Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich habe zunächst vor Eintritt in die Tagesordnung eine Korrektur des gestrigen Abstimmungsergebnisses bekanntzugeben. Bei der Auszählung ist die Nein-Stimme eines Berliner Abgeordneten versehentlich bei den voll stimmberechtigten Mitgliedern mitgezählt worden. Insoweit muß das Ergebnis der gestrigen Wahl korrigiert werden.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Bekanntgabe der Bildung der Bundesregierung
Der Herr Bundespräsident hat mir hierzu mit Schreiben vom heutigen Tage mitgeteilt:
Gemäß Artikel 64 Absatz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland habe ich heute auf Vorschlag des Herrn Bundeskanzlers ernannt:
Herrn
Hans-Dietrich Genscher
zum Bundesminister des Auswärtigen
Herrn
Dr. Friedrich Zimmermann
zum Bundesminister des Innern
Herrn
Hans Engelhard
zum Bundesminister der Justiz
Herrn
Dr. Gerhard Stoltenberg
zum Bundesminister der Finanzen
({0})
Herrn
Dr. Martin Bangemann
zum Bundesminister für Wirtschaft
Herrn
Ignaz Kiechle
zum Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Frau
Dr. Dorothee Wilms
zum Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen
Herrn
Dr. Norbert Blüm
zum Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung
Herrn
Dr. Manfred Wörner
zum Bundesminister der Verteidigung
Frau
Prof. Dr. Rita Süssmuth
zum Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Herrn
Dr. Jürgen Warnke
zum Bundesminister für Verkehr
Herrn
Dr. Walter Wallmann
zum Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Herrn
Dr. Christian Schwarz-Schilling
zum Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen
Herrn
Dr. Oscar Schneider
zum Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
({1})
Herrn
Dr. Heinz Riesenhuber
zum Bundesminister für Forschung und Technologie
Herrn
Jürgen Möllemann
zum Bundesminister für Bildung und Wissenschaft
({2})
Herrn
Hans Klein
zum Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Herrn
Dr. Wolfgang Schäuble
zum Bundesminister für besondere Aufgaben
Präsident Dr. Jenninger
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Eidesleistung der Bundesminister
({3})
Meine Damen und Herren, nach Art. 64 des Grundgesetzes leisten die Bundesminister bei der Amtsübernahme vor dem Bundestag den in Art. 56 des Grundgesetzes vorgesehenen Eid. Ich werde den Eid vorsprechen und bitte dann die Mitglieder der Bundesregierung, ihn mit den Worten „Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe" oder „Ich schwöre es" zu bekräftigen.
Der Eid lautet:
Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.
Ich darf jetzt die Bundesminister zur Eidesleistung bitten und sie fragen, ob sie bereit sind, den Eid zu leisten.
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herr Bundesminister Dr. Zimmermann.
({0})
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herr Bundesminister Engelhard.
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herr Bundesminister Dr. Stoltenberg.
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
({0})
Herr Bundesminister Dr. Bangemann.
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herr Bundesminister Kiechle.
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Frau Bundesminister Dr. Wilms.
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herr Bundesminister Dr. Blüm.
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herr Bundesminister Dr. Wörner.
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Frau Bundesminister Professor Dr. Süssmuth.
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herr Bundesminister Dr. Warnke.
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herr Bundesminister Dr. Wallmann.
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herr Bundesminister Dr. Schwarz-Schilling.
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herr Bundesminister Dr. Schneider.
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herr Bundesminister Dr. Riesenhuber.
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herr Bundesminister Möllemann.
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herr Bundesminister Klein.
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
({0})
Herr Bundesminister Dr. Schäuble.
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Meine Damen und Herren, die Mitglieder der Bundesregierung haben den nach Art. 64 Abs. 2 des Grundgesetzes vorgeschriebenen Eid bei der Amtsübernahme vor dem Deutschen Bundestag geleistet. Ich spreche den Mitgliedern der Bundesregierung für ihre verantwortungsvolle Arbeit die guten Wünsche des Hauses aus. Den ausscheidenden Bundesministern spreche ich den Dank des Hauses für ihre Arbeit aus.
({0})
Meine Damen und Herren, ich unterbreche jetzt die Sitzung. Wir setzen unsere Beratungen um 17 Uhr mit der Aktuellen Stunde fort.
({1})
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren, bevor ich den Tagesordnungspunkt 3, Aktuelle Stunde, aufrufe, muß ich auf den Ablauf der Vereidigung der Bundesminister zurückkommen.
Meine Damen und Herren, die Eidesleistung der Mitglieder der Bundesregierung ist eine vom Grundgesetz vorgeschriebene Verpflichtung. Der Eid ist vor dem Deutschen Bundestag und damit gleichzeitig vor der Öffentlichkeit unseres Volkes abzulegen. Der Eid ist Ausdruck der Werteordnung unserer parlamentarischen Demokratie. Er ist zugleich Maßstab für die hohen ethischen Anforderungen an den Inhaber eines Regierungsamtes. Die Eidesleistung der Mitglieder der Bundesregierung vor dem Deutschen Bundestag ist eines der herausragenden Ereignisse in unserem Staat. Es hat bisher zu unserer gewachsenen und auf allgemeinem Konsens beruhenden Tradition gehört, die Würde dieser Eidesleistung nicht anzutasten, sie also, durch wen auch immer, nicht verletzen zu lassen. Als Präsident dieses Hauses, aber auch persönlich erfüllt es mich mit großer Sorge, daß dies heute dennoch geschehen konnte.
Der Abgeordnete Stratmann hat mit seinem Zwischenruf während der religiösen Beteuerung des Eides durch den Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit die religiösen Gefühle des Bundesministers und eines großen Teiles unseres Volkes verletzt. Er hat damit gröblich gegen die Ordnung des Hauses verstoßen. Ich schließe ihn nach § 38 unserer Geschäftsordnung für diesen und den nächsten Sitzungstag von den Verhandlungen des Deutschen Bundestages aus.
({0})
- Herr Kollege Kleinert, es gibt zu dieser Maßnahme des Präsidenten nach § 36 unserer Geschäftsordnung keine Debatte.
Ich bitte Sie, Herr Kollege Stratmann, unverzüglich den Plenarsaal zu verlassen.
({1})
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 3, Aktuelle Stunde, auf.
({2})
- Sie müssen sich zu Wort melden.
({3})
Aber Sie wissen: Es darf, wie ich Ihnen gesagt habe, nicht zu dem ersten Punkt gesprochen werden,
({4})
- Sie wollen einen Antrag zur Geschäftsordnung stellen?
({5})
- Bitte sehr, das Wort zu einem Antrag zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Kleinert.
Ich weiß selbstverständlich, daß es nicht gestattet ist, eine Maßnahme des Präsidenten zu kritisieren. Ich möchte dennoch an dieser Stelle beantragen, daß über die Dinge, die mit den Vorgängen von heute vormittag in Zusammenhang stehen, hier eine kurze Aussprache geführt werden kann, weil die Vorfälle, die heute vormittag eingetreten sind, nicht einfach hingenommen werden können.
({0})
Man kann nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und so tun, als wäre nichts geschehen.
({1})
Ich meine, daß die Möglichkeit bestehen muß, darüber zu sprechen. Das ist meines Erachtens geschäftsordnungsmäßig durchaus zulässig.
({2})
Es muß die Möglichkeit geben, darüber zu sprechen, wieso ein Abgeordneter des Deutschen Bundestages zu einem solchen Zwischenruf kommen kann. Es macht keinen Sinn, solche drakonischen Ordnungsmaßnahmen einfach hinnehmen zu müssen, ohne dabei über die politischen Hintergründe - das heißt nicht, daß das eine Kritik an der Amtsführung des Präsidenten wäre - sprechen zu können. Wir können, nachdem so etwas passiert ist, nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.
Deshalb stelle ich den Antrag, darüber eine kurze Aussprache führen zu können.
({3})
Meine Damen und Herren, es ist ein Antrag zur Geschäftsordnung gestellt worden. Wünscht dazu jemand das Wort? - Herr Abgeordneter Jahn, bitte sehr.
Eine Debatte über diesen Punkt, Herr Präsident, meine Damen und Herren, wäre eine Debatte über Ihre Entscheidung. Die ist nach der Geschäftsordnung nicht zulässig. Ich bitte, den Antrag zurückzuweisen.
({0})
Der Antrag ist gestellt. Ich stelle ihn zur Abstimmung. Wer dafür ist, dem Antrag auf eine Aussprache, den der Herr Kollege Kleinert gestellt hat, zu entsprechen, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Aktuelle Stunde
Die jüngsten Vorschläge für ein Abkommen über die Beseitigung von Mittelstreckenraketen und die Haltung der Bundesregierung
Die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung die Aktuelle Stunde zu diesem Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort hat der Abgeordnete Mechtersheimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute morgen hat die Sowjetunion nach einem langen einseitigen Moratorium einen zweiten Nukleartest durchgeführt. Das sollten wir als Lektion über verpaßte Chancen begreifen. Die beiden Supermächte hätten längst ein Abkommen über einen totalen Teststopp schließen können, wenn die USA dazu bereit gewesen wären.
Auch die Chance für eine Null-Lösung bei den Mittelstreckenraketen ist zeitlich begrenzt, denn das „Mondfenster" kann sich schneller schließen, als es derzeit scheint. Wer den Wettlauf zwischen den Kräften der Abrüstung und den Kräften der Aufrüstung gewinnt, ist noch völlig offen. Deshalb ist eine fraktionsübergreifende Gemeinsamkeit in dieser Frage sicher ein wichtiger Abrüstungsbeitrag.
({0})
Doch diese Übereinstimmung darf nicht auf Mythen aufbauen. Wenn eine Vereinbarung zustande kommen sollte, dann nicht, weil diese der Sowjetunion durch die NATO-Nachrüstung abgetrotzt worden wäre, sondern deshalb, weil Gorbatschow jene Vorleistungen erbringen will, die die Friedensbewegung von der NATO vergeblich gefordert hatte.
({1})
Abrüstung ist möglich, wenn eine Seite jenseits von Gleichgewichtsformeln selbst mehr anbietet, als sie der anderen Seite abverlangt.
