Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
({0})
Meine Damen und Herren, ich kann nach dem, was am Montagabend bei der Startbahn West in Frankfurt geschehen ist, nicht ohne weiteres die Tagesordnung eröffnen, als beträfe uns das nicht. Deshalb begrüße ich es auch, daß sich die Fraktionen darauf verständigt haben, heute morgen eine Aussprache über den Mord an zwei Polizeibeamten in Frankfurt zu führen.
Zunächst will ich der Bestürzung und der Trauer Ausdruck geben, die uns angesichts des Todes der zwei Polizeibeamten bewegt. Wir trauern um Klaus Eichhöfer und Thorsten Schwalm, die aus dem Hinterhalt ermordet wurden; sie hatten keine Chance. Unser Mitgefühl gilt ihren Angehörigen, unsere Sympathie ihren Kollegen, deren Betroffenheit wir verstehen und teilen. Unser Mitgefühl gilt ebenso den Schwerverletzten Polizeibeamten, denen wir eine baldige und vollständige Genesung wünschen und deren Angehörige ich unserer Solidarität versichere.
Noch wissen wir nicht genau, was sich im einzelnen zugetragen hat. Bisher müssen wir annehmen, daß gezielte Anschläge auf das Leben von Mitbürgern unternommen wurden. In der Beliebigkeit gegenüber den Personen, die das treffen würde und sollte, liegt eine abstoßende Empfindungslosigkeit und eine schreckliche Mißachtung der Gemeinsamkeit menschlichen Lebens.
Es fällt schwer, darüber politisch zu diskutieren. - Wir alle aber sind aufgefordert, Gefühlen der Feindschaft, der Wut oder Vergeltung keinen Raum zu geben. Die politische Auseinandersetzung in unserem Land ist hier im Parlament zu führen - mit friedlichen Mitteln. Wir dürfen uns von skrupellosen Gewalttätern nicht auseinandertreiben lassen.
Helfen Sie alle mit, daß wir unserer Verantwortung gerecht werden!
Sie haben sich zu Ehren der Toten von Ihren Plätzen erhoben. - Ich danke Ihnen.
Bevor ich die Tagesordnung aufrufe, darf ich zunächst dem Kollegen Eigen gratulieren, der am 3. November seinen 60. Geburtstag gefeiert hat.
({1})
Der Abgeordnete Dr. Czaja feiert heute, am 5. November, seinen 73. Geburtstag.
({2})
Beiden Kollegen darf ich die besten Wünsche des Hauses übermitteln.
Die Fraktion der FDP hat für den ausgeschiedenen Abgeordneten Dr. Rumpf als Nachfolger im Amt des Schriftführers den Abgeordneten Dr. Hitschler vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist Abgeordneter Dr. Hitschler als Schriftführer gewählt.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunkteliste aufgeführt:
I. Aktuelle Stunde: Die Auswirkungen der Lage der Weltwirtschaft auf unseren Arbeitsmarkt ({3})
2. Aussprache über den Mord an zwei Polizisten in Frankfurt
3. Erste Beratung des von dem Abgeordneten Hüser und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes fiber den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern - Drucksache 11/1038 4. Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({4}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung - Drucksachen 11/138 Nr. 3.145, 11/1088 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Kontrolle und Überprüfung des organisatorischen Ablaufs und der Bedingungen, unter denen Laboruntersuchungen zur außerklinischen Prüfung von Chemikalien geplant, durchgeführt, aufgezeichnet und gemeldet werden ({5}) - KOM({6}) 698 endg. - Rats-Dok. Nr. 11718/86 5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Laufs, Carstensen ({7}), Austermann, Clemens, Weiß ({8}) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Baum, Frau Dr. Segall, Wolfgramm ({9}), Kleinert ({10}), Bredehorn, Frau Folz-Steinacker, Funke, Dr. Hirsch, Neuhausen, Richter, Ronneburger, Timm und der Fraktion der FDP: 2. Internationale Nordseeschutzkonferenz - Drucksache 11/1048 -
6. a) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Beendigung der Arbeiten am Endlager Gorleben - Drucksache 11/511 -
Präsident Dr. Jenninger
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Entsorgung - Endlager ({11}) - Drucksache 11/581 -7. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({12}): Unterausschuß des Auswärtigen Ausschusses für Fragen der Europäischen Gemeinschaft - Drucksache 11/927 -8. Aktuelle Stunde: Ergebnisse des Waldschadenberichts 1987
Zugleich soll mit der Aufsetzung der Zusatzpunkte soweit erforderlich von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden.
Weiterhin hat die Fraktion der SPD fristgerecht beantragt, die Tagesordnung um die Beratung des Antrags zu Südafrika unter Drucksache 11/807 zu erweitern. Dieser Antrag wird in einer Geschäftsordnungsdebatte im Anschluß an die Fragestunde behandelt.
Darüber hinaus besteht interfraktionelles Einvernehmen, Punkt 4 der Tagesordnung nach der Geschäftsordnungsdebatte und Punkt 20 nach Zusatzpunkt 6 aufzurufen. Punkt 19 der Tagesordnung soll ohne Debatte überwiesen werden.
Sind Sie mit der Erweiterung bzw. Änderung der Tagesordnung einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 2 auf:
Aussprache über den Mord an zwei Polizisten in Frankfurt
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen. - Ich sehe, daß Sie dem zustimmen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Ministerpräsidenten des Landes Hessen, Dr. Wallmann.
Ministerpräsident Dr. Wallmann ({13}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es fällt, Herr Präsident, tatsächlich schwer, unter dem Eindruck der zwei Morde, begangen an zwei Polizeibeamten, die ihre Pflicht getan haben, angesichts von Trauer, Bestürzung, Zorn und Empörung, die wir empfinden, heute miteinander zu diskutieren. Ich denke, Herr Präsident, es ist auch richtig, darauf aufmerksam zu machen, daß wir noch nicht alles wissen. Wir haben erste Erkenntnisse, die Zahl der Erkenntnisse ist größer geworden, aber wir wissen noch nicht alles.
Meine Damen und Herren, am Abend des 2. November wurden zwei hessische Polizeibeamte während des Einsatzes an der Startbahn 18 West des Frankfurter Flughafens erschossen. Der in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik bisher einmalige Fall, daß aus einer Demonstration heraus Polizeibeamte durch Schußwaffen getötet wurden, eröffnet eine neue Dimension der gewalttätigen Auseinandersetzung in der Folge einer Fülle von politischen Demonstrationen, die allzu häufig gewalttätig geworden sind.
Wir trauern um die beiden Toten. Unser Mitgefühl gehört ihren Angehörigen, der Ehefrau, den drei Kindern, den Eltern und den Geschwistern. Wir denken an die verletzten Polizeibeamten.
Meine Damen und Herren, bevor ich kurz zu den politischen Konsequenzen Stellung nehme, möchte ich Ihnen eine kurze Darstellung der Ereignisse geben, wie sie sich - ich betone noch einmal - nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen ergeben.
Am vergangenen Sonntag sollte der 300. sogenannte Waldspaziergang unternommen werden. Auf Grund der bisherigen Erfahrungen hatten sich die Polizeikräfte verstärkt. Es waren auf dem Frankfurter Flughafen 600 Polizeibeamte zusammengezogen. Am Tage darauf, am Montag, war es sechs Jahre her, seit das sogenannte Hüttendorf geräumt worden war. Auch deswegen waren die Polizeibeamten zusammengezogen, und sie wurden, nachdem es am Sonntag nicht zu schweren Auseinandersetzungen gekommen war, nicht etwa zurückgeschickt, sondern man behielt sie im Einsatz auf dem Flughafen.
An diesem Montag abend, am 2. November, zwischen 20 Uhr und 20.30 Uhr war ein Demonstrationszug unterwegs; die Polizei schätzt zwischen 120 und höchstens 200 Personen. Sie begaben sich in Richtung Startbahn 18 West; sie näherten sich dem Zaun. Sie trugen schwarze Anzüge. Die Hälfte der Teilnehmer war maskiert. Wie wir wissen, führten sie Waffen unterschiedlicher Art bei sich.
Es war gegen 20.30 Uhr, meine Damen und Herren, als etwa vier bis fünf der Vermummten Molotowcocktails auspackten, bereitlegten. Wenn man das in dem von der Polizei aufgenommenen Film nachverfolgt, dann ahnt man, was in diesem Augenblick bei den Polizeibeamten vor sich gegangen ist: daß sie gerne tätig werden wollten. Aber die nicht angemeldete Demonstration, die deswegen auch gar nicht genehmigt war, war bis dahin nicht verboten. Nachdem es aber zu diesen erkennbaren, unbezweifelbaren Vorbereitungshandlungen zu Gewalttätigkeiten kam, wurde die Versammlung aufgelöst. Das wurde den Teilnehmern dieser Demonstration über Megaphon mitgeteilt. Sie wurden aufgefordert, sich sofort zu entfernen. Sie taten es nicht.
Es wurde, schon während die Auflösungsverfügung verlesen wurde, aus der Demonstration heraus mit Leuchtspurmunition und mit Feuerwerkskörpern auf die Polizei geschossen. Reifen wurden in Brand gesetzt. Es bestand die Gefahr, daß die gewalttätigen Demonstranten jetzt unmittelbar an den Zaun herankommen würden, versuchen würden - was schon öfter geschehen ist - , ihn zu zerstören, ein Loch hineinzubrechen, auf das Flughafengelände zu gelangen und dann alle möglichen Sicherheitsanlagen zu zerstören. Deshalb gab der Einsatzleiter den Befehl, auszurücken und die Teilnehmer zurückzudrängen.
Meine Damen und Herren, als diese Einsatzkräfte zirka drei- bis vierhundert Meter in das angrenzende Gelände - es handelte sich um ein Wiesengelände, mit Büschen bewachsen - vorgedrungen waren und sich etwa siebzig bis hundert Meter vor einem Wald befanden, kam über Megaphon aus den Reihen der Gewalttäter die Aufforderung, nicht weiter vorzurükken. Gemeint war die Polizei. Unmittelbar darauf wurde von Zeugen aus dem Wald das Kommando
Ministerpräsident Dr. Wallmann ({14})
„Scharfschützen: Feuer" gehört. Meine Damen und Herren, Sie müssen sich die Situation vorstellen. Es war in der Nacht. Im Rücken der Polizeibeamten war die erleuchtete Startbahn 18 West. Vor ihnen waren Heuballen zusammengetragen worden. Sie waren in Brand gesetzt worden. Es handelte sich um ein Wiesengelände, begrenzt von Waldstücken. Auf der Wiese waren Büsche, die Deckung für Gewalttäter boten. Die Polizeibeamten waren mit weißen Helmen ausgerüstet. Wie man im nachhinein voller Bitterkeit und Trauer sagen muß: Sie waren wirklich eine hervorragende Zielscheibe für diejenigen Gewalttäter, die dort im Walde lauerten.
Nachdem die Polizeibeamten bereits auf dem Rückzug waren, wurde auf die Polizeibeamten geschossen, nachdem das Kommando „Scharfschützen: Feuer" zu hören war. Es wurde zuerst mit Leuchtspurmunition geschossen und dann mit der Waffe. Dabei wurden Hundertschaftsführer Polizeihauptkommissar Klaus Eichhöfer, 44 Jahre alt, eine Ehefrau und drei Kinder hinterlassend, und der junge 23 Jahre alte Polizeimeister Thorsten Schwalm durch Bauchschuß tödlich verletzt.
Insgesamt, meine Damen und Herren, sind elf Polizeibeamte verletzt worden, davon drei durch Schüsse. Nach diesen Ereignissen wurden umfangreiche polizeiliche und Strafverfolgungsmaßnahmen eingeleitet. Es wurde eine Ringalarmfahndung ausgelöst. Im Rhein-Main-Gebiet wurden über fünfzig Personen vorläufig festgenommen, Wohnungen durchsucht und überprüft. Unter den Festgenommenen befand sich eine Person, die in Frankfurt am Main wohnhaft ist und die nach den vorliegenden Erkenntnissen der militanten autonomen Szene zuzuordnen ist. Sie werden selbst in den Medien gestern und heute morgen im einzelnen erfahren haben, was bekanntgeworden ist.
Bei der Festnahme konnten in einem versteckten Rucksack eine Pistole vom Kaliber 9 mm mit einem gefüllten Magazin, ein leeres Magazin, ein durchgeladenes Abschußgerät für Leuchtmunition, drei Handfunkgeräte und eine Strumpfmaske sichergestellt werden.
Die bei dem Betroffenen aufgefundene Schußwaffe wurde am 8. November 1986 anläßlich einer gewalttätigen Ausschreitung bei der Demonstration gegen die Nuklearfirmen in Hanau einem eingesetzten Kriminalbeamten geraubt. Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß auch bei dieser gewalttätigen Demonstration der sogenannte schwarze Block anwesend war und sich im wahrsten Sinne des Wortes handgreiflich beteiligt hat, daß es Vermummte waren, die Polizeibeamte einkesselten, unter denen auch der Kriminalbeamte war, dem dann die Waffe geraubt wurde.
Bei der Obduktion der getöteten Polizeibeamten wurden zwei Projektile Kaliber 9 mm Parabellum, entsprechend dem Kaliber der aufgefundenen Waffe, sichergestellt. Alles ist ballistisch untersucht worden, und es besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, daß es sich bei der Waffe, die der Täter oder die Täter - wir können es immer noch nicht abschließend sagen - benutzt haben, genau um jene Waffe handelt, die damals in Hanau geraubt worden ist.
Die Auswertung der sichergestellten Gegenstände und die Vernehmungen dauern zur Zeit noch an. Weitere Maßnahmen der Polizei konzentrieren sich auf die intensive Absuche des Tatortbereichs. Die kriminaltechnischen Untersuchungen der sichergestellten Gegenstände werden durch das Bundeskriminalamt vorgenommen.
Der Generalbundesanwalt hat noch in der Nacht vom Montag auf den Dienstag die Ermittlungen an sich gezogen und das Hessische Landeskriminalamt mit der Ermittlungsführung beauftragt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage auch bei dieser Gelegenheit das, was ich schon am Abend und in der Nacht, als jene grauenhafte Tat begangen worden war, zum Ausdruck gebracht habe: Wir werden mit Sorgfalt, mit Augenmaß und mit Verantwortungsbewußtsein alles prüfen und bewerten.
Mehr als einmal ist - sozusagen vorwurfsvoll - an mich die Frage gerichtet worden: Warum hat sich eigentlich die Polizei zurückgezogen, warum hat sie nicht - wie die Fachleute es ausdrücken - nachgesetzt, warum hat sie sich nicht darum bemüht, aus der Gruppe der gewalttätigen Täter heraus weitere Festnahmen zu erreichen?
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen die Situation geschildert, und ich möchte, Herr Präsident, auch hier vor diesem Hohen Hause, vor dem Deutschen Bundestag, zum Ausdruck bringen: Ich stelle mich ausdrücklich vor die Polizeiführung. Denn die Beamten, die dort eingesetzt worden sind, waren angesichts der furchtbaren Gewalttätigkeiten seit Monaten und Jahren an Leib und Leben gefährdet. Vergessen wir bitte nicht: Nicht erst seit dem vergangenen Montag abend, nicht erst seit geschossen worden ist, sondern schon vorher gab es diese Gefahr für Leib und Leben. Wer sich das Arsenal der Waffen - angefangen mit Stahlkugeln über Molotowcocktails bis hin zur Leuchtspurmunition - angeschaut hat, der weiß, wovon ich rede.
Meine Damen und Herren, noch etwas muß gesagt werden: Die Zahl der verletzten Polizeibeamten hat auf geradezu erschütternde Weise zugenommen - von 130 bei solchen Gelegenheiten verletzten Polizeibeamten vor drei Jahren über 230 jetzt auf über 800 verletzte Beamte.
Dies ist der schlichte und einfache und zugleich traurige Hintergrund, vor dem wir nun miteinander, so denke ich, die Frage zu erörtern haben, welche Konsequenzen wir zu ziehen haben. Welche Konsequenzen haben die Politiker zu ziehen, wo immer sie Verantwortung tragen, Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, die Abgeordneten der Landtage und diejenigen, die sich in der Regierungsverantwortung befinden?
Ich sage noch einmal, und auch wenn wir Zorn und Empörung und Abscheu und Trauer empfinden - dieses, meine sehr verehrten Damen und Herren, sage ich für mich in aller Offenheit, in aller Ehrlichkeit; ich kann hier nicht akademisch distanziert über diesen Sachverhalt bleiben; und trotzdem sage ich es: - Wenn es doch wohl der überwältigenden Mehrheit unserer Menschen so geht, dann dürfen uns diese Gefühle gegenüber den Opfern und ihren Angehöri2366
Ministerpräsident Dr. Wallmann ({15})
gen und auch das Entsetzen über diesen heimtückischen, gemeinen, hinterlistigen Mord, an Unschuldigen begangen, nicht daran hindern - ich sage es noch einmal - , besonnen und überlegen jetzt zu reagieren.
Wir werden nicht mit den Mitteln der Feinde des Rechtsstaates die Feinde des Rechtsstaates bekämpfen können, und wir wollen es auch nicht.
Aber ich sage, auch wenn dieses Wort kritisiert worden ist: Wir werden mit aller Härte und Entschlossenheit, die der Rechtsstaat nicht nur zuläßt, sondern gebietet, diejenigen verfolgen, die hier schuldig geworden sind, und gegen alle vorgehen, die Haß und Gewalt üben. Wir alle sind davon betroffen.
Aber, meine Damen und Herren, wir haben auch Antworten zu geben, wie wir in Zukunft diesen Ausbrüchen von Gewalt und politischem Terror begegnen können, wie wir sie verhindern können.
Damit kein Mißverständnis entsteht: Kein Mensch, denke ich, redet hier von vorschnellen Reaktionen, von kurzatmigem Aktionismus. Nein, in diesem Augenblick sind, so schwer dies im einzelnen unter dem unmittelbaren Eindruck dieser Mordtaten auch fallen mag - ich sage es noch einmal - , Besonnenheit und Nachdenklichkeit gefordert, auch Augenmaß, sorgfältige Bewertung des Sachverhalts, um dann das sachlich Gebotene zu entscheiden und durchzusetzen. Auch Verharmlosungen sind nicht gestattet, sondern die ganze Wahrheit ist zu schildern und dann zu bewerten.
Es darf nicht den leisesten Zweifel an unserer Entschlossenheit geben, nicht einfach zur Tagesordnung überzugehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bundeskanzler hatte den Stellvertretenden Ministerpräsidenten Dr. Gerhardt, den Innenminister Milde, den Frankfurter Oberbürgermeister Brück und mich eingeladen, gestern gemeinsam mit dem Bundeskabinett die Situation zu erörtern. Wir haben das getan; gründlich. Wir hatten Gelegenheit, die Situation zu schildern und aus unserer Sicht erste Bewertungen vorzunehmen. Wir sind gemeinsam mit der Bundesregierung übereingekommen, bis Anfang Dezember eine Entscheidung herbeizuführen. Es geht dabei um die ganze Palette, die in Betracht kommt: von polizeitaktischen Maßnahmen bis hin zu gegebenenfalls Gesetzesänderungen. Ich bin dankbar dafür, Herr Bundeskanzler, daß wir diese Gelegenheit gehabt haben. Sie können sicher sein, daß auch wir als hessische Landesregierung mit den Fachleuten sorgfältig und eingehend sprechen werden. Wir werden nach diesen Gesprächen unsere Voten abzugeben haben.
Meine Damen und Herren, der Streit über den richtigen Weg ist immer der Kern einer demokratischen Auseinandersetzung, ganz besonders in dieser Situation. Ich sage in aller Offenheit: Dieser Streit kann, wenn er offen und ehrlich geführt, wenn er fair ausgetragen wird, fruchtbar sein. Nur, ich sage noch einmal: Er darf nicht zur Handlungsunfähigkeit führen. Unsere Bürger, die Polizeibeamten, ihre Angehörigen erwarten von uns mehr als Betroffenheit. Mit Recht werden von uns Konsequenzen erwartet, die wohlüberlegt, wohlbedacht sind und die dann durchgesetzt werden.
({16})
Jeder muß an seiner Stelle die Verantwortung wahrnehmen. Über die bereits vorgesehene erhöhte Personalausstattung der hessischen Polizei hinaus werden wir in Hessen z. B. weitere 100 Polizeibeamte einstellen. Und wir werden in den kommenden Wochen über alle in Frage kommenden polizeitaktischen wie gesetzlichen Maßnahmen noch einmal gründlich und sorgfältig beraten.
Es ist selbstverständlich, meine Damen und Herren: Was wir tun, muß wirkungsvoll, muß rechtsstaatlich zweifelsfrei sein. Ich sage das mit allem Nachdruck, damit nichts falsch verstanden werden kann. Und da wir uns, Herr Bundeskanzler, im Bundeskabinett vorgenommen haben, daß wir miteinander und mit den Fachleuten bis zum 2. Dezember eingehend diskutieren wollen, und da wir Anfang Dezember - vermutlich am 2. Dezember - zu ersten oder abschließenden Entscheidungen kommen wollen, will ich hier heute keine abschließenden und kategorischen persönlichen Meinungen vortragen. Es hätte ja auch keinen Zweck, miteinander zu reden, wenn man die Meinung so abschließend und so kategorisch festgelegt hätte, daß dann für den wirklichen Dialog und Diskurs anschließend in Gesprächen im Grunde genommen überhaupt kein Raum mehr wäre.
Aber, meine Damen und Herren, einiges will ich hinzufügen, ich ganz persönlich, auch auf Grund meiner persönlichen Erfahrungen, die ich früher als Frankfurter Oberbürgermeister und auch vor dem Hintergrund meiner richterlichen Tätigkeit gemacht habe.
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt: Wir dürfen die Polizeibeamten nicht allein lassen. Wir dürfen nicht zulassen, daß Repräsentanten dieses Staates, der Staat selbst, die Gesellschaft bekämpft, daß sie gedemütigt werden. Wir müssen begreifen, meine Damen und Herren, daß nicht von der Polizei, sondern von der Politik verantwortlich definiert werden muß, wo die Grenzen zur Gewalttätigkeit überschritten werden. Das erwarten die Bürger von uns. Dies ist nicht nur unser Recht, dies ist vor allem unsere Pflicht, der wir uns zu stellen haben.
Mich bewegt - ich sage das in aller Offenheit - bei der ganzen Palette der in Betracht kommenden gesetzlichen Tatbestände und Rechtsgebiete in erster Linie das Thema des Vermummungsverbotes. Ich sage das in aller Offenheit.
({17})
Ich stehe auf dem Standpunkt, daß die Vermummung als Vergehenstatbestand in unserem Strafgesetzbuch festgeschrieben werden muß.
Meine Damen und Herren, es ist nach diesen furchtbaren Ereignissen am Frankfurter Flughafen gesagt worden, daß ein Vermummungsverbot, wenn es denn schon ein Vergehen gewesen wäre, in diesem konkreten Fall am 2. November den Mord an den beiden Polizeibeamten nicht verhindert hätte. Es ist weiter gesagt worden, daß alle Handlungen, die von Kriminellen an diesem Abend begangen worden sind, mit
Ministerpräsident Dr. Wallmann ({18})
hohen Strafen bedroht sind und daß sich Mörder durch ein sogenanntes strafbewehrtes Vermummungsverbot von ihrem brutalen Tun nicht hätten abbringen lassen.
Meine Damen und Herren, das will ich alles gar nicht bestreiten. Wer wäre denn imstande, eine so gesicherte Aussage zu machen? Wer würde es wagen? Darüber will ich überhaupt nicht streiten. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben ein Strafgesetzbuch. Und in diesem Strafgesetzbuch sind Strafdrohungen bis hin zu höchsten Strafen ausgeschrieben, bei Kapitalverbrechen lebenslang. - Ich bitte Sie nur, einen einzigen Augenblick mit mir darüber nachzudenken. Gleichwohl, obwohl dieses Strafgesetzbuch und andere Strafvorschriften vorhanden sind, gibt es Straftaten, werden Kapitalverbrechen verübt. Will irgendeiner meinen, einen Straftatbestand dürfe man nur dann formulieren, wenn man sicher sei, daß das, was damit verhindert werden soll, in Zukunft nicht mehr eintrete? Nein, meine Damen und Herren, Straftatbestände haben längst nicht mehr allein den Sinn und das Ziel der Sühne. Es ist nicht mehr so, wie Hegel es formuliert hat, daß es um die Negation der Negation des Rechtes gehe, sondern es geht vor allem darum, abzuschrecken, um die Generalprävention. Meine Damen und Herren, niemand von uns kann belegen, wie viele mögliche Straftaten nicht geschehen sind, weil es Strafandrohungen gibt. Nur, meine Damen und Herren, daß es diese Wirkung gibt, wird doch niemand ernsthaft bestreiten wollen. Es ist so. Je höherwertig das Rechtsgut, desto höher die Strafandrohung. Das ius puniendi, das Recht des Staates zu strafen, rechtfertigt sich ausschließlich von dorther.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, verzeihen Sie, wenn ich das sage - auch denen, die anderer Meinung sind - : Wer jene Argumentationskette, die ich soeben kurz skizziert habe, aufbaut, trifft nach meiner Meinung nicht den Kern des Problems. Auch diejenigen, die sagen: Wir haben doch - jedenfalls im Anfangsstadium - ein Verbot oder - korrekter gesagt - eine Strafbewehrung, nämlich eine Ordnungswidrigkeit, und erst dann - nach Aufforderung und dergleichen - schlägt das Ganze um in die Qualität eines Vergehens, fordere ich auf: Meine sehr verehrten Damen und meine Herren Kollegen, überlegen Sie bitte einen Augenblick mit mir, wie oft wir miteinander über die Frage der Verhältnismäßigkeit der Mittel gesprochen haben. Was aber haben wir gerade nach Wackersdorf erlebt? Glaubt wirklich irgend jemand unter uns ernsthaft, wegen einer solchen Ordnungswidrigkeit - wenn es sich weiterhin um eine Ordnungswidrigkeit handelt, die mit bis zu 1 000 DM Geldbuße geahndet wird - könnte eine Festnahme gerechtfertigt werden? Ich sage nein. Es wird vor keinem Gericht Bestand haben. Die Richter werden uns vielmehr sagen: Ihr Politiker, schafft dann bitte eindeutige gesetzliche Vorschriften. Ich bitte Sie herzlich, mit mir darüber nachzudenken.
({19})
Eine letzte Bemerkung. Ich sage sehr, sehr selbstkritisch - nicht nur an andere, sondern an uns, an jeden einzelnen von uns gerichtet - : Meine Damen und Herren, unser politisches Versagen liegt nach meiner Überzeugung darin, daß wir es in den vergangenen Jahren zugelassen haben, daß sich in unserer Gesellschaft ganz allmählich, immer mehr ein rechtsfreier Raum gebildet hat, in dem Maskierte mit Randale angefangen haben, und jetzt sind wir beim Mord angelangt. Berlin, Schwandorf, Frankfurter Flughafen, Hamburg sind nur einige Namen für Meilensteine auf diesem Weg. Meine Damen und Herren, wer demonstriert, soll sein Gesicht zeigen,
({20})
denn das ist Sinn und Inhalt friedlicher Demonstrationen, sich auch zu bekennen. Weil dies so ist, können wir es nicht den Polizeibeamten überlassen zu entscheiden, ob die Maskierung Vorbereitung zu strafbarem Tun oder nur Mummenschanz ist. Der stellvertretende Ministerpräsident der hessischen Landesregierung, mein Kollege Dr. Gerhardt, hat zu Recht gesagt: Hier geht es nicht um ideologische Festlegungen nach dieser oder jener Seite. Er hat zu Recht ausgeführt: Es geht nicht darum, jetzt mit Gewalt sozusagen die ganze Rechtsmaterie in Aufruhr zu bringen und Totalveränderungen vorzunehmen. Meine Damen und Herren, es geht darum, der Polizei die Möglichkeit zu geben, wirkungsvoll gegen Gewalttäter vorzugehen. Es geht auch darum - darauf haben Sie, Herr Bundesinnenminister, gestern hingewiesen - , das allgemeine Rechtsbewußtsein herzustellen, daß derjenige, der sich vermummt, das grundgesetzlich geschützte Rechte auf friedliche Demonstration, das wir schützen wollen - meine Damen und Herren, machen wir nicht noch falsche Gräben auf; wir alle wollen es schützen, damit dieses Grundrecht nicht in Gefahr gerät - , nicht für sich beanspruchen kann.
Meine Damen und Herren, ich sehe - ich sagte es zu Beginn - in dieser tragischen, furchtbaren, traurigen Situation auch eine Chance für uns, innezuhalten, nachzudenken, richtig zu bewerten, das Gebotene zu entscheiden und durchzusetzen.
({21})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Schüsse, die am Montag abend am Rande des Frankfurter Flughafens die Polizeibeamten Klaus Eichhöfer und Thorsten Schwalm töteten und zehn weitere Beamte niederstreckten, haben bundesweit Erschütterung, Empörung und Mitgefühl ausgelöst, Erschütterung über den Tod zweier Menschen, von denen der eine in der Mitte, der andere erst am Anfang seines Lebens stand; Empörung über die brutale Gewalt, mit der hier Menschenleben ausgelöscht worden sind, und Mitgefühl mit den Familien, den Freunden und den Kollegen der Opfer. Zusammen mit dem ganzen Haus gebe ich für die deutschen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten und für meine Fraktion unserer Bestürzung über dieses Geschehen und unserer tiefempfundenen Anteilnahme für die Angehörigen, aber auch für die Kameraden der Polizeibeamten Ausdruck. Ich schließe in dieses Gedenken alle ein, die in letzter Zeit im
Dienste unseres Gemeinwesens ihr Leben verloren haben. So auch die beiden Beamten, die vor kurzem in Hannover einem Mordanschlag zum Opfer gefallen sind.
Aber dabei kann es nicht sein Bewenden haben. Unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger wollen wissen, wie wir das Geschehen bewerten und welche Folgerungen wir daraus ziehen.
Zunächst zur Bewertung: Noch sind die Einzelheiten dessen - Herr Kollege Wallmann hat das gerade mit Recht unterstrichen - , was da am Montag abend am Rande des Frankfurter Flughafens geschehen ist, nicht aufgeklärt, noch wissen wir nicht, ob ein oder mehrere Täter die tödlichen Schüsse abgefeuert haben. Ich vermag aber denen nicht zuzustimmen, die bei dem gegenwärtigen Kenntnisstand in den Vordergrund stellen, bei dem Täter oder den Tätern handele es sich um Demonstranten, und das Geschehen sei auf die exzessive und zunehmend unfriedliche Inanspruchnahme des Demonstrationsrechts zurückzuführen. Aus meiner Sicht handelt es sich bei den Tätern um Personen, die dringend des zweifachen Mordes und einer Mehrzahl von Mordversuchen verdächtig sind, also um schwerkriminelle Straftäter, die mit einem verabscheuungswürdigen Maß an verbrecherischer Energie zu Werke gegangen sind. Das ist nach meiner Beurteilung der Kern der Sache. Das ist auch für die Folgerungen wichtig.
Unsere erste Folgerung ist: Es muß alles geschehen, damit die oder der Täter ermittelt, vor Gericht gestellt und verurteilt werden. Nur auf diese Weise kann dem verletzten Rechtsgefühl Genugtuung verschafft und die Fähigkeit des Staates, die ihm anvertrauten Rechtsgüter zu schützen, unter Beweis gestellt werden. Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Staat lebt gerade auch vom Vertrauen in diese Fähigkeit, übrigens auch das Vertrauen der Polizeibeamten in den Staat. Auch dies ist ein wichtiger Punkt: Polizeibeamte sind Menschen, keine Maschinen.
({0})
Die zweite Folgerung ist die Frage danach, was geschehen kann, um der zunehmenden Militanz eines zahlenmäßig kleinen, aber sehr beweglichen Personenkreises wirksam zu begegnen. Dieser militante Personenkreis gefährdet schutzwürdige Rechtsgüter, insbesondere Leben und Gesundheit von Menschen, und stellt das Machtmonopol des Staates und damit eine der zentralen Errungenschaften der Rechtskultur in Frage.
Dieser Personenkreis greift aber auch in die Demonstrationsfreiheit der friedlichen Demonstranten ein, weil die Botschaft der friedlichen Demonstranten in Fällen solcher Art regelmäßig von den Berichten über die Gewalttätigkeiten übertönt und beiseite gedrängt, ja das Anliegen der friedlichen Demonstranten in Mißkredit gebracht wird.
({1})
Auch hier muß die Anwendung und Durchsetzung der geltenden Gesetze im Vordergrund stehen. Dazu bedürfen die Sicherheitsorgane und vor allem die Polizei der notwendigen personellen und materiellen
Mittel. Sie bedürfen aber auch des Vertrauens und des Rückhalts bei allen gesellschaftlichen Kräften. Die Polizei ist nach unserem Staatsverständnis die Hüterin der Bürgerfreiheiten und nicht ihre Gegnerin.
({2})
Das schließt nach unserer Verfassungsordnung die sorgfältige Kontrolle der Sicherheitsorgane und auch kritische Fragen keineswegs aus, sondern es schließt sie ein, ja es setzt sie voraus. Aber - und das geht uns alle an - , die Politik darf die Polizei nicht alleinlassen. Erst recht darf die Politik der Polizei nicht die Bewältigung von Problemen aufbürden, zu deren Lösung sie sich selbst als nicht fähig oder als unwillig erwiesen hat.
({3})
Gerade in diesem Punkt haben wir alle Fragen auch an uns selbst zu richten. Fragen gehen aber auch an diejenigen, die zu Demonstrationen aufrufen und die die Verantwortung für ihren Verlauf tragen. Auch sie müssen sich, so wie das in einem Rechtsstaat für die Polizei selbstverständlich ist, der Kritik stellen. Sie müssen alles tun und wohl noch mehr als bisher, um die Mitglieder militanter Gruppen zu isolieren, um ihnen die Möglichkeit zu erschweren, sich zwischen friedlichen Demonstranten zu verbergen.
Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Hessen, Hansgeorg Koppmann, hat recht, als er vorgestern bei einer Trauerkundgebung in Frankfurt vor der Paulskirche die Frage gestellt hat:
Was ist das für ein geistig-politisches Klima in dieser Bundesrepublik, die sich an das Werfen von Molotowcocktails und das Schießen von Stahlkugeln gegen Polizeibeamte längst gewöhnt hat?
({4})
- Meine Damen und Herren, mit aller Ruhe möchte ich die Frage aufwerfen, ob Selbstgerechtigkeit in diesem Moment die Haltung ist, mit der wir die Probleme bewältigen können. Ich frage nur.
({5})
Die Antwort auf die Frage, die Herr Koppmann gestellt hat, kann nur lauten, daß denen, die Gewalt anwenden, jede Solidarität verweigert wird, daß es ihnen gegenüber, daß es vor allem gegenüber organisierter Militanz keine Toleranz geben kann.
({6})
Diese Absage an die Gewalt gehört zum Grundkonsens unseres Gemeinwesens. Diese Absage ist für die, die die Strukturen verändern wollen, die eine menschlichere Gesellschaft anstreben, ebenso unverzichtbar wie für die, die Änderungen dieser Strukturen ablehnen. Es ist nicht wahr, daß der Zweck die Mittel heiligt. Der Zweck schließt vielmehr bestimmte Mittel ein für allemal aus. Die menschliche Gesellschaft kann nicht mit unmenschlichen Mitteln herbeigeführt oder verteidigt werden.
({7})
Die Brüder von Braunmahl haben diese Wahrheit in ihrem Brief an die Mörder ihres Bruders in eindrucksvoller Weise so formuliert:
Ihr setzt die mörderische Tradition derer fort, die sich für Auserwählte der Wahrheit halten, in deren Namen sie die schlimmsten Verbrechen begehen. Ihr seid auf dem schlechtesten Weg. [...] Einer menschenwürdigen Welt werdet Ihr uns mit Euren Morden kein Stück näherbringen.
Meine Damen und Herren, diese Mahnung hat aber auch eine Kehrseite, nämlich die, daß gewaltfreie Bewegungen und Initiativen nicht deswegen unter Verdacht gestellt, einzelne nicht deswegen von neuem des Sympathisantentums geziehen werden dürfen, weil ihre Absichten unbequem erscheinen oder ihre Zielsetzungen bestimmte Interessen gefährden.
({8})
Ansätze dazu, denen wir wehren sollten, gibt es, beispielsweise den bedauerlichen Ansatz, daß in diesen Tagen diejenigen für Gewalt, ja für Morde mitverantwortlich gemacht werden, die für den Dialog mit ehemaligen Terroristen eingetreten sind und weiterhin eintreten.
Es bleibt die Frage, die ja auch von Herrn Kollegen Wallmann aufgeworfen worden ist, nach Gesetzesänderungen. Wir haben zu keinem Zeitpunkt die Prüfung von Vorschlägen abgelehnt, die unter Wahrung der inneren Liberalität die Sicherheit erhöhen und Gefahren mindern würden.
({9})
Wir haben in der Vergangenheit selbst solche Vorschläge verwirklicht. Als Bundesminister der Justiz in einer kritischen Zeit weiß ich, wovon die Rede ist. Wir haben aber auch alle Vorschläge abgelehnt, die nach unserer Auffassung diesen Kriterien widersprachen. Das werden wir auch in Zukunft tun.
({10})
Wir müssen uns davor hüten, im Zorn zu handeln. Die Starke des Staates zeigt sich in seiner Besonnenheit, in seiner Fähigkeit, auch in kritischen Situationen abzuwägen. Ein Staat, der sich hinreißen oder gar provozieren läßt, offenbart Schwäche und nicht Stärke.
({11})
Wir müssen uns aber auch davor hüten, Scheindiskussionen zu führen, die von den eigentlichen Problemen ablenken und den Eindruck erwecken, die Gefahren seien überwunden, wenn man nur dieses oder jenes Gesetz ändere. Es ist doch nicht zutreffend, daß die Frankfurter Morde hätten verhindert werden können, wenn an Stelle der geltenden Vorschrift, der-zufolge die Vermummung nach Zweckmäßigkeitserwägungen im Einzelfall verboten werden kann, eine generelle Strafvorschrift gegen Vermummung gegolten hätte. Wer bei Dunkelheit in unübersichtlichem Gelände mit Mordabsicht auf Menschen schießt und dabei die Androhung lebenslanger Freiheitsstrafe nicht scheut, der läßt sich davon auch durch eine zusätzliche Strafdrohung dieser Art nicht abbringen.
({12})
Lassen Sie mich mit Deutlichkeit sagen: Wir lehnen es ab, das Ja oder Nein zu einer solchen Strafvorschrift als Maßstab für eine Gesinnungsprüfung hinsichtlich der Haltung zur Gewaltfreiheit oder zur Schutzfähigkeit des Staates anzuerkennen.
({13})
Ein amerikanischer Senator hat kürzlich in einer kritischen Situation seine Landsleute mit den Worten gemahnt: Erkennen Sie, daß ein Amerikaner in einer wichtigen politischen Frage - es ging um die Haltung zum Konflikt in Nicaragua - anderer Meinung sein kann als Sie und dennoch sein Land ebenso lieben kann wie Sie. - Das läßt sich auch - ich hoffe, es gelingt - auf unsere Diskussion übertragen. Darum sage ich Ihnen: Erkennen Sie, daß man über das Vermummungsverbot und über die Notwendigkeit dieser oder jener Gesetzesänderung anderer Meinung sein kann als Sie und dennoch für die Gewaltfreiheit, die Geltung des Rechts und die Schutzfähigkeit des Staates nicht weniger einsteht als andere.
({14})
Wir Sozialdemokraten haben in unserer Geschichte für diese Güter, von denen ich sprach - Gewaltfreiheit, Geltung des Rechts und Schutzfähigkeit des Staates - , immer wieder schwere Opfer gebracht. Wir werden uns in ihrer Bewahrung und Verteidigung von niemandem übertreffen lassen.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Fraktion hat mit Trauer und Empörung von den Polizistenmorden an der Frankfurter Startbahn nicht nur Kenntnis genommen. Ihr Mitgefühl gilt den Angehörigen, unsere Wünsche gelten den Verletzten, und unser Dank gilt der Polizei, dem Bundesgrenzschutz und allen Wachmannschaften, die in den vergangenen Jahren in ähnlicher Situation unter Einsatz ihres Lebens mitgewirkt haben, unseren demokratischen Rechtsstaat zu verteidigen.
Diese Polizistenmorde in Frankfurt/Main sind nicht in Demonstrationen, in den Gebrauch des Demonstrationsrechtes einzuordnen. Selbst die, die glaubten, zu einer Demonstration zu gehen, haben einen Mißbrauch des Demonstrationsrechtes vorgenommen. Es gab keine genehmigte Demonstration. Alle Teilnehmer an dieser angeblichen Demonstration haben sich - in welch unterschiedlichem Maße auch immer - nach meiner Überzeugung strafbar gemacht.
Meine Damen und Herren, diese Demonstranten waren teilweise vermummt, und sie waren in meinen Augen keine Demonstranten, sondern reisende chao2370
tische Gewalttäter, die die Demonstrationen mißbrauchen und die im Schutz von Demonstranten, die noch immer nicht erkannt haben, daß sie ihr eigenes Recht in Frage stellen, ihre Gewalttaten begehen.
({0})
Dies ganz klar zu sehen und zu unterscheiden scheint mir gerade in dieser Situation besonders notwendig zu sein.
Ich danke Ihnen, Herr Ministerpräsident Wallmann, daß Sie in dieser Sachlichkeit und Nüchternheit, wenn auch in Einzelfragen unterschiedlich, Bewertungen und Entscheidungen, die zu fällen sind, hier dargelegt haben; denn nichts wäre schlimmer, als in dieser Situation die verständlichen Emotionen, die bei den Bürgern draußen vorhanden sind, nun zum Maßstab, zur Richtschnur der eigenen Debatte und Betrachtung zu machen. Ich füge hinzu, weil wir viele Anrufe gerade im Frankfurter Raum bekommen: Wir Freien Demokraten haben nicht vergessen, daß unser Freund Heinz Karry in Frankfurt ermordet worden ist. Wir werden diesen Mord nicht als ad acta gelegt betrachten, sondern wir erwarten, daß auch in diesem Zusammenhang erneut geprüft wird, ob nicht eine Aufklärung dieses Mordes möglich ist.
Diese Gewalttäter, die von manchen noch politisch eingestuft werden, haben keine politische Botschaft. Alle die, die glauben, mit ihnen direkt oder indirekt gemeinsame Sache machen zu müssen, müssen endlich einsehen, daß sie Mitverantwortung für das tragen, was durch diese Gewalttäter geschieht.
({1})
Es genügt nicht, wenn die Bürgerinitiative Flughafen zunächst einmal gesagt hat, daß man hier die Verantwortung mit übernimmt. Es muß endlich nicht nur eine Distanzierung von der Gewalt, sondern auch die Mitarbeit bei der Entlarvung der Gewalttäter folgen. Nur dann ist diese Distanzierung glaubwürdig.
({2})
Ich wäre allerdings froh gewesen, wenn schon damals in den Zeiten, als die Flughafenauseinandersetzungen einem ersten Höhepunkt zustrebten, als Herr Schubart, wie ich es damals formuliert habe, Volksverhetzung trieb, alle die Medien, die uns heute mahnen, den Anfängen zu wehren, diesen Mahnungen gefolgt wären
({3})
und nicht verharmlost hätten, wenn schon damals nicht die Unterscheidung zwischen Gewalt gegen Sachen und Menschen vorgenommen worden wäre, sondern von Anfang an klargemacht worden wäre: Wer Gewalt gegen Sachen anwendet, scheut sich nicht, Gewalt auch gegen Menschen anzuwenden. Dagegen müssen wir uns gemeinsam wehren.
({4})
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, auch gegenüber der Öffentlichkeit möchte ich ganz eindeutig feststellen, daß im Gegensatz zu landläufiger Meinung Vermummung und Uniformierung verboten sind. Der Streit geht nicht um das Verbot, der Streit geht um die Frage, ob die Strafbewehrung - Ordnungswidrigkeit, Vergehen - ausreicht oder nicht ausreicht. Warum sage ich dies so pointiert? Aus einem ganz einfachen Grund: Immer wieder muß ich in Diskussionen feststellen, daß nicht nur die Bürger, sondern auch viele Politiker, ja viele Polizeibeamte nicht wissen, daß Vermummung verboten ist. Daß das alles nicht sehr einfach ist, bestreite ich nicht. Wer ständig sagt: „Ihr erlaubt die Vermummung", stellt den Tatbestand falsch dar, bringt damit diejenigen, die als Mitläufer in Betracht kommen, in die Situation, daß sie glauben müßten, Vermummung sei nicht verboten. Das, was wir wollen, Mitläufer auszuschalten, wird eher durch eine falsche Darstellung gefördert. Deshalb meine herzliche Bitte, daß wir uns darauf verständigen, wenn wir über die Frage der Vermummung diskutieren, nicht den falschen Eindruck zu erwecken, sie sei nicht verboten, sondern daß wir uns auf die Frage konzentrieren, ob das, was wir heute an Strafbewehrung haben, ausreicht oder nicht ausreicht, ob es zu neuen Konsequenzen führen muß oder nicht.
In diesem Zusammenhang ist doch unbestreitbar, daß bis vor kurzem, vielleicht auch noch bis heute - ich wage dies nicht zu entscheiden - , bei denjenigen, die von uns den Auftrag haben, diese Gesetze durchzusetzen, nämlich in erster Linie bei der Polizei, unterschiedliche Meinungen, wenn ich es vorsichtig ausdrücke, darüber bestehen, ob eine Gesetzesänderung vorgenommen werden soll oder nicht. In den Anhörungen, die wir durchgeführt haben, war die überwiegende Mehrheit derjenigen Polizeibeamten, die an Ort und Stelle im Einsatz waren, die in der Einsatzleitung waren oder die in der Polizeiführung waren, gegen eine Gesetzesänderung. Wenn sich auf Grund der neuesten Ereignisse hier eine veränderte Einstellung abzeichnet, muß darüber in aller Nüchternheit und Offenheit geredet werden. Wir Freien Demokraten haben uns den Argumenten der Polizei nie verschlossen, im Gegenteil, wir sind bisher den Argumenten der Mehrheit der Polizei gefolgt. Nun mag mancher sagen, diese Argumente der Mehrheit seien falsch. Darüber muß man diskutieren. Man muß feststellen, ob sich hier die Notwendigkeit einer Veränderung ergibt.
Wir müssen uns aber auch einen weiteren Gesichtspunkt vor Augen führen. Wir haben 1985 die Gesetze verschärft. Das Verbot der Vermummung - ich sagte das - ist seit 1985 im Versammlungsgesetz enthalten. Wir müssen uns fragen: Wie waren die Erfahrungen damit? Aus welchen Gründen ist die Anwendung der verschärften Gesetzesbestimmungen bisher nicht in der Weise geschehen, wie wir das erwartet haben? Wir müssen fragen: Warum gibt es so wenige Festnahmen und noch weniger Verurteilungen? Wo sind die Probleme der Beweissicherung, die dazu führen, daß heute viele Polizeibeamte mit Recht sagen: „Wir nehmen vorläufig fest und müssen dann feststellen, die Festgenommenen werden in Kürze wieder laufengelassen und tauchen bei der nächsten Demonstration wieder auf"? Diese Frage mit zu prüfen ist unsere Aufgabe. Dann ist festzustellen: Sind gesetzliche Maßnahmen notwendig?
({5})
Wir müssen auch feststellen, ob im Bereich der Justiz die Möglichkeit der Anwendung der Gesetze nicht ausreichend ist? Deshalb müssen wir nicht nur mit der Polizei, sondern auch mit Staatsanwälten und Richtern erneut darüber sprechen. Es ist unbestreitbar, daß es unsere Aufgabe sein wird, zu prüfen, ob und inwieweit bei länderübergreifender Zusammenarbeit heute noch Mängel vorhanden sind. Wir haben es, wie wir immer wieder feststellen, mit reisenden chaotischen Gewalttätern zu tun, die einmal in diesem, einmal in jenem Land ihre Untaten vollbringen. Ist es hier nicht notwendig, stärker das gemeinsame Handeln in den Vordergrund zu stellen? Manchmal scheint es - vielleicht ist das ein falscher Eindruck - , daß Zuständigkeiten eine größere Rolle spielen als der Versuch, quer durch die Bundesrepublik Deutschland alle Erfahrungswerte richtig zu nutzen.
Wir sind der Meinung, daß Teile des Bundesgrenzschutzes, der von uns bewußt zur Polizei umgewidmet worden ist, stärker für solche Fälle bereitgestellt und speziell dafür ausgebildet werden müssen.
Ich füge ein weiteres hinzu, wohlwissend, daß mir das manchen Vorwurf aus dem föderalistischen Bereich einbringen wird. Wenn wir solche Spezialeinheiten des Bundesgrenzschutzes und entsprechend ausgebildete Beamte haben, sollte es da nicht vielleicht auch möglich sein, diesen Beamten die Gesamtleitung an Ort und Stelle zu übertragen und die Landespolizei zu unterstellen, damit aus deren Erfahrungen geschöpft werden kann, statt kleinlich an Zuständigkeiten zu hängen? Das ist eine Fülle von Punkten, über die wir miteinander sprechen müssen. Man muß aber auch darüber sprechen, was die Ursachen der Gewalt sind.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß nun recht bald die Kommission, die wir dafür gefordert haben, ihre Arbeit aufnimmt. Ich weiß, daß damit die Einzelprobleme, die wir hier jetzt zu behandeln haben, nicht gelöst sind. Aber sind wir als eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft nicht auch verpflichtet, nicht nur die Bekämpfung der Gewalt ins Auge zu fassen, sondern auch nach den Ursachen zu suchen und nach Möglichkeiten, diese Ursachen zu bekämpfen. Daß es immer wieder gewalttätige Menschen, ganz gleich in welcher Gesellschaftsordnung, gibt, wird sich, das wissen wir, nicht verhindern lassen. Aber da, wo wir eine Chance haben, Ursachen dafür, daß es Mitläufer und Mittäter gibt, aufzuspüren und zu beseitigen, sollten wir diese gemeinsam wahrnehmen.
Erst wenn wir diese aufgeworfenen Fragen geklärt haben, stellt sich doch die Frage: Sind daraus gesetzgeberische Konsequenzen wirklich notwendig oder nicht notwendig? Nun weiß ich, daß viele sagen werden: Aber diese und jene Punkte haben wir ja immer wieder diskutiert, und da hat es schon vorher Meinungen gegeben, es sei doch besser, diesen Weg zu gehen. Dagegen standen Erfahrungswerte aus den praktischen Auseinandersetzungen der Polizei mit diesen angeblichen Demonstranten. Deshalb ist es notwendig - das zeichnet doch den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat aus - , die eigenen Entscheidungen ständig zu überprüfen und, wenn neue Erkenntnisse vorliegen, diese zu einem Ergebnis zu führen.
Morgen wird die Innenministerkonferenz stattfinden. Meine Damen und Herren, ich kann nur hoffen, daß das, was man aus der Innenministerkonferenz hört, bald der Vergangenheit angehört, damit nämlich die Gemeinsamkeit, die früher einmal bei der Bekämpfung von Terrorismus und solchen Gewalttaten vorhanden war und die leider in letzter Zeit offensichtlich verlorengegangen ist, jetzt endlich wieder einkehrt. Alle Innenminister von Bund und Ländern, ganz gleich, welcher parteipolitischer Färbung sie angehören, müssen sich darüber im klaren sein, daß dies nicht eine Frage der ideologischen Auseinandersetzung, sondern eine Maßnahme zur Erhaltung unseres Rechtsstaates ist, daß das unser gemeinsames demokratisches Anliegen ist und daß da nicht kleinliche politische Gesichtspunkte in den Vordergrund gestellt werden dürfen, sondern daß es darum geht, gemeinsam zu handeln, um diesen Rechtsstaat vor denen, die ihn kaputtmachen wollen, zu schützen.
({6})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß noch einmal sagen: Jeder, der das Recht der freien Demonstration in Anspruch nimmt, hat mit diesem Rechtsanspruch auch eine Pflicht, nämlich die Pflicht, sich zu der Demonstration für jedermann sichtbar und offen zu bekennen und sich nicht vermummt darzustellen,
({7})
sich nicht zu uniformieren, sondern sichtbar seine politische Meinung zu vertreten, und gegen den, der das nicht tut, selber vorzugehen, nicht im Sinne der Gewalt, sondern um deutlich zu machen, daß keine Identifikation derjenigen, die das Demonstrationsrecht in Anspruch nehmen, mit denjenigen erfolgt, die Gewalt auf ihre Fahne geschrieben haben und nicht Freiheit und Recht.
({8})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Schoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Bauzaun wurden zwei Menschen ermordet. Es ist mir immer schwierig, von „Mord" zu reden, noch bevor die Täter der Vorsätzlichkeit und der Heimtücke überführt worden sind;
({0})
aber auf der Ebene meiner Empfindungen dieses ungeheuerlichen Vorganges, auf der Ebene der Trauer mit den Opfern und auch auf der Ebene, daß hier, egal, von wem die Schüsse abgegeben worden sind, Verrat an einer gewaltfreien Politik begangen wurde, wähle ich diese Kennzeichnung. - Wir trauern mit den Angehörigen.
Ich hätte nie geglaubt, daß aus einer Demonstration heraus - und so sieht es ja jetzt aus - geschossen würde. Der Griff zur Pistole ist das verletzte Tabu. Wir haben zwei Tote zu beklagen, und wieder ist ein Stück Menschlichkeit verlorengegangen.
Herr Wallmann, wenn Sie sagen, es habe sich angekündigt, denn es seien schon Molotowcocktails und Stahlkugeln vorher mitgebracht worden, sage ich Ihnen: Das ist richtig. Und ich sage Ihnen: Das ist schlimm. Aber ich sage Ihnen als diejenige, die oft zu Demonstrationen gegangen ist: Es ist auch schlimm, wenn CS-Gas eingesetzt wird, und es ist auch schlimm, wenn über Gummigeschosse diskutiert wird.
({1})
Wir haben uns oft gegenübergestanden, Demonstranten auf der einen Seite und Polizisten auf der anderen. So wird es wohl auch noch lange bleiben. Aber ich sage hier ausdrücklich: Die Parteinahme für die Opfer ist für uns unteilbar.
({2})
Für uns alle muß der Montag eine Scheidelinie sein. Die Tat vom Montag muß Konsequenzen haben, die über die Sache hinausgehen. Wir alle haben Verpflichtungen, darüber nachzudenken, was zu tun ist, damit die politische Auseinandersetzung in diesem Land nach den Prinzipien von Gewaltfreiheit verläuft.
({3})
- Herr Kollege, Frau Ditfurth macht manchmal Äußerungen, die ich nicht teile und gegen die ich mit aller Kraft auch meine Position setze;
({4})
aber, Herr Kollege, ich sage Ihnen: Frau Ditfurth hat noch nie zum Terrorismus aufgerufen.
({5})
- Dann halten Sie sich auch zurück. Hier einfach die Menschen in eine Schublade zu stecken und danach zu bewerten, was hier vorgegangen ist, das ist der einfache Weg.
({6})
Das enthebt Sie z. B. davon, sich wirklich zu überlegen, wo denn die Ursachen des Terrorismus liegen.
({7})
Die Millionen Menschen, die in den letzten Jahren und die Tausende, die in den letzten Tagen auf der Straße gewesen sind, die ein Bekenntnis zu einer politischen Idee offen gezeigt haben, sind Ausdruck der Entwicklung in diesem Land zu einer politischen Kultur in Richtung eines offenen Republikanismus. Wir wenden uns gegen jeden Versuch der Demontage an dieser Entwicklung, egal, ob er von einem autoritätsbesessenen Innenminister oder von militanten Gewalttätern kommt.
({8})
Jetzt muß mutiges Handeln von allen Seiten gefordert werden.
({9})
Dazu gehört die klare Absage an militante Gewalt, die Kühnheit, Fehler einzusehen und umzukehren. Und dazu gehört auch die entschlossene Besonnenheit.
({10})
Herr Wallmann und Herr Mischnick, ich sage Ihnen: Ein Vermummungsverbot hätte diese Tat nicht verhindert.
({11})
Wenn Sie diese Gelegenheit nutzen wollen, ein Vermummungsverbot, vielleicht eine Verschärfung des Landfriedensbruchstatbestandes, Gummigeschosse, wie es schon in der Diskussion war, oder eine besonders geschulte Einsatztruppe für Demonstrationen durchzusetzen, machen Sie an diesem Punkt Politik mit zwei Toten, die noch nicht begraben sind. Und so etwas geht nicht.
({12})
Ich sage Ihnen: Wenn Sie diese Vorstellungen durchsetzen, ist das Entstehen einer nächsten Generation des Terrorismus wahrscheinlich. Darüber müssen wir nachdenken, das sind doch die Konsequenzen, die wir alle aus den Erfahrungen der 70er Jahre zu ziehen haben.
Es ist doch nicht ein reaktives Verhalten gefordert, sondern jetzt ist ein kühler Kopf gefordert, und jetzt ist gefordert, zu überlegen, ob die rechtsstaatlichen Mittel, die wir zur Verfügung haben, nicht ausreichen. Besonnenheit und an dieser Stelle nicht zu handeln sind vielleicht die bessere Politik. Ich halte es für ein typisch männliches Verhalten, daß, wenn so etwas passiert, alle sofort denken: Jetzt muß wieder zugelangt werden, jetzt muß gehandelt werden. Das ist nicht immer der richtige Weg.
({13})
Ich lasse aber auf der anderen Seite auch keine Entschuldigung gelten, die besagen: Dieser Staat ist repressiv, und deswegen muß man sich nicht wundern, wenn Menschen zur Pistole greifen oder sich andere militaristische Mittel vorstellen.
Man ist manchmal mutlos darüber, in welchen Krisen wir stecken und wie wenig die Politik in der Lage ist, diese Krisen zu bewältigen.
({14})
Aber all das rechtfertigt nicht den Griff zur Pistole und rechtfertigt keine Gewalt.
({15})
Ich glaube, wir müssen den Staat in seiner Widersprüchlichkeit anerkennen. Wir müssen sehen: Er ist repressiv. Wir erleben das. Aber dieser Staat hat auch seine Freiheiten. Unsere Politik muß darin liegen, die Repressionen zurückzudrängen und den freiheitlichen Raum auszubauen. Dafür lohnt es sich auch zu kämpfen.
({16})
Doch gegen Unrecht und Gewalt, die vom Staat ausgehen - und sie gehen davon aus - ist mit Terror am wenigsten auszurichten. Wir haben jetzt - das haben doch viele mitgemacht - den Terroristen, die damals den falschen Weg beschritten hatten, ein Angebot zur Versöhnung gemacht. Auch wenn es uns allen in dieser Situation schwerfällt, an Versöhnung mit den Terroristen zu denken, dürfen wir die Idee, die wir in den letzten Wochen diskutiert haben, die Idee, den Leuten die Hände zu reichen, nicht vergessen, auch wenn es an diesem Punkt einigen schwerfallen sollte. Denn ich glaube, ein Fortschritt zu einer humaneren Gesellschaft liegt auch darin, daß wir es nicht verlernen, uns die Hände zu reichen, und daß wir es nicht verlernen, uns miteinander zu versöhnen.
({17})
Vielleicht fällt es mir leichter als allen anderen, hier folgendes zu sagen, weil ich eine andere politische Biographie habe
({18})
und auch einige von den Leuten kenne, die zu den Autonomen gehören: Werfen Sie nicht alle Autonomen in einen Topf; das geht nicht. Es gibt bei den Autonomen eine Richtung, die sehr hedonistisch ist. Es gibt bei den Autonomen die Gewalttäter, denen wir sagen müssen: Mit uns ist jederzeit ein Dialog möglich, aber auf einer bestimmten Grundlage. Diese Grundlage ist für uns Gewaltfreiheit, und diese Grundlage ist für uns die Absage an die Militanz. Auf dieser Grundlage wollen wir aber Dialog.
Wir sollten uns alle einmal überlegen: Damals, als wir die RAF hatten, war diese Gesellschaft in großen Teilen dialogunfähig. Wir wissen, daß diejenigen, die den Dialog angeboten haben, gleich in das Umfeld der Terroristen, in diesen sogenannten Sympathisantensumpf mit eingeordnet wurden. Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Wir sollten versuchen, den Dialog zu führen. Ich glaube, das ist das Wichtigste, was wir jetzt tun müssen.
({19})
Ich sage dann auch zu den Autonomen: Auch die Autonomen sind gefordert. Das ist eine schwierige Situation für uns alle; hier wird uns allen viel abverlangt. Den Autonomen verlange ich ab, daß sie die Gewaltfrage diskutieren.
({20})
Wenn Signale gefordert sind, die Deeskalationsschraube zurückzudrehen, dann sage ich zu den
Autonomen: Laßt eure Zwillen zu Hause, laßt eure Helme zu Hause, und reißt euch die Gesichtsmasken runter!
({21})
Auch mir, muß ich sagen, macht der schwarze Block in einer Demonstration angst. Ich kann ihnen abverlangen, daß sie das machen. Hier sind schließlich Schritte von allen Seiten gefordert.
Jetzt kommen wir einmal zum Dialog. Ich will Ihnen ein Beispiel von meiner Meinung nach falscher Politik geben. Wir sind gestern in Frankfurt gewesen und haben mit den Bürgerinitiativen in Mörfelden-Walldorf geredet. Wir wollten hinterher mit dem Polizeipräsidenten ein Gespräch haben, weil wir dem Polizeipräsidenten persönlich unsere Anteilnahme an dem Tod der Polizisten überbringen wollten
({22})
und weil wir mit ihm über die Gewaltfrage, über unsere Stellung dazu und über die Konsequenzen, die wir uns nach diesen Vorfällen vorstellen, reden wollten. Er wollte uns nicht empfangen. Er hat gesagt: Ich habe der Zeitung entnommen, Ihre Position zur Gewalt ist ungeklärt.
Das ist eine falsche Politik. Das ist eine Politik der Vorurteile. Das ist eine Politik der Ausgrenzung. Diese Politik können wir nicht miteinander machen. Er hätte dialogfähig sein müssen. Er hätte sich in dem Gespräch mit uns davon überzeugen können, welche Stellung wir zur Gewalt haben. Auch Sie, gerade Sie, die Sie da so sitzen und so ablehnend gucken, die Sie keine Kontakte zu den Autonomen haben, auch Sie sind gefordert. Suchen Sie einen Weg, und machen Sie Anstrengungen, und reden Sie mit den Leuten.
({23})
Verurteilen Sie die nicht und stellen Sie die nicht in eine Ecke!
({24})
- Sehen Sie mal, so geht das hier: „Armes Deutschland!"
({25})
Was werfen Sie mir vor? Was soll hinter diesem Vorwurf stecken?
({26})
- Trauen Sie mir so etwas zu? - Eindeutig bin ich gegen Gewalt.
Ich stelle hier einen Weg vor, der Ihnen vielleicht nicht paßt, weil Sie immer glauben, in solchen Situationen ist der starke Mann gefordert. Aber ich sage Ihnen: Halten Sie sich zurück. Lehnen Sie sich zurück, und denken Sie einmal darüber nach. Es geht um Deeskalation, es geht um Besonnenheit, und es geht darum, daß an diesem Punkt eine Politik gemacht wird, die nicht dazu führt, daß noch andere Jugendliche - das sind nicht nur Schwarzgekleidete, das sind auch solche Jugendliche, die Spaß und Freude am Leben haben wollen und die auch dafür kämpfen - abdriften. Ein Mensch ist nicht immer nur so, wie man
ihn in einer einzigen Situation kennenlernt. Die gehen schwarzgekleidet und machen uns angst. Ein Teil von ihnen macht militaristische Aktionen. Das ist abzulehnen. Aber jeder Mensch ist immer eine Vielheit. Vielleicht sind diese Menschen auch auf der Suche nach einem anderen Weg. Sie sind auf einem falschen Weg. Wir müssen ihnen eine Brücke bauen.
({27})
Sie müssen zurück können. Das ist in dieser Situation gefordert, nicht starke Sprüche oder Ausgrenzung.
({28})
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Mordanschläge, die Schüsse bilden den bisherigen Höhepunkt in einer langen Kette immer weiter eskalierender Gewalt im Zusammenhang mit Tumulten, die manchmal - fälschlich - Demonstrationen genannt worden sind und die von gewalttätigen Chaoten als Kulisse für schweren Landfriedensbruch mißbraucht werden. Das Mitgefühl der Bundesregierung gilt den Opfern. Wir wünschen den Verletzten baldige Genesung.
Die beiden Polizeibeamten sind in Ausübung ihres Dienstes gestorben. Sie sind Opfer einer Entwicklung geworden, bei der viel zu viele viel zu lange geglaubt haben, tatenlos zusehen zu können. Es begann mit Blockaden, mit Gewalt gegen Sachen. Dann kamen Steinewerfen, Molotowcocktails, Verschießen von Stahlkugeln und scharfkantigen Schrauben, Feuerwerkskörpern und Leuchtmunition - lauter höchst gefährliche Werkzeuge - , und jetzt haben wir die Schußwaffen.
Im letzten Jahr wurden 818 Polizeibeamte verletzt!
Haß, Verwirrung und Mißachtung menschlicher Werte sind nicht mehr steigerungsfähig, wenn bei der „Manöverkritik" von „Autonomen" und Angehörigen des RAF-Umfeldes nach der Demonstration gegen den amerikanischen Präsidenten in Berlin gesagt wurde, es seien zuwenige Polizeibeamte verletzt worden, wenn bei der Schilderung, man habe von Hausdächern Gehwegplatten auf Polizisten geworfen, lautstark Beifall gespendet wurde, wenn am letzten Montagabend am Tor zur Startbahn West, als die verletzten Polizeibeamten auf Tragbahren zu den Krankenwagen gebracht wurden, Beifall aufkam, wenn in der Hafenstraße gestern ein Transparent aus dem Fenster gehängt wurde: „Zwei Tote sind nicht genug"
Manche haben sich bereits an die vielfältigsten Formen der Gewalt und an ihre Eskalation gewöhnt. Meine Damen und Herren, dieser Gewöhnungsprozeß muß beendet werden!
({0})
Dazu gehört auch, daß friedliche Demonstranten aufhören, gewalttätigen Chaoten Schutz und Deckung in der Menge zu geben. Dazu gehören ein klares Bekenntnis zum Gewaltmonopol des Staates und eine
eindeutige Absage an alle Formen der Gewalt im Rahmen der politischen Auseinandersetzung.
Wir können und dürfen es nicht länger hinnehmen, daß die Zahl der verletzten Polizeibeamten gegen die verletzter Gewalttäter aufgerechnet und daß damit so getan wird, als wäre Gewalt gegen Personen und Einrichtungen durch sogenannte Demonstranten mit dem Einsatz polizeilicher Zwangsmittel zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit vergleichbar.
Frau Schoppe, die GRÜNEN sind aufgefordert, endlich ihr Verhältnis zur Gewalt eindeutig zu klären. Dazu genügen Ihre Worte nicht. Frau Ditfurth hat bis heute nicht ihre infame Behauptung zurückgenommen, der Staat wünsche sich fast nichts so sehnsüchtig wie den Terror, um von seiner eigenen tagtäglichen Gewalt abzulenken. Auch Herr Kleinert wird mit seiner im Hinblick auf die Morde an der Startbahn West ausgesprochenen Aufforderung an alle, die auf Gewalt setzen, sofort damit aufzuhören, kaum für sich in Anspruch nehmen können, für die GRÜNEN insgesamt zu sprechen,
({1})
wenn Herr Ebermann gleichzeitig - bar jeden historischen Verständnisses - vor der Gefahr einer Pogromstimmung gegenüber Demonstranten warnt.
Toleranz gegenüber zunehmender Militanz ist der falsche Weg; das würde gleichzeitig Intoleranz gegenüber dem Recht und der Freiheit des Bürgers bedeuten.
({2})
Die Koalitionspartner CDU/CSU und FDP haben schon im Frühjahr dieses Jahres vereinbart, alles zu tun, um friedliche Demonstrationen zu gewährleisten und gewalttätige zu verhindern, und haben gemeinsam Handlungsbedarf festgestellt. Wie der Herr hessische Ministerpräsident schon gesagt hat, werden Bundesregierung und hessische Landesregierung mit den verantwortlichen Polizeiführern die Erfahrungen im Hinblick darauf auswerten, wie der Mißbrauch des Demonstrationsrechts zur Vorbereitung und Durchführung von Straftaten beendet werden kann. Dabei kommen gesetzgeberische Maßnahmen wie die Novellierung des Versammlungsrechts oder der Bestimmungen über Vermummungsverbot und Landfriedensbruch ebenso in Betracht wie administrative und polizeiliche Maßnahmen.
Meine Damen und Herren, es ist sinnvoll und notwendig, auch die Forderung nach strafrechtlichen Konsequenzen zu erheben. Die These, die ich auch heute ein paarmal gehört habe, die Polizistenmorde wären durch ein strafbewehrtes Vermummungsverbot nicht zu verhindern gewesen, greift viel zu kurz. Ich habe wiederholt gesagt, daß nur ein generelles strafbewehrtes Vermummungsverbot dazu führen kann, ein allgemeines Bewußtsein vom Unrecht der Vermummung als solcher
({3})
und der Schutzbewaffnung als kriminogene Vorstufen der Gewalttätigkeiten zu entwickeln.
({4})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. - Das singuläre Verbot in einem Auflagenbescheid und die Strafbarkeit der Vermummung nach dem Beginn von Gewalttätigkeiten können ein solches generelles Unrechtsbewußtsein nicht schaffen. Keines der immer wieder gehörten Argumente gegen ein solches Verbot ist stichhaltig:
Erstens. Die Polizei wäre trotz des Legalitätsprinzips nicht gezwungen, entgegen vernünftigen taktischen Erwägungen überall und sofort gegen Vermummte einzuschreiten.
Zweitens. Die Belegung des Vermummungsverbots mit einer bloßen Geldbuße entwickelt keinen Abschreckungseffekt.
Drittens. Es ist der Polizei nicht zuzumuten, gegen Vermummte erst dann einzuschreiten, wenn es zu Gewalttätigkeiten gekommen ist.
Viertens. Zum Schutz der Polizeibeamten und zur Durchsetzung eines solchen Verbots ist eine spürbare Strafandrohung erforderlich.
Fünftens. Es muß von allen demokratischen Kräften Klarheit darüber geschaffen werden, daß Vermummung eben kein Zeichen friedlicher Demonstration ist, sondern die Vorstufe von Gewalt.
Die Entwicklung, die jetzt zum Tod von zwei Polizeibeamten und zu schweren Verletzungen weiterer geführt hat, macht deutlich, daß den Verbrechern im Anfangsstadium ihrer Zusammenrottungen mit Entschlossenheit und Härte entgegengetreten werden muß. Nur dann besteht ein Chance, Eskalationen und Gewalttätigkeiten zu verhindern.
Es darf nach meiner festen Überzeugung nicht mehr geschehen, daß zu Gewalttaten entschlossene und vermummte Chaoten wie in Hanau, wie in Hamburg unbehelligt durch die Straßen marschieren können, in schwarzen Blöcken wie eine Kampfarmee, weil ihr Auftreten nach geltendem Recht wie eine Ordnungswidrigkeit im Verkehr gewertet wird.
Ich begrüße es, daß die Innenministerkonferenz morgen zu einer Sondersitzung in Bonn zusammentrifft. Es erscheint mir wichtig, daß auch die zögernden Bundesländer, die sich verweigert haben, das Instrument des sogenannten „Meldedienstes Landfriedensbruch", des Meldens reisender Chaoten, konsequent einsetzen und nutzen. Außerdem erscheint mir überlegenswert, ob das Instrumentarium zur Vorbeugung gegen Gewalttaten ausreicht und ausreichend genutzt wird.
Die erschreckende Eskalation der Gewalt fordert alle Verantwortlichen in Bund und Ländern und in den Parlamenten heraus. Ich würde es begrüßen, wenn die notwendigen Maßnahmen die Unterstützung durch alle Fraktionen und Bundesländer finden könnten.
({0})
Ich erteile das Wort dem Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. Schnoor.
Minister Dr. Schnoor ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schwer, in dieser Stunde zu sprechen. Die ermordeten Kollegen der hessischen Polizei sind noch aufgebahrt. Unsere Aussprache wird von Bürgerinnen und Bürgern gehört, unter denen vielleicht auch die Hinterbliebenen sind, und ich denke an deren Gefühle. Mancher Polizeibeamte, der uns zuhört, sieht sich in Gedanken bei der nächsten Demonstration in Wackersdorf oder anderswo. Ich spüre die an mich wie an jeden Innenminister gerichtete Frage: Tust du alles, um mich zu schützen?
Ich denke an das Gespräch, das ich bei der Beisetzung eines im Dienst ermordeten Polizeibeamten mit dessen Vater geführt habe. Mir ist auch später oft die Frage des Vaters durch den Kopf gegangen, ob der Tod seines Sohnes vermeidbar gewesen wäre.
In einer solchen Situation - aber nicht nur in einer solchen Situation - überdenkt man seine Einstellung zur Aufgabe und zu den gesetzlichen Möglichkeiten der Polizei. Mit vielen anderen frage ich mich deshalb auch jetzt: Müssen wir etwas ändern - und was? Meine Damen und Herren, wir erleben vermummte Gewalttäter und die Bilder blinder Zerstörung; das empört jeden. Und schon lange wollen auch die Bürger dies nicht mehr ertragen.
Für Politiker liegt die Versuchung nahe, auf diese Szenen der Gewalt mit einer Handlung des Gesetzgebers zu antworten, die aber nach meiner Überzeugung leider nicht mehr als eine Symbolhandlung ist.
