalten". Damit kommt man keinen Schritt weiter. Denn die Absicht von Leuten, die mit den Begriffen „ökologisch" oder „biologisch" täuschend arbeiten, ist es doch gerade, Gesetzeslücken und schwammige Begriffe zu ihren Gunsten auszunutzen.
({1})
Und diese Leute erwischt man nicht, wenn man mit „möglichst" oder „weitestgehend" gesetzgeberisch ansetzt. Damit kommt man überhaupt nicht weiter.
Zum guten Schluß: Ich denke, daß wir aus der Anhörung eine Reihe von Hinweisen bekommen werden, die uns bei der Kennzeichnung solcher Anbaumethoden und der Methoden zur Behandlung von Nahrungsmitteln weiterhelfen. Vom Grundsatz her ist der Vorstoß der GRÜNEN sehr zu begrüßen, meine ich, Herr Kroll-Schlüter. Ungefähr haben Sie das auch erkennen lassen. Auch ich halte nicht besonders viel davon, alles auf die EG zu schieben; denn das ist wirklich ein großer Verschiebebahnhof. Auf der anderen Seite hilft es uns gar nichts: wir können in diesen Bereichen überhaupt nur noch EG-weit arbeiten, weil wir schließlich unter dem Druck stehen, den gemeinsamen Binnenmarkt bis 1992 zu vollenden. Daß wir in dem gesellschaftlichen Bewußtsein, was die Berücksichtigung ökologischer Fragestellungen angeht, wahrscheinlich am weitesten sind,
({2})
wird uns die Position in der EG nicht erleichtern. Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Heinrich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Derzeit werden in der Bundesrepublik Deutschland 0,2 % bis 0,3 % der landwirtschaftlichen Fläche im alternativen Landbau bewirtschaftet.
({0})
Der Marktanteil dieser Produkte beträgt aber nach Aussagen der Forschungsinstitute ein Zigfaches dessen, was auf dieser Fläche erzeugt werden kann. Mit dieser Feststellung ist die ganze Problematik eigentlich schon umschrieben. Es gibt einen riesigen grauen Markt, auf dem häufig letztendlich der Händler entscheidet, was „Bio " und was nicht „Bio " ist. Wir haben es in der Tat mit einer riesigen Verbrauchertäuschung zu tun.
({1})
Schon allein die Bezeichnung „Bio" oder „Öko" ist irreführend. Es gibt kein nichtbiologisches Wachstum. Jeder Anbau von landwirtschaftlichen Nutzpflanzen
basiert auf biologisch-chemischen Naturabläufen. Demzufolge ist auch eine Kennzeichnung von angeblich gesünderen Lebensmitteln mit „Bio" falsch. Die Wissenschaft kann uns bis heute noch keine signifikanten Unterschiede bezüglich der ernährungsphysiologischen Qualität nachweisen.
({2})
- Frau Kollegin, wir werden noch intensiv miteinander diskutieren. In einem Redebeitrag von fünf Minuten kann ich hierauf nicht eingehen. - Viel ausschlaggebender für die Gesundheit des Menschen ist die Art und Weise der Ernährung,
({3})
z. B.: ballastreiche Kost, wenig Fett, ebensowenig Salz, Zucker, viel frisches Obst und Gemüse.
({4})
- Ich darf Sie doch um Aufmerksamkeit bitten; denn Sie reden an der Sache vorbei. - Aus diesem Grund ist es logisch, daß man nicht das Produkt, sondern die Produktionsmethode für den Verbraucher klar kennzeichnen muß, so wie es im alternativen Anbau bei den Betrieben mit biologisch-organischer oder biologisch-dynamischer Wirtschaftsweise unter Verwendung von Gütezeichen wir „Bioland" und „Demeter" ja geschieht.
({5})
Vereinigungen wie „Bioland" oder „Demeter" sind auf Grund ihrer guten Organisation auch in der Lage, die dringend notwendige Kontrolle der Betriebe durchzuführen.
({6})
Die Betriebe bekommen dort Betriebsnummern und müssen sich streng an die vorgeschriebenen Produktionsmethoden halten.
({7})
Und hier sehen Sie, daß es gar keinen Sinn hat, wenn die Aufschrift „bio" bei der Qualität oder Nichtqualität entscheidend sein soll. Die Kontrolle ist vielmehr das Entscheidende, und die muß während des gesamten Produktionsablaufs, während der gesamten Vegetationsperiode auch stattfinden.
({8})
Dies ist auch im Hinblick auf eine einheitliche Regelung innerhalb der EG wichtig, die in Vorbereitung ist; der Kollege Kroll-Schlüter hat auch darauf hingewiesen.
Die FDP lehnt die Forderung der GRÜNEN in ihrem Gesetzentwurf ab, einen staatlichen Apparat einzurichten, der viel Geld kostet und die notwendigen, genauen Kontrollen gar nicht leisten kann. Die Länder kommen ihren Pflichten in der Lebensmittelüberwachung ja heute schon nicht nach, wie die Lebensmittelskandale aus der letzten Zeit leider - leider! - belegen. Und hier haben wir es ja - ich betone es noch einmal - mit einer mehrmaligen Kontrolle während der gesamten Wachstumsperiode zu tun.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Eine Kennzeichnung mit „bio", „biologisch", „öko", „ökologisch" wäre nicht sachgerecht und erst recht nicht verbraucherfreundlich. Diese Bezeichnung sollte deshalb überhaupt nicht verwendet werden. Vielmehr sollte die alternative Produktion als solche in Form von Gütezeichen oder Markennamen dem Verbraucher klar erkennbar gemacht werden.
({9})
Dann können wir dem Verbraucher mit gutem Gewissen sagen: Das kannst du ohne Bedenken genießen.
Danke schön.
({10})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau
Saibold und der Fraktion DIE GRÜNEN
Berufung eines Ernährungsrates - Drucksache 11/856 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({0})
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Saibold.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie sehen, wie konsequent die GRÜNEN sind: Nach der Biokennzeichnung geht's gleich mit der Ernährung weiter. Es ist uns klar, daß man nicht nur die Landwirtschaft verändern kann, sondern daß auch unser Ernährungsverhalten mit überdacht und verändert werden muß.
Die Gesundheitssituation in der Bundesrepublik ist erschreckend; die Kosten explodieren. Das ist Ihnen ja alles bekannt. Wissen Sie aber auch, daß in der Bundesrepublik im Jahr allein 50 Milliarden DM an Krankheitskosten nur durch ernährungsbedingte Krankheiten anfallen? Das ist ungefähr ein Fünftel der gesamten Krankheitskosten in unserem sogenannten Gesundheitswesen, ein Fünftel, das man vermeiden könnte.
Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß diese Kosten ohne Einbeziehung von irgendwelchen Schadstoffauswirkungen berechnet wurden. Auf dieses traurige Kapitel in der Ernährung kann ich hier leider aus Zeitgründen nicht eingehen.
Diese rund 50 Milliarden DM sind der Beweis dafür, daß die bisherige Ernährungspolitik sowie die 35jährige Ernährungsinformation durch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung gescheitert ist. Z. B. ist der Verzehr von Fleisch, Fisch, Käse und Eiern in den letzten 30 Jahren um mehr als 90 % gestiegen. Wenn man noch die ganzen Milchprodukte hinzurechnet, so wird deutlich, daß wir uns einer regelrechten Eiweißmast unterziehen. Dann wundert man sich, woher die vielen Durchblutungsstörungen oder die rheumatischen Erkrankungen kommen.
Allein beim Fleisch sind wir bei einem Verzehr von 104 kg pro Kopf und Jahr im Durchschnitt der Bevölkerung angelangt. Die CMA, die Werbeagentur der konventionellen Agrarier, wirbt weiterhin mit öffentlichen Mitteln ungeniert für den Fleischkonsum.
({0})
- Was sind „öffentliche Mittel"? Es sind Zwangsbeiträge.
Die DGE schweigt dazu. Sie beschränkt sich auf Aussagen wie „Die Deutschen essen zuviel, zu fett und zu süß", ohne dabei die weiteren bedenklichen Entwicklungen in der Ernährungsindustrie anzuprangern, die immer mehr verfeinerte, vorgesüßte oder -gesalzene und bis zum Gehtnichtmehr verarbeitete Produkte mit hoher Energiedichte und vielen Chemikalien anbietet, die falsche Ernährungsgewohnheiten mitbedingen und Allergien fördern.
({1})
- Es wäre ganz gut, Herr Eigen, wenn Sie ein bißchen zuhören würden.
Seit Jahren müssen wir uns also die schönen Worte von Vorbeugung und Vorsorge des einzelnen sowie Appelle zum gesunden Eßverhalten anhören. Doch statt sich zu einer umfassenden und fundierten Aufklärung über Vollwerternährung durchzuringen, beschränkt sich die Bundesregierung auf die Individualisierung der Probleme und überläßt die Information über Ernährung der Ernährungsindustrie.
Wie soll sich denn heute jemand gesund und geschmackvoll ernähren, wenn Mann, Frau und Kind ständig nur die Werbespots der Ernährungsindustrie hören? Deren Inhalte orientieren sich natürlich weitgehend an den Interessen der Erzeuger und der Verarbeitungsindustrie.
