Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunkte-Liste aufgeführt:
2. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation ({0})
3. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Beziehungen zwischen dem Deutschen Bundestag und der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik ({1})
4. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Amtszeit der Jugendvertretungen in den Betrieben ({2})
5. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausweitung der Rechte der Jugendvertretungen und zur Weiterentwicklung in Jugend- und Auszubildendenvertretungen ({3})
6. Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zur Strategie des Europäischen Parlaments im Hinblick auf die Gründung der Europäischen Union ({4})
7. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({5}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Fünfte Richtlinie des Rates zur Anpassung des Anhangs HI der Richtlinie 76/768/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel an den technischen Fortschritt - KOM ({6}) 156 endg. - ({7})
8. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Laufs, Schmidbauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Baum, Frau Dr. Segall, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" sowie
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Knabe, Wetzel und der Fraktion DIE GRÜNEN: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Langfristiger Klimaschutz" ({9})
9. Beratung der Sammelübersicht 9 des Petitionsausschusses ({10}) über Anträge zu Petitionen ({11})
10. Beratung der Sammelübersicht 12 des Petitionsausschusses ({12}) über Anträge zu Petitionen ({13})
11. Beratung der Sammelübersicht 23 des Petitionsausschusses ({14}) über Anträge zu Petitionen ({15})
12. Aktuelle Stunde: Auswirkungen der Beschlüsse der Koalition auf Steuergerechtigkeit, Staatsfinanzen und den Arbeitsmarkt
sowie
Äußerungen der SPD über die Steuerreform im Vergleich zu den getroffenen Finanzierungsentscheidungen
13. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Zukunftsprogramm Eine Welt ({16})
14. Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP: Ernährungssicherung in Hungerregionen ({17})
15. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN: Menschenrechtsverletzungen in Tibet ({18})
16. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Stahlpolitik der Bundesregierung ({19})
17. Aktuelle Stunde: Entsendung von Marine-Einheiten der Bundeswehr ins Mittelmeer
Zugleich soll mit der Aufsetzung der Zusatzpunkte - soweit erforderlich - von der Frist für den Beginn der Beratungen abgewichen werden.
Sind Sie mit der Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 sowie die Zusatztagesordnungspunkte 2 und 3 auf:
a) Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Materialien zum Bericht zur
Präsident Dr. Jenninger
Lage der Nation im geteilten Deutschland 1987
- Drucksache 11/11 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen ({20}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Forschung und Technologie
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Wirtschaft
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation
- Drucksache 11/943 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen ({21}) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Forschung und Technologie
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Beziehungen zwischen dem Deutschen Bundestag und der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik
- Drucksache 11/950 Überweisungsvorschlag: Ältestenrat
Hierzu liegen Entschließungsanträge der Fraktion der SPD und der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP sowie der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/944, 11/945 und 11/951 vor.
Meine Damen und Herren, zur Einbringung des Berichts erteile ich dem Herrn Bundeskanzler das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In diesem Jahr erstattet die Bundesregierung ihren Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland vor dem Hintergrund zweier herausragender Ereignisse, die die Menschen in Deutschland besonders bewegt haben. Dies waren der Arbeitsbesuch von Generalsekretär Honecker in der Bundesrepublik Deutschland und die grundsätzliche Verständigung zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion über die weltweite Beseitigung ihrer nuklearen Mittelstreckenflugkörper.
Nicht zufällig treffen beide Ereignisse zeitlich zusammen: In ihnen kommt der gegenwärtige Stand der West-Ost-Beziehungen, die gerade für uns Deutsche so wichtig sind, ganz besonders deutlich zum Ausdruck.
Diese Beziehungen, meine Damen und Herren, haben mittlerweile eine Dynamik entwickelt, die noch vor wenigen Jahren viele als Utopie abgetan haben. Heute erwarten wir mit gutem Grund, daß die gegenwärtige Entwicklung zum Besseren auch in Zukunft anhalten wird - zum Wohl der Deutschen, zum Wohl der Europäer, zum Wohl aller Menschen.
Die Bundesregierung kann sich zugute halten, dazu ganz maßgeblich beigetragen zu haben: durch eine klare und berechenbare Außen- und Deutschlandpolitik, durch ihr eindeutiges Bekenntnis zur Wertegemeinschaft des Westens, durch Geschlossenheit und engste Abstimmung im Bündnis, durch Standfestigkeit bei der Durchführung seiner Beschlüsse und durch ihre Bereitschaft, auf der Grundlage gesicherter Verteidigungsfähigkeit Dialog und Zusammenarbeit mit unseren östlichen und südöstlichen Nachbarn auf allen Feldern der Politik auszubauen.
Nicht Willfährigkeit, falsche Nachgiebigkeit und Kurzatmigkeit bestimmen unseren Kurs. Vielmehr vertreten wir nüchtern und zielstrebig deutsche und auch gesamtwestliche Interessen. Dies ist eine auch von der anderen Seite anerkannte Voraussetzung für dauerhafte Zusammenarbeit zum gemeinsamen Vorteil.
({0})
Meine Damen und Herren, wir verschleiern nicht die politischen Gegensätze zwischen Ost und West, und wir spielen sie auch nicht herunter. Wo die Standpunkte unvereinbar sind, sagen wir das ohne Umschweife. Dies gilt für unsere Position zur offenen deutschen Frage; dies gilt ebenso für unser Bekenntnis zur unantastbaren Würde jedes Menschen und zum unveräußerlichen Recht aller Völker auf Selbstbestimmung.
({1})
Die Bundesregierung bekräftigt erneut hier vor dem Deutschen Bundestag die geschichtlichen, rechtlichen und politischen Grundlagen ihrer Deutschlandpolitik, die sie in ihren früheren Berichten zur Lage der Nation im geteilten Deutschland sowie in den Regierungserklärungen vom 4. Mai 1983 und vom 18. März 1987 erläutert hat.
Erstens. Unsere Deutschlandpolitik ist Dienst an der Einheit der Nation und an der Freiheit ihrer Menschen. Die Einheit der Nation soll und muß sich zuallererst in der Freiheit ihrer Menschen erfüllen. Das Grundgesetz fordert das gesamte deutsche Volk auf, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. An diesem Auftrag halten wir selbstverständlich fest,
({2})
weil er unserer Überzeugung, weil er dem Wunsch und Willen der Menschen in Deutschland entspricht. Dabei ist Freiheit Bedingung der Einheit; sie kann nicht ihr Preis sein.
Das Verlangen nach Freiheit und Selbstbestimmung ist unzerstörbar. Es verbindet die deutsche Nation mit allen Völkern Europas und der Welt. Denn es ist Teil der menschlichen Natur.
Zweitens. Wegweisend für unsere Deutschlandpolitik sind Achtung und Schutz der Menschenrechte. Sie sind - wie Art. 1 unseres Grundgesetzes feststellt -„Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt".
Im vergangenen Monat feierten unsere amerikanischen Freunde das 200jährige Jubiläum ihrer Verfassung. In Europa wirkte dieses Dokument, zusammen mit der Unabhängigkeitserklärung von 1776, als Initialzündung für die Ausbreitung demokratischer Ideen. Es ist kein Zufall, daß wir bereits in zwei Jahren
auch das 200. Jubiläum der Französischen Revolution begehen können. Die Ideale, die der amerikanischen Verfassung zugrunde lagen, veränderten das Gesicht Europas und über Europa das Gesicht der Welt.
Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß der Siegeszug der Freiheit - trotz aller Rückschläge - weitergehen wird. Es ist der Siegeszug einer Idee, deren unwiderstehliche Macht eben nicht auf Waffengewalt beruht, sondern auf einer tiefverwurzelten Sehnsucht aller Menschen.
Uns liegen die Menschen- und Freiheitsrechte unserer Landsleute in Mittel-, Ost- und Südosteuropa in ganz besonderem Maße am Herzen. Ich habe dies in der Regierungserklärung vom 18. März dieses Jahres unterstrichen und hinzugefügt: „Unser Kriterium für echte Fortschritte in den West-Ost-Beziehungen ist und bleibt die Lage der Menschen in unserem geteilten Volk und auf unserem Kontinent."
Dabei bleibt es: Auch künftig werden wir uns für die elementaren Rechte der Deutschen und Deutschstämmigen einsetzen, für ihr Recht, ihre kulturelle und sprachliche Identität zu wahren und - wenn sie dies wünschen - ungehindert zu uns auszureisen.
({3})
Unsere jüngst getroffenen Vereinbarungen mit Ungarn dürfen kein Einzelfall bleiben. Wir begrüßen besonders, daß aus der Sowjetunion in diesem Jahr bisher mehr Menschen deutscher Nationalität zu uns ausreisen konnten, als dies in früheren Jahren der Fall war.
Drittens. Unsere Deutschlandpolitik ist Bekenntnis zur Kontinuität unserer langen, wechselvollen und eben auch fortdauernden Geschichte. Wir haben die Zuversicht, daß die deutsche Frage, wann immer dies sein wird, wieder auf die Tagesordnung der Weltgeschichte kommen wird. Die deutsche Frage bleibt historisch, aber auch rechtlich und politisch offen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir achten die bestehenden Grenzen, aber die Teilung Deutschlands und Europas wollen wir überwinden: auf dem Weg friedlicher Verständigung und in Freiheit sowie im Einvernehmen mit allen unseren Nachbarn.
Viertens. Unsere Deutschlandpolitik ist Dienst am Zusammenhalt aller Deutschen. Die gegenwärtige Lage der Nation kann und wird auch deshalb keinen Bestand haben, weil sich die Menschen in Deutschland mit der Trennung nicht abfinden werden. Sie leiden an einer Mauer, die ihnen buchstäblich im Wege steht und die sie abstößt. Sie wollen zueinanderkommen können, weil sie zusammengehören.
({4})
Auch durch die Deutschlandpolitik der von mir geführten Bundesregierung ist dieses Zusammengehörigkeitsgefühl - nicht zuletzt in den vergangenen Wochen und Monaten - gestärkt worden.
Viele hatten dem Besuch von Generalsekretär Honecker mit zwiespältigen Gefühlen entgegengesehen. Das war verständlich und wurde besonders stark in jenem Augenblick empfunden, in dem ich Generalsekretär Honecker in Bonn begrüßte. Viele spürten tiefes Unbehagen, ja es schmerzte sie.
Viele fragten sich, ob der Besuch nicht die Teilung unseres Vaterlandes verliefen werde, aber sie waren auch irritiert durch jene Stimmen, die uns scheinbar wohlmeinend davon abrieten, Themen wie Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl offen anzusprechen.
Zugleich empfanden sie neue Hoffnung: Hoffnung auf Fortschritte zum Wohle der Menschen, auf Fortschritte in der politischen Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten in Deutschland, auf Fortschritte im West-Ost-Dialog insgesamt.
Heute, meine Damen und Herren, wissen wir, daß die Hoffnungen nicht getrogen haben und daß - das glaube ich - die Sorgen unbegründet gewesen sind. Für Millionen von Deutschen, die am Abend des 7. September die Tischreden in der Bad Godesberger Redoute am Bildschirm mitverfolgen konnten, ist offensichtlich geworden: Begegnungen wie die zwischen Generalsekretär Honecker und mir in meiner Eigenschaft als Bundeskanzler sind etwas fundamental anderes als Begegnungen zwischen Vertretern verschiedener Nationen. Dieser Besuch hatte eine besondere menschliche und politische Dimension.
({5})
Künftige Generationen der Deutschen werden uns danach beurteilen, wie wir unter schwierigen Gegebenheiten mit den praktischen und den moralischen Aufgaben fertiggeworden sind, die uns die Teilung und die Sorge um den Frieden stellen. Wir dürfen keine Chance auslassen, die Zusammengehörigkeit der Deutschen zu stärken.
Bei unseren Landsleuten in der DDR - wir wissen dies - sind neue Hoffnungen entstanden, und sie erwarten von den Verantwortlichen in der DDR, daß sie diese Hoffnungen nicht enttäuschen.
Ich denke hier vor allem an die immer noch steigende Zahl der Besuche aus der DDR. 1987 könnten es nach den Angaben der DDR insgesamt 5 Millionen sein, darunter über 1 Million Reisen in dringenden Familienangelegenheiten, also von Besuchern unterhalb des Rentenalters. Das ist im Vergleich zu den 50 000 Reisenden in Familienangelegenheiten, die 1982 zu uns kommen durften, ein gewaltiger Schritt nach vorn.
Für mich, meine Damen und Herren, ist diese Entwicklung der bisher wichtigste Erfolg unserer Deutschlandpolitik:
({6})
Sie entspricht dem ungebrochenen Verlangen der Deutschen, zueinanderzukommen. Damit öffnet sie das Tor zu mehr menschlichem Miteinander in Deutschland und stiftet auch von Mensch zu Mensch ein Stück Frieden. Sie macht ganz konkret erfahrbar, daß wir Deutschen zueinandergehören, und damit stärkt sie das Bewußtsein für die Einheit der Nation.
Die meisten von uns haben persönliche Erfahrungen mit Landsleuten sammeln können, die aus der DDR zu uns kommen. Oft sind es Jüngere, die sich zum erstenmal in ihrem Leben bei uns aufhalten. Ich
selbst weiß aus zahlreichen Gesprächen, wieviel das für die Menschen in Deutschland bedeutet.
Es geht diesen Landsleuten vor allem auch um die Chance, zusammen mit uns Gemeinsamkeit zu erleben: eine Gemeinsamkeit, die aus den nie versiegenden Quellen von Sprache, Kultur und Geschichte schöpft.
Das Zusammengehörigkeitsgefühl wird aber nicht nur gestärkt bei den Landsleuten, die uns besuchen. Wer Berichte aus der DDR darüber erhalten kann - aus Familien, aus Kirchengemeinden, aus Betrieben oder aus anderen Lebensbereichen - , der weiß: Die Besucher vermitteln dieses Gefühl und ihre Eindrücke weiter an jene, die nicht - oder noch nicht - zu uns kommen können.
Wir streben weitere Fortschritte zum Wohle der Menschen an, ohne in grundsätzlichen Fragen Abstriche zu machen. Beides ist richtig und notwendig. Nur indem wir beides miteinander verbinden, dienen wir gleichermaßen der Einheit der Nation wie auch den Menschen in Deutschland.
({7})
Herr Präsident, meine Damen und Herren, Voraussetzung für erfolgversprechende Deutschlandpolitik ist die feste Verankerung unserer Bundesrepublik Deutschland in der Wertegemeinschaft des Westens. Unser Bekenntnis zu Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit steht außer jedem Zweifel. Daher hat die Stimme der Bundesrepublik Deutschland Gewicht in Ost und West.
Wir unterscheiden klar zwischen der Zusammenarbeit von Staaten und der Suche nach Gemeinsamkeit auf der Ebene von Grundwerten. Wir wollen praktische Zusammenarbeit zum beiderseitigen Vorteil und zum Wohle der Menschen. Aber eine Gemeinsamkeit im Geiste mit den Gegnern von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit lehnen wir entschieden ab.
({8})
Generalsekretär Honecker hat in seiner Tischrede vom 7. September hier in Bonn betont - ich zitiere -, „daß Sozialismus und Kapitalismus sich ebensowenig vereinigen lassen wie Feuer und Wasser."
Ich kann dieser Feststellung nur zustimmen. Freiheitliche Demokratie und kommunistische Diktatur sind in der Tat unvereinbar.
({9})
Für uns gilt nach wie vor, was Konrad Adenauer am 5. Mai 1955, dem Tag der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland, erklärt hat:
Es gibt für uns in der Welt nur einen Platz: an der Seite der freien Völker. Unser Ziel: in einem freien und geeinten Europa ein freies und geeintes Deutschland.
Meine Damen und Herren, deshalb treten wir entschieden allen Illusionen entgegen, wir könnten unser nationales Problem unabhängig vom West-Ost-Konflikt lösen. Wir wenden uns auch gegen jene modischen Gedankenexperimente um eine Sonderstellung Mitteleuropas, die in die gleiche Richtung gehen. Bei allem, was die Völker im mitteleuropäischen Raum historisch und kulturell verbinden mag, darf aus diesem Begriff - wie Joseph Rovan es treffend formuliert hat - keine „gefährliche Sprengladung gegen die politische Integration des Europas der Freiheit" werden.
({10})
Die Freiheit der Deutschen - derjenigen, die sie schon haben, und derjenigen, die sie noch nicht haben - ist der westlichen Wertegemeinschaft anvertraut, und wie wir uns auf die Solidarität der freien Völker verlassen, so können diese auch uns vertrauen.
Mit den Pariser Verträgen haben wir unser Bekenntnis zur Gemeinschaft des Westens auf Dauer festgeschrieben. Umgekehrt haben sich aber auch die Drei Mächte, unsere wichtigsten Bündnispartner, auf das Ziel der Einheit Deutschlands in Freiheit verpflichtet.
Diese wechselseitige Solidarität ist die Frucht geschichtlicher Erfahrung und eines gemeinsamen Werteverständnisses, aber auch ein Gebot wohlverstandenen Eigeninteresses aller beteiligten Partner. Wer die deutsche Frage wie ein lästiges Problem beiseite schieben will, der muß wissen: Es stehen andere bereit, sich dieses Themas zu bemächtigen - zu Lasten westlicher Interessen, zu Lasten von Freiheit und Selbstbestimmung.
({11})
Es bleibt das Ziel der Politik des Westens, den Ost-West-Konflikt in einer dauerhaften, übergreifenden europäischen Friedensordnung aufzuheben, einer Friedensordnung, in der die Grundfreiheiten für alle Völker Europas, auch für die deutsche Nation, ungeteilt und ungeschmälert verwirklicht sind. Wir wollen, daß alle Europäer und alle Deutschen in Freiheit zueinander finden. Dafür wollen wir besonders auch die Chancen des KSZE-Prozesses nutzen.
Eine frühe Verpflichtung auf das Ziel der europäischen Einheit in Freiheit stammt von unseren Heimatvertriebenen und Flüchtlingen. Die Stuttgarter Charta der Vertriebenen - 1950 beschlossen - mit ihrem feierlichen Bekenntnis zur Idee eines freien und geeinten Europa, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können, wird auch heute noch viel zuwenig in ihrer historischen Tragweite gewürdigt.
({12})
Gerade die Vertriebenen und Flüchtlinge verdienen unser aller Dank und Anerkennung. Ihre großen Verdienste beim Aufbau der Bundesrepublik Deutschland bleiben uns gegenwärtig. Wir betrachten es als unsere nationale Aufgabe, ihr kulturelles Erbe zu erhalten und zu pflegen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Grundfreiheiten des Menschen sind unveräußerliche Rechte. Sie werden nicht erst durch einen jederzeit widerruflichen Akt staatlichen Ermessens begründet.
Wir sind uns bewußt, daß menschliche Erleichterungen und Menschenrechte nicht dasselbe sind.
Es wäre jedoch verantwortungslos, menschliche Erleichterungen geringzuachten. Solange die Deutschen voneinander getrennt sind, ist es Aufgabe unserer Politik, die schmerzlichen Folgen der Teilung unseres Vaterlandes zu lindern, das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit aller Deutschen zu stärken, Verbindendes zu erhalten und neue Gemeinsamkeiten zwischen ihnen zu stiften. Im Mittelpunkt steht dabei unser Bemühen, Begegnungen in wachsender Zahl und Intensität zwischen den Menschen in beiden Staaten in Deutschland zu ermöglichen.
Ich habe bereits erwähnt, daß ich die Entwicklung bei den Besuchen aus der DDR, namentlich mit Blick auf Reisende unterhalb des Rentenalters, für den bisher größten Erfolg unserer Deutschlandpolitik halte. Wir können hier von einem Durchbruch sprechen.
Auch auf anderen Gebieten ist es uns gelungen, die innerdeutsche Grenze durchlässiger zu machen. Doch werden wir uns im Interesse der Menschen mit dem Erreichten nicht zufriedengeben: Es bleibt das Ziel der Bundesregierung, daß alle Deutschen frei und ungehindert reisen können. Deutsche sollen einander begegnen können, wann und wo immer sie es wollen.
({13})
Die Bundesregierung hat das Ihre zur Erleichterung des innerdeutschen Reiseverkehrs getan. Die Verkehrsminister beider Staaten in Deutschland haben vereinbart, die Eisenbahntarife für Reisen zwischen beiden Staaten und im Transitverkehr von und nach Berlin zu ermäßigen. Rentner und Reisende in dringenden Familienangelegenheiten aus der DDR sowie Inhaber von Senioren- und Familienpässen aus der Bundesrepublik Deutschland zahlen ab 1. November dieses Jahres nur noch 50 % des Normaltarifs.
Außerdem hat die Bundesregierung für Besucher aus der DDR das Begrüßungsgeld auf 100 DM jährliich erhöht und damit ein Zeichen der Solidarität mit unseren Landsleuten gesetzt. Dieser Beschluß kommt auch den Gastgebern in der Bundesrepublik zugute, die abseits jeglicher Öffentlichkeit einen ganz wichtigen Beitrag zu mehr menschlichem Miteinander in Deutschland leisten. Wir sollten unseren Mitbürgern dafür ein herzliches Wort des Dankes sagen.
({14})
Wir alle sind aufgerufen, unsere Landsleute aus der DDR weiterhin mit offenen Armen und in mitmenschlicher Verbundenheit willkommen zu heißen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, in humanitären Angelegenheiten hat die Bundesregierung ihre Bemühungen diskret, aber intensiv weitergeführt. Ich habe mit Generalsekretär Honecker über die anstehenden Fragen eingehend und auch eindringlich gesprochen. Wir waren uns einig, daß die Bemühungen in diesem Bereich konstruktiv fortgesetzt werden sollen.
Im Berliner Reise- und Besucherverkehr konnten ebenfalls Erleichterungen erreicht werden. Leider hat sich die DDR dem Wunsch der Berliner nach Möglichkeiten zu einem Zweitagesaufenthalt bisher versagt. Die Bundesregierung wird sich hierfür weiterhin mit großem Nachdruck einsetzen.
Beim Tourismus, meine Damen und Herren, haben wir noch einen erheblichen Nachholbedarf. Zwischen Generalsekretär Honecker und mir bestand Einvernehmen, daß wir die Möglichkeiten für eine allmähliche Entwicklung des touristischen Reiseverkehrs zwischen beiden Staaten schaffen sollten, daß wir sie möglichst rasch verbessern sollten. Es gibt dafür bereits konkrete Ansätze.
Wir haben mit großem Nachdruck Generalsekretär Honecker und seine Begleitung aufgefordert, die fortbestehenden Beschränkungen und Hindernisse im innerdeutschen Reiseverkehr abzubauen. Ich nenne hier vor allem den Mindestumtausch sowie die Einreise- und Kontaktverbote.
Die Bundesregierung begrüßt, meine Damen und Herren, daß in den letzten Monaten immer mehr innerdeutsche Städtepartnerschaften zustande gekommen sind oder angebahnt werden konnten. Hier darf und wird es keinen Stillstand geben. Es ist unser Wunsch, daß die DDR künftig auch Partnerschaften von Landkreisen und von kleineren Gemeinden ermöglicht.
Ganz besonders am Herzen liegt uns der Jugendaustausch. 1986 fuhren 70 000 Jugendliche aus der Bundesrepublik in die DDR, und 4 000 kamen von dort zu uns. Erfreulich ist die kürzlich getroffene Vereinbarung, die jetzt auch Berliner Jugendliche in den Jugendaustausch einbezieht.
({15})
Insgesamt kann und muß der Jugendaustausch noch erheblich ausgeweitet werden, und zwar in beiden Richtungen. Gerade auch die junge Generation in Deutschland muß jene Gemeinsamkeit ganz konkret erfahren können, die der Eltern- und Großelterngeneration durch eigenes Erleben noch selbstverständlich ist.
Die Bundesregierung hat stets die Bemühungen der Sportverbände um möglichst viele Sportbegegnungen unterstützt. Wir streben vielfältige sportliche Kontakte vom Leistungs- bis zum Breitensport an. Das gilt auch für den grenznahen Bereich.
Die Bundesrepublik begrüßt, daß die DDR ihre Einfuhrbestimmungen bei der Mitnahme im Reiseverkehr und beim Geschenkpaketverkehr zum 1. November dieses Jahres lockern wird. Absender und Empfänger von Geschenkpaketen in die DDR erwarten von dieser Maßnahme, daß die Zahl der Zurückweisungen von Paketen deutlich zurückgeht.
Leider lehnt es die DDR immer noch ab, meine Damen und Herren, die Einfuhr politischer Zeitungen und Zeitschriften zu gestatten. Was in einer offenen Gesellschaft wie der unseren selbstverständlich ist, stößt in der DDR auf ängstliche Vorbehalte. Nach unserer Überzeugung ist jedoch der freie Austausch von Informationen und Meinungen ein ganz wesentlicher Bestandteil normaler gutnachbarlicher Beziehungen.
({16})
Ein solcher Austausch darf selbstverständlich politische Publikationen nicht ausklammern. Wir werden dieses Thema immer wieder auf die Tagesordnung setzen.
Ein wichtiges Ergebnis des Besuchs von Generalsekretär Honecker war die Übereinstimmung, weitere Verbesserungen der Verkehrsverbindungen von und nach Berlin vor allem auf dem Gebiet des Eisenbahnverkehrs anzustreben und darüber Gespräche mit dem Ziel deutlich kürzerer Reisezeiten und höherer Zugfrequenzen aufzunehmen. Die Gespräche werden gegenwärtig intensiv vorbereitet.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, es bleibt eine wesentliche Aufgabe unserer Deutschlandpolitik, die Freiheit und Lebensfähigkeit Berlins zu bewahren und seine Anziehungs- und Ausstrahlungskraft zu fördern - in wirtschaftlicher, politischer und kultureller Hinsicht. Das freie Berlin gehört mit der Bundesrepublik Deutschland unwiderruflich zur Gemeinschaft des Westens.
Berlin, meine Damen und Herren, steht für die Faszination der Freiheit und für den Dialog im Dienste des Friedens. Es hat in ganz besonderem Maße unter den Folgen der Teilung unseres Vaterlandes zu leiden und ist auch insofern Brennpunkt der offenen deutschen Frage und Gradmesser für den Stand der Ost-West-Beziehungen.
Für die Berliner ist unser Verhältnis zu den Drei Mächten von existentieller Bedeutung. Der Lebensmut dieser Menschen und ihr Freiheitswille haben Berlin seit 1945 die Freiheit deshalb bewahren können, weil die Westalliierten stets zu ihren Schutzgarantien standen. Beides gehört zusammen. Auch weiterhin werden Lebensfähigkeit und Ausstrahlungskraft der Stadt mit davon abhängen, daß Berlin selbst sich seiner Verantwortung für die Sache der Freiheit stellt.
({17})
In diesem Jahr blickt Berlin auf eine 750jährige Geschichte zurück. Die Drei Mächte haben durch Besuche von Staatsoberhäuptern und Regierungschefs ihre Garantien bekräftigt. Königin Elisabeth II., Präsident Reagan, Staatspräsident Mitterrand und Premierminister Chirac wurden von den Berlinern mit großer Herzlichkeit empfangen. Der Solidarität unserer amerikanischen, britischen und französischen Freunde haben wir es vor allem zu verdanken, daß - wie Präsident Reagan es bei seinem Besuch formulierte - Berlin heute seiner Freiheit sicher sein kann.
({18})
Wir danken Präsident Reagan für seine Berlin-Initiative.
({19})
Zugleich möchte ich betonen: Wer einer Erosion der westlichen Wertegemeinschaft Vorschub leistet, wer auf Distanz namentlich zu den Vereinigten Staaten von Amerika geht, der handelt ganz besonders verantwortungslos gegenüber den Menschen in Berlin.
({20})
Deutschlandpolitik ist immer auch Verpflichtung für diese europäische Metropole der Freiheit. Der Ausbau der bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland ist nur so weit möglich, wie Berlin in diese Zusammenarbeit einbezogen ist. Eine Deutschlandpolitik unter Umgehung Berlins ist für uns gänzlich ausgeschlossen.
({21})
Berlin muß in die Entwicklung der bilateralen Beziehungen voll einbezogen werden. Konkrete Schwierigkeiten müssen wir durch pragmatische Lösungen zu überwinden versuchen. Wir begrüßen es, daß die Verantwortlichen der DDR darin grundsätzlich mit uns übereinstimmen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland und die DDR können und wollen durch Zusammenarbeit bei der Lösung praktischer Fragen einen Beitrag zum Miteinander und damit zum Frieden leisten.
Eine beispielhafte Kooperation wollen wir vor allem bei der Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Die Unterzeichnung der Abkommen zum Umweltschutz und über einen Informations- und Erfahrungsaustausch auf dem Gebiet des Strahlenschutzes am 8. September dieses Jahres hat uns hierbei einen großen Schritt vorangebracht. Wir nehmen damit auch eine gemeinsame Verantwortung für die nachwachsende Generation in Deutschland wahr. Außerdem wurden die Kontakte zur DDR mit Blick auf einzelne Umweltprobleme weitergeführt.
Das Abkommen über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit schafft die Voraussetzungen, um in eine intensive wissenschaftliche und technische Kooperation einzutreten. Auch im Bereich des Gesundheitswesens wurde eine Erweiterung und Vertiefung der Zusammenarbeit vereinbart.
Nach dem Abschluß des Kulturabkommens im Mai 1986 hat der kulturelle Austausch, wie jedermann erkennen kann, spürbar zugenommen. Es hat vielbeachtete Ausstellungen, Gastspiele, Lesungen und Begegnungen von Künstlern und Wissenschaftlern bei uns und in der DDR gegeben. Wir fühlen uns bestärkt in unserer Absicht, mit dem Kulturabkommen die Menschen in Deutschland zusammenzubringen.
Bei den Vorhaben für die Jahre 1988 und 1989 ist es gelungen, auch in einigen besonders schwierigen Bereichen Türen zu öffnen. So werden beispielsweise erstmals Hochschulen partnerschaftlich zusammenarbeiten können; im Schulwesen treffen sich Experten; ein Austausch von Nachwuchswissenschaftlern und Studierenden wird begonnen.
Nach der Einigung vor knapp einem Jahr konnten viele wertvolle, kriegsbedingt verlagerte Kulturgüter zurückgeführt werden: So kehrte beispielsweise vor wenigen Wochen der kostbare Flügelaltar von St. Severin aus Thüringen nach Köln zurück.
Beim Besuch von Generalsekretär Honecker haben beide Seiten ihr Interesse bekundet, die wirtschaftliche Zusammenarbeit kontinuierlich auszubauen. Die Struktur des innerdeutschen Handels soll verbessert werden, insbesondere durch verstärkte Käufe von InBundeskanzler Dr. Kohl
vestitionsgütern. Gespräche über die Bildung einer Gemischten Kommission sollen aufgenommen werden. Kommerzielle Verhandlungen über einen Stromverbund unter Einbeziehung von Berlin ({22}) haben gute Erfolgsaussichten.
Unser wichtigstes Ziel, meine Damen und Herren, bleibt jedoch, mehr Freizügigkeit in Deutschland zu erreichen. Je mehr die Menschen voneinander wissen, desto schwerer ist es, sie durch Feindbilder zu manipulieren.
({23})
Wer ernsthaft Frieden will, der darf den Menschen nicht als bloßes Mittel zu politischen Zwecken mißbrauchen.
({24})
Friede beginnt mit der Achtung der unbedingten und absoluten Würde jedes einzelnen Menschen in allen Bereichen seines Lebens.
({25})
Deshalb werden wir uns auch nie damit abfinden, daß an der innerdeutschen Grenze Gewalt gegen Wehrlose verübt wird,
({26})
durch Schußwaffen, aber auch durch Sperranlagen, die Menschen ihrer Freiheit berauben. Gerade Gewalt, die den Wehrlosen trifft, schädigt den Frieden.
({27})
Wer ernsthaft Frieden will, darf nicht zum Haß erziehen. Waffen sind willenlose Werkzeuge. Erst die Bereitschaft des Menschen, sie zur Vernichtung anderer einzusetzen, macht sie zur Gefahr.
Auf deutschem Boden lagern nukleare und konventionelle Waffen in hoher Dichte. Wir wollen hier wie überall weniger Waffenarsenale und mehr Sicherheit. Doch ein gerechter und damit sicherer Frieden wird nie allein das Ergebnis von Rüstungskontrolle und Abrüstung sein.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, unsere Verantwortung für die Lage der Nation schließt auch und gerade deren Sicherheit ein. Deutschlandpolitik und Sicherheitspolitik lassen sich auf gar keinen Fall voneinander trennen. Oberstes Ziel der Sicherheitspolitik der Bundesregierung ist und bleibt, den Frieden in Freiheit zu bewahren. Wir wollen jeden Krieg verhindern, auch einen konventionellen. Dies ist in den vergangenen 42 Jahren gelungen. Wir verdanken das unserem Bündnis mit den freiheitlichen Demokratien des Westens und insbesondere mit den Vereinigten Staaten von Amerika, deren Partnerschaft und Freundschaft für uns von existentieller Bedeutung bleiben.
({28})
Daß wir in Westeuropa heute auf dem Weg zur sicherheitspolitischen Einigung gut vorankommen und daß damit der europäische Pfeiler des Bündnisses gestärkt wird, verzeichnen wir mit großer Genugtuung. Die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit
Frankreich ist für uns dabei ein Kernstück. Gerade hier haben wir in jüngster Zeit wichtige Fortschritte erzielt, und ich bin sicher, wir werden in allernächster Zeit noch bedeutendere Fortschritte erzielen können.
Wir sind unverändert bereit, zusammen mit unseren Verbündeten auf der Grundlage gesicherter Verteidigungsfähigkeit mit den Staaten des Warschauer Paktes umfassend zusammenzuarbeiten. Dies gilt insbesondere für das Feld der Abrüstung und Rüstungskontrolle. Wir wollen Frieden schaffen mit weniger Waffen und wir wollen unsere Sicherheit stärker auf ein Miteinander gründen.
Die grundsätzliche Verständigung der beiden Weltmächte über die weltweite Beseitigung nuklearer Mittelstreckenflugkörper bedeutet - trotz aller noch zu lösenden schwierigen Fragen - einen beispiellosen Durchbruch. Erstmals soll durch Vertrag eine ganze Kategorie von Waffen weltweit abgeschafft werden.
Auf diese Einigung hat auch die Bundesregierung seit ihrem Amtsantritt im Oktober 1982 durch konsequente Politik hingearbeitet. An entscheidenden Weichenstellungen der Verhandlungen hat sie in engster Konsultation mit den USA ihren Beitrag geleistet. Wir haben dabei immer auch aus unserer nationalen Verantwortung heraus gehandelt.
Die Regierungen und die Menschen in West und Ost, insbesondere im geteilten Deutschland, haben die berechtigte Hoffnung, daß dieser erste Abrüstungsvertrag noch in diesem Jahr durch ein Gipfeltreffen zwischen beiden Weltmächten besiegelt wird. Er kann und wird das Gesamtklima zwischen West und Ost zum Besseren wenden und einen langfristigen Prozeß der Vertrauensbildung einleiten.
Gerade deshalb, meine Damen und Herren, darf aber verantwortliche Politik nicht bei einem ersten Vertrag stehenbleiben, sonst wären die Opfer und die Anstrengungen langer Jahre schlecht genutzt. Es gilt vielmehr, die einzelnen Anstrengungen in bilateralen und multilateralen Verhandlungen in einen umfassenden Abrüstungsprozeß einzubetten, der sich auf alle Waffensysteme erstreckt und zu weiteren substantiellen Abrüstungsschritten führt.
Die Bundesregierung hat deshalb mit großer Befriedigung das Ergebnis der Gespräche der Außenminister der Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion begrüßt. Danach wird über die 50%ige Reduzierung der strategischen Offensivpotentiale beider Seiten mit erhöhter Anstrengung weiterverhandelt. Dabei lautet das Ziel, ein Abkommen in naher Zukunft fertigzustellen.
Es sollen unverzüglich Verifikationsverfahren für Nukleartests ausgehandelt werden, die die Ratifikation der sogenannten Schwellenverträge von 1974 und 1976 erlauben. Schon seit langem setze ich mich dafür ein, daß diese unerläßlichen Voraussetzungen für ein umfassendes Testverbot geschaffen werden.
In der multilateralen Genfer Abrüstungskonferenz werden die Bemühungen um ein Abkommen über die weltweite Beseitigung chemischer Waffen energisch vorangetrieben. Auch zu diesen Verhandlungen wird
die Bundesregierung mit ihren Verbündeten wie bisher beitragen; ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die westlichen Überprüfungsvorschläge.
Doch gerade wir Deutschen dürfen auch hier nicht innehalten, denn mit der Beseitigung nuklearer Mittelstreckenwaffen tritt das konventionelle Übergewicht zugunsten des Warschauer Paktes um so stärker hervor. Dies ist und bleibt für uns eine zentrale Frage.
Wir fordern deshalb, daß die sowjetische Führung entsprechend ihrer Ankündigung Übergewichte abbaut. In Wien engagieren wir uns mit größtem Nachdruck für den Erfolg der Gespräche über ein Verhandlungsmandat für ein umfassendes, stabiles und nachprüfbares konventionelles Kräfteverhältnis auf niedrigerer Ebene in ganz Europa, vom Atlantik bis zum Ural.
Mit ebenfalls großer Dringlichkeit stellt sich für uns Deutsche das Problem der sowjetischen Überlegenheit bei den nuklearen Kurzstreckensystemen. Ich habe deshalb meine Erklärung vom 26. August dieses Jahres mit dem Appell an die Sowjetunion verknüpft, mit einer Geste des guten Willens zu antworten: ohne jede Gegenforderung den Abbau der einseitigen Bedrohung durch ihre Raketen vom Typ SCUD-B einzuleiten.
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Meine Damen und Herren, für diese Forderung erwarten wir die Unterstützung der Staaten, in denen solche Raketen stationiert sind, insbesondere auch der DDR. Gerade in dieser Frage muß sich „neues Denken " durch „neues Handeln" beweisen. Ich erinnere daran, daß der Westen mit dem einseitigen Abbau von 2 400 Sprengköpfen zwischen 1980 und 1988 mit gutem Beispiel vorangegangen ist.
Aber auch in diesem Bereich erstreben wir gesonderte vertragliche Regelungen. Gemäß dem in Reykjavik erteilten Auftrag der NATO-Außenminister erarbeitet unser Bündnis zur Zeit ein umfassendes Abrüstungskonzept. Im Zusammenhang mit der Herstellung eines konventionellen Gleichgewichts und der weltweiten Beseitigung chemischer Waffen geht es darum, auch amerikanische und sowjetische bodengestützte Nuklearflugkörper kürzerer Reichweite deutlich und überprüfbar zu reduzieren - mit dem Ziel gleicher Obergrenzen. Hier wie allgemein gilt der Grundsatz: Abrüstung muß am Ende mehr und nicht weniger Sicherheit verbürgen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir sind überzeugt, daß alle diese Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle zum Erfolg führen werden, wenn wir die Erfahrungen seit dem NATO-Doppelbeschluß von 1979 beherzigen:
Erstens. Konsequente Vertretung eigener Sicherheitsinteressen ist die beste Grundlage für faire Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen aller Beteiligten.
Zweitens. Solidarität, Zusammenhalt und engste Konsultation im Bündnis sind unverzichtbar.
Drittens. Geduld und Festigkeit am Verhandlungstisch, auch gegenüber propagandistischen Beeinflussungsversuchen, begründen - das zeigt sich jetzt wieder - Achtung und Kompromißbereitschaft des Partners, insbesondere die Bereitschaft, konstruktive und weiterführende Vorschläge, wie die vorn Westen seit 1981 vorgeschlagene Null-Lösung mit weltweiter Geltung, am Ende zu akzeptieren.
Meine Damen und Herren, die günstige internationale Entwicklung der letzten Jahre, die Fortschritte von einem Gipfeltreffen zum nächsten lassen sich auch dadurch erklären, daß zwei ganz wichtige Grundsätze beachtet wurden:
Beziehungen zwischen West und Ost können und dürfen zum einen nicht auf Abrüstung und Rüstungskontrolle verengt werden, sondern es gilt - so lautet der Schlüsselsatz des Genfer Gipfelkommuniqués -, die Beziehungen in ihrer ganzen Breite zu verbessern: im breitgefächerten politischen Dialog wie in der Wirtschaft, in Wissenschaft und Technik, in Kultur und Sport und - nicht zuletzt - auch im Bereich der humanitären Zusammenarbeit.
West-Ost-Beziehungen sind zum anderen nicht nur Angelegenheit der beiden Weltmächte. Sie müssen von allen Staaten beider Bündnisse sowie von den Neutralen und Ungebundenen in Europa aus eigener Verantwortung und mit eigenen Beiträgen bestmöglich mitgestaltet werden.
Dafür - wie für die Deutschlandpolitik - sind Dialog und Zusammenarbeit mit unseren östlichen und südöstlichen Nachbarn so wichtig. Grundlage bleiben die Verträge und Dokumente, nach deren Buchstaben und Geist wir selbstverständlich unsere Poliltik gestalten. Unser Ziel ist gute Nachbarschaft, wenn irgend möglich mit allen, und Fortschritte im innerdeutschen Verhältnis sollen allen zugute kommen.
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Wir wollen einem umfassenden Austausch in Handel und Wirtschaft den Weg ebnen. Wir bieten kontinuierliche zukunftsorientierte Zusammenarbeit auch in neuen Formen der Kooperation. Dies ist der Kerngedanke meines Vorschlags, im KSZE-Rahmen eine West-Ost-Wirtschaftskonferenz einzuberufen.
In meiner Regierungserklärung vom 18. März dieses Jahrs habe ich betont: Unsere Beziehungen zur Sowjetunion sind für uns von zentraler Bedeutung. Das damals von mir umrissene Programm der Zusammenarbeit ist schon auf gutem Wege: Ein Höhepunkt im politischen Dialog war der Staatsbesuch des Herrn Bundespräsidenten. Ich selbst werde in nicht allzu ferner Zukunft mit Generalsekretär Gorbatschow zusammentreffen; darüber wird beim bevorstehenden Besuch des sowjetischen Außenministers in Bonn gesprochen werden. Das Abkommen über wissenschaftlich-technologische Zusammenarbeit - und unter seinem Dach drei Ressortabkommen - sind in Kraft. Ein Umweltabkommen ist fast fertig ausgehandelt. Wir können den Weg für verstärkten kulturellen Austausch eröffnen. Unseren Wunsch, in Moskau ein Kulturinstitut zu eröffnen, werden wir weiter mit Entschiedenheit verfolgen.
Mit Polen, meine Damen und Herren, verbindet uns eine oft leidvolle Geschichte. Wir werden uns weiter für Verständigung der Regierungen und Versöhnung der Völker einsetzen. Von den Kirchen und anderen
gesellschaftlichen Gruppen erwarten wir dabei auch künftig bedeutende eigene Beiträge.
Mit Ungarn haben wir während des Besuchs von Ministerpräsident Grosz richtungsweisende Vereinbarungen getroffen. Wir stehen Ungarn in einer gesamtwirtschaftlich nicht einfachen Lage tatkräftig zur Seite. Abkommen über Schutz und Förderung von Investitionen sowie über wissenschaftlich-technologische Zusammenarbeit werden auch der industriellen Kooperation zugute kommen.
Durch Austausch von Kulturinstituten werden wir das Verständnis für die kulturelle Leistung des jeweiligen Partners vertiefen. Die Ungarn-Deutschen, meine Damen und Herren, erhalten noch bessere Möglichkeiten, in ihrer angestammten Heimat ihre kulturelle und sprachliche Tradition zu pflegen. Die neue Vereinbarung über die Förderung und Unterstützung der Kulturarbeit der deutschen Minderheit in Ungarn sowie ihrer Sprache ist Ausdruck europäischer Gesinnung und nach unserer Meinung ein Vorbild für andere. Wir hoffen, daß andere ihm folgen werden.
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Die vorbildliche Entscheidung Ungarns, daß ab 1. Januar 1988 jeder Bürger nach eigenem Ermessen ins Ausland reisen kann, honorieren wir mit Sichtvermerkserleichterungen und -befreiungen. Damit leisten beide Seiten einen Beitrag, Grenzen durchlässiger zu machen und ihnen den trennenden Charakter zu nehmen.
Gerade den Binnenstaaten Ungarn und Tschechoslowakei gilt unser Angebot, durch Abkommen den Weg über unsere Wasserstraßen, einschließlich des Main-Donau-Kanals, zu den Nordseehäfen zu öffnen.
Mit der CSSR als unserem unmittelbaren Nachbarn verbindet uns auch eine grenzüberschreitende Verantwortung für die natürlichen Lebensgrundlagen. Mit dem neuen Umweltabkommen werden wir ihr gerecht.
Auf Einladung der Prager Führung werde ich Anfang 1988 die CSSR offiziell besuchen. Dabei wird die weitere Gestaltung der Zusammenarbeit auf der Tagesordnung stehen.
Meine Damen und Herren, mit Rumänien werden wir in hochrangigem Dialog weiterhin nach Wegen suchen, für unsere dort lebenden Landsleute die Wahrung ihrer kulturellen und sprachlichen Identität sowie ihrer wirtschaftlichen Lebensgrundlagen zu sichern oder aber, wenn sie dies wünschen, ihnen die Ausreise zu uns zu ermöglichen. Hier gilt, was auch für Polen gilt: daß der Nachholbedarf auf diesem Gebiet besonders groß ist.
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Aus Bulgarien konnte ich im Sommer dieses Jahres den Staatsratsvorsitzenden Schiwkow hier als meinen Gast begrüßen. Abkommen über Schutz und Förderung von Investitionen sowie über die Vermeidung der Doppelbesteuerung legen auch im Verhältnis zu Bulgarien den Grund für eine breitere wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, mit unserem Angebot von Dialog und Zusammenarbeit setzen wir auch auf die Prozesse wirtschaftlicher Reform und gesellschaftlicher Öffnung, die eine Reihe unserer östlichen und südöstlichen Nachbarn sich vorgenommen haben. Wenn sie bereit sind, damit den Weg für insgesamt breitere Kooperation zwischen allen Ländern West- und Osteuropas zu öffnen, werden wir dies partnerschaftlich nutzen. Wir verfallen dabei nicht in Überschwang, sondern bleiben auf dem Boden der Tatsachen. Wir verkennen nicht die Schwierigkeiten und Widerstände. Gerade Ministerpräsident Grosz hat sie mir für sein Land plastisch geschildert. Aber im Interesse der Menschen wünschen wir ihnen Erfolg. Dies liegt im langfristig besten Interesse aller Beteiligten in West und Ost.
Zugleich aber, meine Damen und Herren, wissen wir aus der Zeit des eigenen Wiederaufbaus hier in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Krieg: Nur wenn sich die Menschen persönlich einsetzen, wenn sie sich Mühe geben, wenn sie ihre Kräfte mobilisieren, wenn sie durch Teilhabe in Wirtschaft und Gesellschaft motiviert sind und vor allem auch dadurch, daß sie die Früchte ihrer Arbeit ernten können: nur dann wird ein Land dauerhaften Fortschritt erzielen.
Jeder von uns spürt, daß wir gegenwärtig in einer Phase wichtiger Entscheidungen und Entwicklungen stehen, die in den kommenden Jahrzehnten das Gesicht Europas und damit auch seine Stellung in der Welt verändern könnten. Ich denke hier vor allem auch an die für 1992 vorgesehene Vollendung des europäischen Binnenmarktes.
Die Europäische Gemeinschaft ist jedoch ebensowenig das ganze Europa, wie die Bundesrepublik Deutschland unser ganzes Vaterland ist. Als Europäer im freien Teil unseres Kontinents und als Deutsche im freien Teil unseres Vaterlandes haben wir aber die Chance, ein Modell zu gestalten, ein Modell für das, was in ganz Europa möglich wäre, wenn unser Kontinent in Frieden und Freiheit ohne Teilung leben könnte.
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Wir in der Bundesrepublik Deutschland können uns dabei in besonderem Maße ermutigt fühlen durch jene Sätze, die der Philosoph Karl Popper mir kürzlich schrieb - ich zitiere - :
Ich glaube, daß trotz aller Kritik - oder vielleicht gerade wegen der Kritik - die deutsche Demokratie im Augenblick die lebendigste in Europa ist.
Die Teilung unseres Kontinents fesselt in weiten Bereichen das schöpferische Potential Europas, die Kräfte des wissenschaftlich-technischen, des wirtschaftlichen und des sozialen Fortschritts. Wenn ganz Europa ein Kontinent des schöpferischen Miteinanders werden soll, dann müssen alle seine Menschen zueinander kommen können, dann müssen alle seine Völker frei und gleichberechtigt sein.
Selbstbestimmung und zukunftsweisende Weiterentwicklung gehören zusammen. Das ist unsere Vision für ein geeintes, ein freies und friedliches Europa,
in dem auch wir Deutschen in Freiheit vereint sein können.
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Bevor ich die Aussprache eröffne, darf ich mitteilen, daß der Ältestenrat vorschlägt, für die gesamte Beratung dieser Tagesordnungspunkte einschließlich der Zeit für die Regierungserklärung vier Stunden vorzusehen. Was nun die Gestaltung der Zeit für die Aussprache anbetrifft, so hat die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher einen Antrag zur Geschäftsordnung angekündigt. Ich darf Ihnen, Frau Kollegin Hamm-Brücher, das Wort zur Geschäftsordnung erteilen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Namen zahlreicher Unterzeichner der überfraktionellen Initiative Parlamentsreform möchte ich beantragen, im Rahmen dieser vierstündigen Gesamtdebatte kurze, freie Wortbeiträge zuzulassen, falls das gewünscht wird.
So haben wir das bereits vor über zwei Jahren in der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform vereinbart, und so hat es der Bundestagspräsident auch wieder in seinen Vorschlägen aufgenommen. Dies ist die erste Gelegenheit, nun einmal in unserer Debatte eine neue Form, einen neuen Stil zu erproben. Wir werden sehen, wer sich daran beteiligt. Ich persönlich weiß noch gar nicht, ob ich es tun werde. Aber ich glaube, daß das sehr wichtig ist. Wann wäre eine bessere Gelegenheit, das zu erproben, als bei einer Debatte über die Lage der Nation?
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Zu einer weiteren Wortmeldung zur Geschäftsordnung erteile ich das Wort dem Abgeordneten Seiters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Menschen, die heute morgen ihre Fernsehapparate eingeschaltet haben und uns zuschauen, erwarten von uns im Deutschen Bundestag jetzt keine Debatte über die Parlamentsreform und auch keine lange Geschäftsordnungsdiskussion.
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Vielmehr wollen sie teilhaben an der Debatte über die Lage der Nation.
Die Fraktionen haben sich darauf vorbereitet. Ich bin dafür, daß wir uns an die Vereinbarungen halten.
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Alles andere regeln wir im Geschäftsordnungsausschuß. Ich bin dafür, daß wir uns dem Thema zuwenden, und zwar auch deshalb, weil diejenigen Abgeordneten, die heute morgen hier sprechen, genauso freie Abgeordnete sind wie alle anderen.
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Das Wort zur Geschäftsordnung hat die Abgeordnete Frau Vennegerts.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Seiters, ich kann Ihre Aufregung gar nicht verstehen. Hier findet überhaupt keine Revolution statt, sondern ich denke, daß Frau Hamm-Brücher hier einen sehr, sehr guten Vorschlag gemacht hat. Wir haben sehr viel Sympathie dafür; denn wir sind der Meinung, diese Parlamentsdebatten gehörten endlich einmal aufgelockert. Es sollte doch möglich sein, das zwischen den Fraktionen einmal zu diskutieren.
Ich denke, gerade heute, bei diesem wichtigen Thema wäre das ein gutes Experiment, das wir hier einmal durchführen sollten. Deshalb sollten Sie sich das noch einmal überlegen. Vielleicht, Herr Seiters, geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß. Das richte ich natürlich auch an die SPD, die sich jetzt noch nicht geäußert hat.
Ich denke, bei diesem Experiment können wir doch noch alle gewinnen, meine Damen und Herren. Lassen Sie es uns doch bei diesem Thema versuchen.
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Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.
Ich lasse zunächst einmal über den Vorschlag des Ältestenrates abstimmen, für die Beratung insgesamt vier Stunden vorzusehen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist einstimmig angenommen.
Dann lasse ich über den Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher abstimmen, innerhalb der vorgesehenen Zeit für die Aussprache auch sogenannte freie Wortmeldungen zuzulassen.
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Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Regierungserklärung, die soeben vorgetragen wurde, enthält Elemente, denen wir zustimmen können. Das gilt etwa für Feststellungen über die positiven Entwicklungen im Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten, die zuletzt im Besuch des Staatsratsvorsitzenden der DDR einen sichtbaren Ausdruck gefunden haben. Das gilt auch für die Aussagen über die fortdauernden grundsätzlichen Unterschiede zwischen den Gesellschaftsordnungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. Oder für die Absage an einen deutschen - und zwar auch an einen deutsch-deutschen - Sonderweg. Oder für die Bejahung des auch in der Charta der Vereinten Nationen verankerten Selbstbestimmungsrechts. Insofern sind Ansätze zur Gemeinsamkeit nach wie vor vorhanden.
Die Ansätze zur Gemeinsamkeit, von denen ich sprach, werden indessen von den Mängeln beeinträchtigt, die die Regierungserklärung aufweist. Folgendes sind die beiden wichtigsten Mängel.
Die Erklärung läßt zum einen nicht erkennen, welche Konzeption der Deutschlandpolitik der Bundesregierung eigentlich zugrunde liegt.
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In dem erkennbaren und ja auch verständlichen Bestreben, es sowohl denen recht zu machen, die die Deutschlandpolitik Willy Brandts, Helmut Schmidts und Herbert Wehners fortsetzen wollen, als auch es mit denen nicht zu verderben, die die DDR auch jetzt noch in Anführungszeichen setzen, also nicht als Realität anerkennen wollen, und die noch immer von der Wiederherstellung des deutschen Reiches träumen, verwickelt sich Ihre Deutschlandpolitik notwendigerweise immer wieder in Widersprüche.
Zum anderen läßt die Erklärung Perspektiven vermissen, die über das bisherige Maß an Kooperation zwischen den beiden deutschen Staaten hinausgehen. Die Erklärung nimmt auch nicht ausreichend zur Kenntnis, welche Entwicklungen in jüngster Zeit nicht nur zwischen den Weltmächten, sondern auch in der Sowjetunion und in den ost- und mitteleuropäischen Staaten stattgefunden haben, die dem Warschauer Pakt angehören.
Im übrigen, Herr Bundeskanzler - und das bedaure ich - , ist die Erklärung auch unvollständig. Sie beschäftigt sich ausgiebig mit dem anderen deutschen Staat und mit dem, woran dieser Staat, gemessen an unseren Maßstäben und Prinzipien, Mängel aufweist. Aber, Herr Bundeskanzler, es gibt doch auch bei uns in der Bundesrepublik Zustände, Vorgänge und Tendenzen, die mit unseren eigenen Prinzipien schwer oder überhaupt nicht vereinbar sind.
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Einer dieser Komplexe sind die Vorgänge in Kiel, die uns wohl alle - ohne Ausnahme - mit großer Sorge erfüllen - und das noch mehr, seit ein Mensch unter Umständen zu Tode gekommen ist, die noch viele Fragen offenlassen. Ich meine, jeder, der im politischen Bereich Verantwortung trägt - dazu gehören auch die Medien und die dort Verantwortlichen -, hat auf Grund dieser Vorgänge Anlaß, mit sich zu Rate zu gehen und dann Folgerungen zu ziehen.
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Eine Folgerung liegt schon jetzt auf der Hand, nämlich daß alles, was mit diesen Vorgängen zusammenhängt, vollständig und ohne Schonung aufgeklärt werden muß. Darin, daß dies öffentlich geschehen kann und öffentlich geschehen muß, liegt ja gerade eine Stärke unserer verfassungsmäßigen Ordnung.
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Und daß es geschieht, ist eine unverzichtbare Voraussetzung dafür, daß die Politik das Vertrauen zurückgewinnt, das sie in diesen Tagen und Wochen verloren hat.
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Täuschen wir uns nicht: Der Vertrauensverlust für uns alle reicht tief und zieht alle Parteien in Mitleidenschaft, auch außerhalb Schleswig-Holsteins.
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Und, Herr Bundeskanzler - ich sage das nicht im Ton des Vorwurfs - : Auch das, was ich hier anspreche, gehört für die Menschen in der Bundesrepublik und darüber hinaus heute zur Lage der Nation.
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Davon unabhängig sollten wir jeweils für uns, aber auch alle gemeinsam bedenken, wie wir miteinander umgehen. Wir sollten uns daran erinnern, daß der Kampf um die politische Macht - und ich füge mit Betonung hinzu: auch der Kampf um die Auflage des eigenen Blattes - nicht jedes Mittel rechtfertigt,
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daß man dem Tod eines Menschen in jedem Fall mit Würde begegnen und ihn in keiner Hinsicht und unter keinem Vorwand instrumentalisieren sollte.
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Es wäre gut, wenn wir darin übereinstimmen, daß es besser ist, die Macht oder sonst einen Vorteil zu verlieren oder nicht zu erringen, als die Vertrauensgrundlagen zu zerstören, auf denen allein unsere Demokratie gedeihen kann.
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Wir sollten die Mahnungen Bischof Kruses beherzigen. Und wir sollten gerade jetzt an ein Wort Gustav Heinemanns denken, der einmal gesagt hat: Wer mit dem Zeigefinger allgemeiner Vorwürfe auf andere zeigt, der soll daran denken, daß in der Hand mit dem ausgestreckten Zeigefinger zugleich drei Finger auf ihn selbst zurückweisen.
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Auch anderes, was den Prinzipien unseres Gemeinwesens ebenfalls widerspricht, Herr Bundeskanzler, haben Sie nicht erwähnt: Die fortdauernde Massenarbeitslosigkeit, Erscheinungsformen einer latenten Ausländerfeindlichkeit, vor der die Kirchen zu Recht immer wieder warnen, oder die wuchernde Kommerzialisierung nahezu aller Lebensverhältnisse. Das gehört doch auch alles zur Lage der Nation,
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und das beobachten die Menschen in der DDR doch genauso wie die Menschen bei uns. Wenn wir darüber schweigen, müssen wir - ich sage: wir - uns eine unzulässige Schwarzweißmalerei bei der Darstellung der Verhältnisse in den beiden deutschen Staaten vorwerfen lassen. Es ist aber auch kein angemessener Umgang mit dem Begriff der Nation. Denn als Geschichts-, Kultur-, Sprach- und Gefühlsgemeinschaft umschließt sie eben die Menschen in beiden deutschen Staaten und damit auch die Sorgen und Nöte der Menschen in unserer Republik.
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Wenn wir das, Herr Bundeskanzler, aus den Augen verlieren, verkürzen wir den Begriff der Nation und denaturieren ihn zu einem Instrument der Einmischung in die Angelegenheiten eines Gemeinwesens, das wir als Staat anerkannt haben. Es wäre zu wenig,
I wenn wir nur dies aus dem Begriff der Nation herleiteten.
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Der Herr Bundeskanzler ist in der Erklärung nicht auf konzeptionelle Fragen eingegangen. Er hat auch eine Feststellung vermieden, an der doch niemand vorbeikommt. An der Feststellung nämlich, daß das Konzept der Deutschlandpolitik, die uns aus der Konfrontation des kalten Krieges, aus immer neuen Berlin-Krisen und aus einer fast vollständigen Zerreißung aller menschlichen Beziehungen herausgeführt hat, unter der Führung von Willy Brandt von Sozialdemokraten und der sozialliberalen Koalition entwickelt und gegen den Widerstand der damaligen Opposition verwirklicht worden ist.
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Das ist und bleibt die historische Wahrheit. Es hätte niemanden gekränkt, wenn diese Wahrheit auch von Ihnen ausgesprochen worden wäre.
Wahr ist und bleibt auch: Ohne die Ost-Verträge, ohne den Grundlagenvertrag, ohne das Vier-MächteAbkommen, ohne den Verkehrsvertrag, ohne die Schlußakte von Helsinki und den Prozeß, der sich daraus entwickelt hat, wäre das Netz von Vereinbarungen mit der DDR, wären die erfreulichen Reiseerleichterungen, wäre auch der Besuch des Staatsratsvorsitzenden nicht möglich geworden.
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Alle diese Voraussetzungen sind aber nicht mit IhZ nen, sondern bestenfalls ohne Sie und zumeist gegen Sie zustande gekommen. Hätte sich das Nein durchgesetzt, wäre die Grenze noch auf lange Zeit genauso undurchlässig geblieben, wie sie es damals war. Auch von vielen anderen Fortschritten wäre bis heute nicht die Rede.
Ich sage das nicht aus Rechthaberei. Ich sage es, um Geschichtslegenden vorzubeugen.
Ich knüpfe daran die Frage, ob Sie denn eigentlich, insbesondere Sie, meine Damen und Herren von der Union, inzwischen Ihre deutschlandpolitische Vergangenheit insoweit überwunden haben, daß Sie sich jetzt endgültig auf den Boden dieses unseres Konzepts gestellt haben, und zwar nicht nur verbal und mit inneren Vorbehalten. Ihre Erklärung bleibt da unbestimmt.
Gut, wir akzeptieren, daß Sie die Forderungen eines Fraktionskollegen aus Ihren Reihen, die Wiedervereinigung auf die politische Tagesordnung zu setzen und die Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland zu Abrüstungsvereinbarungen mit der Wiedervereinigung verknüpfen, im Mai 1987 in deutlicher Sprache als blühenden Unsinn bezeichnet haben. Aber ist der betreffende Kollege wirklich der einzige in Ihren Reihen, der solche Forderungen erhebt?
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Denken nicht viele in den Unionsparteien auch nach dieser letzten Diskussion zumindest insgeheim genauso? Woher kommen denn sonst die immer neuen Schwierigkeiten, mit denen Sie es deutschlandpolitisch in den eigenen Reihen zu tun haben?
Außerdem: Wenn Sie und die Bundesregierung das deutschlandpolitische Konzept der sozialliberalen Bundesregierung nun wirklich akzeptiert haben, wenn Sie in dieser Sache mit ihrem Außenminister wirklich einer Meinung sind - und ihm kann das Bemühen um deutschlandpolitische Kontinuität ja wohl kaum bestritten werden - , dann erlauben Sie mir drei Fragen.
Warum zögern Sie dann immer noch die Aufnahme von normalen Beziehungen zwischen der Volkskammer und dem Deutschen Bundestag mit der nicht zutreffenden Behauptung hinaus, die Berliner Bundestagsabgeordneten würden von der DDR diskriminiert? Ich bin doch selber seit Jahren Berliner Bundestagsabgeordneter. Ich müßte doch von dieser Diskriminierung irgend etwas gemerkt haben.
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- Herr Kollege Kittelmann, ich möchte mit dem Abgeordneten von Tiergarten nicht so ohne weiteres verglichen werden. Da haben Sie mit Ihrem Zwischenruf recht.
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Darf ich noch eine Frage dazu stellen. Mir läge sehr daran, die Logik zu erfahren, warum Sie von der DDR verlangen, daß wir Berliner Abgeordneten nur mit dem Diplomatenpaß dort einreisen, der nach Inhalt und Usancen für Reisen in das Ausland bestimmt ist. Ich könnte mir die genau umgekehrte Frontstellung denken und wäre dankbar, wenn wir diesen Scheinkonflikt endlich zu Ende brächten.
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Dies hier ist der Ausweis der Berliner auf Grund des in Berlin geltenden Rechts. Es ist doch keine Zumutung, wenn andere von uns die Vorlage dieses Ausweises verlangen,
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in dem außerdem steht, daß wir deutsche Staatsangehörige sind. Ich meine, wir sollten den Scheinkonflikt zu Ende bringen.
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Die nächste Frage lautet: Warum ergreifen Sie, wenn das so ist, in der Frage der Elbegrenze jetzt nicht eine konkrete Initiative? Die Zeit ist reif dafür, und die Menschen warten darauf.
Ich muß noch eine dritte Frage ansprechen: Warum halten Sie eigentlich noch immer an der Existenz der Erfassungsstelle Salzgitter fest?
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Glauben Sie denn wirklich, daß die Beibehaltung dieser Einrichtung, von deren Existenz schon deshalb
- da greife ich Ihren Zuruf auf - eine diskriminieDr. Vogel
rende Wirkung ausgeht, weil es eine vergleichbare Institution nur noch für die NS-Verbrechen gibt, auch heute noch politisch sinnvoll erscheint? Hat sich für Sie seit 1961, als wir alle für diese Erfassungsstelle waren, wirklich nichts verändert?
Daß im übrigen die Strafverfolgung dort, wo das Gesetz sie vorschreibt, in keiner Weise von der Existenz einer Erfassungsstelle abhängt, wissen Sie doch so gut wie wir.
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Auf dem Hintergrund dessen, was Sie zur Würdigung des Honecker-Besuchs zu Recht vorgetragen haben, erscheinen diese Weigerungen noch schwerer verständlich. Zu erklären sind sie wohl überhaupt nur als Konzessionen an diejenigen in Ihren eigenen Reihen, denen die ganze Richtung nicht paßt.
Die Regierungserklärung ist an einzelnen Stellen auf die großen Veränderungen eingegangen, die sich seit der letzten Debatte dieser Art zwischen den Weltmächten, aber eben auch in der Sowjetunion und in Europa angebahnt und zum Teil schon vollzogen haben. Trotz des hinhaltenden Widerstands, den Ihre Fraktion lange geleistet hat, ist ein Abkommen der Weltmächte in greifbare Nähe gerückt, das erstmals nach dem letzten Weltkrieg besonders gefährliche Waffen nicht nur der Zahl nach begrenzt, sondern verschrottet, und das vor allem in Mitteleuropa.
Damit wird die Dynamik der Aufrüstung in exemplarischer Weise durchbrochen und ein Beweis dafür geliefert, daß die Sicherheit nicht mehr länger gegeneinander, sondern in sinnvoller Weise nur noch miteinander durch Abkommen und Vereinbarungen gewährleistet werden kann.
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Das ist ein Vorgang von sehr großer Bedeutung, der sich insbesondere auch auf die Situation in Europa und hier wiederum auf die Situation an der Nahtstelle zwischen den beiden Bündnissen günstig auswirken kann. Gerade aus diesem Grunde wäre es aber notwendig gewesen, das Zustandekommen der Vereinbarung seitens der Bundesregierung und auch der größten Koalitionsfraktion von Anfang an aktiv zu unterstützen, statt es lange Zeit offen oder zumindest versteckt zu bekämpfen.
Es wäre gut, wenn der Bundestag heute über den von Ihnen nach langem Zögern fast im letzten Moment ausgesprochenen Verzicht auf die Pershing-Ia-Systeme endlich einen förmlichen Beschluß fassen würde.
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Immerhin: In dieser wichtigen Frage gibt es bis zum heutigen Tage keinen Kabinettsbeschluß. Über jede Kleinigkeit beschließt das Kabinett; hierzu gibt es keinen Kabinettsbeschluß. Es gibt auch keinen Beschluß Ihrer eigenen Fraktion.
Trotz Ihrer Erklärung, Herr Bundeskanzler, sind im Etat des Bundesverteidigungsministers für 1988 wieder Mittel für diese Waffensysteme eingestellt, als ob gar nichts geschehen wäre.
Der Antrag der Koalition klammert das alles aus und sagt zu Pershing kein Wort. Wir haben deshalb einen
Entschließungsantrag eingebracht, der Ihre Zusage, die durch die Mitteilung von Herr Kollegen Genscher in völkerrechtlicher Weise verbindlich geworden ist, die Pershing-Ia-Raketen der Bundeswehr im Zusammenhang mit dem nun vor dem Abschluß stehenden amerikanisch-sowjetischen Abkommen über die Abschaffung landgestützter atomarer Mittelstreckenraketen abzubauen und entsprechend den in dem Abkommen vorgesehenen Verfahren ersatzlos zu beseitigen, begrüßt.
Wir beantragen schon jetzt über diese Entschließung, die den Wortlaut Ihrer Erklärung zum Inhalt hat, die namentliche Abstimmung. Die Öffentlichkeit muß wenigstens jetzt wissen, ob Sie in dieser wichtigen Frage eigentlich die eigene Fraktion geschlossen oder nur teilweise oder überhaupt nicht hinter sich haben.
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Von ebenso erheblicher Bedeutung sind die von Generalsekretär Gorbatschow eingeleiteten Aktivitäten zur Reform des sowjetischen Gesellschaftssystems. Natürlich sind wir gut beraten, wenn wir diese Entwicklungen nüchtern verfolgen und die Hindernisse, die dabei zu überwinden sind, nicht gering veranschlagen. Aber es liegt in unserem Interesse, daß diese Aktivitäten Erfolg haben. Allein die Tatsache, daß sie in Gang gesetzt worden sind - das haben Sie ja auch bestätigt - , hat das Klima in Europa und auch in der Bundesrepublik bereits günstig verändert und beeinflußt. Das Vertrauen, das nach allen Meinungsumfragen unabhängiger Institute die weit überwiegende Mehrheit unserer Bevölkerung Generalsekretär Gorbatschow entgegenbringt, zeigt das, und zwar quer durch die Wählergruppen und Wahlpräferenzen.
Wir sollten das Maß an Eigenständigkeit, das die DDR im Rahmen ihres Bündnisses im Laufe der Zeit erlangt hat, keineswegs unterschätzen. Es ist jedenfalls größer, als das viele auch in der Bundesrepublik annehmen. Selbstverständlich aber wirken Entwicklungen in der Sowjetunion auf die Entwicklung in den übrigen Staaten des Bündnisses drüben ein. Umgekehrt aber lassen die Entwicklungen in den anderen Staaten Rückschlüsse auf die Intentionen der Führungsmacht zu.
Es ist kein Zufall, daß die DDR gerade jetzt eine umfassende Amnestie auch für politische Delikte erlassen und die Todesstrafe abgeschafft hat oder daß die beiden christlichen Kirchen zu ihren diesjährigen Kirchentagen in Berlin und in Dresden bis zu 100 000 Gläubige versammeln und ihre Anfragen dort an den Staat ebenso in aller Öffentlichkeit verhandeln konnten wie ihre religiösen Themen oder daß erstmals in Ost-Berlin eine Demonstration unabhängiger Friedensgruppen stattgefunden hat. Wir hören inzwischen, daß dies gar nicht die einzige Demonstration war, sondern daß es in anderen Teilen der DDR weitere Demonstrationen dieser Art gegeben hat.
Hier ist mehr im Gang als nur eine gefälligere Darbietung des äußeren Erscheinungsbildes eines Gesellschaftssystems, das seine Akzeptanz bei der eigenen Bevölkerung erhöhen will. Wer das alles nur für Propaganda hält, hat von dem, was da vorgeht, wenig
begriffen, ja, er begreift offenbar noch nicht einmal, daß selbst ideologische Kernthesen des Marxismus-Leninismus zum Gegenstand der Diskussion geworden und vor Korrekturen keineswegs mehr sicher sind.
Zum Beweis dafür berufe ich mich nicht nur auf Äußerungen des Rektors der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der SED, Professor Reinhold, auf dem letzten Evangelischen Kirchentag in Frankfurt, die ja auch einige von Ihnen mit angehört haben. Er hat dort unter anderem erklärt, daß er die bisherige ideologische Einschätzung der Religion korrigieren und einräumen müsse, daß das Christentum im Sozialismus nicht verschwinden, sondern auf Dauer bestehen werde.
Ich nehme vielmehr ganz ausdrücklich auf das Papier Bezug, in dem die Ergebnisse von Gesprächen zusammengefaßt wurden, die Mitglieder der Grundwertekommission meiner Partei fast drei Jahre lang mit Vertretern der eben genannten Akademie geführt haben. In diesem Papier finden sich unter anderem folgende Gedankengänge:
Erstens. Der Krieg hat im Nuklearzeitalter endgültig aufgehört, ein Mittel der Politik zu sein.
Zweitens. Es gibt über die Sicherung des Friedens hinaus gemeinsame Menschheitsaufgaben, die gemeinsam angepackt werden müssen.
Drittens. Die Auseinandersetzung zwischen den gesellschaftlichen Systemen kann nur noch in der Form des friedlichen, gewaltfreien Wettbewerbs geführt werden.
Viertens. Keine Seite darf der anderen die Existenzberechtigung absprechen.
Fünftens. Beide Systeme müssen sich gegenseitig für friedensfähig halten.
Sechstens. Beide Gesellschaftssysteme müssen einander Entwicklungsfähigkeit und Reformfähigkeit zugestehen.
Siebtens. Die offene Diskussion über den Wettbewerb der Systeme, über ihre Erfolge und Mißerfolge muß innerhalb jedes der beiden Systeme möglich sein.
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Nun, bei uns ist sie - weiß Gott - möglich. Dies aber ist ein Appell an die andere Seite.
Wir überschätzen dieses Papier keineswegs. Daß solche Gedankengänge aber heute die Zustimmung führender Gesellschaftswissenschaftler und Ideologen der DDR finden und in der DDR ebenso im vollen Wortlaut veröffentlicht werden wie die damit verbundene präzise Darstellung sozialdemokratischer Grundpositionen, das wäre noch vor wenigen Jahren, vor kurzer Zeit nicht für möglich gehalten worden.
Das gilt auch für die im Papier enthaltene Feststellung, daß der umfassenden Informiertheit der Bürger in Ost und West eine wachsende Bedeutung zukommt und daß deshalb die wechselseitige Verbreitung von periodisch und nichtperiodisch erscheinenden Zeitungen und gedruckten Veröffentlichungen erleichtert werden müsse. Wer wie wir gegen die jüngste
Nichtzulassung eines Journalisten Einspruch erhebt, kann sich künftig außer auf die Schlußakte von Helsinki und die getroffenen Vereinbarungen auch auf dieses Papier und diese Stelle des Papiers berufen.
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Das alles sind Entwicklungen, die auf die Lage der Nation Einfluß nehmen. Es sind Entwicklungen, die nicht Anlaß zur Sorge oder gar zu Ängsten, sondern Anlaß zu Hoffnungen geben, die neue Chancen eröffnen und neue Perspektiven möglich machen. Kein Geringerer - ich kann es Ihnen nicht ersparen - als der Herr Bundespräsident, auf den Sie, Herr Bundeskanzler, zu Recht Bezug genommen haben, hat das mit dankenswerter Klarheit ausgesprochen. Von ihm stammen folgende Sätze:
Der Gedanke der Koexistenz als Klassenkampf ist antiquiert und reaktionär.
- Sehr wahr. Koexistenz muß die Fähigkeit bedeuten, Konflikte politisch auszutragen und aufzuarbeiten, ohne daß eine der beiden Seiten den Anspruch auf den Besitz der Wahrheit in letzter Instanz erhebt.
- Sehr wahr. ({29})
Ein anderer Satz des Bundespräsidenten lautet:
Es geht heute zwischen Ost und West nicht um Kredite und Zuschüsse wie zur Zeit des Marshall-plans, sondern um eine Kooperation auf qualitativ neuem Niveau.
Schließlich:
Die Chance der systemöffnenden Zusammenarbeit bietet sich jetzt. Es gilt, sie kraftvoll und verantwortlich zu nützen.
Wir bejahen diese Chance der systemöffnenden Zusammenarbeit.
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Wir bejahen ebenso die Kooperation auf qualitativ neuem Niveau. Dazu gehört die Vertiefung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit; dazu gehört die Belebung des kulturellen Austausches; dazu gehört die Vervielfältigung der Kontakte zwischen den Institutionen und Organisationen. Die Städtepartnerschaften sind ein guter Anfang. Wir begrüßen die Kontakte zwischen der FDP und der Liberaldemokratischen Partei der DDR. Wir ermutigen die Union, ihre Begegnungsängste zu überwinden und auch entsprechende Kontakte herzustellen. Auch dies wäre eine Hilfe.
Zur Kooperation auf qualitativ neuem Niveau rechnen wir weiterhin einen neuen Anlauf zur Normalisierung der Situation in Berlin. Wir bedauern, daß die Anläufe, die Sie, Herr Kollege Diepgen, als Regierender Bürgermeister unternommen haben, aus einer ganzen Reihe von Gründen, unter anderem wohl auch deswegen, weil die Unterstützung aus Bonn nur halbherzig war, steckengeblieben sind. Mit der Anerkennung der Tatsache, Herr Kollege Diepgen, daß der Ostteil der Stadt für die DDR faktisch HauptstadtDr. Vogel
funktionen wahrnimmt - ich verweise unter anderem auf den bemerkenswerten Artikel Ihres Senators Kewenig - , mit der Forderung, daß der Berlin-Status konstruktiven Entwicklungen nicht engegensteht, und mit Ihrer Bemerkung, daß sich die beiden deutschen Staaten 15 Jahre nach Abschluß des Grundlagenvertrages auf die - wörtlich - „wirklich wichtigen Fragen konzentrieren müssen " und - wieder wörtlich - „eine ständige Wiederholung von Formeln und Schablonen uns hier überhaupt nicht weiterhilft", befinden Sie sich auf dem richtigen Weg. Sie können unserer Unterstützung sicher sein, wenn Sie ihn von neuem beschreiten, wenn Sie etwa Ihre Absicht, den Staatsratsvorsitzenden der DDR im Ostteil der Stadt zu besuchen, von neuem aufnehmen und alsbald verwirklichen. Sie würden damit im übrigen nur dem Beispiel Ihres Vorgängers, des jetzigen Bundespräsidenten, folgen.
