Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunkte-Liste aufgeführt:
1. Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zu der bevorstehenden Aufnahme der binären C-Waffen-Produktion in den USA ({0})
2. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Förderung des Friedensprozesses in Zentralamerika
- Drucksache 11/1130 3. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 2. Oktober 1986 zum Abkommen vom 7. Januar 1976 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über Soziale Sicherheit und zu der Zusatzvereinbarung vom 2. Oktober 1986 zur Vereinbarung vom 21. Juni 1978 zur Durchführung des Abkommens
- Drucksachen 11/588, 11/1150 4. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 14. November 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada fiber Soziale Sicherheit und der Vereinbarung zur Durchführung des Abkommens sowie zu der Vereinbarung vom 14. Mai 1987 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Quebec fiber Soziale Sicherheit und der Durchführungsvereinbarung hierzu
- Drucksachen 11/1001, 11/1149 5. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens"
- Drucksache 11/1136 6. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Überprüfungsordnung für Heilpraktiker
- Drucksache 11/1133 Zugleich soll, soweit erforderlich, von der Frist für den Beginn der Beratungen abgewichen werden.
Weiterhin ist interfraktionell vereinbart worden, Punkt 16 der Tagesordnung - Achtes Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes - heute um 9 Uhr und Punkt 2 der Tagesordnung - Verlängerung der Amtszeit der Jugendvertretungen in den Betrieben - am Freitag um 9 Uhr zu beraten.
Punkt 15 der Tagesordnung - Verbesserung der Anbindung Berlins an das Bundesgebiet - soll bereits nach Punkt 3 heute um ca. 12 Uhr aufgerufen werden.
Da die Fragestunde voraussichtlich nur 45 Minuten dauert, sollen die Punkte 4 a und 4 b der Tagesordnung schon gegen 14.45 Uhr aufgerufen werden.
Sind Sie mit der Erweiterung bzw. Änderung der Tagesordnung einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente und zum Schutz der Solidargemeinschaft vor Leistungsmißbrauch ({1})
- Drucksachen 11/800, 11/890 -
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({2})
- Drucksache 11/1160 -
Berichterstatter: Abgeordneter Heyenn
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 11/1162 Berichterstatter:
Abgeordnete Sieler ({4}) Strube
Zywietz
({5})
Hierzu liegen Änderungs- und Entschließungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/1163 bis 11/1168 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Präsident Dr. Jenninger
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Heyenn, das Wort zu einer kurzen Erklärung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Bericht um folgenden Punkt ergänzen: In der Einleitungsformel zum Gesetzentwurf heißt es: „Der Bundestag hat mit der Mehrheit seiner Mitglieder ... beschlossen: ". Dies ist nach Auffassung der Gesetzesinitiatoren deshalb erforderlich, weil die Förderung der Berufsausbildung von benachteiligten Jugendlichen, die Förderungsmöglichkeiten nach dem Bundesbeihilfengesetz für arbeitslose Jugendliche und die Sprachförderung von Aussiedlern, Asylberechtigten und Kontingentflüchtlingen in die Finanzhoheit der Bundesanstalt für Arbeit übertragen werden; dies sei ein Fall des Art. 87 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes.
Ich möchte an dieser Stelle allen Mitarbeitern in der Druckerei und im Ausschußsekretariat, die an der Fertigstellung von Beschlußempfehlung und Bericht bis weit in den frühen Morgen und erneut ab 6 Uhr gearbeitet haben, für diese Arbeit recht herzlichen Dank sagen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Schemken.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dieser achten Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes leistet die Bundesregierung, insbesondere auch die Koalitionsfraktionen, einen weiteren Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
({0})
Schon die 7. Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz - das wissen Sie sehr wohl - hat einen Startschuß zur Qualifizierungsoffensive gegeben.
({1})
Jeder weiß, daß Arbeitslose heute zum Teil schon deshalb nicht mehr vermittelt werden können, weil sie leider nicht über die notwendige Qualifikation verfügen.
Allein 1986 - das belegt die Wirkung der siebten Novelle - konnten die beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen in der Arbeitsverwaltung um 30 % gesteigert werden, in den ersten neun Monaten dieses Jahres gegenüber dieser enormen Steigerung noch einmal um 18,8 %. Die Bundesanstalt wird damit den Herausforderungen der 90er Jahre gerecht. Wir wollen nicht die Mängelverwaltung, sondern wir wollen den Jugendlichen und auch den älteren Menschen eine Perspektive eröffnen, damit durch Qualifizierung der Arbeitsmarkt gerade für den Langzeitarbeitslosen wieder geöffnet wird.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Steinhauer?
Ja gerne, bitte schön.
Herr Kollege, Sie sagen, mit der siebten Novelle sei ein Startschuß für die Qualifizierungsoffensive gegeben worden, und das solle jetzt weitergehen. Wie erklären Sie sich denn, daß die Arbeitsämter angewiesen sind, mit ihren Qualifizierungsoffensiven einzuhalten, auf keinen Fall mehr auszugeben als im letzten Jahr?
({0})
Wir haben im Gegensatz zu Ihrer Zeit die Mittel für die Qualifizierung erhöht.
({0})
- Ja, ich möchte das darstellen. Sie hatten gestern doch große Sorge um die Finanzierbarkeit des ganzen Unternehmens. Wir haben mittlerweile bei der Qualifizierung Ausgaben von weit über 12 Milliarden. In Ihren Zeiten lagen die Ausgaben weit darunter; Sie lagen unter 6 Milliarden DM. Sie haben uns die Arbeitsverwaltung mit einem Defizit von 6 Milliarden DM übergeben, und wir verfügen jetzt über eine Rücklage von über 5 Milliarden DM. Wir müssen allerdings - Frau Steinhauer, haben Sie bitte Verständnis dafür - diese Mittel im richtigen Maßstab für Qualifizierungsmaßnahmen ansetzen.
Die Lohnkostenzuschüsse für ältere Bürger werden ausgebaut. Wir wollen damit den älteren Arbeitslosen und den Langzeitarbeitslosen - wir haben 432 000 Arbeitslose über 50 Jahre - durch dieses Gesetz, das einen längeren Lohnkostenzuschuß von maximal acht Jahren an das Unternehmen gewähren soll, das einen älteren Arbeitslosen einstellt, helfen.
Ein entscheidender Punkt in unserem Entwurf ist der § 63 des AFG, wodurch wir vor allen Dingen den Arbeitern in der Stahlindustrie die notwendige Abfederung gewähren. Es geht darum, daß wir es über eine Vorschrift ermöglichen, bei Ankündigung von Massenentlassungen über das Kurzarbeitergeld zu helfen, damit diese Massenentlassungen vermieden werden. Dies gilt für den Montanbereich. Wir wissen sehr wohl, daß der Antrag der SPD diese Regelung ergänzen und erweitern soll. Wir warnen allerdings davor, daß diese Regelung für alle Gebiete, für alle „Krisenbranchen" gilt. Dann ist nicht mehr Stahl der Schwerpunkt, obwohl wir ihn als solchen herausgestellt haben. Denn besonders in Nordrhein-Westfalen, im Revier, werden diese Probleme für uns so deutlich, daß es notwendig ist, hier eine sozial verträgliche Regelung für die Strukturbereinigung der Stahlindustrie zu leisten, damit vor allen Dingen bei Anpassungsschwierigkeiten die älteren Arbeitnehmer eine Möglichkeit finden, über die Zahlung des Kurzarbeitergeldes wieder in den Arbeitsmarkt eingeführt zu werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön, Herr Urbaniak.
Herr Kollege, können Sie bestätigen, daß der SPD-Antrag darauf abzielt, bei der KurzUrbaniak
arbeitergeldregelung alle Branchen zu umfassen, und vor allen Dingen auf das operative Feld abzielt, während dieser Zeit der Kurzarbeit die Arbeitnehmer durch weitere Qualifizierungen auf die neuen Strukturen in Unternehmen vorzubereiten, und daß Sie nicht bereit waren, diesen wichtigen Punkt in Ihre Überlegungen einzubeziehen und uns zuzustimmen?
Wir haben bewußt gesagt, wir beziehen diese Möglichkeit der Abfederung - besonders in strukturschwachen Gebieten - auf die Stahlindustrie. Wenn wir jetzt die Textilindustrie, die Werften und vielleicht auch noch die Schuhindustrie hinzunehmen, dann ist es ein Gesamtpaket der Subventionen aber nicht mehr eine gezielte Hilfe für die Stahlarbeiter an Rhein und Ruhr. Aber dies möchten wir in dieser Stunde tun, weil dort die Not am größten ist; das ist unser Thema. Man kann nicht alles auf einmal tun.
({0})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Noch eine; haben Sie Verständnis, daß ich noch andere Dinge vortragen möchte. Sie wollen mich sehr wahrscheinlich daran hindern. - Bitte schön.
von der Wiesche ({0}): Ich habe eine Frage an Sie, da Sie eben so deutlich die Mobilisierungsoffensive im Bereich der Fort-, Weiter- und Ausbildung herausgestellt haben. In unserem Antrag war unter anderem enthalten,
Ich bitte eine Frage zu stellen.
von der Wiesche ({0}): - daß gerade dieser Bereich der Fort- und Weiterbildung mit einbegriffen war. Diesen Bereich haben Sie aber abgelehnt.
Bitte stellen Sie eine Frage, Herr Kollege.
von der Wiesche ({0}): Warum haben Sie diesen Bereich abgelehnt?
Es ist nach unserer Regelung ganz klar, daß der betroffene Arbeitnehmer über die Arbeitsverwaltung in entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen eingeführt werden kann. Das ist selbstverständlich. Es ist natürlich die Frage, ob man durch eine so vordergründige Formulierung vortäuscht, daß sich ein über 50jähriger über die Einführung in die Technologie möglicherweise mit einem Arbeitsplatz in Stuttgart abfinden muß. Ich sage das bewußt einmal so. Wir streuen uns hier doch Sand in die Augen, und das hat ja keinen Sinn, da Sie es ja nicht nur für den Stahlbereich beantragen - das ist doch nicht glaubwürdig - , sondern viele andere Bereiche in völlig andere Arbeitsmärkte einführen. Wenn ich das aber für alle Branchen tue - vor diesem Hintergrund steht ja diese Einlassung in Ihrem Antrag - , ist es nicht mehr die Hilfe für die Stahlarbeiter. Ich kann nur noch einmal ausführen, daß wir hier
auf den Stahlbereich abheben, weil dort in der Tat die Probleme in besonderem Maße auf den Nägeln brennen.
Wir haben das bewährte Programm für benachteiligte Jugendliche in Gesetzesqualität gehoben. Ich verstehe die Erregung in diesem Punkte nicht, und ich muß den Mitgliedern der SPD-Fraktion hier deutlich sagen, daß wir ihrem Entschließungsantrag nicht zustimmen können. Wenn wir uns im Bildungsausschuß auf eine gemeinsame gutachtliche Stellungnahme geeinigt haben
({0})
- ja, in der Tat - , halten wir es nicht für richtig, daß hier noch einmal ein Initiativantrag vorgelegt wird, der über das hinausgeht, was eigentlich im Beratungsverfahren durch den federführenden Ausschuß in dieser Fragen erreicht ist. Wir haben das, was wir beraten haben, in die gutachtliche Stellungnahme gefaßt, daß wir das Benachteiligtenprogramm nach wie vor gesichert wissen wollen. Wir wollen auch die Ausgestaltung bis hin zur sozialen Begleitung gesichert haben, und wir wollen gesichert haben, daß sich die überbetrieblichen Lehrwerkstätten bei fortschreitenden Technologien in starkem Maße dem Anpassungsprozeß stellen. Das ist auch ein Auftrag an die Bundesregierung.
Ich wollte nur einige Punkte nennen, die für die Jugendlichen wichtig sind, die nicht über den Hauptschulabschluß verfügen. Diese haben es am schwersten, denn wer gar nicht erst mit einer Ausbildung beginnt, hat Schwierigkeiten und wird sehr wahrscheinlich bei Fortschreibung der Technologie zum Langzeitarbeitslosen von morgen. Dem wollen wir mit der Gesetzesqualität des AFG als eines Angebots an die Schüler, die nicht den Hauptschulabschluß haben, begegnen. Schönen Dank.
({1})
- Ja, das ist sehr wichtig: schönen Dank an die, die mitgewirkt haben. Man soll in der Politik auch einmal danken, nicht nur meckern, Frau Unruh. Das ist ganz wichtig. Ich möchte im übrigen allen danken, die mitgewirkt haben, auch den Ausschußsekretären. Herr Berichterstatter, das geht auch an Sie. In der Zusammenschreibung der Berichterstattung ging es sehr konziliant zu. Dank geht aber auch an das Ministerium und an die Beamten und auch an die Mitarbeiter in der Druckerei, die hier bis in die Nacht hinein gewirkt haben. Da möchte ich im Zwischentakt auch einmal herzlichen Dank sagen.
Nun möchten wir allerdings eines noch verbessern die Vermittlung, ohne dem Arbeitsamt seine wirklich wichtige Aufgabe zu nehmen. Es geht um die Frage, ob ein Arbeitsamt angesichts der Herausforderung durch die Notwendigkeit einer flexiblen Reaktion auf den Arbeitsmarkt mit seinen unterschiedlichen strukturellen Vorgaben noch so reagieren kann, wie es in diesem Falle möglicherweise auch unsere Rundfunk- und Fernsehanstalten hilfreich mit erledigen können.
({2})
- Ja, wir wollen die Arbeit zum Arbeitsuchenden und den Arbeitsuchenden zur Arbeit bringen.
({3}) Das ist das Entscheidende.
({4})
Denn der Arbeitslose kommt oft über die vielen Wege und das schwierige Prozedere in der Beratung nicht so schnell an den Arbeitsplatz, den er möglicherweise erreichen kann.
Ich komme aus einer Region, in der Facharbeiter wieder gesucht werden, in der wir leider keine Facharbeiter haben.
({5})
Wir würden sie gerne übernehmen, wir würden sie gerne - jetzt komme ich zu Ihnen, Herr von der Wiesche - von Hattingen übernehmen, von dort, wo Thyssen bedauerlicherweise in der Tat dem einzelnen sagen muß, daß er nicht mehr weiter beschäftigt werden kann.
({6})
Das ist der Punkt. Uns geht es darum, daß wir hier zu einer besseren und gezielteren Beratung kommen.
Der Schutz der Solidargemeinschaft ist auch davon abhängig, daß wir Manipulationen vorbauen. Ich glaube, das ist in aller Sinne. Das gilt, wenn es um die Frage des Konkursausfallgeldes geht, wo es sich an den einen Teil, an die Arbeitgeberschaft, richtet, und es gilt genauso, wenn es darum geht, daß über die Erhöhung des Verdienstes in den letzten drei Monaten vor einer Kündigung der Arbeitnehmer ausgekauft werden soll. Ich halte dies für ein Problem. Dieser Mißbrauch, der dazu führt, daß auf Kosten der Solidargemeinschaft ein Arbeitslosengeld gezahlt werden muß, was nicht vertretbar ist, muß beseitigt werden.
({7})
Auf Grund von Gerichtsurteilen sind wir gehalten, das Arbeitsförderungsgesetz in bezug auf das Arbeitslosengeld und die Arbeitslosenhilfe für Studenten anzupassen. Dies tun wir. In Zukunft bekommen diejenigen Studenten Arbeitslosengeld, die während ihres Studiums eine typische Arbeitnehmertätigkeit nachweisen können. Diejenigen, die das nicht nachweisen können, sind nicht in der Arbeitslosenunterstützung anzusiedeln. Dies hat uns das Verfassungsgericht eindeutig bestätigt.
Im Zusammenhang mit den Mehrkosten für den Winterbau möchten wir nicht die Bagatellgrenze einführen. Wir haben uns mit den Tarifpartnern, also sowohl mit den Arbeitnehmern als auch mit den Arbeitgebern, in der Beratung so geeinigt, daß die Veränderungen, die wir diesbezüglich einführen wollten, den vorgetragenen Wünschen und Anregungen nicht entsprechen.
Wir sind fest davon überzeugt, daß mit diesem Zuschnitt der Arbeitsverwaltung besser auf die Bedürfnisse und Herausforderungen der Zukunft reagiert werden kann. Den jugendlichen Aussiedlern - das muß ich auch einmal sagen - und den ausländischen Mitbürgern, die über den EG-Vertrag auf unseren
Arbeitsmarkt kommen, ist mit einem Bildungsangebot bis hin zur sprachlichen Förderung eine Hilfe zu gewähren. Ohne Bewältigung der deutschen Sprache ist eine Ausbildung nicht möglich. Wer eine Berufsausbildung nicht absolviert, läuft Gefahr, einen sozialen Abstieg zu erfahren.
Wenn wir es mit unseren ausländischen Mitbürgern ehrlich meinen, müssen wir sie über die Qualifikation, über die Bildung in eine soziale Position bringen, die es ausschließt, daß in der dritten Generation hier ein Klassenkampf entsteht.
({8})
Es ist wichtig, soziale Gerechtigkeit über Bildung und berufliche Bildung herbeizuführen. Soziale Gerechtigkeit muß auch dort herrschen, wo es notwendig ist, Arbeitslose zu unterstützen. Ich darf noch einmal darauf verweisen, daß wir es gern tun, wenn es um die Stahlindustrie geht.
Schönen Dank.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Heyenn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Achte Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes ist in der wechselvollen Geschichte der Arbeitsförderung das Gegenteil einer Heldentat.
({0})
Minimalen Verbesserungen, die der Kollege Schemken hier sehr ausführlich begründet hat - ich bewundere ihn, daß er in der Lage war, zu so wenig Inhalt so lange zu reden - , steht ein milliardenschwerer „Verschiebebahnhof" zu Lasten der Solidargemeinschaft der Beitragszahler gegenüber.
({1})
Das leugnet, Herr Kollege Blüm, die Bundesregierung auch nicht. Der Stufenplan zur Anerkennung der Kindererziehungszeiten für ältere Mütter mußte finanziert werden. Deswegen wird mit diesem Gesetz in Nürnberg abkassiert.
({2})
Arbeitgeber und Gewerkschaften sprechen von einem finanziellen Raubzug bei der Bundesanstalt für Arbeit. Dem kann man nur zustimmen.
Ich sage erneut: Hier wird mit Sonderzügen Kohle aus Nürnberg abgeholt.
({3})
Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen sind unseren wiederholten Aufforderungen, den Entwurf zurückzuziehen, nicht gefolgt. Nicht einmal das Fiasko der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung hat sie zu einer Änderung bewogen. Das war vor vier Wochen, und das war für die Bundesregierung eine Pleite auf der ganzen Linie. Wann hat es das schon einmal gegeben, daß der geballte Sachverstand von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und der Bundesanstalt für Arbeit einschließlich
der Selbstverwaltung einen Gesetzentwurf als völligen Unsinn abgelehnt hat?
Niemand hat die Verschiebung der Kosten allgemeinbildender Maßnahmen vom Bund auf die Bundesanstalt für Arbeit für sinnvoll gehalten. Alle haben diesen finanziellen Raubzug auf Kosten der Beitragszahler angeprangert und klargemacht, daß sich der Bundesminister hier an den Beitragszahlern schadlos hält.
({4})
Die achte Novelle ein Flickwerk zu nennen, meine Damen und Herren, wäre geschmeichelt.
({5})
Dies ist kein Arbeitsförderungskonzept. Hier geht es um einen miesen Finanztrick, um gesamtgesellschaftliche Aufgaben auf die Solidargemeinschaft der Beitragszahler abzuladen.
({6})
Die Sprachförderung von Aussiedlern, von Asylbewerbern und von Kontingentflüchtlingen ist Allgemeinbildung reinsten Wassers. Sie ist genauso logisch wie der Englischunterricht an allgemeinbildenden Schulen. Auch die Förderung von benachteiligten Jugendlichen und die Erweiterung der Berufsausbildungsbeihilfen aus Beitragsmitteln zu bezahlen ist nicht nur falsch, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig. Die Selbstverwaltung der Bundesanstalt will diese Fragen klären, insbesondere die Verfassungsfragen.
Für mich ist klar, daß das, was Sie mit der achten Novelle machen, zumindest den Gleichheitsgrundsatz unseres Grundgesetzes verletzt.
({7})
Sie treiben mit dieser Novelle die Bundesanstalt für Arbeit tief ins Defizit. Wer konkret nachrechnet, wird bereits im nächsten Jahr, ganz vorsichtig gesagt, ein Defizit feststellen und 1989 ein Minus von mindestens 2,5 Milliarden DM.
Nun haben im Ausschuß die FDP-Fraktion und die Sozialdemokraten erklärt, daß beide Parteien eine Abdeckung dieses Defizits durch Beitragsanhebungen oder durch Leistungsverschlechterungen nicht mitmachen werden.
({8})
- Die GRÜNEN auch. Vielen Dank für die Ergänzung.
Der Bundesarbeitsminister wird also 1989 selbst bei günstigen Entwicklungsannahmen vor nahezu 3 Milliarden DM Defizit stehen, das er aus dem Bundeshaushalt decken muß. Dazu kommt die Anforderung ab 1991 mindestens 5,6 Milliarden DM, für die Erhöhung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung zur Verfügung zu stellen. Ich frage: Herr Bundesarbeitsminister, stehen Sie nicht in der Tat vor einem finanzpolitischen Fiasko Ihrer Sozialpolitik?
({9})
Ich habe schon gesagt: Die zugrunde liegenden Schätzungen sind bereits heute Makulatur. Das durchschnittliche Wachstum der Arbeitslosenzahl wird größer sein, und zwar nicht erst, seitdem Börsenchaos und Dollarsturz die Finanzmärkte bestimmen. Wenn es nur 70 000 Arbeitslose mehr gibt, kostet das schon eine halbe Milliarde DM mehr, und Sie treten - Herr Kollege Schemken hat das sehr geschönt; dies war kein Start, dies war ein Fehlstart in die Qualifizierungsoffensive - auf die Bremse. Ich kommentiere das nur mit einem berühmt gewordenen Wort: Das ist absurd und töricht.
({10})
Der Bundesanstalt für Arbeit fehlt also schon jetzt das Geld für die notwendigen Aufgaben. Dieser Stopp-Erlaß hat sich bereits insofern negativ ausgewirkt, als wir im Oktober 5 % weniger Eintritte in Maßnahmen hatten als im Vorjahr. Sie programmieren damit zusätzliche Arbeitslosigkeit.
Aber neben den entscheidenden unsauberen Machenschaften der Übertragung von ureigenen Aufgaben des Bundes auf die Bundesanstalt für Arbeit gibt es eine Reihe weiterer Gemeinheiten in dieser Novelle, die wir strikt ablehnen.
({11})
Die Ausbuchung von Nichtleistungsempfängern nach drei Monaten, wenn das Arbeitsgesuch nicht erneuert wird, ist eine Verfälschung. Sie wollen die Arbeitslosenstatistik korrigieren. Sie bekämpfen hier erneut die Statistik; Sie sollten aber die Zahl der Arbeitslosen bekämpfen.
({12})
Die weitere Privatisierung der Arbeitsvermittlung ist Unsinn; denn die Arbeitsvermittlung sollte im Interesse der Arbeitsuchenden und der Arbeitgeber in die Hände der Profis bei den Arbeitsämtern gehören.
({13})
Sie unterlaufen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Arbeitslosengeldbezug von Schülern und Studenten.
Wir lehnen auch die Änderung des § 55 a ab, weil die Förderung der Selbständigkeit Sache der Wirtschaftspolitik und nicht Sache der Beitragszahler ist.
({14})
Die Verlängerung des Bemessungszeitraumes für das Arbeitslosengeld bis zu zwölf Monaten ist völlig unpraktikabel. Das hat die Anhörung einwandfrei erwiesen.
Ich frage auch, Herr Bundesarbeitsminister, warum den Arbeitslosen immer wieder in besonderer Weise der Hang zum Mißbrauch unterstellt wird, obwohl die Untersuchungen der Bundesanstalt für Arbeit und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Entgegenstehendes sagen
({15})
und wir bereits ausreichende Vorkehrungen gegen Mißbrauch im AFG haben.
Während der Beratungen im Ausschuß ist auch darüber beraten worden, was für Arbeitnehmer in Strukturkrisenbranchen getan werden muß. Für uns - das ist durch die Fragen deutlich geworden - geht es dabei nicht nur um den Problembereich Stahl, sondern auch um andere, vergleichbare Krisenentwicklungen. Ich darf als Nordeutscher nur auf die Situation bei den Werften hinweisen.
({16})
Es werden leider immer mehr Branchen, die vor riesengroßen Problemen stehen.
Das Instrument der Kurzarbeit darf nicht nur zur Bewältigung von Konjunkturkrisen, sondern muß auch für Strukturkrisen zur Verfügung stehen. Eine nur stahltypische Regelung, wie Sie sie jetzt vorschlagen, ist verfassungsrechtlich bedenklich. Um aber eine notwendige Regelung nicht überhaupt zu gefährden, haben wir aus politischen Gründen unsere Bedenken zurückgestellt. Denn für die besonders schwierigen Probleme der Stahlindustrie sind Hilfen für soziale Flankierung unverzichtbar notwendig.
({17})
Den § 128 sinnvoll zu renovieren ist mehr als schwierig. Man sollte ihn besser abschaffen. In vielen Bereichen der Wirtschaft geht es nur noch darum, den unvermeidlichen Personalabbau sozial erträglich zu machen.
Wir haben, einem Beschluß des Deutschen Bundestages der letzten Woche folgend, einen Entschließungsantrag erarbeitet, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird, eine redaktionelle Neufassung des Arbeitsförderungsgesetzes vorzulegen, in der ausschließlich geschlechtsneutrale Funktionsbezeichnungen und Berufsbezeichnungen enthalten sind.
({18})
Alle Mitglieder des Ausschusses freuen sich darüber, daß wir im Bereich der Sozialpolitik hier und heute mit der Umsetzung dieses Beschlusses anfangen.
Wir haben während des parlamentarischen Verfahrens immer wieder nachgefragt, ob die Koalition die Defizite mit Leistungseinschränkungen oder mit Beitragserhöhungen beantworten will. Zuverlässige Antworten oder überhaupt Antworten haben wir von der Bundesregierung hierzu nicht gehört. Herr Blüm, bei Ihnen herrscht Ratlosigkeit. Wir wollen Ihnen mit unserem Entschließungsantrag die Möglichkeit geben, sich eindeutig dagegen auszusprechen, daß entstehende Defizite durch Beitragsanhebungen oder durch Leistungskürzungen abgedeckt werden. Wir beantragen zu diesem Entschließungsantrag namentliche Abstimmung.
Dies ist ein Gesetz, meine Damen und Herren, das die totale Unterwerfung der Sozialpolitik und damit des Norbert Blüm unter die unsozialen Forderungen der Finanzpolitik des Herrn Stoltenberg kennzeichnet. Wir lehnen diese Novelle ab.
({19})
Das Wort hat der Abgeordnete Heinrich.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Mit der jetzt vorliegenden 8. Novelle werden frühere Koalitionsvereinbarungen umgesetzt. Im Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung steht die Finanzierung des Benachteiligtenprogramms, des Bildungsbeihilfengesetzes und der Sprachförderung für Aussiedler. Man kann sicher geteilter Meinung sein, ob diese Maßnahmen tatsächlich zum Aufgabenbereich der Bundesanstalt für Arbeit gehören. Niemand wird leugnen, daß diese Maßnahmen wie auch die im Juni von uns beschlossene Verlängerung des Arbeitslosengeldbezugs und die erfreuliche Inanspruchnahme der Mittel für berufliche Qualifizierung den finanziellen Spielraum der Bundesanstalt für Arbeit in gefährlicher Weise ausschöpfen und der Bundesanstalt im Jahre 1989 voraussichtlich finanzielle Schwierigkeiten ins Haus stehen.
Wir begrüßen, daß auch die Sozialpolitiker der CDU/CSU mit uns der Auffassung sind,
({0})
das Beitragssatzerhöhungen und Leistungskürzungen selbstverständlich nicht in Frage kommen können. Es ist ganz klar: Ihr Entschließungsantrag wird damit hinfällig. Denn es ist ja wohl guter Brauch in diesem Hause, daß man Selbstverständlichkeiten hier nicht auch noch beschließt.
({1})
Aber damit sich niemand Illusionen hingibt: Für den Fall von Defiziten bei der Bundesanstalt für Arbeit muß der Bundeshaushalt zusätzlich in Anspruch genommen werden.
({2})
Der Gesetzentwurf enthält mit der Verbesserung der Lohnkostenzuschüsse für ältere langfristig Arbeitslose zugleich einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zur Förderung der Beschäftigungschancen für diesen benachteiligten Personenkreis.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Ja, bitte.
Herr Abgeordneter Urbaniak, bitte sehr.
Herr Kollege, da Sie nach den gestrigen Beratungen feststellen, daß mit einem Defizit statt 1989 schon 1988 zu rechnen ist, frage ich Sie: Wie hoch schätzen Sie das Defizit für 1989 ein, liegt es bei 2,5 oder 3 Milliarden, und ist es Ihre Meinung, dieses muß über den Bundeshaushalt abgedeckt werden?
Herr Kollege Urbaniak, schätzen kann fehlen. Ich halte mich aus einer Schätzung raus, die in der derzeitigen Situation nur aus sehr pauschal gegriffenen Zahlen bestehen kann. Ich bleibe aber bei
meiner Aussage, daß wir das Defizit aus dem allgemeinen Haushalt finanziert haben wollen.
({0})
Wir begrüßen nachhaltig die Verlängerung des Überbrückungsgeldes bei der Gründung einer selbständigen Existenz, denn dadurch wird der Anreiz gestärkt, sich selbständig zu machen, und damit werden auch langfristig weitere Arbeitsplätze geschaffen. Nach meiner Auffassung stellen auch die vorgesehenen Erleichterungen hinsichtlich der Bekanntgabe von Stellenangeboten und -gesuchen in Rundfunk und Fernsehen und über BTX sowie die Möglichkeit uneigennütziger und unentgeltlicher Arbeitsvermittlung einen Schritt in die richtige Richtung dar.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ja, aber meine Redezeit wird dadurch sehr beschränkt. - Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Kollege Heinrich, Sie kennen ja das entsprechende Schreiben des Herrn Staatssekretärs Vogt, daß wir 1989 mit Milliarden-Defiziten bei der Bundesanstalt zu rechnen haben. Sie selbst geben dies hier zu und sagen, dieses müsse aus dem Bundeshaushalt ausgeglichen werden. Können Sie mir sagen, welche Summe der Bundesfinanzminister dafür in die Finanzplanung eingestellt hat?
Das kann er gar nicht im Vorgriff machen, weil er noch nicht sicher ist und weil man überhaupt noch nicht sagen kann - und hier verweise ich auf die Antwort an den Kollegen Urbaniak - , in welcher Höhe entsprechende finanzielle Risiken auf den Bundeshaushalt zukommen.
Ich möchte noch den Gedanken zur Arbeitsvermittlung fortführen. Ich möchte die unentgeltliche und uneigennützige Arbeitsvermittlung besonders herausstellen, denn damit können wir verkrustete Strukturen der Arbeitsvermittlung etwas lockern. Das ist in dieser arbeitsmarktpolitischen Situation meiner Meinung nach dringend nötig.
Die zahlreichen Neuregelungen und Vereinfachungen bei der Anwendung des AFG tragen hoffentlich dazu bei, die Arbeitsverwaltung von überflüssigem Papierkram zu entlasten, damit sie sich besser ihren eigentlichen Aufgaben widmen kann. Wenn jetzt von seiten der Opposition argumentiert wird, daß Nichtleistungsempfänger die Vermittlungsgesuche nach drei Monaten erneuern müssen, so ist darauf hinzuweisen, daß eine ganze Reihe von Arbeitsämtern dieses ohnehin schon praktiziert, nur wird dieses Verfahren jetzt fortgeschrieben.
({0})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Verehrte Frau Steinhauer, ich möchte meinen Beitrag jetzt zu Ende bringen. Ich bin überzeugt, er wird auch noch Ihr Interesse finden. Danke schön.
In Erfüllung der Zusage gegenüber dem Koalitionspartner, im Bereich der Stahlindustrie die Beschäftigungsprobleme sozial abzufedern, haben wir uns der Notlösung Ergänzung der Regelung über das Kurzarbeitergeld nicht entzogen. Dieser Entschluß ist uns nicht leichtgefallen. Ich möchte auch darauf hinweisen, daß er nicht unproblematisch ist; denn damit wird - wenn auch befristet - die Struktur des Kurzarbeitergeldes wesentlich verändert und die bestehende Zweiklassengesellschaft von Arbeitnehmern in und außerhalb der Stahlindustrie verstärkt, werden wieder einmal Großunternehmen begünstigt, denn kleinere und mittlere Unternehmen können davon keinen Gebrauch machen.
Es wurde leider der Tatbestand einer neuen Subvention geschaffen. Das muß man hier so offen ansprechen. Damit aber nicht irgendwelche Illusionen beim BMA genährt und in anderen Branchen geweckt werden, ist darauf hinzuweisen, daß die Begrenzung dieser Regelung auf Stahl und die Befristung für uns endgültig sind
({0})
und wir einer Verlängerung nicht zustimmen werden. Mit dieser Regelung tragen wir in diesem speziellen Fall besonders der Situation der Arbeitnehmer in den Stahlregionen Rechnung. Mit dieser Maßnahme darf kein Präjudiz für weitere Forderung geschaffen werden.
Zusammenfassend möchte ich feststellen: Die 8. AFG-Novelle bringt Vereinfachungen für die Verwaltung, Verbesserungen der Arbeitslosigkeit und finanzielle Probleme für die Bundesanstalt für Arbeit. Es wird daher künftig darauf ankommen, das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium noch stärker als bisher zielorientiert nach adäquaten qualitativen Kriterien auszurichten.
Ich bedanke mich.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Hoss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen der Regierungskoalition haben einen Gesetzentwurf zur Abstimmung vorgelegt, der lautet: Ergänzung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente und zum Schutze der Solidargemeinschaft vor Leistungsmißbrauch. Das ist ein sehr hoher Anspruch.
({0})
Es ist wirklich notwendig, diesen Gesetzentwurf daraufhin zu untersuchen, ob er diesem Anspruch gerecht wird.
Wir gehen davon aus, daß es notwendig ist, die anhaltende Arbeitslosigkeit abzubauen und Programme zu entwickeln, die darauf hinauslaufen, wirklich effektive Maßnahmen zum Abbau der Arbeitslosigkeit zu ergreifen. Nicht umsonst sprechen auch alle führenden Persönlichkeiten davon - sei es Präsident Weizsäcker, sei es Kohl auf dem DAG-Gewerkschaftstag - : Das Massenarbeitslosigkeitsproblem ist das Problem Nummer eins. Aber der Gesetzentwurf, der
hier vorgelegt wird, ist das genaue Gegenteil davon, Massenarbeitslosigkeit abzubauen. Ich möchte an zwei wesentlichen Punkten darlegen, worum es bei dem vorgelegten Entwurf in Wirklichkeit geht.
Erstens geht es dabei um eine Neuordnung der Finanzbeziehungen, die zu einer Belastung für diejenigen werden, die Hilfe am nötigsten hätten. Bisher steuerfinanzierte Programme in den Bereichen des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft und des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung werden in der Finanzierung auf die Bundesanstalt für Arbeit verlagert. Die Förderung der Berufsausbildung arbeitsloser Jugendlicher - das Bildungsbeihilfengesetz für arbeitslose Jugendliche - , bisher aus allgemeinen Steuermitteln finanziert, soll durch diesen Gesetzentwurf auf die Bundesanstalt für Arbeit übertragen werden, die diese Sachen dann zu finanzieren hat. Damit werden aus dem Fonds der Beitragskasse der Solidargemeinschaft der Arbeitenden Dinge finanziert, die nicht in diesen Bereich hineingehören.
({1})
Genauso ist es mit dem Programm zur Sprachförderung; ein Programm, das dazu dient, den allgemeinen Duktus von Sprache, Kultur und Bildung zu fördern. Dieses Programm wird darauf reduziert, daß es aus der Bundesanstalt für Arbeit finanziert wird. Die Bundesanstalt für Arbeit wird im laufenden Haushaltsjahr in Höhe von sage und schreibe nahezu einer Milliarde DM mit Dingen zusätzlich belastet, für die sie nicht aufzukommen hat. Der allgemeine Bundeshaushalt, den Stoltenberg vorgelegt hat, wird um diese Milliarde entlastet:
({2})
zur Finanzierung des Weltraumprogramms und zur Finanzierung der Steuerreform, die am allerwenigsten denen zugute kommt, die es brauchen, nämlich den Arbeitslosen. Gelder, die durch Beiträge aufgebracht worden sind, werden hier zweckentfremdet verwandt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Limbach?
Ja.
Bitte sehr, Frau Kollegin.
Herr Kollege, haben Sie nie in Ihrer Tätigkeit als Abgeordneter Hilfestellung für arbeitslose Aussiedler leisten sollen, die deshalb Schwierigkeiten hatten, weil sie ungelöste Sprachprobleme hatten?
Ihre Frage zielt nicht auf das, worauf ich mich gestützt habe. Natürlich muß diese Hilfe geleistet werden. Es kommt darauf an, aus welchem Topf es finanziert wird.
({0})
Hier wird eine Sache aus dem Topf der Bundesanstalt für Arbeit finanziert, die bisher aus anderen Töpfen - der Steuer - finanziert wurde.
Jetzt läuft meine Zeit; drei Minuten habe ich noch.
Bei der Bundesanstalt für Arbeit hatten sich 5,4 Milliarden DM durch die Kürzung von Leistungen angesammelt, die an die Arbeitslosen gezahlt worden waren. Das, was angesammelt wurde, wird jetzt zur Finanzierung des Stoltenbergschen Etats eingesetzt. Das muß einmal ganz klar herausgestellt werden.
({1})
In der Kürze der Zeit will ich noch sagen, daß sich die andere Seite des Gesetzentwurfs mit Maßnahmen gegen Leistungsmißbrauch beschäftigt. Das dient im Grunde dazu, ein Programm vorzulegen, das kein Programm zum Kampf gegen Arbeitslosigkeit ist, sondern zum Kampf gegen Arbeitslose.
({2})
Wenn z. B. diejenigen Schüler und Studenten, die arbeitslos sind und die Zeit nutzen, sich in einer Fachschule, in einem Seminar einzuschreiben, von vornherein als unwürdig bezeichnet werden, Arbeitslosengeld zu beziehen, dann ist das ein Kampf gegen Arbeitslose.
({3})
- Herr Vogt, selbst diejenigen, die während ihrer Arbeitslosigkeit ein Studium beginnen, sich aber ausdrücklich bereit erklären, das Studium abzubrechen, wenn ihnen ein Arbeitsplatz zugewiesen wird, bekommen keine Arbeitslosenunterstützung mehr. Das ist ein Kampf gegen diejenigen, die am härtesten betroffen sind.
Genauso ist es mit der Neuregelung des Bemessungszeitraumes. In Ihrem Entwurf heißt es, daß bei denjenigen, die arbeitslos werden, das Einkommen der letzten drei Monate als Bemessungsgrundlage dient: Wenn in den letzten drei Monaten eine Steigerung des Entgeltes vorhanden war, wird dies berücksichtigt und die Bemessung des Arbeitslosengeldes reduziert. Mir fällt an Ihrem Entwurf auf, daß Sie nichts getan haben, um diejenigen Arbeitslosen, die in den letzten Monaten ihrer Arbeit Lohnrückstufungen erleiden mußten, in einen normalen Stand zu setzen, sondern da sagen Sie, das Arbeitslosengeld dieser Leute solle nach dem Geld bemessen werden, das sie zuletzt hatten.
({4})
Hier sieht man nämlich, daß Sie den Mißbrauch, der von seiten der Unternehmer getrieben wird, nicht angreifen, sondern daß Sie diejenigen angreifen, die die Unterstützung am nötigsten brauchen. Deshalb lehnen wir diesen Gesetzentwurf von A bis Z ab.
Danke schön.
({5})
Ich erteile dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte an den Beginn meines Beitrages auch, wie der Kollege Heyenn, den Dank an die Mitglieder des AusBundesminister Dr. Blüm
schusses und auch an die Mitarbeiter des Ausschusses richten, von denen ich weiß, daß sie gerade in der letzten Nacht eine hohe Arbeitsleistung erbracht haben, die keineswegs selbstverständlich ist. Deshalb sage ich meinen Dank für diesen Beitrag.
({0}) Das Gesetz entspricht unserer Sozialpolitik.
({1})
- Ja, so ist es. Ich bekenne mich ausdrücklich dazu. Das ist eine Sozialpolitik, die nicht mit Patentrezepten arbeitet und nicht mit Leuchtkugeln ein Feuerwerk veranstaltet, sondern Schritt für Schritt Werkstück für Werkstück vorlegt.
({2})
Wir haben das Arbeitslosengeld zweimal - machen wir einmal die Werkstücke - verlängert. Ist das etwas für die Arbeitslosen, oder ist das nichts? Wir haben die berufliche Qualifikation auf eine bis dahin unbekannte Rekordhöhe gebracht. Soll ich noch einmal die Zahl nennen? In diesem Jahr werden knapp 600 000 an Maßnahmen der beruflichen Fortbildung und Umschulung teilnehmen, nachdem Sie sich mit 260 000 Teilnehmern verabschiedet haben.
({3})
- Verehrte Frau Kollegin, sind 600 000 mehr oder weniger als zu SPD-Zeiten?
({4})
Wir haben mehr für berufliche Bildung ausgegeben. Wir haben das Kurzarbeitergeld verlängert. Wir haben in diesem Jahr die Vorbeschäftigungszeiten für den Bezug von Arbeitslosengeld herabgesetzt, so daß viele Arbeitslose, die bisher gar nicht in den Genuß von Arbeitslosengeld gekommen sind, weil sie die entsprechenden Vorbeschäftigungszeiten nicht vorweisen konnten, jetzt Arbeitslosengeld beziehen können.
Mit anderen Worten: Den Älteren hat es geholfen
- das war Sozialpolitik - , daß wir das Arbeitslosengeld verlängert haben. Den Jüngeren haben wir geholfen, indem wir die Vorbeschäftigungszeiten herabgesetzt haben.
({5})
Qualifizierung hilft allen, Männern wie Frauen.
Ich will hinzufügen, daß mit der Verlängerung des Arbeitslosengeldes auch die Sozialhilfe entlastet wird. Gerade in den Städten, die durch hohe Arbeitslosigkeit stark in Bedrängnis sind, wird die Verlängerung des Arbeitslosengeldes dazu beitragen, Sozialhilfekosten zu sparen. Das ist doch eine sehr praktische, hilfreiche Sozialpolitik.
Nun zu dem Benachteiligtenprogramm, den Bildungsbeihilfen, zur Sprachförderung und zu den Verstärkungsmitteln ABM.
({6})
- Seien Sie vorsichtig mit dem „Verschiebebahnhof " !
({7})
Die werden jetzt in Nürnberg finanziert, so wie sie bisher in Nürnberg organisiert waren. Es kann doch niemand sagen, diese Maßnahmen hätten mit Nürnberg und der Bundesanstalt nichts zu tun, wenn das dort bisher schon organisatorisch abgewickelt wird. Das wäre dann ja gegen den Sinn der Bundesanstalt. Wenn sie Aufgaben organisatorisch abwickelt, dann liegt es, finde ich, doch nahe, daß sie sie auch finanziert.
({8})
Wenn gesagt wird, die Kohlen würden in Nürnberg abgeholt, dann kann ich nur antworten: Die Kohlen werden dort gefördert, wo sie gebraucht werden, nämlich in Nürnberg. So ist das.
({9})
- Erregen Sie sich doch nicht so! Es geht doch auch ganz ruhig.
Jetzt will ich auch noch darauf hinweisen, daß es für das Benachteiligtenprogramm ein Vorteil ist, wenn es aus dem jährlichen Verteilungskonflikt des Haushalts herauskommt und damit eine Daueraufgabe der Bundesanstalt wird. Das ist, finde ich, ein großer, großer Fortschritt.
({10})
Ich möchte auch für uns sagen: Es ist gegenüber dem Standpunkt, den wir früher eingenommen haben, ebenfalls ein Fortschritt, daß wir das Benachteiligtenprogramm als Daueraufgabe akzeptieren. Es war einmal als ein Programm vorübergehender Art angelegt. Ich glaube, daß das Benachteiligtenprogramm den Arbeitsmarkt selbst in Zeiten der Vollbeschäftigung begleiten wird, daß es deshalb eine Daueraufgabe des Arbeitsmarktes ist.
({11})
- Ja, wenn es eine Daueraufgabe ist, brauchen wir darüber nicht jährlich im Rahmen des Haushalts konfliktreich zu verhandeln. Dann bleibt es bei der Bundesanstalt.
({12})
- Könnte es nicht ein Beitrag zur Humanisierung des Parlamentslebens sein, wenn Sie mir einmal zuhörten?
({13})
Ich sehe auf dem Arbeitsmarkt zwei Bewegungen. Einerseits brauchen wir höher qualifizierte Arbeitnehmer. Der technologische Fortschritt führt nicht zur Abqualifikation der Arbeitnehmer, sondern die Anforderungen werden höher. Deshalb ist die eine Antwort darauf Qualifikation.
Aber vergessen wir über Qualifikation nicht jene Mitbürger, die an der Qualifikation nicht teilnehmen können, die dafür nicht geeignet sind und die auch ein Recht auf Mitarbeit haben. Deshalb, glaube ich, muß unser Interesse, muß unsere Sorge nicht nur den Qualifizierungsfähigen gelten, sondern auch denjenigen, die es schwer haben, auf dem Arbeitsmarkt unterzukommen.
({14})
Es gibt Voraussagen, daß 3 Millionen Arbeitsplätze für sogenannte Ungelernte in den nächsten zehn Jahren wegfallen. Deshalb appelliere ich, dieses Benachteiligtenprogramm nicht als eine vorübergehende Aufgabe zu sehen, sondern als eine dauerhafte begleitende Maßnahme des Arbeitsmarktes.
Sie haben ein starkes Wort gebraucht und gesagt, das sei gemein. Was ist denn daran gemein, daß wir den Lohnkostenzuschuß für schwer Vermittelbare verlängern? Das ist doch das Gegenteil von gemein.
({15})
- Sie haben unsere heutige Novelle als gemein bezeichnet, Herr Heyenn. Jetzt zähle ich mal auf, was in dieser Novelle steht. Wir erhöhen den Lohnkostenzuschuß und verlängern ihn. Das entspricht einer Anregung, die gerade von den Wohlfahrtsverbänden kam - ich sehe den Kollegen Buschfort hier - , von der Arbeiterwohlfahrt, von der Caritas, vom Diakonischen Werk, von den Kirchen: die Lohnkostenzuschüsse zu verlängern, weil sich herausgestellt hat, daß der Anreiz zur Einstellung, wenn sie nur kurzfristig gewährt werden, relativ gering ist, das nenne ich Fortschritt, das nenne ich eine praktische Hilfe für die älteren Arbeitnehmer.
({16})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heyenn?
Ja.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich zwar eine Reihe von Gemeinheiten aufgezählt habe, aber die Lohnkostenzuschüsse und ihre Erhöhung nicht in diesen Katalog aufgenommen habe, weil ich das ausdrücklich begrüße?
Für diesen teilweisen Rückzug bin ich schon dankbar.
({0})
- Ich finde es gut, daß dieser große Globalbegriff
„gemein" jetzt schon relativiert wird. Wenn ich noch
20 Minuten rede, werden Sie alles zurücknehmen müssen.
({1})
Jetzt komme ich zu dem zweiten Teil, zur Qualifizierung der Arbeitnehmer. Ich bekenne mich dazu, daß jetzt eine Phase eintreten muß, in der wir auf diesem hohen Niveau eine Konsolidierung brauchen. Das entspricht auch der Lebenserfahrung: Wenn eine Sache gepuscht wird, ist die Gefahr groß, daß die Treffsicherheit solcher Maßnahmen nicht immer die beste ist. Daß man nach einer Zeit rasanten Aufbaus eine Phase der Konsolidierung braucht, liegt im Interesse der beruflichen Qualifikation. Ich trage hier zwar immer Zahlen vor und bin auch auf die Zahlen stolz. Dennoch genügen Zahlen allein nicht, um die Richtigkeit diese Programms vorzuführen. Die Zahlen sind mit Sicherheit nicht falsch, sie tun Ihnen nur weh, weil sie besser als Ihre Zahlen sind.
({2})
Meine Damen und Herren, ich plädiere jetzt für eine Konsolidierungsphase und füge hinzu, daß nach unserer Auffassung berufliche Weiterbildung und Fortbildung nicht ausschließlich Aufgabe der Bundesanstalt, sondern vornehmlich der Betriebe selber ist. Deshalb dürfen die hohen Zahlen nicht zum Alibi werden, in den Betrieben Anstrengungen zu unterlassen.
({3})
Ich plädiere dafür, daß berufliche Bildung, Weiterbildung vor Ort in den Betrieben stattfindet. Wer unsere Wirtschaft modernisieren will, muß die Arbeitnehmer qualifizieren.
({4})
Ich finde es auch ganz wichtig, daß sich herumspricht, daß Fortbildung, Weiterbildung, Qualifizierung nicht nur eine Sache der jungen Arbeitnehmer sind, sondern daß auch die älteren Arbeitnehmer die Chance erhalten müssen, auf der Höhe ihrer Zeit zu bleiben. Es geht nicht nur um Aufstieg, es geht auch darum, im erlernten Beruf mithalten zu können.
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Heyenn?
Bitte, Herr Heyenn.
Herr Bundesarbeitsminister, die Arbeitgeber, die Arbeitnehmer, also die Tarifpartner in der Bundesrepublik, und die Bundesanstalt für Arbeit halten diesen Gesetzentwurf für unsinnig. Teilen Sie nicht meine Auffassung, daß der Bundesarbeitsminister, wenn sich die Tarifpartner in der Bundesrepublik in dieser Art zu einem Gesetzentwurf äußern, zumindest die Verpflichtung hat, sich vor dem Plenum des Deutschen Bundestages mit den Argumenten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern auseinanderzusetzen?
({0})
Falls Sie es nicht gemerkt haben, Herr Heyenn: Das mache ich die ganze Zeit.
({0})
Ich setze mich die ganze Zeit mit Argumenten auseinander, die gegen unseren Gesetzentwurf vorgebracht werden. Es kann nicht gegen die Arbeitslosen sein, wenn wir diese Qualifizierungspolitik betreiben, wie wir sie treiben. Es kann nicht gegen die Arbeitnehmer sein, wenn wir den Lohnkostenzuschuß erhöhen. Es kann nicht gegen die Arbeitnehmer sein, wenn wir die Vermittlung verbessern, wenn wir dazu beitragen, daß die Vermittlung auch von privaten Initiativen unterstützt wird. Wollen Sie denn den Leuten den guten Willen absprechen, die mithelfen wollen, daß Arbeitslose untergebracht werden? Wie borniert muß jemand sein, wenn er sagt: Nur Profis dürfen das tun? Welche verkalkte Welt!
({1})
Wenn einer helfen will, soll er helfen, je mehr, desto besser.
({2})
Das ist alles die alte Schablonenpolitik: Wenn es ein bißchen anders ist als in der Vergangenheit, ist es falsch.
({3})
Bei uns ist das nicht so. Wir gehen schon auf neue Vorschläge ein.
Wenigstens noch ein paar Punkte: Daß die Qualifizierung erfolgreich ist, können Sie daran sehen, daß rd. 70 % der an solchen Qualifizierungsmaßnahmen Teilnehmenden ein halbes Jahr später wieder in Arbeit untergekommen sind. Das beweist, daß die Qualifizierungen nicht umsonst waren.
Ich will darauf hinweisen, daß 35 % der Teilnehmer weibliche Arbeitnehmer sind. Diese Zahl befriedigt uns noch nicht, ist allerdings höher als früher. Was auch wichtig ist: Zwei Drittel der Teilnehmer waren im letzten Jahr selbstarbeitslos; für die ist die Qualifizierungsoffensive auch in erster Linie gedacht. In früheren Zeiten war höchstens die Hälfte der Teilnehmer zuvor arbeitslos, heute sind es zwei Drittel. Ich finde, diejenigen, die es am nötigsten brauchen, sollten auch als erste begünstigt werden.
Meine Damen und Herren, wenn wir Mißbrauch in der Arbeitslosenversicherung bekämpfen, kann das nicht gegen die Solidarität sein. Wenn wir in der Statistik Anforderungen an die Genauigkeit stellen, dann muß das dann doch auch in Ihrem Sinne sein. Es kann doch nicht sein: einmal in der Statistik, immer in der Statistik. Eine solche Statistik wird doch wertlos. Insofern müssen wir doch überprüfen, ob der, der sich arbeitslos gemeldet hat, auch nach einem halben Jahr tatsächlich noch arbeitslos ist. Wenn er sich nicht meldet, dann gehe ich davon aus, daß er nicht arbeitslos ist, sonst würde er sich melden.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Steinhauer?
Bitte schön.
Herr Minister, würden Sie mir zustimmen, daß es nicht eine Frage der Statistik ist, sondern eine Frage bezüglich der Arbeitsämter, daß sie mehr Stellen angeboten bekommen, die sie vermitteln können?
Verehrte Frau Kollegin, die Bundesanstalt für Arbeit hat jetzt 70 000 Beschäftigte. Das ist ein Riesentanker, kann ich nur sagen. Ich wünsche mir, daß sie ihre Vermittlungsoffensive dadurch unterstützt, daß die modernen Mittel der Kommunikationstechnologie verstärkt in den Dienst der Bundesanstalt gestellt werden.
({0})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Steinhauer?
Verehrte Frau Kollegin, bitte.
Herr Bundesminister, sind Sie mit mir einig - Sie haben die Frage nicht beantwortet - , daß es darum geht, mehr Stellen durch Arbeitsmarktpolitik zu schaffen, anstatt Statistikbereinigung zu betreiben?
Wir machen beides. Wir schaffen mehr Stellen: 800 000 Arbeitsplätze mehr haben wir in den letzten Jahren geschaffen, nachdem Sie eine Million DM durch den Schornstein gejagt haben. Beides!
({0})
Der Kampf gegen Arbeitslosigkeit wird nicht mit der Statistik geführt. Wenn aber Statistiken einen Sinn haben sollen, müssen sie stimmen, sonst brauche ich sie nicht. Dafür sorgen wir. Daß sich nicht jeder Student arbeitslos melden und Geld abholen kann, liegt daran, daß die Arbeitslosenversicherung nicht die Ersatzinstitution für BAföG ist. Wir wollen schon dafür sorgen, daß die Arbeitslosenversicherung die Insititution bleibt, die die Arbeitnehmer schützt.
Meine Damen und Herren, was das Defizit anbelangt: Darüber kann man immer streiten. Niemand hat die Zukunft fest im Griff. So sicher, wie die Prognostiker immer meinen, ist die Zukunft nicht in den Griff zu bekommen. Daß aber ausgerechnet Sie das Defizitthema vorführen, ist allerdings erstaunlich. Sie haben doch noch vor acht Monaten einen Gesetzentwurf vorgelegt, dessen Ausführung 6,5 Milliarden DM gekostet hätte. 6,5 Milliarden DM legen Sie vor, ohne jede Defizitfrage zu erörtern. Bei 900 Millionen DM malen Sie den Teufel an die Wand. Erinnern Sie sich doch einmal daran, daß Sie mehr als das sechsfache von dem ausgeben wollten, was wir heute vorlegen.
Wir legen heute einen Gesetzentwurf vor, von dem ich nicht behaupte, daß er das Problem der Arbeitslosigkeit löst. Solche Alleslöser gibt es nämlich nicht. Er leistet aber einen wichtigen Beitrag für eine lebens2568
nahe, für eine praktische, für eine hilfreiche Sozialpolitik.
({1})
Meine Damen und Herren, ich bitte die Damen und Herren in der hinteren Hälfte des Saales, Platz zu nehmen. Sie sehen: Es sind noch Plätze frei. - Darf ich diese Aufforderung an die Kollegen, die in der hinteren Hälfte des Saales stehen, wiederholen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kastning.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Blüm, ich denke, wie Sie soeben mit dem Kollegen Heyenn in einer Antwort umgesprungen sind, das ist nicht Ausdruck einer besonderen Dialogsfähigkeit des Arbeitsministers in diesem Hause. Es sollte uns langsam auch leid sein, Ihre Formeln Woche für Woche in diesem Hause zu hören, Sie hätten das Arbeitslosengeld verlängert, dies und jenes getan. Es muß langsam draußen im Lande klar sein, daß sie vorher gestrichen und gekürzt haben und sich jetzt als der große Meister, als der Retter hinstellen. Wenn Sie sagen: Nie ein so großer Umfang an Qualifizierungsmaßnahmen; dann darf man auch daran erinnern: Noch nie eine so hohe Arbeitslosigkeit wie heute!
({0})
Wer immer wieder dieselbe Leier aus dem Fenster redet, der wird die Folgen des Unwetters draußen nicht beseitigen oder mindern.
({1})
Meine Damen und Herren, ich möchte aber Ihre Aufmerksamkeit zum Schluß dieser Aussprache auch noch einmal auf das sogenannte Benachteiligtenprogramm lenken, das Anfang der 80er Jahre - also noch zu sozialliberaler Regierungszeit - , als die Kluft zwischen dem Angebot an Ausbildungsstellen und der Nachfrage größer zu werden begann, entstanden ist. Dieses von allen Seiten als außerordentlich bewährt eingestufte Programm hat mittlerweile in der Tat ein Volumen von über 400 Millionen DM erreicht. Tausende von Jugendlichen hätten ohne diese Unterstützung keine Chance auf eine qualifizierte Ausbildung bekommen.
Wenn das Bundesinstitut für Berufsbildung vor einigen Wochen in einer Pressemitteilung schreibt: „Nach einer Untersuchung des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft fanden 63 % der männlichen Teilnehmer eine Beschäftigung im erlernten oder einem verwandten Beruf " , dann unterstreicht das nur diese Feststellung. Allerdings wird zugleich darauf hingewiesen, daß nur 42 % der jungen Frauen eine Arbeitsmarktchance hatten. Ich denke, dies ist für uns alle ein Grund, weiter über die Möglichkeiten des Programms nachzudenken.
Meine Damen und Herren, auch wenn sich die Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt in den kommenden Jahren - -({2})
Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Ruhe für den Redner.
({0})
Meine Damen und Herren, auch wenn sich die Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt in den kommenden Jahren - ({0})
Ich bitte, auch die Gespräche vor der Regierungsbank einzustellen.
({0})
Ich fange noch einmal mit dem Satz an. - Meine Damen und Herren, auch wenn sich die Lage auf dem Ausbildungsstellenmarkt in den nächsten Jahren ein wenig verbessern wird, so wird das Benachteiligtenprogramm für einen nicht unerheblichen Teil der Jugendlichen auch zukünftig die einzige Chance bieten, eine vernünftige Ausbildungsmöglichkeit zu erhalten.
({0})
Darin - das darf auch bei einer strittigen Debatte gesagt werden - sind sich alle Bildungspolitiker - zumindest in diesem Hause - erfreulicherweise einig, auch wenn es in der Einschätzung des Umfangs für die Zukunft unterschiedliche Meinungen gibt.
Nun ist schon seit langem die Forderung erhoben worden, dieses Programm gesetzlich abzusichern, um Unsicherheiten in der Planung bei den Trägern, in der Verwaltung der Mittel durch die Arbeitsämter und auch bei den betroffenen Jugendlichen auszuräumen. Es hätten sich mehrere Möglichkeiten geboten. Die Koalition hat sich für das Arbeitsförderungsgesetz entschieden.
Meine Damen und Herren, dieser Schritt hat einen großen Mangel: Der Bund zieht sich aus der finanziellen Verantwortung zurück.
({1})
Mir scheint, die AFG-Novelle zielt vor dem Hintergrund der auch von der früheren Bundesbildungsministerin, Frau Dr. Wilms, vertretenen Zurückhaltung gegenüber diesem Programm in erster Linie nicht auf Rechtssicherheit für das Benachteiligtenprogramm, sondern auf Entlastung des Bundeshaushalts.
({2})
Herr Kollege Heinrich von der FDP hat das vorhin auch sehr deutlich und nüchtern ausgedrückt, als er sagte: Im Mittelpunkt der Novelle steht die Änderung der Finanzierung des Benachteiligtenprogramms.
Leider ist unser Versuch gescheitert, mit der Aufnahme ins AFG zugleich einen individuellen Rechtsanspruch auf Förderung zu verknüpfen. Dieser Verzicht Ihrerseits, meine Damen und Herren von der Koalition, könnte sich schon sehr bald als ein erheblicher Mangel erweisen. Das Programm ist nämlich insofern nicht wahrhaft abgesichert, als es - je nach Kassenlage der Bundesanstalt für Arbeit - finanziell disponibel bleibt. Das heißt: Das Programm bleibt ein konjunkturabhängiges Instrument. Es ist demgegenüber kein Instrument der Verstetigung und des Rechts
auf Gleichheit der Bildungschancen der benachteiligten Jugendlichen.
Die Erfahrungen aus den jährlichen Kämpfen um die Finanzierung schon im Bundeshaushalt und die prognostizierte Entwicklung der Finanzen der Bundesanstalt für Arbeit sollten uns nachdenklich stimmen. Meine Damen und Herren, sie sollten uns gerade deshalb nachdenklich stimmen, weil ja auch Herr Minister Blüm soeben gesagt hat: Es sei eine Daueraufgabe. Wenn es eine Daueraufgabe ist, dann würden wir doch wohl durch die Schaffung eines Rechtsanspruchs auf einen Ausbildungsplatz im Rahmen des Benachteiligtenprogramms wirklich eine glaubwürdige Politik vertreten. Ich sage noch einmal: Wir sollten es deshalb im Gesetz verankern. Es darf nicht bei den bisherigen undurchsichtigen und bürokratischen Ermessensentscheidungen bleiben.
({3})
Wenn nun aber eine Abschiebung der Finanzierung zur Bundesanstalt in die Beitragskasse erfolgt, sollten wir alles tun, damit es dennoch ein regelhaft angebotenes Ausbildungsprogramm bleibt und kontinuierlich weiterentwickelt wird.
Wir haben darüber im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ausführlich beraten und uns gutachtlich geäußert. Ich nenne hier kurz nur einige der Punkte, auf die wir uns im Ausschuß einstimmig verständigt haben. Vor allem der inhaltlich weiterhin zuständige Bildungsminister Möllemann, der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung und auch die demnächst hoffentlich zu beteiligende Ministerin für Jugend sollten im Kontakt mit der Bundesanstalt besonders darauf achten.
