Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/13/1987

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Die Sitzung ist eröffnet. Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich vortragen, daß sich der Ältestenrat in seiner gestrigen Sitzung darauf verständigt hat, in der Sitzungswoche vom 23. bis 27. November 1987 mit Rücksicht auf die Haushaltsberatungen keine Fragestunden und Aktuellen Stunden zuzulassen. Des weiteren wurde interfraktionell vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts zu der EG-Vorlage auf Drucksache 11/1176 zu erweitern. Gleichzeitig soll von der Frist für die Beratung der Vorlage abgewichen werden. Sind Sie mit der Abweichung von der Geschäftsordnung und der Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Die Fraktion der FDP hat für den ausgeschiedenen Abgeordneten Dr. Rumpf nunmehr den Abgeordneten Dr. Hitschler als ordentliches Mitglied in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates benannt. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Abgeordnete Dr. Hitschler als Mitglied der Bundesrepublik Deutschland in die Parlamentarische Versammlung des Europarates gewählt. Ich rufe nun den soeben aufgesetzten Zusatztagesordnungspunkt 7 auf: Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung betr. Vorschlag für einen Beschluß des Rates über ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Förderung der beruflichen Rehabilitation und der wirtschaftlichen Eingliederung der Behinderten - Drucksache 11/1176 Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Amtszeit der Jugendvertretungen in den Betrieben - Drucksache 11/948 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({0}) - Drucksache 11/1140 Berichterstatter: Abgeordneter Müller ({1}) ({2}) Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist auch dieses so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Müller ({3}).

Alfons Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Regierungskoalition hat einen Gesetzentwurf zur Fristverlängerung der Amtszeit bestehender Jugendvertretungen eingebracht, den ich kurz begründen möchte. Bisher werden nach dem Betriebsverfassungsgesetz von 1972 in Betrieben, die mindestens fünf Beschäftigte unter 18 Jahren haben, Jugendvertretungen gewählt. Seit 1972 haben sich die Verhältnisse aber grundlegend geändert. Heute sind über 50 % aller neu auf den Arbeitsmarkt kommenden Menschen bereits über 18 Jahre alt. Schon 1985 waren nicht einmal mehr als 30 % aller Auszubildenden unter 18 Jahre. Es haben sich Bedingungen entwickelt, die klar zu Lasten der Jugendvertretungen gehen, wenn wir keine Änderungen vornehmen. Wenn wir jedoch die demokratische Gesinnung unserer jungen Bürger stärken wollen, dann müssen wir ihnen bereits frühzeitig in wesentlichen Bereichen der Unternehmen Mitspracherechte einräumen. Dann darf das aktive Wahlrecht nicht länger - wie nach der jetzigen Regelung - mit dem 18. Lebensjahr enden. Wenn alles so bleibt wie bisher, verringert sich die Möglichkeit rapide, nach dem alten Recht Jugendvertretungen arbeiten zu lassen. Es verwundert nicht, Müller ({0}) daß die Zahl der Jugendvertretungen in der Vergangenheit von 12 000 auf 7 000 zurückgegangen ist. Wo nur wenige Wahlberechtigte sind, können auch nur wenige Jugendvertreter gewählt werden. Bereits seit Ende der 70er Jahre ist dieser Rückgang zu beobachten, der sich in den 80er Jahren weiter verstärkt hat. Die Zahl der Jugendvertreter hat sich in den vergangenen zehn Jahren fast halbiert. Dieser Trend, meine Damen und Herren, muß gestoppt werden; ({1}) denn die Probleme eines 19jährigen in der Erstausbildung sind fast identisch mit denen eines Arbeitnehmers unter 18 Jahren. Die Gründe für das immer spätere Eintreten Jugendlicher und junger Erwachsener in den Betrieb oder in ihre Dienststelle sind gesellschaftlich vorgegeben. Die Verlängerung von Schulzeiten, aber auch neue Schulformen, wie Vollzeitberufsschulen und Berufsgrundschuljahre, sind wesentliche Gründe für diese Entwicklung. Dazu kommt die Verlagerung der Schülerzahlen von der Haupt- zur Realschule und zu den Gymnasien. Zudem hat sich der Eintritt in das Arbeitsleben vom Frühjahr auf den Frühherbst verlagert. Es ist also sinnvoll, den Wahltermin in die Zeit vom 1. Oktober bis zum 30. November zu verlegen. Mit dieser Änderung erfüllen wir eine wichtige Forderung des DGB und vor allem auch die Wünsche der betroffenen Jugendlichen; denn auch im nächsten Jahr würden wiederum Tausende von Jugendvertretern für diese Arbeit verlorengehen, würden die im Frühjahr fälligen Wahlen nach der bisherigen Rechtslage stattfinden. Dieses Ausbluten der Jugendvertretungen wirkt sich nachteilig aus, und zwar auch auf die Arbeit der Gewerkschaftsjugend, da die Amtsinhaber in der Regel auch in die gewerkschaftlichen Orts- und Kreisjugendausschüsse berufen werden und sich dort engagieren. Es macht also wenig Sinn, die für das Frühjahr 1988 gesetzlich vorgesehenen nächsten Wahlen stattfinden zu lassen. Die so gewählten Jugendvertretungen blieben dann nur ein halbes Jahr im Amt. Daher verlängern wir die Amtszeit der gegenwärtigen Jugendvertretungen bis Herbst 1988. Meine Damen und Herren, ich freue mich, daß alle Fraktionen im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung diesem Vorhaben zustimmen. Nun wollte die SPD-Fraktion mit ihrem Gesetzentwurf heute schon die Ausweitung der Rechte der Jugendvertretungen und die Ausweitung in eine Jugend- und Auszubildendenvertretung beschließen lassen. Aber selbst wenn der Antrag der SPD-Fraktion heute angenommen würde, wäre der zeitliche Rahmen für die Jugendvertreterwahlen im ersten Halbjahr des nächsten Jahres zu kurz; ({2}) denn bereits im März müßte das Gesetz verkündet werden, würde die Umwandlung ohne Vorschaltgesetz erfolgen. Wir brauchen auch zwei Monate Vorlaufzeit für die Vorbereitung der Wahlen in den Betrieben, um die Wahlvorstände gründen zu lassen. Eine Wahlordnung müßte neu beraten und entschie den werden. Meine Damen und Herren, wir sollten uns nicht unnötig selbst unter Zeitdruck setzen und sehen unseren Weg als die sauberste Lösung an. ({3}) In der Koalitionsvereinbarung haben wir unsere Absicht bekundet, die Ausweitung der Jugendvertretung in eine Jugend- und Auszubildendenvertretung vorzunehmen. Wir folgen damit den Erkenntnissen der Enquete-Kommission „Jugendprotest im demokratischen Staat", die in ihrem Schlußbericht u. a. die Ausweitung der Jugendvertretung mit verstärkten Kompetenzen fordert. Meine Fraktion hat am Dienstag dieser Woche gemeinsam mit der FDP einen entsprechenden Gesetzentwurf formuliert und eingebracht. Wir beraten die Umwandlung der Jugendvertretungen in Jugend- und Auszubildendenvertretungen in den nächsten Monaten. Dabei geht es nicht nur um ein paar redaktionelle Änderungen, sondern es geht um eine inhaltlich klare Ausgestaltung der Mitspracherechte junger Arbeitnehmer im Betrieb. Kurzatmiger Aktionismus ist daher fehl am Platz. ({4}) Wir brauchen Zeit, um für die Verankerung von Jugend- und Auszubildendenvertretungen ein fundiertes und solides Konzept vorzulegen, das auch inhaltlich - das ist das Entscheidende, meine Damen und Herren von der SPD - mit dem Betriebsverfassungsgesetz in Einklang gebracht werden kann. Diesen gleichen Weg werden wir mit dem Personalvertretungsgesetz ebenfalls einschlagen. Denn Ihr Gesetz, meine Damen und Herren von der Opposition, macht deutlich, daß es im Detail von unseren Überlegungen abweichende Vorstellungen gibt. Ich darf die wichtigsten Punkte nennen. Erstens. Wir möchten an der Einheit der Jugend- und Auszubildendenvertretung mit dem Betriebsrat festhalten. ({5}) - Nein, die SPD - das ist der entscheidende Unterschied - will auch dort, wo es keinen Betriebsrat gibt, eigenständige Jugend- und Auszubildendenvertretungen zulassen. ({6}) Meine Damen und Herren, eine Jugend- und Auszubildendenvertretung ohne Betriebsrat ist für uns undenkbar. Zweitens. Wir sprechen uns für ein minderheitenfreundliches Verhältniswahlrecht aus, wogegen Sie am Mehrheitswahlrecht festhalten wollen. ({7}) Drittens. Die SPD will die Einrichtung von Sprechstunden unabhängig von der Zahl der beschäftigten Jugendlichen und Auszubildenden. Wir aber halten am gültigen Gesetzestext fest, wonach erst ab 51 Jugendlichen und Auszubildenden Sprechstunden stattfinden können. Müller ({8}) Meine Damen und Herren, wenn Sie Ihren Entwurf einmal ganz kritisch überprüfen, dann kommen Sie zu der Feststellung, daß Sie dabei sind, die Prinzipien des Betriebsverfassungsgesetzes zu verlassen. Sie setzen unnötigerweise die einheitliche Interessenvertretung durch den Betriebsrat aufs Spiel. ({9}) Damit uns solche Fehler nicht unterlaufen, nutzen wir die Frist, um über Inhalte und nicht über Formalitäten zu diskutieren. Meine Damen und Herren, wir werden die beiden Entwürfe - den der CDU/CSU und der FDP und den der SPD - in den nächsten Monaten sorgfältig beraten, und wir werden dabei die Vorschläge der Gewerkschaftsjugend und der CDA-Jugendorganisation „Junge Arbeitnehmerschaft" als wichtige Anregungen mit in unsere Beratungen einfließen lassen. Meine Damen und Herren, meine Fraktion stimmt der heute vorliegenden Koalitionsvorlage uneingeschränkt zu. ({10})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Andres. ({0})

Dr. h. c. Gerd Andres (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen, mit dem die Amtszeit der zur Zeit bestehenden Jugendvertretungen, die gemäß Betriebsverfassungsgesetz zum 30. April 1988 enden würde, bis längstens 30. November verlängert wird. Die Möglichkeit zur Wahl einer Jugendvertretung besteht seit 35 Jahren. Bereits das Betriebsverfassungsgesetz von 1952 sah die Wahl einer Jugendvertretung vor. Bei der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes 1972 durch die sozialliberale Koalition wurden die Organisation, die Aufgabenstellung und die Rechte der Jugendvertretung unter dem Gesichtspunkt der aktiven Teilnahme der Jugendlichen am betrieblichen Geschehen neu konzipiert und erstmals ein besonderer Abschnitt zur Jugendvertretung in das Gesetz aufgenommen. Der erhebliche Ausbau der Aufgaben und der Stellung der Jugendvertretung durch die Novellierung im Jahre 1972 hatte seine Ursache u. a. darin, daß gravierende Veränderungen in unserem dualen Ausbildungssystem stattfanden und die damalige Regierungskoalition gleichzeitig die erklärte Absicht verfolgte, die Beteiligungs-, Beratungs- und Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer in allen Bereichen unserer Gesellschaft auszubauen. Herr Müller, nach dem, was Sie hier gesagt haben, und nach den Diskussionen, die bisher zu diesen Thema geführt worden sind, kann ich diese Absicht bei der jetzigen Regierungskoalition nicht erkennen. War bereits 1972 eine Aktualisierung des Betriebsverfassungsgesetzes auch in bezug auf die Jugendvertretung notwendig geworden, weil sich die Grundlagen für die Arbeit geändert hatten, so gibt es heute weitere neue Bedingungen. Durch Verlängerung der allgemeinen Schulpflicht, Ausbau der Vollzeitberuf s-schulen und des Berufsgrundbildungsjahres ist das Eintrittsalter der Jugendlichen beim Eintritt in die Betriebe erheblich angestiegen. Eine Beschäftigung von Jugendlichen nach der Entlassung aus der Schule als Jungarbeiter findet auf Grund der technologischen Entwicklung heute kaum noch statt. Nach einer Untersuchung des Arbeitgeberverbandes Chemie und verwandte Industrien für das Land Hessen waren 1986 46 % der Auszubildenden 19 Jahre und älter. Im Jahre 1979 lag dieser Anteil noch bei 27 %. Diese Entwicklung hat bewirkt, daß sowohl die Zahl der jugendvertreterpflichtigen Betriebe als auch die Zahl der gewählten Jugendvertreter ständig rückläufig ist. Die SPD-Bundestagsfraktion hat deshalb bereits vor Jahren gefordert, die Jugendvertretung nach dem Betriebsverfassungsgesetz und nach dem Personalvertretungsgesetz in eine Jugend- und Auszubildendenvertretung weiterzuentwickeln. ({0}) Trotz vieler Zusagen und Absichtserklärungen von FDP und Union befassen wir uns heute nicht mit einem Gesetz, das die Schaffung einer Jugend- und Auszubildendenvertretung beinhaltet und die materiellen Rechte der Jugendvertretung neu regelt, sondern die Koalitionsfraktionen haben es lediglich geschafft, hier einen Gesetzentwurf zur Verlängerung der Amtszeit vorzulegen. ({1}) Trotz aller Beteuerungen, Herr Kollege Müller, haben Sie es nicht geschafft, bis zum jetzigen Zeitpunkt der Öffentlichkeit gegenüber Ihre inhaltlichen Vorstellungen zur Schaffung und zur Regelung der Jugend- und Auszubildendenvertretungen vorzustellen. ({2}) Bereits 1983 hat die vom Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission „Jugendprotest im demokratischen Staat" einmütig eine solche Jugend- und Auszubildendenvertretung gefordert. Wir haben bereits im Dezember 1985 einen Gesetzentwurf zur Ausweitung der Rechte der Jugendvertretungen hier im Bundestag eingebracht. Damals, Herr Kollege Müller, haben Sie an dieser Stelle, und zwar vier Monate später, eine Rede gehalten, in der Sie folgendes ausgeführt haben - ich will Sie einmal zitieren - : Meine Fraktion bereitet eine Gesetzesinitiative vor, die den veränderten Verhältnissen Rechnung trägt und die die Jugendvertretung in eine Jugend- und Auszubildendenvertretung ausweiten wird. ({3}) Auf eine Nachfrage des Abgeordneten Dreßler, ob diesem Begehren denn noch fristgemäß im letzten Jahr hätte entsprochen werden können, haben Sie geantwortet: Ich gehe davon aus, daß die von uns vorbereitete Initiative rechtzeitig auf den Weg kommt. ({4}) Das war eine sehr sibyllinische Antwort. Ich muß Ihnen sagen: Sie haben eineinhalb Jahre gebraucht, um heute eine läppische Fristverlängerung hier vorzulegen; das ist ein Skandal. ({5}) Ich will hier für die SPD-Bundestagsfraktion feststellen, daß die Koalitionsfraktionen außer einem dünnen Amtszeitverlängerungsgesetz bisher keine derartige Initiative ergriffen haben. Ich denke, daß dieser Tatbestand von den gewählten Jugendvertretern und von vielen Jugendlichen und Auszubildenden in den Betrieben und Verwaltungen entsprechend gewürdigt wird. ({6}) Ich stelle weiter fest, daß die Koalitionsfraktionen mehr als eineinhalb Jahre nach der damaligen Debatte vom 20. März 1986 nicht in der Lage sind, eine gesetzliche Regelung vorzulegen.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Scharrenbroich?

Dr. h. c. Gerd Andres (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn mir das nicht angerechnet wird, gerne.

Heribert Scharrenbroich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001945, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, können Sie sich mit mir darüber freuen, daß die Koalitionsfraktionen in dieser Woche auch die Gesetze beschlossen haben, nach denen die Jugend- und Auszubildendenvertretungen im kommenden Jahr, rechtzeitig zu dem neuen Wahltermin, installiert werden? Können Sie sich also mit mir darüber freuen, daß es eine Jugend- und Auszubildendenvertretung gibt?

Dr. h. c. Gerd Andres (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Scharrenbroich, ich kann mich mit Ihnen darüber freuen. Ich will Ihnen nur sagen: Wenn Ihre Fraktionen in die Strümpfe gekommen wären, ({0}) hätten wir heute hier eine materielle Regelung und ein komplettes Gesetz verabschieden können, das alles vom Tisch bringt. ({1}) Eine gesetzliche Regelung ist seit März 1986 nicht vorgelegt worden. Ich denke, daß das, was Sie in Ihren Sonntagsreden immer artikulieren, von den Jugendlichen in den Betrieben, von den Auszubildenden und von den Jugendvertretungen auch wahrgenommen wird. Weiterhin weise ich darauf hin, daß die SPD-Bundestagsfraktion mit Datum vom 14. Oktober 1987 erneut einen kompletten Gesetzentwurf vorgelegt hat, in dem alle Probleme, die mit der Schaffung der Jugend- und Auszubildendenvertretungen zusammenhängen, in ausgezeichneter Weise geregelt sind. Wir könnten, statt heute in der zweiten und dritten Lesung die Fristverlängerung für die Amtszeit der Jugendvertretungen zu beschließen, bereits den Gesamtkomplex hier abschließen und sowohl die Wahlrechte als auch die materiellen Rechte der Jugend- und Auszubildendenvertretungen weitgehend nach den Forderungen der Betroffenen regeln. Herr Kollege Müller, ich will Ihnen sagen: Das, was Sie vorlegen werden, wird nichts anderes sein als ein formaler Gesetzentwurf, der an den materiellen Rechten der Jugend- und Auszubildendenvertretungen nichts ändern wird. ({2}) Sowohl die von Ihnen zitierte Gewerkschaftsjugend als auch die KAB-Jugend - Sie sind ja der Vorsitzende der KAB - werden das entsprechend zu würdigen wissen. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum zweitenmal in diesem Jahr spreche ich zu einem von der Koalition aus CDU/CSU und FDP vorgelegten Gesetzentwurf, der im Prinzip eine sachlich notwendige und dauerhafte Regelung im Bereich der Arbeitnehmervertretung bzw. -mitbestimmung nicht vornimmt. Bei der letzten Debatte ging es um die Montan-Mitbestimmung; Sie werden sich erinnern. ({4}) Es muß, glaube ich, auch deutlich gesagt werden, warum hier immer nur Fristverlängerungen vorgelegt werden. Es liegt nämlich an Ihren Koalitionsabsprachen. Ich bedauere eigentlich, daß sich jemand wie Herr Müller, der ja in der Arbeitnehmerbewegung groß geworden ist, von der FDP sozusagen in die Zange nehmen läßt und hier einen Gesetzentwurf vertreten muß, der nur darauf zurückzuführen ist, daß die FDP in den Koalitionsabsprachen ein Paket gebunden hat, in dem Fragen der Betriebsverfassung, der Jugend- und Auszubildendenvertretungen, der leitenden Angestellten und der Montansicherung zusammengeschnürt werden. Sie konnten hier gar keinen Gesetzentwurf vorlegen und beraten lassen, weil das Ihr Koalitionspartner überhaupt nicht zugelassen hätte. Ich sage Ihnen: Damit ist wieder einmal klar, daß hier die Jugend- und Auszubildendenvertretung von Ihrem Koalitionspartner sozusagen als Faustpfand benutzt wird, um andere Regelungen - wie die über Sprecherausschüsse für leitende Angestellte oder die Mitbestimmung im Montanbereich - zeitlich entsprechend zu koppeln und hier dann zeitlich gemeinsam beraten zu können. Dieser Skandal, denke ich, muß auch nach außen deutlich gemacht werden. ({5}) Ich möchte eine Bemerkung aber auch an die GRÜNEN richten, weil ich weiß, daß diese Debatte insbesondere von vielen Jugendlichen und Jugend- und Auszubildendenvertretungen wahrgenommen wird. Es ist bezeichnend, daß in den ganzen bisherigen Beratungsverfahren von den GRÜNEN kein materieller Vorschlag vorgelegt worden ist. Ich will hier feststelAndres len: Die einzigen, die bisher etwas vorgelegt haben, war die SPD-Fraktion. ({6}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden dennoch dem heute vorliegenden Entwurf zustimmen. Wir tun dies nicht, weil wir diesen Verfahrensweg für das Nonplusultra halten, sondern wir tun dies, weil auch in unserem Gesetzentwurf die Verlegung des regelmäßigen Termins für die Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung auf die Monate Oktober und November vorgesehen ist. Wir tun dies auch, weil bei einer gesetzlichen Regelung zur Verlegung des Wahltermins eine Übergangsregelung notwendig gewesen wäre. Wir tun dies allerdings mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die jeweiligen Knebelungsbedingungen, die bei vielen gesetzlichen Vorhaben, insbesondere im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik, dieser Koalition eine Rolle spielen. Ein solches Vorschaltgesetz - ich sage es noch einmal - wäre eigentlich nicht nötig. Wir könnten heute die Jugend- und Auszubildendenvertretungen auch in ihrem materiellen Gehalt abschließend regeln. Meine sehr verehrten Damen und Herren von den Koalitionsparteien, im Ausschuß ist es gesagt worden: Sie sind mit gesetzlichen Vorhaben immer dann besonders schnell, wenn es darum geht, Rechte und Leistungen für die vielen Menschen in unserem Lande zu beschneiden. Da sind Sie mit Ihren Gesetzesvorlagen und auch mit den Abläufen ganz flott. ({7}) Sie brauchen immer dann sehr viel Zeit und können sich nur auf Minimalregelungen einigen - wir werden das dann bei Ihrem Entwurf sehen und auch belegen können - , wenn es darum geht, mehr demokratische Beteiligung, mehr Mitbestimmung zu erreichen und die materiellen Bedingungen für viele Hunderttausende Menschen in diesem Lande zu verbessern. Dann müssen Sie lange überlegen, kommen nicht zu Potte und können sich nur auf Minimallösungen einigen. Ich denke, auch dies wird deutlich, wenn wir dann die materiellen Gesetzentwürfe miteinander diskutieren und vergleichen. Ich denke, daß es eine Aufgabe der SPD-Fraktion ist, den Jugendlichen, den Auszubildenden, den Jugendvertretungen und den Verbänden gegenüber deutlich zu machen, daß Sie durch einen formalen Trick, der durch Ihre taktischen Koalitionsspiele bedingt ist, nicht in der Lage sind, den materiellen Bereich der Jugend- und Auszubildendenvertretungen hier zu regeln. Die SPD-Fraktion wird weiter daran arbeiten, daß Sie für diese Form von Politik hoffentlich nicht mehr allzulange Zeit haben. Ich danke Ihnen. ({8})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Thomae.