({2})
Die Sowjetunion bietet derzeit 1 222 SS-20-Sprengköpfe gegen 216 und klammert zudem die britischen
und französischen Mittelstreckenraketen aus. Von
einem Erfolg der NATO-Nachrüstungspolitik kann eigentlich nur derjenige sprechen, der nachweisen kann, daß Gorbatschow wegen der Pershing II zum KP-Chef gewählt worden ist. Die Abrüstungschance ist die Folge des entschiedenen Abrüstungswillens von Gorbatschow und der wachsenden Abrüstungsbereitschaft der Bevölkerung, nicht zuletzt in der Bundesrepublik. Dazu hat die Friedensbewegung auf vielfältige Weise entscheidend beigetragen. Ich räume im übrigen gerne ein, daß auch die Friedensbewegung mit einer so weitreichenden Vorleistungspolitik der Sowjetunion nicht gerechnet hatte.
Wir stimmen der Forderung nach einem Anschlußabkommen über die Raketen kürzerer Reichweite zu, nicht nur wegen der sowjetischen Systeme, sondern auch deshalb, weil z. B. die 108 Pershing-II-Raketen in der Bundesrepublik nicht durch Pershing Ib kürzerer Reichweite ersetzt werden dürfen. Damit Abrüstung nicht durch Umrüstung unterlaufen wird, müssen nicht nur die 'Mittelstreckenraketen abgeschafft, sondern auch die Raketenverbände auf beiden Seiten aufgelöst werden.
Als konkreten Beitrag zur Verbesserung der Abrüstungschancen schlagen wir vor, daß die Weiterstationierung der Marschflugkörper im Sinne des NATO-Beschlusses, die bisher zur Hälfte erfolgt ist, sofort eingestellt wird. Damit würden die Chancen für ein Abkommen vergrößert.
({3})
Damit würde im übrigen auch der Abrüstungswille des Westens glaubhaft gemacht werden können. Was sollen Stationierungen von Flugkörpern, die kurze Zeit später wieder abgebaut werden sollen?
In der nächsten Woche wird bei der Stabsrahmenübung WINTEX/CIMEX mit großer Wahrscheinlichkeit der Einsatz von Pershing-II-Raketen simuliert werden. Sorgen wir dafür, daß aus diesem teuflischen Spiel niemals Ernst werden kann. Dann könnten die Bedingungen verbessert werden, die es möglich machen, daß Sie den Eid, den Sie heute morgen hier abgelegt haben, verwirklichen können.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Rühe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Liebe der GRÜNEN und der SPD zur Null-Lösung handelt es sich um eine späte Liebe - die soll ja manchmal besonders heftig sein - , vor allem aber um eine unglaubwürdige Liebe;
({0})
denn 1982/83 haben Sozialdemokraten und auch GRÜNE gesagt, es sei eine Zumutung an die Sowjetunion, zu fordern, daß sie bei den Mittelstreckensystemen auf Null gehe, es sei doch eine Provokation, wenn wir forderten, die Sowjets müßten auf Null gehen. Es
ist also nicht sehr glaubwürdig, was Sie hier vortragen. Insofern gibt uns die Aktuelle Stunde Gelegenheit, die Richtigkeit unserer Politik noch einmal zu verdeutlichen und das Scheitern Ihrer Sicherheitspolitik der Öffentlichkeit vor Augen zu führen.
({1})
Heute steht ein Abkommen über die völlige Beseitigung einer ganzen Waffenkategorie in Europa in Aussicht. Modernste Raketen, die sich zum Teil noch im Stationierungsprozeß befinden, sollen verschrottet werden. Zugleich wird - das ist auch für andere Abrüstungsfragen wichtig - deutlich gemacht, daß asymmetrische Reduzierungen möglich sind. Das ist ein in der Abrüstungsgeschichte einmaliges Ergebnis - wenn es denn erzielt werden könnte. Ohne die Politik von Bundeskanzler Kohl und der Bundesregierung, ohne unsere Standfestigkeit während der Nachrüstungsdebatte
({2}) hätte es diese Entwicklung niemals gegeben.
({3})
- Glauben Sie denn, daß die Sowjetunion freiwillig darauf verzichtet hätte, diese Waffen zu haben? Sie haben immer noch nicht die Lehre aus den vergangenen vier Jahren gezogen, daß wir die Null-Lösung eben heute nicht greifbar hätten, wenn wir 1983 nicht die Nachrüstungsentscheidung getroffen hätten.
({4})
Eines ist allerdings richtig - das möchte ich für die Zukunft sagen - : Wir hätten uns gewünscht, daß wir uns diesen Umweg hätten ersparen können.
. ({5})
Aber die Voraussetzung wäre gewesen, daß die Sowjetunion vor unserer Stationierung bereit gewesen wäre, auf ihre Mittelstreckenraketen zu verzichten. Dazu war sie nicht bereit.
({6})
Herr Bowin, der Kommentator, hat vor kurzer Zeit in der „Moskowskije Nowosti" geschrieben: Wenn wir nun der Null-Lösung zustimmen, wenn wir zustimmen, diese Raketen zu zerstören, warum wurden sie dann gebaut und stationiert? - In der Tat, das ist eine berechtigte Frage an die sowjetische Führung, die hier von dem sowjetischen Kommentator geäußert wird.
Für die Zukunft hoffen wir, daß wir uns solche Umwege ersparen. Aber das bedeutet, daß einseitige Vorrüstungen auch einseitig zurückgenommen werden müssen, wenn sie denn erfolgt sind.
({7})
Noch sind nicht alle Fragen für ein Abkommen geklärt, Fragen der Inspektionen vor Ort, damit auch eine heimliche Produktion und Lagerung ausgeschlossen wird,
({8})
oder die Frage, ob in diesem Null-Lösungs-Abkommen eine Weiterverhandlungsverpflichtung enthalten sein muß, damit in einem nächsten Verhandlungsschritt - im Anschluß an die Null-Lösungs-Vereinbarung - zwei Ziele erreicht werden: die Reduzierung der Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite, bei denen es einen 10 : 1-Vorsprung der Sowjets gibt, auf ein niedrigeres Niveau und das Recht auf gleiche Obergrenzen bei diesen Systemen für beide Seiten.
Dies bedeutet - im Unterschied zu manchen Behauptungen der Sozialdemokraten - kein Draufsatteln, keine zusätzlichen Bedingungen. Beschränkungen, gleiche Obergrenzen für bestimmte Systeme dieser kürzeren Reichweite sind - ich sage Ihnen exakt den Tag - seit dem 2. Februar 1982, also noch zur SPD-Regierungszeit, offizieller Bestandteil der im Bündnis abgestimmten amerikanischen Verhandlungsposition. Und zweitens hat sich ja der sowjetische Generalsekretär selbst in Reykjavik mit dem jüngsten Vorschlag zur Weiterverhandlung über diese Systeme bereit erklärt.
Ich sage für unsere Fraktion: Wir stehen geschlossen zu dieser Null-Lösung, weil sie die Sicherheit in Europa stärkt
({9})
und weil dieser Abrüstungserfolg positive Auswirkungen auch auf die anderen Abrüstungsverhandlungen haben wird.
Ich muß aber auch sagen, daß das nur durch unsere Standfestigkeit und durch eine Politik auf den Grundlagen der westlichen Sicherheits- und Abrüstungspolitik möglich gewesen ist. Nur auf dieser Grundlage können wir die deutschen Interessen auch in Zukunft vertreten und Frieden in Freiheit stärken. Wenn denn Ihre jetzige Liebe zu diesem Verhandlungsvorschlag eine echte und dauerhafte Liebe ist, dann stellen Sie sich auf diese Grundlagen, die es uns ermöglicht haben, diese Chancen für einen Abrüstungserfolg zu erarbeiten.
({10})
- Mit Ihnen nicht!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Voigt ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erne beiderseitige Null-Lösung entspricht den Zielen und Wünschen der SPD. Im Unterschied zu vielen in der CDU bejahen wir sie ohne Vorbehalte und ohne Wenn und Aber. Im
Voigt ({0})
Gegenteil, wir drängen auf ihre zügige Verwirklichung.
({1})
Die Idee der Null-Lösung ist im westlichen Bündnis entstanden; das ist richtig. Aber ein neues sicherheitspolitisches Denken der sowjetischen Führung unter Generalsekretär Gorbatschow hat dazu geführt, daß sie jetzt auch zu einer realistischen Chance geworden ist.
Bereits Bundeskanzler Helmut Schmidt hat die Null-Lösung unterstützt. Ich begrüße es, daß die jetzige Bundesregierung Kohl - im Gegensatz zu einigen in der CDU/CSU - an dieser Kontinuität, der Null-Null-Lösung weiter festhält. Ich sehe auch eine Chance dafür, daß unser gemeinsames Drängen von Regierungsparteien und Opposition in Richtung auf ein solches sowjetisch-amerikanisches Abkommen jetzt am Beginn der neuen Legislaturperiode zu einem sicherheitspolitischen Konsens in einer Frage führen könnte, die uns im Jahre 1983 nicht nur in diesem Parlament, sondern auch in der Bevölkerung tief gespalten hat.
Diejenigen, die wie Helmut Schmidt wegen des Risikos einer nuklearen Erpressung mit der SS-20 besorgt waren, wären ihrer Sorgen dann ledig. Diejenigen in der SPD und in der Friedensbewegung, denen es vorrangig um eine Unterbrechung der Kette aus Vorrüstung und Nachrüstung ging, hätten ihr Ziel erreicht. Auch die Sorgen von Helmut Schmidt, die er 1983 hinsichtlich der Krisengefahr oder der Kriseninstabilität, die von einer Pershing II ausgehen könnte, geäußert hat, wären dann beseitigt. Widerlegt wären allerdings diejenigen, die wie Alfred Dregger und Franz Josef Strauß die westliche Nachrüstung auch unabhängig von der SS-20 militärisch für erforderlich gehalten haben.
Für uns war die Frage der Mittelstreckenproblematik immer primär ein politisches und nie primär ein militärisches Problem. Wir haben nie die Ängste von Strauß oder Dregger geteilt, daß ein völliger Verzicht auf die westliche Nachrüstung die Bundesrepublik von den Vereinigten Staaten sicherheitspolitisch entkoppeln würde; diese Entkoppelungsängste haben wir nie geteilt.
Die Chance zur Gemeinsamkeit bestünde auch dann, wenn die Bundesregierung auf die strikte Einhaltung und enge Interpretation des ABM-Abkommens tatsächlich drängen würde. Unsere Divergenzen bestehen in der Einschätzung des SDI-Konzeptes fort. Wir halten dies für falsch und für ein Verhängnis: nicht nur für die europäischen sicherheitspolitischen Interessen, sondern auch für die europäischen abrüstungspolitischen Interessen.
({2})
Wir halten eine ausreichende Verifikation aller Abkommen für erforderlich. Aber wir sind dagegen, daß dieses Problem vorgeschoben wird, um Abkommen zu verhindern.
Wir drängen auf ein Abkommen auch über Kurzstreckenraketen, übrigens schon deshalb, weil die Befürworter eines europäischen SDI ihrer Argumente dadurch entledigt würden. Und da ich auch ein europäisches SDI nicht möchte, will ich Abrüstung auch im Bereich der europäischen Kurzstreckenraketen.
({3})
Wir drängen auf einen Abbau der konventionellen Rüstung in Ost und West, wir wollen eine beiderseitige strukturelle Nichtangriffsfähigkeit, und wir halten auch dort eine Änderung der sowjetischen Haltung für dringend geboten, aber auch für möglich. Die Sowjetunion muß, wenn sie wirklich zu einem Interessenausgleich mit Westeuropa schreiten will, ihr bisheriges sicherheitspolitisches Verhalten gegenüber Westeuropa ändern. Ich sehe Chancen für eine solche Änderung der sowjetischen Haltung. Ich glaube, daß das nicht ohne schwierige Diskussionen gehen wird, aber ich teile nicht den Pessimismus derjenigen auf der konservativen Seite, die damals die Null-NullLösung nur deshalb gefordert haben, weil sie die Sowjetunion für reformunfähig hielten, und die nie darauf gehofft oder darauf gewartet haben, daß sie tatsächlich auf die Null-Lösung eingehen würde.
({4})
Zuallerletzt: Ich glaube, daß wir die Chance zu einem umfassenden Angebot für einen Interessenausgleich nicht nur im militärischen, sondern auch im politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Bereich, die durch die neue sowjetische Führung gegeben ist, nutzen sollten. Horst Ehmke und Jochen Vogel werden dazu in der nächsten Woche einen Vorschlag unterbreiten.
Ich denke, daß wir als Deutsche ein besonderes Interesse daran haben, hierzu unseren Beitrag zu leisten, und deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, am Beginn dieser Legislaturperiode das Angebot von Erich Honecker zu einem kontinuierlichen abrüstungspolitischen Dialog zwischen beiden deutschen Regierungen aufzunehmen.
({5})
In diesem Dialog sollte sie - lassen Sie mich das zum Schluß sagen - auch ihre bisherige Ablehnung einer chemiewaffenfreien Zone als eines ersten Schritts zu einer weltweiten Ächtung chemischer Waffen überdenken, und sie sollte mit uns gemeinsam doch überprüfen, ob wir nicht darin recht haben, daß jetzt, nach einer Einigung über INF, der Vorschlag eines nuklearwaffenfreien Korridors diesseits und jenseits der Bündnisgrenze mit einer Ausdehnung von ungefähr 150 km nicht auch in unserem Interesse liegen könnte, weil so das Risiko eines begrenzten Nuklearkrieges, eines Krieges mit Nuklearwaffen kurzer und kürzester Reichweite, wirklich ausgeschlossen werden kann.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beginne mit einem Zitat aus einem Interview, das General Altenburg vor wenigen Tagen gegeben hat. Ich zitiere aus dem Interview folgende Sätze:
Wir wollen grundsätzlich keinen Krieg. Wir wollen weder einen Nuklearkrieg noch einen konventionellen Krieg auf unserem Territorium. Um kriegsverhindernd zu wirken, bedarf es bestimmter Mechanismen. Wenn diese Mechanismen auf politische Weise gegeben sind, dann dürfen die Militärs dem nicht im Wege stehen.
Dieses Zitat halte ich aus einer Reihe von Gründen für außerordentlich wichtig, zunächst einmal deshalb, weil es exakt und deutlich die Ziele unserer Politik beschreibt, nämlich Frieden statt Nicht-Krieg in Europa und darüber hinaus und für die Menschen in Europa und in den anderen Teilen der Welt ein Leben ohne Bedrohung und ohne Angst zu erreichen.
({0})
Dies ist exakt das Ziel, das wir verfolgen und das wir verfolgt haben, auch mit der politischen Entscheidung vom 22. November 1983.
Ich möchte den Kollegen Mechtersheimer wirklich bitten, sich einmal die Protokolle vom 21. und 22. November 1983 durchzulesen und in diesen Protokollen auch festzustellen, auf welche Weise und mit welcher Schärfe die Politik dieser Regierung - und übrigens nicht nur die Politik dieser Regierung, sondern die Politik der NATO insgesamt - damals abgelehnt worden ist.
Mir ist noch ein Wort von Frau Nickels in Erinnerung, die gesagt hat: Am Ende zählen nicht noble Absichten und Worte, am Ende zählen immer nur die Taten und Tatsachen.
({1})
Ich sehe dies durchaus im Zusammenhang mit der Entwicklung der jüngsten Vergangenheit. Die Aussage, die sie damals von außen übernommen und hier als ihre eigene vorgetragen hat, die lautete, daß die neuen Waffen zur Kriegführung hingehen, ist ja wohl eine Aussage, die im Lichte der jüngsten Entwicklung vielleicht auch von Frau Nickels noch einmal zu überdenken wäre. Für mich ist es jedenfalls schon eine erstaunliche Tatsache, daß die Bundesregierung heute diejenigen zur Fortführung einer bestimmten Politik auffordern, die diese Politik an einem ihrer entscheidenden Punkte mit aller Energie bekämpft haben.
({2})
Denn daß die Initiatoren dieser Aktuellen Stunde gegen den Doppelbeschluß der NATO waren und daß sie damit gegen die Voraussetzung waren, die jetzt dazu führt, daß es eine Null-Lösung auf beiden Seiten geben kann,
({3})
dies kann ja wohl auch heute in dieser Aktuellen Stunde niemand bestreiten.
({4})
Ich gehe gar nicht so weit, meine Damen und Herren, daß ich einen ausschließlichen Kausalzusammenhang zwischen dem damaligen Beschluß und der jüngsten Entwicklung herstellen will;
({5})
und ich gehe auch nicht so weit, daß ich bestreiten würde, daß es den Abgeordneten der Koalition ja auch nicht leichtgeworden ist, damals diesen Beschluß zu fassen.
({6})
Ich erkläre für mich persönlich ausdrücklich, daß ich zu denjenigen gehört habe, die diesen Beschluß nicht leichten Herzens gefaßt haben. Aber die Entwicklung, die wir seitdem erlebt haben, Herr Mechtersheimer, ist nun keine, weiß Gott keine Vorleistung der Sowjetunion, sondern ist eine Entwicklung, die nur möglich war, weil diese Koalition, weil die Bundesregierung eine exakte, eine berechenbare, eine kontinuierliche Politik betrieben hat.
({7})
Ich habe heute von dem Kollegen Voigt einige Äußerungen gehört, die ich gerne auch in der Debatte am 21. und 22. November 1983 gehört hätte.
({8})
Vielleicht wäre es auch für Sie gut, Herr Kollege Voigt, wenn Sie noch einmal nachlesen würden, was damals auf seiten der Opposition gesagt worden ist. Ich erkläre hier ausdrücklich: Die Bundesregierung und die Koalition halten fest an dem Ziel der beiderseitigen Null-Lösung. Wir machen kein Junktim, wir machen keine zusätzlichen Auflagen, wir treffen eine politische Entscheidung, die vom Westen ausgegangen ist. Die deutsche Initiative war Null-Lösung, die dann europäische Forderung geworden ist, die vom amerikanischen Präsidenten im November 1981 übernommen worden ist und die damit westliche Initiative war. Hier von Vorleistungen der Sowjetunion zu reden wäre ebenso falsch, wie wenn ich nicht ausdrücklich sagen würde: Ich begrüße die Tatsache, daß Gorbatschow auf die westliche Forderung eingeht und daß wir damit vor Entwicklungen stehen, auf die wir lange gewartet, auf die wir lange hingearbeitet haben und auf die wir auch weiter hinarbeiten sollten, wenn wir das Ziel erreichen wollen, das ich eingangs genannt habe: Frieden statt Nicht-Krieg, ein Leben ohne Angst und Bedrohung in unserem Land und Europa.
({9})
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Her38
ren! Im November 1981, kurz vor Beginn der ersten Verhandlungen über die Mittelstreckenraketen, erklärte der amerikanische
„Die Vereinigten Staaten sind bereit, auf ihre Dislozierung der Pershing II und der landgestützten Marschflugkörper zu verzichten, wenn die Sowjets ihre SS-20-, SS-4- und SS-5-Raketen abbauen. Dies", so fuhr der amerikanische Präsident fort, „wäre genau wie der erste Schritt auf dem Mond ein gewaltiger Schritt für die Menschheit." Heute, gut fünf Jahre nach dem Angebot der NullLösung, das damals von vielen in Deutschland als illusionär bezeichnet wurde, haben wir Grund zu der Erwartung, daß die Genfer Verhandlungen zu einem solchen Ergebnis führen. Das wäre in der Tat ein historischer Schritt, für den es in der Geschichte der Rüstungskontrolle und Abrüstung bisher kein Beispiel gibt.
({0})
Unsere Politik, den Doppelbeschluß von 1979 in seinen beiden Teilen konsequent zu verwirklichen, hat sich auf eindrucksvolle Weise bestätigt. Wo wären wir heute, wenn wir denen unser Gehör geschenkt hätten, die sich unter Verzicht auf die westliche Nachrüstung mit mehreren hundert atomaren Sprengköpfen auf sowjetischen Mittelstreckenraketen größerer Reichweite, die uns bedrohen, abfinden wollten?
({1})
Meine Damen und Herren, für die Sicherheit unseres Landes und für die Stabilität in Europa ist es besser, wenn die Mittelstreckenraketen größerer Reichweite auf beiden Seiten und nicht nur auf einer Seite vermieden werden.
({2})
An der sich jetzt abzeichnenden positiven Entwicklung hat die Bundesrepublik Deutschland einen entscheidenden Anteil. Die Null-Lösung ist in Vorbereitung des NATO-Doppelbeschlusses der 70er Jahre in Deutschland entworfen worden. Sie wurde ein gemeinsames westliches Verhandlungsziel.
Erst der erkennbare Wille des Westens, seine Verteidigungsfähigkeit in Europa zu sichern, hat für die sowjetische Seite den notwendigen Verhandlungsanreiz geschaffen. Ein neues Denken in den Fragen des West-Ost-Verhältnisses und der Abrüstung hat auf der anderen Seite Generalsekretär Gorbatschow den jetzt vollzogenen entscheidenden Schritt von seiner Seite ermöglicht.
Die von beiden Seiten in Reykjavik ins Auge gefaßte und nunmehr in Genf angestrebte Lösung sieht für den INF-Bereich globale Obergrenzen von jeweils nur noch 100 Gefechtsköpfen auf Mittelstrekkenflugkörpern größerer Reichweite, aber insbesondere die Beseitigung aller amerikanischen und sowjetischen Mittelstreckenraketen in Europa vor.
Konkret bedeutet das auf sowjetischer Seite die Zerstörung von 408 SS-20-Raketen, die 1 224 Gefechtsköpfe tragen, sowie von 100 SS-4-Raketen mit je einem Gefechtskopf. Auf amerikanischer Seite wären demgegenüber 216 Flugkörper, die mit 216 Sprengköpfen bestückt sind, zu beseitigen.
Meine Damen und Herren, ein solches Ergebnis würde für Europa mehr und nicht weniger Sicherheit schaffen.
({3})
Es ist offenkundig, daß ein solches Ergebnis von den Deutschen und den Europäern in West und Ost mit großer Erleichterung aufgenommen werden würde.
({4})
Schon bei der Beratung des NATO-Doppelbeschlusses waren sich die Bundesregierung und ihre Verbündeten der Tatsache bewußt, daß im Anschluß an die Lösung des Problems für die Mittelstreckenraketen der größeren Reichweite durch Verhandlungen das Ziel verfolgt werden müsse, für die Mittelstrekkenraketen kürzerer Reichweite gleiche Obergrenzen auf einem niedrigeren Niveau zu vereinbaren. Die hier vorhandene Überlegenheit der östlichen Seite verlangt im Interesse der Stabilität nach einer solchen Verhandlung und nach einem solchen Ergebnis.
Dem NATO-Doppelbeschluß folgend hat deshalb die Bundesregierung Wert darauf gelegt, daß schon in Reykjavik Folgeverhandlungen für die Systeme kürzerer Reichweite vorgesehen wurden. Sie sollen nach der in Reykjavik getroffenen Vereinbarung unverzüglich, spätestens sechs Monate nach Unterzeichnung des Abkommens aufgenommen werden. Es liegt in unserem Interesse, daß diese Folgeverhandlungen sofort nach der Unterzeichnung aufgenommen werden können. Wir würden es begrüßen, wenn jüngste Andeutungen der sowjetischen Seite sich bewahrheiten, daß man unter Umständen auch schon parallel zur Aufnahme dieser Verhandlungen bereit ist.
Nur das schon im NATO-Doppelbeschluß vorgesehene schrittweise Vorgehen bringt uns konkreten Lösungen näher. Eine Politik des Alles oder Nichts würde uns auch in dieser Frage in die Sackgasse führen. Auch die Sowjetunion hat das erkannt. Die Aufhebung des schwerwiegenden, erst in Reykjavik errichteten Hindernisses durch die Verbindung der Problematik der Mittelstreckenraketen mit der SDI-Problematik zeigt das. Der konstruktive Dialog der Bundesregierung mit der Sowjetunion und ihren Verbündeten hat zur Beseitigung dieses schwerwiegendsten Hindernisses für ein INF-Abkommen beigetragen.
({5})
Wir anerkennen das konstruktive Bemühen, daß auch auf der anderen Seite - bei der Sowjetunion, bei der DDR und bei den anderen Staaten des Warschauer Paktes - Fortschritte und auch neue Ansätze für die Rüstungskontrolle und für die Abrüstung festzustellen sind.
Wir begrüßen die Erklärung, daß die in der DDR und in der Tschechoslowakei dislozierten Mittelstrekkenraketen kürzerer Reichweite nach Unterzeichnung des INF-Abkommens abgezogen werden sollen.
Die USA haben auf die Erklärung von Generalsekretär Gorbatschow am 28. Februar dieses Jahres mit der Vorlage eines Vertragsentwurfs konstruktiv reagiert. Dieser Vertragsentwurf ist mit den Alliierten abgestimmt, und er soll jetzt die in Reykjavik erzielten
Vereinbarungen in die Sprache des Vertrages umsetzen.
Die Sowjetunion hat diesen Schritt positiv gewürdigt. Es geht jetzt darum, daß beide Seiten ernsthaft den Versuch unternehmen, die noch verbleibenden Differenzen einer raschen Lösung zuzuführen, damit 1987 tatsächlich zu einem Jahr der Abrüstung werden kann.
Zu den noch zu klärenden Fragen der Verifikation hat es zwischen den USA und den Stationierungsländern Anfang der Woche Konsultationen in Washington gegeben. Es ist jetzt auch die Lage eingetreten, daß die USA einen Text für das Verifikationsverfahren einführen können.
Der Abschluß eines INF-Abkommens hätte auch Auswirkungen, die weit über diesen Rüstungskontrollbereich hinausreichen. Von einem solchen Abschluß würden positive Impulse auf das weite Feld der Rüstungskontrolle im nuklearen, im chemischen und im konventionellen Bereich wie auf das WestOst-Verhältnis in seiner ganzen Breite ausgehen. Je größer die Aussichten auf Erfolge im Bereich der nuklearen Abrüstung sind, um so größere Anstrengungen sind im Bereich der chemischen Waffen und der konventionellen Rüstungskontrolle mit dem Ziel, die chemischen Waffen weltweit gänzlich zu beseitigen,
({6})
und konventionelle Stabilität herzustellen, erforderlich.
Deshalb begrüßen wir, daß die Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts in Wien auf das westliche Angebot eingegangen sind, Gespräche über ein Mandat für solche Verhandlungen aufzunehmen. Wir können in den ersten Monaten des Jahres 1987 mit Befriedigung feststellen, daß eine breit angelegte Rüstungskontrollund Abrüstungspolitik der Bundesregierung ihre Früchte zu tragen beginnt. Die Tatsache, daß außer den strategischen Waffen, den Mittelstreckenraketen größerer Reichweite und den chemischen Waffen nun auch die Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite und das konventionelle Kräfteverhältnis Gegenstand von Verhandlungen sind oder sein werden, eröffnet die Chance, in allen Bereichen zu mehr Stabilität und zu mehr Sicherheit auf einem niedrigen Niveau zu kommen.
Die Bundesregierung ist sich dabei der Tatsache bewußt, daß Abrüstungsverhandlungen um so aussichtsreicher sind, je positiver das politische Klima und die Entwicklung der Vertrauensbildung zwischen West und Ost sein werden.
({7})
Die Politik der breitesten Zusammenarbeit zwischen West und Ost und des intensiven Dialogs werden deshalb auch in Zukunft das Handeln der Bundesregierung bestimmen. Wir werden die Chance nutzen, die in dem Bemühen der neuen sowjetischen Führung um Öffnung der Sowjetunion nach innen und außen für Vertrauensbildung, für Zusammenarbeit und für Abrüstung liegen. Die Bundesrepublik Deutschland, die zusammen mit Frankreich die Politik der Einigung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu ihrem
hervorragenden Ziel gemacht hat, die einen entscheidenden Beitrag für das europäisch-amerikanische Bündnis leistet, diese Bundesrepublik Deutschland erkennt ihre besondere Verantwortung für eine durchgreifende Verbesserung des West-Ost-Verhältnisses.
Wir erfüllen damit unsere deutsche und unsere europäische Friedensverantwortung.
({8})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schoppe.
: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es gilt an dieser Stelle mit einigen Unwahrheiten aufzuräumen. Herr Genscher, Sie müßten das anders wissen. Wenn Sie den Null-Lösungs-Vorschlag von damals so vorstellen, wie Sie ihn hier vorgestellt haben, dann ist das eine Unwahrheit. Ich zitiere kurz aus der „FAZ":
({0}) Das Angebot einer Null-Lösung
- das bezieht sich auf damals war für die Öffentlichkeit gedacht und im Vertrauen darauf ausgesprochen worden, daß Moskau nicht bereit wäre, seine Mittelstreckenwaffen total zu beseitigen.
Das war es nämlich damals; das war die Situation von damals.
({1})
Die Minister, zumindest ihre fachkundigen Berater aber wußten, daß die SS-20-Rüstung der Sowjetunion nicht die Ursache ihrer Pläne war,
({2})
die taktischen Atomwaffen der NATO in Europa zu verstärken, sondern allenfalls ein Umstand, der dieser Absicht förderlich war. Ein ursächlicher Zusammenhang bestand dagegen nie.
({3})
Das muß mal hier zur Kenntnis genommen werden. Das wissen Sie alle, daß es so war.
({4})
- Auch Sie, Herr Rühe.
Der in der Sowjetunion noch nicht freigelassene Dichter Achmetow schreibt in einem Gedicht:
Zu sagen ist leicht:
„Für Freiheit zahlt man mit Freiheit. " Man muß es tun.
Gerade weil wir und alle es tun müssen: Abrüstung für Freiheit, sind die jüngsten Erklärungen von Generalsekretär Gorbatschow und US-Präsident Reagan, die den Impuls von Reykjavik aufgenommen haben, so wichtig. Ein Abkommen zur Beseitigung der Mit40
telstreckenwaffen ist somit kein Wunschdenken mehr.
({5})
Meine Fraktion will ein solches Abkommen, weil das der Bruch mit der bisherigen Abschreckungslogik ist. Von Anfang an haben wir in der Friedensbewegung die Abschreckungsmentalität, die ja zu immer gefährlicheren Waffen geführt hat, verurteilt.
Der Abschluß eines solchen Abkommens ist für mich deshalb so wichtig, weil damit der Weg zu weiteren Abrüstungsmaßnahmen freigemacht werden kann. Dieser Weg braucht die kritische, aber tatkräftige Unterstützung aller politischen Kräfte. Ich erinnere mich noch lebhaft an die Nachrüstungsdebatte 1983.
({6})
Damals hatten auch Vertreterinnen und Vertreter der Regierungskoalition Abrüstungswünsche geäußert, sich aber dennoch für weitere Aufrüstung entschieden.
Heute geht es darum, Abrüstungswillen zu zeigen und gemeinsam als Vertreterinnen und Vertreter der Menschen in der Bundesrepublik die Regierung in diesen Abrüstungswillen einzubinden. Ich darf Sie daran erinnern, daß immer noch die Mehrheit der Bevölkerung die Raketen und die Rüstung nicht will.
({7})
Ich erwarte von der Bundesregierung, daß sie die Begehrlichkeit der Rüstungsindustrie ebenso wie die der Stahlhelmfraktion in der CDU/CSU
({8})
und der Generalität der Bundeswehr zurückweist,
({9})
damit, wie Wolf Biermann vor kurzem gesagt hat, das bißchen Menschheit überleben kann.
Die Vorschläge von Gorbatschow, auf das Junktim mit SDI zu verzichten und ein separates Abkommen über den Abbau der Mittelstreckenraketen abzuschließen, sind Ausdruck einer veränderten Politik in der Sowjetunion. Somit ist heute ein anderer Zustand da, als wir ihn 1983 hatten.
({10})
Die Politik des Glasnost, eine Politik der Öffnung besteht aus dem Versuch der Demokratisierung nach innen und der Entspannung nach außen. Diese Politik kann nur erfolgreich sein, wenn sie Unterstützung auch von außen findet.
({11})
Ich verstehe deshalb den erfolgreichen Abschluß einer Vereinbarung über den Abzug der Mittelstrekkenraketen nicht allein als einen Schritt zu weiterreichenden Abrüstungsvereinbarungen bei nuklearen, chemischen und konventionellen Waffen. Wenn sich der Gedanke Gorbatschows „Demokratie brauchen die Menschen wie Luft zum Atmen" in der Sowjetunion durchsetzt, wachsen auch unsere Chancen, demokratische Rechte zu sichern und zu erweitern.
({12})
Meine Damen und Herren, ich erwarte von Ihnen die Phantasie, den Willen und die Courage, nicht lokkerzulassen und allen Einfluß zu nutzen, damit sowohl die amerikanische Administration als auch die sowjetische Führungsschicht zur Abrüstung bewegt werden können.
Zum Schluß lassen Sie mich noch eines sagen: Dies alles, nämlich tatsächlich zu Abrüstungsschritten zu kommen, wäre nicht möglich, wenn wir nicht eine starke Friedensbewegung hätten, sowohl im Westen wie auch im Osten.
({13})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Todenhöfer.
({0})
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die jetzige Bundesregierung hat in den viereinhalb Jahren ihrer Amtszeit mehr Bewegung in die Abrüstungspolitik gebracht als die SPD in 13 Jahren.
({0})
Es war die Regierung Kohl, die erreicht hat, daß bis 1992 alle chemischen Waffen ersatzlos aus der Bundesrepublik Deutschland beseitigt werden, und nicht die SPD und nicht die GRÜNEN. Es war die Regierung Kohl, unter der die Zahl der Atomgefechtsköpfe in unserem Land auf die niedrigste Zahl seit 20 Jahren gesenkt wurde, und nicht die SPD und die GRÜNEN. Und es war die Regierung Kohl, die in Stockholm bei der Konferenz über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen einen spektakulären Erfolg erzielt hat, und nicht die SPD und nicht die GRÜNEN. Was SPD und GRÜNE jetzt so in Rage bringt - was man ja akustisch hier auch hört - , ist der Neid der Gescheiterten.
({1})
Sie haben damals, angeführt von Bundeskanzler Willy Brandt, in der Sicherheitspolitik gegenüber der Sowjetunion auf eine Politik der Vorleistungen gesetzt in der Hoffnung, die Sowjetunion werde diese Politik mit entsprechenden Gegenleistungen belohnen. Leider trat genau das Gegenteil ein. Während
Willy Brandt, das Herz voller Freundschaft und Versöhnungsbereitschaft, am Schwarzen Meer mit Leonid Breschnew baden ging,
({2})
beschloß die Sowjetunion ohne Rücksicht auf diese freundschaftlichen Gefühle Willy Brandts, die SS-20 Atomraketen gegen die Bundesrepublik Deutschland in Stellung zu bringen. Die Sowjetunion hat kühl darauf spekuliert, daß die SPD am Ende doch nicht die Kraft aufbringen werde, den SS-20 etwas Vergleichbares entgegenzustellen. Diese Rechnung ist bekanntlich aufgegangen.
Wenn damals die CDU/CSU nicht die Regierung übernommen hätte und wenn damals die CDU/CSU nicht die Kraft zur Nachrüstung besessen hätte, besäße die Sowjetunion heute noch immer ihre SS20-Hegemonialwaffe
({3})
ohne jedes vergleichbare Gegengewicht in Westeuropa.
({4})
- Mit Billigung der SPD-Fraktion. - Sie dächte auch nicht im Traume daran, nur wegen der blauen Augen der SPD oder der GRÜNEN ihren SS-20-Raketenwald wieder abzubauen.
({5})
Die Abrüstungsstrategie der SPD und der GRÜNEN ist gescheitert, unsere Abrüstungsstrategie hat sich als richtig erwiesen, wie die Ereignisse jetzt zeigen.
({6})
Die Bundesregierung hat daher bei ihrem Versuch, im Bereich der Mittelstreckenraketen größerer Reichweite ein Optimum an überprüfbarer Abrüstung zu erreichen, die volle Unterstützung der CDU/CSU.
Darüber hinaus werden wir selbstverständlich auch in den übrigen Waffenbereichen, in denen die Sowjetunion eine starke Überlegenheit besitzt, die die Sicherheit unseres Landes bedroht, um ausgewogene und überprüfbare Abrüstung auf ein niedriges Niveau ringen.
Wir sollten uns alle dafür einsetzen - Herr Voigt, Sie haben das ja auch angedeutet - , daß parallel - ich sage parallel; ich baue hier kein Junktim auf - zu dem energisch anzustrebenden Optimum an Abrüstung im Bereich der Mittelstreckenraketen größerer Reichweite ein Optimum an Abrüstung im Bereich der Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite auf ein niedrigeres Gleichgewicht und ein Optimum an Abrüstung im Bereich der konventionellen Waffen - ebenfalls auf ein niedrigeres Gleichgewicht - erreicht wird.
({7})
Ich verstehe Ihre lärmende Reaktion nicht. Das ist ein abrüstungs- und sicherheitspolitischer Wunsch, dem sich niemand entgegenstellen kann.
Wir wollen nicht weniger Abrüstung, sondern wir wollen mehr Abrüstung als Sie;
({8})
allerdings Abrüstung bei unverminderter Sicherheit unseres Landes. Da unterscheiden wir uns von Ihnen.
({9})
Die vergangenen fünf Jahre haben gezeigt: Die Abrüstung, die Sicherheit und der Frieden sind bei uns in besseren Händen als bei Ihnen.
Ich danken Ihnen.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Stobbe.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Freude und Genugtuung werden wir erst äußern können, wenn die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion ein Abrüstungsabkommen über die Mittelstreckenraketen auf der Basis der Null-Lösung für Europa tatsächlich abgeschlossen haben werden.
({0}) Noch ist es ja nicht so weit.
Heute aber besteht Anlaß, die Bereitschaft der sowjetischen Führung zu begrüßen, die Mittelstrekkenraketenfrage aus dem in Reykjavik selbst geschnürten Paket herauszulösen. Es besteht ebenfalls Anlaß, die positive Reaktion des amerikanischen Präsidenten auf diesen sowjetischen Schritt zu begrüßen. Die Beseitigung der nuklearen Mittelstreckenraketen in Europa - das ist die Position der SPD - entspricht einem überragenden Interesse aller Europäer in Ost und West und namentlich der Deutschen. Dieses Ziel sollte durch einen kleinlichen Streit darüber, wer in der Vergangenheit was wie bewirkt hat, nicht kaputtgeredet werden.
({1})
Die SPD hat seit Reykjavik auf internationaler Ebene und namentlich bei der Sowjetunion für eine solche Entkoppelung geworben. Sie wußte sich mit der Bundesregierung in dieser Zielsetzung einig. Dennoch kann weder die deutsche noch die amerikanische Regierung noch die westliche Seite schlechthin für sich in Anspruch nehmen, die geradezu dramatische Änderung der sowjetischen Positionen im Bereich von Rüstungskontrolle und Abrüstung durch eigene Politik sozusagen direkt bewirkt zu haben, auch nicht und gerade nicht durch eine Politik der Stärke.
Denn maßgeblich ist doch wohl ganz offensichtlich der innere Problemdruck in der Sowjetunion; maßgeblich ist die innere Entwicklung dieses Landes unter Gorbatschows Führung. Daß die grundlegende
Wandlung der sowjetischen Politik eines Tages von der Spitze der KPdSU selbst angestrebt und in Gang gesetzt werden würde und das mit dieser Wucht, hat uns alle im Westen - das können wir uns doch wohl gegenseitig konzedieren - überrascht. Diese Entwicklung ist ebenso erfreulich, wie sie unvorhersehbar war.
({2})
Als Partner der Vereinigten Staaten müssen wir sehen, daß auch in den USA ein Wandel vor sich geht. Die von Präsident Reagan eingeleitete konservative Revolution schreitet keineswegs unangefochten voran, wie z. B. die Kongreßwahlen zeigten. Die nationale Auseinandersetzung über das hohe Defizit, die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und die sinkende Produktivität der amerikanischen Wirtschaft wird im Lande härter. Die Forderungen nach einer Beschränkung der Rüstungsausgaben und einer Begrenzung des militärisch-industriellen Komplexes und seiner Macht nehmen deutlich zu. Die Waffenverkäufe an den Iran und die extralegale Finanzierung der Contras
({3})
haben das amerikanische Regierungssystem und auch das Vertrauen in die Präsidentschaft erschüttert.
Die Einsicht in die Begrenztheit der Möglichkeiten selbst der Weltmacht Amerika ist im Wachsen begriffen. Mit ihr geht, so scheint es, die Bereitschaft einher, die amerikanische Sowjetunion-Politik der letzten Jahre zu überdenken, sie vielleicht - so kann Europa ja hoffen - einer partiellen Neudefinition zu unterziehen.
Ein Abkommen über die Beseitigung der nuklearen Mittelstreckenraketen in Europa kann den Weg zu weiteren Abrüstungsvereinbarungen freimachen und damit eine neue Phase umfassender Ost-WestZusammenarbeit eröffnen. Dies genau ist immer das Ziel der SPD gewesen.
({4})
Sicherheitspartnerschaft zwischen den Bündnissen, namentlich zwischen den beiden Supermächten ist nicht nur möglich, sondern notwendig, dringend geboten für diesen Kontinent.
Wir waren immer für eine Politik der Verhandlungen und der Verträge. Deshalb waren wir auch jeweils für die Vertragsabschlüsse, die in den jeweiligen Phasen der Weltpolitik erreichbar erschienen, z. B. nach dem Waldspaziergang oder nach den Andropow-Vorschlägen. Wir werden ein ausgewogenes Abkommen zwischen den beiden Weltmächten immer als die Grundlage für weitere Vereinbarungen ansehen, weil wir rüstungskontrollpolitisches Vertrauen aufbauen, nicht abbrechen, nicht unterbrechen und schon gar nicht zerstören wollen.
({5})
Und wir wissen, daß der Weg hin zu einem befriedigenden Gesamtergebnis weit ist.
Uns hat nicht überrascht, daß sich viele aus der konservativen Ecke gegen die jetzige Entwicklung stemmen, weil dabei liebgewonnene und innenpolitisch nützliche Feindbilder zu verblassen
({6})
und das in den Köpfen festzementierte Ost-West-Konfrontationsschema kaputtzugehen drohen. Draufsatteln hieß deshalb auch die Parole dieser Kräfte gerade angesichts der Null-Lösung. Es wurden weitere Forderungen gestellt, damit nicht das zustande kommt, was jetzt möglich ist.
Ich bitte, Ihre Rede zu beenden, Herr Kollege.
Die SPD wird das, was jetzt erreichbar ist, unterstützen, weil es im überragenden Interesse unseres Landes und unseres Kontinents liegt.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Geiger.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die GRÜNEN, die heute eine Debatte über Mittelstreckenraketen wollen, sind im Grunde die letzten, die hierzu etwas Konstruktives zu sagen hätten.
({0})
Das läßt sich mit einem Zitat aus dem letzten Wahlprogramm der GRÜNEN belegen, denn dort heißt es:
Wir begreifen eine Strategie der einseitigen Abrüstung als Prozeß der Herauslösung der Bundesrepublik Deutschland aus der NATO... Wenn in der Auseinandersetzung um die Durchsetzung dieser Forderung ... die NATO in eine Zerreißprobe geführt wird, so ist uns dies gerade recht.
({1}) Wir müssen raus aus der NATO.
Das zeigt meines Erachtens ganz genau, worum es den GRÜNEN wirklich geht: Sie reden über Abrüstung und meinen die Schwächung und die Demontage unseres Bündnisses.
({2})
Unser Bündnis hat jedoch - das sollten auch die GRÜNEN endlich begreifen - mit seiner defensiven Strategie über 40 Jahre lang Kriege verhindert. Es hat uns die längste Friedenszeit in unserer Geschichte gesichert.
({3})
Die GRÜNEN verlangen, daß die Bundesrepublik Deutschland den NATO-Doppelbeschluß aufkündigt und die bisher stationierten Systeme der Nordatlantischen Allianz sofort bedingungslos und ohne neue Verhandlungen abziehen läßt. Das bedeutet in der Praxis, daß die GRÜNEN der Sowjetunion über 550 Raketen SS-20 und SS-4 mit fast 1 500 SprengFrau Geiger
köpfen zugestehen, die uns militärisch und politisch erpreßbar halten.
({4})
Ähnliches gilt für die SPD: Die Sozialdemokraten wollen den Sowjets ein SS-20-Monopol auf dem Stand von 1979 zugestehen, d. h. 420 Sprengköpfe.
({5})
GRÜNE und SPD sind von Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow längst überholt worden: Die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion haben Vorschläge gemacht, die Mittelstreckensysteme größerer Reichweite auf den Stand von 100:100 zu bringen und die Lösungen für die Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite einzubeziehen. Nichts macht deutlicher, wie weit weg von der Realität die GRÜNEN und große Teile der SPD in Fragen der äußeren Sicherheit bereits sind; denn möglich geworden sind die neuen Vorschläge der Großmächte allein durch unsere klare Haltung beim NATO-Doppelbeschluß.
({6})
Als die Mehrheit des Deutschen Bundestages am 22. November 1983 am NATO-Doppelbeschluß festhielt, malten SPD und GRÜNE mit dramatischen Worten - auch Sie, Herr Schily - Kriegsgefahr und Untergang an die Wand. Es trat jedoch ein, was viele der CDU- und CSU-Redner während dieser denkwürdigen Debatte vorhersagten: Die Sowjets kehrten an den Verhandlungstisch zurück.
Als Gorbatschow im vergangenen Oktober in Reykjavik eine Abrüstung bei den Mittelstreckensystemen größerer Reichweite mit einem SDI-Junktim blokkierte, erklärte der Kollege Ehmke, das Festhalten Reagans an SDI habe eine Einigung verhindert,
({7})
Frau Borgmann von den GRÜNEN forderte, die Bündnispartner müßten die USA unter Druck setzen und auf SDI verzichten, und die GRÜNEN denunzierten die USA als Saboteure und jammerten, die Abrüstungschancen seien auf Jahre hinaus vertan.
({8})
Wieder lagen GRÜNE und SPD falsch, die Sowjetunion verhandelt heute ohne diese Vorbedingung. Es muß schon ein wenig deprimierend sein, wenn man sich in der Einschätzung der politischen Großwetterlage immer wieder so grob verschätzt.
({9})
Die Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite blenden SPD und GRÜNE anscheinend völlig aus ihrem Abrüstungsdenken aus.
({10})
Auch hier ist es nicht zuletzt der Bundesregierung und der Koalition gelungen, ein Bewußtsein und ein Klima zu schaffen, in dem Gorbatschow im Namen der sowjetischen Führung ankündigte, einen Teil dieser
Raketen aus der DDR und der Tschechoslowakei abzuziehen und Verhandlungen über den Rest aufzunehmen.
({11})
Das war möglich durch unsere realistische und deshalb erfolgreiche Politik, meine Damen und Herren von der Opposition.
({12})
Wir brauchen unseren Kurs nicht zu ändern, wir haben uns von Ihrer Traumtänzerei nie beeindrucken lassen. Wir werden uns weiterhin und in großer Geschlossenheit für die Erhaltung und Gestaltung des Friedens und der Sicherheit einsetzen - Sicherheit gleichermaßen durch Abrüstung, durch Rüstungsbeschränkung und durch Rüstungskontrolle.
Danke schön.
({13})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Fuchs ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Drei Dinge sind neu an der heutigen Lage: Erstmals besteht eine echte Chance zu wirklicher Abrüstung in Europa. Erstmals wirkt sich das, was die sowjetische Führung neues politisches Denken nennt, für uns in Europa konkret aus. Den Frieden politisch zu sichern, statt ihn militärisch errüsten zu wollen, ist nichts anderes als das Konzept gemeinsamer Sicherheit. Und erstmals zeichnet sich ab, daß sich eine breite Mehrheit des Deutschen Bundestages für eine Abrüstungslösung findet, wie sie die Mehrheit der Bevölkerung seit Jahren will. Dies ist ein später Erfolg für die Friedensbewegung.
({0})
Ihre Arbeit war nicht vergeblich, und ihr langjähriger Einsatz hat sich sehr gelohnt.
({1})
Aber noch haben wir die Null-Lösung ja nicht. Ich warne dringend davor, Herr Rühe, diese Chance durch Vorbehalte, Zusatzforderungen und irgendwelche Junktims zu verspielen.
({2})
Es wäre hilfreich, wenn der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung dem eine Absage erteilen würde - Frau Geiger, vielleicht interessiert Sie das näher -, was Herr Strauß auf dem CSU-Parteitag im letzten November gesagt hat
({3})
- eben, dachte ich mir - :
Darum bin ich auch, Gott sei Dank,
- „ich" ist Strauß 44
Frau Fuchs ({4})
mit Helmut Kohl völlig einig, daß wir die Null-Lösung bei den Mittelstreckenraketen in Europa nicht anstreben dürfen.
({5})
Hier reicht es nicht, wenn sich der Außenminister abmüht. Von den Freistilübungen des Herrn Todenhöfer will ich jetzt gar nicht sprechen. Hier ist der Kanzler gefordert. Er muß eindeutig klarstellen, daß jene Boykottpositionen gegenüber der Null-Lösung, wie wir sie immer wieder vom rechten Rand der Union gehört haben, nicht der Position der Bundesregierung entsprechen.
({6})
Leider kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß einigen in der CDU/CSU die Problematik der Kurzstreckenraketen gerade recht kommt, um die Null-Lösung doch noch zu verhindern. Was soll das Gerede von einer neuen Nachrüstung bei Kurzstrekkenraketen, mit dem Herr Strauß begonnen hat?
({7})
Warum sorgt der Kanzler hier nicht für Klarheit, sondern redet selber verschwommen von sogenannten gleichen Obergrenzen?
Stellen Sie sich doch alle hinter das, was in Reykjavik besprochen worden ist: die Null-Lösung bei Mittelstreckenraketen und unmittelbar darauf Verhandlungen über Kurzstreckenraketen mit dem Ziel, sie ganz abzuschaffen.
Die Sowjetunion hat angekündigt, im Zuge der Null-Lösung ihre SS 12/22 aus der DDR und CSSR abzuziehen. Dann bleiben dort noch die SS 21 und SS 23.
({8})
Was gäbe es dann Sinnvolleres als die Einrichtung eines atomwaffenfreien Korridors?
Der Vorschlag der SPD liegt vor. Nun nutzen Sie ihn doch mal!
({9})
Für die Kurzstreckenraketen des Warschauer Paktes - Frau Geiger, wir beschäftigen uns sehr wohl damit - gäbe es dann kaum noch lohnende militärische Ziele. Ein Rückzug der SS 12/22 und ein atomwaffenfreier Korridor wären die richtigen Voraussetzungen für erfolgreiche Verhandlungen über die gänzliche Abschaffung der Kurzstreckenraketen.
Dieses Vorgehen könnte auch die Sorgen des Verteidigungsministers beträchtlich mindern. Denn wenn diese beiden Schritte gegangen sind, wird auch jene Euro-Raketenabwehr überflüssig, die Herr Wörner immer noch schamhaft als erweiterte Luftabwehr verkündet.
({10})
Natürlich würde dann der Irrsinn einer deutschen Beteiligung an SDI besonders augenfällig. Denn eine europäische und eine strategische Raketenabwehr sind nun einmal zwei Seiten ein und derselben Medaille. Die Bundesregierung stünde dann auch unter dem Zwang, sich etwas zur konventionellen Abrüstung einfallen zu lassen und endlich eine konstruktive Antwort auf das zu geben, was der Warschauer Pakt vor neun Monaten in Budapest vorgeschlagen hat.
Für Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, werden die Widersprüche mit jedem Abrüstungsschritt größer, besonders der Widerspruch zwischen Ihren Bekenntnissen zur atomaren Abrüstung einerseits und zur Abschreckung mit Atomwaffen andererseits. Sie werden sich - vielleicht früher, als Ihnen lieb ist - zwischen konsequenter atomarer Abrüstung in allen Kategorien und einer neuen Nachrüstung zu entscheiden haben, wie sie für die atomaren Kurzstreckenwaffen im Bundeswehrplan 1987 ja bereits vorgezeichnet ist. Sie werden zu wählen haben: entweder Abrüstung oder Stärkung der Abschreckung mit neuen Atomwaffen. Beides zusammen geht nicht.
Wir Sozialdemokraten haben ein Konzept.
({11})
Für uns ist die Null-Lösung ein erster und wichtiger Schritt zur Überwindung der atomaren Abschreckung und ein Schritt zu einem atomwaffenfreien Europa, in dem dann beide Seiten auch noch konventionell abrüsten müssen, bis keiner mehr zu einem militärischen Angriff fähig ist.
Deswegen unterstützen wir uneingeschränkt die Null-Lösung und fordern die Bundesregierung auf, alles zu tun, damit aus Vorschlägen ein Abkommen wird.
({12})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Wir machen ernst mit unserem Ziel: Frieden schaffen mit weniger Waffen.
({0})
Wir haben seit 1981 2 400 Nuklearwaffen einseitig in Westeuropa abgeschafft. Wir warten bis heute vergeblich darauf, daß die Sowjetunion unserem Beispiel folgt.
Wir haben während der Nachrüstungsdebatte und schon vorher gesagt: Wenn die Sowjetunion ihre SS 20 abschafft, werden wir die hier stationierten amerikanischen Mittelstreckenwaffen ebenfalls
abschaffen. Unser Wort gilt auch heute. Wir bleiben glaubwürdig.
({1})
Das heißt: Wir unterstützen die Null-Lösung so, wie sie die Vereinigten Staaten von Amerika in Genf vorgeschlagen haben. Wir begrüßen es, daß sich Gorbatschow dieser Position schrittweise genähert und das von ihm selbst aufgestellte Junktim zu SDI aufgegeben hat.
Ich gehe einen Schritt weiter: Es war unsere Politik, die das erst möglich gemacht hat. Nur weil wir standfest geblieben sind und die Nachrüstung durchgesetzt haben, haben die Sowjets eingelenkt.
({2})
Dafür gibt es einen klaren Beweis: Das letzte Angebot, das uns die Sowjets vor Beginn dieser Stationierung gemacht hatten, sah noch immer 120 SS-20Raketen mit 360 nuklearen Gefechtsköpfen auf seiten der Sowjetunion zu null auf amerikanischer Seite vor. Wären wir der Opposition, wären wir der SPD und den GRÜNEN gefolgt, so hätten wir niemals ein besseres Angebot gesehen. Nie zuvor - das sage ich Ihnen - ist eine politische Konzeption schneller, gründlicher und eindeutiger widerlegt worden als die der SPD und der GRÜNEN, und zwar durch die Sowjetunion selbst.
({3})
Sie haben die Null-Lösung mit der Begründung abgelehnt, jetzt gebe es eine neue Eiszeit; die Sowjets würden nie wieder an den Verhandlungstisch kommen.
({4})
- Den Doppelbeschluß haben Sie abgelehnt. Begründung: Eiszeit; sie kommen nie wieder an den Verhandlungstisch.
({5})
Heute sitzen sie am Verhandlungstisch. Nach Reykjavik haben Sie, Herr Ehmke, die Katastrophe der Menschheit beschworen.
({6})
Heute zeichnen sich Umrisse einer Einigung auf einem Teil dieser Grundlagen ab.
({7})
Dann haben Sie auf die Amerikaner eingedroschen, sie sollten endlich SDI aufgeben, weil sonst keine Abrüstungsvereinbarung möglich sei.
({8})
Heute zeichnet sich eine Einigung auf diesem Gebiet ab, ohne daß die Amerikaner SDI aufgegeben haben.
Auf ihrem Nürnberger Parteitag hat die SPD noch den völligen Abzug der Mittelstreckenwaffen der
Amerikaner gefordert und den Sowjets 140 Systeme - das sind 420 Sprengköpfe - zugebilligt.
({9})
Heute sind die Sowjets selber bereit, auf alle in Europa zu verzichten.
({10})
Wer von der Entwicklung so total widerlegt wird wie die GRÜNEN und die SPD, der hat allen Grund, seine politischen Irrtümer zu korrigieren, anstatt diejenigen anzugreifen, die so offensichtlich recht behalten haben.
({11})
Sie müssen endlich begreifen: Ihre Politik gefährdet nicht nur unsere Sicherheit, sondern Ihre Politik verhindert auch beiderseitige Abrüstung.
Ich will ein Argument aufgreifen, das gelegentlich vorgetragen wird, daß nämlich eine Null-Lösung die Abkoppelung Europas von der Sicherheit der Vereinigten Staaten bedeute. Ich teile diese Auffassung nicht. Ich verstehe die Sorgen zwar teilweise, teile die Meinung aber nicht.
({12})
Eine An- oder Abkoppelung der USA von Europa ist niemals nur die Funktion eines einzigen Waffensystems, sondern in erster Linie die Sache des glaubwürdigen politischen Willens, und der manifestiert sich am deutlichsten und verbindlichsten in der Stationierung von Hunderttausenden amerikanischer und deutscher Soldaten und ihrer Familien in Europa.
({13})
Außerdem sind Pershing II und Cruise Missiles nicht die einzigen Waffen der Amerikaner in Europa, die sowjetisches Territorium erreichen können: Es gibt amerikanische Flugzeuge und U-Boot-stationierte Waffen.
({14})
Ich sage allerdings drei Dinge dazu: Auf Dauer können wir als Europäer und Deutsche nicht mit der sowjetischen Überlegenheit an kürzeren Mittelstrekkenwaffen leben.
({15})
Sie sind auf unser Land gerichtet. Den Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik Deutschland ist es gleichgültig, wie die Waffen heißen, die auf sie gerichtet sind. Entscheidend ist, wen sie treffen würden. Daher ist die Forderung nach Reduzierung auf niedrige Obergrenzen ein originäres Interesse der Bundesrepublik Deutschland.
({16})
Wir fordern daher sofort anschließende Folgeverhandlungen und eine entsprechende völkerrechtliche
Verpflichtung der beiden Supermächte. Das ist nicht weniger, das ist mehr Abrüstung.
Ebenso klar ist das zweite: Bei fortschreitendem Abbau der Nuklearwaffen gewinnt die konventionelle Überlegenheit des Warschauer Pakts immer stärkere Bedeutung. Hier liegt der Kern des europäischen Sicherheitsproblems.
({17})
Die Sowjetunion ist zur Invasion fähig, wir sind es nicht. Wir haben hier eine entscheidende Vorleistung erbracht. Wenn der sowjetische Generalsekretär Gorbatschow es mit der Aussage ernst meint: gleiche Sicherheit für alle, dann muß er zum Abbau dieser Invasionsfähigkeit bereit sein. Hier liegt der eigentliche Test auf seinen Abrüstungswillen.
({18})
Ein Drittes. Für uns ist wichtig, eine sicherheitspolitische Landschaft in Europa aufrecht zu erhalten, die Kriege auch in Zukunft unführbar sein läßt, konventionelle wie nukleare. Es ist die Verknüpfung von nuklearen und konventionellen Waffen, die jeden Krieg als aussichtslos und damit sinnlos erscheinen läßt. Dem danken wir 40 Jahre des Friedens. Wir wollen diesen Frieden auch in Zukunft sichern.
Ich sage deshalb in aller Klarheit dazu: Darum kann bei dieser Lage das Bündnis auf absehbare Zeit nicht völlig auf nukleare Waffen verzichten; bei niedrigen Obergrenzen, wie ich gesagt habe. Bei einer Denuklearisierung Europas, bei der Einrichtung einer nuklearwaffenfreien Zone Europa würden Kriege wieder führbar werden. Das konventionelle Übergewicht der Sowjetunion käme politisch wie militärisch zum Tragen. Wir wollen das nicht. Wir wollen, daß unser Land sicher bleibt und daß Kriege nicht mehr führbar werden.
({19})
Ein Letztes. Wenn die Sowjetunion ihr Verhältnis zu Europa ändert, wenn die Sowjetunion die Bedürfnisse der Schwächeren nach Sicherheit berücksichtigt, wird sie in dieser Bundesregierung und in dieser Koalition stets gutwillige Verhandlungspartner für sinnvolle und tragfähige Abkommen finden, die der europäischen Sicherheit dienen. Eines aber werden wir nicht preisgeben: die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland und unsere Freiheit. Wir wollen nicht mehr, als die Sowjets von uns zugestanden erhalten, wir wollen nicht weniger, nämlich Sicherheit und die Möglichkeit, in Freiheit und in Frieden zu leben.
({20})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lamers.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der heute in Genf unterhandelte Vorschlag ist in der Tat ein Triumph der Bundesregierung,
({0})
der sie tragenden Parteien und des gesamten Westens. Das, meine Damen und Herren, ist ein starkes Wort, aber es ist nichts anderes als die einfache und für jedermann, der auch nur einen Funken von Gutwilligkeit und Einsicht hat, erkennbare Wahrheit.
Ohne die Entscheidung des Deutschen Bundestages vom 22. November 1983 sähe die Welt heute düsterer aus.
({1})
Ja, es ist in der Tat die Frage, Herr Kollege Mechtersheimer, ob sich ohne diese Entscheidung in der Sowjetunion ein Mann wie Michail Gorbatschow überhaupt hätte durchsetzen können; denn erst diese Entscheidung machte das Fiasko der sowjetischen Außenpolitik vollends offenbar.
In einer solchen Situation der Regierung die Möglichkeit zur Darstellung ihrer Position zu geben ist eine gute Tat, für die ich den GRÜNEN an dieser Stelle ausdrücklich danken möchte.
({2})
Nicht verzeihlich allerdings, meine Damen und Herren, ist, was die SPD hier teilweise geboten hat. Sie haben sich - selbstverschuldet - in eine schwielige Lage manövriert, Herr Kollege Voigt, das will ich anerkennen.
({3})
Sie haben, wenn ich es richtig verstanden habe, verklausuliert das einzig Richtige getan, was man in einer solchen Situation tun kann, nämlich zu erkennen gegeben, daß Sie sich geirrt haben, und gesagt: Nun laßt uns gemeinsam versuchen, für die Zukunft das Beste daraus zu machen.
({4})
Andere aber haben den völlig abwegigen Versuch unternommen, in angeblichen Divergenzen innerhalb der Regierung herumzubohren. Der Kollege Todenhöfer und der Kollege Wörner haben Ihre Erwartungen enttäuscht.
({5})
Es gibt solche Divergenzen nicht. Die Haltung der Koalition ist in dieser Frage völlig eindeutig.
({6})
Unglaubwürdig ist Ihre Haltung auch, Herr Kollege Voigt, solange in Ihrer Partei ein Mann wie Oskar Lafontaine Triumphe feiert, der ja nun die Sicherheit des Westens vollends unterminieren will.
({7})
Solange Sie beispielsweise nicht klar erklären, daß lediglich der Warschauer Pakt eine Invasionsfähigkeit hat, nicht aber die Bundeswehr, kann aus dieser „Gemeinsamkeit" nicht viel werden.
Die Besorgnisse, die der eine oder andere aus unseren Reihen in der Tat geäußert hat, sind aber doch, meine Damen und Herren, nichts anderes als die
Kehrseite der Tatsache, daß eine realisierte NullLösung ein Vertrauensvorschuß des Westens gegenüber der Sowjetunion wäre. Dabei leisten wir diesen Vertrauensvorschuß in der Erwartung, daß unmittelbar anschließend über den SRINF-Bereich verhandelt und eine die beiderseitige Sicherheit verbessernde Lösung gefunden wird. Aber die eigentliche Nagelprobe wird in der Tat der konventionelle Bereich sein.
({8})
Hier kann die Sowjetunion unter Beweis stellen, daß sie das, was sie im LRINF-Bereich zu tun bereit zu sein scheint, auch in diesem entscheidenden Bereich tun wird.
Unser Interesse ist nicht, aufzurüsten bzw. nachzurüsten. Wir fordern nur, daß die Sowjetunion ihre Potentiale veringert.
Vor dem Internationalen Forum hat Gorbatschow kürzlich erklärt, militärische Ungleichgewichte müßten durch Reduzierungen des jeweils Überlegenen ausgeglichen werden.
({9})
Das genau ist unsere Position, auch in der Frage der konventionellen Abrüstung, deren Lösung wir auch mit realistischem Optimismus entgegensehen, weil sich erwiesen hat, daß die Position des Westens, wenn sie fest bleibt, auch Erfolge erzielen helfen kann.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Scheer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist ein gemeinsames existentielles Anliegen, daß es zu diesem Abkommen kommt. Das ist von allen hervorgehoben worden. Das alles geht sicherlich im wesentlichen auf eine weltpolitische Wende umfassenden Ausmaßes zurück, die sich gegenwärtig vollziehen kann. Gemessen daran ist es etwas peinlich, daraus ein innenpolitisches Heckmeck zu machen, wie das einige heute getan haben.
({0})
Wer den umfassendsten Reformversuch, den es bisher in der Sowjetunion gegeben hat und der diese Thematik hier unmittelbar mitbetrifft, auf die Stationierung der Pershing II zurückführt, argumentiert nach dem Muster des kleinsten Karos, das man mit bloßem Auge noch erkennen kann.
({1})
Man argumentiert dabei so, als sei Gorbatschow geradezu deshalb Generalsekretär geworden, weil Helmut Kohl beim NATO-Doppelbeschluß durchgehalten habe.
({2})
Das ist doch etwas zu wenig.
Bei den Mittelstreckenraketen gab es im wesentlichen - und das tauchte hier in der Debatte auch mit auf - drei Positionen, die sich in der Zeit bis 1983 und auch danach gegenüberstanden. Die eine Position war der Versuch, 1979 durch die sozialliberale Koalition eingeleitet, einer beiderseitigen Rüstungskontrolle bezogen auf Mittelstreckenraketen in Europa mit Hilfe von Verhandlungen. Dazu wurde dann das Druckinstrument eingebaut, das auf Grund der Risiken zu großen innenpolitischen Protesten führte. Ich meine die Risiken in dem Falle, daß es zu einer Stationierung und zu einem Scheitern dieses Rüstungskontrollversuches kommen würde.
Dagegen gab es eine zweite Linie. Die hat gesagt - das wollte sie schon immer, und Herr Wörner, Sie wissen es, Sie gehörten dazu -, man brauche das Füllen der Abschreckungslücke durch Mittelstreckenraketen, weil es völlig unabhängig von der Zahl sowjetischer Mittelstreckenraketen so etwas hier geben müßte.
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Die dritte Linie in der politischen Debatte war die einer einseitigen Abrüstung bzw. eines Rüstungsverzichts ohne Verhandlungen, um damit angesichts ohnehin schon übermäßig vorhandener OverkillKapazitäten einen Abrüstungsprozeß einzuleiten.
Die SPD hat 1983 gegen die Stationierung gestimmt; sie hat damit nicht gegen Verhandlungen gestimmt. Vielmehr hat sie dagegengestimmt, weil nicht ernsthaft verhandelt wurde, die damals bestehenden Chancen nicht ernsthaft ausgelotet wurden, wie sich das bei der Waldspaziergangs-Lösung gezeigt hat.
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In der Tat ist es so, daß eine Null-Lösung damals nur - von vielen, nicht von allen - vertreten wurde, weil man, wie heute in Dokumenten sichtbar wird, hoffte, die Sowjetunion könne darauf sowieso nicht eingehen.
Inzwischen ist überall deutlich geworden, auch in der Sowjetunion: Ihr wächst die Rüstung über den Kopf ; man braucht Spielraum für innere Reformen. In Amerika wird Gott sei Dank auch deutlich: Die Rüstung wächst allen, auch dem eigenen Land, über den Kopf. Leider wollen einige nur Spielraum für SDI.
Wenn ein Mittelstreckenabkommen jetzt tatsächlich möglich wird, dann liegt das zum einen an der weltpolitischen Entwicklung, vor allem an diesem grundliegenden Änderungsansatz in der Sowjetunion, den wir alle durch das Ergreifen der damit vorhandenen Chancen unterstützen müssen, so wie es auch der Außenminister in den letzten Wochen mehrfach betont hat und damit unsere Auffassung voll teilt. Zum anderen liegt es aber auch daran - nachdem die Teststoppchancen, die zunächst ergriffen werden sollten, vorläufig nicht genutzt worden sind - , weil man bei Mittelstreckenraketen nach jahrelangen Verhandlungen am weitesten ist, nämlich so weit, daß
48 Deutscher Bundestag - 1 1. Wahlperiode Dr. Scheer
man hier möglichst schnell - schneller als bei anderen Materien - ein Abkommen erreichen kann. Und nicht zuletzt liegt das an dem innenpolitischen Drängen großer Teile der Öffentlichkeit in Westeuropa und in der Bundesrepublik, die nicht nachgelassen haben, zu fordern, daß die Abrüstung der Mittelstreckenraketen vorankommt. Gedrängt haben dabei nicht diejenigen, die von der rechten Seite des Hauses, sondern von der linken Seite des Hauses repräsentiert werden.
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Dies ist ein ganz klarer Sachverhalt.
Es wäre, wenn es zu einem solchen Abkommen kommt, tatsächlich ein Erfolg von ernsthaften Rüstungskontrollverhandlungen - zweifellos - , und es wäre ein Erfolg der Friedensbewegungen, die immerhin so erfolgreich waren, daß die Lückentheoretiker im Moment in Deckung bleiben,
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so erfolgreich, daß selbst Herr Todenhöfer, der noch vor wenigen Wochen ernsthafteste Bedenken gegen die Null-Lösung hatte, inzwischen offensichtlich dafür ist.
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Wenn das so ist, dann ist das nur von allen zu begrüßen. Dann sollten wir jetzt wirklich ohne weitere Junktims versuchen, daraus einen echten Erfolg zu machen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Petersen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe mir den von der OstBerliner Nachrichtenagentur ADN verbreiteten Originaltext des Vorschlags von Herrn Gorbatschow angesehen. Bei aller Begeisterung und allem Respekt, den auch ich für den Mut von Herrn Gorbatschow habe, fundamentale Reformen in der Sowjetunion durchzuführen - ob das gelingt, weiß kein Mensch, ob die festgefahrenen Strukturen konservativer, erzkonservativer Funktionäre durchbrochen werden können, weiß kein Mensch; wir können das nur mit Sympathie, Aufmerksamkeit und sehr offenen Augen verfolgen und dürfen nicht von vornherein sagen, das sei die Lösung für alle unsere Probleme - , sind zu diesem Text, so meine ich, doch einige Fragen zu stellen, die beantwortet werden müssen.
Da sagt Gorbatschow - ich kann hier nur zwei Punkte herausgreifen; darüber müßte man sehr ausführlich und sorgfältig nachdenken - z. B. - ich
zitiere -: „Wir gehen dabei von der festen Überzeugung aus, daß die künftige Sicherheit eine von Kernwaffen freie Sicherheit ist. " Meine Damen und Herren, ist das wirklich so, ist das unsere Überzeugung?
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Es hat in der Welt - das hat uns die Friedensbewegung vorgerechnet - seit 1945 140 kriegerische Auseinandersetzungen mit 30 Millionen Toten gegeben, und nur bei uns, in Mitteleuropa, wird - abgesehen vom Schießbefehl an der Mauer - nicht geschossen. Woran liegt denn das, worin unterscheiden wir uns von vielen Teilen der Welt, von Mittelamerika, vom Mittleren Osten, vom Iran und dem Irak, von anderen Teilen, die ich nicht im einzelnen aufzuzählen brauche? Doch wohl dadurch, daß hier bei uns ein Krieg nicht durchführbar wäre,
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weil die Abschreckung funktioniert. Man muß also bei jedem Schritt dafür sorgen, daß die Sicherheit dadurch nicht reduziert wird.
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Das ist, so meine ich, unsere Verantwortung, und darüber werden wir uns ohne wilde Zwischenrufe unterhalten müssen.
Der zweite Punkt: Gorbatschow spricht von „unserem gemeinsamen Haus in Europa" . Meine Damen und Herren, die Hausordnung, die Herr Gorbatschow mit seinem KGB in der DDR und in der Sowjetunion selber durchführt, ist eine Hausordnung, die ich für mein Volk nicht will. Deshalb möchte ich bei aller Begeisterung und aller Hoffnung, die in der beiderseitigen Null-Lösung, die wir alle wollen, liegt, dringend darum bitten, daß wir jetzt nicht naiv und blauäugig in bezug auf sehr schwierige Verhandlungen, die vor uns allen liegen, sind.
Danke schön.
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Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Wir sind am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 18. März 1987, 10 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.