({4})
Meine Damen und Herren, darf ich Sie erneut um Ruhe bitten.
Zum Beispiel muß nach den bisherigen Erfahrungen und Einschätzungen die erweiterte Zielgruppe Mädchen in Defizitregionen mittelfristig weiter gefördert werden. Unabdingbar ist auch, die grundsätzliche konzeptionelle Struktur des Programms zu erhalten, die in der engen Verknüpfung von beruflicher Ausbildung und sozialpädagogischer Hilfe zum Ausdruck kommt. Wer dies abbaut, geht an den Kern des Benachteiligtenprogramms. Diese Konzeption ist im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit, aber auch in dem begleitenden Ministerium finanziell entsprechend abzusichern, das ja für Fortbildung und Weiterentwicklung Arbeit leisten soll.
({0})
Wir haben uns im Bildungsausschuß weiter darauf verständigen können, daß das Programm auch künftig nicht auf ausbildungsbegleitende Hilfen beschränkt werden kann. Es gab und gibt vielleicht Tendenzen, in die Richtung zu gehen, ausbildungsbegleitende Hilfen in den Vordergrund zu stellen. Wir meinen jedoch, das Schwergewicht muß bei Vollzeitmaßnahmen liegen.
Wenn ich das Wort von Herrn Schemken von heute morgen, daß wir es mit den jungen Menschen ehrlich meinen sollten, ernst nehme, bitte ich, die gemeinsamen Positionen der Bildungspolitiker auch in diesem Hohen Haus noch einmal zu bekräftigen und damit öffentlich zu dokumentieren, daß es uns mit dieser Gruppe der jungen Menschen in der Bundesrepublik ernst ist.
({1})
Aber da trotz der Übereinstimmung im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft in den Koalitionsfraktionen weiterer Beratungsbedarf vorhanden zu sein scheint - das ist mir etwas unverständlich, aber es ist so - , beantrage ich abweichend von unserer ursprünglichen Absicht der Abstimmung, den von uns vorgelegten Entschließungsantrag, der mit dem Beschluß des Bildungsausschusses wortgleich ist, zur weiteren Beratung an Ausschüsse zu überweisen; ich schlage vor: federführend an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft, mitberatend an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und den Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit.
Ich hoffe, daß wir uns im Interesse der Sache in nicht allzu ferner Zeit von dieser Stelle aus als Parlament wieder einmütig äußern können, damit die Regierung Rückendeckung hat, aber, wenn es nötig ist, auch angetrieben werden kann, die Bundesanstalt für Arbeit zu bewegen, das Programm wie bisher vernünftig weiterzuführen.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung.
Ich rufe den Art. 1 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 1163? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 1164? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 1165? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für Art. 1 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 1 ist angenommen.
Ich rufe Art. 2 in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt für die aufgerufene Vorschrift? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 2 ist angenommen.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1166 auf. Es wird beantragt, nach Art. 2 neue Art. 2 a, 2 b und 2 c einzufügen. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe die Art. 3 bis Art. 13, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind
Präsident Dr. Jenninger
angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Meine Damen und Herren, nach Art. 87 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes bedarf das Gesetz zu einer Annahme der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages. Das sind 249 Stimmen.
Meine Damen und Herren, die Fraktionen der CDU/CSU und FDP verlangen zur Schlußabstimmung gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung. Das Verfahren ist Ihnen bekannt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Meine Damen und Herren, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß wir im Anschluß daran eine weitere namentliche Abstimmung haben werden. Es ist also noch eine zweite namentliche Abstimmung zu erwarten.
Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Ich unterbreche die Sitzung für einige Minuten.
({0})
Meine Damen und Herren, wir setzen die Beratungen nach der Unterbrechung fort. Ich darf zunächst das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der Schlußabstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes bekanntgeben.
Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 450 ihre Stimme abgegeben. Davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben 258, mit Nein 190 Abgeordnete gestimmt, Enthaltungen: 2.
21 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben 13, mit Nein 8 Abgeordnete gestimmt. Enthaltungen: keine.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 449 und 21 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 258 und 13 Berliner Abgeordnete
nein: 189 und 8 Berliner Abgeordnete
enthalten: 2
Ja
CDU/CSU
Dr. Abelein Austermann
Bauer Bayha Dr. Becker ({0})
Dr. Biedenkopf
Biehle
Dr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm
Böhm ({1}) Börnsen ({2})
Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen Borchert Breuer
Bühler ({3}) Carstens ({4}) Carstensen ({5}) Clemens
Dr. Czaja
Dr. Daniels ({6}) Daweke
Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger Dr. Dollinger
Doss
Dr. Dregger
Echternach
Eigen
Engelsberger
Eylmann
Dr. Faltlhauser
Dr. Fell
Fellner
Frau Fischer
Fischer ({7}) Francke ({8})
Dr. Friedmann
Dr. Friedrich
Ganz ({9})
Frau Geiger
Dr. Geißler
Dr. von Geldern Gerstein
Gerster ({10})
Glos
Dr. Götz Gröbl
Dr. Grünewald Günther
Dr. Häfele Harries
Frau Hasselfeldt Haungs
Hauser ({11}) Hauser ({12}) Hedrich
Freiherr Heereman von
Zuydtwyck
Helmrich Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({13}) Dr. Hornhues
Frau Hürland-Büning Dr. Hüsch
Dr. Jahn ({14})
Dr. Jobst
Jung ({15})
Jung ({16})
Kalb
Dr. Kappes
Frau Karwatzki
Kiechle
Klein ({17})
Dr. Köhler ({18})
Dr. Kohl
Kossendey
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({19})
Lamers
Dr. Lammert Dr. Langner Lattmann
Dr. Laufs
Lemmrich
Lenzer
Frau Limbach Link ({20}) Link ({21}) Linsmeier
Lintner
Dr. Lippold ({22}) Louven
Lowack
Maaß
Frau Männle Magin
Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Miltner
Müller ({23}) Müller ({24})
Nelle
Neumann ({25}) Niegel
Dr. Olderog Oswald
Frau Pack
Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pinger
Dr. Pohlmeier Dr. Probst
Rauen
Rawe
Reddemann Regenspurger Repnik
Dr. Riedl ({26})
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch ({27}) Frau Roitzsch ({28}) Dr. Rose
Rossmanith Roth ({29}) Rühe
Dr. Rüttgers Ruf
Sauer ({30})
Sauer ({31}) Sauter ({32})
Sauter ({33})
Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz ({34}) Schemken
Scheu
Schmidbauer Schmitz ({35})
von Schmude
Dr. Schneider ({36}) Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({37}) Schulhoff
Dr. Schulte
({38}) Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Präsident Dr. Jenninger
Seiters
Spilker
Spranger Dr. Sprung
Dr. Stark ({39})
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken Dr. Stoltenberg
Strube
Frau Dr. Süssmuth
Susset
Tillmann
Dr. Todenhöfer
Dr. Uelhoff Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel ({40})
Vogt ({41})
Dr. Voigt ({42})
Dr. Vondran Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß ({43}) Werner ({44})
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer ({45})
Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Dr. Wörner Würzbach Dr. Wulff Zeitlmann Zierer
Dr. Zimmermann
Zink
Berliner Abgeordnete
Frau Berger ({46}) Buschbom
Feilcke
Kalisch
Kittelmann
Dr. h. c. Lorenz
Lummer
Dr. Neuling Dr. Pfennig
Schulze ({47})
Straßmeir
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Dr. Bangemann
Baum
Beckmann Bredehorn
Cronenberg ({48}) Eimer ({49})
Engelhard
Dr. Feldmann
Frau Folz-Steinacker Gallus
Gattermann Genscher Gries
Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann
Dr. Hirsch
Dr. Hitschler
Dr. Hoyer
Irmer
Kleinert ({50}) Kohn
Dr.-Ing. Laermann Mischnick
Neuhausen
Nolting
Richter
Rind Ronneburger
Schäfer ({51})
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms
Dr. Thomae
Timm
Dr. Weng ({52}) Wolfgramm ({53}) Frau Würfel
Zywietz
Berliner Abgeordnete
Hoppe Lüder
Nein
SPD
Frau Adler
Dr. Ahrens
Amling Andres Antretter
Dr. Apel
Bachmaier
Bahr
Bamberg
Becker ({54}) Bindig
Frau Blunck
Dr. Böhme ({55}) Börnsen ({56}) Brandt
Brück Büchler ({57})
Büchner ({58})
Dr. von Billow
Frau Bulmahn
Buschfort
Frau Conrad
Daubertshäuser
Diller
Frau Dr. Dobberthien Dreßler
Dr. Ehrenberg
Dr. Emmerlich
Erler
Esters Ewen Frau Faße
Fischer ({59})
Frau Fuchs ({60})
Frau Ganseforth
Gansel
Dr. Gautier
Gerster ({61})
Gilges Dr. Glotz
Frau Dr. Götte
Graf
Großmann
Grunenberg Dr. Haack
Haack ({62})
Frau Hämmerle Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler Heistermann Heyenn
Hiller ({63}) Dr. Holtz
Horn
Jahn ({64}) Jansen
Dr. Jens
Jungmann Kastning
Kiehm
Kißlinger
Klein ({65}) Dr. Klejdzinski Klose
Kolbow
Koltzsch
Koschnick
Kühbacher Kuhlwein
Lambinus
Leidinger
Lennartz
Leonhart
Lutz
Frau Matthäus-Maier Menzel
Dr. Mertens ({66}) Meyer
Müller ({67}) Müller ({68})
Müller ({69}) Müntefering
Nagel
Nehm
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese
Niggemeier Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oesinghaus Oostergetelo Paterna
Pauli
Dr. Penner Peter ({70}) Pfuhl
Dr. Pick
Porzner
Poß
Purps
Reimann
Frau Renger Reuter
Roth
Schäfer ({71}) Schanz
Dr. Scheer
Schluckebier Schmidt ({72})
Frau Schmidt ({73}) Schmidt ({74})
Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiner
Schütz
Seidenthal
Frau Seuster Sielaff
Sieler ({75}) Frau Simonis Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Dr. Sperling Stahl ({76})
Steiner
Dr. Struck Frau Terborg Tietjen
Frau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak
Vahlberg
Verheugen Vosen
Waltemathe Walther
Weiermann Frau Weiler
Weisskirchen ({77}) Dr. Wernitz
Frau Weyel Dr. Wieczorek
Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche
Wimmer ({78}) Wischnewski
Dr. de With Wittich
Würtz
Zander
Zeitler
Zumkley
Berliner Abgeordnete
Egert
Frau Luuk
Dr. Mitzscherling Stobbe
Dr. Vogel
FDP
DIE GRÜNEN
Frau Beer
Frau Brahmst-Rock Brauer
Dr. Daniels ({79}) Frau Eid
Frau Flinner Frau Garbe Häfner
Frau Hensel Frau Hillerich Hoss
Kleinert ({80}) Kreuzeder
Dr. Lippelt ({81})
Frau Nickels Frau Rust
Frau Saibold Frau Schilling Schily
Frau Trenz Frau Unruh Frau Vennegerts
Frau Wilms-Kegel
Frau Wollny
Präsident Dr. Jenninger Berliner Abgeordnete
Frau Olms Sellin
Enthalten
FDP
Funke
Dr. Graf Lambsdorff
Gemäß § 48 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung stelle ich fest, daß die erforderliche Mehrheit der voll stimmberechtigten Abgeordneten dem Gesetz zugestimmt hat. Das Gesetz ist damit angenommen.
({82})
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um etwas Aufmerksamkeit und darum, nicht gerade vor dem Pult des Präsidenten Unterhaltungen zu führen.
Der Ausschuß empfiehlt weiter unter Nr. 2 der Beschlußempfehlung, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes für erledigt zu erklären. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuß unter Nr. 3 der Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Entschließung ist angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge der Fraktion der SPD.
Wir stimmen zunächst über den Antrag auf Drucksache 11/1167 ab. Dieser Entschließungsantrag soll federführend an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und zur Mitberatung an die Ausschüsse für Arbeit und Sozialordnung sowie für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit überwiesen werden. Sind Sie mit dieser Überweisung einverstanden? - Dann ist so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag auf Drucksache 11/1168. Hierzu verlangt die Fraktion der SPD namentliche Abstimmung. Das Verfahren ist Ihnen bekannt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. -
Ich darf die Frage stellen: Ist noch jemand im Hause anwesend, der seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis der namentlichen Abstimmung gebe ich später bekannt. *) Wir setzen die Beratungen mit dem nächsten Tagesordnungspunkt fort.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die stehen, entweder Platz zu nehmen oder den Saal zu verlassen. - Ich bitte, der Aufforderung des Präsidenten Folgen zu leisten. Ich denke sonst nicht daran, die Sitzung fortzusetzen. Das gilt auch für die beiden Kollegen, die da vorne vor dem Rednerpult stehen. -
*) Ergebnis Seite 2575 B
Ich rufe den Punkt 3 sowie den Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf:
3. a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Friedensprozeß in Mittelamerika
- Drucksache 11/824 -
b) Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Volmer und der Fraktion DIE GRÜNEN
Unterstützung für die UNO-FDN-Contra in
der Bundesrepublik Deutschland
- Drucksachen 11/72, 11/1106 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß ({83})
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Haushaltsausschuß
Zusatztagesordnungspunkt 2:
Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Förderung des Friedensprozesses in Zentralamerika
- Drucksache 11/1130 Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wischnewski.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 7. August dieses Jahres haben die Präsidenten von Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua den Friedensplan von Guatemala oder den Arias-Plan, wie man ihn auch nennt, unterzeichnet. Zwei Christdemokraten, darunter der Präsident Cerezo, der sich auch ganz besondere Verdienste um das Zustandekommen des Abkommens erworben hat, ein Sozialdemokrat, nämlich der Präsident Oscar Arias, der den Plan erarbeitet hat und dafür mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden ist, ein Liberaler und ein Sandinist haben sich gegenseitig anerkannt und sich gegenseitig verpflichtet, den Weg des Friedens zu gehen. Dieser Friedensplan ist nach Jahren und Jahrzehnten des Krieges, der Gewalt, der Diktatur die große Chance für Frieden und Demokratie in Zentralamerika insgesamt.
Dieser Plan sieht die nationale Versöhnung in den einzelnen Ländern durch Dialog, durch Amnestie, durch Berufung von nationalen Versöhnungskommissionen vor, dieser Plan sieht die Einstellung der Feindseligkeiten vor, dieser Plan macht ganz konkrete Aussagen in bezug auf die Demokratisierung, und dieser Plan sieht in allen Ländern freie Wahlen vor. Der Plan verbietet die Unterstützung für irreguläre Streitkräfte und aufständische Bewegungen in der Region, und dieser Plan fördert die Zusammenarbeit der fünf Länder, um gemeinsam für Frieden, Demokratie und EntWischnewski
wicklung in dieser Region einzutreten. Dieser Plan ist mit einem sehr genauen Zeitplan verbunden und sieht insbesondere auch eine internationale Kontrollkommission vor.
Gekrönt werden soll das ganze in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres durch die Wahl eines Zentralamerikanischen Parlaments, wobei das Europäische Parlament als Beispiel Pate gestanden hat. Ich bin doch sehr, sehr überrascht, daß ein Parlamentarischer Staatssekretär der Bundesregierung - nicht Sie, Herr Kollege Schäfer, sondern einer aus einem anderen Hause - dort unten versucht hat, den Leuten klarzumachen, daß man ein solches Zentralamerikanisches Parlament nicht wählen solle. Das hat ein Parlamentarischer Staatssekretär Ihrer Regierung getan. Für mich ist das nicht nur ein dubioser, sondern eigentlich ein skandalöser Vorgang.
({0})
Dieser Friedensplan ist ein Dokument der Selbstbestimmung. Denn die fünf Länder sind darum bemüht, ihren eigenen Weg zu gehen. Ich möchte auch von dieser Stelle aus den Präsidenten von Costa Rica zu diesem Plan ausdrücklich beglückwünschen.
({1})
Es wäre eine große Sache, wenn am 10. Dezember dieses Jahres bei der Übergabe des Friedensnobelpreises in Oslo alle fünf zentralamerikanischen Präsidenten gemeinsam auftreten und den Nobelpreis entgegennehmen könnten.
({2})
Bevor das Ziel dieses Planes erreicht ist, bevor er umgesetzt ist, sind noch viele und große Hindernisse zu überwinden. Das muß man ganz klar sehen. Ein Plan bedeutet noch nicht, daß man das Ziel automatisch erreicht. Alle Beteiligten, alle direkt Beteiligten und auch die nicht direkt Beteiligten müssen helfen, diese Hindernisse zu überwinden.
Dieser Plan ist von den Vereinten Nationen begrüßt worden, von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, von der Bundesregierung und, wenn ich das richtig verstehe, von allen im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien. Aber ich sage hier auch in aller Deutlichkeit, meine sehr verehrten Damen und Herren: Begrüßen reicht bei weitem nicht aus.
({3})
Da muß mehr geschehen. Die Erfüllung des Plans bedarf der tatkräftigen politischen und wirtschaftlichen Unterstützung.
Ich habe in den letzten Tagen die Möglichkeit gehabt, mit den fünf Staatspräsidenten der Unterzeichnerstaaten zu sprechen. Ich habe in den letzten Tagen die Möglichkeit gehabt, mit allen zu sprechen, die an den Konflikten beteiligt sind: mit den Vertretern der Streitkräfte, mit den Vertretern der politischen Parteien, der Oppositionsparteien, insbesondere aber auch mit den Vertretern der katholischen Kirche. Ich möchte hier insbesondere den Repräsentanten der katholischen Kirche in Zentralamerika sehr herzlich dafür danken, daß sie besonders große Anstrengungen unternehmen, um diesem Plan zum Erfolg zu verhelfen.
Lassen Sie mich nach dem Stand der vergangenen Woche zu den fünf Ländern ein paar Bemerkungen machen.
Zuerst zu Costa Rica. Präsident Arias sieht in dieser Stunde seine Hauptaufgabe darin, in ständigen Kontakten mit den anderen Präsidenten dafür Sorge zu tragen, daß der Plan weiter abgewickelt werden kann. Er hat alle militärischen Maßnahmen der Contra von seinem Hoheitsgebiet aus gegen Nicaragua in der Zwischenzeit unterbunden. Das ist auch der Grund, warum Nicaragua die Klage vor dem Internationalen Gerichtshof zurückgenommen hat. Demokratie und Menschenrechte sind in diesem Land ein Vorbild für alle Länder in der Region.
({4})
Zu Guatemala: Präsident Cerezo, von dem ich schon gesagt habe, daß auch er sich große Verdienste um das Zustandekommen erworben hat, hat den Dialog mit der Guerilla in Madrid führen lassen. Dieser Dialog hat leider nicht zu einem Ergebnis geführt; die Kampfhandlungen sind wieder aufgenommen. Präsident Cerezo hat allerdings zugesagt, daß er sofort bereit sei, den Dialog wieder aufzunehmen, wenn die Guerilla die Waffen niederlegt. Es gibt in Guatemala große Bemühungen um die Verbesserung der Menschenrechte. Es gibt auch Fortschritte in diesem Bereich, aber es gibt auch schwere Rückfälle, insbesondere in den letzten Tagen und Wochen. Präsident Cerezo ist sehr darum bemüht, den Friedensplan durch stille Diplomatie zu unterstützen.
Eine Bemerkung zu El Salvador. Präsident Duarte hat den Dialog mit der FDR/FMLN aufgenommen. Der Dialog ist nach der Ermordnung des Koordinators der Menschenrechtskommission von El Salvador Anaya von der FDR/FMLN unterbrochen worden. In diesen Tagen ist der Erzbischof Rivera y Damas um eine Wiederanknüpfung der Kontakte bemüht. Es ist eine Amnestie verabschiedet worden, die wohl mehr als 400 Menschen betreffen wird. Ein zeitlich begrenzter, einseitiger Waffenstillstand ist von Präsident Duarte verkündet worden. Tragischerweise hat es gerade in den letzten Tagen grausame politische Morde gegeben. Diese Morde erfolgten offensichtlich, um die Politiker der FDR, die bereit sind, in ihr Land zurückzukehren, von der Rückkehr dahin abzuhalten. Ich denke an Politiker wie Rubén Zamora, Oqueli oder Ungo, die alle in der letzten Zeit ihre Bereitschaft zur Rückkehr erklärt haben.
Wenn der Friedensprozeß gelingen soll, muß Präsident Duarte den Rückkehrwilligen die notwendige Sicherheit gewähren.
({5})
Ich möchte diese Bitte, diese Forderung heute ganz deutlich zum Ausdruck bringen.
({6})
Eine Bemerkung zu Honduras. Hier ist die Entwicklung noch am weitesten zurück. Die Versöhnungskommission ist erst in den letzten Tagen gebildet worden, nachdem man lange darüber geredet hat, ob man überhaupt eine braucht. Von entscheidender Bedeutung dabei ist, daß das Friedensabkommen vorsieht, daß kein Unterzeichnerland sein Hoheitsgebiet für irreguläre Truppen zur Verfügung stellen darf. Das Abkommen verbietet auch militärische und logistische Hilfe an irreguläre Truppen.
Noch befindet sich das militärische Hauptquartier der Contra in Honduras; noch gibt es Truppen der Contra in Honduras und wichtige Basen. Die neue Entwicklung in den Vereinigten Staaten sollte es Honduras jetzt leichter machen, seine Verpflichtungen in dieser Frage nach dem Vertrag zu erfüllen. Die Erfüllung des Friedensabkommens durch Honduras ist von entscheidender Bedeutung. Mir haben der Präsident und der Außenminister zugesagt, sie würden erfüllen. Es ist höchste Zeit, daß entscheidende Schritte getan werden.
Nun zu Nicaragua. Die Entwicklung in Nicaragua ist von besonderer Bedeutung. Auch ist hier in einer Reihe von Fragen besonders schnell gehandelt worden. Kardinal Obando y Bravo wurde zum Vorsitzenden der Versöhnungskommission berufen. Jeder weiß, daß er kein Freund der Sandinisten ist. Katholischen Geistlichen wurde die Wiedereinreise gestattet. Radio Catolica hat seine Tätigkeit wieder aufnehmen können, „La Prensa" erscheint wieder. Wir sollten uns alle darüber freuen, daß „La Prensa" wieder erscheint. Aber ich sage auch: Es wäre gut, wenn „La Prensa" durch objektive Berichterstattung und journalistische Qualität zum Friedensprozeß beitragen würde.
Der innere Dialog zwischen der Regierung und den oppositionellen Parteien ist aufgenommen, er hat begonnen.
Der Stand des Dialogs bereitet mir Sorge. Das hat in erter Linie damit zu tun, daß die oppositionellen demokratischen Parteien bis zum äußersten zersplittert und zerstritten sind: Vier liberale Gruppen oder Parteien, drei christlich-demokratische oder christlichsoziale Gruppen und Parteien, drei konservative Parteien, drei marxistisch-leninistische Parteien, eine trotzkistische Partei und eine Partei, die sich sozialdemokratisch nennt, aber nichts damit zu tun hat. Dann darf man sich nicht wundern, daß es schwierig ist, den Dialog miteinander zu führen. Hier sehe ich eine wichtige Aufgabe für unsere Stiftungen.
Am 5. November dieses Jahres sind neue Maßnahmen getroffen worden.
Erstens. 967 Menschen sind begnadigt worden. Sie sind aus der Haft entlassen worden oder werden in diesen Tagen entlassen.
Zweitens. Eine allgemeine Amnestie ist vorbereitet und dem Parlament zugeleitet. Sie tritt in Kraft, wenn die Internationale Kontrollkommission die Voraussetzung dafür für gegeben hält. Das heißt, die Sandinisten überlassen diese Entscheidung einem internationalen Gremium, in dem sie nur eine Stimme haben.
Drittens. Die Voraussetzungen für die Aufhebung des Ausnahmezustands sind geschaffen. Auch hier wird wie beim zweiten Punkt verfahren.
Viertens. Eine zeitlich unbegrenzte Amnestie gilt für die Zukunft für alle diejenigen, die die Waffen niederlegen, und für alle diejenigen, die bisher politisch oder publizistisch für die Contra tätig waren. Von besonderer Bedeutung aber ist, daß die Sandinisten zur Erreichung des Waffenstillstands einen Vermittler für die Feuereinstellung mit der Contra ernannt haben. Kardinal Obando y Bravo hat diese Aufgabe übernommen. Wir alle sollten ihm dankbar sein, daß er bereit war, diese schwierige Aufgabe zur Erreichung des Waffenstillstandes zu übernehmen.
Den Sandinisten ist diese Entscheidung nicht leichtgefallen. Die Contra hat einen sehr grausamen Krieg geführt und führt ihn noch. Tausende sind ermordet worden, auch Bundesbürger. Die Sandinisten haben sich selbst überwunden, um dem Friedensabkommen in diesem Punkt gerecht zu werden.
Nun muß auch die Bundesregierung die notwendigen Entscheidungen treffen. Die Entwicklungshilfe muß wieder aufgenommen werden.
({7})
Lassen Sie mich vier deutliche Forderungen herausstellen, die zur Verwirklichung des Friedensabkommens erfüllt sein müssen.
Erstens. Die fünf Staaten Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua müssen jeder für sich alle Forderungen des Abkommens erfüllen. Dabei ist die Simultanität, die Gleichzeitigkeit, die vorgesehen ist, von entscheidender Bedeutung. Wenn wir hierbei helfen können, dann müssen wir das tun.
Zweitens. Von entscheidender Bedeutung ist die Haltung der Vereinigten Staaten. Es ist wichtig, daß die Vereinigten Staaten ebenfalls das Abkommen unterstützen. Das bedeutet, die Contra aufzufordern, die Waffen niederzulegen, und die Finanzierung der Contra einzustellen.
({8})
Wir begrüßen ausdrücklich, daß der Präsident der Vereinigten Staaten vor der OAS, der Organisation Amerikanischer Staaten, den Dialog unter bestimmten Voraussetzungen angeboten hat. Präsident Ortega befindet sich zu dieser Stunde in Washington. Wenn man will, kann man jetzt mit ihm dort reden.
Drittens. Die Europäische Gemeinschaft darf es nicht bei Erklärungen und Begrüßungen belassen. Sie muß den Friedensprozeß politisch und wirtschaftlich fördern und unterstützen. Die Ursachen des Konflikts in Zentralamerika liegen auch in Armut und Unterentwicklung.
Am 1. Januar übernimmt die Bundesrepublik den Vorsitz in der Europäischen Gemeinschaft, und Ende Februar findet dann unter besonderer Verantwortung der Bundesregierung der Dialog ZentralamerikaEuropa in Hamburg statt. Europa muß größere politiWischnewski
sche und materielle Anstrengungen unternehmen, um den Prozeß zu fördern.
({9})
Viertens und letztens. Von entscheidender Bedeutung ist die Haltung der Bundesregierung. Die sehr unterschiedliche Behandlung der fünf zentralamerikanischen Staaten ist jetzt überhaupt nicht mehr zu verantworten, sondern jetzt kommt es darauf an, den Friedensprozeß zu unterstützen, indem man alle gleichbehandelt. Wenn man Blockfreiheit will - und wir wollen das alle in dieser Region - , dann muß man seinen eigenen Beitrag dazu leisten.
({10})
Die fünf Staaten in dieser Situation unterschiedlich zu behandeln, das fördert den Friedensprozeß nicht.
Wir fordern Sie auf, im Sinne unseres Antrages die Entwicklungshilfe für Nicaragua wieder aufzunehmen, damit wir einen Beitrag leisten, um den Frieden in Zentralamerika zu fördern.
Vielen Dank.
({11})
Meine Damen und Herren, bevor ich dem nächsten Redner, Professor Dr. Abelein, das Wort gebe, möchte ich Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekanntgeben. Wir haben über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1168 abgestimmt. Abgegebene Stimmen: 473. Ungültig: Keine. Mit Ja haben 200 gestimmt. Mit Nein haben 268 gestimmt. Fünf Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 472; davon
ja: 199
nein: 268
enthalten: 5
Ja
SPD
Frau Adler Dr. Ahrens Amling
Andres
Antretter
Dr. Apel
Bachmaier Bahr
Bamberg
Becker ({0}) Bindig
Frau Blunck
Dr. Böhme ({1}) Börnsen ({2}) Brandt
Brück
Büchler ({3}) Büchner ({4}) Dr. von Bülow Frau Bulmahn Buschfort
Catenhusen
Frau Conrad Conradi Daubertshäuser Diller
Frau Dr. Dobberthien Dreßler
Egert
Dr. Ehrenberg Dr. Emmerlich Erler
Esters
Ewen
Frau Faße
Fischer ({5}) Frau Fuchs ({6}) Frau Ganseforth Gansel
Dr. Gautier Gerster ({7}) Gilges
Dr. Glotz
Frau Dr. Götte
Graf
Großmann Grunenberg Dr. Haack Haack ({8})
Frau Hämmerle
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler Heimann Heistermann
Hiller ({9})
Dr. Holtz Horn
Jahn ({10}) Jansen
Dr. Jens Jungmann Kastning Kiehm
Kirschner Kißlinger Klein ({11})
Klose
Kolbow
Koltzsch Koschnick Kühbacher Kuhlwein Lambinus Leidinger Lennartz Leonhart Lutz
Frau Luuk
Frau Matthäus-Maier Menzel
Dr. Mertens ({12}) Meyer
Dr. Mitzscherling Müller ({13}) Müller ({14}) Müller ({15}) Müntefering
Nagel
Nehm
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese Niggemeier
Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oesinghaus Oostergetelo
Paterna
Pauli
Dr. Penner Peter ({16})
Pfuhl
Dr. Pick
Porzner
Poß
Purps
Reimann Frau Renger
Roth
Schäfer ({17}) Schanz
Dr. Scheer Schluckebier
Schmidt ({18})
Frau Schmidt ({19}) Schmidt ({20})
Dr. Schmude Dr. Schöfberger
Schütz
Seidenthal Frau Seuster Sielaff
Sieler ({21})
Frau Simonis Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk
Dr. Sperling Stahl ({22})
Steiner
Stobbe
Dr. Struck Frau Terborg Tietjen
Frau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak
Vahlberg
Verheugen Dr. Vogel
Vosen
Waltemathe Walther
Weiermann Frau Weiler Weisskirchen ({23})
Dr. Wernitz Westphal
Frau Weyel Dr. Wieczorek
Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche
Wimmer ({24}) Wischnewski
Dr. de With Wittich
Würtz
Zander
Zeitler
Zumkley
DIE GRÜNEN
Frau Beer
Frau Brahmst-Rock
Brauer
Dr. Daniels ({25})
Frau Eid
Frau Flinner Frau Garbe Häfner
Frau Hensel Frau Hillerich Hoss
Kleinert ({26})
Kreuzeder
Dr. Lippelt ({27})
Frau Nickels Frau Olms Frau Rust
Frau Saibold Frau Schilling Schily
Sellin
Frau Trenz Frau Unruh Frau Vennegerts
Vizepräsident Cronenberg
Weiss ({28})
Frau Wollny
Wüppesahl
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein Austermann Bauer
Bayha
Dr. Becker ({29})
Frau Berger ({30})
Dr. Biedenkopf
Biehle
Dr. Blank
Dr. Blens
Böhm ({31})
Börnsen ({32})
Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen
Borchert
Breuer
Bühler ({33}) Buschbom Carstens ({34})
Carstensen ({35}) Clemens
Dr. Czaja
Dr. Daniels ({36})
Daweke
Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger Dr. Dollinger Doss
Dr. Dregger Echternach Eigen
Engelsberger Eylmann
Dr. Faltlhauser
Feilcke
Dr. Fell
Fellner
Frau Fischer Fischer ({37}) Francke ({38})
Dr. Friedmann Dr. Friedrich Fuchtel
Ganz ({39})
Frau Geiger Geis
Dr. Geißler
Dr. von Geldern
Gerstein
Gerster ({40})
Glos
Dr. Göhner Dr. Götz
Gröbl
Dr. Grünewald
Günther
Dr. Häfele Harries
Frau Hasselfeldt
Haungs
Hauser ({41})
Hauser ({42})
Freiherr Heereman von Zuydtwyck
Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs
Hinsken
Höffkes
Höpfinger
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({43}) Dr. Hornhues
Frau Hürland-Büning
Dr. Hüsch
Dr. Jahn ({44})
Dr. Jenninger Dr. Jobst
Jung ({45}) Jung ({46}) Kalb
Kalisch
Dr.-Ing. Kansy Dr. Kappes
Frau Karwatzki Kiechle
Kittelmann
Klein ({47})
Dr. Köhler ({48}) Kolb
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({49})
Lamers
Dr. Lammert Dr. Langner Lattmann
Dr. Laufs
Lemmrich
Lenzer
Frau Limbach Link ({50}) Link ({51}) Linsmeier
Lintner
Dr. Lippold ({52}) Dr. h. c. Lorenz
Louven
Lowack
Lummer
Maaß
Frau Männle Magin
Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Miltner
Müller ({53}) Müller ({54})
Nelle
Dr. Neuling Neumann ({55}) Niegel
Dr. Olderog Oswald
Frau Pack
Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pfennig
Dr. Pinger
Dr. Pohlmeier Dr. Probst
Rauen
Rawe
Reddemann Regenspurger Repnik
Dr. Riedl ({56})
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch ({57}) Frau Roitzsch ({58}) Dr. Rose
Rossmanith
Roth ({59}) Rühe
Dr. Rüttgers
Ruf
Sauer ({60}) Sauer ({61}) Sauter ({62}) Sauter ({63})
Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz ({64}) Schemken
Scheu
Schmidbauer Schmitz ({65})
von Schmude
Dr. Schneider ({66}) Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({67}) Schulhoff
Dr. Schulte
({68}) Schulze ({69}) Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Seiters
Spilker
Dr. Sprung
Dr. Stark ({70})
Dr. Stavenhagen Dr. Stercken
Dr. Stoltenberg Straßmeir
Strube
Frau Dr. Süssmuth Susset
Tillmann
Dr. Todenhöfer Dr. Uelhoff
Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk Vogel ({71}) Vogt ({72})
Dr. Voigt ({73})
Dr. Vondran
Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß ({74}) Werner ({75})
Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wilz
Wimmer ({76}) Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Dr. Wörner Würzbach Dr. Wulff Zeitlmann Zierer
Dr. Zimmermann
Zink
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Dr. Bangemann
Beckmann Bredehorn Eimer ({77})
Engelhard
Dr. Feldmann
Frau Folz-Steinacker Funke
Gallus
Gattermann Genscher Gries
Grünbeck Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann
Dr. Hitschler
Hoppe
Dr. Hoyer Irmer
Kleinert ({78})
Kohn
Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff
Mischnick Neuhausen Nolting
Richter
Rind
Ronneburger
Schäfer ({79})
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms Dr. Thomae Timm
Dr. Weng ({80}) Wolfgramm ({81}) Zywietz
Enthalten
FDP
Baum
Cronenberg ({82}) Heinrich
Dr. Hirsch
Damit ist der Antrag abgelehnt.
Herr Professor Dr. Abelein, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zentralamerika ist heute neben dem Mittleren und dem Nahen Osten und dem südlichen Afrika eines der großen Krisengebiete der Weltpolitik. Das ergibt sich aus einem Blick auf den Globus. Hier befinden wir uns an einer sehr sensiblen Nahtstelle der Weltpolitik, der Verbindung zwischen den beiden großen kontinentalen Massen Amerikas.
Zentralamerika durchlebt gegenwärtig schwere Zeiten. Bürgerkriegsähnliche Konflikte, politische Labilität, Terrorismus, Inflation, Preisverfall und hohe Auslandsverschuldung prägen das Bild. Wir verfolgen diese Situation mit großer Sorge, denn sie betrifft auch uns.
Zu Recht wurde vorher darauf hingewiesen, daß auch in den wirtschaftlichen und sozialen Zuständen und - ich ergänze das - in den politischen und menschenrechtlichen Situationen die Ursachen für die Konflikte liegen. Es gilt hauptsächlich, die Ursachen zu beseitigen, die leider die Voraussetzung für die nachfolgenden Konflikte darstellen.
Bisher nahmen sich hauptsächlich die ContadoraStaaten, auch die USA einer Lösung der schwerwiegenden Probleme und Konflikte an. Wir haben diese Bemühungen unterstützt.
({0})
Jetzt haben wir eine Zäsur insofern zu beobachten, als die fünf kleinen zentralamerikanischen Staaten in der Bemühung, der Verantwortung in ihrer Region gerecht zu werden, selbst versuchen, die Geschicke in ihre Hand zu nehmen. Insofern bedeutet der Gipfel von Guatemala am 6. und 7. August 1987 eine bedeutende und von uns begrüßte Entwicklung.
Der Friedensplan für Zentralamerika, dem ein Vorschlag des Präsidenten von Costa Rica zugrunde liegt, wurde von den fünf Präsidenten der beteiligten Staaten unterzeichnet und erscheint uns als eine akzeptable Grundlage für die weiteren Bemühungen, den Frieden herzustellen. Dafür erhielt Präsident Arias den Nobelpreis. Ob ich darin persönlich allerdings ein gutes Omen sehe, steht auf einem anderen Blatt; denn wenn ich die Erfahrungen der Friedensnobelpreise hier heranziehe, muß ich sagen, daß leider die Erwartungen, für die normalerweise Nobelpreise auf diesem Gebiet zuerkannt wurden, in der Regel nicht erfüllt worden sind.
({1})
Dennoch begrüßen wir diesen Nobelpreis.
Dieser Friedensplan unterliegt großen Gefährdungen. Auch davon war bereits die Rede.
In den fünf Staaten zeigt sich - das muß anerkannt werden - der politische Wille zu Dialog und Einigung, wenn auch teilweise aus sehr verschiedenen Motiven. Falls dieser Wille echt ist und nicht nur momentan, taktisch, situationsbedingt ist und falls er erhalten bleibt, hängt die weitere Entwicklung nicht unwesentlich davon ab, daß auch die mittelbar beteiligten Staaten diesen Friedensprozeß unterstützen. Dazu zählen die USA, Kuba und die Sowjetunion.
Ich hoffe, daß Ortega bei seinem letzten Besuch in der Sowjetunion gehört hat, daß diese Basis entgegen seinen ursprünglichen Erwartungen wohl nicht das hergibt, was er sich davon versprochen hat. Darin sehe ich eine wesentliche Voraussetzung für eine günstige Entwicklung. Ich glaube nicht, daß sich die Sowjetunion nach den Erfahrungen in Afghanistan und Kuba etwas Ähnliches in Guatemala - nicht zuletzt auch aus finanziellen Erwägungen heraus - zusätzlich leisten kann. Auch dort liegen positive Ansatzpunkte.
({2})
Ich möchte auf Einzelheiten des Planes jetzt nicht eingehen; sie sind nachzulesen, teilweise bereits geschildert.
Ich mache die Beurteilung des Kollegen Wischnewski der Situation in den fünf Ländern mit einigen Einschränkungen - jedenfalls im Grundsätzlichen - durchaus mit. Ich sehe die Entwicklung in Guatemala, die nicht gefährdet werden sollte, als besonders günstig an. Ich weiche in einigen Punkten von Ihrer Beurteilung über Nicaragua wesentlich ab, die mir zu optimistisch - um es einmal vorsichtig auszudrücken - zu sein scheint, auch mit einigen Schieflagen, die mir dabei vorgekommen sind, behaftet zu sein scheint. Denn ich glaube, es ist unangebracht, nur den Contras einen besonders grausamen Krieg vorzuhalten. Sie sollten hier die besonders grausame Kriegsführung der Sandinisten aus Gründen der Objektivität, die hier nur weiterhelfen kann, einbeziehen.
({3})
Ich komme zu der Situation in El Salvador, einer besonders schwierigen Situation. Sie steht der Schwierigkeit in Nicaragua fast nicht viel nach; denn Duarte hat es ja besonders schwer bei den zwei Fronten, zwischen denen er steht, seine Bemühungen zum Erfolg zu bringen.
Nicaragua erklärte die Absicht, eine Amnestie für inhaftierte Bürgerkriegskämpfer zu erlassen und den Ausnahmezustand aufzuheben, aber beides erst nach einem verifizierten Ende der Contra-Aggression, und diese Notifizierung wollten sie durch diese internationale Überwachungskommission haben. Das scheint mir keine gute Voraussetzung von seiten Nicaraguas für den weiteren Friedensprozeß zu sein - hier unterscheide ich mich von Ihnen - , denn hier sind von Nicaragua Voraussetzungen eingeführt, die nichts Gutes versprechen.
({4})
Wir begrüßen natürlich die Person des Vermittlers, der am ehesten die Chance hat, dort zu einer Befriedung der Situation beizutragen.
Mich überrascht nicht, daß die Contras nach den bisherigen Meldungen die Beschränkung auf militärische Fragen ablehnen und die Sandinisten nur militärische Fragen klären wollen, als Voraussetzung für die weitere Entwicklung. Es ist durchaus einleuchtend, daß die Sandinisten zuerst die militärische Sicherheit haben wollen, die Überhand, um dann völlig freie Hand für das zu haben, was nachher passiert.
Ich muß Ihnen gestehen: Aus meinen persönlichen Eindrücken bin ich zwar ebenfalls gedämpft optimistisch - das müssen wir sein - , aber ich bin auch skeptisch. Wenn ich mir die letzten Äußerungen des Präsidenten von Nicaragua auf einer dieser Massenversammlungen in Managua vor Augen halte - schreckliche Ereignisse, die in Managua immer wieder aufgeführt werden - , daß man sich weder durch Kugeln noch durch Stimmen werde besiegen
lassen, dann muß ich sagen: Das ist ein völlig anderes Demokratieverständnis, als ich es habe. Für mich sind Wahlen nicht eine unerläßliche Voraussetzung, unbedingt die eigene Position bestätigt zu bekommen, sondern darin sind Unsicherheiten.
Um das zu sehen, habe ich selber eine dieser großen Massendemonstrationen mitgemacht, auf der einen Seite die posierenden Machthaber, auf der anderen Seite die zusammengetriebenen Massen, die Sprechchöre mit Megaphon. Ich muß Ihnen gestehen, das erinnert mich an unselige Ereignisse aus unserer jüngeren, dunklen deutschen Geschichte. Ich bin nicht bereit, diesen Leuten von vornherein ohne gewisse Sicherheiten zu vertrauen. Ich bin gern bereit, Ihren Optimismus mitzumachen, aber ich bin gespannt, wieweit die Machthaber in Nicaragua bereit sind, hier die wesentlichen Voraussetzungen zu erfüllen. Ich muß gestehen: Hier sind für mich leider noch einige Fragezeichen vorhanden.
Ihren Vorschlag, Nicaragua zum gegenwärtigen Zeitpunkt wieder Entwicklungshilfe zu gewähren, kann ich leider nicht empfehlen. Nicaragua sollte Hilfe bekommen, aber erst dann, wenn sich die Sandinisten an demokratische Prinzipien halten.
({5})
Davon scheinen sie mir noch weit entfernt zu sein. Ich will aber gern die Entwicklung bis zum Januar abwarten und die Ergebnisse des neuen Friedensplans dann einer Beurteilung unterziehen. Im übrigen bin ich sehr dafür - hier bin ich wieder der gleichen Meinung wie Sie - , daß die Bundesrepublik Deutschland in enger Zusammenarbeit mit der EG diesen jetzt neu beginnenden Prozeß in Mittelamerika politisch und wirtschaftlich nachdrücklich unterstützen sollte.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Volmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 56 Fragen hatten wir eingebracht, die die Unterstützung der Contras in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere durch Unionspolitiker und unionsnahe Organisationen, beleuchten sollten. Nur 16 dieser Fragen hat die Bundesregierung beantwortet, ein gutes Drittel davon recht einsilbig mit Ja oder Nein, 40 Fragen blieben faktisch unbeantwortet. Zu 15 Fragen wollte die Bundesregierung mit Verweis auf ihre Kompetenz, zu 7 mit Hinweis auf das Steuergeheimnis nicht Stellung nehmen. Bei 5 Fragen wurde ihre Nichtbeantwortung in die Floskel gekleidet, daß die Bundesregierung alle Erkenntnisse ausnutze, um sich ein Bild der Lage zu verschaffen. Bei 6 Fragen gab sie die in der Fragestellung enthaltenen Zusammenhänge als „nicht bekannt" an, 7 weitere „beantwortete" sie durch allgemeine Hinweise auf ihre Politik. Für dieses Kunststück benötigte die Bundesregierung genau 1 Jahr 4 Monate und 2 Tage, 16 Monate, um herauszufinden, daß sie nicht antworten will.
Die faktische Nichtbeantwortung beweist, daß die Bundesregierung sich scheut, ihre Zentralamerikapolitik jenseits allgemeiner und nichtssagender Erklärungen dezidiert darzustellen. Sie scheut sich deshalb, weil im Gegensatz zu den öffentlichen Beteuerungen eine Reihe von Unionspolitikern und ihnen nahestehende Organisationen die Contras nicht nur ideologisch unterstützen. Die in der Anfrage enthaltenen Behauptungen sind belegbar. Zum Glück haben sie auch ohne Antwort durch die Bundesregierung bereits große Verbreitung gefunden.
Ich fordere - wie auch gerade Kollege Wischnewski schon - vor allen Dingen von den Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktionen: Distanzieren Sie sich von der Contra, und distanzieren Sie sich von Ihren Kollegen, die diese Terrorbande ideologisch unterstützen!
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Meine Damen und Herren, die Unterstützung der Contra ist nur die härteste Maßnahme, mit der rechts-stehende politische Kreise in den USA und hier versuchen, Nicaragua in die Knie zu zwingen. Auch mit diplomatischen Methoden wird Druck ausgeübt. Seit Jahren wird versucht, den Friedensprozeß in Mittelamerika zum Scheitern zu bringen, um Nicaragua in der Isolation und der Wirkungsrichtung eines Krieges niedriger Intensität durch die USA zu halten. Nun, wo ein Friedensabkommen greifbar erscheint, versuchen diese Kräfte zumindest alles, um es gegen Nicaragua zu wenden und die umliegenden Staaten ungeschoren zu lassen.
Ich will diese Behauptung begründen: Das eigentliche Problem in der zentralamerikanischen Region ist die bittere soziale Not der meisten Menschen, die Existenz von Oligarchien und ihrer Militärregimes und die ungeschminkte Politik der Vereinigten Staaten, im sogenannten nationalen Eigeninteresse Ausbeutung und Militarismus zu stabilisieren. Grundlage ist die immer noch gültige Monroe-Doktrin von 1823, die forderte, nach der Ausrottung der nordamerikanischen Indianer sich nun auch Mittelamerika einzuverleiben oder zumindest gefügig zu machen.
Gegen Ausbeutung durch Großgrundbesitzer, gegen militaristische Willkür und gegen den Hegemonieanspruch der USA hat sich das Volk von Nicaragua erhoben. Nicht weil es wirtschaftlich wirklich wichtig ware, sondern weil es das Symbol für den Freiheitswillen und einen eigenständigen Entwicklungsweg ist, wird alles daran gesetzt, von der Interventionsdrohung bis zur feinen Diplomatie, die Revolution zu zerstören und die alten Abhängigkeiten - humanisiert oder nicht - wieder herzustellen. Die militärische Methode ist Sache der USA, bei der Diplomatie machen auch die europäischen Staaten mit.
Der Contadora-Prozeß wurde von allen Parteien des Bundestages begrüßt, von den USA massiv bekämpft. Dabei war die Tatsache, daß sich Nicaragua auf die Contadora-Akte eingelassen hat, selbst schon ein Zugeständnis, das eigentlich nicht einmal plausibel war. Denn warum muß ein Land, das eigene Vorstellungen von Blockfreiheit, gemischter Wirtschaft und Pluralismus entwickeln will, in Verhandlungen mit solchen gezerrt werden, die für die soziale Lage ihrer Völker nicht das mindeste Interesse aufbringen?
Warum muß sich ein Land von denen, die es militärisch oder diplomatisch angreifen, sagen lassen, es solle Frieden schließen?
Aus zwei Gründen hat sich Nicaragua dennoch auf den Contadora-Prozeß einlassen und ihn sogar beflügeln müssen. Es mußte einen diplomatischen Schutzwall aufbauen, um sich der militärischen Angriffe durch die USA erwehren zu können. Und es wollte die geringen Spielräume nutzen, die die unterschiedlichen Auffassungen von USA und EG über die Art der Wiedereingemeindung Nicaraguas ins westlich-kapitalistische System bieten.
Denn darum geht es beiden, den Vereinigten Staaten und der Europäischen Gemeinschaft: Oberstes Ziel der Außenpolitik ist die Absicherung des gemeinsamen Systems möglichst weltumspannender Marktwirtschaft. Innerhalb des Systems wird dann zunehmend härter um Ressourcen und Märkte gekämpft. Während die USA Mittelamerika als Kolonie fast klassischen Zuschnitts betrachten, hat die EG andere Interessen. Sie würde nur zu gern ihre Handelspolitik, mit der sie ihre Weltgeltung sichert, auf Zentralamerika ausdehnen. Dem aber steht der amerikanische Anspruch entgegen.
Um ihre eigene Sphäre ausdehnen zu können, hat die EG ein Interesse an einer Regelung in Mittelamerika, die diese Region dem fest definierten, militärisch abgesicherten Zugriff der USA entzieht. Es ist der reine Egoismus, das reine Eigeninteresse, das die EG-Staaten treibt. Dieses Motiv wird stärker, je mehr sich die wirtschaftspolitischen Verwerfungen zwischen ihr und ihrem militärischen Bündnispartner vertiefen. Hier liegt tatsächlich eine geringe Chance für die Völker Mittelamerikas, aus der brutalsten Form von Herrschaftssicherung, nämlich Krieg und Diktatur, herauszufinden.
Damit ist aber nicht die Garantie eigenständiger Entwicklung gewonnen. Auch die EG-Staaten, deren Mittelamerikapolitik ja im wesentlichen von Bundesaußenminister Genscher geprägt wird, haben kein Interesse an einem wirklich blockfreien Nicaragua, das seine Eigenständigkeit auch als wirtschaftliche Unabhängigkeit definiert. Genschers Politik steht nicht im Widerspruch zu der seiner Parteifreunde Bangemann und Lambsdorff. Deren harter Wirtschaftsliberalismus erfordert weltweit ein offenes, nicht kolonial, aber auch nicht durch Rücksichtnahme auf die sozialen Bedürfnisse der Menschen geprägtes politisches System, das ihnen Genscher verschafft.
Nur so kann verstanden werden, daß die Bundesregierung Nicaragua Hilfe für den Fall in Aussicht stellt, daß es die drei Ziele seiner Revolution - eben Blockfreiheit, Pluralismus und gemischte Wirtschaft - verwirklicht. Weshalb sollten sich Konservativ-Liberale als Hüter von Revolutionen aufspielen? Ein Blick auf die Geschichte Nicaraguas zeigt, daß der Wille zur Verwirklichung dieser drei Ziele vorhanden ist, aber der ständigen Gegenwehr gegen militärische Intervention und Wirtschaftsboykott zum Opfer zu fallen droht. Würde - so frage ich - die Bundesregierung auch dann auf Einhaltung von Blockfreiheit pochen, wenn sich Nicaragua zu sehr dem Westen zuneigte? Würde sie gemischte Wirtschaft einklagen, wenn der privatkapitalistische Ansatz zu groß wäre? Mit Sicherheit nicht. Die Einforderung dieser Ziele durch die westlich gebundene, marktwirtschaftlich ausgerichtete Bundesregierung bedeutet nichts anderes, als daß Nicaragua die Vorstellungen eigenständiger Entwicklung aufgeben und ins westliche Lager zurückkehren soll. Zugestanden wird nur die Abschaffung des Kolonialstatus.
Aber selbst dieses Eigeninteresse der EG bricht sich an den Beziehungen zu den USA. Bündnistreue zum großen Bruder in der NATO geht letztlich vor, und so vermochte die EG auch nicht zu verhindern, daß Reagan die Contadora-Initiative zum Scheitern brachte.
Ein ähnliches Schicksal droht nun dem Arias-Plan. Als Nicaragua diesen Plan akzeptierte, setzte Washington, das ihn hatte völlig verhindern wollen, alles daran, seine Realisierung zu torpedieren. Hebel waren die ihm hörigen Regimes in Honduras und El Salvador, die nach entsprechenden Weisungen aus dem Norden das gesamte Repertoire von diplomatischen Sabotagemaßnahmen durchspielten.
Die europäischen Staaten, die den Arias-Plan unterstützen, üben einseitig Druck auf Nicaragua aus, doch endlich die Bestimmungen zu erfüllen. Diese Aufforderung geht an der Wirklichkeit vorbei, wie eine vergleichende Auflistung all der Maßnahmen zeigt, die die einzelnen Konfliktparteien seit der Unterzeichnung des Plans ergriffen haben. Herr Wischnewski hat vorhin einige Elemente angedeutet. Ich habe vor kurzem im Auswärtigen Ausschuß eine fast vollständige Auflistung vorgenommen und kann das hier aus Zeitgründen nicht wiederholen. Interessenten, die in den Ausschußprotokollen nachlesen, werden erkennen: Nicaragua hat eine lange Reihe von einseitigen Vorleistungen und Schritten zur Realisierung des Plans unternommen. In Honduras, El Salvador oder Guatemala tat sich aber überhaupt nichts, was halbwegs mit den Initiativen Nicaraguas vergleichbar wäre.
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Dies betrifft gleichermaßen die Fragen von nationalem Dialog, Waffenstillstand, Amnestie und anderen Elementen, die im Arias-Plan gefordert sind.
Dessen ungeachtet läuft eine internationale Kampagne, die Nicaragua ins Unrecht setzen und El Salvador als leuchtendes Beispiel hinstellen will.
Von Nicaragua wird verlangt, daß es endlich den Dialog mit den Contras beginne. Dies hat auch der frisch ernannte Friedensnobelpreisträger Arias getan. Es soll suggeriert werden, daß die Sandinisten nicht bereit seien, die Arias-Forderung nach einem nationalen Dialog aufzunehmen. Nun, die Forderung, mit den Contras zu verhandeln, ist nicht legitim, weil sie gegen den Plan und eigentlich auch gegen die Grundidee von Esquipulas II verstößt. Arias selbst hat auf Druck der Vereinigten Staaten nun gegen seinen Plan verstoßen. Jetzt aber hat Nicaragua sogar ungeachtet nicht vorhandener Notwendigkeit den Vorsitzenden der Nationalen Versöhnungskommission, Bischof Obando y Bravo, einen ausgesprochenen Regierungsgegner, gebeten, als Vermittler mit den Contras über eine Feuereinstellung zu verhandeln.
Von Nicaragua wird eine allgemeine Amnestie gefordert. Auch dies ist nicht durch Esquipulas II abgedeckt. Dieselbe Propaganda, die diese illegitime Forderung erhebt, verschweigt gleichzeitig, daß Nicaragua schon weitgehende Amnestierungen beschlossen hat und praktiziert. Es gibt sogar eine Amnestie für Contras, die die Waffen niederlegen. Nur die ehemaligen Gardisten von Somoza sind ausgeschlossen.
Nun hat auch El Salvador eine Feuereinstellung und eine Amnestie verfügt, was von der Propaganda groß herausgestellt wird. Der Hintergrund aber ist ein anderer: Mit diesen Maßnahmen soll gerade jetzt, wo der nationale Dialog an der Ermordung von Herbert Araya, dem Führer der regierungsunabhängigen Menschenrechtsorganisation, zu scheitern droht, der Eindruck erweckt werden, Duarte halte sich an Esquipulas II. Wenn man sich die Hintergründe der Feuereinstellung anschaut, kommt man zu einer völlig anderen Auffassung. Damit werden die militärstrategischen Positionen abgesichert, die bei der letzten großen Offensive mit 40 000 Mann gerade erkämpft worden sind. Daher ist dies für die Befreiungsbewegung überhaupt nicht akzeptabel.
Das Fazit solcher Gegenüberstellung ist eindeutig: Nicaragua tut alles und noch mehr, um die Verpflichtungen des Arias-Plans zu erfüllen. Honduras und Salvador sträuben sich. Costa Rica macht nun einseitig Druck gegen Nicaragua. Guatemala bewegt sich weder nach außen noch nach innen. Die Contras morden weiter, von den USA unterstützt. Und die EG will die Peitsche durch das Zuckerbrot ersetzen.
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Ob diese Haltungen Frieden in die Region bringen, darf bezweifelt werden.
Deshalb fordern wir GRÜNEN von der Bundesregierung:
Der Arias-Plan muß durchgesetzt werden, auch gegen die USA und ihre Marionetten in Honduras und El Salvador. Eine abstrakte Befürwortung reicht nicht aus. Die Kräfte in der Region, die ihn tragen, müssen gezielt unterstützt, denen, die verschleppen oder boykottieren, muß die Unterstützung entzogen werden.
Deshalb fordern wir: Nicaragua muß sofort und ohne Bedingung wieder Entwicklungshilfe erhalten. Die Entwicklungshilfe für Honduras, Salvador und Guatemala, deren Außen- und Innenpolitik beweist, daß die dortigen Regimes nicht die Interessen ihrer Völker im Auge haben, muß eingestellt werden.
Der einseitige Druck auf Nicaragua muß aufhören: Nicaragua hat ein Recht, zu leben, auch gegen den Willen der USA. Und es hat das Recht auf eigenständige Entwicklungswege, selbst wenn das der EG nicht paßt.
Danke.
({3})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sie wissen, daß ich eine Freundin sehr offener Auseinandersetzungen hier untereinander bin. Aber es fällt mir schwer, Herr Kollege Volmer, nach Ihrer von einseitigen Verdächtigungen und einseitigen Weltbildorientierungen strotzenden Rede einen Dialog zu beginnen. Ich glaube, Sie machen den gleichen Fehler, den wir anderen oft vorwerfen, nämlich die Welt immer in Gut und Böse einzuteilen und davon auszugehen: Der Frieden der Welt ist erst dann herzustellen, wenn das Böse vertilgt und das nach Ihrer Ansicht Gute damit zum Siege gebracht wird. Wir Deutschen haben nun doch wirklich so viel historische Erfahrung, daß wir wissen müssen, daß es nicht möglich ist, Prozesse, wie wir sie in Zentralamerika erleben, die so schwierig und so differenziert sind, mit dem Kästchendenken, wie Sie es uns wieder vorgeführt haben, zu bessern und einen nützlichen Beitrag dazu zu leisten.
Ich halte diese Debatte für außerordentlich wichtig. Wir beschäftigen uns ja nicht allzu häufig - ({0})
- Ich bin ja gerade dabei, für die FDP zu versuchen, einen konstruktiven Beitrag zu leisten. Wenn ich genau zugehört habe, Herr Kollege, gibt es zwischen Herrn Wischnewski und Herrn Abelein sehr viel mehr Einigkeit und Gemeinsamkeit, als Sie eben vermutet haben. Ich habe mir Notizen gemacht und versuche, das Gemeinsame und vielleicht nachher natürlich auch das Trennende aus der Sicht der FDP zusammenzufassen.
Das erste, worin sich beide Redner einig waren, war die bei Ihnen ein bißchen größere, bei Herrn Abelein etwas geringere, gemäßigte Hoffnung, daß wir durch den Arias-Plan nach fast einem Jahrzehnt von Bürgerkriegen in der Region nun doch einen Friedensprozeß erleben können und daß dieser Prozeß allererste Fortschritte zeigt. Innerhalb dieser festgesetzten Dreimonatsfrist sind - trotz Rückschlägen und auch noch nicht mit ganz sicheren Ergebnissen - die ersten Schritte getan worden - ich brauche das jetzt nicht noch einmal zu wiederholen - : Waffenstillstand, Vermittlungsgespräche beginnen, der Ausnahmezustand wurde teilweise aufgehoben, Amnestie wurde in Aussicht gestellt, und man hofft für das Jahr 1988 auf Wahlen zu einem zentralamerikanischen Parlament. Und ich möchte nicht hoffen, Herr Wischnewski, daß es zutrifft, daß ein Parlamentarischer Staatssekretär diese Wahlen für nicht notwendig und im Hinblick auf den Friedensprozeß für nicht dringlich geboten hält.
({1}) - Na, wir werden das einmal klären.
Ich glaube, auch die nationalen Versöhnungskommissionen sind ein wichtiger Beitrag zu diesem Prozeß. Der Exekutivausschuß der fünf Außenminister, der gebildet wurde, wird den Prozeß weiter begleiten und überwachen. Und die internationale Kontrollinstanz, die neben den nationalen Kommissionen fungieren soll, hat hier eine wichtige Aufgabe und soll ihre Arbeit am Sitz der Vereinten Nationen in New York dann wohl im Dezember aufnehmen. Ich glaube, daß die Hoffnung, die dieser Plan weckt, eben in dem Ineinandergreifen all dieser Maßnahmen besteht, daß
man nicht das eine oder andere herausbrechen und sagen kann: Das geht, und das geht nicht. Vielmehr gilt es, diesen Plan jetzt als Ganzes zu fördern und zu unterstützen, wo auch immer.
Sie haben von der Lage in den verschiedenen Ländern gesprochen, Herr Wischnewski. Ich habe Ihre Reisebilanz hier mit großer Dankbarkeit angehört. Ich glaube, es ist ein wichtiges Zusammenwirken zwischen Regierung und Opposition, wenn sich Vertreter der Opposition bemühen, auch außenpolitisch solche Gespräche zu führen. Ich möchte Ihnen für die FDP ein Dankeschön dafür sagen.
({2})
Sie haben erwähnt, Herr Wischnewski, daß die Sandinisten einen wichtigen Schritt getan haben, als sie eine Vermittlerrolle des Erzbischofs von Managua, Obando y Bravo, akzeptierten. Das bedeutete schon, daß man ein gewaltiges Stück über den eigenen Schatten springen mußte. Wie Friedensprozesse überhaupt nur dann in Gang kommen, wenn beide Seiten immer bereit sind, ein Stück über den eigenen Schatten zu springen.
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- Nun, darüber werden wir uns dann, Herr Kollege Bindig, im Ausschuß hoffentlich ausführlich unterhalten, weil wir hier etwas differenziertere Vorschläge zu machen haben.
El Salvador: Unterbrechung des Waffenstillstandsdialogs durch die beklagenswerte Ermordung des Vorsitzenden der Menschenrechtskommission. Wir hoffen, daß wir auch in El Salvador weiterkommen.