({1})
Aber sind wir Politiker nicht gerade in dieser Stunde zur Wahrhaftigkeit verpflichtet, auch uns gegenüber zur Wahrhaftigkeit verpflichtet? Ich meine, die Wahrhaftigkeit gebietet es, hier doch drei Dinge festzuhalten.
Erstens. Die Forderung nach einer Strafbewehrung des geltenden Vermummungsverbots, ja, sogar die Forderung nach Wiederherstellung des vor 1970 geltenden Landfriedensbruchs-Tatbestandes ist keine angemessene Reaktion des Staates auf die an der Startbahn West begangenen Verbrechen. Soweit ich den Sachverhalt bisher beurteilen kann - und ich würde mir niemals, schon gar nicht öffentlich, anmaßen, meine Damen und Herren, polizeiliches Handeln in einem anderen Land zu bewerten - : Die Frage der Vermummung, die Frage des Versammlungsrechts hat nichts, aber auch gar nichts mit diesem Verbrechen zu tun.
({2})
Minister Dr. Schnoor ({3})
Und die gern angebotenen gesetzlichen Lösungen helfen der Polizei nach meiner festen Überzeugung nicht. Ich will Ihnen ganz deutlich sagen: Ich gebe lieber mein Amt auf, als daß ich in solchen Fragen gegen meine persönliche Überzeugung handele.
({4})
Zweitens. Die CDU, die CSU und die FDP haben die Vorschriften des Demonstrationsstrafrechts erst vor zwei Jahren verschärft. Diese Rechtsänderung hat der Herr Bundeskanzler damals angesichts von Ausschreitungen, die sich in zwei Städten ereigneten, ausdrücklich verteidigt und sich gegen weitere Rechtsverschärfungen, Rechtsänderungen gewandt. Das Wort des Bundeskanzlers gilt doch auch jetzt und wiegt doch auch jetzt noch.
Der Berliner Innensenator, Herr Kollege Kewenig, hat uns Innenministern vor wenigen Tagen, wenige Tage vor dem schrecklichen Verbrechen, einen Erfahrungsbericht der Berliner Polizei
({5})
- der Berliner Polizei - vorgelegt, in dem er uns darlegt, daß und wie die Berliner Polizei unter Anwendung des geltenden Rechts gegen Verstöße, gegen das geltende Vermummungsverbot bei friedlichen Aufzügen wirksam und erfolgreich einschreitet, meine Damen und Herren.
({6})
Der Kollege Geil, Mitglied der CDU und Innenminister des Landes Rheinland-Pfalz, sagt - unwidersprochenen öffentlichen Darlegungen entsprechend - unter dem Eindruck der Mordtat: „Ein strafbewehrtes Vermummungsverbot bietet keine Gewähr, einen Vorfall wie in Frankfurt zu verhindern. " Er setze auf taktische Maßnahmen der Polizei.
Die Erklärung des Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, Hermann Lutz, Mitglied der CDU, wiegt in dieser Stunde doch auch, meine Damen und Herren. All dies muß von uns beachtet werden.
Lassen Sie mich ein Drittes hinzufügen: Niemand hindert die verantwortlichen Landesinnenminister, niemand hindert mich daran, das der eigenen Polizei durch Gesetz eingeräumte Ermessen zur Durchsetzung des Vermummungsverbots einzuschränken. Jeder Landesinnenminister ist gesetzlich befugt, die Polizei anzuweisen, es nicht länger zu dulden, daß sich z. B. die Angehörigen des sogenannten schwarzen Blocks maskiert an einem öffentlichen Aufzug beteiligen.
({7})
Hieran hindert uns kein Gesetz; niemand von Ihnen, kein Gesetzgeber hat uns dies verboten.
({8})
Wir Innenminister haben solche Anordnungen bisher nicht getroffen, aber doch nicht, weil wir für Vermummung sind, sondern weil wir den verantwortlichen Polizeibeamten die erforderliche Entscheidungsfreiheit lassen wollen, wie sie den inneren Frieden wahren und wie sie Gewalttäter in die Schranken weisen.
({9})
Wollen Sie als Bundesgesetzgeber unserer Polizei diese Entscheidungsfreiheit nehmen? Ich möchte auch keine Vermummten auf Demonstrationen haben, meine Damen und Herren, aber ich setze nach wie vor auf die fachliche Kompetenz unserer Polizeibeamten und deren Loyalität dem Gesetz gegenüber.
({10})
Ich vertraue der Polizei, und ich stehe zu ihr. Bitte
lassen Sie die Verantwortung dort, wo sie jetzt liegt.
Meine Damen und Herren, es ist auch falsch, wenn der Eindruck erweckt wird, für die Polizei sei die Verletzung des Vermummungsverbots bei friedlichen Aufzügen eine Bagatellangelegenheit. So ist es weiß Gott nicht, meine Damen und Herren.
Meine Damen und Herren, Sie haben hier im Parlament die Mehrheit, das geltende Recht zu ändern.
({11})
Wenn Sie auch die Vermummung bei einer friedlichen Demonstration zu einer Straftat machen, nehmen Sie der Polizei mit dem Opportunitätsprinzip zugleich die Entscheidungsfreiheit. Mancher mag einwenden und mancher mag erwarten, die Polizei könne mit dem Legalitätsprinzip großzügig verfahren. Aber damit würden Sie der Polizei eine Verantwortung zumuten, die Sie ihr im Rechtsstaat nicht zumuten dürfen. Diese Verantwortung müssen Sie, meine Damen und Herren, hier im Deutschen Bundestag schon gefälligst selbst übernehmen, nicht die Polizei
({12})
Wenn der Gesetzgeber einen Sachverhalt zum Straftatbestand erklärt, dann muß die Polizei nach dem Legalitätsprinzip einschreiten ohne Rücksicht auf die Folgen. Meine Damen und Herren, es gibt, anders als heute morgen gesagt worden ist, keine rechtsfreien Räume. Es gibt in unserer Gesellschaft - aber nicht nur hier - wohl Räume minderer Rechtsdurchsetzung; das beklage ich auch. Aber soll die Polizei von dem Handlungszwang befreit werden - sie steht immer unter einem Handlungszwang, solange das Legalitätsprinzip gilt - , dann muß der Gesetzgeber dies entscheiden, und zwar bei einem Straftatbestand durch eine gesetzliche Ausnahme vom Legalitätsprinzip. Dies erwarten wir dann auch von der Polizei aus. Schieben Sie nicht dem örtlichen Einsatzleiter die Verantwortung zu!
({13})
Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung. Seit Jahren bemühen sich viele, eine Kultur des öffentlichen Bürgerprotests zu wahren. Unsere demokratische Polizei hat hierzu viel beigetragen. Noch in der letzten Innenministerkonferenz Anfang Oktober haben wir uns mit einem Bericht über die Vorgehensweise extremer Gruppen bei Demonstrationen befaßt. In diesem Bericht haben uns Politikern unsere eigenen PoliMinister Dr. Schnoor ({14})
zeipraktiker folgendes ins Stammbuch geschrieben - gestatten Sie mir, daß ich dieses zitiere - :
Die Störer sind an einer möglichst hart vorgehenden Polizei interessiert und versuchen auch, die Polizei zu einem entsprechenden Verhalten zu provozieren. Wenn es ihnen gelingt, die Polizei zu einem massiven Vorgehen zu veranlassen, um Straftäter festzunehmen, werden in der Unüberschaubarkeit der Situation häufig auch Unbeteiligte von den Einsatzmaßnahmen erfaßt. Das wirkt für die Betroffenen traumatisierend, aber auch die übrigen Demonstranten werden nachhaltig geprägt. Sie empfinden das Geschehen als brutal und unangemessen. Wut, Trauer, Haß und Verzweiflung breiten sich unter ihnen aus. Im Ergebnis zählt neben den Polizeibeamten auch das Gros der Demonstranten zu den Opfern des Geschehens.
({15})
Die Taktik der extremen Gruppen dagegen hat sich bewährt: Die Polizei hat sich in der gewünschten Weise verhalten und ist damit ungewollt zum Helfer der Störerstrategie geworden. Der geplante Solidarisierungseffekt wird ihnen neue Anhänger zutreiben. Die extremen Gruppen sind die eigentlichen Sieger des Geschehens.
So unsere eigenen Polizeibeamten, meine Damen und Herren. Das sind nicht Worte der Politiker gewesen.
({16})
- Lassen Sie uns doch bitte den Dialog führen, meine Damen und Herren! Doch nicht in dieser Stunde hier diese Zurufe!
({17})
Die Polizei bemüht sich, entsprechend dieser Einsicht zu handeln. Es ist bitter, meine Damen und Herren, daß ausgerechnet eine Polizei, die sich so, wie ich es gerade zitiert habe, um den inneren Frieden bemüht, jetzt so wie in Frankfurt getroffen wird.
({18})
Die schlimmen Verbrechen an Polizeibeamten stehen aber nach meiner gegenwärtigen Einschätzung nicht in einem Zusammenhang mit einem Sachverhalt, der durch Regelungen über das Demonstrationsrecht erfaßt werden könnte. Was im Oktober dieses Jahres in der Innenministerkonferenz für Demonstrationen gültig war, kann doch nicht heute schon falsch sein. Nach wie vor gilt auch: Straftaten müssen bei einer Demonstration konsequent verfolgt werden. Das gehört überall zur jeweiligen Linie der Polizei.
({19})
Wenn sich Gewalttäter in einer sonst friedlichen Menschenmenge aufhalten, gibt es aber keine Alternative zu einem differenzierenden, behutsamen Vorgehen der Polizei, gerade auch wenn man an die Sicherheit und den Schutz der Polizeibeamten denkt. Bitte lassen
Sie der Polizei die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten hierzu!
Ein abschließendes Wort: Wir in der Polizei - ich sage jetzt „wir in der Polizei" , denn ich zähle mich als Innenminister auch dazu - wollen von uns aus alles tun, wie bisher bei einer Demonstration den inneren Frieden zu wahren, auch wenn uns dies nach Frankfurt schwerer fallen sollte. Mehr als bisher sind wir deshalb auf die Hilfe der Bürger angewiesen. Ich sage hier, auch wenn das wenig opportun sein mag: Ich bin für die Worte von Frau Schoppe dankbar. Ich bin jedem dankbar, der die Möglichkeit des Gesprächs zu gewalttätigen Gruppen sucht, auch um deeskalisierend zu wirken;
({20})
denn ich kann es nicht. Ich bin jedem dankbar, denn dies dient auch dem Schutz der Polizeibeamten.
({21})
Ich bitte alle Bürger, die von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machen, uns in der Polizei bei der Wahrung des inneren Friedens zu helfen.
({22})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.
Da ich annehme, daß einige der Kollegen nun den Saal verlassen wollen, will ich eine ganz kleine Pause einlegen, bevor ich den Tagesordnungspunkt 2 aufrufe, damit der erste Redner ein ruhiges Haus vorfindet.
Meine Damen und Herren, ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes
- Drucksache 11/496 -
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({0})
- Drucksache 11/1049 neu Berichterstatter:
Abgeordneter Ganz ({1}) Heistermann
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 11/1050 Berichterstatter:
Abgeordnete Müller ({3}) Dr. Weng ({4})
Kühbacher
Frau Rust
({5})
Vizepräsident Cronenberg
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, daß eine Beratung von einer Stunde vorgesehen ist. Widerspruch ergibt sich hier offensichtlich nicht.
Dann gebe ich dem Abgeordneten Ganz ({6}) das Wort. Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir werden heute in zweiter und dritter Lesung ein Gesetz verabschieden, auf dessen Einbringung sowohl der Verteidigungsausschuß als auch das Parlament selber seit längerer Zeit gedrängt haben, dessen Notwendigkeit schon von daher dokumentiert ist und das wir, begleitet von einigem Kopfzerbrechen, in den Ausschüssen zügig beraten haben.
Das Gesetz über die Sicherung des Unterhalts der zum Wehrdienst einberufenen Wehrpflichtigen und ihrer Angehörigen - kurz: Unterhaltssicherungsgesetz - aus dem Jahre 1957 erfährt heute, also innerhalb von 30 Jahren, seine siebte Änderung. Diese Tatsache belegt, daß es sich bei dem Gegenstand dieses Gesetzes, nämlich der Sicherstellung des Lebensunterhalts unserer Wehrpflichtigen und Wehrübenden, um eine ständige Aufgabe von Regierung und Parlament handelt, der diese auch jeweils Rechnung getragen haben.
Der Zeitabstand seit der letzten Novellierung 1979 zu heute dürfte dabei allerdings der größte gewesen sein, was zu der Tatsache geführt hat, daß die Leistungen nach diesem Gesetz um 30 % hinter den Lebenshaltungskosten zurückgeblieben sind. Eigentlich hätte die Vorgängerregierung schon eine Anpassung in die Wege leiten müssen; denn von diesen 30 % Steigerung der Lebenshaltungskosten sind allein zu ihrer Zeit, also von 1979 bis 1982, nachweislich des Statistischen Jahrbuches 22 %, d. h. drei Viertel, entstanden.
Aber das ist Schnee von gestern. Die Kolleginnen und Kollegen aus der Opposition wissen, was der Grund war, der sie damals davon abgehalten hat, dies zu tun; schlicht und einfach: Das Geld war alle. Oder andersherum: Hätten Sie die Leistungen zum 1. Juli 1982 gemäß den bis dahin gestiegenen Lebenshaltungskosten um 22 % angehoben, brauchten wir heute nur eine Korrektur von 8 % vorzunehmen. Ich sage das nicht als Vorwurf, aber als Antwort auf die auch von Ihnen oft gehörte Klage, wir hätten diese notwendige Anpassung verschleppt. Dabei wissen Sie so gut wie ich, daß wir in den zurückliegenden Jahren im Bereich Fürsorgemaßnahmen für Soldaten noch dringlichere Probleme zu bewältigen hatten.
Ich habe mir in Vorbereitung auf diese Sitzung noch einmal den 1982 erstellten Problemkatalog zur Hand genommen und daraufhin abgefragt, was wir davon bereits erledigt haben. Das kann sich sehen lassen. Ich erinnere - um nur die wichtigsten Maßnahmen zu nennen - an die Änderung des Wehrpflichtgesetzes auch mit dem Ziel, mehr Wehrgerechtigkeit herbeizuführen; an die Änderung des Zivildienstgesetzes, um das Hickhack im Anerkennungsverfahren endlich zu beenden. Ich erinnere an die Wehrsolderhöhungen, an die Verbesserung des Einberufungsverfahrens, an die Beseitigung der durch das 2. Haushaltsstrukturgesetz eingetretenen finanziellen Benachteiligungen der Familien von Grundwehrdienstleistenden, an die Anhebung der Aufwandsvergütung für Übungen im Ausland.
Ich erinnere auch an die ebenso notwendigen Maßnahmen für Längerdiener und Berufssoldaten wie an die Novellierung des Soldatenversorgungsgesetzes zur Absicherung der Längerdiener gegen Arbeitslosigkeit, an die Ausweitung der Berufsförderung, an die Anhebung des Stellenanteils für Unteroffiziere mit Portepee, an das Personalstrukturgesetz zur Entschärfung des Problems Beförderungs- und Verwendungsstau, an die Einführung einer zweiten Reisebeihilfe für verheiratete Trennungsgeldempfänger, an die Verdoppelung der Höchstgrenze bei Kostenerstattung für zusätzlichen Unterricht der Kinder bei einem versetzungsbedingten Umzug, an die Gewährung von Trennungsgeld bei Vorwegumzug, an die Anhebung der Regelsätze im Reisekostenrecht und der Pauschalsätze im Trennungsgeldrecht.
Wir haben auch bei der diesjährigen Haushaltsberatung wieder Anträge mit der Absicht eingebracht, die soziale Lage der Soldaten weiter zu verbessern.
Ich habe diesen Erfolgskatalog nicht aus Gründen der Rechtfertigung oder des Eigenlobs aufgelistet, sondern weil das alles so schnell konsumiert wird. Was wir heute beschließen, gilt morgen als selbstverständlich und ist übermorgen schon vergessen.
Zurück zum Unterhaltssicherungsgesetz. Wir haben im Ausschuß keine Änderungen herbeigeführt, weil die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehenen Regelungen unsere uneingeschränkte Zustimmung gefunden haben. Die im Durchschnitt um 30 % angehobenen Leistungen sind angemessen. Die neue Berechnungsgrundlage für den Familienunterhalt, die sich künftigen Steigerungen der allgemeinen Lebenshaltungskosten besser anpaßt und für den Anspruchsberechtigten verständlicher ist, wird von uns begrüßt, ebenso die Erweiterung der Höchstgrenze der Mietbeihilfe, die den Interessen der lebensälteren Grundwehrdienstleistenden Rechnung trägt.
Zwei Änderungsvorschläge von uns - das waren die, die uns das eingangs beschriebene Kopfzerbrechen bereitet haben - konnten nicht oder noch nicht realisiert werden. Das eine war die von uns angestrebte Gleichbehandlung von Wehrübenden aus der freien Wirtschaft mit denen aus dem öffentlichen Dienst, sowohl leistungsmäßig als auch versicherungsrechtlich. Die Versicherung des Verteidigungsministers, daß diese Forderung in einem eigenen Gesetzgebungsverfahren, wofür sich ein Referentenentwurf bereits in der Ressortabstimmung befinde, erledigt werden solle, hat uns davon abgehalten, auf einer Regelung im Rahmen dieser USG-Novelle zu bestehen. Wir erwarten allerdings, daß das dazu notwendige Gesetzgebungsverfahren frühestmöglich eingeleitet wird.
({0})
Der andere Änderungsvorschlag betraf den Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes. Es ist hinlänglich bekannt, daß es unsere Absicht war, den Antragsberechtigten die höheren Leistungen schon ab
Ganz ({1})
Januar dieses Jahres - notfalls rückwirkend - zugute kommen zu lassen, weshalb ja auch die dafür notwendigen Mittel schon bei der Verabschiedung des Haushaltes 1987 im vorigen Jahr eingestellt wurden. Durch die Bundestagswahl, die Konstituierung des Bundestages und andere Umstände hat sich die Einbringung der Novelle durch die Bundesregierung verzögert, so daß sie den 1. Juli dieses Jahres als Tag des Inkrafttretens festlegte.
Wir waren bis zum Tag vor der Verabschiedung in den zuständigen Ausschüssen entschlossen, die Verbesserungen wie beabsichtigt auf den 1. Januar zurückzudatieren, wissend, daß wir damit den Bewilligungsbehörden bei den Landrats-, Kreis- und Stadtverwaltungen eine zusätzliche und umfangreiche Arbeit aufgebürdet hätten. Diese hätten nämlich alle bis zum 30. Juni dieses Jahres ergangenen Bescheide neu überarbeiten müssen. Streng genommen hätten sie sogar alle bis dahin entlassenen Wehrpflichtigen bzw. Wehrübenden benachrichtigen müssen, weil durch die Gesetzesänderung auch neue Anspruchsberechtigungen entstanden sind. Das wären rund 100 000 Fälle neben den seit dem 1. Juli dieses Jahres auf der Basis der angehobenen Leistungssätze zu bearbeitenden Anträge gewesen. Beides zusammen wäre nicht machbar gewesen. Wir mußten uns also zwischen dem Wünschbaren und dem Machbaren für das Machbare entscheiden. Mit Rücksicht darauf, daß die anspruchsberechtigten Wehrpflichtigen vom Tage des Beginns bis zum Tage der Beendigung ihres Dienstes Leistungen erhalten und diese monatlich im voraus gezahlt werden müssen, haben wir es schweren Herzens beim 1. Juli 1987 als Tag des Inkrafttretens belassen, um den jetzigen Leistungsempfängern keine Verzögerungen der Zahlungen zumuten zu müssen.
Alles in allem, meine Damen und Herren, bringt diese Novelle zum Unterhaltssicherungsgesetz eine spürbare und wesentliche Verbesserung, wodurch diese Bundesregierung, der Verteidigungsminister und das Parlament ein weiteres Mal unter Beweis gestellt haben, daß sie ihrer Fürsorgepflicht gegenüber den Soldaten gerecht werden wollen.
Es wäre vermessen, zu behaupten, daß damit nun alle Aufgaben in diesem Bereich gelöst seien. Die nächste Aufgabe haben wir uns bereits gestellt, nämlich die Bewältigung des Problems der Dienstzeitbelastung und die Überprüfung der Dienstzulagen.
Sie sehen, meine Damen und Herren, daß wir kontinuierlich bemüht sind, Schritt für Schritt das zu tun, was im Interesse unserer Soldaten und damit im Interesse unserer Sicherheit in Freiheit notwendig ist. Sie können uns heute dadurch unterstützen, daß auch Sie der zu verabschiedenden Gesetzesvorlage zustimmen.
Ich danke Ihnen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Steiner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion begrüßt es, daß heute das
Siebte Gesetz zur Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes endlich verabschiedet wird. Wir begrüßen dies deshalb, weil die seit langem völlig unzureichenden Leistungen des Unterhaltssicherungsgesetzes, wenn auch mit einem kaum noch vertretbaren Zeitverzug, an die gestiegenen Lebenshaltungskosten angepaßt werden. Wenn ich von Zeitverzug spreche, dann meine ich damit, daß die letzte Anpassung des Unterhaltssicherungsgesetzes mehr als acht Jahre zurückliegt und dementsprechend ein erheblicher, ich betone: ein erheblicher Anpassungsstau abzubauen ist.
Herr Kollege Ganz, Sie haben zwar darauf hingewiesen, daß es Entschuldigungsgründe gibt, die ein frühzeitigeres Handeln aus Ihrer Sicht nicht möglich gemacht haben. Ich möchte jetzt aber einmal deutlich machen, wieso es zu diesen Verzögerungen gekommen ist. Trotz großer Bemühungen fast aller Mitglieder des Verteidigungsausschusses und Kolleginnen und Kollegen anderer Ausschüsse in den zurückliegenden Jahren und trotz drängender Forderungen des Bundeswehrverbandes, der ÖTV und des Reservistenverbandes und trotz Mahnungen des Wehrbeauftragten in seinen Jahresberichten seit 1984 hat es die Bundesregierung wieder einmal geschafft, längst entstandenen Handlungsbedarf - auch Sie haben den betont - im Bereich der Fürsorge für Soldaten über Jahre zu übergehen. Auch hier gilt das Kanzlerwort: Der Mensch steht im Mittelpunkt. - Ich darf Ihnen einen Zusatz sagen, der in der Bundeswehr bereits offen gehandelt wird: Der Mensch steht seiner, nämlich des Kanzlers, Politik immer im Wege.
({0})
Spätestens seit 1984 war deutlich erkennbar, daß die Unterhaltsleistungen für Familien Grundwehrdienstleistender und Wehrübender, daß die Mietbeihilfen für alleinstehende Wehrpflichtige und die Bemessungsgrundsätze für die Berechnung des Verdienstausfalls für Wehrübende nicht mehr ausreichend waren. Zum Thema Mietbeihilfen gab es sogar eine Erhebung, die mein Kollege Heistermann gefordert hatte und die meine dazu gemachten Aussagen eindrucksvoll belegt. Ich glaube, er hat dazu in der ersten Lesung dieses Änderungsgesetzes einige Ausführungen gemacht. Auch ein von uns im Jahre 1984 angeforderter Zwischenbericht unterstreicht, was ich bisher gesagt habe.
Sogar der Parlamentarische Staatssekretär Würzbach weist in seiner Stellungnahme zum Jahresbericht 1984 des Wehrbeauftragten darauf hin, daß es Probleme gibt. Er führt darin u. a. aus:
Der Bundesminister der Verteidigung untersucht, ob die Unterhaltssicherungsleistungen, insbesondere die Ansprüche auf Mietbeihilfe, Heizkostenerstattung und Ersatz der Hausratversicherung für lebensältere Grundwehrdienstleistende, verbessert werden müssen. Hierzu wurde bei ausgewählten Unterhaltssicherungsbehörden in den Bundesländern eine Erhebung durchgeführt, die voraussichtlich bis Sommer 1985 ausgewertet sein wird und deren Ergebnisse dann umgesetzt werden.
Mehr als zweieinhalb Jahre hat sich der Minister für die Umsetzung Zeit gelassen.
({1}) [CDU/CSU]: In dieser
Zeit haben wir aber einiges getan, wie Sie
gehört haben!)
Der Verteidigungsausschuß hat sich dann weiterhin 1985 und 1986 mit dem immer deutlicher und unerträglich gewordenen Problem mehrmals beschäftigt und in seiner Sitzung am 19. März 1986 eine Beschlußempfehlung gegeben, die einen klaren Handlungsauftrag an die Bundesregierung enthielt, der durch eine Entschließung des Parlaments vom 17. April 1986 untermauert wurde. Damit war grundsätzlich bereits vor eineinhalb Jahren beschlossen:
1. Reservisten der Bundeswehr, die Wehrübungen leisten, sollen in Zukunft im Rahmen des Unterhaltssicherungsgesetzes volle Verdienstausfallentschädigung erhalten.
2. Die vom Bund an die Rentenversicherungsträger zu entrichtenden RV-Beiträge für Wehrübende sollen so angehoben werden, daß persönliche Nachteile für die Betroffenen vermieden werden.
Die Begründung für die von mir zitierten Absätze der Entschließung sagen dann auch deutlich aus, worum es uns damals ging. In der Begründung heißt es nämlich:
1. Vor dem Hintergrund der ab 1989 zu erwartenden Erhöhung der Wehrübungsplätze auf ca. 15 000 muß dafür gesorgt werden, daß alle Wehrpflichtigen, was die Verdienstausfallentschädigungsregelung betrifft, gleich behandelt werden.
Der Grundsatz muß lauten, daß der tatsächliche Verdienstausfall dem Wehrübenden ersetzt werden muß.
Das Arbeitsplatzschutzgesetz sieht vor, daß Beamte, die zu einer Wehrübung einberufen werden, für die Dauer der Wehrübung mit Bezügen beurlaubt werden.
Im Gegensatz dazu sieht das Unterhaltssicherungsgesetz für alle anderen Wehrpflichtigen vor, daß Verheiratete 90 % bzw. nicht Verheiratete 70 % des durch den Wehrdienst bzw. die Wehrübung entfallenden bisherigen Nettoeinkommens als Verdienstausfallentschädigung erhalten.
Und jetzt der Satz:
Die Ungleichbehandlung gegenüber dem Öffentlichen Dienst wird noch verstärkt durch die Höchstgrenzenregelung ({2}), bis zu der Verdienstausfallentschädigung nach dem USG gezahlt wird.
({3})
Das heißt, wir haben hier Regelungen gehabt, die ganz deutlich machten - und Sie haben es in Ihrer eigenen Begründung dargestellt -,
({4})
daß das einer Änderung bedarf. Ich zitiere wiederum:
2. Die Bemessungsgrundlage des vom Bund an die Versicherungsträger zu zahlenden RV-Beitrages für wehrübende Soldaten wurde 1982 von 100 auf 75 % und 1983 auf 70 % herabgesetzt.
Die Bundeswehr wird ab 1989 eine sehr viel größere Zahl von Reservisten zu Wehrübungen heranziehen als bisher .. .
Es wäre nicht gerecht,
- so Ihre eigene Begründung die Reservisten vermehrt zu Wehrübungen heranzuziehen und sie gleichzeitig mit verminderten Zahlungen von Rentenversicherungsbeiträgen zu belasten. Gegenüber denjenigen, die keinen Wehrdienst leisten oder nicht zu Wehrübungen herangezogen werden, wäre dies eine doppelte Belastung .. .
Soweit Ihre eigene Begründung.
Wir haben bereits im März 1986 im Ausschuß darauf hingewiesen, daß die Zahl der Wehrübungsplätze seit 1983 von Jahr zu Jahr erhöht worden ist und daß der Unterschied zwischen denen, die aus dem öffentlichen Dienst zu Wehrübungen herangezogen werden und das volle Gehalt erhalten, und denen, die aus der Wirtschaft kommen, eklatant ist.
Wir haben seinerzeit Beratungen mit dem Ziel gefordert, spätestens mit dem Haushalt 1987 Verbesserungen im Unterhaltssicherungsgesetz vorzusehen. Wir hatten ja schon reichlich Erfahrungen mit Ankündigungen und waren uns in der Einschätzung einig, daß nur ein sofortiger Einstieg in die Beratungen noch zu einer Verbesserung in der zehnten Legislaturperiode hätte führen können. Die Finanzierung wäre ja kein Problem gewesen. Denn es war ja möglich - Sie wissen das ja; Sie waren ja mit dabei - , in Nacht- und Nebelaktionen zusätzliche Beschaffungen in Milliardenhöhe zu beschließen,
({5})
ohne daß diese in der Finanzplanung vorgesehen waren. An den zusätzlichen jährlichen Mehrkosten von lediglich 11 Millionen DM, die wir für eine Novellierung des Unterhaltssicherungsgesetzes benötigt hätten, kann es dann ja wohl nicht gelegen haben.
Nein, es muß andere Gründe für die Untätigkeit gegeben haben. Einen Grund sehen wir darin, daß für den Minister die Pflicht zur Fürsorge einen Stellenwert hat, der den ihm anvertrauten Soldaten nicht gerecht wird. Für ihn stehen die Planung neuer Waffensysteme sowie die Verbesserung und Vermehrung eingeführter Geräte und Systeme ohne Abstriche im Vordergrund all seiner Betrachtungen.
({6})
Daß 1986 eine Verbesserung des Unterhaltssicherungsgesetzes nicht möglich war, lag auch nicht an
der fehlenden Bedenkzeit im Ministerium. Denn wie ich bereits dargestellt habe, waren die Probleme hinreichend bekannt und hinreichend durchleuchtet.
({7})
Es lag sogar, wie wir heute wissen, ein fertig formulierter Gesetzentwurf seit 1985 in einer der vielen Schubladen des Ministeriums.
({8})
Der Entwurf wurde dann auf unser gemeinsames Drängen, Herr Kollege Ganz, im Verteidigungsausschuß schließlich 1987 sehr behäbig aus der Schublade hervorgeholt und
({9})
in einer, wie ich glaube, nur für Schnecken erschrekkenden Geschwindigkeit in den parlamentarischen Beratungsgang gegeben.
Noch bei den Beratungen über den Haushalt für 1987 wurde uns versichert, es sei nun alles klar; die 11 Millionen DM stünden in Absprache mit dem Finanzminister zur Verfügung und das Unterhaltssicherungsgesetz werde im nächsten Jahr so rechtzeitig geändert, daß die Änderung rückwirkend zum 1. Januar 1987 in Kraft treten könne. Aber Ankündigung und Ergebnis sind mal wieder nicht deckungsgleich, wie wir heute feststellen müssen.
Der Minister hat damit zweimal in einem Anlauf gefehlt, einmal, indem er die dem Ausschuß gegebene Zusage nicht eingehalten hat, und einmal, indem er sich über das gemeinsame Wollen aller Fraktionen mit Ausnahme der der GRÜNEN, denen dieses Problem nicht grün genug ist, hinweggesetzt hat.
Wir haben bis gestern noch gemeinsam darum gerungen, eine rückwirkende Geltung der neuen Bestimmung zum 1. Januar 1987 zu erreichen. Ich glaube sagen zu müssen, es ist für uns alle beschämend, daß wir vom Verteidigungsminister mal wieder geleimt worden sind. Allerdings möchte ich ausdrücklich betonen, daß das Änderungsgesetz, das im Kriechgang die heutige Beratung erreicht hat, doch einen Teil der berechtigten Forderungen erfüllt, die, wie dargestellt, seit geraumer Zeit berechtigt erhoben werden.
So werden die zuletzt 1979 angepaßten Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz durch dieses Änderungsgesetz den gestiegenen Lebenshaltungskosten entsprechend um etwa 30 % angehoben. Diese 30 % machen deutlich, was den Leistungsempfängern in den letzten Jahren bis zum 1. Juli 1987 vorenthalten wurde.
Erwähnenswert ist, daß eine weitere gleitende und quasi automatische Anpassung der Leistungen für den Familienunterhalt Verheirateter dadurch erreicht wird, daß diese Leistungen nicht mehr wie bisher nach Tabellensätzen, sondern nach dem letzten Nettoeinkommen der Wehrpflichtigen berechnet werden. Das ist begrüßenswert.
Ehefrauen Grundwehrdienstleistender erhalten künftig monatlich 60 % und für jedes Kind 12 % des
Nettoeinkommens des Wehrpflichtigen vor der Einberufung. Die Höchstleistung beträgt ab 1. Juli 1987 1 872 DM für die Ehefrau und 375 DM für jedes Kind. Die Höchstsätze der Mietbeihilfe für alleinstehende Wehrpflichtige steigen von 420 DM auf 510 DM. Darüber hinaus kann Mietbeihilfe bis zu 25 % des letzten monatlichen Nettoeinkommens gewährt werden, wenn dieses höher als 2 040 DM war; jedoch darf die Maximalhöhe 780 DM nicht überschreiten.
Die Höchstsätze für die Verdienstausfallentschädigung Wehrübender werden ebenfalls angehoben, und zwar von 4 050 DM auf 5 200 DM für Verheiratete und von 3 150 DM auf 4 100 DM für Ledige. - Es bleibt leider dabei, daß die Verdienstausfallentschädigung bei Verheirateten 90 % und bei Ledigen 70 % des infolge Wehrdienstes entfallenden bisherigen Nettoeinkommens nicht übersteigen darf. Damit bleiben die besserverdienenden Wehrübenden aus der privaten Wirtschaft durch die Höchstsatzregelung weiterhin schlechter gestellt als vergleichbare Wehrübende aus dem öffentlichen Dienst, deren Bezüge während einer Wehrübung ungekürzt weiterlaufen.
Auch in rentenversicherungsrechtlicher Hinsicht haben die Wehrübenden aus der privaten Wirtschaft weiterhin Nachteile hinzunehmen. Und das bleibt so, obwohl der Bundestag, wie bereits erwähnt, am 17. April 1986 die volle Gleichstellung mit Wehrübenden aus dem öffentlichen Dienst gefordert hat.
({10})
Der Bundesminister der Verteidigung begründet seine Abweichung von der Bundestagsforderung damit, daß verfassungsrechtliche Bedenken gegen das vom Bundestag empfohlene Modell bestanden hätten. Diese Bedenken seien aber inzwischen durch fachliche Gutachten ausgeräumt. Inzwischen habe man sich auch für das Bundestagsmodell entschieden und den Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes erarbeitet. Dieser Entwurf liege bereits den fachlich beteiligten Bundesressorts zur Mitprüfung vor. Mit dem Abschluß der Ressortabstimmung sei in Kürze zu rechnen. - Soweit also die erfragte Stellungnahme des Bundesministers, die mit einer neuen Ankündigung endet. Keine Aussage jedoch dazu, wann die noch bestehende Ungerechtigkeit ausgeräumt sein wird. Wir sind gespannt, wie zügig jetzt nach neuen Erklärungen für ausbleibende Entscheidungen, die den Parlamentswillen weiter ignorieren würden, gesucht wird.
Der Verteidigungsminister kann sich den Entwurf der Reservistenkonzeption, die uns seit Juli dieses Jahres vorliegt, hinter den Spiegel stecken, solange dieses Problem nicht gelöst ist.
Wir stimmen dem vorliegenden Änderungsgesetz dennoch zu, weil damit ein Großteil der aufgestauten Ungerechtigkeiten beseitigt wird.
({11})
Wir erwarten aber von der Bundesregierung, daß die noch offenen Parlamentsforderungen umgehend erfüllt werden. Wir erwarten auch einen Erfahrungsbericht über die Auswirkungen der neuen Bestimmungen, der dem Verteidigungsausschuß Mitte 1988 vor2382
gelegt werden soll. Weiterhin erwarten wir, daß neue Merkblätter erstellt werden, die es den Anspruchsberechtigten ermöglichen, auch ohne Beistand eines Verwaltungsfachbeamten festzustellen, welche Leistungen ihnen nach den neuen Bestimmungen des Unterhaltssicherungsgesetzes künftig zustehen. Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Nolting.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Vorbemerkung: Die Wichtigkeit der Novellierung des Siebten Unterhaltssicherungsgesetzes für die Betroffenen steht im absoluten Widerspruch zu der Vielzahl, um nicht zu sagen: zu der Minderzahl der anwesenden Kolleginnen und Kollegen.
Meine Damen und Herren, für die FDP möchte ich die heute bevorstehende Verabschiedung der siebten Novelle des Unterhaltssicherungsgesetzes begrüßen, dabei aber auch gleich betonen, daß diese Verabschiedung längst überfällig ist. Dies sage ich auch in Richtung Bundesverteidigungsministerium und Bundesfinanzministerium.
Meine Fraktion wird der Neufassung des Gesetzes zustimmen, denn es geht um konkrete finanzielle Verbesserungen für unsere Wehrpflichtigen und die Wehrübenden, darüber hinaus auch für die Zivildienstleistenden, die von der USG-Novelle mit betroffen sind. Die vorgesehene Anhebung ist nach Auffassung von uns allen - dies haben die beiden Kollegen vor mir auch bestätigt - dringend erforderlich, handelt es sich dabei doch um die Leistungen, Sonderleistungen und die Verdienstausfallentschädigungen, die das Gesetz vorsieht.
Meine Damen und Herren, mehr als acht Jahre sind vergangen, seit der Gesetzgeber zum letztenmal eine Anhebung der Bezüge vorgenommen hat. Herr Kollege Steiner, es ist, glaube ich, etwas unredlich von Ihnen, heute hier in dieser Art und Weise zu argumentieren. Sie hätten bereits zu der damaligen Zeit die Initiative ergreifen können.
Meine Damen und Herren, wir werden bei der Berücksichtigung der um 30 % gestiegenen Lebenshaltungskosten für diesen Zeitraum heute dafür Sorge tragen, daß finanzielle Verbesserungen an den Anspruchsberechtigten nach dem USG - das ist wahrlich keine kleine Gruppe, Herr Horn - nicht spurlos vorbeigehen.
({0})
- Herr Horn, ich habe die Kritik hier nicht angebracht, das war Ihr Kollege; insofern habe ich Ihnen den Ball wieder zugespielt.
Meine Damen und Herren, dabei muß bedacht werden, daß es sich bei der Wehr- bzw. der Zivildienstpflicht und den Wehrübungen um eine Anforderung unseres Gemeinwesens an den einzelnen männlichen Staatsbürger handelt, der insofern nicht freiwillig handelt. Das USG will und soll entschädigen, wo es
Nachteile durch die Dienste des einzelnen auszugleichen gibt.
Meine Damen und Herren, jeder, der sich mit dem bisherigen Gang des Gesetzgebungsverfahrens beschäftigt hat, wird Verständnis dafür zeigen, wenn ich für meine Fraktion, für die FDP, heute einige kritische Anmerkungen machen werde; denn die FDP wollte bekanntlich einen früheren Termin für das Wirksamwerden der Mehrleistungen. Wir haben immer den Jahresbeginn, den 1. Januar 1987, favorisiert. Ich möchte noch einmal feststellen: Rein formal wäre eine Rückwirkung für das gesamte Jahr möglich gewesen. Ich darf nochmals auf eine ähnliche Konstellation beim Soldatenversorgungsgesetz verweisen. Außerdem bleibt nach wie vor festzustellen - auch darauf ist schon hingewiesen worden - : Das Geld für eine Rückwirkung zum 1. Januar 1987 ist auch vorhanden.
Der Kollege Steiner hat darauf hingewiesen, daß es bereits in der vergangenen Legislaturperiode einen gemeinsamen Entschließungsantrag vom 23. Oktober 1986 an die Bundesregierung gab, entsprechende Maßnahmen zu einer Inkraftsetzung zum 1. Januar 1987 zu treffen. Leider müssen wir heute zur Kenntnis nehmen: Die Auszahlung der Leistungen dieses Gesetzes als sogenanntes Auftragsverwaltungsgesetz erfolgt über die Länder durch die Kommunen und deren Unterhaltssicherungsbehörden. Aus der Sicht dieser Behörden ist, organisatorisch begründet, die Inkraftsetzung zum 1. Juli 1987 wünschenswerter und - das will ich bewußt mit einschließen - wohl auch nur praktikabel: der Kollege Ganz hat darauf hingewiesen. Die FDP-Fraktion stimmt dem Gesetz gleichwohl heute zu, um die laufenden Anforderungen aus dem Unterhaltssicherungsgesetz nicht zu gefährden.
Wenn wir als FDP nicht ganz zufrieden sein können, so hat dies allerdings noch einen weiteren Grund. Wie schon in meiner Rede am 17. September 1987 angeklungen ist, sehen wir es als ungerecht an, wie durch das Unterhaltssicherungsgesetz die Wehrübenden unterschiedlich behandelt werden. Das kann nicht länger so bleiben. Die Ungereimtheiten in § 13 USG müssen schnell beseitigt werden. Es ist z. B. ungerecht, daß einige Berufsgruppen das volle normale Gehalt weiterbeziehen, wenn ihre Berufsangehörigen Wehrübungen leisten, andere - wie z. B. die Freiberufler - aber Einkommensverluste zu verzeichnen haben.
({1})
Dringend novellierungsbedürftig ist jedoch auch ein weiterer Punkt in diesem Zusammenhang. Wer z. B. als selbständig Gewerbetreibender oder als Landwirt den Betrieb fortführen läßt oder lassen kann, fällt schon dadurch aus dem Kreis der Unterstützungs- bzw. Entschädigungsberechtigten heraus. Man stelle sich einmal vor, welche Auswirkungen solche Regelungen z. B. in einem kleinen Landwirtschaftsbetrieb haben können. Schon durch den Ausfall der Arbeitskraft des Landwirtes werden hier Nachteile spürbar. Unter Umständen sind das empfindliche finanzielle Einbußen. Auch dieser Punkt, meine Damen und Herren, muß geändert werden.
Deshalb fordere ich namens meiner Fraktion das Bundesverteidigungsministerium auf, unverzüglich die hier schon angesprochene achte Novelle dem Hause vorzulegen, so daß wir für die Betroffenen sehr rasch mehr Gerechtigkeit schaffen können.
({2})
Für heute sage ich für meine Fraktion: Die siebte Novelle ist ein Zwischenschritt zu mehr Gerechtigkeit, aber eben nur ein Zwischenschritt.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beer.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach Beratungen des Gesetzentwurfs in den Ausschüssen muß ich für die Fraktion der GRÜNEN mit Bedauern feststellen, daß die von uns vorgetragene Kritik an dem Gesetzentwurf nicht berücksichtigt wurde. Theoretisch könnte ich jetzt die Rede, die ich zur ersten Lesung gehalten habe, wiederholen. Ich möchte Sie aber nicht langweilen oder noch einmal damit ärgern. Ich möchte nur einige Punkte ansprechen.
Ich denke, daß auch am Ende der diesjährigen Haushaltsberatungen von uns insgesamt die traurige Bilanz zu ziehen sein wird, daß Sie auf der einen Seite für Rüstung immer noch Milliarden ausgeben, aber auf der anderen Seite nicht bereit sind, die Mindestvoraussetzungen für soziale Gleichberechtigung zu schaffen.
({0})
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Biehle?
Ja.
Bitte sehr.
Verehrte Kollegin, würden Sie bezüglich der von Ihnen gerade vorgetragenen Kritik, Ihre Anregungen seien nicht aufgegriffen worden, bitte zur Kenntnis nehmen, daß Ihre eigenen Vertreter im Verteidigungsausschuß dem nicht zugestimmt, sondern sich der Stimme enthalten haben?
: Das ist nicht ganz richtig. Ich komme gleich noch dazu. - Das eben war eher ein Beitrag als eine Frage.
Ich möchte auf meinen ersten Punkt zurückkommen. Gerade in der jetzigen Situation, wo wir alle hoffen, daß das Abrüstungsabkommen zustande kommt, ist es für uns absolut nicht akzeptabel und nicht verständlich, an den Unterhaltsleistungen zu sparen. Das ergibt keinen Sinn.
({0})
Unsere wichtigste Forderung - rückwirkende Zahlung der Leistungen ab 1. Januar dieses Jahres - ist
sehr wohl aufrechterhalten worden. Es ist nicht richtig, was Sie eben sagten. Wir bedauern wirklich sehr aufrichtig, daß sich sowohl FDP als auch SPD nach Diskussionen in den Ausschüssen nicht in der Lage gesehen haben, so weit Einfluß zu nehmen, daß man sich durchringt, tatsächlich zu sagen: Die Leistung soll rückwirkend zum 1. Januar einsetzen.
({1})
- Doch, ich habe sehr wohl zugehört.
({2})
Auch der Vorwurf, daß den GRÜNEN das Problem nicht grün genug sei, ist nicht richtig. Es geht darum, daß jetzt die Rollen vertauscht worden sind. Sie erinnern sich vielleicht. Zur SPD-Regierungszeit hat Herr Wörner als Oppositioneller gesagt, es wäre ein Skandal, wenn die 50 DM Leistung gestrichen würde. Das war zu Ihrer Zeit. Heute ist überhaupt nicht einsichtig, daß man das wieder aufleben läßt. Man muß also ganz einfach sehen, daß in bestimmten Punkten ein Spiel mit vertauschten Rollen stattfindet, das wir nicht akzeptieren können.
({3})
Ihr Argument, die Behörden wären überlastet worden, wenn man die Zahlungen nicht zum 1. Juli, sondern zum 1. Januar hätte aufleben lassen, können wir nicht tragen, denn wenn ich an die weiterhin zunehmende Arbeitslosigkeit denke, meine ich, dies wäre zwar keine sehr ausfüllende Beschäftigung, aber zumindest ein Ansatz, um weiteren Arbeitsabbau auch bei öffentlichen Stellen zu vermeiden.
({4})
Insgesamt bleibt festzuhalten, daß Kritik angebracht ist, und diese Kritik kommt ja nicht nur von den GRÜNEN. Ich verweise hier auch auf die Unterrichtung des Wehrbeauftragten vom März dieses Jahres und auf die Kritik des Deutschen Bundeswehrverbandes, der sich zu den Haushaltsberatungen mehrfach mit Forderungen geäußert hat, die denen der GRÜNEN entsprechen. Das ist nicht aufgegriffen worden, wofür Sie hier während der ganzen Zeit, die wir darüber geredet haben, keine plausible Begründung geliefert haben.
Deshalb möchte ich noch einmal aus einem Flugblatt des BWV zitieren. Es ist eine Stellungnahme vom 4. November unter der Überschrift: Wandzeitungskampagne zur Dienstzeitbelastung - Soldaten wehren sich gegen 84-Stunden-Woche zum Nulltarif - Soldaten wehren sich gegen weitere Benachteiligungen. Zwar betrifft dies nicht das im Moment diskutierte Gesetz, aber es ist im Zusammenhang mit den heute zu erwartenden Entscheidungen zu betrachten. Es hängt mit der Benachteiligung, die ich eben angesprochen habe, und auch mit dem zusammen, was hier überhaupt nicht angesprochen wird, nämlich daß vom nächsten Jahr an die Zeit des Wehrdienstes und des Zivildienstes verlängert wird. All dies zeigt das Bild, das wirklich beabsichtigt ist: nämlich keine Gleichberechtigung und auch keine Einschränkung von irgendwelchen militärischen oder die Gesellschaft militarisierenden Vorhaben.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ronneburger?
Ja.
Bitte schön!
Frau Kollegin, bin ich richtig orientiert, wenn ich hier feststelle, daß Ihre Fraktion in diesem Zusammenhang nicht einen einzigen Antrag im Rahmen der Haushaltsberatungen gestellt hat und daß sie damit nicht deutlich gemacht hat, daß dem, was Sie jetzt hier vortragen, auch ein tatsächlicher Wille zum Durchsetzen entspricht?
({0})
Klatschen Sie nicht zu früh! Wenn ich an das Protokoll und auch an die Angaben denke, die Frau Schilling dort gemacht hat - vielleicht erinnern Sie sich daran - ({0})
- Nein, das ist nicht richtig! Sie können das Protokoll nachlesen. Ich habe es dort auch liegen. Es war leider die Unfähigkeit des Ausschusses festzustellen, auf die Sachargumente einzugehen. Man regte sich vielmehr darüber auf, daß Frau Schilling die Vokabel „Kriegsübender" statt „Wehrdienstübender" benutzt hat. Insofern wäre es Ihre Sache gewesen, dort auf Argumente einzugehen.
({1})
Herr Vorsitzender, ich möchte an dieser Stelle zum erstenmal meine Zeit nicht überziehen, sondern nur mitteilen, daß wir auf Grund der Tatsache, daß unsere Wünsche nicht berücksichtigt worden sind, diesem Entwurf nicht zustimmen, sondern uns der Stimme enthalten werden, und mich bei Ihnen bedanken.
({2})
Nun hat die Frau Staatssekretärin Hürland-Büning das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute abschließend einen Gesetzentwurf, dessen erste Beratung erst am 17. September dieses Jahres stattfand. Damit haben Sie, Herr Kollege Steiner, recht, aber wer hier wen leimt und wer ungenaue Eindrücke erweckt, möchte ich doch einmal klären:
Bereits in der zweiten Kabinettssitzung am 7. April ist dieser Gesetzentwurf vom Kabinett verabschiedet worden. Herr Kollege Steiner, Sie sind seit 1980 im Deutschen Bundestag, und ich schätze Sie als sehr guten Staatsbürger. Sie wissen dann, daß dieser Gesetzentwurf aus dem Kabinett zur Beratung erst in den Bundesrat mußte, und von dort ist er erst im Juni wieder zurückgekommen. Der Bundeskanzler hat dann sehr schnell, nämlich am 19. Juni, den Gesetzentwurf nach seiner Beratung im Bundesrat diesem Hohen Hause zugestellt. Danach sind Sie - und ich auch - in die wohlverdiente Sommerpause gegangen.
Wenn es Ihnen so am Herzen gelegen hätte, daß das alles noch schneller geht und noch schneller beraten wird, hätten Sie in Ihrer Fraktion dafür sorgen können, daß der Gesetzentwurf nicht erst in der zweiten Septemberwoche, sondern schon in der ersten Septemberwoche auf die Tagesordnung gekommen wäre. Das haben Sie nicht getan. Ich bitte Sie doch, nächstens etwas genauer zu recherchieren und die uns von der Geschäftsordnung vorgegebenen Notwendigkeiten zu berücksichtigen.
Ich finde es gut, daß - was nicht selbstverständlich ist - ein Gesetzentwurf nach so kurzer Beratungszeit in den Ausschüssen für Verteidigung, Inneres und Haushalt einmütige Zustimmung findet und daher schon heute zur Verabschiedung anstehen kann. Mein besonderer Dank gilt daher den Ausschußvorsitzenden, den Kollegen Alfred Biehle und Rudi Walther. Ebenso gern danke ich den Berichterstattern, den Kollegen Johannes Ganz und Dieter Heistermann.
Sie sehen, meine Damen und Herren: Die soziale Absicherung unserer Wehrpflichtigen und ihrer Familien, der Wehrübenden und ihrer Familien ist das Anliegen der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP und auch der SPD.
Worum geht es im einzelnen? Erstens. Die Unterhaltssicherung wird wieder auf den aktualen Stand der Lebenshaltungskosten gebracht. Sie haben recht, Herr Steiner: Die letzte Anpassung fand 1979 statt. 1981 sind durch das Haushaltsstrukturgesetz weitere Kürzungen, die Sie zu verantworten haben, gemacht worden. Der Bärenanteil der Erhöhung der Lebenshaltungskosten ist bis zum Jahr 1983 zu verzeichnen.
({0})
Zweitens. Der Unterhalt für die Familien der Wehrpflichtigen wird nicht nur deutlich angehoben, sondern auch einfacher und verständlicher geregelt.
({1})
- Sie kriegen auch mehr als Beamte.
({2})
Wir entfernen uns mit dem vereinfachten Verfahren also von der hier so viel zitierten Gasrechnung. Die neue Fassung verläßt die bisherigen festen Tabellensätze, die leicht zu Benachteiligungen führten, weil nur nachträglich und - das hat die Vergangenheit bewiesen - manchmal sehr spät durch Gesetzesänderung ein angemessener Unterhalt gewährt werden konnte. Diese neue Form der Berechnung, angelehnt an Unterhaltsbestimmungen im Versorgungs- und Sozialversicherungsrecht, verdanken wir den Mitarbeitern im Verteidigungsministerium, den Herren Plener, Pusch und Land. Der Bundesminister der Verteidigung hat sich hierüber sehr gefreut, meine Herren. Und ich denke, auch dieses Haus, die Wehrpflichtigen und die Wehrübenden werden es Ihnen danken.
Drittens. Die Mietbeihilfe für die Alleinstehenden wird der allgemeinen Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt angepaßt. Es wird eine neue Regelung eingeführt, die auch die besonderen Interessen der lebensälteren Wehrpflichtigen berücksichtigt.
Viertens. Die Mindest- und Höchstsätze der Verdientsausfallentschädigung für die Wehrübenden werden deutlich angehoben.
In den Ausschußberatungen sind zwei Punkte angesprochen worden, auf die ich hier gern noch einmal eingehen möchte.
Der erste Punkt - meine Vorredner haben ihn zwar schon behandelt; aber er bedarf doch noch einiger Erläuterungen - betrifft das Inkrafttreten. Aus allen Fraktionen wurde der Wunsch geäußert, die Leistungsverbesserungen bereits zum 1. Januar 1987 wirksam werden zu lassen. Ich betone, daß auch die Bundesregierung dieses Ziel angestrebt hat. Dazu wäre es allerdings notwendig gewesen, den Gesetzentwurf vor dem 1. Januar 1987 im Bundestag einzubringen. Insofern sind unsere Wehrpflichtigen und Wehrübenden ein Opfer des Termins der Bundestagswahl geworden.
Ich muß hier zur Kenntnisnahme für die Betroffenen, also die Empfänger von Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz, aber auch für die Interessierten, für den Deutschen Bundeswehrverband und den Deutschen Reservistenverband, besonders hervorheben, daß der Ausschußvorsitzende Alfred Biehle und andere Mitglieder des Verteidigungs- und des Haushaltsausschusses aus allen Fraktionen sich sehr nachdrücklich und vehement für ein Inkrafttreten rückwirkend zum 1. Januar 1987 eingesetzt haben. Ich erwähne hier auch Herrn Ronneburger besonders. Es ist vielleicht nicht üblich, Namen zu nennen. Aber da Verbände es an sich haben, solche Debatten sehr genau nachzulesen, tue ich dies, damit man die Ansprechpartner kennt.
Ich bedanke mich dafür und bedaure, daß wir gemeinsam erkennen mußten, daß die Landratsämter und Kreisverwaltungen bzw. Stadtverwaltungen das rückwirkende Inkrafttreten technisch manuell nicht leisten können.
({3})
Ich will hier nicht auf alle Schwierigkeiten eingehen, die bei meinen Recherchen von den ausführenden Behörden vorgetragen worden sind. Eines ist aber besonders schwerwiegend: Eine rückwirkende Bearbeitung - Herr Kollege Ganz, hier muß ich etwas richtigstellen - von insgesamt mehr als 200 000 Akten - die müssen nämlich teilweise bis ins Jahr 1985 zurückgezogen werden - wäre zu Lasten der laufenden Bearbeitung von Anträgen zur Unterhaltssicherung gegangen; die gegenwärtige Bearbeitungsdauer liegt etwa bei drei Wochen. Bei dieser Güterabwägung zugunsten der laufenden Anträge
({4})
- ja, ich weiß, ich hatte nur die Zahl berichtigt; Sie hatten, glaube ich, von 130 000 Akten gesprochen, es sind aber mehr als 200 000 - mußten wir bei unserem Gesetzentwurf bleiben. Ich danke allen Ausschußmitgliedern, daß sie sich dieser Einsicht dann letztlich doch gebeugt haben. Beim Soldatenversorgungsgesetz war die Sachlage eine andere.
Der zweite Punkt, der in den Ausschußberatungen eine wichtige Rolle gespielt hat, betrifft die soziale Absicherung der Wehrübenden. Es ist hier auch schon mehrfach angesprochen worden, daß die Wehrübenden aus der privaten Wirtschaft den Wehrübenden aus dem öffentlichen Dienst sowohl hinsichtlich des Einkommens als auch in der Rentenversicherung zur Zeit nicht gleichgestellt werden. Dieses Hohe Haus hat am 26. April 1986 folgende Entschließung gefaßt: Erstens. Reservisten der Bundeswehr, die Wehrübungen leisten, sollen im Rahmen des Unterhaltssicherungsgesetzes in Zukunft volle Verdienstausfallentschädigung erhalten. Zweitens. Die vom Bund an die Rentenversicherungsträger zu entrichtenden Rentenversicherungsbeiträge für Wehrübende sollen so angehoben werden, daß persönliche Nachteile für die Betroffenen vermieden werden.
Dieser Gesetzentwurf - insofern haben Sie alle recht - löst diese Aufgabe leider noch nicht. Allerdings wird durch die Anhebung der Höchst- und Mindestsätze der Verdienstausfallentschädigung bereits eine merkliche Entspannung in der Sache eintreten. Die angestrebte Verbesserung der Rechtslage hängt aber von ihrer Finanzierbarkeit ab; das wissen Sie.
Meine Damen und Herren Abgeordneten, der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Willi Weiskirch, hat in seinem Jahresbericht 1986 darauf verwiesen, daß das Soldatengesetz den Staat verpflichtet, für das Wohl des Soldaten zu sorgen. Dieses Gesetz stellt einen weiteren Schritt dar, für das Wohl des Soldaten zu sorgen, was dem Bundesminister der Verteidigung, Dr. Manfred Wörner, ein besonderes Anliegen ist. Dieses sein Bemühen findet beispielsweise auch in dem von der Bundesregierung vorgelegten Haushalt 1988 Ausdruck, der im Einzelplan 14 rund 3,5 Milliarden Deutsche Mark für soziale Leistungen vorsieht. Das sind 250 Millionen DM mehr als im Jahre 1987. Während der Verteidigungshaushalt insgesamt um 1,5 % steigt,
({5})
steigen die sozialen Aufwendungen um 7,7 %, Herr Kollege Schäfer.
({6})
- Das ist schön, nicht? Ich freue mich darüber auch.
({7})
Die Bundesregierung wird hierbei nicht stehenbleiben können. Es müssen noch weitere Maßnahmen folgen, da wir auch von unseren Wehrpflichtigen und von unseren Wehrübenden in Zukunft größere Opfer fordern.
Ich bedanke mich und bitte um Ihre Zustimmung.
({8})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Einzelberatung und Abstimmung.
Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf.
Vizepräsident Cronenberg
Wer diesen Vorschriften, also mit den Änderungen des Ausschusses, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen.
Wir treten nunmehr in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann darf ich feststellen: Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltung der GRÜNEN angenommen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Müller ({0}), Dr. Hauff, Schäfer ({1}), Duve, Bachmaier, Frau Blunck, Frau Conrad, Conradi, Fischer ({2}), Frau Dr. Hartenstein, Jansen, Jung, Kiehm, Dr. Klejdzinski, Koltzsch, Lennartz, Frau Dr. Martiny, Menzel, Müller ({3}), Purps, Reimann, Reschke, Reuter, Schanz, Dr. Schöfberger, Schütz, Stahl ({4}), Dr. Sperling, Voigt ({5}), Waltemathe, Weiermann, Frau Weyel, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Vorsorge gegen Schadensfälle in der chemischen Industrie
- Drucksache 11/714 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({6})
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Forschung und Technologie
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Garbe, Dr. Daniels ({7}) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Änderung der Störfallverordnung - Drucksache 11/1037 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({8})
Ausschuß für Wirtschaft
Der Ältestenrat hat die Vereinbarung getroffen, daß die Diskussion über diesen Tagesordnungspunkt zwei Stunden dauern soll. Meine Damen und Herren, der Beschluß des Ältestenrates ist aber nach unten korrigierbar, und ich wäre dankbar, wenn Sie dies als Aufforderung des Präsidenten auffassen würden. - Ich sehe, Sie sind mit dieser Lösung einverstanden.
Ich eröffene die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({9}).
Meine Damen und Herren! Am 11. November 1986 brannte in Muttenz bei Basel die Lagerhalle 954 des Chemiekonzerns Sandoz aus. Mehr als 1 000 t zum Teil hochgiftiger Agrochemikalien gelangten vor allem in den Rhein, zerstörten dort biologisches Leben und wurden zu einer großen Gefahr für die Trinkwasserversorgung der mehr als 10 Millionen Menschen, die direkt oder indirekt von der Wasserversorgung aus dem Rhein abhängig sind. Die Brandkatastrophe von Sandoz machte quasi „stichflammenartig" bewußt, mit welchen Gefahren die Produktion, Anwendung und Lagerung chemischer Erzeugnisse verbunden sind.
Wie kaum ein anderer Industriebereich ist die chemische Industrie in den letzten Jahren in den Mittelpunkt öffentlicher Diskussionen und Kontroversen gerückt. Mit Seveso und Bhopal, mit Sandoz und den vielen in der letzten Zeit vielleicht auch nur bewußter wahrgenommenen Störfällen hat sich in großen Teilen der Bevölkerung ein erheblicher Einstellungswandel in bezug auf die Risiken und Gefahren der Chemie ergeben. Die Akzeptanz ist gesunken. Danach ist die Chemische Industrie im Bewußtsein vieler Menschen von der Rolle des Wohltäters zunehmend in die Rolle eines Hauptverursachers für die Umweltzerstörung gerückt.
Wie auch immer man diese Entwicklung bewertet, sei es, wie man beispielsweise von Teilen der Industrie hört, als Ausdruck eines fehlgeleiteten modischen Zeitgeistes oder sei es, wie es vor allem von Kritikern der Industriegesellschaft gesagt wird, als wachsende Erkenntnis von der Hybris Industriegesellschaft, um nur diese beiden Meinungspole zu nennen: Fest steht, daß vor allem die Politik gefordert ist, neue Antworten zu geben. Das heißt: Wir, also auch der Bundestag, müssen uns intensiver und systematischer mit den speziellen stofflichen Gefährdungspotentialen und mit den Chancen und Möglichkeiten ökologischer Innovationen in der Chemieindustrie befassen.
Dafür hat sich in den letzten Jahren in der Umweltdiskussion der Begriff der Chemiepolitik herausgebildet. Ihn gilt es politisch und durch Gesetze mit Inhalt zu füllen. So muß eine langfristig angelegte vorsorgende und systematische Chemiepolitik Gestalt annehmen.
Die Chemieindustrie hat einen wesentlichen und unverzichtbaren Anteil an der wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik und ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit; daran besteht kein Zweifel. Sie hat viele Arbeitsplätze geschaffen, und es wäre unsinnig zu glauben, wir könnten auf die Produkte der chemischen Industrie gänzlich verzichten. Gerade deshalb ist es jedoch notwendig, sowohl die Chancen als auch die Risiken rational unter qualitativen sozialen und ökologischen Gesichtspunkten abzuwägen und die entsprechenden Schlußfolgerungen daraus zu ziehen.
Die Chemieindustrie stellt ja immer wieder ihre hohe Innovationsfähigkeit heraus. Gerade darauf setzen wir. Diese Innovationsfähigkeit gilt es zu nutzen, um zu einer umwelt- und gesundheitsverträglichen Chemiepolitik zu kommen. Wir setzen also auf die Gestaltungsfähigkeit der Industriegesellschaft als zentrale Basis für ihre zukünftige Akzeptanz.
({0})
Müller ({1})
Diese Grundhaltung - auch daran darf kein Zweifel bestehen - schließt eine Verharmlosung der stofflichen Gefährdungspotentiale von vornherein aus. Professor Lührs vom Umweltbundesamt hat die relativ geringen Kenntnisse über die Wirkungen der ca. 100 000 chemischen Altstoffe mit mehr als 9 Millionen literaturmäßig erfaßten Kombinations- und Veränderungsmöglichkeiten mit dem treffenden Satz beschrieben: Wir wissen, daß wir eigentlich nichts wissen.
Ebenso wie diese Verharmlosung lehnt die SPD aber auf der anderen Seite auch eine kurzatmige Hektik oder den Aktionismus beim „Schadstoff des Monats" ab. Ebenfalls halten wir es für einen Irrweg, von einer „Gegenchemie" zu reden. Das wäre letztlich ein Alibi oder eine Spielwiese. Wir wollen die Chemieindustrie verändern oder ökologisch verträglich gestalten. Wir sind dabei wie die Gewerkschaften der Auffassung: Die Zukunftsfähigkeit der Chemieindustrie ist nur zu sichern, wenn es gelingt, sie umweltverträglich zu gestalten. Gestaltung beinhaltet natürlich auch ein Verbot - in vielen Fragen sogar ein sehr rasches Verbot - hochgiftiger Stoffe zum vorsorgenden Schutz von Umwelt und Gesundheit. Uns ist klar: Auf Dauer sind nur umweltverträgliche Arbeitsplätze auch sichere Arbeitsplätze.
Diese Einsicht herrscht aber nicht nur bei Umweltverbänden, Gewerkschaften und Teilen der Parteien, vielleicht sogar bei allen; bemerkenswert sind auch die Lernprozesse in Teilen der Industrie selbst. Ich will hier Professor Hulpka, Leiter der Umweltschutzabteilung der Bayer AG, zitieren. Er hat in der jüngsten Ausgabe der Werkszeitungen in etwa ausgeführt: In erster Linie ist es notwendig, mit dem Umweltschutz künftig nicht mehr erst am Ende der Pipeline anzusetzen, sondern den Umweltschutz von vornherein zum integralen Bestandteil der Produktion zu machen. Nur dieser Umweltschutz ist auf Dauer sinnvoll. Diesem „Umweltschutz der neuen Generation" gehört die Zukunft.
Leider ist diese Erkenntnis noch nicht gängiger Maßstab für die chemische Industrie. Dies gilt erst recht, wenn man beispielsweise die Stellungnahmen einiger Verbände liest. Die Zukunft der Chemieindustrie ist ein wichtiger Testfall dafür, ob die Industriegesellschaft zur ökologischen Erneuerung fähig ist. Damit wird auch die zentrale Frage mitentschieden, ob unsere Gesellschaft mit neu erkannten Gefahren und Risiken rational umgehen kann und sie damit ihre innere Stabilität und Leistungsfähigkeit bewahrt.
Ich will hier nicht auf die Einzelpunkte unseres Antrags im Detail eingehen. Meines Erachtens stehen wir mit der Chemiepolitik vor neuartigen Herausforderungen, und wir werden uns sehr häufig sowohl im Plenum wie auch im Ausschuß mit diesen Fragen beschäftigen müssen. Aber es wäre eine Illusion, wenn wir meinten, an dieser inhaltlichen Auseinandersetzung vorbeizukommen, und es wäre eine Illusion zu glauben, diese Gefahren durch ein Aussitzen vermeiden zu können. Ich hatte schon große Skepsis, als es einen sehr weitgehenden Gesinnungswandel in den öffentlichen Aussagen der Regierung zur Chemiepolitik gab. Leider fühle ich mich in meiner Skepsis bestätigt, weil nach großen Ankündigungen doch relativ wenig herausgekommen ist.
({2})
Deshalb will ich aus Sicht der SPD einige Grundsatzanmerkungen zur Chemiepolitik machen.
Erstens. Die Technikentwicklung - auch ihre Entwicklung und Anwendung im Chemiebereich - folgt nicht einer unabhängigen Sachlogik, ist also nicht eindeutig und für immer determiniert. Vielmehr ist Technik ein sozial bestimmter Prozeß, in den unterschiedliche, natürlich vor allem wirtschaftliche Interessen, aber auch beispielsweise kulturelle Wertvorstellungen einfließen. Die Entwicklung des Sozialstaats zeigt, daß in einer Industriegesellschaft Spielräume zur Gestaltung vorhanden sind. Dieses Prinzip der Gestaltung muß unserer Auffassung nach auch für die Umweltpolitik gelten. Die Zukunft der Chemieindustrie ist damit ein zentraler Testfall dafür, ob die Industriegesellschaft nicht nur zum Sozialstaat, sondern auch zur ökologischen Erneuerung fähig ist.
({3})
Zweitens. Deshalb geht es nicht, wie bisweilen fälschlich unterstellt wird, um Technikfeindlichkeit oder Technikgläubigkeit, sondern es geht um die konkrete Fähigkeit, in Staat und Gesellschaft, in Wissenschaft und Betrieben die Entwicklung von Technik nicht nur nach verengten betriebswirtschaftlichen Kriterien, sondern auch nach ökologischen, sozialen und gesundheitlichen Zielen zu gestalten. Gerade die Chemieindustrie ist ein Sektor, auf dem die Gestaltungswürdigkeit einer hochentwickelten Industriegesellschaft in ihre Gestaltungsfähigkeit umzumünzen ist.
Drittens. Eine gesundheits- und umweltverträgliche Chemiepolitik verlangt nicht in erster Linie mehr staatliche Kontrolle und mehr staatliche Bürokratie. Dabei will ich die Vollzugsdefizite nicht beschönigen; sie sind zum Teil wirklich gewaltig. Es geht in erster Linie um mehr Politik, d. h. um intelligente Rahmensetzungen, die die wirtschaftliche und technische Entwicklung in Richtung auf die ökologische Erneuerung lenken. Dazu haben wir in unserem Antrag eine Reihe von Instrumenten genannt.
Viertens. Meines Erachtens ist gerade für eine hochentwickelte Industriegesellschaft der traditionelle Streit um mehr Markt oder mehr Staat unsinnig geworden.
({4})
Der ideologische Gegensatz von Verstaatlichung auf der einen Seite oder Privatisierung auf der anderen Seite ist, obwohl er nach wie vor Blüten treibt, historisch überholt. Die moderne Industrie kann auf einen handlungsfähigen, demokratischen Staat ebensowenig verzichten wie auf eine dezentrale Innovationsfähigkeit. Beides, dezentrale Selbstverantwortung und staatlich garantierte Sicherheiten, gehört in einer modernen Industriegesellschaft zusammen.
Fünftens. Wir brauchen ein neues Fortschrittsverständnis. Der bisherige ständige Zwang zur Reichtumsproduktion ist aus der Geschichte der Industrie2388
Müller ({5})
gesellschaft erklärbar, und er war für die Beseitigung sozialen Elends notwendig. Er kann heute nicht mehr allein im Zentrum ökonomischen und gesellschaftlichen Denkens stehen. Im Gegenteil: Ein Festhalten an einem derartig verkürzten Fortschrittsverständnis birgt sogar die Gefahr einer Selbstblockade der Gesellschaft. Wir müssen also sehr viel stärker zu einer qualitativen Bestimmung von Fortschritt kommen.
Unser Antrag „ Vorsorge gegen Schadensfälle in der chemischen Industrie" geht in diese Richtung. Er muß natürlich noch weiter ausgebaut und konkretisiert werden - kein Zweifel. Er basiert auf dem Konzept für eine umweit- und gesundheitsverträgliche Chemiepolitik, das die SPD bereits in der letzten Legislaturperiode eingebracht hatte. Leider blieben die Maßnahmen der Bundesregierung zur Chemiepolitik dagegen aus unserer Sicht halbherzig und unzureichend.
Wir kritisieren vor allem:
Erstens. Sie verfolgen nur mangelhaft eine Strategie umweltpolitischer Vorsorge, die unserer Auffassung nach im Zentrum einer modernen Umweltpolitik stehen muß.
Zweitens. Sie halten im Kern an einer Reparaturpolitik fest. Von den großen Ankündigungen in Richtung auf eine vorsorgende Chemiepolitik ist wenig übriggeblieben.
Drittens. Auch die SPD ist natürlich für eine Kooperation zwischen Staat, Wirtschaft, Gewerkschaft und Wissenschaft. Dies kann aber aus unserer Sicht keinen Verzicht auf eindeutige Rechtsetzungsakte bedeuten, wie Sie dies mit Ihrer Politik der „freiwilligen Vereinbarung" verfolgen.
({6})
Dies führt eben nicht zur notwendigen Rechtssicherheit, die wir gerade in der Chemiepolitik brauchen.
Viertens. Die Einbeziehung der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften ist unzureichend. Das Prinzip der Gestaltung erfordert vor allem den Ausbau der Mitbestimmung.
({7})
Ich sage aber darüber hinaus: Nicht nur der Mitbestimmung im Betrieb und auf gesamtwirtschaftlicher Ebene, sondern auch die der stärkeren Einbeziehung von Umweltverbänden und Wissenschaftlern, die eben nicht betriebsabhängige Interessen vertreten.
({8})
Fünftens. Vor allem bei der sogenannten Altstoffproblematik sind Ihre Initiativen unzureichend, ja, ich würde sagen: Sie sind sogar mit ihrer bisherigen mangelhaften Verfolgung fahrlässig.
({9})
Am 28. Oktober 1987 hat Bundesforschungsminister Riesenhuber interessante Forschungsergebnisse vorgestellt, wonach eine ökotoxikologische Bewertung von Chemikalien eine wesentlich größere Gefährdung der Umwelt vermuten läßt, als dies bisher bei Laboruntersuchungen angenommen wurde. Wir nehmen dies sehr ernst. Deshalb: Wir dürfen nicht warten, bis der nächste Unfall passiert.
({10})
Meine Damen und Herren, entsprechend der Übung des Hauses, zunächst einmal den Antragstellern das Wort zu geben, erteile ich der Abgeordneten Frau Garbe das Wort.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Seveso, Bhopal, Sandoz - Stationen des Giftkrieges der chemischen Industrie gegen Mensch und Natur. Wir haben uns daran gewöhnt, von Störfällen zu reden, als ob der Tod von 5 000 Anwohnern bei Bhopal oder die Vernichtung des Lebens im Rhein nur eine Störung seien.
({0})
Es sind in Kauf genommene Katastrophen. Sie sind die sichtbare Spitze der alltäglichen Vergiftung von Mensch und Natur, die uns durch die Chemisierung in den letzten Jahrzehnten beschert wurde.
