Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 8 auf:
Aktuelle Stunde
Ergebnisse des Waldschadenberichts 1987
Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema beantragt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Knabe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Mittwoch hat Bundesminister Kiechle den Waldschadensbericht 1987 vorgelegt. Nur wenige Tage zuvor hat unser Bundeskanzler im Bundeskanzleramt, wie im Fernsehen zu sehen war, einen Baum gepflanzt, eine Buche. Das ist gut so; denn wer einen Baum pflanzt, bringt ein Stück Hoffnung zum Ausdruck, daß dieser Baum zu voller Größe aufwachsen kann.
Aber wissen Sie, was eine Buche zum Leben braucht? Wenn eine Buche keimt, treibt ihre Wurzel bald in die Tiefe, denn sie muß die Wasserversorgung auch in Trockenzeiten sicherstellen. In dieser Zeit muß sie viel Schatten ertragen, denn die alten Bäume lassen wenig Sonne hindurch. Steil recken sich ihre Äste in die Höhe, und jeder einzelne Zweig stellt die Blätter so, daß er das volle Sonnenlicht aufnimmt. Eine gesunde Buche hat eine wunderbar geschlossene Krone. Der fallende Regen wird vom Blatt über den Stiel, den Zweig, den Stamm heruntergeleitet, unmittelbar an den dichten Wurzelkranz, der den Stammfuß umgibt. Mit dieser dichten Beschattung und der Sammlung des Wassers am lebenden Herz des Wurzelsystems ist die Buche zum herrschenden Baum Mitteleuropas geworden. So hat sie die letzten 10 000 Jahre nach der Eiszeit überstanden.
Doch jetzt, 1987, ist alles anders. Jetzt sammelt die Buche nicht mehr kostbaren Regen, sondern vergiftetes Wasser. Ihre Krone filtert Industrie- und Autoabgase, Reifenabrieb und Industriestäube sowie Pflanzengifte, von Menschen bewußt in der Landwirtschaft eingesetzt. Und all diese Gifte konzentrieren sich genau am Herzen des Wurzelsystems, so daß dort ein direkter Säurekessel entsteht, in dem auch Schwermetalle und radioaktive Substanzen von den Wurzeln aufgenommen werden. Die Buche steht für den ganzen Wald. Was sollen Sie tun? Sie müssen handeln, mehr als bisher.
Die Politik der Bundesregierung - damit wären wir wieder beim Thema - war alles andere als gedeihlich für unsere Laub- und Nadelwälder. Viele, nicht alle Maßnahmen der Bundesregierung, die quasi tagtäglich als umweltpolitische Großtaten über den Äther gehen, sind in Wahrheit Scheinmaßnahmen. Der Zustand unserer Wälder legt hierüber Zeugnis ab. Von Gewicht war nur die Großfeuerungsanlagen-Verordnung und die TA Luft.
Die waldgünstige Witterung, insbesondere die hohen Niederschläge, haben zwar unseren Nadelwäldern zu einer Atempause verholfen, die Entwicklung bei den Laubwäldern dagegen muß als katastrophal bezeichnet werden. Buchen- und Eichenbestände sind von der galoppierenden Schwindsucht erfaßt. In Bayern sind beispielsweise nur noch zwei von zehn Buchen gesund.
Wenn die Bundesregierung jetzt versucht, den leichten Rückgang der Gesamtschadensfläche um 1,4 % als Resultat ihrer Umweltpolitik zu deklarieren, dann muß hier schärfstens widersprochen werden; es sei denn, die Minister wären so vermessen, auch das Wetter als Resultat ihrer Politik zu interpretieren. Auch an der Erfassungsmethode muß Kritik angemeldet werden; die ständige Vergröberung des Probeflächennetzes von zunächst 1 x 1 km auf 4 x 4 km und schließlich 12 x 8 km erschwert einen Vergleich mit den Ergebnissen der Vorjahre.
Der erste Satz des Waldschadensberichtes 1987, in dem behauptet wird, daß nach dem gleichen bundeseinheitlichen Stichprobenverfahren verfahren worden sei wie in Vorjahren, ist mithin schlicht und einfach falsch.
Doch genug der inhaltlichen und methodischen Kritik, die wir auch bereits an anderer Stelle geäußert haben! Es geht jetzt vielmehr darum aufzuzeigen, wie eine drastische Reduzierung der Schadstoffemissionen erreicht werden kann. Hierzu haben wir in der Vergangenheit eine Fülle von Vorschlägen gemacht, die bis heute nichts von ihrer Richtigkeit verloren haben. Zunächst einmal müssen im Verkehrsbereich durchgreifende Maßnahmen ergriffen werden. Kurz2480
fristig denken wir - Sie hören das nicht gern - an die Einführung von Tempo 100 auf Autobahnen und Tempo 80 auf Landstraßen, an eine verbindliche Einführung des Dreiwegekatalysators für alle neu zugelassenen Pkws, notfalls auch im Alleingang gegen die EG. Auch die Einführung der strengen US-Grenzwerte für Diesel-Pkw und Lkw ist hier zu nennen.
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- Was Sie gerade einwerfen: Fahrräder haben sehr viel für sich; denn sie erzeugen keine Abgase. Und das ist einer der Kernpunkte der heutigen Misere.
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Mittelfristig geht kein Weg daran vorbei, den Individualverkehr drastisch zurückzuführen. Das betrifft sowohl die Verlagerung des Güterfernverkehrs von der Straße auf die Schiene als auch die Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs. Auch bei Großkraftwerken, Industrie und Haushalten sind noch weitreichende Entstickungs- und Entschwefelungsmaßnahmen möglich. Konkret bedeutet das, daß sowohl die Großfeuerungsanlagen-Verordnung als auch die neue TA Luft nachgebessert werden müssen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Ich verspreche Ihnen noch zwei interessante Minuten am Ende der Debatte.
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Das Wort hat der Abgeordnete Sauter ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Waldschadensbericht 1987, der vom Bundesminister vorgelegt worden ist, ist eine nüchterne Bestandsaufnahme. Ich danke dem Minister, daß er unmißverständlich gesagt hat, es könne überhaupt nicht um Entwarnung gehen, die Gefahren für unseren Wald bestünden nach wie vor.
Vom Vorredner ist erwähnt worden, daß wir bei den Laubwäldern große Probleme haben. Richtig ist aber auch - darauf möchte ich hinweisen - , wie es in einem Zeitungsartikel heißt: Der Hochwald stirbt un-gebremst weiter.
Aber zunächst einmal meine ich, daß die Bundesrepublik Deutschland, die in der Umweltpolitik wirklich eine Vorreiterrolle gespielt und in der Europäischen Gemeinschaft überzeugend gewirkt hat, darüber hinaus versuchen muß, die Abgeordneten des Europäischen Parlamentes, aber auch die Bürgerinnen und Bürger im Rahmen von Städtepartnerschaften auf die besonders ernsten Probleme der Walderkrankungen hinzuweisen. Es gibt noch ein hohes Maß an Unwissenheit, das wir in Europa allenthalten feststellen.
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- Nein, der hat keinen Nachholbedarf. Vielleicht haben Sie noch welchen.
Ich denke, daß hier noch viel Aufklärungsarbeit erforderlich ist, um auch das, was administrativ zwischen den Regierungen geleistet wird, in die Praxis umzusetzen und die Bundesrepublik Deutschland nicht allein in dieser Rolle zu belassen.
Ich wollte, wie ich angedeutet habe, eine kurze Anmerkung zur Situation in den Höhenlagen machen. Wir können das im Schwarzwald, auch in den Alpengebieten in besonderer Weise beobachten. Damit möchte ich nicht von den Schäden ablenken, die wir im Laubwald festzustellen haben.
Wir haben schlimme Erfahrungen machen müssen, wenn es darum ging, diesen Waldschäden in den Höhenlagen zu begegnen. Deshalb halte ich es für ganz wichtig, daß wir neben den Maßnahmen des Umweltschutzes auch im Waldbau selber unseren Beitrag dazu leisten, daß keine irreparablen Schäden entstehen. Es ist notwendig, über Düngung, über Vorbau-maßnahmen, über Wiederaufforstung, über Bestandspflege das Menschenmögliche zu tun, um irreparable Schäden zu verhindern.
Wir haben ein Beispiel. Ende des Zweiten Weltkrieges ist im Südschwarzwald im Raum St. Blasien, Schluchsee eine Abholzung mit 2 000, 3 000, 4 000 ha vonstatten gegangen. Man hat damals den Versuch unternommen, diese Kahlflächen wieder aufzuforsten, und zwar mit Mischwald, bestehend aus Tannen, Laubbäumen und Fichten. Das Ergebnis nach 30 oder 40 Jahren ist gewesen, daß keine Tanne und kein Mischwald mehr vorhanden ist, daß sich die Fichte allein durchgesetzt hat; mit all den Problemen, die damit verbunden sind. Ich nenne Schneebruch und beispielsweise den Abbau von Humus und vor allen Dingen den Abbau des ganzen Bodenbewuchses.
Ich will an diesem einen Beispiel in meinem Kurzbeitrag nur deutlich machen, wie schwierig es ist, Kahlflächen wieder aufzuforsten. Wo man sich unendliche Mühe gegeben hat, hat das 30 oder 40 Jahre gebraucht. Deshalb ist es meines Erachtens das Wichtigste - da wir uns darüber im klaren sind, daß wir noch lange brauchen, auch wenn wir alle Anstrengungen unternehmen, die Luft rein zu bekommen - , in dieser Übergangszeit einen entscheidenden Beitrag dazu zu leisten, daß der Wald erhalten bleibt, daß wir keine Kahlflächen bekommen, weil es sich hier dann um Schäden handelt, die in Jahrzehnten oder Jahrhunderten nicht mehr gutgemacht werden können.
Ich denke, es ist in diesem Zusammenhang erwähnenswert, daß das Land Baden-Württemberg in den letzten Jahren hier bedeutende Beiträge geleistet hat und auch in Zukunft alles daransetzen wird, um diese Waldschäden in Grenzen zu halten und darüber hinaus den Waldbesitzern - wir haben sehr viele kleine Privatwaldbesitzer, für die der Wald nach wie vor eine Sparkasse ist - zu helfen, damit sie nicht aus finanziellen Gründen darauf verzichten müssen, ihren geschädigten Wald zu pflegen und wieder aufzuforsten. Sie müssen in die Lage versetzt werden, einen Beitrag dazu zu leisten, daß unser Wald auf Dauer erhalten bleibt. Ich denke, wir sind nicht nur den Waldbesitzern etwas schuldig, sondern wir stehen alle in besonderer Weise in der Verantwortung auch für unsere
Sauter ({1})
Kinder, für unsere Enkel und für die kommenden Generationen. Es ist des Schweißes der Besten wert, hier unseren Beitrag dazu zu leisten, daß dieses wertvolle - vielleicht eines der wertvollsten Naturgüter - auf Dauer erhalten bleibt.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Lennartz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jedes Jahr, kurz vor Sankt Martin, wenn im Wald die Blätter fallen, wiederholt sich in Bonn ein klägliches Ritual, zu dem auch diese Aktuelle Stunde gehört: Der Landwirtschaftsminister, der ganz nebenbei und reichlich verschämt auch Waldminister ist, setzt sich vor die Bundespressekonferenz und trägt mit angemessener Geknicktheit den jährlichen Waldschadensbericht vor. Nur wenige Stunden vergehen, bis eine Fraktion eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt, die nach zwei oder drei Tagen auch stattfindet. Vorwürfe, Schuldzuweisungen, Abwehr und Gegenangriff erfolgen in der parlamentarischen Routine, während draußen im Wald ganz still und leise mehr und mehr Bäume vor sich hinnadeln, ihr Laub verlieren, das nie mehr ausschlagen wird.
An den Ursachen der schweren Krankheit des deutschen Waldes ändert sich nichts. Diese Bundesregierung nimmt auch nichts in die Hand, was dem Wald helfen könnte. So haben wir uns schon fast an die jährlichen Bulletins über den todkranken Patienten gewöhnt, wie auch die monatlichen Arbeitslosenzahlen mittlerweile als naturgegeben vorgestellt werden, als handele es sich um Gezeiten oder periodische Sonnenfinsternisse. Jahr für Jahr versucht die Bundesregierung, sich selber frohzurechnen, mit Prozentzahlen hinter dem Komma angebliche Trendumkehren zu konstruieren und so sich selbst politisches Handeln zugunsten des Waldes zu unterstellen.
Wir alle wissen, welche schäbigen Tricks angewendet werden. Wir wissen, daß ein Hektar toter Wald, wenn er notgeschlachtet ist, die Statistik verbessert, weil statistisch gesehen kein Wald eben gesunder Wald ist. Besonders schlimm ist, daß das Waldsterben eine stärkere Tendenz bekommen hat. Immer mehr Laubbäume, die viel langsamer als Nadelbäume wachsen, erkranken. Damit werden die Folgen des Waldsterbens nachhaltiger denn je sein. Dagegen gibt es angeblich eine sogenannte Trendumkehr bei Nadelbäumen. Wir sollen schon applaudieren, Herr Minister, wenn „nur noch" 79 % aller Tannen krank sind. Welch ein trauriger Erfolg!
Das alles, meine Damen und Herren, wäre leichter zu ertragen, wenn die Bundesregierung ein Konzept hätte, das auf Besserung hoffen lassen würde. Doch was passiert außer der Festschreibung von 4 Milliarden DM volkswirtschaftlicher Schäden pro Jahr? Kennen Sie ein Beispiel, wo die Bundesregierung erfolgreich gegen die Luftverschmutzung vorgeht?
Ich nenne drei Punkte: Kfz, Haushalte und Industrie. Das Auto wird im nächsten Jahrzehnt eine zunehmende Größe der Luftverschmutzung sein. Die Bundesregierung hat sich so sehr in EG, Kat, Abgassonderuntersuchung , Tempolimit, schadstoffarme Klassen und bleifreies Benzin verstrickt, daß nur eines feststeht, meine Damen und Herren: Den Auspuffrohren deutscher Kraftfahrzeuge wird bis zum Jahr 2000 eine stetig zunehmende Menge von Stickoxiden entweichen; das ist die Tatsache. So sieht Ihre pompöse Umweltpolitik aus.
Die Emissionsvorschriften für private Hausfeuerungen, Herr Töpfer, sind so lasch, daß es noch das erste Verfahren zu geben hat, wenn man sie nicht einhält. Noch nie ist jemand belangt worden, weil er die Emissionsgrenzwerte überschritten hat. Das ist Ihre Umweltpolitik: Operettengrenzwerte ohne Kontrolle und ohne Sanktionen.
Zur TA-Luft: Die TA-Luft ist Ihnen schließlich so schwabbelig geraten, daß die Industrie sich zum Schluß geärgert hat, weil sie zum Teil ihre Anlagen für eine strengere TA-Luft gebaut hat.
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- Natürlich. Wir haben zirka 5 Milliarden DM für die Entschwefelung und die Entstickung reingesteckt, Herr Kollege. So etwas gibt es, weil Sie, Herr Kollege Baum, als ehemaliger Minister nicht einmal dafür gesorgt haben, daß die Grenzwerte eingesetzt wurden, die die Industrie tatsächlich erfüllen kann.
Ähnlich verhält es sich auch mit der Großfeuerungsanlagen-Verordnung, die von den Landesministern, Herr Kollege Baum, erst drastisch nachgebessert wurde, um neue Umweltschutzanlagen festzuschreiben.
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Mit Ihrer Kraftwerksverordnung hätten die meisten Dreckschleudern noch bis ins nächste Jahrtausend laufen können; das war Ihre Umweltpolitik, und das ist sie.
Es kommt noch vieles hinzu: Sie verweigern sich, wenn es darum geht, mehr Güter von der Straße auf die Schiene zu bringen; Sie streichen die Energiesparförderung und die Mittel für den Fernwärmeausbau. Die Liste ist noch lang. Wenn das so weitergeht, wird eines Tages der Waldminister verkünden: Das Waldsterben hat aufgehört, denn es gibt keinen Wald mehr.
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Das Wort hat der Abgeordnete Heinrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, die kurze Aktuelle
Stunde heute morgen ist nicht besonders gut dafür geeignet, hier so plakative Aussagen zu machen.
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Insbesondere hat man ja wenig Zeit, darauf einzugehen.
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Auch der diesjährige Waldschadensbericht macht keinen Hehl daraus - Herr Kollege Schily, einen Augenblick - , daß das Siechtum unserer Bäume weitergeht. Ob es tatsächlich langsamer weitergeht, wie der Schadensbericht ja unterstellt, ist für mich allerdings noch sehr fraglich.
Die Tatsache, daß die Laubbäume und ältere Bäume stärker geschädigt sind, zeigt deutlich, daß die relative Verbesserung bei den Nadelgehölzen mit dadurch zustande kommt, daß wir durch forstbauliche Maßnahmen, sprich: Fällen der Bäume, dafür gesorgt haben, daß diese Bäume gar nicht mehr in der Statistik auftauchen, Laubbäume hingegen in der Vergangenheit recht selten wegen Gesundheitsschäden gefällt wurden.
Der „saure Regen", der noch bis vor wenigen Monaten den gesamten bundesdeutschen Blätterwald beherrschte, wird inzwischen von der Bevölkerung recht teilnahmslos zur Kenntnis genommen. Wenn wir weiterhin von den Wohlfahrtswirkungen des Waldes - forstliche Nutzung, ökologische Ausgleichsfunktion, Erholungsraum usw. - profitieren wollen, müssen wir heute auch dafür sorgen, daß er langfristig erhalten bleibt.
Die Hauptursache der Schädigung ist zweifellos im Bereich der Umweltschäden zu suchen. Hier hat die Bundesregierung mit der GroßfeuerungsanlagenVerordnung, der TA-Luft und der Initiative zur Förderung der Katalysatorentechnik bei Personenkraftwagen den richtigen Weg beschritten, die Emission von Schwefeldioxid und Stickoxiden zu drosseln und so wirkungsvoll den Ursachen der Waldschädigungen zu begegnen.
Auf diesem Gebiet muß aber noch mehr getan werden. Wir in Deutschland werden immer eine gewisse Vorreiterrolle in der EG übernehmen müssen. Schadstoffe machen bekanntlich an den Grenzen nicht halt, und Europa darf aus eigenem Interesse nicht zum Bremser neuer und umweltfreundlicher Techniken werden.
Jetzt ein kurzes Wort zu den GRÜNEN. Ich möchte hier auch den Zusammenhang zwischen Atomkraft- und Kohlekraftwerken mit der entsprechenden Schädigung unserer Ozonschicht erwähnen. Ich glaube, das ist unbestritten.
Die Waldschadenserhebung ist eine Symptomerfassung, wobei nicht zwischen Umweltschädigung und natürlichen Walderkrankungen unterschieden wird. Eine der Ursachen, die in der öffentlichen Diskussion um die Erhaltung eines nachhaltig gesunden Waldbestandes an Gewicht gewinnt, ist der Wildverbiß. Ich möchte das hier sagen. Ich warne vor der sich abzeichnenden Konfrontation zwischen Förstern und Jägern
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und appelliere an beide Interessengruppen, miteinander zu kooperieren.
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Die Jäger, die soviel von Waidgerechtigkeit verstehen, sollten durch ihr Tun auch eine beispielhafte Waldgerechtigkeit praktizieren.
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Im diesem Zusammenhang möchte ich auch die Boden- und Baumschäden erwähnen, die durch schweres maschinelles Gerät beim Rücken der Bäume angerichtet werden. Ein ohnehin schlecht gepufferter Boden reagiert negativ auf zusätzliche Verdichtungen. In Baden-Württemberg haben wir deshalb den Einsatz von Kaltblutpferden zur Rückearbeit in besonders empfindlichen Kulturen gefördert. Das kann man durchaus zur Nachahmung empfehlen.
Neben der Hauptursachenbekämpfung ist es wichtig, die Schäden durch waldbauliche Maßnahmen abzumildern und die Widerstandskraft von Waldökosystemen zu verbessern. Es ist sicher sinnvoll, Waldflächen in großem Umfang zu kalken, obwohl mir natürlich klar ist, daß Waldboden, der durch jahrelangen Säureeintrag geschädigt worden ist, nicht von heute auf morgen über die Düngung verbessert werden kann. Seine Regeneration erfordert Zeit. Gesunde Waldböden sind aber eine Grundvoraussetzung dafür, daß junge Bestände wieder aufwachsen können und von Dauer sind.
Die gemeinsamen Anstrengungen, die die derzeitige Situation, die nicht erfreulich ist, herausfordert, wird unterstrichen von den Anstrengungen der Länder Baden-Württemberg und Bayern. Hier möchte man durch eigene Initiativen die Ökosysteme stabilisieren.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Noch den letzten Satz: Die jährliche Vorlage des Waldschadensberichts gibt uns eine gute Datengrundlage, um Trends erkennen zu können. In diesem Zusammenhang möchte ich auch die Arbeit der Förster vor Ort lobend erwähnen, die diese umfangreiche Datenerfassung ermöglicht haben.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Vahlberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer sich in den letzten Monaten mit dem Zustand des Waldes beschäftigt hat - ich hatte dazu in den bayerischen Alpen und den europäischen Alpen Gelegenheit - , reibt sich bei der Lektüre des Waldschadensberichts 1987 verwundert die Augen. Der Bericht und mehr noch die Ausführungen von Minister Kiechle auf seiner Pressekonferenz am 4. NoVahlberg
vember vermitteln den Eindruck, die Schadensentwicklung sei im wesentlichen gestoppt, ja, es sei sogar im Bereich der Nadelhölzer zu einer Trendumkehr gekommen. Wenn man allerdings weiß, wie die Erhebungen zustande gekommen sind, wie in den letzten Jahren die Festlegung der Schadstoffklassen und der Erhebungspunkte verändert wurde, weiß man auch, daß dieser Bericht nur einen begrenzten Aussagewert hat. Die Treuherzigkeit, mit der Sie die Ergebnisse vortragen, Herr Minister, erinnert mich an jenen klassischen Spruch: „Ich glaube nur der Statistik, die ich selbst gefälscht habe. " Dieser Untersuchung liegen nur noch 20 % der Rasterpunkte früherer Untersuchungen zugrunde, und Sie rechtfertigen dies mit Kostenersparnisgründen. Forstliche Wuchsgebiete sind zusammengelegt worden. Sie begnügen sich inzwischen mit Landesmittelwerten. Es wäre aber gerade für die Waldforschung wichtig, detaillierte Ergebnisse zu bekommen.
Zum Beispiel das forstliche Wuchsgebiet Bayerische Alpen: Ich weiß nicht, wie viele Rasterpunkte der Analyse zugrunde liegen, sie liegen aber unter zehn. Mich würde interessieren, Herr Minister: Wie viele Erhebungspunkte haben Sie im bayerischen Alpenraum zugrunde gelegt, und wo liegen sie? Das ist ja auch wichtig. Wenn es nur noch ganz wenige Punkte sind, muß man an der statistischen Aussagefähigkeit zweifeln. Jedenfalls ist da eine Zufälligkeit enthalten. Es kommt dann darauf an: Wo liegen sie, in relativ guten oder in relativ schlechten Gebieten? Hier wäre eine differenzierte Erfassung und Darstellung besonders wichtig; denn wir wissen ja, Herr Minister, daß in den Hochlagen des Gebirges das Waldsterben wirklich beängstigend zugenommen hat. Die älteren Bestände in den hohen Lagen sind zu 95 % geschädigt.
Sie sprechen selbst davon:
Die stärksten Schäden treten in vergleichsweise naturnahen Wäldern auf.
Bei diesen naturnahen Wäldern handelt es sich um die Schutzwälder an Steilhängen von über 30 Grad Neigung, Schutzwälder, die wichtig sind gegen Lawinen und gegen Murenabgänge. Die Katastrophen im letzten Sommer sollten uns unter die Haut gegangen sein.
Die Latschen werden zunächst richtig mit fünf und mehr Nadeljahrgängen als gesund definiert. Da es solche Latschenbestände aber nur noch im östlichen Karwendel gibt, wird bei der Analyse und Bewertung die gesunde Klasse auf vier und mehr Nadeljahrgänge bei den Latschen herunterdefiniert. So etwas ist schon 1984 gemacht worden, als man die Schadensklasse „sehr krank/absterbend" von 51 % Kronenverlichtung auf 61 % Kronenverlichtung geändert hat.
Ich könnte in der Aufzählung von bewußten Schönungen - ich vermeide das Wort „Manipulationen " - bis zu völligen Ungereimtheiten fortfahren, z. B. die eigenartigen Reaktionen des Computererfassungsprogramms der Bayerischen Staatsforstverwaltung: Wenn da ein Förster z. B. mehr als 100 Festmeter „Immissions-Hölzer" - wie sie genannt werden -, also durch Immissionen geschädigte Hölzer, eingeben will, etwa bei einem Kahlhieb, verweigert der Computer über sogenannte Plausibilitätskontrollen die Annahme dieser Information. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Meine Damen und Herren, entschuldigen Sie, wenn ich mich hier möglicherweise ein bißchen in Details verliere, aber mir scheint es wichtig zu sein klarzumachen, daß der Bundestag und die Öffentlichkeit einen Anspruch darauf haben, einen ungeschönten und ehrlichen Bericht über den Zustand unserer Wälder zu bekommen.
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Nur so kann man in der Bevölkerung die Einsicht für einschneidende Maßnahmen fördern: etwa das Tempolimit, Katalysatoren bei allen Neuzulassungen - denn es ist nicht richtig, Herr Sauter, wenn Sie hier sagen: Wir müssen eine Übergangszeit überbrücken; die Schadstoffbelastung der Luft nimmt ja zu - Verschärfung der TA Luft und der Großfeuerungsanlagen-Verordnung, Begrenzung des Schwerlastverkehrs und Verlagerung auf die Schiene, all diese Maßnahmen, die wichtig sind.
Wir Sozialdemokraten fordern jedenfalls einen ungeschminkten Waldschadensbericht, der nicht nur den Zustand der Bäume erfaßt, sondern auch den Zustand des Bodens, der Sträucher, der Bodenpflanzen und der Tierwelt. Wir fordern, daß der Waldschadensbericht zu einem Bericht über das Ökosystem Wald ausgebaut wird.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kunz ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat vor wenigen Tagen die Waldschadenserhebungsergebnisse 1987 vorgelegt. Sie zeigen ein differenziertes Bild von der Schadensentwicklung unserer Wälder.
Auch wenn die Schadensentwicklung mit Ausnahme bei der Buche keine dramatischen Veränderungen gegenüber früheren Jahren aufweist, so bedeutet dies natürlich noch lange nicht eine Entwarnung gegenüber der drohenden Gefahr, in der sich unsere Wälder befinden. Hysterische Verlautbarungen und Horrorvisionen sind aber fehl am Platze und dienen der Sache nicht. Vielmehr sollten sorgfältige Erforschung aller Ursachen, nüchterne Analysen und die Umsetzung der gesicherten Erkenntnisse weiter gefragt sein. Nicht kurzatmige und marktschreierische Hektik, sondern eine beharrliche Fortsetzung der Luftreinhaltepolitik der Bundesregierung ist das Gebot.
Die Kritik an der Methode für die vorliegende Waldschadenserhebung, wie sie von der Opposition jetzt mehrmals vorgebracht wurde, ist völlig unberechtigt.
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Dr. Kunz ({1})
Entgegen anderslautenden Behauptungen wurde die Methodik der Erhebung - wenn Sie von Statistik etwas verstehen, dann werden Sie mir zustimmen - nicht geändert
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und ist mit der vorausgegangener Jahre deshalb durchaus vergleichbar. Sie ist ursprünglich von den forstwirtschaftlichen Versuchsanstalten der Länder entwickelt worden. Auf Anregung des Forstwirtschaftlichen Beirates „Waldschäden/Luftverunreinigungen" sowie auf Empfehlung der Länderforstbehörden - alles ausgewiesene Fachleute - wurde die Zahl der Stichprobenpunkte für 1987 von 7 800 auf 2 300 verringert
({3})
- ja, da sieht man die Ignoranz, mit der Sie einfach Ausführungen machen -, was aber die Repräsentanz der Aussagen auf Bundes- und Landesebene überhaupt nicht tangiert.
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- Wenn Sie solche Ausführungen und Einwürfe machen, dann muß ich Ihnen entgegnen. Für die einzelnen Wuchsgebiete - das sind einigermaßen einheitliche Naturräume, z. B. der Schwarzwald oder auch der Oberpfälzer Wald, Herr Baum - können dagegen Aussagen zur Frage der Waldschäden daraus nicht abgeleitet werden; das muß man wissen. Dies ist aber hinsichtlich der beabsichtigten Beurteilung der Schadensentwicklung auf Bundesebene und auch auf Länderebene gar nicht gefragt gewesen; das ist ja eine andere Sache. Werden aber alle Stichprobenpunkte eines natürlichen Raumes erfaßt, kann man natürlich auch Aussagen zu den einzelnen Wuchsgebieten machen. Dies haben einzelne Länder auch so gemacht. Die Zahl und die Orte der Stichprobenpunkte wurden nach den bewährten Gesetzen der Statistik so festgelegt, daß man für jedes Bundesland insgesamt eine gültige Aussage zum Thema Waldschäden treffen kann. Das hatte zur Voraussetzung, daß die kleineren Bundesländer, z. B. das Saarland, Schleswig-Holstein, aber auch die Stadtstaaten, die Zahl ihrer Stichprobenpunkte, Herr Kollege Knabe, nicht verringern durften, und das haben sie auch gar nicht getan.