Vorsichtiges Fazit ist, daß es für alle zentralamerikanischen Staaten schon bisher als wichtig gelten kann, daß die wechselseitige Einflußnahme unter Berufung auf den Friedensplan der wichtigste Hebel bei seiner Verwirklichung ist, dieses Ineinandergreifen der Bemühungen der einzelnen Staaten, die daran beteiligt werden. Niemand in der Region - das kam auch aus dem Bericht von Herrn Wischnewski sehr klar heraus - kann und will die Verantwortung für das Scheitern dieses Planes mehr auf sich nehmen. Ich glaube, das ist auch die überzeugende Kraft der Idee, die Herr Arias in seinem Plan verwirklichen möchte.
Zweiter Punkt: Wir sind uns einig, meine Damen und Herren, daß die USA in diesem Prozeß einen entscheidenden Beitrag leisten müssen, und eine vorsichtige Wende der Regierungspolitik bahnt sich ja an. Herr Volmer, wenn Sie die Rede des Präsidenten vor der OAS ein bißchen genauer lesen, dann müssen Sie sagen, daß auch Reagan ein Stück über den eigenen Schatten gesprungen ist, und das ist ja nur sehr zu begrüßen. Denn er hat am Montag erklärt, daß man, wenn die Regierung in Managua mit den Contras ernsthaft verhandele, entgegen der bisherigen Politik bereit sei, Gespräche mit dem sandinistischen Regime aufzunehmen, sofern diese im Rahmen regionaler Verhandlungen unter Einschluß der anderen vier mittelamerikanischen Staaten stattfänden. Reagan hat ausdrücklich in Aussicht gestellt, daß Außenminister Shultz zu Gesprächen zur Verfügung stünde. Es ist zu hoffen, Herr Wischnewski, daß anläßlich des Besuchs
von Ortega in Washington diese Gespräche auch zustande kommen.
Der amerikanische Kongreß, der ein unabhängiges Parlament ist, hat die weitere Hilfe, ich glaube: 227 Millionen Dollar, für die Contras ohnehin suspendiert. Ich glaube, die Regierung selber will auch von einem weiteren Antrag zur Bewilligung im Augenblick Abstand nehmen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß auch hier ein Prozeß in Gang gekommen ist, den wir von unserer Seite hoffnungsvoll unterstützen sollten, wo immer möglich.
Drittens sind wir uns einig - auch das kam aus den beiden Debattenbeiträgen hier ganz klar heraus -, daß die EG und die Bundesrepublik Deutschland eine wichtige Rolle der Ermutigung und Unterstützung in diesem Prozeß spielen muß, nicht um unserer eigenen wirtschaftlichen Vorteile willen, Herr Kollege Volmer, sondern weil wir uns überhaupt bemühen, in den Krisenregionen der Welt solche Prozesse in Gang zu bringen, Kooperationsabkommen abzuschließen, um die wirtschaftliche Zusammenarbeit als wichtige, entscheidende flankierende Maßnahme zur Besserung der verheerenden sozialen Verhältnisse in diesen Ländern voranzubringen. Das ist doch der Sinn der Kooperationsabkommen; den kann man doch nur unterstützen und nicht gleich wieder denunzieren, Herr Volmer.
({4})
Ich finde es ungewöhnlich einäugig, wie Sie das hier wieder gemacht haben.
({5})
Wir wissen, daß unsere Mittelamerikapolitik im engen Verbund mit der Europäischen Politischen Zusammenarbeit steht. Ich habe noch einmal nachgelesen: Schon 1983 haben wir diese Linie beim Europäischen Rat in Stuttgart festgelegt, und wir haben sie konsequent weiterverfolgt. Ich glaube, es ist hier jedenfalls von unserer Seite auch ein Wort der Anerkennung und Dankbarkeit gegenüber unserem Außenminister auszusprechen, der ungeheuer viel dazu beigetragen hat, daß die Gespräche nicht stagniert sind und daß nach dem Scheitern der Contadora-Initiative nun der neue Weg beschritten werden konnte. Herr Genscher hat auch einen wesentlichen Anteil zur Beförderung, zur Ermutigung und zur Anerkennung des Arias-Plans geleistet. Hierfür seitens der FDP ein ausdrücklicher Dank.
({6})
Auch die bevorstehende Präsidentschaft wurde erwähnt. Ich glaube, daß das Treffen mit den fünf zentralamerikanischen Außenministern in Hamburg im Februar eine wichtige Gelegenheit ist, Nägel mit Köpfen zu machen. Herr Wischnewski, wir können nicht nur begrüßen, wir müssen nun auch den Worten Taten folgen lassen. Wir werden uns einmal im Ausschuß genau darüber erkundigen, was da nun eigentlich vorgesehen ist.
Der Friedensprozeß in Zentralamerika muß durch finanzielle Hilfe und wirtschaftliche Zusammenarbeit unterstützt werden, weil er sonst abermals schei2582
tern könnte. Ich möchte auch betonen, daß keiner der an diesem Prozeß beteiligten Staaten von dieser Unterstützung ausgeschlossen werden sollte. Die GRÜNEN wollen ihnen mißliebige Staaten ausschließen; wir tun uns schwer, die Entwicklungshilfe mit Nicaragua wieder in Gang zu bringen. Ich glaube, wir müssen wirklich konsequent sein: Wenn wir diese fünf Staaten und ihre Bemühungen ernst nehmen, müssen wir allen helfen, wenn die Voraussetzungen dafür geschaffen sind.
Unsere Stiftung zum Beispiel hat ihre Partnerorganisation in Nicaragua gehabt. Deshalb frage ich: Weshalb sollen die Gespräche nicht beginnen? Ihre Partner können das gleiche tun. Dann werden wir alsbald sehen, ob wir mit der offiziellen Entwicklungshilfe noch zuwarten sollten, aber ob wir nicht doch beginnen sollten, die Zusammenarbeit zwischen den Stiftungen und ihren Partnerorganisationen nach entsprechenden Vorgesprächen wieder in Gang zu setzen. Meine Damen und Herren, ich glaube nämlich nicht, daß unsere Entwicklungshilfe für Guatemala und El Salvador auch in total demokratische Länder geht. Das können wir doch gar nicht sagen, und folglich bin ich der Meinung, daß hier alle Staaten mit der gleichen Elle gemessen werden müssen. Diese Elle müssen wir jetzt neu anlegen, und dazu ist die FDP entschlossen.
Meine Damen und Herren, meine Redezeit geht zu Ende. Ich glaube doch, zusammenfassend sagen zu können - aus den Beiträgen wurde das ja auch deutlich - , daß es in den zentralamerikanischen Staaten erkennbar Zeichen der Einsicht, der Vernunft und damit auch der Hoffnung gibt. Daß der Friedensprozeß in Gang gekommen ist, ist ein großer Fortschritt, auf den wir noch vor Jahresfrist kaum zu hoffen wagten. Allen, die daran beteiligt sind und sein werden, schulden wir unseren Respekt und unsere Hochachtung.
Meine Damen und Herren, wir kennen die Risiken, wir wissen, daß die Gefahr des Scheiterns nicht gebannt ist. Eben deshalb müssen wir von unserer Seite aus alles tun, um den in Gang gekommenen Prozeß zu unterstützen. Hierbei sollten Regierung und Opposition, wenn auch sicherlich mit unterschiedlichen Nuancen, doch unbedingt zusammenarbeiten, denn wir alle sitzen hier als Europäer und als Weltbürger in einem Boot.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Holtz.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Gegen die Einflußnahme von außen hat es in Mittelamerika immer und immer wieder Auflehnungsversuche gegeben, Versuche, autonom über den eigenen Entwicklungsweg entscheiden zu können. Das entscheidend Neue beim Friedensplan von Esquipulas ist, daß die Regierungen der betroffenen Länder auf Anregung und Betreiben des Präsidenten von Costa Rica, Oscar Arias, einen Plan erarbeitet und unterzeichnet haben, der unübersehbar für die ganze Welt - nicht nur für die USA - den Willen der betroffenen Staaten der Region beweist, die Lösung ihrer regionalen Krise und ihrer Konflikte selbst in die Hand zu nehmen.
Die Sicherheitsinteressen der Vereinigten Staaten werden dadurch nicht negativ berührt. Im Gegenteil, eine Lösung der sozialen und politischen Konflikte in Mittelamerika wäre mittel- und langfristig für die Vereinigten Staaten eine Entlastung.
Der Friedensplan hat allerdings keine Chance, wenn die USA ihre Unterstützung verweigern. Zu Recht hat sich deshalb der SPD-Partei- und -Fraktionsvorsitzende Hans-Jochen Vogel an Präsident Reagan mit der dreifachen Bitte gewandt, den Friedensplan mitzutragen, die regierungsfeindlichen Contras zur Einstellung der Kriegshandlungen aufzufordern und die finanzielle Hilfe für die Contras zu beenden. Bitte, schließen Sie von der CDU/CSU-Fraktion sich doch dieser Bitte an! Das wäre ein Beitrag auch zum Friedensprozeß.
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Offensichtlich stehen die Mehrheit der US-Bevölkerung und auch eine Mehrheit im US-Kongreß nicht mehr hinter der Zentralamerika-Politik des Präsidenten und seiner Administration. Besonders diese Tatsache scheint Reagan in den letzten Tagen zum Einlenken bewogen zu haben. Auch wir begrüßen dies.
Der Antrag der GRÜNEN enthält zwar Bedenkenswertes, berücksichtigt allerdings nicht die neuesten Entwicklungen. Es wird etwa formuliert, der Regierung der Vereinigten Staaten sei die Friedensinitiative zuwider. In einigen zentralen Fragen weist der Antrag in die falsche Richtung. So wird gefordert, die wirtschaftliche Zusammenarbeit beispielsweise mit Honduras einzustellen, solange bestimmte Voraussetzungen nicht gegeben sind. Gerade im Falle Honduras ist die finanzielle Abhängigkeit von den USA besonders groß. Wer den außenpolitischen Handlungsspielraum für Honduras im Sinne von Esquipulas erweitern will, darf auch Honduras nicht isolieren.
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Direkt oder indirekt sind die fünf Staaten Zentralamerikas mit revolutionären Befreiungsbewegungen konfrontiert, die zunehmend gewalttätig - der Christdemokrat Napoleon Duarte spricht von der „cultura de la violencia ", von der Kultur der Gewalt in der Region - die bestehenden verkrusteten Herrschafts- und Besitzstrukturen aufbrechen wollen. Diese Strukturen sind das Ergebnis eines langwierigen Entkolonialisierungsprozesses, der trotz großer Unterschiede in einigen Grundzügen in diesen Ländern ähnlich verlaufen ist. In der gesamten Region ist es nach der Unabhängigkeit der Staaten von der spanischen Kolonialmacht nicht zu einer breitenwirksamen, sozial ausgewogenen Entwicklung gekommen. Das sind in der Tat die eigentlichen Ursachen. Es ist nicht etwa sowjetisches Eingreifen oder Steuern von Moskau aus, sondern es liegt an den ungerechten Strukturen in den Ländern selbst, daß es zu diesen Bewegungen gekommen ist.
Einige knappe Anmerkungen zu einigen Staaten in bezug auf Esquipulas.
Unsere besondere Sympathie gehört dem Land Costa Rica. Allerdings fühlt sich Costa Rica durch die enorme Verschuldung, durch enorme wirtschaftliche, soziale Schwierigkeiten auch sehr in der politischen Stabilität bedroht. Aber dennoch hat Costa Rica die wenigsten Schwierigkeiten, die Vereinbarungen von Esquipulas zu erfüllen.
Ganz anders in El Salvador, wo sich übrigens seit dem Präsidentschaftsantritt Duartes nicht viel grundlegend geändert hat. Dort muß noch vieles getan werden, um Esquipulas zu verwirklichen.
Daß Nicaragua seit 1979 einen unabhängigen Weg einzuschlagen versucht hat, der weder kapitalistisch noch kommunistisch geprägt ist, paßt nicht in die Sichtweise vieler Menschen. Der eigentliche Kern des Streites um Nicaragua liegt in der Tatsache, daß dieses Modell ansteckend wirken könnte; denn auch in den anderen zentralamerikanischen Ländern sind soziale Reformen längst überfällig. Die Gefahr, daß auch die sandinistische Revolution eines Tages ihre Ziele: demokratischer Pluralismus - das nenne ich an erster Stelle; wie die Sandinisten übrigens auch -, gemischte Wirtschaftsordnung und Blockfreiheit fressen könnte, ist nicht beiseite zu schieben. Aber gerade jetzt ist festzustellen: Der Prozeß ist offen.
Wir wollen, daß Nicaragua frei von Druck von außen und auf Grund einer autonomen Willensentscheidung seinen Weg gehen kann. Wir wollen, daß es die Reformen zu Ende führt, die für seine gedeihliche demokratische und soziale Entwicklung notwendig sind. Fehlentwicklungen der Vergangenheit bedürfen der Korrektur bzw. sind bereits korrigiert worden. Nicaragua braucht bei der Durchsetzung und Fortführung seiner Reformen unsere nachhaltige Unterstützung. Deshalb darf Nicaragua von den Problemländern Zentralamerikas nicht isoliert werden. Es darf keine Diskriminierung geben. Es muß ermutigt werden und nicht entmutigt werden. Was Esquipulas angeht, ist es den weitesten Weg von den Problemländern Mittelamerikas gegangen.
Der liberale nicaraguanische Oppositionsführer Virgilio Godoy meinte noch im September, die Sandinisten hätten den Test, ob sie es ernst meinten mit dem Friedensabkommen, noch nicht bestanden. So sei „La Prensa" weiterhin geschlossen. Ähnlich klang es am 25. Juni hier im Bundestag anläßlich der Aktuellen Stunde zu „La Prensa" , die von Ihnen beantragt worden war. Der Test wäre demnach bestanden. „La Prensa" ist jetzt zugelassen.
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„La Prensa" verspritzt eine Menge Gift - das wissen Sie auch - , und leider trägt „La Prensa" zuwenig zum Frieden bei. Aber dennoch sind wir für die Pressefreiheit. Wir sind dafür, daß „La Prensa" weiter erscheinen kann, selbstverständlich ohne Zensur. Ich sage
nur: Damit ist ein wichtiger Test, den Sie damals hier angemahnt haben, immerhin erfüllt.
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- Haben sie in den anderen Ländern Pressefreiheit? Da sind genauso Sender geschlossen. Deshalb sage ich nochmals, was auch unsere Kollegin Hamm-Brücher bereits dargestellt hat: Wir wollen nicht mit zweierlei Maß messen.
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Bundesminister Klein erklärte in einem Interview der „Frankfurter Neuen Presse", daß wir in dem Augenblick, wo der sogenannte Arias-Plan anerkannt und von allen Beteiligten in die Wirklichkeit umgesetzt worden sei, sofort in die Lage kommen, auch die staatliche Zusammenarbeit mit Nicaragua wieder aufzunehmen. Eine vorzeitige Aufnahme der Beziehungen könne der sandinistischen Regierung jedoch das Gefühl geben, sie brauche den Plan nicht voll zu erfüllen.
Nein! Gerade jetzt, lieber Herr Staatssekretär, liebe Bundesregierung, ist es nötig, daß dieser Prozeß unterstützt wird. Entwicklungspolitische Zusammenarbeit ist immer Risikokapital, das gegeben wird. Wir wissen, daß Projekte scheitern können, daß sie auch gut sein können. Aber im Falle Nicaraguas bitte ich, nicht anders zu entscheiden als bei den zentralamerikanischen Ländern und als bei den Staaten Lateinamerikas, die jetzt eine Phase der Redemokratisierung durchlaufen.
Unterstützen Sie doch auch das demokratische Pflänzchen, das in Nicaragua, in den Oppositionsparteien und in der sandinistischen Partei vorhanden ist. Dies wäre wirklich ein Beitrag zur Festigung der Ziele, die sich Nicaragua selbst gesetzt hat, nämlich demokratischen Pluralismus zu verwirklichen. Bitte, stimmen Sie deshalb auch unserer Forderung zu: Die entwicklungspolitische Zusammenarbeit muß massiv wiederaufgenommen werden - jetzt.
({5})
Zum Abschluß: Der ehemalige venezolanische Außenminister Calvani hat gerade zu dem Problem „Demokratie in der Dritten Welt" Bedenkenswertes gesagt; ich möchte das zitieren:
Wir wissen genau, daß man die Demokratie nicht innerhalb von 24 Stunden errichten kann, son-dem daß es dazu zunächst einmal unerläßlich ist, die notwendigen ökonomischen, sozialen, kulturellen und, nicht zu vergessen, politischen Voraussetzungen zu schaffen, damit die Demokratie schließlich Wirklichkeit werden kann als politisches System, als strukturelles Gebilde, aber auch als Lebensform.
Bitte überdenken Sie in den Regierungsfraktionen noch einmal unseren Antrag, unser politisches Wollen. Beraten Sie es noch einmal, um sich dann zu einem positiven Votum durchzuringen. Dies würde auch der Bundesrepublik sehr gut anstehen.
Besten Dank.
({6})
Das Wort hat der Herr Staatsminister Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum erstenmal erscheint in Zentralamerika eine politische Lösung in greifbare Nähe gerückt. Der Friedensplan von Guatemala tritt in seine Bewährungsphase. Seit August - das hat Herr Kollege Wischnewski hier sehr eindringlich dargestellt - ist mehr in Bewegung geraten, also noch vor einiger Zeit manche Zweifler hatten glauben wollen. Aber wir dürfen andererseits auch nicht sagen: Es ist alles schon in bester Ordnung, sondern die Dinge sind erst in Bewegung, und eine ganze Reihe der Bestecken Ziele ist noch nicht erreicht.
Noch gibt es keinen Waffenstillstand in Nicaragua und in El Salvador. Ich glaube, wir sollten von dieser Stelle aus an alle Bürgerkriegsparteien appellieren, an die Contras wie an die Sandinisten, an die linke Guerilla in Salvador wie an die Regierung, alles zu tun, um die Chance zu einem solchen Waffenstillstand wirklich zu nutzen.
Meine Damen und Herren, es geht noch immer darum, zu friedlichen Formen der politischen Auseinandersetzung in diesen Ländern im Rahmen demokratischer Auseinandersetzung in diesen Ländern im Rahmen demokratischer Verfassungen zurückzufinden, damit endlich die immensen wirtschaftlichen und sozialen Probleme dort gelöst werden können, die letztlich auch - und das ist hier mehrfach gesagt worden - Grund für die Auseinandersetzungen waren.
Herr Kollege Volmer, wenn Sie hier - Frau Kollegin Hamm-Brücher hat das dankenswerterweise schon kommentiert, besser, als ich das je könnte - Ihre Schwarzweißpolemik vortragen, muß ich Ihnen sagen: Sie erinnern mich bei Ihrer Schelte der Kritiker Nicaraguas ein bißchen spiegelbildlich an diejenigen, die die Entwicklung in Nicaragua immer auf die sogenannte geopolitische Strategie der Sowjetunion zurückgeführt haben, die nichts anderes vorhabe, als von Nicaragua aus über Mexiko die Vereinigten Staaten nun endgültig mit einer Revolution zu überziehen. Es klingt genauso naiv. Wir sollten uns doch auf beiden Seiten des Spektrums bemühen, ein bißchen sachlicher miteinander zu diskutieren.
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- Was Sie hier zum Kapitalismus gesagt haben, kommt mir doch vor wie aus der Frühzeit der Beurteilung des Kapitalismus. Ich glaube nicht, daß das der Entwicklung wirklich entspricht. Wenn Sie Nicaragua so gut kennen wie auch ich, wissen Sie: Was wollen Kapitalisten aus Nicaragua eigentlich viel holen? Ich glaube, das ist nun wirklich eine furchtbar hergeholte Vorstellung.
Meine Damen und Herren, es kommt jetzt darauf an, den Friedensprozeß zu sichern. Die vom Leid der Kriege und wirtschaftlicher Not geplagten Menschen der Region haben neue Hoffnung geschöpft. Sie haben ein Recht darauf, daß endlich Frieden eintritt, daß nicht mehr ideologische Auseinandersetzungen ihre Existenz bedrohen, von denen sie längst viel weniger halten als die GRÜNEN. Fragen Sie mal bitte die Bürger von Nicaragua, welche Begeisterung die über die
ideologischen Auseinandersetzungen ihrer Spitze empfinden. Sie werden keine Begeisterung mehr finden.
Noch vor Jahresfrist beherrschte Ratlosigkeit die Szene. Die Contadora-Initiative stagnierte. In dieser Phase, im Februar 1987, fand das dritte Treffen der europäischen und zentralamerikanischen Außenminister in der Reihe der San-José-Konferenzen statt, diesmal in Guatemala. Ich glaube, es hat auch eine Rolle gespielt, die Zentralamerikaner wieder an einen Tisch zu bringen. Das sollten wir nicht geringschätzen. Insofern stimmt es, was Herr Wischnewski gesagt hat: Man braucht politische Unterstützung Europas. - Aber die ist ja geleistet worden.
Meine Damen und Herren, es ist kein Zufall, daß kurz nach diesem Treffen der Präsident von Costa Rica mit seiner Friedensinitiative hervorgetreten ist und daß er damit einen Weg eingeschlagen hat, den wir seit langem für den politisch einzig richtigen gehalten haben, nämlich aus der Region heraus den Frieden herzustellen und es nicht den Supermächten zu überlassen, durch diese oder jene Intervention die Entscheidung herbeizuführen. Es ist allerdings lange Zeit, so meine ich, von vielen nicht erwartet worden, daß diese kleinen Staaten in der Lage wären, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Sie haben es getan, und sie haben einen erstaunlichen Fortschritt erzielt, den wir heute ganz klar feststellen müssen.
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Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat diese Initiative schon sehr früh unterstützt. Schon im April, als manche noch zweifelten, hat sich Bundesminister Genscher in Zentralamerika für den Plan eingesetzt. Er war der erste, der mit dem damals noch zögernden Präsidenten von El Salvador Gespräche geführt hat. Ich erinnere mich an mein Gespräch mit Herrn Duarte hier, als er noch nicht entschlossen war, an der Konferenz der Präsidenten teilzunehmen. Es war eine politische Leistung - Herr Wischnewski, Sie und die SPD haben mitgewirkt, auch die CDU; das wird hier nicht bestritten - , daß Herr Duarte hinging, daß es zu dieser Konferenz gekommen ist.
Meine Damen und Herren, der bisher erreichte Erfolg bestätigt die Richtigkeit des von Präsident Arias gefundenen Konzepts. Der entscheidende Schritt der Einigung der fünf Staatspräsidenten am 7. August, einen Friedensplan mit konkreten Zeitvorgaben zu verabschieden, hat diese ganz entscheidende Entwicklung eingeleitet. Wir müssen hier auch feststellen: Es sind beachtliche Schritte in Richtung dieses Friedensplans geleistet worden, von allen Seiten.
Wenn Sie, Herr Volmer - Sie schütteln schon wieder den Kopf - , El Salvador vorwerfen, die täten nichts: Ich bekomme in diesem Augenblick eine Tikker-Meldung, aus der hervorgeht: In El Salvador sind gerade 427 politische Gefangene freigelassen worden. In Anwesenheit der Versöhnungskommission, des Komitees für politisch Gefangene in El Salvador und des Justizministers haben die Angehörigen diese
fast fünfhundert freigelassenen Gefangenen begrüßt.
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Auch das ist eine entscheidende Leistung.
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- Herr Volmer, wer hat denn den Waffenstillstand in El Salvador gebrochen?
({4})
Wer hat denn die Ermordung des Menschenrechtskommissionsvorsitzenden zum Alibi genommen - so fürchte ich - , um den Kampf fortzusetzen? Wir haben diese ungeheuerliche Tat verurteilt. Aber wir können nicht verstehen, daß die Guerilla diese Tat zum Anlaß nimmt, den bewaffneten Kampf fortzusetzen. Die Regierung ist weiterhin bemüht, den Waffenstillstand zu halten. Das müssen Sie Ihren Freunden in Salvador sagen. Im übrigen müssen Sie wissen, daß wir im Augenblick sehr bemüht sind - die Verhandlungen laufen - , sowohl Ungo wie Zamora ins Land zurückzubekommen. Auch hier sind politische Bemühungen im Gange. Wir hoffen, daß sie erfolgreich sein werden.
Meine Damen und Herren, kommen wir zu Nicaragua. Hier möchte ich sagen: Natürlich kann kein Mensch bestreiten, daß die Regierung von Nicaragua einige ganz beachtliche Schritte unternommen hat. Einige wurden bereits aufgezählt. Es wäre Unsinn, das hier zu leugnen.
Besonders wichtig erscheint mir die Einrichtung der Versöhnungskommission, und zwar nicht nur einer nationalen Versöhnungskommission, sondern regionaler Versöhnungskommissionen, an deren Spitze Priester der katholischen Kirche stehen, und zwar nicht der etwas umstrittenen Form von Kirche, wie es sie in Nicaragua gibt.
Meine Damen und Herren, es ist sicher richtig, daß die neuesten Vorschläge des Präsidenten Ortega dazu geführt haben, daß die amerikanische Regierung nunmehr bereit ist, darauf zu verzichten, ihren Antrag im Kongreß auf mehr als 200 Millionen Dollar Unterstützung für die Contras zu stellen, und zwar bis Januar. Das heißt, sie gibt dem Prozeß eine Chance. Also: Auch in den Vereinigten Staaten ist Bewegung eingetreten. Man kann nicht davon sprechen, daß hier gar nichts geschehe, sondern wir können froh sein, daß man gerade in Washington erkannt hat: Es gibt hier eine echte Chance.
Aber wir dürfen natürlich nicht vergessen, daß es in Nicaragua auch eine innere Opposition gibt, die uns vor einigen Monaten eine Sieben-Punkte-Forderung überreicht hat und die vor allen Dingen auf freie Wahlen als Test setzt. Nun ist das im Esquipulas-Plan nicht vorgesehen. Aber 1988 stehen Gemeindewahlen in Nicaragua an und die bereits von Herrn Wischnewski dargestellte Wahl zu einem Zentralamerikanischen Parlament. Das heißt mit anderen Worten: Diese beiden Wahlen sind Testfälle auch für die nicaraguanische Regierung, ihrer inneren Opposition die gleichen
Chancen zu geben, die die Sandinisten für sich beanspruchen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten auch diesen Prozeß nachhaltig unterstützen. Die nächsten nationalen Wahlen finden dann 1990 statt. Hier ist es vielleicht gar nicht mehr nötig, daß internationale Beobachter hinfahren, wenn bis dahin der Friedensprozeß sinnvoll abgeschlossen wird.
Es ist richtig, wenn hier gesagt worden ist, die Europäische Gemeinschaft muß angesichts dieser Entwicklung noch mehr tun. Es ist darauf hingewiesen worden, daß schon jetzt bei der Sitzung, die Ende Februar 1988 in Hamburg stattfinden wird - der nächsten Konferenz, die sich mit diesem Thema befassen wird - , im Rahmen der deutschen Präsidentschaft weitere Maßnahmen überlegt werden müssen, Herr Kollege Wischneswki, wirtschaftliche Maßnahmen der Europäer, die kein Land in Zentralamerika ausschließen dürfen. Wir haben immer gesagt: die Europäische Gemeinschaft wird die gesamte Region unterstützen. Wir haben dabei auch Nicaragua seitens der Europäischen Gemeinschaft nicht außer acht gelassen.
({5})
Ihre Forderung nach bilateraler Entwicklungshilfe ist mir natürlich bewußt. Es ist ja ganz klar geworden - selbst der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, den Sie in diesem Zusammenhang gelegentlich besonders heftig attackieren, hat das in einem Interview angedeutet; ich kann das nur bestätigen - : In dem Augenblick, in dem die Bewertung des bis zum Fristenablauf Erreichten durch die Verifizierungskommission, die von Esquipulas II eingesetzte vorliegt, und damit das Urteil der Region feststeht, haben wir den Maßstab für unsere eigenen Schritte. Wir können im Augenblick nicht, mitten in einem Prozeß, der überhaupt noch nicht abgeschlossen ist, bereits eine Maßnahme beschließen, die ja erst sinnvoll unternommen werden kann, wenn der Prozeß zu Ende geführt ist und wenn feststeht, daß das, was im Plan vorgesehen ist, auch restlos ausgeführt worden ist. Das ist die zeitliche Abfolge. Eine frühere Aufnahme von Entwicklungshilfe wäre angesichts des bisher Erreichten noch nicht zu vertreten. Aber es geht ja nur noch um wenige Monate. Ich glaube, es kommt jetzt entscheidend darauf an, daß diese Monate von der Regierung Nicaraguas, aber auch von den anderen genutzt werden, damit wir in die Lage versetzt werden, selbstverständlich auch die bilaterale Entwicklungshilfe wiederaufzunehmen. Das ist die Zielsetzung. Wir haben keine Veranlassung, ein System, das uns in vielem nicht gefällt und das wahrscheinlich am Ende dieses Prozesses auch nicht verschwinden wird, nicht zu unterstützen, wenn es die demokratischen Prinzipien einhält. Die Pluralität, freie Wahlen, die gemischte Wirtschaft, all diese Fragen
({6})
- entschuldigen Sie bitte -- werden von uns in Rechnung gestellt. Ich glaube aber, Herr Volmer, Sie wissen ganz genau - ich empfehle Ihnen immer wieder: Sprechen Sie doch bitte einmal mit der demokrati2586
Staatsminister Schafer
schen Opposition in Nicaragua, statt sich ständig mit den Amerikanern auseinanderzusetzen - , was die Opposition von den von Ihnen so ungeheuer gelobten Herren dort hält. Wir warten darauf, daß der Friede in der Region hergestellt wird. Wir warten darauf, daß die sandinistische Regierung nicht nur bei ihren bisherigen Schritten bleibt, sondern daß sie die Aufgaben erfüllt, die ihr vorgegeben sind. Dann sehe ich keinen Hinderungsgrund mehr, Entwicklungshilfe zu geben.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es gibt gewisse Gemeinsamkeiten, die alle im Bundestag vertretenen Parteien wohl akzeptieren. Zu diesen Gemeinsamkeiten gehört, daß in Mittelamerika eine besondere Situation vorhanden ist, daß diese Situation, die sich aus inneren Entwicklungsfragen, z. B. der vorherrschenden Armut, ergeben hat, dabei eine Rolle spielt, daß darüber hinaus geopolitisch und geostrategisch eine Überlagerung von Interessen vorhanden ist, bei denen auch Großmächte eine Rolle spielen.
Es besteht wahrscheinlich weiter Einigkeit darüber, daß man davon ausgeht, daß sich die fünf Länder, besser: die sechs Länder - nehmen wir noch Panama dazu, weil ja die Situation dort in Bewegung geraten ist - , bemühen, aus sich selbst heraus Frieden zu schaffen. Die Zeiten sind ja vorbei, wo mit dem „big stick" , wie es Teddy Roosevelt formuliert hat, vor vielen Jahrzehnten im Hinterhof der Vereinigten Staaten sozusagen für Ordnung gesorgt werden konnte. Das Weltbild, das z. B. ein Mann wie Herr Volmer vertritt, ist immer noch das Weltbild des sogenannten Compradoren-Kapitalismus, den schon Karl Marx als weitgehend überwunden betrachtet hat.
Nach dem, was Herr Volmer heute gesagt hat, hat man immer wieder den Eindruck - das klingt auch ein bißchen bei sozialdemokratischen Äußerungen mit -, daß man in erster Linie z. B. zwar über Nicaragua diskutiert, sich aber an den Vereinigten Staaten reiben will. Die Vorwürfe gegen die Vereinigten Staaten und gegen den Internationalen Währungsfonds, um darauf hinzuweisen, daß in Nicaragua eine katastrophale Lage vorhanden ist und daß diese internationalen Institutionen, die EG oder die Vereinigten Staaten schuld sind, sind lediglich ein Versuch, von den inneren Problemen Nicaraguas abzulenken;
({0})
denn die wirklichen Ursachen, lieber Herr Volmer, bestehen doch darin, daß die Repression des SomozaRegimes durch eine Repression der Sandinisten ersetzt wurde, obwohl ein großer Teil der Bevölkerung etwas anderes erwartet hat.
({1})
- Nein, nein. Ich will Ihnen sagen, warum ich Ihnen
das gesagt habe. Es steht in einer Zeitung der K-Gruppen. Da haben Sie große, erfahrene Leute in Ihrer Fraktion. Das ist kein Organ des ,,Bayern-Kuriers". Das heißt, Sie können es lesen. Subversion ist ein Gebiet, auf dem Sie Erfahrung haben.
({2})
Hier war es eine der vielen K-Gruppen. Da hat man die Übersicht schon verloren. Bei Ihnen in der Fraktion hat man gar nicht mehr die Übersicht, welcher der verschiedenen Gruppen Sie hier im einzelnen angehören oder woher Sie gekommen sind. Die schreiben,
({3})
daß es für die heute herrschenden Kräfte in Managua nur eine Ausrede ist, auf die Vereinigten Staaten und andere zu zeigen, während sie selbst schuld sind, daß sie diese Verhältnisse dort heute haben.
Wenn ich Ihre beiden Anträge in die Hand nehme, so bin ich schon sehr verwundert, was da im einzelnen drinsteht. Da sollte man zuhören, weil das auch innenpolitisch interessant ist. Die GRÜNEN finden ein Beharren auf einem Dialog als friedensgefährdend. Das ist eine interessante Formulierung.
({4})
Verharren auf Dialog ist friedensgefährdend. Sie müssen die letzte Zeile Ihres Antrags lesen!
Oder: Unter A, Punkt 3 - ich sage es Ihnen genau, damit Sie das finden können; Sie müssen das grüne Papier nehmen, Sie haben das falsche Papier, Herr Volmer - steht z. B.: Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf - das ist Ihr Antrag - , daß Propaganda für die Contras in Wort und Tat in der Bundesrepublik verhindert werden sollen.
({5})
Sie wollen Verbote, Sie wollen Zensur. Sie wollen das, was Totalitäre in anderen Ländern durchführen, auch in unserem Land einführen.
({6})
Lieber Herr Volmer, in Ihrem Antrag - jetzt kommen wir wieder zum weißen Papier - steht drin: Die Bundesregierung wird aufgefordert,
die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Nicaragua umgehend und bedingungslos wieder aufzunehmen, weil in diesem Land ein hoher Standard in der Wahrung der Menschenrechte herrscht .. .
Herr Volmer, es wären 200 000 politische Gefangene bei uns in der Bundesrepublik, wenn man die Größenordnungen Nicaraguas auf die Bundesrepublik übertragen würde;
({7})
denn 9 000 entsprechen bei unserer Größenordnung 200 000. Stellen Sie sich das einmal vor! Diese Zahl von politischen Gefangenen gibt es in Nicaragua noch heute.
({8})
Es gibt in Nicaragua Volksgerichte. Es gibt in Nicaragua ein Blockwartsystem. Es gibt die sogenannten Turbas devinas; Sie würden es vielleicht Turbas verdes nennen. Man könnte sie im einzelnen als grüne Schlägerkommandos darstellen; ähnlich den schwarzen Blocks, die wir aus den Demonstrationen auch in der Bundesrepublik kennen.
({9})
Das ist ein Tatbestand in diesem Lande.
Wenn man sagt, die Regierung in Managua hat Fortschritte gemacht, dann begrüße ich das.
({10})
Ich begrüße, daß z. B. die Zeitung „La Prensa" wieder erscheint. Nur weiß ich, daß 92 Rundfunksender und Magazine geschlossen worden sind. Zwei sind wieder geöffnet worden: „La Prensa" und Radio Catolica. Es heißt, die Priester dürfen wieder zurückkehren. 20 sind ausgewiesen worden, 3 durften wieder zurückkehren. Es sind halbe Handlungen, die hier vorgenommen werden. Es sind richtige Schritte in die richtige Richtung.
Zu einem Zeitpunkt, wo solche Schritte unternommen werden, muß es unser Interesse sein, diese Bestrebungen zu stärken. Die stärken wir aber nur dann, wenn wir sagen: Ihr dort in Managua müßt bereit sein, den rechten Weg zur Demokratisierung weiterzugehen, ihr müßt bereit sein, das Gespräch auch mit den Contras zu führen; dann ist der Zeitpunkt gekommen, wo wir euch auch im Bereich der Entwicklungshilfe helfen können. - Das hat übrigens auch Präsident Arias gesagt. Ich bitte, das also nicht zu vergessen.
({11})
Er war der Meinung, daß z. B. das, was manche Sozialdemokraten hier in Europa getan haben, nämlich sich so sehr für die Sandinisten in Managua einzusetzen, fast so etwas wie ein Ehebruch gegenüber den wirklichen demokratischen Sozialdemokraten etwa in Costa Rica darstellt.
Herr Abgeordneter, Sie gestatten? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Holtz.
Danke schön, Herr Kollege Müller.
Meinen Sie nicht, daß man im Falle Nicaraguas die ersten richtigen Schritte genauso begrüßen, fördern und unterstützen sollte, wie das im Falle der Türkei in den letzten Monaten, ja Jahren durch die Bundesrepublik geschehen ist?
Lieber Herr Kollege Holtz, ich glaube, wir sind uns alle darüber klar, daß die Türkei nicht mit Nicaragua zu vergleichen ist. Die Türkei war nie in einem Zustand, wie er in Nicaragua vorhanden ist. Sie kennen die Debatten aus der Parlamentarischen Versammlung des Europarates sehr gut. Ich glaube, wenn Sie darüber nachdenken, werden Sie mir zustimmen.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Volmer?
Ja.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Volmer.
Herr Müller, ist Ihnen bekannt, daß der Dialog mit den Contras, den Sie fordern, in dem Abkommen Esquipulas II ausdrücklich nicht vorgesehen ist und daß der Dialog, den Sie vorhin zitiert haben und den wir angeblich nicht wollen, genau der Dialog ist, der von den Contras illegitimerweise eingefordert wird?
Ich kann Ihnen nur eines dazu sagen: Wenn Sie tatsächlich den Frieden in Mittelamerika wollen - vielleicht wollen Sie ja auch etwas anderes ({0})
- Frau Wieczorek, Sie waren nicht gemeint, aber wenn Sie sich anschließen wollen, dann liegt das bei Ihnen; ich rede jetzt mit den GRÜNEN -, Herr Volmer, dann ist doch völlig klar, daß ein Dialog auch mit den Contras möglich sein muß, wer immer darunter zu verstehen ist. Sie wissen ganz genau, daß dazu verschiedene Gruppen gehören, u. a. viele, die hohe Positionen bei den Sandinisten hatten und über den Verrat der Revolution enttäuscht sind. Das wissen Sie ganz genau.
({1})
- Ich stehe natürlich auf der Basis des Arias-Planes. Arias selbst hat gesagt - Sie werden ihn doch nicht widerlegen wollen; ich kann Ihnen die Zitate vorlesen - , daß dieser Dialog notwendig ist, wenn wir wirklich Frieden in Mittelamerika haben wollen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen.
({2})
Ich bin der Meinung, daß das, was unangenehm ist, natürlich bei einigen, wie der Beifall beweist, nicht gern gehört wird. Aber trotzdem muß es ausgesprochen werden, weil die Einseitigkeit in der Beurteilung der Situation in Mittelamerika uns tatsächlich zu denken geben muß.
Ich habe viele Gespräche mit Mitgliedern der spanischen Regierung geführt, die ja in der Sozialistischen Internationale eine gewisse Rolle spielt und die sich große Sorgen gerade über die deutschen Sozialdemokraten macht, daß sie zu sehr auf Berührung mit den Sandinisten gegangen sind. Es hätte dem Prozeß wahrscheinlich mehr gedient, wenn man in diesem Fall mehr Distanz gehalten hätte.
Ich will etwas Versöhnendes zum Schluß sagen. Ich hoffe, daß da alle zustimmen können. Unsere Position
sollte die Position sein, die unser Bundespräsident vertreten hat, als Herr Präsident Arias bei uns in der Bundesrepublik zu Besuch war. Er sagte in seiner Rede:
Wir haben ein elementares Interesse daran, daß die Region zum Frieden zurückfindet und wirtschaftlich und sozial gesundet.
Das soll unser Ziel sein. Über den richtigen Weg dorthin mögen wir als Demokraten streiten.
({3})
Bevor ich der Abgeordneten Frau Wieczorek-Zeul das Wort gebe, möchte ich den Ausdruck, Herr Abgeordneter Volmer, den Sie benutzt haben, als unparlamentarisch zurückweisen.
Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Friedensprozeß in Mittelamerika unterstützen wir am besten, wenn wir - so hat es das Europäische Parlament in einer Resolution in seiner letzten Sitzungswoche zu Esquipulas ausgedrückt - „die einzige nichtmilitärische Alternative, die die gesamte Region umfaßt" , stabilisieren. Wir unterstützen sie am besten dadurch, daß wir jedem militärischen Ansatz eine Absage erteilen, wie es in der gleichen Resolution geschehen ist. Wir unterstützen den Friedensprozeß am besten dadurch, daß wir die amerikanische Regierung auffordern, die Unterstützung der Contras einzustellen. Dazu fordern wir sie heute auf. „Nichtmilitärische Alternative" heißt wirtschaftliche Hilfe. Von sofort an, im kommenden Haushaltsjahr 1988, muß die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Nicaragua ohne jede Vorbedingung wieder aufgenommen werden.
Herr Staatsminister Schäfer, nach allem, was Sie gesagt haben, habe ich eigentlich gedacht, daß Sie, da ja nun auch der Bericht der Kommission bereits am 5. Dezember ansteht, jetzt hier stehen und sagen: Wir nehmen die entsprechende Entwicklungshilfe und wirtschaftliche Zusammenarbeit wieder auf. Aber vielleicht kommt ja eine entsprechende Äußerung noch.
({0})
Im übrigen fordert meine Fraktion in dem Antrag, den sie vorgelegt hat, wirtschaftliche Hilfe für Nicaragua von 100 Millionen DM; denn das Land hat einen ungeheuren Nachholbedarf. In den letzten Jahren ist die Finanzhilfe von der Bundesregierung ja gestrichen worden. 100 Millionen DM für wirtschaftliche friedliche Zusammenarbeit - das ist die eigentliche Alternative zu den vom amerikanischen Präsidenten geforderten und vorerst nur aufgeschobenen 270 Millionen US-Dollar für militärische Aktionen der Contras.
Hans-Jürgen Wischnewski hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die sandinistische Regierung mehr als jede andere mittelamerikanische Regierung die Bedingungen von Esquipulas erfüllt. Dennoch werden von der US-Regierung - und es wird auch hier immer wieder getan - neue Forderungen nachgeschoben.
Es ist darauf hinzuweisen, daß es z. B. kein Teil des Arias-Planes war, einen direkten Dialog zwischen Sandinisten und Contras durchzuführen.
({1})
Dennoch sind die Sandinisten darauf eingegangen. Wie viele Forderungen wollen Sie noch stellen, bevor Sie jetzt wirklich Konsequenzen ziehen?
({2})
Es ist im übrigen erschreckend zu sehen, wie die amerikanische Regierung - unabhängig von dem, was sie nach außen sagt - unterschiedliche Kriterien bei der Bewertung der Einhaltung des Friedensplans in den einzelnen mittelamerikanischen Ländern anlegt. Wann hat es denn eine wirkliche Äußerung des Bedauerns und der Erschütterung über die Ermordnung des Vertreters der unabhängigen Menschenrechtskommission El Salvadors, Herbert Anaya, von der US-Regierung gegeben? Wo bleibt der Appell zur Respektierung von Menschenrechten in El Salvador? Statt dessen - darauf ist hinzuweisen, weil das Praxis ist - sind wieder 9,5 Millionen US-Dollar zusätzlich für die Ausrüstung „der Sicherheitskräfte" nach El Salvador von der amerikanischen Regierung geflossen. Das ist ein Teil der Ausrüstung, mit der „Sicherheitskräfte" foltern und andere Menschenrechtsverletzungen begehen.
Ich möchte an dieser Stelle derjenigen gedenken - ich habe sie gekannt - , die ihres humanitären Engagements wegen in El Salvador ermordert wurden: Herbert Anayas und auch seiner Vorgängerin Marianella Garcia. Sie ist im März 1983 von den Sicherheitskräften umgebracht worden, nachdem sie wieder ins Land eingereist war. Sie waren beide mutige Menschen. Wir sind es ihnen schuldig, mitzuhelfen, daß in El Salvador ihre Ideale der Demokratie endlich eine Chance erhalten.
In Honduras unterstützt die amerikanische Regierung den militärischen Teil gegen den zivilen Teil der Regierung. Das Land ist zu einem Flugzeugträger der USA in der Region und als Aufmarschgebiet der Contras ausgebaut worden. Zwar sind Schließungen von Büros der Contras angekündigt worden, aber niemand hat bisher gehört, daß Honduras die ContraAktionen gegen Nicaragua unterbunden hätte.
Alle diese Länder erhalten Finanzhilfen aus dem Bundeshaushalt, nur Nicaragua nicht. Hier wird mit einem erschütternd unterschiedlichen Maß gemessen, liebe Kollegen und Kolleginnen.
({3}) Erschütternd unterschiedlich!
Dabei hat die Bundesregierung - ich merke, manche, und zwar von verschiedenen Seiten, haben sehr wenig Information über das, was nun wirklich in der Europäischen Gemeinschaft passiert - hinter dem „Schutzschild" der Europäischen Gemeinschaft längst akzeptiert, daß Nicaragua unterstützt wird. Von 1979 bis heute sind über 600 Millionen EG-Gelder nach Mittelamerika geflossen, davon ein Drittel nach Nicaragua. Darüber wird ja im Ministerrat abgestimmt. Ich will, weil Unkenntnis bei manchen vorliegt, auch darauf hinweisen: In diesen Jahren, seit
1979, hat die EG-Hilfe in Nicaragua dazu beigetragen, Herr Volmer, daß die Alphabetisierung möglich war. Der Umstand, daß die Europäische Gemeinschaft ihre Politik so gemacht hat - Kooperationsabkommen - , hat z. B. für die Region die Chance bedeutet, eigenständiger zu werden.
({4})
Deshalb, denke ich, ist es wichtig, das differenziert zu betrachten. An die anderen Kollegen richte ich die Bitte und den Appell, aufmerksam die Tatsache zu registrieren, daß z. B. die Europäische Gemeinschaft bisher, bis zum letzten Jahr, nur Projekte in Nicaragua, Costa Rica und Honduras finanziert hat. In El Salvador und in Guatemala sind überhaupt nur die Nichtregierungsorganisationen finanziert worden. Der Grund: Die Menschenrechtsverletzungen in diesen Ländern. Es ist wichtig, auch das deutlich zu machen.
({5})
Im übrigen - das darf ich anmerken - sind die Mittel dort in Nicaragua etwa für Landreformen und für die vorhin angesprochene Alphabetisierungskampagne eingesetzt worden.
Die Bundesregierung hat im Ministerrat zugestimmt, daß im Rahmen des 1986 abgeschlossenen Kooperationsabkommens zwischen der EG und den Staaten Mittelamerikas die Mittel drastisch aufgestockt wurden. Auch in diesem Rahmen - darauf ist hinzuweisen - fließt ein Drittel der Mittel nach Nicaragua. Warum verweigert die Bundesregierung national und öffentlich in der Bundesrepublik das, was sie unter Ausschluß der deutschen Öffentlichkeit im EG-Rahmen längst akzeptiert hat? Sie befindet sich jedenfalls mit ihrer Position in der europäischen Isolation.
({6})
- Sie steht auch im Widerspruch mit sich selbst. Wenn sie diese Position durchhält, bleibt sie jedenfalls auch weit hinter der im US-Repräsentantenhaus vertretenen Position zurück.
Wir fordern von der Bundesregierung: Nehmen Sie die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Nicaragua wieder auf. Wenn der Bundesaußenminister als EG-Ratspräsident am 28. Februar und am 1. März 1988 das Treffen der mittelamerikanischen Augenminister mit den EG-Augenministern in Hamburg eröffnet, sollte er mitteilen können, daß die Bundesregierung keines der beteiligten Länder diskriminiert und daß Nicaragua finanziert wird.
({7})
Setzen Sie sich während der EG-Ratspräsidentschaft für eine drastische Aufstockung der Mittel im Rahmen des Kooperationsabkommens ein. Es ist nicht so, daß etwas Neues zu beschließen wäre, liebe Kolleginnen und Kollegen. 1984 wurde von den EG-Außenministern den mittelamerikanischen Ländern die Verdoppelung der bisherigen Finanzhilfe von 90 Millionen DM jährlich versprochen. Diese Verdoppelung hat bisher nicht stattgefunden. Meine Forderung ist, daß die deutsche EG-Ratspräsidentschaft dies einlöst, was sie selbst mit versprochen hat.
Folgen Sie der jüngsten Resolution des Europäischen Parlaments zum Arias-Plan. Darin wird der EG-Ministerrat aufgefordert, endlich die 240 Millionen DM, die den mittelamerikanischen Ländern für das Jahr 1987 versprochen wurden, zur Verfügung zu stellen. So wird der Friedensprozeß am besten gefördert. Im übrigen hat auch gerade der Haushaltssprecher der christdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament diese Forderung vertreten.
Die Bundesregierung hat jedenfalls die Chance, während des Mittelamerikatreffens Ende Februar in Hamburg ein Signal während der EG-Ratspräsidentschaft zu setzen.
Letztlich, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, bleibt festzustellen, daß die Gewalt in Mittelamerika - das ist hier mehrfach gesagt worden - strukturelle Ursachen hat: Unterentwicklung, durch die USA mit verhinderten Reformen, militärische, politische und soziale Unterdrückung, schreiende Ungerechtigkeit in der Folge kolonialer Abhängigkeit und der kolonialen Vergangenheit sind die Ursachen in Mittelamerika, die fortbestehen. Die bisherige Politik der amerikanischen Regierung hat diese Ursachen verschärft, und die Bundesregierung hat sich an dieser außenpolitischen Orientierung der US-Regierung orientiert. Unsere Politik muß - davon bin ich überzeugt - darauf zielen, diese Ursachen als allererstes zu beseitigen, und deshalb alle Reformen zu unterstützen, die auf grundlegende Veränderungen, auf Landreformen und gerechte Eigentumsverhältnisse in den Ländern Mittelamerikas abzielen.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hedrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist hier schon mehrmals zum Ausdruck gekommen, daß in den Vereinbarungen zwischen den fünf Präsidenten in Zentralamerika diese sich jeweils gegenseitig als Vertreter der legitimen Regierungen ihrer einzelnen Länder respektieren. Wenn wir dieses für die Regierungen zugrunde legen, dann müssen wir, wenn wir den Friedensprozeß in Zentralamerika wirklich fördern wollen, dies auch im Gegenzug für diejenigen gelten lassen, die in einer unbewaffneten und in einer bewaffneten Opposition zu ihren jeweiligen Regierungen stehen. Das heißt, wir dürfen keine Unterschiede z. B. zwischen der Guerilla in Guatemala, in El Salvador und in Nicaragua machen.
({0})
Das heißt auf deutsch: Es gilt auch für die Contras, daß sie in den Friedensprozeß einbezogen werden müssen. Weil die geschätzte Frau Kollegin Luuk gerade diese Zwischenbemerkung macht: Sie wird bestätigen können, daß in einem Gespräch, das wir selber vor knapp 14 Tagen mit dem Präsidenten Arias in San José hatten, Arias nachhaltig die Forderung erhoben hat, daß es nach seiner Einschätzung ohne eine di2590
rekte Verständigung zwischen den Sandinisten und den Contras keine friedliche Lösung geben wird, und daß er den Vermittler, der jetzt eingeschaltet wurde, und damit den indirekten Weg zwar als eine wichtige Maßnahme, aber auch nur als einen ersten Schritt in dieser Hinsicht bewertet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier ist in einer besonderen Weise die entwicklungspolitische Zusammenarbeit in den Vordergrund der Diskussion gerückt worden. Ich glaube, daß der Arias-Plan jeden einzelnen Staat, jede einzelne Regierung in die Pflicht nimmt, ob sie wirklich gewillt ist, den Friedensprozeß zu unterstützen. Ich bitte, mir hier die Bemerkung zu erlauben, daß ich die Verleihung des Friedensnobelpreises an Arias in diesem Zusammenhang für eine hilfreiche Maßnahme halte, weil nämlich damit auch deutlich gemacht wurde, daß der Versuch, den Staat mit der längsten demokratischen Tradition in Zentralamerika ständig zu diskreditieren und zu desavouieren, international abgeblockt worden ist. Das heißt, durch den Arias-Plan und durch den Friedensnobelpreis ist meines Erachtens auch die demokratische Tradition des Landes Costa Rica nachhaltig gewürdigt worden.
({1})
Ich bin der festen Überzeugung, daß jetzt doch ein wenig auch die Frente Sandinista in die Beweispflicht geraten ist; sie muß nämlich wirklich deutlich machen, ob sie den Prozeß, der jetzt eingeleitet ist, auch unterstützen will. Wir bestreiten doch gar nicht, daß eine Reihe von sehr begrüßenswerten Maßnahmen eingeleitet worden sind. Ich mache aber darauf aufmerksam: Zur Pressefreiheit gehört nicht nur das Drucken einer Zeitung; es gehört auch dazu, daß eine Zeitung verteilt werden kann. Das ist nicht in allen Teilen Nicaraguas von vornherein so sichergestellt, wie es wünschenswert wäre. Das gehört dazu. Radio „Catolica" ist beschränkt auf religiöse Nachrichten und auf Musik. Politische Nachrichten dürfen nur mit der Zustimmung des Innenministeriums veröffentlicht werden. Dies ist noch kein entscheidender Durchbruch für eine Meinungsfreiheit, was diesen Radiosender anbetrifft, ganz davon abgesehen, wie viele Radiostationen und Zeitungen es vorher gegeben hat.
(Wischnewski ({2})
Ich wiederhole: Wir begrüßen diesen Schritt, es ist aber erst der erste Schritt in die richtige Richtung, wie wir überhaupt jede Anstrengung begrüßen, die die Kontrahenten an einen Tisch bringt.
Ich möchte hier ausdrücklich unseren Respekt und unsere Anerkennung auch für die Bemühungen von Hans-Jürgen Wischnewski zum Ausdruck bringen, auf den es nach meiner Einschätzung mit zurückzuführen ist, daß letzten Endes Ortega bereit war, diesen indirekten Vermittler zu akzeptieren. Wir möchten Ihnen gegenüber hier unseren Dank zum Ausdruck bringen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte auch für uns noch einmal deutlich machen, daß wir die Initiative zu einem zentralamerikanischen Parlament nachhaltigst unterstützen, weil jede Maßnahme, die die Möglichkeit für die Bevölkerung in
allen fünf Ländern eröffnet, sich demokratisch zu äußern, eine begrüßenswerte Maßnahme ist.
({3})
Wenn Cerezo uns bittet, daß die Europäische Gemeinschaft, daß das Europäische Parlament - Herr Kollege Wischnewski, Sie haben auf das Europäische Parlament aufmerksam gemacht - finanzielle und technische Hilfe bei der Durchführung der Wahlen zum zentralamerikanischen Parlament gewähren, dann sollten wir als Europäer auf jeden Fall diese Maßnahme nachhaltigst unterstützen.
Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, Sie haben die EG in die Debatte gebracht. Man kann natürlich Ihre Argumentation umkehren; denn der Tatbestand, daß soviel Mittel seitens der EG gegeben worden sind, hat ja bisher leider nicht verhindern können, daß gerade am Anfang der 80er Jahre, als der große Pulk der Mittel geflossen ist, der Weg zu mehr Totalitarität in Nicaragua beschritten wurde. Das heißt: Geld allein macht es ja wohl nicht. Wir müssen schon darauf bestehen, daß sich die einzelnen Regierungen - ich sage: alle Regierungen, d. h. auch die Regierung in Managua - nachhaltig daran halten, nun auch demokratische Rechte zu gewähren. Die EG hat ja in den letzten Jahren, gerade in diesem Jahr, auch wieder sehr nachhaltig die Gewichte etwas verschoben. Wenn wir uns mittelfristig wieder dazu entschließen sollten, die bilaterale nationale Hilfe aufzunehmen, dann heißt das natürlich auch, daß sie ausgewogen sein muß. Die haushaltsmäßigen Voraussetzungen dafür haben wir geschaffen. Der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat seine Lateinamerikareserve von 80 Millionen DM auf 130 Millionen DM, also um 50 Millionen DM, aufgestockt. Das kann aber natürlich nicht heißen, daß alle diese Mittel nun möglicherweise nach Nicaragua fließen. Einige andere Länder haben Hilfe noch viel nötiger. Diese Länder haben sehr nachhaltig dokumentiert, daß sie gewillt sind, einen Demokratisierungsprozeß einzuleiten. Ein besonders positives Beispiel in diesem Zusammenhang ist für mich immer Guatemala gewesen.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Wieczorek-Zeul?
Ja, bitte.
Bitte schön, Frau Abgeordnete.
Da Sie die Finanzmittel im EG-Rahmen angesprochen haben und auch klar ist, daß diese Mittel nur mit Zustimmung der Bundesregierung fließen können, will ich Sie nur fragen, ob Sie nicht einen Widerspruch zwischen dem sehen, was von seiten der Bundesregierung im EG-Rahmen getan wird, und dem, was auf nationaler Ebene getan wird.
Ich will mich ganz freimütig dazu äußern. Ich glaube, es besteht in der Tat ein Unterschied, ob wir uns im Rahmen der EG für bestimmte Maßnahmen entscheiden oder ob wir entscheiden, bestimmte Dinge bilateral durchzuführen. Ich glaube, die Entscheidung innerhalb der EG kann
uns nicht daran hindern, bilateral auch durchaus andere Entscheidungen zu treffen.
({0})
- Ach, ich möchte hier mit großem Nachdruck zurückweisen, daß für alle Dinge, bei denen man meint, wir hätten Schwierigkeiten, die CSU verantwortlich gemacht wird. Wir haben sehr einheitlich darüber entschieden, und ich glaube, die damalige Entscheidung, die Maßnahme abzubrechen, war vernünftig. Diese Entscheidung ist ein Mosaiksteinchen neben vielen anderen gewesen, das dazu geführt hat, daß die Sandinisten bereit sind, einzulenken.
Ich möchte mit folgender Bemerkung schließen. Wir sollten dort, wo es geht, auch wirklich unsere eigenen Möglichkeiten nutzen. Ich begrüße es außerordentlich, daß sich die Stiftungen der Parteien in Nicaragua engagieren. Deshalb möchte ich hier noch einmal eine Bitte an die Kollegen der FDP richten. Ich halte es für falsch, daß die Friedrich-Naumann-Stiftung aus Nicaragua herausgehen will. Ich meine, wir sollten dort, wo wir die Möglichkeit dazu haben, auf den inneren Demokratisierungsprozeß in Nicaragua einwirken, und wir sollten alle Möglichkeiten nutzen, die Freunde, die unseren demokratischen Vorstellungen entsprechen, zu unterstützen und ihnen zu helfen. Denn ich bin der festen Überzeugung, daß wir damit auch als Deutsche einen Beitrag zum Versöhnungsprozeß in Nicaragua und in Zentralamerika leisten können.
Ich bedanke mich.
({1})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Köhler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe während dieser Debatte an erste Gespräche gedacht, die ich im frühen April 1986 mit Oscar Arias geführt habe, und zwar etwa fünf Wochen, bevor er in sein Amt eingeführt wurde. Gerade diese Erinnerung ist für mich Grund, mit tiefem Respekt an die Leistung zu denken, die mit seinem Namen verbunden ist. Ich habe in dieser Stunde auch - Kollege Holtz, Sie haben mich daran erinnert - an meinen persönlichen Freund, der leider nicht mehr lebt, Aristides Galvani, gedacht. Der Gedankenaustausch mit ihm war die Grundlage des Antrages, den meine Fraktion als erste 1981 eingebracht hat, um zu einer zusammenhängenden entwicklungspolitischen Strategie für Zentralamerika und das karibische Becken zu kommen.
Wir haben den Aufruf der fünf zentralamerikanischen Präsidenten, den politischen Friedensprozeß durch wirtschaftliche Hilfsprogramme zu unterstützen, klar und deutlich vernommen. Wir werden in dem Zeitpunkt darüber sprechen, der nach unserer Ansicht durch die Bewertung der Verifizierungskommission markiert wird,
({0})
weil wir authentische, nicht reversible Beweise für den Vollzug der Vereinbarungen für ganz wesentlich halten und glauben, unsere Argumente vorher nicht aus der Hand geben zu sollen.
Die Planung der Bundesregierung, unterstützt vom Parlament, für das kommende Jahr sieht nicht umsonst eine größere Lateinamerikareserve vor, um entsprechend reagieren zu können. Allerdings verweise ich darauf, daß wir uns bereits bisher im mittelamerikanischen Raum in einer Weise engagiert haben, die wesentliche Erhöhungen des deutschen Hilfebeitrags ohne Reduzierung der Programme in anderen Teilen der Welt kaum zuläßt. Ich warne damit lediglich vor überzogenen Erwartungen.
Wir haben im Laufe der Jahre etliches getan, um Fortschritte in der Gleichbehandlung dieser Länder zu machen. Es hat uns dabei, Herr Kollege Holtz, nicht am Mut zur Risikoinvestition gefehlt. Wir haben, Frau Kollegin Wieczorek-Zeul - Ihre Zahlen endeten mit dem vorigen Jahr - , in der Zwischenzeit eine ganze Menge getan, um auch im EG-Rahmen zu einer Gleichbehandlung zu kommen. Wir werden das entsprechend fortsetzen. Im übrigen ist die von Ihnen genannte Zahl von EG-Leistungen für Nicaragua fast exakt die Zahl der deutschen bilateralen Hilfe für Nicaragua seit 1979. Auch bei der EG lag übrigens das Hauptvolumen auf der Unterstützung der Anfänge,
({1}) und dies bei wachsender Skepsis.
Ich bitte Sie übrigens, nicht zu übersehen, daß gerade in Mittelamerika die Wirksamkeit von Hilfeprogrammen nicht nur eine Frage der Erhöhung finanzieller Volumina ist, sondern es geht letzten Endes um die Schaffung neuer Grundlagen für eine gesunde wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Hier denken wir in erster Linie daran, daß die regionale wirtschaftliche Zusammenarbeit in Zentralamerika wieder funktionsfähig gemacht werden muß, insbesondere der zentralamerikanische gemeinsame Markt.
Ich glaube, wir müssen bei jedem Land sehr genau analysieren, wie es aus der Kriegswirtschaftssituation - so muß man das doch wohl nennen - auf eine solide und soziale Grundlage gestellt werden kann.
Ich erläutere das kurz am Fall Nicaragua, verehrter Kollege Wischnewski, weil ich glaube, daß Sie mir auch zustimmen, wenn ich sage, daß es hier nicht nur darum gehen kann, mit einer Finanzsumme ein politisches Zeichen zu geben, sondern daß es auch darum gehen wird, die ganz konkreten und bitterbösen Probleme anzugehen und zu lösen.