Die Chemisierung aller Lebensbereiche erweist sich als eine einzige große Katastrophe. Im Frühjahr dieses Jahres stellte die US-amerikanische Nationale Akademie der Wissenschaften fest, daß allein der Einsatz der Pestizide in den USA für mehr als 20 000 zusätzliche Krebsfälle jährlich verantwortlich zu machen sei. Nun, die Pestizide stellen nur einen kleinen Ausschnitt der Gesamtproduktion der chemischen Industrie dar. Wenn wir heute über Sandoz und die Vergiftung des Rheines klagen, dann dürfen wir über die täglichen Giftgaben nicht schweigen.
Nach der Chemiekatastrophe von Bhopal 1984 erklärte die bundesdeutsche Chemieindustrie, ein solcher Unfall könne sich wegen des hohen Standards deutscher Sicherheitstechnik in der Bundesrepublik nicht wiederholen.
({1})
Zu ganz anderen Schlußfolgerungen kam das Umweltbundesamt. Ich zitiere:
Anlagen mit vergleichbarem Gefahrenpotential wie in Bhopal gibt es zu Hunderten in der Bundesrepublik.
({2})
Und:
Die zahlreichen Chemieanlagen in der Bundesrepublik mit oft ungünstiger Umgebung haben ein beträchtliches Restrisiko, das weiter verringert werden muß.
Trotz der Warnungen des Umweltbundesamtes geschah nichts. Nach der Sandoz-Katastrophe im schwarzen November 1986, als tagtäglich Schweinereien entlang des Rheins publik wurden, beeilte sich die chemische Industrie wieder einmal mit einer Imagekampagne.
Der Umweltminister kündigte eine verbesserte Störfallverordnung an. Der Name wurde verbessert in „Störfallvorsorgeverordnung". Bei der Kosmetik ist es bis jetzt geblieben. Der Entwurf befindet sich noch
immer in der internen Abstimmung. Die bekanntgewordene Fassung jedoch läßt erkennen, wo der Hase entlang laufen soll: kleine Änderungen, die kaum geeignet sein werden, die Industrie mit allen notwendigen Konsequenzen in die Unfallvorsorge zu zwingen.
Eine tatsächlich wirksame Störfallverordnung muß nach Auffassung unserer Fraktion folgende Verbesserungen aufweisen: Ausweitung des Anwendungsbereiches, Ausweitung der Risikoanalysen, Verbesserung der Störfallmeldungen und weiter eine Fülle zusätzlicher detaillierter Sicherheitspflichten, die in unserem Antrag aufgelistet sind.
Das Wort Vorsorge fließt allen leicht aus dem Munde. Die Bundesregierung hat 1986 die Leitlinien Umweltvorsorge beschlossen und will ein Störfallvorsorgegesetz machen. Die SPD tritt heute mit einem Konzept Vorsorge gegen Schadensfälle in der chemischen Industrie an. Man möchte meinen, es mangele nicht an Bemühungen, alles zum Guten zu wenden.
Gerne bescheinige ich auch der SPD-Fraktion, in ihrem Antrag eine Liste von Einzelgesetzesänderungen zusammengestellt zu haben, die vielfach bemerkenswert sind und teilweise auch in Übereinstimmung mit unseren Forderungen stehen. Aber auch das bleibt Kosmetik. Es ist keine Entgiftung.
Wir haben vor einem Jahr unseren grundlegenden Antrag zur Chemiepolitik eingebracht. Wir wollen und wir brauchen die Chemiewende.
({3})
Herr Kollege Müller, wir wollen weg von der Chlorchemie hin zur Naturstoffchemie. Wir wollen die Entgiftung der chemischen Industrie und die Förderung der sanften Chemie.
({4})
Wir wissen, daß wir bislang für die Chemiewende keine Mehrheit finden. Aber wer die täglichen Vergiftungen unserer Lebensgrundlagen beenden will, der kommt um tiefgreifende Änderungen nicht herum.
({5})
Ein paar Beispiele der letzten Monate möchte ich als Beweis anführen. Erstens. Nehmen wir das Perchlorethylen: 22 000 Tonnen Per werden jedes Jahr in den chemischen Reinigungen eingesetzt. 20 000 Tonnen davon wandern in die Umwelt. Bis 1982 durfte die maximale Arbeitsplatzkonzentration 690 mg pro Kubikmeter sein, seitdem nur noch die Hälfte, sprich 345 mg. Jetzt sagt das Bundesgesundheitsamt, schon ab 5 mg pro Kubikmeter Raumluft sind Gesundheitsschäden zu befürchten. Die Bund-Länder-Sitzung sah die Gefahr schon ab 1 mg pro Kubikmeter Raumluft als gegeben an.
Was jetzt offensichtlich ist: Durch Per gab und gibt es im großen Umfang vergiftete Arbeitsplätze, vergiftete Lebensmittel in den anliegenden Geschäften und vergiftete Anwohner.
({6})
Für Minister Töpfer mag das eine Neuigkeit gewesen
sein. Tatsächlich vorsorgende Politiker und -innen
verlangten aber schon seit langem Maßnahmen. Die
Frage ist: Wird der Minister im Sinne der Vorsorge handlungsfähig sein?
Zweitens. Die amerikanische Umweltbehörde hat 1987 in ihrem Gene-Tox-Programm 351 Chemikalien als karzinogen eingestuft, die deutsche MAK-Liste hinkt mit 145 hinterher. Dann wissen wir ja, was uns noch an Enthüllungen blüht.
Drittens. Nehmen wir das Atrazin. Sie kennen den Ciba-Geigy-Skandal vor einem Jahr. Das waren 400 kg Atrazin, die auf einen Schlag in den Rhein gelassen wurden. Skandal, Skandal - und Schwamm drüber! Aber der tägliche Skandal ist: Bei Wiesbaden weisen die Dauermessungen eine tägliche Normalfracht von 45 kg Atrazin aus. Das ist der eigentliche Skandal. Es handelt sich nicht nur um Atrazin. Die SPD-Fraktion ist immerhin inzwischen schon unserer Meinung, daß Atrazin, Simazin und Alachlor vom Markt müssen. Auch unser Grundwasser ist bereits flächendeckend mit Atrazin versaut - so muß man das nennen - , sogar die Stauseen.
({7})
Wer also die Vergiftung stoppen will, muß Motzen und nicht Meckern. Ganze Stoffklassen und Produktgruppen müssen aus dem Verkehr gezogen werden. Erst dann, Herr Minister, kann wieder ersthaft von Vorsorge die Rede sein.
Meine Herren und Damen, wer Vorsorge ernst nimmt, der darf nicht hurra schreien, wie Sie es von der Regierung und Opposition außer uns unisono tun, wenn die chemische Industrie ein neues Pferd aus dem Stall auf den Markt bringt. Ich meine die Gen-und Biotechnologie. Die chemische Industrie hat inzwischen mit Hilfe der Gen-Technologie schon atrazin-resistente Pflanzen zusammengebastelt. Das bedeutet aber nicht weniger Chemie. Die neuen Wunderpflanzen aus den Labors der Chemiemultis vertragen mehr Gift. Anderen Pflanzen werden genetisch programmierte Insektengifte eingebaut. Das alles soll dann auf den Äckern freigelassen werden.
({8})
Wir lehnen diese Freisetzung kategorisch ab. Wir warnen auch vor den Störfallproblemen bei den biotechnischen Anlagen und dort, wo gentechnisch manipulierte Bakterien in Riesenanlagen eingesetzt werden, wie z. B. bei der Insulin-Anlage von Hoechst in Frankfurt.
({9})
Auch bei solchen Anlagen muß die Störfallverordnung greifen. Leider sind wir wohl die einzigen, die in die biotechnologische Ära der chemischen Industrie vorsorgend eingreifen wollen.
Vorsorgende Politik müßte weise und reif sein. Sie müßte die Giftproduktion eindämmen und den Giftkrieg gegen die Natur beenden. Vorsorgende Politik hieße die Natur hegen und mit der Natur kooperieren, statt sie mit Gift auszulöschen und dann noch ein bißchen zu reparieren. Mit der Natur arbeiten sollte die Devise sein; nicht die Natur zerstören und die Reste dann noch gentechnologisch als Baukasten plündern, wie es die chemische Industrie betreibt.
({10})
Eine Chemiewende hin zur Natur muß kommen: eine sanfte Chemie. Dann können wir uns vielleicht sogar die Störfallvorsorgeverordnung oder das Störfallvorsorgegesetz ersparen.
Danke schön.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Laufs.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Brandunglück von Basel, die späteren Störfälle und Beinahe-Unfälle in der chemischen Industrie und in angrenzenden Bereichen haben viel Vertrauen zerstört. Der Wirtschaft und dem Staat werden nun große Anstrengungen abverlangt, um den Nachweis einer sicheren Beherrschung moderner Chemie zu führen und verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen.
Wie ist die Bilanz ein Jahr danach? Die tatsächlich eingetretenen Schäden waren glücklicherweise begrenzt. Die Trinkwasserqualität in den Wasserwerken am Rhein war nie gefährdet gewesen. Die negativen Folgen für die Biologie des Rheines sind zum größten Teil beseitigt. Es bleibt aber eine Menge zu tun. Die chemische Industrie verbessert gegenwärtig mit einem Investitionsprogramm in Milliardenhöhe ihre Sicherheitseinrichtungen zur Verminderung der Brandgefahren und der Folgen der Brandbekämpfung sowie zur Sicherung der Kühlwassersysteme. Das ist gut so. Wir werden die Betreiber der Anlagen aus ihrer eigenen Verantwortung und Haftung nicht im geringsten entlassen.
Aber auch der Staat kann nicht zur Tagesordnung übergehen. Die staatlich vorgeschriebene Störfallvorsorge und die Überwachungspraxis werden wesentlich verbessert werden. Die von Grund auf neugefaßte Störfallverordnung und die dazugehörige Verwaltungsvorschrift mit ihren exakten Bestimmungen können in Kürze erlassen werden. Der Kreis der genehmigungsbedürftigen Anlagen und Läger chemischer Stoffe wird deutlich erweitert und die Liste der geregelten Stoffe auf mehr als das Doppelte verlängert. Die Verbindung innerbetrieblicher Gefahrenabwehr mit Hilfskräften von außen - Katastrophenschutz und Feuerwehren - wird neugestaltet. Ständig fortgeschriebene Lagerverzeichnisse und Meldepflichten gegenüber den Behörden gehören dazu. Unabhängige Sachverständige werden im Stöfallbereich verstärkt eingeschaltet werden. Sicherheitstechnische Ausschüsse sollen als Verbindung zwischen Wissenschaft, Industrie und Staat eingerichtet werden.
Wir danken dem Bundesumweltminister für die sehr intensive, sorgfältige und auch zeitaufwendige Vorbereitung dieser Maßnahmen einer verbesserten Störfallvorsorge.
Im Antrag der SPD-Fraktion finden wir einen anderen Katalog von Vorschlägen, der gewiß einige erwägenswerte Elemente enthält. Er ist jedoch äußerst einseitig und folgt einem staatsgläubigen Denkmuster, das der guten Absicht hinderlich und nachteilig ist. Es fällt zunächst auf, daß sich unter den zahlreichen Inititatoren dieses Antrages der Kollege Rappe, Chef der IG Chemie, nicht befindet. Am 20. August dieses
Jahres haben IG Chemie und chemische Industrie gemeinsam die ersten Ergebnisse ihrer Gespräche vorgelegt, die sich sehr bemerkenswert vom Geist des Chemieantrages der SPD unterscheiden. Der SPD-Antrag setzt bei der Vorsorge gegen die Gefahren der Chemie ganz einseitig auf staatliche Verbote, sofortige Verbote, generelle Verbote. Es ist begrüßenswert, Herr Kollege Müller, daß Sie sich in Ihrer Rede davon teilweise abgesetzt haben.
({0})
Ich kann Ihre Ausführungen weithin unterstreichen. Aber warum bringen Sie dann solch einen Antrag hier im Deutschen Bundestag ein?
Die IG Chemie hat die freiwilligen Maßnahmen und Selbstverpflichtungen der chemischen Industrie nach dem Brandunglück von Basel ausdrücklich begrüßt. Wörtlich wird erklärt:
Die IG Chemie anerkennt zugleich, daß die Industrie dort, wo sie in solcher Weise freiwillig handelt, eines Vertrauensschutzes bedarf.
Wer wie der SPD-Antrag das Ziel verfolgt, in diesem vielschichtigen Industriebereich Eigenverantwortung durch staatliche Reglementierung soweit wie möglich zu verdrängen, wird Unsicherheit statt Vorsorge, Lähmung statt Innovation, mehr Gefahren statt mehr Sicherheit bewirken.
Es ist übrigens unredlich, den Eindruck zu erwekken, als könnten wir gegen europäisches Recht nach Belieben nationale Stoffverbote und Vermarktungsbeschränkungen aussprechen. Ich verweise auf das Beispiel Pentachlorphenol, über das in Brüssel immer noch nicht entschieden ist.
Nationale freiwillige Vereinbarungen, Herr Kollege Müller, sind deshalb unverzichtbar, und wir begrüßen, daß es gelang, etwa beim Zurückdrängen der Fluorchlorkohlenwasserstoffe zu solchen Vereinbarungen zu kommen.
Herr Abgeordneter Laufs, Sie gestatten eine Zwischenfrage? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Müller.
Herr Kollege Laufs, ist Ihnen bekannt, daß es bei der Europäischen Gemeinschaft nachhaltige Bestrebungen gibt, die Bundesrepublik zu rügen, weil sie der Umsetzung verschiedenster Richtlinien im Chemiebereich nicht nachhaltig nachkommt?
Ich kenne die Auseinandersetzungen um die Umsetzung z. B. der Trinkwasserverordnung.
({0})
Aber was hier die Stoffverbote angeht, Herr Kollege Müller, können Sie wirklich nicht den Vorwurf erheben, als würden wir im Geleitzug der EG im letzten Boot sitzen. So ist das nun wirklich nicht.
({1})
Wiederholt verweist der SPD-Antrag auf den vorbildlichen kerntechnischen Sicherheitsstandard und die vorbildlichen atomrechtlichen Haftungsbestimmungen. Diese Parallelen wären glaubwürdiger, wenn die SPD nicht unentwegt Beschlüsse faßte, gerade aus dieser Technik völlig und so schnell wie möglich auszusteigen. Diese Parallelen treffen aber auch sachlich nicht zu. Die Gefahren hoher radioaktiver Expositionen sind verhältnismäßig einfach und eindeutig zu beschreiben; die Technik der Kernenergienutzung ist klar umrissen und kann einem staatlich kontrollierten Regelwerk lin einzelnen unterworfen werden. Dieses Vorgehen ist im Bereich der Chemie mit ihren unzähligen Produktionsverfahren und Stoffen und ihrer Entwicklungsdynamik nicht anwendbar, es sei denn, man möchte diese Industrie praktisch stillegen.
In ihrem letztjährigen Antrag forderte die Sozialdemokratie eine Chemiepolitik, die sich am sozialen und volkswirtschaftlichen Nettonutzen orientiert. Wer möchte sich diese Zielsetzung nicht zu eigen machen! Die entscheidende Frage ist aber: Wer soll bestimmen, was Nettonutzen ist? Welche Instrumente sollen auf welche Weise angewendet werden, um den Nettonutzen zu erhöhen? Die Antwort der Opposition ist eindeutig: Der Staat mit seinen Behörden und Beamten soll dies im Zusammenspiel mit der öffentlichen Meinung bewirken. So werden für die Einstufung von Stoffen in die Kategorien der Gefährlichkeit für Umwelt und Gesundheit öffentliche Untersuchungsverfahren in drei Stufen gefordert, die mit einer politischen Entscheidung über die Tragbarkeit des Risikos abgeschlossen werden sollen. Schadstofftribunale als Instrumente der Wahrheitsfindung! - Wir können nur warnen.
({2})
Es ist bezeichnend, daß aus der großen Fülle der im Handel befindlichen Chemikalien nur die im vorliegenden SPD-Papier behandelt werden, die Gegenstand öffentlicher Diskussionen waren. Warum z. B. wird der umgehende Widerruf der Zulassung des Pflanzenbehandlungsmittels 2,4 Dichlorphenoxyessigsäure gefordert? Es ist vor einem Jahr bei einem Störfall in den Rhein gelangt, ohne, wie wir heute wissen, erkennbare Schäden anzurichten. Die Biologische Bundesanstalt und das Bundesgesundheitsamt haben weiterhin, auch nach neueren Untersuchungen, keine Bedenken gegen die Zulassung von 2,4 D-haltigen Mitteln erhoben. Als Pflanzenschutzmittel hat es keine toxikologische Einstufung. Die SPD fordert den umgehenden Widerruf seiner Zulassung. Sie läßt sich von rein politischen, sachfremden und unwissenschaftlichen Motiven leiten. Dies ist unverantwortlich und unseriös. So läßt sich vorsorgende Umweltpolitik nicht verwirklichen.
Wir halten dagegen: Der Markt ist immer noch das beste Instrument, um im Zusammenwirken von Verbrauchern und Produzenten im Wettbewerb den optimalen Nettonutzen zu erzielen. Der Staat muß die vorsorglichen Rahmenbedingungen für das Marktgeschehen schaffen.
Wir befinden uns gegenwärtig in der intensiven Erörterung unserer Vorhaben zur Präzisierung und Erweiterung des Chemikalienrechts. Wir warten nicht,
Herr Kollege Müller, bis der nächste Unfall passiert.
Die chemische Industrie wird in diesem Jahr mehrere Milliarden DM für Errichtung und Betrieb von Umweltschutzeinrichtungen aufwenden. Sie tut damit sehr viel mehr als die vergleichbare Industrie in den USA, Japan und Frankreich. Wir sind damit noch nicht zufrieden, aber wir stellen fest: Nur eine leistungsfähige Wirtschaft kann die Last eines hohen Umweltstandards tragen.
Die neu erarbeiteten Umweltperspektiven 2000 der Umweltorganisation der Vereinten Nationen bezeichnen ausdrücklich die ständige Fortentwicklung der Technik und anhaltendes wirtschaftliches Wachstum als die Grundlagen für eine wirksame Verbesserung der Umwelt. Dies sei allen ins Stammbuch geschrieben, die wichtige Bereiche der Industrie kaputtreglementieren und aus moderner Technik aussteigen wollen.
Ich sprach von der Neufassung der Störfallverordnung. Auch das Chemikaliengesetz ist verbesserungsbedürftig,
({3})
insbesondere was die Altstoffproblematik, das Prüfverfahren und Kennzeichnungs- und Mitteilungspflichten betrifft. Die Gefahrstoffverordnung wird ebenfalls fortentwickelt.
Wir sind nicht zufrieden
({4})
mit der gegenwärtig geltenden Rechtslage. Wir entwickeln sie weiter. Wir sind auf dem richtigen Weg, und wir werden dafür sorgen, daß die technische Sicherheit erhöht wird, daß die Risiken minimiert werden und daß in der Tat diese Industrie umweltverträglich wird.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
- Daß sie noch umweltverträglicher wird!
({6})
Meine Damen und Herren, auf der Ehrentribüne hat der Präsident der Nationalversammlung der Republik Dschibuti, Herr Abdelkader Wabert Askar, Platz genommen.
Nachdem ich gestern abend und heute morgen schon das Vergnügen hatte, politische Gespräche mit Ihnen, Herr Präsident, und der Delegation zu führen, ist es mir eine besondere Freude, Sie hier im Deutschen Bundestag zu begrüßen.
({0})
Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt und interessante und nützliche politische, aber auch andere Gespräche.
Vizepräsident Cronenberg
Wir sind überzeugt, daß Ihr Besuch die Beziehungen zwischen unseren Ländern auch auf parlamentarischer Ebene weiter fördern und festigen wird.
Herr Präsident, meine Herren, wir danken Ihnen für diesen Besuch. Wir haben uns besonders gefreut, daß Sie Ihren Besuch in Berlin begonnen haben, damit Sie sich ein Bild über die besondere Lage unserer alten Reichshauptstadt machen konnten. - Ich danke Ihnen.
({1})
Meine Damen und Herren, wir setzen die Debatte fort. Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die chemische und pharmazeutische Produktion ist für die Gesundheit und die materielle Existenzsicherung und für den hohen Lebensstandard unserer Bevölkerung notwendig, zugleich aber mit ernstzunehmenden Risiken für Mensch und Umwelt verbunden. Diese Risiken müssen weiter gemindert werden. Gefordert ist also eine stärkere Vorsorge im Chemiebereich.
Die Umstellungen der chemischen Produktion sind allerdings nicht kurzfristig erreichbar. Auch nach derartigen Umstellungen werden weiterhin Risiko- und Gefahrenpotentiale verbleiben, muß man ganz deutlich sagen. Deshalb müssen wir neben den Anstrengungen zur Vorsorge die Anlagensicherheit verbessern und die Gefahren im Umgang mit Chemikalien weiter verringern. Es gibt, Frau Kollegin Garbe, kein gelobtes Land einer reinen Naturstoffchemie.
({0})
Auch diese ist mit Gefahrenpotentialen verbunden, wenn man näher hinsieht. Also, so einfach kommen wir da nicht raus.
(Frau Garbe [GRÜNE]: Auch das! Das hatte
ich auch nicht einfach gemeint!
- Gut.
Wir haben mit einer Chemiepolitik nicht erst nach den genannten Unfällen und Schadensfällen begonnen. Sie haben sie genannt. Ich möchte darauf hinweisen, daß die gravierendsten Schadensfälle nicht in der Bundesrepublik Deutschland stattgefunden haben. Auch hier hat es Fehler und Schadensfälle gegeben, aber Sandoz liegt in der Schweiz. Eine solche Katastrophe, mit diesen Fehlern, die dort gemacht worden sind, ist hier nicht eingetreten; das ist hier nicht passiert. Bittte, schieben Sie uns keine Verantwortung zu, die wir nicht haben!
({1})
Wir stellen unser Konzept, Herr Kollege Müller, Ihrem gegenüber. Sie haben heute eine moderate Interpretation Ihres Antrags vorgenommen.
({2})
Ich will nicht weiter gehen. Es wäre vielleicht unfair, zu sagen: eine Distanzierung. Aber Sie haben bestimmte Akzente anders gesetzt.
Wir haben eine Konzeption. Wir haben uns nach den Unfällen geäußert. Es gibt programmatische Festlegungen der Bundesregierung, der Koalitionsparteien, es gibt ein Koalitionsabkommen. Dieses Konzept stellen wir dem Ihren gegenüber.
({3})
Wir akzeptieren Ihres nicht, obwohl es einige Überschneidungen gibt. Herr Kollege Laufs hat darauf hingewiesen, wo die Divergenzen liegen.
({4})
- Das Konzept besteht darin, daß wir eine ganze Reihe von Gesetzgebungsmaßnahmen und Novellierungen vereinbart haben. Meine Partei hat beispielsweise schon vor dieser Diskussion über die Schadensfälle im Rhein eine Novellierung des Chemikaliengesetzes gefordert.
({5})
Wir haben genau gesagt, was wir wollen. Wir sind der Meinung - und das wird jetzt auch geschehen -, daß besonders novellierungsbedürftig die Regelungen über die alten Stoffe
({6})
- der alte § 17 - sind. Wir wollen einen vorbeugenden Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutz in diesem Gesetz erweitern. Die Gefährdungspotentiale der chemischen Produktion müssen reduziert werden. Wir wollen also eine Fortsetzung der Gesetzgebung. Hier ist die Störfallverordnung zu nennen. Der Maßnahmenkatalog der Bundesregierung sieht das vor. Die raschere Novellierung der Störfallverordnung wäre sicher begrüßenswert gewesen. Aber jeder, der weiß, wie schwierig die Materie ist, wie schwierig die Abstimmungen sind - ich hoffe, Sie sagen noch einiges dazu, warm die Verordnung in Kraft treten kann -, wird in der Kritik etwas gedämpft sein. Lieber eine gute Verordnung als eine schnelle hingeschluderte Verordnung!
({7})
Allerdings möchten wir doch Druck machen, daß die Erweiterung der Störfallverordnung möglichst bald erfolgt.
Uns werden weitere Novellierungen beschäftigen, Herr Kollege Schäfer - die Novelle zum Chemikaliengesetz habe ich schon erwähnt -: der Ausbau der zivil- und strafrechtlichen Haftung, die Einführung einer systembezogenen, betreiberunabhängigen Überwachung, die Erhöhung der technischen Sicherheitsstandards, die Fortentwicklung der Gefahrstoffverordnung und das ganze wasserrechtliche Instrumentarium. Es ist in der letzten Legislaturperiode verbessert worden. Meine Partei hat gesagt, in einigen Punkten reicht das nicht aus. Es wird jetzt fortgeführt.
Das wasserrechtliche Instrumentarium wird weiter verbessert und verschärft.
({8})
- Nein, nicht verwässert; das ist eine billige Polemik.
Bei aller Brisanz der jüngeren Schadensereignisse ist nämlich die kontinuierliche Dauerbelastung unserer Flüsse und unserer Seen ein Problem.
({9})
Wir sollten nicht nur die Schadensbelastung sehen, sondern auch die kontinuierliche Dauerbelastung. Da ist keineswegs Anlaß zu allgemeiner Zufriedenheit; das haben wir nie gesagt. Trotzdem können wir die Feststellungen der SPD nicht unterstreichen, daß in den 80er Jahren beim Gewässerschutz nichts geschehen sei. Lesen Sie bitte die Daten zur Umwelt! Dort werden Sie belehrt, daß diese Feststellungen nicht richtig sind. Auch was die Gewässergüte des Rheins angeht, sind diese Feststellungen nicht richtig. Die Gewässergüte hat sich verbessert. Die Situation ist nicht befriedigend, aber Verbesserungen sollten anerkannt werden. Es gehört zur Glaubwürdigkeit der Politik, daß Sie nicht nur fordern, sondern auch einmal anerkennen, was geschehen ist. Es geschieht nämlich mit unser aller Mitteln, mit unseren Steuermitteln, mit dem, was wir aufbringen. Es geschieht mit Hilfe unserer Wissenschaftler. Sie sollten wirklich den Mut haben, auch einmal das Positive zu sehen, nicht nur das Negative.
Die Einigung der Umwelt- und Verkehrsminister der Rheinanliegerstaaten in Straßburg im Oktober 1987 ist, Herr Kollege Töpfer, sehr interessant. Das sind weitreichende, weitgesteckte Ziele. Wir unterstützen Sie hierbei, und wir wollen, daß das, was dort vorgesehen ist, fristgemäß geschieht.
Wir haben nicht nur Defizite im gesetzgeberischen Bereich, wir sollten uns alle einmal selbstkritisch fragen, wie es eigentlich mit dem Vollzug ist. Wir alle mit Ausnahme der GRÜNEN haben Verantwortungen in Regierungen der Länder. Die Umsetzung des Wasserrechts ist Länderaufgabe. Die Länder haben dankenswerterweise in der Stellungnahme des Bundesrates selbstkritisch festgestellt, daß der Vollzug bei den Ländern noch nicht in Ordnung ist. Wir müssen also bei allem, was wir hier tun, nicht nur die Gesetze sehen, die wir verabschieden, sondern wir sollten uns einmal darum kümmern, ob die Länder ihre Pflicht erfüllen, unsere Gesetze auszuführen.
({10})
Das geschieht nicht in zureichendem Maße.
Wir haben im vergangenen Jahr die Fünfte Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz verabschiedet; einige Länder haben noch nicht einmal die Vierte Novelle umgesetzt. Trotz der vorhandenen rechtlichen Grundlagen sind einige Maßnahmen nicht ergriffen worden. So sind zirka 50 % der Wasserschutzgebiete in den Ländern nicht nach § 36 des Wasserhaushaltsgesetzes ausgewiesen, obwohl dies ein wirksames Instrument sein könnte. Ebenso ist das mit den Wasserbewirtschaftungsplänen nach § 36 des Wasserhaushaltsgesetzes.
Es kommt also sehr darauf an, daß wir uns mit diesem Vollzugsdefizit - das Wort ist hier wirklich berechtigt - beschäftigen. Das betrifft die SPD, das betrifft die Opposition mit, genauso wie es die FDP und die CDU, die in den Ländern Verantwortung tragen, mit betrifft. Die Forderung nach Umsetzung der Gesetze und unsere FDP-Forderung, die Wasserkompetenz auf den Bund zu übertragen, sind nach wie vor berechtigt. Ich würde lieber andere Kompetenzen an die Länder abgeben. Diese Kompetenz müßten wir eigentlich haben, aber wir haben sie leider nicht.
Es hat im Bereich der chemischen Industrie erhebliche Anstrengungen gegeben - darauf möchte ich hinweisen; ich möchte das auch anerkennen - , z. B. das Vorsorgeprogramm der chemischen Industrie vom Dezember 1986. Hier wird also umgesetzt, was angekündigt worden ist. Ich bin überhaupt der Meinung, daß sich alle bemühen sollten, den Forderungen gerecht zu werden, die wir damals aufgestellt haben. Die chemische Industrie tut das. Ich weiß, daß es Widerstände im Verband gibt. Sie sollten nicht dazu führen, daß hier Abstriche gemacht werden.
Ich stelle aber ebenso klar fest, Herr Kollege Müller: Wir verlassen uns nicht allein auf das Kooperationsprinzip. Wo es funktioniert, akzeptieren wir es. Wir wollen nach wie vor, daß der Staat einen gesetzlichen Rahmen setzt; er ist unverzichtbar. Sie können uns nicht unterstellen, daß wir die Chemiepolitik allein der freundlichen Zustimmung oder der freundlichen Regelung der chemischen Industrie überlassen. Nein, wir nehmen unsere Verantwortung wahr. Wenn es nicht zur Kooperation kommt, handeln wir auch, und bestimmte Handlungen stellen wir schon heute als notwendig fest, z. B. die Novellierung des Chemikaliengesetzes und andere Maßnahmen, die wir hier angekündigt haben und die jetzt umgesetzt werden. Ein Teil ist bereits umgesetzt, ein Teil wird noch umgesetzt werden. Es werden höhere Überwachungsaufgaben notwendig sein, wir werden unabhängige Sachverständige heranziehen müssen. Alles das ist festgelegt, meine Damen und Herren.
Ich möchte noch eine abschließende Bemerkung zu dem Verbot von Stoffen nach o 17 des Chemikaliengesetzes machen. Ich bin der Meinung, wir müssen den Mut haben, bestimmte Verbote auszusprechen, wenn es notwendig ist.
({11})
Es ist in einigen Fällen notwendig. Wir müssen allerdings auch darauf achten, ob die Substitute ihrerseits umweltgefährlich sind oder nicht.
({12})
Auch das muß geprüft werden.
Die Fortentwicklung der Gefahrstoffverordnung ist hier schon genannt worden. Es geht um die Lagerung von Chemikalien. Es geht auch um den Alarmplan. Vielleicht können Sie, Herr Minister, dazu etwas sagen. Die Alarmplanung am Rhein war ja nicht optimal. Das betraf auch das Land Nordrhein-Westfalen, obwohl Herr Matthiesen hier den Eindruck erweckt hat, es sei alles in Ordnung. Wir müssen das Pflanzen2394
schutzmittelrecht überprüfen, Stichwort: integrierter Pflanzenschutz. Darüber werden wir uns im einzelnen noch unterhalten.
Schließlich ist wichtig, daß die nationalen Maßnahmen mit den internationalen verbunden werden, auf EG-Ebene, auf OECD-Ebene. Unsere Industrie ist auf international verbindliche Normen angewiesen. Hier bin ich durchaus der Meinung, Herr Kollege Müller, daß wir die Pflicht haben, EG-Recht umzusetzen. Wir brauchen uns mit dem, was wir hier tun, nicht in den Schatten stellen zu lassen. Wir haben im Vergleich zu anderen Staaten eine hervorragende Bilanz. Das erfordert aber auch, daß wir EG-Recht pünktlich umsetzen.
Von der Bundesregierung erwarten wir, daß sie die Chemiepolitik energisch fortsetzt. Herr Töpfer, Sie haben hierbei unsere volle Unterstützung. Wir sagen das im Wissen, daß Risiko- und Gefahrpotentiale verbleiben. Wir müssen sie mindern, aber wir können nicht von heute auf morgen eine heile Welt versprechen.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Reimann.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Die chemische Industrie ist seit längerem in den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen gerückt. Es wird oft die Frage nach dem wirtschaftlichen Sinn und Zweck der chemischen Industrie bzw. nach ihren Vor- oder Nachteilen gestellt. Wir sind uns sicherlich einig darüber, daß es keines langen Nachdenkens bedarf, um festzustellen, daß die chemische Industrie unter dem Strich mehr Vorteile als Nachteile hat. Auch das sollte man hier einmal sagen dürfen. Denken wir an die Arbeitsplätze, an die verbesserte Lebensqualität, an die medizinische Betreuung, die sich auf die Erhöhung des Lebensalters auswirkt!
Aber das heißt nicht, daß die Nachteile bzw. die Möglichkeiten, die Nachteile zu beseitigen, undiskutiert bleiben dürfen. Auch dafür sind wir da. Politische Gestaltung heißt für uns Sozialdemokraten nicht, wie so oft zitiert wird, Ausstieg aus der Industriegesellschaft, auch nicht aus der chemischen Industrie, son-dem heißt: notwendiger Umstieg innerhalb der Industrie. Das heißt, die Probleme lösen zu helfen.
({0})
Die chemische Industrie hat in den vergangenen Jahren im Gegensatz zu vielen anderen Industriebereichen ein hohes Wachstum, eine hohe Arbeitsproduktivität und damit auch außergewöhnliche Gewinne zu verzeichnen. Manchmal stellt sich mir die Frage, ob mit der rasanten Entwicklung der chemischen Produktion die Ausweitung der Sicherheitsvorkehrungen Schritt gehalten haben kann. Wie ist es möglich, daß im Zuge der Sandoz-Katastrophe innerhalb eines Monats gleich acht weitere mehr oder weniger schwerwiegende Störungen in bekannten bundesdeutschen Chemiewerken bekanntgeworden sind? Ist das Zufall gewesen? Liegen die Ursachen mit in einer überhitzten Produktion? Oder liegt es nur daran, daß eine sensibilisierte Öffentlichkeit mit besseren Meßmöglichkeiten neuerdings in der Lage ist, diese Unfälle zu analysieren und bekanntzugeben? Wäre es so, dann müßten die Chemieunfälle, die auch in der Vergangenheit stattgefunden haben, und die Umweltbelastungen wohl mindestens genauso hoch, wenn nicht höher gewesen sein als heute, nur mit dem Unterschied, daß sie nicht diskutiert worden sind - vielleicht, weil sie nicht bekannt waren.
Was die Verschmutzung der Gewässer anbelangt, bin ich schon der Meinung, daß durch die Vorsorgemaßnahmen der chemischen Industrie - da stimme ich Herrn Baum zu - und auch der Städte vieles besser geworden ist, was bestimmte Stoffe anbelangt, die in diesen Gewässern sind. Es mag für einige wie Hohn klingen: Aber welchen Zweck hätte es gehabt, Klärwerke zu bauen, wenn der Rhein jetzt noch dreckiger wäre als vorher, als man keine Klärwerke gehabt hat? Ich kann das aus dem Ludwigshafener Bereich sagen und nehme es für dort in Anspruch. Aber diese Vorsorgemaßnahmen, die fortgesetzt werden müssen, müssen doch in Zukunft besonders auch die schwer abbaubaren Stoffe einbeziehen.
({1})
Das ist doch eines der zentralen Probleme, denen wir uns zu stellen haben.
({2})
Herr Umweltminister Töpfer, Sie haben gesagt - wenn ich Sie zitieren darf - , Sandoz sei ein heilsamer Schock gewesen. Diese Aussage finde ich bedauerlich; ich finde sie sogar schlimm.
({3})
Ich will auch sagen, warum: Denn, wenn es einer solchen Schockwirkung bedarf, um die Menschen auf umweltbedrohendes Verhalten aufmerksam zu machen, um Verantwortliche aktiv werden zu lassen, ist es um unsere Gesellschaft schlimm bestellt.
({4})
Zum Glück wird von den Verantwortlichen mehr getan, insbesondere von den im Umweltschutz engagierten Arbeitnehmern der chemischen Industrie, von denen ich komme, und auch von den jungen, kritischen Menschen, die seit Jahren, ohne die Schockwirkung öffentlicher Skandale abzuwarten, für die Erhaltung und Verbesserung der Umwelt eintreten.
Es wurde hier von den Investitionen gesprochen. Einer Pressemitteilung der BASF in Ludwigshafen entnehme ich, daß sie in den nächsten zehn Jahren 2 Milliarden für Umweltschutzinvestitionen ausgeben will; ich glaube, Bayer will dafür 3 Milliarden ausgeben, und ich nehme an, Hoechst wird eine ähnliche Summe aufbringen. Diese Umweltschutzinvestitionen sind doch nicht eine Reaktion auf Sandoz; sie sind doch, was die Beseitigung der Schadstoffe anlangt, ein grundsätzliches Problem und für diese Gesellschaft die Voraussetzung, überhaupt zu überleben. Die Risiken der Chemieproduktion sind doch seit vielen Jahren bekannt, nicht erst - wie ich hier immer wieder höre - seit Seveso, Bhopal oder Sandoz.
({5})
Aber hätte es eigentlich nach dem Fall Seveso 1976 noch einen Fall Sandoz 1986 geben dürfen?
({6})
Hätten nicht schon früher getätigte Investitionen - der Bau von Vorschaltbecken und dergleichen mehr - das verhindern können?
({7})
Schauen wir uns die zur Zeit gültige Störfallverordnung - sie wurde zitiert - an. Nur nach heftigen Kontroversen zwischen der Industrie, dem Gesetzgeber und den Gewerkschaften konnte sie im Juni 1980 von der damaligen sozialliberalen Regierungskoalition erlassen werden.
({8})
Meine Frage ist: Warum sind in dieser Gesellschaft solche sinnvollen Regelungen nur nach harten, kontroversen Auseinandersetzungen möglich?
({9})
Warum kämpft die Industrielobby auf solchen Plätzen? Lassen sich eigentlich Arbeitssicherheit und Umweltschutz als Handelsobjekte abtun? Wir meinen: nein.
({10})
In der Praxis erwies sich, daß die Umsetzung der Störfallverordnung - ich formuliere es vorsichtig - nur lückenhaft vollzogen wurde. Wenn eine Störfallverordnung, die - weil ein Kompromiß - nicht optimal ist, dann noch nicht einmal optimal praktiziert wird, bleibt für den Gesetzgeber die Frage, was für einen Sinn die Gesetze, die er erläßt, überhaupt haben.
({11})
Heute stelle ich die Frage: Könnten Betriebsräte und Belegschaften, wenn sie mehr an der Gestaltung des Umweltschutzes beteiligt würden, mehr Hilfe leisten, damit Gesetze besser vollzogen werden? Könnten wir die Betriebsräte nicht an der Erstellung von Sicherheitsanalysen für die Betriebe, die unter die Störfallverordnung fallen, beteiligen, auch dann, wenn man weiß, daß eine Sicherheitsanalyse sehr umfangreich sein kann? Die Frage nach der Praktikabilität stellt sich doch unabhängig davon, wie viele an einer solchen Erstellung bzw. an der Überwachung und an der Kontrolle mitwirken. Sicherheitsanalysen sind immer unzureichend, wenn sie die Gefahren für die betroffenen Arbeitnehmer und für die Menschen insgesamt nicht analysieren, wenn die Betroffenen nicht einbezogen werden, und deshalb glauben wir, daß Betriebsräte mit praktischer Erfahrung in diese Debatte einsteigen können.
Meine Damen, meine Herren, die Diskussion über den Ausbau des Umweltschutzes war lange von dem Argument beherrscht, die Investitionskosten seien zu hoch, dies werde den Wettbewerb gefährden usw. Heute wissen wir, daß außergewöhnliche Gewinne vorhanden sind, die für die Problemlösungen herangezogen werden können, ja müssen. Einerseits müssen die Gewinne den Anteilseignern und den Aktionären zufließen - daß ist so in unserem System -; andererseits müssen diese Gewinne aber auch zu Problemlösungen herangezogen werden, beispielsweise zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit, für die sozialen Sicherungssysteme und für die Umwelt.
({12})
Auch wir wissen, daß Gewinne in einem angemessenen Verhältnis zu den eingebrachten Investitionen stehen müssen, aber auch zu den Umweltschäden, die durch die Produktion, die den Gewinn erzielt, angerichtet werden.
Die Zahlen des Bundesumweltamts über die jährlichen Kosten der Umweltschäden sind erschrekkend.
({13})
Man höre und staune: Luftverschmutzung ca. 48 Milliarden DM, Gewässerverschmutzung 17,6 Milliarden DM, Bodenzerstörung 5,2 Milliarden DM, Lärm ca. 32,7 Milliarden. Das sind über 100 Milliarden DM, die als Folgekosten einer zerstörten Umwelt entstehen. Diese Kosten müßten doch vernünftigerweise so umverteilt werden, daß sie auch zur Verhinderung dieser Schäden in der Gesellschaft eingesetzt werden könnten.
({14})
Wir vermissen eine umfassende Konzeption der Bundesregierung, die Innovationen liefert, der Industrie hilft, den Technologien hilft und die den erwähnten Umbau ermöglicht.
({15})
Am 17. Oktober 1987 entstand in Düsseldorf ein Großfeuer, das zwei mit Chemikalien gefüllte Lagerhallen zerstörte. Bundesumweltminister Töpfer fehlte es wieder einmal nicht an guten Ratschlägen. Aber was wird wirklich getan? Die Katastrophe von Sandoz hat nicht nur die Diskussion über die Grundsatzfragen des Umweltschutzes und der Chemiepolitik in den Vordergrund gerückt, sondern mehr denn je auch die Frage nach den Lösungen. Als Arbeitnehmervertreter meine ich, eine der Lösungen ist der Ausbau der Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmer und der Betriebsräte. Die geplante Novelle zur Störfallverordnung berücksichtigt die Interessen der Arbeitnehmer noch zuwenig. Die Beschäftigten in den Betrieben müssen über die für den Betrieb wichtigen Tatbestände aller Umweltfragen besser informiert werden. Der Einfluß des Betriebsrates, gestalterisch auf umweltpolitische Entscheidungen einzuwirken, Herr Baum, muß gestärkt werden.
({16})
Das gilt auch für den Arbeitsschutz. Unser Grundsatz, daß Arbeitsschutz zugleich Umweltschutz ist, hat an Aktualität gewonnen. Denn das, was am Arbeitsplatz erst gar nicht entsteht, was vermieden werden kann, kommt nicht in die Umwelt und gefährdet nicht den Menschen.
Deshalb fordern wir Sozialdemokraten nach wie vor mit den Gewerkschaften, die Position der betrieblichen Beauftragten für Störfälle, für Abfall-, Wasser- und Imissionsschutz zu stärken.
Ihre Stellung und ihre Aufgaben im Betrieb müssen klarer definiert werden. Wir meinen auch, daß ihnen ein Kündigungsschutz in der Konfliktsituation gegeben werden muß, in die sie gestellt werden, weil sie sich mit den Unternehmern auseinandersetzen müssen.
Keiner sollte unterschätzen, daß das Interesse der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz von besonders großer Bedeutung ist, nicht nur in der Verantwortung für die Produktion - auch das soll man einmal zugunsten der Arbeitnehmer sagen - , nicht nur hinsichtlich der Sicherheit für die Menschen, sondern auch hinsichtlich der eigenen Existenzerhaltung. Ohne diesen seinen Arbeitsplatz ist diese Gesellschaft für ihn nicht mehr lebenswert. Deshalb ist er interessiert.
Insofern - auch das sage ich für die Arbeitnehmer, die ich mit zu vertreten habe - bekommt die Diskussion mit ihnen eine andere Dimension, wenn man mit Belegschaften und Betriebsräten über ihre Produktion redet. Ich sage deutlich: Sie sind nicht die Giftmischer der Nation, als die sie allgemein und manchmal auch von politischen Gruppierungen hingestellt werden.
({17})
Wir sind es ihnen schuldig, auch das einmal zu sagen.
Deshalb sollten Betriebsräte bei der Bestellung und Abberufung sowie der Festlegung der Aufgaben dieser betrieblichen Beauftragten mitbestimmen können.
Information, Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten und ihrer betrieblichen Interessenvertretung bei Umweltschutzmaßnahmen müssen in das Betriebsverfassungsrecht eingebaut werden. Umweltfragen dürfen nicht mehr nur den Vorständen der chemischen Industrie überlassen werden. Die Betriebsräte und Belegschaften müssen wegen der Existenzerhaltung ihres Arbeitsplatzes einbezogen werden.
Wir treten für eine Verbesserung der Kontrolle der Chemiebetriebe auch durch bessere personelle Ausstattung der Gewerbeaufsichtsämter und anderer Überwachungsbehörden ein. Wir unterschätzen nicht die Eigenverantwortung und die eigene Überwachung in den Unternehmen, ohne die ein Chemiebetrieb nicht laufen kann.
({18})
Dabei erfassen natürlich auch die freiwilligen Vereinbarungen nicht das, was die sogenannten schwarzen Schafe in der chemischen Industrie permanent anrichten. Wenn diese sich schon nicht an Gesetzen orientieren, wieso sollen sie sich denn eigentlich an freiwilligen Vereinbarungen orientieren? Hier ist doch eine riesige Lücke entstanden.
({19})
Wir treten also für diese Verbesserung ein und meinen, daß die Eigenüberwachung der chemischen Industrie eine lebensnotwendige Überwachung ist. Ich kenne Unternehmen, in denen 600 bis 800 Menschen allein im Bereich der Eigenüberwachung der Chemie arbeiten. Denen stehen dann drei Aufsichtsbeamte der Gewerbeaufsicht gegenüber. Das ist ja, gelinde gesagt, eine Lachplatte. Wie sie ihre Funktion ausüben sollen, wie sie mit ihren Schutzrechten umgehen sollen, ist fast unmöglich. Wenn wir deshalb diese drei Beamten in diesem Bereich, für den ich spreche, durch zusätzliche personelle Maßnahmen stärken, dann kann, so meinen wir, dem Problem mehr Rechnung getragen werden, insbesondere nicht zuletzt deshalb, weil die außerbetrieblichen Gremien eine größere Unabhängigkeit gegenüber den Unternehmen haben. Der Beschäftigte ist in einer Abhängigkeit, die ihn oft in Schwierigkeiten bringt, wenn er das sagt, was er denkt, was er ermittelt hat. Wenn wir den Ausbau dieser Stellen fordern, meine Damen, meine Herren, dann nicht zuletzt deshalb, weil Staat und Gesellschaft bei Störfällen, Schadensfällen, wie wir sie erlebt haben, und bei dem berühmten Restrisiko nicht nur die Zeche zu zahlen, sondern auch für alle gesellschaftlichen Auswirkungen einzustehen haben.
In diesem Sinne meinen wir, daß unser Antrag eine vernünftige, in die richtige Richtung weisende Debatte ausgelöst hat.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({20})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lippold.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seitens der SPD hört man heute erstmalig freundlichere Töne.
({0})
Ich weiß nicht, ob das Folge unserer früheren Argumentation ist oder ob das in Verfolg der Verlautbarungen der IG Chemie und der Tätigkeit von Herrn Rappe jetzt ein erstes Ergebnis ist. Aber ich muß sagen: Ihr Umdenken gegenüber der Chemie ist noch nicht ausreichend. Sie müssen diesen Weg noch konsequent fortsetzen.
({1})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir verfolgen eine konsequente Politik der stufenweisen und drastischen Emissionsverminderung aller vom Menschen in die Atmosphäre, Gewässer oder den Boden eingebrachten Stoffe, die die Regenerationsfähigkeit des Naturhaushalts nachhaltig stören oder zerstören, der menschlichen Gesundheit schaden oder sie beeinträchtigen. Dies ist die Grundlage unserer vom Schutze des Menschen geleiteten vorsorgeorientierten Umweltpolitik.
Wir haben diese Politik in Anbetracht der schweren Störfälle und Katastrophen, die wir in erster Linie im Ausland zur Kenntnis nehmen mußten, betrieben. Bei uns gab es Störfälle, aber wir haben trotzdem aus den nicht bei uns stattgefundenen Katastrophen gelernt und eine Politik der Umweltvorsorge, eine Politik der Vermeidung von Schadstoffen und keine Politik der
Dr. Lippold ({2})
nachträglichen Sanierung, keine Politik - ausschließlich - der Reparaturen betrieben.
Wir haben bereits in der Vergangenheit ein umfassendes Regelwerk geschaffen, übrigens noch mit Ihrer Mithilfe. Das hat zu mehr Arbeitsschutz, das hat zu mehr Umweltschutz geführt. Die Zahl der meldepflichtigen Arbeitsunfälle in der Chemie ist von 1985 auf 1986 zurückgegangen. Es ist so, daß wir bei den Erkrankungen durch Halogenwasserstoffe und bei Asbestose mit Lungenkrebs einen Rückgang haben. Ich könnte die Beispiele fortsetzen. Die Emissionen in der Chemie sind verringert worden. Die Chemie hat ihre Gesamtemissionen in den letzten 20 Jahren um 60 % reduziert, Herr Reimann - und das bei einem Anstieg der Produktion von 150 %. Das sage ich nur, um einmal deutlich zu machen, wie die Relationen sind. Wir haben also weniger Schwefeldioxid, weniger Kohlenmonoxid, weniger Schwermetalle.
Trotz dieser Leistungen, die wir in der Vergangenheit erbracht haben, arbeiten wir darauf hin, daß seitens der Industrie auch freiwillig etwas geschieht. Ich glaube, daß die Kooperationspolitik, die wir betrieben haben, zum Erfolg führt: Reduzierung des Einsatzes von Fluorkohlenwasserstoffen, Verzicht auf Tenside - alles Dinge, die wir ansonsten so schnell, so unbürokratisch nicht hätten durchsetzen können, weil wir die EG dazu gebraucht hätten. Jeder weiß, daß die Umsetzung vernünftiger Vorstellungen dort manchmal sehr schwierig ist.
({3})
Die Novellierung der Störfallverordnung ist jetzt in Arbeit. Sie wird, wie Herr Laufs schon sagte, in Kürze vorgelegt werden. Damit wird der Kreis der genehmigungsbedürftigen Anlagen gerade auch auf die Chemikalien- und Pflanzenschutzmittelläger ausgedehnt. Das war doch die eigentliche Lücke, die wir erkannt haben. Es war doch das Petitum, hier etwas zu tun. Das waren doch die Ansatzpunkte der letzten Zeit.
Wir werden die Stoffliste erweitern. Wir werden darüber hinaus die Aktualisierung der Stoffliste verlangen, die auch den Behörden vorliegen muß, damit die Schadensbekämpfung vor Ort effektiver wird. Ich könnte diesen Katalog noch ellenlang ausdehnen.
Festzuhalten ist nur, daß sich diese Vorstellungen, wie sie von Minister Töpfer entwickelt werden, weitgehend mit Ihren Vorstellungen decken. Das gilt übrigens auch für Ihre Vorstellungen zur Novellierung der Gefahrstoffverordnung, die bereits Eingang in die vorgesehene Novellierung der Störfallverordnung gefunden haben. Sie haben bezüglich mancher Teilbereiche vergessen, daß bestimmte Dinge bereits im Bundes-Immissionsschutzgesetz und in der TA Luft behandelt werden. Auf das, was Sie jetzt noch fordern, können wir eingehen.
Wir können festhalten, daß dies alles zu einer deutlichen Belastung der Wirtschaft und zu einer relativen Entlastung der mit der Überwachung betrauten Behörden führt. Die Lösung muß deshalb sicherstellen, daß das Ziel der Sicherheit auf praktische Art, auf unnötige Kosten vermeidende Weise erreicht wird und damit auch die Umsetzung in kleinen und mittleren Unternehmen ermöglicht wird. Ich glaube, daß wir hier einen ganz deutlichen Auftrag haben, dies entsprechend zu tun.
Ich finde es gut, daß die Chemie - parallel zu dem, was hier angelaufen ist - einen Katalog von Maßnahmen - Brandschutzkonzept, Sicherheitskonzept für Löschwasser, auf das Herr Laufs eingegangen ist - vorgestellt hat. Das ist eine sinnvolle Ergänzung. Die IG Chemie hat dies übrigens ausdrücklich begrüßt. Ich gehe davon aus, daß auch dies mit zu Ihrer gedämpften Stellungnahme heute beigetragen hat.
Übrigens, ich glaube, der Hinweis auf Düsseldorf greift nicht. Zu diesem Hinweis auf den dortigen Störfall muß man sagen, daß die Firma RENTOKIL nach unseren Informationen über keine nach dem BImSchG erforderliche Genehmigung verfügte, daß der Hersteller von Schaumstoffplatten gar keine Genehmigung zur Produktion hatte und daß die Behörde wohl nichts von der Produktion wußte.
({4})
Meine Damen und Herren, gesetzliche Vorschriften
greifen natürlich nur, wenn die Behörden einen solchen Hersteller nicht ohne Erlaubnis arbeiten lassen
({5})
und wenn die Behörden die Genehmigungsbedürftigkeit dort abklären. Angesichts eines solchen Versagens von Behörden ist es - wie der Kollege Baum schon gesagt hat - sinnvoll, daß die Vollzugsdefizite abgebaut werden. Das ist aber dann eine Frage, die auch das Land betrifft. Da ich der Meinung bin, daß Ihnen die Kollegen dort ja nicht allzu fremd sind, können Sie diese Forderung beruhigt in Richtung NRW stellen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Chemikaliengesetz. Es ist wichtig, daß die Überprüfung der umweltrelevanten Altstoffe intensiviert werden wird. Ich glaube, das Konzept wird deckungsgleich mit dem sein, was auch Ihnen vorschwebt. Es ist zunächst die Erfassung der gefährlichen Stoffe, die gleichzeitig in hohen Mengen produziert werden, und ein Herausgreifen dieser prioritären Stoffe sowie die Zusammenfassung dieser Stoffe in einer Liste vorgesehen. Wenn wir die bei den Bewertungsstellen bislang vorliegenden Listen einmal zusammenfassen, dann werden wir feststellen, daß es ca. 250 bis 300 Stoffe sind, die wir in einem ersten Durchgang abarbeiten können. Weitere Stoffe können wir je nach Gefährlichkeit und Dringlichkeit danach abarbeiten. Aber auch das ist hier jetzt in Angriff genommen worden. Das ist der Kernbereich unserer Arbeit.
Wenn Sie im Grunde immer wieder fordern, es müsse noch mehr getan werden, und es müsse noch schneller gehandelt werden, dann bleibt Ihnen als Opposition das unbenommen, aber Sie wissen natürlich auch - das haben Sie früher, als Sie regierten, respektiert -, daß der Fachverstand, der Sachverstand der wissenschaftlichen Kapazitäten, den wir brauchen, nicht in unbegrenztem Maße zur Verfü2398
Dr. Lippold ({6})
gung steht. Insofern ist der Sachverstand nicht von heute auf morgen durch Anträge vermehrbar. Wir müssen diese Kapazitäten entwickeln. Auch darauf zielen unsere Vorstellungen ab.
Ich bitte Sie noch einmal, Ihre Erwartungen nicht zu hoch zu schrauben, gerade was den Abbau von Eingriffsschwellen bei Verboten nach § 4 Abs. 6 oder nach § 17 Abs. 2 des Chemikaliengesetzes angeht. Sie wissen, daß die EG zustimmen muß, daß wir nicht ohne die EG handeln können. Es ist ausgesprochen wichtig, dies noch einmal deutlich zu machen. Sie fordern etwas, worüber wir nicht allein entscheiden können.
({7})
Das ist ja gerade auch der Grund für die Anstrengungen der Bundesregierung - die ich ausdrücklich begrüße - , hier nicht nur im EG-Rahmen zu weiteren Lösungen zu kommen, sondern gleichzeitig auch die Lösung der Altstoffproblematik im Rahmen der OECD voranzutreiben. Ich glaube, die Regierung keines Landes tut so viel - Sie können das nachprüfen - wie die Bundesregierung in den Gremien der OECD. Sie tut das durch finanzielle Beiträge auf der einen Seite und durch die Zurverfügungstellung von Personal auf der anderen Seite.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Fülle dessen, was hier positiv in Angriff genommen ist, ließe sich noch deutlich erweitern. Lassen Sie mich abschließend sagen, nachdem Sie hier noch einmal auf die Mitwirkung der Arbeitnehmer hingewiesen haben, daß durch die Vereinbarung, die jetzt zwischen dem VCI und der IG Chemie getroffen worden ist, ein Großteil dessen wohl abgedeckt ist, was Sie früher gefordert haben. Sie sollten dies begrüßen, Herr Reimann, und Sie sollten im übrigen positiv, konstruktiv mit uns bei der Lösung der anstehenden Aufgaben zusammenarbeiten.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Daniels.
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal auf das eingehen, was Herr Baum eben gesagt hat. Ich fand, daß er sich sehr arrogant verhalten hat, als er darauf verwiesen hat, daß Sandoz nicht in der Bundesrepublik Deutschland liegt.
({0})
Ich wiederhole noch einmal das, was Frau Garbe eben schon gesagt hat: Das Umweltbundesamt erklärte im Gegensatz zur chemischen Industrie nach Sandoz, daß es Anlagen mit vergleichbarem Gefahrenpotential wie in Bhopal oder bei Sandoz zu Hunderten in der dicht besiedelten Bundesrepublik gebe und wir hier ein besonderes Risiko haben, weil die Wohnbebauung
oftmals bis an die Werkgrenzen der großen Chemiewerke heranreiche. Das ist die Wahrheit.
({1})
Lassen Sie mich noch kurz aufzeigen, was die Regierung vorhat. Die Störfallverordnung soll die bisherigen Gesetze in Randbereichen korrigieren. Etwas Neues ist es nicht, obwohl dies dringend notwendig wäre.
Zum ersten. Die Grundprobleme werden nicht angegangen; die Betreiberpflichten ändern sich quasi nicht.
Zum zweiten. Die Philosophie ist falsch: Eine Katastrophe wie Sandoz ist bei Ihnen noch nicht einmal ein Störfall, da die Anlage nicht in Ihrer Liste ist. Ein Stoff, der nicht im Anhang II aufgeführt wird, womöglich in einer Anlage, die nicht in Anhang I aufgelistet ist, kann nach Ihrer Logik keinen Störfall produzieren. Das gleiche gilt für den Begriff der Gemeingefahr, der unkritisch aus dem 19. Jahrhundert übernommen wurde und der besagt, daß nur nicht vorhersehbare Ereignisse in Verbindung mit öffentlichem Interesse Störfälle bzw., wie wir sagen, Unfälle sein könnten. Etwas Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung wird also billigend in Kauf genommen.
Zum dritten. In dem Wallmann-Entwurf zur Störfallverordnung hieß es noch, daß alle Stoffe in einem Chemikalienlager verzeichnet werden müssen. Herr Töpfer beugt sich der Industrie und grenzt das auf vielleicht 5 bis 10 % der Stoffe in einem Chemikalienlager ein. Warum, Herr Töpfer, gefährden Sie weiterhin mutwillig das Leben vieler Feuerwehrleute? Es darf weiter getrickst werden. Erst wird der Geltungsbereich auf das Bundes-Immissionsschutzgesetz ausgeweitet, aber sogleich über die Anlage I wieder eingeschränkt. Streichen Sie doch diese Anlage I ersatzlos. Die Störfallverordnung muß grundsätzlich für alle nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungspflichtigen Anlagen gelten.
Zum Punkt Sicherheitsanalyse meinen die GRÜNEN: Für Anlagen, die eine bestimmte Mengenschwelle überschreiten, muß die Pflicht zur Anfertigung einer quantitativen Risikoanalyse verbindlich werden. Dazu muß dieses Instrument in einer Störfallverordnung eingeführt werden. Eine derartige Risikoanalyse muß alle möglichen Ereignisabläufe erfassen, realistische Daten für Ausfallraten verwenden, abhängige Ausfälle sowie das menschliche Fehlverhalten in Belastungssituationen angemessen berücksichtigen und Einwirkungen von außen mit einbeziehen. Wir fordern, wie ebenfalls von Herrn Kollegen Reimann schon erwähnt, eine stärkere Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Gefahrstoffvorsorge, so auch eine Beteiligung von Umweltverbänden und Betriebsräten. Aber das für den Umweltschutz von Ihnen immer laut verkündete Kooperationsprinzip scheitert hier an den Eigeninteressen der chemischen Industrie. Herr Töpfer, was Sie hier betreiben, ist keine Vorsorge, sondern höchstens Nachsorge; denn letztendlich muß man die Produktionsverfahren der chemischen Industrie z. B. dann zur Diskussion stellen,
Dr. Daniels ({2})
wenn eindeutig Krebsgefahren bei Stoffen nachgewiesen werden, und dazu gehört ebenfalls die Oberprüfung des gesellschaftlichen Bedarfs.
Gefährliche Stoffe sind nicht in bestimmten Anlagen gefährlich, sie sind an sich gefährlich und sollten von der Menge her erheblich reduziert werden. Davon ist in Ihren Planungen jedoch nichts enthalten. Deshalb warten Sie nicht auf die nächste Katastrophe, warten Sie nicht auf den nächsten verletzten Feuerwehrmann oder den nächsten Toten. Handeln Sie jetzt und stimmen Sie unseren Vorschlägen zu.
({3})
Das Wort hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Töpfer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Etwa ein Jahr nach der Katastrophe von Sandoz ist in der Zwischenzeit vieles, was damals gesagt worden ist, in der Bundesrepublik Deutschland gemacht worden.
({0})
Es ist mit Blick auf die unmittelbar erkannten Engpässe gemacht worden. Ich erwähne im besonderen die Aktualisierung und Überprüfung des Alarmplanes für den Rhein und seine Einzugsgewässer. Ich erwähne die Tatsache, daß von den 13 Punkten, die die chemische Industrie damals als Reaktion vorgelegt hat, 9 abgearbeitet worden sind. Ich erwähne die Tatsache, daß von dem, was die Bundesregierung damals als notwendig angekündigt hat, an keiner Stelle Abstriche gemacht worden sind.
({1})
Meine Damen und Herren, es ist schon bemerkenswert: Es passiert im Ausland im Umgang mit chemischen Stoffen ein zugegebenermaßen dramatischer Unfall. Wir könnten darauf nun reagieren, indem wir sagen: Dies war im Ausland, bei uns aber passiert so etwas nicht. - Sie würden dann sagen: Welch eine arrogante Haltung! - Wir sagen: Das, was dort passiert ist, wollen wir zumindest für uns als einen heilsamen Schock ansehen und daraus lernen. - Herr Reimann nennt das dann ein skandalöses Verhalten, weil er meint, ich brauchte erst einen solchen Schock zur Überprüfung dieses Vorganges.
Meine Damen und Herren, was ist denn also daran zu inkriminieren, wenn sich die Bundesregierung ohne Bezug auf irgendeinen Vorgang bei uns dieser Sache annimmt? Herr Reimann, Sie sind aus Ludwigshafen, Sie wissen doch ganz genau, daß die deutsche chemische Industrie die Brandfragen schon aufgearbeitet hat, daß wir also dieses Schockes gar nicht bedurft hätten, weil 1979 in Ludwigshafen eine ver gleichbare Brandkatastrophe ohne diese Folgen stattgefunden hat,
({2})
da solche Vorkehrungen bei uns vorhanden gewesen sind.
({3})
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Lippold nachhaltig dafür, daß er schon auf die Tatsachen von Düsseldorf hingewiesen hat. Ich komme darauf zurück.
Ich sage zu Herrn Reimann abschließend: Er erwartet, daß die Arbeitnehmer etwa beim Arbeitsschutz stärker beteiligt werden. Herr Reimann, sprechen Sie das doch einmal mit der Berufsgenossenschaft Chemie durch. Was ist denn eigentlich anderes als eine paritätische Regelung zum Arbeitsschutz mit dem Instrument der Berufsgenossenschaften geschaffen worden? Dort haben wir Parität. Sie sind mehr als einmal in dem beispielhaft entwickelten Zentrum für Arbeitssicherheit der BG Chemie in Maikammer gewesen. Dort haben wir exakt dies. Warum sagen Sie nicht einen Halbsatz dazu, daß die Bundesregierung, daß ich selber immer gesagt habe: Können wir nicht einmal überlegen, wo wir dieses für den Arbeitsschutz so beispielhaft entwickelte Zusammenwirken auch in den Bereich der Umweltpolitik mit einbringen können?
({4})
- Mache ich gerne.
Herr Minister, ich wollte nur fragen, ob Ihnen entgangen ist, daß ich diese Passage, die Sie jetzt von sich gegeben haben, auf den Umweltschutz bezogen habe und den Umweltschutz mit dem Arbeitsschutz parallelisiert habe.
({0})
Ich kann es Ihnen noch einmal vorlesen.
Nein! Wir können das gerne noch einmal durchlesen.
Außerdem habe ich einen Satz hinzugefügt. Ich habe immer - auch in der Öffentlichkeit - deutlich gesagt, daß es für mich eine wichtige Frage ist, inwiefern wir die im berufsgenossenschaftlichen Modell entwickelten Formen des Zusammenarbeitens auch auf den Umweltschutz übertragen können. Dies halte ich nach wie vor für eine zentrale und die Dinge vorantreibende Idee.
({0})
Ich darf mich wieder dem Thema zuwenden und darf ganz deutlich auch auf die Tatsache verweisen, daß es in der Tat vor etwa einem Jahr eine Rüge der Europäischen Gemeinschaft mit Blick auf die Durchführung des Chemikalienrechts an die Bundesrepublik Deutschland gab. Warum sind wir gerügt wor2400
den? Wir sind gerügt worden, weil wir die etwa 50 Stoffe mit kanzerogener Wirkung zu früh einer verschärften Überprüfung unterzogen haben. Die EG war noch nicht so weit. Die EG hat das gerügt. Wenn Sie also schon von Rügen an unsere Adresse sprechen, dann schauen Sie einmal nach, was wirklich gerügt wird, damit wir tatsächlich auf der gleichen Ebene bleiben.
({1})
Ich bin auch gerne bereit, dem Herrn Abgeordneten Müller zu bestätigen, daß das, was er hier gesagt hat, wirklich eine Basis für eine vernünftige weitere Erörterung sein kann. Ich lege hohen Wert darauf, für mich und auch für die Bundesregierung zu sagen: Wir brauchen für die Chemie, für die chemischen Stoffe eine möglichst breite Basis in unserer Gesellschaft. Denn wir brauchen die Chemie hier - sicherlich auch wegen der Arbeitsplätze - , weil eine gefährliche, eine schwierige Technik eben besser in einer Gesellschaft bewältigt werden kann, die die infrastrukturellen Voraussetzungen dafür bietet. Daher sollten wir diese gefährlichen, problematischen Dinge nicht ins Ausland exportieren.
Deswegen geht es, wenn wir über Bhopal sprechen, nicht nur um die Frage, ob das auch bei uns vorkommen kann. Natürlich gibt es, Herr Abgeordneter Daniels, solche Fabriken auch bei uns, die mit solchen Prozessen umgehen. Das ist doch nicht das Problem, sondern der zentrale Punkt ist, wie damit umgegangen wird, ob diese Produktion wirklich in Bhopal stattfinden muß oder ob wir sie nicht bei uns für andere zu machen haben, weil wir mit diesen schwierigen Technologien bei uns besser umgehen können, als andere das tun.
({2})
Deswegen habe ich mich sehr herzlich dafür zu bedanken, daß sowohl Herr Abgeordneter Laufs als auch Herr Abgeordneter Lippold und Herr Abgeordneter Baum das, was wir als Störfallverordnung neu vorgelegt haben, dargestellt und uns ihre Unterstützung für dieses schwierige Verordnungswerk signalisiert haben. Ich brauche das hier daher nicht zu wiederholen. Sie haben es, wie ich meine, zutreffend dargestellt.
Ich muß noch unterstreichen: Ich warte wirklich auf die Diskussion im Ausschuß. Ich möchte einmal wissen, wo sich denn eigentlich das, war wir in dieser Störfallverordnung jetzt vorgelegt haben, von dem unterscheidet, was Sie wollen. Herr Abgeordneter Reimann hat über die Mitwirkungsmöglichkeiten gesprochen. Das ist das einzige, was ich bisher gehört habe.
Wir haben das natürlich mit der IG Chemie intensiv erörtert; auch das wissen Sie. Ich habe in diesen ganzen Diskussionen nicht den Eindruck gehabt, daß wir substantiell irgend etwas nicht in diese Verordnung aufgenommen haben, was nach Meinung der IG Chemie dort hineingehört. Die Mitwirkungsmöglichkeit scheint mir eine Frage zu sein. Deswegen habe ich auf das BG-Modell extra hingewiesen.
Herr Minister, der Abgeordnete Dr. Daniels ({0}) möchte eine Zwischenfrage stellen. Sie gestatten das?
Dr. Töpfer, Bundesminster für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Wenn das nicht angerechnet wird, bin ich dazu gerne bereit.
Ich möchte genau auf diese Störfallverordnung eingehen und Sie fragen, wie Sie es erklären, daß eben nicht mehr alle Stoffe - z. B. die in einem Chemikalienlager - in diese Störfallverordnung aufgenommen werden sollen, sondern daß das jetzt - aus meiner Sicht auf Druck der Industrie - auf 5 bis 10 To reduziert werden soll. Das ist eine konkrete Frage. Versuchen Sie einmal, konkret darauf zu antworten.
({0})
Herr Abgeordneter, hätten Sie die Güte, die Usancen des Hauses zu respektieren? - Danke schön.
Herr Abgeordneter, wenn ich Ihren anderen konkreten Hinweis aufgenommen hätte, nämlich die Anlage 1 zu streichen, hätte das dazu geführt, daß Sie für eine Sauerkrautfabrik eine Sicherheitsanalyse aufstellen müßten. Das werden Sie wahrscheinlich nicht wollen.
({0})
- Ja, das ist konkret so. Das ist eine genehmigungsbedürftige Anlage. Wenn ich für alle genehmigungsbedürftigen Anlagen eine Sicherheitsanalyse vorsehe, muß ich das so tun.
Nun komme ich auf meinen zentralen Punkt zurück
- ich komme sofort auf die Stoffe zu sprechen; ich möchte Sie nicht so lange stehen lassen - : Gestern ist in der „Saarbrücker Zeitung" der Abschlußbericht erörtert worden, den der Untersuchungsausschuß zu einem Fischsterben in Deutschland gemacht hat. Das war ein Fischsterben in Deutschland vor etwa eineinhalb Jahren an der Saar.
({1})
- Es war nun wirklich an der Saar, gnädige Frau. Aber die toten Fische sind in der Tat bis in die Mosel getrieben worden.
({2})
- Selbstverständlich.
Mir liegt jetzt nur daran, einmal zu fragen: Was hat der Untersuchungsausschuß eines deutschen Landesparlaments dazu gesagt? Am Anfang stand - ich weiß das nun sehr genau - auch dort der Ruf: Wir brauchen schärfere Gesetze und andere Verordnungen. Und jetzt sehe ich was dabei herausgekommen ist. Ich zitiere aus der gestrigen „Saarbrücker Zeitung" :
Das Untersuchungsverfahren hat erneut gezeigt, daß die personellen Engpässe im Umweltbereich äußerst weitreichende Folgen haben können... . Fehlen der für die Erfüllung der umweltbezogeBundesminister Dr. Töpfer
nen Aufgaben notwendigen Infrastruktur ... daß eine routinemäßige und regelmäßige Überwachung der Betriebe, die ihre Produktionsabwässer in die Oberflächengewässer einleiten, undurchführbar ist.
Und so weiter.
In dem gesamten Bericht, der im Saarländischen Landtag ohne Diskussion akzeptiert worden ist, kommt das Wort schärfere Gesetze oder Verordnungen nicht vor.
({3})
Entschuldigen Sie bitte, ich bin kein Pharisäer. Ich bin acht Jahre lang in einem Bundesland tätig gewesen. Deswegen muß ich sagen: Das, was Sie von der Bundesregierung zuallererst erwarten müssen, ist, daß wir uns nicht nur hinsetzen und mit möglichst großer Geschwindigkeit eine neue Verordnung vorlegen - den Druck, Herr Abgeordneter Baum, nehme ich natürlich sehr gerne mit in die Amtsstuben - , sondern uns gleichzeitig Gedanken darüber machen müssen, wie wir das, was wir neu regeln, dann wirklich im Vollzug beflügeln. Das ist unsere Aufgabe.
Das wirklich Neue an dieser Störfallverordnung, wie wir sie vorlegen, ist die Frage: Wie können wir unabhängige Sachverständige mit einbinden? Das betrifft das, was landläufig als Umwelt-TÜV genannt wird. Wie können wir dazu beitragen, Herr Abgeordneter Reimann, daß wir nicht warten müssen, bis die Gewerbeaufsichtsämter personell so ausgestattet sind, daß sie eine dann möglicherweise sehr gute Störfallverordnung auch umsetzen können, sondern morgen und übermorgen damit anfangen können zu vollziehen? Das ist der Punkt, den ich wirklich sehr nachhaltig unterstreichen möchte. Ich möchte es eben nicht bei der Störfallverordnung lassen. Wir sollten uns fragen, ob wir dann nicht etwa Sicherheitskommissionen brauchen, die dann bei Einzelanlagen weiterkommen. Da erscheint die Frage der Mitwirkung von Gewerkschaften an einer ganz anderen Stelle wieder. Lassen Sie uns in dieser Frage doch konstruktiv ein Stück weitergehen, statt uns dauernd um die Frage zu kümmern, ob wir nun wirklich und wahrhaftig den einen oder anderen Stoff mehr darin haben.
