Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Sitzung und komme zunächst zu einer amtlichen Mitteilung.
Der Ältestenrat hat sich in seiner gestrigen Sitzung darauf verständigt, daß in der Sitzung des Deutschen Bundestages am 22. November 1990 keine Fragestunde und keine Aktuelle Stunde stattfinden sollen. Außerdem empfiehlt der Ältestenrat, Gesetzentwürfe und Anträge, die nach dem 23. November 1990 eingehen, in Abweichung von § 77 Abs. 1 der Geschäftsordnung grundsätzlich nicht mehr drucken zu lassen, wenn sie in der laufenden Wahlperiode nicht mehr auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzt werden. Diese Regelung gilt nicht für Große Anfragen, Kleine Anfragen, schriftliche Einzelfragen sowie sonstige Vorlagen, die nicht der Diskontinuität unterliegen.
Sind Sie mit diesen Empfehlungen des Ältestenrates einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist diese Vereinbarung beschlossen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
10. Empfehlung des Ältestenrates: Wegfall der positiven Berlin-Klausel - Drucksache 11/8387 11. Empfehlung des Ältestenrates zur Behandlung von Vorwürfen gegen Abgeordnete - Drucksache 11/8386 12. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Fortsetzung der Arbeit der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" bis zum Ende der laufenden Wahlperiode - Drucksache 11/8354 13. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Knabe, Dr, Daniels ({0}), Frau Flinner, Frau Garbe, Kreuzeder, Frau Rock, Frau Teubner, Weiss ({1}), Frau Wollny und der Fraktion DIE GRÜNEN Umfassender Schutz der Erdatmosphäre und des globalen Klimas - Drucksache 11/7872 14. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2})
zu dem Antrag der Abgeordneten Müller ({3}), Schäfer ({4}), Ganseforth, Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Ibrügger, Bachmaier, Blunck, Jung ({5}), Kiehm, Lennartz, Müller ({6}), Reschke, Reuter, Schanz, Schmitz ({7}), Schütz, Dr. Sperling, Stahl ({8}), Dr. Wernitz, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Schutz der Ozonschicht
zu dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Montrealer Protokoll vom 16. September 1987 über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung ({9}) des Rates über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen - Drucksachen 11/2939, 11/2676, 11/3093, 11/3096, 11/7499 Nr. 2.17, 11/8312 15. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({10}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung - Drucksachen 11/4166, 11/8056 16. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Die Gemeinschaft und die deutsche Einigung - Drucksache 11/8391 17. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({11}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer, Frau Beer, Dr. Lippelt ({12}), Meneses Vogl, Frau Nickels, Such und der Fraktion DIE GRÜNEN Rehabilitierung und Entschädigung der unter der NS-Herrschaft verfolgten Kriegsdienstverweigerer, Deserteure und „Wehrkraftzersetzer" - Drucksachen 11/7754,11/8389 18. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({13}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer, Kleinert ({14}) und der Fraktion DIE GRÜNEN Errichtung einer nationalen Gedenkstätte in Hadamar für die Opfer der NS- „Euthanasie"Verbrechen - Drucksachen 11/7329, 11/8390 19. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({15}) zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Situation der irakisch-kurdischen Flüchtlinge in der Türkei
zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Humanitäre Hilfsmöglichkeiten für irakisch-kurdische Flüchtlinge in der Türkei - Drucksachen 11/5228, 11/5229, 11/7875 20. Beratung des Antrags der Abgeordneten Lenzer, Lummer, Börnsen ({16}), Breuer, Susset, Jung ({17}), Fuchtel, Schemken, Müller ({18}), Krey, Dr. Blank, Nelle, Frau Dr. Hellwig, Dr. Laufs, Daweke, Rossmanith, Günther, Engelsberger, Magin, Buschbom, Clemens, Hörster, Böhm ({19}), Herkenrath, Frau Rönsch ({20}), Frau Augustin, Jäger, Neumann ({21}), Dr. Unland, Fischer ({22}), Dr. Stark ({23}) und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Feldmann, Irmer, Hoppe, Dr. Weng ({24}), Frau Folz-Steinacker, Neuhausen und der Fraktion der FDP Förderung der deutschen Sprache im Ausland - Drucksache 11/8377 21. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts18686
Präsidentin Dr. Süssmuth
ordnung ({25}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher u. a. - Drucksachen 11/6045, 11/6923 -22. Aktuelle Stunde: Die Folgen des Uranabbaus auf dem Gebiet der ehemaligen DDR
Die Punkte 24 b und c sollen abgesetzt werden. Sind Sie mit der Erweiterung bzw. Änderung der Tagesordnung einverstanden? - Das ist der Fall.
Die Abgeordneten Kleinert ({26}), Eylmann und weitere Abgeordnete haben gemäß § 20 Abs. 2 der Geschäftsordnung beantragt, die heutige Tagesordnung um die zweite und dritte Beratung der Gesetzentwürfe zum Recht der Untersuchungsausschüsse einschließlich der hiermit im Zusammenhang stehenden Änderungen der Anlagen 1 und 3 der Geschäftsordnung zu erweitern. Wird hierzu das Wort gewünscht? - Bitte schön, Herr Kleinert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir haben gerade in diesen Tagen noch sehr viele Materien geregelt, die sich mit den Angelegenheiten der Bürger in ganz unterschiedlichen Bezügen befassen. Wir haben aber nicht vorgesehen, uns mit einer Angelegenheit zu befassen, die das Haus selbst betrifft, die viele Vorsitzende und Mitglieder von Untersuchungsausschüssen dieses Hauses schon immer betroffen hat. Sie betrifft das Verfahrensrecht der Untersuchungsausschüsse.
Zu Beginn jedes Untersuchungsausschusses wird in einem solchen Ausschuß vereinbart, daß man sich im Verfahren an die IPA-Regeln halten wird. Ich bezweifle, daß alle Anwesenden wissen, was das bedeutet.
({0})
- Die das wissen, sagen das jetzt. Die das nicht wissen, melden sich nicht; da liegt doch das Problem.
Diese Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft gibt es schon gar nicht mehr. Sie hat aber in grauer Vorzeit einen Entwurf vorgelegt, dessen Anwendung jeweils für das Verfahren eines Untersuchungsausschusses dieses Hauses vereinbart wird, weil das Haus über Jahrzehnte nicht in der Lage gewesen ist, sich auf eine solche Verfahrensregel zu einigen. Darunter leiden aber nicht nur diejenigen, die hier das Recht anwenden sollen; darunter leiden insbesondere die Bürger, die mit einem solchen Verfahren nolens volens in Berührung kommen
({1})
und die dort, Herr Gansel, dann zum Teil einem sehr unwürdigen Verfahren ausgesetzt werden,
({2})
wenn es um die interessante Frage geht, ob jemand Zeugnisverweigerungsrechte geltend machen kann oder nicht. Dem geht eine Beratung des Ausschusses voraus, ob er ein Betroffener sein könne oder nicht.
({3})
Und selbst gutwillige Leute vermitteln der Öffentlichkeit, es handele sich um eine Art Anklage, es handele
sich um eine Beschuldigung, obwohl in diesem Verfahren objektiverweise nur von Zeugen und ihren Rechten die Rede sein sollte.
Die Probleme setzen sich bei den Rechten der Minderheiten fort. Die Minderheitenrechte sind nach Durchsetzung dieses Entwurfs, dessen Aufsetzung zur Beratung wir hier beantragen, besser geschützt, als das derzeit der Fall ist. Es gibt Abgeordnete des Hauses, die sagen, die Mehrheit werde in ihren Handlungsmöglichkeiten zu sehr beeinträchtigt. Es gibt Abgeordnete im Hause, die sagen, die Minderheit werde zu sehr beeinträchtigt.
Ich ziehe daraus den Schluß, daß es dem 1. Ausschuß des Hauses gelungen ist, einen Kompromiß zu erarbeiten, der - aus diesem Hause heraus - wirklich ein brauchbares Recht für die Untersuchungsausschüsse schafft. Deshalb sollten wir in dieser wichtigen Frage heute zu einer Sachentscheidung kommen. Darum der Antrag, den Herr Eylmann mit mir gestellt hat und den viele Kollegen unterzeichnet haben. Wir haben ihn u. a. darum gestellt, um denjenigen die sich hier am meisten in einer Frage verdient gemacht haben, die aus ganz natürlichen Gründen immer umstritten war, nämlich Manfred Schulte und Konrad Porzner, am Ende dieser Legislaturperiode auch dafür Dank abzustatten, daß sie es gewesen sind, die hier zu einer einvernehmlichen Regelung zwischen den Fachleuten geführt haben.
Deshalb bitte ich Sie herzlich, dem Antrag auf Aufsetzung dieses Punktes, über den wir uns in der Sache ja dann weiter unterhalten können, zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
({4})
Herr Abgeordneter Jahn.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Namens der SPD-Fraktion bitte ich darum, den Antrag abzulehnen. Mit solchen Überraschungsangriffen - am letzten Sitzungstag mit einer übervollen Tagesordnung - kann man ein solches Problem nicht behandeln,
({0})
ganz abgesehen davon, daß eine klare Verabredung unter den Verfassern des Entwurfs und zwischen den Fraktionen auf diese Weise gebrochen würde, die dahin ging, das nur einvernehmlich auf die Tagesordnung zu setzen. Wenn Verabredungen in diesem Hause nichts mehr gelten,
({1})
dann können wir nächstens unsere Arbeit hier ganz einstellen.
Das Untersuchungsrecht ist eines der wichtigsten Minderheitenrechte. Aber es ist höchst unzulänglich geregelt. Das Minderheitenrecht kann lediglich das Einsetzen eines Untersuchungsausschusses erzwingen. Wie er dann seine Arbeit gestaltet, unterliegt völlig der Herrschaft der Mehrheit
({2})
Jahn ({3})
und führt dazu, daß Untersuchungsausschüsse in der Regel sehr unbefriedigende Arbeit leisten, daß die Rechte der Minderheiten fortlaufend beeinträchtigt werden und daß die Mehrheit ihren politischen Willen auch im Untersuchungsverfahren durchsetzen kann.
({4})
Wer die Geschichte der Auseinandersetzungen um die Regeln, nach denen Untersuchungsausschüsse arbeiten, kennt, weiß: Es ist ein Gesetz notwendig, aber es ist ein anderes Gesetz notwendig als das, was uns jetzt als Entwurf vorgelegt worden ist.
({5})
Ich will die sorgfältige Arbeit der Kolleginnen und Kollegen in dem zuständigen Ausschuß überhaupt nicht in Frage stellen. Sie haben zustande gebracht, worauf sie sich haben verständigen können. Sie haben sich nicht auf ein neues Untersuchungsrecht verständigen können, das der Minderheit die Möglichkeit gibt, Untersuchungen wirklich der Wahrheit zuzuführen und nicht alleine politischen Mehrheitsentscheidungen zu unterwerfen.
({6})
Wenn es uns in der langen Zeit nicht möglich war, in geduldiger Diskussion über diese Grundfragen eine Einigung zu erzielen, dann kann das nicht heute hier im Handstreich über die Bühne gebracht werden,
({7})
sondern dann muß daran weiter gearbeitet werden. Für diese weitere Arbeit muß man sich eben noch einmal soviel Zeit und Geduld nehmen, wie wir sie bisher offenbar nicht gefunden haben. Deswegen kann, soll und wird nach Auffassung unserer Fraktion der Gesetzentwurf heute nicht auf die Tagesordnung gesetzt werden.
({8})
Als nächste hat die Abgeordnete Frau Roitzsch das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Lieber Herr Kollege Jahn, ich kann Sie beruhigen, bei der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion werden Verabredungen eingehalten.
({0})
Deshalb erkläre ich für die CDU/CSU-Fraktion, daß wir der Aufsetzung der Beschlußempfehlung zum Untersuchungsausschußgesetz auf die heutige Tagesordnung widersprechen.
Meine Fraktion hat der Vorlage am 23. Oktober zwar inhaltlich zugestimmt; für uns ist aber inzwischen die Geschäftsgrundlage entfallen. Im Deutschen Bundestag gibt es ja den guten alten Parlamentsbrauch - das ist das, was auch Sie, Herr Kollege Jahn, angesprochen haben - , daß Verfahrensregelungen im breiten Konsens zu verabschieden sind. Nachdem sich die SPD gegen den Entwurf ausgesprochen hat, gibt es diesen Konsens nun nicht mehr. So schlecht, wie Sie, Herr Kollege Jahn, den Entwurf machen, ist er allerdings weiß Gott nicht.
({1})
Wir können gleich zu Beginn der nächsten Legislaturperiode mit einer neuen Beratung beginnen und den Gesetzentwurf dann abschließend behandeln. Ich meine, es ist nicht so dringlich, daß wir den Entwurf heute auf die Tagesordnung setzen müssen. Ich beantrage die Ablehnung des entsprechenden Antrags.
Danke.
({2})
Herr Häfner!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir sprechen uns unter diesen Umständen dagegen aus, diesen Punkt heute auf die Tagesordnung zu setzen.
Das Recht der Untersuchungsausschüsse - darin sind wir uns übrigens über die Fraktionsgrenzen hinweg einig - bedarf dringend einer gesetzlichen Regelung.
({0})
- Sie sollten bis zu Ende zuhören, Herr Kleinert. - Die jetzige Lage führt zu einem ständigen Mißstand, zur Behinderung der Untersuchungen und zu andauerndem Streit auch vor den Gerichten. Deshalb haben wir den Versuch, in diesem Parlament zu einer gemeinsamen Regelung zu kommen, sehr begrüßt, und wir hätten es auch sehr begrüßt, wenn wir die Beratung heute mit einem guten Gesetzesbeschluß hätten abschließen können. Der Geschäftsordnungsausschuß hat sich schließlich lange mit der Frage beschäftigt. Das Ergebnis wird der uns gestellten Aufgabe aber in keiner Weise gerecht.
Das Recht des Untersuchungsausschusses ist ein klassisches Minderheitenrecht. Es ist ein Instrument des Parlaments zur Kontrolle der Regierung. Wenn ich jetzt aber höre, daß nach Auffassung der Mehrheit selbst Regierungsmitglieder, etwa der Bundeskanzler vor Untersuchungsausschüssen nicht die Wahrheit zu sagen brauchen - wobei es doch die vordringliche Aufgabe der Untersuchungsausschüsse sein muß, gerade Regierungshandeln wahrheitsgemäß aufzuklären und im Auftrage der Öffentlichkeit Licht in das Dunkel zu bringen - , dann frage ich mich allerdings, welchen Sinn parlamentarische Untersuchungsausschüsse zukünftig überhaupt noch haben sollen.
Es geht beim Recht der Untersuchungsausschüsse gerade nicht darum - wie die Regierungsfraktionen immer sagen - Mehrheitsrechte und Minderheitsrechte gegeneinander abzuwägen, sondern es geht darum, ein klassisches, ja sogar das klassische Minderheitenrecht, das durch das Grundgesetz konstituiert und geschützt ist, konsequent auszugestalten, und zwar nicht nur hinsichtlich der Einsetzung des Untersuchungsausschusses, sondern auch in bezug auf sämtliche verfahrensleitenden Entscheidungen im Untersuchungsausschuß selbst.
Dies ist in dem Entwurf nicht gelungen.
Der Entwurf muß deshalb mit dem Ziel der Ausgestaltung dieses wichtigsten Minderheitenrechts im Parlament überhaupt überarbeitet werden. Deshalb sollten wir uns die Zeit nehmen, in der nächsten Legislaturperiode weiterzuarbeiten und dabei einen Entwurf für ein Untersuchungsausschußgesetz zu erarbeiten, der den Aufgaben der Untersuchungsausschüsse, die zugleich übrigens die Aufgaben des gesamten Parlaments sind, gerecht wird. Die Regierung beständig und angemessen zu kontrollieren, ist nach meinem Verständnis nämlich nicht nur eine Aufgabe der Opposition, sondern eine Aufgabe des Parlaments in seiner Gesamtheit - daran muß man auch Sie aus den Koalitionsfraktionen immer wieder erinnern.
In einer Zeit, in der die Macht der Exekutive immer mehr wächst und die zunehmende Ohnmacht des Parlaments beklagt wird, geht es hier also darum, das Parlament auch als Kontrollorgan der Regierung zu stärken. Hierzu hoffen wir auf Ihre Zustimmung über die Fraktionsgrenzen hinweg. Deshalb können wir den Entwurf heute und in dieser Form nicht verabschieden, sondern müssen weiter beraten und versuchen, ein Gesetz zu schaffen, das dieser von Jahr zu Jahr wichtiger werdenden Aufgabe gerecht wird.
({1})
Damit kommen wir zur Abstimmung über den Aufsetzungsantrag. Wer stimmt dem Aufsetzungsantrag zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Aufsetzungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt bei Zustimmung aus der FDP, aus der CDU/CSU und aus der SPD sowie bei zwei Enthaltungen.
Bevor ich den Zusatztagesordnungspunkt 10 aufrufe, möchte ich dem Kollegen Zink ganz herzlich zum 65. Geburtstag gratulieren, den er heute feiert.
({0})
Daß Sie das hier mitten im Plenarsaal tun, zeigt etwas von Ihrer Arbeit, die Sie seit Ihrer Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag seit 1965 ausgezeichnet hat: hohes Engagement insbesondere für Fragen der Arbeitnehmerschaft. Sie zählen zu den Abgeordneten, die uns auf eigenen Wunsch verlassen werden. Ich möchte Ihnen heute schon am Tag Ihres 65. Geburtstags sehr herzlich für die hier geleistete Arbeit danken.
({1})
Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 10 auf: Empfehlung des Ältestenrates
Wegfall der positiven Berlin-Klausel - Drucksache 11/8387 -
Zu der Ihnen auf Drucksache 11/8387 vorliegenden Empfehlung ist eine Aussprache nicht vorgesehen. Es handelt sich auch nur um ein förmliches Verfahren des Bundestages. Wer stimmt für die vorgelegte Empfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Empfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({2}) zu dem Gesetz über die Umwelthaftung
- Drucksachen 11/6454, 11/7104, 11/7881, 11/8134, 11/8208 -
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Hüsch
b) Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({3}) zu dem Sechsten Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes
- Drucksachen 11/391, 11/7928, 11/8136, 11/8209 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Hüsch
Ich erteile Herrn Abgeordneten Hüsch als Berichterstatter des Vermittlungsausschusses das Wort.
Danke sehr, Frau Präsidentin.
Der Vermittlungsausschuß möchte auf das Recht nicht verzichten, seine Beschlüsse hier zu erläutern, zumal es ja auch zur Gesetzgebungsvorlage sonst keine verwertbaren Materialien gäbe. Die Protokolle des Vermittlungsausschusses sind auf längere Zeit verschlossen, und es ist wohl für den Gesetzgebungsakt notwendig, die Begründung der Vorlage zu geben.
Der Vermittlungsausschuß hat das Anrufungsbegehren des Bundesrates zum Gesetz über die Umwelthaftung am 24. Oktober 1990 beraten. Der Beschluß des Vermittlungsausschusses ergibt sich aus der Ihnen vorliegenden Drucksache 11/8208.
Der Vermittlungsausschuß hat sich bei seinen Vorschlägen von folgenden Erwägungen leiten lassen:
Im Vordergrund stand die Erwägung, die Grundkonzeption des Gesetzesbeschlusses nicht zu verändern, insbesondere das System der sogenannten anlagenbezogenen Haftung nicht aufzugeben und auch das darauf bezogene Regelungswerk über die Auskunftsansprüche des Geschädigten und des Anlagebetreibers nicht zu verändern. Die einzelnen Beschlußfassungen bewegen sich vielmehr im Rahmen der genannten Grundkonzeption.
Während nach dem Gesetzesbeschluß die Ersatzpflicht für Sachschäden immer dann ausgeschlosen sein soll, wenn eine Sache nur unwesentlich oder nur in einem Maße beeinträchtigt wird, das nach den örtlichen Verhältnissen zumutbar ist, hält der Vermittlungsausschuß einen Haftungsausschluß für derartige sogenannte Bagatellschäden nur bei bestimmungsgemäßem Betrieb einer Anlage für gerechtfertigt. Die weitergehenden Haftungsbeschränkungen, wie sie der Gesetzesbeschluß des Bundestages vorsah, hätte zur Folge, daß ein Geschädigter, der in einem ohnehin immissionsbelasteten Gebiet wohnt, unter dem Aspekt der Ortsüblichkeit Sachschäden selbst dann hinnehmen müßte, wenn der Inhaber der emittierenden Anlage eine besondere Betriebspflicht nicht eingehalten hat oder ein Störfall vorliegt. Mit dem Ziel
des Gesetzes, dem Geschädigten einen gerechten Schadensausgleich zu verschaffen und zugleich die Inhaber umweltgefährdender Anlagen zu schadensverminderndem Verhalten zu veranlassen, wäre dies nach Ansicht des Vermittlungsausschusses nicht zu vereinbaren.
Nach dem Bundestagsbeschluß haftet, wenn ein Schaden durch mehrere Anlagen verursacht worden ist, ein Anlagenbetreiber, der den „Normalbetrieb" eingehalten hat, nur anteilig nach dem Maße seines Ursachenbeitrages. Eine gesamtschuldnerische Haftung des „Normalbetreibers" wird also ausgeschlossen. Diese Verweisung des Geschädigten auf den Weg der Ermittlung der einzelnen seinem Anspruch zugrunde zu legenden Ursachenbeiträge mehrerer „Normalbetreiber" als Schädiger hält der Vermittlungsausschuß nicht für gerechtfertigt.
Auf der anderen Seite hat der Ausschuß nicht verkannt, daß die uneingeschränkte gesamtschuldnerische Haftung erhebliche Probleme schafft, weil damit dem gesamtschuldnerisch in Anspruch Genommenen das volle Risiko der Aufklärung, wer seine Mitemittenten sind und ob sie solvent sind, aufgebürdet wird, wenn er selbst den Innenausgleich unter Gesamtschuldnern nach § 426 Bürgerliches Gesetzbuch sucht.
Der Vermittlungsausschuß ist daher der Auffassung, daß sich der Gesetzgeber hier einer abschließenden Festlegung enthalten und die Entwicklung eines bereichsspezifischen Systems der Gefährdungshaftung mehrerer Normalbetreiber als Schädiger der Rechtsprechung überlassen sollte, die sich auch bisher schon mit ähnlichen Problemlagen zu befassen hatte. Er schlägt deshalb die Streichung des § 8 aus dem Gesetzesbeschluß des Bundestages vor.
Nach § 15 des Gesetzesbeschlusses ist der Schadenersatz wegen Aufhebung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit und wegen vermehrter Bedürfnisse des Verletzten sowie der nach § 13 Abs. 2 des Gesetzes einem Dritten zu gewährenden Schadenersatz für die Zukunft durch eine Geldrente zu leisten. § 16 Abs. 2 des Gesetzesbeschlusses sieht vor, daß, wenn die Anlage bestimmungsgemäß betrieben wurde, der Ersatzpflichtige in diesem Fall nur bis zu einer Jahresrente von 50 000 DM für jede getötete oder verletzte Person haftet. Diese Beschränkung der Jahresrente hält der Vermittlungsausschuß in seinem Vorschlag nicht für gerechtfertigt, weil die Einführung einer solchen Höchstgrenze das beabsichtigte Ziel einer Umweltgefährdungshaftung zu stark relativieren und gerade umfangreichere Schäden nicht vollständig abdecken würde. Der Vermittlungsausschuß schlägt daher die Streichung des § 16 Abs. 2 des Gesetzesbeschlusses vor.
Der durch den Gesetzesbeschluß neu eingefügte § 32 a Zivilprozeßordnung sieht für Klagen gegen den Inhaber einer im Anhang I des Umwelthaftungsgesetzes genannten Anlage, mit denen der Ersatz eines durch eine Umwelteinwirkung verursachten Schadens geltend gemacht wird, die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts vor, in dessen Bezirk sich die Anlage befindet.
Diese Zuständigkeitsbestimmung hat allerdings auch zur Folge, daß für Schadenersatzklagen gegen den Inhaber einer im Ausland gelegenen Anlage, durch deren Umwelteinwirkung einem in der Bundesrepublik Deutschland Wohnenden ein Schaden entstanden ist, in der Zivilprozeßordnung im Gegensatz zum geltenden Recht kein örtlicher Gerichtsstand mehr vorgesehen wäre. Wenn der Gesetzgeber aber jemandem, der im Inland geschädigt worden ist, materiell einen Schadenersatzanspruch auch dann gewährt, wenn die schädigende Einwirkung von einer im Ausland befindlichen Anlage ausgeht, so muß er auch dafür sorgen, daß ihm für die gerichtliche Durchsetzung dieses Anspruchs ein Gerichtsstand im Inland zur Verfügung gestellt wird.
Dieses Ziel verfolgt der Vorschlag des Vermittlungsausschusses, in § 32 a ZPO durch einen anzufügenden Satz 2 klarzustellen, daß die in Satz 1 vorgenommene Begründung der ausschließlichen Zuständigkeit nicht gilt, wenn die Anlage im Ausland gelegen ist.
Die in dem Gesetzesbeschluß vom 21. September 1990 noch enthaltene früher übliche Berlin-Klausel ist nach der Wiedervereinigung gegenstandslos geworden. Der Vermittlungsausschuß schlägt daher ihre Streichung vor.
Frau Präsidentin! Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung - vom Bundestag und Bundesrat beschlossen - hat der Vermittlungsausschuß beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungsvorschläge gemeinsam abzustimmen ist.
In diesem Sinne bitte ich, dem wohl einmütig zustande gekommenen Vermittlungsvorschlag zuzustimmen.
({0})
Der Abgeordnete Kleinert hat um das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung nach § 10 Abs. 2 der Geschäftsordnung für den Vermittlungsausschuß gebeten.
Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es freut einen, wenn nicht jedes Anliegen, das man hat, erfolglos bleibt. Deshalb freut es nicht nur mich, sondern auch die Fraktion der Freien Demokraten sehr, daß wir im Vermittlungsausschuß zu einer Einigung in dieser wichtigen Frage gekommen sind.
Uns freut es besonders, daß es gelungen ist, bei dem Gesetzgebungswerk und schließlich auch im Vermittlungsverfahren den Rahmen des Systems des bürgerlichen Rechts nicht zu verlassen. Wir haben an herkömmliche, nachprüfbare und der Rechtsprechung vertraute Begriffe der Verursachung angeknüpft, auch wenn hier eine sehr weitgehende Haftung in Form der Gefährdungshaftung eingeführt worden ist.
Wir sind deshalb sehr froh über das heute vorgelegte Ergebnis und werden zustimmen.
({0})
Herr Häfner!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte eine Erklärung zur Abstimmung abgeben.
Angesichts der stetig wachsenden Umweltschäden in unserem Land und übrigens erst recht in den neu hinzugekommenen Bundesländern ist das Umwelthaftungsgesetz mit Sicherheit eine der wichtigsten Aufgaben überhaupt, die der Gesetzgeber gegenwärtig anzupacken und zu lösen hat.
Ich selber habe namens meiner Fraktion schon sehr früh einen Gesetzentwurf hierzu eingebracht. Ich war danach auch Berichterstatter zum Gesetzentwurf der Bundesregierung und möchte als solcher die Gelegenheit wahrnehmen, zu dem Ergebnis des Vermittlungsversuches zwischen Bundesrat und Bundestag sowie zur Abstimmung folgendes zu erklären.
Das Ergebnis des uns jetzt vorliegenden Entwurfs wird der geschilderten Aufgabe in keiner Weise gerecht. Denn die seit Jahren wichtigste Aufgabe im Bereich der Umwelthaftung überhaupt wäre es, endlich eine Regelung für die ökologischen Schäden, für die Summations- und Distanzschäden, zu treffen.
Das würde auch dem Waldschadensurteil des Bundesgerichtshofs Rechnung tragen. Der Bundesgerichtshof hat darin nämlich mehr als deutlich gesagt: In diesem Punkt ist der Gesetzgeber gefragt. Es gilt, endlich zu begreifen: Die meisten und dramatischsten Umweltschäden sind heute Schäden im Naturhaushalt - und sie entstehen durch viele Emittenten. Ich nenne als Beispiel das Waldsterben, das Umkippen der Gewässer, das Robbensterben in Nordsee und Ostsee und vieles andere. Hier hilft uns das Gesetz überhaupt nicht weiter. Der Gesetzgeber hat die ihm von den Gerichten, von den Menschen und von der Wirklichkeit gestellte Aufgabe noch nicht einmal wahrgenommen.
Die Frage der Summations- und Distanzschäden wurde in diesem Gesetzentwurf ausgeklammert. Damit ist die Chance zu einer ökologischen Neuordnung des Rechtes verpaßt worden.
Ein weiteres Problem ist die gemeinsame Haftung mehrerer Schädiger. Die Regierungskoalition hat sich in ihrem ursprünglichen Entwurf zu dieser Frage eine in meinen Augen völlig unpraktikable Art von Bruchteilshaftung einfallen lassen, die die Opfer gezwungen hätte, gegen jeden Anlagenbetreiber einzeln gerichtlich zu Felde zu ziehen.
Der Bundesrat hat nun demgegenüber bei der Anrufung des Vermittlungsausschusses eine äußerst maßvolle Variante der gesamtschuldnerischen Haftung vorgeschlagen. Die Geschädigten hätten dann nur noch gegen einen Verursacher vorgehen müssen.
Angesichts dieser Ausgangslage ist das Ergebnis der Beratungen im Vermittlungsausschuß für den Kenner absolut frappierend; denn es findet sich nunmehr im Gesetz überhaupt keine Regelung mehr zu dieser Frage. Sie bleibt - wie so vieles - offen. Es bleibt also wieder einmal den Gerichten überlassen, in diesem Punkt ohne jede Maßgabe des Gesetzgebers zu Regelungen zu kommen. Mit einem solchen
Gesetz kann eine Neuordnung des Umwelthaftungsrechts nun wirklich nicht erreicht werden.
Die SPD hatte im Bundestag - und mit wortgleichen Anträgen über den Bundesrat - einen durchaus diskutablen Vorschlag für eine Generalklausel vorgelegt, die dem Verursacherprinzip, im Regierungsentwurf bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, doch noch Geltung verschafft hätte. Sie ist aber - wie so oft - wieder einmal eingeknickt. Sie hat sich an keiner Stelle wirklich durchsetzen können oder wollen. Weder bei der so dringend notwendigen Beweislasterleichterung für die Kläger noch bei dem mehr als überfälligen Ausgleich ökologischer Schäden haben Sie und die von Ihnen geführten Bundesländer die Gelegenheit genutzt, etwas für die Bewahrung unserer natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen eines durchgreifend verbesserten Umwelthaftungsgesetzes zu tun. Weder bei Ihnen noch bei der Regierung ist beispielsweise von einem Umwelthaftungsfonds die Rede, wie er von uns seit Jahren gefordert wird und der allein in der Lage wäre, die Summations- und Distanzschäden materiell abzudecken.
Beinahe wäre es sogar noch gelungen, eine ohnehin bescheidene Verbesserung im Entwurf der Bundesregierung in diesem Bereich rückgängig zu machen. In seiner Begründung zur Anrufung des Vermittlungsausschusses verlangt der Bundesrat völlig zu recht verbesserte Auskunftsansprüche des Opfers gegenüber den Anlagenbetreibern; gleichsam nebenbei sollte aber auch § 10 des Regierungsentwurfs gestrichen werden.
Herr Häfner, Sie kommen immer mehr in eine inhaltliche Debatte hinein.
Ich begründe, warum wir uns in der Abstimmung so verhalten, aus welchen Gründen wir also das Ergebnis des Vermittlungsausschusses ablehnen werden.
Auch § 10 des Regierungsentwurfs sollte also gestrichen werden, der, bescheiden genug, ein Akteneinsichtsrecht gegenüber der Genehmigungsbehörde festlegt.
Wir GRÜNEN sind und bleiben in diesem Hause die einzigen, die ohne Wenn und Aber fordern, daß jede Frau und jeder Mann berechtigt sein soll, die Umweltakten der Behörden einzusehen. Wir werden bei dieser Forderung bleiben und werden den vorliegenden Entwurf ablehnen.
({0})
Damit kommen wir zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 11/8208 mit den empfohlenen Änderungen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses ist mit den empfohlenen Änderungen bei Gegenstimmen der GRÜNEN und der PDS und bei einigen Enthaltungen aus der SPD und von der PDS mehrheitlich angenommen.
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 17b, zur Beschlußempfehlung des VermittlungsausschusPräsidentin Dr. Süssmuth
ses auf Drucksache 11/8209 zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes.
Das Wort zur Berichterstattung hat erneut der Abgeordnete Herr Dr. Hüsch.
Danke sehr, Frau Präsidentin.
Der Vermittlungsausschuß hat das Anrufungsbegehren des Bundesrates zum Sechsten Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes am 24. Oktober 1990 beraten.' Die Beschlüsse ergeben sich aus der Ihnen vorliegenden Drucksache 11/8209. Wie beim Beschluß zum Umwelthaftungsrecht handelt es sich um eine Kompromißvorlage.
Dabei hat sich der Vermittlungsausschuß von folgenden Erwägungen leiten lassen:
Erstens. Grundsatz der Sozialhilfe ist es, daß der Bedürftige zunächst sein Vermögen zur Behebung seiner Notlage einzusetzen hat. Allerdings gibt es dazu einige Ausnahmen.
Bezüglich der Ausnahme in § 88 Abs. 2 Nr. 2 des Bundessozialhilfegesetzes ist der Vermittlungsausschuß der Ansicht, daß zur Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstücks angespartes Vermögen in bestimmten Fällen geschont werden sollte, wie es auch vor 1982 der Fall war. Dabei hält er insbesondere auch auf Grund in der Vergangenheit in der Sozialhilfepraxis gemachter Erfahrungen durch die Formulierung „solange es nachweislich bestimmt ist" etwaige Mißbrauchmöglichkeiten in ausreichendem Maße für ausgeschlossen. Denn durch die vorgeschlagene Regelung sind Sozialhilfeempfänger auf Verlangen des Sozialamtes jederzeit verpflichtet, durch Vorlage entsprechender Unterlagen nachzuweisen, daß der Bestimmungszweck Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstücks noch gegeben ist. Dabei ist Hausgrundstück auch im Sinne des Wohnungseigentums gemeint.
Bei dem Schutz zu diesem Zweck angesparten Vermögens handelt es sich allerdings um eine Privilegierung, die nach der Vorlage des Vermittlungsausschusses nicht zu stark ausgeweitet werden sollte. Erforderlich ist eine derartige Privilegierung nur bei behinderten, blinden und pflegebedürftigen Sozialhilfeempfängern, die auf Grund ihrer speziellen Bedürfnisse in besonderem Maße darauf angewiesen sind, eigene Räumlichkeiten durch Beschaffung oder Erhaltung ihrer besonderen Lage anzupassen.
Zur Schonung entsprechenden Vermögens bei anderen Personen sieht der Vermittlungsausschuß keine Notwendigkeit.
Zweitens. Hinsichtlich der zu § 88 Abs. 2 Nr. 7 des Bundessozialhilfegesetzes vorgeschlagenen Regelung folgt der Vermittlungsausschuß dem in bezug auf den geschützten Personenkreis gegenüber dem jetzigen Gesetzeswortlaut weitergehenden Anrufungsbegehren des Bundesrates, um dem Schutzzweck der Vorschrift gerecht zu werden. Hinsichtlich der Angehörigen der Sozialhilfeempfänger sollte entsprechend dem geltenden Recht die Bestimmung bleiben, daß diesen das Hausgrundstück nach dem Tode des Hilfesuchenden weiter als Wohnung dienen soll.
Hinsichtlich der Angemessenheit eines nicht zu verwertenden Hausgrundstückes sollte jedoch künftig nicht nur auf ein Merkmal, nämlich die Größe, abgestellt werden. Der Vermittlungsausschuß schlägt daher vor, entsprechend der von der Rechtsprechung entwickelten Kombinationstheorie, die Frage der Angemessenheit an Hand verschiedener Merkmale zu beurteilen, um der Sozialhilfepraxis ein flexibleres Reagieren auf die jeweiligen tatsächlichen Umstände durch Abwägung der verschiedenen Merkmale zu ermöglichen. Erst eine solche Abwägung verschiedener Merkmale schafft den Raum dafür, dem Einzelfall gerecht zu werden.
Um mehr Rechtssicherheit zu schaffen, hält es der Vermittlungsausschuß jedoch für erforderlich, hinsichtlich der Größe auf Vorschriften des Zweiten Wohnungsbaugesetzes Bezug zu nehmen. Diese Festschreibung sollte allerdings nicht in Form absolut feststehender Grenzwerte, sondern nur für den Regelfall erfolgen, um auch künftig der Sozialhilfepraxis die Möglichkeit zu belassen, auf außergewöhnliche Fälle, wie etwa unverhältnismäßig hohe Wertsteigerung eines Hausgrundstückes, zu reagieren.
Drittens. Die in dem Gesetzbeschluß vom 21. September 1990 enthaltene frühere übliche Berlin-Klausel ist nach der Wiedervereinigung gegenstandslos geworden. Der Vermittlungsausschuß schlägt daher ihre Streichung vor.
Frau Präsidentin, der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungsvorschläge gemeinsam abzustimmen ist. Der Beschluß wird zur sozialen Gerechtigkeit beitragen und manche Besorgnis gerade in den Kreisen der Behinderten, Blinden und Pflegebedürftigen ausräumen. Ich bitte darum, der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zuzustimmen.
({0})
Das Wort zu einer Erklärung nach § 10 Abs. 2 der Geschäftsordnung für den Vermittlungsausschuß hat der Abgeordnete Herr Jaunich.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als am 20. September das Sechste Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes in zweiter und dritter Lesung hier behandelt wurde, hat die SPD-Fraktion der Beschlußempfehlung des federführenden Bundestagsausschusses Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit die Zustimmung versagen müssen. Der Grund lag darin, daß die Mehrheit dieses Hauses den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt hatte. Der Einspruch des Bundesrates war von daher vorprogrammiert. Das, was wir heute hier tun müssen, ja, das ganze Vermittlungsverfahren wäre überflüssig gewesen, wenn Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, zur sachgerechten Beratung des Anliegens dieses Entwurfes bereit gewesen wären.
Der Entwurf wollte die Neubestimmung des sogenannten geschonten Wohneigentums unter Bezugnahme auf das Zweite Wohnungsbaugesetz festschreiben, um die Flut von Prozessen, die es um dieses
Thema in der Vergangenheit gegeben hat, endlich zu beenden.
Der Bundesrat wollte fernerhin die Ausdehnung des Schutzes eines Familienheimes auch auf den Fall, daß dieses zwar nicht vom Hilfeempfänger selbst, aber von seinen nächsten Angehörigen bewohnt wird. Der typische Fall: Wenn der eine Ehepartner in ein Pflegeheim gegeben werden muß, dann sollte demjenigen, der in der eigenen Häuslichkeit verbleibt, dieses so bitter ersparte Familienheim nicht genommen werden.
Drittens ging es dem Bundesrat um die teilweise Wiederherstellung der alten Fassung des § 88 Abs. 2 Nr. 2 des BSHG mit der Folge, daß künftig Vermögen wieder geschont bleiben sollte, das dazu dient, ein Haus zu errichten, also sogenanntes Bausparvermögen.
All dies war den Angehörigen der Regierungsfraktionen nicht recht. Sie haben all diese Vorschriften, die den Kern des Gesetzentwurfes des Bundesrates ausmachten, herausgestrichen.
({0})
Durch das Vermittlungsergebnis ist die Bundesratsfassung im Prinzip wiederhergestellt. Wir sind sehr froh darüber und werden diesem Ergebnis zustimmen.
Die Bewertung des Herrn Berichterstatters, der ich mich nur anschließen kann, daß damit ein Stück soziale Befriedung für Behinderte, Pflegebedürftige und Blinde eintreten soll, ist auch unsere Bewertung, und deswegen waren wir von vornherein für diese Lösung. Sie mußten über das Vermittlungsergebnis erst dazu gezwungen werden.
({1})
Herr Dr. Seifert hat nun das Wort gemäß § 10 Abs. 2 der Geschäftsordnung für den Vermittlungsausschuß.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich befinde mich in einer sehr zwiespältigen Situation, wenn ich diesem Gesetzentwurf jetzt zustimme, weil ich es eigentlich für unmenschlich halte, daß zunächst davon ausgegangen wird, daß ein Leistungsgesetz mißbraucht wird. Dieses Eindrucks kann ich mich bei dem Sozialhilfegesetz nicht erwehren. Dies finde ich nicht in Ordnung. Trotzdem sehe ich das, was hier vorliegt, als einen Fortschritt an. Insofern stimme ich zu. Ich nehme an, meine Kollegen werden das auch tun.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 11/8209? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses mit den empfohlenen Änderungen einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Wahlprüfungsausschusses
zu dem gegen die Gültigkeit der Erweiterung des 11. Deutschen Bundestages gemäß Artikel 42 des Einigungsvertrages eingegangenen Wahleinspruch
- Drucksache 11/8284 -
Berichterstatter: Abgeordneter Wiefelspütz
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Wahlprüfungsausschusses
zu den gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland eingegangenen Wahleinsprüchen
- Drucksache 11/8285 Berichterstatter: Abgeordneter Wiefelspütz
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Damit kommen wir zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Wahlprüfungsausschusses auf Drucksache 11/8284. Wer stimmt der Beschlußempfehlung zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei drei Enthaltungen aus der Gruppe der PDS angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 18b und zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Wahlprüfungsausschusses auf Drucksache 11/8285. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei einer Enthaltung aus der Fraktion der SPD angenommen.
Ich rufe Zusatztagesordnungspunkt 11 auf: Empfehlung des Ältestenrates
({0})
- Drucksache 11/8386 Ich möchte die Empfehlung des Ältestenrates kurz einführen.
Alle Fraktionen und die Gruppe der PDS haben sich gestern im Ältestenrat darauf verständigt, daß wegen des dringenden Handlungsbedarfs dem Bundestag ein Verfahren vorzuschlagen ist, das uns parlamentarisch in die Lage versetzt, bei Verdächtigungen einzelner Abgeordneter in bezug auf Mitarbeit für den ehemaligen Staatssicherheitsdienst der DDR tätig zu werden. Der Handlungsbedarf ist deshalb gegeben, weil wir auch in den nächsten Wochen mit weiteren Verdächtigungen rechnen müssen. Wir haben aber zur Zeit kein Gremium, in oder vor dem Abgeordnete des Deutschen Bundestages Erklärungen zu ihrer Entlastung abgeben können. Die Sachverhalte können parlamentarisch zur Zeit nicht aufgeklärt werden. Damit besteht auch keine Möglichkeit, Schutzfunktionen gegenüber verdächtigten Abgeordneten wahrzunehmen.
({1})
Der Ältestenrat schlägt in Anlehnung an das Verfahren nach den Verhaltensregeln auf Drucksache 11/8386 vor, daß das Präsidium mit Zustimmung des
Präsidentin Dr. Süssmuth
betroffenen Mitglieds des Deutschen Bundestags bei Vorwürfen der eben genannten Art aufklärend werden kann. Das Präsidium unterrichtet die betroffene Fraktion oder Gruppe. Auf diese Weise ist vor allem Schutz bei haltlosen Verdächtigungen möglich.
Außerdem gehört zu diesem Verfahren, daß das Präsidium, soweit Anlaß besteht, den Regierungsbeauftragten für die Verwaltung der Akten des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit beteiligen kann.
Der Vorschlag, den wir heute machen, schließt weitere oder weitergehende Regelungen in der nächsten Wahlperiode nicht aus. Im Interesse der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die möglicherweise solchen Verdächtigungen jetzt ausgesetzt werden, bitten die Fraktionen der CDU/CSU, FDP und SPD, der GRÜNEN/Bündnis 90 sowie die Gruppe der PDS um Zustimmung zu dieser Empfehlung des Ältestenrates.
Herr Hüser.
Wir wollen keine Diskussion; ich habe nur eine Erklärung zur Abstimmung. Meine Fraktion stimmt dem zu - Sie haben das schon gesagt - , weil das das einzige ist, was wir in den verbleibenden vier Wochen noch tun können. Wir halten für dringend notwendig, daß sich der nächste Bundestag noch einmal damit beschäftigt; Sie haben ja erwähnt, daß weitergehende Maßnahmen nicht ausgeschlossen seien. Wir halten eine Überprüfung aller Abgeordneten für sinnvoll; dazu sind Regularien zu treffen. Dafür ist ein Ausschuß erforderlich, der dies begleitet. Da das jetzt nicht mehr möglich ist, stimmen wir dieser Regelung zu und werden für die nächste Legislaturperiode entsprechende Schritte einleiten.
Danke.
Damit kommen wir zur Abstimmung. Wer stimmt der Empfehlung des Ältestenrates zu? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Empfehlung des Ältestenrates ist damit einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkte 19a bis f und Zusatztagesordnungspunkte 12 bis 14 auf:
a) Beratung des Dritten Berichts der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre"
Schutz der Erde
- Drucksache 11/8030 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90
Fortsetzung der Arbeit der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" bis zum Ende der laufenden Wahlperiode
- Drucksache 11/8171 - c) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP
Fortsetzung der Arbeit der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" bis zum Ende der laufenden Wahlperiode
- Drucksache 11/8198 -
d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über Maßnahmen zum Schutz der Ozonschicht
- Drucksache 11/8166 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend gefährliche Stoffe enthaltende Batterien und Akkumulatoren
- Drucksachen 11/3927 Nr. 3.10, 11/7443 -
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Friedrich Frau Dr. Hartenstein
Frau Hensel
f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Knabe, Brauer, Dr. Daniels ({2}), Frau Flinner, Frau Garbe und der Fraktion DIE GRÜNEN
Verbot von Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffen und anderen ozonschädigenden Substanzen ({3})
zu dem Antrag der Abgeordneten Müller ({4}), Schäfer ({5}), Ganseforth, Dr. Hartenstein, Jung ({6}), Adler, Bachmaier, Dr. Böhme ({7}), Dr. von Bülow, Blunck, Conradi, Fischer ({8}), Dr. Hauchler, Huonker, Ibrügger, Kastner, Kiehm, Kirschner, Dr. Klejdzinski, Kretkowski, Dr. Kübler, Leidinger, Lennartz, Menzel, Meyer, Müller ({9}), Müller ({10}), Oesinghaus, Purps, Reimann, Reuter, Schanz, Dr. Scheer, Schmidt ({11}), Dr. Schöfberger, Schreiner, Schütz, Dr. Sperling, Stahl ({12}), Stiegler, Vosen, Waltemathe, Weiermann, Dr. Wernitz, Weyel, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Schutz der Ozonschicht
- Drucksachen 11/4900, 11/5268, 11/6710 Berichterstatter:
Abgeordnete Schmidbauer Müller ({13})
Dr. Knabe
Präsidentin Dr. Süssmuth
ZP12 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Fortsetzung der Arbeit der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" bis zum Ende der laufenden Wahlperiode
- Drucksache 11/8354 ZP13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Knabe, Dr. Daniels ({14}), Frau Flinner, Frau Garbe, Kreuzeder, Frau Rock, Frau Teubner, Weiss ({15}), Frau Wollny und der Fraktion DIE GRÜNEN
Umfassender Schutz der Erdatmospähre und des globalen Klimas
- Drucksache 11/7872 ZP14 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({16})
zu dem Antrag der Abgeordneten Müller ({17}), Schäfer ({18}), Ganseforth, Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Ibrügger, Bachmaier, Blunck, Jung ({19}), Kiehm, Lennartz, Müller ({20}), Reschke, Reuter, Schanz, Schmidt ({21}), Schütz, Dr. Sperling, Stahl ({22}), Dr. Wernitz, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Schutz der Ozonschicht
zu dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Montrealer Protokoll vom 16. September 1987 über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung ({23}) des Rates über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen
- Drucksachen 11/2939, 11/2676, 11/3093, 11/3096, 11/7499 Nr. 2.17, 11/8312 Berichterstatter:
Abgeordnete Schmidbauer
Frau Dr. Hartenstein
Dr. Knabe
Für die gemeinsame Beratung hat der Ältestenrat eine Stunde vereinbart. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster hat das Wort der Abgeordnete Herr Schmidbauer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen. Die Enquete-Kommission legt heute ihren dritten Bericht vor, den abschließenden Bericht. Ich möchte mich eingangs bei allen bedanken, die mitgewirkt haben. Mein besonderer Dank gilt allen Fraktionen, allen Wissenschaftlern und vor allen Dingen auch unserem Sekretariat, das in einem 60- bis 80-Stunden-Rhythmus pro Woche gearbeitet hat. Dies war hervorragend. Dafür herzlichen Dank.
({0})
Weltweit wird das Öko-System Erde immer stärker belastet und schwer geschädigt. Immer mehr Schadstoffe werden in die Umwelt abgegeben. Die Weltbevölkerung nimmt ständig zu; heute 5,3 Milliarden, in wenigen Jahrzehnten 7 Milliarden; im Jahre 2050 eine Verdoppelung gegenüber heute mit 10 Milliarden.
Rohstoffe und Ressourcen werden immer schneller verbraucht. Derzeit beruht unsere Energieversorgung weltweit zu 90 % auf fossilen Energieträgern. Wenn man bedenkt, daß die Menge an fossilen Brennstoffen, die wir gegenwärtig für unsere Energieerzeugung weltweit pro Jahr verbrauchen, eine Million Jahre zu ihrer Entstehung benötigte, dann heißt dies: Wir müssen unser Verhalten der ökologischen Unvernunft aufgeben.
({1})
Wir müssen aufhören, unsere Lebensgrundlagen zu zerstören. Wir müssen Maßnahmen gegen die sich abzeichnenden globalen Bedrohungen wie stratosphärischer Ozonabbau, Treibhauseffekt und Zerstörung der tropischen Wälder ergreifen. Es gilt, die Schöpfung zu bewahren.
Wir können nicht nach einem immer höheren Lebensstandard streben, ohne dabei gleichzeitig die legitimen Interessen der Entwicklungsländer zu berücksichtigen.
({2})
Es muß eine unserer Hauptaufgaben sein, den Nord-Süd-Konflikt zu entschärfen und eine Neugewichtung anzustreben. Dabei sind wir uns darüber im klaren, daß wir in den wohlhabenden Industrieländern den Anfang machen müssen. Bei uns liegt der Schlüssel zur Lösung. Es gilt: Kurzfristige ökonomische Interessen dürfen nicht länger Vorrang vor langfristigen ökologischen Einsichten haben.
({3})
Der heute vorliegende dritte Bericht der Enquete-Kommission heißt „Schutz der Erde" und enthält eine aktuelle wissenschaftliche Bestandsaufnahme über den zusätzlichen Treibhauseffekt, die weltweit zu erwartenden Klimaveränderungen sowie den fortschreitenden Ozonabbau in der Stratosphäre. Die Bestandsaufnahme und ihre Bewertung zeigen eindringlich, wie stark die gesamte Erdatmosphäre und damit das Leben auf der Erde durch den zusätzlichen, vom Menschen verursachten Treibhauseffekt und den Ozonabbau in der Stratosphäre gefährdet sind.
Auf Grund dieser Bedrohung müssen umgehend weitreichende nationale und internationale Maßnahmen in die Wege geleitet werden, um den zu erwartenden Entwicklungen wirksam begegnen zu können. Es muß dabei deutlich gesagt werden, daß gewaltige Anstrengungen notwendig sind, um das vorgegebene Ziel zu erreichen.
Der wissenschaftliche Sachstand geht derzeit davon aus - auch wenn wir in der einen oder anderen Verlautbarung etwas anderes lesen, auch wenn der eine oder andere Verband noch meint, man könnte die Verharmlosungsstrategie weiter betreiben, oder manche meinen, Horrorszenarien wären der Schlüssel zum Erfolg und zur Lösung - , daß sich die globale Mitteltemperatur um 3 °C bis 9 °C, wahrscheinlich um den Wert 5 °C, gegenüber ihrem vorindustriellen Wert erhöhen wird, wenn die Emissionen von klimawirksamen Gasen - Kohlendioxid, Fluorchlorkohlenwasserstoffe, Methan, Distickstoffoxid, Stickoxide, Kohlenmonoxid und andere flüchtige organische Verbindungen - mit den gegenwärtigen Raten bis zum Jahre 2100 ansteigen.
Dadurch wird der Temperaturanstieg in ungefähr 100 Jahren ebenso groß sein wie seit der letzten Eiszeit vor 18 000 Jahren. Diese globale Erwärmung wird sich schleichend vollziehen. Bis zum Jahre 2025 rechnen wir bereits mit einer Temperaturänderung um plus 2 °C als wahrscheinlichsten Wert.
Bereits in sehr naher Zukunft werden sich gravierende Folgen einstellen, die sich im Verlaufe der Zeit noch erheblich verstärken. Dazu gehören: Der Meeresspiegel wird ansteigen. Klimazonen werden sich verschieben. Wüstenregionen werden sich ausbreiten. Ein großräumiges klimabedingtes Waldsterben, besonders auch in den mittleren und höheren Breiten, das auf Grund der vorgeschädigten Wälder sehr schnell eintreten kann, wird beschleunigt.
Kein Ökosysstem kann sich einer solchen Temperaturerhöhung so rasch anpassen. Wir gehen davon aus, daß 0,1 °C pro Dekade für die Umwelt noch erträglich sind. Wir gehen heute auf 0,3 °C pro Dekade hin. Kein Ökosystem kann dies entsprechend verarbeiten.
Die Wasserressourcen vieler Gebiete werden beeinträchtigt. Die Welternährungssituation wird durch Klimaanomalien, z. B. Dürren, Überschwemmungen, Mißernten, vermehrte Schäden an landwirtschaftlichen Kulturpflanzen und ähnliches, wesentlich verschlechtert. Hunger, Elend und Ströme von Umweltflüchtlingen werden die Folge sein. Die Auswirkungen der Klimaänderungen werden in besonderem Maße die Entwicklungsländer treffen. Dies wird im Nord-Süd-Verhältnis zusätzliche Konflikte schaffen.
Die Hauptursachen des zusätzlichen Treibhauseffekts liegen vor allem in vier Bereichen: Erstens. Im Vordergrund steht der Energiebereich, der mit 50 % an diesem Treibhauseffekt einen Hauptanteil ausmacht, zweitens chemische Produkte wie Fluorchlorkohlenwasserstoffe, Halone und andere organische Verbindungen, drittens Vernichtung der tropischen Wälder mit einem Anteil von 15 %, viertens Landwirtschaft und weitere Emittenten mit ebenfalls 15 %.
({4})
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Veränderung der Erdatmosphäre und deren Folgen sind eindeutig. Das heißt: Es kann, es muß gehandelt werden. Dabei geht es nicht um einzelne Korrekturen. Wir können den umweltzerstörenden Auswirkungen der Industrialisierung, die erst nach und nach erkennbar wurden, nur durch einen grundlegenden Strukturwandel entgegentreten.
({5})
Unsere Vision, die Erde vor den sie bedrohenden Gefahren wirksam zu schützen, muß durch konkrete Schritte Realität werden. Dies ist die einzige Chance für unsere Erde.
Das Problem vor dem wir stehen, läßt sich auf einen einfachen Nenner bringen: Im Jahre 1990 verursachen 5 Milliarden Menschen circa 20 Milliarden t CO2-Emissionen. Im Jahre 2050 werden circa 10 Milliarden Menschen ungefähr 40 Milliarden t CO2Emissionen verursachen. Ziel muß es sein, anstelle der zu erwartenden Verdoppelung der CO2-Emissionen zu einer Halbierung zu kommen.
({6})
Das heißt: nicht 40 Milliarden t CO2 im Jahre 2050, sondern höchstens 10 Milliarden t CO2 im Jahre 2050.
Um dieses Ziel zu erreichen sind folgende Schritte notwendig -({7})
und hier ist sich die Enquete-Kommission einig. Ich kann sagen, daß auch die Weltklimakonferenz, die in diesen Tagen in Genf stattfindet, wohl in diese Richtung arbeitet. Und hier - das will ich für all diejenigen sagen, die sich dieser Thematik mit sehr viel Ungeduld annehmen - befindet sich auch die Bundesregierung, befindet sich Klaus Töpfer auf einem guten Weg. Wir alle hier sind aufgerufen, gemeinsam dafür einzutreten - : Erstens. Wir brauchen bis zum Jahre 2005 in den wirtschaftsstarken Industrieländern eine Verminderung der CO2-Emission um mindestens 30 %.
Wir brauchen zweitens eine Verminderung der CO2-Emission in der EG um mindestens 20 bis 25 %. - Klaus Töpfer hat in den letzten Tagen die Verhandlungen geführt. Wir wissen daher, daß wir dieses Ziel gestern nicht erreicht haben und daß letztendlich als einziges Mittel ein „frozen" vorgeschlagen wurde, nämlich die Emission bis zum Jahre 2000 auf der Basis des Jahres 1990 zu stabilisieren. Das reicht überhaupt nicht aus. Deshalb unterstützen wir den Minister bei seinen Bemühungen, hier in den nächsten Wochen nachzubessern. Das geht nicht - lassen Sie mich das sagen - von heute auf morgen. Ich habe vorhin gesagt, es wird schwierig werden.
Drittens. Wir wollen - westliche und östliche Industrieländer zusammen - bis zum Jahre 2005 eine Reduzierung der CO2-Emission um 20 %. Wir wollen, daß Entwicklungsländer bis zum Jahr 2005 eine Entwicklungschance haben, die aber dadurch begrenzt wird, daß sie einen zusätzlichen Anstieg der Emission um „nur 50 % " verursachen können. In der Folgezeit sollen die jährlichen Wachtumsraten der Emission dann ebenfalls reduziert werden.
Die weltweite Umsetzung dieses Pakets bedeutet eine Reduzierung der Emission weltweit um etwa 5 %. Das ist das Erstaunliche: daß wir, wenn die Industrieländer mit „Reduzierungs-Paketen" von 30 % antreten, bis zum Jahre 2005, umgerechnet auf die globale Situation, an Stelle von 20,5 Milliarden t Co2-Emission noch immer 19,5 Milliarden t CO2-Emission haben, also eine Reduzierung um 5 %.
Die vorhin dargestellten Ziele können nur erreicht werden, wenn möglichst schnell eine Internationale Konvention über Klima und Energie abgeschlossen wird. Der vorliegende dritte Bericht enthält diesbezüglich einen vollständig ausformulierten Entwurf, auf dessen Grundlage spätestens 1992 während der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Brasilien eine solche Konvention verabschiedet werden könnte. Hier wird deutlich, worauf es ankommt: daß wir international arbeiten, daß wir international zu einem Konsens kommen. Allerdings: Wir dürfen national nicht abwarten, bis entsprechende internationale Vereinbarungen getroffen sind.
({8})
Über das EG-weit abgestimmte Vorgehen hinaus, das am 26. Oktober vom Bundestag einvernehmlich beschlossen worden ist, müssen und können wir bereits heute auf nationaler Ebene tätig werden. Wir können die CO2-Emission bis zum Jahre 2005 national um mindestens 30 % vermindern; wir müssen das tun. Die Methan-Emission können wir national ebenfalls um mindestens 30 %, die Stickoxid-Emission um 50 %, die Kohlenmonoxid-Emission um 60 %, die Emission von flüchtigen organischen Verbindungen - ohne Methan - um mindestens 80 % vermindern. Dies ist schwierig, aber wir können es realisieren, wenn wir entsprechende Maßnahmen auf den Weg bringen.
Hilfreich war der Beschluß des Bundeskabinetts. Hilfreich wird sein, wenn sich die Bundesregierung auf diese Linie einvernehmlich verständigen kann und den Beschluß der Enquete-Kommission berücksichtigt. Ich denke, es tut nicht gut, hier Egoismen einzelner Ressorts zu betrachten. Hier wird es vielmehr darauf ankommen,
({9})
in der Bundesregierung einvernehmlich zu einem Konsens zu kommen. Wir werden die Bundesregierung an diesem Ergebnis messen müssen.
({10})
Im Vordergrund unsers nationalen Reduktionsplanes stehen die Verbesserung der Energieeffizienz, die rationelle Energieverwendung, die Einsparung und der Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien. Bereits heute können wir Sofortmaßnahmen auf den Weg bringen. 150 Studien der Enquete-Kommission belegen das, belegen die technischen Potentiale, die wir haben, um in eine bessere, umweltverträgliche Zukunft zu gehen.
({11})
Verordnungen müssen geändert werden,
({12})
entsprechende Novellierungsentwürfe, die wir vorschlagen, müssen bis 1991 verfügbar sein.
({13})
Und im Dezember 1991 muß dem Deutschen Bundestag ein Bericht über die notwendigen Gesetzesänderungen vorgelegt werden.
({14})
- Ich würde ungeheuer gern auf jeden Zwischenruf eingehen, weil es um eine wichtige Materie geht und weil wir auch eine lebendige Debatte wollen. Aber dazu will ich Ihnen sagen: Dieser Bundestag nimmt sich am letzten regulären Sitzungstag der Legislaturperiode 60 Minuten Zeit für einen tausendseitigen Bericht.
({15})
Dadurch ist eben nicht die Möglichkeit gegeben, auf die hervorragenden Zwischenrufe einzugehen. Das will ich durchaus sagen.
Ich will Ihnen auch sagen, daß es uns gelungen ist, mehr als 90 % dieses Berichts im Konsens auf den Weg zu bringen. Das war hervorragend.
In der letzten Woche hatte ich nicht einmal die Chance, mich zu bedanken, weil dies von meiner Redezeit abgezogen worden wäre. Heute habe ich das am Anfang meiner Rede gemacht. Ich bin sicher, daß ich als Vorsitzender der Enquete-Kommission wenigstens eine Minute länger Redezeit habe.
({16})
Ich will fortfahren und Ihnen sagen, daß ein guter Ansatz zur Umsetzung unserer Vorschläge eine Kombination von Abgabenlösungen, Anreizsystemen und sektorspezifischen Maßnahmebündeln sein muß. Das müßte allerdings in der EG weitestgehend harmonisiert werden.
Die Mittelaufkommen, die wir dafür haben, müssen schwerpunktmäßig für die Förderung der rationellen Energieverwendung eingesetzt werden, einschließlich der Kraft-Wärme-Kopplung, sowie für die Nutzung erneuerbarer Energiequellen und für die Erfüllung der im Rahmen einer internationalen Konvention entstehenden Verpflichtungen.
Bis zum Jahre 2005 könnte durch Erhöhung der Energieeffizienz und der rationellen Energieverwendung sowie durch eine Verstärkung des energiebewußten Verhaltens eine CO2-Reduzierung in der Größenordnung von insgesamt rund 20 % erreicht werden. Die ist das Hauptpotential, das wir angehen müssen.
Weitere Möglichkeiten sind: der Energieswitch, d. h. die Verminderung des Anteils von Kohle und Erdöl und eine leichte Erhöhung des Anteils von Erdgas; Förder- und Anreizprogramme zur verstärkten Nutzung von kleineren und mittleren WindenergieanSchmidbauer
lagen; Solarwärmeanlagen; Anlagen zur energetischen Nutzung von Biogas aus landwirtschaftlichen Reststoffen, aus Klär- und Deponiegas; Solarwärme- und Fotovoltaiksysteme sowie eine Auslastung der bisherigen Kapazität der Kernkraftwerke.
Ein hohes Potential liegt im Heizwärmebereich. Ich will das gar nicht im einzelnen ausführen. Es ist ein hohes Potential, wenn wir heute sehen, daß 85 % unserer Gebäude der Wärmeschutzverordnung nicht entsprechen. Das bedeutet, daß wir in diesem Bereich leicht 40 % weniger Energieeinsatz haben könnten.
Im Industrie- und Kleinverbrauch muß das Ziel im Vordergrund stehen, daß in wenigen Jahren eine rationelle Energieverwendung erfolgt. Beispielsweise müßte akzeptiert werden, daß es für Haushaltsgeräte, die weniger Energie verbrauchen, eine größere Markttransparenz gibt. Es sollte dem Verbraucher deutlich gemacht werden, welche Möglichkeiten hier bestehen.
Im Bereich der Energiewirtschaft sollte die Energieeffizienz wesentlich verbessert werden.
Bei derzeit weltweit 500 Millionen Kraftfahrzeugen verschwindet im Verkehrsbereich ein Drittel der Erdölproduktion durch den Auspuff. Im Zeitalter der Mobilität wächst die Anzahl der Automobile schneller als die Bevölkerung. Voraussichtlich werden im Jahre 2025 viermal so viele Fahrzeuge auf den Straßen sein wie heute. In der Bundesrepublik Deutschland werden bereits heute knapp 160 Millionen t Kohlendioxid emittiert.
Wir können, wenn wir es nur wollen, hier reduzieren. Wir können, wenn wir uns anstrengen, auch in diesem schwierigen Bereich durch eine Verlagerung der Verkehrsleistungen, durch eine umweltverträgliche Verkehrsabwicklung, durch technische Einsparungen, durch die Vermeidung von Verkehr und durch Verhaltensänderungen eine Reduzierung erreichen.
({17})
Ein letzter Satz, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen: Im Bereich der Maßnahmen zur Reduzierung der Fluorchlorkohlenwasserstoffe sind wir national wie international durch die Folgekonferenz in London ein gutes Stück weiter. All denen, die mit viel Ungeduld an dieser Materie arbeiten, sei gesagt: Konstantes, gemeinsames Handeln hat dazu geführt, daß die Bundesrepublik Deutschland federführend ist, hier die Vorreiterrolle übernehmen konnte.
Ich bitte Sie alle sehr nachdrücklich um ein Studium dieses sehr ausführlichen Berichtes. Ich bitte Sie herzlich zuzustimmen, daß diese Enquete-Kommission in der nächsten Legislaturperiode ihre Arbeit fortsetzen kann.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({18})
Als nächster hat das Woit der Abgeordnete Müller ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Neben der Bewahrung des Friedens sind die schleichende Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen und, damit verbunden, die sich vertiefende Spaltung zwischen Nord und Süd das wichtigste Thema der Gegenwart. Wir müssen uns aus meiner Sicht darüber im klaren sein, daß es dabei nicht allein um die Umwelt geht. Vielmehr geht es um nicht mehr und um nicht weniger als um die Frage der Zukunftsfähigkeit der Weltgesellschaft.
Der Bericht gibt eine schonungslose Bestandsaufnahme der Gefährdung der Erdökosysteme, und er zeigt - das ist das Wichtigste - , daß sehr wohl die Möglichkeit der ökologischen Selbstzerstörung gegeben ist. Insofern ist dieser Bericht eine Anklage der ökologischen Unvernunft der Menschheit.
({0})
Er behandelt im Schwerpunkt das Thema Klima. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß Klima nicht allein die Veränderung der Temperaturen, also die Erderwärmung ist, sondern zugleich die Veränderung der Winde, also die Windgeschwindigkeit und Windverteilung, die Veränderung der Niederschläge und damit die Ausbreitung der Wüstenbildung und auch, was viel zuwenig bekannt ist, möglicherweise sich dramatisch verändernder Meeresströmungen.
Wir fragen uns - nach diesem Bericht erst recht - : Was muß noch bekanntwerden, damit endlich gehandelt wird?
({1})
Wir wissen heute mindestens hundertmal mehr, als notwendig ist, um zu handeln. Wir wissen auch, in welche Richtungen wir handeln müssen. Offenkundig fehlt uns jedoch die Fähigkeit, diese Einsicht umzusetzen.
({2})
- Mit uns meine ich die Menschheit insgesamt, nicht einzelne.
Offenkundig ist diese „gedehnte Katastrophe" so, daß die Betroffenheit nur dann durchschlägt, wenn die Zerstörung der Umwelt noch schneller geht als die alltägliche Gewöhnung an die Katastrophenmeldungen. Wir können es heute so formulieren: Der Widerspruch unserer Zeit: Alle wissen Bescheid, aber nur wenig wird getan. Diese Kluft ist unerträglich.
({3})
Wir wissen durchaus, was getan werden muß. Alle sind im Prinzip dafür. Aber wenn es an das Eingemachte geht, dann sind nur wenige da. Und - wir kommen an diesem Urteil nicht vorbei - vor allem die verantwortliche Politik versagt.
({4})
Müller ({5})
Es gibt vor allem zwei wichtige Zielsetzungen, um zu einer ökologischen Bewahrung der Schöpfung zu kommen. Das ist erstens der radikale und schnelle ökologische Umbau, der auf jeden Fall mit mehr sozialer Gerechtigkeit gekoppelt werden muß. Soziale Gerechtigkeit und ökologischer Umbau gehören zusammen; beides alleine wird keinen Erfolg haben.
({6})
Wegen der globalen Ebene der ökologischen Zerstörung müssen wir zweitens das Verhältnis zwischen Nord und Süd neu ordnen. Auch in unserem eigenen Interesse müssen wir die Teilung der Welt durch Teilen überwinden.
Es ist notwendig, daß wir mit den Selbsttäuschungen aufhören. Wir müssen aufhören zu glauben, wir könnten ohne gewaltige Einschnitte die Schöpfung bewahren. Ich glaube - das ist eines unserer Grundprobleme - , daß Neil Postman recht hat: Wir betreiben in der Öffentlichkeit eine Verdoppelung. Wir alle wissen von den Problemen aber nur wenige nehmen sie auch persönlich ernst. Das können wir nicht mehr akzeptieren.
Die 80er Jahre waren eine eindringliche Warnung, daß es eine zerbrechliche Einheit der Erde gibt. Ich möchte das an vier Punkten festmachen. Als erstes nenne ich die Geschwindigkeitskrise, d. h. die Art und Weise, mit welcher Geschwindigkeit und welcher Rücksichtslosigkeit wir wirtschaften und leben. Bei den fünf wichtigsten Erdökosystemen - Luft, Wasser, Böden, Artenvielfalt und Nährstoffversorgung - sind mehr als 50 % der Verschlechterungen der letzten 300 Jahre in den letzten drei Jahrzehnten eingetreten. Dies ist ein vernichtendes Urteil für unsere Industriegesellschaften.
({7})
Heute stirbt, statistisch gesehen, pro Stunde eine Art aus. Eine Fläche so groß wie der afrikanische Kontinent ist von Wüstenbildung bedroht. In wenigen Jahren werden sich 40 Länder der Erde nicht mehr selbst mit Wasser versorgen können.
Zweitens. Wir haben die globale Ebene erreicht, d. h. uns bleibt kein Ausweg mehr. Das Zynische an der Situation ist, daß die Industrieländer die Hauptverursacher sind, die Entwicklungsländer aber die Hauptbetroffenen. Wir sind in Gefahr, über die ökologische Zerstörung eine neue Form globaler Apartheid über die Erde zu errichten.
Dritter Punkt: Zeitversetztheit. Das Schlimme an der Zerstörung ist, daß wir sie in ihrer vollen Wirksamkeit erst zeitversetzt spüren. Erst dreißig bis vierzig Jahre später beginnt sich das Klimasystem in der vollen Wirksamkeit zu verändern. Das heißt für die Menschheit: Wir müssen in der Gegenwart die Zuki nft mitbedenken. Mit anderen Worten: Wir dürfen nicht mehr handeln wie heute, wo wir erst reagieren, wenn wir betroffen sind, sondern wir müssen jetzt handeln, um die Zukunftsfähigkeit der Welt zu bewahren.
({8})
Und ein vierter Punkt ist wichtig: Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß wir im Verhältnis zur Natur mit Nichtwissen umgehen. Wir können nicht exakt vorhersagen, wie die Natur reagiert. Die Natur kann plötzlich umkippen oder völlig anders reagieren. Das müssen wir einbeziehen. Das ist um so gefährlicher, je stärker wir die Natur beanspruchen.
Die Bestandsaufnahme ist dramatisch. Sie zeigt, daß wir die Grenze der Tragfähigkeit der Ökosysteme erreicht haben.
Aber die gefährliche Zuspitzung ergibt sich erst aus drei weiteren Tatbeständen. Der erste Tatbestand ist die weltweite Ungerechtigkeit. Heute verbrauchen Zweidrittelgesellschaften, nämlich die Industrieländer des Nordens, rund 75 % der kommerziellen Energie. Wir sind es, die für ungefähr 80 % der Kohlendioxidemissionen verantwortlich sind.
({9})
Das vereinte Deutschland liegt in der Zwischenzeit mit 5,3 % Kohlendioxidausstoß an vierter Stelle in einer sehr zweifelhaften Rangliste der Welt. Mit anderen Worten: Ein Viertel der Menschheit ist für drei Viertel der Umweltschäden verantwortlich, aber drei Viertel der Menschheit steht erst vor der industriellen Entwicklung.
Die zweite Zuspitzung betrifft die Ungleichzeitigkeit. Während wir hier in relativ guten sozialen Verhältnissen leben, befinden sich 800 Millionen Menschen auf der Erde, die unterhalb des Existenzminimums, wie es die Vereinten Nationen definiert haben, leben. Sie müssen mit weniger als 200 Dollar pro Jahr und Kopf auskommen. Ein Viertel der Menschheit hat heute eine Kindersterblichkeit oberhalb von 10 %. Dieses Problem werden wir, soll der Zustand ökologisch verträglich bleiben, nur lösen, wenn wir teilen und ökologisch umbauen.
Wir haben drittens ein weiterhin großes Bevölkerungswachstum, das vor allem armutsbedingt zunimmt. Ich erinnere an das Wort vom verlorenen Jahrzehnt: 80 % der Länder der Dritten Welt geht es heute schlechter als zu Beginn der 80er Jahre. Auch das ist eine Tatsache, die wir in unserem Wachstumswahn nicht mehr zur Kenntnis nehmen wollen.
({10})
Meine Damen und Herren, Trost kann jedoch nicht durch Trostlosigkeit gespendet werden, so richtig es auch ist, sich eine klare Bestandsaufnahme zu machen. Die entscheidenden Kräfte zur Wende zum Besseren sind Hoffnung und Mut. Der Bericht zeigt, daß wir handeln können. Deshalb - das ist das Entscheidende - müssen wir die Blockade durchbrechen, die das Handeln verhindert. Die Klimakatastrophe kommt nämlich nicht automatisch nach einem Naturgesetz, sondern sie kommt durch Dummheit, durch egoistische Interessen und durch unsere Unfähigkeit zum Handeln.
({11})
Lieber Kollege Schmidbauer, Sie haben vorhin geredet, wie es auch im Partei- und im RegierungsproMüller ({12})
gramm der SPD steht. Was mir fehlt, sind die Schlußfolgerungen, ist die Konkretheit in den Schlußfolgerungen. Das ist das entscheidende Problem.
({13})
- Ich glaube, daß das bekannt ist. Sonst könnten manche Formulierungen so nicht gewählt worden sein.
Ich will deutlich sagen: Wer so redet, muß beispielsweise für Tempolimit sein.
({14})
Wer so redet, muß für höhere Energiepreise sein.
({15})
Wer so redet, muß für ein neues Energiegesetz sein.
({16})
Wer so redet, kann die notwendigen Maßnahmen nicht erneut auf die nächste Legislaturperiode verschieben.
({17})
Wenn man Herrn Minister Töpfer zuhört, hat man den Eindruck, er ist Oppositionspolitiker. Ich will für die Öffentlichkeit deutlich feststellen: Er ist der verantwortliche Politiker für den Umweltschutz in der Bundesrepublik.
({18})
Er ist kein Oppositionspolitiker, er redet aber wie ein Oppositionspolitiker. Das ist genau diese Verdoppelung, von der Neil Postman redet, nämlich der Unterschied zwischen dem Anschein und den Taten. Wir werden das nicht zulassen. Wir werden immer fragen, was konkret getan wird.
({19})
Meine Damen und Herren, wir unterstützen jede Maßnahme, die tatsächlich auf mindestens 30 % CO2Reduktion zielt. Aber wir warnen auch vor falschen Wegen. Ein falscher Weg wäre beispielsweise, wenn wir erneut den Sprung in den Ausbau der Atomenergie machten.
({20})
Im Gegenteil: Wer beispielsweise eine zukunftsverträgliche Weltgesellschaft haben will, muß heute mit aller Kraft den Weg in die Solarwirtschaft gehen. Alles andere ist keine Lösung.
({21})
Wir sind heute an einem Scheideweg. Die nächsten zehn Jahre werden entscheiden, ob die Politik ihrer Verantwortung zur Kurskorrektur gerecht wird. Wir können nämlich viel gewinnen: den Fortgang der menschlichen Zivilisation.
({22})
Für eine Zwischenintervention hat der Kollege Schmidbauer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Müller, ich will mich mit Ihnen nicht darüber streiten, was die SPD im Parteiprogramm hat.
({0})
Ich will Ihnen aber einige Hinweise geben, weil Sie sagen, wer so rede, der müsse . . .
({1})
Es gibt nach unseren Vorschlägen eine Möglichkeit, eine effizientere Energiepolitik, eine modernere Energiepolitik in vielen Sektoren auf den Weg zu bringen. Diese Sektoren werden durch technische Potentiale ausgewiesen, die es ermöglichen, bestimmte Strukturmaßnahmen in den nächsten 15 Jahren zu realisieren.
Ich will Ihnen an zwei Beispielen zeigen - und Sie haben den Verkehr angeschnitten - , wie man eben intelligentere Maßnahmen auf den Weg bringen kann, als sich nur über Blechschilder zu unterhalten, die auf allen Autobahnen mit der Beschriftung 100 km/h auftauchen.
Ich halte - dies will ich an den Anfang meiner kurzen Bemerkung stellen - es für wichtig, daß Verhaltensänderungen dazu führen, daß langsamer gefahren wird, daß damit weniger Energieverbrauch stattfindet. Dies ist eine wichtige Methode. Aber dies kann nicht durch ein Blechschild erreicht werden, dies wird erreicht durch bessere Verkehrsführungen, durch bessere Fahrzeuge, durch bessere - ({2})
- - Wenn Sie „ach" sagen, will ich Ihnen ein Beispiel nennen: Wenn es uns gelingt, in 15 Jahren 30 % weniger Energie bei den Fahrzeugen einzusetzen, wäre das wesentlich effizienter als alles kleinkarierte Herumstricken an der derzeitigen schwierigen Situation. Mangelverwaltung ist nicht der Schlüssel zur Zukunft. Hier müssen generell neue Verkehrskonzeptionen als schlüssige Systeme verabschiedet werden.
({3})
Dies bedeutet, nicht nur sonntags über Tempolimit zu reden - ({4})
- Wenn Sie wollen, können Sie das schon heute. Ein vernünftiger Autofahrer macht es eben,
({5})
der braucht kein Blechschild, sondern der verhält sich entsprechend.
({6})
Letzte Bemerkung: Ein steuerlicher Anreiz bedeutet eben, daß wir von der bisherigen Hubraumsteuer auf eine Schadstoffsteuer übergehen, die die Belastungen sehr viel stärker spreizt, sehr viel stärkere Anreize für den gibt, der ein entsprechendes Auto erwirbt.
({7})
Das ist wesentlich besser, als sich über Patentrezepte zu streiten und sich Vorwürfe wegen dieser Schilder auf den Autobahnen mit 100 km/h zu machen.
({8})
Herr Abgeordneter Müller.
Herr Kollege Schmidbauer, Sie wissen, daß wir in der Kommission durch die intensive Beschäftigung mit der Materie zu einem wirklich guten Ergebnis gekommen sind. Das will ich nicht verkleinern. Die Arbeit, die die Kommission geleistet hat, gehört sicherlich zu den besseren Seiten der ablaufenden Legislaturperiode.
Nur - und das ist das, was mich umtreibt -, wenn wir zu einem derartigen Bericht kommen, dann können wir bei den Schlußfolgerungen nicht so tun, als ob wir vorher nicht eine bestimmte Bestandsaufnahme gemacht hätten. Dieser Widerspruch würde, würden wir das einreißen lassen, das Mißtrauen gegenüber und die Ablehnung gegenüber der Politik noch größer machen. Deshalb geht es hier nicht um falsche Alternativen.
({0})
Ich bin für alle Konzepte, die uns weiterbringen. Aber wir müssen sehen: Wir müssen schnell handeln. Und was schnell wirkt, ist beispielsweise ein Tempolimit. An dem Punkt kommen wir nach den Ergebnissen der Kommission jetzt nicht vorbei. Deshalb bitte hier keine falschen Alternativen aufbauen.
Das zweite, was ich Ihnen noch sagen möchte: Ich halte es für richtig, daß wir Politiker umdenken müssen. Aber Sie müssen sehen - das ist der Unterschied zu den 70er Jahren - : Sie haben heute eine Opposition, die bereit ist, sehr viel mehr umweltpolitisch mitzutragen, als das in den 70er Jahren der Fall gewesen ist. Insofern können Sie handeln und sich dabei einer breiten Unterstützung im Parlament sicher sein. Warum Sie nicht handeln, ist keine Frage der Opposition, sondern ist Ihr ureigenstes Problem.
({1})
Frau Saibold hat das Wort.
Herr Schmidbauer, ich habe nur noch eine ganz kurze Frage an Sie. Sie sprachen gerade davon, daß wir dazu kommen müssen, daß die Autos z. B. auch weniger Benzin verbrauchen. Ist Ihnen denn bekannt, daß mit öffentlichen Mitteln ein VW Polo entwickelt wurde, der nur 2 1 auf 100 km braucht und der nach Auskunft der Bundesregierung deswegen nicht auf den Markt kommt, weil es wirtschaftlich uninteressant ist? Ich kann Ihnen diese Aussage schriftlich geben. Was sagen Sie dazu?