Daß es aber auch anders gehen würde, zeigen die Beispiele aus den Vereinigten Staaten oder auch aus Norwegen. Dort wurden vor Jahren mit großem Erfolg breit angelegte Informationskampagnen durchgeführt.
Ziel des von uns beantragten Ernährungsrats ist die interessenunabhängige und ganzheitlich geprägte Aufklärung der Bevölkerung. In einer bundesweiten Informationskampagne soll über die Bedeutung der
Ernährung für die Gesundheit und über die Vorteile der Vollwertkost aufgeklärt werden.
Ganz wesentlich ist jedenfalls, daß endlich einmal in aller Deutlichkeit auch über die bessere Qualität von ökologisch erzeugten Lebensmitteln, über Produktionsbedingungen sowie über die Schadstoffbelastungen informiert wird.
({2})
Die Ratschläge sollen nicht nur in grauer Theorie versanden, sondern es sollen auch praktische Teile mit eingebaut werden.
Zudem soll der Ernährungsrat praktische Vorschläge erarbeiten, um die Inhalte der Vollwerternährung in die Aus- und Weiterbildung in allen medizinischen und erzieherischen Bereichen einzubeziehen. Gerade das Unwissen von Medizinern, die über eine gesunde Ernährung als Voraussetzung für die optimale körperliche und geistige Leistungsfähigkeit und ihre Bedeutung im Hinblick auf die Prävention Bescheid wissen müßten, ist geradezu erschreckend.
Es muß endlich auf breiter Basis in verständlicher Form das Wissen darüber vermittelt werden, daß die Vollwerternährung den Körper am sichersten mit allen lebenswichtigen Stoffen versorgt und entscheidend zur Stärkung der körpereigenen Immunkräfte beiträgt.
Darüber hinaus ist die Vollwerternährung die einzige Ernährungsform, die auch ökologische Aspekte berücksichtigt.
({3})
Gesunde Ernährung kann nicht staatlich verordnet werden. Die Bundesregierung kann jedoch durch eine entsprechende Information eine wichtige Voraussetzung für entsprechendes Ernährungsverhalten schaffen. Wir sind uns bewußt, daß die Ernährungsaufklärung nur e i n , aber ein sehr wichtiger Schritt zu einer gesünderen Ernährung ist; denn mit den richtigen Informationen kann ich auch richtige Entscheidungen treffen, und daran fehlt es bei uns.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hoffacker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß die richtige Ernährung der Bevölkerung wichtig ist, ist eine Binsenwahrheit. Der Eindruck, der hier durch den Antrag der GRÜNEN erweckt wird, als sei es bei uns darum ganz schlimm bestellt, ist schlichtweg falsch.
({0})
Auch die Begründung des Antrags zeigt, daß die GRÜNEN die Einschätzung der Wirklichkeit völlig falsch vornehmen oder aber an Größenwahnsinn leiden, der die Wirklichkeit überhaupt nicht einschätzt.
({1})
Denn in diesem Antrag heißt es wörtlich:
Primäres Ziel der Tätigkeit des Ernährungsrates ist es, im Sinne einer Prävention die Gesundheit zu fördern und zu erhalten und darüber hinaus die vielen und immer mehr im Zunehmen begriffenen ernährungsbedingten Zivilisationskrankheiten einzudämmen und zu bekämpfen.
Dieses sollen nach der Vorstellung der GRÜNEN 22 ausgewählte Persönlichkeiten machen
({2})
und dadurch offenbar alles das ersetzen, was bisher schon in unserer Politik und auch von den freien Kräften unserer Gesellschaft geleistet wird.
({3})
Der ganze Antrag geht an der Wirklichkeit vorbei. Deshalb lehnt die CDU/CSU-Fraktion diesen Antrag ab.
({4})
Wir verkennen natürlich nicht, daß die Aufklärung wichtig ist, daß es einer permanenten Anstrengung bedarf, unsere Bevölkerung von falschen Essensgewohnheiten abzubringen, und daß auch die Vorbeugung, die Gesundheit selbst zu erhalten, zu der sich jeder einzelne verantwortlich wissen sollte, eine verpflichtende Aufgabe für die Politik ist. Ich kann verstehen, daß diese Einsicht nicht immer über den guten Appetit und die Verlockungen der heute reichlich angebotenen Delikatessen siegt. Jeder weiß das, der sich morgens auf die Waage stellt und sich schon kurz nach dem Aufstehen argwöhnich beäugt.
Der Antrag der GRÜNEN wird aber dem Ziel, hier etwas gegenzusteuern, nicht gerecht. Er dient eher einer staatlich geförderten Verbreitung von Ernährungsempfehlungen, wie sich aus der Begründung dieses Antrages wieder sehr deutlich ergibt. Da heißt es auf der Seite 5:
Erst durch diese Informationskampagne wird die Bevölkerung wirklich entscheidungsfähig gemacht.
({5})
Es ist also ganz wichtig, was hier „gemacht" werden soll. Es heißt weiter:
Die Ernährungsindustrie und -wirtschaft hat sich nach den Empfehlungen des Ernährungsrates und damit an den gesundheitlichen Notwendigkeiten zu orientieren.
({6})
Offenbar sollen die Empfehlungen des Ernährungsrates so etwas wie eine Gesetzeskraft bekommen. Deshalb kann man ihn nur so einschätzen, daß er tatsächlich nur als Herausgeber staatlicher Verordnungen für Ernährung angesehen werden kann.
({7})
- Er ist im übrigen, Frau Trude Herr - ({8})
- Pardon: Frau Trude Unruh. Ich bitte um Nachsicht, daß ich das hier so verwechselt habe. Ich wollte Frau Herr nicht zu nahe treten.
({9})
Es ist sicher richtig, daß dieser Antrag wegen der Dringlichkeit erneut gestellt wird. Er ist aber auch ein alter Hut; denn bereits vor etwa anderthalb Jahren ist der Inhalt dieses Antrages bereits abgelehnt worden. Das hat Sie nun aber nicht davon abgehalten, ihn erneut zu stellen. Allein diese zwei Gründe würden schon reichen, diesen Antrag abzulehnen.
({10})
Ich will aber in dieser mir zur Verfügung stehenden Zeit noch ganz kurz auf drei Gründe hinweisen, die mich besonders beflügeln, diesen Antrag abzulehnen.
({11})
- Herr Kollege Kleinert, daß Sie nicht abheben können, ist natürlich klar. Das zeigen die geistigen Ergüsse, die Sie hier immer wieder vortragen. Es ist offenbar etwas, was Ihnen eigen ist, in den Niederungen zu verbleiben. Deshalb ist dieses geistige Abheben offensichtlich bei Ihnen nicht möglich.
({12})
Meine Damen und Herren, das flächendeckende Netz von Ernährungsberatungsstellen hilft nichts, weil jeder Mensch eine bessere Ernährung suchen muß, um seine persönliche Gesundheit zu fördern. Das große Angebot an bestehenden Einrichtungen zu unterstützen bin ich jederzeit gerne bereit, aber nicht zur Schaffung eines solchen staatlich verordneten Erziehungsrates, den Sie Ernährungsrat nennen. Wir wollen gern unsere Freiheit behalten
({13})
und das, was wir für unsere Gesundheit tun wollen, auch selbst bestimmen.
Die Zusammensetzung des Rates ist ja von einer besonderen Unabhängigkeit gekennzeichnet.
({14})
beispielsweise unabhängige Gesundheitsberatergruppen, unabhängige Ernährungswissenschaftler, Stiftung ökologischer Landbau, Bundesverband Naturkost.
({15})
Vertreter aller dieser Organisationen sollen Mitglied in diesem Ernährungsrat werden. Ich bin der Meinung, daß sich hier etwas Grünes an Einheitskost zusammenbraut, was wir nicht essen wollen. Wir lehnen diesen Antrag ab.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Götte.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Saibold, Sie rennen bei der SPD-Fraktion offene Türen ein,
({0})
wenn Sie fordern, daß die Ursachen moderner Zivilisationskrankheiten intensiver bekämpft werden müssen, und dabei den Hebel bei den Ernährungsgewohnheiten der Menschen ansetzen.
Weil Nichtsozialdemokraten so selten Gelegenheit haben, das zu hören, lese ich Ihnen jetzt einmal einen Satz aus dem Entwurf zu unserem neuen Grundsatzprogramm vor:
Im Sinne vorbeugender Sozialpolitik sind wir für eine Gesundheitspolitik, die Krankheitsursachen bekämpft. Vorbeugen ist besser als Heilen. Wir wollen den allgemeinen Gesundheitsschutz ausbauen, der Verschmutzung und Vergiftung von Wasser, Boden und Luft wehren und dafür sorgen, daß gesunde Lebensmittel erzeugt und angeboten werden.
Einige Sätze weiter heißt es:
Gesundheitsvorsorge und Gesundheitsaufklärung müssen zentrale Aufgaben des Gesundheitswesens werden.
Soweit der Entwurf zum Grundsatzprogramm.
({1})
- Wir nehmen nicht jeden, aber Sie können einen Antrag stellen.
Das Bundesgesundheitsamt in Berlin, wo der Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit vorgestern getagt hat, hat betont, daß Zivilisationskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Krankheiten inzwischen zur Todesursache Nummer eins in der Bundesrepublik geworden sind. 350 000 Menschen sterben jährlich bei uns an einer Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems, zum Vergleich dazu: 700 an AIDS. Überlegen wir uns einmal, worüber mehr gesprochen wird!