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein weiterer Schritt zur Verwirklichung der in der Koalitionsvereinbarung niedergelegten Zusage, die Jugendvertretungen in den Betrieben in Jugend- und Auszubildendenvertretungen umzuwandeln. Niemand bestreitet, daß in den letzten Jahren die Zahl der Jugendvertretungen rapide abgenommen hat oder diese Vertretungen vielfach zu einer Einmann-oder Einfraushow geworden sind. Die Gründe dafür sind bekannt. Senkung des Volljährigkeitsalters, die notwendige Verlängerung der allgemeinen Schulzeit, aber auch die Tatsache, daß viele Jugendliche nach dem Abitur eine Ausbildung beginnen, führten dazu, daß immer weniger Jugendliche eine Jugendvertretung wählen können. Dies wollen wir ändern. ({0}) An dieser Stelle verdient hervorgehoben zu werden, daß seit langen Jahren gerade die DAG nachhaltig das Ziel einer Umwandlung von Jugendvertretungen in Jugend- und Auszubildendenvertretungen verfolgt hat. Ihrem hartnäckigen Bohren ist es mit zu verdanken, daß wir in dieser Frage, langsam, aber kontinuierlich vorwärtskommen. Wenn jetzt von manchen Kollegen der SPD der Eindruck erweckt wird, als sei man immer schon der Auffassung gewesen, diese Umwandlung sei notwendig, so ist darauf hinzuweisen, daß der frühere Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, der Kollege Buschfort, erklärt hat: Die dem Vorschlag einer Einbeziehung aller jugendlichen Auszubildenden in die Jugendvertretung zugrunde liegende Ansicht, daß andernfalls eine angemessene Interessenvertretung der Auszubildenden nicht mehr gewährleistet sei, ist deshalb meines Erachtens mit der Konzeption des geltenden Betriebsverfassungsrechts nicht vereinbar. ({1}) Dies nur zur Klarstellung. Wenn jetzt überall im Hohen Hause Einvernehmen über den notwendigen Handlungsbedarf besteht, so ist dies zu begrüßen. Man sollte sich aber bei der Gelegenheit auch darüber klarwerden, welche Funktion die Jugend- und Auszubildendenvertretung hat. Bisher war es gängige Meinung, daß die Jugendvertretungen dazu dienen sollen, die jugendlichen Arbeitnehmer unter 18 Jahren von Anfang an mit den Regeln und der Praxis der betrieblichen Demokratie vertraut zu machen. Dies ist sicherlich auch künftig ein wichtiges Anliegen. Zugleich soll und muß die Jugendvertretung aber auch, wenn man die volljährigen Auszubildenden einbezieht, darauf ausgerichtet sein, die besonderen Anliegen und Wünsche aller Auszubildenden, die trotz der Altersunterschiede weitgehend ähnlich sein werden, an den Betriebsrat heranzutragen. Im Verhältnis Jugendvertretung und Betriebsrat dürfen keine Zweifel darüber bestehen, wer die Interessen aller Arbeitnehmer - mit Ausnahme der leitenden Angestellten - gegenüber dem Arbeitgeber vertritt, nämlich der Betriebsrat. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird erreicht, daß die nächsten Wahlen nicht zu Jugendvertretun2660 gen, sondern zu Jugend- und Auszubildendenvertretungen stattfinden werden. ({2}) - Das werden wir schon machen. Es wird auch erreicht, daß diese Wahlen, kurz nachdem die Jugendlichen in den Betrieb eingetreten sind, durchgeführt werden. Wir wollen damit gleichzeitig verhindern, daß die Jugendvertretungen, die vor dem Herbst 1988 Wahltermine hätten, nach dem alten Recht gewählt würden. Dies wäre unzweckmäßig, denn sie blieben dann nur etwa ein halbes Jahr im Amt. In diesen letztgenannten Punkten stellt der Gesetzentwurf somit schon einen Vorgriff auf die endgültige Regelung dar. Ich danke Ihnen. ({3})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Krieger.

Verena Krieger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001218, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, der Gegenstand der heutigen Debatte ist eigentlich sehr merkwürdig, denn eigentlich müßte hier heute eine überfällige Gesetzesänderung beraten werden, nämlich eine Umwandlung der Jugendvertretungen in Jugend- und Auszubildendenvertretungen. ({0}) - Richtig, das liegt vor, und darüber müßte meiner Auffassung nach heute beraten werden. Statt dessen geht es nur um eine Verlängerung der Amtszeit der Jugendvertretungen, und irgendwann einmal soll dann die Umwandlung in Jugend- und Auszubildendenvertretungen stattfinden. Das Verfahren ist sehr merkwürdig, denn das Problem, um das es geht, ist seit Jahren bekannt. Es ist ja nicht so, daß erst seit einem Jahr davon die Rede ist, sondern seit Jahren wird von den Gewerkschaften darauf hingewiesen, daß die Jugendvertretungen ausgedünnt werden, daß immer weniger gewählt werden können, weil es weniger Azubis gib, weil es immer weniger Wahlberechtigte gibt, weil sie im Durchschnitt älter sind. Das wiederum liegt daran, daß sie im Durchschnitt länger zur Schule gehen oder zwischendurch arbeitslos gewesen sind. Das heißt, diejenigen, die 18 Jahre und älter sind, fallen heraus, ihre Interessen werden nicht mehr mit vertreten, obwohl es wirklich überhaupt keine materielle Begründung dafür gibt, warum sie von den Jugendvertretungen nicht mit vertreten werden sollen. Es ist ein unhaltbarer Zustand, daß die Jugendvertreter im Moment nur für einen Teil der Auszubildenden sprechen können. Seit Jahren wird von den Gewerkschaften die Umwandlung der Jugendvertretungen in Jugend- und Auszubildendenvertretungen gefordert. Dem haben sich Jugendverbände angeschlossen, meines Wissens auch die Junge Union. Dem hat sich die Enquete-Kommission „Jugendprotest" angeschlossen, wie vorhin schon erwähnt worden ist. Es gab bereits in der letzten Legislaturperiode einen SPD-Gesetzentwurf, und ich finde, es ist sehr erstaunlich, daß heute nicht dieser Entwurf behandelt wird, sondern statt dessen nur dieses Vorschaltgesetz, diese Übergangsregelung mit einer Amtszeitverlängerung. Dieses Verfahren finde ich sehr merkwürdig. ({1}) Es geht natürlich um noch mehr als um eine Umwandlung der Jugendvertretungen in Jugend- und Ausbildungsvertretungen. Es geht insgesamt darum, die Rechte der Jugendvertretungen zu stärken. Dazu gehört vor allen Dingen die Möglichkeit, daß auch in den Betrieben, in denen kein Betriebsrat existiert, Jugend- und Ausbildungsvertretungen eingerichtet werden können. Es gibt überhaupt keinen Grund, dies an die Existenz eines Betriebsrates zu koppeln. Wer das will, setzt sich dem Verdacht aus, er möchte, daß insgesamt weniger Jugendvertretungen gebildet werden. Ein weiterer Punkt: Ein wichtiges Recht, das Jugendvertretungen haben müssen, ist das, Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu begehen, um zu kontrollieren, ob Schutzbestimmungen überhaupt eingehalten werden. Es gibt noch eine Vielzahl von weiteren Detailforderungen, die ebenfalls seit Jahren bekannt sind, die nichts Neues sind. Im wesentlichen sind diese Vorschläge ja auch in dem Gesetzentwurf der SPD enthalten, und deswegen können wir uns dem im Prinzip auch anschließen, werden wir ihm zustimmen können. Allerdings gibt es in Einzelfragen auch Kritik, oder wir haben zumindest Nachfragen, was einige Details angeht. Zum Beispiel wundert es mich sehr, daß Sie nicht den Vorschlag des DGB aufgegriffen haben, daß Jugend- und Ausbildungsvertretungen dort gewählt werden müssen, wo mindestens drei Auszubildende im Betrieb sind - statt, wie es bisher der Fall ist, fünf; denn es gibt eigentlich keinen Grund, warum nicht auch und gerade in den kleinen Klitschen die Möglichkeit bestehen soll, ({2}) daß die Jugendlichen bzw. die Auszubildenden eine eigene Interessenvertretung haben. Ich finde es sehr schade, daß Sie sich in dieser Frage offensichtlich mehr an der DAG als am DGB orientieren. Aber ich denke, wir werden über diese und andere Einzelheiten sicherlich dann debattieren, wenn das hier formal auf die Tagesordnung gesetzt wird. Es ist zu hoffen, daß das sehr bald geschieht. Das Verfahren, das von der Bundesregierung in diesem Zusammenhang gewählt worden ist, ist allerdings sehr kritikwürdig. Obwohl es ein relatives Einvernehmen über die Notwendigkeit einer solchen Gesetzesänderung gibt, wird diese Angelegenheit seit Jahren verzögert und immer wieder verzögert. Ich empfinde es als eine Zumutung, heute über dieses Vorschaltgesetz debattieren zu müssen, statt über die eigentlich notwendigen Veränderungen sprechen zu können. Die GRÜNEN werden diesem Gesetzentwurf trotzdem zustimmen, und zwar deswegen, weil es sinnvoll ist, daß der Wahltermin in den Herbst verlegt wird. Das ist aber auch tatsächlich der einzige Grund, der dafür spricht, dem zuzustimmen. Ansonsten hoffen wir, daß jetzt endlich Ihr Versprechen eingehalten wird, und daß die notwendigen Veränderungen tatsächlich angegangen werden. ({3})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herrn Vogt, das Wort.

Wolfgang Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002384

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Jugendvertretung soll das Sprachrohr der jugendlichen Auszubildenden gegenüber dem Betriebsrat sein. Das war 1972 die Absicht des Gesetzgebers. Diese Aufgabe - Vertretung der Interessen der jugendlichen Auszubildenden gegenüber dem Betriebsrat - kann die Jugendvertretung heute nicht mehr erfüllen. Die Gründe dafür sind genannt worden. Deshalb sind sich, so glaube ich, alle hier im Hause darüber einig, daß die Jugendvertretung in eine Jugend- und Ausbildungsvertretung umgewandelt werden muß, denn auch die Interessen des Auszubildenden über 18 Jahre müssen mit Hilfe des Sprachrohrs „Jugend- und Ausbildungsvertretung" gegenüber dem Betriebsrat geltend gemacht werden. Damit wir zu dieser Jugend- und Auszubildendenvertretung kommen, brauchen wir zunächst die Verlängerung der Amtszeit der jetzigen Jugendvertretungen bis zum 30. November des nächsten Jahres. ({0}) - Herr Kollege Andres, das ist kein Quatsch. Ich muß nämlich jetzt noch drei Anmerkungen machen. Ich meine, es lohnt sich eigentlich nicht, in diesem Zusammenhang sehr lange Debatten zu führen, aber wenn Sie, Herr Kollege Andres, schon darauf zurückkommen, daß wir die Geltungsdauer des MontanMitbestimmungsrechts verlängert haben, muß ich Ihnen sagen: das war doch nur die logische Folge des Gesetzes, das aus der Zeit Ihrer Verantwortung stammt. Denn Sie haben damals ein Montan-Mitbestimmungs-Auslaufgesetz beschlossen; und wir wollen und werden zusammen mit der FDP die MontanMitbestimmung dauerhaft sichern. ({1}) Sie sind immer sehr großartig und einmalig mit Gesetzentwürfen in Zeiten der Opposition; in Regierungszeiten haben Sie ganz mickrige Gesetze hier dem Haus vorgelegt. ({2})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Wolfgang Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002384

Aber gern, Herr Präsident.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Bitte sehr, Herr Kollege Urbaniak.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, wir brauchten doch gar keine Verlängerung, was die Montan-Mitbestimmung angeht, und auch keine Verlängerung für die Jugendvertretung. Sie brauchten doch nur einen Entwurf vorzulegen.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Bitte, Herr Kollege, stellen Sie eine Frage.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das werde ich machen, Herr Präsident; selbstverständlich. Wenn ich davon ausgehen darf, daß Sie sich auf den Entwurf der SPD eingerichtet haben: Haben Sie dies getan?

Wolfgang Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002384

Herr Kollege Urbaniak, diese Koalition hat einen Gesetzentwurf zur Verlängerung der Geltungsdauer des Montan-Mitbestimmungsgesetzes bis zum 31. Dezember 1988 vorgelegt und beschlossen. Wir werden die Zeit nutzen, um die Montan-Mitbestimmung dauerhaft zu sichern - eine Aufgabe, die Sie nicht geleistet haben -; und das wird in die Sozialgeschichte dieser Republik eingehen. ({0}) - Nein; das wird in die Sozialgeschichte dieser Republik eingehen. Denn bei allen Diskussionen über Montan-Mitbestimmung und paritätische Mitbestimmung: dies ist immer in Zeiten geschehen, wo die CDU, die CSU und die FDP die Regierungsverantwortung gehabt haben. ({1})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Wolfgang Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002384

Herr Präsident, da wir 60 Minuten Debattendauer haben, wird mir das, glaube ich, auf meine Redezeit nicht angerechnet?

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Nein. Das rechne ich grundsätzlich nie an.

Wolfgang Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002384

Danke.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Bitte, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Wolfgang Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002384

Gern.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Bitte.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

: Herr Staatssekretär, ich hätte, weil ich so gesetzestreu bin, von Ihnen gern gewußt, was ein „mickriges" Gesetz ist.

Wolfgang Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002384

Ein Gesetz, das die hoch gelobte Montan-Mitbestimmung nicht dauerhaft sichert, wie es die SPD in ihrer Regierungszeit zu verantworten hatte. Die zweite Bemerkung. Herr Kollege Andres, es läßt sich doch gar nicht darüber hinwegdiskutieren, daß Montan-Mitbestimmung, Betriebsverfassung, Beteiligung der Arbeitnehmer bei Einführung neuer Technologien , Jugend- und Ausbildungsvertretung und auch Sprecherausschüsse für leitende Angestellte sachlich und politisch zusammengehören. ({0}) Da gibt es doch gar nichts hineinzugeheimnissen, was die CDU/CSU und die FDP in der Koalition untereinander vereinbart haben. ({1}) Das wird ganz zügig im Lauf des Jahres 1988 aus sachlichen wie aus politischen Gründen verwirklicht werden.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Wolfgang Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002384

Selbstverständlich.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Bitte, Herr Kollege Andres.

Dr. h. c. Gerd Andres (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß die fünf Jahre, die die von Ihnen so hoch gerühmte Koalition nun im Amt ist, längst ausgereicht hätten, um sowohl die Montansicherung ordentlich zu machen - nicht nur bis Ende 1988 - als auch die Jugend- und Ausbildungsvertretung ordentlich zu regeln? ({0})

Wolfgang Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002384

Herr Kollege Andres, Sie tun jetzt so, als hätte es in der vorigen Wahlperiode im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung freie Zeit gegeben, ({0}) die wir durch andere Gesetzgebungsvorhaben hätten ausfüllen können. Nein, nein; wir hatten so viele Aufgaben zu lösen, um unser soziales Sicherungssystem zu stabilisieren, daß dieser Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung unter der Arbeitslast fast zerbrochen ist. Die Ausschußmitglieder, die in der vorigen Wahlperiode dort mitgearbeitet haben, wissen, daß sie über Gebühr strapaziert worden sind. Das ist für den Abgeordneten nicht weiter schlimm. Aber für die Mitarbeiter des Ausschusses war das zum Teil unerträglich. Das mußte geschehen, damit unser soziales Sicherungssystem wieder stabilisiert werden konnte. ({1}) - Ach! Natürlich haben wir sozialen Kahlschlag dadurch gemacht, ({2}) daß die Rentner heute wieder sichere Renten haben, ({3}) daß die Finanzlage der Rentenversicherung sich verbessert hat. Wir haben die Leistungen für die Arbeitslosen verbessert, wir haben die Trendwende auf dem Arbeitsmarkt erreicht. Wenn Sie das Kahlschlag nennen, stellen Sie sich vor die Arbeitnehmer hin und sagen Sie das! Die Arbeitnehmer werden Sie mit einer solchen Argumentation auslachen. ({4})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, ich bitte, etwas ruhiger zu sein. ({0}) - Es gehört auch zur politischen Kultur eines Landes, über die man in diesen Wochen sehr häufig diskutiert, daß man sich gegenseitig zuhört. ({1})

Wolfgang Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002384

Eine weitere Bemerkung, die ich machen möchte: Wenn auf dieses Vorschaltgesetz verzichtet würde, müßte - der Kollege Alfons Müller hat schon darauf hingewiesen - das Gesetz über die Jugend- und Auszubildendenvertretungen im März 1988 im Bundesgesetzblatt verkündet werden. Andernfalls würde nicht genügend Zeit für die Vorbereitung der Wahlen im Mai, Juni verbleiben. Nun läßt sich Zeitdruck ab und zu nicht verhindern. Aber wenn wir uns Zeitdruck nicht unnötigerweise auferlegen, ist das für die parlamentarische Beratung vernünftig. Wir brauchen gewisse Zeit zur Beratung. Wir brauchen die Zeit deshalb, weil Sie mit Ihrem Gesetzentwurf das Verhältnis zwischen Jugend- und Auszubildendenvertretung einerseits und Betriebsrat andererseits verschieben wollen, und zwar in einer Art und Weise, von der ich sage, daß das ein Verschieben auf eine schiefe Ebene sein wird. ({0}) Denn wir brauchen das Sprachrohr der Jugendlichen, der Auszubildenden gegenüber dem Betriebsrat und keine Verselbständigung der Jugend- und Auszubildendenvertretung. ({1}) Sonst kommen wir an dem Problem nicht vorbei, daß die Jugendlichen ein doppeltes Stimmrecht haben. Dieses doppelte Stimmrecht ist nur so lange zu rechtfertigen, wie die Jugend- und Auszubildendenvertretung die Jugendlichen nur gegenüber dem Betriebsrat und nicht gegenüber dem Arbeitgeber vertritt. Deshalb bedarf es schon einer sorgfältigen Debatte, wie das Verhältnis zwischen Jugend- und Auszubildendenvertretung und Betriebsrat auch zukünftig sein soll. ({2}) Wir halten jedenfalls das, was Sie vorgeschlagen haben, nicht für vernünftig. - Die Debatte, Herr Kollege Dreßler, werden wir in absehbarer Zeit hier und vor allem im Ausschuß zu führen haben. ({3}) Wir wollen die einheitliche Interessenvertretung aller jungen Arbeitnehmer gegenüber dem Betriebsrat erneuern, und zwar im Einklang mit den bewährten Grundsätzen des Betriebsverfassungsgesetzes. ({4})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Hasenfratz.