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Es trifft also nicht zu, Herr Knabe, wie Sie in Ihrer Pressemitteilung vor einigen Tagen behauptet haben, daß nur eine Unterstichprobe mit viel zu grobem Flächenraster durchgeführt worden sei. Sie erwecken den Eindruck, als ob das Raster für die Erhebung grundsätzlich 12 mal 8 km betragen habe.
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In Wirklichkeit sind das Höchstmaße, die - je nach Erfordernis - flexibel gehandhabt worden sind, wie der Forstwirtschaftliche Beirat dies empfohlen hat. Aus den Unterlagen wird klar ersichtlich, daß viele Länder das ursprüngliche Rastermaß von 4 mal 4 km weiterhin zugrunde gelegt haben.
Sie wissen genau, Herr Kollege Knabe, daß die Waldschäden 1982 und 1983 nur nach einem kurzfristig entwickelten Fragebogen erfaßt wurden. Jetzt erfolgt die Schadenserhebung in allen Bundesländern nach dem heute gültigen Stichprobenverfahren.
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Die Beobachtung der Schadensentwicklung und die Schadensermittlung sind eine Sache. Sie müssen auf der jetzigen Basis fortgesetzt werden. Die andere sind die Folgerungen, die aus der verbesserten Erkenntnis gezogen werden. Dazu gehört vor allem die konsequente Fortsetzung der eingeschlagenen Luftreinhaltepolitik der Bundesregierung. Wir müssen jede weitere Chance nutzen, um die Schadstoffe in der Luft zu verringern. Im Schwefelbereich sind hier bereits große Erfolge festzustellen. Im Stickoxidbereich trifft dies auch für Großanlagen zu. Im Kfz-Sektor hängt der weitere Fortschritt überwiegend von der Europäischen Gemeinschaft ab.
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Wir dürfen aber keine Utopisten sein. Gerade im Stickoxidbereich müssen wir uns auf längere Fristen einstellen. Es ist deshalb realistisch, ja sogar unverzichtbar, vorübergehend waldbauliche und Düngungsmaßnahmen ins Auge zu fassen, um der anhaltenden Schädigung der Wälder und vor allem des Waldbodens entgegenzuwirken. Dies muß mit großem Sachverstand und Vorsicht geschehen.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Analyse ist hier mehrfach gegeben worden. Die Situation in den Wäldern ist auch nach dem neuen Bericht, trotz leichter Verbesserungen in Teilbereichen, unbefriedigend, ja sie ist schlecht. Der Waldschadenbericht macht deutlich, daß es nur mit einem Bündel von Maßnahmen gelingen kann, die Schäden zurückzudrängen.
Ich weise zunächst darauf hin, daß eine ganze Reihe von Maßnahmen nicht nur beschlossen ist, sondern realisiert wird. Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung setzt ein Investitionsvolumen von 15 bis 20 Milliarden DNI in Gang; sie hat es schon getan. Wir werden drastische Reduzierungen bei einigen Schadstoffen in der nächsten Zeit haben.
Wir müssen zusätzlich weitere Maßnahmen treffen. Ich zähle sie aus unserer Sicht auf.
Erstens. Wir brauchen die Reduzierung von Schadstoffen bei Kleinfeuerungsanlagen. Dies ist in der Koalition vereinbart. Es muß jetzt realisiert werden.
Wir brauchen zweitens eine Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes , um verbindliche Luftreinhaltepläne zu erreichen. Das ist eine alte Forderung meiner Partei. Es geht um klare Vorgaben zur Reduzierung von Schadstoffen in bestimmten Zeiträumen.
Drittens. Wir erwarten, daß die Bundesregierung in der Zeit ihrer Präsidentschaft in der EG den Umweltschutz dort weiterbringt. Wir müssen das, was wir hier im Bereich der Großfeuerungsanlagen-Verordnung gemacht haben, auf europäische Ebene bringen. Wir brauchen eine Schadstoffreduzierung bei Kraftfahrzeugen, insbesondere bei Lkw.
Viertens. Wir müssen die Forschung vorantreiben. Die Waldschadenforschung hat ja gewisse Ergebnisse gebracht, aber es gibt noch sehr viele Unklarheiten.
Fünftens. Wir sind der Meinung, daß die Berichte, die wir über die Wirkung der GroßfeuerungsanlagenVerordnung und der TA Luft angefordert haben, möglichst fristgerecht, also Mitte bzw. Ende des nächsten Jahres, vorgelegt werden müssen. Dann werden wir sie auswerten und gegebenenfalls Konsequenzen ziehen.
Sechstens. Bodenschutz ist wichtig. Die Pufferkapazität des Bodens ist nur begrenzt. Wir ermutigen die Bundesregierung, ihre Maßnahmen auf diesem Gebiet weiterzuführen. Da hat es ja jetzt auch neue Vorschläge gegeben. Das Ökosystem Wald ist langfristig bereits geschädigt. Wir müssen ja befürchten, daß andere Ökosysteme im Moment ebenso langfristig geschädigt werden, ohne daß wir es wissen. Bodenschutz ist eine Jahrhundertaufgabe. Hier müssen wir weitere Fortschritte machen.
Zum Schluß: Wer jetzt noch fordert, daß die Kernkraftwerke über Nacht abgeschaltet werden, der schadet dem Wald; der hilft ihm nicht.
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- Es gibt in Ihren Reihen, Herr Schily - so klug müßten Sie eigentlich sein - , inzwischen ja auch ein gewisses Nachdenken darüber, beispielsweise bei Herrn Fischer, daß Sie das, was Sie auf der einen Seite wollen, mit Schäden erkaufen, die Sie hier heute früh wieder nachdrücklich beklagen.
({1})
Bitte sagen Sie, daß Sie auf dem falschen Weg sind. Sie können dem Wald nicht helfen, wenn Sie die Kernenergie radikal abschaffen wollen. Sie schaden dem Wald damit.
({2})
Ich erteile dem Herrn Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie so viele Themen eignet sich mit absoluter Sicherheit der Waldschadenbericht nicht für parteipolitische Profilierungen. Wenn ich mir das eine oder andere anhöre, was hier jetzt wieder, nachdem Tschernobyl als Thema etwas in den Hintergrund getreten ist, zum Waldsterben gesagt wird - korrekter müßte man sagen: zu den neuartigen Waldschäden -,
({0})
dann kann ich nur sagen: Hier sind immer wieder dieselben Leute am Werk, die ohne Katastrophenmeldungen nicht leben können;
({1}) alles andere interessiert die Herrschaften ja nicht.
({2})
Wir haben einen ganz nüchternen Bericht vorgelegt.
({3})
Er fußt auf den Angaben der Bundesländer. Der Bund selbst ermittelt ja nicht. Wir haben uns mit den Ländern, mit dem Forschungsbeirat, also mit denen, die etwas vom Wald verstehen, nicht nur auf die Methodik geeinigt, sondern wir sind auch den Empfehlungen gefolgt. Auf dieser Basis haben wir berichtet, wie es im Wald aussieht. Wir haben nichts beschönigt. Wir haben nichts verschwiegen. Wir haben gesagt: Im Nadelbereich gibt es Verbesserungen. Wir haben gesagt: Im Laubbereich gibt es leider Verschlechterungen. Die Ursachen sind - objektiv gesichert - noch nicht alle erkennbar. Aber wir haben ganz klare Feststellungen getroffen. Darauf haben wir uns beschränkt.
Wir haben feststellen müssen, daß sich der Zustand, geschädigter Bäume vor allem bei schwachen Schädigungen, zum Teil aber auch bei mittleren und stärkeren Schädigungen unter günstigen Bedingungen verbessern kann. Wir haben aber auch feststellen müssen, daß unter denselben Bedingungen beim Laubwald Verschlechterungen eingetreten sind. Wir haben ebenfalls erklärt - wer lesen will, kann das nachlesen; er hat es bei der vorhin angesprochenen Pressekonferenz auch hören können - , daß die Verbesserungen nur ein sehr begrenztes Ausmaß erreicht haben und daß sich unsere Wälder nach wie vor in einem labilen Zustand befinden. - Wieso man den Vorwurf erhebt, der Waldschadenbericht sei nicht korrekt oder sei geschönt, ist deswegen völlig unverständlich.
Meine Damen und Herren, die Länder haben an Hand von Intensivuntersuchungen - auch bei geändertem Raster - dafür gesorgt, daß in den Hauptschadgebieten - z. B. Harz, Schwarzwald, Alpen, Fichtelgebirge, Bayerischer Wald, Oberpfälzer Wald und Odenwald - ein engeres Raster gewählt und damit auch ein absolut zuverlässiges Bild der Schäden ermittelt worden ist. Das Raster in den übrigen Flächengebieten reicht für die Vergleichbarkeit voll aus. Wir haben dieses Verfahren so gestaltet, daß die
- das haben wir erkennen können - europäischen Nachbarländer es übernommen haben, selbst die Ostblockländer. Wieso Sie daran etwas kritisieren, ist Ihr Geheimnis.
Meine Damen und Herren, wir haben die Flächen, die dieser Waldschadenerhebung unterliegen, genauso bewirtschaftet wie alle anderen Waldflächen, damit nicht etwa zusätzliche Schäden durch nicht ordnungsgemäße Forstwirtschaft entstehen. Es ist also nichts gesondert gemacht worden. Wir haben festgestellt, daß von den Probebäumen über 60 Jahre nur etwa 2 % im Rahmen von Durchforstungen eingeschlagen wurden.
Wir sollten uns hier also nicht ständig auf unrealistische Horrorbilder konzentrieren, die man an die Wand malen kann, sondern wir sollten die Maßnahmen diskutieren, die zur Bekämpfung der Waldschäden ergriffen wurden und nach entsprechenden Erkenntnissen möglicherweise noch zu ergreifen sind. Daß die Regierung hier Erfolge hatte, braucht man, glaube ich, nicht zu verschweigen, wenn ich auch nicht verhehle, daß wir uns in den Bereichen, in denen wir direkt von Brüsseler Entscheidungen abhängig sind - das gilt auch gegenüber den Ostblockstaaten - , noch schärfere Maßnahmen und vor allem einen schnelleren Vollzug wünschen und gewünscht hätten. Aber es ist diese Regierung gewesen, die jetzt konsequent vorgegangen ist und auch vieles erreicht hat - das ist heute schon dargelegt worden - : von der Großfeuerungsanlagen-Verordnung über die TA Luft bis hin zum schadstofffreien oder schadstoffarmen Auto, das EG-weit durchgesetzt worden ist.
({4})
Wir haben in Deutschland bald kein bleihaltiges Normalbenzin mehr, weil das Blei im Normalbenzin verboten wird. Wir haben den Schwefelgehalt im Dieselkraftstoff und beim leichten Heizöl per Vorschrift um ein Drittel gesenkt. Natürlich müssen wir in unseren Wirtschaftsverbund darauf Rücksicht nehmen, daß die Vorschriften so sind, daß sie auch für importierte Waren gelten. Denn es hätte wohl wenig Sinn, wenn wir zwar deutsche Vorschriften hätten, alle anderen sich aber nicht daran zu halten bräuchten.
({5})
Meine Damen und Herren, durch diese eingeleiteten umfangreichen Luftreinhaltemaßnahmen werden sich in der Bundesrepublik die Emissionen von Schwefeldioxid und Stickoxiden bis Mitte der 90er Jahre gegenüber 1982 um etwa 65 % bzw. knapp 50 % reduzieren. Allein beim Schwefeldioxid aus Großfeuerungsanlagen wird sich bereits bis 1988 die Emission um 1,2 Millionen t und damit um 60 % verringern
Bei den forstlichen Maßnahmen kommt gezielte Düngung hinzu. Ich wiederhole das ausdrücklich.
Wir werden eine konsequente Luftreinhaltepolitik fortsetzen, wo immer möglich auch verstärken, auch im Autobereich, flankierende forstliche Maßnahmen treffen und alles tun, was wissenschaftlich nachweisbar sinnvoll ist, um deni Wald zu helfen. Daß wir aber in Jahrzehnten entstandene Belastungen nicht in wenigen Jahren aufheben können, müßte jeder, der sich unvoreingenommen des Themas annimmt, zugeben.
Lassen Sie mich am Schluß vor allem im Hinblick auf eine Pressekonferenz der GRÜNEN auch einmal eine vielleicht polemische, aber nicht unernst gemeinte Frage stellen: Wie ist es denn mit denen, die so schnell bei der Hand sind, wenn es um Transparente, Plakate und Katastrophenmeldungen geht? Haben Sie denn dafür gesorgt, daß Ihre Mitglieder, Anhänger, Freunde alle ein Katalysatorauto fahren?
({6})
Sorgen Sie durch Aufrufe und Selbstverpflichtungen dafür, daß Sie Tempo 100 und Tempo 80 einhalten? Tun Sie selber alles, was Sie können, um dem Wald zu helfen? - Dann werden Sie glaubwürdig. - Wenn Sie wollen, daß mehr Menschen Fahrrad fahren, dann müssen Sie es den anderen vormachen.
Ich danke schön.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Knabe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kritik muß sich auf Fakten stützen. Die Regierung hat zwei richtige Maßnahmen eingeleitet, zunächst die Emissionsminderung in Großfeuerungsanlagen und später die Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten. Aber dieselbe Regierung unterschätzt völlig den Ernst der Lage, oder Minister Töpfer vermag ihn seinen Kollegen nicht klarzumachen, denn sie hat sich nicht ernstlich an die Automobil- und Chemieindustrie herangetraut. Sie setzt nach wie vor auf Wirtschaftswachstum, mehr Chemie, mehr Autos, mehr Verkehr, mehr Importe und Exporte und eben nicht auf Dezentralisierung und lebenswerte Wohnumgebung, was weniger Verkehr bedeuten würde. Sie wollen nur den technischen Umweltschutz und nicht den notwendigen ökologischen und sozialen Umbau der Industriegesellschaft. Aber dann tun Sie doch wenigstens hier das Notwendige, das Mögliche.
Sie haben nichts Konkretes darüber gesagt, was denn jetzt schneller, wirksamer und vollständiger geschehen soll.
Wenn diese Unterlassungspolitik anhält, wird die Bundesregierung zur Totengräberin des deutschen Waldes. Dafür trägt nach unserer Verfassung der Bundeskanzler die Verantwortung.
({0})
Die Bürgerinnen und Bürger werden sehr genau beobachten, was Sie hier tun. Wir erwarten jedenfalls, daß Sie endlich, endlich das Notwendige tun.
Danke.
({1})
- Mit jedem Beispiel.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete -Bayha.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ergebnisse des Waldschadenberichts 1987 liegen uns vor. Ich möchte die Gelegenheit auch nutzen, um den Forstleuten beim Bund und bei den Ländern herzlich zu danken. Ich weiß, daß in den Revieren zur Erstellung dieses Berichts viele Oberstunden, auch eine ganze Reihe unbezahlter Oberstunden, geleistet werden mußten.
Zur Gesamtsituation ist klarzustellen, daß 17 % unserer Waldbäume in die höheren Schadstufen eingruppiert worden sind. Das heißt, 17 % der Bäume sind wirklich bedroht. Ich finde, das ist schon eine erhebliche Zahl.
Nachdenklich stimmen muß auch, daß sich die Situation trotz wachstumsgünstiger Witterung in den letzten Jahren nicht nennenswert geändert hat. Hierauf möchte ich auch das Augenmerk der Bundesregierung lenken und zwei erforderliche Maßnahmen aufzeigen, die meines Erachtens flankiernd zu der Luftreinhaltepolitik am Wald direkt ansetzen sollten: ein Sofortprogramm zum Schutz der Waldböden und des Trinkwassers - viel Trinkwasser kommt ja aus unseren Wäldern - und die konsequente Fortführung des Programms zur Erhaltung der gentechnischen Vielfalt unserer Wälder.
Zum ersten Punkt: Der Säureeintrag aus der Luft wird trotz aller Bemühungen noch anhalten. Er führt zu einer besorgniserregenden Versauerung der Waldböden. Pflanzennährstoffe gehen verloren, an den Wurzeln der Waldbäume entstehen damit irreversible Schäden, und in Zukunft wird auch die Auswaschung von Schwermetallen und toxischen Stoffen ins Trinkwasser eine Folge sein.
Eine rasche Minderung dieser Schäden ist nur durch die Ausbringung mild wirkender Naturkalke, gegebenenfalls unter Zugabe fehlender Kernnährstoffe und Spurenelemente, an den gefährdeten Waldstandorten zu erreichen. Dies muß vor Ort speziell untersucht werden, und dem müssen Boden- und Blattuntersuchungen vorausgehen. Begleitende ökologische Versuchsprogramme haben zu gewährleisten, daß das Ökosystem Wald durch diese Maßnahmen nicht angegriffen wird. Ich rege hierzu an, daß zwischen Bund und Ländern sofort ein entsprechendes Konzept geplant und abgestimmt wird, damit die Folgeschäden begrenzt bleiben.
Zum zweiten Punkt: Wenn in bestimmten Lagen der Wald weiter sehr geschädigt bleibt und in manchen Höhenlagen - Gott sei Dank sind das bis jetzt nur wenige - sogar stirbt, werden wichtige Erbeigenschaften der Bäume, vielleicht sogar ganze Arten - ich denke hier an bestimmte Rassen der Tannen -, auf Dauer verschwinden. Daß dies zu einer genetischen Einengung der Waldbestände führen muß,
({0})
die dann nicht mehr in der Lage sein werden, auf
Umwelteinflüsse flexibel zu reagieren, ist von der
Wissenschaft erkannt und von der Bundesregierung auch schon als Programm angegangen worden.
({1})
Der Bundesrat hat diese Initiative 1985 einstimmig beschlossen.
Es muß sichergestellt werden, daß dieses Programm zur Erhaltung der gentechnischen Vielfalt durch Bereitstellung entsprechender Mittel in der Praxis und in der Forschung gemäß den Vorschlägen der hierzu eingesetzten Arbeitsgruppen umgesetzt werden kann.
Insgesamt glaube ich, daß wir mit Optimismus und Sachverstand unter Ausschaltung von Ideologien an die Probleme herangehen müssen, um unseren Wald und seine vielfältigen Funktionen für uns selbst und für unsere Nachkommen zu sichern. Ich halte die Bewahrung der Funktionsfähigkeit des Ökosystems Wald für die wichtigste Aufgabe unserer Zeit, und ich bin auch fest davon überzeugt: Wir sind auf dem richtigen Weg, sie zu lösen. Wir wären weiter, wenn früher mehr getan worden wäre.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stahl.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist ja interessant, zu sehen, wie heute morgen in dieser Aktuellen Stunde die Bundesregierung und die Regierungsparteien bei diesem wichtigen Thema insgesamt reagieren. Da hat z. B. der Herr Kunz ({0}) nur über Statistik gesprochen. Herr Kollege, Sie kommen doch aus einer Gegend, in der es eine ganze Menge Wald gibt, aber Sie haben eigentlich nur über Statistik gesprochen.
({1})
Sie haben die Bundesregierung nicht aufgefordert, zumindest Sofortmaßnahmen zu verstärken.
({2})
- Doch, ich habe zugehört.
({3})
Eine solche Verstärkung wird von den Waldbesitzern und von den Fachleuten nachweislich gefordert. Herr Kunz ({4}), es war eigentlich bedauerlich, daß Sie davon nichts gesagt haben.
({5})
Interessant ist auch das, was der Kollege Baum von der FDP gesagt hat. Er meinte: Die Lage ist unbefriedigend. Meine Damen und Herren, ich meine, daß im Bereich der Schädigung des Laubwaldes die Lage nicht unbefriedigend, sondern schlecht ist. Dies sollten wir hier einmal zur Kenntnis nehmen, und da nüt2488
Stahl ({6})
zen natürlich die Beschönigungen des Landwirtschaftsministers nichts, denn unbestritten ist ja, daß dort Schadenszunahmen vorhanden sind,
({7})
die uns mehr als nachdenklich stimmen sollten. Deshalb sagen wir als Sozialdemokraten: Es ist notwendig, daß die Bundesregierung hier verstärkt mit Sofortmaßnahmen reagiert.
({8})
Dazu, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, hat Ihr Landwirtschaftsminister gar nichts gesagt, und ich bin gespannt, ob der Umweltminister, der ja auch auf der Regierungsbank sitzt, zu diesem Thema etwas sagen wird.
({9})
Wenn man dann weitergeht und eine Verbesserung von 1,4 % oder 1,6 % feststellt, sich den Bericht aber einmal durchliest und die großen Meßbereiche als Grundlage nimmt, dann wird man wohl feststellen, daß hier von einer Verbesserung überhaupt nicht gesprochen werden kann, weil die Aufnahme unter diesem Gesichtspunkt durchaus als fraglich zu bezeichnen ist. Auch dazu hat der Landwirtschaftsminister gar nichts gesagt.
Interessant ist - da stimme ich Ihnen von den Regierungsparteien zu - , daß die Großfeuerungsanlagen-Verordnung und die TA Luft, langfristig gesehen, hier eine ganze Menge bewirken. - Meine Verbesserungen, sind noch keine Lösung. Aber es ist ja auch möglich, daß die Länder mit Hilfe des Umweltministers in diesem Bereich verstärkt tätig werden.
({10})
Das hat z. B. das Land Nordrhein-Westfalen frühzeitig erkannt und schon 1984 Vereinbarungen mit Unternehmen der öffentlichen Energieversorgung getroffen, die mit ihren Anlagen rund 80 % der Leistung aller Großfeuerungsanlagen in Nordrhein-Westfalen erbringen. Das sind 36 % aller Anlagen in der Bundesrepublik.
({11})
Und wenn Sie hier das Thema Ibbenbüren ansprechen, dann wissen Sie ja selbst, daß Sie von der CDU hier Falschmünzerei betreiben.
({12})
So wird z. B. in Nordrhein-Westfalen bis 1994 eine sehr starke Reduzierung der Schwefeldioxidemissionen von derzeit 870 000 t auf 177 000 t erfolgen. Zu Ibbenbüren, verehrter Herr Kunz ({13}): Erinnern Sie sich bitte daran, was der Kollege Heereman Ihnen, den Regierungsfraktionen, hier vom Pult des Deutschen Bundestages aus ins Stammbuch geschrieben hat. Seien Sie also nicht so hochmütig, sondern hören
Sie einmal auf Ihre Kollegen, deren Fachwissen draußen anerkannt ist.
({14})
Wir werden auch bei den Stickstoffoxidemissionen weiterkommen, aber entscheidend ist dabei doch, daß wir erst bis zum Jahre 1994 eine ganz wesentliche Entlastung der Luft haben werden. Aber bis zu diesem Zeitraum ist es notwendig, daß von seiten der Bundesregierung mehr mit kurzfristigen Maßnahmen bewirkt wird.
({15})
- Nein, nicht kurzatmig, kurzfristig. Dies ist die entscheidende Frage zum Überleben der Wälder.
Meine Damen und Herren, Sie werden mir zustimmen, daß die Bundesregierung zu diesen Punkten, zu kurzfristigen Maßnahmen, bisher so gut wie gar nichts gesagt hat.
({16})
Warum kritisieren Sie denn das heute nicht einmal?
({17})
- Herr Kunz ({18}), warum kritisieren Sie das nicht auch hier? Sie machen vielmehr nur in Statistik und tun so, als sei im Wald mittels der Statistik inzwischen alles in Ordnung.
({19})
- Nein, das haben Sie hier eingeführt. - Ich meine, es ist notwendig, mehr pragmatische Politik zu machen und keine frommen Sprüche zu klopfen.
Wir haben z. B. die TA Luft verändert; dies ist ja anzuerkennen. Es gibt eine Erhebung des Landes Nordrhein-Westfalen, wonach z. B. über die Hälfte der Altanlagen nachgerüstet werden muß. Das Land hat ein Sonderprogramm für kleine und mittelständische Unternehmen aufgelegt, damit diese in die Lage versetzt werden, diese Umweltschutzinvestitionen zu tätigen. Ich frage mich und auch Sie von den Regierungsparteien: Warum sind der Umweltminister und der Landwirtschaftsminister nicht in der Lage, im Bundeskabinett eine derartige Maßnahme oder ein derartiges Programm für die mittelständische Wirtschaft durchzusetzen?
({20})
Denn auch hierdurch wird ja eine ganze Menge an Entlastung bewirkt. Meine Damen und Herren, dies ist Politik; hier darf man keine frommen Sprüche klopfen. Sie können ja z. B. einmal auf die Vorschläge der Sozialdemokraten eingehen und sie durchführen. Wir haben zu diesen Bereich eine ganze Menge von Vorschlägen gemacht; sie liegen auf dem Tisch.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, Sie sollten das heute diskutierte Thema ein wenig ernster nehmen und nicht nur fromme Sprüche klopfen.
Schönen Dank.
({0})
Ich erteile dem Herrn Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Abgeordnete Lennartz hat hier bei dem Versuch einer distanzierten Ironie von der Ritualisierung des Waldschadenberichts gesprochen.
({0})
Dies hätte er besser nicht machen sollen, denn dies fällt bitter auf ihn zurück. Ich frage einmal den Abgeordneten Lennartz, der Beiratsmitglied von RWE ist, ob er denn wirklich eine Verschärfung der Großfeuerungsanlagen-Verordnung will, ob er denn wirklich der Meinung ist, daß wir ohne Wenn und Aber auch die Braunkohle, die er hier in diesem Parlament mit vertritt, auf den Wert von 200 mg NOx ohne Wenn und Aber bringen sollten.
({1})
Ich frage einmal kurz zurück, ob er denn wirklich will, daß wir die Großfeuerungsanlagen-Verordnung mit Blick auf NOx - das steht hier zur Diskussion, nicht SO2 - verschärfen.
({2})
Ich frage ihn ganz ernsthaft zurück. Wenn wir schon mit distanzierter Ironie hier etwas ritualisieren, dann bitte ich, hier aber auch das zu sagen, was man draußen nicht mitträgt. Das ist der erste Punkt.
Meine Damen und Herren, ritualisiert wird in der Tat immer das Weglassen von besseren Erkenntnissen, die man draußen dann wieder mitträgt.
({3})
Auch das ist Ritualisierung; das sollte meiner Ansicht nach nichts machen.
Ich halte das für einen ganz zentralen Punkt; denn es wird doch immer wieder gesagt, wir kämen mit der Reduzierung von NOx nicht schnell genug voran. Deswegen wird man noch einmal fragen müssen: Wo kommt das NOx her, und was können wir tun, um den Wert zu verringern? Deshalb muß ich, Herr Abgeordneter Lennartz, Ihre Frage aufgreifen: Was tut eigentlich die Bundesregierung, um irgendwie in der Luftreinhaltung weiterzukommen? Sie gehen doch mit dem Kollegen Matthiesen von einer Einweihungsfeier einer Rauchgasentschwefelungsanlage zur anderen und bejubeln die Tatsache, daß die Großfeuerungsanlagen-Verordnung innerhalb von fünf Jahren diese Erfolge erzielt hat.
({4})
Meine Damen und Herren, ich bitte, nun keinen Dialog zu führen, sondern dem Redner zuzuhören.
Es ist doch wirklich erfreulich, daß wir dies so herausstellen können.
Ich möchte ein zweites Faktum ansprechen. Der Abgeordnete Baum hat zu Recht gesagt, wir brauchten die Kleinfeuerungsanlagen-Verordnung. Auch ich bin dieser Meinung; nur sollten Sie dazu auch zur Kenntnis nehmen, daß der Entwurf dieser Kleinfeuerungsanlagen-Verordnung, nämlich die erste BImSchV bereits vorliegt. Ich habe meine Schläge von dem Verband der Haus- und Grundbesitzer mit Blick auf diese Kleinfeuerungsanlagen-Verordnung schon eingesteckt, nicht deswegen, weil sie gesagt hätten, sie sei zu lasch, sondern weil sie gesagt haben, sie sei zu anspruchsvoll, sie gehe zu weit und sie werde offenbar Belastungen für die Haus- und Grundbesitzer bringen, die nicht gerechtfertigt sind.
Es ist hier auch gesagt worden, daß wir im Bundesrat - ich war damals noch auf der Seite der Länder - eine Verordnung mit eingebracht haben, mit der wir den Schwefelgehalt im leichten Heizöl auf 0,15 % setzen wollten. Das ist bei uns akzeptiert worden, leider Gottes nicht in der EG. Wir haben durchgesetzt, daß der Wert auf 0,2 % gesetzt wird, sind damit Spitzenreiter in der EG und ersparen uns allein durch diese Maßnahme 80 000 Tonnen SO2. Und dann gehen Sie hierhin und sagen, von dieser Bundesregierung werde zur Luftreinhaltung nichts gemacht.
({0})
- Entschuldigen Sie bitte, ich zitiere den Abgeordneten Lennartz, der gesagt hat: Die Bundesregierung tut in der Luftreinhaltung nichts. Ich wollte Ihnen nur belegen, wo die Bundesregierung in diesem Falle etwas tut. Wenn Sie dann sagen: viel zu wenig, dann erwidere ich Ihnen: Sprechen Sie doch einmal bitte mit der Mineralölwirtschaft, und fragen Sie einmal, welche Auswirkungen auf den Standort Bundesrepublik Deutschland die Durchsetzung der TA Luft bei der Mineralölwirtschaft und bei der Großfeuerungsanlagen-Verordnung hat.