Nicaragua bietet heute nach acht Jahren der bestehenden Herrschaft ein Bild der sozialen Katastrophe.
({2})
- Lieber Herr Kollege Holtz, darf ich einmal die Fakten nennen. Die Bewertung können wir dann vornehmen. - Die Löhne sind in den letzten vier Jahren um ca. 70 % gefallen. Die Auslandsverschuldung ist von 1979, dem Jahr der Revolution, an bis Ende 1986 von 1,6 Milliarden Dollar auf mindestens 6,7 Milliarden Dollar gestiegen, hat sich also mehr als vervierfacht.
Nicaragua ist damit, vergleicht man die Auslandsverschuldung mit dem Bruttosozialprodukt - und das ist wohl die einzige richtige Vergleichsmöglichkeit -, das in der Welt mit Abstand am höchsten verschuldete Land. Es hat eine Hyperinflation, die in Zahlen kaum noch auszudrücken ist. Manche sprechen von 800 % pro Jahr, andere von 1 000 und mehr Prozent. Die Versorgung mit den einfachsten Gütern des technischen Bedarfs liegt im argen. Die Schwarzmarktpreise sind für die einfache Bevölkerung unerschwinglich geworden. Im Land ist heute in weiten Bevölkerungskreisen Hunger festzustellen, eine Erscheinung, die Nicaragua in frühren Zeiten nicht kannte, nicht einmal während der skrupellosen Ausbeutung durch den Diktator Somoza.
Wie katastrophal die Lage ist, zeigt nicht zuletzt der große Flüchtlingsstrom. Mindestens 10 % der Bevölkerung haben inzwischen das Land verlassen, weil sie den Glauben an eine Zukunftsperspektive verloren haben.
Der frühere sozialdemokratische Staatspräsident von Costa Rica, Jimenez, hat erst vor wenigen Tagen hier in Bonn darauf hingewiesen, daß selbst zur Schreckenszeit Somozas kaum nicaraguanische Flüchtlinge im Ausland festzustellen waren und daß der gewaltige Flüchtlingsstrom jedem zeige, daß es den Nicaraguanern heute politisch und wirtschaftlich weit schlechter als vor der Revolution ergehe. Das ist nach acht Jahren einer, wie ich immer wieder höre, vielversprechenden Reformpolitik wirklich ein erschütterndes Fazit. Diese Katastrophe ist nicht auf den Mangel an ausländischer und schon gar nicht auf den Mangel an deutscher Hilfe zurückzuführen. Die Hilfe ist übrigens im Bereich der Nichtregierungsorganisationen und Kirchen immer weitergelaufen, auch bei den Stiftungen und im Vollzug der bestehenden Verträge.
Wenngleich Zahlen im einzelnen schwierig zu erhalten sind, dürfte die Auslandshilfe an Nicaragua jährlich doch bei rund 500 Millionen Dollar, möglicherweise sogar höher, im Schnitt der letzten Jahre liegen. Die Militärhilfe, die die gleiche Größenordnung erreichen dürfte, habe ich dabei nicht mit eingerechnet. Jedenfalls erhält Nicaragua bei einer Bevölkerung von gut drei Millionen nach wie vor eine wirtschaftliche Unterstützung von außen, wie kein anderes Land in der Welt sie in vergleichbarer Größenordnung erhält.
Ich bin der letzte, der den blutigen Bürgerkrieg mit den Contras und die dadurch verursachten erheblichen wirtschaftlichen Verluste des Landes unterschätzt. Aber den sozialen Abstieg Nicaraguas allein darauf zurückzuführen, das geht an der Wirklichkeit weit vorbei.
({3})
Die Zerstörung der Produktionskapazitäten im nichtstaatlichen Sektor, eine untragbare staatliche Preis-und Absatzpolitik, die beschleunigte Geldentwertung mit allen dazugehörenden Spekulationen, die Abwanderung qualifizierter Fachkräfte und Handwerker in breiter Front, der Abzug vieler Berufstätiger aus dem Arbeitsprozeß zu Ernteeinsätzen, Solidaritätskundgebungen und anderen immer wiederkehrenden politischen Aktionen und vieles andere tragen dazu auch ein gerüttelt Maß bei. Und letztlich liegt hier eine verfehlte Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik zugrunde, ohne deren grundlegende Änderung auch die Auslandshilfe in ihrem Sinn abgeschwächt, ja, sinnlos gemacht wird. Wer es also mit einer wirklichen Hilfe für das nicaraguanische Volk ernst meint, der darf hier nicht nur eine Zahl in den Raum stellen, sondern der muß an einer grundlegenden Veränderung der gesamten Verhältnisse interessiert sein.
Ich habe das deshalb so deutlich hervorgehoben, weil die Unterstützung des Friedensprozesses durch sinnvolle entwicklungspolitische Zusammenarbeit nur möglich ist, wenn wir uns diese Ausgangsvoraussetzungen, die schwierig genug sind, klar vor Augen führen. Jedes Vorpreschen, nur um sich ein politisches Alibi zu sichern, wäre nach meiner Ansicht falsch.
Seitens der Bundesregierung werden wir deshalb sorgfältig beobachten, wie das Abkommen von Esquipulas von den Beteiligten - und hier insbesondere auch von der Regierung von Nicaragua - erfüllt wird und wie die störenden Aktivitäten in der Region aufgegeben werden. Pluralistische Demokratie und echte Blockfreiheit sind dabei ebenso Orientierungspunkte wie die Absage an jede Form von Gewalt und deren Unterstützung.
Ich würde mich nach bitteren Diskussionen vieler Jahre sehr freuen, wenn der durch das Abkommen von Esquipulas und den Arias-Plan eingeleitete Friedensprozeß in Mittelamerika auch zu einer Entkrampfung der politischen Fronten in der Bundesrepublik mit Blick auf Mittelamerika führen könnte. Dies sollte uns eigentlich nicht zu schwer fallen, wenn wir uns an die politischen Grundpositionen erinnern, die wir auch nach unserem Selbstverständnis in der Bundesrepublik als verbindlich und unerläßlich betrachten, nämlich die Unterstützung jeglicher Friedensbemühungen, den Glauben an Freiheit und Demokratie und die Absage an jegliche Form politischer Gewalt.
Ich danke Ihnen.
({4})
Meine Damen und Herren, es wird vorgeschlagen, den Antrag der Fraktion der SPD und den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ich gehe davon aus, daß Sie damit einverstanden sind. - Dies ist so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den inzwischen vorgelegten Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1172. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Brahmst-Rock, Frau Hensel, Sellin, Weiss ({0}) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Vizepräsident Cronenberg
Verbesserung der Anbindung Berlins an das Bundesgebiet
- Drucksache 11/512 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen ({1}) Finanzausschuß
Ausschuß für Verkehr
Haushaltsausschuß
Im Ältestenrat ist eine Beratungszeit von 40 Minuten, von zehn Minuten pro Fraktion vereinbart worden. - Widerspruch erhebt sich nicht.
Ich erteile damit dem Abgeordneten Sellin das Wort. Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die GRÜNEN legen mit diesem Antrag eine Konzeption zur Netzmodernisierung der Eisenbahnstrecken zwischen Berlin und dem Bundesgebiet vor. Unserer Auffassung nach soll dieses Konzept wesentliche Grundlage für die bevorstehenden Verhandlungen mit der DDR über den Ausbau und die Elektrifizierung aller fünf Eisenbahnstrecken zwischen Berlin und dem Bundesgebiet sein. Ich habe Ihnen zur Veranschaulichung der katastrophalen Zustände im Eisenbahnverkehr zwischen Berlin und dem Bundesgebiet eine Skizze mitgebracht, die die verkehrspolitischen Versäumnisse der Vergangenheit dokumentiert. Aus den dokumentierten Einzelheiten - eingleisige Streckenteile, Elektrifizierungslücken, eine Vielzahl von Lokomotivwechseln an den Grenzen und teilweise unterwegs in der DDR - wird deutlich, daß in Berlin, im Bundesgebiet und auch in der DDR niemandem damit gedient ist, wenn ausschließlich die Strecke Hannover-Berlin Gegenstand dieser Debatte wird.
Die Attraktivität der Bahnverbindungen ist gegenüber dem Pkw nur dann zu steigern, wenn aus allen Himmelsrichtungen Berlin und das Gebiet der DDR erreicht werden kann. Wer deutsch-deutsche Politik offensiv gestalten will, kann kein Interesse daran haben, daß auch nur eine der heute in Betrieb befindlichen Eisenbahnlinien durch zukünftig noch geringere Fahrgastzahlen ausgetrocknet wird.
Die Präferenz von CDU, SPD und FDP für eine Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Paris und Warschau verletzt die deutschlandpolitische Präferenz, daß alle fünf Eisenbahnstrecken zwischen Berlin und dem Bundesgebiet in Betrieb bleiben.
Der Intercity-Knotenpunkt Hannover, der sich in Folge des bis zu 300 km/h schnellen Hochgeschwindigkeitszuges ergibt, bewirkt durch das verständliche Verhalten der Reisenden eine Stillegung bei den anderen Eisenbahnstrecken. Die Folge kann niemand wollen, wenn an die Utopie gedacht wird, daß eines Tages das Ein- und Aussteigen der Fahrgäste aus der Bundesrepublik und der DDR in der DDR zum Alltagsbild gehören kann. Interzonenzüge - natürlich in Anführungszeichen gesagt - bzw. Transitzüge sollten politisch zum Bild der Vergangenheit gehören.
Unsere Konzeption geht auf ein dreistufiges Programm, das alle fünf Strecken berücksichtigt und in fünf Jahren zu verwirklichen ist.
Die erste Stufe dieses Konzepts sieht die Elektrifizierung der Lücken auf der Südrelation über Probstzella vor; das sind zirka 90 km. Dazu gehört in der Stufe drei - zeitlich also erst später - die Elektrifizierung der Relation Berlin-Gutenfürst/Hof. Zu der ersten Stufe gehört weiterhin der zweigleisige Ausbau der Relation Hannover-Oebisfelde-Wolfsburg für eine Streckengeschwindigkeit von 160 km/h. Diese Strecke ist um 30 km kürzer als die Alternative über Magdeburg.
In der Stufe zwei soll die Elektrifizierung der Relation Oebisfelde für eine Streckengeschwindigkeit von 200 km/h, d. h. im heutigen IC-Niveau, aufgenommen werden. Weiterhin soll in der Stufe zwei der zweigleisige Ausbau der Lücken zwischen Berlin und Hamburg für 160 km/h erfolgen.
In der Stufe drei erfolgt der Ausbau des Schienennetzes, insbesondere die Beseitigung von eingleisigen Streckenabschnitten und weitere Elektrifizierungen, Umbau des gesamten vorhandenen Netzes in dem Gebiet zwischen Berlin ({0}) und dem Bundesgebiet, in einen Stand der Technik, so wie ihn die Deutsche Bundesbahn heute im Durchschnitt betreibt.
Das Programm beginnt also bewußt mit der NordSüd-Strecke, weil diese in der Wahrnehmung der bisherigen öffentlichen Äußerungen vernachlässigt wird, und zwar mit der Strecke Berlin-Probstzella in Bayern. Diese Eisenbahnstrecke ist heute wegen mehrerer Lokwechsel eine der schwerfälligsten Verbindungen in das Bundesgebiet. Elektrifizierungslükken und eingleisige Verbindungsstücke sowie unzumutbare Zeitaufwendungen für die Reisenden verringern die Fahrgastzahlen. Hinzu kommen im Fahrplan Taktzeiten, die der IC-Verkehr nicht kennt. Auf der Strecke von Berlin nach München verlassen morgens im Abstand von zwei Stunden zwei Züge Berlin ({1}); der dritte und letzte am Tag fährt dann erst zwölf Stunden später. Die Reisezeit beträgt neun Stunden; vor 50 Jahren reichten für diese Strecke 6,5 Stunden. Ähnliches gilt für die Strecke Berlin-Frankfurt: heute sieben Stunden, früher fünf Stunden.
Die lange Reisezeit ist auch durch die Fahrpläne der Deutschen Bundesbahn mit verursacht. Die Züge aus Berlin halten in Süddeutschland wegen des dort fehlenden regionalen Schienenverkehrs in vielen kleineren Städten. Dieser Zustand gilt auch für die Züge von Ost nach West und umgekehrt.
Der Antrag der GRÜNEN enthält deshalb auch ein Sofortprogramm. Hier werden insbesondere kurzfristige Fahrplankorrekturen und Taktzeiten gefordert. In dem Antrag heißt es im Abschnitt „Sofortprogramm" :
1. Behandlung der Berlin-Zugverbindung analog der IC-Verbindung im Bundesgebiet .. .
Das heißt: Vorrang für IC-Verkehr, kein D-Zug-Verkehr. Weiter heißt es:
2. Verzicht auf überlange Halte, z. B. in den Grenzbahnhöfen,
3. Taktverkehr zwischen Berlin und Hannover ({2}),
4. Taktverkehr zwischen Berlin und Hamburg ({3}),
5. Taktverkehr zwischen Berlin und Frankfurt ({4}),
6. Taktverkehr zwischen Berlin und München ({5}).
Nach dieser Vorstellung des Konzepts will ich auf die Schienenverbindung Hannover-Berlin sowie auf die öffentlich bekannten Argumentationsgegensätze eingehen. Frau Ministerin Wilms hat in Berlin im Oktober 1987 von einer Modernisierung der Streckenführung und einer Elektrifizierung der Strecke gesprochen. Senator Scholz vom Berliner Senat hat laut „FAZ" vom 25. Juli dieses Jahres vor allem die Grunderneuerung der Strecke Helmstedt-Berlin gefordert. Laut „Hannoversche Allgemeine Zeitung" vom 24. Juli wünscht Senator Scholz - und das ist eben ein Gegensatz - eine neue Trasse entweder über Magdeburg oder über Wolfsburg/Oebisfelde, auf der moderne Hochgeschwindigkeitszüge verkehren können; gedacht ist an eine Reisegeschwindigkeit von 250 km/h.
Diese Geschwindigkeitsträume stehen im Gegensatz zu den Möglichkeiten und zum politischen Wollen der DDR. Die DDR hat bisher die Höchstgeschwindigkeit für den Schienenverkehr gesetzlich auf 120 km/h begrenzt. Die DDR hat bisher nur die technischen und baulichen Möglichkeiten für eine Modernisierung und Elektrifizierung von Strecken für ein Tempo bis zu 200 km/h. Die DDR hat bisher nicht das Know-how, Hochgeschwindigkeitstrassen und Hochgeschwindigkeitszüge selber zu bauen. Geht man davon aus, daß die DDR ein Interesse daran hat, Arbeitskräfte und das meiste Material für die Modernisierung der Strecke von Hannover nach Berlin zu stellen, ist die Option für Tempo 250 oder Tempo 300 politisch bereits gestorben. Außerdem ist diese Option nur langfristig zu realisieren, und sie ist viel, viel teurer.
Die Bundesregierung sollte vielmehr den Gedanken der Zweckbindung der Devisenzahlungen für erbrachte DDR-Leistungen im Rahmen des Schienenverkehrsausbaus politisch in die Verhandlungen mit einbringen. Es spricht viel für den Vorschlag aus dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, der vorsieht, daß die mehreren Milliarden DM der Bundesrepublik für den Ausbau der Eisenbahnstrecken durch die DDR zweckgebunden für Investitionen in Energiespartechnologien sowie für Entschwefelungs- und Entstickungsanlagen in DDR-Braunkohlekraftwerken verwendet werden. Luftverschmutzungen sind international und grenzüberschreitend. Kosten lassen sich volkswirtschaftlich auch sparen, wenn man dem Nachbarstaat ökonomisch und politisch Hilfestellung anbietet. Schienenverkehr und Energieanlagenmodernisierung miteinander zu kombinieren, das ist eine Vision für bessere Lebensverhältnisse in und um Berlin und in der DDR.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Schulze.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat in
seiner 253. Sitzung am 4. Dezember 1986 einstimmig auf Grund einer im innerdeutschen Ausschuß ebenfalls einstimmig verabschiedeten Beschlußempfehlung den folgenden Beschluß gefaßt, den ich hier in Erinnerung rufen möchte. Ich zitiere:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Gespräche mit der DDR über Verbesserungen des Eisenbahnverkehrs von und nach Berlin fortzuführen und auf der Grundlage dieser Gespräche über ihre Vorstellungen alsbald dem Deutschen Bundestag zu berichten. Das Ziel solcher Bemühungen sollte es sein,
- Berlin mit einem Eisenbahnbetrieb nach dem Stand der Technik an das Netz der Deutschen Bundesbahn anzubinden und damit die Grundlage für einen modernen europäischen Eisenbahnschnellverkehr im internationalen West-Ost-Streckenverbund Paris-Köln-Hannover-Berlin-Warschau-Moskau zu schaffen und
- schrittweise substantielle und wirtschaftlich vertretbare Verbesserungen im Personen- und Güterverkehr auf allen Eisenbahntransitstrekken anzustreben.
Diesem Antrag haben, Herr Kollege Sellin, alle zugestimmt.
({0})
- Alle einschließlich der GRÜNEN haben ihm im Deutschen Bundestag zugestimmt.
({1})
Der heute als Gegenstand der Beratungen vorliegende Antrag widerspricht dem Beschluß vom Dezember 1986, und er ist im übrigen auch nicht sehr hilfreich für die Gespräche, die gegenwärtig schon mit der DDR geführt werden; aber darauf will ich noch zu sprechen kommen.
Was ich im Februar 1986 zu dem ursprünglichen Antrag der SPD-Fraktion vor diesem Hohen Hause gesagt habe, gilt hier in besonderem Maße. Der Antrag weist eine Anzahl grundsätzlich wünschbarer Verbesserungen für den Eisenbahnverkehr zwischen dem Bundesgebiet und Berlin auf. Doch hilft das Wünschen allein nicht; es ist mit den realen Möglichkeiten und Notwendigkeiten kaum in Übereinstimmung zu bringen.
Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ich erklären, daß der vom Bundestag einstimmig gefaßte Beschluß vom 4. Dezember 1986 für uns uneingeschränkt bindend ist. Wir sehen keinen Grund, der eine Änderung erforderlich macht. Dieser Beschluß war und ist meines Wissens auch Grundlage für Gespräche mit der DDR über die Verbesserung des Schienenverkehrs.
({2})
- Ich komme darauf noch zu sprechen.
Die in dem vorliegenden Antrag dargelegten Gründe für eine andere Konzeption zur VerwirkliSchulze ({3})
chung eines dem technischen Standard der Deutschen Bundesbahn angepaßten Schienenverkehrs zwischen Berlin und dem übrigen Bundesgebiet vermögen nicht zu überzeugen. Das in dem Antrag geforderte Sofortprogramm wiederholt in mehreren Punkten bereits eingeleitete Maßnahmen, z. B. kürzere Halte, der Einsatz moderner Wagenmodelle und schnellere Zugverbindungen. Alle diese Themen sind Gegenstand von Gesprächen und Verhandlungen auf verschiedenen Ebenen.
Ich muß hinzufügen: Die Komplexität des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN ist wenig hilfreich und behindert eher die laufenden Gespräche, die mit der DDR zu einzelnen Fragen auf der Grundlage des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 4. Dezember 1986 geführt werden.
Was die Forderung nach einer Verbilligung der Reisen nach Berlin angeht - das ist auch in Ihrem Antrag enthalten - , so ist zu sagen, daß diese Forderung bereits überholt ist. Wer z. B. von Frankfurt am Main nach Frankfurt an der Oder reisen möchte, bekommt unter Vorlage des entsprechenden Bahnpasses die gesamte Reise zum halben Preis.
Im Rahmen der weiteren Verbesserung des Schienenverkehrs zwischen Berlin und dem übrigen Bundesgebiet nimmt die Verwirklichung einer ICE-Verbindung Hannover-Berlin eine vorrangige Stellung ein. Dies kommt in dem Beschluß vom Dezember auch eindeutig zum Ausdruck. Das hat verschiedene Gründe. Die Entwicklung einer modernen West-OstVerbindung von Paris über Köln und Hannover nach Berlin und von dort nach Warschau und weiter nach Moskau setzt voraus, daß Berlin an das im Bau befindliche Streckennetz des ICE-Systems angeschlossen wird.
Ich kann nur sagen: Es wäre ein fataler Rückschlag für die Bemühungen der Bundesregierung und des Senats von Berlin, wenn man nicht von Anfang an Berlin in diese Entwicklung mit einbezöge, sondern wenn man später dem technischen und verkehrspolitischen Fortschritt hinterherführe. Daher darf der Berlin-Verkehr der Deutschen Bundesbahn von der Schnellbahnplanung nicht abgekoppelt werden.
Aus innerdeutscher Sicht muß noch hinzugefügt werden, daß die Qualität für die Bahnreisen sowohl von und nach Berlin als auch innerhalb des übrigen Bundesgebiets gleich sein muß - da stimmen wir überein - , um die diesem Verkehrsmittel zustehende Bedeutung zu sichern.
({4})
Für einen attraktiven Anschluß von Berlin bedeutet das, daß der ICE von vornherein berücksichtigt und mit eingeplant werden muß.
Die Schnellverbindung - dazu gehört selbstverständlich auch der Güterverkehr - hat nicht zuletzt auch eine wirtschaftliche Dimension, die nicht vernachlässigt werden darf. Gerade für Berlin, das auch aus heutiger Sicht ein moderner Standort für verschiedene Wirtschaftszweige ist, ist der Anschluß an ein gesamteuropäisches West-Ost-Schienensystem auch wirtschaftlich von besonderem Gewicht.
Herr Abgeordneter Schulze, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sellin?
Nein, ich gestatte die Zwischenfrage nicht, weil ich wenig Zeit habe. Ich bitte um Entschuldigung.
Selbstverständlich dürfen dabei die übrigen Schienenwege nicht vergessen werden. Auch da stimme ich mit Ihnen überein. Dies macht aber auch der Beschluß vom 4. Dezember 1986 ganz deutlich. Die CDU/CSU wird die Forderung nach gleichwertigen Zugverbindungen aus allen Himmelsrichtungen nach Berlin dabei nicht vergessen oder vernachlässigen.
Aber bei all dem muß man auch ein vernünftiges Augenmaß für das finanziell Machbare haben. Das, was Sie hier anregen, daß in fünf Jahren ein Programm durchgeführt werden soll, ist, wie ich nur sagen kann, utopisch.
Der Besuch Erich Honeckers hat auch hier ein positives Zeichen gesetzt. Im gemeinsamen Kommuniqué vom 10. September 1987 haben Bundeskanzler Kohl und Erich Honecker erklärt, daß beide Seiten darin übereinstimmen, „zur weiteren Verbesserung der Verkehrsverbindungen einschließlich von und nach Berlin ({0}) Regelungen, Vereinbarungen zum gegenseitigen Nutzen, vor allem auf dem Gebiet des Eisenbahnverkehrs, anzustreben und Gespräche darüber mit dem Ziel deutlich kürzerer Reisezeiten" - daran ist uns gelegen - „und höherer Zugfrequenzen aufzunehmen" . Auch diese Verlautbarung macht deutlich, daß Taktverkehr und insgesamt häufige Zugverbindungen nicht erst jetzt Gesprächsthema sind. Insofern nichts Neues im vorliegenden Antrag.
Die finanzielle Unterstützung für den Flugverkehr von und nach Berlin, von dem Sie ebenfalls reden, darf durch die Verbesserung des Eisenbahnverkehrs in keiner Weise leiden. Das gleiche gilt auch für die Transitwege nach Berlin. Deren Verbesserung und Ausbau darf ebenfalls nicht vernachlässigt werden. Berlin ist auf alle Verkehrswege angewiesen, soll der Kontakt zum übrigen Bundesgebiet erhalten bleiben und die Anbindung Berlins daran langfristig gesichert sein.
Ich kann nur noch einmal sagen: Wir brauchen zur Erhaltung der Lebensfähigkeit der Stadt nicht nur enge Bindungen zum übrigen Bundesgebiet und zu den europäischen Nachbarländern, sondern auch gute und schnellere Verbindungen dahin. Daher ist der mit dem Beschluß vom 4. Dezember 1986 eingeschlagene Weg die richtige Maßnahme, um die verkehrsgerechte Eisenbahnanschließung mittelfristig und auch längerfristig zu erreichen und sicherzustellen. Aus heutiger Sicht, so möchte ich sagen, soll die Beratung einzelner Probleme und aktueller Verbesserungen im Ausschuß erfolgen, der zu gegebener Zeit dem Plenum Ergebnisse vorlegen wird. Ich bin sicher, daß wir in dieser oder jener Frage zu einem Konsens kommen werden. Herr Kollege Sellin, Konsens ist ganz wichtig, gerade auch im Interesse Berlins.
Ich danke Ihnen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Heimann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einem ganz wichtigen Punkt stimmen wir Sozialdemokraten mit der Fraktion der GRÜNEN überein. Es ist vollkommen richtig: „Die Eisenbahn ist die grundlegend umweltschonende Alternative zu Flugzeug und Auto." Das war ja auch der Grund, weshalb wir Sozialdemokraten vor zwei Jahren unseren Antrag über ein Konzept für den Schienenverkehr von und nach Berlin eingebracht haben, in dem wir gefordert haben, daß endlich die Prioritäten beim Ausbau der Verkehrsverbindungen von der Straße auf die Bahn verlagert werden müssen.
Diese Forderung ist in der Tat heute noch sehr viel aktueller als vor zwei Jahren. Nach wie vor hält die Zunahme des Transitverkehrs auf den Straßen weiter an, während der Anteil der Bahn am Transitverkehr immer noch abnimmt. Im neuesten Bericht des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen vom Oktober 1987 heißt es:
Trotz der erheblichen Zunahme des Transitverkehrs nach Inkrafttreten des Transitabkommens sind im Bereich der Eisenbahn Rückgänge zu verzeichnen ... Mit der Eisenbahn fahren heute weniger Menschen nach Berlin als mit dem Flugzeug oder gar dem Omnibus.
Man muß einmal den Vergleich sehen: Flugzeug und Omnibus.
Auch im Güterverkehr mußte die Eisenbahn Einbußen hinnehmen. Güter werden überwiegend im Binnenschiffsverkehr und zum großen Teil auf der Straße transportiert.
Jeder, der häufiger die Transitautobahn benutzt, weiß ein Lied davon zu singen. Eigentlich günstige Tage in der Woche oder Stunden am Tag gibt es kaum noch. Von Jahr zu Jahr steigt die Dichte, wird es schwieriger und nervenaufreibender, die Autobahn zu benutzen. Wenn man bedenkt, daß der Motorisierungsgrad in der DDR noch lange nicht die bundesrepublikanische Spitze erreicht hat, ist der Tag wirklich absehbar, wann der Verkehr von und nach Berlin auf den Autobahnen buchstäblich ins Stocken kommt.
Nun wird mancher einwenden: Genau das ist heute schon eine treffende Zustandsbeschreibung für viele westdeutsche Ballungszentren und hauptbelastete Autobahnabschnitte. Dieser Einwand ist richtig, aber unvollständig. Neben der massiven Unbequemlichkeit für den einzelnen Bürger und der steigenden Umweltbelastung kommt in bezug auf Berlin ({0}) die außerordentliche politische Bedeutung hinzu, die die Verkehrsverbindungen in die Bundesrepublik haben. In Helmstedt hat der Berliner erst einen Punkt erreicht, an dem der westdeutsche Bürger seine Reise anzutreten pflegt. Das wird so lange bleiben, solange die DDR als das natürliche Umland Berlins nicht wirklich für den Bürger aus Berlin ({1}) offensteht.
Was ich sagen will: Es ist allerhöchste Zeit, im Transitverkehr neben Straße und Luftweg die Eisenbahn als wirkliche Alternative auszubauen. Wirkliche Alternative kann die Eisenbahn aber nur sein, wenn sie so bequem und schnell ist, daß sich der Bürger für sie
und nicht ausschließlich für Straße und Luftweg entscheidet.
Deshalb ist es eine der wichtigsten Feststellungen im gemeinsamen Kommunique fiber den Besuch von Generalsekretär Erich Honecker in der Bundesrepublik , daß „zur weiteren Verbesserung der Verkehrsverbindungen - einschließlich von und nach Berlin ({2}) - Regelungen und Vereinbarungen zum gegenseitigen Nutzen vor allem auf dem Gebiet des Eisenbahnverkehrs anzustreben" sind und daß „Gespräche darüber mit dem Ziel deutlich kürzerer Reisezeiten und höherer Zugfrequenzen" aufgenommen werden sollen. Geld, das dafür ausgegeben wird, schafft außerdem einen ganz wichtigen deutschlandpolitischen Nebeneffekt: Es verleiht den politischen und den Handelsbeziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten Stabilität und einen auf Jahre fest einkalkulierbaren Spielraum.
So weit, so einig. Es wäre gut, wenn alle Fraktionen in diesen Punkten wirklich übereinstimmten. Denn man hört, daß der Bundesminister der Finanzen, der jetzt die Grundentscheidungen zu fällen hat, zögert - ich sage einmal: zögert, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
({3})
Der Antrag der GRÜNEN ist daher eine gute Gelegenheit für den Bundestag, dies an einer entscheidenden Stelle des Entscheidungsprozesses innerhalb der Bundesregierung noch einmal mit allem Nachdruck festzustellen. Wir sollten diese Chance alle gemeinsam wirklich nutzen.
({4})
In der Sache selbst, Herr Sellin, kommt der Antrag der GRÜNEN zwei Jahre zu spät, finde ich. Wenn er besagen will, daß es neben der Strecke Berlin-Hannover noch andere wichtige Strecken von Berlin in das Bundesgebiet gibt, dann rennt er offene Türen ein und ist insoweit im Beschluß des Bundestages vom 4. Dezember 1986 enthalten.
({5})
Allerdings setzt der Beschluß vom 4. Dezember 1986 - das wird der eigentliche Streitpunkt sein - eine deutliche Priorität zugunsten einer Schnellbahnverbindung Berlin-Hannover, die im Antrag der GRÜNEN zugunsten eines Bündels gleichzeitiger und gleichgewichtiger Maßnahmen für mehrere Strecken aufgelöst wird.
Herr Abgeordneter, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sellin?
Bitte.
Bitte schön.
Im Prinzip ist es dieselbe Frage, die ich vorhin an den anderen Kollegen aus Berlin stellen wollte. Es gibt mehrere Studien, die nachweisen, daß sich die Fahrgastzahlen auf den Knotenpunkt Hannover verlagern werden. Wie wollen Sie erreichen, daß die anderen Strecken von der Nutzerzahl, von der
Fahrgastzahl her nicht so gering werden, daß sie betriebswirtschaftlich nicht mehr gehalten werden können?
Ich werde mit dem, was ich gleich sage, darauf eine Antwort geben. Deshalb brauche ich nicht gesondert zu antworten. Wenn Sie finden, daß ich das nicht getan habe, dann können Sie das anmahnen.
Ich meine, der Unterschied ist, daß Sie ein Bündel gleichzeitiger und gleichgewichtiger Maßnahmen für mehrere Strecken vorschlagen. Herr Sellin, jeder hat schon einmal die Erfahrung gemacht, daß, alles auf einmal erreichen zu wollen, meistens damit endet, daß man gar nichts erreicht.
({0})
- Das weiß ich. Deshalb haben Sie wahrscheinlich eine Rechnung aufgemacht, die von einer Summe zwischen 750 Millionen DM und 1 Milliarde DM ausgeht, während das Konzept der Bundesregierung von Ihnen mit 3 bis 4 Milliarden DM angesetzt wird. Nun weiß ich nicht - Herr Sellin, ganz ernsthaft -, wie diese Rechnung aufgehen soll. Aus der Begründung habe ich das nicht erkannt. Von Fachleuten habe ich immer gehört, daß allein die Elektrifizierung der Strecke fiber Magdeburg - einmal angenommen; das steht ja nicht fest - ungefähr die Summe kosten würde, die Sie für das gesamte Bündel Ihrer Maßnahmen vorschlagen, also einschließlich all der anderen, etwa Ausbau der Strecke über Oebisfelde bis zu einer Geschwindigkeit von 200 km/h.
Ich finde, auch in anderer Hinsicht ist Ihr Konzept nicht schlüssig. In der Begründung machen Sie verbal mächtig gegen das geplante westeuropäische Hochgeschwindigkeitsnetz Front. Nun will ich einmal ungeprüft lassen, ob diese Auffassung richtig oder falsch ist. Aber ich finde, daß eines wirklich gewiß ist: Wenn überhaupt irgendwo eine Schnellbahn einen Sinn macht, dann auf der Strecke Berlin-Hannover, weil Berlin ({1}) geographisch von den Ballungszentren in Westdeutschland und Westeuropa so fernab liegt, daß mindestens auf einer Strecke, nämlich der kürzesten, auf die schnellste Weise Anschluß an das westeuropäische Eisenbahnnetz gefunden werden muß, wenn die Eisenbahn für Berlin ({2}) überhaupt wieder interessant werden soll. Das scheint mir der eigentliche Punkt zu sein und auch die eigentliche Antwort auf Ihre Frage. Natürlich heißt das, daß damit der Knotenpunkt Hannover noch mehr belastet wird. Aber aus der Sicht Berlins kommt es darauf an, den Anschluß an das westeuropäische Netz zu finden. Sonst werden wir viele, viele einzelne Maßnahmen machen können,
({3})
aber wir werden nicht den eigentlichen Durchbruch erreichen.
Nun haben Sie, Herr Sellin, etwas ganz Bedenkenswertes gesagt: Man kann natürlich die Rechnung nicht ohne den Wirt machen. Das finde auch ich, das ist richtig. Der Wirt heißt in diesem Fall auch DDR. Sicherlich hören wir, daß die DDR Schwierigkeiten mit unserer Konzeption einer Schnellbahn hat. Das
wissen wir. Aber heißt das für uns, daß wir, weil die DDR Schwierigkeiten dieser Art formuliert und äußert, das Konzept in diesem Stadium der Verhandlungen in Frage stellen, das - ich sage es noch einmal - den entscheidenden Durchbruch bringen muß, nämlich den Anschluß an das westeuropäische Netz? Ich frage mich natürlich auch, ob die DDR, gerade wenn Hochtechnologie auf dieser Strecke gebaut wird und zur Anwendung kommt, davon nicht auch ihren Nutzen haben könnte, nämlich in ihrem Bestreben, Anschluß an Hochtechnologie zu finden.
Weil Sie, Herr Sellin, weil die GRÜNEN im Grunde wohl auch erkennen, daß zumindest auf einer Strecke der schnellstmögliche Anschluß an das westeuropäische Netz gefunden werden muß, schlagen Sie ja selbst den Kompromiß vor, indem Sie sagen: Oebisfelde, 200 km/h; zwar keine Hochgeschwindigkeit, aber immerhin doch 200 km/h; aber Sie schlagen das leider erst für die zweite Stufe vor.
Wenn ich Kritik an dem Antrag der GRÜNEN äußere, dann möchte ich sie noch einmal in einem Punkte zusammenfassen.
Überall ein bißchen auszubauen, an einer Stelle auch ein bißchen mehr, wird dazu führen, an keiner Stelle einen wirklichen Durchbruch zu erreichen. Das ist unsere Sorge. Der wirkliche Durchbruch ist erst erreicht, wenn die Eisenbahn im Berlin-Verkehr so attraktiv wird, daß quantitativ genug Bürger von der Straße und vom Luftverkehr auf die Eisenbahn umsteigen. Nur eine solche Veränderung, die wirklich quantitativ ins Gewicht fällt, ermöglicht vor allem auch den gewünschten Taktverkehr zwischen Berlin und Hannover, weil weder Bundes- noch Reichsbahn im Zweistundentakt leere Züge rollen lassen werden.
Deshalb ist meine Fraktion dafür, sich nicht irritieren zu lassen, sondern, wie wir beschlossen haben, in der ersten Phase die klare Priorität zugunsten der Strecke Berlin-Hannover beizubehalten, sie weiterhin so zu setzen und diese Strecke als wirkliche Schnellbahn nach dem Stand der Technik auszubauen, um dadurch, wie gesagt, das gesamte westeuropäische Eisenbahnnetz für Berlin ({4}) zu erschließen.
Meine Antwort noch einmal auf Ihre Frage: Gelingt an dieser Stelle der Durchbruch - wir müssen doch erst einmal den Durchbruch zugunsten der Eisenbahn erreichen, auch im Verhalten der Bürger - und wird die Eisenbahn wenigstens an dieser Stelle wieder attraktiv, dann wird das auch positive Auswirkungen auf die anderen Strecken haben.
({5})
- Doch, weil man die dann politisch nicht weiter links liegen lassen kann, wenn überhaupt die Attraktivität der Eisenbahn an einer Stelle erst einmal wieder nachgewiesen ist.
Ein letztes wichtiges Argument fehlt noch. Die Teilung Deutschlands hat zur Folge, daß beide deutschen Staaten ihre größte Ausdehnung in Nord-Süd-Richtung haben, daß die ehemals vorherrschenden WestOst-Verkehrsströme heute jeweils in Nord-Süd-Richtung verlaufen. Bleibt es bei diesen beiden parallelen
Nord-Süd-Verkehrsströmen, dann hat Berlin ({6}) darin überhaupt keine Funktion mehr, allenfalls noch Berlin ({7}) im internen Verkehr der DDR.
Was allgemein politisch gilt, gilt verkehrspolitisch im besonderen: Eine europäische Rolle wird Berlin ({8}) nur dann gewinnen können, wenn die alte europäische West-Ost-Achse von Paris über Berlin nach Moskau wiederhergestellt wird. Das kommt nicht von selbst, sondern muß politisch gewollt sein.
Das Europäische Parlament hat dazu Beschlüsse gefaßt. In seiner Entschließung über ein „europäisches Netz für Hochgeschwindigkeitszüge" ist der west- und mitteleuropäische Teil bis Berlin vorgesehen. Der Bundestag sollte, wenn es um Berlin geht, nicht weniger europäisch denken als das Europäische Parlament.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Lüder.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute vor einem Jahr, auf den Tag genau am 12. November letzten Jahres, hat der Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen die Beschlußempfehlung an den Deutschen Bundestag verabschiedet, auf die der Kollege Schulze schon eingegangen war. Diese Beschlußempfehlung, die konkrete Aussagen und Forderungen zur Verbesserung des Eisenbahnverkehrs von und nach Berlin enthielt, hat noch heute Gültigkeit. Wir - d. h. unsere Vorgänger - sind ja dieser Beschlußempfehlung im Plenum auch gefolgt. Nicht erst seit diesem Zeitpunkt, seit dieser Beschlußfassung aber verstärkt, ist die Bundesregierung gefordert, konkrete Verbesserungen für den Eisenbahnverkehr von und nach Berlin durchzuführen.
Der Eisenbahnverkehr ist in den letzten Jahren zunehmend zum Stiefkind des Berlin-Verkehrs geworden. Die Klagen darüber, insbesondere aus Berlin, sind bekannt. Reisequalität, technischer Standard des Wagenparks, Zugfolge, Service - eigentlich alles, was den Unterschied zwischen Transport und Reisen ausmacht, bleibt weit hinter dem Standard der Deutschen Bundesbahn zurück. Uns kann es kein Trost sein, daß es in der DDR zum Teil noch schlechter aussieht.
Insoweit bietet uns der heute gestellte Antrag der Fraktion der GRÜNEN Gelegenheit und Ansatzpunkt, die von allen Fraktionen erhobene Forderung nach Verbesserung der Eisenbahnverbindungen und nach Anhebung des Standards des Schienenverkehrs erneut zu unterstreichen. Der Antrag bietet auch Gelegenheit, über die Zielsetzung des Bundestages vom letzten Jahr hinausgehend die Aufforderung und die Bitte an den Verkehrsminister und an die Deutsche Bundesbahn auszusprechen, nicht auf das Ergebnis von möglicherweise langwierigen Verhandlungen zwischen Ost und West zu warten, bis erste spürbare Verbesserungen eingeführt werden.
({0})
- Ich sage ja: Wir können mit Verbesserungen anfangen. Wir müssen nicht warten, bis die Verhandlungen abgeschlossen sind.
Wir dürfen über das große Ziel die kleinen Schmerzen der Realität nicht übersehen. Ich habe z. B. nach wie vor kein Verständnis dafür, warum die Deutsche Bundesbahn nicht unabhängig von Lauf und Ergebnis der Verkehrsverhandlungen wenigstens an die Tagesverbindungen von Berlin nach Frankfurt oder von Berlin nach München einen Speisewagen anhängt. Es muß sich doch niemand wundern, daß es immer weniger Fahrgäste gibt, die die Strapaze einer siebenstündigen Reise von Berlin nach Frankfurt oder einer fast zehnstündigen Reise von Berlin nach München auf sich nehmen, wenn noch nicht einmal ein Speisewagen mitgeführt wird.
({1})
Ich habe auch kein Verständnis dafür, wenn Eisenbahndirektionen bei uns im Westen schlampen und, wie ich an einigen Bahnhöfen hier und in unserer Umgebung feststellen mußte, noch nicht einmal präzise Fahrplanauskünfte für den Berlin-Verkehr geben. Was nützt es, wenn wir im Deutschen Bundestag die Forderung nach einem modernen europäischen Eisenbahnschnellverkehr im internationalen WestOst-Streckenverbund von Paris über Köln, Hannover, Berlin und Warschau nach Moskau fordern, wenn z. B. auf dem Kölner Bahnhof beim Zug nach Warschau über Berlin der Bahnhof Zoo verschwiegen wird? Der Ost-Berliner Bahnhof zumindest wird in Köln erwähnt. Für den gleichen Zug werden in Düsseldorf zwar die Bahnhöfe von Berlin ({2}) erwähnt, aber nicht der Stopp in Berlin-Friedrichstraße. Im Duisburger Bahnhof wird völlig verschwiegen, daß man in Berlin ({3}) aussteigen kann; da wird nur BerlinFriedrichstraße erwähnt. Dies halte ich für eine solche Schlamperei, daß ich meine, der Antrag bietet Gelegenheit, das auch hier öffentlich anzuprangern. Hier ist der Verkehrsminister gefordert, mit notwendiger Härte und Konsequenz gegen jede Schlamperei bei der Information über Berlin vorzugehen.
({4})
Oder ein anderes. Für uns alle ist es wohl selbstverständlich geworden, daß auch Rollstuhlfahrer mit der Eisenbahn fahren können müssen. Man kann ja auch als Behinderter mit seinem Rollstuhl von und nach Berlin verreisen. Aber welch menschenverachtender Zynismus hat eigentlich die Praktiker des Bahnverkehrs daran gehindert, darüber nachzudenken, wie menschenwürdiges Reisen für behinderte Mitbürger möglich wird? Wer kann eigentlich schweigen, wenn in Zügen von und nach Berlin Behinderte mit ihrem Rollstuhl - deutlicher: in ihrem Rollstuhl - im Gepäckwagen verstaut werden, der im Winter noch nicht einmal beheizbar ist?
({5})
Es sind die kleinen Dinge, die die große Verärgerung auslösen.
Auf diese kleinen Dinge geht der Antrag der GRÜNEN nach meiner Auffassung nicht hinreichend ein. Aber er hat zwei große Fehler.
Erstens. Hinter dem plankativen Vorhang mit dem Ja zur Eisenbahn - zu dem wir uns alle bekennen können - steht allzu deutlich das Nein zu anderen Verkehrsmitteln.
({6})
Dabei will ich gar nicht vertiefen, daß die antragstellende Fraktion den Reisebusverkehr mit Schweigen übergeht. Ich weise nur darauf hin, daß gerade im Berlin-Verkehr der Reisebus das für die vielen älteren Mitbürger wichtigste Verkehrsmittel ist, um ohne viel Strapazen zugleich schnell und preiswert den Urlaubsort im Harz und anderswo zu erreichen. Berlin-Politik und Verkehrspolitik erfordern eben auch die Rücksichtnahme auf das Alter und die Anerkennung der Reisebedürfnisse auch unserer Rentner.
({7})
- Entschuldigung, ich habe zu knappe Zeit.
Ich halte es für Berlin-politisch verkehrt und verkehrspolitisch für falsch, daß der Antrag der Fraktion der GRÜNEN sowohl dem Individualverkehr als auch dem Flugverkehr eine Absage erteilt.
Meine Damen und Herren, Berlin braucht die schnellen Verbindungen mit den Flugzeug. Wir sollten stolz darauf sein, daß es Berlin gelungen ist, die Zahl der Flugverbindungen von der Stadt ins In- und Ausland stetig zu erhöhen.
({8})
Der Standortnachteil der Stadt und die Randlage zum westlichen Europa können als lebensnotwendige politische Vorteile nur dann genutzt werden, wenn mit schnellen und leichten Verbindungen in häufiger Frequenz diese Stadt von Ost und West, von Nord und Süd schneller und besser erreicht werden kann als so manche andere Metropole Europas. Von diesem Ziel lassen wir uns übrigens auch nicht durch den mangelnden Komfort mancher alliierter Fluggesellschaft abbringen.
Meine Damen und Herren, auch der Individualverkehr mit dem Auto bleibt notwendig. Wir sollten keinen verkehrspolitischen Ideologienstreit auf dem Rücken Berlins austragen.
({9})
Der zweite Fehler des Antrages: Er befaßt sich nur und ausschließlich, von einem kurzen Absatz abgesehen, mit dem Personenverkehr. Für die Wirtschaftskraft Berlins, für die wirtschaftliche Einbindung der Industriemetropole in das Wirtschaftssystem des Bundes und der Europäischen Gemeinschaft ebenso wie für die Versorgung der Stadt erfordert der Güterverkehr besondere Aufmerksamkeit.
({10})
Die Probleme des Güterverkehrs kann man nicht einfach mit dem Hinweis auf die Schiene abtun. Wasserweg und Luftstraße, Autobahn und Schienenstrang sind hierfür gleichermaßen wichtig.
({11})
Wir Freien Demokraten nehmen diesen Antrag deswegen zum Anlaß, auf die Bedeutung des Eisenbahnverkehrs hinzuweisen, die Forderung des Bundestages vom vorigen Jahr zum Eisenbahnverkehr von und nach Berlin zu unterstreichen und an die Verantwortlichen für die Bahn zu appellieren, mehr Berlin-Engagement in der täglichen Praxis zu zeigen.
({12})
Meine Damen und Herren, dem vorgelegten Antrag können wir in dieser Form, wie er bisher vorliegt, jedenfalls nicht zustimmen, da er falsche Alternativen aufbaut und der Berlin-politischen Bedeutung des Themas nach unserer Auffassung nicht gerecht wird.
({13})
Meine Damen und Herren, interfraktionell ist abweichend vom Überweisungsvorschlag des Ältestenrates vereinbart worden, den Antrag federführend zur Beratung an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen zu überweisen. Der Ausschuß für Verkehr, der Finanzausschuß und der Haushaltsausschuß sollen mitberatend beteiligt werden. - Widerspruch erhebt sich nicht. Somit ist dies beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie noch ein paar Minuten Geduld hätten. Wir müssen noch einige Abstimmungen durchführen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 und die Zusatztagesordnungspunkte 3 und 4 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 4. November 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Verzicht auf die Beglaubigung und über den Austausch von Personenstandsurkunden/Zivilstandsurkunden sowie über die Beschaffung von Ehefähigkeitszeugnissen
- Drucksache 11/354 Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0})
- Drucksache 11/980 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Nöbel Frau Dr. Vollmer
Dr. Hüsch
Dr. Hirsch
({1})
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 2. Oktober 1986 zum Abkommen vom
Vizepräsident Cronenberg
7. Januar 1976 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über Soziale Sicherheit und zu der Zusatzvereinbarung vom 2. Oktober 1986 zur Vereinbarung vom 21. Juni 1978 zur Durchführung des Abkommens
- Drucksache 11/588 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({2})
- Drucksache 11/1150 Berichterstatter: Abgeordnete Frau Unruh ({3})
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 14. November 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada über Soziale Sicherheit und der Vereinbarung zur Durchführung des Abkommens sowie zu der Vereinbarung vom 14. Mai 1987 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Quebec über Soziale Sicherheit und der Durchführungsvereinbarung hierzu
- Drucksache 11/1001 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({4})
- Drucksache 11/1149 Berichterstatter:
Abgeordneter von der Wiesche
({5})
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Gesetzentwurf zu dem Vertrag mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft.
Ich rufe den Gesetzentwurf mit seinen Artikeln 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? ({6})
- Es ist, glaube ich, mit Verlaub gesagt, unproblematisch. Ich gehe einmal davon aus, daß Sie sich enthalten. - Somit ist das Gesetz angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf zu dem internationalen Übereinkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika über Soziale Sicherheit.
Ich rufe das Gesetz mit seinen Artikeln 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Somit ist das Gesetz angenommen.
Wir stimmen jetzt über den Gesetzentwurf zu dem internationalen Übereinkommen mit Kanada und der Regierung von Quebec über Soziale Sicherheit ab.
Ich rufe das Gesetz mit seinen Artikeln 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist das Gesetz angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 bis 8 und den Zusatztagesordnungspunkt 5 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 20. Oktober 1986 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Nepal über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 11/998 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({7}) Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 23. März 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bolivien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 11/999 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({8}) Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 4. Mai 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Östlich des Uruguay über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 11/1002 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({9}) Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens"
- Drucksache 11/1136 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Jugend, Familie Frauen und
Gesundheit ({10})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Eine Aussprache ist auch hier nicht vorgesehen.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Gesetzentwürfe an die in der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Andere Vorschläge werden nicht gemacht. So ist die Überweisung beschlossen.
Vizepräsident Cronenberg
Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({11})
Aufhebung der Immunität eines Mitgliedes des Deutschen Bundestages
- Drucksache 11/1117 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Wernitz Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wer stimmt der Beschlußempfehlung des Ausschusses zu? - Enthaltungen? - Gegenstimmen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Sammelübersicht 29 des Petitionsausschusses ({12}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 11/1084 - Eine Aussprache ist auch hier nicht vorgesehen.
Wer stimmt der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zu? - Wer enthält sich? - Bei einigen Enthaltungen ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Somit sind wir am Ende unserer Tagesordnung vor der Mittagspause.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß die Fragestunde voraussichtlich nur 45 Minuten dauert. Somit wird der Tagesordnungspunkt 4 schon gegen 14.45 Uhr, also eine Viertelstunde eher, als ursprünglich vorgesehen, aufgerufen. Ich wäre den Geschäftsführern dankbar, wenn sie dafür Sorge trügen, daß die entsprechenden Redner bzw. Rednerinnen dann hier sein werden.
Wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
({13})
Wir fahren in den Beratungen fort.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 11/1109 Wir haben nur noch den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen zu erledigen. Herr Staatsminister Schäfer steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Fragen 49 und 50 der Abgeordneten Frau Schoppe sowie die Fragen 51 und 52 der Abgeordneten Frau Kelly werden auf Wunsch der Fragestellerinnen schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 53 des Herrn Abgeordneten Dr. Mechtersheimer auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fraktion DIE GRÜNEN, daß durch die Operationen der Kriegsmarinen von WEU-Ländern im Persischen Golf und im Mittelmeer die WestOst-Abschreckung um eine Nord-Süd-Dimension erweitert wird?
Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage mit Nein. Fünf Mitgliedstaaten der WEU haben zum Schutz der unter ihrer Flagge fahrenden Handelsschiffe und zur Räumung von Minen Schiffe in den Persischen Golf entsandt. Sie leisten damit einen Beitag zur Sicherung der freien Schiffahrt in internationalen Gewässern. Es handelt sich um nationale Maßnahmen der jeweiligen Länder.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter, bitte.
Ist der Bundesregierung bewußt, daß damit eine neue Qualität ihrer bisherigen militärischen Sicherheitspolitik erreicht wird?
Herr Kollege, wir sehen und beurteilen diese Maßnahmen nicht so, wie Sie sie eben qualifiziert haben.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorschlag, im WEU-Rahmen ein Europa-Korps als schnelle Eingreiftruppe für Operationen außerhalb der NATO-Zuständigkeiten zu schaffen?
Herr Kollege Mechtersheimer, diese Frage geht sicher etwas über das hinaus - wenn ich so sagen darf - , was Sie in Ihrer eingereichten Frage angesprochen haben.
Ich muß das bestätigen, Herr Staatsminister.
Ich muß Ihnen sagen: Dazu hätten Sie vielleicht eine eigene Frage einbringen sollen.
Zu diesen Plänen - wer immer sie gemacht hat - kann ich nur sagen: Dazu gibt es ja überhaupt noch keine Entscheidungen.
Ich rufe die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Dr. Mechtersheimer auf:
Trifft es zu, daß die Zustimmung der Bundesregierung zur „Plattform : Europäische Sicherheitsinteressen" des WEU-Ministerrats vom 26./27. Oktober 1987 unter Ausschluß jedweder parlamentarischen Mitwirkung erfolgt ist?
Herr Kollege, es handelt sich um eine Darstellung der Sicherheitspolitik der Bundesregierung und ihrer der WEU angehörenden Partner. Diese bringen ihre Übereinstimmenden Auffassungen über die sicherheitspolitische Lage in Europa und die daraus abzuleitenden Folgerungen zum Ausdruck auf der Grundlage der im Atlantischen Bündnis 1967 festgelegten Harmel-Konzeption unter Berücksichtigung zwischenzeitlich eingetretener Entwicklungen.
Der Inhalt der Plattform entspricht voll den sicherheitspolitischen Leitlinien der Regierungserklärungen vom 18. März, 7. Mai und 5. Juni 1987, die alle Gegenstand ausführlicher Beratungen im Parlament waren.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Mechtersheimer.
Halten Sie es nicht grundsätzlich für richtig, derartige, doch auch von der Bundesregierung und den anderen beteiligten Regierungen als wichtig eingeschätzte Dokumente einem parlamentarischen Beratungsprozeß zu überlassen, so wie das auf nationaler Ebene ja auch geschieht, obwohl da vorher auch jeweils Entscheidungen vorlagen?
Herr Kollege, ich habe Ihnen gerade gesagt, daß das, was als Plattform im Rahmen des WEU-Ministerrats beschlossen worden ist, bereits Gegenstand von Diskussionen im Deutschen Bundestag im Zusammenhang mit Ankündigungen der Bundesregierung war. Einer Diskussion dieser Plattform in den Ausschüssen steht nichts entgegen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Könnten Sie sich vorstellen, daß künftig ein solches Dokument in einer vorläufigen Fassung grundsätzlich der Beratenden Versammlung der Westeuropäischen Union zur Verfügung gestellt, d. h. dort eingebracht wird?
Herr Kollege Mechtersheimer, ich gehe doch recht in der Annahme, daß Sie als WEU-Parlamentarier auch die Möglichkeit haben, in diesem Sinne auf den Ministerrat einzuwirken, daß das in Zukunft möglicherweise anders gemacht wird? Aber ich kann für die Bundesregierung schlecht Anregungen übernehmen, die Sie hier machen, aber im Rahmen Ihrer Tätigkeit als WEU-Parlamentarier eigentlich besser anbringen könnten.
Herr Abgeordneter Dr. Klejdzinski, Sie haben eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, Sie haben vorhin die Plattform angesprochen. Kann ich davon ausgehen, daß Sie dies uneingeschränkt teilen, wenn es dort in Ziffer 3 auf Seite 2 heißt: „Bisher haben wir noch kein Nachlassen in den von der Sowjetunion seit vielen Jahren unternommenen Rüstungsanstrengungen feststellen können?" Stimmt diese Feststellung mit den Aussagen des Außenministers überein, oder ist das Meinung der Bundesregierung allgemein?
Ich habe dieses Zitat jetzt nicht im Zusammenhang zur Verfügung. Aber, Herr Kollege, Sie können sicher sein, daß sich solche Außerungen vor allem auf den Bereich der konventionellen Bewaffnung, möglicherweise auch der nuklearen Bewaffnung bezieht. Selbstverständlich - das kann ich Ihnen nur bestätigen - gibt es durch das vorgesehene INF-Abkommen eine erhebliche Verminderung von Mittelstreckenwaffen. Aber in allen anderen Bereichen stehen Reduzierungen noch aus. Insofern glaube ich nicht, daß Sie diesen Text hier besonders kritisch beurteilen sollten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Soell.
Herr Staatsminister, kann ich Ihren Äußerungen entnehmen, daß Sie bereit sind, auch innerhalb des Auswärtigen Amts und innerhalb der Beratungen des Ministerrates darauf hinzuwirken, daß nicht nur die nationalen Parlamente, sondern auch die Parlamentarische Versammlung der Westeuropäischen Union frühzeitig, auch schon im Vorfeld der Beratungen, Gelegenheit bekommen, über Entwürfe zu diskutieren, die sich mit der Sicherheits- und Abrüstungspolitik der Westeuropäischen Union beschäftigen?
Herr Kollege, ich habe gestern bei dem Mittagessen, das wir gemeinsam hatten, bei dem ich meine Bereitschaft bekundet habe, mich halbjährlich mit den Parlamentariern der Westeuropäischen Union zu treffen, um bevorstehende Ministerratssitzungen mit ihnen zu diskutieren, angekündigt, daß wir dieses Instrumentarium der Beratung und der gegenseitigen Information ausbauen sollten. Sie können sicher sein, daß ich entschlossen bin, in diesem Sinne weiterhin tätig zu werden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 55 des Herrn Abgeordneten Dr. Lippelt ({0}) auf:
Wie ist der Verzicht der Bundesregierung auf Atomwaffen in Übereinstimmung zu bringen mit ihrem ausdrücklichen Bekenntnis zur „nuklearen Komponente" im WEU-Abschrekkungskonzept in der „Plattform : Europäische Sicherheitsinteressen" ({1}) vom 26./27. Oktober 1987?
Herr Kollege, die in der Plattform für europäische Sicherheitsinteressen in II Abschnitt 2 getroffene Aussage: „Unter den gegenwärtigen Umständen gibt es keine Alternative zur westlichen Strategie der Kriegsverhütung; die Strategie der Abschreckung und Verteidigung muß, um glaubwürdig und wirksam zu bleiben, weiterhin auf einer geeigneten Zusammensetzung angemessener nuklearer und konventioneller Streitkräfte beruhen", entspricht der Strategie des Nordatlantischen Bündnisses. Diese ist seit Jahrzehnten Teil der Sicherheitspolitik der Bundesrepublik. Ein Widerspruch gegenüber dem von der Bundesrepublik Deutschland vertraglich eingegangenen Verzicht auf Atomwaffen besteht daher nicht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Lippelt.
: Herr Staatsminister, wäre es nicht angebracht, in einem Moment, wo die WEU aus Gründen, über die wir hier nicht zu diskutieren brauchen, gewissermaßen wiederbelebt wird, zur nuklearen Komponente, wie es hier heißt, eine etwas andere Doktrin, die derzeit angemessener wäre, zu finden, als hier einen Eindruck zu erwecken, der vielleicht zu Mißverständnissen Anlaß gibt?
Herr Kollege, auch das haben wir gestern sehr ausführlich diskutiert. Ich darf wiederholen, daß selbstverständlich strategische Überlegungen auf Grund von Abrüstungsmaßnahmen immer angebracht sind und immer wieder von neuem Platz greifen müssen. Ich bin der festen ÜberStaatsminister Schäfer
zeugung, daß im Verlauf der kommenden Jahre die Diskussionen über mögliche neue Strategien im Zusammenhang mit möglichen Abrüstungsmaßnahmen intensiv geführt werden müssen. Im Augenblick sehen wir aber zu der bestehenden Strategie noch keine ausreichende Alternative.
Herr Staatsminister, würden Sie dann, um dort Mißverständnissen vorzubeugen, unserer Forderung, einen Verzicht auf nukleare Bewaffnung auch ins Grundgesetz aufzunehmen, zustimmen?
Wir haben, Herr Kollege, unseren Verzicht nicht nur auf den Besitz, sondern auch auf die Herstellung, die Produktion von A-, Bund C-Waffen deutlich gemacht. Weder irgendeine Fraktion hier im Hause noch die Bundesregierung würden einer Veränderung dieses Grundsatzes zustimmen. Insofern halte ich eine Aufnahme ins Grundgesetz nicht für notwendig.
Herr Dr. Soell.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung mit ihrem ausdrücklichen Bekenntnis zur nuklearen Komponente - insoweit greife ich das Zitat in der Frage des Kollegen Lippelt auf - nicht auch verhindert, daß bei weiteren Ost-West-Verhandlungen über die Kurzstreckenwaffen im Reichweitenband unter 500 km tatsächlich Fortschritte erzielt werden können? Ist insoweit dieses Bekenntnis zur nuklearen Komponente nicht ein Hindernis für den Erfolg solcher Verhandlungen?
Herr Kollege, aus Ihrer langjährigen Tätigkeit mit französischen und britischen Parlamentariern ist Ihnen bewußt, daß wir, selbst wenn die Bundesregierung der Meinung wäre, wir könnten diese vorhandenen nuklearen Waffen bei diesen unseren Verbündeten in Zweifel ziehen oder zur Diskussion stellen, keine Chance hätten, daß wir zu einer gemeinsamen Lösung kämen.
Die Bundesregierung aber ist ja auch nicht der Auffassung, daß diese Waffen zur Diskussion gestellt werden sollten, sondern vertritt im westlichen Bündnis nachhaltig die Meinung, daß auch sowjetische und amerikanische Nuklearwaffen mit einer Reichweite unter 500 km in irgendeinem Gremium und möglichst parallel zu Verhandlungen, die in Wien im kommenden Jahr zur konventionellen Abrüstung beginnen werden, im Interesse unserer besonderen deutschen Situation behandelt werden müssen. Das ist wiederholt zum Ausdruck gekommen.
Herr Dr. Klejdzinski.
Herr Staatsminister, was veranlaßt die Bundesregierung, diesen Satz, so wie er in dieser Erklärung steht, zu übernehmen oder ohne Anmerkungen zu vertreten:
Die Überlegenheit des Warschauer Paktes im konventionellen Bereich und seine Fähigkeit zu Überraschungsangriffen und raumgreifenden Offensiven sind in diesem Zusammenhang
- also, was die Sicherheit Europas anbetrifft ein Anlaß zu besonderer Sorge.
Ich glaube, daß es Ihnen als Verteidigungspolitiker bekannt sein dürfte, Herr Kollege, daß es nach wie vor eine Überlegenheit des Warschauer Paktes gibt, die uns Sorge bereitet. Über diese Überlegenheit wollen wir ja auch in den Verhandlungen der nächsten Jahre sprechen und einen Abbau herbeiführen, der natürlich beide Seiten betreffen wird.
Gibt es noch ein Bedürfnis nach Zusatzfragen? - Das ist nicht der Fall.