Klaus Hasenfratz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000822, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Stunde debattieren wir heute im Deutschen Bundestag über die Jugend- und Auszubildendenvertretungen. ({0}) Darüber freue ich mich. Denn als Betriebsratsvorsitzender kenne ich die Probleme der Jugendlichen und Auszubildenden in den Betrieben nur zu gut. Ich finde es auch wichtig und gut, daß wir uns heute die Zeit für diese Diskussion nehmen. Aber noch wichtiger wäre es gewesen, wenn Sie sich, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, wirklich einmal hingesetzt und ein Gesetz formuliert hätten, in dem die inhaltlichen Fragen neu geregelt werden. Dazu sind Sie, glaube ich, nicht imstande. ({1}) Mit dem heutigen Gesetzentwurf wird das Problem nur zum x-tenmal verschoben, wieder einmal auf die lange Bank gedrückt. Ihren Versprechungen, das nun in den nächsten zwei bis drei Wochen nachzuholen, sehe ich gespannt, aber auch skeptisch entgegen. Ich befürchte, daß es bei dieser Ankündigung bleiben wird. ({2}) Selbst wenn Sie aber einen Gesetzentwurf vorlegen werden, glaube ich nicht mehr daran, daß Ihnen daran gelegen ist, den Jugendlichen und Auszubildenden wirklich zu helfen. ({3}) Wenn Sie das nämlich gewollt hätten, hätten Sie schon längst Gelegenheit dazu gehabt. ({4}) Unsere Vorstellungen dazu liegen schon lange auf dem Tisch. Eine inhaltliche Auseinandersetzung zu diesem Thema haben Sie bis heute gescheut. Nach dem bisherigen Gesetz sind alle Jugendlichen unter 18 Jahren wahlberechtigt. Das führt zu kuriosen Ergebnissen. Eine Jugendvertreterin beispielsweise wollte in ihrem Betrieb eine Versammlung für alle 108 Auszubildenden anmelden. Sie erhielt von der Geschäftsführung jedoch eine Abfuhr, weil von den 108 Auszubildenden nur sieben unter 18 Jahren alt waren. Dabei liegt es doch auf der Hand, daß die Probleme aller Auszubildenden unabhängig von ihrem Alter die gleichen sind. ({5}) Wir fordern deswegen eine Regelung, die alle Jugendlichen unter 18 Jahren und alle Auszubildenden, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, zu Wahlberechtigten für eine Jugend- und Auszubildendenvertretung macht. ({6}) Diese Jugend- und Auszubildendenvertretung muß auch dann gewählt werden können, wenn in dem Betrieb - aus welchen Gründen auch immer - kein Betriebsrat besteht. ({7}) Die Jugendlichen und Auszubildenden müssen auch in diesem Fall ihre Interessen wahrnehmen können. Das ändert nichts daran, daß der Betriebs- bzw. Personalrat die zentrale Interessenvertretung aller Arbeitnehmer im Betrieb bzw. in der Dienststelle bleibt, dem die Jugend- und Auszubildendenvertretung zugeordnet ist. Wir möchten, daß die Jugend- und Auszubildendenvertretungen unabhängig von einer Mindestzahl von Wahlberechtigten - nach geltendem Recht waren es mehr als 50 - Sprechstunden durchführen können, wenn sie das für nötig halten. Natürlich müssen Ort und Zeit wie bisher auch zwischen dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber vereinbart werden. Wenn kein Betriebsrat besteht, wird die Vereinbarung natürlich unmittelbar zwischen der Jugend- und Auszubildendenvertretung und dem Arbeitgeber getroffen. Die Jugend- und Auszubildendenvertretung muß das Recht erhalten, beim Betriebsrat zu beantragen, zu klären, ob und inwieweit Auszubildende in ein Arbeitsverhältnis übernonunen werden sollen. Damit die Jugend- und Auszubildendenvertretung ihrem Überwachungsrecht gerecht werden kann, braucht sie die Möglichkeit, nach Abstimmung mit dem Betriebsrat Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu begehen. ({8}) Direkt am Arbeitsplatz sind viele Probleme schneller und unbürokratischer zu lösen als in einer Sprechstunde. Außerdem können sich die Vertreter der Jugendlichen und Auszubildenden so ein besseres Bild von der Situation am Ausbildungs- und Arbeitsplatz machen. Betriebsjugendversammlungen können ausdrücklich auch dann durchgeführt werden, wenn im Betrieb ein Betriebsrat nicht vorhanden ist oder aber, wenn er zwar vorhanden ist, selbst aber kein Interesse an einer regelmäßigen Einberufung von Betriebsversammlungen hat. Das Bedürfnis hierfür kann bei den Jugendlichen und Auszubildenden sehr viel ausgeprägter sein. Das Ausmaß der Jugendarbeitslosigkeit kennen wir alle. Diejenigen, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, tragen hier die große Last. Der Druck, der durch diese große Arbeitslosigkeit entsteht, wirkt sich aber auch auf die Jugendvertretungen aus. Im letzten Jahr hat es eine Reihe von Beispielen gegeben, die deutlich gemacht haben, daß die Arbeitgeberseite die Arbeit der Jugendvertretungen in den Betrieben behindert und dabei die drohende Arbeitslosigkeit ausgespielt hat. Deshalb müssen die Schutzrechte der gewählten Jugend- und Auszubildendenvertreter verbessert werden. ({9}) Selbstverständlich sind dabei die Ersatzmitglieder einzubeziehen. Das war auch vom Gesetzgeber so beabsichtigt; denn im geltenden Recht gibt es noch einen entsprechenden Paragraphen. In der Praxis hat er sich jedoch nicht bewährt, da er von nicht wenigen Arbeitgebern unterlaufen wird. Wir wollen die im geltenden Recht enthaltene Frist von drei Monaten vor Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses, innerhalb der ein Auszubildender vom Arbeitgeber schriftlich die Weiterbeschäftigung zu verlangen hat, streichen. Für den Fall, daß er den Auszubildenden nicht weiterbeschäftigen will und deswegen beim Arbeitsgericht einen Antrag stellt, soll die Entbindung von der Übernahmepflicht erst mit der Rechtskraft des arbeitsgerichtlichen Verfahrens wirksam werden. Nur so ist nämlich gewährleistet, daß den Mitgliedern der Jugend- und Auszubildendenvertretung tatsächlich ein realer Schutz gegeben wird. Ein gewonnener Prozeß nach mehreren Jahren kann diesen Schutz nicht geben, da eine Eingliederung in den Betrieb dann kaum noch möglich ist. Ich bin gespannt, ob Sie diese Anregung von uns aufgreifen. Konsequent wäre es. Denn in einem Gesetzentwurf aus der 7. Wahlperiode, nämlich im Entwurf zur Änderung des Kündigungsschutzgesetzes, haben Sie genau diese Regelung verlangt. Meine Damen und Herren, ich sagte schon zu Beginn meiner Rede, wie dringend die Jugendlichen und Auszubildenden in den Betrieben auf diese Gesetzesänderung warten. In dem Betrieb, in dem ich Betriebsratsvorsitzender bin, ist deswegen bereits im letzten Jahr eine Betriebsvereinbarung beschlossen worden, die den Auszubildenden diese Rechte gibt. ({10}) Insgesamt haben dies in der Bundesrepublik schon 46 Unternehmen getan. Absprachen über eine derartige Ausdehnung über das Gesetz hinaus gibt es aber sehr viel mehr. Sie sehen also, meine Damen und Herren der Regierungskoalition, Sie laufen wieder einmal der Entwicklung hinterher. Ich finde es beschämend, daß Sie zwar auf der einen Seite den Jugendlichen immer wieder vorwerfen, kein Interesse am Staat zu haben, kein Demokratieverständnis zu haben, und gleichzeitig denjenigen jungen Leuten, die bereit sind, sich zu engagieren, keine Rechte einräumen. ({11}) Setzen Sie sich endlich hin und arbeiten Sie und legen Sie den Gesetzentwurf vor! Ändern Sie aber nicht nur die Überschriften in den Paragraphen, und nennen Sie nicht nur die Jugendvertretung eine Jugend- und Auszubildendenvertretung! Was die Jugendlichen und Auszubildenden brauchen, sind Erweiterungen der Rechte statt Kosmetik. Meine Damen und Herren, wir werden der Bevölkerung, insbesondere den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, verdeutlichen, daß hier wieder einmal grundlos Zeit verstreicht. Vor allem aber den jüngeren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern werden wir sagen, daß sie als Feigenblatt herhalten sollen, damit die geplanten Verschlechterungen des Betriebsverfassungsgesetzes nicht so deutlich zutage treten. ({12})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP unverändert anzunehmen. Ich rufe die §§ 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Punkt 17 der Tagesordnung auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes - Drucksache 11/917 - Präsident Dr. Jenninger aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({0}) - Drucksache 11/1142 - Berichterstatter: Abgeordneter Rauen bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 11/1178 Berichterstatter: Abgeordnete Purps Windelen Zywietz Frau Vennegerts ({2}) b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Frau Brahmst-Rock, Weiss ({3}) und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes - Drucksache 11/923 - aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({4}) - Drucksache 11/1143 - Berichterstatter: Abgeordneter Daubertshäuser bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 11/1179 Berichterstatter: Abgeordnete Purps Windelen Zywietz Frau Vennegerts ({6}) Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1180 vor. Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Punkte 90 Minuten vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Straßmeir.

Günter Straßmeir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Damit ich es am Ende im Eifer nicht vergesse: Natürlich bitten wir um Zustimmung zu dem Beschlußentwurf des Verkehrsausschusses, und selbstverständlich lehnen wir den Gesetzentwurf der GRÜNEN zum Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz ab. Wir lehnen den Gesetzentwurf der GRÜNEN ab, weil er realitätsfern ist. Zwei Gründe mögen genügen: In bezug auf das Finanzvolumen sind die Vorstellungen utopisch hoch. Sie würden das Finanzvolumen verdoppeln, 2 % des gesamten Steueraufkommens in Anspruch nehmen, und sie unternehmen den Versuch, die Gemeindeverkehrsfinanzierung von der Mineralölsteuer abzukoppeln. Die Vorstellungen über den kommunalen Straßenbau sind im wahren Sinne des Wortes abwegig. Sie wollen den kommunalen Straßenbau ganz aus der Förderung des Bundes herausfallen lassen. Dies ist ein Generalangriff gegen den Straßenverkehr in der Fläche. ({0}) Er träfe den Individualverkehr, den öffentlichen Personennahverkehr und den Güterverkehr gleichermaßen. Damit sei es genug, hier ist Ablehnung am Platze. Meine Damen und Herren, aber auch der Regierungsentwurf zu diesem Gesetz war nicht Anlaß zur reinen Freude. Ich will hier keine zündende Rede halten, ({1}) sondern ich will in ruhiger Sachlichkeit begründen, weil dies ein Zustimmungsgesetz ist, und dazu brauchen wir den Bundesrat. Den erfreulichen Bestandteil des Gesetzentwurfes der Bundesregierung haben die CDU/CSU- und die FDP-Bundestagsfraktion übernommen. Das ist die Einführung der Busförderung aus dem ÖPNV-Anteil der Mittel und nicht nur die Neubeschaffung, sondern auch die Ersatzbeschaffung. Das erweitert die Möglichkeit von kommunaler Gestaltung im ÖPNV. Diese Regelung ist unbefristet und betrifft ein Volumen bis zu 100 Millionen DM jährlich. Das hilft den Gemeinden. Die weniger erfreulichen Inhalte des Gesetzes haben wir abgeändert. Das sind die Plafondierung bei 2,5 Milliarden DM jährlich und der Verteilungsschlüssel von 57 : 43 zugunsten des ÖPNV. ({2}) Ich mache ein paar Bemerkungen zu dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgestz. Dieses Gesetz hat zwei Ziele: Es soll die Infrastruktur in der Fläche durch die Förderung des kommunalen Straßenbaus stärken, und es ermöglicht uns den Auf- und Ausbau der unbedingt notwendigen, aber kostspieligen Nahverkehrssysteme bei den Großstädten und in den Ballungsgebieten. Dieses Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz hat in der Vergangenheit wahrlich segensreich gewirkt. Seit 1967 flossen vom Bund an die Länder 20,1 Milliarden DM für den öffentlichen Personennahverkehr, 18,5 Milliarden DM für den kommunalen Straßenbau und 0,1 Milliarden DM für die Forschung. Deswegen, meine Kollegen, hatten die Verkehrspolitiker überhaupt keinen Anlaß, dieses Gesetz zu andern. Das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz muß darüber hinaus natürlich auch im engen Zusammenhang mit dem Fernstraßenausbaugesetz gesehen werden. Ortsumgehungen und die Verknüpfung von Kommunal-, Landes- und Bundesstraßen ergeben die richtige Infrastruktur, die wir für unser Wirtschaftsleben brauchen. Das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz wurde jetzt aber durch die Vereinbarungen mit den Ländern zum Bestandteil des allgemeinen Bund-Länder-Finanzausgleiches. Wegen der Erhöhung der allgemeinen Finanzmittel haben die Ministerpräsidenten der Länder mehrheitlich die Plafondierung der zweckgebundenen Mittel aus dem Mineralölsteueraufkommen hingenommen. Der Begründung, daß dies möglich war, weil der Bedarf absinkt, vermag ich nicht zu folgen. Ich möchte aber auch deutlich hervorheben, daß die Plafondierung nichts mit der Steuerreform zu tun hat. Es wäre unredlich, so zu argumentieren. Ich möchte an die Adresse der Kollegen von der SPD gleich sagen, bevor Sie hier flammenden Protest entfalten ({3}) - aus dem Ausschuß - : Auch Sie haben auf diesem Felde bereits schwer einstecken müssen. Ich darf nur daran erinnern, daß 1975 auf Grund des Haushaltsstrukturgesetzes eine 10 %ige Kürzung der GVFGMittel vorgenommen worden ist. 1981 hatten wir wiederum auf Grund eines Haushaltsstrukturgesetzes den Wegfall der Gasöl-Betriebsbeihilfe zu verzeichnen. Durch beide Maßnahmen wurden dem Verkehrsbereich Milliarden entzogen. Wenn das GVFG jetzt als Haushaltsbegleitgesetz novelliert werden mußte, dann haben wir, die Koalitionsfraktionen, die Chance ergriffen, in ihm moderne Strukturen zu finden, die die Erfüllung der Aufgaben in den kommenden Jahren möglich machen. Die Bundesregierung hat mit 2,5 Milliarden DM eine Plafondierung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes vorgenommen, die im Bund-Länder-Finanzausgleich einen teilweisen Ausgleich gefunden hat. Durch diese Plafondierung aber war die Bundesregierung in Zugzwang gekommen. Sie mußte, um ihre Verpflichtungen im ÖPNV erfüllen zu können, den Schlüssel ändern, und zwar im Verhältnis nicht 50 : 50, sondern 57 : 43 zu Lasten des kommunalen Straßenbaus. Durch diesen Aufteilungsschlüssel war es zwar möglich, einen Engpaß im ÖPNV zu finanzieren, aber er hat zugleich das Ungleichgewicht zwischen Straßenbau und ÖPNV-Maßnahmen nicht nur für eine Übergangszeit, sondern für die Dauer festgeschrieben. Deswegen war diese Lösung aus der Sicht der Verkehrspolitiker nicht gerade optimal. Wir hatten für die Verbesserung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes zwei Vorausetzungen zu erfüllen: Die erste grundlegende war die Aufstockung der Mittel insgesamt. Es ist erfreulich, daß es dem Parlament, insbesondere dem Haushalts- und dem Verkehrsausschuß, gelungen ist, ein jährliches Mehr von 100 Millionen DM für die verkehrlichen Zwecke der Gemeinden zu sichern und somit eine Ausgangsbasis von 2,6 Milliarden DM zu haben. Ich möchte an dieser Stelle den Kollegen aus dem Haushaltsausschuß ein ganz besonders herzliches Wort des Dankes sagen, daß sie das gestern noch möglich gemacht haben. Die zweite Voraussetzung ist: Wir mußten sicherstellen, daß die ÖPNV-Maßnahmen abgewickelt werden konnten, und wir mußten zugleich das Gleichgewicht zwischen kommunalem Straßenbau und ÖPNV dauerhaft sichern. Wir haben deshalb zwei Pakete geschnürt: Einmal die Aufstockung um 100 Millionen DM jährlich auf die Dauer, zweitens für den ÖPNV zusätzlich einen Vorwegabzug von jährlich 100 Millionen DM für vier Jahre zur Förderung von U-Bahnen, S-Bahnen und Straßenbahnen, damit es keine Bauruinen gibt. Darüber hinaus haben wir den Wünschen des Bundesrates nach mehr Flexibilisierung Rechnung getragen und deshalb die Umschichtungsmöglichkeit vom Straßenbau zum ÖPNV von 15 % auf 30 To erhöht. Des weiteren haben wir aus dem Anteil der Busförderung kein starres System gemacht, sondern wir haben bis zu 100 Millionen DM Busförderungen vorgenommen. Im Ernstfall aber kann man natürlich auch diesen Anteil zugunsten anderer ÖPNV-Maßnahmen strecken oder verkleinern. Mit anderen Worten: ÖPNV-Maßnahmen können abgewickelt werden, insbesondere da, wo wir rechtliche Verpflichtungen eingegangen sind: grundsätzlich 100 Millionen DM mehr, 100 Millionen DM zusätzlich für vier Jahre, dann die Umschichtungsmöglichkeit von 15 % auf 30 % und dazu noch die Möglichkeit, innerhalb des Busanteils zu rangieren. Für die Straße haben wir ein ähnliches Sicherungssystem eingebracht. Wir haben den Schlüssel 50 : 50 ab sofort wieder wirksam werden lassen. Ab 1992 gibt es die Möglichkeit, daß insbesondere die Länder, die einen geringen ÖPNV-Anteil haben, nun auch aus dem ÖPNV-Anteil Straßenbaumittel bekommen können. Mit anderen Worten: Aus der Einbahnstraße ist eine Zweibahnstraße geworden. Meine Damen und Herren, bei diesen Regelungen war sicherlich die Verordnungsermächtigung für den Bundesminister für Verkehr entbehrlich geworden. Ich glaube, daß nunmehr der Handlungsspielraum für die Bundesländer größer geworden ist. Diese Gesetzesvorschläge sind finanziell abgesichert. Sie folgen weitgehend den Vorstellungen des Bundesrates. Es liegt nunmehr an den Ländern, in diesem Sinne zu handeln und ihre originären Aufgaben ausgewogen zwischen kommunalem Straßenbau und ÖPNV zu gestalten. Die Zustimmung war bereits empfohlen. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Daubertshäuser.