Sie kommen dann hierin und sagen, wir täten da nichts. Sie können uns erst dann kritisieren, wenn wir möglicherweise eine Entwicklung bekommen, daß durch diese Auflagen, die wir europäisch nicht harmonisieren können, der Standort Bundesrepublik Deutschland für die Mineralölwirtschaft in Frage gestellt werden könnte. Erst wenn das passiert ist - da bin ich wiederum Ihrer Meinung - , können Sie uns kritisieren, aber erst danach, nicht vorher.
Deswegen ist es völlig richtig, wenn der Abgeordnete Baum darauf hingewiesen hat, wir müßten unsere Präsidentschaft in der Europäischen Gemeinschaft nutzen, um das voranzubringen. Ich kann Ihnen sagen, daß der Entwurf einer Verordnung der EG über die großen Verbrennungsanlagen seit 1983 vorliegt und seit 1983 in der Europäischen Gemeinschaft nicht mehrheitsfähig werden konnte, nicht deswegen, weil diese Anlagenverordnung weiterginge als unsere Großfeuerungsanlagen-Verordnung, sondern weil sie hinter ihr noch zurückbleibt und dennoch nicht über Großbritannien und Spanien verabschiedet werden kann.
Deswegen sollte man uns dafür zumindest ein gut Stück unterstützen - ich sage gar nicht loben, aber unterstützen -, damit wir diese Position in Europa mit Nachdruck vorantreiben können.
Herr Abgeordneter Knabe, Sie sagen, wir setzten immer noch auf Wirtschaftswachstum, das sei doch geradezu unerträglich. Dieselben, die das hier kritisieren, erwarten ganz selbstverständlich von der Bundesrepublik Deutschland, daß wir die finanziellen Möglichkeiten haben, der DDR und der CSSR nachhaltig zu helfen, damit sie ihre Luftreinhalteprobleme lösen. Nur eine wirklich leistungsfähige Wirtschaft kann die Mittel erarbeiten, die für eine vorsorgende Umweltpolitik eingesetzt werden müssen.
({1})
Ein letztes, meine Damen und Herren. Da wird gesagt, wir sollten kurzfristig etwas machen. Herr Abgeordneter Stahl, es wird nachhaltig kurzfristig etwas getan.
({2})
- Da sind wir schon ein gutes Stück weiter: „zuwenig". Dann frage ich mal nach, was wir denn kurzfristig mehr tun können.
({3})
- Ich wußte, daß das kommt. Das hätte auch ich Ihnen gesagt. Da fällt einem im allgemeinen das Tempolimit ein. Wir wissen alle, daß das Tempolimit ganz sicher einen ursächlichen Beitrag zur Entlastung der Luft in der Art, daß damit Waldschäden verhindert werden können, nicht liefert.
({4})
- Ich kann mich doch auf das Umweltbundesamt beziehen, das Sie so gern immer wieder zitieren. Dies ist der eine Punkt.
Ich komme zum zweiten Punkt und zum letzten Gedanken, Herr Abgeordneter Stahl.
({5})
- Ja, von 3,1 Millionen Tonnen.
Das letzte, Herr Abgeordneter Stahl: Wenn ich mich frage, was ich kurzfristig noch machen kann, dann sollten wir alles daransetzen, daß wir auch unsere Genehmigungsverfahren so abkürzen, daß neue Anlagen möglichst schnell an das Netz gehen und alte aus dem Betrieb herausgenommen werden könnten, damit wir zu einer Verjüngung unseres Kapitalstocks in dieser Volkswirtschaft kommen. Wir brauchen weiterhin wirtschaftliche Stabilität, damit auch für den Umweltschutz investiert werden kann.
({6})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hartenstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Aktuelle Stunde ist ein absolut ungeeignetes Instrument, um das vergessene Thema Waldsterben wieder auf die Tagesordnung zu bringen.
({0})
Ich fürchte - der Beweis ist erbracht - ; sie verpufft in ihrer Wirkung, Herr Kollege Schily, ebenso schnell wie die Kalkdüngung im Wald, die nach Auffassung vieler Forstleute eher eine Sterbehilfe als eine Lebenshilfe für die Bäume ist.
({1})
Wer das öffentliche Bewußtsein schärfen will, wer die verantwortlichen Politiker tatsächlich wachrütteln will, der muß auf andere Mittel sinnen. Fünf-MinutenStatements bleiben gegenüber einer nicht handlungswilligen Bundesregierung offensichtlich wirkungslos, Herr Minister.
Vier Bemerkungen:
Erstens. Es muß festgehalten werden: Der offizielle Waldschadensbericht zeichnet ein unehrliches Bild der Lage,
({2})
nicht nur wegen der geänderten Erfassungsmethode. In den großen Waldgebieten, so im Schwarzwald, haben wir über 60 `%, zum Teil nahe 70 % erkrankter Waldflächen, und auch diese Zahlen sind noch „geschönt", wie Prof. Moosmayer, Freiburg, sagt, weil die stark geschädigten Bäume laufend herausgehauen werden. „Ein großflächiges Absterben ist in den Hochlagen des Schwarzwaldes nicht mehr auszuschließen", so Umweltminister Vetter, Baden-Württemberg. Das ist die Lage.
({3})
Zweitens. Bloßes Lamentieren ist ebenso zwecklos
({4})
wie Gesundbeten. Es gibt nur die Alternative: Entweder sofort handeln mit dem Ziel, die Gesamtschadstoffbelastung der Luft bis 1993 auf die Hälfte zu reduzieren - das ist die Forderung der Deutschen Waldbesitzerverbände - oder den rapiden Zusammenbruch ganzer Ökosysteme in Kauf zu nehmen. Denn, meine Damen und Herren, der Wald stirbt nicht alleine. Neuestes Alarmsignal ist die Versauerung der Böden und des Grundwassers, die ein Mainzer Wissenschaftler kürzlich im Hunsrück und im Taunus festgestellt hat.
Deutscher Bundestag - 1 1. Wahlperiode Frau Dr. Hartenstein
Drittens. Die Bundesregierung hat nun wahrlich keine Ursache, die Hände in den Schoß zu legen. Was abnimmt, ist die SO2-Belastung aus öffentlichen Kraftwerken, auch aus Braunkohlenkraftwerken, Herr Minister, nicht aus der Industrie.
({5})
Die Stickoxidbelastung steigt weiter an, und die Hauptquelle ist nach wie vor der wachsende Kraftfahrzeugverkehr. Meine Damen und Herren von der Koalition, es wäre Hochstapelei, hier von einem Durchbruch reden zu wollen.
({6})
600 000 Altwagen unter 27 Millionen Pkw, das ist ein Dokument des Scheiterns und nicht des Erfolgs.
Wir brauchen ein Sofortprogramm, wir brauchen vor allem einen obligatorischen Endtermin für die Katalysatorausrüstung, wir brauchen die Einführung der US-Grenzwerte, wir brauchen endlich die Abgasentgiftung bei Lkw und Bussen, wir brauchen ein wirksames Umrüstprogramm für 5,5 Millionen Altfahrzeuge, gekoppelt mit direkten Zuschüssen und mit Steuerbefreiung sowie einen verbindlichen Endtermin für die TÜV-Zulassung.
({7})
Wir brauchen endlich - zum x-ten Male muß es gesagt werden - ein Tempolimit auf Autobahnen und Landstraßen. Wie heuchlerisch die TempolimitDiskussion bei dem ominösen Großversuch 1985 war, zeigt die unter Verschluß gehaltene „Prognos"-Studie der Deutschen Bundesbahn,
({8})
die nämlich die Einschätzung des Bundesumweltamtes bestätigt. Deshalb mußte sie totgeschwiegen werden. Das ist die Tatsache.
Vierte Bemerkung: Auch schwierige EG-Hürden dürfen uns nicht hindern, einen nationalen Notstand abzuwehren. Wenn die Böden versauern, wenn die Trinkwasserversorgung in Gefahr gerät, wenn die volkswirtschaftlichen Verluste Milliardenhöhe erreichen - und das ist der Fall -, wenn die Waldbauern ihre Existenz verlieren - und das ist der Fall - und wenn die Kommunen die roten Zahlen in ihren Waldhaushalten nicht mehr abdecken können, dann ist dieser Notstand bereits eingetreten. Ausweichmanöver und Beschwichtigungsversuche, Herr Minister, zahlen sich nicht aus. Was hilft, ist nur rasches politisches Handeln. Auf die Unterstützung der SPD-Fraktion können Sie bei allen notwendigen Maßnahmen rechnen.
Danke schön.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidbauer.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Hartenstein, so wie gestern, als es Ihnen wieder möglich war, nach uns zu reden, und so wie in den letzten Wochen und Monaten haben Sie auch jetzt wieder Ihre wirklich einfallslosen Angriffe gegen die Bundesregierung gerichtet. Sie lassen ständig die Gebetsmühlen laufen, ohne daß Sie einen Punkt Ihrer Kooperation anführen, auch heute nicht; heute nur dieselben Argumente.
Vor wenigen Minuten hat der Minister darauf hingewiesen, was das Tempolimit bringt.
({0})
- Ich habe Ihnen doch zugehört. Frau Kollegin Hartenstein, nicht nur, daß Sie in den letzten Monaten billige Polemik machen, Sie hören nicht einmal zu, obwohl ich Ihnen eben wieder zugehört habe. Es fällt einem manches Mal sehr schwer, Ihnen zuzuhören, wenn Sie erneut das Argument Tempolimit bringen.
Sie haben damals zusammen mit anderen von 420 000 Tonnen Stickoxiden Einsparung gesprochen, wenn die Sofortmaßnahme Tempolimit durchgeführt würde. Ergebnis eines Gutachtens: 32 000 Tonnen; das sind weniger als 2 % des Gesamtvolumens.
({1})
Das sind die Ergebnisse, aber Sie reden von Manipulation.
({2})
Frau Kollegin Hartenstein, wenn Sie uns Nachlässigkeit oder Nichtstun vorwerfen, kann ich Ihnen nur sagen: Sie haben allen Grund, darüber nachzudenken, was eigentlich von Ihnen an Initiative ausgegangen ist.
({3})
Ich komme sehr ungern auf diesen Punkt zurück, weil das auch mir zu den Ohren heraushängt. Nur eines: Wer zehn Jahre lang überhaupt nichts im Bereich des Verkehrs gemacht hat, überhaupt nicht daran gedacht hat,
({4})
Katalysatorfahrzeuge auf den Markt zu bringen, der darf sich heute nicht hier hinstellen und beklagen, wie langsam diese Maßnahmen verwirklicht würden.
({5})
- Werden Sie doch nicht so nervös.
- Vorbilder hätten Sie weiß Gott gehabt: In Japan, in den Vereinigten Staaten wurde bleifreies Benzin eingeführt. Der Katalysator kam dort auf den Markt. Sie sehen, wie wir uns heute insgesamt bemühen, das europaweit durchzuführen.
Ich stelle fest: Mit Herrn Dr. Knabe kann man darüber reden. Ich stelle auch fest, daß er bereit ist, sich in den Ausschußsitzungen und im Dialog zu überlegen,
2492 Deutscher Bundestag - 1 1. Wahlperiode Schmidbauer
was nun wirklich beschleunigt durchgeführt werden kann. Aber Sie haben den Pfad ja vollständig verlassen. Sie polemisieren nur noch.
Herr Stahl, ich habe von Ihnen gehört, daß die Dinge bei uns mittelfristig wirken. Das war in Ihren Ausführungen heute morgen schon ein Fortschritt.
({6})
- Lieber Herr Stahl, der Minister hat vorhin darauf hingewiesen, wie der Wettbewerb bei Einweihungen losgeht und wie sich die Politiker der SPD in Nordrhein-Westfalen mit der Grafeuerungsanlagen-Verordnung die Federn an den Hut stecken. Ja, wer hat das eigentlich auf den Weg gebracht? Wir haben 1983 mit dieser Sofortmaßnahme begonnen, die heute wirkt: 50 % weniger Schwefeldioxid.
Im übrigen wird von einem neuen Institut ein Märchen verbreitet. Herr Dr. Knabe, Sie hatten mir gestern dankenswerterweise ein Gutachten eines Prognoseinstituts übergeben. Auch ich will es jetzt nicht nennen; denn das, was ich dazu sagen will, wäre eine schlechte Reklame. Ich bin dafür, daß wir über diese Zahlen einmal reden. Wir werden Gelegenheit dazu haben, weil die Bundesregierung zu Anfang des Jahres den neuen Bundesimmissionsschutzbericht vorlegt. Dann wollen wir einmal sehen, was da eigentlich gewirkt hat und was stärker wirkt. Ich behaupte, wir haben 1988 eine 15- bis 20%ige NOx-Abnahme. Wir haben dann zu Beginn der 90er Jahre eben diese 50 %. Ich stimme jedem zu, der hier sagt: Wir müssen sehen, daß im Vorsorgebereich die Schadstoffe drastisch reduziert werden.
({7})
Jetzt will ich einen anderen Punkt ansprechen, weil die SPD dort überhaupt nicht hilfreich ist. Es lohnt, auch einmal über die Immissionssituation nachzudenken. Dabei ist nicht nur die pauschale Situation im Bund verteilt zu betrachten, sondern es ist insbesondere danach zu fragen, ob es regional unterschiedlich Immissionswerte gibt, die wir jeweils in den gegebenen Regionen drastisch vermindern müssen.
({8})
Auch da haben wir damit begonnen. Minister Töpfer fängt damit an, daß wir uns jetzt grundsätzlich auch der Immission zuwenden und nicht nur Emission reden;
({9})
denn was bringt es dem Schwarzwald, wenn Sie den Verkehr im Norden unserer Republik lahmlegen? Überhaupt nichts. Das Wichtigste ist der weiträumige Schadstofftransport.
Im übrigen müssen wir auch darüber reden, wie Sie mithelfen können, daß unsere europäischen Nachbarn sensibilisiert sind, diese Anstrengungen gemeinsam mit uns zu unternehmen, damit es nicht immer Jahre dauert, bis wir als Schrittmacher in der Europäischen Gemeinschaft vorankommen. Ich sage dies sehr bewußt im europäischen Umweltjahr. Es geht viel zu langsam, es ist viel zu zäh, was die Europäische Gemeinschaft auf dem Sektor Umweltschutz derzeit voranbringt.
({10})
Wir müssen hier das Tempo in der Tat beschleunigen.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete von Schorlemer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Zeitschrift der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald „Unser Wald" schreibt Oberlandforstmeister i. R. Dr. Wenzel:
Als großes Versäumnis der Immissionsforschung bis etwa 1980 muß rückblickend die bedauerliche Tatsache bezeichnet werden, daß die Untersuchung von Kombinationswirkungen mehrerer Schadstoffe völlig vernachlässigt wurde, obwohl wir in den großen Indsutriegebieten - also durchaus regional verbreitet - doch schon seit 80 Jahren ein Zusammenwirken z. B. von SO2 mit HF und/oder NO2 unterstellen mußten und auch unterstellt haben.
Schon damals gab es also Warnungen aus der Forstwirtschaft, und deshalb habe ich diese Sätze zitiert. Ich habe diese Sätze auch zitiert, weil die SPD - Herr Stahl, hier spreche ich auch Sie als ehemaliges Mitglied der Bundesregierung an ({0})
überhaupt keinen Grund hat, sich hier aufzuplustern.
({1})
In Ihrer Regierungszeit haben Sie dieses Problem nicht als gravierend anerkannt. Sie haben nicht entscheidend gehandelt.
({2})
Sie als Nordrhein-Westfale wissen ganz genau, wo damals die Bremser saßen.
Meine Damen und Herren, wir haben, als wir in die Regierung gekommen sind, gehandelt.
({3})
Nur ist dieses Problem verantwortlich nicht kurzfristig zu lösen.
Nun zu Ihnen, meine verehrten Damen und Herren von den GRÜNEN. Ihr früherer Umweltminister in Hessen, Joschka Fischer, hat seinen GRÜNEN beim Szenario des Ausstiegs aus der Kernenergie nach Tschernobyl ja zugeben müssen, daß beim Ersatz der Kernenergie durch Kohlekraftwerke mit Mehrbelastungen für die menschliche Gesundheit, unsere Wälder, Gebäude und Kulturdenkmäler zu rechnen ist.
({4})
Dies ist auch der Grund dafür, daß 1986 im Gegensatz zu 1985 von Ihnen keine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt worden ist.
({5})
Die GRÜNEN haben bei ihrem Ausstiegsszenario den Wald abgeschrieben. Mit ihrem Ausstiegsszenario sind sie die Totengräber für den Wald geworden.
({6})
Meine Damen und Herren, wir haben die Waldschäden in den einzelnen Regionen und bei den einzelnen Baumarten nie beschönigt.
Wir unterstützen deshalb auch jede Maßnahme der Regierung, die dazu dient, die Fristen zu verkürzen und die Auflagen zu erhöhen. Wir wissen auch, daß die Waldschäden den Wald in seinen drei Funktionen, in seiner Nutz-, Schutz- und Erholungsfunktion, treffen. Wir wissen auch, daß dies um so bedrückender ist, als zur gleichen Zeit die Reinerträge in den letzten zehn Jahren um ein Drittel zurückgegangen sind, die Kosten für die Holzernte um ein Drittel gestiegen und für Bestandspflege und Waldpflege sich die Kosten verdoppelt und beim Forstschutz verdreifacht haben.
Zur Zeit, meine Damen und Herren, findet beim Bundesverfassungsgericht ein Verfahren zum Thema „Waldschäden und ihre Abgeltung" statt, angestrengt von einem süddeutschen Waldbauern und einer bayerischen Großstadt.
({7})
- Entschuldigung: beim Bundesgerichtshof. - Ich glaube, daß das zu erwartende Urteil sowohl für den Staat als auch für die Forstwirtschaft von großer Bedeutung ist
Es ist richtig und verantwortlich, daß der Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in seinem Waldschadensbericht nichts beschönigt hat. In Nordrhein-Westfalen haben sie die Titulierung „Forsten" beim Landwirtschaftsminister längst gestrichen. Dort heißt er nämlich nur noch „Minister für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft" .
({8})
Das sind die Realitäten, die Sie einmal zur Kenntnis nehmen müssen.
Das heißt, wir haben diesen Bericht niemals beschönigt. Ich danke dem Minister, daß er ihn hier ungeschminkt vorgetragen hat.
Meine Damen und Herren, ich will aber zum Schluß doch eines sagen, daß ich nämlich diesen Bericht - die ist ja auch von allen Kollegen unserer Fraktion zum Ausdruck gebracht worden - schon mit einer gewissen Sorge betrachte. Ich sage dies auch, weil ich ein wenig befürchte, daß die Sensibilität für das Thema Waldschäden bei der Bevölkerung erlahmt. Ich glaube, daß es daher wichtig ist, Herr Kollege Schily, dieses Thema nicht als ein Feld billiger Polemik, sondern als eine Aufgabe, bei deren Erfüllung wir nicht nachlassen dürfen, für die nächsten Jahre zu sehen.
({9})
Ich bedanke mich.
({10})
Meine Damen und Herren! Die aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Schmidt-Bott, Ebermann und der Fraktion DIE GRÜNEN
Sofortiges Moratorium für die Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt
- Drucksache 11/695 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Forschung und Technologie ({0}) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schmidt-Bott.
Bei einem so lebenswichtigen Thema wie der Gentechnologie erleben wir, daß die Abgeordneten bei der Befassung mit dem Bericht der Enquete-Kommission „ Chancen und Risiken der Gentechnologie" mehr zu Gedankenspielen verdonnert sind, als daß sie noch die Chance hätten, realitätstüchtige Lösungen zu entwickeln. Denn die politische Weichenstellung wird anderenorts gemeinsam von Regierung, Wissenschaft und Industrie schon längst vollzogen.
Mit unserem Antrag unternehmen wir den Versuch, dieser verheerenden Entwicklung wenigstens an einem Punkt noch Einhalt zu gebieten. Wir wollen die Vertreterinnen der anderen Parteien in der EnqueteKommission beim Wort und in der Folge vor allem die Bundesregierung in die Pflicht nehmen.
Alle Kommissionsmitglieder hatten sich bei der Frage der Freisetzung gentechnisch veränderter Mikroorganismen in die Umwelt auf ein zunächst fünfjähriges Moratorium geeinigt. Doch noch bevor diese Empfehlung im Bundestag überhaupt diskutiert werden konnte, fand in Bayreuth die erste Freisetzung von manipulierten Bakterien statt, die alle ernstgemeinten Moratoriumsvorschläge zunichte machte.
({0})
Im Rahmen eines von der EG mit 60 000 Dollar finanzierten Projektes haben Wissenschaftler in Großbritannien, Frankreich und der Bundesrepublik Bakterien freigesetzt, denen die Erbinformation für die Resistenz gegen verschiedene Antibiotika eingebaut wurde. In dem Bayreuther Versuch wurden rund 10 Billionen manipulierte Bodenbakterien auf einem Erbsenacker versprüht. Ein Ergebnis dieses Versuches kennen die Wissenschaftler, wie so oft, natürlich schon vorher. Sie behaupten, die Bakterien seien trotz gentechnischer Manipulation harmlos. Sie behaupten, sie würden früher oder später sowieso absterben und stellten überhaupt keine Gefahr für die Umwelt dar.
Da frage ich: Wenn wirklich keine Gefahren bestehen, warum erfuhr die Öffentlichkeit erst dann von dem Experiment, als es längst gelaufen war?
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Wir werden nicht nur nicht informiert, man will uns auch noch für dumm verkaufen.
Die Freilandversuche werden unter dem Motto gestartet: Besser jetzt Fakten setzen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind, als später womöglich nicht mehr den lieben Gott persönlich spielen zu können.
Die Zentrale Kommission für die biologische Sicherheit und die Bundesregierung haben offensichtlich darauf gesetzt, daß die Öffentlichkeit nicht so schnell etwas davon erfährt.
({2})
- Doch.
Diese Vorgänge sind erst durch die Recherchen kritischer Beobachterinnen und durch einen Artikel im „Genethischen Netzwerk" an die Öffentlichkeit gelangt. Herr Catenhusen beklagte zu Recht, aber eben zu spät, daß die Kommission davon nicht informiert worden war. Vielleicht wäre die Empfehlung der Kommission noch schärfer ausgefallen.
Seit die Katze aus dem Sack ist, wird versucht, die Bedeutung dieser ersten Freisetzung herunterzuspielen. Der Bayreuther Forscher Klingmüller behauptet immer wieder, dieses Experiment habe nichts mit Gentechnologie zu tun, obwohl die britischen Urheber dieses Versuchs offen von gentechnisch manipulierten Organismen sprechen.
Die zuständige ZKBS war auffallend schnell bereit, sich der Interpretation von Herrn Klingmüller anzuschließen. Der ZKBS-Vorsitzende Goebel sieht in dem Experiment einen „völlig natürlichen Vorgang" und tut so, als ob er die ganze Aufregung nicht verstehe. So kann die bisher einzige Kontrollinstanz für Genversuche in der Bundesrepublik ihre Hände in Unschuld waschen nach dem Motto: Der Fall ist bei uns nicht vorgesehen; wir sind nicht zuständig; macht, was ihr wollt. Und die ZKBS ist sich der Rückendeckung durch das Bundesministerium für Forschung und Technologie sicher; siehe die entsprechende Antwort auf unsere Kleine Anfrage auf Drucksache 11/761 vom 7. September 1987, auf die ich aus Zeitgründen nicht genauer eingehen kann.
Es ist zwar richtig, daß bei der Bayreuther Freisetzung keine Genübertragung in vitro, also im Reagenzglas, stattgefunden hat, sondern eben „nur" in lebenden Organismen. Aber diese sogenannte In-vivoÜbertragung mit Hilfe von Transposons als völlig natürlichen Vorgang zu bezeichnen ist nicht nur verharmlosend, das ist nicht haltbar. Experten sprechen bei dieser Methode offen von „einem neuen Werkzeug für gentechnische In-vivo-Manipulationen". Das bedeutet, dieser sogenannte „natürliche Vorgang" wird in den Händen der Genforscher als Erweiterung ihres Repertoirs zur Herstellung neuer genetischer Schöpfungen benutzt.
Ich muß unterstellen, daß ZKBS und Bundesministerium FT dieses wissen, aber eben keine Konsequenzen ziehen wollen. Denn wie immer auch jeder denkbare Streit über die Methodendefinition bei der Manipulation von Mikroorganismen ausfällt, für jedes Ergebnis haben Industrie, Wissenschaft und Regierung einen Tranquilizer bereit: „Sicherheitsforschung" heißt die neue Pille, ist groß im Kommen und mächtig in Mode.
Am 17. Juli 1987 stellte Minister Riesenhuber in einer Pressemitteilung das Konzept zur biologischen Sicherheitsforschung vor. Schon die Überschrift lautet: „Biologische Sicherheitsforschung ermöglicht gefahrlosen Umgang mit der Zukunftstechnologie Gentechnik" ; nicht: soll ermöglichen, sondern: ermöglicht. Zwei Sätze weiter: „Bei der Nutzung auftretende Risiken müssen" - das ist ja noch korrekt - „und können im Vorfeld einer breiten Anwendung eingefangen und beherrscht werden. " Herr Riesenhuber kennt auch hier schon das Ergebnis und will Sicherheit suggerieren.
Auf Seite 3 dieser Pressemitteilung kann er seinen Optimismus allerdings selbst nicht mehr durchhalten. Dort muß er zugeben, daß es bei der Sicherheitsforschung nicht nur darum geht, Risiken und Gefahren zu eliminieren, sondern, wo das nicht funktioniert, auf ein „vertretbares Maß" zu reduzieren. Da haben wir es wieder, das berühmte Restrisiko.
Wer bestimmt, was ein akzeptables Restrisiko, was das vertretbare Maß ist? Nicht etwa die Bevölkerung oder kritische Wissenschaftlerinnen und Experten, nein, der Bundesverband der Industrie und die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die schon die Empf eh-lung der Enquete-Kommission für ein fünfjähriges Moratorium als unnötig und als übertrieben ansehen. Die wollen darüber entscheiden, was vertretbar ist und was nicht.
Daß die Industrie hier freie Fahrt haben will, wundert nicht. Gefährlich ist es aber, wenn auch der ZKBS-Vorsitzende in diese Kerbe haut. Er tut die Forderung nach einem Moratorium als wissenschaftlich unsinnig ab. Dabei unterschlägt er die Beurteilung einer Abteilung des Bundesgesundheitsamts, in der es heißt, der bisherige Wissensstand reiche nicht aus, um Freilandexperimente verantworten zu können. Die geforderte Wartezeit von fünf Jahren sei eher zu kurz.
Uneingeschränkter und verantwortungsloser Konkurrenzkampf unter den Wissenschaftlern und zwischen den- Industriemultis sind Maßstab für unsere
Sicherheit. Vertretbar ist, was der Profit- und Lorbeergeilheit dient.
Selbst Herr Catenhusen fragt inzwischen, ob wirklich vorsichtig und abwägend vorgegangen wird oder ob der Galopp des Profits alle Bedenken hinter sich läßt. Die Antwort ist längst bekannt. Jüngst wurde sie wieder bei der Genehmigung Weimars für die sogenannte Insulin-Versuchsanlage bei Hoechst bestätigt.
Mit dem heutigen Antrag sind wir noch bescheiden; denn die Moratoriumsforderung bezieht sich nur auf den Zeitraum der parlamentarischen Beratung des Enquete-Berichts, zielt also erst einmal nur darauf ab, während der parlamentarischen Beratung nicht wieder so übers Ohr gehauen zu werden, wie es der Enquete-Kommission mit der Bayreuther Freisetzung ergangen ist.
Als logische Konsequenz ergeben sich daraus auch die weiteren, in den Punkten 1 bis 3 unseres Antrages erhobenen Forderungen nach unverzüglicher Offenlegung aller bisher durchgeführten Experimente, nach Transparenz und Veröffentlichung aller Anträge und Planungen sowie dem Auftrag an die Bundesregierung, sich für ein gleichlautendes Moratorium der EG-Staaten einzusetzen.
Ich will nicht verschweigen: Mit unserem Antrag nehmen wir auch eine Erweiterung des von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagenen Moratoriums vor; denn das Kommissionsmoratorium bezieht sich nur auf Mikroorganismen, also nicht auf Tiere und Pflanzen, und macht auch bei Mikroorganismen zwei wesentliche Ausnahmen, von denen wir wissen, daß sie nicht haltbar sind.
Häufig werden wir Kritikerinnen der Gentechnologie gefragt, was denn nun wirklich passieren könnte, wenn sich gentechnisch manipulierte Organismen in der Umwelt ausbreiteten. Man verlangt von uns den Entwurf eines Katastrophenszenariums. Doch bei Katastrophenphantasien verweigert sich oft das menschliche Hirn. Uns sind Hiroshima, Nagasaki, Seveso, Bhopal und Tschernobyl Warnung und Mahnung.