Wenn auch die Erforschung der Ursachen im einzelnen längst noch nicht abgesichert ist, so steht doch jetzt schon fest, daß falsche Ernährung, Bewegungsmangel, starkes Rauchen und Alkoholgenuß wesentliche Ursachen für diese und andere Zivilisationskrankheiten sind. Die auffallende Zunahme von Allergien läßt den Schluß zu, daß wachsende Umweltvergiftung dafür verantwortlich ist.
({2})
Also müssen wir uns fragen: Wie kann gesundheitliche Aufklärung wirksamer als bisher betrieben werden? Woran liegt es, daß sich die Menschen so wenig
Gedanken darüber machen, ob sie sich beim Essen, Trinken, Rauchen Schaden zufügen? Wie können Menschen sensibilisiert und motiviert werden, um mehr Verantwortung für sich selbst zu übernehmen? Wie bringt man Hausfrauen oder Hausmänner dazu, beim Lebensmitteleinkauf überlegter und wählerischer vorzugehen und der Familie gesündere Mahlzeiten anzubieten? Welchen Beitrag können Kindergärten und Schulen zur Gesundheitserziehung leisten? Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit sie überhaupt in die Lage versetzt werden, diese Aufgabe zu übernehmen? Wie kann man Ärzte dazu bringen, Patienten in ihren Eß- und Lebensgewohnheiten zu beraten, statt immer gleich Medikamente zu verabreichen?
({3})
Welche Gesetze sind nötig, damit eßbare Waren klar und deutlich erkennen lassen, was sie enthalten, und welche Lebensmittelzusätze müssen außer denen, die jetzt schon verboten sind, weiter verboten werden? Diese und viele andere Fragen werden wir gerne mit Ihnen im Ausschuß erörtern.
Der Vorschlag der GRÜNEN zur Lösung dieses Problems besteht nun darin, einen 22köpfigen Ernährungsrat zu berufen, der sich über alle diese Fragen den Kopf zerbrechen soll. Dieser Rat würde dann von Zeit zu Zeit tagen und vermutlich stapelweise Papiere produzieren.
({4})
- Ich glaube nicht, Frau Saibold, daß uns das weiterbringt. Viel sinnvoller wäre es, wir würdenmal gründlich untersuchen, was denn die vorhandenen Einrichtungen auf diesem Gebiet leisten können und woran es liegt, daß sie nicht genügend leisten, z. B. das Bundesgesundheitsamt mit seinen zweitausend Beschäftigten oder die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit ihren rund 130 Mitarbeitern oder der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen oder die Pädagogischen Hochschulen und Pädagogischen Fachschulen oder die Institute zur Fort- und Weiterbildung oder die Verbraucherberatungsstellen mit ihren Ernährungsberaterinnen. Sie alle haben ja schon die Aufgabe, für die gesundheitliche Aufklärung der Bevölkerung zu sorgen. Woran liegt es also, daß die Appelle dieser Institutionen so wenig Wirkung zeigen?
({5})
Wie viele Ernährungsberaterinnen sind eigentlich in den Verbraucherzentralen tätig,
({6})
und welche Chance haben sie überhaupt, über die Einzelberatung hinaus auch in Schulen und Volkshochschulen tätig zu sein? Was ist eigentlich aus dem Modellprojekt der Bundesanstalt für Arbeit geworden, einen neuen Beruf, nämlich den des Gesundheitsberaters oder der Gesundheitsberaterin zu kreieren? 700 Personen hatten sich dafür allein beim Arbeitsamt Bonn gemeldet. Stimmt es, daß die Ärzte Widerstand gegen diesen neuen Beruf angemeldet
3918 Deutscher Bundestag - 1 1. Wahlperiode Frau Dr. Götte
haben? Was können wir tun, um diese Widerstände zu beseitigen?
Mit allen diesen Fragen wird sich der Ausschuß beschäftigen müssen. Dabei werden wir sehr schnell zu dem Ergebnis kommen, daß es keineswegs an Konzepten und Ratschlägen fehlt, wohl aber am nötigen Geld, oft auch am politischen Willen und an der richtigen Organisation, um diese Ratschläge in die Tat umzusetzen. Es fehlt offensichtlich auch an einer wirksamen Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen, wenn ich allein an die Arbeit in den Schulen denke, um auf dem Gebiet der Gesundheitserziehung wirklich ein Stück voranzukommen.
Es wird die Aufgabe unseres Ausschusses sein, wenigstens einige der Hindernisse zu beseitigen, die einer besseren Gesundheitserziehung im Wege stehen, und mit aller Kraft darauf hinzuarbeiten, daß vorsorgende Gesundheitspolitik nicht nur ein Schlagwort bleibt, sondern endlich in unserem Alltag Wirklichkeit wird.
Danke.
({7})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Würfel.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Herren! Sehr geehrte Damen! In der Tat ist es heute eine zunehmende Erkenntnis, daß uns unsere Ernährungsweise krank machen kann. Wer sich über Jahrzehnte falsch ernährt, kann damit rechnen, an einer der ernährungsbedingten Krankheiten zu erkranken, z. B. an rheumatischen Erkrankungen, wie Arthrose und Arthritis, an Stoffwechselerkrankungen, wie Fettsucht, Zuckerkrankheit, Leberschäden, Gallenstein, Nierenstein und Gicht. Ebenso zählen nach Auffassung der modernen Ernährungsforschung auch die meisten Erkrankungen der Verdauungsorgane, wie Dickdarmerkrankungen, Dünndarmerkrankungen, Bauchspeicheldrüsenerkrankungen und Erkrankungen der Leber dazu. Natürlich ist auch ganz wichtig - Frau Rose Götte hat es ja erwähnt - der Umfang der mit falscher Ernährung zusammengebrachten Gefäßerkrankungen, wie Arteriosklerose und Herzinfarkt. Manche Ernährungswissenschaftler gehen sogar so weit, zu sagen, daß die Zunahme der mangelnden Infektabwehr, die sich in nicht abzuwehrenden und immer wiederkehrenden Erkältungskrankheiten und Entzündungen der Luftwege äußert, auch auf unsere Fehlernährung zurückzuführen ist.
Ich teile auch Ihre Auffassung, daß in der naturbelassenen Nahrung nicht nur alle Nährstoffe, sondern auch die biologischen Wirkstoffe enthalten sind, die für die Verwertung unserer Nahrung notwendig sind. Es trifft auch zu, daß die Nahrung nur dann als vollwertig anzusehen ist, wenn alle Vitalstoffe in einem ausgewogenen Verhältnis in der Nahrung enthalten sind, und ganz sicher ist es notwendig, durch Vollwertkost und natürlich belassene, d. h. völlig unveränderte Lebensmittel zur Stabilisierung oder Rückgewinnung von Gesundheit entscheidend beizutragen.
({0})
Jeder der hier Anwesenden wird auch nachvollziehen können, daß eine wesentliche Mitschuld an der starken Zunahme der ernährungsbedingten Erkrankungen in der Eiweißüberfütterung des einzelnen zu suchen ist. Wenn wir tatsächlich in der Bundesrepublik heute 18 Millionen Rheumakranke zählen, so kann man natürlich bereits von einer „Volksseuche Rheuma" sprechen, wobei - das wurde schon erwähnt - nach Meinung maßgeblicher Wissenschaftler auch bei dieser Erkrankung ein entscheidender Faktor die Fehlernährung und Überernährung sein dürfte.
Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, in der Diagnose dessen, was zu geschehen hat, stimme ich mit Ihnen überein, aber nicht in der Therapie.
({1})
Ich bin nicht der Auffassung, daß die von Ihnen vorgeschlagene Aufklärungsarbeit von einer staatlichen Organisation übernommen werden sollte. Es kann nicht Aufgabe des Staates sein, einen Ernährungsrat zu organisieren,
({2})
der eine ganz bestimmte Ernährungskonzeption zu propagieren hat.
({3})
Meinen Sie nicht auch, daß wir schon ein bißchen zu viele verschiedene Räte haben, wobei ich die Beamten hier nicht meine,
({4})
die verschiedensten Räte mit den verschiedensten Programmen? Sie fordern Sozialräte, Öko-Räte, Gesundheitsräte, und man kann sich natürlich nicht des Eindrucks erwehren, daß man mit diesen Räten auch eine Politik der Bevormundung und Gängelei in Gang setzen kann. Ich befürchte ganz einfach, daß sich alle diese von Ihnen geplanten Räte eines Tages zum großen Volksrat zusammenschließen, damit die Bevormundung durch sogenannte Besserwissende, angefangen von der für uns alle verbindlichen Volksernährung bis hin zum zentral gesteuerten volkswirtschaftlichen Investitionsplan, perfekt gemacht wird.
Abgesehen davon bin ich mit Ihnen der Meinung, daß Aufklärung notwendig ist. Allein für das Gebiet der Ernährung setzt die Bundesregierung 10 Millionen DM ein.
({5})
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung leistet ebenso wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, die niedergelassenen Ärzte, die Zahnärzte, die Krankenkassen und die Verbraucherzentralen Aufklärungsarbeit auf diesem Gebiet.