Was hilft es mir denn, Herr Abgeordneter Daniels, wenn ich die gesamte Stoffpalette von 100 000 Stoffen sicherheitsrelevant mache, aber genau weiß, daß das niemand in einem Bundesland vollziehen kann? Dann habe ich keinen Fortschritt im Umweltschutz erreicht, sondern ich habe mir eine weiße Weste dafür geschaffen, daß, wenn irgendwann einmal etwas kommt, ich sagen kann: Ich habe es doch gemacht; es lag doch am Vollzug.
Ich halte das für unehrlich - ich sage Ihnen das ganz deutlich - , wenn ich mit möglichst großer Geschwindigkeit
({4})
eine Verordnung vorlege und sage: Ich warte einmal ab, wie ihr das vollzieht. Das ist die Konsequenz einer föderativen Arbeitsteilung, die wir brauchen.
({5})
Dies, meine Damen und Herren, wäre wunderbar, sei es auch ein Popanz. Wäre es ein Popanz, wäre es wunderbar. Aber ich sage Ihnen ganz, ganz nachhaltig: Ein bißchen Überblick über das, was in deutschen Bundesländern möglich ist, habe ich wirklich. Gehen Sie ganz sicher davon aus: Dies ist leider Gottes kein Popanz, sondern das ist Realität. Ich würde hier als Pharisäer stehen, würde ich mir nicht Gedanken darüber gemacht haben, wie wir den Vollzug verbessern können. Das ist mein Punkt.
Bei den Altstoffen, meine Damen und Herren, ist es dasselbe - um auf den zweiten zentralen Punkt zu sprechen zu kommen. Bei den Altstoffen steht nicht zur Diskussion, daß wir das machen müssen. Das steht im Gesetz. Die Frage ist vielmehr: Wie kriege ich den Sachverstand heran, um in der Vielzahl der Stoffe nach einem von mir vorgegebenen Prioritätenmuster diese auch wirklich überprüfen und abarbeiten zu können? Das ist der zentrale Punkt.
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich freue mich immer wieder, wenn man meint, meine Umweltpolitik oder die von der Bundesregierung betriebene Umweltpolitik reduziere sich auf Kooperation. Wer das glaubt, hat da noch nicht wirklich hingesehen. Wir sind natürlich nachhaltig der Überzeugung, daß wir die hoheitlichen Aufgaben durch hoheitliche Akte zu bewältigen haben, d. h. durch Gesetze und Verordnungen. Deswegen machen wir ja eine neue Störfallverordnung. Deswegen novellieren wir das Chemikaliengesetz.
({6})
- Das ist nicht eine Frage nach mehr Staat oder weniger Staat, sondern nach dem Staat an den Stellen, wo er sich aus der Verantwortung nicht zurückziehen kann.
({7})
Das ist für mich der zentrale Ansatzpunkt.
Meine Damen und Herren, deswegen ist für mich bei der Altstoffproblematik die Klammer gesetzt, innerhalb deren ich kooperieren kann und außerhalb deren nicht. Vor der Klammer steht - für mich nicht kooperationsfähig - die Auswahl der Stoffe, die Priorität. Dies haben wir zu machen. Das heißt: Nach welchen Gesichtspunkten werden welche Stoffe herangezogen? Hinter der Klammer steht, was ich zu entscheiden habe, etwa in Anwendung des § 17 des Chemikaliengesetzes, d. h. Deklarierung, andere Umgangsbeschränkungen bis hin zum Verbot. Aber innerhalb dieser Klammer, bei der Frage „Wie komme ich denn zu Stoffdaten, wie kann ich denn solche Dinge aufarbeiten?" brauche ich die Kooperation. Ich brauche die Kooperation mit der Wirtschaft, und ich brauche vor allen Dingen internationale Kooperation. Beides brauche ich.
Machen wir uns doch insofern das Leben nicht wechselseitig schwer, indem wir dem einen immer nur unterstellen, der mache nur Kooperation, und dem anderen, der mache immer nur alles Staat.
Wir können nicht anders, als daß wir uns fragen: Was kann ich in die Klammer der Kooperation hineinziehen, und was muß notwendigerweise davor und dahinter staatlich vollzogen werden?
Das ist meine Aufgabe. Ich habe mich ihr nicht entzogen. Ich kann Ihnen natürlich sagen, daß die Stoffe, die Sie in Ihrem Antrag vorgetragen haben, in besonderer Weise überprüfungsbedürftig sind.
Die 30er Stoffliste aus der UMK habe ich mit eingebracht, und die haben wir aufgearbeitet, haben sie in vier Teilbereiche unterteilt. Der wichtige Teilbereich vorne Penzapyren, Perchlorethylen usw. ist nicht mehr angekündigt, sondern ist bearbeitet. Alles dies - ich sage es noch einmal - ist für mich ein Thema, von dem wir sagen können und müssen, es geht entscheidend darum, daß wir diese Rahmengrößen jetzt fixieren, daß wir uns Gedanken darüber machen, wie es mit dem Vollzug aussieht, und daß wir alles daransetzen, um auch in der internationalen Abstimmung etwa mit der OECD eine vernünftige Weiterentwicklung zu bekommen.
Abschließend, meine Damen und Herren, mit Blick auf die knappe Zeit nur noch dies deutlich: Ich wäre heilfroh, wenn das, was mit der Pentachlorphenolverordnung gegenwärtig in der EG passiert, nicht wiederkäme. Es hilft mir im Augenblick überhaupt nicht, wenn in diesem Hohen Hause und wenn darüber hinaus von der Bundesregierung eine solche Verordnung gemacht wird, diese aber praktisch auf Eis liegt, weil die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft die Vorsorgepolitik, die wir für Pentachlorphenol konkretisiert machen, leider Gottes nicht so mittragen wollen. Dies sind die Einbindungen unserer Umweltpolitik auch im Stoffrecht.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
({8})
Bevor ich dem Abgeordneten Schäfer das Wort gebe, möchte ich das Haus darauf aufmerksam machen, daß nach unserer Geschäftslage die Gefahr besteht, daß die für 14 Uhr vorgesehene Fragestunde eher anfängt, als die Vormittagssitzung zu Ende ist. Das ist technisch nicht so ganz einfach zu lösen. Ich wäre daher auch dem Abgeordneten Schäfer außerordentlich dankbar, wenn er sich ein wenig beschränken würde.
Herr Abgeordneter, ohne in Ihre verfassungsmäßigen Rechte eingreifen zu wollen, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, der Respekt vor Ihnen gebietet mir, jetzt nicht zu sagen, was ich denke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Töpfer, eingangs zwei Bemerkungen zu Ihnen. Sie haben heute in Ihrer Rede vieles gesagt, dem wir zustimmen, beispielsweise, daß sich die Alternative nur Gesetz oder nur freiwillige Vereinbarung in der Wirklichkeit in der Umweltpolitik nicht stellt, daß die Feststellung, in unserem Antrag sei praktisch nur mehr Staat die Antwort auf die ökologische Herausforderung, tatsächlich nicht enthalten ist. Bei aller sachlichen Differenz in anderen Fragen möchte ich mich für Ihr Kompliment zu unserem Konzept einer umweltverträglichen und gesundheitsverträglichen Chemiepolitik bedanken.
({1})
Ich hoffe, daß der Verband der Chemischen Industrie Ihre Rede nachlesen wird, weil Sie nämlich ein Beispiel gegeben haben, wie man sich, auch wenn man in Einzelfragen anderer Meinung ist, sachlich und konstruktiv mit Vorschlägen einer anderen Partei, anderer umweltpolitischer Kräfte auseinandersetzt.
({2})
Ich gehe noch einen Schritt weiter. Ich gehe davon aus, daß das, was Sie hier ausgeführt haben, eine ernste Aussage war. Wenn Sie Ihren Worten tatsächlich auch Taten folgen lassen, wo Umweltschutz nicht nur auf dem Papier steht, sondern politische und gesellschaftliche Wirklichkeit werden wird, könnte die heutige Debatte ein Stück neuer umweltpolitischer Gemeinsamkeit darstellen.
({3})
Das sage ich im vollen Bewußtsein für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion.
Aber, Herr Minister - und da geht es um Ihre Verantwortung als Minister - : Wir können Sie nicht nur an Ihren Reden, nicht an Ihren Absichtserklärungen messen, wir müssen Sie auch an Ihrem Handeln, auch an Ihren Taten messen.
Da muß man heute ein Jahr nach Sandoz Bilanz machen. Blicken wir zurück: Am 13. November und 4. Dezember 1986 hat der Bundestag zweimal über Sandoz und die Folgen debattiert. Damals bestand fraktionsübergreifender Konsens: Es muß schnell und effektiv gehandelt werden.
({4})
Ihr Vorgänger hat ja am 4. Dezember 14 Maßnahmen angekündigt, die durchgesetzt werden müßten.
({5})
Die Störfallverordnung wollte er noch in der letzten Legislaturperiode durchsetzen.
({6})
Heute stellen wir fest: Anspruch und Wirklichkeit passen nicht zusammen. Von dem groß angekündigten Maßnahmenkatalog ist in der Substanz nichts verwirklicht. Dies ist die bittere, dies ist die nackte, dies ist die beschämende, die Umwelt belastende Wahrheit.
({7})
Jetzt nehme ich Ihren Zwischenruf, Kollege Laufs, auf.
({8})
Die Störfallverordnung ist nicht durchgesetzt.
({9})
Erstens. Der letzte Entwurf, der Anhang 1 und 2, stammt vom 14. Dezember 1986.
Schäfer ({10})
Zweitens. Es gibt keine Vorlage zur Neugestaltung des Umwelthaftungsrechts. Sie belassen es bei Ihren Ankündigungen.
Drittens. Die Verschärfung des Chemikaliengesetzes kommt nicht voran. Vor Sandoz haben Sie unseren Antrag auf Novellierung des Chemikaliengesetzes im Umweltausschuß abgelehnt, Sie von der CDU/CSU und Sie von der FDP.
({11})
- Fragen Sie mich, ob ich jetzt die Unwahrheit sage.
({12})
- Dann sage ich nein.
({13})
- Verzeihung, ich sage es noch einmal: Unseren Antrag vom März 1986 für eine umweit- und gesundheitsverträgliche Chemiepolitik
({14})
mit der Notwendigkeit, das Chemikaliengesetz zu novellieren, haben Sie im Ausschuß abgelehnt.
({15})
Die Politik der gläsernen Abflußrohre kommt nicht voran.
({16})
Sie wehren sich gegen das Umweltdatenauskunftsrecht. Allein, wenn Sie den Begriff der „ökologischen Informationsfreiheit" hören, kriegen Sie, Herr Laufs, Zustände. Ich will nur sagen: Anspruch und Wirklichkeit passen hier nicht zusammen.
Die Liste ließe sich weiter verlängern; ich muß jetzt einfach überblättern
({17})
und noch etwas aus der Liste der Versäumnisse sagen, was mich gewundert hat. Sie, Herr Kollege Laufs, und Sie, Herr Töpfer, haben sich darüber gewundert, wie heute der Kollege Reimann und der Kollege Müller unser Konzept zur Chemiepolitik dargelegt haben.
({18})
Ich kann mich nur wundern, daß Sie sich darüber gewundert haben. Für uns Sozialdemokraten steht fest: Die chemische Industrie ist ohne Alternative. Der Industriestandort Bundesrepublik Deutschland ist leistungsfähig. Nur - da besteht doch im Grundsatz Übereinstimmung - , er wird es auch in Zukunft nur sein können, wenn nicht nur die Ökonomie, sondern auch die Ökologie zu ihrem Recht kommt. Jede ökologische Investition sowohl zur Umweltvorsorge als auch zur Umweltsanierung, als auch zur Umweltreparatur ist immer auch ein Stück Zukunftssicherung für den Industriestandort Bundesrepublik Deutschland.
({19})
Unser Konzept, nein, unsere Umweltpolitik insgesamt, hat natürlich drei Impulse und drei Zielvorstellungen: Erstens geht es um die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen, womöglich um die Zurückgewinnung der Natur; das sind wir den nach uns kommenden Generationen schuldig.
Wir wollen zweitens die ökologische Erneuerung unserer Volskwirtschaft. Wir wollen die Chancen der modernen Industriegesellschaft nutzen, um Umweltschutz möglich zu machen.
({20})
Wir wollen umgekehrt drittens den Umweltschutz einsetzen, um die Industriegesellschaft zu modernisieren,
({21})
weil auf Dauer nur die ökologisch orientierte Industriegesellschaft eine zukunftsfähige und zukunftssichere Industriegesellschaft ist und weil nur die Arbeitsplätze auf Dauer sicher sind, die umweltverträglich sind. Deswegen bedingen sich letztlich Ökologie und Ökonomie. Es ist Aufgabe der Politik, das, was zusammengehören kann, nein, zusammengehören muß, nämlich Ökologie und Ökonomie, Arbeitsplätze und Umweltschutz, auch zusammenzuführen.
Wenn Sie sich unser Chemiekonzept und unseren Antrag von heute ansehen, dann kann man über Einzelheiten streiten; dazu sind wir bereit. Da ist man auch offen, sich notfalls neueren Einsichten zu beugen, wenn man überzeugt wird. Aber wenn Sie den Grundgedanken anschauen, wenn Sie die Leitidee verstehen, dann erkennen Sie, daß darin genau das zum Ausdruck kommt, was der Kollege Müller, der Kollege Reimann und auch ich hier eben versucht haben darzulegen.
({22})
- Weil es uns darum geht - ich wiederhole das für Sie, Herr Kollege Göhner; das ist der Leitgedanke -, auch dem Industriestandort Bundesrepublik Deutschland eine Zukunft zu geben, müssen wir die ökologische Erneuerung der Bundesrepublik Deutschland vorantreiben, der Umwelt zuliebe, den Arbeitsplätzen zuliebe und auch der Leistungsfähigkeit unserer Industriegesellschaft zuliebe. Dafür kämpfen wir.
Wir wären dankbar, Herr Bundesumweltminister Töpfer, Herr Baum, wenn wir nicht nur in Reden heute
- dankenswerterweise - , sondern auch in der Wirklichkeit Ihrer Politik erkennen könnten, daß Sie bereit sind, dazu einen Beitrag zu leisten.
Wir Sozialdemokraten werden uns jedenfalls, gleichgültig, wie manche Gruppierungen deswegen mit uns umspringen, nicht davon abbringen lassen, auf dem Weg fortzufahren, Umwelt und Industrie durch Zusammenführung von Ökologie und Ökonomie eine Zukunft zu geben.
Schäfer ({23})
Ich bedanke mich bei Ihnen fürs Zuhören und hoffe, Herr Präsident, daß Sie nun würdigen, daß es kürzer war, als Sie mir eingeräumt hatten.
({24})
Das ist in der Tat würdigenswert.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Segall.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorfälle bei Sandoz vor einem Jahr haben uns alle erschreckt. Wir versprachen zu handeln. Die Koalition hat gehandelt, und sie wird weiter handeln, um unsere Umwelt zu schützen.
Die sich hier heute bereits anbahnende Kooperation nehmen wir hoffnungsvoll zur Kenntnis. Vielleicht kommt es wieder dazu, daß die Opposition, wie es früher üblich war, als die CDU in der Opposition war, mitarbeitet und zustimmt, statt nur immer zu opponieren. Ich hoffe, es wird auch mit uns mal vorwärtsgehen.
Ich möchte mich nach den Ausführungen von Herrn Baum nur auf einige Details aus der Störfallverordnung beschränken, die eben leider nur bei uns und nicht in der Schweiz gilt.
Zu Recht wird bei der bisher bestehenden Störfallverordnung insbesondere die sogenannte Stoffliste bemängelt. Sie besteht bisher aus 145 Chemikalien, und es trifft zu, daß diese Liste erweitert werden muß. Im vorliegenden Referentenentwurf ist die Stoffliste auf 325 Positionen erweitert worden. Diese Erweiterung, mit der man der Toxizität neuer Stoffe Rechnung getragen hat, hat Konsequenzen.
Durch die Erweiterung der Stoffliste werden wesentlich mehr Anlagen in der chemischen Industrie von der Störfallverordnung betroffen als bisher. So werden jetzt auch Pflanzenschutz-, Schädlingsbekämpfungs- und Düngemittellager von der Störfallverordnung umfaßt.
Mir liegt nun daran, einen anderen Vorteil der Verordnung zu erwähnen, der nur vordergründig rein verwaltungstechnischer Art ist. Die Einhaltung von Pflichten, die man der Industrie von der Legislative her aufgibt, muß administrativ kontrolliert werden. Verwaltungsaufwand ist aber ein Kostenfaktor und belastet schon heute unsere Volkswirtschaft in unerträglichem Maße. Ich begrüße es daher ausdrücklich, daß in dem vorliegenden Referentenentwurf unabhängige Sachverständige mit den neuen Prüfaufträgen betraut werden. So unabhängig kann auch ein vor Kündigung geschütztes Betriebsratsmitglied nicht sein, Herr Reimann. Solange Übereinstimmung erzielt wird, gut; aber Sie haben selbst die Konfliktsituation geschildert. Ob dabei immer der Umweltschutz Sieger bliebe?
Ich bin also für unabhängige Sachverständige. Die Behörden haben so die Möglichkeit, sich in Genehmigungsverfahren dieses Sachverständigen zu bedienen. Die Kosten dafür trägt der Betreiber. Diese Kostentragungspflicht widerlegt ein wiederholtes Mal die Beschuldigung der Opposition an unsere Adresse, daß die Koalition den Umweltschutz stiefmütterlich zugunsten industrieller und wirtschaftlicher Belange behandle. Nicht nur die Störfallverordnung, sondern auch andere gesetzliche Vorhaben, auf die ich gleich eingehen werde, zeigen, wie falsch diese Behauptungen sind.
Nur, was uns von Ihnen unterscheidet, ist, daß wir versuchen, beide Ziele, ein ausreichendes Wirtschaftswachstum für genügend Arbeitsplätze und einen sorgsamen Umgang mit unserer Umwelt, in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander zu erreichen.
({0})
Dabei ist immer wieder zu beachten - darum werde ich auch nicht müde, es zu wiederholen -, daß ein umfassender Umweltschutz um so leichter und schneller durchgesetzt werden kann, je leistungsfähiger unsere Volkswirtschaft ist.
Selbst Jonas hat in seiner Dankrede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels auf die Frage, was gegen Umweltzerstörung geschehen kann, ohne ökonomisches Unheil wie z. B. Massenarbeitslosigkeit anzurichten, gesagt:
Hier einen gangbaren Weg zwischen zwei Abgründen zu finden, ist eine Aufgabe für Nationalökonomen.
Ich fühle mich verpflichtet, diese Aufgabe politisch wahrzunehmen.
Nun zu einem anderen gesetzlichen Vorhaben der Koalition, das die Industrie ebenfalls dazu veranlassen wird, noch mehr als bisher Umweltbelange zu berücksichtigen. Gemeint ist das Umwelthaftungsrecht, zu dem ich hier abschließend einige Bemerkungen machen möchte.
Vielen von Ihnen dürfte bekannt sein, daß sich die Problematik der Haftungsregelung bei Umweltschäden immer mehr als eine versicherungstechnische Frage darstellt. Die Versicherer stehen der Versicherungspflicht ausgesprochen skeptisch gegenüber. Sie sind der Ansicht, daß das zu erwartende Schadensrisiko unkalkulierbar und damit unversicherbar sei bzw. nur durch extrem hohe Prämien gedeckt werden könne.
Diese Argumente vermögen mich nicht zu überzeugen. Wie wenig stichhaltig sie sind, zeigen folgende Überlegungen. Da ist zum einen der Einwand des unabdeckbaren Risikos. Konkret heißt das: Die Summen, die im Versicherungsfall zu zahlen sind, könnten mit tragbaren Prämien nicht bestritten werden.
Dieses Problem kennt die Versicherungswirtschaft aber auch aus anderen Bereichen. Reicht eine Dekkungssumme nicht aus, so greift man in solchen Fällen auf einen aus den Beiträgen gebildeten Versicherungsfonds zurück.
Ein anderes Argument der Versicherungswirtschaft geht dahin, daß die Umweltmoral leiden würde, wenn eine Versicherung besteht. Umweltbelastungen würden eher in Kauf genommen werden, wenn man gegen Schäden versichert ist.
Einem solchen Versanden der Umweltmoral könnte man aber mit einem bewährten System entgegenwirken: Die Berufsgenossenschaften zum Beispiel stufen
zu versichernde Betriebe entsprechend ihres sicherheitstechnischen Standards ein. Hat ein Betrieb optimale Sicherheitsvorkehrungen getroffen, wird er entsprechend niedrig eingestuft. Umgekehrt wird ein Betrieb , der Sicherheitsvorkehrungen vernachlässigt, hoch eingestuft.
Dieses sogenannte risikoabhängige Tarifsystem hat sich bewährt, bietet es doch entscheidende Vorteile: Zum einen hat der Versicherte die Prämienhöhe selbst in der Hand, zum anderen führen erhöhte Sicherheitsstandards zur Verhinderung von Schadensfällen, wodurch das Risiko für die Versicherer kalkulierbar und versicherbar wird. Auf diesem Wege kann Schadensfällen zusätzlich vorgebeugt- werden, und zwar ohne den Staat mit zusätzlichen Verwaltungsaufgaben zu belasten. Denn nicht staatliche Stellen kontrollieren bei dieser rechtlichen Konstruktion das Einhalten der Sicherheitsanforderungen, sondern die Versicherer. Deren wirtschaftliches Eigeninteresse wird dazu führen, eigenes Fachpersonal bereitzustellen, das die Sicherheitsanlagen der Betriebe optimal kontrollieren kann.
Sie sehen, meine Damen und Herren von der Opposition, es geht auch ohne den von Ihnen ständig geschwungenen Knüppel der Verbote. Dringend appelliere ich an SPD und GRÜNE, die Chancen für unsere Umwelt zu erkennen, die in einer Kooperation mit der Industrie liegen.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedrich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nicht Dinge wiederholen, die hier schon gesagt worden sind, und will mich zunächst an die Kollegin Garbe wenden. Ich habe mir nach Ihrer Rede fest vorgenommen, einmal zu notieren, welche Todesarten und Todesursachen Sie bei Ihren Reden uns hier beschreiben. Frau Kollegin Garbe, Sie müssen bei Ihren Übertreibungen ein bißchen aufpassen. Zum Schluß sind Sie so weit, daß alleine Ihre Existenz Ihre Übertreibungen widerlegt. Es ist doch wirklich erstaunlich, wie gesund Sie aus diesen Giftkriegen, aus den sitzungsfreien Wochen immer wieder zurückkommen.
({0})
Ich freue mich, daß sich die SPD heute von diesem Katastrophengerede abgesetzt hat.
({1})
- Ich komme noch auf Ihre Rede zurück. Ich fand sie sehr konstruktiv. Die Probleme der chemischen Industrie sind hier an diesem Pult schon zuverlässig und richtig beschrieben worden.
({2})
Ich habe Ihre Presseerklärung vom August gelesen,
Herr Kollege Schäfer. Eine Politik des Vergessens im
Zusammenhang mit den Vorfällen am Rhein wird es nicht geben.
({3})
Reden Sie bitte nicht nur über unsere Politik, sondern lesen Sie einmal die Koalitionsvereinbarung nach! Das ist allerdings ein Programm für vier Jahre, nicht nur für ein Jahr. Zum zeitlichen Aspekt werde ich nachher noch etwas sagen.
Die andere Seite verschweigt vor allem die Kollegin der GRÜNEN. Das habe ich schon angedeutet. Ich will im Detail nicht darauf eingehen. Eines möchte ich aber sagen: Unabhängig von dem Problem der Säuglingssterblichkeit hat sich die Lebenserwartung der Erwachsenen, seit es Chemie gibt, könnte man fast sagen, bei den Männern um 34 % und bei den Frauen um 45 % verlängert.
({4})
Das wäre ohne die Chemie der Arzneimittelindustrie nicht möglich gewesen. Wir könnten hier Beispiel an Beispiel reihen.
({5})
- Ich will es kurz machen, Herr Kollege. Deshalb bitte ich damm, daß ich in den paar Minuten, die ich zur Verfügung habe, das vortragen kann, was ich mir vorgenommen habe.
Ich möchte kurz auf die Belastungen eingehen. Zwei Drittel der chemischen Belastungen, die auf uns zukommen, nehmen wir über Nahrungsmittel zu uns. Wir müssen einmal nachlesen, wodurch wir uns überwiegend gefährden. Wissenschaftliche Untersuchungen besagen, wir gefährden uns überwiegend durch unser Ernährungsverhalten selbst. Die Umweltkontaminanten und die Zusatzstoffe in den Nahrungsmitteln stehen erst an vierter und fünfter Stelle der Risikofaktoren.
Wenn man die chemische Industrie mit all ihren Konsequenzen realistisch beschreibt - das haben heute die Kollegen der SPD auch weitgehend getan - , dann kann man nicht nach dem Motto handeln: so schnell wie möglich so viel wie möglich verbieten.
({6})
Ich fürchte - darüber müssen wir im Ausschuß reden - , daß Ihr Antrag im Ergebnis nach diesem Motto formuliert ist.
({7})
Da gibt es eine Divergenz. Die sollten wir im Ausschuß einmal näher beleuchten. Nach Ihren Reden müßten wir heute gemeinsam feststellen können, daß die chemische Industrie nach den Bilanzen, die wir kennen, eine Reihe von Umweltauflagen verkraften kann. Wir könnten aber auch gemeinsam feststellen, daß wir nicht unbedingt eine neue Krisenindustrie durch Gesetze herbeiführen sollten, daß wir darauf verzichten sollten, eine neue Industrie mit Subventionsbedarf und Arbeitsplatzabbau zu schaffen.
Ich will auf das Problem der Ungeduld bei der SPD eingehen. Ich verstehe, daß das ein natürlicher Zustand eines Oppositionspolitikers ist.
({8})
Bei den hier schon erwähnten hunderttausend chemischen Stoffen, Herr Kollege, bei den noch viel mehr Verbindungen ist es unmöglich, in einem kurzen Zeitraum eine Bewertung herbeizuführen. Sie müßten doch eigentlich wissen, daß das ein Programm für mehrere Jahre ist.
({9})
Was können wir in diesem Zusammenhang dazu beitragen? Ich warne Sie vor dem Glauben, daß schnelle Gesetzesänderungen, überhastete Gesetzesänderungen den Prozeß der Prüfung beschleunigen.
({10})
Ich will Ihnen aus meiner Erfahrung als Verwaltungsbeamter einmal sagen, was passiert, wenn ein Gesetz geändert wird.
({11})
Es gibt eine Denkpause, Herr Kollege Schäfer. Die warten auf neue Verwaltungsvorschriften, auf neue Kommentare, die schreiben an ihren neuen Formblättern. Jede grundlegende Änderung bedeutet eine Denkpause. Wir sollten nicht zu viele solcher Denkpausen beim Vollzug durch zu viele Gesetzesänderungen herbeiführen.
({12})
Weniger ist da manchmal mehr.
Herr Präsident, ich sehe die Lampe brennen. Ich komme zum Schluß.
Ich glaube, wir sollten nicht der Gefahr anheimfallen,
({13})
zu meinen, daß perfekte Gesetze automatisch einen perfekten Gesetzesvollzug sicherstellen. Ich verspreche mir viel mehr von einer Verstärkung der Eigenverantwortung der Unternehmen. Hier wollen wir nicht nach dem Prinzip Hoffnung verfahren, sondern wir wollen etwas nachhelfen.
In diesem Zusammenhang kann ich mich der Kollegin von der FDP, die das Haftungsrecht erwähnt hat, anschließen. Das Haftungsrecht ist ein Mittel dazu, das Eigeninteresse der chemischen Industrie an der Störfallvermeidung zu stärken, und das ist wahrscheinlich wirkungsvoller als eine scheinbar perfekte Kontrolle.
Ich bedanke mich.
({14})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Antrag der Fraktion der SPD sowie den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN an die in der Tagesordnung vorgesehenen Ausschüsse zu überweisen. - Ich sehe, das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir haben noch etliche Abstimmungen vor uns, und ich bitte Sie um ein bißchen Geduld, damit wir die noch durchführen können.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Erdölbevorratungsgesetzes
- Drucksache 11/605 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({0})
- Drucksache 11/960 Berichterstatter: Abgeordneter Beckmann ({1})
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung auf. Wer diesen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Vorschriften sind bei einigen Enthaltungen angenommen.
Wir kommen damit zur
dritten Beratung
und zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das Gesetz ist bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe die Punkte 6, 7, 8, 9, 19 und den Zusatzpunkt 3 der Tagesordnung auf:
6. Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes fiber das Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 11/73 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß ({2})
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
7. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERPSondervermögens für das Jahr 1988 ({3})
- Drucksache 11/1000 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({4}) Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß
8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Sozialgesetzbuches über die Übertragung, Verpfändung und
Vizepräsident Cronenberg
Pfändung von Ansprüchen auf Sozialleistungen, zur Regelung der Verwendung der Versicherungsnummer und zur Änderung anderer Vorschriften ({5})
- Drucksache 11/1004 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({6}) Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
9. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes ({7})
- Drucksache 11/389 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
19. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 14. November 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada über Soziale Sicherheit und der Vereinbarung zur Durchführung des Abkommens sowie zu der Vereinbarung vom 14. Mai 1987 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Quebec über Soziale Sicherheit und der Durchführungsvereinbarung hierzu
- Drucksache 11/1001 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Zusatzpunkt 3
Erste Beratung des von dem Abgeordneten Hüser und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern
- Drucksache 11/1038 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({8})
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Gesetzentwürfe an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Machen Sie andere Vorschläge? - Nicht; dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Beratung der Übersicht 4 des Rechtsausschusses ({9}) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 11/904 - Auch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen.
Der Rechtsausschuß empfiehlt, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt vor dem Bundesverfassungsgericht abzusehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Dies ist offensichtlich der Fall. Damit ist es so beschlossen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({10}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1987 bei Kapitel 10 02 Titel 652 06 ({11})
- Drucksachen 11/315, 11/928 Berichterstatter:
Abgeordnete Schmitz ({12}) Dr. Struck
Frau Vennegerts
Auch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Bei einigen Enthaltungen ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen
Einwilligung in die Veräußerung eines bundeseigenen Grundstücks in Stuttgart-Feuerbach gemäß § 64 Abs. 2 BHO
- Drucksache 11/903 -
Überweisungsvorschlag des Ältenstenrates: Haushaltsausschuß
Eine Aussprache ist auch hier nicht vorgesehen.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Antrag zur Veräußerung eines bundeseigenen Grundstücks an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Sind Sie mit dieser Überweisung einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Damit ist die Überweisung beschlossen.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 25 des Petitionsausschusses ({13}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 11/965 -
b) Beratung der Sammelübersicht 26 des Petitionsausschusses ({14}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 11/966 Eine Aussprache ist hier ebenfalls nicht vorgesehen.
Wer stimmt den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen sind die Beschlußempfehlungen angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 4 der Tagesordnung auf:
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({15}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
- Drucksachen 11/138 Nr. 3.145, 11/1088 2408
Vizepräsident Cronenberg
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Kontrolle und Überprüfung des organisatorischen Ablaufs und der Bedingungen, unter denen Laboruntersuchungen zur außerklinischen Prüfung von Chemikalien geplant, durchgeführt, aufgezeichnet und gemeldet werden ({16}) - KOM ({17}) 608 endg. - Rats-Dok. Nr. 11718/86 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Hoffacker
Auch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses? ({18})
- Ich sehe, alle sind dafür. Dann erübrigt es sich, nach Gegenstimmen und Stimmenthaltungen zu fragen. Ich darf also feststellen, daß diese Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit einstimmig verabschiedet worden ist.
Meine Damen und Herren, bevor ich die Sitzung unterbreche, möchte ich Sie über folgendes unterrichten. Die Fragestunde wird nicht die volle Zeit in Anspruch nehmen. Da aber bei der Fortsetzung der Tagesordnung zu Beginn einige streitige Abstimmungen zu erwarten sind, werden wir nicht sofort nach der Fragestunde mit der Abwicklung der Tagesordnung fortfahren, sondern die Sitzung bis 15.30 Uhr unterbrechen. Um 15.30 Uhr werden wir dann mit der normalen Tagesordnung fortfahren.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr.
({19})
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Wir fahren fort in der Behandlung des Tagesordnungspunktes 1:
Fragestunde
- Drucksache 11/1033 Für die Fragestunde liegen noch 15 Fragen vor.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Probst zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch auf. - Nicht anwesend. Da haben wir Pech. Es wird so verfahren, wie es in der Geschäftsordnung vorgesehen ist.
Ich rufe die Frage 55 des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch auf. - Hiermit wird ebenso verfahren.
Ich rufe die Frage 56 des Herrn Abgeordneten Fischer ({0}) auf:
Ist dem Bundesminister für Forschung und Technologie unbekannt gewesen, daß das Schweizer Ingenieurunternehmen, das das Gutachten zum forschungspolitischen Nutzen des SNR 300 in Kalkar erstellt hat, in vielfacher Weise direkt und indirekt an Kernkraftwerken beteiligt ist und sogar bei einzelnen Projekten mit dem Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk, dem Betreiber des umstrittenen Schnellen Brüters in Kalkar, zusammenarbeitet?
Herr Kollege Fischer, Ihre Frage 56 beantworte ich wie folgt: Die vom Bundesminister für Forschung und Technologie beauftragte Motor Columbus Ingenieur-Unternehmung AG, kurz MC genannt, ist selber nicht, wie in der Frage unterstellt, Anteilseigner an einer der genannten Gesellschaften bzw. Anlagen, sondern die Motor Columbus AG, die Muttergesellschaft der Motor Columbus Ingenieur-Unternehmung AG.
Der Gutachter ist verpflichtet, sachlich, objektiv und unabhängig seine Aufträge durchzuführen und zu vertreten. Dies hat er verschiedentlich unter Beweis gestellt.
Für den Bundesminister für Forschung und Technologie waren für die Vergabe des Gutachtens maßgeblich: erstens die Qualifikation der Gutachter, zweitens die Unabhängigkeit von den Unternehmen, die am Projekt des SNR 300 und am europäischen Brüterprogramm beteiligt sind, und drittens ausreichende Kapazität des Auftragnehmers, um zügig das umfangreiche Material kritisch aufarbeiten und sachkundig bewerten zu können. Diese Voraussetzungen erfüllte Motor Columbus. Außerdem kennt Motor Columbus das Projekt bereits durch eine 1982 für das BMFT erarbeitete Studie über die Ursachen für Mehrkosten und Verzögerungen. Schließlich war Motor Columbus als unabhängiger Gutachter für verschiedene Genehmigungsbehörden im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren für Kernkraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland tätig. Einen Auftrag im Zusammenhang mit dem Kernkraftwerk der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke hatte die Motor Columbus Ingenieur-Unternehmung AG lange vor dem Gutachten abgewickelt.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich hätte gern gewußt, wie das Gutachten vergeben worden ist. Hat es da eine öffentliche Ausschreibung gegeben?
Es wurde vor der Vergabe dieses Gutachtens öffentlich bekanntgemacht, daß dieses Gutachten an die Motor Columbus Ingenieur-Unternehmung AG vergeben werden sollte. Das war öffentlich gemacht, und zwar lange vor der Vergabe. Es hat keinerlei Kritik gegenüber diesem Vorhaben gegeben.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage. Bitte sehr.
Meine Frage ist nicht beantwortet. Ich wollte fragen und habe es auch getan - nur haben Sie nicht geantwortet - , ob es eine öffentliche Ausschreibung gegeben hat. Ich wollte nicht wissen, ob öffentlich mitgeteilt worden ist, daß Motor Columbus den Auftrag bekommt.
Da es sich bei diesem Unternehmen ja nicht um ein normales, sozusagen alltägliches Vorhaben handelt,
({0})
ist es normalerweise nicht möglich, in so einem Fall eine Ausschreibung beliebiger Art zu machen, sondern man muß sich auf jemanden konzentrieren, der dieses Problem lösen kann. Ich habe Ihnen die Gründe genannt, die den BMFT veranlaßt haben, diese Firma zu nehmen. Ich darf Sie nur darauf hinweisen, daß die früher auch von Ihrer Seite nicht umstritten war. Denn auch Herr von Bülow hat diese Firma, die sehr renommiert, sehr sachkundig, kompetent ist, für ein Gutachten zu der Frage der Finanzierung des Schnellen Brüters und der Überschreitung der Margen genommen.
Die erste Zusatzfrage ist hier akustisch anscheinend nicht voll verstanden worden, so daß ich sie nicht als Zusatzfrage anrechne. So haben Sie noch eine Zusatzfrage.
Schönen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, können Sie uns hier vielleicht einmal klarmachen, warum zum ersten Mal - jedenfalls soweit ich das weiß - bei der Vergabe eines Gutachtens betont wird, daß ein Gutachten von unabhängiger Stelle erstellt werden soll? Heißt dies, daß also die Gutachten vorher von abhängigen Stellen erstellt worden sind,
({0}) oder heißt das etwas anderes?
Es ist ja der Vorwurf gemacht worden, daß diese Firma möglicherweise nicht unabhängig sei,
({0})
weil die Mutter - auch über Elektrizitätsfirmen - am Kernkraftwerksgeschäft beteiligt sei. So war es wichtig, das zu betonen. Aber Gutachten sind ihrer Natur nach unabhängig.
({1})
Jeder Minister muß die Voraussetzung dafür schaffen, daß eine Gruppierung gefunden wird, die Gutachten unparteiisch und unabhängig erstellt.
Ich sehe, Herr Abgeordneter Hirsch, Sie sind im Saal. Es scheint so, als ob ich Sie beim Aufruf Ihrer Fragen übersehen habe. Ich werde also Ihre Fragen dann im Anschluß noch aufrufen.
({0})
Jetzt zu einer Zusatzfrage Frau Abgeordnete Ganseforth.
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben gesagt, daß die Qualifikation und die fachlichen Leistungen dieses Unternehmens dazu geführt haben, daß es den Auftrag gekriegt hat. Würden Sie diese Einschätzung nach dem Vortrag gestern im Ausschuß für Forschung und Technologie und nach Vorlage des Gutachtens noch teilen?
In vollem Umfang.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 57 des Herrn Abgeordneten Fischer ({0}) auf:
Ist der Bundesminister für Forschung und Technologie bereit zuzugeben, daß wegen einer solchen Interessenverquickung die den Schnellen Brüter befürwortenden Ergebnisse nicht überraschen können und keine zulässige Aussage über den wirtschaftlichen sowie wissenschaftlichen Nutzen des Schnellen Brüters erlauben, und ist der Bundesminister außerdem bereit, die Öffentlichkeit über die Kosten dieser Studie zu informieren?
Herr Kollege, Ihre Frage 57 beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung hat in der vorgenannten Minderheitsbeteiligung der Muttergesellschaft des Gutachters an einigen Kernkraftwerksgesellschaften in der Schweiz keine Beeinträchtigung seines fachkundigen, objektiven oder kritischen Urteilsvermögens sehen können. Die in der Frage konstruierte Interessenverquickung muß schon im berechtigten Interesse des weltweit anerkannten Rufs der beauftragten Firma zurückgewiesen werden. Da Kritikpunkte in der Sache selbst zu dem Gutachten nicht vorgebracht werden, unterstellt die Bundesregierung insoweit Zustimmung zu den Feststellungen und Empfehlungen.
Das gemäß einem Wunsch aus der FDP erstellte Gutachten hat, wie in der Presse schon mehrfach dargestellt, rund 660 000 Deutsche Mark gekostet.
Weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, wie können Sie sich denn die Tatsache erklären, daß die Gutachter in ihrer Expertise von dem Begriff „GAU", größter anzunehmender Unfall, abgegangen sind und von einer „nuklearen Exkursion" gesprochen haben?
Herr Kollege Fischer, das Thema des Gutachtens - und Sie wissen es aus der gestrigen Ausschußsitzung genau - waren ja nicht die Sicherheitsüberprüfung und die Sicherheitsrelevanz - gleichwohl ist in einigen Bereichen des Gutachtens darauf Bezug genommen - , sondern es ging um die Frage des forschungspolitischen Nutzens dieses Schnellen Brutreaktors. Nur das stand zur Debatte.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie - ich nehme Bezug auf das, was meine Kollegin Ganseforth vorhin gesagt hat - auf Grund der Erfahrungen, die wir bei der Vorstellung von Herrn Daglio, bei seiner Präsentation gestern gemeinsam gemacht haben, nicht bestätigen, daß das nichts anderes als eine billige Staatsexamensarbeit war?
Herr Abgeordneter, Sie müssen schon den Versuch unternehmen, eine Frage zu stellen.
Ja. - Können Sie auf Grund der Tatsache, daß Sie das Gutachten an Motor
Fischer ({0})
Columbus vergeben haben, und an Hand der Bewertung der Ergebnisse, die uns vorgelegt worden sind, sowie auf Grund der Arbeitsmethoden, die präsentiert worden sind, noch einen Sinn darin sehen, daß eine billige Staatsexamensarbeit mit 660 000 DM belohnt wird, und hätten dies nicht hochbezahlte Beamte im BMFT in dieser Form erledigen können?
Ich finde, daß dieses Gutachten eine ausgezeichnete Arbeit ist. Das kommt auch darin zum Ausdruck, daß Sie nur formal Kritik üben, aber keine inhaltliche Kritik vornehmen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Duve.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie hier soeben so eine familienpolitische Unbedenklichkeit für die weltweiten Verflechtungen dieser Schweizer Firma abgegeben haben: Halten Sie es nicht für sehr problematisch, daß Sie hier im Deutschen Bundestag noch dazu eine Art Public-Relations-Ehrenerklärung für die Bonität der Produkte dieser Firma abgeben, wie Sie es in der Antwort auf die vorvorletzte Frage von Herrn Fischer getan haben?
Es ist meine Pflicht, diese Firma dann in Schutz zu nehmen, wenn sie unbegründet angegriffen wird. Sachliche Kritik gibt es nicht.
({0})
- Die Firma hat einen weltweiten Ruf. Vielleicht kennen Sie die Firma nicht.
({1})
Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ich möchte eine inhaltliche Frage stellen, die Sie bis jetzt anscheinend vermißt haben: Wie beurteilen Sie die Tatsache, daß die Gutachter nur Gespräche mit Experten - von Japan bis Europa - geführt haben, die für die Einführung und Forcierung der Kernenergie sind, und daß nicht ein einziger Experte, Wissenschaftler dabei war, der der Kernenergie kritisch gegenübersteht? Wie beurteilen Sie dieses Vorgehen der Firma bei der Erstellung des Gutachtens?
Die Firma hat sich an den Auftrag des Gutachtens gehalten, nämlich die Bewertung des wissenschaftlichen Nutzens der Entwicklung und der Inbetriebnahme des Schnellen Brüters vorzunehmen. Das war ihre Aufgabe.
({0})
Entschuldigung, Frau Kollegin, es geht nicht.
({0})
- Nein, es geht mit Sicherheit nicht, und wenn Sie länger bei uns sind, dann werden Sie sehen, daß Sie zu der Überzeugung kommen, daß die Ordnung gar nicht so schlecht ist.
Ich rufe jetzt - wie bereits angekündigt - noch die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Hirsch auf:
War der Bundesregierung bei Erteilung ihres Gutachtenauftrages hinsichtlich des Schnellen Brüters Kalkar an die Firma Motor Columbus Ingenieuruntemehmungs AG bekannt, daß diese Firma Hauptaktionär der schweizerisch-amerikanischen Elektrizitätsgesellschaft und daß sie an der Schweizer Aare-Tessin-AG mit 45 v. H. beteiligt und damit mittelbare Eignerin von zwei in der Schweiz gelegenen Atomkraftwerken ist?
Herr Kollege Hirsch, Ihre Frage 54 beantworte ich ebenso wie die Frage 56 des Herrn Kollegen Fischer; die Fragen sind ja identisch.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wenn Sie, wie ich Ihrer Beantwortung entnehme, bei Erteilung des Gutachtens bereits über die von Ihnen bestätigten wirtschaftlichen Verflechtungen des Gutachters mit der Energie- und Atomindustrie informiert waren: Was haben Sie denn dann getan, um einen Gutachter zu finden, der über diese unangenehmen Verflechtungen nicht verfügt, der wirklich den Ruf der Unabhängigkeit verdient? Welche Entscheidungsprozesse haben Sie denn gewählt, um solche Verflechtungen nach Möglichkeit zu vermeiden?
Herr Kollege, Sie unterstellen, daß es hier eine Verflechtung gibt. Diese Verflechtung gibt es nicht. Das Unternehmen ist bisher in keine europäische Aktivität der Schneller-Brüter-Technologie involviert und deshalb in dem Bereich sowohl gegenüber Deutschland als auch der europäischen Brütertechnologie gegenüber unabhängig. Das war der Grund, warum sie genommen wurde; und natürlich, weil sie auch Sachkenntnis hat. Es ist bei derartigen Gutachten immer eine Frage, daß wir Sachkenntnis brauchen, aber jede Sachkenntnis ist dann natürlich auch beruflich oder fachlich in so eine Thematik verwoben. Das liegt in der Natur der Sache. Das heißt, Sie werden in dem Sinne unabhängige Gutachter nur dann finden, wenn diese Leute gar nichts von der Materie verstehen, und dann sind sie aber auch wieder nicht unabhängig.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, auf Grund Ihrer Antwort feststellend, daß Sie über den Entscheidungsprozeß, den Sie zur Auswahl dieses Gutachters gewählt haben, auch auf meine Frage nichts sagen,
({0})
und in Ansehung der Tatsache, daß die in meiner Anfrage dargestellten Verflechtungen von Ihnen nicht ernsthaft bestritten werden,
({1})
möchte ich Sie fragen, warum Sie diese unbestreitbaren Verflechtungen bei der Auftragserteilung oder dann, als Sie das Gutachten der Öffentlichkeit vorgestellt haben, nicht dargestellt haben, um der ÖffentDr. Hirsch
lichkeit eine wirkliche Bewertung des Gutachtens zu ermöglichen?
Motor Columbus ist eine weltweit wirkende Firma, die viele Aufträge abwickelt und die auch den Abgeordneten des Deutschen Bundestages wie der Bundesregierung und der deutschen Öffentlichkeit bekannt ist, weil sie vielfältigste Gutachten für die Bundesregierung und auch sonst in Deutschland abgewickelt hat. Es wäre fast so, als wenn man die Firma Siemens mit ihren Aktivitäten extra vorstellen müßte, wenn sie einen Auftrag des Bundes bekommt.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Ganseforth.
Herr Staatssekretär, wenn die Verflechtungen der Mutterfirma nicht dazu führen, daß die Gutachterfirma einseitig ist, dann möchte ich die Frage, die ich vorhin nicht beantwortet bekommen habe, noch einmal stellen: Wie erklären Sie es sich, daß diese Gutachterfirma nur Befürworter der Atomenergie gefragt hat, und zwar auch unter dem Aspekt des forschungspolitischen Interesses an der Einführung des Schnellen Brüters? Auch bei der Fragestellung wäre es für eine Firma oder einen Gutachter, die wirklich neutral gewesen wären, nötig, auch Wissenschaftler, Fachleute zu fragen, die der Kernenergie kritisch gegenüberstehen. Wie erklären Sie es sich, daß die Firma das unterlassen hat?
Frau Kollegin, die Firma hat den Sachverstand, den es weltweit zur Frage des wissenschaftlichen Nutzens der Kernenergie gibt, abgefragt. Ich habe bisher keinerlei Hinweise, wer von der Firma noch hätte eingeladen, welche Literatur noch hätte studiert werden sollen, die die Firma nicht studiert hätte.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lippelt.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie soeben darauf abgehoben haben, daß die Firma nicht speziell mit Brütertechnologie befaßt ist, darf ich davon ausgehen, daß Ihnen bekannt ist, daß das Problem der Atomindustrie zur Zeit darin besteht, den Brennstoffzyklus zu schließen, und stimmen Sie mir zu, daß darin die Brütertechnologie eine große Rolle spielt, daß also eine Firma, die an dem Gesamtproblem der Atomtechnolgie interessiert ist, sehr wohl auch an diesem Punkt befangen sein könnte?
Herr Abgeordneter, wir können natürlich nicht den Inhalt des Gutachtens hier diskutieren. Dazu gibt es Aktuelle Stunden und andere Möglichkeiten in der Geschäftsordnung. Es ging hier um die ordnungsgemäße Vergabe.
({0})
Ich kann Ihnen das nicht bestätigen, Herr Kollege.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Vollmer.
Herr Staatssekretär, da Sie die Firma so gut kennen und sich auch so lobend über sie äußern, frage ich Sie: Waren Sie persönlich auch an der Entscheidung beteiligt oder geht diese auf Sie zurück, dieser Firma den Auftrag zu erteilen?
Nein.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fischer ({0}).
Ich wollte nicht wissen, ob er selbst beteiligt war, sondern ich wollte generell wissen, wer im BMFT überhaupt den Sachverstand hat, die Kompetenz von Motor Columbus zu überprüfen? Und wer war es? War es der Minister, war es einer der Staatssekretäre oder ein Abteilungsleiter?
Der Sachverstand im Ministerium wurde selbstverständlich genutzt. Unsere Abteilung 3 ist dafür zuständig, selbstverständlich auch die Rechtsabteilung. Vergeben hat es der Minister.
({0})
- Nein.
Ich rufe die Frage 55 des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Hat die Firma Motor Columbus Ingenieurunternehmungs AG bei ihrem Gutachten berücksichtigt, daß Frankreich den dortigen Schnellen Brüter, der seit vielen Monaten an einer nicht bewältigten Natrium-Leckage leidet, voraussichtlich stillegen wird, und welche technologischen und wirtschaftlichen Folgen sieht das Ingenieurbüro für Frankreich als Folge dieser Entscheidung voraus?
Herr Kollege Hirsch, die Motor Columbus Ingenieurunternehmung hat vom dem Leck im natriumgekühlten Brennelementlager des Super-Phénix selbstverständlich Kenntnis gehabt. Motor Columbus sah aber in diesem kleinen, sicherlich reparierbaren Leck keinen Grund oder Anlaß, die gesamte Entwicklungslinie der Schnellbrütertechnik in Gefahr zu sehen. Technische Probleme dieser oder ähnlicher Art treten bei allen Entwicklungen auf, weshalb ja auch die Entwicklung neuer Anlagentypen über verschiedene Entwicklungsstufen von Versuchsanlagen, über Prototypanlagen zu Demonstrationsanlagen erfolgt, bevor man kommerzielle Anlagen realisiert. Ob und gegebenenfalls wie lange das Kraftwerk Super-Phénix bei einer Reparatur dieses Lecks abgeschaltet wird, wird zur Zeit von den zuständigen französischen Institutionen geprüft. Absichten zur Stillegung sind uns nicht bekannt.
Zusatzfrage bitte.
Herr Staatssekretär, da die Sicherheitsfragen gerade bei der Technologie des Schnellen Brüters von außerordentlicher Bedeutung sind und
angesichts der Tatsache, daß nun bei dem in Europa in Betrieb befindlichen Schnellen Brüter Super-Phénix aktuelle Sicherheitsfragen aufgetreten sind: Worauf führen Sie es eigentlich zurück, daß dieser famose Gutachter über Sicherheitsfragen in seinem Gutachten außer wenigen Platitüden nichts ausführt?
Das hat verschiedene Gründe. Ich nannte sie bereits. Das eine war die Themenstellung; das andere war die eingehende Prüfung in der damaligen Enquete-Kommission „zukünftige Kernenergiepolitik" , die diese Fragen alle aufgelistet hat. Sodann ist der entscheidende Sicherheitsprüfungsteil im Genehmigungsverfahren des Brüters gegeben, d. h. alle Sicherheitsfragen sind entweder umfangreich voruntersucht oder, soweit es noch technische Probleme bei der Errichtung gibt, im Genehmigungsverfahren involviert.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß man die Frage, in welchem Verhältnis ein forschungspolitischer Nutzen zu dem inhärenten Sicherheitsrisiko steht - beides muß sich ja in einer vernünftigen Relation befinden - , durch, wie Sie sagten, die Aufgabenstellung des Gutachtens aus dieser Abschätzung bewußt ausgeklammert hat?
Deshalb, weil die Darstellung der Sicherheit des Reaktors die Voraussetzung für seine Inbetriebnahme ist. Herr Hirsch, das muß ich Ihnen doch nicht extra sagen. Sie wissen es doch.
({0})
- Die Voraussetzung dafür, daß der Reaktor in Betrieb genommen werden kann, ist die sicherheitspolitische Unbedenklichkeit. Sonst würde kein Reaktor, selbstverständlich auch nicht ein Forschungsreaktor wie der Schnelle Brüter, in Betrieb genommen werden.
({1})
- Die ist dargestellt. ({2})
- Sie müssen das Gutachten lesen, ich würde Ihnen das sehr empfehlen.
({3})
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fischer ({0}).
Herr Staatssekretär, es ist sehr interessant, daß Sie uns solche Ratschläge geben, das Gutachten zu lesen. Selbst Herr Daglio von Columbus hat gestern gesagt, er habe nicht den Auftrag gehabt, sicherheitstechnische Untersuchungen vorzunehmen. Er hat sich aber über anderthalb Seiten über die sicherheitstechnische Funktionsfähigkeit geäußert und hat ein hundertprozentiges Fazit gegeben. Deshalb stelle ich jetzt die Frage -
Herr Abgeordneter, ich habe den Eindruck, Sie haben das Bedürfnis, das hier noch weiter zu diskutieren. Machen Sie doch eine Aktuelle Stunde dazu.
Ich möchte gerne vom Herrn Staatssekretär wissen, wie er die Situation beurteilt, daß höhere Temperaturen, als bisher angenommen, zu einem Natriumbrand führen können, daß Korrosionen am Reaktorkern, im Reaktortank stattfinden können und daß möglicherweise Energiefreisetzungen von mehr als 370 Megawatt pro Sekunde auftreten können.
Sollte diese Gefahr bestehen, dann würde der Reaktor nicht genehmigt. Sie wissen, daß ein außerordentlich umfangreiches Genehmigungsverfahren um der Sicherheit willen vonnöten ist und auch durchgeführt wird. Im übrigen haben Sie bestätigt, was der Herr Kollege Hirsch nicht geglaubt hat, daß nämlich zur Sicherheitsfrage Aussagen gemacht worden sind.
({0})
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 58 und 59 des Abgeordneten Catenhusen sollen auf Bitte des Antragstellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatsminister Dr. Stavenhagen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 60 des Herrn Abgeordneten Duve auf :
Wie rechtfertigt Bundeskanzler Kohl seine Einwirkung auf vorstandsinterne Angelegenheiten des Springer-Konzerns ({0}), die in Widerspruch stehen zu der vom Grundgesetz geforderten Zurückhaltung bei internen Medienvorgängen?
Herr Präsident, wenn Sie erlauben, würde ich gerne beide Fragen im Zusammenhang beantworten.
In diesem Zusammenhang habe ich ausnahmsweise nichts zu erlauben, sondern der Fragesteller.
Wenn der Kollege es erlaubt, würde ich das gerne tun.
({0})
Es wird mit Vergnügen zugestimmt.
Ich rufe also auch die Frage 62 des Abgeordneten Duve auf:
In welcher Form hat der Bundeskanzler in die Diskussion um die Aktienmehrheit bei der Springer AG eingegriffen?
Es gibt kein Mitspracherecht des Bundeskanzlers bei Entscheidungen eines unabhängigen Verlagsunternehmens. Der BunStaatsminister Dr. Stavenhagen
deskanzler hat weder die Möglichkeit, auf vorstandsinterne Angelegenheiten des Springer-Konzerns einzuwirken, noch hat er in die Diskussion um die Aktienmehrheit bei der Springer-AG eingegriffen.
Eine Zusatzfrage?
Wenn das die Antwort auf beide Fragen war, habe ich selbstverständlich Zusatzfragen. Herr Staatsminister, ist es richtig, daß der „Spiegel" bereits viermal auf die Interventionen des Bundeskanzlers im Hause Springer zu sprechen bzw. zu schreiben gekommen ist und daß bisher aus dem Bundeskanzleramt keinerlei Dementi gegenüber dieser Behauptung erfolgt ist?
Herr Kollege, wie oft der „Spiegel" dieses Thema aufgegriffen hat, kann ich Ihnen nicht sagen. Das müßte ein Blick in das „Spiegel"-Archiv zu klären haben. Aber der Bundeskanzler nimmt grundsätzlich nicht zum Ablauf oder zu Inhalten angeblicher oder tatsächlicher Gespräche öffentlich Stellung.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wie erklären Sie denn die Tatsache, daß in der Öffentlichkeit darüber diskutiert wurde, daß die Ablösung des „Bild" -Chefredakteurs Prinz und der Sieg - wenn man so will - des Herrn Tamm über Herrn Prinz im Hause auf Mitwirkung und Einwirkung von Bundeskanzler Helmut Kohl - ausweislich auch eines „Spiegel"-Artikels - zurückgeführt wird?
Herr Kollege, ich vermute, daß das auf die Stellungnahmen des „Spiegel" zurückzuführen ist. Aber Sie kennen das Aktienrecht sicher so gut wie ich und wissen, daß der Bundeskanzler keinen Einfluß auf Vorstandsbeschlüsse von Aktiengesellschaften hat.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist Ihnen die Äußerung des Verlegers Burda, der in dem Streit um die Springer-Aktien ja den kürzeren gezogen hat, bekannt, der in einem Interview in der Zeitschrift „Neue Medien" sehr deutlich gesagt hat:
Auch Kohl hat sich stark gemacht gegen uns. Für den Bundeskanzler sind wir angeblich Vaterlandsverräter.
Ist die Aussage eines anerkannten, sehr renommierten Verlegers über eine solche direkte Intervention des Bundeskanzlers von Ihnen zu kommentieren? Haben Sie dazu etwas zu sagen?
Herr Kollege, ich habe das von Ihnen erwähnte Zitat im „Spiegel" gelesen. Ich habe dazu keine Anmerkungen zu machen.
Eine Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter Schily.
Wäre Bundeskanzler Kohl selbst gegebenenfalls bereit, vor dem Plenum verbindlich zu erklären, daß er jegliche Einwirkungen in dem von
Herrn Kollegen Duve geschilderten Zusammenhang unterlassen hat?
Herr Kollege, der Bundeskanzler nimmt zu angeblichen oder tatsächlichen Gesprächen, von denen er viele führt, nicht Stellung. Er wird auch hier nicht persönlich Stellung nehmen zu Erklärungen oder Mitteilungen, die in der Presse stehen.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter.
Ich möchte doch noch einmal nachfragen, ob Sie es nicht für ein wichtiges Anliegen - auch des Herrn Bundeskanzlers - halten, klarzustellen, ob er positiv zur Erhaltung einer gewissen Pluralität, wie sie ja wohl auch durch Herrn Springer vorgesehen war, Einfluß genommen hat oder ob er eher umgekehrt im Sinne einer Machtkonzentration im gesamten deutschen Medienwesen - wenn man die weit verzweigten Kirch-Beteiligungen betrachtet - Einfluß genommen hat.
Herr Kollege, Sie kennen das Aktienrecht. Sie wissen, wie in Aktiengesellschaften Vorstände bestellt werden. Das findet nicht unter Mitwirkung des Bundeskanzlers statt.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter Lippelt.
Herr Staatsminister, würden Sie so weit gehen zu sagen, daß der Bundeskanzler auch dann nicht Stellung nimmt, wenn - wie wir hier hören - viermal vorgebrachte Behauptungen fast schon ehrenrührig sind?
Herr Kollege, ich habe nicht die Absicht, den „Spiegel" hier zu beurteilen. Wenn der Bundeskanzler die Notwendigkeit gesehen hätte, Stellung zu nehmen, hätte er das nach der ersten „Spiegel"-Mitteilung tun können.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Götte.
Herr Staatsminister, hier hat ein Abgeordneter gefragt, ob der Bundeskanzler eingegriffen hat. Ist der Bundeskanzler bereit, einem Abgeordneten hier klare Auskunft zu erteilen?
Frau Kollegin, dies habe ich bereits mit meiner ersten Antwort getan. Ich habe gesagt:
Der Bundeskanzler hat weder die Möglichkeit, auf vorstandsinterne Angelegenheiten des Springer-Konzerns einzuwirken, noch hat er in die Diskussion um die Aktienmehrheit bei der Springer-AG eingegriffen.
Ich habe die Frage damit klar beantwortet.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 62 des Herrn Abgeordneten Schily auf:
Trifft der Bericht des Nachrichtenmagazins „DER SPIEGEL" ({0}) zu, daß Bundeskanzler Kohl vor einigen Wochen in Wien mit Simon Wiesenthal zusammengetroffen ist, um Erkenntnisse über die Vergangenheit des österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim zu erörtern?
Herr Kollege, Begegnungen zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und Simon Wiesenthal sind keine Seltenheit. Zutreffend an dem erwähnten „Spiegel"-Bericht vom 12. Oktober 1987 ist lediglich die Tatsache eines solchen Gesprächs vor einigen Wochen in Wien. Die Angaben über den Gesprächsinhalt sind frei erfunden.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, darf ich Sie dann fragen, welcher Gesprächsinhalt denn vorgelegen hat?
Herr Kollege, die Frage dürfen Sie stellen, aber ich kann sie Ihnen nicht beantworten.
Weitere Zusatzfrage.
Darf ich Sie fragen, warum Sie mir diese Frage nicht beantworten wollen?
Herr Kollege, weil es nicht üblich ist, daß der Bundeskanzler über Gespräche, die er führt, öffentlich Mitteilung macht. Und ich selber war bei dem Gespräch nicht dabei.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 63 des Herrn Abgeordneten Schily auf:
Beabsichtigt Bundeskanzler Kohl, nachdem er früher die Wahl von Kurt Waldheim zum österreichischen Bundespräsidenten unterstützt hat, ihn nunmehr dazu zu bewegen, von seinem Amt zurückzutreten, und wie rechtfertigt Bundeskanzler Kohl gegebenenfalls seine Aktivitäten?
Ihre Frage beantworte ich mit Nein.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist Ihnen erinnerlich, daß der Bundeskanzler seinerzeit durch eine sehr pointierte Äußerung zugunsten des jetzt amtierenden österreichischen Bundespräsidenten in den Wahlvorgang eingegriffen hat, und haben Gespräche, die der Bundeskanzler in Österreich - gegebenenfalls auch mit Simon Wiesenthal - geführt hat, einen Sinneswandel herbeigeführt, und beabsichtigt der Bundeskanzler, diesen Sinneswandel, falls er denn vorliegt, wiederum öffentlich kundzutun?
Herr Kollege, ich glaube, das ist mit der Antwort bereits zum Ausdruck gekommen. Die Antwort lautet nein.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Duve.
Können wir als deutsches Parlament, Herr Staatsminister, davon ausgehen, daß solche massiven Einwirkungen auf Wahlkämpfe in befreundeten Nachbarstaaten, wie sie der Bundeskanzler seinerzeit vorgenommen hat, nicht noch einmal stattfinden?
Herr Kollege, ich kenne keine Einwirkungen. Ich kenne eine persönliche Äußerung, wie sie auch anderen Staatsbürgern möglich ist. Eine Einwirkung kenne ich nicht.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Damit ist der Geschäftsbereich abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatsminister Schäfer zur Verfügung.
Herr Staatsminister, die Frage 64 des Abgeordneten Lowack und die Fragen 65 und 66 der Abgeordneten Frau Renger sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 67 des Herrn Abgeordneten Gerster ({0}) auf:
Was hat die Bundesregierung unternommen, um den geplanten Stellenabbau von rund 4 000 zivilen Arbeitsplätzen bei den US-Streitkräften, die derzeit von deutschen Arbeitnehmern besetzt sind, zu verhindern?
Herr Kollege, nach Information des US-Hauptquartiers in Heidelberg sind die amerikanischen Stationierungskräfte von einschneidenden Kürzungen im US-Bundeshaushalt weltweit betroffen. Die amerikanischen Dienststellen in der Bundesrepublik Deutschland stehen wie andere amerikanische Dienststellen in der Welt vor der Frage, wie diese Einsparungen umzusetzen sind. Es gibt deshalb, wie Ihnen bekannt ist, Planungen, etwa 4 000 bis 5 000 zivile Arbeitsplätze in der Bundesrepublik Deutschland sowohl von deutschen wie von amerikanischen Zivilbeschäftigten einzusparen. Das US-Hauptquartier erarbeitet nähere Einzelheiten und hofft, im Januar 1988 mehr über die Art und den Umfang der personellen Einsparungen mitteilen zu können.
Die Bundesregierung hat sich in der Vergangenheit immer wieder bemüht, die Arbeitsplätze der deutschen Arbeitnehmer zu sichern. Sie bemüht sich jetzt in Gesprächen mit den zuständigen amerikanischen Stellen, die Auswirkungen der amerikanischen Haushaltsentscheidungen für die deutschen Arbeitnehmer nach Möglichkeit zu mildern. Dabei wird sie auch das Argument vortragen, daß der Beschäftigungsstand in Regionen schwacher Wirtschaftsstruktur wie der Westpfalz möglichst erhalten werden sollte.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, wie beurteilt die Bundesregierung, daß in einem internen Vermerk, der öffentlich wurde, durch den Beauftragten der US-Streitkräfte in den Bundesländern Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland im Jahre 1986 wörtlich zu lesen war:
Gerster ({0})
Programme zum Abbau ziviler Arbeitsplätze müssen bis nach der Landtagswahl 1987 zurückgestellt werden, damit die zerbrechliche Mehrheit
- in englisch: fragile majority von Bernhard Vogel, dem Mainzer Ministerpräsidenten, in der Landtagswahl nicht gefährdet wird.
Kennt die Bundesregierung diesen Vorgang, und wie beurteilt sie ihn?
Herr Kollege, ich kann mich persönlich dunkel an entsprechende Mitteilungen der rheinland-pfälzischen Presse vor Jahren erinnern. Mir ist diese Bemerkung offiziell nicht bekannt. Ich vermag zu ihrem Wahrheitsgehalt hier nichts auszusagen. Ich glaube aber, Herr Kollege, daß wir Gefahr laufen, eine vom amerikanischen Kongreß ausgehende Maßnahme in einen Zusammenhang zu bringen, der so mit Sicherheit nicht zutreffen kann.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister Schäfer, wie beurteilen Sie den nachprüfbaren Vorgang, daß das interne Papier des Hauptquartiers der US-Army Europe vom 10. August bereits konkrete Zahlenangaben enthält, wie viele Arbeitsplätze an welchen Stellen eingespart werden sollen, aber noch am 2. Oktober, also zwei Monate später, im Staatsanzeiger von Rheinland-Pfalz in einer offiziellen Erklärung der amerikanischen Seite zu lesen war, diese Arbeitsplätze seien sicher, es würden keine abgebaut werden? Stimmen Sie mir zu, daß man, wenn man die beiden Zahlen vergleicht, hierin einen groben Täuschungsversuch der amerikanischen Seite vermuten kann?
Sie können einen solchen Täuschungsversuch vermuten, aber Sie können mir hier nicht die Frage stellen, wie ich hier einen von Ihnen vermuteten Vorgang seitens der Bundesregierung einschätzen kann. Ich bedaure das sehr, Herr Kollege, aber ich kann hier wirklich nicht von der Bundesregierung aus Einschätzungen über irgendwelche Veröffentlichungen irgendwelcher untergeordneten amerikanischen Dienststellen geben.
({0})
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Uelhoff.
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß unabhängig von irgendeinem Wahltermin in der Bundesrepublik Deutschland verschiedene Stellen der amerikanischen Administration deutschen Politikern auf allen Ebenen, mir selbst etwa noch im Juli, die Mitteilung gemacht haben, daß die Arbeitsplätze der Deutschen bei den Amerikanern sicher seien?
Herr Kollege, wenn ich recht sehe, haben Sie eine ähnlich lautende Frage gestellt, auf die ich nachher noch eingehen möchte.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Götte.
Herr Staatsminister, wenn Außenminister Genscher noch am 1. Oktober 1986 und Wirtschaftsminister Bangemann am 8. November 1986 in Pressemeldungen erklärten, deutsche Arbeitnehmer brauchten sich wegen ihrer Arbeitsplätze bei den US-Streitkräften keine Sorgen zu machen, und wenn Staatssekretär Voss am 3. Dezember 1986 hier in der Fragestunde des Deutschen Bundestages dem Abgeordneten Collet erklärt hat, mit Entlassungen in größerem Umfang sei keinesfalls zu rechnen, dann liegt doch nur der Schluß nahe, ob das Wahlkampf wider besseres Wissen war oder ob die Bundesregierung von den USA falsch informiert wurde, und wie beurteilen Sie dann diesen Sachverhalt?
Frau Kollegin, als Parlamentarierin sollte Ihnen eigentlich bekannt sein, daß Haushaltsausschüsse von Parlamenten gute Absichten von Politikern möglicherweise gelegentlich durch Streichungen durchkreuzen. Sie können hier nicht Zusammenhänge herstellen, die es nicht gibt. Wenn uns 1986 von irgendwelchen amerikanischen Politikern, die hier nicht genannt worden sind, in irgendwelchen Gesprächen mitgeteilt wurde, zum damaligen Zeitpunkt bestand diese Absicht nicht - und mir haben das auch Kollegen aus dem Deutschen Bundestag entsprechend mitgeteilt -, dann können Sie doch nicht den Schluß daraus ziehen, Sie seien getäuscht worden oder wir seien getäuscht worden, wenn inzwischen der amerikanische Haushalt erheblich, nämlich um Milliardenbeträge, wegen des auch von uns kritisierten Defizits dieses Haushalts gekürzt worden ist, der auch auf unser Wirtschaftsgefüge nachhaltige wirtschaftliche Auswirkungen hat.
Ich bitte doch, in diesem Zusammenhang jetzt nicht Zusammenhänge herzustellen, die so nicht sind, sondern sich hier einmal das amerikanische Parlament genauer anzusehen und festzustellen, wie dort die Prozesse im Vergleich zum Bundestag laufen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter. Müller.
Herr Staatsminister, kann ich Ihre Anmerkung von vorhin, daß Sie sich nur noch dunkel an diesen Vermerk des Beauftragten der US-Streitkräfte erinnern, so interpretieren, daß die Bundesregierung es nicht als ihre Aufgabe ansieht, Klarheit in für viele Menschen wichtige Fragen zu bringen, und daß Sie sich in dieser Angelegenheit vielleicht von den Amerikanern ganz gerne haben täuschen lassen?
Herr Kollege, ich pflege Äußerungen, die in irgendwelchen Zeitungen zu irgendeinem Zeitpunkt gemacht wurden und nicht nachgeprüft worden sind, nicht als so gravierend anzusehen, daß ich noch Jahre danach beginne, die Bundesregierung hier nun in einer wirklich von Anfang an umstrittenen Angelegenheit zu vertreten. Ich glaube, hier geht es heute doch nicht um die Frage, ob damals irgendein General einen Vermerk geschrieben hat, sondern es geht um das Faktum, daß die amerikanischen Streitkräfte in der Bundesrepublik auf Grund
von Haushaltskürzungen verringert werden und daß wir etwas dagegen tun wollen. Alles andere, was jetzt hier aufgetischt wird, ist, glaube ich, Schnee von gestern.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reimann.
Herr Staatssekretär, hier in diesem Hause wird ständig die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den USA zitiert. Wie erklären Sie sich denn dann, daß gerade diese gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit es zuläßt, daß die deutsche Bevölkerung und die dort betroffenen Arbeitnehmer seit Wochen und Monaten über die Presse erfahren, was dort geschehen soll, und warum wird nicht von dieser guten Zusammenarbeit Gebrauch gemacht, um, bevor es in die Öffentlichkeit geht, über die notwendigen, zu treffenden Maßnahmen, insbesondere zugunsten der Arbeitnehmer, ihrer Familien und ihrer Probleme zu beraten, zu diskutieren und zu entscheiden? Wie erklären Sie sich das?
Herr Kollege, ich habe gerade eben deutlich gemacht, daß eine endgültige Entscheidung der Vereinigten Staaten, wo wieviele Arbeitsplätze amerikanischer und deutscher Zivilbediensteter gestrichen werden, noch gar nicht existiert.
({0})
- Solange Sie keine Kenntnisse über die Vorgänge haben, halte ich es für verantwortungslos, durch Spekulationen die betroffenen Arbeitnehmer psychologisch zu verunsichern. Wir sind im Augenblick in einer Phase, wo wir in Gesprächen mit den Amerikanern stehen - ich habe das gerade eben gesagt -, um nach Möglichkeit die Auswirkungen für strukturschwache Gebiete herunterzusetzen, d. h. dort nach Möglichkeit zu helfen. Aber es steht ja, wie ich Ihnen gesagt haben, überhaupt noch nicht fest, wo wieviele Arbeitnehmer entlassen werden sollen. Insofern ist es voreilig, jetzt bereits Arbeitnehmer in Verwirrung zu bringen. Wir sind dabei, uns zu bemühen. Aber das ist alles, was ich Ihnen im Augenblick sagen kann.
Herr Abgeordneter Gerster ({0}), ist damit auch die Frage 68 erledigt?
Nein.
Dann rufe ich die Frage 68 des Abgeordneten Gerster ({0}) auf.
Ist die Bundesregierung bereit, dem amerikanischen Bündnispartner in nachdrücklicher Form klar zu machen, daß die Beschäftigung deutscher Arbeitnehmer bei den US-Streitkräften in Regionen schwacher Wirtschaftsstruktur von deutschen Bürgern als ein gewisser Ausgleich für die zum Teil erheblichen Verteidigungslasten angesehen wird?