„Ich habe Angst vor den Angstlosen unter den Forschern", sagte eine Teilnehmerin bei der Tagung der Synode der EKD zu Gentechnik und Fortpflanzungsmedizin, zitiert nach „Frankfurter Rundschau" vom 4. November 1987. Ich möchte das ergänzen: Leute, die nach all den Katastrophen ungebremst die Gift-und Seuchenproduktion fortsetzen, sind wohl nicht nur angstlos, sie sind skrupellos.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Voigt ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie unseriös der Antrag der GRÜNEN ist, macht sich zweifelsohne schon an der Verallgemeinerung zu Beginn Ihres Vortrages, Frau Schmidt-Bott, bemerkbar, wenn Sie davon sprechen, daß die Enquete-Kommission ein Moratorium über fünf Jahre gefordert hat, und Sie nicht den Mut haben, weil es dann für Sie nämlich problematisch wird, zwischen den verschiedenen Organismenstufen zu differenzieren, die es gibt. Sie haben zum Schluß versucht, noch einen kleinen Schlenker zu machen. Es gibt aber zweifelsohne sehr unterschiedliche Betrachtungsweisen für die einzelnen Organismusformen, die wir in der Kommission zu begründen versucht haben. Ich möchte auch jetzt versuchen, sie Ihnen als den Standpunkt der Union noch einmal ans Herz zu legen, um Ihnen die Möglichkeit zu geben, das eine oder andere Verallgemeinernde zu korrigieren. Diese Verallgemeinerung aber dient ja letztlich Ihrem Szenario und macht für Sie den Wert dieser Diskussion aus, mit dem Sie einfach nur neue Angstperspektiven aufzeigen wollen.
({0})
- Ich gebe zu: Das gefällt Ihnen zwar nicht, aber es ist so.
({1})
- Ich habe Furcht. Das ist etwas anderes, das ist nämlich eine gezielte Form der Angst, weil man mit der Ratio damit umgehen kann.
({2})
- Sie haben nur Angst, irrationale Angst, die Sie befriedigt, Frau Unruh.
({3})
Da ich Furcht habe und weiß, wie man damit umgehen kann, bin ich der Meinung, daß es durchaus differenzierte Formen der Betrachtung der Gentechnik gibt. Wenn ich mir anschaue, wie Sie während der Beratungen der Enquete-Kommission versucht haben, die Gentechnik völlig zu verdammen, dann interpretiere ich diesen Antrag, wo es darum geht, ein Moratorium zu empfehlen, so, daß es für die GRÜNEN irgendwo eine Wende aus dieser völlig ablehnenden Haltung heraus in den Einstieg in die Gentechnik gibt.
Das ist Ihr Problem, das müssen Sie in Ihren eigenen Reihen austragen. Ich will mich da nicht einmischen. Ich habe den Eindruck, wenigstens aus den Beobachtungen der letzten Wochen, daß es bei Ihnen durchaus unterschiedliche Auffassungen gibt. Ich denke, daß man mit denjenigen, die mehr auf unserer Linie liegen, auch in Zukunft ins Gespräch kommen wird.
Was hat die Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie" gemacht? Sie hat versucht, in einer Grundsatzentscheidung zu Beginn der Beratungen die Frage zu klären, ob man die Gentechnik bejaht oder nicht bejaht. Wir haben gesagt: Ja, aber mit Rahmenbedingungen. Ich glaube, das ist ein Punkt, über den wir auch in Zukunft diskutieren müssen und bei dem die Kommissionsmitglieder, die sich mit dieser sehr schwierigen Materie beschäftigt haben, auch sensibel sind.
Wir haben gesagt, es gibt - in Abwägung der Chancen und Risiken - durchaus ein Überwiegen der Chancen, es gibt durchaus Möglichkeiten, sogar die Notwendigkeit, wenn Sie sich die medizinischen Anwendungen anschauen, diese Technik auch weiterhin zu bejahen. Wir haben aber auch gesagt, daß auf der anderen Seite Risiken vorhanden sind. Wir
Dr. Voigt ({4})
wollen hier eine verantwortbare Technikfolgenabschätzung machen. Wir möchten Rahmenbedingungen, die wir festlegen wollen, gern so gestalten, daß es Grenzen gibt, daß wir uns aber wesentliche Dinge nicht verbauen. Ich glaube, gerade die medizinische Diskussion in den letzten Wochen und Jahren hat deutlich gemacht, daß wir bestimmte Dinge dringend brauchen: Medikamente, Impfstoffe, die wir ohne die Gentechnik nicht herstellen können.
({5})
- Ich weiß, das gefällt Ihnen nicht. Aber hören Sie doch einmal zu.
({6})
- Ich weiß nicht, was Sie mit „biologischem Sektor" meinen.
({7})
Aber lassen Sie uns doch auf die akute, aktuelle Frage kommen. Glauben Sie denn im ernst, daß wir eine Prophylaxe bei AIDS irgendwann ohne Gentechnik zustande bringen? Oder wollen Sie die Lebensbedingungen da so verändern, wie andere das wollen?
({8})
Also, Frau Unruh, ich lade Sie gerne ein, dann schauen wir uns das einmal zusammen an. Ich kann Ihnen da schöne Bilderchen zeigen, die dann vielleicht auch Sie überzeugen.
({9})
- Soll ich mir nicht antun? Gut, Herr Kohn, wenn Sie das meinen - Sie haben da vielleicht schon Erfahrungen - , dann lassen wir das lieber. ({10})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, kommen wir zu den wichtigen Punkten zurück, die wir aus der Sicht der Union sehen. Ich glaube, niemand kann den Mitgliedern der Enquete-Kommission vorwerfen, daß sie die unterschiedlichen Fragen, die da zu bedenken sind, nicht mit Ernsthaftigkeit geprüft haben. Das geht von der Frage der ethischen Belastbarkeit bis hin zu der Frage der Gefährlichkeit. Wir sind uns durchaus darüber im klaren, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die Freisetzung von Mikroorganismen ein Problem darstellt,
({11})
das geregelt werden muß. Und ich nehme es gleich vorweg: Wir waren alle davon überzeugt, daß die Freisetzung von Mikroorganismen den bisher üblichen Kontrollverfahren und der Begrenzung durch die ZKBS zweifelsohne unterliegen muß.
Wir sind uns aber auch darüber im klaren, daß wir das erweitern müssen, daß wir in die Regelung, so wie sie im Augenblick besteht, natürlich Mikroorganismen mit einbeziehen müssen, die zusätzliche Gene eingebaut bekommen haben, daß Regulationsgene mit einem ganzen Paket von zu regulierenden Genen dahinter einbezogen werden müssen, wenn sie verändert werden, daß neu synthetisierte Gene, die eingebaut werden, dazugehören und daß das Weglassen von Genen da ebenfalls hineingehört.
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- Moment, ich komme ja gleich darauf, ich komme gleich darauf zurück. Ich spreche von den Mikroorganismen. Sie haben ja gar nicht den Versuch gemacht, hier einen zustimmungsfähigen Antrag einzubringen, weil Sie die ganze Palette der Organismen, die wir nun einmal haben, einbezogen haben: von Tieren über Pflanzen bis hin zu den Viren. Genau das macht doch deutlich, daß Sie gar keine Zustimmung haben wollen,
({13})
sondern daß Sie im Grunde genommen nur die Diskussion wollen und sie in Ihrem Sinne ausschlachten wollen. Das ist doch das Ziel, nicht die ernsthafte Diskussion über das, worum es wirklich geht.
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- Ja, natürlich, lesen Sie es sich doch einmal durch, Herr Kleinert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, gar keine Frage: Die Freisetzung von Mikroorganismen soll verhindert werden. Hier sind wir der Meinung, daß die ZKBS-Richtlinie auch auf Mikroorganismen ausgeweitet werden muß, die durch die herkömmlichen Methoden der Entwicklung von Mikroorganismen, die der Gentechnik nicht angepaßt sind, entstanden sind. Auch hier glauben wir, daß wir eine Zulassungsbeschränkung durch die ZKBS bzw. Anmeldeverpflichtungen brauchen und hierüber dann eine gewisse Kontrolle seitens der ZKBS ausüben müssen.
Schauen wir uns die Viren an: Hier sind wir der Auffassung, daß gentechnisch veränderte Viren
- ganz gleich, nach welchen Mechanismen - diesen Kontrollmechanismen ebenfalls unterstellt werden müssen, daß wir aber auch hier Ausnahmen brauchen. Es gibt überhaupt keinen Zweifel, daß es Viren mit einer so hohen, über Jahrzehnte erprobten Wirtsspezifität gibt, daß wir sie bei der Insektenbekämpfung in der Landwirtschaft durchaus nutzen können. Und hier sagen Sie, das ist ein Alibi. Aber wir sind der Meinung, daß das BMFT hierfür Forschungsprogramme auflegen muß, Forschungsprogramme, die uns dann bestätigen sollen, ob wir hier eine Ausnahme von den normalen Regeln des Verbots der Freisetzung manipulierter Viren machen können.
({15})
Wir sind aber auch hier der Auffassung - und da habe ich ja soeben schon Gelächter geerntet - , daß wir bei der Entwicklung von Impfstoffen - und die Anwendung von Impfstoffen ist, wenn Sie so wollen, ein Freilandversuch - ebenfalls Ausnahmen brauchen.
({16})
Dr. Voigt ({17})
Unter den von mir schon aufgezeigten medizinischen Indikationen wird man das zweifelsohne vertreten können.
({18})
- Sie sagen nein, ich sage ja; ein schönes Spiel. Ich jedenfalls meine, daß wir das Freilandexperiment hier brauchen
({19})
- das hat nichts mit Frankenstein zu tun - , weil wir die Weiterentwicklung vernünftiger Impfstoffe zweifelsohne nur über den Freilandversuch ermöglichen können.
Lassen Sie mich eines nachtragen. Auch bei der Freisetzung von Mikroorganismen werden wir ja zweifelsohne die Bierproduktion nicht verbieten wollen. Oder ist das Ihr Ziel?
({20})
- Aber das gehört doch hier hinein - es tut mir leid - , wenn Sie konsequent Ihren Antrag beachten. Da sehen Sie, wie unseriös Ihr Antrag ist.
({21})
- Ich bitte Sie: Was wird denn da tagtäglich gemacht? Ich will das nicht ausführen.
Lassen Sie mich noch zu der Frage kommen, wie wir die Pflanzen behandeln sollen. Wir sind der Auffassung, daß die ZKBS zweifelsohne diese Experimente wissen muß, daß wir melden müssen, daß es Zustimmungen gibt, daß hier Risikoforschung betrieben werden muß, wie es sinnvoll ist, um eine vernünftige Technikfolgenabschätzung zu machen.
Bei den Tieren sollte man bei den Regelungen bleiben, wie sie im Augenblick da sind. Je kleiner das Tier, um so stärker wird kontrolliert. Wo die Tiere nicht rückholbar sind, sind sicher ähnliche Bestimmungen anzuwenden, wie wir sie bei Mikroorganismen haben. Dagegen sind wir der Meinung, daß wir bei Tieren, die in der Gesellschaft des Menschen leben und daher eindeutig zu kontrollieren sind, andere Voraussetzungen als bei den kleineren Tieren aufzeigen sollen.
Wer die Gentechnik als eine Chance bejaht, kann hier, wenn er vernünftig nachdenkt, wenn er verantwortlich handelt, wenn er alle Möglichkeiten der Umweltverträglichkeit in seine Überlegungen einbezieht, durchaus etwas Konstruktives und Verantwortliches tun. Er kann damit seine ethischen Vorstellungen vereinbaren. Er kann zweifellos auch für die Zukunft unserer Bundesrepublik gute Dinge tun. Aber ich bin sicher, daß nur einige das wollen.
Auf der anderen Seite bin ich auch sehr überzeugt, daß die Bundesregierung in der Vergangenheit - die Aktivitäten der letzten Monate zeigen das - die Empfehlungen der Enquete-Kommission, gerade bezogen auf die Freilandexperimente sehr ernst nimmt. Ich fordere Sie noch mal nachhaltig auf, gerade unsere Forderungen möglichst schnell in die ZKBS-Richtlinien einzubauen und damit den Forderungen der Kommission gerecht zu werden.
Ich bedanke mich, daß Sie so geduldig zugehört haben.
({22})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Catenhusen.
({0})
Das von einem Vertreter der CSU zu hören, überrascht mich denn doch etwas. Retourkutsche!
({0})
- So etwas Ähnliches wie das, was er gesagt hat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich nehme einleitend zu ein paar Ausführungen von Frau Schmidt-Bott Stellung. Frau Schmidt-Bott, die Entwicklung der Gentechnologie pauschal als verheerende Entwicklung zu bezeichnen, wie Sie es getan haben, ich muß sagen, dafür habe ich überhaupt kein Verständnis. Spätestens im Bereich der medizinischen Forschung, wo es, wie Sie wissen, um zur Zeit vielleicht einzige Chancen geht, nicht nur den AIDSVirus aufzuklären, sondern neuartige Impfstoffe gegen Viruserkrankungen zu finden, von einer verheerenden Entwicklung zu sprechen: da bleibt mir die Spucke weg; das muß ich Ihnen ganz offen sagen.
({1})
Der zweite Punkt, die Frage des Experiments in Bayreuth. Auch ich habe es sehr kritisiert, daß wir, obwohl die Enquete-Kommission Gentechnologie das Bundesforschungsministerium gebeten hatte, uns den Stand der Zulassung und Genehmigung in diesem Bereich mitzuteilen, nicht über die Problematik dieses Experiments informiert worden sind. Das Problem dieses Experiments besteht in folgendem, Frau Schmidt-Bott. Da muß man, glaube ich, einmal ganz deutlich über Definitionsfragen reden. Gentechnologie ist eindeutig technisch definiert.
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- Eindeutig; ja! Es tut mir leid, Frau Schmidt-Bott; es ist leider so. Es ist eine bestimmte technische Methode zur Genmanipulation, Frau Schmidt-Bott. Natürlich gibt es auch andere Möglichkeiten. Auch Ihnen ist ja bekannt, daß zum Beispiel in Kläranlagen auf normalem Weg Antibiotikaresistenzen bei Bakterien entstehen können. Sie können doch nicht pauschal hier sagen: Jede Methode, die zur Entwicklung von Antibiotikaresistenzen bei Bakterien führt, ist deshalb - ich sage mal - verwerflich und abzulehnen. Wenn Sie diesen Standpunkt durchhalten und von der Methode der Gentechnik ablenken, wie Sie es hier getan haben, dann kommen Sie auch da, wo es um Regelungsmöglichkeiten geht, in ein absolut „schiefes" Fahrwasser.
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Die Gentechnik ist natürlich - da sind wir uns wahrscheinlich einig - eine qualitativ neue Möglich2498
keit für uns, die Natur und uns Menschen als Teil der belebten Natur zu beeinflussen und damit auch zu gefährden. Wenn Michael Meyer-Abich davon spricht, daß wir „Frieden mit der Natur" schließen sollen, so gilt hier sicherlich für die Gentechnik insbesondere, daß wir mit unseren Handeln und Tun dazu beitragen müssen, daß Ökologische Kreisläufe erhalten bleiben bzw. wiederhergestellt werden. Es ist unsere Aufgabe auch als Politiker, dafür zu sorgen, daß die Artenvielfalt in unserer Natur, der genetische Reichtum nicht weiter verarmen darf und auch nicht etwa durch eine technisch erzeugte Natur ersetzt werden darf. Das, glaube ich, sind Anliegen, die uns alle verbinden. Diese Gefahren haben wir schon heute. Sie könnten durch die Gentechnologie in einer neuen Qualität verschärft werden.
Die geplante Freisetzung gentechnisch veränderter Lebewesen in die Umwelt kann im Einzelfall natürlich durchaus einen erheblichen Eingriff in die Natur mit erheblichen ökologischen Risiken darstellen. Darüber besteht für mich überhaupt kein Zweifel. Wir dürfen nicht zulassen, daß Wissenschaftler nach dem Prinzip: Versuch's mal und lerne aus deinen Irrtümern
- try and error - vorgehen.
({4})
- Entschuldigen Sie, es gibt noch keine Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen in die Umwelt. Wenn Sie sagen: Das machen die doch alle, dann würde ich Sie wirklich einmal bitten Frau Unruh, sich über den Stand der gentechnischen Forschung in unserem Enquete-Bericht etwas genauer zu informieren.
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Vor allem bei Bakterien und Viren sind Freisetzungsexperimente nicht korrigierbar. Wenn ein solches Experiment stattgefunden hat, kann das Ergebnis nicht rückgängig gemacht werden. Gerade bei einer solchen Gruppe von Experimenten fehlt uns noch weitgehend das Wissen, das uns eine zuverlässige Abschätzung möglicher Folgen ermöglicht. Die Natur darf nach meiner Überzeugung nicht zum beliebig verfügbaren Tummelplatz der gentechnologischen Forschung werden. Zur Verharmlosung der hier zu vermerkenden Risiken besteht wirklich kein Anlaß.
Ich stimme Ihnen, Frau Schmidt-Bott, auch zu, wenn Sie sagen: Ich habe Angst vor den Angstlosen. Aber ich habe in der Politik auch gewisse Sorgen denjenigen gegenüber, die ihre Angst stolz vor sich hertragen und nicht bereit sind, rational zu überprüfen, was die Gründe für ihre Angst sind und diese rationalen Ursachen für ihre Sorgen im Dialog mit der Wissenschaft zu überprüfen und hinterfragen zu lassen.
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Die Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie" war gerade der Versuch, daß die Sorgen und Ängste und die Kritik an der Gentechnologie in der Bevölkerung in einem kritischen Dialog mit der sachverständigen Wissenschaft erprobt werden sollten und daß auch die Antworten aus der Wissenschaft bei unseren politischen Regelungen bedacht werden sollten. Ich meine, Frau Schmidt-Bott, daß Ihr Antrag das eigentlich nicht geleistet hat.
Ich muß ganz deutlich sagen: Ich bin in die Gentechnikdebatte mit der Vorstellung gegangen, daß wir ein allgemeines Moratorium im Bereich der Freisetzung gentechnologischer Organismen in die Natur brauchen. Ich habe diesen Standpunkt korrigiert. Wenn Sie so wollen: Ich habe dazugelernt. Ich will das an zwei Beispielen verdeutlichen.
Nicht jede Form der Freisetzung von gentechnisch veränderten Lebewesen ist ein nicht korrigierbarer Eingriff in die Natur, vor allem wenn es um Pflanzen und Tiere geht. Ich will Ihnen ein einfaches Beispiel sagen. Wir verfügen heute über nicht vermehrungsfähiges Saatgut. Wenn Sie eine gentechnisch manipulierte Pflanze mit Hilfe eines nicht vermehrungsfähigen Saatgutes in die Umwelt bringen und wenn Sie wissen, daß von dieser Nutzpflanze - etwa bei Mais - bei uns keine Wildform existiert, dann können Sie absolut sicher sein, daß es hier keine unkontrollierbare Vermehrung dieser Pflanze geben kann und daß es auch nicht zu einem unkontrollierbaren Gentransfer, d. h. zu einer Übertragung solcher Gene in andere Organismen, kommen kann. Das muß man einfach feststellen.
({7})
- Ja, Frau Schmidt-Bott, dann würde ich Ihnen doch wirklich einmal raten, die Diskussion nicht nur mit solchen Wissenschaftlern zu führen, die sowieso Ihrer Überzeugung sind, sondern sich dem kritischen Dialog mit vielerlei Arten von Wissenschaft und Wissenschaftlern zu stellen.
Punkt 2. Auch der Grad unseres Nichtwissens ist deshalb sehr unterschiedlich. Ökologische Risiken, die durch Aussaat einer gentechnisch manipulierten Getreidesorte entstehen können, sind sehr wohl abschätzbar. Sie liegen nicht in der unkontrollierbaren Verbreitung der Pflanze oder ihrer neuen Erbinformation, sondern hier geht es um ökologische Störungen, die wir schon heute infolge von Fehlentwicklungen der industrialisierten Landwirtschaft haben. Natürlich können auch gentechnisch erzeugte Pflanzen, wenn sie in Monokulturen angebaut werden, zu einer weiteren genetischen Verarmung beitragen.
({8})
Auch gentechnisch gewonnene neue Weizensorten können heimische Nutzpflanzen in der Dritten Welt verdrängen. Das sind aber keine neuen, spezifisch durch die Gentechnologie entstandenen Probleme. Sie sind auch nicht durch ein Verbot der Gentechnologie im Kern anzugehen. Da brauchen Sie eine neue Agrarpolitik. Darüber sind wir uns doch wieder einig.
Es gibt also gute Gründe, hier differenziert vorzugehen.
Für uns gilt: Wo es wirklich um nicht umkehrbare Eingriffe in die Natur geht, wo Risiken benennbar sind
oder wo uns unser Nichtwissen keine vernünftige Abschätzung ökologischer Risiken erlaubt, wo die Gentechnologie mehr kann als bisherige Züchtungsmethoden, da wollen wir für die nächsten fünf Jahre ein Verbot jeglicher Freisetzungsexperimente. In dieser Zeit sollen die Wissenschaftler doch feststellen, ob sie uns auf Grund verstärkter Risikoforschung dann eine sichere Abschätzung der Risiken ermöglichen können.
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Das befristete Freisetzungsverbot soll also für Viren, Kleinstlebewesen und Bakterien gelten, denen artfremde neue Gene eingefügt werden.
Über diese Probleme werden ohnehin die Ausschüsse des Deutschen Bundestages wegen des Berichts der Enquete-Kommission zur Gentechnologie beraten. Ihr Antrag, Frau Schmidt-Bott, ist dafür wirklich nicht notwendig.
Ich möchte aber an dieser Stelle an die Frau Ministerin Süssmuth, die seit einigen Monaten für die Regelungsfragen in der Gentechnologie zuständig ist, einen Appell richten: Das Parlament kann erwarten, daß bis zum Abschluß seiner Beratungen zum Bericht der Enquete-Kommission, die bis zur Mitte nächsten Jahres erfolgen sollen, die bestehenden Regelungen, die grundsätzlich die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen ausschließen, nicht durch eine Revision der Richtlinien oder durch Einzelfallgenehmigungen außer Kraft gesetzt werden. Ich meine, meine Damen und Herren, wenn sich das Parlament vorgenommen hat, diese Dinge gründlich und sorgfältig zu beraten, sollte eine Veränderung der Praxis in diesem Bereich, soweit sie mit Zustimmung des Parlaments sinnvoll ist, erst nach Ende der Parlamentsberatungen erfolgen.
Lassen Sie mich zum Schluß aber noch einige grundsätzliche Bemerkungen zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN machen: Die vorgeschlagene, nahezu uferlose Ausweitung des Moratoriumsgedankens halte ich für sachlich nicht tragbar. Wir müssen uns natürlich über die Frage unterhalten, ob es nicht neben der Gentechnik auch andere Methoden gibt, die die gezielte Einschleusung artfremder Gene ermöglichen. Aber die schrankenlose Erweiterung auf alle Formen der Lebewesen und durch das „etc. " auf beliebige andere Methoden halte ich nicht für sachgerecht. Sie haben sich auch noch nicht einmal die Mühe gemacht, diese Veränderung in Ihrem Antrag zu begründen.
Zum anderen dürfen Sie, Frau Schmidt-Bott, als erklärte Anhängerin eines totalen Verbots der gentechnischen Forschung selbst Ihre Schwierigkeiten mit diesem Antrag haben. Ich weise darauf hin, daß der grüne Europaabgeordnete Härlin mit Datum vom 30. Juni 1987 einen Antrag im Europäischen Parlament eingebracht hat. Darin hat er wieder eine eigene Version dessen, was dieses Moratorium sein soll. Er spricht in seinem Antrag von einem Moratorium für die Freisetzung gentechnisch manipulierter Organismen für fünf Jahre. Das heißt, die Erweiterung auf andere Methoden hält er offensichtlich nicht für notwendig.
Ich denke, meine Damen und Herren, das ist ein Zeichen dafür, daß in Ihrer Fraktion das Nachdenken noch fortgesetzt werden muß, ob das fundamentalistische Nein zur Gentechnik wirklich zu verantworten ist. Moratorien können im Einzelfall sinnvoll sein. Wir im Bundestag müssen uns aber beeilen, Antworten auf die Frage zu geben, wo wir konkreten Anwendungen der Gentechnologie Grenzen setzen müssen.
({10})
Dieser Antrag, den Sie vorgelegt haben, ist meiner Ansicht nach in dieser Diskussion keine große Hilfe, wie auch die Mitarbeit der Vertreterin der GRÜNEN in der Enquete-Kommission in diesem Punkt keine große Hilfe war.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Kohn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren hier über einen Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN für ein sofortiges Moratorium für die Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt. Damit soll sichergestellt werden, daß Viren, Mikroorganismen, Pflanzen und Tiere, die mittels gentechnischer Verfahren verändert wurden, nicht in die Umwelt freigesetzt werden. Dann heißt es dort weiter - ich zitiere - :
Ebenso gilt das Moratorium für die Freisetzung von Organismen, die gezielt mit nichtgentechnischen Verfahren ... verändert wurden.
Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, zeigt eindeutig, worum es der Fraktion DIE GRÜNEN geht: nicht um eine sachgemäße und anspruchsvolle Diskussion dieser schwierigen Thematik, sondern einfach darum, ein großes Horrorszenario aufzutun und die ganze Gentechnologie in Mißkredit zu bringen.
Meine Damen und Herren, ich muß dazu sagen: Ich finde es, zum ersten, nicht akzeptabel, daß man den Versuch unternimmt, sich der Mühe des Begriffs zu entziehen.
Ich muß außerdem sagen: Ich halte es für eine Mißachtung des Parlaments und der Arbeit der EnqueteKommission, wenn man Vorschläge unterbreitet, die in keiner Weise mit dem, was wir über 2 3/4 Jahre in dieser Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages beraten haben, in Einklang zu bringen sind.
({0})
Außerdem ist es auch, wie ich denke, eine Täuschung der Öffentlichkeit; denn es wird hier so getan, als gäbe es zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt keinen wirklichen Regelungsmechanismus.
Ich darf aus den jetzt gültigen Richtlinien zum Schutz vor Gefahren durch in vitro neu kombinierte Nukleinsäuren zitieren:
Folgende gentechnologische Experimente dürfen nicht durchgeführt werden .. .
Dann kommt Verschiedenes, und unter c) heißt es dort:
die Freisetzung gentechnologisch veränderter Organismen.
Dies ist der Rechtszustand, der dann mit bestimmten Ausnahmetatbeständen versehen wird.
({1})
Sie haben sich nicht der Mühe unterzogen, auch auf diese Dinge einzugehen.
Im übrigen muß ich Ihnen sagen: Wenn gestern der Abgeordnete Wetzel von den GRÜNEN in einem anderen Zusammenhang erklärt hat, all das, was die Enquete-Kommission in 2 3/4 Jahren erarbeitet habe, sei ja schon längst überholt, sei ja im Grunde schon Makulatur, sollten Sie einmal anfangen, darüber nachzudenken, welche Sprachregelung Sie in Ihrer Fraktion eigentlich treffen wollen. Entweder berufen Sie sich auf dieses Ding, oder Sie sagen, es sei überholt und wir könnten es in den Papierkorb werfen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun zum Stand der Dinge einige Bemerkungen machen. Der erste Punkt: Seit September 1986 finden in Großbritannien Versuche unter dem Stichwort „Sicherheitsforschung" statt. Dabei geht es um die Freisetzung von Baculo-Viren, bei denen eine neue Gensequenz eingebaut wurde, allerdings nur zur Markierung. Das bedeutet: Diese Gensequenz ist nicht genetisch aktiv. Das ist der Sachverhalt.
Zweitens. Seit April 1987 finden in Kalifornien Versuche mit sogenannten Eis-Minus-Bakterien statt. Dabei geht es darum, die Frostschadensgrenze bei Pflanzen abzusenken.
Im Juni 1987 wurden in Montana, ebenfalls in den Vereinigten Staaten, gentechnisch veränderte Bakterien auf Ulmen freigesetzt, und zwar um eine weitverbreitete Ulmenkrankheit zu bekämpfen. Dies erfolgte ohne Genehmigung durch die amerikanischen Behörden. Aus diesem Grunde wurden diese Ulmen gefällt und anschließend verbrannt.
Meine Damen und Herren, seit Mai 1987 findet im Rahmen eines EG-Forschungsprogramms bei uns in der Bundesrepublik unter dem Stichwort „Sicherheit in der Biotechnologie" in Bayreuth ein Versuch mit Knöllchenbakterien statt. Es wurde eine Parzelle auf einem Versuchsfeld entsprechend beimpft. Ziel dieses Versuches ist - neben dem Stichwort „Sicherheitsforschung" - die Stickstoff-Fixierung. Dabei allerdings wurde - das ist hier ja schon Gegenstand der Auseinandersetzung gewesen - nicht Gentechnologie im strengen Sinne des Wortes angewandt, sondern es kam zu einer Konjugation verschiedener Bakterien, wenn man so will, zu einer Paarung, aber nicht mit Hilfe der Gentechnologie.
({2})
- Wenn Sie hier Zwischenrufe machen, empfehle ich Ihnen, einmal das Buch von Herrn Professor Winnakker zu lesen und die dort vorhandenen Definitionen der Begrifflichkeit in der Gentechnologie sehr sorgfältig aufzunehmen.