Allerdings bin ich schon der Meinung, daß z. B. die Kultusminister der Länder durch bestimmte Erlasse, die das Zähneputzen im Kindergarten oder beispielsweise das Verbot des Verkaufs zuckerhaltiger TeigFrau Würfel
Stückchen in der Schule vorsehen oder den Unterricht durch Ärzte in der Schule oder eine Intensivierung der Volkshochschulkurse ermöglichen, weiter dazu beitragen, den Erkenntnisstand für eine vollwertige Ernährung in der Bevölkerung zu erhöhen.
Letztlich ist es doch in die Verantwortung des einzelnen gelegt, wie er sein Leben gestaltet und was er zu sich nimmt. Der eine hat sich an den Frischkornbrei gewöhnt und schwört auf die dadurch gewonnene Vitalität, während der andere ein saftiges Steak auf seinem Teller nicht missen möchte. Natürlich sollte jeder wissen, was ihm persönlich zu seinem Wohlbefinden nützt oder schadet. Dazu gehört für den Hausmann, die Hausfrau, den Kantinenkoch oder den Hüttenwart die Kenntnis vom Wert der Nahrung und von ihrer optimalen Zusammensetzung. Diese Kenntnis kann sich jeder nach eigenem Dafürhalten aneignen. Dazu bedarf es eben keines Ernährungsrates, wie sie ihn vorschlagen.
Wir lehnen daher Ihren Antrag auf die Einsetzung eines Ernährungsrates ab, aber im Hinblick auf mehr Aufklärung stimmen wir Ihnen zu.
({6})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Herr Pfeifer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im wesentlichen kann ich dem zustimmen, was Herr Hoffacker, Frau Götte und Frau Würfel hier ausgeführt haben. In der Tat hat die Aufklärung der Bevölkerung über gesunde Ernährung hohe Bedeutung in der Gesundheitspolitik, und viele Menschen in unserem Land wissen inzwischen auch, daß sie sich in ihrer Ernährung oft ungesund verhalten. Der Kern des Problems liegt daran, sie zu einer Änderung ihres Verhaltens zu bewegen, und erfahrungsgemäß ist das gerade bei erwachsenen Menschen besonders schwierig.
Deshalb muß es unser Ziel sein, im Wege der Prävention bei mehr Menschen Verhaltensänderungen in Richtung auf eine gesunde Ernährung zu erreichen. Das alles ist nicht neu. Es verlangt viele Anstrengungen, verlangt Phantasie und verlangt Engagement, wie es viele sich für die Prävention einsetzende Organisationen und oft von hohem persönlichen Einsatz einzelner getragene Initiativen zeigen.
Natürlich ist es auch notwendig, daß staatlich eingerichtete Organisationen und Initiativen mit wissenschaftlicher Kompetenz Prävention durch richtige Ernährung als ihre Aufgabe ansehen und mehr Menschen für diese Aufgabe gewinnen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, der Auswertungs- und Informationsdienst für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und viele andere Organisationen und Institutionen leisten hier gute Arbeit. Sie verdienen unsere Unterstützung. Wir sollten sie nicht demotivieren, indem wir, wie es die Folge dieses Antrages wäre, neue bürokratische Gremien einrichten und ihnen Aufgaben übertragen, für die sich viele Menschen in unserem Lande einsetzen.
Meine Damen und Herren, für ganz falsch halte ich es, wenn nach der Begründung des vorliegenden Antrages ein neues bürokratisches Gremium mit staatlicher Kompetenz eingesetzt werden soll, das dann gegen konventionelle Landwirtschaft und gegen die industrielle Verarbeitung von Lebensmitteln zu Felde ziehen soll. Damit erreichen Sie gar nichts, allenfalls Reaktion.
({0})
Es ist doch schlicht indiskutabel, einen Ernährungsrat gründen zu wollen, in dem die Landwirtschaft nur noch in der Form der Stiftung Ökologischer Landbau, in dem die Lebensmittelüberwachung und in dem die Träger der Gesundheitserziehung sowie die Ernährungswirtschaft überhaupt nicht vertreten sind. So einseitig zusammengesetzte Institutionen fördern mit Sicherheit keine neue Motivation zur richtigen Ernährung.
Es ist ja wahr: Herz- und Kreislauferkrankungen sind die Todesursache Nummer eins. Sie lassen sich ebenso wie Rheuma, Gicht und viele allergische Erkrankungen durch richtige Ernährung, durch Verzicht auf das Rauchen und durch anderes mehr weitgehend vermeiden, aber nicht durch Kampagnen eines Gremiums, gegen das sich nur Widerstände organisieren würden. Wir setzen vielmehr auf die Intensivierung und Förderung des bestehenden Engagements, auf die gute Arbeit der Verbraucherzentralen,
({1})
auf die Ernährungsberatungsstellen, auf die Ernährungsberatung bei den Gesundheitsämtern und auf die Arbeit, die hier viele Menschen in unserem Land leisten. Dort wird wirkungsvolle Arbeit geleistet! Nicht neue Gremien, sondern die Förderung und die Unterstützung dieser Arbeit dienen dem Ziel, Herkunft, Produktion, Lagerung, Verarbeitung und Zubereitung der Lebensmittel zu verbessern und die Bevölkerung von der Bedeutung richtiger Ernährung für die Gesundheit zu überzeugen.
Deshalb bin ich der Meinung, daß wir so verfahren sollten, wie es von Herrn Dr. Hoffacker, von Frau Götte und auch von Frau Würfel gesagt worden ist, nämlich daß wir uns im Ausschuß einmal ausführlich darüber unterhalten, wie wir diese Arbeiten wirkungsvoller aufeinander abstimmen, unterstützen und fördern können.
({2})
Ein neues Gremium brauchen wir nicht.
({3})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN über die Berufung eines Ernährungs3920
Vizepräsident Westphal
rats an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Die Überweisung ist so beschlossen.
Leider kann ich Ihnen noch keinen guten Appetit wünschen, sei das Mittagessen schon beraten oder erst persönlicher Entscheidung nach der Speisekarte vorbehalten. Wir haben nämlich noch ein weiteres Thema auf der Tagesordnung.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung.
Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen für die Jahre 1985 bis 1988 gemäß § 12 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft ({0}) vom 8. Juni 1967 ({1})
- Drucksache 11/1338 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß ({2})
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Nach einer Vereinbarung im Altestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, Herr Dr. Voss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundeskabinett hat am 23. November letzten Jahres den Elften Subventionsbericht verabschiedet, der jetzt hier zur Beratung vorliegt. Im Bericht werden die Entwicklung der Finanzhilfen und Steuervergünstigungen im Zeitraum von 1985 bis 1988, aber auch darüber hinausreichende Entscheidungen der Bundesregierung zum Subventionsabbau dargestellt. Der zugrunde gelegte Subventionsbegriff geht dabei von den im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz formulierten Kriterien aus.
Der Elfte Subventionsbericht dokumentiert die erfolgreichen Bemühungen der Bundesregierung, mit der Begrenzung des Ausgabenanstiegs im Bundeshaushalt auf deutlich unter 3 % auch die Ausgabensubventionen, sprich: Finanzhilfen einzugrenzen. Bei den Steuervergünstigungen werden die Beschlüsse im Zusammenhang mit der Steuerreform zu einem spürbaren Abbau von Subventionen und Sonderregelungen in den kommenden Jahren führen. Insgesamt zeigt die Entwicklung in der jüngsten Vergangenheit aber auch, daß in einem schwieriger gewordenen weltwirtschaftlichen Umfeld - insbesondere auf Grund des drastischen Dollarkursverfalls - die Bemühungen um Subventionsabbau sozusagen in schweres Fahrwasser geraten. In Einzelfällen und für die am stärksten betroffenen Branchen waren begrenzte staatliche Hilfen notwendig, um bruchartige Entwicklungen und schwere soziale Spannungen zu vermeiden. Hier sind insbesondere die Kohle, die
Stahlindustrie, die Werften, aber auch die Landwirtschaft zu nennen.
Trotz der andauernden strukturpolitischen Herausforderungen ist es gelungen, das Subventionsvolumen insgesamt begrenzt zu halten. Der Anteil der Bundessubventionen - insgesamt knapp 32 Milliarden DM - am Bruttosozialprodukt liegt unverändert bei 1,5 %. In den 70er Jahren lag diese Quote noch über 2 %. Mit diesen Werten stehen wir gegenwärtig auch im Vergleich mit den westlichen Industriestaaten am unteren Ende der Subventionsgewährung. Dieses Ergebnis war nur möglich, weil die Bundesregierung in bestimmten Bereichen die Intensität der Subventionierung spürbar vermindert hat, z. B. in der Forschungspolitik, beim Wohnungsbau und in der Vermögensbildung.
Die Finanzhilfen des Bundes haben sich von 1985 bis 1988 um 1,5 Milliarden DM erhöht. Der Anstieg erklärt sich fast ausschließlich durch die wechselkursbedingten Mehraufwendungen bei der Kokskohlenbeihilfe mit 1,4 Milliarden DM. Im Haushaltsergebnis für 1987 kam es sogar zu deutlichen Einsparungen. Per Saldo lagen die Ausgaben für Finanzhilfen um über 500 Millionen DM unter dem ursprünglichen Haushaltssoll. Das Volumen der Steuervergünstigungen des Bundes hat sich in den Jahren 1985 bis 1988 insgesamt nur um 1 Milliarde DM erhöht. Ihr durchschnittlicher Anstieg von rund 2 % jährlich lag unter dem allgemeinen Wachstum der Steuereinnahmen.