Ich kann Ihnen nur empfehlen, den Bericht zu lesen. Wenn Sie es von mir spitz haben wollen: Es gibt natürlich die Möglichkeit, ein Auto mit zwei Tropfen Benzin zu betreiben. Nur ist es von der Größe her dann ein Matchbox-Auto. Man kann dies sehr weit treiben. Aber ob es allein die Lösung ist, nur darauf zu setzen, daß man mit 2 1 Benzin fährt, wage ich zu bezweifeln. Es gibt noch intelligentere Methoden, etwa ein solarbetriebenes Auto, Hybridantriebe und ähnliche Dinge.
Jetzt hat Frau Dr. Segall das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Zur gleichen Zeit, zu der wir hier den Endbericht der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" beraten, sitzen in Genf bei der 2. Weltklimakonferenz Hunderte von Wissenschaftlern und Politikern zusammen, um über das gleiche Thema zu beraten. Welche Wandlung im Interesse an diesen globalen Problemen.
Bei der 1. Klimakonferenz von 1988 in Toronto, auf der jener vielzitierte Beschluß zu einer Reduktion der CO2-Emissionen von 20 % bis zum Jahre 2005 gefaßt wurde, war ein einziger deutscher Parlamentarier - oder sollte ich besser sagen: Parlamentarierin? - anwesend.
({0})
Welch ein Wandel! Wurde doch zu jener Zeit das Ausmaß des Problems noch von vielen unterschätzt, obwohl der Deutsche Bundestag in weiser Voraussicht die Enquete-Kommission schon im Dezember 1987 eingesetzt hatte.
Da dies meine letzte Rede in diesem Hohen Haus ist, gestatten Sie mir, etwas grundsätzlicher zu werden und nicht auf diese Streitereien, die wir eben erlebt haben, einzugehen.
Unsere Erdatmosphäre ist durch vielfältige, vom Menschen ausgehende Spurengasemission bedroht. Wenn auch noch nicht jeder Wirkungsmechanismus und jeder Rückkoppelungseffekt geklärt sind und die Prognosen große Unsicherheitsfaktoren enthalten, gebietet das Prinzip Vorsorge, drohenden Gefahren nicht tatenlos entgegenzusehen.
Von den vielen Spurengasen möchte ich mich heute nur mit einigen beschäftigen. Nehmen wir zunächst die Fluorchlorkohlenwasserstoffe. Sie sind durch menschlichen Erfindergeist entwickelte chemische Verbindungen, die auf Grund besonderer Eigenschaften - nicht toxisch, inert usw. - ein weites Einsatzfeld gefunden haben. Es gab sie vorher nicht. Also können wir auch wieder darauf verzichten, sobald wir Substitute oder Ersatztechnologien entwickelt haben. Soweit sind wir uns alle einig; der politische Streit geht nur noch um die Fristen des Ausstiegs.
Wenden wir uns nun dem Kohlendioxid zu. Das natürliche Kohlendioxid in der Erdatmosphäre garantiert zusammen mit dem Wasserdampf auf Grund eines Strahlungsgleichgewichtes zwischen einstrahlenden Licht- und ausstrahlenden Wärmewellen eine Temperatur, die überhaupt erst Leben, insbesondere auch menschliches Leben, auf der Erde ermöglicht.
Seit der Mensch fossile Brennstoffe verbrennt, greift er in den natürlichen Kohlenstoffkreislauf ein. Wissenschaftler meinen, nachweisen zu können, daß die zusätzliche Freisetzung von Kohlendioxid aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe die Spurengashülle der Erde so verdichtet, daß das Strahlungsgleichgewicht, das uns eine Durchschnittstemperatur von rund 15 Grad garantiert, verschoben wird. Dabei sind die Wissenschaftler auch der Meinung, daß die Bedeutung des Kohlendioxids wegen der bereits vorhandenen hohen Konzentration in der Atmosphäre rückläufig ist.
Von steigender Bedeutung sind dagegen die Kohlenwasserstoffemissionen, insbesondere die des Methans; Emissionen, die bei der Kohle- und Erdöl-, aber auch bei der Erdgasgewinnung unfreiwillig in die Atmosphäre gelangen, deren Hauptquelle jedoch die Landwirtschaft, insbesondere die Viehhaltung und der Reisanbau, sind. Da das Wachstum der Weltbevölkerung die tieferliegende Ursache für die steigenden und in den nächsten Jahrzehnten geradezu dramatisch steigenden Methanemissionen ist, wird von diesen Quellen die eigentliche Bedrohung ausgehen, ohne daß wir hier etwas tun können, da man diese Quellen nicht verstopfen kann, ohne die Welt - und dabei natürlich zunächst die Dritte Welt - dem Hungertod auszuliefern. Leider sind für die Atmosphäre eben drei Kühe genauso schlecht wie ein Auto.
Das einzige, was uns zu tun bleibt, ist, die spurengasemissionen aus den erfaßbaren Quellen zu reduzieren. Das sind fast ausschließlich die Kohlendioxidemissionen des Energiebereichs.
Die Konferenz von Toronto hat im Jahre 1988 bereits eine Reduktion der CO2-Emissionen weltweit um 20 % bis zum Jahre 2005 gefordert. Die Enquete-Kommission ist noch einen Schritt weitergegangen und hat für Deutschland eine Verminderung um 30 % gefordert. Das erscheint sehr ehrgeizig. Wenn man jedoch berücksichtigt, daß die Verringerung von 20 % global erzielt werden soll, und wenn man bedenkt, daß eine Verbesserung der Lebensbedingungen in der Dritten Welt und vor allem das Bevölkerungswachstum dort zwangsläufig zu steigenden CO2- und CH4-Emissionen führt, ergeben sich für die Industrieländer wesentlich höhere Reduktionszwänge.
Aber bereits eine 30 %ige Verminderung der CO2Emissionen erfordert wesentliche Änderungen in der Energiepolitik: Energiesparmaßnahmen wie Wärmedämmung an Gebäuden; höhere Energieeffizienz im Energieumwandlungs- und Energieverbrauchsbereich, insbesondere im Verkehrsbereich, der nach allen Prognosen auch weiterhin den stärksten Anstieg des Energieverbrauchs verzeichnen wird; verstärkter Einsatz erneuerbarer Energien wie Wasser, Wind und Sonne; aber auch bessere Auslastung der bestehenden Kernkraftwerke.
Bei vielen von der Enquete-Kommission vorgesehenen Zielen zur CO2-Minderung stellt sich die Frage, ob sie realistisch und mit den Mitteln der Politik - wie Rechtsverordnungen und Steuern oder gar Subventionen - erreichbar sind. Betrachtet man die Entwicklung seit der ersten Ölkrise 1973, so stellt man fest, daß sich die energiebedingten CO2-Emissionen in Westdeutschland bis 1989 bereits um 11 % verringert haben. Das ist eine Folge zweier Prozesse: Zum einen hat sich der spezifische Energieverbrauch, d. h. der Energieverbrauch, der zur Erstellung einer Einheit des Sozialproduktes nötig ist, und zum anderen die Kohlenstoffintensität der Energieversorgung verringert. Letzteres ist im wesentlichen eine Folge des Zubaus von Kernkraftwerken in den 70er und 80er Jahren gewesen.
Die Senkung des spezifischen Energieverbrauchs wurde durch die Ölpreisexplosionen ausgelöst und führte zu erheblichen Strukturveränderungen, insbesondere in den energieintensiven Branchen, mit zum Teil massiver finanzieller Unterstützung durch den Staat. Das Ergebnis war eine 20 %ige Minderung des spezifischen Energieverbrauchs. Und dennoch ein Nullsummenspiel, weil der Energieeinsatz zur Erstellung des gestiegenen Sozialproduktes gleichgeblieben ist. Zur Zeit steigt der Energieverbrauch - wenn ich das gleich anfügen darf - wieder mit Zuwachsraten bis zu 6,5 %.
Die CO2-Reduktionen wurden überwiegend durch den Ausbau der Kernenergie und zu einem geringeren Teil durch den Einsatz von Erdgas statt Kohle oder 01 erreicht. Eine Minderung der CO2-Emissionen bis zum Jahre 2005 um weitere 30 % wird unter der Annahme eines weiterhin steigenden Sozialproduktes und ohne Ausbau der Kernenergie eine sehr schwierige Aufgabe werden.
({1})
An der Frage der Kernenergie ist denn auch die Gemeinsamkeit in der Enquete-Kommission gescheitert, da GRÜNE und SPD auch angesichts der Gefahren des Treibhauseffektes an ihrer Forderung nach einem möglichst schnellen Ausstieg aus der Kernenergie festhalten.
({2})
Die Wissenschaftler mußten daher auch unter der Annahme eines solchen Ausstiegsszenarios bis zum Jahre 2005 rechnen.
({3})
Um die 30 %ige CO2-Minderung ohne Kernenergie zu erreichen, mußten die Wissenschaftler die Annahmen drastisch verändern. Zum Beispiel: Der Endenergieverbrauch sinkt um 26 % gegenüber 14 % des Enquete-Kommission-Szenarios.
(Dr. Knabe [GRÜNE/Bündnis 90]: Das war
doch auch nötig, Frau Kollegin!
Die Energiepreise steigen stärker; volle Ausschöpfung des technischen Potentials z. B. bei Wärmekoppelung und Wärmedämmung über das in den anderen Szenarien als realisierbar angesehene Maß hinaus;
({4})
Minderung des Energiebedarfs im Verkehrssektor
({5})
entgegen allen anderen Prognosen und ohne umsetzbare Lösungsvorschläge. Die erneuerbaren Energien Liefern 13 statt 3 % des Bedarfs - ohne Angabe darüber, warum das nun plötzlich doch möglich sein soll.
Da das immer noch nicht ausreicht, muß in den Kernenergieausstiegsszenarien der Mix der fossilen Energien noch stärker verändert werden, und zwar weg von der Braunkohle - bis zu einem Umfang, der die Überlebensfähigkeit der Braunkohle in Frage stellt - hin zu noch mehr Erdgas, ohne daß die Frage beantwortet wird, wie das machbar sein sollte, wenn dieser Pfad von allen Ländern beschritten würde.
Zu den Kosten eines solchen Schritts sagt man dann besser nichts. So haben denn die Wissenschaftler die Frage, wieviel die verschiedenen Reduktionsstrategien kosten, meist nur sehr ungenau beantwortet. Insbesondere die von mir immer wieder gestellte Frage nach dem Energieerntefaktor wurde nicht beantwortet.
Man kann sich jedoch eine Situation vorstellen, in der eine Reduktion der Emissionen, auch unter Inkaufnahme hoher Kosten, erreicht werden muß. Aber auch in einer solchen Situation macht es keinen Sinn, alternative Energien einzusetzen, deren Energieerntefaktor negativ ist.
({6})
Frau Abgeordnete Segall, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller ({0})?
Nein, wir sind ohnehin schon so sehr in Zeitverzug.
({0})
Da der Erntefaktor sehr schwer zu berechnen ist, muß man die Kosten als einen Indikator auch für den Energieaufwand nehmen und die Prioritätenliste, nach der man sich für die einzelnen Schritte auf dem Wege zu einer Reduzierung der CO2-Emissionen richtet, an den Kosten orientieren.
Kosten sind in jedem Fall ein Indikator für den Ressourceneinsatz. Für alle Einsätze, egal, ob man nun ökonomische oder ökologische Ziele verfolgt, gilt das Gebot des schonenden Umgangs mit den knappen Ressourcen. Es gilt für den Umweltschutz wie für den Wohlstand, daß man um so mehr erreichen kann, je besser die Allokation der Ressourcen erfolgt.
({1})
Jede Verschwendung, d. h. falsche Allokation, hier wir dort, verhindert die ausreichende Versorgung und erhöht den falschen und damit unnötigen Ressourcenverbrauch, d. h. die Umweltzerstörung. Der Ressourcenverbrauch spiegelt sich in den Kosten wider. Die Kosten sind daher ein zuverlässiger Indikator auch für die Umweltzerstörung.
Unter der Prämisse des ökonomischen Einsatzes begrenzter Mittel ergibt sich logisch, daß die Alternative Kernenergie nicht a priori ausgeschlossen werden sollte. Bei Abwägung der Risiken könnte sich herausstellen, daß das Risiko der Kernenergie - insbesondere mit den deutschen Sicherheitsstandards - geringer ist als das Risiko einer Zunahme der Spurengase. Damit muß aber angesichts der steigenden Erdbevölkerung und der kostenträchtigen Alternativen, deren Einsatzpotential zudem noch begrenzt ist, gerechnet werden. Außerdem ergäbe sich die Möglichkeit, mit Hilfe der Prozeßwärme von Hochtemperaturreaktoren Öl und Gas aus Kohle zu gewinnen und damit dem heimischen Bergbau wieder eine umweltfreundliche Perspektive statt des sicheren Aus zu bieten und gleichzeitig unabhängiger von Öl- und Gasimporten zu werden.
Eine Volkswirtschaft, die ihre Ressourcen falsch einsetzt, verliert infolge der Preissteigerungen ihre Wettbewerbsfähigkeit und damit ihre Arbeitsplätze. Eine Volkswirtschaft, die einen Teil ihres Landes sanieren und wieder aufbauen muß, kann sich den falschen Ressourceneinsatz nicht leisten;
({2})
eine Erde, die für immer mehr Menschen Kleidung und Brot und damit Energie braucht, erst recht nicht.
Wenn hier alle Grundsätze eines ökonomischen Einsatzes knapper Güter über Bord geworfen werden, dann ist das Problem einer Minderung der Spurengasemissionen bei steigender Weltbevölkerung ganz sicherlich nicht zu lösen.
({3})
Damit komme ich zu meinem letzten Satz von diesem Platz aus. Gestatten Sie mir, daß ich Ihnen diesen Satz sozusagen in aller Ruhe ins Stammbuch schreibe: Nur dann, wenn wir uns darauf verständigen können, daß für das Überleben der Menschheit ganz pragmatisch jene Schritte getan werden müssen, die nach dem Stand der Technik zu den geringsten Kosten führen und damit die umweltschonendste Versorgung gewährleisten, besteht eine gewisse Hoffnung, daß wir auch mit dieser Herausforderung fertig werden. Die Politiker sind gefordert, die Risiken gegeneinander abzuwägen und dann für das Ergebnis zu kämpfen, auch wenn das manchmal unbequem ist.
({4})
Als nächster hat Herr Dr. Knabe das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine Partei allein kann das Klima nicht retten - das ist meine Erkenntnis aus drei Jahren Enquete-Kommission und Bundespolitik -, aber ohne die GRÜNEN geht es auch nicht. Das vor uns liegende Problembündel ist so groß und fordert so gewaltige Anstrengungen, daß eine Partei allein die dafür erforderlichen Kräfte niemals mobilisieren
könnte. Den GRÜNEN fehlen darüber hinaus die erforderlichen Mehrheiten im Parlament.
({0})
Doch auch die Regierungsparteien sind allein außerstande, die Weichen für konsequenten Klimaschutz zu stellen, denn ihnen fehlt ein wirksames Konzept. Wegen gegenläufiger Interessen der Wirtschaft verfährt man nach dem Prinzip „Reparatur statt Veränderung der Struktur" . Hier bedarf es des Drucks der Opposition, auch des Drucks der GRÜNEN.
Die Unterschiede zwischen den Parteien beginnen bereits bei der Analyse. Die Koalitionsparteien haben die der Kommission gestellte Aufgabe auf den Klimaschutz gegen FCKW und Treibhausgase begrenzt. Wir GRÜNEN dagegen verlangen den umfassenden Schutz der Erdatmosphäre vor der dreifachen Bedrohung: erstens durch die jederzeit mögliche Freisetzung von Radioaktivität, zweitens durch die Emission von FCKW, die den Abbau von Ozon in der Stratosphäre bewirken, und drittens durch klimawirksame Schadstoffe, die Temperaturerhöhungen von katastrophalem Ausmaß zu verursachen drohen.
Trotz der unterschiedlichen Analyse der Gefahren gibt es gemeinsame Forderungen der Enquete-Kommission. Sie ist einhellig zu der Einschätzung gelangt, daß unser Wissen nur einen Schluß zuläßt: Die ozonzerstörenden und treibhauswirksamen Stoffe sind unverzüglich zu verbieten bzw. zu reduzieren, um eine Klimakatastrophe zu verhindern. Diese einvernehmliche Feststellung unterstreicht die Dringlichkeit von Sofortmaßnahmen.
Allerdings finden wir GRÜNEN uns nicht mit der pragmatischen Einschätzung der Kommission ab, daß Ökosystemen eine Temperaturzunahme von 0,1 Grad Celsius alle zehn Jahre zugemutet werden kann. Dieser Schwellenwert unterstellt, daß sich intakte Ökosysteme solchen Temperaturänderungen gerade noch anpassen können. Doch zwei Dinge stimmen nicht: Ein Mittelwert sagt nichts über regionale Unterschiede und schnellere Steigerungen aus, und gestreßte Ökosysteme vertragen viel weniger. Der Waldschadensbericht, den wir gestern vorstellten, zeigt das.
Der zweite wichtige gemeinsame Punkt ist: Rationelle Energieerzeugung und -verwendung ist der wirksamste Weg zur CO2-Verminderung. Der Enquete-Bericht belegt ferner, daß sich der Ausstieg aus der Atomenergie und eine CO2-Verminderung um 30 % bis zum Jahr 2005 gleichzeitig erreichen lassen. Die Konsequenzen gehen jedoch nicht weit genug.
Auch bei den FCKW und den Halonen gibt es Gemeinsamkeiten. Man will den Ausstieg aus diesen Stoffgruppen. Allerdings werden aus der Analyse der Gefahren der Chlorchemie keine weitergehenden Forderungen entwickelt. Wir meinen, wir brauchen die Konversion der chemischen Produktion weg von der Chlorchemie.
({1})
Am Rande bemerkt: Die Schwierigkeit der Beschaffung von Daten der chemischen Industrie unterstreicht nur die Notwendigkeit von Akteneinsicht und Beteiligung der Öffentlichkeit.
Diese Punkte machen deutlich, daß es schon auf Grund dieser einstimmigen Beschlüsse zu einer massiven Reduktion der Schadstoffe kommen muß. Aber wir können nicht warten, bis ein neuer Bundestag zusammentritt, sondern die Regierung müßte jetzt schon handeln. Sie müßte diese Zwischenzeit nutzen, um konkret das Notwendige zu tun.
({2})
Ich bedanke mich bei dieser Gelegenheit, da ich dem nächsten Bundestag nicht mehr angehören werde, beim Vorsitzenden Bernd Schmidbauer. Ihre Diskussionsführung hat wesentlich dazu beigetragen, daß sich ein diskursiver Prozeß entwickeln konnte, der unterschiedliche Sichtweisen zusammenbrachte. In den Dank möchte ich Abgeordnete und Wissenschaftler sowie das Sekretariat und meine Mitarbeiter einbeziehen, auch Professor Peter Hennecke, dem ich viel verdanke.
({3})
Nach dem Dank die Unterschiede der Standpunkte: Zentraler Punkt, in dem die GRÜNEN von der Mehrheit der Enquete-Kommission abweichen, ist die Beurteilung der Atomenergie. Für die GRÜNEN gehört der Schutz vor Radioaktivität genauso zum Atmosphärenschutz wie die Abwehr von Treibhauseffekten oder Ozonzerstörung.
({4})
Schon aus diesem Grunde kann die Atomenergie nicht zur Lösung des Klimaproblems beitragen, da vor ihr selbst zu schützen ist.
Doch die Risikoabwendung ist nicht der einzige Grund für den Atomausstieg, sondern er ist die Voraussetzung für einen Umbau der Struktur. Die Großkraftwerke mit zentral gesteuerten Energieversorgungsunternehmen verhindern das dezentrale Angebot von regenerativen Energien, verhindern rationellen Energieeinsatz und Energieeinsparung durch Kraft-Wärme-Kopplung.
({5})
Ein Beispiel für die verpaßte Chance ist der Stromvertrag zwischen der ehemaligen DDR und den großen Energieversorungsunternehmen.
({6})
Man hat damit den Weg bereitet für einen Energiemarkt, der auf Zuwachs und Energieverschwendung angelegt ist. Eine Annullierung des Stromvertrages ist daher unerläßlich.
Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Verkehrspolitik. Wir GRÜNEN fordern eine Verkehrs- und, damit verbunden, eine Siedlungs- und Gesellschaftspolitik, die das Ausmaß der erzwungenen Mobilität vermindert und die Verkehrsströme auf umweltverträgliche Verkehrsmittel verlagert. Da braucht es ganz neue Ideen:
die „Entdeckung der Langsamkeit" und das „Auskosten der Nähe".
Für die Verkehrspolitik in den neuen Bundesländern bedeutet das z. B. - etwas überspitzt gesagt -: Es darf keine müde Mark in den Straßenbau fließen, solange die öffentlichen Verkehrsmittel Bus und Bahn nicht optimal ausgebaut sind.
Letzter Bereich: FCKW und Chemiepolitik. Wir brauchen hier einen ganz schnellen Ausstieg.
Die Arbeit der Enquete-Kommission soll weitergehen. Alle Fraktionen haben dem im Hinblick darauf zugestimmt, daß einzelne Verursacherbereiche wie Landwirtschaft und Militär noch nicht befriedigend untersucht werden konnten. Aber eine Fortsetzung der Arbeit ist nur berechtigt und sinnvoll, wenn der Bundestag genauso einstimmig die Regierung zum Handeln auffordert und ihr Beine macht. Der Bundeskanzler hat sein Wort gegeben, viel zu tun, aber er hat in Eisenach eine so in die Irre führende Rede über das Auto als Befreiung des jungen Menschen gehalten, daß man erschrecken muß.
({7})
Sein Verkehrsminister Zimmermann hat nichts begriffen. Der Umweltminister Töpfer hat es gar nicht erst gewagt, sich ernstlich mit der Autolobby anzulegen. Wirtschaftsminister Haussmann hat eine umweltfreundliche Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes blockiert und sich in keiner Weise für klimawirksame Verhaltensregeln im Außenhandel eingesetzt. Der Widerstand des Landwirtschaftsministers gegen ökologischen Landbau ist erst durch die EG ein bißchen geringer geworden.
({8})
Nur der Entwicklungsminister hat - wenn auch nicht immer mit geeigneten Mitteln - versucht, der Tropenwaldzerstörung entgegenzuwirken. Das bedeutet: ein Ja zur Enquete-Kommission auch von uns, aber die entschiedene Forderung, die Ergebnisse dieser dreijährigen Arbeit endlich und rasch umzusetzen.
Zurück zum Anfang: Eine Partei allein kann das Klima nicht retten. Wir brauchen den Wettstreit, um Lösungen durchzusetzen, und wir brauchen die Unterstützung von Verbrauchern, Kirchen, Gewerkschaften und allen Bürgerinnen und Bürgern.
Danke.
({9})
Frau Wegener hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 150 Klimaforscher tagen zur Zeit auf der zweiten Weltklimakonferenz in Genf und wiesen auf einen prognostischen Temperaturanstieg um 4 Grad Celsius in den nächsten hundert Jahren hin oder - um es anders auszudrücken - sprachen davon, daß es zu einem Anstieg des Meeresspiegeln von 30 bis 100 cm in den nächsten Jahren kommen kann.
Die Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" hat mit dem vorliegenden Bericht zu einschneidenden Gegenmaßnahmen aufgerufen. Es ist nun Aufgabe der Politiker und Politikerinnen, zu dem vorgelegten Material Stellung zu nehmen. Herr Schmidbauer, ich gehöre nicht zu denjenigen, die Fortschrittsglauben mit Aberglauben gleichsetzen, bin aber unbedingt dafür, daß Sofortmaßnahmen - sei es z. B. ein Tempolimit - realisiert werden sollten.
({0})
- Ja, ich habe da aus der Vergangenheit Kenntnisse, über die es wirklich zu diskutieren gilt.
Aus dem vorliegenden Material geht hervor, daß energiebedingte klimarelevante Spurengase zum zusätzlichen Treibhauseffekt beitragen. 40 % des Treibhauseffekts sind auf die Kohlendioxid-Emissionen zurückzuführen. Eine Reduktion dieser Emissionswerte bedeutet eine Minimierung des künstlichen Treibhauseffekts.
Eine der wesentlichen Quellen von Emissionen ist - neben dem Bereich der Energieerzeugung, auf den meine Vorredner schon eingegangen sind - der Verkehr. In dem Bericht sind wesentliche Reduktionspotentiale genannt. Ich möchte auf einige eingehen.
Es ist so, daß der Individualverkehr auch in der ehemaligen Bundesrepublik drastisch zugenommen hat. Nach meinen Kenntnissen ist der Pkw-Bestand jetzt bei 29,8 Millionen Stück angelangt. 45 % der Pkw-Fahrten liegen bei einer Route unter 4 km.
Frau Wegener, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Knabe?
Ja.
Frau Wegener, ich habe eine Frage, wobei ich nicht weiß, inwieweit Sie in frühere Entscheidungsprozesse eingebunden waren und darüber Bescheid wissen: Ich habe nie verstanden, warum die frühere SED-Regierung nichts, aber auch wirklich gar nichts zur Energieeinsparung getan hat.
({0})
Dazu muß ich natürlich sagen, daß ich dort nicht unbedingt in die Entscheidungsprozesse einbezogen war.
({0})
Man ist tatsächlich völlig falsch darangegangen. Die Ideologie, energiewirtschaftlich autark bestehen zu können, hat zu katastrophalen Zuständen im Bereich der Umwelt und dazu geführt, daß unser Gebiet absoFrau Wegener
lut sanierungsbedürftig ist. Bei uns wurde meistens danach gegangen, ob sich ein Projekt rechnet.
({1})
Die ökologische Sicht stand erst am Schluß.
Die Personenbeförderung im öffentlichen Verkehr - ich habe nur Zahlen zur Verfügung, die sich auf die ehemalige Bundesrepublik beziehen - ist von 1970 bis 1989 um 11 % zurückgegangen. Im gleichen Zeitraum hat das Eisenbahnnetz um 9 % abgenommen. Demgegenüber ist eine Verdoppelung der Strecken von Autobahnen zu verzeichnen: 1989 gab es 8 721 km Autobahnen. Die Omnibuslinien in Kilometern sind dagegen wesentlich zurückgegangen, nämlich um 22 %.
Ich spreche das alles an, weil in meiner Heimat, der DDR, ein gewisser Nachholbedarf besteht.
({2})
- Ja, die Heimat, irgendwie ist das noch die DDR.
({3})
Fakt ist jedenfalls, daß dort natürlich ein erheblicher Bedarf an Pkw besteht; meine Vorredner sind darauf eingegangen.
Ich sehe einfach die Notwendigkeit, daß die Fehler, die meiner Meinung nach in diesem Gebiet gemacht wurden, nicht auf uns übertragen werden, so daß der öffentliche Straßenverkehr noch mehr zum Erliegen kommt. Es geht darum, über Strukturmaßnahmen, infrastrukturelle Maßnahmen, nachzudenken.
({4})
Weiterhin ist darüber nachzudenken, wie man diesen Prozeß mit ordnungs- und finanzpolitischen Aktivitäten steuern kann; von Kraftstoffverbrauchsvorschriften, über Abgasreinigungstechniken bis zum Tempolimit ist da durchaus ein breites Spektrum gegeben.
Dann geht es um die Fluorchlorkohlenwasserstoffe, die zum erheblichen Teil für den Abbau der Ozonschicht verantwortlich sind. Wir unterstützen das sofortige FCKW-Verbot. Wir sind der Meinung, daß der Zeitfaktor eine erhebliche Rolle spielt. Wir denken, daß die Anträge der GRÜNEN und der SPD berechtigt sind, und wollen die Forderung, die FCKW-Produktion 1990 um 50 % zu reduzieren, unterstützen.
Der Zusammenhang zwischen der FCKW-Produktion und dem Verbrauch wird in den mir vorliegenden Materialien dargelegt. Daraus geht hervor, daß die Bundesrepublik bei weitem mehr produziert, als sie verbraucht. Ich denke, darauf muß in Zukunft eingegangen werden.
Danke schön.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Lippold.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die vor uns stehenden Ökokatastrophen - Treibhauseffekt, Ozonloch, Zerstörung des tropischen Regenwaldes - erfordern sofortiges Handeln; das ist unabweisbar. Ich glaube, wir sollten uns darin einig sein, daß wir denjenigen, die heute noch Zweifel anmelden, ob das wirklich alles so sei, denjenigen, die meinen, so schlimm sei es doch nicht, es gebe noch kein Handlungserfordernis, deutlich machen, daß wir, wenn wir jetzt nicht handeln, letztendlich die Zeit verspielen, die uns noch bleibt; die ist eh viel zu karg bemessen. Das sollten wir gemeinschaftlich vertreten.
Ich freue mich deshalb, daß die Empfehlungen der Enquete-Kommission zur FCKW- und zur Ozonproblematik sofort in politisches Handeln, in internationale Aktivitäten der Bundesregierung umgesetzt wurden und daß wir hier mit Erfolg sagen können: Wir werden weltweit Ergebnisse vorweisen.
Übrigens, an meine Kollegin von der SED/PDS gerichtet: Wir werden in der Bundesrepublik eine Vorreiterrolle spielen. Das, was Sie fordern, werden wir 1995 bereits realisiert haben, viel schneller als alle anderen Staaten in Europa und schneller als alle anderen Staaten weltweit.
Herr Abgeordneter Lippold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sperling?
Unter den üblichen Kautelen, ja.
Herr Kollege Lippold, nachdem Sie am Donnerstag der vergangenen Woche zu einem Gesetzentwurf der GRÜNEN ökologisch-soziales Wirtschaften betreffend, gesprochen haben, frage ich Sie: Warum haben Sie dabei den Spruch vom sofortigen Handeln nicht ebenfalls angewendet?
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Ganz einfach deshalb, Herr Sperling, weil, wie Sie mitverfolgt haben, dieser Vorschlag völlig unausgereift war und noch der Verbesserung bedarf. Diese Verbesserung werden wir vornehmen. Das habe ich zugesagt. Deshalb hätten Sie das bereits damals erkennen und jetzt auf die Frage verzichten können.
Ein weiterer Punkt. Wir haben mehr Sofortmittel als jede andere Nation zur Verfügung gestellt, um bedrohte Gebiete des Tropenwaldes unter Schutz stellen zu können.
({0})
Es ist wichtig, daß hier direkt gehandelt wird.
Ich gehe auch davon aus, daß die Kabinettsvorlage zu der Problematik, die wir heute hier behandeln, so zügig wie versprochen umgesetzt wird, so daß dann die Empfehlungen der Enquete-Kommission zum Energiebereich ebenfalls umgesetzt werden.
Ich will jetzt an die Adresse der Kollegen von der SPD eines ganz deutlich sagen, weil hier ja parteiliche, kleinkarierte Politik betrieben wurde. Wissen Sie, es kann nicht angehen, daß Sie auf der einen Seite
Dr. Lippold ({1})
sagen, alles müsse sofort und noch viel schneller geschehen, als es die Regierungskoalition umsetze, aber auf der anderen Seite, auf der Verbrauchsseite, mehr fordern. Wenn Sie merken, daß wir so viele Wohnungen bauen, wie Sie in Ihrem alten Parteientwurf verlangten, dann fordern Sie schnell noch einmal 100 000 mehr, weil Sie mitbekommen haben, daß die Wohnungsbauministerin dies vorab bereits realisiert hat. Aber das kostet Energie.
Ich sage: Wir müssen ehrlich sein. Das richtet sich an alle Parteien. Es gibt bestimmte Dinge, bei denen wir nicht auf Konsum verzichten wollen, sondern wo wir den Verbrauch ausweiten wollen, und da sind Sie immer an der Spitze. Dann seien Sie auch so ehrlich und sagen: Das bedingt, daß wir hier Folgen und Konsequenzen hinnehmen müssen.
Wenn Sie in Ihrem Programm auf der einen Seite eine CO2-Reduzierung wollen, aber auf der anderen Seite aus Opportunitätsgründen die Steinkohle ausnehmen, dann muß man dazu sagen: Auch das ist kein Beitrag zur Lösung des Problems der Klimakatastrophe. Wer den CO2-Träger Steinkohle aus vordergründigen parteipolitischen Interessen nicht einer Reduktion unterwerfen will, kann sich nicht hier an das Pult stellen und sagen: Alles andere muß schneller realisiert werden, und die Regierung tut nichts. Das ist unehrlich.
({2})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, an die Adresse der GRÜNEN gerichtet: Man kann nicht einerseits fordern, daß wir vom Personenindividualverkehr auf den Schienenverkehr umsteigen; und andererseits stehen überall, wo eine Strecke ausgewiesen werden soll, Ihre Leute, protestieren, machen und verzögern Einsprüche die Realisierung des schienengebundenen Verkehrs, den wir einführen wollen.
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Es sind die gleichen Leute, die sich hier hinstellen und den Umstieg auf den ÖPNV fordern und die draußen Transparente herumtragen und sagen, es dürfe keinen Eingriff in die Natur geben. Das ist unehrlich!
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin dafür, daß die von uns betriebene Politik klar fortgesetzt wird, daß die Bundesrepublik Deutschland in Gänze eine eindeutige Vorreiterrolle übernimmt und daß wir weiterhin an der Spitze derer stehen, die etwas für den Schutz der Erdatmosphäre tun wollen.
Aber lassen Sie uns dabei nicht vergessen, daß wir alleine dieses Problem nicht lösen können, daß wir internationale, weltweite Konventionen brauchen. Deshalb noch einmal meine herzliche Bitte, daß wir international gemeinschaftlich vorgehen, um unseren Vorstellungen mehr Nachdruck zu verleihen, damit die notwendige Klimakonvention schneller verabschiedet wird, als es sonst möglich wäre. Wir brauchen ein internationales Vorgehen. Wir können nur einen geringen Anteil selbst beitragen. Wir müssen aber dafür sorgen, daß wir über alle Ländergrenzen der Welt hinweg diesen Klimaschutz leisten.
({5})
- Herr Schäfer, Sie können doch hier nicht so tun, als hätten wir das alles zu verantworten. Nachdem Sie unsere Wiedervereinigungspolitik verzögert haben, rechnen Sie jetzt die ökologischen Daten der ehemaligen DDR sofort mit hinzu, als ob wir diese zu verantworten hätten.
({6})
Da müssen wir doch einmal ganz deutlich sagen: Geben Sie diesen Vorwurf an die SED/PDS weiter! Da gehört er hin. Grenzen Sie sich einmal deutlicher von denen ab, und nehmen Sie Ihr altes Papier mit der SED wieder zurück!
({7})
Herr Dr. Lippold, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Stahl?
Aber gerne.
({0})
Herr Kollege Lippold, können Sie vielleicht den Unterschied zwischen Ihrer Rede und der Rede Ihres verehrten Kollegen Schmidbauer erklären, der sagte, daß es unbedingt notwendig ist, nicht nur internationale, sondern auch nationale Maßnahmen zu ergreifen? Denn unbestritten ist doch wohl, daß man mit nationalen Maßnahmen international natürlich mehr Schutzwirkung bekommen kann. Können Sie erklären, warum in Ihrer Fraktion zwischen Herrn Schmidbauer und Ihnen - dies wird durch Ihre sehr engagierte, aber einseitig festgelegte Rede deutlich - so ein riesenhafter Unterschied in der Gesamtbetrachtung dieses Themas besteht?
({0})
Sind wir nicht inzwischen eine Bundesrepublik, und wäre es nicht notwendig, daß die Bundesregierung vor allen Dingen dem Bundesumweltminister im Kabinett mehr Geld bereitstellte, um mehr an Anschubwirkung, was Umweltschutz in den ostdeutschen Ländern angeht, zu erreichen?
({1})
Sehr verehrter Herr Kollege Stahl, ich lasse jetzt einmal das Augenzwinkern weg, das Sie bei Ihrer Frage hatten, und komme direkt zum Thema.
Der erste Punkt ist: Nachdem dieser Umweltminister Entscheidendes, mehr Umweltschutz als je zuvor,
Dr. Lippold ({0})
durchsetzt, wollen wir den Vorgänger Baum doch in Schutz nehmen, der viel mehr wollte, aber in Ihrer Koalition blockiert wurde. Das ist der Unterschied.
({1})
Dieser Kanzler treibt den Umweltminister nach vorne und stützt ihn überall. Ihr damaliger Kanzler hat den Umweltminister blockiert.
Es gibt einen weiteren Punkt, Herr Kollege, den ich aufklären muß: Es gibt keinen Unterschied in der Aussage zwischen dem Kollegen Schmidbauer und mir, wobei ich noch einmal auf seine verdienstvolle Rolle in der Enquete-Kommission hinweisen will.
({2})
Ich habe gerade ganz deutlich davon gesprochen, Herr Schäfer, daß wir in der Bundesrepublik eine Vorreiterrolle beibehalten wollen.
Jetzt erläutere ich einmal, Herr Kollege Stahl, was „Vorreiterrolle" heißt. Auf Deutsch heißt das: Wir tun im Umweltschutz mehr, wir tun zur Bewältigung der Ökokatastrophen mehr als jedes andere Land in Europa, und wir tun entscheidend mehr als jedes andere Land auf der Welt. Ich weiß, daß uns das im wirtschaftlichen Wettbewerb Schwierigkeiten bereitet.
({3})
Aber wir sind bereit, das mitzutragen, weil wir von der Notwendigkeit, diese Vorreiterrolle durchzuhalten, überzeugt sind.
Wir könnten den anderen Ländern in der Welt nicht sagen, daß sie unserer Politik und unseren Initiativen folgen sollen, wenn unser Handeln unserer Politik widersprechen würde. Deshalb : beispielhaftes Handeln, damit wir international mehr Akzeptanz für die beispielhaften Initiativen bekommen, die wir ergreifen.
({4})
Ihre Redezeit ist nach unserem Plan beendet.
Ich unterwerfe mich immer der Forderung des Präsidiums; aber es soll mir keiner nachsagen, ich würde eine Zwischenfrage nicht beantworten.
Als nächste hat Frau Professor Ganseforth das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Die Enquete-Kommission legt ihren Dritten Bericht vor. Ich möchte an dieser Stelle den Kolleginnen und Kollegen, den Wissenschaftlern, die mitgearbeitet haben, und besonders den Mitarbeitern aus dem Büro der Enquete-Kommission ganz herzlich danken.
({0})
Wir können auf die Arbeit, die wir hier vorlegen, stolz sein. Die Diskussionen waren wichtig und fruchtbar. Wir haben viele Fakten zusammengetragen. Wir haben viel gelernt, und wir waren in der Enquete-Kommission alle ernsthaft bemüht, ohne Rücksicht auf bestimmte Interessen um der Sache willen zu Ergebnissen zu kommen.
({1})
Das ist uns auch meistens gelungen. Es gab einige Ausrutscher. Die Rede von Herrn Lippold eben ließ etwas davon durchblicken, an welchen Stellen es da Schwierigkeiten gab.
Der Dritte Bericht, der sich schwerpunktmäßig mit dem Treibhauseffekt befaßt, hat Wege für die Co2Reduzierung aufgezeigt. Allen drei Wegen, die die Wissenschaftler gerechnet haben, ist gemeinsam, daß sie erhebliche Anstrengungen zur Reduktion des Energieverbrauchs und zum effektiven Energieeinsatz verlangen. Diese Anstrengungen und der Einsatz regenerativer Energien sind nötig, denn bis zum Jahr 2005 muß, um die Klimaveränderungen halbwegs im Griff zu halten - d. h. Temperaturveränderung pro Jahrzehnt zwischen 0,1 und 0,2 °C -, der Co2-Ausstoß um 30% reduziert werden. Ergebnis bei allen drei Wegen ist, wie gesagt: effektiver Energieeinsatz, Reduktion des Energieverbrauchs, deutlicher Einstieg in die regenerativen Energien.
Darüber hinaus gab es drei Varianten. Eine Variante hieß: Ausbau der Kernenergie mit je zwei Blök-ken ab 1997.
({2})
Übrigens hatte ich nicht den Eindruck, daß in der Enquete-Kommission jemand dieser Variante zustimmte.
({3})
Herr Probst scheint da anderer Meinung zu sein. Es gab auch bei Vertretern der Wissenschaft und der Industrie, die nicht der Enquete-Kommission angehörten, einige, die diese Variante für möglich hielten. Innerhalb der Enquete-Kommission war meines Wissens niemand der Meinung, daß diese Variante eine realistische Variante ist.
({4})
Die zweite Variante: Status quo in der Kernenergie, d. h. Beibehaltung des jetzigen Verbrauchs, bessere Auslastung der Kernkraftwerke, also weniger Stillstand und eventuell Nachbau von auslaufenden Kernkraftwerken. Ich hatte den Eindruck, daß diese Variante so zusammengestellt wurde, als sei sie nun die vernünftigste. So war die ganze Aufgabenstellung angelegt. Die dritte Variante ist: Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Jahr 2005. Leider haben wir unsere vierte Variante, die wir gern gehabt hätten, immer nur so als Anhängsel hinbekommen, nämlich einen Ausstieg bis zum Jahr 1995, also einen schnelleren Ausstieg.
Bei allen drei Varianten kommt man zu dem Ergebnis: Es ist möglich, den CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2005 um 30 % zu reduzieren. Bei allen drei Varianten
kommt man zu dem Ergebnis: Es erfordert erhebliche Anstrengungen und Eingriffe, es erfordert eine Umstrukturierung des Energiesystems.
In der Bewertung der Varianten kommen wir zu unterschiedlichen Auffassungen, was auch in den Zusatzvoten im Dritten Bericht nachzulesen ist. Wir von der SPD bewerten die Varianten deshalb unterschiedlich, weil wir einmal keine Risikostreuung haben wollen - bei Frau Segall klang das vorhin durch - : Risiko der Freisetzung von Radioaktivität und Risiko der Klimaänderung. Das ist nicht die richtige Lösung. Der zweite Grund, warum wir die Variante mit Fortbestehen oder Ausbau der Kernenergie nicht für realistisch halten, ist, daß wir glauben, die Umstrukturierung und das, was wir den Menschen abverlangen müssen, nur dann erreichen zu können, wenn wir ihnen nicht gleichzeitig ein zweites Risiko aufdrängen oder es beibehalten, sondern ihnen sagen können: Wir können beide Risiken beseitigen, das Klimarisiko und das radioaktive Risiko. Den dritten Grund hat Herr Knabe schon angesprochen. Wenn wir von der Großtechnologie wegkommen wollen - das müssen wir - , wenn wir zu dezentraler Energieversorgung kommen wollen, wenn wir das Energiesparen vorantreiben wollen, dann ist Kernenergie, die fixkostenorientierte Energie, die angebotsorientierte Energie, die Großtechnologie, genau der falsche Weg; er verhindert das Umstrukturieren.
({5})
So weit zu den Ergebnissen der Enquete-Kommission.
Viele Menschen haben unsere Arbeit mit Sorge und mit Hoffnung verfolgt. Die Befürchtungen, die ich von Anfang an gehört habe, waren die: Beschäftigt ihr euch nicht nur wissenschaftlich und im Elfenbeinturm mit interessanten Details und interessanten Themen als Ersatz für Handeln? Bringt die Einsetzung einer Enquete-Kommission das Handeln wirklich voran? Jetzt, am Ende der Legislaturperiode, nach dem Dritten Bericht, müssen wir uns dieser Frage stellen. Ich komme zu dem Ergebnis: Diejenigen, die sich mit diesem Thema ernsthaft beschäftigt haben, müssen diese Frage mit Nein beantworten. Wenn man nicht internationale Konferenzen und Reden als Handeln bezeichnet, ist das Handeln durch die Enquete-Kommission nicht bewegt worden. Es hat in Teilbereichen reparierende Verbesserungen gegeben, die vermutlich auch ohne die Enquete-Kommission zustande gekommen wären.
Die ökologische Selbstzerstörung der industriellen Zivilisation geht ungebrochen, ja verstärkt, weiter. Von der Vorreiterrolle kann ich nichts sehen. Gegenüber 1982, als Bundeskanzler Schmidt noch an der Regierung war, ist der Pro-Kopf-Verbrauch der Energie um 8 % gestiegen, der Verbrauch von Öl und Gas ist um 5 % gestiegen; wir haben doppelt soviel Atomstrom wie 1982. Es wird soviel Auto gefahren wie nie; es wird schneller gefahren als jemals. Die Autos werden von Jahr zu Jahr größer, die Personenzahl pro Pkw wird geringer.
Bahnstrecken für den Güter- und Personenverkehr werden weiterhin stillgelegt. Immer mehr Güter gehen auf die Straße. Fast alle Energiesparmaßnahmen der Regierung Schmidt sind ausgelaufen oder abgeschafft worden, z. B. das Programm zur Förderung der Fernwärme, steuerliche Sonderabschreibungen und Investitionszuschüsse für Energiesparmaßnahmen in Gebäuden und energiesparende Produkte. Die erneuerbaren Energien wurden stiefmütterlich behandelt, Herr Probst. Ihr Anteil am Energieverbrauch sank von 1982 bis 1989 von 2,9 % auf 2,5 %. Die Förderung der Kernenergie hat die Bundesregierung dagegen vorangetrieben.
({6})
Die Fusionenergie wird gefördert. Die erneuerbaren Energien werden aber nur mit 2 Milliarden DM in der Forschungsförderung berücksichtigt.
Zusätzlich hat die Bundesregierung den Ausverkauf der Energiewirtschaft der ehemaligen DDR an die westdeutschen Energiekonzerne gefördert; Herr Knabe hat das vorhin angesprochen.
Eine Klimaschutzpolitik ohne eine Veränderung der Verkehrspolitik ist wirkungslos. Die Energieversorgungsunternehmen leisten massiven Widerstand gegen jede nötige Umstrukturierung, genauso wie es damals gemacht worden ist, als es um Emissionsverbesserungen der Energieversorger ging. Sie werden gestützt von Wirtschaftsminister Haussmann.
Beim Wohnungsbau geht es nicht darum, Herr Lippold: Wohnungsbau ja oder nein, sondern es geht darum, wie der Wohnungsbau gemacht wird.
({7})
Das Bauerleichterungsgesetz der Bundesregierung ist nicht nur aus diesem Grunde, aber auch aus Klimagründen, ein Weg in die falsche Richtung. Zersiedelung hat die Zunahme des Individualverkehrs und Kosten für die öffentliche Infrastruktur notwendig zur Folge.
Herr Schmidbauer, ich hatte das Gefühl, daß Ihre Rede heute auch eine Rede „als ob" gewesen sei, die die Kluft zwischen Reden und Handeln nicht deutlich macht; daran kranken wir.
({8})
Statt einer Politik des „als ob" fordern wir das, was möglich ist, sofort.
Wir haben in dieser Legislaturperiode viele Gesetze eingebracht, und wir bitten Sie, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen, der ganz konkrete Vorschläge macht, die sofort einzuführen sind.
Schönen Dank.
({9})
Herr Dr. Lippold zu einer Kurzintervention.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will noch einmal kurz darauf eingehen. Worauf ich hingewiesen habe, Frau Kollegin, war erstens, daß man natürlich sehen muß, daß durch das, was wir
Dr. Lippold ({0})
gemeinschaftlich anstreben, nämlich mehr Wohnungen sofort zu schaffen, natürlich auch bestimmte ökologische Auswirkungen vorhanden sind, die wir in diesem Fall wohl hinnehmen müssen, wenn wir dem als dringend erkannten Problem abhelfen wollen. Ich habe nur gesagt - ich wiederhole das - : Es ist unehrlich, wenn Sie auf der einen Seite darauf hinweisen und gleichzeitig sagen, das sei alles schädlich, auf der anderen Seite aber sagen, davon gebe es nicht genug. Als Konsequenz daraus ergäbe sich, daß Sie sagten, von dem, was schädlich sei, gebe es aus Ihrer Sicht nicht genug, um das logisch auf einen Nenner zu bringen.
Zweitens ist es natürlich unehrlich - Herr Kollege Stahl weiß, was jetzt kommt - , daß Sie vom Ausstieg aus der Kernenergie sprechen, obgleich Sie wissen, daß die Kernenergie zwar nicht die Lösung ist, aber daß sie einen Beitrag zur Lösung des Problems liefern kann. Ich sage Ihnen hier und heute noch einmal: Ihre Haltung ist unehrlich. Die Haltung der GRÜNEN ist da besser: Wenn ich Kernenergie für nicht verantwortbar halte, muß ich sofort aussteigen. Aber wie Sie zu sagen, sie sei nicht verantwortbar, während Sie sie aber weiter nutzen, halte ich für unehrlich. Ich halte die Kernenergie für verantwortbar. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wenn Kernenergie nicht verantwortbar wäre, wäre ich für den Sofortausstieg. Ich halte sie deshalb für verantwortbar, weil wir mit den Risiken umgehen können. Sie wird vor dem Hintergrund der Bevölkerungsexplosion und dem Energieanspruch der Völker der Dritten Welt, insbesondere Chinas, die sonst statt 1 Milliarde t Kohle 4 Milliarden t Kohle verbrauchen werden, mit zum Einsatz kommen müssen, damit wir das gemeinschaftliche Ziel der Schadstoffreduktion erreichen. - Das müßten Sie einmal mit der Ehrlichkeit, mit der es auch Ihr Kollege Stahl sagt, hier zu konzedieren bereit sein; dann hätten wir mehr Ehrlichkeit in der Diskussion.
Vielen Dank.
({1})
Danke schön. - Darauf soll, wie ich das sehe, keine Zwischenantwort gegeben werden.
Das Wort hat der Bundesminister Herr Dr. Töpfer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dies ist ganz eindeutig die Stunde des Parlaments. Deswegen will sich die Bundesregierung nur auf eine kurze Anmerkung beschränken, auch mit Blick auf das, was hier gesagt worden ist. Ich tue das auch gleichzeitig für das Bundeswirtschaftsministerium.
Erste Anmerkung. Diese Arbeit der Enquete-Kommission ist eine großartige Arbeit. Sie ist weltweit ohne Vergleich. Sie ist für unser politisches Handeln in der Vergangenheit wichtig gewesen und wird es weiter bleiben.
Zweitens. Die Analyse ist klar. Sie wird von der Bundesregierung so geteilt. Es ist unstrittig: Die Pflicht zum Handeln ist nicht zu übersehen, und zwar national, europäisch und weltweit.
Drittens. Die Bundesrepublik Deutschland ist die einzige große Industrienation, die entschieden hat. Wir haben entschieden: eine Minderung um 25 % der CO2-Emissionen, in Kenntnis der Tatsache, daß es in den letzten Jahren einen Anstieg von CO2-Emissionen in der Bundesrepublik Deutschland nicht gegeben hat. Wir sind der Überzeugung, daß diese 25 % nicht hinreichend sind, in Kenntnis der erweiterten Bundesrepublik Deutschland. Hier werden wir höhere Ansätze brauchen.
Viertens. Ohne diese Position der Bundesrepublik Deutschland wäre eine Entscheidung in Europa, in der Europäischen Gemeinschaft, überhaupt nicht möglich gewesen. Die Entscheidung, zu einer Stabilisierung in der Europäischen Gemeinschaft insgesamt zu kommen, setzt voraus, daß die Bundesrepublik Deutschland mehr tut; denn es ist nach wie vor nicht möglich, Großbritannien, Spanien, Portugal und Griechenland zu einer Stabilisierung bis zum Jahre 2000 zu bewegen. Das heißt konkret, für alle zusammen: Wir müssen mehr tun, und wir tun mehr.
Fünfte Anmerkung. Wir haben eine Konkretisierung dieser unserer CO2-Strategie in Auftrag gegeben. Wir werden im Monat November eine gemeinsame Position der Bundesregierung zum Handeln vorlegen. Wir möchten darauf hinweisen, daß in der Aussage der SPD die Kohle ganz offenbar ausgeklammert ist.
({0})
Wir fragen nach, ob sich diese Position weiterentwikkelt hat. Wir wären sehr dankbar, wenn das der Fall wäre. Wir halten es für notwendig, auch eine Novelle der Großfeuerungsanlagenverordnung ins Auge zu fassen, um die Aufnahme von Wirkungsgraden für die Nutzung fossiler Energieträger zu erreichen und damit mehr Energie aus der gleichen Primärenergie zu erarbeiten.
Sechstens. Wir sind der Meinung, daß wir die europäische Einigung im Klimaschutz vorantreiben müssen, gerade auch bei der Besteuerung von Energie. Ich gehe davon aus, daß wir auf diesem Gebiet einvernehmlich handeln können.
Siebtens und letztens. Wir sind der Überzeugung, daß es weltweites Handeln notwendig macht. Das, Herr Abgeordneter Stahl, können wir sicherlich besser tun, wenn wir zu Hause diese progressive Position weiter umsetzen; denn damit können wir zeigen, daß auch wirtschaftlicher Wohlstand erhalten werden kann, ohne dafür Hypotheken auf die Umwelt aufzunehmen, ohne kommende Generationen zu belasten. Wir gehen in die Konferenz 1992 in Brasilien mit der klaren Zielsetzung, zu einer Konvention für den Klimaschutz zu kommen. Wir hoffen, daß wir es auch erreichen können, entsprechende konkretisierende Protokolle für CO2 zu verwirklichen.
Ich kann festhalten: Die Enquete-Kommission hat die Entscheidung der Bundesregierung, sich massiv zur Minderung von CO2 zu bekennen und entsprechend zu handeln, unterstützt. Die Bundesregierung dankt dem Parlament für diese Unterstützung.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Mir ist soeben mitgeteilt worden, daß uns zwei unserer Kollegen und Kolleginnen mit der nächsten Legislaturperiode verlassen, nämlich Frau Dr. Segall und Herr Dr. Knabe. Wenn das so ist und das vermutlich die letzte Rede in diesem Hause gewesen ist, sage ich: Wir alle danken Ihnen beiden sehr herzlich für die kollegiale Zusammenarbeit und wünschen natürlich alles Gute. Danke schön.
({0})
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu den Abstimmungen, zuerst zum Tagesordnungspunkt 19a.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den dritten Bericht der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Verkehr und den Ausschuß für Forschung und Technologie zu überweisen. Ergänzungen, Widerspruch? - Dann ist das so beschlossen.
Zum Bericht der Enquete-Kommission liegt auf Drucksache 11/8378 ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei unterschiedlichem Abstimmungsverhalten der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 und der Gruppe der PDS abgelehnt.
Weiterhin liegen zum Bericht der Enquete-Kommission zwei Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 auf den Drucksachen 11/8379 und 11/8380 vor. Die Entschließungsanträge sollen an dieselben Ausschüsse überwiesen werden, an die auch der Bericht der Enquete-Kommission überwiesen worden ist. - Das Haus ist damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen dann zum Tagesordnungspunkt 19 b und c und zum Zusatztagesordnungspunkt 12. Es handelt sich um drei inhaltsgleiche Anträge der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP, der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 auf den Drucksachen 11/8171, 11/8198 und 11/8354.
Da die Anträge übereinstimmen, können wir über sie gemeinsam abstimmen. Wer stimmt für diese Anträge? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dies ist einstimmig so angenommen.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 19d: Überweisung des Berichts der Bundesregierung auf Drucksache 11/8166. Das betrifft die Maßnahmen zum Schutz der Ozonschicht.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vor. Gibt es Widerspruch gegen den Überweisungsvorschlag? - Dann ist das so beschlossen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 19e: Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf
Drucksache 11/7443. Es handelt sich um die EGRichtlinie betreffend gefährliche Stoffe in Batterien und Akkumulatoren.
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 19f: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 11/6710. Es handelt sich um Anträge der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 und der Fraktion der SPD zum Schutz der Ozonschicht.
Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. I seiner Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ist Nr. I der Beschlußempfehlung angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. II, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 auf Drucksache 11/4900 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Enthaltungen der SPD und Gegenstimmen der GRÜNEN/Bündnis 90 und der Gruppe der PDS mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen insoweit angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuß unter II, den Antrag der SPD auf Drucksache 11/5268 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ist diese Beschlußempfehlung angenommen.
Wir kommen jetzt zu Zusatzpunkt 13 und damit zur Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/7872 betr. den umfassenden Schutz der Erdatmosphäre und des globalen Klimas.
Herr Dr. Knabe, Sie wollen eine Erklärung zur Abstimmung abgeben? Oder wie darf ich das verstehen?
({1})
Es ist natürlich höchst ungewöhnlich, daß hier eine solche Verabredung getroffen worden ist. Ich habe angekündigt, daß wir insgesamt in der Abstimmung sind. Insofern könnte ich das nicht mehr zulassen, Herr Kollege. Tut mir furchtbar leid.
({2})
Ich glaube, wir sollten uns nach der Geschäftsordnung richten.
Sie wollen eine Erklärung zur Abstimmung abgeben? - Bitte. Ich bitte allerdings darum, keine Debatte zu eröffnen. Herr Dr. Knabe, ich erteile Ihnen das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung.
Ich wollte eine Erklärung zur Abstimmung abgeben. Der Antrag der GRÜNEN, der hier vorliegt und für den wir stimmen werden, ist kein Ersatz für den Bericht dieser Enquete-Kommission, sondern er ist das Handlungskonzept, das man unmittelbar umsetzen könnte. Er ist eine Zusammenfassung der einzelnen Anträge, die die
GRÜNEN während ihrer vier Jahre hier gestellt haben, die eine unmittelbare Wirkung auf das Klima haben. Ich wiederhole: kein Ersatz für die Arbeit der Enquete-Kommission, sondern eine wichtige Ergänzung.
Die Bedeutung eines Ja in diesem Augenblick besteht darin, daß damit unmittelbar der Bundestag der Regierung eine Anweisung geben würde, zu handeln, daß er nicht nur eine vage Empfehlung ausspricht oder einen dicken Bericht fertigt, aus dem sie die einzelnen Punkte heraussuchen kann und, wenn es ihr gefällt, den einen oder anderen Punkt aufgreift.
An einem allgemeinen Willen, etwas zu tun, will ich ja gar nicht zweifeln. Aber die konkreten Punkte sollten hier benannt werden.
Ich bitte Sie deshalb, sich diesen Antrag auf Drucksache 11/7872 noch einmal sehr sorgfältig anzusehen und ihn hier zusammen mit den GRÜNEN positiv zu verabschieden.
({0})
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der GRÜNEN auf Drucksache 11/7872. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der SPD und Gegenstimmen der Koalitionsfraktionen ist dieser Antrag abgelehnt.
Wir kommen zu Zusatzpunkt 14 und damit zur Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit betr. drei Vorlagen zum Schutz der Ozonschicht auf Drucksache 11/8312. Die Anträge liegen Ihnen vor. Wer für die Beschlußempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 15 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung
- Drucksachen 11/4166, 11/8056 Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Dr. Wisniewski Dr. Nöbel
Richter
Such
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/8056 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP
Die Gemeinschaft und die deutsche Einigung - Drucksache 11/8391 Hier ist auch keine Aussprache vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den Antrag stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 und der Gruppe der PDS ist der Antrag angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung der Unterrichtung
Ergänzende Veröffentlichung zum Bericht des 3. Untersuchungsausschusses „NEUE HEIMAT" der 10. Wahlperiode nach Artikel 44 des Grundgesetzes
- Drucksache 10/6779 - Drucksache 11/6689 Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hüsch.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kollegen! Fast vier Jahre hat es gedauert, bis der zunächst geheime Bericht des 3. Untersuchungsausschusses „Neue Heimat" öffentlich gemacht werden konnte und jetzt im Parlament erörtert wird. Es läge nahe zu meinen, das sei zu spät und jetzt ohne Nutzen. Spät ja, zu spät nein, von Nutzen sicher; denn nie darf mehr vergessen werden, was der Neue Heimat-Skandal für die gewerkschaftliche und politische Hygiene in unserem Land bedeutet,
({0})
wozu Funktionsallmacht führt, daß Genossenfilz und Kumpanei auch dann schreckliche Folgen haben oder sich gerade dort am verheerendsten auswirken, wo sie angeblich im Namen der Arbeitnehmer entstanden sind und gepflegt wurden.
({1})
Der Deutsche Gewerkschaftsbund ist einen schwerwiegenden Irrweg gegangen, als er sich entschied, an der Wirtschaft teilzunehmen und sozusagen die Früchte des von ihm bekämpften Kapitalismus zu ziehen, ohne selbst die Fähigkeit zu haben, auf Dauer geschäftlich erfolgreich tätig zu sein,
({2})
ohne den Willen zu haben, Fachkompetenz vor Genossentreue zu setzen, ohne die Kraft zur Kontrolle zu besitzen und ohne letztendlich auch zu begreifen, daß die ungeheuer wichtige Aufgabe, die Rechte der Arbeitnehmer zu vertreten, nicht wahrgenommen werden kann, wenn man versucht, gleichzeitig auf beiden Seiten des Verhandlungstisches zu sitzen.
({3})
Immer noch vom Gedanken des Klassenkampfes durchdrungen,
({4})
hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund seine gescheiterte, ja kläglich und unmoralisch gescheiterte gemeinwirtschaftliche Betätigung als dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus beschritten. Er gab sich einer folgenschweren Selbsttäu18712
schung hin und erkannte nicht und wollte auch nicht erkennen, daß die soziale Marktwirtschaft der erfolgreiche Weg zwischen den großen politischen und gesellschaftlichen Irrtümern dieses Jahrhunderts, zwischen Kapitalismus und Sozialismus, ist.
Wer nun den offenen Bericht des außerordentlich erfolgreichen Untersuchungsausschusses „Neue Heimat" gelesen hat, kennt die zahlreichen erwiesenen Vorwürfe gegen die Neue Heimat, ihre Holding, die BGAG, und damit auch den DGB und die meisten seiner Einzelgewerkschaften. Da sich die SPD in der Nähe zum Gewerkschaftsbund fühlt, diese Nähe immer wieder betont und sachwidrig herbeizureden versucht, steht sie auch in der Nähe der Skandale,
({5})
zumal alle maßgeblich agierenden Personen SPD-Mitglieder waren, Genossen mit Anfälligkeit zum Filz. Die Öffentlichkeit hat deshalb der SPD den Skandal zu Recht zugerechnet, war es doch beispielsweise ihr Oppositionsführer Vogel, der auf dem IG Metall-Kongreß 1986 in Hamburg den Sympathiebekundungen für Herrn Lappas, der wegen seiner rechtswidrigen Aussageverweigerung in Beugehaft genommen werden sollte und somit wie jeder andere Bürger auch behandelt wurde, frenetischen Beifall spendete, allerdings ehe bekannt wurde, daß sich dieser Gewerkschaftsfunktionär mit einem Jahreseinkommen von mindestens 800 000 DM zu Unrecht als Märtyrer der Gewerkschaftsbewegung ausgegeben hatte.
({6})
Der ursprünglich geheime Bericht war deshalb geheim, weil die interessierten Kreise, namentlich des DGB, der IG Metall, der Bank für Gemeinwirtschaft, der Beteiligungsgesellschaft der Gewerkschaft, die Untersuchungen behindern wollten, den Bundestag in 24 Prozesse verwickelten und sich auch nach der Erstellung des Berichts der Veröffentlichung grundlos widersetzten.
({7})
Wer so handelt, läßt den Verdacht aufkommen, daß in dem früher geheimen und jetzt offenen Bericht noch mehr Unangenehmes steht, als Außenstehende erkennen können. Jedenfalls sind zwei Feststellungen unumstößlich:
Erstens. Die Neue Heimat wurde lange Zeit als Sanierungsquelle für notleidende Beteiligungen benutzt, und die Verstöße wurden von den Verantwortlichen der Gewerkschaftsholding BGAG gesehen, in Kauf genommen und durch Konstruktionen umgangen, die zugleich eine Umgehung des Gesetzes waren.
Zweitens. Der Aufsichtsrat der Gewerkschaftsholding und damit seine Mitglieder waren vom Vorstand in Kenntnis gesetzt. Sie haben sich ein genaues Bild von den geplanten und durchgeführten Geschäftsvorgängen gemacht. Obwohl die Rechtswidrigkeit feststand, haben sie nicht gehandelt. Sie haben die Rechtsverstöße nicht unterbunden. Weder Neue Heimat noch Gewerkschaftsholding haben ihr Verhalten grundlegend verändert, als 1982 erste Kenntnis vom Skandal offenbar wurde.
Die Beweise für diese Feststellungen liefert der Ergänzungsbericht und liefern die darin ausgewählten Protokolle der eigenen Aufzeichnungen, nämlich des Aufsichtsrats der BGAG.
So steht der Skandal um die einstmals stolze Neue Heimat neben dem vergleichbar großen Skandal um die großmannssüchtige Neue Heimat Städtebau, die in der Bundesrepublik und in vielen Plätzen im Ausland wirkte, und er steht neben dem beschämenden Zusammenbruch der co op mit Verlusten von mindestens 2,4 Milliarden DM und dem ungeklärten Verbleib von 1,3 Milliarden DM im co-op-Schattenkonzern. Nicht zuletzt steht der Skandal neben der unglaublichen Schädigung der Pensionskasse um 230 Millionen DM.
({8}) Dieser Betrag sollte umgehend erstattet werden.
Die handelnden Personen sind weitgehend die gleichen. Die Verhaltensweisen ähneln sich. Die an den Tag gelegten Rechtswidrigkeiten sind vergleichbar. Die Folgen sind katastrophal. Sie müssen letztendlich vom Gewerkschaftsmitglied getragen werden, ganz abgesehen von dem moralischen und ethischen Schaden, den sich die sonst großartige Gewerkschaftsbewegung in Deutschland durch solche Machenschaften selbst zugefügt hat.
Man kann nicht sicher sein, daß sich ähnliche Vorgänge nicht in den anderen Teilen des ehemals großen Gewerkschaftsvermögens abgespielt haben. Denn dort waren die gleichen Personen zur gleichen Zeit mit den gleichen Intentionen tätig. Niemand sollte darüber Freude empfinden. Die Hoffnung jedoch, daß eine Bereinigung aus eigener Kraft erfolge, scheint zu trügen. Die Umtriebe bei der Versilberung von Neue-Heimat-Grundbesitz und -Wohnungen in Bayern und vor allen Dingen die Vereinbarung des Hamburger Senats mit dem Neue-Heimat-Unterhändler Sippel und die zwischen beiden getroffene Vereinbarung sprechen eine andere Sprache.
Die CDU in Hamburg erhebt den Vorwurf, daß die Hamburger Baubehörde durch eine unerlaubte und nichtige Vereinbarung, die unzählige Rechtsverletzungen durch die Neue Heimat und die mit ihr verbundenen Gesellschaften durch eine Zahlung von nur 6 Millionen DM ausgleichen ließ, den erlangten Vorteil an Steuern und Gebühren und den verursachten öffentlichen Schaden, dessen Höhe auf 678,1 Millionen DM geschätzt wird, nicht einmal zu 1 % abgeschöpft hat. Jeder, wenn auch nur kleine Steuersünder muß mit völliger Abschöpfung seines Unrechts rechnen und mit zusätzlicher Strafe, nur die Neue Heimat in Hamburg nicht.
So bleiben der Neuen Heimat zahlreiche durch rechtswidrige Handlungen gewonnene Vorteile zugesprochen - ein weiterer Fall von Genossenfilz nach Aufdeckung der Vorgänge. Zu diesen Vorgängen gehören unberechtigte Vermögensverlagerung und Vermögensgefährdung durch Verkauf von Anteilen, Verlustübernahme im Zusammenhang mit dem HochDr. Hüsch
schulneubau Niedersachsen, Beteiligung an der Bank für Gemeinwirtschaft 1970 und Veräußerung dieser Anteile an die BGAG 1977, Grundstückabnahmen und Abnahmeverpflichtungen gegenüber der BEWOBAU, sachwidrige Zahlungen von Provisionen, Geschäftsbeziehungen mit nicht gemeinnützigen Gesellschaften, Vermögensverschiebung innerhalb der Neuen Heimat zu Lasten einzelner Regionalgesellschaften durch Konzernumlagen und Sonderbetreuungsverträge, Verstöße gegen den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit, unangemessen hohe Vergütungen an die Geschäftsführer, aufgeblähte Repräsentations-, Werbe- und Bewirtungskosten, Geschäftsführertagungen, Kontaktkonferenzen, Reisekosten, Verträge mit Beratern, freien Mitarbeitern und Kontaktangestellten - gelegentlich als „Beziehungspflege" gekennzeichnet, in Wirklichkeit aber schlichte und deutliche Korruption - , überhöhte Honorare, Sonderbetreuung mit Sonderbedingungen für einen bevorzugten Personenkreis, unzulässige Bedingungen beim Erwerb von Immobilien, Spenden in den politischen Bereich, namentlich an die SPD - trotz drohender eigener Pleite -, und an Lieblingsobjekten, die die Ehefrauen der beteiligten Geschäftsführer betrieben, unzulässige Geschäftsbetätigungen, Zweifel an der Zuverlässigkeit der Geschäftsführer, Ämterhäufung, Baubetreuung zu Sonderkonditionen an Organmitglieder und für deren private Kapitalanlagen, unzulässige Beteiligungen einzelner Geschäftsführer über Treuhänder an Firmen, die mit der Neuen Heimat in Geschäftsbeziehungen standen, Benachteiligung der Mieter, unzulässige Gewinnabführungen, ungerechtfertigte Abwälzung überhöhter Betriebs- und Nebenkosten, Fehler in der Berechnung der Kostenmiete, unterlassene Instandhaltung, Verkauf von gemeinnützig bestimmten Wohnungen an institutionelle Anleger und Kapitalanleger zum Teil unter mißbräuchlicher Ausnutzung der Schutzbestimmungen zugunsten der Sozialmieter, Verletzung der Mitbestimmung, beschämender, ja, erbärmlicher Verkauf von 270 000 Sozialwohnungen für 1 DM, gleich dem Preis von vier Brötchen, an einen Berliner Bäcker und anschließender Rückkauf unter blamablen ähnlichen Umständen.
({9})
Das ist die Liste, meine Damen und Herren, liebe Kollegen, die der Untersuchungsausschuß festgestellt hat. Von allem hatten die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats Kenntnis. Das ist durch den inzwischen veröffentlichten, ehemals geheimen Bericht an Hand der eigenen Unterlagen der BGAG erwiesen.
({10})
Nicht aufgedeckt worden wäre das, wenn es nicht auch mutige Abgeordnete, auch SPD-Abgeordnete in der Bürgerschaft von Hamburg, und risikobereite Abgeordnete im Untersuchungsausschuß Neue Heimat des Deutschen Bundestages gegeben hätte. Ich möchte mich hier, wenn auch sehr spät, insbesondere an den Kollegen Johannes Gerster aus Mainz wenden,
({11})
der unzählige Male von denen, die vertuschen wollten, angegriffen worden ist, in Gerichtsverfahren verwickelt worden ist, der vielfach beschuldigt worden ist, aber richtig gehandelt und verdienstvoll und unerschütterlich seine Arbeit geleistet hat. Ohne ihn wäre das Ergebnis nicht herstellbar gewesen.
({12})
Meine Damen und Herren, auch wenn hier erst nach vier Jahren ein damals geheimer Bericht erstmalig erörtert werden kann und wenn der offene Bericht nicht einmal beim Deutschen Bundestag Erörterung finden konnte, meine ich, daß der Skandal nicht unter den Tisch gekehrt werden darf.
({13})
Er darf ebensowenig wie die Skandale um die Neue Heimat Städtebau, um co op vergessen gemacht werden;
({14})
Filz, Korruption, Mißwirtschaft dürfen sich nicht wiederholen; denn ich wünsche mir, obwohl nicht Mitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes, daß Genossenfilz und -unrat auf einem dieser Irrwege der Geschichte angehören und die Gewerkschaften sich wieder den Aufgaben unbelastet zuwenden können, für die sie gegründet worden sind: dem Schutz des deutschen Arbeitnehmers.
({15})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bericht, über den hier geredet wird, ist vier Jahre alt. Der früher einmal geheime Bericht ist schon im März beschrien worden. Nichts ist neu an dem, was hier mit der Neuen Heimat behandelt wird.
({0})
Deswegen ist die Frage, warum Sie diesen schon zweimal ausgekatschten Kaugummi heute hier noch einmal dem Plenum zum Durchkauen vorhalten.
({1})
Herr Hüsch, ich ziehe daraus den Schluß: Sie ekeln sich vor gar nichts mehr.
({2})
- Herr Kansy, dafür bedanke ich mich. Das war ein guter Zwischenruf,
({3})
selten auf dieser Seite des Hauses.
({4}) Hervorragend, Herr Kansy!
Die Neue Heimat hat 500 000 Wohnungen gebaut, trotz Gesetzesverletzungen. trotz Skandalen, trotz Gaunereien. Heute fehlt in der Bundesrepublik mindestens die dreifache Menge dieser Wohnungen. Das sind gegenwärtig fünf Baujahrgänge, Frau Hasselfeldt.
({5})
Ihr Vorgänger auf Ihrem Ministerstühlchen, das „tapfere Schneiderlein", hat die Öffentlichkeit lange genasführt, indem er versprochen hat, die Gemeinnützigkeit würde bleiben. Dies war auch die Meinung derjenigen, die im Neue-Heimat-Ausschuß waren, der viel gelobte Herr Gerster hat das auch immer behauptet und alle anderen auch. Seit 1. Januar dieses Jahres gibt es keine Wohnungsgemeinnützigkeit mehr,
({6})
und infolgedessen findet sich allenthalben das Problem, über das Sie lieber nicht reden wollten, nämlich daß für die einkommensschwachen Bürger dieses Landes die Wohnungen fehlen. Warum fehlen sie? Weil, seit Sie regieren die Wohnungsbauzahlen ständig heruntergegangen sind. Die heute fehlenden Wohnungen machen fünf Baujahrgänge aus. Wenn Sie die 300 000 am Jahresende erreicht haben sollten, müßte man fünfmal das nachbauen, was 1990 an Wohnungen gebaut worden sein wird.
Fünfmal dies nachzubauen geht in kurzer Zeit nicht,
({7})
weswegen auf Dauer Wohnungsmangel programmiert ist, und dies durch die Wohnungspolitik dieser Regierung. Darüber wollen Sie nicht reden? Die Neue Heimat mußte deswegen auf die Tagesordung.
({8})
Denn in der vorigen Woche, Herr Grünbeck, bestand die Chance, Gesetzentwürfe zu verabschieden, die deswegen nicht das Licht der heutigen Plenarsitzung erblicken durften, weil Sie ein Hearing fordern. Denn wenn das heute verabschiedet würde, würden Sie den Bankrott Ihrer Wohnungsbaupolitik seit achten Jahren eingestehen müssen.
Der Bankrott dieser Wohnungsbaupolitik ist für die kleinen Bürger dieses Landes, für die Mieter und Häuslebauer viel schlimmer als alles, was in der Neuen Heimat je angerichtet wurde.
({9})
Diese Bedrückung durch die Versäumnisse Ihrer Regierungsmehrheit in acht Jahren Regierungspolitik auf den Wohnungsmärkten wollen Sie dadurch vergessen lassen, daß Sie über die Neue Heimat reden wollen. Herr Hüsch, Sie haben auch gemerkt, daß dies falsch ist; sonst hätten Sie mit der co op nicht erst noch angefangen. Also reden wir über das, was Sie versäumt haben!
({10})
Da uns, weil Sie das gar nicht diskutiert haben wollen, fünf Baujahrgänge fehlen und kurzfristig nicht aus dem Wohnungsmangel herauszukommen ist, käme es darauf an, zwei Dinge gleichzeitig zu tun, Frau Hasselfeldt, statt über die Neue Heimat zu reden: erstens die Neubauproduktion in einer Stufenfolge so hochzufahren, daß wenigstens in acht Jahren die Wohnungsbedürfnisse der Bürger dieses Landes befriedigt werden können, und zweitens in der Zwischenzeit dafür zu sorgen, daß die Kleinen in diesem Land nicht aus ihren Wohnungen verdrängt werden. Also müssen Sie den Altbaubestand von der Spekulation befreien. Beides ist durch eine Vielfalt gesetzgeberischer Vorhaben zu bewerkstelligen. Der Gesetzentwurf meiner Fraktion und der des Bundesrates sind Ihnen bekannt und liegen Ihnen vor.
Statt über die Neue Heimat zu jammern, sollten Sie lieber darüber nachdenken, wie Sie es fertigbringen, daß die 200 000 Arbeitnehmer, die in den vergangenen acht Jahren Bauberufe verlassen haben und die Baukapazität nun mindern, wieder in die Bauwirtschaft zurückgeholt werden; denn sonst wird die Beseitigung des Wohnungsmangels überhaupt nicht geleistet.
({11})
Was müssen Sie darüber hinaus tun, außer die Baukapazitäten heraufzufahren? Sie müssen dafür sorgen, daß diejenigen, die sich selber Wohnungen als Eigentum bauen, dies auch über Steuerbegünstigungen erreichen können. Da wir nun ein gemeinsames Deutschland sind, denken Sie bitte auch an die Bürgerinnen und Bürger im anderen Teil, also in Ostdeutschland oder dem Teil Deutschlands, der Mitteleuropa zugerechnet werden kann. Wir rechnen uns ja Westeuropa zu.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gerster?
Nein. Den Herrn Gerster kenne ich verdienstvollerweise aus dem Neue-Heimat-Ausschuß; den möchte ich nicht mit der Erlaubnis einer Zwischenfrage beglücken.
({0})
Herr Kollege Gerster, keine Zwischenfrage.
Es wäre also nötig, dafür zu sorgen, daß Steuerminderungen nicht bei denjenigen eintreten, die genug Geld verdienen, um Steuern zahlen zu können, sondern es sollte für die Bürgerinnen und Bürger in Ostdeutschland die Chance eröffnet werden, ihr Haus zu bauen, weil sie eine Negativsteuer nicht zahlen, sondern ausbezahlt bekommen müssen.
Diese Umkehrung, anstatt Abzug von der Steuerschuld - was wir eigentlich fordern - gegebenenfalls das Finanzamt ein Baukindergeld auszahlen zu lassen, liegt Ihnen in den Gesetzentwürfen vor, die Sie einem Hearing überantwortet haben. Aber wenn Sie die Wohnungsbauleistungen in der ehemaligen DDR haben wollen, dann hätte dies jetzt Gesetz werden
müssen und dürfte nicht um ein weiteres halbes Jahr vertagt werden.
({0})
Zweitens. Es ginge darum, die Grundsteuerbefreiung wieder einzuführen. Es ginge darum, das Bausparfördern wieder attraktiver zu machen.
({1})
- Ja, aber es ist heute nötig, es attraktiver zu machen, Herr Kansy.
({2})
Selbst wenn Sie sagen, daß das, was ich damals gemacht habe, ein Fehler war: Warum müssen Sie denn dann diesen Fehler fortsetzen?
({3})
- Sie merken es überhaupt nicht, Herr Kansy. Sie merken bloß immer unsere Fehler, aber nie die Ihren. - Wenn es also darauf ankommt, für mehr Neubau zu sorgen, dann sollten Sie auch die steuerliche Förderung von Wohneigentum im Neubau bevorzugen, d. h. im Altbau diskriminieren.
Damit bin ich bei dem zweiten Thema, das Sie durch die Neue-Heimat-Debatte von der Tagesordnung weghaben wollten: Wie sorgen Sie dafür, daß die Spekulation beim Altbau verhindert wird? Sie müßten in der Tat erstens darangehen, den Gemeinden das Recht zu geben, Umwandlungen von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen durch Satzung für eine Zeit unmöglich zu machen.
({4})
Zweitens müßten Sie darangehen, für die Mietsteigerungen im Wohnungsbestand Bremsen einzurichten. Frau Hasselfeldt, Sie würden - das habe ich vernommen - das eigentlich ganz gern tun, aber Sie sitzen, um so etwas zu machen, mit den falschen Leuten in einem Boot.
({5})
Drittens werden Sie dafür sorgen müssen - was Sie angeblich auch wollen -, daß die Wohnungsbeschaffung für die Einkommensschwachen im Lande nicht durch an der Spekulation Verdienende obendrein verteuert wird. Der Bundesratsgesetzentwurf enthielt etwas was Ihnen eigentlich passen müßte, nämlich die Beschneidung der Maklercourtagen.
({6})
Warum gehen Sie dies nicht an? Warum halten Sie sich immer so gerne an der Neuen Heimat auf? Doch schlicht und einfach deswegen, weil Sie über Ihre eigenen Versäumnisse hinwegtäuschen wollen.
({7})
Da Sie dies alles nicht tun wollen, was der Wohnungsvermehrung und dem Bestandsschutz für die Einkommensschwachen dienen würde, kümmern Sie sich eigentlich gemäß Ihrer eigenen Tradition immer nur darum, daß dieser Sozialstaat, wenn es um das Wohnen geht, für Reiche funktioniert.
({8})
- Selbst Lappas, der ja genug Geld verdient hat, hat die Steuerbegünstigungen, die ihm durch Ihre Gesetzgebung gegeben worden sind, alle unbegrenzt annehmen können.