Herr Kollege, ja, die Bundesregierung ist dazu bereit. Ich selbst werde morgen früh in einem Gespräch mit dem amerikanischen Botschafter unsere Vorstellungen sehr ausführlich darlegen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, wenn Sie das Volumen des Gramm-Rudmann-Gesetzes betrachten - hier soll ja ein Haushaltsdefizit von 23 Milliarden Dollar etwa zur Hälfte im Verteidigungsetat beseitigt werden - , steht dann zu befürchten, daß das, was im Augenblick im Gespräch ist, nämlich 5 000 zivile Arbeitsplätze in Europa, davon den größten Teil in Deutschland zu beseitigen, sozusagen die Spitze des Eisbergs ist?
Herr Kollege, Sie zitierten völlig zu Recht das Gramm-Rudmann-Gesetz, das, wenn es angewendet würde, wahrscheinlich noch weitere Auswirkungen haben könnte. Wir sehen das mit großer Besorgnis, und wir sind bemüht, den Amerikanern deutlich zu machen, daß auch wir hier alles vermeiden müssen, um nicht innerhalb der Bevölkerung weitere Unruhe zu schaffen. Wir sind uns auch bewußt, daß in den gleichen Gegenden, in denen Entlassungen drohen, die Bevölkerung durch alle möglichen Dinge wie Fluglärm und anderes sehr stark in Mitleidenschaft gezogen ist; wir kennen das seit vielen Jahren. Wir müssen deutlich machen, daß hier gewisse Grenzen beachtet werden müssen. Ich kann nur hoffen, daß dieses Gesetz nicht in dem Umfang angewandt wird und dadurch möglicherweise noch weitere Schwierigkeiten auftreten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wie beurteilen Sie die Aussagen in offiziösen Organen, z. B. in der Armeezeitschrift „Stars and Stripes" , wonach Caspar Weinberger oder sein Nachfolger nun vor der Frage stünde, entweder massiv in der Rüstung zu sparen oder - und da ist eine konkrete Zahl genannt - in den nächsten Jahren weltweit bis zu 275 000 Soldaten abzubauen? Ist dieser mögliche Truppenabbau eine Alternative, die derzeit zwischen den beiden Partnern, Bundesrepublik Deutschland und amerikanischer Administration, im Gespräch ist?
Herr Kollege, Sie wissen, daß es sowohl bei der Demokratischen wie bei der Republikanischen Partei in den Vereinigten Staaten seit langer Zeit, manchmal in der Bundesrepublik nicht so beachtet, Tendenzen in dieser Richtung gibt, die sagen: Die Europäer tun zuwenig, und wir, die Vereinigten Staaten, können nicht mehr länger zusehen, daß wir einen Großteil unseres Haushaltes ausschließlich zum Schutze anderer Staaten verwenden. - Diese Tendenz ist sehr stark. Wir haben das seit langem mit Sorge beobachtet, weil wir der Auffassung sind, daß wir Reduzierungen von Truppen erst im Rahmen von Abrüstungsverhandlungen wollen können. Wir sind in ständigen Gesprächen mit der amerikanischen Regierung, aber auch mit dem amerikanischen Kongreß, um eine solche Tendenz zu verhindern. Von daher kann ich Sie nur versichern: Das ist genau das, was wir verhindern wollen, weil wir auf konventionelle Abrüstungsverhandlugen und erst am Ende dieser Abrüstungsverhandlungen auf Reduzierungen von Truppen, beidseitig, setzen müssen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reimann.
Herr Staatsminister, wenn nun die Bundesregierung hilflos gegenüber den Amerikanern sein sollte, was ihre Intervention anlangt, und wenn es so kommt, daß Tausende von Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren, hat die Bundesregierung dann wenigstens schon mal konzeptionell darüber nachgedacht, was sie für die Tausenden von Arbeitslosen tun will?
Herr Kollege Reimann, ich halte es nicht für gut, wenn Sie jetzt von „Tausenden" sprechen,
({0})
wo ich gesagt habe: 4 000 bis 5 000 sind vorgesehen, und zwar nicht nur deutsche, sondern auch amerikanische Staatsbürger. Ich warne davor, jetzt anzufangen, diese Zahl noch nach oben zu bewegen, während wir bemüht sind, sie nach unten zu bekommen.
Ich sage noch mal: Die Bundesregierung ist zur Zeit bemüht, nach Möglichkeit die strukturschwachen Gebiete von solchen Entlassungen zu verschonen. Sie wird aber nicht in Länderkompetenzen bei Angelegenheiten eingreifen, die in den Ländern geregelt werden müssen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Uelhoff.
Herr Staatsminister, wie beurteilen Sie eine Stellungnahme der ÖTV, bei der jetzt genannten Zahl würde es sich nur um eine erste Entlassungswelle handeln?
Ich kann diese Stellungnahme der ÖTV nicht beurteilen, weil mir andere Tatsachen als die Ihnen genannten nicht bekannt sind.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller ({0}).
Herr Staatsminister, Sie wissen wie auch wir, daß in den USA die Bereitschaft, auf unsere beschäftigungspolitischen Interessen Rücksicht zu nehmen, eng mit unserer Bereitschaft verknüpft ist, etwas für die inländische Nachfrage zu tun: Sind Sie bereit, mit Ihren Kollegen Wirtschafts-und Finanzminister ernsthaft darüber zu reden, daß hier eine Binnenentlastung stattfindet, die wiederum Ihre Versuche, bei den Amerikanern in der Sache, die hier debattiert wird, etwas zu erreichen, erleichtern würde?
Wir sind zu allen denkbaren Maßnahmen bereit, Herr Kollege.
Weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Götte.
Ist der Bundesregierung die Stimmung im Raum Kaiserslautern bekannt, wo die Bevölkerung die fast unzumutbaren militärischen Belastungen nur deshalb noch zu tragen bereit ist, weil eben Arbeitsplätze damit verbunden sind, und glauben Sie, daß es genügt, zu sagen: Für den Fall, daß diese Arbeitsplätze tatsächlich abgebaut werden, ist es Ländersache, hier für einen Ausgleich zu sorgen?
Frau Kollegin, mir ist die Stimmung unserer Bevölkerung in der Gegend, aus der Sie und aus der ich, im weiteren Sinne, stammen, seit vielen Jahren sehr wohl bekannt. Ich habe auch großes Verständnis für diese Stimmung. Aber ich warne davor, jetzt eine Diskussion zu führen, die diese Stimmung schürt, statt gemeinsam nach Auswegen zu suchen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 69 des Herrn Abgeordneten Dr. Uelhoff auf:
Wie steht die Bundesregierung zu dem Tatbestand, daß die US-Armee ca. 18 v. H. der deutschen zivilen Planstellen im Bereich „USA-REUR" in Rheinland-Pfalz abbauen will, was einen Verlust von etwa 1 300 Arbeitsplätzen in einer Region bedeuten würde, die militärische Belastungen für die NATO trägt, aber über keine Industrie zum Auffangen von Arbeitslosen verfügt?
Die Bundesregierung hat mit großem Bedauern von den Plänen der amerikanischen Stationierungsstreitkräfte Kenntnis nehmen müssen, angesichts der bereits erwähnten erheblichen Kürzungen im amerikanischen Budget deutsche und amerikanische Zivilarbeitsplätze einzusparen. Wieviel Arbeitsplätze deutscher Arbeitnehmer im Land Rheinland-Pflaz betroffen sind, ist gegenwärtig noch nicht abzusehen, zumal sich die von dem amerikanischen Hauptquartier genannte Gesamtzahl sowohl auf Arbeitsplätze für Deutsche, als auch auf solche bezieht, auf denen US-Angehörige beschäftigt werden.
Die Bundesregierung hat einerseits Verständnis für die unbestreitbare Notwendigkeit, den US-Bundeshaushalt auszugleichen, und sie hat diese Notwendigkeit verschiedentlich nachhaltig betont. Andererseits ist sie jedoch der Auffassung, daß die amerikanische Seite die schwerwiegenden Folgen der geplanten Maßnahmen für den lokalen Arbeitsmarkt in ihre Überlegungen mit einbeziehen muß.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, wenn schon eine Streichung von Planstellen nicht zu verhindern sein sollte, sehen Sie wenigstens eine Möglichkeit, vielleicht auch in dem Gespräch, das Sie morgen mit Botschafter Burt führen, darauf aufmerksam zu machen, daß durch die Fluktuation bei den amerikanischen Soldaten freiwerdende Stellen nicht besetzt werden, um auf diese Weise Entlassungen zu vermeiden?
Auch diese Frage werde ich gerne dem Botschafter vortragen. Wir müssen übrigens zur Kenntnis nehmen, daß wir zwar jetzt von Entlassungen bedroht sind, daß aber die Zahl der Stellen bei amerikanischen Dienststellen zwischen 1980 und 1985 auch für deutsche Arbeitnehmer erheblich erhöht worden war. Wir müssen versuchen, eine Fluktuation bei diesen Dienststellen in unserem Sinne, wie Sie gerade angeführt haben, zu nutzen.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Würden Sie bitte auch so freundlich sein, den amerikanischen Botschafter darauf aufmerksam zu machen, daß eine gewisse Sozialverträglichkeit auch dadurch eintreten könnte, daß für die deutschen Bürger und auch für die deutschen Arbeitnehmer deutlich wird, daß bei Neueinstellungen vornehmlich deutsche Staatsbürger berücksichtigt werden?
Ich werde in diesem Sinne bei Botschafter Burt einzuwirken versuchen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.
Herr Staatsminister, da der Kollege Dr. Uelhoff hier einen Zusammenhang zwischen dem Abbau von Arbeitsplätzen einerseits und der starken Belastung durch militärische Einrichtungen andererseits hergestellt hat: Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, den Vorgang wenigstens dadurch etwas zu mildern, daß die militärische Inanspruchnahme dieser Region etwas vermindert wird, was vielleicht auch dazu beitragen kann, zivile Einrichtungen zu schaffen, die wiederum Arbeitsplätze zur Verfügung stellen können?
Herr Kollege, wir alle haben uns seit vielen Jahren bemüht - die rheinland-pfälzischen Abgeordneten werden das bestätigen -, Lärmbelästigungen und andere Belästigungen gerade in den besonders betroffenen Gebieten abzubauen. Das ist zum Teil gelungen, zum Teil ist es nach wie vor beklagenswert viel auf einem sehr engen Territorium. Wir werden uns weiterhin in dieser Richtung bemühen, aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß wir nur über einen geographisch verhältnismäßig kleinen Raum verfügen, der zudem praktisch im Grenzbereich Ost/West liegt und der natürlich in einem Mindestmaß an den militärisch notwendigen Übungen beteiligt sein muß. Das ist ein seit vielen Jahren bekanntes Problem, das von uns ähnlich gesehen wird.
Weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Götte.
Herr Staatssekretär, da die Tatsache, daß militärische Einrichtungen in so großer Dichte in der Westpfalz angesiedelt wurden, nicht auf Entscheidungen beruht, die das Land getroffen hat, sondern auf Entscheidungen des Bundes und der NATO: Wie wollen Sie sich dann herausreden, daß der Bund nun nicht zuständig sei, um für Ersatzarbeitsplätze zu sorgen?
Frau Kollegin, ich habe mich hier nicht herausgeredet, sondern ich habe darauf hingewiesen, daß es auch Länderzuständigkeiten bei der Frage von Arbeitsbeschaffung gibt. Selbstverständlich wird die Bundesregierung gemeinsam mit den Landesregierungen - wir sind schon von der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz angeschrieben worden - bemüht sein, für den Fall, daß dort Entlassungen eintreten, nach Möglichkeiten einer anderen Beschäftigung zu suchen. Ich habe eben aber von der Zuständigkeit der Länder gesprochen; Sie dürfen nun nicht dauernd den Versuch unternehmen, es so darzustellen, als wollte ich den Bund von einer solchen Verantwortung freisprechen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller.
Herr Staatsminister, haben Sie Verständnis für eine Bevölkerung, für Menschen, die dort wohnen, die sagen: Wenn wir wirtschaftlich in dieser Region, wo Arbeitsplätze so nötig sind, nichts mehr von der Belastung haben, dann wollen wir das Giftgas, den Fluglärm und die sonstigen Belastungen loswerden?
Ich glaube, Herr Kollege, es ist in der Verantwortung aller Abgeordneten des Deutschen Bundestages, der Bevölkerung klarzumachen, daß die Soldaten der Vereinigten Staaten bei uns nicht deshalb stationiert sind, weil sie die Bevölkerung mit Lärm oder mit irgendwelchen Belästigungen versehen wollen, sondern weil sie zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland notwendig sind. Ich glaube, das war die gemeinsame Überzeugung - auch Ihrer Partei - seit langem. Ich kann mir nicht vorstellen, daß wir jetzt diese Debatte nutzen sollten, um die Bevölkerung in eine Richtung zu lenken, die nicht im Interesse unserer Sicherheitslage ist.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, erwägt die Bundesregierung für den Fall, daß sich im diplomatischen Kontakt keine Einwirkung erreichen läßt, um deutsche Interessen durchzusetzen, zu einem vernünftig erscheinenden Zeitpunkt deutsche Interessen auch laut und deutlich nach außen zu vertreten, um deutlich zu machen, daß dies für uns auch eine Frage der gerechten Lastenverteilung im Bündnis ist?
Aus den vielen Antworten die ich zu diesem Komplex gegeben habe, meine ich, ist doch deutlich geworden, daß die Bundesregierung alles ihr zu Gebote Stehende tun muß und wird, um Einfluß zu nehmen. Solche Sparmaßnahmen im amerikanischen Haushalt hat nicht der Botschafter zu vertreten, auch nicht der General, sondern der amerikanische Kongreß, auf den Sie als Abgeordnete zunächst einmal einwirken sollten; es sind Ihre Kollegen, unsere Kollegen. Wir werden natürlich bemüht sein - laut oder leise -, unsere Interessen gegenüber den Vereinigten Staaten zu vertreten.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 70 des Herrn Abgeordneten Uelhoff auf:
Trifft es zu, daß außerdem noch 110 Arbeitsplätze im medizinisch-technischen Bereich des Standortes Pirmasens/Landstuhl abgebaut werden sollen, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die USA an Versicherungen bezüglich des Erhalts der Arbeitsplätze zu erinnern, die von führenden Vertretern der amerikanischen Administration der Bundesregierung, der Landesregierung Rheinland-Pfalz und einzelnen Politikern gegeben wurden?
Herr Kollege, im Rahmen der Gesamteinsparungen, die mit vier- bis fünftausend Arbeitsplätzen angenommen werden, prüft das
US-Hauptquartier, wo im einzelnen Arbeitsplätze wegfallen können. Ob die genannten 110 Zivilangestellten im medizinisch-technischen Bereich in Pirmasens betroffen sein werden, wird erst nach Abschluß dieser Prüfung zu entscheiden sein.
Die Zusicherungen der US-Streitkräfte, daß keine Personaleinschränkungen beabsichtigt seien, konnten sich nur auf das am 30. September abgelaufene amerikanische Haushaltsjahr 1986/87 beziehen. Die drastischen Budgetkürzungen für das am 1. Oktober 1987 beginnende Haushaltsjahr haben die Amerikaner vor eine neue Lage gestellt. Das Hauptquartier der Amerikaner in Heidelberg erarbeitet gegenwärtig die näheren Einzelheiten der zu ergreifenden Maßnahmen.
Ich habe bereits angedeutet, daß ich in meinem Gespräch mit Botschafter Burt morgen unsere Vorstellungen einbringen kann, damit sie in die Überlegungen der US-Streitkräfte in Heidelberg Eingang finden können.
Zusatzfrage, bitte.
Da seit langer Zeit - ich möchte sagen: seit einigen Jahren - bei den deutschen Mitarbeitern der amerikanischen Streitkräfte Unsicherheit besteht, was auf dem Hintergrund von Haushaltsentwicklungen verständlich wird, da aber andererseits die zivilen deutschen Mitarbeiter vergleichbare Arbeiten wahrnehmen wie etwa zivile Mitarbeiter bei der deutschen Bundeswehr: Sehen Sie eine Chance, die Unsicherheiten dadurch abzubauen, daß man im Interessen der Aufrechterhaltung der Sicherheit, auch im Interesse der notwendigen Anwesenheit der amerikanischen Streitkräfte in der Bundesrepublik sehr ernsthaft über eine Änderung des NATO-Truppenstatuts nachdenkt, mit dem Ziel, die arbeitsrechtliche Situation der deutschen Mitarbeiter bei dem Amerikanern zu verbessern.
Herr Kollege, diese Frage geht weit über das hinaus, was wir hier erörtert haben. Ich rege an, daß Sie im Rahmen der Ihnen gegebenen Möglichkeiten auch mit dem Bundesverteidigungsministerium Ihre Anregung diskutieren.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reimann.
Herr Staatssekretär, jetzt haben wir bei diesem Fragenkatalog mehrfach von Ihnen zur Kenntnis genommen, daß die Möglichkeiten der Bundesregierung sehr begrenzt sind. Sie haben in Ihren Antworten die Kompetenzen immer sehr stark auf die Landesregierung Rheinland-Pfalz verlagert - was ich auch bejahe. Haben Sie Erkenntnisse, was die Landesregierung Rheinland-Pfalz zu tun gedenkt, um mit diesem Problem fertig zu werden?
Herr Kollege, als Mitglied der Bundesregierung entzieht es sich meiner Kenntnis, welche Absichten Landesregierungen haben.
({0})
Zumindest ist die Landesregierung Rheinland-Pfalz mit uns noch nicht in Kontakt getreten, da sie wie wir abwarten muß, wie die Maßnahmen im einzelnen aussehen werden. Erst dann, glaube ich, kann man Konsequenzen ziehen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.
Herr Staatsminister, da nach dem Frageinhalt ja Personal im medizinischen Bereich frei wird, frage ich Sie: Sehen Sie eine Möglichkeit, einen Teil dieses medizinischen Personals für die Prüfung der Frage einzusetzen, welche gesundheitlichen Auswirkungen die starken militärischen Belastungen in diesem Bereich auf die Bevölkerung haben?
Herr Kollege Schily, ich verstehe diese Frage als eine sarkastische, und insofern werden Sie mir gestatten, zu sagen: Wir haben diese Absicht nicht.
Im übrigen ist noch gar nicht bekannt, ob sich die Entlassungen auch auf den angesprochenen Teilnehmerkreis aus Pirmasens beziehen werden. Aber da Sie, soweit ich weiß, im Landtag von Rheinland-Pfalz mit einer Fraktion der GRÜNEN vertreten sind, können Sie solche Vorstellungen ja dort erörtern, wo sie hingehören.
Keine weiteren Zusatzfragen. Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatssekretär Neusel zur Verfügung.
Herr Staatssekretär, die Fragen 7.1 des Abgeordneten Gansel, 75 und 76 des Abgeordneten Klein ({0}) sowie 77 und 78 des Abgeordneten Schmidt ({1}) sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 72 des Herrn Abgeordneten Müller ({2}) auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die jetzt noch gegebenen versicherungsrechtlichen und versorgungsrechtlichen Bestimmungen so zu ändern, damit vollzeitbeschäftigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes ohne Nachteile in eine Teilzeitbeschäftigung wechseln können?
Herr Abgeordneter, im Fünften Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 25. Juli 1984 wurde neben einer Erweiterung der Teilzeitbeschäftigungs- und Beurlaubungsmöglichkeiten für Beamte und Richter eine neue Regelung eines Versorgungsabschlags geschaffen. Hiernach mindern Teilzeitbeschäftigung und Beurlaubung grundsätzlich den sich ohne diese Fehlzeiten ergebenden Ruhegehaltssatz. Diese Regelung beruht auf dem das Beamtenverhältnis bestimmenden Grundsatz, daß der Beamte ab Eintritt in das Beamtenverhältnis bis zum Versorgungsfall seine Arbeitskraft dem Dienstherrn in vollem Umfang zur Verfügung stellt.
Die auf Initiative des Bundesrates zustande gekommene Regelung war aus Gründen der Kostenbegrenzung erfolgt. Dieselben Gründe stehen auch zum ge2420
genwärtigen Zeitpunkt einer Verbesserung entgegen. Gleichwohl wird die Bundesregierung diesen von Ihnen angesprochenen Fragen weiterhin besondere Aufmerksamkeit widmen.
In der Zusatzversorgung der ehemaligen Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes beruhen die Regelungen auf Verhandlungsergebnissen der Tarifpartner, die nach langen und eingehenden Beratungen einvernehmlich erzielt wurden.
Eine Zusatzfrage? - Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, liegen der Bundesregierung Zahlen darüber vor, wie viele vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes bei Beibehaltung ihrer jetzigen versicherungsrechtlichen und versorgungsrechtlichen Voraussetzungen bereit wären, ihren Arbeitsplatz in einen Teilzeitarbeitsplatz umzuwandeln?
Herr Abgeordneter, es liegen mir keine konkreten Zahlen vor, aber es ist eine gewisse steigende Tendenz zu erkennen.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Gibt es konkrete Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit bzw. ist der Bundesregierung bekannt, wie viele arbeitslos gemeldete Arbeitnehmer mit einer Teilzeitbeschäftigung im öffentlichen Dienst untergebracht werden könnten?
Ich kann diese Frage nicht beantworten. Ich müßte Ihnen das schriftlich mitteilen.
({0})
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 73 des Herrn Abgeordneten Dr. Niese auf:
Teilt die Bundesregierung die vom Parlamentarischen Staatssekretär Spranger in Karlstadt am Main geäußerte Auffassung, daß zukünftig alle privaten Bauherren gesetzlich verpflichtet werden sollen, zusätzliche strahlensichere Schutzräume zu errichten, die auch in Friedenszeiten sowohl einen Schutz vor Brand und herabfallenden Trümmern als auch vor chemischen Stoffen und radioaktiven Strahlen bieten?
Herr Abgeordneter, der Parlamentarische Staatssekretär Spranger hat am 9. Oktober in Karlstadt nicht, wie in der Formulierung der Frage unterstellt, die Auffassung geäußert, daß künftig alle privaten Bauherren verpflichtet werden sollen, Schutzräume zu errichten. Richtig ist vielmehr folgender Sachverhalt: In seiner Rede hat der Parlamentarische Staatssekretär, nachdem er die immer noch unzureichende Schutzraumversorgung in der Bundesrepublik Deutschland beklagt hatte, wörtlich folgendes ausgeführt:
Die Bundesregierung wird deshalb ernsthaft
überlegen müssen, ob das bestehende Schutzplatzdefizit letztlich nicht doch nur durch Einführung einer gesetzlichen Schutzraumbaupflicht wirksam abgebaut werden kann.
Die Notwendigkeit, solche Überlegungen mit der gebotenen Gründlichkeit anzustellen, wird von der Bundesregierung ohne Einschränkung bejaht.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 74 des Herrn Abgeordneten Dr. Niese auf:
Wie hat man sich einen solchen Katastrophenfall in Friedenszeiten vorzustellen, der einen solchen Schutzraum notwendig macht?
Herr Abgeordneter, in der Bundesrepublik Deutschland werden grundsätzlich nur Schutzräume mit der Schutzqualität des Grundschutzes gebaut, daß heißt Schutzräume, die einen hochwertigen Schutz gegen Brandeinwirkungen, herabfallende Trümmer, radioaktive Strahlen und chemische Belastungen bieten.
In einer Zeit, in der die latenten Gefahren einer hochtechnisierten Industrie in verschiedenen, zum Teil spektakulären und folgenschweren Schadensfällen offenkundig geworden sind - die Namen von Orten wie Tschernobyl, Bhopal, Seveso und Basel sind Synonyme für solche Schadensereignisse - , wächst in der Öffentlichkeit die Einsicht, daß Schutzräume gerade gegen radioaktive und chemische Belastungen einen wirksamen Schutz bieten können.
Es ist daher gängige Verwaltungspraxis im In- und Ausland, die Bevölkerung über den Nutzen von Schutzräumen schon bei Katastrophen im Frieden aufzuklären. So weisen z. B. nicht nur die Schweiz und Luxemburg, sondern auch die Bundesländer Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz in der ihre Katastrophenschutzplanungen begleitenden Öffentlichkeitsarbeit die Bürger ausdrücklich auf den positiven Effekt von Schutzräumen bei Störfällen hin. Dabei werden die Erkenntnisse über die abschirmende Wirkung von Wänden und Decken sowie des ein Bauwerk umgebenden Erdreichs gegen radioaktive Strahlen besonders herausgestellt.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie entgegen den Sicherheitsbeteuerungen der Betreiber atomarer Energieanlagen die Gefahr eines Unfalls oder einer Katastrophe doch so hoch einschätzen, daß angesichts des Defizits bei Schutzräumen die Bundesregierung jetzt eine gesetzliche Bestimmung überlegt, um mehr Schutzräume auch zum Schutz vor derartigen Unfällen zu bekommen?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung legt Wert darauf, immer wieder zu betonen, daß der Katastrophenschutz nicht nur für den Verteidigungsfall, sondern auch in Friedenszeiten den Bürgern wertvolle Hilfe bietet und daß selbstverständlich auch dieses Element des Schutzes in Friedenszeiten berücksichtigt werden soll.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Sie haben Katastrophenfälle im Ausland genannt. Meine konkrete Frage ist, ob Sie an eine Ausweitung der Zahl der Schutzräume auch zum Schutz vor radioaktiver Strahlung denken, weil Katastrophen dieses Ausmaßes auch in der Bundesrepublik geschehen können?
Eine solche Aussage würde ich nicht machen wollen, Herr Abgeordneter. Es ist aber eine staatliche Aufgabe, und zwar eine präventive staatliche Aufgabe, auf Schadensminimierung für alle denkbaren Katastrophen hinzuwirken.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Lippelt.
Herr Staatssekretär, haben nicht auch Sie wenigstens unterschwellig den Eindruck, daß in dem, was Sie hier sagen, die Aufgabe und der Bankrott einer aktiven radikalen Umweltschutzpolitik liegen?
In einer modernen zivilisatorischen Gesellschaft mit den technischen und technologischen Entwicklungen, die wir haben, kann in keinem Land der Welt ausgeschlossen werden, daß es zu Großgefährdungslagen kommt. Ich habe soeben einige Beispiele genannt, die im Ausland geschehen sind. Für solche Fälle hat der Staat nach den ihm gegebenen Möglichkeiten Vorsorge zu treffen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Carstensen.
Herr Staatssekretär, gilt der Grundsatz des Anspruchs auf Schadensminimierung durch solche Schutzbauten auch für Schäden und Unfälle, die im Ausland passieren, uns aber treffen können, auf die wir jedoch in bezug auf Sicherheitsvorkehrungen keinen Einfluß hätten?
Unter den Beispielen, die ich genannt habe, sind zumindest zwei, die Auswirkungen auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gehabt haben: Tschernobyl und Basel - also Sandoz. Hier zeigt sich deutlich, daß es nicht an der technischen Sicherheit oder Gefährdungssicherheit deutscher Anlagen zu liegen braucht, wenn Schadensfälle eintreten, die Auswirkungen hier haben können.
Keine weitere Zusatzfrage.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde angelangt.
Absprachegemäß beginnt die Behandlung des nächsten Tagesordnungspunkts um 15.30 Uhr. Wir haben jetzt also 20 Minuten Pause, Kaffeepause. Wir setzen die Sitzung um 15.30 Uhr fort.
Ich unterbreche die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Meine Damen und Herren, wie heute morgen mitgeteilt, hat die Fraktion der SPD beantragt, die heutige Tagesordnung um eine zweistündige Beratung des Antrags Südafrika - Drucksache 11/807 - zu erweitern.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Verheugen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der SPD beantragt die Aufsetzung der Drucksache 11/807 auf die Tagesordnung, und ich möchte das gerne begründen.
Wir haben diesen Antrag am 16. September 1987 eingebracht. Wenige Tage später hat die Fraktion DIE GRÜNEN einen fast wortgleichen Antrag zum selben Gegenstand eingebracht. Wenige Tage später sind zwei Kollegen der FDP-Fraktion nach Südafrika gereist und mit Erkenntnissen wiedergekommen, die in der deutschen Öffentlichkeit ein großes Echo gefunden haben.
In den letzten Wochen beobachten wir, daß das südliche Afrika in das Zentrum der deutschen Außenpolitik gerät. Es kann ja kein Zufall sein, daß der Bundesaußenminister in der vergangenen Woche in Angola war, der Bundeskanzler in der nächsten Woche in Mosambik sein wird und der Bundespräsident Anfang nächsten Jahres nach Simbabwe reisen wird. Ich habe zwar heute in einer Zeitung gelesen, das sei nur mangelnde Terminkoordinierung in der Bundesregierung, aber zugunsten der Bundesregierung möchte ich das nicht annehmen.
In allen Zeitungen lesen wir, die Afrikapolitik sei für die deutsche Außenpolitik wiederentdeckt worden. Überall ist die Rede von dieser Neuentdeckung, nur im Deutschen Bundestag soll davon nicht die Rede sein. Wir wollen wissen, welche Konsequenzen die Bundesregierung und die Koalitionsparteien aus den jüngsten Entwicklungen im südlichen Afrika ziehen wollen.
Die Lage ist nach wie vor hochexplosiv: In Angola herrscht Krieg, in Mosambik häufen sich grauenhafte Massaker, die wirtschaftliche Lage der Frontstaaten ist verzweifelt. Und zunehmend gerät die deutsche Südafrikapolitik, wie Sie alle wohl wissen, unter internationalen Druck. Sie konnten es heute aus den Vereinten Nationen wieder erfahren.
In der Bundesrepublik selbst, vor allem in Gewerkschaften und Kirchen, wird das Thema immer intensiver diskutiert. Wir haben wohl auch Grund, uns zu fragen, gerade heute, wieso es in dieser Woche zum erstenmal in unserem Land auch zu einem Terroranschlag vor dem Hintergrund der Südafrikapolitik kommen konnte.
Ich kann aus der Tatsache, daß die Koalitionsfraktionen es abgelehnt haben, den Antrag meiner Fraktion im Bundestag zu beraten, nur schließen, daß sie eine Debatte im Deutschen Bundestag verhindern wollen. Ich finde das besonders bedauerlich, weil wir gleichzeitig feststellen müssen, daß sich Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion in von Südafrika finanzierten Propagandablättern wie der „Südafrika-Zeitung" und den „Namibia-Nachrichten" in Angriffen auf die Haltung der anderen Fraktionen des
Hauses zu Südafrika geradezu ergehen. Ich halte das für einen unmöglichen Stil.
({0})
Wenn Sie sich mit den anderen Fraktionen des Hauses über die Südafrikapolitik auseinandersetzen wollen, dann tun Sie das bitte hier von diesem Pult aus. Tun Sie es nicht in Blättchen, die die südafrikanische Regierung finanziert und in deutsche Haushalte bringt!
({1})
Ich möchte mich vor allem an die Kollegen der FDP wenden. Ihre Fraktionsmitglieder Baum und Dr. Hirsch sind im September in Südafrika gewesen und mit der Erkenntnis zurückgekehrt, die Lage sei noch viel schlimmer, als sie es sich vorgestellt hätten. Ich habe das alles mit großer Aufmerksamkeit gelesen. Ihre Analyse der Lage in Südafrika entspricht dem, was auch wir gesagt haben. Aber ich denke, es reicht nicht aus, das in einer Pressekonferenz zu verkünden, sondern es ist ja nun wohl auch notwendig, diesem Haus und der Öffentlichkeit zu sagen, welche politischen Konsequenzen die FDP aus den Erfahrungen und Berichten der Kollegen Baum und Hirsch aus Südafrika ziehen will.
({2})
Die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion darf ich daran erinnern, daß sie es gewesen sind, die in diesem Sommer eine große Menschenrechtsdebatte in diesem Land und auch hier in diesem Haus geführt haben. Wir haben es für richtig gehalten, daß über Menschenrechte gesprochen wird, aber dann bitte nicht einseitig. Wenn über Menschenrechte gesprochen werden soll, dann auch über die millionenfachen täglichen Menschenrechtsverletzungen in Südafrika.
({3})
Deshalb haben wir beantragt, das heute auf die Tagesordnung zu setzen. Wir bitten um Ihre Zustimmung.
({4})
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Seiters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte ursprünglich ja ganz kurz sprechen, aber vielleicht muß ich noch ein bißchen länger reden.
({0})
Herr Kollege Verheugen, ich möchte mich zunächst einmal doch gegen die Unterstellung verwahren, wir wollten eine Debatte im Deutschen Bundestag über Südafrika verhindern.
({1})
Ich darf Sie an den Antrag erinnern, den Sie gestellt
haben. Er lautet nämlich: „Der Deutsche Bundestag
beschließt, eine Delegation nach Südafrika zu entsenden ... und dem Deutschen Bundestag zu berichten..."
({2})
Diese Reise können Sie sofort haben. Sie wissen doch ganz genau, wie die Diskussion im Auswärtigen Ausschuß des Deutschen Bundestages gelaufen ist. Ich finde, diese Unterstellung ist auch nicht ganz fair gegenüber denen, die sich bei der FDP-Fraktion und auch bei der CDU/CSU-Fraktion - für letztere will ich hier nur sprechen - um eine gemeinsame Reise bemüht haben.
Wie ist denn der Vorgang wirklich gelaufen? Es gibt und es gab im Auswärtigen Ausschuß seit langem Überlegungen, was deutsche Politik im südlichen Afrika zur Lösung der Probleme beitragen kann. In diesem Zusammenhang hat der Auswärtige Ausschuß beschlossen, eine Informationsreise ins südliche Afrika zu unternehmen, und zwar mit einer aus allen Fraktionen zusammengesetzten Delegation. Die Frage, welche Konsequenzen aus den bei dieser Informationsreise dann gewonnenen Erkenntnissen zu ziehen wären, sollte im Anschluß an diese Reise im Auswärtigen Ausschuß und natürlich - das ist doch der Sinn des Unternehmens - dann selbstverständlich auch hier im Plenum des Deutschen Bundestages beraten und entschieden werden.
Nicht wir, sondern Sie sind es gewesen, die von dieser vernünftigen Planung abgewichen sind. Sie haben statt dessen im Parlament einen Antrag eingebracht, der das Ergebnis der Reise schon in einer solchen Weise vorwegnimmt, daß wir damals erklärt haben, die SPD habe offensichtlich schon vor einer Reise dieser Delegation alle Antworten und alle Konsequenzen parat. Das Vorgehen der SPD mache deutlich, daß es ihr nicht um eine sachgerechte Erörterung eines wichtigen politischen Themas und nicht um die Einholung der dazu notwendigen Informationen vor Ort gehe, sondern um eine Aktion, die weder den Menschen in Südafrika noch den deutschen Interessen diene.
Ich möchte - auch mit Blick auf den Antrag, den Sie gestellt haben - also noch einmal daran erinnern: Im Auswärtigen Ausschuß ist beschlossen worden, eine aus allen Fraktionen bestehende Delegation in das südliche Afrika zu entsenden. Die endgültige Antwort der SPD, die heute eine Debatte im Parlament beantragt, im Auswärtigen Ausschuß, ob sie an einer solchen Reise teilnimmt, steht noch aus.
({3})
Wir halten daher jetzt eine Debatte über Südafrika - ({4})
- Herr Kollege Verheugen, jetzt muß ich einmal offen sagen: Ich gehöre dem Auswärtigen Ausschuß nicht an, aber ich glaube meinen Kollegen, die mir berichten
({5})
und die mir sagen, daß es im Auswärtigen Ausschuß bis heute noch keine Zusage - ({6})
- Dann nehmen Sie doch das Angebot an, ziehen Sie Ihren Antrag zurück und beschließen Sie im Auswärtigen Ausschuß eine Reise ins südliche Afrika! Das können Sie doch haben. Ich habe das Angebot doch hier an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich gemacht. Sie bauen einen Popanz auf,
({7}) und dagegen verwahren wir uns.
({8})
Nach meinem Kenntnisstand steht die endgültige Anwort der SPD im Auswärtigen Ausschuß, ob sie an solch einer Reise teilnimmt, aus. Wir halten daher - auch mit Blick auf eine Tagesordnung, deren Abwicklung bis in den Abend hinein dauern wird - eine Debatte heute über Südafrika für unangebracht, solange dieser Komplex nicht geklärt ist. Deswegen lehnen wir den Antrag ab.
Ich bedanke mich bei allen Kollegen, die mittlerweile eingetroffen sind.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lippelt.
Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Wir unterstützen den Antrag der SPD auf das Nachdrücklichste. Allerdings tun wir es aus etwas anderen Motiven,
({0})
und über die muß dann ja auch ein bißchen geredet werden. Es gab die gemeinsame Initiative aller Fraktionen, noch aus der letzten Legislaturperiode herrührend, ein Südafrika-Hearing hier mit möglichst breitem, mit sehr breitem Spektrum zu veranstalten. Diese Initiative ist nach den Sommerferien ins Trudeln geraten. Es war die Rede vom Menschenrechtseinsatz des Ministers Blüm, von uns war Uschi Eid in Südafrika und wurde rausgeschmissen, von der FDP kündigten sich die Kollegen Hirsch und Baum an, und die SPD hatte in dem Moment zufälligerweise niemanden in der Planung.
({1})
Ich muß es einfach mal so sagen, denn für uns war das Aussteigen der SPD Anfang September aus der gemeinsamen Planung nicht nachzuvollziehen.
({2})
Man konnte allerdings eines sagen: Der lange Schatten aus München lag zweifellos über der CDU, und im Ausschuß gab es durchaus einen Moment, wo man den Eindruck haben konnte, daß der lange Schatten schon alles verdüstert hatte.
Nur, Herr Verheugen, an dem Punkt unterscheiden wir uns: Wir wollten der CDU/CSU diese Auseinandersetzung, die dort lief, nicht ersparen, nicht künstlich abkürzen.
({3})
- Natürlich. Das haben wir doch zusammen dort erlebt. An diesem Punkt spitzte sich alles auf die Frage zu, ob mit Ihrem Ausstieg nun etwas beschlossen werden sollte, was wir inhaltlich vollkommen tragen, nämlich ganz klare Aussagen zu Südafrika, und ob dann eine Kommission heruntergehen sollte, die das dort deklamatorisch verkünden sollte, ober ob an dem alten Plan festgehalten werden sollte, eine Kommission herunterzuschicken, die Einladungen sondiert und politisch etwas zustande bringt.
Was danach passiert ist, hatten Sie sich selber zuzuschreiben. Natürlich hat die CDU in ihren Presseerklärungen sofort gesagt: Das ist alles nur „for show". Wir GRÜNEN stehen nun in der seltsamen Situation, in einer ganz absurden Situation: Während sich die beiden Großen wieder schön rhetorisch streiten, versuchen wir hier, die Interessen des ganzen Parlaments auf eine alle Fraktionen übergreifende Initiative noch zu wahren. Deshalb legen wir hier unseren Antrag vor.
Herr Präsident, ich beantrage natürlich, kombiniert, in Verbindung mit unserem Antrag 11/870, diese Debatte aufzusetzen.
Herr Abgeordneter, was verstehen Sie unter „kombiniert"? Wollen Sie Ihren Antrag auch zur Abstimmung stellen?
Genau. Der soll auch zur Abstimmung kommen.
Sie stellen also den Antrag, Ihren Antrag zur Abstimmung zu stellen.
Darum bitte ich. Dieser Antrag enthält eine kleine Alternative. Er ist zwar in den Inhalten sehr wohl identisch, aber am entscheidenden Punkt ist er nicht identisch. Am entscheidenden Punkt versucht dieser Antrag, dem gemeinsamen Vorhaben dieses Hauses, das es mal gegeben hat, noch eine letzte Chance zu geben.
Nun ist allerdings auch eines klar - da stimme ich mit Ihnen überein, Herr Verheugen - : Die Entscheidung über die Konzepte kann wirklich nicht mehr warten, die muß jetzt kommen. Deshalb sind wir auch dafür, daß diese beiden Anträge heute debattiert werden und daß darüber entschieden wird. Dann wissen wir endlich, wo es langgeht, Herr Hornhues und die CDU wissen es, und dann können wir sehen, wohin das führt. In der Tat brauchen wir eine Entscheidung über die Konzepte. Deshalb sind wir inhaltlich für Ihren Geschäftsordnungsantrag, obwohl unsere Motive ganz anders sind. Wir bedauern das Vorgehen.
Herr Abgeordneter, verharren Sie noch einen Augenblick. Ich hätte Sie gern noch einen Augenblick hier. Kann ich Ihren Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung sehen? ({0})
Vizepräsident Stücklen
Dieser Antrag ist nicht vor 18 Uhr gestern eingereicht worden. Deshalb kann er nicht zur Abstimmung gestellt werden. Darf ich ihn Ihnen wieder zurückgeben?
({1})
Wenn Sie einmal in § 20 Abs. 2 nachschauen, ist alles geklärt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag - - Entschuldigung, der schwergewichtigste Geschäftsführer wäre beinahe nicht zu Wort gekommen. Bitte.
Herr Präsident! Ich habe so geduldig gewartet, weil ich doch noch zu Wort kommen wollte.
Es gibt einen guten Brauch in diesem Haus. Den praktizieren wir in den Plenarsitzungswochen bei den Ausschußberatungen eigentlich immer, daß sich nämlich der zuständige Ausschuß mit diesen Problemen sachkundig befaßt und das Plenum erst dann, wenn der Ausschuß dazu eine Empfehlung abgegeben hat.
({0})
Herr Kollege Verheugen, nach dem, was Sie soeben vorgetragen haben, will ich diese Qualifikation nicht unbedingt auf Sie beziehen.
({1})
Ehrenwerter Herr Abgeordneter, in der Geschäftsordnungsdebatte gibt es keine Zwischenfragen. Das mag in Bremen anders sein.
({0})
Noch übernehmen wir die Bremer Sitten nicht.
({0})
Nun hat dieser sachkundige Ausschuß vor einiger Zeit den Beschluß gefaßt, daß eine Delegation des Bundestages nach Südafrika reisen soll. Das ist dort mit den Stimmen der sozialdemokratischen Vertreter geschehen, Herr Verheugen, ganz augenscheinlich auch mit Ihrer, es sei denn, Sie waren nicht dabei.
({1})
Jedenfalls ist diese Delegation noch nicht gereist. Wir sind der Meinung, diese Delegation soll, wie es der Ausschuß beschlossen hat, reisen und dann im Ausschuß einen Bericht erstatten. Befassen Sie das Plenum nicht mit Dingen, in denen Sie selbst nicht einig sind! Sie können hier das Prinzip vom Hasen und Igel in Buxtehude nicht dahin gehend ergänzen, daß Sie Igelmann und Igelfrau spielen und immer von einem Ort zum anderen rennen: die Reise einmal über den Ausschuß und einmal über den Bundestag beschließen.
Wir bleiben bei der Position: Damit beschäftigt sich der Auswärtige Ausschuß; erst die Reise, dann Beratung und dann das Plenum.
({2})
Meine Damen und Herren, wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Erweiterung der Tagesordnung. Wer der Aufsetzung und der beantragten Redezeit zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. ({0})
- Das stellt das Präsidium fest, nicht Sie! Gegenprobe! ({1})
Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Sind wir uns einig: Das letzte war die Mehrheit?
({2})
Widerspruch im Präsidium. Jetzt wissen Sie erst einmal, welche Bedeutung die Schriftführer im Präsidium haben. Wir versuchen, das mit Aufstehen festzustellen.
Darf ich diejenigen, die dafür sind, bitten, sich zu erheben. - Es kommt nicht auf das Volumen an, sondern nur auf die Zahl. Gegenprobe! ({3})
Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Ich frage noch einmal: Sind im Präsidium neue Erkenntnisse erwachsen? - Die Mehrheit wird bestritten.
Ich bitte zum Hammelsprung. - Sind die Türen für Ja, Nein und Enthaltungen alle besetzt? - Dann bitte ich, die Türen zu schließen.
Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
Darf ich bitten, wieder Platz zu nehmen. Nur so ist es möglich, die Übersicht zu haben, ob alle Abgeordneten, die an der Abstimmung teilnehmen wollen, auch tatsächlich abgestimmt haben.
Wir müssen etwas abwarten. Wir wissen ja, daß die Abgeordneten etwas entfernt vom Wasserwerk untergebracht sind. Auch müssen wir Rücksicht auf die herzkranken und gehbehinderten Kollegen nehmen.
Meine Damen und Herren, der Hammelsprung ist damit abgeschlossen.
Ich gebe das Ergebnis bekannt. An der Abstimmung haben 264 Abgeordnete teilgenommen. Damit haben wir gleichzeitig nach der Geschäftsordnung die Beschlußfähigkeit des Hauses festgestellt. Mit Nein haben 157 Abgeordnete gestimmt, mit Ja 107 Abgeordnete. Damit ist der Antrag der SPD abgelehnt.
Vor Aufruf des nächsten Tagesordnungspunktes habe ich noch einige amtliche Mitteilungen zu machen.
Der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP betr. Ernährungssituation in den Hungerregionen - Drucksache 11/946 - ist in der 33. Sitzung des Deutschen Bundestages dem Ausschuß für Wirtschaft zur federführenden Behandlung überwiesen worden. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag nunVizepräsident Stücklen
mehr dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit zur federführenden Beratung zu überweisen.
Darüber hinaus bittet der Auswärtige Ausschuß um nachträgliche Überweisung der Anträge auf den Drucksachen 11/826, 11/893 und 11/905, die alle die Schuldenkrise betreffen, zur Mitberatung.
Sind Sie mit dieser Überweisung bzw. der Änderung einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie ({0})
zu dem Antrag des Abgeordneten Wetzel und der Fraktion DIE GRÜNEN
Gestaltung der technischen Entwicklung; TechnikfolgenAbschätzung und -Bewertung
zu dem Antrag der Abgeordneten Roth, Vosen, Heyenn, Frau Bulmahn, Catenhusen, Fischer ({1}), Frau Ganseforth, Grunenberg, Lohmann ({2}), Nagel, Seidenthal, Vahlberg, Andres, Dreßler, Egert, Haack ({3}), Kirschner, Peter ({4}), Reimann, Schreiner, Frau Steinhauer, Urbaniak, Frau Weiler, von der Wiesche, Ibrügger, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Gestaltung der technischen Entwicklung; Technikfolgenabschätzung und -bewertung
zu dem Antrag der Abgeordneten Lenzer, Maaß, Carstensen ({5}), Dr. Kunz ({6}) und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr.-Ing. Laermann, Kohn, Timm, Neuhausen, Dr. Thomae und der Fraktion der FDP
Gestaltung der technischen Entwicklung; TechnikfolgenAbschätzung und -Bewertung
- Drucksachen 11/220, 11/311, 11/403, 11/979 Berichterstatter:
Abgeordnete Lenzer Schreiner
Dr.-Ing. Laermann Wetzel
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Götz.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die nur rund einjährige Tätigkeit der Enquete-Kommission „Technikfolgenabschätzung: im 10. Deutschen Bundestag konnte naturgemäß nicht zu einer abschließenden Würdigung der bearbeiteten Problembereiche und der weiteren Vorgehensweise führen. Es war die wesentliche Aufgabe der Enquete-Kommission, den Informations- und Wissensstand des Deutschen Bundestages über wesentliche technische Entwicklungen zu verbessern und Vorschläge zu erarbeiten, ob und gegebenenfalls in welcher organisatorischen Form das Thema „Einschätzung und Bewertung von Technikfolgen" zukünftig weiter behandelt werden kann.
Übereinstimmend gehen die heute zu beratenden Fraktionsanträge davon aus, daß die Arbeit der Enquete-Kommission der 10. Wahlperiode zu einem sinnvollen Ende gebracht werden soll. Dies kann nicht bedeuten, daß die bisher vorliegenden Zwischenberichte und die Ergebnisse bei aller Anerkennung der hervorragenden Arbeit, die geleistet wurde - ich möchte im Namen der CDU/CSU-Fraktion den Kollegen des 10. Deutschen Bundestages, die hier mitgearbeitet haben, sehr, sehr herzlich für ihre Arbeit danken -,
({0})
von der neuen Kommission, die einzusetzen ist, einfach übernommen werden. Vielmehr ist es notwendig, das vorgelegte Material unvoreingenommen zu sichten und zu beurteilen. Ich halte es für durchaus denkbar, daß die neu einzusetzende Kommission zu anderen Ergebnissen gelangen wird als ihre Vorgängerin.
Insbesondere erscheint mir eine Neubewertung der sogenannten Institutionalisierungsvorschläge aus der 10. Wahlperiode möglich, wenn nicht gar notwendig. Schon damals sind innerhalb der Kommission unterschiedliche Vorstellungen zur Errichtung einer ständigen Technologiefolgenabschätzungs- und -bewertungsstelle vorgetragen worden. Einwände bezogen sich insbesondere auf die möglichen bürokratischen Tendenzen eines solchen neuartigen Gremiums, auf dessen möglicherweise erhebliche Kosten, auf die Furcht vor der Behinderung wissenschaftlicher und technischer Entwicklungslinien sowie auf die Tatsache, daß außerhalb des Parlaments bereits entsprechende Einrichtungen existieren und auch genutzt werden können.
Mit der Beurteilung dieser Einwände wird sich auch die neue Enquete-Kommission zu befassen haben. Verfrüht wäre es meines Erachtens, schon jetzt zur Verbesserung der technologischen Beratung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages eine ständige Einrichtung mit selbständigen bürokratischen Strukturen und Instanzen zu fordern. Meines Erachtens gibt die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages die gute Möglichkeit der Einrichtung von Enquete-Kommissionen bei noch festzustellendem zusätzlichen Beratungsbedarf in Technologiefragen. Ich glaube, daß dieses Instrumentarium der EnqueteKommission ein hinreichendes Instrumentarium zum Entwickeln guter Ergebnisse ist.
Auch und insbesondere wird diese Enquete-Kommission mit vergleichsweise geringem bürokratischen Reibungsverlust aktuell interessierende Themen bearbeiten können.
Insoweit folge ich der Einschätzung der EnqueteKommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie" in ihrem Bericht zum Abschluß der 10. Legislaturperiode. Themen und Aufträge zur Technikfolgenabschätzung müssen stets und aktuell vom Deutschen
Bundestag beschlossen werden. Nur so ist sichergestellt, daß das jeweilige Thema auch von einem repräsentativen Teil der Bevölkerung für politisch bedeutsam und entscheidungsnotwendig gehalten wird. Eine Enquete-Kommission, bestehend aus Parlamentariern, Wissenschaftlern und Vertretern gesellschaftlich betroffener Gruppen, kann in bezug auf die technologiepolitische Beratung des Parlaments weit mehr leisten als ein rein wissenschaftliches Institut, selbst wenn dieses Institut organisatorisch an die Bundestagsverwaltung angeschlossen wäre und durch ein parlamentarisches Beratungsgremium unterstützt würde.
Eine Enquete-Kommission besteht aus Abgeordneten, Sachverständigen und Betroffenen sowie politisch an einem speziellen, wichtigen Thema Interessierten. In den fortschreitenden Beratungsprozeß der Kommission sind die parlamentarischen Mitglieder fest eingebunden. Dadurch wird eine sachgerechte und parlamentsbezogene Bearbeitung des Themas ermöglicht und zugleich die Unabhängigkeit des Parlaments gegenüber der Exekutive gestärkt.
Ungeachtet der Bedenken, die gegen den Institutionalisierungsvorschlag der Enquete-Kommission der 10. Wahlperiode vorgetragen wurden, begrüßt die CDU/CSU-Fraktion die Neueinsetzung einer Enquete-Kommission zur Technologiefolgenabschätzung. Die Kommission wird die begonnenen Arbeiten auf den Sachgebieten Expertensysteme, nachwachsende Rohstoffe und alternative landwirtschaftliche Produktionsweisen bis zum 30. April 1989 zum Abschluß bringen müssen.
Die CDU/CSU-Fraktion ist davon überzeugt, daß die technische Entwicklung mit den sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten in Einklang gebracht werden kann. Deshalb wird die Kornmission auch keine Technikverhinderungskommission sein, sondern genau das Gegenteil.
Es mag ja bei dem einen oder anderen in diesem Haus die Meinung bestehen, daß man mit einer Technikfolgenabschätzungskommission und entsprechender propagandistischer Begleitung nach draußen die in weiten Kreisen der Bevölkerung bestehende Technikfeindlichkeit vielleicht noch vergrößern könne. Ich sehe diese Möglichkeit bei einer vernünftig verstandenen Arbeitsweise der Kommission nicht, sondern glaube im Gegenteil, daß die Kommission bei vernünftiger Bewertung dessen, was notwendig ist, zu dem Ergebnis kommen wird, daß eine technologische Weiterentwicklung auch im Sinne der Ökologie, auch im Sinne der Wirtschaft und im Sinne unserer soziologischen Struktur in der Bundesrepublik sein wird.
Ich bin der Meinung, daß in unserem Land die Sozialverträglichkeit von Technologien gefördert werden muß. Dazu kann im besonderen eine Technologiefolgenabschätzungskommission einen wesentlichen Beitrag leisten. Neue Wege für die Sozialverträglichkeit moderner Technologien müssen gefunden werden. Das stimmt ohne weiteres. Dazu gehört insbesondere der Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse ins Parlament, die Information der Öffentlichkeit sowie der Dialog mit der Öffentlichkeit über neue wissenschaftlich-technologische Entwicklungen.
Ich glaube nicht, daß die Technologiefolgenabschätzung ganz generell den technischen Fortschritt in irgendeiner Weise bremsen wird. Sie kann vielmehr durch Feststellungen wünschenswerter Entwicklungsziele Förderungsschwerpunkte setzen und notfalls Fehlinvestitionen des Staates, aber auch der Wirtschaft und der Forschung verhindern helfen.
({1})
Oberstes Gebot bleibt jedoch, daß die Empfehlungen jedes wie auch immer gearteten Gremiums zur Technikfolgenabschätzung keinen dogmatischen Charakter erhalten. Alle Prognosen können fehlerhaft sein; deshalb dürfen sie nur als Entscheidungshilfe für zukünftiges Handeln gelten. Dies gilt für die Wissenschaftler und Techniker in unserem Land ebenso wie für uns als Politiker. Die eigenverantwortliche und freie Entscheidung kann uns eine Kommission zur Technikfolgenabschätzung nicht abnehmen.
In diesem Sinne wünsche ich der neu einzusetzenden Technologiefolgenabschätzungskommission eine erfolgreiche Arbeit.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Schreiner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will die eben hier gehaltene Rede nicht bewerten, will aber als Abgeordneter, der der vergangenen Kommission angehörte, den Wissenschaftlern, von welchen Fraktionen auch immer bestellt, sehr herzlich für das außerordentlich fruchtbare Klima in der Kommissionsarbeit in den vergangenen Jahren danken, ebenso den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Sekretariat der Kommission.
Wenn eine persönliche Bemerkung erlaubt ist: Ich habe in meiner politischen Zeit selten so viel dazugelernt wie im Dialog mit den Kolleginnen und Kollegen in dieser Enquete-Kommission.
Ich möchte einige Bemerkungen zum Umfeld machen, in dem eine denkbare Einrichtung beim Parlament zu diskutieren wäre, und möchte aus der Dankesrede von Hans Jonas zitieren, die er vor einigen Wochen anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels gehalten hat. Hans Jonas hat folgendes gesagt:
Wir sind der Natur gefährlicher geworden, als sie es uns jemals war. Am gefährlichsten sind wir uns selbst geworden ... Die nukleare, ökologische, bioethische, gentechnologische Debatte dieser Jahrzehnte bringt es unaufhörlich zu Wort - ein wachsender öffentlicher Chor mit wachsender Thematik, in dem meine Stimme eine unter vielen ist. Aus der Euphorie des faustischen Traumes sind wir ins kalte Tageslicht der Furcht erwacht. Es darf nicht das des Fatalismus sein. Nie darf apokalyptische Panik uns vergessen machen, daß die Technik ein Werk der uns Menschen eigenen Freiheit ist. Taten dieser Freiheit haben uns zum gegenwärtigen Punkt gebracht. Taten derselben
Freiheit - die sie bleibt trotz der selbstgeschaffenen Zwänge zum Fortfahren auf der eingeschlagenen Bahn - werden über die globale Zukunft entscheiden, die zum erstenmal in ihren Händen liegt.
Ich denke, wenn man die Entwicklung in der Bundesrepublik in den letzten Jahren verfolgt, ist ein tiefgreifender Veränderungsprozeß im öffentlichen Bewußtsein festzustellen. Bis weit in die 70er Jahre war die Überzeugung von der befreienden Macht der Technik überwiegendes Allgemeingut der Progressiven, wenn man so will: der politischen Linken. Die Konservativen waren in den vergangenen Jahrzehnten traditionell eher skeptisch gesonnen, wenn es um die Frage der Auswirkungen des technischen Fortschritts ging. Heute scheinen sich die Pole offenkundig zu ändern. Heute, im Zeitalter ökologischer und sozialer Wachstumsgrenzen, rückt das doppelte Gesicht des Fortschrittes immer stärker ins Blickfeld der Diskussion, das doppelte Gesicht mit Chancen und Risiken, mit Vor- und Nachteilen. Wenn eines in den letzten Jahren zerbrochen ist, dann ist es der technische Imperativ, wie ihn der sogenannte Vater der Wasserstoffbombe, Edward Teller, noch Mitte der 70er Jahre in Deutschland formuliert hatte: Mensch, mache, was du kannst.
Die Faszination von Errungenschaften des technischen Fortschritts ist heute mancherorts in ein ebenso pauschales Verdammungsurteil über Wissenschaft und Technik überhaupt umgeschlagen.
Meiner Auffassung nach geht es im wesentlichen um folgendes: Wir brauchen weder eine blinde Fortschrittsgläubigkeit noch eine pauschale Verdammung. Es kommt darauf an, sorgfältig und umsichtig abzuwägen. Es kommt darauf an, Chancen und Risiken gegeneinander auszutauschen. Es kommt darauf an, Vor- und Nachteile sorgfältig zu prüfen.
({0})
- Herr Kollege, bei Ihren Zwischenrufen fällt mir nur Karl Kraus ein: Es genügt nicht, keine Gedanken zu haben, man muß auch unfähig sein, sie zu formulieren.
({1})
Es geht wirklich um einen sehr ernsten Punkt. Wenn wir angesichts der neuen Techniken, Biotechniken, Gentechniken nicht in der Lage sind - wir sind technisch zum erstenmal in der Lage, den Menschen zu züchten, wie man Pferde züchtet ({2})
- hören Sie doch einmal zu; es ist wirklich unglaublich - , wenn wir in der geschilderten Situation als Parlament nicht in der Lage sind, uns die Instrumente in die Hand zu geben, um sorgfältig Chancen und Risiken abzuwägen, hat dieses Parlament seine Chance verspielt. Dann stellt sich die Frage nach der Zukunft unseres Parlamentes.
({3})
Sie sagen: richtig. Ich will Ihnen zitieren, was der gegenwärtige Bundesforschungsminister im Dezember 1977 zu der Frage „Was brauchen wir als Parlament?" gesagt hat:
Im Jahre 1973 hatten wir ein Amt zur Bewertung technologischer Entwicklungen beim Deutschen Bundestag gefordert. Der Antrag wurde seinerzeit im Plenum diskutiert. Er wurde in Hearing und Gutachten geprüft. Notwendigkeit, Durchführbarkeit und verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit unseres Konzeptes wurden im wesentlichen bestätigt ... Eine Entscheidung für ein Instrument der Technologiefolgenabschätzung ist damals nicht gefallen. Diese Diskussion im Jahre 1973 hat eine grundsätzliche Übereinstimmung gebracht: Alle Fraktionen und die Bundesregierung waren sich darüber einig, daß die entscheidende Frage der kommenden Jahrzehnte sein wird, ob wir imstande sind, aus politischem Willen die Entwicklung der Technologie zu beherrschen und damit die Zukunft zu gestalten, oder ob wir vor angeblich unvermeidlichen Eigengesetzlichkeiten der Technik kapitulieren.
Dann hat er fortgeführt:
Das Vertrauen der Bürger in die Politik hat in den letzten Jahren offensichtlich gelitten. Dies ist nicht vor allem ein wachsender Zweifel an der moralischen Integrität der Politiker, dies ist ein Zweifel daran, ob die Verantwortlichen übersehen, was sie entscheiden, es ist ein Zweifel, ob die Verantwortlichen die möglichen Folgen ihrer Beschlüsse kennen und erwogen haben, es ist letztlich ein Zweifel an der sachlichen Kompetenz.
Diesem Wort von Riesenhuber ist überhaupt nichts mehr hinzuzufügen, außer einem: daß in der Tat, seitdem diese Sätze hier im Dezember 1977 gefallen sind, eine Fülle von weiteren Zweifeln an der Kompetenz des Parlaments in zentralen technisch-sozialen Gestaltungsfragen bei den Bürgern aufgekommen sind, daß seit 1977 eine Fülle von weiteren Gutachten bestätigt haben, wie notwendig es wäre, dem Parlament eine angemessene Beratungseinrichtung zu verschaffen. Ich sage Ihnen, daß die Rufe aus der Wissenschaft, aus den Kirchen, aus den Gewerkschaften, von Teilen der Arbeitgeber in den letzten Jahren stärker geworden sind. Mir ist nicht ein einziger Wissenschaftler bekannt, der sich mit der Problematik beschäftigt hätte und der uns abraten würde, eine entsprechende parlamentarische Beratungsinstanz in Gang zu bringen.
Ich will den Präsidenten des Deutschen Bundestages zitieren. Der Kollege Jenninger hat vor einiger Zeit, im Jahre 1986, anläßlich eines Symposiums im Beriner Reichstag wie folgt formuliert:
Das Parlament muß unter Beweis stellen, daß es in der Lage ist, den technischen Fortschritt unter sorgfältiger Vermeidung nicht gewollter Auswirkungen der technischen Entwicklung zu steuern.
Er hat, bezogen auf eine Einrichtung, gesagt:
Die Frage, wem nützt und wem schadet eine solche Einrichtung, hat den Deutschen Bundestag
möglicherweise lange in seiner Entscheidung ge2428
hemmt und den Zugang zu der Sichtweise versperrt, daß es sich um eine Aufgabe von nationaler Bedeutung handelt. Andere Demokratien wie die USA oder Frankreich haben sich da leichter getan.
Man müßte dem hinzufügen: Auch Teile der deutschen Länderparlamente haben sich in dieser Frage viel leichter getan. In Nordrhein-Westfalen sind entsprechende Beschlüsse in Gang gesetzt worden. Auch das baden-württembergische Landesparlament ist dabei, entsprechende Fragen zu diskutieren.
({4})
Ich kann in dieser Frage nur resümieren: Trotz zahlreicher Technikkontroversen in den vergangenen Jahren verfügen wir über keine angemessene Einrichtung einer institutionellen Zusammenarbeit zwischen Politik und Wissenschaft, die eine erste Voraussetzung für eine humanen Werten verpflichtete Technikpolitik wäre. Die Frage ist: Welchen Preis zahlen wir, das Parlament, in der Münze demokratischer Substanz für versäumte und gescheiterte Erörterungen? Wenn sich das Parlament den entscheidenden technisch-ökonomischen Fragestellungen nicht oder nicht rechtzeitig widmet, wird zu Recht die Frage gestellt werden: Was bringt uns dieses Parlament dann überhaupt? Das Parlament darf sich nicht damit bescheiden, an den Rand von Entscheidungsfragen abgedrängt zu werden.
Ich will Ihnen zum Schluß noch zitieren, was der Präsident des amerikanischen Office of Technology Assessment beim amerikanischen Kongreß 1986 im Berliner Reichtstag formuliert hat. Dr. Gibbons, der einem Amt mit über 170 qualifizierten Wissenschaftlern vorsteht, einer Zahl, von der wir nicht einmal zu träumen gewagt hätten, hat wie folgt formuliert:
Angesichts unserer zahlreichen Gemeinsamkeiten überrascht es kaum, daß wir auch vor gemeinsamen Herausforderungen stehen, bei denen es um die Förderung von Wissenschaft und Technik sowie ihre Entwicklung, Anwendung und Kontrolle geht. Da unser Amt für Technologiefolgenabschätzung für die Vereinigten Staaten zu funktionieren scheint, hofft und erwartet man natürlich, daß eine ähnliche Einrichtung auch für die Bundesrepublik von Vorteil sein wird, und zwar in dem Sinn, daß dank ihrer Gutachten, Ausarbeitungen und Analysen die Debatte auf einem höheren Niveau verläuft und sich auf die wichtigen sozialen und technischen Fragen konzentriert, daß das öffentliche Bewußtsein für diese Themenkomplexe geschärft wird, und schließlich, daß Gelder eingespart werden.
Zweitens gibt es Themenkomplexe, die uns beide angehen und die unbedingt einer weiteren Klärung und Konsensbildung bedürfen. Dazu zählen die Energieversorgung, verschiedene Bereiche der Biotechnologie, die Landwirtschaft, die Verschmutzung der Atmosphäre, der Umgang mit gefährlichen Abfällen und ihre Verringerung, die Landesverteidigung, die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Kosten im Gesundheitswesen, Kommunikations- und Informationstechnologie und -politik sowie die Forschungspolitik, so vor allem im Bereich der Kernverschmelzung und der Tierversuche, beides in unseren Ländern heikle Themen.
Er schließt:
Nun, die Wissenschaft ist in beiden Ländern dieselbe, und die Technologie ist ähnlich, so daß das OTA, das amerikanische Beratungsinstitut, mit einer entsprechenden deutschen Einrichtung wie auch mit unseren anderen Kollegen in Europa einen regen Austausch pflegen könnte, und umgekehrt.
Ich will mit diesen Erfahrungen der Amerikaner schließen, die es über zehn Jahre hinweg dahin gebracht haben, einen renommierten Beratungsstab beim amerikanischen Kongreß zu unterhalten. Ich darf alle Fraktionen herzlich bitten, die Meinungsbildung dazu, ob wir eine Einrichtung brauchen, möglichst bald abzuschließen. Über das Wie kann man dann im einzelnen reden. Wir brauchen aber eine Entscheidung über das Ob, denn es ist nicht mehr vertretbar - um das Wort „verantwortbar" nicht erneut zu strapazieren - , daß wir Wissenschaftler, die über Jahre in einer Kommission mitgearbeitet haben, erneut in die Kommission einladen, und zwar mit dem Risiko, den Gang ins Niemandsland anzutreten. Das können wir niemandem an den deutschen Universitäten, der bereit ist, seinen Sachverstand dem deutschen Parlament zur Verfügung zu stellen, erneut zumuten. Deshalb mein herzlicher Appell an alle Fraktionen, in den Fraktionsmeinungsbildungen möglichst bald abzuklären, ob wir das wollen. Über das Wie können wir uns in der Kommission dann möglicherweise noch verständigen.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Laermann.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte versuchen, im Anschluß an die Ausführungen des Herrn Kollegen Schreiner einmal darzustellen, was ich eigentlich unter Technologiefolgenabschätzung verstehe und warum ich diesen Begriff so interpretiere. Dabei möchte ich deutlich machen, daß ich zwischen Technikfolgen und Technologiefolgen nachdrücklich unterscheide.
Harvey Brooks definiert - da wir schon so viele Zitate gehört haben, darf ich vielleicht damit fortfahren - Technologie als den Einsatz wissenschaftlicher Kenntnisse zur Bestimmung der Mittel und Wege, etwas auf wiederholte Weise zu tun, und er unterscheidet zwischen der Maschinentechnologie, einer sozialen Technologie und der intellektuellen Technologie, deren Bestreben es ist, rationales Handeln zu definieren und festzustellen, mit welchen Mitteln es sich realisieren läßt.
Aus dieser Differenzierung ersehen wir schon, wie weit das Feld ist, auf dem Technologiefolgenbewertung angesetzt werden muß, und wir erkennen, daß
sich aus den Definitionen bereits Hinweise auf Methoden und Instrumentarien ergeben.
Ich möchte Technologiefolgenabschätzung als die integrierte und systematische Analyse, Voraussage und Bewertung der wesentlichen Auswirkungen in den zentralen Bereichen einer Gesellschaft definieren. Technologiefolgenabschätzung ist - ich betone das hier im Hohen Hause zum wiederholten Male - eine politische Querschnittsaufgabe. Es ist nicht allein eine Aufgabe, die von Naturwissenschaft und Technik - und ich füge hinzu: im Sinne von Brooks eingeengt auf Maschinentechnik - zu bewältigen ist. Ich behaupte, daß sie allein von daher überhaupt nicht bewältigt werden kann.
Das ist der Kern des Problems, mit dem sich das Parlament auseinandersetzen muß. Technologiefolgenabschätzung ist nicht allein eine Aufgabe des Forschungs- und Technologieausschusses. Es kommt vielmehr darauf an, alle Politikfelder einzubeziehen. Es kommt, so meine ich, darauf an, die Legislative insgesamt rechtzeitig für aufkommende Fragestellungen, die sich aus technologischen Entwicklungen ergeben können, zu sensibilisieren. Es kommt darauf an, bewußt zu machen, daß Technologiefolgenabschätzung in dem Beziehungsgeflecht ökonomischer, ökologischer, sozialer, rechtspolitischer und ethischer Prozesse ablaufen muß.
Seit Jahren wird nun hier im Parlament nach geeigneten Instrumenten gesucht, damit das Parlament diesen politischen Notwendigkeiten entsprechen kann. Aber leider wird die Diskussion immer wieder - ich habe auch heute wieder diesen Eindruck - auf die Suche nach einer organisatorischen Lösung verkürzt, als ob irgendeine Institutionalisierung das erkannte Problem lösen könnte.
Seit Jahren versuche ich, dagegenzuhalten. Ich frage: Wird eine wie auch immer organisierte Institution die notwendige Bewußtseinshaltung aller Politikbereiche hervorbringen, oder wird sie nur zum Feigenblatt dafür, mit einer solchen Einrichtung der moralischen und politischen Verantwortung bereits entsprochen zu haben?
Herr Kollege Schreiner hat auf OTA hingewiesen, das Office of Technology Assessment. Diese Einrichtung leistet sehr wohl hervorragende Arbeit, aber offenbar nicht mehr für den Kongreß. Sie hat sich als eine selbständige Einrichtung isoliert. Ihre Berichte werden ja eher von der Industrie als Marketing-Berichte aufgenommen als vom Kongreß.
Ich möchte nicht, daß wir hier aus der Abhängigkeit von einem großen exekutiven Apparat in die dann vorhandene Abhängigkeit einer weniger leistungsfähigen Technikfolgenabschätzungseinrichtung kommen.
({0})
Ich frage: Nutzen wir eigentlich bei allen Schwierigkeiten, die ich kenne und erkenne, die gegebenen Möglichkeiten des Parlaments aus? Was unternehmen wir ernsthaft, um Technologiefolgenabschätzung zu machen? Nutzen wir als Parlament z. B. die Beratungsangebote der Deutschen Forschungsgemeinschaft, des Vereins Deutscher Ingenieure, einer Reihe von Organisationen und gesellschaftlichen Institutionen und Gruppierungen? Nutzen wir sie? Holen wir sie zu den Beratungen hinzu? Ich erinnere an die Diskussion gestern nachmittag Herr Wetzel.
({1})
Nutzen wir sie eigentlich für die Beratungen im Technologieausschuß? Gestatten Sie mir hier einmal ausnahmsweise die Verkürzung auf den Ausschuß für Forschung und Technologie.
({2})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte zum Ende kommen, Frau Präsidentin. - Nutzen wir die, wenn auch beschränkten, Möglichkeiten des Forschungs- und Technologieausschusses, Gutachten zur Unterstützung unserer Ausschußarbeit zu vergeben? Und, sollte uns ein solches Gutachten vorliegen, befassen wir uns dann überhaupt noch damit? Meinen Erfahrungen entspricht es nicht, daß wir die hier gegebenen minimalen Möglichkeiten ausgeschöpft hätten. Ich meine, wir sollten zuerst einmal das tun, bevor wir neue Organisationen fordern.
Ich will ganz davon schweigen, ob sich denn auch andere Ausschüsse etwa für diese Gutachten, die der Forschungsausschuß hat erstellen lassen, interessiert haben und ob sie sie in ihre Arbeit einbezogen haben.
Wie geht das Parlament - ich sage hier bewußt nicht: die Abgeordneten, sondern: das Parlament - mit den Ergebnissen von Enquete-Kommissionen um? Schauen wir uns doch einmal an, wie wir bisher mit dem Bericht der Enquete-Kommission Gentechnologie verfahren sind. 40 Minuten Debatte standen zur Verfügung, um diesen Bericht hier einzubringen, der 400 Seiten und die monatelange Arbeit von Experten und Kollegen und Kolleginnen aus dem Hause hier umfaßt? Ist das der richtige Umgang mit dieser Arbeit? Und mußten nicht außer den Mitgliedern des Forschungs- und Technologieausschusses, die dieser Kommission angehört haben, auch andere Kollegen und Kolleginnen, z. B. aus den Bereichen Gesundheit, Soziales, Recht, Agrar, mindestens zu erkennen geben, daß sie sich der enormen Bedeutung dieses Themas und des Wertes dieses Berichts bewußt sind und sich auch der Notwendigkeit bewußt geworden sind, daß wir uns interdisziplinär, über alle Politikfelder hinweg, damit zu befassen haben?
Ich frage auch, ob es vertretbar ist, daß wir unsere politische Arbeit nur allzu gern in Kästchen einordnen, orientiert an der Geschäftsverteilung der Regierung und der daraus resultierenden Ausschußgliederung.
Wir sollten aufhören, ausschließlich über Organisationsfragen zu diskutieren, sondern sollten uns zuallererst die Notwendigkeit systemanalytischen Denkens und interdisziplinären Handelns bewußt machen. Das müssen wir uns vor Augen führen. Das müs2430 Deutscher Bundestag - .11. Wahlperiode Dr.-Ing. Laermann
sen wir selber leisten. Da helfen uns auch keine Experten von außerhalb.
Aus dieser Grundhaltung heraus die uns gegebenen Instrumentarien zu nutzen, das ist unsere Aufgabe, und dort, wo wir Defizite feststellen und orten, die notwendigen Ergänzungen vorzunehmen.
Herr Kollege Schreiner, Zweifel an der Kompetenz der Parlamentarier oder der Parlamente? Glauben Sie ernsthaft, daß dies mit einer Organisation, mit einer Institution zu bewältigen und zu beheben sei? Ich glaube das nicht. Dazu gehört viel mehr. Ich betone: Das muß in erster Linie einmal uns selbst bewußt werden; und danach müssen wir alle handeln, nicht nur die aus dem Forschungs- und Technologieausschuß. Alle sind hier gefragt. Dies müssen wir hier tun.
({0})
Der Bundesforschungsminister hat die Technikfolgenabschätzung in seinem Ministerium thematisiert; das ist sehr zu begrüßen. Die Arbeitsgemeinschaft Großforschungseinrichtungen hat gerade einen Bericht „Systemanalyse und Technikfolgenabschätzung" vorgelegt. Der Verein Deutscher Ingenieure befaßt sich in seinen Gliederungen mit Technikfolgenabschätzung. Das ist alles höchst beachtenswert und herauszustellen. Und dem Hohen Hause liegen heute die Beschlußempfehlung und der Bericht des FuT-Ausschusses „Gestaltung der technischen Entwicklung; Technikfolgenabschätzung und -bewertung" zur Abstimmung vor, dem meine Fraktion - das erkläre ich hier - zustimmt.
Ich möchte aber für meine Person dazu feststellen dürfen, daß ich diese Beschlußempfehlung als Berichterstatter zwar mittrage, aber mir auch bewußt bin, daß die eigentliche politische Aufgabe der Technologiefolgenabschätzung damit sehr verkürzt wird. Damit entsprechen wir unserer genuinen Verpflichtung meines Erachtens nur begrenzt. Ich habe mich nun mehr als zwölf Jahre lang bemüht, dazu beizutragen, daß die Technologiefolgenabschätzung als eine permanente, interdisziplinäre Aufgabe in Politik und Gesellschaft verstanden wird. Es ist mir nicht gelungen, dies umzusetzen. Ich habe auch keine Hoffnung, daß mir dies gelingen könnte. Das ist der Grund dafür, daß ich den Vorsitz der Enquete-Kommission nicht übernehmen möchte.
Ich bedanke mich.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Wetzel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte eine Spur aufnehmen,
({0})
die vom Kollegen Schreiner gelegt worden ist. Er hat dankenswerterweise einen der im Zusammenhang mit dem Problem der Technikbewertung aktuellsten Denker ins Spiel gebracht, nämlich den Philosophen Hans Jonas, der vor wenigen Wochen in meiner Heimatstadt Frankfurt den Friedenspreis des Deutschen
Buchhandels erhielt. Diese Würdigung und die Tatsache, daß das Werk von Jonas bei allen Parteien Anerkennung genießt, möchte ich als ein Zeichen von Hoffnung verstehen und insofern auch mithoffen, daß Ihr recht weitgehender Pessimismus, Herr Kollege Laermann, unberechtigt sein möge.
Ich sehe in der Tatsache der Aktualität dieses Denkers eine wachsende Bereitschaft, endlich jenen tagtäglichen Krieg zu beenden, den wir gegen unsere natürlichen Lebensbedingungen und damit auch gegen die nachfolgenden Generationen, gegen unsere Kinder und Enkel, führen.
({1})
Zu diesem Kriegszustand, meine Damen und Herren, stellt der Friedenspreisträger fest, daß unser moralisches, unser ethisches und sogar unser naturwissenschaftliches Urteilsvermögen hinter unseren technischen Fähigkeiten und Macherprojekten immer mehr zurückbleiben.
({2})
Das Ausmaß unserer Natureingriffe überschreitet bei weitem unser Vermögen, ihre Folgen noch zu überblicken. Ich zitiere dazu Hans Jonas:
Die Macht der Menschen, etwas zu tun und in Raum und Zeit hineinzuwirken, ist in gewaltiger, ja, in erschreckender Weise über ihre Fähigkeiten und ihre Bereitschaft hinausgewachsen, Entwicklungen vorherzusehen, die möglichen Folgen unserer Handlungen im voraus zu werten und die immer rascher wechselnden Zusammenhänge zu beurteilen.
({3})
Hans Jonas weist weiter daraufhin, daß wir die Naturwüchsigkeit der technischen Entwicklung immer weniger beherrschen und daß moderne Technologien darüber hinaus - von uns häufig unbemerkt - sogar unsere gesellschaftlichen Ziele verändern. So müssen wir z. B., statt Lebensqualität und Wohlstand der Menschen zu mehren, immer mehr Mittel und Ressourcen aufwenden, die der Beseitigung von Schäden dienen,
({4})
von Schäden an Gebäuden, der Regenerierung abgestorbener Waldflächen oder der Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit.
({5})
Wohlgemerkt: Es handelt sich dabei um zwei- bis dreistellige Milliardensummen, wie wir das mittlerweile auch Berichten dieser Bundesregierung entnehmen können.
({6})
Hans Jonas hat - und dies halte ich für einen ganz zentralen Gedanken in seinem Werk - danach geforscht, wer denn für all diese Kosten aufkommen soll, die in den nächsten Jahren und Jahrzehnten als Folgeerscheinungen unserer technischen Zivilisation auftreten werden, also für die Entseuchung des Trinkwassers, unserer Böden und der Luft. Seine Antwort lautet, daß es die nachfolgenden Generationen sein werden - unsere Kinder und Enkel - , die dann unWetzel
seren Müll, unseren Dreck, unsere Zerstörung werden beseitigen müssen.
({7})
Mit anderen Worten: Meine Damen und Herren, derzeit brechen wir systematisch den grundlegendsten aller Generationenverträge, nämlich die Vorsorgepflicht für die Zukunft unserer Kinder. Um dieses Problem dreht es sich hier bei der Debatte zur Einrichtung einer Enquete-Kommission zur Technikfolgenabschätzung. Kollege Laermann, es ist nicht der große Wurf, daß wir glauben, alles sei damit schon gelöst, aber es wäre ein Anfang, um der Verantwortung von uns Parlamentariern für die technische Entwicklung gerecht werden zu können.
Was sich für unsere heutige Generation als äußerst praktische Kostenverschiebung zu Lasten der nachfolgenden erweist, war für Hans Jonas Anlaß, die Anwendung eines neuen, eigentlich selbstverständlichen Prinzips, des Prinzips Verantwortung, in der technischen Zivilisation zu fordern. Er verlangt, daß die heutige Generation auch und gerade die Belange und Lebensnotwendigkeiten der zukünftigen in ihre jetzigen Entscheidungen integrieren muß. Dies sieht er um so dringlicher für geboten an, als die zukünftige Generation keine Möglichkeit hat, ihre Interessen heute zu artikulieren oder durch einen Anwalt vertreten zu lassen.
({8})
Eine neue Ethik der modernen Zivilisation aber beinhaltet, Technologien in einer Weise zu entwikkeln und anzuwenden, daß den nachfolgenden Generationen eine intakte Umwelt übergeben und ein Leben in hoher Qualität ermöglicht werden kann.
({9})
Die Einlösung dieser ethischen Forderung bedeutet - damit komme ich zu dem gemeinsamen Entschließungsantrag unseres Ausschusses - , daß sich die höchste politische Instanz, das Parlament, mit dem notwendigen Wissen über die wahrscheinlichen oder unvorhersehbaren Folgen technologischer Entscheidungen ausstattet. Dieses Wissen über die Zukunft kann mit Hilfe der Technikfolgenabschätzung und -bewertung beschafft werden. Zumindest können wir Parlamentarier informierter über riskante Konsequenzen und wünschenswerte Alternativen debattieren und entscheiden.
Ich denke, wenn wir Hans Jonas zum Friedenspreis nicht nur beglückwünschen, sondern seine Anregungen auch ernst nehmen, dann dürfen wir auf solches Gestaltungs- und Handlungswissen nicht länger verzichten. Der Deutsche Bundestag benötigt eine Institution, die ihn mit solchem Wissen spezifisch nach seinen Bedürfnissen ausstattet und ihm die Wahrnehmung seiner Verantwortung für die technische Entwicklung überhaupt erst ermöglicht.
Meine Damen und Herren, die Tatsache, daß technologiepolitische Entscheidungen von äußerster Bedeutung für die Zukunft regelmäßig in ihren ganzen Implikationen am Parlament vorbei getroffen werden, widerspricht zutiefst unserem Verständnis vom Auftrag dieses Parlaments, nämlich oberste Kontroll- und Gestaltungsinstanz zu sein. Wir müssen uns daher über eine geeignete Form einer dauerhaften Beratungsinstitution unterhalten.
Ist Herr Lenzer anwesend? - Nein, aber er hat sich kürzlich schriftlich geäußert. Aber auch Herr Dr. Götz hat heute in ähnlicher Weise Ausführungen gemacht, teilweise auch der Kollege Laermann. Ich finde es sehr problematisch, bereits jetzt darüber zu spekulieren, welche Resultate diese neu einzusetzende EnqueteKommission haben soll. Es gibt große Zweifel - das klang bei allen Vertretern der Regierungsparteien an - , ob eine dauerhafte Institution beim Parlament erforderlich sei oder ob - wie bisher - nur zeitlich befristete Enqueten eingerichtet werden sollen. Ich bin da anderer Meinung. Ich denke, wir brauchen eine dauerhafte Beratungsinstitution. Ich will Ihnen das an zwei Beispielen verdeutlichen.
Als die Enquete-Kommission „Jugendprotest im demokratischen Staat" ihre Arbeit einstellte, gingen noch Monate danach Briefe bei der Verwaltung des Deutschen Bundestages ein, in denen Jugendliche ihre Interessen artikulierten. Sie bedauerten insbesondere, daß ihnen durch die Auflösung der EnqueteKommission, dieser zeitlich befristeten Einrichtung, ihr Ansprechpartner beim Parlament verlorengegangen sei.
Außerdem fehlte dem Parlament nun natürlich auch eine Instanz, die es bei der Umsetzung der Empfehlungen weiter hätte beraten können. Der vorhandene, mühsam erarbeitete Sachverstand in jugendpolitischen Fragen war mit der Auflösung der EnqueteKommission verlorengegangen.
Das zweite Beispiel bezieht sich auf die EnqueteKommission „Gentechnologie". Nach meinem Eindruck ist, bevor sich der Deutsche Bundestag überhaupt eingehend mit ihrem Bericht befassen konnte, ein Teil des erarbeiteten Wissens und der Empfehlungen bereits vom Stand der Technik überholt worden. Dieser Bericht der Enquete-Kommission „Gentechnologie" ist überhaupt nicht mehr aktuell. Das heißt, auch hier gibt es außer den damals beteiligt gewesenen Parlamentariern niemanden mehr, der das Parlament weiter sachkundig beraten könnte, das erarbeitete Wissen vermitteln könnte und an den neu, ganz aktuell aufgeworfenen Problemen im Zusammenhang gentechnologischer Entwicklungen weiterarbeiten könnte.
({10})
- Da stimme ich Ihnen gern zu.
Aus diesen Gründen möchte ich die Vertreter der Regierungsparteien insgesamt auffordern und bitten, nicht schon vor Beginn der Arbeit der Enquete-Kommission mit relativ eingeschliffenen Argumentationsmustern mögliche Ergebnisse vorwegzunehmen, sondern sich offen mit dem Beratungsdilemma des Parlaments auseinanderzusetzen und sich an der Suche nach sachbezogenen Lösungsstrategien vorurteilsfrei zu beteiligen. Ich stimme Herrn Dr. Götz zu, wir sollten an diese Probleme unvoreingenommen herangehen.
Ich bin ganz sicher: Es geht nicht um Technikverhinderung, wie das vorhin angesprochen wurde, auch
nicht um das Schüren von Technikangst, sondern um die Organisierung eines gesellschaftlich verantwortbaren intelligenteren Umgangs mit Technik. Das ist das Problem. Wir gehen im Augenblick außerordentlich töricht mit modernen Entwicklungsmöglichkeiten um.
Es geht darum, frühzeitig Vorsorge zu treffen und sich nicht darauf zu beschränken, im nachhinein kostspielige Reparaturmaßnahmen zu ergreifen.
Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag. Lassen Sie uns eine Technologiepolitik entwickeln, für die uns die nachfolgende Generation danken kann und nicht hassen muß! Bedenken Sie dabei: Zeichen solchen Hasses ragen aus der Zukunft bereits in die Gegenwart hinein. Das Projekt, eine demokratische Gesellschaft zu entwickeln, versöhnt mit ihren Nachkommen und mit der Natur, steht auf dem Spiel.
Danke.
({11})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 sowie den Zusatztagesordnungspunkt 5 auf:
14. a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zur Vorbereitung der 2. Internationalen Nordseeschutz-konferenz ({0}) vom 21. September 1987
- Drucksache 11/878 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Ausschuß für Wirtschaft
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Protokollen vom 25. Mai 1984 zur Änderung des Internationalen Übereinkommens von 1969 über die zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden und zur Änderung des Internationalen Übereinkommens von 1971 über die Errichtung eines Internationalen Fonds zur Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden
- Drucksache 11/892 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß ({2})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Zusatztagesordnungspunkt 5:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Laufs, Carstensen ({3}), Austermann, Clemens, Weiß ({4}) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie
der Abgeordneten Baum, Frau Dr. Segall, Wolfgramm ({5}), Kleinert ({6}), Bredehorn, Frau Folz-Steinacker, Funke, Dr. Hirsch, Neuhausen, Richter, Ronneburger, Timm und der Fraktion der FDP
2. Internationale Nordseeschutzkonferenz - Drucksache 11/1048 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({7})
Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Forschung und Technologie Haushaltsausschuß
Zum Bericht der Bundesregierung liegen Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN, der Fraktion der SPD sowie der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf den Drucksachen 11/1083, 11/1093 und 11/1104 ({8}) vor.
Im Ältestenrat ist für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte ein Beitrag bis zu 10 Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Carstensen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einigen Beurteilungen der Situation und der Gegebenheiten beginnen, die mit Nordseeschutz zusammenhängen. Eine positive vorweg: Diese Bundesregierung ist die Regierung, die angesichts der Situation der Nordsee endlich in vielen verschiedenen Bereichen entschieden gehandelt hat und weitaus mehr als alle anderen Bundesregierungen vor ihr und auch weitaus mehr, als die ständigen Anmahner ihr zugetraut haben, für den Schutz der Nordsee unternommen hat.
Eine zweite, diesmal selbstkritisch negative Bemerkung: Immer noch wird für den Schutz der Nordsee zuwenig unternommen.
Ein drittes: Als Abgeordneter, der die Arbeit unserer Regierung im Bereich des Nordseeschutzes mit großer Begeisterung unterstützt, beurteile ich die derzeitige Situation mit einem weinenden und einem lachenden Auge; lachend, weil unsere Bundesregierung der unbestrittene Vorreiter für die Gesundung der Nordsee ist; weinend, weil das alles nur ein Tropfen auf den brennend heißen Stein der Verschmutzung ist, solange die Bundesrepublik für die Nordsee Einzelkämpfer bleibt.
Tragisch ist, daß wir hier bei uns alles mögliche zum Schutz der Nordsee unternehmen können und nicht zu einem durchgreifenden Erfolg kommen werden, wenn es nicht zu international gemeinsam abgestimmten Anstrengungen kommt, wenn nicht die anderen Länder Europas, die sich in die Nordsee entsorgen, in diesem Bemühen mitmachen.
Carstensen ({0})
Zu diesen anderen Ländern gehören - das erschwert die Situation und die Arbeit zusätzlich - nicht nur die Anrainerstaaten der Nordsee. Die Erkenntnis der internationalen Verflechtung des Problems Nordseeschutz hätte schon viel früher zwangsläufig zu internationalen Verhandlungen und zu einer Internationalen Nordseeschutzkonferenz führen müssen.
Es ist für mich völlig unverständlich, daß die SPD, die das erste Nordseegutachten schon 1980 auf den Tisch gebracht hat, nicht nur nicht für eine solche Konferenz gesorgt hat, sondern jetzt auch noch den Erfolg, den wir damit haben, madig macht. Wenn Sie etwas für den Schutz der Nordsee tun wollen, dann sollten Sie auch alles unternehmen, gerade dieser Regierung dabei zu helfen, den Karren, der unzweifelhaft schon viel zu tief im Dreck sitzt, herauszuwuchten.
({1})
Dazu gehört, daß man dem Pferd, das da ziehen soll, nicht nur die richtige Ausrüstung - das richtige Geschirr und Zaumzeug - gibt,
({2})
Herr Schäfer, man kann ihm auch gern einmal die Peitsche zeigen oder geben, man darf sich aber nicht vor das Pferd stellen und es aufhalten oder behindern. Das aber tun Sie.
({3})
- Wissen Sie, wir haben ein Pferd, das zieht. Ich glaube, mit einem guten Ackergaul, der seine Pflicht tut und seine Arbeit erledigt, kann man sicherlich zufrieden sein.
Sie können ja gerne nach der Konferenz in London die Bundesregierung und den Minister Töpfer kritisieren. Vorher aber sollten Sie doch Parteistrategien zurückstellen und der deutschen Delegation und dem Minister den Rücken stärken, damit in London dargestellt werden kann, daß wir alle gemeinsam hinter den Forderungen der Bundesregierung stehen.
({4})
- Das macht nichts. Sie haben gar nichts gemacht. Das ist der kleine Unterschied, Herr Schäfer.
Die Forderungen für die Konferenz, die Sie unserem Antrag entnehmen können, sind sehr weitgehend. Ich darf an das erinnern, was Dr. Dethlefsen von der Bundesforschungsanstalt für Fischerei, ein anerkannter Experte im Bereich des Nordseeschutzes, während der Anhörung am 5. Oktober gesagt hat. Er hielt
- Sie können das im Protokoll nachlesen - unseren Maßnahmenkatalog für außerordentlich gut durchdacht und vollständig. Überlegen Sie einmal, ob nicht auch das Anlaß für Sie sein kann, parteipolitisches Kalkül hintanzustellen und die Arbeit der Bundesregierung im Interesse der Nordsee zu unterstützen.
Unser Antrag trägt der Tatsache Rechnung, daß die Schmutzfracht über die Flüsse, die die Nordsee belastet, nicht nur von den Nordseeanrainern kommt. Hamburg kann ein Lied davon singen. Die Verhand lungen mit der CSSR und mit der DDR laufen erfolgversprechend. Wir fordern die Bundesregierung auf, zu einer Konvention zum Schutz der Elbe und zur Bildung einer trilateralen Elbschutz-Kommission zu kommen.
({5})
Ohne internationale Vereinbarungen und ohne die Hilfe anderer europäischer Staaten läuft hier viel zu wenig. Das kann aber kein Grund sein - es ist bisher auch kein Grund gewesen - , auf nationale Maßnahmen zu verzichten. Wir haben unsere Schularbeiten gemacht.
Ich denke da auch an Gesetze und Verordnungen, die vordergründig nicht direkt etwas mit dem Schutz der Nordsee zu tun haben, aber ihre Wirkung auch dort zeigen. Großfeuerungsanlagen-Verordnung, TA Luft, schadstoffarme Pkw und bleifreies Benzin sind nur wenige Stichworte.
Wir erwarten, daß die Bundesländer in ihrer Zuständigkeit neu geschaffene Rechtsgrundlagen, wie z. B. das Wasserhaushaltsgesetz, Abwasserabgabengesetz, Waschmittelgesetz und das Abfallgesetz, zügig umsetzen. Wir sind ja gerne bereit, den Bundesländern, die besondere Belastungen zu tragen haben, zu helfen, wie es schon bei der Mitfinanzierung der kostenfreien Ölentsorgung von Schiffen in unseren Hafenstädten geschehen ist.
({6}) Ich bin auch gerne bereit,
({7})
die Unterstützung anzubieten, wenn es darum geht, zu einer sauberen Entsorgung des hoch belasteten Hamburger Hafenschlicks zu kommen, um diesen nicht in die Elbe zu eggen. Aber wir können dann wohl auch erwarten, daß Unterstützung von den Ländern kommt, wenn es um die Verringerung der Abfallbeseitigung, insbesondere durch die Verbrennung auf der hohen See, kommt.
Die Fischer, die kürzlich gegen die Müllverbrennung auf See protestiert haben, haben mein volles Verständnis. Aber es wäre richtig und konsequent gewesen, wenn diese zusammen mit Greenpeace auch dort demonstriert hätten, wo in Gemeinden vordergründig die Ansiedlung von Müllverbrennungsanlagen an Land verhindert oder nicht genehmigt wird.
Schutz der Nordsee bedeutet auch, ökonomische Belange derjenigen, die sich dorthinein entsorgen, zurückzustellen gegenüber den gewachsenen und historischen ökonomischen Rechten derjenigen, die von und mit der Nordsee leben. In erster Linie sind hier wohl die Fischer und die Familien zu nennen, die vom Fremdenverkehr leben.
Ich begrüße daher ausdrücklich eine Aktion des Nordseebäderverbandes Schleswig-Holstein, der in Zusammenarbeit mit Naturschutzverbänden, aber auch mit dem Deutschen Fischereiverband ein Schiff, die „Pidder Lyng" , nach London entsendet, um dort
Carstensen ({8})
die Notwendigkeit einer sauberen Nordsee auch aus dieser Sicht anzumahnen.
({9})
- Ich gehe davon aus, daß ich am Montag dort sein werde. Ich lade Sie ganz herzlich ein, auch dort etwas zu lernen. Herr Schäfer, Sie brauchen das sehr dringend.
Die Nordsee darf im Sinne der Fischerei und des Fremdenverkehrs nicht ihr gutes und gesundes Image verlieren. Äußerungen - auch hier im Hohen Hause oder in den. Ausschüssen - von vereinzelten Mitgliedern der SPD-Fraktion, die es eigentlich besser wissen müßten, aber trotzdem von der Nordsee als einer übelriechenden, gesundheitsgefährdenden Kloake, die mit einem Badeverbot zu belegen wäre, sprechen, sind dumm, falsch und wenig hilfreich.
({10})
- Ich bedanke mich für das Lob, Frau Kollegin.
Es ist schon ein starkes Stück, wenn die Frau Kollegin Blunck in einer öffentlichen Ausschußsitzung von einem Zusammenhang zwischen dem Nematodenbefall von Fischen und der Dünnsäureverklappung spricht und das auch noch mit Untersuchungen der Biologischen Anstalt Helgoland begründet, Untersuchungen, die es überhaupt nicht gegeben hat. Auf solche hervorragenden Institute sollte man sich nicht berufen, zumal dann nicht, wenn man schlecht informiert ist.
Eigene nationale Maßnahmen bleiben notwendig. Dazu gehört unsere schon erfolgreiche Strategie der Verringerung der Schadstoffeintragung in die Nordsee. Mit dieser Strategie konnte der Nordsee geholfen werden. Wären wir damals der Opposition gefolgt und hätten ein sofortiges Verbot der Verklappung ausgesprochen, hätten wir zwar eine reine Pharisäerweste, aber die Belastung der Nordsee hätte sich nicht verringert und wäre verstärkt aus anderen Ländern erfolgt.
Ein weiteres Problem, das wir national lösen oder dessen Lösung wir initiieren können, ist die notwendige Sicht- und wetterunabhängige Flugüberwachung der Nordsee. Zweckmäßig wäre sie in einer Abstimmung und Zusammenarbeit mit Holland und Dänemark. Notwendig ist aber die Ablösung des derzeitigen Flugzeuges DO 28, meinetwegen durch die DO 228.
Die Fraktion der GRÜNEN hat heute ja noch den Antrag eingebracht, auf den Ausbau des Dollarthafens zu verzichten.
({11})
Bei dieser Maßnahme geht es nicht um einen neuen Hafen, wie fälschlicherweise vermittelt werden soll, sondern um die Modernisierung des Hafens Emden, um diesen wirtschaftlicher zu gestalten. Mit „Arbeit vor Ort statt weit fort" hat die SPD im Wahlkampf in Schleswig-Holstein geworben. Hier geht es um die Erhaltung von 14 000 bis 15 000 Arbeitsplätzen im strukturschwachen Ostfriesland, von denen alleine 10 000 gegeben sind durch die Tatsache, daß Emden
größter Pkw-Exporthafen der Küste ist mit fast 500 000 Fahrzeugen im Jahr.
Allein VW hat dort in den letzten Jahren 1,2 Milliarden DM investiert. Es wird schon interessant sein, wie sich die SPD-Kollegen aus der Region einlassen.
({12})
Die Begründungen der GRÜNEN sind nicht stichhaltig; wir werden den Antrag ablehnen.
Der Antrag der SPD entspricht ihrer Wischiwaschipolitik. Sie legt sich nicht fest.
({13})
Wir haben unsere nationalen Hausarbeiten im Nordseeschutz gemacht.
({14})
Wir haben dafür gesorgt, daß es zu den Internationalen Nordseeschutzkonferenzen gekommen ist.
Frau Präsidentin, mein letzter Satz: Wir erwarten Ergebnisse von der 2. Internationalen Konferenz in London, und unser Minister hat für die Verhandlungen unsere volle Unterstützung.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Schütz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Carstensen, die Konferenz wollen wir nicht madig machen, wir wollen aber die Pferde peitschen und Hafer austeilen,
({0})
damit die Erfolge der Konferenz auch eingesackt werden können. Ich hoffe, daß wir erfolgreich sind.
Der uns vorliegende Bericht zur 2. Internationalen Nordseeschutz-Konferenz vermittelt den Eindruck, als habe der Patient Nordsee nur eine ernsthafte Grippe, sei ansonsten aber gesund, während wir alle auf der Nordsee-Anhörung gehört haben, daß schon die Überweisung auf die Intensivstation bevorstehen kann.
Die zusammenfassende Position des Berichts zum ökologischen Zustand der Nordsee sagt, daß trotz der zum Teil besorgniserregenden Belastung von Teilgebieten der Nordsee mit Schadstoffen das Ökosystem Nordsee in seiner Gesamtheit noch seine natürliche Form aufweise. Dies ist eine Strategie der Verharmlosung über den besorgniserregenden Zustand der Nordsee, und den können wir uns nicht leisten.
({1})
Wir können ihn uns auch nicht leisten, wenn andere Nordsee-Anlieger, insbesondere im Nordwesten, noch unbekümmerter mit der Krankheit umgehen. Der Maßstab unserer Sorgen muß der tatsächliche
Befund sein, und der ist mehr als kritisch, Herr Carstensen. Kann man noch so verharmlosend von belasteten Teilgebieten sprechen, wie es im Bericht geschieht, wenn Sachverständige das riesige Gebiet zwischen der Deutschen Bucht, der Doggerbank und dem Skagerrak als schon jetzt so stark eutrophiert beschreiben, daß bei ungünstigen Witterungsverhältnissen ein großflächiger Zusammenbruch des Ökosystems möglich erscheint, die Nordsee in diesem riesigen Bereich also umkippen kann?
({2})
- Wir wollen hier doch einmal die Anhörung zitieren. Der Bericht schätzt den Nährstoffeintrag durch die Flüsse als „in den letzten Jahren nicht mehr angestiegen" ein. Der sogenannte Quality Status Report sieht im Gegensatz hierzu einen weiter stark steigenden Trend der Nährstoffzuführung.
({3})
Bereits jetzt leiden die tief im Boden siedelnden Tiere unter dem starken Sauerstoffmangel wegen der Eutrophierung, viele sterben. Nach neuen Untersuchungen ist eine außerordentliche Verarmung der Fauna bereits an der Doggerbank festzustellen. Über das vom Nährstoffeintrag unmittelbar belastete Wattenmeer will ich gar nicht reden. Ich will den Nachweis, daß es bei der Nordsee nicht kurz vor zwölf, sondern bereits 12 Uhr ist, weil schwere Schäden eingetreten sind, nicht noch durch weitere Aussagen der Sachverständigen zur Nordsee-Anhörung unterstreichen. Es ist hoffentlich auch so klar, daß der Bericht nach der Anhörung hätte umgeschrieben werden müssen und nicht vor der Anhörung hätte vorgelegt werden dürfen.
({4})
Mich hat zur Frage des Ernstes der Nordseegefährdung in der Anhörung Dr. Hoppenheit überzeugt. Ihm scheint unser Potential, irreversible Schäden anzurichten, größer zu sein als unsere Fähigkeit, einen Schaden rechtzeitig zu erkennen und zu reparieren.
Auf einige von der Bundesregierung vorgeschlagene Maßnahmen und Ziele für die 2. Internationale Nordseeschutz-Konferenz will ich eingehen. Ich bleibe zunächst bei dem mir für die Gesundung der Nordsee wichtigsten Ziel der Nährstoffreduzierung, um der Gefahr der Eutrophierung und Hypertrophierung zu begegnen. Das Ziel der Bundesregierung, eine Gesamtreduzierung von Stickstoff und Phosphaten um möglichst 50 % in den nächsten zehn Jahren zu erreichen, ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Wer aber diese Nährstofffrachten gemeinsam mit den Nachbarstaaten reduzieren will, muß, um glaubwürdig zu sein, zu Hause damit anfangen.
({5})
Nordseeschutzpolitik ist eben vor allem konsequente Umweltpolitik im eigenen Land. Wenn die Bundesregierung die Belastung vor allem durch die Intensivlandwirtschaft nicht beachtet und sich beispielsweise weigert, die sogenannte Landwirtschaftsklausel im Bundesnaturschutzgesetz zu ändern, kann sie nicht überzeugend Nordseeschutzpolitik betreiben. Wer
- wie ich - im Wahlkreis erlebt, daß von Massenviehhaltern im weiten Umkreis Pachtflächen erworben werden, um die Gülle loszuwerden, weiß, wovon die Rede ist. Weitergehende Regelungen für die Massenviehhaltung, für die Gülleaustragung und für Stickstoffausträge müssen getroffen werden, um wirksame Instrumente gegen die über die Wassersysteme in die Nordsee gelangenden Nährstoffe zu erhalten.
Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Gerne.
Bitte, Herr Carstensen.
Herr Kollege Schütz, wären Sie bereit, sich bei Ihren Kollegen aus Ihrer Fraktion über den Nährstoffeintrag, über die Auswaschung von Stickstoffen aus intensiv wirtschaftenden landwirtschaftlichen Betrieben danach zu erkundigen, was diese Kollegen gestern bei dem Parlamentarischen Abend mit der VDLUFA erfahren haben?
Herr Carstensen, ich habe die Anhörung mitgemacht. Ich hoffe, Sie waren auch da. Wir haben Herrn Salzwedel gehört, der z B. darauf hingewiesen hat, wie die Auswaschungen waren. Herr Salzwedel macht ja Vorschläge - ich komme gleich noch darauf - , um die Gewässer von Dünger freizuhalten und Gewässerrandstreifen zur Düngung hin anzulegen. Das sind alles Hinweise, die besagen: Wir müssen mit der Düngung herunter.
Ich will das ausführen. Ich habe gerade auf Salzwedel hingewiesen, Rachor hat in der Anhörung das Instrument der Stickstoffsteuer vorgeschlagen. Ich weiß nicht, ob das greift. Auf jeden Fall ist es so, daß die Landwirte das Zehnfache an Stickstoff benötigen, damit wir jeden Tag unsere sieben Gramm Stickstoff essen können. Wir müssen dahin kommen, daß wir weniger düngen.
Die bei uns noch völlig unzureichenden nationalen Anstrengungen auf diesem Gebiet und die Tatsache, daß die Hauptprobleme des Sauerstoffmangels natürlich im Wattenmeer auftreten, dürfen nicht dazu führen, daß die anderen Nordseeanliegerstaaten die Nährstoffreduzierung als ein Problem der Wattenanrainer behandeln. Dies zu verhindern muß ein Hauptpunkt der Verhandlungen in London sein.
({0})
Die notwendige Emissionsbegrenzung für gefährliche Stoffe ist unter dem gleichen Aspekt wie die Nährstoffreduzierung zu sehen. Je klarer und deutlicher wir zu Hause unsere Schadstofffrachten in den Griff bekommen, desto überzeugender ist unsere Position in internationalen Verhandlungen. Das von der Bundesregierung anvisierte Ziel, für gefährliche Stoffe den „Stand der Technik" als Maßstab für die Immissionsbegrenzung an der Quelle anzuerkennen und einzuführen, ist grundsätzlich richtig. Allerdings wäre unsere dementsprechende Regelung in § 7 des Wasserhaushaltsgesetzes wesentlich überzeugender,
wenn sie sofort greifen würde. Das Anforderungsniveau „Stand der Technik" gilt aber erst nach Inkrafttreten von zahlreichen noch zu ändernden Verwaltungsvdrschriften.
({1}) - In ferner Zukunft.
Das Wasserhaushaltsgesetz bietet nach wie vor nur Scheinlösungen, solange das Anforderungsniveau „Stand der Technik" nicht wirksam ist. Für die Indirekteinleiter, also für Einleiter in die öffentlichen Abwasseranlagen, gilt der „Stand der Technik" auch noch nicht. Schließlich gilt das Anforderungsniveau „Stand der Technik" nicht bereits am Ort des Anfalls oder vor der Vermischung des Abwassers, so daß gefährliche Stoffe nicht am Entstehungsort aus dem Wasser entfernt werden müssen. Auch das Abwasserabgabengesetz hätte wesentlich strenger gefaßt werden können. Meine Fraktion hat das im Vorjahr deutlich gemacht und darauf hingewiesen. Das sind die Hausarbeiten, die hätten besser erledigt werden können, um Nährstoff- und Schadstofffracht in den Flüssen geringer zu halten.
({2})
Wir können nicht in den internationalen Verhandlungen öffentlich Wasser predigen und heimlich Wein trinken. Die Ernsthaftigkeit unserer nationalen Regelungen kann auch von Nachbarstaaten geprüft werden.
Ich habe deutlich machen können, daß die notwendigen nationalen Maßnahmen nicht wegen fehlender internationaler Richtlinien verzögert werden dürfen. Natürlich müssen die internationalen Regelungen schleunigst durchgesetzt werden. Die von der Bundesregierung angestrebte Erklärung der Nordsee zum Sondergebiet nach dem MARPOL-Abkommen, um die legale Einleitung von Öl- oder Chemikalienrückständen zu stoppen, ist richtig. Genauso müssen gemeinsame Anstrengungen zur Entsorgung der einzelnen Schiffe von Öl- und Chemikalienrückständen durch subventionierte Schiffentsorgungsstationen in den Häfen gemacht werden. Bremen hat damit angefangen. Es ist ein Weg in die richtige Richtung.
Das Einbringen von Industrieabfällen und das Verbrennen auf See ist frühestmöglich zu unterbinden. Ich glaube, wir sind gemeinsam der Meinung, daß das Verklappen 1990 zu Ende ist. Das Verbrennen hochgiftiger Stoffe auf See kann desto eher eingestellt werden, als Verbrennungsanlagen an Land errichtet worden sind. Meine Partei hat sich gerade jüngst bereit erklärt, eine Hochverbrennungsanlage zu akzeptieren. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.
({3})
Die Nordseeschutzkonferenz darf nicht mehr scheitern. Sie muß konkrete Erfolge zeitigen, um den Patient Nordsee nachhaltig zu heilen. Dafür hat die Bundesregierung unsere nachhaltige Unterstützung. Das wollen wir sagen.
({4})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz - wir haben hier eine verbundene Debatte - auf die Änderung des Haftungsübereinkommens und des Fondsübereinkommens über die Haftung und Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden eingehen. Gegen eine Neufestsetzung der Höchstbeträge der Haftung der Schiffseigentümer nach oben und der Entschädigungspflicht des Haftungsfonds sowie seiner geographischen Ausdehnung wird natürlich keine Einwendung erhoben. Im übrigen finde ich diese Konstruktion der Entschädigungspflicht des Fonds nicht nur für Tankerunfälle interessant.
({5})
Bei der Diskussion über ein Umwelthaftungsrecht sind solche Konstruktionen auch für umweltbelastende Anlagen denkbar. Wir sollten uns dieses Vorbild für ein Umwelthaftungsrecht merken.
Abschließend, meine Damen und Herren, möchte ich zum Entschließungsantrag der GRÜNEN, aber auch zu den Entschließungsanträgen der SPD- und der CDU-Fraktion sagen, daß das Parlament jetzt nicht aus dem Bauch heraus sagen kann: Wir sollten auf den Dollarthafen verzichten.
({6})
Es ist ein Problem, das gründlich geprüft werden muß.
Gegenstand der heutigen Diskussion ist die ökologische Situation. Wir haben die notwendige Einführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung vorgeschlagen.
({7})
Der Hafenausbau ist geprüft worden. Das Gutachten der Prognos AG zur ökologischen Seite des Hafenausbaus kommt zu dem Ergebnis, daß der geplante Dollarthafen zum jetzigen Zustand in einem ausgeglichenen Verhältnis in der Weise steht, daß es beim Neubau des Dollarthafens ökologische Verbesserungen und ökologische Verschlechterungen geben wird; das ist das Ergebnis des Prognos-Gutachtens. Das ökologische Hauptproblem am Dollarthafen ist wegen der Strömungsveränderung eine mögliche Verschiebung der Brackwasserzonen nach Norden und ein Wegfall von Wattflächen.
Wir sollten und können zu diesem Zeitpunkt vernünftigerweise nur fordern, daß die Überprüfung der Umweltverträglichkeit des Projektes gründlich, umfassend und nachhaltig unter öffentlicher Beteiligung, Herr Carstensen ({8})
das ist das Neue der Umweltverträglichkeitsprüfung, das Sie in Ihrem Antrag überhaupt nicht erwähnen - auch der Umweltschutzverbände erfolgt. Möglicherweise müssen noch zusätzliche Untersuchungen, insSchütz
besondere zur Verschiebung der Brackwasserzone, gemacht werden.
Erst in Kenntnis der Ergebnisse einer solchen Umweltverträglichkeit, Frau Garbe, können wir seriöser diskutieren. Es hat keinen Sinn aus dem Bauch hier solche Anträge zu stellen.
Wir bitten, dem Antrag der GRÜNEN nicht zu folgen und unserem Antrag zuzustimmen.
({9})
- Wir sind dafür, daß ein Dollarthafen gebaut wird. Wir wollen nur, daß eine gründliche und seriöse Überprüfung an dieser Stelle nach der UVP gemacht wird, was Sie offensichtlich nicht wollen, weil Sie nämlich sagen: Alles ist schon erfolgt. Wir unterscheiden uns an dieser Stelle insofern, als wir sagen: Die strengen EG-Richtlinien wollen wir anwenden, und das wollen wir auch.
Ich danke Ihnen.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Heute diskutieren wir, wie ich finde, mit Recht. Im Mai hatten wir ja eine Debatte, bei der wir keine Vorlagen hatten. Wir haben heute den Bericht der Bundesregierung, und wir haben ein Hearing, eine Sachverständigenanhörung, gehabt. Die Sachverständigenanhörung hat deutlich gemacht, daß wir noch viel, sehr, sehr viel tun müssen. Wir müssen es schnell tun, und wir müssen es intensiv tun. Aber immerhin hat sie auch deutlich gemacht, daß einige Dinge, die wir in der Vergangenheit begonnen haben, ja schon zu wirken beginnen und auch wirken.
Das Wasserhaushaltsgesetz und das Abwasserabgabengesetz zeigen ihre Wirkung; die Parametereinteilung zeigt ihre Wirkung. Es ist deutlich geworden, daß die Gewässergüte verbessert ist; das kommt der Nordsee zugute. Ich komme nachher speziell auf die Elbsituation noch einmal zurück.
Der Kollege Schütz hat eben mehrfach den im Deutschen Bundestag nicht ganz seltenen Ausdruck „ein Schritt in die richtige Richtung" gebraucht. Sie haben das mehrfach vorgetragen. Daraus schließe ich doch schon, daß wir begonnen haben, dabei eine Wegstrecke zurückzulegen, und daß wir auch dabei sind, Weiteres zu tun.
Wir müssen in dieser Frage noch mehr tun. Ich weise noch einmal darauf hin, daß ich damals gerne gesehen hätte, wenn sich die sozialdemokratischen Mitglieder im Innenausschuß, als Umwelt- und Innenbereich im Innenausschuß zusammengefaßt waren, für eine Phosphatabgabe eingesetzt hätten. Wir haben das damals nicht durchsetzen können, auch nicht gegenüber der Regierung. Die SPD war damals sehr beeindruckt davon, daß es nicht zu einer Phosphatabgabe kam. Auch Harald Schäfer war beeindruckt und zufrieden, daß wir andere Waschmittel wählten. Aber damit haben wir natürlich überhaupt nichts gegen den normalen Phosphateintrag getan, der von Städten, Gemeinden und von der Landwirtschaft natürlich zusätzlich hier ausgeht.
Also, man kann auch aus Fehlern lernen. Ich bin sicher, daß wir bald eine dritte Fällungsstufe haben werden. Wir wollen sie ja nun bald einrichten, und zwar nach dem Stand der Technik und nicht nach den allgemeinen Regeln der Technik.
Ich wiederhole hier: Die Fortschreibung des Nordseegutachtens wünschen wir. Wir wünschen, daß wir auf gesicherten neuen Daten unsere weiteren Überlegungen in bezug auf die Nordsee und die Nordseeverbesserung anstellen können. Es ist ja im Hearing bestätigt worden, daß damals die Frage der Eutrophierung und auch die Frage des Schadstoffeintrags durch die Luft keine Rolle gespielt oder jedenfalls wenig Berücksichtigung gefunden hat.
Übrigens möchte ich noch einmal festhalten: Wir müssen das, was wir 1986 begonnen haben, die Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes und der anderen Gesetze, jetzt mit den Ländern zügiger umsetzen. Nun müssen die Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften erlassen werden. Da fehlt noch eine ganze Fülle. Der Zeitplan dazu muß wohl auch festgelegt werden.
({0})
Wenn ich nach links blicke, sehe ich drei Vertreter der Bundesländer. Ich hoffe, es sind wenigstens drei Vertreter - ich kann das personell nicht feststellen - aus den fünf betroffenen Nordseeländern. Beim letztenmal war einer da. Jetzt haben wir immerhin drei. Aber zwei fehlen mir noch. Ich hätte es bei einer solchen Debatte, die über das Nordseeproblem geführt wird und die eine ernste Debatte ist, weil wir dabei eine Menge an Verzug haben, sehr gern, wenn alle Länder, die betroffen sind, hier ihre Vertreter herschickten.
({1})
Frau Präsidentin, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie - wenn das möglich wäre - in einer freundlichen kleinen Demarche - ohne daß wir das außenpolitisch definieren wollten - die Länder, die da in Frage stehen, darauf hinwiesen, daß auch Debatten im Deutschen Bundestag vielleicht in dem einen oder anderen Punkt hilfreich sein und zur Verbesserung der Überlegungen beitragen können.
Ich möchte ein Wort zur Elbe sagen: Ich bin vor kurzem Mitglied einer Delegation des Umweltausschusses gewesen, die in der Tschechoslowakei war. Wir haben zu meiner großen Freude zum erstenmal gehört, daß die Tschechoslowakei bereit sei, das Verursacherprinzip grundsätzlich anzuerkennen - jedenfalls als Oberlieger bei der Elbe. Sie könnte sich ja auch so verhalten, wie sie das bisher getan hat, und sagen: Uns interessiert das nicht sehr; das geht alles an die DDR und dann schließlich an die Bundesrepublik. - Aber sie hat sich bereit erklärt, eine Elbschutzkonvention - sie würde der Rheinschutzkonvention gleichen - ins Auge zu fassen.
Wolfgramm ({2})
Ein Gespräch mit Vertretern der DDR, mit dem dortigen Umweltminister Reichelt hat gezeigt, daß das auf großes Interesse stößt. Die DDR macht allerdings immer noch ein Junktim zwischen der Grenze an der Elbe und der verbesserten Klärung der Elbe geltend. Ich bin aber der Meinung, daß das inzwischen doch auf einen sehr nachdenklichen Boden gefallen ist. Wir haben hier Anlaß, diese Überlegungen intensiv voranzutreiben. Das, was an Schwermetallen mit der Elbe von der CSSR, von der DDR hier in die Bundesrepublik kommt, ist so bedenklich - wir können dagegen gar nichts tun, es kann nur an der Quelle, bei der Einleitung unmittelbar, bekämpft werden - , daß wir diesen Weg sehr ernst und sehr intensiv gehen müssen. Ich wünsche mir, daß beide Länder das, was sie bei diesen Gesprächen nachdenklich und zustimmend zum Ausdruck gebracht haben, auch in die Tat umsetzen. Ich wünsche mir und bitte auch die Bundesregierung, daß wir diese Überlegungen, die auch sie schon angestellt hat - der Bundesumweltminister hat schon ein Gespräch mit seinen tschechoslowakischen Kollegen geführt - , auf dieser Basis erfolgreich fortsetzen können. Ich glaube, das wäre sehr hilfreich.
Übrigens, die Vertreter der DDR haben mir gesagt, daß die DDR über 80 % ihres Trinkwassers aus der Elbe bezieht. Ich denke, daß es dort ein großes Selbstinteresse geben müßte, zu besserem Trinkwasser zu kommen; denn wenn bei uns die Schwermetalle Quecksilber und Cadmium in wirklich großen Mengen ankommen, werden sie ja wohl auch dort im Wasser vorhanden sein.
Ich möchte eine Anmerkung zur Vorbereitung der Nordseekonferenz machen. Die Intensität, mit der die Bundesregierung und der Bundesumweltminister hier tätig gewesen ist, ist wirklich von uns anzuerkennen. Die anderen Staaten haben dieses Umweltbewußtsein noch nicht. Großbritannien hat eben eine Insellage und glaubt, daß es sich mit dieser Insellage noch lange durchmogeln kann. Man muß nur einmal betrachten, wie die Themse mit Kläranlagen versehen worden ist: nur bis London. Das hängt vielleicht damit zusammen, daß ein berühmtes Buch, „Drei Mann in einem Boot" , vor etwa 100 Jahren von Jerome geschrieben, eine sehr nette Themsereise beschreibt. - Aber, wie gesagt, von London an finden Sie kein einziges Klärwerk mehr an der Themse, und es gibt noch einen langen Weg zur Nordsee. Auf diesem langen Weg finden Sie alles wieder, was herauszunehmen man vorher intensiv versucht hat.
Es wäre vielleicht auch hilfreich, wenn wir den Umweltministern der EG-Länder einmal auf einer Nordseeinsel vorführen könnten, welche Schäden in dem Ökosystem Nordsee bereits angerichtet sind. Das geht von dem kranken Fisch bis hin zu anderen Meerestieren. Vielleicht ist es hilfreich, wenn man das einmal unmittelbar sieht.
Ich möchte Ihnen jetzt die Liste unserer Vorstellungen nicht noch einmal vortragen; die Vorredner haben sie zum großen Teil als Forderungen vorgetragen. Die Liste deckt sich weitgehend damit. Ich habe noch einmal gesagt, daß wir vor allen Dingen die Ausarbeitung einer Nordseeschutzkonvention brauchen. Wir brauchen sie tatsächlich, damit sich alle daran gebunden fühlen.
Lassen Sie mich noch einen Blick auf den Entschließungsantrag werfen, den wir hier vorliegen haben. Auch wir wollen, Herr Kollege Schutz, daß die EG-Verträglichkeitsprüfung im Sinne der EG-Richtlinie bei der Prüfung des Dollart besonders verankert wird. Wir sagen, daß die Bundesregierung dann sorgfältig bei ihrer Beteiligung Vor- und Nachteile abwägen muß. Ich meine, das ist eine gute und eine richtige Position, mit der wir hier unseren Antrag unterstützen.
Lassen Sie mich zum Schluß sagen, daß wir alle gemeinsam in diesem Haus ein Interesse haben müssen, daß die Ergebnisse der Londoner Konferenz Erfolge sind.
({3})
Dafür brauchen wir unsere Intensität und unsere Zähigkeit; aber wir brauchen auch Glück. Beides wünschen wir dem Bundesumweltminister.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Garbe.
Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! In drei Wochen ist es wieder soweit: Die Umweltminister der Nordseestaaten werden zu ihrer zweiten Nordseeschutz-Konferenz zusammenkommen. Dabei ist die Zustandsbeschreibung der Nordsee heute so klar wie bei der ersten Ministerrunde in Bremen. Trotz schöner Worte ist der „blanke Hans" nach wie vor der Mülleimer der anliegenden Nationen. Ähnlich wie beim Waldsterben wollten die verantwortlichen Politiker jahrzehntelang die Gefahren nicht wahrnehmen.
Wenn man nun den vorliegenden Anträgen Glauben schenken will, so muß es seitdem einen Umdenkungsprozeß gegeben haben. Heute jedenfalls hat es den Anschein, als wenn so etwas wie ein umweltpolitischer Grundkonsenz in der Beurteilung des Zustandes der Nordsee erreicht worden wäre. Der Umweltminister wird mit einem Bündel vollmundiger Erklärungen und Forderungen nach London reisen.
({0})
Wir befürchten jedoch, daß die Londoner Konferenz nur eine Neuauflage der Platitüden, der Lippenbekenntnisse und schließlich der Tatenlosigkeiten ihres Bremer Vorläufers wird. Dies wird nicht nur daran liegen, daß die Briten eine effektive Nordseeschutzpolitik erneut verhindern wollen. Die Bundesregierung muß erst einmal vor der eigenen Tür gekehrt haben, bevor sie entscheidende Erfolge in London erzielen kann. Da sei Ihnen, Herr Minister, mit aller Deutlichkeit gesagt: Mit forschen, saloppen Erklärungen allein ist der Nordsee nicht geholfen. Was nützt es der Nordsee, wenn Sie ankündigen, der Rhein werde im Jahre 2000 wieder so sauber sein, daß selbst Lachse in ihm heimisch werden könnten, wenn sich dies in den tatsächlichen umweltpolitischen Absichten der Regierung nicht widerspiegelt?
Durchleuchten wir einmal die vielen Absichtserklärungen des vorliegenden Berichts. Da wird die fünfte Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz als eine positive Maßnahme verkauft, Herr Kollege Carstensen, die sich sehr leicht als Windei erweisen kann. Beim Einleiten von gefährlichen Stoffen sollen in Zukunft die jeweils fortschrittlichsten in der Praxis erprobten Verfahren anzuwenden sein - okay - , aber wann dies in die Tat umgesetzt wird, steht in den Sternen. Sie haben es angesprochen, Herr Kollege Wolfgramm. Im Gesetz sind keine Fristen enthalten, bis wann die Erhöhung der Reinigungsanforderungen festzuschreiben sind. Es ist auch nirgends festgelegt, bis wann diese Anforderungen von den Betrieben einzuhalten sind. Auch für die Erfassung der Indirekteinleiter sind keine Fristen gesetzt. Schließlich, meine Herren und Damen, ist zu bezweifeln, daß die Bundesländer finanziell in der Lage sein werden, den Vollzug zu gewährleisten.
Bei der Zellstoffindustrie beabsichtigt die Bundesregierung, die Abwasserwerte so festzulegen, daß dieser Industriezweig bis zu 60 Millionen DM Abwasserabgabe einsparen kann. Die Zellstoffindustrie ist aber seit Jahren ein Sorgenkind der Gewässerschützer. Nun soll diese Industrie unter bestimmten Bedingungen ganz von der Abgabe befreit werden. Dies wäre jedoch eine Verhöhnung derzeitiger und zukünftiger Gewässerschutzbemühungen.
Meine Herren und Damen, während der NordseeAnhörung vor dem Umweltausschuß hat Professor Salzwedel eine bemerkenswerte Forderung aufgestellt. Er hat verlangt, man müsse auch eine schwarze Liste der Produktion erstellen. Danach dürften bestimmte gefährliche Stoffe überhaupt nicht mehr in die Gewässer gelangen. Damit griff er die schon lange von uns geforderte Null-Emission für solche Gifte auf, für die es eben nur den Grenzwert 0 geben darf.
({1})
Herr Töpfer hat sich bisher nur dazu durchringen können, ein einziges dieser hochgefährlichen Umweltgifte einem Totalverbot nach dem Chemikaliengesetz zu unterwerfen, und das auch erst, nachdem die letzte Herstellerfirma dichtgemacht hatte. Ich spreche vom Holzschutzmittel Pentachlorphenol.
Meine Herren und Damen, obwohl im Bericht der Bundesregierung zutreffend angeführt wird, daß in der Deutschen Bucht im Wasser eine signifikate Aktivitätskonzentration von zwei radioaktiven Stoffen gemessen wurde, und obwohl die Zusicherung gegeben wurde, daß die Quellen dafür in den großen Aufarbeitungsanlagen von Sellafield und La Hague zu sehen sind, beabsichtigt die deutsche Elektrizitätswirtschaft, eine zweite Wiederaufbereitungsanlage in Sellafield mitzufinanzieren, ebenso eine Demonstrationsanlage für Brennelemente aus Schnellen Brütern in Dounreay in Schottland.
Meine Herren und Damen, am 25. Juli dieses Jahres gaben Umweltschützer eine Trauerfeier für das unwiederbringliche Ende einer einzigartigen Landschaft, der Nordstrander Bucht. 3 400 Hektar Wattenmeer wurden dem Festland einverleibt. Dies war der größte von Menschenhand bewußt herbeigeführte
Wattenmeerverlust in der Geschichte Nordfrieslands.
({2})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Tut mir furchtbar leid, ich muß hier am Drücker bleiben. Es geht nicht, auch nicht bei Ihnen.
({0})
Bei der Vogelinsel Scharhörn will die Preussag jetzt mit faulen Tricks und der Unterstützung des Landes Niedersachsen nach Erdöl suchen, mitten im Naturschutzgebiet.
Der Bau des Dollarthafens schließlich
({1})
wird das größte und zugleich auch ökonomisch sinnloseste Vernichtungswerk gegen die Nordsee sein.
({2})
Inzwischen ist das Planfeststellungsverfahren zu diesem Unsinnsprojekt angelaufen. Von den Planern des Hafenamtes Emden ist derweil eine große Werbekampagne für das Hafenprojekt angelaufen, Tenor: Wehe, wenn der Hafen nicht kommt; dann ist Emden, ja ganz Ostfriesland von der Zukunft abgeschnitten.
({3})
Wie üblich bei derartigen Bauvorhaben, die um jeden Preis durchgezogen werden sollen, sind die ökologischen und ökonomischen Gutachten mehr als fragwürdig.
({4})
In der Tat, Herr Kollege Laufs, wird der Hafen in der Umweltuntersuchung als umweltneutral angesehen. Die jetzigen Baggerungen in der Ems, so argumentierten die Landesgutachter, führen nämlich in der Zukunft zu Aufspülungen im Wattenmeer.
({5})
Die so zerstörten Wattengebiete werden nun gegen die Zerstörung im Dollart aufgerechnet, nach dem Motto: Die Natur wird so oder so zerstört, also kann man auch den Hafen bauen.
({6})
Das Umweltbundesamt meldete Protest gegen diese Art und Weise der Beschlechtachtung an. Sie werfen der Landesregierung vor, einseitige Annahmen unterstellt zu haben, daß es nämlich für das Baggergutproblem keine andere Lösung gibt als die Aufspülung im Wattenmeer. Die Kosten-Nutzen-Analyse wiederholt nun die Fehler der Umweltuntersuchung.
Die Umweltauswirkungen werden erst gar nicht berücksichtigt. Kosten für jetzt vorgesehene Maßnahmen, immerhin 50 Millionen DM, werden nicht aufgeführt. Die gesamtwirtschaftlichen Annahmen sind so zurechtgeschnitten, daß sie auf das Projekt passen. So sieht das aus.
({7})
Meine Herren und Damen, der Umweltausschuß des Europaparlaments hat sich mit der drohenden Zerstörung des Dollart beschäftigt. In einer Entschließung wird u. a. auch festgestellt, daß der Bau des Dollarthafens gegen bestehende internationale Schutzbestimmungen verstoßen würde. Er fordert daher die Regierungen der Niederlande, der Bundesrepublik Deutschland und des Bundeslandes Niedersachsen zum Verzicht auf den Hafenbau auf.
({8})
Wir haben diesen Beschluß in einen Entschließungsantrag gekleidet und stellen ihn zur namentlichen Abstimmung. Meine Herren und Damen, wir werden das Ergebnis dieser Abstimmung den Umweltschutzverbänden vor Ort zur Kenntnis geben.
Bevor Sie aber abstimmen, schauen Sie sich bitte noch einmal Punkt 3 der Begründung unseres Entschließungsantrages an. Da heißt es:
An der Nordseeküste stehen Tiefwasserhäfen in ausreichender Zahl zur Verfügung. Alle diese Häfen sind nicht ausgelastet. So liegt z. B. nur 10 km von Emden entfernt der neugebaute Hafen von Delfzijl, der sich als völlige Fehlinvestition erwiesen hat.
({9})
Im übrigen liegen, Herr Kollege Laufs, für die Emdener Seeschleuse längst Alternativkonzepte vor.
Meine Herren und Damen von der SPD, jetzt komme ich zu Ihrem Antrag mit der Forderung nach UVP zum Dollarthafenbau. Dieser Antrag wird überhaupt nichts verhindern. Wie wir die niedersächsische Landesregierung kennen, wird sie auch nach einer UVP die Bagger rollen lassen. Dafür kennen wir diese Herren und Damen nur zu gut! Der Antrag stoppt also überhaupt nichts, und, Herr Kollege Schäfer - und Herr Kollege Schütz, das wollen Sie auch gar nicht.
Wir haben in einem umfassenden Antrag dargelegt, wie eine Sauberhaltung der Nordsee vor sich gehen könnte. Herr Minister Töpfer, schauen Sie sich unseren Antrag noch einmal an; er könnte für Sie bei den Beratungen der 2. Nordseekonferenz in London möglicherweise hilfreich sein.
Ich danke Ihnen.
({10})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herr Dr. Töpfer.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In wenigen Tagen wird die 2. Nordseeschutz-Konferenz in London stattfinden.
({0})
Das ist ein Beleg dafür, daß die Nordsee, von den am dichtesten besiedelten Industriestaaten umschlossen, intensiv genutzt, ein relativ flaches Randmeer, im Durchschnitt nur 90 m tief, mit geringem Wasseraustausch, gekennzeichnet durch die höchsten Schifffahrtsdichten der Welt, ganz erhebliche Probleme im Umweltbereich zu ertragen hat. Deswegen ist es verständlich, daß sich gerade die Bundesregierung auch schon in der Vergangenheit intensiv mit diesen Fragen beschäftigt hat.
Allein die Tatsache, daß wir jetzt zur 2. Nordseeschutz-Konferenz nach London fahren können, sollte daran erinnern, daß die 1. Nordseeschutz-Konferenz von der Bundesregierung initiiert und durchgeführt worden ist, daß Herr Kollege Zimmermann diese Initiative ergriffen hat und daß er sie so weit zum Erfolg geführt hat, daß wir jetzt in London auf besserer Grundlage weiterverhandeln können.
({1})
Auch die Tatsache, daß in der Bundesrepublik Deutschland als erstem Land der Nordseeanrainerstaaten ein umfassendes Gutachten über den Zustand der Nordsee gemacht wurde, nämlich das 1980 vorgelegte Gutachten des Sachverständigenrates, belegt, mit wie großem Nachdruck an diese Frage herangegangen worden ist. Ich erinnere mich noch gut an diese Zeit, denn ich habe die Freude und Ehre gehabt, damals als sachverständiges Mitglied an diesem Nordseegutachten mitzuarbeiten.
({2})
Ich glaube, eine bessere Zusammenstellung als dieses Nordseegutachten hätte man damals nicht bekommen können.
({3})
Meine Damen und Herren, uns ist bekannt, daß diese Nordseekonferenz auch auf einer besseren Datengrundlage stattfinden kann. Allein die Tatsache, daß wir jetzt einen Qualitätsstatusbericht, der international abgestimmt ist, haben, belegt ja sehr deutlich, daß wir weitergekommen sind, daß wir eine bessere Grundlage des Handelns gefunden haben. Wir wissen heute, woher die Belastungen kommen. Sie kommen aus den Flüssen, sie kommen aus der Luft, sie kommen über die Schiffahrt, und sie kommen als Abfälle, die direkt in die Nordsee eingebracht werden.
Es ist ganz ohne jeden Zweifel richtig, daß jedes Land, das an die Nordsee angrenzt, zunächst einmal seine Hausaufgaben zu machen hat. Das ist eine banale Selbstverständlichkeit. Da hier die ganze Diskussion der Opposition darauf ausgerichtet war, zu sagen, die Bundesregierung könne nur dann nach London gehen, wenn sie die eigenen Hausarbeiten gemacht
habe, muß ich sagen: Dies gilt wohl offenbar für jedes Land, das nach London kommt.
Da wollen wir zunächst einmal diese Frage aufgreifen: Welche Hausaufgaben sind denn nun bei uns gemacht worden?
Da gehen wir an den ersten Teilbereich heran, an die Frage des Zulaufs über die Flüsse. Es ist gar keine Diskussion, daß am Rhein nachhaltige Verbesserungen erzielt worden sind.
({4})
- Es ist eigentlich erfreulich, daß eine namentliche Abstimmung stattfindet; denn so viele Zuhörer haben wir bei einer Umweltdebatte schon lange nicht mehr gehabt. Auch das sollte die Umweltpolitiker eigentlich einmal erfreuen - wenn ich das einmal so dazwischen sagen darf -.
({5}) [CDU/CSU]: Leider ist kein Sozialdemokrat aus SchleswigHolstein da!)
Ich bin also der Meinung, daß wir im Bereich der Gewässerreinhaltung unsere Hausaufgaben weiß Gott in die Wege geleitet und umgesetzt haben. Wir haben das Wasserhaushaltsgesetz. Da sagt man: Aber die Vorschriften nach § 7 a sind noch nicht alle da. Nun, die erste liegt vor. Ich hoffe nur, daß jeder sie hinterher mitträgt. Das ist nämlich die erste Verwaltungsvorschrift für die kommunalen Kläranlagen. Wenn wir eine Rückführung der Nährstoffe um 50 erreichen wollen, werden wir auch bei den kommunalen Kläranlagen in der dritten Reinigungsstufe etwas machen müssen. Das ist bekanntlich nicht zum Nulltarif zu haben. Auch hier also sind die Hausaufgaben in Angriff genommen und zum Teil gemacht.
Lassen Sie uns die Hausaufgaben im Zusammenhang mit der Luftreinhaltung betrachten. Bei der Luftreinhaltung hat die Bundesrepublik Deutschland bis zur Stunde keine Chance, von irgendeinem Anliegerstaat der Nordsee in dem, was sie bisher gemacht hat, übertroffen zu werden. Wir haben die Rückführung bei den Großfeuerungsanlagen und beim Kfz-Verkehr.
Nehmen wir die dritte Hausaufgabe, nämlich die Frage der Abfallversenkung, des berühmten Dumpings. Wir erreichen 1989, daß von Deutschland her kein Dumping mehr in der Nordsee vorgenommen wird.
Wir haben dann die Schiffsentsorgung. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie hart kritisiert worden ist, daß sich die Bundesregierung nicht an den Kosten der kostenlosen Schiffsentsorgung beteiligt. Dies ist jetzt gemacht. Wir haben Vorsorge mit getroffen, vorbehaltlich der Verabschiedung unseres Haushalts, daß mit jährlich 6,75 Millionen DM dies getan wird.
({6})
Wir sind, wie ich meine, ein gutes Stück vorangekommen. - Herr Abgeordneter Schäfer, seien Sie ganz ruhig. Ich verliere meinen Faden auch dann nicht, wenn nicht geklatscht wird. Wenn Sie sich nur darüber Gedanken machen müsen, geht das schon ganz gut.
({7})
- Das ist ja prima. - Wir haben, glaube ich, auch die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß Bunker-C-Öl kostenlos beseitigt und in der Qualität verbessert wird.
Lassen Sie mich nur einige Sätze zum Sondergebiet sagen. Natürlich wollen wir das Sondergebiet Nordsee nach MAPOL, und wir wollen es nach allen drei Teilbereichen: Öl, Chemikalien und Hausmüll. Aber die eine Sache ist das, was wir wollen, und die andere Sache ist das, was wir international durchsetzen können.
({8})
- Frau Abgeordnete Garbe, ich kann Sie ganz beruhigen. Ich fahre nach London in drei Wochen mit allem, nur nicht mit großen Ankündigungen, sondern mit sehr, sehr viel Skepsis und sehr viel Realismus bezüglich dessen, was andere Nordseeanrainer mitzutragen bereit sein werden. Aber die Tatsache, daß England sich schon in den Vorbereitungen dazu bereit erklärt hat - wie ich meine: erstmals - , bei den Einleitungen in Gewässer nicht nur den Qualitätsstandard der Immission zu sehen, sondern auch Vorsorge durch den Stand der Technik zu leisten, ist schon ein ganz erheblicher Erfolg. Ich meine jedenfalls, es ist prima, daß wir das erreicht haben.
({9})
Es ist auch sehr deutlich darauf hinzuweisen, daß diese Fortschritte - ich will sie gar nicht Erfolge nennen - nur dadurch möglich werden, daß wir sehr, sehr intensiv gearbeitet haben. Ich habe mich bei meinen Mitarbeitern dafür nachhaltig zu bedanken, daß sie das auf dieser Sachverständigenebene so vorangetrieben haben. Das ist ein Erfolg nicht nur des Politikers, sondern vieler, die im Vorfeld damit gearbeitet und das getan haben.
({10})
Ich halte es für sehr, sehr wichtig, daß ich jetzt in allen Anrainerhauptstädten gewesen bin, um das zu verstärken. Das sei nur zusätzlich erwähnt.
Ich komme nun noch auf ein Wort zu der Frage der Verbrennung auf hoher See. Meine Damen und Herren, ich habe mich darüber gefreut, daß der Sprecher der SPD-Fraktion hier gesagt hat: Wenn wir Verbrennung auf hoher See beenden wollen, setzt das voraus, daß wir Verbrennungsanlagen an Land bauen.
({11})
Über diese Aussage freue ich mich sehr. Von den Sprechern und den Vertretern der CDU und der FDP habe ich diese Meinung schon immer gehört, aber ich habe sie jetzt zum erstenmal auch von der SPD gehört. Ich finde das außerordentlich ermutigend. Nur, lassen
Sie uns das dann bitte auch machen, wenn wir dies vor Ort weiter durchzusetzen haben.
({12})
Dies ist ein ganz wichtiger Punkt. Es ist eben leider nicht damit getan, daß wir nur eine neue Verbrennungsanlage haben. Was wir brauchen, sind mindestens zehn solcher Verbrennungsanlagen, um ein Stück weiterzukommen.
Meine Damen und Herren, bei der Verbrennung, um das klar zu halten, geht's mir nicht darum, daß wir nur von See auf Land verlagern. Wir wollen auch wiederaufarbeiten und solche Abfälle vermeiden; das ist ganz klar. Aber es ist ein falscher Weg, nur von Vermeidung, Wiederaufbereitung, Recycling zu sprechen und dann zu glauben, um die harte Entscheidung über umweltverträgliche Entsorgungsanlagen herumkommen zu können; das geht nicht.
Lassen Sie mich auch noch erwähnen, daß wir mit der Verbrennung auf hoher See ganz sicherlich nicht alleine sind und daß es uns deswegen darum gehen muß, auch andere Anrainerstaaten auf diesen Weg zu bringen.
Insgesamt, meine Damen und Herren, gehe ich ohne jede Illusion nach London zu dieser Konferenz. Und ich bitte nur all diejenigen, die hier hohe Erwartungen stellen, auch klarzumachen, daß wir auch hier wieder auf andere angewiesen sind und daß deren Unterstützung dringlich notwendig ist.
Lassen Sie mich zum Dollart-Hafen nur eines sagen: Ich übersehe die damit verbundenen Konfliktsituationen wirklich nicht. Aber dafür gibt es ein geordnetes Planfeststellungsverfahren mit öffentlicher Beteiligung. Und im Rahmen dieser öffentlichen Beteiligung sind natürlich auch die landespflegerischen Argumente mit zu bedenken, sind die Gutachten, die erstellt worden sind, mit zu gewichten und mit einzubringen. Und dann lassen Sie uns nicht von vornherein Mißtrauen da mit einbringen, daß die Behörden ohnedies schon vorentschieden haben. Sie haben ein Planfeststellungsverfahren nach Recht und Gesetz durchzuführen, und wir werden das mit Objektivität weiter verfolgen.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
({13})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie jetzt Platz zu nehmen, wir kommen zu den Abstimmungen. Ich beginne mit ihnen erst, wenn Sie Platz genommen haben. Sonst passiert es wieder, daß der eine oder andere sagt: Ich habe gedacht, die Abstimmung hat noch nicht stattgefunden.
Wir kommen zunächst zu den Überweisungen. Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Es handelt sich um die Vorlagen auf den Drucksachen 11/878, 11/892 und 11/1048. Gibt es hier andere Meinungen als die Vorschläge des Ältestenrates, die Ihnen vorliegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir kommen nun zu den drei namentlichen Abstimmungen. Wir stimmen zunächst über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1083 namentlich ab und lassen die anderen zwei Abstimmungen sofort danach folgen.
Das Verfahren ist Ihnen bekannt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN.
Haben alle ihre Stimmkarte zur ersten Abstimmung über die Entschließungsanträge abgegeben? - Meine Damen und Herren, sind alle Stimmkarten abgegeben? - Ich schließe die Abstimmung.*)
Wir kommen jetzt zur zweiten namentlichen Abstimmung, und zwar über den Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 11/1093. Ich eröffne die Abstimmung.
Meine Damen und Herren, haben alle ihre Stimmkarte abgegeben? - Ich schließe die Abstimmung. **)
Ich schließe jetzt die dritte namentliche Abstimmung an. Wir stimmen über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 11/1104 ({0}) namentlich ab. Ich eröffne die Abstimmung.
Sind alle Stimmkarten abgegeben? - Ich frage noch einmal: Haben alle die Stimmkarten abgegeben? - Ich schließe die Abstimmung und bitte um Auszählung. ***)
Die Ergebnisse geben wir Ihnen später bekannt. Zunächst werden wir mit dem nächsten Tagesordnungspunkt fortfahren.
Meine Damen und Herren, ich wäre Ihnen dankbar, wenn diejenigen, die nicht weiter an den Beratungen teilnehmen wollen, den Raum verließen oder Platz nähmen.
Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt den Zusatztagesordnungspunkt 6 auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Beendigung der Arbeiten am Endlager Gorleben
- Drucksache 11/511 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Forschung und Technologie
*) Ergebnis Seite 2448 C
**) Ergebnis Seite 2449 D
***) Ergebnis Seite 2451 A
Vizepräsident Frau Renger
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Entsorgung - Endlager ({2})
- Drucksache 11/581 Überweisungsvorschlag :
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Forschung und Technologie
Beide Anträge sind bereits in der Sitzung vom 16. Oktober 1987 behandelt worden. Dabei wurde Bundesminister Töpfer gemäß Art. 43 Abs. 1 des Grundgesetzes herbeigerufen. Da er nicht rechtzeitig erscheinen konnte, wurde die Beratung nicht abgeschlossen. Wir setzen die Beratung heute fort.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist dafür ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne erneut die Aussprache. Ist der Herr Bundesminister anwesend? - Ja.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wollny.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der letzten Sitzungswoche mußte die Sitzung zum Thema Endlager Gorleben leider unterbrochen werden, weil unser Herr Umwelt- und Atomminister Töpfer . . .
({0})
- ja, Reaktorsicherheit und -
Meine sehr verehrte Kollegin, der Titel des Bundesministers lautet nicht so. Ich bitte das zu berücksichtigen.
({0})
Okay.... es für wichtiger hielt, auf Public-Relations-Tour zu gehen, ganz getreu seinem Vorsatz, Vertrauen zurückzugewinnen. Sicher ist es leichter - und das gelingt sicher besser - , im Lande freundliche Reden zu halten, als sich hier im Bundestag den kritischen Fragen zum atomaren Endlager zu stellen.
Andererseits ist diese Haltung nicht verwunderlich; denn die Bundesregierung hat keine Fragen. Sie weiß schon alles. Auch bei den vorherigen Regierungen war das nicht anders. Das beweist eine Verlautbarung aus dem Jahre 1977 - wohlgemerkt: 1977 - , bevor eine einzige Bohrung in Gorleben niedergebracht war. Diese Verlautbarung hat folgenden Wortlaut
- hören Sie bitte genau zu, meine Damen und Herren - :
Es ist schon jetzt bekannt, daß der Salzstock Gorleben-Rambow
- damals hieß er noch so zur Aufnahme radioaktiven Abfalls geeignet ist. Sollte er sich als ungeeignet erweisen, so muß er dementsprechend konditioniert werden.
Bis heute ist die Frage ungeklärt: Wer, der Salzstock oder der Abfall oder beides? Geändert hat sich in der Haltung bis heute nichts. Auch Herr Töpfer weiß schon alles. So konnte er bei seiner sicher ebenfalls als vertrauensbildende Maßnahme gemeinten Reise nach Gorleben am 12. August bereits verkünden, der Unfall im Mai sei rein bergmännisch-technischer Natur und sei von unserer hochentwickelten Technik sicher in den Griff zu bekommen. Obgleich die Untersuchungen bis heute nicht abgeschlossen sind, wußte Herr Töpfer schon alles. - Entschuldigung, doch nicht alles. Er verkündete mit Überzeugung, der Salzstock müsse natürlich den Kriterien gerecht werden.
Nun fragen wir die Bundesregierung seit zehn Jahren nach diesen Kriterien.
({0})
Deshalb kam auch prompt aus dem Publikum die Frage, welche denn diese Kriterien nun seien. Stellen Sie sich vor, meine Damen und Herren: Unser Herr Minister, der doch, wie man weiß - ich bewundere ihn deswegen - , immer auf alles eine Antwort bereit hat, geriet tatsächlich in Verlegenheit. Schließlich
- es tut mir leid, Herr Töpfer, aber es war so - kam etwas stammelnd: „Na ja, wir haben ja immer noch das 30 mrem-Konzept. " Das war es, und das ist es, und das wird es auch bleiben. Der Salzstock wird nach wie vor so untersucht, als würde man bei einem Schießwettbewerb auf die blanke Wand schießen und nachher die Ringe um die Treffer malen.
Da bei uns über Kriterien nichts zu erfahren ist, habe ich bei einer Konferenz kürzlich in New York Herrn Dr. Morgan darauf angesprochen, wie denn die Verhältnisse in den USA seien. Er hat mir erklärt, auch in den USA habe man viele Salzstöcke untersucht, sei allerdings zu dem Ergebnis gekommen, daß sich die in Salz gesetzten Hoffnungen nicht bestätigt hätten. Vor allen Dingen haben sich das Argument, Risse im Salz würden sich wegen der Plastizität des Gesteins von selbst wieder schließen, nicht halten lassen. Deshalb sei man in den USA von Salz als Endlagermedium abgegangen.
({1})
- Nein, Herr Laufs? Dann fahren Sie einmal hin.
({2})
Ach so. Okay.
Genau dieses Argument ist bei uns jedoch der Hauptpunkt, weshalb man glaubt, man sollte in Salz endlagern. In diesem Zusammenhang ist zu fragen, ob die Untersuchung des Salzstockes denn eigentlich in den richtigen Händen liegt.
Verehrte Frau Kollegin, es tut mir sehr leid, aber Ihre Redezeit, die wir eben vereinbart haben, ist inzwischen abgelaufen. Ich bitte Sie sehr herzlich, Ihre letzte Bemerkung zu machen.
Das tut mir aber leid.
({0})
Okay, dann machen wir das nächste Mal weiter. Es gibt noch viel dazu zu sagen.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Harries.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Unglück im Schacht I in Gorleben zwingt uns zu Fragen. Diese Fragen zu stellen sind wir auch der Öffentlichkeit gegenüber schuldig.
({0})
Mindestens drei Fragen müssen meines Erachtens der Öffentlichkeit gegenüber kritisch gestellt und ehrlich und ohne Polemik beantwortet werden.
Frage 1 ist: War es seinerzeit leichtfertig, als die Fachstellen und die politischen Stellen gesagt haben, vom Grundsatz her könnte ein Salzlager in Gorleben geeignet sein, als Endlager zu fungieren?
Die zweite Frage, die man sich stellen muß, ist: Waren die Fachstellen leichtfertig, als man mit dem Abteufen in der Deckschicht begonnen hat? Dieses Abteufen hat ja in der ersten Jahreshälfte zu dem bedauerlichen Unfall geführt.
Die dritte Frage, die zu stellen und zu beantworten ist, ist: Wie geht das Verfahren weiter, und läßt sich heute schon sagen, daß das Salzlager bei Gorleben für ein Endlager geeignet ist?
Wie beurteile ich die erste Frage? Vor über zehn Jahren war die damalige Bundesregierung mit dem ganzen Bundestag noch der Auffassung, daß wir Kernenergie friedlich nutzen können, nutzen müssen und daß zur Nutzung der Kernenergie auch das kombinierte Entsorgungssytem mit einem Endlager gehört. Die Bundesregierung hat damals - es war 1976 - die niedersächsische Landesregierung dringend gebeten, sich vom Grundsatz her einverstanden zu erklären, für ein Endlager im Salzstock von Gorleben einzustehen. Die niedersächsische Landesregierung hat nach Prüfung ja gesagt. Meine Damen und Herren, das war eben nicht leichtfertig, weil man in der Wissenschaft ganz übereinstimmend der Auffassung ist, daß Salzlager geeignet sein können. Bis heute hat niemand, hat keine Stelle, kein Minister, kein Bergamt gesagt: Das Salzlager bei Gorleben ist geeignet; sondern man hat bisher nur die Prüfung für die Geeignetheit eingeleitet.
Hier ist in der letzten Sitzung vor 14 Tagen von Ihnen, sehr geehrte Frau Kollegin, gesagt worden, nicht e i n Wissenschaftler habe sich positiv für das Salzlager Gorleben ausgesprochen. Davon kann nun bei allem Respekt überhaupt keine Rede sein.
({1})
Auseinandersetzen muß man sich sicher mit dem Gutachten des Kieler Geologen Professor Duphorn, der damals eine kritische Aussage gemacht hat, mit der man sich aber sehr wohl und im Detail beschäftigt hat. Herr Duphorn hat gesagt, in der Deckungsschicht ist eine Grundwasserrinne, die beobachtet und kontrolliert werden muß, und der Salzstock hat sich in der Eiszeit, also vor über 100 000 Jahren bewegt, und das kann wieder kommen. Gerade dieses Argument hat die überwiegende Zahl der Wissenschaftler dazu gebracht, zu sagen, daß dieses Salzlager geeignet sein kann, weil eben diese Bewegungen allenfalls in der nächsten Eiszeit, also in einigen Zigtausenden von Jahren, wieder kommen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lippelt?
Ja, aber gern.
Herr Kollege Harries, da diese Aussage nicht von der Kollegin Wollny, sondern von mir kam, darf ich fragen: Haben Sie nicht vielleicht das Wort „unabhängig" unterschlagen? Meine Behauptung, die ich hier mehrfach, auch in Fragestunden, vorgetragen habe, ist, daß kein Universitäts-Geologe - natürlich Geologen von Bundesanstalten; das ist ganz klar - , weder Herrmann noch Duphorn noch Grimmel, kein unabhängiger Geologe, bei der Problematik, die Sie eben angesprochen haben, mehr hinter dem Salzstock steht.
Die Frage ist klar, Herr Dr. Lippelt. Nur habe ich in meiner Aussage eben nicht auf Ihre Frage reagiert, sondern auf das, was Frau Wollny gesagt hat. Das Protokoll kann hier ja beweisen, was gesagt wurde.
({0})
Meine Damen und Herren, ich komme also bei der ersten gestellten Frage zu dem Ergebnis, daß man politisch und fachlich/sachlich nicht leichtfertig gehandelt hat, als man gesagt hat, die Eignungshöffigkeit ist zu untersuchen und zu prüfen. Vom Grundsatz her ist ein Salzlager geeignet.
Die zweite Frage ist die, ob die Arbeiten, die man daraufhin durchgeführt hat, leichtfertig vorgenommen wurden, denn sie führten - das ist unbestritten - zu bedauerlichen Unfällen in diesem Jahr, und ein Toter war zu beklagen. Alle diejenigen, die nicht polemisch, vielleicht absolut kritisch, aber mit dem Willen, hier genau und exakt zu untersuchen, zu begleiten und zu beobachten auch an diese schwierige Frage herangehen, sagen, daß bergbaulich niemals auszuschließen ist, daß beim Abteufen diese Unglücke auch mit derartig schlimmen Folgen passieren können. Das ist im Grunde die Erfahrung, die man seit Jahrzehnten und seit Generationen beim Abteufen und anderen Arbeiten bergbaulicher Art hat. Die Bundesregierung hat nach dem Unfall in Gorleben über den Sachverhalt ständig informiert und ist, soweit sie diese Fragen beantworten kann, bei keiner Frage eine Antwort schuldig geblieben. Wichtig ist, herauszustellen, daß die Untersuchung andauert.
Das leitet zur dritten Frage über: Ist Gorleben als Endlager geeignet? Diese Frage ist heute überhaupt nicht zu beantworten.
({1})
Wir wissen, daß die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig den Auftrag hat zu untersuchen, wie es zu dem Unglück im Deckgebirge gekomHarries
men ist. Man ist ja noch nicht im Salzlager, sondern im oberen Bereich.
Zweitens. Was muß geschehen, um bei einem weiteren Abteufen irgendwelche Unglücke, die offenbar zu dieser Katastrophe geführt haben, zukünftig zu vermeiden? Wie ist das zu konditionieren?
Drittens ist von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt die Frage zu beantworten, ob die Verhältnisse der Deckschicht heute oder morgen den Schluß zulassen, daß das Salzlager geeignet oder nicht geeignet ist.
Ihre Redezeit ist längst zu Ende, Herr Abgeordneter.
Wir sind es der Öffentlichkeit schuldig, das Gutachten abzuwarten und im nächsten Jahr die Prüfung vorzunehmen, und zwar, was ich hervorragend finde, nach Einschaltung des Kreistages vor Ort, nach Einschaltung der Reaktorsicherheitskommission und nach einer öffentlichen Debatte.
Ich bedanke mich.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Lennartz.
Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Der Schachteinbruch im Erkundungsschacht in Gorleben im Mai dieses Jahres hat die Frage nach der Lösung der Entsorgung und Endlagerung für radioaktive Abfälle neu aufgeworfen. Unsere Fraktion hat dazu einen Antrag eingebracht, denn auf die Kleine Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion hat die Regierung nur ausweichend geantwortet, und dies ist schon sehr vornehm zurückhaltend formuliert.
Ich möchte hier deutlich machen, daß der Schachteinbruch kein kleines zu vernachlässigendes Ereignis ist. Schon seit 1985 gab es technische Probleme. Zum Beispiel sank der Grundwasserspiegel ab, um dann wieder anzusteigen. Anfang März 1987 gab es Steinschläge. Es gibt Hinweise, daß die falsche Bewertung von Meßdaten zu dem tragischen Unfall vom 12. Mai 1987 geführt haben könnte, bei dem ein Bergmann ums Leben kam und weitere schwer verletzt wurden. Wir können hier nicht klären, wie der Unfall zustande kam, wer schuld war. Diese Untersuchung obliegt den Gerichten. Alle diese Vorgänge haben aber auch eine politische Dimension, denn nicht erst seit Mai dieses Jahres gibt es Kritiker, die sagen, der Standort Gorleben sei nicht geeignet und erfülle nicht die Kriterien eines Mehrbarrieren-Sicherheitssystems.
({0})
- Ich werde Ihnen einen Vorschlag machen, Herr Kollege.
Schon im Hearing des Innenausschusses 1984 haben Wissenschaftler vor dem gewarnt, was jetzt in Gorleben eingetreten ist. Das Deckgebirge ist offensichtlich nicht stabil oder nicht richtig untersucht worden. Ich zitiere die Bundesregierung: „Für den unteren Tertiärbereich mußten zum Teil Schätzwerte angegeben werden," Herr Kollege Baum, „da die Ergebnisse der Untersuchungen auf dem vorhandenen
Kernmaterial nicht immer zu eindeutigen Werten führten. " Dies war die Aussage der Bundesregierung.
Hinzu kommt: schon 1985 das Geologische Landesamt in Nordrhein-Westfalen zu besonderer Vorsicht im tertiären Bereich gemahnt. Zweifel über Zweifel, Fragen über Fragen, aber die Bundesregierung mauert.
Wo stehen wir heute bei der Entsorgung? 1977 hat die damalige Bundesregierung ein integriertes Entsorgungskonzept vorgelegt. Herr Kollege Baum, ich will hoffen, daß Sie sich mit dem noch identifizieren können.
({1})
1978 haben wir das Konzept gemeinsam modifiziert, und zwar deshalb, weil der niedersächsische Ministerpräsident Albrecht es politisch nicht für durchsetzbar hielt. Er hatte als Antwort auf die Entsorgungsfrage nur einen Standort, und zwar Gorleben genannt. Die Bundesregierung mußte das akzeptieren, obwohl auch sie damals einen anderen Standort wollte. Albrecht sagte: Gorleben oder gar nichts, und das, obwohl unter Geologen schon damals Zweifel laut wurden.
Hier darf ich den Kollegen wirklich sagen: es sind bisher keine unabhängigen Wissenschaftler aus dem universitären Bereich gefragt worden. Das ist eine Tatsache. Ich beantworte damit gerne die Frage, die der Kollege eben nicht beantworten wollte.
Vor diesem Hintergrund müssen wir den Kompromiß sehen, den die Bundesregierung und die Länder 1979 in der Entsorgungsvorsorge eingegangen sind. Was waren damals die Kriterien, Herr Baum? Integration der Entsorgung, paralleler Ansatz, hier: Prüfung, Wiederaufbereitung und direkte Endlagerung und Mehrbarrieren-Konzept. Was ist denn heute noch davon übrig? Die Integration der Entsorgung ist gescheitert. Der parallele Ansatz ist nie ernsthaft betrieben worden.
({2})
Das Mehrbarrieren-Konzept beim Endlager ist durchlöchert, und Baufortschritte sind heute noch nicht zu sehen.
Die Entsorgungsfrage ist acht Jahre nach dem Beschluß des Bundes und der Ministerpräsidenten zum Altpapier geworden. Denn wer es mit der Entsorgung wirklich ernst meint und nicht am Ende doch nur die Zwischenlagerung zur Endlagerung machen will, der muß alternative Standorte zumindest prüfen, alternative Formationen in anderen Gesteinsarten mit in die Überlegungen einbeziehen, sich an die Kriterien halten, die er selbst einmal aufgestellt hat, Herr Baum, die Fakten über Gorleben offenlegen und sich klar dazu bekennen, daß es keine Endlagerung auf der Basis heutiger Zwischenlager geben darf. Hier ist die Bundesregierung gefordert.
Deshalb fordern wir ein neues umfassendes Hearing zur Entsorgung. Deshalb, Herr Baum, wollen wir eine Neubewertung, und deshalb sagen wir: Solange
hier keine endgültige Bewertung vorliegt, können die Arbeiten in Gorleben auch nicht weitergehen.
Wir entziehen uns dabei nicht der Verantwortung. Wir wollen, Herr Baum, ein Höchstmaß an Sicherheit für die Menschen bei der Entsorgung; das ist unser Maßstab. Wir meinen es ernst mit der Formel: Sicherheit geht vor Wirtschaftlichkeit.
({3})
Wir prüfen nicht, wie teuer ein Menschenleben gegenüber zeitlichen Abläufen ist.
Ich danke Ihnen.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Sie wollen die Entsorgung, Herr Kollege Lennartz. Es gibt ja andere, die sie nicht wollen, weil sie glauben, auf diese Weise sei die Kernenergie erledigt. Das ist natürlich ein Irrtum. Denn schon nach den heutigen Abfallvolumina müssen wir entsorgen. Selbst wenn wir heute abschalten würden, müßten wir entsorgen. Wir haben eine Verantwortung übernommen.
({0})
Wir haben in der Bundesrepublik in den sechziger Jahren und auch Anfang der siebziger Jahre sehr lange gezögert, bis wir dann eine Entsorgungsvorsorge durchgesetzt haben. Ich halte mit der Bundesregierung und auch im Namen meiner Partei an dieser Vereinbarung der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler fest. Wir wollen diese Entsorgungsvorsorge realisieren, und zwar in all ihren Teilen, auch im Teil Wiederaufarbeitung und auch im Teil paralleler Ansatz. Dort wird doch auch weiter geforscht.
({1})
Es ist doch nicht so, als sei das zu Grabe getragen. Also, wir halten an dieser Entsorgungsvorsorge fest, und sie umschließt die Erkundung eines Salzstocks.
Wir wären damals zufriedener gewesen, wenn man mehrere Vorerkundungen, jedenfalls an verschiedenen Orten, hätte machen können. Das ist nicht geschehen. Jetzt aber gibt es keinen Anlaß, diese Erkundungen in Gorleben einfach abzubrechen. Ich weiß nicht, was letztlich dabei herauskommt. Es gibt ja hier im Raum Leute, die schon ganz genau wissen, was da unten ist.
({2})
Wir haben keinen Anlaß, die Erkundungen abzubrechen. Wir werden mit aller Sorgfalt bewerten, was sich dort zeigt.
Die Bundesregierung hat dankenswerterweise auch hier festgestellt: Sicherheit geht vor alle anderen Überlegungen. Wenn der Salzstock nicht geeignet ist, wird er nicht benutzt. Dann müssen wir etwas anderes suchen.
({3})
Wir haben ja in allem, was wir hier tun - auch das sollten wir einmal klar feststellen - , einen Vorsprung vor anderen Ländern. Nennen Sie mir einmal ein einziges Land auf der Welt, das Kernenergie nutzt und das eine derartige Vorsorge in Sachen Entsorgung zumindest begonnen hat. Uns war damals klar, was das an Zeit bedeuten würde.
({4})
- Nein, Schweden hat das überhaupt nicht.
({5})
- Nein, Herr Schäfer, die sind gar nicht viel weiter.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lippelt?
Bitte. Aber die fünf Minuten sind natürlich verdammt knapp.
Herr Kollege Baum, können Sie mir ein Land nennen, das noch mit Salz experimentiert, und würden Sie nicht zugeben, daß die Granitversuche Schwedens technisch sehr viel weiter sind?
Nein, dieser Meinung bin ich nicht, und ich bin auch nicht der Meinung, daß Salz aus der Betrachtung bleiben muß. Es gibt ernstzunehmende Wissenschaftler, die sagen: Salz gehört dazu. Ob dieser Salzstock geeignet ist, das weiß ich auch nicht. Aber dazu wird doch der Schacht runtergebracht. Ich halte es für falsch, jetzt ein Urteil zu fällen. Es ist uns gesagt worden, daß die Eignungshöffigkeit nicht auszuschließen ist. Bitte, das heißt, die vorläufige Beurteilung des Salzstockes weist das aus.
Die Entsorgung muß erfolgen, und sie darf nicht
- das möchte ich auch noch sagen; manche stellen sich das ja vor - irgendwo anders erfolgen. Deutschen Atommüll in die Wüste Gobi, oder nach Namibia zu schicken, widerspricht dem Entsorgungskonzept.
Das ist mit uns nicht zu machen, jedenfalls nicht mit meiner Partei. Deshalb sind wir verpflichtet, alle Möglichkeiten zu nutzen, auch die in Gorleben, um dieser Entsorgungsvorsorge gerecht zu werden.
Einer Anhörung, meine Kollegen von der SPD, werden wir immer zustimmen. Wir haben x Anhörungen zu diesem Thema gemacht, wir werden auch noch eine machen. Aber wichtiger ist, daß wir möglichst bald wissen: Was gibt dieser Salzstock her, und was gibt er nicht her? Danach werden wir unsere endgültige Entscheidung treffen.
({0})
Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Töpfer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der bergbauliche Unfall bei der Abteufung des Schachtes I in Gorleben hat zu der Aussage der SPD geführt, daß es seit 1979 keine Fortschritte in der Entsorgung gegeben habe. Lassen Sie mich deswegen ganz am Anfang folgende Feststellungen treffen:
Worin bestehen diese Fortschritte?
Erstens. Für das geplante Endlager Konrad wurden die Genehmigungsunterlagen vollständig erstellt und der Planfeststellungsbehörde übergeben.
Zweitens. In Gorleben wurden die übertägige Erkundung des Salzstocks mit positivem Ergebnis abgeschlossen, die Entwicklung und Erprobung eines Instrumentariums für die sicherheitsmäßige Bewertung der möglichen Entsorgungseinrichtungen abgeschlossen und die Arbeiten zur untertägigen Erkundung des Salzstocks begonnen.
Drittens. Die direkte Endlagerung von abgebrannten Brennelementen wurde auf ihre Realisierbarkeit untersucht und sicherheitsmäßig bewertet, der parallele Ansatz also weiterverfolgt.
Viertens. Für die Weiterentwicklung der direkten Endlagerung und der Konditionierung von radioaktiven Abfällen wurde ein atomrechtlicher Antrag für die Errichtung und den Betrieb einer Pilotkonditionierungsanlage in Gorleben gestellt.
Ich möchte ganz nachhaltig an dieser Stelle denen, die kommunalpolitisch in Gorleben tätig sind, sehr herzlich dafür danken, daß sie auch dazu ihre Zustimmung gegeben haben, daß wir diese Konditionierungsanlage in die Planung hineinnehmen. Auch dies ist, glaube ich, nicht ganz selbstverständlich.
Frau Abgeordnete Wollny, es wäre ganz nett gewesen, wenn Sie darauf hingewiesen hätten, daß wir in Gorleben nicht eine Public-Relations-Tour gemacht, sondern uns sehr intensiv informiert und mit den kommunalpolitisch Tätigen dort darüber gesprochen haben, welche Anliegen und Sorgen sie haben. Es wäre auch nett gewesen, wenn Sie darauf hingewiesen hätten, daß wir dort in einem, wie ich meine, sehr, sehr guten Gespräch Klarheit darüber erzielt haben, daß Sicherheit vor alle anderen Überlegungen geht und wir uns der Sicherheit wegen Zeit nehmen, daß wir in gar keiner Weise die Weiterführung dort unter einem Zeitdruck sehen.
Fünftens. Die für die Errichtung einer Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf 1985 aufgenommenen Bauarbeiten schreiten - allerdings und leider Gottes gegen Ihren Widerstand - planmäßig voran.
Sechstens. Für die Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle wurden das Faßlager in Gorleben und das Zwischenlager in Mitterteich fertiggestellt und in Betrieb genommen.
Siebtens. Die nach den Grundsätzen zur Entsorgungsvorsorge für Kernkraftwerke in der Regel für sechs Jahre im voraus geforderten Nachweise über den Verbleib der abgebrannten Brennelemente konnten bislang erbracht werden. Die vorhandenen und geplanten Kapazitäten zur Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente und die vertraglich abgesicherte Wiederaufarbeitung im Ausland reichen bis zum Jahre 2000 aus, um die Entsorgungsnachweise über den Verbleib der abgebrannten Brennelemente aus Kernkraftwerken zu führen.
({0})
Also, eine redliche Bestandsaufnahme der Fakten kommt zu dem Ergebnis, daß seit 1979 sehr wohl Fortschritte erzielt worden sind. Es besteht kein Anlaß, von dem Entsorgungskonzept, das zwischen den Regierungschefs von Bund und Ländern 1979 vereinbart wurde, abzugehen.
Ich unterstreiche nachhaltig das, was Herr Abgeordneter Baum hier gesagt hat: Einer Neubewertung bedarf es aus der Sicht der Bundesregierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht. Die Forderung, weitere Standorte mit unterschiedlichen Endlagerformationen zu untersuchen, geht an der Tatsache vorbei, daß das Medium Salz auch weiterhin international als eines der besten Medien zur Endlagerung radioaktiver Abfälle bewertet wird. Eine Abkehr vom Salz ist daher nicht begründbar. Die Untersuchung weiterer Standorte ist derzeit weder auf Grund der geologischen Befunde noch entsorgungspolitisch geboten.
({1})
Die bestätigte Eignungshöffigkeit wird durch den Unfall vom 12. Mai 1987 nicht in Frage gestellt. Natürlich ist es mehr als bedauerlich, daß dieser Unfall passierte. Natürlich resultiert daraus die Notwendigkeit, sehr sorgfältig zu untersuchen, welche Ursachen der Unfall hatte. Ich unterstreiche noch einmal: Wir nehmen uns dafür viel Zeit.
Wir werden - das habe ich auch in Gorleben in der Sitzung der Kommunalparlamente gesagt - das Schachtabteufen erst fortsetzen, wenn die Auswertung des Gutachtens von Professor Jessberger vorliegt. Ich frage einmal die Abgeordneten, die das eben kritisiert haben, zurück: Wo gibt es eigentlich den Schimmer eines Verdachts, daß Herr Professor Dr. Jessberger nicht ein unabhängiger qualifizierter Gutachter sein sollte?
({2})
Da möchte ich wirklich einmal fragen: Was ist denn gegen einen solchen Gutachter einzuwenden?
({3})
- Wenn ich immer so weit komme, daß ich durch das Entkräften eines Argumentes Ihnen ein neues stelle, dann bin ich, glaube ich, schon ein gutes Stück vorangekommen. - Ich meine jedenfalls, daß dies eine wichtige Tatsache ist. Wir werden nicht nur das Gutachten Jessberger abwarten, sondern anschließend auch eine Begutachtung durch die Reaktorsicherheitskommission vornehmen lassen.
Meine Damen und Herren, auch dies zeigt sehr deutlich, daß wir nicht zur Tagesordnung übergehen, sondern daß wir - ({4})
- Es gibt, glaube ich, in diesem Hohen Hause die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Bundesminister?
Selbstverständlich, sehr gerne.
Würden Sie mir zugeben, daß durch den Umstand, daß wir jetzt so sehr viel Abfall produzieren, Sachzwänge entstehen, die sich natürlich mitteilen über Genehmigungsbehörden, über akute Notfälle - zum Beispiel wußte man beim AKW Stade vor zwei Jahren wirklich für einen Moment nicht, wohin mit der Entsorgung - , daß sich da Sachzwänge mitteilen, die dazu führen, daß vielleicht in Gorleben beim Aufschließen des Salzstockes etwas mehr Druck auf die Beteiligten ausgeübt wurde, als es nach Ihrer Darstellung hätte sein dürfen?
Nein, dieser Meinung bin ich natürlich nicht. Ich bin dieser Meinung auch deswegen nicht, weil die Zahlen dagegen sprechen. Wir kommen eben nicht in einen Zeitzwang. Gerade weil wir die Möglichkeiten genutzt haben, qualifizierte Zwischenlagerstätten zu bauen, gerade weil wir für den breiten Bereich der schwach- und mittelradioaktiven Abfallstoffe in der Grube Konrad deutlich vorangekommen sind, wo 95 % der in Rede stehenden Abfallstoffe abgelagert werden können, sind wir in der Bundesrepublik Deutschland - ich will das nicht qualifizieren, aber zumindest andeuten - in einer ungleich freieren Zeitperspektive, was die Endlagerung betrifft, als das viele andere, die weltweit die friedliche Nutzung der Kernenergie betreiben, in der Zwischenzeit sind.
({0})
Lassen Sie mich deswegen abschließend noch einmal festhalten: Wir sind der festen Überzeugung und können das mit Fakten belegen, daß das Entsorgungskonzept, das 1979 in Übereinstimmung der damaligen Bundesregierung und aller Länderchefs abgeschlossen ist, in der Zwischenzeit deutlich vorangekommen ist. Wir treten nicht auf der Stelle, sondern wir sind ein gutes Stück vorangekommen.
Wir sind der Überzeugung, daß es keine Belege dafür gibt, daß die Eignungshöffigkeit des Salzstocks in Gorleben in Frage gestellt ist; die oberirdischen Erkundungen haben es bewiesen. Wir bleiben bei dem Mehrbarrieren-Konzept, wobei wir immer gesagt haben und weiter sagen werden, daß eine oder eine Summe von Einzelbarrieren diese Sicherheitsstandards erbringen müssen.
Wir sind darüber hinaus der Meinung, daß wir ohne Zeitzwang die Ursachen für die bergbaulichen Vorfälle untersuchen können, daß wir ohne Zeitzwang untersuchen können, woran es gelegen hat, daß es zu diesem Unfall gekommen ist, und daß wir erst dann nach unabhängiger sachverständiger Prüfung diese Arbeiten weiterführen werden.
Ich danke Ihnen.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Anträge zum Endlager Gorleben an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Das Haus ist offensichtlich damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich gebe Ihnen zunächst einmal die von den Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen bekannt.
Da ist zunächst der Entschließungsantrag der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 11/1083. 356 Stimmen wurden abgegeben. Davon war keine ungültig. Mit Ja haben 32 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 321. Es hat 3 Enthaltungen gegeben.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 354; davon
ja: 32
nein: 319
enthalten: 3
Ja
DIE GRÜNEN
Dr. Daniels ({0}) Frau Eid
Frau Flinner Frau Garbe Häfner
Frau Hensel Frau Hillerich
Hoss
Hüser
Frau Kelly Kleinert ({1})
Dr. Knabe Kreuzeder Frau Krieger
Dr. Lippelt ({2}) Dr. Mechtersheimer Frau Nickels
Frau Olms Frau Saibold Schily
Frau Schmidt-Bott
Sellin
Stratmann Frau Teubner
Frau Trenz Frau Unruh Volmer
Frau Wollny Wüppesahl
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein Bauer
Bayha
Dr. Becker ({3})
Frau Berger ({4})
Dr. Biedenkopf
Dr. Blank Dr. Blens Börnsen ({5})
Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen
Breuer
Bühler ({6})
Buschbom
Carstensen ({7})
Dr. Czaja
Dr. Daniels ({8})
Daweke
Frau Dempwolf
Dörflinger Doss
Dr. Dregger Echternach Ehrbar
Eigen
Engelsberger
Dr. Faltlhauser
Feilcke
Dr. Fell
Fellner
Frau Fischer Fischer ({9})
Francke ({10})
Dr. Friedrich Fuchtel
Ganz ({11})
Frau Geiger Geis
Dr. Geißler
Dr. von Geldern
Gerstein
Gerster ({12})
Vizepräsident Westphal
Dr. Göhner
Dr. Grünewald Günther
Dr. Häfele
Frau Hasselfeldt Haungs
Hauser ({13}) Hedrich
Freiherr Heereman von Zuydtwyck
Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs
Hinsken
Höffkes
Höpfinger
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({14}) Dr. Hornhues
Dr. Hüsch
Dr. Jahn ({15}) Dr. Jenninger Jung ({16}) Jung ({17}) Kalb
Kalisch
Dr.-Ing. Kansy Dr. Kappes
Frau Karwatzki Kittelmann
Dr. Köhler ({18}) Kolb
Kossendey
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({19}) Dr. Lammert
Dr. Langner
Lattmann
Frau Limbach Link ({20}) Link ({21})
Dr. Lippold ({22}) Lummer
Maaß
Frau Männle Magin
Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Miltner
Dr. Müller
Neumann ({23}) Niegel
Dr. Olderog
Oswald
Frau Pack
Pesch
Pfeifer
Dr. Pinger
Dr. Pohlmeier Dr. Probst
Rauen
Rawe
Reddemann
Repnik
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch ({24}) Frau Roitzsch ({25}) Rühe
Dr. Rüttgers
Ruf
Sauer ({26}) Sauer ({27}) Sauter ({28}) Sauter ({29})
Dr. Schäuble Scharrenbroich
Schartz ({30})
Schemken Schmidbauer
Freiherr von Schorlemer Schulhof f
Dr. Schulte ({31}) Schulze ({32})
Schwarz
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Spilker
Dr. Sprung
Dr. Stark ({33})
Dr. Stercken Straßmeir Stücklen
Frau Dr. Süssmuth Susset
Dr. Todenhöfer
Dr. Uelhoff Uldall
Dr. Unland
Vogel ({34})
Dr. Voigt ({35})
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Weirich
Weiß ({36}) Werner ({37})
Frau Will-Feld
Wilz
Wimmer ({38})
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann Dr. Wörner Zeitlmann
Zink
SPD
Frau Adler Amling
Andres
Bachmaier Bahr
Frau Becker-Inglau Bindig
Dr. Böhme ({39}) Börnsen ({40}) Brandt
Büchler ({41}) Dr. von Bülow
Frau Bulmahn
Buschfort
Frau Conrad
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Frau Dr. Dobberthien
Dr. Ehrenberg
Dr. Emmerlich
Frau Faße
Fischer ({42})
Frau Fuchs ({43})
Frau Fuchs ({44})
Dr. Gautier Gerster ({45})
Gilges
Graf
Grunenberg Haar
Frau Hämmerle
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler
Dr. Hauff Heimann Heyenn Hiller ({46})
Horn
Huonker Ibrügger Jahn ({47})
Jaunich Dr. Jens
Jung ({48}) Jungmann Kastning
Kiehm
Kirschner Kißlinger Klein ({49})
Koltzsch Koschnick Kuhlwein Lambinus Leidinger Lennartz Frau Luuk Frau Matthäus-Maier
Dr. Mitzscherling
Müller ({50}) Müller ({51})
Müller ({52}) Müntefering
Nagel
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese Niggemeier
Frau Odendahl Oesinghaus
Paterna
Dr. Penner Peter ({53})
Pfuhl
Dr. Pick
Porzner
Reimann Frau Renger
Reuter
Rixe
Schäfer ({54})
Dr. Scheer Scherrer Schluckebier
Schmidt ({55}) Schreiner
Schröer ({56}) Schütz
Seidenthal Frau Seuster
Sielaff
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Stahl ({57})
Stiegler
Stobbe
Tietjen
Frau Dr. Timm
Frau Traupe Urbaniak
Vahlberg
Voigt ({58}) Weiermann
Frau Weiler
Dr. Wernitz
Frau Weyel Dr. Wieczorek Wiefelspütz
von der Wiesche Wimmer ({59})
Dr. de With Wittich
Zumkley
FDP
Dr. Bangemann
Baum Beckmann
Bredehorn
Eimer ({60})
Frau Folz-Steinacker Funke
Gattermann
Gries Grüner
Dr. Haussmann
Heinrich
Dr. Hitschler
Dr. Hoyer
Irmer Kohn Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff Lüder
Neuhausen
Richter
Rind Ronneburger
Schäfer ({61})
Timm
Wolfgramm ({62}) Frau Würfel
Enthalten
SPD
Frau Ganseforth Jansen
Damit ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt.
Dann zum Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1093: 354 Stimmen wurden abgegeben, keine ungültigen. Mit Ja haben 122 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 232. Es hat keine Enthaltung gegeben.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 351; davon
ja: 120
nein: 231
Vizepräsident Westphal
Ja
SPD
Frau Adler Amling
Andres
Bachmaier Bahr
Becker ({63})
Frau Becker-Inglau Bindig
Dr. Böhme ({64}) Börnsen ({65}) Brandt
Büchler ({66}) Dr. von Bülow
Frau Bulmahn
Buschfort Frau Conrad
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Frau Dr. Dobberthien Duve
Dr. Ehrenberg
Dr. Emmerlich
Frau Faße
Fischer ({67})
Frau Fuchs ({68})
Frau Fuchs ({69})
Dr. Gautier Gerster ({70})
Gilges
Graf
Grunenberg Haar
Frau Hämmerle
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler Dr. Hauff Heimann Heyenn
Hiller ({71})
Horn
Huonker
Ibrügger
Jahn ({72})
Jansen
Jaunich
Dr. Jens
Jung ({73}) Kastning
Kiehm
Kirschner Kißlinger Klein ({74})
Koltzsch
Koschnick Kuhlwein Lambinus Leidinger Lennartz
Frau Luuk
Frau Matthäus-Maier
Dr. Mitzscherling
Müller ({75}) Müller ({76})
Müller ({77}) Müntefering
Nagel
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese Niggemeier Frau Odendahl Oesinghaus Paterna
Dr. Penner Peter ({78}) Pfuhl
Dr. Pick
Porzner
Frau Renger Reuter
Rixe
Schäfer ({79})
Dr. Scheer Scherrer
Schluckebier Schmidt ({80})
Frau Schmidt ({81}) Schreiner
Schröer ({82}) Schütz
Seidenthal Frau Seuster Sielaff
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Stahl ({83})
Stiegler
Frau Dr. Timm
Frau Traupe Urbaniak
Vahlberg
Voigt ({84}) Weiermann
Frau Weiler Dr. Wernitz Westphal
Frau Weyel Dr. Wieczorek Wiefelspütz
von der Wiesche
Wimmer ({85})
Dr. de With Wittich
Zumkley
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein
Bauer Bayha
Dr. Becker ({86}) Frau Berger ({87})
Dr. Biedenkopf
Dr. Blank
Dr. Blens
Börnsen ({88})
Dr. Bötsch
Bohl
Bohlsen
Breuer
Bühler ({89}) Buschbom
Carstensen ({90}) Dr. Czaja
Dr. Daniels ({91}) Daweke
Frau Dempwolf Dörflinger
Echternach
Ehrbar Eigen Engelsberger
Dr. Faltlhauser
Feilcke Dr. Fell Fellner Frau Fischer
Fischer ({92}) Francke ({93})
Fuchtel
Ganz ({94}) Frau Geiger
Geis
Dr. Geißler
Dr. von Geldern Gerstein
Gerster ({95}) Dr. Göhner
Dr. Grünewald Günther
Dr. Häfele
Frau Hasselfeldt Haungs
Hauser ({96}) Hedrich
Freiherr Heereman von Zuydtwyck
Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinsken
Höffkes
Höpfinger
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({97}) Dr. Hornhues
Dr. Hüsch
Dr. Jahn ({98}) Dr. Jenninger Jung ({99}) Jung ({100}) Kalb
Kalisch
Dr.-Ing. Kansy Dr. Kappes
Frau Karwatzki Kittelmann
Dr. Köhler ({101}) Kolb
Kossendey
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({102}) Dr. Lammert
Dr. Langner
Lattmann
Frau Limbach Link ({103}) Link ({104}) Lintner
Dr. Lippold ({105}) Lummer
Maaß
Frau Männle Magin
Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Miltner
Dr. Müller
Neumann ({106}) Niegel
Dr. Olderog
Oswald
Frau Pack
Pesch
Pfeifer
Dr. Pohlmeier Dr. Probst
Rauen
Rawe
Reddemann
Repnik
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch ({107}) Frau Roitzsch ({108}) Rühe
Dr. Rüttgers
Ruf
Sauer ({109})
Sauer ({110})
Sauter ({111}) Sauter ({112})
Dr. Schäuble Scharrenbroich
Schartz ({113}) Schemken Schmidbauer
Freiherr von Schorlemer Schulhoff
Dr. Schulte
({114}) Schulze ({115})
Schwarz
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Spilker
Dr. Sprung
Dr. Stercken Straßmeir Stücklen
Frau Dr. Süssmuth Susset
Dr. Todenhöfer
Dr. Uelhoff Uldall
Dr. Unland
Vogel ({116})
Dr. Voigt ({117})
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Weirich
Weiß ({118}) Werner ({119})
Frau Will-Feld
Wilz
Wimmer ({120})
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann Dr. Wörner Zeitlmann
Zink
SPD Tietjen
FDP
Dr. Bangemann
Beckmann Bredehorn Eimer ({121})
Frau Folz-Steinacker Funke
Gattermann Gries
Grüner
Dr. Haussmann
Heinrich
Dr. Hirsch Dr. Hitschler Dr. Hoyer Irmer
Kleinert ({122}) Kohn
Dr. Graf Lambsdorff Lüder
Mischnick Neuhausen Nolting
Vizepräsident Westphal
Richter
Rind
Schäfer ({123}) Frau Dr. Segall Timm
Frau Würfel
DIE GRÜNEN
Dr. Daniels ({124}) Frau Eid
Frau Flinner
Häfner
Frau Hensel
Frau Hillerich
Hoss
Hüser
Frau Kelly
Kleinert ({125})
Kreuzeder
Frau Krieger
Dr. Lippelt ({126}) Dr. Mechtersheimer
Frau Nickels Frau Olms
Frau Saibold Schily
Frau Schmidt-Bott
Frau Schoppe Sellin
Stratmann Frau Teubner Frau Trenz Frau Unruh Volmer
Frau Wollny Wüppesahl
Auch dieser Antrag ist nicht angenommen.
Dann kommt das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 11/1104 ({127}). Da hat es 355 abgegebene Stimmen gegeben. Auch davon war keine ungültig. Mit Ja haben 204 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 150. Es hat 1 Enthaltung gegeben.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 355; davon
ja: 204
nein: 150
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Dr. Abelein Bauer
Bayha
Dr. Becker ({128}) Frau Berger ({129})
Dr. Biedenkopf
Dr. Blank Dr. Blens Börnsen ({130})
Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen
Breuer
Bühler ({131}) Buschbom
Carstensen ({132}) Dr. Czaja
Dr. Daniels ({133}) Daweke
Frau Dempwolf Dörflinger
Dr. Dregger Echternach Ehrbar
Eigen
Engelsberger
Dr. Faltlhauser
Feilcke
Dr. Fell
Fellner
Frau Fischer Fischer ({134})
Francke ({135})
Fuchtel
Ganz ({136})
Frau Geiger
Geis
Dr. Geißler
Dr. von Geldern
Gerstein Gerster ({137})
Dr. Göhner
Dr. Grünewald
Günther Dr. Häfele Harries
Frau Hasselfeldt
Haungs
Hauser ({138}) Hedrich
Freiherr Heereman von
Zuydtwyck
Helmrich Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({139}) Dr. Hornhues
Dr. Hüsch
Dr. Jahn ({140})
Jung ({141})
Jung ({142})
Kalb
Kalisch Dr.-Ing. Kansy
Dr. Kappes Frau Karwatzki Kittelmann
Dr. Köhler ({143}) Kolb
Kossendey Kraus
Krey
Kroll-Schlüter
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({144})
Dr. Lammert Dr. Langner Lattmann
Dr. Laufs Frau Limbach
Link ({145})
Link ({146})
Lintner
Dr. Lippold ({147}) Lummer
Maaß
Frau Männle Magin
Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Miltner Dr. Müller
Neumann ({148}) Niegel
Dr. Olderog Oswald
Frau Pack Pesch
Pfeifer
Dr. Pinger Dr. Pohlmeier
Dr. Probst Rauen
Rawe
Reddemann Repnik
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch ({149}) Frau Roitzsch ({150}) Rühe
Dr. Rüttgers Ruf
Sauer ({151})
Sauer ({152})
Sauter ({153})
Sauter ({154})
Dr. Schäuble Scharrenbroich
Schartz ({155})
Schemken Schmidbauer
Freiherr von Schorlemer Schulhoff
Dr. Schulte
({156}) Schulze ({157})
Schwarz
Dr. Schwörer
Seehofer Seesing
Spilker
Dr. Sprung
Dr. Stark ({158})
Dr. Stercken Straßmeir Stücklen
Frau Dr. Süssmuth
Susset
Dr. Todenhöfer
Dr. Uelhoff Uldall
Dr. Unland
Vogel ({159})
Dr. Voigt ({160}) Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil
Dr. Warnke Weirich
Weiß ({161}) Werner ({162})
Frau Will-Feld Wilz
Wimmer ({163}) Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann Dr. Wörner
Zeitlmann
Dr. Zimmermann Zink
SPD Tietjen
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Dr. Bangemann
Beckmann
Bredehorn
Eimer ({164})
Frau Folz-Steinacker Funke
Gattermann
Gries
Grüner
Dr. Haussmann Heinrich
Dr. Hitschler
Dr. Hoyer
Irmer
Kleinert ({165})
Kohn
Dr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff
Mischnick
Neuhausen
Richter
Rind
Ronneburger Schäfer ({166}) Timm
Wolfgramm ({167}) Frau Würfel
Nein
SPD
Frau Adler
Amling Andres Bachmaier
Bahr
Becker ({168})
Frau Becker-Inglau
Bindig
Dr. Böhme ({169})
Börnsen ({170}) Brandt
Büchler ({171})
Dr. von Bülow
Frau Bulmahn
Buschfort
Frau Conrad Daubertshäuser
Frau Dr. Dobberthien Duve
Dr. Ehrenberg
Vizepräsident Westphal
Dr. Emmerlich
Frau Faße
Fischer ({172})
Frau Fuchs ({173})
Frau Fuchs ({174})
Dr. Gautier Gerster ({175})
Gilges
Graf
Grunenberg Haar
Frau Hämmerle
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler
Dr. Hauff Heimann Heyenn
Hiller ({176})
Horn
Huonker Ibrügger Jahn ({177})
Jansen
Jaunich
Dr. Jens
Jung ({178}) Jungmann Kastning
Kiehm
Kirschner Kißlinger Klein ({179})
Koltzsch Koschnick Kuhlwein Lambinus Leidinger Lennartz Frau Luuk
Frau Matthäus-Maier Dr. Mitzscherling
Müller ({180}) Müller ({181})
Müller ({182}) Müntefering
Nagel
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese Niggemeier Frau Odendahl Oesinghaus Paterna
Dr. Penner Peter ({183})
Pfuhl
Dr. Pick
Porzner
Reimann Frau Renger Reuter
Rixe
Schäfer ({184})
Dr. Scheer Scherrer Schluckebier
Schmidt ({185})
Frau Schmidt ({186}) Schreiner
Schröer ({187}) Schütz
Seidenthal Frau Seuster Sielaff
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Stahl ({188})
Stiegler
Stobbe
Frau Dr. Timm
Frau Traupe Urbaniak
Voigt ({189}) Wartenberg ({190}) Weiermann
Frau Weiler Dr. Wernitz Westphal
Frau Weyel Dr. Wieczorek Wiefelspütz
von der Wiesche Wimmer ({191})
Dr. de With Wittich
Zumkley
DIE GRÜNEN
Dr. Daniels ({192}) Frau Eid
Frau Flinner Frau Garbe Häfner
Frau Hensel Frau Hillerich Hoss
Hüser
Kleinert ({193})
Dr. Knabe Kreuzeder Frau Krieger
Dr. Mechtersheimer Frau Nickels
Frau Olms Frau Saibold Schily
Frau Schmidt-Bott
Sellin
Stratmann Frau Teubner Frau Trenz Frau Unruh Volmer
Frau Wollny Wüppesahl
Enthalten
FDP
Damit ist dieser Antrag angenommen worden. Nun kommen wir zu Punkt 20 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Buschbom, Eylmann, Geis, Helmrich,
Hörster, Dr. Hüsch, Dr. Langner, Marschewski,
Sauter ({194}), Seesing, Dr. Stark ({195}), Weiß ({196}), Dr. Wittmann und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Funke, Irmer, Kleinert ({197}) und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs
- Drucksache 11/898 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({198})
- Drucksache 11/1082 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Langner Dr. de With
({199})
Interfraktionell ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Stark.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Gerichte in unserem Rechtsstaat, der sich im Bewußtsein vieler unserer Bürger leider immer mehr zu einem Rechtswegestaat entwickelt, sind überlastet. Am meisten überlastet ist die Finanzgerichtsbarkeit. Ich meine hier die Finanzgerichte und den Bundesfinanzhof.
Zum Beweis dieser Feststellung lassen Sie mich einige Zahlen nennen. Im Jahre 1970 gingen bei den Finanzgerichten ca. 13 500 Klagen ein, im Jahre 1986 ca. 60 000. Das ist nahezu eine Vervierfachung, in Prozent ausgedrückt eine Steigerung um 346 %. Beim Bundesfinanzhof, um den es heute abend hier geht, gingen im Jahre 1970 ca. 2 000 Sachen ein, im Jahre 1986 ca. 3 200 Sachen. Das ist eine Steigerung um ca. 50 %, wobei man wissen muß, daß beim Bundesfinanzhof viel weniger Richter als bei den Finanzgerichten tätig sind.
Für den Bürger bedeutet das, meine Damen und Herren, daß manche Rechtsuchende jahrelang auf ihr Recht, auf die Entscheidung des Gerichts warten müssen, in Hunderten, ja sogar über tausend Fällen über fünf Jahre. In Extremfällen müssen manche Bürger acht Jahre warten. Das kommt nahezu einer Rechtsverweigerung gleich.
({0})
Der Volksmund sagt: „Spätes Recht - halbes Recht. " Ich würde sagen: „So spätes Recht - schlechtes Recht. "
Aus diesem Grunde hat der Bundestag schon im Jahre 1975 ein sogenanntes Entlastungsgesetz für den Bundesfinanzhof beschlossen und gemeint, er könne die Dinge in fünf Jahren regeln. Er hat es nicht geschafft. Die Verhältnisse sind nicht besser geworden. Dieses Entlastungsgesetz mußte bisher zweimal verlängert werden. Heute wollen wir dieses Gesetz zur Entlastung des Bundesfinanzhofs nochmals verlänDr. Stark ({1})
gern, bis 1989. Aber dann - ich sage das gleich dazu - muß damit auch Schluß sein.
Das, was wir heute machen, ist eine Überbrükkungs- und Notmaßnahme, aber keine dauerhafte Lösung für die Finanzgerichtsbarkeit. Nach dem Ablauf dieser weiteren Verlängerung der Entlastungsnovelle muß eine völlig neue Konzeption mit einer dauerhaften, befriedigenden Lösung für die Finanzgerichtsbarkeit gefunden werden, und dabei müssen wir auch nach den Gründen fragen, aus denen unsere Finanzgerichte in einer Prozeßflut beinahe ertrinken und unsere Richter bei den Finanzgerichten und beim Bundesfinanzhof an Überbelastung leiden.
Was kann man tun? Was man personell tun kann, haben wir, glaube ich, bereits getan. Wir haben die Zahl der Richter bei den Finanzgerichten gegenüber 1970 nahezu verdoppelt, und wir haben auch die Zahl der Richter beim Bundesfinanzhof wesentlich erhöht. Wir haben gerade jetzt einen neuen Senat eingerichtet. Ich denke, personell kann nicht mehr allzuviel getan werden. Das hat auch eine grundsätzliche Bedeutung. Es geht nämlich darum, wie viele Richter wir wollen, - ob Richter zu Nummernarbeitern werden - oder ob wir unabhängige, selbständige, fähige Richter wollen. Dann kann man ihre Zahl nicht so erhöhen, wie manche sich das vorstellen.
({2})
Wenn wir zu einer besseren Lösung kommen wollen, ist die Vereinfachung der Steuergesetze der wesentlichste Punkt.
({3})
Das IPOS-Institut in Mannheim hat gerade in diesen Tagen 2 400 Leute gefragt: Halten Sie unsere Steuergesetze eher für verständlich oder eher für unverständlich? Darauf haben ca. 60 % geantwortet: eher unverständlich.
({4})
- Immerhin, ich will Ihnen die genaue Zahl nennen.
Wir, die Bundesregierung und die Koalition, befinden uns hier mit der großen Steuerreform auf dem richtigen Weg. Die Anhebung der Grundfreibeträge und damit der Herausfall von über 500 000 Menschen aus der Steuer ist der richtige Weg. Die Beseitigung des Investitionszulagengesetzes, das kompliziert und streitfähig war, ist der richtige Weg. Die Zusammenfassung von Freibetragspauschalen ist der richtige Weg. Ich könnte noch einige weitere Beispiele nennen.
Daneben geht es um die Neuordnung der Finanzgerichtsbarkeit. Alles, was sich bewährt hat, muß in die Dauerregelung einbezogen werden.
Ich sehe, es leuchten hier schon alle Lampen auf; deshalb muß ich zum Ende kommen. - Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Ausdruck bringen - ich glaube, darin stimmen alle Fraktionen in diesem Hause überein - : Das, was wir heute machen, muß die letzte Verlängerung der Entlastungsnovelle sein.
Bis 1990 muß eine gute, dauerhafte Lösung auch für die Finanzgerichtsbarkeit stehen.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten hatten bereits in der ersten Lesung am 9. Oktober, also vor knapp vier Wochen, erklärt, daß wir der Verlängerung des Entlastungsgesetzes zustimmen würden. Wir stimmen zu.
Wir hatten aber auch klargemacht, daß wir einen Antrag einbringen würden, der die Bundesregierung auffordert, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt endlich eine Konzeption für eine grundlegende und dauerhafte Reform der Finanzgerichtsbarkeit vorzulegen; denn wir wollen nicht, daß das Entlastungsgesetz zum wiederholten Male verlängert wird. Wir wollen vielmehr, daß die wachsende Verfahrensdauer in der Finanzgerichtsbarkeit, die in der Tat ohne Beispiel ist, endlich auf ein angemessenes Maß herabgedrückt wird.
Wir stellen erfreut fest, daß alle Fraktionen des Deutschen Bundestages unserem diesbezüglichen Antrag zugestimmt haben. Er steht hier zur Abstimmung. Danach ist die Bundesregierung verpflichtet, bis zum 30. Juni 1988 eine solche Konzeption vorzulegen. Nach Vorlage dieser Konzeption steht dann noch die Zeit zur Verfügung, die es der Bundesregierung und, wie ich hinzufüge, auch dem Bundesrat erlauben wird, ein entsprechendes Gesetz so rechtzeitig zu verabschieden, daß mit dessen Inkraftsetzungstermin der Auslauftermin des Entlastungsgesetzes erreicht wird.
Die Bundesregierung hat bisher allzu lange die Zügel schleifen lassen. Für den rechtsuchenden Bürger, für die Finanzgerichte, aber auch für den Staat als Steuergläubiger ist dieser Zustand unhaltbar. Ich kann deshalb nur mit Nachdruck an die Bundesregierung appellieren, sich endlich auf Grund der bereits vorliegenden Vorschläge der Verbände, auf Grund der Literatur und auf Grund der Vorschläge der vom Bundesminister der Justiz hierzu eingesetzten Kommission zu Entscheidungen durchzuringen.
Auf eine Steuervereinfachung, von der Herr Kollege Langner in der ersten Lesung - ich meine: etwas treuherzig - sprach und die auch Herr Kollege Stark hier behauptete, können wir mit Sicherheit nicht hoffen. Ich rate Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Union, sich noch einmal Ihre Vorschläge zur Quellensteuer genau anzuschauen. Dieser Wechselbalg bringt mit Sicherheit mehr Bürokratie für die Banken - das ist so -, mehr Bürokratie für die Finanzämter, mehr Bürokratie für den Steuerbürger und weniger Gerechtigkeit.
({0})
Ich zitiere nur, was der Präsident der Volksbanken
und Raiffeisenbanken hierzu vor zwei Tagen gesagt
hat: Die vorgesehene Nichtveranlagungsbescheini2454
gung des Finanzamts bei Kleinstbeträgen ist unzumutbar.
Um so mehr Handlungsbedarf besteht im Finanzgerichtsverfahren. Wir hatten, wie Sie wissen, eine Verwaltungsprozeßordnung vorgeschlagen. Die Regierung war in der vorigen Wahlperiode noch der Meinung, dies müsse verabschiedet werden. Sie kommt darauf nicht mehr zurück. Aber schon in dieser Vorlage stehen genug Vorschläge, die zu einer Straffung auch der Finanzgerichtsbarkeit führen. Dennoch, wenn es darum geht, allein die Finanzgerichtsordnung zu ändern, stehen wir auch hier an Ihrer Seite, gewissermaßen unter Vorwegnahme der Verwaltungsprozeßordnung.
Wir hatten in der ersten Lesung zwei Punkte angesprochen. Ich wiederhole sie. Es war zum einen die Frage der Beschränkung der Zulassung für die Rechtsvertreter zum Bundesfinanzhof, was dazu führt, daß bis zu 35 % aller Revisionen unzulässig sind. Zum anderen hatten wir die Frage der Einführung einer dritten Instanz angesprochen, wie auch immer sie aussehen möge: eine echte Instanz, ein Einzelrichter bei den Finanzgerichten, oder aber irgendwelche Steuerausschüsse. Wir Sozialdemokraten sind jedenfalls bereit, auch unbequeme Maßnahmen mitzutragen, wenn sie geeignet sind, der Finanzgerichtsbarkeit eine dauernde Entlastung zu bringen.
Ich sage hier, gerichtet an alle Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses: Wir Parlamentarier sollten dabei nicht so furchtsam sein. Das Parlament vermag eine ganze Menge, wenn es sich in wichtigen Fragen zusammenrauft. Da ich gern mit einem Zitat schließe, auch diesmal ein Zitat. Schon der Brite Blackstone hat gesagt: Es ist von den englischen Juristen anerkannter Grundsatz, daß das Parlament alles kann - nur keine Frau zum Mann und keinen Mann zur Frau machen.
({1})
Das wäre ja auch noch schöner, Herr de With. - Jetzt kommt der Abgeordnete Kleinert. Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir hatten das Thema erst kürzlich. Ich habe auch nicht den Eindruck, daß sich der Kreis der Interessierten seitdem vergrößert hat.
({0})
Ich will Ihnen dennoch nach dem alten Grundsatz „Repetitio est mater studiorum" die gleiche Sache noch mal vortragen, die wir schon damals vorgetragen haben, nämlich: Wir sind nicht der Meinung, daß wir mit irgendeiner Dreistufigkeit des Finanzgerichtsaufbaus weiterkämen. Es wird nichts bringen. Es ist immer noch viel zuwenig beachtet worden, daß im Finanzgerichtsverfahren Sachfragen überhaupt keine Rolle spielen. All das, was beim ordentlichen Gericht eine Rolle spielt und in der Berufungsinstanz von den Tatsachen her noch einmal geprüft und aufbereitet werden muß, spielt in der Finanzgerichtsbarkeit in aller Regel keine Rolle.
Ich habe vom Herrn Präsidenten des Bundesfinanzhofs am Montag gehört, er habe meine letzte Rede hier gelesen. So was freut den Menschen ja dann doch. Denn jetzt kenne ich einen einzelnen Menschen, der diese Rede zur Kenntnis genommen hat.
({1})
Das ist schon deutlich mehr als null. Er hat mir gesagt, ich hätte hier gesagt, er sei über seinen neuen Senat so froh gewesen, und dieser neue Senat habe es nicht gebracht. Da habe ich ihm gesagt: Nein, nein, lieber Herr Klein, das behaupten wir gar nicht. Vielmehr haben wir Ihnen den neuen Senat blutenden Herzens bewilligt, obwohl wir wußten, daß das am Problem nichts ändert. Und daß Sie jetzt mit der Erledigungsziffer Ihres neuen Senats zufrieden sind - 300 Sachen sollen es sein, so sagt er - , ist ja gut. Aber wir wollen jetzt nicht in Einzelheiten einsteigen. Das machen wir lieber im stillen Kämmerchen.
({2})
- Natürlich liest er das. Darum erzähle ich es ja auch.
({3})
Also, wir werden mit diesem neuen Senat - und nichts anderes wollte ich hier neulich sagen - natürlich überhaupt nicht weiterkommen, wenn wir nicht in der Sache selbst weiterkommen. Und da müssen wir möglichst praxisnah, möglichst entscheidungsnah etwas tun. Das heißt: Wir müssen ein Einspruchsverfahren schaffen, das wirklich funktioniert. Wir müssen an die Entscheidungsfähigkeit der Finanzämter appellieren. Wir müssen nicht nur verhandlungs-, sondern auch abschlußlegitimierte Beamte in diesen Ausschüssen haben. Und wir müssen in den Fällen, in denen das gewünscht wird, sehr harte Gespräche unter sehr sachkundigen Leuten führen - übrigens, damit das nicht mißverstanden wird, nicht immer, sondern nur dann, wenn es gewünscht wird. Aber dann muß auch zum Schluß abgeschlossen, dann muß verglichen werden: mit dem Finanzamt, mit der öffentlichen Hand. Und dann wird sich ein großer Teil der Dinge, die hier angeblich Anlaß für eine zweite Instanz sind, in Qualm auflösen.
({4})
Weg wird es sein, gar nichts wird mehr sein.
Die Idee, das gleiche mit einer dritten Instanz noch einmal durchzumahlen, wird uns mit Sicherheit nicht aus der Bredouille bringen, sondern wir müssen ganz nah beim entscheidenden Beamten ansetzen. Wir müssen versuchen, dann auch zwischen dem Steuerbürger und dem Finanzamt zu vergleichen. Dann wird sich derjenige, der die Akte nach etwa einem halben Jahr - ich bin da jetzt noch vorsichtig; mir wäre natürlich lieber: nach 30 Tagen - wieder auf den Tisch kriegt und sieht, was die da verglichen haben, sagen: Ach, bevor du dich auf so'n Ding erneut einläßt, wirst du das nächste Mal etwas bürgernäher, etwas steuerKleinert ({5})
zahlerfreundlicher entscheiden. Auf diese Weise kriegen wir dann auch den Kern des Übels in den Griff,
({6})
nämlich die Finanzverwaltung, von der her diese Überlastung oder auch angebliche Überlastung der Finanzgerichtsbarkeit ihren Ausgang nimmt.
Herr Kollege, ich muß Sie bitten, zum Ende zu kommen.
In der Richtung wollen wir uns jetzt bewegen, und dafür bitte ich Sie herzlich um Ihre Unterstützung.
Danke schön.
({0})
Wenn Sie noch einen Moment dableiben würden, Herr Kollege Kleinert. - Der amtierende Präsident ist in Latein nicht besonders beschlagen. Wessen Mutter war die Wiederholung?
({0})
Repetitio.
Das ist die Mutter. Wessen Mutter?
({0})
Studiorum.
({0})
Moment, ich krieg' es noch aus Ihnen raus.
Mutter war repetitio.
Das habe ich doch gefragt.
Die Tochter ist studiorum.
({0})
Also, meine Frage war schon berechtigt.
Jetzt kommt der Abgeordnete Häfner. Bitte schön.
Guten Abend, Herr Präsident! Guten Abend, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Wittmann, wir haben ja immer das Spielchen: Wenn Sie wieder in die bayerische Landesvertretung zum Essen gehen wollen, dann wünsche ich Ihnen dabei alles Gute. Im Moment beraten wir hier noch einen Gesetzentwurf Ihrer Fraktion, und diejenigen Abgeordneten, denen das möglich ist, werden sicherlich noch an der Beratung teilnehmen.
Das Gesetz zur Entlastung des Bundesfinanzhofes wurde zunächst am 8. Juli 1975 verabschiedet; es war befristet bis zum 31. Dezember 1980. Es wurde seitdem mehrere Male, zuletzt mit Gesetz vom 14. Dezember 1984 um drei Jahre bis zum 31. Dezember 1987, verlängert. Nun soll die Geltungsdauer bis zum 31. Dezember 1989 ein weiteres Mal verlängert werden.
Es ist sicher gar nicht so falsch, wenn man ausnahmsweise einen eigenen Fraktionskollegen zitiert. Ich zitiere meinen Kollegen Ebermann,
({0})
der hier von diesem Pult aus gesagt hat:
Bekanntlich wurde 1975 das Gesetz zur Entlastung des Bundesfinanzhofes und 1978 das berühmte Gesetz zur Entlastung der Finanzgerichtsbarkeit beschlossen. Wie wir alle wissen, kam 1983 das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte an der Finanzgerichtsbarkeit hinzu. 1985 wurde das Gesamtwerk durch ein Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofes vervollständigt.
Heute liegt uns das Gesetz zur Verlängerung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofes bis 1989 vor.
Ich glaube, darauf könnte es sich u. a. beziehen, wenn Satiriker immer wieder sagen: Was hier im Bundestag geschieht, ist Realsatire, und zwar in einem Ausmaß, daß man es satirisch kaum noch überhöhen kann.
({1})
Die Diskussion über eine wirksame Entlastung des Finanzhofes und der Finanzgerichtsbarkeit ist ja nun auch nicht gerade neu. Wenn es für viele Betroffene, für viele Bürgerinnen und Bürger nicht eine so ernste Frage wäre, dann könnte man sich hier einfach verabschieden, und man könnte sagen: Nun macht mal, vielleicht bis 1990, vielleicht bis zum Jahr 2000; vielleicht kommt nach dem langen Kreißen des Berges irgendwann noch ein Mäuslein heraus. Aber es ist für die Bürger durchaus eine sehr ernste Angelegenheit.
Ich habe mir heute von einem befreundeten Anwalt, der als Praktiker mit diesen Dingen umgeht, am Telefon sagen lassen, daß ihm gerade ein Fall bekannt geworden ist, der in den 60er Jahren eingereicht wurde und der erst in diesem Jahr entschieden worden ist. Man muß sich klarmachen, was das für die Betroffenen bedeutet. Es bedeutet eine enorme Rechtsunsicherheit. Sie wissen über einen langen Zeitraum von 3, 4, 6 und manchmal auch 20 Jahren nicht, wieviel Steuern sie zahlen müssen - insbesondere nach der Entscheidung, daß Steuerschulden auch noch verzinst werden müssen. Das ist weiß Gott eine sehr ernste Angelegenheit für die Bürger! Wenn man sich das erst einmal klarmacht, dann, denke ich, kann man kaum noch begreifen, wie fahrlässig hier mit der Rechtssicherheit der Bürger umgegangen wird.
Deshalb waren wir auch entschlossen, dieser Verlängerung nicht so ohne weiteres zuzustimmen. Wir werden uns bei der Abstimmung über den Antrag der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion auch der Stimme enthalten. Wir stimmen einer Verlängerung - und dies möchte ich betonen - ausschließlich unter der von der SPD beantragten, von uns mitgetragenen und im Rechtsausschuß wie im Finanzausschuß einstimmig beschlossenen Fristsetzung zu, nämlich
daß die Bundesregierung aufgefordert wird, nun endlich - allerspätestens bis zum 30. Juni des kommenden Jahres - eine entsprechende Konzeption vorzulegen.
Es sind jede Menge Vorschläge dieser Art auf dem Tisch. Die Anwaltsverbände, der Bund der Steuerzahler usw. haben sich geäußert. Der Vorschlag, eine zweite Tatsacheninstanz einzurichten, scheint uns dabei durchaus sinnvoll und nötig zu sein. Wir sind der Meinung, daß hier Entscheidungen notwendig sind, und wir werden darauf dringen, daß sie erfolgen. Bei einer solchen Neugliederung würden die zukünftigen Oberfinanzgerichte und der Bundesfinanzhof wirksam entlastet und die Verfahren beschleunigt. Die Finanzgerichtsbarkeit würde bürgernäher.
Erlauben Sie mir zum Abschluß noch eine Bemerkung, die mir an dieser Stelle wichtig ist: Letztlich kurieren wir hier wieder einmal lediglich an Symptomen herum. Besonders pikant dabei ist, daß Sie vielfach noch nicht einmal die Symptome in den Griff bekommen. Ich wäre ja schon erstaunt, wenn hier wirklich endlich eine Konzeption zur Entlastung der Finanzgerichtsbarkeit vorgelegt würde. Noch viel wichtiger aber ist mir, daß endlich durchschlagende und radikale Vereinfachungen im Steuerrecht beschlossen werden. Mir drängt sich immer wieder der Verdacht auf, daß die Kompliziertheit des Steuerrechts in vielen Bereichen geradezu darauf angelegt ist, daß sich bestimmte Leute, die sehr clever, sehr durchtrieben, sehr kenntnisreich sind und entsprechende Beziehungen haben, dabei immer wieder durchmogeln können, während der einfache Bürger brav seine Steuern zahlt. Deshalb schlage ich vor, nicht nur an den Symptomen, sondern auch an den Ursachen der vielen Steuerstreitigkeiten durch entsprechende bürgernahe Vereinfachungen im Steuerrecht zu kurieren.
({2})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz, Herr Dr. Jahn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kein Zweifel, die Situation in der Finanzgerichtsbarkeit bereitet große Sorge. Die Zahl der Steuerstreitigkeiten, die von den Finanzgerichten und vom Bundesfinanzhof zu bewältigen sind, ist in den zurückliegenden Jahren ganz außerordentlich angestiegen. Die hohe Belastung der Gerichte hat dazu geführt, daß der rechtsuchende Bürger - sagen wir es ruhig - unzumutbar lang auf eine Entscheidung warten muß. Es ist inzwischen leider keine Seltenheit mehr, daß sich ein steuerrechtliches Verfahren zunächst vor dem Finanzgericht und dann noch einmal vor dem Bundesfinanzhof über mehrere Jahre erstrecken kann.
Herr Kollege de With, Sie haben gesagt: Spät kommt ihr, doch ihr kommt. Das, was wir heute zu verabschieden haben, ist ein Beitrag zur Lösung des Problems. Die Fragen einer Gesamtreform standen schon zur Lösung an, als mein Vorgänger im Amt noch de With hieß.
({0})
Ich möchte sagen, einen Beitrag zur Verbesserung der Situation muß über den heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf hinaus auch das Prozeßrecht leisten.
Was im Bereich des Prozeßrechts geschehen kann, hat Bundesminister Engelhard von einer Arbeitsgruppe aus Vertretern der zuständigen Ressorts des Bundes, der Länder und des Bundesfinanzhofs zwischenzeitlich prüfen lassen. Der Bericht wird alsbald ausgewertet; er liegt jetzt vor. Wir haben damit eine gute Grundlage für die erforderliche Neuregelung des finanzgerichtlichen Verfahrens, von dem Sie, Herr Kollege de With, gesprochen haben. Ein Gesetzentwurf, der diesem Ziel dient, ist in Vorbereitung. Er enthält eine Vielzahl von Maßnahmen zur Verbesserung und Beschleunigung der Verfahren und zur Entlastung der Gerichte. Ich denke, daß der Entwurf den gesetzgebenden Körperschaften alsbald zugeleitet werden kann.
Ich möchte hier aus dem Bündel der Vorschläge zehn Gesichtspunkte nennen: erstens die Einführung der Zulassungsrevision, die bisher nur zeitlich befristet galt, zweitens die Abschaffung der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesfinanzhofs, drittens die Möglichkeit der Fristsetzung für bestimmte Prozeßhandlungen, viertens die Zurückweisung verspäteten Vorbringens, fünftens die Vereinfachung der Beiladung bei Massenverfahren, sechstens die Einführung eines Gerichtsbescheides, siebtens die Erweiterung der Befugnisse des vorbereitenden Richters, achtens die Erleichterung von Zwischenurteilen, neuntens Erleichterungen bei der Begründung von Entscheidungen und zehntens die erleichterte Zurückweisung der Streitsache an die Finanzbehörden.
Der Umfang dieser vorgesehenen Neuregelungen macht - da stimmen Sie mir sicherlich zu - eine sorgfältige Beratung des Vorhabens erforderlich. Sie kann nicht - das sage ich ganz offen - bis zum Ende dieses Jahres geleistet werden, und deshalb ist eine erneute Verlängerung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs unerläßlich. Die Bestimmungen dieses Gesetzes haben den Bundesfinanzhof zwar nicht auf Dauer so nachhaltig - das haben Sie auch gesagt - entlasten können, wie das wünschenswert gewesen wäre. Sie haben aber zumindest das noch stärkere Ansteigen der Eingänge verhindern können. Außerdem erleichtern sie die Bearbeitung zumindest der einfach gelagerten Verfahren zugegebenermaßen nicht unerheblich. Ohne das Entlastungsgesetz würde sich die Geschäftslage beim Bundesfinanzhof binnen kürzester Frist dramatisch verschlechtern. Die Dauer der Verfahren würde noch deutlich zunehmen. Das gilt es im Interesse des Rechtsschutzes der Steuerbürger gemeinsam zu verhindern.
Schlußbemerkung, meine sehr verehrten Damen und Herren: Die Verabschiedung des Ihnen vorliegenden Gesetzentwurfs kann nach allem nur ein erster Schritt auf dem Wege zu einer Gesamtbereinigung der prekären Lage in der Finanzgerichtsbarkeit sein. Sie ist indessen dringend erforderlich, um die
Funktionsfähigkeit des Bundesfinanzhofs zu sichern. Ich möchte namens der Bundesregierung dem Rechtsausschuß insbesondere dafür danken, daß er diese Materie sehr zügig beraten hat.
({1})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann sind die aufgerufenen Vorschriften bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen.
Meine Damen und Herren, damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf einstimmig bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt weiter unter Buchstabe b der Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Entschließung? Ich bitte um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Entschließung einstimmig angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Miltner, Gerster ({0}), Fellner, Dr. Blank, Dr. Blens, Clemens, Dr. Hüsch, Kalisch, Dr. Kappes, Krey, Neumann ({1}), Dr. Olderog, Regenspurger, Weiß ({2}), Frau Dr. Wisniewski, Zeitlmann, Zierer, Günther, Dr. Becker ({3}), Louven, Dr. Laufs, Link ({4}), Dr. Göhner und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Hirsch, Lüder, Richter, Gries, Kleinert ({5}), Heinrich und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung von Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung ({6})
- Drucksache 11/952 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({7}) Innenausschuß
Rechtsausschuß
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ich höre dazu keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Kappes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf soll mutmaßlichen Landesverrätern und anderen Personen, die bestimmter ähnlicher Straftaten beschuldigt werden, in Zukunft die Rente nicht mehr nachgeschickt oder ausgezahlt werden, wenn sie sich dem Strafverfahren durch Flucht ins Ausland oder in die DDR entzogen haben. Der Mann auf der Straße - oder wie wir an der Bergstraße sagen würden: die Frau Schmidt aus der Vorstadt - hält das für ganz selbstverständlich. Das ist aber nicht selbstverständlich, daß muß erst so geregelt werden. Es ist deshalb vorgesehen, die Reichsversicherungsordnung, das Angestelltenversicherungsgesetz und das Knappschaftsgesetz entsprechend zu novellieren.
Wir stimmen dem zu. Wir stimmen auch der vorgesehenen Regelung einer möglichen Nachzahlung oder auch ausgeschlossenen Nachzahlung für den Fall einer Rückkehr des Beschuldigten in die Bundesrepublik Deutschland zu. Wichtig scheint mir noch, daß Unterhaltsansprüche durch die Neuregelung nicht berührt sein werden.
Ferner sieht das Gesetz vor, daß Beschäftigungszeiten in der DDR in derartigen Fällen nicht mehr als Beitragszeiten angerechnet werden sollen. Auch das halten die meisten Leute natürlich für selbstverständlich. Tatsächlich könnte der Herr Tiedge - es geht ja hier um die sogenannte Lex Tiedge - , wenn er etwa einen ordentlichen Vertrag beim Staatssicherheitsdienst der DDR bekäme, sich das bei uns noch rentensteigernd anrechnen lassen. Das wollen wir nicht. Deshalb stimmen wir zu, daß das Fremdrentengesetz novelliert wird. Das Fremdrentengesetz - von dem ich in diesem Zusammenhang einmal sagen darf, daß es ja auf der Grundlage des rechtlichen Fortbestehens des Deutschen Reiches, teilidentisch mit der Bundesrepublik Deutschland, beruht - regelt die Anerkennung solcher Beitragszeiten bei uns.
Meine Damen und Herren, man muß nicht unbedingt fünf Minuten sprechen, man kann das nur tun. Von Herrn Heyenn habe ich soeben gehört, er brauche vielleicht sogar etwas mehr. Ich beende deshalb schon meine Ausführungen und stelle die übrige Zeit für Wichtigeres zur Verfügung.
Wir beantragen die Überweisung in die Ausschüsse.
({0})
Auch für diesen letzten Satz sind Ihnen viele dankbar, einschließlich des Präsidenten.
Herr Heyenn ist der nächste Redner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß Sie enttäuschen, ich habe das Angebot von Herrn Dr. Kappes so verstanden, als wollte er mir die ersparte Redezeit für meine Ausführungen zur Verfügung stellen.
Das geht nicht nach unserer Geschäftsordnung.
Lassen Sie mich kurz sagen, daß wir den vorliegenden Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen ernsthaft prüfen wollen. Wir wollen uns dem Anliegen des Antragstellers auch keinesfalls ver2458
schließen. Wir erkennen, Herr Dr. Kappes, daß es dem Beitragszahler in der Rentenversicherung als nur sehr schwer zumutbar erscheint, Spionen oder Landesverrätern, die sich ins Ausland abgesetzt haben, die Rente zu finanzieren.
Wenn wir allerdings den Text Ihres Gesetzentwurfes lesen, haben wir den Eindruck, daß Sie bei der Formulierung allzu leichtfertig vorgegangen sind.
({0})
Die Sorgfalt, mit der Sie ans Werk gegangen sind, ist nach meiner Auffassung, Herr Hirsch, auch nicht viel größer als die, die der Bundesinnenminister Zimmermann und sein Staatssekretär Spranger bei der Behandlung der Personalangelegenheiten des Verfassungsschutzes und des Herrn Tiedge an den Tag gelegt haben.
({1})
Der Fall Tiedge dürfte ja Anlaß sein für Ihre Initiative. Sie haben es bestätigt.
Für uns wirft der Gesetzentwurf eine ganze Reihe von Zweifeln und Fragen auf. Sie betreffen nicht den Gesetzeszweck, wohl aber die Art und Weise, mit der Sie diesen Problembereich regeln wollen. Wollen Sie - so fragen wir - die Rentenzahlung ins Ausland und die Anerkennung von Femdrentenzeiten wirklich ohne rechtskräftiges Urteil verweigern? Wie ist es eigentlich mit der Unschuldsvermutung? Sind Sie der Auffassung, daß für einen solch schwerwiegenden Schritt ein bloßer Tatverdacht genügt? Haben Sie wirklich geprüft, ob die etwaige Nachzahlung im Fall der Einstellung des Verfahrens oder des Freispruchs ausreicht, um diesen Eingriff zu rechtfertigen?
Sind Sie sich bewußt, daß Sie mit diesem Gesetz möglicherweise ein gefährliches Präjudiz schaffen, nämlich für die Vermischung von Strafrecht und Sozialrecht? Sind Sie nicht auch der Auffassung, daß die Bestrafung von Vergehen und Verbrechen ausschließlich Sache des Strafrechtes ist? Meinen Sie nicht, daß die Sozialversicherungsansprüche durch eigene Leistungen des Versicherten erworben werden und daher eine Eigentumsqualität - Art. 14 des Grundgesetzes - besitzen? Das Bundesverfassungsgericht hat es mehrfach bestätigt.
Die Konsequenzen dieses Gesetzentwurfes für das Versicherungsprinzip, das Sie und Ihre Sozialpolitiker sonst so oft beschwören, haben Sie, meine ich, nicht überlegt. Was ist - so fragen wir - der nächste Schritt, wenn wir wirklich, wie es im Entwurf dieses Achten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes vorgesehen ist, damit anfangen, Strafrecht und Sozialrecht zu vermischen? Haben wir von dieser Koalition vielleicht zu erwarten, daß auch anderen Straftätern oder Straftatverdächtigen Sozialversicherungsansprüche verweigert werden? Muß man damit rechnen, daß vielleicht auch im Arbeitsrecht Straftatbestände eingeführt werden, die z. B. zum Verlust der Betriebsrente bei Verdacht einer Straftat gegen den Arbeitgeber führen? Sie sollten das, meinen wir, überlegen.
Wie kommt es übrigens - so muß ich fragen -, daß der Gesetzentwurf lediglich eine rentenrechtliche Lösung vorsieht? Im Beamtenrecht, wo doch aus dem Grundsatz der Treuepflicht heraus disziplinarische Aspekte eher zu rechtfertigen wären als im Rentenrecht, bleiben Sie untätig.
Haben Sie sich schließlich mit der Tatsache auseinandergesetzt, daß mit dem vorgeschlagenen Entwurf im konkreten Fall des Herrn Tiedge überhaupt nichts ausgerichtet werden kann? Herr Tiedge hält sich in der DDR auf, und dorthin werden auch nach geltendem Recht keine Renten aus der Bundesrepublik gezahlt. Haben Sie daran gedacht, daß Herr Tiedge selbst bei Übersiedlung in ein Drittland von dem geplanten Gesetz nur dann betroffen sein kann, wenn, wie Sie es wollen, das Gesetz rückwirkend in Kraft gesetzt wird? Haben Sie dabei auch die verfassungsrechtliche Problematik bedacht?
Wir werden - das kündige ich an - dieser großen Zahl von Fragen bei der Beratung des Gesetzes kritisch und gründlich nachgehen. Wir wollen eine Anhörung dazu. Aber wir sagen Ihnen ganz deutlich, daß der Gesetzentwurf in der vorliegenden Form für uns unannehmbar ist. Dem Anliegen des Entwurfes verschließen wir uns jedoch nicht. Wir werden uns konstruktiv an der Suche nach einer rechtsstaatlichen Lösung beteiligen. Aber - das sage ich ganz deutlich - es kann auch sein, daß wir bei dieser Suche keinen rechtsstaatlich einwandfreien Weg finden werden.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Mensch lernt ja meistens erst aus gehabtem Ungemach. In der Tat ist der Veranlasser dieses Gesetzentwurfes der - wie es seinerzeit hieß - Spion, der aus der Kneipe kam.
Alle Fragen, die Sie mit den Worten „Haben Sie bedacht" begonnen haben, kann ich wirklich mit Ja beantworten, während ich alle Fragen, die Sie mit „Fürchten Sie nicht auch" begonnen haben, mit Nein beantworten kann. Ich finde es gut, daß Sie sagen: Wir werden das sorgfältig prüfen und überlegen.
Der Sachverhalt ist ja geradezu kabarettreif. Da geht ein Beamter her und begeht Landesverrat. Er entzieht sich der Untersuchung, der Strafermittlung und der Strafverfolgung durch Flucht.
({0})
- Nein, wir wollen auch keine Strafe. - Der Dienstherr, der ihn entläßt, zahlt eine hohe, eine sechsstellige Nachversicherungssumme. Da entsteht die Frage, ob wir dem, der dem Geltungsbereich unserer Gesetze entfliehen will, auch noch den Aufenthalt im Ausland mitfinanzieren sollen oder ob das unserer Selbstachtung widerspricht. Es kommt noch etwas hinzu - Stichwort „Fremdrentengesetz" - : Wenn dieser gute Mann - in diesem Fall im Ministerium für
Staatssicherheit - weiter gegen die Bundesrepublik, gegen die hiesige Solidargemeinschaft arbeitet, dann wirkt seine „segensreiche" Arbeit rentenerhöhend, obwohl er keinen Pfennig weiter in die Rentenversicherung einzahlt. Dieses Ergebnis halte ich für kabarettreif. Das widerspricht unserer Selbstachtung und auch der Selbstachtung der Solidargemeinschaft Rentenversicherung.
Wenn Sie das jemandem erzählen, dann sagt der: Das kann doch wohl nicht wahr sein. - Aber es ist geltendes Recht. Da haben wir uns gesagt: Es muß doch wohl möglich sein, diesen wirklich verheerenden Sachverhalt, gegen den sich unser Rechtsempfinden empört, anders zu regeln,
({1})
weil die Rentenversicherung eine Solidargemeinschaft ist, der wir das nicht zumuten wollen.
Wie die lange Zeit der Vorbereitung dieses Gesetes und Ihre Fragen gezeigt haben, war die gesetzgeberische Lösung dieses Problems nicht so einfach, wie wir gedacht hatten. Wenn nämlich die Beamten gegen etwas sind, dann vermehren sich unter der Hand die Bedenken wie die Kaninchen. Es ist unglaublich. Alle Argumente, die Sie bringen, sind uns von dem einen Ministerium, das keinen Geschmack an diesem Gesetz fand, natürlich vorgetragen worden. Da taucht dann die Frage auf, ob man jedes denkbare Schlupfloch perfektionistisch verschließen muß, da tauchen weiter die Fragen des Eigentumschutzes, des Gleichheitssatzes, der Unschuldsvermutung und schließlich noch die Frage auf, ob man den Rentenversicherungsträger nicht mit einer Aufgabe belastet, die er nicht erfüllen will. Zum Schluß haben wir immer wieder die Frage erörtert, ob das Problem nicht auch beamtenrechtlich gelöst werden kann. Aber es besteht völlige Einmütigkeit darüber, daß das schon deswegen nicht geht, weil der Beamte im Augenblick seiner Entlassung einen Nachversicherungsanspruch erwirbt und seine weiteren Ansprüche dann allein nach Rentenrecht zu beurteilen sind. Das ist der Grund, warum wir auf Ihre Mithilfe angewiesen sind.
Wir sind der Überzeugung, daß die in dem Gesetzentwurf vorgelegte Lösung das dargestellte Problem in rechtlich einwandfreier Weise löst und uns damit vor grotesken Folgen bewahrt, die wirklich kabarettreif wären und uns zum Schaden auch noch den Spott eintragen würden. Wenn Sie uns helfen, dieses Problem so zu lösen, wie es wohl dem Rechtsempfinden entspricht, sind wir Ihnen dankbar. Wenn Sie bessere Wege zeigen, sind wir aufgeschlossen. Wir haben aber nun über ein Jahr wirklich mit allen möglichen Leuten darüber beraten und sehen keine andere Möglichkeit als diese. Darum hoffe ich, daß die Möglichkeit, diesen Gesetzentwurf in zweiter und dritter Beratung zu behandeln und zu verabschieden, nicht allzu lange Zeit in Anspruch nehmen wird.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Unruh.
Herr Präsident! Volksvertreter und Volksvertreterinnen! Was Sie sagen, hört sich immer so schön sachlich an, Herr Dr. Hirsch. Kaum sind die Privilegien der Beamten irgendwo tangiert und kaum bekommen die dann etwa Rente, schon wollen Sie alle Rentner, die eventuell Spione oder auch etwas anderes werden können, in etwas einbeziehen, was wirklich nichts mit dem zu tun hat, was Sie wieder beabsichtigen. Daß es Beamtenkabaretts gibt, brauchen Sie uns nicht zu sagen. Darüber sprechen wir noch an anderer Stelle.
({0})
Ich denke nur an Beamtenbeihilfen, Prozeßkostenhilfen usw. Jetzt bemühen Sie - ich weiß nicht, wer das hier war - auch noch die Frau Schmidt von Köln.
({1})
- Nun lassen Sie doch die Späßchen! Sie holen Frau Schmidt aus der Tasche, wenn es Ihnen paßt. Der Frau Schmidt ein Stück Rente zu geben, das ihr zusteht, vergessen Sie aber.
Meine kurze Stellungnahme zu der ganzen Sache ist die: Ich unterstütze voll und ganz das, was der Kollege Heyenn sagte. Die geplante Gesetzesänderung zielt auf rentenmäßige Sanktionen bei mutmaßlichen Straftaten gegen die verfassungsmäßige Ordnung und die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Ich nenne z. B. § 80 Strafgesetzbuch „Vorbereitung eines Angriffskrieges", § 81 „Hochverrat gegen den Bund", § 82 „Hochverrat gegen ein Land", § 83 „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens". Das reicht von § 84 bis hin zu § 100 a, also bis zur Preisgabe von Staatsgeheimnissen und zu geheimdienstlicher Agententätigkeit. Wenn wegen solcher Straftaten ein Ermittlungsverfahren eingeleitet würde und der mutmaßliche Täter - Rentner - sich durch Auslandsaufenthalt dem Verfahren entzieht, soll die rentenrechtliche Sanktion eintreten. Der etwa bestehende Rentenanspruch - man muß das Wort Rente betonen - wird zwar nicht aufgehoben, aber die Auszahlung der Rente erfolgt so lange nicht, wie der Betroffene außerhalb des Geltungsbereiches der Reichsversicherungsordnung verweilt. Kehrt er - Rentner, Rentnerin - zurück, wird die Rentenzahlung wieder aufgenommen. Die nicht gezahlten Beträge werden jedoch nur in Ausnahmefällen, z. B. bei einem Freispruch nachgezahlt.
Gegen eine solche Gesetzesänderung gibt es prinzipielle und konkrete Bedenken. Die Rentenversicherung ist dem Grundsatz nach als staatsfreie Solidargemeinschaft der Versicherten organisiert. Sie finanziert sich dementsprechend wesentlich aus den Beiträgen der Versicherten. Beamte zahlen nicht einmal etwas für sich. Ein Bundeszuschuß wurde und wird bislang nur insoweit geleistet, als Ausgaben erfolgen, die nicht zu den eigenen Leistungen der Alterssicherung gehören.
Durch die beabsichtigte Gesetzesänderung soll nunmehr in die Rentenversicherung eine spezifische Treuepflicht gegenüber dem Staat hineingenommen werden. Das ist zum einen prinzipiell rentenversicherungsfremd. Es ist einfach unzumutbar, solche rentenversicherungsfremden Gesichtspunkte einzubeziehen. Zum zweiten werden damit Elemente aus dem Versorgungsrecht der Beamten mit ihrem spezifi2460
sehen Treueverhältnis zum Staat auf die Rentenversicherung übertragen. Diese sollen ja deshalb für ihre Altersversorgung nichts zahlen. Es findet also eine Mischung unterschiedlicher Systeme statt. Grüne waren schon bisher gegen die Sonderrechtsstellung der Beamten. Erst recht muß eine solche Übertragung beamtenrechtlicher Elemente auf die Rentenversicherung ganz strikt zurückgewiesen werden. Rente und strafrechtliches Verhalten haben nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun. Hinzu kommt, daß in diesem Fall nicht einmal eine Verurteilung vorliegen muß, sondern bereits die Einleitung eines Vermittlungsverfahrens ausreicht. Wenn sich der Verdächtige - Rentner - im Ausland aufhält, reicht bereits der Verdacht einer Straftat.
({2})
Werden solche rentenversicherungsfremden Leistungsvoraussetzungen erst einmal in das Gesetz aufgenommen, sind Tür und Tor geöffnet, um später die Tatbestände zu erweitern, wodurch man den Rentnern einfach die Rente wegnimmt, weil vielleicht etwas vorliegt. Wovon sollen die Rentner, die ich meine, dann noch leben können? Ich meine nicht Ihre Beamten; die haben genug.
({3})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf zur Änderung von Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung an die in der Tagesordnung ausgedruckten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 16 auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin, Bachmaier, Klein ({0}), Dr. Pick, Schmidt ({1}), Schütz, Singer, Stiegler, Wiefelspütz, Dr. de With, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung ({2})
- Drucksache 11/816 -
Uberweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau
Nickels und der Fraktion DIE GRÜNEN
Keine Zwangsverteidiger für Blinde
- Drucksache 11/624 Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Rechtsausschuß
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich höre auch dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Singer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 1. April dieses Jahres ist mit dem Strafverfahrensänderungsgesetz bezüglich der notwendigen Verteidigung eine gesetzliche Änderung in Kraft getreten, über deren Auswirkungen sich der Gesetzgeber offenbar keine ausreichenden Gedanken gemacht hat.
Die Änderung hatte zur Folge, daß sich Blinde grundsätzlich, auch solche in juristischen Berufen, wie Rechtsanwälte, Richter und Staatsanwälte, nicht mehr selbst verteidigen durften. Sie müssen sich derzeit auch in den einfachsten Fällen des Beistandes eines Rechtsanwalts bedienen. Darüber hinaus hat sich diese Änderung so ausgewirkt, daß diese Regelung nun auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren über § 60 OWiG gilt, also auch dort im denkbar einfachsten Fall die Verwaltungsbehörde dem Blinden einen Pflichtverteidiger beiordnen muß, sofern er nicht selber freiwillig einen Verteidiger wählt.
Gegen die Neuregelung haben die deutschen Blindenselbsthilfeverbände heftig Klage geführt. Insbesondere ist der Vorwurf erhoben worden, daß es zu der Gesetzesänderung gekommen ist, ohne die sonst üblichen Anhörungen durchgeführt zu haben.
Wir haben in Gesprächen mit Vertretern des Deutschen Blindenverbandes, des Bundes der Kriegsblinden e. V. und des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten im Studium und Beruf festgestellt, daß die Neuregelung schädlich und diskriminierend ist.
Die von mir bereits erwähnten zahlreichen in juristischen Berufen tätigen Blinden haben in Jahrzehnten gezeigt, daß sie den Problemen ihrer Berufe gewachsen sind und daß sie Hervorragendes bis hinauf zu den höchsten Bundesgerichten zu leisten imstande sind. Eine generelle Pflicht der Blinden, sich in jedem Strafverfahren und jedem OWiG-Verfahren eines Anwaltes zu bedienen, kann deshalb nicht anerkannt werden.
Sollte aus irgendwelchen Gründen, etwa wegen besonderer Probleme, im Rahmen einer Augenscheinseinnahme der Beistand eines Anwalts erforderlich sein, reicht dafür die ohnehin bestehende Generalklausel des § 140 Abs. 2 StPO aus, mit deren Hilfe der Richter den Blinden vor Nachteilen bewahren kann.
Dieser Umstand ist offenbar beim Gesetzgebungsverfahren in der Eile, mit der das Strafverfahrensänderungsgesetz zum Ende der vergangenen Legislaturperiode im Bundestag durchgepeitscht worden ist, übersehen worden. Wir sollten den Fehler daher schleunigst korrigieren und diese Diskriminierung - als solche wird sie von den Blinden empfunden - schleunigst beseitigen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Eylmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie der Kollege Singer schon ausgeführt hat, ist in der Tat mit der Strafprozeßnovelle die notwendige Verteidigung auch für Blinde eingeführt worden. Das hat den Protest der BlindenverEylmann
bände hervorgerufen, die geltend machen, damit würden Blinde wie unmündige Bürger behandelt.
Daß sich die Verbände erst nachträglich zu Wort gemeldet haben, kann man ihnen in diesem Falle nicht vorwerfen. Sie sind nämlich vorher nicht angehört worden. Das wiederum war keine böse Absicht, sondern beruhte eher auf einem Versehen, das sich wohl aber auch daraus erklärt, daß seinerzeit niemand im Deutschen Bundestag bei der sehr ausführlichen und langwierigen Beratung des Gesetzes auf den Gedanken gekommen ist, in dieser Vorschrift eine Diskriminierung zu sehen. Man glaubte allseits, in allen Fraktionen, damit den Blinden eine Wohltat zu erweisen. Man wollte sicherstellen, daß Blinde in ihrer Verteidigung und in der Wahrnehmung ihrer prozessualen Rechte in keiner Weise behindert werden. Man wollte sie nicht schlechterstellen als die Beschuldigten, die taub oder stumm sind. Für sie galt nämlich schon vorher die notwendige Verteidigung.
Deshalb verwundert es mich etwas, wenn nun in der Begründung des Gesetzentwurfs und auch hier wieder von Diskriminierung gesprochen wird.
({0})
Ich habe Verständnis dafür, daß die Blinden als die Betroffenen in den Äußerungen ihrer Verbände etwas empfindlicher und emotionaler reagieren. Wir im Parlament sollten eigentlich in der Lage sein, dieses Problem auf den eigentlichen Kern zurückzuführen, und dieser liegt nicht in einer Diskriminierung der Blinden. Sie war weder gewollt noch können die objektiven Auswirkungen ernstlich so gewertet werden.
Es handelt sich vielmehr um etwas ganz anderes, nämlich um ein gutes Beispiel dafür, daß staatliche Fürsorge und Betreuung zu weit getrieben werden kann. Sie läuft dann nämlich Gefahr, von demjenigen, den der Staat betreuend umarmen will, nicht mehr als Wohltat, sondern als Beeinträchtigung seiner Stellung als mündiger und selbstverantwortlicher Bürger empfunden zu werden. In unserem Bemühen, meine Damen und Herren, behinderten Personen unsere besondere Fürsorge angedeihen zu lassen, sollten wir kritischer, als es zuweilen in der Vergangenheit geschehen ist, prüfen, ob diese Fürsorge wirklich notwendig ist. Wir sollten auch darauf achten, daß die Hilfe so gewährt wird, daß sie das Selbstwertgefühl des Behinderten nicht beeinträchtigt. Wir sollten vor allem Behinderte nicht zwingen, die ihnen angebotenen Hilfen in Anspruch zu nehmen, sondern es ihrer Einschätzung überlassen, ob sie sich die Wahrnehmung ihrer Rechte selbst zutrauen oder nicht.
Im Rahmen einer weiteren Beratung dieser Gesetzentwürfe sollte deshalb geprüft werden, ob es nicht besser wäre, die hier einschlägige Nr. 4 in § 140 Abs. 1 StPO dahin zu ändern, daß den blinden, tauben oder stummen Beschuldigten ein Verteidiger beizuordnen ist, wenn sie es wünschen. Es ist zwar richtig, daß nach der Generalklausel des § 140 Abs. 2 StPO dem Beschuldigten auf Antrag oder von Amts wegen ein Verteidiger zu bestellen ist, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, daß sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Die Besonderheit der Lage eines blinden, tauben oder stummen Beschuldigten - und das sind ja schwerwiegende Behinderungen - könnte es aber nahelegen, die Prüfung der Frage, ob diese Generalklausel eingreift, überflüssig zu machen, indem man in die Nr. 4 nur hineinschreibt, daß ein Antrag des Beschuldigten dazu erforderlich sei.
Von der Zahl der Fälle her gesehen, meine Damen und Herren - lassen Sie mich das zum Schluß sagen - , haben wir es eher mit einer Bagatelle zu tun. Blinde stehen bei uns kaum vor Gericht. Sie nehmen nicht als Fahrzeuglenker am Straßenverkehr teil, und damit entfällt schon der größte Gefahrenbereich, der uns mit dem Straf- und Bußgeldrichter in Berührung kommen läßt. Ihre exemplarische Dimension gewinnt diese Bagatelle, meine sehr verehrten Damen, meine Herren, nur aus der Tatsache, daß sie ein Schlaglicht auf die letztlich in der Würde des Menschen wurzelnden Grenzen staatlicher Fürsorge wirft.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Nickels.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wurde schon gesagt: Am 1. April 1987 trat eine Änderung der Strafprozeßordnung in Kraft. Ich finde es eigentlich bemerkenswert, daß es nur ein einziges kleines Wörtchen war, das man da eingefügt hatte. Das Wort „blind" , wurde hierin § 140 Abs. 1 Nr. 4 eingefügt. Aber dieses einzige kleine Wörtchen hatte doch ganz weitreichende Konsequenzen für die Betroffenen, die vorher überhaupt nicht angehört worden waren.
Es beschämt mich, es beschämt uns - und wir haben das den Verbänden zu danken - , daß nicht wir das gemerkt haben, sondern daß erst die Verbände, die Vertretung der Betroffenen, hier Alarm schlagen und uns darauf aufmerksam machen mußten, was wir da eigentlich gemacht haben. Es ist so, daß die Einfügung dieses kleinen Wörtchens in der Konsequenz von 75 000 blinden Menschen in der Bundesrepublik als schwerwiegende Diskriminierung empfunden wurde - und ich meine, auch zu Recht.
Der geänderte § 140 der Strafprozeßordnung macht es nämlich dem blinden Beschuldigten zur Pflicht, sich im Strafverfahren und selbst im Ordnungswidrigkeitsverfahren einen Verteidiger zu nehmen. Er darf sich also nicht mehr wie ein sehender Mitbürger selbst verteidigen. Mit dieser Vorgehensweise offenbart sich eine falsch verstandene Fürsorglichkeit für behinderte Menschen, und zwar darin, daß hier Betroffene zu Unmündigen degradiert werden. Eine eigenständige Entscheidung darüber, was sie an Unterstützung für ihre speziellen Lebensbedürfnisse benötigen, wird ihnen unmöglich gemacht. Ich glaube, daß immer die Betroffenen selber am besten wissen, was sie brauchen, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Das ist der Kernpunkt der Kritik, nicht daß man der Wohltaten zuviel tun könnte. Man muß alles an Unterstützung tun für Menschen, die eingeschränkt oder be2462
hindert sind, aber man muß sie fragen. Sie selber wissen am besten, was sie brauchen.
({0})
Die Wirkung der Rechtsänderung ist diskriminierend, weil nämlich nicht einzusehen ist, daß man allen Blinden gesetzlich unterstellt, sie könnten sich nicht selbst verteidigen. Es gibt keinen einzigen Grund, anzunehmen, das Blinde nicht in der Lage sein sollten, selbst einzuschätzen, ob sie sich im Straf- oder Bußgeldverfahren verteidigen können. Es wurde schon darauf hingeweisen, daß es zahlreiche blinde Richter und Richterinnen, Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen, Staatsanwälte und Staatsanwältinnen gibt. Das allein ist Beweis genug dafür, daß blinde Menschen sehr wohl selbstbewußt mit der Justiz umgehen können.
Es ist darüber hinaus von den Betroffenen die Angst geäußert worden, daß die Berufswahl und -ausübung Blinder als Juristen in der Zukunft eingeschränkt werden könnte, weil durch diese Änderung der Strafprozeßordnung bereits ausgeräumte Zweifel an den Fähigkeiten Blinder wieder neu entstehen könnten.
Wir als GRÜNE haben darum nach Rücksprache mit den Betroffenenverbänden einen Antrag eingebracht, und dies mit Bedacht. Es ist ein Unterschied, ob ich einen Antrag oder eine Gesetzesinitiative einbringe. Wir haben gedacht, wenn man hier schon den Fehler gemacht hat, ohne Anhörung der Betoffenen etwas zu verändern, sollte man in der Zurücknahme dieses Vorpreschens mehr Klugheit walten lassen und auch etwas besser machen, indem man vor einer erneuten Änderung diesmal die Betroffenenverände hört. Wir schlagen vor, hier auch die Verbände der Gehörlosen, Spätertaubten und Stummen anzuhören. Es könnte ja sein, daß diese aus den Erfahrungen mit den bisher geltenden Paragraphen neue Erkenntnisse und neue Wünsche haben, die ihnen helfen könnten. Es wäre z. B. denkbar, daß jemand aus diesem betroffenen Kreis, der z. B. taub oder stumm ist, lieber einen Dolmetscher hätte als einen Anwalt; ich weiß es nicht. Wir als GRÜNE maßen uns auch nicht an, das jetzt hier als Gesetzesantrag einzubringen. Wir bitten darum, ehe man zu Änderungen kommt, diese Betroffenenverbände noch einmal anzuhören.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Lüder.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich meine, daß uns der Vorgang, der zu den Anträgen geführt hat, auf drei Punkte aufmerksam machen sollte.
Der erste Punkt ist - vielleicht darf man das am Abend des heutigen Tages besonders intensiv sagen - , daß wir bei jeder Gesetzesänderung sehr sorgfältig bedenken sollten, wem sie zugute kommt und ob wir nicht zu weit greifen. Hier hat man aus gutem Anlaß und gutem Zweck zu weit und falsch gegriffen. Deswegen muß eine Korrektur der bestehenden Regelung erfolgen.
Zweiter Punkt, der einen persönlichen Bezug hat: In Berlin ist in diesem Jahr in einer Schulklasse zum erstenmal ein Kind zum Abitur geführt worden, das blind war, und zwar in einer normalen Schulklasse, nicht in einer Behindertenschulklasse. Dies ist ein gutes Experiment und ein gutes Zeichen. Es zeigt nämlich, daß Behinderung nicht gleich Behinderung ist, daß wir nicht blind, stumm und taub in einen Topf werfen dürfen. Wir müssen die Konsequenzen der jeweiligen Behinderung in Akzeptanz der Behinderung klar sehen und versuchen, ein Höchstmaß an Normalität des Verfahrens auch dem Behinderten und damit auch dem Blinden zur Verfügung zu stellen.
Deswegen nenne ich als dritten Punkt: Wir sollten bei den Beratungen im Ausschuß sehr vorsichtig sein und nicht einfach wieder zurückkippen, was wir einmal falsch gemacht haben. Auch seitens der FDP gehen wir sehr aufgeschlossen an den Vorschlag heran, ob man es nicht dem blinden Mitbürger überlassen muß, zu entscheiden, ob er einen Pflichtverteidiger, der dann auch finanziert wird, haben soll, auf seinen Wunsch - nicht auf einen Sozialantrag, sondern auf seinen Wunsch hin. Ihm die Entscheidung zu überlassen ist für mich eine Frage des Selbstverständnisses auch des blinden Mitbürgers. Dem sollten wir hier gerecht werden. In diesem Sinne werden wir behutsam an die Beratungen des Ausschusses herangehen.
({0})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz, Herr Jahn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Kritik an der Einführung einer Pflichtverteidigung für blinde Beschuldigte sind mir zwei Anmerkungen wichtig.
Zum einen: Eine Beteiligung der Blindenverbände bei der Vorbereitung des Strafverfahrensänderungsgesetzes 1987 war geboten. Sie ist versehentlich unterblieben. Die Bundesregierung bedauert das ausdrücklich.
Zum zweiten: Die Befürchtung, die Vorschrift werde für unsere blinden Mitbürger durch mittelbare Auswirkungen ganz allgemein - nicht etwa nur im Strafverfahren - diskriminierend wirken, hat betroffen gemacht. Ich möchte das auch erklären.
Die neue Vorschrift meint eine besondere Situation, die für blinde und sehende Menschen gleichermaßen eine Ausnahme bildet, nämlich die Beteiligung an einem Strafverfahren als Beschuldigte. In dieser speziellen Situation sollte der blinde Beschuldigte vor Nachteilen geschützt werden, die ihm durch seine Behinderung entstehen könnten. Die generelle Pflichtverteidigung für blinde Beschuldigte sollte sicherstellen, daß der blinde Beschuldigte in jedem Einzelfall seine Verteidigungsrechte voll wahrnehmen kann. Vielleicht ist an dieser Stelle der Hinweis wichtig, daß der Beschuldigte auch im Falle der Pflichtverteidigung selbständig und unabhängig von seinem Verteidiger über die Gestaltung seiner Verteidigung entscheiden kann. Der Pflichtverteidiger ist bekanntParl. Staatssekretär Dr. Jahn
lich kein Vertreter des Beschuldigten, sondern dessen Beistand.
Eine Diskriminierung des blinden Beschuldigten oder gar aller blinden Menschen war - das möchte ich ausdrücklich feststellen - in keinem Falle gewollt. Schon die Möglichkeit einer solchen Wirkung ist vom Gesetzgeber gar nicht in Betracht gezogen worden. Ich rede hier bewußt nicht von der Bundesregierung, sondern vom Gesetzgeber. Denn bei der Beratung des § 140 StPO ist damals einhellig die jetzt geltende Regelung befürwortet und anschließend im Hohen Hause beschlossen worden.
Ich glaube, wir alle sind durch die Reaktion der Betroffenen auf diese Neuregelung darüber belehrt worden, daß auch eine als Besserstellung gedachte Regelung den Betroffenen nicht aufgedrängt werden darf. Der Kollege Eylmann und die anderen Kollegen haben das hier heute zum Ausdruck gebracht.
Die Bundesregierung hat die Ablehnung durch viele blinde Bürger und die Blindenverbände ernst genommen. Am 16. Juni dieses Jahres hat Bundesminister Engelhard mit Vertretern dieser Verbände ein Gespräch geführt, in dem er seine Bereitschaft zum Ausdruck gebracht hat, auf eine Aufhebung der als diskriminierend empfundenen Neuregelung hinzuwirken. Der Bundesjustizminister hat also das sachliche Anliegen des Gesetzesvorhabens bereits anerkannt.
Unter Ziffer 1 der Begründung der vorgelegten Gesetzesinitiative wird darauf hingewiesen, daß sich der blinde Beschuldigte bei der jetzigen Rechtslage auch in den einfachsten Fällen verteidigen lassen muß. Das trifft zu und ist aus einem Grunde bedenklich, den die Begründung des Gesetzentwurfs nicht ausdrücklich anspricht: Der Beschuldigte trägt die Kosten der Verteidigung, soweit er verurteilt wird. Da § 140 Abs. 1 Nr. 4 der jetzt geltenden Strafprozeßordnung für alle gerichtlichen Strafverfahren zwingend gilt, muß demzufolge der blinde Beschuldigte Verteidigung und damit verbundene Kosten in all denjenigen Fällen hinnehmen, in denen er sich auch ohne weiteres selbst verteidigen könnte, z. B. im gesamten Bagatellbereich.
Diese Konsequenz der geltenden Rechtslage - gestehen wir das offen ein - ist angreifbar. Inzwischen ist im Bundesministerium der Justiz eine schriftliche Anhörung aller Beteiligten zu der anstehenden Problematik eingeleitet worden. Dabei wurde die Frage einbezogen, ob nicht auch die sehr viel älteren Spezialvorschriften für Taube und Stumme aufgehoben werden sollten. Meine Damen und Herren, die Ergebnisse dieser Anhörung werden bereits in Kürze vorliegen. Der Rechtsausschuß wird von der Bundesregierung schnell und umfassend unterrichtet, damit er das Anliegen unserer blinden Mitbürger sachgerecht und zügig beraten kann.
({0})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs sowie des Antrags an die in der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Benzinbleigesetzes
- Drucksache 11/1005 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Verkehr
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schmidbauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Bundeskanzler Helmut Kohl hat in seiner Regierungserklärung am 18. März deutlich gemacht - ich darf zitieren - :
Verbleites Normalbenzin wird bei uns auf der Grundlage einer EG-Richtlinie verboten.
Heute liegt der Gesetzentwurf zur Änderung des Benzinbleigesetzes vor. Unser Ziel heißt: Ab 1. Januar 1988 wird es in der Bundesrepublik Deutschland nur noch bleifreies Normalbenzin geben. Wir setzen damit unsere konsequente Politik der Luftreinhaltung fort.
Das Verbot verbleiten Normalbenzins ist ein wirksames Instrument zur Förderung des Absatzes von bleifreiem Benzin. Schon jetzt tanken immer mehr Autofahrer an über 14 500 Tankstellen bleifrei. Der Anteil von unverbleitem Benzin am gesamten Benzinumsatz stieg in den letzten Monaten auf über 27 %. Wenn wir die Zeitspanne mit berücksichtigen, ist das eine erfreuliche Tatsache. Der Anteil unverbleitem Normalbenzins liegt sogar bei über 42 %.
Das Verbot bleihaltigen Normalbenzins hilft in der Tat unserer Umwelt. Allein durch diese Maßnahme wird unsere Luft jährlich um bis zu 2 000 Tonnen Blei entlastet.
Unsere jahrelangen Bemühungen, eine Änderung der geltenden Richtlinie über den Bleigehalt von Benzin in der Europäischen Gemeinschaft zu erreichen, waren jetzt erfolgreich. Der Rat der EG-Umweltminister hat am 21. Juli 1987 die EG-Benzinbleirichtlinie verabschiedet. Damit ist für uns der Weg, bleihaltiges Normalbenzin zum 1. Januar 1988 zu verbieten, freigeworden. Ich danke an dieser Stelle namens meiner Fraktion dem Minister mit seinem Ministerium für seinen Einsatz in dieser schwierigen Frage.
Die neue EG-Richtlinie verpflichtet darüber hinaus alle Mitgliedstaaten, spätestens ab Oktober 1989 unverbleites Benzin flächendeckend anzubieten. Aus unserer Sicht wird dieser Schritt europaweit positive Auswirkungen auf das Angebot und den Absatz schadstoffarmer Fahrzeuge haben.
Unsere nationale Strategie der Einführung schadstoffarmer Fahrzeuge und des vorgezogenen Angebots bleifreien Benzins hat sich als richtig herausgestellt. Unserem Ziel, in Europa einheitlich nur noch Kraftfahrzeuge anzubieten, die mit einer optimalen Schadstoffminderungstechnologie ausgerüstet sind, kommen wir damit wieder ein gutes Stück näher.
Befürchtungen, daß das Verbot verbleiten Normalbenzins zu Härten führt, sind nicht gerechtfertigt. Die Mehrzahl der Fahrzeuge, die mit Normalbenzin betrieben werden, verträgt auch das unverbleite Normalbenzin. Die Fahrer dieser Fahrzeuge können also ohne weiteres auf das preisgünstige unverbleite Normalbenzin übergehen. Ältere Fahrzeuge - unterschiedliche Schätzungen gehen von Zahlen zwischen 1 und 3 Millionen aus - , die jedes dritte oder vierte Mal verbleit tanken müssen, können zu diesem Zweck auf das verbleite Superbenzin zurückgreifen. Dieses Intervalltanken führt zu keiner Verteuerung und damit auch zu keiner finanziellen Benachteiligung, da sich der Preisvorteil des unverbleiten Normalbenzins stärker auswirkt.
Blei ist allerdings nur e i n Zusatz des Benzins. Wir werden bei der Beratung des Gesetzentwurfs auch Fragen im Zusammenhang mit dem Zusatz von Scavenger und Metallverbindungen diskutieren müssen. Das ist ja im Hinblick auf das Verfahren nach Abs. 2 - im Hinblick auf die Diskussion zwischen Bundesrat und Bundesregierung - bereits geschehen, und wir werden dies auch im Ausschuß machen müssen. Wir wollen nicht, daß Änderungen in der Zusammensetzung des Benzins dazu führen, daß andere Schadstoffe zunehmen oder neue Probleme auf uns zukommen.
Wir wollen einen europaweit normierten Kraftstoff - dies gilt übrigens nicht nur für den Ottomotor, sondern gleichermaßen auch für das Dieselfahrzeug -, der flächendeckend angeboten wird und bei dem die gas- und partikelförmigen Schadstoffemissionen auf ein Minimum reduziert werden.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hartenstein.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schiller hat heute abend Hochkonjunktur. „Spät kommt ihr, doch ihr kommt" ,
({0})
dieses Wallenstein-Zitat, das Herr Staatsekretär Jahn, der gerade im Gehen begriffen ist, schon vor einer Stunde hier benutzt hat, ließe sich auch auf den vorliegenden Gesetzentwurf anwenden. Ab dem 1. Januar 1988 nämlich soll die Zapfsäule für verbleites Normalbenzin stillgelegt werden. Endlich also ein Schritt in die richtige Richtung; endlich die Hoffnung auf spürbare Verringerung des schädlichen Bleigehalts in der Luft und vielleicht auf rascheres Vordringen des umweltfreundlichen Autos.
Die SPD hat diese Maßnahme seit 1985 immer wieder beharrlich gefordert. Sie ist überfällig.
({1})
Der Jubel wird dennoch gedämpft bleiben müssen. Denn das bleifreie Benzin allein macht aus dem konventionellen schadstoffausstoßenden Vehikel noch lang kein sauberes Auto. Ein Schadstoff entfällt. Aber die Masse der Gifte, die Wald und Vegetation schädigen, nämlich die Stickoxide und die Kohlenwasserstoffe, bleibt.
({2})
Der Kraftfahrzeugverkehr ist weiterhin die schlimmste Schwachstelle bei der Bekämpfung der Luftverschmutzung.
Nach dem vor kurzem erschienenen Straßenbaubericht für 1986 sind unter den mehr als 27 Millionen Pkw ganze 750 000 Neuwagen mit Drei-Wege-Katalysator. Aus dem riesigen Altwagenbestand sind ganze 600 000 Stück technisch umgerüstet; alle anderen sind nur umgeschrieben. Alle Begriffsakrobatik mit „schadstoffarm", „bedingt schadstoffarm", „schadstoffreduziert" etc. hilft nicht darüber hinweg, daß der Ausstoß an Stickoxiden eben auch im vorigen Jahr wieder zugenommen hat - um ca. 2 % - : wegen der größeren Zahl der Kraftfahrzeuge, wegen der gestiegenen Fahrkilometer, wegen der wieder erhöhten Geschwindigkeit.
({3})
Von einem umfassenden Nutzfahrzeugkonzept der Bundesregierung, das endlich auch die Abgasentgiftung von leichten Lkw und Bussen einbezöge, ist noch nichts in Sicht.
Kritikpunkt Nummer 2. Dem Mineralölwirtschaftsverband ist zuzustimmen, wenn er beklagt, daß zuerst Tausende von Tankstellen gezwungen worden seien, eine vierte Zapfsäule für eine Übergangszeit von rund zwei Jahren einzubauen. 100 Millionen DM wurden so in den Sand gesetzt. Eine vorausschauende Politik hätte dies rascher und billiger haben können.
({4})
Punkt 3. Der Absatz bleifreien Benzins beträgt laut Statistik des Kraftfahrtbundesamts, Herr Kollege Schmidbauer, 25 %. Das ist unbefriedigend. Er wird sicher steigen. Aber auch der Steueranteil steigt schon wieder. Seit dem 1. April 1987 greift die Mineralölsteuer nach dem Stoltenberg-Rezept wieder um einen Pfennig härter zu. Ab 1. April 1988 werden es zwei Pfennig mehr sein, ab dem 1. April 1989 drei Pfennig mehr. Die Spreizung schrumpft also. 1991 schließlich werden bleifreier und bleihaltiger Sprit steuerlich wieder gleichbehandelt. Das könnte dazu führen, daß bleifreier Sprit wieder teurer als bleihaltiger wird. Die Frage muß erlaubt sein: Nichts gelernt?
Daß eine falsche Preisrelation nicht zugunsten des Umweltschutzes funktioniert, kann man in den USA zu Genüge studieren. Es wäre ein wahrhaft kurzatmiges Programm, das wohl eher an den Interessen des Finanzministes als an den Interessen des Umweltministers orientiert ist, wenn es so bleibt. Aber es könnte ja noch korrigiert werden, lieber Kollege Laufs.
({5})
- Das Mineralölsteuergesetz mit dem Auslaufen der Steuersenkung für bleifreies Benzin.
Zu korrigieren ist allerdings einiges mehr, nämlich die Informationspolitik der Bundesregierung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition.
({6})
Lassen Sie mich kurz noch mal den Mineralölwirtschaftsverband zitieren. Er sagt:
Wenn der Preisunterschied und das zweifellos gestiegene Umweltbewußtsein es allein nicht schaffen, den Kraftfahrer auf die richtige Spur zu setzen, so muß man wohl härter daran arbeiten, ihm die Furcht zu nehmen, er könnte sein geliebtes Vehikel durch den Bleientzug ruinieren. Was dazu bisher geschehen ist, reicht einfach nicht aus. Insbesondere das Informationsmaterial ist vielfach zu kompliziert, um von jedermann verstanden zu werden.
Das trifft exakt zu. Zur Zeit werden nämlich die Autofahrer von der Umrüstung ihrer Altwagen eher abgeschreckt als dazu ermuntert. Alle Zahlen, die etwa Staatssekretär Spranger 1985 in diesem Zusammenhang genannt hat, sind längst Makulatur. Die Prophezeihungen sind von der Realität leider Lügen gestraft worden.
Eine Etappe ist erreicht, meine Damen und Herren, aber keine zum Ausruhen. Nehmen Sie einen neuen Anlauf; wir haben noch viel nachzuholen!
Danke schön.
({7})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Segall.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Entwurf zum Benzinbleigesetz ist eine weitere gesetzliche Maßnahme zum Schutz der Umwelt, deren Effektivität man gar nicht hoch genug einschätzen kann. Durch das Verbot des bleihaltigen Normalbenzins wird der Anteil unverbleiten Benzins weiter zunehmen. Im November vergangenen Jahres waren nur 16 % des Vergaserkraftstoffes bleifrei. 11 % davon entfielen auf unverbleites Normalbenzin, 5 % auf unverbleites Superbenzin. 84 % des Kraftstoffs waren verbleites Normal-bzw. Superbenzin. Von diesen 84 % entfielen 30 % auf verbleites Normalbenzin. Diese 30 % werden durch das Verbot erfaßt.
Doch nicht nur umweltpolitisch, sondern auch wirtschaftlich ist dieses Verbot sinnvoll. Zum einen bewirkt dieses Verbot, daß unverbleiter Kraftstoff zum günstigsten Vergaserkraftstoff wird. Die Kaufentscheidung zugunsten eines umweltfreundlichen Autos erhält somit einen zusätzlichen Anreiz.
Zum anderen wirkt sich das Verbot auch für die Tankstellen wirtschaftlich positiv aus. Denn anders als bisher ist es nicht mehr erforderlich, vier Kraftstoffarten bereitzuhalten. Dadurch werden insbesondere Belange mittelständischer Unternehmen berücksichtigt, und es kann davon ausgegangen werden, daß man schon bald an jeder Tankstelle im Bundesgebiet bleifrei tanken kann. Und selbst für diejenigen Eigentümer von Pkw, die unverbleites Normalbenzin nicht nutzen können - dabei dürfte es sich um relativ wenige Kraftfahrzeuge handeln; man sollte da auch immer wieder darauf hinweisen, daß die Leute leider Gottes immer noch nicht begriffen haben, daß sie überwiegend schon mit unverbleitem Benzin fahren könnten - , ist dieses Verbot vertretbar.
Selbst für den Kreis von Besitzern von Autos, die nur mit verbleitem Kraftstoff fahren können, ist der wirtschaftliche Schaden nicht so groß, wie häufig behauptet wird. Denn die Nutzung verbleiten Benzins führt zu einem geringeren Verbrauch, der in etwa den erhöhten Preis des verbleiten Superbenzins im Vergleich zum verbleiten Normalbenzin aufwiegt. Sie können sich diese Auskunft beim TÜV Rheinland holen, falls Sie es bezweifeln sollten.
Wie den meisten von Ihnen bekannt sein dürfte, hatte sich das Verbot des verbleiten Normalbenzins verzögert, da das Verbot auf nationaler Ebene von einer Änderung der EG-Richtlinie 85/210 abhängig gewesen ist. Diese Tatsache möchte ich dazu benutzen, dem Hohen Haus und den Bürgern zu verdeutlichen, in welch hohem Maße die Umweltpolitik EG-Zusammenhänge berücksichtigen muß. Ohne die Anderung der obengenannten Richtlinie hätten wir das Verbot nicht durchsetzen können. Sowohl wegen dieser rechtlichen internationalen Einbindung als auch wegen der Materie selbst - denn natürlich machen Umweltverschmutzungen vor Grenzen nicht halt - muß international gearbeitet werden. Diese internationale politische Zusammenarbeit ist bislang noch viel zu bürokratisch und vor allem zu langwierig.
({0})
So sehr ich die bisherigen Fortschritte auf internationalem Gebiet anerkenne - genannt seien hier nur die jüngsten Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der DDR und der CSSR - , so sehr muß ich doch an die zuständigen EG-Organe appellieren, die Entscheidungsfindung durch entsprechende rechtliche Konstruktionen zu beschleunigen. Die langwierigen Verfahren erscheinen mir angesichts der Dringlichkeit umweltpolitischer Vorhaben nicht vertretbar.
Zum Schluß würde ich es begrüßen, wenn die Opposition den nun durch das Verbot von verbleitem Normalbenzin erreichten Fortschritt einmal ausdrücklich anerkennt.
({1})
Bei den GRÜNEN kann ich mir da sicher sein. Denn schließlich forderten Sie dieses Verbot durch Ihren Abgeordneten Fischer schon Ende 1986. Oder steht einer solchen Anerkennung politische Opportunität entgegen? Unabhängig vom Verhalten der Opposition wird die Durchsetzung des Benzinbleigesetzes unserer Umwelt und gerade dem Wald nachhaltig helfen.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Knabe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Endlich etwas Gescheites von CDU und FDP. Das ist ein guter Antrag; man könnte sagen: Es ist ein prima Antrag.
({0})
Die Regierung möchte verbleites Normalbenzin verbieten. Erstaunlich! Wir schreiben das Jahr 1987. Im Jahre 1985 hat man einen solchen Antrag der GRÜNEN noch mit Mehrheit abgelehnt. Im Jahre 1986 wurde der zweite Antrag der GRÜNEN, den Zusatz von Blei zu verbieten, abgelehnt. Aber heute - macht es Töpfer möglich? - will man verbleites Normalbenzin verbieten.
Ohne alle Ironie: Das ist vernünftig, denn es wird weniger Blei in die Atmosphäre entlassen. Weniger Blei wird sich an Pflanzen und auf dem Boden niederschlagen. Jeder halbwegs Kundige weiß, daß wir es sonst auf den Autobahnen einatmen, mit dem Salatkopf verzehren oder daß es im Boden abgelagert wird, wo es nicht zu kontrollieren ist, wo man es nicht wieder herausholen kann. Je nach Säure und Bodenart wird es von den Pflanzen aufgenommen oder bleibt über Jahrtausende verfügbar; oder es kann in extremen Fällen auch im Quellwasser wieder austreten.
Gegen Schwermetalle hilft keine Kalkung. Damit kann man höchstens Säure neutralisieren, auch wenn dies immer nur sehr unvollkommen gelingt. So weit, so gut.
Aber natürlich hat auch dieses Gesetz seine Makken. Die Bundesregierung nimmt ein Zehntel des alten Bleigrenzwertes von 0,15 g je Liter und erlaubt weiterhin andere Zusätze, über deren schädliche Wirkung man noch nichts weiß, für die Ventilabdichtung. Dort steht nur: ,,... soweit dies mit dem Schutz der Allgemeinheit ... vereinbar ist". Umweltbundesamt und Bundesgesundheitsamt haben viel an Autorität und Glaubwürdigkeit zu verlieren, wenn sie ihrer Überwachungspflicht hier nicht nachkommen.
Weshalb ist dieses Gesetz nicht ausreichend? Weil eben die Masse der Luftverunreinigungen dadurch nicht verhindert wird, weil es keinen Zwang zur Benutzung des Drei-Wege-Katalysators gibt, durch den das bleifreie Benzin erst richtig Sinn bekommt, und weil nach wie vor verbleites Superbenzin auf bundesdeutschen Straßen verbrannt wird und damit nach wie vor Bleiaerosole in die Luft gelangen.
Wie sagte noch die Regierungsmehrheit mit stolz geschwellter Brust am 14. Oktober 1986:
Nach einer Studie des TÜV Rheinland über die Umweltausswirkungen der EG-Beschlüsse werden die Schadstoffemissionen der Kraftfahrzeuge in der Bundesrepublik Deutschland nachhaltig herabgesetzt. Trotz eines anwachsenden Kraftfahrzeugbestandes und höherer Fahrleistung läßt sich nach den Ergebnissen der Studie ... eine Minderung der jährlichen Stickoxidemissionen bis 1988 um 30 % und bis Mitte der 90er Jahre um fast 60 % ({1}) erreichen. Die Verminderung der Kohlenwasserstoffemissionen
- sagt die Regierung weiter bis 1988 beträgt fast 30 % und bis Mitte der 90er Jahre fast 65 % ({2}).
So gesprochen 1986.
In Wirklichkeit stiegen die Emissionen der Stickoxide, wie Frau Hartenstein schon ausgeführt hat, in jenem Jahr - 1986 - um 3,5 % und 1987 noch einmal um 2 % an. Wie will man da die 30 %ige Minderung erreichen?
Damals wollte man noch beweisen, daß die lasche EG-Regelung etwas bringt, und dabei ist diese Regelung noch nicht einmal voll in Kraft. Was bei dem ökologischen Notstand, in dem wir uns befinden, nötig ist, was zur Abwehr des Waldsterbens unbedingt geschehen müßte, wird nicht getan, und zwar die Minderung der Stickoxide auf breiter Front, Umrüstung der Altwagen, Drei-Wege-Katalysator für alle Neuwagen und Tempo 100 auf Autobahnen, Tempo 80 auf Bundesstraßen. Dann wäre ein erster großer Schritt getan.
({3})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidbauer?
Ja, mit Vergnügen.
Herr Kollege, ich habe nur die Bitte, daß Sie die Quelle für die Berechnungen nennen, die Sie hier vorgetragen haben.
Ja, das ist das Gutachten des UPI in Heidelberg. Wir haben ein entsprechendes Gutachten zum Waldschadensbericht bestellt. Das Gutachten ist letzte Woche eingetroffen. Wir haben es am Montag in einer Pressekonferenz vorgestellt.
({0})
Trotzdem: Da hier eine alte Forderung der GRÜNEN von der Regierung eingelöst wird, werden wir für die spätere Abstimmung empfehlen, dieses Gesetz anzunehmen. Wenn hier einmal alle Perteien an einem Strang zögen, dann wäre das sehr erfreulich.
Ich danke Ihnen sehr.
({1})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Benzinbleigesetzes an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Erste Beratung von den Abgeordneten Doss, Günther, Hauser ({0}), Wissmann, Link ({1}), Dr. Becker ({2}), Schulze ({3}), Dr. Jobst, Dr. Unland, Jung ({4}), Weiß ({5}), Schwarz und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Cronenberg ({6}), Dr. ThoVizepräsident Westphal
mae, Heinrich, Dr. Graf Lambsdorff, Dr. Haussmann, Frau Seiler-Albring, Eimer ({7}), Frau Würfel, Frau Folz-Steinacker, Nolting, Kohn, Gries, Frau Dr. Segall, Dr. Solms und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ladenschlußgesetzes
- Drucksache 11/1042
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({8}) Ausschuß für Wirtschaft
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Doss.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir reden heute abend außerhalb der allgemeinen Ladenschlußzeiten, und die Frequentierung ist entsprechend.
Am 1. Oktober 1987 untersagte der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 500 000 DM, ersatzweise 6 Monate Haft, fünf Geschäften in einer Ladenzeile im Frankfurter Flughafen, während der allgemeinen Ladenschlußzeiten Waren an Personen zu verkaufen, die nicht Flugreisende sind. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, daß der Gesetzgeber mit der Novellierung des Ladenschlußgesetzes 1986 ausschließlich Flug- und Fährreisenden ermöglichen wollte, während der allgemeinen Ladenschlußzeiten einzukaufen. Das Gericht nahm damit eine Interpretation des Begriffs „Reisende" in § 9 Abs. 2 a des Ladenschlußgesetzes vor, indem es ihn auf Flug- und Fährreisende reduzierte.
Die Entscheidung vom 1. Oktober führte im folgenden Monat zu grotesken Situationen auf dem Frankfurter Flughafen, wenn Kunden ihre Identität als Flugreisende nachweisen mußten, um eine Tafel Schokolade oder eine Zeitung zu kaufen. Die Hilfskraft an der Kasse mußte die Einkaufsberechtigung der Kunden überprüfen. Das schwächste Glied im Warenverkauf wurde mit der Entscheidung betraut, die Gerichtsentscheidung zu erläutern und auszuführen.
Am 1. Oktober 1987 hielt der Provinzialismus auf dem Frankfurter Flughafen Einzug, einer der bedeutendsten Drehscheiben des internationalen Luftverkehrs, einem Verkehrsknotenpunkt mit ca. 22 Millionen Fluggästen im Jahr, mit täglich 100 000 Benutzern, einem Bahnhof mit 34 Intercity-Zügen, mit 134 Buslinien und 100 S-Bahn-Verbindungen, einer Visitenkarte der Bundesrepublik Deutschland für 16 Millionen Auslandsfluggäste im Jahr, einem Arbeitsplatz für 40 000 Beschäftigte. Was muß der ausländische Fluggast denken, der sich in Frankfurt einer umständlichen Kontrollprozedur unterziehen muß, die weltweit ohne Beispiel ist?
Um das Serviceangebot des Frankfurter Flughafens zu erhalten, um einen gewichtigen Wettbewerbsnachteil gegenüber europäischen Flughafenkonkurrenten zurückzunehmen, war mit der Entscheidung des Oberlandesgerichts unmittelbarer politischer Handlungsbedarf gegeben. Da eine Revision gegen das Urteil nicht möglich war, bleibt nur die Korrektur der entsprechenden Passage im Ladenschlußgesetz, um die vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Auslegung des Begriffs „Reisende" zu korrigieren.
Mit dem Ziel, die diskriminierenden und unpraktikablen Kontrollen auszuschließen, wurde in kürzester Zeit ein Gesetzentwurf erarbeitet, der heute zur Beratung in erster Lesung vorliegt. Der neu gefaßte § 9 Abs. 2 a gewährleistet, daß alle Personen neben Flug- und Fährreisenden auf internationalen Flug- und Fährhäfen während der allgemeinen Ladenschlußzeiten einkaufen können, ohne sich dabei Kontrollen unterziehen zu müssen. Bei dieser Novellierung handelt es sich allein um eine Klarstellung der schon bei der Novellierung 1986 verfolgten Absicht, allen Reisenden im Rahmen des Ladenschlußgesetzes das Einkaufen zu ermöglichen. Der Gesetzgeber ist gefordert, seinen Willen gegenüber einer widersprüchlichen Auslegung klar und deutlich zu definieren. Das Ladenschlußgesetz ist als solches von dieser Klarstellung nicht betroffen. Eine Aushöhlung dieser wichtigen und erhaltenswerten Wettbewerbsregel ist nicht gewollt und findet nicht statt.
Die Situation auf den internationalen Flug- und Fährhäfen fordert eine Sonderregelung. Darüber bestand schon im vergangenen Jahr Konsens. Die fast exterritoriale Lage der Geschäfte, ihre flächenmäßige Begrenzung insgesamt, im einzelnen auf unter 100 m2, sowie das Preisgefüge schließen eine Wettbewerbsbenachteiligung umliegender Einzelhandelsläden fast aus, zumal Flughafengeschäfte keine Werbung gegenüber ihrem Umland betreiben können.
Um dauerhaften Schaden für den internationalen Flughafen in Frankfurt sowie die anderen internationalen Flug- und Fährhäfen in der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden, ist und war rasches Handeln gefordert. Der Deutsche Bundestag hat hier Gelegenheit, seine Fähigkeit zu raschen und praxisgerechten Regelungen nachzuweisen. Immerhin sind erst fünf Wochen vergangen, seit das Problem entstanden ist. Das Problem wird gelöst, bevor die Geschäfte schließen, bevor Mitarbeiter entlassen werden und bevor dem Frankfurter Flughafen Nachteile im internationalen Wettbewerb entstehen.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Urbaniak.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben ja oft - das wissen wir - sehr unterschiedliche Interessen. Wie kann das anders sein? In der Frage des Ladenschlußgesetzes aber haben wir ja einen historischen Kompromiß aus den 50er Jahren, der sich hervorragend bewährt hat. Dabei muß es bleiben.
({0})
Die Regierungskoalition hat in ihrem Nachdenken darüber mit dem Dienstleistungsabend ja andere politische Ziele aufgestellt.
({1})
Das wird nichts werden dürfen, mit uns auf jeden Fall nicht. Wir lehnen das ab, es taugt nicht.
({2})
- Lieber Kollege Doss, Sie haben hier dargestellt, wie schrecklich das alles ist. Wir haben Ihnen doch bei der Novellierung, die Sie 1986 beschlossen haben - im Schweinsgalopp übrigens - , gesagt: Dies kann nicht gut gehen.
({3}) Sie haben ein schludriges Gesetz gemacht.
({4})
Darum beklagen Sie heute Ihre eigene Handlungsweise. Ich kann nur davor warnen, das Ladenschlußgesetz weiter zu durchlöchern. So geht es nicht.
Ich will das hier aus dem Grunde erwähnen, weil die Sozialdemokraten bereits 1986 darauf aufmerksam gemacht haben. Heute haben wir die Situation, die Sie hier dargestellt haben. Das, was sich gegenwärtig - das will ich zugestehen - dort im Frankfurter Flughafen abspielt, muß rechtlich ja so geregelt werden, daß man Sicherheit für die Arbeitnehmer, für die Unternehmer, Geschäftsinhaber, wie aber auch für die Konsumenten hat. Wir werden als Sozialdemokraten sehr gründlich prüfen,
({5})
was Sie vorlegen. Wir behalten uns jede Entscheidung zunächst einmal vor.
({6})
Das wird im Ausschuß zu erörtern sein.
Eines muß aber klar sein: Mit der SPD-Bundestagsfraktion wird es keine Durchlöcherung des Ladenschlußgesetzes geben.
({7})
Dafür gibt es auch kein Bedürfnis. Der 38,5-StundenWochenarbeitszeit stehen Ladenöffnungszeiten von 64,5 Stunden und in Wochen mit langen Samstagen sogar von 68,5 Stunden gegenüber. Das ist ja wohl eine enorme Zeit. Wir möchten auch nicht gefährden, daß der Wettbewerb verzerrt wird, daß die Großbetriebe die Existenz der Tante-Emma-Läden noch mehr gefährden. Wir werden also gründlich prüfen, was Sie hier vorschlagen. Es kann aber keine Zerstörung des Ladenschlußgesetzes geben. Dieses hat sich in der Tat bewährt.
Wir bitten Sie schon jetzt, diese von uns hier geäußerte Meinung gründlich zu prüfen. Nähern Sie sich einmal unserer Argumentation an, dann tun Sie das Richtige für Arbeitnehmer, für Konsumenten und dafür, daß die Arbeitszeiten nicht bis in die Nächte ausgeweitet werden; denn das ist familienfeindlich.
({8})
Das wollen wir nicht tun. Inhumanität darf es in dieser Frage nicht geben.
Herr Kollege Dr. Lammert, Sie haben wieder einmal nicht zugehört. Was soll man machen?
Ich sage Ihnen hier klipp und klar unsere Meinung: Keine Änderung des Ladenschlußgesetzes.
({9})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Folz-Steinacker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen die Koalitionsfraktionen eine rechtsstaatlich einwandfreie, praktikable Regelung für den Ladenschluß auf dem Frankfurter Flughafen sicherstellen.
({0})
Der Gesetzentwurf zeigt vor allem eins: Die Koalition ist auch in sensiblen Bereichen wie beim Ladenschlußgesetz durchaus handlungsfähig, wenn die Umstände eine rasche Entscheidung erfordern.
({1})
Die FDP hat sofort nach dem Frankfurter OLGUrteil vom 1. Oktober 1987 sowohl in Hessen als auch durch ihre Vertreter in Bonn klargestellt, daß wir so rasch wie möglich die aufgetretenen Rechtsunsicherheiten beseitigen wollen. Diesem Ziel dient der vorgelegte Gesetzentwurf. Grundsätzlich ist es unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht sehr erfreulich, wenn der Gesetzgeber in einer zunehmenden Zahl von Fällen Gerichtsentscheidungen kassiert und damit praktisch in die dritte Gewalt hineinregiert. Ich betrachte das - ich befinde mich hier in voller Übereinstimmung mit den Rechtspolitikern unserer Fraktion - als einen Notbehelf, von dem man wirklich nur in ganz dringenden Fällen Gebrauch machen sollte.
Die Zustände auf dem Frankfurter Flughafen ließen in diesem Fall aber keine andere Wahl. Die vom OLG Frankfurt angeordnete Kontrolle der Einkaufsberechtigung durch Vorlage des Flugscheins hat zu unhaltbaren Zuständen geführt,
({2})
die fast bis zur Existensbedrohung für die Geschäftsinhaber auf dem Frankfurter Flughafen und die dort beschäftigten Arbeitnehmer reichen. Der Ausdruck Provinzposse, der für die Vorgänge auf dem Frankfurter Weltflughafen vielfach benutzt wurde, stellt daher eher eine Verharmlosung dar.
Wir wollen diesen Gesetzentwurf zügig, aber auch ohne Hast beraten. Schließlich darf das Ladenschlußgesetz nicht zu einer Dauerreparaturstelle werden.
({3})
Am Ende des Gesetzgebungsverfahrens muß eine Lösung stehen, die nicht nur für den Frankfurter FlughaFrau Folz-Steinacker
fen eine endgültige Regelung und einen dauerhaften Rechtsfrieden bringt.
({4})
Die FDP ist deshalb von Anfang an für eine möglichst großzügige Regelung eingetreten, die den einkaufsberechtigten Personenkreis nicht einschränkt. Alles andere beschwört nur schwierige Abgrenzungsprobleme herauf und wirft erneut die Frage der nötigen Kontrolle auf.
Wir müssen uns auch mit der Frage befassen, ob nicht ähnliche Probleme wie auf dem Frankfurter Flughafen auch in den Bahnhofspassagen - ich denke hier ganz besonders an die Klett-Passage in Stuttgart - denkbar sind. Die Regelung hierfür ist zwar nicht identisch, aber doch vergleichbar. Falls wir bei einer Nachprüfung zu dem Ergebnis kommen, daß möglicherweise auch dort die Einkaufsberechtigung durch Vorlage eines Fahrscheins nachgewiesen werden müßte, wird man auch für die Regelung der Bahnhofspassagen in § 8 des Ladenschlußgesetzes eine entsprechende Klarstellung vornehmen müssen.
Vor allem dürfen wir das weitergehende Ziel nicht aus den Augen verlieren, nämlich die Einführung des in der Koalitionsvereinbarung vorgesehenen allgemeinen Dienstleistungsabends.
({5})
Gerade weil das in der Öffentlichkeit ein viel diskutierter Punkt ist, steht hier ein Stück Glaubwürdigkeit der Koalition auf dem Spiel.
({6})
Frau Folz-Steinacker, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Urbaniak?
Nein, ich kann nicht.
({0})
- Ich habe fünf Minuten Redezeit. Ich habe noch eine Menge zu sagen.
Wir haben in der FDP ganz ernsthaft überlegt, ob man den vorliegenden Gesetzentwurf mit der Regelung des Dienstleistungsabends verknüpfen sollte. Wir haben im Interesse des Frankfurter Flughafens davon abgesehen, das zeitgleich gesetzlich zu realisieren. Um so ernster nehmen wir daher die Zusage der CDU/CSU-Fraktion, daß bis zum nächsten Frühjahr - Frühjahr 1988 - ein Gesetzentwurf zum Dienstleistungsabend diesem Parlament zur Beratung vorliegen wird.
({1})
Für weitere Verzögerungen hätten wir keinerlei Verständnis mehr.
Ich sehe ganz gute Chancen, daß ein solcher allgemeiner Dienstleistungsabend, der sowohl Einzelhandel als auch Banken und Behörden umfassen soll, entgegen den vielfach geäußerten Befürchtungen in der Praxis ein durchschlagender Erfolg werden wird. In den Vorgesprächen, die ich geführt habe, habe ich aus allen drei genannten Bereichen - dem Einzelhandel, den Banken und den Behörden - die Zusage erhalten, daß man sich an einer solchen Regelung ernsthaft beteiligen wird.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch ein Wort an die Gewerkschaften richten; das ist für mich sehr wichtig. Wenn sie wahrmachen, was sie angekündigt haben, nämlich durch Streiks in den Einkaufsspitzenzeiten den Streß und die Belastung der Hausfrauen und der Arbeitnehmer noch mehr zu steigern, dann zeigt dies einerseits ein ganz gehöriges Maß an unsozialer Einstellung.
({2})
Andererseits macht es die Notwendigkeit einer Entzerrung der Ladenschlußzeiten nur noch deutlicher.
({3})
Über eines kann es überhaupt keinen Zweifel geben, gleichgültig, was die Tarifparteien vereinbaren:
({4})
Eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung für einen Tarifvertrag, der den geplanten Willen des Gesetzgebers unterläuft, kann und wird es nicht geben. Ein Tarifvertrag, der sich direkt gegen die Interessen der Verbraucher richtet, kann niemals das für eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung notwendige öffentliche Interessen aufweisen.
Ich möchte deshalb die Tarifparteien ganz ausdrücklich auffordern, konstruktiv an einer Regelung für den Dienstleistungsabend mitzuarbeiten, die den Interessen aller Beteiligten gerecht wird.
({5})
Hierfür biete ich von seiten der FDP die Hand an.
Danke.
({6})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Saibold.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, daß das Ladenschlußthema die Diskussion immer wieder belebt. Selbst hier nach Ladenschluß
({0})
beteiligen sich heute noch viele Personen sehr lebhaft daran.
Verehrte Kollegin, diesen Laden schließe heute ich.
({0})
Ausgerechnet der Graf Lambsdorff, ein Mitglied derjenigen Partei, die dieses Thema mit einer zuverlässigen Regelmäßigkeit im Sommerloch immer wieder auf den Tisch bringt, hat gestern gesagt, daß das Ladenschlußgesetz nur mehr
ein Thema fürs Kabarett sei. Ich meine, aus seiner Sicht ist das auch verständlich,
({0})
denn bei seinen Geschäften ist er nun wirklich nicht vom Ladenschlußgesetz tangiert!
({1})
Zugegebenermaßen hatte das Gerangel darum, wer denn nun wann im Frankfurter Flughafen seine Brötchen oder sein Chanel Nr. 5 als „Trostpflaster" für die Daheimgebliebene kaufen konnte, auch kabarettistische Züge. Irgendwie paßt dazu auch, daß es heute bei dem vorliegenden Gesetzentwurf lediglich um das Weglassen von zwei Worten geht.
Deshalb möchte ich auch noch ein paar grundsätzliche Worte zum Ladenschluß sagen; denn daß die Wellen bei diesem Thema hochgehen, ist irgendwo schon verständlich. Es geht nämlich zum einen darum, daß viele Menschen das Konsumieren als lustvolle Abwechslung oder auch als Ersatzbefriedigung benötigen oder sich von den verlängerten Ladenöffungszeiten Urlaubsstimmung im grauen Alltag erhoffen.
({2})
Aber wie sieht es denn mit den Bedürfnissen der Arbeitnehmer und der Arbeitnehmerinnen und auch der kleinen Selbständigen aus? Auch diese wollen größtenteils natürlich ihren wohlverdienten Feierabend haben. Andererseits sehen jedoch die Wirtschaftsstrategen durch verlängerte Ladenöffnungszeiten und vor allem auch durch die geplante Ausgestaltung der Einkaufszentren als Erlebnis- und Abenteuermärkte die große Chance, den Besuchern das Geld aus der Tasche zu ziehen.
({3})
Sogar am hohen Defizit der Amerikaner sei angeblich unser pingeliges Ladenschlußgesetz schuld, so sagt jedenfalls der Gouverneur der amerikanischen Zentralbank.
Aber ich frage mich: Was sollen wir denn eigentlich noch alles kaufen? Wir ersticken doch schon im Müll!
({4})
Aus ökologischen Gründen ist diese Strategie des Ankurbelns des Wirtschaftswachstums durch den privaten Konsum und damit eine rein quantitative Konsumsteigerung strikt abzulehnen.
Weil das Ladenschlußgesetz auch ein Arbeitsschutzgesetz ist, lehnen wir GRÜNE allgemeine Flexibilisierungsmaßnahmen im Einzelhandel ab. Die Leidtragenden wären auch hier wieder einmal insbesondere die Frauen, die das Heer der schlecht bezahlten Verkäuferinnen darstellen.
({5})
Fest steht jedoch auch, daß die Zeit, die zum Einkaufen zur verfügung steht, den über die Jahre veränderten Lebensbedingungen der Bürgerinnen und Bürger Rechnung tragen muß. Hier sind einige Möglichkeiten bei den GRÜNEN in der Diskussion. Wir sind der Meinung, daß vor allen Dingen auch die Länder in Eigenverantwortung die Möglichkeit haben müssen, Ausnahmen zu genehmigen, die sich bewährt haben oder aber die den heutigen Interessen und Bedürfnissen der Menschen entgegenkommen. Ich will Ihnen hierfür nur ein Beispiel nennen. In meiner Nachbargemeinde ist es üblich, daß ein neben der Kirche gelegenes Lebensmittelgeschäft am Sonntag vormittag noch zwei Stunden geöffnet hat.
({6})
Die Leute aus den verstreuten Ortsteilen und Weilern können also den Kirchgang mit dem Einkauf verbinden, eine Lösung, die auch aus ökologischen Gesichtspunkten sinnvoll ist.
({7}) - Ja, ich komme aus Bayern, das stimmt.
Die Diskussion um den Ladenschluß ist eine Angelegenheit, bei der viele Interessen berührt sind, so daß man mit einigem Fingerspitzengefühl wird vorgehen müssen. Das Ergebnis kann eigentlich nur eine Kompromißlösung für die vielen Interessen darstellen. Aus diesem Grunde werden wir uns nicht gegen die heute vorgeschlagene Regelung aussprechen, die es allen Besuchern von internationalen Flug- und Fährhäfen ermöglicht, dort während der allgemeinen Ladenschlußzeiten einzukaufen, ohne daß sie sich in irgendeiner Weise legitimieren müssen. Eines darf dabei allerdings nicht passieren, nämlich daß diese Läden im Frankfurter Flughafen auf Kosten der Geschäfte im Umland wirtschaften und mit verlängerten Öffnungszeiten werben, wie es jetzt zum Teil passiert. Wir werden daher beantragen, daß auf jeden Fall die Werbung für die verlängerten Öffnungszeiten auf Flug- und Fährhäfen zu unterbleiben hat, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.
Danke.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf zur Änderung des Ladenschlußgesetzes an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Da die Fraktion DIE GRÜNEN eine zusätzliche Überweisung beantragt hat, müssen wir darüber nachher extra abstimmen.
Wir stimmen zunächst über den Überweisungsvorschlag des Ältestenrats ab. Wer diesem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Keiner. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Dann ist das gemeinsam angenommen.
Die Fraktion DIE GRÜNEN beantragt, den Gesetzentwurf zusätzlich zur Mitberatung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu überweisen. Wer stimmt für diesen Vorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsantrag ist abgelehnt. Es war eine Mehrheit, ich habe es gezählt.
Ich rufe nun den Zusatztagesordnungspunkt 7 auf:
Vizepräsident Westphal
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0})
Unterausschuß des Auswärtigen Ausschusses für Fragen der Europäischen Gemeinschaft
- Drucksache 11/927 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Lammert
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 6. November 1987, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.