Angesichts der Struktur der Subventionen sollte keine unrealistische Diskussion über den Subventionsabbau geführt werden. Ein großer Teil, nämlich 40 %, fließt derzeit unmittelbar an die privaten Haushalte, vor allem mit sozialer Zielrichtung. Das Wohngeld, das wir im Vorjahr spürbar verbessert haben, ist hierfür ein anschauliches Beispiel. Auch die Subventionen für Unternehmen und Wirtschaftszweige, die rund 60 % ausmachen, dienen in den meisten Fällen der Sicherung von Arbeitsplätzen, der sozialen Milderung unumgänglicher Strukturanpassungsmaßnahmen und damit letztlich den Interessen der betroffenen Arbeitnehmer.
Trotzdem müssen die Anstrengungen zur konsequenten Ausgabenbegrenzung und zu einem weiteren Subventionsabbau fortgesetzt werden. Die Bundesregierung hat ihre Entschlossenheit hierzu zu Jahresbeginn verdeutlicht. Auch in Zukunft müssen Regierung und Parlament bei der Gewährung von Finanzhilfen strenge Maßstäbe anlegen. Bei zwingenden Mehranforderungen ist jeweils an anderer Stelle zu kürzen. Die Abwehr neuer Subventionsforderungen schon im Vorfeld politischer Entscheidungen und der Strukturwandel selbst sind dabei der beste Weg zur Subventionsbegrenzung. Sichere Arbeitsplätze werden nicht in subventionierten Unternehmen geschaffen, sondern in rentablen und international wettbewerbsfähigen Unternehmen.
Subventionsabbau und Subventionsbegrenzung bleiben eine schwierige Aufgabe. Das Konzept der Opposition beispielsweise beschränkt sich dagegen auf schöne Sonntagsreden zum Subventionsabbau, denen an den folgenden Werktagen, Frau Kollegin
Deutscher Bundestag - 1 1. Wahlperiode Parl. Staatssekretär Dr. Voss
Simonis, dann immer neue Forderungen nach staatlichen Hilfen, also neuen Subventionen, folgen.
({0})
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Apel?
Bitte schön.
Herr Staatssekretär, kann ich Sie fragen, wie sich aus Ihrer Sicht folgender Widerspruch aufklärt, daß nämlich der Bundesfinanzminister für 1989 einen zusätzlichen massiven Subventionsabbau angekündigt hat, um die Haushaltslöcher zu schließen, und Sie soeben gesagt haben, daß es eigentlich völlig unrealistisch sei, hier noch wesentlich voranzukommen?
Herr Kollege Apel, ich habe soeben auszuführen versucht, daß es eine schwierige Aufgabe ist, zum Subventionsabbau und zur Subventionsbegrenzung zu kommen, daß dieses Ziel aber niemals zu erreichen sein wird, wenn es sogar an dem Willen fehlt, wie offensichtlich aus Ihrer Frage auf Ihrer Seite deutlich wird.
Gestatten Sie noch eine Frage?
Bitte sehr.
Bitte schön.
Herr Staatssekretär, ich will Sie nicht nach Ihren hellseherischen Qualitäten fragen; denn ich habe überhaupt nicht zu erkennen gegeben, wo ich stehe. Ich will Sie gerne fragen, woraus Sie ableiten können, daß wir gegen Subventionsabbau sind?
Herr Kollege, wenn ich mir die Zeit ansehe, in der Sie in der Regierung waren, dann muß ich feststellen, daß hier die Bemühungen nicht in dem Maße durchgesetzt worden sind, wie ich mir das gewünscht hätte.
({0})
Von daher sind Schlußfolgerungen schon möglich.
Darf ich noch einmal? - Also, Herr Staatssekretär, dann sage ich Ihnen eben: Sie wollten doch die Rasenmähermethode mit 10 % und 5 % machen. Wo ist das denn alles geblieben?
Herr Kollege Apel, das haben wir eben nicht gewollt. Wir haben von Anfang an gesagt, daß
wir die Rasenmähermethode nicht für die richtige Methode halten.
({0})
Wir haben gesagt: Wir überprüfen jede Subvention in jedem Haushaltsjahr, was wir bis jetzt auch gemacht haben. Wir setzen alles auf die Waage und prüfen im Einzelfall. Eine Rasenmähermethode hätte zu Ungerechtigkeiten geführt, Herr Kollege Apel,
({1})
und letztlich auch dazu, daß die Subventionen im Endeffekt vielleicht größer geworden wären, als sie jetzt sind. Das ist der falsche Weg. Das ist von uns sehr frühzeitig erkannt worden. Auf diesem Weg werden wir auch fortfahren.
({2})
Herr Präsident, meine Damen und Herren, dieses Hin und Her halte ich finanzpolitisch für unseriös, weil es unerfüllbare Erwartungen weckt und ordnungspolitisch zu gefährlichen Entwicklungen führt.
Mit der Steuerreform 1990 wird ein weiterer entscheidender Beitrag zum Subventionsabbau geleistet, den im übrigen ja niemand von Ihrer Seite, Herr Kollege Apel, für möglich gehalten hätte. Steuervergünstigungen und Sonderregelungen von fast 19 Milliarden DM sollen wegfallen, womit nicht nur zur Vereinfachung des Steuerrechts ein erheblicher Beitrag geleistet, sondern vor allem der notwendige finanzielle Spielraum für die angestrebte dauerhafte und nachhaltige Absenkung des Einkommensteuertarifs geschaffen wird.
Die Bundesregierung hat Mut zum Subventionsabbau bewiesen.
({3})
Konstruktive Vorschläge wird sie auch künftig aufgreifen, meine Damen und Herren von der SPD. In wichtigen Bereichen allerdings - das muß ich noch sagen - sind weitere Fortschritte bei der Begrenzung des Subventionsvolumens innerhalb der Europäischen Gemeinschaften nur gemeinsam mit den anderen Partnerstaaten möglich. Pauschale Urteile und widersprüchliche Forderungen in der Subventionspolitik dienen jedoch niemandem. Es wäre zu wünschen, daß alle politischen Kräfte bei Bund und Ländern sich stärker als bisher an konkreten und konstruktiven Vorschlägen zum Subventionsabbau und damit zur Stärkung der marktwirtschaftlichen Kräfte beteiligen.
Ich danke Ihnen.
({4})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Simonis.
Herr Präsident! Liebe noch hier Gebliebenen! Herr Voss, das was an Ihrer Rede zu einer echten Büttenrede gefehlt hat, ist die Tatsache,
daß die meisten Leute Ihre Zahlen nicht nachprüfen können. Aber wenn sie sie nachprüfen könnten, hätten sie den subtilen, versteckten Humor in jedem Ihrer Sätze auch so goutieren können, wie wir das getan haben.
Mit Ihrem vorliegenden Elften Subventionsbericht geht es Ihnen doch wie mit dem Haushalt 1988 und dem Finanzplan des Bundes 1991: Schon bei der Drucklegung war er falsch. Von den Zahlen stimmt keine einzige, und Sie glauben im Grunde genommen auch nicht daran. Aber Sie tragen das mit viel Verve vor.
({0})
Dabei richtet sich unser Vorwurf gar nicht so sehr gegen einzelne Subventionen und auch nicht gegen den Anstieg einzelner Subventionen; denn sie haben zum Teil durchaus ihre Berechtigung, z. B. in den Krisenbereichen Kohle, Stahl und Werften, bei der Beschleunigung struktureller Anpassungen, allerdings auch bei dem schwierigen Gebiet der Forschungsförderung, wo man nie genau weiß, ob sich all die finanziellen Mühen, die man da hineinsteckt, am Ende gelohnt haben werden.
Unser Vorhalt ist, daß Sie sich an Ihren eigenen Versprechungen messen lassen müssen: Sie erzählen uns seit fünf Jahren, daß Sie die Subventionen Jahr für Jahr um 10% abbauen wollen. Das kommt nicht von uns. Wir haben diese Rasenmähermethode unter ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten immer als schwachsinnig bezeichnet. Sie wollten das, und das haben Sie nicht geschafft. Aus ideologisch bedingten Gründen wird Jahr für Jahr Ihrer Wählerklientel versprochen, daß der Subventionsabbau stattfinde. Dann werden genau derselben Wählerklientel - klammheimlich und mit der Hoffnung, daß wir es nicht merken - die Milliarden wieder zugeschoben, damit sie am Wahltag auch wissen, was sie zu machen haben.
Ich darf Ihnen das einmal an zwei Beispielen der Subventionsentwicklung seit 1982 darlegen. Sie haben, d. h. der Herr Bundesfinanzminister - Sie waren es nicht selber, aber Sie sind höchstwahrscheinlich sein Alter ego, vielleicht aber auch nur sein Stellvertreter - , 1984 vorgeschlagen, zur Finanzierung der Steuerentlastung 1986/88 steuerliche Vergünstigungen in einem Umfang von mindestens 3 Milliarden DM abzubauen. Dieser Versuch ist dann gescheitert und vom Bundesfinanzminister folgendermaßen erklärt worden: „Die Vorschläge zum Abbau von Steuervergünstigungen und steuerlichen Sonderregelungen fanden kaum Unterstützung." Ja, wissen Sie, das hätte ich mir vorher beinahe selber sagen können. Das ist natürlich eine vornehme Umschreibung der Tatsache, daß Sie mit Ihren Vorschlägen auf den Hintern gefallen sind. Daß Sie dabei keine politische Unterstützung gefunden haben, hätten wir Ihnen vorher sagen können. Sie haben das auch gewußt. Sie haben nur so getan, als ob Sie Subventionen abbauen wollten.