({9})
Dies ist eigentlich eine Schweinerei; denn auch diese Steuerbegünstigungen hätte der Lappas nicht haben sollen,
({10})
abgesehen von dem hohen Einkommen, das er auch zu Unrecht verdient hat.
({11})
- Herr Hüsch, nun passen Sie aber auf: Die Sorgfalt Ihres Untersuchungsberichts war nun weiß Gott nicht so groß, daß Sie dies alles so behaupten können, wie Sie das tun.
Aber zurück zu dem, was Sie alles versäumt haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Hüsch?
Herr Hüsch darf.
Bitte, Herr Dr. Hüsch.
Danke sehr, lieber Herr Sperling. Ich habe Ihre Arbeit im Untersuchungsausschuß auch immer bewundert;
({0})
es war ja ein Himmelfahrtskommando. Wie erklärt sich denn jetzt eigentlich Ihre kritische Stellung zu dem Bericht, nachdem Sie, als der Bericht in der Pressekonferenz frisch vorgestellt worden war, sich außerordentlich lobend über die Arbeitsweise, die Ergebnisse, die Sorgfalt und die Fairneß des Verfahrens geäußert hatten?
({1})
Herr Hüsch, ich habe gelegentlich Ihre Fairneß gelobt, die Sie als Vorsitzender geübt haben. Ich habe nie die Ergebnisse dieses Untersuchungsberichts gelobt. Sie können das ja auch in dem Minderheitenbericht nachlesen. Das Fairneß-Urteil
war auf Ihre Person bezogen, nicht auf Herrn Gerster, nicht auf die Mehrheit.
({0})
Mehr Lob hat es in bezug auf den Neue-HeimatUntersuchungsausschuß auch nicht gegeben. Also, Sie dürfen sich meine rote Feder gern für sich als Person anstecken.
({1})
- Herr Hüsch, unklare Rollenbilder - mal Wadenbeißer, mal Staatsmann -, die Sie von sich haben, gefährden die eigene Karriere.
({2})
Jetzt müssen Sie sich überlegen, was Sie von mir haben wollen, ob Lob oder Kritik dienlicher ist.
({3})
Frau Hasselfeldt, der wichtigste Punkt, auf den ich noch kommen möchte, ist folgender: Wenn es in den nächsten Jahren darum geht, den Wohnungsbestand zu erweitern, dann dürfen wir nach der Debatte über die Gefährdung der Erdatmosphäre, die eben stattgefunden hat, eigentlich nicht darangehen, das Land unendlich mehr zu besiedeln. Wenn wir also Dinge, die zwar nacheinander diskutiert werden, die aber doch zusammengehören, zusammenbringen wollen, dann ist doch die Frage, wie wir die 1,5 Millionen Wohnungen, die uns mindestens fehlen - -({4})
- 1,5 Millionen fehlen uns schon jetzt, Herr Kansy; 4 Millionen in den nächsten zehn Jahren. Wollen wir hoffen, daß das reicht. Eine Armutswanderung findet ja nach wie vor statt.
Die Frage ist also, wie wir die 1,5 Millionen oder die 4 Millionen Wohnungen in den nächsten zehn Jahren, wenn wir die denn alle gebaut bekommen, das Bauland zu umweltverträglichen Bedingungen zur Verfügung stellen können. Frau Hasselfeldt, wenn wir nicht darangehen, die schon erschlossenen, baureifen Grundstücke in unseren bereits vorhandenen Städten und Gemeinden endlich bebaubar zu machen, und nicht dafür sorgen, daß diese zunächst bebaut werden, bevor neues Land erschlossen wird, dann können wir die Wohnungsprobleme der Gegenwart in der Zukunft nicht umweltverträglich lösen.
Wir müssen also darangehen, dieses baureife, erschlossene Land in der Tat unter Bebauungsdruck zu bringen. Da es möglicherweise falsch ist, dies mit einem in Bonn beschlossenen allgemeinen Steuerrecht zu tun, sollten wir vielleicht den Gemeinden das Recht geben, auf erschlossenes, baureifes Land, das laut
Bebauungsplan dem Wohnungsbau dienen soll, kommunale Steuern zu erheben.
({5})
- Herr Kansy, in den Städten und Gemeinden ist erschlossenes, baureifes Land in einer Menge vorhanden, die zumindest für 1 Million Wohnungen, möglicherweise sogar für mehr, zunächst einmal ausreichte. Da gibt es keine saubere Bestandsaufnahme. Wenn Sie da nicht ran wollen, sondern immer außerhalb erschließen wollen, dann versündigen Sie sich an dem Thema, das hier behandelt worden ist, bevor wir dran waren, und bei dem es zum Teil Übereinstimmungen gab.
Wenn wir diese Dinge nicht zusammenbringen wollen, sondern immer nur in den alten Skandalen herummachen - ({6})
- Das bin ich nun wirklich nicht.
({7})
- Herr Gerster, Sie sind jemand, der lieber das Feindbild pflegt, als die Probleme für die Menschen zu lösen. Da Sie so sind, lasse ich Ihre Zwischenfragen nicht zu.
Es geht darum, dafür zu sorgen, daß die Wohnungsprobleme der Zukunft, die schon jetzt für alle spürbar sind, gelöst werden, und darum, daß dies schneller gemacht wird, als es bisher der Fall gewesen ist. Der Skandal der Neuen Heimat ist längst beendet.
({8})
Der Skandal des Wohnungsmangels durch Unterlassungen dieser Regierung dauert an. Den gilt es zu beenden.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Grünbeck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Durch den Beitrag von Herrn Sperling ist eigentlich eine traurige Strategie fortgesetzt worden,
({0})
nämlich die Strategie, von der ganzen Geschichte abzulenken und im Grunde genommen eine Verteidigung der ganzen Gewerkschaftsmisere, die ihren Ausdruck in der Affäre der Neuen Heimat findet, fortzusetzen.
({1})
Das ist das erste.
Zum zweiten, Herr Sperling, ist natürlich zu fragen, warum das Thema heute noch einmal auf der Tagesordnung steht. Das ist deshalb so, weil wir den ganzen Skandal der Neuen Heimat auf dem Rücken der Steuerzahler und der Mieter abgewickelt haben. Was haben Sie denn in München gemacht? - Mit Zustimmung eines roten Oberbürgermeisters haben Sie in München zugelassen, daß die Gewerkschaften Kasse gemacht haben. Die haben in München überhaupt nicht mehr an die Mieter, sondern nur an ihre Geldabschöpfung gedacht. Das muß in der Öffentlichkeit noch einmal erwähnt werden.
Meine Damen und Herren, wer den sogenannten Geheimbericht liest, stellt fest, daß es sich um ein Dokument der Skrupellosigkeit handelt. Da werden Vermögenswerte aus der Gemeinnützigkeit in andere Unternehmensbereiche verschoben, abgezweigt, und es geschehen andere Dinge mehr.
({2})
Die Gemeinnützigkeit des Unternehmens wurde systematisch ausgeplündert, das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz mißachtet und umgangen. Die Bilanzen wurden gefälscht. Und das alles war entgegen aller beschworenen Versprechen jahrelang zur üblichen Tradition geworden. Jahrelang hat man öffentliche Gelder in andere Kanäle geleitet als die, in die sie gehört hätten.
({3})
Es verschwanden öffentliche Gelder. Es wurden Subventionen und Mitgliedsbeiträge in dunkle Kanäle zweckentfremdet und veruntreut. Zum Schluß muß man sagen: Die Liquidierung der ganzen Neuen Heimat ist ja zu Lasten des Steuerzahlers erfolgt und nicht etwa zu Lasten der Gewerkschaftskasse, wie es im Grunde genommen hätte geschehen sollen.
({4})
Es war im Grunde genommen ein Lehrstück. Gemeinwirtschaft war nicht das Konzept der Gewerkschaften. Diese eignen sich nicht als Unternehmer, es sei denn, zur Beschimpfung von Unternehmern; das können sie am besten.
({5})
Die Rolle der SPD war nicht gut, und das hat heute Herr Sperling hier fortgesetzt. Ich verstehe ja, daß Sie Schwierigkeiten hatten, Ihre eigenen Genossen zu schützen. Nur: Sie hätten sich eigentlich auf die Seite der Gewerkschaftsmitglieder schlagen müssen, deren Beiträge verschlampert wurden, und der Mieter stellen müssen,
({6})
die im Grunde genommen als allererste Ihres Schutzes bedurft hätten.
Ich glaube, daß Sie nicht fähig sind, aus diesen Fehlern zu lernen. Die Wohnungsgemeinnützigkeitswirtschaft ist in Mißkredit geraten, und die Reform des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes war richtig.
Herr Sperling, ich kann Ihnen einen Zeugen nennen. Herr Steiner, der jetzige Präsident des Wohnungsgemeinnützigkeitsverbandes, hat vor kurzem erklärt, daß es richtig war, das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz aufzuheben.
({7})
- Ich erkläre Ihnen doch, was Herr Steiner sagt, nicht, was ich sage.
({8})
Ihr Parteifreund Steiner sagt, daß jetzt die Wohnungsgemeinnützigkeit wirklich zu einer neuen Investitionswelle ansetzt. Er beziffert das Investitionsvolumen auf 10 Milliarden DM pro Jahr, weil man jetzt so bauen kann, wie es sich alte, erfahrene Fachleute eigentlich vorstellen.
Herr Sperling, Sie haben im März 1990 in der Aktuellen Stunde ein Horrorgemälde der Mietenentwicklung gezeichnet, auch heute wieder. Herr Steiner sagte in seinem Referat in Regensburg: Die Bruttomieten der ehemaligen Wohnungen sind jetzt auf 5,55 DM im Altbau und auf 6,86 DM im Bestand gestiegen. Lassen wir doch die Horrorgemälde, und setzen wir uns zusammen!
Meine Damen und Herren von der SPD, eines muß zum Schluß hier gesagt werden. Sie haben der Wohnungsgemeinnützigkeit durch Ihre Strategie einen schlechten Dienst erwiesen. Die moralische Herausforderung haben Sie nicht bestanden. Sie haben in der Abwicklungsphase der Neuen Heimat Kasse gemacht ohne Rücksicht auf Mieter, ohne Rücksicht auf Mitglieder und ohne Rücksicht auf Steuerzahler.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich im Namen der FDP eines feststellen: Von Ihrer Seite wird uns immer wieder vorgeworfen, wir seien eine Partei der sozialen Kälte. Für mich als liberalen Menschen ist soziales Handeln, Denken und Fühlen mit einbezogen in meine liberale Grundüberzeugung.
({9})
Die Veranstaltung Neue Heimat war keine Veranstaltung der sozialen Kälte, sondern eine Veranstaltung der inhumanen Eiszeit.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Teubner.
Frau Präsidentin! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Die Energie ist schon beeindruckend, mit der die Regierungsparteien immer wieder Mitleid mit den armen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
({0})
und den armen Mieterinnen und Mietern der Neuen Heimat heucheln können. Es ist schon erstaunlich, wie Sie noch heute, im sechsten Jahr nach dem NeueHeimat-Skandal, Empörung vortäuschen können. Das ist wahrlich eine schauspielerische Leistung, die Respekt abnötigen würde, wenn es den Regierungsparteien wirklich darum ginge, von ihrer Mittäterschaft, zumindest von der geistigen Mittäterschaft, abzulenken.
({1})
Dieser Vorwurf der geistigen Mittäterschaft - Herr Beckmann, das werde ich Ihnen gleich erläutern - trifft auch und in geradezu exemplarischer Weise auf die Machenschaften des letzten großen Neue-Heimat-Aufkäufers, des Herrn Doblinger, zu, auch wenn Sie derlei Machenschaften - und allein das ist ja der Sinn der heutigen Debatte - gern den Gewerkschaften und der SPD in die Schuhe schieben würden.
Die Regierungskoalition sollte sich wirklich nicht künstlich aufregen. Sie sollte vielmehr jemanden wie Herrn Doblinger zum Spekulanten des Jahres wählen. Auf der Verleihungsurkunde könnte stehen: „Herr Alfons Doblinger hat in geradezu traumwandlerischer Sicherheit die wohnungspolitischen Vorstellungen der Bundesregierung kongenial in die Tat umgesetzt. Er zeichnet sich durch ein hohes Maß an Kenntnissen von Tricks und Finten aus, die die Bundesregierung für den Umgang mit Wohnraum schon seit Jahren empfiehlt. " - Soweit die Urkunde.
({2})
Der Skandal Doblinger und Neue Heimat ist eigentlich ein Skandal der Regierung Kohl und der CSU. Denn:
({3})
Erstens. Die Regierung Kohl hat die Wohnungsgemeinnützigkeit vernichtet. 3,3 Millionen Wohnungen in Westdeutschland werden in die Marktwirtschaft überführt und verlieren damit ihre soziale Zweckbestimmung. Ohne einen Pfennig Nachversteuerung können die Wohnungsunternehmen über ein Immobilienvermögen von rund 500 Milliarden DM verfügen, ein Vermögen, das weitgehend durch Steuervergünstigungen, Subventionen für Sozialwohnungen und Vergabe preisgünstiger Grundstücke, also durch massive öffentliche Mithilfe entstehen konnte. Dieses Vermögen hat die Bundesregierung zum Nulltarif verschenkt. Die einkommensschwachen Mieterinnen und Mieter sind die Leidtragenden.
Diese Bundesregierung hat überhaupt erst solchen Spekulaten, die - wie jetzt Herr Doblinger - das gemeinnützige Vermögen plündern, die Tür geöffnet.
Zweitens. Die Bundesregierung hat die rechtlichen Möglichkeiten noch verbessert, vorzeitig aus den Bindungen der Sozialwohnungen auszusteigen. Also bitte keine Aufregung, wenn Herr Doblinger Sozialbindungen ablöst, um die Wohnungen anschließend meistbietend zu verkaufen; hier wird nur geltendes Recht angewendet.
Drittens. Den Mietern wird der Kauf ihrer Wohnung angeboten. Auch hier bitte keine Aufregung, denn diese Bundesregierung hat die steuerliche Eigentumsförderung noch ausgeweitet. Der Kauf von Gebrauchtwohnungen wird steuerlich genauso hoch gefördert wie der Neubau. Wenn jetzt die Wohnungsbestände der Neuen Heimat restlos ausverkauft werden, ist das nur die konsequente Umsetzung der Bundespolitik.
Viertens. Die Schützenhilfe der CSU-Landesregierung, nämlich die Weigerung des Landes Bayern, den Kauf der Neue-Heimat-Wohnungen durch eine Auffanggesellschaft mit Landeshilfen zu ermöglichen, sollte nicht unerwähnt bleiben. Diese Weigerung hat Herrn Doblinger erst aufs Pferd geholfen.
Wir stellen fest: Die Geiselnahme der Mieterinnen und Mieter, wie sie die Bundesregierung und die sich christlich nennenden Politiker vom ersten Tag an betrieben haben, hat bis zuletzt hervorragend funktioniert.
Es zeigt sich, daß wir mit unseren Warnungen vor den Folgen der Bundeswohnungspolitik leider recht behalten haben. Ich muß das Wort „leider" wirklich betonen; denn wäre es uns lieber gewesen, die Ereignisse hätten uns widerlegt.
Ein Fall wie der letztgenannte, ein Fall wie Doblinger unterstreicht nur, wie notwendig und sozial richtig unsere Forderungen nach wie vor sind: erstens die Streichung der steuerlichen Eigentumsförderung zumindest für den Kauf von Gebrauchtwohnungen, zweitens der Erhalt aller Sozialwohnungen durch Änderung des Wohnungsbindungsgesetzes, um das Auslaufen von Sozialbindungen zu verhindern, drittens ein Fünf-Jahres-Programm zur Bekämpfung der Wohnungsnot und viertens die grundlegende Reform des sozialen Wohnungsbaus.
Frau Kollegin, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grünbeck?
Ich bin gleich fertig und möchte nur noch einen Schlußsatz sagen, damit wir heute nicht ganz so lang hier sitzen.
({0})
Die Reform des sozialen Wohnungsbaus muß mehr Mietermitbestimmung, aber vor allem - das zeigt der Neue-Heimat-Skandal - die Dezentralisierung und Entflechtung der großen Wohnungsbaukonzerne, Dauerbindungen für gemeinnützige und Sozialwohnungen und eine einkommensabhängige Miete bringen.
Meine Damen und Herren, nicht der Unternehmer Doblinger steht am Pranger, auch nicht die Gewerkschaften oder die SPD, sondern die Wohnungspolitik der Bundesrepublik, die solchen Leuten die passenden Rechtsinstrumente an die Hand gibt, um den Mieterinnen und Mietern das Messer an die Kehle zu setzen.
Frau Teubner Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat Frau Bundesminister Hasselfeldt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach der Lektüre des vorliegenden Ergänzungsberichts des Untersuchungsausschusses Neue Heimat kann ich allen nur raten, diesen Bericht ganz genau zu lesen. Er ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie beim DGB und bei den Sozialdemokraten Wort und Tat meilenweit auseinanderklaffen.
({0})
Der ehemalige SPD-Finanzminister Hans Matthöfer wollte diesen Ergänzungsbericht unter Verschluß halten. Dadurch sollte verschleiert werden, wie es um die angebliche Mieterfreundlichkeit von SPD und DGB in der Praxis tatsächlich bestellt ist.
({1})
Genau Ihre Einlassung, Herr Sperling, hat deutlich gemacht, wie betroffen Sie bei der ganzen Geschichte sind. Da hilft auch das ganze Ablenkungsmanöver auf die allgemeinen wohnungspolitischen Vorschläge Ihrer Fraktion überhaupt nicht, ganz abgesehen davon, daß Ihre Vorschläge nicht dadurch besser werden, daß sie bei allen Gelegenheiten - auch bei denen, wo sie von der Tagesordnung her nicht angebracht sind - gebetsmühlenartig wiederholt werden.
Im übrigen darf ich nur darauf hinweisen, daß wir in der Wohnungspolitik Erfolge haben, daß wir die Genehmigungszahlen deutlich nach oben geschraubt haben, daß alles das, was sich im Wohnungsbau jetzt tut, auf unsere Entscheidungen, auf unsere Maßnahmen zurückzuführen ist und daß der zusätzliche Bau neuer Wohnungen der beste Mieterschutz ist. Dies ist unbestritten, und diese Weichen haben wir gestellt.
({2})
Der vorliegende Bericht belegt, daß die unheilvolle Verfilzung und die Verstrickung führender SPD-Genossen mit dem DGB eine der wesentlichen Ursachen für den Zusammenbruch der Neuen Heimat war.
({3})
An den Schaltstellen der Neuen Heimat saßen keine unbekannten Leute. Es waren führende Gewerkschafter und führende Sozialdemokraten. Aus all den Aufsichtsratsprotokollen und Vorstandsprotokollen wurde deutlich, daß die Fehlentwicklungen bekannt waren und daß nichts, aber auch gar nichts dagegen getan wurde.
Verantwortungslosigkeit und kriminelle Praktiken - von Herrn Hüsch wurde schon ein ganzes Bündel von Beispielen genannt - haben dazu geführt, daß von einem blühenden Wohnungsunternehmen, einem Wohnungsunternehmen, das mit Milliarden an
Steuergeldern gefördert wurde, das erhebliche Steuersubventionen erhalten hat, heute nur noch ein kümmerlicher Restbestand vorhanden ist.
Was noch schlimmer ist: Die Neue Heimat hat keine gemeinnützige, sondern eine gewinn- und profitorientierte Wohnungspolitik zu Lasten ihrer Mieter betrieben. So wurden z. B. Modernisierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen den Mietern zwar berechnet, aber nicht für die entsprechenden Maßnahmen verwendet.
({4})
Es ist immerhin ein Betrag von fast 46 Millionen Mark jährlich, der den Mietern dadurch vorenthalten wurde. Dieses ist nicht nur mieterfeindlich, sondern es ist ein Betrug an den Mietern.
Hinzu kommt, daß die Neue Heimat systematisch zu Lasten der Mieter ausgeplündert wurde. Viele Genossen verstanden die Neue Heimat als Selbstbedienungsladen. Die vorgenommenen und nachgewiesenen Grundstücksverkäufe, die Beraterverträge und vieles andere mehr sind ein guter Beweis dafür. Auch bei Spenden beispielsweise an die Friedrich-EbertStiftung war man überaus großzügig.
Wenn SPD-Vertreter heute eine Dämpfung des Mietenanstiegs fordern, dann sollten sie sich den Ergänzungsbericht einmal genauer ansehen. Auf Seite 22 heißt es dort aus einem Vorstandsprotokoll - ich zitiere - :
In kleineren Städten - außer Kiel und Lübeck - ist vorgesehen, die öffentlichen Mittel abzulösen und nach Ablauf der sechsmonaten Nachfrist die Miete auf das allgemein örtliche Mietniveau anzuheben.
({5})
Bei Wegfall der gemeinnützlichkeitsrechtlichen Bindung ... ergibt sich die Möglichkeit einer Mietanhebung.
Meine Damen und Herren, wo bleibt denn da Ihre immer wieder gepriesene großartige soziale Verantwortung für billigen und preiswerten Wohnraum? Hier hätten Sie nachfassen können; hier hätten Sie Gelegenheit dazu gehabt.
({6})
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grünbeck?
Ja, bitte sehr, Herr Grünbeck.
Herr Grünbeck, bitte.
Frau Ministerin, da Sie gerade von sozialer Verantwortung sprechen, möchte ich fragen: Halten Sie es für richtig, daß die rot-grüne Regierung in München als erste Amtshandlung das kommunale Wohngeld gestrichen hat?
Herr Kollege Grünbeck, diese Entscheidung des rot-grünen Stadtrats, mit dem Inkrafttreten der Erhöhung des Bundes- und Landeswohngelds zum 1. Oktober 1990 das kommunale Wohngeld in der Stadt München zu streichen, ist in der Tat wieder einmal ein Beispiel dafür, daß es in der Stadt München wie auch in vielen anderen großen sozialdemokratisch regierten Städten mit der sozialpolitischen Verantwortung in der Wohnungspolitik überhaupt nicht weit her ist.
({0})
Wenn die SPD die Umwandlungsspekulationen beklagt - das ist vorhin wieder angeklungen - , dann lohnt ebenfalls ein Blick in den Ergänzungsbericht. Dort ist nämlich nachzulesen, daß nicht die geringsten Anstrengungen unternommen wurden, um die Mieter bei Wohnungsverkäufen zu schützen. Nicht einmal die Gefahr, daß Wohnungen an unseriöse Käufer veräußert werden, wurde ausgeschlossen. Dies wurde explizit mitdiskutiert.
({1})
Wenn Ihre Genossen, meine Damen und Herren von der SPD, in diesen Gremien schon Sitz und Stimme hatten, hätte man doch erwarten können, daß diese ihre soziale Verantwortung gerade auch für die Mieter entsprechend ausgeübt hätten.
({2})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Frau Kollegin?
Ja, bitte sehr.
Frau Ministerin, Sie beklagen erstens, daß sich die Neue Heimat nicht gemeinnützig verhalten hat, und Sie schaffen zweitens die Wohnungsgemeinnützigkeit ab und laden alle Unternehmen dazu ein, sich ebenfalls nicht wohnungsgemeinnützig zu verhalten.
({0})
Können Sie mir einmal sagen, wie Sie diese Schizophrenie erklären wollen?
Herr Kollege Müntefering, Sie wissen ganz genau, daß nicht die Wohnungsgemeinnützigkeit und nicht das gemeinnützige Verhalten der Unternehmen abgeschafft wurde, sondern daß dies etwas mit der Steuerpflicht zu tun hat und daß sich die früheren gemeinnützigen Wohnungsunternehmen ausdrücklich und unisono dazu verpflichtet haben, auch künftig ein gemeinnütziges Verhalten an den Tag zu legen. Die Steuerpflicht hat nichts mit einem gemeinnützigen Verhalten zu tun, Herr Müntefering.
({0})
Frau Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Müntefering?
Bitte sehr.
Frau Ministerin, wollen Sie bestreiten, daß ein Großteil der Vorwürfe, der sich gegen die Neue Heimat richtete, Verstöße gegen die Modalitäten und Kautelen des Gemeinnützigkeitsgesetzes betraf, das Sie anschließend abgeschafft haben? Wie verträgt sich denn damit Ihre Kritik, die Sie gegen die Neue Heimat richten? Sie haben doch anschließend dafür gesorgt, daß sich alle Unternehmen so verhalten können, wie Sie es bei der Neuen Heimat kritisiert.
Aber, Herr Müntefering, Sie wissen doch ganz genau, daß sich alle anderen Unternehmen - ich möchte hier ausdrücklich die vielen kleinen früher gemeinnützigen Unternehmen und die vielen kommunalen Wohnungsunternehmen mit ansprechen - auch jetzt nach wie vor gemeinnützig verhalten und ein Verhalten an den Tag legen, das vielen Mietern und Wohnungssuchenden zugute kommt, daß aber die Neue Heimat, dieses große Unternehmen, das von den Gewerkschaften mit geführt wurde, schon zu den Zeiten, zu denen auch von der rechtlichen Grundlage her eine noch viel stärker mieterfreundliche Politik hätte betrieben werden können, dies zu Lasten der Wohnungssuchenden, aber vor allem auch zu Lasten der betroffenen Mieter nicht getan hat, und diese waren nicht wenige.
({0})
Herr Gerster ({0}) hätte gern noch eine Zwischenfrage gestellt.
Bitte sehr, Herr Gerster.
Frau Ministerin, könnten Sie den Kollegen Müntefering vielleicht darin erinnern, daß ja gerade das Raubrittertum der Genossen in der Neuen Heimat die SPD damals nach Bekanntwerden des Skandals veranlaßt hat, eine Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts zu fordern, daß gerade die schlechten Erfahrungen mit der Neuen Heimat der Grund für ihre Forderung waren, das Gemeinnützigkeitsrecht so nicht stehenzulassen?
({0})
Herr Kollege Gerster, wir alle hier in diesem Hohen Hause wissen, daß es mit der Glaubwürdigkeit der Sozialdemokraten auch in dieser Frage nicht sehr gut bestellt ist.
({0})
Meine Damen und Herren, ich würde mir im Interesse der Mieterinnen und Mieter wünschen, daß das
traurige Kapitel Neue Heimat endlich abgeschlossen werden könnte. Aber leider erweist sich der Ausverkauf der Neuen Heimat als Skandal ohne Ende.
Der Verkauf der Neuen Heimat Bayern an die Doblinger-Gruppe war ein erneuter Beweis für das unsoziale, für das mieterfeindliche Verhalten der Sozialdemokraten und der Gewerkschaften.
({1})
Liebe Frau Teubner, jetzt muß ich schon einmal fragen: Wer hat denn verkauft, und wer hat denn den Preis hochgetrieben?
({2})
Das war niemand anderer als die verantwortlichen Gewerkschaften; das war niemand anderer als diejenigen, die unter dem Druck der Sozialdemokraten, u. a. auch unter dem Druck des Münchener Oberbürgermeisters die zunächst einmal vorhandene Preisforderung von 320 Millionen DM auf 960 Millionen DM verdreifacht, hochgeschraubt haben. Da war die SPD ein hervorragender Handlanger des spekulierenden DGB.
Meine Damen und Herren, für den Verkauf der kerngesunden Neuen Heimat Bayern gab es keinen einzigen sachlichen Grund.
({3})
Der Verkaufserlös diente einzig und allein dazu, den durch grenzenlose Mißwirtschaft entstandenen hohen Schuldenberg auf dem Rücken der Mieter abzutragen. Wenn heute die Mieter der Neuen Heimat Bayern durch drohende Wohnungsverkäufe und durch drastische Mieterhöhungen in Angst und Schrecken versetzt werden, dann, meine Damen und Herren, muß auch deutlich gemacht werden: Dafür tragen die Gewerkschaften, dafür trägt die SPD die Verantwortung.
({4})
Mit der Neuen Heimat Bayern ist es noch nicht genug. In Hamburg bahnt sich bereits ein weiterer Skandal an. Hintergründe und Zusammenhänge des 2, 1-Milliarden-Geschäfts kommen erst allmählich ans Tageslicht. Konkrete Anhaltspunkte sprechen dafür, daß den Mietern und dem Steuerzahler dabei ein Schaden in millionenfacher Höhe entstanden ist. Profitiert hat von dem Verkauf einzig und allein wiederum der DGB.
Deshalb, meine Damen und Herren von der SPD, lassen Sie mich, wenn Sie es mit der sozialen Verantwortung für die Mieter schon so ernst meinen, bitten: Schauen Sie Ihren Genossinnen und Genossen in den Ländern und bei den Gewerkschaften ein bißchen mehr auf die Finger!
({5})
Verschlafen Sie nicht länger die mieterfeindlichen Aktivitäten Ihrer Genossen! Sorgen Sie z. B. auch dafür, daß die BGAG endlich den Vertrag mit der Doblinger-Gruppe offenlegt! Die Mieterinnen und Mieter haben ein Recht darauf, zu wissen, was auf sie zukommt.
Hier im Deutschen Bundestag reden Sie immer von verantwortungsbewußter Wohnungspolitik und von mehr Mieterschutz. Setzen Sie diese leeren Worte endlich zugunsten der betroffenen Mieter in die Tat um!
({6})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Damit ist dieser Tagesordnungspunkt erledigt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Adler, Dr. Botz, Häuser, Kißlinger, Koltzsch, Kuessner, Müller ({0}), Oostergetelo, Pfuhl, Sielaff, Dr. Stephan, Weyel, Wimmer ({1}), Bernrath, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Verwertung volkseigener land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke im Gebiet der neuen Bundesländer durch die Treuhandanstalt Berlin
- Drucksache 11/8210 Vereinbart sind dreißig Minuten Redezeit. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Botz.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor unserem Volk steht die Aufgabe, die bereits konstitutionell vollzogene Einheit zu gestalten. Nun hat nationale Einheit selbstverständlich auch etwas mit der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse der Bürger eines Staates zu tun. Daß hier zur Zeit noch gewaltige Unterschiede bestehen, kann niemand übersehen.
Eines der Gebiete, auf dem die Unterschiede in jeder Hinsicht fundamental sind, ist die Landwirtschaft. Es gibt zur Zeit auf der Erde wohl kaum einen Staat, der unter einem Dach derartig verschiedene Agrarstrukturen vorweisen kann. Daß sich die Struktur im Osten Deutschlands gründlich ändern muß, steht fest. Inwieweit es dabei Auswirkungen auf die heutige Struktur im Westen geben wird, bleibt abzuwarten.
Die Struktur des Agrarsektors in der ehemaligen DDR ist das Ergebnis eines politisch erzwungenen Weges zur Kollektivierung und später zur Industrialisierung dieses Wirtschaftsbereiches. Besonders der Versuch der Industrialisierung hat zu heute noch nicht voll einschätzbaren Schäden an Böden, Wasser und der gesamten Umwelt in den ländlichen Räumen geführt.
Neben dem Aufbau einer umweltgerechten, marktwirtschaftlich orientierten Betriebsstruktur steht nun die Aufgabe, diese Schäden zu beheben, soweit das irgend möglich ist. Gleichzeitig wird es eine erhebliche Reduzierung der Anzahl der mit der eigentlichen landwirtschaftlichen Produktion Beschäftigten geben. In rein agrarisch geprägten Gebieten - die, das möchte ich hier einfügen, gibt es zur Genüge in der ehemaligen DDR - muß daher so bald wie möglich die Ansiedlung von mittelständischen Handwerks- und Dienstleistungsunternehmen vorangetrieben werden. In diesem Zusammenhang kommt der Verwertung ehemals volkseigener land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke durch die Treuhandanstalt eine wichtige Rolle zu.
In dem von der SPD-Fraktion vorgelegten Antrag wird eine vorrangige - ich betone: vorrangige - Verwertung dieser Grundstücke für die Belange der Agrarstrukturentwicklung, der Dorferneuerung einschließlich der Entwicklung der kommunalen Infrastruktur, der Gewerbeansiedlung sowie der Landschaftsentwicklung und des Naturschutzes vorgeschlagen.
Zur Agrarstrukturentwicklung ist zu sagen, daß in relativ kurzen Zeiträumen ein drastischer Strukturwandel in den neuen Bundesländern erfolgen muß, wozu erhebliche finanzielle Mittel erforderlich sind. So kommen die zu Recht geforderte Entflechtung und Umstrukturierung der großen Genossenschaften überall dort nicht voran, wo aus der Vergangenheit die Schulden, die das alte System diesen Betrieben im Zusammenhang mit unvernünftigen Investionen politisch aufgezwungen hat, in erheblicher Höhe vorhanden sind.
Auch nach Einsatz aller eigenen Vermögenswerte ist kaum ein neuer, verkleinerter Betrieb in der Lage, diese Last unter den heutigen Bedingungen abzutragen. Dringend erforderlich sind deshalb die Konditionen für die im Einigungsvertrag, Art. 25 Abs. 3, vorgesehenen Einzelfallentschuldungen.
Für die betroffenen Bauern in den neuen Bundesländern wäre es sehr wichtig, schnell zu erfahren, mit welcher Zielstellung die Verhandlungen zwischen dem Bundesministerium und der Treuhand in Berlin bezüglich dieses Problems geführt werden. Denn allen Beteiligten ist klar, daß es sich hier nicht nur um Kreditprobleme und Zinssätze handelt, sondern in erster Linie um eine wichtige politische Entscheidung, die zu fällen ist. Die Landwirte im Osten Deutschlands fordern diese Entscheidung von Tag zu Tag eindringlicher. Die verantwortlichen Politiker sind gut beraten, sich damit nicht zu viel Zeit zu lassen.
Ferner wäre die Schaffung eines Bodenausgleichsfonds aus ehemals volkseigenen Grundstücken zur Durchführung der Flurneuordnungsmaßnahmen im Zuge der Entflechtung der Betriebe sehr hilfreich. Erste Versuche der Neuordnung ganzer Gemarkungen in Thüringen zeigen das ganz deutlich.
Meine Damen und Herren, die Notwendigkeit der Dorferneuerung und der Entwicklung der kommunalen Infrastruktur wird niemand abstreiten, der sich einmal abseits der Musterbesichtigungsdörfer von SED- und DBD-Funktionären in ländlichen Gebieten umgesehen hat. Wer einmal gesehen hat, was man auf diesem Gebiet der Landbevölkerung in den letzten Jahrzehnten vorenthalten hat, wird einsehen, daß es keine Bevorzugung der ansässigen Bevölkerung ist, wenn man volkseigene Vermögenswerte dort nun vorrangig zum Ausbau der Infrastruktur einsetzen will. Nein, es handelt sich dabei unserer Meinung nach schlicht um einen Akt der Gerechtigkeit, der hier vollzogen werden muß.
Die Gewerbeansiedlung ist ein entscheidender Schritt zur Dämpfung der Arbeitslosigkeit, die durch kurzfristigen Abbau der Arbeitsplätze in der Landwirtschaft selbst verursacht wird. Die Kommunen müssen in der Lage sein, schnell ausreichende Flächen zu lukrativen Preisen für Gewerbetreibende bereitzustellen, um diese Aufgabe zu erfüllen.
Landschaftsentwicklung und Naturschutz waren in der ehemaligen DDR in geduldigen Gesetzesblättern besser aufgehoben als in der Praxis. Mit der politischen Wende müssen auch auf diesem Gebiet dauerhafte und vor allem weitsichtige Änderungen eintreten. Der vorhandene treuhänderisch verwaltete Bodenfonds bietet dazu Möglichkeiten, die nicht in allen Staaten vorhanden sind. Wichtig dabei ist unserer Meinung nach, die langfristigen Vorteile den kurzfristigen Gewinnen vorzuziehen.
Aus all diesen Gründen ist es dringend erforderlich, die Veräußerung entsprechender Flächen an nichtlandwirtschaftliche Kapitalanleger zu vermeiden. Eine wichtige Voraussetzung für die verantwortungsbewußte Verwertung dieser Grundstücke ist die baldmöglichste Übertragung dieser Aufgabe an die zuständigen Landeseinrichtungen, eine Forderung übrigens, die bereits im Beschluß zum Treuhandgesetz klar formuliert war und berechtigterweise von den Landesparlamenten und -regierungen nachdrücklich eingeklagt werden wird. Der Antrag entspricht außerdem der vom Ausschuß Deutsche Einheit am 19. September 1990 mit großer Mehrheit beschlossenen Erklärung. Wir bitten daher eindringlich um Ihre Zustimmung.
Meine Damen und Herren, ich möchte die Gelegenheit nutzen und einige Bemerkungen zu einem Thema machen, das in der Regel etwas vernachlässigt wird. Es ist eine Sache, Mauern abzureißen, freie Wahlen durchzuführen und demokratisch legitimiert die staatliche Einheit Deutschlands voranzutreiben, wie es die Mehrheit der Volkskammer getan hat. Das waren, wenn ich das einmal so sagen darf, die Mühen der Berge. Die haben wir hinter uns, das haben wir geschafft. Vor uns aber liegen die Mühen der Ebene, und die sehen, was z. B. die Landwirtschaft betrifft, so aus, daß unsere Landwirte, nachdem sie 30 Jahre lang machen mußten, was ihnen vorgeschrieben wurde, in möglichst kurzer Zeit wieder lernen müssen, als selbständige Betriebsleiter oder als selbstbewußte Eigentümer in Gemeinschaftsbetrieben zu handeln. Das geht leider nicht so schnell, wie man das wünscht. Ein schnelles Sich-Abwenden von den LPG, nachdem der Zwang ja praktisch beseitigt war, trat bisher ebensowenig massenhaft auf wie der Wunsch, einen Familienbetrieb zu gründen. Das mag manchen überrascht haben, aber es gibt handfeste objektive und subjektive Gründe dafür. Beide haben eines gemeinsam: Sie
lassen sich nicht kurzfristig beseitigen, so dringend das auch ist.
Neben den objektiven Gründen, z. B. den großen Produktionsanlagen, dem Fehlen baulicher Voraussetzungen für kleinere Betriebe und der oftmals einseitigen landwirtschaftlichen Ausbildung besonders jüngerer Bauern spielen subjektive Einflüsse eine entscheidende Rolle.
Erstens. Die Mehrzahl der Bauern besitzt noch nicht die erforderlichen unternehmerischen Fähigkeiten und Kenntnisse.
Zweitens. Die wachsenden Schwierigkeiten der Berufskollegen im Westen bremsen natürlich den Drang zur rein privaten Landwirtschaft im Osten.
Drittens. Auf Vorteile des gemeinsamen Wirtschaftens wird nur ungern verzichtet. Man verläßt sich noch oft auf die in der Regel besser qualifizierten Vorsitzenden, besonders wenn sie Perspektiven des betrieblichen Fortbestandes entwickeln. Die überwiegende Mehrheit der Bauern ist nach wie vor unzureichend über die neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen informiert und nutzt diese Gelegenheit leider auch zu selten.
Viertens. Die offiziell verkündete Chancengleichheit aller Betriebsformen, die wir begrüßen, nährt die Hoffnung, in verkleinerten umstrukturierten Betrieben gemeinschaftlich am Markt bestehen zu können.
Das Verharren bei den Genossenschaften ist also nicht, wie oft angenommen, politisch oder ideologisch motiviert, sondern beruht zum großen Teil auf dem Fehlen klarer Alternativen, von deren Erfolg man sich als Landwirt überzeugen kann.
Wohin man in den neuen Bundesländern kommt, werden einem als Politiker klar und unmißverständlich die Fragen gestellt: Welche Chancen gebt ihr den Gemeinschaftsbetrieben? Welche Rahmenbedingungen müssen dazu von uns eingehalten werden? Die Antworten der Politiker fallen zur Zeit für die Fragesteller meistens unbefriedigend aus. Es wird deshalb höchste Zeit, daß klare politische Richtlinien folgen. Der Deutsche Bundestag der 12. Wahlperiode muß diese existentiellen Fragen der Landwirte in den neuen Bundesländern so bald als möglich beantworten.
Abschließend möchte ich Ihnen sagen: Ein weiteres Jahr voller Ängste und Ungewißheit darf den Landwirten in den neuen Bundesländern als deutschen Bundesbürgern nicht zugemutet werden.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete von Schorlemer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion zur Verwertung volkseigener land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke im Gebiet der neuen Bundesländer durch die Treuhandanstalt Berlin können wir leider nicht zustimmen. Ich sage „leider", weil es in diesem
Antrag viele Anregungen und Ansätze gibt, die wir billigen könnten.
Herr Kollege Dr. Botz, Sie haben im letzten Teil Ihrer Ausführungen bei Ihren abschließenden Bemerkungen darauf hingewiesen, daß ein Teil dieser Probleme nicht kurzfristig zu lösen ist, und insbesondere den 12. Deutschen Bundestag aufgefordert, sich unmittelbar nach seinem Zusammentreten gerade den drängenden agrarpolitischen Fragen zu widmen. Ich kann dem nur zustimmen.
Ich möchte unsere Ablehnung des Antrages ganz kurz begründen. Ich möchte zu Beginn erwähnen, daß ich es besonders begrüße, daß ein so erfahrener wie sachkundiger Kenner der Agrarpolitik, der frühere Staatssekretär Rohr, jetzt innerhalb der Treuhand die Koordination für den Bereich Landwirtschaft vornimmt. Ich bin davon überzeugt, daß dies auch sicherstellen wird, daß diese Fragen in Zukunft sachgerecht behandelt werden.
Ich bin weiter der Meinung, daß natürlich gerade bei der Behandlung dieser Fragen die neugebildeten Bundesländer gleichsam den Vorrang und den Vortritt haben müssen und daß sie bei dieser Frage zunächst einmal ihre konzeptionellen Vorstellungen vortragen sollten.
Für die Behandlung des SPD-Antrages wäre es besser gewesen - leider ist das auf Grund der zu Ende gehenden Legislaturperiode nicht mehr möglich -, wir hätten ihn im Fachausschuß sachkundig beraten können. Ich bin davon überzeugt, wir hätten anschließend viele Fragen gemeinsam beantwortet.
Im Treuhandgesetz vom 17. Juni heißt es z. B.: Für die Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens in der Land- und Forstwirtschaft ist die Treuhand so zu gestalten, daß den ökonomischen, ökologischen und eigentumsrechtlichen Besonderheiten dieses Bereiches Rechnung getragen wird. Hier sind also keine Schnellschüsse und Eilentscheidungen zu treffen, sondern dieses Thema muß sorgsam behandelt werden.
Die Schwerpunkte des SPD-Antrages stehen der bisherigen Praxis der Treuhand auch nicht im Wege. Aus dem SPD-Antrag möchte ich z. B. begrüßend die Forderung an die Treuhand ansprechen, keine nennenswerten Veräußerungen entsprechender land-und forstwirtschaftlicher Flächen an große nichtlandund nichtforstwirtschaftliche Kapitalanleger zuzulassen.
Ich möchte hinzufügen, daß auch keine kurzfristigen Pachtverträge zu Spottpreisen ausgehandelt werden dürfen.
Wenn wir die gemeinsame Erklärung der Regierungen der Bundesrepublik und der damals noch bestehenden Deutschen Demokratischen Republik zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni - diese Erklärung ist Bestandteil des Einigungsvertrages - ernst nehmen - wir nehmen sie ernst - , dann müssen wir bei dieser Thematik auch bedenken, daß es dem künftigen gesamtdeutschen Parlament vorbehalten bleiben muß, über etwaige staatliche Ausgleichsleistungen an die früheren Eigentümer zu entscheiden. Für uns können dies auch Naturalentschä18724
digungen sein. Dies muß die Treuhand bei ihrer Arbeit immer gegenwärtig haben.
Es muß auch beachtet werden - lassen Sie mich dies hinzufügen, weil mir dies bei Gesprächen in den neuen Bundesländern immer wieder gesagt worden ist -, daß keine früheren roten Seilschaften bei diesem Generalthema zu Profiteuren werden.
({0})
Meine abschließende Bitte an die SPD ist, im neuen Bundestag diesen Antrag erneut und sofort in die Beratung einzubringen und sachgerecht im Beisein der Treuhand im Ausschuß zu beraten. Ich glaube, wir können dabei auch feststellen, daß es viele Gemeinsamkeiten gibt.
Wir können allerdings heute diesem Antrag deshalb leider nicht zustimmen.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Ullmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ziele des Antrags, die künftigen Belange der Agrarstruktur, der Dorferneuerung einschließlich der kommunalen Infrastruktur, der Gewerbeansiedlung, der Landschaftsentwicklung und des Naturschutzes, sind uneingeschränkt zu bejahen.
Der Antrag ist an diesen Zielen freilich auch zu messen. Wenn man das tut, dann erscheint es sehr fraglich, ob der Antrag, so wie er dasteht, hinlänglich ist, um die wichtigen und dringenden Ziele zu erreichen; denn er geht ja über Absichtserklärungen recht unverbindlicher Art eigentlich gar nicht hinaus.
Der eigentlich relevante konkrete Vorschlag besteht darin, die Treuhandanstalt anzuhalten, entsprechende Flächen an regionale Landentwicklungsgesellschaften der neuen Länder zu überführen.
Folgendes ist nun angesichts dieses Vorschlags zu bemerken:
Ich muß leider feststellen, daß die Treuhandpolitik, die durch ihren Zentralismus Länder und Kommunen bisher gewaltig benachteiligt hat, in diesem Vorschlag fortgesetzt und nicht korrigiert wird. Ich erkenne hier keinerlei Ansätze für eine Regionalisierung des Treuhandvermögens, wie es in der Präambel des Treuhandgesetzes verlangt worden ist. Wenn ich den Herrn Kollegen von der SPD richtig verstanden habe, hat er das soeben auch verlangt. Ich wundere mich darum, daß seine Fraktion im Treuhandausschuß eine ganz andere Politik verfolgt.
({0})
Ich muß auch bemerken - leider ist der Herr Kollege von der CDU soeben hinausgegangen - ({1})
Nein, nein! Er ist im Raum, Herr Dr. Ullmann.
Ah ja. Ich habe meine Brille leider vergessen. Entschuldigen Sie.
({0})
Auch die CDU in den Ländern hat sich dieser Forderung längst angeschlossen, und zwar mit Nachdruck, ohne daß sie dabei irgendwelche nennenswerten Erfolge zu erreichen vermocht hätte.
Außerdem muß ich leider feststellen, daß die Absichten des Antrags in vollem Widerspruch stehen zu jener Einschränkung des Kommunalverfassungsgesetzes, wie sie im zweiten Staatsvertrag vorgesehen ist.
Hier steht man also vor erheblichen Problemen. Wenn man sie lösen will, dann muß man über diese unverbindlichen Absichtserklärungen des Antrags irgendwie hinauskommen.
({1})
Ich möchte übrigens, da Graf Lambsdorff neulich in einem kleinen Redeaustausch mit mir schon wieder den altbösen Feind des Sozialismus am Himmel auftauchen sah,
({2})
auch darauf hinweisen, daß er in dieser Sache offenkundig genauso schlecht informiert ist wie in Sachen § 218; denn wir haben ja gerade mit seinen Parteifreunden in der ehemaligen DDR für eine Liberalisierung des Energiekonzepts im Interesse der Kommunen gestritten. Wer anders als die Freien Demokraten könnte eigentlich eine solche Liberalisierung unterstützen?! Hier kann ich mich nur wundern.
({3})
Im übrigen: Angesichts der Forderung, daß die „Eigentumsverhältnisse zügig zu klären" seien, weiß ich nun allerdings nicht, ob ich weinen oder lachen soll. Denn hier zeigt sich nun wieder einmal die heitere Unwissenheit über die Zustände in unserem Lande, in der ehemaligen DDR, nämlich über das Chaos im Grundbuch- und Katasterwesen. Wer hier zügig vorankommen will, muß dort etwas ändern.
({4}) Auch darüber sagt der Antrag leider nichts.
Ich fasse zusammen: Die Absichten werden bejaht. Insofern kann ich dem Antrag, auch dem Verfahren, das Herr von Schorlemer soeben vorgeschlagen hat, zustimmen. Aber ich muß ausdrücklich unterstreichen: Wer diesem Antrag jetzt zustimmt, so wie ich es vorschlage, der sei sich im klaren, daß er dann auch der geäußerten Kritik zustimmt und die Verpflichtung übernimmt, in dieser Hinsicht etwas zu tun. Daher kann ich mit dem Appell schließen, meine Damen und Herren: Seien Sie wirkliche Demokraten und Föderalisten, stärken Sie die Kommunen und die Länder! Der Antrag ist gut, aber er reicht bei weitem nicht aus.
Ich danke Ihnen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Zywietz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
({0})
- Klar! Das ist doch ein sehr politisches Thema. Und davon verstehen wir hier in diesem Hause doch alle etwas; das ist doch zweifelsfrei. - Die Überschrift des vorliegenden Antrags beschreibt die richtige - man möchte fast meinen: gewaltige - „Verwertung volkseigener land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke im Gebiet der neuen Bundesländer durch die Treuhandanstalt Berlin". Das ist in der Tat ein gewichtiges Stichwort. Nur, das, was dann in diesem Antrag folgt
- insofern möchte ich die Bemerkungen des Vorredners aufnehmen - , ist zu dünn, um diesem Antrag zuzustimmen. Er geht in der Sache schlichtweg nicht über das hinaus, was bereits in Arbeit ist. Daher können wir einem solchen Antrag hier nicht die Zustimmung erteilen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Aber ja!
Warum, lieber Kollege Zywietz, haben Sie im Unterausschuß Treuhandanstalt gestern die Reformvorschläge, nämlich die Strukturvorschläge der Treuhandanstalt, mehr Kompetenzen auf die Länder zu übertragen, wie es im Treuhandgesetz steht, abgelehnt? Der Kollege Ullmann hat das hier zu Recht kritisiert. Warum haben Sie das wie alle anderen - außer den GRÜNEN/ Bündnis 90 - abgelehnt?
Das ist etwas voreilig, ehrenwerte Kollegin. Wir wissen um die Diffizilität der Verwertung von Eigentum. Und auch solche Aspekte wie die hier angesprochenen werden dabei berücksichtigt. Aber vielleicht darf ich die Frage im Kontext beantworten; denn das ist mit Ja oder Nein nicht zu machen.
({0})
Das Kernstichwort ist hier, wie aus Staatseigentum und Staatsvermögen Privateigentum, Eigentum in anderer Form wird. Und hier ist abgehoben auf ein Segment, nämlich auf das landwirtschaftliche. Daß dies aber nach der Wiedervereinigung in der derzeitigen politischen Landschaft die Kernaufgabe überhaupt ist, steht doch wohl außer Zweifel. Bloß, wenn man sich dann anschaut, welche guten Ratschläge in diesem Antrag enthalten sind, dann stellt man fest, daß in ihm nichts steht, was über das hinausgeht, was wir bereits in politischer Arbeit haben und von der Treuhandanstalt auch vollzogen wird.
Aber, Frau Kollegin, ich wollte darauf noch eingehen und andeuten, daß der Tagesordnungspunkt 21 gedanklich - ich schaue da gern den Kollegen Waltemathe an - durchaus etwas mit dem vorangegangenen Punkt zu tun hat, nämlich mit dem Tagesordnungspunkt betreffend „Neue Heimat" . Die gedankliche Brücke ist: Eigentum verpflichtet.
({1})
Ich habe vorhin aufmerksam zugehört, als gesagt wurde, was aus dem Eigentum der „Neuen Heimat" geworden ist und nach welchen Grundsätzen dort mit diesem Eigentum umgegangen worden ist. Ich ziehe für den Tagesordnungspunkt 21 den Schluß, daß wir mit sehr großer Sorgfalt darauf zu achten haben, was aus dem Eigentum - sowohl dem landwirtschaftlich genutzten Eigentum als auch dem gewerblich genutzten Eigentum - auf dem Gebiet der Ex-DDR in Zukunft wird. Und das ist keine Frage, die mit Ja oder Nein oder ein bißchen Regionalisierung beantwortet werden kann, sondern das ist eine Frage, die mit äußerster Umsicht angegangen werden muß, und das tun wir auch.
Da dieser Antrag nicht weiterführt - das hat der Herr Vorredner angedeutet -, ist ihm in dieser Form nicht zuzustimmen, auch wenn wir die Absicht und die Zielrichtung schätzen. Aber dieser Antrag führt nicht nur im Konkreten nicht weiter, sondern signalisiert in einigen Punkten auch eine deutliche Schieflage. Der vorrangigen Nutzung und der Aufzählung, wofür die Flächen genutzt werden sollen, kann man alles in allem zustimmen. Aber wenn hier die Rede davon ist, die Einheimischen würden bevorzugt und nichtlandwirtschaftliche Kapitalanleger würden an den Pranger gestellt, dann wird ein Popanz aufgebaut, als könnten nichtlandwirtschaftliche Kapitalanleger etwas in großem Stil erwerben. Soweit mir bekannt ist, ist so etwas gar nicht möglich. Das Gesetz über den Grundstücksverkehr und das Landwirtschaftspachtgesetz sind übergeführt worden. Danach ist vorgeschrieben, welche Qualifikationen fachlicher Art und andere Bedingungen erfüllt sein müssen, um ein solches Eigentum zu erwerben. Hier wird ein Popanz aufgebaut - ich weiß nicht, aus welchen Gründen; vielleicht ist es die Nähe zum Wahlkampf -, der in der Realität gar nicht gegeben ist.
Ich meine, wir werden bei einer vertiefenden Beratung in der neuen Legislaturperiode darauf zu achten haben - das verdient dieses Stichwort allemal -, daß nicht ein closed shop oder eine einseitige Differenzierung zwischen angeblich Einheimischen - ich frage: Wer ist das? - und nicht Einheimischen aufrechterhalten wird. Ich habe immer noch den Slogan im Ohr „Wir sind ein Volk". Aus dieser Praxis heraus kann ich eigentlich nicht so recht herausdestillieren, worin die Unterschiedlichkeiten jetzt noch liegen sollen. Ich habe auch die Worte im Ohr, daß das mit den „Ossis" und den „Wessis" aufhören soll. Nehmen wir das ernst. Dann kann ich aber auch nicht dafür plädieren, daß hier möglicherweise noch lange Zeit eine gruppenspezifische oder regionalspezifische Bevorzugung stattfinden soll.
Ich sehe und akzeptiere in Grenzen den Hintergrund dieser Tatsache. Ich möchte allerdings auch darauf aufmerksam machen, daß man diesen Punkt nicht überziehen darf, wenn man das gemeinsame
Ganze und die bessere Zukunft erlangen will. Dann muß man diese Dinge Schritt für Schritt kleinerschreiben. Man darf sie nicht so in den Mittelpunkt eines Antrags stellen, wie das hier geschehen ist.
Da ich nur fünf Minuten Redezeit habe und das gelbe Licht bereits leuchtet, möchte ich sagen: Bei der Überführung von Staatseigentum in Privateigentum, und zwar mit Umsicht und Verantwortung, auch sozialer Verantwortung, werden wir uns auch in der neuen Legislaturperiode von niemandem übertreffen lassen.
Es ist nicht meine Wunschvorstellung, Staatseigentum aus einer großen Tüte in eine kleinere Tüte regionaler oder kommunaler Art umzuschichten. Ich möchte als FDP-Vertreter sagen: Es muß soweit wie irgend vertretbar Privateigentum geschaffen werden; es darf nicht nur darum gehen, Staatseigentum anders zu verpacken und mit einer anderen Größenordnung zu versehen. Hier muß die Gewichtung angesetzt werden. Daß dabei auch kommunales Eigentum, städtisches Eigentum eine Rolle spielt, ist unbestritten. Ich möchte der Auffassung entgegentreten, die Umschichtung von der größeren Staatstüte in eine kleinere Staatstüte sei bereits eine Beglückung für die Bevölkerung. Das vermag ich nicht zu akzeptieren.
({2})
Der Unterausschuß Treuhand ist gegründet worden. Ich habe das Vergnügen und die Arbeit, Mitglied dieses Unterausschusses zu sein. Wir sind in einem sehr konstruktiven Gespräch mit den leitenden Organen der Treudhandanstalt. Wir werden in der Zukunft der umsichtigen und sorgfältigen Verwertung im Sinne von Privatisierung, nicht aber im Sinne von Umtütung in anderes Staatseigentum und auch nicht im Sinne von Verschenken oder Verschleudern in nicht angemessener Weise, unser volles Augenmerk schenken.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat Abgeordneter Dr. Schumann ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD betreffend die Verwertung land- und forstwirtschaftlicher Flächen durch die Treuhandanstalt findet auch die Zustimmung und Unterstützung der Abgeordneten der PDS. Wir möchten nochmals auf die von der Volkskammer verabschiedeten Grundsätze für die Arbeit einer Treuhandanstalt speziell im Bereich der Land- und Forstwirtschaft verweisen. Diese Grundsätze wurden im August übereinstimmend von allen Fraktionen gebilligt, auch mit den Stimmen der CDU und der FDP. Sie fanden später aber keine Anwendung, da es nicht zur gesonderten Bildung einer Treuhandanstalt Land- und Forstwirtschaft kam, deren Satzung auf der Grundlage der verabschiedeten Grundsätze erarbeitet werden sollte.
Wir sind dennoch der Auffassung, daß die vorliegenden Grundsätze bei der Arbeit der Treuhandanstalt im Bereich der Land- und Forstwirtschaft Orientierungsrichtlinie sein sollte. Wesentlicher Schwerpunkt der Grundsätze und auch die Intention des von der Volkskammer verabschiedeten Gesetzes zur Entwicklung und Umgestaltung volkseigener Güter, das ebenfalls leider kein fortgeltendes Recht ist, bestanden darin, kommunale Belange und Rechte zu berücksichtigen. Ich möchte hier, an meinen Vorredner gerichtet, sagen: Es gibt ja nicht nur kommunale Belange, sondern es gibt auch kommunale Rechte, die wir zu berücksichtigen haben. Er bestand weiterhin darin, im Hinblick auf funktionierende landwirtschaftliche Betriebe, die einen entsprechenden Strukturwandel vollziehen, auch privaten Landwirten durch die Verpachtung oder den Verkauf des Bodens die notwendigen Voraussetzungen zu geben und die durch die Verwertung erworbenen Mittel im Bereich der Landwirtschaft einzusetzen.
Die Zielstellung müßte in der Hauptsache darin bestehen, schneller als bisher zu Ergebnissen zu kommen. Die Treuhandanstalt hat unseres Wissens damals in Übereinstimmung mit der Bundesregierung und der Regierung der ehemaligen DDR den Vorschlag des Landwirtschaftsausschusses der Volkskammer, eine gesonderte Treuhand für die Landwirtschaft zu bilden, abgelehnt. Vielleicht gab es dafür gute Gründe; fachliche können es kaum gewesen sein. Aber vor allem der Bundesfinanzminister wird wissen, warum er die Eigenständigkeit abgelehnt hat.
Fakt ist jetzt jedenfalls, daß es bisher kaum brauchbare Ergebnisse gibt und die Unsicherheiten wachsen. Bauern müssen sich an biologische Rhythmen halten und zu bestimmten Zeiten bestimmte Arbeiten erledigen. Sie tun es auch, aber mit großen Unsicherheiten. Die rasche Strukturanpassung, die von allen gewünscht wird, und zwar sowohl hier als auch in den neuen fünf Bundesländern, wird jetzt auch durch die schleppende Arbeit der Treuhand nicht gerade gefördert.
Aber es gibt noch weitere gewichtige Gründe. In der letzten Zeit erscheinen verstärkt große Kapitalgesellschaften auch des nichtlandwirtschaftlichen Bereichs, die, zumeist ausgehend von großen volkseigenen Flächen, an Genossenschaftsbauern und andere private Landbesitzer recht aggressiv mit dem Ziel herantreten, Produktionsareale von 10 000 bis 30 000 ha zu schaffen. Häufiges Argument: Die volkseigenen Flächen bekommen wir sowieso; also was wehrt ihr euch noch, wir bekommen euch schon klein. Angesichts mangelnder Finanzausstattung sowohl von Bauern, die gewillt sind, auf privater Grundlage zu wirtschaften, als auch von Genossenschaften, die echte Produktionsgrundlagen haben, ist es oft keine Kunst, wenn sich dann solche Kapitalgesellschaften große Chancen ausrechnen. Ich selbst habe jetzt schon die zweite Runde einer solchen Auseinandersetzung hinter mir. Sie trägt wenig zu einer echten Entwicklung bei und verunsichert dagegen die Menschen. Die Treuhand schweigt im allgemeinen.
Wir sollten hier schnellstens Abhilfe schaffen. Ich glaube, daß dieser Antrag dazu geeignet ist.
({0})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Herr Carstens.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu diesem Antrag der SPD-Fraktion nur einige grundsätzliche Bemerkungen machen.
Das volkseigene Vermögen in der ehemaligen DDR wurde nach Maßgabe des Treuhandgesetzes der Treuhandanstalt übergeben. Ihre Aufgabe ist es, das bisher volkseigene Vermögen vorrangig so weit und so rasch wie möglich zu privatisieren und die Strukturanpassung der Unternehmen an marktwirtschaftliche Bedingungen zu fördern. Im Treuhandgesetz ist aber ebenfalls festgelegt, daß die Privatisierung und Reorganisation des bisher volkseigenen Vermögens in der Land- und Forstwirtschaft so zu gestalten ist, daß den ökonomischen, ökologischen, strukturellen und eigentumsrechtlichen Besonderheiten dieses Bereichs Rechnung getragen wird. An den für den land- und forstwirtschaftlichen Bereich gültigen vertraglichen Vereinbarungen des Staatsvertrages und an den Regelungen des Treuhandgesetzes ist festzuhalten.
In der Treuhandanstalt ist wegen der besonderen Bedeutung der Bereich Land- und Forstwirtschaft ein eigener Organisationsbereich geworden, der einem Generalbevollmächtigten unterstellt ist.
Meine Damen und Herren, auf Grund der Redebeiträge der Kollegen von Schorlemer und Zywietz kann ich auf weitere Ausführungen verzichten. Schönen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/8210. Wer stimmt für diesen Antrag der SPD? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen ist dieser Antrag abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 sowie die Zusatztagesordnungspunkte 17 und 18 auf:
22. a) Zweite und dritte Beratung des von der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Entschädigung für NS-Zwangsarbeiter"
- Drucksache 11/4704 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des
Innenausschusses ({0})
- Drucksache 11/8046 Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Dr. Wisniewski Lüder
Frau Schmidt ({1})
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 11/8047 - Berichterstatter:
Abgeordnete Deres Kühbacher
Frau Seiler-Albring Kleinert ({3})
({4})
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({5})
zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN
Politische und rechtliche Initiativen der Bundesregierung gegenüber den Nutznießern der NS-Zwangsarbeit
zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer, Dr. Lippelt und der Fraktion DIE GRÜNEN
Individualentschädigung für ehemalige polnische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter unter der NS-Herrschaft durch ein Globalabkommen
zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Errichtung einer Stiftung „Entschädigung für Zwangsarbeit"
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über vorhandene private Initiativen, die im Zusammenhang mit Zwangsarbeit während des 2. Weltkriegs ergriffen wurden
- Drucksachen 11/4705, 11/4706, 11/5176, 11/6286, 11/8046 Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Dr. Wisniewski Lüder
Frau Schmidt ({6})
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({7})
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Verbesserung der in den Richtlinien der Bundesregierung über Härteleistungen an Opfer von nationalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen im Rahmen des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes vorgesehenen Leistungen und Erleichterungen bei der Beweisführung
zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Errichtung einer Stiftung „Entschädigung für NS-Unrecht"
- Drucksachen 11/5164, 11/4838, 11/7899 Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Dr. Wisniewski Frau Schmidt ({8})
Frau Dr. Vollmer
Vizepräsidentin Renger
ZP17 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer, Frau Beer, Dr. Lippelt ({10}), Meneses Vogl, Frau Nickels, Such und der Fraktion DIE GRÜNEN
Rehabilitierung und Entschädigung der unter der NS-Herrschaft verfolgten Kriegsdienstverweigerer, Deserteure und „Wehrkraftzersetzer"
- Drucksachen 11/7754, 11/8389 Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Dr. Wisniewski Lambinus
Frau Dr. Vollmer
ZP18 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({11}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer, Kleinert ({12}) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Errichtung einer nationalen Gedenkstätte in Hadamar für die Opfer der NS-„Euthanasie"- Verbrechen
- Drucksachen 11/7329, 11/8390 Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Dr. Wisniewski Lüder
Lambinus
Im Ältestenrat ist für die verbundene Beratung eine Fünfminutenrunde vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - So beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Vollmer als Berichterstatterin und in der Debatte.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Berichterstatterin habe ich zunächst etwas richtigzustellen, und zwar zur Drucksache 11/7329. Am Ende einer Legislaturperiode und unter dem Druck einer anstehenden namentlichen Abstimmung passiert einem gelegentlich ein parlamentarisches Unglück. So ist es uns passiert, daß wir die Abstimmung über unseren Antrag - den wir natürlich annehmen - und über die Beschlußempfehlung des Ausschusses verwechselt haben. Das hätte uns auffallen müssen, weil wir an dieser Stelle plötzlich eine Zustimmung gefunden haben, von der wir meinten, sie sei zu unserem Antrag, die aber zu der Beschlußempfehlung war. Die Beschlußempfehlung lehnen wir also ab. Das bitte ich richtigzustellen. Unserem Antrag stimmen wir selbstverständlich zu. Es geht um die Errichtung einer Gedenkstätte in Hadamar für die Opfer der NS- „Euthanasie "-Verbrechen.
Nun zur Debatte. In der letzten Woche besuchte uns eine Delegation jüdischer Frauen, die in der NS-Zeit, gerade dem Tode entronnen, von Auschwitz zur Zwangsarbeit nach Stadtallendorf verschleppt wurden. Sie mußten als deportierte Ungarinnen bei der Firma Dynamit Nobel Zwangsarbeit leisten. Diese Frauen, die heute wieder in Ungarn leben, fragen sich und fragen den Bundestag, warum sie als rassisch verfolgte Jüdinnen und als Zwangsarbeiterinnen von allen Entschädigungsleistungen ausgeschlossen wurden. Die historischen Gründe sind klar. Die Bundesregierungen haben sich bisher geweigert, Entschädigungsleistungen an Verfolgte, die in kommunistisch regierten Staaten leben, überhaupt auszuzahlen. Wenn diese Frauen heute in den Westen ziehen würden, bekämen sie für das erlittene Verfolgungsschicksal den beschämenden Betrag von einmalig 5 000 DM, vorausgesetzt, daß sie hochgradig schwerbeschädigt wären. Sonst unterbleibt nach unserer Gesetzgebung auch dieses Almosen.
Der zweite Grund, warum die Frauen nichts bekommen konnten, war der historische Trick der Bundesrepublik, die Zwangsarbeit als kriegsübliche Maßnahme zu deklarieren - darüber ist immer sehr viel gestritten worden - , also als einen Tatbestand des Reparationsrechtes, nicht aber als nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahme. Im Rahmen des Londoner Schuldenabkommens, das in dieser Debatte immer eine große Rolle spielte, gelang der Bundesregierung ein Deal, der auf folgendes hinauslief. Die Weststaaten erhielten die Möglichkeit zu Globalabkommen für NS-Opfer, die in diesen Staaten lebten. Dafür tolerierten sie, die Weststaaten, stillschweigend, daß der Großteil der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die aus den osteuropäischen Staaten verschleppt wurden, keine Leistungen erhielten. Wir dürfen in diesem Zusammenhang nicht vergessen: Es herrschte international bereits der Kalte Krieg.
Die allerdings auch rechtlich zweifelhafte Interpretation des Londoner Abkommens durch die Bundesregierung besagte, für Zwangsarbeit könne, ja dürfe erst gezahlt werden, wenn es einen Friedensvertrag für den Zweiten Weltkrieg gebe. So hat man über 45 Jahre lang die notwendige Entschädigung der deportierten Zwangsarbeiterinnen verzögert. Auch die Firmen wurden nicht zur Zahlung herangezogen. Seit letztem Jahr aber lautet offensichtlich die Parole: Es darf jetzt keinen Friedensvertrag mehr für den Zweiten Weltkrieg geben, gerade damit wir den Zwangsarbeiterinnen nichts zahlen müssen. Das ist intern auch immer so gesagt worden.
Wir können nur feststellen: Wenn es jemals eine Berechtigung gegeben hat - was wir entschieden bestreiten - , für Verfolgte, für Zwangsarbeiterinnen nichts zu zahlen, heute kann weder die historische Lüge des Londoner Schuldenabkommens noch der Eiserne Vorhang eine Hinderung für diese längst überfällige Verpflichtung begründen.
Wir fordern Sie deshalb auf, unserem eindeutig formulierten Auftrag an die Bundesregierung zuzustimmen. Der Beschlußempfehlung des Innenausschusses können wir nicht zustimmen. Wir finden sie sogar beschämend. Bringt dieses Parlament nach mehr als sechjähriger Debatte über dieses Thema wirklich nicht mehr zustande, als erneut einen Bericht der Bundesregierung anzufordern, ob es überhaupt eine Härteregelung für die NS-Zwangsarbeiter geben müsse? Sie wissen die Fakten längst. Damit betrachten wir diese Beschlußempfehlung als Ausweichen vor den historisch längst erwiesenen Tatsachen.
Aber auch die Härteregelungen für NS-Opfer, die in der Bundesrepublik jahrzehntelang in das VergesFrau Dr. Vollmer
sen gestoßen waren, lehnen wir ab. Es ist ja bezeichnend, daß unsere Prophezeihungen vom Frühjahr 1988 wahr geworden sind. Ich habe damals selbst an diesem Pult gestanden und gesagt: Ich prophezeihe, daß diese Gelder wieder nicht ausgegeben werden. Die Bedingungen waren so restriktiv, die Leistungen im Grundsatz so niedrig, daß man sich nicht wundern konnte, wenn in zwei Jahren nur ganze zwei Prozent der Mittel an Verfolgte ausgezahlt wurden. Auf dem Kapitalmarkt konnte man über die Zinsen ein Vielfaches dessen ansparen, was hier ausgegeben wurde, d. h. die für die Verfolgten bestimmten Gelder wurden als Sparkasse der Bundesregierung benutzt. Dabei hätte es so viele Möglichkeiten gegeben, großzügiger zu verfahren. Der Zwang zu Facharztgutachten für Zwangssterilisierte hätte entfallen können. Man hätte einen gesundheitlichen Schaden für die Zwangssterilisierten von 25 % generell annehmen können. Es hätte eine Spätschadenregelung geben können. Auch die vielen hundert Fälle von Sinti und Roma, die der Zentralrat vorgelegt hat, sind mehrheitlich noch nicht entschieden. Große Gruppen, wie die Opfer der Militärjustiz, die Deserteure, sind nach wie vor ausgegrenzt. Die Entschließung, die der Innenausschuß dazu verabschiedet hat, ist ebenfalls ausweichend und beschämend. Sie stellt eine Brüskierung der Opfer dar. Wir werden den neuen Bundestag auf jeden Fall noch einmal mit dieser Frage befassen.
Wenn wir uns insgesamt die letzten Jahre ansehen, müssen wir feststellen, daß die Politik der Härteleistungen, die das Parlament vom Bundesfinanzminister regelrecht erbettelt hat, dieses Problem geradezu erzeugt hat.
Eine endgültige Abschlußregelung, wie dies einige in diesem Parlament gern hätten, wird es also auch in Zukunft nicht geben können. Vielleicht hat ja das neue Parlament endlich den Mut, dafür eine Lösung zu suchen, die auch die Verbände der Verfolgten mit einbezieht und die vor allem mehr als nur Kleckerbeträge für die Betroffenen bereitstellt. Ich danke Ihnen.
({0})
Meine Damen und Herren, das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Wisniewski.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde, es ist nicht angemessen, in einer solchen Debatte in dieser Weise Vorwürfe zu erheben gegen die Regierung und gegen das Parlament, wie es eben geschehen ist, Frau Vollmer.
({0})
Ich finde, wir sollten uns gerade in diesem Bereich der Politik bemühen, gegenseitig Achtung zu zeigen; denn es ist - das können wir, glaube ich, alle betonen - das besondere Anliegen dieses Parlaments, durch ideelle und finanzielle Wiedergutmachung Not zu lindern bei den Opfern, die immer noch unter uns leben und immer noch an den Unrechtstaten der Vergangenheit zu leiden haben. Es ist gleichzeitig auch immer erneut notwendig, den Abscheu und die Trauer über die Unrechtstaten auszudrücken und damit aber auch die Abkehr des deutschen Volkes von einer Ideologie zu dokumentieren, die zu diesen Unrechtstaten führte.
In der 11. Legislaturperiode hat diese Haltung ihren besonderen parlamentarischen Ausdruck dadurch erhalten, daß ein Unterausschuß Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts eingesetzt wurde, der umfängliche und besonders schwierige Detailarbeit zu leisten hatte. Durch die Existenz eines eigenen Gremiums wurde die Bedeutung der Wiedergutmachungspolitik unterstrichen, und es wurde der Bogen zur Tradition früherer Legislaturperioden geschlagen, in denen es einen eigenen Ausschuß für Wiedergutmachung gab. Es gelang im Laufe der Legislaturperiode, in vielen Bereichen der Wiedergutmachungspolitik Fortschritte zu erzielen. Manchen wurde zu wenig erreicht. Aber es bleibt auch festzuhalten, daß viele nicht im entferntesten zu Beginn der Legislaturperiode daran glaubten, daß so viel erreicht werden würde, wie nun tatsächlich erreicht werden konnte. Es ist angesichts der abgeschlossenen Gesetzgebung in diesem Bereich nicht selbstverständlich, daß ein Fonds von 300 Millionen DM für Härtefälle eingerichtet wurde, daß aus diesem Fonds für alle Zwangssterilisierten eine Rente von monatlich 100 DM gezahlt wird, daß erhebliche Verbesserungen zugunsten der Zwangssterilisierten und anderer Betroffener - darunter übrigens auch der sogenannten Wehrkraftzersetzer, Deserteure usw. - in den Bedingungen für die Gewährung weiterer Leistungen erreicht werden konnten, daß auch für jüdische Verfolgte laufende Leistungen in Härtefällen gezahlt werden können, daß für kulturelle Vorhaben der Sinti und Roma erhebliche Beträge bewilligt wurden, daß in der Frage einer Entschädigung für ausländische Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkriegs erste Beratungen aufgenommen wurden und daß ein Gesamtkonzept für nationale Gedenkstätten erarbeitet werden wird. Es sind nur einige wenige Punkte, die ich hier aufzählen kann, aber ich glaube, insgesamt sagen zu dürfen, daß in dieser Legislaturperiode nicht unerhebliche Entschädigungsleistungen durchgesetzt oder auf den Weg gebracht werden konnten.
Die vorliegenden Anträge der GRÜNEN und der SPD mahnen weitere und schnellere Hilfe an. In diesem Wunsch wissen sich sicherlich alle Fraktionen einig. Die Realisierung muß weiter verfolgt werden. Es muß jedoch vor allem auch festgehalten werden, daß sich Verzögerungen und Festhalten am vorgegebenen Rahmen gerade aus dem ergeben, was alle Fraktionen für besonders wichtig halten und was wir gemeinsam erstritten haben, nämlich die Gewährung laufender Leistungen, die auf Jahre hinaus berechnet wurden müssen und für die die notwendigen Finanzmittel eingeplant werden müssen.
In der nächsten Legislaturperiode wird namentlich auch im Hinbick auf die neu hinzugekommenen Aufgaben durch die Einbeziehung der neuen Bundesländer zu prüfen sein, ob andere Instrumente der Wiedergutmachungspolitik als die seit 1980 eingeführten Härtefonds geschaffen werden müssen. Hier und heute kann die Diskussion darüber, etwa über die Einsetzung von Stiftungen, nicht zu anderen Ergebnissen als zu denen führen, die bereits mehrfach bestätigt
werden. CDU und CSU bleiben bei der Fonds-Lösung.
Wir stimmen daher den Beschlußempfehlungen des Innenausschusses mit den darin enthaltenen wesentlichen Verbesserungen der Entschädigungsleistungen zu.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Waltemathe.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über die sogenannten „vergessenen Opfer" der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft haben wir in diesem Parlament in dieser Legislaturperiode, in den vergangenen Jahren des öfteren geredet und reden müssen. Heute wird es zwar das letzte Mal in dieser Legislaturperiode sein, aber gleichwohl wird es nicht zum letztenmal im bundesdeutschen Parlament sein, denn zu abschließenden vernünftigen Lösungen haben die Bemühungen leider immer noch nicht geführt.
Zweitens. Was die Opfer von Zwangssterilisation, die sogenannten Wehrkraftzersetzer, Deserteure, die im Dritten Reich verfolgten Homosexuellen, die Sinti und Roma und andere Opfergruppen anbelangt, ist die von uns vorgeschlagene Stiftungsregelung leider immer wieder von der Koalitionsmehrheit abgelehnt worden. Immerhin - das sei zugegeben - haben wir im Rahmen des eingerichteten Härtefonds gegen erhebliche Wiederstände der Regierungsstellen gemeinsam und fraktionsübergreifend praktikablere und gerechtere Lösungen durchgesetzt. Insofern begrüßen wir nicht, daß die Bundesregierung etwas getan hat, sondern wir halten es für selbstverständlich, daß eine Exekutive das vollzieht, was das Parlament und seine Ausschüsse ihr auferlegt haben.
Drittens. Es ist ein Trauerspiel, wie sich die Bundesregierung bisher gegenüber den Zwangsarbeitern verhalten hat, denn sie tut eigentlich gar nichts für sie. Ich rede jetzt von denjenigen Zwangsarbeitern, die im Geltungsbereich des Grundgesetzes, also im Bundesgebiet, auch heute noch leben. Für das ihnen angetane Unrecht sind sie selbst über 45 Jahre nach Kriegsende noch nicht einmal symbolisch entschädigt worden, und das, obwohl es sich nicht um sehr viele Leute handelt und obwohl uns keinerlei internationales Abkommen daran hindert, ihnen eine bescheidene, mehr oder weniger symolische Entschädigung zukommen zu lassen.
Meine Damen und Herren, die GRÜNEN und wir Sozialdemokraten haben je einen eigenen Antrag zur Errichtung einer Stiftung für Zwangsarbeiter vorgelegt. Die Anträge sind in den Einzelheiten unterschiedlich, aber ich bin ganz sicher, daß sich die GRÜNEN und die SPD zusammengerauft hätten und dem Parlament heute einen einheitlichen Vorschlag hätten vorlegen können, wenn die Koalitionsmehrheit das nicht abgeblockt hätte.
Wir gehen von dem Grundsatz aus: Die Entschädigung für Zwangsarbeiter ist nicht nur Aufgabe des Staates, sondern vorrangig Aufgabe der seinerzeit von den erzwungenen Arbeitsleistungen Profitierenden. Das sind Industriebetriebe, das sind zum Teil aber auch Kommunen.
Aus dem Bericht der Bundesregierung vom 22. Januar dieses Jahres geht hervor, daß es einige private Initiativen gegeben hat. Fünf Firmen haben zwischen 1958 und 1966 insgesamt 50,5 Millionen DM für jüdische Zwangsarbeiter zur Verfügung gestellt. Die Friedrich Flick Industrieverwaltung hat im Januar 1986 für den gleichen Zweck 5 Millionen DM, die Daimler-Benz AG aus Anlaß ihres 100jährigen Jubiläums im Jahre 1988 sowohl der Claims Conference, also dem jüdischen Teil, als auch dem Deutschen Roten Kreuz und anderen Verbänden Beträge von insgesamt 20 Millionen DM überwiesen. Somit ist für den überwiegenden Teil der nichtjüdischen Zwangsarbeiter auch aus privater Quelle so gut wie gar nichts geflossen. Aber auch das gehört zu unserem Grundsatz: Der Staat muß die Garantie dafür übernehmen, daß die Mehrheit der Zwangsarbeiter nicht vollends vergessen wird und leer ausgeht.
Meine Damen und Herren, die Hinweise auf das Londoner Schuldenabkommen sollten kein Alibi dafür sein, daß nicht auch den zahlreichen ehemaligen Zwangsarbeitern z. B. in Polen und in der CSFR eine kleine individuelle Entschädigung als freiwillige Leistung Deutschlands angeboten wird.
Die Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 11/8046 signalisiert unter Ziffer 1 immerhin, daß die Bundesregierung aufgefordert werden soll, eine Härtefondsregelung zu prüfen. Bis zum 31. Dezember dieses Jahres ist dem Bundestag das Prüfungsergebnis mitzuteilen. Dies ist einerseits ein Schiebebeschluß, andererseits hat er aber eine halb positive Tendenz. Das ist also ein gewisser Fortschritt in der Sache, der dem nächsten Bundestag vielleicht doch noch Handlungsmöglichkeiten aufzeigen wird. Diesem Teil der Beschlußempfehlung werden wir uns nicht widersetzen.
Ziffer 2 werden wir selbstverständlich nicht unterstützen; denn es wird empfohlen, sämtliche von der Opposition gestellten Anträge in Bausch und Bogen abzulehnen.
Ich beantrage für die Fraktion der SPD, die Ziffern 1 und 2 der Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/8046 getrennt zur Abstimmung zu stellen.