Klaus Daubertshäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf an die Aussagen von Herrn Dr. Warnke nach Amtsantritt vor dem Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages anknüpfen. Er sagte dort: Für den ÖPNV muß etwas getan werden; er darf nicht als Restgröße behandelt werden; ein wenig mehr als Streckenstillegungen müssen wir uns schon einfallen lassen. - Soweit Dr. Warnke. Heute nun hilft er mit, das wichtigste Finanzierungsinstrument für die kommunale Verkehrspolitik abzubauen. Herr Kollege Straßmeir, Sie haben eben einen Blick zurück auf die Gasölbetriebsbeihilfe geworfen und wollten uns warnen, wir sollten uns mit Kritik zurückhalten. Ich muß Ihnen sagen: Wir waren vom Abbau der Gasölbetriebsbeihilfe nicht begeistert. Aber Sie hatten jetzt fünf Jahre Zeit, dies zu reparieren. Es macht doch wahrhaftig keinen Sinn, wenn Sie auf diese fragwürdige Entscheidung noch zusätzlich einen obendraufsetzen. Der Abbau der Gasölbetriebsbeihilfe im Jahre 1981 war verkehrspolitisch sicher fragwürdig. Aber die damalige Umschichtung weg vom konsumtiven Bereich hin in den investiven Bereich - Sie haben eben zu sagen vergessen, daß wir bei dieser Operation gleichzeitig die Investitionsmittel um mehrere 100 Millionen DM erhöht haben - war zumindest konjunkturpolitisch richtig. Ihre heutige Operation ist verkehrspolitisch und auch konjunkturpolitisch falsch. Die von Ihnen schamhaft „Plafondierung" genannte Operation ist in Wirklichkeit eine sehr kräftige Kürzung der Investitionshilfen. Sie beläuft sich auf 300 Millionen DM im Jahr, und zwar zu Lasten der Länder und der Gemeinden. Zu deren Lasten wollen Sie in den nächsten vier Jahren den Bundeshaushalt um 1,3 Milliarden DM entlasten. Insoweit, Herr Kollege Straßmeir, besteht in der Tat ein eindeutiger Zusammenhang mit der Steuerreform; denn die Bundesregierung versucht hier in einer unverantwortlichen Weise, ihre Finanzschwierigkeiten auf Kosten der Kommunen zu lösen. Der Stuttgarter Oberbürgermeister Rommel, er ist ja nicht Mitglied unserer Partei, nennt dies zu Recht eine kommunalfeindliche Politik. Ich habe eben bereits darauf hingewiesen, daß die Operation, die Sie hier vornehmen, auch konjunkturpolitisch das falsche Signal ist. Rechnet man einmal die Komplementärmittel der Länder und der Gemeinden hinzu, addieren sich die Investitionsausfälle auf über 2 Milliarden DM für die nächsten Jahre. Dabei ist der dritte Block, nämlich die Privaten, überhaupt noch nicht hinzugerechnet. Nach Einschätzung des Deutschen Städtetages und des Verbandes öffentlicher Verkehrsbetriebe werden damit nicht nur neue Vorhaben in Frage gestellt, denn die allein als unerläßlich angesehenen Großvorhaben der Länder und der Kommunen belaufen sich auf ca. 13 Milliarden DM. Das zumindest ist die Mitteilung, die wir, Herr Staatssekretär Dr. Schulte, vor zwei Monaten aus Ihrem Ministerium erhalten haben. Dieser finanzielle Aderlaß wird sogar dazu führen, daß sich die Fertigstellung begonnener Vorhaben über Gebühr verzögert, mit all den negativen Folgen, die sich für die betroffenen Bürger daraus ergeben. Der VÖV, Herr Kollege Straßmeir, teilt nicht Ihre Auffassung; denn er sagt ausdrücklich: Es werden Systemruinen entstehen. Was heißt das? Das heißt, Nahverkehrsnetze können nicht wie vorgesehen komplementiert werden. ({0}) - Ich komme noch dazu. An diesem Tatbestand wird sich nichts ändern. Dieser Sachverhalt ist besonders schädlich, weil, wie Sie wissen, erst ein vollständiges Netz den vollen Verkehrswert hat und damit auch die angestrebte Entlastung im Bereich des Individualverkehrs bringt. ({1}) Diese baulichen Verzögerungen werden auch die Kostenrechnungen negativ beeinflussen. Die Nutzung der Investitionen und des eingesetzten Kapitals wird hinausgezögert. Damit steigen die Kosten, und die Erträge im ÖPNV sinken, d. h. den betriebswirtschaflichen Kalkulationen werden die Grundlagen entzogen. In den nunmehr 21 Jahren, in denen ÖPNV-Investitionen durch den Bund gefördert werden, hat sich gezeigt, daß überall dort, wo die Angebote verbessert werden, die Fahrgastzahlen steigen. Es zeigt sich auch bei einem Vergleich der Nahverkehrsunternehmen, daß diese 1986 genauso viele Fahrgäste beförderten wie 1967. Das ist der allgemeine Trend. Aber entgegen diesem Trend ist festzuhalten, daß sich in einzelnen Städten die Fahrtenanteile zugunsten des öffentlichen Nahverkehrs verbessert haben. Hier wurde das Angebot für den öffentlichen Personennahverkehr deutlich verbessert. Damit stiegen die Fahrgastzahlen um weit über 10 %. Es besteht also aller Grund, die Vorteile des ÖPNV bei der Verkehrssicherheit, bei der Luft- und Lärmbelastung und beim Flächenverbrauch durch höhere ÖPNV-Investitionsmittel verstärkt wirken zu lassen. Die bayerische Staatsregierung hat ja verlautbart, daß ihr Bedarf bis zum Jahr 2000 allein 8,34 Milliarden DM betrage. Der Verband öffentlicher Verkehrsbetriebe hat errechnet, die Bundesmittel dürften nicht gekürzt werden, sie müßten eigentlich pro Jahr um 300 Millionen DM aufgestockt werden, um baureife ÖPNV-Vorhaben realisieren und den Busverkehr verbessern zu können. ({2}) Dies belegt nochmals eindeutig, daß die reale Lage mit der vorgegebenen Einschätzung der Bundesregierung nicht im geringsten übereinstimmt. Die von der Bundesregierung vorgenommene verkehrspolitische Begründung eines zurückgehenden Bedarfs ist also absolut unzutreffend. ({3}) Die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden erfordert gerade mit der Zielsetzung einer ökologischen Erneuerung auch in Zukunft einen erhöhten Mittelbedarf, und zwar sowohl für den ÖPNV als auch für den kommunalen Straßenbau. Dabei stehen hier insbesondere die Verbesserungen im Hinblick auf mehr Sicherheit im Straßenverkehr, die Entlastung bebauter Bereiche, die städtebauliche Integration, der Lärmschutz und die Erleichterung und Beschleunigung des straßenbezogenen öffentlichen Personennahverkehrs im Vordergrund. All dies ist der Bundesregierung bekannt gewesen, und dies war offensichtlich auch der Grund dafür, den Gesetzentwurf in der Sommerpause ohne Beteiligung der Länder und Kommunen klammheimlich zu verabschieden. Angesichts des tatsächlichen Bedarfs und der neuen Aufgaben im Hinblick auf eine umweltgerechte Erneuerung der Gemeinden haben sich die Zusagen zur besonderen Förderung des ÖPNV nun als hohle Lippenbekenntnisse erwiesen. Von diesen Kürzungen ist insbesondere das mittelständische Baugewerbe betroffen. Dieses hat sich häufig auf die eher kleinteiligen kommunalen Verkehrswegebauten konzentriert. Hier muß nun mit erheblichen Arbeitsplatzverlusten gerechnet werden. Mit den vorgesehenen Mittelkürzungen besteht die Gefahr, daß bundesweit 10 000 bis 12 000 Arbeitsplätze bei diesen mittelständischen Bauunternehmen verlorengehen. Deshalb passen die Kürzungen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes nicht in die konjunkturpolitische Landschaft, weil sie Arbeitsplätze vernichten. ({4}) Die Anträge der Koalitionsfraktionen zum Regierungsentwurf zeigen, daß die massive Kritik am Gesetzentwurf der Bundesregierung berechtigt ist und wohl auch Wirkung zeigte. Die Änderungen, die mit den Anträgen der Koalitionsfraktionen erreicht werden sollen, bewegen sich aber nur, Herr Kollege Straßmeir, im Bereich der Kosmetik, da sie die massiven Kürzungen gegenüber dem Status quo auch mit der von Ihnen vorgesehenen Erhöhung um 100 Millionen DM nicht aufheben, sondern lediglich mindern. Bei einer Beibehaltung des Fördervolumens wäre die eine oder andere von Ihnen vorgeschlagene Änderung ein begrüßenswerter Schritt. Das haben wir Ihnen im Ausschuß zugestanden. Aber im Zusammenhang mit der Kürzung der Investitionsmittel können Ihre Änderungen nicht alle schweren Eingriffe in das Investitionsvolumen heilen. Ihr Änderungsvorschlag in Art. 1 Nr. 4 verschärft sogar ab dem Jahr 1992 die Finanzsituation für den ÖPNV. Darüber hinaus werden durch diesen Artikel die politischen Entscheidungen vom Bund weg auf die Länder und die Interessenvertreter verlagert. Ich weiß nicht, ob das vernünftig ist, denn damit vergeben Sie sich jede Möglichkeit, gestaltend wenigstens Rahmenbedingungen für die ÖPNV-Politik vorzugeben. Nun mag es so sein, daß Ihr Änderungsgesetz oder Ihre Änderungsanträge das Strafmaß gegenüber Ländern und Kommunen mindern, aber die Strafe selbst wird nicht weggenommen. Die von der Regierung angedrohten 20 Stockhiebe wollen Sie auf 16 reduzieren. ({5}) Ob die Betroffenen Sie dann in der Rolle des mildtätigen Wohltäters sehen, wage ich zu bezweifeln. Fazit: Die Gesetzentwürfe entsprechen nicht den verkehrspolitischen Notwendigkeiten, sie lassen alle strukturpolitischen Erfordernisse außer acht, sie sind ein Verzicht auf menschengerechte städteplanerische Konzeptionen, sie bedeuten Investitionsrückzug und die schleichende Verabschiedung des Bundes aus seiner Finanzverantwortung für den ÖPNV, und sie sind schließlich mittelstandsfeindlich und arbeitsmarktpolitisch verfehlt. Aus diesen Gründen lehnen wir den Gesetzentwurf und die Änderungsanträge ab. Sie sind ein engstirniges Diktat der leeren Stoltenbergschen Kasse, und sie sind die Absage des Verkehrsministers an eine gestaltende, menschengerechte Verkehrspolitik. Vielen Dank. ({6})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gries.

Ekkehard Gries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000726, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der verehrte Kollege Daubertshäuser hat hier ein Szenario dargestellt, daß ich glaube, er hat das falsche Gesetz oder noch das ganz alte Gesetz zu Rate gezogen. Bei aller Kritik, die ich auch selber geübt habe und hier üben will, glaube ich nicht, daß das auch nur in etwa der Wahrheit nahekommt; denn immerhin bleiben wir ja wohl in der Größenordnung von, wie ich hoffe, 2,6 Milliarden DM. Wir streiten uns hier, relativ gesagt, vielleicht um ein paar hundert Millionen DM. Das rechtfertigt nach meiner Auffassung nun weiß Gott nicht die Darstellung, daß die Verkehrs- und die Arbeitswelt gleichzeitig zusammenbrechen. Aber ich will hier mit meiner Kritik gar nicht hinter dem Berg halten. Ich empfinde hier heute morgen jedenfalls mehr Erleichterung und Genugtuung als noch vor wenigen Tagen, vielleicht sogar mehr als noch gestern morgen. Insofern haben wir hier Fortschritte gemacht. Ich will das wiederholen, was ich im Ausschuß gesagt habe. Das, was uns die Regierung hier auf den Tisch gelegt hat, war in der Tat schon eine garstige Kröte. Aber ich meine, daß hier heute mit den Änderungsanträgen aus dem Ausschuß ein, wenn auch nicht sehr köstliches, so doch durchaus genießbares Menü zusammengestellt werden kann. ({0}) Es ist für mich ein ermutigendes Zeichen - das sollten Sie auch anerkennen; Sie wissen, daß ich neu hier im Hause bin - , daß hier aus den Reihen des Parlaments Veränderungen und Nachbesserungen eines Entwurfs zustande gebracht worden sind, auch wenn dabei die eigene Regierung korrigiert werden muß. Das ist ja nun weiß Gott kein Schaden. ({1}) Frau Hamm-Brücher und all diejenigen, die sich so für die Parlamentsreform engagieren, sollten das - allerdings morgens um 7.30 Uhr - vielleicht einmal als ein Beispiel dafür nehmen, daß so etwas auch geht, ohne daß eine Regierung Schaden nimmt und ohne daß dabei Unmögliches verlangt wird. ({2}) Ich denke, daß wir hier auch ehrlich sein sollten. Ich unterscheide mich dabei ein bißchen von anderen. Ich bin schon der Meinung - die FDP stellt sich auch dahinter - , daß wir alle miteinander einen Beitrag zur Konsolidierung der Staatsfinanzen leisten müssen und daß 50 Milliarden DM, die im Wege der Steuerreform an den Bürger zurückgehen, die dem Staat fehlen, nicht irgendwo gedruckt werden könGries nen, sondern durch eine Begrenzung der Ausgaben des Staates zusammengeholt werden müssen. ({3}) Insofern ist es für mich überhaupt keine Frage, daß der ursprüngliche Ansatz, nämlich zu plafondieren - wie das so schön heißt - , natürlich diese finanzpolitische Motivation hat und haben muß. Ich würde lieber sagen: Es ist eine Kürzung. Es ist ja irgendwie ein Etikettenschwindel; der Bürger versteht ja gar nicht, was eine Plafondierung ist. Es ist natürlich eine Kürzung der nach der Vorausberechnung vorgesehenen Mittel. Wer wollte denn das bestreiten? Ich will das nicht bestreiten. Es ist so, aber ich bekenne mich dazu, daß wir einen solchen Beitrag leisten müssen, es ist nur die Frage, ob die vorgesehenen Kürzungen von der Sache her noch vertretbar sind oder nicht. Ich denke, daß sie insgesamt vertretbar sind. Nun haben wir, wie ich denke, in den Beratungen ja doch einige wesentliche Verbesserungen vornehmen können. Heute liegt ein Ergebnis vor, das zumal die Koalition - ich würde sogar Sie bitten, einmal über Ihren Schatten zu springen - , glaube ich, tragen kann. Herr Straßmeir hat hier die meisten Dinge genannt. Ich will das alles nicht wiederholen. Diese sogenannten Plafondierung wird eben um 100 Millionen DM höher angesetzt. Wir haben den Härtefonds für den ÖPNV. Wir haben, was ich als früherer Landespolitiker und als Kommunalpolitiker, der ich heute noch bin, auch bemerkenswert finde, durch die Verteilerschlüssel und durch die Verrechnungsmodalitäten im Grunde ein höheres Maß an Flexibilität und Kompetenz auf der Seite der Länder und Kommunen geschaffen. Auch das ist ein vernünftiger Weg. Es muß nicht alles von diesem Haus oder von dem Ministerium in dieser Stadt aus geregelt werden. Insofern glaube ich, daß die neue Konzeption eigentlich praxisnäher und ein bißchen ideologiefreier ist, als so manches andere war. Wir müssen da die Länder und die Kommunen, glaube ich, nicht in diesem hohen Maße reglementieren. Was ich auch für in Ordnung halte - Herr Daubertshäuser hat das in einem Punkt kritisiert; ich glaube nicht, daß das zutreffend ist - : Ich finde es richtig, daß wir zum erstenmal die Zweibahnigkeit eröffnen. Daß eben nicht in Anspruch genommene Mittel, die für den Straßenbau vorgesehen waren, in den ÖPNV gehen, ist schon Regel, und das ist jetzt hier noch einmal verbessert worden. Ich halte es umgekehrt auch für in Ordnung, daß in Zukunft - jedenfalls ab 1992 -, weil nicht mehr zu befürchten ist, daß es dann ÖPNV-Ruinen gibt, auch einmal Mittel aus dem ÖPNV, wenn sie dort nicht in Anspruch genommen werden, in den Straßenbau gehen können. Ich glaube, daß diese Zweibahnigkeit den Lebensumständen und den Lebensverhältnissen in unserem Lande und den unterschiedlichen Strukturen eher gerecht wird und damit insgesamt eine durchaus gerechte Funktion ermöglicht. Deshalb ist es richtig, daß wir das jetzt eingeführt haben. ({4}) Es ist sicher in den Beratungen - lassen Sie mich auch das ganz ungeniert sagen - nicht sehr hilfreich gewesen, daß sich die Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler darauf geeinigt haben, statt einer höheren Plafondierung - das wären 250 Millionen DM mehr gewesen - 600 Millionen DM im Länderfinanzausgleich zu nehmen. Das sieht so aus, als hätten sie eine gute Rechnung gemacht. Die Verkehrspolitiker haben jedoch mit Sicherheit keine gute gemacht, denn sie werden von diesen 600 Millionen DM nicht viel sehen. Deshalb erneuere ich den Appell, den mein Kollege Richter in der ersten Lesung hier gebracht hat, daß nämlich jetzt die Ministerpräsidenten der Länder einmal gefälligst ihre Verkehrsminister nicht vergessen und über die hier heute vorgesehene Plafondierung von 100 Millionen DM hinaus - da fehlen uns immer noch fast 200 Millionen DM - vielleicht einmal den Verkehr in ihren Ländern in ihrer Kompetenz aus dem Länderfinanzausgleich auch wirklich bedenken. Ich glaube, daß man das durchaus erwarten darf und auch diese Forderung stellen kann. Meine Damen und Herren, zu dem Entwurf der Fraktion der GRÜNEN will ich nicht viel sagen. Wir haben ihn im Ausschuß abgelehnt; und er wird auch hier abgelehnt. Ich halte das was dahintersteckt, für ein vielleicht in sich schlüssiges, aber in der Sache so grundfalsches Denken, daß es sich nicht lohnt, sich damit länger auseinanderzusetzen. ({5}) - Verehrte Kollegin Brahmst-Rock, ich finde es auch nicht sonderlich gut - liberal ist es ohnehin nicht -, von welchem Gesellschaftsbild Sie ausgehen ({6}) und in welch hohem Maße Sie eigentlich die Bürger alle bevormunden wollen. Auch das steckt hier hinter Ihrem Entwurf. ({7}) Deshalb werden wir ihn natürlich ablehnen. Ich hoffe und gehe davon aus, daß der Entwurf in der Ausschußfassung hier die Mehrheit findet. Die FDP wird ihn mittragen. Vielen Dank. ({8})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Brahmst-Rock.

Helga Brahmst-Rock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Entwurf der Bundesregierung in der ersten Lesung noch nicht einmal bei den Koalitionsfraktionen Zustimmung fand, wurde er nachgebessert, dies jedoch nicht zu seinem Vorteil, sondern eher zu seinem Nachteil. ({0}) Der Entwurf war in der ursprünglichen Fassung an sich schon schlimm genug. Aber was sich jetzt als Nachbesserung auftut, ist ein verkehrspolitischer Abgrund. Der Entwurf plafondiert die Mittel bei 2,5 bzw. bei 2,6 Milliarden DM. Eine Mittelkürzung um 10 % wird von der Bundesregierung als hehre Tat zur Verbesserung der Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs darzustellen versucht. Die Kürzung sollte ursprünglich durch eine Änderung des Verteilerschlüssels vertuscht werden. Der kommunale Straßenbau sollte zu 43 %, der öffentliche Personennahverkehr zu 57 % finanziert werden. Durch die Verschlimmbesserung aus den Reihen der Koalitionsfraktionen wird der alte Verteilerschlüssel 50 : 50 wiederhergestellt. Allein dies ist ein Schlag ins Gesicht der Betreiber des öffentlichen Personennahverkehrs. ({1}) Die Mittelkürzung geht damit zu Lasten des öffentlichen Personennahverkehrs und zu Lasten der Städte, Gemeinden und Kreise und nicht zuletzt zu Lasten der Benutzer und Benutzerinnen des öffentlichen Personennahverkehrs. Wie Hohn klingen da die Worte des Verkehrsministers Warnke in seiner ersten Rede als Verkehrsminister, daß der öffentliche Personennahverkehr in der Fläche der besonderen Förderung bedürfe. Er sagte wörtlich: „Etwas mehr als Streckenstillegungen müssen wir uns schon einfallen lassen." Wenn wir aber diesen Entwurf und die Worte des Verkehrsministers ernst nehmen, dann ist dieser Entwurf ein Ausdruck von regierungsamtlicher Phantasielosigkeit. Denn dem Verkehrsminister fällt offensichtlich nichts anderes ein als Streckenstillegungen. ({2}) Er belegt das auch wörtlich in der Begründung zu der Novelle - ich zitiere - : „Durch die Förderung von Omnibussen wird die Stillegung unrentabler Schienenstrecken der Deutschen Bundesbahn erleichtert. " Sie geben weiter vor, mit Ihrem Entwurf gerade die Kommunen angemessen zu berücksichtigen. Aber auch das trifft nicht zu. Die Auswirkungen Ihrer Gesetzesnovelle auf den öffentlichen Nahverkehr in den Ballungsräumen und der dadurch entstehende Druck auf die dort lebenden Menschen, immer mehr vom Nahverkehr ins Auto umsteigen zu müssen, ist schlimm. Aber für den öffentlichen Personennahverkehr in der Fläche ist das schlicht eine Katastrophe. Sie benachteiligen damit eine Mehrheit unserer Bevölkerung und zwingen 55 % aller Menschen in unserem Lande, die im ländlichen Raum leben, Auto zu fahren. Sie verweigern aus durchsichtigen Gründen einen annehmbaren funktionierenden öffentlichen Personennahverkehr auf dem Lande. Hier wird die Not des Finanzministers deutlich, seine Umverteilung von oben nach unten finanzieren zu müssen. Auch der Herr Kollege Gries hat dem nicht widersprochen, sondern indirekt bestätigt. Die Gelder werden dort zusammengekratzt, wo die Regierung am wenigsten Widerstand vermutet. Dabei haben Sie offensichtlich das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz entdeckt. Man merkt diesem Entwurf an, wes Geistes Kind er ist. Er ist nicht von Verkehrspolitikern unter der Prämisse einer Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs entworfen, sondern vom Finanzministerium zur Verbesserung der miserablen Lage der Bundeskasse. ({3}) Wenn es Ihnen mit einer Verbesserung des öffentlichen Verkehrs auch im Sinne einer Verringerung von Umweltschäden und Schutz von Menschenleben tatsächlich ernst ist, dann kann man dieser Novelle der Bundesregierung nicht zustimmen, sondern muß sich dem von uns eingebrachten Entwurf anschließen. Sie führen häufig das blumige Wort von der Gleichberechtigung aller Verkehrsträger im Munde und tun genau das Gegenteil. Wir wollen deshalb die Schwerpunkte des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes umweltorientiert verändern. Wir wollen zur Verkehrsberuhigung, zur Lärm- und Umweltentlastung beitragen. Uns wird oft der Vorwurf gemacht, wir würden mit der Rücknahme der Mittel für den kommunalen Straßenbau die Investitionsfähigkeit der Städte und Gemeinden hemmen und damit Arbeitsplätze gefährden. Genau das Gegenteil ist der Fall. Bei Rückbau-maßnahmen können wesentlich mehr Menschen als im Bundesfernstraßenbau beschäftigt werden. Wenn ich Ihnen das sage, werden Sie das als Behauptung abtun. Aber vielleicht glauben Sie dem hessischen Wirtschaftsminister mehr, der in seiner Auskunft vom 20. August 1987 festgestellt hat, daß bei einem Investitionsvolumen von 100 Millionen DM folgende Beschäftigungseffekte erzielt werden: Beim Bau von Bundesautobahnen werden 1 441 Personen beschäftigt, beim Bau von Landstraßen 1 876, beim Bau von Erschließungsstraßen 3 073 und bei Verkehrsberuhigungsmaßnahmen 3 088 Personen. Diese Zahlen belegen auch, warum wir uns nicht nur aus Gründen der Verkehrssicherheit und der Wohnumfeldverbesserung für Verkehrsberuhigungsmaßnahmen einsetzen. Sie aber lassen diese Chance ungenutzt vorbeigehen. 60 % unserer Mitbürger und Mitbürgerinnen fühlen sich dauernd vom Verkehrslärm belästigt - Grund genug, in unserem Sinne zu handeln. Wir wollen eine tatsächliche Gleichberechtigung aller Verkehrsmittel und aller Verkehrsarten, also auch des Rad- und Fußgängerverkehrs. Im Stadtbereich sind dies die wirtschaftlichen Fortbewegungsarten und dazu noch die umweltverträglichsten. ({4}) Radfahrer und Fußgänger dürfen nicht länger Freiwild des Automobilverkehrs sein, sondern müssen ihren eigenen ungebrochenen Verkehrsweg erhalten. Wir wollen, daß der öffentliche Personennahverkehr allgemein sein Angebot und seine Qualität verFrau Brahmst-Rock bessert. Dazu gehört auch, daß alle Menschen, auch Behinderte, in die Lage versetzt werden, dieses Angebot anzunehmen. Wir wollen Busse und Bahnen so eingerichtet wissen, daß Behinderte nicht ausgegrenzt werden, sondern ohne fremde Hilfe am öffentlichen Personennahverkehr teilnehmen können. Busse und Bahnen sollen im Stadtverkehr absoluten Vorrang erhalten, um den öffentlichen Verkehr zu beschleunigen. Die nachahmenswerten Modelle des öffentlichen Personennahverkehrs in Freiburg, Wiesbaden oder Marburg belegen, daß der öffentliche Personennahverkehr keineswegs am Ende ist, sondern nur aus dem Würgegriff der Automobillobby befreit werden muß. Ein kleines Bonbönchen für Sie: Wir wollen keineswegs das Auto abschaffen oder seine Benutzer verteufeln. ({5}) Das Auto wird auch in Zukunft wichtige Funktionen erfüllen müssen. Es ist aus unserem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken. Aber es geht um eine sinnvolle Verknüpfung von Individual- und öffentlichem Verkehr. Das Auto darf nicht ausschließliches Verkehrsmittel werden. Es muß zumindest im Stadtbereich als Ergänzung des öffentlichen Verkehrs gesehen werden. Abschließend möchte ich auf die von uns vorgeschlagenen Kostendeckungsbeiträge eingehen. Sie behaupten so mit breitem, etwas väterlichem Lächeln, unsere Vorschläge seien typisch grün und daher unrealistisch. Diesen Vorwurf weise ich als unsachlich zurück. Wir haben vorgeschlagen, nicht bei anderen, sondern im eigenen Haushalt zu sparen, d. h. konkret beim vollkommen überzogenen Bundesfernstraßenbau. Wir waren aber auch bereit, einer Erhöhung der Mineralölsteuer um 6 Pf zugunsten des öffentlichen Personenverkehrs zuzustimmen. Dieser Vorschlag rief bei Ihnen einen im Brustton der Überzeugung vorgetragenen Sturm der Entrüstung hervor. Einige von Ihnen verstiegen sich sogar zu der Aussage, es sei nicht durchsetzbar. Wenn aber der Finanzminister zur Finanzierung der am Rande der Zahlungsunfähigkeit befindlichen Europäischen Gemeinschaft die Mineralölsteuer um 7 Pf anheben möchte, dann ist derselbe Vorschlag plötzlich maßvoll und durchdacht. Bitte, erklären Sie mir und anderen diesen Widerspruch, daß eine Erhöhung um 6 Pf, wenn sie von der Fraktion der GRÜNEN vorgeschlagen wird, grundsätzlich nicht machbar, sozusagen geistiges Wolkenkuckucksheim ist, dagegen eine Erhöhung um 7 Pf auf Vorschlag des Finanzministers vertretbar und durchsetzbar. ({6}) Solange dieser Widerspruch nicht erklärt ist, bleibt der Verdacht, daß Sie unseren Antrag nicht aus inhaltlichen Gründen ablehnen, sondern allein aus der Tatsache heraus, daß er von der Fraktion der GRÜNEN gestellt wurde. ({7})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Dr. Schulte.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Henen! Mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes hat sich niemand leicht getan, weder die Bundesregierung, als sie den Entwurf einbrachte, noch der Bundesrat mit seinen Änderungsvorschlägen, noch das Parlament. Die Beratungen haben das bewiesen. Ich glaube, daß der Bundestag seine Stunde gut genutzt hat. Das Ergebnis der Beratungen scheint mir ein Kompromiß zu sein, indem Spielräume ausgelotet werden, indem ein vernünftiger und fairer Ausgleich der Interessen erreicht wurde. Diese Einschätzung gilt den drei Zielsetzungen des Entwurfs, der Sicherung der Investitionsmittel für den Verkehrsausbau der Gemeinden, der Verbesserung der Förderung des öffentlichen Nahverkehrs in der Fläche wie der Flexibilität beim Einsatz der Mittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Meine Damen und Herren, der Bund hat in fast zwei Jahrzehnten fast 40 Milliarden DM für die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden gezahlt. Dies ist ein erheblicher Beitrag für den Nahverkehr wie für den kommunalen Straßenbau. Dieser Beitrag hat maßgeblich dazu geführt, daß Städte und Gemeinden mit diesen Mitteln Hervorragendes schaffen konnten und im Verkehr nicht erstickt sind. Dies sollte auch heute anerkannt werden. Wir sehen aber auch, daß es auch in Zukunft Bedarf, und zwar erheblichen Bedarf, für Projekte des öffentlichen Nahverkehrs wie für den kommunalen Straßenbau gibt. Deshalb ist die nun vorgesehene Obergrenze von 2,6 Milliarden DM ein guter Kompromiß. Eine gute Lösung ist es auch, wenn jetzt an der Aufteilung der Finanzmittel zwischen Straßenbau und öffentlichem Nahverkehr im Verhältnis 50 : 50 festgehalten wird, gleichzeitig jedoch für vier Jahre 100 Millionen DM vorweg zur zügigen Fertigstellung der Projekte des Nahverkehrs bereitgestellt werden. Es ist wichtig, daß der öffentliche Nahverkehr bei der Mittelverteilung nicht ins Hintertreffen gerät und daß Begonnenes fertiggestellt wird. Ich begrüße auch, daß mit der zukünftigen Busförderung die Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs in der Fläche vorangetrieben wird. Dies wird den Zielen der Bundesregierung gerecht. Wir erwarten von der Busförderung eine Stärkung für den öffentlichen Nahverkehr in der Fläche dort, wo es heute die stärksten Einbrüche gibt. Wir dürfen die Menschen, die in der Fläche leben, nicht nur auf den Pkw verweisen. Es wird immer Mitbürger geben, die zu jung oder zu alt sind, die nicht gesund sind, die sich ein Fahrzeug nicht leisten können oder es nicht wollen. Deshalb ist das andere Bein des Verkehrs in der Fläche, der öffentliche Personennahverkehr, unverzichtb ar. Mit der Fahrzeugförderung wollen wir auch darangehen, die Schieflage zu korrigieren, die zwischen den Jahrhundertbauwerken des öffentlichen Personennahverkehrs in den Ballungsgebieten und der Förderung im ländlichen Raum besteht. Darauf haben die Mitbürger in der Fläche Anspruch; gerade sie haben mit der Mineralölsteuer einen solidarischen Beitrag für den Bau von U-Bahnen und S-Bahnen in den großen Städten geleistet. ({0}) Meine Damen und Herren, mit der im Gesetzentwurf erreichten größeren Flexibilität ist ein drittes wichtiges Anliegen erfüllt: Für den jeweiligen Bedarf der Länder sind die jetzt vorgesehenen Möglichkeiten der Umschichtung zwischen den Mitteln für den kommunalen Straßenbau und denen für den öffentlichen Nahverkehr von großer Wichtigkeit. Dies wird es ermöglichen, daß gezielt und nach Prioritäten investiert werden kann. Aus der bisherigen Einbahnstraße bei der Umschichtung kann nun eine Zweibahnstraße werden. Dies schafft Flexibilität zur Bewältigung der örtlichen und regionalen Probleme ; dies ermöglicht das Setzen von Schwerpunkten und das Schneidern von Maßanzügen. Ich glaube, daß dies nach 20 Jahren ein richtiger und notwendiger Schritt ist. Ich bitte um Ihre Zustimmung zu der jetzt vorliegenden Fassung des Gesetzentwurfes. ({1})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haar.

Ernst Haar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000760, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär Schulte hat hier festgestellt, die Spielräume seien ausgelotet worden, und man wolle Schieflagen aus der Vergangenheit beseitigen. Er hat ein plastisches Beispiel gebracht. Er hat auch die Vorlage, wie sie heute zur Entscheidung steht, als guten Kompromiß bezeichnet. ({0}) Ich will im Gegensatz dazu feststellen: Dann, wenn Sie das Gesetz heute so verabschieden, wie Sie es vorhaben, wird dieser Tag als schwarzer Freitag für Nahverkehr und Umwelt in die Geschichte eingehen. ({1}) - Ich wäre an Ihrer Stelle mit Zwischenrufen vorsichtig, denn ich habe die Absicht, nachher Herrn Rommel wörtlich zu zitieren! Die vorgesehenen Änderungen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes bedeuten für viele Nahverkehrsvorhaben eine Verschiebung auf den SanktNimmerleins-Tag. ({2}) Alle Warnungen der Städte und Gemeinden sind in den Wind geschlagen worden, nur um die im Blick auf die Steuerreform notwendigen Millionen hereinzuholen; ja, der Kollege Gries, der in dieser Sache ganz ehrlich war, hat von Milliarden gesprochen, hat gefragt, woher die 50 Milliarden für die Steuerreform kommen sollen. Ich sage dagegen für die SPD-Bundestagsfraktion: Um die notwendigen Mittel für einige Wohlhabende in der Steuerreform zusammenzubekommen, peitschen Sie hier eine unsinnige Gesetzesnovelle durch. ({3}) Ich finde, dieser Zusammenhang kann gar nicht geleugnet werden, wenn er sogar von einem Sprecher der Koalitionsfraktionen bestätigt wird. ({4}) - Ich komme darauf nachher auch noch zu sprechen, aber wenn Sie so dazwischenrufen, will ich es gleich sagen, Herr Kollege: Das war eine Fehlentscheidung. Ich habe sie mitgetragen. Wenn Sie erkennen, daß es Fehlentscheidungen gab, sollten wir, bevor wir immer öffentlich von Moral reden, ({5}) einmal prüfen, ob wir erkennbare Fehlentscheidungen auch einmal gemeinsam verhindern und darüber ernsthaft miteinander reden können. Genau das ist unsere Position. ({6}) Einmütig haben alle Experten vor der geplanten Änderung gewarnt. ({7}) Aber Sie haben sich im Grunde taubgestellt. ({8}) Ein besonderer Dorn im Auge ist Ihnen ganz offensichtlich der Schienenpersonennahverkehr in der Fläche. Denn der steht bei der CDU/CSU nach dieser Vorlage und deren zu erwartenden Auswirkungen auf der Abschußliste. Die angebliche Unwirtschaftlichkeit dieses Verkehrs muß immer wieder als Argument herhalten. Diese Unwirtschaftlichkeit ist bewußt herbeigeführt worden. Mit diesem Änderungsgesetz wird sie noch erheblich verschärft. Lediglich 41 Millionen DM sind im Jahr 1986 für die Modernisierung der Schienenstrekken des Nahverkehrs in der Fläche ausgegeben worden. 50 Millionen DM sind in diesem Jahr vorgesehen. Diese kümmerlichen Zahlen hat die Bundesregierung am 1. Oktober auf unsere Kleine Anfrage hin bestätigt. Vorher war vollmundig von 400 Millionen DM die Rede. ({9}) Statt nun endlich auch Schienenstrecken, wie mehrfach gefordert, des Nahverkehrs in der Fläche in den Förderungskatalog des GVFG aufzunehmen, benachteiligen Sie die Bahn weiter. Herr Kollege Schulte, was nützen da Ihre schönen Bekenntnisse zu der Fläche? Sie sind im Grunde nur Schaum vor Weihnachten; sonst nichts. ({10}) Die neu geplante Fahrzeugförderung ist allein - ({11}) - Warum Sie heute früh so aufgeregt sind, möchte ich gern mal wissen. ({12}) - Wenn Sie die Wahrheit hören, können Sie nicht ruhig sitzen bleiben.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich bitte, sich mit Zwischenrufen zurückzuhalten. Ich bitte um mehr Zurückhaltung mit Zwischenrufen.

Ernst Haar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000760, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank, Herr Präsident.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Kollege Haar, fahren Sie fort.

Ernst Haar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000760, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die neu geplante Fahrzeugförderung ist auf Omnibusse beschränkt. Die Schiene geht abermals leer aus. Dies ist ein Skandal. Während jeder Busunternehmer künftig 30 % , im Zonenrandgebiet - Sie haben es ja auch im Ausschuß betont - 37,5 ersetzt bekommen soll, werden die Bundesbahn und die zahlreichen nichtbundeseigenen Bahnen für ihre Fahrzeugbeschaffung keinen Pfennig Zuschuß erhalten. ({0}) Schon beim Fahrweg bestehen seit langem solche Verzerrungen. ({1}) - Warum beachten Sie eigentlich nicht die Mahnungen unseres Präsidenten? ({2}) Der Linienbus ist mit gutem Grund von der Kraftfahrzeugsteuer befreit. Eine entsprechende Übernahme der Fahrwegkosten der Schiene durch Bund oder Land gibt es nicht. Das heißt, die Auto-Lobby hat auf der ganzen Linie gesiegt. ({3}) Im Grunde machen Sie mit diesem Gesetz die Nebenstrecken noch unwirtschaftlicher; Sie geben für Busse erhebliche Zuschüsse und lösen damit bewußt einen neuen Schub von möglichen Streckenstillegungen in der Zukunft aus. Das ist die Situation. ({4}) Die Scheinheiligkeit Ihrer Beteuerungen ({5}) - übrigens auch Ihrer Zwischenrufe - über die Unverzichtbarkeit der Bahn ist entlarvt. Sie reden von den Vorteilen der Schiene, schaffen aber gleichzeitig immer neue Benachteiligungen dieses umweltfreundlichen Verkehrsmittels ; Schritt für Schritt werden immer mehr Bahnstrecken stillgelegt. Als Begründung heißt es dann, der Bus sei doch viel billiger als die Schiene; daran könne man doch nicht vorbeigehen. ({6}) Mit diesem Gesetzesvorhaben werden zahlreiche weitere Streckenstillegungen bei der Bahn vorprogrammiert. Das wissen Sie genau. Das muß der Bevölkerung in den betroffenen Regionen gesagt werden. Sie schaffen gezielt immer mehr Räume, in denen das Auto ein Verkehrsmonopol erhält. Mensch und Umwelt bleiben dabei auf der Strecke. Das kümmert die jetzige Bundesregierung und die sie tragende politische Mehrheit offensichtlich nicht. Praktischen Umweltschutz im Verkehr gibt es zur Zeit in Sonntagsreden. Das ist eigentlich unser Problem. ({7}) In diesem Gesamtzusammenhang ist es daher nur folgerichtig, daß bereits mit der neuen Änderung eine weitere Reduzierung der ÖPNV-Mittel ab dem Jahr 1992 beschlossen werden soll. Von diesem Zeitpunkt an - Sie haben es ja begrüßt, Herr Kollege Gries; ich würde an Ihrer Stelle noch mal darüber nachdenken - dürfen all die Länder, die kein großes Interesse am weiteren Ausbau des ÖPNV haben, die eigentlich dafür vorgesehenen Mittel zum kommunalen Straßenbau umschichten. Sie wollen statt dessen das Tor für massiven Straßenbau aufstoßen - entgegen allen Beteuerungen des Bundeskanzlers und des Verkehrsministers, die schriftlich und mündlich wiederholt abgegeben worden sind. ({8}) - Ich kann es Ihnen ja zustellen, wenn Sie es nicht gelesen haben. Bei dieser Politik bleibt der Umweltschutz auf der Strecke. Stickoxide verpesten die Atmosphäre und machen - zusammen mit den Schwefeldioxiden - die Wälder krank. ({9}) Hier müßte in Verantwortung von künftigen Generationen gezielt gegengesteuert werden. Dies bedeutet insbesondere, den öffentlichen Nahverkehr zu stärken. Genau das Gegenteil geschieht jetzt. So bleibt nur die betrübliche Feststellung: Die Finanzmittel des Nahverkehrs werden beschnitten, der Straßenbau erhält mehr Mittel, als die Bundesregierung es für gerechtfertigt hält, und der umweltfreundliche Schienenverkehr wird vorsätzlich weiter benachteiligt. ({10}) Ein deutliches Wort muß auch zu den Auswirkungen des Gesetzentwurfs auf die Arbeitsmarktlage gesagt werden. - Das sage ich für alle Eisenbahner, auch für die, die Sie hier jetzt angesprochen haben; darauf können Sie sich verlassen. ({11}) Mittelfristig muß mit einer weiteren Verschärfung der Arbeitsmarktsituation gerechnet werden. Vor diesem Hintergrund ist die heute zur Abstimmung stehende Kürzung von Investitionsmitteln im Grunde unvertretbar, ja, unverantwortlich. ({12}) Es gibt ja auch Stimmen aus Ihren Reihen, die endlich Investitionsförderungsmittel verlangen. Allein der Bund soll die GVFG-Mittel in den kommenden vier Jahren um mehr als eine Milliarde DM gegenüber der geltenden Gesetzesregelung reduzieren. Wegfallen werden dadurch auch die von den Ländern und Gemeinden aufzubringenden Gegenmittel. Allein der Bauindustrie gehen dadurch in den nächsten Jahren Bauaufträge im Wert von rund zwei Milliarden DM verloren ({13}) - das können Sie nicht widerlegen -, all das nur, um eine Steuerentlastung zu finanzieren, die zu erheblichen Teilen auf schwarzen Konten im Ausland landet. ({14}) Die Inhaber von Sparbüchern mit 100 000 Mark sind nicht die Leute, für die Sie Politik machen sollten. Das sind die, die ihr Geld da verlagern. ({15}) - Darüber sollten Sie nicht lachen, das ist ernst zu nehmen. Die lassen Sie auch im Stich. ({16}) - Daß Sie erregt -

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte, kommen Sie zum Schluß.

Ernst Haar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000760, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. Ich komme zum Schluß. - Ich will es bei der Kritik des Gesetzentwurfes nicht bewenden lassen und konkret sagen: Lassen Sie den Finanzrahmen des Gesetzes unangetastet; diese Gelder werden dringend gebraucht. Geben Sie, wie das ursprünglich auch vorgesehen war, dem Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs Vorrang! Wenn es Ihnen mit der heute wieder beschworenen Förderung des ÖPNV außerhalb der Verdichtungsräume ernst ist, dann nehmen Sie die Modernisierung ländlicher Schienenstrecken in den Förderungskatalog des GVFG auf. Die Fahrzeugförderung muß für Schiene und Bus in gleicher Weise gelten. Und dann möchte ich an Sie appellieren: Vielleicht ist es Ihnen zum erstenmal möglich, Ärger nicht nur durch Zwischenrufe deutlich zu machen, wenn wir die Wahrheit sagen, ({0}) sondern zu überlegen, ob wir nicht einmal miteinander die Kraft finden könnten ({1}) - hören Sie mir zum Schluß bitte zu; Sie haben mich heute oft genug unterbrochen - , erneut - das täte Ihnen und auch uns gut - Bestandsaufnahme zu machen, um wirklich zu anständigen Kompromissen zu kommen. Herr Rommel hat sie übrigens empfohlen. ({2}) Vielen Dank. ({3})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Fischer ({0}) : ({1})

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mit zwei Zitaten beginnen. Das erste Zitat ist ein Zitat des damaligen Bundesverkehrsministers Dr. Hauff aus einer Debatte 1981 im Rahmen eines Subventionsabbaugesetzes, mit dem Sie die Streichung der Gasölbetriebsbeihilfe betrieben haben, die die Wirkung von Betriebskostenzuschüssen für den öffentlichen Personennahverkehr hat. Er hat formuliert: In den Ballungsräumen sind die Verkehrsverbünde auf der Basis der jeweils für die Region optimalen Zusammenarbeit auszubauen. Dies ist nach unserer Auffassung in allererster Linie SaFischer ({0}) che der Länder und der kommunalen Gebietskörperschaften. ({1}) Man sollte, wann immer man in diesem Zusammenhang Vorstellungen, Forderungen oder Kritik äußert, die Adressaten richtig wählen. ({2}) In diesen jeweiligen Verkehrsverbünden müssen wir darauf achten, daß wir eine klare Arbeitsteilung zwischen den Verkehrsträgern in Bund, Ländern und Kommunen haben. Das zweite Zitat, das vielleicht besser als die Ausführungen heute morgen die Grundsatzpositionen der Sozialdemokratischen Partei beschreibt, stammt aus derselben Debatte von Herrn Matthöfer, damaliger Bundesfinanzminister. Er hat formuliert: Der öffentliche Personennahverkehr ist Aufgabe der Länder und Gemeinden ... Ob es sachgerecht ist, kommunale Planungen und Entscheidungen nicht nur mit der Landesebene, sondern auch noch mit einem Mitspracherecht des Bundes zu verbinden, werden wir im Rahmen der vom Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten der Länder verabredeten Überprüfung der Beziehungen von Bund und Ländern neu überdenken müssen. Das heißt, so, wie Sie heute diskutiert haben, stülpen Sie das ganze Thema völlig um und bringen hier sozusagen den Abschied von der Vergangenheit in larmoyanten, weit überzogenen Reden, Herr Kollege Haar, die überhaupt nicht damit in Einklang zu bringen sind, daß Sie in den Jahren 1972 bis 1979 als Mitglied der Bundesregierung z. B. das Haushaltsstrukturgesetz 1975 zu verantworten hatten, mit dem die GVFG-Mittel zum 1. Januar 1977 insgesamt um 10 % gekürzt worden sind. Ich werde Ihnen dazu Zahlen nennen. Das ist unter Ihrer Verantwortung geschehen. Deswegen hätte ich von Ihnen heute morgen eigentlich einen verantwortungsbewußteren Beitrag erwartet. ({3}) Sie haben sich hier als ein „Mister Kimble" auf der Flucht vor der eigenen politischen Vergangenheit betätigt. ({4}) Herr Daubertshäuser hat davon gesprochen, daß auch begonnene Vorhaben nicht pünktlich und plangemäß fertiggestellt werden könnten, sondern die Fertigstellung unangemessen verzögert würde. Das ist eindeutig falsch. Natürlich haben wir diesem Punkt in unseren sehr eingehenden, tagelangen Beratungen die allerhöchste Aufmerksamkeit gewidmet. Wir haben vom Bundesverkehrsministerium den jährlichen Finanzbedarf für die laufenden Projekte präsentiert bekommen, um hier keine Verzögerungen entstehen zu lassen. Wir haben mit den vom Kollegen Straßmeir sehr ausführlich geschilderten mehrfachen Auffanglinien sichergestellt, daß dieser Effekt nicht eintritt, daß wir keine Bauruinen und Stillegungen laufender Bauvorhaben bekommen. Im übrigen, was die Kommunalfeindlichkeit anlangt, ist das überhaupt nicht im Einklang mit dem, was in der Vergangenheit geschehen ist. Wenn Sie von einer Investitionsfeindlichkeit sprechen und sozusagen die Sorgen des Mittelstandes beklagen, dann kommen mir beinahe die Tränen, wenn ich daran denke, wie SPD und GRÜNE - gelegentlich Arm in Arm, gelegentlich solo - bundesweit bei einer Fülle von Investitionsvorhaben Blockaden der Investitionen praktizieren. Das ist doch die Wirklichkeit. ({5}) Wenn Sie ein Herz für den Mittelstand haben, dann bauen Sie diese Blockaden bundesweit ab, die sowohl in der Entscheidung als auch in der Durchführung solcher Investitionsvorhaben einfach vorkommen. Ich meine, Herr Kollege Haar, dann bräuchten Sie ein derartiges Katastrophengemälde nicht vorzutragen. Ich habe eben davon gesprochen, daß Sie 1975 die Mittel für das GVFG um 10 % gekürzt haben. Wenn Sie das nicht getan hätten, stünden 1988 allein aus dieser Quelle für den Bereich 300 Millionen DM mehr zur Verfügung. Wenn ich das ganze hochrechne, haben Sie dem GVFG durch diese Entscheidung fast 3 Milliarden DM entzogen, davon 1,5 Milliarden DM dem ÖPNV. Das ist ein ganzes Jahresvolumen. Das haben Sie zu verantworten.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Andres?

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn sie auf die Zeit nicht angerechnet wird, sehr gerne.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Nein, ich rechne sie nicht an.

Dr. h. c. Gerd Andres (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, Fischer, kommen Ihnen auch die Tränen, wenn Sie Sorgen von Kommunalpolitikern wie beispielsweise dem Oberstadtdirektor von Hannover zur Kenntnis nehmen, der befürchtet, daß das Bauvolumen für den öffentlichen Nahverkehr in dieser Großstadt in den nächsten Jahren um fast 30 % reduziert werden muß, wenn Ihre gesetzlichen Maßnahmen greifen? Kommen Ihnen da auch die Tränen, und nehmen Sie solche Sorgen ernst? ({0})

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Erstens, Herr Kollege, kannte der, als er das schrieb, natürlich überhaupt nicht - genauso wie Herr Rommel - unseren Kompromißvorschlag. ({0}) Das sind alte Stellungnahmen. Sie müssen schon etwas differenziert in die Materie einsteigen, wenn Sie das vortragen. Zum anderen kommen mir die Tränen bei dieser, ich sage einmal: Empörung der sozialdemokratischen Fraktion, die mit den Taten der Vergangenheit überhaupt nicht in Einklang zu bringen ist. ({1}) Fischer ({2}) Ich nenne eine weitere Zahl, zur Mittelstandsfeindlichkeit. Wenn Sie 1975, Herr Kollege Haar, unter Ihrer Verantwortung in der Bundesregierung das nicht gemacht hätten, wären seither 5,3 Milliarden DM Investitionen in die Tiefbauwirtschaft für ÖPNV und kommunalen Straßenbau geflossen. Damit haben Sie sich auseinanderzusetzen. Ich habe schon im Ausschuß gesagt: Es wäre für Sie etwas mehr Demut vor den eigenen Entscheidungen in diesem Punkte ausgesprochen angebracht. ({3})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haar? - Bitte sehr, Herr Kollege Haar.

Ernst Haar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000760, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Fischer, wären Sie bereit, sich nach fünf Minuten Redezeit dem Jahre 1987 und Ihrem Vorhaben zuzuwenden? ({0})

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das bin ich erst, Herr Kollege Haar, nachdem ich zusätzlich noch die Auswirkungen Ihrer Entscheidung von 1981 zur Streichung der Gasölbetriebsbeihilfe angesprochen habe. Denn damit gehen dem ÖPNV pro Jahr mehr als 300 Millionen DM an Betriebssubventionen verloren. Wenn wir das damals fortgeschrieben hätten, würden jetzt rund 350 Millionen DM an Betriebssubventionen zur Verfügung stehen. Wenn man das Ganze hochrechnet, kommt man dazu, daß dem ÖPNV durch Ihre Entscheidung bis heute fast 1,5 Milliarden DM an Betriebssubventionen entzogen worden sind. Ich kann nur sagen: Sie müßten das Büßerhemd anziehen, ({0}) aber nicht hier aufkreuzen und den anderen Kollegen, die in einer finanzpolitisch schwierigen Situation einen vernünftigen Kompromiß gefunden haben, kommunalfeindliches Verhalten unterstellen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier ist vom Kollegen Dr. Schulte gesagt worden, daß der Bedarf an GVFG-Mitteln nach wie vor erheblich ist. Wir kennen die Anmeldungen und wissen, daß auch in der Zukunft ein erheblicher Ausbaubedarf vorhanden ist. Aber natürlich muß die Haushaltskonsolidierung konsequent fortgesetzt werden. Dazu bekennen wir uns. Dazu stehen wir auch in den schwierigen Konsequenzen. Wenn ich jetzt wieder Herrn Hauff zitiere, müßte die SPD eigentlich Beifall klatschen. Er hat 1981 gesagt: Die Ausgangssituation ({1}) ist auch dadurch geprägt, daß die Finanzmittel knapper werden. - Das ist doch eine klare Aussage, zu der man heute stehen muß. Meine Damen und Herren, dieses Thema hat nichts mit der Steuerreform zu tun, sondern hat damit zu tun, daß sich Bund und Länder über die Finanzbeziehungen verständigt haben. Wenn nun die Ministerpräsidenten und die Finanzminister, die alle Schwierigkeiten mit dem Haushaltsausgleich haben, disponibles Geld mehr schätzen als zweckgebundenes Geld, das am Ende auch noch Komplementärmittel erfordert und die Finanzprobleme noch verschärft, und dafür lieber 685 Millionen DM zusätzlicher Bundesergänzungszuweisungen nehmen, dann wissen die Ministerpräsidenten, daß sie das andere in Kauf nehmen müssen und daß ihre Oberbürgermeister, ihre Oberkreisdirektoren, ihre Verkehrsminister darüber möglicherweise weniger glücklich sind als die Finanzminister. Das ist doch die Wahrheit. Deswegen, meine ich, muß man davon Abstand nehmen, Herr Kollege Daubertshäuser, in bewußter Verdrehung - weil es gerade so schön in Ihre Kampagne paßt ({2}) das immer wieder in die Steuerreform hineinzumogeln. ({3}) Im übrigen sage ich Ihnen schon heute vorher, daß Ihre Strategie so ist, daß Sie heute entschieden Widerstand üben und 1990, wenn die Reform voll in Kraft gesetzt ist, sagen, das alles wäre nicht genug gewesen. Da werden Sie uns überbieten. So läuft doch das Ding ab. ({4}) Meine Damen und Herren, wir wissen, daß hier in der Zukunft Probleme zu bewältigen sind. Aber wir gehen davon aus, daß die Ministerpräsidenten, die mehrheitlich einem solchen Kompromiß zugestimmt haben, auf der Basis eines Plafonds von 2,5 Milliarden DM arbeiten können, der von uns auf 2,6 Milliarden DM aufgebessert wird. ({5}) Das erzeugt einschließlich der nicht zuwendungsfähigen Kosten von Projekten und der Komplementärmittel der Länder und Gemeinden ein zusätzliches Investitionsvolumen von jährlich 200 Millionen DM. Das ist die Wirkung unserer Entscheidung. Deswegen hat der Kollege Straßmeir zu Recht eine Verbeugung vor den Kollegen des Haushaltsausschusses gemacht. Ich kann das nur lebhaft unterstreichen. Denn damit haben wir auch für die Tiefbaubeschäftigung wirklich etwas Positives bewirkt. Ich sage Ihnen ganz offen, Herr Kollege Daubertshäuser: Das Herz des Verkehrspolitikers hätte in jedem Falle für einen höheren Betrag als 2,6 Milliarden DM geschlagen. Es ist doch in jedem Politikbereich so, daß wir mehr Wünsche haben. Aber wir können uns der Haushaltskonsolidierung nicht verschließen und so tun, als ob man beides haben kann: wesentlich erhöhte Bundesergänzungszuweisungen und permanent steigende Mittel im GVFG. Ich komme zum Schluß und möchte am Ende deutlich machen, daß wir uns dem ÖPNV und dem kommunalen Straßenbau - dort vor allem einer Besserstellung der Fläche gegenüber der Vergangenheit - verpflichtet fühlen. Das steht in der Koalitionsvereinbarung und wird durch diesen Kompromiß der Koalitionsfraktionen eindeutig unterstützt. Wir fühlen uns dem insoweit auch in Zukunft verpflichtet. Herr Kollege Haar, als Sie 1975 diesen Einschnitt machten, war der Baubedarf noch viel höher als heute; denn in der Zwischenzeit sind zehn Investitionsjahre über die Bühne gegangen. Fischer ({6}) Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen in folgenden Formulierungen: Erstens. Die finanziellen Verluste für den ÖPNV in den Ballungsgebieten konnten begrenzt werden. Zweitens. Es gibt deutliche Akzente für den ÖPNV in der Fläche durch Busförderung und Umschichtung. Drittens. Es gibt Gott sei Dank wegen der größeren Sachnähe einen erheblich erweiterten Spielraum für die Länder durch die Erweiterung der Umschichtung zugunsten des ÖPNV und die neugeschaffene Umschichtungsmöglichkeit zum kommunalen Straßenbau. Insoweit ist hier nicht nur finanziell etwas gemacht worden, sondern auch strukturell etwas in die richtige Richtung bewegt worden. Ich bitte das Haus um Zustimmung. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Antretter.

Robert Antretter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000042, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, diese Debatte hat ihn erbracht: Alle jene haben recht, die sich in den letzten Wochen an uns Abgeordnete gewandt haben mit der Bitte, zu verhindern, daß da „der größte Unfug beschlossen wird" - wie beispielsweise die Stuttgarter Zeitung am 29. Oktober Ihre Änderungspläne genannt hat. Zu jenen gehört z. B. der VÖV Baden-Württemberg, wenn er sich mit der dringenden Bitte an uns wendet, „eine für die ÖPNV-Unternehmen im Bund wie auch im Land bedrohliche Entwicklung zu verhindern", und wenn er - der VÖV - verlangt: keine Plafondierung der GVFG-Mittel oder wenn er die Folgen Ihrer Politik so bezeichnet: Bauruinen, Verzicht auf längst fällige baureife ÖPNV-Vorhaben und Verzögerungen in der Fertigstellung bereits begonnener Vorhaben würden schwerwiegende Folgen haben - ich zitiere noch VÖV und könnten den Bürgern, die auf den ÖPNV dringend angewiesen sind, nicht vermittelt werden. Die erfolgreichen Bemühungen der Unternehmen um neue Fahrgäste würden empfindlich beeinträchtigt. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion: Der Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel, CDU, hat doch recht, wenn er in seinem Schreiben vom 27. Oktober dieses Jahres an uns Abgeordnete die Regierung kritisiert ({0}) und die von Ihnen als Plafondierung kaschierte Kürzung der Mittel für den ÖPNV als verkehrspolitisch nicht vertretbar bezeichnet. ({1}) - Auf die „weiße Salbe", die Sie ansprechen, komme ich noch zurück. Der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer hat doch recht, wenn er in seinem Schreiben vom 26. Oktober 1987 an die Mitglieder von sechs Bundestagsausschüssen von gravierenden negativen Auswirkungen für den ÖPNV spricht, die in keinem Verhältnis zu den damit zu erreichenden Einsparungseffekten stünden. Soweit Zitate nur eines Teils der Schreiben, die Ihnen ebenso wie uns zugegangen sind. Diese Debatte hat gezeigt: Sie schlagen alle diese Bedenken - ich bedaure, dies vor allem zu Ihnen, Herr Kollege Fischer, sagen zu müssen - , die Warnungen von verantwortlichen Kommunalpolitikern und Fachleuten in den Wind. Wohltuend hat sich da - sowohl im Ausschuß, wie im Plenum - der verantwortliche Beitrag des Kollegen Gries abgehoben. In Wirklichkeit wollen Sie dies: Sie unternehmen den unzulässigen Versuch, Ihre eigenen Finanzierungsschwierigkeiten auf Kosten der Gemeinden zu lösen. ({2}) Sie behaupten, Sie wollten die Mittel des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes plafondieren. In Wirklichkeit jedoch kürzen Sie die Mittel, und zwar ganz erheblich. Diese Mittelkürzung trifft die Gemeinden zu einem Zeitpunkt, zu dem sie von Ihnen ohnehin gerupft werden durch die immer stärker wachsende Last der Sozialhilfe, die Sie schon auf die Kommunen abgewälzt haben. Dazu kommen noch die neuerlichen schweren Belastungen durch die geplante Steuerreform, bei der die Gemeinden für die Bundesregierung bluten müssen. In dieser Situation den Gemeinden noch die dringend benötigten Investitionsmittel zu kürzen ist nicht zu verantworten, weil die Gemeinden und auch die Länder auf Grund ihrer Finanzsituation ja überhaupt keine Chance haben, diese Mittelkürzungen auch nur ansatzweise auszugleichen, und deshalb nur durch radikale Baustopps bei vordringlichen Projekten mit den entsprechenden Arbeitsplatzverlusten in der Bauindustrie reagieren können. Herr Kollege Fischer, Sie haben beim Jahr 1981 aufgehört. Ich will mich um 1987 folgende kümmern. Wie war das denn damals? Der Bundesminister Hauff hat nie die Mitverantwortung des Bundes im öffentlichen Nahverkehr bestritten. Das Gegenteil ist der Fall: Er hat von einer hohen Verantwortlichkeit des Bundes gesprochen. Die Gemeinden und Länder aber müssen ebenfalls ihr Teil Verantwortung tragen. Wie könnte es denn sonst sein, daß Ihr Staatssekretär Schulte vorher die Leistungen des Bundes für den ÖPNV in den letzten 20 Jahren lobt? Damit schon sind Sie in dem widerlegt, was Sie dem Herrn Hauff andichten wollten. ({3}) Meine Damen und Herren, was hier auf die ohnehin geplagte Bauindustrie zukommt, ist schlimm. Sie leidet an Auftragsmangel. Es geht hier ja immerhin um den stattlichen Betrag von 3,5 Milliarden DM in den nächsten vier Jahren, wie der Städtetag errechnet hat; denn zu den 1,3 Milliarden DM gekürzter Bundesmit2678 tel kommen ja noch die Komplementärmittel der Länder und Gemeinden und die ausbleibenden Folgemaßnahmen. ({4}) Kommen wir auf die 100 Millionen DM! Herr Straßmeir, wenn Sie von der Änderung sprechen, die Sie jetzt in den Anträgen einbringen, dann will ich nur sagen: Mit diesen 100 Millionen DM bleiben Sie immer noch 200 Millionen DM unter dem Status quo. ({5}) Das heißt, es handelt sich doch definitiv um eine Kürzung des Betrages. Schlimm sind aber nicht nur die finanziellen Auswirkungen und die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt; ebenso kritikwürdig ist, welch verkehrspolitischer Unverstand hinter diesem Gesetzentwurf steckt. Nach Ihrer Meinung ist nämlich der Finanzbedarf im kommunalen Straßenbau zurückgegangen. Ich frage mich, wie weit sich ein Bundesminister schon von der kommunalen Basis entfernt haben muß, um zu so einer falschen und fatalen Beurteilung zu kommen. ({6}) Damit ich nicht falsch verstanden werde: Es geht nicht darum, einem zügellosen Straßenbau oder der Verlängerung des Straßennetzes das Wort zu reden. Das Geld wird ja in den Kommunen nicht für solche Neubauten, sondern für einen menschengerechten, verkehrssicherheitsteigernden Umbau benötigt. Projekte wie Tunnel, Unterführungen, Lärmschutzanlagen und geschwindigkeitsdämpfende Maßnahmen werden von der Bevölkerung doch immer stärker gefordert und ziehen einen steigenden Finanzbedarf nach sich. Das ist auch der Unterschied zwischen uns und den GRÜNEN und unsere Kritik am Antrag der GRÜNEN, der wieder sehr viele vernünftige Elemente enthält, ({7}) zu dem wir aber sagen: Diese radikale Vorstellung zu Lasten des kommunalen Straßenbaus, da, wo er im Interesse der Bürger in den Städten und Gemeinden notwendig ist - das müssen Sie verstehen - , können wir nicht unterstützen. ({8}) Meine Damen und Herren von der Koalition, nicht einmal Argumente, geschweige denn Fakten haben Sie dem Kollegen Haar entgegenzusetzen gehabt, als er sagte: Diese Änderung des GVFG, die Sie planen, ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die Umweltschutz im Straßenbau und Verbesserung in der Verkehrssicherheit ernst nehmen. Sie stehen ohne Antwort da, wenn der Kollege Daubertshäuser Ihnen nachweist, daß dieser Gesetzentwurf dem öffentlichen Personennahverkehr nicht nützt, sondern schadet. Während nämlich der ursprüngliche Änderungsentwurf eine Kürzung der Investitionen nur im Straßenbau zum Ziel hatte und deshalb eine Änderung des Aufteilungsschlüssels im GVFG zugunsten des ÖPNV vorsah, ist durch die Ablehnung des Bundesrates eine Änderung des Aufteilungsschlüssels überhaupt nicht mehr zu erwarten, so daß der ÖPNV die Kürzung im gleichen Maße mittragen müßte. Dies darf auf keinen Fall hingenommen werden, und deshalb muß es ein Ende haben mit dem ganzen Plafondierungsunsinn. Im Gegenteil: Wir sagen, es muß mehr Geld aus dem Mineralölsteueraufkommen für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz zweckgebunden werden; denn die Bundesregierung will ja einen neuen Fördertatbestand einführen, nämlich die Erst- und Ersatzbeschaffung von Bussen. So richtig dieser Gedanke ist - wir begrüßen ihn ausdrücklich - , so notwendig ist es auch, vor allzu großen Erwartungen in diesem Zusammenhang zu warnen, daß damit die Probleme des ÖPNV insbesondere in der Fläche auch nur annähernd gelöst werden könnten. Gerade in der Fläche geht es nämlich nicht darum, bei dem anhaltenden Rückgang beim Fahrgastaufkommen mit zusätzlichen Bussen neue Linien einzurichten oder bestehende Linien zu verdichten, sondern es geht darum, daß nach Möglichkeit der vorhandene ÖPNV erhalten bleibt. Dieses ist nur über eine Steigerung der Attraktivität des Angebots, zu dem auch moderne Busse gehören, möglich. Daher wird für die Fläche im wesentlichen nur die Förderung der Ersatzbeschaffung von Bussen in Frage kommen. Zur Attraktivitätssteigerung in der Fläche gehören aber in gleichem Maße auch ein abgestimmtes Fahrplanangebot und ein gemeinsamer Tarif der Verkehrsunternehmen, also die Kooperation im ÖPNV. Diese Zusammenarbeit der Verkehrsunternehmen wird aber nicht zu einem zusätzlichen Bedarf an Bussen, sondern - wir wissen das durch Hohenlohe und andere Modelle - durch den Abbau von Parallelverkehren und durch die Abstimmung des Liniennetzes zu einer Einsparung von Bussen führen. Das eigentliche Problem des ÖPNV kann durch diese Novellierung des GVFG nicht gelöst werden. Das eigentliche Problem liegt nämlich im Rückgang der Nachfrage nach Verkehrsleistungen im ÖPNV, der durch rückläufige Schülerzahlen und durch die anwachsende Motorisierung verschärft wird. Dadurch wird die Frage der Kostendeckung des ÖPNV immer gravierender, und zwar nicht nur in der Fläche, sondern auch in den Verdichtungs- und Ballungsräumen. Wenn man dem ÖPNV tatsächlich wirksam helfen möchte, dann läßt sich dies nicht durch kosmetische Kunstgriffe bewerkstelligen, sondern in wirksamer Weise nur auf dem Wege der Wiedereinführung der Gasölbetriebsbeihilfe. Die vorgesehene Bushilfe kann jedenfalls keine Alternative zur Gasölbetriebsbeihilfe sein. Wir Sozialdemokraten lehnen die vorgesehene Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes ab, die die Bundesregierung mit der zurückgehenden Notwendigkeit von Straßenbauinvestitionen bei den Kommunen begründet, die dem ÖPNV nicht hilft und in Wahrheit nur zur Finanzierung der sogenannten Steuerreform dient. Wir bleiben dabei: Das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz darf nicht gekürzt oder plafondiert, sondern es muß erhöht werden, damit eine angemessene Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs sowohl in der Fläche als auch in den Ballungsgebieten ermöglicht wird. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Rauen.

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Haar hat davon gesprochen, der neue Vorschlag sei ein Schlag ins Gesicht des ÖPNV, er sprach von einem schwarzen Freitag. Frau Brahmst-Rock meinte, dieses Gesetz sei zum Nachteil des ÖPNV. ({0}) Ich kann nur sagen, alle diejenigen, die gewarnt haben, haben den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen offenbar nicht gelesen. ({1}) Ich habe fast den Eindruck, Frau Brahmst-Rock, daß auch Sie ihn nicht gelesen haben. Herr Haar, man muß bei einer solchen Beurteilung von den Zahlen ausgehen. Es ist wahr, daß die Ausgaben für den ÖPNV zukünftig gekürzt werden. Das macht gegenüber dem Regierungsentwurf nur 250 000 DM jährlich aus. Sie müssen respektieren, daß durch eine größere Flexibilität, durch die Erhöhung der Umschichtungsmöglichkeit von 15 auf 30 % die Länder in eigener Verantwortung die Möglichkeit der Entscheidung haben, wo sie ihre Prioritäten setzen. Man muß deutlich machen, daß die Länder zukünftig die Möglichkeit haben, gegenüber dem Mittelansatz von 1987 in Höhe von 1,363 Milliarden DM und nach 30 % Umschichtung zum ÖPNV 630 000 DM mehr für den ÖPNV ausgeben können. Ich halte es für richtig, diese Klarstellung einfach mal zu bringen, damit keiner draußen auf die Idee kommt, es sei auch nur ein Stückchen Wahrheit an dem, was Sie, Herr Haar, und Sie, Frau Brahmst-Rock, hier im Parlament an Schwarzmalerei zum ÖPNV betrieben haben. ({2}) Herr Daubertshäuser, ich bedaure aus grundsätzlichen Erwägungen selbst sehr, daß wir politisch immer zu schnell geneigt sind, zu Lasten von Investitionen zu sparen. ({3}) Aber ich muß Ihnen doch einmal vorhalten dürfen, vor welchem Hintergrund dies jetzt passiert und vor welchem Hintergrund Sie 1975 beim Haushaltsstrukturgesetz 10 % gekürzt haben. Herr Daubertshäuser, in dem gleichen Jahr 1975 hat man die Mineralölsteuer um 250 Millionen DM erhöht, man hat innerhalb des Haushaltsstrukturgesetzes die Sparförderung um 1 150 Millionen DM eingeschränkt, man hat den Aufwertungsausgleich für die Landwirtschaft um 205 Millionen DM abgebaut, und man hat die Einschränkung von Steuervergünstigungen im Kreditgewerbe um 38 Millionen DM eingeschränkt. Das heißt, Sie haben einmal Investitionen zurückgenommen und gleichzeitig dem Bürger Geld aus der Tasche gezogen, das er möglicherweise für Investitionen und damit für Arbeitsplätze zur Verfügung gehabt hätte. Hier wird auch etwas reduziert, aber gleichzeitig werden den Bürgern 50 Milliarden DM mehr über die Steuerreform zurückgegeben. ({4}) Sie haben in nur zwölf Jahren die Staatsquote, am Bruttosozialprodukt gemessen, von 37 auf 49 % erhöht und damit den Bürgern jährlich rund 200 Milliarden DM aus ihrer privaten Verantwortung entzogen. Jetzt gehen wir den umgekehrten Weg und ermöglichen natürlich auch dadurch Investitionen der Bürger. ({5}) Es ist eher zu rechtfertigen, öffentliche Investitionen zu reduzieren, wenn man gleichzeitig die Möglichkeit privater Investitionen schafft. ({6}) Die Gesetzesvorlage von CDU/CSU und FDP zum GVFG in Abänderung und Ergänzung zum Regierungsvorschlag ist, wie ich finde, gut durchdacht und trägt den besonderen Erfordernissen in den Ballungsräumen ebenso Rechnung wie den Notwendigkeiten zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden in der Fläche. ({7}) Ich möchte nochmals besonders auf die Vorteile des neuen Gesetzentwurfs für die Flächenländer, für den ländlichen Raum eingehen. ({8}) - Frau Brahmst-Rock, nach Ihrem Gesetzentwurf findet der Straßenbau überhaupt nicht mehr statt. ({9}) Mittel gibt es nur noch für Gehwege, für Radwege und für den Abbau von Straßen. ({10}) Ich bitte Sie: Kommen Sie mal in meinen Wahlkreis! Bei 444 Gemeinden, 4 000 qkm Fläche, 100 km NordSüd-Ausdehnung, 40 km West-Ost-Ausdehnung gibt es dort keine Alternative zum Individualverkehr. ({11}) Wenn Sie einen solchen Vorschlag bringen und gleichzeitig keinen Straßenbau mehr stattfinden lassen wollen, dann frage ich mich, wie Sie dies den Menschen im ländlichen Raum noch erklären wollen. Meine Damen und Herren, neben der Erhöhung des Plafondansatzes um 100 Millionen DM unter Beibe2680 haltung des Verteilungsschlüssels ÖPNV zum kommunalen Straßenbau von je 50 % ist es für die Flächenländer besonders wichtig, daß ab 1992 50 % ÖPNVMittel gemäß ihrer Quote am kommunalen Straßenbau abzüglich der für ÖPNV-Projekte verbrauchten Finanzmittel für Maßnahmen des kommunalen Straßenbaus umgeschichtet werden können. Dies war nach dem alten GVFG nicht möglich und hat dazu geführt, daß im Zeitraum von 1967 bis einschließlich 1985 von den Bundesländern, die keine Städte mit nennenswerten U- und S-Bahn-Bauten hatten, insgesamt 3 694 Millionen DM über den Anteil der Mineralölsteuer zur Finanzierung von ÖPNV-Projekten in den Ballungsräumen aufgebracht wurden. Herr Minister Warnke hat bei der ersten Lesung gesagt, daß 91 % aller ÖPNV-Mittel in den letzten 20 Jahren in den Ballungsräumen verbaut worden sind. Die zukünftige Umschichtungsmöglichkeit vom ÖPNV zum Straßenbau gibt den Ländern und den Kreisen mit ländlichen Strukturen endlich mehr Möglichkeiten, ihren hohen Bedarf beim kommunalen Straßenbau zu befriedigen. Es ist in Kauf zu nehmen, daß diese Regelung erst ab 1992 greifen kann. Ebenso hinzunehmen ist die Tatsache, daß bis dahin vorweg, vor Verteilung, 100 Millionen DM zur Finanzierung von ÖPNV-Projekten von dem Plafondansatz abgezogen werden. Dies hat seinen berechtigten Grund darin, daß begonnene und im Bau befindliche U- und S-Bahnprojekte ausfinanziert werden. Herr Daubertshäuser, die Systemruinen wird es nach dem wohldurchdachten Vorschlag der Koalitionsfraktionen eindeutig nicht geben. Wegen dieser zeitlichen Verzögerung war es deshalb für den Straßenbau in der Fläche ebenfalls wichtig, daß die Mittel hierfür durch den Koalitionsentwurf in den Jahren 1988 bis einschließlich 1991 um 175 Millionen DM jährlich - also um 16,5 % - gegenüber dem Regierungsentwurf erhöht wurden. Damit können die Bundesländer ihre notwendigen Straßenbauprogramme ohne größere Einschränkung auch bis 1991 fortführen. Die ursprüngliche Begründung für die Kürzung der Straßenbaumittel, daß der Bedarf beim kommunalen Straßenbau zurückgehe, war einfach falsch. Neben dem Bau von Straßen in der Fläche denke ich dabei besonders auch an den Ausbau von Ortsdurchfahrten, die oft erst die Voraussetzung dafür sind, daß Dorferneuerungs- und Stadtsanierungsmaßnahmen greifen können. In dem Zusammenhang begrüße ich besonders, daß gegenüber dem Regierungsentwurf 100 Millionen DM mehr für die Gemeindeverkehrsfinanzierung aufgewendet werden sollen. Diese 100 Millionen DM für Investitionen bedeuten in Verbindung mit den Komplementärmitteln, mit den öffentlichen Mitteln für nicht zuschußfähige Kosten und mit den Investitionen Dritter, von Privaten, die erst ausgelöst werden können, wenn die öffentlichen Investitionen erbracht sind, den Erhalt von jährlich etwa 400 Millionen DM für Bau-Investitionen. Für die Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs in der Fläche ist es sehr zu begrüßen, daß der Gesetzentwurf zukünftig eine Förderung bei der Ersatzbeschaffung von Bussen, sofern diese zur Erhaltung oder zur Schaffung neuer Linien dienen, mit besonderer Förderpräferenz bei Verbesserung des ÖPNV in der Fläche vorsieht. Ich darf abschließend feststellen, daß es den Koalitionsfraktionen und ihren Verkehrspolitikern meiner Auffassung nach überzeugend gelungen ist, dem Parlament im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten eine Gesetzesvorlage zu unterbreiten, auf deren Grundlage es den Ländern zukünftig mehr als nach dem alten Gesetz möglich ist, in eigener Verantwortung und gemäß den von Land zu Land sehr unterschiedlichen Gegebenheiten und den daraus erwachsenden Notwendigkeiten individuell die Schwerpunkte zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden zu setzen. Ich bitte, dem Gesetz zuzustimmen. ({12})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Gegenstimmen der SPD und der GRÜNEN ist das angenommen. Wir treten nun in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist mit Mehrheit angenommen. Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1180 ab. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? - Gegenprobe. - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist bei einer Enthaltung mit den Gegenstimmen der Regierungsparteien und der GRÜNEN abgelehnt. Meine Damen und Herren, wir stimmen jetzt über den Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN zur Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes ab. Der Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich rufe die Artikel 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Damit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen, und der Gesetzentwurf der GRÜNEN ist abgelehnt. Eine weitere Beratung des Gesetzentwurfs der GRÜNEN unterbleibt somit nach § 83 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, bitte ich den Herrn Abgeordneten Lemmrich, mir seine Aufmerksamkeit zu schenken. Herr Abgeordneter Lemmrich, Sie haben den Abgeordneten Haar persönlich beleidigt, indem Sie ihn als den „übelsten Vizepräsident Frau Renger Heuchler" bezeichnet haben. Ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf. ({0}) Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 18 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur finanziellen Sicherung der Künstlersozialversicherung - Drucksachen 11/862, 11/1006 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({1}) - Drucksache 11/1158 - b) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 11/1159 ({3}) Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1174 vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker ({4}).

Dr. Karl Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! In überaus kurzer Beratungszeit hat sich der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung nach der ersten Lesung im Deutschen Bundestag am 8. Oktober mit dem Finanzsicherungsgesetz für die Künstlersozialversicherung befaßt. Nach einer internen Anhörung von Sachverständigen legen wir heute den in der Ausschußberatung einstimmig von allen Fraktionen beschlossenen Gesetzentwurf zur Abstimmung vor. Nach der Anhörung waren wir der Auffassung, daß letztmalig noch für das Jahr 1988 der einheitliche Künstlersozialabgabesatz von 5 % beibehalten werden muß, um die Finanzierung sicherzustellen. Wir danken all denjenigen, die getreu dem Gesetz ihre Leistungspflicht erfüllt haben, und bitten um Verständnis, daß erst ab 1989 die im Gesetz vorgesehene Abgabe nach getrennten Sätzen eintreten kann. Bei der Anhörung zeigte sich auch die Ursache für die Misere der Künstlersozialkasse. Sie war von der Anlage her falsch geplant. Die Kritiker hatten schon Ende der siebziger Jahre, als man glaubte, eine aktenlose Bearbeitung mit ca. 20 Mitarbeitern durchführen zu können, ihre Zweifel an der Funktionsfähigkeit einer solchen Clearing-Stelle. Denn gerade der Bereich Künstler ist sehr schwierig zu betreuen. Sie schreiben selten; dafür rufen sie eher an. Aber darauf war man nicht eingerichtet. In den letzten Jahren versuchten andere Behörden mit umfangreichen Hilfsmaßnahmen bei der Aufarbeitung der gestapelten Akten zu helfen. So kam es, daß von ca. 30 000 gemeldeten Versicherten die meisten Konten noch ungeklärt sind. Viele haben sich gemeldet, auch als Selbstvermarkter, und noch nie oder nur ganz sporadisch einen Beitrag geleistet. Die Künstlersozialkasse mußte aber ihrerseits nach dem Gesetz Beiträge an die Rentenversicherung abführen. Da aber auch in der Künstlersozialversicherung der Grundsatz der Rentenversicherung „Leistung für Leistung" gilt, wurde jetzt im Gesetz eine Ergänzung aufgenommen, daß bei Nichtzahlung Ansprüche nicht entstehen. Eine zeitlich großzügig bemessene Übergangsregelung wurde für die Säumigen eingebaut. Aber auch auf Seiten der Kunstvermarkter blieben große Lücken offen. Von den bisher bei der Künstlersozialkasse als Vermarkter in Frage kommenden Erfaßten - es sind bisher 15 225 - haben nur 22 % Honorare überhaupt gemeldet, 42 % gar nicht reagiert, und 36 % haben sogenannte Null-Honorar-Meldungen abgegeben. Richtig gezahlt haben überhaupt nur 1 000. Wir begrüßen daher besonders, daß die Künstlersozialkasse jetzt einem in der Sozialversicherung bewährten Träger, eben der Landesversicherungsanstalt Oldenburg, angeschlossen wurde. Mit frischem Wind ging man dort an die Arbeit. Eine sogenannte Erinnerungsaktion brachte sehr bald Honorarmeldungen in Höhe von 281 Millionen DM ein. Auch Betriebsprüfungen hatten deutlich Erfolg. Ich kann die Landesversicherungsanstalt nur bitten, weiter auf diesem Weg fortzufahren. ({0}) Wir werden jetzt in das Gesetz neue Regelungen einführen, mit denen die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Beseitigung der Doppelbelastung von Vermarktern, wenn sie einen Zuschuß zur Lebensversicherung für die von der Versicherungspflicht befreiten Künstler und Publizisten zahlen, verwirklicht werden kann. Die professionell Eigenwerbung betreibenden Unternehmer werden in den Kreis der zur Künstlersozialabgabe Verpflichteten einbezogen. Der Bundeszuschuß wird auf die Höhe des Selbstvermarktungsanteils angehoben. Die Beratungen haben auch deutlich gemacht, daß eine Reihe von Problemen auftreten, die im kommenden Frühjahr bei der anstehenden Novellierung des Künstlersozialversicherungsgesetzes zu lösen sind. Eine ganze Reihe von Abgabepflichtigen ist noch zu erfassen. Der Katalog der nach dem Gesetz zur Abgabe Verpflichteten weist Lücken auf. Es muß auch überlegt werden, ob nicht zusätzliche Vermarktungstatbestände in den Katalog aufgenommen werden sollten. Das Problem der Berufsanfänger mit geringem Einkommen steht ebenso vor uns wie die Frage der Einbeziehung des Kunsthandwerks. Dasselbe gilt für die Förderung von Ausgleichsvereinigungen als relativ unbürokratische Hilfsorganisation auf der Vermarkterseite. Der Bundeszuschuß sollte meines Erachtens auch bereichsspezifisch aufgespalten werden können. Die strittige Abgrenzung von gemeldetem Bereich und abgabepflichtigem Bereich ist neu zu regeln. Dabei sollte auch die Frage der Mischkalkulation geprüft werden. Dr. Becker ({1}) Nicht zuletzt sollten wir uns aber auch Gedanken machen, wie den älteren Künstlern, die nicht diesem Gesetz unterliegen können, geholfen wird. So kam die Anregung einer Stiftung Künstler in Not. Ich selbst gehöre einem Verein Frankfurter Künstlerhilfe an; eine Lion's-Gründung, die durch ihre Aktivitäten Jahr für Jahr je fünf Jahresstipendien für junge und für ältere in Not geratene Künstler in Höhe von je 6 000 DM ermöglicht. So gibt es viele Gruppierungen, die hier helfen wollen. Hier wartet im kommenden Jahr eine große Aufgabe auf uns. Packen wir sie gemeinsam an, damit wir das Ziel, den Künstlern wirklich zu helfen, auch erreichen! Schönen Dank. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Abgeordnete Weiler.

Barbara Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kollegen und Kolleginnen! Die Fraktion der SPD stimmt dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zu. Mit diesem Gesetz ist eine wichtige Voraussetzung für die Versorgung der Künstler im Alter und bei Krankheit geschaffen. Wir akzeptieren auch, daß der einheitliche Prozentsatz von bisher 5 % für die Künstlersozialabgabe für ein weiteres Jahr verlängert wird. Allerdings meinen wir, daß dies die letzte Verlängerung gewesen sein muß. ({0}) Die Anhörung im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat uns davon überzeugt, daß es nicht vertretbar ist, bereits im kommenden Jahr den Abgabesatz nach den vier Bereichen Wort, bildende Kunst, Musik und darstellende Kunst zu differenzieren. Wir wissen sehr wohl, daß der Bereich Wort auch noch im nächsten Jahr Überzahlungen leistet, die in manchen Fällen echte Probleme verursachen. Aber der sofortige Übergang zum differenzierten Abgabesatz hätte in anderen Bereichen - besonders bei der bildenden Kunst - katastrophale Folgen. Wir sind ebenso damit einverstanden, daß die Künstlersozialkasse organisatorisch in die Landesversicherungsanstalt Oldenburg/Bremen eingegliedert wird, und erwarten, daß damit dann auch die administrativen Schwierigkeiten behoben werden. Das heute vorliegende Gesetz zeigt, daß die Künstlersozialversicherung bisher nicht zufriedenstellend funktioniert hat. Dennoch können wir feststellen, daß das Gesetz von den betroffenen Künstlern akzeptiert wird. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, mit dem das Gesetz in allen wesentlichen Punkten bestätigt worden ist, hat zur Stabilisierung beigetragen. Wir hoffen, nein, wir erwarten, daß nun auch die professionellen Vermarkter, die dieses Gesetz bislang boykottiert haben, eines Besseren belehrt sind und sich in Zukunft loyal und gesetzestreu verhalten. ({1}) Andernfalls werden wir, meine Kollegen und Kolleginnen, im nächsten Jahr die Möglichkeit entsprechender Sanktionen überlegen müssen. Insgesamt möchte ich jedoch sagen, das Künstlersozialversicherungsgesetz ist nicht mehr wegzudenken aus der sozial- und kulturpolitischen Landschaft der Bundesrepublik. Es war sehr interessant, in der Anhörung sogar von seiten der Vermarkter zu hören, daß dieses Gesetz für viele Künstler und deren Familien ein existenzielles Gesetz gewesen ist und daß es aus dieser Sicht einer der größten Fortschritte der Kulturpolitik der letzten Jahrzehnte war. Wir Sozialdemokraten sind besonders stolz auf diese Leistung aus unserer Regierungszeit. Ich möchte an dieser Stelle zwei Vätern des Gesetzes für ihre hartnäckige Arbeit danken, Dieter Lattmann und Egon Lutz. ({2}) Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen, um das Erreichte zu sichern, auszubauen und praktikabel zu machen, hält die SPD-Fraktion eine weiterreichende Reform des Künstlersozialversicherungsgesetzes für notwendig. Diese Reform hat zwei Ziele, sie muß dafür sorgen, daß das Finanzierungspotential der Künstlersozialabgabe tatsächlich ausgeschöpft wird und daß die insgesamt für die Künstlersozialversicherung zur Verfügung stehenden Finanzmittel gerechter verteilt werden. Wenn dies nicht geleistet wird, kann das im Gesetz vorgesehene Finanzierungsverfahren mit der nach Kunstbereichen differenzierten Abgabe nicht funktionsfähig werden. Es kann keinen Zweifel geben, daß die abgabepflichtigen Unternehmen bisher außerordentlich nachlässig erfaßt und sehr lasch zur Zahlung herangezogen worden sind. Die Anhörung im Ausschuß hat dazu deprimierende und, wie ich meine, auch empörende Zahlen ans Licht gebracht. Von den rund 15 000 bekannten abgabepflichtigen Unternehmen - dabei schätzt man, daß dies nur zwei Drittel der nach dem Gesetz heranzuziehenden Unternehmen sind - , zahlen nur ganze 1 000 ihre Künstlersozialabgabe korrekt. Um dies zu ändern, reichen nicht allein organisatorische Maßnahmen. Es müssen auch Gesetzeslükken geschlossen werden. Nach unserer Auffassung sollten für die notwendige Reform im nächsten Jahr vor allem fünf Punkte geprüft werden: Erstens. Heranziehung aller Unternehmen, die nicht nur gelegentlich künstlerische und publizistische Leistungen gegen Entgelt für ihre unternehmerischen Zwecke verwerten, auch wenn sie nicht in den heute beschlossenen Katalog der typischen Kunstvermarkter nach § 24 passen. Das heißt, wir müssen vom heutigen eingeschränkten Vermarkterkonzept zum umfassenden Verwerterkonzept kommen. Das Bundesverfassungsgericht hat bezüglich der Werbung hierzu schon einen wichtigen Akzent gesetzt, der in seiner Bedeutung aber auch über diesen Teilbereich hinausgehen dürfte. Zweitens. Die Umgehungsmöglichkeiten über das Ausland, die vor allem im Gemäldegroßhandel üblich geworden sind, müssen beseitigt werden. Drittens. Der sogenannte Selbstvermarkterbereich muß eingeschränkt werden. Hier ist zu fragen, ob nicht ganz generell auch die öffentliche Hand abgabepflichtig werden sollte, wenn sie Leistungen von selbstvermarktenden Künstlern kauft. Viertens. Viele Künstler sind spartenübergreifend tätig. Dies muß bei der Berechnung der differenzierten Künstlersozialabgabe in Zukunft berücksichtigt werden. Fünftens. Der Bundeszuschuß zur Künstlersozialversicherung muß differenziert auf die vier Sparten Wort, Bildkunst, Musik und darstellende Kunst verteilt werden. Das ist notwendig, um die unterschiedlichen Selbstvermarktungsanteile auszugleichen und die extreme Diskrepanz in den Abgabesätzen für die Künstlersozialabgabe zu vermeiden. Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Fraktion der SPD erwartet, daß die Bundesregierung in allernächster Zeit konkrete Daten vorlegt: eine Bestandsaufnahme zur Künstlersozialversicherung, ein Konzept zur besseren Erhebung der Künstlersozialabgabe und zur Neuverteilung des Bundeszuschusses. Zum Schluß möchte ich mich noch ganz besonders bei den Koalitionsfraktionen dafür bedanken, daß sie unsere Initiative im Ausschuß sofort unterstützt haben, bei diesem Gesetz bereits geschlechtsneutrale statt wie bisher einseitig männliche Bezeichnungen zu verwenden. Danke schön. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Heinrich.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir als Berichterstatter, daß ich mich vor allen Dingen bei den Mitarbeitern des Ausschusses und bei den Mitarbeitern des Ministeriums sehr herzlich bedanke. Wir haben eine sozialpolitisch hektische Woche hinter uns, und sie wurden weit mehr gefordert, als man im Guten eigentlich von jemandem erwarten kann. Sie haben sich den Anforderungen gestellt und haben ihre Arbeit mit Bravour erledigt. Meinen herzlichen Dank! ({0}) In der ersten Beratung habe ich einleitend gesagt: Wir haben breite Übereinstimmung. Das kann ich auch heute, bei der abschließenden Beratung, feststellen. Insbesondere die Tatsache, daß wir im Ausschuß die Beratungen einstimmig abgeschlossen haben, zeigt, daß wir alle, alle Parteien gleichermaßen, gewillt sind, beim Sorgenkind Künstlersozialversicherung zu Verbesserungen zu kommen. Mit einem bemerkenswerten, fast möchte man sagen, künstlerischen Urteil hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetz seine weitgehende Verfassungskonformität bescheinigt. Wer aber gedacht haben mag, damit seien die Probleme der Künstlersozialversicherung weitgehend beseitigt, den belehrt der vorliegende Gesetzentwurf eines Besseren. Die finanziellen Probleme sind noch nicht gelöst. Gerade weil viele Vermarkter, Künstler und Publizisten auf die Entscheidung aus Karlsruhe gewartet haben, haben sie sich bis dahin mit Zahlungen vornehm zurückgehalten. Es ist uns auf der Basis des vorhandenen Zahlenmaterials nicht möglich, einen wirtschaftlich vertretbaren bereichsspezifischen Abgabesatz zu ermitteln. Wir bedauern dies sehr, denn wir halten diese Regelung für ein Kernstück der Künstlersozialversicherung. Weil aber Wunsch und Wirklichkeit auseinanderdriften, haben wir - wenn auch schweren Herzens - der Verlängerung des einheitlichen Beitragssatzes um ein weiteres Jahr zugestimmt. Für die FDP-Bundestagsfraktion möchte ich nachdrücklich erklären, daß wir einer weiteren Verlängerung nicht zustimmen werden. ({1}) Wir hielten dies im Interesse der Vermarkter, die ihren Verpflichtungen nachgekommen sind, für nicht vertretbar. Wir sind der Auffassung, daß der Bundesarbeitsminister die Künstlersozialversicherung schnellstmöglich auf eine vernünftige finanzielle Basis stellen muß, und hoffen, daß der jetzige Gesetzentwurf auch dazu beiträgt, daß die Künstlersozialkasse endlich besser verwaltet wird. Hier sind ja sehr positive Ansätze zu verzeichnen. Das Bundesverfassungsgericht hat, auch wenn es einen Verfassungsverstoß jetzt noch nicht als gegeben ansieht, die bisherige Freistellung der Eigenwerbung betreibenden und insofern wie Werbeagenturen agierenden Unternehmen kritisiert. Wir alle wollen eine Änderung, denn es ist in der Tat nicht einzusehen, daß eine kleine Werbeagentur zur Künstlersozialabgabe herangezogen wird, während die Werbeabteilung eines Großunternehmens, das ebenfalls einen Auftrag an einen Künstler erteilt, nicht veranlagt wird. Wir sind aber der Meinung, daß die gelegentliche Inanspruchnahme eines Künstlers für eine Firmenschrift, für eine Betriebsfeier oder auch für eine Werbemaßnahme nicht dazu führen darf, daß insbesondere kleine und mittlere Unternehmen, deren werbliche Aktivitäten mit denen von Werbeagenturen nicht vergleichbar sind, zur Künstlersozialabgabe herangezogen werden. Die jetzt gefundene Formulierung trägt diesem Petitum Rechnung. Ich kann es Ihnen nicht ersparen und will es Ihnen nicht ersparen, das vorzutragen, wo wir noch Bedenken haben und vielleicht in Zukunft noch etwas verändern können. Für problematisch halten wir die im Gesetzentwurf vorgesehene Streichung des Zuschusses der Vermarkter zur Lebensversicherung und des von der Versicherungspflicht befreiten Künstlers oder Publizisten. Die FDP-Bundestagsfraktion hätte, gerade weil es sich um einen kleinen Personenkreis handelt und weil unseres Erachtens kaum erhebliche Kosten anfallen dürften, eine Regelung in Anlehnung an den § 8 KSVG oder an den Vorschlag des Bundesverfassungsgerichts zur Vermeidung von Doppelbelastung von Vermarktern durch Anrechnung auf die Künstlersozialabgabe vorgezogen. ({2}) Dies wäre nach unserer Ansicht der richtige Weg gewesen. Aber offensichtlich fällt Streichen leichter als Gestalten. Mit der Künstlersozialversicherung haben wir Neuland betreten. Es bedarf daher - so ist mein Eindruck - weiterer gesetzgeberischer Maßnahmen. Ich bin überzeugt: Nächstes Jahr sind wir wieder dran. Nächstes Jahr werden wir dann hoffentlich - hier schließe ich mich dem Petitum des Kollegen Becker an - abschließend beraten. Für heute herzlichen Dank. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Frau Abgeordnete Unruh.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Volksvertreter und -innen! Die GRÜNEN haben im Ausschuß voll für diesen Gesetzentwurf gestimmt, weil er lange, lange überfällig war, eingebracht von den Sozialdemokraten, besser gestaltet jetzt von uns allen zusammen. Künstler haben unser Leben immer bunt und farbig gestaltet. Auch die Straßenkunst darf man nicht vergessen; alles, was uns irgendwo ein Stück fröhlich stimmt. Doch: Wie war es immer? Und wie ist es jetzt noch? Darauf möchte ich in den vier Minuten, die ich habe, zu sprechen kommen. Die alten Künstler von früher, die über 60jährigen, stehen mal wieder nackt und bloß. Und da genügt auch nicht eine Stiftung, also ein Almosenbetrieb. ({0}) - Lassen Sie bitte die Grauen Panther aus dem Spiel! Wenn Sie die hier jetzt auch noch reinbringen, dann sollten Sie sich etwas schämen. Von den alten Künstlern, die noch nichts von Graphik und Design oder sonst was verstanden, ist ja bekannt, daß sie im Alter, wie man so schön sagt, am Stock gingen. Und genau ihnen gilt das Bemühen von uns GRÜNEN. Deshalb möchten wir, daß unser Entschließungsantrag, den wir vorgelegt haben, in den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung überwiesen wird. Wir waren uns nämlich alle einig, daß noch etwas geschehen muß, und zwar daß die über 60-, 70-, 80jährigen Künstler nicht vielleicht ein Almosen kriegen sollten. Deshalb sollten wir im Ausschuß eine Grundversicherung oder, wie es heißt, ein Altersgeld schaffen. Heute steht ja auch in der Zeitung: Von Späth aus der CDU kommt, daß auch die Bäuerinnen ein Altersgeld haben sollten. Es steht in der Zeitung, daß die SPD ein Altersgeld schaffen will. Es steht in der Zeitung, daß der Fink ein Altersgeld schaffen will. Und warum sollen wir da die Künstlerinnen und Künstler, die heute alt sind, ausnehmen? Genauso sind wir nicht damit einverstanden - auch das bitte noch mal überweisen in den Ausschuß für A + S! - , daß nach dieser Versicherung erst ab der siebenten Woche Krankengeld oder sonst was kommt. Auch das sollten wir noch einmal bedenken. Und das was der Herr Staatssekretär dazu gesagt hat: Die Künstler seien nicht bereit, einen höheren Krankenkassenbeitrag zu bezahlen, sollten wir auch nicht so stehen lassen. Wir GRÜNEN sind sogar dafür, daß man bis 1 200 DM Einkommen - arme Leute! - sowieso keinen Krankenkassenbeitrag bezahlen soll. Ich bitte Sie ganz herzlich: Überweisen Sie unseren Entschließungsantrag, so daß wir im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung darüber noch mal - hoffentlich auch fraktionsübergreifend - beraten können. Ich danke Ihnen vielmals. Und auch von mir aus: ein schönes Wochenende! ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Höpfinger.

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf zur Sicherung der Künstlersozialversicherung ist notwendig; die Debatten haben es unter Beweis gestellt. Das Gesetz ist auch ein wesentlicher Beitrag zur soliden sozialen Absicherung der selbständigen Künstler und Publizisten. Kurz einige Bemerkungen zu allen Ausführungen, die sehr deutlich und sachgerecht vorgetragen worden sind, vor allem zu den nun getroffenen Regelungen. Das erste: Die Aufgaben der Künstlersozialversicherung werden also ab 1. Januar 1988 von der LVA Oldenburg/Bremen wahrgenommen. Die Arbeiten der Künstlersozialkasse - ich glaube, es ist wichtig, daß darauf hingewiesen wird - werden weiterhin in Wilhelmshaven durchgeführt. Aber die jetzige Regelung, die in den vergangenen Monaten getroffen worden ist, hat schon jetzt erste Erfolge sichtbar werden lassen. Wir sind dafür auch sehr, sehr dankbar. Meine Damen und Herren, aber auch die beste Verwaltung braucht die Mitwirkung der Beteiligten. Die Abgabepflichtigen sind aufgerufen, nun ihrer gesetzlichen Melde- und Abgabepflicht nachzukommen. Und die Versicherten sind gehalten, ihre Beitragspflicht zu erfüllen. Wer keine Beiträge entrichtet, kann die Vorteile der sozialen Absicherung nicht für sich in Anspruch nehmen. Es war richtig, daß dieses Anliegen im Ausschuß beraten und in das Gesetz mit aufgenommen worden ist. Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Beibehaltung des bisherigen Abgabesatzes von 5 % der Künstlersozialabgabe für 1988. Die bereichsspezifische Lösung kann für 1988 noch nicht durchgeführt werden. Die Aussagen der Sachverständigen haben uns in der Überzeugung bestärkt, daß hierzu noch ein weiteres Jahr notwendig ist. Die Bundesregierung hat die vorherigen Ankündigungen sehr deutlich gehört. ({0}) Ich möchte allen Abgabepflichtigen für die Bereitschaft danken, eine nochmalige Beibehaltung eines einheitlichen Abgabesatzes zu akzeptieren. Das dritte: Der Bundeszuschuß wird um 12 Millionen DM erhöht und beträgt dann 25 % der Ausgaben der Künstlersozialkasse. Mit den übrigen Regelungen des Gesetzentwurfs kommt die Bundesregierung im wesentlichen den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts nach. Erstens soll die beanstandete Regelung gestrichen werden, daß Abgabepflichtige für von der gesetzlichen Rentenversicherung befreite Künstler einen Zuschlag zu den Prämien für private Lebensversicherungsverträge zu zahlen haben. Wir kennen die Diskussion; sie hat eine wesentliche Rolle gespielt. Wir wissen auch, welche Auswirkungen sie gehabt hätte, wenn eine andere Regelung getroffen worden wäre. Zweitens soll künftig die Pflicht zur Künstlersozialabgabe auf Unternehmer ausgedehnt werden, die für Zwecke ihres eigenen Unternehmens Werbung treiben und dabei wie professionelle Vermarkter tätig werden. Diese Neuregelung ist erforderlich, um bestehende Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen. Frau Kollegin Unruh hat den Entschließungsantrag angesprochen. Wenn er überwiesen wird, dann sind all diese Fragen zu behandeln. Ich darf nur, Frau Kollegin Unruh, darauf hinweisen: Was die Aufklärung der Künstler betrifft, so steht das jetzt schon im Gesetz. In § 47 ist festgehalten, daß die Aufklärungspflicht gegenüber den Künstlern wahrzunehmen ist. Es ist erfreulich, daß sich alle Fraktionen über die Notwendigkeit dieses Gesetzes einig sind. Ich möchte für die intensive Mitarbeit und die zügige Beratung danken. Mit Ihrer Zustimmung zu diesem Gesetz leisten Sie einen wichtigen Beitrag zur Konsolidierung und Fortentwicklung der Künstlersozialversicherung, zu einer Fortentwicklung, die heute in der Debatte schon einige Male hervorgehoben wurde. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dies ist einstimmig so beschlossen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch in der dritten Lesung einstimmig angenommen. Wir kommen jetzt zum Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1174. Die Fraktion der GRÜNEN hat Überweisung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - federführend - , an den Innenausschuß und an den Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zur Mitberatung beantragt. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen. Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung angelangt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 24. November 1987, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.