Noch im letzten Subventionsbericht hat der Bundesfinanzminister einen Abbau der Finanzhilfen des Bundes bis zum Jahr 1989 angekündigt. Damals hieß es: „Die Finanzhilfen werden um 6,9 % auf 13,5 Milliarden DM gesenkt. " Und: „Jährlich ist ein Durchschnitt beim Subventionsabbau von über 6,5 % vorgesehen. " In Wirklichkeit sind die Subventionen gestiegen; nicht um 6,9 % gesunken, sondern um 6,5 % gestiegen. Die Finanzhilfen sind ebenfalls gestiegen. Wenn Sie das als gelungenen Subventionsabbau bezeichnen wollen, kann ich nur sagen: Machen Sie lieber nicht so weiter; denn dann kämen Sie irgendwann an eine Stelle, wo Sie das nicht mehr bezahlen könnten.
In jedem Jahr also mehr Subventionen und nicht weniger; allein bei den Finanzhilfen und den Steuervergünstigungen, die ja für den Parlamentarier kaum zu kontrollieren sind, in einer Höhe von über 25 %. Sie verwechseln ein ganz klein bißchen Semantik mit Taten. Und somit ist es auch nur konsequent, wenn Sie in dem nun vorliegenden Subventionsbericht in der Teilziffer 68 sagen:
In den Jahren 1988 bis 1991 ist im Jahresdurchschnitt ein Abbau der Subventionsausgaben von 5,1 v. H. jährlich vorgesehen.
Ich kann nur sagen: Um Gottes willen, das wird teuer; denn wenn Sie an Ihre letzten Versprechungen denken, wissen Sie, daß Sie doppelt soviel draufgetan haben. Dann kann das in diesem Fall also auch nur wieder so kommen.
({1})
- Wenn Sie es nicht verstehen, lieber Herr Bohl, dann kann ich Ihnen nicht helfen. Ich dachte, Sie sind der Parlamentarische Geschäftsführer Ihrer Fraktion. Sie müßten doch kapieren, wovon hier geredet wird. Wie soll es denn den anderen erst ergehen?
Liebe Kollegin, in diesem Falle ist es das Problem des schnellen Sprechens. Da muß ich Ihnen ehrlich gestehen: da ist etwas dran.
Herr Bohl redet aber noch schneller. Ich kenne ihn aus dem U-Boot-Ausschuß. Da ist er noch viel schlimmer.
({0})
Sie glauben selber nicht an das, was Sie hier erzählen. Andererseits wissen Sie, daß Sie im Grunde genommen bei uns auch Hilfe finden, wenn es darum geht, bestimmte Subventionen zu erhalten. Wir fänden uns nämlich mit steigenden Subventionen ab, wenn Sie damit wenigstens ökonomisch Gutes täten. Wenn damit Arbeitslosigkeit beseitigt würde, wenn damit die Gefahr des Absinkens ganzer Regionen bei uns im Norden oder im Ruhrgebiet oder im Saarland - ich erinnere an Stahl und die Werften - verhindert werden könnte, wenn damit die Verarmung des Zonenrandgebietes verhindert werden könnte, fände sich bei uns niemand, der sagen würde: Es ist Unsinn, heute zu helfen, damit wir morgen weniger Arbeitslosigkeit, weniger Schulden bei der Rentenversicherung, weniger Schulden bei der Bundesanstalt für Arbeit haben. Das ist nicht unser Problem.
Unser Problem ist Ihr sinnloses Ausschütten. Wenn Sie sich alleine das Beispiel der Landwirtschaft angucken: Dort haben Sie die Subventionen seit 1982
mehr als verdoppelt, weil nämlich dem Bundesfinanzminister angesichts fliegender Tomaten im sogenannten „Bullentempel" - nämlich der Nordmarkhalle - in Rendsburg sein eigener Mut verließ und er sagte, eh du einen Tomatenfleck auf dem Anzug hast, gib lieber nach. Er hat den Landwirten also eine Erhöhung der Vorsteuerpauschale genehmigt. Diese führt dazu, daß reiche Landwirte immer reicher werden und die kleinen und mittelständischen Betriebe in der Zwischenzeit zu Recht das Gefühl haben, daß sie untergehen. Aus der Sicht einer vernünftigen landwirtschaftlichen Struktur wäre es besser gewesen, er hätte die Tomatenflecken hingenommen, den Anzug reinigen lassen und zu den Wünschen nein gesagt, die dort damals von Großbauern vorgetragen wurden.
Wenn wir einmal andere Bereiche, z. B. Industriebereiche, festhalten, dann sind die Mittel für die Luftfahrt mehr als verdoppelt worden. Ich würde sagen, das ist gar nicht so schlecht; der Airbus ist ein gutes Flugzeug. Dagegen haben Sie die Mittel für den Schiffbau drastisch gekürzt und halten sie im Moment auf einer Höhe, die zum Leben und zum Sterben nicht ausreicht. Die Mittel für den Stahlbereich haben Sie vollkommen gestrichen, so als ob wir nicht im Moment vor der schwersten Stahlkrise in der Bundesrepublik stünden.
Erklären Sie doch einmal den Schiffbauern an der Küste und vor allem den Stahlarbeitern im Ruhrgebiet, warum beispielsweise Schnapsbrenner und Landwirte Subventionen bekommen, aber Industriegebiete kaupttgemacht werden.
({1})
- Das mögen Sie als Quatsch sehen. Kommen Sie doch einmal und sehen Sie sich an, was im Ruhrgebiet los ist. Sie machen immer eine große Kurve drumherum und können dann hinterher „Quatsch" sagen. Man muß sich ja nur einmal da hinstellen, dann weiß man, was los ist. Man muß es sich bloß einmal ansehen.
({2})
Natürlich ist es auch nicht in Ordnung, daß Sie sich daran gemacht haben und die Sparförderung allein bei Empfängern kleiner und mittlerer Einkommen gestrichen haben und dagegen alle anderen dazugehörigen Subventionen wieder erhöht haben, so daß auch wieder der Effekt eintritt: Den Reichen gibt man, und den Kleinen und Armen nimmt man mehr, als diese tragen können.
Ich muß jetzt auch Ihren Optimismus dämpfen, was die zukünftigen Aussichten anbetrifft. Der jetzige Subventionsbericht zeigt doch, daß das auch wieder nur Makulatur ist. Ich will auf die Zahlen kommen, die Sie uns gerade vorgetragen haben. Da haben Sie nämlich klammheimlich schon die Jahre 1990, 1991 und 1992 mit hineingerechnet, tun aber so, als ob es nur das Jahr 1990 wäre. Würden Sie das auf die drei Jahre verteilen, würde es nicht reichen; Sie bekämpfen Ihre 19 Milliarden DM, von denen Sie hier gerade gesprochen haben, nicht zusammen. Außerdem rechnen Sie mal wieder Maßnahmen mit hinein, die es überhaupt nicht gibt oder die seit längerem ausgelaufen sind.
Da kann ich Ihnen nur sagen: Das ist Schönrechnerei; das ist natürlich eine typische Rechnerei des Hauses, und das erklärt auch, warum Sie auf einmal so viel mehr Schulden aufnehmen müssen, als Sie uns noch im November erklärt haben. Aber es ist nicht seriös, beim Abbau von Subventionen Maßnahmen mitzurechnen, die es entweder nicht gibt oder die in der Vergangenheit schon längst abgebaut sind.
Witzig z. B. in diesem Zusammenhang ist, daß Sie in den Subventionsbericht schreiben: Demnächst wird die Quellensteuer als Subventionsabbau gefeiert. Diese hat es doch überhaupt nicht gegeben. Oder heißt das in dem Bericht, wenn jemand seine Zinsen nicht versteuert hat, ist er auch noch von Ihnen subventioniert worden? Ich habe nichts entsprechendes gefunden.
({3})
- Es ist nicht einmal eine versteckte Subvention; sie kann jedenfalls im Subventionsabbau nicht enthalten sein, denn Steuerhinterziehung ist keine Subvention, sondern Betrug.
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Sie kann in einem offiziellen Dokument des Staates nicht vorkommen, und dann kann es schon erst recht nicht als eine Tat gefeiert werden, daß sie abgebaut wird. Es ist das Mindeste, was ich von Ihnen erwarte, daß Sie Steuerkriminalität bekämpfen und sie nicht in einem Subventionsbericht als Großtat feiern.
Also, lieber Herr Staatssekretär, gehen Sie wieder nach Hause und machen Sie Ihre Hausaufgaben. So wie Sie sich das vorgestellt haben, wird es nichts. So wird es Ihnen genauso gehen wie in der Vergangenheit. Subventionsabbau wird versprochen, weil man natürlich die ideologische Klientel zufriedenstellen muß, und hinterher wird es immer mehr und immer mehr. Deswegen schreibt Ihnen ja auch der Sachverständigenrat ins Stammbuch - das hat er allerdings 1986 geschrieben; ich weiß nicht, was er im Moment sagt; da müßte man ihn noch einmal fragen - :
Der eklatante Mißerfolg beim Subventionsabbau kann heute nicht mehr an Unkenntnis der Subventionsfolgen liegen; es mangelt an politischer Durchsetzungskraft.