Zusammenfassend, meine Damen und Herren: Über die Freude der Wiedererlangung der Souveränität Deutschlands sollten wir die Trauer um die Opfer des schlimmsten Kapitels deutscher Geschichte nicht vergessen und uns wenigstens jetzt bemühen, ihnen eine sehr späte mehr oder weniger symbolische Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es wäre an der Zeit, nicht darauf zu warten, bis die letzten Opfer gestorben sind. Für uns Sozialdemokraten ist das Thema mit Ende dieser Legislaturperiode leider nicht erledigt.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Lüder.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir in der letzten regulären Sitzung dieser Legislaturperiode wiederum über Fragen der Wiedergutmachung von NS-Unrecht sprechen, so ist es nicht ganz ohne Symbolik; denn am Anfang stand die Anhörung des Innenausschusses zu diesen Fragen, und ich glaube, wir haben gezeigt, daß wir aus der Anhörung gelernt haben.
Ich erinnere mich noch sehr wohl des schlichten Neins zu jedem Pfennig neuer Öffnung der Wiedergutmachung. Von da aus gesehen haben wir Beachtliches geleistet. Ausgehend von dem, was erwartet wurde, haben wir auch manche enttäuscht.
Wir stehen am Ende und ziehen Bilanz. Ich kann voll auf das, was Frau Professor Wisniewski hier gesagt hat, Bezug nehmen und will nur die Stichworte erwähnen. Wir haben im nichtjüdischen Bereich, insbesondere für die Zwangssterilisierten - man lese es im Bericht des Innenausschusses und in der Unterrichtung der Bundesregierung dazu nach -, etwas geleistet, von dem niemand am Anfang dieser Legislaturperiode geglaubt hätte, daß wir es schaffen. Wir haben uns neuen Opfergruppen geöffnet, denen sich die Bundesrepublik Deutschland bis dato versagt hatte. Wir haben Verfolgte neu aufgenommen, wir haben Schäden neu qualifiziert. Wir haben hier einiges vorzuweisen.
Wir haben auch für die jüdischen Opfer durch die Aufstockung der Härtefonds und letztlich auch durch die Öffnung der Härtefonds für Zahlungen in sozialen Härtefällen für Dauerrenten vieles getan - wenn auch nur in kleinem Umfang. Es geht um Pfennigbeträge, um Markbeträge, nicht um die großen Summen. Aber es kam für uns darauf an zu zeigen, daß wir unserer geschichtlichen Verantwortung gerecht werden. Wir haben allerdings auch sehen müssen, daß wir es in der politischen Realität damit zu tun haben, daß wir nur innerhalb der Gesetze und unter Bezugnahme auf das, was früher an Recht gesetzt wurde, handeln können. Wir konnten und wir können nicht die Geschichte von 40 Jahren Bundesrepublik Deutschland jetzt ändernd wieder aufrollen.
Es kam jetzt darauf an, die Erfahrung aus der Geschichte der 40 Jahre Bundesrepublik Deutschland auf die neuen ostdeutschen Bundesländer zu übertragen. Deswegen stimme ich Ihnen, Herr Waltemathe, darin zu, daß wir uns im nächsten Deutschen Bundestag mit diesen Fragen erneut und intensiv befassen müssen.
Wir müssen - um das in einigen Punkten aufzulisten - erstens zusehen, daß das, was im Einigungsvertrag endlich erreicht worden ist, nämlich eine Übertragung der Entschädigungs- und Rückerstattungsrechte nach altem bundesdeutschen Recht auf die neuen Bundesländer, angemessen zugänglich wird, damit die Bürger aus den ehemaligen DDR-Gebieten diese Gesetze in Anspruch nehmen können.
Zweitens. Im Regierungszusatzabkommen zum Einigungsvertrag ist verbindlich festgelegt, daß - ich darf zitieren - „mit der Claims-Conference Vereinbarungen über die zusätzliche Fondslösung zu treffen" sind, „um Härteleistungen an die Verfolgten vorzusehen, die nach den gesetzlichen Vorschriften der
Bundesrepublik Deutschland bisher keine oder nur geringfügige Entschädigung erhalten haben". Das ist ein sehr teurer Satz, der hier vereinbart worden ist. Dieser teure Satz muß aber noch im Jahre 1991 Realität werden, damit uns die Opfer nicht wegsterben, um das hier einmal ganz deutlich zu sagen. Wir werden darauf zu drängen haben.
Drittens. Zu regeln sind die Konsequenzen aus dem heute zu beschließenden Bericht der Bundesregierung zur Zwangsarbeiterentschädigung. Wir machen nicht mit, wenn hier allein die Regierung haften soll. Wir wollen, daß auch die westdeutschen Unternehmen - die bundesdeutschen Unternehmen - ihrer Verantwortung gerecht werden. Aber sie allein sind es nicht; vielmehr muß auch die Bundesregierung ihr Scherflein zu einer sozial adäquaten Lösung beitragen.
Viertens. Wir haben gestern anläßlich der Hadamar-Entschließung, die heute vorliegt, festgelegt, daß wir eine Konzeption für nationale Gedenkstätten für die verschiedenen Opfergruppen an den verschiedenen Orten fordern, damit nicht in Vergessenheit gerät, was zur deutschen Geschichte gehört. Die Teilung Deutschlands ist verursacht und verschuldet vom NSRegime; die Einheit Deutschlands hat dazu geführt, daß wir uns der Opfer des NS-Regimes wieder neu besinnen müssen. Das wird die Aufgabe im nächsten Bundestag sein, sosehr wir auch schon Beachtliches geleistet haben.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedrich.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Präambel des Einigungsvertrages wird nicht nur auf die Kontinuität der deutschen Geschichte verwiesen, sondern ausdrücklich auch auf die sich aus der geschichtlichen Vergangenheit ergebende besondere Verantwortung für eine demokratische Entwicklung und die Achtung der Menschenrechte. Ich meine, die vorliegenden Initiativen der Fraktionen DIE GRÜNEN und der SPD zur Entschädigung für NS-Zwangsarbeit bzw. für NS-Unrecht bieten jetzt die Chance, uns zu dieser geschichtlichen Verantwortung mit mehr als bloß mit Worten zu bekennen.
Die Abgeordnetengruppe der PDS unterstützt deshalb ausdrücklich beide Initiativen und spricht sich gegen die Beschlußempfehlung des Innenausschusses in den Drucksachen 11/8046 bzw. 11/7899 aus.
({0})
Die Errichtung einer entsprechenden Stiftung, wie sie die SPD vorschlägt, wäre weitaus mehr als nur eine symbolische Geste gegenüber allen durch NS-Unrecht Geschädigten. Vor allem in Anbetracht der drängenden Zeit - wie das hier schon mehrfach gesagt worden ist - ergäbe sich die Aussicht, dadurch sehr schnell praxiswirksame Maßnahmen für einen weitgefaßten Kreis von Entschädigungsberechtigten zu treffen.
Dr. Friedrich ({1})
Aus meiner Sicht könnten die betroffenen Menschen auf diese Weise wesentlich einfacher und schneller zu ihrem Recht kommen, als das mit den neu gefaßten Härteregelungen der Bundesregierung der Fall wäre.
({2})
Ich kann mich der Auffassung der Bundesregierung, die sie in der Unterrichtung auf Drucksache 11/6286 äußert, daß durch die von den ehemaligen Nutznießern der Zwangsarbeit bzw. von deren Rechtsnachfolgern erbrachten Zahlungen alle bestehenden Ansprüche abgegolten worden seien, nämlich nicht anschließen. Wer legt eigentlich wie fest, wann Ansprüche abgegolten sind?
({3})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte bitte diesen Vortrag zu Ende bringen.
Hier geht es doch schließlich um mehr als nur um materielle Verpflichtungen, ganz abgesehen davon, daß bei den genannten Zahlungen nur ein sehr kleiner Kreis der wirklich Geschädigten, nämlich die zur Zwangsarbeit gepreßten jüdischen Häftlinge, berücksichtigt werden konnten. Wer kümmert sich um die anderen Opfer?
An dieser Stelle kann ich nicht umhin, folgendes anzumerken: Die, um es höflich auszudrücken, deutliche Zurückhaltung der bezeichneten Unternehmen und auch der Bundesregierung bei der finanziellen Wiedergutmachung im Einzelfall scheint mir für die reiche Bundesrepublik, schlicht gesagt, unangemessen.
({0})
- Ich spreche hier zur Sache; entschuldigen Sie vielmals.
({1})
Wenn bei dieser sensiblen Materie, deren Behandlung natürlich auch von unseren europäischen Nachbarn, und nicht nur von diesen, aufmerksam verfolgt wird,
({2})
ausschließlich mit Rechtsgutachten oder juristischen Unklarheiten etwa hinsichtlich des Londoner Schuldenabkommens operiert wird und nicht eine wirklich politische Entscheidung getroffen wird, so spricht das aus meiner Sicht für eine Geisteshaltung, die es mit der tätigen Verantwortung aus moralischer Verpflichtung wohl doch nicht so sehr ernst zu nehmen scheint.
({3})
Wer sich so verhält, um am Ende zu nichts verpflichtet zu werden, der muß sich gefallen lassen, wenn unsere europäischen Nachbarn und insbesondere die Opfer der NS-Gewalt Zweifel an der Lauterkeit offizieller Erklärungen beispielsweise zur Europapolitik hegen.
Danke.
({4})
Das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung hat die Abgeordnete Frau Hamm-Brücher.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zur Abstimmung erklären, daß ich der Beschlußempfehlung zwar zustimme, aber bei der getrennten Abstimmung dem Antrag der SPD auf Errichtung einer Stiftung zustimmen werde. Nach reiflicher Überlegung stelle ich mir vor, daß der nächste Bundestag dieser Idee doch noch einmal nähertreten muß, weil es die einzige möglichst unbürokratische Form ist, in der die immer noch überständigen Probleme gelöst werden können.
Ich möchte zur Abstimmung auch noch sagen, daß ich allen Kolleginnen und Kollegen von ganzem Herzen danke, die diese schwere Aufgabe, und zwar ausdrücklich gegen den Wunsch der Exekutive, weiter vorangebracht haben. Es ist eine der wenigen Gelegenheiten dieser Legislaturperiode, wo die Legislative wirklich eine große und wichtige Initiative ergriffen hat, die ohne diese Bemühungen der Kolleginnen und Kollegen niemals von seiten der Regierung ergriffen worden wäre. Das ist ein wichtiges Beispiel dafür, wie ich mir das Selbstverständnis des Deutschen Bundestages vorstelle.
Vielen Dank.
({0})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung.
Wir beginnen mit dem Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN zur Errichtung einer Stiftung „Entschädigung für NS-Zwangsarbeiter" .
Bevor wir zu Ziffer 1 der Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 11/8046 kommen, die eine Entschließung enthält, rufe ich die Ziffer 2 der Beschlußempfehlung auf. Hierin wird u. a. die Ablehnung des Gesetzentwurfs der Fraktion DIE GRÜNEN empfohlen.
Zu Ziffer 2 der Beschlußempfehlung liegt auf Drucksache 11/8350 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 vor. Ich lasse jetzt über diesen Änderungsantrag abstimmen. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Vizepräsidentin Renger
Wir kommen nun zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4704, dessen Ablehnung der Innenausschuß empfohlen hat.
Ich rufe auf die §§ 1 bis 18, Einleitung und Überschrift. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der SPD-Fraktion ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Mit der Ablehnung unterbleibt jede weitere Beratung.
Es folgen jetzt weitere Abstimmungen.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zum Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4705 „Politische und rechtliche Initiativen der Bundesregierung gegenüber den Nutznießern der NS-Zwangsarbeit" .
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/8046 unter Ziffer 2, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt der Beschlußempfehlung zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zum Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4706 „Individualentschädigung für ehemalige polnische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter unter der NS-Herrschaft durch ein Globalabkommen".
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/8046 unter Ziffer 2, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD, der Gruppe der PDS und der GRÜNEN/ Bündnis 90 bei Enthaltung von Frau Hamm-Brücher angenommen.
({0})
- Zwei Enthaltungen; es gab auch eine Enthaltung aus den Reihen der CDU/CSU. Die einzelnen Enthaltungen werden im allgemeinen nicht ausgezählt; wir müßten das sonst nämlich immer machen.
({1})
- Wir haben das zur Kenntnis genommen. Ich sage noch einmal, daß wir das sonst nicht machen, denn sonst müßten wir jedesmal auszählen, wie viele Abgeordnete dafür und dagegen sind. Ich gebe das normalerweise nur ganz global an.
Es bleibt dabei: Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zum Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5176 betreffend Errichtung einer Stiftung „Entschädigung für Zwangsarbeit"
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/8046 unter Ziffer 2, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit der
Mehrheit der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der vorhin schon genannten Parteien einschließlich der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt schließlich unter Ziffer 1 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/8046 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt dafür? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist auch insoweit gegen die Stimmen der GRÜNEN/Bündnis 90 und der Gruppe der PDS angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 22b, und zwar zur Beratung der Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 11/7899 zur Unterrichtung durch die Bundesregierung über die Verbesserung der in den Richtlinien über Härteleistungen an Opfer von nationalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen im Rahmen des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes vorgesehenen Leistungen und Erleichterungen bei der Beweisführung sowie zum Antrag der Fraktion der SPD zur Errichtung einer Stiftung „Entschädigung für NS-Unrecht". Der Ausschuß empfiehlt unter Buchstabe a die Annahme einer Entschließung.
Hierzu liegt auf Drucksache 11/8349 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 vor. - Herr Waltemathe, Sie wollen, daß über Nr. IV getrennt abgestimmt wird?
Wir wollen, daß über Nr. IV Ziffer 1 getrennt von den Ziffern 2 und 3 abgestimmt wird, weil wir uns bei Nr. IV Ziffer 1 der Stimme enthalten wollen, dem Rest des Antrages der GRÜNEN/ Bündnis 90 jedoch zustimmen möchten.
({0})
Wir stimmen dann zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 auf Drucksache 11/8349 zur Beschlußempfehlung des Ausschusses ab. Es ist getrennte Abstimmung über Nr. IV Ziffer 1 und Nr. IV Ziffern 2 und 3 gewünscht worden. Wer stimmt Nr. IV Ziffer 1 zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion der SPD mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Wer stimmt den Ziffern 2 und 3 des Änderungsantrags der GRÜNEN zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese beiden Ziffern sind bei Enthaltung von Frau Hamm-Brücher mit der Mehrheit der Regierungsfraktionen abgelehnt.
Meine Damen und Herren, wer dem Buchstaben a der Beschlußempfehlung des Innenausschusses zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Buchstabe a der Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt weiterhin, den Antrag der SPD-Fraktion auf Drucksache 11/4838 abzulehnen. Wer stimmt der Beschlußempfehlung zu? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei einer Stimmenthaltung aus der FDP mit
Vizepräsidentin Renger
den Stimmen der Mehrheitsfraktionen angenommen.
Jetzt kommen wir zum Zusatztagesordnungspunkt 17, Beratung der Beschlußempfehlung des Innenausschusses zum Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 auf Drucksache 11/7754. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/8389 unter Nr. 1 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt dem zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Beschlußempfehlung unter Nr. 1 ist entsprochen; die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuß, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 auf Drucksache 11/ 7754 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dem zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 18, zur Beratung der Beschlußempfehlung des Innenausschusses zum Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 zur Errichtung einer nationalen Gedenkstätte in Hadamar.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/8390 unter Nr. 1 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt dem zu? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist diese Empfehlung unter Nr. 1 angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuß, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 auf Drucksache 11/7329 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Meine Damen und Herren, dieser Komplex ist damit jetzt erledigt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Befragung der Bundesregierung
Meine Damen und Herren, das Thema der Kabinettssitzung, das der Chef des Bundeskanzleramtes mitgeteilt hat, ist den Fraktionen bekannt; davon gehe ich aus.
Ich darf darauf hinweisen, daß wegen der gleichzeitig stattfindenden Kabinettssitzung die Regierung durch Parlamentarische Staatssekretäre und Staatssekretäre vertreten ist.
Die Bundesregierung hat weiterhin mitgeteilt, daß der Staatssekretär im Bundesministerium des Innern Herr Neusel berichtet. Das ist nach unseren Vereinbarungen möglich, da Herr Staatssekretär Neusel auch im Kabinett vorgetragen hat.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, nach der Berichterstattung des Herrn Staatssekretärs zu diesem Thema Fragen zu stellen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Bundesregierung hat heute fünf Verordnungen zum Ausländergesetz verabschiedet. Die Verordnungen bedürfen noch der Zustimmung des Bundesrates und sollen am 1. Januar 1991 zeitgleich mit dem neuen Ausländergesetz in Kraft treten.
Alle Verordnungen sind gemeinsam mit den Ländern erarbeitet worden. Ich muß das differenzieren: mit den zum Zeitpunkt der Beratungen gegebenen Ländern. Die Länder im Beitrittsgebiet waren zum Teil nur durch Beobachter vertreten.
Zum Regelungsgehalt kann ich folgendes mitteilen, zunächst zur Durchführungsverordnung zum Ausländergesetz. Sie entspricht im wesentlichen dem bisherigen Recht und regelt die Befreiungen von der Visum-, Aufenthaltsgenehmigungs- und der Paßpflicht, die Zulassung von Paßersatzpapieren sowie die Zustimmungsbedürftigkeit von Visaerteilungen.
Durch das neue Ausländergesetz sind in diesem Kontext folgende neue Regelungen veranlaßt: die Befreiung vom Erfordernis der Aufenthaltsgenehmigung für Ausländer unter 16 Jahren aus den EG- und den EFTA-Staaten sowie aus den vier ehemaligen Anwerbestaaten Jugoslawien, Marokko, Tunesien und Türkei. Es sind ferner paß- und ausweisrechtliche Vorschriften in die Verordnung aufgenommen worden, die bisher zum Teil in Verwaltungsvorschriften enthalten waren.
Die Arbeitsaufenthalteverordnung regelt die Ausnahmen vom Anwerbestopp. Das heißt, hier werden die Tätigkeiten genannt, für die ein in der Regel zeitlich befristeter Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gestattet wird. Die Verordnung stimmt im wesentlichen mit dem bisherigen Ausnahmekatalog überein.
Die Gebührenverordnung - das ist die dritte Verordnung, die ich nenne - legt die Gebühren für begünstigende Amtshandlungen fest. Es war eine teilweise Anhebung der Gebühren erforderlich, da die bisherigen Sätze seit 1977 nicht mehr geändert worden sind. Es handelte sich dabei bereits um die Höchstsätze des Ausländergesetzes von 1965. Die Kostenentwicklung war diesen Gebühren natürlich längst davongelaufen. Aus ausländerpolitischen Gründen wurde aber darauf verzichtet, jetzt durchweg kostendeckende Gebühren vorzusehen.
Die nächste Verordnung ist die Datenübermittlungsverordnung. Sie regelt die bisher in der Verwaltungsvorschrift sowie in den Melderechtsgesetzen der Länder enthaltenen Übermittlungspflichten anderer Behörden an die Ausländerbehörden.
Die Ausländerdateienverordnung schließlich regelt die bisher in Verwaltungsvorschriften vorgesehene Pflicht der Ausländerbehörden und der Auslandsvertretungen zur Führung von Dateien über Ausländer, für die sie zuständig sind oder zuständig waren.
Dies ist mein einleitender Bericht, Frau Präsidentin.
Danke sehr, Herr Staatssekretär.
Zu Wort hat sich Herr Abgeordneter Wartenberg gemeldet.
Herr Staatssekretär, es hat wenig Sinn, jetzt über die Einzelheiten zu reden, da ich davon ausgehe, daß sich das Ganze an das Gesetz, das wir abgelehnt haben, anlehnt. Aber eine Frage habe ich zumindest.
Das Gesetz ist im Mai unter riesigem Zeitdruck mit der Begründung beschlossen worden, daß es zum 1. Januar in Kraft treten soll, damit sich die Verwaltungen rechtzeitig darauf vorbereiten können. Nun haben wir November, und jetzt kommen die Durchführungsverordnungen und die Vorbereitungen für die Verwaltungen. Zum 1. Januar ist es außerordentlich kurz, und jeder weiß, die Materie ist außerordentlich kompliziert und liegt weitestgehend in der Durchführung der Länder.
Ich frage Sie: Warum hat es so lange gedauert - von Mai bis heute - , bis diese Verordnungen gemacht worden sind, wenn doch der Grund dafür, daß man das Gesetz so früh beschlossen und es nicht gleich in Kraft gesetzt hat, der war, daß sich die Verwaltungen, übrigens auch auf unterster Ebene, auf Kommunalebene, darauf vorbereiten können? Auch der Bundesrat muß noch beschließen. Wie erklären Sie sich diesen Zeitverzug?
Herr Staatssekretär, bitte.
Herr Abgeordneter, die Schwierigkeit der Materie liegt im wesentlichen im Ausländergesetz selbst. Die Verordnungen, die ich genannt habe, sind weniger kompliziert und leichter verständlich. Darauf hat der Bundesminister des Innern im übrigen während der Bund-Länder-Beratungen ständig eingewirkt, damit die Texte der Verordnungen auch für den Betroffenen verständlich sind.
Ich sagte schon, daß dies in einem ständigen Arbeitsprozeß in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe erarbeitet worden ist, so daß natürlich auch die Länder in den zuständigen Behörden über die Tendenzen dieser Regelungen längst informiert sind. Ich habe ferner darauf hingewiesen, daß es hier wenig Neues gibt, sondern daß im wesentlichen das, was früher in Verwaltungsvorschriften geregelt war, bei den schärferen Anforderungen, die wir an die Normenklarheit stellen, nun im Verordnungsrecht geregelt wird.
Herr Lüder.
Herr Staatssekretär, zunächst eine Frage zur Durchführungsverordnung zum Ausländergesetz, eine zweite später zu den Gebühren.
Wir haben ja immer das Problem, daß Asylbewerber aus dem Ausland häufig erst einmal in unserer Botschaft ein Visum beantragen. Wie weit wird jetzt die Ausländerbehörde genehmigungsfähig eingeschaltet, so daß der Visumantrag nicht von der Botschaft allein sofort beschieden werden kann, § 11?
Wenn Sie immer gleich antworten würden.
In der Tat ist es ungewöhnlich, daß ein Visumantrag mit dem Ziel der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zur Nachsuche nach Asyl aus dem
Verfolgerland gestellt wird. Wenn dies geschieht, ist in der Regel auch ausreichend Zeit, die Ausländerbehörde zu befassen. Im übrigen können die Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland im Einvernehmen mit anderen Ministerien Regelungen nach dem Ausländergesetz - es war bisher die Regelung des § 22 - treffen, um in Not- und Eilfällen zu helfen.
Herr Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, es muß durchaus nicht ungewöhnlich sein, daß jemand einen Asylantrag aus dem Verfolgerland stellt, weil wir immer davon ausgehen, daß derjenige, der zu einem deutschen Konsulat geht und sich dort offenbart, selbstverständlich einen Asylantrag bekommt. Trotz Ihrer Bemerkung möchte ich doch hoffen, daß sich die Bundesregierung an diese immer wieder besprochene Regelung tatsächlich hält.
Meine Frage bezieht sich aber auf einen anderen Punkt. Ich bin der Meinung, daß eine ganze Reihe der Regelungen in den Durchführungsverordnungen ziemlich kleinlich sind. Ich denke z. B. an die Bußgeldvorschriften, die in einer kaum verständlichen Weise überdimensioniert sind. Wäre es nicht sinnvoll gewesen, wenn die Bundesregierung die Verordnungen so rechtzeitig hergestellt hätte, daß sie im Innenausschuß hätten erörtert werden können, und ist die Bundesregierung bereit, diese Verordnungen dann zu Beginn der nächsten Legislaturperiode im Innenausschuß so zu behandeln, daß eine Behandlung im Ausschuß auch wirklich einen Sinn haben kann?
Herr Neusel.
Herr Abgeordneter, diesem Anliegen wird die Bundesregierung gern entsprechen. Die jetzt vorliegenden Verordnungen sind Verordnungen, die entweder der Bundesinnenminister oder - in einem Fall - die Bundesregierung insgesamt erläßt. Die Inhalte sind, wie gesagt, Ausfüllungen des Ausländergesetzes, das wir im Innenausschuß ausführlich diskutiert haben, und setzen kein weitergehendes Recht.
Was die Frage der Asylbeantragung vom Ausland aus angeht, so möchte ich darauf hinweisen, daß nach unserer ständigen Rechtsauffassung das Asylrecht ein Territorialrecht ist, das an den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland oder im Lande wirksam geltend gemacht werden kann, mit den Folgerungen, die daraus nach unserem Asylverfahrensgesetz zu ziehen sind. Dies schließt nicht aus, daß Asyl auch vom Ausland her beantragt werden kann; ein solcher Antrag wird dann ordnungsgemäß geprüft, das ist aber nicht Voraussetzung für eine Einreisegenehmigung.
Herr Lüder, haben Sie dazu eine Nachfrage? Sonst hätte erst Herr Kollege Duve das Wort.
Ich hatte zu zwei Bereichen gefragt. Insofern ist es keine Nachfrage, sondern eine zweite Frage.
Dann darf ich jetzt Herrn Duve das Wort geben, und dann geht es wieder der Reihe nach.
Herr Staatssekretär, anders als den Kollegen von der FDP sind uns die Verordnungen, die im Kabinett heute besprochen worden sind, nicht bekannt. Deshalb frage ich, ob darin auch etwas enthalten ist, was Übergangsbestimmungen für die Ausländer in den Gebieten der fünf neuen Bundesländer betrifft. Da gibt es ja einige Regelungen. Aber ich möchte einfach der Information halber wissen, ob da etwas über das vom 3. Oktober hinaus zusätzlich geregelt werden soll.
Herr Abgeordneter, hierbei handelt es sich um Ausführungsverordnungen zum Ausländergesetz. Das Ausländergesetz ist in seiner Gänze mit dem Überleitungsvertrag übergeleitet worden. Insoweit enthält es keine besondere Regelungen für Ausländer im Beitrittsgebiet. Aber Sie dürfen versichert sein, daß wir die besondere Situation von Ausländern im Beitrittsgebiet - es gibt vielfältige Probleme - im weiteren Verfahren zusammen mit den für die Ausführung des Ausländerrechts zuständigen neuen Bundesländern sehr sorgfältig und, wo immer es geht, zum Vorteil der Ausländer berücksichtigen werden.
({0})
- Die Bundesregierung kann hier nur auf die Bundesländer einwirken, so zu verfahren, wie ich das geschildert habe. Die Bundesländer sind in der Durchführung des Ausländerrechts nach der Verfassungskompetenz eigenständig.
Zu diesem Komplex hat Herr Lüder das Wort.
Da ich nicht so viel weiß, wie Herr Duve mir unterstellt, muß ich eine Wissensfrage stellen. Wir haben entsprechend dem Ausländergesetz recht kräftige Gebühren für Änderungen von Auflagen, Widerspruchsverfahren und anderes, wenn ich richtig vermute. Sind diese Gebühren auch in den Beitrittsländern zu 100 % zu zahlen, oder gibt es eine abgestufte Regelung? Müssen die gleichen Gebühren bezahlt werden wie bei uns - 50 DM für eine Änderung sind eine ganze Menge im Beitrittsgebiet -, wenn Auflagen, die seitens der bisherigen DDR-Behörden gemacht wurden, von bundesdeutschen Behörden geändert werden?
Herr Abgeordneter, im Grundsatz gilt Rechtseinheit, und das auch im Gebührenwesen, wobei ich zu berücksichtigen bitte, daß das keine Gelder sind, die in die Kasse des Bundes fließen, sondern in die Kassen der in der Regel betroffenen Kommunen. Ich muß darauf hinweisen, daß sich gerade auch die Kommunen im Beitrittsgebiet schwertun, auf Einnahmen zu verzichten, die ihnen nach dem Recht zustehen.
({0})
Herr Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, da Ihre Antwort etwas mißverständlich war, möchte ich das gerne noch einmal klar hören. Da wir zwar im Ausschuß die Rechtsgrundlagen für den Erlaß von Verordnungen behandelt haben, nicht aber die Verordnungen selbst, also die Frage, in welchem Umfang und wie die Bundesregierung die ihr erteilten Ermächtigungen ausnutzt, stelle ich noch einmal die Frage, ob wir davon ausgehen können, daß eine Erörterung dieser sehr komplizierten, aber für den einzelnen sehr wichtigen Regelungen im Innenausschuß zu Beginn der nächsten Legislaturperiode so möglich ist, daß es auch einen Sinn hat, d. h. daß die Bundesregierung die Meinungen dazu, die im Innenausschuß im einzelnen erörtert, vielleicht auch empfohlen werden, nicht nur freundlich zur Kenntnis nimmt, sondern auch beachtet.
({0})
- Das kommt erleichternd hinzu.
Der Herr Staatssekretär antwortet jetzt.
Herr Abgeordneter, wir haben ein klar geregeltes Verfahren: Der Gesetzgeber bestimmt, was der Verordnungsgeber tun darf, und beschreibt den Rahmen, in dem er handlungsfähig ist. Diesen Rahmen füllt die Bundesregierung in ihrer eigenen Verantwortung aus,
({0})
was nicht ausschließt, daß sie im Rahmen der Erarbeitung mit dem Innenausschuß, wenn er dies wünscht, in eine Diskussion eintritt.
Ich muß aber noch einmal darauf hinweisen: Es handelt sich um Texte, die zwischen der Bundesregierung und den Ländern gemeinsam erarbeitet worden sind. Es würde die Dinge sicherlich sehr komplizieren, wenn aus 17 Parlamenten heraus zusätzliche Anregungen zu zu vereinbarenden Texten - den Texten, die schließlich im Bundesrat die Zustimmung finden müssen - kämen.
Ich bin jederzeit bereit, Ihnen zu erklären, daß der Bundesminister des Innern solche Texte, wenn der Innenausschuß dies wünscht, dort erörtert und die Meinungsbildung des Ausschusses zur Kenntnis nimmt.
({1})
Das war klar. - Das Wort hat der Abgeordnete Gilges.
Herr Staatssekretär, es gab und gibt einen Dissens zwischen dem Kinder- und Jugendhilferecht und dem Ausländerrecht - § 44 oder § 46; ich habe das jetzt nicht mehr im Kopf; es tut mir leid; aber Sie wissen das natürlich besser als ich - über die Frage des Ausweisungstatbestandes bei der Inanspruchnahme von Leistungen nach dem JugendhilfeGilges
recht. Da es dies im Kinder- und Jugendhilferecht nicht gibt und uns im Ausschuß mitgeteilt wurde, daß das über eine Verordnung geregelt wird, frage ich Sie: Haben Sie das über solch eine Verordnung geregelt, so daß es nicht mehr möglich ist, daß eine Inanspruchnahme von Jugendhilfe für Kinder und Jugendliche in der Bundesrepublik, die Ausländer sind, Ausweisungstatbestand ist?
Herr Abgeordneter, die Frage kann ich jetzt nicht beantworten. Ich bin gern bereit, sie Ihnen schriftlich zu beantworten.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Meneses Vogl.
Herr Staatssekretär, ich muß Ihnen eine Frage stellen, die im Innenausschuß nicht zufriedenstellend beantwortet wurde. - Ich möchte wissen: Was passiert mit den ausländischen Bürgern, die in der DDR vor dem 3. Oktober eine nicht zweckgebundene Anmeldung bekommen haben, die weit in das Jahr 1991 geht, also sagen wir: März bis Juli 1991? Ich wiederhole: eine nicht zweckgebundene Anmeldung, also keine Aufenthaltsbewilligung. Was passiert mit diesen Bürgern ab dem 1. Januar 1991?
({0})
Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, ich habe bereits eben darauf hingewiesen, daß die rechtlichen Grundlagen im Gebiet der gesamten Bundesrepublik Deutschland gleich sind, daß aber die Durchführung des Ausländerrechts den Ländern obliegt. Insoweit kann der Bund auf die Einzelfallbearbeitung keinen Einfluß nehmen.
Wir sind uns aber in den Abstimmungsgesprächen zwischen Bund und Ländern auf Arbeitsebene einig, daß wir einen weitgehenden Vertrauensschutz für die Tatbestände berücksichtigen wollen, die im Beitrittsgebiet im Ausländerrecht vorliegen. Dies gilt auch für Einbürgerungszusagen, insbesondere dann, wenn es sich um Personen handelt, die im Vertrauen auf eine Einbürgerung bereits ihre bisherige Staatsbürgerschaft abgelegt haben.
({0})
Bitte!
Könnte es sein, daß ein ausländischer Bürger, der eine Anmeldung bis Juli 1991 in der DDR hat, der also eine nicht zweckgebundene Anmeldung besitzt, ab 1. Januar 1991 abgeschoben werden kann?
Ich kann die Entscheidungen der zuständigen Länderbehörden jetzt nicht präjudizieren. Diese Länderbehörden werden an das Ausländerrecht gebunden sein, dessen Durchführung ihnen obliegt. Es ist eine hypothetische Frage, die ich jetzt nicht b antworten kann. Es ist keine Entscheidung der Bundesregierung oder des Bundes.
Danke. - Gibt es zu diesem Komplex noch weitere Wortmeldungen? - Das ist nicht der Fall. Dann zunächst einmal schönen Dank, Herr Staatssekretär.
Herr Abgeordneter Jahn, Sie haben eine Frage. Bitte!
Ich habe eine Frage an die Bundesregierung. Ich weiß nicht, ob Herr Neusel dafür zuständig ist oder wer auch immer. - In diesen Tagen hat die Deutsche Bundesbahn begonnen, in der Stadt Marburg am Hauptbahnhof einen atombombensicheren unterirdischen Kommandostand zu bauen. Die Kosten werden auf etwa 1 Million DM beziffert.
Auf meine Frage, was dieser offenbar staatlich angeordnete Unsinn soll, ist mir vom Bundesverkehrsminister geantwortet worden, das gehe nach den Richtlinien des Bundesministers für Verkehr, auf Grund des Schutzbaugesetzes, auf Grund des Verkehrssicherstellungsgesetzes, auf Grund entsprechender Haushaltsmittel im Haushalt 1990.
Dies veranlaßt mich zu der Frage, ob sich die Bundesregierung bereits mit dem Thema befaßt hat, ob diese gesamten Sicherstellungsgesetze angesichts der völlig veränderten politischen Lage nicht dringend aufhebungsbedürftig oder zumindest überarbeitungsbedürftig sind, und ob sie bereit ist, solcher Verschleuderung von staatlichen Geldern
({0})
im gegenwärtigen Zeitpunkt in angemessener Weise Einhalt zu gebieten, selbst dann, wenn, wie hier behauptet wird, gegebenenfalls sogar Schadenersatzansprüche entstehen.
({1})
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Schulte.
Herr Kollege Jahn, ich kann nur für den Bereich der Bundesbahn eine Antwort geben. Hier ist eine Einzelfallentscheidung vorgesehen.
In dem von Ihnen genannten Fall ging es nach meinem Wissen - ich habe Ihre Frage nicht beantwortet - darum, daß entweder schon begonnen wurde oder zumindest die Ausschreibungen getätigt waren. Wir sind aber erst am Anfang der Aufhellung dieses Komplexes. Ich gehe davon aus, daß die Bundesregierung hier noch eine Regelung treffen wird, die über das hinausgeht, was Sie im ersten Teil Ihrer Frage angesprochen haben.
Eine Nachfrage? - Bitte.
Das war gar nicht meine Frage.
({0}): Das ist bei denen immer
so!)
Jahn ({1})
Ob die Regierung - das hat die bisherige Beantwortung nicht erkennen lassen - bereit ist, dem Unfug an Ort und Stelle Einhalt zu gebieten, das erwarte ich jetzt gar nicht beantwortet zu bekommen.
Wissen möchte ich, ob der Unsinn der praktischen Anwendung der vorhandenen Sicherstellungsgesetze, die Frage ihrer Aufhebung, die Frage ihrer Anpassung an die veränderten Verhältnisse, in der Bundesregierung erörtert wird, und wenn ja, wie und mit welchem Ziel.
Herr Staatssekretär, haben Sie dazu noch eine Erklärung zu machen?
Ich kann an dieser Stelle, Frau Präsidentin, nur sagen: Der Bundesminister für Verkehr hat die ansonsten zuständigen Ressortkollegen angeschrieben; dies geschah erst vor kurzem. Eine Aussage für die ganze Bundesregierung ist noch nicht möglich, weil die Gespräche noch nicht stattgefunden haben oder zumindest noch laufen.
({0})
Bitte, Herr Jahn.
Ich möchte nur noch eine Bemerkung machen: Also, der Unsinn wird erst einmal fortgesetzt.
Das wird im Protokoll festgehalten.
({0}) Das Wort hat nun Frau Dr. Hamm-Brücher.
Frau Präsidentin, meine Frage richtet sich an den Herrn Bundeskanzler.
({0})
Ich möchte ihn als Chef der Exekutive mit Blick auf die Bedeutung der Gewaltenteilung in unserem demokratischen Rechtsstaat gern fragen, wie er es mit dem Prinzip der Gewaltenteilung vereinbart, daß er als Chef der Exekutive schon heute darüber befindet, wer in einem noch nicht gewählten Parlament künftig Parlamentspräsident bzw. nicht mehr Parlamentspräsidentin sein wird.
({1})
Der Herr Staatsminister Dr. Stavenhagen ist bereit, dazu Stellung zu nehmen.
Nein, ich bin nicht bereit und nicht in der Lage, dazu Stellung zu nehmen, weil der Bundeskanzler darüber nicht befunden hat und die Frage, wer Präsident oder Präsidentin des Deutschen Bundestages wird vom Deutschen Bundestag zu beantworten sein wird.
Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatsminister, ich freue mich über Ihre Antwort und hoffe, daß Sie es dem Herrn Bundeskanzler genauso übermitteln: daß er für diese Entscheidung überhaupt keine Zuständigkeit hat.
Frau Kollegin, der Bundeskanzler läßt sich in der Kenntnis der Verfassung von niemandem übertreffen.
({0})
Herr Dr. Penner, Sie haben das Wort.
Herr Staatsminister, bleibt es bei der Auffassung des Bundeskanzlers, die er dem deutschen Volk offenbart hat, daß von den drei höchsten Staatsämtern, nämlich Bundespräsident, Bundeskanzler und Bundestagspräsident, .. .
Die Reihenfolge ist falsch, Herr Kollege.
... eines einem Kollegen aus der früheren DDR vorbehalten sein müsse?
({0})
- Das wäre die nächste Frage gewesen.
Herr Kollege, es ist immer hilfreich, wenn man präzise zitiert. Der Herr Bundeskanzler hat in der von Ihnen angesprochenen Fernsehsendung gesagt, daß es „wünschenswert" sei.
({0})
Wir kommen jetzt zu einem neuen Komplex. Bitte, Herr Kollege Wöstenberg.
Ich möchte die Bundesregierung fragen, ob es Vorstellungen gibt, wie man die Entlohnung im öffentlichen Dienst in der ehemaligen DDR dem Lohnniveau der Bundesrepublik angleichen kann, welche Vorstellungen bisher dazu existieren, damit wir den Mitarbeitern in unseren neuen Bundesländern sagen können, mit welchen Zukunftsaussichten sie zu rechnen haben.
Wer ist bereit, darauf zu antworten? - Bitte schön.
Die Frage der Entlohnung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Verwaltungen der neuen Bundesländer ist nach dem Grundgesetz zunächst eine Aufgabe für die Tarifverhandlungspartner, insbesondere deshalb, weil wir dort noch keine Beamten haben, also sämtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter insofern in den Bereich der Tarifhoheit fallen. Ich kann aber zusätzlich sagen, daß es auch Bemühungen gibt, hier schrittweise voranzukommen, damit eine attraktive Möglichkeit besteht, in den Verwaltungen tätig zu sein.
Herr Dr. Hirsch, Sie haben eine weitere Frage.
Herr Staatssekretär Waffenschmidt, können Sie das im Interesse des Fragestellers nicht etwas präzisieren? Schließlich sitzt die Bundesregierung ja nicht wie Schneewittchen bei den Tarifverhandlungen dabei, sondern sie führt diese Verhandlungen. Sie kann insoweit selbstverständlich etwas mehr über den Zeithorizont sagen, innerhalb dessen sie sich diesen Prozeß vorstellt.
Ich kann sicherlich einige Orientierungsdaten dazu nennen, Herr Kollege Hirsch. Ein wichtiges Orientierungsdatum wird sein, wie sich insgesamt die Einkommensentwicklung in den fünf neuen Bundesländern darstellt. Das, was der Kollege angesprochen hat - mit Recht - , ist ja eine Frage, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Betrieben, in den Kaufhäusern, in der gesamten Wirtschaft betrifft. Ich denke, daß sich die Tarifvertragspartner des öffentlichen Dienstes daran orientieren müssen, sich im Gesamtrahmen zu halten und nicht in einer falschen Weise eine Vorreiterrolle zu übernehmen.
Herr Lüder.
Herr Staatssekretär, nachdem die Bundesregierung heute deutlich gemacht hat, daß die von der Bundesregierung beeinflußten Gebühren ab 1. Januar 1991 auf jeden Fall 1 : 1 auf den vollen Satz umgestellt werden - das gilt etwa auch für die Gebühren im Bereich des Ausländerrechts - , frage ich: Können Sie sich vorstellen, daß ein Zeitraum von drei Jahren die äußerste Grenze sein müßte, bis zu der wir im öffentlichen Dienst eine Annäherung erreicht haben?
Ich sehe mich nicht in der Lage, den wichtigen und entscheidenden Verhandlungen der Tarifvertragsparteien im Hinblick auf Fristen vorzugreifen.
Sie haben die Gebühren angesprochen. Kollege Neusel hat eben auf Ihre Frage zu den Verwaltungsgebühren im Rahmen des Ausländerrechts geantwortet. Es ist im Rahmen der Gebührenordnungen durchaus möglich, sich im Hinblick auf die Situation des Einzelfalls individuell zu verhalten, wenn eine bestimmte Situation bei der gegenwärtigen Einkommenslage für einen Antragsteller unzumutbar werden sollte.
Ich habe am 31. Oktober, dem Tag der Reformation, Verständnis für Gnadenentscheidungen. Aber die Bürger in den ostdeutschen Ländern wollen Recht.
Ich freue mich, daß Sie insoweit Lehren aus Luthers Taten ziehen wollen, Herr Kollege. Aber es handelt sich nicht um eine Gnadenentscheidung, sondern um eine Ermessensentscheidung der Verwaltung im Rahmen des geltenden Rechts.
Herr Kollege Duve.
Da dies wohl die letzte Gelegenheit ist, in diesem Bundestag die Bundesregierung zu befragen, möchte ich die Anwesenheit eines Vertreters des Verkehrsministeriums nutzen, um folgende Frage zu stellen. In welcher Weise gedenkt die Bundesregierung sicherzustellen, daß bei den großen Infrastrukturmaßnahmen im Beitrittsgebiet - ich denke vor allem an die Bundesbahn, bei der es sich in der nächsten Zeit um mehrstellige Milliardenbeträge handelt - auch ausländische nichtdeutsche Konsortien zum Zuge kommen? Inwieweit hat die Bundesregierung darauf reagiert, daß die deutsche Bauwirtschaft in diesem Tiefbaubereich versucht hat, ausländische Mitbewerber außen vor zu halten? Sie wissen, es gab eine Demarche der französischen Regierung bei der EG.
Herr Staatssekretär Schulte.
Da das Beitrittsgebiet die selben Rechtsvorschriften über die Vergabe hat, ist es möglich, daß sich z. B. EG-Firmen, also nichtdeutsche Firmen, bewerben. Es ist undenkbar, daß hier ein anderes Recht angewendet wird.
Herr Kollege Duve, bitte.
Ich möchte doch noch einmal nachfragen. In welcher Weise wird die Bundesregierung auch politisch dafür sorgen, daß deutlich wird, im Beitrittsgebiet gilt DDR-Recht und ist eine Internationalisierung der Investitionen wünschenswert? Sie hat es bisher nicht getan. Sie hat bisher auch auf die Demarchen bundesdeutscher Interessenten nicht in angemessener Weise reagiert.
Ich kenne diese Demarchen bundesdeutscher Firmen nicht.
({0})
Aber ich muß davon ausgehen, daß öffentliche Ausschreiber in der ehemaligen DDR das gemeinsame Recht studieren, bevor sie Aufträge vergeben. Das ist sicherlich eine große Aufgabe.
Ist denn die Bundesregierung gewillt, der Bundesbahn, die ihr ja untersteht, entsprechend klare Hinweise auf dieses geltende EG-Recht zu geben?
Herr Kollege Duve, ich werde prüfen, ob dies noch nötig ist. Falls es noch nötig ist, werde ich es veranlassen, wie Sie es wünschen.
Gibt es noch weitere Fragen? - Das ist nicht der Fall. Damit ist die Regierungsbefragung beendet. Ich danke den Damen und Herren Regierungsvertretern.
({0})
18740 Deutscher Bundestag - l 1. Wahlperiode
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung des Antrags des Abgeordneten Wetzel und der Fraktion DIE GRÜNEN
Einwanderung sowjetischer Juden in die Bundesrepublik Deutschland
- Drucksache 11/8212 Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von 30 Minuten vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall.
Ich eröffne die Debatte. Zunächst erteile ich dem Abgeordneten Wetzel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unseren Antrag zur Einreise sowjetischer Juden in die Bundesrepublik betrachten wir als eine Anregung an Sie alle. Der Antrag will unsere prinzipiellen Gemeinsamkeiten, die wir in dieser Frage in diesem Hause haben, in eine gemeinsame Initiative zur Hilfe für sowjetische Juden umsetzen: Die Aktuelle Stunde der vergangenen Woche hat ja gezeigt: Wir alle wollen, daß sowjetische Juden in die Bundesrepublik einreisen, daß sie hier leben und daß sie auch die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen können, wenn sie es denn wollen. Das ist Punkt 1 des vorliegenden Antrags.
Wenn wir darin alle übereinstimmen, warum sollten dann die drei folgenden Punkte des Antrags nicht auch zustimmungsfähig sein? Sie sind ja nichts anderes als Konsequenzen aus dieser unserer gemeinsamen Position.
Im Punkt 2 wird die Bundesregierung aufgefordert, einen Sonderfonds zur Integration sowjetischer Juden zu bilden. Die Bundesländer, die Kommunen und die jüdischen Gemeinden brauchen finanzielle Hilfe, damit die materiellen Startbedingungen der zu uns einwandernden Juden verbessert werden.
Punkt 3 entspricht der erklärten Absicht von Bundesinnenminister Schäuble. Wenn ich recht informiert bin, wollte Herr Schäuble, ehe der Anschlag auf ihn verübt wurde, in Bund-Länder-Verhandlungen eintreten. Der Antrag fordert dazu auf, daß das jetzt auch geschieht.
Punkt 4 enthält die Aufforderung an die Bundesregierung, auch die übrigen westeuropäischen Regierungen darum zu bitten, ihre Grenzen für sowjetischen Juden zu öffnen. Solidarität mit diesen Menschen ist eine Sache aller Demokratien.
In der Aktuellen Stunde der vergangenen Woche hat Kollege Glotz völlig zu Recht darauf hingewiesen, daß Absatz 1 der Antragsbegründung mißverständlich sei. Namens meiner Fraktion stelle ich daher den förmlichen Änderungsantrag, Absatz 1 der Begründung ersatzlos zu streichen.
Wir beraten heute in der letzten regulären Sitzung dieser Legislaturperiode. Auch deshalb meine Bitte an Sie alle: Lassen Sie uns diese Resolution einstimmig verabschieden. Das wäre ein hoffnungsvolles Signal für den deutschen Neubeginn.
Jetzt möchte ich mich - Herr Kollege Gerster ist gerade gekommen - persönlich an Sie wenden. Ich weiß, daß Sie erwogen haben - vielleicht erwägen
Sie es noch immer - , dem Plenum eine Überweisung des Antrags an die Ausschüsse zu empfehlen. Herr Gerster, bitte tun Sie das heute nicht. Sie wissen sehr wohl, daß die Ausschüsse in dieser Legislaturperiode nicht mehr tagen. Sollten Sie wirklich eine Überweisung wollen, dann käme das einem Antrag auf Nichtbefassung gleich. In meinen Augen wäre das kein gutes Omen für die Zukunft unseres Landes. Dieses erste gesamtdeutsche Parlament darf sich - das ist meine ganz sichere Überzeugung - nicht vor der Entscheidung drücken, den verfolgten Juden helfen zu wollen.
Es bleibt ein Einwand übrig, und der ist leicht zu entkräften. Die Union hat vergangene Woche vorgetragen, wir hätten auf die Einwanderungspolitik Israels Rücksicht zu nehmen. Ich habe inzwischen in Gesprächen festgestellt: Es gibt offenbar keinerlei offizielles Begehren der israelischen Botschaft in Bonn, mit Rücksichtnahme auf den Staat Israel die Einwanderung sowjetischer Juden nach Deutschland abzuschotten. Wir sollten uns also bitte schön nicht hinter dem Rücken Israels verstecken. Auch der Zentralrat der Juden tut das nicht. Es muß die freie Entscheidung der Auswanderungswilligen sein, wohin sie gehen. Staatsinteressen dürfen nicht über Menschenrechte gestellt werden.
Meine Damen und Herren, Ihnen wird es in den letzten Tagen wie mir ergangen sein: Es gab ungeheuer viel Post mit der Aufforderung, unsere Grenzen für sowjetische Juden zu öffnen. Diese Briefe kamen vor allem aus Hochschulen, aus Kulturinstitutionen und aus Organisationen der evangelischen und der katholischen Kirche. Ich halte es für ein ermutigendes Zeichen, daß inzwischen so viele Menschen in Deutschland bereit sind, verfolgten Juden eine Zuflucht zu bieten. Sie wollen mit ihnen in neuer guter Nachbarschaft leben. Diese Bereitschaft sollte von uns Politikern ausdrücklich unterstütz werden.
Zum Schluß ein Zitat aus einem dieser Briefe - er kommt aus der Freiburger Musikhochschule und ist von zahlreichen Professoren und Dozenten unterzeichnet, die gegen den Einreisestopp der Bundesregierung protestieren -:
Der neue deutsche Staat sollte nicht in seiner Geburtsstunde denen Hilfe verweigern, die der alte Staat verfolgte und vernichtete.
({0})
Ich habe dem überhaupt nichts mehr hinzuzufügen. Ich halte es für unsere Pflicht, über Parteigrenzen hinweg dieser Aufforderung zu folgen.
Ich danke Ihnen schön.
({1})
Herr Abgeordneter Wetzel, den ersten Absatz der Begründung Ihres Antrags wollen Sie streichen. Da es Ihr Antrag ist, brauche ich darüber nicht abstimmen zu lassen.
({0})
Vizepräsident Cronenberg
- Ich wollte das nur feststellen, damit Klarheit herrscht.
Herr Abgeordneter Gerster.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Tagesordnungspunkt 22, den wir vor der Regierungsbefragung behandelt haben, und dieser Punkt 23 stehen in einem inneren sachlichen Zusammenhang. In beiden Fällen geht es um die Bewältigung der schrecklichen Nazi-Vergangenheit; mit unterschiedlichen Schwerpunkten, aber es geht um dasselbe Thema.
Ich möchte ganz klar sagen, daß ich persönlich betroffen und schockiert bin, wenn ein Vertreter der PDS
- die sich ja in der geistigen Kontinuität der SED fühlt
- hier, wie vorhin geschehen, moralische Appelle an den Bundestag richtet, wir sollten gegenüber den Verfolgten des NS-Regimes mehr Wiedergutmachung leisten. Wer 40 Jahre in der Verantwortung war
({0})
und auf diesem Gebiet nichts geleistet hat, und wer über 40 Jahre die eigene Bevölkerung mit Methoden unterdrückt hat, die an die der Nazis erinnern, sollte zunächst einmal über die Wiedergutmachung dieser Schäden an Millionen Menschen in den fünf neuen Bundesländern nachdenken.
({1})
Er sollte dazu hier Vorschläge machen und hier keine moralischen Appelle an den Bundestag richten, der die Frage der Wiedergutmachung immer mit großem Ernst und auch mit Opferbereitschaft mit vielen hundert Milliarden D-Mark gelöst hat. Ich will mich damit nicht brüsten. Wir haben keinerlei Grund dazu. Eine Wiedergutmachung mit Geld ist ohnehin ein Problem.
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Dieser Bundestag hat aber über die Jahre in hoher ethischer Verantwortung gehandelt. Ich erinnere an den SPD-Abgeordneten Adolf Arndt, der mit Zustimmung des ganzen Hauses hierzu hervorragende Arbeit geleistet hat.
Also bitte: Arbeiten Sie Ihre Vergangenheit auf und üben Sie Wiedergutmachung gegenüber den Menschen in den fünf neuen Bundesländern.
Sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve zu beantworten?
Ja, wenn es nicht angerechnet wird.
Herr Kollege, gilt dieses verständliche Verdikt, das Sie gegen die SED und ihre Nachfolgeorganisation ausgesprochen haben, denn nicht auch für die Organisationen der Blockparteien?
Herr Duve, ich verweise auf die erste gemeinsame Bundestagssitzung, in der ich mich zu diesem Thema auf eine Frage des Kollegen Stahl geäußert habe. Lesen Sie es nach. Ich will jetzt nicht im einzelnen darauf eingehen.
Es ist aber schon peinlich, in welcher Genossenbrüderschaft Sie, wenn wir das Verhalten der SED hier anprangern, sofort hochspringen und auf einen Sachverhalt in der DDR hinweisen, der ganz anders gelagert ist, als Sie es darstellen wollen. Mehr will ich dazu nicht sagen.
({0})
- Das können Sie sagen. Jeder blamiert sich so gut, wie er kann, Herr Duve.
Zu dem Antrag der GRÜNEN ist ja das Wesentliche bereits in der vergangenen Woche in der Aktuellen Stunde zu demselben Thema gesagt worden. Mit dem, was die GRÜNEN an Forderungen formuliert haben, treten sie weitgehend offene Türen ein. Sie rufen nach Maßnahmen, die sich bekanntermaßen längst im Stadium der Umsetzung befinden.
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Wir haben in der letzten Aktuellen Stunde dargelegt, daß in den letzten beiden Jahren 400 jüdische Emigranten aus der Sowjetunion in Deutschland aufgenommen worden sind. Es wurde auch dargelegt, daß diese Zahl künftig erhöht werden soll, wobei als Ausgangspunkt der Erörterung von einer Aufnahmequote von über 1 000 Emigranten jährlich ausgegangen wurde. Das ist sicherlich nicht die Endzahl, aber das war Stand der Diskussion.
Die Bundesregierung hat darüber hinaus informiert, daß die Bundesländer einem entsprechenden Aufnahmeprogramm positiv gegenüberstehen. Hier laufen Gespräche und Verhandlungen zwischen Bund und Ländern mit dem Ziel, bis zum Ende dieses Jahres zu einem abschließenden Ergebnis zu kommen.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist und bleibt sich gerade bei dieser Frage ihrer geschichtlichen Verantwortung bewußt. Sie wird auch die entsprechenden Konsequenzen ziehen. Die Greueltaten gegenüber Millionen von Juden durch die nationalsozialistische Diktatur sind nicht vergessen.
Bei allen Überlegungen, die die Aufnahme sowjetischer Juden in die Bundesrepublik Deutschland betreffen, werden wir selbstverständlich darauf drängen, daß wir dieser unserer Verantwortung gegenüber unserer eigenen deutschen Geschichte gerecht werden. Dabei darf es aber - das muß noch einmal gesagt werden - kein unkontrolliertes Sonderverfahren außerhalb des geplanten Rechtes geben. Ein ausschließlich an die Religionszugehörigkeit anknüpfendes Sonderrecht muß ausscheiden. Ein solches Sonderrecht wird auch von unseren jüdischen Mitbürgern nicht erwartet.
Das Rechtsstaatsprinzip und der Gleichbehandlungsgrundsatz verlangen, daß wir nach geordneten Einreiseverfahren vorgehen und gleiches Recht für alle schaffen, wobei klar ist, daß gerade gegenüber Juden
Gerster ({2})
eine besondere Großzügigkeit und Großmütigkeit geboten sind.
Im übrigen weise ich auch noch einmal darauf hin, daß es zwei Gruppen von Juden gibt, die ohnehin die Möglichkeit der Einreise haben: selbstverständlich solche, die Deutsche oder deutsche Volkszugehörige sind - darüber brauchen wir nicht zu diskutieren; das ist unstrittig, hoffe ich - und natürlich auch Menschen, die behaupten, sie würden politisch verfolgt. Sie werden natürlich nicht an der Grenze zurückgewiesen.
Es geht aber - das muß man klar sehen - um die größte Gruppe, nämlich um die Gruppe sowjetischer Juden, die weder zu deutschen Aussiedlern noch zu Asylbewerbern gehören. Diese können und sollen nach dem Kontingent-Flüchtlingsgesetz Aufnahme finden. Wie schon erwähnt, ist dieser Weg bisher bereits in zahlreichen Fällen genutzt worden. Ich gehe davon aus, daß auch auf die in jüngster Zeit gewachsenen Einreisewünsche mit Hilfe der Möglichkeiten des Kontingent-Flüchtlingsgesetzes reagiert, also entsprechend verfahren wird.
Da jedoch die Bundesländer letztlich die finanziellen und sozialen Lasten der Aufnahme zu tragen haben, ist auch selbstverständlich, daß die Bundesregierung vor einer Erhöhung der Aufnahmekontingente mit den Bundesländern Vereinbarungen zu treffen hat. Diese Erkenntnis hat die Bundesregierung schon lange vor den GRÜNEN gehabt. Auch unsere Fraktion hat darauf gedrängt. Die Forderungen der GRÜNEN stellen insoweit eine klare Selbstverständlichkeit dar. Im übrigen ist es nicht möglich, Verhandlungen einzuleiten, wenn diese Verhandlungen schon längst geführt werden. Sie stehen übrigens kurz vor dem Abschluß.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich stets für eine großzügige Aufnahme jüdischer Emigranten aus der Sowjetunion ausgesprochen. Die Bemühung der Bundesregierung, eine höhere Aufnahmequote mit den Ländern zu vereinbaren, findet ebenfalls unsere volle Unterstützung. Wir gehen davon aus, daß die in Vorbereitung befindliche Regelung der Verantwortung gegenüber unserer eigenen Geschichte gerecht wird. Sie wird außerdem unseren eigenen Aufnahmemöglichkeiten Rechnung tragen müssen sowie auch auf internationale Interessen, insbesondere auch auf die Interessen des Staates Israel, Rücksicht nehmen müssen.
Bei diesem Sachstand mag der von den GRÜNEN eingebrachte Antrag zwar gut gemeint sein. Er ist allerdings durch die Ereignisse überholt und als Grundlage für eine Diskussion dieses höchst sensiblen Themas in der vorgelegten Fassung nicht sehr geeignet und hilfreich.
Wir sind der Meinung, daß wir diesen Antrag an die zuständigen Ausschüsse überweisen sollten. Dort kann er weiter beraten werden, wobei klar ist, daß das, was an sachlichen Dingen zu geschehen hat, sofort zu geschehen hat. Insofern hat die Bundesregierung nicht nur unsere Unterstützung, sondern sie wird auch von uns kontrolliert, damit das in diesem Rahmen, wie ich es hier gesagt habe, möglichst zügig erfolgt.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Penner.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Lage der Juden in der Sowjetunion ist bedrückend. Beispiele für Benachteiligungen und Schmähungen gibt es viele. Dies zu erwähnen hat mit einer Verurteilung der Sowjetunion nichts zu tun. Dies stünde uns wohl auch nicht zu; es entspricht einfach den Tatsachen.
Unbestreitbar ist, daß nicht erst in jüngster Zeit - gewiß verstärkt in den letzten Jahren - immer mehr sowjetische Juden ihre Heimat verlassen wollen, ja keine andere Möglichkeit sehen, als diesen Schritt zu tun. Aber auch das ist wahr: Dies geschieht nicht allein in der Sowjetunion. Auch nach Auschwitz, auch nach Treblinka gibt es Antisemitismus überall in der Welt, und nicht zuletzt auch bei uns.
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Einige sowjetische Juden kommen zu uns. Es kann einen schon bekümmern, wie schwer wir uns damit tun, wie unbeholfen wir darauf reagieren. Ich möchte das weiß Gott nicht tadeln, aber es fällt doch auf, wie selbstverständlich, fast routinemäßig exekutive Stellen in der Bundesrepublik diesen Sachverhalt in das dafür bestehende Regelgeflecht einordnen und gewichten.
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Asylrecht, Kontingent-Flüchtlingsgesetz, Verwaltungsvorschriften zum Ausländergesetz, Runderlasse, Sitzungen der Innenministerkonferenz sind Kennzeichen für staatliche Reaktionen bei uns.
Übrigens ist der Antrag der GRÜNEN, der in seiner Zielsetzung eindeutig und richtig ist, davon auch nicht frei. Dabei denke ich nicht nur an die Ziffer 4 dieses Antrages, obwohl er mit seiner Aussage, die Bundesrepublik möge „im Rahmen der EPZ auf die übrigen westeuropäischen Regierungen einwirken, ihre Grenzen den sowjetischen Juden zu öffnen", besonders aufschlußreich ist und insoweit an das hierzulande gängige Administrieren anschließt.
Wie gesagt, ich möchte das nicht bewerten. Ich weiß sehr wohl, daß dies Teil unserer Verwaltungswirklichkeit ist, die sich auf unser Verständnis vom Rechtsstaat gründet. Es spricht aber nicht gegen Güte, es spricht nicht gegen die Solidität dieses Prinzips, wenn man bemerken muß, daß dieses Prinzip auf typisierte Geschehen zugeschnitten ist und deshalb Besonderheiten, ja Einzigartigkeiten nicht erfassen kann.
Es ist doch außergewöhnlich, daß Juden in einem Land Zuflucht suchen, das den Holocaust zu verantworten hat. Wenn solche Menschen kommen, dann muß man großzügig sein. Es verbietet sich bei der Lösung, Zögerlichkeiten beispielsweise im Hinblick auf Einwanderungspolitik und Ausländerpolitik zu bemühen. Das endet in unsäglichen Verirrungen und verstellt nur den Blick für menschliche Lösungen.
Mit anderen Worten: Wir müssen die sowjetischen Juden aufnehmen. Wenn sie bei uns leben wollen, die gar nicht so vielen sowjetischen Juden, dann dürfen wir uns nicht in feinen Überlegungen verheddern. Dann haben wir Sorge dafür zu tragen, dann trifft uns die Garantenpflicht dafür, daß es auch durchgesetzt wird. Großzügigkeit ist gefordert mit all dem, was damit verbunden ist. Für die Pflege von Rechts- und Regelhürden darf es dabei keinen Spielraum geben.
Die dem Ende entgegengehende DDR hat sich dabei bemerkenswert verhalten. Auf Grund eines Ministerratsbeschlusses vom 11. Juni 1990 sind dort jüdische Bürger aufgenommen worden, die aus Furcht vor Verfolgung und Diskriminierung ihre Heimat verlassen haben. Viele sind nicht gekommen. Es ist die Rede von ca. 1 600.
Ich glaube nicht, daß es einen Strom von einwanderungswilligen Juden nach Deutschland gibt oder geben wird. Leider hat es im Einigungsvertrag zwischen DDR und Bundesrepublik bei dieser Frage gehakt; das ist sehr bedauerlich. Gerade dieses Problem hätte besonders bedacht und einfühlsam gelöst werden müssen.
Gelegentlich war zu hören, die Einwanderungspolitik Israels müsse respektiert werden; das ist selbstverständlich. Aber mit unserer Aufnahmebereitschaft hat das gar nichts zu tun. Sie setzt sich zum Ziel, einzelnen Menschen in Not und Bedrängnis auch dadurch zu helfen, daß sie bei uns bleiben können, wenn sie es denn wollen. Dem können, ja dem dürfen wir uns nicht verschließen, gerade auch weil es um Menschen geht, die Juden sind.
Wenn sie sich bei uns den sehr klein gewordenen und überalterten jüdischen Gemeinden anschließen wollen, dürfen wir das ebensowenig verwehren. Es ist die Rücksicht auf Selbstbestimmung dieser Menschen, die uns dabei leiten soll und leiten muß. Wenn sich daraus bei uns so etwas wie eine Renaissance jüdischen Geistes- und Kulturlebens wieder entwikkeln sollte, so können wir dies nur begrüßen. Wir sind nicht der Meinung, daß dies mit der Einwanderungspolitik Israels kollidiert.
Gewiß ist es richtig, wenn immer wieder hervorgehoben wird, die Deutschen könnten das Elend der Weltflüchtlingsnot nicht alleine schultern. Das tun wir auch gar nicht. Andere Länder - es sind nicht die wohlhabendsten - trifft es weit spürbarer. Nicht nur die Menschen am Horn von Afrika - aber auch da -, auch die Menschen in Afghanistan und Pakistan sowie in den Ländern und Staaten Indochinas erleben, wie drückend es sein kann, im Zentrum des Weltflüchtlingselends zu sein. Einen Teil davon mitzutragen ist auch unsere Aufgabe.
Das sehe ich besonders, wenn es die sowjetischen Juden angeht. Gewiß, wem das Einordnen liegt, der mag den Exodus der sowjetischen Juden so einordnen. Ich möchte mehr für die geschichtlich bedingte Pflicht von uns Deutschen werben, gerade diesen in Not geratenen Menschen zu helfen.
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Weil wir meinen, daß sich davon der Antrag der GRÜNEN leiten läßt, stimmen wir ihm zu.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben dieses Thema vor fünf Tagen in einer Aktuellen Stunde behandelt. Dabei haben alle Fraktionen zum Ausdruck gebracht, daß sie den historischen Verpflichtungen, die wir haben, Rechnung tragen wollen und daß die besonderen Schwierigkeiten, die sich aus der gewaltigen Zahl von Einwanderungswünschen ergeben - nicht nur einige wenige, Herr Kollege Penner - , sorgfältig beachtet werden müssen.
Eigentlich hätte bei dieser Aktuellen Stunde jedem klarwerden müssen, daß eine laute Erörterung die Probleme nicht erleichtert, sondern erschwert. Wir können darum nur mit großem Bedauern feststellen, daß die Fraktion der GRÜNEN/Bündnis 90 durch einen neuen Antrag zum selben Thema sehenden Auges dort Schwierigkeiten bereitet, wo sie dazu beitragen sollte, Schwierigkeiten zu überwinden.
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Die Sachlage hat sich in den fünf Tagen, die seit der Aktuellen Stunde vergangen sind, nicht geändert. Wir haben gehört, daß allein beim Generalkonsulat in Kiew 10 000 Anträge liegen sollen; wir wissen aber nicht, wie viele der Antragsteller auf Dauer in der Bundesrepublik bleiben wollen. Manche werden nach Israel, nach Kanada oder in die Vereinigten Staaten weiterwandern wollen.
Wir haben Verständnis dafür, daß die Juden sowohl vor der wirtschaftlichen Entwicklung in der Sowjetunion wie auch vor der Instabilität der politischen Verhältnisse und vor antisemitischen Pogromen Sorgen haben, die man nicht ohne weiteres als unbegründet bezeichnen kann.
Sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wetzel zu beantworten?
Nein. - Die Entwicklung in der Sowjetunion ist schwer einzuschätzen. Auch der Sowjetunion kann es nicht gleichgültig sein, wenn Zehntausende das Land verlassen; denn das hat natürlich politische, wirtschaftliche und soziale Folgen.
Es gibt auch andere Interessen, die uns nicht gleichgültig sein dürfen. Der Staat Israel hat im Zusammenhang mit diesen Auswanderungswünschen verschiedentlich darauf hingewiesen, daß er nicht für die 60 000 Juden allein gegründet worden sei, die zum Zeitpunkt seiner Gründung dort gelebt haben. Die jüdischen Auswanderer aus der Sowjetunion sollten - so die israelische Regierung - dem Staat Israel eine Chance geben, nämlich die, sie als Einwanderer und Bürger zu gewinnen. Wer Israel kennt, der weiß, daß die Zusammensetzung der Bevölkerung von er18744
heblicher Bedeutung ist und daß der Staat Israel außerordentliche wirtschaftliche Anstrengungen unternimmt, um die Neubürger, die er gewinnen will, auch tatsächlich zu integrieren. Daß die arabischen Länder auf einem ganz anderen Standpunkt stehen, ist klar. Das brauche ich nicht weiter auszuführen.
Schließlich müssen wir daran denken, daß es politisch, sozial und historisch unverantwortlich wäre, ohne eine sorgfältige Erörterung der Aufnahme- und Integrationsmöglichkeiten von Gemeinden und Ländern gerade bei diesen Einwanderern Hoffnungen zu wecken, die wir dann vielleicht nicht erfüllen können. Auch dazu haben wir vor fünf Tagen in der Aktuellen Stunde gesagt, daß wir die Bundesregierung ermutigen, in dieser Frage Gespräche mit den Bundesländern zu führen und sich wegen der Ergebnisse mit den Fraktionen des Bundestages ins Benehmen zu setzen.
Wir wollen aus gut erwogenen Gründen über diese Erklärungen nicht hinausgehen, und zwar im Interesse der Beteiligten. Wir suchen eine sachliche Lösung, und wir werden uns nach Kräften daran beteiligen.
Wir halten den vorgelegten Antrag nicht für entscheidungsreif und beantragen daher ebenso wie die CDU/CSU-Fraktion, den Antrag zur federführenden Beratung an den Innenausschuß des Hauses zu überweisen.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Bittner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Noch als Abgeordnete der Volkskammer haben wir uns zu unserer historischen Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk bekannt. In diese Verantwortung genommen, wende ich mich heute erneut an Sie.
Am vergangenen Wochenende habe ich sowjetische Juden in meiner Heimatstadt Eisleben besucht, die im März in die damalige DDR aufgenommen wurden. Zwölf Familien leben dort in einer annehmbaren Unterkunft. Sie sind auch materiell ausreichend versorgt. Darin allein bestand aber wohl nicht ihr Begehren, als sie die angestammte Heimat verließen und ihren Beruf als Lehrerin, als Ingenieur, als Facharbeiter und als Programmierer aufgaben; ein Kardiologe und ein Herzchirurg sind auch dabei. Sie haben sich aufgemacht in eine andere Lebensweise, in eine andere Sprache. Sie hatten Gründe, das zu tun. Wir wissen das. Sie wollten frei leben. Sie wollten nicht ständig als „Jude' angesprochen werden. Sie fragten: Wann erhalten wir die deutsche Staatsbürgerschaft? Wann können wir auf die Suche nach Arbeit gehen, uns versichern lassen, eine Wohnung suchen? Steht uns dafür die ganze Bundesrepublik offen, oder dürfen wir nur in Sachsen-Anhalt bleiben?
Ich bitte Sie, ihnen diese Fragen schnell beantworten zu helfen, und zwar so, daß Ihr Gewissen unbelastet bleibt. Frau Bergmann-Pohl sei an ihr Versprechen erinnert,
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daß sie ihre ganze Kraft auch in einem vereinten Deutschland einsetzen will, damit unwiederholbar bleibt, was den Juden durch Deutsche geschah. Wie anders will man das tun, als ihnen in ihrer Not zu helfen, zumal sie darum bitten?
100 000 könnten es etwa sein, die in unser Land möchten. Da braucht man keine israelische Verstimmung zu befürchten, zumal das Land Israel selbst in dieser Frage vor einer unglaublichen Kraftanstrengung steht. Israel wird auf seinem Territorium Menschen aufnehmen. Das Territorium ist nicht größer als das Bundesland Hessen. Ca. 0,5 Millionen Emigranten wollen sie aufnehmen. Umgerechnet auf die Bundesrepublik würde das 6 Millionen entsprechen.
Verehrte Abgeordnete, lassen Sie uns beschließen, die Bundesregierung aufzufordern, den sowjetischen Juden die Einreise zu erlauben, ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft zu gewähren und vor allen Dingen Integrationsmöglichkeiten zu schaffen, d. h. besonders Arbeit. Es wäre den Juden gegenüber ein Beweis guten Willens und wirklicher Wiedergutmachung.
Danke.
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Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Waffenschmidt.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ehe ich mich dem Antrag zuwende, möchte ich doch der Sprecherin der PDS und ihren Kolleginnen und Kollegen sagen: Es ist bisweilen unerträglich, zu hören, wie Sie sich hier als Anwalt von Rechten äußern, die Sie jahrelang,
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als Sie dazu die Macht in der ehemaligen DDR hatten, mit Füßen getreten haben. Da spielen Sie sich heute hier auf!
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Ich finde das nicht gut; Sie sollten zurückhaltender operieren.
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Herr Staatssekretär - Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich gestatte jetzt keine Zwischenfrage; ich habe nur drei Minuten Zeit.
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Meine Damen und Herren, zu dem Antrag - ({1})
Meine Damen und Herren, wir werden im Hinblick auf die - ({2})
- Herr Kollege Duve, wir werden das der Frau Kollegin Bergmann-Pohl übermitteln. Aber ich darf Sie trösten: Ich spreche hier für die gesamte Bundesregierung inklusive Frau Bergmann-Pohl, die zu dieser Regierung gehört. Ich kann mit dem, was ich sage, sehr gut das wiedergeben, was auch dem Petitum des gesamten Hauses entspricht.
Erstens. Wir werden mit viel Behutsamkeit und auch mit der notwendigen Sensibilität auf die Aufgabenstellung eingehen, die sich für uns, für Deutschland ergibt. Das habe ich schon in der Aktuellen Stunde für die Bundesregierung erklären können. Ich möchte auf all das verweisen, was dort gesagt wurde, und mich den Sprechern anschließen, die hier in der bisherigen Debatte der Fraktion der GRÜNEN gesagt haben, daß die erneute Behandlung heute sicherlich der Sache, um die es geht, nicht besonders dienlich ist.
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Denn wir brauchen das geordnete Verfahren. Wir brauchen es auch um der Menschen willen, die wir aufnehmen wollen. Wir möchten ihnen ja mit Hilfe der Länder und Gemeinden eine gute Aufnahme bieten. Darum sind wir bereits in die von Ihnen erst heute geforderten Verhandlungen mit den Bundesländern eingetreten, um ein geordnetes Verfahren zu gewährleisten.
Herr Staatssekretär, bleibt es bei Ihrer Weigerung, oder sind Sie jetzt bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen?
Wenn Sie das nicht auf die Redezeit anrechnen, beantworte ich auch die Zwischenfrage.
Ich rechne es nicht an, aber ich mache darauf aufmerksam, daß es an sich bei diesen Kurzbeiträgen von fünf Minuten nicht üblich ist.
Ja, gut, bitte schön.
Bitte.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Bereitschaft, auf eine Zwischenfrage zu antworten.
Meine Frage betrifft den aktuellen Stand. Trifft es zu, daß gegenwärtig bei etwa 10 000 Ausreiseanträgen in der Sowjetunion die deutschen Konsulate nach wie vor angewiesen sind, diese Anträge nicht zu bearbeiten? Gilt also faktisch derzeit ein Einreisestopp, und sind vor diesem Hintergrund nicht die Bemerkungen des Kollegen Gerster, der den Eindruck erweckte, hier sei große Emsigkeit und Geschäftigkeit am Werke, um das Problem zu lösen, zu relativieren?
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Ich kann zunächst nur sagen: Der Kollege Gester hat vollkommen recht. Wir sind in einer intensiven Verhandlung mit den Ländern. Dazu hatte schon Minister Schäuble noch vor dem schlimmen Ereignis die Initiative ergriffen, um das zu gewährleisten, was ich eben hier sagte, nämlich daß eine gute Aufnahme stattfindet. Ich darf Ihnen sagen: Es haben inzwischen auch schon mehrere Länder ihre Bereitschaft erklärt, die Menschen, die zu uns kommen wollen, aufzunehmen. Wir möchten - ich sage das einmal sehr klar - nicht gerne, daß sie in einem ungeordneten Verfahren hier ankommen und dann irgendwo in einer Turnhalle oder dergleichen kampieren müssen, sondern wir wollen das gerne ordentlich vorbereiten.
Zu dem, was Sie zuerst gefragt haben: Ich habe mich noch einmal erkundigt, auch nach unserer Aktuellen Stunde. Erstens ist mir auch von den zuständigen anderen Ressorts innerhalb der Bundesregierung, insbesondere vom Auswärtigen Amt, gesagt worden, daß nicht zu bestätigen ist, ob es sich um eine Größenordnung von 10 000 Personen handelt.
Zweitens ist über unser Auswärtiges Amt und die konsularischen Vertretungen dafür Sorge getragen, daß die Menschen, die jetzt beispielsweise in Kiew zum Konsulat kommen und dort nachfragen: „Wie sieht es denn aus? Kann ich einreisen?", über das Verfahren informiert werden und daß ihnen gesagt wird: „Leute, so ist die Haltung des deutschen Parlaments, so ist die Haltung der Regierung, aber wir müssen ein geordnetes Verfahren für euch vorbereiten. Wir bearbeiten schon einmal eure Unterlagen. Dann bekommt ihr weiteren Bescheid. " - Die Menschen werden also nicht in Hoffnungslosigkeit versetzt.
Herr Staatssekretär, angesichts der veränderten Umstände frage ich Sie, ob Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Stolfa zulassen.
Bitte schön. Gleiches Recht für alle. Ich will da vorbildlich sein.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, daß Sie es nachträglich noch genehmigen.
Ja, es wird ja nicht auf meine Redezeit angerechnet.
Aha. Es wäre vorhin sicher auch nicht angerechnet worden.
Herr Staatssekretär, können Sie es mir abnehmen, daß ich als Frau und als Mutter und als Geschichtslehrerin nichts warmherziger vertreten habe, als meinen
Schülern Antisemitismus auszureden, um sie gegen Rassenhaß zu erziehen?
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Ich habe noch eine zweite Frage. Herr Staatssekretär, wollen Sie uns bei allen Themen, die hier anstehen, das Recht absprechen, ein ehrliches Wort zu sagen, und wollen Sie uns jedesmal mit 40 Jahren Verbrechen identifizieren? Ich finde es heuchlerisch!
Frau Abgeordnete Stolfa, es wäre nett, wenn Sie sich an die Usancen des Hauses gewöhnen würden und bei der Antwort stehenblieben. - Danke schön.
Ich freue mich, wenn Sie Ihren Schülern in der Schule helfen, auch die Situation der Juden und des Volkes Israel zu verstehen. Das ist nur zu begrüßen.
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Meine Bemerkung bezog sich darauf, daß Sie hier in der Nachfolge der SED eine politische Haltung, eine politische Aktion und eine Regierungspartei vertreten, die über Jahrzehnte die Menschenrechte, die Sie hier reklamieren, mit Füßen getreten hat, sogar gegenüber den Deutschen, sogar gegenüber dem eigenen Volk.
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Wenn Sie jetzt sagen: Wir wollen das nicht immer vorgehalten bekommen - ({2})
- Herr Kollege Duve, ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen, wenn hier die PDS angesprochen wird.
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- Meine Damen und Herren, wir haben dies klar festgestellt. Ich habe gesehen, Herr Kollege Duve: Die Mehrheit des Deutschen Bundestages hat mir in dieser Frage durchaus zugestimmt. Ich denke, das wird die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland auch tun.
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Moment, Herr Staatssekretär! - Erstens möchte ich darum bitten, über dieses sensible Thema mit der nötigen Würde zu diskutieren. Zweitens. Mir liegen noch drei Bitten um Zwischenfragen vor.
Jetzt lasse ich noch eine Zwischenfrage von der PDS zu. Wir haben jetzt ja keine Regierungsbefragung.
Ich wäre sehr dankbar, wenn Sie sich darauf beschränken würden, die Zwischenfrage von Professor Riege zuzulassen, denn ich muß einmal darauf aufmerksam machen, daß es etwas problematisch ist, wenn bei einem Beitrag von vier Minuten zum Schluß zehn Minuten für Antworten zur Verfügung stehen.
Bitte sehr, Herr Professor Riege, Sie haben das Wort.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß ein differenziertes Urteil über das Verhalten politischer und staatlicher Kräfte in bezug auf das Judenproblem auch die Position und das Wirken eines Staatssekretärs Globke mit einschließen könnte?
Ich habe das letzte akkustisch nicht verstanden; es tut mir leid. Vielleicht können Sie es wiederholen.
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Meine Frage zielte auf die Tradition, die Sie beschwören. Diese Tradition ist nicht frei von einer Persönlichkeit wie Staatssekretär Globke, der eine exponierte Rolle bei der Judenverfolgung und in der Frage des Rassismus gespielt hat.
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Diese Rolle hat nicht verhindert, daß er Staatssekretär im Bundeskanzleramt geworden ist.
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Meine Damen und Herren, geben Sie dem Staatssekretär die Möglichkeit zu antworten.
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- Herr Abgeordneter Pfeffermann, ich bitte um Ruhe!
- Herr Staatssekretär, antworten Sie!
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- Herr Professor Riege, Sie haben nicht das Wort. Würden Sie die Güte haben, die Antwort so entgegenzunehmen, wie es im Hause üblich ist. - Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Ich glaube, wir dürfen miteinander feststellen, daß wir im vereinten Deutschland in der Tradition einer Bundesrepublik Deutschland von 40 Jahren stehen, die sich trotz vieler Schwierigkeiten zum freiheitlichsten Staat auf deutschem Boden entwickelt hat. Ich glaube, dies sollte man deutlich machen.