Ich rufe die Frage 56 des Herrn Abgeordneten Dr. Lippelt ({0}) auf:
Mit welchen Daten ist auf der WEU-Ministerratstagung vom 26./27. Oktober 1987 in Den Haag die in der Plattform behauptete Überlegenheit des Warschauer Paktes im Bereich konventioneller, chemischer und nuklearer Streitkräfte belegt worden?
Herr Kollege, als Daten liegen die zahlreichen und teilweise auch veröffentlichten Bewertungen des Bündnisses, u. a. die Streitkräftevergleiche, und nationale Bewertungen des Bundesministers der Verteidigung zugrunde.
Zusatzfrage, Dr. Lippelt.
: Herr Staatsminister, ich habe soeben noch einmal in der „Sicherheitsplattform" nachgelesen. In der Tat heißt es da dann:
wobei nur
- ich unterstreiche „nur" deren nukleare Komponente einen potentiellen Angreifer einem unannehmbaren Risiko aussetzen kann.
Warum halten Sie an dieser These fest, die doch in letzter Konsequenz eine selbstmörderische ist?
Herr Kollege, das bezieht sich eigentlich auf die vorangegangene Frage, von der ich geglaubt habe, sie bereits beantwortet zu haben. Hier fragen Sie ja nach der behaupteten Überlegenheit des Warschauer Pakts. Ich darf wiederholen, was ich gesagt habe: Wir sehen bei unserer Strategie nach wie vor die Notwendigkeit, auf eine nukleare Abschreckung so lange zu bestehen, wie auch die andere Seite eine immense Zahl von nuklearen Waffen hat.
Gleichzeitig aber sehen wir - das war die letzte Frage, die Sie gestellt haben - eine Überlegenheit auch in den Bereichen konventioneller und chemischer Waffen. Auch hier bemühen wir uns um eine Abrüstung. Wir müssen uns auf die uns vorliegenden Zahlen stützen, nach denen Sie soeben gefragt haben. Ich habe Ihnen ja gesagt, worauf diese Zahlen beruhen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Lippelt.
Herr Staatsminister, ist Ihnen das Buch des langjährigen amerikanischen Verhandlungsleiters bei den Wiener MBFR2604
Dr. Lippelt ({0})
Verhandlungen bekannt, in dem diese These sehr deutlich mit dem Argument bestritten wird, daß man letztlich nur vergleichen kann, was bei einem Überraschungsangriff sofort zur Verfügung steht, so daß dann dieses Argument praktisch an Wert verliert?
Herr Kollege, dieses Buch, dessen Autor und dessen Titel Sie mir jetzt nicht nennen konnten, ist mir nicht bekannt. Ich bin gerne bereit nachzulesen.
({0})
Sie wissen aber, Herr Kollege, daß es zu all diesen Fragen sehr unterschiedliche Interpretationen und Meinungen gibt und daß ich mich hier nicht auf eine Meinung festlegen kann, die Sie in einem Buch festgestellt haben.
Dr. Klejdzinski.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß Streitkräftevergleiche nur dann vorgenommen werden können, wenn man wirklich Gleiches mit Gleichem vergleicht, d. h. daß es nicht darauf ankommt, Panzer mit Panzer zu vergleichen, weil die Kampfkraft eines Panzers vom Typ Leo II anders einzuschätzen ist als beispielsweise die Kampfkraft eines T 34?
Herr Kollege, ich fürchte, wir geraten jetzt in eine sophistische Diskussion über die Qualität von Waffen, die eigentlich in den Bereich des Bundesministers der Verteidigung gehören. Ich selber bemühe mich ja nach Kräften, für das Bundesministerium des Auswärtigen über Abrüstung, aber nicht über die Qualität von Waffen zu sprechen. Ich möchte hier gern über die Qualität unserer Abrüstungsbemühungen reden.
({0})
Ja, aber der Herr Staatsminister hat durchaus recht, wenn er sagt, daß er hier ein anderes Ressort vertritt und daß Ihre Frage in diesem Umfang von ihm hier also nicht beantwortet werden kann. - Herr Dr. Soell.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung bei den Verhandlungen über die Sicherheitsplattform den intensiven Versuch gemacht, zwischen den westeuropäischen Ländern, die an der Formulierung dieser Plattform beteiligt waren, einen Konsensus über Vorschläge herbeizuführen, die geeignet sind, in den Verhandlungen vor allen Dingen die Ungleichgewichte zwischen Ost und West im konventionellen Bereich zu reduzieren, d. h. hat sie hier ein Interesse der Westeuropäer, das vorrangig ist, vorgetragen?
Soweit mir bekannt ist, hat die Bundesregierung das getan. Sie wissen, daß ursprünglich ein ganz anderer Entwurf vorlag, der ausschließlich sicherheitspolitisch formuliert war. Es war wesentlich die Bundesregierung, die dazu beigetragen hat, daß diese Plattform alle Aspekte oder zumindest mehr Aspekte als den rein sicherheitspolitischen Aspekt enthält. Wir haben uns in diesem Zusammenhang natürlich auch in dem Sinne bemüht, wie Sie gerade gefragt haben.
Herr Dr. Mechtersheimer.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Einschätzung dieses Papiers, daß es sich eigentlich um ein Dokument handelt, das Westeuropa angesichts der bevorstehenden Fortsetzung der Abrüstungsdebatte wieder einmal eine ausgesprochen ungünstige Position verleiht, weil es wie ein Papier des alten Denkens erscheint und es nicht eine auf Abrüstung und Friedenskooperation zielende Formulierung ist?
Ich teile diese Auffassung nicht, weil ich das Papier auch nicht so einschätze wie Sie. Ich glaube auch nicht, daß dieses Papier in irgendeiner Weise die bestehenden Bemühungen, zu weiteren Abrüstungsverhandlungen zu kommen, negativ beeinträchtigt.
Ich rufe Frage 57 des Herrn Abgeordneten Dr. Daniels ({0}) auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Meldungen von ap vom 1. November 1987 über die Sendung des Londoner TV-Lokalsenders 20-20 Vision, daß Sudan als illegaler Umschlagplatz für mindestens sechs Uran- und Plutoniumlieferungen seit 1980 gedient hat sowie, daß Iran, Irak und Israel im August 1987 eine solche Lieferung angereicherten Urans erhalten haben, und kann die Bundesregierung die Gerüchte des Senders völlig ausschließen, daß das angereicherte Uran in den Sudan aus bundesrepublikanischen Quellen gelangte?
Über den angeblichen illegalen Umschlag von Uran und Plutonium im Sudan liegen der Bundesregierung keine Beweise vor. Zu Gerüchten kann die Bundesregierung keine Stellung nehmen.
Eine Meldung vom August 1987, wonach hochangereichertes Uran aus Zaire in den Sudan eingeschmuggelt worden sein soll, hat sich als falsch erwiesen. Wie die deutsche Botschaft in Karthum hierzu berichtete, hat es sich um eine harmlose Uranitazetatsubstanz gehandelt. Das ist das Ergebnis der Untersuchungen eines ministeriellen sudanesischen Untersuchungsausschusses, das am 24. September 1984 bekanntgegeben wurde.
Zusatzfrage, Herr Dr. Daniels.
Herr Staatsminister, ist Ihnen die Pressemitteilung vom 1. November in dieser Angelegenheit bekannt? Das ist eine andere.
Herr Kollege, ich bin nicht in der Lage, alle Pressemitteilungen von allen Daten
hier sofort zu kennen, aber ich habe meine Frage - ({0})
- Ich kenne diese Presseerklärung nicht. Ich bedaure das. - Entschuldigung, Moment, doch. Frau Präsidentin, ich darf mich entschuldigen. Es handelt sich um die Meldung vom 1. November, doch. Sie haben, wenn ich recht verstehe, gefragt - ich darf das vielleicht wiederholen - , daß Sie diese Meldung aus der Sendung des Londoner TV-Lokalsenders 20 - 20 Vision entnommen haben, und wir haben Ihnen gesagt, daß wir diese Meldung nicht bestätigen können.
Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.
Ist der Bundesregierung bekannt, wieviel Uran oder Plutonium in der Bundesrepublik in den letzten Jahren entwendet worden ist? Gibt es darüber Zahlen?
Auch das steht allerdings in gar keinem Zusammenhang mit der ersten Frage.
Doch; weil dadurch die Frage entsteht, ob ein solcher Transport hin zu diesem Schwarzmarkt möglich ist und damit andere Länder in den Besitz dieser -
Tut mir leid, Herr Kollege. Da hätten Sie anders fragen müssen. Tut mir leid. Das steht wirklich nicht im Zusammenhang
({0})
mit dem, was Sie gefragt haben. Es bleibt Ihnen nichts weiter übrig, als meine Meinung zur Kenntnis zu nehmen. Tut mir leid.
Herr Dr. Lippelt als Zusatzfrager, bitte.
Herr Staatssekretär, hier ist ja ein Aspekt angesprochen, nach dem vielleicht in allgemeinerer Weise ohne Bezugnahme auf einzelne Meldungen noch mal gefragt werden kann. Kann denn die Bundesregierung die Existenz nuklearen Schwarzmarktes ausschließen?
Ich möchte, damit zumindest ein Teil Ihrer Frage, die an sich nicht mehr in den Rahmen paßte, beantwortet wird, und zu der Frage des Kollegen Lippelt sagen, daß die Wiener Internationale Atomenergiekommission festgestellt hat, daß Entnahmen solcher Stoffe aus Anlagen in der Bundesrepublik Deutschland, die der Kontrolle und den Sicherungsmaßnahmen dieser Organisation unterliegen, nicht erfolgt sind.
Herr Dr. Mechtersheimer, bitte.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung Kontakte zur US-Administration hergestellt, die dem Zweck dienen, dieses
auch in den USA als neues Problem begriffene Thema „Gefährdung und Kontrolle von Nukleartransporten im Hinblick auf einen Schwarzmarkt und anderes" abzustimmen, zu besprechen und einzuschränken?
Auch dieses Thema, Herr Kollege - ich bitte um Verständnis - , ist eigentlich nicht ein außenpolitisches Thema, sondern mehr Thema der die betreffenden Ministerien berührenden Beziehungen, also nicht Sache des Auswärtigen Amts. Aber ich rege an, daß wir diese Frage durchaus einmal in den entsprechenden Ausschüssen diskutieren sollten, wenn sie Ihnen Sorge macht.
Ich rufe die Frage 58 des Abgeordneten Dr. Daniels auf:
Haben oder finden Untersuchungen über mögliche Endlagerstandorte für radioaktiven Müll in Tibet durch deutsche Geologen statt, und wie beurteilt die Bundesregierung die Befürchtung des Dalai-Lamas, daß Tibet internationales Atommüllager werden soll, die er am 21. September 1987 vor dem amerikanischen Kongreß äußerte?
Der Bundesregierung liegen keine Informationen darüber vor, daß im Gebiet der autonomen Region Tibet Untersuchungen über mögliche Endlagerstandorte für radioaktiven Abfall durchgeführt werden. Geologen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe nehmen an derartigen Untersuchungen - sofern sie von den Behörden der Volksrepublik China tatsächlich durchgeführt werden sollten - nicht teil. Ob andere deutsche Geologen an derartigen Untersuchungen in China teilnehmen, entzieht sich der Kenntnis der Bundesregierung.
Im übrigen ist die Bundesregierung der Auffassung, daß es sich bei einer möglichen Standortentscheidung der chinesischen Regierung für die Einrichtung eines Endlagers für radioaktiven Abfall um eine souveräne Entscheidung handeln würde, zu der eine Stellungnahme nicht angebracht wäre.
Zusatzfrage, Herr Dr. Daniels.
Sind der Bundesregierung die Ergebnisse der Geologenkonferenz vom 5. und 6. November dieses Jahres hier in Bonn bekannt, und wie stehen Sie zu den Planungen dieser Konferenz, die sich ja mit dem Thema Tibet befaßt hat?
Es mag sein, daß der Bundesregierung die Geologenkonferenz von Bonn bekannt ist. Mir ist sie im Augenblick nicht bekannt. Ich kann nur wieder sagen, daß wir von uns aus nicht bestätigen können, daß deutsche Geologen in Tibet an solchen Forschungen beteiligt sind, die mit irgendwelchen Endlagerstandorten für radioaktiven Abfall in Zusammenhang stehen. Ich weiß nun nicht, welche Behauptungen dagegenstehen oder welche Vorstellungen bei dieser Geologenkonferenz zum Ausdruck gekommen sind.
({0})
Haben Sie noch eine Zusatzfrage, Herr Dr. Daniels?
Herr Staatsminister, wie stehen Sie zu der Äußerung Ihres Kollegen aus dem Wirtschaftsministerium, der zugegeben hat, daß die Bundesregierung auch die Endlagerung von Brennelementen in China akzeptieren würde; gilt diese Akzeptanz auch für das Auswärtige Amt; und wie beurteilen Sie die außenpolitischen Konsequenzen?
Herr Kollege, die Bundesregierung hat zu derartigen Meldungen wiederholt Stellung genommen. Die Meldungen waren auch Gegenstand der Kleinen Anfrage zur nuklearen Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und China, die Sie zusammen mit Ihrer Fraktion im Juli der Bundesregierung vorgelegt hatten. Die Antwort der Bundesregierung ist am 5. November dieses Jahres erfolgt ({0}). Der Antwort ist meinerseits nichts hinzuzufügen.
Ich rufe die Frage 59 der Frau Abgeordneten Schmidt ({0}) auf:
Wie viele männliche und weibliche Antragsteller sind ({1}) seit 1. Januar 1986 in den Konsulaten bzw. in der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in der Türkei zwecks Beantragung eines Visums erschienen?
Frau Kollegin, vom 1. Januar 1986 bis einschließlich September 1987 wurden in der Botschaft Ankara und in den Generalkonsulaten Istanbul und Izmir insgesamt 215 786 Sichtvermerksanträge bearbeitet. Eine Aufschlüsselung nach Monaten liegt mir vor. Ich bin gern bereit, sie Ihnen zu überlassen.
Die Auslandsvertretungen differenzieren bei der Zählung nicht nach dem Geschlecht der Sichtvermerksbewerber.
Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Herr Staatsminister, welche Fragen müssen von den Antragstellern zur Erteilung eines solchen Sichtvermerks - ich beziehe mich da ausschließlich auf Besuchsvisa - beantwortet werden?
Also, Frau Kollegin, ich kann Ihnen jetzt aus dem Gedächtnis nicht beantworten, welche Fragen Sie beantworten, d. h. welche Fragebögen Sie ausfüllen müssen, um einen Sichtvermerk zu bekommen.
({0})
Ich bin gerne bereit, Ihnen das entsprechende Formular zur Verfügung zu stellen. Aber Sie werden bitte Verständnis dafür haben, daß ich nicht in der Lage bin, den Inhalt sämtlicher Fragebögen, die die Bundesregierung in irgendeinem Zusammenhang herstellen läßt, hier auswendig zu beherrschen.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, trifft es zu, daß es für die Antragsteller erhebliche Schwierigkeiten gibt, diese Bögen auszufüllen, und trifft es in diesem Zusammenhang weiterhin zu, daß es „Helferorganisationen " gibt, die den Antragstellern gegen hohe Geldbeträge helfen, solche Sichtvermerksanträge auszufüllen, und dabei Beträge in der Größenordnung von 120 DM verlangen, was für die Antragsteller eine ganz erhebliche Summe ist?
Frau Kollegin, Sie haben in Ihrer Frage nur danach gefragt, wie viele männliche und weibliche Antragsteller in einem bestimmten Zeitraum erfaßt werden konnten. Hätten Sie in einer zweiten Frage nach dem völlig neuen Sachverhalt, den Sie jetzt vortragen, gefragt, dann hätte ich darauf gern geantwortet. Aber Sie hatten nach statistischen Werten und nicht nach solchen Dingen gefragt. Ich gehe der Sache gern nach und bin gern bereit - auch unabhängig von einer neuen Frage -, diese Frage zu beantworten, wenn wir nachher noch einen Moment sprechen können.
({0})
Herr Dr. Klejdzinski, Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wieviel Zeit vergeht durchschnittlich von der Antragstellung bis zur Erteilung des Besuchsvisums?
Darüber gibt es sicher keinen durchschnittlichen Wert. Das hängt natürlich von sehr vielen Faktoren ab: Das hängt von Nachfragen der Ausländerbehörden ab - wie Sie wissen, gibt es die in einzelnen Fällen; das ist Sache der Länder - , es hängt von der Zahl derer ab, die Visa beantragen - Sie haben hier soeben die sehr hohe Zahl von einer viertel Million gehört - , und vom Personal der deutschen Botschaft. Es ist natürlich auch einmal eine Frage, die ich gern zurückgebe, inwieweit man bei diesen ungeheuren Anforderungen an unser Botschaftspersonal im Parlament nicht möglicherweise einmal überlegen muß, ein Personal zu entlasten. Also, die Dauer der Bearbeitung wird immer damit zusammenhängen, wie sie kräftemäßig zu bewältigen ist. Aber sie hängt natürlich auch noch von einer Reihe anderer Faktoren ab, auf die ich ja im Anschluß bei Ihrer nächsten Frage noch zu sprechen kommen werde.
Ich rufe nun die Frage 60 der Abgeordneten Frau Schmidt ({0}) auf:
Wird den Antragstellerinnen auf Erteilung eines Visums bei den Konsulaten bzw. der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in der Türkei ein Schwangerschaftstest abverlangt?
Unsere Auslandsvertretungen, Frau Kollegin, in der Türkei verlangen von sich aus keinen Schwangerschaftstest, d. h. einen Test über das Vorliegen einer Schwangerschaft. Allerdings verlangen die Ausländerbehörden der Länder gelegentlich einen solchen Test.
Zusatzfrage, Frau Schmidt.
Herr Staatsminister, ist es denn in einem einzigen anderen Land, in dem wir Visa brauchen, um einreisen zu dürfen, üblich, daß wir gefragt werden, ob wir schwanger sind
({0})
- nein, mein Lieber, Du wirst natürlich nicht gefragt - und ist es bei Besuchsvisa überhaupt eine Angelegenheit, die uns interessieren darf - egal, ob über eine Ausländerbehörde oder übers Konsulat -, ob eine Frau schwanger ist oder nicht?
Frau Kollegin, vor Erteilung eines Besuchervisums haben die Auslandsvertretungen in jedem Einzelfall die Absicht der Bewerbers oder der Bewerberin, innerhalb der dreimonatigen Gültigkeit des Visums rechtzeitig wieder auszureisen, zu prüfen. In diesem Zusammenhang kann der Nachweis über den voraussichtlichen Termin einer Entbindung wichtig sein und verlangt werden.
Ich darf aber gleich hinzufügen: Wir haben uns Ihrer Frage wegen mit unserem Generalkonsulat und mit der Botschaft in Ankara in Verbindung gesetzt. Es ist uns bekannt, daß von Ausländerbehörden einiger Bundesländer wiederholt gebeten worden ist, bei Besuchersichtvermerken entsprechend vorzugehen,
d. h. die Frage der Schwangerschaft zu prüfen. Das ist in einigen Fällen geschehen. Aber ich muß dazusagen: Es handelt sich nicht um eine große Zahl. Andererseits hat die Botschaft, hat das Generalkonsulat bei den betreffenden Ausländerbehörden gegen derartige Stellungnahmen inzwischen remonstriert. Sofern uns die Ausländerbehörden der Länder nicht andere Gründe nennen, die eine Visumsverweigerung rechtfertigen, wird sich in Zukunft das Generalkonsulat über die Äußerung der Ausländerbehörde hinwegsetzen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, ist die lange Dauer der Visaerteilungen - nach meinen Informationen bis zu acht Monaten - vielleicht auch darauf zurückzuführen, daß so umfangreiche Fragestellungen für Besuchsvisa erforderlich sind, und sehen Sie eventuell eine Möglichkeit, durch eine Reduzierung dieser Fragebögen zu einer kürzeren Bearbeitungszeit zu kommen?
Frau Kollegin, ich hatte schon darauf hingewiesen, daß sicher eine ganze Reihe von Gründen dazu geführt hat, daß die Erteilung von Visa sehr lange dauert; auch ich halte das nicht für glücklich. Selbstverständlich sollten wir - ich hatte Ihnen schon angeboten, die Fragebogen zur Verfügung zu stellen - gemeinsam überlegen, ob wir hier etwas verbessern und straffen können. Ich darf aber auch noch einmal auf den wichtigen Punkt hinweisen, daß häufig Rückfragen der Ausländerbehörden zu mühsamen Überprüfungen führen, bevor jemand ein Visum erteilt bekommen kann. Hier ist es Sache der Länder, ein schnelleres Vorgehen unserer Auslandsvertretungen zu erleichtern.
Meine Damen und Herren, damit ist die Fragestunde beendet. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Die Fragen 61 und 62 der Abgeordneten Frau Eid werden auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung setzen wir die Beratungen um 14.45 Uhr fort.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14.45 Uhr.
({0}) Wir fahren in den Beratungen fort.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 27 des Petitionsausschusses ({1}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 11/967 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Schmidt-Bott und der Fraktion DIE GRÜNEN Beendigung der Volkszählung 1987
- Drucksache 11/925 Zur Sammelübersicht 27 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1120 vor.
Im Ältestenrat ist für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte ein Beitrag von bis zu zehn Minuten je Fraktion vereinbart worden. - Kein Widerspruch des Hauses. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Schmidt-Bott.
Als „anmaßende Provokation des Bundestages in seiner Eigenschaft als Volksvertretung und Gesetzgebungsorgan" bezeichneten die Regierungsparteien eine Petition zur Aussetzung der Volkszählung und Vernichtung bereits erhobener Daten. Es ist schon bemerkenswert, wie da offensichtlich Ehrfurcht vor dem eigenen Amt und Selbstbeweihräucherung die vorherrschenden Motive der Volksvertreter sind, nach dem Motto: Wir sind schließlich wer! Erschreckend die mangelnde Bereitschaft und die Unfähigkeit, kritische Bürgerinnen und Petentinnen ernst zu nehmen.
Die Humanistische Union und das Komitee für Grundrechte und Demokratie, die mit ca. 12 000 gesammelten Unterschriften ihrer Eingabe Nachdruck verleihen wollten, erregen nun die Gemüter des Petitionsausschusses, dessen Mitglieder sich scheinbar persönlich beleidigt fühlen und nach Maßregelung gegenüber den Petentinnen schreien.
So wurde „eine ausdrückliche deutliche Zurechtweisung der Petenten für erforderlich" gehalten wegen „der Selbstachtung des Bundestages". Zur weiteren Bestrafung für diese unverschämte Petition wurde auf eine nähere Begründung verzichtet, weil auf diese Weise „der Mißbilligung des Verhaltens der Petenten besser Rechnung getragen werden" könne. Lehrer Lempel läßt grüßen.
Zusammen mit der Petition befassen wir uns mit dem Antrag der GRÜNEN, indem wir u. a. wie in der
Petition die Beendigung der Volkszählung und die Vernichtung der bereits erhobenen Daten fordern. Wir haben den Antrag nicht nur gestellt, um den Bundestag zu provozieren. Wir wollen ihn und uns vor dem sogenannten GAD schützen, dem größten anzunehmenden Datendesaster, wie es Herr Professor Brunnstein in einem Artikel der Zeitschrift „Frontal" vom Oktober 1987 nannte. Die Volkszählung hat nämlich nicht zu einer Totalerhebung geführt, sondern zu einem erhebenden Chaos.
({0})
Die Ursache dafür sieht die Bundesregierung natürlich nicht bei sich und ihren Methoden, sondern ausschließlich bei denen, die sich kritisch zum Sinn der Totalerfassung geäußert haben.
Ich will die Kritik noch einmal kurz benennen. Die Totalerhebung ist zu einer vernünftigen, demokratisch und sozial gerechten Planung nichts nütze, aber wirklich nichts nütze. Bei der Totalerhebung wird ohne Not das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt; bei der Totalerhebung wird einseitig eine Vertrauensvorleistung der Bürgerinnen eingefordert und eingeklagt zu einer höchst vertrauensunwürdigen und im Zusammenhang mit den Sicherheitsgesetzen mißbräuchlichen Nutzung.
Bei der Totalerhebung werden schließlich Millionen sinnlos in einer Zeit vergeudet, in der Sozialleistungen querbeet abgebaut werden. Der Boykottaufruf appellierte an alle, die, wie wir, diese Kritik teilen. Der Vollzug der Volkszählung überzeugte noch einige Unentschlossene durch die Erfahrung, wie viele Grundrechte vorübergehend einfach außer Kraft gesetzt wurden, Meinungsfreiheit, Demonstrationsfreiheit, Briefgeheimnis, Parteienprivileg und Pressefreiheit.
Die Bundesregierung hat mit Drohungen, Diffamierung und Kriminalisierung gearbeitet und trotzdem keinen Erfolg gehabt. Der Boykott, die Verweigerung dagegen war freiwillig. Wir haben mit unserer Aufklärungskampagne an die Vernunft und den Verstand appelliert und nicht mit Zwang gearbeitet.
Wenn nun die Bundesregierung so scharf auf Information ist, dann sollte sie der Verweigerung den Informationswert zumessen, der ihr zukommt: nämlich daß all die Menschen, die sich nicht beteiligt haben, erstens nicht an das Märchen glauben konnten, daß nach der Erhebung die Umwelt sauberer, die Wohnungen größer, zahlreicher und billiger und die Arbeitslosen weniger würden, und daß sie zweitens kein Vertrauen zu den datenspeichernden Einrichtungen hatten, kein Vertrauen zu Regierungen, staatlichen und halbamtlichen Stellen, zu Politikern, die wie in Hamburg und in Berlin in Bestechungsskandale verwickelt sind, die sich Steuerhinterziehungen im Zusammenhang mit dem Parteispendenskandal und Bespitzelung der Opposition zuschulden kommen lassen.
Einige von uns sehen allerdings heute, fünfeinhalb Monate nach dem Stichtag, auch etwas Positives an dem Mammutprojekt. Der Bewegungsmangel in der Bevölkerung - gemeint ist die körperliche Bewegung - wird von den Krankenkassen oft beklagt. Was da einmal pro Jahr als Volkswandertag deklariert die Leute auf die Beine bringt, schaffte das Unternehmen
Volkszählung viel gesundheitsbewußter und effektiver, weil Tausende von Zählerinnen über Wochen und Monate auf den langen Marsch geschickt wurden, treppab, treppauf.
({1})
Auch wurden Phantasie und Kreativität der Beamten angeregt. So konnten wir über die Pfiffigkeit der Bonner Erhebungsstelle staunen, als wir von ihrem nicht so ganz koscheren „Streusalztrick" erfuhren. Mit der Absicht, säumigen Bürgerinnen auf die Sprünge zu helfen, wurden rund 4 000 Briefe mit dem Vermerk „Bitte nicht nachsenden" verschickt. Scheinbar wurden die Bürgerinnen darin über die Schädlichkeit von Streusalz informiert. Tatsächlich wollte die Erhebungsstelle aber - wohl auch mit einem gewissen Erfolg - säumige Volkszählungsmuffel aufspüren. Soviel Phantasie und Flexibilität hatten wir von den Beamten nicht erwartet. Mein Kompliment! Ich hoffe, daß das ein Aha-Erlebnis war und diese Flexibilität und Kreativität dann auch auf den positiven Umgang z. B. mit Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen übertragen wird.
Bei der Sitzung des Innenausschusses am 7. Oktober 1987 wurde über den angeblichen Erfolg der Volksaushorchung berichtet. In der regierungsamtlichen Stellungnahme war die Rede von einer 95 %igen Beteiligung und einem Anteil von nur 1 % Boykotteurinnen. Auf unsere Nachfrage, wo denn die restlichen 4 To blieben, hieß es lapidar: weggezogen oder verstorben. Diese Aussage grenzt schon ans Komische, wenn wir glauben sollen, daß es in unserer Republik irgendwo zirka eine Million Leichen und ebenso viele Verschollene gibt.
Aber auch über das Bayreuther Amtsgericht haben wir gelacht. In einem Beschluß vom 11. April dieses Jahres wird begründet, weshalb gleich 80 Broschüren einer Bürgerinformation gegen die Volkszählung beschlagnahmt wurden, als es um den Verdacht einer Ordnungswidrigkeit ging: Eine Beschränkung auf eine geringe Anzahl könnte die Beweisführung über den Inhalt gefährden. - Also die Masse war es und nicht der Inhalt.
Außer Kuriositäten gibt es auch Vernünftiges zu berichten. Es gibt einzelne Gemeinden wie Wettringen im Münsterland, die auf Zwangsmaßnahmen gegen Boykotteurinnen verzichten, weil sie den guten Kontakt zu den Bürgerinnen nicht durch Streitereien gefährden wollen.
({2})
Der SPD-Bürgermeister im Main-Kinzig-Kreis hätte die 40 000 DM, die die Volkszählung dort gekostet hat, lieber einer Kindergärtnerin gegeben. Damit es nicht noch teurer wird, schloß er kurzerhand die Erhebungsstelle und erklärte die Volkszählung für beendet.
({3})
Ob er jetzt wohl ein Parteiordnungsverfahren bekommt? Er selbst hat nämlich auch keinen Bogen abgegeben.
Die Regel ist aber leider, daß staatlicherseits an der Kraftprobe festgehalten wird. Das geht sogar so weit, daß eine Beugehaftandrohung gegenüber einem TrieFrau Schmidt-Bott
rer GRÜNEN verhängt wurde, der sich weigerte, den Namen eines Redners bei einer Veranstaltung zu nennen.
({4})
Obwohl bei dieser Veranstaltung die Staatsschützer anwesend waren, konnten sie sich den Namen des Boykottaufrufers nicht merken. Für deren Konzentrationsschwäche sollte der besagte GRÜNE aus Trier büßen, obwohl sich der Gesuchte längst gemeldet hatte.
({5})
Wenn das Schule machen würde, gerade hier in Bonn, und alle in Beugehaft kämen, die bestimmte Aussagen verweigern oder so tun, als erinnerten sie sich nicht mehr, brauchten wir wohl mit dem Neubau des Plenarsaals gar nicht zu beginnen. In diesem Punkt sind wir uns ausnahmsweise, wirklich ausnahmsweise, mit Franz Josef Strauß einig. Am Montag nach der CSU-Landesvorstandssitzung kritisierte er mal wieder die CDU, weil sie von Barschel voreilig die Niederlegung seines Mandats gefordert hatte. Strauß sagt dazu: „Wenn alle, denen Gleiches vorgeworfen wird, die Parlamente verlassen müßten, gäbe es keine beschlußfähigen Parlamente mehr. "
({6})
Das ist zitiert nach der „Süddeutschen Zeitung", 10. November 1987.
Bei der Volkszählung geht es schon lange nicht mehr um den Gesetzesgehorsam, sondern der Regierungsgehorsam ist gefragt.
({7})
Frau Noelle-Neumann hat es auf den Punkt gebracht, und zwar am 13. Mai 1987 in einem Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen " :
Eine Volkszählung ist eine Probe auf die Regierbarkeit eines Landes. Eine gesetzlich beschlossene Maßnahme mit abstraktem, nicht leicht erklärbarem Nutzen, die aber nicht an der Mehrzahl der Bürger vorbeiläuft, sondern von jedem einzelnen ein Mitmachen verlangt, ist idealer Gradmesser. Sobald die Zahl der Ausfälle die etwa übliche Zahl von ungültigen Stimmzetteln bei einer Wahl überschreitet, wird daraus ein Symptom der Schwäche des Staates, der sich nicht durchzusetzen vermag.
Allein um staatliche Durchsetzung geht es, um eine Demonstration der Stärke und Unbeugsamkeit.
Wir setzen dagegen: Die Volkszählung ist gescheitert. Seien Sie vernünftig, hören Sie auf mit der Drangsalierung, mit der kleinkarierten Rechthaberei gegenüber kritischen Bürgern!
({8})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Göhner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was Sie, die GRÜNEN, versucht
haben, war nicht, die Regierbarkeit des Staates in Frage zu stellen, sondern zunächst einmal die Rechtsstaatlichkeit in Frage zu stellen. Es ist ein legal zustandegekommenes Gesetz, beschlossen von CDU/ CSU, FDP und SPD in diesem Hause, mit Zustimmung aller Bundesländer im Bundesrat bestätigt, von zahlreichen Gerichten, Verwaltungsgerichten, Verfassungsgerichtshöfen und dem Bundesverfassungsgericht, überprüft und formell wie materiell für rechtmäßig gehalten. Sie haben versucht - und halten an diesem Versuch mit Ihrem heutigen Antrag fest - , eben genau diesen einzig möglichen rechtsstaatlichen Weg einer parlamentarischen Demokratie dadurch zu widerlegen oder zu durchkreuzen, daß Sie die Bürger dazu aufgefordert haben, eben dieses Gesetz zu boykottieren, und damit offen aufgefordert haben, übrigens auch von dieser Stelle hier, zu einem offenen Rechtsbruch. Das soll Rechtsstaatlichkeit unmöglich machen. Das ist das eigentliche Ziel Ihrer Verweigerungspolitik.
Nun bringen Sie hier so einen tollen Antrag ein, sozusagen als Ergänzung zu der Petition. Dieser Antrag ist sehr aufschlußreich. Er unterscheidet sich nämlich von einem Gesetzentwurf, der vor wenigen Monaten in diesem Hause abgelehnt worden ist - ein Gesetzentwurf von Ihnen zur Beendigung der Volkszählung 1987 - , eigentlich nur in einem wesentlichen Punkt, von dem meine Vorrednerin kein einziges Wort gesagt hat. Sie fordern nämlich jetzt auf, die Straf-, Zwangs- und Bußgeldverfahren einzustellen. Und das ist ja nun verständlich, daß Sie das fordern; denn es hat sich in der Tat, wie wir wissen, eine verschwindend geringe Minderheit - nach Angaben der statistischen Landesämter bei den Gemeinden, die die Bögen bereits abgegeben haben, weniger als 1 % - tatsächlich von Ihnen dazu anstiften lassen zu boykottieren, was jetzt zu Zwangsgeld-, Bußgeld- oder in einigen Fällen sogar Strafverfahren geführt hat. Nun wollen Sie dieser, Ihrer Klientel schnell noch zur Seite springen mit einer scheinbar kraftvollen parlamentarischen Initiative, indem Sie sagen: Guckt mal, wir versuchen für euch zu sorgen, daß wir jetzt auch noch die Straffreiheit kriegen oder daß die Ordnungswidrigkeitenverfahren eingestellt werden.
({0})
Ich erinnere mich da übrigens an eine interessante Parallele auch im Zusammenhang mit einer Petition. Im letzten Jahr gab es hier nämlich eine Petition, auch stark unterstützt von den GRÜNEN, mit dem Ziel, die Strafverfahren im Zusammenhang mit Straftaten etwa der Nötigung aus Anlaß von Demonstrationen gegen die Nachrüstung einzustellen, damals kraftvoll vertreten von einem damals rechtspolitischen Sprecher der Fraktion der GRÜNEN, der gesagt hat: „... und müssen wir jetzt diese Verfahren einstellen." Der Mann war selbst von einem solchen Verfahren betroffen. Jetzt spielt sich das hier in ähnlicher Weise ab.
Was Sie von der Fraktion DIE GRÜNEN uns hier seit mehr als einem Jahr vorführen, ist ein klassisches Lehrstück für eine gezielte Provokation des Rechtsstaates durch eine Gruppe gewählter Abgeordneter.
Gerade vor diesem Hintergrund stellen wir wirklich mit Genugtuung fest, daß dieser versuchte Anschlag
auf unsere parlamentarische Demokratie kläglich absolut gescheitert ist.
({1})
Wir können heute eben feststellen, daß die weitere Abwicklung der Volkszählung 1987 planmäßig und erfolgreich verläuft und daß die große, ganz überwiegende Mehrheit unserer Bevölkerung von der Notwendigkeit der Volkszählung überzeugt werden konnte.
Ich will dabei durchaus erwähnen, daß eine wichtige Voraussetzung dabei war, daß auch die SPD-Fraktion diesem Vorhaben und auch dem Gesetz zugestimmt hat. Das war eine von Bundesminister Zimmermann von vornherein gemachte Bedingung für den Erfolg dieses Projektes. Es zeigt im besten Sinne das Stück Gemeinsamkeit von demokratischen Parteien, das notwendig ist, um solche Vorhaben erfolgreich durchzuführen.
Ich denke, wir sollten allen Bürgerinnen und Bürgern, vor allem den Volkszählern, den freiwilligen Helfern, den Kommunen und den Statistischen Am-tern des Bundes und der Länder für ihre Arbeit auf diesem Gebiet ausdrücklich danken.
Die Petition, die hier auch zur Debatte steht, und der Antrag der GRÜNEN sind inhaltlich natürlich weitgehend identisch. Auch die Petentin - meine Vorrednerin hat die Organisation vorhin genannt - hat in bekannter Manier in der Tat zum Boykott aufgerufen. Wenn wir solche Angriffe zurückweisen, handeln wir nicht nach dem Motto „Wir sind doch schließlich wer", sondern wir sehen die Notwendigkeit, daß wir das verfassungsmäßige Recht der Petition bitte nicht dazu mißbrauchen lassen, offen zum Rechtsbruch aufzufordern. Die Petition bestand unter anderem aus einer detaillierten Anleitung zum Boykott. Es war dringend notwendig, in dieser Weise diesen Versuch der Petentin zurückzuweisen. Ich habe bedauert, daß sich die SPD-Fraktion nicht dazu verstehen konnte, dies auch in die Begründung unseres Petitionsbescheides mit aufzunehmen. Wir haben diese Diffamierung - beispielsweise wird in der Petition die Bundesrepublik als „Verfassungsstaat" diffamiert - zurückgewiesen. Wir werden das auch künftig so halten. Das Petitionsrecht steht nicht zur Diffamierung unseres Staates und unserer Verfassung zur Verfügung.
({2})
Jedermann weiß, daß wir 17 Jahre nach der letzten Volkszählung und nach den großen Strukturveränderungen in unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft eine neue Erfassung unserer Wirklichkeit wirklich brauchen. Darauf kann nur verzichten, wer diese Wirklichkeit nicht politisch gestalten will. Das ist natürlich auch Gegenstand der Verweigerungspolitik der GRÜNEN,
({3})
streng nach dem dogmatischen Motto: Was interessiert mich die Wirklichkeit, wenn sie nicht in meine
Theorie paßt. - Das ist Inhalt Ihrer Verweigerungsideologie, mit der Sie auch heute wieder operiert haben.
Jenen Leuten, die zum Rechtsbruch aufgerufen und zu Ordnungswidrigkeiten angestiftet haben, ging es nicht um Datenschutz, Persönlichkeitsschutz, sondern darum, die Funktionsfähigkeit des demokratischen Staates in Frage zu stellen.
({4})
Das Volkszählungsgesetz ist von der großen Mehrheit des Volkes getragen worden. Jetzt, nachdem die Volkszählung sich ganz offensichtlich als Erfolg abzeichnet, ist Ihr Problem: Wie können wir angesichts unseres gescheiterten Versuchs, gerade dies als Testfall gegen die parlamentarische Demokratie, gegen Rechtsstaat anzuführen, nun doch noch irgend etwas demonstrieren, um wenigstens noch recht zu haben? - Daß Sie jetzt versuchen, den Erfolg durch einen Antrag auf Einstellung der Volkszählung, Vernichtung der Unterlagen, Nichtverwendung der Ergebnisse hier im Bundestag zu vereiteln, das ist, wie ich zugebe, von einer gewissen Konsequenz, denn es ist die einzige Chance, von der Sie wissen, daß man den Erfolg noch verhindern könnte. Aber Sie geben sich ja keinen Illusionen hin. Was wir für notwendig gehalten haben, was vom Bundestag und vom Bundesrat beschlossen worden ist, was nach strengsten Maßstäben, die peinlich genau eingehalten worden sind, die inhaltliche Billigung durch das Bundesverfassungsgericht erfahren hat, was durch das Verfassungsgericht bestätigt worden ist, das werden wir auch erfolgreich zu Ende führen.
Danke sehr.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Peter ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Vorteil einer Debatte über eine Petition ist, daß man eng am Anliegen der Petenten diskutieren kann. Das ist sogar unser Auftrag, und im Petitionsausschuß legen wir uns immer selbst den Zügel an, die Behandlung von Petitionen nicht zu allgemeinpolitischen Erörterungen zu machen.
Deshalb rufe ich in Erinnerung: Hier geht es tatsächlich um eine Petition, die Petition der Humanistischen Union und des Komitees für Grundrechte und Demokratie, durch cirka 12 000 Unterschriften gestützt, also 12 000 Mitmenschen in der Bundesrepublik, die von ihrem Grundrecht auf Petition Gebrauch gemacht haben. Das Anliegen der Petition ist: Aussetzung der Volkszählung 1987, gegebenenfalls Vernichtung bereits erhobener Daten. Die Begründung lautet: Verfassungswidrigkeit des Volkszählungsgesetzes oder Unruhe in der Bevölkerung über die Volkszählung und die Vorgänge um die Volkszählung. Dazu ist gekommen ein Antrag der GRÜNEN mit dem gleichen Ziel, jedoch mit dem neuen Argument, die Volkszählung sei gescheitert.
Ich halte es bei diesem Tagesordnungspunkt für sinnvoll, sich zunächst am Anliegen der Petenten zu
Peter ({0})
orientieren. Da im Petitionsausschuß die Debatte, sehr verkürzt, nur um die Begründung ging, hat die SPD-Fraktion eine interne Debatte geführt, die zu dem Ergebnis kommt: Die Volkszählung ist sowohl formell als auch materiell verfassungsgemäß.
Zweitens: „Unruhe in der Bevölkerung" kann kein Argument sein, vom Vollzug des Gesetzes über die Volkszählung abzusehen.
Die gleiche Methode, mich mit der Begründung auseinanderzusetzen, ist auch auf den Antrag der GRÜNEN anzuwenden. Ich gehe einmal davon aus, daß die Aussage des Präsidenten des Statistischen Bundesamtes, Herr Hölder, dabei Grundlage sein muß. Er redet von 95 % Rücklauf und von 2 bis 3 bewußter Mogelei, von unterschiedlichen Ergebnissen in verschiedenen Städten - Stuttgart 97 % Rücklauf und Tübingen etwa 80 % Rücklauf - , von einer unterschiedlichen Praxis von Kommunen bei der Durchführung des Gesetzes und kommt zu dem Ergebnis, daß es keine größere Abweichung bei den Ergebnissen der Volkszählung geben wird als 1970. So weit, so gut. Da mag an der einen oder anderen Stelle an diesen Daten herumgedeutet werden.
Aber für das, was nach unserer Auffassung wesentliche Aufgabe der Volkszählung ist, nämlich der Gesellschaft eine Grundlage zu geben, sich ein relativ genaues Bild über sich selbst zu machen, und Statistik als öffentliches Gut und damit Arbeitsgrundlage für die gesamte Gesellschaft herzustellen, genügen uns die Aussagen, die der Präsident des Statistischen Bundesamtes gemacht hat, durchaus.
Nur, durch die Zuspitzung von beiden Seiten, nämlich man müßte diese Daten alle hundertprozentig erhebungssicher haben, um z. B. eine Umweltmaßnahme zu begründen oder um Verkehrspolitik zu begründen, ist eigentlich dieses Ziel, öffentliche Statistik herzustellen, aus dem Blickfeld geraten. Dadurch ist dann auch aus dem Blickfeld geraten, daß es ja zusätzlich zu den Grundlagen der Volkszählungsdaten noch andere Erhebungsmethoden gibt wie z. B. Mikrozensus und anderes. Ich glaube, das sollte dabei berücksichtigt werden, wenn man versucht, sich rational auseinanderzusetzen.
Wenn diese rationale Auseinandersetzung erfolgt, komme ich mit der SPD-Fraktion zu dem Ergebnis, daß der grüne Antrag genauso abgelehnt werden muß, wie die erwähnte und in Rede stehende Petition als erledigt zu betrachten ist.
Aus dem Ablauf der Volkszählung ist allerdings auch deutlich geworden, daß der Deutsche Bundestag eine erhebliche Fehleinschätzung der durch die Volkszählung entstehenden Kosten gehabt hat.
({1})
Deshalb bleibt die Forderung der SPD-Fraktion, die Kosten, die den Gemeinden zusätzlich entstanden sind, voll zu übernehmen, natürlich bestehen. Das ist ein Ergebnis - obiter dictum gewissermaßen - dieser Auseinandersetzung mit dem Antrag der GRÜNEN.
Nun hat die Debatte über die Petition allerdings eine zweite Seite, die Seite nämlich, wie der Petitionsausschuß in seiner Mehrheit - exakt: mit den Stimmen der CDU/CSU und FDP - mit dem Anliegen der Petenten umgegangen ist, die sich das Recht genommen haben, eine Petition einzubringen. Hier liegt eine für das Parlament unsichtbare Seite. Sie gilt es in dieser Debatte auch zu erhellen.
Es gab im Ausschuß eine Abstimmung über zwei dem Ausschuß vorliegende Begründungen: eine von der SPD gestützte Begründung der Ablehnung, die ich eben im Kern dargestellt habe, und eine CDU/ CSU-FDP-gestützte Begründung, in der es wichtiger war festzustellen, daß die Petenten ihr Grundrecht mißbrauchen, als sich mit dem Anliegen der Petition auseinanderzusetzen.
Herr Dr. Göhner, Sie als Jurist und Ausschußvorsitzender: Der Petitionsausschuß hat nicht die Aufgabe festzustellen, daß Petenten ihr Grundrecht der Petition mißbrauchen. Dazu gibt es tatsächlich andere Einrichtungen.
({2})
In der Begründung der CDU/CSU und FDP spielt die „Bürgerinformation zur Volkszählung " des Grundrechtekomitees offenbar eine wichtigere Rolle als die ganze Petition und das Anliegen selbst.
({3})
Ich will nur die entscheidenden Stellen aus der Begründung zitieren, damit sich die Öffentlichkeit davon ein Bild machen kann:
Die „Bürgerinformation" enthält unverhüllte detaillierte Anleitungen zum Boykott der Volkszählung. Sie kann deshalb als Aufruf zum Boykott verstanden werden.
Das ist das eine Zitat. Ich warne dabei vor der durchaus differenzierten Rechtsprechung, was alles Aufruf zum Boykott ist.
Daraus wird die Schlußfolgerung gezogen - wieder Zitat - :
Die Bezugnahme auf die „Bürgerinformation" gibt der Petition den Charakter einer anmaßenden Provokation des Bundestages in seiner Eigenschaft als Volksvertretung und Gesetzgebungsorgan.
Ich frage, wer hier anmaßender ist: die Petenten oder diejenigen, die dieser Formulierung der Begründung zugestimmt haben.
({4})
Und dann am Schluß:
Unter den gegebenen Umständen versteht es sich von selbst, daß das weitere Anliegen der Petenten, bereits erhobene Daten zu vernichten, ernstlich nicht in Betracht gezogen werden kann.
Sachauseinandersetzung findet in dieser Begründung nicht statt.
({5})
Vielmehr drängt sich, wenn man diese Begründung
liest, Herr Göhner, der Eindruck auf: Es gibt Kräfte in
Peter ({6})
diesem Hause, die meinen, daß Volkszählung ein Synonym für Untertanenzählung sei.
({7})
Anders kann man es nicht interpretieren, daß hier Petenten wegen der Wahrnehmung eines Grundrechtes beschimpft werden. Offensichtlich ist das genau die Situation, in der sich auf beiden Seiten unserer Gesellschaft Volkszählungswiderstand und Volkszählungsdemagogie gegenseitig hochgeschaukelt haben. In einer Gesellschaft, in der es bei Gott im Moment wichtiger wäre, sich gegenseitig die Angst zu nehmen, wird Angst erzeugt.
Vertrauensbildende Maßnahmen, auch am Beispiel der Volkszählung, wären im Moment die richtige Alternative zu gegenseitiger Eskalation; denn an gegenseitiger Eskalation kann sicherlich keiner ein Interesse haben.
Schönen Dank.
({8})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Segall.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein weiteres Mal müssen wir uns hier mit der Volkszählung befassen. Anlaß ist diesmal eine Entscheidung des Petitionsausschusses und ein Antrag der GRÜNEN zur Beendigung der Volkszählung 1987. Obwohl es mir angesichts der zum Teil aggressiven Diktion der Petenten schwerfällt, möchte ich im ersten Teil meiner Rede inhaltlich auf die Argumente der Volkszählungsgegner eingehen. In einem zweiten Teil werde ich versuchen klarzustellen, welches Staatsverständnis bei den Petenten vorherrscht.
Im wesentlichen sind es drei Argumente, die von den Gegnern des Volkszählungsgesetzes vorgetragen werden. Erstens sei das Volkszählungsgesetz selbst nicht verfassungsgemäß. Zweitens sei die Ausführung des Gesetzes nicht verfassungskonform. Schließlich sei die Unruhe in der Bevölkerung über die Volkszählung so groß, daß die Pflicht eines demokratischen Parlaments bestehe, die Durchführung des Volkszählungsverfahrens zu beenden.
Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Volkszählungsgesetzes und auch zur zweiten Frage der Ausführung des Gesetzes liegt inzwischen eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vor. Nur am Rande sei bemerkt, daß die Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen wurde.
Doch nun möchte ich kurz die wesentlichen Argumente des Bundesverfassungsgerichts nennen, die die Ansicht der Petenten, das Gesetz sei nicht verfassungsgemäß, entkräften. Im Gegensatz zur Meinung der Petenten vertritt das Bundesverfassungsgericht die Auffassung, daß das Volkszählungsgesetz ausreichende Vorkehrungen gegen eine von Verfassungs wegen verbotene Reidentifizierung trifft. Dies sei selbst dadurch nicht in Frage gestellt, daß es auch nach der Entfernung von Identifizierungsmerkmalen
die theoretische Möglichkeit gibt, eine Reidentifizierung vorzunehmen. Zum einen könne dieser Umstand unberücksichtigt bleiben, weil diese Möglichkeit nur bei Nichtbeachtung der Maßnahmen zur Datensicherung und bei einem entsprechenden Zusatzwissen in Betracht gezogen werden kann. Wichtiger ist aber ein anderes Argument: Das Gericht führt aus, daß das verbleibende geringe Reidentifizierungsrisiko als notwendige Folge einer im überwiegenden Allgemeininteresse angeordneten Statistik hinzunehmen sei, wenn und soweit innerhalb der statistischen Ämter ausreichende organisatorische Vorkehrungen zur Wahrung des Reidentifizierungsverbotes getroffen würden.
Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, diese Überlegung scheint bei Ihnen keinen Eingang gefunden zu haben. Wie anders könnte man sich sonst Ihren Antrag erklären?
Andere Argumente des Gerichts zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes möchte ich vernachlässigen und Gründe nennen, warum auch das zweite Argument der Petenten, die Ausführung des Volkszählungsgesetzes sei verfassungswidrig, unzutreffend ist. Entsprechend der Ansicht der Petenten machten auch die Beschwerdeführer geltend, daß die derzeitige Durchführung des Volkszählungsgesetzes durch die statistischen Landesämter mangelhaft sei, insbesondere deshalb weil Löschungs-, Anonymisierungs- und Abschottungsregeln mangelhaft eingehalten würden.
Zu Recht weist das Gericht in diesem Zusammenhang auf die unabhängigen Datenschutzbeauftragten hin, die jederzeit schützend und rechtswahrend die Durchführung des Gesetzes überwachen. Neben dieser staatlichen Kontrolle steht es jedem Bürger frei, die Durchführung des Gesetzes vor den Fachgerichten überprüfen zu lassen. Mängel bei der Ausführung des Gesetzes berühren also nicht, wie dies den Petenten offensichtlich vorschwebt, die Verfassungsmäßigkeit des Volkszählungsgesetzes. Ausführungsdefizite im Einzelfall müssen durch die Fachgerichte verhindert werden. Die Verfassungsmäßigkeit des Volkszählungsgesetzes bleibt davon aber unberührt.
Das dritte Argument der Petenten schließlich, wonach eine entsprechend große Unruhe in der Bevölkerung die Pflicht des demokratischen Parlaments auslöse, ein Gesetz zurückzuziehen, wird nur verständlich, wenn man das Staatsverständnis der Petenten berücksichtigt. Die Petenten meinen, daß große Unruhe in der Bevölkerung gleichsam eine plebiszitäre Bindung des Parlamentariers auslöse, der Stimme des Volkes zu gehorchen. Einmal ganz abgesehen davon, daß einige durch Agitation lauthals geäußerte Stimmen mit der Stimmung der Bevölkerung nichts zu tun haben, halte ich diesem plebiszitären Verfassungsverständnis meine Weisungsfreiheit als Abgeordnete entgegen.
Meine Damen und Herren, das eigentlich Bedenkliche an der Petition ist nicht darin zu sehen, daß die Petenten offensichtlich eine plebiszitär ausgerichtete Demokratie wollen - darüber kann man sachlich streiten - , bedenklich ist es aber, wenn die Petenten eine zwangsweise Durchsetzung des Volkszählungsgesetzes als staatliche Disziplinierungsmaßnahme beFrau Dr. Segall
zeichnen und die Bundesrepublik Deutschland als Erfassungsstaat, der seine Bürgerinnen und Bürger zu Puppen an unsichtbaren Drähten der Politik mit den Mitteln der modernen Datenverarbeitung machen will, diffamieren.
Kolleginnen und Kollegen, was haben wir Parlamentarier falsch gemacht, daß, wenn auch nur bei einer Minderheit, dieses völlig realitätsfremde Staatsverständnis von der Bundesrepublik Deutschland aufkommen konnte? Wie ist es zu erklären, daß bei jungen Menschen die zwangsweise Durchsetzung eines demokratisch beschlossenen Gesetzes nicht als Pflicht der Exekutive und damit als Garant der Realisierung demokratisch gefaßter Beschlüsse verstanden wird? Ich meine, daß eine Entwicklung, die mit einer realitätsfremden Staatsauffassung beginnt und sich in den Worten „Sicherheitsapparat" und „Repressionsapparat" niederschlägt, tragisch für andere in einem Waldstück an der Frankfurter Startbahn West enden kann.
({0})
Wir Parlamentarier sollten uns alle in die Pflicht nehmen - wir sind verpflichtet - , diesem falschen Staatsverständnis überzeugend entgegenzutreten. Wir sind aber auch verpflichtet - dafür trete ich mit aller Entschiedenheit ein - , demokratisch beschlossene Gesetze mit den rechtsstaatlichen Mitteln der Zwangsvollstreckung durchzusetzen. Die schweigende Mehrheit der Bevölkerung verlangt dies von uns.
({1})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Herr Spranger.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch der jetzt diskutierte Antrag der GRÜNEN geht völlig an der Realität vorbei.
({0})
Sie wollen einfach nicht zur Kenntnis nehmen, daß die Volkszählung erfolgreich war und daß der von Ihnen mit großem Aufwand betriebene Boykott der Volkszählung kläglich gescheitert ist. Ich muß auch sagen: Die abstrusen Äußerungen von Frau Schmidt-Bott zeigen zusätzlich, wie sehr Sie auch die Vernunft der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland in diesem Zusammenhang unterschätzt haben;
({1})
denn die ganz überwältigende Mehrheit der Bevölkerung hat die Volkszählung als das empfunden, was sie seit eh und je sowohl bei uns als auch weltweit ist, eine notwendige Inventur, die die unentbehrlichen Handlungsgrundlagen für eine dem Sozialstaatsprinzip verpflichtete staatliche Politik liefert.
So hat es auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung im Jahre 1983 festgestellt. Mit dieser Zielsetzung hat der Deutsche Bundestag mit ganz überwältigender Mehrheit im Jahre 1985 das Volkszählungsgesetz 1987 beschlossen.
Die von den GRÜNEN aufgestellten Behauptungen für eine Beendigung der Volkszählung sind falsch. Sie stehen im Widerspruch zu dem tatsächlichen Ablauf und auch zu dem Ergebnis der Arbeiten bei der Durchführung der Volkszählung.
({2})
Nach den uns vorliegenden Berichten der statistischen Ämter ergibt sich folgendes Bild: Das Verteilen und Einsammeln der Erhebungsunterlagen durch die Zähler ist beendet. Soweit Haushalte bzw. Personen durch die Zähler nicht erreicht wurden, haben die Erhebungsstellen die Unterlagen per Post zugesandt. Dieses Verfahren ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ebenfalls abgeschlossen.
Ein verhältnismäßig großer Anteil der Befragten hat den Postweg für die Rückgabe der ausgefüllten Fragebögen gewählt. Von dieser Möglichkeit haben mehr Bürger Gebrauch gemacht, als ursprünglich erwartet wurde. Bundesweit dürfte dieser Anteil etwa 30 % betragen.
Nach den Feststellungen der statistischen Ämter des Bundes und der Lander sowie der kommunalen Spitzenverbände ist in ländlichen Regionen und kleineren Städten die Zählung nahezu abgeschlossen. In größeren Städten sind im Durchschnitt 95 % der Unterlagen in den Erhebungsstellen eingegangen.
({3})
Die Erhebungsstellen haben bei den Statistischen Landesämtern, die die Fragebögen auswerten, durchschnittlich über die Hälfte der Volkszählungsunterlagen abgeliefert, in Bayern sind es bereits drei Viertel der Fragebögen, die dem Statistischen Landesamt vorliegen. Aus diesen Zahlen wird deutlich, daß die Erhebungsstellen konzentriert und zügig gearbeitet haben.
Verweigerungen fielen insgesamt nicht ins Gewicht. In fast allen Gemeinden, die ihre Volkszählungsunterlagen bereits dem Statistischen Landesamt zugeleitet haben, lagen die Verweigerungen weit unter einem Prozent.
({4})
Die Qualität der Daten ist gut. Sie entspricht dem Standard früherer Zählungen. Das haben Ende Oktober auch die Vertreter der kommunalen statistischen Ämter in einer Presseerklärung sehr deutlich und eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht. Dies gilt grundsätzlich auch für die postalisch zurückgesandten Erhebungsunterlagen, wenngleich hier naturgemäß in größerem Umfang Nachbearbeitungen und Rückfragen bei den Bürgern erforderlich waren.
Die von den statistischen Ämtern des Bundes und der Länder für die Durchführung der Zählung aufgestellten Zeitpläne konnten bei anfänglichen Verzögerungen im wesentlichen eingehalten werden. Soweit Arbeitsrückstände aufgetreten sind, sind sie auf den
höheren Berarbeitungsaufwand zurückzuführen, der durch die Rückgabe der Fragebögen auf dem Postweg entstanden ist.
Schließlich, die Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte, der Verwaltungsgerichtshöfe, des Bundesverfassungsgerichts hat ausnahmslos die Verfassungsmäßigkeit des Volkszählungsgesetzes und seiner Durchführung bestätigt. Das Bundesverfassungsgericht hat durch die Erste Kammer des Ersten Senats in jüngster Zeit mehrere Entscheidungen zum Volkszählungsgesetz 1987 getroffen. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesen Entscheidungen ebenfalls die Verfassungsmäßigkeit der von einigen Verfassungsbeschwerdeführern beanstandeten Regelungen des Volkszählungsgesetzes und seines Vollzuges mit eingehender Begründung herausgestellt. Die Verfassungsbeschwerdeführer hatten nahezu alle gegen die Volkszählung geltend gemachten Einwände vorgetragen. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts haben deshalb grundsätzliche und weit über die Klärung der Einzelfälle hinausreichende Bedeutung.
Nach den Feststellungen der Bundesregierung kann am Erfolg der Volkszählung überhaupt nicht gezweifelt werden. Die bisherigen Ergebnisse bestätigen, daß der Versuch der GRÜNEN und anderer, unsere Bevölkerung über die Volkszählung in die Irre zu führen, jämmerlich mißlungen ist.
Aus der Sicht der Bundesregierung ist deshalb der vorliegende Antrag der GRÜNEN abzulehnen.
({5})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1120. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 11/967 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen einige Stimmen der GRÜNEN ist das so angenommen.
Wir stimmen jetzt über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN - Beendigung der Volkszählung 1987 - auf Drucksache 11/925 ab. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 28 des Petitionsausschusses ({0}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 11/968 Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1138 vor.
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Reuter.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Beide hier vorliegende Petitionen fordern die Anerkennung des Berufs der Unterrichtsschwester oder des Unterrichtspflegers als Mangelberuf und somit die zuschußweise statt darlehensweise Förderung der Fortbildung zur Unterrichtsschwester oder zum Unterrichtspfleger gemäß § 44 Abs. 2 Nr. 4 des Arbeitsförderungsgesetzes durch die Arbeitsverwaltung in Nürnberg.
Meine Damen und Herren, der Arbeits- und Sozialminister, der heute morgen so vollmundig wiederum erklärt hat, daß wir doch die berufliche Qualifikation brauchen, um das Phänomen Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, bringt es in seinem Ministerium nicht fertig, hier dem Antrag der Petenten zu entsprechen. Er begründet seine These, bundesweit für die Berufsklasse 8531 Kräftemangel zu attestieren damit, daß er eine Statistik heranzieht, die für die Bewertung dieses Vorganges völlig untauglich ist. Die Petenten belegen glaubhaft, daß Stellenvermittlungen im Bereich der Berufsklasse - das sind die von mir genannten Ausbildungskräfte für Krankenpflege - nicht über die Arbeitsämter vorgenommen werden, sondern durch Inserate in Fachzeitschriften, betriebsinterne Ausschreibungen und ähnliches.
({0})
Daher werden offene Stellen den Arbeitsämtern selten gemeldet. Deshalb kann man eine Statistik, die auf falschen Daten basiert, nicht heranziehen, um hier eine sachgerechte Entscheidung zu treffen.
({1})
Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz hat zu dieser Streitfrage der Anerkennung als Mangelberuf umfassende Untersuchungen jenseits der Arbeitsverwaltungsstatistik durchgeführt und ist in seinem Urteil zu der Auffassung gelangt, daß der Beruf der Unterrichtsschwester oder des Unterrichtspflegers regional und bundesweit als Mangelberuf anzusehen ist. Von 1983 bis 1985 waren im Bundesgebiet ca. 10 % der Unterrichtspfleger- oder Unterrichtsschwesternstellen unbesetzt. Im selben Zeitraum waren unter den Unterrichtskräften ca. 10 % nicht als Lehrpersonal ausgebildet. Ich könnte die Begründungen aus Rheinland-Pfalz ellenlang fortsetzen.