Natürlich ist auch hier die Bundesregierung gefordert. Die Sache der Bundesregierung ist es beispielsweise, immer wieder auf die Gleichbehandlung der Bewohner von Berlin-West mit den Westdeutschen bei Besuchen in Berlin-Ost zu drängen - immer wieder! Das ist ein wichtiger Punkt für die Berliner.
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Es ist auch Sache der Bundesregierung, darauf zu achten, daß bei der Bildung einer gemischten Wirtschaftskommission die Interessen von Berlin-West gewahrt werden. Wir haben einen Antrag dazu eingebracht und hoffen, daß er breite Zustimmung findet.
In dem Zusammenhang können dann auch Projekte vorangebracht werden, die für Berlin von besonderer Bedeutung sind, etwa die Einrichtung einer modernen, leistungsfähigen, schnellen und attraktiven Eisenbahntransitverbindung und die Schaffung eines Stromverbundes unter Einschluß von Berlin.
Schließlich bedarf es einer intensiveren Zusammenarbeit auch auf dem Feld der Friedenssicherung. Die entsprechende Bestimmung des Grundlagenvertrages muß mit Leben erfüllt werden. Die Projekte einer chemiewaffenfreien Zone und eines atomwaffenfreien Korridors zeigen, was unter voller Wahrung der beiderseitigen Bündnisloyalitäten und auch unter Vermeidung des Anscheins eines deutsch-deutschen Sonderweges möglich ist.
Ich sage Ihnen voraus - wie bei allen anderen Punkten - : Es ist nur eine Frage der Zeit, bis jedenfalls ein Teil von Ihnen einen Teil dieser Gedanken zum Gegenstand ernsthafter Überlegungen macht.
Auch für Gespräche darüber, was unter der strukturellen Nichtangriffsfähigkeit der beiderseitigen Streitkräfte zu verstehen ist und welche Maßnahmen notwendig wären, um sie herbeizuführen und zu gewährleisten, erscheint die Zeit reif.
Warum, meine Damen und Herren - hier wende ich mich besonders an die Union - , begegnen Sie eigentlich all dem mit Mißtrauen und auch mit Ablehnung? Wie eigentlich - das ist meine Frage - wollen Sie die Fortschritte und Verbesserungen, deren Notwendigkeit wir übereinstimmend bejahen, erreichen, wenn nicht auf diesem Wege? Wie wollen wir denn etwa die volle Durchlässigkeit einer Grenze, an der keine Schüsse mehr fallen, die endlich aufhört, die blutende Wunde zu sein, wie Landesbischof Hempel in öffentlicher Veranstaltung den gegenwärtigen Zustand in Dresden zu Recht genannt hat, oder ein Mehr an Pluralität und Selbstbestimmung oder die völlig freie Zirkulation der Medien oder die Ansiedlung internationaler Institutionen in beiden Teilen Berlins erreichen?
Meine Damen und Herren, das ist wieder eine Frage an Sie: Wie wollen wir die Geschichts-, Kultur-, Sprach- und Gefühlsgemeinschaft über die Grenzen hinweg bewahren und vertiefen, wenn nicht durch einen immer breiteren und immer unbefangeneren Dialog? Wenn Sie einen besseren Weg wissen, dann sagen Sie ihn uns doch. Wenn Sie uns nicht glauben, dann fragen Sie doch die Menschen in der DDR, welchen Weg sie bevorzugen. Es gibt doch niemanden in der DDR, der nicht die von uns eingeleitete Deutschlandpolitik unterstützt und begrüßt und die eingetretenen Erleichterungen darauf zurückführt.
({32})
Natürlich haben auch wir die Leiden nicht vergessen, die vielen in der Vergangenheit auferlegt worden sind; etwa den Sozialdemokraten, die sich vor 40 Jahren der Zwangsvereinigung widersetzt haben. Das auszusprechen ist ein Gebot der historischen Redlichkeit. Aber, meine Damen und Herren, wir haben auch gelernt, daß Konfrontation und Verhärtung die Leiden gesteigert und die Trennung vertieft haben.
({33})
Außerdem, meine Damen und Herren - wieder geht die Frage in erster Linie an Sie - , haben wir doch gar keinen Grund, den friedlichen Wettbewerb der Systeme zu fürchten. Bei allem, was gerade wir Sozialdemokraten an unserer Ordnung für dringend reformbedürftig halten: Wo sind denn die ernstzunehmenden Kräfte in unserem Land, die für die Übernahme des heute in der DDR existierenden Systems eintreten würden, oder die es und über den Kopf stülpen wollen? Wo sind die denn? Das sind alles Schrekkensbilder, die letzten Endes ausschließlich für den innenpolitischen Gebrauch kultiviert und am Leben erhalten werden.
({34})
Wie die Menschen außerhalb unserer Grenzen, auch in dem Bereich, über den wir heute diskutieren, hinsichtlich wesentlicher Elemente der miteinander konkurrierenden Systeme denken, wie sie sich, wo immer möglich, in ihrer großen Mehrheit entscheiden würden, darüber gibt es doch wohl im ganzen Hause keinen Streit. Also stellen wir uns dem Wettbewerb selbstbewußt und nicht immer mit einem Anhauch von Ängstlichkeit und von Befangenheit.
({35})
Sie führen seit Monaten in Ihrer eigenen Partei und mit Ihrer Schwesterpartei Auseinandersetzungen, die mitunter in überaus polemischer Form, auch auf der persönlichen Ebene, ausgetragen wurden. Was dazu von unserer Seite zu sagen war, das haben wir unter anderem bei der ersten Lesung des Haushalts gesagt.
Ich will das hier nicht wiederholen. Aber wir übersehen natürlich nicht, daß diese Auseinandersetzungen auch einen grundsätzlichen Aspekt haben, daß es nicht nur um Wählerstimmen oder parteitaktische Manöver geht. Bei welcher Partei ginge es nicht auch darum? Da sollte sich die eine nicht über die andere erheben.
({36})
Wir sehen, es geht auch darum, welche Richtung die Union künftig einschlagen, an welchen Leitbildern und Grundgedanken sich die Union künftig eigentlich orientieren soll. Auch das ist übrigens ein Vorgang, der, wenn er in einer großen Partei stattfindet, für die Lage der Nation nicht ohne Bedeutung ist und wir den schon deshalb positiv werten, weil er, von seinen unerquicklichen Begleiterscheinungen einmal abgesehen, die Erneuerungsfähigkeit unserer gesellschaftlich-politischen Ordnung unter Beweis stellt. Daran ändert die Tatsache nichts, daß nach Ansicht ganz unbefangener Beobachter der Ausgang dieser Auseinandersetzung offen ist, ob sich diejenigen in Ihren Reihen durchsetzen, die spüren, daß fundamentale Entwicklungen und nicht nur, wie es manchmal heißt, der Zeitgeist Ihre bisherigen Positionen in Frage stellen, und die deshalb nach neuen Inhalten suchen und dabei in einzelnen Punkten zu ähnlichen Ergebnissen kommen wie wir, oder diejenigen, die sich wie in einer Wagenburg verschanzen und von Blasphemie reden, wenn ihnen gesagt wird, ihre politischen Tage seien gezählt. Diese Gruppierungen, meine Damen und Herren - das ist überhaupt nicht zu bestreiten - stehen sich bei Ihnen auch in der Deutschlandpolitik gegenüber.
Auf einem solchen Hintergrund fordern Sie uns - nicht heute, aber sonst immer wieder - zur deutschlandpolitischen Gemeinsamkeit auf, und Sie beklagen auch häufig den Verlust dieser Gemeinsamkeit. Das ist - milde ausgedrückt - erstaunlich. Mit welcher Ihrer streitenden Gruppen und mit welcher Position verlangen Sie denn Gemeinsamkeit, Herr Bundeskanzler? Die Trennungslinie, jenseits derer Gemeinsamkeit unmöglich ist, läuft doch nicht zwischen Ihrer Partei und uns, zwischen CDU und SPD, die Trennungslinie läuft mitten durch Ihr eigenes Lager. Bringen Sie das in Ordnung, Herr Bundeskanzler.
({37})
Wenn Sie das in Ordnung bringen, wenn Sie Klarheit schaffen, können wir weitersehen. Dann eröffnen sich neue Perspektiven.
({38})
Dann können wir uns vielleicht an Stelle fruchtloser Streitigkeiten und Verdächtigungen darüber, ob und inwieweit die deutsche Frage offen ist, auf die Feststellung verständigen, die Erhard Eppler vor kurzem in einer Diskussion, nicht irgendwo hier, sondern im Fernsehen der DDR, im Angesicht von, ich glaube, sicher eher Millionen Zuschauern, Bürgerinnen und Bürgern aus der DDR, getroffen hat, daß nämlich die deutsche Frage so offen ist wie die Weltgeschichte insgesamt und daß es keinen Abschnitt der Weltgeschichte gibt, von dem man behaupten könnte, sie sei an ihr endgültiges Ende gekommen.
({39})
Unabhängig davon werden wir Sozialdemokraten weiterhin unsere Pflicht auch auf diesem Gebiete tun. Wir tun sie als die älteste der deutschen Parteien und als die demokratische Partei, die das Wort Deutschland seit eh und je in ihrem Namen führt. Die Sorge um die Deutschen, gleich in welchem Staat sie leben und wessen Staates Bürger sie sind, ist und bleibt ein Stück der sozialdemokratischen Identität.
({40})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lintner.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Vogel, zu Beginn Ihrer Rede hatte ich fast den Eindruck, Sie hätten übersehen, daß der Bericht zur Lage der Nation noch einen zweiten Aspekt aufweist, nämlich: „Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland".
({0})
Deshalb ist heute nicht der Tag, über alles Mögliche zu reden, sondern heute muß über die Deutschlandpolitik gesprochen werden.
({1})
Das entspricht im übrigen auch, Herr Büchler, wie Sie hoffentlich wissen, den berechtigten Erwartungen der Deutschen, hier in der Bundesrepublik genauso wie in der DDR. Ich habe manchmal den Eindruck, es ist mehr das schlechte Gewissen, das Sie auf andere Themen ausweichen läßt;
({2})
denn Sie wissen sehr genau, daß die Differenzen in Ihrer Partei es eigentlich fast unmöglich machen, noch mit einer Zunge über dieses Thema für die SPD zu sprechen.
Meine Damen und Herren, das ist nicht unsere Haltung. Uns sind Deutschlandpolitik und Wiedervereinigung eine eigene Debatte hier im Deutschen Bundestag sehr wohl wert.
Die Forderungen, Herr Dr. Vogel, die Sie hier an die Bundesregierung mit dem Ihnen eigenen Pathos gerichtet haben, sind zum größten Teil Selbstverständlichkeiten, die die Bundesregierung in ihrer Politik dauernd beachtet, so etwa die Forderung nach der 48-Stunden-Regelung im Besuchsverkehr in Berlin oder die nach der Eisenbahnschnellverbindung, die Sie angesprochen haben. Seit Monaten, seit Jahren teilweise, sind das Angelegenheiten der Bundesregierung. Was soll es also?
Ehrlicherweise hätten Sie die Bundesregierung ermutigen müssen, auf dem eingeschlagenen Weg fortzufahren, und nicht hier eine künstliche Kritik üben sollen.
({3})
Meine Damen und Herren, natürlich gibt es in der Deutschlandpolitik Unerledigtes. Ich will nur darauf hinweisen, daß eine Unerträglichkeit z. B. darin liegt, daß in den sogenannten Sperrbezirk Besucher von uns nicht einreisen dürfen, obwohl es dorthin sehr viele verwandtschaftliche und freundschaftliche Beziehungen gibt und die Menschen unter den geltenden Einschränkungen sehr leiden.
Insgesamt kann man, glaube ich, feststellen, daß durch die Politik der Bundesregierung, durch unsere Bemühungen die Verhältnisse auch in der DDR in mancherlei Hinsicht anders, besser, geworden sind, als das früher der Fall war. Und die DDR - das ist das Entscheidende für mich - kann wohl auch nicht ohne größte Risiken wieder zum Nullpunkt zurückkehren. Gerade das muß ein Ziel unserer Deutschlandpolitik sein: nämlich Fortschritte so abzusichern, daß sie möglichst nicht mehr einseitig rückgängig gemacht werden können.
Das alles, meine Damen und Herren, täuscht selbstverständlich nicht darüber hinweg, daß die DDR ein totalitärer Staat ist - mit allen Konsequenzen. Dementsprechend müssen die Deutschen drüben immer noch darüber klagen, daß es an jeglicher Rechtssicherheit fehlt. Bezeichnenderweise steht ihnen noch nicht einmal ein Anspruch darauf zu, einen bestimmten Antrag überhaupt stellen zu können, von einem Anrecht, bei Ablehnungen auch die Gründe zu erfahren, ganz zu schweigen. Die SED bleibt also aufgefordert, die vorhandenen Willkürlichkeiten zu beseitigen und den für einen KSZE-Vertragspartner verbindlichen Menschen- und Grundrechtsstandard herzustellen.
Tief zufrieden bin ich damit, daß die Bundesregierung Fortschritte erzielt hat, ohne dabei von den Grundsätzen der Deutschlandpolitik Abstriche zu machen. Das gilt sowohl hinsichtlich der bekannten, vom Bundeskanzler ausdrücklich wieder genannten Rechtspositionen als auch für das große Ziel der Wiedervereinigung. Gerade dazu haben der Bundeskanzler und Ministerpräsident Strauß anläßlich des Besuchs von Erich Honecker klare, unmißverständliche Worte gebraucht.
Meine Damen und Herren, dabei ist es der Bundesregierung von der Opposition, speziell von der SPD, nicht leichtgemacht worden, positive Ergebnisse zu erzielen. Herr Dr. Vogel hat heute wieder eine Kostprobe dieser Bemühungen gegeben. In einer Art von vorauseilendem Wohlverhalten hat die SPD immer wieder einseitige Vorleistungen von der Bundesregierung angemahnt. Beispiele dafür sind - sie sind ja heute wieder genannt worden - die Frage der Staatsangehörigkeit und die Elbe-Grenze, und sogar der Wiedervereinigungsanspruch des Grundgesetzes ist in Frage gestellt worden. Die SPD möchte auch die zentrale Erfassungsstelle in Salzgitter lieber heute als morgen abgeschafft wissen. Dabei müßten eigentlich auch Sie, Herr Dr. Vogel, wissen, daß es in menschenrechtlicher Hinsicht in der DDR nach wie vor nicht zum besten steht, daß aber manche Rechtsverletzung mit Rücksicht auf die Tätigkeit genau dieser Stelle, die Sie abschaffen wollen, unterblieben ist.
Meine Damen und Herren, weitere Pluspunkte, die die Bundesregierung als Erfolge ihrer Deutschlandpolitik vorweisen kann, sind die zahlreichen neuen Verträge und Vereinbarungen, die auf wichtigen Gebieten zustande gekommen sind. Diese Verträge sind zusätzliche Berufungsgrundlagen, die den innerdeutschen Verhandlungen noch mehr Dynamik verleihen werden. So kann heute eigentlich schon festgestellt werden, daß das deutschlandpolitische Haus der Bundesregierung gut bestellt ist, und auch die Aussichten für die Zukunft stimmen zuversichtlich, zumal der oberste Repräsentant der SED, Generalsekretär Honecker, selbst ausdrücklich weitere Fortschritte in Aussicht gestellt hat.
Herr Dr. Vogel, Sie haben dann nach der Konzeption der Bundesregierung gefragt, und ich will Ihnen diese Konzeption gern darlegen. Maßstab für eine solche Konzeption muß der Auftrag des Grundgesetzes sein, den wir von der Union ohne Wenn und Aber auch aus eigener innerer Überzeugung bejahen und mittragen. Dabei kann es sich eigentlich nur darum handeln, deutschlandpolitische Positionen nicht nur statisch zu bewahren; vielmehr beinhaltet das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes einen offensiven Gestaltungsauftrag für unsere Politik.
({4})
Zentrales Anliegen dabei ist es, nicht nur den Anspruch auf Wiedervereinigung nicht aufzugeben, sondern den Willen zur Einheit bei den Deutschen auch lebendig zu halten und nach Kräften zu stärken. Dazu ist es unbedingt erforderlich, die Bindungen und Verbindungen zwischen den Deutschen hüben und drüben, aber auch zu den Deutschen in den Ostgebieten und im übrigen Ostblock möglichst zahlreich und eng zu knüpfen. Die Mittel dazu sind Vereinbarungen und Verträge, praktische Schritte, im Grunde genommen eben alles, was dazu geeignet ist, Kontakte und dauerhafte Bindungen zu schaffen. Ein solches Verbindungsgeflecht wird von Jahr zu Jahr wichtiger, weil die Verwandtschaften und Freundschaften aus der Zeit vor der totalen Abschirmung mit jedem Generationswechsel schwinden. An ihre Stelle müssen neue intensive Beziehungen treten.
Um ein solch enges Geflecht zu erreichen, ist es zwingend erforderlich, Vereinbarungen und Abmachungen mit den Mächtigen in der DDR zu treffen. Besuche - wie z. B. der Erich Honeckers hier in der Bundesrepublik Deutschland - liegen deshalb sowohl im Interesse der Deutschen in der DDR als auch in unserem eigenen. Die Alternative dazu, meine Damen und Herren, wäre eine mehr oder weniger strikte Abgrenzung. Sie würde zwar die Rechtspositionen schärfer deutlich machen, aber der Preis wäre ein ständiger Aderlaß an Gemeinsamkeiten. Im Ergebnis würde sich das Trennende vermehren. Eine solche Politik würde deshalb die Teilung vertiefen und damit auch dem Auftrag des Grundgesetzes nicht gerecht werden. Es gibt daher zu einer Politik der Verhandlungen und Vereinbarungen keine verantwortbare Alternative.
Meine Damen und Herren, der Wille zur Wiedervereinigung ist im übrigen auch die logische Voraussetzung für das Wahren von Rechtspositionen. Sie würden sonst blutleere Hülsen, wenn der Wille des deutschen Volkes nicht mehr dahinterstünde. Zu einer vernünftigen deutschlandpolitischen Position gehört
also beides: Kontakte schaffen und die vorhandenen, den Wiedervereinigungsanspruch stützenden Rechtspositionen ohne Einschränkungen wahren.
Veränderungen, wie sie sich durch die Anerkennung der Staatlichkeit der DDR durch den Grundlagenvertrag ergeben haben, kann die jetzige Bundesregierung nicht rückgängig machen, denn pacta sunt servanda; diesen Grundsatz bejahen wir uneingeschränkt.
Meine Damen und Herren, für uns sind die teilweise vorgefundenen, teils neu ausgehandelten Verträge und Abmachungen in der Deutschlandpolitik Instrumente zur Wahrung von Gemeinsamkeiten, zur Schaffung neuer Beziehungen und damit Instrumente zur Aufrechterhaltung des Wiedervereinigungsanspruchs. Darin liegt eben ein fundamentaler Unterschied zu den Auffassungen führender Politiker in der SPD. Wichtige Personen bei Ihnen begründen nämlich gerade die Absicht, die Wiedervereinigung als verbindliches politisches Ziel fallenzulassen, mit der in solchen Verträgen natürlich auch zum Ausdruck kommenden Eigenstaatlichkeit der DDR. Für diese SPD-Politiker sind die Vereinbarungen also letztlich nicht Instrumente der Einheit, sondern Elemente der Trennung.
Meine Damen und Herren, das kommt in vielen Äußerungen und Forderungen auch konkret zum Ausdruck. Sie haben selber von dem Grundsatzpapier zwischen der SPD und der SED gesprochen. Die Frage, wie die SPD eine solche gemeinsame Aktion im Lichte ihrer eigenen Geschichte nach dem Krieg verantworten will, müssen Sie selbst beantworten. Aber wir können den darin zum Ausdruck kommenden Wertrelativismus, Herr Dr. Vogel, nur als einen Verlust an demokratischer Substanz in Ihrer Partei bezeichnen.
({5})
Selbst unserem Ideengut nicht nahestehende Gesprächspartner in der DDR haben mir gegenüber vor kurzem die Sorge geäußert, daß die SPD vor lauter Gemeinsamkeit mit der SED vergessen könnte, daß es bei der Forderung nach Menschenrechten das Prinzip der Nichteinmischung nicht gibt; es existiert nicht! Es muß vielmehr selbstverständlich sein, sich in die von der SED als eigene Angelegenheiten reklamierten Fragen einzumischen, z. B. wenn es um die Forderung nach Freizügigkeit, nach dem Selbstbestimmungsrecht, nach dem Informationsrecht und ähnlich elementaren Rechten geht.
({6})
Meine Damen und Herren, das ist keine Abkehr vom Prinzip der Gewaltlosigkeit, wie mir bei diesem Gespräch unterstellt worden ist, sondern lediglich Ausdruck der Tatsache, daß diese Rechte der menschlichen Würde entspringen. Niemand - auch die verantwortlichen Kommunisten in der SED dürfen das nicht - darf sich hinter der Forderung nach Nichteinmischung verschanzen, wenn solche Rechte von ihm eingefordert werden.
Meine Damen und Herren, mit Sorge muß uns alle auch erfüllen, daß in der SPD die Freiheit als verteidigungswürdiger Wert offensichtlich in Vergessenheit zu geraten droht. Bezeichnend dafür ist z. B., daß gerade in dem von Ihnen ja hier eingeführten gemeinsamen Papier von SPD und SED zwar 30 mal vom Frieden, aber nur an einer einzigen Stelle überhaupt noch von der Freiheit die Rede ist. Meine Damen und Herren, dabei ist der Friede nur menschenwürdig, wenn die Freiheit dazukommt. Freiheit ermöglicht überhaupt erst echten Frieden. Das Millionenheer von DDR-Flüchtlingen zeugt davon. Mauer, Stacheldraht, Schießbefehl, politische Verfolgung sind Ausdruck solcher Unfreiheit, und sie dürfen auch nicht mittelbar gerechtfertigt werden.
({7})
Wir können auch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, Herr Kollege Büchler, wenn innerhalb der SPD die Forderung nach Wiedervereinigung als „Imperialismus" und „Chimäre" bezeichnet wird; so vor kurzem der SPD-Oberbürgermeister von Saarlouis, ein, wie es heißt, enger Vertrauter Ihres Ministerpräsidenten Lafontaine.
({8})
Ganz zu schweigen von dem umfangreichen Papier etwa des Kollegen Heimann vom Juni dieses Jahres, der ernsthaft empfohlen hat, das Wiedervereinigungsverlangen doch endlich aufzugeben, weil das deutsche Volk, so Heimann, diese allen anderen europäischen Völkern selbstverständlich zustehende Normalität für sich selbst nicht in Anspruch nehmen dürfe.
({9})
Heimann hat das nach seinen eigenen Worten im Namen der ganzen Bundestagsfraktion der SPD erklärt, und Herr Vogel als deren Vorsitzender hat unsere Aufforderung, das richtigzustellen, bis heute einfach ignoriert.
Dabei, meine Damen und Herren, wäre es in der Tat nach wie vor wünschenswert, wenn sich in grundlegenden Fragen der Deutschlandpolitik eine breite Übereinstimmung mit der Opposition in diesem Hause herstellen ließe. Das ist übrigens eine Forderung, die mir vor kurzem auch bei Gesprächen mit Bürgern in Ost-Berlin mit großem Nachdruck mitgegeben worden ist. Wer aber mit Gemeinsamkeiten solche mit Gegnern der Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit meint, wer diese Gemeinsamkeit der Gemeinsamkeit hier im Hause offenbar vorzieht, der wird seiner nationalen, seiner deutschlandpolitischen Verantwortung nicht gerecht.
({10})
Hier wäre es in der Tat wünschenswert, daß sich die SPD in der Deutschlandpolitik zu einer Verantwortungsgemeinschaft mit uns bereit finden würde. Das wäre konstruktiver als irritierende Gemeinsamkeit mit der kommunistischen SED.
Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist bereits abgelaufen. Deshalb kann ich eigentlich nur abschließend feststellen, daß die deutschlandpolitischen Anliegen bei dieser Bundesregierung in guten Händen sind. Wir verstehen uns dabei zugleich als
Anwälte, wenn wir etwa das Selbstbestimmungsrecht fordern, für die anderen Völker; denn dem Wesen nach können solche Rechte nicht nur für uns, sondern sie müssen auch immer gleichzeitig für andere eingefordert werden. Wir sind deshalb nicht etwa Gegner der Polen oder der übrigen Völker in dieser Sache, sondern wir sind ihre Mitstreiter, wenn es um die Gewährung dieser Rechte und um die Einführung von Freiheit und Demokratie geht.
Das nationale Anliegen der Deutschen ist bei der Bundesregierung in guten Händen. Das könnte eine zutreffende Überschrift über dem heute gegebenen Bericht sein. Daran wird sich - davon sind wir überzeugt - auch in Zukunft nichts ändern.
({11})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hensel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Lintner, wieder einmal habe ich nach Ihrer deutschnationalen Werberede begriffen, warum unsere Oppositionsarbeit noch stärker und noch deutlicher werden muß.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn heute die alljährliche Debatte zur Lage der Nation geführt wird,
({1})
so ist es gleichzeitig notwendig, zu Beginn klarzustellen, daß für uns GRÜNE das Fossil einer gesamtdeutschen Nation nicht mehr existiert. Ihnen ist bekannt, daß wir von der Existenz zweier deutscher Staaten ausgehen und von daher eine solche Debatte eigentlich auf das Gebiet der Bundesrepublik zu beschränken wäre.
({2})
Dann würden wir nämlich auch heute nicht über das Verhältnis zur DDR reden, sondern uns beispielsweise mit den skandalösen Vorgängen in Schleswig-Holstein befassen. Wir könnten versuchen aufzuklären, welche Rolle der Bundesfinanzminister in dieser Affäre, die in erster Linie die CDU betrifft, gespielt hat, und wir könnten darüber debattieren, wie weit es mit der politischen Kultur in diesem Lande gekommen ist.
Die letzte derartige Debatte hier in diesem Hause liegt bereits eineinhalb Jahre zurück. Das ist ein langer Zeitraum, in dem natürlich einiges geschehen ist. Ich habe in diesen Tagen eine Meldung erfahren, die meine besondere Aufmerksamkeit erregt hat. Es geht um den Besuch von drei Unionskollegen bei Vertretern unabhängiger und kirchlicher Gruppen der Friedensbewegung in der DDR. Dies ist vor allem deshalb bemerkenswert und positiv, weil damit eine alte Forderung unserer Partei aufgegriffen wurde. Lange schon - das wurde auch im Gespräch mit den Unionsvertretern wiederholt - haben nämlich die unabhängigen Gruppen in der DDR den Wunsch, daß sich auch die etablierten Parteien ihnen gegenüber genau so verhalten, wie wir GRÜNEN es seit Jahren praktizieren.
({3})
Denn die Kontakte zum anderen deutschen Staat sollen nicht nur auf der offiziellen Ebene von Partei- und Staatsführung gepflegt werden, sondern auch zu eigenständigen Gruppen und somit zu den Menschen der DDR. Es muß für die Kolleginnen und Kollegen der SPD beschämend sein, daß in dieser Sache die CDU die Nase vorn hatte. Es bleibt zu hoffen, daß auch bei den Sozialdemokraten dieses Beispiel Nachahmung findet.
Meine Damen und Herren, die Politik aller Parteien muß sich daran messen lassen, inwieweit sie den Menschen in beiden deutschen Staaten nützt. Eine rein abstrakte Politik, die in Denkschablonen von vorgestern erstarrt ist, entspricht nicht den gegenwärtigen Realitäten. Denn eine wesentliche Voraussetzung für eine zeitgemäße Politik ist ein Mehr an Ehrlichkeit, vor allem - das liegt uns sehr am Herzen - in Fragen der vielbeschworenen Menschenrechte. Nicht der möglichst wirksame PR-Auftritt ist dabei gefragt, sondern die kontinuierliche Kleinarbeit.
({4})
Insofern bleibt zu hoffen, daß der Unionsauftritt in der DDR keine Eintagsfliege bleibt, die pünktlich für die heutige Debatte inszeniert wurde, sondern tatsächlich eine Wende hin zu einer realitätsorientierten Umgangsweise auf diesem Gebiet ist.
({5})
Menschenrechte und Demokratie sind bedeutende Güter, deren Mißbrauch für vordergründige Zwecke sich grundsätzlich verbietet. Es scheint aber ein merkwürdiges Doppelspiel auf beiden Seiten der Grenze im Gange zu sein, das zu beobachten sich lohnt. Wenn in Kreuzberg Demonstrationen und Krawalle stattfinden, wendet sich die Ostberliner Presse gegen Polizeiübergriffe und heuchelt vollstes Verständnis für den Unmut der Bevölkerung, die unter der miserablen Politik des Westberliner Senates zu leiden hat, während die Westpresse die Auseinandersetzungen als Werk von Chaoten verurteilt. Wenn sich auf der anderen Seite zu Pfingsten Rockfans in Ost-Berlin Geplänkel mit den Sicherheitskräften liefern, ist dies natürlich für die Westpresse ein gefundenes Fressen, sich seitenlang über die undemokratischen Zustände im Osten auszulassen
({6})
und gleichzeitig ihr volles Verständnis für den Unmut der Rockfans kundzutun, während die Ostberliner Zeitungen die Vorgänge dann totschweigen oder als Werk einer kleinen Gruppe von Provokateuren darstellen.
Ob Chaot oder Demokrat, ob Provokateur oder Freiheitskämpfer, der Terminus ist abhängig vom Standort des Beobachters.
({7})
Der Umgang mit Gesellschaftskritik im eigenen
Lande ist immer schwieriger, als von außen die eige2176
nen Vorurteile zu pflegen. Die Gorbatschow-Rufe von Rockfans in Ost-Berlin zu Pfingsten dieses Jahres und die Forderungen nach dem Abriß der Mauer werden von der CDU/CSU doch nur solange bejubelt, wie diese Demonstranten sich auf der anderen Seite der Grenze bewegen.
({8})
Wenn hier in der BRD dieselben Menschen beispielsweise in Wackersdorf protestieren, dann allerdings laufen sie Gefahr, von den vormaligen Beifallsspendern kriminalisiert und diffamiert zu werden,
({9})
({10})
obwohl sie auch nichts anderes tun wie zuvor, nämlich demokratische Rechte wahrzunehmen und öffentlich ihre Meinung zu äußern. Der Liedermacher Stefan Krafczyk, der in der DDR mit Auftrittsverboten belegt ist, hätte mit seiner politischen Gesinnung auch Auftrittsverbot bei Veranstaltungen der Union. Aber solange er in der DDR lebt, kann er trefflich dazu herhalten, wenn sich die Union über Menschenrechte ausläßt.
Meine Damen und Herren, die Auseinandersetzung über die gesellschaftlichen Verhältnisse in beiden deutschen Staaten ist sicher notwendig, und die Probleme der Menschenrechte spielen dabei eine große Rolle. Es ist auch legitim, wie in der Drucksache 11/11 - das sind die Materialien zum Bericht zur Lage der Nation - , einen System- oder Gesellschaftsvergleich durchzuführen. Wenn Sie allerdings einen solchen Vergleich durchführen, dann bemühen Sie sich doch wenigstens um ein Minimum an Objektivität, und ersparen Sie uns die Peinlichkeit festzustellen, daß unter Verletzung elementarer wissenschaftlicher Methodik die bundesdeutsche Wirtschaft in ihrem theoretischen Ansatz dargestellt und bewertet wird und im Vergleich dazu für die DDR nur die realen Defizite angeführt werden.
({11})
Hier wird eine einzigartige Schönfärberei der bundesdeutschen Wirklichkeit betrieben, die an die Zeiten des Kalten Krieges erinnert. Es zeigt sich deutlich, daß Ihre Politik, meine Damen und Herren von der Union, in einer Sackgasse angelangt ist. Sie ist untauglich für eine grundlegende Verbesserung der bilateralen Beziehungen. Durch ihr absurdes und anachronistisches Beharren auf der nationalstaatlichen Wiedervereinigung blockiert Ihre Regierung letztendlich die freie Begegnung der Menschen untereinander
({12})
und trägt allen verbalen Kraftakten zum Trotz auch nicht zum Abriß der Berliner Mauer bei. Offenbar - eine Hypothese - will man den Status quo erhalten, auf beiden Seiten und aus unterschiedlichen Gründen.
Warum immer wieder dieses verlogene Lamentieren - wie wir es eben wieder gehört haben - über die deutsche Teilung und die gewünschte Wiedervereinigung?
({13})
Sie haben einfach nicht den Mut, dem deutschen Volk zu sagen: Die Nachkriegsrealitäten bestehen, wir erkennen sie und akzeptieren, daß die Wiedervereinigung zu einem deutschen Staat absurd und unmöglich ist. Ihnen geht es bei dieser Frage mehr um den Erhalt eines ultrarechten Wählerkreises von Ewiggestrigen. Das muß ich an dieser Stelle wirklich einmal sagen.
Zudem unterstützen das immer wiederkehrende Orakel über eine baldige und absehbare Wiedervereinigung oder Konföderation, der Selbstbetrug gesamtdeutscher Identität und der Vertretungsanspruch auch für die Bürger und Bürgerinnen der DDR Fluchtgedanken und Anpassungsverhalten dort. Es erzeugt psychologisch betrachtet eine Zwiespältigkeit von Neid, Ansprüchen, Trotz und Verachtung der DDRler gegenüber der westlichen Bevölkerung und umgekehrt ein Gemisch aus Arroganz, Protzigkeit und übertriebener Anteilnahme der Bundesbürger gegenüber der DDR-Bevölkerung.
({14})
Weder die Bundesregierung noch irgendeine andere Institution hierzulande kann als befreiende Kraft für die DDR-Gesellschaft wirken. Wenn Sie die Bevölkerung der DDR selbst entscheiden ließen, unter welchen Verhältnissen sie leben will, dann ist der Gesamtvertretungsanspruch der Bundesregierung dabei ein Hemmschuh.
Daß die GRÜNEN mit dieser Meinung nicht alleine stehen, mögen die folgenden Passagen aus einem Papier zeigen, welches in der DDR zur Zeit aufmerksam gelesen wird. Die Verfasser sind Mitglieder unabhängiger Gruppen in der DDR. Ich zitiere:
Gleichzeitig sehen wir den Anspruch von Politikern in der Bundesrepublik, für alle Deutschen zu sprechen. Es verstärken sich bei uns die Zweifel, ob wir auf diese Weise vertreten und in Anspruch genommen werden wollen. Es wächst die Abneigung, zu fremden Interessen benutzt zu werden.
Weiter heißt es da, daß die Nichtanerkennung der Staatsbürgerschaft der DDR durch die BRD den Bürgern dort nicht hilft.
({15})
Im Gegenteil - ich zitiere - :
Es werden Verhältnisse stabilisiert, die verändert werden müssen. Die Nichtanerkennung der Staatsbürgerschaft der DDR stützt faktisch
- hier sollten Sie gut hinhören, meine Damen und Herren von der Union die Aberkennung staatsbürgerlicher Rechte in unserem eigenen Land. So offenbart sich eine eigenartige, unbewußte Koalition derer, die in der Bundesrepublik lauthals für die Rechte ihrer
Landsleute in der DDR eintreten, und derer, die eben diese Rechte ihren Bürgern verweigern.
Dem ist soweit nichts mehr hinzuzufügen.
Ich hoffe allerdings, daß vor allem die CDU diese Botschaft aufnimmt, um zu verstehen, was Menschen in der DDR fühlen und denken. Ihre Politik dient nicht dem Nutzen der Menschen. Sie hat es verdient, auf dem Scheiterhaufen der Geschichte zu landen.
Auch die Regierungserklärung heute hat es wieder gezeigt: Es bedarf einer grundlegenden Wende hin zu einer zeitgemäßen und realistischen Deutschlandpolitik, um in die festgefahrenen Rituale eine neue Dynamik zu bringen. Verabschieden Sie sich endlich von der Option auf die nationalstaatliche Wiedervereinigung; denn nur die deutsche Zweistaatlichkeit schafft die Möglichkeit eines auf Dauer friedensfähigen Europas.
Die Beziehungen der beiden deutschen Staaten können nicht mehr als nationale Frage behandelt werden, sondern nur im Kontext der Europapolitik, im Kontext einer demokratischen europäischen politischen Kultur. Die deutsche Frage sollte Bestandteil einer Vision des friedlichen und befruchtenden Wettbewerbs und Austauschs zweier Systeme in Europa werden, jenseits von Militärblöcken und jenseits von staatlichen Zwangsmaßnahmen, die die freie Begegnung und die Kommunikation zwischen den Menschen behindern.
Beenden Sie endlich Ihre Sprachlosigkeit gegenüber den außenpolitischen Vorschlägen Gorbatschows, gegenüber den umfangreichen Verhandlungsangeboten der Warschauer-Pakt-Staaten und gegenüber dem Jaruzelski-Plan! Hier haben Sie greifbare Möglichkeiten, Verbesserungen in den Beziehungen und somit für die Menschen voranzubringen. Betreiben Sie eine Deutschlandpolitik, die die deutsch-deutschen Beziehungen als Bestandteil der Ost-West-Entspannung und der europäischen Friedensbemühungen begreift!
Meine Damen und Herren, Voraussetzung für eine neue Dynamik in der Deutschlandpolitik ist ein Klärungsprozeß innerhalb der Union. Wollen Sie weiterhin eine Wiedervereinigung - innerhalb welcher Grenzen eigentlich, Herr Lintner? - unter bundesdeutschen Vorzeichen mit enger Bindung an den Westen und somit die DDR aus dem Warschauer Pakt herausbrechen, oder hat gar eine national-neutralistische Politik eine Mehrheit, die zugunsten der Wiedervereinigung auf die Mitgliedschaft in den Blöcken verzichten möchte, wobei ein neutraler Staat aber letztlich nur unter der Schutzherrschaft der Sowjetunion lebensfähig wäre, also eine Neuauflage eines deutschen Sonderweges?
Sagen Sie jetzt nicht, das würde bei Ihnen nicht diskutiert. Im Gegenteil sind doch die entsprechenden Äußerungen unübersehbar gepaart - diesen Vorwurf müssen solche Leute auf sich sitzen lassen - mit einer gehörigen Portion Antiamerikanismus.
({16})
- Ich kann mir schon vorstellen, daß Sie das nicht
gerne hören; aber dieser Antiamerikanismus ist in der
Union zu finden und entspricht den Tatsachen. Lesen Sie dazu Ihre Papiere, beispielsweise von Herrn Friedmann!
Meine Damen und Herren, nach unserer Auffassung gibt es keine Zweifel, daß eine dauerhafte und tragfähige europäische Friedensordnung in nicht unbedeutender Weise von der Beseitigung deutscher Wiedervereinigungs- und Nationalitätsansprüche abhängt. Wenn die Blöcke, in die bisher die beiden deutschen Staaten eingebunden sind und in denen sie unter Kontrolle gehalten werden, verschwinden sollen, müssen andere internationale Regelungen geschaffen werden, um potentielle deutsche Hegemonialansprüche in Mitteleuropa grundsätzlich unmöglich zu machen.
({17})
Wir GRÜNEN fordern daher die Bundesregierung auf, im Rahmen des KSZE-Prozesses tätig zu werden. Es sollten Verhandlungen angeboten werden, in denen sich die BRD verpflichtet, auf einen deutschen Nationalstaat zu verzichten und Ost-Berlin als Hauptstadt der DDR anzuerkennen. Im Gegenzug soll sich die DDR natürlich verpflichten, die Bindung WestBerlins an die Bundesrepublik anzuerkennen und eine Freizügigkeit auf allen Gebieten zwischen den beiden deutschen Staaten in der Form zuzusichern, wie sie international üblich ist,
({18})
sowie eine feste Perspektive für den Abriß der Berliner Mauer aufzuzeigen.
Eine solche Initiative würde eine neue Dynamik der deutsch-deutschen Politik bewirken. Sie würde zeigen, daß die BRD - ({19})
- Ich wiederhole den Satz, wenn Sie besonderen Wert darauf legen:
Sie würde zeigen, daß die Bundesrepublik Deutschland die europäische Dimension dieser Frage begriffen hat. Sie würde für unsere europäischen Nachbarn glaubhaft machen, daß es keine deutsche Sonderrolle in Mitteleuropa geben wird, und kommt somit auch dem aus der Geschichte durchaus gerechtfertigten Sicherheitsbedürfnis der europäischen Staaten entgegen. Darüber hinaus bietet diese Vorgehensweise auch politische Lösungsansätze zur Überwindung der alliierten Vorbehaltsrechte in bezug auf Deutschland als Ganzes.
Die KSZE als Gremium ohne völkerrechtliches Mandat kann sich dabei auf die politischen Lösungsmöglichkeiten konzentrieren und die Bedingungen für verbindliche Abmachungen ausloten, unbeschadet der komplizierten Rechtslage. Eine politische Lösung, die alle Beteiligten tragen, kann dann Bestandteil einer europäischen Friedenskonferenz mit dem Ziel eines blockfreien Europas werden.
({20})
Nach Auffassung der GRÜNEN kann diese Initiative Bestandteil einer neuen Dynamik in dem Bemühen um die europäische Einigung sein. Sie erscheint uns als eine angemessene Antwort auf die weitrei2178
chenden Angebote Gorbatschows und als die Möglichkeit, darauf nicht nur hilflos zu reagieren oder wie das Kaninchen auf die Schlange zu starren, sondern ist ein Ansatz, der aktive Mitgestaltung an diesem europäischen Gebäude möglich macht.
Meine Damen und Herren, noch einen Satz zum Antrag der SPD bezüglich der Aufnahme offizieller Kontakte mit der Volkskammer. Selbstverständlich - und das ist in diesem Haus bekannt - entspricht dieser Antrag unseren ureigensten Forderungen. Deshalb haben wir auch darauf verzichtet, einen eigenständigen Antrag einzubringen. Dieser Verzicht ist aber auch mit der Hoffnung auf eine möglichst breite Zustimmung möglichst aller Parteien, aller Fraktionen in diesem Deutschen Bundestag verbunden. Nach unserer Auffassung könnte hier ein deutliches Signal gesetzt werden. Zwar wäre dies noch nicht die von uns gewünschte Dynamik, aber immerhin ein erstes Zukken des festgefahrenen Vehikels deutsch-deutscher Politik.
Ich danke Ihnen.
({21})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Regierungserklärung hat, so glaube ich, deutlich gemacht, daß Deutschlandpolitik wieder an Aktualität gewonnen hat - hüben und drüben. Ich hoffe, die Debatte des heutigen Vormittages wird das bestätigen.
Herrn Kollegen Vogel ist leider zuzustimmen, wenn er selbstkritisch feststellt, daß unser parlamentarischdemokratisches System angesichts der bedrückenden Vorgänge in Schleswig-Holstein in dieser Stunde nicht gerade über besondere Strahlkraft verfügt.
Meine Damen und Herren, dagegen ist das Thema Erfassungsstelle Salzgitter jedenfalls noch kein Thema für die Freien Demokraten. Wer Salzgitter beseitigen will, der soll erst den Schießbefehl aus der Welt bringen.
({0})
Meine Damen und Herren, für die Lage der Nation war es dann ja wohl auch überfällig, den deutschdeutschen Dialog auf den so wichtigen Feldern Umweltschutz, Wissenschaft und Technologie und Strahlenschutz endlich zu aktivieren, wie es heute in der Regierungserklärung noch einmal präsentiert werden konnte. Im übrigen, so meinen wir, gibt uns der Dreiklang Friedenssicherung, menschliche Begegnungen und wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie stärkere Internationalisierung der deutschen Frage die Aufgaben vor, denen wir uns miteinander zu stellen haben.
Im Dialog zwischen Ost und West unterstützen wir - über den sich abzeichnenden Vertrag über die Beseitigung der Mittelstreckenwaffen hinaus - alle Vereinbarungen, die unter Wahrung unserer Sicherheitsinteressen die militärischen Potentiale beiderseitig verringern. Ich frage aber die SPD, ob sie durch ihre Flut von Anträgen zu diesem Thema der Sache nun wirklich noch dient
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oder ob sie, was ja auch verständlich ist, daraus nur politisches Kapital schlagen will, dabei dann aber letztlich doch die Interessen der Bundesrepublik im Bündnis aufs Spiel setzt.
Meine Damen und Herren, was nun die Kontakte zur Volkskammer angeht, so ist die FDP-Fraktion schon seit langem dafür eingetreten,
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Beziehungen zwischen dem Bundestag und der Volkskammer in der Art aufzunehmen, wie es in der Interparlamentarischen Union üblich ist. Allerdings muß die DDR die gleichberechtigte Behandlung aller Mitglieder des Bundestages, also auch der Berliner, sicherstellen.
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Und da sich der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU zu diesem Thema in gleicher Weise geäußert hat, können wir, so hoffe ich, erwarten, daß der vorliegende Antrag im Ausschuß Übereinstimmung finden wird.
Mit dem Antrag zum Thema „Gemischte Wirtschaftskommission" knüpft die SPD an ein gemeinsames Votum des Innerdeutschen Ausschusses an. Denn dort waren wir bereits vor einer Woche darüber einig,
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daß eine gemischte Wirtschaftskommission auf der Grundlage des geltenden Rechts arbeiten muß und daß die Rolle Berlins mit der Treuhandstelle für den Interzonenhandel nicht geschmälert werden darf und Berlin Tagungsort bleiben muß.
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Wenn uns von „grünen" Politikern die Anerkennung der deutschen Teilung als deutscher Friedensbeitrag angepriesen wird, dann ist das eine Lösung, die Deutschlandpolitik pervertieren würde.
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Die Machthaber in der DDR und in der kommunistischen Welt würden frohlocken; die Menschen in Ost und West aber wären schockiert.
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Wer das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen so mit Füßen tritt, wird keinen Frieden stiften, sondern nur schädliche Irritationen hervorrufen.
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Heute vor 20 Jahren, fast auf den Tag genau, nämlich am 13. Oktober 1967, erklärte Herbert Wehner im Anschluß an eine Regierungserklärung des damaligen Außenministers Willy Brandt: „Solange die Bundesregierung auf deutschem Boden die einzige Regierung ist, die frei, rechtmäßig und demokratisch gewählt ist, kann sie sich der Pflicht nicht entziehen,
auch für die Deutschen zu sprechen, die ihren eigenen Willen nicht frei geltend machen können". Gemeint war dabei nicht die Bevormundung unserer Landsleute. Vielmehr ging es darum, Deutschlandpolitik als Ausdruck der gesamtdeutschen Verantwortung zu verstehen.
Heute nun, 20 Jahre später, meinen manche, mit dem Honecker-Besuch habe die Bundesregierung eben von dieser Verantwortung für alle Deutschen Abschied genommen; der Besuch habe die Teilung vertieft.
Aber wir haben uns mit dem Besuch keineswegs von der gesamtdeutschen Verantwortung distanziert. Im Gegenteil. Es wurden in der praktischen Politik Möglichkeiten eröffnet, daß mehr Menschen in Deutschland zueinander kommen können und daß das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen gestärkt wird.
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Daß das mit dem Besuch verfolgte Ziel auch mit dem Gewinn an Status, Prestige und Stabilität der DDRFührung verbunden war, haben wir im Interesse der Menschen in beiden deutschen Staaten in Kauf genommen.
Und so hat der Besuch die Chancen für die Fortsetzung des deutsch-deutschen Dialogs verbessert. Er ist ein Wechsel auf die Zukunft, den es jetzt einzulösen gilt.
Der gute Wille der DDR steht auf dem Prüfstand. Sie hat jetzt den Vertrauensvorschuß zu rechtfertigen, den die Bundesregierung ihr entgegengebracht hat.
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Aber der Honecker-Besuch hat auch wieder einmal gezeigt, in welchem Spannungsfeld Deutschlandpolitik heute und in absehbarer Zukunft gestaltet werden muß. Sie bleibt eingebettet in eine Politik zwischen Washington und Moskau. Sie bedarf, um erfolgreich zu sein, der Unterstützung durch unsere westlichen Freunde und auf seiten der DDR der Absicherung durch die Sowjetunion.
Das Ziel unserer Deutschlandpolitik bleibt, wie Egon Bahr schon 1970 anläßlich der Unterzeichnung des Moskauer Vertrages mit großer Klarheit und Bestimmtheit formuliert hat, „unverändert die staatliche Einheit und die freie Selbstbestimmung". „Der Versöhnung mit den Völkern des Westens kann" - so Egon Bahr damals - „eine Aussöhnung mit den Völkern des Ostens nur folgen, wenn dem deutschen Volk das Ziel seiner Einheit nicht versperrt wird. Anders würde an die Stelle des alten Mißtrauens ein neues gesetzt."
Meine Damen und Herren, nichts ist für unsere Deutschland- und Berlinpolitik wichtiger als Standfestigkeit, Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit. Reden und Handeln müssen übereinstimmen, wenn unsere Politik ihre Durchsetzungsfähigkeit und Oberzeugungskraft behalten will.
So war es nach unserer Meinung wenig überzeugend, wenn wir einerseits von Berlin als dem Prüfstein unserer Deutschlandpolitik sprechen und es andererseits nicht durchsetzen, daß Berlin in die Fortschritte bei der Entwicklung der innerdeutschen Beziehungen einbezogen wird.
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Ich denke hier besonders an die von der DDR zugesagte Zwei-Tage-Besuchsregelung für Berliner.
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Was die künftigen Kontakte zwischen dem Bundestag und der Volkskammer angeht, so wäre die DDR gut beraten, wenn sie die dem jetzigen Bundestagspräsidenten zugesagte Regelung der Einbeziehung Berlins auch erfüllen würde, damit sie gegenüber dem Parlamentspräsidenten nicht wortbrüchig ist.
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Meine Damen und Herren, der Honecker-Besuch, der als neue Öffnung in den deutsch-deutschen Beziehungen verstanden wird, wäre wahrlich auch Anlaß gewesen, die Rentner endgültig vom Zwangsumtausch zu befreien, der in der Abgrenzungsphase verhängt wurde und der mit 15 DM für die Rentner immer noch fortbesteht.
Was gilt es nun klarzustellen, wenn wir Deutschlandpolitik aktiv gestalten wollen? Wohin wollen wir gehen? Deutschlandpolitik muß ihrem Anspruch, auch Menschenrechtspolitik für Deutsche in der DDR zu sein, gerecht werden. Dazu gehört, daß sie nicht nachläßt, den Zusammenhang zwischen Friedenssicherung und Verwirklichung der Menschenrechte darzustellen. Menschliche Begegnungen und Kontakte sowie spürbare Verbesserungen im Reiseverkehr bleiben für uns die zentralen Punkte der Beziehungen zur DDR.
Die DDR ist aufgefordert, die im gemeinsamen Kommuniqué getroffenen Abreden gerade in diesem Bereich zügig umzusetzen.
Aber auch die Bundesregierung muß gegenüber der DDR deutlich machen, wo unsere Prioritäten liegen und was es nunmehr zügig in Angriff zu nehmen gilt.
Jubelposen aus innenpolitischen Gründen einzunehmen ist immer wieder verlockend. Aber nur, was der DDR konsequent abverlangt wird, ist an Zugeständnissen von ihr zu erreichen. Als fördernde Mitglieder unseres freiheitlichen Systems werden sich die Machthaber in Ost-Berlin nie verstehen.
Deshalb verlangt unsere Durchsetzungskraft immer wieder nach jener Gemeinsamkeit, die wir im Jahre 1984 in so erfreulicher Weise zwischen SPD, CDU, CSU und FDP herstellen konnten.
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Im Moment habe ich allerdings den Eindruck, als liefe die Opposition manchmal vor der SED einher. Dabei kommen dann Überholmanöver zustande, die
für die Deutschlandpolitik nicht immer bekömmlich sind.
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Um der Zementierung der Teilung erfolgreich entgegenzuwirken, müssen wir stärker als bisher die Europapolitik in unsere deutschlandpolitischen Überlegungen einbeziehen.
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Wenn wir die unnatürliche Teilung Deutschlands und Europas überwinden wollen, dann müssen wir die Elemente der gesamteuropäischen Zusammenarbeit wie den KSZE-Prozeß, die europäische Integration, Abrüstung und Rüstungskontrolle mit neuer Dynamik versehen.
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In diesem Sinne sollten wir bereit sein, unsere Deutschland- und Berlinpolitik gegenüber unseren westlichen Freunden und Verbündeten transparenter zu machen. Wir sollten ihre Ziele und Inhalte ihnen gegenüber, so meine ich, noch stärker verdeutlichen.
Meine Damen und Herren, ich habe damit für die Freien Demokraten die Aufgaben, Bindungen und Chancen angesprochen. Das ist das ABC unserer Deutschlandpolitik. Wer es richtig buchstabiert, macht Deutschlandpolitik zur Friedenspolitik.
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Lassen Sie mich nun abschließend noch ein Wort zu Berlin sagen. Gerade für unsere Stadt hat das neue Denken, wie es Generalsekretär Gorbatschow proklamiert, nämlich die Wechselwirkung zwischen innen-und außenpolitischer Vertrauensbildung, eine besondere Bedeutung. Dabei bleibt es dann für uns besonders wichtig, was die Parteivorsitzenden von CDU/CSU, SPD und FDP am 19. Juni 1978 gemeinsam formuliert haben:
Die Berlin-Frage ist untrennbar mit der deutschen Frage verknüpft. Bis zu deren Lösung bleibt Berlin Ausdruck und Sinnbild der als Folge des Zweiten Weltkrieges entstandenen Trennung der Deutschen und eine Aufforderung an alle politischen Kräfte, die Teilung auf friedlichem Wege zu überwinden.
Meine Damen und Herren, wie lang dieser Weg sein wird, weiß niemand. Wir wissen aber, daß die deutsche Teilung wider den Sinn der Geschichte ist. Deshalb werden wir sie in einem friedlichen Europa überwinden.
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Das Wort hat die Bundesministerin für innerdeutsche Beziehungen, Frau Dr. Wilms.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der heutige Bericht des Bundeskanzlers macht deutlich, daß sich die Lage der Nation im geteilten Deutschland in letzter Zeit erkennbar verbessert hat. Die menschlichen Begegnungen sind häufiger und dichter geworden. Dazu haben vor allem die vermehrten Reisemöglichkeiten unserer Landsleute aus der DDR, insbesondere für jüngere Menschen, beigetragen. Wir erwarten, daß sich dieser positive Trend weiter fortsetzt und daß die DDR die dort nach wie vor vorhandenen Westkontaktverbote deutlich reduziert.
Die bisherige Praxis der Reise- und Einreiseverbote führt zu viel menschlichem Leid, wie ich immer wieder aus Briefen erfahre. Die Bundesregierung wird sich deshalb auch künftig für einen freien Reiseverkehr ohne Verbote und Reglementierungen einsetzen.
Ein dringendes Problem bleibt in diesem Sinne - ich wiederhole, was Kollegen vorher gesagt haben - die Zulassung von Übernachtungsmöglichkeiten bei Tagesbesuchen im Berliner Reise- und Besucherverkehr. Eine dahin gehende Regelung ist überfällig.
Neue Perspektiven könnten sich eröffnen, wenn Tourismusreisen von Ost nach West geschaffen und von West nach Ost qualitativ verbessert werden. Die Bundesregierung schenkt diesem Thema besondere Aufmerksamkeit.
Dies gilt vor allem aber auch für die Übersiedlungspraxis, die ohne zusätzliche Einschränkungen fortgesetzt werden muß.
In diesem Zusammenhang wende ich mich auch an die Bürger unseres Landes mit der Bitte, die Besucher und Übersiedler aus der DDR bei uns herzlich willkommen zu heißen und sie unsere menschliche Verbundenheit als Landsleute spüren zu lassen. Mit der Erhöhung des Begrüßungsgeldes hat die Bundesregierung ein Zeichen der nationalen Solidarität gesetzt, doch entscheidend bleibt die millionenfache menschliche Solidarität zwischen den Angehörigen unseres Volkes.
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Erfreuliche Entwicklungen zur Verstärkung der menschlichen Begegnungen gibt es auch durch die langsam wachsende Zahl von Städtepartnerschaften, die demnächst etwa 20 betragen wird. Angesichts der über 500 in meinem Ministerium registrierten Wünsche ist dies alles nur ein bescheidener Anfang. Aber auch er wäre vor wenigen Jahren noch unvorstellbar erschienen. Die Bundesregierung begrüßt diese Partnerschaften insbesondere dann - dies möchte ich unterstreichen - , wenn sie als eine weitere Möglichkeit der Kommunikation der Bürger und des bürgerschaftlichen Austausches gesehen und genutzt werden.
Ich möchte ebenfalls die Fortschritte im Bereich der sportlichen Begegnungen und im Jugendaustausch erwähnen. Hier ist vor allem auch die Einbeziehung der Berliner in den Jugendtourismus hervorzuheben.
Eine besonders positive Entwicklung weist die kulturelle Zusammenarbeit im geteilten Deutschland auf. Das im vergangenen Jahr abgeschlossene Kulturabkommen hat diesem Bereich spürbare Impulse gegeben und zu vielbeachteten Ausstellungen, Gastspielen und anderen kulturellen Ereignissen geführt. Mit Befriedigung können wir verzeichnen, daß sich
beide Seiten für die Jahre 1988 und 1989 auf etwa 100 Vorhaben verständigt haben, nahezu fünfmal soviel wie bisher. Wir sollten die identitätsstiftende Wirkung solcher kulturellen Austauschmaßnahmen für die deutsche Nation nicht unterschätzen.
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Der Besuch von Generalsekretär Erich Honecker, der für viele in unserem Lande emotional schwierig zu bewältigen war, muß als Zwischenstufe auf einem langen Weg gesehen werden, der zu einem geregelten Miteinander im geteilten Deutschland führen soll, solange die Teilung selbst nicht überwunden werden kann. Der Arbeitsbesuch - das möchte ich noch einmal betonen - hat an den rechtlichen Grundlagen, den Bedingungen und Zielen unserer Deutschlandpolitik nichts verändert. Niemand hat dies unmißverständlicher klargestellt als Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner bedeutenden Tischrede in der Redoute. Die Systemgegensätze, die unterschiedlichen nationalen Zielvorstellungen sowie die jeweiligen Bündnispflichten sind nicht verwischt oder ausgeklammert worden; sie sind öffentlich und offen dargestellt worden.
Dies unterscheidet sich wohltuend von dem aus unserer Sicht verfehlten Ansatz des SPD/SED-Strategiepapiers zur gemeinsamen Sicherheit.
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Herr Honecker verwies auf das Bild von Feuer und Wasser. Wir nennen den Gegensatz zwischen freiheitlicher Demokratie und dem totalitären Herrschaftsanspruch des Kommunismus einen fundamentalen Werteunterschied, der in dem erwähnten SPD/SED-Papier verwischt wird.
Die deutliche Markierung der unterschiedlichen Positionen dient der gegenseitigen Berechenbarkeit nach innen wie nach außen. Wir wissen: Die in der DDR Regierenden sind nicht demokratisch legitimiert, und sie sind verantwortlich für viele Verletzungen der Menschenrechte. Aber wir wissen auch, daß wir den Menschen im geteilten Deutschland nur dann wirksam helfen können, wenn wir mit denjenigen reden und verhandeln, die in der DDR die Verantwortung tragen. Ich denke, vor der Geschichte wird entscheidend sein, was wir trotz unterschiedlicher Grundpositionen und ohne Preisgabe unserer Prinzipien für unsere Nation in praktischer Hinsicht erreicht haben.
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Im Vorfeld wie im Verlauf des Arbeitsbesuches von Generalsekretär Honecker sind die drei Abkommen über eine Zusammenarbeit auf den Gebieten Umwelt, Wissenschaft und Technik sowie Strahlenschutz unterschrieben worden. Wir hoffen, daß sie bald durch konkrete Projekte mit Leben erfüllt werden.
Daß Berlin mit seinem gesamten Potential in all diese Vereinbarungen einbezogen ist, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Jede Deutschlandpolitik ist zugleich Berlin-Politik. Die Bundesregierung hat mit allem Nachdruck deutlich gemacht, daß sich die innerdeutschen Beziehungen nicht um Berlin herum entwickeln können und werden.
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Die Deutschlandpolitik der Bundesregierung dient vorrangig den Menschen in Deutschland, aber auch dem Frieden in Europa. Es gilt, die Folgen der Teilung zu mildern, Spannungen abzubauen, Vertrauen aufzubauen und damit auch auf nichtmilitärische Weise den Frieden in Europa sicherer zu machen. Das umschließt auch die Verwirklichung der Menschenrechte. Wer sich zum Frieden bekennt, muß diesem Bekenntnis auch nach innen durch Fortschritte bei der Realisierung der Menschenrechte Glaubwürdigkeit verleihen.
Diese Forderung hat allgemeine Gültigkeit. Sie gilt daher auch im Hinblick auf die Deutschen, die jenseits von Oder und Neiße, die in den Staaten Ost- und Südosteuropas leben. Ihre menschenrechtliche Lage ist besonders bedrückend. Denn sie haben nicht nur unter der Herrschaft des Kommunismus zu leiden, sondern ihnen werden darüber hinaus ihre international verbrieften Volksgruppenrechte verweigert.
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Sie sind auch vom Verlust ihrer Identität als Deutsche bedroht. Ihnen Hilfe und Beistand zu gewähren, ist deshalb ein selbstverständlicher Auftrag auch der Deutschlandpolitik der Bundesregierung und ein Gebot menschlicher Solidarität.
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Wir streben ein Verhältnis der guten Nachbarschaft zur DDR an, in dem Bewußtsein, daß dort Deutsche leben wie hier und daß wir als Deutsche eine lange gemeinsame Geschichte hinter uns wissen, an der beide Seiten als Erben teilhaben. Das verleiht dem Verhältnis zwischen den beiden Staaten in Deutschland das Besondere, das zu leugnen sinnlos ist.
Für Illusionen und Trugbilder bleibt jedoch kein Platz. Wir wissen, welch überragenden Stellenwert der sogenannte reale Sozialismus in der DDR für die Sowjetunion hat. Wir wissen aber auch, was wir selbst wollen, nämlich: in einem vereinten Europa in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollenden. Da steht Interesse gegen Interesse. Diese Konstellation läßt sich auch nicht einfach wegdiskutieren. Allerdings verurteilt sie auch nicht zur Immobilität. Die Interessen beider Staaten gewähren vielmehr die Möglichkeit zu einem vernünftigen Miteinander der beiden Staaten in Deutschland. Es geht darum, soviel Miteinander zum Wohle der Menschen und im Sinne der Einheit der Nation zu praktizieren, wie es die Unvereinbarkeit der Systeme zuläßt.
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Ich bin davon überzeugt, daß im langen geschichtlichen Prozeß Europas auch die staatliche Einheit der Deutschen wieder auf der Tagesordnung stehen wird. Diese Gewißheit zu bewahren und alle Entwicklungen zu fördern, die diesem Ziel dienen, ist Aufgabe der heutigen Politik. Das bedeutet Festhalten an den deutschen Rechtspositionen, Offenhalten der deutschen Frage und Förderung aller Schritte, die zur Überwindung der deutschen wie der europäischen Teilung im Geiste der Freiheit beitragen.
Die Einheit Deutschlands in der Einheit Europas suchen, das ist eine realistische Perspektive, die, wie
Alfred Dregger zu Recht sagt, nichts aufs Spiel setzt, weder den Frieden noch unsere Freiheit noch unsere Sicherheit. Ich füge hinzu: auch nicht unsere Glaubwürdigkeit. Diese Perspektive liegt im deutschen Interesse, heute wie in der Zukunft.
Meine Damen und Herren, ich denke, es ist wichtig, diese Grundsätze, Bedingungen und Zielsetzungen im Bewußtsein der Menschen zu verankern, hierzulande wie im internationalen Bereich. Deshalb muß Deutschlandpolitik auch ganz bewußt als Aufgabe der politischen Bildung und Forschung verstanden werden. In diesem Sinne ist auch der umfassende Vergleich der Wirtschaftssysteme in den beiden Staaten in Deutschland zu sehen, der schon im April dem Deutschen Bundestag als Materialie zum heutigen Bericht zur Lage der Nation zugeleitet wurde.
Die Bundesregierung hat damit eine Übung der Jahre 1971 bis 1974 wiederaufgenommen. Sie mißt solchen Beiträgen unabhängiger Wissenschaftler eine große Bedeutung bei, weil sie wertvolle Orientierungshilfen geben. Wir wollen dies auch künftig weiterführen und dem Deutschen Bundestag von Zeit zu Zeit wissenschaftlich aufbereitete Materialien zum Fakten- und Systemvergleich auch anderer wichtiger Lebensbereiche vorlegen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung der Deutschlandforschung hervorheben. Neben der DDR-Forschung und dem innerdeutschen Vergleich ist der Ausbau derjenigen Forschungsbereiche unerläßlich, die sich mit den historischen, zeitgeschichtlichen, rechtlichen und europapolitischen Zusammenhängen der deutschen Frage befassen. Deutschlandforschung ist für die Zukunftsaussichten der freiheitlichen Demokratie in ganz Deutschland und in ganz Europa und für die Überwindung der Teilung lebenswichtig.
Wir beabsichtigen, in angemessener Kooperation mit Vertretern von Forschung und Lehre deutschlandpolitisch relevante Fragen vermehrt zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung zu machen. Hier wie in der deutschlandpolitischen Bildungsarbeit geht es darum, Kenntnisse über die Sachverhalte und Probleme im geteilten Deutschland zu vermitteln und das Bewußtsein von der Zusammengehörigkeit der Deutschen wachzuhalten. Dies richtet sich insbesondere an die junge Generation, deren Fragen nach der deutschen Identität, nach der Rolle Deutschlands in Geschichte, Gegenwart und Zukunft wir beantworten müssen, damit sie nicht andere beantworten.
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Diese Bildungsaufgabe ist selbstverständlich nicht allein Sache des Bundes, sondern hauptsächlich der Länder. Wir sind hier zur Kooperation bereit und rechnen unsererseits auf die Kooperationsbereitschaft der Länder.
Ein besonders effektives Mittel der deutschlandpolitischen Bildungsarbeit ist die eigene Anschauung. Deshalb fördert das Ministerium auch ganz gezielt Fahrten von Jugendlichen in die DDR und nach Ost-Berlin. Im vergangenen Jahr nahmen fast 68 000 junge Menschen an solchen Fahrten teil.
Meine Damen und Herren, aber nicht nur nach innen, sondern ebenso nach außen muß deutschlandpolitische Bildungsarbeit geleistet werden. Die offene deutsche Frage, die Probleme der Teilung unseres Vaterlandes sind Themen der internationalen Politik und müssen es bleiben.
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Gerade weil hin und wieder auch im westlichen Ausland eine gewisse Zurückhaltung gegenüber der deutschen Frage spürbar wird und Erkundigungen über deutschlandpolitische Absichten laut werden, sollten unsere deutschlandpolitische Konzeption und Handlungsweise im internationalen Bereich verstärkt thematisiert und erläutert werden.
Mein Ministerium hat deshalb einen Schwerpunkt der Bildungsarbeit in der Information von Ausländern gesetzt. Das Angebot umfaßt beispielsweise deutschlandpolitische Bildungsveranstaltungen für Ausländer, Seminare für Betreuer ausländischer Besucher, fremdsprachliche Publikationen oder auch die deutschlandpolitische Information der bei uns akkreditierten Botschafter.
Ich denke, wir sollten für diese wichtige Auslandsarbeit alle verfügbaren Einrichtungen und Möglichkeiten nutzen, selbstverständlich auch unsere Botschaften. Aber etwa auch unsere Goethe-Institute könnten sich dieser Thematik annehmen.
Unsere Botschaft an das Ausland muß dabei klar und unmißverständlich sein: Isolierte Lösungen, deutsche Sonderwege, womöglich in den Neutralismus, stehen nicht zur Debatte. Wir streben eine politische Lösung der deutschen Frage im Rahmen eines gesamteuropäischen Prozesses gemeinsam mit unseren Nachbarn an. Der Weg zur deutschen Einheit geht über Freiheit und Selbstbestimmung. Dies sind klare Maßstäbe, die unsere Deutschlandpolitik berechenbar machen, nach innen wie nach außen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schmude.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir stimmen darin überein, Frau Minister Wilms: Die Lage der geteilten Nation hat sich verbessert. Und in diesem Rahmen ist der Besuch des Staatsratsvorsitzenden und Generalsekretärs Honecker in der Bundesrepublik mit vollem Recht als deutschlandpolitischer Erfolg zu werten.
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Er ist ein Erfolg, aber nicht nur der Bundesregierung, sondern vielleicht noch mehr derjenigen, die unter schwierigen Bedingungen die Grundlagen und Voraussetzungen dafür geschaffen haben. Auch für uns Sozialdemokraten nehmen wir deshalb diesen Erfolg in Anspruch und haben uns entsprechend verhalten, durch Unterstützung der Einladung und Befürwortung des Treffens ebenso wie durch unsere positiven Stellungnahmen zum Besuch und zu den Gesprächen selbst.
Herausragende Ergebnisse in Form konkreter Vereinbarungen hat die Begegnung vom September nicht gebracht. Das war auch nicht nötig. Wichtig war der
offene Meinungsaustausch, der sich jetzt in der Arbeit
mit den veröffentlichten Redetexten fortsetzen kann.
Wichtig war vor allem der symbolische Gehalt der Begegnung, der in dem Abspielen der Hymnen und in der Präsentation der Flaggen beider deutscher Staaten besonders augenfällig wurde. Diese Szenen werden im Gedächtnis aller Betrachter haften bleiben.
Wir Sozialdemokraten haben sie uns nicht gewünscht; der Kampf der SPD gegen den außenpolitischen Kurs Konrad Adenauers in den 50er Jahren war ausdrücklich von dem Bestreben geleitet, eine verfestigte Teilung Deutschlands zu vermeiden.
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Das Bemühen ist gescheitert. Zwei selbständige deutsche Staaten existieren. Nur wer das in Rechnung stellt, kann retten, was an Einheitlichkeit der Nation noch nicht verloren ist, und neue Verbindungen hinzugewinnen.
Für alle, die diese Realitäten nicht wahrhaben wollen, die an ihnen vorbei politische Wege suchen, waren die protokollarischen Äußerlichkeiten der Begegnung notwendiges Erlebnis. Ob das alles sein mußte, ist in der CDU/CSU-Fraktion nach dem Treffen streitig diskutiert worden. Wir Sozialdemokraten sagen: es mußte sein; es gehört sich so, wenn man ordnungsgemäß miteinander umgehen will. Wir anerkennen ausdrücklich die Einsichten und Leistungen derjenigen in der Regierung, die diesmal - anders als bei den Besuchsvorbereitungen 1984 - gar nicht erst den Kampf gegen protokollarische Selbstverständlichkeiten aufgenommen haben.
({2})
Die kritische Auseinandersetzung mit dem Besuchsablauf in der CDU/CSU-Fraktion war in den letzten Wochen nicht der einzige Vorgang, bei dem sich erhebliche, ja sogar unüberbrückbare Gegensätze in der Beurteilung der Deutschlandpolitik durch die größere Koalitionsfraktion gezeigt haben. Mit der ausführlichen, kontroversen Fraktionsdebatte über Möglichkeiten einer deutschen Wiedervereinigung Anfang Oktober wurde den vielen deutschlandpolitischen Auseinandersetzungen innerhalb der Union nur ein weiteres Kapitel hinzugefügt.
Das sind die Widersprüche und Risiken für Ihre Politik, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, die Sie bisher weder klären noch überwinden konnten. Sie mögen mit den Erfolgen jener Deutschlandpolitik, die Sie von uns übernommen und die Sie fortgeführt haben, noch so zufrieden sein; die weißen Flecken in der Geschichte Ihres Verhältnisses zu dieser Politik haben Sie nicht aufgearbeitet. Ihre früheren Widersprüche gegen das, was Sie jetzt selbst tun, holen Sie ein. Das Ausweichen in vollmundige Unklarheiten schafft keinen Ausweg, sondern verlängert den Streit und schafft Ansatzpunkte für neue Ausbrüche.
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Wir wissen und sagen, daß in den Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten, in den Möglichkeiten für die freie Bewegung und Entfaltung der Menschen und auch zur Sicherung des Friedens in Mitteleuropa bei weitem noch nicht alles erreicht worden ist. Aber wir begrüßen die wichtigen Verbesserungen, die heute erlebbar sind. Wir Sozialdemokraten haben von vornherein auf diesen Zustand hingearbeitet, wir haben ihn gewollt, und wir bemühen uns um seine Weiterentwicklung.
Sehr viel früher als andere haben wir begriffen, daß kein Weg zur Hilfe für die Menschen und zur Sicherung des Friedens an den Regierungen - vor allem an der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik - vorbeiführt. Von dieser Einsicht aus haben wir unsere Deutschlandpolitik entwickelt, deren Früchte auch die jetzige Bundesregierung zieht.
Diese Politik, die wir betrieben haben, ist von Ihrer Seite, von Unionsseite, begleitet worden mit Ausdrükken wie: das Berlin-Abkommen sei beschämend, die Flaggen würden eingezogen, es habe ein Ausverkauf deutscher Positionen stattgefunden, diese Politik sei gescheitert. Wir fragen Sie: Wie stehen Sie heute zu diesen Bewertungen? Dieser Frage können Sie sich doch nicht dadurch entziehen, daß Sie in die Verträge und in diese Politik wie in eine Straßenbahn beim Fahrerwechsel einsteigen. Sie sehen das am besten daran, daß von Zeit zu Zeit die „Fahrgäste" aus Ihren eigenen Reihen rebellisch werden.
Wir Sozialdemokraten haben kein Problem mit unserer deutschlandpolitischen Vergangenheit. Wir stehen zu ihr. Wir stehen zu der Feststellung Bundeskanzler Willy Brandts bei der Behandlung des Grundvertrages hier im Mai 1973. Er sagte:
Ein Volk verweigert sich seiner Geschichte, wenn es meint, sie mit Wunschträumen fortschreiben zu können. Illusionen schaffen keine Zukunft. Die Ihnen vorliegenden Verträge sollen die geschichtliche Kontinuität unserer nationalen Existenz auf der Basis der jetzt gegebenen Bedingungen sichern helfen.
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Dieses Ziel wurde erreicht. So bleibt auch heute richtig, was Bundeskanzler Helmut Schmidt in seinem Bericht zur Lage der Nation am 20. März 1980 so formulierte:
Zehn Jahre Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition haben den Zusammenhalt der Menschen in beiden Staaten gefestigt. Ohne diesen menschlichen Zusammenhalt würde unser Bekenntnis zur deutschen Einheit seinen Sinn verlieren.
Wir sehen unsere Aufgabe unverändert so, wie Herbert Wehner, an den dankenswerterweise auch Sie, Herr Hoppe, erinnert haben, sie Anfang Juni 1979 mit den Worten beschrieben hat:
Was noch drin ist, ist, in den nächsten 20, 30 Jahren das erreichbare Maximum zu halten, daß das Volk hier und der Teil des Volkes drüben nicht gegeneinander wieder abgesperrt werden und daß wir das Bewußtsein, noch eine Nation zu sein, nicht unter dem Druck und Überdruck der realen Verhältnisse verlieren.
({5})
Meine Damen und Herren, wir sind Herbert Wehner
dankbar für seinen unbeirrten deutschlandpolitischen
Kurs, und wir würdigen und schätzen die hervorragenden Leistungen, die Egon Bahr zum Zustandekommen dieser Politik beigetragen hat.
({6})
Sie alle - und andere Sozialdemokraten - hatten damals nicht die Verdächtigung mangelnder nationaler Zuverlässigkeit verdient. Das sollte man wenigstens heute anerkennen. Denn sie haben als wirkliche Patrioten gehandelt, indem sie die Last und die Wirkung der Trennung gemindert und die Kraft der Zusammengehörigkeit in einer deutschen Nation gestärkt haben. Kurz gesagt: Ihr Weg war richtig. Sie hatten recht.
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Nicht recht hatten die damaligen Ankläger. Ihr Weg des Beschwörens juristischer Formeln als Ersatz für Politik war aussichtslos. Ihre Bekenntnisse zum Ziel der staatlichen Einheit Deutschlands, als sei sie alsbald erreichbar, waren illusionär. Das gilt auch heute für diejenigen, die mit Konzepten und Forderungen aufwarten, mit denen die Wiedervereinigung auf die politische Tagesordnung im In- und Ausland gesetzt werden soll.
Wir Sozialdemokraten haben uns nicht in solche Irrwege verrannt und tun es heute nicht. Wir sind die Vorreiter in einer Richtung gewesen, in der auch die jetzige Regierung ihre Politik fortgesetzt hat, und wir bleiben Vorreiter, wie unsere weiterführenden Anstöße und Forderungen zeigen.