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Frau Abgeordnete Bittner, der Staatssekretär hat eben erklärt, daß er nur noch eine Zwischenfrage beantworten wollte. Ich bitte also um Verständnis dafür, daß er nicht bereit ist, eine weitere Frage zu beantworten.
Nun können wir uns noch einmal der Aufnahmesituation für die Juden aus der Sowjetunion zuwenden. Ich fasse zusammen - denn wir haben heute noch viele Tagesordnungspunke - : Wir haben miteinander ein geordnetes Verfahren verlangt. Ich darf Ihnen sagen: Seit der Aktuellen Stunde in der letzten Woche haben wir miteinander die Gespräche mit den Ländern intensiviert, um dieses geordnete Verfahren sicherzustellen.
Lassen Sie mich einen letzten Bereich ansprechen.
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Herr Abgeordneter Pfeffermann, ich bitte Sie, die gebührende Ruhe zu bewahren.
Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekreträr beim Bundesminister des Innern: Es ist sicherlich den Kolleginnen und Kollegen, die in der Aktuellen Stunde gesprochen haben, ähnlich ergangen wie mir. Wir haben seit der letzten Woche eine Fülle von Zuschriften von Mitbürgerinnen und Mitbürgern bekommen.
Ich möchte auch deshalb im Rahmen dieses kurzen Beitrags folgendes feststellen: Erstens. Die Menschen, die sich für die Juden aus der Sowjetunion einsetzen, dürfen wissen, daß dieses Parlament und diese Regierung zusammen mit den Ländern, den jüdischen Organisationen und im Kontakt zum Staat Israel alles tun, was in unseren Kräften steht, um denen zu helfen, die unsere Hilfe brauchen.
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Es ist auch das zu unterstreichen, was der Kollege Gerster und der Kollege Hirsch gesagt haben: Manche wollen nur zunächst zu uns kommen und dann in die USA oder nach Israel weiterwandern.
Als zweites möchte ich gerne denen, die mir seit der letzten Woche eine Fülle besorgter Briefe geschrieben haben, in denen gefragt wird, ob wir uns denn nicht übernehmen würden, neben Asylbewerbern und neben Aussiedlern jetzt auch noch diese Menschen aufzunehmen, sagen: Es geht im Grunde um wenige Tausende, und deren Einreise wird sich auch noch auf einen längeren Zeitraum verteilen. Ich meine, daß gar nicht die Größe der Zuwanderungszahl, sondern die Realisierung der besonderen Verantwortung entscheidend ist, die wir diesen Menschen gegenüber tragen. Ich bin überzeugt: Wenn wir die Einwanderung in einem begrenzten Rahmen zulassen und sie so vorbereiten, wie wir es jetzt miteinander besprochen haben, wird sie nicht eine Last für die Mitbürgerinnen und Mitbürger werden, sondern dann wird sie letztlich für uns alle im geeinten Deutschland eine gute Sache sein.
Herzlichen Dank.
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Meine Damen und Herren, wir haben nunmehr den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 auf Drucksache 11/8212 mit der veränderten Begründung - der erste Absatz ist gestrichen - vorliegen.
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- Jetzt nicht mehr, wir befinden uns in der Abstimmung, Herr Abgeordneter Wetzel. Aber das, was Sie wahrscheinlich wissen wollen, werde ich jetzt erklären:
Es entspricht einer alten Übung dieses Hauses, daß zunächst über den Überweisungsantrag abgestimmt wird, den Herr Dr. Hirsch und Herr Gerster gestellt haben. Ich lasse also darüber abstimmen, ob dieser Antrag der GRÜNEN auf Drucksache 11/8212 mit der veränderten Begründung federführend an den Innenausschuß überwiesen werden soll. Wer für diese Überweisung ist, den bitte ich um das Handzeichen. ({1})
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Antrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen federführend an den Innenausschuß überwiesen worden.
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- Herr Abgeordneter Wetzel, wenn Sie sich, wie ich annehme, zur Geschäftsordnung melden wollen, gebe ich Ihnen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer immer von der Unionsfraktion und von der FDP dazu bereit sein mag, möge mir bitte Auskunft geben, wann der Ausschuß, an den dieser Antrag soeben überwiesen wurde, in dieser Legislaturperiode noch tagt.
({0})
Ich nehme an, daß das mit dem Ausschußvorsitzenden geklärt werden kann.
Ich rufe nunmehr Punkt 24 der Tagesordnung und Zusatztagesordnungspunkt 19 auf:
24. a) Beratung und Unterrichtung durch die Bundesregierung Menschenrechtsbericht der Bundesregierung für die 11. Legislaturperiode
- Drucksache 11/6553 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Auswärtiger Ausschuß ({0})
Rechtsausschuß
Verteidigungsausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Kelly und der Fraktion DIE GRÜNEN
Menschenrechtsverletzungen in OstTimor
- Drucksache 11/6607 -
e) Beratung des Antrags des Abgeordneten Meneses Vogl und der Fraktion DIE GRÜNEN
Politische Konsequenzen aus der Verlet-
zung der Menschenrechte im Iran
- Drucksache 11/7470 -
f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({1}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung aus Anlaß des 40. Jahrestages der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948
- Drucksachen 11/3659, 11/4761 Berichterstatter:
Abgeordnete Lummer Duve
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Lippelt ({2})
g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Bernrath, Bindig, Duve, Ganseforth, Großmann, Koschnick, Luuk, Reimann, Schanz, Schmidt ({4}), Dr. Schmude, Schreiner, Sielaff, Dr. Timm, Wartenberg ({5}), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Lage der Menschenrechte in der Türkei
- Drucksachen 11/2600, 11/6709 Berichterstatter:
Abgeordnete Vogel ({6}) Duve
Frau Beer Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Kelly und der Fraktion DIE GRÜNEN
Menschenrechtsverletzungen und Kriegsrecht in Tibet
- Drucksachen 11/4264 ({8}), 11/6956 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Köhler ({9}) Duve
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({10}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Frau Männle, Frau Schmidt ({11}), Frau Nickels, Frau Adler, Frau Becker-Inglau, Frau Blunck, Frau Bulmahn, Frau Conrad, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Frau Dempwolf, Frau Faße, Frau Fischer, Frau Flinner, Frau Folz-Steinacker, Frau Frieß, Frau Fuchs ({12}), Frau Fuchs ({13}), Frau Ganseforth, Frau Garbe, Frau Dr. Götte, Frau Hämmerle, Frau Dr. Hartenstein, Frau Hasselfeldt, Frau Dr. Hellwig, Frau Hensel, Frau Hillerich, Frau Hoffmann ({14}), Frau Limbach, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny, Frau Matthäus-Maier, Frau Dr. Niehuis, Frau Odendahl, Frau Oesterle-Schwerin, Frau Pack, Frau Renger, Frau Rönsch ({15}), Frau Rust, Frau Schmidt ({16}), Frau Schoppe, Frau Dr. Segall, Frau Seuster, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Frau Dr. Sonntag-Wolgast, Frau Steinhauer, Frau Terborg, Frau Teubner, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Frau Trenz, Frau Unruh, Frau Verhülsdonk, Frau Dr. Vollmer, Frau Walz, Frau Dr. Wegner, Frau Weiler, Frau Weyel, Frau Wieczorek-Zeul, Frau Wilms-Kegel, Frau Dr. Wisniewski, Frau Wollny, Frau Würfel
zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Frau Geiger, Frau Schmidt ({17}), Frau Nickels, Frau Adler, Frau Beck-Oberdorf, Frau Becker-Inglau, Frau Blunck, Frau Brahmst-Rock, Frau Bulmahn, Frau Conrad, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Frau Dempwolf, Frau Dr. Dobberthien, Frau Eid, Frau Faße, Frau Fischer, Frau Flinner, Frau Folz-Steinacker, Frau Fuchs ({18}), Frau Fuchs ({19}), Frau Ganseforth, Frau Garbe, Frau Dr. Götte, Frau Hämmerle, Frau Dr. Hartenstein, Frau Hasselfeldt, Frau Dr. Hellwig, Frau Hensel, Frau Hillerich, Frau Hoffmann ({20}), Frau Kelly, Frau Krieger, Frau Limbach, Frau Luuk, Frau Männle, Frau Dr. Martiny, Frau Matthäus-Maier, Frau Dr. Niehuis, Frau Odendahl, Frau Oesterle-Schwerin, Frau Olms, Frau Pack, Frau Renger, Frau Rönsch ({21}), Frau Rust, Frau Saibold, Frau Schilling, Frau Schoppe, Frau Dr. Segall, Frau Seiler-Albring, Frau Seuster, Frau Simonis, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Frau
Vizepräsident Cronenberg
Steinhauer, Frau Terborg, Frau Teubner, Frau Dr. Timm, Frau Traupe„ Frau Trenz, Frau Unruh, Frau Vennegerts, Frau Verhülsdonk, Frau Dr. Vollmer, Frau Weiler, Frau Weyel, Frau Wieczorek-Zeul, Frau Will-Feld, Frau Wilms-Kegel, Frau Dr. Wisniewski, Frau Wollny, Frau Würfel
Menschenrechtsverletzungen an Frauen
- Drucksachen 11/1801 ({22}), 11/3250 ({23}), 11/3623 ({24}), 11/7901 -
Berichterstatter: Abgeordnete Frau Männle
j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({25}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zur Gewalt gegen Frauen
- Drucksachen 10/5846, 11/8034 -
Berichterstatter: Abgeordnete Frau Männle
k) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({26}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Nickels und der Fraktion DIE GRÜNEN
Keine Todesstrafe durch US-Militärgerichte in der Bundesrepublik Deutschland
- Drucksachen 11/3939, 11/8090 -
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Nickels Seesing
Dr. de With
1) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({27}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Nickels, Frau Schmidt ({28}) und der Fraktion DIE GRÜNEN zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Schmidt ({29}), Adler, Bachmaier, Becker-Inglau, Blunck, Börnsen ({30}), Bulmahn, Conrad, Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Dobberthien, Duve, Faße, Fuchs ({31}), Fuchs ({32}), Ganseforth, Dr. Götte, Hämmerle, Dr. Hartenstein, Kuhlwein, Luuk, Dr. Martiny, Matthäus-Maier, Dr. Niehuis, Odendahl, Peter ({33}), Renger, Schröer ({34}), Seuster, Simonis, Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Steinhauer, Stiegler, Terborg, Dr. Timm, Traupe, Weiler, Weyel, Wieczorek-Zeul, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Menschenhandel mit ausländischen Mädchen und Frauen, sogenannte Heiratsvermittlung und Prostitutionstourismus
- Drucksachen 11/2210, 11/3580, 11/4144, 11/8086 -
Berichterstatter: Abgeordnete Frau Männle
m) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({35}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Schmidt ({36}), Adler, Bachmaier, Becker-Inglau, Blunck, Börnsen ({37}), Bulmahn, Conrad, Dr. DäublerGmelin, Duve, Faße, Fuchs ({38}), Fuchs ({39}), Ganseforth, Dr. Götte, Hämmerle, Dr. Hartenstein, Dr. Holtz, Kuhlwein, Luuk, Dr. Martiny, Matthäus-Maier, Dr. Niehuis, Odendahl, Peter ({40}), Renger, Schröer ({41}), Seuster, Dr. Sonntag-Wolgast, Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Steinhauer, Stiegler, Terborg, Dr. Timm, Traupe, Weiler, Dr. Wegner, Weyel, Wieczorek-Zeul, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Schmidt ({42}), Adler, Bachmaier, Becker-Inglau, Blunck, Börnsen ({43}), Bulmahn, Conrad, Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Dobberthien, Duve, Faße, Fuchs ({44}), Fuchs ({45}), Ganseforth, Dr. Götte, Hämmerle, Dr. Hartenstein, Kuhlwein, Luuk, Dr. Martiny, Matthäus-Maier, Dr. Niehuis, Odendahl, Peter ({46}), Renger, Schröer ({47}), Seuster, Simonis, Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Steinhauer, Stiegler, Terborg, Dr. Timm, Traupe, Weiler, Weyel, Wieczorek-Zeul, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Menschenhandel mit ausländischen Mädchen und Frauen, sogenannte Heiratsvermittlung und Prostitutionstourismus
- Drucksachen 11/2210, 11/3580, 11/4131, 11/8137 Berichterstatter: Abgeordnete Frau Männle
ZP19 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({48})
zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Situation der irakisch-kurdischen Flüchtlinge in der Türkei
zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Humanitäre Hilfsmöglichkeiten für irakischkurdische Flüchtlinge in der Türkei
- Drucksachen 11/5228, 11/5229, 11/7875 Berichterstatter:
Abgeordnete Lummer Duve
Frau Beer
Der Altestenrat empfiehlt Ihnen eine Debattenzeit von 45 Minuten. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall.
Dann kann ich die Aussprache eröffnen. Zunächst hat die Staatsministerin Frau Dr. Adam-Schwaetzer das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Grundgesetz, das nun für alle
18750 Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 234. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31 Oktober 1990
Deutschen gilt, enthält in Art. 1 das Bekenntnis des deutschen Volkes zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. Dieses Bekenntnis umfaßt gleichzeitig den Auftrag zur Durchsetzung und zur Stärkung der Menschenrechte im Inland und weltweit.
Menschenrechte sind staats- und völkerrechtlich verbindlich festgelegt: in der Charta der Vereinten Nationen, in Menschenrechtspakten und in Übereinkommen. Vieles davon bleibt ein bis heute nicht eingelöstes Versprechen auf dem Papier.
Das Einfordern der Beachtung der Menschenrechte ist Aufgabe jeder demokratischen Regierung.
Mit ihrem Menschenrechtsbericht für die 11. Legislaturperiode kommt die Bundesregierung der Aufforderung des Bundestages nach, der in seiner Sitzung am 10. Dezember 1986 den Wunsch nach periodischer Unterrichtung über die Lage der Menschenrechte in der Welt geäußert hat.
Wir sind uns dabei bewußt, daß ein friedliches und gutnachbarliches Zusammenleben der Staaten in einem hohen Grade von der Beachtung der Menschenrechte abhängig ist. Ein Staat, der die Menschenrechte seiner eigenen Bürger verletzt, wird zum Störfaktor in der eigenen Region und weltweit. Beispiele dafür gibt es auch in jüngster Zeit genug.
Menschenrechtverletzungen beeinträchtigen den sozialen Frieden und den Frieden zwischen den Völkern. Umgekehrt vermag ein kraftvolles und unerschrockenes Eintreten für Menschenrechte und Demokratie weltweit als Signal und Aufforderung zu wirken.
Oberstes Ziel gemeinsamen Wirkens zum Schutz der Menschenrechte und zum effektiven Schutz der Menschenwürde in aller Welt ist, tätige Solidarität mit all denen zu üben, deren Menschenrechte verletzt werden.
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Das bedeutet zuallererst rasche und dauerhafte Hilfe für Opfer staatlicher Willkürherrschaft. Wir verwenden uns dabei nicht nur für prominente Persönlichkeiten, sondern gerade auch für die vielen Unbekannten, deren Not nicht im Licht der Öffentlichkeit steht.
Besondere Beachtung hat die Bundesregierung vor allem seit der Debatte im Bundestag über Menschenrechtsverletzungen an Frauen der internationalen Aufarbeitung frauenspezifischer Verfolgungen und frauenspezifischer Verletzungen der Menschenwürde zugemessen. Leider haben wir nicht die notwendige internationale Unterstützung für die Einsetzung einer Sonderberichterstatterin für diesen Bereich in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen gefunden. Wir werden dennoch diesem Thema mit Nachdruck weiter nachgehen.
Zu den inhaltlichen Schwerpunkten unserer Menschenrechtspolitik in der zu Ende gehenden Legislaturperiode möchte ich noch folgendes nachtragen: Heute hat das Bundeskabinett den Beschluß über das Vertragsgesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes gefaßt, und zwar mit dem Ziel, es dem nächsten Bundestag bald nach seiner Konstituierung zuzuleiten.
Das Ratifikationsverfahren zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter ist inzwischen abgeschlossen worden. Die Ratifikationsurkunde ist am 1. Oktober beim Generalsekretär der Vereinten Nationen hinterlegt worden.
Des weiteren ist das Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, mit dem auf Initiative der Bundesregierung erstmalig ein weltweites Instrument zur Abschaffung der Todesstrafe geschaffen wurde, von der Bundesrepublik gezeichnet worden.
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Das Vertragsgesetz dazu wird gegenwärtig vorbereitet.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat bei ihrem Wirken zum Schutz der Menschenrechte weltweit stets die nachhaltige und engagierte Unterstützung des Deutschen Bundestages gefunden. Dafür möchte ich Ihnen allen an dieser Stelle ausdrücklich danken.
Mein Dank gilt insbesondere dem Unterausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Auswärtigen Ausschusses. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit diesem Gremium war für die Bundesregierung stets hilfreich und ermutigend.
Zum Abschluß dieser Legislaturperiode können wir feststellen, daß vieles noch zu tun bleibt. Der Auftrag unseres Grundgesetzes ist weiterhin hochaktuell. Die Bundesregierung wird sich deshalb auch künftig mit allem Nachdruck dafür einsetzen, diesem Auftrag gerecht zu werden.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bindig.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Menschenrechtspolitik hat im Bundestag in der jetzt zu Ende gehenden 11. Legislaturperiode eindeutig an Bedeutung zugenommen.
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In einer seiner letzten Sitzungen hatte der 10. Bundestag beschlossen, ein gesondertes Gremium im Bundestag einzurichten, welches sich regelmäßig mit der Menschenrechtspolitik der Bundesregierung und der menschenrechtlichen Situation in Europa und weltweit beschäftigt, und die Bundesregierung aufgefordert, künftig in jeder Legislaturperiode einen Bericht zur Menschenrechtspolitik der Bundesregierung vorzulegen.
Wir Sozialdemokraten begrüßen die Vorlage des Berichtes, und wir meinen, daß die Entscheidung zur Einrichtung eines speziellen Gremiums für Menschenrechtsfragen im Deutschen Bundestag richtig war.
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Ob dies auf Dauer in der Form eines Unterausschusses des Auswärtigen Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe geschehen soll oder in der weitergehenden Form eines ordentlichen Ausschusses, wird aus den gemachten Erfahrungen zu beurteilen sein.
Richtig und ein gemeinsamer Grundkonsens ist, daß die Wahrung und Achtung der Menschenrechte für uns Verfassungsauftrag für die Gestaltung der eigenen gesellschaftlichen Ordnung ist - da, aber auch bei den sozialen Menschenrechten haben wir im zusammenwachsenden Deutschland, vor allem in den neuen Bundesländern, ja noch einiges zu verwirklichen - und daß die weltweite Förderung und Stärkung der Menschenrechte im Zentrum unseres außenpolitischen Wirkens stehen sollte.
Die Gemeinsamkeit besteht bei den Grundlagen und Prinzipien, wie sie insbesondere in der Charta der Vereinten Nationen, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, dem Zivil- und Sozialpakt im UN-Menschenrechtssystem und natürlich in der Europäischen Menschenrechtskonvention niedergelegt sind.
Die Bundesregierung schildert in ihrem vorliegenden Bericht ihre Arbeit in den verschiedenen internationalen Menschenrechtsgremien. Hier ist es durch die regelmäßige Berichterstattung im Unterausschuß zu einer wesentlichen Verbesserung der parlamentarischen Information und Kontrolle gekommen,
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wenn auch noch heute das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung in diesen Gremien oftmals schwer zu erkennen und zu kontrollieren ist.
Wir unterstützen Überlegungen, die Menschenrechtsgremien im UN-System neu zu ordnen und ein UN-Hochkommissariat für Menschenrechte zu schaffen, und fordern die Einrichtung eines UN-Menschenrechtsgerichtshofes. Hier sind wir einig. Sobald die abstrakte Ebene der Werte, Begriffe und Institutionen verlassen wird und zur konkreten Menschenrechtspolitik übergegangen wird, treten aber auch einige Meinungsverschiedenheiten hervor.
In den letzten Jahren ist das internationale menschenrechtliche Instrumentarium mit einer Reihe neuer Abkommen und Vereinbarungen weiterentwickelt worden. Wir begrüßen, daß die Bundesregierung die noch von der sozialliberalen Koalition eingeleitete Initiative zur weltweiten Abschaffung der Todesstrafe weiterverfolgt hat und daß es gelungen ist, bei den Vereinten Nationen ein Übereinkommen zur Abschaffung der Todesstrafe in Form eines Zweiten Fakultativprotokolls zum Zivilpakt zu verabschieden.
Wir bedauern allerdings, daß sich die Bundesregierung weiterhin weigert, das Erste Zusatzprotokoll zu diesem Pakt, welches die Individualbeschwerde eröffnet, zu unterzeichnen. Die Bundesregierung scheint wirklich nicht zu verstehen, um was es geht, wenn sie befürchtet, da würde eine weitere Instanz für Fälle eröffnet, die besser auf europäischer Ebene behandelt werden sollten, und vor allem wenn sie befürchtet, dort eventuell in unsachlicher Weise auf die politische Anklagebank gesetzt zu werden.
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Die Frage eines Doppelverfahrens läßt sich leicht klären. Menschenrechtliche Überprüfungsgremien haben die Aufgabe, Menschenrechtsverletzer auf die Anklagebank zu bringen.
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Wer ein gutes Gewissen hat, kann und muß ein solches Verfahren gegebenenfalls ertragen können. Internationale Menschenrechtsvereinbarungen stellen einen mühsamen Prozeß der Bindung und Selbstbindung dar, bei dem die Länder mit hohem Standard beispielgebend vorangehen sollten.
Leider ist die Bundesregierung bei der Weiterentwicklung des menschenrechtlichen Instrumentariums in einigen Fällen nicht nur nicht mit anderen Ländern vorangeschritten, sondern blieb so weit zurück, daß ihr von uns im Bundestag Beine gemacht werden mußten, ja, sie mußte in einigen Fällen buchstäblich zum Jagen getragen werden.
Nachdem etliche Anträge aus dem Bundestag mit der Forderung an die Bundesregierung, wichtige neue Menschenrechtsabkommen dem Bundestag zur Ratifizierung vorzulegen, nicht fruchteten, hat die SPD zweimal sogar zu dem bei der Ratifizierung von völkerrechtlichen Verträgen ganz ungewöhnlichen Mittel greifen müssen, eigene Ratifizierungsgesetze einzubringen. Dies war so bei der UN-Anti-FolterKonvention und beim 6. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention zur Abschaffung der Todesstrafe. Erst daraufhin hat die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf nachgeschoben.
Es tut sich ein Widerspruch auf, wenn stets eilfertig betont wird, die Bundesregierung trete überall aktiv für die Verwirklichung der Menschenrechte ein, und wenn dann diese Gleichgültigkeit und Lahmheit in der Behandlung wichtiger Abkommen erkennbar wird, weil es in der Koalition zu Streitereien darüber kommt, ob jemand in einen Folterstaat abgeschoben werden soll oder nicht.
Auch beim humanitären Kriegsvölkerrecht wurde erst 13 Jahre nach der Zeichnung das Ratifizierungsverfahren der beiden Zusatzprotokolle zum Genfer Rotkreuz-Abkommen durchgeführt, nachdem es von allen Seiten aus Fachkreisen heftige Kritik an der zögerlichen Haltung der Bundesregierung gab. Leider wurde dieses Abkommen dann auch mit der zweifelhaften sogenannten Nuklearerklärung ratifiziert, wonach die Bundesregierung die Protokolle so interpretiert, als bezögen sie sich nicht auf eine atomare Kriegsführung. Angriffe wie auf Coventry und Dresden wären verboten, Angriffe wie auf Hiroshima wären erlaubt - und das soll dann humanitäres Kriegsvölkerrecht sein?
Jetzt steht die UN-Kinderkonvention an. Wir fordern die Bundesregierung auf, das Ratifizierungsgesetz dem Bundestag zügig zuzuleiten.
Der Menschenrechtsbericht der Bundesregierung schildert im wesentlichen die Grundsätze, Schwer18752
punkte, Ziele, Instrumente und Gremien der Menschenrechtspolitik. Wirklich ernst und konfliktträchtig wird es dann, wenn es um konkrete Verhaltensweisen gegenüber Einzelstaaten und in wichtigen Bereichen, so beim Waffenexport, geht. Angesichts der Politik gegenüber China, in dem sich die Menschenrechtssituation nach der blutigen Unterdrükkung der Demokratiebewegung im Juni 1989 kaum verändert hat, entsteht der Eindruck, daß die Bundesregierung menschenrechtliche Standards am ehesten zur Grundlage ihrer Politik macht, je kleiner der betroffene Staat ist und je weniger Handels- und Wirtschaftsinteressen betroffen werden.
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Ansonsten wird die menschenrechtliche Moral oft schnell dem Geschäft geopfert. Mit dem Apartheidregime in Südafrika wird unter Mitwirkung des Kanzleramts das U-Boot-Geschäft betrieben; im Irak konnten deutsche Firmen an der Giftgasproduktion und der Raketenentwicklung mitwirken; die Lieferungen von atomarem Material nach Pakistan liefen unter Duldung des Bundesamtes für Wirtschaft: Es muß endlich von der Bundesregierung begriffen werden, daß Waffenexportfragen immer auch Menschenrechtsfragen betreffen.
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Es gibt kaum ein Land auf der Welt, in dem Terror und Bürgerkrieg herrschen, in dem also die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, in dem nicht auch Waffen aus deutscher Produktion auftauchen.
({7})
Menschenrechtspolitik hat eine geregelte Seite der diplomatischen Verfahren und Abkommen; sie hat dann aber auch eine häßliche Seite von Bürgerkrieg, Mord und Terror. Erst der Umgang mit dieser Seite und was hier getan wird, stellt die eigentliche Bewährungsprob e der Menschenrechtspolitik dar.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Professor Männle.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst als Berichterstatterin auf Ziffer III Nr. 6 des Entschließungsantrags zu „Menschenrechtsverletzungen an Frauen" an dieser Stelle ausführlicher eingehen. Der fachlich zuständige Innenausschuß hat in seiner Sitzung vom 10. Mai 1989 mit den Stimmen aller Fraktionen beschlossen, Ziffer III Nr. 6 des Antrags ersatzlos zu streichen. Die Kollegen des Innenausschusses haben sich nach meinen Informationen davon leiten lassen, daß das Asylrecht das ungeeignete Instrument zur Aufnahme von wegen ihres Geschlechtes oder ihrer sexuellen Orientierung verfolgten Frauen in Deutschland ist.
Unser Asylrecht geht in Art. 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes tatsächlich von einer politischen Verfolgung aus, die nur dann vorliegt, wenn der Asylbewerber für seine Person die aus Tatsachen begründete Furcht vor politischer, rassischer oder religiöser Verfolgung darlegen kann. Von diesen in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien wird eine Verfolgung der Frau wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung nicht erfaßt.
Meine Fraktion ist mit dieser Ansicht im federführenden Ausschuß alleingeblieben. Da aber eine ausdrückliche gesetzliche Klarstellung im Asylverf ahrensgesetz über den Inhalt unseres von der Verfassung vorgegebenen Asylrechtes hinausgeht, möchte ich für meine Fraktion folgendes klarstellen: Ziffer III Nr. 6 des Entschließungsantrages kann aus verfassungsrechtlichen Gründen nur so interpretiert werden - wie dies übrigens auch der Auswärtige Ausschuß und der Rechtsausschuß vorgeschlagen haben -, daß wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung in Bedrängnis geratene Frauen in der Bundesrepublik Deutschland Aufnahme finden sollen. Jede andere Regelung würde dazu beitragen, unser Asylrecht weiter auszuhöhlen und unglaubwürdig zu machen. Soweit meine Ausführungen als Berichterstatterin für diesen Punkt. Menschenrechte sind unteilbar. Das betonen wir immer wieder zu Recht. Dennoch gibt es - ich würde sagen: leider - frauenspezifische Menschenrechtsverletzungen, die wir uns bewußt machen müssen. Der Einmarsch der irakischen Truppen in Kuwait hat Frauen wieder einmal besonders betroffen. Nicht nur, daß sie die allgemeinen Belastungen in Kriegssituationen bewältigen müssen; sie sind durch die brutale Vergewaltigung durch die Soldaten doppelt Opfer der Aggressoren geworden. Wer kann eigentlich ermessen, was dies für die betroffenen Frauen bedeutet, nicht nur in einer islamisch geprägten Kultur? Wir müssen uns als Anwältinnen dieser Opfer verstehen und eigentlich hinausschreien, daß Vergewaltigung niemals gerechtfertigt ist und daß sie erst recht kein Recht eines Aggressors ist.
({0})
Mit diesen Bemerkungen wollte ich deutlich machen, daß unser Antrag zu Menschenrechtsverletzungen gegenüber Frauen immer aktuell ist
({1})
und daß wir uns vergegenwärtigen müssen, was hier mit Frauen passiert.
Lassen Sie mich noch kurz auf Fragen des Prostitutionstourismus und des Menschenhandels mit ausländischen Frauen eingehen. Einiges ist - zugegebenermaßen - in den letzten Jahren in Gang gekommen. Besonders die Öffentlichkeit ist sensibler geworden. Wir als Unionsfraktion erwarten, daß die Bundesregierung ihre Bemühungen fortsetzt, indem sie die Ursachen des Prostitutionstourismus und des Menschenhandels durch gezielte Förderung der Frauen in den Herkunftsländern beseitigen hilft.
Wir erwarten, daß man den zurückkehrenden Frauen hilft, Lebensperspektiven durch Ausbildung und durch Unterstützung von Existenzgründungen zu
entwickeln. Wir erwarten, daß die Beratung der betroffenen Frauen im In- und Ausland verstärkt wird. Wir erwarten auch - hier sind wir alle angesprochen - die Ächtung der Konsumenten. Wir wehren uns gegen die Anzeigen, gegen die Kataloge, die die Menschenrechte von Frauen mit Füßen treten und Frauen zur Ware deklarieren. Insbesondere muß der Kampf gegen die Hintermänner dieser üblen Machenschaften verstärkt - notfalls durch Änderungen des Menschenhandelsparagraphen - ermöglicht werden.
Ich denke, daß dieses Thema für uns mit dieser Legislaturperiode nicht beendet ist. Wir werden in der nächsten Legislaturperiode auch hier weiter initiativ bleiben; dessen können Sie sich sicher sein.
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Und nun hat die Abgeordnete Frau Kelly das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist sehr schade, daß wir in diesen Tagen nicht mehr als 45 Minuten haben, um das Thema „Menschenrechte in vielen Teilen der Welt" ausführlich zu diskutieren. Ich habe hier nur fünf Minuten.
Im Menschenrechtsbericht der Bundesregierung für diese Legislaturperiode wird erklärt, daß das oberste Ziel der Menschenrechtspolitik nach außen der effektive Schutz der Menschenwürde in aller Welt ist. Weiter heißt es:
Die Bundesregierung praktiziert in erster Linie tätige Solidarität mit denen, die unter der Verletzung ihrer Menschenrechte leiden ... die weltweite Förderung und Stärkung der Menschenrechte steht im Zentrum unseres außenpolitischen Wirkens!
In einer Broschüre des Auswärtigen Amtes, auch noch geschmückt mit dem Bild Picassos „Guernica", geht man davon aus, daß nicht allein gute Gesinnung, sondern Verantwortung in Fragen der Menschenrechte von der Bundesregierung gefordert wird.
Außenminister Genscher formuliert auch immer wieder, daß Menschenrechtspolitik zu Hause anfangen muß und daß das Verbot der Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten angesichts der heutigen völkerrechtlichen Lage nicht der Forderung nach Einhaltung der Menschenrechte entgegengehalten werden könne.
Aber genau an dieser Stelle wird die Menschenrechts- und Außenpolitik der Bundesregierung für mich oftmals unglaubwürdig und widersprüchlich und auch arrogant. In den letzten acht Jahren meiner Arbeit hier beim Thema Menschenrechte habe ich sehr oft Trauer und Zorn und Scham empfunden. Deshalb habe ich mich persönlich so intensiv gegen Menschenrechtsverletzungen in Tibet, in China, in Kambodscha und in OstTimor eingesetzt,
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auch wenn ich deswegen sogar innerhalb meiner eigenen grünen Reihen von einem bestimmten politischen Flügel oft Häme und Spott erfahren mußte.
Die von der Bundesregierung so gern vorgenommene Trennung der Menschenrechtspolitik von anderen Bereichen der Außen- und Wirtschaftspolitik ist ebenso willkürlich wie unzulässig. Die Gesamtheit der bi- und multilateralen Beziehungen unseres Landes im politischen, wirtschaftlichen, militärischen und kulturellen Bereich ist auf die Frage zu überprüfen, welche Auswirkungen diese Beziehungen auf die politischen und sozialen Menschenrechte in den jeweiligen Ländern haben.
Hier komme ich zur Mitverantwortung der Bundesregierung für Menschenrechtsverletzungen. - Seit 1960 wurde kaum ein Völkermord an meist wehrlosen Minderheitenvölkern begangen, in dem nicht auch deutsche Waffen mitschossen, von Deutschen ausgebildete Offiziere, Polizisten und Geheimdienstler verhafteten, folterten und mordeten: Biafra, Angola, Pakistan, OstTimor, Kurdistan, Bangladesch, Burma, Tibet, Südsudan und Südafrika - um nur einige dieser Tragödien zu nennen.
Die Bundesrepublik belegt unter den größten Waffenexporteuren der Welt den fünften Platz. 90 Länder haben laut amnesty von der Bundesrepublik militärische oder polizeiliche Ausbildungs- und Ausrüstungshilfe erhalten. Genau das belegt, wie unglaubwürdig, die Menschenrechtspolitik der bisherigen Bundesregierungen - ich nehme nicht die der SPD/FDP-Koalition der 70er Jahre aus - war.
„Von einem vereinten Deutschland soll Frieden ausgehen" wird immer wieder proklamiert. Aber die Bundesregierung muß begreifen, daß dieser Friede gefährdet ist, wenn die Bürger- und Menschenrechte mißachtet werden.
Was für ein Signal geben wir eigentlich nach draußen, wenn die Bundesrepublik im letzten Jahr als einziges der führenden Rüstungsexportländer das Wertvolumen ihrer Waffenverkäufe in die Dritte Welt von 830 Millionen US-Dollar auf fast 1,3 Milliarden USDollar gesteigert hat?
Kann die Bundesregierung kurdischen Frauen, Kindern und Männern in die Augen schauen, wenn vom grauenvollen Giftgaskrieg „Made in Germany" vom 28. August 1988 die Rede ist? Was tut sie konkret, wenn es um Asyl für irakische Kurden geht? Wo gibt sie die lebenswichtige Hilfe für diese irakischen Kur' den?
Am Beispiel Tibet kann man leider auch verfolgen, was es bedeutet, wenn man Fragen der Menschenrechte nach Opportunität und nicht nach moralischen Maßstäben bewertet. Wie lange hatten bundesdeutsche Regierungen zu dem Genozid auf dem Dach der Welt geschwiegen,
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um den Handelspartner China nicht zu verärgern? - Aber Schweigen ist Verrat an den Leidenden. Erst unsere internationale Tibet-Anhörung vom April letzten Jahres und Vaclav Havels Einladung an den Dalai-Lama sowie der Empfang durch den Bundespräsidenten durchbrachen das Schweigen.
Ich versuche, zum Schluß zu kommen; es ist meine letzte Rede. - Ost-Timor gehört auch zu den Gebieten, die Hilfe und Solidarität brauchen. Dort ist nahezu die Hälfte der Bevölkerung gewaltsam ums Leben gekommen. Folter und staatlicher Mord dauern an.
Als letztes nun zu Menschenrechtsverletzungen an Kindern und an Frauen, an Kindern, die als Opfer unserer Politik dastehen. - Kein Weltkindergipfel konnte ihnen bis jetzt helfen.
Einen kleinen Hoffnungsschimmer gab es für mich bei der Verabschiedung des Antrages „Menschenrechtsverletzungen an Frauen". Die Forderung nach „Klarstellung im Asylverfahrensgesetz, daß verfolgte Frauen auch wegen ihres Geschlechts oder sexuellen Orientierung Asyl genießen", bleibt für mich ein entscheidender Punkt dieses Antrags.
Martin Luther King hat einmal gesagt: Wenn irgendwo auf der Welt Unrecht geschieht, so ist damit die Gerechtigkeit insgesamt bedroht, sind wir doch gefangen im unausweichlichen Netz der Gegenseitigkeit, das uns alle zusammenhält, die wir eine gemeinsame Bestimmung haben. Besser hätte man unser aller Verantwortung für den Schutz von Menschen vor der schamlosen Verletzung ihrer Rechte nicht begründen können!
Danke.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Würfel.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist leider wahr: Mehr als vier Jahrzehnte nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 durch die Vereinten Nationen haben wir noch immer Anlaß, uns mit weltweit auftretenden Menschenrechtsverletzungen auseinanderzusetzen. Menschenrechte sind universal. Es war eine großartige Leistung von Eleanor Roosevelt, damals im weltweiten Rahmen Einigkeit über Prinzipien und Regeln erreicht zu haben, die für jedermann auf der ganzen Welt ohne Rücksicht auf seine ethnische Verwurzelung, seine soziale Prägung, seine Sprache und seinen Kulturraum gelten sollten. Alle diese Positionen lassen sich von der menschlichen Würde ableiten. Deshalb darf es auch keine kulturelle Relativierung geben.
Meine Damen und Herren, auch wenn Menschenrechte moralisch und naturrechtlich begründet werden können - realisieren und bewähren müssen sie sich im konkreten Raum, im Alltag.
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Die Menschenrechte sind Einzelrechte, durch deren Verletzung nicht Staaten oder Völker zu Opfern werden, sondern Individuen. Und diese Debatte heute hier handelt auch von den Verletzungen der Menschenrechte von Kindern und Frauen, den immer noch Schwächeren unserer Gesellschaft.
An dieser Stelle möchte ich meiner Kollegin Frau Dr. Hamm-Brücher herzlichen Dank für ihre Initiative sagen, die Frauen aller im Bundestag vertretenen Parteien zusammenzuführen und eine Anfrage an die
Bundesregierung zu Menschenrechtsverletzungen an Frauen mit uns allen gemeinsam zu erarbeiten.
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Die Antwort der Bundesregierung haben wir hier schon einmal besprochen. In dem Menschenrechtsbericht der Bundesregierung für die 11. Legislaturperiode heißt es:
Die von den Vereinten Nationen proklamierte und praktizierte Unteilbarkeit der Menschenrechte bietet auch gegen Menschenrechtsverletzungen an Kindern und Frauen, zwei besonders schutzbedürftigen Gruppen, den sichersten Schutz. Gleichwohl müssen Menschenrechtsverletzungen an Kindern und Frauen mehr Aufmerksamkeit finden als bisher.
Deshalb ist es gut, daß wir uns heute hier gegen Ende der 11. Legislaturperiode mit diesem Thema noch einmal beschäftigen können.
Die größte Verletzung eines kleinen wie großen Menschen, eines Kindes wie eines Erwachsenen, geschieht durch körperliche oder seelische Gewalt. Wir frauenpolitische Sprecherinnen der einzelnen Fraktionen hatten uns erneut zusammengetan, um gegen den Bereich vorzugehen, in dem Kindern, ja Babys auf sehr subtile Art und Weise Gewalt angetan wird, nämlich bei der Herstellung von Kinderpornographie. Das, womit wir uns bei diesem Thema beschäftigen mußten und was wir zur Kenntnis zu nehmen hatten, übersteigt jede Vorstellungskraft. Was wir sahen und hörten, erschütterte uns ebenso wie die Mitglieder der Kinderkommission. Gewaltsame Einflußnahme auf den Körper und die Seele von wehrlosen Kindern, das ist etwas so ungeheuer Grausames! Aber es ist unter Umständen etwas, meine Damen und Herren, das vielleicht in Ihrer Stadt, ja, vielleicht sogar in der Straße, in der Sie wohnen, vorkommt.
Wie können wir lernen, den Vorgängen um uns herum mehr Aufmerksamkeit zu schenken? Wie können wir Politiker verhindern, daß sich, wenn wir unangenehme, uns entsetzende Tatbestände öffentlich machen, genau die Falschen angesprochen und von der Thematik abgestoßen fühlen? Jede Politikerin, die bereits einen Termin in einem der Frauenhäuser, die es inzwischen in jeder mittelgroßen Stadt bei uns gibt, wahrgenommen und Gespräche mit den Frauen geführt hat, die dort Zuflucht gesucht haben, ist danach nicht mehr dieselbe. Was diese mißhandelten, geschundenen, vergewaltigten Frauen berichten, übersteigt jedes Fassungsvermögen und veranlaßt Betreuende, Ärzte, Psychologen und auch uns Politikerinnen, öffentlich darüber nachzudenken, woher dieses Potential an Gewalt, an Mißachtung, an Brutalität, an Rücksichtslosigkeit gegenüber Kindern und Frauen rührt und wie der zunehmenden Gewalt in der Gesamtgesellschaft Einhalt geboten werden kann.
Der Gegensatz zu Gewalt ist Friede. Wie friedensfähig sind wir im Umgang miteinander? Benito Juarez Garcia sagt: Die Rücksicht auf das Recht des anderen, das ist der Frieden. Und Immanuel Kant meinte, daß ein jeder Mensch einen rechtmäßigen Anspruch auf Achtung seitens seiner Mitmenschen haben müßte.
Für die Verletzung der Seele und des Körpers von Kindern durch körperliche Mißhandlung und für den zur Herstellung von Pronofilmen erzwungenen Geschlechtsverkehr, für die Gewalt gegen Frauen gibt es keine Rechtfertigung.
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Deshalb müssen wir uns nicht scheuen zu fragen: Wie friedfertig, wie friedensfähig sind Gesellschaften, in denen die unveräußerlichen Menschenrechte gegenüber Kindern und Frauen nicht gewahrt werden? Überall dort, wo Bedrohung herrscht, kann nie Frieden sein, und es gibt auch bei uns Familien, in denen Bedrohung herrscht.
Lassen Sie uns alle sensibler werden, lassen Sie uns lernen, Konflikte anders auszutragen als durch Gewalt. Werden wir toleranter, und achten wir die Rechte des anderen. Ermutigen wir die Frauen, ihre Leidensfähigkeit zu begrenzen, und sehen wir nicht weg, wenn wir Mißhandlung vermuten, sondern handeln wir.
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Das Wort hat nun die Abgeordnete Frau Deneke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Menschenrechte sind universale Grundrechte, die für alle Menschen gelten: für Frauen, Männer und Kinder. Allerdings würde eine Ratifikation der Konvention über die Rechte des Kindes diese Altersgruppe differenzierter berücksichtigen. Deshalb hat dieser Tagesordnungspunkt zum Menschenrechtsbericht der Bundesregierung eine grundsätzliche Berechtigung. Ich bedaure nur, daß wir die Diskussion eines so elementaren Problems zeitlich derart begrenzen;
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denn wen machen Bilder, Zahlen und Nachrichten nicht betroffen, die das Elend von Millionen Menschen - insbesondere in der Dritten Welt - zeigen, leider allzuoft nur betroffen. Aber Menschenrechte bedeuten doch nicht nur Sorgen und Empörung über entwürdigende Menschenrechtsverletzungen. Vielmehr umfassen Menschenrechte auch das Recht auf menschenwürdiges Dasein, Arbeit und Wohnung, Gewissens- und Glaubensfreiheit, auf Gleichberechtigung und Gleichstellung.
Auf Grund des Zeitlimits werde ich mich hauptsächlich zu Menschenrechtsverletzungen an Frauen äußern, vor allem deshalb, da bisher die Rechte von Frauen nicht durch ein grundsätzliches Antidiskriminierungsgesetz umfassend geschützt werden. Ich bin der Auffassung, daß in der kommenden Legislaturperiode ein solches Gesetz dringend verabschiedet werden muß.
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- Warten Sie doch mal ab. Ich bin ja noch nicht zu Ende gekommen.
Wie die Vorlagen zeigen, kommt der Bundesregierung auch und besonders in dieser Frage eine hohe Verantwortung zu; denn Diskriminierungen von Frauen und Mädchen sind auch in diesem Land präsent, und Gewalt gegen Frauen gehört in allen Bundesländern zu den Tagtäglichkeiten.
Zur Frage des Menschenhandels mit ausländischen Frauen möchte ich mich nachdrücklich für gesetzliche Maßnahmen gegen Frauenhandel und für den Schutz der Opfer im In- und Ausland aussprechen. Dementsprechend sind die im Antrag des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit genannten Maßnahmen der Bundesregierung zwar zu begrüßen; aber sie bleiben halbherzig, wenn sie nicht durch Sanktionen mit der nötigen Autorität ausgestattet werden. Über konkrete Kontrollmaßnahmen sollte die Bundesregierung das Hohe Haus unterrichten.
Ein Schutz der Opfer des Frauenhandels in unserem Land scheint dringend geboten, und zwar vor allem in Richtung einer Veränderung der Lebensverhältnisse von illegal hier lebenden Ausländerinnen, weil diese eine wesentliche Ursache für die Erpressung dieser Frauen und Zwangsprostitution sind.
Hinsichtlich des Problems der Gewalt gegen Frauen sind die Aufforderungen durch das Europäische Parlament nur zu unterstützen. Aber eine bloße Kenntnisnahme durch den Deutschen Bundestag wird den Realitäten auf diesem Gebiet in keiner Weise gerecht. Zu diesen Realitäten zähle ich die Anzahl der jährlichen Vergewaltigungsdelikte nicht nur in der bisherigen BRD, sondern auch deren Anstieg in der ehemaligen DDR, oder auch den sexuellen Mißbrauch von Kindern. Tatsache ist, daß in der ehemaligen BRD jährlich 24 000 Frauen vor Gewalt im privaten Bereich flüchten und in Frauenhäusern Zuflucht finden. In der ehemaligen DDR war das ein Tabuthema, und deshalb gibt es darüber keine konkreten Angaben. Aber das Problem besteht genauso.
Ich unterstütze den vehementen Einsatz von Fraueninitiativen zur Schaffung von Frauenhäusern. Aber das ist kein Allheilmittel, sondern grundsätzliche Verbesserungen der Lebensbedingungen von Frauen sind dringend geboten und gefordert. Deshalb ersuche ich das Hohe Haus, von der Bundesregierung gesetzgeberische Maßnahmen zum Schutz von Frauen und Mädchen vor sexueller Gewalt, sexuellem Mißbrauch und Prostitution sowie vor Erniedrigung durch Pornographie einzufordern.
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Das Wort hat nun die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Frau Dr. Lehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur wenige Wochen nach der Frauenhausdebatte befaßt sich der Deutsche Bundestag erneut mit dem Komplex „Frauen und Gewalt". Dies macht deutlich, welchen Stellenwert dieses Thema besitzt. Es zeigt aber auch, daß die politischen Anstrengungen vergrößert werden müssen, um die in vielfältiger Form auftretende Gewalt gegen Frauen und Gewalt in den Familien einzudämmen. Die man18756
nigfachen Formen von Gewalt, die häufig angewandt werden, sind erschreckend.
Sicherlich gibt es keine Patentrezepte, die kurzfristig die Probleme lösen. Aber es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, Gewalt zu minimieren und zu verhindern. Gewalt ist häufig Ausdruck von Ohnmacht, von fehlenden anderen Formen der Auseinandersetzung, von Nicht-bewältigen-Können von Konfliktsituationen. Wichtig ist, daß derjenige, der Gewalt anwendet, sich auch der Ursachen bewußt wird und vor allem sein eigenes Fehlverhalten, seine Schuld einsieht. Aber solange bestimmte Formen der Gewalt, die sich gegen Frauen und Kinder sowie alte Menschen wendet, nicht geahndet werden, können wir keinen Erfolg erzielen.
Im Bereich der sexuellen Gewalt muß endlich die grundsätzliche strafrechtliche Gleichbehandlung der ehelichen und außerehelichen Vergewaltigung durchgesetzt werden. Dringend notwendig ist auch die Verbesserung der Hilfe für vergewaltigte Frauen. Ich bemühe mich hier z. B. um eine gemeinschaftliche Projektförderung mit dem Land Baden-Württemberg und der Stadt Freiburg.
Gewalt in der Familie und sexueller Mißbrauch von Kindern ereignen sich im Verborgenen. Dadurch sind Hilfen von außen erschwert. Die Frauen- und Kinderschutzhäuser sind erste Anlaufstellen. Ich bin daher der Auffassung, daß die Finanzierung von Frauenhäusern besser geregelt werden muß, und appelliere an die Bundesländer, sich in der kommenden Legislaturperiode zu einer konstruktiven Lösung bereitzuerklären.
Ein neues, vom BMJFFG gefördertes Projekt ist die Fortbildung von Polizeibeamten und -beamtinnen zur besseren Erkennung von Gewalt gegen Frauen und Kinder in der Familie. Eine wichtige Grundlage für den verbesserten Kinderschutz ist die bevorstehende Ratifizierung der UNO-Konvention über die Rechte des Kindes durch die Bundesrepublik, vom Kabinett bereits verabschiedet. Eine Untersuchung, um die verschiedenen Formen der Gewalt gegen ältere Menschen zu erfassen und nach Wegen ihrer Verhinderung zu suchen, wurde ebenfalls in den letzten Tagen vergeben.
Beim Thema der sexuellen Belästigung von Frauen am Arbeitsplatz erwarte ich entscheidende Anstöße für einen wirksameren Schutz durch die Umsetzung der EG-Entschließung vom Mai 1990. Der praktische Rechtsschutz für die Frauen und vor allem für die Mädchen in der Ausbildung muß verbessert werden.
Frauenpolitikerinnen aller Bundestagsfraktionen haben am letzten Freitag einen Maßnahmenkatalog gegen Kinderpornographie vorgestellt. Dafür möchte ich ausdrücklich danken. Ich halte es für unerträglich, daß der Besitz von Filmen mit Kinderpornographie nicht bestraft wird und so einem gefährlichen Gebrauch nicht vorgebeugt werden kann. Hier muß es zu Gesetzesänderungen kommen.
Der Menschenhandel mit ausländischen Frauen einschließlich der Mißbräuche in der Heiratsvermittlung und auch der Prostitutionstourismus haben inzwischen erschreckende Ausmaße angenommen. Allein die Zahl der illegal aus den Philippinen in die Bundesrepublik kommenden Prostituierten soll sich von 4 000 im Jahre 1984 auf nunmehr 12 000 erhöht haben. Es ist notwendig, die bestehenden strafrechtlichen Möglichkeiten gegen Menschenhändler und zum Schutz der bedrohten Frauen zu überprüfen.
Ich bitte den Deutschen Bundestag, seine hilfreichen Initiativen zum Schutz von Frauen, Kindern und alten Menschen vor Gewalt in der nächsten Legislaturperiode fortzusetzen und die Arbeit der Bundesregierung in diesen Fragen zu unterstützen.
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Das Wort hat nun die Abgeordnete Frau Ganseforth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe immer gedacht, wenn ich Ministerin wäre und nach vier Jahren der Legislaturperiode reden würde, bräuchte ich nicht Forderungen vorzutragen, sondern könnte sagen, was in dieser Zeit alles gemacht worden ist.
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So bleibt mir leider nur übrig, Forderungen zu stellen, Menschenrechte sind unteilbar. Aber die Menschenrechtspolitik zeigt doch, daß es geschlechtsspezifische Verfolgungsformen gibt und daß die Menschenrechte von Frauen besonders verletzt werden, daß das aber kaum beachtet wird. Übrigens kommen auch im Menschenrechtsbericht der Bundesregierung die Frauen als besondere Gruppe überhaupt nicht vor. Das muß sich ändern. Dabei sind sie oft besonderen Verfolgungen ausgesetzt. Frau Männle hat das hier ausgeführt.
Die Große Anfrage der Frauen aller Fraktionen zu dem Thema „Menschenrechtsverletzungen an Frauen" hat das große Verdienst, dieses Thema öffentlich gemacht und aus der Versenkung ins Licht des Parlaments geholt zu haben. Allerdings war die Antwort der Bundesregierung auf das Anliegen der Parlamentarierinnen eher schleppend und zögernd.
Ganz schwierig wurde es, als es um konkrete Maßnahmen ging, z. B. bei der Frage des Asylrechts. Das ist ein Schlüsselpunkt dafür, verfolgte Frauen zu schützen und ihnen zu helfen.
Es liegt nun eine abgeschwächte Formulierung des Antrags vor. Frau Männle hat das hier vorgetragen. Ich denke, daß wir wenigstens diesen Minimalkonsens annehmen müßten. Sonst ist der Entschließungsantrag nicht das, was uns in der Sache weiterbringt. Weniger ist nicht möglich. Ich möchte allerdings daran erinnern, daß die Frauensolidarität, die die Anfrage und den Antrag trägt, zerbrechlich ist und auch an Grenzen kommt. Wir erleben das gerade beim § 218.
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Ein zweites Thema möchte ich ansprechen. Die Entschließung des Europäischen Parlaments zur Gewalt gegen Frauen ist zu begrüßen und geht über das hinFrau Ganseforth
aus, was wir bis jetzt kannten. Allerdings sind die konkreten Gesetzentwürfe, die wir in diesem Sinne eingebracht haben, abgelehnt oder vertagt worden, z. B. zur Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe, ein Antrag zur Öffentlichkeitskampagne zur Gewalt gegen Frauen und zur Finanzierung von Frauenhäusern. Frau Würfel hat die Notwendigkeit dieser Dinge betont. Aber die individuelle Einsicht in die Notwendigkeit genügt nicht, sondern wir Politikerinnen und Politiker müssen etwas tun und die entsprechenden Gesetze verabschieden und die finanziellen Mittel bereitstellen. Immer wenn es konkret wird, ist die Regierung dazu nicht bereit.
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Das dritte Thema: Menschenhandel mit ausländischen Frauen, die sogenannte Heiratsvermittlung, und Prostitutionstourismus. Die Entschließung, die im Ausschuß eine Mehrheit gefunden hat, ist das Papier nicht wert, auf dem sie steht. Die wirklich notwendigen Maßnahmen kommen darin nicht vor. Wir können diese Entschließung so nicht annehmen. Wir müssen das Thema weiter behandeln. Aber grundsätzliche Verbesserungen gehen weit über einen Antrag hinaus. Das betrifft die Gleichstellungspolitik und eine andere Entwicklungspolitik.
Lassen Sie mich zum Schluß noch die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei ansprechen. Auch hierzu gibt es einen Antrag, über den wir schon lange sprechen. Im Augenblick besteht die Gefahr, daß durch die Golfkrise die Menschenrechtsverletzungen gegen Männer und Frauen in der Türkei in den Hintergrund geraten, daß Militärhilfe und Wirtschaftshilfe von der EG und der Bundesregierung ohne jede Auflage an die Türkei gegeben wird. Ich appelliere ganz dringend an die Regierung, das nicht zu machen, sondern hier, auch wenn andere Interessen im Vordergrund stehen, weiterhin die Menschenrechte nicht zu vergessen.
Schönen Dank.
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Nun hat Dr. Köhler das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie, daß ich am Schluß dieser Debatte noch einmal den Versuch mache, unser gemeinsames Augenmerk auf die gesamte zusammenhängende Thematik zu lenken, die uns durch diesen Tagesordnungspunkt, nämlich den ersten Menschenrechtsbericht einer Bundesregierung, hier vorgegeben ist. Es ist nicht selbstverständlich, daß wir dies hier diskutieren. Es war ein langer, langer Weg dahin. Ohne daß ich hier irgend jemandem zu nahe treten will, erlaube ich mir, in meiner Erinnerung den Moment wachzurufen, als ich im Jahre 1974 erlebt habe, daß ein Bundesminister im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit rundheraus den Gedanken an einen Menschenrechtsbericht ablehnte, weil er die politsche Bewegungsfreiheit behindere.
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- Wir sind Gott sei Dank weitergekommen.
Deswegen, glaube ich, ist es auch gut, daß wir noch einen Moment darüber reden, wie wir mit dieser Chance und Aufgabe gemeinsam umgehen sollten. Wir haben es in 40 Sitzungen des Unterausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe eigentlich ganz proper miteinander hinbekommen. Aber die Rollenverteilung bei dieser Aufgabe kann ja nur die sein, daß die Bundesregierung uns über ihr Handeln auf diesem Gebiet Rechenschaft ablegt, daß wir versuchen, sie auf diesem Gebiet zu ermahnen, zu unterstützen, soweit es nötig ist, und daß wir von den spezifischen Rechten und Möglichkeiten, die ein Parlament hat und die wir als Parlamentarier haben, in besonderem Maße da Gebrauch machen, wo eine Regierung aus irgendwelchen Rücksichten vielleicht nicht so sprechen kann.
Deswegen haben wir Anhörungen, z. B. zum Sudan, z. B. zu Kolumbien gemacht. Deswegen ist auf Reisen Klartext gesprochen worden. Deswegen liegen hier heute eine ganze Reihe von Anträgen und Entschließungsentwürfen vor, in denen zu manchen Dingen auch sehr klare Worte gesagt werden, die mancher befreundeten Regierung nicht schmecken werden
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und die wir deswegen sagen, Herr Bindig, weil wir den besten Dienst der Freundschaft in der Wahrheit erblicken und nicht in dem knurrenden Hinwegschauen über Mißstände. Wir arbeiten doch hier in einer Rollenverteilung zwischen Regierung und Parlament, an einem Stück Verbesserung der politischen Kultur der ganzen Welt. Und dies ist nötig.
Die Verfassung gibt uns den klaren Auftrag - das steht in dem Bericht - , einmal den hohen Menschenrechtsstandard im Inland zu erhalten und weiterzuentwickeln, aber eben auch im Sinne einer Grundlage der allgemeinen Friedenspolitik dieses Landes die Ausbreitung der Menschenrechte weltweit zu fördern und zu unterstützen.
Wie nötig dies ist, sehen wir doch z. B. gerade an den Vorfällen in Indien, über die wir in diesen Tagen durch das Fernsehen informiert werden, wo eben mangels einer sinnvollen Ausübung von ethnischen und religiösen Minderheitsrechten, die staatliche Gemeinschaft zu zerbrechen droht und das Zusammenleben von Menschen, die zusammenleben müssen, im Chaos zu versinken droht. Um solche Fragen geht es. Das, was wir hier zu tun haben, können wir nur auf der Basis weltweiter Übereinkünfte betreiben, die offensichtlich in den letzten Jahren in ihrem Gehalt wieder gestärkt worden sind, weil in Mittel- und in Osteuropa Menschen die Menschenrechte eingeklagt und damit ein Zeichen für die Welt gesetzt haben. Dafür sind wir ganz gewiß dankbar.
Es ist auch interessant, daß unter diesen Umständen wiederum die Orientierung an den individuellen
Dr. Köhler ({2})
Menschenrechten und nicht nur an Gruppenrechten stärker ins Gespräch gekommen ist und daß Menschenrechte auch in Afrika eine größere Rolle zu spielen beginnen.
Nur, eines, verehrter Kollege Bindig, glaube ich, muß ich Ihnen nach Ihrem Redebeitrag sagen: Wenn wir diese mühsame Arbeit in dieser Rollenverteilung betreiben wollen und wissen, daß wir in einer Imperfekten Welt Fortschritte nur unter großer Anstrengung bewirken können, dann ist es nicht sachdienlich, sich hier auf die Position eines Rigorismus zu begeben und die Menschenrechte zu einem Nagel zu machen, an dem alle und jede politische Problematik aufgehängt wird. Wenn Sie diese Position einnehmen, werden Sie weitgehend politikunfähig, weil Sie den Zustand der lupenreinen Verwirklichung auf dieser Welt so wenig finden, daß Sie sich dann grundsätzlich auf eine Insel der Seligen zurückziehen müssen, die es so nicht gibt.
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Ich möchte Sie auf die Gefahr dieser Position hinweisen, weil mir das nötig zu sein scheint für die weitere Arbeit, die wir auf diesem Gebiet leisten müssen und wollen.
Ich glaube, daß wir die vielen Beschlußempfehlungen, die hier heute vorliegen, in verschiedener Weise würdigen werden. Trotzdem sind sie in ihrer Gesamtheit Ausdruck der Arbeit, die hier in vier Jahren intensiv geleistet worden ist. Ich habe großes Verständnis dafür, daß hier nun Kolleginnen und Kollegen eine Fülle von Einzelbeschwernissen und Einzelmißständen einklagen und hier dagegen das Wort erheben.
Lassen Sie uns aber bitte an einem festhalten, was in diesem Bericht der Bundesregierung, glaube ich, mit Recht in Erinnerung gerufen wird. Die Menschenrechte gelten ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion für alle Menschen. Sie stehen in gleichem Maße jedem Menschen auf Grund der ihm innewohnenden Menschenwürde zu. Sie dürfen deshalb nicht aufgeteilt werden. Ein Abgehen von diesem Unteilbarkeitsgrundsatz würde die Gefahr einer Relativierung und Schwächung nach sich ziehen.
Dies hindert nicht daran, besondere Menschenrechtsverletzungen an besonders schutzbedürftigen Gruppen, wie Kindern und Frauen, immer wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stellen. Aber gerade im Sinne der weltweiten Bedeutung dieser Thematik bitte ich herzlich, daß wir diese Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte stets im Sinn haben und vertreten.
Ich bitte Sie um Verständnis, wenn ich hoffentlich im Namen aller Mitglieder des Unterausschusses den heute leider verhinderten Kollegen Vogel noch einmal ausdrücklich erwähne und für seine umsichtige und kluge Führung dieses Ausschusses in den letzten vier Jahren ihm unseren Dank sage.
Herzlichen Dank.
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Bevor wir zur Abstimmung kommen, hat der Abgeordnete Meneses Vogl um eine persönliche Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung gebeten. Ich muß fragen, Herr Abgeordneter: zu dem gesamten Punkt 24 oder zu einem bestimmten Unterpunkt?
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- Bitte schön, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich bei allen anstehenden Abstimmungen enthalten. Eigentlich ist die Begründung meiner Enthaltung bereits von mehreren Vorrednern und Vorrednerinnen vorgetragen worden. Meine Enthaltung soll nicht bedeuten, daß ich die vielen Anträge meiner Fraktion und der Fraktion der SPD, für die ich mich vehement eingesetzt habe, nicht unterstütze. Meine Enthaltung soll vielmehr meiner persönlichen Enttäuschung über die Menschenrechtspolitik der Bundesregierung und die politische Wirkungslosigkeit des Unterausschusses für Menschenrechte zum Ausdruck bringen.
Menschenrechtspolitik kann nur Humanität bedeuten, Solidarität gegenüber den Entrechteten, den Ausgebeuteten, den Hungernden. Im Menschenrechtsbereich ist die Solidarität zu einem Privileg der reichen Nationen geworden; denn sie kann objektiv nur von denjenigen ausgeübt werden, die selbst nicht gefährdet sind, von denjenigen, die in aller Ruhe - damit meine ich: ungestört - darüber debattieren können.
Menschenrechte sind aber auch eine Frage der politischen Moral und der Ideologiefreiheit. Sie dürfen nicht ein Feigenblatt sein, das die ökonomischen Interessen verdeckt.
Ziehe ich ein Fazit über meine parlamentarische Zeit in diesem Bereich - eine ziemlich kurze Zeit -, so komme ich zu dem traurigen und deprimierenden Entschluß, daß die Menschenrechte für die Bundesregierung eben oft die Rolle eines Feigenblattes gespielt haben. Hohle Worte klingen sehr oft ohne jegliche politische Wirkung. Dabei könnte die Bundesregierung gerade in diesem Bereich mit ihrer wirtschaftlichen Macht viel mehr bewirken.
Wir beklagen die Situation der Menschenrechte in der Türkei. Wir empören uns über den Menschenhandel mit ausländischen Mädchen und Frauen, über den Prostitutionstourismus. Wir weinen im Bundestag über das Massaker an chinesischen Studenten. Wir klagen die Situation der kurdischen Flüchtlinge an. Und wir sind erschüttert über die Ermordung von namhaften Politikern und Freunden, die kurz nach einem Besuch bei uns verschwanden.
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Wir unterstützen nachdrücklich die Kinderkonvention und vieles andere mehr.
Was ist die Konsequenz? Bei der Türkei dürfen wir nicht laut sein, weil sie ein NATO-Partner ist. Ausländische Frauen und Mädchen sind weiterhin, in den letzten Jahren sogar verstärkt, Opfer von Skiaventum in den großen deutschen Städten. ProstitutionstourisMeneses Vogl
mus bleibt ein ausgezeichnetes Geschäft. Mit China will die Koalition die wirtschaftliche Zusammenarbeit wieder aufnehmen.
Die kurdischen Flüchtlinge werden in diesem Winter erfrieren. Unsere vielen Freunde in Kolumbien, in El Salvador und in Guatemala werden weiterhin ermordet. Gefährdete Kinder und Jugendliche dürfen in die Bundesrepublik nicht mehr ohne Visa einreisen etc.
Meine Damen und Herren, ich werde mich zwar enthalten, aber nicht aus Frust oder Resignation, sondern in der optimistischen Hoffnung, daß meine knappen, kurzen Worte einige Kollegen und Kolleginnen für die nächste Legislaturperiode nachdenklich stimmen werden.
Die Reden der Kolleginnen Kelly und Würfel, der Kollegin Ganseforth und des Kollegen Bindig sind Anlaß genug, diese Hoffnung zu haben. Sie waren ermutigend genug.
Danke schön.
({1})
Wir kommen nun zur Abstimmung. Der Ältestenrat schlägt Ihnen die Überweisung des Menschenrechtsberichts der Bundesregierung auf Drucksache 11/6553 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 24 d. Hierbei handelt es sich um den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 auf Drucksache 11/6607. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Antrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden.
Herr Abgeordneter Meneses Vogl, ich bitte um Verständnis, daß ich jetzt nicht jedesmal festhalte, daß Sie sich enthalten. Das ist in gebührender Form durch Ihre Erklärung gemäß § 31 der Geschäftsordnung zum Ausdruck gebracht worden.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 24 e. Es handelt sich um den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 auf Drucksache 11/7470. Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der SPDFraktion abgelehnt worden.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 24 f. Es handelt sich um die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 11/4761. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 auf Drucksache 11/3659 abzulehnen. Wer dieser Ausschußempfehlung zu folgen gedenkt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung des Ausschusses mit den Stimmen der CDU/CSU, der FDP und der SPD gegen die Stimmen der Gruppe der PDS und der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 24 g. Es handelt sich um die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 11/6709, zu der ein Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/2600 vorliegt. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Enthaltungen? - Gegenstimmen? - Bei einer Enthaltung aus der Gruppe der PDS und des Abgeordneten Meneses Vogl ist diese Beschlußempfehlung angenommen worden.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 24 h: Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 11/6956, zu der ein Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 auf Drucksache 11/4264 ({0}) vorliegt. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei überwiegender Enthaltung der Gruppe der PDS und des Abgeordneten Meneses Vogl ist diese Beschlußempfehlung mit allen übrigen Stimmen des Hauses angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 24 i. Es handelt sich um die Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu einem Entschließungsantrag, der von der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher und weiteren weiblichen Abgeordneten aus allen Fraktionen eingebracht worden ist. In dem Entschließungsantrag geht es um Menschenrechtsverletzungen an Frauen. Dazu liegen Ihnen die Drucksachen 11/4150 und 11/7901 vor. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag anzunehmen. Wer dieser Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist das einstimmig angenommen worden.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 24 j: Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zur Entschließung des Europäischen Parlaments über Gewalt gegen Frauen auf Drucksache 11/5846. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/8034 die Annahme einer Entschließung. Hierzu gibt es einen Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90. Ich lasse zunächst einmal über den Änderungsantrag abstimmen.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Fraktion der SPD abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zu der Beschlußempfehlung des Ausschusses, die Entschließung in unveränderter Fassung anzunehmen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und der FDP bei Enthaltung der Gruppe der PDS und der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 angenommen worden.
Vizepräsident Cronenberg
Wir kommen zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 24 k: Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 auf Drucksache 11/3939. Es geht hierbei um „Keine Todesstrafe durch US-Militärgerichte in der Bundesrepublik Deutschland".
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/8090 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt der Beschlußempfehlung zu, die Entschließung anzunehmen? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 241: Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf Drucksache 11/8086. Hierbei geht es um Menschenhandel mit ausländischen Mädchen und Frauen, sogenannte Heiratsvermittlung und Prostitutionstourismus.
Der Ausschuß empfiehlt den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 auf Drucksache 11/4144 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung, den Entschließungsantrag abzulehnen, Folge leisten will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen worden.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 24 m: Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf Drucksache 11/8137. Hierbei geht es um den Menschenhandel mit ausländischen Mädchen und Frauen, sogenannte Heiratsvermittlung und Prostitutionstourismus, also um den gleichen Sachverhalt.
Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4131 abzulehnen und eine Entschließung anzunehmen. Wer dieser Beschlußempfehlung Folge leisten will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Damit ist diese Entschließung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 sowie der Gruppe der PDS angenommen worden.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung zu Zusatztagesordnungspunkt 19. Es handelt sich um die Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu zwei Anträgen der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 zur Situation der irakisch-kurdischen Flüchtlinge in der Türkei.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/7875, unter dem Buchstaben A seiner Beschlußempfehlung, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 auf der Drucksache 11/5228 in geänderter Fassung anzunehmen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung des Ausschusses zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist diese Beschlußempfehlung des Ausschusses mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, der FDP und der SPD bei Enthaltung der Gruppe der PDS gegen die Stimmen der
Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 angenommen worden.
Des weiteren empfiehlt der Ausschuß, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 auf Drucksache 11/5229 abzulehnen. Wer dieser Empfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der SPD-Fraktion, bei unterschiedlichem Stimmverhalten der Gruppe der PDS und selbstverständlich bei Zustimmung der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 abgelehnt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesordnung um die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zu den Sammelübersichten 187 und 188 auf den Drucksachen 11/8394 und 11/8395 zu erweitern. Die Zusatzpunkte sollen vor Beginn der Aktuellen Stunde ohne Debatte aufgerufen werden. Ich frage das Haus, ob es damit einverstanden ist. - Das ist offensichtlich der Fall.
Dann rufe ich jetzt Tagesordnungspunkt 26 und den Zusatztagesordnungspunkt 20 auf:
26. a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Kunst und Kultur sowie von Stiftungen ({1})
- Drucksachen 11/7584, 11/7833 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({2})
- Drucksache 11/8346 -
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Hauchler Dr. Vondran
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 11/8347 - ({4})
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({5})
zu dem Antrag der Abgeordneten Neumann ({6}), Daweke, Gerster ({7}), Frau Dr. Wisniewski, Werner ({8}), Dr. Kreile, Dr. Blank, Dr. Blens, Clemens, Dr. Daniels ({9}), Fellner, Dr. Hüsch, Kalisch, Dr.-Ing. Kansy, Dr. Kappes, Krey, Dr. Lammert, Frau Limbach, Dr. Mahlo, Dr. Olderog, Frau Pack, Regenspurger, Schulhoff, Dr. Uelhoff, Dr. Vondran, Weirich, Weiß ({10}), Zeitlmann und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Baum, Lüder, Dr. Hirsch, Richter, BeckVizepräsident Cronenberg
mann, Bredehorn, Cronenberg ({11}), Frau Folz-Steinacker, Funke, Gries, Frau Dr. Hamm-Brücher, Heinrich, Hoppe, Irmer, Kleinert ({12}), Kohn, Dr.-Ing. Laermann, Dr. Graf Lambsdorff, Neuhausen, Nolting, Rind, Frau Dr. Segall, Dr. Solms, Dr. Thomae, Timm, Frau Würfel, Wolfgramm ({13}) und der Fraktion der FDP
Grundsätze und Ziele der staatlichen Kulturpolitik
zu dem Antrag der Abgeordneten Duve, Dr. Penner, Weisskirchen ({14}), Adler, Amling, Becker-Inglau, Bernrath, Dr. Böhme ({15}), Büchner ({16}), Bulmahn, Conradi, Egert, Diller, Dr. Emmerlich, Dr. Glotz, Graf, Hämmerle, Dr. Hartenstein, Dr. Holtz, Jungmann ({17}), Kastning, Klein ({18}), Dr. Klejdzinski, Kolbow, Kretkowski, Kühbacher, Kuhlwein, Lambinus, Lohmann ({19}), Lutz, Müller ({20}), Dr. Niehuis, Dr. Nöbel, Odendahl, Dr. Pick, Reuter, Rixe, Schmidt ({21}), Schmidt ({22}), Schröer ({23}), Sielaff, Singer, Dr. Soell, Dr. Sonntag-Wolgast, Steinhauer, Stiegler, Dr. Struck, Tietjen, Toetemeyer, Wartenberg ({24}), Weiler, Weyel, Wiefelspütz, Wimmer ({25}), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Grundsätze und Ziele für eine Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland in den neunziger Jahren
zu dem Antrag der Abgeordneten Duve, Dr. Penner, Weisskirchen ({26}), Bernrath, Conradi, Egert, Hämmerle, Müller ({27}), Odendahl, Schmidt ({28}), Schmidt ({29}), Sielaff, Dr. Soell, Toetemeyer, Wartenberg ({30}), Weiler, Weyel, Wiefelspütz, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Deutsches Historisches Museum in Berlin
zu dem Antrag der Abgeordneten Duve, Dr. Penner, Bernrath, Dr. Böhme ({31}), Conradi, Egert, Dr. Götte, Hämmerle, Müller ({32}), Odendahl, Schmidt ({33}), Schmidt ({34}), Sielaff, Dr. Soell, Toetemeyer, Wartenberg ({35}), Weiler, Weisskirchen ({36}), Weyel, Wiefelspütz, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Ständige Gemeinsame Kulturkonferenz
zu dem Antrag der Abgeordneten Neumann ({37}), Gerster ({38}), Kalisch, Regenspurger, Dr. Blank, Dr. Blens, Clemens, Fellner, Dr. Hüsch, Dr. Kappes, Krey, Dr. Olderog, Weiß ({39}), Frau Dr. Wisniewski, Zeitlmann, Dr. Daniels ({40}), Daweke, Dr.-Ing. Kansy, Dr. Lammert, Frau Limbach, Dr. Mahlo, Schulhoff, Dr. Uelhoff, Dr. Vondran, Weirich, Werner ({41}) und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Baum, Lüder, Kleinert ({42}), Neuhausen, Dr. Hirsch, Frau Seiler-Albring, Wolfgramm ({43}) und der Fraktion der FDP
Deutsches Historisches Museum in Berlin zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Überarbeitung des Konzeptes zum „Europäischen Forum für Geschichte und Gegenwart"
zu dem Antrag der Abgeordneten Conradi, Duve, Dr. Penner, Bernrath, Dr. Böhme ({44}), Egert, Dr. Götte, Hämmerle, Müller ({45}), Odendahl, Schmidt ({46}), Schmidt ({47}), Sieler, Dr. Soell, Toetemeyer, Wartenberg ({48}), Weiler, Weisskirchen ({49}), Weyel, Wiefelspütz, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
DDR-Mitwirkung an Planungen zum Deutschen Historischen Museum
- Drucksachen 11/4488, 11/5469, 11/5470, 11/6265, 11/5309, 11/5487, 11/6593,
11/8114 Berichterstatter:
Abgeordnete Neumann ({50}) Lüder
Duve
c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Odendahl, Duve, Dr. Penner, Bernrath, Dr. Böhme ({51}), Büchner ({52}), Conradi, Egert, Dr. Götte, Hämmerle, Kastning, Kolbow, Kuhlwein, Müller ({53}), Dr. Niehuis, Rixe, Schmidt ({54}), Schmidt ({55}), Schulte ({56}), Sielaff, Dr. Soell, Dr. Sperling, Toetemeyer, Vosen, Wartenberg ({57}), Dr. Wegner, Weiler, Weisskirchen ({58}), Weyel, Wiefelspütz, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Kulturelle Bildung
- Drucksachen 11/6077, 11/7670 -
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu der Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Duve, Bernrath, Conradi, Egert, Hämmerle, Dr. Martiny, Müller ({59}), Odendahl, Schmidt ({60}), Schmidt ({61}), Sielaff, Dr. Soell, Toetemeyer, Wartenberg ({62}), Weiler, Weisskirchen ({63}), Weyel, Wiefelspütz, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Kulturpolitik in Europa und in der Europäischen Gemeinschaft
- Drucksachen 11/3287, 11/5668, 11/66.5, 11/8069 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Köhler ({64})
Duve Irmer Frau Kottwitz
Vizepräsident Cronenberg
ZP20 Beratung des Antrags der Abgeordneten Lenzer, Lummer, Börnsen ({65}), Breuer, Susset, Jung ({66}), Fuchtel, Schemken, Müller ({67}), Krey, Dr. Blank, Nelle, Frau Dr. Hellwig, Dr. Laufs, Daweke, Rossmanith, Günther, Engelsberger, Magin, Buschbom, Clemens, Hörster, Böhm ({68}), Herkenrath, Frau Rönsch ({69}), Frau Augustin, Jäger, Neumann ({70}), Dr. Unland, Fischer ({71}), Dr. Stark ({72}) und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Feldmann, Irmer, Hoppe, Dr. Weng ({73}), Frau Folz-Steinacker, Neuhausen und der Fraktion der FDP
Förderung der deutschen Sprache im Ausland
- Drucksache 11/8377 Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Redezeit von einer Stunde für die Debatte vor. - Widerspruch dagegen erhebt sich nicht. Dann ist so beschlossen.
Bevor ich die Aussprache eröffne, erteile ich dem Abgeordneten Lüder als Berichterstatter das Wort. Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In dem Bericht ist infolge der Eile leider ein Fehler enthalten, der hier, damit die Abstimmung nachher korrekt verläuft, im Sinne einer, wenn Sie so wollen, Parlamentskultur von vornherein klargestellt werden soll.
In der Drucksache 11/8114 - Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses - sind auf Seite 16 unter Buchst. c nur zwei Drucksachen aufgeführt. Zu ergänzen ist, daß der Ausschuß empfiehlt, auch die Drucksache 11/5470 abzulehnen. Dies ist in dem Protokoll auf Seite 19 des Berichts unter Ziffer 4 ausdrücklich dargelegt worden, so daß dieser Schreibfehler berichtigt werden muß, damit wir hier auch reinen Tisch bekommen, wenn wir uns schon über die Verabschiedung kulturpolitischer Anträge verständigen.
Danke schön.
Nun kann ich die Debatte eröffnen, indem ich Herrn Abgeordneten Neumann das Wort erteile.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit dem Jahre 1904 und den Debatten 1984, 1986 und 1989 ist dies die vierte Grundsatzdebatte zur Kultur in einem deutschen Parlament auf nationaler Ebene. Ich glaube nicht, daß das für das besondere Verhältnis und die Zuneigung dies€r Parlamente zur Kultur spricht. Insofern ist es zu begrüßen, daß wir, wenn auch in aller Kürze, hier heute wenigstens am letzten Sitzungstage dieser Wahlperiode einmal kurz über Kultur reden dürfen.
Meine Aufgabe ist es, zu zehn verschiedenen Vorlagen Stellung zu nehmen, und dies in neun Minuten. Dies wiederum bedeutet, daß es praktisch nur möglich ist, stichwortartig einige Überschriften aufzurufen.
Hinzu kommt ein Antrag der Koalitionsfraktionen zur Förderung der deutschen Sprache im Ausland, der heute hier verabschiedet werden soll, der nicht im Ausschuß war. In diesem Antrag - ich bin gebeten worden, dazu zwei Sätze zu sagen - geht es um die Verbesserung der Förderung der deutschen Sprache im Ausland. Vor dem Hintergrund des deutschen Einigungsprozesses, der umwälzenden Entwicklungen in den Ländern Mittel- und Osteuropas und des näherrückenden europäischen Binnenmarktes ergeben sich für den Bereich der deutschen Sprache neue Chancen und Herausforderungen. „Deutsch" - so heißt es in dieser Entschließung - „kann wieder ein wichtiges sprachliches Bindeglied des aufeinander zugehenden Ost- und Westeuropas werden. " Weil das so ist, wird in diesem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen gefordert, zur Förderung der deutschen Sprache mehr zu tun, eine Verbesserung der Förderungsinstrumentarien vorzunehmen und natürlich in diesem Zusammenhang, so habe ich das verstanden, auch im nächsten Jahr möglichst die Mittel im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik zu verstärken.
Meine Damen und Herren, im Mittelpunkt der gesamten Anträge steht ein Antrag der Koalitionsfraktionen zu den Grundsätzen und Zielen der Kulturpolitik generell. Dies ist ein umfassender Antrag, der Bilanz zieht über das Geschehene und der zu den wichtigsten Punkten, bei denen der Bund beteiligt ist, Zukunftsperspektiven aufzeigt. Da dieser Antrag in vielen Teilen identisch ist mit Ihrem Antrag, Herr Kollege Duve, dieser Antrag in der letzten Debatte schon andiskutiert wurde und darüber hinaus der Ihnen sehr nahestehende Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft, Olaf Schwencke, formuliert hat, zu diesem Antrag seien wir ausdrücklich zu beglückwünschen.
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Er, Schwencke, habe selten in einem politischen Antrag so ein breites Spektrum von Prioritäten formuliert gesehen, glaube ich, ist es nicht mehr nötig, auch die Opposition von der Qualität dieses Antrags zu überzeugen. Deshalb erspare ich es mir, im einzelnen darauf einzugehen.