Ich verweise auf einen anderen Aspekt. Das Europäische Übereinkommen vom 25. Oktober 1985 empfiehlt eine Verhältniszahl zwischen Schülern und Ausbildern von 15 : 1. Diese Norm wird zwar im Wortlaut des Krankenpflegegesetzes nicht übernommen. Doch kann oder muß sogar angenommen werden, daß im Interesse einer effizienten Ausbildung und einer einheitlichen europaweiten Angleichung auch vom bundesdeutschen Gesetzgeber ein entsprechendes Verhältnis angestrebt wird. Aber die Schüler-LehrerRelation beträgt derzeit durchschnittlich 30 : 1. Mittelfristig werden bis 2 500 Unterrichtskräfte zusätzlich
benötigt. Daher ist mit einer erheblichen Verschärfung der Mangellage zu rechnen.
Deshalb bitte ich Sie herzlich, unserem Antrag zuzustimmen, den Bundesminister für Arbeit und Soziales aufzufordern, diese Berufsbereiche als Mangelbereiche auszuweisen, damit hier eine Förderung erfolgen kann. Es kann doch keinen Sinn machen, daß die Bundesregierung permanent von beruflicher Qualifikation spricht, aber den Bürgern, die willens und bereit sind, das zu tun, die finanzielle Grundlage nicht bereitstellen will.
({2})
Die Leidtragenden sind wieder die Frauen, die es sich nicht leisten können, sich beruflich zu qualifizieren, wenn sie nachher mit 30 000 DM Schulden dastehen.
({3}) Ich trage Ihnen noch ein kurzes Zitat vor:
Der Schwerpunkt unserer offensiven Arbeitsmarktpolitik liegt bei beruflicher Qualifizierung und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Aus- und Weiterbildung sind ein Schlüssel für mehr Beschäftigung.
Das sind die Worte unseres Bundeskanzlers Helmut Kohl vom 18. März 1987.
Meine Damen und Herren, tragen Sie dazu bei, daß die Aussagen Ihres Bundeskanzlers nicht leere Worthülsen bleiben! Stimmen Sie unserem Antrag zu! Sie retten damit ein Stück Glaubwürdigkeit Ihrer Regierung.
Schönen Dank.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Fuchtel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die eigentliche Ursache, Herr Kollege Reuter, für die heute behandelte Petition ist nicht die Frage, ob ein Mangelberuf vorliegt. Den Unterrichtsschwestern geht es einfach darum, daß sie künftig die Kosten für ihre Weiterbildung nicht mehr als Darlehen, sondern als Zuschuß erhalten. Das sollten wir hier deutlich aussprechen.
({0})
Zugegebenermaßen ist deren Weiterbildung nicht billig und der Mehrverdienst anschließend nicht überwältigend. Insoweit verstehe ich das Anliegen der Betroffenen. Sie suchen jetzt Hilfe in einem Paragraphen des Arbeitsförderungsgesetzes. Auch das verstehe ich.
Aber der genannte § 44 des Arbeitsförderungsgesetzes kann hier nicht helfen. Voraussetzung wäre nämlich ein tatsächlicher Mangel an Unterrichtsschwestern. Die nackten Fakten sehen aber anders aus: Im September 1986 gab es nicht weniger als 589 arbeitslose Unterrichtsschwestern. Dagegen standen ganze 83 offene Stellen. Das heißt: Auf eine offene Stelle kommen 7 Arbeitslose. Und dies soll nach Meinung der SPD ein Mangel sein! Der SPD und den GRÜNEN muß ich entgegenhalten: Hier liegt kein
Mangel an Kräften, sondern ein Mangel an politischer Vernunft vor.
({1})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reuter?
Nein, die Zeit ist mir zu kurz. - Nun kann man sagen - wie das vorhin der Herr Reuter gemacht hat - : Dies alles interessiert uns eigentlich nicht. - Mich wundert, daß die SPD auf einmal nichts mehr von Statistiken wissen will. Wenn wir beim Arbeitsmarkt auf die steigende Zahl der Erwerbstätigen hinweisen, halten Sie uns die Quote entgegen. Hier ist die Quote mindestens 14 % Arbeitslosigkeit, und trotzdem argumentieren Sie umgekehrt. Sie müssen uns schon sagen, Herr Kollege Reuter, wie Sie es künftig halten wollen.
Sicher kann nicht ausgeschlossen werden, daß es hin und wieder regionale Engpässe gibt. Deswegen können wir aber doch nicht das Arbeitsförderungsgesetz an dieser Stelle öffnen. Wir sollten auch an die Folgen denken. Die Nachfrage nach dieser Weiterbildung wird dann steigen; also wird es eine noch höhere Quote von Arbeitslosen geben. Das können doch auch Sie eigentlich gar nicht wollen.
Ich möchte auch daran erinnern, daß diese Sache Präzedenzwirkung hätte. Angesichts einer Quote von 14 % Arbeitslosen wäre es ein Bärendienst, wenn wir mit einer solchen begünstigenden Regelung die Zahl der Arbeitslosen auf bis vielleicht 20 % herauf schrauben würden. Die Bundesanstalt für Arbeit würde so mit ihrem eigenen Geld weitere Arbeitslosigkeit produzieren. Das kann doch nicht Sinn der Bundesanstalt für Arbeit und der Gesetzgebung unseres Landes sein.
({0})
Meine Damen und Herren, Sie müssen schon eine ganz besondere Art von Interessenvertretern der Arbeitnehmer sein, wenn Sie dies für richtig halten.
({1})
Wir müssen auch gegenüber Regelungen im Arbeitsförderungsgesetz Zurückhaltung üben, die eine notwendige Mobilitätsbereitschaft von Arbeitnehmern schwächen. Was wir brauchen, ist nicht weniger Mobilität, sondern Bereitschaft zu mehr Mobilität.
({2})
Und es gibt nun eben für Unterrichtsschwestern nicht an jedem Ort eine Arbeitsstätte. Wer nur begrenzt zum Ortswechsel bereit ist, kann doch diese Tatsache nicht grenzenlos der Allgemeinheit anlasten.
({3})
Ich spreche hier als jemand, der aus dem Süden unseres Landes kommt. Und da muß ich feststellen, daß wir um Arbeitskräfte werben und daß dies äußerst mühsam ist. Das darf doch durch Öffnung des Arbeitsförderungsgesetzes nicht noch schwieriger werden.
Aus diesem Grund möchte ich darum bitten, daß diese Petition für erledigt erklärt wird.
({4})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Nickels.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie Sie wissen, bin ich gelernte Krankenschwester und kenne das Problem ein bißchen aus der Praxis.
Zunächst einmal muß man hier feststellen, daß die Bundesregierung es bei der Änderung des Krankenpflegergesetzes - wobei auch die Empfehlungen des Europäischen Übereinkommens einfließen und dem Sinn nach erfüllt werden sollten - für wünschenswert erklärt hat, ein Verhältnis von 1 : 15 von Unterrichtsschwester zu Krankenpflegeschülerinnen herzustellen. Die Realität sieht so aus, wie der Kollege von der SPD es gesagt hat: 1 : 30.
Was das bedeutet, kann ich Ihnen aus der Praxis schildern: Es gibt sehr viele kleinere Häuser, in denen eine einzige ausgebildete Unterrichtsschwester für 60 Schülerinnen zuständig ist. Und diese arme Frau ersäuft in Verwaltungskram und hat ganz wenig Zeit, wirklich selber Unterricht zu erteilen oder - was im Sinne der Zusammengehörigkeit von praktischer und theoretischer Ausbildung nötig wäre - die Schülerinnen auch auf der Station in Pflegetechniken, im Umgang mit Patienten zu unterweisen. Dazu kommt eine Unterrichtsschwester aber in aller Regel überhaupt nicht. Ich habe noch keine gesehen, die das kann, ohne sich wirklich dumm und dusselig zu arbeiten.
Von daher gesehen: Nach meiner praktischen Erfahrung und nach den Zahlen, die die Bundesregierung selber empfohlen hat, ist hier ein Mehrbedarf unabdingbar gegeben. Der ist von der ÖTV in Höhe von 2 000 Unterrichtsschwestern errechnet.
Nun haben Sie gesagt, daß es mehr als 500 arbeitslose Unterrichtsschwestern gebe. Hier ist schon einmal darauf hingewiesen worden, daß die Statistiken nicht in Ordnung sind, weil die Vermittlung von Schwestern, auch von Unterrichtsschwestern, in aller Regel über die Fachzeitschriften und nicht über die Arbeitsämter läuft. Das muß man hier noch einmal sagen.
({0})
Sie können nicht an der Wirklichkeit vorbei reden, Herr Fuchtel, das geht einfach nicht.
Ein Problem ist auch, daß die Zahl der Unterrichtsstunden für die Ausbildung auf 1 800 Stunden erhöht worden ist.
Ich will ein weiteres Problem einführen, das in der Petition nicht zum Ausdruck kommt, aber damit im Zusammenhang gesehen werden muß: Es gibt eine unabdingbare Verknüpfung von fiskalischen Gesichtspunkten und Krankenpflegeerfordernissen. Ich habe den Eindruck, daß der Krankenpflege und der Krankenversorgung generell das Diktat des Geizes aufgezwungen wird.
({1})
Meine Kolleginnen auf den Stationen - also auch die Unterrichtsschwestern -, müssen unglaublich arbeiten, weil in den Krankenhäusern Personal eingespart wird. Mittlerweile werden ehrenamtliche Kräfte, karitativ engagierte Menschen in den Krankenhäusern benötigt, um die psychische Betreuungsarbeit zu leisten, die aus Arbeitsüberlastung in der Krankenpflege zwangsläufig oft zu kurz kommen muß. Die Schwester kann das nicht mehr. Eine Schulschwester kann - wie ich eben schon ausführte - von ihrem Zeitbudget her die Schülerinnen auf den Stationen nicht vernünftig anweisen. Das ist ein Skandal.
Man muß sich wirklich überlegen, ob man auf lange Sicht gesehen eine qualifizierte Schwesternausbildung haben will, ob man eine qualifizierte, vernünftige Krankenbetreuung haben will oder ob hier das Diktat des Geizes herrschen soll. Das ist ein Problem, das in der Petition nicht angesprochen ist, das ich aber der Regierung wirklich noch einmal auf den Tisch legen will.
Das Haus, in dem ich gelernt und gearbeitet habe, ist ein kleines kirchliches Haus. Dort konnte man es sich nicht leisten, eine zweite Unterrichtsschwester einzustellen. Sie haben viele Jahre im Verbund mit anderen kirchlichen Häusern eine Schulschwester als Leiterin gehabt, weil es sonst zu teuer geworden wäre, und haben den Unterricht von Ärzten machen lassen, damit sie nicht die ganzen Nebenabgaben leisten mußten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Kollegin?
Ja, bitte.
Frau Nickels, ich verstehe Ihre Argumentation für die Krankenschwestern sehr gut. Aber können Sie mir einmal erklären, wie das Problem durch Erledigung der Petitionen im Sinne der Petenten gelöst werden kann? Ich meine, Sie müßten die Lösung dieses Problems auf einem ganz anderen Gebiet suchen.
Frau Kollegin, erst einmal muß ich das Problem ernst nehmen. Ich habe hier gesagt, es sind zwei Dinge wichtig: erstens eine vernünftige, ordentliche Ausbildung und zweitens: Wenn die Regierung die Gesetze, die sie selber macht, wirklich ernst nimmt - der Schlüssel muß also 1 : 15 sein, Bedarf: 2 000 Kräfte - , dann müssen Sie hier unabdingbar das Arbeitsförderungsgesetz ändern, damit Sie auch eine angemessene Anzahl von Unterrichtskräften bekommen. Das ist eine ganz klare Sache.
({0})
Drittens. Selbst wenn man das Arbeitsförderungsgesetz ändert - in diese Richtung zielt die Frage von Frau Limbach - , aber von den politisch Verantwortlichen dieses Diktat des Geizes, dem die Krankenpflege ausgesetzt ist und dem die Personalpolitik in den Krankenhäusern unterliegt, nicht aufhebt, kann man natürlich diese Schwestern nicht einstellen, obwohl man sie dringend braucht, weil man sie eben nicht bezahlen kann. Das Diktat des Geizes steht dann über den gesetzlich angestrebten Zielvorgaben und
über dem Anspruch einer vernünftigen Versorgung der Patienten. Ich finde, das ist ein Skandal, und darum unterstützen wir den Antrag der SPD.
({1})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Segall.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Anlaß der Aussprache bilden zwei nahezu inhaltsgleiche Petitionen, mit denen erreicht werden soll, den Beruf der Unterrichtsschwester bzw. des Unterrichtspflegers als Mangelberuf anzuerkennen und damit dieser Berufsgruppe ein nicht rückzahlbares Unterhaltsgeld zu gewähren.
Die Petenten sind der Ansicht, daß infolge der Auswirkungen des Krankenpflegegesetzes ein erhöhter Bedarf an Unterrichtsschwestern bzw. -pflegern besteht. So sei eine Mindeststundenzahl für das auszubildende Krankenpflegepersonal von 1 600 theoretischen und praktischen Stunden - also nicht 1 800; ich meine, es wären nur 1 600 - vorgeschrieben.
({0})
Das sind etwa 400 Stunden mehr als vor der Novellierung. Bedenke man ferner, daß eine Reihe von Prüfungs- und Ausbildungsfächern neu hinzugekommen seien, die eine weitere Qualifizierung der Unterrichtsschwestern/-pfleger nötig mache, so werde um so klarer, daß eine Mangelsituation bestehe.
Auch das Zahlenverhältnis von Auszubildenden und Unterrichtsschwestern gebe Anlaß, einen Mangel anzunehmen. Schließlich weisen die Petenten auf ein Europäisches Übereinkommen hin, in dem empfohlen wird, die Zahl der Lehrkräfte zur Schülerzahl in ein Verhältnis zu stellen, das eine angemessene Ausbildung und Überwachung gewährleistet. Dabei ist als Ideal eine Lehrkraft für 15 Schüler oder Schülerinnen vorgesehen.
Der Bundesgesetzgeber hat bewußt davon abgesehen, dieses zweite Erfordernis zu übernehmen, um den bestehenden Schwierigkeiten in den Ländern Rechnung zu tragen. Sie wären nämlich mit der Realisierung dieses Zahlenverhältnisses überfordert.
Was die konkrete Mangelsituation betrifft, halte ich die Stellungnahme des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung für überzeugend. Danach ist die Frage der Mangelsituation eine Einzelfallfrage. Das heißt, es muß unter Einbeziehung regionaler und zeitlicher Aspekte konkret entschieden werden, ob eine Mangelsituation vorliegt oder nicht. Eine globale Beurteilung - wie vom Petenten vorgeschlagen - ist abzulehnen. Ein entsprechendes Urteil des Landessozialgerichts Bayern liegt ebenfalls vor.
Wieder einmal stehen wir - wie so häufig im Petitionsausschuß - vor einem, so möchte ich beinahe sagen, klassischen Konflikt: Während der Bürger die Ausweitung einer sozialen Leistung verlangt, sieht sich der Staat gezwungen, diese Leistung im Interesse der Gemeinschaft zu begrenzen. Uns allen ist doch bekannt, wie sehr wir uns - und mit „uns " meine ich nicht den Staat, sondern alle Bürger - durch eine immer weitere Inanspruchnahme sozialer Sicherungssysteme selbst gefährden. Die Interpretation des § 44
Abs. 2 Nr. 4 des Arbeitsförderungsgesetzes dahin gehend, daß ein Einzelfall nachgewiesen sein muß, trägt diesem Umstand Rechnung.
Dennoch meine ich, daß man in diesem konkreten Fall einen gerechten Ausgleich zwischen dem Anliegen der Petenten und dem Anliegen des Staates, finanzielle Mittel im Bereich der sozialen Sicherung zu schonen, finden kann. Bei regionalen Mängeln - die ja auch vom Bundesministerium für Arbeit eingeräumt werden - muß im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung regionaler und zeitlicher Aspekte geprüft werden, ob ein Mangelberuf vorliegt oder nicht. Im Falle der beiden Petenten ist die regionale Mangelsituation nicht gegeben.
Die FDP schließt sich dem ablehnenden Votum des Petitionsausschusses an.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1138. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer nun der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 11/968 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Ich rufe Punkt 12 und Zusatzpunkt 6 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Erlaß einer Überprüfungsordnung für Heilpraktiker
- Drucksache 11/469 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP Überprüfungsordnung für Heilpraktiker
- Drucksache 11/1133 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Interfraktionell ist für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Wilms-Kegel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit Jahren bemüht sich die Heilpraktikerschaft darum, eine einheitliche Überprüfungsordnung zu erreichen. Seit Jahren wird die Zuständigkeit dafür jedoch sowohl vom Bundesminister als auch von den Landesministerien wechselseitig zurückgewiesen. Dabei besagen eindeutige ju2618
ristische Gutachten, daß nach § 7 des Heilpraktikergesetzes der zuständige Bundesminister die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen hat. Ich denke, daß wir die dringend nötige Vereinheitlichung der Überprüfungen jetzt nicht durch juristische Spitzfindigkeiten weiter hinauszögern dürfen.
Millionen Menschen suchen jährlich Heilpraktiker auf, weil sie sich von ihnen die richtige Hilfe versprechen. Im Gegensatz zur klassisch naturwissenschaftlichen Medizin haben Heilpraktiker ein ganzheitliches Menschenbild als Grundlage der Ausübung ihrer Heilkunde, und genau diese Art von Behandlung, die den ganzen Menschen einbezieht, wünschen sich immer mehr Menschen als Gegensatz zur rein technischen Medizin. Aus diesem Grunde muß die Möglichkeit der naturheilkundlichen Behandlung als Alternative erhalten und gesichert werden.
Doch im Gegensatz zu Ärztinnen und Ärzten müssen Heilpraktiker und Heilpraktikerinnen heute keinerlei Ausbildung absolvieren und müssen auch nicht in Prüfungen ihre Befähigung zur Ausübung der Heilkunde angemessen nachweisen. Das hat Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker immer wieder in Verruf gebracht; ihnen ist die Bezeichnung „Quacksalber" angehängt worden. Aber die Heilpraktiker sind doch nicht daran schuld, daß von ihnen lediglich verlangt wird, daß sie in einer Prüfung nachweisen, daß sie genaue Kenntnisse darüber haben, was sie nicht tun dürfen und was sie nicht wissen müssen. Gerade die Heilpraktikerschaft verlangt ja eine Überprüfungsordnung, nach der umfangreiches Wissen über die körperlichen, medizinischen, physiologischen, anatomischen und pathologischen Zusammenhänge nachgewiesen werden muß. Eine solche Überprüfungsordnung, die auch Kenntnisse über Krankheiten und Behandlungsmöglichkeiten zum Inhalt hat, ist auch im Sinne eines Schutzes der beim Heilpraktiker hilf e-suchenden Menschen dringend erforderlich.
Die jetzige Uneinheitlichkeit der Überprüfung bei den einzelnen Gesundheitsämtern hat dazu geführt, daß Institute dies unseriös einsetzen, um Menschen mit dem Versprechen auf leichte Prüfungen und viel Verdienst als Heilpraktiker oder Heilpraktikerinnen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Wir GRÜNEN haben immer betont, daß wir naturheilkundliche Medizin, wie Heilpraktiker sie ausüben, als festen Bestandteil in unser Gesundheitswesen integriert haben wollen.
({0})
Gerade deswegen legen wir großen Wert darauf, daß der Heilpraktikerstand erhalten bleibt und durch eine zeitgemäße einheitliche Überprüfungsordnung als Heilberuf akzeptiert wird.
Jetzt, meine Damen und Herren, stehen wir vor der bemerkenswerten Situation, daß mir bis hierhin alle meine Nachredner recht geben werden und dennoch unser grüner Antrag keine Zustimmung finden wird; denn um einem grünen Antrag nicht zustimmen zu müssen, haben sich die Damen und Herren der Koalitionsfraktionen dazu entschlossen, erneut das Pingpongspiel zwischen Bundes- und Landeskompetenzen anzupfeifen. Damit drücken sie sich davor, endlich dafür zu srgen, daß ein in unserem Gesundheitswesen allgemein anerkannter Berufsstand einen angemessenen Platz erhält; denn Sie wissen ja: Ein Beruf ohne Ausbildungs- oder Prüfungsordnung wird allgemein für minderwertig gehalten.
Wir fordern Sie auf, dafür zu sorgen, daß die Machenschaften unseriöser Ausbildungsinstitute beendet werden. Wir fordern Sie auf, die Ausübung der Naturheilkunde nicht länger zu diskriminieren. Wir fordern Sie auf, dafür zu sorgen, daß kranke Menschen die Sicherheit haben, von gut ausgebildeten und hochqualifizierten Heilpraktikern behandelt zu werden. Wir fordern Sie auf, dem Berufsstand der Heilpraktiker die ihm zustehende Anerkennung nicht länger zu verweigern.
({1})
Wir fordern Sie auf, dies sofort zu tun und nicht mittels juristischer Spitzfindigkeiten auf die lange Bank zu schieben.
({2})
Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, unterstützen Sie diesen Antrag, auch wenn es ein grüner ist, zum Wohle der kranken Menschen und der Heilpraktiker, und ziehen Sie Ihren Antrag zurück.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kossendey.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Wilms-Kegel, jedes Pingpongspiel - das wissen Sie aus Erfahrung - hat irgendwann ein Ende, spätestens nach dem dritten Satz. Wir wollen dazu mit unserem Antrag beitragen, daß dieses Spiel möglichst schnell zu Ende geht, das wir für die Vergangenheit auch bedauern.
({0})
Beide Anträge, die hier im Plenum vorliegen, haben ein gemeinsames Ziel - das wissen Sie wie wir - : Wir wollen eine einheitliche, nach vernünftigen Grundsätzen formulierte Überprüfungsordnung schaffen, damit der Zugang zur Heilpraktikerschaft besser als in der Vergangenheit kontrolliert werden kann. Auf dem Weg zu diesem Ziel - das haben Sie angedeutet - unterscheiden wir uns in einigen Punkten. Diese Punkte sind meines Erachtens jedoch nicht so schwergewichtig, daß wir uns darüber so zerstreiten sollten, daß wir zu keinem Ergebnis kommen.
Ich will kurz beschreiben, wie sich die Situation im Augenblick darstellt. Die Heilpraktiker arbeiten in der Bundesrepublik im Augenblick auf Grund eines Gesetzes aus dem Jahre 1939, das ursprünglich - das dürfen wir nicht vergessen - die Heilpraktiker zum Aussterben verurteilen wollte und das Monopol der Ärzteschaft sichern sollte. Erst nach dem Krieg hat sich durch die Rechtsprechung und die damit verbundene Umwandlung dieses Gesetzes herausgestellt,
daß die Heilpraktiker auf Grund dieses alten Gesetzes wieder zugelassen werden können.
Ich glaube, in diesem Zusammenhang stellt sich für uns die Frage: Wie bewerten wir eigentlich die Arbeit der Heilpraktiker? Wo sehen wir ihren Stellenwert im Gesundheitswesen? Dazu sage ich - das haben wir auch auf dem letzten Heilpraktikertag deutlich zum Ausdruck gebracht - : Für uns sind die Heilpraktiker ein wichtiger Bestandteil des Gesundheitswesens. Wir wissen ja nur zu genau, daß die Ärzte, deren Kunst wir damit überhaupt nicht abwerten wollen, in einigen Bereichen, gerade in den hochtechnisierten Bereichen der Behandlungsmethoden, überhaupt nicht mehr in der Lage sind, allen Bedürfnissen der Patienten entgegenzukommen. Die zunehmende Zahl der Besuche bei den Heilpraktikern zeigt ja auch deutlich, daß sich das ratsuchende Publikum in einigen Fällen dort besser aufgehoben fühlt als bei den Schulmedizinern.
Gerade weil wir die Heilpraktiker so ernst nehmen, müssen wir darauf achten, daß wir ihre Zukunft langfristig sichern. Wir müssen sie aus der juristischen Grauzone herausholen. Nun werden Sie uns fragen: Warum stimmen Sie dann nicht unserem Antrag zu?
Ich will einmal zwei Punkte des Bedenkens sagen, die wir bei Ihrem Antrag haben. Zunächst einmal - das haben wir in unserem Antrag auch formuliert - gibt es juristische Bedenken, ob dieses Gesetz, das eigentlich den Beruf der Heilpraktiker abschaffen will, eine ausreichende juristische Grundlage dafür darstellt, eine Überprüfungsordnung in der Differenziertheit, wie Sie sie vorschlagen, überhaupt zu erlassen.
Zum zweiten sollten wir Parlamentarier uns bei der Ausarbeitung von Verordnungen und Verwaltungsvorschriften etwas Zurückhaltung auferlegen, weil das nicht unbedingt unsere Aufgabe ist. Das heißt nicht, daß wir nicht den politischen Rahmen für diese Verwaltungsanordnungen und Rechtsverordnungen geben sollten. Wir müssen da aber deutlich Exekutive und Legislative trennen.
Ein dritter Punkt, den ich Ihnen sagen will: Wir haben sehr große Sorgen, ob nicht durch eine so differenzierte Überprüfungsordnung, wie Sie sie vorschlagen, beim Rat suchenden Publikum der Eindruck entstehen kann, Heilpraktiker seien letztlich Ärzte mit einer etwas geringeren Ausbildung. Wir müssen uns davor hüten, daß da Unklarheiten aufkommen. Ich sage das insbesondere im Hinblick auf die Heilpraktiker selbst, die ja sehr wohl ein Interesse daran haben, nicht mit den Ärzten verwechselt zu werden.
Unser Antrag hat die Schwachpunkte, die ich gerade erwähnt habe, nicht. Wir wollen - lassen Sie mich das abschließend sagen - erstens den Zugang zur Heilpraktikerschaft vereinheitlichen, und wir wollen insbesondere die Frage der Wiederholbarkeit der Prüfungen regeln, damit der Prüfungstourismus aufhört. Zweitens. Wir wollen das gegebenenfalls mit einer Überprüfungsordnung erreichen, wenn sie denn rechtlich zulässig ist. Sollte das nicht der Fall sein - dafür haben wir in unserem Antrag Vorsorge getroffen - , soll die Bundesregierung mit den Ländern
einen anderen Weg finden, um die Prüfungsordnung zu vereinheitlichen.
Drittens. Wir wollen mit unserem Antrag erreichen, daß der falsche Eindruck einer wissenschaftlichen Qualifikation der Heilpraktiker vermieden wird. Wir sollten kein Interesse daran haben, daß eine Überprüfungsordnung sozusagen als kleine Approbation angesehen wird.
Ein vierter Punkt - da unterscheiden wir uns von Ihnen und Ihrem Antrag -: Wir wollen darauf achten, daß die Bundesregierung diesem Wunsch, den wir ja offensichtlich alle haben, fristgerecht nachkommt.
({1})
Deswegen haben wir in unserem Antrag einen Termin, nämlich Ende 1988, eingesetzt, an dem wir ein Ergebnis sehen wollen.
Wenn ich Sie bitten darf: Überprüfen Sie das in Ruhe. Ich meine, wir sollten uns spätestens im Ausschuß darüber einigen, welchen Weg wir gemeinsam gehen.
Danke.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jaunich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht ja nicht darum, etwas anzunehmen, sondern es geht heute um Überweisung, damit dieses Thema sachgerecht beraten werden kann. Beide Vorlagen werden dabei überwiesen, denn beide Vorlagen - lassen Sie mich das aus meiner Sicht sagen - haben ihre Schwächen.
Zunächst einmal, Frau Wilms-Kegel, hätte ich es für redlich gehalten, wenn Sie - zumindest was die Urheberschaft anbelangt - das gesagt hätten, was Ihr Mann auf dem letzten Heilpraktikertag gesagt hat, daß dieser Antrag von den Heilpraktikern stammt. Das macht ihn dadurch nicht schlecht, aber es charakterisiert die intellektuelle Leistung der Fraktion, nur den Kopf oben draufzuschreiben.
({0})
- Ich kann das im Moment akustisch nicht aufnehmen.
Es gibt zwei Dinge, die man dazu sagen muß. Es ist höchstwahrscheinlich nicht nur eine Frage des Geschmacks, inwieweit das Parlament unter Beachtung der Gewaltenteilung durch einen Antrag eine Bundesregierung, wer immer sie auch stellen mag, so im Detail zwingen soll, ihre Schularbeiten zu machen.
Der andere Punkt: Es sind in der Tat zumindest Zweifel vorhanden, ob die Rechtsgrundlage im Heilpraktikergesetz von 1939 in § 7 hierzu langt. Wir werden dies zu ergründen haben. Deswegen ist es gut, daß wir zu einer parlamentarischen Beratung dieses Themas kommen. Ob das dann auf der Grundlage des einen oder auf der Grundlage des anderen Antrages geschieht, ist zumindest mir egal, weil ich für meine Fraktion das gleiche hinsichtlich der Stellung der Heilpraktiker in unserem Gesundheitswesen erklären kann.
Millionenfache Patientenkontakte finden in jedem Jahr statt. Wir haben ein legitimes Interesse daran, die Menschen vor Scharlatanen zu schützen, Scharlatane, die sich auf diesem Sektor umtun, die nicht zu den organisierten Verbanden der großen Heilpraktiker gehören. Es gibt nämlich auch kleine und unseriöse Schulangebote und ähnliches. Wenn wir zur Eindämmung des Mißbrauchs einen Beitrag leisten können, ist das gut. Das wollen wir.
Ich komme jetzt zum Antrag der Koalitionsfraktionen. Wenn Sie den Fall im Auge haben, daß die Rechtsgrundlage im Heilpraktikergesetz nicht ausreichen kann, gehen Sie aus unserer Sicht einen falschen Weg, wenn Sie sagen: Dann muß ein anderer Weg gesucht werden. Wir müssen uns dann auf den Weg machen und das Heilpraktikergesetz ändern. Ich hätte vor Jahren nicht gewagt, einen solchen Vorstoß zu machen. Heute scheint mir die Situation in diesem Parlament so zu sein, daß wir das ohne Schaden für den Berufsstand der Heilpraktiker zuwege bringen. Denn wenn ich die Erklärungen aller Fraktionen vor den Heilpraktikertagen richtig im Gedächtnis habe, denkt heute niemand daran, diesen Berufsstand abzuschaffen.
Ich würde dann nicht auf eine Pflicht der Bundesregierung zur Vorlage eines Berichts 1988 und ähnliches abfahren. Wenn wir bei den Beratungen feststellen, die Rechtsgrundlage im § 7 reicht nicht aus, eine Rechtsverordnung zu erlassen, die das regelt, was wir alle miteinander wollen, dann gehen wir mit dem Ausschußbericht hier an das Plenum. Dann haben es die Fraktionen in der Hand. Oder aber: Es gibt schließlich noch eine Bundesregierung. Sie sollte sich zu diesem Thema äußern. Wenn sie es heute nicht in aller Umfänglichkeit tut, wird sie das in den Ausschußberatungen tun müssen.
Kurzum: Wir stimmen der Überweisung beider Vorlagen an den Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu.
({1})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Würfel.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Berufsverbände der Heilpraktiker bemühen sich in vorbildlicher Weise um die Qualität der Ausbildung zum Heilpraktikerberuf und um regelmäßige Fortbildungsveranstaltungen für die im Beruf stehenden Kollegen. Das ist zu begrüßen. Was die Berufsverbände eigenverantwortlich regeln können, braucht nicht durch den Staat geregelt zu werden. So hat z. B. die Kooperation deutscher Heilpraktiker bereits vor Jahren eine detaillierte Darstellung zur Überprüfungspraxis erarbeitet. Dennoch sind der Selbstverwaltung durch Heilpraktikerberufsverbände naturgemäß Grenzen gesetzt.
Es steht außer Frage, daß ohne eine bundeseinheitliche Praxis der Überprüfung von Heilpraktikeranwärtern ein bundeseinheitlicher Qualitätsstandard nicht erreicht werden kann. Wir haben vorhin schon gehört, daß die Prüfungen für die Zulassung zum Heilpraktikerberuf, die von den Gesundheitsämtern abgenommen werden, von Bundesland zu Bundesland höchst unterschiedlich geregelt werden. Es gibt Bundesländer, in denen allem Anschein nach fast jeder Prüfling das Prüfungsziel erreicht. Dann gibt es wieder andere, bei denen die Prüfung beliebig oft wiederholt werden kann. Wie wir gehört haben, kann der Heilpraktikeranwärter, wenn es an einem Ort partout nicht klappt, sogar ins nächste Bundesland überwechseln und sich dort prüfen lassen. Allerdings gibt es auch Bundesländer, in denen ein sehr strenger Maßstab an die Kenntnisse der Heilpraktikeranwärter gelegt wird. Dieses Kuddelmuddel ist natürlich auch in unseren Augen ein unhaltbarer Zustand. Der ratsuchende Kranke muß sicher sein, daß der Heilpraktiker, den er aufgesucht hat, nicht unzureichend qualifiziert ist.
Auf der anderen Seite kann es natürlich auch nicht im Sinne der gut ausgebildeten, der qualifizierten Heilpraktiker sein, sich von einer Anzahl schwarzer Schafe im Ansehen diskreditieren zu lassen. Wir haben es ja gehört: Zirka fünf Millionen Menschen suchen pro Jahr inzwischen Rat beim Heilpraktiker. Diese Patienten wollen - wie das Wort Heilpraktiker schon sagt - praktische Heilung, praktische Hilfe durch die Anwendung von Naturheilverfahren. Die ins Auge gefaßte Überprüfungsordnung bietet die Gewähr, die Qualifikation der Heilpraktiker insgesamt anzuheben.
Mit einer solchen Überprüfungsordnung wäre wenigstens ein Mindeststandard an Qualifikation sichergestellt, eine Qualifikation, die den Ratsuchenden davor bewahrt, beim Heilpraktiker unter Umständen gesundheitlich Schaden zu nehmen.
Wenn wir uns nun den Antrag von Ihnen meine Damen und Herren von den GRÜNEN, ansehen, so stellen wir fest: Er schießt weit über das Ziel hinaus. In diesem Antrag werden Inhalte und Verfahren der Überprüfung so detailliert vorgegeben, daß man nicht von einer Überprüfungsordnung, sondern von einer Prüfungsordnung sprechen muß. Der Erlaß einer Prüfungsordnung aber würde eine staatliche Regelung der Ausbildungsinhalte für den Heilpraktikerberuf erfordern, was dann allerdings wiederum bedeuten würde, daß die Therapie festgelegt wäre. Nun ist aber Naturheilkunde Erfahrungsmedizin, was eine staatliche Regelung der Ausbildung in unseren Augen viel zu starr machen würde. Heilpraktiker haben uns gesagt, sie lehnten diese detaillierte Ausgestaltung einer Prüfungsordnung aus den von mir genannten Gründen ab.
Wir halten zur Erreichung einheitlicher Zulassungsanforderungen in allen Bundesländern eine Überprüfungsordnung durch die Bundesregierung in Form eines Erlasses für den idealen Weg. Allerdings - das ist schon angeklungen - ist es fraglich, ob der § 7 des Heilpraktikergesetzes eine ausreichende Ermächtigung für eine solche Verordnung hergibt. Auf der anderen Seite, Frau Wilms-Kegel, steht aber auch fest, daß die Ermächtigung für den Erlaß einer Prüfungsordnung, wie sie dem Antrag von Ihnen ja entspricht, durch das Heilpraktikergesetz in keiner Weise gedeckt ist. Wir schlagen deshalb vor, daß die Bundesregierung bis spätestens Ende nächsten Jahres prüft, ob § 7 des Heilpraktikergesetzes eine ausreichende Ermächtigung für den Erlaß einer bundeseinheitliFrau Würfel
chen Überprüfungsordnung beinhaltet. Sollte das der Fall sein, so sollte - Herr Jaunich hat das ja auch angeregt - die Bundesregierung die Initiative für eine einheitliche Überprüfungsordnung ergreifen. Stellt sich heraus, daß dies nicht möglich ist, so bieten sich zwei weitere Möglichkeiten an. Zum einen muß man in der Tat, wie Herr Jaunich es auch gesagt hat, an eine Änderung des Heilpraktikergesetzes denken; zweitens käme es auf eine Verständigung der Länder untereinander an. Natürlich geben wir einer Verständigung der Länder untereinander in jedem Fall den Vorzug, weil man damit diese Überprüfungsordnung für den Heilpraktikerberuf kurzfristig erreichen könnte. Eine Gesetzesänderung schließen wir aber als Ultima ratio nicht aus.
Ich bitte Sie um Zustimmung zu dem Antrag der Koalition.
({0})
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Pfeifer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da ich davon ausgehe, daß wir über beide Anträge im zuständigen Ausschuß eine ausführliche und sorgfältige Diskussion führen werden, und zwar nicht in Form eines Pingpongspiels, Frau Wilms-Kegel, sondern durchaus im Sinne einer Beratung, die zu konstruktiven Ergebnissen führen soll, möchte ich mich auf drei kurze Bemerkungen beschränken.
Zunächst: In unserer Bevölkerung besteht in der Tat ein zunehmendes Bedürfnis nach naturheilkundlicher und erfahrungsmedizinischer Heilbehandlung, die von Ärzten und Heilpraktikern angeboten wird. Dem müssen und wollen wir Rechnung tragen. Darüber gibt es wohl keine Meinungsverschiedenheiten.
Zweitens. Das Heilpraktikergesetz eröffnet Menschen mit besonderen Begabungen und Fähigkeiten die Möglichkeit, die Heilkunde eigenverantwortlich auszuüben. Heilpraktiker müssen keine staatlich geregelte Ausbildung durchlaufen, sie müssen nicht anerkannte schulmedizinische Kenntnisse in einer gesonderten Prüfung nachweisen, müssen also keine Prüfung über ein in einem bestimmten Ausbildungsgang erworbenes Wissen ablegen, sondern sich einer Überprüfung unterziehen, durch die festgestellt werden soll, daß es keine Anhaltspunkte dafür gibt, daß das Handeln und Praktizieren des einzelnen Heilpraktikers eine Gefahr für die Volksgesundheit bedeuten würde.
Diese Überprüfung ist kein Examen im herkömmlichen Sinne, und auf dieser Grundlage hat sich ein Berufsbild des Heilpraktikers entwickelt, das offensichtlich den Bedürfnissen vieler Menschen in unserem Land entspricht. Frau Würfel hat dazu eine Zahl genannt. Ich weiß nun nicht - und das ist eine der Fragen, die wir im Ausschuß, wie ich meine, sorgfältig erörtern müssen - , ob wir klug beraten wären und ob es wirklich im Interesse auch der Heilpraktiker läge,
wenn wir dieses Berufsbild durch staatliche Prüfungsoder Ausbildungsregelungen verändern würden.
Die dritte Bemerkung. Auch ich verkenne nicht, Frau Kollegin Wilms-Kegel, daß die bisherige Praxis bei der Heilpraktikerüberprüfung - ich möchte einmal vorsichtig sagen - zu Schwierigkeiten und Unsicherheiten geführt hat. Es ist in der Tat beispielsweise unbefriedigend, wenn die Durchführung dieser Heilpraktikerüberprüfung in den einzelnen Bundesländern zum Teil völlig unterschiedlich erfolgt, ja wenn zum Teil innerhalb eines einzelnen Bundeslandes die Praxis der Überprüfung uneinheitlich ist. Hier wäre eine stärkere Vereinheitlichung dringend notwendig, und die Bundesregierung unterstützt deshalb jede Entwicklung, welche die Überprüfungspraxis verbessert. Ich habe allerdings - das kann ich hier nicht verschweigen - erhebliche Zweifel, ob dies durch eine Rechtsverordnung des Bundes geschehen kann, weil ich bezweifle, daß die im vorliegenden Antrag der GRÜNEN genannte Ermächtigungsnorm für den Erlaß einer entsprechenden Rechtsverordnung ausreichen würde. Auch darüber wird in den Ausschußberatungen im einzelnen zu sprechen sein.
Aber um so wichtiger ist es - das ist in meinen Augen die eigentliche Zielsetzung des Antrags der beiden Koalitionsfraktionen - , daß die Länder den Informationsaustausch über die Durchführung der Heilpraktikerüberprüfung verbessern und aus den dabei gewonnenen Erkenntnissen in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich und in möglichst enger Kooperation mit den Heilpraktikern einheitliche Schlußfolgerungen ziehen.
Meine Damen und Herren, ich denke, daß wir über die Beratung der vorliegenden Anträge auch in den Ausschüssen dazu vielleicht einen entscheidenden Beitrag leisten können und auch sollten.
Vielen Dank.
({0})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/469 und den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 11/1133 an den Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Städtebaulicher Bericht - Umwelt und Gewerbe in der Städtebaupolitik
- Drucksachen 10/5999, 11/997 Berichterstatter:
Abgeordnete Reschke Dörflinger
Vizepräsident Stücklen
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/1139 und 11/1141 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Der Wohnungsbauminister hat zwar die Absicht gehabt, zu sprechen - ({1})
- Es ist ganz gut, den Verkehr in den Städten so zu entflechten, daß er rechtzeitig zu den Debatten dasein kann.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dörflinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer handeln, gestalten und auch Signale für Initiativen setzen will, braucht zunächst einmal eine eingehende Analyse, er braucht realistische Konzepte, und er braucht sicherlich auch den Mut, auf neue Herausforderungen angemessen zu reagieren.
Der Städtebauliche Bericht der Bundesregierung „Umwelt und Gewerbe in der Städtebaupolitik" der Bundesregierung entspricht diesem Anforderungsprofil. Wir von der CDU/CSU-Fraktion begrüßen diesen Bericht. Er macht das an über 100 Fallbeispielen aus 12 verschiedenen Themenfeldern deutlich, er liefert eine sorgfältige praxisnahe Darstellung der Probleme, der Aufgaben und auch der Lösungsansätze. Er unterstreicht den Rang des Städtebaus für die Entwicklung von Umwelt und Gewerbe und zeigt auf, daß die konsequent betriebene Umweltpolitik der Bundesregierung tatsächlich vorhandene Besorgnisse der Bevölkerung berücksichtigt. Er zeigt aber auch, daß die kommunale Selbstverwaltung in der Lage ist, mit Mut, Phantasie und auch Dynamik auf neue Herausforderungen angemessen zu reagieren.
({0})
Der Bericht macht deutlich, daß Umwelt und Gewerbe einander bedingen. Er zeigt auch im Detail, daß unser Grundsatz, den wir verfolgen, richtig ist, nämlich Ökonomie und Ökologie nicht als Gegensätze zu verstehen, sondern zusammenzuspannen und bewährte marktwirtschaftliche Instrumente zur Lösung der Probleme einzusetzen.
({1})
Der Bericht dokumentiert auch, was kommunale Praktiker längst wissen und auch praktizieren, nämlich daß sich die Struktur kommunaler Aufgaben verändert hat und weiter verändern wird. Bei einer insgesamt zu großer Leistungsfähigkeit entwickelten Infrastruktur findet der Wechsel von der Quantität zur Qualität statt. Das heißt auch, daß sich Stadtentwicklung sehr stark auf die Innenbereiche, auf die Erhaltung und Erneuerung des Vorhandenen einschließlich der Versorgungs- und Entsorgungseinrichtungen zu konzentrieren hat.
Ich warme allerdings vor zu schematischem Vorgehen oder zu uniformen Vorgaben. Der Bundeskanzler, der Bauminister und z. B. auch mein Landesminister Dietmar Schlee haben in jüngster Zeit nach meinem Dafürhalten zu Recht davor gewarnt, Stadt- und Dorferneuerung quasi als Konfektionsware von der Stange zu betrachten. Die unverwechselbare Individualität unserer Dörfer und Städte darf, durch welche Vorgaben auch immer, nicht verlorengehen.
({2})
Deswegen ist Vorsicht gegenüber dem Anliegen der SPD am Platz, das städtebauliche Leitbild der Innenentwicklung, was man darunter auch immer verstehen mag, gar vom Bund her zu präzisieren. Die gleiche Vorsicht ist gegenüber der Forderung der Sozialdemokraten geboten, angesichts - das wird von uns auch so gesehen - unbestritten großer Probleme im Umweltschutz neue Mischfinanzierungstatbestände zu schaffen. Natürlich ist es richtig, daß wir beispielsweise die Dimension der Herausforderung aus der Altlastenproblematik nur erahnen können. Aber wer ohne Rücksichtnahme auf Zuständigkeiten, räumliche Nähe zur Problematik und die beschränkten finanziellen Möglichkeiten des Bundes das Engagement des Bundes auf breiter Front fordert, riskiert nicht nur ein beträchtliches Mehr an Bürokratie, sondern womöglich auch, daß das Verursacherprinzip, das nach unserer übereinstimmenden Meinung eigentlich im Umweltschutz gilt, ausgehöhlt werden könnte.
Wir verschließen uns der Diskussion über die Finanzbeziehungen zwischen den verschiedenen politischen Ebenen nicht. Aber zunächst einmal sind auch die Länder bei ihrem kommunalen Finanzausgleich gefragt. Vielleicht hätte manches Bundesland mehr Mittel, wenn es sie nicht für den nach unserer Ansicht eben unsinnigen Ankauf von Wohnungen der Neuen Heimat eingesetzt hätte.
({3})
Meine Damen und Herren, wir haben über diese Punkte in den zuständigen Ausschüssen kontrovers diskutiert. Ebenso unterschiedlich waren die Antworten auf die Frage, ob das am 1. Juli 1987 in Kraft getretene neue Baugesetzbuch eine adäquate Antwort des Städtebaurechts auf die neuen Herausforderungen darstellt. Wir haben diese Frage eindeutig bejaht.
Ich wiederhole dieses Ja auch hier und begründe es.
Erstens. Das Baugesetzbuch zwingt die Gemeinden, in der Bauleitplanung, bei der Zulassung von Bauvorhaben und bei städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen den Faktor Umwelt besonders zu gewichten. Das geht bis ins Detail, etwa dort, wo die Gemeinden zum sparsamen und schonenden Umgang mit Grund und Boden aufgefordert werden. Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß alle Fraktionen dieses Hauses mit Ausnahme der GRÜNEN bei der Verabschiedung des Baugesetzbuches, auch in Übereinstimmung mit den kommunalen Spitzenverbänden, der Meinung waren, daß die neuen gesetzlichen Vorschriften explizit auf eine integrierte Umweltverträglichkeitsprüfung hinausliefen.
Zweitens. Das neue Baugesetzbuch verpflichtet die Gemeinden, auf eine mittelständisch strukturierte Wirtschaft und eine verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung zu achten. Meine Damen und Herren, auch das hat mit Stadtentwicklung zu tun. Denn wer weite Wege zurücklegen muß, um sich zu versorgen, kann dies nur mit dem Auto tun. Das ist eine verkehrspolitische Frage von nicht unbedeutendem Rang.
Das neue Baugesetzbuch enthält auch wichtige Verbesserungen für die Standortsicherung und die Erweiterung von Gewerbebetrieben, natürlich unter der Voraussetzung, daß auch im Einzelfall der Faktor Umwelt in den Abwägungsprozeß einbezogen wird. Es geht nun in den Gemeinden und Städten auch darum, das geschaffene Instrumentarium einzusetzen.
Ich war vor wenigen Tagen bei einer Versammlung des südbadischen Einzelhandelsverbandes, in der es um die Frage der Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel und die Plazierung großflächiger Betriebe auf der grünen Wiese ging. Man war dort mit dem Bundesgesetzgeber einverstanden und hat ihm attestiert, daß er gehandelt hat. Aber man hat gleichzeitig festgestellt, daß es Vollzugsdefizite in den Gemeinden und Städten gibt. Man muß in diesem Zusammenhang sagen, daß Märkte auf der grünen Wiese wohl kaum ein geeignetes Vehikel für kommunales Prestige sein können und daß wir die Frage der räumlichen Wirkung großflächiger Einkaufszentren vielleicht auch als Thema für die ohnehin anstehende Novellierung des Raumordnungsgesetzes vormerken sollten.
Der Bericht weist auf ein ganz spezielles Problem hin, nämlich auf die teilweise problematische Entwicklung in den Innenstädten, wo zum Teil wegen steigender Mieten und Pachten das traditionelle Gewerbe verdrängt und durch nicht erwünschte Nutzungen ersetzt wird. Das neue Baugesetzbuch verbessert zwar entscheidend das Instrumentarium zur Abwehr derartiger Entwicklungen, doch sollten wir uns gemeinsam überlegen, ob wir bei der anstehenden Novellierung der Baunutzungsverordnung nicht noch das eine oder andere zusätzlich tun können.
({4})
- Oder reparieren, wie Sie es immer nennen wollen. Ich habe ja von der Baunutzungsverordnung gesprochen. Da ist es schon möglich, daß zusätzliche Erkenntnisse gewonnen werden und daß man darauf reagiert. Im übrigen hat der Bundesbauminister die Initiative dazu längst ergriffen. Er hat Arbeitsgruppen eingesetzt. Wir anerkennen das und ermutigen ihn, auf diesem Wege konsequent fortzufahren.
({5})
Zeitlich parallel zu den Beratungen dieses Berichtes in den zuständigen Ausschüssen fiel die von unserer Fraktion nachhaltig geforderte und begrüßte Entscheidung der Bundesregierung, das finanzielle Engagement des Bundes in der Städtebauförderung auf beachtlich hohem Niveau weiterzuführen.
({6})
- 660 Millionen DM sind kein Pappenstiel angesichts der Tatsache, daß die von der SPD-geführte Bundesregierung die Städtebauförderung im Jahre 1982 auf 220 Millionen DM zurückgeführt hatte.
({7})
Was jetzt offenbleibt, ist, daß sich die Länder einmal darüber klarwerden sollten, daß sie einerseits die volle Kompetenz in der Städtebauförderung wollen, andererseits aber den Bund aus seinen finanziellen Verpflichtungen nicht entlassen wollen. Da paßt irgend etwas nicht zusammen.
({8})
Da um Klärung besorgt zu sein, ist aber a priori eine Aufgabe der Länder. Der Bund hat seine Bereitschaft erklärt, diese wichtige Zukunftsaufgabe weiterhin zu unterstützen.
Zählt man also alle Faktoren zusammen - Analyse, Rezepte, Geld, Möglichkeiten der Gemeinden, Hilfestellung des Bundes - , die auf das Erreichen der im Bericht der Bundesregierung fixierten Ziele einwirken, so kann man feststellen, daß die Lösung der Aufgaben, auch wenn man ihre Dimension noch nicht immer erkennt, möglich ist, Aufgaben, wie wir sie auch im Antrag der Koalitionsfraktionen und in der Beschlußempfehlung des Ausschusses aufgeführt haben. Der Kollege Geis wird nachher noch darauf zu sprechen kommen.
Der Bericht und unsere intensiven Beratungen in den Ausschüssen haben aber auch gezeigt, daß wir es nicht mit einer statischen Aufgabe zu tun haben, nicht mit einer Aufgabe, die vielleicht in zeitlich überschaubaren Räumen zu erledigen wäre. Vielmehr haben wir es mit einer sehr dynamischen Aufgabe zu tun, die von uns allen Initiative, Phantasie und womöglich auch neue Wege - auch was das Durchsetzen neuer Prioritäten angeht - erfordert.
Wir haben sicher auch gemeinsam die Überzeugung gewonnen, daß es wichtig ist, durch städtebauliche Wettbewerbe und Vorhaben des experimentellen Städtebaues die praktische Anwendbarkeit aller für den Städtebau relevanten Gesetze zu erproben. Dabei ist das Baugesetzbuch ebenso zu berücksichtigen wie das, was aus der Umweltschutzgesetzgebung schon da ist und was womöglich durch das Umsetzen der Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung noch auf uns zukommen kann oder auch bestimmt zukommen wird.
Die Themen und Aufgaben, die der Bericht aufgreift - davon kann man ausgehen - , werden uns demnach nicht nur heute beschäftigen, sondern sie werden uns auf Dauer beschäftigen. Vielleicht kann unsere Debatte heute dazu beitragen, das Bewußtsein dafür noch weiter zu schärfen, daß sich Umwelt und Gewerbe gegenseitig bedingen, daß die unmittelbaren Berührungspunkte dieser beiden Faktoren nirgendwo deutlicher werden als in unseren Gemeinden und in unseren Städten und daß es sicher eine wichtige politische Aufgabe für uns alle ist, diesen Bericht mit der heutigen Debatte nicht etwa als erledigt anzusehen, sondern ihn in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren dazu zu benutzen, um uns als Bundestag immer wieder das eine oder andere konkret vor Augen zu führen und zu überprüfen, was noch zu reali2624
sieren ist. Wir sollten diesen Bericht aber auch zum Anlaß nehmen, um dort, wo wir Kommunikation mit unseren Kommunalpolitikern pflegen, darauf hinzuweisen, daß die Berücksichtigung von Umweltfragen in den Gemeinden an Bedeutung gewinnt, daß wir aber auf der anderen Seite nicht den Fehler machen dürfen, uns durch eine sehr extreme Gewichtung eines Faktors etwa die technischen und die finanziellen Möglichkeiten zu entziehen, um die Umweltanforderungen tatsächlich auch bewältigen zu können. Das ist das übergreifende Thema dieses Berichts.
Noch einmal sage ich auch für unsere Fraktion zu, daß wir der weiteren Erörterung auch ganz spezieller Themen aus diesem Bericht in der Zukunft aufgeschlossen begegnen werden. Wir bedanken uns noch einmal und freuen uns auf eine weiterhin sachliche Kooperation sowohl mit der Bundesregierung als auch mit der Opposition, auch wenn die nachfolgenden Ausführungen womöglich das Gegenteil beweisen könnten.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reschke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann wieder nur sagen: Scheinbar ist alles in Ordnung in unseren Gemeinden. Diesen Eindruck hat man nach den Worten der CDU. Wenn man bei den CSU-Kollegen genau hinhört, scheint es nicht so zu sein, wenn ich die Wertungen aus den Großstädten verschiedenster Regionen richtig deute. Ich komme aus einer Stadt, die mit diesen Dingen, Gewerbe und Umwelt, bis hin zur Gründerzeit, noch zu tun hat. Sie verschließen die Augen davor, daß wir auf der einen Seite schon einige Tausend Menschen im Protest vor den Rathäusern haben, weil wir mit den Problemen vor Ort nicht fertig werden. Ich wünsche mir, daß diese einigen in Bonn bald die Augen öffnen.
Es ist knapp ein Jahr her, daß sich der Deutsche Bundestag mit der Verabschiedung des neuen Baugesetzbuchs befaßt hat, mit dem „Baubuch" , wie es der Kanzler damals nannte. Die Ziele des neuen Baugesetzbuches sollten sich an den Problemen und Aufgaben unserer Städte bis zum Ende dieses Jahrhunderts orientieren. Die höchste Priorität in der Aufgabenbewältigung unserer Städte haben - so der Deutsche Städtetag, das sind nicht meine Worte, das kann man nachlesen - Stadterneuerung, Wirtschaftsförderung und Gewerbepolitik, Umweltschutz und Stadtökologie. Das sind dringende Aktivitäten, die unsere Städte benötigen, um am Ende dieses Jahrhunderts als Städte noch leben zu können oder noch bewohnbar zu sein.
Schon heute, ein Jahr später, merken wir, daß eine Reparatur der Baubuchnovelle angesagt ist. Was da an der Seite liegengelassen worden ist, kann man nicht über die Baunutzungsverordnung regeln. Wir merken, daß ein Jahr ins Land gezogen ist, ohne daß konkrete Hilfe für unsere Städte erfolgte, ohne daß die Bereitstellung von finanziellen Mitteln zu diesen
Rechtsintrumentarien vom Parlament gegenüber der Regierung durchgesetzt worden ist.
({0})
- Die Praxis der Politik werde ich Ihnen aufzeigen, lieber Kollege. Die Praxis der Politik dieser Regierung, unterstützt von der Koalition, sieht so aus: Streichung von Mitteln für die Modernisierung und Energieeinsparung in unseren Städten, Rückzug aus dem sozialen Wohnungsbau, keine Hilfe in der Eigentumsförderung für mittlere und kleine Einkommen, Kappen der Finanzhilfen für zukunftsträchtige Energieversorgungssysteme, wie z. B. Fernwärme,
({1})
zurückfahren der Städtebauförderungsmittel von 1 Milliarde DM auf etwas über 600 Millionen DM, und dann, wie man auf den Gängen des Bundestages hört - dazu kann der Wohnungsbauminister gleich sicherlich besser Stellung nehmen -, sollen diese 650 oder 660 Millionen DM, wenn sie in den Beratungen akzeptiert werden, mit einem Sperrvermerk versehen werden. Herr Wohnungsbauminister, ich frage Sie, warum. Vielleicht geben Sie dem Parlament einmal darüber Auskunft, warum man auf einen Sperrvermerk im Haushalt drängt.
Die Plafondierung der Mittel für das Gemeindeverkehrswesen steht an, die Steuerreform setzt einen Schlußpunkt hinter die finanzielle Ausblutung unserer Städte und Gemeinden nach jahrelanger gemeindefeindlicher Politik. Wir sprechen hier nun einmal über Umwelt und Gewerbe. Da frage ich mich doch zur Umsetzung von solchen Zielen, wie sie in dem Bericht stehen: Wo bleibt denn eigentlich die Frage der Gewerbesteuer in einer klaren politischen Aussage von den Koalitionsfraktionen im Rahmen dieses Berichts? Ich vermisse das.
Aber nicht nur Streichungen schädigen die Kommunen in ihrer Arbeit. Noch viel schwerwiegender sind Unterlassungssünden dieser Regierung. Von den Entschließungen des Bundestages kann zwar manche Stadt und manche Gemeinde in Weisheit und Klugheit leben, aber die Hand eines Bauarbeiters bewegt sich dadurch nicht, die Abwassersysteme in unseren Städten werden dadurch nicht erneuert, die Luft wird nicht sauberer, der Lärm an den Bundesstraßen, Bundesautobahnen und an den Bundesbahnstrecken wird dadurch nicht weniger. Keine Spielhalle ist mit dem neuen Baugesetzbuch verhindert worden. Im Gegenteil: Die Anträge und Zulassungen steigen weiter an.
({2})
Kein Quadratmeter Boden für die gewerbliche und industrielle Nutzung und Erneuerung in den Städten ist zusätzlich gekauft worden auf Grund der neuen Rechtsinstrumentarien. Was fehlt, dazu will ich gleich kommen.
Es muß doch für jeden - gerade bei diesem Punkt: Boden - , der sich mit Raumordnung, Wohnungspolitik und Städtebau befaßt, ein mahnendes Beispiel sein, daß nur 5 % des verbrauchten Bodens in unseren Städten Recyclingflächen sind bei einem Anteil von
40 % Ausweisungen in Flächennutzungsplänen. Es muß doch nachdenklich stimmen, warum die Städte dies nicht machen. Die Quote ist zu gering - das wissen wir alle - , nicht weil die Städte nicht wollen, sondern weil sie kein Geld zum Recyceln haben.
Jetzt soll durch eine Entschließung darauf hingewiesen werden- liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition - : Wir kennen eure Probleme. Wir wissen um die Vielfalt, geben euch gute Ratschläge, weil Ratschläge nichts kosten und zu keiner Verantwortung verpflichten.
({3})
In der Entschließung der Koalition ist kein Satz von konkreter finanzieller Hilfe, nur der verschämte Hinweis - ich komme darauf zurück, lieber Herr Kollege; ich zitiere Ihre Entschließung - :
Der Bund wird die Gemeinden bei der Bewältigung der neuen städtebaulichen Aufgaben auch in Zukunft finanziell unterstützen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Bitte sehr, Herr Kansy.
Herr Kollege Reschke, wie beurteilen Sie die Tatsache - ich habe das gerade einmal nachprüfen lassen - , daß von allen Bundesländern Nordrhein-Westfalen die zugesagte Drittel-Gegenfinanzierung unseres letztjährigen Städtebauprogramms dahin gehend umgangen hat, daß es fast alle landeseigenen Mittel gestrichen hat - bis auf einen symbolischen Betrag von 30 Millionen DM - und somit, gerade was Arbeitsförderung, was kommunale Anliegen betrifft, bundesweit ganz hinten liegt, obwohl - wir haben beide gemeinsam im Ausschuß dafür gefochten - dieses Programm dazu gedacht war, daß die Lander ihre entscheidenden Finanzierungsbeiträge ebenfalls leisten?
({0})
Dies ist objektiv falsch, Kollege Kansy. Richtig ist, daß bis 1986 der Städtebauförderungsanteil des Landes Nordrhein-Westfalen gegenüber 100, 120 Millionen DM Bundeszuschuß im Normalfall
({0})
bei 600 bis 680 Millionen DM gelegen hat. Auf Grund der jahrelangen erhöhten Mittel des Landes Nordrhein-Westfalen für Städtebauförderungsmaßnahmen ist dieses Bundesland sehr oft und sehr stark für unsere Gemeinden in die Kreditfinanzieung gegangen; hier liegen Landesfinanzierungen ohne Bundesanteile vor.
({1})
- Nein, mein lieber Kollege, seit der Verabschiedung des Baugesetzbuches - bleiben wir bei der Realität - vor einem Jahr und der Streichung des Förderinstrumentariums für unsere Städte aus dem Gesetz warten die Gemeinden auf die Konkretisierung der Fördermaßnahmen des Bundes in der Zukunft. Selbstverständlich haben auch die Länder da ihren Pflichtanteil zu. leisten.
Von einer bloßen Wiederholung von Absichten haben unsere Städte und Gemeinden nichts. Nicht eine einzige Antwort für unsere Gemeinden zur Verbesserung der regional-wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Nennung von Förderinstrumenten und konkreten Hilfen des Bundes zur Bewältigung der „Krise der Arbeit in der Stadt" steht in Ihren Entschließungen.
Die Städte haben nach meiner Auffassung zur Zeit keine Krise beim Wohnen; Sie haben aber zur Zeit zu kämpfen mit der Bewältigung der Krise der Arbeit, und dies ist keine alleinige Gemeindeaufgabe. Wo anders gehört es hin als in eine Auswertung eines Berichts „Gewerbe und Umwelt" ? Beide Faktoren, gute Umwelt und ökologische Voraussetzungen zum Leben, führen hin zu einem Wohlfühlen in einer Stadt. Wir sollten Gewerbe und Industrie unter diesem Gesichtspunkt fördern. Beide Dinge wollen wir in unseren Städten haben. Das können wir aber nicht nur in Form von lieben Resolutionen, sondern von Instrumenten rechtlicher und finanzieller Art erledigen.
Der Bericht ist gut. Daran lassen wir auch keinen Zweifel aufkommen. Er stellt eine nützliche Materialsammlung dar, aber er muß doch zu Konsequenzen führen, er muß doch aufzeigen, wo der zukünftige Handlungsrahmen zur Unterstützung der Stadtpolitik durch den Bund ist - im Bereich Wohnen, im Bereich Umwelt, im Bereich Gewerbe und Handel. Mit einer billigen Entschließung wollen sich CDU/CSU und FDP aus der Verantwortung für unsere Städte und Gemeinden stehlen.
({2})
Wir alle kennen die Faktoren der zukünftigen Entwicklung - gehen Sie doch einmal darauf ein; das hat doch etwas mit der Innenentwicklung zu tun - : Bevölkerungsverlust, Wertewandel, Freisetzen von Siedlungsräumen sowohl im Wohnbereich als auch im Gewerbebereich. Gewerbebrachen kennen wir ja schon in großem Umfang, Wohnbrachen sind im Entstehen.
Wie sonst kommen CDU/CSU-Fraktion und FDP-Fraktion schon jetzt dazu, dem Bundestag einen Antrag für eine Resolution zur Situation der Großwohnsiedlungen vorzulegen?
({3})
Warum heißt dieser Antrag nicht: „Finanzielle Hilfe zur Bewältigung der Probleme in unseren Großwohnsiedlungen"? Wir können den Gemeinden von hier aus immer Ratschläge geben, warum denn nicht auch die finanziellen Mittel, um die Aufgaben erledigen zu können?
({4})
Ein weiterer Faktor der Stadtentwicklung ist ein geringes Wirtschaftswachstum vor Ort. Das schlägt sich insbesondere im Bereich der Bauwirtschaft nieder.
Ein weiterer Faktor: Es droht der finanzielle Kollaps der Gemeindehaushalte, weil sich der Bund immer mehr aus der Verantwortung stiehlt und den Gemeinden die Lebensfähigkeit, wie es die Verfassung vorschreibt, nicht erhält. Daß einige Gemeinden die Verfassungsfrage mittlerweile auch stellen, ist nach meiner Auffassung durchaus gerechtfertigt und trifft auch im Kern die Mangelhaftigkeit Ihrer heutigen Entschließung.
Wir aber, der Gesetzgeber, haben aus diesen Faktoren ein Leitbild zu entwickeln und dieses Leitbild zu instrumentalisieren, auch in der konkreten finanziellen Förderung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Daniels?
Bitte schön.
Bitte.
Herr Kollege Reschke, ist Ihnen bekannt, daß allein die Umschichtungen bei den nordrhein-westfälischen Städten und Gemeinden, die der Landtag und die SPD-geführte Landesregierung in den letzten Jahren zu Lasten der Gemeinden und zugunsten des Landes Nordrhein-Westfalen vorgenommen haben, weitaus mehr ausmachen als alle Folgen der zur Zeit in der Diskussion befindlichen Steuerreform, nach der ja das, worauf der Bund und auch die Gemeinden verzichten, in die Taschen der Bürger wandert?
Das Land Nordrhein-Westfalen hat nicht zu seinen Gunsten umgeschichtet; das Land Nordrhein-Westfalen war vielmehr zu einer Umschichtung gezwungen, und zwar aus zwei wesentlichen Gründen.
({0})
Der erste Grund war die Steuerstreichung, die sich im Haushalt von Nordrhein-Westfalen - ich nenne z. B. die Vermögensteuersenkung - mittlerweile mit über 1,5 Milliarden DM niederschlägt. Den zweiten Grund konnten Sie, Kollege Daniels, heute im Finanzausschuß erfahren. Dort konnten Sie hören, wie Nordrhein-Westfalen wieder im Bund-Länder-Finanzausgleich benachteiligt wird. Nordrhein-Westfalen ist wieder gezwungen, zum Verfassungsgericht zu marschieren. Das sind die tatsächlichen Gründe.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Aufgabe ist es, die gleichen Lebenschancen und -voraussetzungen in unseren Städten auszurichten und zu fördern; so schreibt es unsere Verfassung vor.
Als Konsequenz aus diesem Bericht bleibt doch nur eines übrig: Nachdem die Koalition sturerweise und permanent wiederholend das „Baubuch" des Kanzlers für gut erklärt hat - nach meiner Auffassung ist
es nicht gut, aber darüber können wir ja im Parlament streiten - ({2})
- Übrigens, lieber Kollege Kansy, lassen Sie mich frei nach Tucholsky sagen: „Durch Wiederholung, durch ständige Wiederholung von Unsinn wird dieses nicht sinnvoller. "
({3})
Wir kennen Ihre Argumente. - Übrig bleibt nur die klare Aussage, die ich heute gerne von Ihnen hören möchte, nämlich wo in diesem Bereich die finanzielle Hilfe für unsere Gemeinden bleibt.
({4})
Deshalb schlagen wir vor, die Bundesregierung aufzufordern, die erforderlichen finanziellen und gesetzgeberischen Maßnahmen einzuleiten:
Erstens: zur Förderung von Modernisierung und ökologischer Erneuerung in unseren Städten und Gemeinden, von Abwasser über Lärmbekämpfung, Luftreinhaltung und Grün auf Industriebrachen.
Zweitens: Bei der Beseitigung von Altlasten ist der Tatbestand der Mischfinanzierung nicht nur gegeben, lieber Kollege, sondern es ist nach meiner Auffassung auch Bundespflicht, Vorsorge zu treffen und hier helfend einzugreifen.
Drittens: Gewerbe-, Industrie- und Handelsförderung beginnen bei der Verfügbarkeit von Boden. Wir haben keine versiegelbaren Flächen mehr in unseren Städten. Entweder geschehen Strukturverschiebungen im Bodenbereich durch Austausch, oder aber in der Gewerbeansiedlung in unseren Städten bewegt sich kaum etwas. Das ist heute die Realität vor Ort. Wir kriegen in vielen Bereichen doch kaum noch Grünflächen zu Gewerbeflächen.
Viertens: Wer von Stadtökologie, von Umwelt und Gewerbe spricht, der muß wissen, daß ein Investitionsprogramm zur Verbesserung des Emissionsschutzes vor Ort entstehen muß. Das kann sich in vielfältiger Art niederschlagen, von der ökologischen Nachrüstung von Straßen bis hin zu anderen Fragen des Emissionsschutzes.
Aus all diesen Maßnahmen, aus all den Ansätzen von Problemhinweisen im Bericht „Gewerbe und Umwelt" haben die Bundesregierung und die Regierungskoalition keine Konsequenzen gezogen.
Unser Entschließungsantrag geht nicht nur auf diese konkrete Problembeschreibung ein - wie ja übrigens die Problembeschreibungen in den Fraktionen fast gleich sind - , sondern wir fordern konkretes Handeln und finanzielle Ausstattung unserer Städte vor Ort zum ökonomischen und ökologischen Umbau.
Wir bitten um Zustimmung zu unserer Entschließung im Interesse von Industrie, von Gewerbe, von Handel in unseren Städten, im Interesse der künftigen Lebensbedingungen vor Ort und im Interesse der Menschen, die zur Zeit Strukturwandel vielfältig in
den Städten zu ertragen haben, sozial, kulturell und ökonomisch. Nur so ist nach unserer Auffassung die Krise der Arbeit in der Stadt mittel- und kurzfristig zu lösen.
Schönen Dank. ({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Grünbeck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Darf ich einen einzigen Satz wiederholen, den der Herr Kollege Reschke hier gesprochen hat:
({0})
Der Bericht zur Städtebaupolitik ist gut. Das sagten Sie.
Aber wenn man Ihre Rede genau analysiert, zeigt sich eigentlich, was Sozialdemokraten gemeinsam mit den GRÜNEN landauf, landab, verkünden, nämlich daß Gewerbe und Umwelt einander im Weg stehen. Das ist ein Horrorgemälde, bei dem man eigentlich meinen möchte, die Stadtbevölkerung müßte überall auswandern.
({1})
Ich kann Ihnen nur sagen: Der Bericht ist gut; und er belegt, daß die ökologische Situation bei den Bürgern besser als bei Ihnen aufgehoben ist. Das Bewußtsein für ökologische Zusammenhänge ist bei den Bürgern tief eingedrungen, und es wurde auch von den Städten schon viel geleistet, was Sie - für mich unverständlich - einfach unterschlagen.
Aber es muß zugegebenermaßen in der ökologischen Verbesserung unserer Städte noch viel geleistet werden.
({2})
Das zweite. Der Strukturwandel in unserer Wirtschaft ist eine herausragende Aufgabe. Mich wundert manchmal: Wir alle wissen, daß moderne Technologien die Unternehmen verändern. Ich bin sogar der Auffassung, daß in den nächsten 20, 30 Jahren nicht ein einziges Unternehmen noch so wie heute aussehen wird.
Aber Sie wollen eigentlich die Schaffung der Anpassungsinstrumente des Strukturwandels verhindern. Das hat die Beratung des Bundesbaugesetzbuchs bewiesen.
Daß wir die Flexibilität für die Änderungen im Innenstadtbereich aufrechterhalten und ausgebaut haben, war eine ganz wichtige Entscheidung für die Weiterentwicklung unserer Städte und die Weiterentwicklung unserer Wirtschaft in den Städten, die mit der Erhaltung und dem Ausbau von Arbeitsplätzen und mit der Belebung der Innenstädte natürlich eine große Aufgabe zu erfüllen haben.
Ich glaube, daß wir besonders die Probleme der Baulandplanung richtig kanalisiert haben, daß wir die Außenbereiche schonen, aber zum Beispiel die InnenStädte beleben, Baulücken schließen entweder für die Gewerbebrachen oder aber für die Wohnumfeldverbesserung, daß wir durch den Bau von Ortsumgehungen und Lärmschutzmaßnahmen zur Verkehrsberuhigung beitragen. Ich kann nur sagen: Das sollten wir ernster nehmen, als es bisher in der öffentlichen Diskussion geschehen ist.
Ich empfehle jedem Kollegen, das Ifo-Gutachten über die Güterbelastung und die Verkehrsbelastung im Jahr 2000 zu lesen. Nach den Berechnungen des Ifo-Gutachtens werden es 70 % des Güterverkehrs mehr als heute sein, und um 30 % wird der Personenverkehr auf den Straßen zunehmen.
Wenn das so ist, muß sich die SPD doch mal fragen, warum sie denn eigentlich den Neubau von Güterbahnhöfen wie in München verhindern wollen, wenn sie gleichzeitig den Güterverkehr von der Straße auf die Schiene bringen wollen und müssen. Wir wissen doch alle gemeinsam, welche Maßnahmen da notwendig sind. Sie verwickeln sich dauernd in mehr Widersprüche, weil Sie aus Ihrer theoretischen Orientierungslosigkeit einfach nicht in eine Praktikabilität von Verkehrsstrukturen übersetzen können.
Ich glaube, auch die große Bedeutung des kommunalen Umweltschutzes ist erkannt. Wir sollten gar nicht mehr von der Abfallbeseitigung reden, Herr Kollege Reschke; wir sollten von der Abfallverwertung reden. Wir wissen längst, daß Müll heute ein Rohstoff für die Energieerzeugung sein kann, daß Müll heute im Recycling als Wiederverwertung - ({3})
- Lassen Sie mich doch einmal etwas sagen, von dem ich mit Sicherheit ein bißchen verstehe. - Wir wissen, daß Müllverwertung im Recyclingverfahren kein Geld kostet, sondern im Gegenteil positive Bilanzen erbringt. Daß wir bei den Altlasten viel schneller handeln müssen, als jemand vorher zu denken vermochte oder heute zu denken vermag, wissen wir alle. Ich bin, meine Damen und Herren, in großer Sorge über alle Deponien; ich habe das im Ausschuß vorgetragen.
({4})
- Aber Sie haben doch noch weniger eine Haushaltsstelle. Wir können Altlastenbeseitigung doch nicht einseitig auf die Bundesregierung verlagern, sondern das muß man schon gemeinsam zwischen Bund, Ländern und Kommunen regeln.
({5})
- Also, jetzt habe ich Ihnen so andächtig zugehört, und Sie sind so unanständig unruhig. Das ist ja nicht zu glauben. ({6})
Die Altlastenbeseitigung, meine Damen und Herren, muß man ernst nehmen; daran gibt es keinen Zweifel. Wir sind in Sorge über die undichten Deponien, die zu einer Gefahr für das Grundwasser, für das Oberflächenwasser werden. Das bedeutet natürlich eine negative Beeinflussung der Trinkwasserversorgung und
- langfristig gesehen - auch eine negative Beeinflussung der Abwasserentsorgung.
Ich glaube, daß wir in diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, gemeinsam zu einer neuen Strategie bei der Überprüfung des Einsatzes von Großtechnologien und dezentralen Energien kommen sollten. Ich glaube, daß man die beiden auch nicht voneinander trennen sollte - die gehören zusammen - , sondern man sollte sie ergänzen und verzahnen und nicht sturheil allein auf die Großtechnologien setzen. Es ist ökologisch sinnvoller, dezentrale Lösungen zu wählen, d. h., in Ballungsräumen zentrale Lösungen anzustreben und in ländlichen Räumen schon aus Finanzgründen und aus ökologischen Gründen dezentrale Lösungen zu bevorzugen.
Nun darf ich noch ein Wort zur Finanzierung sagen. Also, mir kommen immer die Tränen, wenn ich die Sozialdemokraten hier auftreten sehe.
({7})
- Ja, wirklich, da können einem die Tränen kommen.
- Wir haben ein ERP-Programm mit mehreren Milliarden DM aufgelegt. Das ist ausgebucht, die Mittel für Umweltschutzmaßnahmen sind für Jahre in Anspruch genommen. Wir haben einen § 82 Einkommensteuer-Durchführungsverordnung geschaffen, in dem die Abschreibungsmöglichkeiten für moderne, umweltfreundliche, energiesparende Heizungsmaßnahmen geregelt sind, und wir haben die Städtebauförderung. Addieren Sie doch einmal, wieviel Milliarden DM die Bundesregierung aufbringt, um den Kommunen zu helfen, ihre Finanzierungsprobleme zu lösen!
Aber eines finde ich bei Ihnen nicht: einen Gedanken in Richtung auf Privatisierung. Ich empfehle Ihnen dringend, die vom Land Niedersachsen erstellte Broschüre einmal nachzulesen. Die niedersächsische Landesregierung hat noch unter Federführung von Frau Breuel - und jetzt unter Federführung meines Freundes Hirche - eine Privatisierung von Abfallbeseitigungs- und Abwasserentsorgungsanlagen modellhaft durchexerziert und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß das an Investitions- und Betriebskosten 30 % weniger ausmacht als etwa bei den öffentlichen Anlagen. Wenn das für Sie kein Denkanstoß ist, dann weiß ich es nicht mehr. Wissen Sie, was bei Ihnen ist
- ich hab' mich ja kaputtgelacht - :
({8})
Sie wollen die Revitalisierung der Gewerbesteuer, ich, wir Freien Demokraten wollen die Revitalisierung der Städte und nicht der Steuern. Sie wollen nur mehr Einnahmen, wissen dann aber im Grunde genommen gar nicht, was Sie damit anfangen sollen.
({9})
Wir wollen die Modernisierung und die Sanierung vorantreiben. Dazu ist alles geschaffen worden, bis auf eines: Wir haben vorgestern bei unserer Tagung in Berlin festgestellt, daß das Mietrecht einer zügigen, wirtschaftlichen und technologisch richtigen Sanierung möglicherweise im Wege steht. Wir haben gehört, wie schwierig es ist, zu modernisieren und zu sanieren, wenn ich das etwa stufenweise von Wohnung zu Wohnung machen muß, daß das nicht nur Pfusch am Bau bringt, sondern daß das auch wesentlich teurer wird und letztendlich nichts bringt. Wir sollten uns einmal überlegen, ob wir im Sinne einer zügigen Modernisierung und Sanierung nicht zu einem Sondertatbestand der Mietrechtskündigung kommen. Wir werden da nicht lockerlassen; denn das ist eine entscheidende Maßnahme im Rahmen der Beschäftigungspolitik.
({10})
- Natürlich, gucken Sie sich Berlin einmal an, schauen Sie sich die Verödung der Städte an! Wenn ich höre, daß es in Berlin noch 40 000 Wohnungen mit Trockenklosett gibt, dann erfüllt das in unserer modernen Zeit doch noch nicht einmal den Mindeststandard an Hygiene. Da können Sie doch nicht sagen, es ist alles in Ordnung. Also, ich glaube schon, daß die Verödung der Städte ein entscheidendes Ausmaß erlangt hat.
({11})
Vielleicht können wir mit Ihnen über Ladenschluß und über Dienstleistungsabende noch einmal reden. Wenn Sie die Städte am Abend nicht einschlafen lassen wollen, dann werden Sie sich in bezug auf die Verkehrsverbindungen, in bezug auf die Belebung der Innenstädte durch eine Liberalisierung von Öffnungszeiten und ähnlichen Dingen mehr etwas einfallen lassen müssen.
Meine Damen und Herren, ich darf abschließend feststellen: Heute finden weltweit Strukturveränderungen in der Wirtschaft statt, die überall oder in fast allen Ländern zu wesentlichen Veränderungen in der Gesetzgebung führen. Bei uns finden diese Strukturveränderungen natürlich auch statt; aber die Anpassung wird von Ihnen eigentlich immer blockiert, indem Sie auf das Wahren von Besitzständen mehr Wert legen als auf die Anpassung an die eigentliche Strukturveränderung. Das wird eines Tages ein böses Erwachen geben.
Wir müssen uns dieser Herausforderung stellen. Ich glaube, dieser Städtebaubericht belegt, daß es keine Gegensätze zwischen einer harmonisierten Umweltpolitik und einer richtig angelegten Gewerbepolitik in den Städten gibt, daß wir auf die Arbeitsplatzerhaltung oder den Arbeitsplatzausbau in den Städten großen Wert legen müssen und daß wir die Umweltverträglichkeit durchaus mit der Wohnumfeldverbesserung auf einen Nenner bringen können.
Die FDP wird deshalb Ihren Antrag ablehnen und unserem Entschließungsantrag zustimmen.
({12})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Teubner.
Herr Präsident! Liebe Zuhörerinnen! Liebe Zuhörer! Ich gestehe, ich war zunächst etwas verwundert angesichts dieser Tagesordnung: Nicht eine halbe Stunde, nicht eine ganze Stunde, nein, volle 90 Minuten - ohne Ironie: 90 MiFrau Teubner
nuten - läßt bzw. nimmt man sich Zeit, in dieser Woche über einen Politikbereich zu reden, der sonst - meines Erachtens zu Unrecht - eher ein Schattendasein führt: den Städtebau.
Aber es geht ja auch um Umweltschutz in dem Bericht, der heute zur Debatte steht. Es geht vor allem um eine ausnahmsweise einmal positive Bilanz, mit der sich die Bundesregierung hier schmücken zu können glaubt; und so etwas kommt ja sonst bei den Umweltbilanzen dieser Regierung nicht oft vor. Ich erinnere an die Debatten der letzten Woche: Nordseesterben, Grünsterben usw. Auf die ökologische Entwicklung in den Städten jedoch scheint man wirklich stolz sein zu dürfen, nimmt man die zahllosen Beispiele - 125 Seiten lang - in dem vorliegenden Bericht zum Maßstab. Da erlaubt man sich auch einmal 90 Minuten der Debatte.
Jedoch: Die Opposition wäre nicht die Opposition, und vor allem DIE GRÜNEN wären nicht DIE GRÜNEN, wenn sie nicht auch an dieser stolzen Bilanz etwas zu meckern hätten.
({0})
Nun denn!
Eines will ich der Kritik vorwegschicken: Ganz unzweifelhaft gibt es in vielen Städten und Gemeinden sehr vielfältige und zum Teil sehr phantasievolle, auch sehr konsequente Ansätze, das Problem des quantitativen und qualitativen Verbrauchs von Natur und Landschaft durch den Städtebau zu lösen. Oft genug - das muß man in diesem Hohen Hause betonen - hat hierbei der Druck der Bevölkerung mitgeholfen, wie überhaupt Initiativen der Bürgerinnen und Bürger das Handeln von Politik und Verwaltung bisweilen weit überholen. Insofern ist der Bundesregierung und den Rednern der Koalition der Vorwurf zu machen, daß sie sich - zumindest teilweise - hier mit fremden Federn schmücken.
Insgesamt betrachtet ist die Bilanz aber negativ. Auch im Städtebau der neuesten Zeit - da muß man sich nur umgucken - werden schwere Fehler gemacht, die massive, nicht oder nur sehr schwer wiedergutzumachende Eingriffe in die natürlichen Lebensgrundlagen bedeuten. Unsere These lautet - da gehen wir mit den Kollegen von der anderen Oppositionsfraktion konform - : Das im neuen Baugesetzbuch niedergelegte Bauplanungsrecht trägt ganz entscheidend dazu bei, daß solche Fehler weiterhin gemacht werden können, ja, daß solche Natur zerstörenden Eingriffe noch erleichtert werden. Der städtebauliche Bericht kommt zu dem Fazit - ich zitiere Seite 7 - :
Deutlich wird auch, daß die Belastung unserer Umwelt durch Wirtschafts- und Städtewachstum nicht mehr wie in den zurückliegenden Jahren fortgesetzt werden kann.
Ich würde sagen: Sie darf nicht mehr wie in den zurückliegenden Jahren fortgesetzt werden. Der Bericht nennt als sein Ziel - Zitat - :
Er soll Anregungen geben und dazu ermutigen,
die hiermit zusammenhängenden neuen städtebaulichen Aufgaben entschlossen aufzugreifen und anzugehen.
- Seite 5: entschlossen aufzugreifen und anzugehen!
Wenn diese Aussagen ernstgemeint sind - und das unterstelle ich hier einmal - , muß daraus auch die Konsequenz gezogen werden, das Baugesetzbuch einer sehr ernsthaften Prüfung auf seine Umweltverträglichkeit hin zu unterziehen. Diese Prüfung allerdings sollte man, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, nicht, wie mit Ihrem Antrag gefordert, denen überlassen, die das Baugesetzbuch gegen den guten Rat kompetenter Fachleute und Verbände durchgepowert haben. Glauben Sie denn im Ernst, Herr Schneider würde sich nächstes Jahr hier hinstellen und zugeben, daß er mit seinem Baugesetzbuch den Interessen einer umweltverträglichen Stadtentwicklung schwersten Schaden zugefügt hat?
({1})
Das finde ich eigentlich ein bißchen naiv. Nun denn!
({2})
An einem Beispiel will ich den Widerspruch zwischen schönen Worten und häßlicher Realität verdeutlichen. Zu den Schwerpunkten des städtebaulichen Berichts gehört das Problem des Freilandverbrauchs. Die Zahlen sind bekannt: 120 ha werden täglich versiegelt - diese Zahl ist irgendwie kaum vorstellbar -, verschwinden also unter Beton oder Asphalt. Lebensräume für Tiere und Pflanzen werden gefährdet oder zerstört.
({3})
- Auch für die Menschen, ja.
({4})
Die Versickerung, Filterung und Speicherung von Trinkwasser ist nicht mehr möglich, das Stadtklima wird negativ beeinträchtigt usw.
Der städtebauliche Bericht stellt hierzu fest:
Die Funktionsfähigkeit des gesamten ökologischen Systems hängt davon ab, daß genügend Freiflächen zur Verfügung stehen. Dabei kommt es jedoch nicht allein auf den summierten Umfang, sondern genauso auf die richtige Verteilung, die Vernetzung untereinander und eine genügende Qualität der Freiflächen an.
Die Bodenschutzkonzeption der Bundesregierung
- schon etwas älter, schon wieder etwas weiter unten in den Schubladen - ebenso wie das Baugesetzbuch ziehen daraus konsequent, aber eben nur verbal, ausschließlich verbal den Schluß: Mit dem Boden muß nicht nur sparsam, sondern schonend - und das ist mehr - umgegangen werden, was den Gesetzgeber, d. h. die Koalitionsmehrheit des letzten Jahres, aber nicht daran hinderte, in eben dasselbe Baugesetzbuch hinten im konkreten Teil Regelungen aufzunehmen,
die diesem Ziel des schonenden und sparsamen Umgangs mit dem Boden hundertprozentig entgegenstehen.
Die Verkehrspolitik mit ihrem nahezu ungebremsten Straßenbau- und Geschwindigkeitswahn tut ein übriges. Wir werden ja morgen noch über die Gemeindeverkehrsfinanzierung zu sprechen haben.
({5})
Da hilft es auch nichts, wenn Staatssekretär Maurer
vom Innenministerium des Landes Baden-Württemberg auf einer Fachtagung vor zwei Wochen feststellte
- ich zitiere den Staatsanzeiger Baden-Württemberg - :
Stellte man auf den etwa 22 000 km des Landes...
- auf allen Straßen, auf Autobahnen, Bundesstraßen usw. alle 5 142 000 in Baden-Württemberg zugelassenen Kraftfahrzeuge Stoßstange an Stoßstange hintereinander, dann wären diese Straßen lükkenlos zu.
Ich meine, man sollte sie wirklich einmal alle hintereinander aufstellen! Ob dann die Firma Daimler immer noch an ihrem wahnwitzigen Projekt mitten in der Rastatter Rheinaue festhalten würde? 170 Hektar eines ökologisch hochgradig empfindlichen und gefährdeten Geländes werden geopfert, um in wenigen Jahren dort einen täglichen Ausstoß von tausend Luxusautos zu produzieren. Dafür wurden bestehende verbindliche Bauleitpläne geändert - auf Initiative des Hauses Daimler-Benz. Aber Herr Späth kämpft ja, und wenn er sich doch noch mit seinem Steuerprotest durchsetzt, werden 25 % dieser täglich tausend Autos zunächst erst einmal als Jahreswagen auf dem Firmenparkplatz stehen - wie bei Daimler-Benz in Bremen, wo für 16 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 8 000 Parkplätze vorgehalten werden. Sparsamer, schonender Umgang mit dem Boden? Nein, immer noch eine rein ökonomische Nutzungsbetrachtung von Natur und Landschaft, immer noch der absolute Vorrang von Investorinteressen vor dem Umweltschutz.
Da schmückt man sich - das gestehe ich ja zu, das ist ja nicht zu übersehen - auch gern einmal mit einer Grünfläche, wenn sie zum Image einer aufpolierten Innenstadt paßt. So etwas wird auch immer mehr zum Standortfaktor, und insofern ist es für bestimmte Interessenten dann zu begrüßen. Aber von Grünanlagen und Freiflächen als Teil einer Grundversorgung der gesamten Bevölkerung sind wir noch weit entfernt. Schauen Sie sich nur einmal ein bißchen jenseits dieser schönen Innenstadtkerne um. Das Baugesetzbuch wird uns davon noch weiter wegbringen. Erst wenn Umweltbelange dort eine klare Priorität bekommen, kann es anders werden. Das ist mehr als ein Abwägen. Bisher setzt sich in dem Abwägungsprozeß immer die Ökonomie durch, und die Konsequenzen sehen wir. Wir sagen, Umweltbelange müssen eine klare Priorität bekommen, auch und gerade in diesem Abwägungsprozeß mit ökonomischen Belangen.
({6})
Erst wenn sich Umweltverträglichkeitsprüfungen nicht mehr wie bisher in Ausweichmaßnahmen erschöpfen, kommen wir weiter. Sie heißen dann so schön Grünordnungsplan oder Landschaftsbegleitplan, aber vorher beschließt man halt die Straße, vorher beschließt man das Großprojekt, und dann tut man auf den Parkplatz ein paar Bäume pflanzen. Das kann mit Umweltverträglichkeitsprüfung nicht gemeint sein.
({7})
Erst unter der Bedingung, daß diese Belange Priorität bekommen, wird man im nächsten Jahr oder in zwei Jahren vielleicht sagen können, daß 90 Minuten wie heute mehr bedeuten als ein allseitiges, selbstgefälliges Sich-auf-die-Schulter-Klopfen.
({8})
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bericht der Bundesregierung „Umwelt und Gewerbe in der Städtebaupolitik" weist in die Zukunft. Er ist keine Abrechnung mit den Fehlern der Vergangenheit, für die die Bundesregierung ohnedies nicht verantwortlich ist.
Er beschreibt präzise die künftigen Aufgaben, denen sich alle, die am Städtebau beteiligt sind, gegenübersehen: die Bürger, die Fachleute und Planer, die Bauwirtschaft, besonders aber die Politiker aller Ebenen, die hier Verantwortung tragen.
Der Bericht zielt auf die Verbesserung der Umweltbedingungen in den Städten und Gemeinden sowie auf die städtebaulichen Voraussetzungen für eine ökologisch verträgliche, zukunftsorientierte Wirtschaft. Dies ist notwendig, weil es gilt, Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen.
Beide Themen gehören zusammen. Sie markieren ein Spannungsfeld, in dem viele der Probleme liegen, um die Tag für Tag in den Gemeinderäten gerungen wird.
Dieser Bericht ist klar, er macht anschaulich deutlich: Die Bundesregierung verfolgt eine Städtebaupolitik, die unseren Städten und Gemeinden ihre menschlichen Maßstäbe erhalten oder wieder zurückgeben will. Dies gilt zu allererst für die unmittelbare Lebensumwelt der Menschen, für die Gemeinden und für die Stadtviertel, in denen unsere Bürger arbeiten und wohnen. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 18. März 1987 auf diesen Zusammenhang ausdrücklich hingewiesen.
Ich sage bewußt: arbeiten und wohnen. Viele, die sich in Fragen des Städtebaus zu Wort melden, vergessen, daß unsere Städte auch Wirtschaftsmetropolen sind, Arbeitsstätten sind und bleiben sollen.
Dieser Bericht räumt auf mit der falschen Alternative: Technik oder Ökologie? Er weist eine Perspektive für unsere Gemeinden, wie sie auch in einer hochtechnisierten, arbeitsteiligen, entwickelten Gesellschaft ihr menschliches Gesicht bewahren können. Das ist eine Aufgabe, die weit über diese Legislaturperiode hinausreicht. Ich bitte unsere Kommunalpolitiker, von den rechtlichen Instrumenten entschlossen und umsichtig Gebrauch zu machen.
An erster Stelle möchte ich, was die Zusammenhänge und unsere Entschlossenheit angeht, für eine geordnete Umwelt zu sorgen, das neue Baugesetzbuch erwähnen. Dieses Baugesetzbuch hat erhebliche Verbesserungen für den Umweltschutz gebracht. Die Grundsätze der Bauleitplanung wurden um die Zielvorgabe erweitert, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln. Sie enthalten darüber hinaus die an die Gemeinden gerichtete Verpflichtung, mit Grund und Boden sparsam umzugehen.
Die Gemeinden sind verpflichtet, die wesentlichen Auswirkungen der Planung, zu denen auch die Auswirkungen auf die Umwelt gehören, in der Begründung des Bebauungsplans darzulegen. Die Möglichkeit, im Bebauungsplan Höchstgrenzen für Wohnbaugrundstücke festzulegen, dient dem Anliegen des flächensparenden Bauens.
Neu eingeführt wurde die Möglichkeit, in Bebauungsplänen Flächen für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Natur und Landschaft auszuweisen. Der Umweltschutz wurde als Sanierungsziel anerkannt. Die Vorschriften über die Aufstellung der Bauleitpläne enthalten die Elemente einer in diesen Verfahren durchzuführenden Umweltverträglichkeitsprüfung. Das ist gänzlich neu.
({0})
- Wir regieren erst seit 1982. Sie hätten 13 Jahre lang Zeit gehabt, dies zu tun.
({1})
Sie stellen sicher, daß die Auswirkungen der Planung auf die Umwelt ermittelt und bewertet und daß dabei die Bürger und Träger öffentlicher Belange beteiligt werden, bevor die Gemeinde ihre planerische Entscheidung trifft. Dies ist nur ein Auszug aus der Liste der Verbesserungen.
Freilich: Die Verantwortung, diese von uns geschaffenen rechtlichen Instrumente richtig, zielstrebig, fach- und sachgerecht und vielleicht auch ideenreich anzuwenden, liegt nicht bei der Bundesregierung, sondern bei den Autoritäten in den Gemeinden.
Das Baugesetzbuch enthält damit ein umfassendes Instrumentarium zum vorsorgenden Umweltschutz im Städtebau. Es kommt nun darauf an, daß die neuen Instrumente in der Praxis tatsächlich angewendet werden.
Herr Kollege Reschke, Sie haben von der Notwendigkeit gesprochen, das Baugesetzbuch schon wieder zu novellieren. Ich kenne keinen Kommunalpolitiker, der dies gesagt hätte. Richtig ist nur - davon habe ich immer gesprochen - : Wir müssen das Baugesetzbuch durch die Baunutzungsverordnung, die wir gänzlich neu fassen - die Vorarbeiten sind bereits längst im Gange - , ergänzen. Der Bund hat auch im
Bereich der Finanzierung sehr viel getan, um die Erneuerung in Städten und Gemeinden voranzubringen. Die Städtebauförderung hat an vielen Orten ganz entscheidend zur Verbesserung der Umweltsituation beigetragen.
({2})
- Herr Müntefering, Sie lachen. Es ist immer gut, wenn sich ein Mensch freut.
({3})
Ich nehme das mit Sympathie zur Kenntnis, lieber Kollege. Ich darf Ihnen sagen: Als ich das Amt antrat, waren es 220 Millionen DM. In diesem Jahr steht fast die fünffache Summe drin. Was Sie kritisieren, bedeutet nicht ein Weniger, sondern das Dreifache. Wir haben die Ansätze von damals verdreifacht. Ist das was?
({4})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich gestatte.
Bitte sehr.
Herr Minister, Sie wollen aber nicht widersprechen, wenn ich sage, daß Sie in den Jahren, seit Sie regieren, gleichzeitig die Ansätze für den Wohnungsbau so weit reduziert haben, daß die Mittel, die Sie insgesamt eingesetzt haben, nicht höher als vorher waren und daß Sie außerdem im Augenblick dabei sind, für die Jahre ab 1991 die Städtebauförderung auf Null zu führen?
Herr Kollege, ich habe nicht geglaubt, daß ich Ihnen die Frage noch beantworten muß. Nicht die Bundesregierung hat beantragt
({0})
und geplant, der Bund solle sich aus der Mischfinanzierung zurückziehen, sondern es waren ja gerade sozialdemokratische Ministerpräsidenten, allen voran Ihr Ministerpräsident Rau, der an dem berühmten Beschluß vom 19. Oktober 1984 in Bremerhaven beteiligt gewesen ist.
Was die Wohnungsbauförderung angeht, lieber Kollege, muß ich Ihnen sagen: Wir haben nach dem Krieg - zumeist in den Jahren, da wir, die Union mit der FDP, regiert haben - fast 19 Millionen Wohnungen gebaut. Wir haben heute eine Wohnungsversorgung pro Person, pro Einwohner von etwa 35 Quadratmetern. Wir sind Weltspitze, was Qualität und Quantität der Wohnungsversorgung angeht. Wir haben keinen generellen, bundesflächendeckenden Bedarf mehr. Wo wir noch etwas leisten müssen, handelt es sich um Verdichtungsräume. Dafür stehen die Länder in der Verantwortung.
Gestatten Sie noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Müntefering?
Nein, danke, ich möchte mich an die mir vorgegebene Zeit halten. Ich bedaure das aus diesen Gründen.
({0})
- Ich bin gern bereit, es dort zu sagen.
Richtig ist: Wir haben die Wohngeldleistungen verdoppelt. Wir werden heuer etwa 3,9 Milliarden DM ausgeben. Fast eine halbe Milliarde DM der Wohngeldleistungen wird in Form von Lastenzuschuß gewährt. Das ist also eine individuelle, gezielte Unterstützung bei der Eigentumsbildung für den eigenen Herd.
Meine Damen und Herren, im Juli dieses Jahres hat die Bundesregierung beschlossen, die Städtebauförderung des Bundes fortzuführen. Sie hat damit eine lange Phase der Unsicherheit beendet, die durch den Beschluß der Ministerpräsidenten der Länder zum Abbau der Mischfinanzierung ausgelöst wurde. Es werden die nächsten drei Jahre noch 660 Millionen DM sein.
({1})
Rechnet man die Komplementärmittel der Länder und Gemeinden hinzu, so werden pro Jahr rund 2 Milliarden DM in den öffentlichen Kassen bereitstehen.
({2})
Das heißt unter dem Strich: Die Städtebauförderung wird auf hohem Niveau fortgeführt.
Die Länder und der Bund sind noch in den Beratungen. Ich darf Ihnen sagen: Die Bundesländer haben allein die Verantwortung, daß sich der Bund aus der Mischfinanzierung zurückzieht. Es wird eine Frage der finanzpolitischen Auseinandersetzung zwischen Bund und Ländern sein, hier eine zufriedenstellende Lösung zu finden.
({3})
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Eine letzte Zwischenfrage, Kollege Reschke.
Herr Minister, Sie sprachen eben davon, daß bei einer Förderung des Bundes von 660 Millionen DM - ein Drittel soll von den Gemeinden kommen, ein Drittel von Ländern - insgesamt fast 2 Milliarden DM zusammenkommen. Ich weiß nicht, wie Sie das ausgerechnet haben. Mir ist aus fast allen Großstädten bekannt, daß diese Städte ihren Anteil in der Städtebauförderung selbst nicht mehr erbringen können, daß im Gegenteil viele Gemeinden Bewilligungsbescheide für bauliche Maßnahmen vorliegen haben, aber auf Grund der Haushaltsschwierigkeiten, die bei den Gemeinden ja nicht hausgemacht sind,
({0})
nicht mehr in der Lage sind, die örtlichen Zuschüsse in den Haushalt einzustellen. Ist Ihnen das bekannt?
Herr Kollege Reschke, die Verhandlungen mit den Ländern laufen. Wir gehen davon aus, daß es bei der früher gegebenen Drittelfinanzierung bleiben wird.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Conradi.
Der städtebauliche Bericht der Bundesregierung, Herr Präsident, Meine Damen und Herren, ist ein guter, ein inhaltsreicher, informativer Bericht. Die Probleme werden vollständig und mit anschaulichen Beispielen dargestellt.
Ich habe für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion der Bundesregierung für diesen Bericht aufrichtig zu danken, vor allem deshalb, weil er schonungslos deutlich macht, wie unzureichend die Städtebaupolitik der Bundesregierung ist.
({0})
Bundesregierung und Parlamentsmehrheit haben aus dem Bericht nichts gelernt. Sie haben keine Konsequenzen gezogen. Mein Kollege von Bülow hat hier einmal zu Ihrer Sicherheitspolitik gesagt, sie sei von einer „abgrundtiefen Denkfaulheit" gekennzeichnet. Das gilt auch für die Städtebau- und Wohnungspolitik dieser Regierung.
({1})
Ich will das an einigen Beispielen deutlich machen.
Der städtebauliche Bericht sagt, daß aus Gründen des Umweltschutzes und des Landschaftsverbrauchs zukünftig die Innenentwicklung in den Städten und Dörfern Vorrang haben muß. Wir haben das zusammen mit dem Bundesrat beim Baugesetzbuch beantragt, aber Sie haben es hier im Plenum abgelehnt, der Innenentwicklung der Städte und Dörfer gesetzlichen Vorrang einzuräumen.
Der städtebauliche Bericht sagt, daß die Umweltbelastungen ständig zunehmen. Wir haben - wiederum gemeinsam mit dem Bundesrat - beim Baugesetzbuch beantragt, bei neuen Planungen die Umweltauswirkungen zu prüfen und öffentlich darzulegen. Sie waren zwar für die Prüfung, aber nicht für die öffentliche Darlegung. Nach Ihrer Meinung soll hier nur ganz, ganz heimlich geprüft werden, damit niemand erfährt, was bei der Umweltprüfung wirklich herausgekommen ist. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung im Sinne der EG-Richtlinie ist das sicher nicht.
({2})
- Herr Dörflinger, bitte.
Herr Abgeordneter Conradi, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, natürlich.
Bitte sehr.
Herr Kollege Conradi, würden Sie mir zustimmen, daß Ihre Fraktion und Sie als der von mir sehr geschätzte Berichterstatter zum Baugesetzbuch und wir uns in der Einschätzung einig waren, daß das, was wir an Umweltinstrumentarium in das Baugesetzbuch hineingeschrieben haben, auf eine integrierte Umweltverträglichkeitsprüfung hinauslaufe und daß es deswegen eines eigenständigen, danebenstehenden Stranges einer Umweltverträglichkeitsprüfung nicht bedürfe? Die kommunalen Spitzenverbände waren sogar der Meinung, das, was wir hineingeschrieben haben, entspreche in der Intention bereits der EG-Richtlinie.
Wie war die Frage jetzt?
({0})
Ich soll irgend etwas bestätigen.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. Ich habe das Fragezeichen gehört.
Sie schildern hier, was unstrittig war, Herr Kollege, daß nämlich bei der Planung im Sinne einer Umweltverträglichkeitsprüfung auch geprüft wird, welche Umweltauswirkungen, welche Umweltbelastungen durch diese Planung entstehen. Der Streitpunkt war anders: Wir wollten, daß das Ergebnis der Prüfung öffentlich dargelegt wird, damit jedermann überprüfen kann, was da geschieht. Sie wollten aus gutem Grunde nicht, daß die Öffentlichkeit das Ergebnis der Prüfung erfährt.
Aber auch in anderen Fällen ziehen Sie keine Konsequenzen. Der Bericht stellt die Bevölkerungsentwicklung dar, er zeigt den veränderten Altersaufbau, er zeigt, daß die Zahl der Haushalte und der Wohnungsbedarf bis in die Mitte der 90er Jahre zunehmen. Das bestätigen uns auch die Städte.
Stuttgart hat jetzt 3 900 Notfälle in der Wohnungskartei, 3 900 Haushalte - das sind rund 10 000 Menschen - , die keine ausreichende Wohnung haben. Sie sagen hier global: 35 m2 pro Person sind da. Deshalb müssen wir als Bund den sozialen Wohnungsbau nicht mehr fördern. Sie haben ihn ja auch totgemacht. Die Landesregierung von Baden-Württemberg fördert in diesem Jahr nur noch 260 Wohnungen im ganzen Land bei 3 900 Notfällen allein in Stuttgart.
Ich stimme dem Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel zu, der diese Politik für unsozial, für stadtfeindlich hält. Die hier regierende Mehrheit hat eben nichts übrig für die Wohnungsbedürfnisse von alten Menschen, von Alleinstehenden, von Alleinerziehenden, von Ausländern, von Arbeitslosen. Sonntags reden Sie von der „Famillje" und montags machen Sie den sozialen Wohnungsbau kaputt. Das ist Ihre Politik.
({1})
Der Städtebaubericht weist auf die zunehmenden Verkehrsprobleme der Gemeinden hin. Die Städte ersticken im Autoverkehr. Morgen werden Sie hier
das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz zu Lasten der Städte und des ÖPNV ändern. Auch hier bin ich mit Manfred Rommel völlig einer Meinung: Dies ist eine stadtfeindliche Verkehrspolitik. Er hat die Stuttgarter Bundestagsabgeordneten aufgefordert, sich gegen diese Änderungen zu wenden. Ich bin gespannt, wie meine Stuttgarter Kollegen von der Union morgen hier abstimmen.
Der städtebauliche Bericht sagt, daß wir in den Städten eine neue umweltfreundliche Energiepolitik brauchen. Tatsächlich aber dringt der Strom überall vor. Die Energieversorgungsunternehmen werben für mehr Stromverbrauch. Der Strom drängt mit Macht in den Wärmemarkt hinein, und die Bundesregierung hat kein Konzept, sie tut nichts für eine Förderung der Fernwärme, nichts für eine vernünftige Strompolitik.
Die Abfallprobleme der Städte wachsen. Uns steht der Müll in vielen Städten bis zum Hals. Das ist ja schön, was Sie hier sagen, Herr Grünbeck, aber als es darum ging, ein Abfallgesetz zu beschließen, das die Abfallmenge mindert, haben Sie gegen eine vernünftige Lösung gestimmt, weil Sie fest im Griff der Lobby sind, die nicht zulassen will, daß Einwegflaschen und Derartiges endlich vorn Markt verschwinden.
({2})
Herr Abgeordneter Conradi, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Grünbeck, wenn ich Sie so angreife, müssen Sie natürlich auch fragen dürfen.
Herr Kollege Conradi, würden Sie mir zustimmen, daß eine Reduzierung der Abfallmenge uns nicht aus der Verantwortung für die Abfallverwertung entläßt?
Völlig einverstanden, aber wenn wir eine geringere Müll-Menge hätten, hätten wir geringere Probleme, und das haben Sie verhindert.
Der städtebauliche Bericht macht schließlich die neuen Notwendigkeiten der Stadtentwicklung deutlich, die Wohnumfelderneuerung, die Reaktivierung von Brachflächen, die Nachbesserung von Großwohnanlagen, die Erneuerung der städtischen Kanalisation, die Veränderung der Abfall- und Energiewirtschaft. Nur verfolgt die Bundesregierung eine Steuerpolitik zu Lasten der Städte. Zum drittenmal zitiere ich den CDU-Oberbürgermeister von Stuttgart, Manfred Rommel, der entschieden sagt, was er von der stadtfeindlichen Steuerpolitik dieser Regierung hält. Ich stimme ihm zu: Sie nehmen den Städten das Geld weg, das sie für ihre Investitionen brauchen.
Das Fazit: Sie geben viele gute Ratschläge, was die Städte alles tun sollen, aber Sie lassen sie gesetzlich, Sie lassen sie finanziell allein. Diese Koalition ist tief verstrickt in ihre Ideologie, es würde alles besser mit weniger Planung, mit weniger Gesetz und mit weniger Geld. Das ist Ihre Politik.
({0})
- Sie glauben, daß der Markt allein menschen- und umweltfreundlichere Städte zuwege bringt; aber das wird er nicht.
Der Bauminister macht dabei eine besonders traurige Figur. Ich frage mich, Herr Dr. Schneider: Was machen Sie eigentlich den lieben langen Tag in Ihrem schönen Ministerium? Den sozialen Wohnungsbau haben Sie auftragsgemäß beerdigt; damit haben Sie keine Arbeit mehr. Die Städtebauförderung läuft in wenigen Jahren aus; auch da haben Sie nichts mehr zu tun. Die steuerliche Förderung des Wohneigentums macht der Finanzminister. Mietrecht macht der Bundesjustizminister. Bezüglich der Wohnungsgemeinnützigkeit haben Sie den Verbänden und den Mietern versprochen, sie werde nicht angetastet. Nun hat der Herr Stoltenberg Sie eiskalt im Regen stehenlassen. Auch das wird abgeschafft, auch damit haben Sie nichts mehr zu tun. Wohngeld? Das würde besser der Sozialminister verteilen. Der würde dann endlich die blödsinnige Doppelberechnung von Sozialhilfe und Wohngeld beseitigen, die Ihr Ministerium in zehn Jahren nicht wegbekommen hat.
({1})
Raumordnung macht der Wirtschaftsminister. Energiesparen, Wasserhaushalt, Lärmminderung und Abfallwirtschaft interessieren das Ministerium nicht.
Ich frage mich: Was ist da eigentlich noch zu tun? Ich finde es schön, Herr Dr. Schneider, und ich sage das ohne Ironie - ({2})
- Nein, ich sage das ohne Ironie. Hören Sie doch erst einmal zu! - Ich finde es schön, daß sich ein Bauminister für Architektur interessiert; das freut mich. Aber es genügt doch nicht, ein paar Kamingespräche mit Architekturprofessoren zu führen und in der Bundesrepublik ein paar zusätzliche Museen zu bauen, um damit ein ganzes Bauministerium zu rechtfertigen.
Ich frage mich: Warum haben Sie sich nicht so wie Ihr Kollege Hans Maier in Bayern gewehrt, als Ihnen die Arbeit Stück für Stück weggenommen wurde? Hans Maier hat in Bayern dem Ministerpräsidenten gesagt: Mach deine Politik alleine, ich lasse mir nicht die Kompetenzen wegnehmen! - Wollen Sie der letzte Bauminister dieser Republik sein? Wollen Sie der Bauminister sein, der Städtebau- und Wohnungspolitik auf Bundesebene beerdigt? Ich halte das nicht für eine ruhmreiche Politik; die Konsequenz ist: Städtebau- und Wohnungspolitik wird mit dieser Koalition in Bonn bald nicht mehr stattfinden.
Wir Sozialdemokraten haben eine andere Vorstellung von Städtebau- und Wohnungspolitik. Wir wollen nicht, daß sich der Bund aus der Mitverantwortung stiehlt. Wir sehen große Probleme, aber wir sehen auch große Chancen der politischen Gestaltung.
({3})
Wird die Stadt von morgen wirklich die kalte Computer-Stadt sein, in der einsame Menschen vor ihrem Computer sitzen und dort arbeiten, einkaufen und miteinander kommunizieren? Wird das Familienleben der Zukunft so aussehen, daß jedes Familienmitglied
in einem Zimmer sitzt und sich eines der zahlreichen kommerziellen Unterhaltungsprogramme 'reinzieht, die Späth und Schwarz-Schilling uns bescheren wollen? Oder bleibt die Stadt der Ort der vielfältigen menschlichen Beziehungen und Erfahrungen, der Wahlmöglichkeiten und der Lebensstile?
Sollen die Ungleichheiten, Herr Dr. Schneider, zwischen den reichen Städten des Südens und den armen Städten des Nordens und Westens, die die Last des industriellen Strukturwandels allein zu tragen haben, zunehmen?
({4})
Notabene: Was heute bei Kohle und Stahl und beim Schiffbau passiert, kann morgen auch beim Automobil- und Maschinenbau und sogar in der ComputerIndustrie im reichen Süden passieren.
({5})
- Herr Kollege Bohl, das wirtschaftliche Gefälle vom Süden zum Norden ist kein Naturgesetz.
({6})
Darauf sollte man sich auf Dauer nicht verlassen.
Sollen denn die Ungleichheiten der Lebenschancen der Menschen zunehmen, z. B. die Ungleichheiten zwischen Arbeitslosen und Arbeitsplatzbesitzern? Sollen die Ungleichheiten bei den alten Menschen zunehmen? Auf der einen Seite die „jungen" Alten, die sich einen erlebnisreichen Lebensabend leisten können, und daneben die „alten" Alten, die noch die Lasten des Krieges und der Nachkriegszeit tragen? Sollen die Ungleichheiten der Gesundheitsrisiken bleiben? Wer in der Stadt an der verpesteten Ausfallstraße wohnt, hat ein höheres Krebsrisiko als Bürger im grünen Stadtumland.
Das sind doch alles Aufgaben auch der Städtebaupolitik. Da liegen Berge von Arbeit; Berge von Arbeit für den Minister, Berge von Arbeit für eine Regierung, die etwas tun will. Da liegen Berge von Arbeit auch für die Bauwirtschaft, für die Umweltwirtschaft, für die Abfallwirtschaft. Nur muß man das wollen.
Sie haben Geld für kropfunnötiges Zeug. Sie haben Milliarden dafür, die Steuerlast der Millionäre zu senken. Aber dafür, die Lebensbedingungen von Millionen Menschen zu verbessern, haben Sie kein Geld.
({7}) Sie haben Milliarden für Prestigeobjekte.
({8})
- Doch. Sie wollen doch Milliarden ausgeben, um zehn Leute mit einer Fähre in den Weltraum zu schikken. Aber um zehn Millionen Menschen hier morgens auf menschenwürdige Art und Weise im öffentlichen Nahverkehr zur Arbeit und abends nach Hause zu bringen, haben Sie kein Geld. Da wird gekürzt.
({9})
- Aber ich bitte Sie! Ich kann Ihnen die Zitate von Herrn Rommel und vom Städtetag vorlesen. Das sind doch nicht Sozialdemokraten. Morgen wird doch hier der Plafond im Gemeindeverkehrfinanzierungsgesetz heruntergestrichen. Das heißt, es wird weniger für den ÖPNV ausgegeben als bisher. Und vor wenigen Tagen haben Sie beschlossen, mit Milliarden in die Weltraumforschung zu gehen.
({10})
- Doch, da wollen Sie Geld ausgeben. Herr Magin, was ist Ihnen wichtiger: Städtebaupolitik oder Weltraumforschung?
Wir Sozialdemokraten werden nicht aufhören, eine aktive und ideenreiche Politik für die Städte zu fordern, so wie es dieser städtebauliche Bericht, über den wir hier reden, fordert. Wenn diese Bundesregierung zu einer aktiven Politik für die Städte nicht in der Lage ist, werden die Menschen in den Städten, so hoffen wir, Ihnen die richtige Antwort geben.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Geis.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Conradi, Sie haben mit Recht ausgeführt, daß es kein Naturgesetz ist, daß das Niveau von den süddeutschen Städten zu den norddeutschen Städten hin sinkt. Das ist kein Naturgesetz, sondern das Ergebnis einer vernünftigen Politik sowohl in den Städten als auch in den Ländern.
Sie haben bei Ihren Ausführungen völlig übersehen, daß der Bund nur beschränkte Möglichkeiten hat. Gerade in der Städtebaupolitik ist sehr viel Kommunalpolitik involviert. Da geht es sehr viel darum, wie im örtlichen Bereich der jeweilige Stadtrat oder Gemeinderat entscheidet. In der Kommunalpolitik ist auch viel Landespolitik involviert. Da geht es sehr viel darum, wie im Land regiert wird und welche Schwerpunkte in einem Land gesetzt werden. Wenn Sie mit Recht feststellen, daß im Süden unserer Bundesrepublik Deutschland besser gewirtschaftet, besser gehaushaltet und bessere Kommunalpolitik betrieben wird, weil die Ergebnisse besser sind
({0})
- Herr Conradi, ich ziehe nur die Schlußfolgerungen aus Ihren Ausführungen ({1})
- Lassen Sie mich ausreden; ich habe Sie vorhin auch ausreden lassen - , dann beweisen und bezeugen Sie, daß dies ein Ergebnis einer vernünftigen Politik vor Ort gewesen ist.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die bundespolitischen Möglichkeiten sind nach unserer Verfassung mit Recht in diesem Rahmen beschränkt, weil wir einfach nicht in die kommunale Selbstverwaltung hineinregieren können und auch nicht dürfen. Wir wollen den selbständigen Bereich der kommunalen Selbstverwaltung natürlich erhalten. Wir wollen auch nicht in die Kompetenz der Länder hineinregieren.
({3})
Das können wir nicht und wollen wir nicht. Deshalb - ich wiederhole das - ist dieses Szenario, das Sie aufgezeigt haben, und sind diese Vorwürfe, die Sie in Richtung Bundesregierung und in Richtung Wohnungsbauminister gemacht haben, wider besseres Wissen. Das ist ein Stück fehlender Glaubwürdigkeit, was Sie hier darzulegen versucht haben. Deshalb sind diese Vorwürfe fehl am Platz.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe gesagt, daß es bei der Städtebauentwicklung entscheidend auf die jeweiligen Kommunen selbst zunächst einmal ankommt. Es ist nun einmal für jede gute Kommunalpolitik signifikant, daß sie sich um Industrie- und Gewerbestandorte bemüht, einmal weil damit die Kassen über die Gewerbesteuer gefüllt werden und zum anderen weil es Pflicht der Gemeinden ist, natürlich dafür Sorge zu tragen, daß ihre Bürger wohnortnah zur Arbeit gehen können.
({4})
- Die Gewerbesteuer abschaffen - das ist eine sehr fragwürdige Behauptung und eine sehr fragwürdige Forderung.
({5})
- Ich weiß. Der Bundeskanzler hat die Gewerbesteuer als Einnahmequelle der Gemeinden nicht in Frage gestellt, sondern er hat immer gleichzeitig gesagt, daß dann, wenn im europäischen Rahmen die Gewerbesteuer abgeschafft werden sollte, eine originäre Einnahmequelle für die Gemeinden neu geschaffen werden müßte. Darum geht es.
Wenn es also Aufgabe der Gemeinden ist, zunächst einmal für Standorte der Unternehmen zu sorgen, dann ist es natürlich auch Aufgabe der Gemeinden, dafür Sorge zu tragen, daß der Konflikt, der zwischen dem Industriestandort auf der einen Seite und den Belangen des Umweltschutzes auf der anderen Seite entstehen mag, gemindert wird. Wir haben in der Vergangenheit - das müssen wir anerkennen - natürlich solche Konflikte gehabt, und wir leben in den Städten noch in den Folgen dieser Konflikte. Es kann überhaupt nicht verschwiegen werden, daß wir noch vieles aufzuholen haben und daß natürlich von den Betrieben Umweltbelastung in Form von Luftverschmutzung und von Lärmbelästigung ausgeht.
({6})
Aber der vorgelegte Bericht beweist doch, daß die Gemeinden und Städte einiges dafür getan haben, diese Umweltbelastung zu beseitigen. Daß die Gemeinden und Städte zusammen mit den Ländern und
dem Bund versuchen, den Gegensatz zwischen Wirtschaft auf der einen Seite und Sorge für die Umwelt auf der anderen Seite auszugleichen, daß Ökologie und Ökonomie in einen Einklang gebracht werden, das beweist doch in eindeutiger Weise der vorgelegte Bericht. Wir haben immer betont, daß zwischen Ökologie und Ökonomie kein Gegensatz bestehen muß. Die neuesten Tendenzen gerade auch in den Unternehmen beweisen das ja. Die Unternehmen wählen ihren Standort nicht mehr nur allein nach betrieblichen Bedürfnissen aus, sondern fragen durchaus auch nach einer intakten Umwelt, fragen nach dem Reiz der Landschaft und fragen nach dem kulturellen Angebot in den Städten.
({7})
Das ist ein Zeichen des Strukturwandels innerhalb unserer Wirtschaft.
Unsere Städte und Dörfer müssen mit diesen neuen Entwicklungen Schritt halten. Das gilt nicht nur für die Ausweisung attraktiver Wohngebiete mit entsprechenden Erschließungsmaßnahmen. Das gilt insbesondere auch für den bereits in vielen Städten und Gemeinden gelungenen Versuch, die Stadt- und Ortskerne zu sanieren, das Bild der Stadtkerne zu verbessern, zu verschönern. Das gilt für den Versuch, Denkmäler zu erhalten. Wir stellen in unserer Bevölkerung einen neuen Hang zur Bodenständigkeit fest. Wir stellen eine tiefe Sehnsucht nach Verwurzelung, nach Identifizierung mit der eigenen Umwelt fest. Das Wort Heimat bekommt einen neuen Klang. Das ist das Ergebnis einer guten Kommunalpolitik, die draußen im Land dort geleistet wird, wo eine gute Landespolitik dies möglich macht. Das ist aber auch das Ergebnis der Bemühungen des Bundes.
({8})
- Das ist keine Schönfärberei. Fahren Sie einmal durchs Land, gehen Sie einmal in den Kern von Städten! Dann werden Sie sehen, wie sich die Stadträte bemüht haben, Architekten zu finden, die ihre Stadt von innen heraus erneuern; wie sie versuchen, die Städte zu verschönern. Das ist in Wirklichkeit neue Lebensqualität, und das beweist dieser vorgelegte Bericht. Deshalb liegt die Schwarzweißmalerei, die von seiten des Herrn Conradi versucht worden ist, einfach daneben. Sie trifft nicht den Kern der Sache.
Natürlich verschweigen wir nicht, daß wir in den Gemeinden große Probleme mit dem Müll haben. Kein Zweifel. Aber es ist doch interessant, was Ihre Kollegen draußen dann in der Diskussion äußern, wenn es um die Frage der Müllbeseitigung geht. Natürlich geht es zunächst einmal um Müllverminderung. Natürlich geht es, Herr Grünbeck, um Recycling. Aber es geht auch - darüber kann es doch überhaupt keinen Streit geben - um die Beseitigung des Restmülls, der ja immer noch bei 50 To liegen mag. Da kommen wir nicht ohne Müllverbrennungsanlagen aus. Jetzt gehen Sie aber einmal hin und hören sich an, was Ihre Kollegen draußen in den Länderparlamenten - dort, wo sie in der Opposition sind, wo sie nicht die Verantwortung zu tragen haben; dort, wo sie die Verantwortung tragen, sind sie mit uns einer Meinung - , in den Stadtparlamenten und in den Gemeinderäten dann sagen, wenn eine Müllverbrennungsanlage gebaut werden soll. Dann laufen sie dagegen Sturm.
({9})
Das ist genau das Gegenteil von dem, was Sie hier sagen.
({10})
Dort finden wir keine Kooperation zwischen den Verantwortlichen in einem Gemeinderat oder in einem Kreistag.
({11})
Der Bund - um das noch einmal zu erwähnen - hat Fundamente gelegt für eine gute Entwicklung in den Städten und Dörfern. Am 1. Juli 1987 ist das neue Baugesetz in Kraft getreten. Die Belange von Umwelt und Wirtschaft haben in ausgewogener Weise Eingang in das Städtebaurecht gefunden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Reschke?
Bitte sehr.
Herr Kollege, ist Ihnen bewußt, daß der Unterschied zwischen Essen im Ruhrgebiet und Neuschwanstein darin besteht, daß es in Essen 100 mg S02-Niederschlag je Tag gibt und in Neuschwanstein 6 mg je Tag? Würden Sie in Neuschwanstein eine Müllverbrennungsanlage befürworten?
({0})
Der Unterschied zwischen Neuschwanstein und Essen besteht in dieser Beziehung vor allen Dingen darin, daß wir in Essen eine Landesregierung haben, die SPD-geführt ist, und für Neuschwanstein die CSU-geführte Landesregierung in München zuständig ist.
({0})
- Das ist doch so. Mit dieser Frage, Herr Reschke, haben Sie erneut bestätigt, wie sehr es darauf ankommt, welche Partei in welchem Land regiert.
Das Sanierungsrecht hat im Städtebaurecht seinen festen Platz gefunden. Den Gemeinden ist damit auf Dauer
({1})
- lassen Sie mich doch ausreden; ich muß ja ständig versuchen, Sie zu übertönen - ein bewährtes Instrument an die Hand gegeben, gesunde Lebens- und Arbeitsbedingungen für ihre Bürger zu schaffen. Die Stadterneuerung wird auch in diesem Jahr mit 1 Milliarde DM gefördert, und die weitere Förderung von 1988 bis 1990 mit jeweils 660 Millionen DM ist sichergestellt. Wir können nicht jetzt schon über das Jahr 2000 hinaus diskutieren,
({2})
auch nicht über das Jahr 1990 hinaus. Wir können nur
den Finanzrahmen abstecken, den wir übersehen
können, und das ist zunächst einmal das Jahr 1990.
Hier haben wir Entscheidungen getroffen, an denen Sie nicht vorbeigehen können und die Sie in Ihrer eigenen Regierungszeit nie getroffen haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was die Bundesregierung im Rahmen der Städtebauförderung tun konnte, hat sie getan. Dafür danken wir ihr und bitten, so in diesem Sinn weiterzufahren.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kansy.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die letzten fünf Minuten dazu nutzen, unserem verehrten Kollegen Conradi zu antworten, der heute hier trotz seines Fachwissens mehr Dichtung als Wahrheit vorgetragen hat.