Dafür sind wir kritisiert, verdächtigt und manchmal auch beschimpft worden. Auch heute ist das oft genug die Antwort auf unsere Vorschläge und Bemühungen. Wir halten das in der Gewißheit aus, daß wir es bald erleben werden, wie die Koalitionsfraktionen unsere Vorstellungen - vielleicht mit etwas geändertem Etikett - übernehmen.
({8})
Meine Damen und Herren, für uns sind das Zusammengehörigkeitsgefühl mit den Deutschen in der DDR und das Empfinden der Mitverantwortlichkeit für ihr Ergehen - ohne jeden Vertretungsanspruch - reale und starke Triebkräfte unserer politischen Arbeit. Wir fühlen uns in Stralsund und Dresden nicht in der Fremde, sondern - unbeschadet der Zugehörigkeit der Städte zu einem anderen Staat - heimisch. Wir fühlen uns auch ohne familiäre oder andere besondere Beziehungen den Deutschen in der DDR als Angehörigen unserer Nation verbunden. Frau Hensel, das, was Sie als „Fossil" zu bezeichnen beliebten, ist höchst lebendig und wird immer lebendiger.
({9})
Zur Klarstellung, daß wir in der Bundesrepublik die Staatsbürgerschaft der DDR respektieren, raten wir Sozialdemokraten doch nicht mit dem Ziel einer Abgrenzung. Jeder weiß, daß wir Grundgesetz und Staatsangehörigkeitsgesetz bei uns nicht ändern wollen. Aber die eindeutige Bezeichnung einer Praxis, die längst gilt, kann praktische Verbesserungen bringen und Mängel beseitigen helfen.
({10})
Die Abschaffung der Zentralen Erfassungsstelle in Salzgitter fordern wir nicht, weil wir die Verletzung von Menschenrechten verharmlosen wollen.
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Wir mißbilligen und verurteilen, daß Menschen in Deutschland in ihrer Entfaltungs- und Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden, daß sie beim Grenzübertritt sogar in Gefahr gerieten, getötet zu werden und getötet worden sind.
({12})
Wir sagen gleichzeitg: Die Mauer ist ein Monstrum. Sie hat keine Zukunft und wird nicht Bestand behalten. Um ihre Reste mögen sich eines Tages die Denkmalschützer kümmern, und das wird dann auch alles sein.
Aber zurück zu Salzgitter: Wir halten ein Verfahren für unzeitgemäß und ungeeignet, mit dem man Verbesserungen für die Menschen in Deutschland nicht politisch, sondern strafrechtlich bewirken will. Wer begriffen hat, daß sich politische Erfolge nicht wie bei einem Amtsgericht einklagen lassen, der sollte endlich einsehen, daß auch mit dem Staatsanwalt im Verhältnis zwischen beiden deutschen Staaten nichts auszurichten ist.
({13})
Meine Damen und Herren, Vertreter von SPD und SED haben an der Erklärung über den „Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit" nicht gearbeitet, um Unterschiede zwischen beiden Seiten einzuebnen oder um nicht vorhandene Gleichwertigkeit anzuerkennen.
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Wir wollen einen friedensgemäßen Umgang mit den weiter bestehenden Unterschieden, das Gespräch mit Andersdenkenden auch im jeweils eigenen Land ohne Zwang, nur im Wettbewerb der Überzeugungskraft und bei freiem Fluß der Informationen erreichen.
Herr Lintner, Sie haben unrecht, wenn Sie uns sagen, wir dürften zu den Menschenrechten nichts erklären. Ausdrücklich steht in dem Papier: Kritik auch in scharfer Form an den Zuständen im anderen Land ist keine Einmischung. Lesen Sie es nach!
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Was wir damit erreichen wollen, wird von vielen Bürgern und zumal den Kirchen in der DDR bejaht. Sie schicken sich an, mit dem Papier zu arbeiten. Das müßten inzwischen doch auch die Kritiker hier in der Bundesrepublik erkennen, die sich mit verständnislosem Eifer über die bloße Tatsache der gemeinsamen Erklärung erregen, statt die vorwärtsweisende Kraft ihres Inhalts in den Blick zu nehmen.
({16})
Meine Damen und Herren, unsere Wirkungsmöglichkeit zur weiteren Festigung des Zusammenhalts in
der einen deutschen Nation hängt von der Bereitschaft zu Nutzung aller praktische Möglichkeiten ab. Durch illusionäre Konzepte und unrealistische Forderungen wird sie nicht beflügelt, sondern gestört. Eigentlich besteht auch allgemeine Übereinstimmung darin, daß die Möglichkeit einer staatlichen Vereinigung beider deutscher Staaten, von einer ausdrücklichen „Wiedervereinigung" ganz zu schweigen, auf absehbare Zeit nicht vorstellbar ist. Niemand weiß heute, ob irgendwann einmal diese oder auch ganz andere Lösung einen Endpunkt der Bemühungen um die Erhaltung der einheitlichen Nation bilden wird. Wenn wir uns demnach bereit finden, die Antwort auf diese Fragen einer fernen, unabsehbaren Zukunft zu überlassen, so schließt das für die Gegenwart zwei Haltungen gleichermaßen aus: die Festlegung auf die staatliche Einheit als einzig zulässige Lösung ebenso wie den Verzicht auf sie. Letzterer wird von uns weder erwartet, noch ist eine Gegenleistung dafür in Sicht.
({17})
Also machen wir auch insoweit Ernst mit dem Selbstbestimmungsrecht und überlassen die Entscheidung denen, die sie einmal zu treffen haben werden!
Aber dann sollten führende Unionspolitiker auch nicht so reden, als ginge es aktuell um die Wiedervereinigung; und das tun manche von Ihnen. Sie erwekken diesen Eindruck auch, wenn Sie so tun, als müßten Sie dieses Ziel gegen Sozialdemokraten und andere verteidigen. Wer so redet, trägt letztlich selbst die Verantwortung dafür,
({18})
daß Bürger und auch Abgeordnete zu dem Schluß kommen, nun müßten alsbald Taten erfolgen.
({19})
Auch wir Sozialdemokraten widersprechen dem Kollegen Friedmann und seinen Meinungshelfern,
({20})
weil wir seine Vorstellungen für illusionär und auch für gefährlich halten. Weit weniger können wir ihm aber widersprechen, wenn er sich auf seinen guten Glauben an die Aussagen des Bundeskanzlers selbst beruft und deren Einlösung, wie er sie versteht, anfordert. Da hat dann der Bundeskanzler mit seinem Wort vom blühenden Unsinn nur unterdrücken müssen, was er selbst zuvor provoziert hatte.
Meine Damen und Herren, Herbert Wehner hat nach dem Treffen am Werbellinsee gesagt:
Sozialdemokratische Deutschlandpolitik hat sich immer an der Notwendigkeit orientiert, die Deutschen in beiden Staaten in ihren Zusammengehörigkeitsgefühlen zu stärken, die trotz aller Erfolge der Vertrags- und Entspannungspolitik nach wie vor bestehenden Härten zu mildern und dafür zu arbeiten, daß von deutschem Boden niemals wieder Krieg ausgehen kann.
Dabei bleiben wir; das setzen wir fort.
({21})
Das Wort hat der Regierende Bürgermeister von Berlin, Herr Diepgen.
Regierender Bürgermeister Diepgen ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den letzten beiden Jahren hat es in der Deutschland- und Berlinpolitik so viel Bewegung gegeben, wie viele Jahre zuvor nicht. Der Begriff der Kontinuität umschreibt deshalb die Entwicklung der letzten Jahre nicht mehr ausreichend. In Wahrheit ist es der Bundesregierung gelungen, auf der Grundlage von Kontinuität und Berechenbarkeit in die deutschdeutschen Beziehungen neuen Schwung, ja eine neue Qualität zu bringen. Dabei darf neuer Schwung nicht damit verwechselt werden, Herr Kollege Dr. Schmude, daß falsche Themen zum falschen Zeitpunkt immer wieder aktualisiert werden. Das betrifft die Frage der Erfassungsstelle von Salzgitter genauso wie die Frage der Staatsangehörigkeit.
({1})
Herr Kollege Dr. Schmude, eine weitere Anmerkung auch zu dem, was Sie zur Symbolik des Besuches von Herrn Honecker in Bonn gesagt haben. Für mich ist die wichtige Symbolik dieses Besuches nicht die Tatsache von zwei Hymnen und zwei Flaggen, sondern für mich war das Wichtige an Symbolik dieses Besuches die Tatsache, daß ein Saarländer, ein deutscher Kommunist seinen Geburtsort und seine Familie besuchte und damit das vorexerziert hat, was viele Millionen Deutsche in Leipzig und in Rostock gerne, und zwar ohne jede Behinderung, sozusagen als Regelfall und Selbstverständlichkeit tun wollen.
({2})
Aber wir müssen uns darüber klarwerden, daß es zunehmend Fragen nach der nationalen Zukunft der Deutschen gibt. Ich glaube, daß wir in Zukunft eher noch mehr eine neue nationale Debatte bekommen werden und sie auch ernsthaft führen müssen, übrigens gerade mit jungen Menschen. Man spürt vielerorts eine neue Ungeduld. Das ist zunächst einmal etwas sehr Positives 40 Jahre nach der Gründung der beiden deutschen Staaten und 26 Jahre nach dem Bau der Mauer. So verständlich es ist, nun den großen Wurf einzufordern, der möglichst kurzfristig die Einheit in Frieden und Freiheit bringen soll, so ehrlich ist es doch, einzuräumen, daß wir an der Tatsache, den Ursachen und den Bedingungen der Teilung zur Zeit nicht vorbei können. Einfach ist in den komplizierten innerdeutschen Beziehungen nichts.
Eingebettet in ein Geflecht internationaler Rahmenbedingungen können wir die deutsche Frage niemals isolieren und niemals gleichsam aus den Zusammenhängen herauslösen. Aber ich füge hinzu: Den heute erreichten Stand der deutsch-deutschen Beziehungen, so mangelhaft und so belastend er in weiten Bereichen auch ist und auch so empfunden wird von den Menschen, hätte sich vor 20 Jahren niemand in seinen kühnsten Träumen vorstellen können. Ein Teil der Ungeduld, die wir erleben, erklärt sich deshalb in
Regierender Bürgermeister Diepgen ({3})
Wahrheit auch als Ergebnis einer in wichtigen Punkten erfolgreichen Deutschlandpolitik.
Die Präambel des Grundgesetzes verpflichtet uns, unsere nationale Einheit zu wahren und in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands in einem vereinten Europa zu vollenden und dem Frieden zu dienen. Eine Politik, die diesem Ziel dient, braucht einen langen Atem, und sie braucht vor allen Dingen mehr als nur ein Management der Teilung. Unser Auftrag aus der Präambel des Grundgesetzes ist auch heute viel größer. Er besteht darin, die staatlich geteilte Nation und die staatliche Teilung der Nation als Einheit erlebbar zu machen. Hierzu läßt sich die Ungeduld produktiv einsetzen. Hierzu sind Phantasie und neue Impulse in der Deutschlandpolitik gefragt.
Der Besuch von Generalsekretär Honecker fällt dabei mit dem Abschluß dreier Verträge und mit dem Ende einer Phase der Deutschland- und Berlinpolitik zusammen, die hauptsächlich darin bestand, Verträge, d. h. Rahmenbedingungen für weitere deutschdeutsche Kontakte auszuhandeln. In Zukunft geht es nicht mehr vorrangig darum, ein juristisches Vertragswerk zwischen beiden deutschen Staaten zu knüpfen, aufbauend auf dem Grundlagenvertrag und den damals auch in Aussicht genommenen, erwarteten vertraglichen Konkretisierungen, sondern es geht vielmehr darum, auf der Grundlage dieser Verträge ein Netzwerk von gemeinsamen Interessen, ein Netzwerk von gemeinsamen Projekten und Begegnungsmöglichkeiten der Menschen zu schaffen.
Herr Regierender Bürgermeister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schmude?
Regierender Bürgermeister Diepgen ({0}): Erlauben Sie, ich habe nur so wenig Zeit, weil ich Sie auch noch vorgelassen habe mit Ihrer Rede.
({1})
Meine Damen und Herren, mir geht es darum, daß es ein Netzwerk von gemeinsamen Interessen geben muß, und zwar trotz der unüberbrückbaren Unterschiede in den gesellschaftspolitischen Auffassungen der Regierenden. Hier will ich nur noch einmal das unterstreichen, was Vorredner bereits betont haben: Es darf keine Verschleierung der grundsätzlichen Unterschiede bei Demokratie und Menschenrechten geben, die zwischen den Regierungen in Ost und West bestehen.
({2})
In der Deutschland- und Berlinpolitik der 90er Jahre sind mehr noch als in der Vergangenheit die Wissenschaftler, die Unternehmen, die Sportler, die Künstler, Städte und Vereine, die Kirchen, Schüler und Studenten gefragt. Aus einer solchen Deutschlandpolitik von unten kann und soll sich ein wirklich gelebtes und gemeinsam erlebtes Verständnis von der Einheit der Nation entwickeln. Damit dienen wir der Präambel des Grundgesetzes am besten.
Lassen Sie mich auf der Grundlage dieses Ansatzes zwei Bemerkungen machen. Die eine gilt Berlin als der Hauptstadt der deutschen Nation und die andere der geistigen Verfassung unserer Nation.
Die Bundesregierung hat auf allen Ebenen immer wieder betont, daß der Wille zur Entwicklung der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten so weit reicht, wie Berlin einbezogen ist. Wir sind dankbar, daß die Bundesregierung gemeinsam mit dem Berliner Senat bei der DDR in diesem Zusammenhang auch den Nachholbedarf Berlins insbesondere beim Reise- und Besucherverkehr dringend anmahnt. Die Frau Bundesministerin hat das eben auch noch einmal gesagt. Sie, Herr Bundeskanzler, haben diese notwendige Einbeziehung Berlins auch heute in dankenswerter Weise nachdrücklich betont.
Diese Stadt ist und bleibt ein Gradmesser für die deutsch-deutschen Beziehungen, aber auch insgesamt für die Ost-West-Beziehungen. Dabei ist insbesondere die Sowjetunion aufgefordert, die bestehenden Verträge strikt einzuhalten und voll anzuwenden. Dazu gehört, daß sie überholte und falsche Positionen und Praktiken bezüglich des Viermächteabkommens aufgibt und der Realität, nämlich der Vertragslage anpaßt. Dazu gehört auch eine Entwicklung der Bindungen Berlins nach Westen. Die Weigerung der Sowjetunion - immer wieder vorgetragen, auch jetzt wieder aktuell - , an Veranstaltungen in Berlin teilzunehmen, an denen sich auch Vertreter aus der Europäischen Gemeinschaft, Vertreter des Bundes und der Länder beteiligen, widerspricht genau diesen Grundsätzen.
({3})
Es widerspricht auch dem Geist einer wirklichen Entspannung und dem Geist einer wirklichen Kooperation zwischen Ost und West. Es widerspricht auch dem Geist des gesamten KSZE-Prozesses.
Präsident Reagan hat in seiner Berliner Initiative insbesondere auf den Flugverkehr und auf Berlin als Ort internationaler Konferenzen hingewiesen. Auch hier ist die Sowjetunion aufgefordert, wirklich Kooperationsbereitschaft zu zeigen und mit uns gemeinsam einen Schritt vorwärts im Sinne dessen zu gehen, was im Viermächteabkommen ausdrücklich genannt ist.
({4})
Meine Damen und Herren, Berlin darf in der Gesamtdiskussion - und zwar auch von der DDR her - nicht als ein Hemmschuh betrachtet werden, der dann mühsam am Schluß irgendeiner Verhandlung wieder weggeräumt werden muß. In Wahrheit bietet Berlin nämlich mehr Chancen als Hindernisse auch für die Weiterentwicklung der deutsch-deutschen Beziehungen. Der Berliner Senat ist entschlossen, im Rahmen der Deutschlandpolitik der Bundesregierung dazu einen aktiven Beitrag zu leisten. Die 750-Jahr-Feier kam vielleicht für manches und manche etwas zu früh, aber der Ansatz, auch in Berlin die Dinge zu entkrampfen und voranzutreiben, bleibt richtig und zukunftsweisend.
Eine Chance für die Deutschlandpolitik unter voller Einbeziehung Berlins ist z. B. das hier bereits erwähnte große Schnellbahnprojekt, von dem wir hoffen und annehmen, daß es jetzt wirklich auf die Schiene gesetzt wird. Eine Schnellbahnverbindung von Hannover nach Berlin, die Teilstück einer VerbinRegierender Bürgermeister Diepgen ({5})
dung von Paris nach Moskau sein muß, verbessert nicht nur die Verbindungswege von und nach Berlin. Der entscheidende politische Punkt ist, daß hier eine technische Zusammenarbeit auf höchstem Niveau beide deutschen Staaten auf Jahre mit ihren Interessen verknüpft und daß hier eine deutsch-deutsche Zusammenarbeit ganz Europa mit einer leistungsfähigen Ost-West-Verbindung zugute kommt.
({6})
Auch im Bereich des Handels sieht sich Berlin als Sitz der Treuhandstelle nicht etwa als Hemmnis, sondern wohlverstanden als eine Chance.
Wenn eine gemeinsame Wirtschaftskommission zur Stärkung der Wirtschaftsbeziehungen beizutragen vermag, dann muß sie auf der Grundlage der bestehenden Abkommen durch die Wahl der Tagungsorte der Rolle Berlins auch praktisch Rechnung tragen.
({7})
Ein Funktionsverlust Berlins ausgerechnet im innerdeutschen Handel wäre jedenfalls untragbar. Berlin kann seine Aufgabe im geteilten Deutschland als Gradmesser und auch als Symbol der deutsch-deutschen Beziehungen nur erfüllen, wenn es im Innern attraktiv und lebenswert bleibt. Der Erfolg der 750Jahr-Feier war hierfür ein gutes Beispiel.
Der Bundeskanzler hat sich heute erneut zum Engagement des Bundes für Berlin bekannt. Eine Voraussetzung, daß Berlin für die Faszination der Freiheit stehen kann, ist dabei nicht zuletzt ein dauerhaftes und berechenbares Maß an Hilfe und Förderung. Daran ändern auch die bemerkenswerten Erfolge in der wirtschaftlichen Entwicklung Berlins der letzten Jahre nichts. Im Zusammenhang mit dem Abschluß des Deutschland-Vertrages aus dem Jahre 1952 hat die Bundesregierung den Alliierten gegenüber erklärt - ich zitiere das hier - , „daß sie alle geeignete Maßnahmen treffen wird, die zur Förderung der Erteilung von öffentlichen und privaten Aufträgen an die Berliner Wirtschaft beitragen".
Im Gesetz über die Stellung des Landes Berlin im Finanzwesen des Bundes heißt es, daß das Land Berlin befähigt werden soll - ich zitiere jetzt weiter - , „die durch seine besondere Lage bedingten Ausgaben zur wirtschaftlichen und sozialen Sicherung seiner Bevölkerung zu leisten und seine Aufgaben als Hauptstadt eines gemeinsamen Deutschlands zu erfüllen" - als Hauptstadt der deutschen Nation mit dem, was an integrativer Wirkung von einer Hauptstadt im geistigen, kulturellen, wissenschaftlichen Bereich ausgeht.
Regionale Wirtschaftsförderung Berlins ist bei diesem Ansatz also nicht etwa ein Almosen, sondern ein Ausgleich für die besondere politische Lage der Stadt und ein Ausdruck des Auftrages für die Stadt als Hauptstadt der deutschen Nation. Dabei ist Berlin einbezogen in das Wirtschafts- und Finanzsystem des Bundes - mit allen Chancen und Problemen. Das werden wir auch bei den Haushaltsproblemen des Bundes zu beachten und vielleicht zu erdulden haben. Doch um das konkret zu sagen: Die positiven Auswirkungen der Wirtschaftspolitik, der Finanzpolitik des Bundes durch die Steuerreform dürfen sich nicht durch ein Sonderopfer der Stadt ins Negative verkehren.
({8})
Es wäre fatal, wenn der erfreuliche Gesundungsprozeß der Berliner Wirtschaft durch Sparen an falscher Stelle abgebrochen werden würde. Ein notwendiger Standortausgleich und damit Präferenzvorsprung Berlins muß erhalten bleiben.
({9})
Der Berliner Senat ist hierüber mit den Verantwortlichen in Bonn im Gespräch. Ich sehe den Ergebnissen dieser Gespräche nicht ohne Optimismus entgegen.
({10})
Und nun zu meiner zweiten Bemerkung: Die stärkste Kraft des Zusammenhalts der Deutschen sind die menschlichen Beziehungen. Sie werden von dem Bild und dem Wissen, das wir vom Leben im jeweils anderen Staat haben, wesentlich mitgeprägt. Wir selbst müssen uns gerade in dieser Debatte zur Lage der Nation die Frage stellen lassen: Wie sehen die Deutschen in der DDR uns in der Bundesrepublik? Ich will - ohne jede Bevormundung - einige dieser Fragen stellen und Antworten zu geben versuchen.
Jedermann bei uns muß beispielsweise wissen, daß jeder Satz zur Lage in Deutschland bei den Menschen und bei der Regierung in der DDR noch viel aufmerksamer registriert wird, als das bei uns der Fall ist.
({11})
Machen wir uns eigentlich klar, wie wenig - bis in die letzten Tage hinein - der Stil, die Mittel und der Ton vieler politischer Auseinandersetzungen bei uns geeignet sind, unsere Demokratie in Weimar oder Rostock überzeugend darzustellen?
({12})
Ich sage ausdrücklich auch: Eine Debatte darüber, wer nun was eingeleitet, ein Streit darüber, wer eigentlich die Ursprünge aktueller Deutschlandpolitik geschaffen hat, wirkt bei den Menschen in der DDR genausowenig wie die Diskussion, die ich soeben genannt habe.
({13})
Ich will ein anderes Beispiel nennen, nämlich eine weithin verbreitete Gedankenlosigkeit im Umgang mit den Deutschen in der DDR. Wie oft verletzen wir beispielsweise ihren Stolz und ihr Selbstbewußtsein als Deutsche durch unsere Angewohnheit, die Begriffe „Deutsche " und „Deutschland" auf die Bundesrepublik zu reduzieren?
({14})
Das ist ein Verhalten, das dann oftmals auch noch mit
der herablassenden Einschätzung des Lebens in der
Regierender Bürgermeister Diepgen ({15})
DDR als nur grau und nur langweilig zusammenfällt.
({16})
Benutzen wir nicht auch allzuleicht die von der DDR errichtete zusätzliche Finanzmauer und manche Unbequemlichkeiten bei der Einreise als Alibi dafür, daß wir nicht in die DDR fahren? Interessieren wir uns wirklich für das Leben in der DDR? Ich sage: Dort gibt es viel zu entdecken, z. B. auch an Tugenden, namentlich soziale Tugenden wie Gastfreundschaft,
({17}) gegenseitige Unterstützung
({18}) und Selbsthilfe.
({19})
Und oft genug werten wir solche Tugenden wegen der Mangelerscheinungen in der DDR ab. Statt dessen, meine Damen und Herren, sollten wir uns mit unserer überzogenen Anspruchshaltung an den Staat vielleicht ein Beispiel an dem nehmen, was die Menschen in der DDR wirklich machen, konkret machen.
({20})
Noch ein letztes Beispiel: Erwecken wir in unseren Debatten nicht allzuoft den Eindruck, als seien wir materialistische westdeutsche Technokraten, die mit einer ungeliebten DDR-Regierung über große und milliardenschwere Projekte verhandeln, den eigenen Wohlstand mehren und über all dem die Sorgen, die Fragen und die Hoffnungen der Menschen, die es in Deutschland, und zwar in Leipzig und Köln gleichermaßen, wirklich gibt, vergessen? Die Nation lebt vor allem von der Solidarität ihrer Menschen. So wie die Lage ist, heißt das: Nicht Unwissenheit, Bevormundung oder Überheblichkeit von Deutschland ({21}) nach Deutschland ({22}) sind gefragt, sondern Solidarität auf der Basis von Achtung, Respekt und Zuwendung für die Menschen.
({23})
Wenn wir uns in diesem Sinn untereinander und gegenüber den Menschen der DDR als gute und aufgeklärte Patrioten verstehen, dann setzen wir unser nationales Anliegen auf vernünftige und zugleich wirksame Weise in die Tat um, und dann stärken wir am besten die Einheit der Nation.
Mit einem praktischen Vorschlag möchte ich schließen. Neben gemeinsamer Geschichte und den menschlichen Beziehungen ist die gemeinsame deutsche Sprache Kern der Einheit der Nation. Die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Rundfunks und des Fernsehens, deren Förderung beide Staaten in Art. 9 des Kulturabkommens vereinbart haben, hat in jüngster Zeit einige bemerkenswerte Fortschritte gemacht. Ich nenne nur die denkwürdige Fernsehserie über Sachsen aus der DDR, die auch bei uns ausgestrahlt worden ist, oder auch die Veranstaltung anläßlich der 750-Jahr-Feier.
Wir erleben zur Zeit Diskussionen über einen deutsch-deutschen Kulturkanal. Ich meine, es sollte unser Fernziel sein, daß in gemeinsamer Verantwortung auf einem solchen Kanal Beiträge aus Ost und West ausgestrahlt werden. Dabei dürfte es dann allerdings nicht nur um das traditionelle Kulturerbe gehen, sondern gerade das, was junge Menschen über Grenzen hinweg gemeinsam leisten, sollte im Vordergrund stehen und in produktiver Konkurrenz gemeinsam gestaltet werden.
({24})
Eine gemeinsam verabredete wechselseitige Ausstrahlung von Sendungen aus beiden deutschen Staaten wäre ein Beitrag zur Erreichung des Ziels dieser Debatte, jedenfalls so, wie ich das Ziel dieser Debatte definieren möchte, einer Debatte über die Lage der Nation, nämlich zu mehr Nachdenken und zu mehr Begegnungen der Menschen in Deutschland zu kommen.
({25})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mitzscherling.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon bemerkenswert, was wir heute in dieser Debatte zu hören bekamen: zunächst einen Bundeskanzler, der sich erneut zu den engen politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Beziehungen und Bindungen Berlins zur Bundesrepublik bekannte und für die gesteigerte Anziehungskraft und Ausstrahlungskraft dieser Stadt plädierte, und dann einen Regierenden Bürgermeister, der offenbar Zweifel hat; denn er hat an den Herrn Bundeskanzler appelliert, er möge seinen Erklärungen Taten folgen lassen.
({0})
Offenbar fürchtet der Herr Diepgen den drohenden Unmut auch der Berliner, wenn sie erst einmal erkennen, mit welchen Mitteln diese Verbundenheit auch zum Ausdruck gebracht wird, nämlich mittels einer Steuerreform, deren positive Wirkung für die Arbeitnehmer und die Wirtschaft der Stadt mit 1,2 Milliarden DM überproportional zu Lasten Berlins gehen soll.
({1})
Sollte diese Entscheidung zu Lasten Berlins tatsächlich so fallen, werden die Anziehungskraft, die Ausstrahlungskraft und die Wirtschaftskraft Berlins beeinträchtigt und die Arbeitsplätze in dieser Stadt gefährdet sein.
Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 33. Sitzung Bonn. Donnerstag den 15. Oktober 1987 2189
Namens der Sozialdemokraten fordere ich Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, insbesondere die Berliner Abgeordneten, auf, diese Kürzungen nicht zuzulassen, weil sie das Förderungsvolumen der Berliner Wirtschaft vermindern, ohne daß gleichzeitig an anderer Stelle dieser Standortnachteil, den der Regierende Bürgermeister beklagt hat, ausgeglichen wird.
({2})
Es ist völlig richtig, was er sagt: Die Berlin-Förderung soll die besondere Lage der Stadt und die sich daraus ergebenden Nachteile für die Bürger und die Wirtschaft Berlins ausgleichen. Diese Belastungen bestehen weiter.
({3})
- Herr Sellin, wir sind für eine Kontrolle der Berlin-Förderung und ihrer Wirkungen. Aber zunächst müssen neue Erkenntnisse auf den Tisch. Erst danach kann darüber entschieden werden. Wir sind gegen unbegründete Kürzungen, die nicht gleichzeitig zu Verbesserungen an anderer Stelle führen. Eine solche Politik schafft keine Arbeitsplätze, sondern sie schwächt Berlin, und das wollen wir nicht.
({4})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sellin?
Bitte.
Herr Mitzscherling, stimmen Sie mir zu, daß die Umsatzsteuerpräferenz, die die Unternehmen bekommen, in den vergangenen Jahren pro Jahr um ca. 100 Millionen DM zugenommen hat und von daher ganz klar zu sagen ist, daß hier erhebliche Mitnahmeeffekte zugunsten der Großindustrie und der Massenproduktion stattfinden und von daher tatsächlich eine übertriebene Subventionierung besteht?
({0})
Herr Sellin, Ihnen ist sicherlich bekannt, daß sowohl der Berliner Senat als auch das Bundesministerium der Finanzen dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung einen Auftrag erteilt haben, der das Ziel verfolgt, die Wirkungen des Berlinförderungsgesetzes zu überprüfen. Diese Gutachten werden demnächst der Öffentlichkeit vorgestellt. Der Gesetzgeber sollte mit seinen Entscheidungen, die sich auch in Kürzungen des Volumens niederschlagen, warten, bis er schlauer ist als heute. Ich glaube, das gilt für uns alle.
({0})
Ich glaube, wir sind uns mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin darin einig, daß Berlins Bedeutung nicht geschmälert werden darf, sondern daß der Stadt im Zuge einer engeren Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und der DDR neue übergreifende Funktionen zuwachsen müssen. Berlin darf nicht als Hemmschuh in diesem Prozeß empfunden werden. Es muß Vorreiter und Brücke in der Entspannungspolitik zwischen beiden deutschen Staaten sein. Dies gilt auch für die Wirtschaftsbeziehungen.
Wir Sozialdemokraten haben uns stets für eine engere, für eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Ost und West eingesetzt. Wirtschaftliche Kooperation ist ein wichtiges Stabilisierungselement der Gesamtbeziehungen. Es schafft beiderseitige Abhängigkeiten und Verantwortlichkeiten und dient damit auch der Entspannung und der Sicherung des Friedens in Europa.
Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt deshalb ausdrücklich den während des Besuchs des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker in der Bundesrepublik Deutschland erneut bekräftigten Willen beider Seiten, auf der Grundlage der Entspannungspolitik der letzten Jahre ihre Wirtschaftsbeziehungen weiter auszubauen.
Diese - hierauf ist hinzuweisen - unter sozialdemokratischer Regierungsverantwortung eingeleitete und mit den Namen Willy Brandt und Helmut Schmidt untrennbar verbundene Politik hat gerade für Berlin und seine Bürger große Erleichterungen gebracht.
({1})
Die Fortführung dieser Politik hat sich abermals in Berlin zu bewähren. Alle künftigen Vereinbarungen zwischen beiden deutschen Staaten müssen auf der Grundlage der bestehenden Abkommen und Regelungen, die zwischen den Siegermächten, zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und den beiden deutschen Staaten abgeschlossen worden sind, auch Berlin ({2}) formal und tatsächlich voll einschließen.
Dies gilt auch für die schon mehrfach erwähnte und in Aussicht genommene Bildung einer gemischten Kommission zur Förderung der beiderseitigen Wirtschaftsbeziehungen. Meine Damen und Herren, gemischte Kommissionen gibt es bisher nur im Außenhandel. Sie können durchaus hilfreich sein. Aber wir kennen die Schwierigkeiten im Handel zwischen Ost und West und die Schwierigkeiten, die auch den Handel zwischen der Bundesrepublik und der DDR belasten. Ob das vorgesehene Gremium tatsächlich für die besonderen deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen von Nutzen sein wird, bleibt abzuwarten. Wir hoffen es. Doch eines sollte nicht eintreten: daß dieses Gremium mehr schadet als nützt.
({3})
Deshalb muß die Bundesregierung in den zwischen beiden Seiten vereinbarten Gesprächen darauf beharren, daß die geltenden Rechtsgrundlagen, die Verfahrens- und Abwicklungsmodalitäten für die beiderseitigen Wirtschaftsbeziehungen weiterhin Bestand haben. Das Berliner Abkommen von 1951 mit seiner Währungsgebietsklausel muß voll angewandt und voll genutzt werden - zur Erhaltung des Sonderstatus des innerdeutschen Handels und im Interesse Berlins.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat deshalb in einer Entschließung schon vor fast zwei Wochen diese Forderungen erhoben, Herr Kollege Hoppe, und die Bundesregierung aufgefordert, daß sie ihre Zustimmung zu einer solchen Kommission nur dann geben sollte, wenn die bewährte und die oft zitierte Treuhandstelle für Industrie und Handel in Berlin in vollem Umfang erhalten bleibt und weiterhin für die Abwicklung der beiderseitigen Wirtschaftsbeziehungen zuständig ist. Wir haben verlangt, daß Berlin angemessen, d. h. entsprechend seinem Anteil am Handelsumsatz, in der Kommission vertreten ist und daß die Kommission in Berlin tagt.
({4})
- So ist es.
Die bisherige Diskussion in den Ausschüssen, schon Mitte September im Wirtschaftsausschuß, danach im Unterausschuß für Außenwirtschafts- und Handelspolitik und jetzt auch im Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen, hat gezeigt, daß die Parteien in dieser Zielsetzung übereinstimmen. Das ist wichtig für Berlin. Das ist gut so. Um dies als politischen Willen des Deutschen Bundestages zum Ausdruck zu bringen, hat die SPD-Fraktion diesen Antrag vorgelegt, der das Ziel verfolgt, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR unter voller Einbeziehung Berlins zu fördern und zu sichern.
({5})
Meine Damen und Herren, ich freue mich darüber, daß wir in diesem Wunsch offensichtlich einig sind, und schließe daraus, daß Sie unserem Antrag zustimmen werden.
Ich bedanke mich.
({6})
Das Wort hat Herr Dr. Czaja.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In dieser Aussprache geht es auch um das ganze Deutschland. Ich verwende die Begriffe des Grundgesetzes: „Deutschland" und „das deutsche Volk". Dazu drei Fragen, soweit die kurze Zeit reicht:
Erstens. Haben wir noch rechtliche, politische und geschichtliche Pflichten für ganz Deutschland in einer freien europäischen Einigung? Dr. Vogel beschwor hier vor kurzem die Beachtung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Steuerrecht. Mindestens gilt das gleiche für das ganze Deutschland. Vor frei vereinbarten vertraglichen Regelungen, unter Beachtung einer freien Selbstbestimmung, kann also niemand, keine Gruppe und kein einzelner, über die Teile Deutschlands verfügen. Wer es tut, der bricht das oft vergessene Wahrungsgebot und das Offenhaltegebot des Grundgesetzes, der verletzt Art. 7 des Deutschlandvertrages, geht willkürlich über den Wortlaut der Ostverträge hinaus und hält sich nicht an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts von 1973, 1975 und 1983.
Kurt Schumacher vertrat bis zu seinem Tode die Auffassung: Die nationale Frage darf man nicht links liegen lassen, sonst gefährdet man jede große Volkspartei.
Was noch Rechtens ist, das kann auch politisch und geschichtlich nicht überholt sein. Wie auch immer dies zu beurteilen ist, Egon Bahr bezeichnete eben erst die deutsche Selbstbestimmung fast als ein Naturrecht, meinte aber, die Wiedervereinigung käme erst nach dem Jahre 2 000.
({0})
Herr Schmude, wir alle sind keine Geschichtspropheten. Geschichte ist nicht voraus berechenbar.
({1})
Der Harmel-Bericht, die politische Leitlinie der NATO, und der Leitsatz des Bundesverfassungsgerichts, die Zukunft ganz Deutschlands nach innen stetig wachzuhalten und nach außen beharrlich zu vertreten, fordern ständige Bemühungen um ganz Deutschland. Wegen 12jähriger Grausamkeiten der Diktatur und mancher sonstiger deutscher und, ohne aufzurechnen, auch anderer Überheblichkeiten kann ein Jahrtausend der Geschichte unseres Volkes in der Mitte Europas im Guten und Bösen noch nicht erledigt sein! Denn schon vor 1870 gab es über Jahrhunderte hinweg ein gemeinsames staatliches Dach, manchmal auch über Jahrhunderte hinweg feste staatliche Fundamente.
Alle unsere Nachbarn brauchen ein stabiles deutsches Mittelglied in einem gemeinsamen Europa.
({2})
Für freiheitlich-demokratische Parteien ist es politischer, historischer und Verfassungsauftrag, ein Mindestmaß an Übereinstimmung zu finden, um Deutschland wieder handlungsfähig zu machen. Das Böse und die Gegensätze sind durch konstruktive Zusammenarbeit mit allen Nachbarn, in Achtung vor ihrer Würde und Existenz, aber auch in der Bejahung unseres gemeinsamen Vaterlandes aufzuarbeiten. Nicht wie von 1929 bis 1932 dürfen diesmal die radikalen Flügel Maß und Mitte erdrücken. Deshalb gilt es, nicht zu verurteilen, sondern argumentativ um die Mitte zu ringen.
Beim ersten Besuch in Moskau fragte der Bundeskanzler öffentlich sowjetische Journalisten und Regierungsvertreter: Was wäre, wenn mitten durch Moskau eine Mauer liefe und der Verkehr zwischen Moskau und Kiew unter scharfen Kontrollen stünde? Es gab keinen Eklat. Statt unberechtigterweise von kommunistischen Einheitsparteien über die Endgültigkeit deutscher Grenzen ohne jede Kompetenz Erklärungen abzugeben, sollte man, so meine ich, auch in der Opposition so wie der Bundeskanzler handeln.
Fazit: Wir haben rechtliche, politische und geschichtliche Pflichten, uns täglich um realisierbare Teilmaßnahmen auf dem Wege zur Zukunft Deutschlands zu bemühen. Dies ist wahrscheinlich in einer gesamteuropäischen freiheitlichen Ordnung nicht auf einen Schlag, sondern nur im schrittweisen friedlichen Wandel zu schaffen. Weil zu viele auf ein sofortiges Endergebnis setzen, oder darüber diskutiern, gibt
es so viele Anklagen, Resignation und Verzicht. Dagegen gehören realisierbare Teilmaßnahmen zum Abbau der Teilung verstärkt auf die Tagesordnung internationaler Gespräche.
Die erste, wichtigste Phase auf dem Wege zum Abbau der Teilung sind verwirklichte Menschenrechte. Dies mit Dr. Dregger von Portugal bis Polen zu fordern, scheint mir nicht utopisch zu sein. Menschenrechte sind allerdings mehr als menschliche Erleichterungen. Einzelheiten darüber kann ich aus Zeitmangel hier nicht anführen. Daß wir aber unser gesamtes wirtschaftliches, politisches und diplomatisches Gewicht in zähen Verhandlungen dafür in die Waagschale werfen, erwarten in ihrem Sehnen die unterdrückten Polen, die Tschechen, die Slowaken, die Serben, die Kroaten, die Balten, die Ungarn, viele andere und selbstverständlich auch viele Deutsche.
({3})
Damit kann man Unrecht der Vergangenheit aufarbeiten.
Noch nie war die osteuropäische zentralistische Planwirtschaft im Fundament so erschüttert wie heute. Die Sowjetunion mit ihren Rohstoffen kann die Krise auf vielen Gebieten wirtschaftlich ertragen; aber unsere östlichen Nachbarn in Europa können sich ohne westliche Hilfe nicht mehr behaupten. Wir jedoch sollten nicht uferlos zum menschenrechtlichen Nulltarif helfen. Die 8 Milliarden DM an verlorenen Bürgschaften früherer Regierungen an die Volksrepublik Polen und weitere Verluste von Banken haben den Menschen im polnischen Machtbereich - Nichtdeutschen und Deutschen - nichts geholfen. Die tief resignierte polnische Jugend zum Beispiel, die unterdrückten Kreise der Intelligenz und viele Deutsche erwarten von den freien Deutschen, daß bei notwendigen Verhandlungen mit den Diktaturen neue Hilfen dann gegeben werden, wenn man Zug um Zug menschenwürdiger leben kann. Ich jedenfalls denke, mich dem zu widersetzen, das Wohl der Völker wieder zu übergehen.
Später könnte bei der Unternehmenskooperation die personale Zusammenarbeit auf Zeit der Fachleute, der Manager, der Technologen und der Facharbeiter neue Ansätze zu personaler Begegnung geben.
Die dritte, schwerste Phase wäre das diplomatische Ringen um eine freiheitliche und förderale Ordnung der Staaten, Völker und Volksgruppen in ganz Europa. Staaten und Deutschland wird es geben. Das schwerste Stück der Arbeit bleibt es, hüben und drüben vor notwendigen Grenzen, wo immer sie verlaufen mögen, eine umfassende europäisch gesicherte Selbstverwaltung der Völker und Volksgruppen zu gewährleisten.
Der letzte Punkt betrifft unsere Pflichten gegenüber den Deutschen in den Gebieten östlich von Oder und Neiße und den weiteren über Deutschland hinausreichenden Siedlungsgebieten. Für deutsche Staatsangehörige gilt von Verfassungswegen die Schutzpflicht, auch wegen des rechtlichen Fortbestands Deutschlands. Dazu aus dem eben herausgekommenen Buch ein Zitat von Julian Bullard, dem amtierenden britischen Botschafter, nicht einem Revanchisten:
In Ermangelung einer friedensvertraglichen Regelung ist die britische Sicht der Rechtslage
- ich wiederhole: der Rechtslage -,
daß Deutschland in Grenzen von 1937 fortbesteht, trotz der vielen wichtigen Entwicklungen seit 1945.
Das ist keine Gebietsgarantie, aber Ausgangspunkt von Vertragsverhandlungen, wie sich das auch aus den gedruckten Ausführungen des Botschafters Eitel, des engsten Mitarbeiters von Herrn Egon Bahr bei den Ostverträgen, und aus Gromykos Erklärungen ergibt. Für andere Deutsche fremder Staatsangehörigkeit haben wir die menschenrechtliche Obhutspflicht.
Meine Damen und Herren, die Hinweise des Bundeskanzlers auf Ungarn eröffnen Aussichten, daß sich für die 500 000 unerledigten Ausreiseanträge Deutscher, für die 300 000 aus dem polnischen Machtbereich, für die 50 000 bis 60 000 durch polnische Behörde getrennte Ehen - ein menschlicher Skandal vor unserer Tür - vielleicht ebenso wie für die Pflege der Identität daheim Möglichkeiten ergeben.
Nach all dem nach Ergebnissen zu streben, halte ich zumindest nicht für ausgeschlossen.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Knabe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe mich auf diesen Redebeitrag gefreut, gefreut, zur Lage der Nation zu sprechen, weil ich etwas von den Empfindungen meiner Generation ausdrücken kann, etwas von dem, was der Bundeskanzler nicht erwähnt hat. Gleichzeitig kann ich dabei auch auf Herrn Diepgens Aufruf zu mehr Nachdenken eingehen.
Wir wurden lange vor dem Kriege als Deutsche geboren und erzogen und waren doch gleichzeitig Bayern, Preußen oder Sachsen, ohne daß das eine das andere gestört hätte. Nach dem furchtbaren Krieg und der Teilung schob sich eine neue Identität dazwischen - Bundes- oder DDR-Bürger - und lagerte sich eine vierte darüber, die des Europäers. Diese Identitäten und Loyalitäten schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern sind wie Schichten übereinander abgelagert, wobei sie sehr unterschiedlich stark sein können. Bei einem Bayern wird das landsmannschaftliche Bement immer ein etwas stärkeres Gewicht haben als bei einem Beamtenkind, das nirgends richtige Wurzeln schlagen konnte. Bei Umsiedlern schiebt sich notwendigerweise noch ein fünfter Lebensabschnitt oder Lebensring dazwischen.
Ziel der Politik muß es sein, daß sich diese Loyalitäten nicht gegeneinander kehren, sondern miteinander fruchtbar werden. Das gilt auch für die deutsch-deutschen Beziehungen. Die verbliebene Restidentität der Deutschen erlaubt es den Mächtigen weniger, den einzelnen jeweils gegen den anderen Staat zu mobilisieren, ihn zum Kämpfer gegen einen Feind aufzubauen. Diese Identität wirkt system- und staatsübergreifend. Umgekehrt bewahrt die bewußte Identität
als Bürger der Bundesrepublik oder der DDR den einzelnen davor, nationalistischen Wunschbildern nachzuhängen, etwa von einem neuen deutschen Reich zu träumen, um das sich die Völker Europas gruppieren sollen.
Nein, wir Deutschen können die zwei deutschen Staaten auch als Chance begreifen, wenn sie sich nicht in Hochrüstung zähnefletschend gegenüberstehen, sondern als friedliche Partner mit offenen Grenzen die kulturelle Vielfalt erhöhen. Ein Wunschbild? Sicher, aber erreichbar und besser als der Gedanke an eine Verschmelzung der jetzigen Staatsgewalt in Ost und West, von Nationaler Volksarmee und Bundeswehr, von Verfassungsschutz und Staatssicherheitsdienst.
Aber ich warne vor einer Illusion, der auch manche GRÜNE erliegen. Man kann die deutsche Frage nicht einfach durch einen Parteitagsbeschluß abschaffen oder die deutsche Nation durch eine kluge Rede beseitigen.
({0})
Die Völker wollen das schon selber entscheiden.
Machen wir uns nichts vor. Zwei aufgeputschte Nationalstaaten West- und Ostdeutschland an der Grenze der Systeme und Pakte, ohne daß die Menschen dazwischen noch etwas verbindet, könnten eine größere Gefahr für den Frieden bilden als der jetzige Schwebezustand.
Die eben geschilderten gewachsenen Schichten unserer Person stehen im Gegensatz zu den Ansprüchen des Staates. Hier wie dort möchte der jeweilige Staat nicht nur anerkannt, er möchte geliebt werden, in der DDR so stark, daß jedes kritische Wort Gefahr läuft, als Boykotthetze ausgelegt und geahndet zu werden. Doch welche Möglichkeiten der Innovation verschenkt dieser Staat damit, welche Möglichkeiten der Korrektur, der Entfaltung neuer Fähigkeiten und Ideen?
Aber auch bei uns verlangt man den selbstverständlichen Einsatz in der Bundeswehr und begegnet den Wehrdienstverweigerern oder gar den Totalverweigerern mit äußerstem Mißtrauen. Eine Eignung zum öffentlichen Dienst erscheint dann schon sehr, sehr fraglich. Auf diese Menschen ging der Bundeskanzler nicht ein.
Ein zweites Defizit, außer daß Sie hier nicht zuhören,
({1})
waren diese Materialien zur Lage der Nation. Da findet man nichts über die militärische Bedrohung, die angehäuften Waffenarsenale in beiden Staaten, nichts über erschreckte Mütter, deren Babys von Tieffliegern geschockt werden, und nichts von rollenden Panzern in Manövern. Nein, das kommt nicht vor - das letzte auch nicht - in der Rede des Kanzlers.
Aber wir müssen etwas zur Erhaltung des Friedens tun - der Frieden soll ja von hier ausgehen, wie Sie sagen - , einen Schritt hin zum zivilen Europa. Deshalb haben wir GRÜNEN einen Entschließungsantrag zur sofortigen Verschrottung der Träger von Pershing I A vorgelegt. Nur der Beschluß einer sofortigen und unwiderruflichen Verschrottung der Abschußvorrichtungen und der Systeme kann den Abrüstungsbemühungen der Großmächte einen neuen entscheidenden Anstoß geben. Das tut not.
({2}) Bitte nehmen Sie diesen Antrag an!
Der SPD-Antrag ist hier zu blaß und zu banal. Die Bürger erwarten nicht nur das Begrüßen von Ankündigungen, sondern konkrete Taten.
Das dritte Defizit des Berichtes: Die Lage der Umwelt kommt zu kurz. Was über Umweltschäden und Umweltschutz hier in dem Bericht der Regierung steht, ist ein hilfloses Gestammel, geprägt von totaler Ahnungslosigkeit und garniert mit einigen ordo-liberalen Phrasen der Selbstbeweihräucherung der Wirtschaft im Westen und einer vernichtenden Kritik der Unfähigkeit des östlichen Wirtschaftssystems.
({3})
Man möchte meinen, die Autoren haben keine einzige Seite des Umweltgutachtens des Sachverständigenrates gelesen, geschweige denn andere Literatur, vielleicht auch nur die Reden von Herrn Töpfer. Aber darauf baut Ihre Politik auf.
In Wirklichkeit schreitet die Umweltzerstörung in beiden Staaten mit Riesenschritten voran, weil die Prozesse nicht gestoppt sind. Präventive Politikkonzepte, die das Entstehen der Umweltprobleme im voraus verhindern, sucht man hier wie dort vergebens.
({4})
Hüben wie drüben betreibt man eine Industrialisierung der Landwirtschaft mit all ihren schädlichen Folgen, eine Energiepolitik, die weiter auf Atomkraft und fossile Energien setzt, eine Chemiepolitik, die im Resultat hochgiftige Substanzen in die Umwelt bringt, eine Industriepolitik, deren primäres Ziel eben nur quantitatives Wachstum ist. „Umweltgerechte Landwirtschaft", „sanfte Chemie", „regenerative Energien" oder „ökologischer Umbau" sind Vokabeln, die im Repertoire der Regierungen hier wie dort nicht vorkommen.
({5})
Hier sehen wir GRÜNEN den größten Handlungsbedarf. Wir brauchen ein Gesamtkonzept zum ökologischen Umbau der Industriegesellschaft, wenn wir überleben wollen. Aber dieses Konzept kann der Staat nicht allein entwickeln. Das geht nur mit Umweltschutz von unten. Warum fehlt dieser Punkt im Umweltabkommen mit der DDR? Warum benennt unsere Regierung Vertreter der Industrie, aber keine der Bürgerinitiativen für den Erfahrungsaustausch?
Die GRÜNEN jedenfalls danken an dieser Stelle all den vielen Bürgerinitiativen in der Bundesrepublik, die mit viel Sachkenntnis, großem Einfallsreichtum und immer neuer Energie dafür gesorgt haben, daß unsere Umwelt nicht noch schlechter aussieht, daß manches bewahrt werden konnte.
({6})
Und wir grüßen in großer Hochachtung umweltbewußte Bürger und Gruppen in der DDR, die durch ihre mutigen Eingaben und kritischen Fragen auch dort manches erreichen konnten. Sie haben damit auch uns geholfen.
({7})
Jede Regierung, die auf solche Leute hört, ist gut beraten. Das gilt für beide deutsche Staaten.
({8})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bericht zur Lage der Nation konnte eine erfolgreiche Bilanz der Deutschlandpolitik geben, eine erfolgreiche Bilanz der Entwicklung unserer Beziehungen mit unseren östlichen Nachbarn und eine erfolgreiche Bilanz auch der Abrüstungspolitik. Wir haben uns heute am Ende dieser Debatte zu fragen: Ist die Bundesregierung mit der Politik in diesen drei Bereichen auf dem richtigen Wege oder nicht?
Die Bilanz ist eindeutig: Wir wollen diese erfolgreiche Außen-, Sicherheits-, Abrüstungs- und Deutschlandpolitik fortsetzen.
({0})
Wir wollen sie fortsetzen, weil sie dazu beitragen wird, mehr Sicherheit in Europa zu schaffen. Wir wollen sie aber auch fortsetzen, weil sie erkennbar - und das ist das Hauptthema dieser Debatte - für die Deutschen in beiden deutschen Staaten Verbesserungen ihrer Möglichkeiten, sich zu begegnen, gebracht hat. Das ist etwas, was zählt, was wir diesmal sogar an Zahlen bemessen können, und das ist ein entscheidender Fortschritt.
Wir hätten das nicht erreicht, wenn wir diese Fortschritte im Alleingang gesucht hätten. Schon unser Grundgesetz erinnert uns in seiner Präambel daran, daß unser nationales Schicksal in das Schicksal Europas eingebettet ist. Deshalb kann deutsche Politik in allen Bereichen immer nur europäische Friedenspolitik sein.
({1})
Der Bundeskanzler hat am 12. März 1985 in der gemeinsamen Erklärung mit dem Staatsratsvorsitzenden der DDR Honecker zu Recht die gemeinsame Verantwortung der beiden deutschen Staaten für die Entwicklung, für die Lage, für die Sicherheit in Europa unterstrichen. Das ist etwas, was ja auch die Gespräche bei dem Besuch hier in der Bundesrepublik Deutschland bestimmt hat.
Es hat doch Zeiten gegeben, in denen die West-OstBeziehungen durch das deutsch-deutsche Verhältnis belastet waren. Heute können wir feststellen, daß die Dynamik der Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland der Dynamik der West-Ost-Beziehungen sozusagen einen zusätzlichen Schub gibt. Das werden wir nur dann für die Zukunft bewahren können, wenn wir mit der gleichen Intensität auch unsere Beziehungen zu allen unseren östlichen Nachbarn, der Sowjetunion und den anderen Staaten des Warschauer Paktes, pflegen.
Die zentrale Bedeutung der Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur Sowjetunion für die Lage in Europa ist offenkundig. Deshalb ist es auch unsere Aufgabe, immer wieder zu analysieren, welche Möglichkeiten die inneren Entwicklungen in der Sowjetunion für die Verbesserung des West-Ost-Verhältnisses bieten. Es ist falsch, die innere Lage in der Sowjetunion als ein nur innenpolitisches Problem dieser Weltmacht zu betrachten. Eine Sowjetunion, die sich nach innen öffnet und die sich als Folge davon auch nach außen öffnet, ist für uns bei der Zusammenarbeit ein besserer Partner als eine Sowjetunion, die in die Politik, sich abzuschließen, zurückfiele.
({2})
Deshalb liegt es im nationalen Interesse, jede Möglichkeit zu nutzen, diese Politik zu ermutigen und womöglich auch zu fördern.
({3})
Meine Damen und Herren, hier haben wir eine entscheidende Aufgabe auch in der Gemeinschaft der westlichen Demokratien, wohl wissend, daß wir nicht isoliert, sondern nur gemeinsam diesen Weg gehen können. Dabei ist die Schlußakte von Helsinki jene Kursbestimmung für ein besseres Europa, die uns im Interesse der Menschen leitet. Alles, was wir dabei tun, verbessert auch die Lage der geteilten Nation.
Es ist immer wieder festgestellt worden - man kann es hören und lesen - , über die Zukunft der deutschen Nation werde die Geschichte entscheiden. Nur, meine Damen und Herren, so, wie wir den zurückliegenden Teil unserer Geschichte mit beeinflußt und mit entschieden haben, entscheiden wir durch unser Handeln auch über den vor uns liegenden Teil der deutschen Geschichte, und das bedeutet, daß wir unsere Verantwortung in Europa und für Europa erkennen. Jeder Schritt, den wir tun, um die Trennung in Europa zu überwinden, ist auch ein Schritt zur Überwindung der Trennung der Deutschen im geteilten Land.
({4})
Das ist der Ausdruck jenes bedeutungsvollen Satzes, daß uns unsere Geschichte nie allein gehört hat. Auch unsere Zukunft wird uns nie allein gehören. Das ergibt sich aus unserer zentralen Lage in Europa, aus unserer Geschichte, aber auch aus der Bedeutung unseres Volkes.
Der Regierende Bürgermeister hat Nachdenkliches über die Art gesagt, wie wir unseren Mitbürgern aus der DDR zu begegnen haben. Ich kann Ihnen da nur zustimmen, Herr Regierender Bürgermeister. Man kann nur empfehlen, nicht vom hohen Rosse aus über die Menschen in der DDR zu sprechen und zu dekretieren, was für sie gut ist und was nicht.
({5})
Nutzen wir die Möglichkeiten der Begegnungen jetzt für ein intensives Gespräch!
({6})
- Ja, der Zwischenruf ist richtig: Das gilt für alle, für jeden einzelnen von uns. Nutzen wir die Möglichkeiten der Gespräche mit den Besuchern hier, unsere Möglichkeiten bei den Besuchen drüben, was sie von uns denken, was sie von uns erwarten! Ich denke, manche Töne werden dann leiser und vielleicht manche Gedanken klarer werden.
({7})
Ich bin mir über eines ganz sicher, meine Damen und Herren: In einem Punkte gibt es keine Meinungsverschiedenheit mit unseren Mitbürgern in der DDR: Sie erwarten von uns, von der Bundesrepublik Deutschland, daß wir dort, wo wir die Möglichkeit dazu haben, diejenigen sind, die am intensivsten, die am entschlossensten für Dialog, Entspannung, Zusammenarbeit und Abrüstung eintreten. Wenn wir das tun, werden wir den humanistischen Traditionen unserer Geschichte gerecht, und dann erfüllen wir auch unsere nationale Verantwortung in unserer europäischen Friedensverantwortung.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Büchler ({0}).
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich erlaube mir am Schluß dieser Debatte, eine kurze Zusammenfassung zu machen. Wir haben eine Spannbreite in der Union erlebt, die - das muß ich leider sagen - von einer nichtssagenden Regierungserklärung über Czaja, Lintner bis hin, Herr Regierender Bürgermeister - das will ich ausdrücklich sagen - , zu Ihrer Sprache, zu dem, was Sie hier gesagt haben, reichte. Wir haben sehr wohl vernommen, daß Sie die Feststellung getroffen haben: Unser Ziel muß es sein, die staatliche Teilung als Einheit erlebbar zu machen. Hier finden wir uns wieder. Ich glaube, das ist eine gute Grundlage für die Deutschlandpolitik, auf der wir gemeinsam arbeiten können, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Wir Sozialdemokraten finden uns - warum sollte ich es verleugnen? - in vielem wieder, was in der Deutschlandpolitik aktuell geschieht. Vielleicht überrascht es manchen, wenn ich sage: Die Bundesregierung macht in vielen Punkten sozialdemokratische Deutschlandpolitik. Die Erklärung dafür ist: Honekkers Politik der Schadensbegrenzung und sein Verhalten gegenüber der Bundesrepublik ließen der Bundesregierung gar keine andere Wahl. Honecker hielt sich auch an das, was vor dem Regierungswechsel mit Helmut Schmidt am Werbellinsee abgesprochen worden ist. Deshalb mußte diese Bundesregierung unsere pragmatische Deutschlandpolitik fortsetzen.
({0})
Aus diesem Grund befinden sich die Unionsparteien in einem Lernprozeß und mitten in einer deutschlandpolitischen Wende. Herr Lintner, Sie probieren es einmal so herum und ein anderes Mal so herum, aber irgendwann werden Sie vielleicht noch eine vernünftige Linie hineinbekommen.
({1})
Ich komme noch einmal darauf zurück: Als Rainer Barzel 1982 das Mißtrauensvotum gegen Helmut Schmidt begründete, diffamierte er sozialdemokratische Deutschlandpolitik noch als eine Politik - ich zitiere - „Kasse gegen Hoffnung". Die Summen aber, die unter der jetzigen Bundesregierung in die DDR fließen - sei es auf Grund von Vereinbarungen oder durch Kredite - sind erheblich höher, als sie es unter Sozialdemokraten jemals waren.
({2})
Ein anderes Beispiel für Ihre Wende: Als sich CDU, CSU und FDP 1983 in Koalitionsverhandlungen befanden, erklärte der CSU-Vorsitzende Strauß, man werde doch eine Deutschlandpolitik nicht fortsetzen, nachdem man sie 13 Jahre lang bekämpft habe. Heute ist es genau diese Bundesregierung, die 1987 in nicht zu überbietender Symbolik die Bedeutung, die Realität und die Richtigkeit des Grundlagenvertrags zwischen beiden deutschen Staaten bestätigt, nämlich indem sie Erich Honecker mit allen protokollarischen Ehren in der Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland empfängt. Ich will das weiß Gott nicht kritisieren - das liegt mir fern - , nur muß man die Wende begreifen.
({3})
Es liegt mir auch fern, darauf einzugehen, was Ihr Fraktionsvorsitzender in der berühmten Fraktionssitzung gesagt hat. Man muß fast annehmen, er gehört jetzt zu den entspannungsfreundlichen Realisten in dieser Bundesrepublik Deutschland. Wie gesagt, ich will dies alles nicht kritisieren; ich freue mich über diese Wende.
({4})
- Herr Lintner, passen Sie auf: Sie läßt deutschlandpolitische Gemeinsamkeiten wieder am Horizont erscheinen, die Dr. Dregger damals, vor drei Jahren, wie Sie wissen, praktisch im Ansatz kaputtgemacht hat. Damals hatten Sie, Herr Kollege Lintner, mit uns über eine gemeinsame Entschließung verhandelt, und wir waren uns schon einig. Mein Kollege Heimann hat den richtigen Zwischenruf gemacht: Wir waren uns schon einig, wir waren soweit. Dann mußten Sie wieder zurücktreten, und die Gemeinsamkeit mußte aufgekündigt werden.
({5})
Das war schon ein etwas blamabler Vorgang.
({6})
Oder mit anderen Worten - im Grunde genommen spricht das wieder für Sie - : Sie haben sich damals schon einmal gewendet, nur mußten Sie sich wieder zurückwenden, und in dieser Situation befindet sich Ihre ganze Fraktion. Das ist Ihr Problem.
({7})
Büchler ({8})
Im Mittelpunkt stand die Bekräftigung des Zieles der Überwindung des trennenden Charakters der Grenzen in Europa, ein Vorsatz, den Herr Genscher jetzt noch einmal betont hat, wo wir voll mit Ihnen übereinstimmen. Als zweiten Punkt nenne ich die Bekräftigung der Gleichberechtigung als Ausgangspunkt der Entwicklung gutnachbarschaftlicher Beziehungen.
Lassen Sie mich dazu zwei Bemerkungen machen.
Erstens. Die zitierten Kernpunkte des bewußten Entschließungsantrags sind seit dem Honecker-Besuch unübersehbar Bestandteil des Regierungshandelns.
({9})
Etwas mehr Ruhe bitte, meine Damen und Herren!
Auch dies geschah ohne - das ist das Bemerkenswerte - Zustimmung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Sie sind also praktisch von einem Kanzleramtsminister überspielt worden. Uns ist auch dies recht, um das deutlich zu sagen.
({0})
Zweitens. Ich hoffe sehr - jetzt wende ich mich an Sie, Herr Kollege Rühe -({1})
- das sage auch ich - , daß Ihre Äußerung zum Warschauer Vertrag in der Union zitterfähig wird. Die klare Akzeptierung der Westgrenze Polens durch alle Beteiligten ist, so sage ich, ein Schlüssel zu den Perspektiven auf eine europäische Zukunft des Friedens, der Zusammenarbeit und der größeren Freiheit für die Menschen in Ost und West. Dies möchte ich hier ganz deutlich sagen.
({2})
Der Kollege Dregger, der heute leider nicht hiersein kann, hat während des Honecker-Besuchs eine sehr feinsinnige Wortwahl getroffen: Nicht ein neues Kapitel in der deutsch-deutschen Beziehung werde aufgeschlagen, erklärte er einem Journalisten, sondern ein neuer Abschnitt habe begonnen. Diese Bemerkung läßt zwei Deutungen zu: Entweder wollte er den Honecker-Besuch herunterspielen - das werden manche Stahlhelmer in Ihrer Fraktion so gesehen haben -, oder er wollte die Fortführung der Deutschlandpolitik seit 1969 unterstreichen. So habe ich das verstanden. Was über Ihre deutschlandpolitische Diskussion vom 6. Oktober 1987 dann an die Öffentlichkeit gedrungen ist, bestätigt mich in dieser Annahme.
Also kann man tatsächlich davon sprechen, daß Sie jetzt versuchen, die Deutschlandpolitik fortzuführen, auch im Sinne von Ursache und Wirkung. Ursache sind bei allen Ergebnissen der Deutschlandpolitik - der Kanzler hat heute einige aufgezählt - der Grundlagenvertrag und die KSZE-Schlußakte, und beides - das wurde hier wiederholt betont - ist von der Union damals bitterlich bekämpft worden. Ursachen sind die Verabredungen zwischen Helmut Schmidt und Erich Honecker am Werbellinsee. Dort wurde Honecker in die Bundesrepublik eingeladen; dort wurde die Wiederaufnahme der Verhandlungen über ein Kulturabkommen in Gang gesetzt; dort wurde der deutsch-deutsche Jugendaustausch ermöglicht; dort wurden Erleichterungen des Reiseverkehrs und die Verbesserung des innerdeutschen Handels vereinbart. Schließlich wurde am Werbellinsee, wenn Sie sich recht erinnern, der friedenspolitische Dialog zwischen den beiden deutschen Staaten erst richtig in Gang gebracht und die Vertiefung der Zusammenarbeit durch die Ausweitung auf die Gebiete von Wissenschaft, Technik und Umweltschutz und auf den Energiebereich verabredet. Das war damals am Werbellinsee.
Die Wirkungen, die Sie und wir miteinander jetzt verspüren, sind nun eingetreten. Ich sage hier auch ganz offen: Man könnte es als Sozialdemokrat ein bißchen mit Wehmut betrachten, daß nun diejenigen - darauf lege ich Wert - , die die Saat verhindern wollten, die Ernte einfahren können; das ist die historische Wahrheit in der Deutschlandpolitik.
({3})
Es sind, schlicht gesagt, unsere Ergebnisse.
Die Bundesregierung hat sich der langfristigen Wirksamkeit und Dynamik unserer Deutschlandpolitik nicht entziehen können; das ist die Wahrheit. Unser Vertragswerk ist so solide gebaut, daß nicht einmal Sie, von der Union, es kaputtbekommen haben; das wollte ich also auch sagen.
({4})
Deshalb wird es auch unsere Aufgabe sein, solange wir in der Opposition sind - es wäre gut für Deutschland, wenn es nicht mehr sehr lange dauern würde, daß Sie diese Rolle wieder übernehmen würden -,
({5})
Sie in Zukunft zu bedrängen und voranzutreiben. Wir werden es markieren, wenn Sie wichtige Chancen für Verbesserungen in den deutsch-deutschen Beziehungen auslassen oder - ich sage es noch deutlicher -, verschlafen, wie das in der Vergangenheit wiederholt der Fall war,
({6})
wie das z. B. immer noch bei Salzgitter der Fall ist, wie es bei den Beziehungen zur Volkskammer jahrelang der Fall war und wie es bei der Elbegrenze hoffentlich nicht mehr lange der Fall sein wird.
Lassen Sie mich Anmerkungen zu einigen Streitpunkten machen. Die Volkskammer besteht aus 500 außerordentlich interessanten Gesprächspartnern aus allen Schichten der Bevölkerung der DDR, vom Politbüromitglied, wie wir wissen, über den Generaldirektor und über Wissenschaftler aller Richtungen bis zum Meister, Facharbeiter, Studenten und Lehrling. Diese Vielfalt von Erfahrungen ist eine Fundgrube für Informationen und Möglichkeiten in der Deutschlandpolitik, die wir aufgreifen sollten. Deswegen ist dieser Kontakt so ungeheuer wichtig für uns.
Aber Sie in Ihrer Situation - wissen Sie, wie Sie mir in dieser Frage vorkommen? Wie ein aufgescheuchter
Büchler ({7})
Hühnerhof. Ein aufgescheuchter Hühnerhof ist geradezu eine geordnete Formation, wenn ich das Bild auf Ihre Fraktion übertrage. Sie wissen doch nicht mehr ein noch aus, und Sie wissen nicht mehr, wie es in dieser Frage weitergeht.
({8})
Herr Abgeordneter, einen Moment!
Meine Damen und Herren, es ist wirklich unerträglich für den Redner, hier überhaupt noch das zum Ausdruck bringen zu wollen, was ihm vorschwebt. Ich bitte, sich sofort zu setzen oder nach draußen zu gehen. Ich lasse den Redner nicht fortfahren, bevor Sie Platz genommen haben und hier Ruhe im Saal herrscht. Diese Unruhe ist für einen Redner unzumutbar.
({0})
- Ich wiederhole: Die Damen und Herren mögen Platz nehmen; sonst werde ich den Redner nicht weiter fortfahren lassen. - Meine Damen und Herren, es muß doch verständlich sein, daß ich Sie darum bitte, Platz zu nehmen. - Ich bitte um Ruhe. - Bitte fahren Sie fort, Herr Kollege.
Frau Präsident, auch Sie wissen, daß es nicht unsere Schuld ist, daß die Redezeit überzogen worden ist, sondern daß es an der anderen Seite lag.
Ich möchte Ihnen nur noch sagen: Wir wollen heute unseren Antrag über Kontakte zur Volkskammer, der so formuliert ist und so vernünftig ausgebaut und so gut begründet worden ist, daß auch Sie ihm zustimmen können - wir wollen es Ihnen ja noch leichter machen - , nicht zur Abstimmung stellen lassen.
({0})
- Wir werden Überweisung beantragen, damit wir zu einer vernünftigen Diskussion kommen. Denn wir wollen nichts kaputtmachen.
Herr Lintner, wenn Sie dann alle auf Linie gebracht haben - diesen Graf Staufenberg und wer sich da nun alles einmischt; vielleicht kommt auch noch irgendein Herzog sonstwo hinzu -,
({1})
dann können wir dies, glaube ich, vernünftig beschließen, was jetzt wirklich lange Zeit ansteht und was endgültig verabschiedet werden muß, damit endlich gleichwertige Beziehungen zwischen der Volkskammer und unserem Bundestag entstehen, damit wir miteinander reden und auch diskutieren können ganauso, wie wir das mit dem ungarischen Parlament oder dem Obersten Sowjet tun. Ich sehe die Unterschiede sehr wohl, Herr Stücklen; gar keine Frage.
({2})
Ich hoffe, daß die FDP endlich einmal zu ihrem Wort steht und diesen Antrag auch inhaltlich mitträgt. Darauf kommt es nämlich an. Sie hat sich ja bis jetzt immer gedrückt.
Wir haben eine Anfrage zur Elbegrenze eingebracht. Zum erstenmal sagen Sie in der Antwort ganz deutlich - wenn ich das richtig sehe - , daß die Feststellung des Grenzverlaufs kein Unternehmen von Verfassungsrang sei. Das ist bedeutungsvoll. Ich bitte Sie wirklich darum, Herr Bundeskanzler - er ist nicht da - ,
({3})
in dieser Frage jetzt weiterzukommen und vor allem nicht die Möglichkeiten zu versäumen, die jetzt in Verhandlungen für die Menschen auch auf unserer Seite noch verwirklicht werden könnten. Hinsichtlich dieser Verhandlungsposition verschlafen Sie auch jetzt wieder die Gelegenheit und gefährden damit Erfolge, die für die Menschen auf beiden Seiten dieser Linie wichtig sind.
Über die Ursachen der deutschlandpolitischen Entwicklung während der Regierungszeit von CDU/CSU und FDP habe ich gesprochen. Dabei fällt auf - lassen Sie mich das ganz deutlich sagen - : Ihre erste wirklich eigenständige deutschlandpolitische Leistung war die protokollarische Gestaltung des Honekker-Besuches. Das ist Ihre erste Leistung gewesen und nichts anderes. Die Vermehrung der Zahlungen, Bürgschaften und Kredite an die DDR ist jedenfalls
- entgegen weit verbreiteter Legenden - kein Ausweis eigenständiger Deutschlandpolitik. Für Geld ändert die DDR ihre Politik nicht. Das hat sie nie getan und wird sie nie tun.
Natürlich werden jetzt das Umweltschutzabkommen, die wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit auch Geld kosten. Aber da geht es um Belange, die beide interessieren, die Bundesrepublik Deutschland und die DDR. Deswegen glaube ich, daß das ein vernünftiger Weg ist. Aber die Milliardenkredite, die 2 Milliarden DM vor wenigen Jahren, waren hinausgeworfenes Geld, großzügige Handhabungen, nichts anderes. Sie haben nichts gebracht an Freizügigkeit, nichts gebracht - ich möchte es noch einmal sagen - von dem, was damals von Herrn Strauß versprochen worden ist.
Der internationale Druck und das, was die DDR als Friedenspolitik in die Weltpolitik eingespeist hat, hat die DDR veranlaßt, ihr Grenzregime etwas anders zu gestalten, zu modifizieren. Aber glauben Sie doch nicht, daß es deswegen überwindbarer geworden ist. Es ist im Grunde genommen dasselbe geblieben.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.
Das ist also die Tatsache, mit der wir es zu tun haben.
Ich erkenne an, wenn Sie zur deutschlandpolitischen Vernunft kommen. Ich hoffe, Sie bewegen sich sehr bald auf dem Boden dieser Tatsachen unserer Politik. Sie haben natürlich einen weiten Weg vor sich. Wenn Sie die Wende geschafft haben, sind Sie noch mindestens 10 bis 15 Jahre hinter den Sozialdemokraten zurück. Sie müssen also noch viel lernen, Sie müssen noch viel aufholen. Ihnen fehlt die Souveränität
- ich sage es noch einmal - , mit der DDR zu diskutieren, mit ihr in eine offensive Auseinandersetzung zu treten. Das ist Ihr Manko: das Fehlen der
Büchler ({0})
Souveränität von Demokraten. Das müssen Sie aufarbeiten.
Deshalb sage ich zum Schluß: Vieles, was an Perspektiven eigentlich auf der Hand liegt, bleibt bei Ihnen im dunkeln. Sie haben es nicht geschafft, konstruktive Deutschlandpolitik zu entwickeln. Wir bieten Ihnen unsere Hand an. Wir helfen Ihnen, in deutschlandpolitischen Diskussionen weiterzukommen, weil nur so den Menschen in beiden Teilen Deutschlands gedient werden kann. Das ist, glaube ich, die oberste Aufgabe der Deutschlandpolitik, die wir gemeinsam lösen müssen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich bitte, Platz zu nehmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wie ich höre, ist eine Verständigung darüber erzielt worden, daß wir zuerst über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP, dann über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und anschließend über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN abstimmen.
Zu allen drei Entschließungsanträgen sind namentliche Abstimmungen verlangt worden. Wir stimmen jetzt also über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 11/945 namentlich ab. Ich eröffne die Abstimmung. -
Es finden noch zwei weitere namentliche Abstimmungen statt. Bleiben Sie bitte hier.
Meine Damen und Herren, haben alle Mitglieder des Hauses abgestimmt? - Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer auszuzählen.
Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung gebe ich später bekannt.') Ich gehe davon aus, daß wir die weiteren namentlichen Abstimmungen jetzt durchführen können.
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur nächsten namentlichen Abstimmung, und zwar über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/944. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. -
Meine Damen und Herren, haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte abgegeben? - Ich schließe die Abstimmung. **)
Wir kommen jetzt - ich bitte die Schriftführer, die Urnen auszuwechseln - zur nächsten namentlichen Abstimmung. Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/951 namentlich ab. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. -
Wir sind in der dritten namentlichen Abstimmung. Ich frage: Wer hat seine Stimmkarte noch nicht abgegeben? -
*) Siehe Seite 2201C **) Siehe Seite 2203 A
Darf ich fragen, ob noch jemand draußen steht und seine Karte noch nicht abgegeben hat. - Ich schließe die Abstimmung und bitte um Auszählung.
Die Ergebnisse werden nach der Mittagspause bekanntgegeben.*)
Wir müssen jetzt noch weitere Abstimmungen mit Handaufheben vornehmen.
Zu Tagesordnungspunkt 2 b und zu Zusatztagesordnungspunkt 2 wird interfraktionell vorgeschlagen, die Vorlagen zum Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation an die in der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Vorlage zu Tagesordnungspunkt 2 b soll gemäß dem Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/943 zur Mitberatung auch an den Ausschuß für Wirtschaft überwiesen werden. - Das Haus ist damit einverstanden. Dies ist so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu dem Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/950 - „Beziehungen zwischen dem Deutschen Bundestag und der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik" -. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag an den Ältestenrat zu überweisen. Auch dagegen gibt es keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich sage noch einmal, daß die Ergebnisse der Auszählungen nachher bekanntgegeben werden.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr. Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Ich eröffne die unterbrochene Sitzung erneut.
Bevor wir zur Fragestunde kommen, möchte ich Ihnen mitteilen, daß wir im Anschluß an die Fragestunde noch die Gesetze und Tagesordnungspunkte aufrufen, die ohne Debatte zur Behandlung und Abstimmung gebracht werden können.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
- Drucksache 11/933 -
Wir haben den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts zu behandeln. Zur Beantwortung ist Herr Staatsminister Dr. Stavenhagen anwesend.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Schily auf:
Haben Mitglieder der Bundesregierung, insbesondere Bundesfinanzminister Dr. Stoltenberg bei seinen Ausführungen vor dem Deutschen Bundestag am 18. September 1987, Kenntnis von Tatsachen gehabt, die den Verdacht von falschen oder irreführenden Angaben des früheren schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Dr. Barschel hinsichtlich der Diffamierungskampagne gegen den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Engholm begründen, und warum haben sie diese Informationen gegebenenfalls nicht rechtzeitig weitergeleitet?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Herr Abgeordneter Schily, am 18. September la-
*) Siehe Seite 2204 D
2198 Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 33. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 15. Oktober 1987
gen der Bundesregierung und auch Bundesfinanzminister Dr. Stoltenberg mit Ausnahme der Darstellungen in den Medien keine Kenntnisse im Sinne Ihrer Frage vor.
Zusatzfrage, Herr Schily.