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Meine Damen und Herren, wir haben diesen Antrag, den wir im Mai letzten Jahres eingebracht haben, natürlich überarbeiten müssen, weil die politische Wende in Deutschland in diesem Antrag damals nicht berücksichtigt werden konnte.
Ich möchte zwei Dinge kurz herausgreifen: Das eine ist das Deutsche Historische Museum, das andere ist das Haus der Geschichte; sind zwei große Projekte des Bundes, die bei dieser Diskussion natürlich nicht unberücksichtigt bleiben dürfen.
Was das Deutsche Historische Museum angeht, so hat es, glauben wir, durch die deutschlandpolitische Entwicklung zusätzliche Bedeutung gewonnen. Wir begrüßen, daß das Deutsche Historische Museum in dem alten Zeughausgebäude Unter den Linden, dem
Neumann ({2})
Haus der deutschen Geschichte der ehemaligen DDR, nun ein Domizil findet.
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Das entspricht zwar nicht den Vorstellungen der verschiedenen Kommissionen - insofern bleibt die Zielsetzung einer Verbesserung langfristig sicherlich auf der Tagesordnung -, aber ich meine, für die nächsten Jahre und auch im Hinblick auf die Investitionen, die für die größere Lösung notwendig wären, ist dies eine vertretbare Lösung, die wir unterstützen.
Weil dies so ist, Herr Präsident, möchte ich darum bitten, die Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Seite 16 unter B, wo es heißt: „dem Antrag auf Drucksache 11/5309 zuzustimmen", durch den Wortlaut zu ersetzen: „den Antrag auf Drucksache 11/5309 für erledigt zu erklären". Das ist im Innenausschuß irrtümlich nicht so geschehen.
Was das Haus der Geschichte angeht, so finden wir, daß es nach wie vor seine Berechtigung hat. Die Darstellung der Geschichte der Bundesrepublik, in die die Geschichte der ehemaligen DDR eingebettet ist und in die sie einbezogen werden muß, hat nach wie vor eine wichtige Funktion. Darüber hinaus wird das Haus der Geschichte ein zeitgeschichtliches Museum werden müssen,
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welches die weitere Geschichte der Bundesrepublik Deutschland unter musealen Gesichtspunkten begleitet.
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Meine Damen und Herren, ein ganz wichtiger Punkt der heutigen Debatte ist ein politisches Ziel, welches wir mit dem Ihnen zur Verabschiedung vorliegenden Kultur- und Stiftungsförderungsgesetz durchsetzen wollen. Der Kollege Vondran wird einige Anmerkungen dazu machen.
Ich möchte mich auf die steuerrechtlichen Verbesserungen beziehen. Wir haben in diesem Hause insgesamt immer wieder festgestellt, daß steuerpolitische Instrumente für die indirekte Kunst- und Kulturförderung unverzichtbar sind. Im Bereich des Vereinsförderungsgesetzes ist hier einiges geschehen.
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Heute unternehmen wir einen weiteren Schritt zur Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur, insbesondere für Stiftungen. Mit den vorgesehenen steuerlichen Maßnahmen wird ein Signal zur Ermutigung des privaten Engagements von Bürgern, Künstlern, Sammlern, Stiftungen und Mäzenen gegeben. Dieses Signal ist nicht zuletzt deshalb wichtig, um ein zusätzliches Instrument zur Erhaltung der Substanz wichtigen kulturellen Gutes in den neuen ostdeutschen Ländern zur Verfügung zu haben.
Natürlich muß, bezogen auf die Kulturpolitik in den 90er Jahren, das Hauptthema lauten: Wie erhalten wir Kultur und Kunst und deren besondere Substanz in dem Bereich der ehemaligen DDR?
Es gibt vieles, was in diesem Zusammenhang nicht zu erhalten ist, insbesondere was die staatliche Alimentierung von Künstlern angeht. Aber auf der anderen Seite gibt es auch vieles, was zu erhalten ist. Man macht sich mit Recht dort Sorgen. Es gibt eine breite Palette von Kultur in diesen neuen deutschen Ländern: allein 200 Theater, 700 Museen, 80 Orchester und viele Künstler, die nicht Helfershelfer des alten Regimes waren, sondern die auch unter schlechten Bedingungen künstlerisch Wertvolles geleistet haben.
Da stellt sich eben die Frage: Was können wir tun? Meine Fraktion meint, daß diese Aufgabe im Zentrum der Kulturpolitik von Bund und Ländern im jetzigen Jahrzehnt stehen muß.
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Natürlich ist Kultur Ländersache. von den insgesamt 9 Milliarden DM, die für die Kultur in der alten Bundesrepublik jährlich ausgegeben werden, werden 55 % von den Gemeinden, 40 % von den Ländern und 5 % vom Bund geleistet.
Man könnte es sich sehr leicht machen - das wäre verfassungsrechtlich völlig in Ordnung - und sagen: Die Erhaltung der Kultur haben die Länder und die Kommunen zu leisten, wohl wissend, daß die Länder nur wenig oder so gut wie kein Geld haben und daß sie deshalb die Kultur möglicherweise nicht als so wichtig betrachten können, wie es normalerweise nötig wäre.
Deshalb ist, so finden wir, auch der Bund aufgefordert, mindestens im Rahmen einer Anschubfinanzierung Hilfe zu leisten.
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Zu den kürzlichen Äußerungen des Kollegen Duve, daß auf diesem Gebiet nichts passiere, habe ich anläßlich der Sitzung des Deutschen Kulturrates vor kurzem schon festgestellt, daß bereits eine Menge geschieht. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, haben in Verbindung mit dem zuständigen Bundesministerium des Innern vor, nicht nur die 19,6 Millionen DM im Nachtragshaushalt 1990 zu befürworten - das ist ein Tropfen auf dem heißen Stein, wenn auch ein wichtiger Tropfen - , sondern bereits im Jahre 1991 im Hinblick auf Einrichtungen, die auf den Bund übergehen oder deren vorläufige Trägerschaft übernommen wird, und auch bei anderen Projekten, wo der Bund auf Grund der gesamtstaatlichen Bedeutung eine finanzielle Beteiligung vorsieht, ca. 300 Millionen DM zusätzlich in den Haushalt einzubringen. Darüber hinaus wollen wir für das nächste Jahr zusätzlich einen Feuerwehrfonds des Bundes von mehreren 100 Millionen DM einrichten mit dem Ziel, daß der Bund in den Bereichen, wo normalerweise die Länder zuständig sind, aber kein Geld da ist, einspringt.
Herr Abgeordneter, so erfreulich es sein mag, solche Trostpflaster überall zu verteilen, muß ich Ihnen dennoch sagen - es tut mir schrecklich leid - : Ich mache Sie seit geraumer Zeit darauf aufmerksam, daß Ihre Redezeit deutlich überschritten ist. Kommen Sie bitte zum Ende!
Ich sehe hier das rote Licht, aber das Rote übersehe ich gelegentlich - auch aus Bremer Erfahrung.
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Ich möchte zum Schluß folgendes sagen: Die Förderung von Kultur ist Ländersache. Ich habe gesagt: Der Bund wird im Rahmen der Anschubfinanzierung einen beträchtlichen Beitrag leisten müssen. Aber das kann nicht bedeuten, daß nicht auch die Länder, die ansonsten auf ihre Kompetenz im Länderbereich sehr erpicht sind, einen entscheidenden Beitrag leisten. Dazu möchte ich in diesem Hause unsere alten Bundesländer im Interesse der Erhaltung kultureller Substanz in den neuen deutschen Bundesländern ausdrücklich auffordern.
Vielen Dank.
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Nun hat der Abgeordnete Duve das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es wäre für die Menschen, die sich um die Kultur in der Ex-DDR sorgen, gut gewesen, wenn wenigstens einer der „8-Wochen-Minister" hier anwesend gewesen wäre, um seine Amtspflichten wahrzunehmen.
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Am 10. April 1982 schreibt Vaclav Havel in einem Brief an seine Frau von einer beklemmenden Lektüre. Er hatte einen Roman von Saul Bellow gelesen, und er bemerkt, der Held des Romans könne alles sagen und schreiben, was und worüber er wolle. Verblüfft stellt er fest, dieser ehemalige Romanheld verliert den Verstand unter den Bedingungen, in denen das Wort kein Gewicht mehr habe. Ihm fehle - ich zitiere jetzt wörtlich offenbar das, was in den kommunistischen Staaten nicht fehlt. Hier nämlich hat das Wort ein so großes Gewicht, daß man schwer dafür bezahlen muß. Das Wort, das nicht vom Leben garantiert wird, verliert sein Gewicht.
Das Wort kann also - so Havel weiter - auf zweierlei Weise zum Schweigen gebracht werden: entweder ihm ein solches Gewicht geben, daß niemand es auszusprechen wagt, oder es umgekehrt in Luft verwandeln, indem ihm jedes Gewicht genommen wird.
Es ist wohl nach meiner Überzeugung Aufgabe der Kulturpolitik in der offenen Demokratie, immer wieder nach Bedingungen und nach Maßstäben zu suchen, die weder die Leichtigkeit der Wörter unerträglich werden lassen noch die Menschen durch das Gewaltgewicht der Sprache zum Verstummen bringen.
Die Öffnung Europas hat die Kulturpolitik der westlichen Demokratien vor große Herausforderungen gestellt. Wie sieht die faszinierende und zugleich fremde Welt der zusammengebrochenen Staatskulturen aus, die sich aus dem Mißbrauch des europäischen Humanismus genährt hatten? Welche Verantwortung übernehmen wir hier, wo zentral die Werte, die unser
Grundgesetz im Art. 5 ausdrückt, eingeklagt werden?
Der Deutsche Bundestag zumindest ist für diese Herausforderung schlecht gerüstet. Wir klagen seit sieben Jahren ein parlamentarisches Gremium ein, um Kulturpolitik zu behandeln. Es ist uns und der Kultur verweigert worden.
Die Kulturpolitik der Deutschen steht in den 90er Jahren vor vier großen Herausforderungen: erstens den kultur- und medienpolitischen Aufgaben in den fünf Bundesländern, deren Kulturlandschaft zugleich die Kultur der alten DDR ist, zweitens der europäischen Dimension der Kulturpolitik, die durch den Binnenmarkt der EG gekennzeichnet sein wird, drittens der kulturellen Wiedervereinigung des gespaltenen Europa mit den Tschechen, den Ungarn, den Polen und den europäischen Völkern der Sowjetunion, und viertens der interkulturellen Wirklichkeit Europas. Über 13 Millionen Menschen nichteuropäischer Herkunft leben unter uns, sind Europäer geworden und prägen das kulturelle Bild Europas mit.
Meine Damen und Herren, diese vier Aufgaben gesamtstaatlicher Kulturpolitik können vom Deutschen Bundestag leider nicht angemessen behandelt werden. Regierungshandeln kann nicht, wie von der Verfassung vorgeschrieben, kontrolliert werden.
Wohl noch niemals seit 1945 haben weniger Bonner Beamte - sie können selber nichts dafür; man hat ihnen das sozusagen zudiktiert - eine so einzigartige Macht gegenüber der Kultur von Deutschen innegehabt wie zur Zeit die Mitarbeiter im Innenministerium, die über das künftige Schicksal der DDR-Kultureinrichtungen und der in ihnen arbeitenden Menschen befinden, und noch niemals war das Parlament so einflußlos wie jetzt.
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Wo die Kulturhoheit der Länder immer wieder beschworen wird, hat der Einigungsprozeß wenigen Mitarbeitern der Exekutive Funktionen übertragen, die weder verfassungsrechtlich noch kulturpolitisch zu verantworten sind. Wir hatten weder Beratungszeit, noch haben wir ein Beratungsgremium.
Wolfgang Thierse wird zur Lage in der ehemaligen DDR hier Stellung nehmen.
Ich persönlich möchte an dieser Stelle noch einmal sagen: Mich schaudert, wenn ich mir vergegenwärtige, wieviel unkontrollierbare Staatsmacht sich jetzt zusammenballt, um über das Schicksal von Kultur zu entscheiden, deren Hauptproblem 40 Jahre lang Staatsmacht war.
Die SPD hat immer gesagt: Laßt uns Zeit kaufen, damit in einem kulturell verantwortbaren, verantwortungsvollen Prozeß, der die Würde der Menschen respektiert, sich aussortiert, was aussortiert gehört. Weder die alten Bundesländer noch die Bonner Behörden können und dürfen sich zu „reeducation" -Programmierern machen lassen.
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Meine Damen und Herren, wir sollten alle beherzigen: Wir sind nicht die Amis der Ossis. Darum noch einmal: Gebt der Kultur in den fünf neuen Bundesländern drei Jahre Zeit! Laßt uns diese Zeit finanzieren! Sonst wird dieses Galoppjahr der Einigung nicht zu einer Stunde der glücklichen Geburt, sondern zu einer neuen schmerzenden Wunde. Wo ohne Diskussion die Bannerträger der DDR, die Blockparteien, ins Zentrum unserer Demokratie übernommen wurden, läßt man die Kultur im trüben Nebel des Verdachts und des Mitläufertums stehen. Die Paläste der Blockparteien stilisiert man zu Zentren der tapferen inneren Emigration, und Theater sind von der Schließung bedroht. Ich jedenfalls erinnere mich, daß vor der Öffnung der Mauer in Leipzig und Dresden weit mehr Künstler auf die Straße gingen als etwa Funktionäre der erwähnten Parteien.
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Meine Damen und Herren, der Deutsche Bundestag, der Bund insgesamt, muß im Benehmen mit den Ländern die Frage der geregelten Zuständigkeiten klären. Wir alle freuen uns, daß wir in das neue, größere Europa die gelebte Praxis des kulturellen Föderalismus einbringen. Er ist wichtig und vielleicht auch ein Beitrag dazu, dem aufkommenden Nationalismus in Ost- und Südosteuropa eine Perspektive zu vermitteln. Wo die Kultur von Regionen und kleineren Völkern respektiert wird, kann auch leichter die Kultur der bei ihnen und mit ihnen lebenden Minderheiten respektiert werden. Der machtpolitische Nationalstaat, der sich womöglich auch noch monokulturell begreift, darf im künftigen Europa keine Chance haben.
Das Erstarken des kulturellen Föderalismus, das wir begrüßen, darf aber nicht verkennen, daß wir auch einen gesamtstaatlichen kulturpolitischen, ich nenne das immer: Fokus, einen Brennpunkt, brauchen. Man kann uns nicht immer neidvoll bitten, den französischen Kultusminister, Jack Lang, zu einer Veranstaltung nach Hintertupfing einzuladen, und gleichzeitig das Feldgeschrei erheben, wenn wir uns auf der Bundesebene über grundsätzliche kulturpolitische Fragen unterhalten.
Damit komme ich zur Kulturpolitik in der Europäischen Gemeinschaft. Oft müssen wir ein und dieselbe kulturpolitische Fördermaßnahme gegenüber den Ländern als ausschließliche Wirtschaftsförderung deklarieren, damit sie nicht böse sind, und gleichzeitig sagen wir in Brüssel - im Falle der Filmförderung vor dem Europäischen Gerichtshof - , daß wir ausschließlich kulturelle Förderung gegenüber dem Film betreiben, die den EG-Regeln nicht unterworfen ist, also europäische Kulturpolitik.
Ich habe ein bißchen Schwierigkeiten gehabt, der Formulierung unseres Antrages zur europäischen Kulturpolitik in der gemeinsamen Fassung zuzustimmen, weil die Union unserer Formulierung von einer Neuorientierung in der kulturellen Ostpolitik nicht zustimmen konnte. Aber um des gemeinsamen Antrags willen werden wir das mittragen; Sie stimmen ja unserem Antrag zu.
Aber ich will hier noch einmal deutlich machen: Wir sind überzeugt, daß die ostdeutsche Kulturarbeit einer gründlichen und grundsätzlichen Revision unterzogen werden muß. Wir bedauern, daß es nicht zu der von uns angeregten Anhörung gekommen ist. Wir kündigen schon jetzt diese Anhörung für die nächste Legislaturperiode an.
Es kann nicht hingenommen werden, daß wir aller Welt im Zuge von Zwei plus Vier und im Rahmen der deutsch-polnischen Vertragspläne Behutsamkeit und gute, freundschaftliche Nachbarschaft signalisieren, während der Bund Organisationen finanziert, deren führende Vertreter nein zu Zwei plus Vier gesagt haben und heute erklären, sie würden alles daran setzen, die Endgültigkeit der polnischen Westgrenze, z. B. durch Aktivitäten in Schlesien, auszuhebeln.
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Herr Dr. Czaja und sein Nachfolger tragen eine Verantwortung für den Frieden zwischen Deutschen und Polen.
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Auch unser Begehren, einen europäischen Übersetzungsfonds zu gründen, der vor allem die Literaturen von bisher wenig oder kaum übersetzten Sprachen fördert, ist in dem Antrag leider abgeschwächt worden. Wir wollen einen Fonds bilden, der Verlage, die sich verpflichten, ukrainische, finnische, litauische, albanische oder andere Literatur herauszubringen, von den Mehrkosten der Übersetzung entlastet.
Natürlich unterstützen wir alle Anstrengungen des Goethe-Instituts und der anderen Mittlerorganisationen, der großen Nachfrage nach Begegnung mit unserer Sprache und Kultur zu entsprechen. Wir tragen auch die Maßnahmen mit, die im Antrag „Deutsche Sprache im Ausland" - das ist hier erwähnt worden - auch von meinen Kollegen Toetemeyer mitformuliert worden sind. Wir haben nur Bedenken gegen die allzu kräftige, zuweilen expansive, manchmal auch merkantil pompöse Sprache, mit der Teile dieses Antrages begründet worden sind. Das ist der Grund unserer Enthaltung.
Wir wollen heute aber auch, meine Damen und Herren, über die kulturpolitischen Aktivitäten des Bundes sprechen. Vielleicht ist es ganz gut und entspricht dem pluralistischen Kulturanspruch, wenn beide Anträge, Ihr Antrag und unser Antrag, hier zur Abstimmung stehen. Jeder kann die Unterschiede und natürlich auch hin und wieder die formulierten Gemeinsamkeiten erkennen.
Nun zum steuerrechtlichen Bereich der Kultur. Als Kind dachte ich immer: Irgendwann muß doch der Metro-Goldwyn-Mayer-Löwe losspringen, irgend etwas tun. Bei der Steuer hat es sieben Jahre gedauert. 1984 gab es das erste Papier im Innenministerium. Fast alles, was damals gefordert wurde, ist dann schon vorher abgefangen worden.
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- Da müssen Sie Herrn Baum fragen. Der war damals
für die Kultur zuständig und hat sehr, sehr viel für die
kulturelle Förderung durch den Bund in diesem Land getan. Ich danke Ihnen, Herr Baum, daß Sie das mit uns gemeinsam gemacht haben. ({7})
Nein, wir können diesem Paket so jetzt nicht zustimmen. Einige Bundesländer haben auch angemahnt
- ich höre, auch der Justizminister -, daß die Begrenzung der Spenden auf Beträge ab 100 000 DM verfassungsrechtlich bedenklich sei. Ich denke, daß es hier noch zu einer anderen Formulierung kommt, die auch kleinere Spenden begünstigen wird. Natürlich muß - das ist im Gesetz drin, und dabei bleiben auch wir - mit dieser Vermögenssteuerregelung verbunden sein, daß die Leute ihre Bilder auch wirklich ausstellen.
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- Es gibt, Herr Baum, keinen kulturpolitischen Grund, Vermögen, das in Bildern ruht, zu begünstigen, wenn es kulturpolitisch in keiner Weise außer der, daß das Bild von jemand besessen wird, begünstigt wird.
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- Eben. Ich lobe das ja auch ausdrücklich.
Ich will zum Schluß noch auf die beiden Museumsvorhaben zu sprechen kommen, die hier auch erwähnt worden sind. Plötzlich sagt der Direktor des Bonner Museums, er wolle gar nicht mehr nur das bisherige Museum machen, was ja jetzt dadurch seine Logik bekommt, daß 40 Jahre bundesrepublikanischer Geschichte mit dem 3. Oktober an ein gewisses Ende gekommen sind. Nein, jetzt stellt er in der Öffentlichkeit, von niemandem gefragt, etwas völlig anderes, in der Wissenschaft noch nie Diskutiertes dar, nämlich ein zeitgeschichtliches Museum, sozusagen einen abendlichen Lumpensammler der Zeitgeschichte, der Tagespolitik. Bevor sich zeitgeschichtliche Wissenschaft überhaupt mit etwas befassen kann, ist dieses regierungsnahe Institut Museum bereits dabei, die großen Ikonen der Macht sozusagen museal zu verwenden. Es ist jetzt die Katze aus dem Sack. Wir werden diese Idee des zeitgeschichtlichen Museums, das sozusagen immer hinter der Politik herrennt, nicht akzeptieren. Bisher ist dafür keine ausreichende Begründung gekommen.
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In Berlin ist mit dem Zeughaus jetzt eine Lösung gefunden worden. Natürlich steht Herr Professor Stölzl vor einigen unvorhergesehenen Problemen. Aber wir werden in der nächsten Legislaturperiode die Trägerkonstruktion dieses Museums wieder aufgreifen. Sie ist jetzt obsolet. Wir haben damals zugestimmt, daß eine GmbH konstruiert wird, weil eine andere Form den Berlin-Status angreifen würde. Der Berlin-Status ist jetzt weg, d. h., wir können ein ordentliches Gesetz machen und uns mit dem Museum auch parlamentarisch in anderer Weise befassen.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluß.
({11}) - Ich freue mich, daß Sie mir wenigstens dann Beifall klatschen. Das ist doch nett.
Günter Grass und viele andere haben uns in den letzten Wochen und Monaten gemahnt, mit der Höchstgeschwindigkeit dieses Jahres nicht mehr zu zerdeppern, als wir zusammenbringen wollen. Ich denke, daß diese Mahnung oft auch überzogen war, denn vieles muß jetzt zusammengebracht werden. Welche Bundesrepublik Deutschland wir morgen und übermorgen sein werden, wird mehr von der Kultur der Deutschen in diesen 90er Jahren abhängen, als von den politischen Schnellschneidern mit der heißen Nadel. Wird es gelingen, die Vielfalt unserer Kultur und die multikulturelle Wirklichkeit friedlich und in gegenseitigem Respekt zu entwickeln? Wen schließt - ich will jetzt nur ein Beispiel nennen - der Slogan „Wir sind ein Volk" aus von so vielen Mitbürgern, die da nicht ohne weiteres sagen könnten: „Da gehören wir dazu"?
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Unsere Nachbarn jenseits unserer Staatsgrenzen, aber auch unsere Nachbarn auf der anderen Straßenseite, die aus anderen Ländern stammen, beobachten uns sehr genau. Halten wir nicht für Bewunderung, was in Wahrheit Verwunderung und in einigen Fällen vielleicht bald wieder neue Verwundung sein könnte!
Ob die Kulturpolitik der Deutschen helfen kann, eine Kultur des Zusammenlebens zu ermöglichen, mitten in unseren Städten zwischen den Minderheiten, zwischen den Generationen und auch mit unseren Nachbarn in Osteuropa, das werden die nächsten Jahre zeigen. Chancen haben wir nur als zivile Gesellschaft. Die westliche Kultur hat in diesen Jahren keinen Sieg errungen, sondern ihre großen Prinzipien werden eingeklagt, von Millionen Menschen in der Ex-DDR, von Millionen Europäern im Ex-Reich Stalins, von Millionen Nichteuropäern mitten unter uns.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die von den Koalitionsfraktionen getragene Beschlußempfehlung ist ein umfassender Sachstandsbericht und eine Zukunftsperspektive, im Grunde ein wichtiger Teil eines künftigen Koalitionsprogrammes; das ist hier gesagt worden. Angesichts der Kürze der Zeit möchte ich nur auf wenige Punkte eingehen:
Wir stimmen dem Stiftungsförderungsgesetz zu. Es ist eine Fortentwicklung der steuerpolitischen Instrumente, die wir seit langem angemahnt haben. Mit den vorgesehenen weiteren sechs steuerlichen Maßnahmen wird ein Signal zur Ermutigung privaten Engagements gegeben, das notwendig ist.
Wir setzen uns nach wie vor für eine bedingungslose Vermögensteuerbefreiung für die Kunst ein, weil dieser bürokratische Mechanismus, der noch besteht, das eigentliche Ziel ins Gegenteil verkehrt.
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Wir haben hier nicht die Zustimmung bekommen, aber wir werden mit einer Entschließung auf die Sache zurückkommen.
Die Vereinigung Deutschlands macht deutlich, daß die Notwendigkeit gesamtstaatlicher Verantwortung wächst. Wir alle - auch in diesem Parlament - werden plötzlich für kulturelle Einrichtungen zuständig, die in der ehemaligen DDR gelegen sind. Wir sehen, daß in Kürze große Aufgaben zur Lösung anstehen. Die Vereinigung Deutschlands macht eine Neubesinnung auf die Kulturstaatlichkeit notwendig. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Kulturstaatlichkeit aus dem Grundgesetz abgeleitet. Das ist eben nicht nur eine Verpflichtung zur Freiheit der Kunst, sondern auch zur Schaffung von Rahmenbedingungen für kulturelle Tätigkeit.
Kulturstaat bedeutet, daß Kunst und Kultur nicht anderen Zielen untergeordnet oder gar dienstbar gemacht werden dürfen. Dies alles ist Verfassungsrechtsprechung. Ich meine aber, daß es an der Zeit wäre, daß der Gesetzgeber selber dies in die Verfassung hineinbringen sollte. Ich setze mich für ein Staatsziel Kulturstaat ein, wie das die von mir als damaligem Innenminister eingesetzte DenningerKommission als Vorschlag für Art. 20 des Grundgesetzes durch den Zusatz formuliert hat: Die Bundesrepublik Deutschland schützt und pflegt die Kultur. Wir sollten diese Auslegung, gerade weil es in Deutschland ganz neue Aufgaben gibt, nicht allein dem Gericht überlassen, sondern sie selber, durch eine Entscheidung zur Verfassung unterstreichen.
Diese Kulturklausel wäre im übrigen föderalismusneutral. Wir haben nicht die Absicht, die föderalistische Zuständigkeit zu ändern.
Wir sind auch der Meinung, daß die gewachsenen Aufgaben in diesem Parlament zum Ausdruck kommen müssen. Meine Partei setzt sich eindeutig für die Schaffung eines Kulturausschusses ein, der die verschiedenen Zuständigkeiten bündelt und sich dem Thema widmet.
Mit einer solchen Verfassungsergänzung würden wir auch dem Geist von Art. 35 des Einigungsvertrages gerecht. Dieser ist gut und muß jetzt ausgefüllt werden. Wir sind der Meinung, daß die Einheit Deutschlands eben nicht nur eine wirtschaftliche, finanzielle und soziale, sondern vor allen Dingen auch eine kulturelle Dimension hat. Diese ist beim Zusammenwachsen zweier Gesellschaften, die jahrzehntelang unterschiedliche Lebenserfahrungen gemacht haben, von besonderer Bedeutung.
Wir müssen zunächst mit Vorrang dafür sorgen, daß die kulturelle Substanz in der früheren DDR keinen irreparablen Schaden nimmt. Was einmal kaputtgegangen ist, läßt sich nur schwer wiederaufbauen. Art. 35 des Einigungsvertrages muß ausgebaut werden. In den neuen Bundesländern sind nahezu alle kulturellen Einrichtungen ohne sichere Zukunftskonzeption und ohne gesicherte Finanzierung.
Hier muß Abhilfe geschaffen werden. Der Bund muß einspringen. Über seine Zuständigkeit hinaus muß er wenigstens über einige Jahre eine Finanzierung garantieren können, und zwar in verschiedenen Bereichen. Einmal muß der traditionelle Kulturförderungsbereich, Herr Waffenschmidt, unser eigener, den Aufgaben gerecht werden können. Ein Mehrbedarf ergibt sich für Einrichtungen, die künftig von Bund und Ländern gemeinsam getragen werden, also etwa für die preußischen Sammlungen, die wieder zusammengeführt werden. Wir sind dann der Meinung, daß sich der Bund an Einrichtungen beteiligen muß, die in die Trägerschaft der Länder der früheren DDR übergehen. Ich meine beispielsweise die Einrichtung in Weimar. Schließlich gibt es eine Fülle von kulturellen Einrichtungen, die angesichts der mangelnden finanziellen Potenz der neuen Länder im Moment gar nicht finanziert werden können. Hier muß ein Feuerwehrfonds eingerichtet werden. Es werden erhebliche Summen erforderlich sein, etwa bis 1 Milliarde DM. Aber ich erwarte - ,wie andere hier auch -, daß die Länder ihren Beitrag leisten. Sie können sich aus der Verpflichtung zum Finanzausgleich nicht mit einem Butterbrot davonstehlen.
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Es ist im Grunde ihre Zuständigkeit, die wir hier stellvertretend wahrnehmen müssen.
Wir brauchen mittelfristige Kulturförderungspläne. Wir sollten uns hierzu des Sachverstandes der in Kultur und Kunst Tätigen in unserem Lande bedienen.
Wir fordern einen Kulturbeirat „Deutsche Einheit". Der Deutsche Kulturrat sollte hier maßgeblich beteiligt werden. Er ist einer der wichtigsten Sprecherorganisationen der Kultur in unserem Lande und hat sich in den letzten Monaten wieder wirklich bewährt, mit geringen Mitteln und einer geringen Zahl von Mitarbeitern.
Die deutsche Einheit als kulturelle Herausforderung und die europäische Vereinigung als kulturelle Dimension entsprechen dem Kulturstaatsgebot unseres Grundgesetzes. Die Kultur darf in Zeiten schwieriger struktureller Umstellungen und Anpassungen nicht unter die Räder kommen.
Aus unserer Entschließung möchte ich nur weniges hervorheben: Politik für Minderheiten. Wir anerkennen die Entwicklung eines neuen Kulturbegriffs. Wir sehen Fortschritte in der Verwirklichung des Hauses der Geschichte. Wir sind der Auffassung, daß die Kulturforschung intensiviert werden muß. Wir werden das Künstlersozialversicherungsgesetz weiter daraufhin beobachten, ob es den Bedürfnissen gerecht wird. Wir sehen mit Besorgnis, daß der Anteil des deutschen Films außerordentlich gering ist. Dazu gibt es Maßnahmen, die jetzt auch mit den neuen Fachleuten und Zuständigen aus der früheren DDR behandelt werden müssen. Die Kulturfonds haben sich gut bewährt. Sie sollten weiter ausgestattet werden. Das Denkmalschutzprogramm, die Bedeutung des Buches, Buch18768
preisbindung, Aktivitäten im Bereich der kulturellen Bildung, die Unterrepräsentanz von Frauen - angesichts der Kürze der Zeit kann ich das alles jetzt nicht ausführen.
Wir meinen, meine Damen und Herren, daß wir bei alledem nicht nur uns selber sehen sollten. Wir wollen und müssen in der Kulturpolitik über unser Land hinausblicken. Kunst und Kultur in Deutschland stehen in einem untrennbaren Zusammenhang mit der europäischen Kultur, und das ist eben nicht nur die westeuropäische, sondern auch die osteuropäische.
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Wir wollen, daß die Kultur zum Zusammenwachsen der Staaten und Menschen in Ost und West beiträgt. Die Aufbrüche in Mittel- und Osteuropa sind Ausdruck der kulturellen Gemeinsamkeit aller Völker in Europa. Es erfordert eine weitgefächerte Zusammenarbeit, um das Trennende zu überwinden.
Wir können manchen Gruppen in Osteuropa nur raten, die Identität nicht in der Wiederentdeckung oder Wiedererweckung eines abgestandenen konfliktgeladenen Nationalismus zu suchen, sondern in der kulturellen Identität ihrer Völker.
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In unserem Land war in den letzten Jahrzehnten oft zu beklagen, daß die Welt der Ideen weniger politische Aufmerksamkeit findet als Fortschritte in der materiellen Wirklichkeit. An diesem Tag finden wir nun eine gewisse Aufmerksamkeit, nämlich in der einzigen Kulturdebatte dieser Legislaturperiode. Wir als kulturpolitische Sprecher haben uns aber über die Grenzen der Fraktionen hinweg zusammengefunden. Wir werden beispielsweise am 22. November in einem informellen Gremium tagen, um mit der Bundesregierung zusammen diesen wichtigen Prozeß der Sofortmaßnahmen für die frühere DDR zu begleiten.
Meine Damen und Herren, wir finden diese Aufmerksamkeit jetzt etwas stärker als in früheren Zeiten. Es hat ja in den 70er Jahren einen Aufbruch in der Kulturpolitik des Bundes gegeben. Dieser Aufbruch wird jetzt fortgesetzt. Wir werden nicht locker lassen, die kulturpolitischen Anliegen hier zur Sprache zu bringen.
Kultur ist eine Dimension des menschlichen Lebens, die seine schöpferischen Möglichkeiten zur Geltung bringt. Ich meine, wir brauchen diese Dimension des menschlichen Lebens in diesen schwierigen, aber auch von Zuversicht geprägten Übergangszeiten.
Vielen Dank.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Vollmer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es in den letzten Monaten oft gemerkt: Wenn die Ökonomie drängt, muß die Kultur warten. Heute aber kommt sie auch im gesamtdeutschen Bundestag dran, sozusagen am letzten Tag. Kommt sie aber dran, die Kultur? Sie war ja in den letzten Jahren außerordentlich vielversprechend, die Kultur. Denken wir z. B. nur an den Fall der Mauer.
Die - die Mauer - war gewiß nicht nur ein Monument der Teilung. Sie war sinnfällig und anders betrachtet auch ein Kunstobjekt, eines, an dem sich basisorientiert und anarchisch Kunst ereignet hat.
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Der Fall dieser Mauer war in einem unmittelbaren Sinn kein Fall, sondern eine Zerlegung. Das größte Gemälde der Welt wurde in mehr oder weniger großen Brocken in alle Welt verkauft oder verschenkt. Die Mauer als Kunstwerk ist also nicht weg; sie ist woanders. Auch die Mauerästhetik, diese ganz spezielle Art des schnellen Malens, hat sich von der Mauer selber emanzipiert. Sie wurde, jedenfalls in Berlin, zu einer eigenen Kunstrichtung, von der nach Schätzungen von Experten zig Künstler leben können. Das wäre überhaupt einmal ein Thema: Kunst schafft Arbeitsplätze.
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Wieviel Arbeitsplätze hat z. B. Mozart geschaffen?
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Das künstlerische Schicksal der Mauer nach ihrem Fall ist eines der vielen Zeichen, die auf einen möglichen kulturellen Aufschwung durch das Ende der Teilung Deutschlands hindeuten. Überhaupt ist die Kulturnation das an der Nation, was mich immer als einziges überzeugt hat. Darauf hat Günter Grass schon immer hingewiesen.
In den ersten Tagen der Revolution gab es keinen Unterschied mehr - und das ist selten der Fall - zwischen der Kunst und dem Leben. Die Revolution war selbst ein solches Gesamtkunstwerk von großer Faszination. Joseph Beuys hätte seine königliche Freude daran gehabt.
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Dieses Kunstwerk des Volkes ging dann bald in andere Hände über - die daraus etwas zunächst sehr Künstliches machten, nämlich die staatliche Einheit.
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Nun ist es natürlich in zwei so verstaatlichten Gesellschaften wie der Bundesrepublik und der DDR unvermeidlich, daß der Staat im Zuge der Vereinigung irgendwann trotzdem wieder auf die Kultur stößt - so geschehen im Einigungsvertrag -, sozusagen auf die Kultur als Problem. Die kulturelle Substanz der ehemaligen DDR soll, so heißt es da wörtlich, „keinen Schaden nehmen". Und in Art. 35 heißt es sogar, die Mitfinanzierung dieses schönen Ziels durch den Bund „wird nicht ausgeschlossen". Das ist doch nett. Nur, was meint der Einigungsvertrag mit „kulturellen Substanzen" ? - Das klingt sehr nach Denkmälern, Museen und Monumenten. Deren Erhaltung soll also nicht ausgeschlossen werden.
Doch da ist noch diese fürchterliche Crux mit der DDR-Kunst, daß sie nämlich lebt. Keine Kunst ohne Künstler. Diese DDR-Künstler aber sind der wohligen
Westgesellschaft doch eher etwas lästig. Denn zum einen mußte man bei ihnen diese einheitsgefährdende Substanz namens „DDR-Identität" am ehesten vermuten, zum anderen sind sie alle verdächtig. Gegen sie, die DDR-Künstler, wird Anklage erhoben auf Grund ihrer bloßen Existenz als DDR-Künstler.
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Denn es gab nach dieser westdeutschen Lesart nur drei mögliche Verhaltensweisen für DDR-Künstler: a) Diese DDR-Künstler haben so heftig gegen das SEDRegime opponiert, daß sie nicht mehr DDR-Bürger waren, weil sie beizeiten rausgeschmissen wurden. Variante b): Sie haben so heftig opponiert, daß die künstlerische Tätigkeit ihnen unmöglich gemacht wurde, daß ihre Kunst dabei verdarb. Oder c) - und nun wird es heikel und der Westen, inklusive des westlichen Feuilletons, z. B. „FAZ", höchst moralisch - : Sie haben nicht heftig genug opponiert und sind darum mitschuldig und verdammenswürdig.
Der Schluß aus all dem, der u. a. an Christa Wolf öffentlich exekutiert wird, heißt: Wer in der DDR Anstand hatte, konnte kein Künstler sein. Wer ein Künstler war und in der DDR blieb, konnte darum unmöglich Anstand haben.
Solche moralinsaure Haltung ist natürlich wenig geeignet, eine Kulturnation - und dann auch noch einheitlich - entstehen zu lassen. Die konnte ja vorläufig nur die Konfrontation zweier zugleich fremder und doch ähnlicher Kulturen sein.
Bei einer solchen Ausgangslage verwundert es nicht, daß im ersten Ausführungsgesetz des Einigungsvertrags nun die Kultur der DDR vorwiegend durch ihre leichtere Verkäuflichkeit gesichert werden soll. So kriegt man die Kunstwerke der DDR ohne die Künstler, indem man letztere auf den Markt schmeißt. Da kommen sie genauso schlecht weg wie die anderen Ex-DDR-Menschen im freien Getriebe der Marktwirtschaft; nicht weil ihre Ware schlechter wäre, aber ihr Marketing ist es, und es fehlen weithin die berühmten Connections.
Darum brauchen Kunst und Kultur der ehemaligen DDR, gerade da, wo sie freischaffend sind, für einige Zeit - und darauf will ich hinaus - unsere besondere Förderung, jedenfalls dann, wenn man sich von der Kultur nach der Einheit mehr verspricht als die westliche Einheitskultur, mit einigen Exoten aus dem Osten angereichert.
Es gibt wirklich viele wunderbare Einrichtungen in der DDR, die erhalten werden müssen: Musik- und Artistenschulen, Theater und Kabaretts. Das alles kann von völlig verarmten Kommunen - und so werden die meisten DDR-Kommunen sein - nicht geleistet werden. Das braucht staatliche Förderung und Unterstützung, gerade jetzt.
({6})
Weil wir GRÜNEN nun einmal für Fortschritt auch der politischen Kultur sind, haben wir einen Antrag gestellt: Ost und West sollen in gleicher Weise verpflichtet werden, Kultur als Bürger- und Grundrecht und damit als Staatsziel in einer gesamtdeutschen Verfassung zu verankern.
({7})
So ein kleiner kultureller Fortschritt auch bei den staatlichen Grundlagen - das, finde ich, muß schon sein.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Thierse.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist sicher nicht nötig, hier den Inhalt des Memorandums des Kulturausschusses der Volkskammer nochmals zu referieren. Ich will nur an ihn erinnern und sagen, daß ich, daß wir Sozialdemokraten aus der ehemaligen DDR auch noch dazu stehen und daß ich mir wünsche, daß auch die Vertreter der anderen Parteien aus der ehemaligen DDR - hier fehlen sie - noch zu diesem gemeinsam gefaßten Beschluß stehen und sich auch hier in Gesamtdeutschland noch als wirkliche Interessenvertreter der Kultur in den fünf neuen Ländern verstehen. Selbstverständlich ist das ja nicht, aber es ist wirklich notwendig, denn die Kultur im östlichen Teil Deutschlands ist gefährdet. Sie ist so gefährdet, daß ich von einer geradezu dramatischen Wehrlosigkeit unserer Kultur sprechen möchte.
({0})
Diese Kultur ist erstens gefährdet durch eine existenzbedrohende Finanznot der Länder und Kommunen. Nahezu alle kulturellen Einrichtungen sind ohne finanziell sichere Gegenwart und Zukunft. Ein großer Teil der Künstler hat bisher keine wirkliche berufliche und soziale Perspektive. Ich brauche dies nicht weiter auszuführen; das Problembewußtsein ist in allen Parteien vorhanden.
Diese Kultur ist zweitens gefährdet durch ein Klima undifferenzierter, arroganter Urteile und unerträglicher Verurteilungen der Kultur in der DDR als DDR-Kultur, als SED-Kultur schlechthin, durch Diffamierungen der Intelligenz, der Intellektuellen als apologetische, als SED-hörige, als korrupte Intellektuelle. Die Angriffe auf Christa Wolf sind nur das bekannteste schlechte Beispiel falscher Auseinandersetzung.
({1})
Ich bin nicht gegen die kritische Auseinandersetzung. Im Gegenteil, ich habe bei verschiedenen Anlässen eine schonungslose Selbstkritik von uns selbst verlangt und eine öffentliche kritische Selbstreflexion unserer Geschichte und unserer Kultur eingefordert. Aber ich plädiere auch und entschieden für eine Differenzierung. Es gab nämlich ein richtiges Leben im falschen. Es gibt nämlich unerhört viel zu verteidigen, und zwar nicht nur Kulturinstitutionen, sondern vor
allem in und für Kultur engagierte Menschen. Ich habe unter ihnen gelebt.
({2})
Diese Kultur ist drittens gefährdet durch eine Tendenz bei den Kulturpolitikern, die kulturelle Praxis in der alten Bundesrepublik, ihre Strukturen und Finanzierungsmodelle, ihre kulturpolitischen Entscheidungsmechanismen und Organisationsformen als allein seligmachenden Maßstab anzusehen. Alles das, was in dieser Hinsicht in der bisherigen DDR bestand, ist dann schlecht, ist zu vernachlässigen, ist zu beseitigen. Dies ist eine zerstörerische Einstellung, die bei uns kulturpolitisch nur Tabula rasa erzeugen würde.
({3})
- Es gibt diese Einstellung unter genügend Kulturbürokraten.
Ich plädiere dafür, daß die deutsche Einigung insgesamt und insbesondere im Bereich der Kultur weniger ein Vorgang der Liquidation und mehr ein Prozeß des Zusammenwachsens ist, in dem Ablehnung und Annahme, Kritik und Schonung, Unterscheidung und Zusammenführung gleichermaßen eine Rolle spielen. Dies ist natürlich keine Frage des Geldes, sondern der Einstellung, der politischen Kultur im neuen Deutschland.
Aber natürlich muß auch ich kurz über die finanzielle Seite der Kulturpolitik reden. Notwendig ist - darin stimme ich mit meinen Vorrednern vollständig überein - für eine Übergangszeit eine stärkere Kompetenz und finanzielle Inpflichtnahme des Bundes zur Sicherung der Kultur in der ehemaligen DDR. Notwendig ist eine erhebliche Überbrückungsfinanzierung oder Notfinanzierung, wie es Kollege Baum zutreffend genannt hat, um eben mit Geld Zeit für unsere Kultur zu kaufen. Wir brauchen ein Moratorium für die Kultur in der ehemaligen DDR, damit nicht zu viel und vor allem nicht das Falsche verlorengeht oder zerstört wird.
({4})
Allerdings brauchen wir vielleicht weniger Geld für die großen Renommierprojekte, für die berühmten Kunstinstitutionen. Für die Semper-Oper z. B. läßt sich wahrscheinlich eher ein privater Sponsor finden. Wir brauchen jetzt vor allem eine Zwischenfinanzierung zur Rettung von Gefährdetem. Der Unterstützung bedürfen insbesondere die freien Träger und Gruppen, die sich bei uns erst in den letzten Jahren zu regen begannen, ebenso die Künstlerverbände, um deren einsetzende Demokratisierung zu stützen, ebenso der pädagogische Teil der Kultur, die Nachwuchsförderung und auch die betriebliche Kulturarbeit.
Wir brauchen - das ist gesagt worden - eine entsprechende Finanzausstattung für die Städte und die Länder. Wir brauchen eine Beteiligung der Kulturverbände und kulturellen Träger an der Konkretisierung der Vorhaben nach Art. 35 des Einigungsvertrages. Vor allem ist unverzichtbar die Beteiligung der kulturellen Öffentlichkeit an den Entscheidungen über finanzielle Förderungen, über Erhaltenswertes und vor allem über Nichterhaltenswertes in der Kulturlandschaft der ehemaligen DDR. Es darf nicht sein, daß darüber intime Runden von Ministerialbeamten aus dem Bundesinnenministerium und dem ehemaligen Ministerium für Kultur allein befinden. Die öffentliche Diskussion vor solchen Entscheidungen ist u. a. auch deshalb notwendig, weil sie ein wichtiger, unverzichtbarer Schritt des Demokratisierungsprozesses in der ehemaligen DDR und ihrer Kultur selbst wäre.
({5})
Wir fordern eine Prüfung, ob das Künstlersozialversicherungsgesetz so geändert werden kann, daß für einige Jahre für die Künstler in den fünf neuen Ländern die gleichen Regelungen wie für Berufsanfänger in der alten Bundesrepublik gelten können, um ihnen ein Existenzminimum zu sichern. Wir unterstützen den Vorschlag, im neuen Bundestag einen Kulturausschuß einzurichten, und wir unterstützen nachdrücklich den mehrfach geäußerten Vorschlag, in eine auszuarbeitende neue Verfassung ein Kulturgebot als Staatszielbestimmung aufzunehmen.
Ich appelliere an Sie: Geben Sie der Kultur in der ehemaligen DDR eine faire Chance - um des Reichtums der gesamten deutschen Kultur willen.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Herr Dr. Waffenschmidt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon gut, daß wir noch die Möglichkeit haben, nun in diesem ersten gesamtdeutschen Bundestag die kulturellen Aufgaben zu besprechen, weil ich der Auffassung bin, daß das vereinte Deutschland gerade im Kulturbereich eine wichtige Brückenfunktion in Europa und eine wichtige Aufgabe für das Zusammenwachsen in dem gemeinsamen europäischen Haus hat.
Wegen der Kürze der Redezeit möchte ich mich zunächst den Aufgaben, die hier angesprochen worden sind, in den fünf neuen Bundesländern zuwenden. Ich bin dankbar, daß hier schon erwähnt worden ist - insbesondere von den Kollegen Neumann und Baum - , daß der Art. 35 des Einigungsvertrages eine erstklassige Plattform ist, zu helfen, wo Hilfe notwendig ist. Der Bund ist hier in einer Treuhänderfunktion, damit wir den großen kulturellen Schatz, den wir gemeinsam zu pflegen haben und der uns aus den Gebieten der fünf neuen Länder zugewachsen ist, erhalten und pflegen können.
Nun wurden hier Schwierigkeiten aufgezeigt. Insbesondere von Ihnen, Herr Kollege Duve, und Ihnen, Herr Kollege Thierse, wurde teilweise ein Horrorgemälde entworfen, als würden intime Zirkel - diesen
Begriff habe ich aufgenommen - von Beamten im Innenministerium die Weichen stellen.
({0})
- Herr Thierse hat das so gesagt. - Das ist mit Nachdruck zurückzuweisen. Ich berichte jetzt in Stichworten. Die zuständigen Kolleginnen und Kollegen aus der Kulturabteilung des Innenministeriums
({1})
sind intensiv unterwegs mit den Verantwortlichen in den neuen Bundesländern. Wir haben dort schon Ministerpräsidenten. Wir haben Landtage. Wir hatten vorher von der Volkskammer bzw. der dort gewählten Regierung bestimmte politische Leitungen der Bezirke, mit denen wir gesprochen haben. Zum anderen haben wir - das haben Sie alle mitbeschlossen - eine Clearingstelle, wo die Minister der alten Bundesländer und die Vertreter der neuen Länder mit uns in der Bundesregierung beraten, auch über die Zukunft der Kultureinrichtungen. Da ich selbst zum Teil an den Beratungen teilgenommen habe, weiß ich, Herr Kollege Duve, daß da nicht nur Beamte sitzen. Dort sitzen parlamentarisch-verantwortliche Minister und Verantwortliche aus den verschiedensten Parteien, übrigens auch von Ihrer Partei.
({2})
Dort wird beraten und nicht in irgendwelchen intimen Zirkeln.
Das Dritte ist: Es sind Länderminister aus den Patenländern unterwegs, die ihren Patenländern insbesondere im kulturellen Bereich helfen.
Zusammengefaßt möchte ich sagen: Schon in dieser Übergangszeit ist eine Zuständigkeit geschaffen worden, die ihre Rückkopplung in den politisch-parlamentarischen Bereich hat. Das begrüßen wir und wollen wir ausbauen. Es geht nun darum, daß wir mit den Möglichkeiten, die uns gegeben sind - dem noch bestehenden Etat, den wir von der alten Regierung der ehemaligen DDR übernommen haben, mit neuen Mitteln aus dem 3. Nachtrag, mit zusätzlichen Bindungsermächtigungen für das Jahr 1991 und mit weiteren Mitteln, die wir als zuständiges Ministerium für den Etat 1991 erstreiten wollen - , die aktuellen kulturellen Aufgaben wahrnehmen. Es ist ganz wichtig, daß wir jetzt unterwegs sind, um vor Ort zu erspüren, wo dringender Bedarf ist.
({3})
- Bitte schön, Herr Kollege Duve.
Herr Staatssekretär, Sie haben von einer Reihe von Gremien und verantwortlichen Ministeriellen gesprochen, die das alles jetzt entscheiden. Nehmen an diesen Gesprächen, von denen wir kaum etwas wissen, auch die fünf Minister aus der ehemaligen DDR, die in der Volkskammer sehr viel verabschiedet hatten, für die Zukunft ihrer Kultur teil, und haben sie in der Geschäftsführung der Bundesregierung eine Verantwortung für diesen Bereich der neuen Verantwortlichkeit der Bundesregierung übernommen?
Ich kann das bestätigen.
({0})
Die fünf Minister, die Sie angesprochen haben, versammeln sich jede Woche einmal für mehrere Stunden, um die aktuellen Aktivitäten u. a. im kulturellen Bereich, aber auch in anderen Bereichen in den fünf neuen Bundesländern zu beraten. Darüber hinaus entwickeln sie eine Menge Eigeninitiativen in diesen Bereichen.
({1})
- Bitte schön.
Ich habe Sie jetzt so verstanden, daß diese fünf Minister sich zwar unterhalten und immer zusammensitzen.
({0})
Aber Sie haben meine Frage mit einem „u. a. im kulturellen Bereich" beantwortet, was ein Ausdruck dafür ist, daß meine Frage negativ beantwortet ist. Ich stelle also fest, daß diese Minister keine besondere Verantwortlichkeit zuerkannt bekommen haben, um sich jetzt mit dem kulturellen Schicksal der ehemaligen DDR zu befassen.
({1})
Ich stelle auf Ihre Frage hin ausdrücklich fest, Herr Kollege Duve, daß die Kernfragen des Aufbaus - kulturelle Aufgaben, Aufgaben des wirtschaftlichen Aufbaus, Aufgaben, die z. B. im Zusammenhang mit der Finanzausstattung der Länder und Kommunen in den fünf neuen Bundesländern stehen - sowohl in den bestehenden Fachressorts der Bundesregierung wie auch in dem Gremium, zu dem sich jede Woche unter Vorsitz von Minister Seiters die fünf Sonderminister und die Vertreter der fünf neuen Länder versammeln, besprochen werden. Das ist also eine sehr positive Antwort auf Ihre Frage.
Lassen Sie mich zusammenfassend noch auf dieses hinweisen: Wir haben auch den Kulturfonds, der im Bereich der Kulturarbeit der fünf neuen Bundesländer eine wichtige Rolle spielt, haben die Fonds, die wir in der alten Bundesrepublik hatten, mit zur Geltung gebracht, damit Künstler auch hier eine Hilfe erfahren können. Wir haben darüber hinaus vorgesehen, daß die gesamte Arbeit, die sich hier bewährt hat - ich darf in dem Zusammenhang einmal sagen, daß diese Wahlperiode mit wichtigen Erfolgen im kulturellen Bereich abschließt - , mit in die gesamtdeutsche Arbeit einbezogen wird.
Ich will hier nur in Stichworten sagen - Herr Kollege Duve, es wäre gut, wenn auch Sie jetzt zuhören könnten - :
({0})
Ich habe mit weit über 1 000 Bürgermeistern in den
fünf neuen Bundesländern über viele Stunden Ge18772
spräche über ihre Entwicklungsaufgaben vor Ort geführt. Ich halte das für wichtig, weil ja heute - ({1})
Ja, es waren fünf Konferenzen. In jeder Konferenz waren rund 200 Bürgermeister. Wir haben eine intensive Diskussion geführt. Ich finde es sehr gut, daß wir hier die aktuellen Aufgaben, auch die kulturelle Aufgabenstellung, vor Ort erörtert haben. Jedenfalls waren die dort verantwortlichen Landräte und Bürgermeister sehr dankbar. Es hilft den Menschen mehr, Herr Kollege Duve, mit ihnen vor Ort ihre aktuellen Anliegen zu besprechen, als theoretische Erörterungen darüber zu machen.
({2})
- Ja, es ist manchmal gut, wenn man es feststellt.
Meine Damen und Herren, diese Wahlperiode schließt mit Erfolgen ab, die wir auch in den kulturellen Initiativen in Bonn und Berlin, mit der Verstärkung der Denkmalschutzmittel, mit der Verstärkung der Kunst-, Kultur- und Literaturfondsmittel hier in der alten Bundesrepublik haben. Ich möchte Ihnen sagen: Es ist ganz besonders auch ein Anliegen des Bundeskanzlers Helmut Kohl selbst, aber auch der gesamten Bundesregierung, der dafür zuständigen Ministerien, wobei ich das Bildungsministerium ausdrücklich einbeziehe, daß wir diese kulturelle Arbeit zusammen mit den Ländern und den Kommunen, aber auch in der nationalen Verantwortung für kulturelle Aufgaben im vereinten Deutschland, weiter fortsetzen, mit den schrittweisen Erfolgen, die wir hier verzeichnen können und auch in dem Bewußtsein, daß wir als Kulturnation gerade im kulturellen Bereich eine große Aufgabe und eine Brückenbaufunktion im vereinten Europa haben.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Keller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Parlamente beschäftigen sich mit der Kultur meistens zwischen Tür und Angel und kurz vor Toresschluß. Es steht mir nicht zu, das zu kritisieren, ganz im Gegenteil. Die Volkskammer hat in sechs Monaten, obwohl wir einen sehr musisch interessierten Ministerpräsidenten hatten, zur Kultur überhaupt nicht getagt. Deshalb bin ich froh, daß wir uns in den wenigen Tagen, die wir hier sind, im Deutschen Bundestag mit Fragen der Kultur beschäftigen.
Es liegen eine Reihe von Vorlagen und Materialien vor, die ich mit großem Interesse zur Kenntnis genommen habe und von denen ich vielen sehr zustimmen kann. Ich bedaure - und das liegt am Zeitpunkt ihrer Ausarbeitung - , daß bestimmte Probleme der fünf neuen deutschen Länder keine ausreichende Berücksichtigung finden konnten.
Der Zentralismus ist aufgebrochen, aber die Länder sind auf den Föderalismus leider nicht ausreichend vorbereitet. Wenn die Abgeordneten der Sozialdemokratie von „Sachfragen" sprachen und Sie, Herr Staatssekretär, das als „Horrormeldungen" bezeichneten, muß ich Ihnen sagen: Diese Abgeordneten der Sozialdemokratie haben sehr solide Kenntnisse über das, was sich im Augenblick kulturell in den fünf Ländern vollzieht.
Meines Erachtens stehen drei Fragen an. Erstens ist das Problem der Finanzen zu nennen. Darüber ist viel gesprochen worden. Der Einigungsvertrag hat die Mitfinanzierung durch den Bund festgelegt. Ich glaube, daß dafür ein Zeitraum von mindestens vier Jahren nötig ist, um einen Kulturabfall zu verhindern. Ich weiß, daß es sich dabei um Größenordnungen handelt, die erschrecken lassen können.
Obwohl wir in den neuen fünf Ländern eine fast ähnliche Theaterstruktur wie in den bisherigen Ländern der Bundesrepublik haben, was die Anzahl der Theater und die Aufführungsquoten betrifft, subentionieren Sie in den bisherigen Ländern der Bundesrepublik die Theater bisher mit 2,4 Milliarden DM, während die Subventionshöhe in den fünf Ländern der ehemaligen DDR mit 500 Millionen DM festgelegt war. Wenn wir uns als deutsches Parlament gemeinsam für die Erhaltung kultureller Leistungen verantwortlich fühlen, kommen hier Aufgaben in Größenordnungen auf uns zu, die auch Konsequenzen für andere Bereiche haben werden.
Zweitens. Das Personal in den fünf Ländern ist auf den Föderalismus und auf die neue Handhabung der Kultur nicht ausreichend vorbereitet. Ich glaube, es wäre im Interesse der neuen fünf Länder sinnvoll, wenn eine Entsendung von Leitern, Kulturdezernenten und Mitarbeitern der Ministerien in beide Richtungen erfolgen würde. Ich glaube, es wäre sinnvoll, wenn ein Netz von Beratergremien entstehen würde, insbesondere zwischen den Städten und Ländern, wo bereits Verträge auf Zusammenarbeit abgeschlossen sind. Ich glaube auch, daß die Situation genutzt werden sollte, um die Erfahrungen in den fünf Ländern der ehemaligen DDR als Brücke zu Osteuropa und die Erfahrungen in den bisherigen Ländern der Bundesrepublik als Brücke zu Westeuropa zu nutzen.
Drittens steht vor allem das Problem der Zeit. Selbst gutgemeinte Ratschläge helfen nicht mehr: Wenn Theater kein Geld haben, können sie nicht mehr spielen; wenn Schulen kein Geld haben, können sie keine Studenten mehr ausbilden. Dann hilft nicht der Blick auf das Jahr 1991, sondern dann ist Hilfe im Augenblick und sofort nötig.
Ich stimme den Auffassungen sehr zu, die hier von anderen Parteien vorgetragen wurden, daß sich die Bundesrepublik Deutschland als Kulturgesellschaft versteht, was einschließen sollte, daß bei Beachtung der Prinzipien des Kulturföderalismus die Kulturklausel zur Sicherung der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland als Kulturstaat und der kulturellen Entfaltung aller Bürger als Staatsziel in das Grundgesetz aufgenommen werden sollte.
Ich stimme ebenfalls zu, daß es für die Arbeit sinnvoll wäre, wenn der Bundestag einen Kulturausschuß oder eine Arbeitsgruppe „Kultur" oder einen entsprechenden Unterausschuß hätte.
Da ich über Kultur sprach und meine Redezeit zu Ende ist, gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung. Ich weiß, ein Parlament ist kein Mädchenpensionat, und da fallen ab und zu einmal harte Worte. Aber mir scheint, hier fallen Worte, die uns als Parlamentarier nicht als sehr kulturvoll ausweisen. Wir sollten uns alle Mühe geben, dieses deutsche Parlament zu einem kulturvollen Parlament zu machen.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vondran.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kultur ist bei uns kein Kellerkind.
({0})
Das sollte eigentlich doppelt zählen, wenn einer aus dem finanzpolitischen Bereich das ausspricht. Die Kultur, Herr Kollege, hat bei uns ein gesichertes Wohn- und Lebensrecht in unserem Haus, und sie sollte freien Zugang zu allen Etagen haben. Ich hoffe, jedenfalls darin sind wir einig.
Die materielle Lebensgrundlage der Kultur -wenn ich diesen Begriff verwende, so schließe ich die Künste und die Wissenschaft in einem umfassenden Sinne mit ein - muß breit abgesichert werden. Vier Beteiligte wirken daran mit. Vielen fällt zuerst der Staat ein. Zu denen gehöre ich nicht.
Ich trete gern dafür ein, daß die öffentlichen Hände hier mittragen. Kultur ist für alle Bürger Lebenshilfe, Lebensmittel, Lebenskraft und in vielen Fällen sogar Lebensmitte. Das rechtfertigt es, von Staats wegen zu einer Grundausstattung beizutragen. Die Gefahren aber, die damit einhergehen, wird niemand übersehen. Der Bequemlichkeit und Gefälligkeit darf damit nicht Vorschub geleistet werden. Abhängigkeiten dürfen daraus nicht erwachsen. Der Staatskünstler kann nicht unser Ziel sein.
({1})
Auf der Suche nach Geld wird gern die Wirtschaft genannt. Einverstanden! Die Unternehmen haben eine Verantwortung, die über die eigene Bilanz hinausführt. So kann das Sponsoring eine gute Sache sein. Aber auch seine Grenzen sind deutlich. Es wirkt nach dem Prinzip „Leistung und Gegenleistung". Die Betriebswirtschaft bleibt nicht außen vor. Um der Werbekraft willen haben oftmals die Etablierten, die Medienstars, die Publikumslieblinge eher eine Chance als die Jungen, die Außenseiter, die Querdenker und Neuerer und all die anderen geistigen Unruhestifter, die für das kulturelle Leben so fruchtbar sein können.
Bei alledem sollten wir nicht übersehen: Wichtiger als Staat und Wirtschaft sind die Bürger selbst mit ihrer Nachfrage. Sie treffen die wichtigsten Entscheidungen darüber, ob Kultur bei uns eine materielle Grundlage hat. Ob sie sich für ein Bild oder für die Bahamas, für eine anspruchsvolle Ausbildung oder eine gemütliche Ausstattung, für ein Buch oder die zweite oder dritte Bockwurst mit Senf entscheiden, ist von allergrößter Bedeutung.
({2})
- Ja, die kulturellen Güter stehen im Wettbewerb untereinander, aber auch mit sehr profanen Angeboten. Sie müssen sich dem Markt stellen. Der Staat kann hier keine Order geben, aber er kann ermutigen. Er kann fördern. Er kann die Richtung zeigen. Das ist der Sinn des heute von uns vorgelegten Gesetzes.
Aber ehe wir das vertiefen - wir haben noch eine vierte Quelle, aus der Gelder in die Kultur fließen und viele Bereiche der Kunst und Wissenschaft mit Leben füllen: die Stiftungen. Ihre Leistungen sind bereits heute erheblich größer, als viele unter uns wissen. Jährlich stellen sie etwa 700 Millionen DM zur Verfügung. Das ist eine wertvolle Hilfe. Aber es ist, gemessen an den Aufgaben, auch im internationalen Vergleich, zuwenig.
({3})
Das vorgelegte Gesetz sucht viele Ansatzpunkte. Sie finden sich in fast allen wichtigen Steuergesetzen. Wir schlagen ein ganzes Bündel von Maßnahmen vor. Wir setzen viele Akupunkturmaßnahmen, regen an und schaffen auf diese Weise Bewegung und neues Leben.
Ein Gedanke verbindet alle Details. Wir wollen den Gemeinsinn der Bürger aktivieren. Er soll in eigener Verantwortung seinen Beitrag leisten. Wenn er das tut, soll er die stützende Hand des Staates finden. Der Bundeskanzler hat dies zu seinem sehr persönlichen Anliegen gemacht.
({4})
Hier von diesem Platz aus hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 18. März 1987 dazu bereits das Entscheidende gesagt.
Bundesinnenminister Schäuble hat das Thema weiter ausgeformt. Finanzminister Waigel hat ein offenes Ohr gehabt. Wir bringen heute gemeinsam diese Gedanken ins Ziel.
({5})
Am Beispiel der Stiftungen möchte ich das gern verdeutlichen. Stiftungen nehmen Aufgaben wahr, die vom Staat, der ja manchmal eine schwere Hand hat, nicht allein erfüllt werden können. Stiftungen sind die Absage an bürokratische Wasserköpfe, wo immer sie sich bilden. Große Einheiten bewegen sich vorsichtig, manchmal langsam. Stifter sind eigenwillige und entschlossene Leute. Sie gehen auch abseitige Wege. Das ist oft die Voraussetzung zum Erfolg. An dieser Kraft und Beweglichkeit lassen sie uns teilhaben. Einer der bekanntesten von ihnen, Kurt A. Körber, hat es so gesagt: „Ich will nicht Mäzen oder Wohltäter, ich will Anstifter sein." Stifter gehen voran, setzen Beispiele, andere folgen.
Konsens, meine Damen und Herren, ist etwas Gutes, aber er kann auch lähmen. Kompromisse haben in der Politik ihren Platz. In Kunst und Wissenschaft, im gesamten Kulturbereich taugen sie nicht. Hier schilt18774
ten sie zu. Hier können sie ersticken. Stifter sind unabhängig von Proporzdenken und Abstimmungsbemühungen. Sie sind Neuerer, sie bahnen Innovationen den Weg. Dazu ein Beispiel: Ein Stifter hat wohl den entscheidenden Beitrag dazu geleistet, daß eine Netzhautablösung nicht mehr zur Erblindung führt. Der Hermann-Wacker-Fonds ist vor 23 Jahren von einem Betroffenen, dem damals noch nicht geholfen werden konnte, errichtet worden.
Stiftungskapital ist Wagniskapital.
({6})
Unternehmer müssen sich gegenüber ihren Anteilseignern im Aufsichtsrat und in der Hauptversammlung verantworten. Ministeriale müssen dem Parlament und der breiten Öffentlichkeit gegenüber Rechnung legen. Stifter können freier auf Risiko und Chance setzen und auf diese Weise um so wirksamer sein. Stiftungen machen sehr persönliche menschliche Erfahrungen zum Motor des allgemeinen Fortschritts.
Dazu ein weiteres Beispiel: Im Jahre 1972 hat ein Fabrikant seinen Sohn durch Leukämie verloren. Seither kämpft der Fabrikant in einer Stiftung gegen diese Krankheit. Er tut es für andere. Während früher Leukämie bei Kindern unheilbar war, kann heute mehr als die Hälfte der so erkrankten Kinder gerettet werden. Das sind Erfolge eines Stifters.
Stiftungen sind Investitionen in die Zukunft. Sie sind die Alternative zum Konsum hier und jetzt. Das gilt in besonderem Maße dann, wenn sie über Stipendien und Förderpreise Ausbildungswege eröffnen, die sonst verschlossen wären, oder wenn sie künstlerische Reifeprozesse ermöglichen, die unter materiellem Druck nicht zustande kämen.
Stiftungen sind freiheitssichernd. Kennzeichnend dafür ist, daß Diktatoren Stiftungen nicht dulden. Auf gestiftetem Papier könnten ja die Verse oder die Theaterstücke in Druck gehen, die zum Einsturz von Gewaltherrschaft führen.
({7})
Herr Kollege, gestatten sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich bin kurz vor dem Ende meiner Ausführungen. Ich bitte um Nachsicht.
Soviel zum Beispiel der Stiftungen.
Der Gedanke, den zu honorieren, der eine besondere Leistung für die Gemeinschaft erbringt, zieht sich durch das gesamte Gesetzeswerk. Wir wollen die Möglichkeit schaffen, große Spendenbeträge steuerlich auf mehrere Jahre zu verteilen, und zwar sogar mit Rückwirkung. Wir wollen die Erben, die das Erworbene einer Stiftung übereignen, von der Erbschaftsteuer befreien. Wir wollen diejenigen, die ihre Kunstschätze der Öffentlichkeit zugänglich machen, von der Vermögensteuer freistellen. Wir wollen die Möglichkeit schaffen, Erbschaft- und Vermögensteuer durch Hergabe besonders wertvoller Kunstwerke zu tilgen. Wer sein Kind auf eine private Schule schickt und damit das öffentliche Schulwesen entlastet, soll die Ausgaben in begrenztem Umfang als Sonderausgaben geltend machen dürfen. - Ich muß mich auf diese Auswahl beschränken.
Die Anhörung hat ergeben, daß wir auf dem richtigen Wege sind. Es ist schade, daß sich die SPD gegen vieles, ja eigentlich gegen das meiste ausgesprochen hat und sich am Ende im Ausschuß nur zu einer Stimmenthaltung entschließen konnte. Wir hätten das gern gemeinsam gemacht. Nun tun wir allein - natürlich mit unserem Koalitionspartner - das Richtige.
Ich bedanke mich herzlich.
({0})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Voss.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Kultur- und Stiftungsförderungsgesetz, das wir heute hier abschließend beraten, übernimmt die Vorschläge der Bundesregierung aus deren Entwurf. Damit wird ein Versprechen eingelöst - der Kollege Vondran hat bereits darauf hingewiesen -, das der Bundeskanzler zuletzt in seiner Regierungserklärung vom 27. April 1989 für diese Legislaturperiode gegeben hat. Der Löwe von Metro-GoldwynMayer, Herr Kollege Duve, ist also gesprungen. Es ist aber, wenn Sie so wollen, nur der erste Sprung oder der erste Schritt; denn in der nächsten Legislaturperiode werden weitere Schritte folgen.
({0})
- Sie werden nicht regieren, Herr Kollege Duve.
({1})
Diese Befürchtung kann ich sehr leicht zerstreuen, wenn Sie mir das erlauben.
({2})
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang einige grundsätzliche Bemerkungen zu dem Erfordernis staatlicher Kulturförderung. Nach unserem Verfassungsverständnis sind Träger von Kunst und Kultur neben öffentlichen Institutionen in erster Linie unsere Bürger, Vereine und Verbände. Staatliche Aufgabe ist es jedoch, günstige Rahmenbedingungen zu schaffen und zu erhalten, unter denen sich künstlerisches Schaffen entfalten und kulturelles Leben fortentwickeln können.
Mit diesem Gesetz geben wir ein Signal zur Ermutigung privaten Mäzenatentums, indem wir privates Engagement unterstützen. Kulturelle Verantwortung soll möglichst aus der Eigenverantwortung des Bürgers erwachsen. Somit gilt es, privates Engagement von Bürgern, Künstlern, Sammlern, Stiftern und Mäzenen auch durch steuerliche Maßnahmen zu ermutigen.
Mit dem Kultur- und Stiftungsförderungsgesetz befinden wir uns auf dem richtigen Wege. Die breite Zustimmung, die der Gesetzentwurf von den Verbänden insoweit erfahren hat, darf als erfreuliches Zeichen dafür gewertet werden, daß das Signal verstanden worden ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Staatssekretär?
Bitte schön.
Herr Duve.
Herr Staatssekretär, ich will Ihnen jetzt dieselbe Frage stellen, die ich Ihrem Vorredner auch habe stellen wollen: Verstehen wir uns richtig, daß mit dieser notwendigen Förderung des kulturpolitisch engagierten Stifterwesens doch vor allem auch gemeint ist, die staatliche Aufgabenstellung in der Kulturpolitik zu ergänzen und nicht zu ersetzen?
Nicht zu ersetzen, sondern zu ergänzen. Genauso habe ich das gesagt, und so meine ich das auch. Die steuerlichen Rahmenbedingungen sind ja auch kein Ersatz, sondern eine Ergänzung.
Das Gesetz, meine Damen und Herren, erfüllt nicht alle Wünsche aus den Kreisen der Kulturpolitiker. Dem stand schon das Bestreben der Steuerpolitiker nach einem Zurückdrängen von Ausnahmeregelungen entgegen. Dennoch glaube ich, daß die bei den Beratungen im Finanzausschuß vorgenommenen Änderungen des Gesetzentwurfs beiden Gruppen Rechnung tragen. Der Mindestbetrag von Großspenden ist auf 50 000 DM festgelegt, damit also herabgesetzt worden. Damit können mehr Steuerpflichtige für eine solche Spende gewonnen werden, und das Spendenvolumen zugunsten von Stiftungen könnte sich erhöhen. Das Engagement der Wirtschaft im sozialen Bereich wird dadurch unterstützt, daß das Buchwertprivileg jetzt auch auf Sachentnahmen für mildtätige Zwecke ausgedehnt wird.
Nicht aufgegriffen wurde die generelle Befreiung von Kunstgegenständen von der Vermögensteuer, und, wie ich meine, meine Damen und Herren, aus guten Gründen. Denn Vermögensgegenstände können nicht allein deshalb, weil sie Kunstgegenstände sind, gegenüber anderen Vermögensanlagen bevorzugt werden. Auch die verfassungsrechtliche Voraussetzung für die Vermögensteuerfreiheit von Kunstgegenständen ist nicht erfüllt.
Der im Gesetzentwurf gewählte Weg, die Steuerbefreiung an die Bereitschaft, Kunstgegenstände auszustellen, zu knüpfen, scheint mir demgegenüber sinnvoller zu sein.
({0})
Wenn der Staat die Vermögensteuerfreiheit ohne Gegenleistung des Steuerpflichtigen gewähren würde, bestünde für diesen keine Notwendigkeit, die Kunstwerke und -sammlungen der Allgemeinheit zugänglich zu machen.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich für die konstruktive Arbeit aller beteiligten Ausschüsse bedanken und in den Dank auch alle Mitarbeiter einschließen.
In diesem Sinne, meine Damen und Herren, bitte ich um Ihre Zustimmung zu diesem für Kunst und Kultur so wichtigen Gesetz.
Ich danke Ihnen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen.
Tagesordnungspunkt 26a): Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Kultur- und Stiftungsförderungsgesetzes, Drucksachen 11/7584 und 11/8346.
Ich rufe die Art. 1 bis 8 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen von SPD und PDS und bei Gegenstimmen der GRÜNEN/Bündnis 90 sind die Vorschriften mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.
Ich rufe Art. 9 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/8369 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für diesen Antrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der PDS und Zustimmung der SPD und der GRÜNEN/Bündnis 90 ist der Antrag mit den Stimmen der Regierungsfraktionen abgelehnt.
Weiterhin liegt zu Art. 9 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP auf Drucksache 11/8383 vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung bei der Fraktion der SPD ist dieser Änderungsantrag mit Mehrheit angenommen.
Wer Art. 9 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 9 ist in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung angenommen.
Ich rufe Art. 10, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen bei ansonsten unterschiedlichem Stimmverhalten in zweiter Beratung angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Ich gehe davon aus, daß wir nach Annahme der Änderungsanträge unmittelbar in die dritte Beratung eintreten können. Erhebt sich dagegen Widerspruch?
- Das ist nicht der Fall.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltung der SPD und unterschiedlichem Stimmverhalten der Gruppe
Vizepräsidentin Renger
der PDS und der GRÜNEN/Bündnis 90 angenommen.
Der Finanzausschuß empfiehlt in seiner Beschlußempfehlung unter Ziffer 2, den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten inhaltsgleichen Entwurf eines Kultur- und Stiftungsförderungsgesetzes auf Drucksache 11/7584 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Reihe von Enthaltungen ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 11/8371. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei unterschiedlichem Stimmverhalten der Fraktionen auf der linken Seite des Hauses ist der Entschließungsantrag angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 auf Drucksache 11/8388. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei Enthaltung der SPD und einer Reihe von Gegenstimmen abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 26b, und zwar zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 11/8114.
Der Ausschuß empfiehlt unter Buchstabe A, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 11/4488 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt dafür? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei zahlreichen Enthaltungen und Gegenstimmen angenommen.
Entsprechend der vom Berichterstatter, dem Abgeordneten Neumann ({0}), vorgetragenen Berichtigung ist nun - entgegen Buchstabe B der Ausschußempfehlung - der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum Deutschen Historischen Museum in Berlin auf Drucksache 11/5309 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese geänderte Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die geänderte Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Frau Präsidentin! In der Beschlußempfehlung des Innenausschusses wird ausdrücklich zum Ausdruck gebracht, daß die SPD an ihrem Antrag auf Drucksache 11/5469 betreffend Grundsätze staatlicher Kulturpolitik festhält. Er müßte hier also noch einmal zur Abstimmung gestellt werden.
Ja, das ist richtig. Der Antrag kommt noch unter Buchstabe C zur Abstimmung.
Der Ausschuß empfiehlt unter Buchstabe C seiner insoweit mündlich ergänzten Beschlußempfehlung, die Anträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/5469 und 11/5470 abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der GRÜNEN/Bündnis 90 ist die Beschlußempfehlung mit Mehrheit angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt weiterhin unter Buchstabe C, den Antrag der Fraktion Die GRÜNEN auf Drucksache 11/5487 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der SPD und Gegenstimmen der GRÜNEN/Bündnis 90 sowie der PDS ist die Beschlußempfehlung mit Mehrheit angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt schließlich, die Anträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/6265 und 11/6593 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 26 d, zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 11/8069. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6625 in geänderter Fassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung ist die Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit angenommen.
Zusatztagesordnungspunkt 20: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 11/8377 betreffend Förderung der deutschen Sprache im Ausland. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen ist dieser Antrag mit Mehrheit angenommen. -- Damit ist dieser Komplex erledigt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Matthäus-Maier, Schmidt ({1}), Poß, Adler, Bachmaier, Becker, Inglau, Blunck, Dr. Böhme ({2}), Börnsen ({3}), Bulmahn, Catenhusen, Conrad, Dr. Diederich ({4}), Diller, Egert, Esters, Faße, Fuchs ({5}), Fuchs ({6}), Ganseforth, Gilges, Dr. Götte, Hämmerle, Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Huonker, Jungmann ({7}), Kastner, Kastning, Kühbacher, Kuhlwein, Luuk, Dr. Mertens ({8}), Müller ({9}), Nehm, Odendahl, Oesinghaus, Opel, Peter ({10}), Purps, Renger, Reschke, Rixe, Schmidt ({11}), Schmidt ({12}), Schulte ({13}), Seuster, Sieler ({14}), Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Dr. Sonntag, Wolgast, Steinhauer, Dr. Struck, Terborg, Dr. Timm, Waltemathe, Walther, Dr. Wegner, Weiler, Westphal, Weyel, Wieczorek ({15}), Dr. Wieczorek, WieczorekZeul, Wittich, Zander, Ibrügger, Jaunich, Leidinger, Kolbow, Müller ({16}), Bernrath, Zumkley, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Für einen kinderfreundlichen, gerechten, einfachen und finanziell soliden Familienlastenausgleich
- Drucksachen 11/6751, 11/8344
Abgeordnete Poß Frau Will-Feld
Im Ältestenrat ist für die gemeinsame Beratung eine Stunde vereinbart worden. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und teile mit, daß der Herr Abgeordnete Hüser darum bittet, seine Rede zu Protokoll geben zu dürfen. Ist das Haus damit einverstanden?
({0})
- Mit der erforderlichen Mehrheit ist das so genehmigt.*)
Das Wort hat die Abgeordnete Frau MatthäusMaier.
({1})
Das hätten Sie gerne, daß ich meine Rede zu Protokoll gebe; das Thema ist Ihnen unangenehm. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als vor einem halben Jahr der Antrag der SPD „Für einen kinderfreundlichen, gerechten, einfachen und finanziell soliden Familienlastenausgleich" hier im Bundestag in erster Lesung behandelt wurde, haben die Redner der Regierungsparteien noch lautstark gegen unsere Forderung polemisiert, ein einheitliches Kindergeld in der Höhe von mindestens 200 DM pro Monat vom ersten Kind an einzuführen.
Der finanzpolitische Sprecher der CDU/CSU, Herr Glos, verstieg sich damals sogar zu der Behauptung, nach ständiger Rechtsprechung des Karlsruher Gerichtes verstoße unsere Kindergeldlösung gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes.
Herr Glos, Sie haben zu früh lamentiert; denn nur sechs Wochen später mußte nicht nur Herr Glos, sondern auch die gesamte Bundesregierung sich von der obersten Rechtsinstanz eines Besseren belehren lassen. In zwei Beschlüssen vom Mai und Juni 1990 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß der von der Bundesregierung 1983 geschaffene Familienlastenausgleich mit einkommensabhängig gekürztem Kindergeld für die Jahre 1983 bis 1985 verfassungswidrig ist, da dadurch ein steuerfreies Existenzminimum für Kinder nicht gewährleistet sei.
Damit hat die Regierung Kohl Jahr für Jahr seit ihrem Regierungsantritt den Familien eine viel zu geringe Entlastung für ihre Kinder gewährt. Sie hat den Familien mit Kindern in eklatanter Weise das verwehrt, was ihnen verfassungsrechtlich zusteht.
({0})
Meine Damen und Herren, in Ihrem Wahlprogramm heißt es:
Im Mittelpunkt unserer Politik steht die Familie. Wir wollen eine familien- und kinderfreundliche Gesellschaft.
*) Anlage 4
Tatsächlich liegen aber zwischen Ihren Worten und Ihren Taten wieder einmal Welten.
({1})
Nach dem Bekanntwerden der Beschlüsse hat sich der Bundesfinanzminister monatelang um eine Stellungnahme herumgedrückt, und von der Familienministerin - das sind wir schon lange gewohnt - war bis heute gar nichts zu hören. Das stelle man sich einmal vor: Beim Kindergeld und beim Kinderfreibetrag taucht die Dame wieder ab!