({0})
Zunächst, Herr Conradi, haben Sie gesagt - ich zitiere jetzt - , der Bund ziehe sich aus der Mitverantwortung für die Städtebauförderung zurück. Diese Mär nach zwei Jahren Diskussion immer noch zu verbreiten ist etwas peinlich, Herr Conradi. Die Ministerpräsidenten der Bundesländer, an der Spitze Herr Rau,
({1})
haben hier in Bonn vom Bundeskanzler verlangt: Bitte, Bund, zieh dich aus der Städtebauförderung zurück! Dann hat sich der Bundeskanzler damit einverstanden erklärt, und jetzt sagen die Sozialdemokraten in den Ländern, wir würden uns einseitig zurückziehen. Der Fehler ist, daß die Ministerpräsidenten erst mal die finanziellen Aspekte der Städtebauförderung regeln sollten, bevor sie mit solchen Anliegen zu uns kommen.
({2})
Zweitens, Herr Conradi, sprechen Sie von angeblich unsozialer Wohnungs- und Städtebaupolitik in Baden-Württemberg. Als in den Staatskanzleien im Jahr 1985 unser Sonderprogramm „Städtebauförderung" diskutiert wurde, wurde vereinbart - ich zitiere, das hat auch die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen unterschrieben - : „Es besteht Einvernehmen, daß mit den erhöhten Mitteln ({3}) Einzelvorhaben gefördert werden sollen, deren Durchführung bisher für die Jahre 1986 und 1987 nicht vorgesehen ist." In Baden-Württemberg, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat die Landesregierung das Drittel genau so aufgestockt, daß zusätzliche Projekte kommen.
({4})
In Nordrhein-Westfalen wurden die Komplementärmittel bis auf einen Anteil von 30 Millionen DM gestrichen. Man hat Mittel, die vorgesehen waren, seitens des Landes zurückgezogen und hat die Bundesmittel mißbraucht, um Lücken zu füllen. Jetzt fordern Sie
von dieser Bundesregierung, sie müsse mehr tun für Arbeitslose,
({5})
für die Bauwirtschaft, für Städtebauförderung. Das ist nämlich die Realität, hier solche Reden zu halten und da, wo man Verantwortung hat, genau das Gegenteil zu machen.
({6})
Herr Kollege Conradi, Ihren billigen Versuch, die Novellierung des Gemeindeverkehrfinanzierungsgesetzes zu benutzen, um hier die Gegensätze zwischen Stadt und Land noch zu verschärfen, müssen wir auf das schärfste zurückweisen,
({7})
selbst wenn Sie dabei Herrn Rommel in Anspruch nehmen, den Sie fünfmal genannt haben
({8})
- dreimal - , der auch zu Recht als Oberbürgermeister gewählt worden ist, als Sie gegen ihn kandidierten.
({9})
Insofern habe ich Verständnis, daß Sie ihn hier nennen.
In Wirklichkeit sind bisher 90 % der Mittel aus dem GVFG, die für den öffentlichen Nahverkehr bestimmt waren, in die Ballungsräume geflossen und nur 10 % dem ländlichen Raum zugute gekommen. Wir haben auf dem flachen Land Gegenden, wo Sie von Samstag abend bis Montag früh überhaupt kein einziges öffentliches Nahverkehrsmittel mehr bekommen, während die Städte - zu Recht - mit Milliardenaufwand ihre U- und S-Bahn gebaut haben. Aber die CDU/CSU wird nicht zulassen, daß dieses Auseinanderdriften zwischen Stadt und Land weitergeht. Deswegen stehen wir dazu, daß der ländliche Raum in der Novellierung des Städtebauförderungsgesetzes stärker berücksichtigt wird, als das bisher der Fall war.
({10})
Als letztes, Herr Conradi - ich habe noch eine Minute, wenn Sie gestatten - : Sie können eines nicht machen. Sie beschwören - zu Recht, sage ich - immer wieder das Gefälle zwischen reicheren Regionen in der Bundesrepublik und ärmeren. Wir werden ja bei der Diskussion des Raumordnungsberichts darauf zurückkommen. Sie können aber nicht am Wochenende Ausstiegsbeschlüsse fassen und am Montag beklagen, daß keine Prosperität in der Gegend ist, wo Sie regieren.
({11}) Da hilft uns auch keine Raumordnungspolitik.
Wenn Sie dies und jenes beherzigen, werden wir sicherlich auch wieder zu einer gemeinsamen Städtebaupolitik zurückkommen.
2638 Deutscher Bundestag - 11 Wahlperiode Dr.-Ing. Kansy
Vielen Dank.
({12})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ausschuß empfiehlt die Annahme einer Entschließung. Dazu liegen zwei Änderungsanträge vor.
Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD ah. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei vier Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN ist der Änderungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN ab. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen der SPD ist der Änderungsantrag mit großer Mehrheit abgelehnt.
({0})
- Herr Abgeordneter, ich habe es so gesehen.
({1})
Wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ab. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dreßler, Andres, Egert, Frau Fuchs ({2}), Haack ({3}), Heyenn, Kirschner, Peter ({4}), Reimann, Schreiner, Sieler ({5}), Frau Steinhauer, Urbaniak, Frau Weiler, von der Wiesche, Gilges, Ibrügger, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und des Mißbrauchs der Arbeitnehmerüberlassung
- Drucksachen 11/374, 11/869 -Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für diese Beratung eine Stunde Aussprache vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dreßler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die illegale Beschäftigung, der Mißbrauch der Leiharbeit und die Schwarzarbeit haben kriminelle Ausmaße angenommen.
({0})
Schon im letzten Jahr nannte der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit ihren Umfang „besorgniserregend". Jahr für Jahr gehen mindestens 100 000 Arbeitsplätze nach seinen Schätzungen verloren, andere Experten sprechen von 500 000 verlorengegangenen Arbeitsplätzen.
Die Leiharbeit wird zu einem immer größeren Sumpf auf dem Arbeitsmarkt. Leiharbeitnehmer sind Arbeitnehmer zweiter Klasse. Praktiken wie im Frühkapitalismus sind an der Tagesordnung. Nicht selten werden sie zu untertariflichen Löhnen beschäftigt. Ihr Arbeitsverhältnis ist meist auf die Dauer der Beschäftigung beim Entleiher befristet. Für den Fall der Krankheit lassen sich manche Verleiher zurückdatierte Eigenkündigungen geben. Andere verlangen Blankoanträge auf unbezahlten Urlaub für den Fall fehlender Einsatzmöglichkeiten. Kleinere und kleinste Nachlässigkeiten werden häufig mit hohen Vertragsstrafen geahndet. Immer häufiger werden die Vorschriften des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes durch Scheinwerkverträge oder andere Formen des Fremdfirmeneinsatzes umgangen.
Die öffentliche Entrüstung über diese Mißstände, die durch Günther Wallraffs Buch „Ganz unten" vor zwei Jahren ausgelöst wurde, hat nicht zu den notwendigen politischen Konsequenzen geführt. Die Bundesregierung sieht dieser schlimmen Entwicklung tatenlos zu. Dabei müßten endlich die überfälligen Konsequenzen gezogen werden.
({1})
Die kriminellen Machenschaften skrupelloser Menschenhändler verlangen nach Auffassung der SPD-Fraktion endlich durchgreifende gesetzliche Maßnahmen.
({2})
Nach übereinstimmender Meinung auch von Fachleuten reichen die vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten nicht aus, um diese Machenschaften in den Griff zu bekommen. Weder das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz noch die Gesetze zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und der illegalen Beschäftigung können illegale Beschäftigung verhindern, die Arbeitnehmer vor Ausbeutung schützen und die Zahlung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen sicherstellen. Der Gesetzgebungsstillstand ist nicht länger hinzunehmen.
Wegen der gesetzlichen Defizite stoßen auch die verdienstvollen Bemühungen der Bundesanstalt für Arbeit immer mehr an Grenzen. Die Bundesanstalt hat die ihr noch von der sozialliberalen Bundesregierung übertragene Aufgabe zielstrebig übernommen. Sie hat nämlich in 29 Arbeitsämtern und in den 9 Landesarbeitsämtern nahezu 350 Mitarbeiter konzentriert, die sich schwerpunktmäßig mit der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung befassen. Dieses Stützpunktsystem hat sich bewährt und teilweise zu beachtlichen Ermittlungserfolgen geführt. Wenn die Bundesanstalt bei der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung dennoch nicht recht weiterkommt, so ist das nicht ihr Versagen, sondern ausschließlich auf die Tatenlosigkeit der Bundesregierung zurückzuführen.
({3})
Meine Damen und Herren, wer den Sumpf, in dem die illegale Beschäftigung ihren Nährboden findet, trockenlegen will, kommt an gesetzlichen Maßnahmen nicht vorbei. Deshalb hat die SPD-Bundestagsfraktion bereits im Herbst 1986 die notwendigen politischen Konsequenzen in einem Antrag zusammengeDreßler
faßt und ihn im Deutschen Bundestag eingebracht. Er wurde jedoch von CDU/CSU und FDP abgelehnt.
({4})
Das gleiche Schicksal hatte der Entwurf eines Gesetzes zur beschäftigungswirksamen Einschränkung der Leiharbeit des Landes Nordrhein-Westfalen.
Der amtierende Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung erklärte in der Haushaltsdebatte am 11. September, also vor wenigen Wochen - ich zitiere - : „Was die illegale Beschäftigung angeht, warte ich noch auf die Fahndungsgeheimnisse des Herrn Dreßler." Diese für ihn typische nichtssagende Redefloskel war seine Stellungnahme zu folgendem Vorwurf:
({5})
Der ins „Sommerloch" geworfene sogenannte Sozialversicherungsausweis macht deutlich, daß Sie das ganze Problem - wie fast alles - von hinten aufzäumen. Sie machen sich im Zweifelsfall über den arbeitslosen Bauarbeiter her, der genötigt wird, sich auf illegale Arbeit einzulassen, aber gegen die Verursacher, gegen die kriminellen Organisationen der illegalen Leiharbeit, tun Sie nichts.
({6})
Meine Damen und Herren, ich wiederhole: Wer illegale Beschäftigung bekämpfen will, der muß gegen illegale Verleiher und ihre legalen Auftraggeber vorgehen.
({7})
Und nun will der zuständige Minister meine Fahndungsgeheimnisse wissen. Das heißt also: Ein Bundesministerium mit einem Mitarbeiterstab von über 950 Frauen und Männern, eine dem Ministerium nachgeordnete Behörde, nämlich die Bundesanstalt, mit über 60 000 Beschäftigten
({8})
haben es bis heute nicht fertiggebracht, diesem Minister geeignete Vorschläge zu machen, wie man gegen illegale Verleiher und ihre legalen Auftraggeber vorgehen kann. Das ist natürlich völlig unsinnig. Natürlich gibt es Vorschläge. Die richtige Antwort ist nämlich eine andere: Dieser Minister ist politisch zu schwach, das Übel an der Wurzel zu packen. Es fehlt ihm der Mut und die Durchsetzungskraft, bei den Auftraggebern anzusetzen. Er will sich darauf beschränken, gegen den kleinen Schwarzarbeiter vorzugehen.
Die Hurrazahlenpolitik des amtierenden Ministers hat uns wissen lassen, daß das von der SPD/FDPRegierung damals auf den Weg gebrachte Stützpunktsystem, die Einführung schwerpunktmäßiger Bekämpfung der illegalen Beschäftigung, 1986 126 000 Verfahren mit Bußgeldbescheid zur Folge hatte. Meine Damen und Herren, diese Zahl nennt den Umfang aller Verwarnungen, Geldbußen und Strafanzeigen im Zusammenhang mit illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit.
Fazit: Herr Blüm hat wieder einmal gemogelt, aber für seine Verhältnisse ausnahmsweise auf bescheidenem Niveau.
({9})
Nun sage ich Ihnen zum wiederholten Male, was geboten ist, Herr Kolb.
Erstens: Aufhebung des sogenannten Beschäftigungsförderungsgesetzes mit der Verdoppelung der zulässigen Dauer der Arbeitnehmerüberlassung.
Zweitens: Der Betriebsrat muß bei sämtlichen Fällen, in denen Arbeitnehmer von Fremdfirmen im Betrieb beschäftigt werden, mitbestimmen können.
Drittens: Verschärfung der Erlaubnispflicht und der Überwachungsmöglichkeiten.
Viertens: Verschärfung der Haftung des Entleihers. Der Entleiher muß bei der Beschäftigung von Fremdfirmen-Arbeitnehmern in seinem Betrieb stärker in die Verantwortung genommen werden. Mit anderen Worten: Für nicht gezahlte Lohnsteuern und für die Zahlungspflichten des Verleihers soll er ebenso wie für die Sozialversicherungsbeiträge endlich haften. - Nicken Sie nicht, machen Sie es doch, Herr Kolb!
({10})
Fünftens. Verbesserung des arbeitsrechtlichen Schutzes von Leiharbeitnehmern. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Einbeziehung der Leiharbeitnehmer in die beim Entleiher bestehende tarifvertragliche Ordnung.
Sechstens. Verschärfung von Strafvorschriften. Der bestehende Straftatbestand, der nur beim Verleiher ausländischer Arbeitnehmer eingreift, ist auf sämtliche Fälle auszudehnen, in denen Arbeitnehmer ohne die notwendige Erlaubnis verliehen und beschäftigt werden.
Siebentens. Die Pflicht zur Abgabe der Meldung zur Sozialversicherung muß schon vor Beginn einer Beschäftigung einsetzen. Das gleiche muß für die Kontrollmeldung durch Entleiher gelten.
({11})
- Dann machen Sie es doch, Herr Kolb! Nicken Sie nicht nur! Hinsetzen, arbeiten, Gesetzentwurf einbringen als Regierung, und endlich handeln!
({12})
Achtens. Aufhebung der Geringfügigkeitsgrenze.
Neuntens. Ausbau des Stützpunktsystems bei der Bundesanstalt.
Zehntens. Bildung von mobilen Einsatzgruppen nach dem Beispiel von Nordrhein-Westfalen.
Das alles sind keine Geheimnisse, wie Herr Blüm meint. Wenn diese Regierung wirklich den Willen und den Mut hätte, erfolgreiche Bekämpfung der illegalen Beschäftigung zu praktizieren, hätte sie unsere Vorschläge längst per Gesetz auf den Weg gebracht.
Wir werden insoweit die Regierungskoalition durch einen neu aufgelegten Antrag zur Entscheidung
zwingen, und zwar zur Entscheidung zwingen müssen, weil wenigstens das Nachdenklichkeit - natürlich bei Ihnen - erzeugen sollte.
Der Arbeitsminister von Nordrhein-Westfalen hat heute erklärt, als unerträglich und unzumutbar sei die Situation auf dem Leiharbeitsmarkt zu bezeichnen, und er hat von haarsträubenden Verstößen gesprochen. Im einzelnen haben die Beamten der Gewerbeaufsicht poröse Gasschläuche, Arbeiten unter elektrischer Spannung oder auf instabilen Gerüsten sowie den völlig ungeschützten Umgang mit Gefahrstoffen entdeckt.
Wenn das bei Ihnen nicht nur ein Nicken, sondern endlich einmal konsequentes politisches Handeln zeitigen würde, die SPD-Bundestagsfraktion würde mit Ihnen gemeinsam diesen Weg gehen.
Schönen Dank.
({13})
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Vogt.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In diesem trauten kleinen Kreis, Herr Kollege Dreßler, frage ich mich, warum Sie so laut und so aufgeregt hier die Aussprache über die Antwort der Bundesregierung auf Ihre Große Anfrage beginnen. Möglicherweise wollen Sie durch Ihre Lautstärke
({0})
ein bißchen über die Dürftigkeit Ihrer Argumente oder Vorschläge wegtäuschen.
Meine Damen und Herren, liebe Kollegen, wir sind für ehrliche Arbeit. Wir haben mehr ehrliche Arbeit. Wir haben seit 1983 eine Dreiviertelmillion neue Erwerbstätige.
({1})
Wir verabscheuen unehrliche Arbeit. Denn illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit sind keine Kavaliersdelikte. Beides ist ungesetzlich und strafbar, und beides verursacht Arbeitslosigkeit. Denn durch illegale Beschäftigung werden legale Arbeitsplätze gefährdet. Jeder Auftrag, der durch Illegale ausgeführt wird, geht dem Arbeitsmarkt verloren. Er schädigt den Staat und die Sozialkassen. Er ist ein Solidaritätsverstoß.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie ein Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Peter?
Aber selbstverständlich.
Bitte sehr.
Herr Staatssekretär Vogt, meinen Sie, wenn Sie von ehrlicher Arbeit sprechen, auch die Auskünfte der Bundesregierung über die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und die Auskunft der
Bundesregierung über die finanzielle Situation der Bundesanstalt für Arbeit?
Herr Kollege Peter, die Arbeit, die die Bundesregierung tut, ist eine genauso ehrliche Arbeit wie die eines Abgeordneten der Opposition.
({0})
- Nein, Herr Kollege Schreiner, ich wollte es Ihnen gar nicht geben, sondern ich wollte Ihnen gegenüber ein kleines bißchen fair in dieser trauten Runde sein.
({1})
- Ein kleines bißchen fair; ja.
Das schwarz verdiente Geld wird an der Steuer und an der Sozialversicherung vorbeigeschleust. Die Ehrlichen bezahlen die Zeche, und das ist unerträglich.
({2})
Außerdem bedeutet illegale Beschäftigung meist auch Ausnutzung und Ausbeutung der so Beschäftigten. Auch das ist unerträglich.
({3})
Wer aber, Herr Kollege Dreßler, Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung zurückdrängen will, braucht eine Doppelstrategie.
({4})
Erstens muß er die Belastung durch Steuern und Sozialversicherungsbeiträge in Schach und Proportion halten. Dafür ist Strukturreform in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der Rentenversicherung nötig. Denn steigende Lohnnebenkosten sind eine der Ursachen für Arbeitslosigkeit, sie verleiten zur Schwarzarbeit. Wir brauchen die Steuerentlastung.
({5})
In der Größenordnung von 44 Milliarden DM ist sie von dieser Koalition auf den Weg gebracht.
({6})
Diese Steuerentlastung befreit die Arbeit von Steuerlasten und die Kaufkraft. Beides hilft dem Arbeitsmarkt.
({7})
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dreßler?
Aber sehr gern, Herr Präsident, immer mit der Bitte, dies dann nicht auf meine Redezeit anzurechnen.
({0})
Bitte sehr.
Herr Vogt, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie uns hier klarmachen wollen, daß einer, der eine Million DM im Jahr verdient und von Ihnen noch 40 000 DM Steuererleichterung bekommt - das ist der Effekt Ihrer Steuerreform - , damit beschäftigungswirksame Maßnahmen praktiziert? Ist das wirklich Ihre Meinung?
({0})
Herr Kollege Dreßler, Sie mögen es nicht glauben, aber ich versuche weiterhin, Ihnen zu sagen, daß eine Ursache für Schwarzarbeit natürlich die hohen Lohnnebenkosten, die hohe Belastung der Arbeit durch Steuern sind.
({0})
Deshalb funktioniert eine Strategie zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und der illegalen Beschäftigung nur, wenn wir auch an diesen Ursachen für Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung ansetzen.
({1})
Aber wir werden darüber natürlich noch lange diskutieren wollen. Ich halte es hier mit dem Grundsatz, daß die Wiederholung die Mutter der Weisheit und des Erkenntnisstandes ist. Ich bin gerne bereit, das noch verschiedentlich zu wiederholen.
Also, erstens: Beseitigung, Angehen der Ursachen für illegale Beschäftigung und für Schwarzarbeit in dem genannten Bereich.
Zweitens brauchen wir effiziente Methoden im Kampf gegen die illegale Beschäftigung. Wir werden die Methoden durch den Sozialversicherungsausweis weiter verbessern und Leistungsmißbrauch und die mißbräuchliche Nutzung der Kleinstarbeitsverhältnisse auf diese Weise weiter bekämpfen, einen Mißbrauch, der von Arbeitnehmern wie von Arbeitgebern vorgenommen wird.
({2})
Also, eine Doppelstrategie. Wer gegen illegale Beschäftigung ist, wer Schwarzarbeit bekämpfen will, der darf sich Maßnahmen nicht versagen, durch die die Lohnnebenkosten gesenkt werden und durch die die Arbeit steuerlich entlastet wird. Wer sich diesen Maßnahmen versagt, ist ein Versager beim Kampf gegen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung.
({3})
Der Kampf, meine Damen und Herren, gegen die illegale Beschäftigung ist erfolgreich. Die Erfolge lassen sich in Zahlen messen, die Erfolge verunsichern die Szene. Je größer das Risiko, desto geringer der vermeintliche Vorteil. Erfolge im Kampf gegen illegale Beschäftigung graben dem Geschäft mit den Menschen also das Wasser ab.
({4})
Wenige Zahlen nur, Herr Kollege Dreßler. Wenn Sie die Große Anfrage der Bundesregierung nachgelesen hätten, bräuchte ich das hier nicht zu sagen. Aber einige Zahlen: Herr Kollege Dreßler, 1982 gab es
50 Planstellen bei den Arbeitsämtern für besonders geschultes Personal zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung. Die Zahl ist jetzt auf 375 erhöht worden. Wie kommen Sie dazu, sich hier hinzustellen und sich mit Ihrem Forderungskatalog aufzuplustern, den wir ja in dem Punkt längst erfüllt haben?
({5})
Seit 1986 wird ein eigens zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung entwickeltes elektronisches Datenverarbeitungssystem eingesetzt. Seit 1984 kann Leistungsmißbrauch von Arbeitnehmern, die gleichzeitig einer Beschäftigung nachgehen und Arbeitslosengeld beziehen, durch maschinellen Datenabgleich aufgedeckt werden. Allein 1986 hat dieses Verfahren über 72 000 Fälle von Leistungsmißbrauch ergeben. Hier hatte es Überzahlungen in Höhe von mehr als 36 Millionen DM gegeben.
Im vergangenen Jahr ist die Bundesanstalt für Arbeit in über 126 000 Fällen wegen des Verdachts illegaler Beschäftigung tätig geworden. In gut 65 000 Bußgeldbescheiden wurden Bußgelder in Höhe von 25 Millionen DM verhängt.
Besonders erfolgreich war die Bundesanstalt für Arbeit beim Vorgehen wegen illegaler Arbeitnehmerüberlassung. Hier gab es nicht nur die höchsten Bußgelder, hier gab es auch mit 44,5 % die größte Steigerungsrate verhängter Bußgeldbescheide.
({6})
Unter dem Strich hat sich die Zahl der rechtskräftigen Bußgeldbescheide gegen Schwarzarbeiter und ihre Auftraggeber gegenüber 1982 etwa vervierfacht.
({7})
Das ist der Lohn der Anstrengungen, die wir gemeinsam mit der Bundesanstalt für Arbeit unternommen haben.
Die Zahlen beweisen: Der Bundesregierung kommt es insbesondere auf praktische Erfolge an. Sie sind allerdings nur möglich, wenn die Gesetze ausreichen. Deshalb sind Lücken im Gesetz geschlossen worden, die uns die Rechtsprechung aufgewiesen hat.
Das Beschäftigungsförderungsgesetz - ({8})
- Ach, das war das Schlimmste, was wir getan haben? Ich wiederhole, Herr Kollege von der Wiesche: Das Beschäftigungsförderungsgesetz hat die Strafvorschriften bei illegaler Ausländerbeschäftigung verschärft. Dazu sagen Sie: Das war das Schlimmste.
Seit Januar 1986 kann die Bundesanstalt für Arbeit in allen Betrieben Außenprüfungen zur Aufdeckung von Leistungsmißbrauch durchführen. Durch die Einführung der Lohnsteuerhaftung für illegal verliehene Arbeitnehmer im Steuerbereinigungsgesetz 1986 ist klargestellt, daß der illegale Entleiher für die Lohnsteuer der Leiharbeitnehmer haftet. Im August 1986
ist das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität in Kraft getreten.
Meine Damen und Herren, ich ging bisher davon aus, daß wir politisch einer Meinung sind, wenn es um die Einschätzung der, illegalen Beschäftigung geht. Ich habe etwas Zweifel, ob ich in dieser Annahme, nachdem ich Herrn Kollegen Dreßler gehört habe, noch richtig liege. Ich hoffe aber, daß sich das nach der Debatte wieder einstellt.
Aber jetzt komme ich zu dem Punkt, bei dem es Meinungsverschiedenheiten auch über den Tag hinaus geben wird. Es ist unbestreitbar, daß es für legale Leiharbeit ein berechtigtes Bedürfnis gibt. Im Alltag sind viele Fälle denkbar, in denen ein z. B. durch Krankheit oder Kur ausgefallener Arbeitnehmer sinnvollerweise nur durch einen Leiharbeitnehmer ersetzt werden kann. Denn in diesen Fällen steht eine befristete oder unbefristete Neueinstellung nicht zur Debatte, und Überstunden der übrigen Beschäftigten gehen am Arbeitsmarkt vorbei.
Nun ist die Arbeit an wechselnden Arbeitsorten sicher nicht für alle Arbeitnehmer erstrebenswert. Wir haben aber einen differenzierten Arbeitsmarkt. Für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern ist die Tätigkeit bei einem Verleihunternehmer geradezu maßgeschneidert. Im vergangenen Jahr gab es mehr als 75 000 Arbeitsplätze bei den Verleihunternehmen, und die Zahl dieser Plätze ist nicht zuletzt Dank des Beschäftigungsförderungsgesetzes angestiegen. Natürlich: Wer nur in der Kategorie von Millionen rechnet, mag diese Zahl geringschätzen. Aber es sind immerhin 75 000 Menschen in Arbeit, die damit Tätigkeiten ausüben, die ansonsten allenfalls durch Oberstunden von schon Erwerbstätigen ausgeübt worden wären.
Wenn es also ein Bedürfnis auf dem Arbeitsmarkt gibt, wenn es ein Bedürfnis bei bestimmten Arbeitnehmergruppen gibt, ist der Gesetzgeber verpflichtet, diesen Bedürfnissen einen geordneten Rahmen zur Verfügung zu stellen.
Der Gesetzgeber ist aber auch bereits dadurch in der Pflicht, daß die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts legale Arbeitnehmerüberlassung unter den Schutz des Grundrechts der freien Berufswahl gestellt hat. Ein völliges Verbot der Leiharbeit wäre verfassungswidrig.
({9})
Ich glaube, deshalb erübrigt es sich, hierüber eine ernsthafte Debatte in diesem Hause zu führen.
Das vorhandene gesetzliche Instrumentarium reicht aus, um auftretende Mißbräuche im Bereich der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung zu verhindern. All das, was Sie, Herr Kollege Dreßler, hier am Anfang Ihrer Rede an Beispielen gebracht haben, kann mit Hilfe des Gesetzes gegriffen werden; es sind Mißbräuche, denen bei Aufdeckung als strafwürdigem Unrecht begegnet werden kann.
({10})
Meine Damen und Herren, nun zu dem, was Sie hier als zusätzliche Maßnahmen genannt haben, wobei ich nur zwei Punkte herausgreifen möchte. Sie fordern, daß der einfache illegale Verleih, der derzeit als Ordnungswidrigkeit mit Geldbuße bis zu 50 000 DM bedroht wird, zu einer Straftat heraufgestuft wird. Nun, bei einer allgemeinen Heraufstufung würden Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften für die Verfolgung zuständig. Diese Behörden aber sind schon heute bei der Verfolgung mancher Straftatbestände überlastet, übrigens auch in Nordrhein-Westfalen. Oftmals werden ja Ladendiebstähle überhaupt nicht mehr verfolgt.
({11})
Ich glaube kaum, daß die Polizei in der Lage wäre, diesen Nebenstrafrecht für illegale Beschäftigung die erforderliche Aufmerksamkeit zu widmen.
({12})
- Herr Kollege Dreßler, wenn Sie etwas weniger dazwischenrufen würden, wenn Sie einmal etwas an sich halten und auf Argumente eingehen würden, würden Sie feststellen, daß ich vom einfachen illegalen Verleih gesprochen habe, der jetzt als Ordnungswidrigkeit mit Geldbuße bedroht wird.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heyenn?
Ich schaue auf die Uhr, Herr Präsident. Könnten Sie mir dann noch vier Minuten dazugeben?
Ich stoppe die Zeit ab, die von der Frage und Ihrer Beantwortung verbraucht wird.
Bitte, Herr Kollege Heyenn.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie eben illegale Beschäftigung mit Ladendiebstahl auf eine Stufe gestellt haben?
Herr Kollege Heyenn, ich habe den einfachen illegalen Verleih, der heute als eine Ordnungswidrigkeit geahndet wird, mit dem Ladendiebstahl moralisch auf die gleiche Stufe gestellt. Ich spreche von dem Verleihunternehmen, das zwar illegal verleiht, sich aber ansonsten an die gesetzlichen Bestimmungen hält.
({0})
- Ein Unternehmen, das ansonsten den Bestimmungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes gerecht wird!
({1})
- Herr Kollege Dreßler, wenn Sie da lächelnd fragen, was das soll, zeigt das nur, daß Sie sich mit der Materie wohl noch nicht entsprechend beschäftigt haben.
({2})
- Herr Kollege, es ist eine meiner Aufgaben, daß ich mich damit beschäftige.
({3})
Herr Präsident, ich darf sagen: Der Sumpf im Bereich der illegalen Beschäftigung kann nicht den legalen Verleihunternehmen angelastet werden. Das wäre der Sache nach unredlich, und es würde auch verschiedene voneinander zu unterscheidende Bereiche völlig miteinander vermischen.
({4})
Ich sage darüber hinaus: Wünschenswert wäre es, wenn die tarifpolitische Begleitung die gesetzlichen Schutzvorschriften für die Leiharbeitnehmer verstärken würde. In der Vergangenheit war nur ein Teil der Gewerkschaften bereit, mit einem Verleihunternehmen Tarifverträge abzuschließen. Die Gewerkschaften sollten erkennen, daß der Schutz der betroffenen Arbeitnehmer am besten dadurch gewahrt bleibt, daß man sie nicht länger von den tarifvertraglichen Möglichkeiten ausschließt.
Meine Damen und Herren, ich empfehle, die Kräfte im Kampf gegen die illegale Beschäftigung zu bündeln, statt politisch sinnlose und juristisch bereits verlorene Kämpfe um ein Totalverbot der Arbeitnehmerüberlassung zu führen, denn wer an der falschen Front kämpft, wie Sie, Herr Kollege Dreßler, es heute getan haben, hat zu wenig Kräfte dort, wo tatsächlich Gefahren für die Arbeitnehmer drohen.
Vielen Dank!
({5})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Trenz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie heute schon angeführt, hat Günter Wallraff mit seinem Buch „Ganz unten" den Alltag der sogenannten Illegalen in der Bundesrepublik, ihre Situation und das Geschäft mit illegaler Leiharbeit sehr anschaulich dargestellt und in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gebracht.
Das war mehr als notwendig und sollte eigentlich dazu führen, daß der Bundestag nun endlich angemessen reagiert, indem er die Leiharbeit insgesamt gesetzlich verbietet, wie es die GRÜNEN schon 1985 in ihrem Gesetzentwurf zur Aufhebung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes gefordert haben.
({0})
Dies wäre die einzige richtige Reaktion auf die menschenunwürdige Situation der legalen und insbesondere der illegalen Leiharbeit, anstatt, wie bisher geschehen, die Verfolgung der Betroffenen zu intensivieren, aber die eigentliche Ursache für diese Situation nicht zu verändern.
Schon bei der legalen Leiharbeit handelt es sich um einen undurchsichtigen grauen Arbeitsmarkt, auf dem Rechtsverstöße und kriminelle Handlungen an der Tagesordnung sind. So werden Steuern, Sozialabgaben nicht abgeführt, werden unbefristet abgeschlossene Arbeitsverträge angeblich einvernehmlich aufgelöst, werden Arbeitnehmer zu Subunternehmern deklariert und vieles andere mehr.
Das führt innerhalb der Bundesrepublik zu einem Leiharbeitstourismus von Norden nach Süden. Arbeitslose aus strukturschwachen und verarmten Regionen werden skrupellos in andere Regionen verfrachtet.
Noch wichtiger ist jedoch, daß die legale Leiharbeit als Deckmantel für illegale Leiharbeit wirkt. Die Trennungslinie ist nach außen nicht sichtbar. Schätzungen der Bundesanstalt für Arbeit zufolge gibt es in der Bundesrepublik zwischen 100 000 und 500 000 ständig illegal Beschäftigte. Das sind Menschen, die nicht nur die gravierenden Lasten der Leiharbeit zu tragen haben, sondern darüber hinaus in einem menschenunwürdigen Zustand der sozialen Unsicherheit und der Angst vor Kriminalisierung leben und arbeiten.
({1})
Illegale Leiharbeit, meine Damen und Herren, das ist der Verkauf der Menschenware Arbeitskraft über einen Zwischenhändler. Das ist Menschenhandel im brutalsten Sinne des Wortes.
({2})
Firmen vermieten menschliche Arbeitskraft an Unternehmer und Konzerne, ein Deal, bei dem die Zwischenhändler je nach Einsatzbereich zwischen 40 und 50 DM pro Mensch und Arbeitsstunde verdienen, weil sie Sozialabgaben sparen. Und auch die Arbeitskäufer sahnen kräftig mit ab. Denn bei Leiharbeit entfällt der Kündigungsschutz. Bei Entlassungen werden Sozialpläne überflüssig.
Auf diese Art und Weise werden betriebliche Dauerarbeitsplätze vernichtet, die Belegschaften auf Stammbelegschaften reduziert. Mit einem Wort, gesicherte Arbeitsplätze werden zugunsten ungesicherter Leiharbeitplätze abgebaut.
({3})
Darüber, wie hoch die Anzahl der ausländischen Staatsangehörigen unter den illegal Beschäftigten ist, liegen der Bundesregierung keine gesicherten Erkenntnisse vor. Europaweit wird die Zahl auf bis zu 5 Millionen Menschen geschätzt. Auch bei uns dürfte ihre Anzahl erheblich sein, denn viele befinden sich in einer verzweifelten Notlage, weil sie keine Arbeitserlaubnis besitzen. Ich spreche hier von den Familienangehörigen der Immigranten, von ihren Ehefrauen und Ehemännern, die erst nach langjährigen Wartezeiten eine Arbeitserlaubnis bekommen können, und natürlich nur, wenn der deutsche Arbeitsmarkt es er2644
fordert. Das ist die rassistische Wirkung des § 19 Arbeitsförderungsgesetz.
({4})
Ich spreche von den Flüchtlingen, die zur illegalen Arbeit geradezu gezwungen sind, weil ihnen fünf Jahre lang das Recht zu arbeiten verweigert wird. In ihrer hoffnungslosen Situation als rechtlose Minderheit und durch die „Ausländer raus"-Politik der Bundesregierung sind diese Menschen für den organisierten Menschenhandel regelrecht prädestiniert.
({5})
- Wir können gerne noch über Ausländerpolitik reden. Dann möchte ich aber gerne länger reden können.
Mit den gerne geäußerten Skrupeln, aber letztendlich doch auf der Seite der Unternehmer und ohne Rücksicht auf die Auswirkungen für Arbeitsuchende verabschiedete die sozialliberale Koalition 1972 das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Die Leiharbeit wurde damit staatlich festgeschrieben.
({6})
Durch mehr Kontrollkompetenz der Bundesanstalt für Arbeit sollte die illegale Leiharbeit bekämpft werden. Dies hat sich als ebenso halbherzig wie erfolglos erwiesen. Die Wirklichkeit beweist das tagtäglich.
Diesen Sumpf, Herr Dreßler, den Sie eben angesprochen haben, diesen immer größer werdenden Sumpf krimineller Ausnutzung von Mensch auf dem Arbeitsmarkt wollen Sie nun trockengelegt sehen. Ich hoffe sehr, daß es Ihnen ernst damit ist, daß Sie die Schiene von technokratischen Lösungen verlassen und daß Sie sich diesmal zusammen mit uns für die Rücknahme des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes einsetzen.
({7})
Die heutige Regierungskoalition, die ja kaum eine Gelegenheit ausläßt, sich als zynische Verächterin der sozial Schwachen und Ausgegrenzten zu profilieren, die CDU/CSU und FDP, hat vor zwei Jahren unter dem harmlos klingenden Titel „Beschäftigungsförderungsgesetz" die Zeit, die ein Mensch gewerblich verliehen werden kann, von drei auf sechs Monate erhöht. Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen ist die christlich-freiheitliche Übersetzung für die Aufhebung geschützter Arbeitsverhältnisse zum Wohle der Unternehmen. Diese Art von Flexibilisierung beruht einzig auf der Verzweiflung von Hunderttausenden Menschen, die, sofern sie Deutsche sind, kaum Chancen haben, jemals gesicherte Arbeitsplätze zu finden, oder sogar, sofern sie Ausländer sind, nicht einmal das Recht haben, sich irgendeine Arbeit zu suchen.
Die legale Leiharbeit ist sozial ungesicherte Arbeit. Leiharbeit muß verboten werden. Die GRÜNEN werden ihren Gesetzentwurf zur Aufhebung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und damit die Forderung nach dem generellen Verbot der Leiharbeit erneut in den Bundestag einbringen.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Heinrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD!
({0})
Nach dem Vortrag von Herrn Dreßler muß ich, so glaube ich, das Bild, das ich seither von der SPD habe, revidieren. Die Worte „durchgreifende gesetzliche Regelung" in einem Bereich, in dem wir wissen, daß schärfere Gesetze nichts bringen - das wissen auch Sie - , zeigen mir, daß die SPD hier eine neue Tendenz vertritt.
({1})
Ich halte es vielmehr damit, daß wir keine Gesetzesverschärfung und keine Gesetzesänderung brauchen.
({2})
Wir haben aber einen gewissen Handlungsbedarf. Hier ist eine breite Palette, die anzusprechen ist. Illegale Beschäftigung ist nämlich Gift für den Arbeitsmarkt. Da sind wir uns einig. Illegale Beschäftigung ist auch kein Kavaliersdelikt, sondern gefährdet legale Arbeitsplätze und führt zu erheblichen Beitragsausfällen für die Sozialversicherung.
({3})
Wenn skrupellose Geschäftemacher oftmals unter Ausbeutung ausländischer Arbeitnehmer tätig werden, müssen alle vorhandenen Maßnahmen ergriffen werden, um dies zu verhindern.
({4})
Darüber besteht Einigkeit. Augenblick, ich habe nur sieben Minuten.
Lassen Sie mich Ihnen das sagen: Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort darauf hingewiesen, daß sich die Zusammenarbeit der öffentlichen Stellen zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung verbessert hat. Nichts ist aber so gut, daß es nicht noch weiter verbessert werden könnte. Auch sollte im Rahmen des Möglichen die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit den zuständigen ausländischen Behörden gepflegt und verbessert werden.
Zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung könnte auch der in Aussicht genommene Sozialversicherungsausweis beitragen, wenn er entsprechend ausgestaltet wird. Herr Kollege Kolb, wir haben hier noch eine Arbeit vor uns. Bei Überlegungen zur Verkürzung der Meldefristen müßten jedoch die daraus resultierenden Belastungen insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen berücksichtigt werden.
Einen breiten Raum nimmt in dieser Anfrage das Thema Arbeitnehmerüberlassung ein. Bei Durchsicht der Fragen hat man den Eindruck, daß die Arbeitnehmerüberlassung nicht zu den von den SozialdemokraHeinrich
ten geliebten oder auch nur akzeptierten arbeitsmarktpolitischen Instrumenten zählt.
({5})
Die von der SPD schon in der vergangenen Legislaturperiode vorgeschlagenen Verschärfungen sollen, so scheint es, die Arbeitnehmerüberlassung auf eine Kümmerexistenz reduzieren. Weitere Einschränkungen der zulässigen Arbeitnehmerüberlassung sollen über das Baugewerbe hinaus erfolgen. Verbot sogenannter Mischbetriebe, Verschärfung der Erlaubnispflicht sind nur einige der angestrebten Maßnahmen. Letztlich wird in Übereinstimmung mit den GRÜNEN, wie wir soeben hörten, ein generelles Verbot jeglicher Arbeitnehmerüberlassung nicht ausgeschlossen.
Zu Ihrem Beitrag, verehrte Kollegin von den GRÜNEN, möchte ich deutlich sagen: Was Sie fordern ist entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zulässig. Das ist verfassungswidrig.
({6})
Im vergangenen Jahr hat eine hochrangige Sachverständigengruppe der OECD in ihrem Bericht zur Arbeitsmarktflexibilität darauf hingewiesen, daß eine Volkswirtschaft nur dann dynamisch sein und dauerhaft wachsen wird, wenn sie flexibel ist.
({7})
Eine der Voraussetzungen ist die Flexibilität des Arbeitsmarktes. Wenn ich in die Runde blicke, sehe ich viele Kollegen, die mit mir zusammen in Genf bei der ILO waren. Was haben wir dort bei der ILO gehört, Herr Kollege Schreiner, Herr Kollege Peter? Daß unser Arbeitsmarkt so inflexibel ist. Hier dürfen wir die Flexibilität nicht von vornherein zerstören.
({8})
Mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz haben wir die Möglichkeit für mehr Flexibilität im Arbeitsleben verbessert. Das können Sie wohl nicht bestreiten. Insofern halten wir auch weiterhin an der in diesem Gesetz beschlossenen Verlängerung der Arbeitnehmerüberlassung von drei auf sechs Monate fest.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schreiner?
Bitte sehr.
Herr Kollege, können Sie bestätigen, daß die Mitarbeiter der ILO mit uns der Auffassung gewesen sind, daß die zunehmende Spaltung des Arbeitsmarktes in der Bundesrepublik Deutschland einerseits in noch relativ gesicherte Beschäftigungsverhältnisse und andererseits in ungeschützte und ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse, mitbewirkt insbesondere durch das sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz, zu größter Sorge Anlaß gibt?
({0})
Es ist überhaupt keine Frage, daß die soziale Sicherung in vorderster Front stehen muß. In diesem Bemühen gehen wir einig.
({0})
Nur müssen wir natürlich auch die Mißstände in den Griff bekommen.
({1})
Hier müssen wir uns dafür einsetzen, daß Tarifverträge zwischen den seriösen Zeitarbeitsunternehmen und den DGB-Gewerkschaften abgeschlossen werden, wie es mit der DAG schon geschehen ist. Der Herr Staatssekretär hat auch darauf hingewiesen. Ich glaube, hier liegt eine große Verantwortung im Bereich der Gewerkschaften.
({2})
Dies würde dem sozialen Schutz der Zeitarbeitnehmer dienen.
Erforderlich ist aber auch, daß Unternehmensleitungen und Betriebsräte gemeinsam darauf achten, daß Zeitarbeitnehmer hinsichtlich des Arbeitsschutzes - wie es das Gesetz vorsieht - mit anderen Arbeitnehmern gleichbehandelt werden. Insofern ist es zu begrüßen, daß der Bundesarbeitsminister bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften angeregt hat, eine Unfallverhütungsvorschrift für diesen Bereich zu schaffen. Es wäre wünschenswert, wenn diese Arbeiten trotz aller Schwierigkeiten bald einen positiven Abschluß finden könnten.
Leider Gottes habe ich nur noch eine Minute.
({3})
Deshalb möchte ich zusammenfassend der Feststellung der Bundesregierung zustimmen, daß die legale Arbeitnehmerüberlassung zwar eine Sonderform des üblichen legalen Beschäftigungsverhältnisses darstellt, aber in sozialer oder arbeitsrechtlicher Hinsicht kaum schwerwiegende nachteilige Abweichungen von einem üblichen Arbeitsverhältnis aufweist. Diese Feststellung sollte für alle Anlaß sein, nicht an der legalen Arbeitnehmerüberlassung herumzumäkeln,
({4})
sondern gemeinsam die zuständigen Stellen im Kampf gegen illegale Beschäftigung zu unterstützen. Ich unterstreiche noch einmal: Gemeinsamer Kampf gegen die illegale Beschäftigung, das ist die richtige Antwort in dieser Frage.
Ich danke Ihnen schön.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete von der Wiesche.
von der Wiesche ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 29. Mai 1987 haben wir unsere Große Anfrage im Deutschen Bundestag eingebracht. Vier Monate hat die Bundesregierung dann gebraucht, um unsere Fragen zu beantworten. Dabei brennen uns die Probleme auf allen Nägeln.
({1})
Seit das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 4. April 1987 das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung aufgehoben hat, ist die Leiharbeit wirklich zu einem Problembereich des Arbeitsmarktes geworden. Die unter sozialliberaler Regierung verabschiedeten Gesetze, das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vom August 1972 und das Gesetz zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung vom Dezember 1981, waren zwar Schritte in die richtige Richtung, durch sie ist es jedoch nicht gelungen, die Mißstände auf dem Gebiet der Arbeitnehmerüberlassung wirkungsvoll zu bekämpf en.
Geändert hat sich allerdings mittlerweile die Situation auf dem Arbeitsmarkt. Unternehmer schmelzen ihre Stammbelegschaften ab. Nur für den Kernbereich ihrer Produktion behalten sie fest angestellte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Alle anderen anfallenden Arbeiten werden an Fremdfirmen vergeben.
({2})
Diese Arbeiten werden dann zwar immer noch auf dem Gelände der Firma im Rahmen von Werkverträgen, ob diese nun legale oder illegale Arbeitnehmerüberlassung darstellen, ausgeführt, aber schon im Bereich der legalen Arbeitnehmerüberlassung besteht die Tendenz, die sozialen Rechte der Arbeitnehmer zu verkürzen und den Kündigungsschutz zu umgehen. Die Bundesregierung hat dem noch Vorschub geleistet. Das sogenannte Arbeits- und Beschäftigungsförderungsgesetz erlaubt es nun einmal, Arbeitnehmer auf sechs Monate zu verleihen. Außerdem ist der Abschluß befristeter Arbeitsverhältnisse wesentlich erleichtert worden.
Dieses Gesetz ist von den Verleihfirmen nur zu gut verstanden worden. Eines der größten deutschen Unternehmen für Zeitarbeit hat in seinem Werbeprospekt ausgeführt:
Viele der in den vergangenen fetten Jahren angehäuften Privilegien für Ihre Mitarbeiter werden bei uns ausgeschaltet. Das ebnet Ihnen den Weg, Schritt für Schritt eine Annäherung unserer Personalhandhabung zu erlangen.
({3})
Einige Beispiele: keine zusätzlichen Pausen, keine kostenlose Arbeitskleidung, keine kostenlose Reinigung der Arbeitskleidung, keine Kantinenzuschüsse, keine Fahrgeldzuschüsse, keine Kosten für Gesundheitszeugnisse,
({4})
keine Kosten für Jubiläen, Hochzeiten und anderes.
({5})
Mit unserer Mitwirkung wird Ihren Arbeitnehmern bewußt, daß sie ersetzbar sind. Dies senkt - das können wir nachweisen - ihre Krank- und Fehlzeiten.
Soweit das Zitat. Damit wird ganz klar, daß die Arbeitnehmer als billige Ware auf dem Arbeitsmarkt angeboten werden. Dies werden wir Sozialdemokraten nie hinnehmen.
({6})
Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, verharmlosen dieses Problem.
({7})
- So ist es leider.
Die Antworten auf unsere Anfrage lassen sogar die Vermutung aufkommen, daß Sie noch nicht einmal begriffen haben, worum es hier eigentlich geht. Nur ein einziges Mal werden Sie konkret, nämlich in der Antwort auf Frage 18: ein Sozialversicherungsausweis soll eingeführt werden. Damit sind dann alle Probleme gelöst. Wenn es so einfach wäre, meine Damen und Herren, dann hätten Sie bei der Einführung dieses Ausweises unsere volle Unterstützung. Ich will hier allerdings gar nicht weiter auf die Fragen Fälschungssicherheit und Datenschutz eingehen.
Der Ausweis aber würde keinerlei neue Möglichkeiten des Zugriffs auf den illegalen Verleiher bringen. Auch nach der Einführung, Kollege Kolb, eines solchen Ausweises könnte der Arbeitgeber, der sich der Zahlung von Beiträgen und Steuern entzieht, nicht gefaßt werden. Die Einführung des Sozialversicherungsausweises ist wieder einmal ein typisches Beispiel für Ihre Art, wie Sie Probleme vernebeln, ohne die Probleme anzupacken.
({8})
Die schlechten Arbeitsbedingungen der Leiharbeitnehmer bleiben aber nicht ohne Folgen für die Stammbelegschaften. Ihnen wird nämlich immer mehr damit gedroht, wie ersetzbar sie sind. Für die SPD-Bundestagsfraktion bleibt deshalb auch die Frage des Verbots der erwerbsmäßigen Leiharbeit auf der Tagesordnung. Herr Heinrich, das haben Sie schon ganz richtig verstanden.
Das bestehende Teilverbot im Baugewerbe hat sich bewährt. Es sollte auf den Bereich der Metallindustrie ausgedehnt werden. Die Verfolgung der immer raffinierter werdenden illegalen Praktiken muß erleichtert werden. Entgegen der Auffassung der Bundesregierung wird das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz in der Praxis immer häufiger durch Scheinverträge unterlaufen. Das haben Untersuchungen im Baugewerbe ganz eindeutig bewiesen. Die Regierung spricht sich allerdings ein Eigenlob aus - ich zitiere - :
Auf der Grundlage des geltenden Rechts sind allein die Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeit 1986 in 126 100 Fällen gegen illegale Beschäftigung einschließlich illegaler Arbeitsvermittlung mit Verwarnungen, Geldbußen sowie Strafanzeigen eingeschritten. Die Höhe der Geldbußen betrug 25,2 Millionen DM.
von der Wiesche
Aber man muß dabei auch sehen, daß der Bußgeldrahmen die Unternehmen keineswegs schreckt. Es werden nämlich immer mehr Millionen DM von Verleihern und Entleihern verdient. Auf unsere Anfrage sagen Sie nichts anderes, denn die durchschnittliche Bußgeldhöhe, und die, Herr Staatssekretär, steht in Ihrer Antwort, beträgt 199,84 DM - wirklich eine sehr beeindruckende Zahl.
({9})
Wir aber müssen immer mehr feststellen, daß das Strafmaß bei illegaler Beschäftigung in vielen Fällen noch durch Beschlüsse von Verwaltungsgerichten erheblich reduziert, ja sogar auf Null gedrückt wird. Solange der Bußgeldrahmen und der Strafmaßkatalog wie gehabt von „0 bis ... " geregelt ist, solange wird dies weitergehen. Ein eklatantes Beispiel ist der Fall des Münchner Oktoberfestwirts. In diesem Fall kann man noch nicht einmal in Erfahrung bringen, wie hoch das Strafmaß denn nun wirklich ist, das durch die Arbeitsverwaltung angeordnet und durch Verwaltungsgerichtsbeschluß ermäßigt worden ist. Ich meine, daß hier noch ein erheblicher Handlungsbedarf besteht.
Das Fazit für uns bleibt: Das Gesetz muß dergestalt geändert werden, daß die Strafvorschriften nicht mehr von null bis z. B. 100 000 DM, sondern etwa von mindestens 10 000 bis 100 000 DM geregelt sind.
({10})
Damit wüßten alle, die gegen dieses Gesetz verstoßen, daß sie mit empfindlichen Strafen rechnen müßten, die auch kein Gericht mehr reduzieren kann.
Meine Damen und Herren, wir werden immer wieder die einzelnen Vorschriften aufgreifen, und wir werden Ihnen keine Ruhe lassen.
Neben diesen gesetzlichen Maßnahmen sind aber auch administrative Verbesserungen dringend notwendig. Wichtig ist vor allen Dingen eine wirksame Zusammenarbeit aller beteiligten staatlichen Stellen bei der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und des Mißbrauchs der Arbeitnehmerüberlassung. Wir hier im Parlament dürfen all denen, die mit diesen Problemen zu tun haben und die Mißstände bekämpfen wollen, nicht das Gefühl geben, alleingelassen zu werden.
Deswegen fordere ich die Bundesregierung auf, jetzt endlich aktiv zu werden und nicht wieder - wie in der letzten Legislaturperiode - die Vorschläge der SPD-Bundestagsfraktion abzublocken.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Kolb.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich auf Ihre netten Beiträge, meine Herren von der Opposition.
Lieber Herr Dreßler, ich möchte Ihnen doch eingangs folgendes sagen: Man kann nicht fordern, daß eine Krankheit beseitigt wird und ein Mittel gegeben wird, welches keine Nebenwirkungen hat, und die Ursache der Krankheit völlig außen vorbleibt.
({0})
- Wissen Sie, man kann ja gerne auch einmal zuhören. Ich habe heute versucht, einmal dem Herrn Dreßler und dem Herrn von der Wiesche zuzuhören.
({1})
- Man kann immer lernen.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, es war ja in Ihrer Anfrage nur festgestellt worden, welche Krankheiten vorhanden sind; Ursachen waren bei Ihnen nicht gefragt. Nun lassen Sie mich doch einmal fragen, ob nicht auch die Ursachen von Bedeutung sind.
({3})
- Liebe Frau Kollegin Unruh, als Kauffrau müßten Sie sehr schnell die Ursachen dieser Massenarbeitslosigkeit, wie Sie es nennen, kennen
({4})
- nein, das war Frau Unruh - , und zwar deswegen, weil ja auch, ob das nun gefällt oder nicht, vor allem für die kleineren und mittleren Betriebe das Betriebsergebnis das Entscheidende ist. Rote Zahlen sind auf Dauer für einen mittelständischen Betrieb nicht schön. Das müßten Sie als Kauffrau - ich sage bewußt „als Kauffrau" - sehr gut wissen.
({5})
Meine Damen und Herren, es ist ja hier angeklungen, und Herr von der Wiesche sagte: die Stammbelegschaft wird abgebaut.
({6})
Weshalb eigentlich? Wenn Sie in einem internationalen Wettbewerb gesicherte Arbeits- und auch Absatzverhältnisse haben,
({7})
dann frage ich Sie, Frau Kollegin Steinhauer, warum Sie gerade zur Zeit so intensiv für Stahl, Kohle und Weilten hier eintreten und sagen: Hier müßt ihr alle das, was wir unternehmerisch nicht mehr regeln können, mit kräftigen Zuschüssen und ähnlichem ergänzen.
({8})
- Liebe Frau Steinhauer, wenn wir alle Unternehmen in dieser Art salvieren, dann - da stimme ich Ihnen zu - haben wir in Zukunft keine Schwierigkeiten mehr; dann ist es sehr einfach, Unternehmer zu sein, nämlich nach dem Motto: Die Guten ins Kröpfchen und die Schlechten ins Töpfchen. Wenn es nicht funktioniert, hat der Staat zu bezahlen. Ich finde das phantastisch. Ich darf Ihnen nur sagen: Es sind Klein- und
Mittelbetriebe, die den Großteil der Arbeitnehmer beschäftigen; es sind nicht die Elefanten.
({9})
- Lieber Herr Schreiner, einen Augenblick bitte. Die Elefanten sind ja diejenigen - da mache ich überhaupt keine Ausnahme; es ist unerheblich, wie das Land regiert ist, ob schwarz oder rot - , die bei ihren Ministerpräsidenten sofort ein offenes Ohr finden, wenn sie in Schwierigkeiten kommen und geholfen werden muß.
({10})
Dann redet man immer von den Arbeitsplätzen. Daß dabei gleichzeitig andere Arbeitsplätze in Schwierigkeiten kommen, ist nicht zu bestreiten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Bitte schön, Herr Schreiner.
Herr Kollege Kolb, da Sie ständig über rote Zahlen reden, frage ich Sie: Wären Sie imstande, mir zu erklären, aus welchen sozialen Schichten sich die Versechsfachung der deutschen Auslandsvermögen in den letzten fünf Jahren rekrutiert?
Lieber Herr Schreiner, soweit mir bekannt ist, sind es nicht gerade die kleinen Unternehmen, die stellenweise ihre Auslandserträge dort haben stehen lassen. Es soll Unternehmen geben, die für sich in Anspruch nehmen, daß sie fast eine Bank seien. Das können Sie aber mir und vor allem den Kleinbetrieben und den Mittelständlern nicht zum Vorwurf machen.
Ich möchte Sie auf einen weiteren Punkt ansprechen. Ich glaube, es war Herr von der Wiesche, der die Frage Wallraff angesprochen hat. Wenn Sie sich einmal ein bißchen die Großbetriebe anschauen, dann stellen Sie fest, daß man in der Zwischenzeit das Unangenehme durch Domestiken erledigen läßt. Schmutzige Arbeiten im Betrieb werden nach außen vergeben; Sonntags- und Feiertagswartungsarbeiten werden nach außen vergeben. Man schiebt das Unangenehme ab und sagt dann: Wir haben alles in Ordnung.
Nun lassen Sie mich einen zweiten Punkt ansprechen, und da wird es schon fast kriminell. Wer erlebt, wie rigide Einkäufer von Großunternehmen in der Frage von Bedingungen sind, kann sich nur wundern. Da kriegt man schon das Grausen: Auftragserteilung am Donnerstagnachmittag, Lieferung am Montag um 12 Uhr im Werk. Ob das funktioniert oder nicht, wird nicht gefragt; auch nicht, wie der Transport ist.
Das Schlimmste, was ich in diesem Punkt erlebt habe - und das bei einem sehr großen Industrieunternehmen - : Auftragserteilung am 23. Dezember, Liefertermin am 2. Januar. Und dann frage ich Sie, wie die zurechtkommen sollen. Das sind die Ursachen
dafür, daß sich dann andere verzweifelt Arbeitskräfte, stellenweise auch Leiharbeitnehmer holen müssen, um damit zurechtzukommen.
({0})
- Lieber Herr Dreßler, wenn ich Ihnen sage, daß das mitbestimmte Betriebe mit Arbeitsdirektoren sind, daß diese Einkäufer zum Teil aus Ihrem Bereich kommen, werden Sie verstehen, wenn ich feststelle: Diese Einkäufer sind schlimmer als manche Kolonialherren früher.
({1})
Deswegen, Herr Dreßler, gehen wir in die Ursachenforschung. Dann können wir weiterkommen.
({2})
- Ich nenne Ihnen ein zweites Roß und einen zweiten Reiter. Das betrifft die Vergabe von Bauleistungen. Da können Sie einmal sehen, wie große Städte stellenweise vorgehen. Da wird nämlich an den sogenannten billigsten Bieter vergeben, nicht an den preiswertesten. Ein großer Teil der Baubehörden ist nicht mehr in der Lage zu kalkulieren. Das Bundesbauministerium hat jetzt gesagt, § 25 der VOB werde in Zukunft besser angewandt. Ein Teil der übrigen Bundesbehörden tut das noch nicht.
Lieber Herr Kollege Peter, eine der korrektesten oder unkorrektesten Korrektheiten - wie immer Sie es nennen wollen - gab es ja im Lande Hessen, wo eine große Baufirma ihren Auftrag mit 10 % Abschlag an ein Unternehmen der DDR vergeben hat. Damit ist es völlig außerhalb des Tarifrechts und allen übrigen Vorschriften tätig geworden. Das sind Dinge, die ich beklage und die dazugehören.
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- Nein, deswegen bin ich nicht gegen eine Verschärfung des Gesetzes.
Ich will Ihnen jetzt sagen, wo Sie einen Teil der Probleme lösen können. Herr Eugen von der Wiesche, mit dem Sozialversicherungsausweis wird sicherlich auch der Kleine, der unkorrekt handelt, erwischt. Aber eines wird der Sozialversicherungsausweis, wenn wir wollen, auf jeden Fall unterbinden können: Es kann keine sogenannte korrekte illegale Beschäftigung mehr geben,
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weil der Betreffende nämlich keinen Sozialversicherungsausweis hat.
Deswegen möchte ich Ihnen sagen, was der Sozialversicherungsausweis kann. Bei der Kontrolle ist die Identität auch ohne Lichtbild fast hundertprozentig festzustellen, weil sich jeder ausweisen können muß, so daß gesehen werden kann, ob Geburtsdatum und Anfangsbuchstaben übereinstimmen. Das kann mit
den Sozialversicherungsträgern exakt nachgeprüft werden.
Das zweite ist: Wir werden die 630 Millionen DM Doppeltbezug bei der Bundesanstalt für Arbeit nicht mehr haben, weil derjenige, der Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe bezieht, seinen Sozialversicherungsausweis beim Träger abgegeben hat.
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- Liebe Frau Unruh, das ist eine andere Frage.
Einer der Punkte, die uns heute doch viel Ärger machen, sind die Nebentätigkeiten.
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- Ich komme darauf noch zu sprechen. - Die Nebentätigkeiten werden in Zukunft korrekt durchgeführt
- nur einmal, nicht mehrfach - , weil sie zu melden sind. In Zukunft besteht auf Grund des Sozialversicherungsausweises die phantastische Möglichkeit, daß kein Arbeitgeber mehr sagen kann, er habe nicht gewußt, daß er jemanden eingestellt habe, der nicht hätte arbeiten dürfen; denn er kann ohne Sozialversicherungsausweis niemanden einstellen.
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- Jetzt komme ich zu dem Punkt, Herr Dreßler.
Ich stimme mit dem Kollegen von der Wiesche überein,
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daß wir in der Frage des Verstoßes wesentlich härtere Strafen brauchen.
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Es kann nicht sein, daß diese Strafen kalkulierbar sind.
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- Lieber Herr Schreiner, werden Sie doch seriöser. Wenn wir miteinander arbeiten wollen, dann nutzt es nichts, wenn Sie von „Regierungskomikern" sprechen. Was soll dieser Umgang miteinander? Wir wollen ein Problem lösen, und das sollten wir gemeinsam tun. Deswegen schlage ich Ihnen vor, daß wir gemeinsam die Einführung des Sozialversicherungsausweises vornehmen, seine Wirkungsweise überprüfen und dann dort, wo wir feststellen, daß unkorrekt gehandelt wird, dies klären.
Eine letzte Bemerkung. Wir sollten auch, lieber Herr Dreßler, einmal überprüfen, ob Arbeitsbedingungen auf Grund des Tarifvertrags von 1970 heute noch richtig sind, ob alles als Besitzstand gefeiert werden muß.
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- Für beide. Ich habe nämlich den Eindruck, einige sitzen auf diesen Besitzständen, und wer auf seinen Lorbeeren sitzt, meine sehr verehrten Damen und Herren, der trägt sie an der falschen Stelle.
Herzlichen Dank.
({12}): Das ist Sache der Tarifvertragsparteien!)
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Zu meiner Überraschung - so leid es mir tut - habe ich keine weiteren Tagesordnungspunkte mehr.
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Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 13. November 1987, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.