({3})
Allerdings habe ich bei den GRÜNEN manchmal den Eindruck, daß Sie nach der Methode handeln: Unkenntnis erhöht die Sicherheit des Urteils deutlich.
({4})
Meine Damen und Herren, schließlich findet - das ist ganz aktuell - in South-Carolina ein Versuch der Freisetzung von genetisch veränderten Mikroorganismen auf einem Feld mit Winterweizen statt. Da geht es um Schädlingsbekämpfung. Dieser Versuch ist von der amerikanischen Umweltschutzbehörde genehmigt worden.
Außerdem müssen wir davon ausgehen - auch dies gehört zu einem vollständigen Bild des Sachverhalts - , daß es im nächsten Jahr erste Anträge auf Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen bei uns in der Bundesrepublik Deutschland geben wird.
Vor diesem Hintergrund hat die Enquete-Kommission Gentechnologie ein differenziertes Bild der Probleme gezeichnet und in ihren zahlreichen Empfehlungen folgendes festgelegt:
Wir haben erstens gesagt: Wir wollen, daß die Freisetzung von Viren grundsätzlich nicht akzeptiert wird - mit eng begrenzten Ausnahmen, die ich jetzt hier im Detail nicht vortragen will.
Wir haben zweitens zum Thema der Mikroorganismen folgendes gesagt - das möchte ich zitieren - :
Die gezielte Freisetzung von Mikroorganismen, in die gentechnisch fremde Gene eingefügt worden sind, ist in den Sicherheitsrichtlinien weiterhin zu untersagen. Nach einem Zeitraum von fünf Jahren muß unter Beteiligung des Bundestages entschieden werden, ob neue Erkenntnisse eine angemessene Abschätzung möglicher Folgen solcher Experimente ermöglichen und die Aufhebung dieses Verbots rechtfertigen.
Meine Damen und Herren, ich sage ganz offen: Dies ist ein Punkt gewesen, über den wir sehr lange und sehr intensiv diskutiert haben. Auch mir ist die Zustimmung nicht leichtgefallen, aber ich habe auch in diesem Punkt die Auffassung vertreten, daß wir uns, wenn auch nur ein theoretisches Restrisiko besteht, bei der Formulierung unserer Empfehlungen auf die Seite der Sicherheit zu stellen haben.
({5})
Was den Bereich der Pflanzen angeht, so haben wir Genehmigungsvorbehalte der Zentralen Kommission für biologische Sicherheit und eine Risikobewertung hinsichtlich der Umweltverträglichkeit und der Toxizität eingefordert.
Schließlich zur Frage der durch Gentechnik veränderten Tiere. Hier haben wir gefordert, daß sichergestellt werden muß, daß die Ausbreitung der Tiere kontrollierbar bleibt. Das heißt auf gut deutsch: Die Rückholbarkeit muß sichergestellt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese differenzierte Position ist in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit auf sehr viel Kritik gestoßen. Wir haben eine ganze Menge Prügel eingesteckt. Trotzdem glauben wir, daß es sinnvoll war, diese Entscheidungen so zu treffen, weil wir als Politiker dann, wenn
auch nur ein Risiko besteht, das man nicht abschließend beurteilen kann, die Verpflichtung haben, den Menschen und die Umwelt zu schützen und sicherzustellen, daß, soweit menschliches Vermögen überhaupt reicht, hier keine Schädigungen auftreten können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus diesem Grund sind wir der Überzeugung, daß diese Vorschläge, die die Enquete-Kommission dem Deutschen Bundestag vorgelegt hat, den richtigen Rahmen für die weitere Behandlung dieser Thematik abgeben. Wir werden uns ja im Laufe der nächsten Monate und Jahre weiter intensiv mit diesen Fragen beschäftigen. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Ich finde, es ist für die Behandlung dieser Thematik von außerordentlicher Wichtigkeit, daß zumindest die klassischen Fraktionen dieses Hauses hier in den Grundlinien an einem Strick ziehen; denn wenn wir sicherstellen wollen, daß es in der Öffentlichkeit Verständnis für die Arbeiten der Gentechnologie gibt, dann müssen wir sicherstellen, daß optimale Information vorhanden ist und daß in der Öffentlichkeit ein Konsens über den verantwortungsbewußten Umgang mit dieser Technologie entstehen kann. Die Enquete-Kommission hat den Weg dazu gewiesen.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat die Frau Bundesministerin Dr. Süssmuth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über den Antrag auf ein sofortiges Moratorium für die Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt sind hier die wesentlichen Positionen heute morgen ausgetragen worden. Ich denke, daß uns dieser Antrag in der gestellten Form bei der Lösung der Probleme nicht weiterhilft.
Es ist gewiß zutreffend - das teilen alle Fraktionen dieses Bundestages - , daß bei Genforschung und um so mehr bei der Gentechnologie äußerste Vorsichts- und Regulierungsmaßnahmen angezeigt sind. Das hat sich auch sehr deutlich in den Arbeiten der EnqueteKommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie " niedergeschlagen.
Zum Bayreuther Versuch ist zunächst zu sagen, daß dieses Experiment keiner Genehmigung nach den von der Bundesregierung zur Gentechnik erlassenen Sicherheitsrichtlinien bedurfte, weil die Veränderung der Bakterien nicht mit gentechnischen Methoden im Sinne der Genrichtlinien bewirkt war. Die Bayreuther Wissenschaftler hatten dennoch vor der Freisetzung das Bundesgesundheitsamt über ihr Vorhaben informiert. Das Bundesgesundheitsamt kam - wie übrigens auch die zuständige englische Behörde in einem parallelen Fall - zu dem Ergebnis, daß von dem Experiment keine Gefahren für den Menschen oder die Umwelt ausgehen.
Bei Freisetzungsversuchen sind zunächst - das wissen wir - Risiken für die Umwelt und, wo immer dies möglich erscheint, für den Menchen sorgfältigst zu prüfen. Die Genrichtlinien - auch das ist soeben gesagt worden - verbieten in Nr. 19 Abs. c diese Freisetzung grundsätzlich, aber - und jetzt kommt das Problem, das wir in den nächsten Monaten zu bearbeiten haben - sie sagen bislang nichts über die Kriterien aus, nach denen das Bundesgesundheitsamt über Ausnahmegenehmigungen entscheiden soll. Das ist für die Forschung und die Labortätigkeit anders als für die Freisetzung. Sie beschreiben den Stand von Wissenschaft und Technik und sind damit allgemeinverbindlich, aber eine präventive Kontrolle ist nur für die vom Bund geförderte Forschung garantiert.
Die Empfehlungen der Enquete-Kommission aufnehmend scheint es mir wichtig, daß die Beschränkung des Regelungsbereichs auf die Gentechnik daraufhin geprüft werden muß, ob sie auf die Dauer sachgerecht ist. Bisher haben sich die sachliche Autorität der Richtlinien und das Verantwortungsbewußtsein der Wissenschaftler gerade auch im Bayreuther Fall bewährt, aber auf Dauer muß die bestehende Richtlinie allgemein gültig und für alle verbindlich gemacht werden.
Deswegen prüft die Bundesregierung zur Zeit sowohl Änderungen der Genrichtlinien als auch die Notwendigkeit gesetzlicher Regelungen zur Gentechnik.
Sie haben eben gesagt, dieses solle nicht eher in Maßnahmen, also in Veränderungen der Richtlinien, überführt werden, als die Ausschußberatungen abgeschlossen sind. Ich muß Ihnen zum gegenwärtigen Zeitpunkt sagen: Ich hoffe und gehe davon aus, daß dieses zeitgleich erreicht werden kann. Denn wie eben zu Recht gesagt worden ist, hat es zwar bisher keine Anträge zur Freisetzung gegeben und damit auch keine Genehmigung - das möchte ich noch einmal ausdrücklich unterstreichen - , aber wir rechnen damit, daß im nächsten Jahr Anträge auf Genehmigungen erfolgen. Dafür brauchen wir die entsprechenden Richtlinien.
({0})
- Das ist in diesem Fall dringend geboten. - Von der Bundesregierung jedenfalls kann Ihnen der Versuch zugesagt werden, daß in den Ausschußberatungen zugleich auch mitberaten wird, was wir in diesem Bereich zu regeln haben.
Ich möchte hinzufügen, daß bei der Zentralen Kommission für Biologiche Sicherheit, der ZKBS, und bei den Bundesoberbehörden Arbeitsgruppen eingerichtet worden sind mit der Aufgabe, sachgerechte Kriterien für die Genehmigungsentscheidungen zu entwickeln. Diese ZKBS hat bisher auch die Aufgabe, zu beraten, zu begutachten und Vorschläge für die Anpassung von Richtlinien zu erarbeiten.
Ich möchte noch einmal unterstreichen, daß uns dabei die Aussagen der Enquete-Kommission wertvolle Orientierungshilfe sind. Sie zeigen, daß bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen große Vorsicht geboten ist. Sie zeigen aber auch, daß sich ein totales Freisetzungsverbot ohne Ausnahmemöglichkeit, wie es die GRÜNEN in ihrem Antrag for-dem, nicht begründen läßt. Generelle Aussagen über die Risiken, die sich aus der Freisetzung gentechnisch
veränderter Organismen für den Menschen und die Umwelt ergeben, sind zur Zeit nicht möglich. Das theoretische Wissen ist noch lückenhaft, die praktischen Erfahrungen sind international noch spärlich. Deshalb ist bei Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen größte Vorsicht geboten. In der Bundesrepublik Deutschland - ich wiederhole es - ist bisher noch keine solche Freisetzung genehmigt worden oder uns bekannt.
Daß generelle Aussagen über Freisetzungsrisiken nicht möglich sind, schließt aber gesicherte Aussagen über Risiken im Einzelfall nicht aus. Das zeigen die im Ausland schon geprüften, genehmigten und durchgeführten Freisetzungsexperimente, von denen hier eben die Rede war, das zeigt auch das Bayreuther Beispiel. Es gibt also Fälle, in denen das Risiko einer Freisetzung sicher beurteilt und verantwortet werden kann. Nur in diesen Fällen darf eine Freisetzung vorgenommen werden. Ich denke, das ist der Rahmen, der für die Sicherheitsgewährleistung unbedingt gesteckt werden muß.
Wir können nicht einfach sagen, daß wir auf Genforschung und Gentechnik verzichten könnten. Gerade auf dem Sektor der AIDS-Forschung - ich unterstreiche das noch einmal - wären wir ohne Forschung in diesem Bereich heute überhaupt nicht in der Lage, das zu tun, was wir bereits tun können. Deswegen hilft uns ein generelles Verbot nicht. Auch kann die Sicherheit nicht vergrößert werden, wenn in diesem Bereich nicht Sicherheit erforscht wird. Dann geben wir nur den Entwicklungen freie Hand, die dahin gehen, zu sagen: Dann wird es eben im Ausland gemacht, bei uns aber nicht. Deswegen möchte ich noch einmal unterstreichen, daß in der Bundesrepublik mit diesem Sachbereich sehr verantwortungsvoll umgegangen wird.
({1})
- Weil ich sagen kann, daß nach unseren bisherigen Bestimmungen und der bis jetzt für uns geltenden Praxis diese Aussage zu gewährleisten ist.
Deswegen sage ich noch einmal: Ein totales Moratorium hilft uns hier in der Sache nicht weiter. Was notwendig ist, sind Entscheidungen, Differenzierungen, Abgrenzungen, die ein hohes Maß nicht nur an intellektueller Anstrengung, sondern an moralischer Verantwortung verlangen. Wir können uns aber dieser Arbeit nicht durch Flucht in Positionen enthalten, indem wir sagen: Da ist zunächst ein Moratorium mit totalem Verbot einzusetzen, und dann irgendwann, sondern diese Anstrengung gilt für jeden Tag, und für jeden Tag gilt es, Risiken abzuwehren. Deswegen möchte ich Sie auffordern, an den Ausschußberatungen zum Bericht der Enquete-Kommission intensiv mitzuarbeiten, damit wir dort das eben Genannte überprüfen, den Regelungsbedarf gemeinsam festlegen und damit den Risiken der Gentechnik mit den uns allen gebotenen Mitteln begegnen, ohne ihre Chancen zu verschütten.
Ich danke Ihnen.
({2})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage wie folgt zu überweisen: zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Forschung und Technologie und zur Mitberatung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit und den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. - Weitere Vorschläge macht das Haus nicht. Dann darf ich das wohl als beschlossen betrachten.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Geschlechtsneutrale Bezeichnungen
- Drucksache 11/118 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß ({0})
Innenausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Geschlechtsneutrale Bezeichnungen
- Drucksache 11/860 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß ({1})
Innenausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Männle, Frau Verhülsdonk, Frau Dempwolf, Frau Fischer, Frau Geiger, Frau Hasselfeldt, Frau Dr. Hellwig, Frau Hoffmann ({2}), Frau Limbach, Frau Pack, Frau Rönsch ({3}), Frau Will-Feld, Frau Dr. Wisniewski, Börnsen ({4}), Dr. Friedrich, Fuchtel, Dr. Hof facker, Maaß, Müller ({5}), von Schmude, Weiß ({6}), Wilz und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Fraktion der FDP
Geschlechtsbezogene Formulierungen in Gesetzen, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften
- Drucksache 11/1043 Überweisungsvorschlag
Rechtsausschuß ({7})
Innenausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Der Ältestenrat hat vereinbart, daß hierzu je Fraktion bis zu zehn Minuten gesprochen werden soll. - Widerspruch erhebt sich auch hier nicht. Dann können wir mit der Aussprache beginnen. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dobberthien.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Kann ein Herr auch weiblich sein? Biologisch ist die Antwort klar, aber juristisch sieht das ganz anders aus. Bisher hat sich kein Gesetzgeber daran gestört, im Brustton der Überzeugung zu erklären, daß der „Bauherr" im juristischen Sinn auch eine Frau ist. Unsere gebräuchliche Gesetzessprache ist ein Relikt aus einer Zeit, die Schiller in der „Glocke" so trefflich beschrieb: Die traditionelle Rollenverteilung schickte Männer hinaus ins feindliche Leben, wo sie in der Wirtschaft, im Staat und in BehörFrau Dr. Dobberthien
den wichtige Positionen einnahmen, während drinnen die züchtige Hausfrau walten mußte und öffentlich nicht vorkam.
({0})
- Die wünschen Sie zurück, nicht wahr? Aber wir nicht.
Doch inzwischen hat sich die Wirklichkeit geändert, und unser aller Bewußtsein dazu. Zumindest bemühen sich immer mehr Menschen männlichen und weiblichen Geschlechts, Frauen nicht länger draußen vor zu lassen. „Bürgerinnen und Bürger" , „sehr geehrte Damen und Herren" heißt es in der Brief anrede. Die Zeit scheint vorbei zu sein, in der man hinter der Generalsekretärin die tüchtige Mitarbeiterin des Generals vermutete. Kein Mensch kommt heute auf die Idee, im Zimmermädchen das Pendant zum Zimmermann zu erblicken.
({1})
Der Antrag der SPD-Fraktion zu „geschlechtsneutralen Bezeichnungen" will eigentlich Selbstverständliches: die Umsetzung des Art. 3 des Grundgesetzes in die Gesetzessprache. Wir fordern die Bundesregierung auf, alle Gesetze auf ihre geschlechtsspezifischen Formulierungen hin zu überprüfen und innerhalb von fünf Monaten einen Bericht vorzulegen, welche Gesetze geändert werden müssen und in welcher zeitlichen Reihenfolge dies zu geschehen hat. Da unser Antrag seit März vorliegt, nehme ich an, daß Sie zumindest schon Vorüberlegungen angestellt haben.
({2})
- Da habe ich Zweifel, aber ich hoffe, daß das Denken schon vorher beginnt.
Auch die Koalitionsfraktionen sehen offensichtlich einen Handlungsbedarf. Doch wie meistens machen sie bei einem Schrittversuch vorwärts gleich zwei Schritte zurück. Die von Ihnen geforderte Verständlichkeit von Gesetzen wird mit Sicherheit leiden, wenn Sie, meine Damen und Herren von der Koalitionsfraktion, lediglich künftige Gesetze und Rechtsvorschriften bei grundsätzlichen Änderungen einbeziehen wollen und bestehendes Gesetzeswerk ausschließen. Diesen halbherzigen Lösungsversuch hätten Sie sich sparen können. Wäre es dann nicht besser, unseren Antrag zu unterstützen? Denn auch altes Recht ist aus Sicht der Frauen reformbedürftig. Oder sind Sie damit zufrieden, daß es dabei bleibt, daß ein Abgeordneter im Sinne des Rechts auch eine Abgeordnete sein kann?
({3})
- Danke für die Unterstützung von den GRÜNEN.
Auch alle Bundestagsdrucksachen weisen völlig unnötige geschlechtsspezifische Formulierungen auf, wo Männer die Regel, die Norm sind, die Frauen aber nur das Besondere, auf das man eigens hinweisen muß. Zum Beispiel in Verzeichnissen: Warum setzen wir nicht auch ein „Herr" vor die Abgeordneten bei Auflistungen? Haben unsere Männer nicht ein bißchen mehr Höflichkeit verdient?
({4})
Fühlen Sie sich nicht, meine Herren, dadurch diskriminiert, daß auf Ihr Geschlecht explizit nicht hingewiesen wird? Oder sind Männer keine natürlichen Personen?
Daß der Gesetzgeber, mehrheitlich repräsentiert durch Männer, sehr viel empfindsamer mit dem eigenen Geschlecht umgeht, zeigt sich, wenn Männer in traditionelle Frauenbereiche eindringen. Die Berufsbezeichnungen ändern sich dann sehr schnell. Da gibt es den Krankenpfleger, den Geburtshelfer - und nicht etwa den Hebammer - oder den Erzieher statt der Kindergärtnerin. Kein Mann möchte unter den weiblichen Oberbegriff fallen. Aber kann ein Mann als darüber liegender Begriff eine Frau ganz abdekken?
({5})
Als die weibliche Bezeichnung „Der Beamtin kann Sonderurlaub auf Antrag gewährt werden" im bayerischen Beamtengesetz stand, wurde sehr schnell eine Verletzung des Art. 3 des Grundgesetzes wegen Benachteiligung des Mannes festgestellt. Nun heißt es: „Dem Beamten kann auf Antrag Sonderurlaub gewährt werden." Von der Beamtin war fortan nicht mehr die Rede.
Eine sorgfältige Überprüfung der Gesetzestexte könnte schließlich auch mit der irreführenden Homophilie in Gesetzestexten aufräumen, z. B. beim Zeugnisverweigerungsrecht. Mir ist jedenfalls noch kein Richter begegnet, der mit dem Täter verlobt oder verheiratet war.
Gewiß, wir können wie die GRÜNEN auch sofort ein abänderndes Gesetz verlangen. Aber ich halte Nachdenklichkeit für besser als Eile. Was machen wir z. B. mit dem „Hammelsprung"? Weiblich gesehen kann aus dem Hammel nur das Schaf herauskommen. Das ist wohl kaum ein weiblicher Fortschritt.
({6})
Die SPD-Fraktion will Schritt für Schritt unter Hinzuziehung kluger Fachfrauen und Linguistinnen die Gesetzeswerke von der männlichen Sicht der Welt entrümpelt haben, und zwar, meine Damen und Herren von der Mehrheitskoalition, geltende Gesetze ebenso wie zukünftige.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({7})
Frau Abgeordnete Dobberthien, da es sich um Ihre erste Rede handelt, hat das Präsidium natürlich darauf verzichtet, Ihnen das Wort zu entziehen, als Sie Ihre Redezeit so weit überschritten hatten. Aber ich nehme an, daß es Ihnen ein besonderes Vergnügen bereitet hat, Ihre erste Rede zu diesem Thema zu halten.
({0})
Als nächste hat das Wort die Frau Abgeordnete Professor Männle.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Jeder normal gebildete Sprachverwender vermag zu unterscheiden zwischen der Funktions- und Organbezeichnung und
der Person, die eine solche Funktion ausübt oder ein Amt innehat. " So äußerte sich der ehemalige hessische Staatssekretär der Justiz Suchan in einer ähnlichen Debatte.
Grundsätzlich ist diesem Satz eigentlich zuzustimmen. Dennoch sollten wir im Sinne unseres heute eingebrachten Antrages kurz einige Überlegungen anstellen. Was bewirkt eigentlich Sprache? Manifestiert sich in Sprache unser Denken? Ist nicht Sprache Ausdruck unserer Einstellung, und beeinflußt nicht umgekehrt Sprache unser Handeln? Immer wieder wird besonders in der letzten Zeit davon gesprochen, wie wichtig es sei, Begriffe zu prägen und zu besetzen, Worte bewußt zu verwenden. Unpräzise, verwaschene Formulierungen können häufig Tatbestände verschleiern. Wenn Sprache so wichtig ist, wieso beschleicht uns eigentlich Unbehagen bei der Forderung nach korrektem Einsatz der Sprache, wenn es um Frauen geht? Warum wird dieses Problem als nebensächlich vom Tisch gewischt?
Solange Ämter und Positionen in unserer Gesellschaft von Männern besetzt waren, war es nur folgerichtig, daß sich die Bezeichnungen maskulin bildeten. Sprache war Abbild der Realität, die männlich geprägt war. Frauen kamen im gesellschaftlichen und politischen Leben nicht vor. Deshalb war ihre Erwähnung natürlich auch überflüssig. Unsere gesellschaftliche Realität hat sich entscheidend verändert. Inzwischen haben Frauen Zugang zu Positionen, kommen aber sprachlich leider noch nicht vor. Die Bezeichnung „Wahlmännergremium" war so lange richtig, solange Frauen keine Delegierten waren. Jedoch: Müssen wir den Begriff eigentlich noch mitschleppen? Bei vielen anderen Amtsbezeichnungen wird argumentiert, die maskuline Bezeichnung sei sowohl für Frauen wie auch Männer zutreffend, also neutral. Ein Minister kann durchaus eine Frau sein. Das kennen wir ja, und sie sind sogar sehr gute Minister. Sprachlich stimmt dies natürlich, bei vielen Berufsbezeichnungen trifft dies ebenfalls zu. Aber häufig ist die männliche Bewertung dieser Titel so dominant, daß es nicht alltäglich ist, eine Einladung zu erhalten, die an „Frau Professor ... mit Gattin" gerichtet ist.
Ich denke, die Öffentlichkeit ist heute sensibler für diese Probleme geworden. Der Sprachgebrauch hat sich langsam verändert. Nur die juristische Sprache hinkt etwas hinterher, ja manchmal ist sie so absurd, daß, wie Frau Ministerin Süssmuth dies sicherlich ausdrücken wird, im Gesetz der Arzt auftauchte der schwanger ist.
Was soll nun geändert werden, was darf nicht geschehen? Wir sind eindeutig gegen die Entwürfe von SPD und GRÜNEN, weil sie uns die ganzen nächsten Monate und Jahre nur damit beschäftigen würden, die bisherigen Gesetze zu ändern. Dies wollen wir nicht. Wir sind jedoch dafür, daß in zukünftigen Gesetzen sprachlich zu kontrollieren ist, ob nicht geschlechtsneutrale Formulierungen oder solche Formulierungen, die sich auf beide Geschlechter beziehen, verwandt werden können.
Wir sind nicht dafür, daß bei der männlichen Form immer auch die weibliche Form erscheint. Ich meine, daß die deutsche Sprache wegen ihres Pronominalsystems so kompliziert ist, daß hieraus häufig nur Satzungetüme entstehen würden. Ich bin sicher, daß mein Herr Kollege Helmrich darauf noch eingehen wird. Eine Schrägstrichstilistik ist verheerend und wird von uns abgelehnt.
Wir sollten jedoch überlegen, welche Umschreibungen wir wählen können und ob vielleicht Pluralbildungen Diskriminierungen vermeiden können. Überlegen wir neu, ohne die Sprache zu vergewaltigen! Ich darf ein Beispiel aus dem Bayerischen bringen. Bei uns ist die Amtsbezeichnung selbstverständlich "Das Bayerische Staatsministerium für ...", im Bund heißt es „Der Bundesminister für ... ".
Interessant ist auch, wie Frau Kollegin Dobberthien schon gesagt hat, daß überall dort, wo Männer in neue Berufe eindrangen, die Berufsbezeichnungen durchaus geändert wurden. Es ist also den Männern nicht zumutbar, weibliche Bezeichnungen zu führen. Die Hebamme ist das typische Beispiel. Ich brauche darauf nicht mehr extra einzugehen.
Lassen Sie mich jedoch noch ein Beispiel bringen, mit dem ich auch abgrenzen möchte, was wir nicht wollen. Wir wollen die Sprache nicht revolutionieren, wir wollen unser Sprachsystem nicht auf den Kopf stellen. Wir lehnen Vorschläge ab, nur noch die weibliche Form oder nur die sächliche Form zu verwenden. Wir lehnen auch die Gleichsetzung von grammatikalischem und natürlichem Geschlecht ab. Lassen Sie mich ein bißchen drastisch sagen: Der Busen ist zweifellos ein weibliches Geschlechtsorgan, aber vom Genus her maskulin. Die Brustbehaarung ist ein Ausdruck des Männlichen, aber vom grammatikalischen Geschlecht her sicherlich weiblich. Ohne Berücksichtigung des Sprachsystems, dürfen wir Sprache nicht verändern. Wir fordern die Bundesregierung auf, zukünftig in der Gesetzessprache die Auswirkungen der Sprache zu bedenken. Wir wollen aber eine Gesetzessprache, die der gesellschaftlichen Realität entspricht.
({0})
Nein, wir wollen keineswegs so weit gehen, daß ich meinen schönen männlichen Namen in „ Weible " ändern muß oder zukünftig sogar als „Personle" durch die Welt marschieren muß.
({1})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Oesterle-Schwerin.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginen! Die anwesenden Kollegen sind selbstverständlich mit eingeschlossen und mögen sich bitte mit angesprochen fühlen. Der Herr Präsident - ich habe schon gesehen, wer hier sitzt - wird sich hoffentlich auch nicht viel schlechter fühlen als jede Frau, die mit „Herr" angesprochen wird. Das ist eine Mißachtung der Persönlichkeit, die jeder Frau in diesem Hause mit Sicherheit schon mindestens einmal widerfahren ist.
Eine frauenfeindliche Sprache liegt immer dann vor, wenn Frauen ignoriert, einfach nicht genannt, nicht beachtet und übersehen werden und dann gesagt wird: Sie sind selbstverständlich mit gemeint.
Ein ganz hervorragendes Beispiel dafür bildet ausgerechnet der Art. 3 unseres Grundgesetzes. Während nämlich in den Abs. 1 und 2 dieses Artikels versprochen wird „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich" und „Männer und Frauen sind gleichberechtigt", ist der Abs. 3 des gleichen Artikels schon viel realistischer. Dort heißt es nämlich: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung . . . seiner Sprache" etc. benachteiligt werden. Das ist ja auch sehr wahr, denn es wird ja auch niemand wegen seines Geschlechtes benachteiligt, aber jede einzelne von uns wegen ihres Geschlechtes.
({0})
Richtig müßte der Artikel natürlich heißen: Keine Person darf wegen des Geschlechtes, der Abstammung, der Rasse etc. benachteiligt oder bevorzugt werden. Insofern kann man sagen, daß die jetzige Fassung des Abs. 3 einen Widerspruch in sich selber darstellt. Man kann sogar sagen, daß dieser Absatz grundgesetzwidrig ist, weil er dem Abs. 2 des gleichen Artikels widerspricht.
Das ist aber keineswegs die einzige Stelle, an der das Grundgesetz grundgesetzwidrig ist. Im Grundgesetz kommen Frauen im ganzen nur dreimal vor: einmal in dem besagten Art. 3, einmal im Art. 6 als Mütter und einmal im Art. 12 a als potentielle Reservearmee für den Zivilschutz. Ansonsten kennt das Grundgesetz nur Männer, Menschen und Deutsche.
({1})
Der Illusion, daß wir Frauen mit dem Wort „Männer" automatisch mitgemeint sind, können wir uns nicht ohne weiteres hingeben, denn Frauen können mit dem Wort „Mensch" mitgemeint werden, aber es ist keineswegs immer so. Menschen, die von „Menschen" reden, denken dabei manchmal an Frauen, aber nicht immer.
Oder können Sie sich z. B. den Satz vorstellen: Es waren viele Menschen versammelt; sie trugen bunte Röcke und stillten ihre Kinder? Das können Sie sich nicht vorstellen. „Alle Menschen werden Brüder". Das klingt sehr erhebend, aber schließt uns Frauen rigoros aus.
({2})
- Ja, richtig. Die sozialdemokratische Bewegung ist eben auch noch nicht sehr viel weiter.
({3})
Oder würde sich irgend jemand von den männlichen Mitgliedern dieses Hauses angesprochen fühlen, wenn es heißen würde: „Alle Menschen werden Schwestern" ? Ich glaube, ebenfalls kaum. Der Mensch ißt, der Mensch schläft, aber wird der Mensch mit der Geschlechtsreife auch gebärfähig? Die Antwort liegt doch auf der Hand.