Erst nachdem die SPD Berechnungen vorgelegt und darauf hingewiesen hatte, daß die Bundesregierung eine Prozeßlawine großen Ausmaßes riskiere, wenn sie nicht unverzüglich handle, hat die Bundesregierung kalte Füße bekommen und zugegeben, daß etwas getan werden muß.
Sie gestatten eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger?
Ja.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, sind Sie sich eigentlich bewußt, wie merkwürdig eine derartige Kritik an der CDU/CSU aus dem Munde der Vertreterin einer Partei klingt, die in ihrer Regierungszeit nicht nur die Kinderfreibeträge abgeschafft, sondern auch das Kindergeld jahrelang um keinen einzigen Pfennig erhöht hat?
({0})
Wir haben, um es klar zu sagen, den Kinderfreibetrag durch die Einführung des für alle gleich hohen Kindergeldes im Jahre 1975 ersetzt.
({0})
- Selbstverständlich haben wir in den 13 Jahren sozialliberaler Koalition das Kindergeld mehrfach angehoben.
Aber ich gebe Ihnen gerne darin recht, daß von 1975 bis heute, unter unserer wie unter Ihrer Regierung, das Kindergeld für das erste Kind nicht angehoben worden ist. Das habe ich selber immer wieder bedauert.
Statt aber nun ein konkretes Konzept für eine Neuregelung des Familienlastenausgleichs vorzulegen, haben Finanzminister Waigel und Staatssekretär Voss mit den unterschiedlichsten Äußerungen für erhebliche Verwirrung bei den Familien gesorgt. Herr Voss hat insbesondere dargelegt, daß die gebotene Steuerfreistellung des Existenzminimums von der Haushaltslage abhängig gemacht werden soll. Aber, Herr Voss, ich bitte Sie, davon Kenntnis zu nehmen, daß das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 29. Mai ausdrücklich festgestellt hat: Der Finar z-bedarf des Staates ist nicht geeignet, eine verfassungswidrige Steuer zu rechtfertigen. Deswegen fordern wir, daß Sie sofort Klarheit herstellen und handeln.
Zu dieser Klarstellung gehört auch, daß Sie sagen, was für die Zeit von 1983 bis heute geschieht. Sie treiben hier ein Verwirrspiel mit den Familien. Eltern, die
auf das Recht vertraut und immer pünktlich ihre Steuern bezahlt haben, wissen immer noch nicht, ob sie eine Nachzahlung bekommen. Manchmal heißt es: ja; manchmal heißt es: ein bißchen; dann heißt es wieder: nein, keine Nachzahlung; dann heißt es: Wir können es nicht bezahlen.
Meine Damen und Herren, wir befürchten, daß nach Ihren bisherigen Äußerungen nur der clevere, der gut informierte Bürger, der mit Hilfe eines gut bezahlten Steuerberaters seine Steuerzahlung über Jahre verschleppen kann, jetzt in den Genuß einer Nachzahlung kommen soll. Wollen Sie denn wirklich, daß durch diese Verunsicherung das Vertrauen der Bürger in die Rechtsstaatlichkeit Schaden nimmt?
In unserem Lande haben wir eine vergleichsweise hohe Steuermoral. Wenn die Menschen aber das Gefühl haben, ich brauche nur möglichst lange meine Steuerzahlung hinauszuzögern, oder aber ich lege ununterbrochen Einspruch ein, und nur in einem solchen Falle ist mir die Rückzahlung bei einer Entscheidung aus Karlsruhe gewiß, wird das ganz sicher das Vertrauen der Menschen erschüttern. Wollen Sie denn wirklich, daß die Menschen in Zukunft ihre Steuerzahlungen alle so lange wie möglich hinauszögern, oder wollen Sie wirklich, daß die Eltern künftig grundsätzlich Einspruch gegen ihre Steuerbescheide einlegen?
Ich meine, diese Eltern haben offensichtlich nach der bisherigen Rechtslage keinen juristischen, aber doch wohl einen moralischen Anspruch darauf, daß auch sie rückwirkend berücksichtigt werden.
({1})
Meine Damen und Herren, wenn Sie schon kein eigenes Konzept vorlegen - bis heute nicht - , dann stimmen Sie doch wenigstens unserem Konzept zu! Unser Konzept ist klar und einfach: Wir sind der Ansicht, jedes Kind muß dem Staat gleich lieb und damit auch gleich viel wert sein. Der heutige steuerliche Kinderfreibetrag führt dazu, daß ein Höchstverdiener im Monat davon einen Steuervorteil von 134 DM im Monat hat, der Bezieher eines kleinen Einkommens aber nur einen Steuervorteil von 48 DM.
Jeder Bürger, der sich seinen gesunden Menschenverstand und ein Empfinden für soziale Gerechtigkeit bewahrt hat, meint, in diesem Beispiel seien die Zahlen vertauscht worden, daß er mit dem kleinen Einkommen 134 DM und der mit dem großen Einkommen 48 DM bekommt. Nein, meine Damen und Herren, es ist genau umgekehrt: Je mehr man verdient, um so höher ist die Steuerentlastung.
Unser Gegenkonzept ist ein gleich hohes Kindergeld, wie wir es 1975 eingeführt haben, das Sie rückgängig gemacht haben.
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Kollegin?
Frau Kollegin, um Ihr Wort von dem gleich hohen Kindergeld aufzunehmen: Ist Ihnen bewußt, daß ein Kindergeld in Höhe von 200 DM für den Niedrigverdiener bei einer Einstiegsprogression von 19 % 238 DM brutto ist, daß aber für den Spitzenverdiener mit einer Progession von 53 % dieser Betrag ungefähr bei 348 DM liegt? Würden Sie mir damit zustimmen, daß Sie die Progressionswirkung, bei welcher Konstruktion auch immer, nie beseitigen können, daß Sie bei einer steuerlichen Regelung immer in Betracht ziehen müssen, daß wir nun einmal die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit haben und daß Sie nur dann zu einer völligen Angleichung kommen würden, wenn Sie darauf verzichteten, eine Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit vorzunehmen?
Herr Uldall, die Frage ist mir gut bekannt, weil sie bei jeder dieser Diskussionen auftaucht. Wenn Sie das, was Sie sagen, konsequent meinen würden, wäre die Antwort, daß die Bezieher kleiner Einkommen ein sehr viel höheres Kindergeld bekommen müßten als die Bezieher großer Einkommen. So weit gehen wir aber gar nicht, da dies zu verfassungsrechtlichen Problemen führen könnte. Außerdem ist hierfür keine Mehrheit da.
Aber ich frage Sie: Wenn es so ist, wie Sie es beschreiben, was können Sie denn dagegen haben, daß das Kind eines jeden Staatsbürgers dem Staat gleich viel wert und damit auch gleich teuer ist? Was kann man eigentlich dagegen haben, daß, wenn Herr Flick
- so er denn ein Kind hat - für sein Kind 200 DM bekommt, auch der Fahrer von Herrn Flick mindestens 200 DM bekommt.
({0})
- Ich bitte um Entschuldigung. Sie wollen durch kompliziertes Hin- und Herrechnen von der Tatsache ablenken: In diesem Lande bekommt der Höchstverdiener, verdeckt durch ein kompliziertes Steuerrecht, für sein Kind fast dreimal so viel an Steuerentlastung wie die Bezieher kleiner Einkommen. Dies lehnen wir Sozialdemokraten ab.
Wenn Ihnen das noch immer nicht gefällt, dann stimmen Sie doch wenigstens unserem Vorschlag von 200 DM zu! Was spricht denn dagegen, Herr Uldall? Kommen Sie nach hier oben und sagen Sie: Da haben wir uns geirrt und waren bisher ungerecht; wir stimmen Ihren 200 DM zu. - Das ist einleuchtend, das ist überzeugend, und sofort haben wir eine Mehrheit in diesem Hause.
({1})
Meine Damen und Herren, die Familienpolitiker der Union haben vor einigen Tagen Vorschläge gemacht, nämlich zum Teil das Kindergeld und zum Teil die Kinderfreibeträge weiter anzuheben. Die Kosten schwanken je nach Modell zwischen 7 und 12 Milliarden DM.
Herr Hoffacker, gerade Sie haben das Modell vorgetragen. Ich warne insbesondere die Familienverbände in diesem Lande, auf das Spiel hereinzufallen. Wir kennen seit Monaten und Jahren von Ihnen denselben Trick: Die Familienpolitiker lassen sich eine Menge Dinge zur Verbesserung der Situation der Familie einfallen, und Herr Waigel sagt immer: Finanzierungsvorbehalt, ich habe kein Geld. Das heißt, mit
der einen Stimme werben Sie bei den Familienverbänden, und mit der anderen Stimme wird nein gesagt. Dieses Spiel mit verteilten Rollen wird Ihnen diesmal nicht gelingen, meine Damen und Herren.
({2})
Unser Konzept, mindestens 200 DM Kindergeld für alle Kinder vom ersten Kind an, ist nämlich zwischen den Familienpolitikern, den Sozialpolitikern und den Finanzpolitikern abgestimmt. Das ist der Unterschied zwischen uns und Ihnen.
({3})
Unser Modell ist solide finanziert. Warum? Weil wir den ungerechten Kinderfreibetrag bei der Steuer gleichzeitig durch eine Anhebung des Kindergeldes ersetzen. Gerade weil Sie in den öffentlichen Kassen genausowenig Geld haben wie wir, frage ich Sie: Kann Sie denn nicht wenigstens das finanzielle Argument davon überzeugen, daß die ungerechten Kinderfreibeträge abzuschaffen sind?
({4})
Dann haben wir das Geld, um das Kindergeld auf mindestens 200 DM anzuheben, solide finanziert, und es ist gerecht und außerdem für jeden Bürger einleuchtend.
({5})
Sie halten uns immer entgegen: Kinder müssen bei der Steuer berücksichtigt werden. Das gehört ausdrücklich zu unseren Vorschlägen. Wir sind der Ansicht, daß diese 200 DM Kindergeld unmittelbar von der Steuerschuld abgezogen werden, so daß, wenn zwei Arbeitnehmer z. B. nebeneinander am Fließband stehen, derjenige, der zwei Kinder hat, 400 DM weniger Steuern zahlt als der, der keine Kinder hat.
Meine Damen und Herren, ich warne Sie. Sie wollen auch in dieser Frage über den 2. Dezember hinwegkommen, in der Hoffnung, entweder, wenn Sie nicht drankommen, berührt es Sie nicht mehr, oder aber, wenn Sie drankommen, daß Sie den Menschen dann vorher verschwiegen haben, was Sie mit ihnen vorhaben. Wir bedauern das sehr. Wir werden in dieser Frage nicht lockerlassen. Hier bestünde eine große Chance, insbesondere wenn ich mir hier den Arbeitnehmerflügel in der CDU ansehe
({6})
- ja, Ihr Arbeitnehmerflügel ist nämlich exakt unserer Ansicht; er hat bei Ihnen nur nichts zu sagen - , für eine gerechte, soziale
({7})
und einfache Lösung einzutreten, die da heißt: Vom ersten Kind an mindestens 200 DM pro Monat.
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
({8})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Will-Feld.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich habe nicht die Möglichkeit, Frau Matthäus-Maier, um Ihnen jetzt im einzelnen antworten zu können, weil meine Zeit auf 15 Minuten beschränkt ist.
({0})
Aber lassen Sie mich vorweg eines sagen. Sie sagen, Jahr für Jahr hätten wir zu wenig gegeben. Wir haben in den letzten Jahren 20 Milliarden DM für den Familienlastenausgleich zur Verfügung gestellt.
({1})
Sie sagen weiter, von 1983 bis 1985 - das Bundesverfassungsgerichtsurteil beschränkt sich auf diesen Zeitraum - würden wir das Vertrauen in den Staat erschüttern. Sie, Frau Kollegin, zerstören dieses Vertrauen, denn Sie als Fachkundige wissen sehr genau, daß rechtskräftige Steuerbescheide Rechtssicherheit bedeuten sollen. Wenn Sie nun wie ein Handlungsreisender von Haus zu Haus ziehen und die Unzufriedenheit erzeugen,
({2})
dann, sage ich Ihnen, Frau Kollegin, schaffen Sie mehr Negatives als vorher.
({3})
Ich wollte mich heute bei meiner letzten Rede sehr ruhig verhalten, aber als ich die Presseberichte gelesen habe „Familienpolitische Versprechungen der Union - ein Trick" habe ich mich auch ein ganz klein bißchen aufgeregt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte schön.
Frau Matthäus-Maier.
Frau Will-Feld, geben Sie mir recht, daß ich hier festgestellt habe, daß juristisch die Lage klar ist - das steht so im Bundesverfassungsgerichtsgesetz - , aber daß ich nicht von Haus zu Haus ziehen muß, was mir auch schwerfallen würde, damit die Menschen merken, daß hier eine große Ungerechtigkeit geschähe, wenn es so käme, daß wirklich nur die, die ihre Steuerzahlung über Jahre hinausgezögert oder aber Einspruch eingelegt haben, also nur die Cleveren, mit einer Rückzahlung bedacht würden und alle anderen nicht? Glauben Sie nicht, daß man dafür die Menschen nicht aufhetzen muß, sondern daß das nicht jeder Gerechtdenkende von selbst so empfindet?
Frau Kollegin, ich will Ihnen nur einen Satz sagen - ich gehe auf Einzelheiten noch in meiner Rede ein - : Geklagt beim Bundesverfassungsgericht haben keine klugscheißerischen Steuerberater, sondern geklagt haben Sozialgerichte.
Im Grunde genommen ging es bei diesem Verfassungsgerichtsurteil um etwas ganz anderes. Es ging um die Kappung des Kindergeldes. Da hat das Bundesverfassungsgericht die Gelegenheit benutzt, uns allen - allen Parteien; das gebe ich Ihnen gerne zu - einiges ganz heftig ins Stammbuch zu schreiben.
Nun will ich einiges zu ihrem Antrag sagen. Sie sagen, Ihr Antrag enthalte einen kinderfreundlichen und finanziell soliden Familienlastenausgleich. Ich glaube, daß schnell Einigkeit darüber zu erzielen ist, daß der Familienlastenausgleich weitergeführt werden muß. Das Bundesverfassungsgericht hat uns dies ja auch vorgeschrieben.
Der Gesetzgeber darf aber Bezieher höherer Einkommen nur in einer Weise stärker besteuern - auch das hat das Bundesverfassungsgericht gesagt - , die zugleich der horizontal gleichmäßigen Besteuerung Rechnung trägt. Darauf, ob die 200 DM Kindergeldlösung, die Sie vorschlagen, dem als einfache Regelung Rechnung trägt, werde ich noch in einem anderen Zusammenhang zurückkommen.
Auch mit dem Begriff „gerecht" sollte nach den beiden Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes von Mai und Juni 1990 besser ein wenig vorsichtiger umgegangen werden.
({0})
Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich gesagt: Dem Gesetzgeber steht es frei, die kindsbedingte Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit auch durch eine Entlastung im Steuerrecht und eine solche im Kindergeld miteinander zu kombinieren.
({1})
Damit bestätigt das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich die Gestaltungsfreiheit und daß der von der Bundesregierung und den sie tragenden Fraktionen eingeschlagene Weg richtig ist.
({2})
Er verstößt nicht gegen den steuerlichen Grundsatz der Gleichbehandlung und der steuerlichen Gerechtigkeit.
({3})
Das Bundesverfassungsgericht räumt aber auch mit der These auf, der Kinderlastenausgleich, der ausschließlich mit Kindergeld durchgeführt werde - das ist Ihre Vorstellung -, sei deshalb gerechter, weil beim Kindergeld alle Eltern den gleichen Betrag erhielten.
({4})
Dazu meint das Bundesverfassungsgericht: Aus dem Umstand, daß mit der Einführung des Kindergeldes vom ersten Kind gleichzeitig die Kinderfreibeträge im Steuerrecht abgeschafft worden sind, folgt, daß das Kindergeld in der Zeit ab 1975 - Sie haben das eingeführt - jedenfalls bis zur Einführung höherer Freibeträge von 1986 an, dazu bestimmt war, der Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit, die durch den Unterhalt von Kindern bedingt ist, Rechnung zu tragen.
({5})
- Moment bitte. Das Kindergeld habe - so das Bundesverfassungsgericht - in der Vergangenheit nicht allein die Funktion einer allgemeinen Sozialleistung, sondern auch eine steuerliche Entlastungsfunktion gehabt.
({6})
Das Kindergeld erhält somit eine zusätzliche Funktion, nämlich einen Ausgleich für die Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit von Familien zu schaffen.
({7})
Das Kindergeld müsse daher - so das Bundesverfassungsgericht - in fiktive Kinderfreibeträge umgerechnet werden,
({8})
um dann zusammen mit dem Kinderfreibetrag dem Existenzminimum gegenübergestellt zu werden.
({9})
Dem Vorwurf der SPD, es sei ungerecht, daß die Besserverdienenden durch Kinderfreibeträge mehr als die weniger gut Verdienenden, entlastet würden, wurde damit eine eindeutige Abfuhr erteilt;
({10})
denn wenn Kindergeld in Kinderfreibeträge umzurechnen ist,
({11})
werden die Familien durch Kindergeld progressiv entlastet.
({12})
Wenn Sie in Ihrer Gestaltungsfreiheit, die Ihnen das Bundesverfassungsgericht einräumt, ausschließlich für Kindergeld plädieren, dann entlastet dieses Kindergeld, weil es eine steuerliche Entlastungsfunktion übernimmt, zur Wahrung der steuerlichen Leistungsfähigkeit ebenso progressiv. Alles andere ist Augenwischerei, Frau Kollegin!
({13})
Zu der sogenannten Finanzamtslösung - die sprechen Sie in Ihrem Antrag auch an - nimmt das Bundesverfassungsgericht ebenfalls Stellung, und zwar sagt es sehr deutlich - ich zitiere wieder - :
Mit der Ersetzung progressiv entlastender Kinderfreibeträge durch einen einheitlichen, von der Steuerschuld abziehbaren Entlastungsbetrag wird die Besteuerung im Vergleich zu Kinderlosen nicht nur linear, sondern auch hinsichtlich der Steuerprogression verschärft, soweit durch den Entlastungsbetrag die Besteuerung des Existenzminimums des Kindes nicht ausgeglichen wird.
({14})
Das heißt: Selbst wenn wir die Finanzamtslösung gemeinsam beschlössen, ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und der Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit durch diesen einheitlichen Kindergeldbetrag noch gar nicht Rechnung getragen.
({15})
- Ich sage ja nachher auch noch etwas Tröstliches, Frau Matthäus-Maier.
Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß das Existenzminimum eines jeden Familienmitglieds, also auch das Existenzminimum des Ehegatten, steuerfrei zu stellen ist. Deshalb ist durchaus die Frage erlaubt, Frau Kollegin, ob die von der SPD vorgesehene Kappung des Ehegattensplittings überhaupt verfassungsgemäß ist.
Dafür ein Beispiel: Zwei Ehepaare erwirtschaften jeweils 90 000 DM im Jahr. Bei dem einen Ehepaar erwirtschaftet der eine Ehepartner alles allein. Das andere Ehepaar erwirtschaftet den Betrag zusammen. An dieser Schnittstelle ergibt sich dann, daß dieses Ehepaar, bei dem der eine Ehepartner allein die 90 000 DM erwirtschaftet, bei der Kappung 1 160 DM mehr an Steuern bezahlen muß.
({16})
Von daher müssen wir die Sache sehr genau prüfen. Ein solches Ergebnis dürfte wohl im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz nicht zulässig sein.
Nun lassen Sie mich folgendes sagen: Die beiden Bundesverfassungsgerichtsurteile von Mai und Juni 1990 haben allen Fraktionen im Bundestag einiges ins Stammbuch geschrieben, nicht nur der Bundesregierung und den sie tragenden Fraktionen.
({17})
Von daher müssen alle Fraktionen, auch die SPD mit ihrem Antrag vom 23. März 1990, den Familienlastenausgleich an Hand der neuen Urteile des Bundesverfassungsgerichts genau überprüfen.
({18})
Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen haben den Familienlastenausgleich seit 1986 nachhaltig um zweistellige Milliardenbeträge im Jahr verbessert. Es sollte aber auch daran erinnert werden dürfen, daß die SPD im letzten Jahr der von ihr geführten Bundesregierung, nämlich im Jahre 1981, das Kindergeld sogar gekürzt hat.
({19})
Die CDU/CSU-Fraktion lehnt den Antrag der SPD-Fraktion auch deshalb ab, weil der gesamte Familienlastenausgleich in der nächsten Legislaturperiode auf den Prüfstand muß; denn das Bundesverfassungsgericht ist von seiner bisherigen Rechtsprechung abgewichen und macht dem Gesetzgeber einige grundsätzliche Auflagen zum Familienlastenausgleich.
Es setzt drei wichtige Positionen: Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Beurteilung ist der Grundsatz, daß der Staat dem Steuerpflichtigen sein Einkommen insoweit steuerfrei belassen muß, als er es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigt. Das heißt also: Das Existenzminimum sollte steuerfrei sein. Und wenn ich dann lese, Frau Kollegin, daß Sie dauernd vom Grundfreibetrag sprechen: Grundfreibetrag ist nicht gleich Existenzminimum;
({20})
ich bedaure das sehr. Grundfreibetrag ist eine NullZone.
({21})
- Nein, ich bin keine Oberlehrerin, sondern habe nur das Bundesverfassungsgerichtsurteil gelesen.
({22})
Also, ich bitte doch, hier
- ich finde das, was hier gesagt wird, sehr interessant - keine Zwiesprache zu halten. Andere möchten nämlich diese Ausführungen, die sehr kompliziert sind, hören.
({0})
- Das ist eine andere Frage, die Sie nachher politisch entscheiden.
Zweitens hat das Bundesverfassungsgericht gesagt - das ist auch etwas ganz Neues - , daß Unterhaltsaufwendungen für Kinder grundsätzlich keine Aufwendungen des privaten Bereichs seien. Die steuersystematische Trennung zwischen privatem Bereich und betrieblich-beruflichem Bereich wird vom Bundesverfassungsgericht beim Unterhalt der Kinder, beim Familienlastenausgleich erstmalig aufgehoben. Dies ist eine völlig neue Situation.
({0})
Drittens hat das Bundesverfassungsgericht gesagt
- auch das Bundesverfassungsgericht macht diese Einschränkung - , daß die staatliche Familienförderung unter dem Vorbehalt des Möglichen steht. Das Mögliche ist das, was der einzelne von der Gesellschaft vernünftigerweise beanspruchen kann. Das ist
eine Herausforderung an den Gesetzgeber, und zwar an alle Parteien. Es ist sehr viel zu tun.
Ich darf bei meiner letzten Rede - Frau Matthäus-Maier, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, daß Sie Ihre Rede nicht zu Protokoll gegeben haben, so daß ich hier noch einmal stehen darf ({1})
die Bitte aussprechen: Verzetteln wir uns nicht in ideologischen Auseinandersetzungen
({2})
und gesellschaftspolitischen Sandkastenspielen der Vergangenheit! Wer im Glashaus sitzt, sollte die Bundesregierung nicht des Verwirrspiels bezichtigen. Denn das Bundesfinanzministerium beschäftigt sich mit dem Urteil sehr intensiv und zitiert nicht nur gerade zwei Sätze, die in das jeweilige parteipolitische Konzept passen. Ich bedanke mich.
({3})
Liebe Frau Kollegin WillFeld, dieser Beifall galt sicherlich Ihrer Rede und Ihrem Versuch, diese komplizierten Zusammenhänge, die für den Laien nur sehr schwer zu verstehen sind, klar und verständlich darzustellen, soweit es eben möglich ist. Ihre Kenntnisse werden uns ganz sicherlich fehlen.
Für Ihre kollegiale Zusammenarbeit danken wir Ihnen und wünschen Ihnen für Ihren weiteren Lebensweg und Ihre berufliche Tätigkeit, die Sie ja nicht aufgeben, alles Gute.
({0})
Das Wort hat nunmehr die Frau Abgeordnete Deneke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte an dieser Stelle im Interesse von Kindern und ihren Familien mein Befremden bezüglich der Ablehnungsempfehlung des Finanzausschusses gegenüber dem Antrag der SPD „Für einen kinderfreundlichen, gerechten, einfachen und finanziell soliden Familienlastenausgleich" zum Ausdruck bringen. Wenn der zuständige Ausschuß die Vorschläge mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen ablehnt, Politiker der Union aber schon in der 207. Sitzung des Deutschen Bundestages angekündigt haben, daß als nächstes der Ausbau der direkten Leistungen für die Familien anstehe, dann hätte ich zumindest erwartet, daß unter diesen Umständen ein entsprechender Antrag des Ausschusses mit weitreichenderen Vorschlägen unterbreitet worden wäre. Bloße Ablehnung dürfte wohl ein zu einfacher Weg sein.
Die von der SPD unterbreiteten Vorschläge - einheitliches Kindergeld von 200 DM für jedes Kind pro Monat, Kappung des Splittingvorteils für Höchstverdiener und Umschichtung zugunsten der Familien mit Kindern, Familienzuschlag für kinderreiche Familien sowie größere Überschaubarkeit durch Finanzamtslösung - führen meines Erachtens zu einer deutlichen Verbesserung der Familiensituation.
({0})
({1})
Dafür spricht auch, daß nach Berechnungen des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit das Modell funktionsfähig sei.
Dennoch muß ich hier und heute deutlich sagen, daß der Familienlastenausgleich für mich Probleme mit sich bringt. Die jetzigen Kinderfreibeträge und das Kindergeld sichern nicht die für jedes Kind notwendigen Aufwendungen, sondern die Zuwendungen sind vielmehr in starkem Maße vom Einkommen der Eltern abhängig.
({2})
Diese Tatsache steht für mich jedoch in krassem Gegensatz zu Art. 3 des Grundgesetzes: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. " Dies sollte in erster Linie für Kinder gelten. Kinder erbringen keine besteuerbaren Leistungen. Das geschieht nun einmal durch die Eltern. Hier wird das Gleichheitsprinzip gerade im Interesse der Kinder unterlaufen.
({3})
Das nächste Problem betrifft die Auswirkungen der Übernahme des Familienlastenausgleichs in jeder Situation und in der jetzigen Form für das Gebiet der ehemaligen DDR. Die jetzt schon rapid gestiegenen Preise und Tarife
({4})
und ab 1991 auch der Anstieg der Mieten bei gleichzeitig viel geringerem Lohnniveau führen zu besonderen Belastungen der Familien mit Kindern.
({5})
Kompliziert wird die Auswirkung, da beim jetzigen Kindergeld ab Januar 1991 der Subventionsausgleich wegfällt. Die Kosten für die Beiträge in den Kindereinrichtungen und für die Schulspeisung sowie die Elternfinanzierung von Kinderfreizeiteinrichtungen sind erheblich angestiegen.
Abhilfe sehen wir in einer deutlichen Erhöhung eines bundesweit einheitlichen Kindergeldes, das bedarfsdeckend sein sollte, mit konkreten, spezifischen Vergünstigungen für kinderreiche Familien. Das derzeitig ungerechte System des Familienlastenausgleiches bedarf einer dringenden Veränderung, gerade im Interesse der Kinder.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Eimer ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD zum Familienlastenausgleich hat angesichts des Urteils des Bundesverfassungsgerichts besondere Aktualität. Ich will gleich
Eimer ({0})
hinzufügen: Hätten die Finanz- und Haushaltspolitiker mehr und früher auf die Familienpolitiker gehört, wäre uns dieses Urteil erspart geblieben.
({1})
Aber ich will auch gleich betonen: Dies betrifft Haushälter und Finanzpolitiker aller Fraktionen, aller Parteien und aller bisherigen Regierungen.
Erst diese Regierung hat gehandelt. Die erste Stufe der Steuerreform mit mehr als 10 Milliarden DM für die Familie hat den Anfang für einen höheren Familienlastenausgleich gemacht.
Die FDP begrüßt dieses Urteil, denn es deckt sich mit einer uralten Forderung der FDP: Das Existenminimum muß steuerfrei sein.
({2})
Der SPD-Vorschlag, über den heute diskutiert wird, wurde uns als einfacher und gerechter vorgestellt. Einfacher? Ja, sicher. Mit meiner Meinung über die Kompliziertheit des Familienlastenausgleichs habe ich auch im Plenum nicht hinter dem Berg gehalten.
({3})
Aber gerechter ist er mit Sicherheit nicht. Zunächst einmal will die SPD das Geld durch Umverteilung bekommen, nämlich zum Teil durch die Kappung des Splittingvorteils. Nachdem ich nicht davon ausgehe, daß die SPD meinen Argumenten folgen wird, bitte ich die Finanzpolitiker der SPD, doch einmal selber nachzurechnen, wieviele Steuern ein Ehepaar mit 120 000 DM Jahreseinkommen zahlt, wenn zum einen jeder Ehepartner 60 000 DM und zum anderen der eine Partner 50 000 DM und der andere Partner 70 000 DM im Jahr verdient. Meine Kollegen von der SPD, Sie werden sehr schnell dahinterkommen, daß bei der Kappung des Ehegattensplittings diese Ehepaare trotz gleichen Einkommens für die Familie unterschiedlich viel Steuern zahlen. Halten Sie das für gerecht? Glauben Sie, daß Sie damit vor dem Bundesverfassungsgericht bestehen können? Ich kann mir das nicht vorstellen.
Es widerspricht auch der Idee der Partnerschaft in einer Ehe. Das Einkommen in der Ehe ist nicht mein oder dein, sondern unser Einkommen. Für diesen Gedanken des gemeinsamen Einkommens gibt es nur eine mögliche Steuerform, das Splitting, das sagt: Besteuerung je zur Hälfte. Die SPD aber orientiert sich wohl mehr an der Ideologie und rechnet nicht nach.
Kommen wir zum nächsten Punkt. Die SPD sagt, alle Kinder müssen dem Staat gleich viel wert sein, und lehnt Freibeträge ab, weil sie den Beziehern höherer Einkommen mehr bringt als denen, die ein geringeres Einkommen beziehen. Nun ist bekannt, daß ich nicht gerade ein glühender Anhänger der Freibetragsregelung bin. Nur, die Argumentation der SPD kann so nicht stehenbleiben; sie ist falsch. Die SPD vergißt, daß derjenige, der ein höheres Einkommen bezieht, wesentlich höhere Steuern bezahlt. Die Rechnung muß anders aufgestellt werden. Ich habe einfache Zahlen gewählt, damit jeder von der SPD im Kopf mitrechnen kann.
({4})
Wer für sein Kind 100 DM ausgeben will, muß brutto einen bestimmten Betrag verdienen. Derjenige, der keine Steuern zahlt, muß 100 DM verdienen, damit er 100 DM übrig hat und für sein Kind ausgeben kann. Derjenige, der ein durchschnittliches Einkommen bezieht, also einen Steuersatz von 20 % hat, muß 125 DM verdienen, damit er 100 DM für sein Kind ausgeben kann. Derjenige, der bei dem Spitzensteuersatz ungefähr 50 % an Steuern zahlt, also ein Großverdiener ist, muß 200 DM verdienen, damit er 100 DM für sein Kind ausgeben kann. So wirkt ein progressives Steuersystem.
Dem Staat müssen alle Kinder gleich viel wert sein, sagt die SPD. Wenn ich das verwirklichen will, heißt das: Wenn jemand bis zur Höhe des Existenzminimums für sein Kind Geld ausgibt, dann muß er, ob reich oder arm, gleich viel verdienen. Das Verfassungsgericht sagt zusätzlich: Das Existenzminimum muß steuerfrei sein. Diese Wirkung wird von Freibeträgen erreicht. In unserem Beispiel muß jeder 100 DM brutto verdienen, wenn er netto 100 DM für die Kinder ausgeben will. Dieser Vorteil gilt allerdings nur im Rahmen der Freibeträge. So ist die Betrachtung richtig, meine Kollegen von der SPD, und nur so kann sie vorgenommen werden.
({5})
Das sage ich, obwohl ich, wie ich bereits gesagt habe, kein so glühender Anhänger der Freibeträge bin.
Das Existenzminimum für Kinder, das durch Freibeträge nicht erreicht wird - im übrigen auch nicht für Erwachsene - , muß anders gesichert werden: z. B. durch Sozialhilfe. Durch ein duales System von Kindergeld und Freibeträgen, die die Leistungsfähigkeit des einzelnen berücksichtigen, schaffen wir die Grundlage für einen gerechteren Familienlastenausgleich.
Nun komme ich zum Vorschlag der SPD, das Kindergeld allgemein auf 200 DM im Monat zu erhöhen. Das Verfassungsgericht sagt uns - ich wiederhole dies - : Das Existenzminimum muß steuerfrei sein. Als Größe werden 500 DM pro Monat genannt. Dies ist deutlich mehr als die von der SPD genannten 200 DM Kindergeld. Es besteht also immer noch eine deutliche Differenz zu dem vom Bundesverfassungsgericht genannten Existenzminimum von 500 DM im Monat. Ich bin mir nicht sicher, meine Kollegen von der SPD, ob Ihr Vorschlag dem Urteil des Verfassungsgerichts gerecht wird.
({6})
Diese kurzen Betrachtungen zeigen, daß das Problem nicht so einfach zu lösen ist, wie es sich die SPD vorstellt.
({7})
Sie zeigen aber auch, daß die SPD in wichtigen Bereichen der Finanzpolitik nicht zuverlässig rechnet. Die
Eimer ({8})
Vorstellungen der SPD mögen zwar gut gemeint sein,
sind aber so nicht zu realisieren und schaffen vor
allem nicht mehr Gerechtigkeit, wie es die SPD will.
Die Tatsache, meine Kollegen aus der Koalition, daß der Vorschlag der SPD so nicht geeignet ist, darf uns allerdings nicht dazu verführen, überheblich zu sein. Das Urteil des Verfassungsgerichts und vor allem die Arbeit für einen besseren und einfacheren Familienlastenausgleich werden mehr Mühe und Phantasie nötig machen, als viele von uns heute glauben.
({9})
Die FDP sieht den Familienlastenausgleich als eine ganz wichtige Aufgabe der neuen Legislaturperiode an. Wir wollen diese Arbeit ohne Überheblichkeit angehen. Alle Vorschläge von allen Seiten sind uns willkommen. Die Vorwürfe der SPD aber müssen wir zurückweisen; sie sind substanzlos.
Den Antrag der SPD lehnen wir wie bereits im Ausschuß ab.
({10})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Herr Voss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Matthäus-Maier, Sie haben eben der Bundesregierung ein Verwirrspiel vorgeworfen. Das, was Sie betreiben, ist in Wirklichkeit ein öffentliches und dazu noch unehrliches Verwirrspiel. Sie stellen sich hier hin, fordern 200 DM Kindergeld und tun so, als ob das zu finanzieren wäre.
({0})
- Ihre Finanzierungsvorschläge - ich komme gleich noch darauf zurück - sind wie immer nicht brauchbar.
({1})
Sie haben in Ihrer Regierungszeit seit 1975 das Kindergeld nicht nur nicht um einen Pfennig erhöht, sondern es bei 50 DM belassen. Sie haben darüber hinaus im Jahre 1981 das Kindergeld für das zweite und dritte Kind jeweils um 20 DM gekürzt.
({2})
Das alles haben Sie getan. Und heute stellen Sie sich hier hin und fordern ein Kindergeld von 200 DM.
({3})
Wir diskutieren heute über einen SPD-Antrag, nach dem das bestehende duale System abgeschafft werden soll. Statt dessen soll den Eltern nur ein Kindergeld gewährt werden. In der Sache handelt es sich hier um nichts Neues; denn wir haben das alles schon einmal diskutiert. Insofern könnte man sich das ziemlich einfach machen.
Inzwischen hat aber das Bundesverfassungsgericht durch die bekannten Entscheidungen vom 29. Mai und 12. Juni 1990 die Vertreter des dualen Systems in ihrer grundsätzlichen Auffassung zu diesem umstrittenen Thema bestätigt. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, daß erstens die Berücksichtigung von Aufwendungen für den Kindesunterhalt durch Abzug von der Steuerbemessungsgrundlage einem Gebot der Steuergerechtigkeit entspricht, daß zweitens die dadurch eintretende Steuerermäßigung keine staatliche Leistung darstellt und daß es drittens in keiner Weise zu beanstanden ist, wenn diese Steuerermäßigung bei der progressiven Gestaltung des Einkommensteuertarifs mit steigendem Einkommen ebenfalls ansteigt.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte schön, Frau Matthäus-Maier.
Herr Voss, nachdem mehrere Redner und auch Sie das gerade gesagt haben: Wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß die Karlsruher Entscheidung für Sie überhaupt nichts hergibt? Denn die SPD hat nie behauptet, daß das duale System verfassungswidrig ist. Sie hat allerdings behauptet - darüber hatte Karlsruhe allerdings nicht zu entscheiden -, daß das duale System und insbesondere die Kinderfreibeträge sozial ungerecht sind. Karlsruhe entscheidet nicht über Gerechtigkeit, sondern über die Verfassungswidrigkeit. Wollen Sie das bitte zur Kenntnis nehmen?
Sie schreiben in Ihrem Antrag wiederum, daß die Kinderfreibeträge ungerecht seien.
({0})
Das gebe ich Ihnen gerne zu. Sie begründen das damit, daß die steuerlichen Auswirkungen mit steigendem Einkommen wachsen. Das halten Sie in der Conclusio für verfassungsrechtlich nicht haltbar.
({1})
- Das ist der Eindruck, den Sie erwecken, Frau Matthäus-Maier. Darüber gibt es überhaupt keine Diskussion. Das ist das,
({2})
was wir auch im Finanzausschuß diskutiert haben.
({3})
Nehmen Sie nichts von dem zurück, was Sie bisher gesagt haben.
({4})
- Es ist keine Unwahrheit, Frau Kollegin.
Eine ausschließliche Kindergeldlösung wäre nach diesem Urteil allerdings - das muß man zugeben - verfassungsrechtlich auch zulässig.
({5})
Aber gleichwohl ist die Bundesregierung entschieden der Auffassung, daß eine solche Lösung nicht gewählt werden sollte.
Kinderfreibeträge führen bei jedem Einkommen unmittelbar zu der verfassungsrechtlich gebotenen Steuerfreistellung. Das ist beim Kindergeld nicht der Fall. Hierbei bedarf es erst einer Umrechnung in einen fiktiven Kinderfreibetrag. Die Bundesregierung sieht keinen Sinn darin, Frau Matthäus-Maier, Einkommen, das für den Unterhalt eines Kindes verwendet werden muß, zunächst zu besteuern und dann zum Ausgleich als Sozialleistung zurückzugeben.
Eine ausschließliche Kindergeldlösung würde haushaltsmäßig in ihren Auswirkungen allein den Bund treffen. Das Kindergeld müßte so bemessen werden, daß der daraus zu errechnende fiktive Kinderfreibetrag allein das Existenzminimum des Kindes abdeckte.
Der von der SPD aufgezeigte Finanzierungsvorschlag für den Familienlastenausgleich ist nicht haltbar, Frau Kollegin. Die wesentlichen Gründe dafür habe ich bereits in der ersten Beratung des Antrages genannt. Die seinerzeit genannte Finanzierungslücke von 3 Milliarden DM würde sich noch wesentlich vergrößern, wenn das vorgeschlagene Kindergeld auch für Kinder in den neuen Bundesländern gezahlt werden würde. Denn die vorgeschlagene Kappung des Ehegattensplittings - unterstellt, sie sei überhaupt umzusetzen - würde wegen des noch geringeren Einkommensniveaus in diesen Ländern zu keinem nennenswerten Mehraufkommen führen. Damit würde sich der ungedeckte Teil Ihres Vorschlages, Frau Matthäus-Maier, weiter erhöhen.
Ab 1983 hat diese Bundesregierung wieder einen Kinderfreibetrag in der damals haushaltsmäßigen Höhe von 432 DM eingeführt. Nach dieser Weichenstellung ist der Kinderfreibetrag schrittweise erheblich ausgebaut worden: mit der ersten Stufe der Steuerreform am 1. Januar 1986 auf 2 284 DM, mit der dritten Stufe am 1. Januar dieses Jahres auf heute 3 024 DM.
Hierzu, meine Damen und Herren, darf ich abschließend aus einem Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 25. Oktober dieses Jahres zitieren, in dem es heißt:
Die SPD hat keinen Grund, mit dem Finger auf die Koalition zu zeigen. Das Elend des Familienlastenausgleichs begann in den siebziger Jahren, als auf Drängen der SPD die Kinderfreibeträge abgeschafft und durch Kindergeld nur unzulänglich ersetzt wurden.
Dem ist nichts hinzuzufügen. Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Götte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem wäre eine Menge hinzuzufügen, z. B. die Tatsache, daß Sie nach der Wende die familienpolitischen Leistungen um sage und schreibe 10 Milliarden DM zusammengestrichen und fünf Jahre gebraucht haben, bis Sie das alte Niveau der Regierung Schmidt wieder erreicht haben. Das ist eine Tatsache.
({0})
Frau Will-Feld, wir haben nie behauptet, daß die Kombination von Kinderfreibeträgen und Kindergeld verfassungswidrig sei. Wir haben aber immer behauptet - und dabei bleiben wir - , daß sie höchst ungerecht sei.
Frau Dr. Götte, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten WillFeld?
Ja.
Frau Kollegin, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß das Bundesverfassungsgericht, wenn es sagt, der Gesetzgeber habe Gestaltungsfreiheit zwischen Kindergeld, Kinderfreibeträgen und Kombinationen, damit bestätigt, daß die Grundsätze des Steuerrechts, die sich an der Gleichbehandlung und an der Steuergerechtigkeit zu orientieren haben, bei jeder Alternative eingehalten werden?
Das Bundesverfassungsgericht sagt: Ob wir es so oder so oder so machen, ist gleich; alle drei Möglichkeiten sind nicht verfassungswidrig. Wir haben jetzt zu entscheiden, was wir politisch wollen, welche Gruppen der Gesellschaft wir begünstigen, welche wir benachteiligen oder ob wir ein gerechtes System finden wollen.
({0})
Daß wir mit dieser Meinung, daß das höchst ungerecht ist, gar nicht so allein dastehen, ergibt sich aus einem Schreiben, das die Familienpolitiker heute vom Familienbund der Deutschen Katholiken, der Ihnen doch sicher nahesteht, bekommen haben. Darin steht:
Die vorgeschlagene Erhöhung des Kinderfreibetrages wäre auf Grund der Entlastungswirkungen bei Familien im unteren Einkommensbereich unzumutbar
({1})
und schreibt die soziale Differenzierung fest. Ein hoher Kinderfreibetrag ist nicht in der Lage, Familien in den unteren Einkommensgruppen
- das sind nahezu ein Drittel aller Familien - wirksam zu entlasten.
({2})
Sie haben heute versucht, die Sache rein finanztheoretisch und juristisch zu beleuchten. Ich möchte
einmal versuchen, das Problem des Familienlastenausgleichs aus der Sicht der Betroffenen zu beleuchten. Wenn der Chef einer großen Firma 250 DM für sein Kind bekommt, seine alleinerziehende Putzfrau aber maximal 126,50 DM, dann müssen Sie dieser Putzfrau einmal erklären, weshalb das gerecht sein soll.
({3})
Wenn Sie dann noch bedenken, daß sie diese 126,50 DM nur mit Verspätung und einem enormen bürokratischen Aufwand bekommt - denn sie muß ja nachweisen, daß ihr möglicherweise geschiedener Ehemann, von dem sie vielleicht gar nicht weiß, wo er sich derzeit aufhält, nicht selbst schon einen Steuerfreibetrag geltend gemacht hat, um den Kinderzuschlag zu bekommen - , dann müssen Sie einmal mehr zugeben, daß das jetzige System einfach unzumutbar ist.
Der Kindergeldzuschlag ist ein einziges Trauerspiel. Gerade die, die am dringendsten darauf angewiesen sind, müssen nämlich am längsten darauf warten. 1989 waren rund 748 Millionen DM für den Kindergeldzuschlag angesetzt. Davon gingen ab - und das sollten wir uns genauer anhören - : verspätete Ausgaben für 1988 in Höhe von 139 Millionen DM, verspätete Ausgaben für 1987 in Höhe von 101 Millionen DM, verspätetete Ausgaben für 1986 in Höhe von
21 Millionen DM. Das heißt doch im Klartext: Viele Kinder der Einkommensschwächsten bekommen ihren Kindergeldzuschlag mit dreijähriger Verspätung, und - was noch schlimmer ist - viele bekommen ihn überhaupt nicht, weil sie gar nicht wissen, daß es so etwas gibt, oder weil sie in der ganzen Antragstellerei und in diesen Behördengängen ein schier unüberwindliches Hindernis sehen.
({4})
Das ist die Wahrheit, und das ist der Alltag, wie er sich den Bürgern draußen darstellt.
Sozialhilfeempfänger gehen übrigens völlig leer aus; auch daran sollte man noch einmal erinnern. Ihnen wird zwar zugemutet, diese ganze umständliche Prozedur der Antragstellung bis zum bitteren Ende durchzuziehen. Wenn sie es aber gemacht haben, wird ihnen der Kindergeldzuschlag wie auch das Kindergeld von der Sozialhilfe wieder abgezogen. Trotzdem müssen sie diesen bürokratischen Weg gehen; das Sozialamt zwingt sie dazu.
Ganz anders dagegen die Situation bei dem von mir genannten Firmenchef. Nehmen wir an, seine Frau ist mit Repräsentationsaufgaben so beschäftigt, daß sie nicht erwerbstätig sein kann. Dann bekommt dieser Herr durch den Splitting-Vorteil, lieber Herr Eimer,
22 800 DM pro Jahr vom Finanzamt geschenkt, weil seine Frau Gemahlin nicht berufstätig ist. Das ist mehr, als eine Verkäuferin, eine Krankengymnastin, eine Putzfrau im ganzen Jahr verdienen.
Wenn dieser Herr noch zwei Kinder hat und ein Kindermädchen oder wenigstens eine Haushälterin einstellt, kann er nochmals 12 000 DM von der Steuer absetzen.
({5})
Das sind bei einem Steuersatz von 54 % noch einmal 6 500 DM, die er zusätzlich bekommt. Seine alleinerziehende Putzfrau dagegen, die vielleicht die Nachbarin gebeten hat, für ein Taschengeld auf ihr Kind aufzupassen, solange sie putzen geht, kann ihre Kosten natürlich nicht steuerlich absetzen, weil sie wegen ihres Einkommens gar keine Steuern zahlt.
Frau Abgeordnete, sind Sie bereit, eine Frage des Abgeordneten Eimer zu beantworten?
Ja.
Frau Kollegin, halten Sie es wirklich für gerecht, daß zwei Ehepaare, die jeweils ein gleich hohes Einkommen haben, einmal gleichmäßig auf beide Partner verteilt, einmal ungleichmäßig verteilt, Steuern in unterschiedlicher Höhe zahlen?
Ich halte das schwedische Modell für viel gerechter, nach dem jeder die Steuern für sein eigenes Einkommen bezahlt.
({0})
Jedenfalls ist unser System sehr viel gerechter und sehr viel einfacher. Es ist ja auch interessant, daß in einer internen Fassung des vom Finanzminister dem Finanzausschuß vorgelegten Sachstandsberichts die gewissenhaften Beamten des Finanzministeriums ihrem Minister durchaus aufgeschrieben haben, daß unser Modell diskutabel ist. Nur hat der Finanzminister Waigel dieses Modell dann eben sehr schnell wieder aus dem Bericht herausgenommen; denn er kann ja nicht zugeben, daß etwas besser ist als das, was er macht, wenn es von der SPD kommt.
({1})
Für die Familien in den neuen Bundesländern - auch an die sollten wir denken - wirkt sich das System, das Sie haben werden, übrigens besonders ungünstig aus. Bis zum 31. Dezember 1990 bekommen die Familien in der ehemaligen DDR eine Summe, die sich aus Kindergeld, altersabhängigem Zuschlag und einem Steuerfreibetrag zusammensetzt. Das macht für das erste Kind 143 DM oder 163 DM, je nachdem, ob das Kind unter 13 Jahren oder älter ist. Beim zweiten Kind sind es 193 DM bzw. 213 DM für das ältere Kind. Beim dritten Kind und folgenden Kindern sind es 243 DM bzw. 263 DM. Das gilt also bis 31. Dezember 1990.
Ab 1. Januar 1991 fällt nun dieser altersabhängige Zuschlag weg. Dafür erhöht sich das Kindergeld ab dem zweiten Kind. Im Endergebnis bekommen die Familien in der DDR aber ab dem 1. Januar 1991 für das erste Kind nur noch 98 DM, also 45 DM weniger, wenn das Kind jünger als 13 Jahre ist. Wenn es älter als 13 Jahre ist, bekommen sie sogar 65 DM weniger als im Vorjahr. Auch das zweite Kind steht mit minus
15 DM bzw. minus 35 DM im neuen Jahr schlechter da als vorher.
({2})
- Das ist die bittere Wahrheit für die Familien in der DDR.
Wenn Sie nun das ungerechte System der Steuerfreibeträge weiter ausbauen wollen, bedeutet dies für die Familien in den neuen Bundesländern erst recht eine Benachteiligung; denn dort sind die Löhne und Gehälter deutlich niedriger als bei uns, so daß sie über diese 48 DM Mindestbetrag gar nicht hinauskommen werden. Das machen wir von der SPD nicht mit.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Geisler?
Gerne.
Ich würde gerne wissen, wie Sie auf diese Zahlenbeispiele kommen. Sie haben offensichtlich noch nicht berücksichtigt, daß gegenwärtig keine Steuerfreibeträge bzw. höchstens 10 DM pro Kind - das ist das höchste, was in der DDR möglich war - zu erhalten sind. Diese Steuervorschriften gelten bis zum 31. Dezember 1990 weiter. Wir haben in den ehemaligen Ländern der DDR im Augenblick noch kein bundesdeutsches Steuerrecht.
Nein, aber nach der Übergangslösung, die seit Juli gilt, kommt genau der Betrag zustande, den ich vorhin genannt habe. Ich kann Ihnen nachher gerne privatissime et gratis erklären, wie sich das im einzelnen zusammensetzt.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der FDP, ich meine, Sie haben nun genügend Presseerklärungen abgegeben und Luftschlösser gebaut, wie Sie irgendwann irgendwie den Familienlastenausgleich regeln wollen. Nun hören Sie doch endlich damit auf und schreiten Sie statt dessen zur Tat. Sie brauchen nur unserem Antrag zuzustimmen. Dann wäre, Herr Hoffacker, auch Ihre eigene Glaubwürdigkeit in Ihren eigenen Reihen wiederhergestellt.
({1})
So aber müssen Sie sich den Vorwurf gefallen lassen, zu den Schwätzern zu gehören, die vor der Wahl vage Versprechungen machen und sie nach der Wahl wieder einschränken oder verwerfen.
Gestatten Sie mir noch ein Wort zum Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Sie haben gestern in der Aktuellen Stunde zu Recht die rechtswidrigen Finanzschiebereien der PDS beklagt. Nun haben wir ja eine Situation, in der das Bundesverfassungsgericht erklärt hat, diese Bundesregierung habe in den Jahren von 1983 bis 1985 den Familien grundgesetzwidrig Geld vorenthalten, das ihnen, und zwar allen Familien, gehört.
({2})
Nun wollen Sie daraus die Konsequenz ziehen, daß nur dem Gerechtigkeit widerfahren soll, der Widerspruch eingelegt hat. Wollen Sie im Ernst, daß die anderen nichts zurückbekommen, was ihnen durch diese Bundesregierung widerrechtlich entzogen wurde? Das kann doch wohl nicht Ihr letztes Wort sein.
({3})
Das Wort hat die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bleibe auch nach dieser Debatte dabei: Das duale System der Entlastung der Familien hat sich bewährt. Die beiden Säulen des Familienlastenausgleichs - ein sozial ausgestaltetes Kindergeld und der Kinderfreibetrag bei der Steuer - bilden beide zusammen ein abgestimmtes, ausgewogenes System, das der Eigenverantwortung der Familien und auch der notwendigen Unterstützung der Familien Rechnung trägt. Deshalb halten wir daran fest, daß beide weiter ausgebaut und weiter verbessert werden.
Schließlich haben wir auch in der jüngsten Vergangenheit auf beiden Seiten zugelegt. Mit Beginn dieses Jahres wurde der Kinderfreibetrag von 2 484 DM auf 3 024 DM erhöht. Seit dem 1. Juli ist das Kindergeld für das zweite Kind um 30 DM monatlich aufgestockt worden. Diesen Weg wollen wir weitergehen.
Frau Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Schmidt?
Entschuldigung, angesichts der Verspätung gestatte ich jetzt keine Zwischenfrage mehr. Ich habe um 17.45 Uhr bereits einen Termin gehabt. Man wartet auf mich.
({0})
Wenn auch in den bereits mehrfach zitierten Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts der finanzielle Umfang des Familienlastenausgleichs für die Jahre von 1983 bis 1985 beanstandet wurde, so jedoch nicht das duale Prinzip. Im Gegenteil: Das Gesetz unterscheidet zwei Funktionen des Familienlastenausgleichs: einmal die steuerliche Entlastung, die der Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit durch den Unterhalt von Kindern entspricht, und andererseits den teilweisen Ausgleich der wirtschaftlichen Belastung, die den Eltern durch Kosten für die Kinder entstehen. Dadurch, daß das Verfassungsgericht diese Unterscheidung trifft, findet das duale System, das diese Bundesregierung wieder eingeführt hat, seine Bestätigung.
Es trifft also nicht zu, daß Kinderfreibeträge ungerecht sind. Im Gegenteil: Den Eltern würde Unrecht geschehen, wenn das, was sie für den Lebensunterhalt ihrer Kinder erarbeitet haben, so mit Steuern belegt würde, als hätten sie keine Kinder.
Das duale System des Familienlastenausgleichs ist also bedarfsgerecht, hinreichend differenziert und sozial ausgewogen. Letzteres zeigt nicht nur der Kindergeldzuschlag, sondern auch die Tatsache, daß Eltern mit höherem Einkommen nur ein gemindertes Kindergeld bekommen.
Im übrigen ist die Forderung, den Familienlastenausgleich auf das Kindergeld zu beschränken, keine neue Idee. Das gab es bereits von 1975 bis 1982. Diese Regelung hat sich jedoch nicht bewährt, weil die Zusage, das Kindergeld entsprechend der wirtschaftlichen Entwicklung regelmäßig zu erhöhen, nicht eingehalten wurde. Im Gegenteil: Als es beim Bundeshaushalt eng wurde, fiel als erstes das Kindergeld den Einsparungen zum Opfer.
Insofern finde ich es schon seltsam, daß sich die Kindergeldkürzer von gestern als Kindergeldversprechende von morgen darstellen.
({1})
Doch die Familien in Deutschland wissen, wem sie ihre wesentlich verbesserte Situation zu verdanken haben, nämlich dieser Bundesregierung, die diesen Weg für die Familien konsequent weitergegangen ist.
({2})
Ich begrüße daher ausdrücklich die Vorschläge der CDU/CSU-Fraktion, die Paul Hoffacker gestern vorgestellt hat. Sie zeigen den Weg dafür auf, wie in der kommenden Legislaturperiode weitere entscheidende Verbesserungen für die Familien erreicht werden können.
({3})
Das Wort zu einer Kurzintervention wünscht die Abgeordnete Frau Schmidt ({0}). Bitte schön.
Der Herr Staatssekretär Voss vom Finanzministerium hat vorhin behauptet, die SPD halte das System des Familienlastenausgleichs der derzeitigen Regierungskoalition für verfassungswidrig. Dies entspricht nicht den Tatsachen.
({0})
Wir sind der Meinung, daß alle Systeme, die derzeit vorgeschlagen werden, verfassungsgemäß sind, sowohl das System der Bundesregierung als auch das System, das die SPD-Fraktion vorschlägt. Daran hat auch das Bundesverfassungsgericht nichts zu kritisieren gehabt. - Wir halten Ihr System für ungerecht.
Etwas halten wir allerdings für verfassungswidrig, Herr Staatssekretär Voss. Wir halten für verfassungswidrig, daß Sie - wenn man den Ankündigungen
Ihrer Familienpolitiker glauben darf - in den nächsten drei Jahren, also bis 1993, weiterwursteln wollen und nach wie vor das Existenzminimum für Kinder besteuern wollen.
({1})
Wünschen auch Sie eine Kurzintervention? - Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe eben zu erkennen gegeben, daß Sie in dem Moment, in dem Sie eine vom Verfassungsgericht als möglich angesehene Lösung für ungerecht halten, damit doch letztlich insinuieren, daß Sie sie auch für verfassungswidrig halten.
({0})
Das ist meine Auslegung dessen, was Sie ja doch seit Jahren in Ihren Anträgen schreiben.
Wenn Sie uns jetzt hier vorwerfen, wir würden in den nächsten Jahren verfassungswidrig weiterwursteln, dann vergessen Sie, daß wir uns auf Grund der Urteile des Verfassungsgerichts schon seit einiger Zeit Gedanken darüber machen, wie wir der Sache hier gerecht werden.
Wenn Sie uns im Jahre 1982 eine andere Haushaltssituation hinterlassen hätten,
({1})
dann hätten wir das, was wir schließlich getan haben, sehr viel eher tun können. Wenn wir die Situation, die wir ab 1986 beim Kinderfreibetrag gehabt haben, in den Jahren 1983 bis 1985 gehabt hätten, dann hätte das Bundesverfassungsgericht aller Wahrscheinlichkeit nach ganz anders entschieden, als es jetzt entschieden hat.
({2})
Als Leute, die etwas von solider und vernünftiger Finanzpolitik halten,
({3})
werden wir uns die notwendigen Gedanken darüber machen, wie wir dem, was das Verfassungsgericht gesagt hat, gerecht werden können. Wir werden - das müssen wir allerdings in den größeren Rahmen unserer Finanzpolitik stellen -,
({4})
prüfen, ob wir auch die Fälle berücksichtigen können, die bereits in Rechtskraft erwachsen sind, nicht nur die - bei denen es uns das Verfassungsgericht vorschreibt - , die noch nicht in Rechtskraft erwachsen sind. Wenn Sie das als Herumwursteln betrachten, dann weiß ich nicht, welche Vorstellung Sie von einer soliden Finanzpolitik haben.
({5})
Jetzt haben wir endlich einmal die Kurzintervention und die Lebhaftigkeit, die wir haben wollten. Frau Matthäus-Maier hat sich auch dazu gemeldet.
Diese Schlußbemerkung von den größten Schuldenmachern seit Menschengedenken in dieser Republik ging ziemlich daneben, Herr Voss.
({0})
Ich habe drei Bemerkungen:
Erstens. Ich erinnere das Haus daran, daß im Jahre 1974 die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP dem gleich hohen Kindergeld für alle statt eines dualen Systems ausdrücklich zugestimmt haben.
({1})
Zweitens. Karlsruhe hat entschieden - das halte ich aber für eine Selbstverständlichkeit - , daß das Existenzminimum eines jeden Familienmitglieds steuerfrei sein muß. Dies war in den Jahren 1983 bis 1985, wie Karlsruhe festgestellt hat, nicht der Fall. Wir behaupten, das ist auch für die Zeit seit 1986 nicht der Fall.
Drittens. Mit welchem System man dieses verfassungswidrig zu niedrig angesetzte steuerfreie Existenzminimum regelt, ist juristisch ausdrücklich offengelassen. Man kann ein System über Kinderfreibeträge wählen, man kann ein System über Kindergeld wählen - das festzuhalten ist auch wichtig, denn Sie sprechen unserer Regelung ja immer die Verfassungsmäßigkeit ab, meine Damen und Herren - , und man kann drittens ein duales System wählen. Uns kommt es darauf an, daß aus den drei juristisch möglichen Systemen das politisch gerechte herausgesucht wird. Deswegen sind wir für das Kindergeld.
({2})
In voller Ausgewogenheit gestatte ich jetzt noch eine Kurzintervention. Bitte schön, Frau Will-Feld.
Herr Präsident! Ich würde gern Frau Matthäus-Maier sagen, daß Kindergeld nach diesem Bundesverfassungsgerichtsurteil auch progressiv entlastend wirkt. Genau dies ist der Punkt, wo die Gerechtigkeitsfrage anzusetzen ist. Wenn Kindergeld progressiv entlastet, dann wirkt Kindergeld auch wie Kinderfreibetrag.
({0})
Frau Matthäus-Maier, wir brauchen uns über die Höhe überhaupt nicht zu streiten. Wir wissen alle, daß das unzulänglich ist. Wenn jetzt zufällig das Sozialgericht in Lüneburg und das Sozialgericht in Trier wegen der Jahre 1983 bis 1985 an das Bundesverfassungsgericht gegangen sind, dann sind sie dorthin gegangen, weil wir das Kindergeld gekappt haben.
Wir wollten die Besserverdienenden schlechter stellen. Wir haben Ihnen da nachgeeifert.
({1})
Wir wollten da auch einmal etwas tun. Die Besserverdienenden haben wir schlechtergestellt, und das Bundesverfassungsgericht hat uns jetzt ins Stammbuch geschrieben, daß das nicht geht.
({2})
Ich muß hier die Regeln einhalten. Es kann ja nun nicht in Frageform hin- und hergehen. Ich bitte zu verstehen, daß wir jetzt jeweils zwei Kurzinterventionen hatten. Wenn Sie noch hinzunehmen, daß er, der hier oben sitzt, gerne mitreden würde, weil er auch etwas davon versteht, dann verstehen Sie, daß ich jetzt Schluß mache.
Ich schließe die Aussprache. Ich lasse über die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf der Drucksache 11/8344 abstimmen. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6751 abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 28 und den Zusatztagesordnungspunkt 21 auf:
28. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0})
zu dem Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN
zu Nr. 1 des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP ({1}) - Weitergeltung von Geschäftsordnungen
zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Frau Adler, Dr. Ahrens, Baum, Frau Becker-Inglau, Frau Eid, Funke, Frau Ganseforth, Frau Garbe, Graf, Frau Hämmerle, Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Heimann, Dr. Hornhues, Irmer, Frau Kelly, Kißlinger, Koltzsch, Kühbacher, Leidinger, Lennartz, Frau Matthäus-Maier, Dr. Mechtersheimer, Dr. Mertens ({2}), Müller ({3}), Frau Nickels, Frau Dr. Niehuis, Dr. Niese, Frau Odendahl, Paintner, Reimann, Rind, Frau Rust, Frau Saibold, Frau Schmidt ({4}), Dr. Schöfberger, Schröer ({5}), Frau Dr. Segall, Frau Simonis, Dr. Soell, Frau Terborg, Toetemeyer, Frau Unruh, Verheugen, Volmer, Wiefelspütz, von der Wiesche, Wollny
Wiederaufnahme der Kabinettsberichterstattung
zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Dr. Biedenkopf, Frau Dr. Hartenstein, Dr. Mechtersheimer, Frau Adler, Dr. Ahrens, Bamberg, Bernrath, Bindig, Dr. Daniels ({6}), Frau Eid, Frau Faße, Frau Fischer, Frau Flinner, Frau Folz-Steinacker, Frau Ganseforth, Dr. Glotz, Frau Dr. Götte, Graf,
Vizepräsident Westphal
Gries, Großmann, Grünbeck, Dr. Grünewald, Häfner, Frau Hämmerle, Freiherr Heereman von Zuydtwyck, Heyenn, Hiller ({7}), Dr. Hirsch, Hoss, Ibrügger, Irmer, Frau Kelly, Dr. Knabe, Kolbow, Koschnick, Krey, Kuhlwein, Lambinus, Leidinger, Lennartz, Dr. Lippelt ({8}), Lutz, Dr. Mahlo, Frau Dr. Martiny, Dr. Mertens ({9}), Müller ({10}), Pauli, Peter ({11}), Rauen, Rixe, Frau Rust, Frau Saibold, Frau Schmidt ({12}), Schmidt ({13}), Dr. Schöfberger, Schröer ({14}), Frau Dr. Segall, Frau Simonis, Dr. Soell, Frau Terborg, Toetemeyer, Frau Unruh, Frau Dr. Vollmer, Graf von Waldburg-Zeil, Waltemathe, Frau Weiler, Weirich, Dr. Wieczorek, Frau Will-Feld, Frau Würfel
Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
hier: §§ 20, 42, 56, 57, 61, 62, 68, 69, 75, 80, 100,
104, 106a ({15}), 122a ({16}), Anlage 4
zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Dr. Biedenkopf, Frau Dr. Hartenstein, Dr. Mechtersheimer, Frau Adler, Dr. Ahrens, Bamberg, Bernrath, Bindig, Dr. Daniels ({17}), Frau Eid, Frau Faße, Frau Fischer, Frau Flinner, Frau Folz-Steinacker, Frau Ganseforth, Dr. Glotz, Frau Dr. Götte, Graf, Gries, Großmann, Grünbeck, Dr. Grünewald, Häfner, Frau Hämmerle, Freiherr Heereman von Zuydtwyck, Heyenn, Hiller ({18}), Dr. Hirsch, Hoss, Ibrügger, Irmer, Frau Kelly, Dr. Knabe, Kolbow, Koschnick, Krey, Kuhlwein, Lambinus, Leidinger, Lennartz, Dr. Lippelt ({19}), Lüder, Lutz, Dr. Mahlo, Frau Dr. Martiny, Dr. Mertens ({20}), Müller ({21}), Dr. Niese, Pauli, Peter ({22}), Rauen, Rixe, Frau Rust, Frau Saibold, Frau Schmidt ({23}), Schmidt ({24}), Dr. Schöfberger, Schröer ({25}), Frau Dr. Segall, Frau Simonis, Dr. Soell, Frau Terborg, Toetemeyer, Frau Unruh, Frau Dr. Vollmer, Graf von Waldburg-Zeil, Waltemathe, Frau Weiler, Weirich, Dr. Wieczorek, Frau Will-Feld, Frau Würfel
Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
hier: §§ 28, 35, 106
zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Auskunfts- und Aktenvorlagepflicht sowie Antwortpflicht der Bundesregierung gegenüber den Abgeordneten des Deutschen Bundestages
zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
hier: § 35 - Rededauer
zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Änderung der Geschäftsordnung
hier: § 57 - Mitgliederzahl der Ausschüsse
zu dem Antrag des Abgeordneten Häfner und der Fraktion DIE GRÜNEN
Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
hier: Einführung eines § 86 a - „Sondersitzungen"
zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
hier: § 104 - Kleine Anfragen
zu dem Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zu der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({26})
- Drucksache 11/5962 hier: zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher u. a.
Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
zu dem Antrag der Abgeordneten Porzner, Wiefelspütz und der Fraktion der SPD
Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
- Drucksachen 11/6, 11/246, 11/2206, 11/2207, 11/6020, 11/6022, 11/6023, 11/6024, 11/6025, 11/6026, 11/6071, 11/7987 Berichterstatter:
Abgeordnete Buschbom Wiefelspütz
ZP21 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({27})
zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher u. a.
- Drucksachen 11/6045, 11/6923 Berichterstatter:
Abgeordnete Buschbom Wiefelspütz
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Beratung 30 Minuten vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Zufall hat es so gefügt, daß einer der letzten Punkte in dieser Legislaturperiode, die Debatte zum Thema „Parlamentsreform",
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Herr Kollege Bohl, ausgerechnet am Reformationstag aufgerufen wird.
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Da kann man dann in philosophischer Betrachtung sagen: Eine Reform ist eigentlich nicht daraus geworden und ganz sicher keine Reformation. Aber ich glaube, daß die sechsjährigen Bemühungen von zeitweise 200 Kolleginnen und Kollegen aus allen BunFrau Dr. Hamm-Brücher
destagsfraktionen immerhin eine gewisse Bewußtseinsveränderung in bezug auf unsere Arbeit und deren Organisation und Gestaltung bewirkt haben. Dafür möchte ich in der letzten Stunde unserer Sitzung am Reformationstag allen Mitstreiterinnen und Mitstreitern, allen Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern und auch denen sehr herzlich danken, die wir beinahe vom Anti-Saulus zum Pro-Paulus in Sachen Parlamentsreform bekehrt haben.
Deshalb möchte ich heute auch nicht in Zorn auf Unzulänglichkeiten und Erfahrungen zurückblicken, sondern möchte einige Tips für die Zukunft dieses Bereichs unserer parlamentarischen Arbeit geben.
Meine Tips: Parlamentsreform ist eine permanente Aufgabe. Mit dieser Formulierung sind wir oft vertröstet worden, meine Damen und Herren. Ich finde in der Tat, es gibt keine Möglichkeit, Veränderungen unserer Arbeitsweise im Hauruckverfahren durchzusetzen. Aber wenn die schöne Formel von Parlamentsreform als permanentem Prozeß nicht gleichbedeutend mit dem Sankt-Nimmerleins-Tag ist, dann, glaube ich, sollte der nächste Bundestag diesen Prozeß in Gang setzen und vorantreiben. Wenn er das tut, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann würde ich diesen Prozeß ganz sicher nicht in den Geschäftsordnungsausschuß verweisen, denn der Geschäftsordnungsausschuß ist ein Gremium, das überwiegend von Geschäftsführern dominiert wird, die in der Regel kein großes Interesse an Veränderungen haben. Das ist meine Erfahrung.
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- Doch, so ist es. Ich habe ja oft genug dort gesessen. Das war ja wirklich trostlos, Herr Kollege Rüttgers, trostlos!
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Ich würde Parlamentsreform als Prozeß - wie seinerzeit Rainer Barzel und wie Präsident Jenninger in der Anfangszeit - zur Chefsache bzw. zur Chefinsache machen. Wenn wir das wollen, müssen wir das als eine Aufgabe des Parlaments dort ansiedeln, wo unser Präsident, unsere Präsidentin es will. Ich stelle mir eine solche Chefsache so vor, wie wir es anfangs hatten, nämlich als eine Art Runden Tisch ohne Hierarchien mit Experten, vielleicht mit dem einen oder anderen ehemaligen Abgeordneten, vielleicht auch einmal mit Journalisten. Kurzum, es sollte ein Gremium sein, das abseits der Tagesgeschäfte und der Tagesinteressen Parlamentsreform als Prozeß weiterbetreibt.
Was sollen die Schwerpunkte dieser Parlamentsreform als Prozeß sein? Ich nenne drei Schwerpunkte:
Erster Punkt: die Kontrollfunktion des Parlaments gegenüber Regierung und Exekutive stärken, stärken und noch einmal stärken.
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Vom Zerberus bis zum Staatsvertrag, bei all den aufgedrückten Entscheidungen in diesem Parlament erhob sich immer wieder die Frage: Wie versteht sich die erste Gewalt im Staat gegenüber der zweiten Gewalt? Darum rufe ich Ihnen noch einmal zu: Nehmen wir den Ruf „Wir sind das Volk! " auf und sagen wir: Wir sind die Volksvertretung! Das ist unsere Aufgabe, dafür werden wir gewählt.
Zweiter Punkt: Debattenordnung. Jede echte Streitkultur wird im Keime erstickt, wenn wir unsere Debatten so reglementieren, wie wir es immer wieder tun. Daher ist das Instrument der Kurzintervention, das ja eines der erfolgreichen Produkte unserer Bemühungen ist, eine gute Möglichkeit, endlich die sterile Debattenordnung nach der Stoppuhr aufzulockern.
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Drittens: Selbstverständnis und Funktion des Abgeordneten. Meine Damen und Herren, zuerst und zuletzt gilt - das ist mir wirklich wichtig - : Eigenverantwortung, Initiative, Ansehen, Glaubwürdigkeit, Zivilcourage des Hauses und seiner Abgeordneten lassen sich weder durch eine Geschäftsordnung von oben einführen noch garantieren. Das ist vielmehr jedem einzelnen Abgeordneten als Verfassungsauftrag auferlegt.
Die Klagen über Zwänge, über Reglementierung, über Fremdbestimmung, die wir immer zu hören bekommen, genügen nicht und helfen auch nicht weiter. Ich sage Ihnen: Es gibt mehr Möglichkeiten für den einzelnen Abgeordneten in diesem Parlament, als man gemeinhin annimmt. Diese Möglichkeiten müssen von jedem von uns besser als bisher genutzt werden.
Wir haben eine Menge neuer und gemeinsamer Initiativen ergriffen, und sie haben dieses Haus nicht, wie manchmal befürchtet und uns gesagt wurde, zum Hühnerhof gemacht. Vielmehr haben sie unsere Arbeit bereichert. Man muß natürlich öfter auch aufbegehren.
Auch für unseren demokratischen Mikrokosmos, das Parlament, gilt die Erkenntnis, daß die äußere Freiheit der vielen durch die innere Freiheit des einzelnen Abgeordneten bestimmt wird. Diese innere Freiheit brauchen wir und müssen wir nutzen.
Theodor Heuss hat es einmal so formuliert - vielleicht hören Sie einen Moment zu; Theodor Heuss ist immer gut zum Abschluß einer Legislaturperiode Die innere Freiheit des einzelnen ist das kostbare Gut, das Gott dem Menschen als Möglichkeit geschenkt hat, die als Aufgabe zu begreifen seine Würde bestimmt.
Ich denke, das ist das beste Rezept für die gewissenhafte Erfüllung unseres Verfassungsauftrages.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Becker ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will etwas aufgreifen, was Frau Hamm-Brücher zu Anfang gesagt
Becker ({0})
hat: Die Parlamentsreform ist eigentlich eine dauernde Aufgabe.
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Ich bin 15 Jahre im Geschäftsordnungsausschuß des Deutschen Bundestages, und ich kann das nur bestätigen.
Wir als Geschäftsführer haben uns in diesen 15 Jahren dieser Verpflichtung aber auch ständig unterzogen. Es gibt unterschiedliche Interessen; das gebe ich Ihnen zu.
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- Ich bedanke mich sehr; ich will es trotzdem sagen.
- Als Geschäftsführer haben wir in den letzten Jahren immer wieder auch daran gedacht, wie wir in diesem Parlament ordentlich miteinander verhandeln können. Alle Änderungen der Geschäftsordnung haben wir im Konsens zustande gebracht.
Ich glaube, daß die Rechte der Minderheit und die Rechte der Mehrheit, soweit eine Geschäftsordnung sie regeln kann, in diesen Jahren so gestaltet worden sind, daß wir heute anständig miteinander umgehen können.
Dazu kommt das, was Sie mit Ihrer Initiative dankenswerterweise an Anstößen gegeben haben. Aber auch da muß ich sagen - nun muß ich meinen Kollegen Bohl wirklich mit in Schutz nehmen - : Wir haben Ihnen lange zugehört; wir haben mit Ihnen stundenlang diskutiert. Wir haben Ihre Argumente aufgenommen. Wir haben sie sehr sorgfältig abgewogen, und wir haben vielen Ihrer Argumente zugestimmt. Wir haben uns dabei immer wieder nach der praktischen Machbarkeit hier im Parlament gefragt.
Wenn Sie nun zum Schluß fragen, ob sich das, was Sie in Ihrer Gruppe unternommen haben, gelohnt hat, meine ich: ja. Ein Beispiel haben wir soeben erlebt: Diese Kurzintervention wäre ohne Sie nicht möglich geworden. Die Geschäftsführer hätten sie nicht angeregt; das sage ich Ihnen frank und frei. Wir haben mit Ihnen diskutiert und waren der Meinung: Sie verlängern nur unnötig die Sitzungszeit; deswegen wollen wir so etwas nicht. Wir haben nachgedacht und kamen zu dem Schluß: So etwas trägt zur Belebung hier im Parlament bei; es eröffnet dem einzelnen die Möglichkeit, schnell einmal etwas zu einer Sache zu sagen. Ich glaube, das war eigentlich ganz eindrucksvoll.
Wir haben nicht nur diese Frage geregelt. Ich glaube, auch die Befragung der Bundesregierung, deren Einführung eines Ihrer Anliegen war, kann noch weitaus besser gestaltet werden, als wir das bisher gemacht haben. Ich gebe hier zu bedenken: Es handelt sich hierbei um ein Recht der Minderheit; jedenfalls betrifft es stärker die Minderheit als die Mehrheit. Warum sollte die Mehrheit der Koalitionsfraktionen die Regierung befragen? Deren Abgeordnete können die Minister einzeln befragen. Es ist also mehr ein Recht der Minderheit. Auch dies ist durchgesetzt. Ich glaube, wenn wir dies in der nächsten Wahlperiode etwas weiter ausgestalten, dann können Sie immer noch mit Stolz sagen: Auch daran war ich beteiligt.
Es gab dann eine kleine Modifizierung in den Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Für die Geschäftsführer stand schon einmal die Änderung dieser Richtlinien für die Aktuelle Stunde zur Debatte, und zwar ganz einfach deswegen, weil wir gefragt haben: Was soll das? Der ganze Betrieb wird aufgehalten. Es gibt jeden Tag eine Aktuelle Stunde. Wir beschränken das. In einer Woche soll es nur noch eine Aktuelle Stunde geben. Aber nun muß ich Ihnen, nachdem wir uns inzwischen an das System, nach dem wir hier verfahren, gewöhnt haben, sagen: So ganz schlecht ist es nicht. Manche Aktuelle Stunde ist vielleicht überflüssig, aber manche ist auch sehr wirkungsvoll.
Ich will ferner daran erinnern, daß wir durch die Vereinbarungen in bezug auf die vereinfachten Überweisungen - auch das war eine Anregung aus Ihrer Initiative - den Parlamentsbetrieb wesentlich entlasten haben.
Noch ein paar Bemerkungen: Die Präzisierung der Rechtsstellung der fraktionslosen Abgeordneten durch das Organstreitverfahren, das Herr Wüppesahl angestrengt hat, ist jetzt so in die Geschäftsordnung eingegangen, daß fraktionslose Ausschußmitglieder im Ausschuß ein Antragsrecht haben. Dies war vorher für uns nicht denkbar. Wir hätten das auch so ohne weiteres nicht akzeptiert.
Die Einfügung eines § 56 a, Technologiefolgenanalysen betreffend, in die Geschäftsordnung des Bundestages ist ja ebenfalls nicht von alleine zustande gekommen; sie war vielmehr Gegenstand mancher Debatten.
Es ist richtig, daß zahlreiche Änderungsanträge, die Ihre Gruppe gestellt hat, im Geschäftsordnungsausschuß keine Mehrheit gefunden haben. So hat sich z. B. der Geschäftsordnungsausschuß im Gegensatz zu dem, was wir hier beschlossen haben, darauf verständigt, daß die Ausschüsse nicht öffentlich tagen. Dies war eine Entscheidung des Geschäftsordnungsausschusses, der wieder aus einer etwas anderen Sicht als der der Abgeordneten, die sich zusammengefunden hatten, so beschlossen hat.
Wir wollen im 12. Deutschen Bundestag weiterberaten. Dies ist jedenfalls der feste Wille derer, die an den Initiativen beteiligt waren, und auch derer, die im Geschäftsordnungsausschuß vertreten waren. Dabei sollen insbesondere die Verfahren bei Aussprachen ohne Vorlage, die Regelung des bundestagseigenen Datenschutzes in der Geschäftsordnung und neue Verfahren der Behandlung von EG-Angelegenheiten weiter beraten werden. Denn so, wie wir dies in den letzten Jahren betrieben haben, kann man, glaube ich, nicht sagen, daß wir in diesem Bereich eine überzeugende Arbeit geleistet haben.
Ich glaube, daß auch in der nächsten Wahlperiode wieder neue Anregungen zur Änderung der Geschäftsordnung vorgetragen werden. Wir werden sie sorgfältig prüfen. Diejenigen, die Sie dahin gehend angegriffen haben, daß sie alles blockierten, nämlich die Geschäftsführer, machen sich selber ebenfalls Gedanken - da bin ich ganz sicher - , wer auch immer in dieser Funktion ist.
Becker ({3})
Die Anregungen, die aus dem Parlament kommen, werden wir sicherlich genauso sorgfältig beraten wie in der letzten Wahlperiode.
So werden wir das beherzigen, was Sie eingangs gesagt haben und was ich noch einmal bekräftige: Die Weiterentwicklung der Geschäftsordnung - möglichst im Konsens - ist eine permanente Aufgabe.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schwalbe.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als neues Mitglied im Bundestag und als neuer Parlamentarischer Geschäftsführer meiner Fraktion springe ich sozusagen auf einen fahrenden Zug auf, wenn ich hier voll in diese Debatte hineingehe. In Vorbereitung dieser Thematik mußte ich mir zwangsläufig Fragen nach dem notwendigen Hintergrund, nach der Sensibilität gegenüber der Problematik und nach meinem eigenen Beitrag stellen.
Als ehemaliges Mitglied der Volkskammer und Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/DA-Fraktion konnte ich mich ausführlich mit Geschäftsordnungen beschäftigen. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, daß durch die endlosen Geschäftsordnungsdebatten, die auf der Basis einer vereinfachten Geschäftsordnung in Anlehnung an die Geschäftsordnung des Bundestages in der Volkskammer stattfanden, oft Fragen aufgeworfen wurden, die nicht im Konsens geklärt werden konnten. Somit ergaben sich Probleme und Diskussionen, wie sie sich auch hier im Bundestag ergeben.
Liebe Frau Dr. Hamm-Brücher, ich möchte hier eigentlich sagen, daß es doch die Aufgabe der Geschäftsführer ist, sich um die Vervollständigung der Geschäftsordnung zu kümmern; denn sie werden ja am meisten damit konfrontiert.