Ich würde sagen: Es mangelt an politischem Durchblick; es mangelt überhaupt an politischem Verständnis, und dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Roth ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einer Feststellung beginnen. Die Politik der marktwirtschaftlichen Erneuerung muß auf Dauer gesehen ein Torso bleiben, wenn wir uns auf dem Gebiet des Subventionsabbaus nicht ebenso ehrgeizige Ziele setzen wie bei der Stabilitäts- und Steuerpolitik. Die Subventionsmentalität zu brechen, ist daher für uns immer eine ordnungspolitische Herausforderung er3924
Roth ({0})
sten Ranges, aber auch eine unverzichtbare Daueraufgabe der Wachstums- und Beschäftigungspolitik.
Wettbewerbsverzerrungen, bürokratische Überwucherungen, ökonomische Fehlsteuerungen, soziale Ungerechtigkeiten, das alles sind Folgen subventionspolitischer Nachgiebigkeit. Sie lähmen die private Initiative, und sie behindern den Strukturwandel. Das ist oft genug gesagt worden. Um so mehr bedrückt es, daß wir trotz aller ökonomischen Fortschritte der letzten Jahre nicht über das Eindämmen und Einfrieren des Subventionsvolumens auf einem nach wie vor zu hohem Niveau hinausgekommen sind.
Allerdings hat uns die Neuorientierung der Haushalts- und Finanzpolitik geholfen, schlimmeren Auswüchsen entgegenzutreten. Die strenge Ausgabendisziplin des Bundes wie auch die als Chance begriffene und genutzte Steuerreformpolitik haben uns dabei gleichermaßen geholfen. Im Wettbewerb mit unseren weltwirtschaftlichen Hauptkonkurrenten USA, Japan, aber auch anderen Ländern werden wir uns demgemäß in den nächsten Jahren zu einer weiteren Aufholjagd gezwungen sehen, um die Subventionsquote deutlich unter die heutige Marke von 1,5 % des Bruttosozialprodukts herunterzudrücken. Dazu sind Koalition und Regierung entschlossen.
Reden wir zunächst über die Steuervergünstigungen. Ich betrachte es durchaus als bemerkenswerten Fortschritt, daß wir den Abbau und Wegfall von steuerlichen Sonderregelungen nicht auf den Finanzierungsaspekt der Steuerreform begrenzt haben. Die Anerkennung durch den wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, hier sei viel mehr gelungen als in der Vergangenheit, Frau Kollegin Simonis, und auch mehr, als allgemein erwartet worden war, spricht doch eigentlich für sich. In der Tat hat die Bundesregierung auf diesem Gebiet Wort gehalten. Der Grundsatz oder Kernsatz unserer Regierungspolitik: besser niedrigere Steuersätze mit wenigen Ausnahmen als hohe Steuersätze mit vielen Ausnahmen ist Schritt für Schritt verwirklicht worden.
Wenn die Opposition dieses Hauses schon keine vernünftige Alternative zu dieser weitreichendsten Steuersenkungspolitik und auch gerechten Steuervereinfachungspolitik vorzulegen hat, dann sollte sie sich wenigstens ein Zeichen der Anerkennung für diesen Weg abringen können.
Im Entwurf eines Steuerreformgesetzes 1990 - am 14. Januar der Öffentlichkeit vorgestellt - werden 30 % aller seitherigen Steuervergünstigungen zur Disposition gestellt. Die Schwerpunkte liegen bei der regionalen Berlinförderung, beim Auslaufen der erhöhten Absetzungen für Forschung und Entwicklung, Umweltschutz und Energieeinsparung, bei der Konzentration der Vermögensbildung auf das Produktivkapital und bei der gerechteren steuerlichen Behandlung von Mehrarbeitszuschlägen. Wir sind hier nicht ausgewichen, wir handeln. Wir lassen auch nicht zu, meine Damen und Herren, daß durch emotionsbeladene Kampagnen der Opposition auf diesem Gebiet das Rad der Entwicklung wieder zurückgedreht wird.
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Darüber hinaus muß man wissen, daß nicht weniger als 16 der zahlreichen Steuervergünstigungen mit einem Volumen von über 5 Milliarden DM zeitlich befristet sind. Bei den Finanzhilfen sind es sogar 52. Nach Ablauf der jeweiligen Fristen muß also immer wieder gerechnet werden, und es müssen stichhaltige Sachargumente für eine Fortsetzung geliefert werden.
Dies gilt im übrigen für den gesamten Subventionsbereich, denn die in der mittelfristigen Finanzprojektion bis 1991 auf 2,5 % herabgesetzte jährliche Zuwachsrate des Haushalts zwingt uns zu einer ständigen Überprüfung, schon um neuen politischen Aufgabenstellungen gerecht werden zu können.
Damit komme ich zu dem in der Tat schwierigeren Kapitel der Finanzhilfen, der anderen Hälfte des Subventionskuchens. Ich will einmal ganz außen vor lassen, daß 1988 ein sattes Viertel der Bundesfinanzhilfen haushaltssystematisch als investive Ausgaben anzusehen sind, der verlangte Abbau also oft genug mit der Forderung nach stärkerer Investitionsanstrengung der öffentlichen Hand kollidiert. Das weiß im übrigen auch die SPD; wahrscheinlich weiß es niemand besser als sie. Immerhin haben wir im letzten Jahr 500 Millionen DM im Haushaltsvollzug erwirtschaftet und damit die Ansätze unterstreichen können. Die großen Ausgabenblöcke bei den Finanzhilfen zeigen bei Einzelprüfungen, wie eng hier die Spielräume für reduzierende Eingriffe geworden sind. Die Zusammenhänge sind vom Herrn Parlamentarischen Staatssekretär eingehend dargelegt worden.
Wenn nun die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Probleme bei Stahl, Kohle, Werften, Landwirtschaft, Luftfahrttechnik eine Absenkung der Finanzhilfen bis 1991 in einer Größenordnung von 3 Milliarden DM ins Auge faßt, wird sie Stehvermögen und parlamentarische Unterstützung gleichermaßen benötigen. Es kann nicht angehen, vor den Protesten Betroffener zurückzuweichen und die beschlossenen Abbaumaßnahmen - z. B. bei Wegfall der Personalzulage Forschung und Entwicklung, bei DEMINEX oder beim Wohnungsbau - in Frage zu stellen. Ich möchte anerkennend sagen, daß die Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer mit ihrem Stillhalteversprechen hier einen Beitrag geleistet hat. Wir brauchen diese Rückendeckung.
Herr Kollege, das war doch ein ganz ordentlicher Schlußsatz.
Ein letzter Satz, Herr Präsident. - Die veränderte Einstellung der Öffentlichkeit - gegen Subventionen - kann ganz sicher helfen, staatlichen Geldsegen nicht als Entschlossenheit der Politiker zu mißdeuten, wenn es sich womöglich nur um das Ausweichen vor den mühsameren Sachlösungen handelt. In diesem Sinne muß und wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den im vorliegenden Elften Subventionsbericht aufgezeigten Weg der Bundesregierung mitgehen.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Sellin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Elfte Subventionsbericht der Bundesregierung weist ein Subventionsvolumen des Bundes von 32 Milliarden DM für 1988 aus, davon 15 Milliarden Finanzhilfen und 17 Milliarden Steuervergünstigungen.
Der Arbeitskreis „Subventionen" der fünf Wirtschaftsforschungsinstitute im Rahmen der Strukturberichterstattung hat sich sinnigerweise nach mehreren Jahren auf einen gemeinsamen Subventionsbegriff für die Bundesrepublik geeinigt. Sie beschäftigen sich mit Finanzhilfen und Steuervergünstigungen des Bundes, der Länder, der Gemeinden, der Europäischen Gemeinschaft und der Sozialversicherungen für die Unternehmen und nicht für die privaten Haushalte.
Das RWI-Institut veröffentlicht im neuen Strukturbericht für das Jahr 1986 ein Subventionsvolumen in Höhe von 121,5 Milliarden DM, davon allein 48,2 Milliarden DM für Steuervergünstigungen. Die rein quantitative Diskrepanz für die Bundesrepublik ist also, wenn man diese Kumulation rechnet, riesig. Das Subventionsvolumen steigt seit Regierungsantritt der CDU/CSU-FDP-Koalition kontinuierlich. Ein ideologischer Wahlschlager der Koalition, nämlich Subventionen um der Marktwirtschaft willen zu kürzen, konnte nicht verwirklicht werden. Die politische Realität von schweren Strukturkrisen bei Kohle, Stahl, Werften und Landwirtschaft läßt politisch auch nur den Weg des Subventionsumbaus und nicht den ideologisch-marktwirtschaftlich begründeten Weg des Kahlschlags zu.
Auch der Elfte Subventionsbericht der Bundesregierung hat so schwerwiegende Informationsdefizite, daß ich wenigstens einige aufzählen will.