({4})
Es ist also so, daß wir uns durch das Wort „Mensch" keineswegs automatisch angesprochen fühlen. Ebenso verhält es sich mit dem Wort „Deutsche". Sie können sagen: Die Deutschen sind fleißige Arbeiter. Wenn Sie aber Frauen meinen, dann werden Sie immer sagen: Die deutschen Frauen sind fleißige Arbeiterinnen und nicht: „Die Deutschen sind fleißige Arbeiterinnen" . Das sagen Sie nicht.
Genauso wenig fühlen sich nämlich die Arbeitgeber und die Arbeitgeberinnen von dem § 611 a und b BGB angesprochen, in dem das Verbot, Menschen wegen ihres Geschlechtes am Arbeitsplatz zu diskriminieren, ausschließlich in männlicher Form abgefaßt ist. Ein Gesetz, das geschaffen worden ist, um die Diskriminierung von Frauen am Arbeitsplatz abzuschaffen, das dann aber in seiner sprachlichen Abfassung nur von „Arbeitgebern" und „Arbeitnehmern" spricht, und in dem es dann heißt: „Niemand darf wegen seines Geschlechts benachteiligt werden" , so ein Gesetz kann nicht sehr ernst gemeint sein, und es wird auch nicht sehr ernstgenommen.
({5})
Denjenigen, die jetzt meinen, die Erwähnung beider Geschlechter wäre zu umständlich oder zu lang und würde die Gesetze unnötig verkomplizieren, möchte ich doch empfehlen, daß sie sich dafür entscheiden, ab heute ausschließlich die weibliche Form zu benutzen. Da würde ich doch empfehlen, benutzen Sie ausschließlich die weibliche Form. Da es sich nach Ihrer Meinung wahrscheinlich um eine Nebensächlichkeit handelt, werden sich auch alle männlichen Vertreter dieses Hauses angesprochen fühlen, wenn von der Beamtin, von der Juristin und von den Politikerinnen die Rede ist.
({6}) Oder gibt es da Zweifel?
({7})
Es geht uns darum, hier zu verdeutlichen, daß Sprache einerseits die Realität und den jeweiligen Bewußtseinsstand widerspiegelt, andererseits aber auch Realität neu schafft und Bewußtsein verändert. Daß wir stets nur von „dem" Ingenieur und von „dem" Richter reden, hat seine Ursache darin, daß Frauen jahrhundertelang aus den meisten Berufen ausgeschlossen waren und von dem öffentlichen Leben ebenfalls.
Die Realität hat sich heute etwas geändert, und dem wurde auch in der Sprache schon teilweise, wenn auch nur sehr langsam und zögerlich, Rechnung getragen. Das wollen wir durchaus zugestehen. Wir wollen uns aber nicht mehr damit begnügen, daß Sprache langsam der Realität hinterherhinkt, sondern wir wollen Realität verändern, und dazu ist die Veränderung der Sprache ein Mittel. Erst wenn wir immer, wenn auch nur eine Frau mitgemeint ist, sagen: „Stadträtinnen und Stadträte", „Ministerinnen und Minister" , „Politikerinnen und Politiker" ,
({8})
erst wenn wir „Ingenieurinnen und Ingenieure", „Planerinnen und Planer", „Lehrerinnen und Lehrer" sagen, erst dann werden unsere Töchter ihre Möglich2506
keiten erkennen und endlich die Plätze einnehmen, die ihnen in dieser Gesellschaft zustehen.
({9})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es ist doch eigentlich gar nicht so schwierig, was wir heute von Ihnen verlangen. Wir verlangen ja nicht, daß Sie ab morgen alle von „Aktenordnern" und ,,Aktenordnerinnen" reden. Wir sind ja noch vernünftig. Aber wozu wir nicht mehr bereit sind: wir sind nicht mehr dazu bereit, Briefe zu beantworten, die an „Herren" gerichtet sind. Erst gestern kam in meinem Büro wieder so ein Brief an. „An den Herrn Oesterle-Schwerin". Da schreibe ich doch ganz groß darüber: „Adressat unbekannt" und stecke ihn wieder in den Briefkasten.
({10})
Wir sind nicht mehr dazu bereit, Pässe und Personalausweise mit uns herumzutragen, die für Männer bestimmt sind. Wir fühlen uns nicht beschützt durch Gesetze, in denen wir nicht erwähnt werden, und wir sind auch auf Dauer nicht mehr bereit, solche Gesetze zu befolgen. Wir wollen nicht mehr die Vertreter des ganzen deutschen Volkes sein, sondern seine Vertreterinnen.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die rhetorische Frage der Frau Kollegin Oesterle-Schwerin beantworten. Ich möchte nicht so gerne „Fraufred Richterin" heißen. Ich bleibe lieber bei meinem Namen Manfred Richter.
Es ist für mich ohnehin verwunderlich, in welchem Maße man bei uns an eine geradezu magische, schöpferische Kraft des gedruckten Papiers glaubt; denn die Benachteiligung der Frauen, die es unbestreitbar ja immer noch gibt, werden wir - so fürchte ich - durch philologische Exerzitien nicht aus der Welt schaffen.
({0})
- Das ist richtig, Herr Schily. Ich komme darauf zurück.
Selbst wenn man den Versuch unternähme: Niemand soll doch glauben, daß sich die Menschen Sprachgebrauch verordnen lassen. Niemand soll auch glauben, daß Veränderungen in unserem Sprachgebrauch, die ja ständig vorkommen, etwa generalstabsmäßig zu planen wären.
Denn auch diejenigen, die einmal vor langer Zeit den Versuch unternahmen, Fremdwörter aus der deutschen Sprache zu verbannen
({1})
- Herr Schily, hören Sie es doch einmal im Zusammenhang an -,
({2})
und die geniale Idee hatten, etwa das Wort „Fenster"
durch das Wort „Tageleuchter" zu ersetzen, das zwar
deutsch, aber dummerhaftig ist, haben erkennen müssen, daß bei solchen Unternehmungen das Scheitern vorprogrammiert ist.
Selbst wenn es erfolgversprechend wäre, ändert sich durch den bloßen Austausch von Begriffen noch gar nichts.
({3})
Die Bockwurst bleibt eine Bockwurst, selbst wenn der Deutsche Bundestag beschließen sollte, sie Chateaubriand zu nennen.
Man sagt uns Deutschen wohl mit einer gewissen Berechtigung nach, daß wir zum Perfektionismus neigten. Es ist meine Befürchtung, daß wir auch in diesem Fall zu einer superdurchdachten, zu einer absolut wasserdichten Lösung kämen,
({4})
die nur einen Nachteil hätte: Sie würde nämlich nichts nützen, sie würde unsere Gesetze und Verordnungen gänzlich unlesbar machen. Es sagen vielleicht manche: Das sind sie jetzt schon. Das mag sein. Es mag auch sein, daß es der Mühe wert wäre, die Anstrengungen auf verständlichere Formulierungen schlechthin zu verlegen.
Was aber herauskommt, wenn man - immer ein wohlmeinendes Motiv unterstellt - meint, konsequent gleichzeitig die männliche und weibliche Form eines Wortes in eine Verordnung packen zu sollen,
({5})
säuberlich getrennt durch Schrägstriche, das zeigt dieses Beispiel einer Verfahrensrichtlinie aus der Stadtverwaltung Bremerhaven - ich zitiere - :
Vertreter des Rektors/der Rektorin als Gesamtleiter/Gesamtleiterin der Schule kann entweder der Abteilungsleiter/die Abteilungsleiterin oder der erste Konrektor/die erste Konrektorin sein. Die Entscheidung darüber trifft der Schuldezernent/ die Schuldezernentin. Der zuständige Oberschulrat/die zuständige Oberschulrätin und der Gesamtleiter/die Gesamtleiterin der Schule werden dazu gehört.
Herr Abgeordneter Richter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Nickels?
Ja.
Herr Abgeordneter Richter, haben Sie vielleicht noch nicht gemerkt, daß sich die Frauen und auch einige Medien, z. B. eine bestimmte Zeitung, mittlerweile Gedanken darüber gemacht haben, wie man dieses Schrägstrichunwesen abschaffen könnte, und auf sehr gute Ideen gekommen sind. Wenn man z. B. Kolleginnen und Kollegen meint, daß dann im Schriftbild „inn" groß geschrieben wird. Das
ist ganz schön zu lesen, und die Frauen kommen mit vor. Haben Sie das noch nicht gemerkt?
Frau Kollegin, ich konfrontiere Sie mit einem Beispiel aus der Praxis, von dem ich meine, daß es mißglückt ist. Ich wäre dankbar, wenn Sie das zur Kenntnis nehmen könnten.
Der Abgeordnete Dr. Knabe möchte auch eine Zwischenfrage stellen.
Bitte sehr, aber danach möchte ich dann fortfahren, Herr Präsident.
Herr Abgeordneter Richter, würden Sie denn eventuell die Möglichkeit sehen, daß man den männlichen und weiblichen Text abwechselnd nimmt, also einmal schreibt man „der Abgeordnete", beim nächsten Satz wird es „die Abgeordnetinnen". Da würde doch jedenfalls Gerechtigkeit widerfahren.
Sehen Sie, Herr Kollege, das ist genau das, was ich mit der typisch deutschen Gründlichkeit meine. Deshalb habe ich meiner Befürchtung Ausdruck gegeben, daß das zu schlechten Lösungen führt.
({0})
Diese Schrägstrich-Wortungeheuer dienen weder der besseren Verständlichkeit noch der Lesbarkeit. Sie sind nur scheußlich und bringen uns zudem der Gleichberechtigung keinen Millimeter näher.
({1})
Auch geschlechtsneutrale Bezeichnungen bergen die Gefahr in sich - Stichwort: deutsche Gründlichkeit - , daß wir vor keiner, aber auch keiner sprachlichen Lächerlichkeit zurückschrecken und uns am Ende einreden, der Austausch der Begriffe hätte die Welt verändert.
Natürlich gibt es auch Begriffe, die sich ohne Verrenkungen in beiden Formen verwenden lassen. Warum soll es nur einen „Obmann" geben und keine „Obfrau"? Warum soll man nicht statt „ Wahlmännergremium " einfach „Wahlgremium" sagen?
Man muß sich aber davor hüten, es für die logische Konsequenz zu halten, daß man zukünftig dann auch nur noch von Weihnachtsmännern und -frauen reden darf.
Wir sollten bei den neuen Gesetzen und Verordnungen darauf achten, daß dort, wo es sprachlich vertretbar ist und die Lesbarkeit nicht beeinträchtigt,
({2})
geeignete Formulierungen gefunden werden, die entweder geschlechtsneutral sind oder die männliche wie die weibliche Form benennen. Das gleiche kann man bei grundlegenden Änderungen machen. Jetzt aber eine große Revision aller bestehenden Gesetze einleiten zu wollen, ist übereifrig und völlig unangemessen. Es stellt lediglich eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, und zwar eine unnötige, dar.
({3})
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gesetze gelten für alle, für Männer wie für Frauen.
({0})
Anlaß zu Mißverständnissen hat die Gesetzessprache insoweit bisher nicht geboten. Und dennoch fragt man zu Recht: Ist unsere Gesetzessprache durchgängig noch zeitgemäß? Ist die Sprache unserer Gesetze, der Verordnungen und der Verwaltungsvorschriften männlich geprägt?
({1})
Kann sie dies bleiben, oder muß sie geändert werden?
Es geht dabei nicht nur um die Sprache als
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bloße Form, sondern auch um das Selbstverständnis und die Stellung der Frau. Die Wirkung und der Stellenwert der Sprache für unsere gesellschaftlichen Verhältnisse sind nicht zu unterschätzen. Vielfach spiegelt die Sprache das Bewußtsein in unserer Gesellschaft wider,
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und umgekehrt kann auch mit der Sprache das allgemeine Bewußtsein beeinflußt, ja, stellenweise sogar gesteuert werden.
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Das gilt auch für die Sprache in den Gesetzen, in den Verordnungen und in den Verwaltungsvorschriften. Andererseits ist die Vorschriftensprache von eigenen Gesetzlichkeiten bestimmt, die letztlich alle aus dem Prinzip der Rechtssicherheit folgen. Klarheit und Verständlichkeit stehen - ja, wäre es immer so, setze ich hinzu - obenan. Die Einheitlichkeit der Rechtsordnung muß beachtet, die Vorschriften dürfen nicht durch Überfrachtung unlesbar und damit schon vollends unverständlich werden.
Und dennoch: Es gibt einen Spielraum für Änderungen der Gesetzessprache. Die größte Chance zur Verwirklichung - und dies ist hier heute bereits erwähnt worden - haben die Vorschläge, die auf Veränderung einzelner Rollenbezeichnungen zielen, etwa die Umschreibungen, die die Silbe „-mann" enthalten. Es ist gesagt worden, eine Frau wird sich als Vertrauensmann wirklich komisch vorkommen. Warum nicht statt „Wahlmännerausschuß" „Wahlausschuß" oder „Wahlleuteausschuß"?
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Es gibt hier noch eine ganze Fülle weiterer Beispiele,
die hier der Aufzählung nicht bedürfen. Für sie lassen
sich mit etwas Phantasie, mit Sprachgefühl bessere
Umschreibungen finden. Sie werden voraussichtlich auch schnell in den allgemeinen Sprachgebrauch übernommen werden, so wie wir uns an die „Kauffrau" mittlerweile längst und vollends gewöhnt haben.
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Vielleicht finden wir weitere neutrale oder für Frauen akzeptable Umschreibungen, so z. B. bei den Berufsbezeichnungen. Ich bin jedoch gegenüber allen Lösungsvorschlägen skeptisch, die Veränderungen nach einem abstrakt vorgegebenen Schema anstreben. Ich meine hier etwa den Vorschlag, männliche und weibliche Bezeichnungen jeweils gleichzeitig zu nennen. Es würde dann nicht mehr heißen: „Der Käufer ist verpflichtet, dem Verkäufer den Kaufpreis zu zahlen", sondern „Der Käufer und/oder die Käuferin ist/sind verpflichtet, dem Verkäufer und/oder der' Verkäuferin den Kaufpreis zu zahlen". Müßten die Frauen zuerst genannt werden? Oder müßte man vorschlagen, im Zuge des Gebots der Gleichberechtigung dies jeweils gesetzgeberisch auszuwürfeln oder abwechselnd in der Reihenfolge zu verfahren? Lassen wir dies beiseite. Die Sache ist mir und auch der Bundesregierung zu wichtig, als daß sie lächerlich werden oder lächerlich gemacht werden darf.
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Deshalb sollten wir sehr sorgfältig prüfen, was gesetzessprachlich möglich und notwendig ist. Für die Bundesregierung wird eine interministerielle Arbeitsgruppe die Vorarbeiten leisten und Vorschläge unterbreiten. Die Gesetzgebung der Bundesländer ist natürlich ebenfalls in diesem Zusammenhang maßgeblich. Wir müssen so weit wie irgend möglich hier die Einheitlichkeit wahren.
Noch eines. Der Aufwand, der Nutzen und der Umfang eventueller Rechtsänderungen müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Man sollte uns nicht eines Tages vorhalten können, daß wir über den Änderungen unserer Rechtssprache verabsäumt hätten, viele Verbesserungen anderer Art zugunsten der Frauen zu leisten.
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Das Wort hat der Abgeordnete Helmrich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich begrüße diese Debatte, weil sie hilft, unser Sprachgefühl zu schärfen. Ich unterstütze das hier zum Ausdruck kommende Anliegen, weil es uns hindern wird, gedankenlos nur nach dem Herkommen zu formulieren. Es unterliegt keinem Zweifel, daß unsere Sprache, unser Denken und unser Empfinden voneinander abhängen und aufeinander angewiesen sind. Sprach-, Denk- und Empfindungsstrukturen durchdringen einander und müssen möglichst kongruent sein, wenn die Verständigung untereinander gelingen soll. Hiervon darf auch die Rechts- und Verwaltungssprache keine Ausnahme machen. Im Sinn des Gleichheitsgebots für Mann und Frau sind deshalb geschlechtsspezifische Formulierungen möglichst zu vermeiden und gegebenenfalls zu ändern. Die Anträge der SPD und der GRÜNEN allerdings streben eine Totalrevision aller
Gesetze an, was sich natürlich in Verordnungen, Verwaltungstexten und Formularen fortzusetzen hätte.
Der Antrag der CDU/CSU und der FDP schlägt ein weniger radikales Vorgehen vor. Dieser Antrag stellt darauf ab, ob die Nennung beider Geschlechter sachlich gerechtfertigt ist und ob die Lesbarkeit und Verständlichkeit nicht beeinträchtigt werden.
Ich werbe um Ihre Zustimmung zu diesem Vorschlag. Ich halte es entgegen dem Antrag der GRÜNEN nicht in allen Fällen für gerechtfertigt, wo sich eine geschlechtsneutrale Formulierung nicht finden läßt, unsere Gesetze sowohl „weiblich" als auch „männlich" abzufassen. Dies ließe sich nur mit einer allgemeinen Schrägstrichlösung erreichen. Wollen Sie wirklich in Art. 116 des Grundgesetzes den Vertriebenen und den Ehegatten mit Schrägstrich in männlicher und in weiblicher Form benennen? Ich wende mich hier gegen eine Entweder-Oder-Lösung, gegen ein Alles-oder-nichts-Denken. Über die darin auch zum Ausdruck kommende Kleinlichkeitskrämerei
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ist unser Rechts- und Verwaltungsdenken längst hinweggegangen.
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Viele männlich gebrauchte Begriffe werden geschlechtsneutral gedacht und empfunden.
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Bei dem Mieter, dem Erblasser, dem Lehrer denken wir, beide Geschlechter umfassend,
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die Mieterin, die Erblasserin, die Lehrerin ganz selbstverständlich mit.
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Fragen Sie wie Luther die Frauen, die Männer, die Kinder auf der Straße: Sie werden es Ihnen bestätigen.
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Die Menschen auf der Straße werden Ihnen von dem im Antrag der GRÜNEN beschworenen Sexismus nichts erzählen.
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Ein zweites. Mich beängstigt die eilfertige Hektik, mit der überall in der Bundesrepublik nach unterschiedlichen Lösungen gesucht wird. In Niedersachsen liegt ein Referentenentwurf vor. In Baden-Württemberg wird an Richtlinien gearbeitet.
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Von Nordrhein-Westfalen liegt ein erstes Gesetz mit Schrägstrichlösung vor. Die Waffenschmidt-Kommission hat am Montag darüber einen Beschluß gefaßt. Die Bundesregierung setzt eine Kommission ein. Meine Damen und Herren, das ist nur in Deutschland
möglich. Lassen Sie uns in letzter Minute möglichst eine bundeseinheitliche Lösung finden. Sonst erleben wir ein heilloses Durcheinander unserer Rechts- und Verwaltungssprache. Helfen Sie mit, daß wir mit Augenmaß, Sachverstand und besonders mit Sprachgefühl die jeweils beste Lösung finden.
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Hüten wir uns davor, daß wir das gute Vorhaben mit deutscher Gründlichkeit im Übereifer mit einer perfektionistischen und mechanistischen Schrägstrichlösung durch Schrägstrichgesetze in ein schräges Licht rücken.
Danke sehr.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Becker-Inglau.
Herr Präsidentin! Herr Bundesministerin! Meine sehr verehrten Herren! Meine Damen!
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Es gibt viel zu tun - lassen wir es liegen. Dieser abgewandelte Werbespruch scheint das Hauptargument zu sein, mit dem man den Antrag der SPD-Fraktion ablehnen möchte.
Den Zweck dieses Antrags hat heute noch niemand bestritten. Ich will an einigen Beispielen aus meinem eigenen Erleben deutlich machen, daß sich Gleichberechtigung von Männern und Frauen in der Sprache genauso wie im Schriftverkehr und erst recht in Gesetzestexten, aus denen sich Pflichten, Rechte und Ansprüche von Mitbürgern und Mitbürgerinnen herleiten lassen, zeigen muß:
Zur Sprache. Ich bin als einzige Abgeordnete aus dem sonst nur männlichen Kreis der Abgeordneten meiner Heimatstadt - immerhin 11 an der Zahl - einer Einladung zu einem Festakt einer technisch-naturwissenschaftlichen Einrichtung gefolgt; das war auch aus der Teilnehmerliste zu ersehen. Begrüßt wurde ich dort nicht als „Frau Abgeordnete", sondern begrüßt wurden die „Damen und Herren Abgeordneten". Fazit für die einen: Die erste Begrüßung hätte wahrscheinlich nicht in das allgemein gültige Bild gepaßt, daß Frauen an technisch-naturwissenschaftlichen Problemen uninteressiert seien. Fazit für die anderen: Ehrenhalber habe man alle Abgeordneten begrüßen müssen. Ich behaupte: Wären nur männliche Abgeordnete anwesend gewesen, hätte man sicherlich nicht daran gedacht, mich mitzubegrüßen.
Zum Schriftverkehr. Im Jahre 1979 wurde ich Mitglied des Rates meiner Heimatstadt. Ich erhielt daraufhin einen Personalbogen. In der ersten Zeile mußte ich Namen und Vornamen eintragen. - Keine Bedenken. In der zweiten Zeile war lediglich die „Ehefrau" gefragt. Da für den Ehemann - nur einen solchen konnte ich aufweisen - kein Platz vorgesehen war, blieb mir lediglich, darauf hinzuweisen, daß gleichgeschlechtliche Ehegemeinschaften in unserem Staate rechtlich nicht vorgesehen seien und ich deshalb keine Angaben zu diesen machen konnte.
Ich habe das mit diesem Scherz abgetan. Es führte fünf Jahre später zu dem Erfolg, daß die Personalbögen nun auch Raum für Aussagen über den Ehemann geben. Ich stelle mir heute allerdings vor, die damaligen Ratsherren hätten einen solchen Bogen ausfüllen müssen, der nur Angaben zum „Ehemann" zugelassen hätte.
Ebenso habe ich über Einladungen zu offiziellen Anlässen geschmunzelt, zu denen ich als „Frau Ratsherr mit Gemahlin" und „dunklem Anzug" erscheinen sollte.
Sie können jetzt sagen: alles alte Hüte. - O nein. Aktualität besitzen diese Merkwürdigkeiten auch in diesem Hohen Hause. Denn die Anrede „Herr Abgeordneter" ist bei mir und auch bei meinen Kolleginnen, wie wir heute schon häufig gehört haben, durchaus gängig.
Nun zu den vorhandenen Gesetzestexten, damit das auch auf den besonderen Punkt kommt. Hier findet man vielleicht Gedankenloses oder gar Beabsichtigtes. Herausgepickt habe ich mir das Bundessozialhilfegesetz, 29. Auflage, Rechtsstand 1. Januar 1987.
Herr Präsidentin, gestatten Sie mir, daß ich einige Punkte zitiere. § 1: „... dem Empfänger der Hilfe... ". - § 3: „Wünschen des Hilfeempfängers...". - § 40: „... der Behinderte... ". Das sind Beispiele dafür, daß weibliche Hilfeempfänger, Hilfesuchende, also weibliche Formulierungen insgesamt, nicht aufgenommen erscheinen.
Doch dagegen steht allerdings der entlarvende § 124 - ich bitte besonders, den „Herrn Abgeordnete" Richter, zuzuhören; ich zitiere. Dort gibt es „Hebammen", „Jugendleiterinnen", „Kindergärtnerinnen", „Hortnerinnen", also durchaus weibliche Sprachformen; aber in diesem Paragraphen tauchen auch die neutralen „Medizinalpersonen" auf, natürlich „außer Ärzten". Und - man höre und staune - sie kommen auch vor, aber dann sind es wieder: die „Ärzte", die „Lehrer", die „Sozialarbeiter", die „Heimerzieher" .
Meine Kollegen und Kolleginnen, gerade dieser letzte Teil macht deutlich, daß die Durchforstung aller bereits vorhandenen Gesetzestexte dringend erforderlich ist und bei den neu entstehenden eine systematische Erarbeitung von geschlechtsneutralen Bezeichnungen selbstverständlich werden muß.
Ich komme auf meinen Eingangssatz zurück. Ich denke, es gibt viel zu tun; aber jetzt meine ich: Packen wir es an.
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Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen, ich will Ihnen nicht verhehlen, daß selbst - weil das schon mehrfach angeklungen ist - meine Partei mit ihren eigenen Wahlsprüchen Probleme hat. Ich erinnere an den Wahlspruch 1969, als meine Vorgängerin Antje Huber zum erstenmal für den Bundestag kandidierte. Da hieß er:
Wir schaffen das moderne Deutschland: SPD - Wir haben die richtigen Männer 2510
Wählen Sie Antje Huber!
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Ich bitte Sie deshalb, alles zu durchforsten, was in diesem Sinne ist. Ich bitte Sie, dem Antrag der SPD zuzustimmen und ihn umgehend in die Tat umzusetzen; denn Sprache kann verräterisch sein, sie kann aber auch Positives bewirken.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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Die Frau Minister Süssmuth hat sich gemeldet.
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- Dies ist mir entgangen. Aber der Ältestenrat hat beschlossen, Jungfernreden nicht extra zu erwähnen; die Begründung war eine andere, Frau Abgeordnete.
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Ich gebe der Frau Minister Dr. Süssmuth das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ob Jungfernreden oder gestandene Reden, ich möchte zum Abschluß heute sagen: Es ist keine unwichtige, aber eigentlich eine höchst ärgerliche Debatte, die wir hier führen müssen.
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Viele draußen werden fragen: Es kann doch nicht möglich sein, daß ihr euch darüber auseinandersetzen müßt. Wir dachten, das wäre längst erledigt. Ist das denn in unserem Land überhaupt ein Problem? Es ist doch selbstverständlich, so, wie es auch das Grundgesetz vorsieht, daß in unserer Rechtssprache Männer und Frauen in gleicher Weise vorkommen. Wir haben doch längst die Zeit überwunden, wo sie öffentlich nicht dazugehörten. Oder gilt noch immer, daß ihr Ausschluß als rechtsfähige Personen im Recht selbst tief verankert ist? Deswegen muß ich sagen: Hier gibt es nichts Überflüssiges oder Perfektionistisches anzupacken, sondern längst Überfälliges.
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Da wir heute morgen offenbar auch Konsens in der Sache gefunden haben, daß keine Regelungen erwünscht sind, bei denen die Männer demnächst als weibliche Personen erscheinen, ist es nur zwingend, daß die weiblichen Personen auch als solche erscheinen.
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Ich wünschte mir, daß wir in Zukunft in bezug auf dieses Problem jene Sprachsensibilität entwickeln, die mir in sehr positiver Weise auch in unserer Fraktion entgegengeschlagen ist, als wir erste Berichte zur Fortpflanzungsmedizin mit einer weiß Gott unmenschlichen Sprache entgegennahmen. Da hieß es sofort: Diese Sprache kann so nicht bleiben.
Wenn es um Texte von Gesetzen, Verordnungen und Erlassen geht, scheint es mir an dieser sprachlichen Sensibilität und an Sprachklarheit erheblich zu fehlen. Die Weisung „Gesetze sollen klar, präzise und verständlich sein" als Gegenargument überzeugt mich überhaupt nicht. Dazu möchte ich zweierlei anmerken: Ich vermag nicht zu erkennen, wo die heutige Rechtssprache klar, präzise und verständlich ist.
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In den meisten Fällen fühlen sich Frauen nicht angesprochen. Das hat etwas mit ihrem tatsächlichen Rechtsstatus zu tun; sonst würde man es anders handhaben.
Dort, wo es einen erklärten politischen Willen gibt, diese Dinge abzuändern, ist dies auch machbar. Ich habe weniger Angst vor Perfektionismus als vor der Frage, ob wir es wirklich in einer Form tun, die Frauen und Männern gerecht wird.
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Das meiste, was zu diesem Tatbestand vorgetragen wird, geht immer noch in Richtung der Frage „Wie können wir es am besten lächerlich machen?",
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nicht in Richtung der Frage, was uns an phantasievollen Regelungen einfällt.
Ich nenne dafür rasch ein Beispiel. Als ich, noch nicht sehr lange im Amt, die Verordnung zum „Arzt im Praktikum" unterschreiben sollte, sagte ich: Die unterschreibe ich nicht; das ist für Frauen und Männer nicht differenziert. Da hieß es: Sie setzen Ihre ganze Reputation aufs Spiel, wenn Sie sich an solchen Kleinigkeiten aufhalten.
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Dann fragte ich mich „Wie kriege ich die bloß?" und suchte mir jene Stelle heraus, an der es heißt: Wenn der Arzt im Praktikum schwanger wird, hat er Urlaub nach den Regelungen des Mutterschutzgesetzes; nach Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs kann er seine Ausbildung fortführen.
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Ich fragte, ob ich das wirklich unterschreiben sollte. Man sagte mir: „Arzt im Praktikum" ist eine geschlechtsneutrale Bezeichnung; das ist eine Institution.
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Ich antwortete: Aber Institutionen werden aller Erf ah-rung nach nicht schwanger.
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Damit war es endlich geschafft, diese Regelung außer Kraft zu setzen und auch von „Ärztinnen im Praktikum" zu sprechen.
({10}) - Ja, es ist inzwischen verändert!
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Ich denke, an solchen Beispielen wird deutlich, wie wenig uns solche Verunklarungen und Verballhornungen stören, wenn sie im üblichen Schema passieBundesminister Frau Dr. Süssmuth
ren. Ich bin sehr froh darüber, daß auch mein Kollege Engelhard gesagt hat: Hier ist Veränderung überfällig. Solche Rechtssprache gehört dem 19. Jahrhundert an.
Sagen möchte ich allerdings auch, daß zwar der Antrag, alle bisherigen Gesetze zu verändern, plausibel ist und sehr leicht nachvollziehbar erscheint, daß es aber - das möchte ich dem entgegenhalten - um mehr als um den Austausch von Bezeichnungen geht. Wenn es nur das wäre, wäre es ja relativ einfach. Das Problem ist aber, daß die ganze Logik der Rechtssprache verändert werden muß und daß alle Texte umformuliert werden müssen, wenn Ihrem Antrag Genüge getan werden soll. Deswegen sage ich: Wir müssen sehr sorgfältig prüfen, mit welchen Vorschlägen wir das für alle neuen Gesetze tun und wie wir die bestehenden abändern; denn das ist wirklich ein Mordsaufwand, nicht nur eine technische Sache, die durchleuchtet werden muß.
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- Gut, trotzdem sage ich Ihnen: Das hieße, das Strafgesetzbuch und das Bürgerliche Gesetzbuch in großen Teilen neu zu schreiben. Insofern geht der Antrag sehr weit.
Zum Schluß sage ich: Uns kommt es darauf an, daß bei den Berufsbezeichnungen sichergestellt ist, daß Frauen immer die weibliche Bezeichnung ihres Berufs führen können. Formulierungen, die unter Verwendung des Wortbildes „Mann" gebildet werden, müssen umformuliert werden. Insbesondere muß bei allem, was Wahlgesetze usw. anlangt, festgelegt werden, daß von „Personen" gesprochen wird statt etwa von „Wahlmännern". Da wir in anderen Bereichen so viel Phantasie haben, Probleme vernünftig zu lösen, bin ich davon überzeugt, daß wir das auch in diesem längst überfälligen Bereich schaffen werden.
Ich danke Ihnen.
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Nun liegen dem Präsidium wirklich keine Wortmeldungen mehr vor. Ich kann die Aussprache also schließen.
Interfraktionell ist - abweichend vom Überweisungsvorschlag des Ältestenrates - vereinbart worden, die Anträge an den Rechtsausschuß - zur federführenden Beratung - und an den Innenausschuß sowie den Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit - zur Mitberatung - zu überweisen. Sind Sie mit dieser veränderten Lösung einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ausweislich des mir vorgelegten Protokolls hat der Abgeordnete Schily in der vorangegangenen Debatte den Abgeordneten von Schorlemer als einen „Lügner" bezeichnet. Ich erteile ihm hierfür nach § 36 unserer Geschäftsordnung einen Ordnungsruf.
Ich rufe nunmehr Punkt 23 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr.
de With, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Frau
Schmidt ({0}), Frau Adler, Bachmaier, Frau Becker-Inglau, Frau Blunck, Frau Bulmahn, Catenhusen, Frau Conrad, Egert, Frau Faße, Frau Fuchs ({1}), Frau Fuchs ({2}), Frau Ganseforth, Frau Dr. Götte, Frau Hämmerle, Frau Dr. Hartenstein, Klein ({3}), Kuhlwein, Lambinus, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny, Frau Matthäus-Maier, Müller ({4}), Frau Dr. Niehuis, Frau Odendahl, Peter ({5}), Dr. Pick, Frau Renger, Schmidt ({6}), Dr. Schöfberger, Schütz, Frau Seuster, Frau Simonis, Singer, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Frau Steinhauer, Stiegler, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Frau Weiler, Frau Weyel, Frau Wieczorek-Zeul, Wiefelspütz, Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Strafbarkeit der Vergewaltigung, der sexuellen Nötigung und des sexuellen Mißbrauchs in der Ehe
- Drucksache 11/474 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß ({7})
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Die Fraktionen haben vereinbart, daß die Beratung eine Stunde dauern soll. - Auch hiergegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann darf ich dies als beschlossen betrachten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Debatte über die Strafbarkeit der Vergewaltigung, der sexuellen Nötigung und des sexuellen Mißbrauchs in der Ehe, wie wir sie heute anläßlich der ersten Lesung unseres diesbezüglichen Gesetzentwurfs führen, haben wir bereits mehrfach im Deutschen Bundestag und in seinen Ausschüssen geführt. Es war im Jahre 1973, als ich im damaligen Sonderausschuß für die Strafrechtsreform den Antrag gestellt habe, die Strafbarkeit auch auf die Vergewaltigung in der Ehe auszudehnen. Ich unterlag. Es fehlte aber nur eine Stimme. Es war also eine knappe Sache. Immerhin aber wurde seinerzeit mit dem Dritten Gesetz zur Reform des Strafrechts nicht nur das einschlägige Kapitel im Strafgesetzbuch mit der Überschrift „ Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung" versehen; es wurde auch die Mindeststrafe für Vergewaltigung von einem auf zwei Jahre angehoben.
Das geschah damals in einer Zeit des Aufbruchs. 1969 war das Gesetz über die Stellung der nichtehelichen Kinder in Kraft getreten, das wie kaum ein anderes die gesellschaftliche Entwicklung beeinflußt hat. Ich gehe davon aus, daß der Vorschlag, über den wir gerade debattiert haben, auch große gesellschaftliche Auswirkungen haben wird. Ich meine, das, was wir _gerade debattiert haben, wird geraume Zeit in Anspruch nehmen. Es hat aber im Kern einen gewissen inneren Zusamenhang mit dem, worum es jetzt geht. Es lag damals außerdem schon der erste Entwurf für ein neues Eherecht vor, das endlich Mann und Frau in der Ehe gleichstellte.
Die zweite Initiative zur Änderung der Vergewaltigungsvorschrift des Strafgesetzbuches ergriff die damalige Justizsenatorin von Hamburg, Frau Eva Leithäuser, zehn Jahre später durch eine Vorlage im Bundesrat. Ihre Vorlage wurde seinerzeit - das darf man so formulieren - brüsk abgelehnt. Und es war 1983 - also im selben Jahr -, als die GRÜNEN und die SPD mit jeweils eigenen Anträgen im Bundestag initiativ wurden.
FDP und CDU/CSU konterten vereint: Die Vorlagen zur Bestrafung der Vergewaltigung auch in der Ehe konnten nicht Gesetz werden. Das heißt: Wir hätten heute keine erneute erste Lesung, wenn es damals schon genug Luete von seiten der Koalitionsfraktionen gegeben hätte, die unseren Anträgen zugestimmt hätten - und das, obwohl im Gegensatz zum Jahre 1973 schon 1983 durch eine Vielzahl von Berichten aus den Frauenhäusern inzwischen sehr deutlich geworden war, daß Gewalt und sexuelle Gewalt in der Ehe weder seltene Erscheinungen noch etwa auf bestimmte Bevölkerungskreise beschränkt sind. Außerdem war schon damals ganz offenkundig, daß der Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe ein hoher Stellenwert für das Miteinander von Frau und Mann zukommen würde. Umfrageergebnisse belegten, daß noch in allzu vielen Köpfen die Meinung vorherrschte, der Mann habe ein Verfügungsrecht über die Frau in sexuellen Fragen. Weitere Umfrageergebnisse bestätigten, daß vielen der Tatbestand unbekannt war, wonach Vergewaltigung in der Ehe damals wie heute schon von Amts wegen als Nötigung bestraft werden muß.
Inzwischen kennen wir die Ergebnisse des Anhörungsverfahrens des Rechtsausschusses vom 26. Juni dieses Jahres. Die Sachverständigen und Verbandsvertreter haben sich mit übergroßer Mehrheit für eine Ausdehnung der Strafbarkeit auf die Vergewaltigung auch in der Ehe ausgesprochen. Dem haben sich nunmehr der Bundesminister der Justiz und - ich stelle es erfreut fest - die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit angeschlossen. Das ist gut so, aber es gibt noch immer keinen entsprechenden Regierungsentwurf und noch keine klare Meinungsäußerung von seiten der CDU/CSU, wie es immerhin eine von seiten der FDP durch einen Parteitagsbeschluß gibt. Offenbar ist auch diese wichtige Frage - ich kann mich nicht enthalten, dies zu sagen - dem Meinungs- und Richtungsstreit in der Union zum Opfer gefallen - eine schlimme Sache.
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, heute und hier ein Ja sagen, so sind wir dankbar. Nur, dieses Ja ist nach dem bisherigen Gang der Ereignisse längst überfällig - deswegen meine lange Vorgeschichte. Ich glaube auch, ein Ruhmesblatt wird das für die Union im Buch der Geschichte sicher nicht sein.
Dabei werden jetzt schon wieder Scharmützel für eine Beschneidung des neu zu formulierenden Vergewaltigungsparagraphen ausgetragen. Wir alle wissen, daß auch nach einer Vergewaltigung eine Versöhnung wieder mögich ist. Wir wollen nicht, daß eine Versöhnung durch ein Weiterbetreiben des Strafverfahrens zunichte gemacht wird. Soweit ich sehe, meint bisher der Bundesminister der Justiz, zu diesem
Zweck sollte der Vergewaltigungsparagraph mit einem Antragsrecht versehen werden, um der vergewaltigten Frau die Verfügungsmacht über das Strafverfahren zu geben. Ich habe allerdings heute früh der „TAZ" entnommen, daß er diese Einrichtung wieder fallengelassen hat und bereit ist, diese durch eine andere zu ersetzen, die aber im Kern dasselbe bewirkt. Er plädiert für ein Vetorecht der Frauen.
Wir Sozialdemokraten wollen demgegenüber denselben Zweck durch eine Klausel erreichen, die das Absehen von Strafe durch die Gerichtsbehörden ermöglicht. Der Staatsanwalt könnte ohnehin, falls das Verfahren noch nicht bis zum Gericht gediehen ist, nach § 153b der Strafprozeßordnung das Verfahren einstellen. Die Einfügung des Strafantragsrechts
- übrigens mit all den Schwierigkeiten, die es bei einem Tatbestand des Verbrechens gibt - hat den Nachteil, daß die private Verfügungsgewalt über die Strafbarkeit sehr leicht zum Repressionsinstrument und Handelsobjekt werden kann. Zumindest kann es sehr nachteilig in der sicher lange währenden Debatte werden. Das will doch niemand.
Was die Einzelheiten bei den Ausführungsformulierungen angeht, sind wir Sozialdemokraten offen. Uns geht es im Kern um die Grundsätze. Ich meine, wir können uns im Rechtsausschuß darüber klar werden, wie wir das ausgestalten. Ich weiß, daß die GRÜNEN inzwischen einen Antrag vorgelegt haben, der allerdings sehr viel weiter geht. Er betrifft auch die Männer, er betrifft die Strafprozeßordnung, und er bringt einiges, was bereits erledigt ist. Ich nehme an, daß wir das in den Debatten im Rechtsausschuß nicht nur einfließen lassen können, sondern dabei auch gleichzeitig behandeln.
Uns liegt eine EMNID-Umfrage aus dein Jahre 1986 vor, die meiner Meinung nach ganz interessant im Hinblick auf das ist, was wir seit 1983 wissen. Danach meinen immerhin noch sage und schreibe 16 % der Befragten, daß der Mann im Falle der Vergewaltigung seiner Ehefrau strafrechtlich nicht verurteilt werden kann. 25 % der Befragten sind in dieser Frage unschlüssig. Das heißt, trotz der umfänglichen und langen Debatten seit 1983 gibt es noch immer einen nicht geringen Anteil der Bevölkerung, der glaubt - ich formuliere es so - , die Frau gehöre dem Mann.
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- Das war außerdem ein Filmtitel, aber bitte schön.
Wer sich konsequent für die Gleichberechtigung und für die Partnerschaft zwischen Mann und Frau einsetzt und wer gleichwohl bisher immer noch an der Wirkung einer Strafvorschrift gezweifelt hat, der hat jetzt gute Gelegenheit, einen Schritt nach vorn zu tun.
- Ich spreche die Union an. Ich muß leider feststellen, daß dieser Teil des Saales äußerst dünn besetzt ist und nur ein geringer Teil wirklich zuhört; das gilt auch für den Vorsitzenden des Rechtsausschusses.
Natürlich wird die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe derartige Handlungen nicht ausmerzen
- das sei auch festgestellt - , aber mit einer solchen Strafvorschrift wäre die Möglichkeit geschaffen, auch die sehr hohe Dunkelziffer eindämmen zu helfen. Sprechen wir das einmal offen aus: Viele Frauen meiDr. de With
den noch immer aus Scham den Schritt zur Polizei oder zum Staatsanwalt. Unser Vorschlag wird dazu beitragen - so hoffen wir wenigstens - , Denkprozesse in Bewegung zu setzen, die die Welt in der kleinsten Gemeinschaft, der zwischen Mann und Frau - ich hoffe, das ist nicht zu hoch gegriffen - , etwas gerechter, etwas partnerschaftlicher und - das sage ich auch - auf die Dauer vielleicht sogar etwas liebevoller machen können.
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Lassen Sie mich zum Schluß noch ein Wort zu den immer noch zahlreichen Hinweisen sagen, die Strafbarkeit in der Ehe gefährde das Zusammenleben zwischen Mann und Frau;
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denn sie schicke den Staatsanwalt in die Intimsphäre, zerre damit die Unzulänglichkeiten der Ehe und der ganzen Familie ins Rampenlicht und zerstöre so beides. Das ist die alte, hergebrachte Argumentation, die wir seit Jahrzehnten kennen.
Margot von Renesse - sie ist sicher nicht so sehr bekannt - , eine Familienrichterin, hat hierzu in dem erwähnten Anhörungsverfahren folgendes - ich meine sehr deutlich, klar und mit treffenden Worten - ausgeführt. Ich zitiere:
Der Mißbrauch ehelicher Sexualität, wo Machtergreifung und Unterwerfung wichtiger sind als das Zusammengehören und das Aufeinanderzuordnen von Sexualität, gefährdet deshalb den Bestand von Ehen, weil ja gerade die Sexualität ein wichtiger Kitt sein sollte. Und daß Frauen nicht an die Öffentlichkeit treten, liegt daran - worauf auch schon Frau Dr. Maeder hingewiesen hat -, daß sie sich für ihre Männer, aber auch um ihrer selbst willen schämen. Sie reden deshalb nicht, weil ihnen teils von ihren Männern, teils von der Gesellschaft eingeredet wird, daß eine Frau, die sich für ihren Mann nicht jederzeit zur Verfügung stellt, nicht den Normen entspricht, frigide ist und eigentlich nicht paßt. Dieses Problem könnte durch eine generalpräventive Wirkung des Strafrechts schon etwas behoben werden, wenn nämlich deutlich wird, daß die Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft jedenfalls nicht die Verpflichtung zu jedem Sexualakt, der verlangt wird, einschließt. Freiwilligkeit gehört einfach dazu, wenn man nicht einer islamischen Beschneidung fast nahekommen will.
Mag das, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch etwas drastisch ausgedrückt sein, es geht letztlich darum - das sage ich mit allem Ernst - , die Würde und die Welt der Frau etwas besser begreifen zu können, damit letztlich endlich auch in diesem Bereich Folgerungen gezogen werden.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eylmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege de With, ich habe es immer als etwas billig empfunden, wenn sich die Fraktionen dieses Hauses die mangelnde Präsenz vorhalten. Wir sind allemal Sünder, und Sie wissen genauso wie ich, daß wir uns sehr schnell mit einer entsprechenden Bemerkung revanchieren könnten.
Nun aber zur Sache: Die Diskussion der Frage, ob das Strafrecht die Vergewaltigung innerhalb und außerhalb der Ehe gleichstellen sollte, ist nicht immer leicht auf dem angemessenen Niveau zu führen. Das wissen Sie alle. Rührt schon der Konflikt zwischen Sexualität und Strafrecht an sehr tiefliegende Schichten, muß man in noch stärkerem Maße mit überkommenen Vorstellungen und auch irrationalen Verfestigungen rechnen, wenn in dieses Konfliktfeld noch die männliche oder die menschliche Aggression und die Ehe einbezogen werden.
Dabei - das wissen wir alle oder sollten es wissen - verdient dieses Problem eine sehr ernsthafte und nüchterne Zuwendung. Täglich werden in der Bundesrepublik Ehefrauen von ihren Ehemännern vergewaltigt. Daran besteht kein Zweifel. Ich will die Situation nicht dramatisieren. Natürlich befinden sich die deutschen Ehefrauen nicht in ihrer Mehrzahl in den Händen brutaler Machos. Andererseits würden wir die Realität verdrängen, wenn wir die Zustände in den bundesdeutschen Schlafzimmern als rosarote Idylle malen würden. Auf Grund zahlreicher Fakten und aller bekannten Umfrageergebnisse steht fest, daß es bei uns einige zigtausend Ehefrauen gibt, die diese Prozedur von ihren Ehemännern haben erdulden müssen.
Die weniger physischen als vielmehr psychischen Leiden der betroffenen Frauen verbieten es, sich dein Thema auf dem Niveau von Stammtischparolen oder mit schriller feministischer Agitation zu nähern.
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Nun will ich gleich zu Beginn davor warnen, anzunehmen, die Gleichstellung der außerehelichen und ehelichen Vergewaltigung sei ein sicheres und durchschlagendes Mittel
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- bestätigen Sie bitte nicht das, was ich zu Anfang gesagt habe; ich habe den Eindruck, Sie tun das -,
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die zumeist männliche Aggression im ehelichen Sexualverhalten zurückzudrängen. Wer hofft oder auch wer befürchtet, dann werde es in weitaus größerer Anzahl zu Strafanzeigen, strafrechtlichen Ermittlungen oder gar Verurteilungen kommen, irrt. Das Anzeigeverhalten der vergewaltigten Frauen wird sich allenfalls allmählich und nur in geringem Umfange ändern. Die Beweisschwierigkeiten bei Vergewaltigungen im Rahmen enger persönlicher Beziehungen bleiben. Es wird kaum mehr Verurteilungen geben als bisher. Deshalb können auch die abschreckenden und bessernden Wirkungen der Strafe - das, was wir unter Spezialprävention verstehen - hier kaum greifen. Bleibt die allgemeine Abschreckung, die negative Ge2514
neralprävention. Auch sie sollte man nicht überschätzen.
Dennoch, alle diese skeptischen Einsichten rechtfertigen eine Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Rechtszustandes nicht. Der Tatbestand der Vergewaltigung schützt das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Frau. Darüber sind wir uns einig. Dieses Recht ist unteilbar. Es verliert nicht ein Gran seines Gewichtes, wenn eine Frau heiratet.
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Gewiß verpflichtet die Ehe beide Partner zur Geschlechtsgemeinschaft, die im Wege partnerschaftlicher Rücksichtnahme und Einfühlung zu realisieren ist. Aber der Trauschein verpflichtet die Ehefrau nicht, dem Ehemann jederzeit, wenn dieser ein entsprechendes Verlangen spürt, zu Willen zu sein. Noch weniger gibt er dem Ehemann das Recht, sein Verlangen mit Gewalt durchzusetzen.
In der Bundesrepublik leben über 1 Million Paare in außerehelicher Lebensgemeinschaft, die sie in den meisten Fällen als Vorstufe zur Ehe betrachten. Man kann dieses Faktum mit guten Gründen beklagen, es aber nicht ändern. Wer kann mir einen rechtfertigenden Grund dafür nennen, daß eine Notzucht innerhalb einer solchen Lebensgemeinschaft einen Tag vor der Hochzeit als Vergewaltigung nach § 177 StGB zu bestrafen ist, einen Tag nach der Hochzeit aber nur als Körperverletzung und Nötigung?
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Niemand; denn einen solchen Grund gibt es nicht.
Ich will gleich hinzufügen: Es gibt auch keinen Grund, eine Vergewaltigung allein deshalb milder zu beurteilen, weil sie innerhalb einer Ehe geschehen ist. Vergessen wir nicht, daß sich in einer Ehe jeder Partner ein Stück weit in die Hand des anderen begibt, ihni Vertrauen schenkt. Werden diese Abhängikeit und dieses Vertrauen zu einem Notzuchtverbrechen mißbraucht, könnte man eher an einen schwereren als an einen müderen Fall denken.
Ist es somit ein Gebot der materiellen Gerechtigkeit, die Privilegierung der ehelichen Vergewaltigung abzuschaffen, so wäre es andererseits falsch, damit auch unterschiedliche Regelungen hinsichtlich der Rechte des Opfers für unzulässig zu halten. Art. 6 des Grundgesetzes stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz staatlicher Ordnung. Das bedeutet einerseits, daß die Ehe vor ihrem Zerbrechen oder ihrer inneren Entleerung durch aggressives Verhalten eines Partners nicht geringer geschützt werden darf als eine außereheliche Lebensgemeinschaft. Andererseits heißt das aber auch, daß bei einer Strafverfolgung die gebotene Rücksicht auf die engen personalen Beziehungen zwischen den Ehepartnern zu nehmen ist. Gerade weil die Vergewaltigung innerhalb der Ehe weniger die Dimension eines gesellschaftlichen Konflikts hat, sondern sich im engen Raum der intimen Beziehungen der beiden Ehepartner abspielt, ist es nicht nur vertretbar, sondern geboten, eine Strafverfolgung nicht zuzulassen, wenn das Opfer widerspricht.
Herr Abgeordneter, Sie gestatten eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Nickels?
Gern.
Herr Eylmann, ist die Tatsache, daß die rechtliche Fixierung bisher so war, daß in der Tat die Vergewaltigung vor der Ehe als solche auch geahndet wurde, aber nach der Eheschließung nicht mehr, nicht gerade ein Beweis dafür, daß das, was Sie soeben sagten, nicht stimmt, daß dieses Problem vielmehr auch eine gesellschaftliche Dimension hat, die bisher sogar auch gesetzlich fixiert war?
Es hat insofern eine gesellschaftliche Dimension - das will ich Ihnen gerne einräumen - , als weitgehend - das hat der Kollege de With ausgeführt - unbekannt war und sogar heute noch ist, daß eine Vergewaltigung in der Ehe strafbar ist. Aber wenn eine solche Vergewaltigung geschieht, dann geschieht sie nicht im gesellschaftlichen Umfeld, sondern in dem engen persönlichen Raum der beiden Ehepartner. Das gibt uns schon alle Veranlassung, dieser Sachlage auch Rechnung zu tragen.
Die Motive der verletzten Ehefrau, eine Bestrafung abzulehnen, können vielfältig sein. Es kann ihr um die Aufrechterhaltung der Ehe und es kann ihr auch um die Rücksichtnahme auf die Kinder gehen. Sie mag aber auch hoffen, entweder auf sich allein gestellt oder mit Hilfe einer Eheberatung oder einer Therapie die Aggressivität des Partners besser eindämmen zu könnnen, als es eine Strafe vermöchte. Wir sollten uns davor hüten, diese Motivationen und ihre Berechtigung einer staatsanwaltschaftlichen oder gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen.
Natürlich bin ich mir der Gefahr bewußt, daß Ehefrauen durch Druck dazu gebracht werden können, einem Fortgang des Verfahrens zu widersprechen. Das ist nie auszuschließen, wenn eine Verurteilung von einer Aussagebereitschaft oder einem Strafantrag abhängt. Aber im Lichte dessen, was wir doch gerade in den letzten Jahren über die Bedeutung des Opferschutzes gelernt haben, erscheint es mir weitaus unerträglicher, den Strafverfolgungsbehörden das Recht einzuräumen, sich über den entgegenstehenden Willen der vergewaltigten Ehefrau hinwegzusetzen. Wenn wir es, meine Damen und Herren, den Frauen zutrauen, daß sie sich Schritt für Schritt den vollen Bereich familiärer, gesellschaftlicher und beruflicher Selbständigkeit und Selbstverantwortung erobern, wäre es ein Widerspruch, sie in einem Teilbereich gleichsam als unmündig zu behandeln, weil man ihnen nicht zutraut, für sich selbst, ihren Ehepartner und die Familie die richtige Entscheidung zu treffen.
Wir wollen also - Herr Kollege de With, das ist die Klarheit, die Sie gewünscht haben - eine Reform des Gesetzes, die im Grundsatz das enthält, was ich eben ausgeführt habe. Ein entsprechender Regierungsentwurf wird in Kürze kommen.
Lassen Sie mich abschließend aber noch einmal betonen - Sie haben es angedeutet - daß es eine Illusion wäre, zu glauben, mit einem Federstrich des Gesetzgebers sei das Problem der Gewalt in der Ehe gelöst. Was wir mit einer Gesetzesänderung machen
können und auch machen wollen, ist gleichsam die Aufstellung eines für jedermann sichtbaren Zeichens, das alle Bürgerinnen und Bürger, insbesondere die Ehemänner, darauf hinweist, daß das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Frau auch und gerade in der Ehe zu respektieren ist und daß die Verletzung dieser fundamentalen Norm unseres Gemeinschaftslebens ein schweres Verbrechen darstellt. Man kann mit einiger Berechtigung erwarten, daß diese Leitbildfunktion des Strafrechts, die von der modernen Strafrechtsdogmatik mit dem Begriff der positiven Generalprävention umrissen wird, nicht ohne Wirkung bleibt. Umfragen haben gezeigt, daß die Rechtsunkenntnis auf diesem Gebiet groß ist; Herr de With hat es gesagt.
Die geplante Gesetzesänderung und auch die Diskussion, die wir heute führen und noch führen werden, sind sicherlich geeignet, irrige Vorstellungen zu korrigieren. Darüber hinaus wird es aber ständiger Anstrengungen auf vielen Ebenen bedürfen, um die innereheliche Aggression und Gewaltanwendung abzubauen. Insbesondere wird es darauf ankommen, dem z. B. in unserer Videosubkultur immer wieder auftauchenden Klischee entgegenzutreten, ein bißchen Gewalt im Umgang mit den Frauen schade nicht und sei sogar geeignet, ihrem sexuellen Verlangen förderlich zu sein. Wenn wir die Propagierung eines solchen Frauenbildes immer wieder zulassen, brauchen wir uns auch nicht zu wundern, daß diese Vorstellungen nicht aussterben. Die Änderung des Gesetzes ist nur ein Schritt auf dem langen Wege, der noch vor uns liegt.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich die heutige Debatte mit der Debatte vergleiche, die wir 1983 hatten, dann, muß ich sagen, bin ich schon ganz froh; denn gerade das Argument, daß ein bißchen Sexualität das Salz in der Suppe sei, ist damals nicht so, aber ähnlich gefallen.
({0})
Ich erinnere mich auch noch daran, daß ein Kollege von der rechten Seite in der Debatte damals sagte: Das Problem der Vergewaltigung in der Ehe mag vielleicht bei den GRÜNEN und der SPD zu finden sein, aber die Familien, die da zu der rechten Seite gehörten, seien alle gesund, da komme das nicht vor. Insoweit bin ich froh. Aber ich muß Ihnen auch folgendes sagen: Wir dürfen ja nicht die Historie vergessen, wie dieses Problem überhaupt in die Debatte gekommen ist. Da muß ich sagen, daß die von Ihnen so genannten „schrillen Feministinnen" eine Arbeit geleistet haben, die wir nur anerkennen können.
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Sie haben seit Jahrzehnten um dieses Problem gekämpft. Ich denke, wir im Bundestag sind doch alle so
weit, daß uns eine schrille Feminstin lieber als ein dumpfer Patriarch ist.
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Jetzt komme ich zu dem SPD-Entwurf, um den es ja heute zunächst geht. Ich möchte auf eine Stelle eingehen. Im SPD-Entwurf werden zwei Dinge gemacht. Auf der einen Seite wird das Wort „außereheliche" gestrichen, dadurch werden alle Vorkommnisse, auch die in der Ehe, strafrechtlich erfaßt. Das ist richtig. Aber, Herr de With, ich halte diesen Passus für ganz falsch, in dem gesagt wird:
Das Gericht kann die Strafe mildern oder von Strafe absehen, wenn dies im Interesse der Aufrechterhaltung der Bindungen ... ist.
Es mag sein - das Leben ist ja sehr vielfältig, und wir können unsere Verhaltensweisen nicht anderen aufdrücken wollen - , daß es Paare gibt, die sich auch nach diesem Vorfall einer Vergewaltigung versöhnen. Aber ich denke keinesfalls, daß wir mit rechtlichen Mitteln sozusagen auf eine Versöhnung hinarbeiten sollen. Denn ich glaube, es ist hier immer noch ein Mißverständnis in der Debatte. Es wird so getan, als sei Vergewaltigung nur eine mehr oder weniger verunglückte Form von Sexualität. Das stimmt überhaupt nicht. Vergewaltigung hat mit Sexualität überhaupt nichts zu tun. In der Vergewaltigung wird ein Unterwerfungsakt gefordert und ein Herrschaftsakt vollzogen, der gewalttätig ist und die Integrität der Frau angreift. Das hat mit Sexualität überhaupt nichts zu tun.
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Deshalb finde ich es falsch, gesetzliche Regelungen zu treffen, die sozusagen auf eine Versöhnung hinarbeiten. Denn sonst kann es leicht passieren, daß die Frau unter Druck gesetzt wird und sich sozusagen im nachhinein unter Druck versöhnen soll, damit der Mann nicht eine solch harte Strafe erhält.
Es ist interessant zu diskutieren und zu überlegen, ob das Strafmaß von zwei Jahren im Gesetz stehen bleiben soll. Denn wenn wir auf das Strafmaß von mindestens einem Jahr heruntergingen, dann wäre es möglich, die Strafe zur Bewährung auszusetzen. Das ist ein ganz anderer Diskussionspunkt, der darauf hinausläuft, daß wir uns einmal in Ruhe fragen, ob es nützt, wenn Vergewaltiger ins Gefängnis gehen. Wir wollen ja eine Verhaltensänderung bei diesen Männern, eine Veränderung ihres Frauenbildes. Sie müssen lernen und erkennen, daß Frauen menschliche Wesen sind, die man nicht einfach unterwerfen kann und gegen die man nicht einfach Herrschaft und Gewalt ausüben kann.
Das ist eine Diskussion, die wir im Moment bei uns in der Fraktion sehr kontrovers führen. Es gibt auch Stimmen, die sagen: Wir wollen auf jeden Fall das Strafmaß von zwei Jahren beibehalten, weil wir die Schwere dieses Deliktes damit kennzeichnen wollen. Bei uns, so kann ich sagen, ist es noch nicht ausdisku2516
tiert. Aber wir werden demnächst ja einen Gesetzentwurf vorlegen, und dann wird man sehen, zu welchem Ergebnis wir gekommen sind.
Ich will noch schnell, weil die Zeit gleich vorbei ist, auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen. Nach dem bestehenden Gesetz - und Sie wollen diese Formulierungen beibehalten - ist nur die vaginale Penetration eine Vergewaltigung.
Dabei kann es nicht bleiben. Ich denke, ein erzwungener Oral- oder Analverkehr muß genauso als Vergewaltigung geahndet werden, denn das ist ein ganz schrecklicher und fürchterlicher Vorgang, den wir nicht unter „Nötigung" fassen können.
({4})
Ein anderer Punkt noch schnell: Ich bin dafür, auch den minder schweren Fall herauszunehmen, weil dieser ganze Vorgang, daß man sich eine Frau vornimmt, daß man ein Verbrechen an ihr begeht, egal ob man eine Penetration in irgendeiner Form vornimmt oder nicht, daß man sie zu irgendwelchen sexuellen Handlungen zwingt, nichts anderes sein kann als eine Vergewaltigung. Deshalb, so denke ich, sollte der minder schwere Fall herausgenommen werden.
Dann gibt es noch einen Punkt, von dem ich denke, daß wir über ihn diskutieren müssen. Das ist der Fall, daß eine Vergewaltigung ja von einer Frau sozusagen nachgewiesen werden muß. Die Frau muß also nachweisen, daß sie mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben genötigt wurde. Das heißt, eine Frau muß nachweisen, daß sie bedroht worden ist, daß sie sich gewehrt hat. Ich finde es nicht richtig, daß man das darin läßt. Wir müssen davon ausgehen: Wenn Menschen miteinander leben oder Menschen miteinander in Kontakt sind und ein Mann fängt an, in der Weise zu handeln, und eine Frau sagt: „Nein, ich will das nicht", dann heißt das nein. Davon müssen wir ausgehen. Wenn eine Frau nein sagt, dann meint sie nein, und wenn dieses Nein gefallen ist, dann darf der Mann nicht irgendeine andere Wertung hineinbringen. Die Wertung, die dahintersteckt, ist immer so, daß man denkt: Na Gott, die Frau hat nein gesagt, aber im Gegenteil, sie meint es ja gar nicht so, vielleicht will sie es ja doch. - Das wollen die Frauen nicht; wenn sie nein sagen, dann meinen sie nein. Ich denke, das müssen wir auch in unseren Gesetzen berücksichtigen.
Danke.
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Das Wort hat der Abgeordnete Lüder.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der SPD greift einen Themenbereich auf, der nach meiner Auffassung nicht die schrillen Töne fordert, der keine lauten Töne verträgt, sondern der Nachdenken erfordert, auch Nachdenken über Grundsatzfragen. Ich orientiere mich hier in der ersten Lesung nicht am Wortlaut des Antrages allein, so wie ich Herrn Kollegen de With verstanden habe, sondern an der Zielsetzung des Antrages, um die allein es uns gehen muß. Ich kann den mit mir neuen Kollegen im Hause nur empfehlen, einmal nachzulesen, wie differenziert dieses Thema in der Anhörung am 26. Juni 1986 angepackt wurde, wie schwierig es zu besprechen war. Mit Recht ist auf das hingewiesen worden, was Praktiker bisher dazu gesagt haben, insbesondere auch Familienrichter.
Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten haben uns nach einer fair, aber engagiert geführten Debatte auf unserem Kieler Bundesparteitag für die Strafbarkeit sexueller Gewalt auch in bestehenden Ehen ausgesprochen. Wir bejahen also die gesetzes-politische Zielsetzung des heutigen Antrags. Wir haben uns dabei vor allem mit drei Problemen auseinandergesetzt, zu denen wir auch hier im Deutschen Bundestag Stellung beziehen müssen und mit denen wir uns in den Ausschußberatungen befassen müssen.
Erstens. Weil wir wissen, daß sexuelle Gewalt auch in bestehenden Ehen geschieht, müssen wir Wege suchen, diese zu verhindern, und sie dort, wo sie geschieht, ahnden. Frau Schoppe, ich stimme Ihnen zu, es kann nicht nur um den bisherigen Tatbestand der Vergewaltigung in der bisherigen Ausprägung der Rechtsprechung gehen.
Die Unverletzlichkeit der Ehre und die Unantastbarkeit der Partnerin dürfen nicht beim Standesamt abgegeben werden. Unser Strafgesetzbuch droht schon heute Strafe gegen sexuelle Gewalt in der Partnerschaft an, aber der Grund für die unterschiedliche Strafdrohung liegt nicht im fehlenden Trauschein, sondern liegt darin, daß wir Gewalt in der Partnerschaft verhüten wollen und verhüten müssen, wie auch immer die legalisierte Form der Partnerschaft gestaltet ist. Ich bin sogar der Meinung, daß der besondere Schutz der Ehe, den unser Grundgesetz vorsieht, auch besonderes Nachdenken über die Wahrung und Sicherung von Freiheit und Würde der Partner in der Ehe fordert.
Das zweite. Wir haben zwar gesehen, daß durch den, wie es heißt, „Staatsanwalt im Schlafzimmer" Gewalt verhindert werden kann und soll; es besteht aber auch die Gefahr, daß Nötigung und Erpressung im Zusammenhang mit Scheidungsverfahren möglich werden könnten. Wir dürfen nicht einen neuen Straftatbestand zur Vermeidung von Gewalt schaffen und damit zugleich die Grundlage für neue Straftaten legen. Diesem Punkt müssen wir besondere Aufmerksamkeit widmen. Ich weiß nicht, Herr de With, ob die Formulierung, die Sie zur Strafmilderung vorgeschlagen haben, schon das letzte Wort sein wird.
Meine Damen und Herren, ich nehme dieses Argument sehr ernst, und ich würdige auch die Entscheidung jener Kollegen, die, wie in der Anhörung durch die Vertreter des Anwaltvereins gesagt worden ist, eben aus diesen Gründen der beabsichtigten Gesetzesänderung skeptisch, manchmal auch ablehnend gegenüberstehen. Ich bitte aber alle diese Kollegen, die der Zielsetzung des Antrages skeptisch und ablehnend gegenüberstehen, zu prüfen, ob diesem Hinweis nicht durch geeignete gesetzliche Kautelen vorgebaut werden kann; denn ich meine, daß wir hier Wege finden müssen.
Drittens. Wenn wir es ernst nehmen mit der Bekämpfung von Gewalt, wo auch immer sie auftritt,
dann dürfen wir keine strafrechtlichen Sonderräume für Gewaltanwendung lassen. Der Trauschein darf kein Kriminalitätskriterium sein. Wir müssen uns stets bewußt bleiben, daß nach heutiger Gesetzeslage die Differenzierung ja allein im Trauschein begründet ist. Dieses können wir nicht akzeptieren.
Wer werden deswegen an die weitere Antragsberatung aufgeschlossen mit dem Ziel herangehen, durch Schaffung eines Straftatbestandes gegen sexuelle Gewalt auch in der Ehe dem Werteanspruch des Grundgesetzes zu Ehe und Familie gerecht zu werden, der Würde, Freiheit und Selbstbestimmung der Frau zu entsprechen. Unsere Aufmerksamkeit und unser Bemühen gelten dabei der Vermeidung von Mißbrauchsmöglichkeiten richtig gemeinter gesetzlicher Straftatbestände ebenso wie dem gesetzespolitischen Ziel, das von uns in der Form des vorliegenden Antrags bejaht wird.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir können uns bei der heutigen Debatte bereits stützen auf die Ergebnisse des Hearings vor dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages, der Anhörung, die im Bundesministerium der Justiz stattgefunden hat, und auf die Ergebnisse der Umfrage des Emnid-Instituts, die seinerzeit von mir in Auftrag gegeben worden war.
Danach steht fest, daß der strafrechtliche Schutz vor sexuellen Gewalthandlungen innerhalb der Ehe ergänzungsbedürftig ist. Ein wirksamer Schutz des sexuellen Selbstbestimmungsrechts muß auch innerhalb der Ehe gewährleistet sein. 41 % - wenn man die Zahlen zusammennimmt - der vom Emnid-Institut Befragten war es nicht bekannt, daß schon nach geltendem Recht die Vergewaltigung einer Ehefrau nicht straflos ist. Die Einbeziehung der Ehefrau in die Vorschriften des Sexualstrafrechts expressis verbis wird daher auch eine klarstellende Funktion haben und einem weitverbreiteten Irrtum entgegenwirken können.
Allerdings gehen die Meinungen über die konkrete Ausgestaltung einer Reform bisher auseinander. Es muß eine differenzierte, eine ausgewogene Lösung gefunden werden, die einerseits einen wirksamen strafrechtlichen Schutz gewährleistet, die aber andererseits auch die Probleme - Herr Kollege Lüder hat es angesprochen - einzubeziehen sucht, die von den Gegnern einer gesetzlichen Änderung für den Fall einer Reform befürchtet werden.
Es darf nicht verkannt werden, daß mit der Frage der Einbeziehung des ehelichen Intimbereichs in Tatbestände des Sexualstrafrechts ein Bereich berührt wird, in dem der Gesetzgeber mit großer Behutsamkeit agieren muß; agieren sollte er, aber er muß mit großer Behutsamkeit agieren.
Diesen Anforderungen wird der vorliegende Gesetzentwurf der SPD-Fraktion nicht gerecht. Eine gesetzliche Regelung kann sich meines Erachtens nicht auf die bloße Streichung des Merkmals „außerehelich" in den einschlägigen Straftatbeständen beschränken.
({0})
Ich meine, eine gesetzliche Regelung sollte in Ehegattenfällen dem Opfer die Möglichkeit einer eigenständigen Konfliktregelung eröffnen.
({1})
Ich meine, gerade in dem grundrechtlich besonders geschützten ehelichen Bereich dürfen staatliche Eingriffe nur mit großer Zurückhaltung erfolgen. Dies läßt der SPD-Entwurf außer acht. Für Ehegattenfälle sollte - das ist nach reiflichem Überlegen meine Auffassung - allerdings kein Sondertatbestand geschaffen werden. Eheliche und außereheliche sexuelle Gewalthandlungen sollten grundsätzlich gleichbehandelt werden. Ein Zweiklassenrecht sollte es hier nicht geben.
Die Anhörungen und Umfragen haben weiter ergeben - gerade auch die Anhörung bei mir im Ministerium -, daß die Differenzierung des geltenden Rechts zwischen dem Beischlaf auf der einen und anderen Penetrationsformen auf der anderen Seite als ungerechtfertigt empfunden wird. Ich denke, eine Neuregelung sollte dem Rechnung tragen und alle Fälle gleichbehandeln.
Zugleich sollte eine umfassende Neugestaltung der geltenden Vorschriften über Vergewaltigung und sexuelle Nötigung erfolgen, die auch die teilweise Beschränkung des Strafrechtsschutzes auf Frauen durch eine geschlechtsneutrale - siehe unsere Debatte vorhin - Fassung der Tatbestände beseitigt.
Die Bundesregierung ist dabei, auf der Basis der genannten, von mir soeben kurz angerissenen Prämissen einen Vorschlag für eine gesetzliche Regelung auszuarbeiten, die als Grundlage für eine ausgewogene und angemessene strafrechtliche Reaktion auf sexuelle Gewalttaten innerhalb der Ehe dienen kann. Ich bin zuversichtlich, daß wir in sehr absehbarer Zeit einen Gesetzentwurf vorlegen können, der die Vielzahl der divergierenden Vorstellungen auf einen möglichst großen gemeinsamen Nenner zusammenführen wird.
({2})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Bulmahn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist erfreulich, daß es nach dem Verlauf der bisherigen Diskussion den Anschein hat, als ob alle Fraktionen, die in diesem Hause vertreten sind, der Meinung sind, daß dieses Zweiklassenrecht, wie es bisher bestand, nicht mehr länger Bestand haben darf und daß eine Änderung dieses Zweiklassenrechts dringend notwendig geworden ist. Es ist auch, denke ich, nicht verständlich, warum eine Vergewaltigung außerhalb der Ehe bisher als Verbrechen und eine Vergewaltigung innerhalb der Ehe dagegen als Vergehen - mit einem entsprechend geringen Strafmaß
- gewertet worden ist. Diese Rechtslage hat eben zu diesem Zweiklassenrecht geführt,
({0})
hat dazu geführt, daß es zwei Klassen von Frauen gab,
({1})
hat auch dazu geführt, daß sich gewalttätige Ehemänner hierdurch geschützt fühlten.
({2})
Ich freue mich, daß dies nun offensichtlich geändert werden soll. Wir als Fraktion wehren uns allerdings gegen Überlegungen, die darauf abzielen, für verheiratete Frauen eventuell einen Sonderstraftatbestand zu schaffen, oder die darauf abzielen, eine drastische Herabsetzung des Strafmaßes herbeizuführen. Solche Überlegungen, denke ich, müssen wie ein Schlag ins Gesicht aller Frauen wirken. Die Einbeziehung von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung auch dann, wenn diese innerhalb der Ehe geschehen, ist nicht ausschließlich eine Frage der Gleichstellung, sie ist auch gesellschaftspolitisch überfällig.
Meine Vorrednerinnen und ebenfalls meine Vorredner haben darauf hingewiesen: Es gibt Zahlen über die Häufigkeit von Vergewaltigungen in der Ehe, die deutlich machen, daß es sich hierbei nicht um einen Einzelfall, sondern um ein alltägliches Verbrechen handelt. Untersuchungen belegen zudem, daß es sich nur in den seltensten Fällen um ein einmaliges Geschehen handelt. Meistens weiten sich Vergewaltigungen in einer Ehe zu einer strukturellen Unterwerfung und Demütigung der Frauen aus.
Vergewaltigung und Gewalt in der Ehe und außerhalb der Ehe sind brutal. Wenn es dennoch selten zu Anzeigen der Betroffenen wegen Nötigung oder Körperverletzung kommt oder die Frauen ihre Männer oft erst nach jahrelangen Quälereien verlassen, so trägt hierzu zu einem nicht geringen Teil die immer noch weit verbreitete Meinung vieler Frauen bei, jederzeit zum sexuellen Verkehr mit dem Ehemann verpflichtet zu sein, während andererseits viele Männer - und dies ist das Entscheidende - noch immer auf dem Standpunkt stehen, die Frau unterstehe der Verfügungsgewalt des Mannes.
Vorhin ist die Befragung durch das Bundesjustizministerium zitiert worden, laut der jeder vierte Verheiratete äußerte, daß Frauen eine Vergewaltigung als angenehmes Erlebnis empfinden, daß über 30 % ihnen eine Mitschuld zurechnen und jeder fünfte meinte, Frauen hätten beim gewaltsamen Sex ganz unerwartet große Lust. Diese frauenverachtenden und diskriminierenden Äußerungen bleiben dabei keineswegs auf männliche Stammtischrunden beschränkt.
({3})
Der Münsteraner Rechtswissenschaftler Hans Joachim
Schneider wird im „Spiegel" mit den Worten zitiert:
Die meisten Mädchen und Frauen wollen von
Männern erobert werden. Sie möchten bewußt
oder unbewußt zum Geschlechtsverkehr gezwungen werden, um einen scheinheiligen moralischen Anspruch zu wahren.
Meine Damen und meine Herren, bei derartigen Ansichten und Äußerungen und dem daraus resultierenden frauenfeindlichen Verhalten vieler Männer kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Hier sind wir Politikerinnen und Politiker gefordert, einen Bewußtseinswandel zu fördern und zu beschleunigen. Dieser Bewußtseinswandel soll durch den von meiner Fraktion vorgelegten Gesetzentwurf erreicht werden, der die Vergewaltigung von Frauen grundsätzlich und ohne Wenn und Aber als Gewaltverbrechen wertet. Er dient der Aufklärung jener Frauen, die noch immer irrtümlich glauben, zu Intimität verpflichtet zu sein. Insbesondere zielt er auf jene Männer, die wie selbstverständlich davon ausgehen, ein Recht auf die jederzeitige sexuelle Verfügbarkeit ihrer Ehefrau zu haben.
({4})
Der Gesetzentwurf schafft eine klare und eindeutige Rechtslage. Er bestimmt unmißverständlich, was Recht und was Unrecht ist. Die Erlebnisse zahlreicher Frauen, die sich in ihrer Not an die Polizei wenden, dann aber keine Unterstützung erfahren, weil der Gewaltanwendende der eigene Ehemann ist, müssen endgültig der Vergangenheit angehören. Die Erfahrungen des Auslands zeigen eindeutig, daß klare rechtliche Bestimmungen durchaus ein Unrechtsbewußtsein schaffen können und zumindest auf einen Teil der Männer abschreckende Wirkung haben.
Wir sind uns allerdings zugleich darüber im klaren, daß sich ein Bewußtseinswandel nicht vom einen auf den anderen Tag verordnen läßt, sondern daß sich derartige Prozesse über längere Zeiträume erstrekken. Auch wird eine eindeutige Strafbestimmung nicht automatisch zu einem Rückgang von Gewalt gegenüber Frauen in der Ehe führen. Es gilt jedoch, endlich einen entscheidenden Schritt in die richtige Richtung zu tun.
Die Verankerung der Strafbarkeit eines Verbrechens im Strafgesetzbuch darf jedenfalls nicht davon abhängig gemacht werden, ob entsprechende Anzeigen und Verfahren zu erwarten sind. Hier ist vielmehr zu fragen, was die gepeinigten und gedemütigten Frauen davon abhält, eine Anzeige zu erstatten.
Frau Schoppe, um auf Ihren Einwand von vorhin einzugehen: Unser Gesetzentwurf soll natürlich kein Freibrief dafür sein, daß Männer in der Ehe versuchen, auf ihre Frauen einen psychologischen Druck auszuüben, damit sie die Anzeige zurückziehen; auch nicht dafür, daß hier eine Strafmilderungsmöglichkeit gegeben sein sollte. Diese sollte nur dann gegeben sein, wenn eine Änderung in der Beziehung eingetreten ist und beide Partner bereit sind, weiter miteinander zu leben. Die vorgesehene Regelung soll - ich meine, das ist von uns deutlich gesagt worden und wird sicher auch in Zukunft immer deutlich gesagt werden - kein Mittel sein, mit rechtlichen Mitteln auf eine Versöhnung hinzuwirken.
({5})
Ich denke, daß wir hierzu - wir haben das deutlich gesagt - auch noch andere Regelungen einsetzen müssen.
Wenn man danach fragt, was die gepeinigten und gedemütigten Frauen davon abhält, eine Anzeige zu erstatten - das ist ein Punkt, der in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen wird - , dann kann man feststellen, daß es ein ganzes Bündel von Motiven ist. Die Frauen hoffen, daß sich der Mann wieder bessert, und vergeben ihm, wobei jede erneute Vergewaltigung als Rückfall interpretiert wird. Sie nehmen Rücksicht auf die Kinder. Die mißhandelten Frauen sind in der Regel wirtschaftlich von den Männern abhängig. Sie glauben in der Regel, daß es sich um einen Einzelfall handelt. Sie sind häufig sozial isoliert. Sie glauben auch oft, daß das Verhalten des Mannes nicht strafbar ist. Ein ganz wesentlicher Punkt ist nach wie vor, daß sie Angst und Scham davor haben, ihr Intimleben vor der Öffentlichkeit darstellen zu müssen.
An diesem Punkt gilt es anzusetzen, meine Damen und Herren. Wir müssen unsere Solidarität mit den betroffenen Frauen zeigen und den angegebenen Motiven entgegenwirken, nicht aber auf die Strafwürdigkeit des Verbrechens der Vergewaltigung in der Ehe verzichten. Die Einwirkung auf das Bewußtsein und die Aufklärung über die rechtliche und soziale Wirklichkeit ist dazu ein entscheidender Schritt.
Unser Gesetzentwurf und die öffentliche Diskussion darüber können wesentlich dazu beitragen, die Frauen aus ihrer sozialen Isolierung und aus der Unkenntnis über die Strafbarkeit des männlichen Verhaltens zu befreien und auch aus ihrer Angst und Scham davor, ihr Intimleben vor der Öffentlichkeit darzustellen. Wir wollen durch diesen Gesetzentwurf deutlich machen, daß es sich hier nicht um Privatsache handelt. Gewalt gegen Frauen, Vergewaltigung von Frauen, das ist keine Privatsache. Es ist ein gesellschaftliches Problem.
({6})
Wir dürfen hierbei allerdings nicht stehenbleiben, sondern wir müssen die strafrechtlichen Bestimmungen durch weitere Maßnahmen flankieren, um zu erreichen, daß die Gewalt in der Ehe weniger wird und die Frauen selbstbestimmter leben können. Hierzu zählen die eigenständige wirtschaftliche Sicherung von Frauen, eine Verbesserung des Opferschutzes vor Gericht und in der Öffentlichkeit. Hierzu zählt auch die finanzielle Absicherung von Beratungsstellen und vor allen Dingen der Frauenhäuser.
Meine Herren und Damen, im Interesse der Frauen bitte ich Sie, hier eine andere Regelung zu treffen und den Antrag meiner Fraktion in den Ausschußberatungen zu unterstützen und ihm zuzustimmen.
Ich danke Ihnen.
({7})
Auch bei Ihnen, Frau Abgeordnete, sind wir sehr großzügig verfahren, weil es Ihre erste Rede war. Ich würde Ihnen allerdings empfehlen, in Zukunft dem Präsidenten nicht zuviel
Schwierigkeiten zu machen und so etwas zur Gewohnheit werden zu lassen.
Das Wort hat nunmehr die Ministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Frau Süssmuth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich fasse mich kurz, weil ich weiß, daß Sie nach Hause möchten. Ich hatte großes Verständnis für Frau Bulmahn. Ich war bei meiner ersten Rede weit nervöser als Sie. Ich kann mich nach dem, was gesagt worden ist, jetzt recht kurz fassen.
Am Abschluß dieser Woche möchte ich folgendes sagen. Ich halte es für sehr gut, daß wir uns in dieser Woche nicht nur mit den Fragen der brutalen Gewalt, den Morden in Frankfurt, beschäftigen, sondern auch damit, Gewalt bis in den privatesten Bereich genauso ernst und so nachdrücklich ahnden zu wollen. Die Frage der Aufnahme der Vergewaltigung in der Ehe in das Strafrecht hat mit Schnüffeleien in der Ehe nichts zu tun,
({0})
sondern sie hat etwas damit zu tun, Unrechtsbewußtsein zu schärfen und Fortschritte zu machen: in einer menschlich entwickelten Sexualität in gegenseitigem Einverständnis, in der Rücksichtnahme der Partner aufeinander. Das führt unter uns Frauen sicherlich immer wieder einverständlich zu der Feststellung: Gewalt hängt in erster Linie davon ab, ob Menschen einer Handlung zustimmen oder nicht zustimmen können. Ich hoffe, daß wir hier eine Regelung finden.
Ich denke, es ist noch sehr viel gravierender, ob dies in der Ehe oder außerhalb der Ehe geschieht; denn mit der Ehe ist so eine Tat noch weniger vereinbar und für den Betroffenen noch viel weniger nachvollziehbar.
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Mir scheint aber wichtig zu sein, daß wir in bezug auf das Unrechtsbewußtsein noch einmal klarmachen, daß über Jahrhunderte überhaupt eheliche Vergewaltigung nicht als Unrecht galt, weil der Mann in der Ehe die Vormundschaft und Herrschaft über seine Frau innehatte. Deshalb galt ein solcher Tatbestand in der Ehe als undenkbar.
Ich möchte hier abschließend auch noch einmal betonen: Wir haben noch eine Menge damit zu tun, das Problem von Gewalt aus der Sexualität, aus dem Zusammenleben zwischen Ehepartnern und an Kindern zu überwinden. Wir haben es gegenwärtig nicht mit einer Abnahme, sondern, öffentlich gesehen, eher mit einer Zunahme zu tun. Meine Hoffnung richtet sich darauf, daß das, was öffentlich bekannt wird, früher in weit größerem Maße tabuisiert war und überhaupt keine Möglichkeiten des Eingriffs enthielt.
Aus alldem folgt: Eine Ehefrau muß strafrechtlich genauso geschützt sein wie eine nicht verheiratete Frau. Deswegen setze ich mich dafür ein, daß die eheliche Vergewaltigung strafrechtlich nicht anders behandelt wird als die außereheliche. Sie soll nicht geringer strafbewehrt sein, und sie soll genauso von Amts wegen verfolgt werden. Nur sollte eine Rege2520
lung gefunden werden, durch die verhindert werden kann, daß gegen den Willen der Ehefrau weiter ermittelt wird. Ich denke, wenn wir das Selbstbestimmungsrecht wirklich ernst nehmen, muß uns daran gelegen sein, Versöhnung nicht auszuschließen, sondern möglich zu machen. Daß hierin ein Risiko liegt, ist unbestritten. Aber wir müssen dort eine Güterabwägung vornehmen. Dies scheint mir für die nachfolgenden Beratungen und Auseinandersetzungen wichtig zu sein.
Ich denke, daß der Justizminister und ich in allen diesen Punkten einig sind.
Um Mißverständnissen vorzubeugen: Die Novellierung des § 177 des Strafgesetzbuchs hat nicht das Ziel, eine Kette von Strafverfahren gegen Ehemänner auszulösen. Dies ist auch nach allen internationalen Erfahrungen nicht zu erwarten. Ich denke, so, wie Ministerpräsident Wallmann in dieser Woche von der präventiven Funktion des Strafrechts gesprochen hat, gilt dies gerade auch für diesen Bereich, aber mit klarer Benennung des Unrechts und der Schwere des Delikts.
Es handelt sich hier nicht um ein Kavaliersdelikt. Hier fehlt es oft noch am Unrechtsbewußtsein, wenn davon ausgegangen wird, es gehöre zur Pflicht der Ehefrau, jederzeit sexuell verfügbar zu sein. Es bedarf - ich wiederhole es - vielmehr der beiderseitigen Zustimmung. Die allgemeine Zustimmung bei Eheschließung deckt eben nicht jeden Einzelfall ab. Es geht darum, eine strafrechtliche Lücke zu schließen, die unserem heutigen Eheverständnis und Eherecht zuwiderläuft.
Es geht aber auch darum, Hilfen anzubieten. Ich möchte unterstreichen, was hier gesagt worden ist: Nicht die Strafe verändert den Menschen. Hier geht es darum, durch Strafe etwas deutlich zu machen. Wenn in diesem Bereich Veränderungen erfolgen sollen, kommt es darauf an, Hilfen für langfristige Verhaltensänderungen anzubieten. Ich habe allerdings große Zweifel, ob zwangsweise Hilfen hier greifen. Auch das müssen wir beraten.
In diesem Sinn werden wir alsbald einen Regierungsentwurf zuleiten, der eine umfassendere und damit befriedigendere Novellierung des § 177 des Strafgesetzbuchs vorsieht. Er soll weiter gehen als die jetzt vorgesehene Regelung des SPD-Entwurfs.
Gestatten Sie, Frau Minister, eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Schoppe?
Ja.
Bitte schön, Frau Schoppe.
Ich habe nur eine Frage zum Abschluß: Heute ist in der „taz" schon ein Entwurf kommentiert. Ich möchte bitten, daß, wenn ein Entwurf schon vorliegt, die Fraktionen den dann auch so schnell wie möglich zur Verfügung gestellt kriegen.
Frau Schoppe, sobald der Entwurf vorliegt, werden wir ihn auch zuleiten.
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- Was gibt es, was die Presse nicht hat? Danke schön.
({1})
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD über die Strafbarkeit der Vergewaltigung, der sexuellen Nötigung und des sexuellen Mißbrauchs in der Ehe an die in der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle eine persönliche Bemerkung. Ich würde mich freuen, wenn die Beratungen in den Ausschüssen von der gleichen Art und dem gleichen Niveau wären wie die Debatte heute hier zu diesem Punkt.
Weitere Vorschläge zur Überweisung werden nicht gemacht. Dann darf ich dies als beschlossen feststellen.
Damit sind wir am Schluß unserer Tagesordnung. Es bleibt mir nur übrig, Ihnen ein angenehmes Wochenende zu wünschen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 11. November 1987, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.