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Hier und heute geht es nach der erfolgreichen Erprobungsphase der Regeln für die vereinfachten Überweisungen, für die Kurzintervention und für die Befragung der Bundesregierung darum, diese neuen und akzeptierbaren Verfahrensformen in der Geschäftsordnung des Bundestages zu verankern.
Innerhalb der Erprobungsphase wurden die neuen Regelungen von den Mitgliedern dieses Hohen Hauses auf Herz und Nieren geprüft. Abstimmungsprozesse nicht nur im Ältestenrat und im Ausschuß haben ihr übriges getan, den gesamten Vorgang für diese Wahlperiode heute abzuschließen.
Es hat sich in der Erprobungsphase, also in der Praxis, gezeigt, was praktikabel und was nicht praktikabel ist. Für diese Bereiche wurde ein guter Konsens gefunden. Trotzdem bleiben einige Punkte unberücksichtigt. Herr Kollege Becker hat den Bereich der Sondersitzungen bereits angesprochen.
Einzelne Punkte der Beschlußempfehlung und des Berichtes des Ausschusses sollen in den nächsten Deutschen Bundestag eingehen. Ich will hier nur das Verfahren bei Aussprachen ohne Vorlagen, zur Regierungserklärung oder zu Sondersitzungen gemäß Art. 39 Abs. 3 GG, den Fragenkomplex zum Datenschutz oder den zu EG-Angelegenheiten nennen.
Ich glaube, es ist sinnvoll, diese Probleme in der nächsten Wahlperiode wieder auf die Tagesordnung zu setzen; denn die neuen Abgeordneten werden hierzu sicherlich vieles Neue und auch einiges Alte mit in die Diskussion einbringen.
Mit meinen Ausführungen möchte ich darauf hinweisen, daß die Geschäftsordnung immer weiter entwickelt werden muß. Die Akzeptanz und die Arbeitsfähigkeit des Hauses zeigen sich aber nicht nur in der Geschäftsordnung und ihrer Handhabung; denn der einzelne Abgeordnete bestimmt sich immer noch durch sich selbst, nicht durch die Geschäftsordnung. Deshalb sollte die Geschäftsordnung ein Organisationsinstrument sein, für dessen Handhabung man keine juristische Ausbildung braucht.
({1})
Ich möchte meinen Kollegen Herrn Dr. Rüttgers zitieren, der bereits lange an der Parlamentsreform arbeitet. Er sagte im vergangenen Jahr: „Eine Geschäftsordnung ist Mittel zum Zweck, allerdings nicht mehr und auch nicht weniger." Ich möchte mich dem voll und ganz anschließen und hinzufügen: Dabei soll es auch bleiben. Deshalb freue ich mich auf die weitere Arbeit an der Reform der Geschäftsordnung.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Häfner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, das hat die Parlamentsreform nicht verdient: Die große Aufgabe der Parlamentsreform, die erheblichen Bemühungen von 190 mutigen Abgeordneten und die jahrelagen Beratungen des Geschäftsordnungsausschusses hierzu hätten einen angemesseneren Abschluß verdient,
({0})
als mal eben so unter „ferner liefen" am allerletzten Tag des 11. Deutschen Bundestages als vorletzter Punkt der Tagesordnung zu später Stunde für eine halbe Stunde behandelt zu werden.
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Parlamentsreform ist eine wichtige Aufgabe. Ein Parlament, das nicht ständig über seine Arbeitsweise nachdenkt und versucht, seine Debattenstruktur, seine Stellung gegenüber der Regierung und die Stellung des einzelnen Abgeordneten zu verbessern, wird zwangsläufig an Gewicht, an Einfluß und darmit auch an Lebendigkeit und an Ausstrahlung verheren.
Ich will zu dem, was uns als Beschlußempfehlung vorliegt, nur sehr summarisch Stellung nehmen. Von den Anträgen zur Kabinettsberichtserstattung, zur
Beantwortung mündlicher Fragen durch die zuständigen Ressortminister, zur Reihenfolge der Redner, zur lebendigeren Debattengestaltung, zum Wechsel zwischen Rede und Gegenrede, zur vereinbarten Redezeit, zusätzlichen Wortmeldungen sowie frei verfügbaren Redezeitanteilen bei längeren Debatten werden mit den Beschlüssen des 1. Ausschusses praktisch nur die Kabinettsberichtserstattung sowie die Überweisung im vereinfachten Verfahren umgesetzt.
Auch die Anträge zur Öffentlichkeit von Ausschußsitzungen, zur Angabe der verwendeten Materialien bei den Gesetzentwürfen der Bundesregierung, zur Auskunftserteilung durch die Bundesregierung, zur Aktenvorlage- und Antwortpflicht der Bundesregierung gegenüber Abgeordneten, zur Mitgliederzahl der Ausschüsse und zu Kleinen Anfragen als Recht jedes einzelnen Abgeordneten sollen abgelehnt werden.
Das Ergebnis der letztjährigen und nunmehr vorliegenden Änderungen zur Geschäftsordnung des Bundestages verdient den Namen „Parlamentsreform" nicht. Sogar das Wort „Reförmchen" kommt einem angesichts der vorgenommenen und vorgeschlagenen Änderungen nur schwer über die Lippen. Hier wurden gute Ideen und Vorlagen von Abgeordneten quer durch alle Fraktionen des Hauses zur Verbesserung des Ansehens des Deutschen Bundestages, zur interessanteren Gestaltung der Debatten, zur Verringerung des Ungleichgewichts zwischen Parlament und Regierung in bürokratischem Geist weggeputzt. Alles soll kontrollierbar, überschaubar bleiben. Nur bloß nicht mehr Demokratie, mehr Lebendigkeit wagen, das scheint nach wie vor das Motto einer Mehrheit dieses Hauses zu sein. Dabei wäre eine Parlamentsreform jetzt dringender notwendig denn je. Gerade angesichts des ständig wachsenden Übergewichts der Exekutive im Prozeß der deutschen Einheit, aber auch im europäischen Einigungsprozeß muß sich das Parlament zu Wort melden und seine eigenen Rechte ergreifen und verteidigen.
({2})
Das Parlament hat bis heute überhaupt keine ausreichenden Möglichkeiten, die Regierung ausreichend zu kontrollieren. Ich zitiere hier sehr gerne Frau Hamm-Brücher, die zu meinem großen Bedauern aus diesem Haus ausscheiden wird, die gesagt hat: Das Verhältnis zwischen Parlament und Regierung entspricht der Situation des Hündchens, das den Mond anbellen darf.
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Auch im Parlament selbst - Herr Bohl, weil Sie gerade den Zwischenruf machen - leiden die Debatten doch, das müssen wir zugeben, an ritualisierten Abläufen, Schaufensterdebatten nach außen und fehlenden Argumenten nach innen. Es gibt kein Zuhören, kein Eingehen aufeinander, sondern eher verbale Tiefschläge
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und von den Fraktionsführungen vorweg festgelegtes Abstimmungsverhalten, bei dem die einzelnen Abgeordneten nur selten den Mut haben, auszuscheren und, wie es das Grundgesetz ihnen vorschreibt, ihrem Gewissen zu folgen statt den Anordnungen, die ihnen gegeben werden.
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Darunter leidet nicht nur - übersehen Sie das nicht! - das Ansehen des Parlaments, sondern auch seine Funktion, seine Aufgabe und damit die Demokratie in unserem Land.
Im übrigen können wir meines Erachtens von unseren neuen Kolleginnen und Kollegen aus der ehemaligen DDR noch lernen, denn die haben oftmals weit lebendigere Debatten geführt, haben ihre Entscheidungen individuell abgewogen und häufig nicht wie die Hammelherde nach Fraktionsorder gestimmt. Ich hoffe, daß sie dies auch hier bei uns einbringen. Ich hoffe, daß die Einheit keine Einbahnstraße ist, sondern daß wir auch die Bereitschaft haben, manches Gute - denn das gibt es - von ihnen zu übernehmen, und sie nicht alles, jedenfalls nicht die schlechten Sitten, von uns übernehmen. Bei der Abstimmung über die gleiche Dauer von Wehr- und Zivildienst wurde meine Hoffnung enttäuscht. Ich hoffe, daß dies ein einmaliger Ausrutscher des gesamten Parlaments war.
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Wer nicht begreift, daß sich hier drinnen etwas verändern muß, wenn sich draußen im Lande die Umbrüche türmen, der hat nicht kapiert, daß Demokratie kein Endzustand ist, sondern ein ständiger Prozeß, der immer neu erkämpft und erstritten werden muß. In diesem Sinne werden wir über die Demokratisierung der Gesellschaft hinaus, über den Wunsch hinaus, Volksbegehren und Volksentscheid zusätzlich zu politischen Wahlen einzuräumen, im Parlament selbst an der Aufgabe der Parlamentsreform weiterarbeiten, damit dieser Ort und dieses Haus tatsächlich wieder ein Ort ist, an dem spannende Debatten und spannende Entscheidungen stattfinden, ein Ort, von dem aus die Regierung kontrolliert und die politischen Entscheidungen in diesem Land getroffen werden können.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Stolfa.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann hier logischerDeutscher Bundestag - 1 i. Wahlperiode Frau Stolfa
weise nicht beurteilen, was Sie in den vergangenen Jahren in bezug auf Veränderungen der Geschäftsordnung erreicht haben. Ich kann nur das Vorliegende einschätzen. Geschäftsordnungsreform heißt die Sache, die heute zur Debatte steht. Ich muß gestehen - da stimme ich Herrn Häfner zu -, daß ich das, was ich der mir vorliegenden Beschlußempfehlung des Geschäftsordnungsausschusses entnehme, recht dürftig finde.
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- Wir haben in dem halben Jahr bei uns in der Volkskammer sehr viel lernen müssen, viel schneller, als Sie lernen mußten.
In den entscheidenden Fragen wird bei der Verabschiedung der Beschlußempfehlung meines Erachtens nichts entschieden. Ursprünglich gab es drei Grundsatzforderungen, die da lauteten: Erstens Stärkung des politischen Gewichts des Parlaments und seiner Kontrollaufgabe gegenüber der Exekutive, zweitens offenere und lebendigere Gestaltung der Debatten, drittens Verbesserung der Mitwirkungsmöglichkeiten des einzelnen Abgeordneten gemäß Art. 38 Abs. 1 des Grundgesetzes. Wieviel ist davon übriggeblieben?
Punkt 1 war in Angriff genommen mit den Ideen von der Kabinettsberichterstattung bis zur befristeten Auskunftspflicht der Regierung. Das heute vorliegende Ergebnis ist eine in die Anlagen verwiesene Befragung, bei der zu allem Übel durch den gemäß § 28 Abs. 1 der Geschäftsordnung beibehaltenen Fraktionsproporz bei der Worterteilung dafür gesorgt wird, daß die Regierung nicht in allzu große Verlegenheit gebracht werden kann. Das Wahrnehmung von Kontrollaufgaben zu nennen fällt mir schwer, wenn ich mir vorstelle, wie die Parlamentsmehrheit ihr eigenes Kabinett kontrolliert.
Bei Punkt 2 mußte ich schmunzeln, als ich ihn las. Die wenigen Debatten, die ich erlebt habe, waren in der Tat ein beeindruckendes Beispiel dafür, was unter Offenheit und Lebendigkeit sowie Parlamentskultur verstanden werden kann.
({1})
Substantiell gäbe es dabei aus meiner Sicht gerade beim Rederecht einiges zu ändern, damit das Plenum sachbezogen arbeiten kann. Im Moment steht der Fraktionsproporz allerdings über der Sachbezogenheit und über der Mitwirkung möglichst vieler Abgeordneter, was dazu führt, daß sich Debatten sehr schnell zu leerem Wortgeklingel der Fraktionsspitzen vor halbleerem Saal, wie wir jetzt sehen, totlaufen. Eine etwas umfänglichere Regelung des Rechts der Zwischenfragen, das Abhilfe schaffen soll, lohnt einfach nicht das Papier der Drucksache, wie ich finde.
Zum Schluß Punkt 3 der ehemaligen Grundsatzforderungen, zur Verbesserung der Mitwirkungsmöglichkeiten des einzelnen. Es ist schon allerhand, wenn Bundestagsabgeordnete, die keiner Fraktion angehören und deshalb ohnehin nur beratend an Ausschußsitzungen teilnehmen dürfen, dort nun sogar Anträge stellen dürfen, über die sie nicht einmal abstimmen dürfen.
Der Benachteiligung folgt der Versuch, die Betroffenen der Lächerlichkeit preiszugeben, und das, obwohl das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 13. Juni 1989 die gleiche Mitwirkungsbefugnis aller Abgeordneten zur Voraussetzung dafür erklärt hat, daß das Parlament die Repräsentation des Volkes bewirkt.
Die vorliegende Regelung ist der Versuch, die eigentliche Lösung, die nicht einmal Abstimmungsergebnisse gefährden würde, solange es geht, hinauszuzögern.
Alles in allem muß ich abschließend leider feststellen, daß sich die Reform, wenn ich sie denn an ihren Zielen messe, als großer Flop erwiesen hat.
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Um Mehrheiten nicht nur in der Abstimmung, sondern auch in Wort und Bild vor den Wählern zu behalten, ist letztendlich, von ein bißchen Makulatur abgesehen, nichts geändert worden. Deshalb kann ich dieser Beschlußempfehlung nicht zustimmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Wüppesahl.
({0})
Das erste Mal diese Woche, daß ich spreche.
({0})
Diese Reaktionen zeigen, wie notwendig eine wahrhaft den Namen Reform verdienende Parlamentsreform nötig wäre.
Die Analyse über die Unattraktivität dieses Parlaments ist einhellig. Da gibt es keine Fraktion, die widersprechen würde. Ich bin mir deshalb auch sehr sicher, daß alle genauso einer Meinung sind, daß das, was heute an Veränderungen beschlossen werden soll, nichts an dieser Unattraktivität wird ändern können. Zu geringfügig sind die Korrekturen, die in diesen Drucksachen enthalten sind.
Weshalb ich mich aufgeschwungen habe, heute das Wort zu ergreifen, ist die Tatsache, daß ich erleben mußte, daß die SPD-Fraktion einen Sprecher nach vorne schickte, der inzwischen den Saal wieder verlassen hat
({1})
und der von seinem 10-Minuten-Redekontingent gerade sechs Minuten gesprochen hat. - Ich freue mich, daß er wieder in den Saal gekommen ist.
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- Dann haben Sie eben nicht zugehört!
Herr Wüppesahl, Sie müssen ein bißchen kürzertreten. Auch Sie sind erst in den Raum gekommen, als wir längst in der Debatte waren. Irgendwann hört der Spaß auf!
Herr Westphal, ich denke, daß Sie Ihre Rolle, die Debatte neutral zu moderieren, gerade - ({0})
Das fällt mir allmählich auch sehr schwer. Aber ich werde mich daran halten.
Gerade diese Abläufe auch jetzt wieder demonstrieren, wie weit es mit dieser Kultur gediehen ist.
({0})
die SPD spricht gerade sechs von zehn Minuten.
({1})
Die CDU schickt jemanden nach vorne, der die vier Jahre nicht erlebt hat, der vielmehr gerade aus der Volkskammer kommt und fünf von zehn möglichen Minuten spricht. Das drückt wie nichts anderes aus, wie unangenehm den beiden größten Fraktionen des Hauses diese Debatte ist
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und wie oberflächlich und arrogant sie sich darüber hinwegsetzen, was an Korrekturen erforderlich gewesen wäre.
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Dieses Parlament ist in der Tat zu einem Gutteil längst fremdgesteuert, nicht nur gesteuert von den Fraktionsspitzen, sondern in noch viel größerem Maße von den Parteispitzen außerhalb des Parlaments. Die Parteien haben sich dieses Parlament zum Gutteil angeeignet. Neben den Parteispitzen gibt es noch ganz andere Kräfte. Ich denke nur an entsprechende Wirtschaftskreise, den sogenannten Wirtschaftsadel, der in dieses Parlament hineinregiert
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und die eigentliche Aufgabe der sogenannten ersten Gewalt längst ad absurdum geführt hat.
Das das Parlament sich in seiner eigentlichen Aufgabe selbst ad absurdum geführt hat, beweisen nicht nur die Staatsverträge und viele andere Gesetzeswerke, sondern das beweist vor allem die Tatsache, daß die Abgeordneten - ein solches Spielchen kann man nämlich nicht allein von außen machen - mitspielen. In falscher Besessenheit auf ihre Karriere, auf den nächsten sicheren Listenplatz und ähnliche Kriterien, mit blankem Opportunismus
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lassen die Abgeordneten zu, daß die Regierung vorgibt, was die Mehrheit im Parlament nachvollziehen soll.
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Wenn man ständig die Vokabel „Funktionsfähigkeit des Parlaments soll gewährleistet werden" hört,
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dann will ich nur ein Beispiel dafür anführen, wie dieses von den eigenen Befürwortern dieser Argumentationslinie konterkariert wird: Redekontingent. Wie oft wurde gesagt „Ob nun Wüppesahl oder andere, die reden zu lange"? - Denken Sie einmal daran, daß 1983 eine ganze Fraktion hinzugekommen ist und plötzlich die Redekontingente sehr viel länger wurden! Denken Sie einmal daran, daß die PDS jetzt im Bundestag ist,
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und plötzlich dauert die Debattenstunde im Parlament nicht mehr 60 Minuten, sondern 65 Minuten! Viele andere Dinge dieser Art könnten ganz konkret angeführt werden, um darzulegen, wie teilweise geheuchelt diese Agumentationslinie, vor allem der Geschäftsführung, ist.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen!
Ich denke - ({0})
- Nun lassen Sie mich doch den Schlußsatz noch sagen!
Ich denke, daß die schlechten Politikergebnisse in der Bundesrepublik Deutschland weniger dem großen Problemdruck zuzurechnen sind als vielmehr dieser hier verkommenen Parlamentskultur.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({1})
Marie von Ebner-Eschenbach hat einmal gesagt: Mancher braucht ein großes Auditorium, weil die Fülle der Behauptungen, die er aufstellt, von einem einzelnen allein gar nicht verkraftet werden kann.
Meine Damen und Herren, ich möchte gern die Gelegenheit nutzen, einen Kollegen zu verabschieden, der heute zwar keine letzte Rede gehalten hat, aber die ganze Zeit als Schriftführer neben mir gesessen hat. Der Abgeordnete Schulze ({0}) ist heute das letztemal in offizieller Funktion als Schriftführer dabei.
({1})
Als jemand, der ihn fast so lange kennt, wie wir beide Politik machen, nämlich von 1945 an, sage ich ihm gern adieu und wünsche ihm auch in Ihrem NaVizepräsident Westphal
men eine gute Zeit nach der parlamentarischen Tätigkeit.
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Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 11/7987. Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. 1 mehrere Änderungen zur Geschäftsordnung. Diese Änderungen sind im einzelnen aus der Anlage zur Beschlußempfehlung ersichtlich.
Diese Änderungen sind unter der Nr. 1 zur Abstimmung zusammengefaßt. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 und der Gruppe der PDS ist die Nr. 1 der Beschlußempfehlung angenommen worden.
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- Ein einzelner Abgeordneter hat sich außerdem der Stimme enthalten.
Ich lasse jetzt über die Nr. 2 der Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/7987 abstimmen.
Der Ausschuß empfiehlt, die Anträge auf den Drucksachen 11/6, 11/2206 Nr. 8, 9 und 14, 11/2207 Nr. 3, 11/6020, 11/6023, 11/6025 und 11/6026 abzulehnen. Wer stimmt für diese zusammengefaßte Beschlußempfehlung? Ich bitte ums Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung unter Nr. 2 angenommen worden, und zwar gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 und der Gruppe der PDS.
({4})
- Und eines weiteren Abgeordneten.
Es ist jetzt über Nr. 3 und 4 der Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/7987 abzustimmen. Es geht da um das Inkrafttreten und um Kenntnisnahme, daß der Ausschuß die Beratung bestimmter Anträge in der kommenden Wahlperiode fortsetzen wird.
Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit sind die Nr. 3 und 4 der Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden.
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Jetzt kommen wir zum Zusatztagesordnungspunkt 21, der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 11/6923.
Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher und weiterer Abgeordneter auf Drucksache 11/6045 abzulehnen. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU- und der Stimmen der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP, der GRÜNEN/Bündnis 90 und der Gruppe der PDS angenommen
({6})
- Wo haben Sie abgestimmt?
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- Wir haben eine Sitzordnung, die es ermöglicht, vieles zu überschauen, aber nicht jeden einzelnen erkennen zu können. Ich bitte, das zu entschuldigen, Herr Wüppesahl.
Ich rufe nun die vorhin aufgesetzten Zusatzpunkte betr. Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({8})
Sammelübersicht 187 zu Petitionen
- Drucksache 11/8394 Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({9})
Sammelübersicht 188 zu Petitionen
- Drucksache 11/8395 Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wer für die Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/8394 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN/ Bündnis 90, der SPD und der Gruppe der PDS angenommen.
Ich lasse dann über die Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/8395 abstimmen. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit der gleichen Stimmenmehrheit angenommen worden.
Ich rufe nun Zusatztagesordnungspunkt 22 auf: Aktuelle Stunde
Die Folgen des Uranabbaus auf dem Gebiet der ehemaligen DDR
Auf Verlangen der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 ist entsprechend unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem vorstehenden Thema angesetzt worden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dörfler. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bundesumweltminister Töpfer - ich sehe ihn momentan nicht - stattete den ostthüringischen Betrieben der Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft Wismut in der vergangenen Woche einen Besuch ab. Laut dpa soll er erklärt haben, daß er sich dessen bewußt sei, daß an der Beseitigung einer gewaltigen Erblast gearbeitet werden müsse.
Gemeint waren offensichtlich neben Uraltlasten vergangener Jahrhunderte die Hinterlassenschaften des jahrzehntelangen Uranabbaus und der Uranver18798
arbeitung in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt über eine Gesamtfläche von 100 mal 100 km. Gemeint waren die Tagebaue, die Abraumhalden - nach offiziellen Angaben 3 000 an der Zahl - sowie die Schlammabsetzanlagen, von denen eine permanente radioaktive Gefahr ausgeht und im wahrsten Sinne des Wortes verbreitet wird. Durch Wind und Wasser werden radioaktive und giftige Stoffe, darunter Uran, Radon und Arsen, ungehindert durch die Landschaft transportiert, die dann den Boden, das Grundwasser, die Nahrungskette und nicht zuletzt die dort lebenden Menschen dauerhaft belasten.
Auf dem Gebiet der früheren DDR lagerten die größten Uranerzvorkommen Europas, die für den Bau von Atombomben und Reaktorbrennstoff hemmungslos ausgebeutet wurden.
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Auf mindestens 66 000 t Uranerz werden die noch vorhandenen Vorräte geschätzt. Auch wenn sich die weitere Ausbeutung, gemessen an den Weltmarktpreisen, wirtschaftlich nicht rechnet, so könnten diese Ressourcen für Deutschland zivil wie militärisch irgendwann einmal interessant werden. Wir wollen nicht den Teufel an die Wand malen. Doch was ist davon zu halten, daß die Bundesregierung allseits die Einstellung des Abbaus und der Verarbeitung von Uran zum 1. Januar 1991 verkündet und demgegenüber die SDAG Wismut nur von einem schrittweisen Herunterfahren der Produktion spricht?
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Wie lauten die konkreten Vereinbarungen, die die BRD mit der UdSSR bezüglich der bis zum Jahre 2000 laufenden Wismut-Verträge getroffen hat? Herr Bundesminister, hier erwarten wir eindeutige Antworten.
Wir möchten an dieser Stelle klipp und klar betonen, daß die Fraktion GRÜNE/Bündnis 90 für eine sofortige Stillegung des Abbaus und der Verarbeitung von Uran auf dem Gebiet der ehemaligen DDR eintritt.
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Die Kosten aller Altlasten im Uranbergbau der Wismut schätzte die Bezirksverwaltung Gera bereits auf 40 bis 50 Milliarden DM. Wir behaupten, daß diese Kosten noch um ein Vielfaches überschritten werden. Die entstandenen Lasten für Mensch und Umwelt sind also immens groß und dürfen keinen Tag länger anwachsen.
Die Bundesregierung weiß mindestens seit Ende 1989, seit der großen Urananfrage durch die Fraktion DIE GRÜNEN, Näheres über Strahlentote im Uranbergbau der DDR. Bereits seit Anfang 1990 gibt es Direktkontakte bundesdeutscher Behörden mit der Wismut. Spätestens seit dieser Zeit ist der Bundesregierung bekannt, daß in der Wismut eine große Anzahl von Lungenkrebsfällen als Berufskrankheit anerkannt werden mußten. Heute wissen wir, daß es sich um 5 132 Menschenschicksale handelt. Dennoch ist vermutlich dieses nur die Spitze der Erkrankungen und Todesfälle.
Angesichts dieser nicht erst durch den Töpfer-Besuch bekanntgewordenen Tatsachen ist es Beweis einer unglaublichen Menschenverachtung, wenn laut Einigungsvertrag die altstalinistischen Genehmigungen zum Uranbergbau für weitere zehn Jahren fortgelten sollen.
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Es zeugt weiter von unerhörter Ignoranz, wenn mit der deutschen Einheit die Strahlenschutzgrenzwerte der Bundesrepublik in den ostdeutschen Ländern keine Gültigkeit haben sollen.
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Statt dessen muten die Einheitspolitiker den Menschen in den Uranabbaugebieten östlich der Elbe eine 13fach höhere Strahlenbelastung zu.
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Es kommt aber noch schlimmer: Die Organdosiswerte, also die Organbelastungen, dürfen im niederen Osten sogar um das 55fache höher liegen als im Westen des einheitlichen Deutschlands. Hier besteht eminenter Klärungsbedarf durch die Regierung, wenn sich die Bewohner von Thüringen und Sachsen nicht als lebendes Experimentiermaterial begreifen sollen.
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Für den Fall, daß heute keine Erklärung dazu gegeben werden sollte, will ich vorgreifen. Die Einführung bundesdeutscher Strahlengrenzwerte zum 3. Oktober 1990 auf dem Gebiet der ehemaligen DDR hätte wohl per Gesetz zur sofortigen Schließung des Uranbergbaus samt Verarbeitung und Transport führen müssen. Darüber hinaus wären Sofortmaßnahmen zur Eindämmung der Gefahren für Mensch und Umwelt bis hin zu Evakuierungen notwendig geworden. Zu diesem radiologischen Notstandsgebiet hat man sich wohl nicht bekennen wollen. Statt dessen werden schaumige Versprechungen und Vertröstungen abgegeben, mit denen die immer noch gutgläubige Bevölkerung Sachsens und Thüringens hingehalten wird.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie unterbrechen. Die Redezeit ist überschritten.
Der letzte Satz. Das Unglaubliche an dieser Geschichte ist: Statt den betroffenen Menschen schnellstens zu helfen, wird die hochbelastete Region noch fortlaufend mit Giftmüll beliefert.
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Herr Abgeordneter Funke ist der nächste Redner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema „Die Folgen des Uranabbaus auf
dem Gebiet der ehemaligen DDR" ist leider kein Thema für eine Aktuelle Stunde, sondern das wird ein Dauerthema der nächsten Jahre sein.
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Der Bundesumweltminister hat bei seinem Besuch in den Bergbaugebieten Sachsens und Thüringens festgestellt, daß der Uranbergbau so schnell wie möglich zum Schutz von Menschen und Umwelt saniert werden muß. Er hat konkrete Hilfen für die Bevölkerung von Ronneburg und Schneeberg, den am meisten betroffenen Gemeinden, zugesagt. Die erhöhte Radioaktivität in den Bergbaugebieten führt zu einer Strahlenbelastung, die in Wohngebieten und bergbaulichen Betriebsanlagen auf Dauer unverantwortlich ist. Den Worten des Bundesumweltministers haben wir nichts hinzuzufügen.
Sanierungsmaßnahmen sind dringend notwendig. Im Vordergrund müssen selbstverständlich die Maßnahmen zur Abwehr von konkreten Gefahren für die Gesundheit der Beschäftigten und der Bevölkerung stehen. Es bleibt aber ebenfalls festzustellen, daß der Bundesumweltminister trotz der verheerenden Zustände zu Nüchternheit aufgerufen und vor Hysterie gewarnt hat.
Der Uranbergbau ist ein weiterer Beweis dafür, wie menschenverachtend der Sozialismus/Kommunismus mit den eigenen Werktätigen umgegangen ist.
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Die Überlegenheit der Waffenarsenale ging offensichtlich vor Sicherheit, Gesundheit und Menschlichkeit.
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Es ist höchste Zeit, Herr Kollege, daß wir mit diesen Zuständen grundlegend aufräumen.
({3}) - Auch im Westen; das ist völlig richtig.
Das deutschsowjetische Gemeinschaftsunternehmen wird zum Jahresende aufgegeben und aus wirtschaftlichen Gründen das Ende der Bergbaubetriebe eingeleitet.
Der Zeitaufwand für die Sanierung der Region wird mehr als zehn Jahre betragen. Dafür müssen z. B. die aufgeschütteten Halden abgetragen und im Restloch deponiert werden. Die Sickerwässer müssen aufgefangen und gereinigt bzw. zurückgeführt werden, um eine weitere radioaktive Verseuchung des Grundwassers und der Oberflächenwässer zu verhindern.
Die Sondermülldeponien sind gegen Umweltschäden zu sichern und ihre Sanierung zu einem späteren Zeitpunkt vorzubereiten.
Der Bundeswirtschaftsminister steht in der Verantwortung für die Abwicklung der Bergbaugesellschaften. Er hat die ungeliebten Anteile des ehemaligen DDR-Wirtschaftsministers übernommen.
Wir gehen davon aus, daß die Bundesregierung verantwortliche und angemessene Maßnahmen trifft, um so schnell wie möglich die Situation in den Bergbaugebieten und in der Region zu verbessern. Ich gehe auch davon aus, daß das Parlament an diesen Maßnahmen intensiv beteiligt wird.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Ganseforth.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Für das, was wir heute diskutieren, für die Probleme, vor denen wir stehen, ist die Politik von 40 Jahren SED-Herrschaft und PDS-Herrschaft verantwortlich.
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Das ist aber nur die eine Seite.
Die zweite zeigt, daß die zerstörerische Wirkung der Atomindustrie bereits bei der Urangewinnung beginnt und wahrscheinlich nicht nur dort zu solchen und ähnlichen Problemen führt.
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Das, was wir an Altlasten in den Uranfördergebieten Sachsens und Thüringens vorfinden, ist unvorstellbar. Je näher ich mich damit beschäftigt habe, um so entsetzter war ich. Ich glaube, es ist noch sehr viel mehr zu befürchten, als wir heute ahnen. Beispielhaft sei die Radonbelastung erwähnt; dabei handelt es sich um ein natürliches radioaktives Edelgas, das sich in Baumaterialien, z. B. in Häusern, konzentriert. Der Mittelwert der Radonbelastung liegt bei Gebäuden normalerweise bei 50 Becquerel pro Kubikmeter. Die Grenze der Normalbelastung liegt bei 250 Becquerel pro Kubikmeter. Die Spitzenwerte, die jetzt in den Uranabbaugebieten gemessen worden sind, liegen bei 15 000 Becquerel pro Kubikmeter. Das heißt, mit dem Spitzenwert sind die Häuser im Vergleich zum Mittelwert dreihundertmal so stark belastet, im Vergleich zum Grenzwert 60mal so stark. So viel zu den Häusern.
Über die Gesundheitsdaten der Wismut-Beschäftigten wissen wir noch weniger. Die Bundesregierung hat als Antwort auf die Kleine Anfrage der GRÜNEN Ende Juni gesagt, sie wisse nichts darüber. Überhaupt macht die Antwort der Bundesregierung auf diese Anfrage den Eindruck, als solle alles auf die lange Bank geschoben werden. Es wird auf viele Fragen geantwortet.
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Ich habe mir die Antwort auf die Frage 9 ganz gespannt angesehen. Da heißt es lapidar:
Über den tatsächlichen Umfang dieser Altlasten können erst gründliche Untersuchungen eine genaue Auskunft geben. Die Strahlenschutzkommission hat diesen Themenkreis noch nicht beraten.
Sicher ist das so. Gründliche Untersuchungen sind auch nötig. Aber man muß sehr schnell dazu kommen, eine Schadensbegrenzung zu machen, eine Bilanz zu
ziehen und eine Perspektive vorzusehen. Dazu wird es bei der Schwere der Probleme langsam Zeit.
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Für die Betroffenen ist diese Situation völlig unakzeptabel. Nach Aussagen der Wismut sind 39 000 Menschen dort beschäftigt, 17 600 Personen davon strahlenexponiert. Wieweit diese Angaben stimmen, wissen wir natürlich auch nicht.
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Der Uranabbau wird nun eingestellt. Die Beschäftigten blicken in eine ungewisse Zukunft. Sie, die 40 Jahre lang im wahrsten Sinne des Wortes ihre Haut zu Markte getragen haben, stehen nun vor dem Nichts. Ihre Wohnungen sind verstrahlt. Sie verlieren ihre Arbeit. Ihre Gesundheit ist belastet. Ihre Region ist durch Altlasten verseucht. Sie müssen schnell wenigstens eine Perspektive, eine Hoffnung bekommen. Die Sanierung wird in die Größenordnung von mehreren Milliarden D-Mark gehen. Keinesfalls darf noch flüssiger Sondermüll in diese belasteten Gebiete transportiert werden, wie es aussieht.
Töpfer soll gesagt haben, daß sofortiges Handeln nötig ist. Diese Aussagen kennen wir vom Minister. Er hat angekündigt. Aber die Ankündigungen dieses Ministers kennen wir auch.
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Er hat angekündigt, endlich eine Bestandsaufnahme der radiologischen Folgen des Bergbaus zu erarbeiten
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und eine Untersuchung des Gesundheitszustandes der Bevölkerung einzuleiten. - Wenn er es dann auch tut, ist das richtig. Aber seine bloßen Ankündigungen sind ein Problem. Sie genügen den Menschen nicht. Wir wissen, daß das Handeln immer auf sich warten läßt. Die Menschen brauchen Klarheit über ihre Zukunft. Das ist das, was vorangetrieben werden muß.
Schönen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Köhler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stehen bei der Wismut im Raum Gera und Westsachsen vor ungeheuren Problemen. Hier sehen Sie sehr deutlich, welche Problematik die Kommandowirtschaft der SED in 40 Jahren Herrschaft hinterlassen hat.
Der Fall Wismut kann als Paradebeispiel für die Torheit von Planwirtschaft und Kommandowirtschaft dienen. An Umweltinvestitionen wurde gespart. Das führte dazu, daß einerseits veraltete und damit meist umweltfeindliche Technologie verwandt wurde und andererseits eine extrem lange Nutzungsdauer der einzelnen Wirtschaftsgüter zu verzeichnen war. Die
Folge sind Schadstoffimmissionen in einer Höhe, wie wir sie uns kaum vorstellen können.
Die Ergebnisse werden jetzt überdeutlich. Die katastrophalen Folgen lassen sich nicht mehr verbergen, sondern kommen jetzt ans Licht.
So sieht die Schreckensbilanz der SED-Wirtschaft in Zahlen aus:
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Zwischen 1952 und 1989 wurden 6800 Uranbergleute mit Lungen- oder Bronchialkrebs registriert. In 5132 Fällen wurde diese Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt. Es liegen aber nur unvollständige Daten vor. Denn im Verschleiern der Tatsachen war selbst die SED immer groß.
Alarmierend sind deshalb auch erste Meßergebnisse, die eine Radonbelastung der Wohnhäuser in der Umgebung des Bergwerks von bis zu 100 000 Bq/m3 ans Licht brachten. Doch nicht nur ökologisch katastrophale Zustände mit Krankheiten als Folge sind festzustellen, sondern auch in allen anderen Bereichen manifestiert sich die Vermutung, daß es der SED jahrelang nur darum ging, ihre eigenen Vorteile zu verwirklichen.
Beim Besuch des Bundesumweltministers Dr. Klaus Töpfer wurde erstmals überdeutlich, welch grausame Wunden der Uranbergbau der deutsch-sowjetischen Wismut AG geschlagen hat. Wenn der Minister fordern muß, daß die Krankheitsdaten der Wismut-Beschäftigten nicht in alle Welt zerstreut, sondern ausgewertet werden sollen, dann läßt dies nur ahnen, wie in den vergangenen Jahren mit der sogenannten Sorge um den Menschen umgegangen worden ist.
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Es verwundert nicht, wenn bei den Untersuchungen in Westdeutschland bei vielen Kumpeln Staublunge festgestellt wird, es zu SED-Zeiten aber immer hieß, diese Kumpel hätten nur Bronchialbeschwerden. Auch das macht deutlich, daß Menschen hier nur Material waren. Es muß einmal ganz klar und deutlich gesagt werden, daß wir in 40 Jahren sozialistischer Planwirtschaft Ausbeutung in Reinkultur hatten.
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Die Kosten, die jetzt durch die Sanierung verursacht werden, sind immens. Niemand kann und wird erwarten, daß sich die Zustände von heute auf morgen ändern und aus einer Kraterlandschaft der Garten Eden wird. Es wird ein schwieriger, für viele auch schmerzlicher Prozeß, die Wismut AG sozial, ökonomisch und ökologisch so umzubauen, daß sie fit wird für die Soziale Marktwirtschaft. Immerhin geht es um ca. 30 000 Arbeitsplätze für Menschen aus den Ländern Thüringen und Sachsen.
Für viele dieser Beschäftigten wird es allein deshalb besonders schwierig, weil sie bisher einen sozialen Standard hatten, der über dem Durchschnitt in der ehemaligen DDR lag. Es ist durchaus zu erwarten, daß die Kollegen von links wieder gewaltig über die soziaKöhler ({3})
len Nöte einerseits und über die Nichtfinanzierbarkeit der Kosten andererseits lamentieren.
Aber gefragt, meine Damen und Herren, sind jetzt Ideen und Perspektiven. Nicht das Lamentieren über 40 Jahren Katastrophenwirtschaft und ihre Folgen hilft uns weiter, sondern nur das Entwickeln neuer Ideen, die dazu geeignet sind, mit den Problemen fertig zu werden. Ohne eine umfangreiche Sanierung und ein Konzept für den Umbau der Wismut AG wird es nicht gehen. Genau hier liegen aber auch die Chancen für die weitere Entwicklung.
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Die Wismut AG verfügt über eine Menge von Einrichtungen, die wirtschaftlich und ökologisch sinnvoll in anderen Wirtschaftsbereichen eingesetzt werden können. So könnten z. B. der große Transportbereich und der Baubereich im Straßen- und Eisenbahnbau eingesetzt werden. Ebenso könnten andere Bereiche wie Elektrizität, Verkehrsbetriebe und sonstige handwerkliche Berufe, die alle bei der Wismut AG vorhanden sind, beim Aufbau der dringend benötigten Infrastruktur zum Einsatz kommen.
Wenn wir die Ärmel hochkrempeln, dann schaffen wir das, aber gemeinsam und nicht drei Wochen nach der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, meine Damen und Herren; denn vorher sind 40 Jahre vergangen, und das Ergebnis von 40 Jahren Kommandowirtschaft ist nach Rußland gegangen.
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Dieses Land wurde ausgebeutet bis zur letzten Minute.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Stolfa. - Herr Abgeordneter, Sie wollten sich eben zu einer Zwischenfrage melden. Das gibt es bei Aktuellen Stunden nicht. Das muß man alles erst lernen.
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Meine Damen und Herren! Wir sind jetzt bei einem Problem, das mich sehr viel mehr betroffen macht als vorhin die Debatte zur Geschäftsordnung; ich muß es gestehen.
Durch den Uranbergbau sind in Teilen Thüringens, des Erzgebirges, der Sächsischen Schweiz ernste ökologische und gesundheitliche Schäden entstanden. Ich muß Ihnen gestehen, daß ich sehr betroffen bin über das Ausmaß und über die Leichtfertigkeit, mit der über Bedenken von Ärzten und Wissenschaftlern durch die ehemalige SED-Regierung hinweggegangen worden ist.
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Ihre Beseitigung erfordert schnelle Entscheidungen und rasches Handeln.
Als eine unbedingte Voraussetzung für die weitere Arbeit sehen wir erstens eine schnelle Erstellung unabhängiger wissenschaftlicher Gutachten, die Auskunft geben über die konkrete Gefährdungssituation von Mensch und Umwelt. Ich möchte mich hier auf Äußerungen, die vorhin von Herrn Dr. Dörfler getroffen worden sind, deutlich beziehen. Ergebnisse dieser Analysen sollten so schnell wie möglich, auch als Teilergebnisse, den Bürgern mitgeteilt werden, um ihnen eine klare und verbindliche Auskunft darüber zu geben, woran sie sind.
Eine sachliche Herangehensweise könnte der Problembewältigung förderlich sein. Die noch einzuholenden Gutachten sollten die Regierungen der Länder und die Bundesregierung nicht davon abhalten, Sofortmaßnahmen zur Beseitigung der Schäden, die bereits jetzt absehbar sind, in Angriff zu nehmen. Aber eine grundlegende Analyse der Situation ist nötig, um letztendlich eine koordinierte Schadensbeseitigung zu erreichen. Insbesondere müßte die tatsächliche Strahlenlast für jeden Ort ermittelt und die Situation müßte den Bürgern transparent gemacht werden.
Offensichtlich scheinen die Altlasten doch differenziert zu sein. Mit immer höherer Ausbeute bei der Gewinnung des Urans sind die in den Halden enthaltenen Rückstände sehr unterschiedlich. Die Halden, die in den 40er Jahren aufgeschüttet wurden, haben einen viel höheren Urangehalt als die neuen Halden. Das ist für den Bürger aber nicht erkennbar. Deshalb sind schnelle konkrete Angaben von amtlichen Stellen wirklich erforderlich.
Zweitens müssen mit der Sowjetunion die Möglichkeiten der Beseitigung der Folgeschäden geklärt werden, bis hin zu vertraglichen Vereinbarungen; denn vergessen wir bitte nicht, daß es sich um eine deutschsowjetische Aktiengesellschaft handelt.
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Im Zusammenhang mit der notwendigen Aufarbeitung der Halden und der Beseitigung der Belastungen in Deutschland stellt sich für mich die Frage nach der Urangewinnung auch für militärische Zwecke; denn Recycling bedeutet zugleich Urangewinnung, und Uran sollte nur noch für friedliche Zwecke nutzbar sein. Das ist wenigstens mein Standpunkt.
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- Dann klären Sie mich auf! Ich sage das als Laie.
Drittens müssen infolge dieser Schritte ein Stufenprogramm des Abbaus der Altlasten und dessen Finanzierung wirksam werden. Dazu sind erhebliche Bundesmittel erforderlich.
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Als wesentlicher Bestandteil dieses Stufenprogramms ist ein komplexes Wirtschaftsförderungsprogramm für die betroffene Region erforderlich.
Wir sind eindeutig für die Beendigung des Uranabbaus. Damit sind aber auch gleichzeitig - das sollten wir bedenken - 34 000 Arbeitsplätze direkt betroffen. Ohne die Schaffung neuer Arbeitsplätze wäre dann auch die gesamte Region nicht lebensfähig. Deshalb sollten bei der Erarbeitung der Maßnahmen auch
Frau Stolta
betroffene Bürger und Bürgervertreter sowie die Gewerkschaften und Betriebsratsvertreter einbezogen werden. Dieses Förderungsprogramm muß die anstehenden Strukturveränderungen faßbar enthalten und soziale Abfederungen für die Bürger vorsehen, für die keine Lösungen gefunden werden.
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- Ich würde sie Ihnen gern geben, wenn ich sie persönlich hätte.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Rehm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor einigen Tagen besuchte unser Umweltminister Klaus Töpfer meine erzgebirgische Heimat in Schneeberg und Aue. Er hat nun vor Ort erlebt, daß das Erzgebirge nicht nur das Weihnachtswunderland ist. Sicher war er auch sehr betroffen über die Umweltbelastung und die hohe Strahlungsintensität in manchen Wohnhäusern, nicht in allen.
Man muß aber auch wissen, um diese Problematik einschätzen zu können, daß es die Wismut AG nicht allein ist, die diese Strahlung verursacht, sondern unser Gebiet, das Erzgebirge, war durch den Silberbergbau schon im Mittelalter jahrhundertelang einer gewissen Strahlung ausgesetzt. Aber trotz dieser furchtbaren Hinterlassenschaften des SED-Regimes bei Wismut, trotz der Schäden, die uns traurig, aber auch zornig stimmen - Mensch und Umwelt sind geschädigt worden - , sind wir keineswegs so pessimistisch, wie man es uns oft unterstellt. Ein erzgebirgisches Tschernobyl, wie es prophezeit wurde, wird es nicht geben.
Dabei will ich Ihnen nichts verharmlosen. Ein kurzes Beispiel sei mir gestattet, um Ihnen die menschenverachtende Politik der SED auch hier deutlich zu machen. In einer stillgelegten Zeche in meinem Heimatort, die kein Uran mehr förderte, mußten unter strengster Bewachung russische Soldaten in Schutzanzügen an der Oberfläche radioaktives Gestein abtragen. Zwei Meter hinter dem Bretterzaun standen zur gleichen Zeit Menschen, darunter viele Kinder an der Bushaltestelle. Diese wurden natürlich nicht gewarnt, aber dies ist nur ein Einzelbeispiel.
Jahrzehntelang, bis zum 18. März dieses Jahres, waren etwaige Untersuchungen und Zahlen für uns tabu. Sie gab es nicht, sie durfte es nicht geben.
Seit dem Besuch von Umweltminister Töpfer ist in meiner Heimat ein großes Hoffnungszeichen gesetzt. Maßnahmen der Bundesregierung werden umgehend eingeleitet, um die Schäden zu begrenzen. Zum Beispiel werden wir erstmalig in Schneeberg ein Informations- und Beratungszentrum zu dieser Thematik haben. Das gab es bei uns noch nicht. Außerdem wird eine Arbeitsgruppe beim Bundesministerium für Umweltschutz gebildet, die sich speziell dieser Problematik der Überwindung der Schäden durch den Uranabbau annimmt, und ich werde mich bemühen, daß ich da selbst mitarbeiten kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier steht ein Kind des Erzgebirges vor Ihnen. Ich lebe und arbeite schon 40 Jahre dort,
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und wie Sie sehen, bin ich eigentlich noch recht gesund und munter.
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Wir brauchen jetzt keine Kassandrarufe und Schwarzmalereien, sondern wieder Mut und Vertrauen, um in unser Gebiet zu investieren.
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40 Jahre SED-Herrschaft, die nicht der Erhaltung unseres Gebiets dienten, sondern letztendlich das Sterben förderte, sind Gott sei Dank vorbei.
Helfen Sie mit, auch unsere Region zu einem blühenden Land unseres Vaterlandes zu machen! Die Menschen dort werden es Ihnen danken.
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Herr Abgeordneter Dörfler hat das Wort.
Meine Damen und Herren! Nach diesem optimistischen Beitrag möchte ich Ihnen noch einige Realitäten mitteilen. Unsere Fraktion fordert die sofortige Stillegung des Uranbergbaus und der Uranverarbeitung und einen umfassenden Soforthilfe- und Sanierungsplan. Darin sollten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen enthalten sein. Wir fordern die Bundesregierung auf - das ist unser Angebot zur Finanzierung - , die von der EG bereitgestellten 6 Milliarden DM Strukturbeihilfe für die ehemalige DDR umgehend mit einem Beitrag von 4 Milliarden DM für die Sanierung der am stärksten betroffenen Wismut-Gebiete sowie für den Schutz der dort lebenden Menschen abzurufen.
„Wo Gefahr ist, da ist auch Geld", sagte Herr Töpfer kürzlich bei seinem Besuch in dem Uranbergbaustädtchen Schneeberg. Es wäre makaber, wenn sich diese Worte als Schnee entpuppten, nämlich als Variante eines neuen DM-Versprechens anläßlich der bevorstehenden Wahl, um jenen in Not geratenen Menschen die ersehnten Wahlergebnisse zu entlocken.
Unsere Fraktion verlangt weiterhin eine Bearbeitung der bei der Wismut vorliegenden 44 400 Krankenakten durch unabhängige Wissenschaftler sowie die Offenlegung der Ergebnisse. Vertuschungen und Beschönigungen nehmen wir nicht mehr hin. Diese Tragödien, von denen wir heute gehört haben, die bislang verheimlicht wurden oder die sich in den Uranbergbaugebieten in der sogenannten Dritten Welt abspielten, werden nun auch bei uns, mitten in Deutschland, in großem Maßstab erfahrbar.
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Die Folgen der Uranwirtschaft - so deutlich muß es hier gesagt werden - , sind nicht nur unbezahlbar, sie sind auch tödlich. Nicht zuletzt deshalb fordern wir, daß die Sanierungskosten des Uranbergbaus endlich
auch den Nutzern der Atomkraft und der Atomindustrie anzulasten sind.
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Meine Herren, das sage ich auch in Richtung der SPD, und nicht nur in Richtung der CDU/CSU und der FDP. Statt den weiteren Ausbau der Atomwirtschaft in der ehemaligen DDR zu fördern, wie es die Bundesregierung vorhat, muß das Geld unverzüglich jene Menschen erreichen, die bisher die Lasten des Uranbergbaus zu tragen hatten.
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Meine Damen und Herren, das Uran muß im Boden bleiben.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schemmel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Uranbergbau in Thüringen und Sachsen steht vor dem Aus. Weit über 100 000 Menschen stehen vor einer ungesicherten Zukunft. Den Menschen in dieser Region von Ronneburg bis Johanngeorgenstadt bleiben nur verseuchte Abraumhalden, Absetzbecken und Schlammteiche, und ihnen verbleibt nur wenig konkrete Hoffnung. Die Region wurde im wahrsten Sinn des Wortes an Leib und Seele über eine Generation lang geschunden. Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich lebe in dieser Gegend, in Altenburg.
Ich könnte auch, wenn die Thematik der Aktuellen Stunde nur etwas weitergefaßt wäre, von weiteren lebensbedrohlichen Altlasten in dieser Region sprechen, in der Uranbergbau an verwüstete Braunkohlenlandschaft und die Halden der Carbochemie angrenzt. Wir müssen mit aller Kraft verhindern, daß diese Region zum Stiefkind des Wiederaufbaus in den neuen Bundesländern wird.
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Notwendig ist, zuerst die Altlasten genau zu erfassen, wie dies auch Bundesumweltminister Töpfer angekündigt hat. Nur, bei der Erfassung der Schäden an der Gesundheit der Menschen, der Landschaft und an den Häusern dürfen wir nicht stehenbleiben.
Wenn diese Region wieder gesunden soll, dann ist vor allem die Bundesregierung gefordert, maßgeblich die Sanierung und den Aufbau nach allen Kräften zu unterstützen. Die Sanierung des Uranbergbaus ist eine große gesamtstaatliche Aufgabe des vereinigten Deutschlands. Eine derartige Aufgabe hätte aus meiner Sicht im Einigungsvertrag wesentlich größeres Gewicht erlangen müssen.
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Dies ist jedoch nur eine der Positionen, in der wir, die
Parlamentarier aus den fünf neuen Bundesländern,
auch in Zukunft Nachbesserungen zum Einigungsvertrag von der Bundesregierung einklagen werden.
Wer jetzt die Menschen im Uranabbaugebiet Sachsen und Thüringen mit den Folgen des Uranabbaus im Stich läßt und meint, mit einmaligen Abfindungen an die Arbeiter und Angestellten seine Pflicht und Schuldigkeit getan zu haben, der versündigt sich an den Menschen dieser Region. Ich rede übrigens von Abfindungen, die bisher nicht zu den versprochenen Terminen gezahlt wurden.
Die Sanierungskosten nur für die Anlagen, die Häuser, die Städte und die Flüsse liegen bei mindestens 20 Milliarden DM.
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- Richtig, wesentlich höher. - Dies können weder die Menschen in der Region noch die finanziell ungenügend ausgestatteten Länder Thüringen und Sachsen allein bestreiten.
Die SPD fordert deshalb von der Bundesregierung einen Sanierungs- und Wiederaufbauplan für das Uranabbaugebiet. In diesem Plan ist konkret anzugeben, in welchen Schritten in den nächsten Jahren die Sanierung erfolgen soll und wieviel Arbeitsplätze dadurch gesichert werden. Mit Almosen lassen wir uns dabei nicht abspeisen. Wir verlangen von der Bundesregierung eine kräftige öffentliche Hilfe in Milliardenhöhe. Wenn die Halden abgetragen werden, wenn die uranhaltigen Schlammteiche gesichert werden, wenn die verstrahlten Häuser saniert werden, dann müssen wir gleichzeitig neue Arbeit für die alte und die neue Generation schaffen.
Im Uran lagen vor einer Generation die Hoffnungen der Region und ihrer Menschen. Heute erkennen wir, wie ein hemmungsloses Ausbeuten der Naturressourcen sowie ein menschen- und naturverachtendes Regime diese Hoffnungen in eine tödliche Gefahr verkehrten. Deshalb ist es um so dringlicher darauf zu achten, daß unsere sozialdemokratische Forderung nach sozialer Einigung und ökologischer Neugestaltung auch und ganz speziell für dieses Gebiet durchgesetzt wird.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft, Herr Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das sowjetisch-deutsche Gemeinschaftsunternehmen Wismut hat seit Ende des Zweiten Weltkriegs große Mengen an Uran aus den Bergwerken in den Bundesländern Sachsen und Thüringen gefördert und an die Sowjetunion geliefert. Beide Staaten sind, wie Sie wissen, zu gleichen Teilen an dem Unternehmen beteiligt.
Der Bundeswirtschaftsminister hat mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten die Rechtsnachfolge des bisherigen Aktionärs, des früheren Ministe18804
riums für Wirtschaft in Ost-Berlin, angetreten und damit ein schweres Erbe übernommen. Das Ausmaß der mit dem Uranabbau verbundenen Probleme ist im Detail und in seiner Größenordnung noch nicht bekannt und auch noch nicht einschätzbar. Wir arbeiten derzeit hier sehr eng mit dem Bundesumweltminister zusammen.
Aber sicher ist bereits jetzt, daß der Uranbergbau in Sachsen und Thüringen Altlasten hinterläßt, deren Sanierung Milliardenbeträge erfordern wird.
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Sicher ist aber auch, daß die Uranproduktion, wie sie derzeit in Sachsen und Thüringen noch betrieben wird, nach westlichen Maßstäben unwirtschaftlich ist und daß daher Grubenschließungen unausweichlich sein werden. Deshalb haben wir im Vertrag mit der UdSSR über einige überleitende Maßnahmen vereinbart, daß der Uranabbau zum Jahreswechsel eingestellt werden wird. Ich möchte also auch dem Kollegen Dörfler gern sagen
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- ich habe ein bißchen weiter nach links geschaut, weil sich das so anhörte -, daß der Uranabbau eingestellt wird und daß bis zum Jahre 2000 - wenn es so lange dauern wird - natürlich die Zeit zur Aufbereitung und zur Aufarbeitung der Rückstände aus den bisherigen Produktionsprozessen genutzt werden wird. Wir können das alles ja nicht so liegenlassen, wie es sich da im Berg befindet. - Die eigentliche Produktion wird zum Jahresende eingestellt. So ist es auch mit dem sowjetischen Teilhaber vereinbart.
Meine Damen und Herren, in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe werden die damit zusammenhängenden Fragen geregelt. Betriebsstillegungen, die ohne Zweifel erforderlich werden, werden natürlich nicht von heute auf morgen durchgeführt. Wir werden die erforderlichen Maßnahmen unter Berücksichtigung aller ökologischen und sozialen Aspekte behutsam ergreifen, dann aber konsequent umsetzen.
Mit der Übertragung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" auf das Gebiet der bisherigen DDR können nun die Schaffung und die Sicherung wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze insbesondere in Problemregionen gefördert werden. Gewerbliche Unternehmen erhalten Investitionszuschüsse, und Kommunen erhalten Zuschüsse für die Entwicklung einer wirtschaftsnahen regionalen Infrastruktur. Frau Kollegin Rehm, die Bundesregierung läßt Ihre Region also nicht im Stich.
Jetzt möchte ich noch etwas zu Herrn Dörfler sagen. Sie, Herr Dörfler, fordern hier von der Bundesregierung ein Vier-Milliarden-DM-Begleitprogramm, und zwar ein zusätzliches. Ich muß Ihnen sagen, daß die Kosten der Altlastensanierung - Sie oder einer Ihrer Vorredner haben auch eine Summe genannt - natürlich nicht auf diese 4,5 Milliarden DM beschränkt sein können, die nach altem Umweltrecht der DDR berechnet sind. Wir gehen eher davon aus, daß die Kosten eine zweistellige Milliardensumme erreichen werden. Ich denke schon, daß das ein ganz erheblicher Beitrag der deutschen Bevölkerung zur Sanierung dieser sozialistischen Altlast ist. Im übrigen wäre es vielleicht ein konstruktiver Vorschlag oder auch eine Anregung, einmal zu fragen, ob nicht vielleicht die Milliarden des PDS-Vermögens hier herangezogen werden könnten.
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Meine Damen und Herren, wir befinden uns derzeit im Stadium der Bestandsaufnahme, auf deren Grundlagen Konzepte für die künftige Entwicklung der sowjetisch-deutschen Aktiengesellschaft Wismut ausgearbeitet werden. Ich kann mir z. B. vorstellen, daß Teilbereiche des Unternehmens außerhalb des eigentlichen Bergbaubetriebs, beispielsweise Maschinenbau und Montagebetriebe, mit hochmotivierten Mitarbeitern, einer soliden und guten Infrastruktur und modernen Anlagen durchaus wettbewerbsfähig sind und als eigenständige kleinere und mittlere Gesellschaften aus dem Unternehmensverbund herausgelöst werden und dann auch weiter und erfolgreich bestehen können.
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- Wir wollen das versuchen, Herr Kollege Gerstein. Wir wollen es nicht nur, wir müssen es versuchen.
Es scheint mir im übrigen auch naheliegend zu sein, zumindest einen Teil der Bergleute umzuschulen und auch bei der Sanierung der Altlasten wieder einzusetzen.
Meine Damen und Herren, was auch immer das Ergebnis unserer Bestandsaufnahme sein wird, ich kann versichern, daß wir bei aller Dringlichkeit - die Umweltsituation in den betroffenen Gebieten erfordert in der Tat rasches Handeln - mit der gebotenen Sorgfalt Entscheidungen treffen werden, bei denen soziale Aspekte der im Unternehmen Wismut beschäftigten Mitarbeiter in bestmöglicher Weise berücksichtigt werden.
Vielen Dank.
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Jetzt kommt der Abgeordnete Harries dran.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als ich vorgestern von der Aktuellen Stunde, die von der Fraktion der GRÜNEN beantragt worden war, hörte, habe ich überlegt, was Inhalt und Speerspitze dieser Aktuellen Stunde aus der Sicht der Fraktion der GRÜNEN werden können. Ich habe gedacht: Wird uns hier ein zweites Tschernobyl vorgestellt, oder geht es um die sozialen Belange der dort ansässigen Arbeitnehmer, oder geht es um die Beseitigung der Altlasten? Nichts von dem! Das waren in Ihren Redebeiträgen hier nur marginale Fragen. Sie haben hier einen Popanz aufgebaut,
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der in sich zusammengefallen ist. Sie haben gesagt, es bestehe die Gefahr, daß der Uranbergbau jetzt von der neuen, größer gewordenen Bundesrepublik fortgesetzt werde. Davon, meine Damen und Herren, kann nun wirklich keine Rede sein.
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Der Bundesumweltminister und der Bundeswirtschaftsminister - eben haben wir es von ihnen nochmals bestätigt bekommen - haben bereits vor Tagen eindeutig erklärt, daß der Uranbergbau in dieser sächsischen Gegend eingestellt wird
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und daß zum Jahreswechsel dort nicht mehr Uran für militärische Zwecke abgebaut wird. Hier wird ein Stopp gemacht. Nur technische Gründe, meine Damen und Herren, führen zu der notwendigen Konsequenz, daß das offenbar in Etappen zu erfolgen hat.
Wir danken ausdrücklich für diese Entscheidung, die doch, meine Damen und Herren, 40 Jahre eines trostlosen Besatzungskapitels der deutschen Geschichte wirklich zu Ende bringt, ein Kapitel der letzten Jahrzehnte, die ohne Vorsorge und ohne Fürsorge für die dortige Bevölkerung gewesen sind.
Wir sind ebenso dem Bundesumweltminister dankbar, der sofort Handlungsbedarf erkannt hat, der vor Ort war, der mit den Bürgern kritisch diskutiert hat und sich den Fragen gestellt hat, der hier allerdings auch zur Nüchternheit appelliert hat. Denn darüber müssen wir uns einig sein, und darüber müssen wir uns ganz schnell klarwerden: Wenn hier der Eindruck hervorgerufen wird, man könne im Hauruckverfahren durch Sofortprogramme mit Milliardenbeträgen die dort vorhandenen Probleme lösen, dann, meine Damen und Herren, ist das ein grundlegender Irrtum. Es muß aber gehandelt werden, um die Probleme erst einmal aufzuarbeiten.
Dabei ist es unser erstes Anliegen und auch das erste Anliegen der Bundesregierung, Wege und Mittel zu finden, um Arbeitsplätze zu sichern. Das scheint möglich zu sein - Sie haben es gesagt, Herr Staatssekretär - , und zwar durch Weiterführung der Nebenbetriebe, die in den letzten Jahrzehnten in dieser AG tätig waren. Hier gibt es Möglichkeiten und Chancen, die genutzt werden müssen.
Zweitens. Die Krankheitssymptome, die Sie und die meine Kollegen hier geschildert haben, müssen sauber aufgearbeitet und analysiert werden. Es wird eine Zeit dauern, ehe hier die medizinische Vorsorge, zu der wir uns bekennen, greift.
Drittens müssen die Altlasten aufgearbeitet werden. Dabei ist eine Einteilung in Sofortmaßnahmen und in mittel- und langfristige Maßnahmen erf orderlich. Geld, sehr viel Geld gehört zu diesem Konzept. Das wird kommen; dazu bekennen wir uns. Auch das sind Lasten aus der Vergangenheit. Nur die deutsche Einheit schafft es, hier die Weichen in eine neue Zukunft für die Bevölkerung in diesem Raum zu stellen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Vosen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich müßte man Sie jetzt bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben und mit mir fünf Minuten zu schweigen, aus Trauer über diese zerstörte Natur und Landschaft. Hier wäre eigentlich eine fünfminütige Gedenkzeit angezeigt, wenn man sieht, daß wir hier eine von Menschen gemachte Naturkatastrophe vorfinden.
Es ist eine militärische Erblast für Atombomben, die zu nichts anderem taugen, als Menschen zu bedrohen. Es ist auch eine Erblast für die zivile Nutzung der Kernenergie, die wiederum - das prophezeihe ich heute schon - die nächste Altlast ist, über die wir uns in einigen Jahren unterhalten werden
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und die ähnliche Kosten verursachen wird, wie die, die hier jetzt in Rede stehen. Das gilt sowohl für die gesamte Bundesrepublik als auch für den Westen der Bundesrepublik. Das kommt auf uns zu.
Ich meine, wir müssen uns überhaupt überlegen, ob es mit dem Abbau von Uran seine Ordnung hat, und zwar nicht nur national, sondern auch weltweit. Das muß man sich fragen.
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- Herr Gerstein, ich frage mich, ob die Gruben in Kanada weniger Radongase freisetzen als die in der ehemaligen DDR.
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Ich frage mich weiter, ob die Gruben in Afrika, in Australien unter Arbeitsschutzbedingungen betrieben werden, wie wir sie hier bei uns haben.
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- Ja, das frage ich mich. Ich habe da meine Zweifel. Ich will nicht, daß auch noch in anderen Teilen der Welt Menschen verstrahlt werden. Das wird ja alles so hingenommen, als ob das nicht stattfinden würde.
Ich denke, daß die Probleme, die wir mit dem Uranabbaugebiet in der ehemaligen DDR haben, eine nationale Angelegenheit sind. Wir können nicht davon ausgehen, daß die dortigen schwachen Bundesländer das regeln können. Deswegen ist die Summe, die wir aufzuwenden haben - ich will gar nicht die Höhe dieser Summe nennen -, national aufzubringen. Wenn ich mir in Erinnerung rufe, daß es viele Leute gibt, die demnächst ohne Arbeit sind, was von uns allen zu finanzieren sein wird, entweder über die Bundesanstalt für Arbeit oder über die Kommunen, über Sozialleistungen, oder über die Länder, dann frage ich mich, ob es nicht sinnvoll wäre, jetzt ein wirklich um18806
fassendes nationales Ökologieprogramm aufzulegen, um die schlimmsten Auswirkungen, die dort vorhanden sind, unter Kontrolle zu bringen.
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- Ich habe mit Oskar - er ist ein netter Mann - in dieser Frage inhaltlich viel gemeinsam; aber meine Worte sind nun einmal frei.
Ich sage an die Kollegen von der PDS: Ich möchte mich an diesem Schwarzer-Peter-Spiel nicht beteiligen. - Ich kann Ihnen nur sagen: Ihr seid ja froh, daß ihr sie habt; sie sind jetzt an allem schuld. - Aber so einfach ist es nicht. Ich frage Sie einmal - nicht die hier Anwesenden; denen unterstelle ich nichts, auch nicht den Kollegen aus den neuen Bundesländern - : Waren deren Vorgänger alleine verantwortlich, oder waren es nicht auch, ich sage einmal: diejenigen, die sich Blockparteien nannten, die CDU oder die Liberalen?
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- Ich will Ihnen einmal sagen: So einfach ist es nicht, sich aus der Verantwortung herauszuschmuggeln.
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- Ich mache keinen Skandal. Das muß hier einmal gesagt werden; ich nenne hier ausdrücklich keine Anwesenden.
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Aber in der Verantwortung dieser Parteien stehen auch Sie; das muß man hier einmal sagen.
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- Das hören Sie nicht gern. Es gibt böse Zungen, die sagen: Das sind die Christkommunisten - die alten, ich sage nicht: die neuen. Ich weiß aber, daß Sie das nicht gerne hören.
Ich meine nur, daß die Verantwortung nicht immer nur einer Seite zugeschoben werden kann. Wir alle haben jetzt eine nationale Verantwortung.
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Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist schon vorbei.
Gut, dann werde ich noch einmal kommen.
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Der Abgeordnete Schwarz ist der nächste Redner.
Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich, Herr Kollege Vosen,
({0})
habe ich gedacht, daß die Aktuelle Stunde, beantragt von den GRÜNEN - das hat der Kollege Funke gesagt - , dem Thema nicht gerecht werden kann.
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Aber daß Sie, Herr Kollege Vosen, sich auf das Glatteis der GRÜNEN begeben und die Auseinandersetzung mit uns, der Union, in der Form suchen, wie Sie es eben getan haben, ist eine Schande für das Parlament, für Sie und Ihre Partei.
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Wenn Sie meinen, Herr Kollege Vosen, Sie könnten die Erblast der Kommunisten, der SED/PDS, noch lange einem Teil des Hauses zuschieben, dann verlassen Sie eine wichtige Plattform zum Aufbau dessen, was in den neuen Ländern der Bundesrepublik aufzubauen ist. Aber das scheint Ihr Stil zu sein.
An die GRÜNEN: Sie haben die Aktuelle Stunde beantragt, aber Sie sitzen nur noch mit vier Männeken hier und halten alle anderen Kollegen auf, die hier noch sitzen.
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- Entschuldigung, ich bin nicht unverschämt. Der Herr Kollege Häfner hat der Kommission angehört, die eine Reform des Parlamentarismus wollte.
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Wenn man schon eine Aktuelle Stunde beantragt und sie ernst nimmt, sollte man wenigstens als Antragsteller hier anwesend sein.
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Lassen Sie mich an meinem letzten Tag als Mitglied eines Parlaments folgendes sagen: Von Parlamentreform zu reden und durch den Mißbrauch Aktueller Stunden so mit dem Parlament umzugehen, wie Sie als GRÜNE es getan haben, ist ein negativer Beitrag zur Parlamentsreform und dient in der Regel nicht der Sache.
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Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, in der Zeit, als es einen SED-Staat gab, haben Sie von Atompolitik in der DDR nicht gesprochen. Jetzt reden Sie auf einmal über die Atompolitik im SED-Staat.
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Jetzt meinen Sie auf einmal, Sie könnten irgendwelche Blumen ernten. Dies, finde ich, wird Ihnen nichts einbringen.
Der erste Sprecher von Ihnen, Herr Dörfler, hat sich dem Ton und der Art und Weise, wie Sie als GRÜNE hier Politik gemacht haben, schon sehr angepaßt.
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Sie sind mit Blümchen hergekommen; das war doch etwas. Ich habe wirklich geglaubt: Da kommen ein paar Leute, die einen neuen Stil in die deutsche Politik, ins Parlament bringen wollen.
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Meine Damen und Herren, können wir die Debatte nicht einigermaßen in Ruhe zu Ende führen? Sie hat eigentlich auch ein sachliches Thema.
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Auf die paar Männeken, meinen Sie? - Ich dachte, ich sollte noch einmal darauf zurückommen.
Ich glaube, es ist für uns hier in diesem Parlament wichtig - das ist vielleicht mein Rat -, daß wir Aktuelle Stunden nur zu Themen ansetzen, die dann auch wirklich ausreichend debattiert werden können.
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- Die Frage ist sicherlich aktuell. Nur, der Herr Kollege Funke hat zu Recht gesagt: Das, was hier zu besprechen ist, kann man in einer Aktuellen Stunde am Schluß dieser Legislaturperiode nicht behandeln. Deshalb wird diese beantragte Aktuelle Stunde diesem Problem und der Problematik insgesamt nicht gerecht.
Ich glaube, das, was die Bundesregierung angekündigt hat, nämlich daß erst eine Bestandsaufnahme erfolgen muß, um dann sinnvoll und richtig zu handeln, ist die Antwort, die wir den Menschen in der Region hierauf zu geben haben, wir gemeinsam, aus den neuen Ländern und auch aus dem alten Teil der Bundesrepublik.
Herr Häfner, eine Bitte an Sie. Ich habe Sie in der Kommission zur Reform der Geschäftsordnung kennengelernt. Vielleicht können Sie Ihren Einfluß geltend machen, damit in der Zukunft ein bißchen mehr Vernunft und ein bißchen mehr Verstand in Ihre Anträge zu Aktuellen Stunden kommen.
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Herr Schwarz, ich wollte eigentlich auch Sie freundlich verabschieden, obwohl Sie natürlich kräftig geredet haben. Aber das habe ich damals ebenfalls getan, als ich verabschiedet wurde. Wir alle denken, daß es gut wäre, wenn Sie eine schöne Zeit nach Ihrer parlamentarischen Tätigkeit hätten, und wünschen Ihnen dafür alles Gute.
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Der Abgeordnete Gerstein hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Zum Schluß der Aktuellen Stunde kann man, glaube ich, die Feststellung treffen, daß sich trotz sehr bemerkenswerter Beiträge einiger Kollegen aus Sachsen und Thüringen das Erbe des Sozialismus in der DDR nicht in Aktuellen Stunden aufarbeiten läßt. Wir werden statt Aktueller Stunden, meine Damen und Herren, aktive Tage, aktive Jahre brauchen, um alle die Schäden zu beseitigen, die in 40 Jahren ohne Rücksicht auf die Menschen und die Umwelt angerichtet worden sind.
Ich will, ohne die Fakten der letzten 40 Jahre beschönigen zu wollen, aber als Bergmann doch noch einmal darauf hinweisen, daß in den betroffenen Revieren schon seit dem frühen Mittelalter Bergbau betrieben worden ist - abgebaut wurden früher Zinn, Kobalt, Nickel, Wismut und insbesondere Silber; Schneeberg verdankt seinen Aufschwung diesem Bergbau -, daß schon von Anfang an durch diesen Bergbau natürlich Schäden, auch Strahlenschäden, angerichtet worden sind und daß die Folgen der Bergbautätigkeit von mehr als 500 Jahren, von denen die letzten 40 Jahre allerdings die folgenreichsten waren, nicht so einfach zu überwinden sein werden.
Sie sollten aber - es kommt mir heute abend darauf an, dies noch einmal zu sagen - auch nicht leichtfertig, wie es hier in einigen Beiträgen anklang, zur Katastrophe umfunktioniert werden, nur um der Bundesregierung Vorwürfe machen zu können oder, wie es gerade der Kollege Vosen getan hat, um Polemik gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie treiben zu können.
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Der Dramatiker Max Frisch hat einmal gesagt: Die Krise
- wir haben natürlich hier eine Krise kann ein produktiver Zustand sein; man muß ihr allerdings den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.
Das ist es, meine Damen und Herren, was wir tun müssen. Wir müssen konstruktiv darüber nachdenken, wie wir mit Sachverstand und modernster Technologie die notwendigen Problemlösungen finden können. Wir müssen und werden unser umfangreiches erprobtes soziales Instrumentarium zur Hilfe für die betroffenen Menschen nutzen und einsetzen. Wir dürfen die Menschen eben nicht durch Katastrophengerede zusätzlich zu den wirklichen Problemen belasten und verunsichern und damit noch mögliche und notwendige Maßnahmen blockieren.
Das Konzept für die Lösung der Probleme, das hier von der Bundesregierung aufgezeigt ist, ist ein Kon18808
zept, das sich erst im Aufbaustadium, am Anfang, befindet. Aber ich glaube, es gibt auch Anlaß zur Zuversicht.
Wichtig ist, festzuhalten, daß der Uranabbau zum 1. Januar 1991 auslaufen soll. Es ist für den Bergmann jedenfalls klar, daß das bergtechnisch nicht das sofortige Ende aller Tätigkeiten bedeuten kann, sondern daß die Rückführung der eigentlichen Bergbauaktivitäten Zeit braucht. Sie muß sozial, regional und ökologisch verträglich erfolgen.
Auch die Trennung der Unternehmensteile, der verschiedenen Aktivitäten, ist sicherlich richtig. Das, was der Bundesumweltminister dort zugesagt hat und von dem hier gesprochen worden ist, ist notwendig und richtig.
Meine Damen und Herren, ich betone noch einmal: Die Menschen und die Bergbauregionen müssen durch unser vernünftiges Tun ihre Chance zur Sanierung und Umstrukturierung erhalten. Wir sollten dabei berücksichtigen, daß dies alles Zeit braucht und nicht im Eilverfahren gelöst werden kann. Dazu sind die Probleme technisch viel zu kompliziert und viel zu umfangreich. Die von der Bundesregierung in diesem Zusammenhang eingeleiteten Maßnahmen verdienen Vertrauen. Wir möchten auch den Menschen in den Bergbaurevieren zurufen, daß dies so ist.
Meine Damen und Herren, nun leuchtet hier zum letztenmal die Lampe auf. Ich möchte nicht verschweigen, daß dies die letzte Rede ist, die ich von diesem Platz aus halten durfte.
Gestatten Sie mir noch eine persönliche Anmerkung: Ich habe meine parlamentarische Arbeit in den 14 Jahren hier gern getan und empfinde insbesondere große Genugtuung über die deutsche Entwicklung in den letzten Monaten. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und Zustimmung, die meinen energiepolitischen Vorstellungen von meiner Fraktion immer und von der anderen Seite des Hauses zumindest gelegentlich entgegengebracht worden sind.
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Ich sehe nun mit Interesse meinem neuen Lebensabschnitt entgegen, woran ich meine Freude habe. Dem neuen gesamtdeutschen Parlament wünsche ich eine erfolgreiche Arbeit zum Wohle unseres Vaterlandes.
Herr Präsident, Sie werden besonderes Verständnis dafür haben, wenn ich diesem Wunsche zum Abschluß durch ein ganz herzliches Glückauf Nachdruck verleihe.
Ich bedanke mich.
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Herr Kollege Gerstein, auch ich möchte Ihnen ein Glückauf hinterhersenden. Ich hatte mir das überlegt, und Sie haben es mir vorweggenommen. Ich weiß ja um unsere beiderseitige Vertretung von Bergbauwahlkreisen.
Ihnen alles Gute auf Ihrem weiteren Weg und Dank für Ihre Zusammenarbeit hier im Hause.
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Das Wort als letzter Redner in der Aktuellen Stunde hat Herr Abgeordneter Vosen noch einmal.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich habe die Dinge soeben etwas provokativ vorgetragen. Das war auch so geplant. Wenn ich davon spreche, daß wir eine nationale Aufgabe haben, dann kann man nicht sagen: Das machen wir mit dem PDS-Vermögen. Der Vorschlag kam von meinem Kollegen Klaus Beckmann. Ich würde sagen: Man sollte dann auch das Blockparteien-Vermögen mit hinzunehmen.
({0}) - Ja, auch das könnte man tun.
Ich denke, deswegen war dies so. Ich denke auch, daß wir unsere Bundesuranreserve - das ist ebenfalls ein sehr hoher Wert, den wir haben, der noch immer vorhanden ist und den wir für unsere Industrie vorhalten; sie hat ja nun Geld genug ({1})
verkaufen sollten und daß wir das Geld in die Sanierung dieser Region stecken und damit Hoffnung wekken, Hoffnung bei den Beschäftigten, die nämlich nicht wissen, wie es weitergeht.
Ich meine, daß dieses Geld dort sehr gut angelegt ist; denn es schafft in der Tat Beschäftigung für qualifizierte Bergleute, die einen Beitrag zur ökologischen Sanierung dieser Region leisten können.
Wir brauchen auch Geld, um notfalls mit Strukturhilfemaßnahmen ganze Ortschaften umzusiedeln. Ich sage „umzusiedeln". Das ist übrigens nichts Neues. Im rheinischen Braunkohlerevier sind insgesamt schon 20 000 und mehr Menschen, ganze Ortslagen umgesiedelt worden. Was hier möglich ist, muß auch dort möglich sein, wo es erforderlich ist. Das ist für die Betroffenen ein sehr bitterer Prozeß. Aber gesundheitliche Gefährdungen in der Abwägung dazu, glaube ich, machen solche Maßnahmen, wo es denn nötig ist, unbedingt erforderlich. Auch das muß finanziert werden, denn strahlende Häuser sind praktisch Bergschäden. Das muß man so sehen. Nach dem Bundesberg-recht werden solche Schäden entschädigt, wenn sie durch einstürzende Stollen oder ähnliches verursacht sind. Ich denke, daß auch Strahlenschäden heute zu den Bergschäden gerechnet und damit auch entschädigt werden müssen. Dafür ist es nötig, eine Menge Mittel zur Verfügung zu stellen.
Wir sind also gut beraten, den Streit jetzt zu begraben. Die Schwarze-Peter-Schieberei alleine führt nicht weiter. Das war der Grund, weshalb ich Sie provoziert habe, ich wollte Sie nicht persönlich provozieren.
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- Sie sind auf diesem Gebiet sehr empfindlich. Fragen Sie einmal, warum das so ist! - Ich habe hier keinen Kollegen persönlich diffamieren wollen, das sage ich ausdrücklich.
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Trotzdem ist da eine Geschichte, die man nicht einfach ablegen kann und zu der man sich streckenweise auch bekennen muß.
Ich möchte, weil meine Redezeit jetzt abgelaufen ist, an Ihre Adresse das letzte sagen, Herr Gerstein. Wir haben all die Jahre gut zusammengearbeitet. Ich möchte Ihnen jetzt zum Abschluß auch für die SPD und die Arbeitsgruppe „Forschung und Technologie" danke schön und wirklich Glück auf sagen.
Herzlichen Dank.
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Meine Damen und Herren, ich schließe die Aktuelle Stunde.
Der Abgeordnete Dr. Dorendorf hat sich zu einer Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsordnung gemeldet.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dieser Aussprache ist durch den Herrn Kollegen Vosen ein Begriff geprägt worden: als Christkommunisten.
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Damit sind wir von der Christlich Demokratischen Union angesprochen worden, die hier in den Bundestag eingezogen sind. Ich muß diesen Ausdruck strikt zurückweisen und bitte um Entschuldigung.
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- Sie haben uns gemeint. Ich spreche in diesem Moment nicht für mich allein, sondern für uns alle.
Sie kennen unser Leben nicht, Sie wissen nicht, was wir durchgemacht haben. Sie haben 40 Jahre hier gut gelebt. Sie haben kein Recht, darüber zu sprechen und andere Menschen in dieser Form zu diffamieren.
Das wollte ich Ihnen nur noch sagen. Bitte mehr Kultur in dieser Sache!
Schönen Dank.
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Meine Damen und Herren, ich kann uns alle nur mahnen. Wir haben noch eine schwierige Zeit vor uns, in der wir auf gute Weise miteinander zu Rande kommen sollten. Wir sollten das alle im Blick haben.
Meine Damen und Herren, bevor ich den Schluß dieser Sitzung verkünde, muß ich noch meine rechte Nebenfrau hier im Präsidium verabschieden. Frau Steinhauer verläßt uns auch. Es ist das letzte Mal, daß sie hier offiziell im Amt ist. Ich möchte ihr alles Gute mit auf dem Weg geben und für lange Jahre guter Zusammenarbeit danken.
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Es war ein mit Abschiedsreden angefüllter Tag.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 22. November 1990, 10 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.