Herr Staatsminister, welche Informationen erhält Bundesfinanzminister Stoltenberg in dieser fraglichen Angelegenheit von dem gleichnamigen CDU-Vorsitzenden von Schleswig-Holstein, und welchen Gebrauch macht er davon?
Herr Abgeordneter Schily, die Bundesregierung weist darauf hin, daß die Klärung des Sachverhalts Gegenstand eines Untersuchungsausschusses im Schleswig-holsteinischen Landtag ist. Erst nach Vorliegen seiner Ergebnisse können sich Mitglieder der Bundesregierung dazu äußern.
Weitere Zusatzfrage, Herr Schily.
Unter Hinweis auf die Tatsache, daß Herr Bundesfinanzminister Stoltenberg ja bekanntlich in der Sitzung des Deutschen Bundestages vom 18. September 1987 Erklärungen zu dem Sachverhalt abgegeben und auch auf eine bestimmte Informationsquelle verwiesen hat, möchte ich die Frage stellen: Wann hat Herr Bundesfinanzminister Stoltenberg erstmals mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Barschel über Machenschaften gegen den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Engholm gesprochen?
Herr Kollege, ich habe Ihnen Ihre Frage beantwortet, über welchen Kenntnisstand die Bundesregierung und Dr. Stoltenberg am 18. September verfügten. Weitergehende Auskünfte kann ich Ihnen auf Grund der Tatsache, daß es sich um einen Untersuchungsausschuß in Schleswig-Holstein handelt und nicht in den Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung fällt, nicht geben.
Zusatzfrage, Frau Roitzsch, bitte.
Herr Staatsminister, halten Sie es nicht für ein Gebot der Fairneß und des Anstands, daß wir auch hier im Bundestag so verfahren wie in Schleswig-Holstein und nicht weiter über diese Dinge sprechen, bevor der ehemalige Ministerpräsident beerdigt worden ist?
Frau Kollegin, über Stilfragen kann man in diesem Haus in der Tat diskutieren.
Abgeordneter Gansel zu einer Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, aus welchen Gründen hat Minister Stoltenberg in der Aktuellen Stunde am 18. September folgendes erklärt - ich darf zitieren, Herr Präsident - :
Herr Schily, Sie sagen die Unwahrheit, wenn Sie unterstellen, daß sich die CDU nicht von den wirklich scharf zu verurteilenden Aktionen des Herrn Pfeiffer gegen Herrn Engholm distanziert hat. Wir haben das getan,
({0}) und ich tue es hier bekräftigend erneut.
({1})
- Ich sage Ihnen: Wir haben das vor der Wahl getan, und ich tue das hier erneut.
- obwohl tatsächlich eine solche Entschuldigung von Herrn Stoltenberg für die Aktivitäten von Herrn Pfeiffer vor der Wahl nicht erfolgt ist? Warum hat der Bundesminister nicht tatsachengemäß im Bundestag geantwortet?
Herr Kollege, wie ich soeben schon zu der ursprünglichen Frage des Abgeordneten Schily ausgeführt habe, lagen am 18. September der Bundesregierung und auch Bundesfinanzminister Stoltenberg über das hinaus, was den Medien zu entnehmen war, im Sinne der Frage keine Erkenntnisse vor.
Der Abgeordnete Heyenn hat eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, welche Bedeutung messen Sie der Tatsache zu, daß bei diesem wichtigen Punkt der Fragestunde nur eine Kollegin und ein Kollege der CDU/CSU-Fraktion anwesend sind?
Herr Kollege, die Bundesregierung hat sich kein Urteil über die Anwesenheit in der Fragestunde zu erlauben.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Schily auf:
Ist die Bundesregierung bereit, sich wegen der von einigen ihrer Mitglieder geübten Medienschelte gegenüber der Redaktion des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL zu entschuldigen, nachdem nach Meinung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ({0}) Dr. Barschel „der Lüge in Teilen seiner Aussage praktisch überführt" ist?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Herr Abgeordneter Schily, rückblickend und auch unter Berücksichtigung weiterer Veröffentlichungen hat die Bundesregierung dazu keine Veranlassung.
Zusatzfrage, Herr Schily.
Wie beurteilt die Bundesregierung dann die Auffassung des Landesverbandes Schleswig-Holstein der CDU, daß bisher keine Zweifel an den Aussagen Pfeiffers bestehen? Sieht sie aus diesem Grunde ihren eigenen Landesverband der CDU als eine von der „linken Kampfpresse" gesteuerte „linke Kampftruppe" an?
Herr Abgeordneter Schily, die Bundesregierung nimmt zu dem Sachverhalt nicht Stellung, wie ich Ihnen sagte. Es gibt einen Untersuchungsausschuß in Schleswig-Holstein,
dem die Klärung dieser Angelegenheiten übertragen ist.
Zusatzfrage, Herr Schily.
Herr Staatsminister, ist Ihnen eigentlich bekannt, daß der Untersuchungsausschuß des Landtages Schleswig-Holstein sich nicht mit dem Verhalten der Bundesregierung beschäftigen wird und auch gar nicht beschäftigen kann? Können Sie in diesem Zusammenhang vielleicht auch etwas darüber sagen, wie Sie denn das Verhalten der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" beurteilen, ob Sie auch sie inzwischen als linke Kampfpresse einordnen, nachdem sie ja in dem Sachverhalt bestimmte Bewertungen sehr deutlicher Art vorgenommen hat?
Herr Kollege Schily, ich habe hier nicht die Zeitungen zu beurteilen,
({0})
sondern ich habe Ihnen eine Antwort auf Ihre Frage gegeben.
({1})
Ich habe Ihnen gesagt, daß rückblickend und auch unter Berücksichtigung weiterer Veröffentlichungen die Bundesregierung dazu keine Veranlassung hat.
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß weder im Bundeskanzleramt noch in der Bundesregierung über die Zerfallserscheinungen in der schleswig-holsteinischen Landesregierung und in der schleswig-holsteinischen CDU gesprochen worden ist?
({0})
Herr Kollege, ich sehe erstens die von Ihnen geäußerte Behauptung nicht, und zweitens sehe ich keinen Zusammenhang zu der gestellten Frage.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Roitzsch.
Herr Staatsminister, darf ich dann fragen, ob in der Bundesregierung auch über die Zustände in der schleswigholsteinischen SPD gesprochen worden ist und ob einmal gefragt worden ist, wie es angehen kann, daß der Pressesprecher der schleswig-holsteinischen SPD und der Landesvorsitzende der schleswig-holsteinischen SPD angeblich den Spitzenkandidaten der SPD nicht über den Kontakt mit diesem ominösen Herrn Pfeiffer informiert haben wollen?
Frau Kollegin, auch in diesem Fall muß ich Ihnen mitteilen, daß die Bundesregierung zu den Darstellungen in den Medien und den Vorgängen nicht Stellung nimmt, die nicht in den Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung fallen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Staatsminister, wollen Sie hier feststellen, daß der Bundesfinanzminister, der gleichzeitig Landesvorsitzender der CDU in Schleswig-Holstein ist, vor dem 13. September dieses Jahres nichts von den Aktionen des Medienberaters Pfeiffer gegen Björn Engholm gewußt hat?
Herr Kollege, ich habe dies mit der ersten Antwort auf die erste Frage des Kollegen Schily beantwortet.
({0})
Zusatzfrage des Abgeordneten Lippelt.
Herr Staatsminister, um auf den „Spiegel" zurückzukommen: Würden Sie denn nun im nachhinein mit mir darin übereinstimmen, daß der „Spiegel" eine für unseren Staat, für unsere Gesellschaft und für unsere politische Kultur unheimlich wichtige Rolle ausgefüllt hat?
Herr Kollege, die Antwort lautet: nein.
Wir sind damit am Ende des Fragenbereichs des Bundeskanzleramtes. Ich danke dem Staatsminister für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Herr Staatssekretär von Loewenich steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Dr. de With auf:
Hält es die Bundesregierung mit den Pflichten eines redlichen Schuldners für vereinbar, daß die Bundesrepublik Deutschland als Auftraggeber für Dollar-finanzierte Baumaßnahmen zugunsten der US-Streitkräfte häufig die genannten Zahlungsziele erheblich überschreitet und so mittelständische Baufirmen in Schwierigkeiten bringt, die zumindest Entlassungen von Mitarbeitern zur Folge haben können?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
von Loewenich, Staatssekretär im Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: Herr Präsident, wenn der Herr Abgeordnete Dr. de With zustimmt, würde ich gerne die beiden Fragen im Zusammenhang beantworten.
Er ist damit einverstanden.
Dann rufe ich ebenfalls die Frage 10 des Abgeordneten Dr. de With auf:
Was wird die Bundesregierung tun, um die Bundesrepublik Deutschland als Schuldner von Dollar-finanzierten Baumaßnahmen zugunsten der US-Streitkräfte für eine Summe von 125 800 DM bzw. 519 672,52 DM zur Zahlung an ein Bauunternehmen zu bewegen, wobei im ersteren Falle die geprüfte und unstrittige Summe am 5. August 1987 zur Zahlung fällig war und im zweiten Falle trotz ordnungsgemäßer Erbringung der Lei2200
Vizepräsident Westphal
stung bereits im Frühjahr 1986 die Zahlung vom zuständigen Finanzbauamt stereotyp mit dem Hinweis verweigert wurde, „es fehlt die letztendliche Bestätigung durch die Amerikaner"?
Herr Abgeordneter, Baumaßnahmen, die die Bundesrepublik Deutschland far die US-Streitkräfte durchführt, werden aus Heimatmitteln dieser Streitkräfte, also letztlich aus dem amerikanischen Staatshaushalt bezahlt. Darauf werden die Auftragnehmer in den Angebotsunterlagen ausdrücklich hingewiesen; das ist ihnen bekannt.
Die Bundesrepublik Deutschland, die im Außenverhältnis Vertragspartner der Auftragnehmer ist, ist bei der Abrechnung solcher Aufträge auf die rechtzeitige Bereitstellung von Haushaltsmitteln der US-Streitkräfte angewiesen. Deshalb ist mit den US-Streitkräften vertraglich vereinbart, daß sie die erforderlichen Kassenmittel zu einem Zeitpunkt zur Verfügung stellen, der die Zahlung bei Fälligkeit ermöglicht. In der letzten Zeit ist das verschiedentlich nicht der Fall gewesen.
Deshalb hat der Bundesbauminister vor kurzem die US-Streitkräfte nachdrücklich an diese Verpflichtung erinnert. Die Bundesregierung geht davon aus, daß diese Intervention die Einhaltung der von den US-Streitkräften eingegangenen Verpflichtung sicherstellt. Sollte das wider Erwarten nicht der Fall sein, müßte die Bundesregierung weitere Schritte erwägen.
Zusatzfrage, Herr de With.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie davon informieren, daß die Auftragsformulare lediglich aufweisen, daß Vertragspartner die Bundesrepublik Deutschland ist, und nur im Beschrieb „Dollarfinanzierte Baumaßnahme der US-Streitkräfte " erwähnt wird, ohne Hinweis, daß hierdurch eine irgendwie geartete Verzögerung auftreten kann? Dadurch entsteht der Eindruck, daß es allein die Bundesrepublik Deutschland in der Hand hat, rechtzeitig zu zahlen, und daß sie deswegen erheblich ins Gerede kommt, wenn immer wieder nicht gezahlt wird.
von Loewenich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, natürlich stimme ich Ihnen zu, wenn Sie hier aus den Auftragsformularen berichten, aus denen klar hervorgeht: Es geht um Dollar-finanzierte Aufträge. Die Bundesregierung ist der Auffassung: Selbstverständlich sind Verträge strikt einzuhalten; die Bundesrepublik Deutschland ist verpflichtet, diese Verträge strikt einzuhalten.
Die besondere Schwierigkeit - ich darf noch einmal versuchen, das klarzustellen - besteht in folgendem: Nach außen tritt die Bauverwaltung des Bundes als Vertragspartner der Firmen in Erscheinung. Im Innenverhältnis ist vereinbart, daß die US-Streitkräfte die amerikanischen Haushaltsmittel rechtzeitig, d. h. zu dem Zeitpunkt zur Verfügung stellen, zu dem die Rechnungsbeträge fällig sind. Wenn sich die amerikanische Seite an diese vertragliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber nicht rechtzeitig hält, sind die deutschen Verwaltungsbehörden zur Zeit nicht in der Lage, die Rechnungen rechtzeitig zu begleichen, weil Haushaltsmittel, um zunächst in Vorlage zu treten, ihnen nicht zur Verfügung stehen.
Die Bundesregierung ist sich darüber im klaren, daß das ein außerordentlich unbefriedigender Zustand ist. Deswegen haben wir interveniert. Wir wollen diesen Zustand so schnell wie möglich beenden. Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß die betroffenen Firmen selbstverständlich einen Anspruch auf Verzugszinsen haben. Ich kann den betroffenen Firmen daher gegenwärtig nur raten, solche Verzugszinsansprüche geltend zu machen. Die amerikanische Seite verschließt sich solchen Ansprüchen nach unseren Erfahrungen nicht.
Zusatzfrage, Herr de With.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie darauf hinweisen, daß in diesem, ich möchte sagen: streitgegenständlichen Fall bei 20 Abschlagszahlungen nur zwei Abschlagszahlungen fristgemäß erfolgten und bei 17 Abschlagszahlungen das Ziel jeweils um zwei Monate überzogen wurde und die letzte Rate seit mehr als drei Monaten immer noch aussteht? Dies ist geschehen, obwohl - wie ich höre - der Bauminister interveniert hat, ich mehrmals vorgesprochen habe und sich das Verteidigungsministerium eingeschaltet hat. Dennoch hat sich bis heute um 12 Uhr überhaupt nichts gerührt. Weiterhin ist anzumerken, daß noch eine weitere Rate offensteht, die seit mehr als einem Dreivierteljahr fällig ist, so daß insgesamt in diesem Fall 650 000 DM offenstehen.
von Loewenich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, bitte haben Sie dafür Verständnis, daß ich den konkreten Fall, der Ihrer Frage zugrunde liegt, nicht kenne. Ich bitte Sie sehr, mir die Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Ich werde mich sofort darum kümmern und werde Ihnen schnellstmöglich Mitteilung machen, was geschehen kann.
Weitere Zusatzfrage, Herr de With.
Ist die Bundesregierung bereit, nachdem das überhaupt kein Einzelfall ist - ich hatte mich vorher erkundigt; bei einem Einzelfall hätte ich keine mündliche Frage gestellt - , eine irgendwie geartete Vorschußkasse oder eine Kasse einzurichten, damit zunächst der Gläubiger befriedigt wird? Denn es ist zu besorgen - nicht nur in einem Einzelfall -, daß die aus dem Zahlungsverzug - ich kann auch in einem etwas seltsam klingenden Plural sagen: aus den Zahlungsverzügen - resultierenden Schwierigkeiten zur Folge haben, daß es - um es ganz vorsichtig auszudrücken - Entlassungen von nicht nur zehn, zwanzig oder dreißig Arbeitnehmern geben kann.
von Loewenich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich habe vorhin bei der Beantwortung Ihrer Frage schon darauf hingewiesen, daß dann, wenn die Intervention des Bundesbauministers nicht zu dem Ergebnis führen würde, das wir erwarten, die Bundesregierung weitere Schritte erwägen müßte. Ich bitte Sie um
Staatssekretär von Loewenich
Verständnis, daß ich diese weiteren Schritte jetzt nicht hier in der Öffentlichkeit im einzelnen erörtere. Aber sicher ist einer dieser möglichen Schritte das, was Sie sagen.
Letzte Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, wann bei weiterem Stillhalten der Vereinigten Staaten von Amerika für den Bundesbauminister der Zeitpunkt gekommen sein wird, daß er weitere Schritte unternimmt, nachdem im vorliegenden Fall ein weiterer Vorlauf durch meine Intervention und durch die Intervention von Ministerialbeamten des Verteidigungsministeriums und einer Oberfinanzdirektion hinzukommt?
von Loewenich, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich kenne, wie gesagt, diesen Fall nicht. Wenn Sie ihn mir geben, wird er sicher dazu beitragen, daß wir hier ganz schnell um Abhilfe besorgt sind.
Wir sind damit am Ende unserer Fragestunde. Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Ich habe die Wortmeldung des Abgeordneten Schily zu einer Erklärung nach § 32 unserer Geschäftsordnung vorliegen.
Da wir Fragestunde haben, gehe ich sinnvollerweise an das Fragestundenmikrophon.
Frau Kollegin Roitzsch hat es für richtig gehalten, in einer Frage den Stil zu beanstanden, daß hier überhaupt Fragen in diesem Zusammenhang gestellt werden. Auch der Vertreter der Bundesregierung meinte eine entsprechende Bemerkung machen zu müssen.
Ich glaube, wir sind uns alle einig, daß bei einem Todesfall selbstverständlich Respekt und Zurückhaltung notwendig sind. Nur nimmt uns auch ein Todesfall nicht die Verantwortung, die politische Klärung eines für unsere parlamentarische Demokratie außergewöhnlichen, bis in katastrophale Züge hineingehenden Zustands in einem bestimmten Bundesland vorzunehmen sowie die Frage zu behandeln, welche Haltung die Bundesregierung dazu einnimmt. Ich finde es schlimm, wenn in einem solchen Zusammenhang versucht wird, eine solche Klärung auf diese Weise zu unterbinden, vor allen Dingen auch mit Falschbehauptungen, z. B. wenn erklärt wird, in Schleswig-Holstein werde innegehalten. Auch der schleswig-holsteinische Untersuchungsausschuß setzt seine Untersuchungen fort. Bekanntlich werden auch in der Presse sehr viele wichtige und notwendige Fragen erörtert. Wir können hier im Bundestag als diejenigen, die eine Verantwortung für unser Mandat, für unsere Wählerinnen und Wähler tragen, nicht anders verfahren. Das mag in aller Ruhe und Sachlichkeit geschehen, wie es auch meine Art ist, aber ich bitte doch, nicht einen solchen Fragebedarf durch Hinweise zu diffamieren, wie sie hier geschehen sind.
Die Abgeordnete Frau Roitzsch möchte ebenfalls eine Erklärung nach § 32 der Geschäftsordnung abgeben.
Herr Präsident! Ich möchte dem Herrn Kollegen Schily empfehlen, im Protokoll meine Frage nachzulesen; denn in meiner Frage war der Wortlaut „bis zur Beerdigung". Ich habe nicht davon gesprochen, daß man auf Grund eines Todesfalles nun überhaupt nicht mehr nachfragen dürfe. Ich meine auch nicht, daß ich den Herrn Kollegen Schily in irgendeiner Form diffamiert hätte; denn das wäre bei ihm ... - Na ja, ich sage es nicht. - Aber ich wollte dies noch einmal klarstellen.
Meine Damen und Herren, bevor ich die nächsten Tagesordnungspunkte aufrufe, werde ich Ihnen die von den Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen mitteilen, die wir vor der Mittagspause gehabt haben.
Zunächst das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der CDU/CSU und der FDP - Drucksache 11/945 - : Es wurden 421 Stimmen abgegeben. Davon war keine Stimme ungültig. Mit Ja haben 240 Abgeordnete, mit Nein 181 Abgeordnete gestimmt. Es hat keine Enthaltungen gegeben.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 419; davon
ja: 240
nein: 179
Ja
CDU/CSU
Dr. Abelein Austermann Bauer
Bayha
Dr. Becker ({0}) Frau Berger ({1})
Dr. Biedenkopf
Biehle
Dr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm
Böhm ({2}) Börnsen ({3})
Dr. Bötsch Bohl
Borchert
Breuer
Bühler ({4}) Buschbom
Carstensen ({5}) Clemens
Dr. Daniels ({6})
Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger
Dr. Dollinger
Doss
Ehrbar
Eigen
Eylmann Feilcke
Dr. Fell
Fellner
Fischer ({7})
Francke ({8}) Dr. Friedrich
Fuchtel
Ganz ({9}) Frau Geiger
Geis
Dr. von Geldern Gerstein
Gerster ({10})
Dr. Göhner
Dr. Götz Gröbl
Dr. Grünewald Günther Harries
Frau Hasselfeldt Haungs
Hauser ({11}) Hauser ({12}) Hedrich
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Hörster Dr. Hoffacker
Dr. Hornhues
Frau Hürland-Büning Dr. Hüsch
Dr. Jahn ({13})
Dr. Jobst
Jung ({14})
Jung ({15})
Vizepräsident Westphal
Kalb
Kalisch
Dr.-Ing. Kansy Dr. Kappes Kiechle
Kittelmann
Klein ({16})
Dr. Köhler ({17}) Kolb
Kossendey Kraus
Krey
Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({18})
Lamers
Dr. Langner Lattmann
Lenzer
Frau Limbach Link ({19})
Link ({20})
Linsmeier
Dr. Lippold ({21}) Dr. h. c. Lorenz
Louven
Lowack
Lummer
Maaß
Frau Männle Magin
Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup
Dr. Miltner Dr. Möller Müller ({22})
Müller ({23})
Nelle
Dr. Neuling Neumann ({24}) Niegel
Dr. Olderog Oswald
Frau Pack
Pesch
Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pfennig Dr. Pinger Dr. Pohlmeier Dr. Probst
Rawe
Reddemann Regenspurger Repnik
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch ({25}) Frau Roitzsch ({26}) Dr. Rose
Rossmanith Roth ({27}) Rühe
Dr. Rüttgers Ruf
Sauer ({28})
Sauer ({29})
Sauter ({30})
Sauter ({31})
Dr. Schäuble Scharrenbroich
Schartz ({32}) Schemken Schmidbauer Schmitz ({33})
von Schmude Schreiber
Dr. Schroeder ({34}) Schulhoff
Dr. Schulte ({35}) Schulze ({36})
Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Spilker
Spranger
Dr. Sprung
Dr. Stark ({37})
Dr. Stoltenberg
Strube
Frau Dr. Süssmuth
Susset
Tillmann
Dr. Uelhoff Uldall
Frau Verhülsdonk
Vogel ({38})
Vogt ({39})
Dr. Voigt ({40})
Dr. Vondran
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg
Weiß ({41}) Werner ({42})
Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer ({43})
Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann Dr. Wörner Würzbach
Dr. Wulff
Zeitlmann Zierer
Zink
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Beckmann Bredehorn
Cronenberg ({44}) Eimer ({45}) Engelhard
Dr. Feldmann
Frau Folz-Steinacker Funke
Gallus
Gattermann Genscher
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann
Heinrich
Dr. Hirsch Dr. Hitschler Hoppe
Dr. Hoyer
Kleinert ({46})
Dr.-Ing. Laermann
Lüder
Mischnick Möllemann Neuhausen Nolting
Rind
Ronneburger
Schäfer ({47})
Frau Seiler-Albring
Dr. Thomae
Timm
Dr. Weng ({48}) Wolfgramm ({49})
Nein
SPD
Amling
Andres
Antretter Dr. Apel Bachmaier Bamberg Becker ({50})
Frau Becker-Inglau Bernrath
Frau Blunck
Dr. Böhme ({51}) Börnsen ({52}) Büchler ({53})
Büchner ({54})
Dr. von Bülow
Buschfort Catenhusen
Frau Conrad
Conradi
Frau Dr. Däubler-Gmelin Diller
Dreßler
Duve
Dr. Ehrenberg
Dr. Emmerlich
Erler
Ewen
Frau Faße
Fischer ({55})
Frau Fuchs ({56})
Frau Fuchs ({57})
Gerster ({58})
Gilges
Frau Dr. Götte
Graf
Großmann Dr. Haack Haack ({59})
Frau Hämmerle Hasenfratz
Heimann Heyenn Hiller ({60})
Horn
Huonker Ibrügger Jahn ({61})
Dr. Jens Jungmann Kastning Kiehm
Kirschner Kißlinger Klein ({62})
Dr. Klejdzinski
Kolbow Koltzsch Kühbacher
Kuhlwein Lambinus
Leidinger
Leonhart
Lutz
Frau Luuk Menzel
Dr. Mertens ({63}) Meyer
Müller ({64})
Müller ({65}) Müntefering
Nagel
Nehm
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese
Niggemeier Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oesinghaus Oostergetelo Pauli
Dr. Penner Peter ({66}) Pfuhl
Porzner
Poß
Purps
Reimann
Frau Renger Reuter
Rixe
Roth
Schäfer ({67}) Schanz
Dr. Scheer Scherrer
Schluckebier Schmidt ({68})
Frau Schmidt ({69}) Schmidt ({70})
Dr. Schmude Dr. Schöfberger
Schreiner
Schütz
Seidenthal Frau Seuster Sielaff
Sieler ({71})
Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Sperling
Stahl ({72})
Steiner
Frau Steinhauer
Stiegler
Dr. Struck Frau Terborg Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak
Vahlberg
Voigt ({73})
Vosen
Waltemathe Wartenberg ({74}) Weiermann
Weisskirchen ({75}) Westphal
Frau Weyel Dr. Wieczorek
Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche
Wimmer ({76})
Dr. de With Wittich
Würtz
Zander
Zeitler
Zumkley
Vizepräsident Westphal DIE GRÜNEN
Frau Beer
Frau Brahmst-Rock Brauer
Dr. Briefs
Dr. Daniels ({77}) Frau Eid
Frau Flinner Frau Garbe Häfner
Frau Hensel Hoss
Hüser
Kleinert ({78})
Kreuzeder
Dr. Lippelt ({79}) Dr. Mechtersheimer Frau Nickels
Frau Oesterle-Schwerin Frau Rust
Frau Saibold Schily
Frau Schoppe Sellin
Stratmann
Frau Teubner Frau Trenz
Frau Unruh
Frau Dr. Vollmer Volmer
Frau Wilms-Kegel
Frau Wollny
Der Antrag ist damit angenommen.
Dann kommt das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD - Drucksache 11/944 -: Es waren 427 abgegebene Stimmen, keine ungültige Stimme. Mit Ja haben 155 Abgeordnete, mit Nein 238 Abgeordnete gestimmt. Es hat 34 Enthaltungen gegeben.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 423; davon
ja: 152
nein: 237
enthalten: 34
Ja
SPD
Amling
Andres
Antretter
Bachmaier
Bamberg
Becker ({80})
Frau Becker-Inglau Bernrath
Frau Blunck
Dr. Böhme ({81}) Börnsen ({82}) Büchler ({83}) Büchner ({84}) Dr. von Bülow
Frau Bulmahn Buschfort
Catenhusen
Frau Conrad Conradi
Frau Dr. Däubler-Gmelin Diller
Frau Dr. Dobberthien Dreßler
Duve
Dr. Ehrenberg Dr. Emmerlich Erler
Ewen
Frau Faße
Fischer ({85}) Frau Fuchs ({86}) Frau Fuchs ({87}) Gansel
Gerster ({88}) Gilges
Frau Dr. Götte Graf
Großmann Dr. Haack
Haack ({89}) Haar
Frau Hämmerle Hasenfratz
Dr. Hauchler Heimann Heyenn
Hiller ({90}) Horn
Huonker Ibrügger
Jahn ({91}) Dr. Jens Jungmann Kastning
Kiehm
Kirschner Kißlinger
Klein ({92}) Dr. Klejdzinski Kolbow
Koltzsch Kretkowski Kühbacher Lambinus Leidinger
Leonhart Lutz
Frau Luuk Menzel
Dr. Mertens ({93}) Meyer
Dr. Mitzscherling Müller ({94}) Müller ({95}) Müntefering
Nagel
Nehm
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese Niggemeier
Dr. Nöbel Frau Odendahl Oesinghaus
Oostergetelo
Pauli
Dr. Penner Peter ({96})
Pfuhl
Porzner Poß
Purps
Reimann Frau Renger
Reschke Reuter
Rixe
Roth
Schäfer ({97}) Schanz
Dr. Scheer Scherrer Schluckebier
Schmidt ({98})
Frau Schmidt ({99}) Schmidt ({100})
Dr. Schöfberger Schreiner Schütz
Seidenthal Frau Seuster
Sielaff
Sieler ({101})
Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Sperling
Stahl ({102})
Steiner
Frau Steinhauer
Stiegler Dr. Struck
Frau Terborg Toetemeyer
Frau Traupe
Urbaniak Vahlberg Dr. Vogel Voigt ({103})
Vosen
Waltemathe
Wartenberg ({104}) Weiermann
Frau Weiler Weisskirchen ({105}) Westphal
Frau Weyel Dr. Wieczorek
Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche Wimmer ({106})
Dr. de With Wittich
Würtz
Zander
Zeitler
Zumkley
FDP
Dr. Hirsch
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein
Austermann
Bauer
Bayha
Dr. Becker ({107}) Frau Berger ({108})
Dr. Biedenkopf
Biehle
Dr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm
Böhm ({109}) Börnsen ({110})
Dr. Bötsch Bohl
Borchert Breuer
Bühler ({111}) Buschbom
Carstensen ({112}) Clemens
Dr. Daniels ({113})
Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger
Dr. Dollinger
Doss
Ehrbar
Eigen
Eylmann Feilcke
Dr. Fell Fellner
Fischer ({114}) Francke ({115})
Dr. Friedrich
Fuchtel
Ganz ({116})
Frau Geiger
Geis
Dr. von Geldern Gerstein
Gerster ({117})
Dr. Göhner
Dr. Götz Gröbl
Dr. Grünewald
Günther Harries Frau Hasselfeldt
Hauser ({118}) Hauser ({119}) Hedrich
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Hörster Dr. Hoffacker
Dr. Hornhues
Frau Hürland-Büning Dr. Hüsch
Dr. Jahn ({120})
Vizepräsident Westphal
Jung ({121}) Jung ({122}) Kalb
Kalisch
Dr.-Ing. Kansy Dr. Kappes
Kiechle
Kittelmann
Klein ({123})
Dr. Köhler ({124}) Kolb
Kossendey
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({125}) Lamers
Dr. Langner
Lattmann
Lenzer
Frau Limbach Link ({126}) Link ({127}) Linsmeier
Dr. Lippold ({128})
Dr. h. c. Lorenz Louven
Lowack
Lummer
Maaß
Frau Männle Magin
Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup
Dr. Miltner
Dr. Möller
Müller ({129}) Müller ({130}) Nelle
Neumann ({131})
Niegel
Dr. Olderog
Oswald
Frau Pack
Pesch
Pfeffermann
Pfeifer
Dr. Pfennig
Dr. Pohlmeier Dr. Probst
Rawe
Reddemann
Regenspurger Repnik
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch ({132}) Frau Roitzsch ({133}) Dr. Rose
Rossmanith
Roth ({134}) Rühe
Dr. Rüttgers
Ruf
Sauer ({135}) Sauer ({136}) Sauter ({137}) Sauter ({138})
Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz ({139}) Schemken
Scheu
Schmidbauer Schmitz ({140})
von Schmude Schreiber
Dr. Schroeder ({141}) Schulhoff
Dr. Schulte ({142}) Schulze ({143})
Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer
Seehofer Seesing
Spilker
Spranger Dr. Sprung Dr. Stark ({144})
Dr. Stoltenberg
Strube
Frau Dr. Süssmuth
Susset
Tillmann Dr. Uelhoff Uldall
Frau Verhülsdonk
Vogel ({145})
Vogt ({146})
Dr. Voigt ({147})
Dr. Vondran
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg
Weiß ({148}) Werner ({149})
Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer ({150})
Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Dr. Wörner Würzbach Dr. Wulff Zeitlmann Zierer
Zink
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Beckmann Bredehorn
Cronenberg ({151}) Eimer ({152})
Engelhard
Dr. Feldmann
Frau Folz-Steinacker Funke
Gallus
Gattermann Genscher Grünbeck Dr. Haussmann
Heinrich
Dr. Hitschler Hoppe
Dr. Hoyer Kohn
Dr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen Nolting
Rind
Ronneburger
Schäfer ({153})
Frau Seiler-Albring
Dr. Thomae
Timm
Dr. Weng ({154}) Wolfgramm ({155})
DIE GRÜNEN Dr. Briefs
Enthalten
DIE GRÜNEN
Frau Beer
Brauer
Dr. Daniels ({156}) Frau Eid
Frau Flinner
Frau Garbe
Häfner
Hoss
Hüser
Kleinert ({157}) Dr. Knabe
Kreuzeder
Dr. Lippelt ({158}) Dr. Mechtersheimer Frau Nickels
Frau Oesterle-Schwerin Frau Rust
Frau Saibold
Frau Schmidt-Bott Frau Schoppe
Stratmann
Frau Teubner
Frau Trenz
Frau Unruh
Frau Dr. Vollmer Volmer
Frau Wilms-Kegel Frau Wollny
FDP
Frau Dr. Hamm-Brücher Lüder
Der Antrag ist damit abgelehnt.
Er folgt das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN - Drucksache 11/951 - : Bei ebenfalls 427 abgegebenen und keinen ungültigen Stimmen haben 35 Abgeordnete mit Ja gestimmt, 386 mit Nein. Es hat 6 Enthaltungen gegeben.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 425; davon
ja: 35
nein: 384
enthalten: 6
Ja
DIE GRÜNEN
Frau Beer
Brauer
Dr. Briefs
Dr. Daniels ({159}) Ebermann
Frau Eid Frau Flinner Frau Garbe Häfner
Frau Hensel Hoss
Hüser
Kleinert ({160})
Dr. Knabe Kreuzeder Dr. Lippelt ({161})
Dr. Mechtersheimer
Frau Oesterle-Schwerin
Frau Rust
Frau Saibold Frau Schilling Schily
Frau Schmidt-Bott
Frau Schoppe Sellin
Stratmann
Frau Teubner Frau Trenz
Frau Unruh
Frau Dr. Vollmer Volmer
Frau Wilms-Kegel
Frau Wollny
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein Austermann Bauer
Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 33. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 15. Oktober 1987 2205
Vizepräsident Westphal
Bayha
Dr. Becker ({162}) Frau Berger ({163})
Dr. Biedenkopf
Biehle
Dr. Blank
Dr. Blens
Dr. Blüm
Böhm ({164}) Börnsen ({165})
Dr. Bötsch
Borchert Breuer
Bühler ({166}) Buschbom
Carstensen ({167}) Clemens
Dr. Daniels ({168})
Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger
Dr. Dollinger
Doss
Ehrbar Eigen
Eylmann Feilcke Dr. Fell Fellner
Fischer ({169}) Francke ({170})
Dr. Friedrich
Fuchtel
Ganz ({171})
Frau Geiger
Geis
Dr. von Geldern
Gerstein Gerster ({172})
Dr. Göhner
Dr. Götz Gröbl
Dr. Grünewald
Günther Harries Frau Hasselfeldt
Hauser ({173}) Hauser ({174})
Hedrich
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger
Hörster
Dr. Hoffacker
Dr. Hornhues
Frau Hürland-Büning
Dr. Hüsch
Dr. Jahn ({175})
Dr. Jobst
Jung ({176})
Jung ({177})
Kalb
Kalisch Dr.-Ing. Kansy
Dr. Kappes
Kiechle Kittelmann
Klein ({178})
Dr. Köhler ({179}) Kolb
Kossendey
Kraus
Krey Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({180}) Lamers
Dr. Langner
Lattmann
Lenzer
Frau Limbach Link ({181}) Link ({182}) Linsmeier
Dr. Lippold ({183}) Dr. h. c. Lorenz
Louven
Lowack
Lummer
Maaß
Frau Männle
Magin
Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup
Dr. Miltner
Dr. Möller
Müller ({184}) Müller ({185}) Nelle
Neumann ({186}) Niegel
Dr. Olderog
Oswald
Frau Pack
Pesch
Pfeffermann
Pfeifer
Dr. Pfennig
Dr. Pohlmeier Dr. Probst
Rawe
Reddemann
Regenspurger Repnik
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch ({187}) Frau Roitzsch (Quickborn; Dr. Rose
Rossmanith
Roth ({188})
Rühe
Dr. Rüttgers
Ruf
Sauer ({189}) Sauer ({190}) Sauter ({191}) Sauter ({192})
Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz ({193}) Schemken
Scheu
Schmidbauer
Schmitz ({194})
von Schmude
Dr. Schroeder ({195}) Schulhoff
Dr. Schulte
({196}) Schulze ({197}) Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer
Seehofer
Seesing
Spilker
Spranger
Dr. Sprung
Dr. Stark ({198})
Dr. Stavenhagen Dr. Stoltenberg
Strube
Frau Dr. Süssmuth
Susset
Tillmann Dr. Uelhoff Uldall
Frau Verhülsdonk
Vogel ({199})
Vogt ({200})
Dr. Voigt ({201})
Dr. Vondran
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg
Weiß ({202}) Werner ({203})
Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer ({204})
Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Dr. Wörner Würzbach Dr. Wulff Zeitlmann Zierer
Zink
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Beckmann Bredehorn Eimer ({205})
Engelhard
Dr. Feldmann
Frau Folz-Steinacker Funke
Gallus
Gattermann Genscher Grünbeck
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann
Heinrich Dr. Hirsch
Dr. Hitschler Hoppe
Dr. Hoyer
Kleinert ({206})
Dr.-Ing. Laermann
Lüder
Mischnick Möllemann Neuhausen Nolting
Rind
Ronneburger
Schäfer ({207})
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms Dr. Thomae Timm
Dr. Weng ({208}) Wolfgramm ({209})
SPD
Amling
Andres
Dr. Apel Bachmaier Bamberg Becker ({210})
Frau Becker-Inglau Bernrath
Dr. Böhme ({211}) Börnsen ({212}) Büchler ({213})
Büchner ({214})
Dr. von Bülow
Frau Bulmahn
Buschfort Catenhusen
Frau Conrad
Frau Dr. Däubler-Gmelin Diller
Frau Dr. Dobberthien Dreßler
Duve
Dr. Ehrenberg
Dr. Emmerlich
Ewen
Frau Faße
Fischer ({215})
Frau Fuchs ({216})
Gerster ({217})
Gilges
Frau Dr. Götte
Graf
Großmann Dr. Haack Haack ({218})
Frau Hämmerle Hasenfratz
Heimann Heyenn Hiller ({219})
Horn
Huonker Ibrügger Jahn ({220})
Dr. Jens Jungmann Kastning Kiehm
Kirschner Kißlinger Klein ({221})
Dr. Klejdzinski
Kolbow
Koltzsch Kretkowski Kühbacher Kuhlwein Lambinus Leidinger Leonhart Lutz
Frau Luuk Menzel
Dr. Mertens ({222}) Meyer
Müller ({223}) Müller ({224}) Müntefering
Nagel
Nehm
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese Niggemeier
Dr. Nöbel
Frau Odendahl
Vizepräsident Westphal
Oesinghaus
Oostergetelo
Pauli
Dr. Penner
Peter ({225}) Pfuhl
Porzner
Poß
Purps
Reimann
Frau Renger Reschke
Reuter
Roth
Schäfer ({226}) Schanz
Scherrer
Schluckebier Schmidt ({227})
Frau Schmidt ({228}) Schmidt ({229})
Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiner
Schütz
Seidenthal
Frau Seuster Sielaff
Sieler ({230}) Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Sperling
Stahl ({231}) Steiner
Frau Steinhauer Stiegler
Dr. Struck
Frau Terborg
Der Antrag ist damit abgelehnt.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 und 4 auf :
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 25. März 1986 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und St. Vincent und den Grenadinen über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 11/358 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({232})
- Drucksache 11/854 -Berichterstatter: Abgeordneter Kittelmann
({233})
Zweite Beratung und Schlußabstimmmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. April 1986 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Bulgarien über die gegenseitige Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 11/359 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({234})
- Drucksache 11/855 - Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Mitzscherling
({235})
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über das Vertragsgesetz mit St. Vincent und den Grenadinen. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf.
Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen worden.
Wir stimmen jetzt über das Vertragsgesetz mit der Volksrepublik Bulgarien ab. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf.
Wer dem Gesetz als Ganzem, zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist das Gesetz angenommen.
Ich rufe die Punkte 5, 7 bis 12 und die Zusatzpunkte 4 bis 6 der Tagesordnung auf:
5. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. März 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
- Drucksache 11/886 Überweisungsvorschlag d. Ältestenrates: Finanzausschuß
7. Beratung der Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates über die Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 4. bis 8. Mai 1987 in Straßburg
- Drucksache 11/478 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß ({236})
Ausschuß für Forschung und Technologie Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
8. Beratung der Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Versammlung der Westeuropäischen Union über die Sondersitzung der Versammlung der Westeuropäischen Union am 27. und 28. April 1987 in Luxemburg
- Drucksache 11/552 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß ({237}) Verteidigungsausschuß
9. Beratung der Unterrichtung durch die Delegation der Interparlamentarischen Gruppe der Bundesrepublik Deutschland über die 77. InToetemeyer Frau Traupe Urbaniak
Vahlberg
Vosen
Waltemathe Wartenberg ({238}) Weiermann
Frau Weiler Weisskirchen ({239}) Westphal
Frau Weyel
Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche
Wimmer ({240})
Dr. de With Wittich
Würtz
Zander
Zeitler
Zumkley
Enthalten
SPD
Antretter
Frau Blunck Conradi
Erler
Dr. Scheer
Vizepräsident Westphal
terparlamentarische Konferenz vom 27. April
bis 2. Mai 1987 in Managua/Nicaragua
- Drucksache 11/607 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß ({241})
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
10. Beratung der Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Nordatlantischen Versammlung über die Plenarsitzung der Nordatlantischen Versammlung am 25. Mai 1987 in Quebec/Kanada
- Drucksache 11/637 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß ({242}) Verteidigungsausschuß
11. Beratung der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1987 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung ({243})
- Drucksache 11/872 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß ({244})
Finanzausschuß
12. Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung über den Beitrag der Genossenschaften zur Regionalentwicklung
- Drucksache 11/705 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({245}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
ZP 4 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Amtszeit der Jugendvertretungen in den Betrieben
- Drucksache 11/948 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({246}) Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
ZP 5 Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausweitung der Rechte der Jugendvertretungen und zur Weiterentwicklung in Jugend-und Auszubildendenvertretungen
- Drucksache 11/955 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({247}) Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
ZP 6 Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zur Strategie des Europäischen Parlaments im Hinblick auf die Gründung der Europäischen Union
- Drucksache 11/594 -Überweisungsvorschlag :
Auswärtiger Ausschuß ({248}) Ausschuß für Wirtschaft
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen.
Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 6 und den Zusatzpunkt 7 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({249}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 70/156/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger
- Drucksachen 11/138 Nr. 3.149, 11/495 Berichterstatter: Abgeordneter Kretkowski
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({250}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Fünfte Richtlinie des Rates zur Anpassung des Anhangs III der Richtlinie 76/768/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel an den technischen Fortschritt - KOM ({251}) 156 endg. -- Drucksachen 11/339 Nr. 2.7, 11/959 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Voigt ({252})
Auch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlungen? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung und einer Reihe von Gegenstimmen sind die Beschlußempfehlungen mit großer Mehrheit angenommen worden.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 24 des Petitionsausschusses ({253}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 11/907 Hierzu ist eine Aussprache nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung.
Wer für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. 2208
Vizepräsident Westphal
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Reihe von Enthaltungen ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({254})
Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages
- Drucksache 11/926 Berichterstatter: Abgeordneter Buschbom
Auch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen worden.
Meine Damen und Herren, interfraktionell ist vereinbart worden, daß Zusatzpunkt 8 der Tagesordnung erst im Verlauf der morgigen Sitzung zur Beratung aufgerufen werden wird.
Ich rufe nun die Zusatzpunkte 9 und 10 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 9 des Petitionsausschusses ({255}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 11/242 Beratung der Sammelübersicht 12 des Petitionsausschusses ({256}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 11/325 Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/961 und 11/962 vor.
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Seuster.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die SPD-Fraktion hat zu den Sammelübersichten 9 und 12 von Petitionen an den Bundestag je einen Änderungsantrag gestellt. Meine Fraktion hält es in beiden Fällen für unbedingt erforderlich, die Petitionen der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen. Über den Einzelfall hinaus sind von dieser Problematik Millionen von Bürgern direkt betroffen.
Im ersten Fall bittet der Petent um rechtzeitige Wertstellung von Tilgungsleistungen bei Hypothekendarlehen von Kreditinstituten. Um was handelt es sich hier? Jahrzehntelang haben viele Kreditinstitute ihre Hypothekenkunden hinters Licht geführt, weil die monatlichen oder vierteljährlichen Tilgungsraten erst im folgenden Jahr bei den Zinsberechnungen berücksichtigt werden. Obwohl die Schuld kontinuierlich abnimmt, zahlt der Kreditnehmer also das ganze Jahr Zinsen auf die Summe, die am Anfang des
Jahres, am 1. Januar, besteht. Es werden also zum Teil Zinsen für eine Schuld verlangt, die gar nicht mehr vorhanden ist. Dies widerspricht den Grundsätzen des Vertragsrechts.
Bei einem Kredit von 100 000 DM, bei 30jähriger Laufzeit, 7 % Zinsen und einer Tilgung von 1 To verteuert sich der Kredit gegenüber der richtigen Wertstellung um siebeneinhalbtausend Mark. Das trifft einige Millionen von Kreditnehmern, vor allem die Häuslebauer. Den Banken, den Sparkassen und auch den Bausparkassen bringt diese Klausel im Kleingedruckten Jahr für Jahr zusätzlich Gewinne von mindestens einer Milliarde DM.
Ein Kreditnehmer ist bereits gerichtlich gegen diese Bestimmungen vorgegangen und hat beim Landgericht Stuttgart einen Prozeß gegen seine Bank angestrengt. Das Landgericht hat ihm recht gegeben und dabei überzeugend ausgeführt, daß die Regelung zugunsten der Bank von einem wesentlichen Grundgedanken des Gesetzes über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen abweicht, nämlich von dem, daß eine Schuld erlischt, wenn die Leistung erbracht worden ist.
Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß diese Gerichtsentscheidung angefochten wird. Wir meinen deshalb, daß wir dem Anliegen des Petenten folgen sollten, um direkt Abhilfe schaffen zu können.
Der zweite Antrag betrifft die Anrechnung des Kindergeldzuschlages auf Leistungen der Sozialhilfe. Der Petent und acht weitere Petitionen kritisieren die Anrechnung des Kindergeldes bzw. des Kindergeldzuschlages bei der Gewährung von Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz. Diese Anrechnung führt dazu, daß sich das Einkommen der Sozialhilfeempfänger durch die Gewährung von Kindergeld bzw. von Kindergeldzuschlägen in keiner Weise verändert. Im Ergebnis werden also durch die Gewährung von Kindergeldzuschlägen nur Sozialhilfeleistungen eingespart; es findet nur eine Verschiebung statt. Die finanzielle Lebensgrundlage gerade der Personen, die am dringendsten darauf angewiesen sind, wird nicht verbessert. Sozialhilfeempfänger und ihre Kinder leben trotz Kindergeldzuschlag weiter auf dem Sozialhilfeniveau.
Die CDU und insbesondere Frau Ministerin Süssmuth behaupten immer wieder, die Familie bilde den Mittelpunkt ihrer Politik. Deshalb muß sich die CDU fragen lassen, von welchem Familienbild sie ausgeht. Heute lebt bereits jedes elfte Kind unter sieben Jahren von der Leistung der Sozialhilfe. Gehören diese Kinder, die Kinder der Sozialhilfeempfänger, nicht zu den besonders schutzbedürftigen Kindern unserer Gesellschaft? Hier muß durch eine Freistellung des Kindergeldzuschlages von der Einkommensanrechnung in der Sozialhilfe abgeholfen werden.
In anderen Fällen geht die Bundesregierung vom Prinzip der Anrechnung durchaus ab, z. B. beim Kindergeldleistungsgesetz, z. B. beim Erziehungsgeld, z. B. bei der Stiftung „Mutter und Kind".
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, unseren Anträgen zuzustimmen, denn sie haben praktische Bedeutung für Millionen von Bürgern.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Haungs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der ersten Petition in Sachen Bausparwesen hat der Ausschuß mehrheitlich beschlossen, sie der Bundesregierung zur Kenntnisnahme zu überweisen. Ich gebe zu, daß der Berechnungsmodus der Bausparkassen nicht unbedingt verbraucherfreundlich ist. Es ging in diesem Punkt ja lediglich um die Bausparkassen.
Was ist der Stein des Anstoßes? Die bekanntermaßen günstigen Zinsen der Bausparkassen werden nach Höhe der Darlehensschuld am Beginn des Vierteljahres berechnet, was natürlich zu der Illusion führen kann, wie Sie, Frau Kollegin, es hier dargelegt haben, daß dem Verbraucher hier zuviel abgenommen wird. Nur, ich möchte Ihnen sagen: Wenn wir einen anderen Abrechnungsmodus finden, was ich begrüßen würde, dann würde dafür nach der Berechnung der Zinssatz wahrscheinlich steigen. Ihre Berechnung, hier könnte 1 Milliarde DM eingespart werden, halte ich für absolut illusorisch.
Desweiteren hat sich der Petent darüber beklagt - diese Klage hat er aber wieder zurückgenommen - , er werde nicht angemessen an den Gewinnüberschüssen beteiligt. Das geschah dann immerhin. Ich kann hier also keine ungerechte Behandlung sehen, nur, ich meine, man könnte es etwas transparenter gestalten, damit zumindest nicht der Eindruck erweckt wird, hier würde jemand ungerecht behandelt. Deswegen haben wir die Petition der Bundesregierung ja auch zur Kenntnisnahme überwiesen.
Dieser Konflikt ist ohne Zweifel vorhanden, aber, Frau Kollegin, wenn Sie das Urteil des Landgerichts Stuttgart erwähnen, muß ich Ihnen sagen: Das Landgericht Stuttgart hat in seinem Urteil aus dem Jahre 1987 die Wirksamkeit dieser Klausel bestätigt und in seiner Entscheidung festgestellt, daß solche Vertragsbestimmungen weder nach den Vorschriften des AGB-Gesetzes unwirksam sind noch von den wesentlichen Grundgedanken des Schuldrechts abweichen. Der Kreditnehmer wurde in diesem Falle nicht unangemessen entgegen dem Gebot von Treu und Glauben benachteiligt. Es ist hier also nicht möglich, auf Berücksichtigung zu plädieren. Aus diesem Grund hat der Ausschuß dieses Votum auch mehrheitlich abgelehnt.
Im zweiten Fall geht es um die Anrechnung von Kindergeld und Kindergeldzuschlag auf die Sozialhilfe. Seit vielen Jahren beschäftigt sich der Petitionsausschuß mit der Problematik der Sozialhilfeempfänger, daß sie das gewährte Kindergeld oder den Kindergeldzuschlag auf ihre Sozialhilfeleistung angerechnet bekommen. Dies hat, wie Sie ausführten, zur Konsequenz, daß, wenn sich die Kindergeldleistungen erhöhen, der Sozialhilfeempfänger hiervon nichts in seinem Portemonnaie bemerkt. Es gab eine große
Anzahl von Eingaben. Wir haben auch darüber nachgedacht, ob es hier eine Änderung geben kann. Wir halten allerdings eine Änderung vom System der Sozialhilfe her nicht für machbar und plädieren deshalb dafür, diese Petition für erledigt zu erklären.
Die Anrechnung des Kindergeldes bzw. des Kindergeldzuschlages bei der Gewährung von Sozialhilfe ist auf den Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe zurückzuführen. Danach hat gemäß § 2 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz derjenige keinen Anspruch auf Sozialhilfe, der sich selbst helfen kann oder der die erforderlichen Hilfen von anderen erhält.
Auch der Kindergeldzuschlag muß in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden. Ich mache darauf aufmerksam, daß wir in den vorangegangenen Legislaturperioden mehrfach geprüft haben, ob die Anrechnung des Kindergeldes entfallen kann. Wie Ihnen bekannt ist, meine Damen und Herren, hat sich die Bund-Länder-Arbeitsgruppe der Arbeits- und Sozialminister mit dieser Frage befaßt. Sie ist zu dem Ergebnis gelangt, daß eine Nichtanrechnung des Kindergeldes keine Möglichkeit wäre, sondern höchstens eine Verbesserung der Mehrbedarfsregelung darstellen würde.
Ich gebe zu, daß die Sozialhilfeempfänger auf Grund der gegenwärtigen Rechtslage faktisch nicht an den Erhöhungen des Kindergeldes und des Kindergeldzuschlags partizipieren. Hierbei sollte aber berücksichtigt werden, daß die Regelsätze ja auch angepaßt werden.
Herr Kollege Peter, ich möchte kurz auf Ihren Einwand eingehen, dieser Grundsatz werde beim Erziehungsgeld und den Leistungen der Stiftung „Mutter und Kind" durchbrochen. Diese Ausnahmeregelung war notwendig, weil nur auf diesem Weg auch den Einkommensschwachen die Betreuung und Erziehung eines Kindes ermöglicht wird und weil gleichzeitig den schwangeren Frauen, die sich aus wirtschaftlichen Gründen in einer Konfliktsituation befinden, das Ja zum Kind erleichtert werden kann. Aber eine weitere Durchbrechung des Prinzips der Nachrangigkeit der Sozialhilfe würde unser Sozialhilfesystem in Frage stellen. Vor diesem Hintergrund sieht meine Fraktion keine Möglichkeit, und wir plädieren, diese Petition als erledigt anzusehen.
({0})
Ich gebe Frau Nickels das Wort.
Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Ich möchte inhaltlich zu diesen Änderungsanträgen nichts weiter ausführen. Wir schließen uns hier der inhaltlichen Meinung der SPD an. Ich möchte aber generell etwas zu dem Verfahren, wie diese Debatte hier heute zustande kam, etwas sagen.
Diese Beschlußempfehlungen liegen seit Mai dieses Jahres vor, und die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages sieht in § 112 Abs. 2 vor, daß diese Berichte gedruckt, verteilt und innerhalb von drei Sitzungswochen nach der Verteilung auf die Tagesordnung gesetzt werden. Wir haben immer nachdrücklich - da sind wir uns im Petitionsausschuß einig 2210
dafür plädiert, daß diese Petitionen, wenn wir diese und auch die Änderungsanträge dazu behandelt haben, zügig hier im Plenum verhandelt werden. Das Petitionsrecht ist ein Grundrecht, und es geht nicht an, wenn wir ihm wirklich die ihm zukommende Bedeutung beimessen, daß man diese Petition, das Anliegen der Petenten auf die lange Bank schiebt, wenn der Petitionsausschuß gesprochen hat.
({0})
Das haben wir hier ernsthaft kritisiert, und man hat offensichtlich von seiten des Präsidiums gemeint, man könnte diesen Fehler, die Sache auf die lange Bank geschoben zu haben, durch eine Blitzaktion wiedergutmachen. Man hat diese Petitionen dann offensichtlich gestern abend, am späten Abend, zur Debatte heute aufgesetzt, und die Berichterstatter haben heute morgen um 10 Uhr die Nachricht davon erhalten, daß sie heute fünf Minuten zur Kindergeldproblematik und zum Bausparwesen vernünftig und konstruktiv sprechen sollen. Ich finde, das ist wirklich eine Verhohnepipelung des Petitionsrechts. Ich will das hier noch einmal klar und deutlich sagen, mit der Bitte verbunden, daß so etwas hier in Zukunft nicht wieder passiert.
({1})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Segall.
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich finde es ein bißchen traurig, daß Herr Kirschner jetzt nicht da ist, daß wir diese Debatte, die wir nun wiederholen müssen, nicht in seiner Anwesenheit führen können.
({0})
- Das ist nett. Danke.
Ich bin so frech und nehme mal die Petition 12 vorweg. Da geht es um die Anrechnung des Kindergeldes auf die Sozialhilfe. Ich möchte dazu noch einmal ganz kurz ausführen: Daß auch Kindererziehungsgeld nicht auf die Sozialhilfe angerechnet wird, ist darin begründet, daß wir hierfür ausdrücklich eine Ausnahme durch das Gesetz geschaffen haben.
({1})
Dieses Kindererziehungsgeld hat keine Unterhaltsfunktion; es ist eher eine Anerkennung der Erziehungsleistung der Mutter. Es ist also kein Unterhaltsgeld für das Kind.
({2})
- Daß das alles häufig sehr schwierig ist, jemandem die ganze Sozialgesetzgebung zu erklären, wenn er gerade in Not ist, darüber bin ich mir auch völlig im klaren; aber wir können gewisse Rechtsnormen, die wir hier aufgestellt haben, nicht einfach wegen einer Petition durchbrechen.
Die Anrechnung des Kindergeldes ist Gesetzeslage, und das ist auch die Intention in der Sozialhilfe. Soweit also der Unterhalt des Kindes durch Kindergeld und Kindergeldzuschlag gesichert wird, muß der Unterhalt nicht nochmals durch Sozialhilfe gewährleistet werden. Meines Erachtens gibt es in diesem Bereich nur eine einzige offene Frage, und das ist die Frage, ob die derzeitige Mehrbedarfsregelung in der Sozialhilfe die Bedürfnisse von Familien mit Kindern ausreichend berücksichtigt. Hier könnte ich mir durchaus eine Verbesserung vorstellen, die dann eine systemgerechte Lösung darstellen würde.
Nun komme ich zu der anderen Petition. Auch da haben der Abgeordnete Kirschner und die SPD-Fraktion wieder einen Antrag zur Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses bestellt.
Während der Kollege Kirschner empfiehlt, die Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen, lehnt der Ausschuß dies ab und beantragt, die Petition der Bundesregierung jeweils zur Kenntnis zu überweisen und im übrigen als erledigt anzusehen.
Worum geht es nun bei dem Anliegen des Petenten? Der Petent hält den in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Bausparkassen vorgesehenen Berechnungsmodus für ungerecht. Im Kern sieht dieser Modus eine sogeannte nachträgliche Tilgungsrechnung vor. Gemeint ist damit, daß eine vom Darlehensnehmer geleistete Tilgung, unabhängig vom Einzahlungszeitpunkt, bei der Berechnung der Verzinsung der Restschuld erst nachträglich berücksichtigt wird. Hat der Darlehensnehmer z. B. ein Darlehen über 100 000 DM zu - sagen wir einmal - 51)/0 erhalten und leistet er auf diese Summe eine Tilgung, so wird diese Tilgung, die zu einer geringeren Zinsbelastung führen müßte, nicht sofort berücksichtigt, sondern erst zu einem von der Bank festgelegten Zeitpunkt. Dies halte ich wie der Petent und der Kollege Kirschner für ungerecht. Das ist eine Auffassung, die im übrigen auch vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen geteilt wird.
Seitdem wir uns allerdings mit dieser Petition beschäftigt haben, hat diese schuldrechtliche Problematik mehrfach ihren Niederschlag in der Rechtsprechung gefunden. Klagenden Darlehensnehmern wurde dabei recht gegeben. Die Unklarheit solcher Klauseln und die Praxis der nachträglichen Tilgungsverrechnung führte zu zusprechenden Urteilen.
Vor diesem Hintergrund möchte ich also die SPD-Fraktion bitten, einzusehen, daß doch eigentlich eine Kenntnisnahme durch die Bundesregierung ausreicht. Denn der Petent selber kann sich sein Recht vor den Gerichten holen. So kann er sich selbst besser und schneller helfen, als wir es auf dem langen Umweg über die Regierung machen könnten.
({3})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über Zusatztagesordnungspunkt 9, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/961. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Vizepräsident Westphal
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 11/242 zuzustimmen wünscht, den bitte ich nun um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist also die Beschlußempfehlung mit der Mehrheit angenommen worden, die vorher die Ablehnung bewirkt hat.
Wir stimmen nun über den Zusatztagesordnungspunkt 10 ab, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/962. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer nun der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 11/325 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen worden.
Ich rufe nun den Zusatztagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung der Sammelübersicht 23 des Petitionsausschusses ({0}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 11 /810 Eine Aussprache ist hierzu nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen worden.
Meine Damen und Herren, gemäß Nr. 1 Buchst. c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung ist von den Fraktionen der SPD und der FDP eine Aktuelle Stunde beantragt worden. Ich rufe also den Zusatztagesordnungspunkt 12 auf:
Aktuelle Stunde
Auf Verlangen der Fraktion der SPD:
Auswirkungen der Beschlüsse der Koalition auf Steuergerechtigkeit, Staatsfinanzen und den Arbeitsmarkt
sowie auf Verlangen der Fraktion der FDP:
Äußerungen der SPD über die Steuerreform im Vergleich zu den getroffenen Finanzierungsentscheidungen
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Spöri.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Regierung Kohl/Bangemann hat die Bürger von Anfang an über die wahren Auswirkungen ihrer Steuerpläne für 1990 getäuscht.
({0})
Deswegen haben wir heute diese Aktuelle Stunde beantragt.
({1})
Im Frühjahr hat die Koalition mit einem unseriösen Trick nur die Speckseite der Steuerentlastung präsentiert, und dann haben Sie monatelang den Bürgern die absehbaren Belastungen verheimlicht, weil Landtagswahlen bevorstanden. So darf seriöse Politik mit mündigen Bürgern in einer Demokratie nicht umgehen, meine Damen und Herren.
({2})
Sie wußten ganz genau, warum Sie monatelang dieses Versteckspiel getrieben haben; denn das, was jetzt am letzten Wochenende in der Koalition ausgeheckt worden ist, bestätigt leider die schlimmsten Befürchtungen. Jetzt, wo die Landtagswahlen vorbei sind, stellt sich heraus: Für viele Bürger ist diese großartige Superreform des Herrn Stoltenberg unter dem Strich bestenfalls ein Nullsummenspiel. Sie kassieren jetzt elegant mit der einen Hand das wieder ab, was Sie im Frühjahr mit der anderen Hand elegant spendiert haben.
Viele fahren dabei noch schlechter. Die trickreiche Beschneidung der Arbeitnehmerfreibeträge, die Besteuerung der Zuschläge für Sonntags-, Feiertags-und Nachtarbeit, der geplante Abbau des Essensfreibetrages, die Besteuerung von Personalrabatten und weitere Einschnitte bei den Arbeitnehmern führen mit geballter Wirkung bei den Beschäftigten vieler Branchen unter dem Strich sogar zu empfindlichen Einkommensverlusten, und das gerade in den Bereichen, wo Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter erschwerten Bedingungen für die Allgemeinheit arbeiten, sonntags, nachts und feiertags: in Krankenhäusern, Druckereien, Energieversorgungsunternehmen, bei der Post oder bei der Bahn. Es trifft viele Nachtschichtler und Metaller.
Aber noch viel trauriger ist es, Herr Bundesfinanzminister, daß Sie mit der Abschaffung des Altersfreibetrages für Rentner und Pensionäre unsere älteren Mitbürger jetzt die Absenkung des Spitzensteuersatzes für Einkommensmillionäre zahlen lassen.
({3})
Was ist das eigentlich für eine Steuerpolitik, Herr Stoltenberg, was ist das eigentlich für eine moralische Qualität, wenn Rentnerehepaare künftig im Schnitt mit zusätzlich 420 DM nur deshalb belastet werden, um anschließend die 38 000 DM Steuerentlastung für Einkommensmillionäre finanzieren zu können?
({4})
Unser Fazit zu Ihren finanzpolitischen Zwischenbeschlüssen - das ist ja nicht das Ende der Fahnenstange - : Erstens. Die extrem ungerechte Verteilung der Steuerentlastung beim Lohn- und Einkommensteuertarif wird jetzt netto noch weiter verschärft. Zweitens. Deshalb wird dieses Steuerpaket auch nachfrage- und wirtschaftspolitisch wirkungslos verpuffen, Herr Stoltenberg. Drittens. Sie, Herr Bundesfinanzminister, haben Ihre Finanzierung noch lange nicht im Kasten. Ich sage Ihnen jetzt schon, daß Sie statt der angekündigten 19 Milliarden DM nur 14 Milliarden DM Mehreinnahmen erzielen werden, wenn man seriös schätzt, und von diesen Einnahmen werden nach Ihren eigenen Angaben, Herr Stoltenberg, 1990 nur 58 % kassenwirksam werden.
Deshalb: Sie werden nach dem heutigen Stand Ihrer Beschlüsse sicherlich einen neuen Rekord auf stellen. Sie werden mit Ihren Plänen 1990 die Schallmauer von 100 Milliarden DM Neuverschuldung des Staates durchstoßen, oder aber Sie greifen dem Bürger mit noch weiteren Steuererhöhungen noch tiefer in die Taschen. Das ist die Wahrheit über Ihre ungerechte und unsolide Steuer- und Finanzpolitik.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Solms.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Spöri, auf das, was seriöse Politik ist, werde ich gleich zurückkommen.
Die Regierungskoalition hat einen großen Durchbruch in der Steuerpolitik erzielt.
({0})
Alle steuerpflichtigen Bürger und Unternehmen werden im Zeitraum von 1986 bis 1990 spürbar entlastet, und zwar deutlich stärker als jemals zuvor, mit einem Gesamtvolumen von netto 50 Milliarden DM. Das gesamte Steuerpaket seit 1986 umfaßt 70 Milliarden DM. 20 Milliarden DM werden nun durch den Abbau von Steuervergünstigungen gegenfinanziert. Das ist ein einmaliger Erfolg, der alles bis jetzt in der Steuerpolitik Erreichte in den Schatten stellt,
({1})
ein Erfolg, den Sie selbst uns nicht zugetraut hatten.
Diese Steuerreform kann ohne Neuverschuldung und ohne Erhöhung der Mehrwertsteuer oder anderer Verbrauchsteuern finanziert werden.
({2})
Das Reformkonzept ist darüber hinaus sozial ausgewogen. Es ist verteilungsgerecht, und es führt zu ganz erheblichen Vereinfachungseffekten für alle Bürger und alle Finanzbeamten.
({3})
Das deutsche Einkommensteuerrecht wird einfacher, durchschaubarer, verständlicher. FDP und CDU/CSU haben damit ihre steuerpolitischen Versprechen für diese Wahlperiode voll erfüllt. Sie haben den erforderlichen Mut und die Entschlossenheit aufgebracht, um Subventionen in Höhe von fast 20 Milliarden DM abzubauen. Damit stellt die Koalition ihre volle Handlungsfähigkeit unter Beweis.
({4})
Ich will dies ganz ausdrücklich hervorheben.
Sichtlich überrascht und ohne alternatives Konzept steht nun die Opposition da; nackt und bloß, kann man sagen. Außer dem sogenannten Rau-Tarif, Herr Spöri, von dem Sie sich mittlerweile still und heimlich distanziert haben, mit dem die SPD schon bei der letzten Bundestagswahl Schiffbruch erlitten hat, haben Sie nichts anzubieten. Dieser Rau-Tarif hätte ja dazu geführt - ich rufe das in Erinnerung - , daß bereits der durchschnittliche Arbeitnehmer stärker belastet worden wäre als heute.
({5})
Vielmehr stehen Sie jetzt vor einem Trümmerhaufen Ihrer steuerpolitischen Verunsicherungskampagne aus diesem Sommer.
({6})
Den ganzen Sommer über haben Sie versucht, der Koalition Absichten unterzuschieben, deren Verwirklichung FDP und CDU/CSU niemals auch nur ernsthaft erwogen hatten. Der SPD-Gruselkatalog steuerpolitischer Unterstellungen den der Kollege Spöri im Juli veröffentlicht hat, entbehrte jeder Wahrheit.
({7})
Sie haben beispielsweise gesagt, wir würden die Erhöhung der Mehrwertsteuer durchsetzen.
({8})
Herr Apel hat das erst in der letzten Woche wiederholt. Nichts ist wahr!
Sie haben gesagt, verschiedene Verbrauchsteuern wie Mineralölsteuer, Tabaksteuer, Branntweinsteuer, Biersteuer würden erhöht, die Einführung der Weinsteuer würde kommen. Nichts ist wahr!
({9})
Der Wegfall der Mehrwertsteuerermäßigung für Durckerzeugnisse und die Beseitigung der Umsatzsteuerfreiheit für Ärzte sollte kommen. Es ist nichts verwirklicht.
Die volle Besteuerung der Zuschläge für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit ist nicht in unserem Paket, sondern nur eine Vereinheitlichung für alle Arbeitnehmer.
({10})
Die Streichung der Steuerfreiheit für Katalysatorautos haben Sie angedroht und vieles mehr. Nichts ist da! Nichts davon hat sich bewahrheitet. Keine dieser Maßnahmen ist jetzt in unserem Finanzierungskonzept enthalten.
Ihrer Desinformationspolitik hat die SPD kürzlich mit einer Briefkampagne an die Sportvereine die Krone aufgesetzt. Mein SPD-Kollege Erwin Horn aus meinem Wahlkreis hat alle Vereine angeschrieben und hat ihnen gesagt: Die böse Koalition will die Übungs- und Jugendleiterpauschale beseitigen. Kein Wort ist wahr!
({11})
Aber diese Art der Kampagne hat wirklich ein unerträgliches Maß angenommen.
Das Ergebnis unserer Beschlüsse zeigt: Wir haben ein rundes, gutes, ein für die Steuerpflichtigen gesundes Konzept erarbeitet. Ein schönes Bild hat sich daraus ergeben.
({12})
Die SPD dagegen wird wohl oder übel ihre ungezählten Behauptungen und Unterstellungen - der Volksmund nennt so etwas Lügen - Stück für Stück wieder aufessen müssen. Wohl bekomm's!
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Solms, einen großen Durchbruch haben Sie gerade nicht erreicht. Ich denke, daß Sie eher einen finanzpolitischen Einbruch erleben werden mit dieser Politik. Der einzige Erfolg, den Sie erzielt haben, ist Ihre PR-Arbeit. Das machen Sie in den letzten Tagen nicht ungeschickt; denn die öffentliche Inszenierung ist so schlecht nicht. Nachdem über Monate hinweg über die Anhebung von Verbrauchsteuern diskutiert worden ist, treten Sie nun vor die Augen der Öffentlichkeit und verkünden: Alles Quatsch, das machen wir gar nicht; im Gegenteil: Unsere Finanzierungsvorschläge belasten alle gleichermaßen, Arbeitnehmer wie Unternehmer, Normalverbraucher wie Spitzenverdiener; alles hübsch ausgewogen!
({0})
Der besondere Hit dieser Öffentlichkeitsarbeit ist dann die Quellensteuer. Nun kann man aber gerade bei der Quellensteuer den Unterschied zwischen PR und der Wirklichkeit am deutlichsten machen; denn schon der Begriff von der Quellensteuer ist im Zusammenhang mit dem, was Sie hier vorgelegt haben, eigentlich eine Irreführung. Denn Sie haben dem Begriff nach zwar eine vernünftige steuerpolitische Konzeption aufgegriffen,
({1})
Ihre Art der Umsetzung ist aber exakt so, daß das Gegenteil von dem herauskommen wird, was der Sinn einer Quellensteuer sein kann. Denn das, was Sie dort vorschlagen, wird im Ergebnis nur dazu führen, daß Spitzenverdiener zukünftig nur noch 10 °/U statt 56 % Steuern auf ihre Zinserträge zahlen müssen. Das ist doch die Wahrheit!
({2})
Außerdem, Herr Finanzminister, muß man Sie noch fragen, wie Sie bei dieser Ausgangslage dazu kommen, 5 Milliarden DM an zusätzlichen Einnahmen durch die sogenannte Quellensteuer zu erwarten. Das bleibt Ihr Geheimnis. Man könnte genausogut davon ausgehen, daß es überhaupt keine zusätzlichen Einnahmen geben wird.
Aber nicht nur das Beispiel Quellensteuer zeigt, daß unter dem Deckmantel des Steuerwohltäters aus dem Finanzministerium sehr schnell der Roßtäuscher Stoltenberg hervorlugt,
({3})
wenn man etwas genauer hinsieht. Die Quellensteuer als Steuergeschenk für Großunternehmer ist eine groteske Umkehrung einer vernünftigen Grundidee. Hier fungiert schon der Begriff als arglistige Täuschung der Öffentlichkeit.
({4})
Bei den anderen Punkten Ihrer Finanzierungsvorschläge sieht es nicht viel besser aus. Die Arbeitnehmer sind wieder einmal die Hauptbetroffenen.
({5})
- Jetzt seien Sie doch einmal ruhig; Sie sehen gerade so aus. - Und es sind ja nicht dreieinhalb Milliarden DM, die sie zu tragen haben werden, sondern mehr als fünf Milliarden DM werden es sein, wenn Sie mit Ihren Plänen durchkommen. Arbeitnehmerfreibetrag und Weihnachtsfreibetrag wollen Sie abschaffen. Das hat mit Subventionsabbau nichts zu tun, sondern das hat um so mehr mit Sozialabbau zu tun, meine Damen und Herren.
({6})
Das, was Sie als Kompensation dafür anpreisen, nämlich die Erhöhung der Werbungskostenpauschale,
({7})
wird das, was Sie den Arbeitnehmern auf der anderen Seite wegnehmen wollen, längst nicht wettmachen können.
Ein ganz besonderer sozialpolitischer Skandal ist der geplante Wegfall des Altersfreibetrages. Rentnerinnen und Rentner sollen diese Steuerreform mitfinanzieren. Wenn man dazu noch bedenkt, was diese Regierung an weiteren Belastungen für die älteren Menschen in den nächsten Monaten mit ihren Gesetzen plant, dann macht das deutlich, was von der angeblichen Altersfreundlichkeit dieser Regierung zu halten ist - nichts!
({8})
Doch nicht nur sozialpolitisch sind diese Steuerreform und ihre Finanzierungspläne verheerend. Bei den Subventionen wollen Sie nämlich ausgerechnet die Sonderabschreibungen für den Umweltschutz ganz streichen. 700 Millionen DM sollen da eingespart werden. Die zusätzlich vergifteten Menschen, Pflanzen und Tiere werden es Ihnen zu danken wissen, meine Damen und Herren.
Und das ist nicht alles: Die erhöhten Absetzungen für Energieeinsparmaßnahmen soll es auch nicht mehr geben. Ich meine, das ist ein ganz dickes Ding, das Sie sich gerade in diesem Bereich erlauben: auf der einen Seite kümmerliche Beträge für den Umweltminister im nächsten Bundeshaushalt und auf der anderen Seite jetzt auch noch das. Herr Töpfer müßte bei diesen steuerpolitischen Plänen eigentlich zurücktreten.
({9})
Und so geht es munter weiter: Die Streichung bei der Regionalförderung wird das Nord-Süd-Gefälle
Kleinert ({10})
noch weiter verschärfen und gerade in den strukturschwachen Regionen den Umfang der Arbeitslosigkeit vergrößern helfen.
Nicht zuletzt bei der Berlinförderung erleben wir noch etwas ganz Erstaunliches. Sonst fließt Ihr Herz für Berlin ja geradezu über. Jetzt aber wollen Sie den Finanzhahn dort kräftig drosseln.
Meine Damen und Herren, so wie die Steuerreform sind auch Ihre Finanzierungsvorschläge: unsozial und ökologisch verheerend. Die finanzpolitische Gesamtstrategie, die dahintersteckt, wird manchem die Taschen weiter füllen, der sie sowieso schon voll hat, der gesellschaftliche Problemdruck aber wird sich eher verschärfen. Das Ganze ist gerade kein Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, es ist kein Beitrag zur ökologischen Sanierung.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Es ist allerdings - letzter Satz - ein Beitrag zur Fortsetzung Ihrer Umverteilungspolitik, die unter schönen Überschriften von Freiheit und Verantwortlichkeit des einzelnen...
Herr Abgeordneter, jetzt ist Ihre Redezeit wirklich abgelaufen.
... den Rückzug der öffentlichen Hand aus der sozialen und der ökologischen Verantwortung betreibt.
Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen bereits gesagt, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Und Sie betreiben dabei eine massive Täuschung der Öffentlichkeit.
Danke.
({0})
Der Abgeordnete Glos ist der nächste Redner.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Opposition in diesem Hause tut mir etwas leid.
({0})
Es hat Sie überraschend getroffen. Sie haben uns nicht zugetraut, daß wir so schnell zu Rande kommen, daß wir ein so ausgewogenes Konzept auf den Tisch legen.
({1})
- Lieber Herr Spöri, da Sie dazwischenrufen: Ich habe einmal das mitgebracht, was Sie alles während der Sommerpause erklärt haben.
({2})
Ich will das hier nicht vorlesen; das wäre für Sie sehr blamabel. Aber das ist weniger der Grund, sondern der Grund ist: Das war alles unrichtig, es ist alles falsch. Sie können es einstampfen lassen.
({3})
Es wird nur noch ein Maßstab für Ihre Glaubwürdigkeit, für Ihre Glaubwürdigkeit in Zukunft sein.
({4})
Richtig ist: Wir haben eine Steuerreform geschafft, ohne die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Wir haben eine Steuerreform geschafft, ohne die Verbrauchsteuern zu erhöhen.
({5})
Und wir haben keine neue Steuer eingeführt.
Ich darf noch einmal sagen: Der deutsche Steuerzahler wird per 1990 um 50 Milliarden DM netto entlastet. Das ist die größte Entlastung in der Geschichte unseres Landes überhaupt.
({6})
Dies war ein Verdienst der Handlungsfähigkeit dieser Koalition.
({7})
Und wer geglaubt hat, diese Koalition sei nicht mehr handlungsfähig,
({8})
ist spätestens jetzt eines besseren belehrt.
({9})
Wir haben uns zusammengesetzt und haben eine Gemeinschaftsleistung vollbracht.
({10})
Ich bedanke mich hier sehr herzlich bei unserem bayerischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß, dem Generalsekretär der CSU, dem bayerischen Finanzminister, selbstverständlich auch unserem Landesgruppenvorsitzenden,
({11})
die dies alles mitgetragen haben, obwohl Bayern schon beim Koalitionsabschluß gesagt hat, Bayern sei in der Lage, die Steuersenkung auch durch eine höhere Nettokreditaufnahme zu finanzieren, weil Bayern in der Vergangenheit besser gewirtschaftet hat.
({12})
Wir haben dies mitgetragen, weil wir wollen, daß alle
Bundesländer gleichmäßig entlastet werden. Wir haGlos
ben dies mitgetragen, weil wir wollen, daß die Komraunen auch später handlungsfähig werden. Sie können das Ihren sozialdemokratischen Oberbürgermeistern ruhig weitersagen.
Ein weiteres: Diese Steuersenkung ist auch sozial ausgewogen. Wenn Sie später einmal den Strich darunter ziehen und die Steuer 1990 mit der Steuer 1982, als wir übernommen haben, vergleichen, werden Sie merken, daß für jeden ehrlichen deutschen Steuerzahler - uns geht es um die ehrlichen Steuerzahler - ein großes Mehr herauskommt. Das heißt, es bleibt ihm mehr Geld in der Tasche, und er muß weniger von seiner Leistung an den Staat abliefern.
({13})
Wir haben natürlich auch Dinge tun müssen, die uns schwergefallen sind. Wir haben lange darüber nachgedacht, ob wir es den Kapitalmärkten zumuten können, wenn wir jetzt eine kleine Kapitalertragsteuer auf Zinserträge einführen.
Wir sind zu dem Schluß gekommen: Das Geld in der Bundesrepublik Deutschland ist so sicher, weil die Finanzen so solide und seriös sind und weil unsere Wirtschaft so stabil ist, daß es trotzdem nicht davonläuft.
Ich freue mich, daß die Spekulanten, die uns am Freitag mißtraut und gedacht haben, eine bürgerlichliberale Koalition wolle in der Tat das Geld aus dem Land vertreiben, sich getäuscht haben. Sie haben an dem Freitag Milliarden verloren. Das finde ich ganz gut und richtig. Sie sind inzwischen zurückgekommen. Sie werden merken, daß man in der ganzen Welt fast nirgends sinnvoller als in unserem Land investieren kann.
({14})
Zuletzt noch eines, meine lieben Kollegen aus dem Finanzausschuß. Da spreche ich auch zu Ihnen, Herr Poß. Rufen Sie doch nicht so böse! Wir wissen, daß eine Koalitionsabsprache die Einzelberatung im Ausschuß nicht ersetzen kann. Wir werden sorgfältig Punkt für Punkt beraten. Wir beziehen gern auch Ihren Sachverstand ein, wenn Sie mit Sachverstand und gutem Willen an die Geschichte herangehen. Aber wir werden die Eckwerte dieser Steuerreform nicht zur Disposition stellen. Dies kommt für uns auf keinen Fall in Frage. Ich sage: Der Steuerbürger kann sich auf uns verlassen.
({15})
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben nach sorgfältiger Vorbereitung jetzt in der Koalition ein Konzept zur Steuerreform vereinbart, das unseren öffentlich bekundeten Zielen entspricht. Wir senken den Tarif für die arbeitenden Menschen und die Betriebe erheblich und vor allem dauerhaft. So wichtig die Verteilungswirkungen in der Momentaufnahme sind: viel wichtiger ist, daß dieser Reformtarif die arbeitenden Menschen in der Zeitachse ungleich stärker entlastet, als aus einer Jahresrechnung hervorgeht.
({0})
Wir verwirklichen eine gleichmäßigere und gerechtere Besteuerung mit weniger Ausnahmen und Privilegien. Wir schaffen so ein in sich schlüssigeres Steuersystem mit einer Reihe wesentlicher Elemente der Vereinfachung.
Viele Kommentatoren haben anerkannt, daß dies eine bedeutsame reformerische Entscheidung ist und die Handlungsfähigkeit der Koalition in zentralen Fragen unterstreiche. Die monatelange Kampagne der SPD - ich sage Ihnen das wirklich, Herr Spöri - mit Verdrehungen und abwegigen Unterstellungen hat sich als unglaubwürdig erwiesen.
({1})
Wir könnten Ihnen in einer ausführlicheren Debatte eine Dokumentation vortragen,
({2})
die Ihnen zeigt, daß Sie wirklich in schlimmster Weise Täuschung und Verängstigung von Menschen betrieben haben.
({3})
Weder wird die Mehrwertsteuer zum Ausgleich herangezogen, noch kann von einseitigen Belastungen für die Arbeitnehmer die Rede sein.
({4})
Über 5 Milliarden DM des Abbaus von spezifischen Steuersubventionen und Sonderregelungen entfallen, wenn wir die Regionalförderung Berlin hineinnehmen, auf die Unternehmen einschließlich der freien Berufe, knapp 4 Milliarden DM auf die Arbeitnehmer.
Für diese, natürlich auch ernsthafter, als wir das heute von der SPD gehört haben, zu führende weitergehende Debatte über die Auswirkungen auf spezifische Gruppen muß man wohl an einem Eckpunkt noch einmal erinnern: Die Steuerreform, die wir von 1986 bis 1990 in drei Stufen verwirklichen, entlastet den verheirateten Durchschnittsverdiener mit zwei Kindern gegenüber dem Tarif 1985 um über 2 000 DM und den ledigen Durchschnittsverdiener - Steuerklasse I - um fast 1 900 DM. Das ist ein Eckpunkt für alle weiteren Erörterungen über Wirkungen des Abbaus von Subventionen und Privilegien.
Der überwiegende Teil dieses Konzepts der Umschichtung läßt sich allerdings keiner Berurfsgruppe einseitig zuordnen. Herr Spöri, Sie haben behauptet, daß die Neuordnung in den Altersfreibeträgen und -sonderbeträgen, die wir unter Ziffer 35 unseres Konzepts vorgesehen haben, die Rentner in Schwierigkeiten bringe. Dies ist eine schlichte Unwahrheit. Ich habe mir eben noch einmal die Zahl von meinen fachkundigen Mitarbeitern bestätigen lassen: Auch weiterhin wird ein verheiratetes Rentnerehepaar bis zu einer Einkommensgrenze von über 50 000 DM steuerfrei bleiben. Es ist eine grobe Irreführung der Öffent2216
lichkeit, wenn Sie andere Behauptungen aufstellen, um Ihre Panikmache wieder fortzusetzen.
({5})
Ich glaube, es ist ganz interessant, was wir unter diesem Punkt vereinbart haben. Es heißt nämlich in der endgültigen Ausgestaltung:
Der Höchstbetrag des Altersentlastungsbetrags nach § 24 a wird von 3 000 DM auf 3 720 DM angehoben. Dafür entfällt der Altersfreibetrag im entsprechenden Volumen.
Das heißt, diese Entlastung für alte Menschen wird auf jene Gruppe konzentriert, die bisher gegenüber anderen in nicht vertretbarer Weise benachteiligt war. Es ist mein Verständnis von Gerechtigkeit, so vorzugehen.
({6})
Herr Kollege Hauff hat in einer Presseerklärung - es ist von Herrn Kleinert aufgenommen worden - die Entscheidungen bezüglich der Sonderabschreibungen für Umweltschutz in einer ganz falschen Weise dargestellt. Zunächst einmal ist das nach geltendem Recht durch Beschluß des Bundestags befristet. Wir haben diese Befristung unter drei Vorzeichen endgültig bestätigt.
Erstens. Im Rahmen der Umweltschutzgesetzgebung wird das Verursacherprinzip immer stärker ausgebaut, und dies begrüßen wir. Das ist eine Politik dieser Regierung und Koalition. Damit muß man aber prüfen, ob man Unternehmen, die durch Gesetz verpflichtet sind, Umweltschutzinvestitionen vorzunehmen, noch eine Sonderabschreibung geben muß.
Zweitens. Wir haben gegen den erbitterten Widerstand der SPD und der GRÜNEN schon 1985 die Rahmenbedingungen für allgemeine Abschreibungen für Wirtschaftsgebäude entscheidend verbessert, gegen Ihren Widerstand. Das bewirkte Steuerausfälle von über 4 Milliarden DM. Deswegen können wir systematisch bestimmte Sonderabschreibungen, die kompliziert sind und die Verwaltung belasten, zurückführen.
Drittens. Herr Kollege Hauff, das ist vielleicht für Sie und andere eine neue Information: Wir haben gesagt, parallel zu dieser Entscheidung werden wir mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau reden, daß sie ihr bewährtes Förderprogramm aufstockt, wenn möglich in demselben Volumen, als eine flankierende Maßnahme.
Nur unter dem Vorzeichen dieser drei Argumente kann man diese wohlbegründete Vereinbarung vertreten. Das aber gilt für vieles andere, was hier schlagwortartig und irreführend dargestellt wird.
({7})
- Nein, ich möchte mich mit Blick auf die Zeit kurzfassen.
Der Wegfall von komplizierten Gestaltungsmöglichkeiten und Ausnahmevorschriften einzelner Sonderabschreibungen berührt wegen der Progressionswirkung selbstverständlich die Bezieher hoher Einkommen wesentlich stärker als die Bürger mit niedrigen Einkünften, die diese Ausnahmevorschriften, deren Wegfall Sie nun erstaunlicherweise beklagen, überhaupt nicht oder nur geringfügig nutzen können.
Wir haben jetzt für rund 18 Milliarden DM Umschichtungsvolumen Einvernehmen erzielt. Nur ganz wenige Punkte, wie z. B. das Volumen und die Struktur der Einbeziehung bestimmter steuerlicher Sonderregelungen für Berlin, bedürfen aus meiner Sicht noch einer weitergehenden Klärung. Selbstverständlich werden wir dabei den Präferenzvorsprung Berlins gegenüber den anderen Fördergebieten wahren und so auch unserer besonderen Verantwortung für Berlin Rechnung tragen.
So erscheint das Ziel erreichbar, unter Einbeziehung einzelner Prüfaufträge, die noch geklärt werden müssen, und ergänzender Vorschläge für die Erweiterung der Bemessungsgrundlage, die ich mir insbesondere von den Bundesländern erhoffe, 19,2 Milliarden DM ohne kompensierende Steuererhöhung zu erreichen. Ich begrüße die Aussage der Koalitionsfraktionen, die ja auch aus ihrer Sicht selbstverständlich erforderliche Einzelprüfung einiger Punkte so zu vollziehen, daß jeder Änderungsvorschlag mit einer gleichwertigen Ausgleichsregelung verbunden wird.
Für Länder und Gemeinden zeichnet sich nach einer ersten - ich sage doch - vorläufigen überschlägigen Regelung eine in etwa ausgewogene Beteiligung am Subventionsabbau ab. Damit sind auch die von sozialdemokratischen Sprechern der kommunalen Spitzenverbände im Sommer verbreiteten Meldungen insoweit schon im Grundsatz widerlegt.
({8})
In der Feinabstimmung ist jetzt zu entscheiden - das lasse ich heute noch offen - , ob und inwieweit zusätzliche Ausgleichsregelungen zwischen den Gebietskörperschaften erforderlich sind. Wir wollen die gleichgewichtige Beteiligung. Wenn hier noch Korrekturbedarf vorhanden ist, werden wir ihn vornehmen. Wir werden übrigens in Kürze mit allen Bundesländern und den Vertretern der kommunalen Spitzenverbände reden.
Ich appelliere an die sozialdemokratische Opposition, ihren Widerstand gegen die Steuerreform endlich aufzugeben, meine Damen und Herren.
({9})
Die ersten Pressemitteilungen von Herrn Spöri und Herrn Apel konnte man nur mit einer Belustigung zur Kenntnis nehmen. Die Zeit reicht nicht, diese Belustigung hier zu begründen.
({10})
Die heutigen Ausführungen eröffnen ja noch eine Chance zum Nachdenken.
({11})
Steuersenkung und Steuerreform dienen den arbeitenden Menschen und unserer Volkswirtschaft. Sie werden Wachstumskräfte stärken, mehr Gerechtigkeit verwirklichen und vor allem durch die AnerkenBundesminister Dr. Stoltenberg
nung ehrlicher Arbeit auch Beschäftigungsimpulse geben.
({12})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Apel.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Stoltenberg, reden wir über Zahlen, das können die Steuerzahler in diesem Lande dann ja nachprüfen. 1988 und dann 1990, beides zusammen, erhält ein verheirateter Normalverdiener mit einem Durchschnittseinkommen von 3 300 DM im Monat von Ihnen 76 DM Steuersenkung.
({0})
Wenn er dagegen das Zehnfache verdient, erhält er 2 049 DM Steuersenkung. Das ist 29mal mehr. Das hat mit sozialer Gerechtigkeit überhaupt nichts zu tun.
({1})
Nun sagen Sie, wir, die Sozialdemokraten, hätten ununterbrochen schwarzgemalt und hätten alles Mögliche prognostiziert. Wir haben prognostiziert, daß Sie den Weihnachtsfreibetrag, den Arbeitnehmerfreibetrag und den steuerfreien Essenszuschlag streichen.
({2})
Sie haben diese drei Freibeträge gestrichen.
({3})
Wir haben Ihnen gesagt: Sie werden die Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit angreifen. Wir haben Ihnen gesagt: Sie werden die Personalrabatte angreifen. Sie greifen sie an.
({4})
Meine Damen und Herren, wenn dann der Saldo gerechnet wird, werden Sie feststellen, daß der Spitzenverdiener von der Streichung all dieser Arbeitnehmerfreibeträge natürlich nicht getroffen wird. Getroffen werden dagegen die Arbeitnehmer; sie werden einige 100 DM mehr Steuern bezahlen. Deswegen ist das Urteil von Herrn Spöri richtig: Viele zahlen drauf, viele gehen leer aus, viele werden mit einem Trinkgeld abgefunden.
({5})
Sie machen Steuerpolitik ohne soziales Gewissen.
({6})
Ein zweites: Herr Kollege Stoltenberg, Sie können doch nicht bestreiten, daß die Pensionäre und Rentner herangezogen werden. Es ist doch so, daß sie die
Sparsteuer, die Quellensteuer, zu bezahlen haben. Wir können doch nicht davon ausgehen, daß Millionen von Rentnern zum Finanzamt gehen, um dort komplizierte Bescheinigungen zu bekommen. Die Spitzenverdiener dagegen zahlen die 10 % lächelnd und können weiterhin Milliarden von Zinserträgen - nicht legal, aber tatsächlich - , weil Sie nicht handeln, an der Steuer vorbeiführen. Deswegen fordern wir eine Verzehnfachung des Sparerfreibetrages, damit Klein- und Normalsparer endlich legal ihre Zinsen genießen können.
({7})
Einigermaßen erstaunlich finde ich, Herr Bundesminister der Finanzen, Ihre Bemerkungen zu den älteren Leuten. Wollen Sie eigentlich bestreiten, daß Sie denen, die ihren Lebensabend über private Lebensversicherungsverträge möglich machen und finanzieren, massiv steuerlich in die Tasche greifen - massiv?
({8})
Wollen Sie eigentlich bestreiten, daß der Altersfreibetrag gestrichen wird? Wollen Sie eigentlich die Aussage von Henn Spöri bestreiten, daß das für steuerpflichtige Pensionäre und Rentner mehrere hundert Mark im Jahr bedeutet?
({9})
Hat das etwas mit sozialer Symmetrie zu tun? Wollen Sie nicht endlich bereit sein, zuzugeben, daß neben den Arbeitnehmern die Alten diejenigen sind, die die Steuererleichterungen für Spitzenverdiener durch Wegstreichen von Vergünstigungen finanzieren müssen?
({10})
Herr Kollege Stoltenberg, wir alle haben am Fernsehen gesehen, wie Sie sich, was die Mehrwertsteuererhöhung anbelangt, die Hintertür offengehalten haben.
({11})
Sie wissen doch genauso gut wie wir, daß Sie, wenn Sie Ihre Steuerpolitik fortsetzen und wenn die Konjunktur so dahinläppert, wie sie es derzeit tut, 100 Mil-harden DM neue Schulden im Jahr 1990 brauchen, um die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden zu finanzieren.
({12})
Dann werden Sie entweder diese unerträgliche Schuldenlast hinzunehmen haben, oder Sie werden die Mehrwertsteuer anheben.
Ein letztes, Herr Kollege Stoltenberg: Stimmt es denn nicht, wenn ich sage, daß Sie sich die Verbrauchsteuererhöhung für die Finanzierung der EG ausdrücklich in Ihrer Koalitionsvereinbarung vorbehalten haben?
({13})
Deswegen sage ich Ihnen: Für die Bürgerinnen und Bürger ist es ganz egal, mit welcher Begründung in ihre Tasche gegriffen wird; der Saldo zählt.
({14})
Ich stelle abschließend fest: Sie lassen die Wahrheit über Ihre Finanzpolitik schrittweise ans Licht kommen: jetzt die Ungerechtigkeit gegenüber Rentnern, Alten und Arbeitnehmern, demnächst die Verbrauchsteuererhöhung für die EG und im Jahre 1990 entweder 100 Milliarden DM Staatsdefizit oder die Mehrwertsteuererhöhung. Nur, wie Sie es auch immer drehen und wenden: Die Bürger wissen, was sie von Ihrer Steuer- und Finanzpolitik zu halten haben. Denen sind längst die Augen aufgemacht worden, und zwar durch Ihre Politik.
Schönen Dank.
({15})
Herr Präsident!
Einen Augenblick! Erst einmal muß ich Ihnen das Wort erteilen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Gattermann.
Herr Präsident! Ich bedanke mich für die Worterteilung.
Nachdem jetzt alle wesentlichen Entscheidungen für das Steuerreformkonzept 1986, 1988 und 1990 vorliegen, können wir in der Sache diskutieren.
Herr Apel, Sie fangen schon wieder falsch an, indem Sie für Ihre Vergleichsrechnung nun aus der Stufe '88 rechnen und die Stufe '86 unter den Teppich kehren. Das ist unseriöse Diskussion.
({0})
Herr Kollege Apel, Sie sagen: Den armen Rentnern wird der Freibetrag gestrichen. Diese Freibeträge - wir haben 4 an der Zahl - sind harmonisiert. Der arme Rentner, von dem Sie sprechen, wird nach dem Tarif 1990 zusammen mit seiner Frau 56 000 DM steuerfrei vereinnahmen können. Sie wissen doch, daß sich eine Anhebung des Grundfreibetrags beim Rentner in der Wirkung vervierfacht. Und Sie sagen, die Rentner werden betrogen.
({1})
Meine Damen und Herren, wenn ich mir die Diskussionen und Beiträge des Kollegen Spöri aus den letzten Tagen zu Gemüte führe - ich lasse Herrn Späth einmal außen vor - , dann muß ich mich doch sehr wundern, daß ein sich aufrechter Sozialdemokrat, von dem ich immer voller Hochachtung anerkannt habe,
({2})
daß er Privilegien bekämpft, wo immer sie sich in der
deutschen Geschichte aufgetan haben, hinstellt und
für eine kleine Gruppe von Arbeitnehmern Privilegien, die zur Zeit contra legem gewährt werden, verteidigt.
({3})
Meine Damen und Herren, ich wollte aber darauf hinweisen - man muß die pâte ein bißchen verteilen - , daß auch die Steuervereinfachung nicht unter die Räder gekommen ist. Die ersatzlose Streichung des Investitionszulagengesetzes beseitigt eines der kompliziertesten und streitträchtigsten Gesetze mit Mitnahmeeffekt, die unser Steuerrecht gekannt hat.
({4})
Eine bessere Steuervereinfachung kann man sich überhaupt nicht denken. Die Zusammenfassung aller berufsbezogenen Freibeträge in einer massiv erhöhten Werbekostenpauschale - ich könnte mir allerdings denken, daß sie bei spitzem Nachrechnen noch ein bißchen höher als 1 644 DM ausfallen könnte - bedeutet eine erhebliche Entlastung der Finanzämter.
({5})
Die Eliminierung einer Vielzahl von Streitfällen im Werbungskostenbereich in dieser Kategorie - bei den Finanzgerichten sind das 20 % aller Streitfälle - und auch die Streichung diverser Ausnahmetatbestände
({6})
bedeuten mehr Transparenz und Vereinfachung in diesem Bereich.
Schließlich darf ich, was Vereinfachung betrifft, noch einmal daran erinnern, daß die massiven Anhebungen der Grund- und Kinderfreibeträge, die Linearisierung des Tarifs und die Absenkung des Eingangssteuersatzes dazu führen, daß zwischen fünfhunderttausend und einer Million Steuerbürger überhaupt nichts mehr mit dem Finanzamt zu tun haben werden.
Meine Damen und Herren, eine kurze Schlußbemerkung zur Verteilungswirkung auf die staatlichen Ebenen, weil dies immer einer der zentralen Diskussionspunkte ist. Nach dem derzeitigen Ergebnis gewinnen Bund und Länder fast auf die Mark genau dasselbe aus dieser Finanzierungsoperation. Lediglich gegenüber den Gemeinden besteht noch ein gewisser Korrekturbedarf, wobei man sich darüber unterhalten muß, ob durch die Länder oder durch den Bund.
Aber eines will ich dann doch bemerken. Wenn bei dieser Lage der Innenminister Schnoor des Landes Nordrhein-Westfalen gestern vor der Presse erklärt, daß der Bund die Steuerreform zu Lasten der Länder finanziert, und das sinnigerweise damit begründet, daß die Kapitalertragsteuer eine reine Bundessteuer sei, dann muß ich allerdings fragen: Ist das nun nur
fachlich disqualifizierende Unwissenheit oder ist das Lüge nicht ausschließende Polemik?
({7})
Mit der Umsetzung dieses Paketes, die noch viel Arbeit bereitet, hört die Steuerpolitik nicht auf. Nächste große Aufgabe wird die EG-Steuerharmonisierung sein, und zwar einschließlich der Gewerbesteuer. Wir werden das ungesunde Verhältnis zwischen direkten und indirekten Steuern mittelfristig austarieren müssen - und was der Aufgaben mehr sind.
Meine Damen und Herren, ich kann nicht verhehlen, daß ich nach den letzten Monaten, in denen Sie auf Grund der ausstehenden Finanzierung in der offenen Finanzierungsflanke wild herumspekulieren konnten,
({8})
unendlich glücklich bin, daß diese Zeit vorbei ist
({9})
und daß wir Sie in jedem Punkte mit einem ausgewogenen Finanzierungskonzept widerlegen können.
Schönen Dank.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Sellin.
Herr Präsident! Der Steuerreform und den jetzt veröffentlichten Finanzierungsabsichten ist der politische Erfolg versagt.
({0})
Das politische Konzept der Steuerentlastung und Subventionssenkung läßt sich für die meisten Bürger und Bürgerinnen an Hand ihres Nettoeinkommens nicht nachvollziehen.
({1})
Die Verteilungswirkungen der Steuertarifveränderungen sind einseitig zugunsten der Besserverdienenden. Das DIW hat errechnet, daß das obere Fünftel aller Steuerpflichtigen mit einem Bruttoeinkommen von über 70 000 DM pro Jahr 56 % der Lohnsteuerentlastung bekommen wird. Das sind fast 19 Milliarden DM. Das untere Fünftel aller Steuerpflichtigen erhält nur 300 Millionen DM an Steuerentlastung, was einem Prozent des gesamten Volumens entspricht.
({2})
Rund 4 Millionen Einkommensbezieher erhalten wegen ihres geringen Einkommens gar keinen Vorteil aus der Steuersenkung. Und darunter sind alle Problemgruppen, Sozialhilfeempfänger, Arbeitslosenhilfeempfänger usw. Die Gruppe der Selbständigen, ca.
2 Millionen Personen, erhält Einkommenserhöhungen von ca. 8 Milliarden DM.
Diese Einkommensverteilungspolitik ist mit den Ansprüchen einer christlich orientierten Soziallehre unvereinbar.
({3})
Die Koalition der Wirtschaftsfunktionäre erhofft sich mit Geschenken an Gruppen mit hohem Einkommen mehr Investitionen und Beschäftigung. Konjunkturpolitik durch Steuersenkungen, quantitatives Wachs-tum, heißt ihr Wunsch. Diesem Wunsch steht aber mangelndes Wissen um die Investitionsbereitschaft der Industrie gegenüber. Finanzanlagen sind angesichts der hohen realen Zinsen häufig viel attraktiver als die reale Investition in Maschinen und Arbeitsplätze.
Die Sparquote der Empfänger hoher Einkommen wird steigen. Die halbherzig eingeführte Quellensteuer ist darauf keine Antwort.
Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wird die Steuerreform als Herzstück angeblicher wirtschaftspolitischer Kompetenz der Bundesregierung nicht bringen.
Lassen Sie mich insbesondere auf die Quellensteuer eingehen.
Das geht nun leider nicht mehr, Herr Abgeordneter. Sie müssen mit einem Satz zu Ende kommen.
({0}) Sellin ({1}): Pardon.
({2})
Also, einen Satz hätte ich Ihnen ja noch gegönnt.
Jetzt kommt als nächste die Frau Abgeordnete Will-Feld.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Wahrheit über die „unsolide Steuerpolitik" ist doch, liebe Kollegen, daß die jetzige Opposition, als sie in der Regierung war, nicht den Mut zu einer Steuerreform durch eine Tarifreform hatte.
({0})
Die Opposition weiß auch, daß die Tarifreform der Einstieg in die Steuervereinfachung ist und eine Steuervereinfachung ohne eine grundlegende Tarifreform nur sehr schwer durchzuführen ist. Die Fachkundigen und Sachkundigen fordern seit Jahr und Tag, seit zwölf Jahren, unverdrossen, endlich die Steuervereinfachung durchzuführen. Sie fragten schon 1977: Ist die Steuervereinfachung nur noch eine Utopie? - Sie forderten: Die Steuervereinfachung wird vermißt. - Sie haben gesagt, die Steuermehreinnahmen müßten Steuervereinfachungen zugute kommen. Bereits im Jahre 1980, meine sehr verehrten Damen
und Herren, hat die Deutsche Steuergewerkschaft das Konzept einer Tarifreform angemahnt.
({1})
Jetzt wird diese Tarifreform durchgeführt. Diese Tarifreform ist auch ein Beitrag zur Steuervereinfachung;
({2})
denn je komplizierter ein Steuerrecht ist, um so ungerechter ist dieses Steuersystem.
({3})
- Je komplizierter und unüberschaubarer - das wissen auch Sie von den Fachkundigen und Sachkundigen - , um so ungerechter wird ein Steuersystem.
({4})
Daher haben wir erste Schritte eingebaut, um von dieser Komplizierung herunterzukommen. Wir haben runde 40 Positionen angesprochen, zwei sehr komplizierte Gesetze sollen so gänzlich abgeschafft werden. Wir haben vor, Einzelregelungen ersatzlos zu streichen, und zwar im Bilanzsteuerrecht, bei Sonderabschreibungen, bei Freibeträgen - auch als Beitrag zur Vereinfachung.
({5})
Und wir haben in einer dritten Komponente vor, als Beitrag zur Vereinfachung die Regelungen praktikabler zu machen.
({6})
Eben ist der sogenannte Altersfreibetrag angesprochen worden. Der Höchstbetrag der Altersentlastungen wird ja aufgestockt, damit der Altersfreibetrag als zusätzlicher Freibetrag fallen kann.
({7})
Dies ist in § 24 EStG geregelt. Der Betrag wird von 3 000 DM auf 3 720 DM angehoben.
({8})
Auch die Arbeitnehmerpauschale wird ein Beitrag zur Umgestaltung und ein Beitrag zur Vereinfachung sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, wir sind dankbar, wenn Sie bei den Beratungen über diese Tarifreform 1990 mit uns zusammen überlegen, wo wir weiter Komplizierungen abbauen können, damit wir ein gerechtes Steuersystem und ein einfaches Steuerrecht bekommen.
({9})
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Steuerreform ist unter verschiedenen Aspekten zu würdigen, unter dem der Entlastung, unter dem der Vereinfachung, unter dem der sozialen Gerechtigkeit, aber natürlich auch unter dem Gesichtspunkt: Was erbringt sie für die Weiterentwicklung unserer Wirtschaft? Deswegen habe ich mich hier zu Wort gemeldet, denn ich möchte noch einmal das unterstreichen, was der Sachverständigenrat in seinem letzten Gutachten gesagt hat. Er hat hervorgehoben, die Nettoentlastung der Steuerreform sei so zu bemessen, daß davon ein Wachstumsimpuls ausgeht.
Meine Damen und Herren, wenn Sie alle drei Schritte der Steuerreform zusammennehmen, das Gesamtvolumen berechnen und davon die Umverteilungsmasse abziehen, haben Sie einen Nettoentlastungseffekt von 50 Milliarden DM. Das ist ein Entlastungseffekt, der ohne jeden Zweifel ein deutliches wachstums- und beschäftigungspolitisches Signal sein wird.
Ich glaube, daß wir ein in sich geschlossenes, auch sozial ausgewogenes Paket vorgelegt haben, und ich möchte folgendes hervorheben, was insbesondere wirtschaftspolitisch wichtig ist: Es gibt keine Mehrwertsteuererhöhung. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, natürlich ist es klar, daß Sie krampfhaft etwas suchen, was Sie uns selbst bei dieser großartigen Leistung der Regierung vorwerfen können.
({0})
Aber daß Sie sich nicht mehr an Ihre eigenen Voraussagen, Wählertäuschungen und unwahren Behauptungen erinnern wollen, kann man Ihnen hier nicht durchgehen lassen.
({1})
Einige Belege dafür habe ich mitgebracht, allerdings nur einen geringen Teil, denn ich will Sie damit nicht über Gebühr malträtieren, auch nicht die Opposition. Am 1. August 1987 hat die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Gudrun Weyel, hier folgendes ausgeführt: Stoltenbergs Äußerung, das Steuerpaket 1990 ohne Mehrwertsteuererhöhung finanzieren zu wollen, ist Wählerbetrug.
({2})
- Daß Ihre Blindheit so weit geht, hätte ich nun wirklich nicht geglaubt. Das hätte ich nicht für möglich gehalten.
({3})
Weiter Frau Weyel: Diese Mehrwertsteuererhöhung wird auch dem letzten Bürger zeigen, daß das Steuerpaket 1990 eine Operation ist, bei der die große Mehrheit der Bevölkerung die massiven Steuergeschenke für die Spitzenverdiener bezahlen soll.
({4})
Herr Apel hat gesagt: Ich sage Ihnen ganz offen, ohne eine Mehrwertsteuererhöhung werden Sie nicht auskommen.
({5})
Dann muß man das - so Herr Apel - natürlich gegenrechnen.
({6})
Herr Präsident, hier leuchtet eine rote Lampe auf. Rot irritiert mich etwas.
({7}) Könnten Sie das in Ordnung bringen?
Meine Damen und Herren, Sie haben ja noch mehr behauptet. Sie haben gesagt, wir würden nicht nur ohne Mehrwertsteuererhöhung nicht auskommen, sondern müßten auch noch andere Steuern erhöhen und müßten auch noch in die Nettoneuverschuldung gehen.
({8})
Sie haben in Briefen den ehrenamtlich tätigen Übungsleitern von Sportvereinen weismachen wollen, daß wir ihnen ihre Pauschale kürzen wollen.
({9})
All diese Lügen haben Sie verbreitet, und jetzt sind Sie sprachlos,
({10})
weil das Paket so gut geworden ist, daß Sie überhaupt nicht mehr wissen, was Sie dagegen sagen können.
({11})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt auch keine Reform zu Lasten der Länder und Gemeinden. Auch das war eine falsche Behauptung. Wenn man die Entlastungswirkungen zusammenrechnet, dann wird die Entlastung oder Belastung so verteilt werden, wie sich das nach dem Steueraufkommen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ergibt.
({12})
- Herr Spöri, Sie großer Verteidiger sozialer Gerechtigkeit,
({13})
ich habe heute vor dem Bundesverband des deutschen Bauhandwerks gesprochen. Jetzt erklären Sie einmal einem Arbeiter und Angestellten im Bauhandwerk, im Schiffbau und in anderen Bereichen, wie es um die steuerliche Gerechtigkeit bestellt ist, wenn man ausschließlich einem Arbeiter in einer Automobilfabrik einen steuerlichen Vorteil zuschanzt, den erwähnten Arbeitern aber nicht. Wo ist da die steuerliche Gerechtigkeit?
({14})
Daß das heute gleich besteuert wird, Herr Spöri, entspricht sozialer Gerechtigkeit. Wenn Sie sich noch
einen Funken Gespür für soziale Gerechtigkeit bewahrt haben, dann müssen Sie zugeben, daß ein Arbeiter bei Mercedes oder bei Volkswagen eigentlich anerkennen muß, daß ein Kollege in einer anderen Firma mindestens den gleichen Vorteil in Anspruch nehmen darf. Darum und um nichts anderes geht es. Aber Sie haben ja jegliches Maß verloren. Sie schauen ja nur noch gebannt auf irgend etwas, was Sie vorbringen können,
({15})
um noch irgendeinen Wähler zu erreichen. Weil Sie mit Ihrer Politik die Wähler schon gar nicht mehr erreichen können, müssen Sie es mit falschen Behauptungen machen. Das ist Ihr Problem.
({16})
Was soll denn dieses Gerede von sozialer Ausgewogenheit?
({17})
Meine Damen und Herren, unser Steuersystem ist so angelegt, daß derjenige, der mehr verdient, auch mehr Steuern zahlen muß, und das ist sozial gerecht. Denn wenn jemand mehr verdient, ist er leistungsfähiger, dann kann er auch mehr für den Staat hergeben.
({18})
Daß sich dann eine steuerliche Erleichterung bei denen auch stärker auswirkt, ist sozusagen die Kehrseite der Medaille der sozialen Gerechtigkeit.
Eines gebe ich offen zu, Herr Vogel - damit Sie sich zwischenzeitlich einmal beruhigen können; vielleicht können Sie einmal Luft holen - :
({19})
Diese Steuerreform hat einen ganz grundlegenden Mangel, Herr Präsident,
({20})
nämlich den: Wer keine Steuern zahlt, hat auch keinen Vorteil von dieser Steuerreform.
({21})
- So ist es.
In ihrer Gesamtwirkung werden die Elemente der Steuerreform - Steuerentlastung, Neugestaltung des Tarifs, Abbau von steuerlichen Begünstigungen und Sonderregelungen und Vereinfachung der Steuerstruktur - zu einem leistungsgerechten Steuersystem führen. Das wird mehr Leistungsanreize geben und damit Markt- und Wirtschaftsdynamik stimulieren.
({22})
Meine Damen und Herren, wir wollen auch im Wettbewerb der Steuersysteme nicht zurückfallen. Die Bundesrepublik ist ein Ort geworden, an dem ausländische Investoren nicht mehr die gleichen günsti2222
gen Investitionsbedingungen vorfinden, wie das früher der Fall war. Wir haben eine hohe Kostenbelastung durch ein hohes Lohnniveau. Wir haben eine hohe Belastung durch die Sozialversicherungskosten. Wir haben eine hohe Belastung durch die kurze Arbeitszeit, die wir haben. Das alles wollen wir behalten, das alles wollen wir auch in Zukunft garantieren. Aber wenn das möglich werden soll, dann dürfen wir wenigstens nicht auch noch im Steuersystem ausländische Investoren abschrecken.
({23})
Deswegen ist es wichtig, daß wir Wettbewerbsgleichheit herstellen, die wir gegenüber anderen Ländern zu verlieren im Begriff sind.
({24})
Meine Damen und Herren, das ist der wirtschaftspolitische Aspekt, der mit dieser Steuerreform verbunden ist. Meine Damen und Herren, Sie werden sich an diese Debatte noch einmal erinnern - das kann ich Ihnen sagen - , nämlich dann, wenn wirklich das offenbar wird, was die Wahrheit ist: Mit dieser Steuerreform schaffen wir Steuerentlastung, soziale Gerechtigkeit und eine Vereinfachung des Systems.
({25})
- Sie können so lange schreien, wie Sie wollen, der Bürger wird das merken. Daraus und nicht aus Ihren unsachlichen Behauptungen wird er seine Konsequenzen ziehen.
({26})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe das schon im Ausschuß gesagt: Wenn der Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland hier sagt, das Investitionsklima, die Investitionsbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland sind schlecht, dann handelt er gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Er schockt damit Investoren, die möglicherweise hierherkommen. Was er da sagt, ist auch eklatant falsch, denn wir haben noch nie so gewaltige Überschüsse in der Exportbilanz wie in den letzten Jahren gehabt,
({0})
aber das weiß er offenbar nicht.
({1})
Diese Steuerreform ist nicht nur unter verteilungspolitischen und nicht nur unter finanzpolitischen Gesichtspunkten ausgesprochen schlecht, sie ist es auch unter gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten.
({2})
Wir werden laufend von den Amerikanern, unseren
Freunden, gedrängt, die binnenwirtschaftliche Nachfrage jetzt anzuregen. Was machen wir? 1990 soll es einen Schub geben, viel zu spät, um unsere binnenwirtschaftlichen Probleme zu lösen. Wenn es ein binnenwirtschaftliches Problem gibt - das sollten Sie von der CDU mittlerweile begriffen haben - , dann ist es die extrem hohe Arbeitslosigkeit in diesem Lande. Seit November des vergangenen Jahres ist die Massenarbeitslosigkeit wieder - saisonbereinigt - angestiegen.
({3})
Ich sage Ihnen: Wenn man diesen Entlastungsbetrag von 20 Milliarden DM nehmen würde, um zum Teil die Steuer bei den Beziehern kleiner Einkommen zu senken, zum Teil mehr öffentliche Investitionen voranzutreiben, dann würde man nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung 160 000 bis 260 000 Arbeitsplätze mehr schaffen können. Aber Ihnen liegt gar nicht daran, die Arbeitslosigkeit in diesem Lande zu beseitigen.
({4})
Eine letzte gesamtwirtschaftliche Bemerkung: Die Quellensteuer, die Sie einführen wollen, und die Tatsache, daß wir 1990 - ich hoffe, die Bürger begreifen das alle - bei Bund, Ländern und Gemeinden etwa eine Neuverschuldung von 100 Milliarden DM bekommen, führt dazu, daß die Zinsen zwangsläufig wieder steigen müssen. Zinssteigerungen bedeuten weniger Investitionen und Abkappung des sowieso miserablen Wirtschaftswachstums. Da ist Ihre Politik völlig verfehlt.
({5})
Noch zwei Bemerkungen, meine Damen und Herren: Erstens. Sie sorgen dafür, daß die regionale Strukturpolitik Einbußen erleidet, daß die Hilfen für die schwachen Regionen 1990 etwa um 50 % abgebaut werden, nach den Beschlüssen, die jetzt auf dem Tisch liegen. Auch dieses ist völlig verfehlt: In einer Zeit geringen Wachstums müßten wir verstärkt regionale Politik betreiben. Wir müßten insbesondere denen helfen, die zu kurz gekommen sind. Sie verstoßen gegen das Grundgesetz, nach dem Sie nämlich verpflichtet sind, für Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland zu sorgen. Das ist die Tatsache.
({6})
Schließlich - das machen wir Sozialdemokraten niemals mit - kürzen Sie die finanziellen Hilfen für Forschung und Entwicklung, für Umweltschutz, für Energiesparmaßnahmen. Das waren für uns richtungweisende neue Maßnahmen, um die Entwicklung in eine bestimmte Richtung voranzutreiben. Aber bei Ihnen wird dieses alles gekürzt. Völlig verfehlt, kann ich nur noch einmal sagen: Diese Hilfen sind für uns unverzichtbar. Sie helfen nämlich vor allem den kleinen und mittleren Unternehmen, zukunftsträchtige Entwicklungen in Gang zu setzen, und darum geht es uns.
Ich glaube, es wäre gut, wenn die Bundesregierung, bevor sie diese Steuererhöhungen bekanntgegeben hätte, neue Perspektiven entwickelt hätte. Aber hier sind Sie wieder einmal nach dem Prinzip vorgegangen: Die Steuern werden dort erhöht, wo es Gruppen gibt, die sich am wenigsten wehren können. Wer keine Lobby hat, der ist zur Kasse gebeten worden. Die Bauern haben Sie völlig ausgenommen.
({7})
Ich hoffe, diese Steuerreform findet niemals statt. Sie ist nicht das Papier wert, auf dem sie hoffentlich nie geschrieben wird.
Schönen Dank.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Scharrenbroich.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gebe zu, ich habe selten so gerne einen Reformbeschluß der Koalition verteidigt und vertreten wie diesen hier;
({0})
denn ich kann jetzt bereits sagen, daß die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer an dieser Reform messen können, wo ihre Freunde sind.
({1})
Sollten die Gewerkschaftsfunktionäre den Fehler machen, auf diese Polemik der SPD hereinzufallen, dann besteht die Gefahr, daß sie sich noch mehr von ihren Mitgliedern trennen.
({2})
Durch die massive Anhebung des Grundfreibetrages und durch die Entlastung von 16 Milliarden DM allein im unteren Bereich
({3})
- das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen - und durch den linear progressiven Tarif, für den 23 Milliarden DM ausgegeben werden, wird für die Gewerkschaften die Voraussetzung für eine künftig erfolgreiche Tarifpolitik geschaffen; das muß man wissen.
({4})
Man muß wissen, daß die Realeinkommenssteigerung für die Arbeitnehmer im letzten Jahr nur durch die ersten beiden Stufen in der Steuerreform möglich war. Wir wollen hiermit die Voraussetzungen schaffen, daß die Arbeitnehmer auch künftig eine Realeinkommenssteigerung haben.
({5})
Ich wollte mich eigentlich bei der SPD bedanken, daß wir die Möglichkeit haben, die Aufklärung über diese Steuertarifreform heute hier zu beginnen. Aber ich muß doch mit Bedauern feststellen, daß die SPD in ihrer Ratlosigkeit zu fast unentschuldbaren Entgleisungen kommt.
({6})
Erstens. Herr Jens, Sie verderben den Stil in diesem Hause, wenn Sie einer Partei unterstellen, sie wollte die Arbeitslosigkeit nicht abbauen. Das ist ein Stil, der hier nicht akzeptiert werden kann.
({7})
Wir können uns stundenlang darüber streiten, was der richtige Weg ist, aber diese Unterstellung sollte man nicht machen.
Zweitens. Herr Kollege Apel, wenn die Steuertarifreform beschlossen ist, dann werden wir uns noch einmal über den Satz unterhalten, den Sie hier eben der deutschen Öffentlichkeit gesagt haben, nämlich daß die Arbeitnehmer in weiten Bereichen 100 DM mehr Steuern bezahlen müssen. Über diesen Satz werden wir uns dann an Hand von Fakten unterhalten.
({8})
Drittens. Wie können Sie behaupten, daß wir den Arbeitnehmerfreibetrag und den Weihnachtsfreibetrag abschaffen würden? Der Arbeitnehmerfreibetrag beträgt nach geltendem Recht - zum Mitschreiben -480 DM. Der Weihnachtsfreibetrag beträgt 600 DM.
({9})
Das macht 1 080 DM. Die Werbungskostenpauschale beträgt 564 DM. Das macht zusammen genau 1 644 DM, und das wird auf Heller und Pfennig erhalten. Dies ist wichtig.
({10})
Es gibt einen Teilbereich von Arbeitnehmern, die über Werbungskosten besonders viel absetzen können - wir wollen hier ehrlich informieren; deswegen will ich das sagen - und die hier natürlich einige Einbußen erleiden werden, wenn es bei dem jetzigen Konzept bleibt. Aber der Kollege Gattermann hat ja eben bereits gesagt - er hat sich auf sehr gute Beratungen bezogen, die wir eben in der Finanzgruppe gemeinsam mit Freunden aus der FDP hatten - , daß wir hier noch einmal überlegen, daß die Regelung wirklich nur auf diesen Spitzenbereich der Arbeitnehmer eingegrenzt wird, die die Absetzung von Werbungskosten bisher über Gebühr in Anspruch genommen haben.
({11})
Unser Ziel ist Vereinfachung; unser Ziel ist Steigerung des Konsums - das müssen die Gewerkschaften übrigens wissen, die ja sonst immer sehr viel von der Kaufkrafttheorie reden; das ist eine ganz wichtige Sache - und Förderung der Leistungsbereitschaft, wobei für uns die Leistungsträger halt eben nicht nur die Unternehmer und die Manager sind, sondern vor
allen Dingen der große Bereich der Facharbeiter, und dieser wird durch die Steuerreform entlastet.
({12})
Ich möchte zum Schluß noch einmal meine Freude darüber ausdrücken,
({13})
daß die Kilometerpauschale von 36 Pfennig auf 50 Pfennig angehoben wird; dies ist ein wichtiger Beitrag auch zum Thema Arbeitsmarkt. Damit wird nämlich die Mobilität der Arbeitnehmer erhöht, die leider weiter anreisen müssen. Deswegen ist diese Kilometerpauschale wichtig.
({14})
Zum Schluß noch einmal: Herr Apel, Sie sollten das korrigieren, was Sie in einem Interview gesagt haben. Durch die Quellensteuer - das ist der letzte Satz - werden der Rentner und das alte Mütterchen vom Dienst keineswegs geschröpft, denn wir haben ja vorgesehen, daß die Sparbücher mit gesetzlicher Kündigungsfrist nicht dieser Quellensteuer unterliegen. Insofern kann man sagen, daß diese Finanz- und Steuerreform sozial ausgewogen ist.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Huonker.
Herr Scharrenbroich, Ihr Beitrag hat gezeigt, daß Sie dieses Steuerpaket offenbar nur deswegen vertreten, weil Sie von dem, was beschlossen worden ist - ich mache Ihnen insoweit keinen Vorwurf - , überhaupt nichts verstehen.
({0})
Ich komme darauf zurück.
Herr Stoltenberg hat vorhin soviel von Täuschungen und Verdrehungen geredet. Ich stimme ihm zu. Nur, er hat den Adressaten verwechselt.
Am 9. September 1987 hat der Bundesfinanzminister vor diesem Haus erklärt - ich zitiere - :
Sie wissen ganz genau ..., daß der Arbeitnehmerfreibetrag ... wegen der unterschiedlichen Form der Veranlagung durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geschützt ist. Da ich dies weiß, werde ich dem natürlich bei meinen Vorschlägen ... Rechnung tragen.
Und dann fügte er hinzu:
Unwahr ist auch, daß ich den Weihnachtsfreibetrag abschaffen will.
Am Sonntag haben Sie die Koalitionsbeschlüsse verkündet. Erstens. Der Arbeitnehmerfreibetrag wird abgeschafft.
({1})
Zweitens. Der Weihnachtsfreibetrag wird abgeschafft.
({2})
Ich stelle fest: Herr Stoltenberg hat hier die Unwahrheit gesagt.
({3}) - Werden Sie doch nicht nervös.
Dieser Täuschung hat er jetzt gleich die zweite hinzugefügt. Er beziffert die Steuermehreinnahmen aus dem Gesamtkomplex - Abschaffung von Weih-nachts- und Arbeitnehmerfreibetrag, Einführung der Arbeitnehmerpauschale plus Erhöhung der Kilometerpauschale - mit 1,2 Milliarden DM. Die Zahl ist um mindestens 1 Milliarde zu niedrig. Ich weiß, Herr Gattermann und Herr Solms, daß die maßgeblichen Leute in der Koalition wissen, daß die Steuermehreinnahmen mindestens 2,3 Milliarden DM betragen.
({4})
Das heißt, Herr Stoltenberg: Eine Täuschung folgt der anderen.
Jetzt will ich Ihnen erklären, warum die Arbeitnehmerpauschale ein Trick ist,
({5})
der dazu dienen soll, zu vernebeln, daß die Arbeitnehmer durch die Abschaffung des Weihnachts- und des Arbeitnehmerfreibetrags massiv zur Kasse gebeten werden. Die Bundesregierung hat 1980 amtlich erklärt, daß je Lohnsteuerpflichtigem Werbungskosten in Höhe von durchschnittlich 1 437 DM geltend gemacht worden sind. Rechnet man das auf 1990 hoch, Herr Bundesfinanzminister, so kommt man leicht auf die Höhe der Arbeitnehmerpauschale von 1 644 DM.
({6})
Das bedeutet, Werbungskosten bis 1 644 DM, lieber Herr Scharrenbroich, die heute steuermindernd geltend gemacht werden können, werden künftig von der Pauschale konsumiert.
({7})
- Darauf komme ich. - Gleichzeitig verlieren sie den heutigen Weihnachts- und den Arbeitnehmerfreibetrag. Das ist die Wahrheit.
({8})
Ich habe in der Geschichte des deutschen Steuerrechts noch nie einen so miesen Trick erlebt,
({9})
um Arbeitnehmer einschließlich Sie, Herr Scharrenbroich, hinter das Licht zu führen.
({10})
Jetzt zur Kilometerpauschale: Sie kommt, wenn man keine anderen Werbungskosten hat, überhaupt nur dem Kollegen zugute, der mehr als 35 km von seinem Arbeitsplatz entfernt wohnt.
Die FDP hat heute im „Handelsblatt" zugegeben, was von diesem Gesamtkomplex zu halten ist. Sie hat
gesagt: Dadurch, daß der Grundfreibetrag erhöht wird, erfährt durch die Umschichtung der Freibeträge in die Arbeitnehmerpauschale kein Arbeitnehmer einen Nachteil. Umgekehrt heißt das: Durch die Abschaffung des Weihnachts- und des Arbeitnehmerfreibetrags bei gleichzeitiger Erhöhung der Kilometerpauschale und Einführung der Arbeitnehmerpauschale werden die Arbeitnehmer so stark belastet, daß diese Steuererhöhung durch die vorgesehene Erhöhung des Grundfreibetrags egalisiert wird. Das ist die Wahrheit.
Sie hoffen, daß Sie mit diesem geschickt gemachten Paket in der Öffentlichkeit durchkommen, weil es nicht leicht durchschaubar ist. Ich sage: Hinsichtlich eines Punktes habe ich Respekt. Dieser Vorschlag verrät steuertechnisches Können. Dieser Vorschlag verrät gleichzeitig eine enorme Fähigkeit zu skrupelloser Trickserei.
({11})
Wir werden dafür sorgen, Herr Scharrenbroich, daß die Arbeitnehmer verstehen werden, was hier gespielt wird, obwohl die Sache bewußt technisch kompliziert gemacht worden ist. Sie hoffen darauf, daß die Kolleginnen und Kollegen erst nach der Bundestagswahl 1990, bei Auszahlung des Weihnachtsgeldes, merken, daß Sie den Weihnachtsfreibetrag abgeschafft haben. Wir werden dafür sorgen, daß sie es sehr viel früher merken. Darauf können Sie sich verlassen.
({12})
Nachdem Herr Kleinert wieder im Saal ist, muß ich ihm, bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, sagen: Der Begriff „Roßtäuscher" ist nicht parlamentarisch. Ich würde ihn hier auslassen. Ich bitte Herrn Kleinert, ihn in Zukunft zu unterlassen.
Herr Uldall ist der nächste Redner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sozialdemokraten machen mir die Rede deswegen nicht so ganz leicht, weil ich als Vertreter unserer Fraktion eigentlich die Aufgabe hatte, die Argumente der Sozialdemokraten hier auszuputzen. Nun habe ich die ganze Debatte über gewartet und versucht, mir Notizen über die guten Argumente von Herrn Spöri und Herrn Apel zu machen. Nur kam leider nichts. Insofern muß ich also folgendes feststellen.
Herr Apel und Herr Spöri, zu Ihren Eingangsbemerkungen muß ich hier eines wirklich mit aller Entschiedenheit sagen: Nur wer wirklich und bewußt bösartig argumentiert, kann behaupten, daß diese Steuerreform sozial nicht ausgewogen sei.
({0})
Alles das, was Sie an Argumenten während der vergangenen Sommerpause gebracht haben, mit denen Sie beweisen wollten, daß unsere Steuerreform unsozial sei, läßt sich nicht aufrechterhalten.
({1})
Nun stehen Sie hier total blamiert bis auf die Knochen und stellen fest, daß Ihre Grausamkeiten eben nicht eingetreten sind. Ihre Blamage ist vollkommen.
({2})
Meine Damen und Herren, auch die Argumentation von Herrn Huonker hinsichtlich der Zusammenfassung der Freibeträge ist so nicht richtig.
({3})
Herr Huonker übersieht, daß wir zunächst einmal die Kilometergeldpauschale anheben. Dann muß berücksichtigt werden, daß wir zusätzlich jedem Arbeitnehmer, jedem Steuerzahler in der Bundesrepublik einen Freibetrag von über 1 000 DM einräumen. Darüber hinaus flachen wir den Tarif ab.
Ich sage Ihnen, Herr Huonker: Es ist nicht denkbar, daß deswegen irgendein Arbeitnehmer mehr zu zahlen hätte als bisher. Jeder wird eine Entlastung spüren.
({4})
- Regen Sie sich nicht unnötig auf. Jeder wird seine Entlastung bekommen. Ich sage Ihnen: Auch die Entlastungen für die Arbeitnehmer werden prozentual stärker sein, wenn sie ein niedrigeres Einkommen haben, aber nicht absolut. Wir müssen hier differenzierter denken. Deswegen bleibe ich bei dieser Feststellung, daß dies eine Steuerreform ist, die jeden in der Bundesrepublik entlastet.
({5})
Herr Kollege Jens, Sie haben das böse Wort gebraucht, es gebe Politiker oder Fraktionen, die eine Beseitigung der Arbeitslosigkeit hier in der Bundesrepublik nicht wollten. Herr Jens, ist Ihnen entgangen, daß wir mit dieser Steuerreform einen Nachfrageschub in unsere Volkswirtschaft hineingeben, der um vieles höher ist als das, was Ihre Beschäftigungsprogramme jemals irgendwie zur Folge haben können?
({6})
Deswegen sage ich: Dieses ergibt eine Nachfrage in der Größenordnung einer zusätzlichen Lohnrunde, die der DGB für seine Arbeitnehmer herausgeholt hätte. Der DGB argumentiert doch immer damit, daß die Lohnrunden auch zu einer Stärkung der Kaufkraft für die Bevölkerung führten. Wenn dies den Umfang einer zusätzlichen Lohnrunde für die Arbeitnehmer hat, dann muß sich auch der DGB einmal die Frage gefallen lassen, ob er eigentlich seine Bedenken gegen eine solche zusätzliche Lohnrunde weiterhin aufrechterhalten kann.
Meine Damen und Herren, die Steuerreform bedeutet für uns zugleich auch eine Vereinfachung des Steuerrechts. Und eine Vereinfachung des Steuerrechts bedeutet eine größere Gerechtigkeit im Steuerrecht. Mehr Ausnahmen bedeuten nicht mehr Gerechtigkeit, sondern nur mehr Chancen für denjenigen, der sich mittels teurer Steuerberater einen ent2226
sprechenden Steuervorteil herausrechnen lassen kann. Deswegen kann ich nur sagen: Diese Steuerreform ist ein Erfolg, den niemand in diesem Umfange so erwartet hatte,
({7})
weder auf der politischen Seite noch in der Fachpresse. Ich kann die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung nur auffordern, dieses Vorhaben weiterhin konsequent durchzuführen.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Neuling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sicherlich eine Enttäuschung für die Opposition,
({0})
daß die Koalitionsfraktionen hier in großer Geschlossenheit, Herr Spöri, ein Konzept vorlegen.
({1})
Um als Mittelstandsvertreter auch die Geschlossenheit hinsichtlich der Arbeitnehmer deutlich zu machen, möchte ich, Herr Kollege Scharrenbroich, eine Anregung von Ihnen aufnehmen.
({2})
Wir sollten der Opposition danken, daß sie eine im Interesse der Regierungsfraktionen liegende vernünftige Aktuelle Stunde beantragt hat.
({3})
Sie hat das richtige Thema gewählt. Es macht deutlich, daß wir in der Lage waren, ein geschlossenes Konzept vorzulegen, das eine Weichenstellung in die 90er Jahre hinein vornimmt. Und sie hat den richtigen Zeitpunkt gewählt. Denn wir konnten dieses Konzept geschlossen
({4})
- und ich füge hinzu: in einer für uns sicherlich wichtigen Phase - vorlegen.
({5})
Insoweit vielen Dank.
In Richtung auf den Bundesfinanzminister
({6})
möchte ich gerade in bezug auf die Geschlossenheit auch als Berliner deutlich sagen,
({7})
daß ich den Eindruck habe, daß auch die offene Frage der Behandlung der Berlin-Förderung - offensichtlich in Abwägung der Interessen, die das Bundesfinanzministerium bewegen, und der Interessen, die für Berlin wichtig sind, nämlich die Lebensfähigkeit zu sichern - auf einem guten Weg der Lösung ist. Insofern möchte ich auch von dieser Stelle aus dem Bundesfinanzminister herzlich danken.
({8})
Ich möchte hier, gerade weil der Kollege Scharrenbroich das Thema der sozialen Ausgewogenheit angesprochen hat,
({9})
noch einmal bewußt etwas zur Mittelstandsposition sagen. - Herr Kollege Spöri, Zwischenrufe ermuntern mich nur, stören mich nicht. - Herr Kollege Spöri - lassen Sie sich das von einem Berliner Kollegen einmal sagen - , Sie sollten nicht nur immer rhetorisch auf den Mittelstandszug aufspringen, sondern auch einmal überlegen, was zu tun ist. Gerade die Beseitigung des Mittelstandsbauches in Verfolgung der Absenkung der Vermögensteuer, der Gewerbesteuer, der Verbesserung der Abschreibungsmöglichkeiten usw. verbessert insgesamt die Eigenkapitalsituation der mittelständischen Unternehmen. Wenn Sie einmal rückblickend die Mittelstandspolitik als Teil der Wirtschaftspolitik sehen, wenn Sie bedenken, daß wir eben nur in den mittelständischen Bereichen Zuwächse bei den Arbeitsplätzen haben,
({10})
während die großen Betriebe Arbeitsplätze abgebaut haben,
({11})
dann wird deutlich, daß gerade auch im ersten Teil, nämlich der 50 Milliarden DM netto, eine enorm starke Mittelstandskomponente steckt.
({12})
Und nun kommen wir noch einmal zu der strukturellen Auswirkung des 19 Milliarden DM-Paketes. Hier bin ich mit dem Kollegen Scharrenbroich durchaus einer Meinung: Bestimmte Privilegien, die nur einer ganz kleinen Schicht von Arbeitnehmern zugute kommen, sind nicht nur Privilegien für eben diese Arbeitnehmer,
({13})
sondern sind auch strukturelle Nachteile für die kleinen und mittleren Betriebe.
({14})
Denn der kleine Handwerksmeister kann eben seinen Mitarbeitern nicht jedes Jahr locker einen Jubiläumswagen zur Verfügung stellen ; das kann er nicht.
({15})
Dadurch befindet er sich natürlich in einem Wettbewerbsnachteil. Von daher begrüßen wir, daß gerade auch die im Einkommensteuergesetz begründeten Wettbewerbsnachteile für den Mittelstand ein Stück beseitigt worden sind. Sicherlich kann man noch nicht zufrieden sein, aber wir sind hier ein gewaltiges Stück vorangekommen. Das ist mit eine ganz wichtige Entscheidung, um den Konsens zwischen Mittelstand,
Arbeitnehmerschaft und sonstigen Gruppen herzustellen.
Hierhin gehört natürlich auch die Forderung, Herr Kollege Scharrenbroich, die wir beide immer wieder vertreten haben, nämlich die Nichterhöhung der Mehrwertsteuer. Es ist ja daran gedacht worden, sie zu erhöhen, um die Finanzierung zu erreichen.
Lassen Sie mich das nun noch in einen etwas größeren Zusammenhang der Wirtschaftspolitik stellen - sowohl Bundesminister Bangemann als auch der Bundesfinanzminister haben dies getan; der eine oder andere Vorredner auch - : Jede Mark Steuererhöhung vernichtet Wachstum, jede Steuersenkung schafft Arbeitsplätze. Von daher ist es eine binnenwirtschaftlich ganz wichtige Entscheidung gewesen, die Steuersenkung um 50 Milliarden DM netto. Also, das ist vom wirtschaftspolitischen Standpunkt aus eine richtige arbeitsmarktpolitische Entscheidung.
({16})
Die Entscheidungen für den Mittelstand gehen in die richtige Richtung der Verbesserung der Eigenkapitalbasis.
Auch die verbesserte Erfassung der Kapitalerträge ist ein wichtiger Schritt in die 90er Jahre. Ich darf in diesem Zusammenhang einmal nur die Zahlen nennen: Lohnsteueraufkommen 1987: ca. 160 Milliarden DM; Erträge aus Kapitalvermögen: rund 100 Milliarden DM. Das macht deutlich: Wenn wir da jetzt nicht entscheidende Weichen stellen, kommt es zu einem Ungleichgewicht mit enormen sozialen Konflikten in den 90er Jahren. Von daher ist dies eine richtige Entscheidung.
({17})
Ich komme zum Abschluß und sage: Diese Steuerreform als gesamtes Konzept ist ein geschlossenes Konzept mit einer Perspektive in die 90er Jahre - bitter für Sie, gut für uns.
Recht herzlichen Dank.
({18})
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
({0})
- Das haben wir uns längst abgewöhnt. Denn die Sache mit den Jungfern stimmt ja doch nicht.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung des Antrags der Franktion der SPD
Haushaltspolitische Konsequenzen für den Bundeshaushalt 1987
Ergänzung des Haushaltsentwurfs 1988 Überarbeitung der Finanzplanung bis 1991
- Drucksache 11/783 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen. Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Simonis.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einem Artikel der „Zeit" vom 18. September mit der Überschrift „Manipulationen", den ich mit Ihrer Erlaubnis zitiere, Herr Präsident, wird festgestellt: „Wohl selten ist das Parlament von einem Finanzminister so hemmungslos hinters Licht geführt worden. " - Es wird natürlich auch gleich der Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt des Hinters-LichtFührens und der Wahl, die zwei Tage später stattgefunden hat, hergestellt.
Dem ist wirklich nichts hinzuzufügen. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben das Parlament hinters Licht geführt. Noch 14 Tage vor diesem Zeitpunkt, wo Sie sich hier dreimal abgemüht haben, unsere Fragen nicht zu beantworten, erklären Sie, daß eine kleine kurzfristige höhere Verschuldung von ungefähr 26 Milliarden DM statt 22,4 Milliarden DM in Kauf genommen werden muß. Und drei Tage später, wie durch ein Wunder, am Montag nach dem Wahlsonntag, sind es plötzlich 29 Milliarden DM geworden.
({0})
Als Begründung wird gesagt, die Zinsen seien ein bißchen gestiegen und es seien höhere Personalkosten aufgetreten; usw. usw. Wie viele Leute haben Sie denn eigentlich von Freitag bis Montag eingestellt, um plötzlich drei Milliarden DM mehr Geld zu brauchen?
Wir hatten Sie schon gefragt, was Sie eigentlich veranlaßt, uns glauben machen zu wollen, daß wir eine seriöse Beratung des Haushalts 1988 vornehmen können, wenn weder Sie noch wir wissen, was eigentlich im Haushalt 1987 passiert. Bis jetzt weiß keiner von uns - außer von Ihrem Haus - , wo eigentlich die globale Sperre eingewirtschaftet werden soll. Bis jetzt weiß keiner - ich glaube auch Sie nicht - , wie Sie eigentlich die zusätzlichen Versprechungen, Stahlhilfe usw., bilanzieren wollen. Und bis jetzt weiß auch keiner - ich glaube, auch Sie nicht; wir jedenfalls wissen es nicht - , wie denn nun der Finanzplan aussehen wird, der 1988 in Kraft treten wird.
Wir fangen also jetzt im Haushaltsausschuß an, ungefähr 7 000 Positionen in mühevoller Kleinarbeit durchzuwühlen, und erfahren jedesmal von dem Parlamentarischen Staatssekretär Herrn Dr. Voss,
({1})
daß das, was Sie gestern gesagt haben, morgen nicht mehr gilt. Ich frage mich, ob wir nicht vielleicht statt Ihrer gleich den Herrn Dr. Voss als den, den wir fragen, nehmen sollen. Denn dessen Zahlen scheinen zu stimmen.
({2})
Sie sind allerdings immer negativ. Wo ist er übrigens? Hier ist er jedenfalls nicht.
Im November vor der Bundestagswahl ging es schon los. Auch das war eine Wahl, wo Sie versucht haben, mit falschen Zahlen zu arbeiten. Da haben Sie eine Wachstumsrate angenommen, die so abenteuerlich hoch ist, daß ich mich gewundert habe, daß jemand das geglaubt hat. Nach der Wahl haben Sie sie sofort korrigiert. Die Konsequenz waren 9,8 Milliarden DM Steuerausfälle für das Jahr 1987, davon allein 4 Milliarden DM für den Bund. Vor der Bundestagswahl haben Sie die Investitionen geschönt, nach der Bundestagswahl haben Sie sie nach unten korrigieren müssen. Vor der Bundestagswahl haben Sie mit stolzgeschwellter Brust gesagt, noch nie sei ein Haushalt mit einer so niedrigen Neuverschuldung von 22,3 Milharden DM vorgelegt worden. Und jetzt ist sozusagen jeden Tag eine neue Zahl fällig, die das nach oben korrigiert.
Sie waren sehr stolz auf sich. In letzter Zeit hört man nicht mehr sehr viel. Und Sie geben uns keine Erklärung für das, was Sie machen. Sie kriegen zwar vom Kollegen Weng erboste Briefe geschrieben.
({3})
Die kennen wir dann aus der Zeitung. Aber Antwort scheint ihm nicht zuteil zu werden. Auch uns wird sie nicht zuteil.
Glauben Sie eigentlich wirklich, daß das eine seriöse Beratung im Haushaltsausschuß ist, nach der wir verantworten sollen, daß das, was wir beraten und beschließen, halbwegs der Wahrheit entspricht,
({4})
wenn Sie nicht in der Lage sind, uns zu sagen, von welchen Zahlen wir eigentlich ausgehen? Der Haushalt 1987 ist eine Heiße-Luft-Wurst, der Haushalt 1988 ist es noch mehr. Es wird sich noch herausstellen, daß manches von dem, was Sie gerade so im Brustton der Empörung und des Zornes zurückgewiesen haben, für 1987 und 1988 noch passieren wird. Warten wir es einmal in Ruhe ab! Wir haben es ja dokumentiert und können uns das im nächsten Jahr alles noch einmal in Ruhe durchlesen.
Herr Carstens, der Haushaltssprecher der CDU, hat erklärt, daß die SPD in ihrer gesamten Regierungszeit nicht einen einzigen Haushalt vorgelegt hat, der so solide gewesen ist wie der Haushalt 1987. Da lachen doch die Hühner! 7 Milliarden DM mehr Nettoverschuldung - das ist für Sie ein solider Haushalt? Welche Vorstellung haben Sie eigentlich von einem unsoliden Haushalt? Beginnt der erst bei 21 Milliarden DM?
({5})
Wo ist die Schmerzgrenze erreicht, bei der der Obmann und Sprecher einer Gruppe, die ja die Regierungspartei mit stützt, sagt: Das lassen wir uns nicht mehr gefallen? Das betrifft ein ganz klein wenig auch die Frage, wie sehr Sie sich von Ihrer eigenen Regierung hinters Licht führen lassen. Herr Carstens, Sie stehen da und sagen: Ich lege die Hand dafür ins Feuer, daß es so und nicht anders ist. Und hinter Ihrem Rücken antwortet Herr Voß dem Herrn Weng, daß es eben doch ganz anders und ganz falsch ist.
({6})
- Der Brief muß doch hinter Ihrem Rücken geschrieben worden sein. Oder war er mit Ihnen abgesprochen? Dann wäre der Brief von Herrn Weng ja noch interessanter. Er muß hinter Ihrem Rücken geschrieben worden sein. Herr Weng hat offensichtlich gewußt, daß da etwas nicht stimmt und hat es Herrn Carstens nicht gesagt. Das finde ich nicht in Ordnung, wie ihr miteinander umgeht.
Sie haben in der Zwischenzeit versprochen - davon ist nicht eine einzige Zahl bei uns im Haushaltsausschuß gelandet - , daß Sie weitere Stahlhilfen geben wollen. Gut, sehr gut, aber die kosten immerhin 1,5 Milliarden DM. Woher wollen Sie das Geld holen? Wo wollen Sie das in den Haushalt hineinschreiben?
Sie haben gesagt, daß Sie demnächst die Bundesergänzungszuweisungen an die finanzschwachen Länder nicht mehr einfrieren wollen, sondern daß Sie sie erhöhen wollen. Gut, das ist in Ordnung. Es kostet aber 3,5 Milliarden DM. Wo wollen Sie das eigentlich bilanzieren? Wohin wollen Sie es schreiben? Wie wollen Sie es finanzieren? Ich nehme an, Sie müssen die Nettokreditaufnahme doch noch ein bißchen höher machen als das, was Sie bis jetzt auf Nachfrage freiwillig zugegeben haben.
({7})
Im übrigen: Alles, was teuer ist, alles, bei dem Sie noch nicht wissen, wie Sie es bezahlen wollen, alles, bei dem Sie wissen, daß Sie Schwierigkeiten bekommen werden, ist auf die Bereinigungssitzung verschoben worden: die Kosten für die Landwirtschaft, Weltraumvorhaben, die mehrere Milliarden DM kosten, die Städtebauförderung - alles Sachen, die gut und teuer sind und von denen Sie und wir leider nicht wissen, wie sie bezahlt werden sollen.
Außerdem wird Neues angekündigt: im Sozialbereich bei der knappschaftlichen Rentenversicherung, bei den Mitteln für die Behinderten in den Werkstätten, bei den Schätzansätzen für das Erziehungsgeld usw.
Es stimmt im Grunde genommen nichts von dem, was Sie uns zugeleitet haben. Leider Gottes macht das die Beratung eigentlich lächerlich. Da sitzt man von morgens 9 Uhr bis manchmal 23, 24 Uhr und bemüht sich um Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit, zu der Sie wie wir durch die Bundeshaushaltsordnung verpflichtet sind, und man stellt fest, daß weder Wahrheit noch Klarheit herrscht, sondern daß nur Schulden und große Löcher vorhanden sind.
Sie wissen so gut wie wir, daß für 1988 bei der Bundesanstalt für Arbeit ein Defizit von 1,5 Milliarden DM entstehen wird. Wie wollen Sie das denn bitte bezahlen? Wo wollen Sie es etatisieren? Woher wollen Sie das Geld nehmen? Wollen Sie es irgendwoanders herholen? Wollen Sie einen Verschiebebahnhof aufmachen? Wollen Sie die Nettokreditaufnahme erhöhen? Wie haben Sie sich das eigentlich gedacht, das Ganze zu bezahlen?
({8})
- Er ist ja noch da. Er läßt sich gerade beraten, was er nachher sagen soll.
Wenn Sie, Herr Stoltenberg, an die EG denken, müßte Ihnen - ebenso wie mir - eigentlich schlecht werden; denn die ist nun noch teurer als alles, was ich gerade aufgezählt habe. Da fehlen insgesamt für das Jahr 1988 - von 1987 rede ich schon gar nicht mehr; da weiß im Moment niemand, was da fehlt - 13 Mil-harden DM. Davon sollen wir 4 Milliarden DM blechen. Das ist höchstwahrscheinlich in Ordnung, denn dazu sind wir vertraglich verpflichtet. Nur: Wo wollen Sie es herholen?
Ich habe den Kollegen Gattermann vorhin so verstanden, als habe er etwas von einer Harmonisierung gesagt. Das kann doch nur heißen: Mehrwertsteuerharmonisierung; das kann doch nur heißen, die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Das habe ich doch wohl richtig verstanden.
Damit hat Herr Gattermann, nachlesbar für uns alle, das Thema Gott sei Dank eingeführt; also kann hinterher niemand sagen, man habe es nicht gewußt. Wir haben es gemerkt, Sie haben es gewußt, und im Protokoll steht es auch.
Wir fordern Sie mit unserem Antrag auf, Herr Bundesfinanzminister, uns doch freundlicherweise die Zahlen zu sagen, sozusagen von Kollege zu Kollege im Haushaltsausschuß, damit wir dort nicht so sinnlos arbeiten und damit es auch für Ihre Kollegen, die Sie als Regierung unterstützen sollen, nicht so eine blödsinnige Sitzung wird, bei der wir genau wissen, daß wir in der Luft herumstochern. Sagen Sie uns doch die Zahlen! Seien Sie bitte so nett und sagen Sie uns die Zahlen! Geben Sie sie uns schriftlich oder mündlich! Dann wissen wir endlich wieder einmal, worüber wir reden. Ihr Haushalt, den Sie uns abgeliefert haben, ist jedenfalls ein Trauerstück.
({9})
Darüber müßten eigentlich nicht wir, sondern die Kollegen von der Koalition in Tränen ausbrechen. daß auch wir nicht glücklich sind, das hat damit etwas zu tun, daß wir das hinterher alle zusammen zu verantworten haben, was dann in gedruckter Form auf den Bürger an Belastungen und hoffentlich auch an Gutem zukommen soll.
Ich danke Ihnen.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Carstens ({0}).
Verehrte Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst einmal feststellen, daß die Kollegin Simonis hier mit einer doch erfreulich ruhigen Tonlage aufgetreten ist. Ich werde mich bemühen, es ihr gleichzutun. Das ist im Prinzip ja auch der Stil bei uns im Haushaltsausschuß, mit dem wir miteinander umgehen und auch in Zukunft miteinander umgehen werden.
Den Antrag der SPD-Bundestagsfraktion, zu veränderten Vorlagen zu dem Haushalt 1987/88 und der Finanzplanung zu kommen, kann man wohl nur im Zusammenhang mit dem Zeitpunkt verstehen, zu dem er gestellt wurde; denn der Antrag wurde Anfang September eingereicht.
({0})
Das war Wahlkampfzeit in Deutschland, in Schleswig-Holstein. Dieser Antrag könnte als Versuch gewertet werden, das Wahlkampfgebaren der SPD aus damaliger Zeit in den deutschen Bundestag hineinzutragen. Das ist heute aber offensichtlich nicht geschehen, wie ich ja soeben schon bewertend gesagt habe. Man muß sich auch in die Zeit hineinversetzen, in der die SPD Aussagen machte, die so übertrieben waren, daß sie selbst nicht mehr geglaubt hat, was sie gesagt hat.
Aber nun gut: Sie hat wahrscheinlich angenommen, daß wir es nicht schaffen würden, die notwendigen Beschlußfassungen im Zusammenhang mit der Finanzierung des Steuerpakets zustande zu bringen. Bei der Debatte vorhin in der Aktuellen Stunde haben wir deutlich machen können, daß wir nicht nur die Finanzierung geschafft haben, sondern daß dazu keinerlei Verbrauchsteuererhöhungen notwendig sind.
({1})
Nun habe ich zwischenzeitlich den Eindruck, als wenn es der SPD erheblich lieber wäre, wenn sie den Antrag Anfang September gar nicht gestellt hätte; denn es scheint ihr geradezu peinlich zu sein, heute darüber reden und diskutieren zu müssen.
({2})
Diesen Eindruck habe ich insbesondere auch deswegen bekommen, weil der Kollege Apel, der in der ersten Lesung des Bundeshaushalts hier noch entsprechend aufgetreten ist, sich zu diesem Antrag erst gar nicht mehr zu Wort meldet.
({3})
Meine Damen und Herren, diese unseriösen Behauptungen von damals und leider auch wiederum soeben in der Aktuellen Stunde seitens der SPD werden dadurch nicht wahr, daß man sie hier im Plenum wiederholt.
({4})
Auf die Sache bezogen kann man feststellen - ich werde das gleich im einzelnen begründen - , daß der Antrag der SPD jeder sachlichen Grundlage entbehrt.
Zunächst einmal möchte ich auch meinerseits noch darauf hinweisen, daß wir allenthalben in deutschen Landen von dem Horrorgemälde gehört haben, welches durch SPD und GRÜNE gemalt wurde, aber auch durch andere Vertreter gesellschaftlicher Gruppen
({5})
bezüglich der sicher zu erwartenden Mehrwertsteuererhöhung. Ein Prozent war ja gar nicht genug, mindestens zwei Prozent seien zu erwarten. Die Mineralölsteuer sollte nach Aussagen der SPD um weit über 20 Pfennig angehoben werden. Die Neuverschuldung
Carstens ({6})
würde auf 40, 50 Milliarden DM ansteigen. Das alles bricht in sich zusammen. Nichts davon bleibt übrig.
({7})
Wir haben einen Haushaltsentwurf vorgestellt, der korrekt und solide konzipiert ist. Auch der Haushaltsvollzug 1987 wird das beweisen, ebenso - nachdem er hier im Plenum verabschiedet worden ist - wie der Haushaltsvollzug für den Bundeshaushalt 1988. Das, was ich sage, gilt nicht nur für diese beiden Bereiche, sondern auch für den Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung bis 1990. Wir werden dann auch dafür sorgen, daß das für die Zeit danach gelten wird, weil wir sicher mit der Unterstützung der Wähler unseres Landes rechnen.
({8})
Ich billige natürlich gerne jedem Kritiker zu - das ist nichts Ungewöhnliches, das erfolgt zwangsläufig so, von Jahr zu Jahr neu - , daß es zwischen der Verabschiedung des Haushaltsentwurfs - im Mai, Juni, Anfang Juli eines jeden Jahres - und der Verabschiedung im Plenum - etwa November, Dezember eines jeden Jahres - gewisse offene Fragen gibt; das kann auch nicht anders sein. Es gibt Dinge, die im Laufe des Jahres neu hinzukommen, und es gibt Entscheidungen, die erst im Laufe des Jahres gefällt werden können. Ich denke zum Beispiel daran, daß es gar nicht möglich gewesen wäre, sich im Mai oder Juni mit den Ländern über die Bundesergänzungszuweisung zu einigen oder daß sich die Länder untereinander über den Länderfinanzausgleich geeinigt hätten.
Wir haben zwischenzeitlich beschlossen - das haben wir gern getan - , das Begrüßungsgeld für die Besucher aus der DDR zu erhöhen.
Das sind Dinge, die ganz normal gewertet werden müssen - das wird die Bevölkerung, die hier zuhört, sicherlich auch tun - , aber ansonsten sind die Dinge so auf den Weg gebracht worden, daß alles solide und korrekt war, wie es kaum besser geht und wie wir es zu der Zeit, während die SPD regiert hat, fast in keinem Jahr erlebt haben.
Gehen wir nun einmal auf die einzelnen Fragen ein. Ich nehme einmal die Ausgabeseite für den Haushalt 1987. Das Haushaltssoll 1987 liegt um 2,7 % über dem Ist-Ergebnis von 1986. In den ersten neun Monaten liegt der Ausgabenanstieg bei 2,3 %, also ein ganzes Stück unter der zunächst genannten Zahl von 2,7 %. Nun mag natürlich sein, daß in den letzten drei Monaten dieses Jahres noch ein gewisser zusätzlicher Anstieg kommt; ich rechne nicht damit, aber es mag sein. Es wird aber mit allergrößter Wahrscheinlichkeit so sein, daß wir am Ende des Jahres feststellen können: Der Ausgabenanstieg, prognostiziert mit 2,7 %, wird kaum erreicht, auf keinen Fall aber überschritten werden. Das ist doch ein Vorgang, der als absolut korrekt und solide bezeichnet werden muß.
Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß wir in den ersten vier Jahren unserer Regierungstätigkeit im Durchschnitt Ausgabenanstiege von 1,7 To gehabt haben. Wenn dieses Jahr 1987 und auch das Haushaltsjahr 1988 hinzukommen, kann man mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß der durchschnittliche Ausgabenanstieg in den ersten sechs Jahren knapp unter 2 % liegen wird.
({9})
- Auch ich glaube, das ist wirklich eine Leistung.
Wir haben in der Zeit der SPD-Regierung ganz gefährliche Abweichungen erlebt, die zum Teil auf über 10 Milliarden DM beziffert werden müssen. Insofern verstehe ich nicht, daß man bei der SPD wagt, sich über unsere Haushaltspolitik aufzuregen,
({10})
wo doch nur einige geringfügige Abweichungen vorliegen, die man einfach nicht verhindern kann, die wir aber allesamt im Griff behalten werden.
Bei der Einnahmeseite geht es um einen Vorgang, den keine Regierung fest im Griff haben kann. Denn keine Regierung ist davor gefeit, daß es - wenn bei uns auch nur vorübergehend geschehen - eine leichte Delle in der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung geben kann. Diese leichte Delle, die wir nun Gott sei Dank hinter uns haben, wie uns alle Wirtschaftswissenschaftler bestätigen, führt dazu, daß wir beim Bund im Jahre 1987 etwa 4 Milliarden DM Steuern weniger einnehmen werden, als wir angenommen hatten. Aus haushaltspolitischer Sicht mag das bedauerlich sein. Aber aus der Sicht der Bürger, der Steuerzahler wird das sicherlich nicht als bedauerlich gewertet werden.
Auf der anderen Seite haben wir schon bei der Erstellung des Haushalts 1988 diese Entwicklung einkalkuliert. Die Steuerschätzung baut auf diesem Ergebnis auf. Das heißt also, wenn sich die wirtschaftliche Entwicklung einstellt, die wir prognostizieren - die wahrscheinlich auch so eintreffen wird -, dann stimmen die Zahlen, die wir im Haushalt eingestellt haben, genau und werden im Verlauf des Jahres 1988 nicht zu veränderten Steuereingängen führen.
({11})
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf die zukünftige Entwicklung bezogen sagen, daß es immer einmal geschehen kann, daß das eine oder andere nicht richtig geschätzt wird. Denn auch diese Bundesregierung - wer wollte das ausschließen - ist nicht davor gefeit, daß die eine oder andere Schätzung nicht zutrifft. Aber die positive Grundtendenz in der Wirtschaft ist gegeben. Wir sind sicher, daß die prognostizierten Zahlen in etwa auch eintreffen werden. Wenn ich sage „in etwa" , so will ich damit nicht zum Ausdruck bringen, daß es weniger Einnahmen werden könnten. Es könnte genausogut sein, daß wir auf Grund der wirtschaftlichen Entwicklung mehr Geld einnehmen, als wir zur Zeit prognostizieren.
({12})
Dann möchte ich darauf hinweisen, daß wir bei den Einnahmen für 1987 3,3 Milliarden DM für Einnahmen aus Privatisierung ausgewiesen haben. 2,4 Milliarden DM davon sind durch den Verkauf der VebaAnteile mittlerweile erbracht. Die Bundesregierung
Carstens ({13})
wird noch entscheiden, wie sie sich bei der Privatisierung der VW-Anteile verhalten will. Aber ich schließe nicht aus, daß wir die für diesen Bereich eingestellte Summe im Jahre 1987 erreichen werden. Wir werden Mitte November zur zweiten Bereinigungssitzung, wie wir im Haushaltsausschuß sagen, für Privatisierungseinnahmen 1988 die Summen einsetzen, von denen wir sicher ausgehen, daß wir sie im Jahre 1988 erzielen. Auch hier gibt es also keine Differenz. Hier gibt es keine Unkorrektheiten. Der Tatbestand, daß wir im Jahre 1987 nicht nur wahrscheinlich, sondern sicher ein Stückweit mehr neue Schulden aufnehmen müssen, als wir noch im letzten Jahr angenommen haben, ist zum überwiegenden Teil darauf zurückzuführen, daß auf Grund der leichten Delle im ersten Quartal des Jahres 1987 die Entwicklung der Wirtschaft zu diesem Steuerausfall führt, den wir zwangsläufig über eine Erhöhung der Neuverschuldung finanzieren müssen. Das haben wir getan. Es ist konjunkturpolitisch in Ordnung. Das wird von allen in Frage kommenden Stellen, die Sachverstand haben, bestätigt. Das ist unser Verhalten gewesen.
Was nun den 1988er Haushalt angeht, so können Sie davon ausgehen, daß wir in Verbindung mit dem Finanzminister und in Verbindung mit der FDP - mit der wir sehr gut zusammenarbeiten ; ich möchte das auch einmal in Anwesenheit des Kollegen Dr. Weng hier zum Ausdruck bringen ({14})
im Haushaltsausschuß dafür sorgen, daß Haushaltswahrheit und -klarheit auch in Folge gelten wird.
({15})
Dazu gehört dann schon eine klare Linie. Und die haben wir und werden wir behalten.
Wenn es z. B. darum geht, daß die Bundesanstalt für Arbeit nach Aussagen der SPD möglicherweise in ein Defizit hineingeraten könnte, so glaube ich schon, daß wir vielleicht ein bißchen nachhelfen müssen, um dazu beizutragen, daß die arbeitsmarktpolitischen Ermessensleistungen auf dem inzwischen erreichten hohen Niveau stabilisiert werden. Aber wenn uns das in Abstimmung mit der Bundesanstalt für Arbeit gelingt, die ja sehr kooperativ ist, in all den Jahren auch gewesen ist und sicherlich bleiben wird, dann glaube ich nicht, daß wir dort mit einem Defizit 1988 zu rechnen haben.
Zur Fortführung der Städtebauförderung durch den Bund - auch das war ein Punkt, der hier auf geführt wurde - , kann ich hier mitteilen, daß die Frage zwischenzeitlich geklärt ist. Da gibt es nichts mehr zu regulieren. Das können wir einstellen und werden wir auch tun. Die Sache ist klar.
Sie sprechen die Bereiche Kohle, Stahl, Werften und Landwirtschaft an. Das meiste davon, was den Haushalt 1988 angeht, ist geregelt. Ich bin sicher, daß wir bis zur Bereinigungssitzung Mitte November auch die Restfragen geregelt haben werden. Gehen Sie bitte davon aus, daß das so eintreten wird.
Sie sprechen COLUMBUS und HERMES an. Wir haben im Haushaltsausschuß beschlossen, daß wir unsere Zustimmung zu einem Einstieg in derlei Maßnahmen nur geben werden, wenn man uns nachweisen kann, daß im Rahmen der Haushaltsansätze eine Gesamtfinanzierung dieser Projekte gesichert ist. Wir werden die Mittel, die für diesen Bereich eingestellt sind, sperren und nicht eher entsperren, als das von mir eben Gesagte sichergestellt ist.
Sie sprechen die Zuschüsse an die Rentenversicherungsträger an. Das ist eine Frage, die nicht 1988 zu regeln sein wird, nicht 1989, wohl auch nicht 1990. Irgendwann Anfang der 90er Jahre, wenn das ansteht, werden wir auch diese haushaltsmäßig absichern.
Es geht um die Beteiligung des Bundes an der Pflegeversicherung, wie Sie meinen, Erhöhung des Kindergeldes, Verlängerung des Erziehungsgeldes. Dazu werden wir Mitte dieser Periode Entscheidungen treffen. Das haben wir gesagt, und das werden wir auch tun.
Wenn Sie sich die Finanzplanung genau ansehen - ich will gar nicht nähere Hinweise geben - , werden Sie auch feststellen, daß es für diese Zwecke eine jährliche globale Verfügungsreserve gibt. Die war zu SPD-Zeiten teilweise auch im Haushalt und ist dann später zu einem nicht mehr vorkommenden Fremdwort erklärt worden. Eine Verfügungsreserve war zu SPD-Zeiten etwas ganz Besonderes. Bei uns gehört das zur mittelfristigen Planung dazu.
({16})
Wenn Sie neue Unterlagen fordern, kann ich Ihnen schon ankündigen - das werden wir sicherstellen - , daß das, was zwischenzeitlich neu zu regeln ist, unsererseits konkret, mit Papieren, vorgelegt wird, daß Sie die Unterlagen rechtzeitig haben werden. Aber bei allen diesen Dingen handelt es sich um ganz normale Abläufe, die alljährlich vorgekommen sind und auch in den nächsten Jahren alljährlich wieder zu erwarten sein werden.
Unser Ziel wird es sein, auch in Zukunft im Rahmen von rund 2 bis 2,5 % Ausgabensteigerungen zurechtzukommen.
Das letzte, was ich in diesem Zusammenhang ansprechen muß und auch ansprechen möchte, ist die heute noch ungeklärte Frage nach der Finanzierung unseres EG-Anteils,
({17})
also des Anteils, den wir an die EG-Kassen abzuführen haben.
({18})
Das haben wir über die Monate hinweg gesagt. Es ist in der Koalitionsvereinbarung auch präzise etwas dazu beschlossen worden.
Das ist eine Finanzpolitik, die dem Bürger offen gegenübertritt, die genau sagt, was zu erwarten ist. Da ist nichts zu verheimlichen, nichts zu verstecken. Diese Frage muß noch geklärt werden. Wir müssen in Übereinstimmung mit dem Finanzminister, mit der Bundesregierung noch untersuchen, wann wir diese Frage überhaupt entscheiden können; denn jeder im Lande weiß doch, wie kompliziert das Verfahren im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft ist, wie
Carstens ({19})
schwierig es ist, dort zu Übereinstimmungen zu kommen. Sobald wir den Zeitpunkt sehen, an dem wir meinen, überzeugend und glaubhaft handeln zu können und zu müssen, werden wir das wie angekündigt tun.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihnen allen, die Sie hier im Plenarsaal und im Lande zuhören, möchte ich noch einmal sagen, daß Sie sich auf die Haushalts- und Finanzpolitik dieser Regierung und der sie tragenden Fraktionen verlassen können. Wir stehen zu unserem Wort, nicht nur heute, sondern auch in kommenden Monaten und Jahren.
Danke schön.
({20})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Vennegerts.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am letzten Wochenende verkündete die Regierung stolz, sie habe Konzepte für die Finanzierung der noch offenen 19 Milliarden DM bei der Steuerreform. Ich behaupte, das steht nur auf dem Papier; denn alles, was wir dazu gerade beruhigend, mit fast einschläfernden Worten, Herr Carstens, von Ihnen gehört haben, kann bei mir nicht den Eindruck verhindern und mein besseres Wissen verdekken, daß diese 19 Milliarden DM für die Steuerreform letztendlich nicht finanziert sind. Sie wissen ganz genau, daß Ihnen noch ein paar Milliarden fehlen, und Sie wissen auch ganz genau, daß man noch gar nicht im Detail abschätzen kann, was für Auswirkungen in Mark und Pfennig Ihre Maßnahmen haben. Das möchte ich Ihnen an dieser Stelle einmal sagen. Ich denke also, Ihre Beruhigungspillen, die Sie hier verteilen, werden ihre Wirkung verfehlen.
({0})
- Überhaupt nicht, das haben wir gar nicht nötig.
({1})
Genauso behaupten Sie, der Haushaltsentwurf 1988 und die mittelfristige Finanzplanung bis 1991 seien im Lot. Ja, da kann ich nur sagen: Weit gefehlt! Die SPD hat in diesem Falle vollkommen recht und hat auch mit Recht ihren Antrag hier eingebracht. Nichts ist dort im Lot; alles ist in schönster Unordnung.
Meine Damen und Herren, ich denke, wir brauchen uns nur die Entwicklung des Haushalts 1987 anzusehen. Dort kann man feststellen, daß - was auch wirtschaftswissenschaftliche Institute prognostiziert haben - entgegen dem, was behauptet wird, die Neuverschuldung bereits zum jetzigen Zeitpunkt 7 Milliarden DM höher ist als vorgesehen. Und da tun Sie hier so, als ob das alles so ganz normal wäre! Damals bei den Sozialdemokraten hätten Sie, wenn das so gewesen wäre, sicherlich ein furchtbares Geheul angestimmt, aber bei Ihnen ist das alles ganz normal und seriös und in Ordnung.
({2})
Spätestens am Jahresende werden wir wissen, wie hoch die Neuverschuldung tatsächlich ist.
Ich glaube, man braucht nicht, wie die SPD es in ihrem vorliegenden Antrag macht, über zukünftige Datenentwicklungen zu spekulieren, um nachzuweisen, wie skandalös und aberwitzig die Regierungspolitik ist, die sich im Haushaltsentwurf 1988 und in der dazugehörigen mittelfristigen Finanzplanung niederschlägt. Man braucht keine großen Mutmaßungen anzustellen, ob und in welchem Umfang Kindergelderhöhung, Erziehungsgeldverlängerung usw. noch zu Buche schlagen werden; das ist nämlich nur ein Teil der Wahrheit. Man braucht sich nur die Daten und Fakten zu vergegenwärtigen, wie sie momentan schon vorliegen, um sich ein Bild davon zu machen, wie die Bundesbürger seit der sogenannten großen Wende systematisch hinters Licht geführt werden.
Von 1983 an bis auf den heutigen Tag täuschen Sie die Bundesbürger über die wahren Absichten und Hintergründe Ihrer Politik und verkaufen sie als eine Politik im Interesse der ganzen Bevölkerung. Das machen Sie auch heute noch, und Sie haben es hier wieder getan. Bloß prophezeie ich Ihnen: Das glaubt Ihnen die Bevölkerung nicht mehr
({3})
- nicht allen, Herr Kollege Friedmann, das ist es nämlich -; denn denen, die bei Ihnen keine Lobby haben, geht es nicht gut.
({4})
Das kann ich Ihnen beweisen, und da brauche ich gar nicht in die Zukunft zu gehen; ich halte mich lieber an die schönen festen Fakten der Vergangenheit. Dagegen können Sie gar nichts haben; denn in den Jahren 1983 bis 1985 sind der Masse der einkommenschwachen Bevölkerung Belastungen und Umverteilungen durch Sozialabbau im Umfang von 210 Milliarden DM verordnet worden. Das ist tatsächlich passiert, und das kann man nicht leugnen.
({5})
- Nein, das stimmt! Dem Bürger wurde damals systematisch ein schlechtes Gewissen eingeimpft; es hieß damals, er habe in Saus und Braus gelebt und die Republik mit seinen überzogenen Ansprüchen an den Rand des finanziellen Offenbarungseids getrieben.
({6})
In der Tat wurde - jetzt sage ich Ihnen einmal etwas Angenehmes - die Nettokreditaufnahme des Bundes 1985 auf einen Tiefstand von 22,4 Milliarden DM zurückgeführt. Auf der Grundlage dieses artigen Sparverhaltens wurden dann die Bonbons ausgeFrau Vennegerts
packt: Jetzt könne man endlich eine Politik machen, die Arbeitsplätze schaffe, und der Bürger werde in Bälde durch Steuersenkungen spürbare Erleichterungen in seinem Portefeuille vorfinden.
Bei diesen geschickten propagandistischen Aktionen - so muß man das wohl nennen - wurde allerdings eine Reihe von Tatsachen unterschlagen. Die Neuverschuldung abzusenken ist nicht schwer, wenn man Bundesbankgewinne für sich verbuchen kann, die von 2,3 Milliarden DM im Jahre 1981 auf 13 Milliarden DM im Jahre 1985 angestiegen sind. Auch das sind Fakten, die Sie nicht widerlegen können.
({7})
Es ist nicht schwer, die Neuverschuldung abzubauen, wenn man die Ausgaben so drastisch kürzt, wie es in den letzen Jahren passiert ist, und damit die Probleme verschiebt und auf andere Instanzen wälzt. Sie haben in der Vergangenheit gespart - das kann ich Ihnen nicht absprechen -,
({8})
aber Sie haben mit dieser Sparpolitik die Probleme in unserem Land verschärft. Die Defizite wurden z. B. auf Kosten der Investitionen und Einstellungen im öffentlichen Dienst abgebaut. Der Verzicht auf beschäftigungspolitische Initiativen hatte steigende Kosten der Arbeitslosigkeit zur Folge und endete mit der Abwälzung der Kosten auf die Gemeindehaushalte. Dies ist für mich nichts anderes als ein Verschiebebahnhof und keine Leistung Ihrer Sparpolitik.
Diese Seite Ihrer Politik haben Sie den Bürgern verschwiegen.
Das Hauptdefizit der Finanzplanung bis 1991 ist, daß Sie eine ständig ansteigende Verschuldung riskieren - das wäre noch nicht das schlimmste - , ohne daß von den öffentlichen Haushalten positive Impulse auf die Gesamtwirtschaft ausgehen. Sie behaupten immer das Gegenteil. Sprechen wir nächstes Jahr noch einmal darüber. Dann werde ich Ihnen beweisen, daß Sie sich geirrt haben, denn ich glaube eben nicht, was Sie glauben, nämlich daß die Nachfrage steigt, wenn Sie diese 44 Milliarden DM frei an die Wirtschaft vergeben, vor allen Dingen an die Höherverdienenden.
({9})
- Das ist doch gar nicht wahr, Herr Kollege Friedmann, und das wissen Sie auch. Schauen wir uns doch einmal den Charakter Ihrer Finanzierungsvorschläge an! Manche werden es eben nie begreifen.
Die Einführung der Quellenbesteuerung, die Streichung der Freibeträge, der Abbau der Arbeitnehmerrabatte treffen genau diejenigen Einkommensbezieher, denen noch bis vor kurzem eine durchschnittliche Steuerentlastung von 800 bis 1 000 DM versprochen wurde. Das ist von dieser Stelle aus gesagt worden, von Herrn Stoltenberg, von Herrn Carstens, im Prinzip von jedem von Ihnen, der sich getraut hat, hier so etwas zu sagen. Das ist der beste Beweis dafür, daß Sie den Leuten wieder einmal etwas vorgegaukelt haben. Aber, wie gesagt, das macht dem Herrn Stoltenberg ja sowieso nichts aus. Anscheinend ist das die Linie der Politik.
({10})
- Die Kapitalerträge waren steuerpflichtig, und sie werden es hoffentlich auch bleiben, hoffentlich noch in anderer Form, aber darauf komme ich noch zu sprechen.
({11})
- Eben nicht; Sie werden es gleich hören.
Bemerkenswert aber ist, daß unter dem Titel „Abbau von Steuervergünstigungen und steuerlichen Sonderregelungen" genau die Maßnahmen gestrichen wurden, die seinerzeit eingeführt wurden, um die steuerliche Benachteiligung der abhängig Beschäftigten gegenüber den Selbständigen auszugleichen, und das haben Sie jetzt wieder zurückgeführt, was damals aus gutem Grund in Gang gesetzt worden ist.
({12})
Wir hatten uns - ehrlich gesagt - unter Subventionsabbau etwas anderes vorgestellt - ich will Ihnen einmal sagen, wie wir das sehen - , nämlich den Abbau ungerechtfertigter Steuerprivilegien. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an § 6 b des Einkommensteuergesetzes, die steuerfreie Wiederanlage des Gewinns aus der Veräußerung bestimmter Anlagegüter, berüchtigt seit dem Verkauf von Daimler-Benz-Anteilen durch Flick. Das wäre z. B. eine wunderbare Steuer, die man erheben könnte. Ich erinnere auch an die bedeutsam gewordenen Pensionsrückstellungen nach § 6 a des Einkommensteuergesetzes, die im Zeitpunkt ihrer Bildung den steuerpflichtigen Gewinn reduzieren. Auch das ist alles bekannt.
Im Gegensatz zur SPD sind wir für eine Quellensteuer, bloß in einer anderen Form, als Sie es vorschlagen. Wir sind der Meinung, daß zugunsten der Kleinsparer ein höherer Freibetrag vorgesehen werden muß und daß zu Lasten der Großsparer eine wesentlich höhere Quellensteuerquote festgesetzt wird. Ich kann es mir nicht verkneifen, hier Herrn Lambsdorff zu zitieren. Im ehrwürdigen „Handelsblatt" hat er sich am 12. Oktober zur Quellensteuer geäußert.
({13})
Man sollte den Leuten doch einmal sagen, wie das wirklich funktioniert. Der sollte es ja eigentlich wissen, der kennt sich doch im Steuerrecht aus, habe ich mal gehört. Der kennt doch alle Tricks.
({14})
- Das ist leider nicht drauf. Das tut mir auch leid. - Lambsdorff schreibt:
Wer die Quellensteuer also zurückhaben will, der muß schon steuerehrlich sein.
- Bis dahin okay. Wer seine Einkommensteuer auf die Zinsen hinterziehen will, der kommt allerdings mit einer Steuerbelastung der Zinsen von 10 % davon.
Das heißt nichts anderes: Die Steuerprogression in diesem Bereich fällt weg. Mit 10 % kommt man hiermit auch bei großen Vermögenswerten davon. Das haben Sie gemacht, aber wir haben da andere Vorstellungen.
Zu der Politik der Vorspielung falscher Tatsachen gehört auch, daß Sie 1986 die Daten zur zukünftigen Wirtschaftsentwicklung geschönt haben. Das Dilemma sieht man jetzt. Wie gesagt, die Verschuldung geht gegen 30 Milliarden DM. Das können Sie nicht von der Hand weisen. Von den Zinsen, die dafür gezahlt werden müssen, will ich hier in diesem Moment gar nicht sprechen.
Was beweisen uns diese Zahlen? Ich glaube, daß die Kritik der SPD zu kurz greift, die ständig bemüht ist, dem Finanzministerium unseriöses Rechnen, falsche Eckdaten und schlampiges Haushalten nachzuweisen. Offensichtlich ist die Versuchung für die SPD sehr groß, das gegen sie gerichtete Ausverkaufsargument von 1983 nun gegen die CDU/CSU-FDP-Koalition zu richten, nach dem Motto: Ihr könnt es auch nicht besser.
({15}) - Ich komme gleich zum Ende.
Entscheidend ist für mich jedoch, was mit dem Geld in dem Haushalt passiert, und da kann man nur sagen, daß nach wie vor die Sozialpolitik, Beschäftigungspolitik und Umweltpolitik auf der Strecke bleiben. Sie verteilen hier Mittel an die Wirtschaft. Die Großverdiener werden sich freuen. Ich kann Herrn Stoltenberg nur auffordern, wenigstens seiner buchhalterischen Pflicht nachzukommen - das ist eigentlich das mindeste - und den Haushaltsentwurf 1988 und die mittelfristige Finanzplanung wenigstens rein rechnerisch in Ordnung zu bringen. Das sollten Sie schaffen, Herr Stoltenberg.
({16})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Weng.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der SPD hätte gut daran getan, ihren heute vorgelegten Antrag auf Drucksache 11/783 zurückzuziehen. Dafür gibt es zumindest zwei gute Gründe. Den einen hat die Kollegin Simonis vorhin - allerdings in anderem Zusammenhang - selber eingebracht. Der Blick in den Terminkalender ist hilfreich: Der Antrag wurde am 11. September ausgedruckt, und am 13. September war der Wahltermin. Die Wahlen in Bremen und Schleswig-Holstein sind nun vorbei, und damit könnte man an sich auch dieses unnötige Wahlkampfgetöse sein lassen.
({0})
Der zweite Grund: Gerade nach den Beschlüssen der Koalition zur Steuerreform und bei Fortbestehen einer positiven Wirtschaftsprognose stimmen die Eckdaten weiterhin, auf deren Basis wir im Augenblick im Haushaltsausschuß den Haushalt für das Jahr 1988 beraten.
Meine Damen und Herren, wer sich bezüglich der großen Steuerreform - das ist auch vorhin in der Aktuellen Stunde deutlich geworden - an die lautstarke Verunsicherungskampagne der Opposition, insbesondere der SPD, aus der Sommerpause erinnert, kann nur überrascht sein, welch kleine Brötchen die Kollegen Apel und Spöri jetzt plötzlich backen. Es ist auch kein Wunder, daß sich die beiden bei dem jetzigen Tagesordnungspunkt hier nicht gemeldet haben, nicht auf der Rednerliste erscheinen, obwohl in erster Linie sie glaubten, mit dem hier vorgelegten Antrag die solide Haushaltspolitik der Koalition in Frage stellen zu können.
({1})
Hat nicht Herr Spöri in der Sommerpause an einer von ihm so bezeichneten Geheimliste aller bestehenden Steuervergünstigungen Punkt für Punkt Behauptungen aufgestellt, die er jetzt einsammeln muß? Hat er nicht versucht, die Bürger zu verdummen, die sich in den umfangreichen Gesamtkomplex natürlich nicht einarbeiten können? Was bleibt jetzt? Statt sich mit uns darüber zu freuen, daß z. B. bei der Besteuerung geldwerter Leistungen von Betrieben an ihre Mitarbeiter ein ordentlicher Freibetrag von 2 400 DM vereinbart ist und daß insbesondere die Steuerfreiheit der Trinkgelder - ein lang gehegter Wunsch - auch bis auf diese Höhe verdoppelt wird,
({2})
jammert Spöri über die darüber hinausgehenden Privilegien einiger weniger, die jetzt wegfallen sollen.
Der Herr Kollege Apel - die beiden Herren haben inzwischen das Plenum verlassen - ,
({3})
der nun wirklich immer und permanent nach einer Erhöhung der Mehrwertsteuer gerufen hat - Kassandra persönlich hätte neidisch werden können - , sah am Samstagabend im Fernsehen so ärmlich aus, wie ich ihn wirklich noch nie erlebt habe. Jetzt bleibt ihm allein übrig, über Steuerabschöpfungen herumzujammern, die die Koalition beschlossen hat und die er selbst - bisher immer gefordert hat, übrigens mit wesentlich einschneidenderen Details bei der Erfassung bis zur Durchbrechung oder gar Abschaffung des Bankgeheimnisses.
({4})
- Herr Kollege Walther, das ist nicht unwahr, sondern das ist richtig.
({5})
Die Pläne der SPD in dieser Richtung geben genau das her, was ich hier sage. Sie haben die Quellensteuer mit einer Beendigung des Bankgeheimnisses in diesem Bereich gefordert.
({6})
Dr. Weng ({7})
Die kleinen Sparer, von denen Sie hier reden, werden von uns in den Beschlüssen ja ausdrücklich ausgenommen, da die Sparguthaben mit gesetzlicher Kündigungsfrist von dieser Steuerabschöpfung ausgenommen bleiben.
({8})
Mein Damen und Herren, bei dieser Kehrtwendung hat sich der Kollege Apel zu sehr verbogen. Das pauschale Verstummen nach dem Erfolg der Koalition betrifft übrigens auch einen ganzen Teil der progressiven Presse unseres Landes, die ja bis zur Beschlußfassung der Koalition alles mögliche herumspekuliert hat. Sogar nach dem Motto „Exklusiv hat man nur, was man selbst erfindet" wurden Nachrichten in die Welt gesetzt.
Meine Damen und Herren, unsere Haushaltspolitik bleibt solide. Wir haben fünf Jahre stetigen Wirtschaftswachstums erreicht. Wir haben fünf Jahre Ausgabendisziplin mit Steigerungen von durchschnittlich nur 1,7 %. Das haben wir haushaltsmäßig begleitet. Das war echte Konsolidierungspolitik, die wir fortsetzen wollen.
({9})
Für das daraus entstandene Vertrauen in der Wirtschaft spielt natürlich auch eine Rolle, daß insgesamt über 70 Milliarden Steuererleichterungen beschlossen sind. Daß bei einer Finanzierungsgegenrechnung von 19 Milliarden DM immer noch über 50 Milliarden DM tatsächliche Entlastung bei unseren Bürgern bleiben, ist eine einmalige Leistung, wie es auch der Kollege Carstens vorhin hier ja zu Recht ausgeführt hat. Die Weichen sind richtig gestellt. Wir werden uns von dem richtigen Weg auch nicht abbringen lassen.
Daß bei einem Haushaltsentwurf, der bereits im Frühjahr erstellt wird, noch Risiken beinhaltet sind, ist zwangsläufig.
({10})
Dieser frühzeitige Termin ist durch die Verfassung vorgegeben. - Herr Kollege Kühbacher, Sie wissen das ja selbst. Sie wissen, daß die Verzögerungen des Haushalts in der letzten Phase der sozialliberalen Koalition, die Unfähigkeit der SPD, hier noch zu handeln, einer der Gründe für den Bruch dieser Koalition gewesen sind.
({11})
Solides Handeln wird durch diese Unsicherheiten nicht in Frage gestellt. Denn es wird ja vor der letzten Bereinigungssitzung im Haushaltsausschuß noch eine neue Steuerschätzung geben, übrigens von dem unabhängigen Arbeitskreis Steuerschätzung, dessen Ergebnisse seither im politischen Raum jedenfalls immer als Basis der Arbeit akzeptiert und nicht in Frage gestellt wurden. Diesem Ergebnis werden wir Rechnung tragen. Wir kennen es noch nicht, aber wir werden ihm Rechnung tragen müssen. Ich gehe davon aus, daß wir den Haushalt ordnungsgemäß verabschieden können.
Ich sage, daß es natürlich ärgerlich ist, daß es im Vollzug des laufenden Haushalts 1987 zu einer gestiegenen Nettokreditaufnahme kommt. Die Gründe hierfür sind genannt worden. Ärgerlich war ebenfalls - ich sage das auch - , daß die Informationspolitik der Bundesregierung, des Herrn Bundesfinanzministers, über diesen Ablauf nicht optimal gewesen ist.
Es bleibt trotzdem festzustellen, daß die Steuerschätzung für 1988 schon auf dem Ablauf von 1987 beruht und damit im Rahmen aller genannten zwangsläufigen Unsicherheiten als realistisch gelten muß. Die noch offenen, für den Haushalt wichtigen Fragen werden bis zur zweiten und dritten Lesung weitestmöglich geklärt sein und in entsprechenden Anträgen im Haushaltsausschuß für den Haushalt 1988 dann ihren Niederschlag finden.
Die Bundesregierung ist mit einer ganzen Zahl von Entscheidungsankündigungen bis zu diesem Termin ebenfalls auf dem richtigen Weg. Entscheidungen, die ja von uns in der ersten Lesung hier gefordert worden sind! Ich nenne als Beispiele die zusätzlichen Kosten der Europäischen Gemeinschaft und auch die Notwendigkeit, die Ausgaben für Luft- und Raumfahrt zu begrenzen und sich abschließend bezüglich der Strukturhilfen in den Bereichen Kohle, Stahl, Werften und Landwirtschaft zu entscheiden.
Der SPD-Kollege Jens hat in der vorigen Debatte, in der Aktuellen Stunde, über die Steuerreform gesagt, sie sei das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sei. Ich glaube, er hat den falschen Tagesordnungspunkt erwischt. Er hätte das mit Blick auf den vorliegenden SPD-Antrag sagen sollen; denn er ist von Anfang an unnötig gewesen.
({12})
Da die SPD trotzdem offensichtlich nicht bereit ist, ihn zurückzuziehen, meinen wir, daß eine Überweisung keinen Nutzen bringt. Wir sollten diesen Antrag vielmehr im Plenum des Deutschen Bundestages ablehnen.
Ich danke Ihnen.
({13})
Das Wort hat der Kollege Esters.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu dem, was der Kollege Carstens eben gesagt hat, glaube ich, daß dieser Antrag durchaus eine realistische Begründung erfahren kann, zumal dann, wenn ich auf den Bereich zurückgehe, der mit dem Finanzplan zu tun hat. Hier weiß ich, daß wir beide etliche der Sorgen, die im finanzpolitischen Bereich anstehen, teilen.
Ich will aber kurz auf die Bedeutung der Finanzplanung überhaupt zurückkommen, damit das etwas klarer wird. Sie ist ja ein Herzstück der Haushaltsreform von 1969 und deshalb in Art. 109 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich verankert. Sie ist Bestandteil des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes, verpflichtet Bund und Länder nach dem Haushaltsgrundsätzegesetz und ist demnach in der Bundeshaushaltsordnung
vorgeschrieben. Die Finanzplanung - nach dem Kommentar von Maunz/Dürig - hat eine finanzpolitische Ordnungsfunktion für das Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben im Planungszeitraum im Hinblick auf das Haushaltsgebahren. Sie hat eine wirtschaftspolitische Lenkungsfunktion, und sie hat - was ich besonders hervorhebe - eine wichtige Orientierungsfunktion, da sie dem Gesetzgeber als Orientierungshilfe bei der Beratung und Aufstellung des Haushaltsplanes und bei der Beschlußfassung über finanzwirksame Gesetze dient.
Wegen dieser unverzichtbaren Zuordnung zum jährlichen Haushaltsgesetz und Haushaltsplan muß der Finanzplan auch spätestens zusammen mit dem Bundeshaushalt vorgelegt werden, was selbstverständlich geschehen ist. Von daher, Herr Kollege Carstens, konnten wir Anträge dieser Art natürlich auch erst einbringen, als uns die Finanzplanung vorlag. Die Haushälter in fast allen Fraktionen sind ja wahrscheinlich die einzigen, die das überhaupt lesen.
Ich will ein Beispiel dafür bringen, weshalb der Finanzplan überholt und ergänzungsbedürftig ist.
Die Bundesergänzungszuweisungen - so heißt es in Teilziffer 1.8.2 werden grundlegend neu geregelt. Ein Eckpunkt ist die in diesem Finanzplan berücksichtigte Plafondierung auf 1,775 Mrd DM jährlich.
Die Konsequenzen daraus sind in Teilziffer 1.7.2, bei den Steuereinnahmen, berücksichtigt, in denen die aus der Plafondierung der Ergänzungszuweisungen erwachsenen Einsparungen beim Bundesanteil an der Steuer vom Umsatz berücksichtigt sind - was selbstverständlich ist - , die um die Einsparbeträge erhöht ausgewiesen worden ist.
Nun haben wir erfahren - wir haben das ja auch zu beraten - , daß die Plafondierung der Bundesergänzungszuweisungen offensichtlich vom Tisch ist - ich beklage das gar nicht - und nicht nur der alte Stand von 1,5 v. H. des Umsatzsteueraufkommens wiederhergestellt, sondern dieser Stand auf 2 v. H. des Umsatzsteueraufkommens angehoben werden soll. Dies macht im Zuge des Finanzplanes 1987 bis 1991 ein Volumen von rund 3,5 Milliarden DM aus.
Hinzu kommen dann weitere Punkte. Ich will der Kürze wegen nur noch einige Punkte anreißen, die man aus den entsprechenden Teilziffern des Finanzplanes herausnehmen kann. Ich nenne sie nur, damit klar ist, wo ich eigentlich hin will.
Es geht da um die Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaft. Ich nenne die Zahlen 1,4 und 1,6 v. H. Das sind Mehrbelastungen nach Auskunft der Bundesregierung von rund 2 Milliarden DM pro Jahr. Dann sind - wir alle wissen das - Vorstellungen der Kommission zur Agrar- und Strukturpolitik der Gemeinschaft und damit verbunden eine Reform der EG-Finanzverfassung im Gespräch. Dabei ist das zentrale Element eine Umstellung und Erweiterung der Eigenmittel der EG, wobei das Bruttosozialprodukt als Bemessungsgrundlage dienen soll. Hier sind dann Mehrausgaben für die Bundesrepublik von jährlich rund 3 Milliarden DM zu erwarten, wenn es zur Verabredung in diesem Bereich käme. In der Teilziffer 1.7.1 ist dies enthalten.
Ein weiteres Beispiel ist unter Ziffer 2 enthalten. Herr Minister, hier ist festgehalten, daß mit den eingesetzten Beträgen - gemeint ist die Verteidigung - der hohe Einsatzwert der Bundeswehr weiter sichergestellt werden kann. Dazu hat der Verteidigungsminister im Plenum am 10. September 1987 etwas ausgeführt.
({0})
- Heute morgen hat er im Haushaltsausschuß dankenswerterweise genau das gleiche ausgeführt. Er sagte im Plenum:
Aber - auch das spreche ich aus - der Haushalt erlaubt nicht die Verbesserung der konventionellen Kampfkraft im wünschenswerten Ausmaß.
Das gilt vor allem für die mittelfristige Finanzplanung. Das habe ich im Kabinett gesagt. Das habe ich in der Öffentlichkeit gesagt. Das wiederhole ich vor diesem Parlament. Deswegen gibt es einen Kabinettsbeschluß, wonach wir im späteren Herbst die mittelfristige Finanzplanung in diesem Punkte noch einmal überprüfen.
Auch hier ist damit zu rechnen - ({1})
- Ich gehe vom Finanzplan der Bundesregierung aus. Wir haben ihn nicht aufgestellt. Wir haben es nicht da reingeschrieben.
Als weiteres Beispiel muß man den ganzen Bereich der Städtebauförderung heranziehen. Herr Minister, da sind inzwischen offensichtlich die Vorstellungen auch völlig anders, als sie in der Finanzplanung niedergelegt worden sind. Ich kritisiere nicht, daß es in der Zwischenzeit andere Entscheidungen gegeben hat. Nur: Der Deutsche Bundestag und wir vorab im Haushaltsausschuß müssen diesen Finanzplan zur Kenntnis nehmen und wissen zu dem Zeitpunkt, in wie hohem Umfange hierbei das Zahlenwerk, das dem zugrundeliegt, durch politische Entscheidungen bereits revidiert ist. Da dies in sehr umfangreichem Maße hier erstmals der Fall ist, daß nämlich Entscheidungen getroffen worden sind, die im Gültigkeitszeitraum der Finanzplanung noch durchschlagen, sind wir der Meinung, daß dies in den Finanzplan korrigierend hineingenommen werden soll.
Herr Minister, das ist der Hintergrund unserer Bitte an Sie, dabei mitzuwirken, den Finanzplan in diesem Bereich zu korrigieren. Wir wären dankbar, wenn Sie dies tun würden.
({2})
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Herr Dr. Stoltenberg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sicher sind in dieser Diskussion sehr grundlegende und wichtige Fragen nicht nur der aktuellen Finanzsituation, sondern auch der längerfristigen Probleme des Bundeshaushalts und der Haushaltsgestaltung angesproBundesminister Dr. Stoltenberg
chen worden. Ich möchte das besonders auch für den letzten Beitrag des Herrn Kollegen Esters und für andere vorher sagen.
Wir müssen uns, wenn wir diese Fragen in der Sache diskutieren und das Rankenwerk der Polemik einmal beiseite lassen, wirklich anschaulich machen, welche unglaubliche Dynamik in einem Bundeshaushalt von jetzt rund 270 Milliarden DM auf der Einnahme- und Ausgabeseite steckt, der ja auch 13 bis 14 % unserer gesamten volkswirtschaftlichen Leistungen umfaßt.
Es ist nicht nur eine immer wieder wichtige Aufgabe, den Bundeshaushalt nach den aktuellen Erkenntnissen mit größter Sorgfalt zu erstellen, zu beraten und zu verabschieden, sondern es ist auch die Erfahrung einer langen Zeit, daß schon bestimmte begrenzte Veränderungen in den wirtschaftlichen Erwartungen und Abläufen bei einem Haushalt, der nun in der Perspektive von vier/fünf Jahren allmählich an die 300 Milliarden DM herankommt, zu nachhaltigen Abweichungen führen können. Ich sage das auch zu der von der Opposition nach meiner Meinung
- nicht heute, aber in der Öffentlichkeit - nicht ganz treffsicher geführten Diskussion über die Probleme des Haushaltsablaufs 1987.
Und da das die erste Frage ist, will ich dazu gern ein paar aktuelle Einschätzungen abgeben. Ich fange einmal mit den Steuereinnahmen an: Die Steuereinnahmen erbrachten von Januar bis Juni, also für das erste halbe Jahr nur ein Plus von 1,9 % gegenüber dem Vorjahr. Das hat mich schon etwas besorgt. Ich habe dann im Juli, als die Zahlen vorlagen, die fachkundigen Mitarbeiter gefragt: Ist die korrigierte Steuerschätzung mit 3,6 % noch realistisch? Sie haben dann
- ohne daß sie Propheten sind - auf Grund ihrer wirklich profunden Erfahrung gesagt: Wir glauben dennoch, daß wir die 3,6 % erreichen, was natürlich im zweiten Halbjahr eine enorme zusätzliche Steigerung bedeutet, weit über 3,6 % hinaus.
Wir liegen jetzt im Vergleich zum Vorjahreszeitraum nicht mehr bei 1,9 %, sondern nach neun Monaten bei 3,3 %. Wir hatten im August, aber auch noch im September eine weit überdurchschnittliche Steigerungsrate.
({0})
- Jeweils aufs Jahr gerechnet. - Und so sagen meine Mitarbeiter - ich kann das einmal vorlesen - :
Nach Auffassung der zuständigen Abteilung besteht zur Zeit kein Anlaß, die Höhe des erwarteten Steueraufkommens in Zweifel zu ziehen.
Niemand kann nach neun Monaten sagen, ob es zum Schluß 3,5 % oder 3,7 % sind, und die Bandbreite des Irrtums kann noch etwas größer sein. Aber zu den verbreiteten Schreckensmeldungen kann ich nur sagen: Ein entscheidender Teil unseres Haushalts, die Entwicklung unserer Steuereinnahmen, ist nach den Sorgen vor einigen Monaten auf einem recht guten Weg für dieses Jahr, worin sich ja auch ein günstigerer wirtschaftlicher Ablauf im zweiten Halbjahr kurzfristig widerspiegelt.
Jetzt komme ich zu dem zweiten Punkt, den Ausgaben: Herr Kollege Carstens hat schon die eine wichtige Zahl genannt: Von Januar bis September sind die Ausgaben gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 2,3 % gestiegen, eine außerordentlich niedrige Steigerungsrate; sie liegt unter dem Soll. Allerdings werden sie - nun lasse ich einmal eine Antwort auf die polemischen Bemerkungen der Frau Kollegin Simonis weg - , was ich auch schon in den Haushaltsberatungen gesagt habe, nach unserer Einschätzung im weiteren Verlauf des Jahres stärker ansteigen. Das habe ich schon damals, in der ersten September-Hälfte, ausgeführt. Nun wissen wir nicht genau, ob wir bei den 2,7 To verharren oder - was bei einer Häufung von Annahmen weniger günstiger Faktoren möglich ist - ein Stück - vielleicht 1 Milliarde bis 1,5 Milliarden DM, so lautet im Augenblick die Prognose für die ungünstigeren Abläufe - über den Haushaltsrahmen hinausgehen.
Jetzt will ich Ihnen aber zwei Titel für nicht vorhersehbare Mehrausgaben vorlesen, die zusammen über 1 Milliarde ausmachen:
Beim Erziehungsgeld haben wir - was die Familienpolitiker nur freuen kann - gegenüber der Schätzung in diesem Jahr eine Mehrausgabe von 680 Millionen DM zu erwarten. Das liegt daran, daß ein neues Gesetz mit einem Angebot an die Frauen und Mütter eingeführt worden ist, bei dem niemand wissen konnte, wie viele es in Anspruch nehmen werden. Das können am wenigsten die Finanzpolitiker sagen. Das können die Familienpolitiker oder die Sozialpolitiker vielleicht noch eher vermuten. Nun erleben wir nach Inkrafttreten, daß die Inanspruchnahme wesentlich höher ist, und zwar nach meiner Erinnerung - ich habe die Zahlen nicht hier - etwa 80 % statt der erwarteten 60 %. Das kostet 700 Millionen DM mehr.
Das sage ich einfach: Dies hat der Deutsche Bundestag entschieden. Bei aller Bereitschaft, Kritik anzunehmen: Hier waren wohl die Grenzen der prognostischen Kraft des Bundesfinanzministeriums.
Ein zweiter Punkt, den die Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuß gut kennen: Wir kommen beim Bürgschafts-Titel zum ersten Mal über den Ansatz, und zwar etwa um eine halbe Milliarde DM - das kann sich durch Umschuldungsverhandlungen im Dezember noch ein Stück nach oben bewegen - , weil die Mitarbeiter der Bundesregierung jedes Jahr 22, 26, 28 Umschuldungsverhandlungen im Pariser Klub unter dem Vorzeichen der anhaltenden schweren Probleme der Schuldenkrise machen. Ein paar Jahre sind wir darunter geblieben - Sie wissen es, Herr Kollege Walther -, und dann waren wir alle auch ein bißchen optimistisch. Wir haben diesen Ansatz abgesenkt. Jetzt kommen wir darüber. Ich habe auch in meinen Haushaltsreden immer gesagt: Hier liegt ein eigentlich nicht kalkulierbarer Titel.
Da haben Sie schon in den beiden Titeln einen Betrag von über 1 Milliarde.
({1})
Nun sage ich Ihnen als drittes: Wir haben die Überlegungen zum Thema Privatisierung - wo wir einen Fundamentalkonflikt haben, den wir heute nicht auszutragen brauchen - nicht aus Kassengründen ver2238
ändert. Vorgesehen war ja die volle Privatisierung von VEBA und VW in diesem Jahr. Weil uns die Emissionsbanken, auf die wir uns insoweit verlassen mußten - sie sollen ja diese großen Emissionen in unserem Auftrag machen - , im Juni aus bekanntem Anlaß sagten, daß passe in dieses Jahr bei der Marktsituation nicht mehr hinein, haben wir damals gesagt, wir verschieben es. Jetzt sagen sie uns, wir empfehlen euch, es doch zu tun. Deshalb tendieren wir dazu
- ich mache das noch von einem Gespräch abhängig - , es in diesem Jahr zu machen, und zwar nicht, wie einige Kritiker und auch einige journalistische Polemiker gemeint haben, um hier schnell Kasse zu machen, sondern aus einer veränderten Einschätzung der Marktsituation.
Wenn wir nun - das ist die letzte Prognose meiner Fachleute, eine Prognose mit den Möglichkeiten des Irrtums in beide Richtungen - die VW-Privatisierung in diesem Jahr noch durchführen, kommen wir bei vorsichtiger Schätzung auf ein Überschreiten der Neuverschuldung in der Größenordnung von eher 5 als,6 Milliarden DM. Davon beruhen 4 Milliarden DM
- das wissen wir seit Mai und haben wir bei der Neuaufstellung des Haushalts berücksichtigt - auf geringere Steuereinnahmen, entsprechend der geringeren Steuerschätzung. Das andere ist ein Saldo, der wahrscheinlich eher auf der Ausgabenseite anzusiedeln sein wird, auch mit einer Unschärfe. Aber die Zahl in der Momentaufnahme ist etwas größer als die Zahl, die vor einigen Wochen genannt wurde, und sie kann sich unter gewissen Entwicklungen wieder vergrößern. Noch im Dezember können sich in die eine oder andere Richtung auf der Ausgaben- und der Einnahmenseite Veränderungen ergeben, die sich zu einem Betrag von über 1 Milliarde DM oder 11/2 Milliarden DM saldieren. Das ist die schlichte Wahrheit, wenn man einen Haushalt mit 270 Milliarden Einnahmen und Ausgaben „fahren" soll, wie es in der Sprache der Fachleute heißt.
Ich stelle fest: Wir haben nicht eine Lage mit der Dramatik, die die Opposition in ihren öffentlichen Bekundungen dargelegt hat. Freilich ist es für alle Finanzpolitiker immer sozusagen eine unangenehme Erfahrung, wenn eine ursprünglich veranschlagte Nettokreditaufnahme überschritten werden muß. Hier geschah es dadurch, daß wir durch eine schwächere wirtschaftliche Entwicklung
({2})
- Herr Kollege Duve - , die vor allem als Folge der zu starken Aufwertung Ende vorigen Jahres einsetzte und die die ersten Monate überschattete,
({3})
weniger Einnahmen gehabt haben. Ich sage das ganz ruhig und unpolemisch. Das ist ja insofern auch eine interessante fachliche Debatte. Ich freue mich vor allem, daß auch eine Reihe von Nichtmitgliedern des Haushaltsausschusses hier sind
({4})
und von der sachkundigen Diskussion, die Kollegen und ich miteinander geführt haben, jetzt auch noch ein bißchen profitieren. Wir profitieren ja auch voneinander.
Nun gehe ich weiter und spreche vom Jahr 1988. Die Aufforderung der Opposition, hier eine Art neuen Haushalt vorzulegen, ist, um das kurz zu sagen, nach den jetzt vorliegenden Erkenntnissen vollkommen unbegründet. Ich könnte Ihnen - aber die Zeit reicht nicht - vorlesen, was mein Vorgänger Manfred Lahnstein im Sozialdemokratischen Pressedienst dazu im Sommer 1982 geschrieben hat, als sich die Zahlen in einer viel dramatischeren Weise verschlechterten als in der Bandbreite, über die wir heute reden.
Nein, wir haben einen Haushalt mit einem niedrigen Ausgabenzuwachs vorgelegt. Ich begrüße es dankbar, daß die Koalitionsfraktionen die Absicht haben, diesen Rahmen einzuhalten. Man darf ihn auch nicht durch politische Entscheidungen mit neuen Punkten überlasten. Das sage ich zur Zeit auch Kollegen im Kabinett, die dafür Ansätze und Tendenzen haben.
Umgekehrt gilt auch, meine Damen und Herren der Opposition - das wissen Sie genauso wie wir - : In der Zeit vom Juni, als der Haushalt dem Kabinett zugeleitet wurde, bis zur Bereinigungssitzung im November macht die Politik keinen Stillstand.
Es gibt Abläufe, es gibt Entscheidungsbedarf. Ich erwähne einmal das, was wir unter allgemeiner Zustimmung jetzt für die Flankierung von Anpassungsprozessen beim Stahl entschieden haben; einer der wenigen Punkte, in denen ein überparteiliches Einvernehmen war. Die 300 Millionen DM werden das kommende Jahr nur in geringem Umfang finanziell belasten. Die Hauptwirkung wird erst später kommen. Aber ein zweistelliger Millionenbetrag kommt da heraus. Das ist ein Beispiel für viele.
Aber ich glaube aus heutiger Erkenntnis - wir sind nicht mehr weit vom 10. November entfernt - , daß wir Ihnen die Aufgabe nicht zu sehr erschweren, den vorgesehenen Rahmen einzuhalten und vielleicht etwas zu unterschreiten.
Und das zweite. Die wirklich entscheidende Frage, in der ein Stück Unsicherheit steckt, ist: Zu welchen Ergebnissen kommen wir in der Steuerschätzung im nächsten Monat?
({5})
Nun darf hier nicht der Eindruck entstehen, Frau Kollegin Simonis, daß das eine Sache ist, die der Finanzminister in den Vorgaben so mehr oder minder sorgfältig oder willkürlich macht.
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Nein; Manfred Lahnstein hat damals schon zu Recht geschrieben - es ist sehr interessant, das nachzulesen - , daß in einem ganz sorgfältigen Verfahren der Arbeitskreis „Gesamtwirtschaftliche Vorausschätzungen" die Prämissen und Prognosen setzt. Da wirken wir mit. Wir übernehmen unsere Verantwortung. Es ist ein Gemeinschaftswerk der Bundesressorts mit der Bundesbank und dem Statistischen Bundesamt. Das wird noch im Oktober ablaufen. Da mögen wir unterschiedliche Auffassungen haben. Wir glauben, daß wir mit unserer Finanzpolitik, unserer SteuersenBundesminister Dr. Stoltenberg
kungspolitik und unserer internationalen Politik der Wechselkursstabilisierung Weichen gestellt haben, so daß wir 1988 wieder auf einen stärkeren wirtschaftlichen Wachstumspfad kommen. Das ist die Prämisse.
({7})
Wenn wir diese Perspektive nicht hätten, dann sähe es schlimm aus, auch in den Konsequenzen für den Haushalt - das sage ich sofort - , dann sähe es ganz schlimm aus. Das ist die entscheidende Prämisse.
Aber in diesen Abläufen liegt natürlich eine zentrale Bedeutung in der Frage, ob wir die Neuverschuldung in Grenzen halten können, auch in Verbindung mit der Politik der Steuersenkung, oder ob wir hier Schwierigkeiten bekommen.
Was die jetzt wieder auflebende Debatte - auch in Ihrem Beitrag, Frau Kollegin - zur Steuerreform betrifft, so kam mir unter den vielen Artikeln und Interviews ein interessanter Artikel aus der „International Herald Tribune" von einem der führenden Wirtschaftsjournalisten, Carl Gewirtz, in die Hände. Er zitiert aus einem intensiven Gespräch mit dem bekannten Abteilungsleiter des angesehenen Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, Herrn Peter Trapp und schreibt: Trapp, einer der angesehensten deutschen Wirtschaftswissenschaftler in den Instituten, sieht in den steuerpolitischen Entscheidungen einen nachhaltigen Anstoß für den privaten Verbrauch in einer Größenordnung von etwa 1 % in 1990.
Er sagt, in Verbindung mit dieser Politik und anderen Entwicklungen könne man erwarten, daß es eine jährliche Steigerungsrate im privaten Verbrauch von 3,5 bis 4 % zwischen 1986 und 1990 gebe.
Ich zitiere das einmal und weiß, daß das alles mit gewissen Unsicherheiten, vor allem was die Zahlen angeht, verbunden ist. Es bekräftigt aber unsere Überzeugung, daß dies eine wachstumsfördernde Steuersenkung ist.
({8})
Da ist der Zusammenhang mit dem Haushalt und der Diskussion, die wir hier miteinander führen.
Es wird so sein - das sage ich auch zu den vielen Punkten, aus der politischen Debatte, die Sie, meine Damen und Herren der Opposition, genannt haben - : Man kann nicht jede öffentlich bekanntgewordene Forderung auch aus Bereichen der Regierung, der Länder und der Koalition automatisch in Haushaltstitel umsetzen. Ich weiß doch, Herr Kollege Walther, wie Sie in den Jahren Ihre Regierungszeit sofort an die Front gerückt sind, um auch Bundesministern und Kollegen klarzumachen, daß vieles, was sie fordern, nicht gemacht werden kann.
({9})
Die Funktion, lieber Manfred Carstens, die wir heute ausüben - ich hoffe, mit Ihrer wohlwollenden Unterstützung und Begleitung - , öffentlich erhobene und diskutierte Forderungen zu addieren und zu sagen: Das ist eine Haushaltsbelastung, sollte eigentlich gegen das Grundverständnis der Finanz- und Haushaltspolitiker über die Grenzen der Fraktionen hinweg in diesem Hause gehen.
Weil Sie das Thema Weltraumforschung mit den großen bekannten Projekten, die im Augenblick Projekte sind und nicht mehr, angesprochen haben,
({10})
verweise ich Sie einmal auf die Entwicklung der Diskussion, wie sie sich in den letzten Tagen in der nationalen und internationalen Presse widerspiegelt. Das führt dazu, daß wir unter ganz anderen Bedingungen diskutieren. Mehr sage ich jetzt in der Öffentlichkeit nicht; denn die Debatte müssen wir zunächst natürlich in der Regierung führen.
({11})
Dann werden Ergebnisse vorgelegt, die in den finanziellen Auswirkungen sicherlich weit unter dem zu liegen haben, was die Addition aller bei der ESA erörterten Projekte ergibt. Darüber kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Selbst wenn diese technischen und politischen Probleme jetzt nicht aufgetaucht wären, hätte die Finanzpolitik das bereits gefordert. Das gilt mutatis mutandis für andere Bereiche. Insofern haben wir eine Reihe wichtiger und auch schwieriger Diskussionen.
Wir können unser Konzept der wachstums- und beschäftigungsfördernden Steuerreform, wie wir sie nun vereinbart und diskutiert haben, haushaltspolitisch nur absichern, wenn wir etwa auf der Steigerungsrate von jährlich 2,5 % bleiben, die wir der Finanzplanung zugrunde gelegt haben. Inhalte der Finanzplanung ändern sich. Das ist ein dynamischer Prozeß. Das aber muß für die kommenden Jahre die Orientierungslinie bleiben.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Walther?
Bitte sehr, Herr Kollege Walther.
Herr Walther.
Herr Bundesminister, nachdem Sie hier deutlich gemacht haben, was Sie von den Weltraumprojekten Ihres Kollegen Dr. Riesenhuber halten,
({0})
frage ich Sie, ob Sie auch bereit sind, die überzogenen Forderungen Ihres Kollegen Dr. Wörner ebenso zurückzuweisen.
({1})
Es waren nicht die Projekte von Herrn Kollegen Riesenhuber, sondern die der ESA, die der Herr Kollege Riesenhuber fachlich betreut, auch kritisch prüft,
({0})
denen der Forschungsminister ohne Ansehen der Person immer noch etwas näher steht als der Finanzminister. Das war auch in der Zeit, als ich Forschungsminister war, bei kleineren Projekten der Fall.
Was aber nun den Kollegen Wörner betrifft, so habe ich eher etwas anderes gehört. Ich habe eher gehört, daß auch bei Ihnen die Auffassung besteht, daß die Mittel jedenfalls nach den Vorstellungen der Regierung, angehoben werden müßten. Nein, es gilt, was vereinbart ist. Wir haben einvernehmlich, einstimmig den Haushaltsentwurf für 1988 erstellt. Für den Haushalt 1988 gibt es keinen Vorbehalt.
({1})
Die Überlegungen und Diskussionswünsche beziehen sich auf die mittelfristige Finanzplanung. Darüber werden wir dann miteinander reden und das Ergebnis hier mitteilen. Ich rede lieber mit Kollegen als über Kollegen.
({2}) Machen wir es so.
Meine Damen und Herren, ich will nur noch zwei Dinge sagen. Herr Kollege Esters hat recht: Die Absprachen über den Länderfinanzausgleich führen zu einer Einnahmereduzierung bei uns. Es gibt aber auch die Chance, daß ein bedeutender Ansatz bei den Verwaltungseinnahmen gegenüber der Regierungsvorlage spürbar erhöht werden kann. Ich hoffe, daß sich das etwa saldiert.
Wir müssen uns zu den EG-Problemen konkret äußern, wenn wir etwas genauer als jetzt abschätzen können, wie der tatsächliche Finanzbedarf der EG im nächsten Jahr ist. Hier gilt das, was ich im Deutschen Bundestag in meiner Haushaltsrede ausgeführt habe.
Meine Damen und Herren, das Licht geht auf Gelb. Eine Minute, Frau Präsidentin.
Ich bedanke mich für die Diskussion. Ich glaube, daß wir in der Lage sind - soweit Änderungsbedarf besteht -, die Unterlagen fristgerecht für die Bereinigungssitzung, für Ihre abschließende kritische Prüfung im Haushaltsausschuß und dann für eine Diskussion im Deutschen Bundestag vorzulegen.
Vielen Dank.
({3})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wurde vereinbart, den Antrag der Fraktion der SPD zum Haushalts- und Finanzplan zur Abstimmung zu stellen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 und die Zusatztagesordnungspunkte 13 und 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hauchler, Bindig, Bernrath, Brück, Großmann, Dr. Holtz, Frau Luuk, Frau Dr. Niehuis, Schluckebier, Schanz, Toetemeyer, Frau Matthäus-Maier, Dr. Mitzscherling, Oostergetelo, Dr. Wieczorek, Koschnick, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Zukunftsprogramm Dritte Welt
- Drucksache 11/828 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({0})
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Zukunftsprogramm Eine Welt
- Drucksache 11/941 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({1})
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU und der Fraktion der FDP
Ernährungssicherung in Hungerregionen
- Drucksache 11/946 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({2})
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte zwei Stunden vorgesehen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hauchler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die bisher größte Probe menschlicher Freiheit ist die Aufgabe, von zwischenmenschlicher Ethik zu globaler Verantwortung voranzuschreiten. Dieser Gedanke ist die Quintessenz des Vortrags, den der Philosoph Hans Jonas vergangenen Sonntag bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels gehalten hat. Von zwischenmenschlicher Ethik zu globaler Verantwortung! Sind wir uns wirklich schon bewußt, daß Wissenschaft, Technik und Wirtschaft heute weltweit verflochten sind? Haben wir schon begriffen, daß sich das Schicksal früher weit entfernter Länder immer mehr verknüpft? Können wir schnell genug Vorsorge treffen, damit Gefahren, die vom Menschen und seiner Technik ausgehen und die nun weltweit den Menschen selbst bedrohen, abgewendet werden?
Welche Gefahren? Neben den ökologischen und gentechnologischen Risiken - die mögliche atomare Vernichtung allen Lebens und die drohende Verelendung von Milliarden von Menschen im Süden dieses Planeten! Vor diesem Hintergrund steht der Antrag „Zukunftsprogramm Dritte Welt", den die SPD heute zur Debatte stellt.
Wir fordern dazu auf, durch Abrüstung freiwerdende Mittel für die Entwicklung in der Dritten Welt bereitzustellen. Ein von Ost und West finanzierter, von Nord und Süd gemeinsam verwalteter internationaler Solidaritätsfonds soll Zuschüsse zur Sicherung
der Grundbedürfnisse, zur Verbesserung der weltwirtschaftlichen Position und zur Erleichterung des Schuldendienstes der Entwicklungsländer geben. Diese Mittel sollen das bisher für die Dritte Welt zur Verfügung stehende Finanzvolumen beträchtlich erhöhen. Eine Einschränkung der Rüstungsausgaben in Ost und West um nur 5 % entspräche 35 Milliarden Dollar.
({0})
Das ist knapp die Summe, auf die sich heute die gesamte öffentliche Entwicklungshilfe beläuft.
Wir fordern die Bundesregierung auf, die politische Initiative für einen solchen Solidaritätsfonds zu ergreifen und aus Einsparungen im Verteidigungshaushalt zunächst eine Milliarde DM als finanziellen Grundstock zur Verfügung zu stellen. Planung und Kontrolle des Mitteleinsatzes sollen keiner neuen Bürokratie, sondern Sonderorganisationen der UNO übertragen werden.
Wir wissen aus Gesprächen einer gemeinsamen Arbeitsgruppe der SPD und der KPdSU, daß die Sowjetunion positiv zu einem internationalen Fonds für die Dritte Welt steht. Hier eröffnet sich ein wichtiges Feld gemeinsamen Handelns von Ost und West. Wenn wir im Norden eine gemeinsame Verantwortung für den Süden wahrnehmen, helfen wir damit nicht nur der Dritte Welt: Ost und West tun damit über das gemeinsame Interesse an der Kriegsverhinderung hinaus einen entscheidenden Schritt zu globaler Zusammenarbeit, Vertrauensbildung und Entspannung.
Ob die Bundesregierung unser Konzept aufgreift, wie wir es wünschen, oder nicht: Die SPD wird diesen Plan jedenfalls international weiterverfolgen.
({1})
Wir befinden uns damit übrigens in Übereinstimmung mit der UNO-Konferenz für Abrüstung und Entwicklung, die im August und September dieses Jahres stattfand.
Meine Damen und Herren, nun lehnen es einige Sprecher des konservativen Lagers ab, Abrüstung und Entwicklung in einen inhaltlichen und finanziellen Zusammenhang zu bringen. Andere, die sich gerade in der Entwicklungspolitik stark engagieren, stellen die Fragen: Soll dieser neue Fonds etwa ein Ersatz für bisherige Formen der Entwicklungsfinanzierung sein? und: Was kann zusätzliches Geld in der Entwicklungspolitik überhaupt bewirken? Lassen Sie mich dazu folgendes sagen.
Erstens. Es besteht ein eindeutiger politischer Zusammenhang zwischen Abrüstung und Entwicklung. Abrüstung und Entwicklung sind quasi nur zwei Seiten einer Münze, die Frieden heißt.
({2})
So wie die Abrüstung dem Abbau von militärischem Vernichtungspotential dient, so dient Entwicklung dem Abbau sozialer und politischer Spannungen zwischen Nord und Süd. Wie wir im Bewußtsein der gemeinsamen atomaren Bedrohung in Ost und West erkannt haben, daß nicht Aufrüstung, sondern nur Sicherheitspartnerschaft weiterhilft, so müssen wir erkennen, daß es zwischen Nord und Süd zu Entwicklungszusammenarbeit und Entwicklungspartnerschaft kommen muß, wenn der Frieden gesichert werden soll. Nur so werden wir unseren Kindern und Kindeskindern blutige Verteilungskämpfe um die begrenzten Ressourcen dieser Erde ersparen können. Nur so können wir vermeiden, daß die Verelendung im Süden gefährlich auf uns zurückwirkt, in der Weltwirtschaft oder etwa in Gestalt einer globalen ökologischen Katastrophe.
Meine Damen und Herren von den anderen, konservativen Fraktionen des Hauses, lehnen Sie unser Zukunftsprogramm nicht einfach pauschal ab. Wir fordern Sie auf: Beteiligen Sie sich mit eigenen Vorschlägen!
Zweitens. Es besteht auch ein wichtiger ökonomischer und finanzieller Zusammenhang zwischen Abrüstung und Entwicklung. Oder will jemand in diesem Parlament ernsthaft behaupten, die 1 000 Milliarden Dollar, die jährlich für Rüstung ausgegeben werden, könnten nicht besser im eigenen Land oder in der Dritten Welt zur Bekämpfung von Hunger, Armut und Unwissenheit eingesetzt werden? Wer will bestreiten, daß die Produktion von Waffen unproduktiv, der Bau von Werkstätten und Schulen, die Ausbildung junger Menschen aber produktiv ist? Warum also nicht wirklich Butter statt Kanonen oder - mit anderen Worten - mehr Entwicklung durch Abrüstung?
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Drittens. Der internationale Solidaritätsfonds soll selbstverständlich nicht die herkömmlichen Formen der Entwicklungsfinanzierung ersetzen. Er soll vielmehr zusätzliches Kapital mobilisieren. Wo dies nicht bald über Mittel aus der Abrüstung gelingt, muß über andere Formen der Finanzierung verhandelt werden. Der Gedanke des Fonds hängt ja nicht allein am Faden der Abrüstung. Natürlich darf niemand mit dem Blick auf die mögliche Abrüstung andere, bestehende Finanzquellen austrocknen wollen.
In diesem Zusammenhang kritisieren wir Sozialdemokraten, daß der Haushalt des Entwicklungsministers 1988 stagniert und, berücksichtigt man steigende Zins- und Tilgungsleistungen der Entwicklungsländer, die Nettoleistung der Bundesrepublik an die Dritte Welt zurückgeht, und dies in einer Situation der Schuldenkrise. Wir fordern, daß die Rückflüsse aus den Entwicklungsländern wieder für entwicklungspolitische Zwecke eingesetzt werden. Es ist ein Skandal, daß einige Entwicklungsländer schon in den nächsten Jahren mehr an uns zurückzahlen müssen, als sie erhalten.
({4})
Viertens. Mehr Geld für die Entwicklungsländer löst natürlich nicht alle Probleme. Kapital ist keine hinreichende Bedingung, aber doch eine notwendige Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung. Entscheidend ist, wie zusätzliches Kapital eingesetzt wird. Hier kommt es in Zukunft vor allem darauf an, alle Produktionsfaktoren gleichgewichtig zu fördern, neben Sachkapital also vermehrt Arbeit, Wissen, Technologie, Sozial- und Infrastruktur. Nur wenn Menschen satt, gesund, gebildet und ausgebildet
sind, können sie überhaupt qualifiziert arbeiten und moderne Technologie nutzen.
({5})
Nur dann können sie ihre Binnenwirtschaft stärken und in der Weltwirtschaft konkurrenzfähig sein. Die nötige Investition in qualifizierte Arbeit bedarf aber eines Mehrfachen des Kapitals, das bis jetzt zur Verfügung steht. Nicht zuletzt kann der Solidaritätsfonds eingesetzt werden, um für besonders betroffene Länder den Schuldendienst zu senken oder entsprechend der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu strecken.
Ich fasse zusammen: Das Zukunftsprogramm Dritte Welt stellt zwischen Abrüstung und Entwicklung den faktisch gegebenen politischen und finanziellen Zusammenhang her. Es ermöglicht, jene quantitative und qualitative Dimension der Entwicklungspolitik zu erreichen, die unverzichtbar ist, um der Dritten Welt wirklich zu helfen, nicht so sehr durch kapitalintensive Großprojekte, sondern durch eine breite Offensive qualifizierten Arbeitens und Lernens.
({6})
Meine Damen und Herren, nach dem Zweiten Weltkrieg gab der Marshallplan einen wichtigen Impuls für den Wiederaufbau Europas und den Aufschwung der Weltwirtschaft. Die Bundesrepublik hat davon profitiert. Wäre es nicht an der Zeit, heute, da wir reich geworden sind, einen Solidarpakt gegen die weltweite Armut zu schließen?
({7})
Der vorliegende Antrag der GRÜNEN nimmt dieses Anliegen nur unvollständig auf. Die GRÜNEN holen, wie so oft, zum Rundumschlag aus. Die ganze Weltwirtschaft gerät ihnen zum schieren Teufelswerk. Der Antrag enthält zwar auch Einsichten, die ich teile, aber wo sind die Vorschläge, was wir heute und morgen konkret für die Dritte Welt tun können?
Von den Regierungsfraktionen liegen bis jetzt keine Äußerungen zu unserem Antrag eines Zukunftsprogrammes vor. Wir wissen, daß CDU/CSU und FDP an einem Antrag für ein Notprogramm für Hungerregionen arbeiten. Das ist wichtig.
({8})
- Um so besser, wenn er eingebracht ist und vorliegt, Herr Repnik.
({9})
Wir werden zu gegebener Zeit entsprechende Vorschläge mitberaten und eigene einbringen.
Aber wo bleibt die entwicklungspolitische Perspektive der konservativen Fraktion dieses Hauses? Ich bin gespannt darauf, heute in der Debatte von den Kollegen aus den Regierungsfraktionen mehr darüber zu hören. Wir können es uns doch nicht leisten, uns von Hungerkatastrophe zu Hungerkatastrophe mit einer nachlaufenden Almosenpolitik durchzuhangeln. Wir müssen vorbeugend die Ursachen der wirtschaftlichen und technologischen Unterentwicklung be kämpfen. Diesem Ziel dient unser Zukunftsprogramm Dritte Welt.
Ich will mit einem weiteren Wort des Friedenspreisträgers Hans Jonas schließen. Er sagte:
Schritthaltend mit den Taten unserer Macht, reicht unsere Pflicht jetzt über den ganzen Erdkreis und in die ferne Zukunft.
Danke schön.
({10})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Pinger.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Damen und Herren von der SPD, Sie stellen zu Recht fest, daß unsere Welt von Widersprüchen geprägt ist:
({0})
hier der Reichtum unserer industriellen Überflußgesellschaft, dort lebensbedrohende Armut in den Entwicklungsländern, hier Vernichtung von Nahrungsmitteln, dort Hungerkatastrophen, einerseits kleine reiche Oberschichten in den ärmsten Entwicklungsländern, andererseits himmelschreiendes Elend in diesen Staaten, einerseits horrende Rüstungsausgaben, andererseits nackte Lebensnot.
Auch wir wollen den Wahnsinn der Rüstungen beenden. Die Sicherheit unseres Landes allerdings darf dabei nicht gefährdet werden. Wir müssen uns weiterhin um eine kontrollierte allseitige Abrüstung bemühen, die die Sicherheitsinteressen aller Länder berücksichtigt. Erste hoffnungsvolle Schritte wurden getan. Auf diesem Wege müssen wir beharrlich weiterschreiten.
Auch was die Anstrengungen zugunsten der armen Entwicklungsländer angeht, wollen wir den Weg mit Ihnen gemeinsam gehen. Mit Ihrem Zukunftsprogramm allerdings wollen Sie einen ganz anderen Weg einschlagen, worauf ich nachher zurückkommen werde. Zunächst freue ich mich, feststellen zu können: Auch Sie wollen - das ist in Ihrem Programm ausdrücklich festgehalten - die Entwicklungsländer zur eigenständigen Befriedigung der Grundbedürfnisse ihrer Bevölkerungen befähigen. Wir wollen wie Sie die ländliche Entwicklung und den kleingewerblichen Produktionsbereich fördern. Breite Bevölkerungschichten sollen am Entwicklungsprozeß teilhaben. Insbesondere wollen wir auch eine verstärkte Beteiligung der Frauen in den Entwicklungsländern.
Erfreulich ist, daß auch die SPD für die Belohnung der Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer eintritt. Das gehört seit langem zu unseren Grundprinzipien. Länder, die wirtschaftliche, soziale und politische Reformen zugunsten der Menschen wagen, sollen bevorzugt unterstützt werden. - Ich könnte diesen Katalog von Gemeinsamkeiten noch fortsetzen.
Zur Erreichung dieser Ziele müssen wir auch neue Wege gehen. So müssen wir aus meiner Sicht überlegen, ob es richtig ist, die Rückflüsse schrittweise in
einen Fonds zu geben, in einen Fonds der deutschen Entwicklungspolitik, aus dem denn flexibler als bisher Entwicklungshilfe geleistet werden kann. In erster Linie muß die Qualität der Entwicklungspolitik verbessert werden.
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Nun legen Sie das Zukunftsprogramm Dritte Welt vor und wollen in eine ganz andere Richtung gehen, ich kann nicht sagen, in eine neue Richtung; eigentlich ist es eine alte Richtung der Entwicklungspolitik, die sich als verfehlt erwiesen hat, nämlich die internationalen Mammutorganisationen der Vereinten Nationen mit zusätzlichen Aufgaben zu betrauen und ihnen zusätzliches Geld zu geben, um damit angeblich die gemeinsamen Ziele, die wir haben, verfolgen zu können. Wir können nicht sehen, daß wir damit den richtigen Weg in die Zukunft gehen.
Wollen Sie wirklich gerade diejenigen Organisationen stärken, denen wir immer wieder Ineffizienz, imperiales Gehabe ihrer Amtschefs, wuchernde Bürokratie und undurchsichtige Verwaltungsabläufe vorgeworfen haben? Wie verträgt sich das mit Ihrem eigenen Ziel, den Aufbau neuer kostenträchtiger Bürokratien zu vermeiden? Zwar weisen Sie darauf hin, Sie wollten das nicht, aber wir sehen das als eine zwangsläufige Folge Ihres Programms an.
Sie wollen eine neue Kommission gründen, eine Kommission, die über die sinnvolle Verwendung der Mittel wachen soll,
({2})
eine internationale Kommission, die angeblich unabhängig ist. Dabei müßten Sie doch davon ausgehen, daß die politischen Konflikte von über 100 Entwicklungsländern auch in diese Kommission hineinkommen, und dann wird die Hilfe unter undurchsichtigen Kriterien gewährt.
Ich muß Sie fragen: Vertrauen Sie nach den Erfahrungen der Vergangenheit wirklich noch auf die Planungen und Steuerungen von ganz oben, international und global? Wollen Sie wirklich die internationale Bürokratie und damit zwangsläufig auch die staatliche Bürokratie in den Entwicklungsländern noch weiter verstärken? Halten Sie es wirklich für den richtigen Weg, die Menschen in den Entwicklungsländern über die Bürokratie weiter fördern zu wollen und sie nach aller Erfahrung damit in Wirklichkeit doch zu bevormunden?
({3})
Ein langanhaltender Entwicklungsprozeß gerade im Sinne der Armen in der Dritten Welt kann damit nicht angeregt werden. Die Verschwendung und Fehlleitung der finanziellen Mittel wäre nach unserer Auffassung vorprogrammiert.
Ihr sogenanntes Zukunftsprogramm ist deshalb in Wirklichkeit in unseren Augen ein Vergangenheitsprogramm. Die darin eingeschlagenen Wege werden durch die schmerzhaften und ernüchternden Erfahrungen der letzten Jahrzehnte widerlegt. Mit Ihren wohlgemeinten Vorschlägen erreichen Sie genau das Gegenteil des Gewollten.
Wir werden unsere Entwicklungspolitik beharrlich und zielstrebig fortsetzen. Wir werden auch weiter nach neuen Wegen suchen.
({4})
Unsere neue Entwicklungspolitik ist keine neue Ideologie. Sie ist das Ergebnis jahrzehntelanger Erfahrungen und Einsichten auch aus Fehlschlägen der Vergangenheit. Diese Erfahrungen heißen: Die Entwicklungspolitik muß entbürokratisiert werden, und der Staat im Entwicklungsland muß auf seine eigentlichen Aufgaben zurückgeführt werden. Damit müssen zugleich die Privatinitiative, die Eigeninitiative der Menschen im Entwicklungsland und ihre Produktivkraft freigesetzt werden.
Wir müssen unsere Entwicklungshilfe vorrangig als Hilfe zur Selbsthilfe begreifen und leisten, so schwer dies auch ist. Der einzelne Mensch und seine freiwillig gebildeten und selbstbestimmten Gruppen müssen die Träger der Entwicklung sein. Der Staat kann es nicht; er kann es abstützen und begleiten, aber die eigentliche Entwicklung muß von den Menschen selbst kommen; sonst werden keine Kräfte freigesetzt, sonst wird die Eigeninitiative durch Bürokratie erstickt.
Politik als Hilfe zur Selbsthilfe: Das ist eine Abkehr von den leichten Lösungen der Vergangenheit. Es ist ein langwieriger Prozeß, der sich in Millionen kleiner Einzelprojekte ausdrückt. Das heißt, die Initiative kleinster, kleiner und mittlerer privater Unternehmer in den Entwicklungsländern anzuregen, zu stützen, zu unterstützen. Das heißt die Förderung von Kleinbauern und Handwerkern, die Förderung von Selbsthilfegruppen. Wir wollen das übereinstimmend, aber der Weg dahin kann nicht über ein neues Mammutprogramm internationaler Bürokratie führen.
Meine Damen und Herren von der SPD, ich wäre dankbar, wenn wir weiterhin - jedenfalls ein Stück - gemeinsam auf dem langen, steinigen, schwierigen Weg weitergehen würden, der aus unserer Sicht allein zum Ziel führen kann. Abkürzungen führen uns nicht weiter. Die Vergangenheit hat bewiesen, daß sie nicht zu dem gewünschten Ziel führen. Ihr Zukunftsprogramm ist ein Illusionsprogramm. Es schafft mehr Bürokratie, mehr zentrale Planung. Es ist aus unserer Sicht ein Holzweg.
Danke schön.
({5})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Eid.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! 1 000 Milliarden Dollar wurden 1986, im internationalen Jahr des Friedens, weltweit für Kriegszwecke ausgegeben. Die Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer liegt mit 1 000 Milliarden Dollar ebenso hoch wie die Summe der Militärausgaben des letzten Jahres. Allein während der drei Wochen der jüngsten UNO-Konferenz über den Zusammenhang zwischen Abrüstung und
Entwicklung wurden 600 Millionen Dollar für Waffen ausgegeben. Jedes Jahr sterben 40 Millionen Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika an Hunger und Krankheit. Doch mit weniger als einem Prozent der Rüstungsausgaben könnten alle Entwicklungsländer, die unter Nahrungsmittelmangel leiden, so unterstützt werden, daß sie sich selbst ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgen könnten.
Diese wenigen Zahlen machen die unerträgliche Perversion der heutigen Situation deutlich.
({0})
Aufrüstung und Entwicklung lassen sich nicht miteinander verbinden. Für das Überleben und für die Entwicklung der Menschheit ist Abrüstung unabdingbar geworden. Rüstung, Sicherheit und Entwicklung sind in einem Gefüge von Ursache und Wirkung untrennbar miteinander verbunden.
Die SPD hat heute einen Antrag vorgelegt, der die Industrieländer dazu auffordert, ihre Rüstungsausgaben einzuschränken und die dadurch freigesetzten Mittel für Zwecke der Entwicklungshilfe einzusetzen. Etwas hochtrabend, Herr Kollege, nennt die SPD dies ein „Zukunftsprogramm Dritte Welt". Mit einem Zukunftsprogramm hat dieser Antrag allerdings wenig gemein;
({1})
denn weder beinhaltet er die Forderung nach einer gerechten Neuordnung der internationalen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen, noch trägt er dazu bei, die Rüstungspolitik und ihre verheerenden Auswirkungen auf die Entwicklung an der Wurzel zu packen. Die grundlegenden Mängel dieses Antrags werden besonders deutlich, wenn man sich die Antragsbegründung genauer ansieht.
({2})
- Dann müssen Sie sich demnächst einen anderen Titel suchen. - Auf einige Kritikpunkte möchte ich an dieser Stelle etwas genauer eingehen.
Soll der Antrag auch nur ansatzweise Elemente eines Zukunftsprogramms enthalten, hätte der systemimmanente Zusammenhang zwischen Rüstungspolitik und der bestehenden internationalen Unrechtsordnung deutlich gemacht werden müssen. Es ist zu kurz gegriffen, die hohen Rüstungsausgaben als Ursache von Unterentwicklung darzustellen, wie dies Ihr Antrag implizit tut. Zwar bindet die Rüstungspolitik gewaltige Geldmengen und menschliche Ressourcen, die damit nicht für Entwicklungszwecke zur Verfügung stehen, entscheidend ist aber, daß Rüstungspolitik und Unterentwicklung zwei Erscheinungsformen oder zwei Folgen ein und desselben Systems sind, eines Systems, das auf der notfalls auch mit militärischen Mitteln zu verteidigenden weltweiten Ausplünderung der Entwicklungsländer durch die Industrieländer basiert. Damit hätten Sie sich in Ihrem Antrag auseinandersetzen müssen.
({3}) - Sie haben es nicht getan, Herr Hauchler.
Nahezu alle Kriege oder kriegerischen Konflikte seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges fanden auf dem Territorium von Entwicklungsländern statt: Befreiungskriege, die sich gegen koloniale oder imperialistische Ausplünderung und Unterdrückung richteten, Aggressionskriege, die direkt oder indirekt von den Vereinigten Staaten oder der Sowjetunion angeheizt wurden. Es sind die USA, die Sowjetunion, Frankreich, England, die Bundesrepublik und andere Industrieländer, die das große Geschäft mit den Waffenexporten betrieben haben und weiter betreiben.
({4})
Soll Abrüstung tatsächlich zur Entwicklung beitragen, dann ist mehr erforderlich, als freiwerdende Gelder in internationale Entwicklungsfonds einzuzahlen. Dann müssen die Waffenarsenale in West und Ost, vor allem in den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, drastisch reduziert werden.
({5})
Der SPD-Antrag verschleiert aber diesen Zusammenhang und reduziert Abrüstung und Entwicklung auf die Freisetzung von Finanzmitteln.
Genauso schwammig wird in der Vorlage das Thema der anzustrebenden Weltwirtschaftsordnung abgehandelt. Zwar betonen Sie, daß sich Ihr Zukunftsprogramm grundsätzlich vom damaligen Marshallplan unterscheide, daß Ihr Programm nicht auf die Einbindung der Entwicklungsländer in das politisch-wirtschaftliche Ordnungssystem der Industrieländer abziele. Nur: Welche Wirtschaftsordnung streben Sie an, wo sind Ihre so grundsätzlich anderen Überlegungen?
Wie fragwürdig Ihr sozialdemokratisches Zukunftsprogramm für die Dritte Welt ist, zeigt sich schließlich auch in Ihrer Behauptung, daß nur, wenn der Hunger beseitigt werde, die Gefahr zu bannen sei, daß es eines Tages zu Kriegen um Rohstoffe und Märkte komme. Von wem sind denn die Kriege um Rohstoffe, Absatzmärkte und Einflußzonen bisher ausgegangen? Sind es die armen Länder des Südens, von denen heute vor allem die Gefahr neuer Kriege ausgeht? Sie wissen ebenso gut wie wir, daß alle bisherigen Kriege um Rohstoffe, Märkte und Einflußsphären von einigen wenigen Industrieländern ausgegangen sind. Deutschland hat mit den zwei von ihm geführten Weltkriegen hier eine besonders schändliche Rolle gespielt.
({6})
Ich denke, für Ihren Antrag gilt, was Gunther Hilliges in der gegenwärtigen Auseinandersetzung um den Entwurf des entwicklungspolitischen Grundsatzprogramms der SPD gesagt hat - ich zitiere - : Es wird der Anschein zum Veränderungswillen erweckt und gleichzeitig ein Beitrag zur Stabilisierung der beklagten Zustände geleistet.
Meine Damen und Herren, trotz der genannten Kritik halten wir die zentrale Forderung, Abrüstungsgelder für Zwecke der Entwicklungshilfe zu verwenden, für richtig. Wir können uns allerdings nicht einverstanden erklären mit dem Vorschlag, die Verwaltung dieser Gelder den - wie es in dem SPD-Antrag heißt - Sonderorganisationen im Rahmen der VerFrau Eid
einten Nationen zu übertragen. Ist es Unkenntnis des Systems der Vereinten Nationen, was diesem Vorschlag zugrunde liegt, oder steht hinter diesem Vorschlag schließlich doch die Absicht, die Betreuung der Finanzmittel der Weltbank oder gar der Internationalen Finanzkorporation zu übertragen, die für die Förderung von Privatinvestitionen in den Entwicklungsländern zuständig ist?
({7}) - UNDP ist keine Sonderorganisation,
({8})
sondern eine Spezialorganisation. Da müssen Sie sich mit dem System der UNO auseinandersetzen und präzise sein.
Weiter sehen Sie in Ihrem Antrag die Einsetzung einer internationalen Kommission vor, die paritätisch mit Vertretern der Industrieländer aus West und Ost und der Entwicklungsländer besetzt sein soll. Dieser Vorschlag ist unserer Meinung nach scheindemokratisch und ebenso unakzeptabel wie die Zuweisung des Fonds an eine Sonderorganisation der UNO. Was soll an einer Fifty-fifty-Parität demokratisch sein? Dieser Vorschlag widerspricht den Grundsätzen der Vereinten Nationen von der Staatendemokratie und der Formel: Ein Sitz - eine Stimme.
Die von Ihnen vorgesehene Parität steht der Quotierungsregel der Weltbank näher als den demokratischen Grundsätzen, für die die Entwicklungsländer in den Vereinten Nationen seit Jahren streiten. Es kann nicht angehen, daß die Industrieländer in der internationalen Kommission überproportional vertreten oder gar mit einer möglichen Sperrminorität ausgestattet sind. Werden die Zuweisungen an eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen und die scheindemokratische Paritätsregelung nicht im Sinne unserer Anregungen verändert, dient das sogenannte Zukunftsprogramm nicht den Interessen der Entwicklungsländer, sondern denen der Industrieländer.
Ihr Antrag enthält einige weitere Ungereimtheiten, auf die ich hier nicht weiter eingehen will. Ich denke, wir können uns im Ausschuß darüber weiter unterhalten.
Allerdings muß man das Bombastische Ihres Antrags noch von einer anderen Seite her in Frage stellen. Noch in der alten Fassung des ansonsten gleichlautenden Antrages vom Mai des letzten Jahres hatten Sie 1,7 Milliarden DM Einsparungen im Verteidigungshaushalt für dieses Entwicklungsprogramm gefordert. Was ist daraus geworden? In den laufenden Haushaltsberatungen blieben davon 1,1 Milliarde DM übrig. Das ist ein Drittel weniger als die Summe im vorigen Jahr. Alles in allem: Es bleibt nicht sehr viel von diesem großartigen Zukunftsprogramm Dritte Welt übrig.
Auch die Pressekonferenz mit dem ZK-Sekretär der KPdSU, Dobrynin, Anfang dieser Woche kann über dessen magere Substanz nicht hinwegtäuschen. Natürlich begrüßen wir GRÜNEN, wenn es zu blockübergreifenden Initiativen zum Wohle der Entwicklungsländer kommt. Aber auch der gemeinsame Vorschlag von SPD und KPdSU krankt an den gleichen Mängeln, die ich zuvor genannt habe.
({9})
Auch in diesem Papier beschränken Sie sich auf die nichtssagende Formel, daß „praktische Schritte zur Neuordnung der Weltwirtschaft den vorgeschlagenen Maßnahmen für die Dritte Welt größere Wirkung verleihen würden". Doch das ist kein Wunder. Denn auch die Sowjetunion hat im Zeichen des neuen Denkens spätestens seit der siebten Welthandelskonferenz die große Bedeutung der Beteiligung am kapitalistisch dominierten Weltmarkt erkannt.
({10})
Auch sie will ihren Nutzen aus der internationalen Arbeitsteilung ziehen und die Kooperation mit den Entwicklungsländern stärker auf die eigenen sowjetischen Wirtschaftsinteressen ausrichten.
({11})
So gilt auch für diese gemeinsame Initiative von SPD und KPdSU, daß sie nur dann akzeptabel ist, wenn jegliche Vorherrschaft der Industrieländer in West und Ost über die Verwendung der eingesparten Rüstungsgelder in dem einzurichtenden Entwicklungsfonds ausgeschlossen ist.
({12})
Anzumerken bleibt schließlich noch, daß die Verwirklichung dieses internationalen Solidaritätsfonds von den Beteiligten gleich bei der Vorstellung schon auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben worden ist.
Lassen Sie mich abschließend noch zwei Sätze zu dem Antrag der GRÜNEN sagen. Wir verstehen diesen Antrag nicht als Gegenantrag. Allerdings halten wir es für erforderlich, den unzureichenden Vorstellungen der SPD über die Neuordnung der internationalen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen wenigstens einige zentrale Leitsätze entgegenzustellen, die bei der Erarbeitung eines ernstzunehmenden Zukunftsprogramms für Industrie- und Entwicklungsländer beachtet werden müssen.
Herzlichen Dank.
({13})
({14})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Folz-Steinacker.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP hat immer wieder auf das krasse Mißverhältnis zwischen den ungeheuren Rüstungsausgaben und den erheblichen Entwicklungsdefiziten in weiten Teilen der Welt hingewiesen. Niemand bezweifelt, daß die ständig steigenden Rüstungsausgaben viel sinnvoller für produktive und dem Wohlergehen der Menschheit dienende Zweck verwendet werden könnten, und zwar
insbesondere zur Bekämpfung von Armut und Unteremährung in den armen Ländern der Dritten Welt.
2246 Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 33. Sitzung. Bonn. Donnerstau. den 15. Oktober 1987
Hierzu hat Bundesminister Genscher bereits vor der 39. Generalversammlung der Vereinten Nationen 1984 erklärt, daß in der ganzen Welt für Waffen enorme Ressourcen ausgegeben werden, die uns und den Entwicklungsländern helfen könnten, gemeinsam eine bessere Zukunft zu sichern.
Die am 11. September 1987 zu Ende gegangene Konferenz der Vereinten Nationen über Abrüstung und Entwicklung in New York hat sich eingehend mit den Zusammenhängen von Rüstung und Entwicklung befaßt. Sie hat jedoch darauf verzichtet, in ihrem Ab-schlußdokument einen Aufruf zur Schaffung eines Entwicklungsfonds aufzunehmen, der durch einen Verzicht auf Rüstungsaufgaben finanziert wird.
Mit ihrem Antrag „Zukunftsprogramm Dritte Welt" greift die SPD dieses Thema auf. Auf den ersten Blick scheint dieser Antrag einen entscheidenden Beitrag zur Lösung der Entwicklungsprobleme in der Dritten Welt leisten zu können. Aber nur auf den ersten Blick. Bei ganz genauer Betrachtung sieht man, daß in dem Antrag schon lange bekannte Positionen wiederholt werden.
({0})
- Seien Sie doch nett zu mir, meine Herren; ich bin es ja auch zu Ihnen. ({1})
- Ich meinte natürlich auch die Damen! Man sieht, daß in dem Antrag wichtige Sachverhalte außer acht gelassen und realitätsfremde Lösungsvorschläge unterbreitet werden.
Die im Antrag vorgeschlagenen entwicklungspolitischen Maßnahmen wie die Sicherung der Grundbedürfnisse durch Vorhaben zur Stärkung der Binnenmärkte im Sinne einer integrierten ländlichen Entwicklung, die Förderung einer eigenständigen Entwicklung angepaßter Technologien, der eigenen Produktion von Gütern des Massenbedarfs, der selbständigen Erschließung und Nutzung heimischer Ressourcen sowie Ernährungssicherung aus eigener Kraft, die Unterstützung von Maßnahmen zur Stärkung der Exporte und zur Förderung regionaler Handels- und Wirtschaftsbeziehungen entsprechen auch unseren entwicklungspolitischen Zielvorstellungen und sind Bestandteil der Entwicklungspolitik der Bundesregierung.
Hinsichtlich der im Antrag ebenfalls vorgeschlagenen Maßnahmen zur Schuldendiensterleichterung muß man allerdings differenzieren. Das Thema wurde in der Debatte der vergangenen Woche bereits ganz ausführlich behandelt.
({2})
Ich verweise hier auf die Positionen aus dem gemeinsamen Antrag der Koalitionsfraktionen zur Überwindung der Verschuldungskrise der Entwicklungsländer.
Die im SPD-Antrag enthaltene Idee, Rüstungsausgaben einzuschränken und die dadurch frei werdenden Mittel im Rahmen eines Sonderfonds einzusetzen, ist allerdings völlig unrealistisch.
({3})
Erstens. Abrüstung und Entwicklung sind schon für sich genommen große und komplexe Bereiche. Beide Fragen können nur dann sinnvoll erörtert werden, wenn sie in ihrem spezifischen Kontext gesehen werden. Wer über Abrüstung reden will, muß die damit untrennbar verbundenen Sicherheitsbelange berücksichtigen. Die Diskussion über die Entwicklungsproblematik kann nicht losgelöst von ihren wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bezügen geführt werden.
({4})
Zweitens. Die Freisetzung von Ressourcen darf nicht das maßgebliche Motiv für Abrüstungsbemühungen bilden. Vorrangiges Ziel muß es vielmehr sein, einen stabilen Frieden auf möglichst niedrigem Rüstungsniveau zu erreichen. Aber auch Entwicklung darf nicht auf das Problem von Ressourcen und Ressourcentransfers reduziert werden. Diese können die Kraft der Entwicklungsländer zur Selbsthilfe unterstützen. Sie können sie aber auf keinen Fall ersetzen.
Im übrigen ist Entwicklung nicht als ein auf Entwicklungshilfe begrenzter Bereich der Politik zu verstehen, sondern muß umfassend alle Wachstumsfaktoren des Entwicklungsprozesses in der Dritten Welt einbeziehen. Hierzu zählen vor allem die Außenhandels- und Finanzierungsströme im Rahmen des multilateralen Welthandelssystems, die binnenwirtschaftliche Strukturpolitik jedes Landes sowie die Bildung und die Ausbildung.
({5})
Drittens. Es ist ungeheuer schwierig, den Umfang von Rüstungsausgaben zu bewerten. Jeder Staat hat das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung. Was für die Wahrnehmung dieses Rechts erforderlich ist, ist legitimer Rüstungsaufwand. Erst der darüber hinausgehende Aufwand stellt eine Überrüstung dar.
Viertens. Dieser Gesichtspunkt hat aber noch eine weitere Dimension. Entwicklung stärkt die demokratischen Institutionen eines Landes und dient damit auch der eigenen Sicherheit. Aber sie ist langfristig ohne Sicherheit nach außen nicht möglich. Kriegerische Auseinandersetzungen führen in der Regel zur Zerstörung der Grundlagen wirtschaftlicher, politischer, sozialer und kultureller Entwicklung. Verteidigungsausgaben zum Zwecke der Kriegsverhütung dienen daher auch der Entwicklung.
Fünftens. Das Wettrüsten findet nicht nur zwischen den beiden Großmächten und ihren Verbündeten statt, sondern hat auch die Entwicklungsländer erfaßt. Rüstungsimporte und Waffenproduktion der Entwicklungsländer sind in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Einige Entwicklungsländer treten inzwischen als Exporteure von Rüstungsgütern auf.
Die Ursachen und Gründe für diese Entwicklung sind vielschichtig. Hierzu würde ich vor allem den Einsatz des Militärs als innenpolitisches Machtinstrument zählen - angesichts bestehender sozialer, ethFrau Folz-Steinacker
nischer, kultureller und religiöser Spannungen -, Nationalismus und Chauvinismus, tatsächliche oder vermeintliche Bedrohung sowie regionales bzw. überregionales Vormachtstreben, die Einflußnahme der Supermächte und die Übertragung von Konflikten auf die Dritte Welt sowie die offensive Waffenexportpolitik einzelner Industrieländer.
Die tatsächlichen wirtschaftlichen Belastungen der Entwicklungsländer durch ihre Rüstungsausgaben kann man kaum exakt erfassen. In der Regel gehen sie jedoch zu Lasten der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung dieser Länder. Dieser für die Beurteilung der Zusammenhänge zwischen Rüstung und Entwicklung wichtige Sachverhalt findet erstaunlicherweise in dem Antrag der SPD-Fraktion keine Berücksichtigung.
Sechstens. Skeptisch muß man auch die Möglichkeit einschätzen, daß durch Abrüstungsschritte tatsächlich umfangreiche Mittel für Maßnahmen der Entwicklungshilfe frei werden. Abgesehen von den bisher bei Abrüstungsverhandlungen immer wieder aufgetretenen Schwierigkeiten hinsichtlich der Vergleichbarkeit militärischer Potentiale und der Überwachung durchzuführender Abrüstungsmaßnahmen können auch im Falle einer Realisierung solcher Maßnahmen erhebliche zusätzliche Kosten entstehen.
Siebtens. Die sich aus dem Antrag ergebende Alternative von Rüstung und Entwicklungshilfe führt zwangsläufig zu einem verfehlten Lösungsansatz, nämlich zu der Illusion, daß die Überwindung der Probleme der Entwicklungsländer vor allem in einer Erhöhung konzessionärer Finanzierungsmittel für Entwicklungsprojekte gesehen wird. Mit Geld allein ist es aber auf keinen Fall getan. Auf die wesentlich größere Bedeutung von Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer, einer an die Bedürfnisse des jeweiligen Landes angepaßten Entwicklungsstrategie und der Schaffung entwicklungsfördernder Rahmenbedingungen weise ich in diesem Zusammenhang ausdrücklich hin.
Achtens. Zur Einrichtung eines von den Industrie-und Entwicklungsländern gemeinsam verwalteten Sonderfonds bei bestehenden Sonderorganisationen im Rahmen der Vereinten Nationen muß festgestellt werden, daß dies bei dem vorgesehenen Finanzierungsvolumen ohne Schaffung zusätzlicher personeller Kapazitäten bzw. neuer Institutionen nicht möglich sein dürfte. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, daß die bestehenden Organisationen nicht in der Lage sind, die Zahl der Entwicklungsprogramme und -projekte wesentlich zu erhöhen. Die Schaffung einer neuen kostenträchtigen Bürokratie, die Sie ja gerade nicht wollen, wäre damit nicht zu vermeiden.
Neuntens. Auch die im Antrag der SPD-Fraktion vorgeschlagene Einsparung von 1 Milliarde DM im Verteidigungshaushalt der Bundesrepublik Deutschland, deren Einbringung in einen nationalen Fonds und Bereitstellung zugunsten der Internationalen Entwicklungsorganisation ist kein vernünftiger Vorschlag. Die Höhe der Rüstungsausgaben der Bundesrepublik Deutschland orientiert sich angesichts der massiven militärischen Bedrohung, der sie seit vielen Jahren ausgesetzt ist, an ihrem Sicherheitsbedürfnis.
Das Angriffspotential des Warschauer Pakts ist tatsächlich so groß, daß die Bundesrepublik allein nicht in der Lage ist, für ihre eigene Sicherheit zu sorgen.
({6})
Sie bedarf hierzu der Hilfe ihrer NATO-Partner.
({7})
Innerhalb des NATO-Bündnisses, meine Damen und Herren, muß jedes Mitglied - und zwar wirklich jedes Mitglied - seinen Anteil an der gemeinsamen Verteidigung im Rahmen seiner Möglichkeiten leisten. Die Höhe der Verteidigungslast der Bundesrepublik Deutschland bestimmt sich also auch nach dem uns obliegenden Anteil an dieser gemeinsamen Verteidigung.
Von den hierfür erforderlichen Mitteln kann die Bundesregierung nicht einen Betrag von 1 Milliarde DM für andere Zwecke abzweigen, ohne die eigene Sicherheit und den Anteil an den gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen zu vernachlässigen.
({8})
Eine Verminderung der Verteidigungsausgaben wäre erst möglich, wenn das Bedrohungspotential in einem solchen Umfang abgebaut worden wäre, daß auch unsere eigenen Verteidigungsanstrengungen entsprechend reduziert werden könnten.
({9})
- Hören Sie fein zu, es geht noch weiter. - Da die Bundesrepublik aber auf ABC-Waffen verzichtet hat und sich dementsprechend auf die konventionelle Rüstung beschränkt, andererseits aber gerade auf diesem Gebiet bisher alle Abrüstungsbemühungen erfolglos geblieben sind, ist eine Kürzung im Verteidigungshaushalt zugunsten des vorgeschlagenen Entwicklungsfonds auf keinen Fall vertretbar.
({10})
Auf die Tatsache, daß sich Sicherheit und Entwicklung gegenseitig bedingen, darf ich an dieser Stelle noch einmal hinweisen.
Der vorliegende Antrag der SPD-Fraktion ist nicht geeignet, einen Beitrag zur Lösung der Entwicklungsprobleme in der Dritten Welt zu leisten. Er bezieht die Zusammenhänge von Rüstung und Entwicklung ausschließlich auf die Industrienationen des Westens und des Ostens und trägt damit den tatsächlichen Problemen einer die wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklung hemmenden weltweiten Rüstung - einschließlich der Entwicklungsländer - nicht Rechnung.
Die Vorstellungen der SPD-Fraktion zu den Möglichkeiten der Einrichtung und Finanzierung eines Abrüstungsfonds sind unrealistisch. Nachdem die gerade zu Ende gegangene VN-Konferenz über Abrüstung und Entwicklung auf die Schaffung eines Entwicklungsfonds aus eingesparten Rüstungsausgaben verzichtet hat, erscheint es wenig sinnvoll, jetzt die Bundesregierung damit zu beauftragen, die Idee ei2248 Deutscher Bundestau - 11. Wahlperiode Frau Folz-Steinacker
nes Fonds - zunächst mit ihren EG-Partnern und dann im weiteren Rahmen - erneut aufzugreifen.
Die FDP-Fraktion lehnt daher den vorliegenden Antrag ab.
Danke.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bindig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt wenig politische Leitideen,
({0})
die junge Menschen so aufzurütteln, so zu faszinieren vermögen wie die Formeln „Schwerter zu Pflugscharen", „Kasernen zu Schulen" und „Abrüstung für Entwicklung".
({1})
Lassen sich solche Formeln als Schwärmerei abtun, oder können sie zu praktischem politischen Handeln anleiten? Sicherlich sind Rüstungsgeschehen und Unterentwicklung komplexe Erscheinungen, doch rükken die schlichten Formeln das Problem, wie ich meine, auf den eigentlichen politischen Punkt, auf den Widerspruch, daß sich viele scheinbar rationale Teilüberlegungen der Verteidigungspolitik zu einem irrationalen Gesamtsystem addieren. Die Welt wendet gigantische Mittel für Rüstungsausgaben auf, während es vielen Millionen Menschen am Elementaren zum Überleben mangelt.
({2})
Die weltweiten Militärausgaben übertreffen die weltweiten Entwicklungshilfeleistungen um mehr als das Zwanzigfache. Bei allseitiger verbaler Anerkenntnis des Nebeneinander von Überrüstung und Unterentwicklung fehlt es am politischen Druck, diesen Widerspruch zu beseitigen.
Für uns Sozialdemokraten sind die eingangs genannten Formeln keine unverbindlichen Allerweltsformeln, sondern eine große, ja, eine der größten Herausforderungen der Menschheit:
({3})
Rüstung reduzieren, Entwicklung forcieren, einen Entwicklungsfonds einsetzen, der mit Abrüstungsersparnissen gespeist wird! Politik braucht solche Leitideen.
Wenn wir als Politiker nicht mehr den Willen haben, konkrete Utopien auf dem Gebiet der Abrüstung zu entwerfen und sie in politisches Handeln umzusetzen, erfüllen wir unsere Aufgabe nicht.
({4})
Es gilt den Zustand der Welt nicht nur zu bejammern, sondern gestaltend Einfluß zu nehmen. Ich wende mich gegen den Fatalismus gegenüber dem Rüstungsmoloch.
Die Idee, Rüstungsausgaben einzusparen und damit Entwicklungsprozesse zu unterstützen, ist durchaus nicht neu. Es hat mehrere Anläufe gegeben. Impulse kamen aus Frankreich. Die Brandt-Kommission hat den Vorschlag behandelt. Der Ostblock fordert seit langem eine Verringerung der Rüstungsausgaben und den Einsatz der Mittel für die Entwicklungspolitik.
Auch die UN-Konferenz „Abrüstung und Entwicklung" wollte der Weltöffentlichkeit die Problematik näherbringen. Mit Bedauern haben wir gesehen, wie sich die westlichen Industrienationen dort aufgeführt haben. Statt diese Idee zu stärken und auszubauen, haben sie sich ihr entgegengestellt, besonders die USA, die den Zusammenhang zwischen Rüstung und Entwicklung sogar negiert haben. Die westlichen Industrienationen haben keine hochrangigen Delegationen dorthin geschickt. Sie haben diese Sitzung einfach technisch abgearbeitet. Während die Einladung zur Konferenz „Abrüstung und Entwicklung" die Diskussion des Fonds noch vorsah, war die Idee des Fonds im Schlußdokument nicht mehr enthalten. Die Idee sollte ein für allemal begraben werden.
Ich finde es schade, daß sich die Sprecher auch hier heute abend letztlich gegen diese Idee wenden.
({5})
Da gibt es eine merkwürdige Parallelität zwischen
den Aussagen der Konservativen und der GRÜNEN.
({6})
Die Konservativen können von ihrem militärisch überfrachteten Sicherheitsdenken nicht lassen, und die GRÜNEN können vor lauter Problembewußtsein auf diesem Sektor nicht mehr handeln und sind deshalb nicht bereit, konkrete Vorschläge, die vorgelegt worden sind, zu unterstützen.
({7})
In dem Bemühen, der Weltöffentlichkeit die Zusammenhänge näherzubringen, halte ich auch Vergleiche für sinnvoll, was alles mit den Rüstungsausgaben gemacht werden könnte. Mit weniger als einem Prozent der Rüstungsausgaben könnte genügend landwirtschaftliche Aufbauhilfe geleistet werden, um die gegenwärtig unter Nahrungsmitteldefizit leidenden Länder zu Selbstversorgern zu machen. Die Militäraufwendungen von anderthalb Tagen - vier Milliarden Dollar - würden ausreichen, innerhalb von zehn Jahren allen Menschen sauberes Trinkwasser zu beschaffen.
({8})
Jede Minute werden auf Weltmaßstab zwei Millionen Dollar für das Wettrüsten verpulvert. Seit ich hier rede, sind es zehn Millionen DM, die für Rüstung ausgegeben wurden. Demgegenüber leben eine Milliarde Personen unterhalb der Armutsgrenze, erhalten 780 Millionen keine ausreichende Nahrung, sind 850 Millionen Analphabeten, haben 1,5 Milliarden keinen Zugang zu ärztlicher Pflege und besitzen eine Milliarde keine menschenwürdige Behausung.
Solche Vergleiche und Beispiele können dazu dienen, all den Abwieglern, all den Beschönigern, all den Ignoranten, den Fatalisten und denen, die immer sagen, das sei ja nur Bürokratie, das Gehirn richtig durchzupusten. Das Argument, da könnte es auch Bürokratieprobleme geben, überzeugt mich nicht
mehr. Es muß endlich einmal eine Antwort gegeben werden, wie der Widerspruch zu beseitigen ist, den es zwischen dem Rüstungswahnsinn und Not und Elend auf der Welt gibt.
Der vorliegende Antrag erhebt nicht den Anspruch, mit dieser Maßnahme den Weltrüstungstiger wirklich packen zu können.
({9})
Dafür hat das Problem zu viele Aspekte. Seit Jahren geht die Schere zwischen Rüstungsausgaben und Entwicklungsleistungen auseinander. Trotzdem stellt unser Vorschlag eine Maßnahme dar, eine greifbare Einrichtung. Es ist doch interessant, daß schon dieser Vorschlag eine provozierende Wirkung hat: eine provozierende Wirkung, wenn man ihn zum Gegenstand einer Debatte hier macht, und eine provozierende Wirkung, wenn die Vereinten Nationen zusammenkommen, um über diese Fragen zu reden - dann versucht man, diese Zusammenhänge zu negieren - .
Wir haben gar keinen Anlaß, uns dagegen zu sträuben, die Kategorien Rüstung und Entwicklung um die Dimension Sicherheit zu erweitern. Aber wir sollten uns auf jeden Fall gegen die konservative Formel wenden, Rüstung bedeute Sicherheit.
({10})
Wenn die Großmächte, die Industrienationen Sicherheit nicht errüsten können, können es die Entwicklungsländer erst recht nicht; dort ist es von vornherein absurd.
Ein Großteil der Rüstungsausgaben wird in Industrienationen des Ostens und des Westens getätigt. Außerdem sehen wir mit Sorgen, daß die Rüstungsausgaben auch in der Dritten Welt zunehmen. Militärausgaben sind ein Instrument der Unterdrückung des eigenen Volkes zur Aufrechterhaltung sozialer Ungleichheit.
({11})
Wir sehen auch, daß der Anteil der Dritten Welt an den Rüstungsausgaben und am Waffenhandel steigt. Die Länder der Dritten Welt sind inzwischen der fünftgrößte Lieferant von Waffen geworden.
Trotzdem sollten wir jetzt nicht nur auf diese Prozesse in der Dritten Welt zeigen, sondern sehen, welche Rückwirkungen es auf die Industrieländer gibt. Die Industrieländer tätigen weltweit drei Viertel der Militärausgaben. Die Industrieländer sind mit ihren Denkmustern die geistigen Wegbereiter für das Rüstungsgeschehen. Sie betreiben den Waffenexport und Waffenhandel, und mit dem Kolonialismus haben sie die Spannungen den Entwicklungsländern hinterlassen, die heute viele militärische Konfliktpotentiale beinhalten.
Natürlich ist die Bereitstellung von Mitteln aus Abrüstung für Entwicklung eine Leitidee, die die Industrieländer ebenso angeht - dafür gibt es den Antrag hier und auch den Vorschlag der SPD und KPdSU - wie auch Aufgabe der Entwicklungsländer. Peru bemüht sich, Ausgaben umzuschichten, um die Entwicklung zu fördern. China verringerte die Rüstungsausgaben, um Mittel für seinen Modernisierungsprozeß freizusetzen, und tat dies mit außergewöhnlichem Erfolg.
Die makabere Gleichzeitigkeit hoher Rüstungsausgaben und zugleich Not und Elend auf der Welt muß beseitigt werden. Wir müssen die Bereitschaft zur Abrüstung in Bewegung bringen. Der von uns vorgelegte Vorschlag ist ein kleiner Vorschlag, aber er ist wenigstens ein konkreter. Ich halte ihn für einen wichtigen, wenn auch kleinen Schritt in die richtige Richtung.
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Ich erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Köhler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Wir sind gewohnt, entwicklungspolitische Themen abends und in kleiner Besetzung zu diskutieren. Wenn sie heute abend besonders klein ist, dann liegt das wohl daran, daß gerade in dieser Stunde die katholische und die evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe ihr 25jähriges Jubiläum feiern, und eine Reihe von uns sind dort. Ich glaube, es ist nicht falsch, Herr Präsident, wenn ich sage, daß wir alle, die hier dieses Thema beraten, in dieser Stunde mit dem Gefühl des Respekts und der Dankbarkeit mit der Arbeit der Menschen und Institutionen im kirchlichen Bereich verbunden sind.
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Um nun zur Sache zu sprechen. Ja, Herr Kollege Bindig, aus Schwertern Pflugscharen zu machen und Speerspitzen in Angelhaken umzuschmieden, das ist ein alter Menschheitstraum. Der hat schon den Propheten Jesaja bewegt und der hat die Menschheit seither, ich möchte sagen gottlob, nicht mehr losgelassen. Aber - es ist ein Traum seit über 2 000 Jahren. Wir, die konkrete politische Verantwortung haben, müssen gegenüber solchen Träumen und Utopien das nötige Maß an Skepsis aufbringen, weil es uns nicht hilft, Utopien zu beschwören, sondern weil es unsere Aufgabe ist,
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zentimeterweise die Schritte durchzuführen, die uns vielleicht einem solchen uralten Traum näherbringen können. Allein die Utopie an die Wand zu malen, hilft und leider nicht.
({2}) - Dazu komme ich noch, Herr Hauchler.
Das Verhältnis von Rüstung und Entwicklung ist ein schwieriges Thema. Wir sind uns einig, es ist moralisch völlig unerträglich, wenn Kinder hungern und gleichzeitig die Ausgaben für Waffen neue Rekordhöhen erreichen. Sie haben es gesagt: Weltweit nähern sich die Rüstungsausgaben der Tausend-MilliardenUS-Dollar-Grenze. Die Entwicklungsländer geben das Sechsfache dessen, was sie an Entwicklungshilfe erhalten, für Waffen und Armeen aus. Es ist mehr als naheliegend, hier Abhilfe zur fordern und die Umwidmung von Rüstungsausgaben zu zivilen Entwicklungszwecken zu verlangen.
Aber dieses ist nur die eine Seite der Medaille, meine Damen und Herren. Wir müssen uns eingestehen, es ist auf der anderen Seite der menschlichen Zivilisation bis heute eben nicht gelungen, den Frieden zwischen Staaten und Völkern allein mit den Mitteln des Rechts zu sichern. Nicht anders als wir haben deshalb auch die Staaten der Dritten Welt ein legitimes Bedürfnis nach bewaffnetem Schutz. Auch für sie gilt das in Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen garantierte Recht auf Selbstverteidigung. Auch sie haben das Recht, ihre Aufbauanstrengungen gegen äußere Bedrohung zu verteidigen; denn Sicherheit ist Voraussetzung für jegliche Entwicklung im wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Bereich.
Um es mit den Worten des Philosophen und Soziologen Norbert Elias zu sagen: „Der Schlüssel liegt nicht in den Waffen; so nützlich und wünschenswert eine Verminderung der Waffen ist, sie beseitigt nicht die Gefahr. Er liegt - das versteht sich - in den Menschen selbst, die die Waffen gebrauchen. " Ich glaube, diese Aussage, die schon einmal mein verstorbener Freund und Kollege, Alois Mertes, hier in diesem Hause mit bewegten Worten vertreten hat, muß immer wieder in Erinnerung gerufen werden.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wir dürfen nicht auf einer zu schmalen Basis dieses Thema behandeln. Wir dürfen nicht einen zu mechanistischen Ansatz wählen. Zuweilen, wenn ich Ihre Gedanken hier lese, fällt mir ein, was ich einmal über die Gedankengebäude der französischen Sozialutopisten von vor nunmehr fast 200 Jahren gelernt habe, die allein durch die Abschaffung eines - nach ihrer Ansicht - Indizes des Bösen, nämlich durch die Abschaffung des Eigentums, glaubten, daß diese Welt eine neue, andere werden würde bis hin zu einer Veränderung der zoologischen Arten, bis zum Aussterben des Löwen und der neuen Existenz eines Antilöwen
- wie sie ihn nannten - als Symbolisierung des Guten.
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- Der Traum von jenem blühenden Tal, Herr Schily, in dem das Kind mit einem Stecken Löwe und Lamm nebeneinander weidet, ist ein schöner Traum. Er ist aber nicht eine Handlungsanweisung für praktische Politik, vor allem nicht, wenn man ihm nahekommen will.
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- Nicht einmal dieser ist vorhanden, sonst hätte er Sie hart getroffen, als Sie sich in dem Papier von Herrn Bahr und Herrn Dobrinin auf Formulierungen einigten, die den Glauben erwecken, als läge es nur daran, daß die Sowjetunion noch nicht genügend Waffen habe verschrotten können, daß sie ihre Verantwortung gegenüber der Dritten Welt global bisher eben nicht wahrgenommen hat. Ich habe mich beim Lesen dieser Sentenzen gefragt, wie man das vielleicht vor afghanischen Flüchtlingen oder vor Menschen vertreten kann, die die segensreiche Tätigkeit sowjetischer Berater in Bürgerkriegen kennen.
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Das „segensreich" war in Anführungszeichen gedacht, wie Sie sicherlich verstanden haben.
Meine Damen und Herren, das Problem liegt auch hier nicht darin, daß die Sowjetunion darauf warten muß, weniger Waffen haben zu müssen, sondern daß sie bisher ihre Verantwortung gegenüber der Wohlfahrt der Menschen auf diesem Globus in aller Regel ihrem unmittelbaren imperialen Interesse unterstellt hat.
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Deswegen sind solche Sätze, wie wir sie dort lesen, genauso lange nichts wert, wie es an der Nachricht mangelt, daß auch nur eine Waffe aus Afghanistan, wo es freier Entschluß sein könnte, entfernt worden ist.
Es wäre gut, wenn wir uns in diesen Fragen etwas näher kommen würden, Fragen, die nicht nur das OstWest-Verhältnis betreffen; denn ich bin davon überzeugt, Frieden schaffen mit immer weniger Waffen ist in der Tat eine weltweite Aufgabe.
Es kommen nun einige andere Fragen hinzu: Warum eigentlich gehen Sie davon aus, daß durch Abrüstung ersparte Mittel allein der Entwicklungshilfe zugute kommen würden und auch zugute kommen müßten? Könnten nicht andere, die nur noch nicht so schnell waren, mit vollem Recht die Forderung erheben, daß diese Mittel für den weltweiten Umweltschutz eingesetzt werden müßten, eine Aufgabe, die doch schließlich auch eine besondere Bedeutung für das Überleben der Menschheit hat?
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- Des Entwicklungsprozesses im engeren Sinne der Entwicklungspolitik eben nicht.
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- Ich mache Sie nur darauf aufmerksam,daß Sie im Moment nur den Vorteil haben, daß andere für Ihre Partikularpolitiken solche Anträge noch nicht gestellt haben. In demselben Moment, wo das geschehen würde, hätten wir wieder die gesamte Last der Auseinandersetzung um politische Prioritäten, die wir ja von jeder Haushaltsberatung kennen.
Ich muß weiter fragen: Ist es eigentlich im Interesse der Entwicklungshilfe, der Entwicklungspolitik im allgemeinen, Abrüstung und Entwicklungshilfe so unmittelbar voneinander abhängig zu machen, wie Sie es hier tun? Die Teilnehmer an der internationalen Konferenz über den Zusammenhang zwischen Abrüstung und Entwicklung haben jedenfalls durchaus gezögert, diese Frage uneingeschränkt zu bejahen. Es muß Sie doch berühren, daß gerade die Entwicklungsländer Wert darauf gelegt haben, Abrüstung und Entwicklung als unabhängig voneinander zu verfolgende Ziele in den Konferenzdokumenten festzuschreiben.
Meine Damen und Herren, leider verkennt der vorliegende Antrag „Zukunftsprogramm Dritte Welt" einen guten Teil dieser Zusammenhänge und läßt in seinem Streben nach unbedingter Abrüstung auch die Bedeutung der Sicherheit für Frieden und Entwicklung nicht ausreichend zur Geltung kommen. Ich bedaure das um so mehr, als der entwicklungspolitische Teil des Antrags eine Menge Ansätze enthält, über die wir nicht streitig verhandeln müssen: Sicherung der Grundbedürfnisse, integrierte ländliche und kleingewerbliche Entwicklung, Teilhabe der Bevölkerung am Entwicklungsprozeß und vor allem Ernährungssicherung aus eigener Kraft. Meine Damen und Herren, in diesen Zielen können wir doch nur übereinstimmen.
Auch Exportdiversifizierung und Förderung der Handelsbeziehungen mit den Entwicklungsländern sind Maßnahmen, über deren Berechtigung und Notwendigkeit wir hier ganz gewiß nicht streiten müssen. Bundesminister Klein hat selbst vor einer Woche hier an dieser Stelle den Kapitaltransfer von Süd nach Nord in Anlehnung an Bundesbankpräsident Pöhl als Nettoressourcentransfer in die falsche Richtung bezeichnet. Die Besorgnis über diese Entwicklung, meine ich, verbindet uns alle hier als Mitglieder dieses Hauses.
Bei derselben Gelegenheit hat Bundesminister Klein eine der möglichen Strategien gegen den negativen Kapitaltransfer aufgezeigt. Wir müssen uns fragen, ob das Verhältnis zwischen Krediten und Zuschüssen für die Entwicklungshilfe den heutigen Erfordernissen noch entspricht. Auch dieser Gedanke findet sich dankenswerterweise in Ihrem Antrag wieder. Ich sehe hier wirklich eine bemerkenswerte Übereinstimmung in einer ganzen Reihe wesentlicher entwicklungspolitischer Fragen. Es gibt offensichtlich so etwas wie einen gesicherten Gemeinbesitz in der entwicklungspolitischen Diskussion. Warum sollten Sie das nicht gebrauchen? Wir tun es auch.
Wir sind bereit, an einem entwicklungspolitischen Konsens hier in diesem Hause auf dieser Linie und in Fortführung unseres gemeinsamen Beschlusses vom 5. März 1982 mitzuarbeiten. Bei aller Meinungsverschiedenheit im Detail: Ich bin der Auffassung, unsere Entwicklungshilfe sollte, wo immer wir dies erreichen können, unser gemeinsames Anliegen sein.
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Dann muß ich aber auch sagen dürfen: So begrüßenswert eine Reihe dieser Vorschläge der SPD ist, so realitätsfremd muten leider andere Anregungen an. Dazu möchte ich in der gebotenen Kürze einige Beispiele zitieren.
Der Antrag unterstellt als selbstverständlich, daß Abrüstung Geld spart. Der gesunde Menschenverstand scheint dafür zu sprechen; bei näherer Prüfung erlebt man erhebliche Enttäuschungen. Auch das hat die von Ihnen so gerne zitierte Sonderkonferenz der Vereinten Nationen klar zum Ausdruck gebracht. Allein die zur Überwachung eines Truppenabbaus in Mitteleuropa erforderlichen Satelliten würden mehrere Milliarden DM kosten. Die Vernichtung der chemischen Waffen, die wir uns wirklich alle wünschen, kostet mehr Geld als ihre Herstellung.
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Das ist eine unbequeme Wahrheit, aber deswegen dürfen wir sie nicht verschweigen. Im Bereich der nuklearen Abrüstung werden, gemessen an den heutigen Gesamtausgaben für konventionelle Waffen, wenig Mittel eingespart werden. Dies spricht nicht gegen Abrüstung, spricht aber gegen die Annahme, daß die Finanzierung von Entwicklungshilfe durch Abrüstung sozusagen plötzlich, ganz einfach, leicht und in Hülle und Fülle möglich wird.
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- Aber das glauben viele im Lande; deswegen darf man das hier ruhig einmal sagen.
Der Antrag der SPD verspricht keine neue internationale Organisation. Wie soll aber eine unabhängige Kommission bzw. - ich beziehe mich hier auf den Vorschlag der Arbeitsgruppe von SPD und KPdSU - ein internationaler Solidaritätsfonds die Verwendung von Milliardenbeträgen ohne eigenen organisatorischen Unterbau überprüfen?
Schließlich erscheint es mir auch unrealistisch, das geplante Milliardenprogramm durch die bestehenden Organisationen im Bereich der Vereinten Nationen abwickeln zu lassen. In Betracht käme in diesem Zusammenhang von der Größenordnung her eigentlich nur die Weltbankgruppe, in der übrigens die Sowjetunion nicht Mitglied ist, was man in diesem Zusammenhang einmal zur Kenntnis nehmen muß. Die Weltbankgruppe müßte allein für den Einsatz des in Ihrem Antrag beispielhaft genannten Betrages von 15 Milliarden Dollar ihr Geschäftsvolumen praktisch verdoppeln. Das ist im bestehenden Rahmen ganz gewiß nicht möglich.
Erlauben Sie mir dann noch eine etwas grundsätzlichere Frage. Ist eigentlich die Ihrem Antrag unausgesprochen zugrunde liegende Vorstellung, mehr Geld sowie Kapitaltransfer im großen Stil seien der Schlüssel zur Lösung des Entwicklungsproblems, nicht doch ein bißchen altmodisch?
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Sind Sie nicht auch der Überzeugung, daß Entwicklungshilfe Hilfe zur Selbsthilfe sein muß
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und Selbsthilfekräfte durch ein Zuviel an Geld nach aller Erfahrung gelähmt werden? Haben wir nicht alle gelernt, daß uns die Tonnen-Ideologie aus der Gründerzeit der Entwicklungshilfe eben nicht weitergebracht hat? Eine der wesentlichen Erkenntnisse aus 30 Jahren Entwicklungspolitik ist doch, daß zu den Kennzeichen der Entwicklungsbedürftigkeit eines Landes gerade das Fehlen der Verwaltungs- und Planungskompetenz gehört, die zur Durchführung von Entwicklungsvorhaben dringend erforderlich ist. Hier hilft wirklich nur eine schrittweise Qualifizierung. Das kann nur geschehen, wenn eine entsprechend synchronisierte, aber keineswegs übereilte Steigerung
der Mittel stattfindet. Der Holzhammer eines massiven Kapitaltransfers bringt die große Gefahr mit sich, daß Entwicklung zerstört oder unmöglich gemacht wird. Meine Damen und Herren, es ist nicht untypisch, daß das in diesen Tagen fertig werdende ungeheure Staudammprojekt Manantali, über das ich Ihre Meinung sehr genau kenne, von Egon Bahr zu einer Zeit beschlossen und entschieden wurde, als es eines der dringendsten Probleme des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit war, die schnell vom Parlament zur Verfügung gestellten Mittel umzusetzen und unterzubringen. So kommt man in die Gefahr, in der Entwicklungspolitik schwere Fehler zu machen. Das wissen Sie doch eigentlich auch.
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- Genau das halte ich Ihnen hier vor, was wir daraus zu lernen uns bemüht haben. Die Übertragung von Kapital in großem Stil führt nun einmal zu einer Almosenmentalität, und diese ist für die Menschen im Entwicklungsland entwürdigend. Und was mindestens genauso schlimm ist: Einer Entwicklungspolitik, die einen Anspruch darauf erhebt, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, wird auf diese Weise der Boden unter den Füßen entzogen.
Meine Damen und Herren, die Sammlung der verschiedenen Möglichkeiten in Ihrem Antrag, der aus meiner Sicht leider nicht mit der gleichen Sorgfalt erarbeitet worden ist wie der Antrag zur Verschuldungsproblematik, der letzte Woche zur Beratung stand, zeigt für mich sehr deutlich,
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daß Sie eine ganze Portion - lieber Herr Hauchler, Sie haben nie gespart, mir welche zu erteilen; nun kriegen Sie auch einmal eine von mir -,
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daß Sie einen guten Teil des Überdenkungs- und Neuorientierungsprozesses der Entwicklungspolitik der späten 80er Jahre noch nicht zu Ende gebracht haben.
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Das ist ein Grund, noch intensiver miteinander zu diskutieren.
Meine Damen und Herren, abschließend darf ich noch einmal in Erinnerung rufen: Die Bundesregierung hat auf der internationalen Konferenz über den Zusammenhang zwischen Abrüstung und Entwicklung ihre Bereitschaft unterstrichen, einen Teil der potentiellen Abrüstungsersparnisse für Entwicklungshilfe einzusetzen. Sie hat damit eine bereits 1978 auf der ersten Sonderkonferenz der Vereinten Nationen über Abrüstung eingegangene internationale Verpflichtung erneuert. Wir sind hier im Wort. Aber wir wissen eben auch: Entwicklungsprobleme mit dem Ruf nach immer mehr Geld lösen zu wollen, bedeutet, das Scheitern in Kauf zu nehmen. So sicher es ist, daß die Entwicklungshilfe im Angesicht der Schuldenkrise neue Ideen braucht, so sicher ist es eben auch, daß allein der Ruf nach mehr Geld nicht ausreicht. Deswegen schlage ich vor, daß wir in den Beratungen, die vor uns liegen, gemeinsam nach Wegen suchen, um die Entwicklungszusammenarbeit den Erfordernissen der Stunde ständig mehr und besser anzupassen: mit mehr Einfallsreichtum und Bereitschaft zur Veränderung, wo möglich, und mit mehr Geld, wo nötig.
Ich biete auch hier noch einmal unseren Willen zur fairen Kooperation an. Das kann mich nicht der Pflicht entheben, diesen Antrag als untauglich zu bezeichnen, was ich bedaure. Über den Antrag der GRÜNEN möchte ich mich in dieser Angelegenheit nicht weiter äußern.
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Meine Damen und Herren, nachdem uns nun jeder Redner von seiten der Opposition die Konservativen genannt hat - womit Sie offenbar zum Ausdruck bringen wollen, daß die Innovationsbereitschaft bei uns nicht sehr groß ist, was wir anders verstehen würden - , muß ich Ihnen leider sagen: Mit diesem Antrag kehren Sie an die Spitze des entwicklungspolitischen Fortschritts durchaus noch nicht zurück.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wieczorek.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Köhler, es wäre schön, wenn wir das Problem hätten, daß es zuviel Geld für die Entwicklungsländer gäbe, wie Sie es hier gesagt haben. Mein Eindruck ist, daß das völlig anders ist. Ich weiß nicht, wo Sie diese Ansicht herbekommen.
Ich darf Ihnen vielleicht zitieren, was der gemeinsame Entwicklungsausschuß der Weltbank und des Währungsfonds gerade im September dieses Jahres geschrieben hat:
Die Wachstumsaussichten für die Entwicklungsländer werden weiterhin negativ beeinflußt durch die anhaltende Schwäche der Rohstoffpreise, das schwache Wachstum in den industrialisierten Ländern, die wachsenden protektionistischen Bestrebungen, die hohen Lasten des Schuldendienstes und durch einen unzureichenden Zufluß finanzieller Mittel von außen.
Das scheint mir exakt das Problem zu sein, über das wir hier zu reden haben.
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- Natürlich hat er das unterschrieben. Aber eben klang das ja ein bißchen anders. Man weiß halt nicht so genau, was man in der vorigen Woche gemacht hat. Wir wissen es aber. Wir haben in der vorigen Woche nämlich Vorschläge für die Lösung der Verschuldungskrise gemacht.
Übrigens, Herr Feilcke, da Sie so freundlich nicken: Ich hoffe, daß Sie inzwischen mit dem Kollegen Stoltenberg darüber geredet haben, wie er denn nun zu den Fragen steht.
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- Ich hoffe, daß Sie ihn überzeugt haben. Sie haben doch hier etwas großzügig - ich will es einmal höflich ausdrücken - einen partiellen Schuldenerlaß auch für Länder wie Brasilien angekündigt. Ich erwarte immer noch die Antwort darauf.
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- Ach, Sie sind noch im Gespräch. Das ist wahrscheinlich wie bei der Steuerreform.
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- Das werden Sie dann sehen, wenn Ihre Leute merken, was sie mehr bezahlen müssen. Viel Vergnügen!
Der neue Vorschlag, den wir heute vorlegen, zielt, um darauf hinzuweisen, nicht primär auf das Schuldenproblem, sondern befaßt sich ausdrücklich mit der Notwendigkeit, den Entwicklungsländern neue Entwicklungschancen zu bieten. Der brasilianische Finanzminister hat in Washington bei der Tagung festgestellt, daß der reale Transfer für Schuldendienstleistungen in seinem Land 1983 bis 1985 5,3 % des Bruttosozialproduktes ausmachte. Das ist ungefähr die Zahl, um die die realen Investitionen zurückgegangen sind, nämlich 5,8 %. Das gesamte Investitionsniveau in den lateinamerikanischen Ländern ist um 40 % zurückgegangen. Wir haben letzte Woche darauf hingewiesen. Das ist exakt der Punkt, um den es geht.
Damit gehen natürlich einher eine Verarmung breiter Massen - darüber ist schon gesprochen worden - , die Steigerung der sozialen Spannungen, die Veralterung der Industrie und Landwirtschaft, die die Länder immer weniger entwicklungsfähig macht, weil die notwendigen Erhaltungs- und Erneuerungsinvestitionen nicht finanziert werden können, und es bildet sich natürlich auch gerade bei den noch vorsichtigen Demokratisierungsprozessen in einigen Ländern eine erhebliche Gefahr. Argentinien sollte Neugierige schrecken, meine ich. Aber es geht auch um die Menschenwürde der betroffenen Bevölkerung.
Genau hier setzen wir an. Wir fordern, daß die sich entwickelnden Länder eine Entwicklung, orientiert an ihren - ich unterstreiche: ihren - politischen, sozialen und ökonomischen Interessen nehmen können. Ihre Integration in den Weltmarkt darf nicht von Finanz-, Rohstoff- oder Absatzinteressen der Industrieländer diktiert werden. Wir fordern daher diesen Solidaritätsfonds zur Stärkung der Binnenmärkte, um die eigenen Ressourcen besser zum Tragen zu bringen. Die Verstädterung und die Vernachlässigung ländlicher Gebiete, die Aushöhlung der Wirtschaftsstruktur haben in vielen Ländern erhebliche Störungen in der Volkswirtschaft mit sich gebracht und sie vor allen Dingen anfälliger für weltwirtschaftliche Krisenerscheinungen gemacht.
Wir wollen den Solidaritätsfonds für die Agrarproduktion. Es ist doch ein Unding, daß viele landwirtschaftlich orientierte Länder Importe benötigen, um ihre Bevölkerung zu ernähren. Wir müssen allerdings auch uns an die Nase packen und sagen: Wir dürfen nicht länger mit unseren Überschußproduktionen, die hochsubventioniert sind, diese Länder an ihrer Entwicklung hindern.
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Das nächste ist die Konsumgüterherstellung. Es gibt keinen Sinn, daß wir alle möglichen Konsumgüter dorthin verkaufen, obwohl sie mit den dortigen Technologien hergestellt werden könnten, ein heimisches Gewerbe errichtet werden könnte. Ich glaube, wir sind uns darin einig. Aber man muß es in den Zusammenhang stellen. Das, was jetzt passiert, kostet nur unnötig Devisen und hindert an der Entwicklung von Erfahrungen mit neuen Industriestrukturen.
Das heißt allerdings auch - und das vergessen wir gern dabei - , daß wir bereit sein müssen, einen gewissen Protektionismus für das, was wir Ökonomen infant industries, also sich entwickelnde junge Industrien nennen, hinzunehmen. Ich glaube, das sollte gelegentlich auch gesagt werden, gerade von den Freihändlern, zu denen ich mich mit Sicherheit zähle.
Wir wollen den Solidaritätsfonds, um die Fähigkeit dieser Länder zum Export, vor allen Dingen zum Export untereinander, zu stärken. Damit spreche ich den sogenannten Süd-Süd-Handel - was allerdings eine falsche geographische Bezeichnung ist - an. Ich meine aber auch die Anstrengungen dieser Länder, in unsere Länder zu exportieren. Dazu bedarf es der Absatzförderung und auch - ich sage es noch einmal - einer konsequenten Öffnung unserer Märkte.
Dann geht es um die Schaffung entwicklungsadäquater Technologien. Mit Hochtechnologien sind die Probleme in diesen Ländern ja meistens nicht zu lösen. Wir haben allzu viele Investitionsobjekte des Typs „Weiße Elefanten" gesehen. Wir haben daraus gelernt, Herr Köhler. Da sind sicherlich Fehler gemacht worden. Wir sollten darauf achten, daß wir jetzt dafür sorgen, daß die richtigen Technologien in diese Länder kommen, die Technologien, mit denen sie sich weiterentwickeln können.
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- Dies alles ist mit darin.
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- Sie müssen den Antrag einmal exakt lesen. ({7})
- Es tut mir leid, Herr Kollege; dann muß ich Sie darauf hinweisen, daß über Technologie etwas drinsteht.
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Es lohnt sich wirklich, vom Anfang bis zum Ende zu lesen, nicht nur das, was Sie gerade für Polemik verwenden wollen. Es ist nun einmal Ihr Pech, daß Sie das nicht sorgfältig gemacht haben, nicht meines.
Dann kommen wir auch zu den gemeinsamen Interessen, die nämlich an Bedingungen geknüpft sind. Da geht es für mich darum, daß natürlich die Umweltbelange berücksichtigt werden müssen. Wir dürfen ja nicht hergehen und diese Länder sozusagen aus Not
dazu zwingen, Umweltbelange nicht zu berücksichtigen. Es sind unsere gemeinsamen Belange.
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Das gilt für uns auch für die extremen Vermögens-und Einkommensunterschiede. Solche Solidaritätsfonds geben keinen Sinn, wenn sie nur Eliten in diesen Ländern zugute kommen. Dies können wir nicht wollen und wollen wir auch nicht. Dazu gehört auch die Frage der Bekämpfung der Kapitalflucht. Dazu haben wir ja letzte Woche ein paar konkrete Vorschläge gemacht. Die Antwort haben wir übrigens auch noch nicht bekommen.
Natürlich wollen wir damit auch eine Stärkung der Menschenrechte, wobei wir betonen, daß die Sicherung des materiellen Existenzminimums für uns auch ein Mindestbestandteil dieser Menschenrechte ist.
Damit dies alles erreicht werden kann, wollen wir eben diesen Fonds gründen, und wir wollen ihn nicht - das betone ich - gegen die bestehenden Institutionen gründen. Wir halten sehr viel davon, die Expertise, die etwa bei der Weltbank vorhanden ist, gerade im Hinblick auf die Nahrungsmittelprogramme Afrikas, wie sie sich jetzt abzeichnen, zu nutzen.
Aber das ist nicht unser Bier. Unser Bier ist etwas anderes: Wir legen Wert darauf, daß es nicht nach den Quotenregelungen von IMF und Weltbank geht. Wir meinen, daß die Kollegin von den GRÜNEN, die nicht mehr hiersein kann, da unrecht hat. Es geht dabei nicht um die Frage, ob jedes Land eine Stimme hat. Es geht um die Frage, wie ein solcher Vorschlag überhaupt möglich wird, und er kann nur dann möglich werden, wenn Industrieländer und Entwicklungsländer mit gleichen Stimmenanteilen vertreten sind. Dann wird es realistisch; alles andere geht an der Realität der Welt vorbei.
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Genau das wollen wir, damit das Übergewicht der Industrieländer bei den Quoten in den bestehenden Institutionen nicht zum Anlaß genommen wird, nichts zu tun.
Herr Pinger, Sie haben gesagt, dies sei sozusagen eine neue Institution.
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- Bitte, ich habe schon gesagt: Abwicklung über Weltbank und IMF, soweit notwendig, oder auch über die regionalen Entwicklungsbanken. Aber es ist doch auch notwendig, aus diesem Quotenschlamassel der bestehenden Institutionen herauszukommen, und dazu brauchen Sie eine neue Gruppe. Das wollen wir, und da denke ich wie meine Kollegen, daß wir nicht auf der einen Seite G 7 und auf der anderen Seite G 24 brauchen, sondern etwas, was zusammengehört.
Noch eine Bemerkung: Es geht auch nicht darum, große Bürokratien für die Durchführung zu schaffen, oder darum, an dem zu zweifeln, was Staaten tun können. Herr Pinger, jemand, der konservativ ist - Sie gehören ja einer konservativen Partei an - , sollte sich vielleicht einmal mit der Geschichte der preußischen Industrialisierung auseinandersetzen. Was da an Einfluß der staatlichen Gewerbepolitik vorhanden gewesen ist, ist sehr bemerkenswert.
Um das ganze zu finanzieren, sind wir dafür, daß die freiwerdenen Rüstungsmittel - wir sprechen ja gerade von einfachen Rüstungsgütern - dafür genutzt werden. Ich finde das gut, was der Kollege Bahr und Herr Dobrynin vereinbart haben. Das ist auch keine Vergewaltigung dieser Länder, denn da steht ausdrücklich: „Die Reduzierung der Militärausgaben darf die Sicherheit keiner Seite beeinträchtigen. Alle Staaten, die sich an der Verwirklichung dieses Vorhabens beteiligen, müssen die Gewißheit haben, daß die entsprechenden Vereinbarungen und Verpflichtungen eingehalten werden."
Darum geht es. Es muß gemeinsam geschehen. Herr Köhler, über Afghanistan können wir reden. Wir können auch über Angola reden; das mag dem einen oder anderen dann weniger passen. Aber der entscheidende Punkt ist doch folgender: Man soll niemanden daran hindern, klüger zu werden und mitzumachen. Wenn ein Mitglied des ZK so etwas unterschreibt, sollte man sich meiner Ansicht nach darüber freuen, aber nicht sagen: Das ist nichts wert, das ist eine falsche Politik.
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- Ich bin der Ansicht, man sollte ihn beim Wort nehmen; Kollege Hauchler, ich stimme Ihnen da voll zu.
Meine Damen und Herren, damit bin ich bei dem entscheidenden Punkt. Ich glaube auch nicht, daß wir die Rüstungsausgaben in Höhe von 1 000 Milliarden Dollar in die Entwicklungsländer lenken können. Insofern sind Ihre Bedenken, Herr Köhler, ja vielleicht berechtigt. Aber wenn wir hier und heute anfangen, bei uns etwas aus diesem Etat herauszuschneiden, wenn wir also anderen mit gutem Beispiel vorangehen, dann haben wir eine Chance, diese sinnvolle Strategie auch in die Tat umsetzen zu können.
Ich sage Ihnen, daß unsere Kollegen in den sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien in den Entwicklungsländern diese Idee sehr gern aufnehmen und großes Interesse dafür zeigen. Sie sehen ja, daß in Peru aus einer Notsituation heraus erste praktische Schritte gemacht worden sind. Wir leben nicht in einem Wolkenkuckucksheim; es ist vielmehr eine sehr realistische Perspektive, einen Teil des notwendigen neuen Kapitalflusses in Gang zu setzen, über den wir in der letzten Woche geredet haben. Wenn wir nichts tun, wird uns dieses Thema noch weiter beschäftigen. Es ist an der Zeit, endlich anzufangen.
Danke sehr.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schreiber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke schon, daß es wichtig ist, in allen Politikfeldern Visionen zu entwickeln, die Wünsche verdeutlichen und Träume aufzeigen. Eine solche Vision stellt unzweifelhaft auch der Antrag der SPD-Fraktion dar. Dabei denke ich insbesondere an den Finanzierungsteil, der ja eine Verminderung der Rüstungsausgaben um 2 % vorsieht. Darüber ist bereits gesprochen worden. Interessanterweise - war
es Zufall oder Fügung? - signalisierte der ZK-Sekretär Dobrynin diese Woche - auch das war Gegenstand der Diskussion vorhin - , daß die Sowjetunion bereit sei, durch Rüstungsbegrenzung eingesparte Beiträge einem internationalen Solidaritätsfonds zuzuführen. Herr Kollege Wieczorek, solche Gespräche, solche Ansätze sind ohne Zweifel wichtig, aber ich möchte - ohne näher darauf eingehen zu wollen - doch die Frage stellen, warum die Sowjetunion in der Vergangenheit stets aufgerüstet statt abgerüstet hat. Ich möchte darüber hinaus auch fragen, warum die Sowjetunion unter Entwicklungshilfe überwiegend Waffenexport verstanden hat.
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Ich sprach von der Legitimität, Visionen zu entwikkeln. Visionen müssen jedoch auch kritisch hinterfragt werden. Sie müssen auch nach dem Faktor „Mensch" hinterfragt werden. Das „Zukunftsprogramm Dritte Welt", das die SPD jetzt vorgelegt hat, ist ja erstmals bereits im August 1984 vom damaligen Parteivorsitzenden und vom Fraktionsvorsitzenden der SPD vorgestellt worden. Damals sprach man noch davon, die Rüstungsausgaben real um 5 % kürzen zu wollen. Im Mai 1986 folgte ein Antrag, der im September dieses Jahres nahezu unverändert wieder eingebracht wurde. Die Rüstungsbegrenzung wird nun nur noch mit real 2 % definiert. Ich zeichne diesen Vorgang nach, weil ich herausfinden will, wie lernfähig die SPD in der Abfolge der Jahre geworden ist, und ich muß sagen: Ich bin enttäuscht. Dies gilt nicht nur für den abrüstungspolitischen Teil, sondern auch für den entwicklungspolitischen Teil. Ich denke, die SPDFraktion hätte gut daran getan, wenn sie ihre Vorstellungen aus dem Jahre 1984 intensiv auf den Prüfstand gestellt und neue Fragestellungen entwickelt hätte.
Gelegenheit dazu gab es genug. Wir erleben inzwischen die intensivste Grundsatzdebatte, die es seit Beginn der offiziellen Entwicklungszusammenarbeit gab. Ich erinnere an die Anhörung und die Diskussion im Ausschuß über die Hungerkrise in Afrika, über den Bankrott vieler Entwicklungsländer und das wachsende Engagement von Nichtregierungsorganisationen. All diese Dialoge und Diskussionen zwingen uns aufs neue, auf komplizierte Herausforderungen zu antworten. Für mich ist dabei klargeworden, daß wir die gewonnenen Erfahrungen berücksichtigen müssen, wenn wir eine wirksame Entwicklungszusammenarbeit leisten wollen.
Beim Lesen des SPD-Antrages habe ich den Eindruck gewonnen, als würde eine Reihe wichtiger Erfahrungsgrundsätze nicht berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund einige Feststellungen und Anmerkungen.
Erstens. Mehr Quantität in der Entwicklungspolitik ohne gleichzeitige Verbesserung der Qualität schadet der Entwicklungspolitik.
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Die Qualitätskriterien spielen im SPD-Antrag kaum eine Rolle. Ich meine, es müssen neue Instrumentarien entwickelt werden. Flexibilität und Leistungsvermögen der bestehenden Organisationen müssen erst verbessert werden.
Zweitens. Wegen der bereits jetzt hoffnungslos überforderten staatlichen Stellen in den Entwicklungsländern müssen Partner zunehmend im Nichtregierungsbereich gesucht werden. Dies kann nicht wie von der SPD favorisiert - über die internationalen Organisationen erreicht werden.
Drittens. Die wirkungsvollste Hilfe setzt dezentral ein, wirkt von unten, ist personalintensiv. Internationale Organisationen denken mit wenigen Ausnahmen staatlich zentral in Großprojekten und beginnen fast immer von oben. Frage: Was kommt von unten in der breiten Bevölkerungsschicht an?
Viertens. Zur Projektformulierung und dem Herausarbeiten von Prioritäten: Bei der Durchführung und Kontrolle müssen die Zielgruppen der ärmsten Bevölkerungsschichten direkt mitwirken. Es muß also möglich sein, daß von unten her direkt auf die Gestaltung der Projekte eingewirkt wird. Dies ist im Rahmen von Großorganisationen, von internationalen Organisationen nicht möglich.
Fünftens. Wer direkt den Ärmsten helfen will, muß die ungeheuren Sickerverluste vermeiden, die in der SPD-Planung gleich dreimal auftreten würden: bei der paritätischen internationalen Kommission, bei den UN-Sonderorganisationen und bei den Regierungen der Entwicklungsländer. Am effektivsten ist eine Entwicklungszusammenarbeit, wenn sie neben der ländlichen Entwicklung und der Entwicklung des kleinen Handwerks Herstellung und Absatz von Endprodukten fördert. Vor allem fehlen Entfaltungspielräume, sowohl auf internationaler Ebene als auch auf der Ebene der Binnenmärkte der Entwicklungsländer.
Sechstens. Es gibt keine Entwicklung ohne gesellschaftspolitische Entwicklung in den Ländern der Dritten Welt. Nur dort, wo Partizipation, soziale Gerechtigkeit, Respektierung der Menschenrechte gesichert sind, kann es zu langfristigen und stabilen Entwicklungen kommen. Dies sind nicht im westlichen Sinne ordnungspolitische Vorstellungen, die wir von oben aufoktroyieren. Die Wende zu einer neuen weltweiten Politik der friedlichen Entwicklung kann nur von innen her kommen, muß von unter her kommen und kann nicht von internationalen Organisationen von oben her gesteuert werden.
Lassen Sie mich noch einige Sätze mehr grundsätzlicher Natur hinzufügen, die für mich aber sehr wichtig sind. Wir haben als westliche Industrienationen die Menschen in unserem politischen Kalkül weitgehend auf Verstandeswesen reduziert, die sich in allen Situationen des Lebens an ihren wirtschaftlichen Interessen orientieren. Das hat dazu geführt, daß gewachsene Wertesysteme ihre Bindungskraft verloren haben. Die Heimat und heimatliche Kultur sind vielen fragwürdig und fremd geworden. Die natürliche Umwelt ist vielfach geschädigt. Nur schwer gelingt es uns, die Weichen wieder anders zu stellen. Zu einem Zeitpunkt, wo wir Fehler und Einseitigkeiten unserer Entwicklung erkennen und zu korrigieren suchen, darf unsere Entwicklungspolitik nicht dazu führen, daß sich die Länder der Dritten Welt in ihrer Entwicklungsanstrengung an dem Leitbild des Homo oeconomicus orientieren.
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Auf der Ebene der Sprache und der Begriffe hat die deutsche Entwicklungspolitik diese Neuorientierung schon vollzogen. Es wird jetzt darauf ankommen, unsere Überlegungen darauf zu konzentrieren, daß unsere Programme und Projekte der Entfaltung des ganzen Menschen dienen.
Meine Damen und Herren, ein kurzes Fazit: Der Antrag der SPD enthält sicher einige Gemeinsamkeiten; er geht in wesentlichen Stücken von der Gemeinsamkeit weg, die wir schon 1982 erreicht hatten. Ich bedauere dies. Ich schlage vor, daß wir im Ausschuß eine neue Basis durch Fortschreibung unseres gemeinsamen Beschlusses vom 5. März 1982 erarbeiten. Den Antrag der GRÜNEN halte ich nicht für integrierbar, aber ich denke, daß wir uns im Ausschuß über die verschiedensten Facetten intensiv unterhalten können.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Toetemeyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe an der Dritten Welt Interessierte! Wir sind ja unter uns, wie üblich. Ich habe ein bißchen Sorge gehabt, Herr Kollege Köhler, als Sie uns soeben unterstellt haben, wir forderten nur Geld. Es klang so, als ob Sie das Ziel eines Anteils von 0,7 % am Bruttosozialprodukt inzwischen aufgegeben hätten, als ob wir uns schon bei 0,9 % befänden und das Geld überhaupt keine Rolle spiele. Wir haben ja überhaupt nicht behauptet - das steht nirgendwo im Antrag - , daß es nur darum geht, Geld bereitzustellen, sondern wir haben auf die Probleme hingewiesen, und deswegen möchte ich - da sind wir uns wahrscheinlich in der Sache einig - noch einmal zu einigen Punkten aus dem Antrag kommen, in denen die Bereitstellung größerer Ressourcen, die Bereitstellung von Geld, gefordert wird.
Wir sind uns hoffentlich einig, daß trotz aller Anstrengungen der Industrienationen die Zahl der in absoluter Armut lebenden Menschen, insbesondere in den LDC-Ländern in den letzten Jahren größer geworden ist, daß die Geburtenraten steigen und daß gleichzeitig in den Entwicklungsländern kein wirtschaftliches Wachstum mehr vorhanden ist, sondern die Wirtschaftsdaten zurückgehen.
Wir sind uns in diesem Hause auch darüber einig, daß aus diesem Grunde - wir lernen ja aus Fehlern der Vergangenheit; der Kollege Wieczorek hat darauf hingewiesen - erste Priorität die Förderung des Landes, d. h. kleinbäuerlicher Betriebe und des Kleingewerbes, hat, um den Hunger effektiv zu bekämpfen.
({0})
- Genau das steht darin; lesen Sie bitte nach, Herr Kollege Feilcke! Ich habe fast aus dem Antrag zitiert.
({1})
- Lieber Herr Kollege Feilcke, Sie waren schon mal besser.
({2})
- Einverstanden.
Sehen wir doch nun in den Haushaltsentwurf 1988 der Bundesregierung hinein. Ist da genug Geld vorhanden? Da stellen wir schlichtweg fest: Der Anteil der finanziellen Zusammenarbeit, Herr Staatssekretär, für Afrika südlich der Sahara geht von 30,7 auf 28,5 % zurück.
({3})
Bei der sektoralen Verteilung der finanziellen Zusammenarbeit sinkt der Anteil im Bereich Land- und Forstwirtschaft um 6,5 %. Das heißt, diese Bundesregierung hat noch nicht einmal das Geld, um die Beschlüsse des Parlaments auszuführen.
Nun sagt der Parlamentarische Staatssekretär, es gehe gar nicht um das Geld. Ich stelle fest, daß hier Welten zwischen Aussage und Wirklichkeit klaffen. Aus diesem Grunde sagen wir: Weil vielleicht die Zwänge in unserem Lande so sind, daß wir nicht mehr haben - ich will das ja einräumen - , brauchen wir einen besonderen Fonds, der mithilft, die innere Wirtschaftskraft der Entwicklungsländer zu stärken. Denn nur durch eigene Wirtschaftskraft werden diese Länder langfristig in den Stand versetzt, die Grundbedürfnisse ihrer Bevölkerung selbst zu befriedigen. Eine Stärkung der Binnenmärkte aber muß, wie ich eben schon sagte, über die Stärkung der ländlichen Entwicklung und des Kleingewerbes gehen, wobei den sozioökonomischen und soziokulturellen Gegebenheiten in den Ländern Rechnung getragen werden muß. Ich lege Wert auf diese Feststellung.
Hier will ich mich einem Stichwort zuwenden, daß in der ganzen Debatte heute viel zu kurz gekommen ist, und ich will das an zwei Beispielen belegen. Denn auch daran wird deutlich, daß hier noch großer Nachholbedarf besteht, der wiederum Geld erfordert. Ich meine das Schicksal der Frauen in der Dritten Welt. Ich halte es für einen guten Anfang, daß in der AKPKonferenz in Arusha/Transania im Februar dieses Jahres, bei der Vertreter des Europäischen Parlaments mit Vertretern eben dieser Länder über das Thema „Frauen, Familienplanung und Bevölkerungspolitik" diskutierten, dieses Thema auch politisch endlich einmal angefaßt worden ist.
Die Frauen, denen Kindererziehung, Haushalt und Ernährungssicherung der Familie in den meisten Entwicklungsländern obliegen, wurden bisher nämlich nur partiell an der Entwicklung beteiligt. Die neu eingeführten Methoden zur Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion, beispielsweise der Pflugbau, der Einsatz von Kunstdüngern und Insektenvertilgungsmitteln und die künstliche Bewässerung, werden überwiegend zur Ertragssteigerung auf Feldern verwandt, die zur Erzeugung von marktgängigen Früchten dienen, wobei der Verkauf dieser Früchte fast ausschließlich Angelegenheit der Männer ist.
Ich verweise darauf, daß es ja schon ein gutes Beispiel gibt, nämlich jene Bank in Indien, die SEWA, die Self Employed Women's Association, die, 1972 als
Gewerkschaft gegründet, selbstbeschäftigten Frauen zur Verbesserung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen Kredite zu akzeptablen Bedingungen zur Verfügung stellt. Vorher waren diese Frauen auf private Geldverleiher angewiesen, wenn sie Investitionsmittel benötigten, weil private Banken eben nicht bereit waren, ihnen Geld zu leihen. Dieses Abhängigkeitsverhältnis hat dieses Beispiel guter Entwicklungspolitik in Indien beendet.
Zehn Jahre nach Gründung dieser Bank wurden bisher an rund 2500 Frauen Kredite von insgesamt 3,5 Millionen Rupien bewilligt. In der gleichen Zeit haben über 20 000 Bankkundinnen, also Frauen, rund 7 Millionen Rupien auf Sparkonten eingezahlt, wobei für mich die Tatsache am überzeugendsten ist - das gibt es bei keiner westeuropäischen Bank im vergleichbaren Maßstab - , daß die Kreditnehmer, die Frauen, ihre Zahlungsverpflichtungen pünktlich erledigen. Der Rückzahlungsquotient beträgt 87 %.
Dies ist allerdings, Herr Staatssekretär, meine sehr verehrten Damen und Herren, nur möglich, wenn man entsprechende Fonds in den Entwicklungsländern bildet und sie mit Anfangskapital ausstattet. Dazu eben braucht man Geld.
Ich wollte hier noch ein zweites Beispiel aus Togo vortragen - die Zeit reicht leider nicht; aber Sie können es in den letzten Mitteilungen der UNESCO nachlesen - , wo in einem Alphabetisierungsprogramm die Frauen Togos in die Lage versetzt wurden, lesen, schreiben und rechnen zu lernen und damit erst in der Lage sind, in Produktionsgenossenschaften Buchführungen aufzubauen und - um es mit der Stimme einer Frau aus Togo zu sagen - endlich zu wissen, wann sie auf dem Markt betrogen werden, wenn sie ihre Überschußprodukte verkaufen. Dazu muß man nämlich rechnen können.
Es ist falsch, wenn Sie sagen, wir wollten nur Geld in der Welt verteilen. Nein, wir wollen - und deswegen diese konkreten Beispiele - mehr tun, als bis heute - aus welchen Gründen auch immer - getan werden kann. Diesem Zweck dient das von uns geforderte „Zukunftsprogramm Dritte Welt".
Ich halte die Argumentation, Herr Kollege Pinger, die sich bei Ihnen im Grunde genommen auf das Stichwort Überbürokratisierung beschränkt hat, für zu dürftig. Wir sind dazu bereit, darüber zu diskutieren, wie es gelingt, daß das Geld - ({4})
- Darüber kann man diskutieren. Lassen Sie uns darüber diskutieren, wie Überbürokratisierung zu vermeiden ist! Aber zunächst einmal müssen wir ja anfangen, mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Wir erreichen die 0,7 % noch lange nicht. Wenn wir sie erreichen wollen, müssen wir irgendwo Ressourcen freimachen. Hier ist unser Vorschlag. Nehmen wir es von der Rüstung!
Verehrte Frau Kollegin Folz-Steinacker, auch der Hinweis, daß Rüstung etwas mit Sicherheit zu tun hat, überzeugt mich nicht; denn das Problem ist ja nicht, daß wir nicht alle bereit sind, jedem Land Verteidigungsbemühungen zuzugestehen. Das Problem besteht vielmehr darin, daß wir im Grunde genommen noch nicht die Neandertalermentalität aufgegeben haben, nämlich: Mein Knüppel ist der stärkste und größte. Nur ist das heute kein Knüppel mehr, sondern die Neutronenbombe als Perversion menschlichen Denkens. Das ist der Unterschied zum Neandertaler. Aber in der Denkstruktur haben wir uns nicht geändert. Es geht nicht um Sicherheit - die akzeptieren wir alle - , sondern es geht um die Frage: Ist das, was wir an Ressourcen für angebliche Sicherheit verschwenden, sinnvoll? Das ist der Punkt.
Deswegen gibt es einen Zusammenhang zwischen sinnlosen Ausgaben für angebliche Sicherheit und der Frage: Können wir sinnlose Ausgaben nicht in sinnvolle Dinge investieren? Da gibt es kein sinnvolleres Beispiel als die Dritte Welt. Beispiele dazu können Sie jeden Tag nachlesen. Ich habe zwei dazu genannt.
Meine Redezeit ist überschritten. Ich bedanke mich fürs Zuhören.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Repnik.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zeitgleich mit der Diskussion über diesen SPD-Antrag wurde in diesen Tagen in Bonn der Presse ein gemeinsames Papier der SPD und der KPdSU vorgelegt, in dem, inhaltlich fast deckungsgleich, der erstaunten Öffentlichkeit suggeriert wird, man habe jetzt endlich das Ei des Kolumbus zur Lösung der Probleme der Entwicklungsländer gefunden. Der Antrag hat nämlich den vielversprechenden Titel - darauf wurde schon wiederholt hingewiesen - „Zukunftsprogramm Dritte Welt". Schon der flüchtige Blick in beide Papiere läßt jedoch die mangelnde Seriosität des Unternehmens erkennen. Das wurde schon von allen Fraktionen festgestellt.
({0})
Das ist, lieber Kollege Bindig, uni so bedauerlicher, als das Grundanliegen dieses Antrags auf eine breite Zustimmung in allen politischen Parteien wie auch in der Bevölkerung stößt. Denn wer wünscht sich eigentlich nicht, daß die Rüstungsausgaben weltweit verringert und daß die entwicklungspolitischen Leistungen erhöht würden? Wer wird nicht umgetrieben von der Sorge steigender Rüstungsausgaben in Nord wie in Süd und zunehmendem Hunger in der Dritten Welt? Da sind wir uns doch alle einig.
Diese Sorge vieler Menschen ist nicht neu. Sie findet sich übrigens bereits in der seinerzeit wegweisenden Enzyklika „Populorum Progressio" des Papstes Paul VI., der das Wort geprägt hat: Entwicklung ist ein neuer Name für Frieden. Was liegt also näher, als Rüstungsmittel in Entwicklungsmittel und damit in Friedensmittel umzuwandeln?
Eine Antwort bezüglich der mangelnden Seriosität dieses Vorgehens gibt die „FAZ" in einem Kommentar von gestern, den ich mir gerne zu eigen mache. Die „FAZ" schreibt im Hinblick auf das Papier, das Bahr und Dobrynin vorgelegt haben - ich zitiere - :
Es ist merkwürdig, welche Faszination es auf
deutsche Sozialdemokraten ausübt, mit kommu2258
nistischen Parteien in Osteuropa „Verhältnisse" zu haben, die sich in gemeinsamen Erklärungen und Entwürfen niederschlagen und in denen sie selbst wie Vertragspartner auftreten.
Sie schreibt weiter:
Bahr, Brandt und andere machen den Eindruck, als meinten sie wirklich, damit seien außenpolitische „Durchbrüche" zu erzielen.
({1})
In Moskau
- so heißt es dort weiter dürfte man es kühler sehen. Solche Papiere kosten nichts. Wenn die Sowjetunion Entwicklungshilfen leisten wollte, könnte sie es jederzeit.
So die FAZ!
({2})
Dazu bedarf es keiner Verpflichtungen gegenüber der SPD. Aber Rüstungskosten und Entwicklungshilfe in eine erwartungsvolle Beziehung zu bringen, beeindruckt Naive fast immer.
({3})
Die Moskauer lassen sich gewiß erfreut dabei helfen.
Soweit die FAZ.
({4})
Ich frage nach. - Herr Kollege Bindig, es geht nicht um das Gespräch, sondern ganz ausschließlich darum, daß durch das Abschließen solcher Verträge der Eindruck suggeriert würde, als ob die SPD in der Lage sei, der KPdSU und damit der Sowjetunion in ihrem entwicklungspolitischen Engagement auf die Sprünge zu helfen.
({5})
Ich frage mich allen Ernstes, Herr Kollege Wieczorek: Wie weit sind Sie eigentlich gekommen, daß Sie ausgerechnet mit der Partei eine Entwicklungspartnerschaft, wie der Kollege Hauchler sagt, eingehen - ich möchte hinzufügen: eine Entwicklungs- und Friedenspartnerschaft eingehen - , die bis auf den heutigen Tag unter Mißachtung der selbstverständlichen humanitären Grundsätze weitgehend auf Entwicklungshilfe zugunsten des Rüstungsexports verzichtet?
({6})
Die Glaubwürdigkeit eines solchen Papieres messen wir an den Taten und nicht an den Worten. Aber wir alle würden uns freuen, wenn Taten folgen würden.
Im Gegensatz hierzu kann die von Helmut Kohl geführte Bundesregierung eine erfreuliche Erfolgsbilanz vorweisen. Trotz sparsamster Haushaltsführung - und das müßten Sie als Mitglied des Haushaltsausschusses wissen - haben wir im Durchschnitt der letzten Jahre - ich freue mich, daß ich den Herrn Minister Warnke begrüßen kann, der soeben eingetreten ist - den Mittelansatz für die Entwicklungshilfe überproportional erhöht und den Abrüstungsprozeß nachhaltig vorangetrieben.
({7})
Als einziges Land haben wir den LLDCs bis auf wenige Ausnahmen die Schulden erlassen. Auch dies ist ein großer Schritt, den wir - gemeinsam, wie ich meine - nach vorne getan haben.
({8})
Daß die Sowjetunion, die Sie hier in diese Partnerschaft aufgenommen haben - ich spreche das ganz bewußt an - , hier noch einen Nachholbedarf hat, bis sie auch nur annähernd auf eine mit uns vergleichbare Relation kommt, machen folgende Zahlen deutlich, die die gemeinsame Konferenz „Kirche und Entwicklung" beim Hearing im Februar 1984, an dem wir fast alle teilgenommen haben, vorgelegt hat. Während die Bundesrepublik Deutschland in dieser Zeit nach großzügigen Schätzungen für 4 Milliarden US-Dollar Rüstungsgüter exportiert hat - ich meine, das ist zuviel - , hat sie im selben Zeitraum für mehr als 12 Milliarden öffentliche Entwicklungshilfe geleistet. Demgegenüber hat die Sowjetunion von 1976 bis 1980 für 33 Milliarden Dollar Rüstungsexporte in Entwicklungsländer aufzuweisen, denen etwas mehr als 4 Milliarden Dollar öffentliche Entwicklungshilfe gegenüberstehen.
({9})
Meine sehr verehrten Kollegen von der SPD, ich meine, das ist ein wahrlich wenig präsentabler Vertragspartner in dieser Frage.
({10})
Eine weitere Begründung für den untauglichen Lösungsvorschlag - so gut er gemeint sein mag; das unterstelle ich - will ich hinzufügen. Der Antrag geht nämlich von der Fiktion aus, es sei möglich, die Verteidigungsbudgets der beiden Blöcke prozentual zu kürzen. Wir alle wissen - gerade jetzt aus den zurückliegenden Verhandlungen und aus den noch andauernden Verhandlungen im Hinblick auf die Mittelstreckenraketen - : In Wirklichkeit werden Abrüstungsvereinbarungen oder Rüstungsbegrenzungsabkommen jeweils für Waffensysteme verhandelt. Die Ersparnisse, die dabei entstehen, lassen sich schwer berechnen, oder sie treten gar nicht ein; Staatssekretär Köhler hat darauf hingewiesen. Der Antrag geht also von der Fiktion aus, Abrüstung führe unmittelbar zu mehr verfügbarem Geld. Die Vergangenheit hat gezeigt, daß diese Fiktion eine Illusion ist.
Ich möchte, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, noch auf einen weiteren Punkt eingehen, von dem ich meine, daß Sie mit ihm hier ebenfalls wenig überzeugt haben. Ich meine den Punkt, daß die Rüstungsausgaben in den Entwicklungsländern in Ihren Antrag nicht mit einbezogen werden, obwohl gerade diese, wie wir wissen, in vieRepnik
len Ländern der Dritten Welt für Verschuldungs- und Verarmungsprozesse verantwortlich zeichnen. Man stelle sich einmal vor, der größte Teil der 180 Milliarden US-Dollar, die von den Entwicklungsländern 1985 für Rüstungsgüter ausgegeben wurden, wäre in die Entwicklung geflossen. Welch riesiger Entwicklungsschub wäre damit möglich gewesen! Sie beziehen - bewußt oder unbewußt, wie auch immer - die Verantwortung der Entwicklungsländer für diese große Aufgabe in Ihren Antrag nicht mit ein.
(Bindig [SPD]: Ich habe sie aber doch in meiJa, aber das, was Sie gesagt haben, geht über den Antrag hinaus, Herr Kollege Bindig ({11})
Man stelle sich vor - auch dies möchte ich hier einmal sagen; ich war vor wenigen Wochen in Äthiopien - , Athiopien hätte nicht Milliarden US-Dollar für Waffenkäufe ausgegeben, sondern investiert, investiert in den ländlichen Bereich, in die Entwicklung, in ökologische Projekte, in landwirtschaftliche Projekte.
({12})
Wie viele sterbende Kinder hätten dort dann gerettet werden können!
({13})
- Ich freue mich, daß Sie mir zustimmen. Deshalb wundere ich mich natürlich um so mehr, warum Sie diesen wichtigen Punkt nicht zum Bestandteil Ihres Antrags gemacht haben - ein Defizit, das allerdings vielleicht noch beseitigt werden kann.
Lassen Sie mich auch dies noch sagen - auch noch einmal am Beispiel Äthiopien - : Was könnte dieses Land, wenn es die 3 Milliarden US-Dollar, die es an Schulden gegenüber der Sowjetunion hat, nicht verzinsèn und tilgen müßte, im Hinblick auf den Aufbau des eigenen Landes sowie im Hinblick auf die Hilfe für die Ärmsten der Armen alles bewirken!
({14})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in einer Vielzahl von Resolutionen der Vereinten Nationen und anderer Institutionen ist in den vergangenen Jahren wiederholt auf den Zusammenhang zwischen Rüstung und Unterentwicklung hingewiesen worden. Zum Teil wurde eine Kausalbeziehung angenommen, wonach die weltweiten Rüstungsaufwendungen für die entwicklungspolitischen Fehlleistungen verantwortlich seien. Dies konnten wir seinerzeit auch in dem Hearing hören, das wir veranstaltet haben. Die Stiftung Wissenschaft und Politik hat in dem Hearing allerdings auch darauf hingewiesen, daß derartige Zusammenhänge und Kausalbeziehungen im Prinzip zwar nicht von der Hand zu weisen sind, andererseits wurde in diesem Beitrag jedoch davor gewarnt, diese Bezüge übermäßig zu strapazieren. - Ich habe den
Eindruck, daß dies bei Ihrem Antrag heute der Fall ist. - Sollte sich, so schreibt die Stiftung Wissenschaft und Politik, die Neigung verstärken, hauptsächlich die weltweite Rüstung für das Ausbleiben von Entwicklungsfortschritten verantwortlich zu machen, so kann dies nur kontraproduktiv sein. Dies wird an zwei Beispielen belegt, die ich hier noch gern vortragen möchte. Erstens heißt es dort:
Die beständige Dämonisierung des ,Wettrüstens' führt zu einer Entpolitisierung der Problematik und verstellt den Blick für die vielfältigen politischen und strategischen Bedingungen der Rüstungsaufwendungen bzw. der Möglichkeiten ihrer Reduzierung.
Und zweitens:
Die Schuldzuweisung an die Adresse des ,Wettrüstens' lenkt von den äußerst komplexen strukturellen Ursachen der Krise der Entwicklungspolitik ab,
- darüber haben wir hier ja in der letzten Woche diskutiert die nicht primär durch einen finanziellen Ressourcentransfer
- Herr Staatssekretär Köhler hat darauf hingewiesen zu beheben ist.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht hinter dem Wort unseres Bundeskanzlers:
({15})
Frieden schaffen mit immer weniger Waffen. Wir sind bereit, auch in Zukunft - wie in der Vergangenheit - unserer entwicklungspolitischen Verantwortung gerecht zu werden. Dem im vorliegenden Antrag aufgezeigten Wegkönnen wir allerdings nicht folgen. Deshalb müssen wir diesen Antrag ablehnen.
({16})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Anträge zur Situation in der Dritten Welt an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen.
Der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP „Ernährungssicherung in Hungerregionen" soll ebenso wie der Antrag der SPD und der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zusätzlich zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Brahmst-Rock, Weiss ({0}) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Vizepräsident Stücklen
Stückgutfracht 88
- Drucksache 11/785 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Brahmst-Rock, Weiss ({1}) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Beabsichtigte Auflösung von Tarifpunkten im Wagenladungsverkehr der Deutschen Bundesbahn
- Drucksache 11/857 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr
Im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung und ein Beitrag von bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffene die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weiss.
({2})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit den beiden Anträgen greifen wir eigentlich nur zwei der Punkte auf, die Teil eines umfassenden Kahlschlagprogramms der Deutschen Bundesbahn sind, das derzeit läuft. Weitere Projekte wie die Privatisierung von Bahnbusdiensten und die Nachtschließung von Fahrkartenschaltern werden wir sicher in weiteren Anträgen aufgreifen.
Das Projekt „Stückgutfracht 88" und die beabsichtigte Auflösung von einem Drittel aller Tarifpunkte im Wagenladungsverkehr stellen den Rückzug der Bahn aus der Fläche nun auch im Güterverkehr dar, nachdem sich die Bahn im Personenverkehr in den vergangenen Jahren schon drastisch aus der Fläche zurückgezogen hat. Es handelt sich letztlich um eine Kapitulation der Bahn vor dem Straßenverkehr. Statt sich Gedanken zu machen, wie der Güterverkehr auch in der Fläche wieder attraktiv gemacht werden kann, streicht die Bahn die Segel. Der Ortsladedienst im Stückgutverkehr wird privatisiert. Bei privaten Unternehmern laufen natürlich sehr viel mehr Beschäftigungsverhältnisse, die nicht sozial abgesichert sind, sogenannte 430-DM-Jobs. Genau das macht es natürlich für den privaten Unternehmer attraktiv. Aber letztlich ist das eine unsoziale Politik. Arbeitsplätze bei der Bahn werden abgebaut.
Von den Umladestellen zu den Stückgutbahnhöfen sollen die Güter auf der Straße transportiert werden, obwohl eine voll funktionstüchtige Schienenstrecke parallel läuft. Es läuft ein Verlagerungsprogramm für Güter von der Schiene auf die Straße.
Damit werden alle Sprüche von wegen „Güter gehören auf die Bahn", die eigentlich von allen Parteien, von der Bundesregierung und auch von Ihnen, Herr Bundesminister, immer wieder benutzt werden, ad absurdum geführt.
Die Auflösung von einen Drittel aller Tarifpunkte im Wagenladungsverkehr läuft in die gleiche Richtung. Wenn Güter erst einmal 10, 20 oder gar 30 km auf der Straße transportiert werden müssen, bevor sie auf die Schiene verladen werden können, oder wenn sie im Anschluß an den Bahntransport noch 10, 20, 30 km auf der Straße zum Empfänger transportiert werden müssen, wird der Verlader gleich ganz auf Straßentransport umstellen.
Wenn diese Bahnvorhaben umgesetzt werden, so ist das die Kapitulation der Bahn vor dem ausufernden Straßengüterverkehr. Statt ernsthaft darüber nachzudenken, wie man die entsprechenden Bahnangebote wieder attraktiv machen kann, und statt ernsthaft Schritte zu unternehmen, mit denen die Konkurrenzfähigkeit der Bahn verbessert wird, werden die entsprechenden Bahnangebote einfach gestrichen.
Ich erinnere daran, daß die Bundesbahn gegenüber ihren Konkurrenten im Straßengüterverkehr immer noch stark benachteiligt ist. Beispielhaft nenne ich nur die Wegekostendeckung. Der Straßengüterverkehr trägt nur 46 % seiner Wegekosten, die Binnenschifffahrt gar nur 7 %. Die Bahn dagegen muß ihre Wegekosten zu 100 To tragen.
Hier besteht eigentlich dringender Handlungsbedarf für die Bundesregierung. Solche Maßnahmen müssen vor Angebotseinschränkungen, Kahlschlag und Privatisierung bei der Bahn Vorrang haben, wenn es sich bei den immer wieder beschworenen Bekenntnissen zur Bahn nicht um reine Lippenbekenntnisse handeln soll.
Wir GRÜNEN wollen eben nicht nur eine Bahn, die die Metropolen und die Ballungszentren bedient. Wir wollen eine flächendeckende Bahn, die auch die ländlichen Räume bedient, sowohl in Personen- wie im Güterverkehr.
({0})
Was die Bahn vorhat, ist der Rückzug auf die Metropolen und Industriezentren.
Wenn die Bahn ihre Pläne jetzt umsetzt, ist das auch eine Folge des überzogenen Straßenbaus, auf Grund dessen der Straßenverkehr so aufrüsten konnte, daß die Bahn nicht mehr mitzuhalten vermochte.
({1})
Die Auflösung der Tarifpunkte soll diese Entwicklung, die ja von dieser Bundesregierung mitverursacht ist, irreversibel festschreiben. Diese Auflösung - so erfährt man aus Bahnkreisen - ist deshalb so rentabel, weil die frei werdenden Flächen der Ladehöfe als Gewerbegrund teuer verkauft werden können.
Wir GRÜNEN lehnen diese Vorhaben entschieden ab. Wenn wir es ernst damit meinen, Güter verstärkt auf die Bahn verlagern zu wollen, brauchen wir ein dichtes, flächendeckendes Netz von Tarifpunkten im Wagenladungsverkehr und ein dichtes, flächendekkendes Netz schienenbedienter Stückgutbahnhöfe.
Deshalb versuchen wir mit den vorliegenden Anträgen, die Selbstamputationspläne der Bahn, die Anfang 1988 umgesetzt werden sollen, noch in letzter Minute zu stoppen.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jobst.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei diesem Vorhaben der Bahn, den Wagenladungsverkehr zu konzentrieren und zu prüfen, ob schwach frequentierte Transportpunkte aufgehoben werden können, und den Stückgutverkehr stärker zusammenzufassen, handelt es sich um kein Stillegungsprogramm, kein Streckenstillegungsprogramm, auch um kein solches, wie wir 1976 eines von der damaligen Bundesregierung vorgesetzt bekommen haben. Es handelt sich um kein Bahnhofstilllegungsprogramm, und es handelt sich auch um keinen Rückzug der Bahn aus der Fläche.
Worum geht es? Die Bahn überprüft ihre schwach frequentierten Tarifpunkte im Wagenladungsverkehr. Sie will den Stückgutverkehr wirtschaftlicher gestalten und das Leistungsangebot verbessern. Hier wird die Bahn die Einzeluntersuchungen noch durchführen.
Ich muß sagen, mit ihrer Programmankündigung hat die Bahn den Mund wieder einmal zu voll genommen. Bei den Zahlen, die hier im Raum stehen, geht es offenbar mehr um Optik, die leider auch dazu führt, daß Bürger und Verbände aufgeschreckt werden.
Von einer Verkehrsverlagerung kann überhaupt keine Rede sein.
({0})
Die Deutsche Bundesbahn macht mit 30% ihrer Tarifbahnhöfe im Wagenladungsverkehr 95 % ihres Umsatzes. 40 % der Bahnhöfe tragen nur 1% zum Umsatz bei.
({1})
Die Leistungserstellung auf der Schiene ist dagegen für die Punkte oft überproportional zeitlich aufwendig und teuer. Das Verhältnis von Aufwand und Ertrag stimmt hier nicht mehr. Für diese Dinge haben Sie, Herr Kollege von den GRÜNEN, ja kein Verständnis.
Bei der Untersuchung prüft die Bahn jetzt, welche wirtschaftlichen Bedienungsalternativen möglich sind, und ob den Kunden etwas Besseres angeboten werden kann.
Es müßte bei diesem Thema eigentlich die Problemsituation der Bahn dargestellt werden. Mangels Zeit kann ich sie nur ganz kurz umreißen.
Die guten Jahre der Bahn, wie wir sie seit 1983 gehabt haben, sind offenbar vorbei. Früher gab es einen Jahresverlust bei der Bahn von nahezu 5 Milliarden DM. Der konnte dank der Politik der Bundesregierung Kohl 1985 auf 2,9 Milliarden DM zurückgeführt werden. Er ist 1986 wieder auf 3,3 Milliarden DM angestiegen. 1987 wird er 3,8 Milliarden DM ausmachen. Für 1988 schätzt man einen Verlust von 4,2 Milliarden DM. - Eine bedenkliche Entwicklung.
Die Deutsche Bundesbahn hat Transportverluste hinnehmen müssen. Der Rückgang im Montanverkehr, also bei den Massenguttransporten, hat die Bahn empfindlich getroffen. Die Hälfte des Güteraufkommens der Bahn sind Montanlieferungen, was die Verwundbarkeit der Bahn hier unterstreicht.
Auf der anderen Seite konnte die Bahn keine Zuwächse erreichen. Es kommt hinzu, daß Zukunftsinvestitionen der Bundesbahn erst in den 90er Jahren wirken werden. Die Bahn ist in den 70er Jahren von der damaligen Bundesregierung im Stich gelassen worden. Sie konnte ihre Investitionen nicht vornehmen, weil sie das Geld nicht gehabt hat und weil sie auch nicht unterstützt wurde, ihre Neubaustrecken zu bauen.
Die Deutsche Bundesbahn jetzt zu konservieren, wie es die GRÜNEN vorhaben, wäre ein Mittel zur Selbstdemontage. Wir wollen keine Bahn, die aufs Abstellgleis fährt. Die Bahn braucht die richtigen Verkehrssignale durch eine aktive Verkehrspolitik. Die Bahn muß attraktiver, schneller und leistungsfähiger werden. Sie muß in die Lage versetzt werden, ihre Zukunftsinvestitionen durchzuführen: Das sind Neubaustrecken, der Ausbau ihrer Strecken; sie braucht moderne Technik und moderne Fahrzeuge. Die Bahn muß weiterhin ihr Leistungsangebot verbessern, ihre Erträge steigern. Sie muß aber auch ihre Kosten senken. Sie muß sich dem Strukturwandel, den Herausforderungen stellen. Es umgekehrt zu machen, daß sich Wirtschaft und Verkehr anpassen, wäre der verkehrte Weg. Auch deshalb sind dirigistische Maßnahmen in diesem Bereich verkehrt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit den Anträgen der GRÜNEN, die hier eingebracht wurden, wäre der Deutschen Bundesbahn nicht geholfen. Sie sind unrealistisch. Es ist eine Tatsache, die wir zur Kenntnis nehmen müssen, daß sich Bürger und große Teile der verladenden Wirtschaft in der Fläche vom Schienenverkehr verabschiedet haben.
({2})
- Fragen Sie Herrn Haar; der macht schon länger Verkehrspolitik und hat sie an verantwortlicher Stelle gemacht.
Aus diesem Grunde wird sich die Schließung der einen oder anderen Tarifstelle bei der Deutschen Bundesbahn nicht vermeiden lassen.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haar.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesen leeren Worthülsen, die nur Überschriften sind, möchte ich feststellen, daß wir Sozialdemokraten mit großer Sorge beobachten, wie sich die Deutsche Bundesbahn immer mehr aus ländlichen Räumen zurückzieht. Nachdem lange Zeit die Einschränkung des Schienenpersonennahverkehrs oben anstand, ist es nun in der Folge der Schienengüterverkehr.
({0})
Unter dem vorhandenen und erkennbaren Druck der Deutschen Bundesbahn, die notwendige finan2262
zielle Unterstützung zu geben, sucht der Bahnvorstand sein Heil in neuen Schrumpfkonzepten. Bis zum Fahrplanwechsel im Jahr 1989 sollen bei über einem Viertel der rund 4000 Tarifpunkte der Bahn die Abfertigungsbefugnisse für Wagenladungen und damit die Bedienung dieser Orte eingestellt werden. Rund 200 000 Wagenladungen pro Jahr im ländlichen Raum sind hiervon betroffen.
Der Vorstand der Bundesbahn beteuert zwar immer wieder, daß er diese Transporte für die Schiene erhalten wolle. Doch was wird, Herr Bundesverkehrsminister, realistisch gesehen, die Konsequenz sein? Fast vollständig werden diese Verkehre weg von der Schiene auf die Straße verlagert werden. Der Hinweis auf den geplanten Ausbau des kombinierten Verkehrs ist im Grunde ein Kanzleitrost. Er kann die entstandene Lücke - das geben alle Fachleute zu - nicht schließen.
Was sind angesichts dieser Entwicklung eigentlich die Krokodilstränen zum Waldsterben wert, die wir auch von der Bundesregierung hören? Sie wissen genau, daß jede weitere Zunahme des Lkw-Verkehrs den Wald weiter schädigt. Ihre Verkehrspolitik ist jedoch genau auf dieses Ziel, auf die Verlagerung der Verkehre, ausgerichtet. Auch Sie, Herr Minister Warnke, haben am 6. Mai vor dem Verkehrsausschuß - ich zitiere - die „Pflicht zum pfleglichen Umgang mit der Schöpfung " und - ich zitiere weiter - „die Sorge für Geborgenheit und gleichwertige Lebensbedingungen für den Bürger und seine Verbundenheit mit der Heimat, sowohl in den städtischen Verdichtungen als auch im ländlichen Raum" als Ihre Rahmenbedingungen für die Gestaltung der verkehrspolitischen Entwicklung bezeichnet. Da habe ich zugestimmt.
Wie ernst ist es Ihnen mit diesen Zielen? Der Rückzug der Bahn aus der Fläche benachteiligt nicht nur den ländlichen Raum, sondern gleichzeitig wird mit dem Anwachsen des Straßenverkehrs auch die Umweltbelastung erhöht. Dies muß verhindert werden, und Sie hätten es eigentlich verhindern können. Aber genau das haben Sie nicht getan.
Offensichtlich bestimmt inzwischen auch in diesem Feld der Finanzminister die Richtlinien der Bahnpolitik. Für ihn zählt ja bekanntermaßen die Steuerentlastung mehr als Umwelt, Lebensqualität und Arbeitslosigkeit.
Es sind nicht nur die Sozialdemokraten in Bund und Ländern, die nicht gewillt sind, die unausgewogene Politik der Deutschen Bundesbahn hinzunehmen.
Auch die CDU-Landesregierungen wenden sich nachhaltig gegen die systematische Vernachlässigung ländlicher Regionen durch Bund und Bahn. Ich könnte hier einige Schreiben von Innen- und Verkehrsministern verlesen.
Betroffen von der Rückzugspolitik des Vorstandes der Bahn sind natürlich auch die Eisenbahner. Dies gilt in doppelter Hinsicht: Zum einen werden durch die Auflösung der Tarifpunkte im Wagenladungsverkehr wieder einmal Stellen im ländlichen Raum gestrichen. Dazu kommt - ebenfalls auf den vorhandenen Druck der Bundesregierung - die geplante Vernichtung von Eisenbahnerarbeitsplätzen im Stückgutbereich durch Privatfirmen. Bei allen 374 Stückgutbahnhöfen ist im Rahmen des Konzeptes „Stückgutfracht '88" die Übertragung des gesamten Ladedienstes an private Stückgutunternehmer vorgesehen.
Wieder einmal werden auf diese Weise Tausende von Vollarbeitsplätzen des öffentlichen Dienstes durch eine Vielzahl versicherungsfreier 410-DM-Verträge und wenige Dauerarbeitsplätze ersetzt. Das ist kein Beitrag zur Vollbeschäftigung.
Ich appelliere an die Bundesregierung, über die künftige Rolle der Bahn im Schienengûterverkehr der Fläche noch einmal grundsätzlich nachzudenken. Sie können sich aus Ihrer Verantwortung für die Lebensbedingungen im ländlichen Raum nicht herausstehlen. Es kann nicht im öffentlichen Interesse liegen, wenn in weiten Teilen unseres Landes der Lkw eine Monopolstellung erhält. Gehen Sie auf die Bedenken der Bundesländer ein, Herr Minister. Die Präsenz der Bahn im ländlichen Raum muß erhalten bleiben. Wir sollten dazu Wege finden.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kohn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unserer Diskussion heute abend liegen zwei Anträge der Fraktion DIE GRÜNEN zugrunde, nämlich einmal zum Thema „Stückgutfracht '88" der DB und zum zweiten zum Thema „Beabsichtigte Auflösung von Tarifpunkten im Wagenladungsverkehr der Deutschen Bundesbahn".
Lassen Sie mich zunächst zum ersten Thema, nämlich zum Thema „Stückgutfracht '88" folgendes sagen: Die Probleme liegen darin, daß wir seit Jahren eine negative Entwicklung haben, begründet darin, daß das gegenwärtige Leistungsangebot für normales Stückgut auf der Basis der klassischen Stückgutladeund Beförderungsorganisation der Bundesbahn hinsichtlich der Beförderungsschnelligkeit und -qualität den Marktanforderungen und Erfordernissen zunehmend nicht mehr entspricht.
Um die Marktfähigkeit und damit auch die Attraktivität der Deutschen Bundesbahn in diesem Teilmarktbereich zu stärken und der Entwicklung, die uns allen Sorgen macht, Einhalt zu gebieten, will die Bundesbahn ab Januar 1988 ihr Stückfrachtangebot wesentlich verbessern. Durch eine Optimierung der Ladeorganisation in Verbindung mit einer erheblichen Straffung der schienenbedienten Stückgutbahnhöfe wird die Standardleistung so verbessert, daß eine Haus-Haus-Beförderung in maximal 48 Stunden für alle Stückfrachtsendungen möglich wird. In Verkehrsverbindungen mit einem ausreichenden Verkehrsaufkommen, nämlich für Direktwagen, wird sogar eine Gesamttransportzeit von maximal 24 Stunden erreicht. Wie man vor diesem Hintergrund die Ausführungen machen kann, die wir von Herrn Weiss hier gehört haben, entzieht sich meinem Nachvollziehungsvermögen.
Zum zweiten Thema „Beabsichtigte Auflösung von Tarifpunkten im Wagenladungsverkehr der DeutKohn
schen Bundesbahn" heißt es in dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN, der uns vorliegt - ich zitiere - :
Der Bundestag wolle beschließen ..., daß die von der Deutschen Bundesbahn beabsichtigte Auflösung von 1 266 Tarifpunkten im Wagenladungsverkehr nicht vorgenommen wird.
Meine Damen und Herren, wenn man diese Zahl hört, denkt man, daß die Deutsche Bundesbahn völlig zusammenbrechen wird, wenn auch nur entfernt in dieser Richtung etwas geschehen könnte.
Was sind die Fakten? Tatsache ist, daß es hier nicht, wie durch Ihren Antrag suggeriert wird, oder jedenfalls nur in Ausnahmefällen, um Stellen mit Bahnhofsgebäuden handelt, sondern es geht - um es einmal ganz einfach zu sagen - um Waggonbeladestellen, wo z. B. ein Ladegleis oder eine Laderampe vorhanden ist oder wo kleine Gleisanschlüsse existieren. Das sind Stellen, an denen meist weniger als ein Wagen im täglichen Durchschnitt, manchmal sogar weniger als ein Wagen pro Woche aufgeliefert oder zugestellt wird.
Meine Damen und Herren, wir sagen: Güterverkehr der Bundesbahn muß nach unternehmerischen Gesichtspunkten betrieben werden.
({0})
Dies ist unsere Konzeption. Gegenwärtig laufen die Untersuchungen auf Realisierbarkeit und Wirtschaftlichkeit bei den Bundesbahndirektionen, um die Einzelmaßnahmen, desgleichen aber auch ihre Auswirkungen auf den Gesamtbereich des Güterverkehrs der Bahn zu untersuchen.
Meine Damen und Herren, auch hier muß man die Fakten zur Kenntnis nehmen. Die Deutsche Bundesbahn macht mit 30 % ihrer Tarifbahnhöfe im Wagenladungsverkehr über 95 % des Gesamtumsatzes. Die kleinsten 40 % der Bahnhöfe tragen nur noch mit 1 % zu diesem Umsatz bei.
({1})
Unser Grundsatz ist: Die Bahn muß auch im Güterverkehr ein leistungsfähiger Wettbewerber werden. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, das kann sie nur dadurch werden, daß man die Vorteile des Produktionssystems Rad/Schiene benutzt. Diese Vorteile gelten nun einmal - da helfen gar keine ideologischen Dogmen, Herr Kollege Weiss - nicht für die Feinverteilung in der Fläche. Das ist ein systembedingter Nachteil des Rad/Schiene-System. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen.
Aus diesem Grunde ist die FDP-Fraktion der Auffassung, daß wir die Anträge der Fraktion der GRÜNEN an die Ausschüsse überweisen sollten, um Ihnen, Herr Kollege Weiss, noch einmal im Detail die Gründe zu erläutern.
Lassen Sie mich am Schluß eines sagen. Wenn sich die GRÜNEN um das Thema Deutsche Bundesbahn kümmern wollen - ich nehme Ihnen das ab - , dann würde ich sie auffordern, mit uns gemeinsam, mit allen Fraktionen dieses Hauses und mit der Bundesregierung eine Konzeption zu entwickeln, die der Deutschen Bundesbahn im Jahre 2000 eine Chance gibt. Diese Chance liegt allein und ausschließlich darin, daß die Bundesbahn ein leistungsfähiger Wettbewerber wird, nämlich ein Verkehrsdienstleistungsunternehmen, das am Markt besteht. Alles andere ist unrealistisch. Wir sind bereit, diesen Weg zu gehen.
Es gilt durchaus als unfein, auf sich selbst zu verweisen. Aber ich darf darauf hinweisen, daß ich im Juni 1985 - damals noch in dem inzwischen fast abgerissenen alten Plenarsaal - einen 10-Punkte-Diskussionsvorschlag zur Deutschen Bundesbahn vorgelegt habe. Lassen Sie uns auf diesem Weg gehen. Dann hat die Deutsche Bundesbahn eine Zukunft.
Vielen Dank.
({2})
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Verkehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Wirtschaftskraft der ländlichen Räume mit ihren Klein- und Mittelstädten hängt entscheidend von der Verkehrserschließung und der Verkehrsbedienung ab.
({0})
Wenn ich sage: Wirtschaftskraft, dann heißt das im Klartext: Arbeitsplätze, Einkommen von Menschen, die Strukturwandel auf sich zu nehmen haben. Die Bundesregierung setzt für diese Stärkung der Wirtschaftskraft, setzt für diese Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen und Einkommen auf die Bahn, auch und gerade für den ländlichen Raum. Sie setzt auf eine Bahn, die den Strukturwandel bei sich selbst verkraftet und bewerkstelligt hat. Das kann nicht die Bahn des 19. Jahrhunderts sein. Das Hochgeschwindigkeitsnetz der 90er Jahre muß auch für den ländlichen Raum nutzbar gemacht werden. Seine Nutzung darf kein Privileg der Ballungsräume sein.
({1})
Natürlich kann man das nur machen, wenn man neue Konzeptionen entwickelt und wenn man nicht am alten festhält und dem immer nachbetet, sondern wenn man die Möglichkeiten des kombinierten Verkehrs einsetzt und gezielt nutzt.
Denn es ist in der Tat so, wie Kollege Jobst gesagt hat: Große Teile der verladenden Wirtschaft in der Räche haben sich von der Schiene verabschiedet. Das liegt beim Güterverkehr eben gerade daran, daß die Beförderungen oft zu lange dauern.
({2})
Für viele Verlader dauern sie unzumutbar lange. Das kann man nicht gesundbeten, sondern da muß man sich etwas einfallen lassen, wie die Bahn es sich hat einfallen lassen. Das ist in der Tat ein Durchbruch. Ich möchte denen die Hochachtung bekunden, die das fertiggebracht haben.
({3})
Ich möchte denen die Hochachtung bekunden, die die 24-Stunden-Garantie eingeführt haben: Geld zurück, wenn das Gut nicht in dieser Zeit beim Empfänger eingetroffen ist. In den etwas ungünstiger gelegenen Räumen ist es zunächst einmal die 48-Stunden-Garantie.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte sehr.
Bitte, Herr Haar.
Herr Minister, glauben Sie im Ernst, die Probleme durch die Schließung der Tarifpunkte, von denen die Rede war, durch das lösen zu können, was Sie im Augenblick als Angebot für die Zukunft vorhaben, also durch Neubaustrecken und kombinierten Verkehr?
Herr Kollege Haar, eben habe ich vom Stückgutverkehr gesprochen. Da sehe ich eine große Chance - ich glaube, Sie sollten Ihren Kollegen, die an der Ausarbeitung dieses Konzepts beteiligt waren, die Anerkennung nicht versagen - , daß auch die Schiene wieder für den Transport aus der Fläche und in die Fläche interessant werden kann, aber nur, wenn der kombinierte Verkehr angenommen wird.
({0})
Natürlich beabsichtigt die Bahn nicht, alle kleinen Stückgutbahnhöfe aufzulassen. Aber sie tut das, was notwendig ist. Sie gibt nach wie vor die Möglichkeit, da aufzuliefern, wo heute Stückgutbahnhöfe sind, und sorgt dafür, daß die Abfuhr schnell erfolgt.
({1})
Um die Zukunft der Bahn geht es auch, wenn von fast 4 000 Güterbahnhöfen nur 2 000 ein Verkehrsaufkommen - ({2})
- Herr Kollege Weiss, haben Sie sich mal erkundigt, wie lange es heute dauert, bis von einem dieser kleinen Stückgutbahnhöfe das Stückgut ankommt? Das dauert drei, vier, fünf Tage. In der Wirtschaft sagt man daher: Wir denken gar nicht daran, das zu akzeptieren. - Deshalb folgt die Wirtschaft Ihrem Rat nicht, würde meinem Rat nicht folgen und dem des Kollegen Haar auch nicht. Sie müssen sich etwas einfallen lassen, was angenommen wird, und nicht in einem Wolkenkuckucksheim herumtanzen.
({3})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Weiss ({0})?
Herr Kollege Weiss, ich bedaure. Sonst würde eine neue Diskussionsrunde eröffnet, und dann kriegte ich Ärger mit allen Beteiligten hier im Haus.
({0})
Ich wollte nur klarstellen: Um die Zukunft der Bahn geht es natürlich auch, wenn von 4 000 Güterbahnhöfen die Hälfte nur 1 % des Umsatzes des Güterverkehrs macht. Dennoch beabsichtigt die Bahn nicht, 1 260 Tarifpunkte wegfallen zu lassen. Das stimmt einfach nicht. Das ist eine Unterstellung, die bereits in Ihrem Antrag enthalten ist, Herr Kollege Weiss.
({1})
Die Bahn muß jetzt prüfen, wie sie den Wagenladungsverkehr so rationell wie möglich darstellen kann. Da wird sie sich einiges einfallen lassen müssen, damit der Wagenladungsverkehr aufrechterhalten bleiben kann. In der Tat ist nicht auszuschließen, daß es auch eine Reihe von Orten geben wird, wo man ihn, wenn täglich weniger als ein Stückgut, wöchentlich eines oder weniger als eines abläuft, nicht mehr aufrechterhalten kann.
Nur ist eines ganz sicher, Frau Kollegin Traupe: Wir gehen nicht davon aus, diesen Güterverkehr etwa gewinnbringend von der Bahn zu verlangen. Das kann sie nicht. Sie wird auch in Zukunft in Milliardenhöhe Unterstützung bekommen müssen. Aber die muß kalkulierbar bleiben. Ihr Prinzip der Verlustmaximierung können wir nicht mitmachen.
({2})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, die Anträge der Fraktion DIE GRÜNEN zum Güterverkehr der Deutschen Bundesbahn an die in der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung soll dieser Antrag auch noch an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau überwiesen werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gemeindeverkehrstinanzierungsgesetzes
- Drucksache 11/917 Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Verkehr ({0})
Innenausschuß
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß mitberatend und § 96 GO
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Brahmst-Rock, Weiss ({1}) und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eiDeutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 33. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 15. Oktober 1987 2265
Vizepräsident Stücklen
nes Gesetzes zur Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes
- Drucksache 11/923 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr ({2})
Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß mitberatend und § 96 GO
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte 30 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich stelle Zustimmung fest.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Verkehr.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes hat zwei Ziele: Einmal schreibt er die Mittel für die Gemeindeverkehrsfinanzierung auf einer bestimmten Höhe fest; gleichzeitig verbessert er die Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs in der Fläche.
Ich weiß, daß die Zustimmung zu einer solchen Festschreibung vielen hier im Hause nicht leichtfallen wird. Auch die Bundesregierung hat dies nicht leichthin vorgeschlagen. Wir folgen dem, was die Koalition und die sie tragenden Landesregierungen vereinbart haben, um den Schwerpunkt „große Steuerreform" finanziell zu ermöglichen. Mit dieser Reform wollen wir eine steuerliche Entlastung bewirken, die in der Finanzgeschichte ihresgleichen sucht. Wir halten es deswegen in der Tat für verantwortbar, für einen begrenzten Zeitraum Entlastungen des Haushaltes vor Ausgabensteigerungen zu setzen. Wir vertrauen darauf, daß die gesteigerten Leistungsanreize und die zunehmende Investitionskraft zu einer Grundlage für eine solide Entwicklung des Bruttosozialprodukts werden, die dann auch wieder verstärkte öffentliche Investitionen ermöglicht.
Natürlich gibt es noch Bedarf für kommunalen Straßenbau, und die Bundesregierung hält die Anträge der GRÜNEN, die dem kommunalen Straßenbau insgesamt den Garaus machen würden, für abwegig. Sie übersehen, daß gerade die Sicherheit des Menschen im Verkehr
({0})
und der Schutz der Umwelt nur dann gewährleistet sind, wenn ausreichend innerörtlicher Straßenraum zur Verfügung steht.
({1})
Die Frage ist nur, in welcher Höhe sich der Bund in Zukunft an der Finanzierung dieses gemeindlichen Straßenbaus beteiligen kann. Dabei ist nicht zu übersehen, daß sich die Finanzlage von Bund, Ländern und Gemeinden seit 1982 zuungunsten des Bundes verändert hat.
Es ist erfreulich, daß der Bundesrat grundsätzlich einer Plafondierung der Mittel für die Finanzierung der gemeindlichen Verkehrsbedürfnisse zugestimmt hat. Die Bundesregierung muß jedoch aus den dargelegten Gründen auf der von ihr vorgeschlagenen Begrenzung auf 2,5 Milliarden DM bestehen.
Der Koalitionsvereinbarung gemäß wurde ein Gesetzentwurf eingebracht, der das Aufteilungsverhältnis der Fördermittel zugunsten des öffentlichen Personennahverkehrs verschiebt.
Im Bundesrat und im Bundestag sind nun gewichtige Stimmen lautgeworden, die für die Beibehaltung des gegenwärtigen Aufteilungsverhältnisses plädieren. Die Ausschußberatungen werden uns Gelegenheit geben, gemeinsam eine sachgerechte Lösung zu erarbeiten.
Nur, so wichtig die Straßen in den ländlichen Räumen, in den Klein- und Mittelstädten sein mögen: Wir dürfen die Menschen, die in der Fläche leben, nicht allein auf den Individualverkehr verweisen. Es wird immer Mitbürger geben, die auf öffentliche Nahverkehrsmittel angewiesen sind.
({2})
Ich denke an die Schüler und an die Lehrlinge, ich denke an ältere Mitbürger und an Behinderte, und ich denke an die Hausfrauen aus jenen Haushalten, in denen eben noch nicht das Zweit- und Drittauto vorhanden ist. Auch an sie haben wir zu denken; auch ihre Bedürfnisse dürfen wir nicht vernachlässigen.
({3})
Für den öffentlichen Personennahverkehr ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten viel getan worden,
({4})
nämlich in den Ballungsräumen, z. B. in München, Herr Kollege Weiss. Rund 90 % der Finanzhilfen des Bundes für den öffentlichen Nahverkehr sind dorthin geflossen, und dort sind Jahrhundertbauwerke entstanden - U-Bahnen, S-Bahnen - , die auch in kommenden Generationen zur Entlastung der Straßen beitragen werden.
({5})
- Ich freue mich, daß Sie auch Stuttgart unterstreichen; Herr Rommel hat seinen Anteil an diesen Entwicklungen. - Die meisten städtischen Verdichtungsräume verfügen heute durchweg über attraktive und leistungsfähige Angebote des öffentlichen Personennahverkehrs.
Nur, meine Kolleginnen und Kollegen, in der Fläche sieht das ganz anders aus. Hier ist der öffentliche Personennahverkehr in den letzten Jahren immer unattraktiver geworden, weil die öffentlichen Verkehrsleistungen immer mehr zurückgefahren werden mußten. Das ist Folge des rapiden Fahrgastrückgangs und der damit abnehmenden Eigenwirtschaftlichkeit.
({6})
- Nein, weil der Arbeitnehmer, meine sehr verehrten Kollegen, die Sie ja wohl auch diesen Kreis vertreten wollen, es sich nicht vorschreiben läßt, wenn er in 20 Minuten von Haus zu Haus fahren kann, statt dessen
mit 10 Minuten Anmarsch zum Bahnhof und 10 Minuten Wartezeit in der nächsten Stadt, bis der Bus kommt, das Dreifache und Vierfache dieser Zeit für seinen Weg zum Arbeitsplatz verfahren zu müssen. Dies ist der Grund. Wir bekennen uns auch dazu, daß wir ihm diese Möglichkeit verschafft haben.
Aber der ländliche Raum hat Anspruch auf unser Augenmerk. Ein erster Schritt hin zu Lösungen, die auf den Bedarf der Regionen abgestimmt sind, ist der vorliegende Gesetzentwurf.
Die Bundesregierung schlägt vor, die Beschaffung von Omnibussen im Linienverkehr, die für eine nachhaltige Verbesserung der Verkehrsverhältnisse im ländlichen Raum sorgen können, zu fördern, und sie schließt sich auch der Auffassung des Bundesrates an, daß dies nicht nur für die Aufstockung bestehender Busbestände, sondern auch für die Ersatzinvestitionen gelten muß.
({7})
- Ich bedaure, Herr Kollege Weiss. Ich sehe gerade, daß meine Redezeit zu Ende ist.
Ich möchte Sie bitten, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen und in diesem Sinne dem lange als Restgröße vernachlässigten öffentlichen Personennahverkehr im ländlichen Raum die Unterstützung von seiten des Parlaments zuteil werden zu lassen, auf die er Anspruch hat.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kretkowski.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube nicht, Herr Bundesverkehrsminister, daß wir diesem Gesetzentwurf - auch nach den Beratungen im Ausschuß - unsere Zustimmung geben können; denn die von der Bundesregierung geplante Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes ist aus unserer Sicht ein erneuter unzulässiger Versuch der Bundesregierung, ihre eigenen Finanzschwierigkeiten auf Kosten der Gemeinden und des Steuerzahlers - in diesem Fall des Autofahrers - zu lösen.
Die vorgesehene Kürzung trifft die Gemeinden zu einem Zeitpunkt, in dem sie durch die immer mehr wachsende Last der Sozialhilfe, die der Bund schon auf die Kommunen abgewälzt hat - dazu kommen noch die steuerlichen Belastungen durch die sogenannte Steuerreform - , ohnehin schon stark von der Regierung gerupft werden. Das führt zu radikalen Baustopps im kommunalen Straßenbau bei vordringlichen Projekten mit entsprechenden Arbeitsverlusten in der Bauindustrie. Das ist schlimm für eine Industrie, die ohnehin unter erheblichem Auftragsmangel leidet.
Nach Meinung der Bundesregierung ist der Finanzbedarf im kommunalen Straßenbau - so klang es jedenfalls im Vorfeld dieser Sitzung - zurückgegangen. Ich frage mich, ob diese Herren in der Bundesregierung überhaupt noch wissen, was im Lande los ist, wenn sie zu einer so völlig falschen und fatalen Beurteilung kommen. Ihre Erklärungsansätze müssen von jenen bekannten Wesen stammen, die nebeneinander sitzen und nichts hören, nichts sehen und nichts sagen können.
Die Realität sieht doch so aus: Projekte wie Tunnels, Unterführungen, Lärmschutzanlagen, Ortsumgehungen, Radwege, Verkehrsberuhigung, Verknüpfung von öffentlichem und Individualverkehr werden von der Bevölkerung immer stärker gefordert und ziehen einen steigenden Finanzbedarf nach sich.
({0})
Wir brauchen keine Beschneidung des Finanzrahmens, sondern Investitionen, die zur Modernisierung unseres Verkehrssystems unter ökonomischen, ökologischen und sozialverträglichen Gesichtspunkten führen. Die vorgesehene Kürzung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes ist also ein Schlag ins Gesicht für alle die, die Umweltschutz im Straßenbau und Verbesserung der Verkehrssicherheit ernst nehmen. Oder wie kann man bei der sich täglich darstellenden Verkehrssituation auf unseren Straßen den Bürgerinnen und Bürgern, die als Autofahrer, als Anwohner, als Fußgänger oder Radfahrer an diesen Zuständen teilhaben, erklären, daß Sie Finanzmittel streichen, die zur Entlastung dieser Situation führen könnten?
Ich sage Ihnen: Ihre GVFG-Novelle ist eine Betrug am Autofahrer.
({1})
Im bürgerlichen Geschäftsverkehr wäre ein solcher Vorgang strafbar. Stellen Sie sich vor, Sie kaufen eine Ware, bezahlen sie und erhalten nur die Hälfte dieser Ware zu Ihrer Verfügung. Solches Geschäftsgebaren muten Sie dem deutschen Autofahrer zu. Sie lassen ihn über die Mineralölsteuer den kommunalen Straßenbau bezahlen. Die volle Auslieferung dieser Ware Straßenbau verweigern Sie ihm.
Das Finanzvolumen für den kommunalen Straßenbau ist durch zweckgebundene Erhöhung der Mineralölsteuer geschaffen worden. Die Bundesregierung hätte deshalb die Mineralölsteuer in dem Umfang senken müssen, in dem sie den kommunalen Straßenbau jetzt vermindern will. Genau dies möchte sie aber vermeiden. Hier geht es ausschließlich darum, sich zusätzliche Einnahmen im Bundeshaushalt zu verschaffen. Im Kern handelt es sich deshalb um eine Steuererhöhung durch die Hintertür.
Meine Damen und Herren, ein besonders ausbaldowerter Etikettenschwindel ist der Vorschlag der befristeten Einbeziehung von Omnibussen in die Förderung. Hier soll der Schein verkehrspolitischer Aktivitäten gewahrt werden; aber in Wirklichkeit ist diese angebliche Förderung des ÖPNV in der Fläche so angelegt, daß nur der Kauf zusätzlicher Busse für neue Linien oder Taktverdichtungen zuschußfähig sein soll. Als ob in der Fläche überhaupt noch Taktverdichtung und zusätzliche Linien stattfinden würden! Wir wären doch schon froh, wenn in der Fläche überhaupt noch ÖPNV stattfindet, den Sie ja überall abbauen.
({2})
So käme dann eigentlich nur die Bundesbahn in den Genuß dieser GVFG-Mittel, und zwar als Belohnung für Streckenstillegungen; denn das sind die einzigen
Fälle, in denen noch neue Buslinien entstehen. Damit würde die Bundesbahn geradezu in die Streckenstillegung gedrängt, und der Bund spart obendrein auch noch den Zuschuß bei den allgemeinen Haushaltsmitteln, die er sonst der Bundesbahn zuweisen müßte.
Im übrigen, meine Damen und Herren, weisen eine Reihe ernstzunehmender Verkehrsjuristen darauf hin, daß eine Begrenzung der Förderung auf zusätzliche Busse für neue Linien für den ländlichen Raum rechtlich unzulässig sei.
Die SPD-Bundestagsfraktion lehnt deshalb diesen unausgegorenen Gesetzentwurf ab.
({3})
Vielleicht finden wir, Kollege Pfeffermann, auch in Ihren Reihen noch Mitstreiter für unsere Überlegungen. Ich bin nicht sicher, daß dieser Entwurf so im Bundestag eine Mehrheit findet. Ich darf Ihnen einen Tip für Ihre Überlegungen geben: Wenn es der Bundesregierung wirklich um die Einsparung überflüssiger Straßenbauprojekte geht, fangen Sie bei Ihren eigenen Straßen an, stoppen Sie den Bau jener unsinnigen, gigantischen Prestigeobjekte im Autobahnbau, im Bundesfernstraßenbau,
({4})
die überflüssig sind, die schädlich sind und die niemand will. Dazu haben wir in der letzten Legislaturperiode einen Antrag im Parlament eingebracht,
({5})
den Sie leider abgelehnt haben, Herr Kollege. Wir werden ihn, wenn Sie das gern wünschen, wieder einbringen. Dann stimmen Sie ihm zu, dann haben wir genug Geld.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rauen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundesverkehrsminister hat das neue von der Regierung eingebrachte Gesetz vorgestellt und die Veränderungen gegenüber dem alten Gesetz verdeutlicht. Er hat gleichzeitig angedeutet, daß dieses Gesetz umstritten ist.
Der Gesetzentwurf geht davon aus, daß der Bedarf an kommunalem Straßenbau zurückgehe. Diese Annahme ist falsch. Diese Annahme stellt die Wirklichkeit, insbesondere im ländlichen Raum, auf den Kopf. In dem Wahlkreis, aus dem ich komme - das ist der Eifelwahlkreis mit den Kreisen Bernkastel-Wittlich, Daun und Prüm - gibt es bei insgesamt 444 Gemeinden ein Kreisstraßennetz von 1 735 km. Ich weiß, daß nur ein Bruchteil der notwendigen Maßnahmen, die in das Programm nach dem GVFG aufgenommen sind, finanziert werden können, von den berechtigtermaBen angemeldeten und noch nicht aufgenommenen Maßnahmen ganz zu schweigen.
Dies ist aber nicht nur eine Erfahrung in meinem Wahlkreis. Ausnahmslos alle Bundesländer haben sich im Bundesrat gegen eine Kürzung beim kommunalen Straßenbau ausgesprochen, weil sie ausführten, nach wie vor einen erhöhten Bedarf zu haben. Die kommunalen Spitzenverbände haben sich in gleicher Weise sehr eindringlich geäußert.
Die Finanzmittel zur Finanzierung der Maßnahmen nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz bringen die Autofahrer mit einem Anteil von 4,5 Pfennig pro Liter Kraftstoff an der Mineralölsteuer auf. Nach dem Gesetz von 1971 sind diese Steueraufkommen zweckgebunden zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden aufzuwenden. Im Zeitraum von 1967 bis einschließlich 1985 wurde von den Autofahrern in insgesamt sechs Bundesländern, die keinen oder nur wenig Bedarf an U- und S-Bahnen hatten, 3,964 Milliarden DM zur Finanzierung von bedarfsorientierten ÖPNV-Projekten in den Ballungsräumen aufgebracht. Der Herr Minister hat schon gesagt, daß 91 % der ÖPNV-Mitteln von 1967 bis einschließlich 1986 in die Ballungsräume geflossen sind.
Eine Änderung des GVFG zum jetzigen Zeitpunkt kann und darf nicht zu Lasten des kommunalen Straßenbaus und damit zu Lasten der Flächenländer, des ländlichen Raumes, gehen. Sie darf auch nicht zu Lasten von Arbeitsplätzen gehen. Denn die im Gesetzentwurf vorgesehene Kürzung und Verschiebung der Mittel plus die Anteilsfinanzierung der Länder und Gemeinden in Verbindung mit den fehlenden privaten Anschlußinvestitonen ergeben einen Verlust an Bauinvestitionen von jährlich 1,5 Milliarden DM. Dies ist aus arbeitsmarktpolitischen Gründen nicht verantwortbar, zumal es überwiegend kleine und mittlere Unternehmen und deren Arbeitnehmer in strukturschwachen Räumen treffen würde. Darüber hinaus ist der Ausbau klassifizierter Straßen in Gemeinden und Städten in aller Regel Voraussetzung zur Stadt- und Dorfsanierung.
Wenn schon zukünftig die Mittel für die Gemeindeverkehrsfinanzierung plafondiert werden sollen, so müßte bei einer Änderung des Gesetzes folgendes beachtet werden:
Erstens. Unter Einhaltung der Gesamtausgaben des Bundeshaushaltes für 1988 sind im Rahmen der Haushaltsplanberatungen Wege zu finden, den Ansatz von 2,5 Milliarden DM wesentlich zu erhöhen. Die dazu notwendigen Einsparungen dürfen jedoch nicht zu Lasten anderer Investitionen im Verkehrshaushalt gehen.
Zweitens. Der Verteilungsschlüssel ÖPNV zu kommunalem Straßenbau von 50 : 50 muß beibehalten werden.
Drittens. Da viele Bundesländer aus der Erfahrung der Vergangenheit keinen oder nur wenig Bedarf an ÖPNV-Projekten nachweisen konnten, muß es zukünftig möglich sein, daß nicht nur Mittel vom kommunalen Straßenbau in den ÖPNV umgeschichtet werden können, sondern es muß auch möglich sein, daß Mittel aus dem ÖPNV in den kommunalen Straßenbau umgeschichtet werden können. Um aus der bisherigen Einbahnstraße eine Zweibahnstraße zu machen, ist der Vorschlag des Bundesrates gemäß Ziff. 8 der Druchsache 11/917 bestens geeignet. Die
dadurch geschaffene größere Flexibilität in Verbindung mit § 10 Abs. 3 des GVFG ermöglicht es den Ländern, in ihrer Verantwortung gemäß dem Bedarf und den regionalen Sonderheiten zu entscheiden, ob sie mehr Investitionen für ÖPNV-Projekte oder den kommunalen Straßenbau tätigen.
Viertens. Die nach dem Gesetz beabsichtigte Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs in der Fläche wird sehr begrüßt. Die Förderung darf sich aber nicht nur auf die Erstbeschaffung von Bussen zur Verdichtung und Erweiterung von Buslinien beschränken. Die Probleme des ÖPNV in der Fläche sind nämlich nicht neue Linien und neue Busse, sondern Busse, die ohne Fahrgäste als Geisterbusse die vorhandenen Linien abfahren, weil entweder die Busse nicht modern genug sind oder die Menschen nicht wissen, wie sie an die Haltestellen der Buslinien gelangen sollen. Deshalb ist die Förderung auszudehnen auf die Ersatzbeschaffung und vor allen Dingen auf die Erarbeitung funktionierender Leitsysteme.
Ich hoffe, daß es im Rahmen der Beratungen zur Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes gelingt, die hier vorgetragenen Zielsetzungen umzusetzen.
Der Antrag der Fraktion der GRÜNEN zur Änderung des GVFG ist, obwohl er gegenüber dem Entwurf der Bundesregierung einen Rahmen von 2,6 Milliarden DM mehr Finanzmittel vorsieht, nicht geeignet, die Verkehrsverhältnisse der Gemeinden zu verbessern. Für den Straßenbau gibt es nach diesem Vorschlag nur noch Geld, wenn die Straßen abgebaut werden. Der Bau von Rad- und Fußwegen ist danach wichtiger als der Bau von Bundesautobahnen und Fernstraßen. Unter dem Motto „Jedem Dorf seinen Gleisanschluß" soll über das GVFG der Hebel angesetzt werden, aus einem Volk von Autofahrern zwangsweise Benutzer des öffentlichen Personennahverkehrs zu machen. Der Entwurf der GRÜNEN ist in keinster Weise geeignet, die Verkehrsinfrastruktur von morgen zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen zu gestalten, und deshalb nicht annehmbar.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Brahmst-Rock.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Entwürfe zur Novellierung des Straßenverkehrsfinanzierungsgesetzes liegen uns heute vor. Aber wenn ich den Kollegen Rauen eben richtig verstanden habe, ist der Entwurf der Bundesregierung quer durch alle Parteien sehr umstritten. Auch in der eigenen Partei des Bundesverkehrsministers findet er offensichtlich keine Zustimmung.
({0})
Ich denke auch, daß dieser Entwurf zu einer Schwächung des öffentlichen Personennahverkehrs führen wird. Wir dagegen haben in unserem Entwurf den Versuch gemacht, gerade den öffentlichen Personennahverkehr zu stärken.
Ich möchte aber noch ein paar Worte zu dem Entwurf der Bundesregierung sagen. Die mit der Plafondierung der Mittel im GVFG zusammenhängende Mittelkürzung um 10 % macht sehr deutlich, in welche Richtung gedacht wird und daß die Bundesregierung zwar von einer Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs redet, aber im konkreten Handeln genau das Gegenteil davon tut.
({1})
Obwohl das Mineralölsteueraufkommen in den vergangenen Jahren durch erhöhten Verbrauch angestiegen ist, sollen die Anteile aus diesem Steueraufkommen, die dem GVFG zufließen, gekürzt werden. Da ist das Zahlenspiel, daß die Festsetzung die Förderungsanteile 60 % öffentlicher Personennahverkehr und 40 % für den kommunalen Straßenbau darstellt, kein geeigneter Ansatz für eine Umorientierung der Förderungsströme weg vom Individualverkehr, hin zum öffentlichen Verkehr.
({2})
Der öffentliche Personennahverkehr in der Fläche wird damit mit Sicherheit nicht gefördert. Damit werden von der doch sonst so populistisch denkenden Bundesregierung 70 % der Fläche und immerhin 55 % der Bewohnerinnen und Bewohner unseres Landes, also die Mehrheit, werter Kollege Pfeffermann, von einer angemessenen Ausstattung mit öffentlichen Verkehrsmitteln ausgeschlossen.
({3})
Wie sollen denn die 35 % des derzeit abgewickelten öffentlichen Verkehrs, also der öffentliche Verkehr in der Fläche, gesichert werden? Doch sicherlich nicht mit diesem Gesetzentwurf. Sie schließen mit Ihren Vorschlägen eine Mehrheit unserer Bevölkerung von einem akzeptablen und vor allen Dingen auch bezahlbaren öffentlichen Personennahverkehr aus.
Es ist leicht, dem Entwurf auch inhaltlich deutlich anzusehen, wes Geistes Kind er ist. Er wurde off en-sichtlich nicht von Verkehrspolitikern unter der Prämisse einer Verbesserung der augenblicklichen Situation entworfen, sondern vom Finanzministerium zur Verbesserung der mißratenen Lage der Bundeskasse.
Es ist schon erhellend, wenn man die inhaltliche Begründung der Bundesregierung für ihren eigenen Entwurf einmal im Kontext mit den sonstigen verkehrspolitischen Veröffentlichungen der Bundesregierung betrachtet. Da sollen laut Entwurf die neuen Omnibusse gefördert werden. Das ist eine durchaus begrüßenswerte Absicht, nur muß man sich fragen: Was steckt dahinter? Durch die Förderung von Omnibussen wird die Stillegung unrentabler Schienenstrecken der Deutschen Bundesbahn erleichtert. Dies ist beileibe keine bösartige Unterstellung von uns, sondern das wörtliche Zitat aus der Antragsbegründung dieser Bundesregierung. Dahin soll also die Reise gehen: Umstrukturierung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes, um den endgültigen Kahlschlag im Nahverkehr der Bundesbahn vorzubereiten. Aber dann seien Sie doch bitte so ehrlich und nennen Sie diesen Entwurf nicht „Gesetz für Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs".
Unser Gesetzentwurf dagegen will den öffentlichen Personennahverkehr stärken, und dies nicht nur durch schöne Überschriften und blumige Formulierungen. Unser Entwurf orientiert sich an den offen zutage tretenden Notwendigkeiten von Umweltschutz und an den Bedürfnissen der betroffenen Menschen. Wie Sie wissen, leben immerhin 55 % der Menschen in ländlichen Räumen und eben nicht in Ballungsräumen. Für diese Mehrheit muß dringend etwas getan werden, um sie nicht länger durch Nichthandeln zum Autofahren zu zwingen;
({4})
denn es muß eine tatsächliche Freiheit der Wahl der Verkehrsmittel geben.
Deswegen machen wir folgende Punkte zu Schwerpunkten unseres Entwurfes: die Verkehrsberuhigung, Lärmentlastung und Umweltschutzentlastung, der Ausbau der Radwege und der Gehwege. Wenn Sie einmal genau schauen, daß das sicherlich sehr viel mehr Arbeitsplätze sichert als der Bundesfernstraßenbau, dann müßten wir dazu auch Ihre Zustimmung finden.
Frau Kollegin, inzwischen ist die Lampe rot geworden.
Dann muß ich jetzt ja Schluß machen.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat die Finanzmittel des Bundes für den kommunalen Straßenbau festgeschrieben. Die Investitionen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden sollen künftig auf 2,5 Milliarden DM jährlich begrenzt werden.
Ich bekenne freimütig, daß mich die Ankündigung dieser Maßnahmen nicht zu übermäßigem Jubel veranlaßt hat; denn ich habe große Zweifel, ob das Argument, es gebe nicht mehr einen so großen Bedarf im Straßenbau und im öffentlichen Personennahverkehr, wirklich greift. Das Gegenteil scheint mir der Fall. Zwar gab es in der Vergangenheit durchaus Bundesländer - ich nenne Hessen nur als Beispiel -, die Straßenbauvorhaben aus ideologischen Gründen verzögert haben, aber gerade aus dieser Gegend wird jetzt ein erheblicher Nachholbedarf gemeldet.
Meine Damen und Herren, aus diesem Grunde habe ich auch Verständnis für die Haltung des Bundesrates, der der Plafondierung zwar zustimmen wollte, aber auf einem höheren Niveau. Tatsächlich sind ja der kommunale Straßenbau und der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs auch weiterhin wichtige gemeinsame Aufgaben von Bund und Ländern. Offensichtlich haben sich aber der Bund und die Mehrzahl der Länder nunmehr verständigt; die erzielte Einigung ist zwar nicht isoliert, wohl aber im Zusammenhang mit der Neuordnung des Länderfinanzausgleichs verständlich.
Die Verantwortung liegt jetzt bei den Ländern, die 600 Millionen DM, die sie auf diesem Wege - auf dem Wege des Länderfinanzausgleichs - zusätzlich bekommen, so einzusetzen, daß die Belange des Verkehrs nicht zu kurz kommen. Hier kann man nur an die Länderminister appellieren, ihrer Verantwortung für den Verkehrsbereich gerecht zu werden.
({0})
Tatsächlich ist der öffentliche Personennahverkehr insbesondere ein Problem in den Gebieten außerhalb der Ballungsräume. Die Einbeziehung von Omnibussen in die Förderung außerhalb der Ballungsräume wird von uns sehr begrüßt, auch wenn es richtig ist, daß es teilweise sehr viel stärker darum geht, die bestehenden Linien zu erhalten, als neue einzurichten. Dies ist ein Problem, das in den Ausschußberatungen sicherlich noch eine große Rolle spielen wird. Die inhaltliche Diskussion werden wir in den Ausschüssen vertieft führen können.
Zum Gesetzentwurf der GRÜNEN möchte ich abschließend nur anmerken, daß er nach unserer Meinung nicht zustimmungsfähig ist. Die Finanzierungsvorstellung, u. a. über eine sechs Pfennig je Liter höhere Mineralölsteuer, scheint mir eher ein Schnellschuß aus der Hüfte zu sein. Und die Quasi-Einstellung jeglichen Straßenbaus wird den Erfordernissen unserer Gesellschaft in keiner Weise gerecht.
({1})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung sowie des Gesetzentwurfs der Fraktion DIE GRÜNEN zur Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Allerdings soll der Gesetzentwurf der Bundesregierung zusätzlich zur Mitberatung an den Wirtschaftsausschuß und der Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN nicht zur Mitberatung an den Finanzausschuß überwiesen werden. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann kann - wie in der Tagesordnung vorgesehen und von mir ergänzt - so verfahren werden.
Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN
Menschenrechtsverletzungen in Tibet
- Drucksache 11/953 -Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß
Meine Damen und Herren, interfraktionell ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden.
({0})
- Interfraktionell ist vereinbart worden, die Debatte
mit einem Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Frak2270
Vizepräsident Stücklen
tion durchzuführen. Das ist die interfraktionelle Vereinbarung.
({1})
- Also, wenn Sie davon abweichen wollen, hätten Sie zu dem Punkt zur Geschäftsordnung sprechen sollen.
({2})
- Einen Moment! Ich frage das Haus, ob es mit dem Vorschlag des Ältestenrates einverstanden ist.
({3})
- Nicht einverstanden. Gut, dann kommen Sie einmal herauf, Herr Bohl, und sagen Sie, warum Sie nicht einverstanden sind.
({4})
Darf ich erst einen Schluck Wasser trinken, Herr Präsident.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben unter den Fraktionen Einigkeit darüber erzielt, daß es insbesondere in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit vielleicht doch ganz sinnvoll wäre, auf eine Aussprache zu verzichten und über den vorliegenden Antrag sofort abzustimmen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Zur Geschäftsordnung, Frau Kollegin Hamm-Brücher.
Herr Präsident, ich möchte mich für die FDP diesem Abstimmungsvorschlag aus voller Überzeugung anschließen, da wir ja bereits in der letzten Woche über den Antrag debattiert haben und ihn nur aus formalen Gründen noch nicht verabschieden konnten.
Vielen Dank.
Weiter zur Geschäftsordnung? - Bitte sehr.
Herr Präsident, ich denke, daß wir in Anbetracht der Tatsache, daß dieses Thema hier in der letzten Woche ausführlich behandelt worden ist, über diesen Vorschlag sofort abstimmen lassen können.
Weiter zur Geschäftsordnung, Herr Abgeordneter Becker.
Herr Präsident, ich stimme meinen Vorrednerinnen und meinem Vorredner zu.
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Es geschehen noch Zeichen und Wunder.
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Im Ältestenrat waren Sie alle einig,
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fünf Minuten zu diskutieren. Inzwischen sind Sie alle einig, daß sofort abgestimmt werden soll. Das ist auch für den Präsidenten eine wunderbare Sache.
Also, meine Damen und Herren, Sie sollten wissen, worüber Sie abstimmen. Sie stimmen ab über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und DIE GRÜNEN „Menschenrechtsverletzungen in Tibet". Sind Sie alle einverstanden?
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Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Keine. Enthaltungen? - Keine. Das Haus ist mit großer Geschlossenheit für diesen Antrag.
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Damit sind wir am Schluß der heutigen Tagesordnung angelangt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 16. Oktober 1987, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.