Erstens. § 12 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes bildet die Grundlage für diesen Bericht. Die verwendete Abgrenzung schafft die Verwirrung. Diese Abgrenzung ist für eine ökologisch und sozial zu begründende Strukturpolitik und Regionalpolitik nicht hilfreich.
Zweitens. Der Bericht enthält keine Aussage über die Kumulation von Subventionen zwischen EG, Bund, Ländern und Gemeinden zugunsten eines Wirtschaftszweigs oder zugunsten einer Bevölkerungsgruppe.
Drittens. Der Bericht enthält eine Liste von Steuervergünstigungen von 23 Milliarden DM, die er nicht mehr als Subvention definiert, weil die Mehrzahl der Steuerpflichtigen begünstigt wird. Eine politische Begründung, warum diese Subventionen beibehalten werden - normalerweise sollen Subventionen befristet werden - wird überhaupt nicht mehr thematisiert.
Viertens. Der Bericht enthält eine Vielzahl von Subventionen nicht, die ausschließlich im Sozialbericht der Bundesregierung erwähnt werden.
Fünftens. Der Bericht enthält nicht versteckte Subventionen, z. B. das Ehegattensplitting. Das Volumen, das hier verpulvert wird, wird immerhin auf 42 Milliarden DM geschätzt. Ein anderes Beispiel sind die nicht versteuerten Zinseinkommen von 12 bis 15 Milliarden DM, die im Rahmen der Quellensteuer-Diskussion - man kann auch von Steuerhinterziehung sprechen - genannt werden.
Man kann diese Debatte umdrehen. Der Subventionsbericht müßte im Unternehmensbereich wenigstens die Systematik der fünf Wirtschaftsforschungsunternehmen übernehmen, um die kumulativen Wirkungen von Subventionen offenzulegen. Der Subventionsbericht müßte Förder- und Zielprioritäten nennen und ihre Erreichung bzw. Nichterreichung offenlegen. Nur so wird eine strukturpolitische Debatte überhaupt bewertbar und - wie soll ich sagen - als Industriepolitik offengelegt. Der Subventionsbericht müßte Aussagen über die Effizienz von Subventionen für einzelne Wirtschaftszweige enthalten, die den davon betroffenen Verbänden, Gewerkschaften und Verbraucherverbänden zur politischen Auseinandersetzung zur Verfügung gestellt werden. Der Subventionsbericht müßte politische Absichtserklärungen für den Abbau und den Umbau von Subventionen enthalten. Der Subventionsbericht müßte begründen, warum Gebote und Verbote Subventionen nicht ersetzen können. Der Subventionsbericht müßte Industriepolitik, die Entwicklung des Dienstleistungssektors und der Sozialpolitik politisch transparent machen. All dies tut er nicht.
Jetzt zwei Beispiele, die der Marktwirtschaftsideologie, die der Präambel des Subventionsberichts zu entnehmen ist, genau widersprechen. Da heißt es: Der Staat kann und soll nicht mit seiner Subventionspolitik über die Art und Richtung des Strukturwandels bestimmen. Das ist schlichtweg eine Lüge; ich will sie mit zwei Beispielen belegen.
Erstens: Airbus. Bis 1991 sind dafür in der Finanzplanung jährlich eine Milliarde DM an Subventionen ausgewiesen. Die Subventionen pro Arbeitsplatz werden für 1987 mit 23 200 DM veranschlagt, für 1988 steigen sie pro Arbeitsplatz auf 45 800 DM. Die Vorgabe lautet industriepolitisch: Der Airbus soll ein Drittel Weltmarktanteil erreichen, koste es, was es will. Das steht aber nicht im Subventionsbericht.
Zweitens: Raumfahrt. Dafür werden bis zum Jahre 2000 35 Milliarden DM vergeben. Diese Subventionen für die Raumfahrt lassen sich in keiner Weise einer Nutzungsrechnung unterwerfen, wie das Bundesforschungsministerium selber zugibt. Von daher kann man nur sagen: Sie betreiben staatliche Subventionspolitik ohne ausgewiesene Industriepolitik. Genau das müßten wir hier debattieren, weil das unsere Aufgabe ist.
Leider ist meine Redezeit abgelaufen; ich muß hier schließen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Beim Stichwort Subventionsabbau ist nahezu jeder der Auffassung, daß mehr in Richtung Subventionsabbau getan werden sollte. Geschieht dies aber, so wollen die Betroffenen davon meist nichts wissen, und sehr schnell schlägt die öffentliche Diskussion um. Ich erinnere nur an die aktuellen Beispiele von Steinkohle und Stahl.
Trotzdem, so glaube ich, weist der vorliegende Subventionsbericht eindrucksvoll auf, daß es die Bundesregierung mit dem Abbau von Subventionen ernst meint. Im Zusammenhang mit der Steuerreform werden wir Steuersubventionen in einer Größenordnung von nahezu 20 Milliarden DM abbauen und gleichzeitig dafür Sorge tragen, daß neben der spürbaren und dauerhaften Steuerentlastung das Steuergefüge verbessert wird: Es wird einfacher, gerechter und volkswirtschaftlich wirksamer.
Dabei ist gewährleistet, daß alle Gruppen unserer Gesellschaft in angemessener und ausgewogener Weise ihren Beitrag zum Abbau der Steuersubventionen leisten. So entfallen rund 5 Milliarden DM auf den Bereich der Unternehmen und rund 4 Milliarden DM auf die Arbeitnehmer. Ein weiterer Anteil von 8,5 Milliarden DM bezieht sich auf Maßnahmen, die einer gleichmäßigeren Besteuerung von Einkommen aus verschiedenen Einkunftsarten dienen.
Insgesamt kann festgehalten werden, daß diese Entscheidungen sozial ausgewogen, leistungsfördernd und wettbewerbsförderlich sind und unsere Steuerstruktur insgesamt verbessern.
Neben dem Abbau von Steuervergünstigungen, der im Zuge der Steuerreformentscheidungen zunächst Vorrang haben mußte, drängt die FDP nun darauf, auch bei den Finanzhilfen des Bundes mit dem Abbau der Subventionen Ernst zu machen. Auch die Bundesregierung erkennt diesen Handlungsbedarf an. So sieht die mittelfristige Finanzplanung einen kontinuierlichen Rückgang der Finanzhilfen vor. Bis 1991 sollen die Subventionen von jetzt rund 15 Milliarden DM auf knapp über 12 Milliarden DM zurückgeführt werden. Das ist immerhin ein Abbau von rund 20 %. Mehrere Finanzhilfen werden entfallen, laufen demnächst aus bzw. sind zeitlich begrenzt. Herr Kollege Roth hat darauf eben schon hingewiesen. Ich erinnere nur an Investitionszuschüsse sowie Erblasten im Steinkohlebergbau, den Wohnungsbau oder die Personalförderung im Rahmen des F- und E-Programms.
Wichtig ist andererseits aber auch, daß die Finanzhilfen in den letzten Jahren zugenommen haben. Die Steigerung um rund 1,5 Milliarden DM erklärt sich weitgehend aus den wechselkursbedingten Mehrausgaben für die Kokskohlenbeihilfe. Der Anteil der Subventionen durch den Bund ist kontinuierlich begrenzt worden. Er beträgt heute 1,5 % des Bruttosozialprodukts, während er noch in den 70er Jahren bei rund 2 % lag.
Bei aller Kritik an den Subventionen sollte aber auch die positive Seite nicht außer acht gelassen werden. Sinnvoll eingesetzte Subventionen dienen der
Förderung des Strukturwandels und stellen häufig eine soziale Flankierung von unabweisbaren Anpassungen dar. Anpassungshilfen, so glaube ich, sind da wünschenswert, wo bruchartige Entwicklungen, unzumutbare soziale Härten vermieden werden müssen. Trotzdem darf der notwendige Wandlungsprozeß nicht aufgehalten werden. Dauersubventionen lösen die Anpassungsprobleme nicht. Was vertretbar ist, meine Damen und Herren, sind gezielte, flankierende und zeitlich befristete Hilfen, wie wir sie entgegen dem, was Sie hier ausgeführt haben, Frau Kollegin Simonis, z. B. im Ruhrgebiet und an der Saar bei der Steinkohlebeihilfe eingesetzt haben und einsetzen werden.
Der Abbau von Subventionen in der Bundesrepublik muß darüber hinaus, so meine ich, auch im Zusammenhang mit der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Ländern gesehen werden. Deswegen setzt sich die Bundesregierung in der Europäischen Gemeinschaft und in internationalen Organisationen und Institutionen auch konsequent dafür ein, daß die Subventionsgewährung in allen Staaten transparenter gemacht wird, weil internationaler Subventionswettbewerb letztlich allen schadet.
Lassen Sie mich zum Schluß festhalten, daß trotz aller Unkenrufe die Bundesrepublik Deutschland im internationalen Vergleich, so schwierig das aus systematischen Gründen auch darzustellen ist, zusammen mit den USA und Japan zu den Ländern gehört, die am wenigsten Finanzhilfen gewähren. Weiterer Subventionsabbau, meine Damen und Herren, wird auch in Zukunft das Ziel der FDP-Fraktion in diesem Hause sein. Wir werden die Bundesregierung hierbei unterstützen.
Vielen Dank.
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Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Elften Subventionsbericht der Bundesregierung an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Damit sind wir am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 3. Februar 1988, 13 Uhr ein.
Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen.