Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/18/1987

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Zusatzpunkt 5 der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde Medienkritik von Mitgliedern der Bundesregierung im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen den amtierenden Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Dr. Uwe Barschel Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem obengenannten Thema beantragt. Interfraktionell ist Einvernehmen darüber erzielt worden, daß die Aktuelle Stunde eine abgekürzte Form haben soll. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Der frühere Bundeskanzler Adenauer ließ kurzerhand Redakteure des „Drecks-Spiegel", wie er das bekannte Hamburger Nachrichtenmagazin vorsichtshalber nur in internen Gesprächen nannte, verhaften, als ihm ein Bericht mißfiel. Das traut sich sein Enkel in durchaus sympathischer Zaghaftigkeit natürlich nicht zu. Er beschränkt sich auf Verwünschungen und Injurien. „Eine üble und unerträgliche Kampagne", „ein Stück aus dem Tollhaus", mit solchen Sprüchen versucht Bundeskanzler Kohl, auf bestimmte Presseorgane den Bannfluch zu legen. Auch Bundeswirtschaftsminister Bangemann hielt es nicht unter der ihm eigentümlichen Würde, die ihm niemand absprechen wird, eiligst den „Spiegel" zu verdammen, weil er über Vorgänge im zurückliegenden schleswig-holsteinischen Wahlkampf berichtet hat, die - weiß der Himmel - das Interesse der Öffentlichkeit verdienen. ({0}) Und nicht zuletzt der hitzig-schwitzige Unklare aus dem Norden, ({1}) Bundesfinanzminister Stoltenberg, empörte sich über eine linke Kampfpresse, der er offenbar das Handwerk legen will. ({2}) Nun mag bei Ihnen niemals Frohsinn geherrscht haben, daß der „Spiegel" die Flick-Affäre aufgedeckt hat, den Neue-Heimat-Skandal ans Licht brachte, ({3}) die seltsamen Geschäfte von Herrn Strauß - lange ist's ja her - enthüllte. Aber was gibt Ihnen als auf die Verfassung vereidigten Mitgliedern der Bundesregierung das Recht, sich zum Oberzensor der Medien aufzuwerfen? ({4}) Gewiß verlangt niemand den „Spiegel" heiligzusprechen. ({5}) Vermutlich hat sich nahezu jeder einmal hier im Hause fürchterlich über den „Spiegel" geärgert. ({6}) - Ich auch! - Es ist aber quasi eine Existenzbedingung einer freien und unabhängigen Presseberichterstattung, daß sie niemandem zu Gefallen sein kann. Eine freie Presse schafft Öffentlichkeit, ohne die Demokratie nicht funktioniert. ({7}) In den USA käme niemand auf den Gedanken, die „Washington Post" oder die „New York Times" als linke Kampfpresse zu verunglimpfen, weil sie Skandale aufgedeckt haben. Es ist leider in der deutschen Geschichte eine häufig wiederkehrende Untugend, daß die mit staatlicher Macht ausgestatteten Personen nicht in der Lage sind, die Souveränität der Gesellschaft und der einzelnen Menschen anzuerkennen, anzuerkennen, daß das Volk, die einzelne Bürgerin und der einzelne Bürger selbst wissen, welche Tatsachen wie zu beurteilen sind, und daß es unter keinen Umständen gestattet ist, ihnen Informationen vorzuenthalten und die öffentliche Debatte einzuschränken. ({8}) Wenn der Bericht des „Spiegel" über die Affäre Barschel so wenig beweiskräftig ist, wie behauptet wird, kann das das Volk ebensogut oder ebensoschlecht verstehen wie jeder Politiker. Wir sind nicht der Vormund des Volkes. Selbstverständlich wollen die Bürgerinnen und Bürger wissen, wie es möglich war, das Herr Pfeiffer, den die CDU heute für einen ganz schlimmen Finger hält, für die Dauer des schleswigholsteinischen Landtagswahlkampfes als Medienberater des Ministerpräsidenten Barschel eingestellt wurde. ({9}) Es scheint dem zornigen Herrn Stoltenberg nicht aufgefallen zu sein, daß allein der Mißbrauch regierungsamtlicher Stellen für Wahlkampfzwecke einen schwerwiegenden Verfassungsbruch darstellt, ({10}) ohne Rücksicht darauf, ob Herr Barschel von den Aktivitäten Pfeiffers im Detail gewußt hat oder nicht. Warum ereifert sich Herr Stoltenberg, der über die ordnungsgemäße Verwendung der Steuergelder zu wachen hat, nicht über die Tatsache, daß ein Regierungsangestellter Chef vom Dienst einer CDU-Wahlkampfzeitung wird? ({11}) Wenn die Darstellung von Herrn Pfeiffer im „Spiegel" nur eine finstere Medienverschwörung sein soll, wie ist es dann zu erklären, daß die Stelle des Medienberaters nicht ausgeschrieben wurde, sondern daß Herr Pfeiffer durch den Ministerpräsidenten Barschel höchstpersönlich für die Staatskanzlei engagiert wurde? ({12}) Wenn Herrn Barschel die Methoden des Herrn Pfeiffer so fremd sein sollen, wie reimt es sich dann zusammen, daß die CDU unbestritten über Monate einen auf die persönliche Integrität des sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Engholm zielenden Wahlkampf geführt hat, ohne daß Barschel dagegen eingeschritten ist? ({13}) Warum hat sich Herr Stoltenberg nicht beizeiten zu der feststehenden Tatsache geäußert, daß Björn Engholm bespitzelt und sein Steuergeheimnis gebrochen wurde? ({14}) Oder gilt für Herrn Stoltenberg das Steuergeheimnis nur dann, wenn die Spendenpraktiken der sogenannten „Staatsbürgerlichen Vereinigung" vertuscht werden sollen?

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluß. ({0}) Es darf der Rechtsregierung jedenfalls nicht gelingen, die Medienlandschaft restlos zu planieren. Einige Oasen freier Presseberichterstattung müssen mindestens erhalten bleiben, um die Demokratie nicht verdursten zu lassen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende. Es tut mir leid, Herr Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Redaktion des Fernsehmagazins „Monitor" soll jetzt ein Maulkorb umgehängt werden, weil sie es gewagt hat - ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Schily, das war ein letzter Satz. ({0}) Herr Abgeordneter, ich habe das Mikrophon abschalten müssen. Sie haben das Recht gehabt, fünf Minuten zu sprechen. ({1}) Ich bitte Sie, das Rednerpult zu verlassen. ({2}) Es tut mir leid, wir müssen alle gleich behandeln. Die Redezeit beträgt nach der Geschäftsordnung nur fünf Minuten. ({3}) Das Wort hat der Abgeordnete Weirich.

Prof. Dieter Weirich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002456, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Wer wie der „Spiegel" wenige Stunden vor der Öffnung der Wahllokale in Schleswig-Holstein eine manipulative Brandfackel in die Wahllandschaft schleudert, ({0}) wer seine Titelstory mit einer unbewiesenen Tatsachenbehauptung unter der Überschrift „Barschels schmutzige Tricks" ausstaffiert, wer dabei im vorhinein massive Vorverurteilungen vornimmt und damit ein Stück journalistischer Freiheit mißbraucht, der fordert Kritik geradezu heraus, auch durch den BundesWeirich kanzler und Bundesvorsitzenden der Union und den Chef der schleswig-holsteinischen CDU, Herrn Bundesfinanzminister Stoltenberg. ({1}) Ich füge hinzu, meine Damen und Herren: Die Mitglieder der Bundesregierung sind keine Zensoren, wie der grüne Herr Kollege Schily sagt, aber sie sind auch keine politischen Eunuchen. Sie haben wie die GRÜNEN in diesem Hause das Recht auf Meinungsfreiheit. ({2}) Ich füge hinzu: Die ganze Union steht zu dieser berechtigten Kritik. Ich halte es mit dem der SPD nahestehenden Chefredakteur der „Zeit", Theo Sommer, der geschrieben hat - ich zitiere wörtlich - : ({3}) Nicht die Schärfe des Angriffs bestürzt, sondern die schüttere Basis, auf der er vorgetragen wurde. Er fügte an anderer Stelle hinzu: Investigationsjournalismus ... er fordert ein gewisses Maß an Investigation. Daran hat es gefehlt. Der Jagdeifer übermannte die professionelle Sorgfalt. Das muß ... traurig stimmen. Soweit der Sozialdemokrat Theo Sommer. Da tröstet es auch nicht, wenn man weiß, daß es in der „Spiegel"-Redaktion heftigste Auseinandersetzungen gegeben hat, ob die Fairneßregeln sträflich mißachtet werden. Da tröstet es auch nicht, wenn der „Spiegel"-Herausgeber Augstein in einen Interview etwas salopp-zynisch sagt: Im Falle eines Zusammensturzes des Kartengebäudes gegen Barschel fällt bei uns - wörtliches Zitat - „niemand ein Zacken aus der Krone, ({4}) wenn er sich bei einem zu Unrecht verdächtigten Ministerpräsidenten entschuldigt". ({5}) Was unrechte Verdächtigungen angeht, so hat Herr Barschel in den letzten Wochen einiges ertragen müssen, beispielsweise die infame und wahrheitswidrige Unterstellung zweier Presseorgane, er habe eine Mitschuld am Tod der Piloten bei jenem Flugzeugunglück, das er als einziger überlebt habe. Eine Entschuldigung der Verantwortlichen zu dieser unwahren Meldung ist bis zur Stunde ausgeblieben. ({6}) Da setzt sich Herr SPD-Fraktionschef Vogel am Wahlabend in der Fernsehrunde mit gestrenger Miene hin ({7}) und sagt, es müsse alles geklärt werden. - Da gebe ich ihm recht. Er fügt hinzu: Für uns gibt es keine Vorverurteilung. Zur gleichen Zeit nimmt sein sozialdemokratischer Pressedienst ppp in grobschlächtigster und primitivster Weise diese Vorverurteilung vor. ({8}) Unter der Überschrift „Barschel und die Detektive" macht man Hand in Hand mit Herrn Pfeiffer den Regierungschef persönlich verantwortlich. Wörtlich heißt es dort: Mit einer Schmutz- und Schnüffelkampagne ohne Beispiel zeigt Barschel sein wahres Gesicht. ({9}) Diesem christlichen Demokraten - so der SPD-Pressedienst weiter - sei „keine Lüge zu obszön, keine Verleumdung zu niederträchtig". - Meine Damen und Herren von der SPD, ist das die vielbeschworene politische Kultur in diesem Hause? ({10}) Vier Feststellungen zum Abschluß. Der Fall „Spiegel"/Pfeiffer gehört so schnell wie möglich vor das Selbstkontrollorgan des Deutschen Presserates. Meine Damen und Herren, ich mag altmodisch sein, ({11}) aber ich vertraue dem Ministerpräsidenten Barschel mehr ({12}) als dem zwielichtigen Zeugen Pfeiffer. ({13}) Wir schweigen nicht, wenn man uns durch einen schlecht recherchierten und kaum gegengecheckten Bericht mit einem Überraschungsangriff publizistisch wehrlos zu machen versucht. ({14}) Wir stehen hinter den deutlichen Reaktionen der Bundesregierung zu diesem - wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" schreibt - massivsten Versuch der Wahlbeeinflussung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. ({15}) Eine allerletzte Bemerkung, meine Damen und Herren, die grundsätzlich gilt. ({16}) Wer die Technik des Rufmords meisterhaft beherrscht, mag für manchen in der Massenkommunikationsdemokratie als bewundernswert clever gelten. Doch er zerstört jenes Maß an politischer und publizistischer Kultur, das einem Angegriffenen ohne aufgeregte Voreingenommenheit ({17}) und ohne Begleitung durch durchsichtige politische und publizistische Kampagnen die Möglichkeit der Verteidigung, Entgegnung und Offenlegung gibt, was in den nächsten Wochen passieren soll. Zur politischen und publizistischen Kultur gehört zuallererst ein Mindestmaß an Fairneß und persönlichem Anstand.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Prof. Dieter Weirich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002456, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich komme zu meinem letzten Satz. - Beides sollte auch Uwe Barschel bei der Klärung der Vorgänge auch von seinen härtesten politischen und publizistischen Gegnern nicht verwehrt werden. Ich danke Ihnen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beginne mit einem Zitat, etwas gekürzt: [Die] im Pressewesen tätigen Personen [haben das Recht], ihre Meinung in der ihnen geeignet erscheinenden Form ebenso frei und ungehindert zu äußern wie jeder andere Bürger ... [Dem] widerspräche es, die Presse ... von Staats wegen zu reglementieren . . . Selten wurde gegen diese Prinzipien so kraß verstoßen wie am Abend der schleswig-holsteinischen Landtagswahl. ({0}) Bundesminister Stoltenberg verteilte Zensuren: „Linke Organe der Kampfpresse wie ,Stern' und ,Hamburger Morgenpost"' und „dieses linke Kampforgan ,Spiegel'". Bundeskanzler Kohl schwadronierte von einem „präparierten Stück aus dem politischen Tollhaus" und eben Herr Weirich von der „Brandfakkel". Ich plädiere für einen Moment der Besinnung. ({1}) Als ich am Sonnabend von der bevorstehenden „Spiegel"-Veröffentlichung erfuhr und im Fernsehen das Dementi von Herrn Barschel verfolgte, in dem übrigens nicht darauf verzichtet wurde, Unterstellungen gegen Björn Engholm zu wiederholen, ({2}) dachte ich im ersten Augenblick an die Verschiebung der Landtagswahl. ({3}) Ich fand, da war den Wählerinnen und Wählern zuviel zugemutet worden. Was sollten sie glauben, und wie sollten sie sich entscheiden? Aber die rechtlichen und politischen Probleme einer Verschiebung der Wahl sind offenbar. Am Sonntag nach 18 Uhr wartete ich in einem großen Kreis von SPD-Anhängern auf die ersten Nachrichten. Eine Reaktion der Empörung im Sinne von „Jetzt kommt das" ging durch den Kreis, als Herr Pfeiffer erstmals im Fernsehen auftrat und im Originalton neue Vorwürfe gegen Herrn Barschel erhob. Ich weiß heute nicht, wer von beiden die Wahrheit sagt, aber gewiß war die Erklärung Pfeiffers eine Nachricht. Seine Einstellung durch Herrn Barschel, sein Aufgabenbereich, seine Vorgeschichte sind unstrittige Fakten, die die Glaubwürdigkeit eines Ministerpräsidenten schon ins Wanken bringen können. ({4}) Und dennoch glaube ich, es war richtig, daß das ZDF diese Nachricht erst nach der Wahl gesendet hat. Ich sage: ich glaube. Ich bin mir aber nicht sicher. Vielleicht braucht man mehr Zeit und Abstand, um das beurteilen zu können. ({5}) Ich kann dabei weder Herrn Barschel noch Herrn Pfeiffer im voraus verurteilen oder im voraus freisprechen. Tatsache ist aber: Das Privatleben Björn Engholms wurde bespitzelt, und seine Steuerakte wurde auf Grund eines anonymen Schreibens überprüft. Tatsache ist: Björn Engholm wurde nicht darüber informiert, ({6}) obwohl höchste Stellen der Landesregierung davon wußten. Und Tatsache ist: Das, was der Minister Stoltenberg in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der schleswig-holsteinischen CDU unter Kampfpresse versteht, haben wir in diesem Landtagswahlkampf jedenfalls erfahren. ({7}) Da wurden Björn Engholm und der SPD unappetitliche und inzwischen sattsam bekannte Dinge unterstellt. Das stand alles in den Presseorganen der schleswig-holsteinischen CDU, für die ihr Landesvorsitzender, Gerhard Stoltenberg, verantwortlich ist. ({8}) Durch gerichtliche Entscheidung wurde ihm die Verbreitung solcher wahrheitswidrigen Behauptungen untersagt. Aber, Herr Stoltenberg: Eine Entschuldigung von Ihnen steht noch aus. ({9}) Als eine Tochter Björn Engholms 1983 vor der Landtagswahl in der Schule ihren „Durchhänger" hatte, da wurde die Schulakte des Kindes an die Öffentlichkeit gespielt. ({10}) Die „Bild"-Zeitung zitierte daraus. Da wurde die Tochter geschlagen, weil der Vater getroffen werden sollte. Nie hat sich jemand dafür entschuldigt. Zufall oder Zerfall der politischen Kultur? ({11}) Um diese politische Kultur, um ihre Bewahrung haben sich „Stern", „Morgenpost" und „Spiegel" mehr verdient gemacht als mancher von uns. ({12}) Ich habe mit einem Zitat begonnen. Es stammt aus der Doktorarbeit des Herrn Barschel aus dem Jahre 1971 über die Stellung des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten. ({13}) Ich zitiere aus dieser Arbeit jetzt von Seite 139. Da heißt es: Die Presse wird besonders dann den Ministerpräsidenten überwachen, wenn er ... sich [nicht] auf eine echte regierungsfähige Mehrheit stützen kann. In dieser Situation ist besonders zu erwarten, daß die Presse jede Handlung des Ministerpräsidenten dahin überprüft, ob sie mit dem Willen der Mehrheit der Parlamentarier übereinstimmt. ({14}) Diese Erwartung des noch amtierenden Ministerpräsidenten teilen wir Wort für Wort. Die Presse trägt dabei eine große Verantwortung, die wir ihr nicht abnehmen können. Sie zu kritisieren ist das Recht eines jeden, auch eines Mitglieds der Bundesregierung, aber bitte mit Anstand, meine Herren! ({15})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert ({0}).

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich verstehe nicht so recht, Herr Kollege Schily, warum Sie sich darüber aufregen, daß wir hier sozusagen den Mond anbellen. Da sitzt in Hamburg König Artus' Runde, edle Ritter, ohne Fehl und Tadel, hehre Lichtgestalten, und ({0}) bestimmt sowieso, wer hier recht und schlecht tut, bestimmt, was die politische Kultur der Nation und deren Moral ist. ({1}) Und wenn sie das alles wissen, dann werden sie schließlich auch noch den Zeitpunkt ihrer Veröffentlichungen bestimmen können. Was haben wir einfachen Menschen damit zu tun, und wie können Sie sich über das, was wir dazu an Randbemerkungen machen, etwa aufregen? Das ist doch an sich kein Anlaß, der Ihrer rhetorischen Begabung würdig wäre. ({2}) Herr Gansel hat das Problem ein wenig erkannt ({3}) und ist deshalb von der eigentlichen Themenstellung auf den Sachverhalt selbst ausgewichen und hat ihn auf mannigfache Weise schillernd hier mit eingeführt, hat sich aber weniger der Frage gestellt, wer hier veröffentlichen und kritisieren darf und wer nicht. Und schon gar nicht haben Sie beide die Kernfrage ins Auge gefaßt, ({4}) mit der die meisten Kritiker sich ausschließlich befaßt haben, nämlich: zu welchem Zeitpunkt? Es geht - z. B. in der Kritik, die unser Vorsitzender, Herr Bangemann, in der Fernsehrunde geübt hat - ausschließlich um die Frage, wann diese Vorveröffentlichung erschienen ist. ({5}) Wir sind sogar so zurückhaltend gewesen, noch nicht einmal zu prüfen, ob die dann vorliegenden Unterlagen das Ganze decken würden. Herr Weirich hat dazu aus der „Zeit" schon einiges zitiert. Damit haben wir uns gar nicht näher befaßt. Aber daß am Wahlvorabend ohne jede Möglichkeit einer Gegenäußerung, ohne überhaupt herauszukriegen, wie dünn die Unterlagen sind, die der „Spiegel" hatte, das veröffentlicht wird, ist ein ganz tolles Stück. ({6}) Und nur darüber haben sich die Beteiligten - zugleich übrigens als Betroffene - geäußert. Der Herausgeber des „Spiegel", Herr Rudolf Augstein, sagt dazu in dem „Zeit"-Interview: „Wir sind auf die Idee, daß dieser Artikel die Wahlen beeinflussen könnte, geschweige denn sollte, überhaupt nicht gekommen." ({7}) Das ist natürlich scharfer Tobak. Leute, die so mit dem Sachverhalt umgehen, müssen sich gefallen lassen, daß sie auch nach anderen Dingen etwas peinlicher gefragt werden. ({8}) Und so schmilzt das Ganze zurück auf den logischen, den rechtlichen Aufbau, sehr geehrter Herr Kollege Schily, des Art. 5 des Grundgesetzes. Da findet sich in Absatz 1 zunächst einmal ganz klar an erster Stelle, daß jeder das Recht hat, seine Meinung zu sagen. ({9}) Dann kommt im zweiten Satz, daß die Pressefreiheit zu gewährleisten ist, und der dritte Satz bezieht sich auf die Abwesenheit der Zensur. Daraus folgere ich, daß mindestens das Recht, meine Meinung über den „Spiegel" zu sagen, oder das Recht von Herrn Bangemann und Herrn Stoltenberg, jeweils die eigene Ansicht über den „Spiegel" und den Zeitpunkt seiner Veröffentlichungen und die Art und Weise seines Vorgehens zu sagen, dem Recht des „ Spiegel" , derartige Maßnahmen vorzunehmen, gleichsteht. Und mehr ist überhaupt nicht behauptet worden. ({10}) Auf der Basis dieser Überlegungen ({11}) Kleinert ({12}) sollten Sie sich noch einmal überlegen, ob es sehr sinnvoll war, um diese Aussprache heute morgen zu bitten. Wir schätzen diese Aussprache sehr, weil sie uns Gelegenheit gegeben hat, Sie einmal in einer besonders schwachen Stunde zu erleben ({13}) und übrigens einige Anmerkungen zu der Sache zu machen. Danke schön. ({14})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schily hat in der ihm eigenen moralisierenden und zugleich andere herabsetzenden Art ({0}) - lesen Sie doch einmal nach, was er über mich unter dem Beifall einiger Ihrer Kollegen gesagt hat, Herr Jahn ({1}) mich dafür kritisiert, daß ich am Wahlabend von einer linken Kampfpresse gesprochen habe. ({2}) Nun will ich Ihnen sagen, wer denn eigentlich den Begriff Kampfpresse in die politische Diskussion der Bundesrepublik Deutschland eingeführt hat. ({3}) Dies ist das langjährige Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion, der frühere Regierungssprecher, der frühere „Spiegel"-Redakteur Conrad Ahlers gewesen. Wen das interessiert, dem empfehle ich, einmal das Protokoll ({4}) des Streitgesprächs zwischen dem damaligen stellvertretenden Regierungssprecher Conrad Ahlers ({5}) und dem Chefredakteur der „Frankfurter Rundschau", Karl-Hermann Flach, in der Zeit vom 27. bis 29. November 1968 in der Evangelischen Akademie Loccum nachzulesen. Damals hat Conrad Ahlers u. a. gesagt: Das Wesen der Kampfpresse ist, daß sie sich weniger die allgemeinen Aufgaben der Publizistik, wie wir sie in der demokratischen Gesellschaft verstehen, zum Ziel gesetzt hat, sondern einen ganz bestimmten politischen Kampf mit publizistischen Mitteln führt. ({6}) Ich zitiere trotz Ihrer Unruhe noch einen zweiten Satz: Das dritte - das scheint mir persönlich das Bedenklichste zu sein ist das unfaire Verhalten gegenüber dem politischen Gegner selbst, das Maß an Unfairneß, das im Zusammenhang mit politischen Auseinandersetzungen in die deutsche Presse eingebrochen ist. ({7}) Conrad Ahlers hat übrigens damals als Regierungssprecher - Herr Schily, dies sage ich, weil Sie mich als Bundesminister angesprochen haben - sowohl im Hinblick auf den „Stern" wie im Hinblick auf die „Frankfurter Rundschau" keine Bedenken gehabt, dies zu verdeutlichen. Dies sage ich nur, weil Sie meinen, Regierungssprecher oder Regierungsmitglieder seien in der kritischen politischen Auseinandersetzung behindert. Die gebrachten Zitate sind sehr aufschlußreich für den hier heute strittigen Sachverhalt. Sie können doch nicht bestreiten, daß, wie ich am Wahlabend gesagt habe, die „Morgenpost" mit profilierten sozialdemokratischen Redakteuren an der Spitze und der „Stern" wahrheitswidrig mitten im Wahlkampf unserem Ministerpräsidenten, meinem Freund Uwe Barschel, eine Mitschuld am Tod der Piloten geben wollten. Sie können doch nicht bestreiten, daß dieser Vorwurf zusammengebrochen ist. Deswegen sollten Sie hier nicht so selbstgerecht auftreten, meine Kollegen von den Sozialdemokraten und den GRÜNEN. ({8}) Daß das natürlich ein schwerer Schlag für uns in diesem Wahlkampf war, konnten wir an dem Abend noch einmal in Erinnerung rufen, nachdem wir den zweiten Vorgang - ({9}) - Ich formuliere hier ganz exakt und setze mich mit dem Thema Kampfpresse und bestimmten Personen in Ihrer Partei auseinander. ({10})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Einen Augenblick, Herr Minister, ich will Ihnen etwas Ruhe verschaffen. Aufgeregtheit ist verständlich, aber es gibt Redner von allen Seiten, die Vorwürfe zurückweisen können. Insofern bitte ich, bei den Zwischenrufen ein bißchen zurückhaltender zu sein.

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Ich lasse mich von Ihnen nicht provozieren, Herr Kuhlwein. Ich bewerte den Vorgang der „Spiegel" -Veröffentlichung und - was besonders schlimm ist - der Verbreitung bestimmter Thesen über Nachrichtenagenturen am Sonnabend - während das Blatt erst am Montag zu kaufen war - unverändert. Ich bewerte ihn so, wie ich das am Wahlabend gesagt habe und wie es von Herrn Weirich, dem Kollegen Kleinert und anderen hier im einzelnen dargestellt worden ist. ({0}) Ich werde aus Zeitgründen dazu nichts weiteres sagen. Herr Schily, Sie sagen die Unwahrheit, wenn Sie unterstellen, daß sich die CDU nicht von den wirklich scharf zu verurteilenden Aktionen des Herrn Pfeiffer gegen Herrn Engholm distanziert hat. Wir haben das getan, ({1}) und ich tue es hier bekräftigend erneut. ({2}) - Ich sage Ihnen: Wir haben das vor der Wahl getan, und ich tue das hier erneut. ({3}) - Sie sind vollkommen unfähig, eine sachliche Debatte zu führen, meine Damen und Herren von der SPD. ({4}) Herr Kollege Gansel, Sie sagen die Unwahrheit, wenn Sie hier behaupten, daß mir durch eine einstweilige Verfügung bestimmte Aussagen untersagt worden seien. Die einstweilige Verfügung richtet sich gegen eine Ausgabe einer Wahlkampfzeitung, für die als Herausgeber der Generalsekretär der schleswigholsteinischen CDU verantwortlich zeichnet, der diese Aussagen ausdrücklich bedauert. ({5}) Ich teile das Bedauern darüber, daß hier eine Äußerung sozialdemokratischer Juristen, die unbestreitbar ist, der Sozialdemokratischen Partei insgesamt zugesprochen wurde. Dies war ein Fehler, den wir bedauern. Nur sollten Sie hier nicht so selbstgerecht sein angesichts Ihrer Wahlkampfmethoden in einem anderen Zusammenhang. ({6}) Meine Damen und Herren, ich sage abschließend: Mir hat Ministerpräsident Uwe Barschel in einem langen Gespräch vor wenigen Tagen in einer überzeugenden Weise dargelegt, wie er die gegen ihn erhobenen Vorwürfe widerlegen will. Er wird heute um 11.00 Uhr in einer Pressekonferenz dazu Stellung nehmen. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuß wird auf Wunsch aller Fraktionen die Sachverhalte klären. Ein gerichtliches Verfahren ist eingeleitet. ({7}) Es entspricht rechtsstaatlichen Grundsätzen, auf die Sie sich sonst immer berufen, daß Sie auch in diesem Falle Fairneß und Anstand walten lassen. Schönen Dank. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Olderog.

Dr. Rolf Olderog (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001645, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Schily und Herr Gansel haben hier heute erneut schwere Vorwürfe gegen den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten erhoben, obwohl sie wissen, daß der Ministerpräsident in zwei Stunden Punkt für Punkt zu den vom „Spiegel" gegen ihn erhobenen Vorwürfen Stellung nehmen wird. ({0}) Was Sie hier vorgetragen haben, ist doch ein weiteres Stück unfairer Vorverurteilung, meine Damen und Herren. ({1}) Sie tadeln Herrn Dr. Stoltenberg und den Bundeskanzler. Meine Damen und Herren, hier geht es um einen unerhörten Angriff auf die Ehre des Ministerpräsidenten, ({2}) aber es geht auch um einen gezielten und im Zeitpunkt genau berechneten Eingriff in die freie Wahlentscheidung der schleswig-holsteinischen Bürger. ({3}) Der „Spiegel" wollte das Wahlergebnis in seinem Sinne beeinflussen, und er hat es erreicht. Wahlforscher sprechen davon, daß dieser unerhörte Vorgang die CDU in Schleswig-Holstein 6 000 bis 7 000 Stimmen gekostet hat. ({4}) Der CDU fehlten für das 34. Mandat in Kiel nur etwa 1 600 Stimmen. Der „Spiegel" hat die schleswig-holsteinische Landtagswahl verfälscht, und das ist ein unerhörter Vorgang. ({5}) Meine Damen und Herren, diese Affäre macht mich auch persönlich betroffen. Uwe Barschel, der mein Freund ist, hat sich in der Sache klar und eindeutig eingelassen. Ich kenne ihn aus einer jahrelangen engen persönlichen Zusammenarbeit. ({6}) Ich weiß, wie er denkt und handelt. Ich vertraue Uwe Barschel. ({7}) Meine Damen und Herren, ich erinnere an das, was Dr. Stoltenberg gesagt hat: Es war ja nicht die erste Presseattacke in diesem Wahlkampf. ({8}) Die „Morgenpost" und der „Stern" haben Uwe Barschel vorher schon in unglaublicher Weise attackiert. Sie hatten dem gerade aus dem Krankenhaus entlassenen Barschel vorgeworfen, die Piloten des Unglücksflugzeuges zur riskanten nächtlichen Landung auf dem Flughafen Blankensee gezwungen zu haben. ({9}) Damit sei er verantwortlich für den Tod der beiden Piloten. Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang, meine Damen und Herren. Uwe Barschel hat das Punkt für Punkt entkräften können. ({10}) Aber wir wissen und erfahren aufs neue: Es gibt bestimmte linke Zeitungen und Zeitschriften, denen kein Gerücht zu abwegig, keine Quelle zu dubios und keine Verdächtigung zu plump ist. Hauptsache, es dient dem Kampf gegen die CDU. ({11}) Meine Damen und Herren, es wird gefordert: Uwe Barschel muß das alles klären. Wie ist es denn eigentlich: Soll es bei uns politischer Stil werden, daß sich der Verleumdete entlasten muß, ({12}) oder ist der fundamentalste Rechtsgrundsatz nicht der: Wer Böses über einen anderen behauptet, der muß es auch beweisen? Wer das nicht kann, ist ein Verleumder; so steht es im Strafgesetzbuch, und so verlangt es auch die politische Moral. Ich appelliere an die um Fairneß bemühten Journalisten, sich dessen bewußt zu sein. Meine Damen und Herren, wie unseriös das ganze Unternehmen des „Spiegels" und der SPD ist, enthüllt der „Stern" in seiner neuesten Ausgabe. Danach hat Herr Pfeiffer seine Informationen zunächst der Kieler SPD angeboten. Sie hören richtig. Er hat sie der Kieler SPD angeboten. Die haben sich erkundigt, haben recherchiert, und dann haben sie den Herrn Pfeiffer mitsamt seinem Material wieder nach Hause geschickt. ({13}) Genau diesen Herren Pfeiffer machen Sie jetzt zum Kronzeugen gegen den Ministerpräsidenten. Wie können Sie da noch in den Spiegel sehen. ({14})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, daß es auf allen Seiten Gründe für Aufregung gibt. Wir merken das ja auch, wechselnd je nach Redner. Ich bitte trotzdem noch einmal, auch die letzten beiden Redner, die noch in dieser Debatte sprechen, in Ruhe anzuhören. Jetzt hat der Abgeordnete Duve das Wort.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Stoltenberg, Sie haben eben hier vor dem Deutschen Bundestag zugegeben, von den Machenschaften des Herrn Pfeiffer gewußt zu haben, indem Sie gesagt haben, schon vor der Wahl hätten Sie sich dafür entschuldigt. Dies wollen wir hier festhalten. ({0}) f Zweitens möchte ich hier sagen: ({1}) Der Mitarbeiter des Ministerpräsidenten, der Staatsbedienstete Pfeiffer, sagt, namens und im Auftrage von Uwe Barschel habe er den Journalisten Bednarz bespitzeln lassen. ({2}) Das wäre rechtswidrig. ({3}) Der Staatsbedienstete Pfeiffer sagt, namens und im Auftrage des Ministerpräsidenten habe er den Oppositionsführer Engholm bespitzelt - auf der vergeblichen Suche nach Dreck. Das wäre Verfassungsbruch. Der auf Zeit in den Staatsdienst übernommene Pfeiffer wird als amoralisches Subjekt abqualifiziert, damit seine Aussagen über eigene amoralische Taten unglaublich erscheinen. ({4}) Frage: Sind je glaubhaftere Taten von einem Mann mit dieser Vergangenheit unter Eid zugegeben worden? Die „Spiegel"-Geschichte war logisch und mußte erscheinen. Ein Journalist, der sich den Zeitpunkt für die Veröffentlichung seines Wissens nach politischtaktischen Gesichtspunkten aussucht, ist kein Journalist, ({5}) sondern ein Öffentlichkeitsstratege oder ein PR- Agent. ({6}) Der „Spiegel" druckt, was er weiß. Dossiers für richtige Zeitpunkte ließ die Kieler Staatskanzlei anfertigen. ({7}) Warum keine einstweilige Verfügung, warum bisher kein Gegeneid von Barschel, um den „Spiegel" zu stoppen? ({8}) Bis heute ist der Erstinformant des Watergate-Verbrechens anonym geblieben. Bis heute weiß niemand, wer den ersten Tip gab. Es war der Tip eines Mitwissers und vielleicht Mittäters - am Anfang kein sehr glaubwürdiger Zeuge - , und trotzdem mußte Nixon gehen. Stoltenberg, Kohl und Bangemann versuchen, mit Demagogie und Pressebeschimpfung Barschel Feuerschutz zu geben. Wir stehen alle vor einem Abgrund von Verfassungsverrat und politischer Verkommenheit. ({9}) Es sind Machenschaften der dem Ministerpräsidenten unterstellten Presseabteilung offenbar geworden. Die wollten doch ausforschen, ({10}) weil sie sich auf die Sensationsgier der ihnen gewogenen Presse glaubten verlassen zu können. ({11}) Unsere Presse ist weit weniger schmutzsüchtig, als die Phantasie des Herrn Ministerpräsidenten sie nach Aussagen seines Mitarbeiters gern gehabt hätte. ({12}) Ich sage das als Sozialdemokrat, der Schmutzkampagnen von Presseorganen, geführt gegen meine Partei und gegen unsere Spitzenpolitiker, jahrelang erlebt hat. ({13}) Mitverantwortlich nicht nur für die Regierungskampagne gegen den „Spiegel", sondern auch für die Affäre selbst ist Herr Dr. Stoltenberg. Herr Stoltenberg hat früher gerne gegen Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst gewettert. Wenn heute verfassungsfeindliche Umtriebe aus der engsten Umgebung von Herrn Barschel bekannt werden, wettert er gegen die „linke Kampfpresse", statt den Verantwortlichen zum Rücktritt zu zwingen. Aus freien Stücken ist Willy Brandt zurückgetreten, weil in seinem Amtsbereich ein Guillaume tätig war. ({14}) Brandt wollte der Demokratie und der demokratischen Kultur einen Dienst erweisen. ({15}) Gerhard Stoltenberg, Sie haben die Wahl: Entweder Sie halten Barschel und wettern weiter gegen den „Spiegel" - dann verabschieden Sie sich endgültig und ein für allemal vom Prinzip der politischen Verantwortlichkeit einer demokratisch gewählten Führung - , oder Sie bekennen sich endlich wieder zu diesem Prinzip. Sie sind persönlich verantwortlich, Herr Dr. Stoltenberg! Sie gelten hier im Lande als der kälteste Demagoge der Republik. ({16}) Wachen Sie endlich auf! ({17}) Verzichten Sie auf Ihr „besonderes" Talent und begreifen Sie endlich, um was es hier geht! Entlassen Sie Ihren Ministerpräsidenten, sonst breitet sich die sumpfige Klebrigkeit, die Herrn Barschel an seinen Stuhl fesselt, über das ganze Land aus! ({18})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Duve, die Formel, die Sie in einem Schlußsatz mit dem Begriff des Demagogen verwendet haben, war unparlamentarisch. ({0}) Ich habe eine Wortmeldung des Bundesministers der Finanzen. ({1}) Ich gehe davon aus, daß es sich um die Nutzung des § 30 der Geschäftsordnung, eine Erklärung zur Aussprache, handelt. ({2})

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur kurz sagen, daß Herr Kollege Duve mich in seinem Eingangssatz unkorrekt zitiert hat, wie das Protokoll ausweisen wird. Er kann aus diesem Eingangssatz, der im Protokoll nachzulesen ist, nicht jene abträglichen Folgerungen herleiten, wie er das versucht hat. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bötsch! ({0})

Dr. Wolfgang Bötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000228, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Gansel möchte die Worterteilung des Präsidenten offenbar zurückziehen, aber auch das wird ihm nicht gelingen. Ich will zu Beginn nochmals auf das Thema der Aktuellen Stunde hinweisen, weil ich den Eindruck habe, schon auf Grund des einleitenden Beitrags des Kollegen Schily, daß dies notwendig ist: „Medienkritik von Mitgliedern der Bundesregierung im Zusammenhang ... " Der Kollege Schily hat gleich den natürlich absehbaren Versuch unternommen, statt sich dazu zu äußern, hier nochmals den gesamten Sachverhalt in einer Art Nachbrenner zum vergangenen Landtagswahlkampf aufzubereiten, um möglicherweise das, was Herr Barschel um 11 Uhr in der Pressekonferenz darlegen wird, vorbeugend zu konterkarieren. Ob ihm das gelingt, das können wir im Augenblick nicht beurteilen. Herr Kollege Duve, die Sprache, die Sie hier gewählt haben, und das, was Sie hier ausgeführt haben, entspricht nicht einmal dem, für den Sie außerhalb dieses Parlaments „schriftstellerisch" tätig sind. Das ist selbst noch weit unter diesem Niveau. ({0}) Vielleicht hätten Sie Ihrem Parteivorsitzenden a. D. einen Dienst erwiesen, wenn Sie ihn hier nicht hineingenommen und das, was sich im Jahre 1974 hier abgespielt hat, als einen Ausdruck von besonders hervorzuhebender politischer Kultur dargestellt hätten. ({1}) Fragen Sie doch mal den Herrn Wehner, Herr Kollege Lambinus, was es war. Der ist der beste sachverständige Zeuge für das, was damals tatsächlich im Hintergrund war. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ohne das Recht der freien Meinungsäußerung gibt es keine freiheitliche Demokratie. Unser Grundgesetz gewährt der Presse in Art. 5 - Kollege Kleinert hat dies dargestellt - ein hohes Maß an Freiheit, die auch intensiv genutzt wird. Das ist gut so. ({3}) - Auch im „Bayernkurier", Herr Kollege Schily, selbstverständlich! ({4}) Wer die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einmal daraufhin untersucht, wird feststellen, daß die Presse das politische Geschehen hierzulande stets äußerst kritisch begleitet hat und, wann immer sie konnte, die politischen Verantwortungsträger hart, manchmal auch überhart hergenommen hat. ({5}) Nicht selten wurden dabei die Grenzen überschritten, die mit dem Wächteramt des seriösen Journalismus verbunden sein müssen. Die Verfassung schützt aber nicht nur die Journalisten. Auf das Recht der freien Meinungsäußerung kann sich in gleicher Weise berufen, wer von den Medien angegriffen wird. Deshalb dürfen natürlich auch Politiker ihre Meinung frei äußern, auch gegenüber Presseorganen, ({6}) auch gegenüber den Journalisten, die in diesen Presseorganen schreiben. Wir werden das auch gegenüber denjenigen Presseorganen tun, die nicht die Aufklärung in den Vordergrund stellen, sondern die ihre Hauptaufgabe darin sehen, ihre Giftpfeile gegen eine bestimmte politische Richtung abzuschießen, die ihnen nicht paßt. ({7}) Das ist nämlich der Sachverhalt. Wer hier von „Medienschelte" spricht, der hat den Sinn der Pressefreiheit nicht begriffen. Art. 5 unserer Verfassung stellt die Journalisten nicht unter eine Käseglocke, und wir nehmen deshalb für uns das Recht in Anspruch, ({8}) auch deutlich mit Worten zurückzuschlagen, wenn bestimmte Presseorgane nicht davor zurückschrekken, Bürger dieses Landes mit den Mitteln der Lüge, der Verleumdung und der Verdrehung der Wahrheit niederzuknüppeln. ({9}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, da gäbe es eine lange Liste von Vorfällen vor diesem Ereignis in den letzten 25 Jahren, an der man das aufzeigen könnte. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Herren, ich will Ihnen wenigstens sagen, daß hier über die Frage gestritten wird, ob es eine Neueröffnung der Debatte und eine Nichteinhaltung der Vereinbarung war, die zwischen den Geschäftsführern der Fraktionen getroffen war. Der Präsident ist der Meinung, daß es sich um eine Erklärung des Ministers gehandelt hat, die in zwei Sätzen abgehandelt worden ist. Das kann falsch sein; dann muß das im Ältestenrat geklärt werden Ich schließe die Aktuelle Stunde. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 25 sowie den Zusatztagesordnungspunkt 6 auf: 25. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern - Drucksache 11/789 -Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({0}) Rechtsausschuß Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Vizepräsident Westphal b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Zur Neuregelung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern - Drucksache 11/805 -Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({1}) Rechtsausschuß Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO 6. Erste Beratung des von Abgeordneten Hüser und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern - Drucksache 11/803 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({2}) Rechtsausschuß Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heute zur Beratung anstehende Gesetzentwurf der Bundesregierung führt in einen sehr zentralen Bereich unserer Finanzverfassung und berührt grundlegende Fragen des Interessenausgleichs zwischen den Ländern. Das jetzige Gesetzgebungsverfahren ist ausgelöst durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, welches den gesamten zweiten Abschnitt des seit Jahrzehnten in den Grundzügen geltenden Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern außer Kraft gesetzt hat. Der aus der Verfassung gebotene Länderfinanzausgleich ist seit Beginn dieses Jahres ohne gesetzliche Grundlage. Sie muß - unter Beachtung der Vorgaben dieses Urteils - neu geschaffen werden, und zwar noch in diesem Jahr. Die Bundesregierung hat ihren Entwurf nach sehr intensiven Vorerörterungen mit den Ländern sowie nach sorgfältiger Prüfung der verfassungsrechtlichen Gegebenheiten als einen vermittelnden Vorschlag eingebracht. Im Bundesrat kam es in der ersten Beratung bei wichtigen Fragen zu Mehrheitsentscheidungen, so daß sich einige Länder gegenüber den von ihnen zunächst kritisierten Vorschlägen der Bundesregierung als schlechtergestellt ansehen. Wir haben uns von der Erwägung leiten lassen, eine Lösung zu finden, die den Anforderungen des Urteils entspricht, neue verfassungsrechtliche Risiken meidet und zu angemessenen, d. h. für alle Seiten tragbaren Ergebnissen führt. Dabei muß man sich bewußt bleiben, daß das Finanzausgleichssystem nur begrenzt leistungsfähig ist und die haushaltspolitische Eigenverantwortung der Länder nicht ersetzen kann. Man darf also das System des Finanzausgleichs nach dem Grundgesetz in den Erwartungen nicht überfordern. Die Ausgangslage nach dem Urteil stellt sich so dar, daß die punktuelle Feststellung der Verfassungswidrigkeit bestimmter Einzelregelungen den Finanzausgleich für sich genommen nicht gerechter machen konnte. Die unmittelbaren Urteilsfolgen im Bereich des Länderfinanzausgleichs gehen vor allem zu Lasten der finanzschwächsten Gliedstaaten. Dies findet in jedem Einzelfall seine rechtliche Erklärung, aber kann kein befriedigendes politisches Gesamtergebnis sein. Die Entwicklung bei den finanzschwächsten Ländern stellt ein großes Problem dar, dem sich die Ländergemeinschaft nicht völlig verschließen darf. Hierum geht es zum Beispiel, wenn sich der Bundesrat einerseits für eine Erhöhung der Hafenlasten zugunsten der Stadtstaaten über unsere Vorschläge hinaus ausspricht, andererseits aber die von der Bundesregierung als korrespondierende Regelung gedachte stärkere Berücksichtigung der Gemeindesteuern ablehnt. Das könnte die Lage der finanzschwächsten Länder weiter verschlechtern. Das Element Gemeindesteuern muß also in der weiteren Diskussion bleiben. Ein bedeutsamer Schwerpunkt des Gesetzentwurfs liegt aber vor allem in der Neuregelung der Bundesergänzungszuweisungen. Ausgangspunkt ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, daß die überkommene Verteilungsregelung gänzlich und ersatzlos beseitigt ist und man also eine verfassungsmäßige Nachfolgeregelung finden muß. Die Feststellung des Urteils, daß die Bundesergänzungszuweisungen nicht als Ersatz des Länderfinanzausgleichs angelegt sind, ordnet sie als subsidiäres Instrument ein. Schließlich unterstreicht das Urteil die Möglichkeit zur Berücksichtigung von bestimmten Sonderaspekten. Ergänzungszuweisungen des Bundes an die finanzschwachen Länder können insoweit Individualleistungen des Bundes an einzelne Länder sein. Der vorliegende Gesetzentwurf nimmt diese Hinweise des Urteils auf. Mit der grundsätzlichen Anknüpfung an die Finanzkraftverhältnisse der Länder, die auch eine Umsteuerung von Leistungsströmen zwischen Bund und Ländern bedeutet, soll die Gewährung der Bundesergänzungszuweisungen auf eine klare und dauerhafte Grundlage gestellt werden. Im Lichte des Urteils, der tatsächlichen Entwicklung der Finanzkraft von Bund und Ländern und des weit überdurchschnittlichen, drastischen Anstiegs der Bundesergänzungszuweisungen in den letzten zwölf Jahren im Verhältnis zu dem langsamer wachsenden Volumen des Länderfinanzausgleichs erscheint unser Gesetzesvorschlag unverändert sachgerecht. Es bleibt zu prüfen, ob im weiteren Gesetzgebungsverfahren ein Spielraum für sinnvolle Kompromisse gegeben ist. Der Bundesrat geht außerdem von der Erwartung aus, daß der Bund zusätzliche Mittel für den durch das Urteil gebotenen Nachteilsausgleich bereitstellen soll. Zu dieser Frage gibt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aber eine klare andere Wegweisung. Soweit es Nachteile auszugleichen gibt, hat das im instrumentellen Rahmen und bei der Neuregelung der Bundesergänzungszuweisungen zu erfolgen. Genau das haben wir vorgeschlagen. Der Bund hat in der Vergangenheit die Ergänzungszuweisungen immer in voller Höhe geleistet. Das Urteil läßt abgeschlossene Haushaltstatbestände bis Ende 1986 bewußt unberührt. Und schließlich liegt an der Jahreswende 1986/87 eine wirkliche Zäsur in der Regelung der Bundesergänzungszuweisungen, die jetzt auf eine neue verfassungsrechtliche Grundlage zu stellen sind. Einen letzten Hinweis möchte ich noch zu den besonderen Gesichtspunkten geben, die die Regierungsvorlage im Rahmen der Bundesergänzungszuweisungen berücksichtigt, nämlich die Haushaltsnotlage und die Kosten politischer Führung. Das sind ja Kriterien, die aus dem Urteil hergeleitet werden können. In Anknüpfung an das Urteil bildet eine besondere Haushaltshilfe an das Saarland ein Element des Regierungsentwurfs; eine befristete Maßnahme wohlgemerkt. Der Bundesrat denkt zusätzlich an eine Sonderdotierung auch für Bremen unter gleichzeitigem Verzicht auf Vorabbeträge, die wir vorgesehen haben für Kosten politischer Führung. Die hier angelegten konzeptionellen Unterschiede sind bedeutsam. Der Hinweis im Urteil auf den Sondertatbestand der überproportionalen Belastung kleiner Länder mit Kosten politischer Führung sollte weiterhin ernstgenommen werden. Schwerwiegende Bedenken sind auch geltend zu machen gegen den vom Bundesrat vorgeschlagenen Weg einer gesetzlichen Verankerung der Ausnahmeregelung für Haushaltsnotlagen. Im Urteil ist gesagt: Unter ganz ungewöhnlichen Umständen und befristet können in diesem System Haushaltsnotlagen beachtet werden. Das ist kein Muß, aber es kann sein. Der Bundesrat will eine generalisierende Regelung für Haushaltsnotlagen. Damit würden die sehr engen Voraussetzungen nicht erfaßt. Das entscheidende Erfordernis des Urteils liegt darin, daß die Haushaltssituation eines Landes gerade eine Unterstützung im Wege der Ergänzungszuweisungen unabweisbar fordert. Es ist hier also nur an solche Fälle zu denken, in denen andere Instrumente, auch Bundesfinanzhilfen nach Art. 104 a des Grundgesetzes, überhaupt nicht erwogen werden können. Das Vorliegen dieser Voraussetzung kann immer nur mit einer Einzelfallprüfung festgestellt werden. Man kann also nicht die vom Bundesrat vorgesehene neue, erweiterte Anspruchsgrundlage übernehmen. Mit der Entschließung des Bundesrates zu den Kohlelasten ist schließlich ein Thema angesprochen, das überhaupt nicht zum Finanzausgleich gehört. Diese Debatte führen wir in anderen Zusammenhängen. Wir wollen sehen, daß wir, nachdem uns Nordrhein-Westfalen hier in Schwierigkeiten gebracht hat - ich habe das in der Haushaltsdebatte kritisch angesprochen -, die Grundlagen für die Fortsetzung der bisher vertrauensvollen Zusammenarbeit wiedergewinnen. Insgesamt gesehen bleibt nach meiner Überzeugung die Regierungsvorlage eine geeignete Grundlage für die weiteren Überlegungen im Gesetzgebungsverfahren. Ich sehe demgegenüber im Entschließungsantrag der SPD keinen in der Sache weiterführenden Beitrag zum Ausgleich unterschiedlicher Interessen. Darüber aber werden wir debattieren. Der Finanzausschuß des Bundestages wird ja nun zunächst die Aufgabe übernehmen, dies alles zu beraten. Der Regierungsentwurf erscheint uns verfassungsrechtlich abgesichert, er läßt auch kein verfassungsrechtliches Erfordernis aus. Meine Damen und Herren, es läge - lassen Sie mich das abschließend sagen - im Interesse aller Beteiligten, wenn das Gesetzgebungsverfahren schnell zum Abschluß gebracht werden könnte. Die finanziellen Folgen aus der Umstellung auf das neue Recht sollten möglichst noch im Rahmen der Haushalte 1987 gezogen werden. Wir werden uns konstruktiv an allen Überlegungen beteiligen, die im vorgegebenen rechtlichen und tatsächlichen Rahmen liegen, um nach Möglichkeiten zu einer breiten Lösung zu suchen. Schönen Dank. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Diller.

Karl Diller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000391, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der ersten Lesung des Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern beraten wir keine normale Anpassung oder Aktualisierung von Finanzzahlen, sondern ein Gesetzesvorhaben von großem Gewicht für die bundesstaatliche Finanzordnung mit einer bedeutsamen Vorgeschichte. Der vorliegende Entwurf ist nur zu verstehen und zu werten, wenn man sich diese beiden Rahmenbedingungen vor Augen hält. Den direkten Anstoß zu diesem Gesetzentwurf hat das Bundesverfassungsgericht gegeben. Mehrere Länder hatten beim Bundesverfassungsgericht beantragt, das Länderfinanzausgleichsgesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen. Das Gericht hat mit Urteil vom Juni 1986 praktisch den gesamten Teil Länderfinanzausgleich und Bundesergänzungszuweisungen für verfassungswidrig erklärt und dem Gesetzgeber eine baldige Neufassung auferlegt. Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, den bundesstaatlichen Finanzausgleich spätestens für das Haushaltsjahr 1988 neu zu regeln. Bedeutsam ist, daß das Gericht zunächst einzelne Bestimmungen des Finanzausgleichsgesetzes auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft und einige als mit der Verfassung unvereinbar erklärt hat. Da diese Unvereinbarkeit erhebliche Teile der Ausgleichsregelungen des Finanzausgleichsgesetzes umfaßte, die alle in einem gegenseitigen Ergänzungsverhältnis stehen, hat das Gericht die Unvereinbarkeitserklärung auf alle Regelungen des zweiten Abschnitts des Finanzausgleichsgesetzes erstreckt, ungeachtet dessen, ob sie für sich genommen verfassungsrechtlichen Bestand haben oder nicht. Andernfalls wäre, so das Gericht, ein Torso stehengeblieben, der so keinen angemessenen Ausgleich der unterschiedlichen Finanzkraft der Länder mehr herbeiführen könnte. Die Erklärung der Unvereinbarkeit des gesamten zweiten Abschnittes des Finanzausgleichsgesetzes hat dem Gesetzgeber damit den Weg zu einer Neukonzeption des Systems des horizontalen Finanzausgleichs freigemacht. Gleichzeitig hat das BundesverDiller fassungsgericht den Gesetzgeber auf bestimmte normative Vorgaben hingewiesen, die sich aus Art. 107 Abs. 2 Grundgesetz und dessen Regelungszusammenhang ergeben. Darüber hinaus hat das Gericht mehrere Verfassungsbegriffe, die zwischen den Ländern streitig waren, eindeutig definiert und abgegrenzt. Schließlich hat es dem Gesetzgeber Methoden und Wege zu einem angemessenen Finanzausgleichsergebnis aufgezeigt. Wie hat nun die Bundesregierung den konzeptionellen Freiraum mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts bei dem vorliegenden Gesetzentwurf vom Mai 1987 genutzt? Die Bundesregierung vertritt in der Begründung die Auffassung, daß ihr Gesetzentwurf die notwendigen Änderungen des Länderfinanzausgleichs und der Neufestsetzung der Bundesergänzungszuweisungen einschließlich des Nachteilsausgleichs für die in Betracht kommenden Länder entsprechend den normativen Vorgaben des Urteils enthalte. Über die durch das Urteil zwingend gebotenen Änderungen beim Länderfinanzausgleich hinaus sehe der Gesetzentwurf eine gewisse Intensivierung des Länderfinanzausgleichs, also eine Besserstellung der finanzschwachen Länder, vor, um - wie die Regierung meint - eine in sich geschlossene Gesamtregelung zu erreichen. Andere Einzelregelungen des bisherigen Finanzausgleichsgesetzes, die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts für sich genommen verfassungsrechtlichen Bestand haben, könnten nach Ansicht der Regierung in der bisherigen Fassung weiter gelten und seien deshalb unverändert geblieben. Die Regierung meint, daß mit den vorgeschlagenen Änderungen für den gesamten Zweiten Abschnitt des Finanzausgleichsgesetzes ein verfassungsgemäßer Zustand hergestellt werde. Herr Stoltenberg hat es eben noch mal bekräftigt. Wer aber in diesem Gesetzentwurf der Regierung einen Neuanfang, eine neue Konzeption des Finanzausgleichs sucht, der wird dies vergeblich tun. ({0}) Von den Möglichkeiten und Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht gegeben hat, hat die Regierung keinen Gebrauch gemacht. Hat sie denn dann überhaupt die ihr vom Grundgesetz auferlegte und vom Bundesverfassungsgericht ausformulierte Verantwortung erfüllt? Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf stellt nach unserer Auffassung keine konzeptionelle Gestaltung der bundesstaatlichen Finanzordnung dar. ({1}) Die Vorschläge des Bundesfinanzministers zeigen überhaupt kein Gespür und keine Rücksichtnahme auf die Notwendigkeit eines föderativen Zusammenwirkens mit den Ländern oder - wie das Gericht es formulierte - auf das bündische Prinzip; ({2}) denn wie sonst wäre zu erklären, Herr Kollege, daß der Bundesrat die Stoltenbergschen Minimalvorschläge vom Tisch wischt, eigene Alternativen vorlegt und verabschiedet? ({3}) Daß der Bundesfinanzminister in seiner Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates weiter auf seinem Standpunkt beharrt und sozusagen mit Volldampf auf Konfrontationskurs gegenüber dem Bundesrat in den Vermittlungsausschuß steuert, belastet bei diesem föderativ sehr sensiblen Gesetzesvorhaben die Beratungen des Bundestages erheblich. Eine solche Gesetzgebungsstrategie stellt hohe Anforderungen an die Integrationsfähigkeit des Parlaments, wenn es seine Beratungen in der sicheren Kenntnis führen muß, daß hier Positionen für den Vermittlungsausschuß aufgebaut werden sollen. ({4}) Wenn man an den einzelnen Punkten des Gesetzentwurfs prüft, wo die Länder sogar übereinstimmend im Bundesrat in totaler Kontroverse zum Bundesfinanzminister stehen, stößt man wieder auf die bekannte Grundsatzposition des Herrn Dr. Stoltenberg. Sie versuchen, sich aus der gesamtstaatlichen Verantwortung zurückzuziehen. Sie haben nur eines im Sinn: Ihren Bundeshaushalt. Sie vergrößern die finanziellen Schwierigkeiten von Ländern und Gemeinden noch dadurch, daß Sie ihnen Lasten aufbürden und Einnahmen wegnehmen. ({5}) Das gravierendste Beispiel in dieser Gesetzesvorlage sind dabei die Bundesergänzungszuweisungen. Der Bundesminister hält zwar eine Intensivierung des Finanzausgleichs zugunsten der finanzschwachen Länder für sinnvoll, aber nur so lange, wie die anderen Länder dies tragen sollen. Sobald die Leistungen an die finanzschwachen Länder aber aus Bundesmitteln erfolgen sollen, werden die bisher steigenden Leistungen einfach festgefroren und damit gekürzt; denn nichts anderes ist die Auswirkung, die durch die Festschreibung eines Festbetrages für die Zukunft entsteht. Allein in der jetzigen Finanzplanungsperiode spart der Bundesfinanzminister durch diese Festschreibung 800 Millionen DM. Daß der Bundesrat angesichts des zwischen den Bundesländern bestehenden und sich verschärfenden Gefälles in der Leistungskraft der einzelnen Länder diesen Rückzug des Bundes nicht hinnehmen will, sondern im Gegenteil ein stärkeres Engagement des Bundes in seiner gesamtstaatlichen Verantwortung fordert, ist naheliegend, ja zwangsläufig. Die Bundesratsforderung würde den Bundesfinanzminister schon im kommenden Haushaltsjahr rund 600 Millionen DM kosten. Dafür hat er im Bundeshaushalt 1988 keine Vorsorge getroffen. Und dennoch hören wir - auch eben kam es wieder durch - , daß er in diesem Punkt schon Zugeständnisse für den Vermittlungsausschuß angedeutet und vorgesehen hat. In der Gegenäußerung allerdings, uns schriftlich vorliegend, erklärt er, mehr als der Festbetrag entspräche nicht der gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundes. Gleichzeitig rechtfertigt der Bundesfinanzminister die Kürzungen der Bundesergänzungszuweisungen für die finanzschwachen Länder gegenüber dem geltenden Recht mit seinen Finanzschwierigkeiten, insbesondere mit den wachsenden Verpflichtungen gegenüber der Europäischen Gemeinschaft. ({6}) Ist das also der vom Bundesfinanzminister mehrfach geforderte Beitrag der Länder zur Finanzierung der EG-Lasten? Soll auch hier das Prinzip eingeführt werden, daß gerade die Schwachen unter den Ländern belastet und der vom Volumen größte unter den Haushalten entlastet werden soll? ({7}) Hier führt der Bundesfinanzminister doch offensichtlich auch den Streit um die Umsatzsteuerbeteiligung von Bund und Ländern weiter; denn schon mehrfach hat er finanzielle Forderungen an die Länder gestellt und von ihnen eine Erhöhung des Bundesanteils an der Umsatzsteuer verlangt. Selbstverständlich gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Länderfinanzausgleich, den Bundesergänzungszuweisungen und der Umsatzsteuerbeteiligung von Bund und Ländern. Das wird schon allein daraus deutlich, daß alle drei Materien in einem einzigen Gesetz geregelt sind. Aber eine Entlastung des Bundes zum Nachteil der finanzschwachen Länder darf es nicht geben, Herr Dr. Stoltenberg. ({8}) Das möchten wir hier deutlich unterstreichen. Hier kündigen wir schon jetzt klar unseren Widerstand an. Wir halten es dagegen für eine Aufgabe des Bundes, allen Ländern eine hinreichende Finanzausstattung zu ermöglichen, damit sie ihre verfassungsrechtlichen Aufgaben selbstverantwortlich wahrnehmen und ihre Eigenstaatlichkeit entfalten können. Natürlich wissen auch wir, daß der Länderfinanzausgleich und die Bundesergänzungszuweisungen allein diese Ausgleichsfunktion nicht erfüllen können. Deshalb kritisieren wir Ihre Konzeptionslosigkeit bei diesem Gesetzentwurf. Wo ist die Einordnung in ein Gesamtkonzept der regionalen Entwicklung erkennbar, in das alle Maßnahmen des Bundes mit Finanzausgleichswirkungen einbezogen sind? Der Bundesfinanzminister selbst zitiert das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, nach dem den Bundesergänzungszuweisungen eine subsidiäre Rolle auch im Verhältnis zu sonstigen Bundesleistungen zukommt, mit denen im Rahmen der Verfassung eine Mitfinanzierung von Länderaufgaben erfolgt. Er verweist dabei auf Art. 91 a, 91 b und 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes. Nur: Woraus sollen denn die Abgeordneten des Deutschen Bundestages erkennen, welche Finanzströme in die einzelnen Länder fließen, um dort das Leistungsgefälle zu anderen Ländern abzubauen? Wo sind denn derartige Berechnungen und Zahlenangaben, die erkennen lassen, daß die Bundesergänzungszuweisungen nur subsidiär zu den sonstigen Bundesleistungen erforderlich sind und deshalb zurückgeführt werden könnten? Hier hat sich der Bundesfinanzminister seine Aufgabe zu einfach gemacht. Allein mit einem Zitat aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil läßt sich die Aufgabe der Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren über den Länderfinanzausgleich nicht erfüllen. An diesem Punkt zeigt sich übrigens exemplarisch, wie unmöglich der Bundesfinanzminister es uns, dem Deutschen Bundestag, gemacht hat, eine eigenständige Beratung durchzuführen. Der Deutsche Bundestag kann die Entscheidung der Bundesregierung mangels entsprechender Unterlagen noch nicht einmal nachvollziehen. ({9}) Wir machen Ihnen hieraus einen schweren Vorwurf; denn nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind bei der Regelung des Finanzausgleichs die Entscheidungsgrundlagen zu objektivieren und die maßgebenden Verteilungsgesichtspunkte und Ausgleichsziele zu benennen und nachvollziehbar zu begründen. Dies gilt im übrigen nicht nur für die Bundesergänzungszuweisungen. An den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts gemessen, sind die Regelungen des Gesetzentwurfs auch an anderen Stellen unzulänglich und im einzelnen nicht nachvollziehbar begründet. Wir haben dies im einzelnen in dem vorgelegten Antrag der SPD-Fraktion ausführlich dargelegt. Ich möchte daher noch auf ein Thema eingehen, das ganz unmittelbar die Finanzbeziehung des Bundes zu den Ländern und die föderative Finanzordnung betrifft. Das Verhalten des Bundesfinanzministers gegenüber den Ländern bei den Bundesergänzungszuweisungen ist nämlich nur ein Mosaikstück; denn es steckt System bei ihm dahinter, wenn der Bund versucht, die Finanzausstattung der Länder zu schwächen. Es ist Absicht, wenn er die Aufgabenerfüllung der Länder erschwert, kurz, wenn er die Länder mit Ausgaben belastet und ihnen gleichzeitig Einnahmen wegnimmt. Diesen Hintergrund muß man sehen, wenn man den Finanzausgleich neu regeln will. Beispiel: Im Sozialbericht der Bundesregierung 1986 ist ausgewiesen, daß der Bund seine Sozialverpflichtungen abgebaut und die Lasten auf die Beitragszahler zur Sozialversicherung, aber auch auf Länder und Gemeinden verschoben hat. In den letzten Wochen haben Sie einen Bericht der Deutschen Bundesbank bekommen mit einer Untersuchung über die Ausgaben der Gebietskörperschaften für Sozialleistungen in den letzten fünf Jahren. Dieser Dokumentation können Sie entnehmen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen: Die Sozialleistungen sind beim Bund im Durchschnitt der Jahre 1982 bis 1986 nur um 1,25 v. H. gestiegen, während sie sich im kommunalen Bereich um ein Vielfaches, nämlich um fast 7 v. H. jährlich, erhöhten. Durch die Wiedereinführung der steuerlicher Kinderfreibeträge wurden Länder und Gemeinden seit 1983 mit dem Löwenanteil, mit 57,5 v. H., zur Finanzierung der Familienförderung herangezogen. Durch die Aufstockung in 1986 verlieren die Länder und Gemeinden über 3 Milliarden DM Steuereinnahmen jährlich, und dies mit steigender Tendenz. Der Bund entlastet sich bei dieser Operation gewaltig. Sein Kindergeld bleibt eingefroren. Die Ausgaben des Bundes für das Kindergeld sanken von 16,5 Milliarden DM im Jahre 1982 auf rund 14 Milliarden DM im Jahre 1986 und sollen Jahr für Jahr weiter zurückgehen. Hier findet eine erhebliche Lastenverschiebung statt. Weitere Beispiele führt die Deutsche Bundesbank in ihrer Untersuchung auf. So entlastete sich der Bund bei der Ausbildungsförderung, beim Mutterschutz und bei der Kriegsopferversorgung. Diese Einsparungen brachten für den Bundeshaushalt Entlastungen in Milliardenhöhe. Dazu kommt der Abbau der Bundeszuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit. 1982 betrugen sie noch 7 Milliarden DM, 1984 Null. Jetzt will der Bundesfinanzminister den Bundeshaushalt ab 1988 um weitere 900 Millionen DM, wahrscheinlich sogar mehr, jährlich entlasten, indem er Maßnahmen aus dem Bundeshaushalt streicht und sie der Bundesanstalt für Arbeit aufbürdet. Solche Möglichkeiten der optischen Haushaltssanierung durch Verschieben der Lasten haben die Länder und die Gemeinden nicht. Bei ihnen steigen die Ausgaben für Sozialleistungen, weil sich der Bund zurückzieht und weil sie ihnen als Folge der Politik der Bundesregierung entstehen. Die Bundesbank dokumentiert, daß allein die Sozialhilfeausgaben in den letzten fünf Jahren um 8 Milliarden DM auf 24,5 Milliarden im Jahre 1986 gestiegen und damit geradezu explodiert sind. Mehr und mehr verlagert also der Bund Leistungen aus seinem Haushalt auf andere öffentliche Haushalte. So wird die bestehende Finanzordnung der Bundesrepublik nach und nach deutlich verändert. Bei den Einnahmen der Länder gilt die gleiche Feststellung: Selbstbedienung für den Bund, Lasten für die Länder und Gemeinden. Nach den Darstellungen des Bundesfinanzministers sind seit 1983 32,5 Milliarden DM Steuern gesenkt und 12 Milliarden DM Steuern erhöht worden. Wer mußte davon was verkraften? Bei den Steuerausfällen mußten Länder und Gemeinden mit 61 % die Hauptlast tragen. Bei den 12 Milliarden DM Steuererhöhungen seit 1983 war es aber umgekehrt. ({10}) Hier kassierte der Bund den Löwenanteil, nämlich 59 v. H. der Steuermehreinnahmen. Welche Steuern erhöhte bzw. senkte der Herr Dr. Stoltenberg sofort nach seinem Amtsantritt? Die Steuersenkungen betrafen die Vermögensteuer und die Gewerbesteuer. Das sind beides Steuereinnahmen der Länder und Gemeinden. Von dem Aufkommen der bisher größten Steuererhöhung des Herrn Dr. Stoltenberg jedoch, der Mehrwertsteuererhöhung des Jahres 1983, flossen zwei Drittel in seine Kasse, die Kasse des Bundes. Für die kommenden Jahre sind die Weichen schon gestellt, da den Ländern und Gemeinden die Finanzierungsmittel für ihre Ausgaben in kaum vorstellbarer und einmaliger Weise im Rahmen des Steuerpakets 1990 entzogen werden. Sie werden vom Bundesfinanzminister in eine besorgniserregende Verschuldung getrieben. Selbst CDU-Ministerpräsidenten wie Albrecht und Späth erklären öffentlich, daß eine solche Verschuldung für ihre Haushalte nicht hinnehmbar sei. Die Berechnung der Finanzierungsdefizite auf Grund der Steuersenkungen im Jahre 1990 ergeben nach den Zahlen des Bundesfinanzministers für 1990 die erschreckende Höhe von 29 Milliarden DM zu Lasten der Länder und 15,5 Milliarden DM zu Lasten der Gemeinden. Und schon wieder hat der Bundesfinanzminister für seinen Haushalt vorgesorgt. Die spezifischen Verbrauchsteuern sollen 1988, wie in den Koalitionsvereinbarungen nachzulesen ist, zur Finanzierung des Bundeshaushalts erhöht werden. Soll denn dann wieder das heute erstmals zu beratende Finanzausgleichsgesetz geändert werden? Wir kommen deshalb als Fraktion der SPD zu der Feststellung, die in unserem Antrag unter Ziffer 6 nachzulesen ist: Der vorliegende Gesetzentwurf der Regierung ist wegen der mangelnden Einordnung in ein Gesamtkonzept zum Abbau regionaler Unterschiede und wegen der fehlenden bzw. unzureichenden Ableitung und Begründung im einzelnen keine ausreichende Grundlage für eine sachgerechte und verfassungskonforme Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs. Deshalb bitten wir Sie um Ihre Zustimmung zu unserem Antrag. Vielen Dank. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Grünewald.

Dr. Joachim Grünewald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000739, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nicht der böse und, wie Sie, Herr Kollege Diller, gerade meinten, begründungsunfähige Finanzminister, sondern das Bundesverfassungsgericht hat uns die Reparatur des bundesstaatlichen Finanzausgleichs aufgegeben. ({0}) - Mein Vorredner hat das eben getan. Ich habe gesagt: nach seiner Ansicht begründungsunfähig. An dieser ebenso schwierigen wie streitträchtigen Aufgabe vermag nun niemand und schon gar nicht Bremen, Herr Koschnick, ob nun hier im Bundestag oder drüben im Bundesrat, die rechte Freude zu finden. Ich habe vielmehr den Eindruck, daß selbst die sechs Länder, die das Normenkontrollverfahren betrieben haben, ihr Gang nach Karlsruhe inzwischen reut. Denn im milliardenschweren Poker zwischen den finanzstarken und den finanzschwachen Ländern ist nach einer Phase der Euphorie Ernüchterung, teilweise sogar herbe Enttäuschung eingetreten. Während anfänglich der Karlsruher Spruch von der Mehrheit der betroffenen Länder als großer Sieg gefeiert wurde - in Hamburg, auch in Bremen, Herr Koschnick, sprach man von dem Stadtstaatenurteil, in Düsseldorf sprach Finanzminister Posser von einem epochenmachenden Ereignis und Markstein, der dem notleidenden und überschuldeten Nordrhein-Westfalen endlich finanzielle Gerechtigkeit bringen werde - , hat man nunmehr erkannt, daß den müh1866 sam errungenen Teilerfolgen gravierende Mißerfolge gegenüberstehen. ({1}) Insbesondere hat man zur Kenntnis nehmen müssen, daß für die Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs der rechtliche Handlungs- und Ermessensspielraum erheblich eingeengt worden ist, daß also durch das Urteil sehr viel an Flexibilität verlorengegangen ist. Deswegen, Herr Diller - im übrigen auch von den Ländern gar nicht gewollt - , gibt es für eine grundsätzliche Neukonzeption des Gesetzes auch gar keinen Raum. Deshalb hat die Bundesregierung in dieser Situation mit ihrem Gesetzentwurf den allein richtigen Weg eingeschlagen und eine Lösung in sehr enger Anlehnung an die zwingenden Vorgaben sowie die Hinweise und Erwägungen des Urteils erarbeitet. Bevor ich darauf näher eingehe, gestatten Sie mir bitte drei mehr grundsätzliche Bemerkungen vorab. Erstens. Nach dem Urteil muß die Neuregelung bereits für 1987 materielle Wirkung entfalten. Mit Sicht auf diese knappe Fristvorgabe ist große Eile geboten. Das Gesetz, wie immer es am Ende auch aussehen mag, muß mit Rückwirkung ab 1. Januar 1987 in Kraft treten. Auch müssen alle Beteiligten für ihre Haushalts- und Finanzplanungen alsbald und endlich eine gesicherte Grundlage finden. Zweitens. Der Länderfinanzausgleich und in gleicher Weise die Bundesergänzungszuweisungen stehen unter dem bündischen Prinzip des Einstehens füreinander. Dieses Prinzip, meine Damen und Herren, ist auf dem zweifellos dornenreichen Weg, den der Gesetzentwurf bis zur Stunde über Vorverhandlungen und Beratungen im Finanzausschuß und im Plenum des Bundesrats genommen hat, mit Füßen getreten worden. Die mehr als hundert Änderungs-, Ergänzungs- und Erweiterungsanträge ({2}) - nein, nein, noch nicht -, ({3}) über die im Finanzausschuß des Bundesrates mit unterschiedlichen Mehrheiten, ({4}) in unterschiedlichen, übrigens teilweise sehr interessanten Fraktionen und mit unterschiedlichen Ergebnissen abgestimmt werden mußte, geben für diese kritische Bemerkung ein beredtes Zeugnis ab. Bei allem Verständnis für die Wahrnehmung berechtigter Länderinteressen hatte man doch ein wenig mehr an Einvernehmen erwarten dürfen als nur das Einverständnis darüber, tunlichst alle Lasten auf den Bund abzuwälzen. Solcherart Länderegoismus ist mit dem Geist und dem Sinn des Föderalismus schlechterdings nicht vereinbar. Überhaupt ist Länderegoismus die falsche Übersetzung, das falsche Verständnis von Föderalismus. Wir bitten deshalb den Bundesfinanzminister, notfalls sogar den Bundeskanzler, bei den Ländern unter Hinweis auf die gesamtstaatliche Verantwortung von Bund und Ländern mehr Solidarität einzufordern. ({5}) Denn sonst, so fürchte ich, wird dieser Gesetzentwurf die schlechte Tradition der Finanzausgleichsgesetze fortsetzen, die seit den 50er Jahren alle im Vermittlungsausschuß landeten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Koschnick?

Dr. Joachim Grünewald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000739, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlich gerne, wenn sie mir nicht auf die Redezeit angerechnet wird.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Also, wissen Sie, bei 20 Minuten und freitags vormittags bin ich dazu eigentlich nicht so sehr geneigt.

Dr. Joachim Grünewald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000739, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Also, wenn es auf die Redezeit angerechnet wird, dann nicht. Aber sonst herzlich gerne, Herr Koschnick. Ich darf hinzufügen: Auch die permanenten Drohungen einzelner Länder mit einer erneuten Verfassungsklage verletzen das bündische Prinzip des Einstehens füreinander. Sie sind in dieser Phase des Gesetzgebungsverfahrens dem Bemühen um eine verfassungsfeste, dauerhafte Lösung eher abträglich als förderlich. Drittens. Als letzte Vorbemerkung sei mir schließlich noch ein Hinweis auf folgenden wichtigen und, wie mir scheint, häufig verkannten Grundsatz erlaubt, der die Finanzausgleichsgesetze aller Ebenen gleichermaßen beherrscht. Ein Finanzausgleich darf stets nur den aus der Aufgabenverantwortung resultierenden Finanzbedarf befriedigen. Er muß aber stets die aus der Finanzautonomie folgenden Unterschiedlichkeiten wahren. Das will besagen: Vorzüge autonomer Finanzpolitik dürfen nicht einfach wegnivelliert werden, und Nachteile verfehlter Finanzpolitik dürfen nicht auf andere überwälzt werden. Diesen Grundsatz bestätigt auch das Bundesverfassungsgericht, wenn es sagt, daß Bundesergänzungszuweisungen nicht dazu dienen, finanziellen Schwächen abzuhelfen, die eine unmittelbare und voraussehbare Folge von politischen Entscheidungen bilden. Vorteile einer planvollen und sachkundigen Finanzpolitik müssen also dem jeweiligen Land und seinen Bürgern verbleiben, während Nachteile einer verfehlten Finanzpolitik nur das jeweilige Land und seine Bürger belasten dürfen. Oder ganz einfach ausgedrückt: Niemals darf Sparsamkeit bestraft und Aufwand belohnt werden. ({0}) Mit dieser doch wohl jedermann einleuchtenden Feststellung verträgt es sich übrigens ganz und gar nicht, wenn man im Lande Nordrhein-Westfalen immer wieder, so zuletzt und erneut noch vorgestern bei der Einbringung des Landesetats, den Bund für die dort herrDr. Grünewald schende Finanzmisere verantwortlich machen möchte. ({1}) Die Bundesregierung ist mit ihrem Kabinettsbeschluß den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich gerecht geworden. Sie hat Lösungen in sehr enger Anlehnung an das Urteil gesucht und gefunden, um neuerliche verfassungsrechtliche Risiken von vornherein einzugrenzen. Und doch findet auch nicht eines der Länder, ob nun Zahlmeister oder Kostgänger, an dem regierungsseitigen Konzept Gefallen. In dem von vielen Mißklängen begleiteten politischen Tauziehen konnte bis jetzt Einvernehmen nur über jene Neuregelungen erzielt werden, die vom Bundesverfassungsgericht zwingend vorgeschrieben worden sind. Es handelt sich dabei im wesentlichen um den Einbezug einiger Steuerarten und Abgaben und dabei wiederum insbesondere um den Einbezug der Förderabgabe auf Erdöl und Erdgas in den Länderfinanzausgleich. Alle übrigen Punkte des Gesetzentwurfs sind nach wie vor streitbefangen. Die wichtigsten Streitpunkte seien im folgenden kurz angerissen. Erstens. Im Bereich des horizontalen Finanzausgleichs gehen die Auseinandersetzungen insbesondere um die Abgeltungsbeträge für Hafenlasten der Länder Bremen, Hamburg und Niedersachsen. Hier ist eine pauschale Verdreifachung vorgesehen, die vor allem die Stadtstaaten begünstigen würde. Nach dem Verfassungsgerichtsurteil dürfen Sonderbelastungen aus der Unterhaltung und Erneuerung von Seehäfen ausnahmsweise - ich betone: ausnahmsweise - als traditioneller Bestandteil der Regelung des Finanzausgleichs Berücksichtigung finden. Die im Entwurf ausgeworfenen Abgeltungsbeträge aber sind sowohl der Höhe nach als auch mit Sicht auf die Empfangsberechtigten streitig. Zweitens. Weiterhin streitig im horizontalen Finanzausgleich: die Einwohnerwertung für die Stadtstaaten. Der Regierungsentwurf wird diese Wertung nach einer Überprüfung durch das Ifo-Institut bei 135 v. H. beibehalten. Drittens. Die Berücksichtigung der Gemeindesteuern: In dieser Frage bestehen besonders gravierende Auffassungsunterschiede zwischen den Ländern. Die Bundesregierung nämlich hat - zweifellos ohne zwingende rechtliche Verpflichtung, wohl aber im Interesse einer ausgewogenen Regelung - eine stärkere Berücksichtigung der Gemeindesteuern im Finanzausgleich vorgesehen ({2}) - schönen Dank: a. D. - , indem das Gemeindesteueraufkommen mit 60 v. H. statt bisher mit 50 v. H. in die Bemessungsgrundlagen des Finanzausgleichs Eingang gefunden hat. Im Bereich des vertikalen Finanzausgleichs sind die Bundesergänzungszuweisungen Gegenstand besonders ernster Auseinandersetzungen. Die Bundesregierung hat sich als Zumessungsmaßstab der Bundesergänzungszuweisungen für eine Aufstockung der allgemeinen Finanzkraft finanzschwacher Länder entschieden. Sie hat damit eine nach dem Urteil zulässige Berücksichtigung von Sonderlasten abgelehnt. Allein für die Länder Bremen, Saarland und Schleswig-Holstein hat sie, wiederum in enger Anlehnung an das Urteil, dem Sondertatbestand „Kosten politischer Führung" Rechnung getragen. Der Dollpunkt der Neuregelung des vertikalen Finanzausgleichs aber liegt in der vorgesehenen Plafondierung der Bundesergänzungszuweisungen auf 1,775 Milliarden DM jährlich. Aus im übrigen verständlichen, nachvollziehbaren Gründen lehnen ausnahmslos alle Länder eine solche Begrenzung ab. Sie erwarten vielmehr, daß der Bund die Ergänzungszuweisungen ab 1. Januar 1988 von bisher 1,5 % auf 2 % des Umsatzsteueraufkommens erhöht. Dieser sehr grundsätzlichen Streitfrage kommt keineswegs nur quantitative, sondern auch eine rechtsqualitative Bedeutung zu. Die Bundesregierung nämlich trägt, anders übrigens, als in Ihrem SPD-Antrag formuliert, sehr gewichtige Rechtsgründe und auch finanzwirtschaftliche Gründe für die Festbetragsbegrenzung vor. Nur stichwortartig sei auf den subsidiären Charakter der Bundesergänzungszuweisungen, ihr Beruhen auf einer bloßen Kann-Vorschrift, die historische Entwicklung und die veränderte eigene Haushaltslage des Bundes hingewiesen. Nicht minder streitig ist der vom Urteil geforderte Nachteilsausgleich wegen Nichtbeteiligung an den Bundesergänzungszuweisungen in früheren Jahren gegenüber Bremen und Nordrhein-Westfalen. Die Länder fordern übereinstimmend - also alle Länder - , diesen Nachteilsausgleich aus zusätzlichen Bundesmitteln zu leisten. Die Bundesregierung hingegen beruft sich auf die Bestandskraft des bisherigen Finanzausgleichsgesetzes trotz partieller Verfassungswidrigkeit für den Zeitraum bis einschließlich 1986 und meint, der Nachteilsausgleich habe innerhalb der Solidargemeinschaft der Länder zu erfolgen. Nordrhein-Westfalen ist darüber hinaus mit der Höhe des ihm zugestandenen Nachteilsausgleichs keinesfalls einverstanden. Mehr der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß es neben finanztechnischen Streitpunkten auch noch Differenzen über die Behandlung von Ländern mit existentiell bedrohenden Haushaltslagen wie Saarland und leider auch Bremen gibt. Bevor ich zum Schluß komme, muß ich noch auf eine Entscheidung des Bundesrates zu sprechen kommen, durch die die Bundesregierung aufgefordert wird, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß das Land Nordrhein-Westfalen bei seinen Leistungen für Kohlelasten insbesondere bei der Kokskohlenbeihilfe entlastet wird. So sehr ich als Nordrhein-Westfale für den materiellen Inhalt dieser Entschließung natürlich Sympathien habe, ({3}) muß ich doch sagen, daß dieses Thema aus finanzausgleichssystematischen Gründen mit dem bundesstaatlichen Finanzausgleich ebensowenig zu tun hat, wie die von einigen Ländern bemühten Auswirkungen der Steuerreform. Deswegen, Herr Kollege Diller, waren auch Ihre Ausführungen, die über die Auswirkungen der Steuerreform hinaus die sozialen Leistungen in die Betrachtungen einbeziehen möchten, am Thema vorbei. ({4}) In der Sprache des Pädagogen darf ich sagen: ({5}) Problem erkannt; aber Thema verfehlt. ({6}) - Ich weiß, daß Sie das sehr unruhig macht. Das Thema Kohlelasten kann nur außerhalb dieses Gesetzes und auch nach meiner Meinung alsbald einer hoffentlich befriedigenden Lösung zugeführt werden. ({7}) - Mein Herz wird immer, bis an den Lebensabend, für die Kommunen schlagen; nur, Herr Kollege Poß, haben auch die Kommunen mit diesem bundesstaatlichen Finanzausgleich allenfalls mittelbar zu tun. Das sind Probleme des vertikalen Finanzausgleichs ganz generell, aber nicht Probleme des bundesstaatlichen Finanzausgleichs. ({8}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich schließe mit dem Ausdruck der Hoffnung, daß es uns in den nächsten Wochen gelingen möge, im sachgerechten Zusammenwirken von Bundestag, Bundesrat und natürlich Bundesregierung mehr an Konsens zu erreichen, als sich zur Stunde darstellt. Dem Gesetzentwurf sage ich einen außerordentlich steinigen Weg und uns allen harte Arbeit voraus. Herzlichen Dank. ({9})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Hüser. ({0})

Uwe Hüser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000978, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat hier einen Entwurf zur Änderung des Länderfinanzausgleichs vorgelegt, der unserer Meinung nach in keiner Weise dazu geeignet ist, die grundgesetzlich angestrebten einheitlichen Lebensverhältnisse wiederherzustellen oder überhaupt erst zu gewährleisten. Im Gegenteil: Wir glauben, daß gerade mit diesem Gesetzentwurf die Bundesregierung dazu beiträgt, daß die strukturellen Unterschiede noch verschlimmert werden. Zwei Punkte, aus diesem Gesetzentwurf - einerseits keine Änderung des Umverteilungsschlüssels der Umsatzsteuer, andererseits die Plafondierung der Ergänzungszuweisungen - bestätigen diese Aussage. Die SPD hat vorhin in ihrem Redebeitrag sehr ausführlich die Kritik an diesem Regierungsentwurf dargebracht, die auch in ihrem Antrag niedergelegt ist. Wir können dieser Kritik zustimmen. Kritik ist allerdings nicht alles: Hier und da muß man auch einmal zeigen, wie man es besser machen kann. Deswegen haben wir einen Gesetzentwurf eingebracht, mit dem wir versuchen, die Kritikpunkte in konstruktive Kritik umzumünzen. Wegen der Knappheit der hier zur Verfügung stehenden Zeit möchte ich mich auf drei Schwerpunkte beschränken, die wir unserem Gesetzentwurf zugrunde gelegt haben. Wie Sie wahrscheinlich alle wissen, besteht der zu behandelnde Gesetzentwurf aus drei Schwerpunkten: zum einen die Umverteilung der Steuern zwischen Bund und Ländern, zum anderen der Ausgleich unter den Ländern und drittens die Ergänzungszuweisungen vom Bund an die Länder. Bezüglich des ersten Punktes, der Umverteilung der Steuern zwischen Bund und Ländern, halten wir es für notwendig, daß die Finanzkraft der Länder gestärkt wird. Es ist ersichtlich, daß gerade in der letzten Zeit die Finanzkraft von Bund und Ländern sehr weit zugunsten des Bundes auseinandergedriftet ist. Gleichzeitig ist aber die Steuerkraft der Länder und Gemeinden gesunken, maßgeblich durch die Bundesgesetzgebung beeinflußt. Das jüngste Beispiel hierfür ist die Steuerreform. Eine logische Konsequenz aus diesen Fakten hätte sein müssen, daß bei dem Gesetzentwurf eine Umverteilung der Steuereinnahmen zugunsten der Länder stattfindet. Wir haben hieraus die Konsequenz gezogen, daß wir die Umsatzsteuer zugunsten der Länder um einen Prozentpunkt erhöhen wollen; dies macht ungefähr 1,3 Milliarden DM zugunsten der Länder aus. Ein zweiter wichtiger Punkt ist der Finanzausgleich unter den Ländern. Es ist einleuchtend, daß bei der Beurteilung der Finanzkraft eines Landes auch die finanzielle Ausstattung seiner Gemeinden einzubeziehen ist. Es gibt also überhaupt keine rationale Begründung - sie ist auch nicht versucht worden -, warum die Finanzkraft der Gemeinden nur mit 50 % oder mit 60 % angerechnet werden soll. Im Gegenteil: Das Grundgesetz schreibt vor, daß auch der Finanzbedarf der Gemeinden zu berücksichtigen ist. Unserer Meinung nach sind die Sozialhilfelasten ein wichtiger Faktor, um den Finanzbedarf der Gemeinden festzustellen. Wenn wir uns hier das Verhältnis zwischen den Sozialhilfelasten und den Steuereinnahmen der Gemeinden anschauen, dann wird besonders deutlich, wie kraß die Unterschiede zwischen den Ländern sind. Baden-Württemberg z. B. braucht nur 25,3 % seiner Gemeindesteuereinnahmen zur Abdeckung der Sozialhilfelasten einzubringen. Bremen allerdings hat 76,4 % seiner Gemeindesteuereinnahmen aufzuwenden. Es wird sehr deutlich, daß hier ein sehr starkes Nord-Süd-Gefälle vorhanden ist. Sofern der unterschiedliche Finanzbedarf der Gemeinden in den Ausgleich einbezogen wird, wären wir einer gerechteren Lösung schon ein gutes Stück näher. ({0}) Dies ist auch deshalb berechtigt, weil es sich bei den Sozialhilfelasten um Ausgaben handelt, die hauptsächlich durch Defizite in der Bundesgesetzgebung bezüglich der Regelung der Alterssicherung und der Arbeitsmarkt- und Pflegegesetzgebung verursacht werden. Die Berücksichtigung der Ausgaben für die Sozialhilfe kann deshalb nur eine vorläufige Lösung sein, um der im Ländervergleich sehr unterschiedlichen Belastung der Länder- und Gemeindehaushalte gerecht zu werden. Eine Lösung, die den ursächlichen Problemen für die hohen Sozialhilfelasten angemessen ist, kann nur in der Verabschiedung eines Bundesgrundsicherungs- und eines Bundespflegegesetzes liegen, deren Kosten vom Bundeshaushalt zu tragen sind, wie es die GRÜNEN fordern. ({1}) Ein dritter Schwerpunkt unseres Gesetzentwurfs ist die Verteilung der Bundesergänzungszuweisungen. Herr Stoltenberg, es ist nicht richtig, wenn Sie sagen, die Bundesergänzungszuweisungen sollten nur einen ganz minimalen Beitrag zum Länderfinanzausgleich leisten. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu gesagt, daß die Bundesergänzungszuweisungen bei besonderen Sachlagen einen ganz erheblichen Umfang annehmen können. Unserer Meinung nach ist die Arbeitslosigkeit eine solche besondere Sachlage und ein offensichtliches Kriterium für regionale Strukturkrisen, sei es bei Kohle, Stahl, den Werften oder auch bei der Landwirtschaft. Deswegen halten wir es für dringend notwendig, daß die Bundesergänzungszuweisungen auch nach der Höhe der Arbeitslosigkeit verteilt werden, um den Ländern die Möglichkeit zu geben, gerade in diesen Punkten politisch aktiv zu werden. ({2}) Ich möchte zum Schluß noch sagen, daß wir diesen Gesetzentwurf im Finanzausschuß sorgfältig beraten sollten. Wir wollen durch die in unserem Vorschlag enthaltenen drei Schwerpunkte versuchen, die ganze Diskussion in eine andere Richtung zu lenken. Die ganze Betrachtung sollte nicht nur an einer objektiven Darstellung nur der Finanzkraft, sondern auch an den wirklichen Lebensverhältnissen in den Ländern orientiert sein. Wir hoffen, daß diese Diskussionspunkte aufgegriffen werden. Das wird mit Sicherheit noch eine sehr spannende Diskussion, zumal im Regierungslager die verschiedenen Meinungen sehr stark aufeinanderprallen. Wir werden mit unserem Gesetzentwurf in diese Diskussion mit einsteigen und versuchen, unsere Position hier noch einmal deutlich zu machen. Danke. ({3})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Rind.

Hermann Rind (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei den Auseinandersetzungen der letzten Wochen und Monate um den Länderfinanzausgleich - auch die heutige Debatte war an einigen Stellen wieder ein Beitrag zu einem verwirrenden Spiel - wird oft übersehen, daß das Volumen des Länderfinanzausgleichs im Grunde genommen sehr begrenzt ist. Ich will Ihnen einmal die Zahlen von 1987 nennen. In diesem Jahr beträgt der Länderfinanzausgleich 1,78 Milliarden DM, das Volumen der Bundesergänzungszuweisungen ca. 3 Milliarden DM; das sind rund 4,8 Milliarden DM im Jahre 1987. Wenn nun so getan wird, als ob mit diesen Beträgen die unterschiedliche Wirtschaftskraft in den einzelnen Bundesländern und vielleicht sogar auch noch das Nord-Süd-Gefälle ausgeglichen werden könnten, dann ist dies eine bewußte Ablenkung vom Thema. Das ist das Werfen von Nebelkerzen, meine Herren. ({0}) Mit diesen Auseinandersetzungen, die auf dem falschen Kampfplatz geführt werden, soll vernebelt werden, daß es eigentlich um etwas ganz anderes geht. Der Bundesrat hat mit seinen Vorschlägen schlicht und einfach eine Politik des Verschiebebahnhofs betrieben. Die Probleme der Länder sollen auf den Bund verschoben werden. Dies kommt in den folgenden drei Punkten, die ich nur ganz kurz zitieren will, zum Ausdruck: Aufstokkung der Bundesergänzungszuweisungen auf 2 % des Umsatzsteueraufkommens zu Lasten des Bundes; alleinige Belastung des Bundes beim Ausgleich von Nachteilen der Länder NRW und Bremen bei den Bundesergänzungszuweisungen ; größere Berücksichtigung der Haushaltsnotlagen - Kohlelasten NRW - durch den Bund, immer auf den Bund! So soll nach den Vorstellungen des Bundesrates die notwendige Gesetzesänderung dazu benutzt werden, die Anteile am Steuerkuchen zu Lasten des Bundes und zugunsten der Bundesländer zu verschieben. Der Mehrheitsbeschluß des Bundesrates hat außerdem bewiesen - auch dies sollte hier zumindest mit einem Satz kritisch angemerkt werden - , daß es an der notwendigen Solidarität der sogenannten reichen Bundesländer mit den armen Bundesländern fehlt. Dies ist in Anbetracht der Vorlage des Bundesrates leider eine bittere Erkenntnis. Nun kann man nicht verkennen - jetzt kommt das Gegenstück - , daß auch der Bundesfinanzminister an sich selbst - damit meine ich: an den Bundeshaushalt - gedacht hat. ({1}) - Dazu sage ich noch etwas. - Am deutlichsten kommt diese Haltung bei der Deckelung der Bundesergänzungszuweisungen auf 1,5 % des Umsatzsteueraufkommens zum Ausdruck. Ich halte es auch um daran keinen Zweifel aufkommen zu lassen - für die Aufgabe des Bundesfinanzministers innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens, zunächst einmal ein besonderes Augenmerk auf die Bundeskasse zu richten, ({2}) und er hat auch gute Argumente für diese seine Haltung zur Verfügung; sie sind insbesondere in der Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates nachzulesen. Bei der Behandlung des Gesetzentwurfs in den Ausschüssen wird das zu verabschiedende Gesetz auch vor dem Hintergrund der gesamten Problematik der Verteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zu sehen sein. Diese Feststellung beziehe ich auch auf die Neuverteilung der Umsatzsteuer. In diesen Gesamtzusammenhang müssen dann aber auch die außerordentlichen Verpflichtungen des Bundes, z. B. im Rahmen der Finanzierung der Europäischen Gemeinschaft und bei der Rentenversicherung, mit eingebracht werden, natürlich auf der anderen Seite auch - das gebe ich gerne zu - auch die gestiegenen Sozialhilfelasten, die die Kommunen zu tragen haben. Wir werden uns bei diesen Diskussionen mit besonderem Nachdruck für eine gerechte Verteilung der Einnahmen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden einsetzen. Wir als Parlament sind aufgerufen - das kam heute erfreulicherweise in allen Redebeiträgen zum Ausdruck -, eine ausgleichende Funktion zwischen den eigenen Interessen und den Interessen der anderen Gebietskörperschaften wahrzunehmen. Ich sage dies insbesondere auch deswegen, weil ich in diesen Tagen von meinem Landesfinanzminister einen Brief erhalten habe, in dem u. a. folgender Satz steht: Es ist daher damit zu rechnen, daß für das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten im Bundestag die jeweiligen Landesinteressen im Vordergrund stehen werden. Ich glaube, mit solchen Maßstäben sollten wir als Parlamentarier des Deutschen Bundestages nicht an die Regelung des Länderfinanzausgleichs herangehen. ({3}) Abschließend möchte ich begründen, weshalb wir den Antrag der SPD zum Länderfinanzausgleich ablehnen müssen. Der Antrag besteht - der Kollege Hüser hat zu Recht darauf hingewiesen - im wesentlichen aus einer Kritik an jedem einzelnen Punkt des Gesetzesantrags des Bundesfinanzministers. Es wird außerdem behauptet - dies kam in der Debatte im Beitrag des Kollegen Diller zum Ausdruck -, der Gesetzesantrag sei nicht ausreichend begründet. Dies ist schlicht und einfach unrichtig. Lesen Sie die Begründung des Gesetzesantrages und die Stellungnahme des Bundesfinanzministers bzw. der Bundesregierung zum Änderungsantrag des Bundesrates, lesen Sie das! Und wenn Sie Zahlenmaterial brauchen, sind Sie als Abgeordnete doch sehr wohl in der Lage, sich dieses über das Bundesfinanzministerium zu beschaffen. Dort steht es Ihnen freizügig und offen zur Verfügung. An allen herummeckern und selbst keine eigene Lösungen anbieten, das ist Ihr Beitrag zum Thema „Länderfinanzausgleich". ({4}) Keine einzige konkrete Vorstellung, wie Sie es regeln wollen! Ganz elegant wollen Sie sich aus dieser Diskussion herausschleichen, Herr Kollege Apel, ({5}) weil die Diskussion Sie in die Problematik brächte, den Ländern gegenüber einmal Farbe bekennen und sagen zu müssen, was Sie eigentlich wollen. ({6}) - Ich bin gespannt darauf! ({7}) Bei einem solchen Verhalten erwarte ich eigentlich, liebe Kollegen von der SPD, sogar Ihr Verständnis dafür, daß wir Ihren Antrag ablehnen müssen. Bringen Sie bitte Butter dazu, und dann können wir uns darüber unterhalten, wie Sie sich mit konkreten Vorschlägen die Neuregelung vorstellen. So aber ist Ihr Antrag nicht akzeptabel. ({8})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Es wird vorgeschlagen, die Gesetzentwürfe und den Antrag zum Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern an die in der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Allerdings soll der Antrag unter Punkt 25 b der Tagesordnung an den Haushaltsausschuß lediglich zur Mitberatung überwiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Frau Adler, Amling, Frau Becker-Inglau, Bernrath, Dr. Biedenkopf, Bindig, Börnsen ({0}), Breuer, Büchner ({1}), Frau Bulmahn, Egert, Frau Faße, Dr. Feldmann, Funke, Frau Garbe, Dr. Glotz, Graf, Gries, Frau Hämmerle, Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Freiherr Heereman von Zuydtwyck, Heimann, Heistermann, Hiller ({2}), Dr. Hirsch, Dr. Hornhues, Hoss, Dr. Hoyer, Ibrügger, Irmer, Jansen, Frau Kelly, Kißlinger, Klose, Kolbow, Koltzsch, Koschnick, Kühbacher, Kuhlwein, Leidinger, Leonhart, Dr. Lippelt ({3}), Lüder, Lutz, Frau Dr. Martiny, Frau Matthäus-Maier, Dr. Mertens ({4}), Müller ({5}), Neumann ({6}), Frau Dr. Niehuis, Dr. Niese, Peter ({7}), Pfuhl, Dr. Pick, Reimann, Rind, Frau Rust, Frau Saibold, Schäfer ({8}), Schanz, Dr. Scheer, Frau Schmidt ({9}), Dr. Schöfberger, Schröer ({10}), Seesing, Sielaff, Dr. Struck, Frau Terborg, Toetemeyer, Frau Unruh, Frau Dr. Vollmer, Graf von Waldburg-Zeil, Waltemathe, Wartenberg ({11}), Frau Weiler, Dr. Wieczorek, Wiefelspütz, Frau Würfel, Würtz, Zierer, Frau Zutt Präsident Dr. Jenninger Parlamentsreform/Änderung der Geschäftsordnung - Drucksache 11/411 ({12}) Überweisungsvorschlag: Ältestenrat Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung drei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Bevor ich die Aussprache eröffne, darf ich der Abgeordneten Frau Nickels das Wort zu einem Geschäftsordnungsantrag geben.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach unserer Geschäftsordnung bestimmen sich Gestaltung und Dauer der Debatten nach den §§ 35, 27 und 28. Es heißt darin, daß auf Vorschlag des Ältestenrates vom Bundestag die Gestaltung festgelegt wird. In § 27 wird festgestellt, daß ein Mitglied des Bundestages nur sprechen darf, wenn ihm der Präsident das Wort erteilt hat, und daß diese Mitglieder des Bundestages sich beim Präsidenten zu melden haben. Natürlich steht nicht in der Geschäftsordnung, daß überhaupt niemand aus dem Hause zu Wort kommt, wenn ihm nicht vorher die Fraktionen das Wort erteilt haben. Ich glaube, das ist auch der Grund dafür, daß § 33 der Geschäftsordnung, wonach nämlich die Redner grundsätzlich frei zu sprechen haben, in aller Regel in den Debatten auf den Kopf gestellt wird; denn grundsätzlich sprechen hier Rednerinnen und Redner meist nicht frei, sie lesen ab. Es ist die Ausnahme, wenn jemand wirklich frei spricht. Das hat meines Erachtens damit zu tun, daß die Fraktionen entscheidend mitbestimmen, wie die Debatte gestaltet wird. ({0}) Wir haben diesen Punkt in unserem Antrag benannt. Wir haben darin aufgenommen, daß die Debatte offener und lebendiger gestaltet werden soll und daß bei größeren Debatten - ({1}) - Ja, ich spreche zur Geschäftsordnung.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Frau Kollegin Nickels, Sie hatten angekündigt, einen Antrag zur Geschäftsordnung stellen zu wollen.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der kommt, ich begründe ihn jetzt. ({0}) - Ich mache das umgekehrt. In dem Antrag steht, daß wir in größeren Debatten freie Wortmeldungen zulassen wollen. Ich beantrage für diese Debatte, weil im Parlament nie Rechte von oben gewährt werden, sondern man sich diese nur selbst erstreiten kann, daß innerhalb der Redezeitkontingente in dieser Debatte zur Parlamentsreform nicht die von den Fraktionen benannten Rednerinnen und Redner in die Redeliste aufgenommen werden, sondern daß der Präsident die Redeliste für die Debatte heute aus freien Wortmeldungen zusammenstellt. Das ist mein Geschäftsordnungsantrag, den ich hier zur Abstimmung stelle. Ich kann darüber hinaus sagen, wenn der Antrag abgelehnt werden sollte, wird unsere Fraktion das trotzdem so praktizieren. Herr Präsident, Sie werden also im Sinne der Geschäftsordnung von unserer Seite heute ein bißchen mehr Arbeit haben. ({1})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Wird zu diesem Geschäftsordnungsantrag das Wort gewünscht? - Das Wort hat Herr Abgeordneter Jahn.

Gerhard Jahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001012, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, den Antrag der Kollegin Nickels abzulehnen. Wir haben eine Verabredung getroffen. Wir machen das ganz locker. In unserer Fraktion gibt es da keine Probleme. Wir haben uns verständigt. Frau Nickels, wenn Sie Probleme der Fraktion der GRÜNEN auf Kosten des Bundestages lösen wollen, müssen Sie sich etwas anderes ausdenken. ({0}) Ich sehe überhaupt keinen Anlaß, von der getroffenen Vereinbarung abzugehen. Ich bitte, den Antrag abzulehnen.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Wird weiterhin das Wort zu dem Geschäftsordnungsantrag gewünscht? - Dann stelle ich diesen Antrag zur Abstimmung. Wenn ich das richtig verstanden habe, Frau Kollegin Nickels, beantragen Sie, daß am Präsidiumstisch keine Wortmeldungen von den Fraktionsvorsitzenden oder -geschäftsführern entgegengenommen werden sollen, sondern nur von denen, die sich melden. Ich stelle diesen Antrag zur Abstimmung. Wer stimmt dem zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Ich darf nun die Aussprache eröffnen. - Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Fast auf den Tag drei Jahre nach der ersten Selbstverständnisdebatte des Deutschen Bundestages versuchen heute Abgeordnete aus allen Fraktionen mit dem hier zur Debatte stehenden Antrag, zu einem zweiten Anlauf für eine umfassende Reform unserer Arbeit aufzurufen, und zwar mit dem gemeinsam erklärten Ziel, das Gewicht und die Funktionsfähigkeit des Parlaments als erster Gewalt im demokratischen Staat und damit vor allem seine Reputation in der Öffentlichkeit zu stärken. Beides tut nach Ansicht der Unterzeichner der Initiative bitter not. Nach der Debatte heute morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, mag man vielleicht etwas entmutigt fragen, ob alle Bemühungen dieser Art nicht durch Schlammschlachten in Wahlkämpfen, wie wir sie erlebt haben, zerstört werden können. Ich glaube, dennoch müssen wir uns auf den Weg machen. Derzeit gibt es 165 Unterzeichner der Initiative. Das sind fast 32 % aller MdBs. Sie stammen aus allen Fraktionen. Bei den Fraktionen der FDP, der SPD und der GRÜNEN liegen die Prozentzahlen zwischen 50 und 43. Bei der CDU/CSU sind es leider nur etwas über 11 %. Bemerkenswert ist aber, daß 42 % aller weiblichen Abgeordneten mitmachen. Die Frauen leiden hier offenbar mehr darunter, wie unsere Situation ausschaut. ({0}) Insgesamt hat die Initiative 60 % mehr Unterzeichner als in der vorigen Legislaturperiode. Ich glaube, das ist einmalig und neuartig in der Geschichte unseres Bundestags. Wir hoffen, daß wir mit diesen Anträgen - insgesamt sind es zur Zeit drei - einen Prozeß des gemeinsamen Nachdenkens in Gang setzen können. Wir hoffen, daß diese Initiativen von einer großen Mehrheit des Hauses und auch von den Führungen der Fraktionen, die hier so „zahlreich" vertreten sind, aufgenommen werden, so daß wir schließlich zu konkreten Ergebnissen kommen. Ich möchte drei Gründe anführen. Erster Grund: Wir haben einen Auftrag zu erfüllen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Unser erster Anlauf, der unter dem früheren Parlamentspräsidenten Dr. Barzel so hoffnungsvoll begonnen hat - die damals beschlossene Ad-hoc-Kommission wurde schon eine Woche nach der ersten Selbstverständnisdebatte eingesetzt -, schleppte sich mühsamer und immer unergiebiger durch die vorige Legislaturperiode weiter und endete schließlich mit einem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 10. Dezember 1986, den ich in Erinnerung rufen möchte. Zitat: Vom 11. Deutschen Bundestag - das sind wir wird erwartet, daß er die vom 10. Deutschen Bundestag begonnene Arbeit fortsetzt und dabei auch nicht erledigte Anträge zur Änderung der Geschäftsordnung aufgreift und berät, für deren abschließende Beratung im 10. Bundestag keine Zeit mehr war. Wir haben also in eigener Sache einen ganz klaren Auftrag. Wir stehen in der Pflicht, den Beginn der Arbeit nicht länger hinauszuzögern. Leider besteht Anlaß, dies besonders zu betonen; denn es sind seit den ermutigenden Erklärungen des Bundestagspräsidenten nach seiner Wiederwahl im Februar bereits sieben kostbare Monate verstrichen. Wenn dieser zweite Anlauf nicht neuerlich zu einer endlos verschleppten Geschichte und zu einem neuerlichen Katz-und-Maus-Spiel werden soll, dann müssen wir uns diesmal einen genauen Arbeitsplan vornehmen und auch ein festes Enddatum für diese Arbeit setzen. Hierzu haben die Unterzeichner den 40. Geburtstag des Deutschen Bundestages, den 9. September 1989, vorgeschlagen, weil dieses Datum, meine Damen und Herren, nicht nur ein in der Sache realistisches, sondern vor allem ein für unsere Demokratiegeschichte wichtiges und symbolhaftes Datum ist. Damals haben wir begonnen, das - wie es Theodor Heuss nannte -„Paragraphengespinst" des Bundestages mit Leben zu erfüllen. Ich glaube, hier bleibt in Sachen Parlament noch sehr viel zu tun. Meine Damen und Herren, wir sind uns wohl bewußt, daß wir bis dahin im Sinne Max Webers viele harte Bretter mit Augenmaß und Leidenschaft bohren müssen. Gleichwohl könnten wir es schaffen, wenn wir nur wollen, wenn der Umgang in dieser Sache zwischen Fraktions- und Parlamentsführung einerseits und der Initiative und den Abgeordneten andererseits offen und fair gestaltet wird und wenn wir uns bemühen, außer unseren tagespolitischen Aufgaben - unserem Wählerauftrag - auch und vor allem dem uns allen gemeinsamen Verfassungsauftrag als Volksvertretung gerecht zu werden. Zweiter Grund: Konsequenzen aus den bisherigen Erfahrungen. Es hat sich ja erwiesen, daß unsere erste Initiative vor drei Jahren kein Strohfeuer war und schon gar kein Ausbruchsversuch von Hinterbänklern, wie manchmal behauptet wurde. Nein, immer mehr Abgeordnete sind bereit und entschlossen - darunter sehr, sehr prominente - , zu hinterfragen, wie es denn um unsere Reputation als Vertretung des ganzen Volkes bestellt ist. ({1}) - Lieber Herr Kollege Conradi, ich grüße alle nicht Anwesenden, die in ihren Büros oder auf dem Wege in die Wahlkreise sind. Ich spreche in ihrer aller Namen. Wir wissen, wenn freitags nichts mehr los ist, dann haben halt so viele Verpflichtungen. ({2}) Sie gehörten ja einst auch dazu, Herr Conradi, und wir beklagen, daß Sie diesmal als sehr prominentes Mitglied dieses Hauses nicht dabei sind. ({3}) Wir sorgen uns über Fraktionsgrenzen hinweg um die offenkundigen Schwachstellen und Defizite im parlamentarischen Betrieb. Wir sorgen uns gleichermaßen um unser Unvermögen, das ausreichend zu ändern. Wir wissen wohl, daß unser überfraktionelles Nachdenken in eigener Sache bei Fraktions- und Parlamentsführung in der Vergangenheit nicht immer eitel Freude ausgelöst hat, daß gelegentlich sogar Störfeuer zu spüren war. Wir bedauern das. Wir haben uns deshalb in den letzten Monaten besonders darum bemüht, für unser Vorhaben um Vertrauen zu werben. Zahlreiche Gespräche haben stattgefunden. Meine etwas reichlicher bedachte Redezeit verdanke ich auch diesem Vertrauensbildungsprozeß, ({4}) obwohl das - Herr Kollege Bohl, Sie nicken so freundlich mit dem Kopf - im Grunde eine Selbstverständlichkeit sein sollte; denn die Begründung eines Antrags von 165 Abgeordneten kann nicht in fünf Minuten abgehaspelt werden. ({5}) Wir wollen also mit unseren Anträgen signalisieren: Wir suchen die Kooperation. Aber wir wollen auch signalisieren, daß wir uns weder mundtot machen oder austricksen noch als lästige Störenfriede abstempeln lassen wollen. Falls nötig, unsere liebe innerparlamentarische Obrigkeit, sind wir diesmal entschlossen, mit den Mächtigen auf seiten der Regierung und in diesem Hause auch zu ringen, wie weiland Jakob mit dem Engel - ich habe das heute früh in der Morgenandacht gehört - , der, wie bekannt, diesen Kampf zwar mit einer blessierten Hüfte, aber dennoch schließlich gestärkt bestand. Der dritte Grund für unseren überfraktionellen Antrag ist der wichtigste. Mit unserer Initiative wollen wir das Bewußtsein für unsere gemeinsame Aufgabe schärfen, nämlich die parlamentarisch-repräsentative Demokratie so zu stärken und auszugestalten, daß sie funktionsfähiger und damit dann auch für den Bürger dauerhaft glaubwürdig wird. Dafür brauchen wir nun allerdings eine Volksvertretung, die ihren Gesetzgebungs-, ihren Kontroll- und Initiativaufgaben wirklich gerecht werden kann und die sich bemüht, die Entfremdung zum Bürger zumindest zu mindern, möglichst auch abzubauen. Dabei geht es nach unserer Überzeugung zunächst gar nicht um diese oder jene Änderung unserer Geschäftsordnung. Es geht zunächst um eine nüchterne Positionsanalyse darüber, wie sich die Gewichte zwischen Legislative und Exekutive heute in der Wirklichkeit verteilen, und darum, die Frage zu klären, ob sie sich nicht zunehmend zuungunsten unseres Verfassungsauftrags verschoben haben. Bei einer solchen Analyse sind wir zu der Einsicht gekommen: erstens, daß unser Parlament noch weit davon entfernt ist, wirklich erste Gewalt im Staat zu sein; zweitens, daß wir unsere verschiedenen Kontrollfunktionen nur sehr eingeschränkt wahrnehmen können; ({6}) drittens, daß wir - das ist sehr wichtig - unseren Gestaltungsspielraum, unsere eigene Spontaneität infolge Überreglementierung, Hierarchisierung und einer fast totalen Vernetzung selber zugeblockt haben; viertens, daß wir noch keine befriedigenden Formen für unsere Debatten gefunden haben. Ich empfehle sehr, daß wir auch einmal über die Kultur des politischen Streits nachdenken. Wir sind zu der Einsicht gekommen, daß infolgedessen das Ansehen des Parlaments in der Öffentlichkeit sehr zu wünschen übrigläßt und daß wir leider ein ziemlich gestörtes Verhältnis zum Bürger konstatieren müssen. Meine Damen und Herren, bekommen wir nicht allwöchentlich - gerade wieder in den letzten zwei Wochen - unsere Ohnmacht zu spüren, ob wir nun in der verbürokratisierten Fragestunde die Belehrungen der Exekutive entgegennehmen, ohne je einen Minister zu Gesicht zu bekommen - was in jedem westlichen Parlament selbstverständlich ist - , ob wir in der Haushaltsdebatte, dem Königsrecht des Parlaments, den Regierungsvertretern die besten Redezeiten abtreten müssen oder ob wir in unseren Ausschüssen von Beamten der Ministerien und eifrig mitschreibenden Vertretern aller möglichen Behörden umzingelt sind, ohne selber auch nur einen einzigen Fraktionsmitarbeiter hinzuziehen zu können? ({7}) Zusammengefaßt: Ob unsere minimalen und marginalen Informations-, Kontroll- und Initiativrechte und ob die Abhängigkeiten und die Vermischungen mit und von der Exekutive überhaupt noch mit dem Prinzip der Gewaltenteilung vereinbar sind, muß doch ernsthaft bezweifelt werden. Zu dieser Positionsanalyse erbitten wir eine Meinungsbildung, auch unseres verehrten Präsidenten. Für diesen ersten Akt einer parlamentarischen Gewissenserforschung halten wir allerdings die Wiedereinsetzung der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform für erforderlich - das muß keine Dauerkommission sein, aber sie muß unter Vorsitz des Präsidenten darüber nachdenken -, deren Ergebnisse dann vom Geschäftsordnungsausschuß in die notwendigen Regelungen umgegossen werden müssen. Vielleicht macht das auch der Ältestenrat unter Hinzuziehung der Antragsteller, das ginge auch. Darüber aber müssen wir rasch entscheiden. Wir wären dankbar, wenn wir als Antragsteller hinzugezogen würden. ({8}) Meine Damen und Herren, als Abgeordnete haben wir gewiß vor allem einen Wählerauftrag zu erfüllen. Wir haben aber auch einen Verfassungsauftrag, der in der tagespolitischen Auseinandersetzung offenkundig oft zu kurz kommt. Diese Erkenntnis mag zu Zielkonflikten zwischen Fraktions- und Parteiräson einerseits und unserem Selbstverständnis als Vertreter des ganzen Volkes andererseits führen. Ich meine aber doch, daß wir diesen Zielkonflikt nicht tabuisieren sollten. Wir müssen versuchen, beiden gerecht zu werden. Das ist die Erkenntnis und die Botschaft unserer überfraktionellen Initiative. Reformen in eigener Sache können nicht par ordre du mufti verordnet oder ex cathedra - von oben - verkündet werden. Schon gar nicht sollen wir sie uns von der Verwaltung vorgeben lassen. Das müssen wir schon alles selber besorgen. Deshalb müssen überfraktionell erarbeitete Reformvorschläge von der Basis nicht nur möglich sein, sie sollen und müssen erwünscht sein. Wenn wir zu einem offenen, demokratischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß und zu einer von der Basis mitgetragenen und geförderten Parlamentsreform kommen wollen, dann müssen wir alle unser Scherflein dazu beitragen. Deshalb schlagen wir vor, daß alle Sitzungen der hoffentlich umgehend wieder eingesetzten Ad-hocKommission und des Geschäftsordnungsausschusses parlamentsöffentlich tagen sollen - das heißt, daß jeder interessierte Abgeordnete dort zuhören kann -, daß in allen Fraktionen Arbeitsgruppen zur Begleitung der Ausschußarbeit eingesetzt werden und daß sich diese Arbeitsgruppen auch der überfraktionellen Zusammenarbeit öffnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir uns darauf verständigen können, daß wir nicht nur als mehr oder weniger nützliche Rädchen in einem bis aufs letzte vernetzten Betrieb zu funktionieren haben, son1874 dern daß wir uns auch als Motor und Antriebskraft unserer parlamentarisch-repräsentativ verfaßten Demokratie verstehen müssen - der Prüfstein ist hier eine freie Debattenordnung, da gebe ich Ihnen völlig recht, Frau Nickels - , dann wird sich die Funktionsfähigkeit, das Gewicht des Parlaments und auch sein Ansehen rasch und spürbar verbessern. Ich komme zum Ende. Ich hoffe, daß es mir trotz der nicht gerade überfüllten Sitzreihen gelungen ist klar zu machen - ({9}) - Heute finde ich das gar nicht so tragisch, ehrlich gesagt; bei anderer Gelegenheit aber müssen wir wirklich wie Jakob mit dem Engel immer wieder mit dem Stärkeren ringen; andernfalls werden wir unser Selbstverständnis nicht verbessern. ({10}) Ich hoffe, es ist mir gelungen, überzubringen, daß die Antragsteller weder persönlicher Frust noch Geltungssucht umtreibt und daß wir auch keinen Anschlag auf Loyalitäten und auf die nötige Ordnung beabsichtigen. ({11}) - Sie meinen, schon ein bißchen; aber das haben wir nicht vor. Es geht um nichts Geringeres als um die Wahrnehmung unserer Verantwortung für die Gegenwart und die Zukunft unserer repräsentativen Demokratie, die sich ja nicht in Sonntagsreden, sondern bei der Gestaltung unserer Arbeit und vor allem hier im Alltag entscheidet. Dazu möchten unsere Initiative und unsere Anträge einen Beitrag leisten. Hierfür bitten wir alle Kolleginnen und Kollegen fern und nah um Verständnis und Unterstützung. Vielen Dank. ({12})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat Herr Abgeordneter Porzner.

Konrad Porzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001739, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ich möchte Frau Dr. Hamm-Brücher für die einleitende Begründung dieses Antrags danken. Es ist gut, Frau Dr. Hamm-Brücher, daß Sie, die Initiatoren, sich nicht schon im Antrag auf ganz bestimmte Dinge festgelegt, sondern allgemeine Grundsätze angesprochen haben. Ich hoffe, daß wir im Laufe der Beratungen zu einigen Ergebnissen kommen. Ich will diese Debatte mit einem ganz konkreten Vorschlag beginnen, den wir Sozialdemokraten demnächst einbringen werden. Er hat unmittelbar mit dem Recht des Parlaments und dem Verhältnis des Parlaments als Ganzem gegenüber der Regierung zu tun; er betrifft nicht nur die Opposition. Wir hatten in der Sondersitzung am 2. September, die von meiner Fraktion beantragt worden war, als es um die PershingI-A-Raketen ging, keine Gelegenheit, einen Antrag zu stellen, eine Entscheidung zu treffen. Wir hatten nur die Möglichkeit, die Sitzung zu beantragen, zu erreichen, daß sie stattfand, und während ihr zu reden. Warum? Weil natürlich bei einer ganz aktuell beantragten Sitzung alle Antragsfristen versäumt sind, zweitens, weil selbst dann, wenn ein Antrag drei Tage vorher vorliegt, die Mehrheit beschließen kann, ihn nicht auf die Tagesordnung zu setzen. Es lag allein im Belieben der Regierung - , ich kritisiere das nicht, das hat bisher niemanden gestört, weil das Problem niemals aufgetreten ist - eine Regierungserklärung abzugeben, an die sich dann das Parlament mit Entschließungsanträgen von Fraktionen oder anderen Antragsberechtigten hätte anschließen können. Da die Regierung keine Regierungserklärung abgegeben hat, weil die Koalition ihre internen Schwierigkeiten hatte, war das ganze Parlament nicht imstande, eine Willensbekundung abzugeben. Deswegen werden wir beantragen - und da wollen wir, Frau Dr. Hamm-Brücher und verehrte Damen und Herren, nicht warten, bis vielleicht in zwei Jahren die größere Debatte beendet sein wird -, daß, wenn eine Parlamentssitzung auf Antrag, sei es des Bundeskanzlers, sei es des Bundespräsidenten, sei es eines Drittels der Mitglieder des Hauses, stattfindet, die Antragsteller auch einen Antrag, einen Sachantrag, im Plenum stellen dürfen. Selbstverständlich müssen dann auch die anderen Fraktionen das Recht haben, Anträge zu stellen. Man darf sie nicht zwingen, nur über das zu entscheiden, was eine Fraktion vorschlägt. Über die Fristen für solche Anträge muß man sich dann unterhalten. Mir scheint das ein ganz wesentlicher Einzelpunkt im Verhältnis von Regierung und Parlament, aber auch im Hinblick auf die Möglichkeiten der Minderheit, der Opposition im Parlament gegenüber der Koalition zu sein. Manche werden sich fragen: Warum haben die das nicht längst gemacht? Ich habe versucht, mich zu erinnern. Bisher ist der Fall nie eingetreten; der Mangel ist nie sichtbar geworden. Bei der vorletzten Sondersitzung des Bundestages, als es um Buschhaus ging, hat die Bundesregierung eine Regierungserklärung abgegeben, und das Parlament konnte sich seinerzeit nicht nur mit einer Debatte, sondern auch mit Anträgen anschließen. ({0}) - Ob Sitzungen überflüssig sind, Herr Bohl, oder nicht, das haben - Sie verstehen das wohl recht - parlamentarische Geschäftsführer nicht zu entscheiden. ({1}) Wenn im Grundgesetz vorgesehen ist, daß außerhalb der üblichen Form der Vorbereitung des Parlaments auch nach Art. 39 Abs. 3 des Grundgesetzes - der Bundespräsident, der Bundeskanzler und ein Drittel der Mitglieder des Bundestages eine Sitzung beantragen können, dann müssen Sie es denjenigen, die das Recht dazu haben, überlassen, ob sie eine Sitzung wollen oder nicht; und dann hat niemand zu qualifizieren. ({2}) Nun zur Debatte selbst: Wer sich die Tagesordnungen unserer wöchentlichen Sitzungen anschaut, der muß unzufrieden werden, aber die Geschäftsordnung zwingt uns nicht zu solchen Tagesordnungen. ({3}) Es sind bisher immer die Fraktionen und die Abgeordneten in den Fraktionen gewesen, die Wert darauf legen, daß jeweils die Vorlagen, die sie erarbeitet haben, im Plenum behandelt werden. Dann ergibt es sich wie in dieser Woche, daß an einem Donnerstagvormittag Arbeitsförderungsgesetz, Hochtemperaturreaktor, Schutz der Ozonschicht und Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungspolitik" innerhalb weniger Stunden bearbeitet werden. Ich habe noch nie erlebt, daß in den Fraktionen Initiatoren von Anträgen die Meinung vertreten hätten: Unseres braucht hier gar nicht debattiert zu werden, wir machen es zuerst in den Ausschüssen und kommen dann erst zu einer Schlußdebatte. Alle - ich meine damit uns alle, der Vorwurf soll nicht gegen irgend jemanden gerichtet sein - wollen natürlich Ihres, das sie für das Wichtigste halten, behandelt haben, und das führt dann zu diesem kunterbunten Durcheinander und in der Öffentlichkeit zu dem Eindruck, als ob wir uns nicht auf Wesentliches beschränken könnten. Deswegen ist es meine Bitte - das ist das einzige, was ich sagen will, und darauf will ich mich beschränken - , daß wir das Plenum von dem Vielerlei entlasten, das natürlich wichtig ist; ({4}) denn wenn wir Zeit gewinnen wollen, müssen wir so verfahren. Da hat der Präsident, Herr Jenninger, Anregungen gegeben, die wir auch - neben den anderen Dingen - intensiv diskutieren sollten, nämlich den Vorschlag - alternativ zu anderen Vorschlägen - , einen Hauptausschuß des Bundestages einzurichten, der natürlich öffentlich berät, bei dessen Beratungen immer gewährleistet sein muß, daß das Recht des einzelnen Abgeordneten, Anträge zu stellen, wie bei uns in der zweiten Lesung im Plenum gewährleistet bleibt, der aber all die vorbereitenden Arbeiten macht, öffentlich diskutiert und damit das Plenum, wie ich glaube, weitgehend entlasten kann. Herr Präsident Jenninger nimmt für sich nicht in Anspruch, daß er die Dinge erfunden hat, sondern er greift sie auf, hat sie auch den Mitgliedern des Ältestenrates vor kurzem gegeben. Ein anderer Vorschlag ist, beschließende Ausschüsse im Deutschen Bundestag einzurichten. Bei beschließenden Ausschüssen müssen natürlich mitberatende Ausschüsse irgendwie beteiligt sein. Die technischen Einzelheiten braucht man jetzt nicht zu erörtern. Auch dieser Vorschlag wird in der Absicht gemacht, das Plenum zu entlasten. Wiederum - ich wiederhole es, damit es auch draußen bei verfassungsrechtlich und parlamentsrechtlich sehr kundigen Leuten kein Mißverständnis gibt wird bei solchen Lösungen das Recht des einzelnen Abgeordneten natürlich nicht beschnitten. Wenn wir zu einem der beiden Wege kämen, dann würden wir ganz gewiß die Plenarsitzungen des Bundestages entlasten können, wir würden Raum und Zeit für aktuelle Diskussionen und auch für grundsätzliche Aussprachen haben, ohne daß deswegen die präzise Einzelberatung vernachlässigt wird. Es ist schon einer der Vorzüge des Bundestages und unserer Verfassung, daß das Parlament, wenn die Regierung eine bestimmte Initiative ergreift, wie das z. B. im französischen Parlament der Fall ist, nicht nur noch ja oder nein zu einer Vorlage sagen kann. Die Parlamentspraxis ist sehr viel besser, als es angesichts der Kritik, die wir manchmal äußern, weil wir mit manchen Verfahren unzufrieden sind, den Anschein hat. Meine Zeit ist hier jetzt auch schon abgelaufen; ich will Sie nicht länger beanspruchen. Ich habe sehr, sehr vieles, von dem, was es an Anregungen gibt, nicht aufgreifen können und auch gar nicht aufgreifen wollen. Ich habe auch, Frau Nickels, das bißchen, was ich mir aufgezeichnet habe, in der Aufregung am Platz liegenlassen, so daß ich das, was Sie wollten, getan habe. Nur, zur Freiheit gehört auch, daß jemand frei entscheidet, wie er glaubt, daß er seine Rede am besten hält. Wenn Redner meiner Fraktion - ich rede nur von der sozialdemokratischen Fraktion - im Auftrag der Fraktion wichtige Dinge zu erklären haben, dann ginge, wenn man sich immer nur auf seine Spontaneität verlassen würde, manches nicht so gut, wie es in diesem Parlament geht. Manches ist zu kompliziert, als daß man sich nur hinstellen und reden kann. Die Sache heute war nicht so kompliziert. Danke schön. ({5})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Bohl.

Friedrich Bohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000230, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich will mich bemühen, in freier Rede zu diesem Tagesordnungspunkt zu sprechen, ({0}) - Herr Gansel, wir kennen uns; gut, so ist es - und gleich zu Beginn sagen, daß wir bei diesem Antrag durchaus auch zwiespältige Gefühle haben. Zum einen - das war ja Ihr Hauptanliegen, Frau HammBrücher; Sie haben es gesagt - soll dieser Antrag dazu beitragen, daß wir über uns selbst diskutieren, ({1}) daß wir die Selbstverständnisdebatte einmal mehr hier in diesem Plenum führen, daß wir sozusagen die Parlamentsreform als ständige Aufgabe begreifen und einen Impuls mit diesem Antrag geben wollen. Ich glaube, dem kann man zustimmen. Dafür haben auch wir viel Sympathie, weil in der Tat Parlamentsreform ein ständiger Prozeß ist. Aber ich darf vielleicht gleich aus meiner Sicht hier doch eine wichtige Anmerkung vornehmen. Die Par1876 Deutscher Bundestag - 1 1. Wahlperiode Bohl lamentsreform bezieht sich natürlich nicht nur auf die Geschäftsordnung und mögliche Änderungen der Geschäftsordnung, sondern zu einem großen Teil auch auf das, was man als „common sense" in diesem Hause, sozusagen als ein gemeinsames Vorverständnis von unserer Arbeit bezeichnen mag, ({2}) und auch auf das, was die technische, materielle und organisatorische Ausstattung anbelangt. Da möchte ich doch gleich einmal sagen: Wir haben in den letzten Jahren hier gewaltige Sprünge nach vorne getan. Ich denke daran, daß die Mitarbeiterpauschale erhöht wurde und ja auch mehr Mitarbeiter von fast allen Kollegen eingestellt wurden. Das hat unsere Arbeit angesichts der Papierflut, die wir nun einmal haben, erleichtert. Auch die Einführung neuer Kommunikationstechniken macht ja bei uns nicht halt. PARLAKOM oder auch, was die Fraktionen dort leisten, erleichtert unsere Arbeit. Ich halte das schon für wichtige Schritte, die hier auch erwähnt werden sollten. Ich möchte, soweit es die Geschäftsordnung als nächstes anbelangt, hinzufügen, daß wir ständig auch die Geschäftsordnung veränderten Bedingungen anpassen. Es ist ja keineswegs so, daß wir sie nun als Heiligtum betrachten. Ich denke daran, daß wir gestern im Geschäftsordnungsausschuß unter dem Vorsitz des Kollegen Porzner z. B. einvernehmlich die Frage erörtert haben: Wie können wir die europäischen Abgeordneten in unserem neu installierten Unterausschuß Europapolitik beteiligen? Können sie dort als Sachverständige, als ständige Sachverständige, als beratende Mitglieder, als kooptierte Mitglieder gehört werden und mitarbeiten oder wie immer man das dann im einzelnen nennen mag? Auch hier wollen wir also Europa in unsere Arbeit besser einfließen lassen. Das ist ein Detail, ein unwichtiges Mosaiksteinchen möglicherweise. Aber es macht deutlich, daß eben die Anpassung unserer Geschäftsordnung und unseres Umgangs millimeterweise geschieht und auch geschehen ist. Als zweites möchte ich in diesem Zusammenhang vortragen, daß man für mein Empfinden unsere Selbstverständnisdebatte nicht auf das Plenum einengen dürfte, daß es nicht nur darum geht, was hier im Plenum geschieht. Auch ich bin für eine lebendigere Debatte. Wer mag eigentlich dagegen sein? Hier ist vieles sicherlich verbesserungswürdig. Aber man muß auch sehen, daß wir - jedenfalls nach herkömmlicher Überzeugung - nicht nur ein Debattenparlament sind. Ich glaube, keiner will hier in die Gefahr kommen, daß wir sozusagen der Hyde Park der Nation sind, sondern Politik muß natürlich zielgerichtet sein, und die Debatten müssen zu einem Ergebnis führen und sollten deshalb auch entsprechend strukturiert sein. Die Geschäftsordnung ist auch nicht vom Himmel gefallen oder ist vom Präsidenten, den Geschäftsführern oder den Fraktionsvorsitzenden irgendwann einmal als Oktroi gekommen, sondern hat sich aus der Arbeit entwickelt und ist im jetzigen Stadium eine Form - sagen wir es einmal so - , mit der es jedenfalls bisher gut geklappt hat, was die Reformbedürftigkeit aber keineswegs ausschließt, ganz gewiß nicht. Ich sagte, wir sollten das Thema nicht auf das Plenum einengen. Wie viele Kollegen - das weiß doch jeder - sind auch während der Plenarsaal eigentlich voller sein sollte, wirklich nicht auf dem Sofa, sondern arbeiten, haben Besuchergruppen, telefonieren mit ihrem Wahlkreis, sind in den Ministerien? Wer Wahlkreisabgeordneter ist - das sind zumindest aus den großen Fraktionen fast alle; auch wenn man nicht direkt gewählt ist, fühlt man sich doch dort in erster Linie als Wahlkreisabgeordneter - , ist mit der Wahlkreisarbeit in besonderer Weise belastet. ({3}) - Jetzt kommen die kleinen Fraktionen. Ich weiß das. Da muß ich vorsichtig sein. ({4}) - Ich wußte, daß ich da ins Wespennest steche. ({5})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Alle Abgeordneten sind gleich, Herr Kollege Bohl.

Friedrich Bohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000230, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

So ist es, Herr Präsident. Das sollte auch nicht bezweifelt werden. ({0}) Ich wollte damit nur sagen, daß die Kollegen auch während der Sitzungswoche und am Donnerstag oder Freitag sehr intensiv ihre Wahlkreisarbeit von hier aus betreiben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, vielleicht darf ich in diesem Zusammenhang sagen, daß wir ein arbeitsteiliges Parlament sind. Das kann bei der Fülle der Vorlagen, der Punkte, die zu behandeln sind, bei der Komplexität der Materie gar nicht ausbleiben. Es kann gar nicht sein, daß alle gleichzeitig hier im Bundestag reden, was auch keiner will. Es muß hier sicherlich eine gewisse Arbeitsteilung stattfinden. Die Debatte, die wir hier führen, ist im übrigen nicht typisch nur für den Bundestag. Ich bin wie andere Kollegen auch sowohl Stadtverordneter als auch Kreistagsabgeordneter als auch Landtagsabgeordneter geworden und bin jetzt Bundestagsabgeordneter. Überall sind die gleichen Debatten. ({1}) - Ich bin Stadtverordneter gewesen, Herr Kollege Kleinert, Sie kommen ja auch aus Marburg. Ich bin noch Kreistagsabgeordneter, war Landtagsabgeordneter und bin jetzt Bundestagsabgeordneter. ({2}) Was ich damit sagen will, ist: Überall sind die gleichen Debatten. Es ist also nicht so, daß der Bundestag - das finde ich ein bißchen nachteilig - Anlaß hätte, sich selbst in eine bestimmte Ecke zu manövrieren und „die" Bürokratie, „die" Parlamente auf die Anklagebank zu setzen. Ich halte auch nichts davon, daß man nach dem Motto vorgeht: Jeden Tag wird jemand anders durchs Dorf gehetzt. Davon halte ich gar nichts. Parlamentarismus ist immer auf die Personen, die agieren, auf den Sachverhalt, der zu gestalten ist, auf das sonstige politische Umfeld abzustellen, auf die Medien und die Aufmerksamkeit, die damit erzielt wird. Deshalb, glaube ich, können wir auch sagen, daß dieser Bundestag bisher gute Arbeit geleistet hat. ({3}) - Herr Kollege Lutz, ich finde das sollten wir auch einmal sagen. Ich halte nichts davon, daß wir uns selbst auf die Anklagebank stellen. Wenn wir solche Debatten führen, zeigt das ja, daß wir reformwillig sind. Aber wir sollten das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, sondern auch deutlich sagen, daß dieser Bundestag in den fast vierzig Jahren seiner Existenz hervorragende Arbeit geleistet hat und sich dadurch auszeichnet, daß er sensibel ist, um seine Arbeitsweise in einem ständigen Prozeß fortzuentwickeln. Ich möchte in diesem Zusammenhang sehr kritisch etwas dazu sagen - das will ich nicht unterdrücken - , daß Sie hier eine grundsätzliche Überprüfung - so oder ähnlich ist die Formulierung - wollen. Das klingt so ein bißchen nach Totalrevision. Sie wollen dann auch, daß das zum 40jährigen Jubiläum in Kraft tritt. Das ist vom Tenor her - für meine Begriffe jedenfalls - etwas, was ich nicht möchte. Ich möchte die Geschäftsordnung ständig weiterentwickeln, sie auch überprüfen, in Ordnung, aber nicht sozusagen eine völlig neue Geschäftsordnung haben. Wenn das intendiert sein sollte, dann würde ich sagen: Das geht zu weit. ({4}) - Wir sind ja dabei, Frau Kollegin Unruh, wir sind ja ständig dabei, unsere Geschäftsordnung zu überprüfen. Sie sind ja nicht Mitglied des Geschäftsordnungsausschusses, deshalb darf ich das vielleicht einmal sagen. Wir haben die Anpassung der Geschäftsordnung an geänderte parlamentarische Verhaltensweisen und Methoden ständig vorzunehmen. Aber ich darf mit Blick auf die Uhr noch einen Punkt kurz ansprechen: Darüber, was Sie in Ihrem Antrag fordern, kann man ja reden. Und zum großen Teil ist es gerechtfertigt zu fordern, daß die Redeordnung lokkerer und flexibler sein soll. Nur, das Problem ist ja, daß auch Sie die konkreten Dinge, die geschehen sollen, offenlassen, weil der Teufel natürlich im Detail steckt. Wir waren ja zusammen in der Ad-hoc-Kommission „Parlamentsreform" und haben gesehen, wie schwierig das ist. Als Sie den Vorschlag hinsichtlich der Spontanbeiträge machten, wurde Ihnen ja sofort entgegnet: Dann werden auch die Spontanbeiträge, wenn sie so reglementiert sind, wie Sie das erwogen haben, organisiert und sind damit nicht mehr spontan. Deshalb ist, so glaube ich, der richtige Weg, der jetzt auch wieder vom Herrn Präsidenten gegangen wird, daß die Vorschläge von uns ganz in concreto geprüft und auf den Weg gebracht werden sollten. Und da werden wir noch genug Arbeit haben. Der Teufel steckt - ich wiederhole mich - hierbei im Detail. Aber wir sind jedenfalls zum weiteren beharrlichen und ständigen Bohren dicker Bretter mit Augenmaß bereit. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Vollmer.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident, ich rede frei. ({0}) Ich habe mir vorgenommen, über die klassische und chronische Ohnmacht der Opposition und die Selbstentmachtung der Parlamentarier zu reden - und das am Beispiel der grünen Fraktion und unserer Erfahrungen. ({1}) Also, worin liegt die chronische Ohnmacht der Opposition begründet? Aus unseren Erfahrungen heraus würde ich sagen, daß es wohl daran liegt, daß sich im Parlament kein Vorschlag, kein Gesetzesvorschlag durchsetzen kann, einfach weil er vernünftig ist. Nein, dieses Vernünftigsein muß immer noch mit einem besonderen Gewürz gewürzt sein, nämlich der Macht, der Durchsetzungsfähigkeit der Exekutive, also der Unterstützung der Koalitionsfraktionen. Wenn er das nicht hat, kann ein Gesetzentwurf noch so vernünftig und in den Ausmaßen noch so klein sein, er hat überhaupt keine Chance, durchgesetzt zu werden. Das habe ich erlebt, als ich das erste Mal im Agrarausschuß war. Sie wissen ja, die GRÜNEN hatten zeitweise einen regelrechten Rausch beim Vorlegen von Gesetzgebungsinititativen. Damals haben wir auch unheimlich fleißig gearbeitet. Wir konnten ja aus dem ganzen Sachverstand der linken ökologischen Institute und vieler Leute, die uns beraten haben, schöpfen. Und da sagten meine Kollegen: Ach, Sie Arme, so viel schöne Arbeit und alles für den Papierkorb! Und nun ist ja wirklich zu fragen, warum sich z. B. ein Vorschlag, was man mit dem verstrahlten Heu machen soll, ein Vorschlag zu einem bestimmten Pflanzenschutzmittel, von dem wir wußten, daß es hochgefährlich ist, Vorschläge, die wir zur Gewässerreinhaltung gemacht haben, die sehr vernünftig waren, oder ein so ganz besonders vernünftiger Vorschlag wie damals der, Frau Hamm-Brücher oder Christa Nickels zur Vizepräsidentin zu wählen, warum sich all dies mit den Stimmen, die hier im Par1878 lament kreuz und quer abgegeben werden, nicht auch einmal durchsetzen kann, ({2}) warum darüber immer blockmäßig abgestimmt werden muß. Da gibt es, glaube ich, so eine klassisch deutsche Auffassung, daß man sagt: Wenn an der Säule der Macht der Koalitionsfraktionen auch nur im kleinsten gerüttelt wird, dann wankt gleich der ganze Staat. Das ist, finde ich, eine sehr unvernünftige - auch für das Parlament sehr unvernünftige - Auffassung. ({3}) Der Grund dieser chronischen Schwäche der Opposition sind also nicht etwa die wirkliche Stärke der Regierung oder die Weisheit ihrer Regierungskunst, sondern die Selbstentmachtung der Parlamentarier und unser vorauseilender Gehorsam. ({4}) Was also hätten wir vorzuschlagen? Erstens hätten wir vorzuschlagen: Es muß in diesem Parlament üblich werden, daß in Einzelfragen auch einmal quer zu den sonstigen Fraktionsblöcken abgestimmt wird, ({5}) daß es also wechselnde Mehrheiten gibt und daß man dabei nicht immer den Staat im Wanken sieht. ({6}) - Dazu gehört Mut. Frau Hamm-Brücher, ich weiß gar nicht, wie oft Sie anders als Ihre Fraktion abgestimmt haben. Es war vielleicht zweimal oder dreimal in Ihrem Leben. Aber das wird Ihnen auf ewig den Ruf erhalten, Sie seien die absolute Parlamentsrebellin. ({7}) Das zweite ist, daß es ein wachsendes Selbstbewußtsein gegenüber den Ministern geben muß. Ich will mal eine sehr peinliche Szene aus dem Innenausschuß erzählen; jedenfalls ich fand sie schrecklich. Da kam der Herr Zimmermann. Der hatte vorher der Presse ein Interview gegeben. Da hatte er gesagt, was er uns alles sagen will. Das war schriftlich; das hatten ihm seine Bürokraten aufgeschrieben. Das hat er in der zweiten Phase auch uns im Ausschuß vorgelesen. Dann wollten wir dazu Fragen stellen. Da sagte er: Nee; Fragen werde er nicht beantworten; die könnten wir ja schriftlich stellen; in sechs Wochen hätten wir das dann ganz genau auf Papier. ({8}) - Das Schlimme war, daß sich der Ausschuß das gefallen ließ. ({9}) Er war sogar dankbar, ({10}) daß er dann eine gründliche Aussage hätte, auf die er sich verlassen könnte. ({11}) - Wir haben damals darüber diskutiert. Es ist keine einzige mündliche Antwort von Herrn Zimmermann gekommen. Es gehört, finde ich, zu den Fähigkeiten, die man einem Minister abverlangen kann: daß er in der Lage ist, einigermaßen einen Satz als Antwort zu formulieren. Drittens liegt es, meine ich, in der Selbstentmachtung der Parlamentarier, daß wir eine Reihe von Hilfen, die wir in unserer Arbeit gebrauchen können, uns nicht selber genehmigen. Der Haushaltsausschuß hat den absoluten Vorrang in der Verleihung der Gelder. Er könnte das auch gegenüber der Exekutive durchsetzen. Das tun wir nicht. Jetzt sage ich etwas zur Gefährlichkeit dieser Entwicklung. Wenn sich die erste Gewalt faktisch selber aufgibt, dann - und das hat mit dem Thema von heute morgen zu tun - wird die vierte Gewalt die eigentliche Gewalt im Staat außer der starken Exekutive. Dann kann man nämlich als Opposition eigentlich nur noch etwas über die Möglichkeit durchsetzen, daß man Einfluß auf die Presse hat. Das will ich auch anhand einer, wie ich finde, gefährlichen Entwicklung bei den GRÜNEN zeigen. Wenn man nur noch über die Presse etwas machen kann, wird man in bezug auf die parlamentarischen Möglichkeiten abgebrüht oder zynisch ({12}) oder enttäuscht oder resigniert. Dann können auch nur noch die Stars etwas über die Presse machen, das heißt diejenigen, die mit diesem Instrument umgehen können. Und die Fachleute - es gibt auch vernünftige Fachleute - werden entwertet. Das zweite ist: Man wird permanent gezwungen, die Medienmittel zu dramatisieren. ({13}) Das heißt, wir müssen uns ständig etwas Neues ausdenken. Das tun wir schon. Wir sind ja eine phantasiebegabte Fraktion. Aber irgendwo ist auch da bei der Phantasie das Ende der Fahnenstange. Beides ist außerordentlich problematisch, wenn es nur noch diese Möglichkeit gibt, die öffentliche Debatte zu beeinflussen. Deswegen wäre es, meine ich, im Interesse des Parlamentarismus, wenn wir die parlamentarischen Möglichkeiten verbessern würden. ({14}) Um das zu machen - ich komme zum Schluß -, muß man aber eines tun. Im ökologischen Landbau gibt es einen Grundsatz. Es ist ja eine sehr schwierige Sache, wenn man Bauern dazu kriegen will, daß sie ihre Betriebe umstellen. Da heißt es: Bevor man das Land umstellen kann, muß man den Bauern umstellen, das heißt seinen Kopf ändern. Und bevor man das Parlament im Sinn dieser Demokratisierung ändern kann, muß man die Köpfe der Parlamentarier ändern. Dazu gehört, meine ich, daß wir uns einmal etwas mit Deutscher Bundestag --- 11. Wahlperiode Frau Dr. Vollmer der deutschen Tradition auseinandersetzen, nach der alles immer ach so ordentlich sein muß. Ein Schuß Anarchie würde diesem Parlament ganz guttun. ({15})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Götte.

Dr. Rose Götte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ehe wir uns weiter in vielen Einzelbeiträgen mit unseren Unlustgefühlen befassen und auf Abhilfe sinnen, sollten wir uns ein paar Minuten Zeit nehmen, um einmal über die Unlustgefühle derer nachzudenken, die uns hier bei unserer Arbeit beobachten. Man braucht nicht erst Frau Noelle-Neumann zu bemühen, die erfragt hat, daß nur 18 % der Bürger der Meinung sind, daß die Bundestagsabgeordneten in Bonn ihre Arbeit richtig und vernünftig machen. Man kann einfach den nächstbesten Bürger fragen, was er von unserer Arbeit hält. Die Antwort wird mit hoher Wahrscheinlichkeit wenig schmeichelhaft ausfallen. Wenn wir uns in der Schule so benehmen würden wie die Abgeordneten im Bundestag, würden wir rausgeschmissen. Die passen überhaupt nicht auf, lesen Zeitungen, unterhalten sich, lachen, laufen herum oder schwänzen einfach. Zitat aus einer Schülerzeitung, die mir zugeschickt wurde. Wenn man bedenkt, wieviel Geld der Steuerzahler ausgibt, damit die Abgeordneten ab und zu nach Bonn reisen, aber dann an den Sitzungen des Bundestages gar nicht teilnehmen, möchte man am liebsten dreinschlagen. Zitat aus einem Brief. Ich nehme an, jeder von Ihnen könnte ähnliche Zitate aus Briefen, die ihm zugeschickt werden, anfügen. Wie sollten nicht so arrogant sein, um nicht allen Ernstes darüber nachzudenken, ob die Gespräche der Abgeordneten, die natürlich nötig sind, immer hier im Plenum stattfinden müssen und ob es wirklich unvermeidlich ist, daß sich jemand seinem Gesprächspartner quer über die Vorderbank entgegenwirft, der dann seinerseits mit einer Art mißglückten Rolle rückwärts sein Interesse an diesem Gespräch bekundet. Wir sollten uns wirklich öfter bewußt machen, wie schlecht wir draußen ankommen, wenn verbale Attacken unter die Gürtellinie gehen. ({0}) Wir sollten vor allem darüber nachdenken, wie wir den Bürgern ein realistischeres Bild von unserer Arbeit vermitteln können. Weil sie uns selbst gewählt haben, weil sie uns abgeordnet haben und weil sie uns sozusagen unseren Job verschafft haben, wollen sie wissen, ob wir unserer Arbeit mit dem erforderlichen Eifer nachgehen oder nicht. Das Bild, das die Besuchergruppen an Plenartagen oder am Fernsehen zu Hause gewinnen, muß Aggressionen wecken: Das Studium von Akten oder das Zeitunglesen während der Debatte kann doch nur mißverstanden werden als Desinteresse an der Sache selbst. Abwesenheit im Plenum muß doch gedeutet werden als Faulheit. ({1}) - Darauf komme ich jetzt: Wer sagt denn den Bürgern, daß wir beispielsweise in dieser jetzt zu Ende gehenden Woche außer diesen drei Plenarsitzungen nicht weniger als 40 Sitzungen von Arbeitsgruppen, Arbeitskreisen und Fraktionen hatten, daß 34 Ausschüsse und Unterausschüsse getagt haben, daß 18 Sitzungen von Enquete-Kommissionen, Untersuchungsausschüssen und sonstigen Gruppen gelaufen sind und 7 Vorstandssitzungen stattgefunden haben? Wer vermittelt denn den Bürgern draußen, daß zu diesen Sitzungen noch mindestens 30 bis 40 Anhörungen, Gesprächsgruppen, Parlamentarische Abende und anderes hinzukommt, die bewirken, daß jeder Abgeordnete hier in der Regel in den Räumen des Bundeshauses von morgens 9 Uhr bis abends 22 Uhr in Trab gehalten wird? Davon erfährt der Bürger draußen nichts. ({2}) Wäre es nicht Aufgabe der Präsidenten, mit den Medien darüber zu verhandeln, ob sie nicht mehr vom Alltag der Abgeordneten über das Fernsehen vermitteln könnten? Das ist natürlich schwieriger, denn man braucht Phantasie, um daraus eine interessante Unterhaltung zu machen. Warum wird denn den Besuchern nicht wenigstens ein Film gezeigt, in dem auf unterhaltsame Weise - das ist notwendig - darüber informiert wird, was Abgeordnete wirklich tun und welche untergeordnete Rolle Plenarsitzungen spielen. ({3}) Es gibt zwar einen Film, der Besuchergruppen gezeigt wird, mit dem Titel „Demokratischer Neubeginn". Der ist aber technisch so miserabel, daß man über weite Strecken überhaupt nichts erkennen kann und ich deshalb auch nicht mit Sicherheit meinen Verdacht belegen kann, daß in diesem Film die Sozialdemokraten fast gar nicht vorkommmen. ({4}) Gerade in dieser Woche genehmigen wir der Regierung wieder große Summen für ihre Öffentlichkeitsarbeit. Es wäre höchste Zeit, auch die Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Bundestages zu verbessern und auch dafür Mittel bereitzustellen. Ich danke Ihnen. ({5})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Feldmann.

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst darf ich auf der Regierungsbank Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Georg Gallus begrüßen, der offensichtlich dokumentiert, wie stark das Interesse dieser Regierung an unserer Arbeit ist. Danken möchte ich auch der Kollegin Frau Dr. Hamm-Brücher, nicht nur, wiel sie als äußerst sensible Politikerin als erste das Bedürfnis des Parlaments aufgegriffen hat, hier über sich selber nachzudenken, seine Rolle einmal zu überdenken. Das ist ihr Verdienst, und es ist natürlich ihre Beharrlichkeit, das ständige Bohren von dicken Brettern mit Augenmaß und Leidenschaft, die uns zu der heutigen Debatte hier verholfen hat. Vielen Dank, Frau Hamm-Brücher! ({0}) Daß diese Initiative von einem ehemaligen Regierungsmitglied ausgeht, ist sicher kein Zufall, und es ist auch erstaunlich, wie viele ehemalige Mitglieder der Exekutive an dieser Initiative mitgearbeitet haben. Offensichtlich muß man einmal Mitglied einer Exekutive gewesen sein, um richtig erfahren und empfinden zu können, wie begrenzt die Möglichkeiten eines Parlamentariers hier in diesem Hause sind. Diese ganze Initiative soll auch kein Aufstand der Basis sein. Herr Bohl, wir setzen uns hier auch nicht selbst auf die Anklagebank. Wir denken einfach einmal nach. Reform heißt ja auch nicht, alles über Bord zu werden, was sich bewährt hat. Reform will notwendige Anpassung, und zwar behutsam - millimeterweise ist vielleicht zu wenig - , an die sich verändernden Bedingungen und die sich verändernden Anforderungen. Unsere Demokratie, auf die wir ja stolz sind, ist allen anderen parlamentarischen Systemen überlegen, weil sie fähig ist, sich an die sich ständig verändernde Gesellschaft anzupassen. Andere müssen da nach Glasnost oder Perestrojka rufen. Unsere Stärke liegt eben in dieser ständigen Veränderung und Anpassung in den Reformen, die sich hier vollziehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum soll das nicht auch für den Deutschen Bundestag gelten? Heute werden an unsere Arbeit einfach andere Anforderungen gestellt. Es ist doch gar keinen Sinn, auf die Medien zu schimpfen. Seien wir doch Realisten. Wir müssen akzeptieren, daß wir in einer Mediendemokratie arbeiten, und die verlangt eben Transparenz und Öffentlichkeit. Der parlamentarische Meinungsbildungsprozeß muß sich eben öffentlicher darstellen und vollziehen können. ({1}) Es hat doch keinen Sinn, daß wir auf die Ausschüsse und die Arbeit in den Ausschüssen verweisen; die vollzieht sich unter Ausschluß der Öffentlichkeit und interessiert den Bürger deswegen nicht so sehr. ({2}) Das öffentliche Interesse konzentriert sich eben auf das Plenum, auch wenn es nicht immer „plenum" ist. ({3})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Kollege Feldmann?

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte, Frau Kollegin.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Bitte sehr, Frau Kollegin Nickels.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Feldmann, Sie sagten, es würden ständig Reformen durchgeführt, aber haben Sie nicht auch den Eindruck, daß im Grunde genommen aus unserer Geschäftsordnung ein Geist überkommt, so daß die Leute, die uns zuhören, immer noch als Faktum im Kopf haben, daß hier eigentlich der Ort von Rede und Gegenrede ist, daß es eine Kultur des Zuhörens und des Mundhaltens, wenn man nichts zu sagen hat, gibt, und daß das, was die Geschäftsordnung eigentlich immer noch vermittelt, im Grunde genommen gar nicht mehr Wirklichkeit ist?

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, an dem, was Sie schildern, ist sicher etwas Wahres dran, aber in der Kultur des Zuhörens können wir alle uns ja noch viel mehr üben. ({0}) Davon ist Ihre Fraktion sicher nicht ausgeschlossen. Aber Hyde Park Corner der Nation wollen wir doch hier auch nicht werden. Daß sich der eigentliche Meinungsbildungsprozeß und der Austausch von Argumenten in den Ausschüssen vollzieht, müssen wir doch als Realität anerkennen. Aber wir müssen - da gebe ich Ihnen gerne recht - hier im Plenum mehr Transparenz und Öffentlichkeit herstellen. Es gibt verschiedene Arten und Weisen, das zu tun. Deswegen haben wir ja die Initivative ergriffen. Da können Sie ja mitarbeiten. Wichtiger aber, Frau Kollegin, als die Darstellung hier im Parlament ist jedoch, daß wir unserem Verfassungsauftrag gerecht werden, d. h. daß wir als Parlamentarier der Regierungskoalition ebenso wie Sie als Abgeordnete der Opposition die Aufgabe haben, diese Regierung oder unsere jeweilige Regierung zu kontrollieren. Der Umfang der Regierungstätigkeit und der Gesetzgebungstätigkeit ist ja in der letzten Zeit sehr gewachsen. Unsere Aufgabe ist dadurch schwieriger geworden. Wir haben qualifizierte Mitarbeiter bekommen, mehr qualifizierte Mitarbeiter, und das verdient Anerkennung. Herr Bohl, Sie haben das schon gesagt. Wichtig ist aber auch, daß wir unsere Mitarbeiter dort einsetzen können, wo wir es für richtig halten, und das heißt eben: in den Ausschüssen. ({1}) Es geht doch nicht an, daß, von Tagesordnungspunkt zu Tagesordnungspunkt wechselnd, immer wieder halbe Kompanien aus den Ministerien auftauchen, wir unseren Mitarbeiter aber draußen vor der Parlamentstür lassen müssen. ({2}) Das Parlament muß seine selbstgesetzten Regeln ändern können; wir müssen uns in unserer Arbeit immer wieder selber kritisch überprüfen können, um den Erwartungen des Bürgers zu entsprechen und auch unserem Verfassungsauftrag gerecht zu werden. Ein Parlamentsneubau, Herr Präsident, ist schön und sinnvoll, aber eine Runderneuerung - zumindest eine Runderneuerung - der Geschäftsordnung ist auch wichtig. ({3}) Was nützt die schönste Hülle? Lassen Sie mich mit einem Wort des großen Dichterfürsten schließen: Nichts ist drinnen, nichts ist draußen, denn was innen, daß ist außen. So ergreifet ohne Säumnis heilig öffentlich Geheimnis. ({4}) Vielen Dank. ({5})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lammert.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich halte nach wie vor das Rednerpult für die wirkungsvollste Barriere gegen eine lebendige Debatte, ({0}) und obwohl dieser Hilfsplenarsaal genauso debattenfeindlich konstruiert ist wie der alte, will ich es immer noch lieber von hier als von dort oben versuchen. Ich hoffe sehr, daß mit den Nachrichten der letzten Tage nun auch die letzten Hindernisse für den Bau eines wirklich funktionstüchtigen Debattensaals beseitigt sind. ({1}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Diskussion über Verbesserungen der Arbeitsweise, der Leistungsfähigkeit und auch des Ansehens des Parlaments beginnt nicht heute und wird ganz gewiß heute auch nicht abgeschlossen. Wir nehmen heute Überlegungen wieder auf, die wir erstmals sehr grundsätzlich in der letzten Legislaturperiode begonnen haben ({2}) - Herr Kollege Jahn, in dieser grundsätzlichen Form zumindest seit vielen, vielen Jahren zum erstenmal - und die wir dann am Ende der Legislaturperiode doch zu einer Reihe von ganz konkreten Empfehlungen verdichtet haben. Insofern teile ich auch nicht Ihre Einschätzung, Frau Kollegin Hamm-Brücher, die Arbeit in dieser Ad-hocKommission sei mühsam und unergiebig gewesen. Mühsam war sie zugegebenermaßen schon, jedenfalls streckenweise, aber daß sie unergiebig gewesen wäre, kann ich nicht finden. Das sage ich vor dem Hintergrund einer ganzen Reihe von Vorschlägen, die dort gemacht worden sind, wobei im übrigen - das will ich hinzufügen - zu einer ergiebigen Debatte ja. auch die Möglichkeit gehören muß, zu der Erkenntnis zu kommen, daß der eine oder andere gemachte Vorschlag nicht als ein geeigneter und praktikabler Weg zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit des Parlaments zu betrachten ist.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Kollege Lammert, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber sicher.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Bitte sehr.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Herr Kollege, darf ich Sie von einem anderen Mikrofon aus fragen, ob Sie bereit sind, mir einmal konkret zu sagen, was nun eigentlich aus den 14 Sitzungen der Adhoc-Kommission Konkretes herausgekommen ist außer der blamablen - blamabel wegen unserer Schwäche - und wieder abgesetzten Kabinettsberichterstattung? ({0}) Sagen Sie bitte einmal ganz konkret, was wir danach eigentlich gemacht haben - außer dem Beschluß, daß wir in der 11. Wahlperiode weitermachen wollten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie werden sich daran erinnern, daß sich die Beratungen dieser Kommission ja in der Tat über einen großen Teil der Legislaturperiode erstreckt ({0}) und deswegen nach der Vorlage des Kommissionsberichts nicht mehr so fürchterlich viele Sitzungswochen in der alten Legislaturperiode zur Verfügung gestanden haben, in denen über die von Ihnen genannten Experimente hinaus - wobei wir uns übrigens schon bei früherer Gelegenheit wechselseitig versichert haben, daß wir an der einen oder anderen Stelle den Eindruck hatten, daß sie etwas voreilig wieder abgebrochen worden sind ({1}) noch eine Vielzahl von Erprobungsmöglichkeiten bestanden hätte. ({2}) - Ja, ich will darauf gerne eingehen. ({3}) - Ja, ich habe das doch nun wirklich über Monate sehr engagiert mitverfolgt. Im übrigen ist ja auch die Phantasie im Zusammenhang mit der Veränderung der Arbeitsmöglichkeiten nicht unbegrenzt. Das zeigt auch der bisherige Verlauf dieser Debatte, in der ich nun so sonderlich viele Innovationen über den Stand der Diskussion in der letzten Legislaturperiode hinaus nicht zu entdecken vermag, um auch das einmal hinzuzufügen. ({4})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Frau Abgeordnete, Sie können sich gern noch einmal zu einer Zwischenfrage melden, aber bitte keinen Dialog in dem Sinne, ({0}) daß jeder dazwischenruft! ({1}) Präsident Dr. Jenninger Sie wollen noch eine Zwischenfrage stellen? - Bitte sehr.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, weil wir zu den wenigen gehören, die regelmäßig an den Sitzungen teilgenommen haben bis zum Ende: Können wir uns darauf einigen, daß Konkretes leider nicht herausgekommen ist?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, darauf können wir uns nicht einigen. ({0}) Der Dissens besteht nach wie vor darin, daß Sie zur Meßlatte für die Ergebnisse die Antwort auf die Frage machen, ob all das, was Ihnen als veränderungsbedürftig oder -würdig erschien, auch von der Kommission zur Veränderung empfohlen worden ist. Ich finde, zu einer „ergiebigen" Diskussion gehört auch, daß man sich bei einer Reihe von Punkten möglicherweise zu einer Änderungsempfehlung nicht entschließen kann. Deswegen - und das bringt uns zum Kern der heutigen Diskussion zurück - sage ich auch hier, jetzt nicht als Meinung der Fraktion, sondern als mein persönlicher Eindruck, gerade weil ich mich seit vielen Jahren, nicht immer mit großer Leidenschaft, aber doch meistens sehr gründlich mit der Geschäftsordnung des Bundestages beschäftigt habe, daß ich für eine gründliche Revision der Geschäftsordnung im ganzen weder die Notwendigkeit noch die Mehrheiten sehe. Ich wäre deswegen auch im Unterschied zu den Antragstellern mit dem Begriff „Parlamentsreform" ein bißchen vorsichtig. Dieser Begriff erweckt Erwartungen auf weitreichende und tiefgreifende Veränderungen, für die nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre nach meinem Eindruck weder Bedarf noch Mehrheiten bestehen. Ich halte es auch für eine Verzerrung der Diskussionslage, wenn dann immer auf Widerstand der tatsächlichen oder vermeintlichen Prominenz verwiesen wird. Die Leidenschaft zur Veränderung hält sich auch bei den sogenannten Reformern in engen Grenzen. Ich sehe heute morgen manche Kollegen, die sich selbst nicht auf Drucksachen mit dem Titel des Parlamentsreformers schmücken, und ich sehe viele nicht, die der von ihnen beantragten Debatte eigentlich die Ehre ihrer eigenen Anwesenheit hätten geben sollen. ({1}) Deswegen gehört zu einer redlichen Diskussion dieses Sachverhalts auch, daß man nicht Pappkameraden aufbaut und auch nicht Veränderungsbedürfnisse im abstrakten vortäuscht, die dann im konkreten möglicherweise, wenn überhaupt, mit sehr viel geringerer Dringlichkeit gesehen werden. Einer der renommiertesten deutschen Politikwissenschaftler, Ernst Fraenkel, hat vor über 20 Jahren bereits in einer Studie über westliche politische Systeme geschrieben: Das kritikbedürftigste Moment des Bonner Parlamentarismus scheint mir die landläufige Kritik zu sein, die an ihm geübt wird. Sie ist reaktionär und schizophren. Sie sehnt sich heimlich nach einer starken Regierung und bekennt sich öffentlich zur Herrschaft eines allmächtigen Parlaments. Sie beschimpft den Abgeordneten, wenn es zu einer Regierungskrise kommt, und verhöhnt ihn, wenn er getreulich die Fraktionsparole befolgt. Sie verkennt die notwendigerweise repräsentative Natur eines jeden funktionierenden Parlamentarismus und verfälscht seinen Charakter, indem sie ihn plebiszitär zu interpretieren versucht. Ich will nicht sagen, daß dies die abschließende und zutreffende Beurteilung dieses Parlaments und seiner Leistungsfähigkeit sei. Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, daß viele, die mit einer gewissen Distanz - und im übrigen auch einem souveränen Beurteilungsvermögen - zu den oft herangezogenen klassischen Modellen parlamentarischer Regierungsweise zu einem sehr viel günstigeren Urteil über die Leistungsfähigkeit auch und gerade des Bonner Parlaments kommen und gekommen sind, als das in manchen Debatten gelegentlich zum Ausdruck kommt. Ich meine, es ist zumindest zulässig, wenn nicht notwendig, auch diese Erkenntnis einmal in eine solche Diskussion einzubeziehen.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Herr Kollege Knabe.

Dr. Wilhelm Knabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie sagten gerade, die Leistungsfähigkeit des Bonner Parlaments sei weit über Kritik erhoben - sinngemäß. Kommt es nicht auf zwei andere Dinge an außer der Leistungsfähigkeit, und zwar auf die Glaubwürdigkeit und auf die Mitwirkungsmöglichkeiten der einzelnen Abgeordneten, der engagierten Abgeordneten im Plenum? Ist es nicht in der Regel so, daß die geringe Anwesenheit mit dadurch bestimmt ist, daß es eben keine spontanen Debatten gibt, sondern vorgegebene Reden und vorgegebene Regularien, so daß es gar nicht möglich ist, sich einzuschalten, wenn man sich einschalten möchte?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zunächst einmal habe ich weder gedacht noch gesagt, daß die Leistungsfähigkeit dieses Parlaments über jede Kritik erhaben sei. Dann hätte ich nämlich das Gegenteil dessen behauptet, was ich in allen früheren Debatten zu diesem Gegenstand selber vorgetragen habe. Ich habe nur darauf hinweisen wollen: Es gibt viele, die das mit großer Sorgfalt aus der Distanz betrachten, die unter dem Strich zu einer durchaus positiveren Einschätzung dieses Parlaments kommen als wir selbst manchmal in einer gelegentlich vielleicht auch etwas sehr bemühten Bestandsaufnahme von Defiziten, die ich genausowenig übersehe wie Sie. Ich bin zweitens wie Sie der Meinung, daß es eine Reihe von Möglichkeiten zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit des Parlaments gerade in seiner Kernaufgabe, nämlich der Debatte der wichtigen politischen Sachverhalte eines Landes, gibt. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß ich nicht sehe, an welcher Stelle die vorhandene Geschäftsordnung einem solchen Bemühen ernsthaft im Wege stünde. ({0}) Wenn wir es uns genau betrachten, stellen wir fest, daß es eine Reihe von Vereinbarungen gibt, welche die Fraktionen und Gruppierungen jeweils auf der Basis der Geschäftsordnung zur Strukturierung der Debatten miteinander treffen. Aber ich kenne kein einziges konkretes Beispiel, bei dem für einen gedachten Debattenverlauf eine Bestimmung der Geschäftsordnung sich als unüberwindliches Hindernis herausgestellt hätte. Wie groß die Flexibilität in der Handhabung parlamentarischer Vorgehensweise und in der Handhabung der gegebenen Geschäftsordnung ist, beweist die heutige Debatte. Diese Debatte ist auf der Drucksache 11/245 von der vorhin gerade vorgestellten Reformgruppe beantragt worden. Dieser Antrag auf der Drucksache 11/245 ist dem Geschäftsordnungsausschuß zur Beratung überwiesen worden. Üblicherweise erfolgt eine Befassung mit solchen Drucksachen wieder auf der Basis einer Beschlußempfehlung des federführenden Ausschusses. Obwohl es eine solche Empfehlung des federführenden Ausschusses überhaupt noch nicht gibt, führt dieses Plenum heute eine Debatte in dem von den Antragstellern auf Drucksache 11/245 niedergelegten Sinn. So borniert sind wir alle gar nicht, daß wir uns hier zu einer abstrakten rituellen Zelebrierung von Geschäftsordnungsbestimmungen hinreißen ließen. Deswegen sollten wir auch nicht, wie ich fürchte, an der falschen Stelle den großen Veränderungsbedarf sehen. Ich habe nichts dagegen, die Geschäftsordnung gründlich zu überprüfen. Wir tun das übrigens mit schöner Regelmäßigkeit. Der Geschäftsordnungsausschuß hat diese Aufgabe in der Geschäftsordnung ohnehin übertragen bekommen. Ich sehe nicht, daß wir mit einer Totalrevision genau die Sachverhalte ernsthaft verändern würden, die den allermeisten von uns als am dringendsten veränderungsbedürftig erscheinen.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Wenn ich Sie kurz unterbrechen darf. Ich bin in der schwierigen Lage, daß Sie Ihre Redezeit jetzt schon um das Doppelte überschritten haben. Ich bin trotzdem der Meinung, daß wir eine Zwischenfrage zulassen sollten, um die heute so oft erwähnte Flexibilität auzuprobieren. ({0}) Bitte, Herr Kollege Stratmann, zu einer Zwischenfrage.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Damit die Zwischenfrage nicht mißverstanden wird: Herr Lammert, ich stimme mit Ihnen darin überein, daß es keinen Anlaß gibt, in ein allgemeines Gejammere über die Funktionsunfähigkeit dieses Parlaments einzustimmen. ({0}) Ich habe auch die Stellungnahmen der GRÜNEN nie in Richtung einer allgemeinen Jammerei verstanden. Aber ich möchte auf ein konkretes Beispiel hinweisen.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich bitte Sie, Herr Kollege Stratmann, eine Frage zu stellen.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Stimmen Sie mit mir darin überein ({0}) - es ist gar kein Kommentar; ich habe wirklich eine Frage - , ob nicht in dem folgenden Sachverhalt die geltende Geschäftsordnung einem geplanten Parlamentsverlauf entgegensteht, daß nämlich in der letzten Woche der Kollege Sellin zweieinhalb Stunden in der Wirtschaftsdebatte auf den ihm zugedachten Redebeitrag warten mußte, weil nämlich laut geltender Geschäftsordnung zwei Bundesminister - Herr Stoltenberg und, wie ich glaube, Herr Bangemann - dazwischenfuhren und dann auch noch Herr Wedemeier die Wahlkampfsituation nutzte? Ich frage Sie, ob Sie mir zustimmen, daß dadurch die gültige Geschäftsordnung pervertiert wurde zur Selbstdarstellung von Ministern und Länderchefs und das Parlament außer Kraft gesetzt wurde.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Stratmann, Sie wissen, daß wir selten übereinstimmen. Das ist auch in diesem Punkt so. Der von Ihnen beklagte Zustand, den ich ebenfalls beklage, liegt nicht an der Geschäftsordnung, sondern an der Verfassung. Ich habe bereits in einer früheren Debatte zu diesem Gegenstand bemerkt, daß ich es tatsächlich für einen bedauerlichen Umstand halte, daß in unserer Verfassung, die ich ebenfalls nicht für total revisionsbedürftig halte, zwar die Regierung, nicht aber der einfache Abgeordnete vorgesehen ist. Das macht sich in der Tat auch auf manchen Debattenverlauf in diesem Plenum in unangenehmer Weise bemerkbar. ({0}) Da vorhin vom Plenum und der bekannten Präsenz die Rede war, will ich auch dazu eine Bemerkung machen. ({1}) - Herr Kollege Lutz, der Kollege Schwarz hat vorhin schon nicht ganz zu Unrecht darauf hingewiesen, als der Präsident auf die Redezeit verwies, ich hätte bisher noch gar nicht geredet, sondern Fragen beantwortet. Ich will das jetzt auch nicht endlos lange dehnen; ich wollte nur noch auf zwei Gesichtspunkte aufmerksam machen. Es ist wahr, daß das Plenum selten voll ist. Wahr ist aber auch, daß die Parlamente in aller Regel nur in den Ländern voll sind, in denen sie nichts zu sagen haben. ({2}) Ich empfinde das nun überhaupt nicht als den Versuch, mich über einen - wie wir alle wissen - nur schwer zu vermittelnden optischen Eindruck hinwegzuschleichen. Vielmehr gehört es eben zur notwendigen Aufklärung über die Arbeitsweise und Leistungsfähigkeit eines Parlaments, auch darauf hinzuweisen, daß sich die Tätigkeit eines Parlaments und seiner Mitglieder eben nicht nur in der Zahl und der Breite der Diskussionen erschöpft, die im Plenum abzuwikkeln sind. Mein letzter Punkt ist der Hinweis auf zwei Defizite, die ich tatsächlich - völlig unabhängig von der Geschäftsordnung - in der Arbeitsweise unseres Parla1884 mentes sehe. Erstens, denke ich, wird bei uns nach wie vor zuviel geredet und zuwenig debattiert. Zweitens haben wir uns - da schließe ich mich gerne dem an, was die Kollegin Götte vorhin gesagt hat -, jedenfalls von Zeit zu Zeit, möglicherweise einen Umgang miteinander angewöhnt, der weder der Strahlkraft unserer Argumente noch dem Ansehen des Parlaments und schon gar nicht dem Gemeinwohl dient. Ich habe im Urlaub - ich kann nicht wie der Kollege Feldmann zum Schluß mit einem Dichterfürsten dienen - von einem prominenten, großen Deutschen einige bemerkenswerte Beobachtungen über Parlamentarismus gefunden, von denen ich Ihnen zum Schluß gerne zwei Auszüge vortragen möchte: Die Überzeugung, daß der Gegner in allem, was er vornimmt, im besten Fall beschränkt, wahrscheinlich aber böswillig und gewissenlos ist, und die Abneigung, mit den eigenen Fraktionsgenossen zu dissertieren und zu brechen, beherrschen noch heute das Fraktionsleben. Damals waren die Überzeugungen, auf denen diese dem Staatsleben gefährlichen Erscheinungen beruhen, sehr viel lebhafter und ehrlicher, als sie heute sind. Die Gegner kannten sich damals wenig. Sie haben seitdem 40 Jahre lang Gelegenheit gehabt, sich kennenzulernen, da der Personalbestand der im Vordergrund stehenden Parteimänner sich nur langsam und wenig zu ändern pflegt. Das bezieht sich nicht auf die 40 Jahre Parlament, die wir jetzt fast hinter uns haben, sondern das ist eine Bemerkung, die Otto von Bismarck in seinen Erinnerungen über die Erfahrungen im Preußischen Landtag wiedergegeben hat. Er hat eine Bemerkung hinzugefügt, von der ich fürchte, daß sie leider auch heute noch nicht überholt ist: Welcher gebildete und wohlerzogene Deutsche würde versuchen, im gewöhnlichen Verkehr auch nur einen geringeren Teil der Grobheiten und Bosheiten zur Verwendung zu bringen, die er nicht ansteht, von der Rednertribüne vor hundert Zeugen seinem bürgerlich gleich achtbaren Gegner in einer schreienden, in keiner anständigen Gesellschaft üblichen Form ins Gesicht zu werfen? Sobald man aber vor dem eigenen Gewissen und vor der Fraktion sich damit decken kann, daß man im Parteiinteresse auftritt, so gilt jede Gemeinheit für erlaubt oder doch für entschuldbar. Hier, denke ich, liegt wirklich Veränderungsbedarf, der mit einer Totalrevision der Geschäftsordnung nicht zu decken ist. ({3})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Häfner.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich stelle fest, daß die Bedeutung dieser Debatte, die ich sehr hoch ansetze, in einem umgekehrten Verhältnis zu der Anwesenheit unserer gewählten Volksvertreter steht. ({0}) Das macht mich etwas traurig. Die Initiative zu dieser Debatte und diese Debatte selbst halte ich persönlich für außerordentlich bedeutsam. Eigentlich ist es ja selbstverständlich - jedenfalls in den Kreisen, aus denen ich stamme, inzwischen aber auch überall in der Industrie, in jedem Betrieb, erst recht in Bürgerinitiativen - einfach weil man weiß, daß es nötig ist, nach Ablauf einer gewissen Zeit gemeinsam darüber zu reden, wie man miteinander umgeht, welche Strukturen man entwickelt hat, ob sie noch der Zeit entsprechen, ob sie wirklich effektiv und arbeitsfähig sind, ob sie dem Auftrag entsprechen oder ob sie vielleicht verändert werden müssen. Deshalb bin ich - das sage ich jetzt relativ pauschal, gerade auch zu Herrn Bohl, weil er im Moment nicht so ganz anwesend ist - auch traurig über all diejenigen Beiträge, die einen A- und einen B-Teil haben: A: Wir beklagen den Zustand; B: Wir lassen alles, wie es ist. Ich hoffe sehr, daß es möglich ist, hier nicht nur über eine Parlamentsreform zu sprechen, sondern tatsächlich auch zu einer umfassenden Parlamentsreform zu kommen. Ich glaube, daß die Initiative, die sich dankenswerterweise auf Veranlassung von Frau Dr. Hamm-Brücher gebildet hat, auch in ihrer Zusammensetzung ein Beispiel dafür ist, was eigentlich nötig wäre. Die Initiative wird von Abgeordneten aller Fraktionen unterstützt und getragen. Auch heute in der Debatte - das sei einmal positiv vermerkt - habe ich einen völlig anderen Geist bemerkt als in den meisten Debatten hier im Haus. Es gab z. B. Applaus für gute Argumente, unabhängig von der Partei- und Fraktionszugehörigkeit der Abgeordneten. ({1}) Genau das wäre doch eigentlich selbstverständlich. Mich macht es immer traurig, wenn ich bei anderen Debatten sehe, wie stur dort nach Block applaudiert wird und daß eben gerade nicht das Argument zählt. ({2}) - Wenn sie recht haben, haben sie recht. Ob sie recht haben, ist leider meistens eine Frage der Macht. ({3}) Was ich mir wünschen würde, wäre, daß auch in den Debatten wirklich das jeweilige Argument zählt und nicht nur die Parteizugehörigkeit - das gilt auch für Abstimmungen - , daß wir diese ganzen Rituale einmal herunterschrauben, ein bißchen offener, direkter, argumentativer und diskursiver miteinander umgehen. Ich denke, das würde auch das Bild, von dem vorher die Rede war - das Bild, das das Parlament nach draußen vermittelt - , verändern. Denn es ist ja das eigentlich Deprimierende - das Deprimierendste, denke ich - , daß die Menschen spüren, diejenigen, die hier reden, reden eigentlich gar nicht mehr in der Hoffnung, jemanden zu überzeugen, oder in der Hoffnung, daß sich in der Debatte aus These und Antithese vielleicht eine Synthese entwickelt. Vielmehr sind die Machtverhältnisse vorher festgelegt. Das Ergebnis steht fest. Es sind Schaufensterdebatten, die hier geführt werden. Das bestimmt dann auch den Ton der Auseinandersetzung, der mehr für das Fernsehen, für die Presse gewählt ist als für eine wirklich sachdienliche Diskussion der ja häufig sehr ernsten Gesetzgebungsvorhaben, die hier zu besprechen sind. Worum geht es? Es geht um eine Parlamentsreform. Ich würde sagen: Ziel dieser Parlamentsreform kann eigentlich gar nicht eine wie auch geartete, andere Funktion des Parlaments sein, sondern eine Parlamentarisierung des Parlaments. Ich sehe hier sehr wenig von wirklichem Parlament im Sinne von Miteinander-Reden, auch im Sinne von erster Gewalt, Legislative. Wie stellt sich das Parlament dar? Eine der entscheidenden Grundsäulen der Demokratie, nämlich die Trennung von Legislative und Exekutive, wobei die Legislative nicht zu Unrecht als die erste Gewalt bezeichnet wird, findet sich eigentlich nur noch in Sozialkundebüchern und in der Unterrichtsgestaltung auf höheren Schulen. In der Realität - behaupte ich - ist sie nicht wirklich gegeben. Das Parlament versteht sich immer mehr als ein Bestätigungs- und Absegnungsorgan der Regierungspolitik - auch wegen der sehr problematischen häufigen Identität von Regierungspolitikern und Parlamentsmitgliedern. Die großen Fraktionen, die gemeinsam die Koalition bilden ({4}) - auf dem Gang und sonstwo hört man manchmal, wie sie persönlich dazu stehen - , machen auch hier im Parlament immer wieder die oft erzwungene Übung, eine vorher schon festliegende Politik neu zu bestätigen. Das schadet der Demokratie. Ich will Ihnen ein Beispiel aus dem Ausschuß erzählen. Ich war, offen gestanden, ganz verdattert als neues Mitglied unseres Ausschusses, als wir auf einen Antrag hin eine Abstimmung hatten, fünf Mitglieder des Ausschusses dem Antrag zustimmten, ein Mitglied den Antrag ablehnte und der Vorsitzende des Ausschusses sagte: Hiermit ist der Antrag abgelehnt. Ich habe mich ganz irritiert zu Wort gemeldet und gesagt: Ich habe zwar nicht Mathematik studiert, aber nach Adam Riese - fünf dafür, einer dagegen - ist der Antrag angenommen. - Dann wurde ich mit großem Befremden gefragt, ob ich die Abstimmung anzweifeln würde. Ich sagte: Nein, eigentlich ist die Abstimmung doch gelaufen. Kritisiert habe ich nur die Interpretation des Ergebnisses. Schließlich wurde die Abstimmung wiederholt, und die Herren von der Koalition haben dann also auch den Arm gehoben. Praxis im Ausschuß scheint zu sein, daß es genügt, wenn einer den Arm hebt. Dann geht man davon aus, daß alle anderen genauso stimmen, als hätten wir unseren Kopf am Eingang des Parlaments abgegeben. ({5}) Vielleicht lassen Sie mich, weil meine Redezeit schon dem Ende zugeht, nur kurz noch dies sagen: Nicht alles ist durch eine Parlamentsreform zu lösen. Wir brauchen auch eine umfassende Demokratisierung unserer Gesellschaft. Wir brauchen auch eine Demokratisierung der Parteien. Ich möchte z. B. Herrn Kollegen Bohl vorschlagen, einfach einmal einen Teil seiner Ämter abzugeben. ({6}) Das wird Ihnen und dem Parlament guttun. Eine Parlamentsreform kann aber viel verbessern, z. B. dann, wenn der einzelne Abgeordnete sich frei zu Wort melden kann. Denn die Tatsache, daß ich das nicht kann, daß Sie alle das nicht können, sondern daß das immer über die Fraktionsgeschäftsführung gehen muß, führt dazu, daß die Botmäßigkeit schon vorab erzwungen wird. Der einzelne Abgeordnete - das sollte man auch den Bürgerinnen und Bürgern sagen - darf im Parlament keinen richtigen Antrag stellen, keinen Gesetzentwurf einreichen. Das einzige, was er darf, ist, eine Frage stellen, die er eine Woche vorher schriftlich einreichen muß und auf die dann ein Staatssekretär meistens absolut unkonkret und nebulös Antwort gibt. ({7}) Das kann nicht die Aufgabe des Abgeordneten im Deutschen Bundestag sein. Ich plädiere dafür, das Anliegen der Parlamentsreform zügig voranzutreiben. Es gibt hierzu eine Fülle von Vorschlägen, die debattiert und beschlossen werden müssen. ({8})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter Häfner, ich möchte Sie darüber informieren, daß der Abgeordnete natürlich das Recht hat, einen Antrag zu stellen. Das steht in der Geschäftsordnung. Lesen Sie das vielleicht einmal nach. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Terborg.

Margitta Terborg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Einmal in jeder Legislaturperiode führen wir hier eine Selbstverständnisdebatte und sagen als Parlamentarier, wo uns der Schuh drückt. Ich möchte vom Verständnis der Bürger von dem, was wir machen, ausgehen, von den Besuchergruppen, die oft mit Kopfschütteln und wachsendem Unbehagen unsere Debatten im Wasserwerk verfolgen, von den Petenten, die sich mit einem Anliegen an die Volksvertretung wenden und nach vielen Monaten meist einen dürren Ablehnungsbescheid in trockenstem Amtsdeutsch erhalten. Welchen Eindruck haben wohl diese Besucher von unserer Arbeit? Wie fühlen sich unsere Petenten bei uns aufgehoben? Ich glaube, ihr Urteil wird vernichtend sein. Und wir sind daran nicht ganz unschuldig. Aber ich denke, wir können und wir müssen das ändern. Dazu zwei Vorschläge: Erst einmal rate ich sehr dazu, unsere Plenardebatten, soweit das irgend möglich ist, von den Fachdebatten zu reinigen. Da reden Experten miteinander und übereinander, und der Besucher oder der Zuschauer am Fernsehschirm versteht nur „Bahnhof". Konrad Porzner hat eben vorgeschlagen, diese Diskussionen in einen sogenannten Hauptausschuß zu verlagern. Ich halte diese Idee für gut. Wir sollten sie verwirklichen. Die Debatten könnten dort sachlicher werden. Allerdings kann man das in keiner Geschäftsordnung beschließen; das liegt an uns selbst.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bohl?

Margitta Terborg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Friedrich Bohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000230, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, sehen Sie nicht die Gefahr, daß bei einer solchen Konstruktion möglicherweise die Debatten der sogenannten Elefanten noch zahlreicher werden und daß möglicherweise der einfache Abgeordnete - um diesen Begriff aufzunehmen - noch weniger Darstellungsmöglichkeiten im Parlament hat?

Margitta Terborg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich meine, daß es diese „Elefanten" eigentlich gar nicht geben dürfte. Ich stelle mir vor, daß dann mehr und auch kürzer debattiert würde. ({0}) - Was wir darunter verstehen, wissen wir doch alle. Ich könnte mir vorstellen, daß man in dem Hauptausschuß mit den Kollegen, die tatsächlich an der Sache arbeiten, viel spontaner debattieren könnte, als wir das im Moment hier bei der Reglementierung im Plenum tun können. Ich finde, wir sollten es zumindest einmal ausprobieren. Es ist eine Idee. Nach den Erfahrungen, die ich bisher gemacht habe, halte ich sie für ganz gut. Ich habe allerdings Bedenken - das möchte ich bei der Gelegenheit sagen - bei sogenannten fachspezifischen Gesetzen die dritte Lesung nur noch für die Abstimmung und das Verlesen von Statements zu reservieren. Diesen Vorschlag sollte man nicht auf greifen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages ist für Zehntausende von Bürgern sozusagen die letzte Instanz in Sachen, in denen sie sich beschwert fühlen. Wir alle wissen um die Grenzen unserer Möglichkeiten. Aber ich fürchte, unser Parlament hat sich in ein Korsett zwingen lassen, das es uns noch schwerer macht, tätig zu werden. Deshalb halte ich es für unerläßlich, daß jeder Abgeordnete die Chance bekommt, Petitionen aus seinem Wahlkreis selbst zu begleiten. ({1}) - Nein, die Praxis ist eine andere. Deswegen trage ich das noch einmal vor. ({2}) Er sollte sie erstens zur Kenntnis erhalten. Er sollte zweitens die Chance haben, darauf Einfluß zu nehmen, mit welchen Erhebungen die Berechtigung der Beschwerde ergründet wird. Drittens müßte er den Beschlußvorschlag des Ausschußbüros so rechtzeitig erfahren, daß er noch darauf einwirken kann. Viertens erscheint mir die Zuziehung des Abgeordneten bei der Beratung unverzichtbar. Damit die verehrten Kollegen und Kolleginnen nicht erschrecken, ein Hinweis: Nach wie vor entscheiden sie allein, ob sie sich einer Petition intensiv annehmen wollen oder nicht. Fünftens müssen wir dem Petenten ein Mitwirkungsrecht einräumen. Der Ausschuß sollte ihn immer dann zur Beratung zuziehen, wenn er selbst oder der zuständige Abgeordnete dies für notwendig hält. Schließlich und nicht zuletzt finde ich die derzeitige schriftliche „Verbescheidung" der Petenten durch den Ausschuß schlicht unmöglich. Eine Firma, die so mit ihren Kunden korrespondieren würde, wäre bald pleite. ({3}) Formalisierte, im trockensten Amtsdeutsch abgefaßte Benachrichtigungen regen die Wähler und auch mich mit Recht auf, das Korsett des Beschlußrituals noch mehr. Wenn man das ändern will, kostet das mehr Engagement des Parlaments, mehr Personal im Büro des Ausschusses und mehr Geld. Ich finde, das sollte uns die Sache wert sein, des einzelnen Bürgers wegen, unserer Aufgabe wegen und schließlich auch unseres Ansehens wegen. Kolleginnen und Kollegen, bitte helfen Sie unseren Oberen und unserer Bürokratie auf die Sprünge! ({4})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert ({0}). - Ich sehe, er ist nicht im Saal. Dann erteile ich dem Abgeordneten Kleinert ({1}) das Wort.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir haben uns hier alle auf besondere Fragen der Gestaltung unserer Arbeit im Parlament spezialisiert. Wie einige von Ihnen wissen, interessiere ich mich zusammen mit Kollegen aus allen Fraktionen seit geraumer Zeit für den Anteil, der die hiesigen Baulichkeiten am Zustandekommen einer möglichst vernünftigen Parlamentsarbeit betrifft, auch und gerade an ihrem öffentlich sichtbaren Teil, im Plenarsaal, andererseits aber auch an einem Großteil der Arbeit, die zwischen uns getan werden muß, die für Parlamentstätigkeit überhaupt wohl sehr wesentlich ist, daß man sich nämlich miteinander unterhält, über Informationen abstimmt, daraus gemeinsam bereits im Vorfeld Schlüsse zieht. Dazu gehören auch - das soll man nicht unterschätzen - bauliche Voraussetzungen. Ich hoffe, daß die Frau Vorrednerin mit dem Korsett, in das wir uns hier gezwängt haben, nicht ausgerechnet diesen niedlichen kleinen Plenarsaal im Wasserwerk meint. Denn ich halte ihn zwar inzwischen auch Kleinert ({0}) für ein wenig zu klein, wenn man bedenkt, daß wenigstens in den ersten Reihen die Arbeitsmöglichkeiten für den, der als nächster oder übernächster reden und seine Vorredner verfolgen soll, etwas zu beschränkt sind, aber ich bin schon der Meinung - ich habe das von vielen Kollegen so gehört - , daß dieser kleinere Saal jedenfalls zu einer beachtlichen und begrüßenswerten Verdichtung der Atmosphäre führt, wie wir das immer vorhergesagt hatten, und daß man daraus gewisse Konsequenzen für die wundersamerweise nun anscheinend vielleicht endgültig doch bevorstehenden Umbauarbeien an dem größeren Plenarsaal ziehen sollte, wobei ich sagen muß: Ich hoffe, daß wir auch darüber im Geiste großer Aufgeschlossenheit und Offenheit noch reden werden. Herr Präsident Jenninger hat sich sehr aufgeschlossen gezeigt, und wir haben in der Vergangenheit auch schon mit seinen Amtsvorgängern gute Gespräche gehabt. Ich hoffe, daß das so bleibt und daß sich nicht etwa der Eindruck verstärkt, der nach der letzten Parlamentsdebatte zu den Umbaufragen entstanden ist, daß hier nämlich doch auch mit etwas - wie soll ich sagen? - zeitlich abgestimmter Information gearbeitet worden ist. Ich bin nämlich nachträglich der Meinung, daß hier auf Grund von Darstellungen und Formulierungen, die ein Großteil der Kollegen nicht so ohne weiteres voll verstehen konnten, über den Katalog der Fragen, die uns vorgelegen haben, abgestimmt worden ist. ({1}) - Da bleibt Erhebliches, Herr Kollege Conradi, insbesondere die interessante Frage hinsichtlich des kleineren Eingangsgebäudes. Wenn man etwas von einem kleineren Eingangsgebäude liest und nicht wie Sie Architekt zu sein die hohe Ehre und das außerordentliche Vergnügen hat, dann denkt man daran, daß dieses Gebäude hinterher kleiner ist. Das ist aber ein großer Irrtum; dieses Gebäude ist nicht nur genausogroß, sondern etwas größer als das, was vorher gebaut werden sollte. Dieses Faktum ist erst nach der Abstimmung ruchbar geworden. ({2}) Ich möchte doch darum bitten, daß so begnadete Menschen wie Sie uns das beizeiten auch hier in der öffentlichen Auseinandersetzung des Hauses etwas genauer darstellen und daß wir uns bei den weiteren Unterhaltungen über dieses Thema noch sehr genau darüber verständigen, was alles - wir haben es hier des öfteren besprochen - auch an Umfeld des Parlaments dazugehört, so daß von der baulichen Seite her die Voraussetzungen für ein besseres Funktionieren gegeben sind, als das früher der Fall war und ein wenig - aus anderen Gründen auch heute der Fall ist. Wir müssen zu einem gescheiten Mittelweg kommen

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Conradi?

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- in großer Offenheit und mit tadellosen Informationen. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Die Zwischenfrage hat sich durch das Ende der Rede erledigt. Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Kleinert ({0}).

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorhin kam der Hinweis darauf, daß heute von seiten der Regierung nur Staatssekretär Gallus hier vertreten ist. ({0}) Dies wurde in einem Zusammenhang erwähnt, der bei mir den Eindruck aufkommen ließ, dies sei negativ gemeint. Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich bin ganz froh, daß heute von der Regierung nur Herr Gallus hier ist. ({1}) Wenn es häufiger der Fall wäre, daß die Regierungsbank zumindest nicht so aufdringlich besetzt wäre, dann würde das sicherlich die Möglichkeiten für die Abgeordneten in diesem Parlament, zu Wort zu kommen, erheblich verbessern. ({2}) Vorhin wurde durch eine Zwischenfrage schon auf einen Sachverhalt aufmerksam gemacht, der sich in der vergangenen Sitzungswoche abgespielt hat. Ich möchte das noch ein bißchen ausweiten.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Gestatten Sie vorab eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ronneburger?

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Selbstverständlich.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Bitte sehr, Herr Kollege Ronneburger.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, sind Sie bereit zuzugeben, daß es gerade Ihre Fraktion immer sehr beklagt hat, wenn die Regierungsbank nicht stärker besetzt war, als sie es heute ist? ({0})

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Ronneburger, das kommt ganz auf den Sachverhalt an, um den gerade gestritten wird. ({0}) Das Hauptproblem jedoch ist, daß die Präsenz auf der Regierungsbank in aller Regel dazu führt, daß man gelegentlich den Eindruck haben kann, dies sei nicht die Stunde des Parlaments, dies sei nicht das Haus des Parlaments; denn gelegentlich erinnert das Ganze, was hier abläuft, eher an eine Veranstaltung zur Veröffentlichung der Auffassungen der Bundesregierung. ({1}) Kleinert ({2}) Ich meine, daß das nun wirklich nicht der Sinn einer Parlamentsdebatte sein kann.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Westphal?

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Selbstverständlich.

Heinz Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Abgeordneter Kleinert, würden Sie mir zugestehen, daß ich recht habe, wenn ich sage, daß ein einziger Bundesminister genügt, um uns die ganze Fernsehzeit wegzureden? ({0})

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, der Beifall spricht für sich. ({0}) Ich will die Vorgänge der letzten Woche jetzt nicht mehr ausführlich in Erinnerung bringen. Ich will nur noch zusätzlich darauf hinweisen, daß auch die viel zu langen Regierungserklärungen erheblich dazu beitragen, daß die Fernsehzeiten in dieser Weise ausgenutzt werden. Ich persönlich halte es für eine Zumutung, wenn man sich hier anderthalbstündige Ausführungen in Oggersheimer Philosophie anhören muß. ({1}) - Wir werden es auch gleich wieder.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Häfner?

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Kollege Kleinert, würden Sie mir zustimmen, daß die Erfahrungen des Kollegen Möllemann in der letzten Woche gezeigt haben, daß es auch für die Regierung selbst oft dienlicher wäre, wenn sie nicht die Möglichkeit hätte, sich sofort zu Wort zu melden?

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich weiß nicht, auf was Sie anspielen. Ich nehme an, Sie spielen auf die chinesische Staatseisenbahn an. Dazu wollte ich mich heute aber nicht äußern. Ich wollte, da ich die Zeit nicht über Gebühr beanspruchen will, noch auf einen Sachverhalt aufmerksam machen, der meines Erachtens hier noch einmal grundsätzlich angesprochen werden muß. Es handelt sich um die Frage der Redezeitaufteilung. Ich meine, daß wir hier im Bundestag mit der Praxis, daß die Anteile an der Redezeit nach dem Verhältnis der Fraktionsstärken aufgeteilt werden, im Grunde genommen dem Auftrag nicht gerecht werden, den wir hier haben, und zwar nicht nur deshalb, weil das dazu führt, daß kleine Fraktionen bei manchen Sachdebatten überhaupt nicht angemessen zu Wort kommen, und auch nicht nur deshalb, weil der Bundestag mit dieser Praxis wirklich einmalig ist - in keinem Landtag und in keinem mir bekannten Kommunalparlament gibt es eine ähnliche Praxis - , sondern schlicht und ergreifend auch deshalb, weil eine solche Praxis der Redezeitvergabe letzten Endes dazu führt, daß die Positionen der Fraktionen hier im Bundestag nicht angemessen übergebracht werden können. Ich meine, daß man diese Praxis grundsätzlich ändern müßte, und zwar so, daß man wenigstens einen Teil der gesamten Redezeit an alle vier Fraktionen im gleichen Verhältnis verteilt. ({0}) Darüber hinaus kann man sicher einen zweiten Teil der Redezeit nach dem Verhältnis der Fraktionsgrößen verteilen. Selbstverständlich muß man irgendwie berücksichtigen, daß eine Fraktion, die 200 Mitglieder hat, etwas mehr Möglichkeiten haben muß als eine Fraktion mit 44 Leuten. Aber im Prinzip ist die derzeitige Redezeitregelung nach meinem Empfinden nicht tragbar. ({1}) Sie entspricht auch nicht der Aufgabe, daß alle Fraktionen hier Gelegenheit haben müssen, angemessen zu Wort zu kommen. ({2}) Ich denke, im Prinzip ist die Geschäftsordnung durchaus eine vernünftige Grundlage für die Arbeit hier, wenn man sie in den Punkten verändert, wo sie wirklich veränderungsbedürftig ist. Ein ganz wesentlicher Punkt dabei ist die Frage der Öffentlichkeit in Ausschüssen. Vorhin wurde schon angedeutet, daß es ein Irrsinn ist, wenn im Ausschuß auf der einen Seite - ich kenne das aus dem Haushaltsausschuß in ganz besonderer Weise - ganze Hekatomben von Mitarbeitern der Bundesregierung dort aufmarschieren, auf der anderen Seite die Abgeordneten aber nicht einmal die Möglichkeit haben, ihre eigenen Mitarbeiter in die Ausschußsitzungen mitzunehmen. ({3}) Das müßte man schleunigst ändern. Man müßte darüber hinaus noch ein Weiteres tun. Es ist für mich absolut nicht einsichtig, wieso beispielsweise Untersuchungsausschüsse öffentlich sind, aber normale Ausschüsse nicht. ({4}) Man müßte dafür Sorge tragen, daß sich das schleunigst ändert. Dazu braucht man eine Änderung der Geschäftsordnung. In vielen anderen Bereichen kommt es gar nicht so sehr auf eine Änderung der Geschäftsordnung an, sondern auf die Praxis, die wir hier pflegen. Es kommt darauf an, daß wir bei den Absprachen in der Praxis zu anderen Regelungen kommen. Danke schön. ({5})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Schwarz.

Heinz Schwarz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002125, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kleinert, ich möchte gleich auf die Frage der Redezeit eingehen. Das stellt sich für den Abgeordneten einer großen Fraktion ganz anders dar. Ich brauche nur daran zu denken, welche Chancen ein einzelner Abgeordneter aus einer großen Fraktion hat, von der zugeteilten Redezeit etwas abzubekommen. ({0}) Für den Vertreter einer kleinen Fraktion sieht das ganz anders aus. Natürlich kann man über ein paar Minuten Verschiebung hin oder her reden. Für den einzelnen Abgeordneten macht es einen großen Unterschied, ob er einer größeren oder einer kleineren Fraktion angehört. Frau Kollegin Götte, ich möchte ausdrücklich den zweiten Teil Ihres Beitrages unterstreichen. Ich gehöre zu den Leuten, die, weil sie in der Nähe wohnen, die Gelegenheit haben, viele Besuchergruppen hierherzuholen. Das ist eine Nachmittagskaffeefahrt für Senioren oder für andere Gruppen. Wenn ich bei einer solchen Gelegenheit unseren Arbeitsrhythmus schildere, dann kriege ich zur Antwort: Warum wissen wir das nicht? Warum wird uns das nicht mitgeteilt? Natürlich frage ich mich, ob nicht das Deutsche Fernsehen mehr oder weniger regelmäßig den Tagesablauf eines beschäftigten Abgeordneten nachvollziehen könnte, um wenigstens gelegentlich deutlich zu machen, daß die Präsenz in diesem Hause nicht das entscheidende Element für Tätigkeit oder Faulheit oder Fleiß der Abgeordneten im Deutschen Bundestag ist. ({1}) Meine Damen und Herren, wir haben hier viel über Geschäftsordnung geredet. Und manchmal wird gesagt, an der Geschäftsordnung müssen wir alles ändern. Machen wir uns nichts vor: Jede Gruppe hat ihre Regeln, braucht ihre Regeln, wenn man in ihr miteinander auskommen will. Und natürlich braucht auch der Deutsche Bundestag seine Regeln, nach Möglichkeit so, daß der Anspruch aller Mitglieder dieses Hauses gleich geregelt ist. Ich verkenne nicht, daß für den einzelnen daraus Friktionen entstehen. Nur, ich sage Ihnen ganz offen, Herr Kollege Lammert - einige andere haben auch darauf hingewiesen - : Macht und Ohnmacht der Parlamentarischen Geschäftsführer oder des Abgeordneten sind ein wenig unterschiedlich. Nur, ich sehe keine andere Möglichkeit als die, feste Regeln zu haben, an die man sich in der Regel hält - wir machen heute eine Ausnahme -, damit das Parlament überhaupt in der Lage ist, seine eigentliche Arbeit zu erfüllen, nämlich die Kontrolle der Regierung. Natürlich haben Sie völlig recht, daß sich seit der Einführung des Grundsatzes der Gewaltenteilung die Fronten verschoben haben, und zwar nicht nur im Deutschen Bundestag. Ich habe so den Eindruck, die SPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag sieht ihr Hauptziel darin, dafür zu sorgen, daß kein Arger über die Regierung hereinbricht - das ist ihre Rolle als Mehrheitsfraktion - , und nicht so sehr die Aufgabe, die klassische Rolle des Parlaments zu spielen, nämlich der Regierung auf die Finger zu schauen. Das findet bei uns in den Fraktionen statt, auch in den Koalitionsfraktionen. Ich finde, es hat auch keinen Zweck, hier den Versuch zu unternehmen, das vergangene Jahrhundert zurückzuholen. Das ist die Wirklichkeit des Parlamentarismus, wie er sich entwickelt hat: daß sich Regierungsfraktionen und Opposition als mehr oder weniger verlängerter Arm der Regierung gegenüberstehen. Das kann uns nicht davon entbinden, weder als Opposition noch als Abgeordneter der Regierungsparteien, unsere Aufgabe, Kontrolle der Regierung, Kontrolle der Verwaltung, wahrzunehmen. Und da meine ich, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, müssen wir ein bißchen beim Parlament anfangen. Erfreulicherweise haben wir die Zusage, daß das alte Parlament abgerissen werden darf. ({2}) - Der Plenarsaal. - Ich halte das für eine vernünftige Entscheidung des Ministers. Nur, das Denkmalschutzamt ist ja nicht irgendeine objektive Behörde, sondern das Denkmalschutzamt bzw. derjenige, der da den Denkmalschutz verkündet hat, ist ja ein einzelner Mensch, ein Beamter, mehr oder weniger hochgestellt, je nach Stufe: Kreis, Regierungspräsident oder Land. Und es bedrückt mich schon: Wir waren hier im Parlament mit 314 Stimmen der Meinung, daß dieser Kasten, der uns als feuer-, als einsturzgefährdet dargestellt worden ist, von dem wir gesagt haben, daß er kein Denkmal ist, abgerissen werden soll. Gleichwohl aber kommt irgendein Mensch, irgendein Beamter und traut sich zu sagen: Die Blöden da in Bonn; auf der Grundlage meiner Zuständigkeit sage ich: Das ist ein Denkmal. - Daraus entsteht dann ein Konflikt zwischen dem Deutschen Bundestag, vertreten durch seinen Präsidenten und einer Landesbehörde. ({3}) - Er ist gelöst. ({4}) Nur, ich ziehe die Konsequenz daraus: Ich finde, wir sollten, nachdem das jetzt gelöst ist, dem Gedanken des Kollegen Zöpel folgen und ein Gesetz machen, in dem der Deutsche Bundestag feststellt, daß er seine Belange selber regelt, so wie wir Regelungen für die Deutsche Bundesbahn und die Kirchen gefunden haben. Auf diese Weise könnten wir die Beamten aus der Konfliktsituation befreien, daß sie in einem ähnlichen Fall wieder anders entscheiden könnten als der Deutsche Bundestag. Ich halte es für wichtig, daß wir das in unserer Zuständigkeit regeln. Ich glaube, dies sollte uns eine Lehre sein, vor allen Dingen jetzt, nachdem der Konflikt selbst beendet ist. In diesem Zusammenhang habe ich mich bemüht, mich der Hilfe des Wissenschaftlichen Dienstes unseres Hauses zu bedienen. Ich habe gesagt: Ich hätte gern eine Vorlage zu einem solchen Gesetz. Daraufhin erhalte ich dann in der Vorbemerkung die Mittei1890 Deutscher Bundestag - 1 1. Wahlperiode Schwarz lung: „Der Deutsche Bundestag hat ein solches Gesetz nicht vorgesehen." Ich spreche unsere eigene Verwaltung an: Da wendet man sich an die Hilfsbereitschaft des Wissenschaftlichen Dienstes und bekommt dann seitens der Verwaltung die Vorgabe: „Der Deutsche Bundestag hat ein solches Gesetz nicht vorgesehen. " ({5}) Es kommt mir auf den Geist an, der in dieser Verwaltung herrscht. Da bittet ein einzelner Abgeordneter den Wissenschaftlichen Dienst um eine technische Hilfe und bekommt die politische Vorgabe von einem Beamten. Eines sage ich Ihnen, meine Damen und Herren: Wenn wir nicht die Beamten der eigenen Verwaltung überwinden, werden wir die Verwaltung der Bundesrepublik Deutschland eh nicht überwinden. Das ist unser Problem. ({6}) Und da wir Gefahr laufen, daß Verallgemeinerungen übernommen werden, möchte ich ausdrücklich sagen, daß wir mit denen in diesem Hause, mit denen wir täglich zu tun haben - das fängt beim freundlichen Pförtner an und geht über den Sicherheitsdienst bis hin zum Fahrer -, in einem konfliktlosen Verhältnis leben. Ich habe nur den Eindruck: Je weiter sich die Verwaltung von den einzelnen Abgeordneten entfernt, um so mehr nähert sie sich den Spitzen unserer Fraktionen, des Parlaments, des Präsidiums und des Ältestenrats. Ich kann mir nicht vorstellen, daß dort solche Konflikte bestehen. ({7}) - Ich möchte jetzt nicht. Bitte, lassen wir es doch so. Der Herr Präsident hat darauf hingewiesen: Alle Abgeordneten sind gleich. ({8}) Aber es gibt Abgeordnete, die nicht gleich sind. Eine Minderheit der Abgeordneten ist besser dran als die Mehrheit. Das können Sie symbolisch an den Tischen hier vorne sehen. Und das können Sie daran sehen - es regnet im Augenblick nicht, aber es hat heute morgen geregnet - , daß eine Minderheit der Abgeordneten trockenen Hauptes ins Plenum gehen kann, während die Mehrheit der Abgeordneten nassen Hauptes ins Plenum gehen muß. ({9}) Der Kollege Kleinert hat die Baufrage angesprochen. Ich weiß, daß man vom Tulpenfeld bis hierher kein Dach bauen kann. Aber es gab eine Zeit - Manfred Schulte war noch bei uns -, da wurde die Straße aufgerissen, und wir dachten: Aha; jetzt endlich wird der Anschluß an die Überdachung des Wegs zum Plenum geschaffen. Nix war's! Die Versorgungsleitungen sind trockenen Weges durch die Straße gelegt worden, und die Abgeordneten, die gleichen Abgeordneten wie die anderen - die aber dann doch nicht so gleich sind - , ({10}) müssen nassen Hauptes vom Langen Eugen hierher gehen. Warum sage ich das? Eigentlich hätte ich erwartet, daß eine Bauverwaltung, die, da alle Abgeordneten gleich sind, für alle Abgeordneten gleich zuständig ist, sich technische Lösungen hätte einfallen lassen, und daß man diese schöne Überdachung in geeigneter technischer und städtebaulicher Weise bis zum Langen Eugen herübergezogen hätte. ({11}) Da die Verwaltung das aber nicht tut und das ja auch schwierig ist, Herr Kollege Bohl, bei der vielen Beschäftigung, die unsere Parlamentarischen Geschäftsführer und die Verantwortlichen oben haben, bin ich für diese Gelegenheit dankbar, dies einmal vor dem Plenum des Deutschen Bundestages für die weniger gleichen Abgeordneten mit diesen simplen Fragen zur Sprache zu bringen. Ich habe noch ein paar Punkte. Alle Abgeordneten sind gleich. Wir haben ca. 18,5 qm Arbeitsplatz. Da hat ein Kollege gesagt: Der Abgeordnete muß selber entscheiden, wie er seine Mitarbeiter einsetzt. Ich halte das für richtig. Ich habe 2 1/2 Mitarbeiter, also zwei ganztägig und einen halbtägig. Wir sitzen dann zu dritt auf 18,5 qm. Jeder kann sich vorstellen, wie das aussieht. Ich verstehe ja, daß die mehr gleichen Abgeordneten, die Büros und Fazilitäten haben, weil sie stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Arbeitsgruppenvorsitzende sind, kein Gefühl mehr für uns arme Menschen haben, die wir da versuchen sollen, Verwaltung zu kontrollieren: unsere eigene und die des Bundes. Nur, ich bitte Sie dringend: Sorgen Sie doch dafür, daß, wie auch Kollege Kleinert sagt, die äußeren Arbeitsbedingungen für die Mitglieder dieses Parlaments zügig verbessert werden. ({12}) Wir haben die gesetzliche Grundlage für eine Bundesgaragenordnung gelegt. In dieser Bundesgaragenordnung ist festgelegt, daß ein Arbeitgeber soundso viele Parkplätze zur Verfügung zu stellen hat. ({13}) - Ja, ja; das haben wir alles festgelegt. ({14}) Nun muß ich sagen: Wenn ich meinem Mitarbeiter während einer Plenarsitzung sage: Hören Sie mal: „Können Sie nicht mal schnell das und das dringend dahin bringen?", dann sagt der: „Sagen Sie mal, muß das sein, Herr Schwarz? Wenn ich wiederkomme, habe ich nämlich keinen Parkplatz. Da muß ich einige hundert Meter weit weggehen." Ich höre jetzt, daß der Parkplatz an der Gronau demnächst als Baustelleneinrichtung genutzt wird. Ich frage mich: Kann diese Verwaltung nicht auf die Idee kommen, daß es heute technische Lösungen gibt, daß man abbaufähig Garagendecks baut, ({15}) wo man auf der gleichen Grundfläche mehr Garagenplätze bekommt? ({16}) Verstehen Sie, was ich meine? Meine lieben Freunde, wenn wir uns darüber beschweren, wie wir miteinander umgehen - das sage ich auch an die Oberen unserer Fraktionen; ich meine die Parlamentarischen Geschäftsführer und ähnliche, Fraktionsvorsitzende; Herr Mischnick, Sie hören aufmerksam zu; das freut mich - , meine ich: Tun wir doch ein bißchen mehr, damit die Arbeitsbedingungen für uns geschaffen werden, damit wir wenigstens unsere eigene Arbeit freier gestalten können! Auch das hat etwas mit der Debatte über die Möglichkeiten, die wie hier haben, zu tun. Lassen Sie mich eine Schlußbemerkung über die Frage des Selbstverständnisses machen. Ich habe 13 Jahre Behörden geleitet - als Bürgermeister, als Minister. Ich weiß, daß die Behörde immer in der Vorhand ist. Ich weiß auch, daß es nie möglich sein wird - weder im kommunalen Parlament, noch in einem Landtag, noch im Deutschen Bundestag - , den Abgeordneten als einzelnen oder als Gruppe so auszustatten, daß er mit seiner ganzen Apparatur der Administration gegenüberstehen kann. Wir werden nicht die Verhältnisse wie im amerikanischen Senat erreichen. Aber was wir brauchen, ist, daß wir gegenüber der zwangsläufigen Übermacht der Administration an Spezialisten und Fachleuten unsere eigenen Arbeitsbedingungen, die wir - Herr Kollege Feldmann hat darauf hingewiesen - schon verbessert haben, weiter verbessern, wenn der Parlamentarismus, wenn das Parlament, wenn dieser Deutsche Bundestag eine Chance haben soll. Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Mir fehlt es nicht an Selbstbewußtsein als Abgeordneter. Ich gehöre auch nicht zu denen, die irgendwelchen Frust empfinden, weil bestimmte Fazilitäten nicht zur Verfügung stehen. Aber eines möchte ich in aller Deutlichkeit sagen: Wer darauf spekuliert, daß der Abgeordnete Schwarz im Umgang mit der Administration resigniert, der irrt sich. Ich hoffe, daß die mangelnde Teilnahme der Kollegen heute nicht schon ein Teil Resignation ist, weil sie sagen: Da können wir doch nichts mehr ändern. Bestimmte Regeln - Herr Kollege Lammert hat das sehr deutlich gesagt - sind so; ich sehe auch keine anderen Möglichkeiten. Manches kann man verbessern. Verbessern müssen wir aber, daß sich unser Selbstbewußtsein darin äußert, daß wir für unsere eigenen Debatten- und Arbeitsmöglichkeiten auch die Unterstützung derjenigen haben, die besser gleich sind als die, die nicht so gleich sind. Mein Appell von dieser Stelle aus geht an alle Fraktionen: Wenn Sie in der Gleichheit aller Abgeordneten etwas besser dran sind als andere - wir gönnen Ihnnen das, wir wissen, daß das notwendig ist - : Helfen Sie mit, daß die Nicht-so-Gleichen genauso gleich werden! Danke schön! ({17})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Reimann.

Manfred Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Wortmeldung soll in dieser dreistündigen Debatte auch dazu beitragen, verharschte Strukturen und ritualisierte Sitzungsabläufe aufzulockern. Ich versuche das einmal an Hand einiger einfacher Beispiele. Vielleicht ergeben sich daraus Möglichkeiten, wenn man länger darüber nachdenkt. Als erstes möchte ich das Einführen einer Kabinettstunde nennen. Ich meine jetzt nicht die Kabinettberichterstatterstunde, über die wir schon diskutiert haben - dazu komme ich nachher noch einmal - , sondern ich meine eine Kabinettstunde, in der den Abgeordneten die Möglichkeit geschaffen wird, mit Ministern und dem Kanzler ohne vorbereitete Themen einfach in Rede und Gegenrede zu den Themen, die den Abgeordneten interessieren, zu diskutieren - keine eingereichten Fragen, keine vorbereiteten Antworten, einfach aus der Spontaneität des politischen Alltags heraus. Man könnte auch dem Abgeordneten eine Frage oder Zusatzfrage geben; das ließe sich irgendwie regeln. Es muß aber Wert darauf gelegt werden, daß es spontan und unvorbereitet ist. Ich vergleiche es mit einem. Abgeordneten, der in seinem Wahlkreis auf der Straße von seinen Bürgerinnen und Bürgern angehalten wird. Auch er weiß nicht, was er gefragt wird. Er steht dort und muß Antwort geben. Wenn er dort die Leviten gelesen bekommt, weil die Bürger meinen, daß das, was er gemacht hat, schlecht war, dann ist auch das nicht schlimm; dann soll er dazu stehen. Wenn die Regierung einmal unter Druck geraten würde, weil wir Abgeordneten an sie Fragen haben, die für sie peinlich sind, dann muß die Regierung dazu stehen. Anders gibt es keine Belebung in der Debatte und im Parlament. ({0}) Deshalb will ich als zweites etwas zu dieser Kabinettberichterstattungsstunde sagen: Ich könnte mir vorstellen, daß das Kabinett oder die Regierung verpflichtet wird, zu aktuellen politischen Problemen zu sprechen. Schleswig-Holstein wäre für mich ein Beispiel, zu fragen: Was tut sich jetzt dort? Daß Abgeordnete so etwas aus Zeitungen erfahren müssen, ohne daß sie als die direkten Volksvertreter - deren Vertrauen durch das, was in Schleswig-Holstein geschieht, ebenfalls leidet - Detailinformationen haben. Ich finde das für einen Abgeordneten einfach unter seiner Würde. Es müßte in diesen Kabinettberichterstattungsstunden auch möglich sein, in vielleicht zweiminütigen Redebeiträgen zu diesen Erklärungen der Minister oder der Regierung Stellung zu nehmen, um das Gespräch zu beleben. Die Minister müssen dann - hoffentlich befriedigend - antworten. Ich halte an diesen zweiminütigen Redebeiträgen ganz konsequent fest. Wenn sich dann noch die Medien entschließen könnten, aus diesen Sitzungen zu berichten, dann wäre das politische Geschehen von besonderer Bedeutung. Wohlgemerkt, meine Kolleginnen und Kollegen: Ich möchte das nicht mit den Parlamentarischen Fragestunden verwechselt sehen. Diese halte ich nach wie vor für wichtig, für richtig und gut, auch wenn wir von der Frau Kollegin Hamm-Brücher sinngemäß gehört haben, daß manchmal überspitzt formuliert wird und daß manchmal auch nichtssagende ausformulierte Antworten der Verwaltung dem Niveau, das dort sein müßte, nicht immer gerecht werden. Die Fragestunden können aber nicht die direkte Rede und Gegenrede mit dem Bundeskanzler, dem Kabinett und den Ministern ersetzen; das aber müssen die Abgeordneten wollen. ({1}) Ich werde für die Debatte oder für die Diskussion eine dritte Möglichkeit vorschlagen. Warum eigentlich soll es nicht möglich sein, daß nach Ablauf der Redezeit der von den Fraktionen beschlossenen Redner - nehmen wir an, die gesamte Debattenzeit beträgt drei Stunden - die Abgeordneten mit einem zweiminütigen Redebeitrag noch einmal zu diesen Themen Stellung nehmen können? Verdammt noch mal, dann könnten in einer Stunde mindestens 30 Abgeordnete reden; ich rechne das jetzt einmal auf eine Stunde hoch. Wenn sich die Minister in ihrer FernsehRedezeit zeitlich noch ein bißchen mäßigen würden, muß das noch nicht einmal eine Verlängerung der gesamten Redezeit bedeuten. Es würde vielmehr eine Belebung zur Folge haben, denn die Minister oder der Kanzler müßten ja auf diese nach der Fraktionsstunde stattfindenden Reden eingehen. Kolleginnen und Kollegen, was spricht eigentlich dagegen, daß sich die Minister und die Kanzler dem Parlament in freier Rede zu stellen haben - so, wie wir meinen, daß es notwendig und richtig ist? Das Parlament - damit muß ich schon zum Ende kommen - ist der Spiegel der Öffentlichkeit, aber das Parlament, das sind alle Abgeordneten und nicht nur die jeweiligen wenigen Redner. Wir sind ja immer froh, wenn wir einmal zu diesen Rednern gehören, denn das hat ja auch ein bißchen Alibi-Funktion für den Wahlkreis. Sonst sagt man dort: Was machst du denn eigentlich da oben? Wir haben noch nie etwas von dir gehört, du bist doch auch mal an der Reihe. Wir meinen, daß die Abgeordneten natürlich ein größeres Interesse an den Sitzungen haben, wenn nicht nur wenige, sondern viele Redner die Gelegenheit haben, das Wort zu ergreifen. Ich glaube, daß der Abgeordnete dann, wenn er keine Einflußmöglichkeiten auf das Geschehen hat - es sei denn durch Zwischenruf, der ihn im Zweifelsfalle auch noch einen Ordnungsruf des Präsidenten eintragen kann,

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich muß die jetzt darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.

Manfred Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- denn jede verhinderte Zwischenfrage ist ja im Grunde genommen eine Frage zum Thema der Debatte, die den Abgeordneten bewegt, die er im Grunde genommen stellen müßte -, lieber in sein Büro geht, sich über seine Fernsehanlage über das informiert, was hier geredet wird, oder, wenn es interessant ist, nachliest, was der Redner gesagt hat, weil er glaubt, daß er hier in dem Moment am wenigsten notwendig ist. Arbeit hat der Abgeordnete ja verdammt noch mal genug. Herr Präsident, noch ein Satz. - Deshalb gestatte ich mir, abschließend die Feststellung zu treffen, daß die Meinungsvielfalt in der politischen Diskussion und der positive Streit in der Sache - aus einem positiven, nicht aus einem zerstörerischen Ansatz heraus - dem Parlament die Chance geben könnten, die Parlamentsarbeit neu zu beleben, daß zugleich aber auch die Chance eröffnet wäre, bei den Wählerinnen und Wählern das Vertrauen in unsere Demokratie zu stabilisieren und die Arbeit des Abgeordneten auch interessanter zu machen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Irmer.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, sehr geehrte Kollegen! Ich habe etwas gezögert, ob ich mich in dieser Debatte melden soll, denn ich gehöre diesem - wie man ja so sagt - Hohen Hause erst seit wenigen Monaten an. Aber Frau Hamm-Brücher hat mich dann ermutigt und gesagt: Es ist vielleicht gar nicht schlecht, wenn jemand, der neu kommt, hier einmal schildert, welche Eindrücke er hat. Es gibt ja nun Parlamente, bei denen man von vornherein weiß, was man von ihnen zu halten. Ich habe jetzt in meiner Fraktion erzählt, daß ich einmal in ein Parlament in einem fernen Kontinent kam, wo mir erklärt wurde, wie die Leute dort sitzen. Dann hieß es bei einer Bank: Ja, dort pflegte die Opposition zu sitzen, als wir noch ein Opposition hatten. Da weiß man natürlich gleich, woran man ist. Ich habe dann von einem weiteren exotischen Parlament erzählt, in dem sogar eine elektronische Abstimmungsanlage existierte, die aber nur einen Knopf hatte, nämlich nur für „Ja". Gut, bei einem solchen Parlament ist auch gleich offenkundig, womit man es zu tun hat. Wenn man jetzt in den Deutschen Bundestag kommt, dann ist eigentlich der erste überwältigende Eindruck der, daß es hier immer so leer ist. „Plenum" heißt ja eigentlich Vollversammlung. Dies ist eher eine Leerversammlung, eine Leerveranstaltung, ({0}) mehr Vakuum als Plenum. Aber wir alle wissen natürlich, woran das liegt, denn es sind tausend andere Veranstaltungen in den Sitzungswochen zusammengepreßt. Ich muß jetzt von meinem eigenen Arbeitsablauf her sagen: Mir wäre es sympathischer, wenn wir mehr Sitzungswochen hätten. Ich weiß, daß das auf den entschiedenen Protest vieler Kollegen stoßen wird. Aber die Sitzungswochen, die wir haben, sind doch vollgestopft mit Fraktionssitzungen, mit Arbeitskreissitzungen, mit Ausschußterminen, mit Plenarsitzungen. Ich war fünf Jahre im Europäischen Parlament; dort hatten wir überhaupt keine sitzungsfreien Wochen. Das war natürlich zur anderen Seite hin übertrieben, aber es bot beispielsweise die Möglichkeit der regelmäßigen Entzerrung von Fraktionswochen, Ausschußwochen und Plenarwochen. Vielleicht könnte man darüber wenigstens einmal nachdenken. Ich will hier um Gottes willen keine Belehrungen erteilen, aber vielleicht doch ein paar Anstöße geben. Apropos Europäisches Parlament: Herr Kollege Schwarz, ich habe eben mit großem Vergnügen gehört, wie Sie das Verhältnis zur Verwaltung angesprochen haben. Im Europäischen Parlament waren sich alle Beamten einig: Das Parlament könnte hervorragend funktionieren, wenn es nur die schrecklichen Abgeordneten nicht gäbe. ({1}) - Ist das bei uns ähnlich? Na gut. Meine Damen und Herren, ein wesentlicher Punkt fällt bei den Plenardebatten auf: Eigentlich müßte es doch das Ziel der Debatte sein, daß man andere, die einem zuhören, überzeugen kann. Deshalb müßte es an sich normal sein, daß am Ende der Debatte Meinungsumschwünge stehen, daß sich der eine oder andere etwas anders überlegt, weil er eben dem Kollegen zugehört hat. Das findet ja nun hier aus den bekannten Gründen nicht statt. Deshalb sollten wir doch vielleicht sagen, was wir hier sind: Wir sind eine PR-Veranstaltung. Es ist in der Demokratie wichtig, daß die Öffentlichkeit auch das Parlament kontrollieren kann, und das tut sie ja über das Fernsehen und die anderen Medien. Machen wir uns nichts vor: Wir sind hier im wesentlichen eine PR-Veranstaltung. Das wird überdeutlich, wenn man sieht, wie z. B. vor Wahlkämpfen oder vor Wahltagen die Debatten geführt werden. In der Sondersitzung, die wir hatten, meldeten sich zahlreiche Kollegen nachher zur Geschäftsordnung. Es steht ja in der Geschäftsordnung, daß man sich zur Geschäftsordnung melden kann. Wir sollten vielleicht eine Änderung der Geschäftsordnung dahin gehend vorsehen, daß man sich auch ausdrücklich zum Wahlkampf melden kann. Das wäre zumindest ehrlich, denn so haben wir es hier erlebt. ({2}) Meine Damen und Herren, noch etwas: Sehr skeptisch bin ich - jetzt sage ich etwas sehr Ernsthaftes, und zwar gerade deswegen, weil wir uns hier nur noch an der Öffentlichkeit richten - gegenüber dem Vorschlag, auch Ausschußsitzungen öffentlich zu machen. ({3}) Denn dann passiert dort doch genau dasselbe! Dann kann man auch dort nicht mehr zur Sache reden, sondern redet auch dort nur noch zum Fenster hinaus, redet nur noch, um irgendwelche Außenwirkungen zu erzielen. Und noch eines: Viele der Anträge, die hier vorgelegt werden, dienen doch gar nicht der Parlamentsarbeit, sondern auch nur irgendeinem PR-Effekt nach draußen. Da muß ich schon sagen, liebe Kollegen von den GRÜNEN: Ich habe zwar nicht so sehr gute Augen, aber ein Hirn, das einiges auffassen kann, doch wenn ich diese Papierflut sehe, muß ich feststellen: Ich werde täglich so mit Papier eingedeckt, daß ich in meinem Büro vor Aktenstaub Mühe habe, überhaupt noch zu atmen. ({4}) - Ich lese dynamisch, aber bei dem, was Sie, DIE GRÜNEN, an Papier produzieren, muß ich sagen: Sie haben ganze Wälder auf dem Gewissen. ({5}) Meine Damen und Herren, das ist auch etwas, was mit unserer Arbeit zu tun hat und bei dem wir vielleicht selber etwas dafür tun können, das alles ernster zu nehmen. Ich komme zum Schluß, denn ich glaube, meine Zeit ist abgelaufen; meine Redezeit ist abgelaufen, die übrige nicht. Meine Damen und Herren, hier wurde beklagt, man sei von den Fraktionen und von den Parteien gegängelt. ({6}) Ich persönlich fühle mich in meiner Fraktion ausgesprochen wohl, und ich glaube, wir haben dieses Problem mit dem Verhältnis von Partei und freiem Mandat nicht. Mit Genehmigung des Präsidenten möchte ich abschließend -

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Nein, Sie müssen jetzt abschließen. Es tut mir furchtbar leid.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich hätte gerade noch gerne das schöne Wort von Herrn Mischnick aus seinem Artikel von vor 30 Jahren zitiert, aber vielleicht kann ich das bei einer anderen Gelegenheit tun. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Es ist eines der Probleme, vor denen die Präsidenten sitzen, die Länge der Aussage „Ich komme zum Schluß" richtig zu definieren. ({0}) Jetzt hat der Abgeordnete Lutz das Wort.

Egon Lutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe es mir aufgeschrieben, damit ich nicht zu lange rede und nicht zu scharf werde, denn wenn ich es richtig sehe, ist das eine der wenigen Betriebsversammlungen dieses Hauses, das - blicken Sie zur Decke - mit Recht ein Hohes Haus genannt wird. Einmal in jeder Legislaturperiode lassen die obersten Heeresleitungen ein Stück Kulturrevolution zu. So heute. ({0}) Nutzen wir den Augenblick, aber achten wir auch darauf, daß diese Aussprache nicht wieder folgenlos bleibt! Unsere Anliegen gelangen von hier vor den Ältestenrat, vom Ältestenrat in den Geschäftsordnungs1894 ausschuß und werden beraten. Wie, so frage ich mich, werden sie beraten? ({1}) Ich hoffe doch sehr: unter aktiver Mitwirkung der MdBs, die etwas verändern wollen. ({2}) Dieses Problem läßt sich lösen, wenn das Parlament beschließt, daß bei der Beratung der Reformvorschläge im Geschäftsordnungsausschuß alle interessierten Abgeordneten ein Mitspracherecht erhalten, was voraussetzt, daß sie zum fraglichen Tagesordnungspunkt auch eingeladen werden. ({3}) Das wäre ein Modellversuch, der übrigens die Praktikabilität einiger Vorschläge des Präsidenten, die Ausschußarbeit zu beleben, erweisen könnte. Ich zum Beispiel, verehrte Kolleginnen und Kollegen, würde in diesem Gremium, wenn ich eingeladen würde, gerne über die Praxis der Reden reden, die in diesem Hause gehalten werden. Es ist hier viel geklagt worden. Ich würde mich zum Beispiel mit dem Gedanken einbringen - um mich neudeutsch auszudrücken - , daß jeder Normalabgeordnete vor dem Zwang steht, seine Gedanken in 5, wie ich, manchmal in 10, für Bessergestellte, selten in 15 Minuten zusammenzufassen. Das beklage ich nicht. Das zwingt zur Präzision, und das bekommt im Grunde auch dem Redner. Nach der Hackordnung im parlamentarischen Hühnerhof ist allerdings die Länge der Rede längst zu einem politischen Statussymbol geworden. Da wird dann um 20, um 30 und mehr Minuten gekämpft. ({4}) Die längsten Veranstaltungen, Herr Bohl, die nennt man „Elefantenrunden". Ich hielt Sie in den meisten Fällen, um ehrlich zu sein, die ich seit 1972 erleben durfte, für kürzbar. Die Redner strengen sich übermäßig an; das bekommt ihrem Vortrag nicht, die Aufmerksamkeit des Hauses läßt nach, die Medien streichen gnadenlos, was im Regelfall auch überflüssig war. Ich bin ein großer Verehrer von Tucholsky, der in seinen Ratschlägen für Redner lapidar erklärte: Was gestrichen ist, kann nicht durchfallen. Bewahren wir gemeinsam unsere Großkopfeten vor dem Durchfallen! ({5}) - Oh, bitte, Frau Kollegin.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie wünschen eine Zwischenfrage, und Sie gestatten sie. Bitte!

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Machen Sie nicht auch die Beobachtung, daß auch die Reden unserer „Elefantenredner" schon deshalb so wenig Aufmerksamkeit finden, weil man sie vorher bereits an der Pressestelle abholen kann oder schon zugesandt bekommen hat? ({0})

Egon Lutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gnädige Frau, da kann ich Ihnen nicht folgen. Ich verfolge die „Elefantenrunde" immer sehr aufmerksam, um einen originären Beitrag des Redners im Manuskript zu entdecken. ({0}) Unsere Geschäftsordnung hat die Gefahr längst erkannt. Nach ihr ist die 15-Minuten-Rede die Norm. Diese Norm wird aber prompt immer dann außer Kraft gesetzt, wenn Gefahr droht. Wir können das ändern, wir sollten es ändern. Es wäre ein Stück politischer Lebensqualität und ein Stück parlamentarischer Emanzipation. Tucholsky würde empfehlen, alles überflüssige Pathos wegzulassen. Die Eingangsfloskel zum Beispiel, daß der verehrte Vorredner wieder einmal von Sachkenntnis nicht getrübt gewesen sei, ist weder originell, noch ist sie intelligent. ({1}) - Ja, schön, aber dann würde ich mir aus Gründen der Höflichkeit eine andere Bemerkung erlauben. ({2}) Wenn man dann noch darauf verzichten würde, die eigene Position als das Gelbe vom Ei, die Meinung des gegnerischen Lagers aber als dumm, töricht und verwerflich hinzustellen, dann wäre schon wieder viel Zeit für Sachdebatten gewonnen. Das allerdings kann man in keiner Geschäftsordnung beschließen. Dazu bedarf es der Einsicht, daß der Bürger bei derlei Leerformeln ohnehin die Ohren auf Durchzug schaltet. Eines kann und sollte man aber schleunigst ändern, die Festlegung nämlich, daß Erklärungen von Abgeordneten zur Abstimmung erst nach der Abstimmung abgegeben werden dürfen. Das ist die Perversion des Parlamentarismus. Selbst wenn Mißbräuche entstanden sind, muß man sie, meine ich, im Interesse der Sache hinnehmen. Ich bedanke mich, daß Sie mir die Überschreitung der Redezeit um zehn Sekunden gestattet haben. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schilling.

Gertrud Schilling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001969, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Schönen guten Tag alle hier! ({0}) Ich freue mich echt, daß wir es heute einmal anders machen als sonst. Ich merke auch, daß wir heute hier alle eigentlich viel lockerer sind als sonst. Das macht mir Spaß. Ich möchte deswegen auch gleich sagen: Wenn wir es schaffen würden, beim nächsten Plenum bei einem Thema so zu verfahren wie heute - hier ganz langFrau Schilling sam anfangen - , dann wäre das, glaube ich, ein wichtiger Schritt. Ich muß und will mich kurz fassen. Deswegen muß ich teilweise im Telegrammstil reden. Noch ein Vorschlag: Wenn wir es schaffen könnten, hier im Plenum immer erst dann erneut über irgend etwas zu reden, wenn das Besprochene getan und erledigt ist, dann würden wir hier weniger herumreden, dann würden wir mehr tun. Das wäre sicherlich auch für ein Parlament recht bekömmlich. Ein dritter Punkt ist für mich wichtig. Für mich gehört zu einem Parlament auch, daß wir als Abgeordnete der jeweiligen Bundesländer einmal überlegen, ob wir hier nicht in unserem jeweiligen Dialekt reden können. Ich fände es ganz gut, wenn das so geschehen würde, wenn wir es einfach mal so machen würden. ({1}) - Ich versuche das ja auch. Ich will allerdings die Stenographen nicht zu sehr strapazieren; denn dann habe ich auch den Anspruch, daß das so im Protokoll steht. Mir als einem Neuling erscheint, ehrlich gesagt, die Gruppe „Parlamentsreform" als die einzig sinnvolle Gruppe, wo man sich im Bundestag einklinken kann. Alles andere ist viel zu starr, viel zu festgelegt. Ich kann nur sagen: In dieser Gruppe sehe ich einen Sinn, und es macht mir auch Spaß, dort mitzuarbeiten. Ich will noch auf ein paar Punkte aufmerksam machen, die mir wichtig sind. Als ich hierherkam, dachte ich, hier im Bundestag würde sich die Summe der ganzen positiven Erfahrungen aus den Länderparlamenten wiederfinden. Ich dachte, alles das, was man in den Landtagen darf und tut, könnte man hier in noch viel größerem Maße tun. Weit gefehlt; der Bundestag ist in dieser Beziehung das rückständigste Gremium. Alle anderen sind weit voran. Das halte ich auch für viel demokratischer. Deswegen wünsche ich mir, daß wir uns einmal ansehen, was sich in den einzelnen Länderparlamenten, im europäischen Ausland und in den USA tut. Das sollte man zusammenstellen und die Summe aus den positiven Erfahrungen nach hier übertragen. ({2}) Nächster Punkt: Es ist einfach widersinnig, wenn man immer sagt, die GRÜNEN sind Abgeordnete des ganzen Volkes. Dann müßten wir in allen Ausschüssen sein, in allen Gremien, die uns hier zustehen. Das haben wir versagt bekommen. ({3}) Interessanterweise sind wir im Zusammenhang mit dem Volkszählungsboykott Abgeordnete des ganzen Volkes und dürfen vor dem Bundestag noch nicht einmal ein Plakat mit unserer Meinung zeigen. Das widerspricht eklatant dem, was hier sonst so von sich gegeben wird. ({4}) - Das wissen Sie selber am besten, in welchen Ausschüssen wir nicht sind. ({5}) Ich halte es für unwürdig, daß wir hier eine ungleiche Redezeit haben. Abgeordnete des ganzen Volkes müssen dieselbe Redezeit haben. Zum Schluß möchte ich noch bemerken, daß für mich ein Parlament ohne Fenster bürger- und bürgerinnenfern ist. Die Parlamentarierinnen meinen immer, sie müßten sich einmauern. Im Grunde ist das nur Angst vor dem, was von draußen kommt oder kommen könnte. Deswegen bin ich für sehr viel Glas, sehr viel Grünpflanzen in einem Parlament. Ich bin auch dafür, daß man von seinem Platz aus reden kann. Ich stelle mir vor, daß es im Parlament mehr Spaß bei der Arbeit geben muß, daß man gern hierherkommt, daß man einen Sinn darin sieht. Ich kann nur sagen: Mir hat es hier heute seit Januar zum erstenmal Spaß gemacht. Tschüß! ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wenn Sie jetzt schon gehen, ist das Ihr gutes Recht als Abgeordnete. Aber wir anderen würden das nicht begrüßen. Frau Dr. Hartenstein ist die nächste Rednerin.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Befürchtung scheint sich leider zu bestätigen, nämlich die Befürchtung, daß wir im Fünfminutentakt nicht den großen Sprung nach vorn zur Parlamentsreform machen werden. Meiner Auffassung nach ist es schlicht ein Ding der Unmöglichkeit, über Aufgaben, Rechte, Arbeitsweise, über Mängel und auch über Korrekturmöglichkeiten des Parlaments im Intercity-Tempo sprechen zu müssen und das dann auch noch überzeugend begründen zu sollen. Das Fünfminutenschema birgt eher das Risiko - ich denke, wir sollten uns darüber im klaren sein - , daß die Debatte eine Art Ventilcharakter bekommt. Das ist gefährlich, weil es nämlich den doch vorhandenen Argwohn verstärken könnte, die Reformwünsche seien vorwiegend das Anliegen einer winzigen Minderheit; manche sagen sogar: der Unzufriedenen und der Zukurzgekommenen. Bitte schön, 165 Unterschriften sprechen dagegen. ({0}) Ich denke, das Parlament sollte sich in seinem eigenen Interesse insgesamt gegen solche - auch öffentlich ausgesprochenen - Unterstellungen zur Wehr setzen. Ich finde es im übrigen sehr erfreulich, daß viele neue Mitglieder des Deutschen Bundestages den Antrag auf Drucksache 11/411 unterschrieben haben. Das ist auffallend. Wer neu ins Parlament kommt, der sieht, denke ich, die Schwächen des Parlamentsbetriebs schärfer als der, der durch lange Routine bereits daran gewöhnt ist, um nicht zu sagen: dadurch geschädigt ist. ({1}) Zwei, drei Minuten sind vorbei, Themawechsel. Das starre Ritual der Debatten hat uns das Prädikat eingetragen: Parlament zum Abgewöhnen. Die gähnende Leere des sogenannten Plenums kommt hinzu; das ist heute leider nicht anders. Einer der schüchternen Vorschläge der Ad-hoc-Kommission „Parlamentsreform" - davon war vorhin die Rede in dem Dialog zwischen Herrn Dr. Lammert und Frau Hamm-Brücher; ist er noch da? - ja - war: Bei allen Debatten über zwei Stunden wird ein Zeitanteil von 30 Minuten nicht von den Fraktionen verplant, sondern freien Wortmeldungen vorbehalten. ({2}) Eine Empfehlung vom 1. Juli 1985. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Deutsche Bundestag hat von dieser Empfehlung bis heute noch keinen Gebrauch gemacht. Zielvorstellung war und ist, die Debatten lebendiger zu gestalten, die freie Rede zu fördern, die Attraktivität des Plenums zu erhöhen. Vor allem aber sollte die Möglichkeit geschaffen werden, auf das, was die Vorredner gesagt haben, zu erwidern, es zu korrigieren oder auch zu ergänzen. Neuerdings wird es z. B. in diesem Hohen Hause Brauch, daß Minister auch bei der ersten Lesung eines Gesetzes am Schluß sprechen, etwa der Herr Umweltminister letzte Woche während der Haushaltsberatungen bei der Einbringung seines eigenen Haushalts. Wenn keine Redezeit mehr übrig ist, dann hat die Regierung automatisch das letzte Wort, und das Parlament kann in den Mond gucken. Wollen wir uns das gefallen lassen? ({3}) Machen wir doch endlich einen Probelauf mit unverplanten Redezeiten! Der heute übliche Debattenstil ist lähmend, nicht belebend. Er ist lusttötend und nicht lusterweckend. Das muß ich sagen. ({4}) - Das geht auch an die Geschäftsführer. An die Fraktionen richte ich die Bitte, doch ihre Ängstlichkeit fallenzulassen. Die Gefahr, daß ihre Schäfchen aus dem Pferch laufen, ist doch bei weitem nicht so groß, wie manche meinen. Was müssen denn Abgeordnete eigentlich für merkwürdige Figuren sein, daß man sie ständig am Gängelband halten muß? Sie sollen doch nach der Verfassung freie Persönlichkeiten sein, nur ihrem Gewissen unterworfen. ({5}) Und müssen wir denn nicht - um wieder ernst zu werden - in der Öffentlichkeit ununterbrochen für unsere Überzeugungen einstehen und tun das auch? Die Furcht, eine 520köpfige Hydra könnte hier aufstehen, ein Meinungschaos könnte ausbrechen und unsere Parteienlandschaft total verwischen, ist unbegründet. Das Parlament ist besser, als es sich darstellt. Mein Appell ist: Gebt Leine! ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf auch noch zur Debatte reden. Ich habe ja vorhin den Antrag begründet. Herr Lammert, auch ich spreche hier lieber vom Saalmikrophon aus. Ich habe aber eine gewisse Scheu, selbst einer leeren Regierungsbank den Rükken zuzukehren. ({0}) Ich habe das Gefühl - Frau Schilling hat das gerade gesagt, und ich möchte das doch noch einmal aufnehmen -, daß wir hier stellvertretend für die Kolleginnen und Kollegen, die nicht da sein können oder nicht da sein wollen, eine ganze Menge für die innere Hygiene unserer Zusammenarbeit und unseres Selbstverständnisses getan haben. Ich möchte anregen, daß man so eine Debatte einmal in einem kleinen Heftchen zusammenfaßt und Besuchern gibt, damit sie merken, daß es hier auch eine Menge Nachdenklichkeit und sehr viel mehr Verbindung zwischen uns gibt, als man das bei den normalen Schlagabtauschdebatten erfährt. Ich möchte auf ein paar Dinge eingehen. Herr Kollege Bohl - - Wo ist der denn? ({1}) Ich bin ja sehr glücklich, daß es mir gelungen ist, dem verehrten Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU hier erwidern zu können; denn die Geschäftsführer haben sich zu dieser seltsamen Initiative ja immer sehr bedeckt gehalten. Daß wir das überwunden haben, ist schön. Ich möchte nur etwas aus der Welt schaffen, damit sich das nicht irgendwo einnistet. Von einer Totalrevision der Geschäftsordnung kann nicht und soll nicht - das könnten wir ja auch gar nicht schaffen - die Rede sein, sondern unser Widerstand richtet sich gegen kosmetische Kleinkorrekturen: einmal hier so ein ganz kleines bißchen Zugeständnis machen und einmal dort. Nein, das, was wir machen müssen, muß sich an den Fragen orientieren - das ist erst einmal zu klären - , erstens: Wie wollen wir das Gewicht des Parlamentes stärken?, zweitens: Wie wollen wir Stil und Umgang miteinander verbessern? und drittens: Wie wollen wir die Entfremdung zum Bürger abbauen? Das sind doch die drei Orientierungspunkte. Das könnte am Schluß tatsächlich eine Reform sein, die diesen Namen verdient. Auf kosmetische kleine Korrekturen lassen wir uns nicht noch einmal ein. Sie haben gesagt, wir hätten einen gewaltigen Schritt nach vorn getan. Das mag ja für unsere Mitarbeiter finanziell so sein. In der Sache aber haben wir doch gewaltige Schritte zurück getan. Liebe Kollegen, daß wir uns hier in einer Kabinettsberichterstattung gefallen lassen, daß der offizielle Vertreter des Kabinetts nur dazu redet, was mit dem Führerschein auf Dr. Hamm-Brücher Probe passieren soll, während im Kabinett über Sanktionen gegen Südafrika gesprochen wurde, das ist eine Demütigung und Erniedrigung der Volksvertretung. ({2}) Ich habe bis heute noch nicht verkraftet, warum wir dann gleich sagen: Also machen wir es nicht; statt daß wir sagen: Machen wir es, und lassen wir uns das nicht bieten. In England muß die Premierministerin jede Woche ins Parlament und Rede und Antwort stehen, ebenfalls jeder Minister. Die Fragen müssen bis zwei Stunden vor der Fragestunde nur mit Thema angegeben werden, während wir eine Woche vorher unsere Fragen wortwörtlich, und oft noch von der Verwaltung korrigiert, stellen müssen. ({3}) Lassen wir uns das doch nicht gefallen! Das ist so ein Stück Selbstbewußtsein, Herr Kollege Bohl, das wir über die Grenzen der Fraktionen hinweg und auch über die notwendige Ordnung hinaus, für die Sie natürlich eintreten müssen, haben sollten. Das aber müssen wir uns doch zugestehen, sonst können wir mit der ganzen Geschichte überhaupt gleich aufhören. Frau Vollmer hat hier etwas über die Ohnmacht der Opposition gesagt. Da ich selber 22 Jahre teilweise Fraktionsführerin im Bayerischen Landtag gegen eine übermächtige Regierungs-CSU gewesen bin: Ich kann ihr das nachfühlen. ({4}) Darum setze ich mich - wer auch immer in der Opposition sitzt - dafür ein. Ich wollte Ihnen einmal sagen: Ich habe einige Freunde in der CDU/CSU, die heute noch zu mir kommen und sagen: Frau Kollegin, ich werde nie vergessen, wie Sie dort saßen, wie gut Sie uns bedient haben im Gegensatz zu den anderen. Dafür bin ich ihnen dankbar. Darüber freue ich mich dann. Ich sage Ihnen mal, Kolleginnen und Kollegen: In England bestimmt die Opposition jede Woche einen ganzen Tag die Tagesordnung. Sie müssen sich das mal vorstellen. Das ist eben die Opposition Ihrer Majestät, und als solche versteht sie sich. Dahin müßten wir auch mal kommen. ({5}) Ich will noch etwas zur Fragestunde sagen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Nein, Frau Kollegin, Sie sollten kein neues Thema mehr anfangen.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich sollte kein neues Thema mehr anfangen. - Ich will nur einmal sagen: Auch ich bin nicht für wechselnde Mehrheiten bei wichtigen, vereinbarten Entscheidungen der Koalition. Das ist richtig. Aber warum kann man nicht einmal dann, wenn wir gar keine Vorlagen haben, einem Kollegen von der Opposition Beifall klatschen? Ich merke immer, wie die Köpfe herumgerissen werden, wenn ich da mal klatsche. Aber wir müssen doch lernen, das zu tun, weil doch auch der andere mal etwas Vernünftiges sagt. ({0}) - Das gilt umgekehrt ganz genauso; das muß ich auch sagen - deshalb bitte ich Sie ganz herzlich: Lokkern wir diese Rituale, damit man auch mal sagen kann: Überlegen wir es uns doch mal! Dann können auch mal ein paar anders stimmen. Deshalb geht weder die Welt unter, noch platzt die Regierung, sondern es wäre im Gegenteil ein gutes Zeichen, wenn wir in unseren Fraktionen auch akzeptierten, daß es andere Meinungen gibt und diese anderen Meinungen auch zum Ausdruck kommen. Wenn wir damit in den nächsten zwei Jahren bis zu unserem 40. Geburtstag ein Stückchen weitergekommen sind, haben wir wirklich etwas für das Ansehen der repräsentativen Demokratie getan. ({1}) Es blinkt, und ich ende. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich mußte das heute schon mal sagen: Sie hatten einen großzügigen Präsidenten. ({0}) Jetzt kommt der Abgeordnete Müller ({1}).

Albrecht Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001543, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte nichts Grundsätzliches sagen, sondern zwei praktische Vorschläge machen. Zu dem einen bin ich durch den Kollegen Schwarz animiert worden. Diesen Vorschlag will ich vorziehen. Als ich im Februar hier anfing, habe ich mich für das PARLAKOM-System gemeldet, weil ich es für dringend notwendig halte, daß ein Abgeordneter die besten Möglichkeiten der Kommunikation mit seinem Wahlkreis, aber auch mit anderen Institutionen und Menschen hat. Bisher hatte ich damit keinen Erfolg. Ich höre, daß das noch dauern soll. Deshalb schlage ich dringlich vor, daß wir alle zusammen die Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuß zwingen, schon im Etat 1988 für alle Abgeordneten dieses System der elektronischen Datenverarbeitung und der Kommunikation mit den Wahlkreisen vorzusehen. ({0}) Hier haben wir ein gutes Beispiel, daß manche gleicher sind als andere. Das sind die, die am Test beteiligt sind. Auch welche, die im Haushaltsausschuß sind, sollen, wie ich höre, demnächst gleicher sein als andere. ({1}) - Gut. Müller ({2}) Es ist völlig klar, daß ein Unternehmen, das vor der Frage steht, ob es so etwas einführt, nicht darauf angewiesen ist, einen großen Test zu machen. Es kann und wird die Entscheidung mit Hilfe einer Expertengruppe absichern. Der Bedarf ist klar. Die technischen Möglichkeiten sind klar. Dann muß es doch auch möglich sein, ohne große Wartezeit im Jahre 1988, möglichst am Anfang des Jahres zu entscheiden und die Entscheidung zu vollziehen. Das ist der erste praktische Vorschlag. Wenn man das System hat, hat man auch mehr Zeit, im Plenum zu sein. Insofern gibt es einen Zusammenhang mit dem, was hier gesagt worden ist. ({3}) - Das glaube ich wirklich, ja. ({4}) - Hier geht es nicht um das Gute, sondern einfach um technische Möglichkeiten. Der zweite Vorschlag betrifft die Fragestunden. Jeder, der an den Fragestunden teilnimmt, ich hoffe, gleich, welcher Fraktion er angehört, nimmt häufig ein schales Gefühl mit nach Hause. Ein Kollege hat vorhin gesagt, gestern habe man sich wieder veräppelt gefühlt. Auch ernstgemeinte Fragen werden ausweichend beantwortet, zum Teil sehr herablassend. ({5}) Es mangelt da, muß man feststellen, an Waffengleichheit. Deshalb geht den Fragestunden auch jedes sportliche Element ab. Das könnten Sie nämlich haben. Ich möchte nur ganz kurz ein paar Beispiele nennen. Mein Kollege Verheugen fragte am 4. Juni danach, ob der Glückwunsch des Ministerpräsidenten Strauß an Herrn Botha in Übereinstimmung mit der Bundesregierung erfolgt sei. Und die Bundesregierung antwortete, sie arbeite mit friedlichen Mitteln auf das Ende der Apartheid hin. ({6}) Oder: Da wird die Bundesregierung am 25. Juni, übrigens von Oppositions- und Regierungsabgeordneten, gefragt, ob eine Meldung des „Spiegel" zutreffe, wonach versteckte Finanzierungshilfen für den Airbus geleistet werden. Und der Vertreter der Bundesregierung antwortet, er sei kein regelmäßiger Leser des „Spiegel". ({7}) - Darauf komme ich gleich. Gerade gestern haben wir bei der Frage nach der Symbiose der Farben der FDP und des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft ({8}) wieder erlebt, daß der zuständige Minister wirklich ein unsportliches Ausweichmanöver vollführt hat. Ich verstehe durchaus, wenn die Bundesregierung auf nicht ernst gemeinte Fragen unernst antwortet. Ich verstehe auch, daß sich die Bundesregierung weigert, auf manche Fragen zu antworten. Dann soll sie das einfach sagen. Meine Kritik zielt auf die herablassende und ausweichende Nichtbeantwortung von sachlich berechtigten Fragen. ({9}) Da gehe ich mal davon aus, daß unsere herzliche Bitte an die Bundesregierung, dies etwas ernster zu nehmen, zwar wichtig ist, aber allein nicht ausreichen wird. Deshalb mache ich einen konkreten Vorschlag, den ich in die Beratungen über den heutigen Antrag mit aufzunehmen bitte: Wenn eine Frage deutlich erkennbar nicht oder ausweichend beantwortet wird, dann hat die Präsidentin bzw. der Präsident in der Sitzung das Recht und die Pflicht, zu erklären: Die Frage des Abgeordneten X ist nach meiner Einschätzung nicht beantwortet. ({10}) Wenn man sich in den weiteren Beratungen im Ältestenrat darauf nicht einigen kann, könnte man die Sache vielleicht hilfsweise wenigstens so regeln, daß der betroffene Fragesteller die Möglichkeit bekommt, der ganzen Runde einen kommentierenden Satz anzufügen. Mir kommt es bei diesem Vorschlag nicht auf die tatsächliche Nutzung einer solchen Regelung an. Wichtig ist allein die Sanktion, wichtig ist, daß über dem, der so flapsig antwortet, wie das so häufig geschieht, das Schwert hängt, daß im Protokoll steht, daß er die Frage nicht beantwortet hat. Vielen Dank. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Garbe.

Charlotte Garbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000635, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kollegin Frau Hartenstein hat mir voll aus dem Herzen gesprochen, und es paßt zu dem einzigen Punkt, den ich hier erwähnen möchte, den ich für den wichtigsten der ganzen Parlamentsreform halte, nämlich der freien Gewissensentscheidung. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn man als Bürgerinitiativlerin so ganz plötzlich, möchte ich mal sagen, in ein Parlament hineinschlüpft, wie es mir ergangen ist, dann kommt erst mal das große Erstaunen und so manches Aha-Erlebnis. Dem Staunen folgt die Verwirrung und dann eine ganz schöne Portion Wut. Gestaunt habe ich, was meine politischen Kontrahenten so alles wußten und was sie dann in meinem Tätigkeitsbereich, im Umweltschutz, aber nicht taten, was dem Erkenntnisstand entsprechend aber getan werden mußte. Die Wut kam dann bei der Feststellung, daß das eigene Gewissen, dem jedes Mitglied eines Parlaments zu folgen hat, auf der Strecke geblieben ist, irgendwie an der Garderobe abgegeben wurde. Meine Herren und Damen, Land und Leuten mit allem, was da kreucht und fleucht, würde es besser ergangen sein und ergehen, die Parlamente würden sehr viel attraktiver - wir haben das ja heute morgen schon ein paarmal gehört - , die Demokratie würde sehr viel transparenter, und die Bürgerinnen und Bürger draußen im Lande könnten alles sehr gut nachvollziehen, was hier passiert, wenn der Satz aus § 13 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages in voller Gänze befolgt würde: Jedes Mitglied des Bundestages folgt bei Reden, Handlungen, Abstimmungen und Wahlen seiner Überzeugung und seinem Gewissen. Dieser Satz ist ja infolge der Sisyphusarbeit der Adhoc-Kommission „Parlamentsreform" als Ergänzung in die Geschäftsordnung aufgenommen worden. Ich möchte es eigentlich in den drei Jahren, die ich hier noch im Bundestag sein werde, einmal erleben, daß man der freien Gewissensentscheidung nachkommt. ({0}) Das wünsche ich mir. Weil ich dieser ganzen Sache aber nicht so ganz traue, werde ich in der Parlamentsreformarbeit in der Hoffnung weitermachen, daß dann auch einmal danach gehandelt wird. Danke schön. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Adler.

Brigitte Adler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000010, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer Debatte wie dieser zum Selbstverständnis des Parlamentes sollte die kritische Reflexion der Arbeit im Vordergrund stehen. Das Hohe Haus ist der Souverän und somit in der Lage, Abhilfe zu schaffen und Notwendigkeiten, die erkannt wurden, selbst zu regeln. Dies setzt voraus, daß Einigkeit über die Fraktionen hinweg erzielt werden kann. Aber da stößt man/frau bereits auf Probleme. Die Interessenlage der Regierungsfraktionen auf der einen Seite und Forderungen der Opposition auf der anderen Seite lassen so manches Wünschenswerte nicht konsensfähig sein. Bedacht werden sollte nur, daß sich die Rollen auch hier wieder vertauschen werden und sich somit die Interessenlage verändert. Aus diesem Grunde fordere ich die Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen auf, sich sehr sorgfältig zu befragen, ob nicht die hier in der Debatte gestellten Forderungen letztlich auch in ihrem Interesse sind. ({0}) Denn trifft es überhaupt zu, daß die klassische Gewaltenteilung in Judikative, Legislative und Exekutive noch so gültig ist? ({1}) Wer dies glaubt, übersieht die bestehende Realität in unserem parlamentarischen System. Die Judikative bleibt eine wichtige und unabhängige Säule unserer Demokratie; Exekutive und Legislative aber sind verwoben. Die Regierungsfraktionen stellen die Exekutive und sind der bestimmende Teil in der Legislative. Die Rolle der Fraktionen wird dadurch bestimmt. Der parlamentarischen Opposition kommt deshalb entsprechendes Gewicht durch das Kontrollrecht zu. Aus dieser Sicht heraus bestimmen sich die Forderungen der Abgeordneten. Die Grundgesetzartikel 21 und 38, die immer wieder angeführt werden, sind nicht das Hauptproblem. Das genannte und sicher auch bestehende Spannungsverhältnis halte ich für notwendig und für gut. Für das Binnenverhältnis in der Fraktion kann sich daraus etwas ableiten. Der demokratische Meinungsbildungsprozeß in der Fraktion ist bei demokratischen Parteien und Fraktionen doch gegeben. Was aber ist die Aufgabe des Parlamentes? Wie vollzieht sich hier die Meinungs- und Willensbildung? Welche Stellung hat die Abgeordnete/der Abgeordnete? Alle Abgeordneten haben die gleichen Rechte, heißt es. Haben sie auch die gleichen Informationen, um zu einem Urteil zu finden, das die Abstimmung in der Sache ermöglicht? Meine Kolleginnen und Kollegen haben dazu schon eine Reihe von Vorschlägen hier vorgetragen, z. B. hinsichtlich der Veränderung im Rederecht, Fragestunde, Kabinettsberichterstattung und anderem. Ich will mich zur Frage der Information und Unterrichtung äußern. Die Mittel, die ich als Abgeordnete habe, sind der Brief, das Gespräch, schriftliche und mündliche Fragen, Kleine Anfragen und Anträge. Wie aber sieht die Beantwortung dazu aus? Aus meiner Sicht dürftig. Hier wird unterschieden zwischen oppositionellen Anfragen und bestellten Anfragen aus den eigenen Reihen. Dies ist eine Mißachtung der Rechte eines jeden Abgeordneten. Ich werde den Präsidenten des Bundestages in Zukunft immer davon unterrichten, wenn Briefe und Anfragen von der Regierung nicht korrekt und umfassend beantwortet werden. Die Stellung der Regierung in der Geschäftsordnung des Parlamentes, aber auch in der Verfassung gegenüber dem Parlament muß neu überdacht werden. Sie muß Rechenschaft ablegen, aber in einer Weise, die das Parlament bestimmt, z. B. in den Redezeiten und der Unterrichtungspflicht selbst. Es kann nicht angehen, daß sich nach der Konstituierung des Parlamentes und der Wahl des Bundeskanzlers die Regierung ein Parlament hält. Die Rechte der Abgeordneten dürfen sich nicht in Höflichkeiten erschöpfen. Sie müssen sich in der personellen und technischen Ausstattung auch seines Stabes widerspiegeln. Da zu sparen heißt, seine physische Kapazität ständig zu überlasten. Das kann von den Mächtigen so ge1900 wollt sein, aber wir als Souverän können dies ändern. Helfen Sie bitte alle mit! ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Jetzt kommt der Abgeordnete Dr. Pick.

Prof. Dr. Eckhart Pick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001715, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da sich jeder rechtfertigen muß, der an dieses Pult tritt, will ich das mit der Begründung tun, daß ich mich einfach dafür interessiere, wie man hier steht. Ich stehe also zum erstenmal in diesem Hohen Hause an dieser Stelle. ({0}) Ich möchte zunächst einmal um Verständnis bitten, wenn alte Hasen oder alte Häsinnen ({1}) dieses Parlament mit einem gewissen Augenaufschlag gen Himmel diese erneute Debatte, wenn überhaupt, verfolgen. Aber ich glaube, es ist einfach notwendig, daß auch wir Neuankömmlinge uns Gedanken machen, wie die Arbeit hier weitergehen soll. Ich denke, daß der Grundsatz 1 der Verwaltung - Herr Schwarz, Sie als ehemaliger Innenminister kennen ihn besonders gut - , „Das haben wir schon immer so gemacht", allen Bestrebungen entgegensteht. Ich will ein paar Bemerkungen, die im Laufe dieser Debatte gemacht worden sind, aufnehmen. Zunächst einmal finde ich es typisch, daß die Selbstverständnisdebatte zu dieser Zeit angesetzt ist. Denn im Grunde ist sie so wichtig, daß sie eigentlich an den Anfang eines Sitzungstages gehört hätte. ({2}) Insofern ist es nicht verwunderlich, daß nur noch eine relativ geringe Anzahl von Kolleginnen und Kollegen der Debatte folgt. ({3}) Auch das, meine ich, hat etwas mit dem Selbstverständnis des Parlaments zu tun. Ich möchte mit einem Vorschlag beginnen, der heute morgen gemacht worden ist, der als Gedanke in dem Raum gestellt worden ist, nämlich: Entlastung des Parlaments. Natürlich ist man etwas verzweifelt, wenn man sich die bunte Tagesordnung des Plenums anschaut. Sie kommt daher wie zusammengewürfelt und entbehrt halt einer Logik. Ich denke, daß es unsere Aufgabe sein könnte, die Tagesordnungen etwas nach sachlichen Gesichtspunkten zu strukturieren. Entlastung heißt, das Parlament soll sich auf die wesentlichen Aufgaben beschränken, was vom Prinzip her sicher ein guter Vorschlag ist. Wenn er aber darauf hinausläuft, daß sich das Parlament nicht nur selbst entlastet, sondern möglicherweise auch seiner Aufgaben enthebt, dann ist dieser Vorschlag nicht so gut. Ich denke an einen Vorschlag, der gemacht worden ist: daß man die Bundesregierung und die anderen Formen der Exekutive ermächtigen könnte, durch Rechtsverordnung im Sinne des Gesetzgebers tätig zu werden. Sie wissen, daß in Art. 80 des Grundgesetzes die Vorschrift enthalten ist, daß das Parlament die Regierung oder Minister ermächtigen kann, im Sinne eines Gesetzes, wenn auch nach Inhalt, Zweck und Umfang festgelegt, entsprechende Rechtsverordnungen zu erlassen. Nun dient das meistens nicht dem Bürger, weil er dann immer vor der Frage steht, ob eine Rechtsverordnung auch im Sinne der Ermächtigungsnorm ist. Das heißt, die Rechtsunsicherheit und die Nachprüfbarkeit durch die Gerichte wären sicher ein Problem. Wenn nun vorgeschlagen wird, daß man sich darauf beschränken sollte, die Ermächtigung nur insoweit vorzugeben, als man sagt, daß die Zielsetzung des Gesetzes durch Rechtsverordnung ausgeführt werden könnte, dann habe ich mit diesem Vorschlag besondere Probleme. Denn Art. 80 ist ja nicht zufällig in unsere Verfassung hineingeraten, sondern er ist die Antwort auf eine unglückliche Entwicklung in der Weimarer Republik und auf die Pervertierung des Verordnungsrechts während der nationalsozialistischen Zeit. Das heißt, die Väter oder die Mütter des Grundgesetzes haben sich sehr wohl überlegt, warum sie die Ermächtigung an ganz bestimmte Voraussetzungen gebunden haben. Ich halte das für wichtig. ({4}) Es ist vorhin gesagt worden, daß das Bild dieses Parlaments in den Medien zu wünschen übriglasse. Wenn ich mir die Debatte von heute morgen noch einmal vor Augen führe, dann muß ich doch sagen, daß mir ein gewisser Widerspruch aufgefallen ist: Es wurden sehr häufig hehre Grundsätze beschworen: Freiheit der Presse, der Information. Es wurde gesagt, der Angeklagte oder der Beschuldigte habe die Unschuldsvermutung für sich. Das sind alles gute und vor allen Dingen auch beherzigenswerte Gedanken. Nur, man sollte sich dann auch entsprechend daran halten, wenn man hier seine Rede vorträgt, ({5}) und auch entsprechend diesem Grundsatz verfahren. Ich meine, dieses Parlament trägt selber dazu bei, wie sein Bild in der Öffentlichkeit aussieht. ({6}) Wir dürfen das nicht nur der Presse überlassen, je nachdem, ob sie uns gefällt oder nicht. Unsere Aufgabe ist es, hier für ein besseres Bild in der Öffentlichkeit zu sorgen. Das hat etwas mit der Qualität von Beiträgen und auch mit der Qualität des Umgangs miteinander zu tun. Vielen Dank. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Schwarz.

Heinz Schwarz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002125, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, um doch noch eine Bemerkung zur Frau Kollegin Garbe zu machen. Ich habe gespürt, daß sie bei ihrem Beitrag sehr engagiert war. Nur, ich finde, wir können es hier nicht so stehen lassen, daß gesagt wird, daß die Abgeordneten des Deutschen Bundestages ihr Gewissen an der Garderobe abgeben. ({0}) Wissen Sie, wenn man sein eigenes Gewissen zum Maßstab für das Gewissen des anderen nimmt, dann ist man irgendwie schon auf dem falschen Dampfer. Ich habe in diesem Parlament Debatten erlebt, etwa als es um Fragen des Strafvollzugs, der Fahndung oder der Verjährung bei Mord ging, in denen dieses Parlament - das waren ja nun wirklich Fragen, die an die Substanz gingen - gerungen hat. Auch in den Fraktionen ist damals wirklich gerungen worden. Wer das nachliest, weiß, daß die Abstimmungen nicht gesondert nach Fraktionen 'erfolgten. Nur, ich kann natürlich jede Sachfrage zur Gewissensfrage erklären und sagen: Wer sich nicht so entscheidet, wie ich mich entscheide, handelt nicht nach seinem Gewissen. Ich meine, daß dies am Schluß einer fraktionsübergreifenden Debatte so nicht stehen bleiben konnte. Ich finde, wir sollten unser eigenes Gewissen nicht zum Maßstab für das Gewissen des Kollegen machen. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Martiny.

Dr. Anke Riedel-Martiny (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001428, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin in der außergewöhnlichen Situation, einen Vorfahren zitieren zu können. Der Bruder meines Urgroßvaters, Carl-Friedrich Martiny, war Mitglied des Paulskirchen-Parlaments. ({0}) Er war 28 Jahre alt und Bezirksrichter aus der Provinz Westpreußen. Er verabschiedete sich aus dem Parlament nach eineinhalbjähriger Zugehörigkeit mit einer Rede, die er zu Protokoll gab. Ich möchte aus dieser Rede gern zwei Zitate bringen. Das erste: Die Nationalversammlung ist mit ihrer Regentschaft ein Bleigewicht für die Bewegung; - das war die parlamentarische sie ist auch, da sie ihrer Natur nach nur auf die Durchführung der Reichsverfassung angewiesen ist und zufolge ihrer bisherigen Geschichte und jetzigen Absichten, contrerevolutionär und deshalb unfähig, den Zentralpunkt der allgemeinen deutschen Revolution zu bilden. Er war ein Linker. Wir wollen ja nun heute keine Parlamentsrevolution anzetteln, sondern es geht uns darum, das Parlament als Institution in unserem Rechtsstaat zu reformieren und uns auf die Widerstände zu besinnen, denen wir heute ausgesetzt sind. Und das sind natürlich nicht Könige, Fürsten und der Adel, sondern das ist zunächst einmal die allmächtige Bürokratie, die sich in der Exekutive - gleich Regierung - manifestiert und die uns als Parlament so unendlich überlegen ist. Aber es ist natürlich auch die Verfestigung der Parteistrukturen, die wir zu beklagen haben, die nämlich zu dem Parlament führt, wie wir es jetzt hier haben. Ich folge trotzdem Herrn Häfner nicht, der vor ein paar Monaten bei der Debatte über die Doppel-NullLösung, die er kritisierte - und daran gab es viel zu kritisieren - , gesagt hat, daß wir als Parlament ein „politisch, geistig und moralisch weitgehend verkommenes Organ" seien. Dies halte ich für eine Kritik aus der falschen Ecke. Und die Debatte heute widerlegt das eigentlich: Wir sind kein verkommenes Organ, ({1}) sondern wir besinnen uns darauf, was wir selbst dazu tun können, um unsere Situation zu verbessern. Schwierig ist sie. Ich zitiere nicht Goethe, sondern Schiller. Es ist auch kein hervorragendes Stück Dichtung, das ich zitiere, so wie der Kollege Feldmann, der jetzt nicht mehr da ist, der wirklich eines der bemerkenswertesten Goethe-Gedichte aus der Spätzeit zitiert hat. Schiller schrieb in einem Gedicht, das bezeichnenderweise „Männerwürde" heißt: „Wie Wein von einem Chemicus durch die Retort' getrieben, zum Teufel ist der Spiritus; das Phlegma ist geblieben. " Dies ist die Situation, mit der wir uns als Parlamentarier hier wohl herumzuschlagen haben: mit diesem verflixten Phlegma, das sich da in den Institutionen verfestigt hat. Und nun soll mir die männliche Übermacht das verzeihen, was ich jetzt sage. Es ist nämlich etwas Feministisches. Ich sehe nur ein einziges gesellschaftlich weitgehend ungenutztes Potential zur Verlebendigung der Öffentlichkeit. Das sind die Frauen. Ich bin daher eine vehemente Verfechterin, daß man mit Quotierung und einer gleichberechtigten Mitwirkung der Frauen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens endlich ernst macht. Ihr wäret überrascht, liebe Kollegen männlichen Geschlechts, wie lebendig das Parlament dann werden könnte, ({2}) weil es nämlich durchaus nützlich sein kann, Lebenserfahrungen einzubringen, von denen die Männer immer bloß reden, ohne sie zu haben, und von denen Frauen eine ganze Menge hier einbringen könnten. Von einem Schuß Chaos hat Frau Vollmer gesprochen. Ich würde eher vom gesunden Menschenverstand sprechen. Der ist vielleicht manchmal chaotisch. Aber jedenfalls ist er nicht so abgehoben wie alles, was wir hier vollbringen. ({3}) Und jetzt zitiere ich meinen Urgroßonkel noch einmal. Er wurde bei seiner Abschiedsrede, die er zu Protokoll gab, dann auch noch sehr moralisch und ethisch: Aber freilich, man bekommt keine hohe Meinung von Moral und Sittlichkeit, wenn man immer nur von politischer Notwendigkeit sprechen hört, während es doch nur eine moralische Notwendigkeit geben kann: überall das Rechte zu tun. Vielen Dank. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Jetzt kommt der Abgeordnete Bohl.

Friedrich Bohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000230, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nur ein paar Bemerkungen zu Punkten machen, die hier in der Debatte angesprochen wurden. Der eine Punkt betrifft die Kabinettsberichterstattung. Auch ich bin nicht darüber glücklich gewesen, wie das hier damals gelaufen ist. Aber ich finde, man sollte gerecht sein und die Entstehungsgeschichte zumindest ganz kurz darstellen. Es ist bei uns ja nicht so wie im englischen Parlament und möglicherweise auch in anderen Parlamenten, sondern bei uns ist die Regierung sozusagen freiwillig - wenn ich den Begriff jetzt einmal wählen darf - bereit gewesen, diese Kabinettsberichterstattung zu machen. Es gibt ja keine Verpflichtung zur Kabinettsberichterstattung im Bundestag, jedenfalls nicht in der Form, in der sie von Ihnen gewünscht wird. Es hat diese Vereinbarung gegeben. Bei dieser Vereinbarung haben wir festgelegt, daß es im Ermessen der Bundesregierung steht, über welchen Tagesordnungspunkt; der im Kabinett behandelt wurde, sie im Plenum berichten will. Es mag ein Fehler gewesen sein, daß wir uns darauf eingelassen haben. Sie haben natürlich völlig recht: Der Führerschein auf Probe, so interessant er sein mag, wird natürlich vom Thema Südafrika oder einem anderen vom Kabinett an diesem Tag diskutierten Thema völlig erschlagen. Aber es wäre ungerecht - deshalb sage ich das -, dies nun auf die Regierung abzuschieben, sondern das war dann unser Unvermögen oder Nichtüberblicken des Sachverhalts in der Ad-hoc-Kommission. Vielleicht wird der neue Anlauf, den wir machen, die Sache beleben. Ich bin Ihrer Meinung, daß es da gute Vorbilder aus dem englischen Parlamentarismus gibt. ({0}) Es geht darum, daß der Schlagabtausch nach der Kabinettssitzung hier und nicht drüben in der Bundespressekonferenz stattfindet, und darum, daß wir nicht darauf beschränkt sind, das Ganze abends im Fernseher zu sehen. Der Ort dafür ist sicher der Bundestag. Die zweite Anmerkung betrifft PARLACOM. Da widerspreche ich Ihnen insofern, als wir einen Modellversuch durchführen, der ja erst irgendwann einmal zum Abschluß kommen muß. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, ist dafür das Jahr 1988 vorgesehen. Dann müßte man das Ergebnis auswerten. Erst dann kann man im Grund genommen entscheiden, ob das flächendeckend für alle Abgeordneten gemacht wird.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller ({0})?

Friedrich Bohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000230, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sofort, Herr Präsident. - Ich sage nur: Unsere Fraktion hat sich in der Lage gesehen, mit ihren Bordmitteln soweit zu kommen, daß alle Abgeordneten zumindest so ausgestattet sind, daß der höchste Bedarf an Textverarbeitung erfüllt werden konnte. Deshalb will ich mich Ihrem Urteil da nicht unbedingt anschließen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte schön, Herr Müller.

Albrecht Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001543, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, würden Sie mir recht geben, daß eine ganze Reihe anderer Institutionen ohne diesen Umweg eines Tests auskommt, weil es Fachleute genug gibt, die bei dem doch sehr offenliegenden Bedarf und der Technik klar sagen können, welches der beste Weg ist?

Friedrich Bohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000230, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir können die Debatte hierüber sicherlich nicht ausführlich betreiben. Ich kann nur sagen: Ich bin jemand, der drängt. Ich habe mit dafür gesorgt, daß mehr Mittel zur Verfügung gestellt wurden. Ich will hier jetzt keine Schärfe hineinbringen, sicherlich ist es aber objektiv richtig, daß von Ihrer Fraktion bisher die Dinge etwas zurückhaltend behandelt wurden. Als letzten Punkt möchte ich auf folgendes hinweisen, weil es mich drängt, es hier zu sagen: Man muß natürlich - wenn man auf der einen Seite danach ruft, daß wir hier sozusagen das Zentrum der Debatte sein sollen - auch eine gewisse Selbstbeschränkung vornehmen. Nichts gegen Petitionen - die sind für den Betroffenen wichtig, es gibt sicher auch einmal die eine oder andere Petition, die man hier im Plenum diskutieren muß, das ist völlig richtig - , aber es ist natürlich schlecht, wenn Sie am Donnerstagabend um 20 Uhr kommen und über vier Petitionen - bei jeweils einer 5-Minuten-Runde sind das zwei Stunden - eine Aussprache wünschen. Daß dann die Kollegen hier nicht zusammenströmen, ist wohl auch richtig. Es ist nicht gut, wenn wir eine Inflation der Aktuellen Stunden haben. Es ist auch nicht gut, wenn neben einer Debatte hier mehr Ausschüsse, mehr Unterausschüsse, mehr Enquete-Kommissionen und mehr Untersuchungsausschüsse verlangt werden - das ist doch die politische Wirklichkeit. Das werden mir die Parlamentarischen Geschäftsführer bestätigen. Dadurch atomisieren wir natürlich unser Geschehen hier und tragen dafür Verantwortung. Insbesondere die Fraktion, die von Ihnen, Herr Kleinert, repräsentiert wird, ist daran nicht ganz unschuldig. Nur sollten Sie dann auf der anderen Seite nicht gegen Ihr eigenes Handeln die Dinge hier anmahnen und fordern. ({0}) Ich wollte aus meiner Sicht als Schlußfolgerung aus dieser Debatte ziehen: Wir sollten die Atomisierung nicht vorantreiben, und Sie sollten etwas mehr Selbstbeschränkung betreiben. Das würde auch dem Parlament sehr gut bekommen. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Knabe.

Dr. Wilhelm Knabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren! Die spontane Debatte lebt davon, daß man auf die Vorredner eingeht. Zu drei Punkten wollte ich noch etwas ergänzen: Frau Martiny sagte, die Frauen müßten mehr zu Wort kommen. Mein Vorschlag wäre - ähnlich, wie es in unseren Fraktionssitzungen läuft - , ein Reißverschlußsystem einzuführen, daß also immer abwechselnd ein Mann und dann eine Frau spricht. Das wäre vielleicht einmal zu probieren; dazu müßten Sie allerdings mehr Frauen in das Parlament wählen. Der zweite Punkt: Herr Lamers hat eine ganze Reihe konstruktiver Vorschläge gemacht, die nachdenkenswert sind. Ich werde das noch einmal nachlesen und überlegen, was das für unsere Parlamentsreform bedeutet. Herr Irmer hat gesagt, er wolle mehr Sitzungswochen haben. Ich glaube, mehr Sitzungswochen bringen nichts, sondern man braucht Präsenzwochen, in denen all die vielen Veranstaltungen laufen können - z. B. bestimmte Ausschüsse, Enquete-Kommissionen oder andere Veranstaltungen -., die sonst parallel zu den Sitzungen stattfinden. Dazu gehören auch die ganzen Einladungen, die wir in Massen zugeschickt bekommen. All das müßte - mindestens zum Teil - aus den Sitzungswochen herausgezogen werden, dann hätten wir hier mehr Zeit zuzuhören. Das Zuhören lohnt sich dann, wenn man dazu auch etwas sagen kann. Wie es heute hier ablief, fand ich sehr erfreulich. Von allen habe ich etwas mitgenommen. Danke. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Als letzter Redner in unserer Debatte folgt der Abgeordnete Bindig.

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einen Punkt aus unserem organisatorischen Umfeld aufgreifen, unter dem wir hier im Parlament zu arbeiten haben, nämlich die Arbeits- und Leistungsfähigkeit sowie die Serviceleistungen der Bundestagsverwaltung. Zunächst etwas zu den Serviceleistungen: Es ist so, daß die meisten Prozesse der Willensbildung und der Unterstützung der Initiativen hier auf die Fraktionen zukanalisiert sind. Wer etwas überfraktionelles machen will, erhält kaum Unterstützung von der Bundestagsverwaltung. Man sieht das gerade an dieser Parlamentarierinitiative, die wir hier entwickelt haben: Die Serviceleistungen muß das arme Büro von Frau Dr. Hamm-Brücher im wesentlichen selber durchführen. Es gibt keine Institution, die so etwas für den einzelnen Abgeordneten tut. Es gibt eine Reihe von Themen, die sinnvoll überfraktionell behandelt werden könnten. Nehmen wir einmal folgendes Thema: Der Weltflüchtlingskommissar wendet sich an einige Abgeordnete dieses Hauses mit einer Forderung, von der er meint, das deutsche Parlament sollte angesprochen werden. Dann hat es ein einzelner Abgeordneter, der allen ein bestimmtes Anliegen den anderen Mitgliedern des Hauses mitteilen will, sehr, sehr schwer, wenn er das auch organisationstechnisch umsetzen will. Ein zweiter Punkt ist die Umsetzung von Beschlüssen, die dieses Haus hier gefällt hat. Wir haben im Parlament zwei, drei Jahre lang sehr sorgfältig überlegt, ob wir ein zusätzliches Gremium einrichten sollten, welches sich mit der Situation der Menschenrechte beschäftigt. Es ist dann schließlich durch einen Beschluß dieses Parlaments zustande gekommen. Das war eine wichtige Entscheidung. Wer glaubt, nun sei man arbeitsfähig und könne diese Aufgabe im Parlament erfüllen, der hat nicht daran gedacht, daß der eigentliche Kampf mit dem Bürokratiedrachen jetzt erst beginnt. Ein solches Gremium braucht natürlich auch einen gewissen Apparat, eine gewisse Unterstützung, um tätig sein zu können, aber da geschieht wenig. Wenn man eine personelle Unterstützung haben will, gibt es einen total überlasteten Oberamtsrat, auf dessen Rücken das alles ausgetragen wird. Es gibt dann eine Vielzahl von Briefen und Telefonaten, die die einfachsten technischen Fragen regeln, um solch ein Gremium arbeitsfähig zu machen. Man kann einem Außenstehenden gar nicht klarmachen, über welch lächerliche Dinge man in mehreren Anläufen streiten muß: Es gibt da z. B. ein wichtiges Papier, das wir haben wollen; es soll sechs lächerliche Dollar kosten. Aus diesem Grunde ist das nicht machbar, weil man nicht weiß, wie man das haushaltsmäßig unterbringen soll. Wenn man dieses Geld dann gar selber zahlen möchte, dann würde man noch größere Probleme schaffen, z. B. das, wie die Einnahme verbucht werden soll. Es ist dringend erforderlich, daß sich die Bundestagsverwaltung auch noch mehr Gedanken darüber macht, wie sie die Beschlüsse dieses Hauses - was die Arbeitsfähigkeit des Parlaments angeht - umsetzen und ihre Serviceleistungen verbessern kann. Auch die zähe Umsetzung mancher Beschlüsse zur technischen Verbesserung, die hier gefaßt worden sind, läßt sehr zu wünschen übrig. Deshalb mein Appell an die Bundestagsverwaltung, dringend zu überprüfen, ob nicht auch sie in sich einiges klären muß. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache, da keine weiteren Redner auf der Rednerliste stehen. Ich würde gern eine Anmerkung in dem Sinn machen, daß es mehrere Kritiken an unserer Verwaltung gegeben hat. Das bedeutet eigentlich auch, daß dann, wenn wir nun Beschlüsse umsetzen, auch die Verwaltung hören müssen, nicht nur die Kollegen aus der Initiative. Die Verwaltung hat manche Schwierigkeiten bei der Umsetzung. Wenn wir immer mehr Ausschüsse und Enquete-Kommissionen wollen, dann hat die Verwaltung z. B. keine Ausschußsekretäre mehr. ({0}) - Augenblick! Er tut es nur in dem Sinne, daß die Vertreter der Verwaltung, die hier nicht reden dürfen, die Möglichkeit bekommen sollten, daß sie mitsprechen können und gehört werden; um mehr geht es nicht. Zu entscheiden aber haben wir, die wir in hoher Verantwortung stehen. Vizepräsident Westphal Ich möchte mich ausdrücklich bedanken - ich glaube, ich tue das auch im Namen des Präsidenten, der vorhin hier die Sitzung geleitet hat - für diese Aussprache und für die Form, in der sie geführt worden ist. Möge sie uns gemeinsam als Vorbild dienen, auch denjenigen, die nicht mit dabeigewesen sind. Es wird vorgeschlagen, die Vorlagen an den Ältestenrat zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 7. Oktober 1987, 13 Uhr ein. Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen.