Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/13/1990

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet. Ich darf Sie bitten, sich von den Plätzen zu erheben. Im Alter von 80 Jahren verstarb am 3. September 1990 unser ehemaliger Kollege Dr. Karl Mommer. Der Verstorbene gehörte zu jenen Politikern, die als Gegner des NS-Regimes das schwere Schicksal der Emigration auf sich nahmen, sich aber nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in aufopferungsvoller Arbeit für den Aufbau eines demokratischen und parlamentarischen Deutschlands einsetzten. 20 Jahre lang, von 1949 bis 1969, gehörte der Verstorbene für die SPD dem Deutschen Bundestag an. Er war lange Jahre parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion und in den letzten Jahren seiner parlamentarischen Tätigkeit Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Sein Name bleibt mit der Reform des Parlaments und mit dem Streben nach der Einigung Europas verbunden. Der Deutsche Bundestag wird Karl Mommer ein ehrendes Andenken bewahren. Sie haben sich zum Gedenken an den Verstorbenen erhoben. Ich danke Ihnen. Meine Damen und Herren, Herr Kollege Höpfinger feierte am 6. September seinen 65. Geburtstag. Ich gratuliere Ihnen im Namen des Hauses ganz herzlich und danke Ihnen für die jahrelangen Dienste für den Deutschen Bundestag. ({0}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Zusatzpunkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt: 1. Aktuelle Stunde: Angebliche Verpflichtung ehemaliger Stasi-Mitarbeiter durch den BND oder andere Dienste der Bundesrepublik Deutschland 2. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Oberleitung von Bundesrecht nach Berlin ({1}) nach Fortfall der alliierten Vorbehaltsrechte ({2}) - Drucksache 11/7824 3. Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Becker ({3}), Dr. Blanck, Börnsen ({4}), Breuer, Fischer ({5}), Fuchtel, Glos, Günther, Harries, Frau Dr. Hellwig, Höffkes, Kossendey, Lenzer, Magin, Nelle, Neumann ({6}), Schemken, Susset und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gattermann, Dr. Solms, Rind, Dr. Weng ({7}), Frau Seiler-Albring, Dr. Hoyer, Neuhausen, Baum, Kleinert ({8}), Wolfgramm ({9}) und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Kunst, Kultur und Stiftungen sowie zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften ({10}) - Drucksache 11/7833 4. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Forstabsatzfonds - Drucksache 11/7839 5. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({11}) zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen: Einwilligung in die Veräußerung des Bundesanteils am ,Unteren Mundatwald" gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung - Drucksachen 11/7144, 11/7811 -Beratung des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({12}) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Hensel und der Fraktion DIE GRÜNEN Vollzug des Abfallgesetzes ({13}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Hensel und der Fraktion DIE GRÜNEN Vermeidung und umweltverträgliche Verwertung von Sonderabfällen zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Hensel, Kleinert ({14}), Brauer, Dr. Daniels ({15}), Frau Flinner, Frau Garbe, Dr. Knabe, Kreuzeder, Frau Wollny und der Fraktion DIE GRÜNEN Obligatorische Einführung des Mehrwegsystems für kohlensäurehaltige Erfrischungsgetränke ({16}) zu der Unterrichung durch das Europäische Parlament Entschließung zum Export giftiger Abfälle in die Dritte Welt - Drucksachen 11/1927 ({17}), 11/6207, 11/2949, 11/2486, 11/7838 6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Nickels, Frau Oesterle-Schwerin, Frau Schmidt ({18}) und der Fraktion DIE GRÜNEN: Männergewalt gegen Frauen und Mädchen, Maßnahmen zur Absicherung und Unterstützung der Arbeit der Frauenhäuser und die Mitverantwortung der Bundesregierung - Drucksache 11/7832 7. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({19}) zu dem Antrag der Abgeordneten Gerster ({20}), Horn, Erler, Fuchs ({21}), Graf, Heistermann, Dr. Klejdzinski, Kolbow, Dr. Kübler, Leidinger, Leonhart, Steiner, Zumkley, Dr. von Bülow, Gansel, Dr. Götte, Koschnick, Kühbacher, Nagel, Opel, Dr. Scheer, Schulte ({22}), Dr. Soell, Voigt ({23}), Walther, Dr. Böhme ({24}), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD: Verkürzung der Dauer des Grundwehrdienstes und Anpassung der Dauer des Zivildienstes - Drucksache 11/6791, 11/7858 9. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Daniels ({25}), Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN: „Förderprogramm Kleinwasserkraft" zur Aktivierung der umweltverträglichen Nutzung kleiner Wasserkraftwerke - Drucksache 11/7829 10. Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Augustin, Dr. Blank, Börnsen ({26}), Breuer, Clemens, Fischer ({27}), Fuchtel, Ganz ({28}), Glos, Harries, Herkenrath, Hinsken, Hörster, Krey, Dr. Laufs, Lenzer, Lintner, Louven, Lummer, Magin, Müller ({29}), Nelle, Neumann ({30}), Pesch, Frau Rönsch ({31}), Rossmanith, Schemken, Dr. Stark ({32}), Tillmann, Zeitlmann und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Hirsch, Lüder, Richter, Baum, Kleinert ({33}), Irmer, Funke, Wolfgramm ({34}) und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts - Drucksache 11/7834 11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften: - Drucksache 11/7390 ({35}) - 12. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes - Drucksachen 11/6906, 11/7860, 11/7861 - Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Weiterhin wurde vereinbart, Tagesordnungspunkt 13 b abzusetzen, weil die Fraktion DIE GRÜNEN ihren Antrag zurückgezogen hat. In der 222. Sitzung des Bundestages sind einige Gesetze überwiesen worden, die noch an weitere Ausschüsse zur Mitberatung überwiesen werden sollen: der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Förderung von Kunst und Kultur sowie von Stiftungen auf Drucksache 11/7584 an den Rechtsausschuß, der Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU und FDP über Straffreiheit bei Straftaten des Landesverrats, der Gefährdung der äußeren Sicherheit auf Drucksache 11/7762 an den Ausschuß Deutsche Einheit, der Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU und FDP zur Verbesserung der personellen Struktur in Bereichen der Bundesverwaltung auf Drucksache 11/7782 an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 sowie die Zusatztagesordnungspunkte 2 bis 4 und 11 auf: 3. Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erweiterung des Zeugnisverweigerungsrechtes für Mitarbeiter/-innen von Presse und Rundfunk und des entsprechenden Beschlagnahmeverbotes auf selbst erarbeitetes Material - Drucksache 11/7031 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({36}) Innenausschuß b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Beratung in Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit - Drucksache 11/7586 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({37}) Innenausschuß Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes - Drucksache 11/7102 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({38}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes - Drucksache 11/7665 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({39}) Innenausschuß Ausschuß für Wirtschaft e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Jens, Roth, Dr. Ehrenberg, Blunck, Dr. Gautier, Jung ({40}), Meyer, Müller ({41}), Reuschenbach, Dr. Sperling, Dr. Skarpelis-Sperk, Vahlberg, Zeitler, Bernrath, Dr. Böhme, Bulmahn, Dr. Hauchler, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Für eine aktive und umfassende Strukturpolitik der Bundesregierung in der Bundesrepublik Deutschland und für die DDR - Drucksache 11/7680 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({42}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Singer, Dr. Däubler-Gmelin, Dreßler, Bachmaier, Becker-Inglau, Dr. Pick, Schmidt ({43}), Schütz, Stiegler, Wiefelspütz, Dr. de With, Adler, Andres, Dr. Böhme ({44}), Catenhusen, Egert, Gilges, Dr. Götte, Haack ({45}), Hasenfratz, Heyenn, Jaunich, Kirschner, Peter ({46}), Reimann, Rixe, Schmidt ({47}), Schreiner, Seuster, Steinhauer, Urbaniak, Weiler, von der Wiesche, Wittich, Bernrath, Graf, Präsidentin Dr. Süssmuth Dr. Hauchler, Dr. Schöfberger, Dr. Soell, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Substitutionsbehandlung Drogenabhängiger mit Methadon - Drucksache 11/7045 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({48}) Rechtsausschuß g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Saibold, Kreuzeder, Frau Flinner und der Fraktion DIE GRÜNEN Maßnahmen zur Verhinderung und Bekämpfung der Rinderseuche BSE - Drucksache 11/7678 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({49}) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN Programm zur Verbesserung der Wohnsituation älterer Menschen mit niedrigem Einkommen, insbesondere von älteren Frauen - Drucksache 11/4955 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({50}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Haushaltsausschuß i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN Deutsch-Deutsche Kulturunion - Drucksache 11/7765 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß Deutsche Einheit ({51}) Innenausschuß j) Beratung des Antrags des Bundesministers für Wirtschaft Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes" - Wirtschaftsjahr 1989 - Drucksache 11/7759 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß ({52}) Ausschuß für Wirtschaft k) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zum 18. Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über die Wettbewerbspolitik - Drucksache 11/6429 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({53}) Auswärtiger Ausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Technologie und Technikfolgenabschätzung 1) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" für den Zeitraum 1990 bis 1993 - Drucksache 11/7014 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({54}) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß ZP2 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Überleitung von Bundesrecht nach Berlin ({55}) nach Fortfall der alliierten Vorbehaltsrechte ({56}) - Drucksache 11/7824 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({57}) Auswärtiger Ausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Post und Telekommunikation Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß Deutsche Einheit Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO ZP3 Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Becker ({58}), Dr. Blank, Börnsen ({59}), Breuer, Fischer ({60}), Fuchtel, Glos, Günther, Harries, Frau Dr. Heiwig, Höffkes, Kossendey, Lenzer, Magin, Nelle, Neumann ({61}), Schemken, Susset und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gattermann, Dr. Solms, Rind, Dr. Weng ({62}), Frau Seiler-Albring, Dr. Hoyer, Neuhausen, Baum, Kleinert ({63}), Wolfgramm ({64}) und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Kunst, Kultur und Stiftungen sowie zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften ({65}) - Drucksache 11/7833 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({66}) Innenausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO Präsidentin Dr. Süssmuth ZP4 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Forstabsatzfonds - Drucksache 11/7839 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({67}) Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß ZP11 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften - Drucksache 11/7390 ({68}) - Überweisungsvorschlag: Innenausschuß Meine Damen und Herren, es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Vorlage zu Tagesordnungspunkt 3 g soll zusätzlich zur Mitberatung an den Ausschuß für Forschung und Technologie überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Es ist so beschlossen. Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 4: 4. Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Elften Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes - Drucksache 11/7426 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({69}) - Drucksache 11/7818 Berichterstatter: Abgeordnete Becker ({70}) Dr. Rüttgers b) Bericht des Haushaltsausschusses ({71}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 11/7819 Berichterstatter: Abgeordnete Borchert Frau Seiler-Albring Wieczorek ({72}) Frau Vennegerts ({73}) Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Becker ({74}).

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000127, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten den Gesetzentwurf heute in zweiter und dritter Lesung. Wir haben die erste Lesung im Juni gehabt; ich will noch einmal daran erinnern. Bei der Einbringung dieses Gesetzentwurfs haben wir darauf verwiesen, daß auf Grund der Bestimmungen des Abgeordnetengesetzes die Präsidentin oder der Präsident des Deutschen Bundestages jeweils zum 31. Mai dem Parlament gegenüber einen Bericht zur Angemessenheit unserer Bezüge und zur Kostenpauschale zu erstatten hat. Die Frau Präsidentin ist in diesem Jahr wie in den Jahren seit 1983 dieser Aufgabe nachgekommen. Zugrunde lag bei dem Vorschlag, die Bezüge der Abgeordneten um 4,8 % und die Kostenpauschale um 3,2 % zu erhöhen, die allgemeine Entwicklung der Lebensbedingungen der Bevölkerung in der Bundesrepublik und die Lohn- und Preisentwicklung. Das haben wir seit 1983 so gehalten. Ich glaube, wir sind auch gut dabei gefahren, daß wir daraus, wie sich die Löhne, Gehälter und Bezüge im übrigen Bereich der Bundesrepublik entwickelt haben, die Schlußfolgerung gezogen und unsere Bezüge entsprechend angehoben haben. Wenn sich die Lage verschlechtern sollte, wäre es im übrigen auch einmal denkbar, daß wir das bei der Angemessenheit unserer Bezüge berücksichtigen. Ich will das nur in Erinnerung rufen; das wäre nicht ausgeschlossen. Wir haben im vorigen Jahr eine zusätzliche Hilfe dadurch bekommen, daß wir nach dem Beschluß des Bundestages Sachverständige gebeten haben, sich mit unserer Situation, mit der Lage der Abgeordneten, zu beschäftigen. Diese Sachverständigen haben auch einen Bericht vorgelegt. Dieser Bericht steht heute nicht zur Debatte. Er steht deswegen nicht zur Debatte, weil sich die Situation in Deutschland geändert hat und weil wir auch Überlegungen einbeziehen wollen, die sich nach der Einigung ergeben. Es ist bei den Beratungen der Sachverständigen deutlich geworden: daß das Datum für den Berichtszeitraum für die Präsidentin, nämlich bis zum 31. Mai einen Vorschlag zur Angemessenheit der Bezüge zu machen, schlecht ist, weil wir nicht alle Zahlen, Daten und Fakten zur Verfügung haben. Deswegen ändern wir jetzt in diesem Gesetz das Datum auf den 30. September des jeweiligen Jahres. Wir werden also von der Präsidentin des Bundestages erst wieder bis zu diesem Zeitpunkt einen neuen Bericht vorgelegt bekommen. In den Ausschußberatungen ist das, was bei der Begründung des Gesetzentwurfs hier gesagt worden ist, noch einmal sorgfältig abgewogen worden. Es hat keine Veränderungen in den Ausschußberatungen gegeben. So bleibt es dabei, daß die von mir eben genannten Bezüge um 4,8 bzw. 3,2 To angehoben werden. Becker ({0}) Wir haben in den Beratungen allerdings darauf hingewiesen, daß wir jetzt zum elftenmal auch das Europaabgeordnetengesetz ändern. Ich will noch einmal wiederholen, was wir dazu schon in erster Lesung gesagt haben: Wir bitten wirklich, daß sich die Europaabgeordneten entschließen, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Wir fordern sie nachdrücklich dazu auf. ({1}) Meine Damen und Herren, ich glaube, daß mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf der Lage der Abgeordneten Rechnung getragen wird, die im übrigen auch die finanziellen Aufwendungen, die sich durch den Einigungsprozeß ergeben haben - er war für viele mit zusätzlichen Kosten verbunden; ich weiß, wovon ich rede - , zu tragen haben. Die Angemessenheit dieser Erhöhung wird durch das, was wir heute beschließen, noch einmal dokumentiert. Herzlichen Dank. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Rüttgers.

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen jedes Jahr vor der Notwendigkeit, über die Anpassung der Abgeordnetenentschädigung zu entscheiden. Dies ist eine Folge einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, wonach der Bundestag diese Aufgabe nicht delegieren kann, sondern sie selbst lösen muß. Die Debatte heute morgen ist also gleichsam die öffentliche Tarifverhandlung für Abgeordnetenbezüge. Wir machen dies in aller Öffentlichkeit, nicht in irgendwelchen Hinterzimmern. Und was ich für ganz wichtig halte: Wir machen dies auf der Basis objektiver Daten, die von jedem Bürger im Lande nachvollzogen werden können. Wir haben gerade im letzten Jahr die Präsidentin gebeten, eine Sachverständigenkommission zu berufen, die das Gesamtsystem noch einmal überprüft, um deutlich zu machen, wie Erhöhungen der Abgeordnetenbezüge berechnet werden, und um zu überprüfen, ob die Kriterien nach mehr als zehn Jahren noch so sind, wie sie der Gesetzgeber 1977 festgelegt hat. Es hat auch Ergebnisse gegeben, die - wenn ich das so sagen darf - wahrscheinlich uns alle überrascht haben. Denn dieses Ergebnis war zumindest, so weit ich das aus Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen weiß, von niemandem so prognostiziert worden. Nach der Feststellung der Sachverständigen liegen die Abgeordnetenbezüge derzeit um 30 bis 40 % unter dem verfassungsrechtlich angemessenen Betrag. Entsprechendes gilt für die Kostenpauschale. Wenn man einmal die Zahlen nachvollzieht und die Abgeordnetenentschädigung mit der allgemeinen Einkommensentwicklung vergleicht, dann sieht man, daß die These der Sachverständigen auch gut begründet ist: Zwischen 1977 - das war das Jahr, in dem das Abgeordnetengesetz novelliert worden ist - und 1989 betrug der Anstieg der Beamtenbesoldung 46 %, der Tariflohn- und Gehaltssumme je Beschäftigten 59,5 %. Bei den Löhnen der Industriearbeiter hatten wir eine Steigerung von 69,9 % und bei der Vergütung der Angestellten in Industrie und Handel eine Erhöhung um 76,5 % zu verzeichnen. Nun ist dies zum einen ein Beweis für eine gewaltige wirtschaftliche Leistung und Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland. Dagegen nehmen sich die 22,95 % - das ist die Vergleichszahl bei den Abgeordneten - mehr als bescheiden aus. Dazu muß man noch wissen, daß die Abgeordnetenentschädigung zwischen 1977 und 1983 überhaupt nicht erhöht wurde. ({0}) Nun ist uns völlig klar - gerade auch im Hinblick auf die aktuellen politischen Entwicklungen und gerade auch im Hinblick auf die Wiedervereinigung -, daß es jetzt nicht an der Zeit ist, zu sagen, wir müssen diesen Rückstand in diesem Jahr, hier und heute aufholen. Aber ich glaube, es ist richtig, verantwortbar und notwendig, daß wir mit der heutigen Entscheidung die Lücke zur allgemeinen Entwicklung nicht noch weiter aufklaffen lassen. Es gibt heute keinen Nachschlag, es gibt keine Sonderzahlung, es gibt eine ganz normale Erhöhung. Sie entspricht auch den in diesem Jahr getroffenen Vereinbarungen der Tarifpartner, die zwischen 2 % und 7 % liegen. Die Renten wurden um 3,1 % angehoben; die Einkommen im öffentlichen Dienst, inklusive der rückwirkend greifenden Stellenzulage, stiegen um 3,3 %. Ich meine allerdings, daß ein schematischer Zahlenvergleich nicht ausreicht, um zu einer richtigen Bewertung zu kommen. Auch da können wir uns auf das Gutachten der Sachverständigen beziehen. Sie haben als Kernpunkt ihrer Überlegungen einen Satz herausgestellt, den ich wie folgt zusammenfassen möchte: Wer unabhängig entscheiden will, der darf eben nicht in Abhängigkeit von irgendwelchen Einzelinteressen geraten. Das gilt auch für die finanzielle Seite. Deshalb muß die Entschädigung so ausgestattet sein, daß jeder Bürger ein Mandat übernehmen kann. Deshalb geben wir mit der Entscheidung, die wir jedes Jahr über die Abgeordnetenentschädigung treffen, und auch mit unserer heutigen Entscheidung indirekt Antworten auf folgende Fragen: Ist denn der Bundestag so zusammengesetzt, daß er für die Bevölkerung repräsentativ ist? Haben ältere und jüngere Mitbürger ausreichend Chancen, in den Bundestag gewählt zu werden? Und vor allen Dingen: Ist der Übergang aus dem normalen Berufsleben in den Bundestag und vom Bundestag wieder zurück in den Berufsalltag möglich? Ich frage mich - ich will diese Frage auch an uns alle für die weitere Debatte des Sachverständigenberichtes in den kommenden Wochen und Monaten richten, an der übrigens auch unsere neuen Kollegen aus der DDR teilnehmen werden -, ob wir uns in der Vergangenheit genügend am Leitbild des Abgeordneten auf Zeit orientiert haben oder ob wir nicht allzuhäufig an der Vorstellung klebengeblieben sind, die Wahl in den Bundestag sei ein Aufstieg und die Rückkehr in den Beruf sei ein Abstieg. Mit der Entschädigung setzen wir, so meine ich, ein Signal dafür, welchen Stellenwert wir selbst der Tätigkeit des Abgeordneten in unserer Demokratie beimessen. Ich meine, selbst wenn es morgen wieder Briefe und eine vielleicht nicht freundliche Berichterstattung gibt, sollten wir den Mut haben, klar zu sagen, was unsere Leistung Wert ist, was sie auch uns selbst wert ist. ({1}) Ich sage für die eigene Person: Ich schäme mich nicht meiner Tätigkeit, ich schäme mich nicht des Umfangs meiner Tätigkeit, und ich schäme mich auch nicht der Belastungen, denen wir hier ausgesetzt sind. Das sage ich für mich selbst und meine damit alle Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus. Ich will es mir jetzt verkneifen, auf Feinheiten einzugehen. Ich möchte nur das Wort Arbeitszeitverkürzung erwähnen; ({2}) ich sprach von Tarifverhandlungen. Wir alle wissen, daß viele Kollegen nicht wagen würden, von so etwas jemals zu träumen. Ich darf nur einmal daran erinnern, daß die meisten Kollegen allein in diesem Jahr den Sommerurlaub zweimal unterbrechen mußten. Es ist ja richtig und notwendig, daß jeder von uns zu dieser Arbeitsleistung und zu ständiger Präsenz in Bonn und im Wahlkreis bereit sein muß; das ist unsere Aufgabe, und keiner von uns kann dafür eine persönliche Überstundenrechnung präsentieren. Aber eines ist deutlich - das will ich mit meinem Beitrag noch einmal in Erinnerung rufen - : Die Abgeordnetenentschädigung ist um 30 bis 40 % hinter der allgemeinen Einkommensentwicklung zurückgeblieben. Ich glaube nicht, daß dieses Ergebnis die Folge veränderter Selbsteinschätzung ist, sondern eher die Folge fehlender Selbsteinschätzung. ({3}) Es gibt hier ein Defizit, und ich meine, wir müssen das so schnell wie möglich überwinden. Ich begrüße die Vereinbarung - Herr Kollege Bekker hat bereits darauf hingewiesen -, daß der Termin für den Bericht der Präsidentin vom 31. Mai auf den 30. September verschoben wird. Wir können uns dann in Zukunft genauer an den tatsächlichen Daten orientieren. Über den vorgelegten Gesetzestext hat Kollege Becker bereits gesprochen. Ich will allerdings abschließend noch darauf hinweisen, daß diese Regelung auch für die Abgeordneten gilt, die nach dem Beitritt der DDR dem Bundestag als neue Kollegen zusätzlich angehören werden. ({4}) Ich begrüße es ebenso, daß viele der neuen Kollegen aus der noch bestehenden DDR den Differenzbetrag zu ihren jetzigen Diäten sozialen Zwecken zur Verfügung stellen werden. Das ist angesichts der unterschiedlichen Kosten, die zur Zeit noch in den beiden Teilen unseres Vaterlandes vorhanden sind, logisch. Werte Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, daß hier ein Gesetz vorliegt, das vernünftig begründet ist, das für jeden Bürger nachvollziehbar ist und deshalb von uns auch so beschlossen werden kann. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich gebe jetzt der Abgeordneten Frau Teubner das Wort.

Maria Luise Teubner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002308, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Kolleginnen und Kollegen! Herr Rüttgers, Sie sagten, Sie würden es sich verkneifen, auf Feinheiten einzugehen. Eine Feinheit aber, denke ich, sollte man doch etwas genauer aussprechen. Das sind die Beträge, um die es tatsächlich geht. Die Debatten und die Argumentationen wiederholen sich. Wenn man die entsprechenden Beiträge aus den letzten Jahren liest, wird immer darauf hingewiesen: Die tarifliche Entwicklung im Laufe dieses Jahres, die allgemeine Entwicklung der Lebensbedingungen der Bevölkerung in der BRD - Herr Becker hat das gesagt - würden zum Maßstab genommen. Dann kommt man eben zu den Prozentzahlen: 4,8 % mehr in diesem Jahr für die Entschädigung plus 3,2 % für die Kostenpauschale. Das wird dann mit Standardsätzen bewertet wie: maßvolle Erhöhung, Augenmaß, wir sind auf dem Teppich geblieben, wir sind außerordentlich maßvoll geblieben. Das wiederholt sich. Nur eine Feinheit, wie gesagt, wird nicht ausgesprochen, und das sind die Beträge. Sie stehen allerdings - das müssen sie - in diesem gemeinsamen Gesetzentwurf von CDU/CSU, SPD und FDP. Der Gesetzentwurf beginnt - das ist bei Gesetzentwürfen immer so - mit dem Abschnitt A: „Problem". ({0}) - Gut, aber wir haben es hier mit einem Gesetzentwurf zu tun. - Man erwartet nun eine Darstellung darüber, was für die Abgeordneten das Problem ist. Es wird aber schlicht und einfach nur ausgeführt: Erstens. Die Präsidentin hat vorgeschlagen, ihren Bericht nicht am 31. Mai abzugeben, sondern den Termin demnächst durch den 30. September zu ersetzen. Zweitens. Letztes Jahr ist die Entschädigung der Mitglieder auf 9 221 DM festgesetzt worden. Jetzt hat die Präsidentin vorgeschlagen, eine Anpassung dieser Entschädigung um 4,8 % vorzunehmen. Dritter Teil des „Problems" : Für die Entschädigung der Mitglieder des Europaparlaments gilt das gleiche wie für die Entschädigung der Mitglieder des Deutschen Bundestages. Vierter Teil des Problems: Die Kostenpauschale ist letztes Jahr auf 5 274 DM erhöht worden. Die PräsiFrau Teubner dentin schlägt jetzt vor, diese Kostenpauschale um 3,2 % zu erhöhen. ({1}) Das alles läuft unter dem Titel „Problem". Ich sehe darin kein Problem. Ich sehe darin schlicht und einfach die Darstellung dessen, was die Präsidentin in ihrem Bericht dargelegt hat. Dann kommen wir zu B, zur „Lösung": Der Termin zur Abgabe des Berichts wird auf den 30. September geändert. Die Entschädigung wird um die entsprechenden Beträge angehoben. Diese 4,8 % + 3,2 % entsprechen aber nicht der „allgemeinen Entwicklung der Lebensbedingungen der Bevölkerung in der BRD", wie hier gesagt wurde. Sie machen nämlich 443 plus 169 DM pro Monat aus. Das entspricht unseres Erachtens keinem Augenmaß und auch nicht den normalen Lebensbedingungen. Es entspricht vielleicht prozentual den tariflichen Entwicklungen, aber sicher nicht in den tatsächlichen Beträgen. Wir halten das gerade in diesem Jahr für völlig unangemessen. Wir können uns dem wie in jedem Jahr nicht anschließen. ({2}) - Sie wissen genau: Das wird uns automatisch überwiesen. Wir können keine Sperre einführen. Sie wissen aber auch, daß wir in der Fraktion einen Beschluß gefaßt haben, einen großen Betrag davon an Ökofonds zu überweisen. ({3}) - Wenn Sie andererseits sagen, Sie bräuchten es für Ihren hohen Aufwand, widerspricht es dem. Sie müssen sich schon entscheiden: Entweder brauchen Sie es für Ihren Aufwand oder Sie spenden es. ({4}) - Ich fange nicht von vorne an. Ich nenne noch die Alternativen, die im Gesetzentwurf stehen. Sie schreiben: „Alternativen - Keine." Ich denke schon, daß es Alternativen gibt. Sie sind auch in der Beschlußempfehlung dargestellt. Eine Alternative zumindest ist die Beibehaltung der geltenden Rechtslage. Man sollte sich auf das beziehen - und sich damit zufrieden geben -, was man im Moment hat. Ich denke, das reicht völlig aus. Die Mehrheit dieses Hauses aber, einschließlich der SPD, konnte sich darauf nicht verständigen. Das ist alles, was wir dazu zu sagen haben. Wir halten das nicht für angemessen. Die Beträge, mit denen hier umgegangen wird, sind alles andere als „Augenmaß". Wir lehnen den Gesetzentwurf deswegen ab. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Wolfgramm.

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine verehrte Vorrednerin von den GRÜNEN hat darauf hingewiesen, daß die Argumente, die vorgetragen werden, nicht ganz taufrisch sind. Das müssen Sie sich aber auch selbst anrechnen lassen. Das Argument, daß Sie in einen Ökofonds einzahlen, haben Sie immer wieder mit Verve vorgetragen. Ich erinnere mich an eine Fraktionssitzung bei Ihnen, bei der mit Bestürzung festgestellt wurde, daß dieser Pflicht - die Sie sich selbst auferlegt haben; sonst würden wir das gar nicht vortragen - sehr wenig nachgekommen ist. ({0}) Im übrigen haben Sie ja ein feines System, mit dem Sie steuerfrei 500 DM für jeden aufwenden dürfen, für den Sie selbst Verantwortung tragen wollen. Das ist je nachdem ein weiter Kreis. ({1}) Ich könnte mir da bei mir einen großen Kreis vorstellen. Es wäre sehr schön, wenn ich das dann über die Steuer hinaus behalten dürfte. Es sind also nicht ganz neue Argumente, die Sie vortragen. Deswegen möchte ich Ihnen die von mir in diesem Hohen Hause auch schon einmal vorgetragenen Gegenargumente dagegensetzen. Ich möchte feststellen, daß sich die Präsidentin genau an ihren Bereich gehalten hat. Sie hat ihrer Berichtspflicht voll genügt, und sie hat das angemessen getan. Diese Empfehlung ist vor allem auch deshalb angemessen, weil man den Text des Gesetzes nicht isoliert sehen darf. Sie haben es sehr sorgfältig betrachtet - das ist lobenswert -, aber Sie haben etwas anderes nicht berücksichtigt, Frau Kollegin Teubner - wenn ich es recht sehe, haben Sie Gemeinschaftskunde als eines Ihrer Unterrichtsfächer angegeben - , nämlich das Verfassungsgerichtsurteil. Im Verfassungsgerichtsurteil sind für die Position des Abgeordneten drei wichtige Kriterien festgehalten: an erster Stelle seine Belastung, zweitens seine Verantwortung und drittens seine Stellung im Verfassungsgefüge. Deswegen müssen Sie das zusammen lesen. Das Verfassungsgericht hat uns im Rahmen dieses Urteils aufgegeben, diese Kriterien bei unseren internen Regelungen im Detail zu berücksichtigen. Dies haben wir meiner Meinung nach getan. Die FDP-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf zustimmen, bis auf Burkhard Hirsch. Aber auch das ist bei ihm keine neue Position; es handelt sich um eine kontinuierliche Ablehnung. ({2}) Ich möchte noch eine Anmerkung zu der unabhängigen Kommission machen, die die Frau Präsidentin eingesetzt hat. Die Frau Präsidentin hat sich hier mit Recht des Rates unabhängiger, hochangesehener Persönlichkeiten aus den verschiedensten Bereichen des öffentlichen Lebens bedient. Das Gutachten liegt vor. Es zeigt sehr eindrucksvoll, daß wir uns nicht an den Rahmen des Bundesverfassungsgerichtsurteils halten, daß wir weder der Position der Belastung noch der Position der Verantwortung noch der Position der Stel17620 Wolfgramm ({3}) lung im Verfassungsgefüge entsprechend gerecht werden. Ich möchte eines sehr deutlich machen: Selbst wenn wir alle wissen, daß natürlich auch der eingebrachte Bericht der Diskontinuität im Bundestag unterliegt, müssen wir uns sehr sorgfältig auf die Zeit nach dem 2. Dezember 1990 einstellen, d. h. wir dürfen nicht erst ein paar Tage vorher handeln. Herr Kollege Vogel, Sie sind besonders angesprochen; denn es wäre mir lieb, wenn der Vorsitzende der großen SPD-Fraktion nicht die Tradition fortsetzt, die Ihr Vorgänger in diesem Punkt sieben Jahre lang nicht zum Vorteil der Durchsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts geübt hat, ({4}) und wir da auch auf Ihre Unterstützung bauen dürfen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Wolfgramm, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lippelt?

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meinem Kollegen Lippelt aus Niedersachsen natürlich gern.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Wolfgramm, vielen Dank für das Bekenntnis zur Landsmannschaft.

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das jetzt wieder stärker werden wird. ({0})

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

All das - Bericht an die Präsidentin, verfassungsrechtliche Stellung der Abgeordneten - sei unbestritten; aber hätte es denn angesichts des Umstandes, daß die Kollegen aus der DDR, die jetzt zu uns kommen, auf Grund der enormen Einkommensdifferenzen schon jetzt darauf verzichtet haben, ihr Einkommen an unser Niveau anzupassen, daß sie also bestimmte Beträge abführen wollen, nicht auch einer politischen Bewertung bedurft? Zweitens. Hätte man nicht in dem Moment, in dem man sich auf den 3. Oktober vorbereitet, schon einmal im Rahmen einer politischen Bewertung darüber nachdenken können, daß, wenn wir uns auf das Durchschnittseinkommen beziehen, im nächsten Jahr ein großer Teil der Bevölkerung hinzukommt, der dieses Durchschnittseinkommen sehr viel anders wird aussehen lassen?

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Herr Kollege, ich will der Präsidentin nicht vorgreifen. Sie müssen sich selbst fragen, ob das eine Intervention oder eine Frage war. ({0}) Ich möchte dazu doch folgendes anmerken: Sie setzen natürlich - wie immer - am falschen Hebel an. Sie meinen, das sei nun der Prügelknabe, auf Kosten dessen man die ganzen Überlegungen anstellen könnte. Nein, Sie müssen schon das ganze Gefüge in der Bundesrepublik betrachten. Sie müßten dann Ihren Einfluß dahin geltend machen, daß sich die Tarifabschlüsse anders darstellen - Herr Kollege Rüttgers hat vorsichtig darauf hingewiesen - , und Sie müßten darauf achten, daß sich die Beamtenbesoldung anders darstellt. Darüber können wir gerne insgesamt diskutieren! ({1}) Wenn Sie aber von der Vorstellung ausgehen, daß wir wieder in die Position der sieben Jahre zurückfallen, indem wir sagen, das alles bräuchten wir nicht, dann müssen Sie Ihre eigene Stellung bezüglich der Verantwortung anders definieren. Dann müssen Sie selbst sagen, daß Sie sich nicht mit anderen im Bereich des Verfassungsgefüges vergleichen wollen. Es bleibt Ihnen überlassen, wie Sie das selbst definieren. Ich hatte immer den Eindruck, die GRÜNEN sähen das anders. Sie können aber damit beginnen, Herr Kollege Lippelt, indem Sie diese großzügigen steuerfreien Positionen für alle, für die Sie Verantwortung tragen wollen - so haben Sie das einmal formuliert -, etwas kürzen; dann kommen Sie schon auf einen Betrag, der hilfreich sein könnte. ({2}) Ich möchte sehr gerne, daß wir in diesem Hause auch einmal festhalten, daß der dauernde Anstieg der Zahl der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst in diesem Hause auch damit zusammenhängt, daß wir für andere Berufsbereiche, die wir hier haben möchten, keine Anreizmöglichkeiten mehr bieten; denn wir möchten in diesem Hause eine breite Palette eines sorgfältigen, kundigen Lebenssachverstandes für unsere Arbeit bereitstellen können. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP eingebrachten Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Elften Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich rufe Art. I bis IV, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind bei 4 Gegenstimmen - 3 aus der Fraktion DIE GRÜNEN, 1 aus der Fraktion der FDP - angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei 3 Gegenstimmen aus der Fraktion DIE GRÜNEN und 1 Gegenstimme aus der Fraktion der FDP angenommen. Präsidentin Dr. Süssmuth Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung sowie die Zusatztagesordnungspunkte 5 und 12 auf: 5. Beratungen ohne Aussprache a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Binnenschiffsverkehrsgesetzes - Drucksache 11/6779 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({0}) - Drucksache 11/7339 Berichterstatter: Abgeordneter Bohlsen ({1}) b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 18. März 1986 zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Wirbeltiere - Drucksache 11/6534 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({2}) - Drucksache 11/7530 Berichterstatter: Abgeordneter Paintner ({3}) ZP12 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes - Drucksache 11/6906 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({4}) - Drucksache 11/7860 - Berichterstatter: Abgeordnete Steiner Würzbach b) Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 11/7861 Berichterstatter: Abgeordnete Müller ({6}) Frau Seiler-Albring Kühbacher ({7}) 5. c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({8}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Zur Unterstützung der Reformen und Soforthilfe für Polen - Drucksachen 11/5692, 11/6503 Berichterstatter: Abgeordnete Kittelmann Koschnick Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Lippelt ({9}) d) Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses ({10}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Europäischer Rat in Straßburg am 8./9. Dezember 1989 - Drucksachen 11/6089, 11/6957 - Berichterstatter: Abgeordnete Reddemann Dr. Scheer e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({11}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zur Vereinfachung, Bereinigung ({12}) und Neufassung ({13}) des Gemeinschaftsrechts - Drucksachen 11/4990, 11/7196 - Berichterstatter: Abgeordnete Hörster Stiegler f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({14}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über den Jahresabschluß und den konsolidierten Abschluß von Versicherungsunternehmen - Drucksachen 11/138 Nr. 3.10, 11/7491 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Abelein Schmidt ({15}) g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({16}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über bestimmte Ausgaben im Veterinärbereich - Drucksachen 11/6864 Nr. 3.20, 11/7513 - Berichterstatter: Abgeordneter Häuser h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({17}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Präsidentin Dr. Süssmuth Vorschlag für eine Verordnung ({18}) des Rates über das Inverkehrbringen von Vermehrungsmaterial und Pflanzen von Obstarten zur Fruchterzeugung - Drucksachen 11/6864 Nr. 3.17, 11/7514 - Berichterstatter: Abgeordneter Eigen i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({19}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung ({20}) des Rates über das Inverkehrbringen von Vermehrungsmaterial und Pflanzen von Zierpflanzenarten - Drucksachen 11/6864 Nr. 3.18, 11/7515 - Berichterstatter: Abgeordneter Eigen j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({21}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung ({22}) des Rates über das Inverkehrbringen von Gemüse-Jungpflanzen und des Vermehrungsmaterials mit Ausnahme von Saatgut - Drucksachen 11/6864 Nr. 3.19, 11/7516 - Berichterstatter: Abgeordneter Eigen k) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({23}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über die Schutzregelung im Veterinärbereich im Rahmen des Binnenmarktes - Drucksachen 11/6502 Nr. 9, 11/7517 Berichterstatter: Abgeordneter Wimmer ({24}) 1) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({25}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung ({26}) des Rates zur Errichtung einer Europäischen Umweltagentur und eines Europäischen Umweltüberwachungs- und Informationsnetzes - Drucksachen 11/5197 Nr. 2.12, 11/7735 - Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Friedrich Dr. Wernitz Frau Garbe m) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({27}) Sammelübersicht 172 zu Petitionen - Drucksache 11/7801 - n) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({28}) Sammelübersicht 173 zu Petitionen - Drucksache 11/7802 ZP5 Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({29}) zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen Einwilligung in die Veräußerung des Bundesanteils am „Unteren Mundatwald" gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung - Drucksachen 11/7144, 11/7811 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Struck Müller ({30}) Zywietz Es handelt sich um eine Reihe von Vorlagen ohne Aussprache, über die abgestimmt werden muß. Wir kommen zuerst zu Punkt 5 a, also zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Binnenschiffsverkehrsgesetzes, Drucksachen 11/6779 und 11/7339. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind bei 2 Enthaltungen der GRÜNEN angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei 2 Enthaltungen der GRÜNEN angenommen. Wir kommen nunmehr zu Punkt 5 b, zur Einzelberatung und Schlußabstimmung über den Vertragsgesetzentwurf zu dem Europäischen Übereinkommen vom 18. März 1986 zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Wirbeltiere, Drucksachen 11/6534 und 11/7530. Zunächst aber erteile ich das Wort zu einer kurzen Berichtigung dem Abgeordneten Herrn Heinrich.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Stellvertretend für den erkrankten Berichterstatter Hans Paintner möchte ich hier eine Berichtigung vornehmen. Zu dem Gesetzentwurf auf Drucksache 11/6534 wurde Annahme in der anliegenden Form empfohlen. Richtig muß es lauten: „unverändert anzunehmen" , weil der Ausschuß keine Änderungen an der Vorlage vorgenommen hat. Danke schön.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich rufe nunmehr das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das Gesetz ist bei 2 Gegenstimmen der GRÜNEN angenommen. Wir kommen jetzt zu Zusatzpunkt 12, zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Soldatengesetzes, Drucksachen 11/6906 und 11/7860. Ich rufe die Art. 1 bis 13, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind bei 2 Enthaltungen der GRÜNEN angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei 2 Enthaltungen der GRÜNEN angenommen. Wir kommen jetzt zu Punkt 5 c, zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Fraktion der SPD zur Unterstützung der Reformen und Soforthilfe für Polen, Drucksache 11/6503. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5692 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist gegen Stimmen der Fraktionen der SPD und der GRÜN angenommen. Wir kommen nunmehr zu Punkt 5 d, zur Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Fraktion der SPD zum Europäischen Rat in Straßburg am 8./9. Dezember 1989, Drucksache 11/6957. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6089 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der SPD und der GRÜNEN angenommen. Wir kommen jetzt zu Punkt 5 e und stimmen über die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu einer Entschließung des Europäischen Parlaments zur Vereinfachung, Bereinigung und Neufassung des Gemeinschaftsrechts, Drucksache 11/7196, ab. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei 2 Enthaltungen der GRÜNEN angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 5 f und stimmen über die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zum geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über den Jahresabschluß und den konsolidierten Abschluß von Versicherungsunternehmen auf Drucksache 11/7491 ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei 2 Gegenstimmen der GRÜNEN angenommen. Ich komme zu Tagesordnungspunkt 5 g. Wir stimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über bestimmte Ausgaben im Veterinärbereich auf den Drucksachen 11/7513 und 11/7830. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir kommen nun zu den Punkten 5 h bis j und stimmen über drei Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu Vorschlägen für Verordnungen des Rates, die sich auf das Inverkehrbringen von Obstarten, Zierpflanzenarten und Gemüse-Jungpflanzen beziehen. Die Beschlußempfehlungen sind im Ausschuß einvernehmlich verabschiedet worden. Ich lasse daher hierüber gemeinsam abstimmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen auf den Drucksachen 11/7514, 11/7515 und 11/7516? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlungen sind einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 5 k: Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über die Schutzregelung im Veterinärbereich im Rahmen des Binnenmarktes auf Drucksache 11/7517 ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir kommen jetzt zu Punkt 51, nämlich zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Errichtung einer Europäischen Umweltagentur und eines Europäischen Umweltüberwachungs- und Informationsnetzes, Drucksache 11/7735. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkte 5 m und n: Sammelübersichten 172 und 173 des Petitionsausschusses. Wer stimmt für die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 11/7801 und 11/7802? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlungen sind bei 2 Enthaltungen der GRÜNEN angenommen. Zusatztagesordnungspunkt 5: Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 11/7811 zu einem Antrag des Bundesministers der Finanzen auf Einwilligung in die Veräußerung des Bundesanteils am „Unteren Mundatwald" . Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei 1 Enthaltung der GRÜNEN angenommen. Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf: Beratung des Endberichts der Enquete-Kommission Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß Beschluß des Präsidentin Dr. Süssmuth Deutschen Bundestages vom 4. Juni 1987 und vom 27. Oktober 1988 - Drucksachen 11/310, 11/3181, 11/6380 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Herr Kirschner.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn sich auch aus verständlichen Gründen derzeit in der politischen Diskussion fast alles um die deutsch-deutsche Entwicklung, um die in Kürze vollzogene Einheit, dreht, so hat die Notwendigkeit einer Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung nichts, aber auch gar nichts an Aktualität eingebüßt. Die Probleme der Krankenversicherung in der DDR haben uns schon vor der Einheit eingeholt, wie die Finanzlöcher dort zeigen. Was wir im Bereich der Mitgliederwerbung bei uns schon zur Genüge kennen, ist auch in der DDR in vollem Gange. Mit der Rosinenpickerei um gute Versichertenrisiken sind die Beitragssatzunterschiede, auch wenn in der DDR die Kassen zunächst mit einem gleichen Beitragssatz starten, vorprogrammiert. Wir wissen es doch: Wettbewerb zwischen den Kassen durch Risikoselektion unter den Versicherten mit dem Ziel, die eigene Marktposition zu optimieren, mag aus der Sicht der einzelnen Kasse durchaus rational sein; volkswirtschaftlich und mit Blick auf die Funktionsfähigkeit der gesamten gesetzlichen Krankenversicherung handelt es sich letztlich um einen funktionslosen Wettbewerb, um ein volkswirtschaftliches Nullsummenspiel. Das können wir alle im Bericht der Enquete-Kommission nachlesen. Dennoch werden diese Fehler, die wir bei uns hier beklagen, in der DDR genauso wieder gemacht. Meine Damen und Herren, als vor dreieinhalb Jahren die SPD-Bundestagsfraktion in diesem Haus den Antrag auf Einsetzung einer Enquete-Kommission „Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung" stellte und gegen die Vertreter der Koalitionsfraktionen auch durchsetzte, geschah dies in der Absicht, abseits vom parteipolitischen Gegeneinander des Tagesgeschäfts gemeinsame und wissenschaftlich fundierte Vorschläge für die dringend notwendige Reform unseres Gesundheitswesens, vor allen Dingen der gesetzlichen Krankenversicherung, zu erarbeiten. Der Antrag auf Einsetzung dieser Kommission sollte deutlich machen, daß die SPD-Fraktion zu parteiübergreifenden Lösungsvorschlägen bereit war, weil unser Gesundheitswesen als eine der tragenden Säulen des Sozialstaats parteipolitische Polarisierung nicht verträgt, sondern auf breiten Konsens angewiesen ist. Im Gegensatz zur anderen großen sozialpolitischen Aufgabe in der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode, der Reform der Alterssicherungssysteme, wurde bei der Frage einer notwendigen Gesundheitsreform sehr schnell klar, daß bei der Koalition die Mitarbeit der Sozialdemokratie an der Lösung dieser Frage nicht erwünscht war. ({0}) Das von der Bundesregierung vorbereitete sogenannte Gesundheits-Reformgesetz machte auch klar, warum: Man plante eine kräftige zusätzliche Belastung der Patienten und war sich dabei bewußt, daß für ein solches Patientenbelastungsgesetz, wie es die sogenannte Gesundheitsreform dann auch tatsächlich wurde, die Mitarbeit oder gar die Zustimmung der SPD nie zu gewinnen gewesen wäre. Für ein Gesetz, das das Wort „Reform" nur in der Überschrift enthält, inhaltlich aber über zusätzliche Belastungen für kranke Menschen nicht hinauskommt, konnte die Arbeit einer Enquete-Kommission nur hinderlich sein. ({1}) Dies prägte die Einstellung der Koalition zur Kommission von Anfang an. ({2}) - Hören Sie doch zu! Die Arbeiten und Vorschläge der Enquete-Kommission waren für die Vertreter der Koalitionsfraktionen hinderlich, ja unerwünscht, belegt doch der am 31. Oktober 1988 vorgelegte Zwischenbericht, daß mit dem sogenannten Gesundheits-Reformgesetz keines der wirklich drängenden Probleme unseres Gesundheitswesens gelöst wurde. ({3}) So kam, was kommen mußte: Die Zeit von der Vorlage des Zwischenberichts bis zur Verabschiedung des Endberichts wurde von den Vertretern der Koalition - das war die Mehrheit in der Kommission - dazu benutzt, Aussagen des Zwischenberichts in ihr Gegenteil zu verkehren. ({4}) Aus einem parteipolitisch neutralen Bericht wurde ein Mittel der parteipolitischen Auseinandersetzung. Dies ist zu bedauern. Es ist der Sache nicht angemessen und entwertet die mühsame, gleichwohl aber verdienstvolle Arbeit der Mitglieder der Kommission. ({5}) Wie sehr der Zwischenbericht vom Oktober 1988 die Koalition gestört hat, beweist auch die Tatsache, daß Sie es mit Ihrer Mehrheit verhindert haben, die dort unterbreiteten Vorschläge in die Ausschüsse des Bundestags zu überweisen, sie dort prüfen und diskutieren zu lassen. ({6}) Das war Ihnen unangenehm. Das alles mußte schnell beiseite geräumt werden. Es durfte nicht deutlich werden, wie mangelhaft das sogenannte GesundheitsKirschner Reformgesetz vor dem Hintergrund der tatsächlichen Erfordernisse, die eine wirkliche Gesundheitsreform mit sich bringt, ist. Die von den Vertretern der Koalitionsfraktionen in die Kommission hineingetragene parteipolitische Polarisierung verdeckt, daß in den meisten Fragen einer wirklichen Gesundheitsreform tragfähige und mehrheitsfähige Vorschläge hätten erarbeitet werden können und in Ansätzen auch erarbeitet worden sind. Sie erscheinen nun als Minderheitenvoten im Endbericht. Das mag zwar auf den ersten Blick politisch weniger gewichtig wirken; an ihrer fachlichen Qualität und an ihrem Gewicht bestehen jedoch keine Zweifel. Der damals, im Oktober 1988, nicht absehbare Prozeß der deutschen Einigung offenbart noch deutlicher als das Verhalten der Koalitionsfraktionen in der Enquete-Kommission ihre gesundheitspolitische Reformunwilligkeit und -unfähigkeit. ({7}) Selbst diejenigen Teile des Endberichts, in denen die Vertreter der Koalitionsfraktionen auf parteipolitische Polarisierung verzichtet haben, wurden von der Bundesregierung trotz der anstehenden Aufgaben einer Gestaltung des gemeinsamen gesamtdeutschen Gesundheitswesens mißachtet, ja in den Wind geschlagen. Niemand in der Kommission, gleichgültig welcher Partei oder Koalition er immer angehört haben mag, hat je einen Zweifel daran gelassen, daß unser Krankenversicherungssystem zu denjenigen Teilen des Gesundheitswesens gehört, die besonders dringend einer Reform bedürfen. Was machen Sie von CDU/CSU und FDP in Ihrer praktischen Politik daraus? Sie haben nichts anderes und Eiligeres zu tun, als dieses von uns gemeinsam als reformbedürftig anerkannte System ohne Abstriche auf die DDR zu übertragen. Hier wird den Bürgerinnen und Bürgern in der DDR ein System als Exportschlager verkauft, das bei uns selber als reformbedürftig gilt, übrigens ja auch bei Ihnen; sonst hätten Sie doch das GRG nicht gemacht. Was eigentlich kann die gesundheitspolitische Konzeptionslosigkeit der Koalition deutlicher offenbaren als dieses Verhalten? Schon jetzt zeigt sich, daß Sie mit dieser Politik in einer Sackgasse gelandet sind. Zu den Kernaufgaben einer jeden Gesundheitsreform, vor denen Sie sich bisher immer gedrückt haben, gehört die Neuordnung der Arzneimittelpreisbildung und der ärztlichen und zahnärztlichen Honorierung. ({8}) - Herr Kollege Günther, Sie kennen die Anträge, die wir bei den Beratungen des Gesetzentwurfes im Ausschuß gestellt haben. ({9}) Ich würde Ihnen auch empfehlen, sich den Bericht der Enquete-Kommission wirklich einmal zu Gemüte zuführen. Dann werden Sie feststellen, welche Reformvorschläge dort gemacht worden sind. Ich glaube, Sie machen es sich viel zu einfach. ({10}) Ich sage noch einmal: Zu den Kernaufgaben einer jeden Gesundheitsreform, vor denen Sie sich bisher immer gedrückt haben, gehört die Neuordnung der Arzneimittelpreisbildung und der ärztlichen und zahnärztlichen Honorierung. ({11}) Sie haben auch diesen Teil unseres fehlerhaften Systems ohne viel Federlesens in die DDR exportiert. Nun stehen Sie vor der Aufgabe, die unkontrollierbar wachsenden Ausgaben der DDR-Krankenversicherung unter Kontrolle zu bekommen. Sie tun dies mit höchst zweifelhaften Methoden. Sie greifen zum Mittel der staatlichen Preis- und Honorarfestsetzung. Das müßte Ihnen doch eigentlich im Grunde genommen entgegenlaufen. Was tun Sie denn? ({12}) Deutlicher kann doch das Eingeständnis einer gescheiterten Politik kaum ausfallen. ({13}) - Die Vorschläge der SPD kennen Sie, Herr Kollege Günther. Sonst müßte ich Ihnen sagen: Sie haben nie unsere Anträge gelesen. ({14}) Unsere Vorschläge beinhalten, was die Arzneimittelpreisfindung angeht, ein rein marktwirtschaftliches Modell. ({15}) - Natürlich, Herr Kollege Becker. Bevor Sie immer kommen und sagen, die SPD habe nichts, müssen Sie sich schon einmal die Mühe machen, das, was von der SPD unterbreitet worden ist, nachzulesen. ({16}) Im übrigen kennen Sie ja die Vorschläge aus den Ausschußberatungen. ({17}) Diejenigen - das ist dann vor allen Dingen an die Kollegen von der FDP gerichtet - , die in Sonntagsreden die Marktwirtschaft hochleben lassen, landen jetzt in ihrer praktischen Politik beim gröbsten Mittel, nämlich dem staatlichen Interventionismus. Diese Koalition ist - das zeigt dieses Mittel eindeutig - zu einer wirklichen Reform des Gesundheitswesens nicht in der Lage. Meine Damen und Herren, die Zeit reicht nicht aus, um die Inhalte des Berichts der Enquete-Kommission in aller Breite darzulegen. Das ist auch nicht meine Aufgabe. Es muß vielmehr darum gehen, noch einmal deutlich zu machen, was in diesem Bericht der Enquete-Kommission steht, und an Sie den Appell zu richten, die Inhalte dieses Berichts auch aufzuarbeiten. Denn eine Reform des Gesundheitswesens oder der gesetzlichen Krankenversicherung wird ja in der nächsten Wahlperiode anstehen. Lassen Sie mich als Vorsitzenden der Enquete-Kommission zum Schluß allen Dank sagen. Das gilt vor allen Dingen für die Mitglieder der Kommission, die trotz erschwerter politischer Bedingungen versucht haben, ein parteiübergreifendes Ergebnis zustande zu bringen. Das gilt vor allem auch für die Sachverständigen, und zwar sowohl für diejenigen, die uns als Mitglieder der Kommission, als auch für diejenigen, die uns als Beigeladene geholfen haben. Es gilt ebenfalls für diejenigen, die uns mit ihren Berichten wertvolle Unterlagen geliefert haben. Insbesondere möchte ich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sekretariats meinen Dank abstatten, die unsere Arbeit mit großem Engagement unterstützt haben. Ferner richte ich einen Appell an die Mitglieder des Bundestages, sich diesen Kommissionsbericht durchzulesen und daraus auch entsprechende Schlüsse zu ziehen. Herzlichen Dank. ({18})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Becker.

Dr. Karl Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr verehrte Frau Präsidentin! - Ich habe einen besonderen Grund dafür, daß ich das sage; ich werde das zum Schluß anfügen. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute über den Endbericht der Enquete-Kommission „Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung", nicht, lieber Herr Kollege Kirschner, über die Frage, wie die Probleme der DDR in diesem Bereich zu lösen sind. Dort gibt es sehr viele andere Vorstellungen und Aufgaben. ({0}) Zunächst möchte ich den Mitgliedern der Kommission, den Sachverständigen, den Wissenschaftlern und Politikern, den Mitarbeitern des Sekretariats und allen, die bei Gutachten und Anhörungen an diesem Werk mitgewirkt haben, meinen herzlichsten Dank aussprechen. ({1}) Die Zusammenarbeit in der Kommission war selbst bei unterschiedlichen Auffassungen stets fair und sachlich. Ich bin allerdings der Auffassung, daß man als Demokrat Mehrheits- und Minderheitsmeinungen nachher akzeptieren muß. Es ist nicht so, daß die Minderheitsmeinung die absolut alleinseligmachende sein könnte. ({2}) - Dies gilt, weil in unserem demokratischen System jede Fraktion in die Position der Mehrheit oder der Minderheit gelangen kann. Der Weg zum Endbericht war lang. Es hat zweieinhalb Jahre gedauert, bis dieser Bericht vorgelegt werden konnte. Wie Sie wissen, erfolgte die Einsetzung der Kommission durch Minderheitsantrag der SPD zu einem Zeitpunkt, in dem die Arbeiten in der Koalition aus CDU/CSU und FDP zur ersten Stufe der Gesundheitsreform bereits im Gange waren. Was den vorgegebenen Abschlußzeitpunkt - Ende September 1988 - anging, so war damals von vornherein klar, daß der Zeitplan zu eng war. Seit April 1988 war der Koalitionsentwurf zum Gesundheits-Reformgesetz, wie es damals noch hieß, bereits in der parlamentarischen Arbeit, deren Abschluß für November 1988 zu erwarten war. Der Mehrheitsbeschluß der Enquete-Kommission vom 31. Oktober 1988, einen Zwischenbericht vorzulegen, der nur in Arbeitsgruppen - das muß man wissen -, aber nicht im Plenum der Kommission beraten wurde, kam daher sicherlich zu spät. Hier erreicht man mit solchen schnellen Schüssen nichts. Solche Schnellschüsse kommen meistens aus der Hüfte und verfehlen dann ihr Ziel. Andererseits hat die Koalition dann für eine Fortsetzung der Arbeit plädiert, da zu erwarten war, daß die Ergebnisse der Kommissionsarbeit für die Arbeiten an der zweiten Stufe der Strukturreform in bezug auf die Reorganisation der Krankenkassen, den Krankenhausbereich und die Lösung der Frage der Überkapazitäten notwendig sein würden und auch würden genutzt werden können. Seit dem 12. Februar dieses Jahres liegt nun das Ergebnis dem Bundestag vor. Im nachhinein war es wohl richtig, die erste Stufe der Gesundheitsreform damals nicht anzuhalten, wie die SPD es gefordert und gewünscht hat. Bei dem Zeitablauf und bei der Entwicklung der deutschen Einigung wären wir mit einer Reform sicher nicht vor Ende 1992 fertig geworden. Dies aber hätte bedeutet, daß die Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung heute bei 14 % und 1992 bei 15 % gelegen hätten, während sie jetzt im Durchschnitt bei 12, 5 liegen und Ende des Jahres wahrscheinlich sogar 12,3 % erreichen werden. ({3}) Das bedeutet, daß die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber in diesen beiden Jahren fast 20 Milliarden DM weniger Beiträge leisten müssen, Beiträge, die sie in der Tasche behalten bzw. die in die Wirtschaft investiert werden. ({4}) Dies sind Erfolge, die weiß Gott nicht wegzudiskutieren sind. ({5}) Dr. Becker ({6}) Der Endbericht war kaum der Öffentlichkeit vorgestellt worden, da hagelte es schon Einsprüche, vor allem von denjenigen, die sich in diesem oder jenem Kapitel, in dem Mängel aufgezeigt wurden, angesprochen fühlten. Aber es gilt das Wort: Getroffene Hunde bellen. ({7}) Vielfach war zu erkennen, daß die Kritiker den Bericht kaum gelesen hatten, in den wenigen Kapiteln auch Mehrheits- und Minderheitsmeinung über einen Leisten schlugen. Inzwischen hat sich diese Kritik beruhigt. An den Reaktionen ist zu erkennen, daß die angeblich nicht bestehenden Mängel heute durch neue Vorschläge und Aktionen ausgeglichen werden sollen. Da z. B. in dem Bericht angesprochen worden ist, daß viele Ärzte infolge unzureichender Aus- und Fortbildung auf somatische und psychische Probleme nicht adäquat reagieren können und die Minderheit der Kommission dann von einer mangelnden psychosomatischen und sozialmedizinischen Kompetenz gesprochen hatte, war die Reaktion zunächst, als seien mit dieser Vorhaltung alle Ärzte gemeint. Heute, Anfang September 1990, fordert z. B. der Vorstandsvorsitzende einer großen kassenärztlichen Landesvereinigung: Zum Ausgleich der auf den somatischen Bereich konzentrierten Ausbildung müßten die Defizite der psychologischen Ausbildung nachgearbeitet werden. Solche Reaktionen sind auch an zahlreichen anderen Beispielen zu belegen, sei es an der Forderung nach gezielter Arzneimittelanwendung, an der stärkeren Ausrichtung auf ärztliche Gespräche, an der Reduzierung der Überdiagnostik oder vielem anderen. Das sind schon Erfolge des Enquete-Berichts, die sich hier gezeigt haben. In ihrem Bericht weist die Enquete-Kommission darauf hin, daß unser Gesundheitswesen verstärkt präventiv auszurichten ist. Dazu muß auch die Gesundheitsberichterstattung entscheidend verbessert werden. Hier sind uns andere europäische Länder in vielem voraus. Durch eine effektive Prävention können die Entstehung von Krankheiten und vermeidbare Todesfälle verhindert werden. Aufklärungskampagnen und Gesundheitsberatung allein erreichen nur wenig. Hier sind Interventionsfelder für eine erfolgreiche Präventionspolitik einmal das Verhalten der Menschen, aber auch die Verhältnisse in der Umwelt und bei den Arbeitsbelastungen. Hier entsteht ein großes Handlungsfeld. Dabei kommt der Intervention die zunehmende Sensibilität der Bevölkerung entgegen, die der Gesundheitsförderung gegenüber früher wesentlich aufgeschlossener ist. Auch im Bereich der Rehabilitation ergeben sich deutliche Lücken. Bei der Bestandsaufnahme zeigt die Trennung zwischen medizinischer Akutversorgung und der eigentlichen Rehabilitation, daß Defizite bestehen. Unser System ist in erster Linie auf die Bekämpfung akuter Schäden angelegt, während die Bewältigung chronischer Krankheiten und chronischer Risiken und Belastungen erhebliche Probleme aufwirft und angesichts der demographischen Entwicklung in Zukunft noch zunehmen wird. Die Enquete-Kommission schlägt eine Konzentration aller Rehabilitationsanstrengungen bei einem Träger der Sozialversicherung vor. Als geeignet wäre hier an den Aus- oder Umbau der gesetzlichen Unfallversicherung zu denken. Rasch zu verwirklichende Ansätze einer Reform werden in einer verbesserten Koordination und Kooperation aller Träger der Arbeitsgemeinschaft gesehen. In zwei Bereichen konnte sich die Kommission nicht auf einheitliche Voten einigen. Das war einmal das Kapitel Funktion und Arbeitsweise des medizinischen Versorgungssystems und zum anderen die Arzneimittelversorgung. Deshalb sind hier jeweils zwei Berichte verabschiedet worden, die die stark unterschiedlichen Auffassungen in beiden Problemfeldern auflisten. Für beide Felder werden unterschiedliche Steuerungselemente vorgeschlagen. Für den Arzneimittelbereich war zum Zeitpunkt der Enquete-Analyse noch nicht zu erkennen, wie die im Sozialgesetzbuch V eingeführten Steuerungselemente wirken würden. Nach dem Arzneiverordnungsreport 1990, der vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde, sind jedoch durch die bisher nach dem SGB V eingesetzte Steuerungsmöglichkeit, den Festbeträgen bei Arzneimitteln der Gruppe 1, schon ganz erhebliche Einspareffekte für die Krankenkassen, aber auch für die Patienten eingetreten. ({8}) - Bei der Gruppe 2 haben die Koryphäen die Vorstellung, daß das noch zu machen ist. Ich bin überzeugt, das wird im Laufe des nächsten halben Jahres geschehen. ({9}) Es ist so, daß hier das zusätzliche Element der Richtgrößen noch in der Abstimmung der Selbstverwaltung zwischen den Krankenkassen und der kassenärztlichen Vereinigung steht. Hierdurch wird vor allem die Mengenentwicklung bei der Arzneiverordnung beeinflußt, so daß hier zusätzlich positive Einsparwirkungen zu erreichen sind. Wäre dieses Ergebnis damals schon bekannt gewesen, hätte es wahrscheinlich auch ein einheitliches Votum mit Mehrheits- und Minderheitsmeinung gegeben. Ich sehe an dem Kopfnikken der entsprechenden Experten auch bei der SPD, daß das so der Fall ist. Unter den weiteren Bereichen will ich noch die psychiatrische Versorgung aufführen. Hier ist noch ein Problemfeld offen, das durch die Empfehlungen der Psychiatrie-Enquete von 1975 und der Expertenkommission der Bundesregierung von 1988 angesprochen worden ist. Es ist wirklich an der Zeit, daß der nächste Deutsche Bundestag eine nahtlose, auf einander abgestimmte Gesamtversorgung psychisch Kranker und Behinderter schafft, an der die gesetzliche Krankenversicherung neben anderen Sozialleistungsträgern beteiligt ist. ({10}) Dr. Becker ({11}) Für diesen Bereich macht die Enquete-Kommission Vorschläge, bei denen es nur sehr wenig voneinander abweichende Meinungen gibt. Besonderes Augenmerk ist bei der stationären Versorgung auf die zukünftige Entwicklung gelenkt worden: Bei dem in der Bundesrepublik bestehenden hohen Versorgungsniveau sind ökonomische und soziale Probleme unübersehbar. Dieser Bereich ist der finanziell aufwendigste in der gesetzlichen Krankenversicherung. Hier wird der Reformspielplan allerdings durch die begrenzte Bundeskompetenz und die verfassungsrechtlich garantierte Trägervielfalt eingeengt. Trotzdem hat meiner Ansicht nach der nächste Deutsche Bundestag die Aufgabe, die genannten Probleme anzugehen. Die Enquete spricht sich darüber hinaus für eine bessere Verzahnung mit anderen Bereichen aus, für die auch Vorschläge vorgelegt werden. Für die weitere gesundheitspolitische Arbeit in der Bundesrepublik, aber auch im Parlament, ist es wichtig, die in dem Bericht gemachten Aussagen und Optionen für die Organisationsreform der gesetzlichen Krankenversicherung zu analysieren und politisch umzusetzen. Hier steht uns eine ganze Reihe von Problemen bevor, die durch die Einbeziehung der mitteldeutschen Länder in das Sozialgesetzbuch und seine Regeln noch vergrößert werden. Auch wenn wir die Überzeugung haben, daß die wirtschaftliche Entwicklung in diesen Ländern rascher vorankommen wird als manche befürchten, ({12}) wird die Angleichung im Sozialsystem wohl erst in drei bis vier Jahren zu erreichen sein. Die in dem Einigungsvertrag festgelegte Festschreibung eines einheitlichen Beitragssatzes in der gesetzlichen Krankenversicherung im Gebiet der ehemaligen DDR auf 12,8 %, der auch im nächsten Jahr gelten wird, kann zumindest klären, wie sich bei einer auch dort länderverschiedenen wirtschaftlichen Entwicklung die Einnahmen und Ausgaben der Krankenversichessyrung gestalten werden. Die schon möglichen Finanzausgleichsteme werden rasch auf ihre Funktionsfähigkeit geprüft werden. Wichtig ist jetzt allerdings, daß die Forderungen der Partner in dem System nicht von vornherein überzogen sind, wie man mitunter den Eindruck haben kann. Hier empfehle ich den Verantwortlichen die Lektüre des Berichtes, z. B. zur Definition der Bedingungen der Sicherung des Solidaritätsprinzips in der gesetzlichen Krankenversicherung. Gar oft hat man den Eindruck, daß manche Funktionsträger zwar Anhänger einer freien, aber nicht der Sozialen Marktwirtschaft sind, bei der die soziale Sicherung ein integraler Bestandteil des Wirtschaftssystems ist. Die Enquete-Kommission erkennt unstrittig das Solidaritätsprinzip als konstitutives Merkmal der gesetzlichen Krankenversicherung an. Strittig bleibt jedoch die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang das Solidaritätsprinzip in bestimmten Fällen Einschränkungen erfahren kann. Dies gilt für die Einnahmenseite wie für die Ausgabenseite. Gestaltungsoptionen werden im Bericht aufgezeigt. Bei all diesen verschiedenen Möglichkeiten in der gesundheitlichen Versorgung wie aber auch bei einer Organisationsreform der gesetzlichen Krankenversicherung werden die Optionen dargelegt. Hier wird politisch entschieden werden müssen, wie auf Dauer die gesetzliche Krankenversicherung stabilisiert und den Anforderungen auch bei einer veränderten demographischen Entwicklung in Zukunft gerecht werden kann. Nicht zuletzt wird man aber auch dabei die desolate Entwicklung des real existierenden Sozialismus im Gesundheitsbereich der Noch-DDR betrachten müssen. ({13}) Meine Damen und Herren, so gewinnt der Endbericht der Enquete-Kommission für die in der nächsten Legislaturperiode anstehende zweite Stufe der Gesundheitsreform seine besondere Bedeutung. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige persönliche Bemerkungen zum Abschluß dieser Rede anführen! Das ist wohl meine letzte Rede im Deutschen Bundestag, da ich nach vier Legislaturperioden nicht mehr kandidiere. Besonders freut mich, daß die Vereinigung West- und Mitteldeutschlands jetzt in Frieden und Freiheit gelingt. ({14}) Die Arbeit hier im Deutschen Bundestag habe ich ebenso wie die Arbeit in meinem Beruf als Arzt gerne gemacht, auch wenn sie gewiß nicht klein war. Ich hatte das Gefühl, Wissen und Sachverstand in meiner Bereitschaft zur Integration und gerichtet auf das Gemeinwohl in das politische Geschehen einbringen zu können. ({15}) Dabei fand ich über Parteigrenzen hinweg Achtung, Respekt und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Dafür danke ich allen herzlich. Ich bin kein Anhänger der Polemik oder harter Worte. Sollte ich doch jemanden getroffen haben, so bitte ich ihn um Entschuldigung. Den Mitgliedern des Hohen Hauses, in zwei Wochen schon Mitglieder des gesamtdeutschen Hauses, wünsche ich im Interesse unseres Volkes und Landes alles Gute beim Fortschritt in die freiheitliche Demokratie. Schönen Dank! ({16})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Dr. Becker, haben Sie ganz herzlichen Dank für das, was Sie gerade gegen Ende Ihrer Rede hier im Deutschen Bundestag gesagt haben. Ich möchte jetzt das Wort dem Abgeordneten Herrn Haack erteilen.

Karl Hermann Haack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000758, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte an das anschließen, was Herr Dr. Becker hier gesagt hat: Am 3. Oktober dieses Jahres wird die deutsche Einheit vollzogen. Die Deutsche Demokratische Republik wird gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes Bestandteil der Bundesrepublik Haack ({0}) Deutschland sein. Das ist das Szenario, vor dem in der Bundesrepublik und in der Bevölkerung verhandelt wird. Dahinter verschwindet bedauerlicherweise zum Teil das, was mit dem deutsch-deutschen Einigungsprozeß nichts zu tun hat. Damit stellt sich auch für die Mitglieder der Enquete-Kommission die Frage, ob eigentlich der Bericht, der in den Jahren erarbeitet worden ist, auch verschwindet, also gewissermaßen Papierkorbarbeit ist oder, anders ausgedrückt, zur Fundgrube für Leute wird, die zum Thema des Gesundheitswesens promovieren und sich wissenschaftlich profilieren wollen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie die Vorredner schon angedeutet haben, hat dieser Enquete-Bericht auch vor dem Hintergrund einen Stellenwert, daß wir ab dem 3. Oktober ein Land sind. Am 1. Januar 1989 wurde das sehr umstrittene sogenannte Gesundheitsreformgesetz eingeführt. Wie Kollege Kirschner gesagt hat, wurde die Enquete-Kommission eingesetzt, um ein Reformkonzept zur Reform des Gesundheitswesens zu erarbeiten. Kurze Zeit nach Abschluß des Enquete-Berichts sind wir von dem eingeholt worden, was sich in der DDR getan hat. In der Debatte über Sinn und Zweck des sogenannten Gesundheitsreformgesetzes - in diesem Dreieck möchte ich mich bewegen - wurde auf Grund der Koalitionsabsprachen für uns als SPD sehr schnell deutlich, daß nicht eine Reform gemeint war, wie wir sie uns vorgestellt haben, und das trotz der ausdrücklichen Namensgebung „Gesundheitsreformgesetz", sondern dieses Gesetz hat sich, wie wir es bezeichnet haben, zu einem Abkassierungsmodell bei den Patienten entwickelt. ({1}) Schon heute führen wir die Debatte darüber - das ist aus unserer Sicht unwiderlegbar - , daß dieses Konzept lediglich eine Kostendämpfung bewirkt hat und damit inhaltlich gescheitert ist. ({2}) Es wurde kräftig abkassiert, aber dennoch steigen die Ausgaben der Krankenversicherung weiter. Ich will dazu drei Punkte anführen: Gescheitert ist die Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung, obwohl im Enquetebericht Optionen vorgelegt worden sind. Es bleibt derzeit bei 268 Kassen in der Bundesrepublik. Gescheitert ist letztendlich der Versuch, den Arzneimittelmarkt zu organisieren. Es ist das eingetreten, was wir gesagt haben. Selbst wenn man Ihnen guten Willen zubilligt: Das Festbetragskonzept ist an der Stufe II gescheitert. ({3}) Die Stufe III wird also nicht kommen; die Negativliste auch nicht. Die Arzneimittelkosten ziehen wieder an. Die Lösung der Pflegeproblematik, die der Krankenhausreform inhärent ist, ist vertagt worden. Die Krankenhausreform - und damit aus unserer Sicht indirekt die Lösung der Pflegeproblematik - findet also vorläufig nicht statt. Es gibt, wie im „Spiegel" jetzt deutlich ausgeführt worden ist, ({4}) den Pflegenotstand. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Schwestern und Pfleger an die Bevölkerung wenden, um mit deren Unterstützung dem Pflegenotstand in den Einrichtungen abzuhelfen. Während der Auseinandersetzung um das Gesundheits-Reformgesetz haben wir als Mitglieder der Enquete-Kommission in ruhiger Form versucht, das nachzuarbeiten, was eigentlich Pflicht der Bundesregierung gewesen wäre, nämlich die Erstellung eines Reformkonzepts, das diesen Namen auch inhaltlich verdient. Trotz oft abweichender Meinung in der Beschlußfassung gab es offene Diskussionen in sachlicher Form, hochinteressant, teilweise hochspezialisiert, in denen wir uns oft näher waren, als der Abschlußbereicht es erscheinen läßt. Für meine Fraktion und für mich ist das Ergebnis der Enquete-Kommission ein Reformtableau für den deutsch-deutschen Angleichungsprozeß nach dem 3. Oktober dieses Jahres, sowohl in Richtung Bundesrepublik Deutschland als auch in Richtung jetzige DDR. Aber was wir nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, erleben, ist genau das Gegenteil: Anstatt den deutsch-deutschen Anpassungsprozeß mit den Reformoptionen der Enquete-Kommission zu verknüpfen, wird unter dem Verbandsdruck eines Teils der Funktionäre der Ärzte, Zahnärzte und Krankenkassen eine Restaurationspolitik in der DDR betrieben. Die ideologische Verbohrtheit des damaligen SED-Regimes, das das Gesundheitswesen ruiniert hat, wird in bestimmten Feldern durch den Starrsinn von Funktionären der Standesorganisationen und Kassen abgelöst. Schlägt die Enquete-Kommission z. B. vor, die notwendige Strukturreform der Krankenversicherung anzugehen, so führt diese Regierung den bundesrepublikanischen Wirrwarr im Kassenwesen in der DDR ein. ({5}) Ein Beispiel: Eine Gesellschaft in der DDR, die die sozialrechtliche Trennung von Arbeitern und Angestellten seit 40 Jahren überwunden hat, wird nun ab 1. Januar 1991 mit dem „Einmarsch" des bundesrepublikanischen Kassensystems wieder fein nach Arbeitern und Angestellten sortiert - und dies, obwohl in der Bundesrepublik im Tarifrecht die Debatte geführt wird, beispielsweise bei der IG Metall und der IG Chemie, die tarifrechtliche Trennung zwischen Arbeitern und Angestellten aufzuheben, und neulich ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts ergangen ist, das in die gleiche Richtung weist. Die Kommission spricht sich - ein anderes Beispiel - im stationären Bereich für neue Formen fachübergreifender Berufsausübung von Ärzten aus; Sie Haack ({6}) haben das auch erwähnt, Herr Dr. Becker. Die Regierung ignoriert diese Vorschläge in Richtung DDR. Sie zerstört das System gewachsener Polikliniken und Ambulatorien aus ideologischen Gründen, ({7}) indem sie keine Reinvestitionen zuläßt. Wir haben in der letzten Woche mit dem Verband, der sich in der DDR konstituiert und der die Ambulatorien und Polikliniken vertritt, Gespräche geführt. Man hat uns dargelegt, welche sozialrechtlichen und finanziellen Konsequenzen die betreffenden Formulierungen im Staatsvertrag haben. ({8}) - Platt gemacht werden sie, richtig. - Im Gegensatz zur Bundesregierung zeigt z. B. der Verband niedergelassener Ärzte hier in der Bundesrepublik mehr Verständnis für die Situation der Polikliniken und Ambulatorien in der DDR. Er fordert - und er gibt auch entsprechende Beratung - ein System fachübergreifender Gruppenpraxen, die privatwirtschaftlich und eigenverantwortlich geführt werden. ({9}) Die Welt in Ost und West liegt offensichtlich so weit nicht auseinander. ({10}) - Ja. Aber gucken Sie in den Vertrag hinein! Sie werden dann feststellen: In vier Jahren sind die alle mausetot, weil sie ab 1. Januar - das ist uns vorgetragen worden - nicht ihre finanzielle Absicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung haben, weil die Frage offen ist, wie das langfristig organisiert werden soll. Dabei hat man im Hinterkopf die Überlegung: Das sind Leute, die zwischen 45 und 55 Jahre alt sind. Die lassen wir noch fünf oder zehn Jahre darin arbeiten, und wenn die dann in Rente gehen, dann machen wir den Laden dicht. ({11}) Das ist die Intention. Anstatt einen Runden Tisch für eine Reform des Gesundheitswesens in der DDR und der Bundesrepublik zu organisieren, an dem die Ergebnisse der Enquete-Kommission aufgearbeitet und in politische Handlungsstrategien umgesetzt werden, hat die Bundesregierung im Grunde dem Druck reaktionärer Standespolitik nachgegeben. Zum Arzneimittelbereich. Ein weiterer Teil, der im argen liegt, betrifft die Struktur der Arzneimittelversorgung. Vorab will ich feststellen, daß wir seit dem Gesundheitsreformgesetz immer eine Debatte geführt haben, die sich dann in den Beratungen der Enquete-Kommission fortgesetzt hat, daß es zwei Strategien gibt. Sie favorisieren das Prinzip des Festbetragssystems, wir das der Positivliste. Wir haben dazu in der Enquete-Kommission erneut lange debattiert, und wir haben uns mit Ihren Argumenten vor dem Hintergrund auseinandergesetzt, daß Sie gesagt haben, das Festbetragssystem Stufe I greift, und darum plädieren wir in der Enquete-Kommission als Mehrheit dafür, dieses System weiter zu verfolgen. Im Grunde haben Sie uns aber nicht davon überzeugen können, denn wir haben die Auffassung vertreten, daß Sie letztendlich in der Stufe II und III und an der Negativliste scheitern werden. Im Grunde wäre die Positivliste so, wie sie in der DDR bis heute bestanden hat, das Instrument gewesen, welches sich jetzt als Instrument zur Steuerung der Arzneimittelkosten, der Explosion der Arzneimittelkosten bewähren könnte. Statt dessen erleben wir, daß Sie einen 55 %igen Abschlag nehmen. Ich habe das schon mehrfach gesagt: Das wird zu sogenannten Reimportsystemen führen, d. h. graue Geschäfte werden gemacht: Es wird in der DDR eingekauft, und das wird dann aus dem Wagen in der Bundesrepublik verkauft. Ich weiß aus Berlin, daß Apotheker rübergehen - das wollen Sie alles organisieren - und die Arzneimittel in Ost-Berlin 55 % billiger einkaufen. So ist das von Ihnen vorgesehen. Sie gehen dann nach West-Berlin und verkaufen das aus dem Wagen zu einem besseren Einkaufspreis, als es der pharmazeutische Großhandel in Berlin machen kann. ({12}) Ähnliche Überlegungen gibt es auch im heutigen grenznahen Raum der DDR und der Bundesrepublik. Finanzierungsfragen der gesetzlichen Krankenversicherung, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind ohne Zweifel Strukturfragen. Wer hier nicht handelt, läßt den Patienten zahlen. Auch in der DDR wird mangelnder Wille zur Reform durch die Patienten zu begleichen sein. Die Enquete-Kommission hat Reformoptionen vorgelegt. Die Voten der SPD und ihrer Sachverständigen sind für uns Plattform zur Lösung der Struktur- und Finanzprobleme unseres Gesundheitswesens, zur Herstellung einer sozial gerechten und leistungsfähigen Versorgung der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland und auch der DDR. Herzlichen Dank. ({13})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Thomae. ({0})

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte gibt Anlaß, sich an den Herbst 1988 zu erinnern. Die Kampagne der Opposition gegen die Gesundheitsreform lief auf vollen Touren. Alles, was damals der Öffentlichkeit als Horrorgebilde über die Zukunft der medizinischen Versorgung an die Wand gemalt wurde, hat sich natürlich nicht bewahrheitet. ({0}) Nach mehr als eineinhalb Jahren GRG kann mit Fug und Recht behauptet werden, daß niemand in unserem Lande von notwendiger medizinischer Versorgung in irgendeiner Form ausgeschlossen wird. Im Gegenteil, das Niveau der medizinischen Versorgung ist unverändert hoch, neue Präventionsleistungen sind hinzugekommen, und die Beitragszahler werden in Milliardenhöhe entlastet. ({1}) Die Krankenversicherung steht dank der Gesundheitsreform auf einem soliden Fundament. Damit ist die Ausgangsbasis geschaffen worden, die es möglich macht, nun mit ganzer Kraft das Gesundheitswesen der DDR zu optimieren. Hätten wir vor zwei Jahren die Hände in den Schoß gelegt und bis zum Abschluß der Enquete-Beratungen die Gesundheitsreform vertagt, stünde die Krankenversicherung heute vor kaum lösbaren Problemen. Neue, ganz grundlegende Erkenntnisse haben die Beratungen in der Enquete-Kommission kaum gebracht. In wichtigen Grundsatzfragen der Gesundheitspolitik gibt es solche ideologischen Trennlinien, die durch die Kommissionsarbeit auch nicht überwunden werden konnten. Die SPD will mehr Staat, mehr Planung, mehr Bürokratie und Dirigismus. Wir wollen weniger Staat, mehr Eigenverantwortung und die Selbstverwaltung. ({2}) Das läßt sich einfach nicht unter einen Hut bringen. ({3}) Und auch jetzt wieder, als es um das Gesundheitswesen in der DDR ging, war die SPD voll auf der anderen Seite. Sie wollen die Menschen weiterhin bei der Einheitsversicherung verwahrt sehen. ({4}) Sie wollen die Abkehr vom sozialistischen Staatsgesundheitswesen verzögern, bis die geplante Organisationsreform durchgeführt ist, obwohl Sie wissen, daß das nicht von heute auf morgen möglich ist. Für uns hatte es zu keinem Zeitpunkt Zweifel gegeben, daß der Korrekturbedarf in unserem Krankenversicherungssystem gemessen an den Unzulänglichkeiten der sozialistischen Einheitskrankenversicherung keinen Aufschub bei der Überwindung von 40 Jahren sozialistischer Marktwirtschaft rechtfertigt. ({5}) Ich bin zuversichtlich, daß bis zum 1. Januar 1991 Orts-, Betriebs-, Innungs- und Ersatzkassen in der Lage sein werden, den Bürgern in diesem Teil Deutschlands einen Krankenversicherungsschutz zu gewährleisten, bei dem der Versicherte als Kunde und nicht als Bittsteller behandelt wird. ({6}) Die Gliederung wird in kurzer Zeit funktionieren, weil der Wettbewerb, in dem die Krankenversicherer stehen, Kräfte freisetzt, die eine staatliche Einheitsversicherung niemals entfalten kann. ({7}) Ab 1. Januar 1991 gilt für die gesetzliche Krankenversicherung in der DDR das SGB V. Der Staatsvertrag ebnet den Weg zum Aufbau freiheitlicher und effizienter Strukturen auch auf der Seite der Leistungserbringer. Dies haben wir immer gewollt, und dies haben wir auch im Enquete-Bericht festgehalten. Ich bin davon überzeugt, daß es nicht allzu lange dauern wird, bis auch im ehemals anderen Teil Deutschlands die ambulante medizinische Versorgung von freiberuflich und eigenverantwortlich tätigen Ärzten, Zahnärzten, Apothekern, Masseuren und Krankengymnasten getragen wird. Die staatlichen Einrichtungen, insbesondere die Polikliniken und Ambulatorien, werden schrittweise durch hochmotivierte private Leistungserbringer und effizient arbeitende Freiberufler ersetzt, ({8}) weil ein Vergleich mit dem echt selbständigen einzelnen Freiberufler keiner Wirtschaftlichkeitsprüfung standhält. Nicht irgendwelche Planerfüllungen, sondern die bestmögliche Versorgung der Patienten wird dann auch dort im Mittelpunkt des Gesundheitswesens stehen. Wir glauben, daß die freiheitliche Organisation wie hier auch dort eine optimale und würdevolle medizinische Versorgung gewährleistet. Wir wollen die Sicherung stabiler Beiträge sowohl hier als auch in der DDR. Gute Leistungen kann es nicht zum Null-Tarif geben. Niemandem kann zugemutet werden, zu Sätzen zu arbeiten, die die eigenen Kosten nicht decken. Dies gilt sowohl im ärztlichen wie auch im Pharmabereich. Ich persönlich sehe die vorgesehene Absenkung der Pharmapreise in der DDR auf 55 % für höchst problematisch an. ({9}) - Für die FDP. - Ich halte es ordnungspolitisch nicht für verantwortbar, ({10}) und ich denke, alle Beteiligten in diesem Bereich werden bis zum 1. Januar 1991 eine akzeptablere Lösung finden. ({11}) - Nein. Meine Damen und Herren! Verantwortliche Selbstverwaltungsmaßnahmen haben für uns stets Vorrang vor staatlichen Zwangsmaßnahmen. ({12}) - Nein. ({13}) - Wir werden darüber diskutieren. ({14}) - Herr Heyenn, wir werden noch drei Monate Zeit haben, diese Thematik in Ruhe zu lösen. Wir haben bisher schon andere Probleme gelöst, dann werden wir diese auch noch lösen. Weitere Kernaussagen im Enquete-Bericht sind: Wir werden ohne Hektik die Organisationsreform und vor allen Dingen die Krankenhausreform anpacken. Wir wollen mehr Wahlfreiheiten und mehr Wettbewerb, gerade im gegliederten Krankenversicherungssystem. Damit wollen wir die Wirtschaftlichkeit und die Sparsamkeit erhöhen. Deshalb gibt es für uns Liberale keinen kassenartenübergreifenden Finanzausgleich. Wahlfreiheit in einem durch kassenartübergreifenden Finanzausgleich zur Einheitskrankenversicherung degenerierten System bedeutet nur Scheinfreiheit; das ist für uns eine Mogelpackung. Nichts anderes sieht das Wahlfreiheitskonzept der SPD vor. Denn zuerst soll durch einen kassenartenübergreifenden Finanzausgleich und Zwangsregionalisierung das System in Richtung Einheitskrankenversicherung nivelliert werden. Erst dann soll es Wahlfreiheit geben. ({15}) Das hat mit echter Wahlfreiheit, wie wir sie uns vorstellen, nichts zu tun. Bereits bei der Verabschiedung des GRG haben die Koalitionsfraktionen die Notwendigkeit zur Reform im Krankenversicherungsbereich bekundet. ({16}) - Wir haben einiges gemacht. Schauen Sie sich das GRG an. ({17}) Wir wollen als nächsten Schritt die Abkehr vom Selbstkostendeckungsprinzip. Wir wollen die Einführung von Preisen sowie die Entlassung des Staates aus der Krankenhausplanung und der Investitionsfinanzierung. Dies ist dringend notwendig, da sich der auf den Krankenhausbereich entfallende Kostenanteil gerade in letzter Zeit erhöht hat. Meine Damen und Herren, wir können auf unser System stolz sein; denn das Institut der Deutschen Wirtschaft hat voriges Jahr noch einmal bekundet, daß das Krankenversicherungssystem in der Bundesrepublik das beste im europäischen Bereich ist. Es bestätigt, daß der Kranke in ausreichendem Umfang abgesichert ist. Aus diesem Grunde sollten wir in der nächsten Legislaturperiode folgende Schwerpunkte setzen: Organisationsreform, Krankenhausreform, Verbesserung der psychiatrischen Versorgung und der Rehabilitation im Krankenhausbereich. Wir werden nicht akzeptieren, daß die stationäre Pflege in die Krankenversicherung einbezogen wird. Wir wollen die private Vorsorge und wollen diese über die Vermögensbildung und über steuerliche Ermäßigungen deutlich verbessern. Ich bedanke mich bei allen Teilnehmern dieser Enquete-Kommission. Ich bedanke mich vor allen Dingen bei Ihnen, Herr Kirschner. Ich denke, Sie haben diese Enquete-Kommission sehr ordentlich geführt, und wir haben die Stunden in guter Zusammenarbeit verbracht. Ich bedanke mich aber auch bei Herrn Becker, der ja geht; er war in den letzten vier Jahren für mich ein guter Lehrmeister. Viel Glück für die Zukunft! ({18})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Herr Seehofer. ({0})

Horst Seehofer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002140

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hätte sich hier nicht zu Wort gemeldet, wenn sich der Vorsitzende der Enquete-Kommission, der Kollege Kirschner, nicht beinahe ausschließlich in polemischer Art und Weise mit der Bundesregierung und überhaupt nicht mit den Ergebnissen und Inhalten der Enquete-Kommission beschäftigt hätte. ({0}) Lieber Herr Kollege Kirschner, einige Bemerkungen zu Punkten, die Sie einfach falsch dargestellt haben: ({1}) Sie haben davon gesprochen, wir sollten uns davor hüten, die fehlgeleitete gesetzliche Krankenversicherung - Fehlentwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland - auf die DDR zu übertragen. Ich möchte heute noch einmal an Sie appellieren, mit solchen Äußerungen nicht unnötig Sorgen und Ängste bei den Menschen in der DDR hervorzurufen. ({2}) Denn, meine Damen und Herren, es ist ja wohl unbestritten - hier knüpfe ich an das Ende der Ausführungen des Kollegen Thomae an - , daß das Gesundheitswesen in der Bundesrepublik Deutschland qualitativ gesehen, weltweit ganz oben steht, daß in der Bundesrepublik Deutschland jedermann lückenlos gegen das Risiko der Krankheit abgesichert ist und - was meines Erachtens die größte soziale Errungenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg ist - daß wir hier in der Bundesrepublik Deutschland die Spitzenmedizin für jedermann, ohne Ansehen seines Standes und seines Einkommens, zur Verfügung stellen. Das genau unterscheidet uns vom Gesundheitswesen in der DDR, wo die Spitzenmedizin nur für Bonzen und Funktionäre zur Verfügung stand. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kirschner?

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Seehofer, Sie werden mir doch zugestehen, daß ich die Punkte, die wir gemeinsam in der Bundesrepublik Deutschland als reformbedürftig ansehen, als Fehlentwicklungen bezeichne, wenn ich insbesondere an den Fall der Gründung einer Betriebskrankenkasse bei Audi/NSU denke, in Ingolstadt, in Ihrem Wahlkreis. Sie haben sich selber dagegen gewandt und auf die Gefahren einer Risikoselektion durch die Gründung von Betriebskrankenkassen hingewiesen. Sie haben sogar gesetzliche Maßnahmen gefordert.

Horst Seehofer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002140

Herr Kollege Kirschner, ich gehöre nicht zum Stenographischen Dienst, aber ich habe mir diesen Satz aufgeschrieben, den Sie gesagt haben. Sie haben nicht vom Positiven in der Bundesrepublik Deutschland gesprochen, sondern Sie haben von Fehlentwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland gesprochen und haben gesagt, es sei ein Fehler dieser Bundesregierung, diese Fehlentwicklungen auf die DDR zu übertragen. ({0}) Mit solchen pauschalen Äußerungen verunsichern Sie die Menschen in der DDR und lösen Sorgen und Ängste aus, weil Sie den Menschen nicht das Positive unseres Systems übermitteln, ({1}) sondern sich nur auf Teilbereiche unseres Systems beziehen, in denen es ohne Zweifel Reformbedarf gibt. Ich hätte Ihnen dies nicht entgegnet, wenn Sie das Positive auch erwähnt hätten. Aber Sie wollten die Bundesregierung nur in der Art und Weise, wie wir es seit Jahren kennen, auf die Anklagebank setzen. ({2}) Herr Kollege Haack hat von einigen hundert Krankenkassen in der Bundesrepublik Deutschland gesprochen und gesagt, dies sei nachteilig. Ich sage Ihnen: Daß wir so gut dastehen, daß wir diese lückenlose Absicherung haben, ist auch eine Folge des gegliederten Krankenversicherungssystems in der Bundesrepublik Deutschland. ({3}) Ich gehöre nicht zu denen, die in der Zahl der Krankenkassen in der Bundesrepublik Deutschland ein großes Problem sehen. Da ist nicht alles perfekt, da gibt es unterschiedliche Risikostrukturen. Aber die Kernaussage, daß das gegliederte System mehr Segen als Schaden für die Menschen gebracht hat, ist doch unzweifelhaft richtig. ({4}) Zweitens kam diese alte Platte von der Patientenbelastung. ({5}) Meine Damen und Herren, niemals zuvor in der Geschichte der gesetzlichen Krankenversicherung stand diese auf festeren wirtschaftlichen Füßen als heute: im letzten Jahr 9 Milliarden DM Überschuß. Ich sage Ihnen, daß das überhaupt nicht zu Lasten der Patienten gegangen ist. Im „Deutschen Arzt" vom 10. August 1990 - und die Ärzte haben uns bei der Gesundheitsreform nicht gerade mit Samthandschuhen behandelt - heißt es jetzt: Kein Grund zur Panik, das medizinisch Notwendige wird weiterhin finanziert. - Am Ende dieses wunderbaren Artikels, den wir eigentlich zu Protokoll nehmen sollten, ({6}) folgt der Rat an die Ärzte: Also gut überlegen und an die Zukunft denken heißt das Gebot der Stunde. Auch bei den Gesprächen mit den Patienten, in denen sich manche Kollegen verständlicherweise Luft gemacht haben, sollten wir uns Beschränkungen auferlegen. ({7}) Hier kehrt allmählich die Sachlichkeit ein. Von den vielen Regelungen dieses GRG, die für die Patienten vorteilhaft sind, greife ich nur eines heraus, weil es das Kernstück dieser Reform war, nämlich die Arzneimittelpreise. Allein durch die bisher festgelegten Arzneimittel-Festbeträge sind in der gesetzlichen Krankenversicherung 830 Millionen DM gespart worden, allein im letzten Jahr. Ich stelle an die Opposition die Frage: Wann je zuvor ist der Arzneimittelpreis so unter Druck gesetzt worden wie jetzt unter dieser Bundesregierung? ({8}) Die große soziale Errungenschaft für die Versicherten besteht darin, daß gleichzeitig mit den festgelegten Beträgen die Zuzahlung bei den Arzneimitteln weggefallen ist, und das hat den Versicherten zusätzlich 350 Millionen DM erspart. ({9}) Ich nenne dies eine ausgewogene soziale Reform. Dann komme ich zum dritten Punkt, nämlich der Forderung, man hätte die deutsche Einheit mit Reformen in der gesetzlichen Krankenversicherung verbinden sollen. Das wäre mit dem Vertagen der deutschen Einheit auf den Sankt-Nimmerleins-Tag gleichbedeutend gewesen. Meine Damen und Herren von der Opposition, wir haben schon bei der Beantragung der Enquete-Kommission darüber gesprochen. Diese Enquete-Kommission ist von der SPD im Juli 1987 beantragt worden, also vor über drei Jahren. Wenn man sich die Inhalte dieses Kommissionsberichts einmal anschaut, sieht man, daß wir in keinem Bereich einen Lösungsvorschlag, sondern eine Ansammlung von Optionen für die verschiedenen Denkmodelle aufgeführt haben. Das Problem liegt genau darin: Wir haben seit vielen Jahren, ja seit Jahrzehnten eine Menge von Optionen von verschiedenen Interessenvertretern. Das Entscheidende aber ist, daß man die Kraft aufbringt, einen Interessenausgleich zwischen diesen verschiedenen Optionen herbeizu17634 führen. Diesen Interessenausgleich haben Sie nicht geschafft. ({10}) Da liegt der Hase im Pfeffer. Diese Regierung hatte hingegen die Kraft, den Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Interessenvertretern, Lobbyisten und Versicherten, herbeizuführen. ({11}) Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, daß Herr Kollege Haack fragt: Wo ist eigentlich die Negativliste? Herr Kollege Haack, sie ist seit einem Jahr in Kraft. ({12}) - Er ist nicht mehr da. Man kann es ihm ausrichten: Sie ist in Kraft gesetzt worden. Wie Sie sich erinnern, ging es damals in der großen Diskussion um die Naturheilmittel. Meine Damen und Herren, ich sage noch einmal: Wir haben ein hochwertiges System der gesundheitlichen Versorgung. Es ist zwar nicht perfekt - es muß weiterentwickelt werden -, aber wer diese Reformen mit der Frage der deutschen Einheit hätte verbinden wollen, der hätte die deutsche Einheit auf unabsehbare Zeit in die Zukunft verschoben. ({13}) Jetzt zur DDR. Die ganze Widersprüchlichkeit der SPD-Politik wird in den Äußerungen von Kirschner und Haack deutlich. Wir haben in dem Entwurf des Einheitsvertrages zugegebenermaßen den Beitragssatz und einige Steuerungsinstrumente, die gewährleisten sollen, daß sich das Ausgabeniveau in der gesetzlichen Krankenversicherung auf dem DDR-Niveau bewegt, festgeschrieben; denn es geht nicht, daß sich die Einnahmen in der DDR nach dem DDR-Gehaltsniveau bewegen und die Ausgaben nach bundesrepublikanischem Niveau. ({14}) In diesem Punkt besteht Einverständnis. Darum haben wir einige Instrumente in dem Vertrag festgeschrieben: die Begrenzung der Arzthonorare bei Privatliquidationen - alles andere muß ja zwischen Kassen und Ärzten ausgehandelt werden - und den berühmten Pharmaabschlag von 55 %. Während der Kollege Kirschner dies als Planwirtschaft, als staatlichen Interventionismus bezeichnet, beschimpft Kollege Haack die Ärzte, die gegen diese Bestimmungen vorgehen. Jetzt müssen Sie sich einmal darüber einig werden: Was wollen Sie eigentlich? Stehen Sie hinter diesen Vorschriften des Einheitsvertrags, oder stehen Sie hinter dem Kollegen Kirschner, der das alles als Planwirtschaft und staatlichen Interventionismus bezeichnet? Ich bin der festen Überzeugung: Wenn wir die Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung in der DDR erhalten wollen, müssen sich in der DDR die Ausgaben nach den Einnahmen richten, wie dies auch in der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist. ({15}) Ich würde uns allen als Sozialpolitikern empfehlen, von der Forderung nach einem staatlichen Zuschuß in der gesetzlichen Krankenversicherung Abstand zu nehmen; denn wer mitfinanziert, wird in der gesetzlichen Krankenversicherung auch mitbestimmen wollen. ({16}) Ich sehe die ganz große Gefahr: Wenn wir zu einem staatlichen Zuschuß in der gesetzlichen Krankenversicherung kommen, dann wird die große Auseinandersetzung darüber beginnen: Wieviel bekommt die AOK? Wieviel bekommen die Innungskrankenkassen, die Betriebskrankenkassen und die Ersatzkassen? Dann werden wir sehr schnell bei einer Einheitsversicherung mit einem einheitlichen Topf sein, aus dem die gesetzliche Krankenversicherung finanziert wird. Das wollen Sie; aber das werden wir so lange verhindern, wie es uns mit Hilfe der Mehrheit hier möglich ist. ({17}) Ich kann Ihnen versichern: Dabei müssen Sie in der Dimension mindestens bis zum Ende dieses Jahrhunderts denken. Ich stimme dem Kollegen Thomae zu: Wir müssen Art. 33 Abs. 2 des Einigungsvertrages nach dem 3. Oktober mit Leben erfüllen und im Parlament gemeinsam nach Lösungen suchen, die die Übergangsregelungen ablösen. Dazu ist die Bundesregierung bereit; wir sind nicht festgelegt. Allerdings weisen wir darauf hin: Welche Lösung wir auch immer finden, sie muß unter dem Strich den gleichen Einsparungserfolg wie die jetzt vorgesehene Abschlagsregelung gewährleisten. Ich sage im Blick auf die Ärzte und Zahnärzte, denen diese Honorarbeschränkung des Einigungsvertrages eine Niederlassung nicht ermöglicht: Kollege Thomae und meine Kollegen von der CDU und CSU, wir müssen uns überlegen, wie wir die Niederlassung, die Existenzgründung von Ärzten in das geplante Investitionsprogramm der Bundesregierung einbeziehen. Ich bedanke mich bei allen Mitgliedern der Enquete-Kommission, auch bei Ihnen, Herr Kirschner, der Sie sehr, sehr sachlich, ganz im Gegensatz zu manchem Auftritt vor dem Parlament, diese Kommission geleitet haben. ({18}) Die Bundesregierung teilt nicht alle Ergebnisse, die in diesem Enquete-Bericht stehen, aber sie respektiert die Arbeit, die hier geleistet wurde. Frau Präsidentin, Sie erlauben sicher, daß ich auch meinem alten und ewig jungen Weggefährten Karl Becker meinen Dank, den Dank der Bundesregierung und des Bundesarbeitsministers, ausspreche. Er war ein hochqualifizierter und vor allen Dingen gradliniParl. Staatssekretär Seehof er ger Betreuer der Bundesregierung in einer sehr, sehr schwierigen Phase. ({19}) Lieber Karl Becker, ich darf dir auch ganz persönlich sagen: Du warst bei diesen Verhandlungen in vielen Punkten auch menschliches und fachliches Vorbild für mich persönlich. Herzlichen Dank. ({20})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 11/6380 mit den Anträgen auf den Drucksachen 11/310 und 11/3181 an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung an den Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Daubertshäuser, Antretter, Adler, Bamberg, Ewen, Faße, Haar, Dr. Hartenstein, Hasenfratz, Dr. Hauchler, Ibrügger, Kretkowski, Lennartz, Dr. Niese, Pauli, Purps, Schanz, Steinhauer, Reschke, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Tempo 30 für Wohngebiete - Drucksache 11/5022 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr ({0}) Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Daubertshäuser, Ibrügger, Antretter, Bamberg, Büchner ({1}), Ewen, Faße, Haar, Hasenfratz, Kretkowksi, Dr. Niese, Pauli, Purps, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Abbau unzumutbarer Verspätungen im Luftverkehr - Drucksache 11/5097 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr ({2}) Auswärtiger Ausschuß Verteidigungsausschuß Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Müller ({3}), Schäfer ({4}), Adler, Bachmaier, Blunck, Dr. Hartenstein, Kastner, Kiehm, Dr. Kübler, Lennartz, Reuter, Schütz, Stahl ({5}), Waltemathe, Weiermann, Dr. Wernitz, Antretter, Bamberg, Daubertshäuser, Ewen, Faße, Haar, Hasenfratz, Ibrügger, Kretkowski, Dr. Niese, Pauli, Bernrath, Büchner ({6}), Duve, Dr. Götte, Dr. Hauchler, Lambinus, Müller ({7}), Oesinghaus, Dr. Schöfberger, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Förderung der Infrastruktur für den Fahrradverkehr - Drucksache 11/5417 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr ({8}) Finanzausschuß Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Schäfer ({9}), Adler, Bachmaier, Bamberg, Bernrath, Blunck, Dr. Böhme ({10}), Dr. von Bülow, Conradi, Fischer ({11}), Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Kastner, Kiehm, Dr. Klejdzinski, Kolbow, Kretkowski, Dr. Kübler, Leidinger, Lennartz, Menzel, Müller ({12}), Reimann, Reuter, Dr. Schöfberger, Schütz, Stahl ({13}), Waltemathe, Weiermann, Dr. Wernitz, Bulmahn, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Mehr Umweltschutz, Verkehrssicherheit und Lebensqualität durch Geschwindigkeitsbegrenzungen - Drucksache 11/5611 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr ({14}) Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Rock, Weiss ({15}) und der Fraktion DIE GRÜNEN Gesundheitsschäden durch Autofahren - Drucksache 11/6729 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr ({16}) Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Rock und der Fraktion DIE GRÜNEN Sonntagsfahrverbot - Drucksache 11/7113 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr ({17}) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({18}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mitteilung der Kommission an den Rat Geschwindigkeitsbegrenzung in der Gemeinschaft - Drucksachen 11/138 Nr. 3.148, 11/447 Berichterstatter: Abgeordneter Börnsen ({19}) h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({20}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Brahmst-Rock und der Fraktion DIE GRÜNEN Präsidentin Dr. Süssmuth Aufnahme von Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit im Innerortsbereich in die Straßenverkehrsordnung - Drucksachen 11/2717, 11/5240 - Berichterstatter: Abgeordneter Richter i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({21}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Brahmst-Rock, Weiss ({22}) und der Fraktion DIE GRÜNEN Lärmschutz an Bundesstraßen - Drucksachen 11/2698, 11/5270 - Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Faße j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({23}) zu dem Antrag des Abgeordneten Brauer und der Fraktion DIE GRÜNEN Maßnahmen gegen überhöhte Geschwindigkeiten durch Lastkraftwagen - Drucksachen 11/4419, 11/5328 Berichterstatter: Abgeordneter Börnsen ({24}) k) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({25}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Teubner, Frau Rock, Weiss ({26}) und der Fraktion DIE GRÜNEN Verkehr am Oberrhein - Drucksachen 11/3863, 11/5736 - Berichterstatter: Abgeordneter Haungs 1) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({27}) zu dem Antrag der Abgeordneten Schäfer ({28}), Dr. Hartenstein, Adler, Bachmaier, Blunck, Kastner, Kiehm, Dr. Kübler, Lennartz, Müller ({29}), Reuter, Schütz, Stahl ({30}), Waltemathe, Weiermann, Dr. Wernitz, Dr. Schöfberger, Kirschner, Purps, Kretkowski, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung ({31}) - Drucksachen 11/5326, 11/6878 - Berichterstatter: Abgeordneter Gries m) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({32}) zu dem Antrag der Abgeordneten Weiss ({33}), Frau Rock und der Fraktion DIE GRÜNEN Herabstufung von Bundesfernstraßen entsprechend der Bundesrechnungshofkritik - Drucksachen 11/4414, 11/7078 - Berichterstatter: Abgeordneter Gries n) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({34}) zu dem Antrag der Abgeordneten Daubertshäuser, Dr. Sonntag-Wolgast, Antretter, Bahr, Bamberg, Blunck, Ewen, Faße, Gansel, Haar, Hasenfratz, Heyenn, Hiller ({35}), Ibrügger, Jungmann, Kretkowski, Kuhlwein, Dr. Niese, Opel, Pauli, Purps, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Gefährdung der Sicherheit auf dem Nord-Ostsee-Kanal durch die Erweiterung der Befreiung von der Lotsenannahmepflicht durch die Bundesregierung - Drucksachen 11/5278, 11/7079 - Berichterstatter: Abgeordneter Bohlsen o) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({36}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Legislative Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission an den Rat für eine Richtlinie über den zulässigen Blutalkoholgehalt von Kraftfahrern - Drucksachen 11/4982, 11/7080 Berichterstatter: Abgeordneter Börnsen ({37}) p) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({38}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung ({39}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({40}) Nr. 3164/76 über den Zugang zum grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrsmarkt - Drucksachen 11/6324 Nr. 2.32, 11/7172 - Berichterstatter: Abgeordneter Haungs q) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({41}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament - Legislative Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung ({42}) Nr. 3820/85 über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und der Verordnung ({43}) Nr. 3821/85 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr - Legislative Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission der EuroPräsidentin Dr. Süssmuth päischen Gemeinschaften an den Rat für eine Richtlinie über einheitliche Kontrollverfahren zur Anwendung der Verordnung ({44}) Nr. 3820/85 über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und der Verordnung ({45}) Nr. 3821/85 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr - Drucksachen 11/3754, 11/7173 - Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Rock r) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({46}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur gegenseitigen Akzeptierung der Befähigungszeugnisse für die Ausübung von Tätigkeiten in der Zivilluftfahrt - Drucksachen 11/6502 Nr. 16, 11/7315 Berichterstatter: Abgeordneter Weiss ({47}) s) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({48}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Memorandum der Kommission für den Rat über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf den Luftverkehr - Drucksachen 11/6864 Nr. 3.31, 11/7360 - Berichterstatter: Abgeordneter Ibrügger t) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({49}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 85/3/EWG über Gewichte, Abmessungen und bestimmte andere technische Merkmale bestimmter Straßenfahrzeuge hinsichtlich der Festsetzung der zulässigen Höchstabmessungen von Lastzügen - Drucksachen 11/6324 Nr. 2.33, 11/7361 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Niese u) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({50}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über den öffentlichen Personennahverkehr in der Fläche - Drucksachen 11/5746, 11/7410 Berichterstatter: Abgeordneter Börnsen ({51}) v) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({52}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Weiss ({53}), Frau Rock, Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über den öffentlichen Personennahverkehr in der Fläche - Drucksachen 11/5746, 11/6662, 11/7411 Berichterstatter: Abgeordneter Kohn Im Ältestenrat wurden für die gemeinsame Beratung 21/2 Stunden vereinbart. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als erster der Abgeordnete Herr Daubertshäuser.

Klaus Daubertshäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine den Menschen und der Natur verpflichtete Verkehrspolitik ist unumstritten eine der dringendsten innenpolitischen Aufgaben. Was aber tut die Bundesregierung? Sie veranstaltet ein Hickhack um den zukünftigen Vorstandsvorsitzenden für die Deutsche Bundesbahn. Also nicht die Sachprobleme und nicht die Frage „Wer kann diese Probleme am besten lösen?" stehen bei Ihnen im Vordergrund. Sie diskutieren hier vorrangig darüber: Welche Politiker oder welche Spitzenbeamte müssen mit welchen Prioritäten versorgt werden? Meine Damen und Herren, die umfangreiche Schelte, die Sie in der Öffentlichkeit für Ihre törichte Personaldiskussion erhalten haben, und die vernichtende Kritik wird Sie hoffentlich auf einen vernünftigen Weg bringen. Ich will mit einem weiteren Beispiel für Ihre Verkehrspolitik ohne Augenmaß beginnen. Ich meine die Senkung der deutschen Kraftfahrzeugsteuer für Nutzfahrzeuge, ohne daß Sie gleichzeitig eine Ausgleichsleistung für die Deutsche Bundesbahn herbeigeführt haben. ({0}) Das heißt, im Ergebnis fördern Sie damit den Straßengüterverkehr jährlich mit über 1,1 Milliarden DM, und gleichzeitig führen Sie Einnahmeverluste bei der Deutschen Bundesbahn von jährlich 150 Millionen DM herbei. Herr Zimmermann, es ist schon richtig, was Sie sagen. Laut Nachrichtenspiegel von heute sollen Sie ausgeführt haben, die Bahn sei nach Ihrer Auffassung „das schwächste Glied in der Transportkette". Das stimmt; aber Sie, Herr Dr. Zimmermann, sollten wahrhaftig nicht so scheinheilig sein, denn Ihre Politik hat doch exakt zu dem Ergebnis geführt, das Sie in den Nachrichten heute bedauern. ({1}) Deswegen sagen wir: Eine zukunftsgerechte Verkehrspolitik benötigt eine grundlegend neue Orientierung. ({2}) Unser Ansatz ist: Verkehrsträger und die Verkehrsunternehmen hab en die notwendigen Beförderungs- und Transportaufgaben ökonomisch sinnvoll, aber auch menschen- und umweltgerecht zu leisten. Es ist unverzichtbare Aufgabe der Verkehrspolitik, die hierfür notwendigen Strukturen zu schaffen. Sie müssen erst einmal darangehen, das Verursacherprinzip stär17638 Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13: September 1990 ker zur Geltung zu bringen. Sie müssen die Lenkungsfunktion des Marktes durch eine sinnvolle Ordnungspolitik stärken, weil der Markt gesellschaftspolitische Erfordernisse nun einmal nicht berücksichtigt. Deshalb müssen wir, der Staat, die Politik, die entsprechenden Rahmenbedingungen setzen, z. B. für ökologisch verträgliche Verhaltensweisen, aber auch für sozial verträgliche Lösungen. Weiterhin müssen wir die Investitionen ebenfalls als eine direkte Steuerungsmöglichkeit für eine ökonomische, für eine ökologische, aber auch für eine humane Verkehrspolitik nutzen. Wir sagen Ihnen schon seit langem, daß gerade der gezielte Einsatz dieser drei Elemente - staatliche Rahmenbedingungen, marktwirtschaftliche Anreize über die Kosten und Preise sowie gezielte Investitionen - erst zu einer neuen und gesamtwirtschaftlich besseren Kombination der einzelnen Verkehrsträger und Verkehrsleistungen führt. Denn die durch falsche Kostenzuordnung eingetretenen Wettbewerbsverzerrungen können erst so schrittweise abgebaut werden. Wir wissen, daß die Verkehrsträger - Straße, Schiene, Luft und Wasser - alle ihre Stärken, aber auch alle ihre Schwächen haben. Es gilt für die Politik, diese spezifischen Stärken der Schiene und der Wasserwege so auszugestalten, daß diese Verkehrsträger genutzt werden können. Dies ist aber nicht möglich, wenn in bezug auf die Straße - das gilt übrigens auch für den Luftverkehr, Kollege Ibrügger - durch Raubbau an der Natur die Leistungen unter Preis angeboten werden können. Dann kann man nicht erwarten, daß z. B. die Schiene noch eine Chance in diesem integrierten Gesamtverkehrskonzept hat. Herr Kollege Gries, gerade das enorme Wachstum im Straßenverkehr oder auch im Luftverkehr macht deutlich, daß die Zeichen für die Umwelt wahrhaftig auf Sturm stehen. Ich habe Ihre vorab veröffentlichte Rede gelesen. Sie gehen ja auch auf diesen Aspekt ein. Dazu muß man natürlich sagen: Deutschland als das europäische Transit- und Kernland muß zum Schutz der Menschen und der Umwelt dann auch endlich ernsthaft Frieden mit der Natur schließen. Man kann es nicht bei Ankündigungen belassen. Das heißt konkret, daß die Möglichkeiten des Individualverkehrs, des Autos, für und nicht gegen den Menschen genutzt werden müssen. Wir wissen doch alle, daß die Strukturen des Verkehrswesens heute schon zur Plage geworden sind. Wenn ich wiederholen wollte, was allein heute morgen an Staumeldungen über den Verkehrsfunk lief, dann würde ich damit meine Redezeit überschreiten. Dies macht deutlich, daß wir eben keine sinnvolle Mobilität mehr haben. Es ist unsere Aufgabe, für eine sinnvolle Mobilität zu sorgen. Das heißt, die Möglichkeiten, die das Auto bietet, sollen den Menschen helfen. Das Auto darf die Menschen jedoch nicht so beherrschen, wie das heute der Fall ist. ({3}) Wenn man das ernsthaft will, dann muß man dafür Sorge tragen, daß sich das Produkt Auto wandelt. Das heißt, auch die Automobilindustrie muß ihren Beitrag dazu leisten, daß die Menschen ihre individuelle Mobilität erhalten. Sie muß sich dann gemeinsam mit allen anderen Verkehrsträgern allerdings auch der Funktion des Gesamtverkehrs in unserer Gesellschaft stellen. Das bedeutet dann auch, daß das einzelne Auto als Teil des Gesamtverkehrskonzeptes konzipiert und gebaut wird. Das heißt, wir müssen das Auto integrieren. Aber wir sind nicht blauäugig. Wir wissen auch, der alleinige Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs ist kein Allheilmittel. Selbst wenn es gelänge, den Anteil des öffentlichen Personennahverkehrs zu verdoppeln, dann würde das kaum ausreichen, um die wachsenden Mobilitätswünsche zu erfüllen. Daher muß auch der öffentliche Personennahverkehr flexibler und komfortabler ausgestattet werden, kurz: Wir müssen den öffentlichen Personennahverkehr individualisieren. Von daher rührt unser Plädoyer für eine Vernetzung und Verknüpfung der einzelnen Verkehrsträger zu einem leistungsfähigen und umweltgerechten Gesamtverkehrssystem. Wir wollen über marktwirtschaftliche Mechanismen erreichen, daß das Preisgefüge schrittweise so geändert wird, daß sich darin dann die tatsächlichen Kosten des Verkehrs ausdrücken. Das heißt, auch in der Verkehrspolitik muß über marktwirtschaftliche Prinzipien das Verursacherprinzip stärker zur Geltung gebracht werden. Das Neben- und Gegeneinander, das wir heute in der Verkehrspolitik haben, muß durch einen verkehrsträgerübergreifenden Systemansatz endlich beendet werden, um die Stärken, von denen ich gesprochen habe, auch zur Geltung zu bringen. Was die Wissenschaft und die Wirtschaft schon lange begriffen haben, sollte auch die Regierungspolitik bald verinnerlichen, daß nämlich im Verkehrsbereich das Konkurrenzdenken out ist und daß wir Ernst machen müssen mit Teamwork. Wir alle wissen, der Verkehr, insbesondere der Güter- und Personenverkehr, schädigen die Umwelt. Wir alle - sei es als Autofahrer, als Flugreisende oder als Konsumenten weit hergebrachter Ware - gehören zu den Verursachern dieser Schäden. Es wäre ungerecht, die Brummis, die Pendler, die Vielflieger oder wen auch immer anzuklagen. Aber ich sage Ihnen: In einer Marktwirtschaft kann man doch verlangen, daß jeder seinen Preis zahlt. Das ist der eigentliche Sinn des Verursacherprinzips. Dieses ist angeblich der marktwirtschaftliche Grundpfeiler der Politik, so daß auf dem Markt bei Verknappung eines Gutes die Preise steigen. Aber nur, wenn Preise tatsächlich existieren, kann der Markt wirksam werden. Auf dem Verkehrssektor wird ein großer Teil der Kosten und Preise aber eben nicht vom Verursacher, sondern von der Allgemeinheit und von der Nachwelt getragen. Das heißt im Ergebnis, daß die jetzige Verkehrspolitik den Verkehr subventioniert, indem sie ihm die Umwelt- und Sozialkosten weitgehend nicht anlastet. Das zeigt aber auch: Die Verkehrspolitik verfälscht die Preise für den Transport von Gütern und Personen. Sie verfälscht damit den marktwirtschaftlichen Wettbewerb der Verkehrsträger, Herr Kollege Gries. ({4}) - Herr Jobst, Sie sind doch Alpenländler. Ich will Sie nur darauf hinweisen, daß gerade die Auseinandersetzungen um den alpenüberquerenden Güterverkehr auf der Straße dies in den letzten Monaten besonders deutlich zu Tage gefördert haben. Ich verstehe Sie wirklich nicht, Herr Kollege Jobst. Milch aus Bayern, aus Ihrem Heimatland, wird nach Italien transportiert, dort zu Joghurt verarbeitet und anschließend für den Verkauf in Ihr Land Bayern zurückgebracht. Die Ersparnis beträgt vielleicht einen Pfennig pro Becher. ({5}) - Herr Dr. Jobst, dieser Produktionsablauf ist doch gesamtwirtschaftlicher Unsinn. Sie können das hier doch nicht ernsthaft verteidigen. ({6}) - Das hat doch mit Planung nichts zu tun. Ich werde Ihnen dazu etwas sagen: Dies kann nur existieren, weil Sie keine Marktwirtschaftler sind. Wir müssen diesen gesamtwirtschaftlichen Unsinn umgestalten, der sich, wie ich Ihnen dargestellt habe, betriebswirtschaftlich rechnet. Er rechnet sich nur deshalb, weil die externen Kosten nicht zu Transportkosten werden und weil die Umweltschäden und die Lärmschäden nicht bezahlt zu werden brauchen. Das ist doch der Hintergrund. Das müssen Sie sich einmal klarmachen. Beispiele dieser Art gibt es doch viele. Das zeigt, Herr Kollege Jobst: Die Strukturen, mit denen wir heute arbeiten, stimmen einfach nicht. Diese wollen wir ändern. Wir wollen ganz einfach, daß gesamtwirtschaftlich unsinnige Transporte auch betriebswirtschaftlich unsinnig werden. Wir wollen sicherstellen, daß umweltfreundliche Verkehrsbenutzung kostengünstiger wird als umweltbelastende. ({7}) Wir haben hier gesagt, was nötig ist. Der Verbrauch von Energie muß in der Tat teurer werden, damit Energie sparsamer eingesetzt wird, und zwar zum Nutzen von Mensch und Umwelt. Herr Kollege Gries, Sie sagen in der Presseveröffentlichung von heute, daß der Umweltschutz Priorität haben muß, damit wir unseren Wohlstand nicht auf Kosten der künftigen Generationen erarbeiten, denn dieses führe zu Zielkonflikten. Das ist richtig. Wir reden hier über die Auflösung dieses Zielkonfliktes, aber Sie haben nicht den Mut, dabei mitzuziehen. Dann sagen Sie weiter - das ist Ihrer eigentlich unwürdig, weil es heiße Luft ist - : Die SPD sei eine Steuererhöhungspartei. ({8}) Gerechte Kostenanlastung ist der Punkt, wo Sie ganz einfach nicht mitmachen wollen. Ich sage Ihnen eines: Sie sind eigentlich nur ein verkappter Liberaler; denn Sie wollen die Marktwirtschaft außer Kraft setzen. So muß dieses Plädoyer verstanden werden. ({9}) - Sie sind kein Sozialdemokrat, Sie sind ein Staatslenker. Wir tragen das in der Hessen-Vertretung aus. Kollege Gries, der dritte Punkt, den ich noch ansprechen will, ist die Infrastruktur, die mindestens das gleiche Gewicht haben muß, weil sie unabdingbare Voraussetzung ist, und zwar für jeden Verkehrsträger. Wir wissen, diese Infrastruktur wird nicht über den Markt produziert und verteilt. Sie ist produziert und verteilt auf Grund von politischen Entscheidungen, die hier in diesem Hause getroffen wurden. Der Schwerpunkt unseres Verkehrswesens liegt heute deshalb auf dem Straßenverkehr, weil wir in der Bundesrepublik in den letzten 40 Jahren einseitig in den Straßenbau investiert haben. Sie kennen die Zahlen: Wir haben in den letzten 40 Jahren noch nicht einmal 1 000 km neue Schienenstrecken, aber 150 000 km neue Straßen gebaut. Dabei sind die Ausbaustraßen nicht mitgerechnet. Das heißt, damit ist das Verkehrssystem Straße konkurrenzlos und das Verkehrssystem Schiene chancenlos geworden.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Daubertshäuser, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jobst?

Klaus Daubertshäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Immer!

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Daubertshäuser, ist es richtig, daß die meisten Autobahnen in der Bundesrepublik Deutschland in der Regierungszeit der SPD von 1970 bis 1980 gebaut wurden?

Klaus Daubertshäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Jobst, es ist richtig, daß alle Bundesverkehrswegepläne fast einstimmig - die letzte Verabschiedung gegen die Stimmen der GRÜNEN - hier unterstützt und verabschiedet wurden. Aber mit der Verkehrspolitik ist es wie mit der Orthographie: Wenn genügend Leute oft genug den gleichen Fehler gemacht haben, dann gilt er als Regel. Wir sagen: Wir brauchen heute andere Regeln, wir brauchen bessere Regeln. ({0}) In diesem Punkt haben Sie sich verabschiedet und haben in altem Betonkopfdenken verharrt. Wir sagen währenddessen: In diesem Punkt muß gegengesteuert werden. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Daubertshäuser, gestatten Sie eine Zusatzfrage?

Klaus Daubertshäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Daubertshäuser, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß wir uns nicht verabschiedet und am alten Konzept festgehalten haben, sondern daß wir das Konzept der SPD, 20 000 km Autobahn in der Bundesrepublik zu bauen, auf 10 000 km reduziert haben? ({0})

Klaus Daubertshäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Jobst, wir werden durch einen Blick in die Haushaltspläne und sicher auch bei der Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans, der demnächst ansteht, erkennen können, wer sich für eine gleichmäßige Verteilung der Investitionsmittel, die ein integriertes Gesamtkonzept erst ermöglichen, einsetzt. Wenn wir heute feststellen, daß ein einseitiges Zubauen von Straßen keinerlei Verkehrsprobleme löst, dann würde ich empfehlen, Sie würden mit uns umsteuern und sagen: Wir müssen den Nachholbedarf für die Schieneninfrastruktur jetzt deutlich machen, wir müssen die Investitionsschwerpunkte völlig zugunsten der Schiene ändern. In diesem Punkt sollten wir Verbündete sein. ({0}) Ich halte nichts davon, hier rückwärts gerichtete Schlachten zu schlagen, die weder dem Verkehrsnutzer noch der Wirtschaft noch den Bürgern überhaupt Vorteile bringen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Daubertshäuser, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Antretter?

Klaus Daubertshäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ganz besonders gern.

Robert Antretter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000042, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Daubertshäuser, vor dem Hintergrund der Frage des Kollegen Jobst, die ja implizieren sollte, in der Regierungszeit der SPD-FDPKoalition wären zuviel Straßen gebaut worden, frage ich Sie, ob Sie sich - wie ich - an die anderen Äußerungen der CDU/CSU-Kollegen erinnern, wo sie sagen, in unserer Regierungszeit seien zuwenig Straßen gebaut worden?

Klaus Daubertshäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist völlig richtig, Herr Kollege Antretter. Ich möchte noch eines draufsetzen: Ich kann mich - ich bin seit 1976 im Bundestag - nicht eines Antrags erinnern, durch den die Kollegen der CDU/CSU oder der FDP diese Situation, die Herr Jobst hier beklagt hat, ändern wollten. ({0}) Ich wollte noch einmal den Infrastrukturbereich ansprechen. Herr Kollege Jobst hat mir die Möglichkeit gegeben, darauf hinzuweisen, daß wir eine Verknüpfung, eine Verbindung, eine Vernetzung der unterschiedlichen Verkehrssysteme benötigen. Denn wir wissen doch, daß die politischen Investitionsentscheidungen den Sachverhalt zur Folge haben, den wir alle beklagen, nämlich daß unsere Straßen und Städte verstopft sind, daß der Individualverkehr und der Güterverkehr explodieren. Das Wachstum des traditionellen Verkehrs gefährdet heute doch solche Bereiche wie Umwelt, Sicherheit, Lebensqualität in den Verdichtungsräumen usw. Wir wissen doch auch, daß die Investitionsentscheidungen, die wir heute fällen oder nicht fällen, bestimmen, wie der Verkehr in fünf, zehn oder zwanzig Jahren läuft. Wenn Sie dieses Raster, Herr Kollege Jobst, an die Investitionsentscheidungen der Bundesregierung legen, dann stellen Sie fest, daß die Bundesregierung nach wie vor unverändert einseitig auf die Straße setzt. Es wird zwar verbal betont, es gebe eine besondere Förderungswürdigkeit der Bahn. Aber ich sage: Gefördert wird alles andere, nur nicht die Bahn. Seit Jahren haben Sie die Investitionen in den Schienenweg zurückgefahren, gleichzeitig aber die Straßenbauinvestitionen erhöht. Weil Sie auf die Vergangenheit abgehoben haben: Von 1970 bis 1980 wurden, bezogen auf das Steueraufkommen, die Leistungen des Bundes für die Bahn um insgesamt 60 % aufgestockt, Herr Kollege Haar. In der Regierungszeit der CDU/CSU- und FDP-Koalition sind die Leistungen um 30 To gekürzt worden. Das sind ganz eindeutige Zahlen. Aber die Bundesregierung versucht, sie in der Öffentlichkeit zu vernebeln. So werden z. B. die Investitionen für den Schienenweg zu den Investitionen für die Züge, für die Waggons usw. addiert. Aber das ist doch absolut unehrlich. Bei den Straßenbauinvestitionen macht man das doch auch nicht. Ich habe noch nie erlebt, daß die Mittel für den Straßenbau zu den Ausgaben für PKW, LKW oder Busse addiert wurden. ({1}) - Herr Kollege Pfeffermann, sicher, es wird doch so gemacht. Ich sage: Wir haben nur eine Chance, den Verkehrsinfarkt durch einen Bypass zu verhindern. Das heißt Ausbau und massive Aufstockung der Investitionen für die Schiene; denn nur mit einem modernen Schienennetz können wir die Verkehre, die auf der Straße sind, übernehmen. Nur muß man dazu den politischen Willen haben, Herr Kollege Pfeffermann. Der fehlt bei Ihnen. Sie wissen doch, daß wir immer stärkere und größere Probleme im LKW-Verkehr bekommen. Denken Sie an den EG-Binnenmarkt, denken Sie an die Entwicklung der DDR und in Osteuropa. Da wird es einen zusätzlichen Wachstumsschub geben. Deshalb wollen wir die Schiene kurzfristig in der Bypassfunktion und mittel- und langfristig als einen der Straße gleichwertigen Partner im Gesamtverkehrssystem haben. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Daubertshäuser, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jung?

Klaus Daubertshäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Michael Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001039, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, Sie sprechen von dem politischen Willen, die Bahn zu stärken. Ist Ihnen bekannt, daß viele Untergliederungen Ihrer Partei gegen die Schnellbahnverbindung Köln-Frankfurt sind und sich vor Ort in Bürgerinitiativen dagegen stark machen?

Klaus Daubertshäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Jung, da ich vor einiger Zeit in Ihrem Wahlkreis, in Limburg, eine Veranstaltung hatte, kann ich nur bestätigen: Das ist so. Die Beschlüsse des Landesverbands und des Bezirks Hessen-Süd lauten anders. Aber ich habe bei meiner Veranstaltung in Limburg registriert, daß es auch Mitglieder Ihrer Partei gibt, die selbstverständDaubertshäuser lieh ebenfalls Bürgerinitiativen angehören. Wir sollten uns das nicht gegenseitig zum Vorwurf machen, sondern sollten gemeinsam versuchen, das, was wir als richtig erkannt haben, umzusetzen. ({0}) Meine Damen und Herren, erst wenn eine gerechte Kostenanrechnung den Lkw auf großen Strecken weniger attraktiv macht, rechnen sich entsprechende Investitionen. Deshalb muß auch die Regierungspolitik Ernst machen mit einer konsequenten Zurechnung der externen Kosten auf die verschiedenen Verkehrsträger, mit einer verkehrsträgerübergreifenden Infrastrukturpolitik und einer staatlichen Rahmensetzung, die endlich marktwirtschaftliche Instrumente, Kollege Gries, in die Verkehrspolitik einführt. Das heißt, Sie müssen in der Verkehrspolitik weg von Ihrem linearen Denken. Auch dann, wenn man mehr Geld einsetzt, mehr und breitere Straßen baut, holt man ein linear ansteigendes Verkehrsaufkommen nie ein. Der Journalist hat recht, der formuliert hat: Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten. Deshalb: Sie müssen den Verkehr endlich als einen Verkehrsverbund, als ein Ganzes betrachten, als ein vernetztes System. Sie müssen dann auch entsprechend handeln. Vielen Dank. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich mich gern an den Kollegen Porzner wenden. Lieber Herr Porzner, gestern hat das Bundeskabinett Ihre Ernennung zum Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes beschlossen. Wir gratulieren Ihnen ganz herzlich zu dieser wichtigen Aufgabe. Ich glaube, daß ich im Namen aller sprechen kann, wenn ich sage, daß wir die Bundesregierung zu diesem Beschluß nur beglückwünschen können. ({0}) Ich denke, gerade die Golfkrise erinnert uns daran, daß auch für die Außensicherheit der Bundesrepublik die Nachrichtendienste weiterhin ihre Wichtigkeit und ihre Funktion haben. Wenn wir Ihnen unseren Glückwunsch sagen, dann auch in Verbindung mit dem Dank für die Erfüllung der vielen Aufgaben, die Sie für den Deutschen Bundestag wahrgenommen haben, zuletzt im Geschäftsordnungsausschuß. ({1}) Viel Glück und eine gute Hand für Ihr neues, wichtiges Amt. Erinnern Sie sich, wenn es schwierig ist, ab und zu daran, daß Sie mit Ihrer Mannschaft zweimal Deutscher Meister im Handball waren. ({2}) Ich erteile das Wort nun dem Abgeordneten Herrn Fischer.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Verkehrspolitk ist aus einem Schattendasein früherer Jahre herausgetreten und jetzt ganz in den Mittelpunkt der Politik gerückt. Sie gewinnt zunehmend die breite Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Dies ist nicht zuletzt - das ist das Entscheidende - das Resultat der Herausforderungen und der Probleme, die wir zu bewältigen haben. Die Bundesregierung und das Parlament müssen sich in einer gemeinsamen Anstrengung als den Anforderungen gewachsen erweisen. Denn wir haben hier die Verantwortung dafür, daß die Lebensverhältnisse der Menschen, daß die Bewahrung unserer natürlichen Umwelt, daß eine florierende Volkswirtschaft und - zuletzt auch hinzugetreten - das Zusammenwachsen unseres Vaterlandes in einem sich einigenden Europa vorangebracht und erfolgreich gestaltet werden können. Unsere Regierungstätigkeit war durch die Hinterlassenschaft ungelöster Probleme einer SPD-geführten Regierung, durch die Schaffung des EG-Binnenmarkts und die Wiedervereinigung vor große und schwierige Aufgaben gestellt. Zu ihrer erfolgreichen Bewältigung trugen in der Gesetzgebungsarbeit nicht nur Regierung und Koalition, sondern oftmals auch Opposition und Bundesländer bei, was an dieser Stelle einmal dankbar anerkannt werden sollte. Es darf hier ja nicht der Eindruck vermittelt werden, als wenn das Sachgespräch im Verkehrsausschuß Not litte und wir uns dort ständig nur in einer verbalen Konfrontation befänden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf dem Wege zu einem EG-Binnenmarkt mit Dienstleistungsfreiheit gab es zweifelsohne Erfolge, z. B. bei der Vereinheitlichung der Maße und Gewichte und bei der einheitlichen Kontrolle der Ruhe- und Lenkzeiten. Aber auf der anderen Seite kann der Stand der Harmonisierung der verkehrsspezifischen Abgaben von uns nicht als befriedigend betrachtet werden, weil hier viele EG-Partner blockieren und der zuständige Kommissar van Miert mittels des EuGH ebenfalls eine Entwicklung blockiert, anstatt Politik erfolgreich voranzutreiben und endlich eine Lösung zustande zu bringen. Denn wenn ein Kommissar letzten Endes ein europäischer Minister ist, dann ist erst die Lösung des Problems für ihn ein Erfolg; es ist aber kein Erfolg, wenn er sich ohne Lösung der juristischen Blockade schuldig macht. Ich glaube, daß wir deswegen als Bundesrepublik Deutschland weiter hartnäckig an einem Abbau von Wettbewerbsverzerrungen und damit an der Schaffung von mehr Gerechtigkeit im Wettbewerb der einzelnen Unternehmen in der Europäischen Gemeinschaft arbeiten müssen. Wir können es nur dankbar begrüßen, daß sich jetzt endlich auch die Staats- und Regierungschefs der EG dieses Themas angenommen und versprochen haben, den Knoten durchzuschlagen. Die Bedeutung der Verkehrpolitik wird sicherlich dadurch unterstrichen, daß in diesem Bereich am allermeisten investiert wird. Das heißt, der Staat gibt für die Mobilität der Bevölkerung und für die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft enorm viel Geld aus; er muß sie sichern. Wir - auch das muß dazu erwähnt werden - geben einen immer weiter Fischer ({0}) steigenden Betrag für eine immer bessere und umweltgerechtere Planung und Bauweise aus. Die Verteuerungen, Herr Kollege Daubertshäuser, die wir z. B. im Straßenbau erleben, gehen auf das Konto Umwelt, weil nicht mehr wie in früheren Zeiten - so sage ich einmal - mit der Axt durch den Wald gebaut werden kann, sondern weil heute die Stichworte Lärmschutzwälle, Lärmschutzwände, Rekultivierungsmaßnahmen, Mooraustauschverfahren, Tieflagen, Brücken, Tunnel usw. sind. Diese Maßnahmen erfordern sehr hohe Aufwendungen um des Umweltschutzes willen, um einer menschengerechteren Gestaltung willen. Deswegen muß ich es hier in aller Deutlichkeit ablehnen, daß derartige Umweltaufwendungen gegenüber einer Bevölkerung, die hierüber nicht ausreichend informiert ist, diffamiert werden, als wäre dies sozusagen der Wahnsinn einer Steigerung der Kilometerablieferungsraten. Das Gegenteil ist richtig, meine Damen und Herren. ({1}) Der Verkehrshaushalt 1990 beinhaltet fast 13 Milliarden DM für Investitionen. Fast der gesamte Rest - dabei ist kaum noch das Ministergehalt übrig - geht an die Deutsche Bundesbahn. Das muß man sich drei- und viermal deutlich machen. 13 Milliarden DM sind für Investitionen vorgesehen, und 12,3 oder wieviel Milliarden DM gehen an die Bundesbahn; das ist der gesamte Rest des 25,3 Milliarden-DM-Etats. Wer angesichts dieser wirklich einmaligen politischen und finanziellen Prioritätensetzung behauptet, das Engagement des Staates für das Schienenverkehrsunternehmen sei nicht nachdrücklich dokumentiert, ist einfach töricht. Dies ist nicht in Zweifel zu ziehen. Das Kabinett hat 1989 darüber hinaus 12,6 Milliarden DM Altschulden der DB übernommen. Es hat die Bilanz bereinigt, die Kreditfähigkeit des Unternehmens aus eigener Kraft verbessert, hat den Willen der Öffentlichen Hände, sich in der Zukunft am Fahrweg zu beteiligen, dokumentiert und hat eine Kommission eingesetzt, die weiterführende Entschlüsse - ich sage: es müssen mutige Entschlüsse sein - vorbereiten soll. Herr Kollege Daubertshäuser, nach Jahrzehnten absoluten Vorrangs für die Straßeninvestitionen wurden die Investitionsmittel der Bahn wesentlich erhöht und nach vorne gebracht, an die Spitze gebracht. ({2}) Ich finde an Ihren Ausführungen sehr sympathisch, daß Sie hier die Rolle des reuigen Sünders übernommen haben. Reuige Sünder sollen ja sehr viel löblicher sein als die hundert oder tausend Selbstgerechten. Das finde ich sehr symphatisch. ({3}) Aber, Herr Kollege Daubertshäuser, Sie brauchen diese Bundesregierung nicht aufzufordern umzusteuern, denn sie hat umgesteuert. Das ist das Entscheidende. ({4}) Zur Entwicklung im Luftverkehr. In diesem Bereich sind Steigerungsraten zu verzeichnen, die Anfang der 80er Jahre für völlig utopisch gehalten worden sind. ({5}) Dieses - nach zu zurückhaltenden Prognosen - entstandene Investitionsdefizit kann nicht über Nacht beseitigt werden. Der Aus- und Neubau der Flughäfen Frankfurt, Stuttgart, München, Hamburg und endlich auch Düsseldorf ist für uns alle sicherlich erfreulich, aber er kommt um Jahre, möglicherweise um Jahrzehnte zu spät. Hierfür - das sehen wir gerade an Düsseldorf und München - trägt nicht nur der Staat Verantwortung, sondern Ursache dafür, daß der Aus- und Neubau erst so spät vorgenommen werden kann, sind vor allen Dingen langwierige Rechtsstreitigkeiten gewesen. Der Bundesverkehrsminister hat in dieser Lage alles getan, um schnell und wirksam zu helfen. Zulagen für das Flugsicherungspersonal, Investitionen für die technische Modernisierung der Flugsicherungseinrichtungen, Überführung der Flugsicherung in eine privatrechtliche Form, um eine größere Motivation und Attraktivität für das Personal herbeizuführen, sind nicht nur durch die Bundesregierung vorbereitet worden, sondern in Bundestag und Bundesrat auf einer äußerst breiten parlamentarischen Basis beschlossen worden. Alle am Luftverkehr Beteiligten, insbesondere seine Nutzer, müssen jetzt täglich die Daumen drücken, daß der Bundespräsident dieses Gesetz recht bald ausfertigt, damit der Ärger über Verspätungen im Luftverkehr endlich aufhört. Wenn man für einen einheitlichen Luftverkehrsmarkt ab 1993 gewappnet sein will, müssen Infrastruktur und Organisation zügig verbessert werden. Das Internationale Schiffahrtsregister ist zwar durch unsachliche Polemik bekämpft worden, dennoch kann nicht bestritten werden, daß die Seeschiffahrt damit aus den negativen Schlagzeilen herausgekommen ist. Der Trend zur Ausflaggung wurde gestoppt. Die deutsche Seeschiffahrt erlangte ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit wieder. Der Personalbestand ist entgegen den Horror-Behauptungen der ÖTV, es gebe dann keinen einzigen deutschen Seemann mehr, völlig stabilisiert worden. Die Rückkehr aus fremder Flagge und die Indienststellung unter deutscher Flagge sind zahlreich ermöglicht worden. Die Bundesregierung hat in der Verkehrssicherheitsarbeit eine gute Bilanz vorzuweisen. Wir danken in dem Zusammenhang auch allen, die sich in der Verkehrssicherheitsarbeit betätigt haben, vor allem den großen Institutionen und Verbänden, die auf diesem Gebiet tätig sind. ({6}) Wir haben eine ausgesprochen große Bündelung des Verkehrs auf Bundesautobahnen zu verzeichnen. Wir haben den Bau von Ortsumgehungen engagiert fortgesetzt und werden das auch in Zukunft tun. Die Technik am Auto wurde deutlich verbessert. Das gilt auch für die Schulung der Fahrer. Vor allem haben wir keine Gängelung durch sachlich nicht begründbare Maßnahmen praktiziert. Die unsinnige Behauptung der SPD und der GRÜNEN, ein allgemeines TempoliFischer ({7}) mit müsse her, ist nach meiner Auffassung in der Sache widerlegt. ({8}) Die Autobahnen machen 1,7 % unseres Straßennetzes aus. Wir wickeln dort 28 % unseres gesamten Verkehrsaufkommens ab und haben in diesem Bereich 9 % der tödlichen Unfälle. Diese Zahlen machen deutlich, wie wichtig die Bündelungsfunktion in diesem Bereich ist. Wer aus diesem sichersten System Verkehr durch Gängelung in das nachgeordnete System zurückdrückt, versündigt sich an den Erfolgen dieser Bundesregierung in der Verkehrssicherheitsarbeit. ({9}) Unser Problem, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist der langsamste Innerortsverkehr. Unser Problem ist nicht die Höchstgeschwindigkeit, sondern die der Lage nicht angepaßte Geschwindigkeit. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen?

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte den Gedanken zu Ende führen; dann sehr gern. Ich möchte darauf hinweisen, daß der liberale Journalist Wolf Schneider, der Chef der Journalistenschule von Gruner + Jahr, in einer Kolumne mit dem Titel „Der Quatsch mit dem Tempolimit" eine wirklich hervorragende Betrachtung und Zusammenstellung überzeugender Argumente angeboten hat. Das sollte sich jeder einmal durchlesen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Jetzt ist der Satz zu Ende, und Sie können eine Zwischenfrage stellen, Frau Abgeordnete.

Maria Luise Teubner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002308, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Fischer, können Sie bestätigen, daß es im Zusammenhang mit dem Tempolimit nicht nur um die Frage der Sicherheit und der Unfälle geht, sondern auch um die Frage der Abgasemissionen und darum, daß die Emissionen im Bereich höherer Tempi um ein Erhebliches - ({0}) - Lassen Sie mich bitte die Frage zu Ende stellen. Ich möchte sie von Herrn Fischer beantwortet haben. ({1}) Ich halte sie für nicht widerlegt. - Können Sie bestätigen, daß es so ist, daß im Bereich höherer Tempi die Abgasemissionen drastisch zunehmen ({2}) und das insofern ein Grund wäre, ein Tempolimit einzuführen?

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Kollegin, wir haben dazu einen Großversuch gemacht. Dieser Großversuch hat ergeben, daß gewisse Einsparungen möglich sind, aber in einer so geringen Dimension, daß das, bezogen auf das Ganze, keine überzeugende Begründung für eine solchen Schritt gewesen ist. Sie können auch eine Berechnung anstellen: Wenn Sie zwei Kohlekraftwerke abschalten, haben Sie den gleichen Effekt. Wenn Sie das wollen, können wir diese Frage einmal insbesondere mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Ruhrgebiet diskutieren. ({0}) Ich will das hier nicht zur Forderung erheben. Aber ich weise Sie nur darauf hin: Wenn Sie sich in eine solche Argumentation verstricken, müssen Sie auch die Gesamtbelastung durch Emissionen sehen. Hier gehört der Verkehr ausdrücklich nicht als Alleinschuldiger oder Hauptschuldiger auf die Anklagebank.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, ich muß Sie fragen, ob Sie eine weitere Zwischenfrage beantworten wollen. Zunächst hat sich der Abgeordnete Brück gemeldet.

Alwin Brück (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000276, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Fischer, wenn Sie sich hier mit dem Artikel „Der Quatsch mit dem Tempolimit" identifizieren, würden Sie dann alle unsere Kolleginnen und Kollegen in den Parlamenten der USA und fast aller europäischen Länder, in denen es überall Geschwindigkeitsbegrenzungen gibt, als Quatschköpfe bezeichnen?

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Brück, ich würde zumindest aus der Statistik herauslesen, daß sich derjenige, der glaubt, er würde mit einem allgemeinen Tempolimit in einem kleinen Restsystem des Systems das Problem der tödlichen Unfälle lösen, einer ganz schweren Illusion hingibt. Denn in den meisten Ländern mit einem solchen allgemeinen Tempolimit ist die Zahl der tödlichen Unfälle, gemessen am Verkehr, wesentlich höher. Das schlimmste und für mich erschreckendste Beispiel ist gerade das der DDR, wo man trotz eines fortbestehenden Tempolimits durch das höhere Verkehrsaufkommen eine so gewaltige Steigerung hat, Herr Kollege Brück, ({0}) daß das mit Sicherheit nicht des Rätsels Lösung sein kann. Es geht um wesentlichere Dinge. Mit Patentrezepten redet man den Bürgern einen falschen Zusammenhang ein. Ich weise noch einmal darauf hin: Wenn Sie die Gleichung „längere Fahrstrecke, schneller gefahren, frühere Ankunftszeit" kaputtmachen, drücken Sie den Verkehr zurück auf die Landstraßen. Dort haben Sie gegenüber den Autobahnen eine doppelt so hohe Unfallhäufigkeit. ({1}) Fischer ({2}) Das wird sich in der Unfallbilanz niederschlagen. Ich aber kämpfe dafür, daß die Unfallbilanz dieser Bundesregierung auch in Zukunft eine günstige Entwicklung nimmt. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun haben wir noch eine Bitte für eine Zusatzfrage vorliegen. Ich möchte das Haus aber zunächst darauf aufmerksam machen, daß wir uns nach der jetzigen Zeitplanung für das Ende der Beratung dieses Tagesordnungspunkts der 14-Uhr-Grenze nähern, wo die Fragestunde beginnen soll. Da ich weder die Fragen noch die Antworten auf die Redezeit anrechne, bitte ich das Haus, mit Frage und Antwort sehr sparsam umzugehen. Nun, Frau Kollegin Teubner, haben Sie die Möglichkeit, zu fragen, wenn Sie darauf bestehen. ({0}) - Er ist bereit.

Maria Luise Teubner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002308, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte zu den Abgasemissionen noch einmal nachfragen: Wie erklären Sie denn dann die Aussage von Wissenschaftlern, daß trotz Einführung des Katalysators die Abgasemissionen durch den Verkehr SO2 und vor allem Stickoxide - NOX - zugenommen haben und diese Zunahme von Wissenschaftlern darauf zurückgeführt wird, daß wir stärkere Motoren haben, daß die Fahrleistung zunimmt und daß immer noch weit schneller als 100 oder 120 km/h gefahren wird?

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ich bestreite nicht, daß es auf der Welt für jede Behauptung, auch für jede Interessenposition, ein wissenschaftliches Gutachten gibt. Das haben wir mittlerweile gelernt. Insoweit ist die Behauptung, es gebe ein wissenschaftliches Gutachten oder entsprechende Auffassungen bei Wissenschaftlern, für das Parlament sicherlich kein maßgeblicher Durchbruch in der Sache. Wir wissen nur eines: daß diese Bundesregierung einen wissenschaftlich begleiteten Großversuch durchgeführt hat, der uns diese Entscheidungshilfe gegeben hat. Wir wissen auch, daß z. B. durch den langsameren oder den Stauverkehr andere Schadstoffe in einer gewaltig höheren Dimension ausgestoßen werden, so daß es hier auch eine Korrelation gibt, die eine nicht eindeutig positive Bilanz erbringt. Wenn Sie dieses Problem angehen wollen, seien Sie bitte so freundlich, die Scheuklappe herunterzunehmen und außer dem Verkehr auch andere Bereiche zu betrachten. ({0}) - Ja, ja, es gibt aber auch Forderungen, die Sie in dem Zusammenhang bewußt unterdrücken - ich habe da eine genannt -, weil die natürlich unpopulär sind. Das heißt, hier ist eindeutig bewiesen, daß ein solcher Schritt jedenfalls ökologisch erheblich weniger bringt als der wirkliche Durchbruch, den diese Bundesregierung mit der Einführung des Dreiwegekatalysators auf dem Gebiet des Umweltschutzes erzielt hat. Dies war sehr viel wesentlicher. ({1}) Diese Bundesregierung hat das gemacht, nachdem Vorgängerbundesregierungen die Entwicklung mehr als zehn Jahre verschlafen hatten ({2}) und diese Technologie in den USA und Japan bereits am Markt war. Das ist doch die Wahrheit.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Die Vergeblichkeit meines Appells, Herr Abgeordneter Fischer, wird dadurch demonstriert, daß Sie der Abgeordnete Haar bittet, auch ihm noch eine Zwischenfrage zu gestatten.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich kann den ganzen Vormittag so verbringen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich zweifle nicht daran. Aber Ihre Beantwortung der Zwischenfragen hat inzwischen fast genau so viel Zeit in Anspruch genommen, wie die von Ihrer Fraktion Ihnen zugedachte Redezeit ausmacht. Ich bitte, das alles zu berücksichtigen.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Für einen Abgeordneten eine einmalige Chance, muß ich sagen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

So ist es. Fischer ({0}) ({1}): Bitte sehr.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Haar.

Ernst Haar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000760, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Herr Kollege Fischer, wie erklären Sie sich, daß Sie auf eine Frage meines Kollegen Brück, die Sie klar mit Ja oder Nein hätten beantworten können, wenn Sie gewollt hätten, in ein Geschwafel von drei bis vier Minuten eingetreten sind, das man im Grunde Vernebelung nennen müßte? ({0})

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das erkläre ich damit, daß die Wahl der Art, in der ich eine Frage beantworte, mir selbst zusteht und nicht durch den Kollegen Brück sozusagen definiert wird. Im übrigen: Zur Qualität meiner Antwort habe ich eine diametral andere Auffassung als Sie, Herr Kollege Haar. Ich glaube, ich habe auch den Kollegen Brück eindeutig dahin widerlegen können, daß ein solcher Schritt, wie er ihn hier eingefordert hat, für die Verkehrsunfallbilanz wirklich nicht hilfreich wäre. Hier sind wir in der Sache entschieden anderer Auffassung. Ich freue mich, daß wir mit einem so angesehenen Mann wie Wolf Schneider einen großen Verbündeten hinzugewonnen haben.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Haar, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich auch bei Vizepräsident Cronenberg Fragen, nicht nur bei Reden, eines Tons befleißigten, der den Präsidenten nicht in Verlegenheit bringt. Herr Abgeordneter Fischer.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich sage Ihnen ausdrücklich zu, Herr Kollege Haar, daß ich dem Journalisten Wolf Schneider nicht mitteilen werde, daß Sie Argumente, die auch er verwandt hat, als „Geschwafel" bezeichnet haben. Das soll unter uns bleiben. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Umweltschutz haben wir einen Durchbruch erzielt mit dem Dreiwegekatalysator, einer weiteren Reduzierung der Schadstoffe durch Herabsetzung der Grenzwerte, der Verabschiedung und Inkraftsetzung der Lärmschutzverordnung. Wir haben auch im Gewässerbereich große Erfolge erzielt, ferner durch die Luftüberwachung, durch Sammelstellen. Wir stehen am Anfang und müssen fortarbeiten an der Vermeidung unnötigen Verkehrs durch unnötige Rotation und Leerfahrten, indem die Informations- und Leitsysteme verbessert werden. Nicht zuletzt durch die Anforderungen des Alpentransits haben wir auch einen Durchbruch bei der Lärmreduzierung beim Lkw erzielt. ({1}) Wir haben in der Zukunft natürlich weitere Auf gaben zu lösen: Die Bahn ist zu einem attraktiven und wirtschaftlich mehr und mehr gesundenden Unternehmen zu führen. Wenn die Kommissionsarbeit abgeliefert ist, dann müssen die Entscheidungen von uns gemeinsam gefällt werden. Wir müssen den Auf- und Ausbau einer leistungsfähigen Schienen- und Straßenverkehrsinfrastruktur im gesamten Deutschland bewältigen. Wir müssen die Voraussetzungen für einen weiter steigenden Luftverkehr und für eine umweltverträgliche Gestaltung der Verkehrsabwicklung im Verbund der Verkehrssysteme schaffen. Der europäische Verkehrsbinnenmarkt muß vollendet werden. Wir müssen integrierte Gesamtverkehrssysteme des Güter- und Personenverkehrs schaffen. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. ({2}) Was hier gefordert ist - das macht dieser Katalog deutlich - , ist der Wettbewerb guter Ideen, nicht aber, wie bei Herrn Lafontaine, ideologische Konfrontation ohne realistische Lösungsansätze. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Fischer, ich habe noch eine Bitte vorliegen.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte zum Ende kommen, Herr Kollege.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Danke schön. Ich nehme das dankbar zur Kenntnis.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der aufgezeigte große Anspruch, dem wir uns auch künftig stellen müssen, verlangt klare Konzepte, wie sie bisher von dieser Bundesregierung erbracht worden sind. Ein derartiger Anspruch wird durch die leeren Worthülsen von Herrn Lafontaine nicht erfüllt. ({0}) Das Programm „Fortschritt 90" - Sie können es durchlesen - beweist das. Zum Verkehr wird ausschließlich eine drastische Mineralölsteuererhöhung angekündigt. Damit wird der Ruf der SPD als Steuererhöhungspartei erneut belegt. Offenbar soll der Abschied des Bürgers vom Auto durch Steuerfolterung erzwungen werden. ({1}) Die deutschen Seehäfen sollen offenbar total isoliert werden; der ländliche Raum soll in der Zukunft unter einer strukturpolitischen Fehlsteuerung leiden; der Reiseverkehr im wiedervereinigten Deutschland soll massiv behindert werden; entferntere touristische Gebiete sollen grob benachteiligt werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist wichtig, daß die erfolgreiche Politik auch in der kommenden Legislaturperiode von dieser Bundesregierung fortgesetzt werden kann. ({2}) Es ist leider das tragische Schicksal des Kollegen Daubertshäuser, daß die vielen Forderungen, die er hier auf den Tisch gelegt hat, im Programm von Herrn Lafontaine an keiner einzigen Stelle ihren Niederschlag gefunden haben. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Rock.

Helga Brahmst-Rock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die heute morgen hier stattfindende Debatte kann man wohl als den verkehrspolitischen Abschluß dieser Legislaturperiode betrachten. Sie ist wohl die vorläufig letzte Möglichkeit, sozusagen am Vortag des Beitritts der DDR die Weichen für eine andere, ökologisch verträglichere Verkehrspolitik zu stellen. Ich befürchte jedoch, daß, anstatt die Weichen in diese Richtung zu stellen, Kreuzungen für den Autoverkehr gebaut werden, daß unsere Verkehrspolitik in die ehemalige DDR exportiert wird, daß damit auch alle verkehrspolitischen Fehler der bundesrepublikanischen Vergangenheit exportiert werden. Die Möglichkeit einer Veränderung würde ein Infragestellen voraussetzen, eine Reflexion des Abgelaufenen, eine Reflexion der Frage, ob es tatsächlich eine Freiheit der Wahl der Verkehrsmittel gibt, oder ob es denn hier heute schon einen Autobenutzungszwang und damit Umweltverschmutzungszwang gibt. Wenn ich mir die Rede des Kollegen Fischer nochmals ins Gedächtnis zurückrufe, so hat er doch gerade dafür plädiert, nicht zu reflektieren, nicht zu überlegen, wo die Fehler sein könnten und wo Veränderungen ansetzen könnten, sondern er hat für eine Fortsetzung der bisherigen Verkehrspolitik einschließlich aller Fehler, die in der Vergangenheit gemacht wurden, plädiert, dann aber nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in Gesamtdeutschland. In dieser Republik - zukünftig wohl auch in der DDR - gibt es keinen vernünftigen öffentlichen Personennahverkehr mehr. Ganze Bereiche sind vom ÖPNV-Netz abgekoppelt. An einigen Stellen gibt es den ÖPNV nur noch in Rudimenten. Hier ist es eine Zukunftsaufgabe, einen funktionierenden öffentlichen Personennahverkehr als Teil der Daseinsvorsorge des Staates zu begreifen und eine Strukturreform eben jenes öffentlichen Personennahverkehrs in Gang zu setzen mit dem Ziel, kurzfristig Handlungsansätze zu entwickeln, statt die Bürgerinnen und Bürger mit ihrem gestiegenen Umweltbewußtsein, das sich auch darin ausdrückt, Busse und Bahn benutzen zu wollen, allein in der Fläche stehen zu lassen. Die Bundesregierung und die sie tragende Koalition scheuen aber davor zurück, tatsächlich Verkehrspolitik zu machen. Sie setzen aufs Aussitzen und müssen vielfach zum Jagen getragen werden. ({0}) - Es muß etwas lauter sein; sonst verstehe ich es akustisch nicht. Ein besonders krasses Beispiel für das Handeln bzw. Nichthandeln ist im Fall der erhöhten Ozonwerte zu sehen, so wie es in den Schönwetterperioden der letzten Wochen Alltag war: Statt zu handeln, wie es nach § 40 Abs. 2 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes notwendig und möglich gewesen wäre, versteht sich diese Bundesregierung als Verschiebebahnhof, der notwendige Initiativen entweder auf die EG oder auf die Länderebene verschiebt. Da nützt es wenig, wenn angekündigt wird, daß die EG noch in diesem Jahr eine Richtlinie verabschieden wird. Es hilft den Betroffenen auch wenig, wenn vereinbart wird, daß ab einem Wert von 180 Mikrogramm Ozon pro Kubikmeter Luft Warnungen an die Bevölkerung gegeben werden. Damit wird das Problem individualisiert statt gelöst, so als sei es der persönliche Fehler des Betroffenen, wenn sich sein Körper gegen eine Überdosis Reizgas wehrt. Eine Problemlösung bei erhöhter Ozonkonzentration ist z. B., die Autos einzusperren und deren Betätigung im Freien zu untersagen, statt die Menschen einzusperren. ({1}) Eine noch bessere Lösung ist, die Vorläuferstoffe für die Bildung von Ozon, die Stickoxide, die Kohlenwasserstoffe, zu reduzieren. Und da kommt ein ganz wesentlicher Anteil eben aus dem Verkehrsbereich. Der Hinweis auf die TA Luft ist da wenig hilfreich, Herr Kollege. Wenn man das also ernsthaft will, kommt man überhaupt nicht daran vorbei, eine vernünftige Verkehrspolitik zu machen. Ich wünsche mir eine Regierung - und ich werde für dieses Ziel arbeiten - , die sich nicht als Erfüllungsgehilfe der verladenden Wirtschaft versteht und der nicht Straßenbau über alles geht. Aber ich komme noch einmal auf die Rede des Kollegen Fischer zurück. ({2}) Gerade in ihr ist deutlich geworden, daß auf seiten der Koalitionsfraktionen weiter auf Straßenbau gesetzt wird, und zwar sehr eindimensional. ({3}) Und ich habe den Eindruck, daß sich die Bundesregierung eben nicht traut, zu handeln. Sonst hätte sie lange zur Kenntnis nehmen müssen, daß die Mehrheit der Bevölkerung ein Tempolimit durchaus akzeptiert, in ihrem Wohnumfeld sogar begrüßen würde. ({4}) Die Festsetzung von Tempolimits wäre ein wirksamer Sofortbeitrag zur Verminderung des Schadstoffausstoßes auf dem Verkehrssektor. Das haben verschiedene Institutionen festgestellt. ({5}) Ich denke, die dauernde Reflexion über den TÜV-Großversuch bringt uns hier nicht weiter. Es müssen auch einmal neuere Gutachten zur Kenntnis genommen und umgesetzt werden, auch bei den Koalitionsfraktionen. ({6}) Die Festsetzung von Tempolimits wäre sogar völlig kostenneutral. Aber diese zweifelhaften Helden der freien Fahrt weigern sich standhaft, diesen einfachen Weg zu gehen. Das zeigt sich auch in der Ablehnung der Koalitionsfraktionen, Geschwindigkeitsbegrenzungen überhaupt zu kontrollieren oder im Lkw-Bereich Geschwindigkeitsbegrenzer einzubauen. Damit erklären Sie die Straße augenzwinkernd zum rechtsfreien Raum. ({7}) - Das ist überhaupt kein Quatsch, das ist so. - Und wenn Sie darauf hinweisen, daß die DDR ein Tempolimit von 100 km/h festgesetzt hat, die Unfallzahlen im letzten halben Jahr aber trotzdem gestiegen sind, dann liegt das auch daran, daß sich niemand mehr an das Tempolimit von 100 km/h hält. Ich habe heute in einer Tageszeitung gelesen, daß in der DDR jemand gestoppt worden ist, der auf einer schlechten Straße Tempo 200 gefahren ist, und zwar mit einem Auto, nicht mit zwei Autos hintereinander. ({8}) Also, ich denke, beim Tempolimit wird deutlich, daß Sie nicht handeln wollen. Ich möchte noch ein weiteres Beispiel für unterlassenes - notwendiges - Handeln bringen: die Ablehnung der Aufforderung, für die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur am Oberrhein tätig zu werden. Sie haben das damit begründet, daß der Deutsche Bundestag nicht über regionale Verkehrskonzepte entscheiden sollte, aber ich denke, gerade das macht die Diskrepanz deutlich zwischen den Sonntagsreden und dem politischen Handeln, denn genau diese Entscheidung haben die Teilnehmer und TeilnehmerinFrau Rock nen des Drei-Länder-Kongresses „Verkehr am Oberrhein", an dem alle Fraktionen teilgenommen haben, gefordert. Nur: Was Sie auf öffentlichen Veranstaltungen teilen und auch selber fordern, das setzen Sie hier als Mitglieder des Bundestages nicht um. Die Bundesregierung ist bislang die Antwort schuldig geblieben, wie sie eine erfolgreiche Umwelt- und Verkehrspolitik betreiben will, wie sie zu einer wirksamen Reduzierung von Stickoxiden und Kohlenwasserstoffen kommen will, wie sie ihren Beitrag zum Schutz der Erdatmosphäre leisten will, wenn sie weiterhin den Verkehrssektor ausklammert. Nur der Hinweis auf die Einführung des Katalysators ist da zu wenig. Der Katalysator löst wie jeder technische Ansatz nur ein Teilproblem. Die Frage der Lärmbelastung aus dem Verkehr bleibt da ebenso ungelöst wie die Vielzahl der sonstigen verkehrsabhängigen Schadstoffe von Benzol über Dioxine bis hin zum Kohlendioxid. Alle diese Probleme können möglicherweise eines Tages technisch gelöst werden. Sie können aber bereits heute gelöst werden, wenn Sie einen ganzheitlichen Ansatz wählen und sagen: Unsere Erde ist zu wichtig, sie der freien Fahrt einiger zu opfern. ({9}) So hat z. B. auch die Enquete-Kommission zum Schutz der Erdatmosphäre festgestellt, daß an der Festsetzung von Geschwindigkeitsbeschränkungen kein Weg vorbeigeht. Aber diese Bundesregierung ist ja nun nicht gerade die Speerspitze des ökologischen Fortschritts. Es hat den Anschein, als sei die lange Bank nicht nur des Teufels, sondern auch des Verkehrsministers liebstes Möbelstück. ({10}) Ich hoffe und ich wünsche mir, daß die erste Verkehrsdebatte im gesamtdeutschen Parlament von dem Wunsch getragen ist, Verkehrspolitik auch tatsächlich zu machen und umzusetzen. Vielen Dank. ({11})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gries.

Ekkehard Gries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000726, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, daß wir zum Ausgang der Legislaturperiode Gelegenheit haben, noch einmal eine Tour d'horizon der Verkehrspolitik hier vorzunehmen. Ich will versuchen, die Gelegenheit zu nutzen - bei aller Wertschätzung der anwesenden Kolleginnen und Kollegen - zum Stenographischen Protokoll des Bundestages einige Grundsatzthesen der FDP-Verkehrspolitik hier zu Protokoll zu geben, damit sie der Nachwelt erhalten bleiben. Um die Bedeutung der Verkehrspolitik herauszustreichen, fange ich damit an, daß ich darauf hinweise, daß Verkehrspolitik natürlich die Lebensqualität und den Lebenswert jedes einzelnen Bürgers mehr bestimmt, als ihm offensichtlich selbst bewußt ist. Verkehr ist die Lebensader unseres Lebens in der Gesellschaft wie in der Wirtschaft, und Verkehrspolitik ist zugleich darauf angewiesen, die Wünsche sowohl des einzelnen wie der Wirtschaft zu erfüllen. Auf der anderen Seite - in dieser dringenden Forderung stimmen wir überein, wie ich weiß - müssen wir den Umweltschutz stärker berücksichtigen, damit wir nicht spätere Generationen beschädigen. Ich will aber auch dazu sagen - das ist ein Grundsatz liberaler Verkehrspolitik, in dem wir uns unterscheiden - , daß wir die freie Wahl des Verkehrsmittels für ein Bürgerrecht halten, solange es in Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Sicherheit und den Interessen des Gemeinwohls steht, und daran halten wir ganz entschieden fest. Darüber hinaus - ich sage das, auch im Hinblick auf die Zeit, die mir zur Verfügung steht, ein bißchen thesenartig - : Wir Liberalen setzen auch in der Verkehrspolitik auf Wettbewerb, auf Marktwirtschaft, auf private Initiative, damit da gar kein Zweifel aufkommt. Wir verzichten auf dirigistische Eingriffe, die nicht im Staatsinteresse notwendig sind - ich will das einschränken - notwendig sind, und wir wollen auch die wirtschaftliche, die mittelständische Struktur in der Verkehrspolitik erhalten. ({0}) Der Verkehr der Zukunft ist nur zu bewältigen - hier knüpfe ich an das an, was Herr Daubertshäuser zum Schluß gesagt hat - durch eine enge und intelligente Zusammenarbeit aller Verkehrsträger. Anders ist der Verkehr der Zukunft überhaupt nicht mehr zu bewältigen. Ich sage hier auch für die FDP, daß bei uns die Schiene - das ist ernst gemeint, und mein Kollege Kohn wird das nachher noch ausführen - hohe Priorität hat. Ich sage dazu - da unterscheiden wir uns mindestens von den ideologischen Positionen der GRÜNEN und teilweise der SPD schon wieder -, daß der Straßenbau unverzichtbar ist und bleibt, daß aber dabei der Ausbau Vorrang vor dem Neubau hat. Meine Damen und Herren, liebe Kollegen! Wir haben in der Bundesrepublik ein leistungsfähiges Verkehrsinfrastrukturnetz, wir haben eine im hohen Maße leistungsfähige und wettbewerbsfähige Verkehrswirtschaft. Aber wir haben auch große Probleme. Eine große Herausforderung, die vor uns steht, ist z. B. die Überleitung dieser Verkehrswirtschaft in den europäischen Binnenmarkt, der uns bisher mehr beschäftigt hat als das zweite Problem, nämlich der neue Kurs der Verkehrspolitik Ost/West. Das sind die zwei großen Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen: der Liberalisierung und Harmonisierung im EG-Binnenmarkt und auf der anderen Seite der Schaffung eines Gesamtverkehrsplanes für das vereinigte Deutschland und die Bewältigung der notwendigen Investitionen. Wir wissen, daß das alles nicht zum Null-Tarif zu haben ist. Es wird uns vor große Herausforderungen stellen. Herr Daubertshäuser hat schon über den Wert der Verkehrspolitik gesprochen, und es ist unverkennbar, insofern ist es fast eine Ausnahmesituation, er hat von Schattendasein gesprochen, ich habe mir sein Stichwort aufgeschrieben, „das Mauerblümchen wacht heute morgen einmal auf" - völlig zu Recht im übrigen, weil wir alle wissen, welche Bedeutung der Verkehr für die Mobilität unserer Bürger und für das Funktionieren unserer Wirtschaft insgesamt hat. Ich denke, daß wir in der Zukunft mehr darauf achten müssen, den Verkehr und die verkehrlichen Erfordernisse mit den dringend notwendigen Bedürfnissen des Umweltschutzes zu verknüpfen. Das ist, glaube ich, der Punkt, der alle verkehrspolitisch-technologischen Überlegungen bestimmt, der neu eingeführt wurde.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Gries, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfgramm?

Ekkehard Gries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000726, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich freue mich; der Herr Geschäftsführer ist jetzt hier.

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich stimme Ihnen selbstverständlich darin zu, daß der Verkehr eine besondere Bedeutung für uns hat. ({0}) Aber würden Sie mir zustimmen, daß es auch eine besondere Bedeutung für unser Haus hat, daß Herr Karl-Heinz Schmitt, Regierungsoberinspektor, heute sein 40jähriges Dienstjubiläum feiert? ({1})

Ekkehard Gries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000726, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn er 40 Jahre mit soviel Erfolg im Dienst - was noch mehr ist, als 40 Jahre alt zu werden - überstanden hat, bin ich so frei, ihm im Namen aller Kollegen sehr herzlich zu gratulieren. ({0}) Meine Damen und Herren, es gibt natürlich bei dieser Konstellation verkehrspolitischer Notwendigkeiten, wirtschaftlicher Erfordernisse, persönlicher Bedürfnisse und Umweltschutz Zielkonflikte, die wir alle kennen, um deren Bewältigung wir ringen. Ich bin jedenfalls nicht der Meinung, daß es richtig ist, den Bürger aus dem Verkehr zu verdrängen. Das wäre eine inhumane Lösung. Wir haben auch gesehen, was in den Staatshandelsländern, etwa in der DDR, passiert. Fehlende Wirtschaftskraft eines Staates führt nicht zu mehr Umweltschutz, sondern im Gegenteil zur Vernachlässigung der Umwelt. Eine marode Verkehrsinfrastruktur schadet der Umwelt mehr als ein funktionierendes System. Wir sind andererseits natürlich nicht blind gegenüber diesen Problemen. Aber, meine Damen und Herren, wir können die Menschen in den fünf neuen Ländern der bisherigen DDR nicht darauf verweisen, daß sie warten sollen, bis das Schienennetz renoviert ist. Es gilt, die Wirtschaftskraft und den Lebensstandard in der DDR möglichst schnell zu verbessern, und dazu ist auch der Ausbau des Straßenverkehrs notwendig. Wer das nicht sehen will, verkennt die Fakten. Das Auto - dies sollten wir anerkennen - ist nach meiner festen Überzeugung ein ganz wesentliches Stückpersönlicher Freiheit und Befreiung. Das Auto, diese Art von Mobilität, die dadurch erreicht worden ist, ist ein ganz wesentliches Stück persönlicher Freiheit und Befreiung. Das sollten wir anerkennen. Gerade unsere Landsleute in der DDR haben zum Teil 40 Jahre darauf gewartet. Das sollten wir heute nicht kritisieren. Daß mit den erhöhten Zulassungszahlen und damit erhöhten Unfallzahlen Probleme verbunden sind, weiß hier jedermann. Aber wollen Sie denn unsere Landsleute auf ein marodes Schienensystem und ein schlecht funktionierendes ÖPNV-System verweisen? Ich glaube, das ist einfach nicht angemessen. Ich bin auch froh, daß dieser Verkehr zwischen den deutschen Staaten sofort nach Öffnung der Grenzen in Gang gekommen ist. Wir Liberalen sagen ja zu Europa. Aber ich sage auch dazu: Ich wünsche mir mehr Initiativen, mehr konkrete und weniger auf Papier gedruckte Initiativen der EG-Kommission. Wir haben beim Alpentransit gesehen, daß die EG geschlafen hat und die Probleme nicht gelöst hat. Wir brauchen in Europa ein attraktives Schienennetz. Entfernungen von 500 bis 1 500 Kilometern sind in Europa vernünftigerweise nur durch die Bahn, durch eine gute Logistik auf der Schiene zu bewältigen. Dann ist die Bahn auch unschlagbar. Das Hochgeschwindigkeitsnetz der Bahn ist natürlich der Weg und die Bewegungsart der Zukunft. ({1}) Aber, meine Damen und Herren - ich glaube, einer der Vorredner hat es schon einmal kurz angeschnitten -, wir müssen uns, da ich gerade über das Schienennetz und das Hochgeschwindigkeitsnetz rede, fragen, wie lange wir es uns noch leisten wollen - das sage ich hier an bestimmte Gruppen des Hauses -, Planungsvorläufe von 15 Jahren zu haben, um eine einzige Schienenstrecke zu errichten. ({2}) Immer wieder werden hier Forderungen gestellt, und umgekehrt werden dann die Hürden im selben Haus von denselben Leuten aufgebaut. Ich glaube, daß das jedenfalls auf Dauer so nicht geht. Sonst verlieren wir jeden Wettbewerb in Europa und in der Welt, wenn wir weiter aus ideologischen Gründen so „herumwursteln" . ({3}) Ich bin der Meinung - da kann ich wiederum an das, was Herr Daubertshäuser gesagt hat, anknüpfen -, es geht nicht darum, einzelne Verkehrsarten zu verteufeln, wie die GRÜNEN das so gerne tun. Wir müssen die Vorteile der einzelnen Verkehrsträger nutzen und sie sinnvoll verknüpfen. ({4}) Wir brauchen die Kooperation dieser Verkehrsträger. Nur das bringt uns weiter. Um den Güterverkehr zu verbessern, brauchen wir Logistikzentren, die Straße und Schiene, die Wasser und Luft sinnvoll verbinden und dann den Transport über mittlere und längere Strecken organisieren. Natürlich muß das über die Schiene geführt werden können und die Zu- und Ablieferung sowie die kürzeren Strecken durch die Lkw bedient werden. Meine Damen und Herren, wir müßten eigentlich alle - ich sage bewußt: alle Parteien - Bankrott anmelden, wenn es uns nicht gelänge, z. B. diese Logistikzentren, diese Verknüpfung der Verkehrsträger durchzusetzen. Ich begreife das gar nicht als ein dirigistisches Unternehmen, sondern als ein sinnvoll zu planendes Unternehmen. Darauf sollten wir unsere Energien wirklich verwenden. Es kann doch gar nicht in Zweifel stehen, daß auch der Personenverkehr über längere Strecken mit der Bahn sinnvoller ist, als kurze Strecken mit dem Flugzeug oder mittlere Strecken mit dem PKW zu absolvieren. Deshalb ist es so wichtig, daß wir die Hochgeschwindigkeitsstrecken der Bahn - und der Bundesbahn insbesondere - fördern. In den Ballungsgebieten ist der ÖPNV das Rückgrat jedes Verkehrs. Ich bin ein leidenschaftlicher Autofahrer. Ich sage das ganz offen; jeder weiß das ja auch. Aber ich weiß doch auch, daß der Verkehr für die Menschen, z. B. für die große Zahl der Berufspendler, ohne einen funktionierenden, geförderten, modernen, attraktiven ÖPNV überhaupt nicht zu gestalten ist. Deshalb braucht er unsere besondere Aufmerksamkeit. Ich habe kein Verständnis für dieses ideologische Geschwätz von der autofreien Stadt. Meine Damen und Herren, das können Sie in bestimmten Kernen von Großstädten machen. Das geht da, wo Sie ein funktionierendes öffentliches Verkehrsnetz hab en. Sie können das nicht ausdehnen: In den Außenbezirken funktioniert es nicht mehr, in der Fläche funktioniert es überhaupt nicht. Sie machen alle anderen kleinen und mittleren Städte kaputt, wenn Sie denen diesen Unsinn von der autofreien Stadt einreden. Der Verkehr wird steigen. Ich sage Ihnen einmal ganz ehrlich und realistisch: Wenn es uns gelingt, den Zuwachs an Verkehr - an Personen- und an Güterverkehr -, der sicher ist, nicht nur durch die DDR und nicht nur durch die EG, sondern durch unsere eigenen Bedürfnisse, auf die Schiene zu bringen, dann, so bin ich der Meinung, haben wir schon eine ganze Menge erreicht. Zu diesem Zweck werden wir Verbesserungsvorschläge - ich will jetzt nur ein paar Stichworte nennen - : z. B. die intelligentere Straße. Dazu gehört ein elektronisches Management, dazu gehören bessere Informationen, vielleicht gehört dazu manchmal auch ein besseres Personalmanagement. Ich finde es nicht sonderlich erquicklich, was sich im Moment im Managementbereich eines großen Unternehmens abspielt. Auch unsere Fahrzeuge müssen sicherer sein. Jeder von uns fährt das eine oder andere Auto; jeder hat schon andere gefahren und wird in Zukunft andere fahren. Man spürt es schon, ob ein Auto gut oder schlecht ist - nicht weil es schnell ist, sondern weil es sicher ist. Auch darauf sollten wir achten. ({5}) - Ich will hier keine Namen nennen, aber den fahre ich nicht. Lassen Sie mich zu dem Stichwort Umwelt noch sagen: Wir brauchen genauere, aber auch praktikable Vorschriften. Es müssen nach Möglichkeit EG-weite Vorschriften zur Eingrenzung der Schadstoff-Emissionen sein, insbesondere bei den Lkw. Da ist meines Erachtens noch wesentlich mehr zu tun, als bisher von uns selbst und von anderen Ländern der EG initiiert worden ist. Ich denke, daß wir hier einiges tun können. Herr Daubertshäuser hat aus meiner Presseerklärung zitiert, die ich selber nicht kenne. ({6}) - Die andere, die ich kenne, ist wesentlich länger. Diejenige, die er zitiert hat, war kürzer; er konnte sie heute morgen wahrscheinlich noch lesen. Um es klar zu sagen: Ich halte nichts davon, den Bürger durch steuerliche Maßnahmen zu gängeln, ihn aus dem Auto zu vertreiben und ihn in den oft schon überfüllten Bus oder in den unattraktiven S-Bahn-Zug hineinzupressen. Es ist Unsinn, die Leute durch Erhöhung der Mineralölsteuer zur Kasse zu bitten. ({7}) Ich verstehe die SPD nicht mehr, aber Herrn Lafontaine kann man ja auch nicht verstehen. Ich verstehe gar nicht, wieso eine sozialdemokratische Partei eine so unsoziale Maßnahme ergreifen will, mit der die weniger Verdienenden als erste bestraft werden. Insofern beweist die SPD aktuell - Herr Daubertshäuser, jetzt gebe ich es Ihnen zurück -, daß sie die Steuererhöhungspartei ist. Aber das liegt an Ihrem Verteilungsdenken. ({8}) Mit uns ist ein solcher Verteilungsmechanismus über Steuern nicht zu machen. Wir hatten Ihnen in der sozialliberalen Koalition einmal die Abschaffung der Kraftfahrzeugsteuer angeboten. Damals wollten Sie das nicht, aber jetzt wollen Sie es plötzlich; das paßt nicht zusammen. Wie ich schon sagte, müssen wir bei den Lkw die Emissionen erheblich reduzieren; da ist viel zu tun. Ich möchte an die Industrie appellieren, ihre Innovationen zu forcieren und ihre technischen Kapazitäten auszunutzen, damit es dabei endlich Fortschritte gibt. Die Straßenbenutzungsgebühren konnte die FDP verhindern. Ich genieße das auch jetzt noch. Den Minister wird das nicht freuen, aber ich darf einmal sagen: Da habe ich Erfolg gehabt und andere weniger. Das muß auch so bleiben. ({9}) Wir erwarten, daß es eine faire, EG-weite Regelung gibt, um die einseitige Belastung der deutschen Güterverkehrsunternehmer zu beseitigen. Tempolimit - ich sehe hier die Lampe leuchten -, Promillegrenzen, das sind alles Dauerlutscher. Ein Tempolimit ist für die Bundesrepublik völlig sinnlos. Alles, was hier gesagt wurde, ist längst widerlegt. Irgendwelche dubiosen Gutachten vom Öko-Institut lese ich schon gar nicht mehr. ({10}) In der Bundesrepublik ist das Tempo auf 90 % aller Straßen reguliert. Deshalb ist das Unsinn, was hier gefordert wird.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, nachdem das rote Licht Sie nicht veranlassen konnte, Ihre Rede zu beenden, muß ich Sie darauf hinweisen. Ich möchte mich nicht dem Verdacht aussetzen, bei Ihnen großzügiger zu sein als bei anderen Abgeordneten. Wir sind zeitlich in einer sehr prekären Lage. Ich wäre dankbar, wenn Sie zum Ende kämen.

Ekkehard Gries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000726, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, da ich nicht das Vergnügen hatte, einige Stichworte durch Zwischenfragen anzusprechen, gestatten Sie mir noch eine Bemerkung. Ich verzichte darauf, auf die Notwendigkeit des Ausbaus des Ost-West-Verkehrs auf Straße und Schiene einzugehen; ich bin sicher, daß meine Kollegen das ergänzen werden. Ich will zum Schluß sagen: Wir haben große Herausforderungen vor uns. Inzwischen begreifen es auch Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fachausschüssen, daß das Geld kostet und daß der Verkehr wichtig ist. Deshalb ist es gut, daß wir uns hier über die Kooperation der Verkehrsträger verständigen können und daß wir diese Aufgabe, bei allen Unterschieden in bestimmten Positionen, gemeinsam angehen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nunmehr erteile ich dem Bundesverkehrsminister, Herrn Dr. Zimmermann, das Wort. ({0})

Dr. Friedrich Zimmermann (Minister:in)

Politiker ID: 11002597

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben gegenwärtig im Verkehrsbereich drei große Herausforderungen: die Öffnung der Grenzen zu unseren Nachbarn, das Zusammenwachsen in Deutschland und den europäischen Binnenmarkt - alles Dinge, die die Kapazität der Verkehrsinfrastrukturen in diesem Kontinent ungeheuer strapazieren. Wir stehen vor einem neuen Verkehrswegeplan, der alles das berücksichtigt. Dieser gesamtdeutsche Verkehrswegeplan muß Ende nächsten Jahres im Entwurf vorliegen und dann dem Parlament zugeleitet werden. Die ersten Entwürfe liegen schon bei uns auf dem Tisch. Es ist richtig, was gesagt worden ist, daß uns nur die totale Kooperation aller Verkehrsträger weiterbringt. Es ist falsch, was gesagt worden ist, daß wir nur Lippenbekenntnisse in Richtung Bahn ablegen würden. Wir haben sofort gehandelt: Wir haben nach der Grenzöffnung unverzüglich alle Infrastrukturverbesserungen, die wir in kurzer Zeit vornehmen konnten, gemacht. Wir haben mit der Schließung aller Elektrifizierungslücken begonnen, die es zwischen den beiden Teilen Deutschlands gibt. Wir haben bei eingleisigen Grenzstrecken einen zweigleisigen Ausbau vorgenommen. Wir haben am 26. Mai dieses Jahres die Strecke Kassel-Halle eröffnet. Wir haben am 28. Juni dieses Jahres die Schnellbahnvereinbarung Hannover-Berlin vorgenommen - wie Sie wissen, ein Milliarden-Projekt. Wir haben der Bahn Planungsaufträge für fünf Hauptkorridore zwischen Ost und West gegeben. Wir haben im Zeitraum von 1986 bis 1995, in diesen zehn Jahren - das kann man schließlich nachrechnen - die Schieneninvestitionen an die des Straßenbaus herangeführt. Nächstes Jahr beginnen wir mit dem Hochleistungsschnellverkehr ein neues Zeitalter der Bahn. Wir, die Bundesrepublik und Frankreich, gelten heute als die leistungsfähigsten Länder, was die Eisenbahnindustrie anbetrifft. Auch hier gibt es eine neue Zukunft: Das Drehgestell und das Rad auf der Schiene haben eine neue Zukunft bekommen und technische Möglichkeiten eröffnet, die vor ein paar Jahren noch niemand für möglich gehalten hätte. Das ist die Wirklichkeit in unserer Politik zugunsten der Schiene. ({0}) Auch auf dem Gebiet der DDR werden wir neue Akzente setzen und alles das, worüber Sie heute reden, meine Damen und Herren, die klassische Finanzierung des Verkehrs durch die öffentliche Hand, neu überdenken müssen; denn die Zahlen, die uns hier und nach dem 3. Oktober auch im andern Teil Deutschlands vorliegen, sind so horrend, daß ich nicht sehe, wie Sie dies ohne einen Verkehrsinfrastrukturfonds oder durch Benutzergebühren - auf jeden Fall muß zur öffentlichen Hand eine gewaltige Summe hinzukommen - in einem erträglichen Zeitraum schaffen wollen. Das ist unsere Aufgabe in der Verkehrspolitik für die Zukunft. ({1}) Wir werden auch auf dem Gebiet der heutigen DDR neue Akzente setzen, was den kombinierten Verkehr anbetrifft. Ab September dieses Jahres, Ende dieses Monats, wird der Container- und Huckepackverkehr zwischen Leipzig, Zwickau und Dresden sowie zwischen Frankfurt, Bielefeld und Bochum aufgenommen. Das heißt, wir beschränken uns nicht auf bestimmte selektierte Maßnahmen. Überall muß die Zusammenarbeit vorangehen: Schiene, Luftverkehr, Airport-Expreß und öffentlicher Personennahverkehr. Selbstverständlich ist der ÖPNV ein hervorragendes Mittel. Nur, da müssen Komfort, Pünktlichkeit und der Taktverkehr stimmen. Der ÖPNV muß attraktiv sein. Wenn er das nicht ist, steigt der Autofahrer nicht um. ({2}) - Ich glaube schon, daß Sie noch keinen haben. Schauen wir uns doch erst einmal die in den Ballungsgebieten an, die einen haben. Wie hoch ist da der Kostendeckungsgrad? Auch darüber muß einmal ein Wort verloren werden. Wer soll das alles bezahlen, was hier gefordert wird? Der Münchner Oberbürgermeister sagt: Der 20-Minuten-Takt ist nicht genug, wir wollen einen 10-Minuten-Takt! - Aber kein Mensch redet darüber, wie das bezahlt werden soll.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Bundesminister, sind Sie bereit, eine Frage des Abgeordneten Weiss zu beantworten?

Dr. Friedrich Zimmermann (Minister:in)

Politiker ID: 11002597

Ich würde sagen, es sind vorhin so viele Fragen beantwortet worden, ({0}) und die Uhr rückt unerbittlich vor; aber eine will ich beantworten.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr, Herr Abgeordneter Weiss.

Michael Weiss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002462, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, wenn Sie gerade die Zustände beklagen, daß die Finanzverantwortung im ÖPNV nicht klar geregelt sei und die Frage stellen: „Wer soll das bezahlen?", so möchte ich die Gegenfrage stellen: Warum hat es die Bundesregierung dann versäumt, in ihrem vor einem Jahr vorgelegten Bericht über den öffentlichen Personennahverkehr für die Fläche klare Vorschläge zu machen, wie die Finanzverantwortung abgegrenzt werden kann, warum hat man sich da zurückgezogen und ist sogar hinter Positionen zurückgefallen, die bereits ein Jahr vorher in Diskussionspapieren des Ministeriums sehr viel weiter gegangen sind? Warum hat man das alles herausgestrichen und darauf verzichtet, seitens der Bundesregierung einmal Ideen einzubringen und Vorschläge auf den Tisch zu legen? ({0})

Dr. Friedrich Zimmermann (Minister:in)

Politiker ID: 11002597

Das ist keine gute Frage, sondern Unsinn. ({0}) Überall, wo es ums Geld geht, ist Einigkeit wahnsinnig schwer herzustellen. Ich wüßte schon, wie es sich am besten rechnet: ({1}) indem die lokalen Träger, die vom öffentlichen Personennahverkehr wirklich etwas haben, ihn auch bezahlen und nicht der Bund, den das eigentlich gar nichts angeht. ({2}) Investitionen in die Schiene und in den Verbund der Verkehrsträger können Investitionen in den Straßenverkehr überhaupt nicht ersetzen. Sind diejenigen, die heute sagen, Straßen brauchen wir nicht mehr, nicht die gleichen, die mir fast wöchentlich Briefe schreiben, daß aber diese oder jene Ortsumgehung unbedingt notwendig wäre, alles andere natürlich nicht? ({3}) Das ist ungefähr so wie mit den Asylbewerbern. ({4}) Der Asylbewerber generell ist natürlich eine schreckliche Sache, das habe ich schon als Innenminister gewußt, aber jeder hat seinen persönlichen Asylbewerber, und bei dem muß eine Ausnahme gemacht werden. Beim Straßenverkehr ist es fast genauso. Wir errichten sowieso keine neue Magistralen mehr. Wir schließen nur mehr Lücken. Wir gehen an eine Autobahn heran, die sechsspurig werden muß, weil wir in der Stunde 24 000 Fahrzeuge haben und weil sie zu Hitlers Zeiten gebaut worden ist. Wir machen doch keine neue Betonpolitik in der Republik. ({5}) Im übrigen wissen wir, wenn wir in die DDR hinüberschauen, was uns da an Sanierungsmaßnahmen bevorsteht. Kein Mensch in dieser Bundesregierung denkt daran, etwa einem neuen Betonierungswahn zu verfallen, ({6}) oder hat irgendwelche absonderlichen Ideen, was das Betonieren betrifft. Ganz erfolglos waren wir, was den Katalysator, was die Pkw, ihren Bestand und den Rückgang der Schadstoffe angeht, nicht. Wir haben heute 45 % schadstoffreduzierte Pkw, und wir haben bei den Neuzulassungen 95 %. Wenn man die Dieselmotoren dazunimmt, haben wir 98 % schadstoffreduzierte Motoren. ({7}) Wir waren trotzdem in Europa diejenigen, die das begonnen haben. Sie sehen, was uns ein Staatssekretär aus Frankreich gegenwärtig vorwirft. Er beklagt, daß Frankreich die Katalysatorpolitik überhaupt mitgemacht habe. Vor fünf Jahren, als ich diese Sache in der EG vertreten habe, waren die Vorwürfe noch ganz andere. ({8}) Damals sagte der französische Umweltminister: Herr Zimmermann, Sie machen das beim Katalysator bloß, um der deutschen Automobilindustrie einen weiteren Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. - Die deutsche Automobilindustrie hat das leider anders gesehen. ({9}) Die war nicht auf allen Gebieten fortschrittlich, sondern manchmal auch zögerlich. - Meine Damen und Herren, wir müssen dies alles natürlich auch auf dem Sektor der heutigen DDR nachholen. Ich darf noch zum Punkt Geschwindigkeitsregelung und Alkohol am Steuer kommen. Unsere Regelungen hier haben sich bewährt. Der schlechte Straßenzustand in den neuen Bundesländern läßt aber diese Geschwindigkeiten häufig nicht zu. Wir haben deswegen eine Übergangsregelung bis zum 31. Dezember 1991 getroffen. Auch in der Frage der Promilleregelung haben wir uns ähnlich konstruktiv verhalten. Wir setzen zusammen mit den Bundesländern auf konsequente Überwachung, verstärkte Aufklärung über die Risiken des Alkohols im Straßenverkehr. Die sinkenden Zahlen - das ist die Wahrheit - der durch Alkohol verursachten Unfälle mit Personenschäden zeigen, daß dieser Weg auf Dauer Erfolg verspricht. Allerdings haben die Länder auch wiederholt erklärt, daß die Polizei nicht in der Lage ist, eine stärkere Überwachungstätigkeit auszuüben. Auch das wissen wir. Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, daß mir noch eine Minute Redezeit bleibt. ({10}) Auf dem Gebiet der heutigen DDR wollen wir Aufklärungsarbeit in bezug auf den Verkehr leisten. In einer breit angelegten Verkehrssicherheitskampagne auf dem Gebiet der heutigen DDR werden wir die neuen Vorschriften im Straßenverkehr bekanntmachen und darüber informieren. Ich werde die Eröffnung selbst vornehmen. Der umweltverträgliche Ausbau der Infrastruktur, die Stärkung des Verbundes der Verkehrsträger, die Intensivierung der Verkehrserziehung und -aufklärung sind die Leitlinien einer zukunftsorientierten Verkehrspolitik. Vielen Dank. ({11})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun erteile ich dem Abgeordneten Haar das Wort.

Ernst Haar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000760, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Europas Transportmärkte steuern in die Sackgasse. Verstopfte Autobahnen, Verkehrschaos in den Städten und Warteschleifen am Himmel - die einst vielbeschworene Mobilität der Massen gerinnt zum massenhaften Stillstand. Doch schon rollt eine neue, noch größere Verkehrswelle auf uns zu. Ohne tiefgreifende Änderungen - das ist keine Warnung von uns, sondern so warnt die Deutsche Bank in ihrer Studie 2000 - droht unser Verkehrssystem zu kollabieren. Abhilfe - so ist dort formuliert - bringt nur ein Transportkonzept mit neuen Vorstellungen, mit Vorstellungen aus einem Guß. Da Sie heute wiederum in einer fast gespensterhaften Diskussion und Darstellung davon reden, wer die Steuerschraube bewegen will, wer von oben nur Dirigismus einbringen will und wie wir uns da gegenseitig belasten, möchte ich etwas zitieren - hören Sie bitte gut zu! -: Durch verkehrsordnende Maßnahmen müssen Güterverkehre von der Straße auf die Schiene und das Binnenschiff verlagert werden. Das hat der Umweltminister dieser Bundesregierung am Donnerstag in seiner Pressekonferenz bei der Vorlage seines Berichts wortwörtlich gefordert. ({0}) Das Problem ist, daß unsere Lebensgrundlagen auch im Verkehrsbereich mehr und mehr zum Ausbeutungsobjekt werden. Das Problem ist, daß wir nach Jahrzehnten hochsubventionierter Straßenbauorgien heute vor einer katastrophalen ökologischen und volkswirtschaftlich unsinnigen Schadensbilanz stehen. Wir alle müssen uns diese Fragen stellen. Da geht es eben nicht um ein einseitiges Schuldbekenntnis, sondern da geht es um einen Weg, der nach vorne führt. Ich warne Sie, Herr Minister Dr. Zimmermann, zum wiederholten Male, da und dort zu sagen: Wer formuliert, man dürfe die Fehler der letzten Jahrzehnte in der Verkehrspolitik nicht wiederholen, der gibt nur dummes Geschwätz von sich. Ich möchte Sie daran erinnern, daß dies von Herrn Dr. Dollinger und auch von Herrn Leisler Kiep in den letzten Wochen wiederholt formuliert wurde. Das ist die Situation. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Haar, der Abgeordnete Fischer bittet Sie, eine Zwischenfrage zu beantworten. Sind Sie dazu bereit?

Ernst Haar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000760, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Haar, da Sie kritisiert haben, daß an dem Drehen der Steuerschraube Kritik geäußert worden ist, frage ich Sie: Ist Ihnen entgangen, daß ich mich dabei nur zum Sprecher der Eisenbahnergewerkschaft gemacht habe, die wörtlich gesagt hat, Lafontaine schröpfe den kleinen Mann, während sich der Direktor vom Chauffeur im Dienstwagen abholen lasse und gar nichts von dieser Ökosteuer spüre? Ist Ihnen entgangen, daß ich in Wahrheit nur die Eisenbahnergewerkschaft zitiert habe? ({0})

Ernst Haar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000760, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich verstehe sehr gut, Herr Kollege Fischer, daß Sie alles versuchen, um von Ihren eigenen folgenschweren Versäumnissen im Verkehrs- und Bahnbereich wegzukommen. Das ist das erste, was ich als Antwort gebe. ({0}) Das zweite: Was die Verlautbarungen des zitierten Gewerkschaftsvorsitzenden betrifft - auch Sie haben ja nur die Zeitung gelesen; wahrscheinlich die Osnabrücker Zeitung -, ({1}) den Sie dafür bemühen, so besteht hier ganz offensichtlich Aufklärungsbedarf. Aber das ist kein Problem, das Sie sich zu eigen machen müssen. Sie dürfen sicher sein: Dem helfen wir selber gerne ab. ({2}) Das Problem ist, daß entgegen allen lauter und eindringlicher werdenden Plädoyers pro Bahn, die wir nur begrüßen, keine Wende zur verkehrs- und umweltpolitischen Vernunft insgesamt erkennbar ist. Die zunehmende Einsicht, den Lkw-Fernverkehr auf die Schiene zu verlagern, hat ja gute Gründe. Zwischen derzeit rund 30 Millionen Pkw und 1,3 Millionen Lastern spitzt sich der Kampf um Straßenraum weiter zu. Verkehrschaos und Staus von Hamburg bis München werden zur täglichen Realität, wenn sich der Weg in die totale Autogesellschaft fortsetzt. ({3}) Der Bahn aber fehlen Waggons, der Bahn fehlt Personal, und der Bahn fehlen natürlich auch neue Trassen, um die erwarteten Zuwachsraten im Güterverkehr aufzunehmen. ({4}) Wie einfach, Herr Dr. Zimmermann, machen Sie es sich schon seit den Problemen in Österreich, indem Sie, auch öffentlich, einfach sagen: „Güterverkehr muß auf die Schiene", so lange Sie wissen, daß der Bundesverkehrs- und der Finanzminister Anforderungen des Bahnvorstandes für die Anschaffung von Waggons für die Wirtschaft jahrelang nicht genehmigt haben! Das ist die Situation. ({5}) Dies ist ein düsteres Bild für die nahe Zukunft. Ab 1993 kann keine nationale Marktordnung mehr den ausländischen Lkw Beschränkungen auferlegen. Jetzt rächt sich eine weitgehend konzeptionslose Verkehrspolitik; denn ein leistungsfähiges, dichtes Netz kostspieliger Hochgeschwindigkeitstrassen kann man nicht von heute auf morgen aus dem Boden stampfen. Sie sagen ja selber: nach Berlin bis 1997 und die andere Trasse vom Rheingau bis Frankfurt, um die es in den letzten Monaten ging, bis 1998. Daraus machen wir Ihnen keinen Vorwurf. Aber, verehrter Kollege Gries, machen Sie es sich nicht zu einfach, daß Sie hier über Jahre hinweg fortwährend nur das Argument verbreiten, das seien Planungsphasen! Das machen Sie sich zu einfach. Eigentlich dürften wir von Ihnen da ein paar klarere Aussagen erwarten. ({6}) Sie wissen, daß im Straßenbaubericht der Bundesregierung für das Berichtsjahr 1988 ein Zeitverlust von insgesamt 900 000 Stunden durch Staus erwähnt ist. Das gehört wohl auch zu dem Thema gesteigerter Energieverbrauch und Schadstoffausstoß. Das wird hier niemand ernsthaft bestreiten wollen. Wenn sich schon nicht eine direkt schienenfreundliche, so doch zumindest eine umweltbedenkende Verkehrspolitik langsam formiert, dann kann man ja wohl daran erinnern: Umweltverpestung, Ozonloch, Klimakatastrophe, die sich mehr und mehr selbst bremsende Automobilität und eine entsprechend gewandelte öffentliche Meinung erzwingen eine höhere Bereitschaft, über integrative Verkehrsgesamtkonzepte nachzudenken. Freier Wettbewerb der Verkehrsträger, bei dem die umweltfreundliche Bahn in der Vergangenheit stets der strukturbedingte Verlierer war, kann so zum Wettbewerb um ein optimales Verkehrssystem umgestaltet werden. Da reicht es eben nicht mehr, daß Sie noch einmal zwei, drei Jahre bzw. kurz vor Wahlen Bekenntnisse abgeben. Sie müssen wirklich fair sagen, was Sie mit welchen Mitteln und in welcher Größenordnung bei diesem Prozeß tatsächlich investieren wollen. Darum geht es. ({7}) Mithelfen, meine Damen und Herren, den Verkehrsinfarkt durch mehr Bahnangebote und einen besseren Transportverbund zu verhindern, wollen z. B. der BP-Aufsichtsratsvize Helmut Buddenberg und der Deutsche-Bank-Chef Hilmar Kopper. Der Verband der Automobilindustrie verpflichtet sich, die Kohlendioxidemissionen der Kraftfahrzeuge bis 2005 freiwillig um 25 % zu reduzieren. Wenn das der einzige Huster in die Zukunft ist, dann ist das angesichts der gesamten Situation sehr leise. Das muß ich schon sagen. Im übrigen: Es ist Vorsicht geboten. Die Bundesregierung verschweigt, daß der Katalysator den hauptsächlichen Ozonkiller, das den Treibhauseffekt verursachende Kohlendioxid, überhaupt nicht ausfiltern kann. Etwa 53 To der Stickoxidemissionen gehen auf das Konto des Straßenverkehrs. Das weist im übrigen das Bundesumweltamt nach. Hören Sie also mit dieser einseitigen Diskussion nur mit Überschriften auf, da man doch weiß, daß die Situation in Wirklichkeit eine völlig andere ist, die zum Handeln geradezu herausfordert. Es hilft alles nichts: Die Verkehrsdichte muß insgesamt und dauerhaft vermindert werden. Ein fatales, zynisches Zuwarten auf den Straßenverkehrsinfarkt bringt uns nicht weiter. Im übrigen: Engpaßfaktor eines umweltorientierten integrativen Gesamtverkehrskonzepts ist und bleibt - da haben wir offensichtlich die gleiche Auffassung - die Schiene. Aber rigoroser Personalabbau und radikale Leistungsverdichtungen sind nicht der richtige Sanierungsweg seit 1981 gewesen. Der Herr Dollinger hat diese Dinge auswendig gelernt, und die Nachfolger haben es brutal durchgeführt, um die miesen Bilanzen der Bahn auszugleichen. ({8}) Dabei haben Sie es zugelassen, daß jahrelang unverantwortlich Grundstückseigentum der Bundesbahn verscheuert worden ist, das für die Wettbewerbssituation der kommenden Jahre unverantwortlich ist. ({9}) Lassen Sie uns angesichts dieses Ergebnisses mit offenen Karten spielen. Wenn Sie wirklich ehrlich sein wollen, müssen Sie mindestens über diesen Punkt nachdenken. ({10}) Ich möchte hier einfach festhalten: Bahn und Umwelt brauchen endlich eine politische Mehrheit, die Ernst macht mit dem ökologischen Umbau des Verkehrswesens und die dem jahrzehntelang benachteiligten umweltfreundlichsten Verkehrsmittel wirklich die Chance gleicher Wettbewerbsbedingungen gibt. Lassen Sie mich zum Schluß eine Bemerkung machen, die sich immerhin auf zweieinhalb Jahrzehnte der Arbeit in diesem Hause bezieht: Ich habe nicht nur in der Verkehrspolitik die Sorge, daß wir zu oft - meistens auch zu später Stunde; aber daran sind wir als Verkehrspolitiker nicht schuld - zu uns selbst geredet haben. Der Verdrängungsmechanismus in der Gesellschaft ist angesichts des täglichen Erlebens der Entwicklungen in der Umwelt jetzt fast ausgeschöpft. Wir Verkehrspolitiker aller Fraktionen werden, wenn jetzt nicht glaubwürdige Schritte konsequent gegangen werden, alle ausmanövriert. Ob das der parla17654 mentarischen Demokratie angesichts der Tatsache, daß wir uns einig sind, daß das Verkehrswesen mit der Lebensnerv ist, nützt, das müssen wir uns alle in der Zukunft beantworten. Wie begegnen wir den tausenderlei Ängsten? Denn es wimmelt an Mißverständnissen, Widersprüchen und zu vielen Fremdworten in den verkehrspolitischen Diskussionen. Lassen Sie uns alle mit gutem Gewissen vorangehen. Wie oft habe ich hier appelliert, daß wir eine gemeinsame Basis suchen und finden müssen! Sie haben vor wenigen Monaten in einer einstündigen Diskussion im Verkehrsausschuß sechs Gesetzentwürfe der Bundestagsfraktion der SPD abgelehnt, nur weil sie nicht von Ihnen kamen. ({11}) In Einzelgesprächen davor und danach haben Sie mir gesagt: Ihr habt recht, aber ihr müßt euch noch ein bißchen gedulden. ({12}) Ich will die GRÜNEN bei diesem guten Willen übrigens nicht ausschließen, auch wenn ihr manchmal glaubt, ihr müßtet statt 60 km 300 km einsetzen. - Aber das nur am Rande. Sie, verehrter Kollege Fischer, haben Ihren heutigen Beitrag damit begonnen, an das Gemeinsame zu erinnern. Ihren letzten Satz, der eine typische Wahlpropaganda war, hätten Sie sich sparen können. Ich wünsche mir, daß Sie sich an den ersten Satz erinnern, wie wir es seit Jahren in der Diskussion auch unter Verkehrspolitikern halten. Alles Gute für die weitere Arbeit. ({13})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jobst.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Haar, ich hätte mir, nachdem Sie heute in diesem Hohen Hause nach langer Zugehörigkeit wahrscheinlich Ihre Abschiedsrede gehalten haben, eine bessere Rede gewünscht. Ich möchte Ihnen meinen Respekt für Ihre verkehrspolitische Arbeit nicht versagen. Sie war nicht immer geradlinig. Aber Ihre Bemühungen waren von dem Wollen geprägt, der Bahn, dem Verkehr und unserem Lande insgesamt zu dienen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin ja nicht so vermessen, zu erwarten, daß die Opposition die Regierung lobt. Ich bin auch nicht so vermessen, zu sagen, daß es heute in der Verkehrspolitik keine Aufgaben mehr gibt. Nichts ist vollkommen, jede Zeit hat ihre Probleme. Wir haben auch in der Verkehrspolitik Aufgaben und Probleme. Aber alle Vorwürfe, die heute von den Oppositionsrednern vorgetragen wurden - Versäumnisse in der Verkehrspolitik, Neuorientierung, Verkehrspolitik ohne Augenmaß -, sind unbegründet. ({0}) Wir haben im Verkehr weder balkanische Zustände noch Zustände wie in der DDR. Die Verkehrspolitik dieser Bundesregierung Kohl seit 1982 kann sich sehen lassen. Sie weist wichtige Erfolge aus. Der Verkehr ist ein wichtiger Teil unserer Wirtschaft. Unsere Wirtschaft würde doch nicht funktionieren und wir hätten nicht acht Jahre Wachstum in der Wirtschaft, wenn unser Verkehrswesen und die Verkehrswirtschaft ihre Aufgaben nicht erfüllen könnten. ({1}) Wir sind auch in dieser Legislaturperiode in der Verkehrspolitik ein gutes Stück vorangekommen. ({2}) Gewiß: Aufgaben bleiben. Unser Verkehrssystem stößt an Grenzen. Das ist richtig. Aber Tatsache ist auch, daß das Straßennetz in den letzten Jahren verbessert werden konnte, daß beträchtliche Summen in den Umwelt- und Lärmschutz investiert wurden. Es gehört schon ein hohes Maß an ideologischer Verblendung dazu, angesichts der Verhältnisse auf unseren Straßen und angesichts der neuen Aufgaben durch die West-Ost-Öffnung heute einen Stopp beim Bundesfernstraßenbau zu fordern. Gewiß, die Eisenbahn macht uns Sorgen. Wir haben eine Konsolidierung erreichen können, wir haben nicht die Sanierung der Bahn erreichen können. Aber die Bahn kann ihre Hochgeschwindigkeitsstrecken 1991 in Betrieb nehmen. Seit 1982 konnte die Bahn 40 Milliarden DM investieren - eine Summe, an deren Realisierung niemand geglaubt hat. Lieber Kollege Daubertshäuser, die Bahn ist sicherlich nicht kopflos, wie Sie meinten. Alle Loks fahren weiter, und auch der erste Mann bei der Bahn wird demnächst wieder vorhanden sein. Ich muß an dieser Stelle sagen, daß wir an den Leistungen der Bundesbahnführung nicht vorübergehen können. Die Bahn - die Bundesbahnführung zusammen mit allen Eisenbahnern - hat in einer Riesenanstrengung erreicht, daß die Kosten erheblich gesenkt werden konnten. Wenn die Personalverminderung um rund 80 000 Personen nicht durchgeführt worden wäre, hätte die Bahn von 1982 bis 1990 12 Milliarden DM mehr allein für die Bezüge des aktiven Personals aufwenden müssen. ({3}) Die Bahn konnte in der Zeit dieser Regierung endlich Zukunftsinvestitionen tätigen, die sie unter der Verantwortung der SPD nicht machen konnte. ({4}) Wichtige Weichenstellungen für die Bahn wurden vorgenommen. Die Altschulden werden ab 1. Januar 1991 vom Bund übernommen. Es gibt die Zusicherung des Bundes, daß er sich an den Wegekosten beteiligt. Die Regierungskommission ist eingesetzt worden, um die Grundlage für wichtige Zukunftsentscheidungen zu erarbeiten. ({5}) Für uns, meine Damen und Herren, hat die Schiene in der Zukunft Vorrang. Deshalb stand die Verkehrspolitik bei der Bundesregierung Kohl ({6}) im Vorzeichen der Umweltpolitik. Ich erinnere an den Katalysator. 1982 gab es keinen Katalysator; heute ist der Katalysator praktisch durchgesetzt dank der Arbeit des vormaligen Innenministers Zimmermann. Das war eine großartige Leistung. ({7}) Unsere Überzeugungsarbeit in der EG hat Früchte getragen. ({8}) Der Rhein-Main-Donau-Kanal wird 1992 fertig. Er ist eine wichtige Wasserstraße als Verbindung zwischen der Nordsee und dem Schwarzen Meer, die ebenfalls einer Umweltverbesserung dient. ({9}) Ich darf darauf hinweisen: Trotz steigenden Straßenverkehrs hatten wir in dieser Zeit beträchtliche Erfolge im Bereich der Verkehrssicherheit. Große Sorgen machen uns heute jedoch die steigenden Unfallzahlen in der DDR. Aber auch an dieser Stelle muß gesagt werden, die deutschen Kraftfahrer sind besser als ihr Ruf. Meine Damen und Herren, wer hier vom Versagen der Verkehrspolitik redet, der redet wirklich dummes Zeug. Die Verkehrspolitik dieser Bundesregierung kann beachtliche Erfolge vorweisen. Wir alle, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen im Verkehrsausschuß, haben nicht nur mit Fleiß, sondern auch mit Erfolg an dieser Verkehrspolitik mitgearbeitet. Die Verkehrspolitik steht jetzt vor einer großen Herausforderung. Es sind wichtige Aufgaben zu meistern: die Wiedervereinigung und der EG-Binnenmarkt. Herr Kollege Haar, trotz Ihrer Beschwörungen wird durch mehr Freizeit und durch mehr Wohlstand mehr Verkehr auf uns zukommen. Dafür brauchen wir eine quantitative, eine qualitative Verkehrsinfrastruktur und auch eine leistungsfähige Transportwirtschaft. Um in der DDR marktwirtschaftliche Verhältnisse mit Mittelstandsbetrieben zu schaffen, brauchen wir dort eine völlig neue Verkehrsinfrastruktur. Gewaltige Summen sind dort für den Ausbau und zur Verbesserung des Verkehrswesens erforderlich. Es ist notwendig, daß ein gesamtdeutscher Verkehrswegeplan alsbald beschlossen wird. Wir alle wissen, daß die Verkehrsunion dringend notwendig ist, daß diese aber nur im Rahmen eines dynamischen Prozesses herbeigeführt werden kann. Der gewaltige Investitionsbedarf, der hier notwendig ist, kann nicht über die öffentlichen Haushalte gedeckt werden. Wir brauchen einen umfassenden Verkehrsinvestitionsfonds. Der Umwelt zuliebe muß mehr Verkehr auf die Schiene. In Europa muß der Schiene die Zukunft gehören. ({10}) Die Bundesbahn muß in die Lage versetzt werden, ihre Produktivität und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. ({11}) Die großen Flughäfen brauchen einen Anschluß an das ICE-Netz. Ich stimme dem zu, was hier gesagt wurde: Unsere Städte müssen vom Individualverkehr stärker als bisher entlastet werden. ({12}) Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Vorstand der Deutschen Bundesbahn braucht auch mehr Handlungsfreiheit, damit dieses Unternehmen als Dienstleistungsunternehmen geführt werden kann. ({13}) Ich halte es für erforderlich, daß Bundesbahn und Reichsbahn alsbald zusammengeführt werden. Reichsbahn und Bundesbahn werden nach dem Einigungsvertrag zunächst für eine begrenzte Zeit als zwei selbständige Sondervermögen bestehenbleiben. Zuerst ist eine Bestandsaufnahme bei der Reichsbahn erforderlich. Dann muß die Reichsbahn durch umfangreiche Investitionsprogramme dem technischen Standard der Deutschen Bundesbahn angenähert werden. Diese Übergangszeit sollte möglichst kurz gehalten werden. Ich meine, daß die Eisenbahn jetzt europäisch ausgerichtet werden muß, daß hier eine europäische Strategie nötig ist. Ich sage auch, wir erwarten, daß die Deutsche Bundesbahn überzeugende Leistungen bringt. Ich bin der Meinung, daß wir vor einer neuen Renaissance der Schiene stehen. Aus dem Wettbewerb zwischen Straße, Schiene, Luft- und Wasserwegen in Deutschland und in Europa muß ein Verbund der Verkehrssysteme werden, der die jeweiligen Systemvorteile integriert. Unsere Volkswirtschaft und unsere Bürger brauchen aber auch, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, leistungsfähige Straßen. Wir sind mit dem Straßenbau noch nicht am Ende. Wir benötigen auch Straßen, um die Bahn von unwirtschaftlichen Aufgaben zu entlasten. ({14}) Infolge der Dezentralisierung der Wirtschaft in der DDR wird dort jetzt die Straße zunächst die größere Rolle spielen. Aber dann - davon bin ich überzeugt - wird die Schiene mittel- und langfristig eine Vorreiterrolle übernehmen. Unsere Autobahnen sind die sichersten Straßen. Die Richtgeschwindigkeit auf unseren Autobahnen hat sich bewährt. Die SPD hat ja einiges dazugelernt und ist jetzt von Tempo 100 auf Tempo 120 hinaufgegangen. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir sind für das Umweltauto statt für ein Tempolimit auf unseren Autobahnen. Dies ist der bessere und der vernünftigere Weg. ({15}) Die Verbesserung der Verkehrssicherheit bleibt eine zentrale Aufgabe der Verkehrspolitik. Rowdies gehören aus dem Verkehr gezogen. Hierbei müssen alle verantwortlichen Stellen mitwirken. Das ist mein Appell. Es gilt, das Verkehrsbewußtsein unserer Mitbürger zu schärfen. Wir müssen vor allem jetzt dem alarmierenden Anstieg der Zahl der Verkehrsunfälle, insbesondere der Zahl der schweren Verkehrsunfälle trotz Tempolimit in der DDR begegnen. Hier haben wir einen großen Nachholbedarf. Ich finde es eigenartig, wenn insbesondere die Kollegen der SPD draußen vor Ort einen schnelleren Bau von Straßen fordern, aber hier im Deutschen Bundestag Anträge mit dem Ziel einbringen, die Mittel zu kürzen. Das ist eine doppelzüngige und heuchlerische Politik. ({16}) Wir sehen im Pkw gewiß nicht die heilige Kuh, wir sehen im Pkw aber auch nicht die Melkkuh, wie das bei der SPD der Fall ist. ({17}) Deshalb halten wir das ganze Programm „Fortschritt 90" für keinen Fortschritt, sondern für einen Rückschritt. Das Programm ist ein Strickmuster des Abkassierens und Umverteilens. ({18}) - Herr Kollege Daubertshäuser, wir müssen von der Tatsache ausgehen: Lkw und Pkw sind unverzichtbar. Mit ihren Steuererhöhungsplänen will die SPD offenbar - wie in früheren Zeiten - wieder das Privileg „Autofahren für die Reichen" einführen. ({19}) Diese Politik würde vor allem die Menschen in den ländlichen Regionen erheblich benachteiligen. ({20}) Für das, was wir heute gehört haben, gilt: Lafontaine läßt grüßen. Ich nenne die Benzinsteuer. Unser Konzept ist umweltpolitisch angelegt: Bleifreies Benzin ist billiger als verbleites Benzin. Meine Damen und Herren, wenn wir vom West-OstVerkehr reden, dann dürfen wir neben den Verbindungen zur DDR auch die Verkehrswege zu den anderen östlichen Ländern nicht außer acht lassen. - Ich komme sofort zum Schluß, Herr Präsident.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Dafür wäre ich Ihnen dankbar. Ich müßte den anderen Kollegen Redezeit wegnehmen, weil wir sonst nicht klarkommen.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auch diese Verkehrswege müssen weiter verbessert werden. Lassen Sie mich abschließend allen Beschäftigten in der Verkehrswirtschaft und den Unternehmen einen herzlichen Dank für ihre Arbeit und ihre Leistungen aussprechen. Besonders die Eisenbahner mußten in der Phase einer tiefgreifenden Umstrukturierung des Unternehmens Lasten tragen. Dank gebührt auch allen Mitarbeitern in den Organisationen der Verkehrssicherheit für ihre überwiegend ehrenamtliche und besonders erfolgreiche Tätigkeit. Als Ausschußvorsitzender möchte ich hervorheben, daß die Arbeit im Verkehrsausschuß in all den Jahren sachlich gewesen ist und von dem Bemühen getragen war, die Aufgaben gemeinsam zu lösen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Ausschußvorsitzender, ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie Ihre Ankündigung wahrmachen würden.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte Sie auffordern, gemeinsam mit uns weiter an dieser konsequenten Verkehrspolitik im Interesse unserer Mitbürger und im Interesse unseres Landes zu arbeiten. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Weiss.

Michael Weiss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002462, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man die Debatte heute vormittag verfolgt hat, dann hat man den Eindruck, daß die wahren verkehrspolitischen Probleme überhaupt noch nicht erkannt sind, denn hier geht es offensichtlich immer nur um die Frage: Wie kann man eigentlich immer mehr Verkehr abwickeln? Wir haben doch längst bemerkt, daß die Begleiterscheinungen, die mit dem Verkehr verbunden sind, längst nicht mehr nur Segnungen sind, daß es längst nicht mehr nur Freiheit ist, die mit dem Auto verbunden ist, sondern daß mit dem Auto zunehmend Unfreiheit für nicht motorisierte Verkehrsteilnehmer, ({0}) für die Bewohner von Städten verbunden ist. Selbst die Unfreiheit der Autofahrer nimmt ständig zu. Sie merken auch, daß sich in den Städten immer mehr Widerstand gegen die Autolawine regt, daß immer mehr Kommunen dazu übergehen, Tempo-30Zonen, verkehrsberuhigte Zonen einzurichten und Bereiche zu sperren und daß der Druck in der Offentlichkeit in dieser Richtung stärker wird. Eine vernünftige Verkehrspolitik müßte versuchen, diesen Interessenkonflikt zu lösen. Wir haben auf der einen Seite die Aufgabe, die notwendige und sinnvolle Mobilität auf umweltverträgliche Art und Weise zu sichern. Wir haben aber auf der anderen Seite unsinnige Mobilität zu unterbinden, Verkehr zu vermeiden und die Menschen vor den negativen Folgen des Verkehrs zu schützen. ({1}) Hier muß man versuchen, die diversen Interessen auszugleichen und zu einer vernünftigen Lösung zu kommen. Das aber scheint gar nicht im Blickwinkel der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen zu liegen. Hier scheint es wirklich nur darum zu gehen: Wie können wir möglichst viel Autoverkehr durch immer Weiss ({2}) neuen Straßenbau ermöglichen, und wie können wir den Verkehrsinfarkt vermeiden, ({3}) indem immer mehr Fakten in Beton und Stahl geschaffen werden, obwohl Sie genau wissen, daß die Probleme damit nicht lösbar sind. Wir haben in der Bundesrepublik 40 Jahre lang Beton- und Baupolitik betrieben. Wenn irgendwo ein Verkehrsproblem auftauchte, wurde die Forderung laut: Wir brauchen eine neue Straße, eine neue Autobahn oder eine neue Bundesstraße. Aber was ist das Ergebnis? 40 Jahre lang sind Straßen gebaut worden, und nach 40 Jahren sind die Verkehrsprobleme größer denn je. Sie müssen einsehen, daß diese Politik des ständigen Zubaus gescheitert ist ({4}) und daß man endlich aufhören sollte, Verkehrsprobleme durch immer neue Baumaßnahmen zu lösen. Wenn es uns nicht gelingt, zu definieren, wieviel Verkehr wir uns aus umweltpolitischen Gründen oder aus dem Grunde, daß der Verkehr menschenverträglich abgewickelt werden muß, leisten können, wird die ganze Politik immer bloß ein konzeptionsloses Herumbauen in der Landschaft sein. Ein Projekt nach dem andern wird aufgezogen. Aber eine echte Lösung, eine Perspektive kann diese Politik nicht bieten. ({5}) Wenn man das Resümee dieser Legislaturperiode zieht, so stellt man fest, die ganze Verkehrspolitik der Bundesregierung war geprägt von Vertagen, Verschieben oder Aussitzen von Problemen. Ich möchte das an verschiedenen Beispielen aufzeigen. Das eine Beispiel betrifft die Deutsche Bundesbahn. Hier werden große Worte geschwungen, der Verkehr müsse auf der Schiene abgewickelt werden, aber die konkreten Schritte sehen genau umgekehrt aus. Wenn es im Verkehrsausschuß darum gegangen ist, andere Maße oder andere Gewichte einzuführen oder zuzulassen, irgendwelchen EG-Vorschlägen zuzustimmen, die letztlich dazu führten, daß die Wettbewerbsfähigkeit des Lkw verbessert wurde, waren es die Koalitionsfraktionen, die zugestimmt haben. Wenn es jetzt um die Straßenbenutzungsgebühr geht, bleiben nach allen Ankündigungen weitere Milliardensubventionen für das Lkw-Gewerbe übrig, was letztlich wieder nicht zur Verlagerung auf die Schiene führt. Nichtsdestotrotz redet der Verkehrsminister immer wieder davon, man müsse den Verkehr auf die Schiene verlagern. Er verlagert ihn aber auf die Straße. Was war denn mit Österreich? Als sich die Republik Österreich überlegt hat, man müßte ernsthaft Schritte unternehmen, um den ausufernden Straßengüterverkehr auf die Schiene zu verlagern, und das Nachtfahrverbot eingeführt hat, hat Zimmermann zwar immer von der Schiene geredet, aber in einer Art und Weise die Maßnahmen der österreichischen Regierung bekämpft, daß man meinen könnte, er sei direkt von der Lkw-Industrie bezahlt worden. ({6}) Das nächste Beispiel betrifft den ÖPNV. Am Anfang der Legislaturperiode gab es die große Ankündigung von Verkehrsminister Warnke, es müßte uns mehr einfallen als Streckenstillegungen. Der öffentliche Personennahverkehr in der Fläche müsse der Schwerpunkt dieser Legislaturperiode sein. Aber was wurde aus dem großen Schwerpunkt? Es ist kein Durchbruch geworden, es ist ein Einbruch für die Verkehrspolitik der Bundesregierung geworden. Geschehen ist gar nichts. Die Streckenstillegungen sind weitergegangen. Dem Bundesminister und der Bundesregierung ist eben nichts anderes eingefallen. Der große Spruch „Wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen" ist eben nicht realisiert worden. Die Bundesregierung ist sogar hinter den Arbeitspapieren aus dem Verkehrsministerium zurückgeblieben, wo Lösungsansätze erkennbar waren. Statt dessen ist uns dann eine plumpe Bestandsaufnahme vorgelegt worden. Aber Ideen und Konzepte für die Zukunft waren von dieser Bundesregierung nicht zu erwarten. Das zeigt auch dieser Bericht. Wir sehen es aber auch an weiteren Punkten: Gerade im Bereich Verkehrssicherheitspolitik ist Ihre Weigerung, ein Tempolimit einzuführen, Ihre Lobby-Politik für die Raser auf deutschen Straßen, ({7}) ein Beleg dafür, daß Sie nicht in der Lage sind, die Bedürfnisse und die Notwendigkeiten zu erkennen. Es werden ganz einfach immer die alten Formeln wiederholt. Aber natürlich gibt es Tatsachen, die einfach dafür sprechen, daß Tempolimits tatsächlich notwendige und sinnvolle Maßnahmen sind, um die Sicherheit und die Umweltverträglichkeit des Verkehrs zu verbessern. Ich will Ihnen das ganz einfach vorrechnen: Wenn Sie die Schwere der Unfälle anschauen, so finden Sie je tausend Unfälle auf Autobahnen 49 Getötete. Wenn Sie die Schwere der Unfälle auf Bundesstraßen, also auch Außerortsstraßen, anschauen, dann finden Sie je tausend Unfällen nur 36 Getötete, was ganz eindeutig beweist, daß die Unfälle auf der Autobahn schwerer sind, und das, obwohl es sich bei Autobahnen um entmischte Verkehrsflächen handelt, obwohl Sie auf Autobahnen keine Radfahrer und Radfahrerinnen, keine Fußgänger und Fußgängerinnen haben, obwohl die Richtungsfahrbahnen durch Mittelstreifen und Leitplanken voneinander getrennt sind. ({8}) Wenn ich umrechne, was wäre, wenn es gelänge, auf Autobahnen nur dieselbe Unfallschwere zu erreichen wie auf Bundesstraßen, also statt 49 nur 36 Getötete je tausend Unfälle, dann hieße das 200 Verkehrstote in der Bundesrepublik im Jahr weniger, von den vielen Weiss ({9}) Schwerverletzten gar nicht zu reden. Aber das heißt auch nichts anderes, als daß die Weigerung der Bundesregierung, ein Tempolimit zu verhängen, direkt und unmittelbar für 200 Verkehrstote auf bundesdeutschen Autobahnen im Jahr verantwortlich ist. Das ist doch die Konsequenz. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Weiss, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rauen zu beantworten?

Michael Weiss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002462, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte schön. - Ich appelliere noch einmal an das Haus: Das Ende dieser Debatte liegt jetzt nach 14 Uhr.

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Weiss, haben Sie zur Kenntnis genommen, daß bei einem Anteil des Verkehrs auf den Autobahnen von 27 % der Anteil an der Zahl der Verkehrstoten 9 % beträgt, die Sicherheit gegenüber allen anderen Straßen also dreimal besser ist?

Michael Weiss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002462, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Rauen, Sie verwechseln da zwei Dinge. Das eine ist die Unfallhäufigkeit. Wenn Sie die Zahl der Unfälle je Autobahnkilometer ausrechnen, ist die Autobahn nachweislich die sicherste Straße. Das liegt eben daran, daß keine Fußgänger und Fußgängerinnen, keine Radfahrer und Radfahrerinnen vorhanden sind, daß Sie getrennte Richtungsfahrbahnen haben. Da passieren dann tatsächlich weniger Unfälle. Aber wenn Sie auf die Schwere der Unfälle Bezug nehmen, haben Sie eben doch noch einen signifikanten Unterschied zwischen Bundesstraßen und Autobahnen. Diesen signifikanten Unterschied können Sie nur auf die Befahrende Geschwindigkeit zurückführen, darauf, daß eben auf der Autobahn deutlich schneller als Tempo 100 gefahren wird. Deshalb möchte ich wiederholen, daß diese zusätzliche Zahl von Verkehrstoten unmittelbare Folge Ihrer Weigerung ist, ein Tempolimit zu verhängen. ({0}) - Natürlich gibt es statistische Aussagen. Lesen Sie doch das Buch „Verkehr in Zahlen" , das der Bundesverkehrsminister jedes Jahr herausgibt. Dann können Sie sich das selber ausrechnen. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Weiss hat das Wort und nicht Sie.

Michael Weiss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002462, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lassen Sie mich noch eines dazusagen: Es wird immer wieder gerühmt, daß die Bundesregierung solche Fortschritte in der Umweltverträglichkeit des Verkehrs, bei Stickoxidemissionen usw., erzielt habe. Nur ist das einfach falsch. Es wurden eben gerade keine Erfolge erzielt. Die Stickoxidemissionen sind heute höher als früher. Das liegt im wesentlichen daran, daß zwar Einsparungen erzielt worden sind, aber die Motorisierung drastisch zugenommen hat, daß zwar der Durchschnittsverbrauch des einzelnen Pkw gesunken ist, aber dadurch, daß immer größere und schnellere Autos gekauft wurden, der Verbrauch zugenommen hat und der Verbrauch aller Pkw heute höher denn je ist.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Weiss - Weiss ({0}) ({1}): Das ist auch eine Möglichkeit, mit dem Tempolimit den Anreiz zum Kauf solcher schnellen Wagen zu nehmen

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, erfreulicherweise - Weiss ({0}) ({1}) : Und damit eine Möglichkeit zu schaffen, den Verkehr umweltfreundlicher zu gestalten. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Kohn.

Roland Kohn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001168, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die jetzt zu Ende gehende Legislaturperiode des Deutschen Bundestags hat nach Auffassung der Freien Demokraten die Wende in der Bahnpolitik der Bundesrepublik Deutschland gebracht. ({0}) - Sie wissen: Wenn ein Liberaler den Begriff „Wende" benutzt, meint er damit eine erfolgreiche Veranstaltung wie die aus den Jahren 1982/1983. ({1}) Meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion hat 1987 darauf gedrängt, konzeptionelle Weichenstellungen für eine moderne, Umweltinteressen berücksichtigende Verkehrspolitik vorzunehmen. In diesem Konzept kommt der Bahn eine ganz besondere Rolle zu. Die Liberalen sind stolz darauf, daß es gelungen ist, die Bahnpolitik in dieser Legislaturperiode unter Dampf zu setzen. Am 1. Februar 1989 hat die Bundesregierung unter maßgeblicher Beteiligung der Freien Demokraten zukunftsgerichtete Strukturentscheidungen getroffen. Wir haben die vom Bundeskanzler Willy Brandt versprochene Übernahme der Altschulden der Bahn durch den Bund durchgesetzt und damit die Finanzstruktur der Bahn um 12,6 Milliarden DM bereinigt. Wir haben das Problem der überhöhten Versorgungslasten der Bahn im Bereich der Pensionszahlungen gelöst. Schließlich haben wir die Grundsatzentscheidung für die Übernahme der Finanzverantwortung für den Fahrweg durch den Staat erreicht. Das ist die wesentliche Voraussetzung für die Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen zwischen der Bahn und den anderen Verkehrsträgern. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit diesen Entscheidungen hat die FDP-Fraktion ihre Ankündigungen in dem im Jahr 1988 von mir vorgelegten Bahnkonzept Punkt für Punkt umgesetzt. Darüber hinaus haben wir in den letzten Jahren dazu beigetragen, daß die investiven Mittel für die Modernisierung des Schienennetzes der Bundesbahn im Vergleich zu den Investitionen für die Straße überproportional gewachsen sind. ({2}) Wir haben den Aufbau der Holding-Struktur der Bahn unterstützt, um die DB zu einem modernen Unternehmen fortzuentwickeln. Außerdem haben wir die Entwicklung neuer Angebotsstrukturen gefördert, wie beispielsweise das Interregio-System und den Bau von Terminals für den kombinierten Ladungsverkehr. Meine Damen und Herren, im nächsten Jahr werden mit dem Fahrplanwechsel die beiden ersten großen Neubaustrecken der Bahn nach dem zweiten Weltkrieg in Betrieb gehen. Die dadurch eintretende Verkürzung der Fahrzeiten, z. B. eine Halbierung der Fahrzeit zwischen Mannheim und Stuttgart, wird die Wettbewerbssituation der Bundesbahn nachhaltig verbessern. Im nächsten Jahr erwarten wir dann die Ergebnisse der Regierungskommission Bahn, die wir zügig beraten und umsetzen wollen. ({3}) Mit dem Beschluß des Deutschen Bundestags vom 6. Dezember 1989, in dem sich die wesentlichen programmatischen Vorstellungen der FDP zur Bahnpolitik widerspiegeln, ist die Zukunft der Bahn klar vorgezeichnet: erstens Strukturreform, d. h. Übernahme der Finanzverantwortung für das Schienennetz durch den Staat; zweitens Unternehmensreform, d. h. Umstrukturierung der Bahn zu einem modernen Wirtschaftsunternehmen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einige Worte zur aktuellen Frage der Besetzung des Vorstandspostens bei der Deutschen Bundesbahn sagen! Dr. Reiner Gohlke hat sich große Verdienste um die Erneuerung der Bahn erworben, und dafür gebührt ihm Dank. ({4}) Diese Arbeit muß aber fortgesetzt werden. Deshalb sage ich für meine Fraktion mit großem Nachdruck: Die Entscheidung über die Nachfolge von Dr. Gohlke muß rasch erfolgen, und es muß sichergestellt sein, daß es sich hierbei um eine erfahrene Unternehmerpersönlichkeit handelt. Wir Liberalen haben nämlich nicht im Jahr 1981 gemeinsam mit der SPD das Bundesbahngesetz geändert, um die Chance für eine unternehmerische Persönlichkeit an der Spitze der Bahn zu eröffnen, um jetzt in einer Koalition mit der CDU/ CSU gegebenenfalls zu akzeptieren, daß dort ein Beamter hinkommt. Mit uns nicht! ({5}) Drittens: Angebotsreformen, d. h. Entwicklung neuer, marktgerechter Angebotsstrukturen im Personen- und Güterverkehr. Nur so wird die Bahn in der Lage sein, ihren ökologisch unverzichtbaren Part in einem wachsenden Verkehrsmarkt zu spielen. Einen Tag, nachdem Hans-Dietrich Genscher mit dem erfolgreichen Abschluß der Zwei-plus-Vier-Gespräche den Weg zur Herstellung der deutschen Einheit endgültig frei gemacht hat, muß am Schluß dieses Kurzbeitrages noch ein Wort zu den künftigen fünf Ländern gesagt werden: Jetzt - jetzt! - haben wir die Chance, durch klare Prioritätensetzung für den Schienenverkehr im vereinigten Deutschland die Fehler von vier Jahrzehnten bundesrepublikanischer Verkehrspolitik, an der wir alle beteiligt waren, zu vermeiden. Wir brauchen eine rasche Modernisierung des Schienennetzes im Gebiet der künftigen fünf Länder. Wir müssen dieses Schienennetz in das europäische Schnellbahnsystem einbeziehen. Und wir müssen dafür sorgen, daß an der künftigen Ostgrenze des vereinigten Deutschlands keine Strukturprobleme entstehen, wie sie im Bereich des seitherigen Zonenrands bestanden. ({6}) Es ist auch richtig, daß Deutsche Bundesbahn und Deutsche Reichsbahn nicht kurzfristig fusioniert werden. Sonst wäre die Gefahr zu groß, daß der rosarote Elefant Bahn zu einem grauen, dem Untergang geweihten Dinosaurier würde. Meine Fraktion jedenfalls, die FDP-Fraktion, versteht sich als Garant dafür, daß die eingeleitete Umstrukturierung des Schienenverkehrs in der nächsten Legislaturperiode vollendet wird. Wir werden gemeinsam mit allen Eisenbahnern und - hoffentlich - mit allen Verkehrspolitikern dafür sorgen, daß der Elefant Bahn eine rosarote Zukunft hat. Vielen Dank. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun erteile ich dem Abgeordneten Lennartz das Wort.

Klaus Lennartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001319, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Verkehrspolitik der Bundesregierung ist nach unserer Auffassung ein besonders düsteres Kapitel der letzten Legislaturperiode. Der automobile Verkehr wird von den Konservativen wohl mehr als Gesellschaftsform denn als Fortbewegungsart betrieben. Die Folge ist eine nunmehr achtjährige ideologische Immunisierung des Automobils. Obwohl dessen Infrastruktur, besonders in den Ballungszentren, nur noch mit Infarkt-Management aufrechterhalten werden kann, ist in Bonn kein Umlenken erkennbar. Auf den weichen Lauf des Sechszylinders als akustische Untermalung der satten Wohlstandsgesellschaft wollen und können die Konservativen nicht verzichten. Sie sind auch auf diesem Felde nicht imstande, eine realitätsbezogene Politik zu machen. Wie sieht diese Politik aus? Verkehrs- und umweltpolitisch nähert sich unser Verkehrssystem dem Zusammenbruch. Wie die Lemminge rollen wir durch verstopfte Straßen auf die ökologische Katastrophe zu. Die großen Umweltschäden wie Waldsterben, Luftverschmutzung, Sommersmog, Zerstörung der Ozonschicht und schleichende Aufheizung der Erdatmosphäre werden in der Hauptsache vom Straßenverkehr verursacht: 75 % der Kohlenmonoxide, meine Damen und Herren, 60 % der Stickoxide, 50 % der organischen Verbindungen stammen aus den Auspuffrohren. Ein Viertel des Endenergieverbrauchs in der Bundesrepublik wird aus Zapfsäulen getankt. 60 % der Menschen fühlen sich durch Verkehrslärm belästigt. 5 % der Fläche der Bundesrepublik sind bereits als Verkehrsfläche ausgewiesen. Großstadtkinder haben 80 % mehr krebserregendes Benzol im Blut als Kinder auf dem Lande. Aber: Der Bundesumweltminister meint offenbar, sich auf der freiwilligen Einführung des Katalysators ausruhen zu dürfen. Zugegeben: Endlich, endlich nach sechs quälenden Jahren der langsamen Kat-Einführung sind nahezu alle Neuzulassungen mit diesem System der Abgasentgiftung bestückt. Nach sieben Jahren KatalysatorStümperei hat nur ein Sechstel aller zugelassenen Kraftfahrzeuge einen geregelten Drei-Wege-Kat. 2 Millionen Pkw könnten nachgerüstet werden. Zur Jahresmitte waren es nur 100 000 Fahrzeughalter, die die Steuervergünstigungen in Anspruch genommen haben; der Finanzminister hatte Mittel für 400 000 im Haushalt eingesetzt. Das sollte auch Ihnen zu denken geben. Gleichzeitig rollt die Lkw-Lawine. Sie wird immer größer und macht so die kaum spürbare Abgasminderung bei den Pkw wieder zunichte. Die Regelungslükken zur Abgasentgiftung im Straßenverkehr sind erschreckend. Dabei war der Bundesumweltminister wirklich so häufig mit Ideen im Fernsehen und in der Presse, daß er wirklich ein guter Nachfolger seines Kabinettskollegen Johnny Klein gewesen wäre. Leider sind nur hohle Phrasen geblieben, Ankündigungen, die durch ständige Wiederholungen leider nicht konkreter geworden sind. Die SPD-Fraktion hat vor über einem halben Jahr eine Große Anfrage zum Thema „Auto und Umwelt" eingebracht, in der wir von der Bundesregierung genau wissen wollten, wie man sich die weitere Schadstoffminderung im Automobilverkehr vorstellt. Eine Antwort haben wir bis zum heutigen Tage nicht. ({0}) Wo sind denn endlich die Vorschläge zur Abgasbegrenzung von leichten Nutzfahrzeugen? Hier gibt es keinerlei Regelungen, weil alle Vorschriften über die Schadstoffarmut von Pkw hier nicht anwendbar sind. Lastkraftwagen, Herr Minister: ein besonders trauriges Kapitel. Erst ab Ende 1996 sollen die Grenzwerte bestimmt werden, die dem Stand der Technik von heute entsprechen. Für die Umwelt heißt das: Bis zum Jahre 2000 werden die Stickoxide aus dem Lkw-Verkehr weiter ansteigen. Fehlanzeige auch beim Spritsparen. Die Flottenverbrauchswerte der deutschen Hersteller, die bis zum Jahre 1985 noch abnahmen, steigen seitdem weiter an. Noch vor zwei Jahren hielt die Automobilindustrie einen Durchschnittsverbrauch von 61 auf 100 km bis zum Jahr 2000 für realistisch. Heute geht die Energieverschwendung munter weiter. Die Produktpalette selbst bei Klein- und Mittelklassewagen sieht mittlerweile so aus, als hätte sich die gesamte Nation dem Rennsport verschrieben. Die Bundesregierung begnügt sich damit, zuzusehen, wie die tiefer gelegten 1,2 Liter-Geschosse traurig ihre Heckflügel im Stau hängen lassen. 2 800 neue Autobahnkilometer - das ist die gesamte Antwort dieses Ministers. ({1}) Spritsparen im großen Maßstab ist heute längst Stand der Technik. Das Fünf-Liter-Auto ist technisch machbar. Mit ausreichendem Zeitvorlauf und den entsprechenden politischen Vorgaben - ich betone, Herr Minister: mit den politischen Vorgaben - ist auch das Drei-Liter-Auto möglich. Nicht nur die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zum Klimaschutz schätzt das technische Energieeinsparpotential bei Pkw auf 50 bis 60 %. Man muß nur wollen, man muß die politische Vorgabe einbringen. ({2}) Herr Dr. Jobst ich fordere Sie auf: Wenn Sie zum Umweltauto sprechen, berücksichtigen Sie bitte diese politische Vorgabe. Meine Damen und Herren, 60 % weniger Spritverbrauch hieße auch, daß wir auf unsere gesamte Rohöleinfuhr aus Libyen in Höhe von 11 Millionen t pro Jahr verzichten könnten. Wer über die Golfkrise spricht, sollte auch daran denken. Genutzt wird keine dieser Chancen. Jedes Nachfolgemodell heute ist schwerer und schneller als die Vorläufer. Die SPD hat deshalb Vorschläge zur Flottenverbrauchsbegrenzung von Pkw auf den Tisch gelegt. Bei der Regierung herrscht Funkstille. Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zur Flottenverbrauchsbegrenzung enthüllt Töpfers Ankündigung als reinstes Windei. Auch bei den EG-Partnern löst die Untätigkeit der Bundesregierung Befremden aus. Der französische Staatssekretär in Umweltfragen Lalonde hat es auf den Punkt gebracht: Es sei - so formuliert er - skandalös, daß ein Land, das sich ständig mit der Umwelt wichtig tue, wie die Bundesrepublik, unvermindert das Ammenmärchen erzählt, es sei möglich, immer stärkere Autos zu bauen und gleichzeitig die Umwelt zu respektieren. Er hat recht, auch wenn er vergessen hat, die schnellen französischen Autos zu erwähnen, die auch mit 220 und 240 km/h über die Straßen bzw. über die Autobahnen in Frankreich fahren. Auf Grund der Tatenlosigkeit der Bundesregierung werden die Probleme eher zunehmen als abnehmen. Der Güterverkehr wird voraussichtlich bis zum Jahr 2000 um 40% zunehmen, eine Folge des Binnenmarktes. Die Bundesregierung bleibt leider auch hier die Antwort schuldig, wie dieser Verkehr umwelt- und gesundheitsgerecht für die Bevölkerung abgewickelt werden soll. Die Bürger werden sich das Gedröhn und den Ruß der Lastwagen nicht mehr länger bieten lassen. ({3}) In Bayern werden Straßen gesperrt, weil die Bevölkerung nicht länger bereit ist, die Produktivität der Lkw-Spediteure auf Kosten ihres Nachtschlafs und ihrer Nerven zu steigern. ({4}) Auch gibt es weiterhin keine Regierungsvorschläge, den Lkw-Verkehr sauberer und leiser zu machen und vor allem zu verringern. Die von der EG eingesetzte Sondergruppe Umwelt, die die ökologischen Folgen des Binnenmarktes begutachten soll, befürchtet Schlimmes: Eine verkehrsbedingte Giftzunahme um bis zu 50 % in den nächsten zehn Jahren sei wahrscheinlich. So die EG. Wie ist die Antwort der Bundesregierung darauf, Herr Minister? Mir scheint, die Bundesregierung hat ein wichtiges verkehrspolitisches Ziel mißverstanden. Richtig muß es heißen, den Güterverkehr von der Straße auf die Schiene zu bringen. Die Bundesregierung verfährt nach der Devise: Wie bringe ich den Güterverkehr von der Schiene wieder auf die Straße? Wo ist die Antwort der Bundesregierung auf das Ozonproblem, ein Problem, das sich durch die zunehmende Motorisierung auch in der DDR noch verstärken wird. Nach der Philosophie von Herrn Töpfer soll bei Sommersmog der Geschädigte - wohlgemerkt - sein Verhalten ändern, auf Joggen und Spielen verzichten; der Verursacher, der Kraftverkehr also, kann weitermachen wie bisher. Das stellt den gesamten Immissionsschutz auf den Kopf. Das ist an Zynismus kaum noch zu überbieten. Die Bundesregierung verfährt nach der bewährten Arbeitsteilung: Der Verkehrsminister sorgt dafür, daß mehr Güter und mehr Pkw auf der Straße rollen, und der Umweltminister verabreicht der besorgten Öffentlichkeit irgendwelche wirkungslosen Placebos. In die Reihe dieser Placebos gehört auch die Ankündigung, die Kfz-Steuer immissionsabhängig umzustrukturieren. Mehr Schadstoffe und mehr Benzinverbrauch und mehr Lärm des Pkw sollen danach künftig zu einer höheren jährlichen Steuerbelastung führen. So die Regierung. Da soll nun ein riesiger bürokratischer Aufwand betrieben werden für geradezu lächerliche Ergebnisse. So soll z. B. die Minderung des Normverbrauchs um jeweils 1 1 zu einer steuerlichen Entlastung von 13 DM führen; jährlich wohlgemerkt. Oder anders gesagt: Wenn ein Auto statt 101 auf 100 km demnächst nur 7 1 nach US-Norm verbraucht, spart der Halter ganze 39 DM im Jahr. Das ist ein Anreiz von 3,25 DM pro Monat. Es soll einmal einer erklären, Herr Minister, wo hier eine Lenkungsfunktion, bezogen auf das umweltfreundliche Autofahren, ist. ({5}) Es ist doch einfach naiv anzunehmen, daß dieser Unterschied von 39 DM entscheidend ist für den Kauf eines umweltfreundlichen Autos. Nein, wer ernst machen will mit einer emissions- bzw. CO2-abhängigen Besteuerung, muß mit der Mineralölsteuer arbeiten. Nur die Einführung einer Ökosteuer wird den WenigFahrer entlasten und den Viel-Fahrer belasten. Nur diese Steuer ist in der Lage, den Autofahrer wirklich fahrleistungsbezogen zur Finanzierung auch der ökologischen Kosten des Straßenverkehrs heranzuziehen. Auch weitsichtige CDU-Politiker - leider keine Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion - haben eine Erhöhung der Mineralölsteuer schon für notwendig erachtet, nicht zuletzt der baden-württembergische Umweltminister Vetter; wenn ich mich recht erinnere, mit einem Betrag von 60 Pfennig pro Liter. ({6}) Umweltbewußte Verkehrspolitik muß in den nächsten drei Jahren drei Stoßrichtungen haben: weniger Verbrauch, weniger Schadstoffe, attraktive öffentliche Verkehrsmittel; mehr Lkw von der Straße auf die Schiene. Unter den gegenwärtigen Bedingungen sieht der einzelne Verkehrsteilnehmer doch wirklich keinen Grund, Fahrten zu vermeiden. Der hohe ökologische Kostenfaktor des Verkehrs fällt für ihn nicht ins Gewicht. Tatsache ist jedoch, daß ein erheblicher Teil der Fahrten sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr überflüssig ist. Zwei Beispiele: Zwischen Italien und Deutschland werden Kartoffeln Tausende von Kilometern hin und her gefahren, nur um weit weg vom Ernteort gereinigt und verpackt zu werden. ({7}) Tatsache ist zweitens, daß im Straßenverkehr rund 20 % der Fahrten dazu dienen, einen Parkplatz zu suchen, statt den Wagen einfach stehenzulassen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Es geht nicht darum, die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen abzublocken. Wenn heute Umweltprobleme oder Kapazitätsprobleme im Straßenverkehr entstehen, so liegt das nicht daran, daß zu viele Menschen irgendwohin wollen, sondern zu viele Autos. ({8}) Aber der Umstieg auf die Alternativen zum Auto muß sich auch bezahlt machen: Der öffentliche Verkehr muß wesentlich preiswerter und attraktiver werden; Autofahrer müssen für die selbst verursachten Umweltkosten auch bezahlen. Wir wollen ernst machen mit dem Energiesparen und nicht nur darüber reden. Wir haben deshalb sehr bewußt dieses ÖkoSteuerkonzept entwickelt. Wir haben vor den Wahlen deutlich gemacht, daß wir dazu stehen, weil es auch eine Frage der Glaubwürdigkeit ist. Nun werden ja die Wahlkämpfer von CDU und CSU nicht müde, unsere Vorschläge zur Energiebesteuerung als Horrorgeschichten darzustellen nach dem Motto: Die SPD will den kleinen Leuten das Autofahren vermiesen. ({9}) Da muß man wohl Dichtung und Wahrheit voneinander trennen. Richtig ist, daß heute die Arbeitseinkommen zu hoch und der Energieverbrauch zu niedrig besteuert werden. Die Lohnsteuerquote steigt beständig an, dagegen sanken die Preise für Kraftstoffe bis vor kurzem beständig. Die Energiesteuern decken im Verkehrsbereich nur zu einem Bruchteil die ökologischen Kosten, die vom Straßenverkehr verursacht werden. Richtig ist: Die SPD will gleichzeitig mit der Ökosteuer die Arbeitseinkommen entlasten. Wer sein Auto umweltgerecht gebraucht, wird Steuern sparen; auch die Pendler, nämlich durch die Umwandlung der Kilometerpauschale in eine Entfernungspauschale und einen Zuschlag für Fernpendler. ({10}) Das heißt, die Ökosteuer ist nicht nur umweltpolitisch notwendig, sondern auch sozial verträglich. Wie sollte es bei Sozialdemokraten auch anders sein? ({11}) Es kommt nicht nur darauf an, daß das einzelne Kraftfahrzeug sauber fährt. Mindestens ebenso wichtig ist, insgesamt weniger und langsamer mit geringerem Energieverbrauch zu fahren. Wir brauchen demzufolge dringend ein Tempolimit von 120 km/h auf Bundesautobahnen, eine Begrenzung des Kraftstoffverbrauchs, strengere Abgasgrenzwerte und ein Konzept zur Verminderung des Straßenverkehrs. Die letzten acht Jahre haben uns hier keinen Schritt weitergebracht. Im Gegenteil: Es hat umweltpolitische und verkehrspolitische Rückschritte gegeben. Die Bundesregierung ist uns das Konzept zur Lösung der Umwelt- und Verkehrskrise schuldig geblieben. Wir haben unsere Zweifel, ob sie überhaupt in der Lage ist, das ökologisch Richtige zu tun.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Lennartz, ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie die Zeit nicht noch deutlicher überschreiten würden.

Klaus Lennartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001319, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich hatte 15 Minuten, aber es waren nur 12 Minuten angezeigt. Einen letzten Satz: Wenn man sich schon nach Lobbyisten richtet, dann bitte nicht nach Herrn von Kuenheim. Da richtet man sich am besten nach Herrn von Goeudevert. Dort ist man auf der richtigen Ebene. Schönen Dank. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Börnsen ({0}).

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Lennartz hat sicher mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß noch viel zu tun bleibt. Das verschweigt auch niemand. Nur, Herr Lennartz, als der Katalysator in Japan und in den Vereinigten Staaten bereits selbstverständlich war, ({0}) waren Sie an der Regierung. Sie hätten die Chance gehabt, ihn einzuführen. Sie haben nichts getan. Das ist die Wahrheit. ({1}) Ihre Ökosteuer ist ein Fallbeil für Pendler des flachen Landes. So wird sie empfunden. ({2}) Sie müssen in einem Jahr über 1 000 DM mehr bezahlen. Wollen Sie das verwirklichen? ({3}) Sie sind als Landrat doch in der Position, die Auswirkungen solcher unmöglichen Zustände abschätzen zu können. ({4}) Das Mobilitätsbedürfnis der Menschen unseres Landes nimmt immer mehr zu. 33 Millionen Fahrzeuge haben wir im Bundesgebiet zur Zeit und eine weiterhin ständig steigende Fahrleistung. Zu Beginn unserer Republik, vor 40 Jahren, haben wir noch 3 Millionen Fahrzeuge gezählt. 1970 waren es bereits fast 17 Millionen. Mit der Zunahme der Verkehrsdichte steigt bei uns auch die Regelungsdichte. Verkehrspolitische Entscheidungen, die zu treffen sind - gleich, wer in der Regierung ist - , greifen immer mehr in das Leben des einzelnen ein. Sie steuern immer mehr den Tagesablauf unserer Mitbürger. Die Verkehrspolitik wird - gleich, wer sie zu verantworten hat -, zu einem Drahtseilakt. Es ist ein Ausgleich herbeizuführen zwischen den Freiheitsansprüchen des einzelnen und den notwendigen Einschränkungen der Freiheitsansprüche zum Schutz von Gesundheit und Sicherheit der Menschen sowie zum Schutz von Umwelt, Natur und Baudenkmälern. Verkehrspolitik bedarf deshalb des Augenmaßes und keiner Ideologisierung. Internationale Zusammenarbeit und flexible Lösungen vor Ort sind gefragt. Pragmatisch und kontrollierbar müssen die Maßnahmen sein, einseh- und einhaltbar. Ich finde sehr wohl, daß sich unsere Bundesregierung an diesen Maßstäben orientiert. Das wird am Tempo 30 im Innerortsverkehr deutlich. Wir sagen ja zu Tempo-30-Zonen. Allerdings müssen sie klar und abgegrenzt sein. Sie müssen einheitlich sein. Durchgangsstraßen und Straßen mit starker Verkehrsbelastung sind hierzu nicht geeignet. Grundsätzlich muß rechts vor links gelten, um auch Verkehrsschilder weitgehend zu vermeiden. Tempo 30 als generelle Regelgeschwindigkeit im Innerortsverkehr, wie es gefordert wird, ist ungeeignet. Die Untersuchungen der Bundesanstalt für Straßenwesen und der Bundesländer haben eindeutig ergeben, daß die Einrichtung von Tempo-30-Zonen auch mit zusätzlichen Verkehrszeichen keine nennenswerte Reduzierung der Geschwindigkeit bewirkt, wenn die Straße nach ihrer Trassierung eine höhere Geschwindigkeit zuläßt. Die positiven Erfahrungen mit Geschwindigkeitsbeschränkungszonen stützen sich auf Gebiete, in denen flankierende Maßnahmen ergriffen wurden. Das heißt, es sind Baumaßnahmen zur Einengung der Fahrbahn oder zur Umgestaltung des Straßenrandes notwendig. Dann kommt es zu einer Reduzierung der Verkehrsgeschwindigkeit. Ohne diese Vorkehrungen schaffen Tempo-30-Zonen gerade für Fußgänger und Börnsen ({5}) Radfahrer eine Scheinsicherheit. Und die wollen wir nicht. Generelle Tempo-30-Zonen sind für Kraftfahrer auch nicht einsehbar, wenn sie z. B. für Mischgebiete gelten, wo breite Straßen sind und die Bebauung eine schnellere Fahrweise zuläßt. Dann gibt es nämlich eine schnellere Fahrweise. Damit wird der Verkehrssicherheit kein guter Dienst erwiesen, auch nicht dem Umweltschutz. Denn die Untersuchungen haben ganz klar gezeigt, daß Lärm und Abgase nur dann merklich reduziert werden, wenn eine stetige und niedertourige Fahrweise möglich bleibt, also ein Stop-and-go unterbleibt. Ich möchte zu dem zweiten Beispiel kommen: Tempolimit auf Autobahnen. Das hat mein Vorredner auch angesprochen. Auch hier sind radikale Schnellschüsse zu vermeiden. ({6}) Das ist keine verantwortungsvolle Lösung. Ein generelles Tempolimit ist weder aus Gründen der Verkehrssicherheit noch unter den Gesichtspunkten der Verbesserung des Umweltschutzes und einer deutlichen Einsparung an Kraftstoffen zu rechtfertigen. ({7}) Einzelne Geschwindigkeitsgrenzen sind notwendig. Ich halte es aber für völlig verfehlt, die Sicherheitsdiskussion - was jetzt in der Debatte erneut getan wird - auf das Thema Tempolimit auf Autobahnen zu verkürzen. Die Autobahnen sind in der Bundesrepublik mit die sichersten Verkehrswege. Das Risiko, im Straßenverkehr getötet zu werden, ist innerorts viermal, auf Landstraßen sogar fünfmal höher als auf den Autobahnen. ({8}) Obwohl dort fast 20 % aller Fahrleistungen erfolgen, beträgt der Anteil der Autofahrer, die auf Autobahnen tödlich verunglücken, 8 %. Nach den Erkenntnissen der Haftpflichtversicherungen - und die müssen es wissen - sind Geschwindigkeiten von über 100 km/h nur bei 7 % der Unfälle auf Autobahnen mit tödlichem Ausgang festzustellen. ({9}) Das heißt, die generelle Geschwindigkeitsbegrenzung allein ist kein Erfolgskonzept. Gleichschaltung in der Verkehrspolitik ist nicht geeignet, um zu mehr Verkehrssicherheit zu kommen. Dazu gehört der Ausbau von Ortsumgehungen. Dazu gehört aber auch die Erkenntnis, daß wir durch die Öffnung der Grenzen nach Osten in den nächsten Jahren die zehnfache Menge an Güterverkehr und fast die zwanzigfache Menge an Personenverkehr bekommen werden. Die Bahn allein wird diesen dramatischen Anstieg nicht bewältigen können. Unsere Straßen haben neue Lasten zu tragen. Sorgen wir für ihre Verkehrssicherheit. Auf die Verkehrssicherheit haben wir abzustellen und nicht auf die Geschwindigkeitsbegrenzung allein. 340 000 Verkehrsunfälle mit Personenschäden im vergangenen Jahr sind eine böse Bilanz. Der Anteil von fast 8 000 Unfällen mit tödlichem Ausgang löst bei allen Betroffenheit und Trauer aus. Doch wer fair zurückblickt, stellt fest, daß in den letzten 20 Jahren die Anzahl der tödlich Verletzten deutlich gesunken ist. ({10}) - Auch die Anzahl der Getöteten auf Autobahnen. -1970 hatten wir noch über 19 100 Menschen, die tödlich verunglückt sind bei 16 Millionen Kraftfahrzeugen. Obwohl die Zahl der Kraftfahrzeuge im Bundesgebiet auf derzeit 33 Millionen gestiegen ist, hat sich die Zahl der Getöteten halbiert. Das ist ein großer Erfolg konsequenter Verkehrssicherheitspolitik, ({11}) zu der Sie in den 13 Jahren Ihrer Regierungsverantwortung beigetragen haben; das verschweigt auch niemand. Das ist der richtige Weg, den wir weiterhin zu gehen haben. Auch die Verschärfung des Bußgeldkataloges gehört dazu. Den Rasern und Dränglern müssen wir durch den Entzug der Fahrerlaubnis an den Kragen. Sie, die schwarzen Schafe, vermiesen das Klima auf unseren Straßen, nicht die 98 % der Autofahrer, die vernünftig und verantwortungsbewußt fahren. Für diese Raser und Drängler muß der Flensburger Punktekatalog konkreter angepaßt werden. Minuspunkte in Flensburg sind eine Möglichkeit, Pluspunkte, wie ich finde, aber eine vertretbare Ergänzung. Was spricht dagegen, dem Verkehrsteilnehmer, der Sicherheitstraining praktiziert und Nachschulungen und Weiterbildung ernst nimmt, einen Bonus in Flensburg anzurechnen? Das Vorbild gilt es zu belohnen. ({12}) In das Bemühen der zunehmenden Verbesserung der Verkehrssicherheit paßt überhaupt nicht die aggressive Werbung der Automobil- und Motorradindustrie für schnellere Autos und Motorräder. Schon mehr als ein Viertel aller Autos kann schneller als 180 km/h fahren. Es ist gegen jede Vernunft, dafür noch zu werben. Ich fordere die Automobil- und Motorradindustrie auf, nicht für rasende und rasante PS-Monster zu werben, sondern für ihre Bemühungen im Rahmen der Verkehrssicherheit. Das sind drei von einer Fülle von Beispielen, die deutlich machen, daß Sie mit Ihren Vorschlägen auf dem falschen Wege sind, zu einer Verbesserung der Verkehrspolitik in Deutschland zu kommen. Ich glaube, daß die Bundesregierung in ihrem Konzept für einen neuen ÖPNV, auch in ihrem Konzept im Hinblick auf die Einhaltung der 0,8-Promille-Grenze auf dem richtigen Weg ist. Sie ist gut beraten, dafür zu sorgen, daß eine Verkehrspolitik mit Vernunft und Augenmaß - auch im Hinblick auf die deutsche Einheit - praktiziert wird, um dann baldmöglichst zu einer einheitlichen Verkehrspolitik zu kommen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Börnsen, Sie unterscheiden sich in nichts von Ihren Vorrednern. Sie überschreiten die Zeit deutlich. So Vizepräsident Cronenberg geht es beim besten Willen nicht. Bitte kommen Sie zum Ende.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich komme damit zum Schluß. Ich glaube, die Anträge der Sozialdemokraten führen dazu, daß unsere Verkehrspolitik auf ein Abstellgleis gerät. Dahin gehört sie wahrhaftig nicht. Danke schön. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat der Abgeordnete Richter das Wort.

Manfred Richter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001835, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dankenswerterweise hat der Kollege Fischer in seinem Beitrag auch die deutsche Seeschiffahrt angesprochen. Ich begrüße das. Ich teile auch Ihre Bewertung, Herr Kollege Fischer, und möchte gerne einige Bemerkungen ergänzen. In dieser Legislaturperiode haben wir uns in der Schiffahrtspolitik auf die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seeschiffahrt im Hinblick auf den europäischen Binnenmarkt konzentriert. Durch die Entwicklung in den Staaten Mittel- und Osteuropas erhält die Schiffahrt neben dem Binnenmarkt nun eine weitere Perspektive, der wir uns stellen müssen. Die zu erwartenden Zuwächse werden kaum allein durch die Verkehrssysteme Schiene, Straße und Luftverkehr zu bewältigen sein. Das ist eine große Chance für die Binnenschiffahrt und auch für den Seeverkehr, insbesondere für die Küstenschiffahrt. Wir haben in dieser Legislaturperiode durch die Einführung des Zusatzregisters sichergestellt, daß die Betriebskosten, die vor allem durch zu hohe Personalkosten entstanden waren, für Handelsschiffe im internationalen Verkehr erheblich gesunken sind. Der Erfolg ist sichtbar: Der Ausflaggungstrend ist gestoppt. Die Existenz der Handelsflotte ist damit gesichert. ({0}) Wir beschäftigen wieder mehr deutsche Seeleute als noch im vergangenen Jahr. Das Zusatzregister ist nach Auffassung der FDP-Fraktion beispielgebend für eine EG-einheitliche Regelung. ({1}) Unsere Häfen sind leistungsfähig, aber kein Hafen kann besser sein als sein Verkehr ins Hinterland. Im Straßengüterverkehr zu und von den deutschen Seehäfen galt innerhalb des Bundesgebietes ein kompliziertes, bürokratisches und damit auch preiserhöhendes System von Sonderabmachungen zwischen Verlader und Transporteur. Im Warenverkehr mit anderen EG-Ländern war das anders. Die Preise konnten schnell und ohne langwieriges Genehmigungsverfahren ausgehandelt werden. Diese unterschiedlichen Bedingungen haben dazu geführt, daß Marktanteile zunehmend an ausländische Häfen gegangen sind. Das Maßnahmenpaket, das durch Änderung des Güterkraftverkehrgesetzes beschlossen wurde, stellt sicher, daß die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seehäfen gestärkt wird. Es ist ein kräftiger Schritt, und er geht in die richtige Richtung. Für den nationalen Seehafenhinterlandverkehr sollten aber die gleichen Wettbewerbsregeln gelten wie im Verkehr mit EG-Häfen. Wir werden uns deshalb weiter dafür einsetzen, das nationale Tarifsystem durch die im EG-Verkehr üblichen Referenztarife zu ersetzen. Gestern hat der Verkehrsminister im Ausschuß über Sicherheitsbestimmungen für Seeschiffe unter fremder Flagge berichtet. ({2}) - Na gut, das Haus ist groß, Herr Kollege. - Der Bericht hat aber gezeigt - da sind wir sicherlich einer Meinung - , wie dringend notwendig es ist, daß für Schiffe unter fremder Flagge internationale Sicherheitsabkommen mit einem Mindeststandard zum Schutz der Passagiere, zum Schutz der Arbeitnehmer an Bord und auch zum Schutz der Umwelt beschlossen werden müssen. Von der Öffnung der ost- und mitteleuropäischen Staaten werden sich besonders für die Binnen- und Küstenschiffahrt neue Betätigungsfelder ergeben. Der enorme Transportbedarf von und zu den Absatz- und Produktionsmärkten in der heutigen DDR und in Osteuropa - Sachverständige gehen von annähernd einer Verdoppelung des Transportvolumens aus - bietet eine vor einem Jahr noch ungeahnte wirtschaftliche Perspektive. Um so wichtiger ist es, daß wir in der Bundesrepublik in der kommenden Legislaturperiode die Rahmenbedingungen für die Schiffahrt weiter verbessern. Das heißt konkret: eine Senkung der ertragsunabhängigen Steuern im Rahmen der Unternehmensteuerreform. Da dies wohl die letzte verkehrspolitische Debatte des 11. Deutschen Bundestages sein dürfte, möchte ich abschließend die Gelegenheit nicht versäumen, den Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen für die gute und kollegiale Zusammenarbeit im Verkehrsausschuß zu danken. Im Interesse der Sache sollten wir so weiterarbeiten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Herr Präsident, ich glaube, ich bin in der Zeit. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sie haben die Zeit sogar unterschritten. Herzlichen Dank. Herr Abgeordneter Haungs, Sie haben das Wort.

Rainer Haungs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000830, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema deutsche Einigung hat in den letzten Monaten auch bei den Verkehrspolitikern im Vordergrund gestanden. Auch die Diskussion über den europäischen Binnenmarkt wurde unter dem Vorzeichen einer europaverträglichen deutschen Verkehrsunion geführt. Mit der Herstellung der deutschen Einheit im nächsten Monat werden wir gemeinsam an dem Ziel arbeiten, fit für Europa zu werden. Dabei ist die zu lösende Aufgabe nicht einfacher, sondern schwieriger geworden. Die Vollendung des Binnenmarktes bringt uns einen freien Verkehrsmarkt ohne mengenmäßige Beschränkungen. Die Mobilität der europäischen Bürger führt zusammen mit einer größeren Arbeitsteilung und einem regeren Güteraustausch zu einer stärkeren Beanspruchung unserer Verkehrswege. Die Öffnung der Grenzen der DDR und zu den osteuropäischen Nachbarn zeigt uns sofort das Defizit an leistungsfähigen Ost-West-Verbindungen. Alle osteuropäischen Nachbarstaaten orientieren sich marktwirtschaftlich. Sie wollen zu ihren persönlichen Freiheiten möglichst bald einen mit westlichen Marktwirtschaften vergleichbaren Wohlstand. Eine leistungsfähige Infrastruktur und ein nach Wettbewerbsprinzipien organisierter und effizienter Transportmarkt gehören dazu. Das Thema Verkehrspolitik steht im Rampenlicht. Zu viele Autos stehen auf unseren Straßen im Stau, viele Züge sind verspätet und überfüllt, der Luftverkehr wächst mit zweistelligen Zuwachsraten und überfordert die Infrastruktur. Die Verkehrspolitik muß für die 90er Jahre neue Wege beschreiten, wenn sie allen Herausforderungen begegnen will. Dies beginnt mit der Verkehrsmarktordnung im europäischen Binnenmarkt. Es wäre nicht sinnvoll, genehmigungsfrei grenzüberschreitend zu fahren, Kabotage dem EG-Konkurrenten zu gestatten, das eigene Gewerbe aber mit Kontingenten und Konzessionen klein zu halten. ({0}) Dies ist mit Sicherheit auch kein Beitrag zum Umweltschutz, da im gewerblichen Güterfernverkehr zu viele Leerfahrten stattfinden, die durch das hohe nationale Preisniveau sogar betriebswirtschaftlich rentabel sind, andererseits der Werksverkehr in der Regel leer zurückfahren muß. Hier kann die richtige Antwort, wie viele Lkw zu welchem Preis fahren, nur durch den Wettbewerb gegeben werden ({1}) - kommt noch, abwarten -, dessen Wirkung von allen Verteidigern bürokratischer Regulierungen regelmäßig unterschätzt wird. Das Verhältnis unserer Bürger zu Verkehr und Umwelt ist gespalten. Einerseits hat man sich an die Mobilität durch das Auto und das Flugzeug gewöhnt, hält den Wohlstand, der aus der Arbeitsteilung erwächst, für selbstverständlich und will sich in seiner Beweglichkeit nicht einschränken. Andererseits erschallt von allen Seiten - so auch heute in unserer Debatte - der Ruf nach der Bahn, die als wahrer Tausendsassa für alles gut sein soll, vom ÖPNV in den Städten bis zur Erschließung des flachen Landes, von der Entlastung der Autobahnen nach dem Motto „Güter gehören auf die Bahn" bis zum Ersatzverkehr für die innerdeutschen Flüge der Lufthansa. Dies alles, liebe Kollegen, ist aber keine Strategie, sondern ein Wunschzettel. Wer dies fordert, ist kein Freund der Bahn, sondern verhindert die Konzentration auf die Aufgaben, die die Bahn besser erfüllen kann als andere Verkehrsträger. Zu all dem gehören aber nicht nur Worte, sondern - wie bei allen Verkehrswegen - vor allem Investitionen. Ohne eine gewaltige Kraftanstrengung, bei der versucht werden muß, öffentliches und privates Kapital zum Bau von Schnellbahnstrecken, Alpentransversalen, Güterverkehrszentren, Ortsumgehungen und nach wie vor auch Fernstraßen zu mobilisieren, wird es nicht gehen. Die Regeln des Marktes führen dazu, daß knappe Güter teuer werden; auch darauf wurde heute schon mehrmals eingegangen. In der Bundesrepublik und im vereinten Deutschland, sicherlich auch im europäischen Binnenmarkt, werden die saubere Umwelt und die Infrastruktur kein freies Gut sein. Selbstverständlich werden wir im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit und der Gewerbefreiheit die Märkte öffnen. Gleichzeitig aber muß die Verkehrspolitik für die Nutzer der Infrastruktur marktgerechte Preise fordern. Die Straßenbenutzungsgebühr nach dem Territorialitätsprinzip ist, auch wenn sie jetzt vor Gericht gescheitert ist, ein richtiger Ansatz, genauso wie die Abschaffung der heutigen Kraftfahrzeugsteuer und die Umstellung auf die Besteuerung nach der Umweltbelastung durch Abgase und Lärm. Wir begrenzen und verteuern dadurch die Umweltbelastung und erreichen eine optimale Nutzung der Verkehrsinfrastruktur, ohne die Wettbewerbsverhältnisse zu verzerren. Ein einheitlicher Binnenmarkt kann keine Kraftfahrzeugsteuern gebrauchen, die um mehrere 100 % voneinander abweichen. ({2}) Deshalb muß das jetzt erreichte Harmonisierungsziel der Besteuerung auf mittlerem EG-Niveau beibehalten bleiben. Die Gesamtsumme der gleichermaßen für deutsche wie für ausländische Lkw zu zahlenden verkehrsspezifischen Steuern und Abgaben wird an den Investitionen zu messen sein, die als komplementäre staatliche Aufgaben in den nächsten Jahren auszuführen sind. Es ist nicht einfach, aber durchaus möglich, die wirtschaftlichen Vorteile eines liberalen, de-regulierten europäischen Verkehrsmarktes mit unseren Zielen des Umweltschutzes und der Energieeinsparung in Übereinstimmung zu bringen. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, ich bedanke mich ausdrücklich für Ihre Hilfe. - Herr Abgeordneter Kretkowski, Sie haben das Wort.

Volkmar Kretkowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die europäische Verkehrspolitik steht vor der Aufgabe, sich den Impulsen des künftigen EG-Binnenmarktes ab 1993, der mit einem steigenden Umfang von Handel und Verkehr verbunden ist, zu stellen, die Chancen zu nutzen und wohlüberlegte Schritte zur Begrenzung der Risiken in Zukunft zu wagen. Nationaler Egoismus oder Kirchtumspolitik aus nationaler Sicht sind nicht mehr gefragt; denn die Produktion wird sich international, die Märkte werden sich global entwickeln. Um diese Probleme zu lösen und diesen Herausforderungen gerecht zu wer17666 den, bedarf es einer gemeinsamen großen Anstrengung. Hier ist schon mehrfach die Gemeinsamkeit in der Verkehrspolitik angesprochen worden. Ich möchte mich dafür an dieser Stelle bedanken, aber auch hinzufügen, daß wir Sie, die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen, in vielen Initiativen und Aktivitäten geradezu haben tragen müssen. Das gilt sowohl für die Trennungsrechnung wir für die Schwerverkehrsabgabe. ({0}) In anderen Fragen, meine Damen und Herren, haben wir Ihnen Korsettstangen einbauen müssen, und zwar nicht deshalb, weil Sie selbst von der Sache nicht überzeugt gewesen wären, sondern weil wir Sie gegen Widerstände in Ihren eigenen Reihen stützen mußten, gegen Widerstände, die zum Teil bis zum heutigen Tage andauern. Man muß aber auch sagen, daß Sie in vielen Fragen, in denen wir im Verkehrsausschuß, in der Verkehrspolitik gemeinsame Positionen bezogen haben, in Ihren eigenen Reihen gegenüber der Bundesregierung gescheitert sind. Dafür drei Beispiele: Erstens ein Satz zum Thema „ÖPNV": Allein die Plafondierung, die Sie gegen unsere Stimmen, übrigens wider besseres Wissen, in Ihren eigenen Reihen beschlossen haben, erfordert Milliardenbeträge vom ÖPNV. Diese Mittel werden in andere Bereiche hineintransferiert, wo sie nach unserer Überzeugung weniger notwendig sind. Das gilt auch für das zweite Beispiel, die Bahnpolitik. Wenn Sie hier die Erfolge der Deutschen Bundesbahn als Ihre Erfolge feiern, muß ich Ihnen sagen: Die Wahrheit ist doch, daß der Bahnvorstand unter der Führung des jetzt ausgeschiedenen Herrn Gohlke diese Erfolge aufzuweisen hat, obwohl Sie regiert haben, nicht weil Sie regiert haben. ({1}) Wenn Sie jetzt dabei sind - vielleicht wird das ja nicht der Fall sein, weil es am Widerstand der FDP scheitert - , gar noch Beamte zum Vorstand der Bahn zu machen, dann machen Sie den Bock zum Gärtner. Diejenigen, die der Bahn in der Vergangenheit die Knüppel in den Weg gelegt haben, sind nicht dazu berufen, Bahnvorstand zu spielen. ({2}) Meine Damen und Herren, wenn Sie hier auf einen Teil eines Interviews des GdED-Vorsitzenden verwiesen haben, dann muß ich Sie auf einen anderen Teil dieses Interviews aufmerksam machen, wo er sagt: Deshalb ist es dringend nötig, daß die Bahn von ungerechtfertigten Kosten und Nachteilen gegenüber den Wettbewerbern, etwa dem Bau und der Unterhaltung des Schienennetzes, entlastet wird. Tatsächlich aber macht der Bundesverkehrsminister das Gegenteil und senkt die Steuern für Lastkraftwagen, obwohl die Schwerverkehrsabgabe gestoppt ist. ({3}) Das macht es der Bahn noch schwerer. Auch seine Forderung nach weiteren Kostensenkungen wird dazu führen, daß das Angebot der Bahn weiter gesenkt und die Investitionen heruntergefahren werden müssen. Das Ergebnis dieser Politik ist, daß die Bahn nicht etwa die ökologische Alternative zum umweltschädlichen Straßenverkehr, sondern immer unattraktiver wird. So haben Bahn und Umwelt keine Zukunft. Das ist die ganze Wahrheit, Herr Kollege Fischer. ({4}) Meine Damen und Herren, das dritte Beispiel: Was die europäische Verkehrspolitik angeht, stehen Sie nach dem Urteil im Grunde genommen vor dem Scherbenhaufen Ihrer Politik. Wir haben Ihnen immer gesagt: Sie kommen mit der Schwerverkehrsabgabe zu spät. Leider haben wir recht gehabt. Sie haben noch heute kein Konzept zur Steuerung der Verkehrsströme in der Bundesrepublik und in Europa. Das ist auch in dieser Debatte wieder deutlich geworden. Die Folgen sind verheerend: noch mehr ausländische Lkw auf unseren Straßen. Staus und Staugefahren nehmen weiterhin zu. Sie verlagern zusätzliche Verkehre von der Schiene wieder zurück auf die Straße. Der Steuerzahler zahlt am Ende die Zeche. Die Lkw-Lawine, die jetzt in Brüssel losgetreten wird, schüttet die Kapazitäten unseres Fernstraßennetzes fast völlig zu. Fahr- und Transportleistungen werden immer größer und sind immer weniger kalkulierbar. Mit anderen Worten: Nicht nur Umweltschäden und die Belastungen für die Menschen nehmen dramatisch zu, sondern auch die Risiken für die Wirtschaft in der Bundesrepublik. Sie haben immer wieder von einem Gleichklang von Harmonisierung und Liberalisierung bzw. Deregulierung gesprochen. In Wirklichkeit haben Sie eine rigorose Deregulierungspolitik in der Bundesrepublik und in Europa zugelassen. Man muß fragen: Was sind eigentlich die Versprechungen der Bundesregierung und des Bundeskanzlers wert? Die Versprechungen erinnern in fataler Weise an die jetzigen Beteuerungen in Sachen Steuererhöhungen. Meine Damen und Herren, Ihre gescheiterte Verkehrspolitik müßte Sie eigentlich zum Offenbarungseid veranlassen. Tatsächlich aber versuchen Sie nun, diese Politik in die DDR zu transferieren. ({5}) Ihre Antworten zu den Fragen der Promillegrenze, der Geschwindigkeitsbeschränkung und des Vorrangs von Schiene oder Straße zeigen, daß Sie nichts hinzugelernt haben und - das wird aus Ihren Ausführungen wieder deutlich - auch nichts hinzulernen wollen. Die wirklich schwierige Gesamtsituation in der DDR verlangt mehr noch als in der Bundesrepublik ein integriertes Gesamtverkehrskonzept mit einem übergreifenden Verkehrsinfrastrukturkonzept. Statt dessen stopfen Sie das eine Loch, indem Sie an anderer Stelle ein neues Loch aufreißen. Wie wollen Sie aber westdeutsche oder ausländische Unternehmer ermutigen, in der DDR zu investieren, wenn Sie nicht in der Lage sind, die notwendige Infrastruktur kurz- und mittelfristig zur Verfügung zu stellen? ({6}) Mit Ihrer Politik fördern Sie nicht die wirtschaftliche Entwicklung in der DDR, allenfalls den Ausverkauf. Wir, die Sozialdemokraten, wollen eine sinnvolle Aufgabenverteilung zwischen den Verkehrsträgern und eine Vernetzung der Verkehrsträger miteinander erreichen. Wir wollen Verkehrssysteme fördern, die umweltverträglich, sicher, energiesparend und modern sind. Wir wollen im Interesse der Menschen Grenzen für die übermäßige Ausdehnung und Vermehrung des Verkehrs setzen. Wir wollen gemeinsame Regeln für den Straßenverkehr entwickeln, der Sicherheit und der Umwelt zuliebe. Meine Damen und Herren, stellen Sie Ihre ideologischen Bedenken zurück! ({7}) Helfen Sie mit, gemeinsam die Probleme zu lösen, damit die Bürger in unserem Land ohne schlechtes Gewissen leben können. ({8})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat der Abgeordnete Jung ({0}) das Wort.

Michael Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001039, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bereits mehrfach sind in der heutigen Debatte die neue Situation in der Verkehrspolitik und die dadurch auftretenden Herausforderungen angesprochen worden. Stichworte dabei sind die Vollendung des EG-Binnenmarktes 1993 und die Öffnung der Grenzen im Osten Europas. Dies wird zu ganz erheblichem Wachstum führen und zusätzliche Probleme der Kapazität insbesondere im Bereich des Straßen- und des Luftverkehrs aufwerfen. Die Bundesrepublik ist wegen ihrer zentralen Lage in Europa davon besonders betroffen. Bisher haben aber weder das öffentliche Bewußtsein noch die Finanzpolitiker die neue Dimension dieser Herausforderung ausreichend aufgenommen. Wenn es nicht gelingt, die Problematik ausreichend bewußt zu machen und in einer großer Koalition der Verkehrspolitiker zusätzliche Mittel zu erhalten, wird die Situation im Verkehrssektor nicht mehr zu bewältigen sein. ({0}) Wichtig dabei ist die Konzeption einer integrierten Verkehrspolitik. Die Verteufelung einzelner Verkehrsträger ist dabei der falsche Weg. ({1}) Jeder hat seine unterschiedlichen Vorteile und seine Aufgaben. Noch nicht ausreichend ist dabei die Zusammenarbeit. Ich will dies am Beispiel der Schiene und des Luftverkehrs deutlich machen. Um die dringend notwendige Entlastung des innerdeutschen Luftverkehrs zu erreichen, ohne den Verkehr zusätzlich auf die Autobahnen zu verweisen, bedarf es der Einrichtung schneller Zugverbindungen. Der Schnellbahnverbindung Köln - Frankfurt kommt dabei eine zentrale Rolle zu. ({2}) - Sehr richtig erkannt, Herr Kollege Jobst, selbst aus der bayerischen Entfernung: über Limburg. An dieser Stelle kann ich mir einen Vorwurf an die Adresse der GRÜNEN nicht ersparen. Wer wie sie den innerdeutschen Luftverkehr verbieten will, muß dafür Alternativen anbieten, die ebenso schnell, sicher und bequem sind. Allein mit der Negation des innerdeutschen Luftverkehrs und der schnellen Zugverbindungen sind die Probleme aber nicht lösbar und ist der zusätzliche Verkehr nicht zu bewältigen. ({3}) Das gilt im übrigen auch für die SPD, die in diesem Punkt eine Doppelstrategie verfolgt. Der Kollege Daubertshäuser - er ist jetzt nicht mehr anwesend - hat hier verkündet, daß die Bahn gestärkt werden müßte. Aber Untergliederungen seiner Partei erheben überall vor Ort gegen die neuen Zugverbindungen, gegen die neuen Trassenmaßnahmen Einspruch. Das ist die Wirklichkeit vor Ort: eine gespaltene Zunge und eine Doppelstrategie, wie wir sie auch auf anderen Feldern von der SPD kennen. ({4}) Auch die Lufthansa und die Flughäfen haben in der Zwischenzeit eingesehen, daß eine Verzahnung von Schienen- und Luftverkehr dringend erforderlich ist. Ich nenne als Beispiel die Ausdehnung des Einsatzes des „Airport-Express'' . Mit um so mehr Nachdruck muß dafür Sorge getragen werden, daß der Flughafen München II eine nationale Schienenanbindung erhält. Die früheren Planungen hierfür sind absolut unzureichend und unzulänglich. Der Luftverkehrsmarkt ist ein Wachstumsmarkt par excellence. Während noch 1967 13 Millionen Passagiere befördert wurden, stieg die Zahl auf 56 Millionen im Jahre 1989. Für dieses Jahr sagt die Prognose rund 60 Millionen Passagiere voraus. Einen zusätzlichen Wachstumsschub werden der europäische Binnenmarkt und das Bedürfnis der Bürger der ehemaligen DDR bringen, Auslandsurlaub zu verleben. Schätzungen gehen sogar von einer Verdoppelung des gewerblichen Luftverkehrs für das Jahr 2000 gegenüber dem Jahr 1986 aus. Diese Ausweitung bedingt auch eine notwendige Anpassung der Infrastruktur des Luftverkehrssystems. In diesem Zusammenhang stellt sich z. B. auch die Frage eines neuen Flughafens in Berlin, da die vorhandenen in Tegel und Schönefeld nur begrenzt ausbaubar sind. Dringend erforderlich sind intelligente und umweltschonende Lösungen modernster Technik zur besseren Verkehrsflußsteuerung. In der Flugsicherungstechnik ist das Investitionsvolumen verdoppelt worden. In dem Zeitraum von 1990 bis 1992 sollen etwa 700 Millionen DM aufgewandt werden, um nahezu alle technischen Systeme auf den neuesten Stand zu bringen. Darüber hinaus ist die grundlegende Refor17668 Jung ({5}) mierung der Flugsicherung erforderlich. Das vom Bundestag verabschiedete GmbH-Modell ermöglicht größere Attraktivität und Motivation für das Personal sowie notwendige Handlungsspielräume bei den Investitionen. ({6}) Auch die sich aus der Verfassung ergebenden staatlichen Eingriffsrechte bleiben gewährleistet. Nachdem dieses Gesetz mit übergroßer Mehrheit im Bundestag verabschiedet wurde und jetzt beim Bundespräsidenten liegt, ist es sicher im Interesse des ganzen Hauses, wenn ich diesen darum bitte, nach seiner Überprüfung alsbald zu einer positiven Entscheidung zu kommen. ({7}) Notwendig, meine Damen und Herren, ist auch die europäische Zusammenarbeit. Ich erinnere an die Verkehrsflußsteuerungszentrale in Brüssel und an den Weg zu einer integrierten Flugsicherung in Europa. 1991 sollen die fünf Kontrollzentralen in Maastricht, Amsterdam, Brüssel, Bremen und Düsseldorf durch Hochleistungsdatennetze zu einer grenzüberschreitenden leistungsfähigen Funktionseinheit zusammengefaßt werden. Auch die Flughäfen müssen noch besser kooperieren. Es ist erforderlich, die Verkehrsströme gleichmäßiger auf die bestehenden Flughäfen zu verteilen. Besondere Fortschritte sind auch beim Einsatz modernster Technik zur Reduzierung von Lärm und Abgasen der Flugzeuge erzielt worden. Hier gilt es weiterzuarbeiten. Die Verkehrspolitik verlangt intelligente Lösungen. Steuererhöhungen wie z. B. bei der Benzinpreisgestaltung, wie dies von der SPD verlangt wird, sind ein falscher und ein einfallsloser Weg. ({8}) Gefragt sind eine bessere Kooperation der Verkehrsträger, die Anwendung modernster Technologien, die Heranziehung zusätzlicher Finanzmittel und eine verbesserte Zusammenarbeit aller im Verkehrsbereich Tätigen. Herr Präsident, nachdem ich jetzt zwei Minuten geschenkt habe, will ich abschließend besonders die Zuhörerinnen und Zuhörer grüßen, insbesondere deshalb, weil eine Gruppe meines Freundes und Namensvetters Jung dort oben sitzt. Vielen Dank. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zum Tagesordnungspunkt 7 a) bis f). Der Ältestenrat schlägt Ihnen die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 11/5022, 11/5097, 11/5417, 11/5611, 11/6729 und 11/7113 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. - Widerspruch erhebt sich nicht. Dann darf ich das als beschlossen feststellen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 7 g) und stimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/447 - Mitteilung der Kommission an den Rat betr. Geschwindigkeitsbegrenzung in der Gemeinschaft - ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 7 h), nämlich zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf der Drucksache 11/5240 betr. Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit im Innerortsbereich. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/2717 abzulehnen. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses, den Antrag der GRÜNEN abzulehnen, mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen worden. Ich komme zu Tagesordnungspunkt 7 i). Es geht um die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/5270 betr. Lärmschutz an Bundesstraßen. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/2698 abzulehnen. Wer dieser Ausschußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung des Ausschusses mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie eben angenommen worden. Wir kommen nunmehr zu Tagesordnungspunkt 7 j) und stimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/5328 betr. Maßnahmen gegen überhöhte Geschwindigkeiten durch Lastkraftwagen ab. Der Ausschuß empfiehlt auch hier, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4419 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zu folgen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung des Ausschusses mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 7 k), zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/5736. Es geht hier um den Verkehr am Oberrhein. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3863 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung folgen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung des Ausschusses mit den Stimmen der SPD-Fraktion, der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen worden. Wir stimmen nunmehr zu Punkt 71) über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/6878 ab. Es handelt sich um die Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung. Auch hier empfiehlt der Ausschuß, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5326 abzuleh- Vizepräsident Cronenberg nen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden. Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 7 m), zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/7078 zur Herabstufung von Bundesfernstraßen entsprechend der Bundesrechnungshofkritik. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 11/4414 abzulehnen. Wer dieser Ausschußempfehlung folgen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine. Dann ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der SPD-Fraktion, der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion angenommen worden. Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 7 n) und stimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/7079 ab. Es geht um die Gefährdung der Sicherheit auf dem Nord-Ostsee-Kanal durch die Erweiterung der Befreiung von der Lotsenannahmepflicht. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5278 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung folgen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/7079 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden. Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 7 o), zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/7080. Es geht um die legislative Entschließung des Europäischen Parlaments zum zulässigen Blutalkoholgehalt von Kraftfahrern. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden. Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 7 p) und stimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/7172 zu einem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zum grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der SPD-Fraktion, der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden. Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 7 q), zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/7173 zu zwei legislativen Entschließungen des Europäischen Parlaments zum Verkehrsrecht. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen worden. Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 7 r) und stimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/7315 zum Vorschlag für eine gegenseitige Akzeptierung der Befähigungszeugnisse in der zivilen Luftfahrt ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen worden. Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 7 s). Es handelt sich um die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/7360 zum Memorandum der Kommission für den Rat über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf den Luftverkehr. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden. Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 7 t). Es handelt sich um die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/7361 zur Änderung der Richtlinie über die technischen Merkmale bestimmter Straßenfahrzeuge. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Wer ist dagegen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden. Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 7 u) und stimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/7410 zum Bericht der Bundesregierung über den öffentlichen Personennahverkehr in der Fläche ab. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 7 v). Es handelt sich um die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/7411. Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt, den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6662 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung folgen will, möge die Hand erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Fraktion der SPD und gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden. Meine Damen und Herren, damit können wir in die vierminütige Mittagspause eintreten. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt. Ich bedanke mich für Ihre Geduld. Die Sitzung ist unterbrochen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt. Wir treten in die Vizepräsident Stücklen Fragestunde - Drucksache 11/7814 ein. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung steht uns Herr Staatsminister Dr. Stavenhagen zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Jäger auf: Haben bundesdeutsche Sicherheitsbehörden ({0}) Erkenntnisse darüber, ob zahlreiche ehemalige STASI-Mitglieder in der DDR im Besitz privater Waffen und von Waffenscheinen sind und daß sich solche ehemaligen STASI-Mitglieder zu bewaffneten Zusammenkünften in Wäldern und an ähnlichen abgelegenen Orten treffen, um eine schlagkräftige Untergrundorganisation aufzubauen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Jäger, der Bundesregierung liegen keine Anhaltspunkte darüber vor, ob und wie viele ehemalige Mitarbeiter des MfS noch im Besitz von dienstlichen oder privaten Schußwaffen sind. Der dienstliche Schußwaffenbesitz war nicht an Waffenscheine gebunden. Ob die genannten Personen private Waffenscheine haben, ist hier nicht bekannt. Es gibt zwar einzelne Hinweise aus der Zeit vor den Wahlen vom 18. März in der DDR, daß ehemalige MfS-Angehörige versucht haben sollen, sich im Untergrund zu gruppieren mit dem Ziel, bei sich bietender Gelegenheit die alte Ordnung wiederherzustellen. Erkenntnisse über bewaffnete Zusammenkünfte und über den Aufbau einer schlagkräftigen Untergrundorganisation liegen hier aber nicht vor.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, bitte.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, heißt das, daß die Bundesregierung auch nichts darüber weiß, was sich an derartigen bewaffneten Zusammenkünften z. B. in der Kolbitzer Heide in der Nähe von Stendal in der Altmark zugetragen hat, oder darüber, daß es in der Gaststätte „Zum Stapelkrug" in der Gemeinde Dolle derartige bewaffnete Zusammenkünfte gegeben hat, die von Augenzeugen beobachtet worden sind?

Not found (Gast)

Herr Kollege, Erkenntnisse darüber liegen uns nicht vor. Ich verweise auf das, was ich gestern in der Aktuellen Stunde erklärt habe: daß wir nämlich die Aufklärung in der DDR mit nachrichtendienstlichen Mitteln im Frühjahr dieses Jahres eingestellt haben. Deswegen sind die Erkenntnisse, die wir haben, durch Informanten, Überläufer und ähnliches, gewonnen, aber sie sind sporadisch und zufällig und nicht flächendeckend.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfrage, bitte.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, über das noch bestehende Innenministerium der DDR Nachforschungen in dieser Richtung anzustellen, damit derartigen Umtrieben, wenn sie tatsächlich so stattfinden, notfalls Einhalt geboten werden kann?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung wird dem nachgehen und die Anregung auf greif en.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Huyn.

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es für die innere Sicherheit gefährlich sein kann, wenn es zwischen der Zeit, in der die Aufklärung der Bundesnachrichtendienst übernommen hat, und der Zeit, in der das der Bundesverfassungsschutz übernehmen wird, eine solche Lücke an Aufklärungsmöglichkeiten gibt?

Not found (Gast)

Herr Kollege, es ist sicher richtig, daß es hier eine Lücke abnehmender Informationen gibt. Aber das hatten wir mit dem abzuwägen, was politisch geboten ist. Politisch war geboten, daß wir mit den ersten freien Wahlen in der DDR am 18. März die Aufklärung mit nachrichtendienstlichen Mitteln einstellen. Nach dem Tag der deutschen Einheit sind die Zuständigkeiten klar geregelt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Damit ist dieser Geschäftsbereich abgeschlossen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesminister der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Wimmer zur Verfügung. Ich rufe die Frage 15 des Herrn Abgeordneten Reuter auf: Welche Pläne oder Vorstellungen hat die Bundesregierung hinsichtlich der von den Amerikanern angekündigten Truppenreduzierungen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege Reuter, die Bundesregierung begrüßt die von der amerikanischen Seite angekündigte Truppenreduzierung auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Der Abzug eines großen Teils amerikanischer Truppen ist ein deutliches Zeichen der Abrüstungsanstrengungen in Europa. Die Pläne und Vorstellungen der Bundesregierung hinsichtlich des mit der Truppenreduzierung verbundenen Abzugs von amerikanischen Truppen decken sich mit den von den betroffenen Bundesländern entwickelten Kriterien, erstens den Truppenabbau auch struktur- und sozialpolitisch so verträglich wie möglich zu gestalten, zweitens Ballungsräume vorzeitig und vorrangig zu entlasten, drittens vor allem solche Liegenschaften frei zu bekommen, die zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Infrastruktur, der städtebaulichen Entwicklung, der Wohnbebauung oder Wohnungsversorgung beitragen könnten, viertens besondere Belastungen der Bevölkerung zu berücksichtigen. Die frei werdenden Liegenschaften werden alsbald einer zivilen Nutzung zugeführt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage.

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, mich würde interessieren, ob die Bundesregierung auch bereit ist, den Flugplatz Erlensee in diese Überlegungen miteinzubeziehen, um sicherzustellen, daß die unerträgliche Belastung der Bevölkerung dort abgestellt wird.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege Reuter, es wird bei all diesen Dingen so sein, daß wir in einem sehr engen Kontakt mit den regional VerantwortliParl. Staatssekretär Wimmer chen, d. h. den Landräten, den insoweit betroffenen regional Verantwortlichen, aber auch den jeweiligen Landesregierungen, vorgehen, d. h. auch die Interessenlagen aufeinander abstimmen. Wir führen mit allen Bundesländern den Dialog in dieser Form, weil es darauf ankommt, die Auswirkungen des Abzugs alliierter Verbände regionalpolitisch ordentlich zu gestalten - soweit es geht. Deswegen kann man im Prinzip hinsichtlich jedes Standortes sagen, daß wir nicht nur die Interessenlagen der jeweiligen Landesregierungen einholen, sondern mit ihnen gemeinsam beraten, wie es weitergehen soll. Was für die Landesregierungen gilt, gilt natürlich im Prinzip auch für die regional Verantwortlichen unterhalb der Ebene einer Landesregierung.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfrage, bitte.

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, liegen der Bundesregierung neuere Erkenntnisse über die Reaktivierungspläne der Amerikaner bezüglich des Flugplatzes Wiesbaden-Erbenheim vor?

Not found (Staatssekretär:in)

Die Sachverhalte, die hier vorliegen, sind im Deutschen Bundestag seit geraumer Zeit diskutiert worden. Ich kann nur sagen: Andere Dinge sind nicht zu meiner Kenntnis gekommen. Ich nehme jetzt Ihre Frage aber gerne auf, um dabei noch etwas sicherer zu sein. Für den Fall, daß es neue Erkenntnisse geben sollte, werde ich sie Ihnen in der gewohnten Weise zur Verfügung stellen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weitere Zusatzfrage zu Frage 15. Ich rufe Frage 16 des Herrn Abgeordneten Reuter auf: Ist die Bundesregierung bereit, ihren Einfluß dahin gehend geltend zu machen, daß durch den Abzug von Einrichtungen der amerikanischen Armee die militärische Belastung z. B. des Main-Kinzig-Kreises reduziert wird?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege Reuter, die amerikanische Regierung hat dem Wunsch der Bundesregierung entsprochen, die mit der geplanten amerikanischen Truppenreduzierung verbundene Stationierungsanpassung in einem Konsultationsverfahren mit der deutschen Seite zu erörtern. Die Bundesregierung hat sichergestellt, daß die betroffenen Bundesländer Gelegenheit hatten, ihre Vorschläge in den Konsultationsprozeß einzubringen. Die Entscheidung, welche Anlagen oder Einrichtungen als erster Schritt im Zuge der zu erwartenden amerikanischen Truppenreduzierung letztlich aufgegeben werden, liegt ausschließlich bei der amerikanischen Regierung. Die Entscheidung wird in Kürze erwartet.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, bitte.

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, dazu folgende Frage: Wenn es in dem Bereich Hanau/Gelnhausen zu diesen Truppenreduzierungen kommt, die ja von der Bevölkerung gewünscht werden, werden davon etwa 1 100 Zivilbeschäftigte der amerikanischen Truppen dort betroffen. Hat die Bundesregierung Überlegungen angestellt, mit welchen geeigneten Maßnahmen sie dann den dort von dem Truppenabzug betroffenen Beschäftigten helfen will?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege, eine so präzise Frage, bezogen auf einen Standort, ist für mich schwer zu beantworten. Wenn wir uns so verständigen können, daß wir für diesen in der ursprünglichen Frage nicht angegebenen Einzelfall gemeinsam überlegen, welche Detailbereiche dabei zu bedenken sind, biete ich Ihnen gerne dieses Gespräch an. Im Grundsatz kann ich Ihnen zu diesen Fragen insgesamt sagen, daß wir in Anbetracht der mit der Truppenreduzierung anstehenden Gesamtproblematik natürlich auch die Sozialverträglichkeit besonders im Auge haben und dabei auch mit den ebenso zuständigen Landesregierungen und sonstigen Einrichtungen eng zusammenarbeiten, um eine Anpassungsmaßnahme, die über mehrere Jahre gehen wird, entsprechend zu gestalten. Von daher empfinden wir es für uns als Aufgabe, zu einer sozialverträglichen Lösung beizutragen. Bezogen auf den speziellen Standort kann ich sagen: Wenn die Entscheidungen getroffen sind, dann kann ich Ihnen und den Kollegen, die ähnliche Fragen haben, nur das Gespräch anbieten.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage.

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Wimmer, wenn es zu Truppenreduzierungen kommt und das geschieht, was in unserem heimatlichen Raum geplant ist, daß nämlich dort die Amerikaner die François-Kaserne freigeben und auch in Gelnhausen die Kasernen freigeben werden, dann wird das Gelände verfügbar. Ist die Bundesregierung bereit, dieses Gelände kostenlos oder zu Vorzugspreisen an die Standortgemeinden abzugeben als Ausgleich dafür, daß die Bürgerinnen und Bürger dieser Gebiete über Jahre hinweg die enorme Belastung durch das Militär zu ertragen hatten?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege Reuter, wir können heute an dieser Stelle nicht die Konditionen aushandeln; so haben Sie auch nicht gefragt. Ich sage das nur einmal, um deutlich zu machen, daß wir hier noch einen Prozeß vor uns haben; ich kann Ihnen in Anbetracht der Festlegungen mit der amerikanischen Seite jetzt nicht die Frage beantworten, ob die von Ihnen angesprochenen Standorte zur Verfügung gestellt werden. Ich gehe aber davon aus, daß wir auch in diesem Fall das ganz normale Verfahren praktizieren werden. In Anbetracht der Freigabe von alliierter Seite genutzter Grundstücke werden wir zunächst einmal die Fragestellung an den Verteidigungsminister bekommen, ob wir derartige Anlagen auf Dauer zu nutzen gedenken. In Anbetracht der von uns beiden festgestellten erfreulichen Situation in Europa können wir davon ausgehen, daß viele der heute zur Verfügung gestellten Geländeflächen für eine militärische Nutzung nicht mehr in Frage kommen. Dann werden wir uns in Anbetracht der von uns beabsichtigten weiteren guten Zusammenarbeit mit den Städten und Gemeinden kooperativ verhalten. Das ist mit Sicherheit ein Vorgehen, auf das wir uns heute verständigen können.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfragen? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter Catenhusen.

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß bislang noch eine Anweisung des Bundesfinanzministeriums gültig ist, nach der solche freiwerdenden Flächen zum vollen Verkehrswert veräußert werden sollen?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege, ich bin gerne bereit, diese Frage an den zuständigen Kollegen des Finanzministeriums weiterzugeben. ({0}) - Ich bin dafür nicht zuständig, Herr Kollege.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schulte.

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß wir uns an die Bundeshaushaltsordnung halten müssen, wenn militärische Liegenschaften nicht mehr für eine solche Nutzung zur Verfügung stehen?

Not found (Staatssekretär:in)

Das wird eine Aufgabenstellung sein, auf die der Bundesfinanzminister rechtzeitig sein besonderes Augenmerk legen wird. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfragen? - Keine. Damit ist dieser Geschäftsbereich abgeschlossen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Zur Beantwortung steht uns kein Vertreter der Bundesregierung zur Verfügung. Auch der Fragesteller, Herr Schmude, ist nicht im Saal. Es wird entsprechend der Geschäftsordnung verfahren. ({0}) Der Abgeordnete Dr. Feldmann wünscht eine schriftliche Beantwortung. Die Antwort auf seine Fragen 21 und 22 wird als Anlage abgedruckt. Ist der Abgeordnete Antretter im Plenum? - Das ist auch nicht der Fall. Es wird entsprechend der Geschäftsordnung verfahren. Ich möchte aber zur Erläuterung sagen, daß die zuständigen Vertretèr der Bundesregierung durch die Verschiebung der Termine nicht da sind, weil sie der Auffassung sind, daß dieser Aufruf zur späteren Zeit erfolgt. Dies gilt vermutlich auch für die Abgeordneten. Deshalb würde ich die Nichtbehandlung dieses Geschäftsbereichs in der Fragestunde als entschuldbar ansehen. Zur Geschäftsordnung, Frau Roitzsch.

Ingrid Roitzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001877, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Ich darf darauf hinweisen, daß der Vertreter der Bundesregierung deshalb nicht da ist, weil es mit den fragenden Kollegen abgesprochen ist, daß diese Fragen jetzt nicht aufgerufen werden sollen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Es ist sehr interessant, daß Sie mir das mitteilen. Es hätte aber nichts geschadet, wenn auch mir das vorher gesagt worden wäre. Nun komme ich noch einmal auf den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung zurück, auf die Fragen 17 und 18 des Abgeordneten Scharrenbroich. Diese beiden Fragen sind vom Fragesteller zurückgezogen worden. Damit ist dieser Geschäftsbereich erledigt. Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Die Fragen 36 und 37 werden auf Wunsch der Fragestellerin, der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Gansel wird auf Grund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Damit ist die Fragestunde zu Ende. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 8 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Antretter, Baum, Brück, Dr. Feldmann, Gallus, Frau Ganseforth, Gansel, Frau Garbe, Gries, Häfner, Frau Hämmerle, Frau Dr. Hellwig, Dr. Hirsch, Frau Hoffmann ({0}), Hoyer, Irmer, Kohn, Kolbow, Frau Kottwitz, Kühbacher, Dr. Lippelt ({1}), Lowack, Lüder, Lutz, Dr. Nöbel, Dr. Soell, Frau Dr. Sonntag-Wolgast, Dr. Thomae, Toetemeyer, Frau Unruh, Frau Vennegerts, Voigt ({2}), Frau Walz, Zywietz zum Thema Erkenntnisse und Konsequenzen aus den erkennbaren illegalen Waffen- und Industrieexporten in den Irak und in andere Krisenregionen Die Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Antretter, Baum und weitere Abgeordnete haben gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem vorstehenden Thema verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller.

Albrecht Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001543, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als in den 80er Jahren Meldungen und Photos über den mörderischen Giftgaseinsatz des irakischen Militärs gegen Kurden und Iraner durch die Presse liefen, da gab es in den westlichen Ländern Bedauern und auch Protest. Aber es gab kein Waffenembargo, und es gab kein nachhaltiges Nachdenken darüber, woher das Giftgas für diese Einsätze stammen könnte. Heute, da die Gefahr besteht, daß sich die von uns gelieferten tödlichen Waffen auch gegen uns und unsere Freunde wenden könnten, wachen wir auf und sind erstaunt darüber, was wir damit angerichtet haben. Jetzt plötzlich kennt und nennt die Regierung Fakten. Der Herr Bundeswirtschaftsminister - auf der Regierungsbank ist auch keiner da - Muller ({0}) ({1}) - Dann rede ich einfach ein bißchen länger. Vielleicht kommen sie dann in der Zwischenzeit noch. ({2}) - Also, dann sage ich in aller Kürze einmal das, was der Herr Bundeswirtschaftsminister im Wirtschaftsausschuß dazu vorgetragen hat. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Einen Augenblick! - Herr Abgeordneter Müller, Sie haben das Wort.

Albrecht Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001543, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. - Meine Kollegin - ({0}) - Machen wir eine Pause, Herr Präsident?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Müller, das Problem ist: Die Tagesordnung ist durcheinandergekommen. Dieser Punkt ist vorgezogen worden. Deshalb sind die Minister und auch soundso viele Abgeordnete nicht rechtzeitig informiert, die sich zu Wort gemeldet haben. Ich übrigen rechne ich die Zeit, die ich spreche, nicht an, Herr Abgeordneter Müller. Aber die vier Minuten müssen wir erst einmal noch ablaufen lassen. Dann können wir uns darüber unterhalten, ob wir aussetzen und die Bundesregierung verständigen, daß wir im Parlament schon weiter sind, als die Bundesregierung das vermutet.

Albrecht Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001543, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, mich hat die Nachricht, daß die Fragestunde heute ganz kurz sein wird, gestern schon erreicht. Ich hätte eigentlich annehmen können, daß sie den Herrn Bundeswirtschaftsminister auch rechtzeitig erreicht. ({0}) Im übrigen fände ich es ganz gut, wenn auch -

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Müller, ich bin gern bereit, Ihnen auch die Redezeit, die Sie bisher verbraucht haben, nicht anzurechnen, wenn der Wunsch besteht, daß wir so lange aussetzen, bis ein Vertreter der Bundesregierung anwesend ist. ({0})

Albrecht Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001543, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich denke, das ist vernünftig, Herr Präsident.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Denn, Herr Abgeordneter Müller, Sie sprechen ja insbesondere die Bundesregierung an. Daher haben Sie natürlich ein Anrecht darauf, daß die Bundesregierung hier auch vertreten ist.

Albrecht Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001543, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Damit die Schuld nicht allein bei der Bundesregierung -

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Müller, jetzt müssen Sie aber abbrechen. - Danke schön. Meine Damen und Herren, es ist von einer Fraktion beantragt worden, daß wir die Sitzung so lange unterbrechen, bis die Bundesregierung in der Lage ist, den zuständigen Minister hier ins Parlament zu entsenden und dem Souverän Rede und Antwort zu stehen. Die Sitzung ist unterbrochen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt. Ich möchte zur Erläuterung noch einmal mitteilen, daß ursprünglich vorgesehen war, von 13 bis 14 Uhr eine Mittagspause einzulegen. Auf Grund interfraktioneller Vereinbarung wurde die Mittagspause mit Abstimmungen überbrückt. Die Mittagspause fiel also aus. Man hat die Bundesregierung von diesen Abmachungen aber nicht verständigt, so daß die Bundesregierung guten Glaubens davon ausgehen konnte, daß die Aktuelle Stunde um 15 Uhr aufgerufen wird. Ich bitte also alle Damen und Herren um Nachsicht, daß diese Unterbrechung nötig war. Denn es ist natürlich erforderlich, daß der zuständige Bundesminister bei einer Aktuellen Stunde anwesend ist. Wir treten in die Aktuelle Stunde ein. Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern hat die Bundesrepublik Deutschland anläßlich der Unterzeichnung der Zwei-plus-Vier-Vereinbarungen feierlich bekräftigt, daß sie als auch souveräner Staat auf ABC-Waffen verzichten wird. Heute debattieren wir - ich frage: zum wievielten Male? -, weshalb es mit unserem bisherigen Instrumentarium offenkundig nicht gelingt, illegale Waffenexporte in erschreckendem Ausmaß zu verhindern, ja daß es dem derzeit gefährlichsten und skrupellosesten Terroristen im Staatsgewand offenbar gelingt, mit westlicher, vor allem aber mit deutscher technologischer und materieller Hilfe eben diese Massenvernichtungsmittel zu produzieren. Was wir im eigenen Land vor allem aus sittlicher Verantwortung ablehnen, dazu verhelfen deutsche Unternehmen gefährlichen Diktatoren. Welch ein unerträglicher Skandal, meine Damen und Herren! ({0}) Deshalb wollen die Unterzeichner dieser interfraktionell beantragten Aktuellen Stunde stellvertretend für viele andere Kolleginnen und Kollegen bekunden, daß diese skandalösen Vorkommnisse kein Zankapfel 17674 Deutscher Bundestag - 11 Wahlperiode Frau Dr. Hamm-Brücher zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen sein dürfen, sondern daß sich alle politisch Verantwortlichen in unserem Land - wie anläßlich Rabta - zu gemeinsamem und konsequentem Handeln zusammentun sollten. Welche Erkenntnisse liegen vor? Nach Presseinformationen 37 Ermittlungsverfahren, in die mehr als 170 deutsche Firmen - auch Firmen des Bundes - verstrickt sind; acht Verhaftungen; mindestens 35 Bußgeldverfahren, bei denen die Bußgelder erfahrungsgemäß aus der Portokasse des Unternehmens bezahlt werden können. Warnungen seitens in- und ausländischer Dienste gab es übergenug, allein 30 in den letzten Monaten. Als Höhepunkt der Skrupellosigkeit wurden erst in diesen Tagen bei MBB, nach Verhängung des UNEmbargos, versandfertige Hubschrauberersatzteile gefunden, adressiert an die irakische Luftwaffe, die irakische Volksarmee und den Military Account, und beschlagnahmt. Dank der Aufmerksamkeit von Mitgliedern der Gesellschaft für bedrohte Völker wurde dies entdeckt. Natürlich hatte die Leitung des Unternehmens wieder einmal keine Kenntnis, und auch alle anderen Beschuldigten beteuern, wie gewohnt, ihre Unschuld - wie jener unselige Giftgas- und Drogenproduzent Hippenstiel-Imhausen, der zunächst vor laufenden Fernsehkameras beteuert hatte, er wisse überhaupt nicht, wo Libyen liege, und der mit knapp fünf Jahren Gefängnis davonkam und den Gewinn von über 60 Millionen DM aus diesen Geschäften auch noch behalten kann. Weitere makabre Erkenntnisse gibt es laut „Spiegel" im Hinblick auf neuerliche einschlägige Zusammenarbeit mit Libyen und Pakistan, und das ist wohl nur die Spitze des Eisberges. Zusammengefaßt im Telegrammstil: Alle bisherigen gesetzlichen und Kontrollmaßnahmen reichen nicht aus, diese skrupellosen und lukrativen Waffengeschäfte mit dem Tod auch nur einigermaßen zu unterbinden. Eher im Gegenteil, meine Damen und Herren: Sie werden immer skrupelloser getätigt und immer lukrativer. Zu den Konsequenzen: Das Parlament hätte sein Wächteramt ein- für allemal verspielt, wenn es diese immer skrupelloser und skandalöser werdenden Verstöße gegen Buchstaben und vor allem gegen Geist unserer restriktiven Waffenexportpolitik mit Schweigen und Achselzucken übergehen würde. ({1}) Auch kosmetische Korrekturen an bisher als untauglich erkannten Bestimmungen sind nicht ausreichend. Vielmehr ist eine Wende in der Waffenexportpolitik überfällig, und sie liegt nicht in der Verantwortung des Wirtschaftsministers allein - der sich im Rahmen seiner Zuständigkeit wirklich redlich um Verschärfungen und Verbesserungen bei den Kontrollen bemüht hat -, sondern in der Verantwortung der ganzen Bundesregierung. Ich persönlich plädiere nicht erst seit Bekanntwerden der jüngsten Skandale dafür, daß deutsche Waffenexporte nur noch an die NATO- und an andere befreundete Länder gehen können - aber auch dorthin keine Exporte von ABC-Waffen, -Know-how und -Technologie. Zweitens müßte dies auch in der EG vereinbart werden. Drittens brauchen wir ein parlamentarisches Kontrollgremium, das ähnlich wie das Kontrollgremium für die Dienste auch über geplante Ausnahmen informiert werden muß. Wir brauchen viertens eine sehr viel strengere Vorprüfung und außerdem eine Verschärfung der Strafen. Ich wiederhole: Wir dürfen es nicht bei unserer Empörung bewenden lassen, die in der Öffentlichkeit mit Recht nur noch als Augenauswischerei kritisiert wird. Es geht darum, Frieden zu schaffen und Frieden zu bewahren, nicht nur mit weniger Waffen, sondern auch und vor allem mit weniger Waffenexporten. ({2}) Das ist ein lohnendes Ziel für ein vereintes Deutschland, ein Ziel, an dessen Glaubwürdigkeit keine Zweifel mehr aufkommen dürfen. Ich danke Ihnen. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Herr Abgeordneter Müller ({0}).

Albrecht Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001543, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als in den achtziger Jahren Meldungen und Fotos über den mörderischen Giftgaseinsatz des irakischen Militärs gegen Kurden und Iraner durch die Presse liefen, gab es in den westlichen Ländern Bedauern und Protest. Aber es gab kein Waffenembargo, und es gab kein nachhaltiges Nachdenken darüber, woher das Giftgas für diese Einsätze wohl stammen könnte. ({0}) Heute, da die Gefahr besteht, daß wir oder unsere Freunde von unseren eigenen tödlichen Waffen getroffen werden, wachen wir auf und sind erstaunt darüber, was wir damit angerichtet haben. Jetzt plötzlich kennt und nennt die Regierung auch Fakten. Herr Minister Haussmann hat im Wirtschaftsausschuß am 23. August eine ganze Latte von sechs Positionen vorgetragen, alles Positionen betreffend Hilfen zum Bau von Waffenfabriken und von Massenvernichtungsmitteln im Irak. Darin war der Riesenkomplex von Waffenlieferungen, die im Kooperationsverfahren über befreundete Nationen wie Frankreich und Österreich in den Irak gehen, noch nicht enthalten. Die Hochrüstung des Diktators Saddam Hussein und des Iraks durch den Westen lief nicht nur, Frau Kollegin Hamm-Brücher, auf illegalen Schleichwegen. Vieles lief legal und mit dem Segen westlicher Regierungen. ({1}) Das wirft verschiedene entscheidende Fragen auf, zunächst einmal die Frage nach der Vernunft der erMüller ({2}) kennbaren Reihum-Hochrüstungen im Nahen Osten und auf der südlichen Hälfte der Erdhalbkugel insgesamt. Zuerst wurde der Schah aufgerüstet - offenbar gegen die Sowjetunion. Als diese Waffen in die Hände von Khomeini gerieten, rüsteten wir den Diktator Saddam Hussein auf; damals war er noch der good guy. ({3}) - Wir und die Sowjetunion rüsteten ihn bis zum 2. August auf. So wird es auch weitergehen. Vernunft ist bei den westlichen Lieferungen von Massenvernichtungsmitteln nicht erkennbar, Moral noch weniger. Wir verkaufen dem Süden unsere hochtechnischen Waffen, statt uns mit aller Energie um die Lösung von Konflikten zwischen diesen Ländern und um die inneren sozialen Konflikte zu kümmern. Westliche Unternehmen, unbekannte und renommierte, liefern Ausrüstungen und Material zur Produktion von Massenvernichtungsmitteln offenbar ohne moralische Bedenken; darauf haben Sie hingewiesen. Man muß aber auch wissen, warum. Weil es zu der staatlichen Ideologie - Förderung des Exportes - paßt und weil die Kasse stimmt. Defacto zweieinhalb bis drei Jahre hinter Gittern für Hippenstiel-Imhausen. Was ist das angesichts der 40 Millionen DM, die er sicher auf Schweizer oder anderen Konten hat? Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Wort von der westlichen Wertegemeinschaft müßte jenen auf der Regierungsbank, die es so gerne im Munde führen, angesichts dessen, was passiert ist, im Halse steckenbleiben. ({4}) Wir sind keine Wertegemeinschaft, wir sind teilweise eine Gemeinschaft von kalt kalkulierenden Waffenlieferanten in Gemeinschaft mit Regierenden, die für diese Waffenlieferungen im Namen der außenpolitischen Opportunität und des Exports ihren Segen gegeben haben - und dies ohne wirtschaftliche Not. Wir haben im ersten Halbjahr 1990 47 Milliarden DM Leistungsbilanzüberschuß gehabt. Daß sich junge Menschen von dieser Art Wertegemeinschaft abwenden, daß die Glaubwürdigkeit von Politikern, die diese Moral predigen, leidet, verwundert nicht. Die Rolle der Bundesregierung und der Koalition in diesen Affären ist zweifelhaft; es ist nicht so, daß sie außen vor sind. Wir müssen feststellen: Zu Anstrengungen für eine bessere Rüstungsexportkontrolle sind sie immer erst dann bereit, wenn ein Skandal aufgedeckt wird. Diese Bereitschaft schwindet mit der Distanz zum Skandal. ({5}) Nach dem Bekanntwerden des geplanten Tornado-Geschäftes z. B. gab es großes Einvernehmen. Wir wollten eine interfraktionelle Initiative ergreifen. Wir haben zweimal getagt, und dann hat die Koalition alles einschlafen lassen. Wir müssen auch bitter feststellen, daß nach der Rabta-Affäre große Wort gesagt wurden, Herr Minister Haussmann. Dann aber wurde diese Sache über ein Jahr verzögert. Erst gestern haben wir mit der Mehrheit der SPD-geführten Länder durchgesetzt, daß dies endlich auf den Weg kommt. Ich weiß, daß die Bundesregierung dabei außen vor steht. Ich spreche die Abgeordneten der Koalition an. Wir Sozialdemokraten geben uns damit nicht zufrieden. Wir fordern die Bundesregierung und die Koalition dringend auf, die Verbesserungsvorschläge, die mit unserem Antrag auf Drucksache 11/4842 dem Bundestag seit Juni 1989 vorliegen, aufzugreifen. Hören Sie bitte damit auf, immer nur dann tätig zu werden, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kittelmann.

Peter Kittelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der Frage, ob, wann und wie die Bundesregierung tätig wird, wird sie selber etwas sagen. Nur zur Erinnerung, weil Herr Müller hier wieder den klassischen Versuch gemacht hat, etwas falsch darzustellen: Erst die Koalition von CDU/CSU und FDP hat dafür gesorgt, daß eine Verschärfung des Gesetzes und eine Verschärfung der Außenwirtschaftskontrollen möglich wurde. Ich könnte auf mehreren Seiten darstellen, was wir in den letzten anderthalb Jahren - dazu werden Kollegen noch etwas sagen - verschärft haben. Meine Damen und Herren, ich darf drei Punkte festhalten. Erstens. Die CDU/CSU verurteilt heute nochmals ({0}) - nochmals, Herr Gansel; ich weiß, daß Sie schlecht hören, wenn Sie nicht hören wollen - scharf jede Form von illegalen Waffenexporten. Zweitens. Die Bundesregierung und die sie tragende Koalition haben die schärfste Gesetzgebung in Gang gesetzt, die es in einem westlichen Industrieland überhaupt gibt. ({1}) - Frau Hamm-Brücher, Sie hatten mehrere Minuten Zeit, zu beweisen, wo sie weniger scharf ist. Ich nehme an, Sie haben sich darum gekümmert. Drittens. Es geht darum, kriminelle Elemente, die Lücken ausnutzen oder aber die Gesetze verletzen, scharf zu treffen. Ich darf auch einmal etwas dazu sagen, daß hier ganz pauschal von der deutschen Wirtschaft gesprochen worden ist. Unsere Wirtschaft ist es nicht, die insgesamt zu tadeln ist, sondern zu tadeln sind die schwarzen Schafe, die minimalen Teile der Wirt17676 schaft, die versuchen, mit krimineller Energie Geld zu verdienen. ({2}) Die deutsche Wirtschaft hat übrigens auch in den letzten zwei Jahren als Anwalt einer scharfen Gesetzgebung intensiv mitgeholfen, Lücken zu schließen und ihre Erfahrung zur Verfügung zu stellen. ({3}) Die Verschärfungen, die wir hier verabschiedet haben, dokumentieren den klaren Willen der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen: Deutsche Bürgerinnen und Bürger sowie deutsche Technologie sollen nirgendwo zur Entwicklung, zur Produktion, zum Handel oder auch dem Transitgeschäft mit atomaren, biologischen und chemischen Waffen beitragen. Ich darf hier übrigens einmal ganz klar sagen: Hätten die Sozialdemokraten den Gesetzentwurf nicht wegen drei minimaler Veränderungen, die die Koalition gern wollte, aufgehalten und monatelang verzögert, hätten wir bereits seit Monaten ein schärferes Gesetz. ({4}) Dies ist leider so. Sie, die Sie hier lachen, haben, nehme ich an, die Tatsachen nicht verfolgt. ({5}) Das Gesetz, das wir jetzt hoffentlich bald verabschieden, ist ein scharfes und hoffentlich auch wirksames Gesetz. Dies, meine Damen und Herren, sieht übrigens auch die amerikanische Administration so, die diesen Gesetzentwurf öffentlich mehrfach außerordentlich positiv dargestellt hat. ({6}) Mit den neuen Bestimmungen des Kriegswaffenkontrollgesetzes und des Außenwirtschaftsgesetzes sind also bereits vor dem Aufkommen der Diskussion über Lieferungen deutscher Unternehmen in den Irak die notwendigen Konsequenzen gezogen worden. Folgendes gilt für das Kriegswaffenkontrollgesetz. Die neuen Bestimmungen legen - erstmalig - fest, daß Aktivitäten deutscher Staatsbürger, deutscher Unternehmen und ihrer Tochterunternehmen im In-und Ausland unter Strafe gestellt werden, wenn sie zur Produktion oder zur Entwicklung von oder dem Handel oder Transitgeschäften mit atomaren, biologischen oder chemischen Waffen beitragen. Dabei wird die fahrlässige Begehungsweise ebenso unter Strafe gestellt wie die fahrlässige Beihilfehandlung. Weil dieses Verbot unabhängig vom Ort der Tat gilt, werden damit alle Aktivitäten deutscher Staatsbürger im In- und Ausland erfaßt. Dies macht deutlich: Alle Aktivitäten im Zusammenhang mit atomaren, biologischen und chemischen Waffen, die hier diskutiert werden, werden künftig mit einer 15jährigen Freiheitsstrafe bedroht. ({7}) Meine Damen und Herren, das neue Außenwirtschaftsgesetz wird Aktivitäten deutscher Staatsbürger an Auslandsprojekten im Rüstungsbereich, vor allen Dingen der Raketentechnologie, unter Genehmigungsvorbehalte stellen. Ich darf als Ergebnis zusammenfassen - Frau Hamm-Brücher, auch das ist für die veröffentlichte Meinung wichtig -, daß wir nicht nur klagen, sondern daß diese Regierung, die Sie durch drei Minister, die Ihre Partei stellt, mittragen, in den letzten Jahren intensiv gehandelt hat. Als Ergebnis kann ich feststellen: Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen haben die notwendigen Konsequenzen gezogen, bevor illegale Waffen- und Industrieexporte in den Irak bekanntwurden. Daß die neuen Bestimmungen heute noch keine Gesetzeskraft haben, liegt einzig und allein an den SPD-regierten Ländern und ihrer Blockadepolitik im Bundesrat. Danke schön. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Vennegerts.

Christa Vennegerts (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002365, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weltweit wird der brutale Überfall des Iraks auf Kuwait beklagt. Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen, Herr Kittelmann? Die militärtechnische Ausrüstung des Iraks stammt aus vielen Ländern, und der Transfer militärisch nutzbarer Hochtechnologie aus der Bundesrepublik hatte entscheidenden Anteil daran, daß der Irak heute in der Lage ist, chemische und biologische Massenvernichtungswaffen herzustellen - leider, kann man nur sagen. Schon während des Golfkrieges haben bundesdeutsche Firmen umfangreiche Rüstungsgeschäfte mit dem Irak abgewickelt, in der Regel mit stiller Duldung, oft auch mit offener Unterstützung der verantwortlichen bundesdeutschen Behörden und Ministerien. Das heißt, es geht nicht nur um die illegalen Exporte, sondern auch um die sogenannten legalen, die mit dem Segen der Regierung erfolgt sind. ({0}) Eine Vielzahl von militärisch verwendbaren Gütern ist aus der Bundesrepublik in den Irak verschoben worden, angefangen von angeblich rein zivilen Hubschraubern; bezüglich derer die Herstellerfirma MBB in Anzeigen damit wirbt, daß sie zu Kampfzwecken hervorragend geeignet seien. Nachtsichtgeräte der Firma Philips Bremen sind geliefert worden, selbstverständlich auch nur zu rein zivilen Zwecken. SchwerFrau Vennegerts transportfahrzeuge der Firmen Faun und Blumhard sind geliefert worden, auch rein zivile Lieferungen. Aber es gibt die Bilder vom Einmarsch irakischer Truppen in Kuwait, auf denen zu sehen ist, daß der Irak mit jenen „ganz" zivilen Transportern seine Panzer herangeführt hat. Das ist die Wahrheit. Es stellt sich die Frage nach der Verantwortung der zuständigen Behörden und der Bundesregierung. Bis in die jüngste Vergangenheit hinein läßt sich die Haltung der zuständigen Stellen am besten mit den Begriffen blind, taub und stumm charakterisieren. ({1}) Neuere Informationen deuten sogar darauf hin, daß Mitarbeiter des bundesdeutschen Nachrichtendienstes den Rüstungshandel mit dem Irak aktiv vorangetrieben haben. Das ist an sich ein ungeheuerlicher Vorgang, der jedoch an Plausibilität gewinnt, wenn man die Vertuschungs- und Verschleppungstaktik von Bundesregierung und Koalitionsparteien Revue passieren läßt. ({2}) In kaum einem Rüstungsexportskandal der Vergangenheit war die Widersprüchlichkeit und Unglaubwürdigkeit der Bundesregierung auch für die breite Öffentlichkeit so deutlich nachweisbar wie im Falle der Lieferung von Giftgaskomponenten an den Irak. Bereits im April 1984 war im Bundestag nach den Fähigkeiten des Irak zur Herstellung von Giftgas und der Beteiligung deutscher Firmen daran gefragt worden. Der inzwischen verstorbene Parlamentarische Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Dr. Mertes, versicherte damals wörtlich - ich zitiere - : Die von der Firma Kolb/Pilot Plant gelieferte Anlage kann zur Herstellung von Nervengas nicht verwendet werden. 5 Jahre später erklärt die Bundesregierung in einem Zwischenbericht über den Stand der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen des Verdachts illegaler Ausfuhren von Ausrüstungsteilen zur Produktion chemischer Kampfstoffe im Irak, daß sich die fraglichen Anlagen höchstwahrscheinlich zur Produktion von chemischen Kampfstoffen eignen. Inzwischen dürfte unstreitig sein, daß die Anlagen tatsächlich zur Giftgasherstellung verwendet wurden und weiter verwendet werden. Hussein ist nicht davor zurückgeschreckt, kurdische Frauen und Kinder mit Giftgas zu ermorden - ein furchtbarer Skandal. Für die Regierung gilt im Zweifel: Vorrang für das Exportgeschäft, Exporte um jeden Preis. Wenn zu diesem Zeitpunkt nicht politische Konsequenzen gezogen werden, meine Damen und Herren, wann dann? ({3}) Aus falscher Rücksicht auf die Industrie hat die Regierung mit dazu beigetragen, daß der völkerrechtsverletzende Überfall auf Kuwait erst möglich wurde. Der jetzt vorgelegte Einigungsvertrag hätte die Chance geboten - er bietet sie noch -, allen Staaten der Erde zu beweisen, daß sich ein vereinigtes Deutschland von jenen Traditionen lösen will, die die Welt und Deutschland zweimal in die Katastrophe gestürzt haben. Nur ein totaler Stopp aller Rüstungsexportgeschäfte kann das friedliche Zusammenleben der Völker sichern. Diese Forderung müßte Gegenstand des Einigungsvertrages und einer gesamtdeutschen Verfassung sein. ({4}) Die deutsche Einheit steht unter schlechten Vorzeichen, wenn gerade jetzt statt massiver Abrüstung der Einsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebietes angestrebt wird. Bundeskanzler Kohl und Teile der SPD beabsichtigen eine entsprechende Grundgesetzänderung, damit der Einsatz der Bundeswehr am Golf möglich wird. Eine Beteiligung der Bundeswehr auch an UN-Truppen könnte als Türöffner für andere Einsatzformen dienen, z. B. über NATO oder WEU. Wir lehnen eine solche Ausdehnung des Einsatzgebietes der Bundeswehr im Sinne eines friedlichen Zusammenlebens der Völker ab. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft, Herrn Dr. Haussmann.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Minister:in)

Politiker ID: 11000836

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir behandeln heute erneut ein Thema, das mich wie Sie sehr bedrückt. Ausmaß und Umfang illegaler Rüstungsexporte haben mich alarmiert. Ich nehme für mich persönlich in Anspruch, daß ich mich wie kein anderer Wirtschaftsminister zuvor von Beginn meiner Amtsführung an um eine Verschärfung des Kontrollinstrumentes bemüht habe. ({0}) Trotzdem warne ich vor Pauschalverurteilungen unserer gesamten Exportwirtschaft und vor falschen Schuldzuweisungen. ({1}) Wer in diesem internationalen Bereich etwas bewegen will, der muß nach einer sorgfältigen Analyse folgendes wissen, Herr Roth. Erstens. Die meisten Vorgänge, zu denen jetzt ermittelt wird, liegen längere Zeit zurück. ({2}) Das gilt für die Vorgänge, die zu den Verhaftungen im Zusammenhang mit der Giftgasanlage bei Samara geführt haben. Diese Vorgänge können aber nicht herangezogen werden, um die von der Bundesregierung nach Rabta beschlossene Reform des gesamten Kontrollsystems, einschließlich seiner rechtlichen Grundlagen, in Mißkredit zu bringen. Zweitens. In einigen der Fälle kann man leider schon heute und trotz laufender Ermittlungen von folgendem augehen: Einzelne deutsche Firmen haben wissentlich oder leichtfertig sensitive Technologien ohne Wissen der Behörden illegal exportiert. ({3}) Es handelt sich um Fälle, in denen für die Ausfuhr überhaupt kein Antrag bei der zuständigen Genehmigungsbehörde gestellt, sondern gleich der kriminelle Weg in die Illegalität gesucht wurde. ({4}) In einer anderen Gruppe von Fällen wurde mit unvollständigen und unzutreffenden Angaben bei der Genehmigungsbehörde der Eindruck erweckt, es ginge um zivile, um nicht genehmigungspflichtige Ware. Drittens. Es bleibt festzustellen: Daß diese Fälle gerade in letzter Zeit zunehmend bekannt wurden, ist auf die von der Bundesregierung Anfang 1989 eingeleitete Neuorientierung unseres deutschen Außenwirtschaftsrechts zurückzuführen. ({5}) Wir haben in der Zwischenzeit die Kontrolltiefe, aber auch die Kontrollschärfe im Außenwirtschaftsverkehr nachhaltig verbessert. Viele der jetzt lauf enden Ermittlungen gehen auf das Betreiben der Bundesregierung selbst zurück. Seit 1989 hat die Bundesregierung in ca. 30 Verdachtsfällen unmittelbar selbst die Ermittlungen ausgelöst. In mehr als 20 Fällen hat die Bundesregierung allgemeine Warnung an die Industrie gegeben, um ausländische Beschaffungsversuche von vornherein zu vereiteln. Auch ist die internationale Abstimmung, ohne die überhaupt keine Verschärfung möglich ist, vor allem mit den Vereinigten Staaten von Amerika inzwischen erheblich verstärkt worden. Viertens. Von den Maßnahmen zur Verschärfung der Außenwirtschaftskontrollen ist bereits jetzt ein großer Teil realisiert. Das Personal des Bundesamtes für gewerbliche Wirtschaft konnte im Kontrollbereich mehr als verdoppelt werden, trotz der äußerst schwierigen Probleme gerade im Arbeitsmarkt Frankfurt. Wir haben vor allem gegenüber dem Irak die Liste genehmigungspflichtiger Waren erheblich ausgeweitet und auch zivile Hubschrauber den Kontrollen unterworfen. Waffenexporte aus der Bundesrepublik in den Irak wurden grundsätzlich nicht genehmigt. Die Zuverlässigkeitsprüfungen wurden intensiviert. Fünftens. Lassen Sie mich einem immer wieder auch hier geschürten Mißtrauen entgegentreten: Die Bundesregierung hat über das Ausmaß der illegalen Fälle dem Parlament gegenüber keinen Mantel der Verschwiegenheit gebreitet. Ich selbst habe im August dem Wirtschaftsausschuß einen ausführlichen Bericht erstattet. Teile davon sind trotz der Vertraulichkeit der Beratungen im Ausschuß längst in den Medien zu lesen. Sechstens. Ich begrüße die im Vermittlungsausschuß erzielte Vereinbarung zur Verschärfung des Kriegswaffenkontrollgesetzes. Das verschärfte Strafmaß wird meines Erachtens helfen, potentielle Täter abzuschrecken und damit das Ansehen unseres Landes vor weiterem Schaden zu bewahren. ({6}) Meine Damen und Herren, die Rufschädigung durch einzelne kriminelle Exporteure ist damit nicht behoben. Sie trifft die deutsche Exportwirtschaft und damit unser Land insgesamt. Das erschütterte Vertrauen wird sich, wenn überhaupt, nur langfristig wiederherstellen lassen. Deshalb ist es so wichtig, daß sich die Wirtschaft selbst von moralischen Hasardeuren in ihren Reihen sehr deutlich distanziert und trennt. ({7}) Wir alle sind auch im internationalen Bereich gefordert, alles zu tun, was unsere Glaubwürdigkeit bezüglich der Kontrollen in diesem Zusammenhang verbessert. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Catenhusen.

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Haussmann, wir haben Verständnis dafür, daß Sie sich, auch um Ihre persönliche Integrität in der politischen Behandlung der Fragen des Rüstungsexports herauszustreichen, in erkennbarer Form von der Politik Ihrer freidemokratischen Amtsvorgänger Bangemann und Graf Lambsdorff, abgesetzt haben; dafür haben wir sehr viel Verständnis. Ich glaube - das können auch wir von seiten der Sozialdemokraten sagen - , daß es sicherlich dem gemeinsamen Bemühen von Ihnen und der SPD-Mehrheit im Bundesrat zu verdanken ist, daß das Kriegswaffenkontrollgesetz in der Weise verschärft worden ist, wie es von der Sache her geboten ist. ({0}) Ich denke, bei aller Würdigung dieser Fortschritte bleibt doch folgendes festzuhalten: Offensichtlich war es erst dann möglich, volles Licht in die Verwicklung der Bundesrepublik und anderer Länder in Rüstungsexportgeschäfte mit dem Irak zu bekommen, als feststand, daß Saddam Hussein der Feind aller rüstungsexporttreibenden Länder ist. Denn dort wurde offensichtlich Rüstungsexportkonkurrenz durch Kooperation ersetzt. Auf einmal liegen die Fakten auf dem Tisch, die von Minister Haussmann schon vor Jahren - Frau Kollegin Vennegerts hat darauf hingewiesen - auf Grund von Anfragen von Abgeordneten auf den Tisch des Hauses gelegt wurden. Ich kann die Feststellung nicht verkneifen, daß es zutiefst bedauerlich ist, daß die vorgenommenen Rechtsverschärfungen nicht das Ergebnis einer eigenständigen kritischen Aufarbeitung unserer Exportpraxis sind; denn viele der Einzelheiten waren im Detail bekannt. Vielmehr ist es letztendlich das Ergebnis eines massiven und, ich denke, auch berechtigten Drucks der Vereinigten Staaten auf diese Bundesregierung gewesen. Nicht die Erkenntnis war der treibende Faktor, sondern die Gefahr der internationalen Isolierung auch der Bundesrepublik Deutschland bei ihren Verbündeten. Es ist festzuhalten, daß der Bundeskanzler noch Anfang 1989 festgestellt hat - ich zitiere - : Es ist für mich überhaupt nicht denkbar, daß sich einzelne innerhalb der Bundesrepublik aus Gewinnsucht an Vorhaben beteiligen, die zumindest in Teilen der Welt friedensgefährdend sind. Das war für ihn überhaupt nicht vorstellbar. Die Regierung hat das Unschuldslamm gespielt und damit, denke ich, wider besseres Wissen dazu beigetragen, daß sich skrupellose Unternehmer und Händler, die die Zeitschrift „Time" zu Recht als „Krämer des Todes" hingestellt hat, in der Bundesrepublik Deutschland wohl fühlen konnten. Sie glaubten nach wie vor, sich alles leisten zu können und daß die Politik nicht alle möglichen Schritte gegen ihr Treiben unternahm. Ich habe darauf hingewiesen: Die Schritte zur Besserung wurden nur durch Aufdecken von Skandalen durch die Vereinigten Staaten und durch den diplomatischen Druck dieses Landes erreicht. Jetzt werden wir auf einmal fündig und tätig. Ein Beispiel: Auf dem Frankfurter Flughafen wären Kisten, die laut Frachtpapieren Teile von Molkereianlagen für den Irak enthielten, vor wenigen Jahren sicherlich noch anstandslos befördert worden. Heute schaut man gezielt nach und entdeckt Bauanleitungen für Raketentechnik. Dieses Aufzeigen von Wundertüten hätte man schon vor Jahren entdecken können, wenn man hätte hinschauen wollen. ({1}) Wenn wir über die Rolle der Bundesrepublik beim Rüstungsexport in Krisengebiete reden, geht es aber nicht nur um die illegalen Rüstungsexporte in den Irak, nach Libyen oder in andere Länder. Es geht auch um unseren Beitrag zum Transfer sensitiver Techniken, die durch Kooperationsverträge zwischen industriellen Schwellenländern und anderen Dritte-WeltLändern nunmehr weltweite Verbreitung finden. Wir haben bereits in den 70er Jahren durch die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit im Bereich der Raketentechnik Ländern Schlüsseltechnologien an die Hand gegeben, mit denen sie heute Mittelstreckenraketen entwickeln. Diese Technologie wird in der Kooperation von Brasilien oder von Argentinien aus auch Ländern wie etwa dem Irak und Ägypten zur Verfügung gestellt. Wie das geht, möchte ich Ihnen an einem kurzen Beleg aus einer brasilianischen Zeitung abschließend verdeutlichen. Es heißt dort im Januar 1988: Die ersten taktischen Raketen aus Brasilien, die von einer auf der Ladefläche eines Lastwagens montierten Plattform aus gestartet werden, sind in der Lage, bis zu 300 kg Sprengstoff über eine Entfernung von 1 000 km zu befördern ... Das bedeutet die Militarisierung eines Projekts, das das Raumfahrt-Technologiezentrum ... zu wissenschaftlichen Forschungszwecken entwickelt hat. Das Projekt der Firma ... basiert auf der Rakete vom Typ Sonda IV. Diese Rakete ist u. a. in Windschallkanälen in der Bundesrepublik getestet worden. An der Entwicklung dieser Rakete waren die Deutsche Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt sowie die Firma MesserschmidtBölkow-Blohm beteiligt. Jetzt werden derartige Raketen als Mittelstreckenraketen in Kooperation über Argentinien mit Ägypten und dem Irak entwickelt. Diese Fragen sind durch die bisherige Gesetzgebung nicht gelöst worden, nämlich eine vernünftige Abwägung bei Technologien herbeizuführen, die einen deutlichen Dual-use-Charakter haben. Abschließend, meine Damen und Herren: Auch mir wäre, wenn wir über die Rolle der Vereinigten Staaten in der Welt reden, sehr wohl, daß wir an erster Stelle den Wunsch realisieren, daß Deutschland mutige Schritte unternimmt, nicht mehr Zentrum des Rüstungsexports zu sein, sondern daß wir durch eine vorbildliche eigenständige Weiterentwicklung der Rüstungskontrolle dem Frieden in der Welt deutlich und wirksam dienen können. Schönen Dank. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Huyn.

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema Rüstungskontrolle steht ja nun zum wiederholten Male auf der Tagesordnung. Die bisher geübten Praktiken, die jetzt scheibchenweise an die Öffentlichkeit kommen, sind - ich glaube, das müssen alle in diesem Hause sagen - ein Skandal. Deutsche Firmen haben hier große Schuld auf sich geladen. Ich sage das, ohne verallgemeinern zu wollen. Aber so etwas hätte weder je geschehen dürfen, noch darf es sich wiederholen. ({0}) Wir müssen die gesetzlichen Instrumentarien weiter ausbauen. Ich teile die Ansicht, die gerade von dem SPD-Kollegen geäußert wurde, auch was den Transfer von Technologien betrifft, um dieses verbrecherische Handeln zu unterbinden. Trotzdem - ich glaube, das hat die Einlassung des Bundesministers für Wirtschaft gezeigt - sind Vorwürfe an die Bundesregierung, sie hätte nichts getan, um die Lieferungen in das Spannungsgebiet des Nahen Ostens zu verhindern, zurückzuweisen. ({1}) Richtig ist vielmehr, daß die Bundesregierung im Vergleich zu befreundeten europäischen Industriestaaten in fast allen sensitiven Bereichen die meisten Außenwirtschaftskontrollen eingeführt hat, und zwar sowohl Kontrollen der Anlagen als auch Kontrollen des Transfers sowie die Beschränkung der Auslandstätigkeit. Das gilt auch, was die Höhe des Strafmaßes bei Verstößen gegen außenwirtschaftsrechtliche Kontrollvorschriften angeht. Weitere Verschärfungen sind beschlossen, insbesondere die Einführung der lebenslänglichen Freiheitsstrafe, und zwar unabhängig vom Ort der Handlung. Ich meine, es muß noch mehr geschehen, z. B. die Verbesserung des Datenaustausches, die die Verfolgung von Straftaten beschleunigen und erleichtern kann. Es sind jedoch ohne jede Frage noch weitere Maßnahmen erforderlich. Sie sollten auch erwogen werden, insbesondere eine international bessere Abstimmung. Allerdings ist der eingetretene außenpolitische Schaden - ich nehme an, da sind wir uns alle einig - unübersehbar. Besonders die Länder, die uns in den vergangenen Jahren und Monaten bei der Wiedererlangung unserer staatlichen Einheit nachdrücklich unterstützt haben, vermissen jetzt zu Recht unsere Solidarität und auch die Solidarität bei der Bekämpfung der irakischen Aggression. Es wird von der Welt nicht verstanden, warum wir unsere Möglichkeiten zur Unterstützung der Militäraktionen im Golf nicht wahrnehmen, die bereits heute unter Beachtung der Bestimmung des Grundgesetzes bestehen. Mag es bisher bedenkenswerte politische Gründe für eine Zurückhaltung bei Out-of-area-Einsätzen gegeben haben, - nach dem Vollzug der deutschen Einheit in gleicher Weise sicher nicht mehr. Die Lage stellt sich doch folgendermaßen dar: Erstens. Deutsche Firmen haben in verbrecherischer Weise daran mitgewirkt, den Irak mit Massenvernichtungswaffen zu versorgen. Zweitens. Am heutigen Tage haben wir einen besonderen Anlaß, den drei westlichen Schutzmächten Dank zu sagen - ich möchte das von diesem Platz aus auch tun - für die Erhaltung der Freiheit Berlins seit Kriegsende und für die Wahrnehmung der Verantwortung für Deutschland als Ganzes. ({2}) Drittens. In diesen Tagen erklärt sich die Bundesregierung bereit, zweistellige Milliardenbeträge für die Stationierung und den Abzug sowjetischer Truppen an die Sowjetunion zu zahlen, die vielleicht sachlich notwendig, aber moralisch sicher alles andere als gerechtfertigt sind. Viertens. Unsere amerikanischen Freunde tragen die Hauptlast für die Sicherung der Erdölzufuhr aus dem Golf, obwohl hier die europäischen Interessen viel stärker berührt sind als die amerikanischen. Da ist deutsche Solidarität gefordert. Es muß alles in unserer Macht Stehende geschehen, um den Skandal deutscher Rüstungshilfe an den Irak unverzüglich zu beenden. Trotz vorgeschobener - im übrigen meines Erachtens keineswegs triftiger - verfassungsrechtlicher Bedenken können auch unverzüglich Maßnahmen getroffen werden, die von der Entsendung von Lazarett- und Transportschiffen bis etwa zur Verlegung eines Luftwaffengeschwaders in das NATO-Land Türkei reichen können. In jedem Fall muß gerade Deutschland, das sich anschickt, seine Einheit wiederzuerlangen, seine Solidarität sowohl innerhalb der atlantischen Allianz wie auch der Europäischen Gemeinschaft deutlich machen. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bachmaier.

Hermann Bachmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000072, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Jahren ist bekannt, daß es bei uns offensichtlich genügend gewissenlose Geschäftemacher gibt, die skrupellos genug sind, machtbesessene Diktatoren mit allen erdenklichen Massenvernichtungswaffen auszustatten. Ob Atomsprengköpfe, Giftgasgranaten oder Mittelstreckenraketen - deutsche Unternehmer mischen an vorderster Front mit, wenn es gilt, die so lukrativen tödlichen Geschäfte zu betreiben. Seit Jahren wissen wir, daß unsere Waffenexportkontrollen nicht funktionieren. Stereotyp wird uns von den Verantwortlichen entgegengehalten, daß eine Exportnation wie die Bundesrepublik eben nur begrenzte Möglichkeiten habe, illegale Exporte zu unterbinden. Dabei wußten diese Verantwortlichen ganz genau, wie eine wirksame Exportkontrolle zu funktionieren hat, auch ohne daß dadurch der übrige Außenwirtschaftsverkehr beeinträchtigt worden wäre. Hätte man nur ein Minimum der Anstrengungen beim illegalen Waffenhandel unternommen, mit denen wir über Jahrzehnte des Kalten Krieges den Ost-West-Handel kontrolliert haben, dann stünden wir heute nicht vor diesem Scherbenhaufen bundesdeutscher Waffenexportkontrolle. ({0}) In diesen Kontrollen des Ost-West-Handels blieb kaum ein Computer jemals unentdeckt. Davon hört man in diesen Tagen wenig. ({1}) Als wir im Atomuntersuchungsausschuß Einzelfälle illegalen Nuklearexports und der praktisch kaum vorhandenen Exportkontrolle untersucht haben, wurde uns immer wieder deutlich gemacht, daß eine wirksame Kontrolle das übergeordnete wirtschaftspolitische Ziel der Exportförderung gefährden könnte. Wie sagte doch ein nicht gerade nachrangiger Beamter so schön: „Unsere Aufgabe war es, der deutschen Industrie nicht die Knüppel in den Weg zu legen. " Es ist auch noch nicht so lange her, meine Damen und Herren, daß der damalige und heutige Präsident des Bundesamts für Wirtschaft vor unserem Untersuchungsausschuß erklärte, es handele sich bei der Kontrolle der Nuklearexporte um ein kleines exotisches Gebiet, das - so wörtlich weiter - „keinen Mann und kein Referat ernährt" . Bis vor kurzem hatte ein einziger Oberregierungsrat praktisch die ganze Last der Verantwortung für die Genehmigung des nuklearen Chemieexports beim zuständigen Bundesamt in Eschborn zu tragen. Nicht viel besser war und ist es heute noch in anderen Bereichen, die für Ausfuhrkontrollen zuständig sind. Auf einem solchen Humus de facto kaum vorhandener Exportkontrollen gedeihen natürlich die tödlichen Geschäfte gewissenloser Händler des Todes. Erschreckend ist auch, daß immer dann, wenn die unmittelbaren Wirkungen neuer Exportskandale abgeklungen sind, schon wieder diejenigen erfolgreich am Werk sind, denen wirksame Exportkontrollen nach wie vor ein Dorn im Auge sind. Die sich bis in diese Tage hinschleppenden Bemühungen um ein wirksameres Kriegswaffenkontrollrecht liefern einen nachhaltigen Beweis dafür. Meine Damen und Herren, mittlerweile hat ja auch der feine und skrupellose Herr aus Lahr vor dem Mannheimer Landgericht eine äußerst komfortable Behandlung erfahren und offensichtlich den größten Teil seiner illegalen Gewinne gesichert. Aber ausgerechnet der Staatsanwalt, der von Anfang an konsequent auf eine härtere Gangart gegen den kriminellen Giftgashändler gedrängt hatte, sollte von der zuständigen baden-württembergischen Justizverwaltung kaltgestellt werden und hat wohl noch immer damit zu rechnen, wie man so schön sagt, wegbefördert zu werden. ({2}) Dies, meine Damen und Herren, sind Signale, die kaltschnäuzige Waffenschieber wiederum leicht als das erwünschte Augenzwinkern deuten könnten. Neben wirksameren und schärferen Vorschriften des Kriegswaffenkontrollrechts und des Außenwirtschaftsgesetzes sind effektivere Kontrollen der einschlägigen Branchen und Unternehmen unverzichtbar. Insbesondere müssen bei Unternehmen, die im sensitiven Nuklear-, Biologie- und Chemiebereich sowie in anderen Waffenbereichen tätig sind, weit häufiger als bisher Außenwirtschaftsprüfungen vorgenommen werden. Dies gilt besonders dann, wenn über mögliche illegale Aktivitäten deutscher Unternehmen Informationen vorliegen, auch wenn diese Hinweise - das ist die notwendige Änderung - noch keine beweiskräftigen Fakten enthalten. Frühzeitige und regelmäßige Außenwirtschaftskontrollen dürften eines der besten Mittel dafür sein, um illegale Waffenexporte zu verhindern. Dies lehren uns sowohl der Fall Imhausen als auch andere einschlägige Exportskandale, die dann hätten verhindert werden können. Die vollmundigen Erklärungen, daß von Deutschland nur noch Frieden ausgehen soll, gewinnen nur dann an Glaubwürdigkeit, wenn dieses Deutschland alles tut, um seinen Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag und anderen internationalen Abkommen besser als bisher gerecht zu werden. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Lamers.

Karl Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001273, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zu sagen, wir alle empfinden tiefes Unbehagen angesichts der Situation, in der sich unser Land im Blick auf die Golfkrise befindet, wäre eine euphemistische Untertreibung. Es ist mehr als das. Aber es wäre in der Tat nicht nur deswegen mehr als das, weil hier legale und illegale Waffenexporte stattgefunden haben, die sich heute gegen unsere eigenen Freunde richten und - unabhängig davon, ob sie sich gegen unsere eigenen Freunde richten - auch einem Zweck dienen, der unter gar keinem Aspekt zu billigen ist, sondern auch deswegen, weil wir gleichzeitig als Drückeberger gelten. Ich bitte alle diejenigen, die sich so leidenschaftlich für eine zurückhaltende Exportpolitik einsetzen, wie auch ich das tue und immer getan habe, auch einmal zu sehen, daß wir diese Frage nicht isoliert sehen können, ({0}) sondern daß wir sie im Zusammenhang mit unserer Verantwortung für solche Krisen in der Welt überhaupt sehen müssen. ({1}) Diese Verantwortung ist nicht auf die Frage des Rüstungsexports beschränkt. Zu diesem Thema will ich nicht wiederholen, was hier alle Redner vor mir hinsichtlich der illegalen Exporte gesagt haben. Das kann ich nur unterstreichen. Ich wiederhole: Auch legale Exporte sind problematisch. ({2}) Aber, meine Damen und Herren, es sich so einfach zu machen, wie das hier zum Teil wieder angeklungen ist - Frau Kollegin Hamm-Brücher, das führt ja auf einen Vorschlag zurück, den der Kollege Gansel schon vor langer Zeit einmal eingeführt hat, nämlich den Waffenexport auf Industrieländer, auf die OECD-Länder zu beschränken; Sie haben gesagt: auf die NATO-Länder - , ist natürlich gar nicht möglich. ({3}) - Entschuldigung, das heißt, ausnahmslos allen Ländern der Dritten Welt legitime Sicherheitsinteressen abzusprechen und ihnen eine verantwortliche Handhabung ihrer Interessen abzusprechen. So wird das dort gesehen, und zwar zu Recht. ({4}) Das ist ein typisches Patentrezept, das keine Antwort auf die ungeheuer schwierige Problematik ist, in der wir stehen. ({5}) Zweitens möchte ich auf etwas hinweisen, worüber wir schon einmal im Auswärtigen Ausschuß gesprochen haben: Selbst wenn wir und mit uns alle anderen Industrieländer am heutigen Tag mit jedwedem Waffenexport aufhörten - sicherlich eine Fiktion, aber unterstellen wir das einmal - , dann wäre es doch nur eine Frage der Zeit, und zwar keiner langen Zeit mehr, bis Länder wie der Irak und andere, die weiter sind als der Irak, in der Lage sind, solche Waffen allein herzustellen; denn die Ausbreitung der technologischen Zivilisation hat eben leider auch zur Folge, daß diese Länder die Waffentechnologie beherrschen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich brauche doch nicht zu betonen, daß ich damit nicht rechtfertigen will, daß wir einfach so weitermachen könnten wie bislang. ({6}) - Entschuldigung, wenn wir die ganze Problematik sehen, wie sie wirklich ist, dann müssen wir diese Tatsache ins Auge fassen. Wir müssen vor allen Dingen auch ins Auge fassen, ({7}) daß wir wirklich einigermaßen erfolgversprechend nur werden handeln können, wenn wir eine gemeinsame Rüstungsexportpolitik nicht nur des Westens, nicht nur Europas, sondern der industrialisierten Länder erhalten. ({8}) So schwierig das ist, ist es kein aussichtsloses Unterfangen, zumal durch die Beendigung des Ost-West-Konflikts eine reale Möglichkeit besteht, darüber auch mit der Sowjetunion ernsthaft zu reden. Meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir sind alle in einem einig: Wenn es ein Gebiet gibt, wo Moral und Interesse auch bei einer engen Sichtweise identisch sind, ist es dieses Feld. ({9}) Ich hoffe, daß wir bei allen Unterschieden hier zu einer gemeinsamen Auffassung gelangen. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Vennegerts.

Christa Vennegerts (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002365, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zurück zur Wirklichkeit! Es geht nicht nur darum, die bundesdeutsche SchwarzeSchaf-Herde der Unternehmen - denn es ist eine Schafherde, Herr Minister Haussmann, und nicht ein einzelnes schwarzes Schaf ({0}) zur Rechenschaft zu ziehen, sondern es geht auch um die zweifelhafte Exportgenehmigungspraxis in Ihrem Hause. Zum Beispiel wurde der Export von Panzertransportfahrzeugen der Firma Blumhard in den Irak als ziviler Export eingestuft. Die Staatsanwaltschaft hatte als „unabhängigen" Sachverständigen einen Mitarbeiter des Bundesamtes für Wirtschaft hinzugezogen. Dieser kam in seiner Expertise zu dem Ergebnis, daß der Tieflader trotz militärischer Tarnbeleuchtung und militärischem Empfänger als Zivilgut einzustufen sei, da der Auffahrwinkel für den Panzer an den Sattelschlepper nicht die bundeswehrüblichen 14 Grad, sondern 18 Grad betrage. ({1}) Entschuldigung, da packe ich mich an den Kopf. Das ist genehmigt worden. ({2}) Da kann man sich hier nicht einfach hinstellen und sagen: Wir haben damit eigentlich gar nichts zu tun; das sind ein paar böse einzelne Unternehmer. - Das ist ein Fall, der belegt, daß Ihr Amt versagt. Es tut mir leid. ({3}) - Das ist das Wirtschaftsministerium unter Leitung der FDP. Das geht nicht persönlich den Herrn Haussmann an, sondern das Wirtschaftsministerium unter der Führung der FDP. Ich kann auch den Herrn Genscher noch nennen. Er hat die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen im Falle der Lieferung von Nachtsichtgeräten an den Irak zum Einstellen gebracht, indem er gesagt hat, diese Lieferung tangiere nicht das friedliche Zusammenleben der Völker. Frau Hamm-Brücher, es tut mir leid: Auch das ist durch Ihren Minister passiert. Noch ein letzter Gedanke, Herr Präsident. Die Kündigung aller Kooperationsverträge ist hier die Lösung. Stellen Sie sich einmal vor, wenn UNO-Truppen im Irak zum Einsatz kommen. Dann kann es passieren, daß sie mit HOT- und Milan-Panzerabwehrraketen beschossen werden, die in deutsch-französischer Kooperation der Firmen Euromissile und MBB hergestellt werden. Das sind die Tatsachen, das sind die Fakten. Hier muß eine andere Politik her, meine Damen und Herren. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Herrn Staatsminister Stavenhagen.

Not found (Gast)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte die erste Einlassung von Frau Kollegin Vennegerts zum Anlaß nehmen, sehr deutlich darauf hinzuweisen, daß der Bundesnachrichtendienst zu keiner Zeit illegale Rüstungsgeschäfte oder illegalen Technologietransfer unterstützt, ({0}) gefördert, toleriert oder stillschweigend geduldet hat. Das muß an dieser Stelle einmal deutlich klargestellt werden. ({1}) - Sehr schön, Herr Kollege Roth. Richtig ist, daß der Bundesnachrichtendienst - das gehört zu seinem Aufgabenbereich - Informationen über illegalen Technologietransfer sammelt, neben seinen anderen Aufgaben. Er tut das natürlich auch in dem Bereich, der auf dem Gebiet des Technologieexports tätig ist. Denn wo sonst sollen solche Erkenntnisse anfallen, und wo sonst sollen Erkenntnisse über den Stand gewisser Entwicklungen in einem Lande anfallen als bei denen, die in diesem Lande tätig sind und dort auch reisen? Ich erwähne nur als Vergleich: Der Bundesnachrichtendienst würde sich glücklich schätzen, wenn er z. B. eine Quelle in einem gegnerischen Nachrichtendienst plaziert hätte. Ohne sich damit dessen Ziele und Aufgaben zu eigen zu machen. ({2}) Richtig ist, daß Informanten, die dem Bundesnachrichtendienst Erkenntnisse zugänglich gemacht haben, sehr deutlich darauf hingewiesen worden sind, daß sie als Gegenleistung für solche Informationen nicht etwa ein Weggucken, ein Dulden, ein Billigen oder irgend etwas erwarten können. ({3}) Im Gegenteil, sie sind klar darauf hingewiesen worden, daß, wenn beim Bundesnachrichtendienst Erkenntnisse anfallen, daß sich jemand illegal verhalten hat, diese unverzüglich den zuständigen Ermittlungsbehörden zugänglich gemacht werden. Dies ist in konkreten Fällen auch geschehen. Eine ganze Reihe von Ermittlungsverfahren sind auf Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes zurückzuführen, wo er früh Hinweise gegeben hat. Ich bin froh, daß es gestern im Vermittlungsausschuß gelungen ist, eine erhebliche Verschärfung der Außenwirtschaftsgesetze zu beschließen bzw. sich darauf zu einigen; denn wir brauchen diese Instrumente dringend, damit wir hier noch besser als in der Vergangenheit und mit schärferem Strafmaß zugreifen können. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß diese Erklärung des Staatsministers zur Rolle des BND bei illegalen Waffenexporten notwendig und überfällig war, wäre für diese Aktuelle Stunde eigentlich schon Anlaß genug. Aber diese Aktuelle Stunde reicht auch nicht aus, um das Thema auszudiskutieren. Meine Damen und Herren, wir befinden uns in der oft zitierten historischen Situation, daß sich drei weltgeschichtliche Prozesse zusammentun, die alle drei auch mit dem Thema Waffenexportpolitik zu tun haben: Die Entspannung und die daraus folgende Abrüstung im Ost-West-Verhältnis führen zu der Gefahr, daß die deutsche Industrie noch stärker, legal und illegal, in den Waffenexport ausweicht. Die Kuwait-Krise, die nicht nur ein arabischer Konflikt ist, sondern ihre weltpolitische Bedeutung auch deshalb hat, weil sie ein Ressourcenkonflikt um das Öl ist, macht schlaglichtartig deutlich, daß die Gefahren für den Weltfrieden im Nord-Süd-Verhältnis wachsen. Wir brauchen deshalb eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung, eine gerechtere Ordnung in den Ländern dieser Region selbst ({0}) und auch mehr Bescheidung bei uns selbst. Um auch das einmal deutlich zu sagen: Wenn der Frieden im Nahen Osten dadurch gerettet werden könnte, daß Öl gespart würde, müßten wir uns zumuten, ein paar Monate mit dem Fahrrad zu fahren. Das ist eine ganz banale Zuspitzung. Aber sie ist von einer eminenten politischen Bedeutung. Eine Politik der Energieeinsparung in den westlichen Industriestaaten ist auch ein friedenspolitischer Beitrag. Aber die Gefahr zukünftiger Ressourcenkriege macht es um so notwendiger, daß wir eine Politik der Nichtweitergabe von Waffen in diese Region betreiben. In neun Monaten - so steht es heute in den Zeitungen - verfügt der Irak möglicherweise schon über Atomwaffen. Er verfügt schon jetzt über weitreichende Raketen und über chemische Waffen, und bei allen drei Waffenentwicklungen sind deutsche Experten und deutsche Firmen dabei. Der Magen kann sich einem doch wirklich umdrehen angesichts der Perversität unserer von uns weiter verschuldeten Geschichte, wenn man im Fernsehen sieht, wie in Israel Menschen Gasmasken kaufen und sich auf einen Krieg mit solch schrecklichen Waffen vorbereiten. ({1}) Vielleicht gibt es noch einmal die Chance, daß wir die alten Diskussionen, die alten Schuldzuweisungen nicht weiterführen, sondern diese Entwicklungen wirklich zu einer Wende benutzen; ({2}) denn die dritte weltgeschichtliche Veränderung dieser Tage ist in der Tat die deutsche Einigung. In dieser Situation müssen wir uns darüber im klaren sein, daß wir jetzt noch die Wahl haben für unsere zukünftige Rolle in der Welt: Wollen wir in die Rolle einer Großmacht hineinwachsen - wirtschaftlich sind wir es schon - , dann auch politisch und militärisch? Wollen wir uns die Rolle eines Hilfspolizisten oder Hilfssheriffs zuweisen lassen? Oder bestimmen wir selbst unsere zukünftige Rolle durch eine Verfassungsentscheidung? Ich gehöre nicht zu denen, die glauben, daß die Welt der Zukunft konfliktfrei sein wird, weil es jetzt die ersten Abrüstungsvereinbarungen zwischen Ost und West gibt. Die Konflikte in der DrittenWelt werden eher zunehmen, und sie werden uns auch einbeziehen können. Die Verantwortung und die Macht der UNO müssen deshalb auch von uns gestärkt werden. Nur sie wird in der Lage sein, diese Konflikte zu verhindern. Ich gehöre zu denen, die dafür sind, daß bei einer Revision unseres Grundgesetzes der Einsatz deutscher Soldaten unter dem Oberkommando der UNO möglich wird. Ich sage Ihnen aber auch: Das ist jetzt nicht die vordringliche Frage. Deutsche Soldaten können nicht mehr wiedergutmachen, was deutsche Waffenexporteure angerichtet haben. Deutsche Soldaten dürfen auch nicht auslöffeln müssen, was deutsche Waffenexporteure noch anrichten werden. Daher müssen wir in dieser Situation zwei Überlegungen zusammenfassen: eine entsprechende Ergänzung des Grundgesetzes für den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der UNO-Satzung und auf Grund von UNO-Beschlüssen sowie das verfassungsrechtlich abgesicherte Verbot von Waffenexporten in Staaten außerhalb unseres eigenen Bündnisses. Ein solcher Doppelbeschluß des zuständigen Verfassungsgebers wäre auch deshalb vielleicht ein Vermächtnis der vielzitierten friedlichen Revolution in der DDR, weil noch der Runde Tisch in der DDR in Art. 45 Abs. 3 seines Verfasssungsentwurfes vorgeschlagen hat: Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Regierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. Sie dürfen nur in Staaten exportiert werden, die dem gleichen System kollektiver Sicherheit angehören. Also ziehen wir aus diesen drei weltgeschichtlichen Prozessen drei vernünftige Lehren: weniger Waffenexporte, eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung und als Konsequenz aus der deutschen Geschichte und Gegenwart: Wir müssen nicht nur die Verfassung ändern, sondern wir müssen auch den Geist ändern, in dem sie angewendet werden. Wir werden im neuen Deutschen Bundestag als Vertretung des ganzen deutschen Volkes die Entscheidungen zu treffen haben. Vielleicht weist die heutige Debatte in die richtige Richtung; dann hat sie Sinn gehabt. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Feldmann.

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die FDP begrüßt die klare Stellungnahme unseres Wirtschaftsministers Haussmann und die Verurteilung der illegalen Waffenexporte. Aber bitte vergessen wir nicht: Es geht hier um illegale Waffenexporte. ({0}) - Es geht um illegale Waffenexporte, um Waffenexporte, die unter Umgehung von Gesetzen vorgenommen wurden. ({1}) Wir wissen, daß in anderen Ländern von Staats wegen das exportiert wird, was bei uns verboten ist. Wir wollen unsere Praxis nicht ändern, im Gegenteil: Wir wollen sie verschärfen. Wir wollen eine restriktive Waffenexportpolitik. Herr Bachmaier, es ist richtig, daß gestern im Schlußdokument der 2 +4-Verhandlungen folgendes unterzeichnet worden ist: Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der DDR bekräftigen ihre Erklärung, daß von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird. Das ist keine „vollmundige Erklärung" ; so dürfen Sie das nicht runtermachen. Das ist eine klare Zielbestimmung, der Sie sich eigentlich auch verpflichtet fühlen sollten, denn das ist ein ehrenwertes und ernsthaftes Ziel. Das heißt aber auch, daß mit deutschen Waffen und mit deutscher Hilfe und deutschem Wissen hergestellten Waffen nirgends auf der Welt Krieg ermöglicht werden darf. Deshalb müssen wir uns auch mit dem delikaten Thema der Rüstungskooperation befassen, vor allem mit der Kooperation mit solchen Partnern, die eine extensive Rüstungsexportpolitik betreiben. Das ist aber ein extra Kapitel, dem wir uns noch zuwenden sollten. ({2}) Illegale Rüstungsexporte deutscher Firmen haben dem deutschen Ansehen in der Nachkriegszeit schweren Schaden zugefügt. Frau Kollegin Hamm-Brücher, deren Initiative wir die heutige - notwendige - Aktuelle Stunde verdanken, hat völlig recht: Wir sind als Parlament gefordert, illegalem Waffenexport und der Umgehung von Rüstungsexportbestimmungen und -gesetzen einen wirksamen Riegel vorzuschieben. Meine Damen und Herren, wer die Lükken kennt und sie nicht schließt, macht sich mitschuldig. ({3}) Also müssen wir handeln, und ich meine, hier wurde gehandelt. ({4}) Das müssen Sie auch anerkennen. Im Vermittlungsausschuß von Bundesrat und Bundestag ist gestern ein wichtiger Erfolg erzielt worden. Nicht zuletzt auf Drängen des Auswärtigen Amtes ist der Versuch gestoppt worden, diese Exportbestimmungen zu verwässern. ({5}) - Gut, Sie werden auch Ihren Anteil daran haben; das anerkennen wir ja. ({6}) Dies ist ein wichtiger Schritt. Ich nehme an, daß das auch Ihre Zustimmung findet. Die Verschärfung gilt vor allem für Strafbestimmungen. ({7}) Wer sich unter Verstoß gegen Gesetze an der Entwicklung, Produktion und dem Export von Waffen eine goldene Nase verdient, darf nicht mit einer Bewährungsstrafe davonkommen wie bisher. Solche Firmen dürfen nicht erwarten, daß ihnen von Staats wegen weiterhin eine Unbedenklichkeitserklärung für einzelne Personen ausgestellt wird. ({8}) Es darf nicht sein, daß die Schuld für illegale Waffengeschäfte auf einzelne Personen - ich komme gleich dazu, Herr Kollege Müller ({9}) in den Unternehmen abgewälzt werden kann und die Firmen selbst sich aus der Verantwortung stehlen. Hier müssen wir ansetzen. Wir müssen bei den Firmen und nicht nur - wie bisher - bei den einzelnen Personen ansetzen. ({10}) Es gilt, die schuldigen Unternehmen selbst - ich nehme an, das findet auch Ihre Zustimmung - zur Rechenschaft zu ziehen. Firmen, die illegal liefern und Gesetze umgehen, müssen als Unternehmen an den Pranger gestellt werden. Der Wirtschaftsminister hat zu Recht auf sein Engagement auf dem Gebiet der Waffenexportkontrolle hingewiesen. Ich darf Ihnen einmal einige Zahlen über die Zunahme der Außenwirtschaftsprüfungen bekanntgeben: Hatten wir im ersten Halbjahr 1989 114 Prüfungen und 51 Zuwiderhandlungen, so gab es im zweiten Halbjahr 1989 bereits 291 Prüfungen - also mehr als das Doppelte - und 106 Zuwiderhandlungen. Im ersten Halbjahr 1990 gab es 442 Prüfungen und 145 Zuwiderhandlungen. Also, der Wirtschaftsminister hat sich hier enorm in der Sache eingesetzt und hat auf diesem schwierigen Gebiet enormen Druck gemacht. Die FDP verurteilt scharf den illegalen Rüstungsexport und die Gesetzesumgehungen. ({11}) Die FDP begrüßt die vorgenommene Verschärfung der Strafbestimmungen. ({12})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Unruh.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Volksvertreter und Volksvertreterinnen! Ich habe den Zweiten Weltkrieg miterlebt. Gerade wir Alten, bewußt politischen Alten, bedauern sehr, daß es hat einreißen können, daß Wirtschaftsminister, Außenminister, Verteidigungsminister zwar alles entdecken können, was z. B. in der Friedensbewegung passiert, daß aber hinsichtlich dessen, was an kriminellen Ausfuhren passiert, die Verschleierungstaktik enorm ist. Wenn man sagt „Wir sind das Volk" , dann tut es uns Volk - dazu rechne ich mich auch - schon weh, so etwas sehen zu müssen. Ich bin zwar längst nicht so schlau wie alle Minister zusammen, aber „wir Volk" sagen uns immer wieder: Politik ist also doch korrumpiert, Politik ist also doch schmutzig und dreckig. „Wir Volk", im besonderen wir Mütter, sollen unsere Söhne zwar großziehen, aber zum guten Schluß doch umbringen lassen. Sie da vorne von der CDU sind, glaube ich, auch ein Graf: Sind Sie bereit, Ihren eigenen Sohn ermorden zu lassen, vielleicht mit deutschen Waffen oder Rüstungsexport? Wenn Sie diese Politik mal personifizieren und diese schmutzigen Geschäfte als „Politiker fürs Volk" aus dem Gedächtnis lassen, dann ist, glaube ich, der Ansatz im nächsten Deutschen Bundestag ein anderer. Mir ist wirklich schlecht geworden - vielleicht haben auch Sie den Zweiten Weltkrieg erlebt - , als ich hörte, daß Sie sagten: Wenn wir jetzt ab 3. Oktober gesamtdeutsch werden, dann müssen wir Hilfestellung am Golf leisten. Ich sage Ihnen: Nein, wir werden keine Hilfestellungen leisten, wir werden alle unsere Schlauheit, unsere große Diplomatie anwenden, daß nicht der Dritte Weltkrieg ausbricht. ({0}) Das werden wir nur erreichen, wenn 50 % Frauen im nächsten Deutschen Bundestag sitzen. ({1}) Die Männer, die das bisher verbrochen haben, sind nicht mehr in der Lage umzudenken. ({2}) Unsere Generäle sind es nicht, die ständig im Sandkasten spielen, die höchsten Pensionen kriegen und mit 45 Jahren in die Freiheit verduften können. Nein, es muß sich ab dem 3. Oktober 1990 etwas ganz, ganz anderes im gesamtdeutschen Gebiet vollziehen. Da werden wir Grauen gemeinsam mit den Alten in der DDR, die auch keinen Krieg mehr wollen, ({3}) Zeichen setzen, daß Sie vielleicht Ihre eigenen Söhne nicht für irgendeinen Blödsinn in dieser Welt opfern müssen. Alle Völker wollen Frieden, deshalb die Kriegstreiber, wozu auch Politiker gehören, hinter Schloß und Riegel!

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rossmanith.

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, das Erfreulichste an dieser Debatte heute nachmittag ist die Tatsache, daß diese Aktuelle Stunde von allen Fraktionen gemeinsam gefordert worden war. Es ist mit Sicherheit nicht damit getan, daß wir hier Bestürzung zum Ausdruck bringen oder aber auch die moralische Dimension und die moralische Qualität der Unternehmen bewerten. Ich unterscheide dabei nicht zwischen legalen und illegalen Waffenexporten. Wichtig ist, daß wir handeln. Das wird auch in der Überschrift und im Inhalt der Aktuellen Stunde zum Ausdruck gebracht, die wir heute gefordert haben. Ich glaube, daß wir diese Debatte und Aktuelle Stunde heute nachmittag nicht zu Wahlkampfzwekken oder sonstigem führen sollten, sondern wir sollten uns gemeinsam überlegen: Was ist geschehen, was muß geändert werden, und wie sollen wir uns in Zukunft orientieren? Ich bin deshalb dankbar, daß wir im großen und ganzen eine relativ sachliche Debatte hatten, und ich will den Versuch starten, auch meinen Beitrag zu dieser Sachlichkeit zu leisten. Dazu gehört es einfach, daß man zur Kenntnis nimmt, daß diese Exporte und diese Vorgänge, die jetzt aufgedeckt werden konnten, zum Teil lange vor der Zeit von 1989 erfolgt sind und daß es sich hierbei auch um Exportgeschäfte von Unternehmen handelt, die sich zum Teil überhaupt um keine Genehmigung gekümmert haben oder aber sich durch falsche Angaben regelrecht dadurch eine Genehmigung erschlichen haben, ja daß sie die Behörden hinter's Licht geführt haben. Ich glaube, daß sich hier ein Maß an krimineller Energie offenbart, das durch präventive Maßnahmen nicht mehr vollständig eingedämmt werden kann. ({0}) - So ist es, Herr Kollege. Natürlich können Sie auf Dauer kein Verbrechen verhindern. Nur müssen wir dafür sorgen, daß so wenig Verbrechen wie überhaupt möglich stattfinden. ({1}) Die Bundesregierung hat insgesamt eine ganze Reihe von Maßnahmen getroffen, um diesem verbrecherischen Treiben Einhalt zu gebieten. Auch wenn das an sich kein Verdienst ist und der Sache insgesamt oder weltweit nicht wesentlich weiterhilft: Wir sind mit den Kontrollmaßnahmen und Maßnahmen, die wir in der Zwischenzeit getroffen haben, weltweit in der Spitzengruppe. ({2}) - Warten Sie doch einen Moment; ich sage es Ihnen. Sie wissen ja, was man bei fünf Minuten Redezeit alles sagen kann. Sie haben auch geredet; ich habe Ihnen zugehört, hören Sie mir doch bitte auch zu! Ich unterstreiche eindeutig, daß wir dazu beigetragen haben, daß auf internationaler Ebene ein strenger Maßstab angelegt wird, wie es Kollege Kittelmann in seinen Ausführungen dargestellt hat. Ich glaube, daß erste Erfolge durch die Verbesserungen beim deutschen Exportkontrollsystem bereits zu verzeichnen sind und daß die Aufdeckung dieser Vorfälle darauf zurückzuführen ist. Ich will auch darauf hinweisen, Frau Kollegin Vennegerts, daß wir im Haushaltsausschuß die personelle Ausstattung des Bundesamtes für Wirtschaft wesentlich verbessert und etwa verdoppelt haben; sie ist noch nicht abgeschlossen. Wir haben vor, diese personelle Ausstattung auch weiterhin zu verbessern. Ich bin aber auch der Meinung, daß es allein damit und mit Maßnahmen, die ich nur punktuell aufführen konnte, nicht getan ist, sondern daß wir auch - und ich fordere dazu alle auf, das gesamte Hohe Haus - dafür sorgen müssen, daß die Länder, die zu illegalen Exporten beitragen bzw. nicht wirksame Maßnahmen dagegen unternehmen, sozial geächtet werden, wie es z. B. bei Rauschgift der Fall ist. Ich fordere auch alle deutschen Unternehmen noch einmal zur moralischen Selbstkontrolle auf, die hier offenbar völlig versagt hat. Ich fordere sie auf, sich ernsthaft Gedanken darüber zu machen. Ich möchte abschließend meiner Freude Ausdruck geben, daß wir gestern im Vermittlungsausschuß, was das Kriegswaffenkontrollgesetz anlangt, eine Verbesserung erzielen konnten. ({3}) - Eine Einigung, Frau Kollegin Vennegerts, die natürlich ganz wesentliche Verbesserungen mit sich bringt. Das müssen Sie anerkennen. ({4}) Ich bin aber auch der Meinung, daß wir uns ganz speziell zu dem Thema Irak, selbst wenn einmal das Embargo aufgehoben werden sollte, einmal Gedanken machen sollten und müssen, wie eine stärkere und individuellere Prüfung für alle technischen Güter stattfinden kann, Nahrungsmittel und Textilien ausgenommen. Es müssen alle Lieferungen einer ganz speziellen Kontrolle unterzogen werden. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 9 und Zusatztagesordnungspunkt 6: 9. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Brauer, Dr. Briefs, Dr. Daniels ({0}), Frau Eid, Frau Flinner, Frau Garbe, Frau Hensel, Frau Hillerich, Hoss, Hüser, Dr. Knabe, Frau Kottwitz, Kreuzeder, Frau Nickels, Frau Rust, Such, Wetzel, Frau Wollny und der Fraktion DIE GRÜNEN Abfallverbrennung in Industriefeuerungsanlagen - Drucksache 11/7186 ZP6 Beratung des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung Vizepräsident Stücklen zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Hensel und der Fraktion DIE GRÜNEN Vollzug des Abfallgesetzes ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Hensel und der Fraktion DIE GRÜNEN Vermeidung und umweltverträgliche Verwertung von Sonderabfällen zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Hensel, Kleinert ({3}), Brauer, Dr. Daniels ({4}), Frau Flinner, Frau Garbe, Dr. Knabe, Kreuzeder, Frau Wollny und der Fraktion DIE GRÜNEN Obligatorische Einführung des Mehrwegsystems für kohlensäurehaltige Erfrischungsgetränke ({5}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zum Export giftiger Abfälle in die Dritte Welt - Drucksachen 11/1927 ({6}), 11/6207, 11/2949, 11/2486, 11/7838 Berichterstatter: Abgeordnete Lippold ({7}) Lennartz Frau Garbe Interfraktionell ist vereinbart worden, für jede Fraktion einen Redebeitrag von zehn Minuten zu beschließen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Wir kommen zur Aussprache. Wortmeldungen? - Jawohl. Das Wort hat Frau Abgeordnete Hensel. - Bitte sehr.

Karitas Dagmar Hensel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000872, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte gern Herrn Umweltminister Töpfer beglückwünschen, aber er ist leider nicht da. ({0}) Es ist ihm gelungen, eine dem Umweltschutz sehr verbundene und aufgeschlossene Bevölkerung an der Nase herumzuführen. Dazu möchte ich ihm gern meine Glückwünsche übermitteln. ({1}) Es ist ihm auch gelungen, die konzeptionellen Defizite der Abfallwirtschaftspolitik der Bundesregierung mit Schmuckpapier zu verpacken. An zwei Beispielen will ich versuchen, die trickreiche Abfallpolitik dieser Bundesregierung deutlich zu machen. Erstens. Im Januar dieses Jahres haben Sie, Herr Töpfer, zu einem Dioxin-Symposium eingeladen und sich hierbei bemüht, die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung herauszustellen, und dies in Anbetracht der fortschreitenden Vergiftung von Boden, Luft und Wasser und unserer Nahrungsmittel. Mit Tamtam und Erfolgsgetöse wurde ein Grenzwert von 0,1 Nanogramm toxische Äquivalente Dioxin für den Normkubikmeter Abluft für Müllverbrennungsanlagen aus dem Hut gezaubert. Ziel dieser Grenzwertdiskussion war es eindeutig, die Akzeptanz der Öffentlichkeit für Müllverbrennungsanlagen zu erhöhen. Es sollte der Eindruck vermittelt werden, daß künftig weniger Dioxin in die Umwelt abgegeben wird. Diese Maßnahme läuft nach den neuesten Verpackungsverordnungen eindeutig ins Leere. Denn zum einen sind die Möglichkeiten, diesen Grenzwert auch wirklich einzuhalten, großtechnisch noch nicht zuverlässig erprobt. Zum anderen wurde im Bundestag fast gleichzeitig die Änderung des § 4 Abfallgesetz durchgezogen; auf dieser Grundlage sollte eine Vervielfachung der Emissionsquellen geschaffen werden. Denn die Müllverbrennungskapazitäten wurden handstreichartig auf alle nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz bereits genehmigten industriellen Feuerungsanlagen ausgeweitet. Mit diesem Gesetz schafft dieser Minister unter dem Strich noch ein Mehr an Dioxinbelastung in dieser Bundesrepublik. Die Anzahl der potentiellen Emissionsquellen - nicht nur für das Ultragift Dioxin, sondern auch für unüberschaubare Mengen anderer Schadstoffe - wurde damit ins völlig Unkontrollierbare gesteigert. Was haben wir daraus zu lernen? - Die 17. Verordnung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der damit verbundene Zirkus um die Grenzwerte für Müllverbrennungsanlagen waren ein geschicktes Manöver zur Ablehnung von der gleichzeitig eingefädelten Änderung des Abfallgesetzes. Wichtig in diesem ersten Beispiel ist leider auch die Rolle der SPD. Während sich Müll-Minister Matthiesen mit seinem neuentdeckten Aktivkoksfilter an Töpfers Dioxin-Spektakel beteiligte, wurde die Änderung des Abfallrechtes hier im Bundestag von der SPD-Fraktion fast geschlossen abgelehnt, im Bundesrat aber mit fast einträchtig großer Koalition abgesegnet. ({2}) Ein zweites Beispiel, die Verpackungsverordnung: Minister Töpfer plante, die Bewältigung der Flut von Verpackungsabfällen dem Handel aufzubürden - wie unseriös und wie unhaltbar! Herr Minister, verstehen Sie das - würde ich ihn jetzt gerne fragen - unter Verursacherprinzip, wenn die Verantwortung für die Reduzierung der Müllmengen auf ein Zwischenglied in der Kette der Abfallbesitzer abgewälzt werden soll? Wer das Verordnungsmachwerk aufmerksam studiert, stolpert immer wieder über die Formulierung, daß die eingesammelten Abfälle „einer stofflichen oder thermischen Verwertung außerhalb der öffentlichen Abfallentsorgung zuzuführen" seien. Dies ist die Kernaussage des Verordnungsentwurfes. Töpfers öffentlichkeitswirksamer Verpackungsrummel ist nichts anderes weiter als die Einführung der dualen Abfallwirtschaft. Was haben wir daraus zu lernen? - Wenn Töpfer Verpackungen anpackt, steckt immer noch etwas anderes dahinter. Die FDP hat in einer gestrigen Presseerklärung vom Verpackungszauber des UmweltmiFrau Hensel nisters geschrieben und dazu folgendes erklärt - ich zitiere - : Unverständlich ist, daß Umweltminister Töpfer trotz der vorliegenden Pläne der bundesdeutschen Wirtschaft an seiner Verordnung festhalten will und das vom FDP-Vorsitzenden Otto Graf Lambsdorff vorgelegte Modell der dualen Abfallwirtschaft lediglich einflechten möchte. Das genau ist es. Duale Abfallwirtschaft ist die unverpackte Verpackungsverordnung. Sie alle wissen so gut wie wir: Umweltverträglicher und weniger wird der Verpackungsmüll dadurch nicht. Es entstehen nur neue Kosten, die dem Endverbraucher, nämlich uns Bürgerinnen und Bürgern, in Form einer zweiten Mülltonne mit dem uns sehr sympathischen grünen Punkt und als Anlage oder als Umlage auf die Einwegverpackung untergeschoben werden sollen. Die Bereitschaft zur ökologisch begründbaren Erhöhung der Müllgebühren ist zwar in weiten Teilen der Bevölkerung vorhanden, dies gilt aber nicht, wenn unter einem Vorwand billig Industriebrennstoff mit toxischer Qualität eingesammelt werden soll. ({3}) - Doch. Genau das passiert. - Stattdessen hätten Sie, Herr Minister, den Herstellern die erforderlichen gesetzlichen Vorgaben machen müssen: Verpackungen, die bei Herstellung, Gebrauch, Verwertung und Beseitigung Umweltbelastungen herbeiführen können, müssen aus dem Verkehr gezogen werden. Hier ist klar die Notwendigkeit eines Herstellungsverbotes angezeigt. Wie lange eigentlich will diese Bundesregierung noch den Zickzackkurs zwischen regierungsamtlicher Vermeidungsankündigung einerseits und industriegefälliger Verbrennungswirklichkeit andererseits beschreiten? Die Industrie ist flexibel. Sie sollten es doch einmal ökologisch versuchen. Nutzen Sie doch Ihre Möglichkeiten, die Ihnen das Gesetz gibt! Die Industrie hat in vielen Bereichen die besseren Konzepte schon längst in der Schublade. Ich bin sicher, sie wartet nur auf die politische Weichenstellung. Was hat sich also verändert? Was ist vor allem besser geworden, welche Erfolge können Sie verbuchen? Jede einzelne Flickschusterei, die in den letzten Monaten am Abfallgesetz vorgenommen wurde, hätten Sie zugunsten einer umweltgerechten Politik der Vermeidung und stofflichen Verwertung nutzen sollen. Sie haben diese Chance ungenutzt verstreichen lassen, und nicht nur das: Sie haben statt dessen den Weg zu einer konsequenten Ökologisierung der Abfallpolitik aktiv verbaut. Ich gehe sogar noch weiter: sie haben sich massiv und einseitig auf die Seite der Befürworter der großtechnologischen Müllbeseitigungsanlagen geschlagen, und mit Ihrem unverhohlenen Eintreten für die Interessen der Elektrizitätsversorgungsunternehmen haben Sie in den körperschaftlichen Zuständigkeiten herumgewildert und damit den Weg in die Privatisierung der Abfallwirtschaft geebnet. „Klientelismus" steht niemandem gut zu Gesicht, und ich wage sogar zu bezweifeln, Herr Töpfer, ob eine solche Einstellung mit Ihren Pflichten als Minister vereinbar ist. Sicher war das kein Alleingang von Herrn Töpfer. Zieht man noch einmal das Beispiel Nordrhein-Westfalen heran, so ist der fast schon pyroman zu nennende Feldzug Ihres Kollegen Matthiesen zugunsten von Verbrennungsanlagen für Haus-, Sondermüll und für Altlastenböden ein Indiz dafür, daß Positionen wie die Ihrigen derzeit in CDU/CSU, FDP und auch in Teilen der SPD mehrheitsfähig sind. ({4}) - Natürlich sind wir die Besten. Zusammenfassend, Herr Töpfer, ergibt sich ein niederschmetterndes Bild Ihrer Abfallgesetzgebung, Ihrer Abfallpolitik. Hilflos verwaltet die Bundesregierung die ungeheuren Abfallmengen. Dem durch Untätigkeit herbeigeführten Müllnotstand setzen Sie - so könnte man fast sagen - eine Müllnotstandsgesetzgebung entgegen. Allerdings vergessen Sie dabei das Wesentliche; statt wirklich auf Abfallvermeidung zu setzen, verlassen Sie sich auf die Sprechblasen der industriellen Müllerzeuger. In Ihren Maßnahmen zur Umsetzung des § 14 Abfallgesetz wimmelt es nur so von Begriffen wie - ich zitiere - : freiwillige Selbstbindung, Gelegenheit zu freiwilligen Lösungen, wichtige Impulse für freiwillige Maßnahmen der betroffenen Wirtschaftskreise. Ich frage mich nur, wo die sind. Das Resultat dieser Politik liegt auf dem Tisch. Wir leisten uns eine Verschleuderung unserer natürlichen Ressourcen, wir verwandeln unseren Planeten in kurzlebige Konsumprodukte und Verpackungsmüll, zu dessen Beseitigung wir die Vergiftung nachfolgender Generationen wissentlich in Kauf nehmen. Wir meinen, so kann das nicht weitergehen, gerade in Anbetracht der Müllawine, die jetzt auch auf die DDR zurollt. Es ist also ein zwingendes Gebot der Stunde, die gegebenen Möglichkeiten zur Abfallvermeidung auszuschöpfen und auch neue durchzusetzen. Ein schonender Umgang mit den Ressourcen, beispielsweise mit dem für die Kunststoffproduktion unerläßlichen Erdöl, ist angezeigt. Statt der Verpackungskunststücke sollten Sie sich lieber für eine Verteuerung dieses wichtigen Schmierstoffs der Chemieindustrie einsetzen. In diesem Sinne wünsche ich, Herr Töpfer, dem ganzen Ministerium in Zukunft eine glücklichere Hand. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Herr Abgeordneter Eylmann.

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 15. März dieses Jahres haben wir hier ein Drittes Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes verabschiedet. Das war natürlich kein Handstreich, sondern ein ganz normales Gesetzgebungsverfahren. Aber wenn man die Sprache der GRÜNEN hört, dann scheinen hier ohnehin Putschisten an der Regierung zu sein. In diesem Gesetz ist § 4 Abs. 1 dahin gehend geändert worden, daß die Verwertung und Behandlung von Abfällen auch in Anlagen zulässig ist, die überwiegend einem anderem Zweck als dem der Abfallentsorgung dienen. Die GRÜNEN waren seinerzeit dagegen. Natürlich ist es Ihr gutes Recht, auch weiterhin dagegen zu sein. Aber die Methoden, deren Sie sich in der Folgezeit bedient haben, weisen Sie als ausgesprochen schlechte Verlierer aus. Zunächst haben Sie schon zwei Wochen später eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt; das ist ein offensichtlicher Mißbrauch dieses Instituts. ({0}) Dann haben Sie eine Große Anfrage gestellt. Das ist legitim, aber jetzt lassen Sie im Plenum über diese Große Anfrage diskutieren - wiederum aus durchsichtigen politischen Gründen - , ohne daß die Antwort vorliegt. Wenn die Bundesregierung die Antwort nicht vorlegen konnte, dann liegt das daran, daß es nicht ganz einfach ist, die erforderlichen Auskünfte von allen Bundesländern während der Sommerpause zu erhalten. ({1}) Dieses Verhalten zeigt ganz deutlich, daß es Ihnen im Grunde gar nicht auf die Beantwortung der Fragen ankommt, sondern darauf, wiederum mit unbewiesenen und weitgehend völlig aus der - von uns im übrigen ziemlich sauber gehaltenen - Luft gegriffenen Behauptungen Panik zu erzeugen ({2}) und eine sinnvolle, weil die Umwelt möglichst wenig belastende Beseitigung der Restmüllmenge zu verhindern. Zur Neuregelung der Abfallverbrennung in Industriefeuerungsanlagen kann ich in aller Kürze nur noch folgendes feststellen: Erstens. Es war schon vor der Änderung des § 4 auf Grund einer Zusatzgenehmigung möglich, in Anlagen, die nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigt wurden, Abfall zu verbrennen. Zweitens. Nach dem neuen Recht wird eine solche Änderungsgenehmigung nicht mehr nach Abfallrecht, sondern nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz erfolgen. Es gibt somit eine andere Behördenzuständigkeit, nicht mehr. Drittens. Die Grenzwerte und die abfallrechtlichen Überwachungen gelten auch für diese neue Art einer thermischen Entsorgung. ({3}) Damit, meine Damen und Herren, läßt sich das Fazit ziehen, daß durch die Änderung des § 4 keine Verschlechterung der Umweltsituation eintritt, was Sie nicht wahrhaben wollen. Im Gegenteil, diese Gesetzesänderung ermöglicht Verbesserungen, weil sie hilft, den in einigen Gebieten immer prekärer werdenden Müllnotstand schneller zu beseitigen. Vielleicht kann die Neuregelung auch dazu führen, daß wir uns den Neubau einiger Anlagen zur thermischen Verwertung sparen können. Sich mit den GRÜNEN argumentativ auseinanderzusetzen, ist deshalb kaum lohnend, ({4}) weil sie einerseits sowohl gegen Müllverbrennung als auch gegen Deponierung sind, ({5}) andererseits aber auch nicht sagen, wo die Restmüllmenge bleiben soll, die auch dann übrig bleibt, wenn alle Vermeidungs- und Wiederverwertungsstrategien greifen. Statt dessen möchte ich mich lieber einmal mit der Haltung der SPD befassen. Besser gesagt: Ich möchte herauszufinden versuchen, ob sie in dieser Frage überhaupt noch eine Haltung hat. ({6}) Wir wissen, daß in Nordrhein-Westfalen vom Umweltminister Matthiesen seit Jahren eine konsequente Abfallverbrennungspolitik betrieben wird ({7}) mit der Folge, daß es aus Nordrhein-Westfalen, ebenso übrigens aus Bayern, keine Müllexporte in andere Länder gibt. In der Aktuellen Stunde am 28. März dieses Jahres haben sich die Sprecher der SPD fast ohne Ausnahme - Frau Kollegin Dr. Hartenstein etwas eingeschränkt - für Müllverbrennung eingesetzt. In Niedersachsen haben wir nun aber eine neue SPD-geführte Landesregierung, die sich eindeutig gegen den Bau neuer Hausmüllverbrennungsanlagen ausgesprochen hat, und zwar nicht auf Druck der GRÜNEN, sondern aus eigenem freien Willen der Sozialdemokraten, den sie auch schon vor der Wahl so artikuliert hatten. ({8}) Die schleswig-holsteinische Landesregierung hält ebenfalls nichts mehr von der Müllverbrennung. So reicht die Spannweite der vertretenen Auffassungen bei der SPD von der nachdrücklichen Befürwortung der Müllverbrennung bis zur eindeutigen Ablehnung. Nicht nur auf den unteren Ebenen - da gibt es bei den geplanten Standorten von Müllverbrennungsanlagen in Anwendung des Sankt-FlorianPrinzips zuweilen schon recht seltsame Koalitionen -, nein, auch auf der oberen Ebene gehen die Meinungen weit auseinander. Nun müßte man eigentlich annehmen, daß man vor einer Wahl wissen muß, wohin Sie marschieren wollen. ({9}) Ich habe zur Zeit den Eindruck, daß es leichter ist, einen Pudding an die Wand zu nageln, als eine einigermaßen verläßliche Aussage über die Haltung der SPD zur thermischen Verwertung der Restmüllmenge auszumachen. Da sich die sozialdemokratischen Gegner der thermischen Abfallverwertung aber immerhin noch so viel Realitätssinn bewahrt haben, daß sie auch bei weitestgehender Abfallvermeidung und -verwertung noch von dem Vorhandensein einer Restmüllmenge ausge17690 hen, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als diese zu deponieren. Das macht im Augenblick die niedersächsische Landesregierung. In Niedersachsen sind zahlreiche Kommunen und Landkreise leider Gottes zur Zeit gezwungen, neue Deponien zu erschließen oder vorhandene Deponien zu erweitern. ({10}) Ich frage mich nun, wie es die SPD eigentlich verantworten zu können glaubt, auf diese Weise neue Zeitbomben in unserem Lande zu verstecken. Man kann Deponien natürlich nach unten absperren und das Sickerwasser behandeln. Ein aus mehrfachen Schichten bestehendes Abdichtungssystem nach unten ist sehr teuer. Ob es auf Dauer hält, kann auch niemand sagen. ({11}) Was machen wir denn, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, mit den Gasemissionen? Deponiegas besteht zu 35 bis 50 % aus Methan. Der hohe Anteil des Methans am Treibhauseffekt ist bekannt. ({12}) Eine gezielte Entgasung der Deponien ist unverzichtbar, was gleichzeitig bedeutet, daß die Deponien auch oben abgedichtet werden müssen. ({13}) - Das ist ja noch schlimmer und unverantwortlicher. Die Deponiegase müssen gesammelt und genutzt werden. ({14}) Da diese Gase allerdings auch halogenorganische Stoffe enthalten, stellt sich bei der Deponiegasverbrennung ({15}) eine ähnliche Frage zu den Emissionen und deren Reinigung wie bei der Abfallverbrennung. Auch das wird von Ihnen so nicht gesehen und häufig verschwiegen. Ein besonders hohes Gefahrenpotential ist die organische Fraktion der Deponieabfälle. Sie führt zu weitgehend unbeeinflußbaren chemischen, physikalischen und mikrobiologischen Prozessen, bei denen solche Stoffe und Stoffverbindungen erzeugt werden, die vor allem geeignet sind, das Grundwasser zu schädigen. Fachleute sind sich heute deshalb darüber einig, daß es nicht mehr verantwortet werden kann, Siedlungsabfälle ohne Vorbehandlung zu deponieren. Diese Vorbehandlung muß dazu führen, daß deponierte Abfälle weitgehend frei von organischen Anteilen sind. Nach dem gegenwärtigen Stand der Technik spricht alles für eine thermische Behandlung, ({16}) da sie zu einer weitgehenden Mineralisierung der Abfälle führt. ({17}) Mich würde interessieren, wie die SPD zu all diesen Erkenntnissen und auch zu den sich daraus ergebenden Konsequenzen steht, ({18}) wie sie insbesondere auch in dem Bericht des Umweltbundesamtes zur Hausmüllverbrennung enthalten sind und sicherlich auch ihren Niederschlag in der für das nächste Jahr zu erwartenden TA Siedlungsabfälle finden werden. Mir scheint es, meine Damen und Herren, jedenfalls dringend erforderlich, daß wir uns gegen eine Verharmlosung des Gefährdungspotentials von Hausmülldeponien wenden, wie sie von Verbrennungsgegnern aus durchsichtigen politischen Gründen häufig betrieben wird. Insbesondere dürfen Anlagen zur thermischen Behandlung und Deponien hinsichtlich ihrer Emissionen nicht mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen werden. ({19}) Wir haben im Augenblick keine zuverlässigen Kontrollen, Messungen und Auswertungen, welche Gase mit welchen gefährlichen Zusammensetzungen aus den Deponien herauskommen. Die neue niedersächsische Landesregierung kümmert sich darum nicht, sie kümmert sich nur um die Abdichtung nach unten. Würde die Argumentation in dieser Frage der Müllbeseitigung weniger demagogisch und in höherem Maße mit rationalen Argumenten erfolgen, ({20}) was ja wohl möglich sein müßte, hätten wir eine umweltfreundliche , nämlich thermische Verwertung der Restmüllmenge überall in der Bundesrepublik schon längst weiter vorangetrieben, als es heute der Fall ist. Denn ob Deponien oder Müllverbrennungsanlagen neueren Standards gefährlicher sind bzw. welchen von beiden der Vorzug zu geben ist, ist nun in erster Linie eine Frage, die an die Wissenschaft und an die Technik und nicht an die Politik zu stellen ist. Ich bedaure, daß hier ohne Berücksichtigung der Sacherkenntnisse der Wissenschaft immer wieder in unverantwortlicher Weise Demagogie in übelstem Maße betrieben wird. Vielen Dank. ({21})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kastner.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001069, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kommunen sind in einer verzweifelten Situation, da sie auf der einen Seite mit dem ständig anwachsenden Müllaufkommen und den damit verbundenen enormen Schwierigkeiten fertig werden müssen und auf der anderen Seite ihnen mit Ausnahme von Abfallsortierung und Abfallverwertung kein geeignetes Instrumentarium der Abfallreduzierung zur Verfügung steht. So, meine sehr verehrten Damen und Herren, beginnt ein Brief der Stadt Barntrup an die Frau Bundestagspräsidentin. Dies ist einer der vielen Hilferufe der Kommunen, die die Abgeordneten aller Fraktionen und sicher auch die Bundestagsverwaltung erreichen. In 31 von 71 Landkreisen Bayerns droht bereits heute ein Entsorgungsengpaß, falls einleitende Maßnahmen nicht oder nicht mehr rechtzeitig eingeführt werden. Der Brief der Stadt Barntrup enthält u. a. folgende Resolution: Der Rat der Stadt Barntrup fordert die gesetzgebenden Körperschaften des Bundes und des Landes auf, im Rahmen ihrer Zuständigkeit gesetzliche Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die anfallenden Müllmengen reduziert werden können ({0}). Der Herr Umweltminister, ({1}) der heute leider nicht da ist - aber ich denke, Herr Staatssekretär Grüner wird ihm das weitergeben ({2}) muß die Verantwortung für die in den Kommunen bestehende Situation übernehmen. Seit der Verabschiedung des Abfallgesetzes von 1986 hat er keine seiner Möglichkeiten, für eine wirkungsvolle Abfallvermeidung zu sorgen, ausgeschöpft. ({3}) Die Veröffentlichung in „Umwelt 90" trägt zwar den Titel „Abfallvermeidung und Abfallentsorgung", aber bereits im Vorwort kommt das Wort Abfallvermeidung nicht mehr vor. ({4}) Die Broschüre ist gespickt von Willenserklärungen wie „der Bundesumweltminister strebt an" oder „es sollen eigene Rechtsverordnungen erstellt werden". Er hat sich auf Zielfestlegungen beschränkt und auf die Selbstverpflichung der Wirtschaft gesetzt. ({5}) Fazit seiner Politik ist: Die Müllberge wachsen weiter. Das können Sie, Herr Göhner, auch nicht leugnen. Das gilt vor allem für die Bereiche Gewerbemüll und Sondermüll sowie für die Verpackungsabfälle. Auf der anderen Seite schrumpfen die Deponiekapazitäten. Moderne Entsorgungsanlagen sind nicht rechtzeitig in Angriff genommen worden. Durch das inkonsequente Handeln des Umweltministers entstand der vorhin genannte Müllnotstand in den Kommunen. Auf dem Gebiet der DDR besteht ebenfalls die Gefahr eines baldigen Müllnotstandes, weil - bedingt durch die Einführung der Marktwirtschaft - das Recyclingsystem zusammenbricht, ausreichende Deponien nach bundesrepublikanischem Standard nicht vorhanden sind und in der politischen Willensbildung nicht auf die Müllvermeidung gesetzt wird. „Die Republik versinkt im Müll", schreibt eine Zeitung. Allein die privaten Haushalte produzieren Jahr für Jahr 14 Millionen Tonnen; davon ist ein Drittel Verpackungsmüll. Der Herr Umweltminister reagiert mit dem Entwurf einer Rechtsverordnung zu § 14 des Abfallbeseitigungsgesetzes, bei dem zu befürchten ist, daß die Rücknahmepflicht des Handels zu keiner stofflichen Verwertung der Umweltverpackungen führt, sondern einfach ihr Aus in den Müllverbrennungsanlagen findet. ({6}) Für die Verkaufsverpackungen wird der Bürger eine neue Verpackungstonne bekommen. In dieser Tonne findet sich dann alles wieder, was angeblich zur Verpackung gehört. Diese Tonne gibt der Herr Umweltminister dann der Privatwirtschaft in die Hand, wo keiner der Beteiligten ein wirkliches Interesse an der Abfallvermeidung hat. Das Fazit lautet wiederum: Die Müllberge werden weiter wachsen. Dies alles geschieht nur, weil der Herr Töpfer die Forderungen der SPD für eine ökologisch orientierte Abfallwirtschaft einfach nicht übernehmen will. ({7}) Bereits 1984 forderte die SPD u. a. das Verbot bestimmter nicht wiederverwertbarer und nicht schadlos zu beseitigender Produkte und Verpackungen. Ebenso forderte sie die Kennzeichnungspflicht und den Vorrang der stofflichen Verwertung. ({8}) Was Herr Töpfer mit seiner sogenannten dualen Entsorgung bewirkt, bedeutet zweierlei: Erstens ein Umgehen der öffentlichen Kontrolle, da der Inhalt der Verpackungstonne ja von der Privatwirtschaft ohne kommunale Aufsicht entsorgt wird, und dies im übrigen ohne Lizenzmodell, ein Modell, mit dem z. B. Nordrhein-Westfalen seine Sonderabfallentsorger in die Pflicht nimmt. Diese Lizenz wird vom Land Nordrhein-Westfalen nur dann vergeben, wenn die Voraussetzungen für die Lizenzvergabe stimmen. Das verstärkt die staatliche Kontrolle, und dies ist auch so gewollt. Bei dem Modell des Herrn Töpfer aber liegt der Verdacht nahe, daß ein erheblicher Teil eben in genau diesen Industriemüllöfen landet; denn dies ist für die Wirtschaft lukrativ, für die Umwelt aber verheerend. ({9}) Zweitens. Es besteht die Gefahr, daß immer mehr Hausmüll in die Verpackungstonne wandert, weil diese Tonne des dualen Abfallsystems für die Bürgerinnen und Bürger kostenlos ist, während die städtische Tonne von Jahr zu Jahr teurer wird. Dies kann langfristig dazu führen, daß es zu einem Zusammenbruch des Getrenntsammelns kommt. ({10}) Denn warum sollen wir Verbraucher uns denn mit sperrigen, schweren Mehrwegkästen abschleppen, wenn die Entsorgungstonne direkt vor unserer Haus17692 tür steht? Ich frage Herrn Töpfer, ob er das wirklich so gewollt hat. ({11}) Da auch sein Staatssekretär nicht zuhört, bin ich mir nicht ganz sicher, ob die Fragen ihn weitergegeben wird. Aber ja, Herr Töpfer wird den Kommunen auch erklären müssen, was mit diesem System auf sie zukommt. Er wird Rede und Antwort zu stehen haben, wenn die Müllberge weiter wachsen; denn der Bürger - das hat das Volksbegehren in Bayern gezeigt - ist in dieser Frage sehr sensibilisiert. ({12}) Ich bin fest davon überzeugt, daß sich unter den von Ihnen gegebenen politischen Voraussetzungen die Anzahl der Anlagen, die Müll verbrennen, vervielfachen wird. Jetzt, Frau Hensel, hören Sie gut zu: Die SPD-Bundestagsfraktion steht auch heute zu dem damals in namentlicher Abstimmung gefaßten Beschluß: keine generelle gesetzliche Genehmigung für Verbrennung in sogenannten bestehenden Anlagen. ({13}) Die Regierungskoalition hat mehrheitlich anders entschieden. ({14}) - Darauf komme ich gleich noch zu sprechen. ({15}) Aber der Herr Minister hat bis heute keine ausreichende Rechtsgrundlage geschaffen, daß stationäre MeB- und Überwachungseinrichtungen in alle Mitverbrennungsanlagen eingebaut werden müssen. Dies hat Nordrhein-Westfalen nun ebenfalls über den Bundesrat getan. ({16}) Am 21. September wird dies beraten. In dem Entwurf zur 17. Bundesimmissionsschutzverordnung heißt es: In § 1 Abs. 1 wird folgender Satz 2 eingefügt: „Die Verordnung ist auch anwendbar, wenn die Anlage überwiegend einem anderen Zweck als der Verbrennung der in Satz 1 bezeichneten Stoffe dient ... " In der Begründung heißt es weiter: Die Ergänzung dient der Klarstellung, soweit es um die Mitverbrennung von Abfällen oder ähnlichen brennbaren Stoffen in Anlagen für andere Zwecke geht.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Göhner?

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001069, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Kastner, da Sie sich auf eine Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen bezogen haben, möchte ich Sie fragen: Ist Ihnen bekannt, daß das Land Nordrhein-Westfalen bereits vor dem novellierten BImSchG im Wege der Ausnahme Genehmigungen zur Verbrennung von Abfall in anderen Immissionsschutzanlagen, die nach dem BImSch-Gesetz genehmigt waren, genehmigt hat, so beispielsweise im Kraftwerk Veerde? ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001069, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Verbesserung für Immissionswerte ist vom Land Nordrhein-Westfalen über den Bundesrat eingebracht worden. ({0}) Es war das Land Nordrhein-Westfalen, das in dem neuen Antrag darauf achtet, daß die Verbrennung in weiteren Industrieanlagen nur dieselben Immissionswerte wie Müllverbrennungsanlagen haben darf. Wenn Sie meiner Begründung weiter zugehört hätten, dann hätten Sie noch erfahren, daß es da weiterhin heißt: Darüber hinaus wird sichergestellt, daß für die Verbrennung von Abfällen außerhalb der dafür zugelassenen Abfallentsorgungsanlagen dieselben materiellen Anforderungen gelten wie für die Verbrennung in Anlagen nach Nr. 81 des Anhangs der 4. Immissionsschutzverordnung. Herr Göhner, Sie geben mir doch zu, daß der Umweltminister Nordrhein-Westfalens eine weitaus größere umweltpolitische Verantwortung zeigt, als es der Umweltminister der Bundesrepublik Deutschland tut. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sind Sie bereit, eine weitere Frage zu beantworten?

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001069, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Kastner, ist Ihnen bekannt, daß der Umweltminister des Landes Nordrhein-Westfalen die Verbrennung von Abfällen in BImSchG-Anlagen genehmigt hat, ohne daß die jetzt geforderten Voraussetzungen bisher bestanden? ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001069, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Göhner, es gab in § 4 des Gesetzes eine Ausnahmegenehmigung. Sie haben die generelle Genehmigung hier im Bundestag beschlossen. Es war der Umweltminister von Nordrhein-Westfalen, der auch das wollte, der jetzt aber dafür sorgt, daß es zu keinem größeren Schadstoffausstoß kommen darf als bei Müllverbrennungsanlagen. ({0}) - Es ist besser, er macht das jetzt. Die Bundesregierung macht es ja überhaupt nicht. Jetzt zu dem Antrag der GRÜNEN, der heute zur Abstimmung steht. Dieser Antrag zielt in weiten Teilbereichen in die richtige Richtung. Aber aus umweltpolitischer Verantwortung heraus werden wir uns heute beim Antrag der GRÜNEN enthalten; denn es ist einfach utopisch, zu glauben, daß alle Reststoffe in natürliche Kreisläufe oder Produktionsprozesse zurückgeführt werden können. ({1}) Jetzt hören Sie bitte zu, Frau Hensel. Sie habe vorhin danach gefragt: Deponien und Verbrennungsanlagen, natürlich ausgerichtet mit neuestem technischen Standard, sind für absehbare Zukunft auch für uns Sozialdemokraten unverzichtbar. ({2}) Der Herr Bundesumweltminister, so habe ich in meiner Rede erwähnt, hat die Gelegenheit versäumt, rechtzeitig geeignete rechtliche Grundlagen zu schaffen, um die Maßnahmen zur Abfallvermeidung und Abfallverwertung zu fördern. Herr Töpfer hätte längst Nägel mit Köpfen machen können. Aber er rangiert lieber auf dem Müllverschiebebahnhof weiter, und der Verbraucher zahlt Lager- und Entsorgungskosten zusätzlich zu seiner pauschalen Abfallgebühr mit. Wir werden das nicht mitmachen. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erleben nun wieder das schöne Schwarze-Peter-Spiel, hin und her, die jeweilige Opposition macht die Regierung verantwortlich. - Ich habe übrigens festgestellt, daß die jeweilige Opposition in dieser Frage dazu neigt - ich will meine Partei nicht ausnehmen - , sich von den unangenehmen Entscheidungen zu entfernen. Das ist auch jetzt so. Frau Kollegin, hätten Sie die Einsicht, mit der Sie den Antrag der GRÜNEN zurückgewiesen haben, am Anfang Ihrer Rede genannt, hätten Sie eine ganz andere Rede halten müssen. Sie haben nämlich so getan, als sei eine Reihe der Probleme durch einen Handstreich oder durch eine einfache Entscheidung der Bundesregierung zu lösen. Wir diskutieren hier einen Ausschnitt aus dem Abfallproblem. Die Koalition hat eine Große Anfrage eingebracht. Wir werden noch Gelegenheit haben, dieses wichtige Thema in einem größeren Zusammenhang zu behandeln. Über die Industriefeuerungsanlagen, also über den Antrag der GRÜNEN, haben wir hier schon diskutiert. Die Verbrennung bestimmter Abfälle unter engen Bedingungen in Industriefeuerungsanlagen ist angesichts der Abfallmenge umweltpolitisch geboten und kann auch umweltverträglich erfolgen. Würde man jetzt allerdings die in Beratung befindliche siebzehnte Verordnung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz in vollem Umfang auf diese Art der Verbrennung ausdehnen, also die TA Luft hier nicht mehr anwenden, dann käme es zu erheblichen Schwierigkeiten. Es müßte ein großer Teil des Abfalls gelagert werden. Es gäbe mehr Reststoffe. Es müßten wieder wertvolle fossile Brennstoffe eingesetzt werden. Ich appelliere an den Umweltausschuß des Bundesrates, sich über diese Folgen, also die Umweltbilanz einer solchen Entscheidung, genau Klarheit zu verschaffen, bevor in der nächsten Woche eine Entscheidung getroffen wird. Richtig ist, daß der Abfall zu einem erheblichen Problem geworden ist. Falsch ist die Behauptung der GRÜNEN, daß die gesetzgeberischen Maßnahmen des Bundes seit 1975 als gescheitert angesehen werden müssen. Ein Blick in die sorgfältigen Jahresberichte des Umweltbundesamtes, auch ein Blick in den soeben erschienenen Bericht für 1989 nimmt dieser Behauptung jegliche Grundlage. Alle Beteiligten auf allen Ebenen des Staates und der Wirtschaft haben Anstrengungen unternommen; denn trotz steigenden Wohlstands und kräftigem Wirtschaftswachstums sind die Hausmüllmengen seit 1975, also seit etwa 15 Jahren, in etwa gleich geblieben. Es besteht kein Anlaß zur Selbstzufriedenheit, aber auch kein Anlaß zu einer unziemlichen, ungerechtfertigten Dramatisierung. Das bisherige Verfahren der Abfallentsorgung muß durch eine echte Abfallwirtschaft abgelöst werden. Wo es irgend möglich ist, müssen Abfälle vermieden werden. Sind sie dennoch entstanden, so ist ihre Wiederverwendung vorrangig stofflicher Art anzustreben. Die besten Abfälle sind diejenigen, die gar nicht erst entstehen. Hierauf ist schon bei der Entwicklung und Herstellung von Produkten zu achten. Produkte aus unterschiedlichen Stoffen müssen sich leicht trennen und sich leicht und schadlos wiederverwerten oder beseitigen lassen. Problematisch ist trotz der Rückgänge, die ich genannt habe, die Abfallkonsistenz, also die Zusammensetzung des Abfalls. Schwierigkeiten bereiten die Problemstoffe des Abfalls, auch im Hausmüll. Ich nenne ein Beispiel: In den elektrischen Geräten des privaten Verbrauchs oder in Küchengeräten sind elektrische Bauteile, die PCB enthalten. Diese Stoffe müssen aus dem Hausmüll heraus. Das gleiche gilt für Batterien, für Produkte aus dem Elektronikbereich usw. Ich will damit sagen: Die Menge ist ein Problem, aber die Schadstoffbelastung des normalen Hausmülls ist ein noch viel größeres Problem. In diesem Punkt kann ich die Bundesregierung nur ermutigen, weiter alles zu tun, um diese Teile herauszunehmen; denn sie belasten die Deponien. Die Einführung privatwirtschaftlich organisierter und finanzierter Wertstoffsammlungen, also das duale System, wird von der FDP vorgeschlagen. Die Wirtschaft hat nun endlich unter dem Druck der drohenden Verpackungsverordnung eine Konzeption vorgelegt - erst jetzt, muß ich mit einiger Bitterkeit sagen, denn wir fordern dies schon seit langer Zeit. Es sind uns Zusagen gemacht worden, die bisher nie realisiert worden sind. Das vorliegende Konzept kann abschließend nur beurteilt werden, wenn die noch offenen Punkte geklärt sind. Das betrifft die zeitliche und flächendekkende Umsetzung des Konzepts, das betrifft die Erfas17694 sung aller Wirtschaftszweige und besonders auch die Sicherstellung, Frau Kollegin Kastner, daß die gesammelten Wertstoffe, die bisher als Abfall den Kommunen überlassen wurden, nicht einfach verbrannt oder deponiert werden, sondern - wo irgend möglich - stofflich wiederverwertet werden. Die stoffliche Wiederverwertung hat für die FDP eindeutig Vorrang vor der thermischen Verwertung. An der geplanten Verpackungsverordnung sollte der Umweltminister festhalten, wobei ich davon ausgehe, Herr Grüner, daß die Regelung in einigen Punkten noch verbessert wird, beispielsweise bei der Festlegung des Grundsatzes der stofflichen Verwertung. Wir brauchen die Rücknahmepflicht für Verkaufsverpackungen. Wir brauchen ein Pfand für Getränkeverpackungen. Ich lasse das Pfand nicht abwerten. Es ist ein marktwirtschaftliches Instrument. Gerade mit dem Pfand können und müssen wir die Mehrwegsysteme stabilisieren. Auch wir haben ein Interesse an der Stabilisierung und am Ausbau der Mehrwegsysteme. Keinesfalls dürfen wir eine Entwicklung bekommen, bei der auf Grund des im dualen Abfallwirtschaftskonzept der Wirtschaft vorgesehenen grünen Punkts die Mehrwegsysteme zusammenbrechen. Diese Sorge, die hier geäußert wurde, teile ich. Wir werden darauf achten, daß das nicht geschieht. An dem in der Verpackungsverordnung vorgesehenen Pfand ist festzuhalten, es sei denn, das duale System bietet eine unter Umweltgesichtspunkten mindestens genauso befriedigende andere Lösung, die tatsächlich funktioniert. Dann kann man auf das staatliche ordnungsrechtliche Instrumentarium, das allein in der Lage ist, die Wirtschaft zu diesen Entscheidungen zu bewegen, verzichten, vorher nicht. Das duale System muß im wesentlichen ein Holsystem sein. Sammelstellen, zu denen Wertstoffe gebracht werden müssen, sind nicht effizient genug, reichen nicht aus. Trotz aller Abfallvermeidungs- und -reduzierungsmaßnahmen bleiben am Ende Abfälle, die verbrannt und deponiert werden müssen. Das Umweltbundesamt hat vor wenigen Monaten eine umfangreiche Studie vorgelegt, wonach eine Abfallentsorgung ohne Verbrennung derzeit weder vertretbar noch sinnvoll ist. Die Untersuchungen liegen alle vor. Es gehört Mut dazu, diesen Standpunkt zu vertreten. Die SPD hier sollte das ebenso tun, wie das auch einige ihrer Landespolitiker tun. Zur stärkeren Abfallvermeidung und stofflichen Verwertung brauchen wir weitere marktwirtschaftliche Anreize. Meine Partei wird in der nächsten Legislaturperiode eine produktbezogene Deponieabgabe auf Sonderabfälle vorschlagen. Ebenso brauchen wir kostengerechte Müllgebühren, ({0}) die auch die künftige Sorge für die Deponien einbeziehen. Die Bürger müssen spüren, welche Kosten notwendig sind, um eine wirklich effiziente umweltgerechte Abfallentsorgung zu organisieren. ({1}) - Wir haben in unserem Programm eine ganze Reihe von Abgaben. Wir haben uns überlegt, wo Abgaben eine lenkende Funktion haben könnten. Diese haben wir vorgesehen; übrigens auch die CDU, wenn ich das richtig sehe. Darüber gibt es gar keinen Streit. Der Streit besteht nur darin, daß wir keine zusätzlichen Steuern haben wollen; wir wollen das umweltpolitische Verhalten der Menschen sozialgerecht beeinflussen. Sie haben die Gemeinden angesprochen, Frau Kollegin, und hier den Hilferuf der Gemeinden zur Geltung gebracht. Ich darf meinerseits den Blick auf die Gemeinden richten und fragen: Wo sind denn die Abfallwirtschaftsziele? Wo ist das Abfallwirtschaftskonzept der von Ihnen genannten Gemeinde? Hat sie so etwas? In unseren Gesetzen ist das alles vorgesehen. Was machen denn die Länder? Wo haben sie ihre Konzepte? Wir sind ein föderativer Staat. Wir haben hier nur die konkurrierende Gesetzgebung. Alle müssen zusammenwirken. Fragen Sie diejenigen, die den Brief geschrieben haben: Wo ist das Abfallwirtschaftskonzept, wo sind die Abfallwirtschaftsziele, auf Tonnen und Jahr berechnet, in dieser Gemeinde Barntrup, die Sie hier genannt haben? ({2}) Das möchten wir gern wissen, bevor wir ernst nehmen, was uns die Gemeinde schreibt. Wir müssen auf Bundesebene überlegen, meine Kollegen, was wir tun, um das Instrumentarium noch weiter zu verdichten. Herr Kollege Schmidbauer, wir haben uns ja wiederholt darüber unterhalten. Ich meine, daß wir die Novellierung des Abfallgesetzes ins Auge fassen sollten. Meine Partei wird das vertreten. Wir sind z. B. der Meinung, daß noch deutlicher als bisher die stoffliche Verwertung in diesem Gesetz zum Ausdruck kommen sollte. ({3}) Wir müssen also an das Gesetz neu herangehen und sehen, wie es sich bewährt hat. Es steht auf der Tagesordnung der nächsten Legislaturperiode, Herr Kollege Lennartz, auch von unserer Seite her. ({4}) - Gut. Wir haben jetzt gesehen, wie negativ oder mißverständlich oder sogar bösartig einige unseren Text auslegen. Das werden wir richtigstellen, Herr Kollege Stahl. Der Vorrang der stofflichen vor der thermischen Verwertung sollte auch im Gesetz seinen Niederschlag finden. Ich meine, wir brauchen hier das Zusammenwirken aller Beteiligten. Der nordrhein-westfälische Minister hat ja die Probleme vor der Haustür. Vieles sieht draußen an der Front ganz anders aus als hier in der theoretischen Diskussion. Die Praktiker sind sich weitgehend einig; bis zu einem gewissen Grade müssen sie es auch sein. Es ist unser gemeinsames Problem und unser gemeinsamer Müll. ({5}) Ich meine, wir sollten auf dieser Basis, wie es Herr Kollege Eylmann gesagt hat, weiter rational Politik machen. Die Bundesregierung hat unsere Unterstützung. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Die Abgeordnete Frau Hensel hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. - Dafür haben wir die Saalmikrophone.

Karitas Dagmar Hensel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000872, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn der Parlamentarismus immer so formal wäre, wäre ich ja ganz froh. Der Ausgangspunkt meiner Kurzintervention ist der mir seit heute früh vorliegende Bericht des Umweltausschusses, den wir gemäß § 62 der Geschäftsordnung beantragt hatten. Zu dem Bericht auf Drucksache 11/7838 - ich habe es leider bei den Reden der Regierungsparteien, speziell von Herrn Baum, vermißt, daß darauf eingegangen wurde - kann ich nur drei Punkte feststellen. Erstens. Einzelne abfallpolitische Anträge sind schon mehr als zwei Jahre alt, und der Umweltausschuß hat sie bis heute noch nicht beraten. Die mitberatenden Ausschüsse haben zum Teil schon im Dezember 1988 und im Verlauf des Jahres 1989 ihre Stellungnahmen abgegeben. Hier drängt sich natürlich der Eindruck auf, daß sich der Umweltausschuß bewußt vor der Abfallproblematik drückt. ({0}) Zweitens. Es ist ein Armutszeugnis für diesen federführenden Ausschuß, daß selbst Anträge wie der für die obligatorische Einführung von Mehrwegverpakkungen für Getränke auf diese Weise auf die lange Bank geschoben werden. Herr Minister Töpfer kommt da mit einer Verpackungsverordnung heraus, und diese Anträge erledigen sich nach zwei bis drei Jahren fast von selbst. ({1}) - Ja, natürlich, sie sind schon vor zwei, drei Jahren eingebracht worden, lieber Herr Kollege Schmidbauer. ({2}) Drittens. Der aus meiner Sicht wichtigste Punkt betrifft die internationale Verantwortung, der wir uns alle nicht entziehen können. Immer noch geht der deutsche Giftmüll auf verschlungenen Wegen und mit abenteuerlichen Deklarationen rund um den Globus. Die bundesdeutschen Behörden kneifen die Augen zu oder leisten gar tatkräftige Unterstützung. Würde die Bundesregierung entsprechend den Anträgen, die noch immer in diesem Ausschuß im Umlauf sind, tätig werden - wir hatten einmal beantragt, eine Technische Anleitung Abfallvermeidung zu erstellen - und würde darüber einmal ernsthaft beraten, dann, glaube ich, würden wir uns etliche Mülldebatten in diesem Hause ersparen und uns grundlegenderen Dingen zuwenden können. Danke. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wir müssen ja alle bei der Kurzintervention noch lernen. An sich ist diese nun wirklich frei zu halten; ansonsten ist sie keine. ({0}) Herr Baum, Sie waren der letzte Redner. Wenn Sie wollen, dürfen Sie darauf antworten.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich wollte der Kollegin nur sagen, daß wir im Umweltausschuß die noch nicht beratenen Vorlagen in der nächsten Woche beraten wollen; das hatten wir schon seit einiger Zeit festgelegt. Es gibt selbstverständlich Vorlagen, die sehr alt sind, die schon lange eingebracht worden sind und die auch schon veraltet sind. Sie haben die Gelegenheit, sie auf den neuesten Stand zu bringen. Wir werden über diese Vorlagen in der nächsten Woche beraten, und diese Vorlagen kommen dann in das Plenum zurück. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich schließe nun die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/7851. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Bei Enthaltung der Fraktion der SPD ist die Entschließung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden. Ich komme jetzt zum Tagesordnungspunkt 10: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Doss, Hauser ({0}), Wissmann, Dr. Faltlhauser, Sauer ({1}), Gerster ({2}), Hörster, Kittelmann, Dr. Unland, Rossmanith, Dr. Laufs, Niegel, Dr. Schroeder ({3}) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Grünbeck, Funke, Frau Folz-Steinacker, Dr. Feldmann, Dr.-Ing. Laermann, Dr. Solms, Rind, Gattermann, Kohn, Cronenberg ({4}), Dr. Graf Lambsdorff, Dr. Weng ({5}) und der Fraktion der FDP Lage der Freien Berufe im Zuge der Schaffung des europäischen Binnenmarktes - Drucksachen 11/5640, 11/6985 Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat, meine Damen und Herren, sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Doss.

Dr. Hansjürgen Doss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000411, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Freie Berufe sind Zeugen einer freien Gesellschaft. Sie sind unabhängige Vermittler zwischen Bürger und Staat, Helfer und Berater in schwierigen Sachfragen komplizierter Abläufe. Sie sind sachkundige Spezialisten auf ihrem jeweiligen Fachgebiet, Garanten für qualifizierte Leistung, Seriosität und Integrität. Freie Berufe sind nur in einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung, in einem demokratischen Staatswesen denkbar. In totalitären Systemen gibt es keine freien Berufe. Das Verhältnis zwischen Bürger und Staat ist in vielen Bereichen derart kompliziert geworden, daß Kommunikation kaum noch oder nur sehr kompliziert stattfindet. Weil der Bürger die Komplexität von Gesetzen und Verordnungen, Auflagen, Bestimmungen und Regelwerken gar nicht mehr erfassen kann, brauchen wir sie, die freien Berufe. Sie sind sachkundige Berater und Helfer der Bürger, aber auch wesentliche Mitgestalter des kulturellen Lebens, Vermittler von Informationen und Meinungen, und als kreative Kraft in Wissenschaft und Forschung und Technik sind die freien Berufe zu einem unverzichtbaren Faktor in Wirtschaft und Gesellschaft geworden. ({0}) Dabei haben sich die freien Berufe in den zurückliegenden Jahrzehnten zu einem wirklich beachtlichen Wirtschaftsfaktor entwickelt; die Tendenz ist stark steigend. In den Büros, Kanzleien, Praxen und Ateliers in der Bundesrepublik Deutschland arbeiten in der Zwischenzeit rund 400 000 selbständige Freiberufler. Es gibt damit rund 40 000 mehr Freiberufler als selbständige Vollerwerbslandwirte, denen sich ein ganzes Ministerium widmet, hochverehrter Herr Staatssekretär, lieber Freund, ({1}) während es sich bei den freien Berufen nur um ein Zweieinhalb-Personen-Referat handelt, das sich in dem Bundeswirtschaftsministerium um deren Anliegen bemüht. Die freien Berufe stellen mehr als 15 % aller Selbständigen in der Bundesrepublik Deutschland. Schätzungen für das Jahr 2000 gehen davon aus, daß es dann rund 600 000 Freiberufler geben wird. Verehrter Herr Kollege, das sind dann ungefähr so viel, wie die Anzahl der Handwerksmeister zur Zeit. Es handelt sich also um eine beachtliche Zahl. ({2}) Das sind Zuwachsraten, wie sie in keinem anderen Wirtschaftsbereich erreicht werden. Bei den Erwerbstätigen liegen die Zuwachsraten zwischen 1970 und 2000 bei rund 3 %. Die Zahl der selbständigen Freiberufler zeigt im gleichen Zeitraum - man höre und staune - um 140 bis 150 %. Der Zuwachs bei den freien Berufen hat auch zunehmend Bedeutung für den Arbeitsmarkt. Gegenwärtig sind in diesem Bereich 1,3 Millionen Menschen beschäftigt. 130 000 junge Menschen erhalten eine qualifizierte und zukunftsorientierte Berufsausbildung. Mit der Antwort auf die Große Anfrage machen wir deutlich, daß die freien Berufe und deren gesellschaftlich wie volkswirtschaftlich bedeutsame Leistung hoch eingeschätzt werden und daß wir bemüht sind, die Rahmenbedingungen ihrer Existenz, ihrer täglichen Arbeit an die sich verändernden Anforderungen anzupassen, damit sie auch in Zukunft ihre Leistungsfähigkeit beweisen und ihren qualifizierten Dienst für Bürger und Gesellschaft zur Verfügung stellen können. Veränderte Anforderungen - das macht die Antwort der Bundesregierung vor allem deutlich - entstehen für die freien Berufe insbesondere im Rahmen der Schaffung des europäischen Binnenmarktes. Gefördert von anhaltend günstigen gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und eingebettet in die expansive Entwicklung der Dienstleistungsbereiche nehmen die Aufgaben und Funktionen der freien Berufe zu und wachsen die Betätigungsfelder und die Chancen der Selbständigen in den freien Berufen. Dies gilt sowohl für die Freiberufler aus den EG-Partnerländern als auch für diejenigen aus der Bundesrepublik Deutschland, die sich in den anderen EG-Ländern niederlassen und neue umfassende Betätigungsfelder erschließen werden, die ihnen die Europäische Gemeinschaft eröffnet. Den entscheidenden Schritt dazu hat die Hochschuldiplom-Richtlinie der EG von 1988 geleistet. Sie hat die Voraussetzungen für Dienstleistungen und Niederlassungsfreiheiten in der EG geschaffen. Für die freien Berufe ohne Hochschulabschluß werden vergleichbare Regelungen folgen, so daß der EG-Binnenmarkt für die freien Berufe ein in der Tat einheitlicher Markt und ein Betätigungsfeld ohne Schranken sein wird. ({3}) Ein positives Signal aus Brüssel gibt es auch zum Berufsrecht freier Berufe sowie zu den hierzulande verbindlichen Honorar- und Gebührenordnungen. Das ist ein sehr wichtiges Thema für die freien Berufe. Die Bundesregierung betont zu Recht die Bedeutung der Anerkennung von Berufsrecht sowie Honorar- und Gebührenordnungen durch die EG-Kommission insbesondere dort, wo freiberufliche Tätigkeit zum Schutze der Gesundheit, des Rechtsstaates und der Steuersicherheit ausgeübt wird oder wo die Tätigkeit des Freiberuflers zu weitreichenden Konsequenzen für den einzelnen und die Gesellschaft führt. Damit ist gewährleistet, daß es auch in einem vereinten Europa keinen ausschließlichen Preiswettbewerb für freiberufliche Leistungen geben wird. Der Patient wird in Zukunft also, bevor er sich operieren läßt, nicht herausfinden müssen, welcher Arzt ihm am preiswertesten den Blinddarm herausschneidet. In gesundheits-, sicherheits-, rechts- und steuerrelevanten Bereichen wird es auch künftig keine Billigstangebote mit zweifelhafter Qualität geben. Die Preisgestaltung wird hier offen und für jedermann nachvollziehbar sein. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort eine eindeutige Haltung für den Fortbestand von Honorar- und Gebührenordnungen über 1992 hinaus eingenommen. Sie hat erklärt, daß sie sich künftig auch gegenüber den europäischen Partnerländern dafür einsetzen wird, daß die Gebührenordnungen beibehalten werden. Die freien Berufe nehmen das mit Genugtuung zur Kenntnis, weil sie auch künftig auf den Qualitätswettbewerb statt auf den Preiswettbewerb setzen können. Nachholbedarf in Sachen Klarheit und Verläßlichkeit besteht dagegen noch in anderen Bereichen, etwa in der Frage anerkannter Berufsfelder. So ist beispielsweise der Berufsschutz freiberuflicher ÜberDoss setzer für Bürger, die für einen wichtigen Vertragstext, eine Urkunde oder ähnlich sensible Schriftstücke einen qualifizierten und zuverlässigen Dolmetscher benötigen, ein besonderes Anliegen. Gleiches gilt im Pinzip für eine ganze Reihe in Zahl und Bedeutung wachsender kreativer freier Berufe im technischen, wirtschaftlichen, journalistischen und künstlerischen Bereich. Das Bekenntnis der Bundesregierung zum Berufsrecht in den Bereichen, in denen freiberufliche Tätigkeit zu weitreichenden Konsequenzen für den einzelnen und die Gesellschaft führt, ist eine gute Begründung für die Ausdehnung des gesetzlichen Berufsschutzes auf die angesprochenen Berufsgruppen. Die freien Berufe, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind im großen und ganzen fit für Europa. Sie sehen dem europäischen Binnenmarkt mit Optimismus und Zuversicht entgegen, weil sie den Wettbewerb nicht zu fürchten brauchen, wenn er mit fairen Mitteln auf der Grundlage von Qualität und Leistung geführt wird. Eine unerwartete und in ihrer Dimension bisher nur schwer überschaubare Herausforderung für die freien Berufe ergibt sich aus der deutschen Einheit. In den fünf neuen Bundesländern ist der Bedarf nach freiberuflichen Dienstleistungen gewaltig. Andererseits beträgt die Zahl der Freiberufler dort allenfalls 3 000 bis 4 000. Der Bedarf kann demnach in absehbarer Zeit mit eigenen Kräften nicht abgedeckt werden. Neben der Orientierung am europäischen Binnenmarkt stellt sich daher den Freiberuflern in der Bundesrepublik die Aufgabe, in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen die Bewältigung des bei den Bürgern und den Betrieben anstehenden Bedarfs massiv zu unterstützen. Eine ganze Reihe von gesetzlichen Voraussetzungen, die das Engagement drüben eingeschränkt hatten, sind von der Volkskammer der DDR bereits abgeschafft worden. Das sind Verbesserungen. Zentrale Probleme sind vorläufig aber noch die schwierige finanzielle Situation neuer oder reprivatisierter Betriebe und die nahezu überall bestehende Aussichtslosigkeit, in den städtischen Zentren Büros anmieten oder erwerben zu können. Hier sind viel Improvisationsvermögen, viel Idealismus und viel Hilfsbereitschaft erforderlich. Es gibt genügend Beispiele dafür, daß Freiberufler aus der Bundesrepublik, insbesondere solche, die die Verantwortung für ihr Unternehmen in jüngere Hände gegeben haben, diese übergehen und in Form von „senior advisers" - das ist der neudeutsche Begriff dafür - beraten, helfen und planen, ohne daß dabei kommerzielle Interessen im Vordergrund stehen, weil es im Regelfall erfolgreiche Leute sind. Diese Beispiele haben Vorbildfunktion. Freie Berufe vor allem aus den wirtschaftsnahen Bereichen sind heute und in naher Zukunft für die Entwicklung der Noch-DDR dringend erforderlich. Ihr Sachverstand und ihre Fähigkeiten sind durch nichts zu ersetzen. Bürger und Betriebe haben nicht die Zeit, darauf zu warten, bis die von dem Bundesverband der Freien Berufe errechnete Zahl von rund 100 000 Freiberuflern im Bereich der jetzigen DDR aus eigener Kraft erreicht ist. Sie brauchen Steuer-, Rechts-, Technik-, Wirtschaftsberatung jetzt und heute. Die Bundesregierung hat neben den finanziellen Förderungen der Beratungstätigkeit, wie z. B. durch die Handwerkskammern, den Handel oder andere, dankenswerterweise Freiberufler aus allen Bereichen aufgerufen, bei dem Neuanfang und dem wirtschaftlichen Aufbau im anderen Teil Deutschlands mitzuwirken. Die Passage in der Antwort der Bundesregierung, sehr verehrter Herr Staatssekretär, die sich mit den wichtigen steuerpolitischen Problemen beschäftigt, hätte man sich etwas weniger zurückhaltend vorstellen können. Die freien Berufe werden von der Bundesregierung ausdrücklich in die Steuerentlastung mit einbezogen, was begrüßt wird. Die Einbeziehung der freien Berufe in die Gewerbesteuer wird nachdrücklich abgelehnt. Es wäre in der Tat absurd, eine Steuer mit derart ungerechten und leistungsfeindlichen Bestandteilen wie die Gewerbesteuer noch auf weitere Gruppen auszudehnen. Zu zurückhaltend ist auch die Antwort der Bundesregierung bei dem Thema Vorsorgeaufwendungen. Der steuerliche Abzugsrahmen für die Vorsorgeaufwendungen für Alter und Krankheit wird entgegen der Auffassung von Freiberuflern und anderen Selbständigen für ausreichend gehalten, obwohl der Vorwegabzug für Selbständige nur rund 4 000 DM beträgt, während der der Arbeitnehmer infolge der Steuerfreiheit des Arbeitgeberbeitrages zur Sozialversicherung jährlich 13 000 DM einspart. Die Selbständigen haben demnach einen Nachteil von rund 9 000 DM zur Kenntnis zu nehmen. Es handelt sich hierbei nicht um ein Problem, das die freien Berufe alleine betrifft, es sind vielmehr hier alle Selbständigen benachteiligt, Handwerksmeister, Kaufleute, selbständige Unternehmer in allen Wirtschaftsbereichen, insgesamt rund 2,5 Millionen Bürger und ihre Familien. Dieses Thema wird auf der politischen Tagesordnung bleiben. Ebenso bleibt das Thema Privatisierung von Dienstleistungen auf der Tagesordnung. Hier zeigt die Antwort der Bundesregierung zahlreiche Fortschritte auf. Ausdrücklich wird aber auch auf den noch bestehenden Handlungsbedarf insbesondere auf Länder- und Gemeindeebene verwiesen. Ich kann den Bund, vor allem aber auch die Länder und Gemeinden, von hier aus nur aufrufen, soweit wie möglich öffentliche Dienstleistungen auf freie Berufe und mittelständische Betriebe zu übertragen. ({4}) Mehr denn je wissen wir heute, daß die private Initiative insgesamt mehr leistet und erfolgreicher ist als staatliche Initiativen. Wenn der Staat sich stärker auf seine originären Aufgaben zurückziehen soll, dann muß er Leistungen, für die es keine hoheitliche oder ordnungspolitische Begründung gibt, verstärkt an die private Wirtschaft abtreten. Durch die guten Rahmenbedingungen haben die freien Berufe, mit dem EG-Binnenmarkt und der deutschen Einigung als Impulsgeber im Rücken, hervorragende Zukunftsaussichten. Gut sind auch die Chancen, den außerordentlichen Nachwuchsdruck, der sich aus der bis zur Jahrtau17698 sendwende noch massiv steigenden Zahl von Hochschulabgängern ergibt, zu verkraften und ihn sogar als belebendes Element zu empfinden. Die freien Berufe haben, anders als z. B. das Handwerk, keinerlei Nachwuchssorgen. Sie verfügen über zahlreiche junge, dynamische und gut ausgebildete Berufsanfänger, die sich bei der prognostizierten weiteren Ausdehnung des Dienstleistungssektors keine Zukunftssorgen zu machen brauchen. ({5}) Die freien Berufe haben, ohne daß wir vorhandene Detailprobleme geringschätzen, allen Anlaß zur Zuversicht. Der Bundesregierung, insbesondere dem Bundesminister für Wirtschaft und dem mit einer nur kleinen, aber sachkundigen Mannschaft ausgestatteten Referat freie Berufe, gebührt Dank und Respekt für die Leistung angesichts der Zuständigkeit für einen so großen Bereich unserer Volkswirtschaft, ({6}) wie sie auch in der vorliegenden Beantwortung der Großen Anfrage zum Ausdruck kommt. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Pfuhl. ({0})

Albert Pfuhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001711, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Kollegin, ich werde mich bemühen, nicht zu polemisieren, denn das Thema ist so ernst, so wichtig und wird von allen Seiten getragen, so daß wir keinen Anlaß haben, uns gegenseitig etwas um die Ohren zu hauen. Lassen Sie mich zu Beginn der Debatte einige Ausführungen zum Stellenwert und zur Bedeutung freier Berufe in unserer Gesellschaft und Wirtschaftsordnung aus der Sicht der Sozialdemokraten machen! Einigen in diesem Hause ist ja noch bekannt, daß die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung in der 8. Legislaturperiode erstmals einen Bericht über die Lage der freien Berufe in der Bundesrepublik vorgelegt hat. ({0}) Die SPD hat zu diesem Bericht gemeinsam mit ihrem damaligen Koalitionspartner eine Entschließung erarbeitet, die damals einstimmig vom Bundestag angenommen wurde und in der es heißt: Der Deutsche Bundestag bejaht die wirtschaftliche und soziale Bedeutung der freien Berufe, und zwar im demokratischen und sozialen Rechtsstaat. Die freien Berufe erbringen unentbehrliche Dienstleistungen für den einzelnen Bürger und die Volkswirtschaft. Sie tragen so wesentlich zur Erhaltung und Sicherung des Freiheitsraumes und damit auch zur Lebensqualität des einzelnen bei. Eine Vielzahl unabhängiger freiberuflich Tätiger ist ein wesentlicher Faktor im Wirtschafts- und Arbeitsleben unseres Landes. Die Sicherung bestehender sowie die Förderung neuer selbständiger, freiberuflicher Existenzen liegen daher im gesamtwirtschaftlichen Interesse. Bericht der Bundesregierung 1976! Meine Damen und Herren, dieser von uns formulierten Entschließung, der der Bundestag zugestimmt hat, ist auch heute noch nichts hinzuzufügen. Sie hat für uns bis heute unveränderte Gültigkeit. Das gilt gleichermaßen für die weiteren Grundsätze, die wir in der erwähnten Entschließung niedergelegt haben. ({1}) - Verehrter Herr Kollege, Sie können nachher hier an dieser Stelle Ihre Meinung dazu sagen. ({2}) Lieber Ernst, wir wollen hier nicht in ein persönliches Gespräch eintreten. - Ich nehme an, daß er eine Meinung hat; ob sie richtig ist, ist eine andere Frage. Damals hat man in dieser Entschließung festgelegt: die Sicherung bestehender und die Förderung neuer selbständiger freiberuflicher Existenzen - Herr Kollege, dazu gehören auch Bäcker und Konditoren -, die Schaffung besserer Voraussetzungen für die Genehmigung von Nebentätigkeiten von Beamten, die verstärkte Vergabe öffentlicher Dienstleistungen an freiberuflich Tätige, wenn das ohne Nachteil für die Allgemeinheit durchführbar ist, und die Gleichbehandlung der Vorsorgeaufwendungen von Selbständigen und Arbeitnehmern. Ähnliche Bekenntnisse finden sich auch heute in der Antwort der Bundesregierung, die wir diskutieren. Insofern gibt es pikanterweise sogar eine gewisse Kontinuität der damals von den Sozialdemokraten eingeleiteten Politik. ({3}) - Das mögen Sie zwar nicht hören, aber das ist so. ({4}) Wir haben unsere Einstellung zu Anliegen freier Berufe auch in der Opposition deutlich gemacht. - Herr Kollege, die Antwort der Bundesregierung ist sehr ausführlich. Ich wünschte mir, daß auch auf andere Anfragen, die andere Gruppen unserer Gesellschaft betreffen, eine ähnlich ausführliche Antwort erfolgen würde. Das ist nicht immer der Fall. ({5}) Ich erinnere an unsere Forderungen, die wir im Hinblick auf die freien Berufe gestellt haben, nämlich zum Beispiel die Sachverständigenentschädigung aufzubessern, die Honorarforderung für Architekten und Ingenieure zu erhöhen, und an unsere Initiative im Zusammenhang mit dem Bilanzrichtliniengesetz, die dazu geführt hat, daß künftig wesentliche Anteile von Wirtschaftsprüfungs-Kapitalgesellschaften nur von freiberuflich tätigen Wirtschaftsprüfern gehalten werden können, ({6}) oder an die Forderung, freie Berufe verstärkt in die Existenzgründungsförderung, konkret in die Ansparförderung, einzubeziehen. Auf der europäischen Ebene sind bereits wichtige Voraussetzungen verwirklicht worden, um den freien Berufen im Zuge der Verwirklichung des EG-Binnenmarktes weitgehend gleiche Wettbewerbschancen und zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten einzuräumen. Mit den EG-Richtlinien für die akademischen Heilberufe, für Architekten und mit der Hochschuldiplom-Richtlinie sind wesentliche Voraussetzungen zu Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit geschaffen worden. Ein wichtiger Bereich, die Anerkennung der Abschlüsse unterhalb des Hochschulniveaus - gemeint sind hier z. B. Krankenschwestern, Masseure, Augenoptiker, Zahntechniker - fehlt allerdings noch. Hier sind Regelungen dringend erforderlich, die - im Interesse der in Deutschland ausgebildeten und tätigen genannten Berufe - bei der Einordnung der Berufsabschlüsse diesen freien Berufen nicht zum Nachteil gereichen dürfen. ({7}) Wir unterstützen deshalb die ablehnende Haltung der Bundesregierung und sind uns mit ihr einig, daß die bisherigen Vorschläge eine qualitative Gleichbehandlung nicht vorsehen. Insgesamt bin ich der Auffassung, daß die Verwirklichung des EG-Binnenmarktes für viele freie Berufe, insbesondere im Wirtschafts- und steuerberatenden Bereich, große Chancen bietet. ({8}) - Herr Kollege, ich würde sagen: den des Abgeordneten. - Insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen, die die Möglichkeit des einheitlichen Binnenmarkts mit über 320 Millionen Einwohnern nutzen wollen, wird zwangsläufig Bedarf an qualifizierter Beratung und Information sein.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kleinert ({0})?

Albert Pfuhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001711, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Glauben Sie, Herr Kollege, daß es dem Bild des freien Berufes, wie die hier Anwesenden - die wenigen, aber überzeugten Anwesenden - es so vor Augen haben, entspricht, daß die Bundesregierung immer noch zu 45 To Eigentümer der Treuarbeit ist, daß die übrigen Anteile der Treuarbeit von den Bundesländern gehalten werden - ein Switch hat ja erst nach einer Blamage vor Gerichten stattgefunden, die die Bundesregierung veranlaßt hat, wenigstens die über 50 % hinausgehende Beteiligung herauszugeben - , und glauben Sie, daß die inzwischen 500 und mehr Wirtschaftsprüfer, die bei der Treuarbeit beschäftigt sind, von uns allen Ernstes als freiberuflich tätige Menschen bezeichnet werden können, wenn es sich im Grunde um einen Konzern handelt, der von der Bundesregierung maßgeblich beherrscht wird?

Albert Pfuhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001711, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Herr Kollege Kleinert, ich bin Ihnen für diese Frage dankbar, denn ich stehe mit Ihnen in der gleichen Linie. Ich bin der Meinung, daß die Treuarbeit unbedingt privatisiert werden müßte und daß der Bund und die Länder dort keinen Einfluß ausüben sollten. ({0}) Ich sage das auch aus folgendem Grunde: Es ist unmöglich, daß die Töchter die Mütter kontrollieren. ({1}) Es ist unmöglich, daß diese mehrheitlich von der öffentlichen Hand beherrschte Gesellschaft gleichzeitig Untersuchungen in den Bereichen durchführt, in denen die Bundesregierung Untersuchungsgegenstand ist. Das trifft genauso auf die Länder zu, egal, welcher Couleur sie sind. Wir sollten uns gemeinsam bemühen, in dieser Frage voranzugehen und eine totale Privatisierung dieser Prüfungsgesellschaft, die sich auch die Wibera einverleibt hat, durchzuführen. ({2}) - Nein, Verehrtester, nein! Dieses Thema steht bei uns seit längerer Zeit an. Ich hatte selbst ein Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden der Treuarbeit über dieses Thema und weiß, daß man auch dort darauf drängt, hier zu privatisieren. Es liegt an dieser Bank, Herr Staatssekretär, sich hier einmal etwas nach vorn zu bewegen und wirklich zu privatisieren und nicht nur davon zu reden. ({3}) Lassen Sie mich zu der zukünftigen Bedeutung der freien Berufe innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zurückkommen. Die Vorbereitung von Entscheidungen und die Tätigkeit von Unternehmen im europäischen Ausland bieten - zusammen mit dem Anwachsen des Dienstleistungssektors auch bei uns in der Bundesrepublik und vor allem auch im Zusammenhang mit dem enormen Nachholbedarf an freiberuflichen Dienstleistungen in der DDR - vielversprechende Möglichkeiten; Herr Doss hat darauf hingewiesen. Dies ist auch im Zusammenhang mit dem spürbaren Nachwuchsdruck wichtig, den wir ja haben. In diesem Zusammenhang - aber nicht nur unter diesem Blickwinkel - halte ich eine verstärkte Einbeziehung der freien Berufe in öffentliche Dienstleistungen für wünschenswert. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort eine Reihe von Feldern benannt, auf denen dies für die verschiedensten Berufe geprüft oder bereits durchgeführt worden ist. Ich will darauf im einzelnen nicht eingehen, sondern hier nur noch einmal verdeutlichen, daß wir immer dann, wenn der öffentliche Zweck der Dienstleistung sichergestellt ist und keine Nachteile für die Allgemeinheit zu erwarten sind, eine kostengünstigere Verlagerung auf freie Berufe unter17700 stützen sollten. ({4}) Ich darf in diesem Zusammenhang auch daran erinnern, daß wir uns ohne Wenn und Aber dafür eingesetzt haben, daß auch freiberufliche Sachverständige z. B. zur Kraftfahrzeugüberwachung zugelassen wurden. Ich halte diese Entscheidung für richtig; sie liegt im Interesse der Bevölkerung, und sie schafft zusätzliche Aufgabenfelder für Freiberufler, die diese Aufgaben von ihrer Qualifikation her spielend erledigen können. Dieses bringt auch etwas frischen Wind und Wettbewerb in diesen Bereich. ({5}) Aber es besteht - gewissermaßen als Spiegelbild zur Verlagerung öffentlicher Dienstleistungen auf freie Berufe - auch die Notwendigkeit der Eingrenzung von Nebentätigkeiten im öffentlichen Dienst. ({6}) Ich habe vor über 30 Jahren einmal das Amt eines Bürgermeisters einer Kreisstadt angetreten und hatte eine kleine Kolonne von Polizisten; damals Stadtpolizisten. Die erste Beschwerde kam von den Versicherungsagenten, die sich darüber beschwerten, daß die Polizisten während der Dienstzeit die Deckungskarten für die Kfz-Versicherung im Rathaus ausfüllten, wenn auch im Namen ihrer Ehefrauen. ({7}) Jeder, der eine Kfz-Versicherung abschließen wollte, ging natürlich zu den Polizisten ins Rathaus. Warum? Weil er damit sicher war, daß er in der Zukunft keine „Knöllchen" verpaßt bekam. Derjenige, der dies nicht tat, mußte das entsprechende Risiko tragen. ({8}) - Dieses ist in Bayern, in Schleswig-Holstein und auch in Hessen möglich; denn die Menschen sind überall gleich. Aber man sieht an diesem kleinen Beispiel - ich konnte es damals sehr schnell abstellen -, welche Möglichkeiten bestehen. ({9}) - Das ist überall anders, und trotzdem ist es gleich, lieber Josef. Ich bin also der Meinung, daß wir diese Eingrenzung der Nebentätigkeiten im öffentlichen Dienst durchführen sollten. Hier fehlt mir etwas in der Antwort der Bundesregierung; dazu hat sie sich nicht geäußert. Zum einen vermisse ich die dokumentierte Absicht der Bundesregierung, gegen öffentliche Bedienstete, die während der Dienstzeit für private Auftraggeber tätig werden, konkret etwas zu unternehmen. Ich meine, daß Beschäftigten des öffentlichen Dienstes während der Dienstzeit die Tätigkeit für private Arbeitgeber grundsätzlich nicht genehmigt werden sollte. „Grundsätzlich" heißt, daß es Ausnahmeregelungen geben muß, weil es vielleicht nicht anders möglich ist, diese Aufgabe zu erledigen. ({10}) - Chefärzte. Ich will hier nicht an andere gut verdienende Beamte im öffentlichen Dienst denken. Darüber hinaus bin ich der Auffassung, daß der Entscheidungsmaßstab für die Begrenzung von Nebentätigkeiten erweitert werden muß. Wir haben bereits in der 10. Legislaturperiode in unserem Gesetzentwurf zur Begrenzung von Nebentätigkeiten gefordert, daß Nebentätigkeiten auch dann zu versagen sind, wenn erhebliche Belange des Arbeitsmarktes oder des Wirtschaftslebens beeinträchtigt werden. Mit dem Begriff „Belange des Wirtschaftslebens" haben wir ausdrücklich auch die Wettbewerbslage der freien Berufe gemeint, die bei der Frage Genehmigung oder Versagung von Nebentätigkeiten beachtet werden muß. ({11}) Bekanntlich hat die Bundesregierung diesen Gesetzentwurf abgelehnt. Ich bedauere, daß ich dazu in ihrer Antwort keinen Sinneswandel erkannt habe. Wir sollten uns gemeinsam überlegen, ob wir die Bundesregierung in dieser Frage nicht ein bißchen zum Jagen tragen können. Ich hatte bereits eingangs darauf hingewiesen, daß wir eine steuerliche Gleichbehandlung der Vorsorgeaufwendungen von Selbständigen im Grundsatz bejahen. Als praktisches Instrument hatte die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung in den Jahren 1975 bis 1982 den sogenannten Vorwegabzug dreimal erhöht: von ursprünglich 1 000 DM bzw. 1 500 DM für Ledige und Verheiratete im Jahre 1975 auf 3 600 DM im Jahre 1982. Die jetzige Bundesregierung ist auf diesem Gebiet acht Jahre lang untätig geblieben ({12}) und hat trotz ihres mündlich stets bekundeten Einsatzes für selbständige und freie Berufe erst mit Wirkung ab 1. Januar 1990 - so lange hat es gedauert - eine Erhöhung dieses Vorwegabzuges beschlossen. ({13}) Gleichzeitig hat die Bundesregierung aber den Freiberufler-Freibetrag in Höhe von 1 200 DM gestrichen. Ich hatte von den Chancen und Möglichkeiten gesprochen, die der EG-Binnenmarkt auch für freie Berufe bieten wird. ({14}) - Ich rede hier nicht von Bauern. - Die Harmonisierungsmaßnahmen der Europäischen Gemeinschaft werden aber auch zu großen Herausforderungen für die freien Berufe führen. Zusammen mit den strukturellen Entwicklungen, die beispielsweise aus der Nachwuchsentwicklung und aus den Konzentrationstendenzen im Bereich bestimmter freier Berufe in der Rechts- und Wirtschaftsberatung resultierten, werden Anpassungsnotwendigkeiten entstehen, denen sich die freien Berufe auch stellen müssen. Ich nenne als Stichwort die Diskussion über Werbeverbot in freien Berufen oder die Honorar- und Gebührenordnung. Sicher wird es keine unbeschränkte Werbefreiheit bei freien Berufen geben können, aber eine Darstellung, die auf Information über Qualifikation und Stärke der freiberuflich Tätigen abzielt, muß ja nicht schädlich sein. Berechtigt ist auch die Frage, ob alle derzeit bestehenden Honorar- und Gebührenordnungen auf die Dauer in dieser Form notwendig sind. Das gilt auch für die Marktzutrittschancen, die wir durch die Regulierung des Berufszugangs errichten werden. Ich frage mich, warum ein Arzt nicht die deutsche Staatsangehörigkeit zu haben braucht, um zu praktizieren, während ein Apotheker diese haben muß. Auch das sollten wir einmal prüfen. Auch das halte ich nicht für gut und richtig. ({15}) - Es lehrt uns, daß wir noch vieles zu tun haben auf dem Wege nach Europa, um diese Klippen gemeinsam zu umschiffen. Das Forschungsinstitut für freie Berufe der Universität Lüneburg faßte alle diese Anregungen in der Schlußbemerkung seiner Untersuchung, die über 1 300 Seiten umfaßt und sich „Zur Lage der freien Berufe 1989" nennt, wie folgt zusammen: Manches gerät in Bewegung. Werbeverbote werden aufgeweicht, Kooperations- und Wachstumshemmnisse werden abgebaut. Andere Änderungen werden folgen. So wird man zwar generell kaum die Berechtigung von Honorar- und Gebührenordnungen in Frage stellen, doch wird man auch hier und da bezweifeln, ob sie flächendeckend angewandt werden müssen. Ihr Abbau kann sich durchaus im einzelnen als segensreich auswirken. Die Gefahren für den Freiberufler sind nicht von der Hand zu weisen, sich andernfalls gut geschützt durch zwischenberufliche Konkurrenz substituiert zu finden. Solche Anpassungsprozesse werden schmerzhaft sein, aber langfristig die Funktionstüchtigkeit sichern. Meine Damen und Herren, wir haben eine Aufgabe vor uns. Herzlichen Dank. ({16})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Grünbeck.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Freien Demokraten haben die freien Berufe in einer freien Gesellschaft als Eckpfeiler dieser Gesellschaft einen hohen Stellenwert. ({0}) - Wenn ich Sie, verehrter Herr Kollege, früher gelesen hätte, hätte ich gemeint, Sie wären einer von uns. ({1}) Die Frage ist nur, wie die Realität aussieht. Aus Ihrer Darstellung der Jahre, in denen wir gemeinsam in einer Regierung waren, merkt man eigentlich, wie Sie sich von der damaligen Qualität entfernt haben. Wenn Sie heute das Hohelied der freien Berufe predigen, während Ihre Genossen gleichzeitig die Gewerbesteuer für die freien Berufe einführen wollen, kann ich nur sagen: Sie sind schon auf dem Weg der Untugend. Das bedauere ich eigentlich. ({2}) Die freien Berufe haben sich immer hohen Anforderungen stellen müssen, und sie werden es auch in Zukunft tun. Ärzte, Anwälte, Steuerberater, Planer, Architekten, Ingenieure, Sachverständige und Apotheker seien nur beispielhaft genannt. Sie tragen natürlich nicht nur für die Klienten, sondern auch für die Allgemeinheit eine hohe Verantwortung. Die freien Berufe in der Bundesrepublik stellen sich dieser Verantwortung. Sie wurden ihr bisher vollauf gerecht. Der gemeinsame europäische Binnenmarkt bedeutet einen freien Markt für Kapital, Arbeit, Dienstleistungen sowie Niederlassungsfreiheit. Diese freiheitlichen Marktverhältnisse werden nun auch in der DDR wirksam. Wer noch einen Beleg dafür braucht, wie dringend notwendig die freien Berufe sind, möge sich nur in der DDR umschauen, in der es die freien Berufe nicht gab. Sie fassen jetzt Gott sei Dank drüben Tritt und installieren das gesamte gesellschaftliche, wirtschaftliche und soziale Leben neu. Das kann man nur begrüßen. ({3}) Für die freien Berufe bringt das neue Aufgaben und Chancen mit sich. Die freien Berufe haben bisher alle Herausforderungen mit Leistung und Qualität bestanden. Auch diese neuen Herausforderungen werden sie als Chance nutzen. Ihre gute Ausbildung und Qualifikation, die international im Vergleich überragend ist, ist dabei ihr ganz besonderer Pluspunkt. Im Binnenmarkt findet eine Harmonisierung nach unten nicht statt, obwohl wir erhebliche Schwierigkeiten bei der Harmonisierung der Normen haben werden. Ich möchte Sie alle darum bitten, dazu beizutragen daß wir bei der Harmonisierung der Normen, bei der wir sicherlich Weltmeister sind - es gibt kein Land, das eine solche Perfektion, vielleicht Überperfektion an Normen hat wie wir - , in den nächsten Jahren nicht auf ein niedrigeres Niveau absteigen. Wir sollten im Grunde genommen die Qualität der Produkte und die Qualität der Verfahrenstechnologien nicht heruntersetzen, sondern die anderen bitten, bei diesem Wettbewerb um ein hohes Angebot an Qualität mitzumachen. Das ist ein Wettbewerb im europäischen Markt, den wir Liberalen immer besonders als Herausforderung verstehen und begrüßen. Die freien Berufe einschließlich der künstlerischen Berufe haben eine erhebliche Bedeutung für eine freiheitliche Gesellschaft, die wir für erstrebenswert halten. Sie gehören untrennbar zu dieser Gesellschafts17702 ordnung. Die freien Berufe können mit ihrer jetzigen Qualifikation nicht nur für unsere EG-Nachbarn, sondern auch für unsere östlichen Nachbarn, die eine freiheitliche Gesellschaftsordnung entwickeln wollen, eine Art Vorbildfunktion übernehmen. ({4}) Wir haben mit dem Binnenmarkt und der deutschdeutschen Einigung für die freien Berufe einige neue Felder eröffnet. Für den Aufbau der DDR sind sie von entscheidender Bedeutung. Freie Berufe haben dort bisher fast völlig gefehlt. Ich kann eigentlich nur noch auf die dringende Notwendigkeit ihrer Förderung verweisen. Ich glaube, die Bundesregierung hat richtig gehandelt, als sie die freien Berufe in das Förderungsprogramm einbezogen hat, weil die Existenzgründungen dort natürlich in besonderer Weise notwendig und förderungsfähig sind. Ich wünsche allerdings, daß wir die Konzentration der Mittel nicht allzuweit streuen; denn breit gestreute Subventionen sind nicht das, was die freien Berufe brauchen. Das können wir auch nicht anstreben. In der Bundesrepublik gibt es noch ein großes Potential an Aufgaben, das den freien Berufen zuwachsen könnte. Dieses Potential liegt dort, wo der Staat Aufgaben versieht, die ebensogut - oder sagen wir ehrlich: besser - von anderen erfüllt werden können. Damit möchte ich ganz gerne noch einmal, Herr Pfuhl, auf Ihr leidenschaftliches Plädoyer der Privatisierung zurückkommen. Ich danke Ihnen herzlich für dieses Eintreten für Privatisierung öffentlicher Aufgaben. ({5}) - Entschuldigen Sie einmal, ich habe gelesen, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund, insbesondere die ÖTV, ({6}) eine Beschlußlage geschaffen hat - und die von der SPD unterstützt wird -, die nahezu jede Privatisierung blockiert. Und wenn Sie hier so reden, dann müssen Sie es wirklich auch einmal umsetzen. ({7}) - Lieber Herr Kollege Walther, ich empfehle Ihnen, das Gutachten von Herrn Professor Zohlnhöfer von der Universität Mainz zu lesen, der sich intensiv mit den Möglichkeiten der Privatisierung öffentlicher Aufgaben beschäftigt hat und der zu dem Schluß kommt, daß es bislang keine einzige Privatisierungsmaßnahme gibt, die kein Erfolg war. Alle waren erfolgreich. Er weist allerdings darauf hin, daß die ÖTV diese Privatisierungsmaßnahmen maßgebend blokkiert. Denn es ist natürlich klar: Wenn wir mehr Aufgaben privatisieren, brauchen wir weniger Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Dann hat die ÖTV weniger Mitglieder, was ja ganz begrüßenswert wäre; ({8}) denn so segensreich wirken diese Leute in unserer Wirtschaft ja nicht gerade. Lieber Herr Kollege Pfuhl, bezüglich der Privatisierung gehen wir also beide ein Bündnis ein. Ich fürchte nur, Sie werden in Ihrer Partei bei allen Privatisierungsbemühungen Schwierigkeiten haben. Aber suchen Sie bitte Ihre sachliche Heimat dann immer bei uns. Sie sind herzlich willkommen. ({9}) Ich kann nur eines sagen: Wir haben inzwischen Belege für Privatisierungsmaßnahmen. Ich möchte ganz besonders meinem Freund Walter Hirche in Hannover danken, der beispielsweise bei Privatisierungen von Abwasseranlagen festgestellt hat, daß sie sowohl bei der Investition als auch bei den Betriebskosten 30 bis 40 % billiger zu gestalten sind als in der Trägerschaft öffentlich-rechtlicher Firmen oder Unternehmen. ({10}) Wenn die Kommunen über ihre mangelhafte Finanzausstattung reden, dann sollten sie auch den Mut haben, die Chancen für finanzgünstigere Lösungen in Angriff zu nehmen. Sie sollten nicht nur immer jammern, sondern wirklich auch einmal handeln. ({11}) Im übrigen lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch einen Satz sagen. Ich finde es z. B. nicht gut, daß wir die Rechnungsprüfung der kommunalen Verbände und Behörden nur dem Rechnungshof überlassen. Im Grunde genommen wird jede private Firma durch den Staat kontrolliert. Warum kontrollieren eigentlich nicht private Wirtschaftsprüfer auch einmal den Staat? ({12}) Bei der Privatisierung stoßen wir sicher noch auf manche Akzeptanzprobleme. Aber wir sollten nicht ermüden. Herr Kollege Pfuhl, ich habe es sehr begrüßt, daß das heute von Ihnen vorgetragen wurde. Meine Damen und Herren, die freien Berufe sind ein ethisch-moralisch verpflichteter Berufszweig. Juristen kämpfen für den liberalen Rechtsstaat, Ärzte und Apotheker kämpfen für die Gesundheit unserer Bevölkerung, Architekten und Ingenieure bringen eine hervorragende Leistung. Darum bleibt es dabei: Die Freien Demokraten betrachten die freien Berufe als einen Eckpfeiler unserer freien Gesellschaft. Herzlichen Dank. ({13})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft, Herr Beckmann.

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Bundesregierung hat Ihnen im April die Antwort auf die Große Anfrage zur Lage der freien Berufe im Zuge der Schaffung des europäischen Binnenmarktes vorgelegt. Noch in dieser Legislaturperiode werden wir Ihnen außerdem den Bericht über die Lage der freien Berufe vorlegen. Wir werden dann auch die Ergebnisse aus der Volks-, Berufs- und Arbeitstättenzählung und die wichtigen Zahlen aus der verfügbaren Einkommensteuerstatistik einarbeiten können. Unsere Aufmerksamkeit gilt in ganz besonderem Maße den freien Berufen, weil sich gerade jetzt in den fünf neuen Bundesländern deutlich zeigt, wie wichtig die freien Berufe für die Entwicklung eines freiheitlichen Staates sind. Neben der Nutzung der Chancen und Herausforderungen des Binnenmarktes sind die freiberuflich Tätigen ganz besonders gefordert, durch beratende Leistungen auf den Gebieten von Wirtschaft, Recht und Technik den wirtschaftlichen Aufschwung im anderen Teil Deutschlands und das Zusammenwachsen beider Teile zu unterstützen. Auch die Heilberufe und die anderen freiberuflich Tätigen werden ihren Beitrag zur innerdeutschen Entwicklung und zur Angleichung der Lebensverhältnisse im geeinten Deutschland leisten. Die Große Anfrage konnte seinerzeit noch nicht auf die Politik der Bundesregierung für die freien Berufe in den fünf neuen Bundesländern eingehen. Heute haben wir konkretere Vorstellungen über den enormen Bedarf an Freiberuflern. Das DDR-Ministerium für Wirtschaft hat die Zahl der freiberuflich Tätigen zum Zeitpunkt der Wende mit etwa 3 000 beziffert. Der Bundesverband der Freien Berufe und das Institut für Mittelstandsforschung schätzen den tatsächlichen Bedarf im Gebiet der heutigen DDR auf rund 100 000 Freiberufler. ({0}) Immerhin - und es ist gut, das festzustellen - hat sich die Zahl der Freiberufler auf mittlerweile 9 000, also um rund 200 %, erhöht. Das ist erfreulich. Ich denke, es ist auch ein gutes Anzeichen dafür, daß es im Gebiet der DDR wirtschaftlich insgesamt aufwärtsgeht. ({1}) Um diesen Trend zu verstärken, hat die Bundesregierung in vier Mittelstandsprogrammen für das Gebiet der DDR auch die freien Berufe einbezogen. Das gilt für alle, einschließlich der freischaffenden Ärzte und Künstler. Darüber hinaus werden wir, dem Vorschlag verschiedener Organisationen der freien Berufe entsprechend, auch das Hospitieren der Freiberufler von dort in freiberuflichen Praxen hier mit einem Tage- und Übernachtungsgeld fördern, wenn der Freiberufler an einer Informations- und Schulungsveranstaltung auf Wissensgebieten teilgenommen hat, deren Nutzen für die Existenzgründung die antragstellende Berufsorganisation bescheinigt hat. Um den Aufwand bewältigen zu können, erwarten wir allerdings, daß sich einzelne Organisationen bereit erklären, solche Anträge für ihren Bereich zu bündeln. Darüber hinaus ist das Bundeswirtschaftsministerium darum bemüht, einem speziellen Anliegen der rechtsberatenden freien Berufe nachzukommen. Es geht darum, auch die Vermittlung von Rechtsmaterien in die Förderrichtlinie einzubeziehen, die wirtschaftlich und für die Existenzgründung relevant sind. Herr Kollege Kleinert, ich habe für dieses Anliegen der Anwaltschaft großes Verständnis; denn jeder weiß, daß die in der DDR in rechtsberatenden Berufen Tätigen in einem ganz anderen Recht ausgebildet wurden. ({2}) Neben dem Engagement für die freiberufliche Existenzgründung in der DDR hat die Bundesregierung eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um die Stellung der freien Berufe angesichts der neuen Herausforderungen des europäischen Binnenmarktes zu stärken. So ist die steuerliche Behandlung der Selbständigen für Aufwendungen zur Alters- und Krankheitsvorsorge verbessert worden. Zum 1. Januar 1990 ist der Sonderausgabenvorwegabzug hierfür um 1 000 DM bzw. für Verheiratete um 2 000 DM erhöht worden. Auch die Vorsorgemöglichkeiten der Selbständigen sind durch die ab 1990 wirksame Steuerentlastung verbessert worden. Ebenso verdient auch der Hinweis auf § 34 des Einkommensteuergesetzes Beachtung, wonach die Veräußerung einer Praxis nur mit dem halben Steuersatz belegt wird. Diese Regelung umfaßt praktisch alle Fälle der Veräußerung einer freiberuflichen Praxis, die eine der wichtigsten Maßnahmen des Freiberuflers für seine Altersvorsorge ist. Da die Altersvorsorge für den Freiberufler schon zeitig in seinem Berufsleben eine wichtige Rolle spielt, möchte ich noch auf etwas anderes hinweisen, das bisher in der Diskussion keine Rolle gespielt hat. Aus dem Bürgschaftsprogramm für freie Berufe und dem Eigenkapitalhilfeprogramm, die beide von der Deutschen Ausgleichsbank durchgeführt werden, wird die Übernahme von freiberuflichen Praxen gefördert. Dies ist zwar eine Maßnahme der Existenzgründung, sie wirkt sich aber mittelbar auch auf die Veräußerbarkeit einer Praxis günstig aus, was wiederum dem Freiberufler zugute kommt, der sich aus dem aktiven Berufsleben verabschieden will. Auch im Zusammenhang mit der Alters- und Krankheitsvorsorge möchte ich bekräftigen, daß die Bundesregierung nicht die Absicht hat, die freien Berufe in die Gewerbesteuer einzubeziehen, soweit sie sich nicht der Rechtsform der Kapitalgesellschaft bedienen. Hingegen hat die Bundesregierung die Absicht, die freien Berufe in etwas anderes einzubeziehen, woran den Freiberuflern außerordentlich liegt und wonach auch in der Großen Anfrage gefragt worden ist, nämlich in die Einzelberatungsförderung und in die Ansparförderung. Die Bundesregierung hatte dies für den Haushalt 1991 vorgesehen. Es ist danach unsere Absicht, die Ansparförderung, die eigentlich mit dem Ende dieses Jahres auslaufen sollte, um wenigstens zwei Jahre fortzuführen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kleinert?

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Bitte sehr.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär Beckmann, ist die Bundesregierung nach all dem, was Kleinert ({0}) heute Gutes über die Fähigkeiten und Möglichkeiten der freiberuflich tätigen Menschen gesagt worden ist, bereit, an alle freiberuflich Tätigen zu appellieren, einen Teil ihrer Mitarbeiter für ein Jahr, für zwei Jahre, vielleicht auch nur für ein halbes Jahr freizustellen, um der DDR dadurch, daß sie in der DDR beratend tätig werden - auch in Unternehmen - , einen rascheren Start in eine wirklich förderliche Zukunft ermöglichen, und sie in dieser Zeit aus öffentlichen Mitteln zu bezahlen, damit die Kapazitäten, die von Ihnen gelobt worden sind, auf diese Weise für die notwendigen wegweisenden Maßnahmen in der DDR freizusetzen?

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Herr Kollege Kleinert, ich bin Ihnen für diesen Hinweis außerordentlich dankbar. Die Bundesregierung unterstützt ja schon eine ganze Reihe von Maßnahmen im Beratungsbereich. Ich habe sie eben im einzelnen aufgeführt. Die von Ihnen gegebene Anregung, Mitglieder der freien Berufe bzw. deren Mitarbeiter ({0}) auch für längere Zeit zu Beratungstätigkeiten in die DDR zu entsenden, ist natürlich besonders unter dem Kostengesichtspunkt zu bedenken, soweit es die Finanzierung durch den Bundeshaushalt anbetrifft. Ich hörte eben schon einen erstaunten Zwischenruf des Herrn Vorsitzenden des Haushaltsausschusses. Wir könnten über diese Sache sicherlich viel intensiver und konkreter diskutieren, wenn entsprechende Zahlen, Daten und Fakten zugrunde lägen. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, der Herr Vorsitzende des Haushaltsausschusses, der Abgeordnete Walther, möchte auch etwas fragen. - Bitte schön.

Rudi Walther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sind Sie wirklich der Meinung, daß ein freier Beruf nur dann ein freier Beruf ist, wenn er vom Staat unterstützt wird und entsprechende Leistungen dann für den anderen Teil Deutschlands erbringt?

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Herr Kollege Walther, ich habe mit meiner Antwort nicht insinuiert, daß ich dieser Auffassung sei. Im Gegenteil: Es hat eher so geklungen, als wenn Herr Kollege Kleinert solchen Ansätzen nachginge, was ich bei ihm aber für relativ unwahrscheinlich halte. ({0}) Auch zur Frage der Geltung des Eurofitneß-Programms für freie Berufe ist Erfreuliches zu berichten. Im Bereich der freien Berufe sind u. a. mehrere Zuwendungsbescheide für Forschungsaufträge ergangen. Ich kann heute hier erklären, daß die Mittel für 1990 noch nicht ausgeschöpft sind. Wir haben z. B. gerade erst vor wenigen Tagen dem Deutschen Anwaltverein erklärt, daß Aussicht besteht, noch in diesem Jahr ein auf den Binnenmarkt gerichtetes Forschungsvorhab en zu berücksichtigen. Da sind wir beim Stichwort. Mit dem Binnenmarkt verbinden viele Freiberufler die Sorge, die Europäische Gemeinschaft würde das Berufsrecht der freien Berufe, vor allem das, was mit den Selbstverwaltungseinrichtungen zusammenhängt, beseitigen; das klang in den Diskussionsbeiträgen eben auch schon an. Ich möchte dieser Sorge ganz entschieden entgegentreten. ({1}) Der Ministerrat hat bei der Verabschiedung der Hochschuldiplomrichtlinien - das geht aus der Präambel hervor - klargestellt, daß die Berufsrechte nicht tangiert werden. Im Zusammenhang mit dem Entwurf der EG-Dienstleistungsrichtlinie hat die Kommission erklärt, daß sogar die Honorar- und Gebührenordnungen weitergelten. Innerstaatlich hat sich die Bundesregierung um eine Stärkung der freiberuflichen Positionen dadurch bemüht, daß sie die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen zugunsten freier Berufe betrieben hat. In der Antwort ist auch dargestellt worden - Herr Kollege Pfuhl, Sie haben das mit Sicherheit gelesen -, welche Fortschritte wir bei der Öffnung der technischen Überwachung erzielt haben. Die wichtigste Maßnahme dabei ist sicherlich die Öffnung der Kraftfahrzeugüberwachung für freiberufliche Sachverständigenorganisationen. ({2}) Erfreulicherweise hat es Anfang 1989 im Verkehrsausschuß in dieser Frage einen breiten Konsens der Fraktionen der SPD, CDU/CSU und FDP gegeben. Die GRÜNEN haben sich an dieser Veranstaltung leider nicht beteiligt. Genauso dokumentieren sie auch in der heutigen Debatte ihr Desinteresse an den freien Berufen dadurch, daß sie sich nicht beteiligen. Inzwischen ist in Baden-Württemberg auch die erste freiberufliche Sachverständigenorganisation für die Kfz-Überwachung zugelassen worden. Wir hätten uns sehr gewünscht, wenn sich insgesamt bei der Öffnung der technischen Überwachung manches SPD-regierte Bundesland in der Beschlußfassung über verschiedene von der Bundesregierung vorgelegte Verordnungen etwas - lassen Sie es mich so ausdrükken - freiberuflicher verhalten hätte. ({3}) Ich denke hier ganz besonders an Nordrhein-Westfalen. Wenn wir schon bei Nordrhein-Westfalen sind, Herr Kollege Pfuhl, dann möchte ich auch in Erinnerung rufen, daß es gerade dieses Bundesland ist, das sich bei der Verbesserung der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure sehr zögerlich verhält. ({4}) Vielleicht könnten Sie mit dem Nachdruck, mit dem Sie Gott sei Dank für die freien Berufe gesprochen haben, auch bei Ihren Genossen in Düsseldorf vorstellig werden. ({5}) Wir sind gespannt, ob Niedersachsen, das ja einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Privatisierung" vorsitzt, in früher gewohnter Weise die Bemühungen um die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen auch unter SPD-Regie weiter mittragen wird. ({6}) Jetzt warten wir darauf, daß auch in anderen Bundesländern freiberufliche Organisationen wie in Baden-Württemberg zugelassen werden. Das Gutachten, das der Bundeswirtschaftsminister zum Thema Realisierungschancen bei der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen an das Forschungsinstitut für Wirtschaftspolitik an der Universität Mainz vergeben hat, erscheint in diesem Monat in der Offentlichkeit. Wir hoffen, daß es Denk- und Diskussionsanstöße bei den Bundesressorts, den Ländern und den Gemeinden auslösen wird. ({7}) Noch ein Wort zur Privatisierung. Herr Kollege Pfuhl, Sie haben die Treuarbeit angesprochen. Ich glaube, es ist uns doch allen sehr erinnerlich, daß bei der Privatisierung der Volkswagenwerke, der VEBA, der DIAG und von Salzgitter die SPD jedesmal dagegen war. Deswegen haben mich Ihre Ausführungen ein bißchen in Verwirrung gestürzt. Meine Damen und Herren, einen anderen Denkansatz, der im weiteren Sinne die vom Bundesverfassungsgericht 1987 geforderte Berufsrechtsreform betrifft, möchte ich zum Schluß in die Diskussion einbringen. Die Frage eines Partnerschaftsgesetzes für freie Berufe ist in der Großen Anfrage mehrfach angeklungen. ({8}) Die wirtschaftsnahen Freiberufler haben sich für diese Gesellschaftsform unterhalb der Kapitalgesellschaft deutlich interessiert gezeigt. Ich habe deshalb mit dem Bundesminister der Justiz mit dem Ziel Kontakt aufgenommen, im Oktober mit den Organisationen der wirtschaftsnahen Freiberufler ein Gespräch über die Ausgestaltung eines Partnerschaftsgesetzes zu führen. ({9}) Ich denke, ein solches Vorhaben könnte zu Beginn der nächsten Legislaturperiode in Angriff genommen werden. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich angesichts des knappen Zeitrahmens abschließend sagen: Diese Bundesregierung wird auch weiterhin dafür Sorge tragen, daß die Angehörigen der freien Berufe wie bisher so auch zukünftig politische Rahmenbedingungen vorfinden, die ihnen ihre Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit in einer freien Gesellschaft ermöglichen. ({10})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jens.

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir als Sozialdemokraten sind eigentlich der CDU/CSU sehr dafür dankbar, daß sie diese Große Anfrage eingebracht hat, so daß wir Gelegenheit haben, über das Thema der freien Berufe zu sprechen. Es ist ja das erstemal seit 1982, seitdem Sie an der Regierung sind, daß wir dieses Thema hier behandeln. ({0}) - Das zweitemal, mag sein. - Das deutet möglicherweise darauf hin, daß es den freien Berufen sehr gut geht und daß sie keine Probleme haben; das ist ja auch nicht schlecht. ({1}) Aber ich will wenigstens sagen, was mir eben zugerufen wurde. Es gibt natürlich auch noch andere als nur die freien Berufe. ({2}) Auch an die haben wir vielleicht einmal ein wenig zu denken. Doch es ist uns ja unbenommen, möglicherweise eine Große Anfrage über die Leiden und Sorgen der Hausfrauen einzubringen. Auch das könnte sinnvoll sein. ({3}) Wir sind sehr für die freien Berufe und wissen auch, daß sie manches geleistet haben. Im Englischen nennt man sie bekanntlich „professionals" . Darin kommt zum Ausdruck, daß es sich hier um Profis handelt, um Männer und Frauen, die von ihrer Sache etwas verstehen. Aber möglicherweise schwingt da auch ein bißchen „Berufung zum Beruf" mit. Die Freiberufler sind ganz zweifellos Individualisten und wie die Politiker - so soll es wenigstens sein - nur ihrem Gewissen verantwortlich. Ob sie das immer sind, wage ich zu bezweifeln; das beziehe ich auch auf die Politiker. Wir erkennen also die große Bedeutung der freien Berufe in unserer Gesellschaft an. Freiberufler sind im allgemeinen wirtschaftlich Tätige, die weit überdurchschnittliche Qualifikationen besitzen; auch das möchte ich einmal hervorheben. ({4}) Ohne freie Ärzte, ohne Heilberufe gäbe es, so glaube ich wenigstens, nicht den hohen Stand in unserem Gesundheitswesen. Ohne freischaffende Ingenieure und Architekten hätten wir nicht die Dynamik in unserer Wirtschaft. Ohne sachverständige Beratung durch Steuer- und Unternehmensberater ist es heutzutage kaum noch möglich, eine eigene Existenz zu gründen. Die Rechsanwälte tragen, wie ich meine, sicherlich zur Konfliktverminderung bei, damit wir in einer etwas friedlicheren Gesellschaft leben können. Ohne die freien Berufe - damit meine ich insbeson17706 dere aber auch die Schriftsteller und die Maler - wäre unsere Gesellschaft erheblich ärmer. ({5}) Die freien Berufe sind zweifellos ein bedeutender Wirtschaftsfaktor; Herr Beckmann, Herr Grünbeck, Herr Doss und Herr Pfuhl haben darauf hingewiesen. Deshalb lasse ich das einmal weg, was ich mir hier zu sagen vorgenommen habe. Die Bedeutung der freien Berufe nimmt auf alle Fälle zu. Für uns Sozialdemokraten waren die freien Berufe aber auch immer ein wichtiger Faktor in unserer Wirtschaftsordnung. Immerhin haben wir während unserer Regierungszeit 1979 - Herr Pfuhl hat das erwähnt - den ersten Bericht über die Lage der freien Berufe veröffentlicht. Diese Regierung hat bisher, Herr Beckmann, etwas Vergleichbares noch nicht zustande gebracht. Ich gehe einmal davon aus, daß Sie das in den letzten 6 Wochen noch schaffen werden. Bisher haben Sie so etwas noch nicht zustande gebracht! ({6}) Mir ist noch sehr gut bekannt, daß mein Freund, der ehemalige Arbeits- und Sozialminister Herbert Ehrenberg, bei den freien Berufen, insbesondere bei den Ärzten und Zahnärzten, nicht gut gelitten war. Das weiß ich noch sehr genau. ({7}) Aber der Blüm ist für sie ein rotes Tuch. Er ist bei den Ärzten und Zahnärzten noch weniger gelitten. ({8}) Die Zahnärzte sind über das, was Blüm gemacht hat, aus meiner Sicht zutiefst verletzt. Wenn sie jetzt einem Patienten, der z. B. über 1 300 DM verdient - das ist wirklich verflucht wenig - , nur eine Krone einsetzen müssen, dann wird der Patient mit 400 DM zur Kasse gebeten. Dies ist aus meiner Sicht ein unhaltbarer Zustand, der bald wieder beseitigt werden muß. ({9}) Ärztliche Leistungen, die dringend notwendig sind, müssen von der Kasse bezahlt werden. Was aber zwingend und dringend notwendig ist, das kann eben nur der Arzt entscheiden, nicht Herr Blüm. ({10}) Als die CDU/CSU die Anfrage zur Lage der freien Berufe eingebracht hat, lag die europäische Entwicklung zweifellos im Vordergrund des allgemeinen Interesses. Jetzt ist aber die Deutschlandpolitik das Thema Nummer eins, das uns alle bewegt und das uns gewissermaßen beherrscht. Der Bedarf an freien Berufen in der DDR ist gewaltig. Etwa 3 000 Freiberufler hatten das SED-Regime überlebt. 8 000 soll es nach seriösen Schätzungen in der DDR mittlerweile geben. Geschätzt wird der Bedarf an Freiberuflern auf etwa 100 000. Hier gibt es, wie wir meinen, auch eine Chance für gut ausgebildete Fachkräfte aus der Bundesrepublik. Erforderlich ist allerdings zunächst und vor allem eine Angleichung des Niederlassungs- und des Dienstleistungsrechts zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland. ({11}) Der Justizminister der Bundesrepublik hat, meine ich, die Anwaltschaft drüben in der DDR, aber auch bei uns im Einigungsvertrag verladen. Die DDR will in den neu zu gründenden Ländern das Nur-Notariat zulassen, ({12}) obgleich es völlig unwirtschaftlich ist. Aber das wurde auf Druck der alten Staatsnotare beschlossen. Angesichts der Aufgaben, die drüben zu erledigen sind, wäre es dagegen sinnvoll, wenn auch die Rechtsanwälte die Möglichkeit hätten, Notar zu werden. Erforderlich wäre deshalb die Möglichkeit, sogenannte Anwaltsnotariate zu schaffen, wie sie für Berlin durchaus möglich sind. ({13}) Die jetzige Entwicklung ist jedenfalls völlig unbefriedigend. Die Bundesregierung wäre gut beraten, wenn sie darauf drängen würde, daß diese Fehlentscheidung möglichst schnell korrigiert wird. ({14}) - Es ist gut, daß es bei uns unterschiedliche Meinungen gibt. Die ERP-Kredite werden in der DDR auch den freien Berufen zur Verfügung gestellt. Das ist auch richtig und gut so. Nur hapert es leider, wenn ich über ERP-Kredite spreche, mit der Inanspruchnahme. Die Kreditmittel fließen nicht im erwarteten Umfang ab. Das hat sicherlich viele Gründe. Zur Zeit liegen - eine neue Hochglanzbroschüre ist gerade erschienen - die Zinsen trotz erheblicher staatlicher Subventionen bei 7,5 %. Das ist nicht gerade wenig. Das Antragsverfahren, um ERP-Kredite zu bekommen, ist extrem verbürokratisiert. Schließlich gilt noch immer: Die privaten Kreditinstitute befinden über die ERP-Anträge. Sie haben jedoch im allgemeinen wesentlich mehr Interesse an der Vergabe eigener Kredite als an der Vergabe von staatlich subventionierten ERP-Darlehen. Die Bundesregierung kennt diese Probleme genau; aber bisher hat sie nichts für eine sinnvolle Gestaltung bei der Vergabe der ERP-Kredite unternommen. Die Verteilung von Hochglanzbroschüren mit Wirtschaftsminister Haussmann in Großaufnahme reicht beim besten Willen nicht aus. ({15}) Er verstößt aus meiner Sicht vielmehr gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Werbung der Bundesregierung.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grünbeck? - Bitte.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Jens, würden Sie mir bestätigen, daß die Antragsformulare für die ERP-Kredite in der DDR die gleichen sind wie diejenigen, die wir verwenden, nur daß die Bearbeitung der Antragsformulare in der DDR durch die immer noch vorhandene kommunistisch verseuchte Bürokratie blockiert wird und daß dadurch die Verzögerung zustande kommt, aber doch nicht durch die Antragsformulare als solche? ({0})

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das kann ich Ihnen insofern nicht bestätigen, als die Antragsformulare auch bei uns verbürokratisiert sind. ({0}) Insbesondere die Bürger in der DDR, die sich selbständig machen wollen, haben Schwierigkeiten, die komischen Fragen, die in dem Formular stehen, zu beantworten. Zum Teil sind sie leider überhaupt nicht in der Lage, alles auszufüllen. Also gibt es auch keine ERP-Kredite. Was bringt es denn, wenn der Wirtschaftsminister Geld zur Verfügung gestellt hat und es überhaupt nicht in Anspruch genommen wird? ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pfuhl? - Bitte schön.

Albert Pfuhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001711, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Jens, ist Ihnen bekannt, daß mir gestern der Bundesminister für Wirtschaft auf eine Anfrage mitgeteilt hat, daß von einem Antragsvolumen von über 4 Milliarden DM für ERP-Kredite drüben bisher nur etwa 800 Millionen DM abgerufen wurden?

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist mir in Umrissen bekannt gewesen. Es beweist natürlich, daß hier etwas herausposaunt wird und der Effekt quasi gleich Null ist. ({0}) - Herr Kleinert, Ihre Partei ist doch an der Regierung; wir sind doch nicht an der Regierung. Ich als Oppositionspolitiker habe doch die Pflicht, dies zu kritisieren. Also, hören Sie einmal auf uns! Greifen Sie das auf und ändern Sie das. Das wäre doch sinnvoll. ({1}) Wie ich gestern gehört habe - der Herr Staatssekretär Beckmann hat das bestätigt -, wird im Haushalt '91 jetzt auch die Ansparförderung für die freien Berufe endlich - ich betone: endlich - eingeführt. Wir Sozialdemokraten können - das glaube ich wenigstens - mit Fug und Recht sagen: Dies geht auf Drängen der Sozialdemokraten zurück. ({2}) Auch die Eröffnung einer Arzt- oder Rechtsanwaltspraxis ist heute mit erheblichen Kosten verbunden. Deshalb war diese Diskriminierung der freien Berufe z. B. gegenüber den Handwerkern nicht aufrechtzuerhalten. Allerdings wäre aus unserer Sicht zu prüfen, ob nicht diese Förderung oder auch das Eigenkapitalhilfeprogramm sowie die Investitionszulagen, die in der DDR gewährt werden, dort wirksamer gestaltet werden müßten und einen höheren Präferenzgehalt als etwa in der Bundesrepublik Deutschland haben müßten. Freie Berufe haben, wie ich meine, einen Anspruch auf völlige Gleichbehandlung. Für sie gelten aber selbstverständlich auch die Grundsätze unserer marktwirtschaftlichen Ordnungspolitik. Monopolstellungen darf es aus meiner Sicht auch im Bereich der freien Berufe nicht geben. ({3}) Nur ein Beispiel für viele: Ich habe mich lange Zeit darum bemüht, daß an meinen Heimatort mit 35 000 Einwohnern endlich eine Augenarztpraxis kommt. Dies hat aber die Kassenärztliche Vereinigung bisher mit Erfolg verhindert, indem sie auf Augenärzte verweist, die irgendwo anders, weit weg und von den betroffenen Menschen praktisch nicht erreichbar, ihren Sitz haben. ({4}) Es ist aus meiner Sicht auch unerträglich, daß z. B. junge dynamische Rechtsanwälte nur an einem Landgericht zugelassen werden können. Ich bin davon überzeugt, daß man hier großzügiger vorgehen muß. Etwas mehr Deregulierung und etwas mehr Wettbewerb in dem verkrusteten Standesrecht wäre durchaus sinnvoll. ({5}) Ich komme zum Schluß: Die Sozialdemokraten waren immer eine Partei der freiberuflich Tätigen. Von Ferdinand Lassalle bis Hans-Jochen Vogel reicht die illustre Riege der Rechtsanwälte, die von ihrem Tätigkeitsfeld her immer enge Verbindungen zur Politik besaßen. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Doss? - Bitte schön, Herr Doss.

Dr. Hansjürgen Doss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000411, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Kollege, würden Sie, wenn die Sozialdemokratische Partei so für die freien Berufe eintritt, bevor Sie vom Pult gehen, uns vielleicht noch erklären, wieso dann im Programm der SPD die Gewerbesteuer für die freien Berufe aufgeführt ist? ({0})

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Doss, wir sind nicht nur für die freien Berufe, sondern auch für Gerechtigkeit im Steuerrecht. Das ist nämlich der Punkt. Erklären Sie doch bitte einmal den Handwerkern, warum z. B. kleine Handwerker mit drei Beschäftigten Gewerbesteuer zahlen müssen, der Zahnarzt mit drei Beschäftigten aber nicht. Erklären Sie das doch bitte einmal den Handwerkern! Wir sind für Gerechtigkeit, und aus Gerechtigkeitsüberlegungen heraus ist es dringend notwendig, daß wir das machen. ({0}) Wichtig aus meiner Sicht sind aber auch die freiberuflich Kulturschaffenden. Ich möchte sie hier nicht vergessen haben. In unserer Zeit dominiert zwar der Einfluß der Wirtschaft - die Politik von heute ist leider nicht kulturell genug, wie ich meine - , aber ich sehe die Zeit kommen, in der die Bedeutung der Kultur für die Politik wieder zunimmt. ({1}) Wir wollen uns jedenfalls schon heute darum bemühen, Gedanken und zukunftsweisende Ideen der Kulturschaffenden bei unseren politischen Perspektiven mit zu beachten. Schönen Dank. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Hinsken.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist erfreulich, daß diese Debatte im Interesse der freien Berufe sehr sachbezogen verläuft. Es gab bemerkenswerte Beiträge, und zwar sowohl vom Kollegen Doss einerseits als auch vom Kollegen Pfuhl andererseits. Ich meine, daß es auch erfreulich ist, daß durch die Bank immer wieder gesagt worden ist, daß es sich bei den freien Berufen in gewisser Hinsicht auch um Freiheit handelt. Darum wundert es mich nicht, daß die Fraktion der GRÜNEN total durch Abwesenheit glänzt und daß in dieser wichtigen Debatte über die freien Berufe niemand von den GRÜNEN das Wort ergreift. Ich sage das deshalb, damit auch draußen bei den freien Berufen bekannt wird, wie gerade von diesen Leuten ihr Bereich abgedeckt wird und welche Beiträge von dieser Seite geleistet werden. ({0}) Die freien Berufe repräsentieren ein breites Spektrum unserer Gesellschaft. Bei allen Unterschieden haben Ärzte, Künstler, Rechtsanwälte und, Herr Kollege Grünbeck, Steuerberater, Architekten, Ingenieure und andere eine gemeinsame Vorstellung, nämlich die Freiheit der Berufswahl und der Berufsausübung. Gemeinsam ist ihnen allen ebenso das besondere Vertrauensverhältnis zum Kunden, Patienten oder Klienten. Dieser wichtige Wirtschaftszweig mit etwa 400 000 Selbständigen und ungefähr 1,3 Millionen Beschäftigten sowie 130 000 Auszubildenden verdient unser volles Augenmerk. Wie jüngst verlautete, erwartet die Bundesregierung im Zuge der Schaffung des Binnenmarktes eine Zunahme der Zahl der Selbständigen in den freien Berufen auf rund 600 000 im Jahr 2000. Das ist ein Zuwachs von 50 %. Die Niederlassungsfreiheit im europäischen Binnenmarkt bedeutet sowohl zunehmenden Wettbewerbsdruck als auch viele neue Chancen. Diese Entwicklung wird ebenso wie die immer differenzierter werdenden Beratungsbedürfnisse zu einer stärkeren Spezialisierung führen. Vor allem der sehr hohe Qualifikationsgrad, die Mobilität und die Fähigkeit, rasch auf Veränderungen des Marktes zu reagieren, dürfen die Freiberufler optimistisch und erwartungsvoll nach Europa schauen lassen. Den freien Berufen kommt natürlich auch der Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft zugute. So ist der Anteil des Dienstleistungssektors zwischen 1970 und 1988 von 49 % auf über 58 % gestiegen. Impulse für die freien Berufe gehen sicherlich auch von der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen aus, wie heute von verschiedenen Kollegen mehrfach angesprochen wurde. So können und sollen freiberufliche Architekten z. B. stärker in die öffentliche Bauplanung eingeschaltet werden. Der Bund und die Post haben in diesem Bereich ihre Hausaufgaben teilweise schon gemacht. Es weist in die richtige Richtung, daß die Honorare des Bundes für Architekten und Ingenieure zwischen 1982 und 1987 fast auf das Doppelte - von 145 Millionen DM auf 270 Millionen DM - gestiegen sind. Die Bundespost hat z. B. 1988 fast 200 Millionen DM an Aufträgen an freiberufliche Architekten, Tragwerksplaner und beratende Ingenieure vergeben. Dies war eine Steigerung von 27 % gegenüber 1987. ({1}) Ich bin stolz darauf, daß gerade der Bundespostminister, der aus meiner Fraktion stammt, diesbezügliche Weichenstellungen vorgenommen hat. ({2}) Meine lieben Kollegen, ich meine, auch dies dokumentiert den Erfolg unserer Politik, nämlich: so viel Staat wir nötig und so viel privat wie möglich. In diesem Zusammenhang sei auch der Rückgang des Staatsanteils von fast 50 % im Jahre 1982 auf unter 45 % im vergangenen Jahr erwähnt, ({3}) des Staatsanteils, den die SPD ja - Sie wissen das Herr Kollege Walther - von 39 % im Jahre 1969 auf knapp 50 % hochgeschraubt hatte. Die real verfügbaren Einkommen sind von 1982 bis 1989 um 16 % gestiegen. Nach der Steuerreform wird die Steuerquote 1990 mit 21,5 % den niedrigsten Stand seit 30 Jahren haben. ({4}) Ich glaube, das ist eine bedeutende Marke, gerade auch für den Mittelstand und für die Freiberufler. ({5}) Hier ist ferner daran zu erinnern, daß im Bereich der Nebentätigkeiten von öffentlich Bediensteten engere Grenzen gezogen worden sind. So, meine lieben Kollegen, paßt Mosaikstein zu Mosaikstein. Dies ist das Konzept unserer erfolgreichen Wirtschaftspolitik, an der nicht zuletzt auch die freien Berufe partizipieren. Diese Wirtschaftspolitik wird getragen von einem Wirtschaftsminister und einem Staatssekretär, die aus der FDP kommen; sie wird aber auch von der CDU und meiner eigenen Partei mit einem weiteren Staatssekretär im Wirtschaftministerium, nämlich Dr. Riedl, der seinen Einfluß immer wieder zu Geltung bringt, beflügelt. ({6}) In diese Politik fügt sich auch nahtlos ein, daß in den vergangenen Jahren zunehmend öffentliche Aufgaben an Freiberufliche bzw. öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige übertragen worden sind. Das ist die Politik der CDU/CSU-geführten Bundesregierung. Was haben Sie als Opposition dagegen zu bieten? Nichts Neues, nur das altbekannte Gefasel von der Ergänzungsabgabe. Ob dies das Marschgepäck für die Freiberufler in den europäischen Binnenmarkt sein soll? Diese Frage möchte ich den unmittelbar Betroffenen selbst stellen, und ich möchte ihnen die Antwort überlassen. ({7}) Im Zusammenhang mit dem EG-Binnenmarkt scheinen mir unter anderem zwei Dinge von großer Bedeutung zu sein. Zum einen sollten die Honorar- und Gebührenordnungen nicht in Frage gestellt werden. Zum anderen ist dafür Sorge zu tragen, daß die Regelungen der Anerkennung von Diplomen, Prüfungszeugnissen und Befähigungsnachweisen nicht zu Benachteiligungen für die deutschen Freiberufler führen, so wie es Kollege Doss bereits treffend ausgeführt hat. Es sollte deshalb befriedigen, wenn die EG sagt, daß sie nicht gegen Berufsrechte vorgeht. Notwenige Angleichungen müssen ihre Grenze allerdings dort haben, wo die ethischen Wertvorstellungen und die Qualitätsanforderungen der freien Berufe beeinträchtigt werden. Insbesondere auf drei Entwicklungschancen weist die Bundesregierung im Hinblick auf den europäischen Binnenmarkt hin: Erstens besteht auf Grund der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit die Möglichkeit, daß die Freiberufler ihren Kunden dauernd oder vorübergehend in andere Länder folgen. Zweitens. Dadurch ergeben sich nicht nur zusätzliche Übersetzer- und Dolmetschertätigkeiten; vielmehr erschließen die europäischen Normen und die europäische Politik neue Betätigungsfelder. Drittens. Es wird eine schnell wachsende Nachfrage nach freiberuflichen Dienstleistungen in ganz Deutschland geben. Die freien Berufe haben also keinen Grund, scheu oder ängstlich in den Binnenmarkt zu gehen. ({8}) Schließlich hat sich die Wettbewerbssituation verbessert. Die Steuerreform wirkte sich in zweifacher Hinsicht positiv aus. Nicht nur der linear-progressive Tarif, sondern auch die Anhebung der Höchstbeträge für Sonderausgaben ist neben anderen Maßnahmen zu nennen. Nicht alle Wünsche sind erfüllt worden; das gestehen wir ein. Aber im Rahmen der Fortführung der wachstumsfördernden Steuerpolitik in der nächsten Legislaturperiode wird zu entscheiden sein, ob bei einer Reduzierung der Steuerbelastung der Unternehmen ein Teil des Finanzvolumens für eine weitere Erleichterung der Altersvorsorge von Selbständigen verwendet werden kann. Ich pflichte Ihnen, Herr Staatssekretär Beckmann, bei: Die Bundesregierung hat hier nicht geschwafelt und geredet, sondern gehandelt. ({9}) Man hat die Freibeträge heraufgesetzt. Allerdings - das haben Sie ja selbst hier festgestellt - ist das noch zu wenig; es müssen noch einige Korrekturen vorgenommen werden. Meine Damen und Herren, wie die Bundesregierung gerade in ihrer Antwort - das ist ja das Thema der heutigen Debatte - ausführt, werden die freien Berufe auch mit Hilfe der Mittelstandsprogramme gefördert. Dies gilt mit Abstrichen auch für das EuroFitneß-Programm. Die für 1990 bereitgestellten Mittel sollten meines Erachtens jedoch baldmöglichst ausgeschöpft werden. Wer in diesen Tagen über die Lage der freien Berufe nachdenkt, muß auch die DDR einbeziehen. Da es in der DDR zur Zeit nicht einmal 10 000 Freiberufler gibt, kann sich jeder ausrechnen, welch ein Potential brachliegt. Ich kann es mir ersparen, dies näher zu quantifizieren, denn meine Vorredner haben bereits von 100 000 und mehr gesprochen. Es ist deshalb wünschenswert, so zu verfahren, wie Herr Grünbeck und wie vor allen Dingen der neben ihm sitzende Kollege Kleinert vorgeschlagen haben, daß wir diesbezüglich einen Beitrag leisten sollten. Angesichts der Zahlen kann man doch fast von einem freiberuflichen Vakuum in der DDR sprechen. So gab es im Februar dieses Jahres noch 600 Rechtsanwälte. Bei uns gibt es 44 000. ({10}) In der DDR gab es 300 Steuerberater, bei uns 69 000. In der DDR gab es 400 freiberufliche Ärzte und Zahnärzte, bei uns 40 000 bzw. 31 000. Freiberufliche Architekten, beratende Ingenieure und Unternehmensberater fehlen in der DDR völlig. Dieser sozusagen jungfräuliche Zustand wird sich wohl sehr schnell ändern. Dies liegt auch im gesamtstaatlichen Interesse, denn es handelt sich hier nicht nur um eine neue berufliche Chance für Freiberufler, die bisher in der staatlichen Wirtschaft in der DDR gearbeitet haben oder die aus der Bundesrepublik kommen. Vielmehr sind die Freiberufler als wesentlicher Teil des selbständigen Mittelstandes Stützen unseres Systems der Sozialen Marktwirtschaft. Sie sind Vermittler von Informationen und Meinungen, Vertreter der Bürger gegenüber staatlichen und privaten Institutionen. Sie stehen aber auch für Leistungsbereitschaft, für Mut zum Risiko und für Freiheit. ({11}) Unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung basiert auf dem gesamten Mittelstand und natürlich auch auf dem bei den Freiberuflern besonders ausgeprägten Wesenselement der Selbständigkeit. Die Schaffung von selbständigen und natürlich auch freiberuflichen Existenzen, deren Wettbewerb untereinander der Motor der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung ist, muß deshalb in der DDR beschleunigt vorangetrieben werden. Die Bundesregierung hat bisher ihren Beitrag dazu geleistet. Aber auch alle anderen sollten ihre Verweigerungshaltung zu den Akten legen. Wir alle sind aufgefordert, mitzuhelfen, den Mittelstandsbazillus in die DDR zu tragen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend feststellen: Wenn der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Freien Berufe, Herr Rollmann, die Haltung der Bundesregierung zu wichtigen steuerpolitischen Problemen auch etwas zwiespältig nennt, so wertet er die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage insgesamt gesehen jedoch wie folgt: „Sie ist eine gelungene Stellungnahme der Bundesregierung zu vielen Problemen, die die freien Berufe in ihrer Gesamtheit, aber auch viele einzelne Gruppen der freien Berufe angehen. " - Dem ist nichts hinzuzufügen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({12})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Anträge zu diesem Tagesordnungspunkt liegen nicht vor, so daß wir zum nächsten Tagesordnungspunkt übergehen können. Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung und Zusatzpunkt 7 der Tagesordnung auf: 11. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Zweiter Bericht der Bundesregierung über die Lage der Frauenhäuser für mißhandelte Frauen und Kinder - Drucksachen 11/2848, 11/6188 Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Dr. Götte ZP7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Nickels, Frau Oesterle-Schwerin, Frau Schmidt ({1}) und der Fraktion DIE GRÜNEN Männergewalt gegen Frauen und Mädchen Maßnahmen zur Absicherung und Unterstützung der Arbeit der Frauenhäuser und die Mitverantwortung der Bundesregierung - Drucksache 11/7832 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Zu Punkt 11 der Tagesordnung liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/7837 vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung 30 Minuten vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit.

Prof. Dr. Dr. h. c. Ursula Maria Lehr (Minister:in)

Politiker ID: 11001305

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den zweiten Bericht der Bundesregierung über die Lage der Frauenhäuser möchte ich zum Anlaß nehmen, eine Bilanz über die Entwicklung dieser Einrichtung zu ziehen. Zunächst aber möchte ich daran erinnern, daß Frauenhäuser Orte der Zuflucht für Frauen und Kinder in großer persönlicher Not sind. Nach einer vorsichtigen Schätzung suchen in der Bundesrepublik jährlich etwa 24 000 Frauen teilweise mit ihren Kindern in Frauenhäusern Schutz vor ihren gewalttätigen Ehemännern und Partnern. Hinter den abstrakten Zahlen stehen viele tragische Einzelschicksale. ({0}) Zur Zeit bestehen bereits über 200 Frauenhäuser in der Bundesrepublik. Doch leider müssen wir davon ausgehen, daß die Zahl der Frauen mit ihren Kindern, die in schier auswegloser Situation Hilfe suchen, weiterhin steigt. In der DDR ist nach allem, was wir wissen, der Bedarf an Frauenhäusern keinesfalls geringer. Die vier zur Zeit entstehenden Frauenhäuser in Halle, Leipzig, Lichtenberg und Rostock werden deshalb rasch durch weitere unbedingt notwendige Einrichtungen ergänzt werden müssen. Erinnern wir uns an die Anfänge. Seit den Modellförderungen des ersten Frauenhauses in Berlin 1976 und in Rendsburg Anfang der 80er Jahre haben wir die Weiterentwicklung der Frauenhausarbeit mit einer Vielzahl von Projekten kontinuierlich unterstützt. So haben wir in diesem Jahr umfangreiche Fortbildungsmaterialien für die Mitarbeiterinnen in Frauenhäusern entwickelt und herausgegeben. ({1}) Wichtige Impulse gingen von einer in Auftrag gegebenen Untersuchung über neue Aufgaben der Frauenhäuser im Bereich beratender Hilfe für die nicht in Einrichtungen lebenden Frauen aus. Diese wichtigen Informationen spielen mit Sicherheit für die tägliche Arbeit in Frauenhäusern eine große Rolle und werden in den Fortbildungsveranstaltungen für Mitarbeiterinnen immer wieder herangezogen. Sie werden auch für die Frauenarbeit in den Ländern der DDR eine wertvolle Hilfe sein. Positiv kann ich feststellen, daß sich in der Öffentlichkeit die Einstellung zu Frauenhäusern gewandelt hat. Wir finden eine zunehmende, wenn auch leider noch nicht ausreichende Sensibilität für das früher so oft verdrängte Thema Gewalt in der Familie. Auch haben sich die materiellen Voraussetzungen für die Einrichtung und für die Arbeit der Frauenhäuser seit den Anfängen in den 70er Jahren verbessert. ({2}) Der erste Frauenhausbericht 1983, die bundesweite Fachtagung 1984 und der seit August 1988 vorliegende zweite Bericht haben wichtige Entwicklungen eingeleitet. Ich nenne nur die Verbesserung der Finanzierungsgrundlage für Frauenhäuser durch Länderrichtlinien, ({3}) durch regionale und überregionale Vereinbarungen der Sozialhilfeträger und der kommunalen Verbände. ({4}) Diese positiven Entwicklungen können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Finanzierungsgrundlage der Frauenhäuser weiterhin Anlaß zur Sorge bereitet. ({5}) Die geltende Mischfinanzierung aus freiwilligen Zuschüssen der Länder und der Gemeinden hat den entscheidenden Mangel, daß die Frauenhäuser keinen auf Dauer gesicherten Anspruch auf Förderung haben. ({6}) Die Träger dieser Einrichtungen sind sich heute darin einig, zur Überwindung ihrer dauernden Existenzprobleme eine bundesgesetzliche Regelung, und zwar außerhalb des BSHG, zu fordern. Aber bitte, schon 1984 hat mein Amtsvorgänger Heiner Geißler seine Bereitschaft für eine bundesgesetzliche Initiative zu erkennen gegeben, die jedoch von den Bundesländern nicht befürwortet wurde. Ohne deren Zustimmung ist aber ein Bundesgesetz für diesen Bereich nicht möglich. In Betracht käme ein Bundesrahmengesetz mit materiellen Regelungen und Finanzierungsvorschriften für Frauenhäuser. Die Finanzierung läge bei den Ländern und Gemeinden. Für eine Kostenbeteiligung des Bundes gibt es keine verfassungsrechtliche Grundlage. Deshalb appelliere ich an die Länder und Gemeinden: Überprüfen Sie Ihren Standpunkt zu einem Bundesrahmengesetz und sichern Sie die Regelung einer kostendeckenden Finanzierung und ausreichende Vereinbarungen zur Kostenerstattung z. B. auf der Grundlage der neuen Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zu. Doch, meine Damen und Herren, vergessen wir bei all den rechtlichen und finanziellen Notwendigkeiten nicht, daß es hier um menschliche Schicksale geht. Wir müssen alles tun, um den Ausbruch von Gewalt zwischen Menschen sogar bis in die eigene Familie hinein abzuwenden. Es geht dabei in erster Linie darum, Frauen und Kinder zu stärken. Die Prävention bleibt unsere große Aufgabe. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Götte.

Dr. Rose Götte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sooft Menschen geschlagen werden, wird ihre Menschenwürde verletzt. Die Unverletzbarkeit der Menschenwürde ist aber der erste Gedanke des Grundgesetzes. Von daher sollte man eigentlich annehmen, daß der Schutz der Gesellschaft für die Geschlagenen und Gedemütigten auch eine ganz zentrale Rolle im gesellschaftlichen Leben spielt, daß also der Kampf gegen Gewalt Aufgabe Nummer eins in diesem Staat ist. ({0}) Dem ist aber nicht so - wir wissen es alle - , das Schlagen von Kindern wird immer noch geduldet, Mißhandlungen von Kindern werden nur in Ausnahmefällen geahndet, Gewalt auf dem Schulhof und Gewalt auf der Straße haben noch immer nicht dazu geführt, daß die gewaltfreie Lösung von Konflikten ernsthaft als Lernziel in der Schule angestrebt wird. Die Vergewaltigung in der Ehe gilt noch immer nicht als Straftat. ({1}) Wir sind mit unseren Anträgen dazu leider gescheitert. Bei Vergewaltigungen außerhalb der Ehe wartet auf die Opfer immer noch ein zermürbendes Verfahren, in dem sie beweisen müssen, daß sie nicht durch aufreizende Kleidung, durch aufforderndes Lächeln oder durch zu matten Widerstand Auslöser des Verbrechens waren. Häuser für mißhandelte Frauen führen noch immer ein exotisches Schattendasein, sind noch immer Ziel von chauvinistischen Stammtischwitzen. ({2}) Gewalt gegen Frauen ist nicht nur ein privates Problem der Betroffenen, sie ist Ausdruck der patriarchalischen Strukturen und wird durch die abhängige Stellung von Frauen in der Familie und in der Gesellschaft begünstigt. In dem Antrag der GRÜNEN stehen dazu einige ausführliche Sätze, denen ich zustimmen kann. Frauen setzen sich seit langem gegen solche Gewalt zur Wehr. Anfang der 70er Jahre bildete sich eine Fraueninitiative gegen Gewalt in Berlin - Frau Ministerin, Sie haben es erwähnt - , und diese Initiative gründete mit Hilfe des damaligen Familienministeri17712 ums ein Frauenhaus, das als Modell wirksam wurde und andere Frauenhäuser ins Leben rief. Inzwischen gibt es rund 200 Frauenhäuser, in denen pro Jahr rund 25 000 Frauen, häufig mit Kindern, Zuflucht vor ihren schlagenden Ehemännern oder Lebensgefährten finden. Diese Frauenhäuser sind fast durchgängig überfüllt. Das bedeutet, daß Frauen gerade in der Phase, in der sie endlich zur Ruhe kommen sollen, zu sich und den Kindern ein neues Verhältnis finden sollen, ihr Leben in den Griff bekommen sollen, in drangvoller Enge mit vielen anderen Frauen und Kindern zusammenleben müssen und ihre Kräfte weitgehend dafür einsetzen müssen, die alltäglichen Konflikte, die sich aus solcher Enge zwangsläufig ergeben, zu lösen. Viele Frauen wurden nach einiger Zeit des Auf ent-halts in einem Frauenhaus so weit stabilisiert, daß sie nun in der Lage wären, ein selbständiges Leben zu führen. Aber nun folgt das Problem mit dem Wohnungsmarkt. Selbst mit intensiver Unterstützung durch die Mitarbeiterinnen im Frauenhaus gelingt es immer seltener, eine Wohnung für diese Frauen und ihre Kinder zu finden. Das bedeutet, daß die Aufenthaltszeiten in den Frauenhäusern immer länger werden und Neuaufnahmen immer häufiger abgelehnt werden müssen - was besonders schlimm ist, wenn es sich um Notfälle handelt. Diese Situation der Enge in den Frauenhäusern wird noch dadurch verschärft, daß inzwischen ins Frauenhaus nicht nur Frauen kommen, die dort eine Zeitlang wohnen wollen, sondern auch immer mehr Frauen, die früher einmal dort Schutz und Rat gefunden hatten, dann entweder wieder zu ihrem Mann zurückgekehrt waren oder ein selbständiges Leben begonnen hatten, aber immer noch dringend Rat und Unterstützung brauchen. In einer Anhörung wurde uns erklärt, daß diese Arbeit der Frauenhäuser, also die ambulante Arbeit, einen immer größeren Raum einnimmt, ohne daß dafür die räumlichen oder personellen oder finanziellen Voraussetzungen gegeben wären. Viele Frauen, die das Frauenhaus aufsuchen, haben ein jahrelanges Martyrium hinter sich. Für Außenstehende ist es oft schwer verständlich, daß sich ein Mensch über Jahre hinweg so behandeln läßt, wie diese Frauen zum Teil behandelt werden. Psychologen weisen darauf hin, daß eine langjährig ertragene Gewalt zu einer Deformierung der Persönlichkeit führt, die die Frauen immer unfähiger macht, ihre eigene Situation zu verändern. Die Aufgabe der Frauenhäuser besteht deshalb nicht in erster Linie nur darin, den Frauen und ihren Kindern ein Dach über dem Kopf und Schutz vor ihrem Verfolger angedeihen zu lassen, sondern darin diese Deformierung und Schädigung der Persönlichkeit bei Frauen und bei den Kindern heilen zu helfen. ({3}) In wenigen Tagen ist das nicht zu schaffen. Ein monatelanger Aufenthalt im Frauenhaus ist aber aus den genannten Gründen auch nicht möglich. Frauenhäuser müßten deshalb die Möglichkeit haben, sowohl stationär als auch ambulant tätig zu sein. Sie müßten auch die entsprechenden Fachleute zur Verfügung haben, und zwar für Frauen und Kinder. Mit der derzeitigen Personal- und Materialausstattung ist es nicht zu bewältigen. Wie aber soll das nun finanziert werden? Von seiten des Bundes gab es bisher lediglich Finanzierungen von Modellvorhaben und diese Informationsschriften, welche Frau Minister Lehr erwähnt hat, sowie die Aufforderung an Länder und Kommunen, die Finanzierung von Frauenhäusern selbst zu regeln. Diese Regelungen sehen in den einzelnen Bundesländern ganz unterschiedlich aus, so daß der Bund im Interesse der Einheitlichkeit der Lebensgrundlagen aufgerufen wäre, hier für Einheitlichkeit und vor allem für Rechtssicherheit zu sorgen. ({4}) Es gibt zwar inzwischen in allen Ländern Kostenzuschüsse zum Betrieb von Frauenhäusern, aber nur in Hamburg und Berlin eine kostendeckende Gesamtfinanzierung. Die Länder Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz geben Zuwendungen zu den Personalkosten, Schleswig-Holstein gibt auch Zuschüsse zu den Sachkosten. Förderrichtlinien gibt es bisher nur in wenigen Ländern. Auch die Gemeinden und Landkreise mit dem Standort eines Frauenhauses leisten zwar in der Regel Zuschüsse zu den Sach- und Pflegekosten, seien es Pflegesätze nach dem Bundessozialhilfegesetz oder seien es Globalzuschüsse, aber auch hier gibt es ganz unterschiedliche Kostenvereinbarungen nach § 93 Bundessozialhilfegesetz zwischen dem Sozialhilfeträger und dem Frauenhausträger. Das bedeutet, daß die Finanzierung der Frauenhäuser jeweils von der Haushaltslage, aber auch sehr stark vom aktuellen Bewußtseinsstand der parlamentarischen Mehrheiten und auch von ihrer politischen Einstellung zu bestimmten Frauenhauskonzepten abhängt. Die Einrichtung neuer Frauenhäuser stößt fast überall auf den erbitterten Widerstand der Finanzpolitiker. Die Finanzierung der laufenden Kosten muß von den Frauenhausträgern im Grunde genommen Jahr für Jahr wieder neu erstritten werden. ({5}) Diesen Zustand halten wir Sozialdemokraten für nicht hinnehmbar. Wenn wir uns hier schon alle einig sind - ich hatte den Eindruck bei der Beratung im Ausschuß, daß die Arbeit von Frauenhäusern als unverzichtbar angesehen wird -, dann sollte der Bund auch den Mut haben, sich in die Finanzierung von Frauenhäusern einzuschalten und es nicht nur bei allgemeinen Empfehlungen bewenden zu lassen. ({6}) Was CDU/CSU und FDP empfehlen, ist nach Meinung der SPD zu wenig. Frauenhäuser dürfen nicht länger auf die Gnade der jeweiligen Politiker und Amtsträger angewiesen sein. ({7}) Was wir brauchen, sind gesetzliche Voraussetzungen zur Sicherung der Finanzierung von Frauenhäusern. Dabei muß auch der Tatsache Rechnung getragen werden, daß immer mehr ambulante Aufgaben auf die Frauenhäuser zukommen. Es kann auch nicht so bleiFrau Dr. Götte ben, daß es vom Zufall abhängt, ob eine Frau ein Frauenhaus in erreichbarer Nähe aufsuchen kann oder nicht. Wir brauchen ein flächen- und bedarfsdekkendes Frauenhausangebot, wobei es durchaus sinnvoll sein kann, daß Frauen nicht das Frauenhaus am eigenen Wohnort aufsuchen, sondern in größerer Entfernung von Ehemann und Nachbarn zur Ruhe kommen. ({8}) Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalitionsfraktion, halten es für ausreichend, an Länder und Gemeinden zu appellieren, sich um die Finanzierung der Frauenhäuser zu kümmern. ({9}) Natürlich lassen sich auch juristische Begründungen für diese Bescheidenheit finden, sei es, daß keine neuen Mischfinanzierungstatbestände geschaffen werden sollen, sei es, daß es hier zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern kommen könnte. Wir Sozialdemokraten haben bewußt nicht im einzelnen zu den juristischen Fragen Stellung genommen. Mir persönlich ist es völlig egal, ob eine gesetzliche Voraussetzung für die Finanzierung der Frauenhäuser auf der Grundlage von Art. 78 Abs. 3 des Grundgesetzes oder von Art. 104 des Grundgesetzes oder auf der Grundlage eines anderen Artikels geschaffen wird - Hauptsache, die bestehende Rechtsunsicherheit und Rechtsungleichheit bei der Finanzierung von Frauenhäusern hört endlich auf. ({10}) Der Bund hat im Kinder- und Jugendhilferecht sehr detailliert geregelt, was zum Schutz der Kinder vor Ort zu geschehen hat. Wir sollten nun auch nicht zögern zu regeln, was zum Schutz mißhandelter Frauen zu tun ist. ({11})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Würfel.

Uta Würfel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002569, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Anwesende! Ich bin schon froh, daß wir dieses Thema im Bundestag noch einmal behandeln können. Denn der Bericht über die Frauenhäuser ist natürlich auch ein Bericht über die Leiden der Frauen und Kinder in unserer Gesellschaft. Wir sollten uns nicht scheuen, diese kostbaren fünf Minuten Redezeit, die wir hier haben, dazu zu benutzen, in schlaglichtartiger Form noch einmal aufzuzeigen, in welcher Weise unsere Gesellschaft - teilweise - mit Kindern und Frauen, auch mit älteren, umgeht; denn es sind auch ältere Frauen, die ins Frauenhaus kommen. Natürlich, Frau Dr. Götte - Sie haben es schon gesagt - : Jedem, der einmal ein Frauenhaus betreten, mit den Frauen gesprochen und entsprechende Berichte darüber gelesen hat, stellt sich natürlich die Frage: Wie hält eine Frau das aus? Wie kommt ein Mensch dazu, sich über Wochen, Monate und Jahre so behandeln zu lassen, wie diese Frauen behandelt worden sind, bevor sie ein Frauenhaus aufsuchen? Bei allen Unterlagen, die ich durchgesehen habe, stößt man immer wieder auf einen Begriff, und das ist der Begriff der Abhängigkeit. Die Frauen sind abhängig vom Mann, sie sind abhängig vom Alkohol, sie sind abhängig von Tabletten, und sie sind abhängig von Traditionen. Vergangene Woche fiel mir ein Heft in die Hand, das sich „Sucht-Report: Europäische Fachzeitschrift für Suchtprobleme" - es war die Ausgabe vom August 1990 - nennt. Darin beschreibt die Rechtsmedizinerin Professor Dr. med. Elisabeth Trube-Becker, daß von 2,1 Millionen Alkoholkranken inzwischen 35 % Frauen sind. Sie sagt in diesem Artikel, daß sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt hat, daß es die Bedingungen sind, unter denen Frauen leben, die sie suchtmittelabhängig machen. Sie sagt weiter, daß dies besonders für den Bereich der Familie gelte, in der Frauen eine untergeordnete Stellung einnehmen und sogar häufig geprügelt werden, wie auch für den beruflichen Bereich, wo Frauen zumeist in untergeordneter Stellung tätig sind, wenn sie suchtmittelabhängig werden. Sie schreibt ferner: Frauen ohne Selbstwertgefühl sind schon in der Kindheit von einem autoritären Vater, der sich nicht selten mit körperlicher Gewalt gegen Frau und Tochter durchgesetzt hat, als minderwertige Wesen behandelt worden. Verständnis und liebevolle Zuwendung haben diese Töchter nie erlebt. Sie fährt weiter fort, daß sich eine solche Frau vom Partner vielfach wie ein Gegenstand benutzt fühlt; sie darf und kann keine eigenen Ansprüche anmelden. Frau Trube-Becker kommt dann als Rechtsmedizinerin zu dem Schluß: Frauen sind immer abhängig. Sie werden schon als Abhängige erzogen. Ich glaube, daß es wichtig ist, wenn man schon selbst nie mit Frauen gesprochen hat, die in Frauenhäusern leben müssen, sich jetzt diesen Bericht einmal weiter vor Augen zu führen, in dem diese Rechtsmedizinerin beschreibt, daß von einem untersuchten Kollektiv von 70 Frauen, die alkoholkrank waren, 22 Frauen infolge eines Unfalls zu Tode kamen, wobei die Mitwirkung fremder Personen nicht ausgeschlossen werden kann; seltsamerweise ereignete sich dieser Unfalltod sehr oft in der Badewanne. Unter diesen 70 Frauen gab es 26 Selbstmorde. Die noch lebenden Frauen haben Frau Trube-Becker von ihrem Schicksal, von ihrem Leben berichtet und gesagt, daß zu ihrem täglichen Leben Fußtritte, Faustschläge und Einwirkungen sonstiger stumpfer Gewalt durch Ehemann, Freund oder Sohn gehören, Mißhandlungen, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten, Frau Abgeordnete?

Uta Würfel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002569, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber selbstverständlich!

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte schön.

Gerlinde Hämmerle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000777, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Würfel, Ihre Schilderungen sind sehr eindringlich und rühren uns alle an. Aber Sie erwecken den Eindruck, als ob die Frauenhäuser die richtige Stelle für Entzugstherapie für alkoholkranke Frauen seien. Ich frage Sie, ob Ihnen bekannt ist, daß alkoholkranke Frauen in Frauenhäusern in der Regel nicht aufgenommen werden. Und ich frage Sie weiter, ob Sie mit mir der Ansicht sind, daß der Aufenthalt in einem Frauenhaus natürlich kein Ersatz für eine Entzugstherapie bei Abhängigkeit von Alkoholismus oder Tabletten sein kann.

Uta Würfel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002569, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, selbstverständlich teile ich Ihre Auffassung, daß das keineswegs der Fall sein kann. Ich möchte nur aufzeigen, wo die gesellschaftlichen Ursachen liegen. Und ich habe die Kenntnis, daß ein Drittel der Frauen, die im Frauenhaus vorsprechen, abhängig sind - entweder alkoholabhängig oder tablettenabhängig - , dem Antrag der GRÜNEN zur Gewalt in der Gesellschaft entnommen. Dort wird dieses Problem so gekennzeichnet. Ich habe das jetzt nicht nachgeprüft, sondern gehe einmal davon aus, daß das korrekt ist. Sie haben gesagt, Frau Dr. Götte - ich teile diese Auffassung - , daß es unbegreiflich ist, über eine wie lange Zeitspanne sich Frauen solche Mißhandlungen gefallen lassen. Da ist es einmal ganz wichtig, sich ein Fallbeispiel vor Augen zu führen: Eine 41jährige Hausfrau, ein Kind, gelernte Frisörin, nicht berufstätig, wurde von ihrem Ehemann, der seine Frau als sein Eigentum ansah, täglich getreten, geboxt und gebissen. Er sagte, sie habe sich unterzuordnen und zu gehorchen, und er gab ihr 5 bis 10 DM für den Haushalt. Jeden Tag gab es erneute Auseinandersetzungen, und diese Frau war bereits zweimal mit Rippen- und Schädelfrakturen in Krankenhausbehandlung, und sie starb. Bei der Obduktion wurden Frakturen, zahlreiche Hämatome am ganzen Körper, vor allem auch am Bauch, eine massive Fettembolie und eine Peritonitis als Folge einer Darmperforation festgestellt. Ich denke, solche nackten Berichte zeigen einfach, was Frauen in unserer Gesellschaft erleiden müssen. Die Vergewaltigung ist angesprochen worden, und ich denke, dieses Thema ist Veranlassung genug, uns noch einmal vor Augen zu führen, daß viele Männer glauben, sie hätten ein Verfügungsrecht über den weiblichen Körper, und daß viele Frauen nicht wissen, daß sie ein Selbstbestimmungsrecht über ihre eigene Sexualität haben. ({0}) Leider sprechen Umfrageergebnisse von einem ganz geringen Kenntnisstand in der Bevölkerung über die Rechte der Frau, und man muß auch sagen, daß das Unrechtsbewußtsein nicht sehr weit verbreitet ist, und das ist auch ein Aufruf an uns hier, in der nächsten Legislaturperiode unter allen Umständen den Straftatbestand der Vergewaltigung in der Ehe dem außerhalb der Ehe gleichzusetzen. Ich bin da absolut dabei. ({1}) Ich kann das, was ich hier noch bringen wollte, aus Zeitgründen nicht bringen. Ich möchte nur sagen, daß wir uns in der Tat überlegen müssen, wenn die Bundesländer bei der Finanzierung nicht mitmachen und wenn sie immer auf das föderative System pochen, auf der anderen Seite aber nicht bereit sind, solch notwendige Einrichtungen zu finanzieren, daß wir unter Umständen jetzt im Zusammenhang mit den sozialen Hilfen, die wir für den § 218 fordern, das Thema noch einmal global aufgreifen. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat die Abgeordnete Frau Schmidt ({0}) das Wort.

Marie Luise Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002013, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen! Meine Herren! Die von der Bundesregierung vielbeschworene „heile" Familie ist kein Wohnort der Harmonie, sondern vielfach ein Tatort der Gewalt. In der Bundesrepublik werden bis zu 4 Millionen Frauen jährlich von ihren Ehemännern mißhandelt. In jeder fünften Ehe ist mindestens einmal eine Vergewaltigung vorgekommen. Pro Jahr gibt es bis zu 300 000 Fälle sexuellen Kindesmißbrauchs, meistens in der Familie oder ihrem Umfeld. In über 90 % der Fälle handelt es sich dabei um sexuelle Gewalt an Mädchen. Männer aus allen Schichten üben Gewalt gegen Frauen und Mädchen aus: Ärzte und Arbeiter, Akademiker und Angestellte, Politiker und Polizisten. Männergewalt ist alltäglich; sie reicht von der „Anmache" und sexuellen Belästigung - auch hier im Bundestag - über die vielfältigen Formen der Mißhandlung bis hin zu sexueller Gewalt und Mord. ({0}) Offene Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist nur die Spitze ihrer „normalen" Diskriminierung. Sie ist Ausdruck eines strukturellen Gewaltverhältnisses. ({1}) Dazu hat Frau Würfel eben einiges gesagt; von Frau Lehr war dazu leider nichts zu hören. ({2}) - Natürlich gibt es das auch bei uns. Ich sagte, im Bundestag, auch bei den GRÜNEN. Meinen Sie, die GRÜNEN-Männer sind besser? ({3}) Es verwundert daher nicht, daß jährlich bis zu 25 000 Frauen wegen - ({4}) - Könnte ich mal ein bißchen Ruhe haben? Ich habe nur fünf Minuten Redezeit, und es ist wirklich schwierig, das Problem Gewalt gegen Frauen in fünf Minuten hier abzuhandeln. ({5}) Es verwundert daher nicht, daß jährlich bis zu 25 000 Frauen wegen Gewalttätigkeiten von Ehemännern oder Partnern Zuflucht in den rund 200 Frauenhäusern der Bundesrepublik suchen. Der Bedarf an Frauenhäusern ist weitaus größer und steigend. Frau Schmidt ({6}) Die Probleme der Frauenhausarbeit verschärfen sich zunehmend. Bestehende Frauenhäuser, insbesondere die autonomen, erhalten viel zuwenig Geld, Neuerrichtungen scheitern an fehlender Finanzierung. Ergebnis ist eine ständige Überfüllung aller Frauenhäuser. In den Frauenhäusern leben auch Kinder. Fehlende Planstellen, Platzmangel und unzureichende Sachmittel kennzeichnen den Alltag der Kinderarbeit in den Häusern. Ebenso wie ihre Mütter haben die meisten Kinder zu Hause körperliche und seelische Mißhandlung - bis hin zu sexueller Gewalt - erlitten. Dies ist nur eine knappe Skizze der Probleme. Vor diesem Hintergrund kritisieren wir, daß die Bundesregierung aus den im 2. Frauenhaus-Bericht sehr ausführlich dargestellten Problemen keine politischen Konsequenzen zieht, sondern untätig bleibt. Das zeigt, daß sie die Ursachen und das Ausmaß der Gewalt gegen Frauen und die Dringlichkeit einer Problemlösung nicht wirklich begriffen hat. Das zeigt, daß in der Regierung Männer im Interesse von Männern Politik gegen Frauen machen. Nähme die Bundesregierung die Interessen der Frauen ernst, hätte sie längst zur finanziellen Absicherung der Frauenhausarbeit beigetragen. Stattdessen stiehlt sie sich aus der Verantwortung und versteckt sich hinter formaljuristischen Argumenten. Doch selbst wenn diese zuträfen, was hindert die Bundesregierung daran, neue Wege der Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen zu suchen? Die Bundesregierung ist für die von ihr beschriebenen Probleme mitverantwortlich. So beklagt sie im vorliegenden Bericht unter anderem die Schwierigkeiten, denen Frauen bei der Trennung vom Miß-handler und bei der Gründung einer eigenen Existenz ausgesetzt sind. Diese sind doch das Ergebnis einer Familien- und Sozialpolitik, die sich am „Normal"-Bild der Frau als Ehefrau und Mutter bzw. am Bild der „vollständigen" Familie ausrichtet. Obwohl diese Vorstellung von der sogenannten „normalen" gesellschaftlichen Lebensform keineswegs mehr der Wirklichkeit entspricht, hält die Bundesregierung daran fest und benachteiligt andere Lebensformen zu Lasten vor allem von Frauen, die sich von Männern trennen, und von alleinerziehenden Frauen. Gewalt gegen Frauen ist ein gesellschaftliches Problem, das politisch-gesellschaftliche Lösungen erfordert. Solange es Gewalt gegen Frauen gibt, solange sind Frauenhäuser notwendig und muß ihre Arbeit angemessen unterstützt werden. Wir haben einen Antrag vorgelegt; ich fasse die wichtigsten Problembereiche und Forderungen zusammen: Die Bundesregierung muß für die finanzielle Absicherung der Frauenhausarbeit sorgen, und zwar als Finanzierung sämtlicher Kosten des Projekts „Frauenhaus" außerhalb des Bundessozialhilfegesetzes. Dazu muß sie klare Empfehlungen an die Länder und Kommunen geben. Die Bundesregierung muß darauf hinwirken, daß diese Frauenhausinitiativen bei der Einrichtung neuer Frauenhäuser fördern sowie ein umfassendes Mitentscheidungsrecht der autonomen Frauenhausträger bei der Erstellung von Planungen, Richtlinien usw. gewährleisten. Sie muß auch finanzielle Mittel dafür zur Verfügung stellen. Zur Beseitigung der Wohnungsnot der im Frauenhaus lebenden Frauen und Kinder muß die Bundesregierung ihren Boykott des sozialen Wohnungsbaus beenden. ({7}) Wir fordern die Bundesregierung auf, für die Verbesserung der Situation der Kinder, insbesondere sexuell mißbrauchter Mädchen, zu sorgen. Wichtiges und weiteres können Sie unserem Antrag entnehmen. Frau Professor Lehr, Sie kommen von der Hochschule. Das ist aber keine Entschuldigung dafür, daß sich die Politik des BMJFFG weitgehend auf Kongresse, Literaturstudien, Forschungsberichte und Modellförderung beschränkt. Das ist entschieden zu wenig, Frau Lehr. ({8}) Tun Sie endlich etwas, um Gewalt gegen Frauen zu verhindern. Sie werden offenkundig falsch beraten, oder sollte ich sagen: von der Männerrunde im Kabinett zwangsberaten? ({9}) Forschung ist gut, Frau Lehr, entschiedene Schritte gegen Männergewalt sind besser. Stimmen Sie unserem Antrag zu. Danke schön. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Frau Abgeordnete Schmidt.

Trudi Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren! Frauenhäuser müssen eingerichtet werden, weil es Männer gibt, die ihre Frauen und Kinder mißhandeln, mißbrauchen und seelisch quälen. ({0}) - Eine Tatsache, die in unserer heutigen Zivilisation betroffen macht und beschämend ist. Um so mehr muß es Aufgabe der öffentlichen Hand sein, dafür zu sorgen, daß für diese physisch und psychisch geschädigten Frauen und Kinder Einrichtungen und Hilfen geschaffen werden, die ihnen ein Leben ohne Angst und in einigermaßen finanzieller Unabhängigkeit ermöglichen. Da es aber im Augenblick nach der grundgesetzlich festgelegten Kompetenzverteilung gegen den Widerstand der Länder und Kommunen keine bundesgesetzliche Finanzierungsregelung geben kann, sind die Länder gefordert, klare Förderrichtlinien und -grundsätze zu entwickeln und zu verabschieden. Nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge sollten die Kosten der Frauenhäuser von den Sozialhilfeträgern oder den anderen Kostenträgern uneingeschränkt übernommen werden, sofern es nicht jetzt schon für Frauenhäuser günstigere Regelungen gibt. Bis heute haben die Länder und Gemeinden noch keine Bereitschaft gezeigt, Frau Schmidt ({1}) an einer bundesgesetzlichen Regelung zur Finanzierung von Frauenhäusern mitzuwirken. Die Bundesregierung dagegen war aber nicht untätig: Um Gewalt an Frauen und Kindern, insbesondere Mädchen, zu verhindern - und dies sollte ein Schwerpunkt unseres Handelns sein - , wurden verschiedene Projekte aufgelegt und gefördert. ({2}) Da ist z. B. das Projekt Fortbildung von „Mitarbeiterinnen in Frauenhäusern" , auf das Frau Lehr schon hingewiesen hat. Anlaß dazu waren erhebliche Defizite im Angebot praktischer Fortbildungskurse, vor allem an verfügbaren Kursmaterialien für alle Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern, unabhängig von der Frauenhauskonzeption. Ein wichtiges Ergebnis der Probeseminare war dann auch der intensive Erfahrungsaustausch zwischen diesen Mitarbeiterinnen der unterschiedlichsten Frauenhauskonzeptionen; denn auch die Mitarbeiterinnen dürfen nicht mit ihren Problemen allein gelassen werden. Es wurde auch festgestellt, daß erhebliche Forbildungsdefizite gerade in der Arbeit mit Kindern bestehen. Für ihre Nachbetreuung nach Verlassen des Frauenhauses werden kaum Hilfen angeboten. Am schwierigsten ist die Situation für sexuell mißbrauchte Kinder. Da das Thema „sexueller Mißbrauch von Kindern in der eigenen Familie" bis vor kurzem noch tabu war, sind Unwissenheit und Hilflosigkeit von Erziehern und Fachstellen im Umgang mit den betroffenen Mädchen noch weit verbreitet. Hilfe gewähren sollen dabei die vom Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit geförderten Projekte von Beratungsstellen und Zufluchtswohnungen, die auch wissenschaftlich begleitet werden. Ohne Einwirkung auf die Täter läßt sich die Gewalt in den Familien aber nicht verringern. ({3}) Deshalb wurde vom BMJFFG ein Forschungsprojekt zur Entwicklung einer Beratungskonzeption für gewalttätige Männer an den gemeinnützigen Verein „Opferhilfe" vergeben. Die besondere Bedeutung des Projektes liegt sowohl in der wissenschaftlichen Erarbeitung von positiven Handlungsmöglichkeiten gegenüber gewalttätigen Männern als auch in der Beratungsarbeit für die Opfer. Zu begrüßen ist auch, daß es im Rahmen des neuen Kinder- und Jugendhilfegesetzes jetzt möglich ist, gefährdeten Familien frühzeitig Beratung und Hilfen anzubieten. All diese Projekte und Initiativen sollen nicht nur helfen, die Not der geschädigten Frauen und Kinder zu lindern, sondern insbesondere auch Gewalt an Frauen und Kindern verhindern. Solange es diese Gewalt aber noch gibt, so lange brauchen wir Frauenhäuser. Und solange die finanzielle Situation der Frauenhäuser nicht befriedigend gelöst ist und Länder und Gemeinden ihrer Fürsorgepflicht nicht genügend nachkommen, so lange wird dieses Thema den Deutschen Bundestag beschäftigen. An die Bundesregierung ergeht die Aufforderung, erneut an die Länder mit der Forderung heranzutreten, ein Finanzierungskonzept vorzulegen oder einem Bundesrahmengesetz zuzustimmen. Vielleicht gelingt es uns in einem gesamtdeutschen Parlament, die Situation von Frauen und Mädchen grundlegend zu verbessern. Gewalt gegen Frauen ist in der DDR bisher kein Thema gewesen, da es in das Bild einer sozialistischen, kommunistischen Gesellschaft nicht hineinpaßt. Wie der Direktor des Diakonischen Werkes in Ost-Berlin dem Träger des ersten Frauenhauses der DDR, das am 5. September 1990 eröffnet wurde, mitteilte, existieren in der DDR keine Statistiken über Gewalttaten an Frauen. Man vermutet jedoch eine sehr hohe Dunkelziffer. So hoffe ich, daß wir uns in der neuen Legislaturperiode baldmöglichst gerade unter diesen neuen Aspekten mit dem Problem der Frauenhäuser beschäftigen, sofern die Länder ihre starre Haltung nicht aufgeben. Ich danke Ihnen. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Damit sind wir am Ende der Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt. Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, und zwar zunächst einmal zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD, der Ihnen auf Drucksache 11/7837 vorliegt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der SPD? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Änderungsantrag der SPD mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt. Nunmehr stimmen wir über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf Drucksache 11/6188 ab. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP gegen die Stimmen der SPD und der GRÜNEN angenommen worden. Interfraktionell, meine Damen und Herren, wird vorgeschlagen, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/7832 an den Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann darf ich dies als beschlossen feststellen. Ich habe nunmehr eine Amtliche Mitteilung zu verlesen: Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Straffreiheit bei Straftaten des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit - Drucksache 11/7871 - zu erweitern. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Der Gesetzentwurf soll dem Rechtsausschuß zur federführenden Beratung und dem Innenausschuß Vizepräsident Cronenberg sowie dem Ausschuß Deutsche Einheit zur Mitberatung überwiesen werden. Ist das Haus mit diesem Verfahrensvorschlag einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. So ist auch dies beschlossen. Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 12 auf: a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Penner, Büchner ({0}), Bamberg, Dr. Apel, Amling, Becker-Inglau, Bernrath, Dr. Böhme ({1}), Brück, Daubertshäuser, Duve, Dr. Emmerlich, Fuchs ({2}), Graf, Hämmerle, Heistermann, Jaunich, Kastning, Kolbow, Dr. Klejdzinski, Kuhlwein, Lambinus, Lohmann ({3}), Dr. Nöbel, Odendahl, Renger, Schäfer ({4}), Schmidt ({5}), Dr. Schöfberger, Steinhauer, Dr. Struck, Seidenthal, Tietj en, Toetemeyer, Wartenberg ({6}), Wimmer ({7}), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Entwicklung und Förderung des Spitzensports - Drucksachen 11/3453, 11/5784 - b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Steinhauer, Renger, Schmidt ({8}), Dr. Penner, Büchner ({9}), Adler, Amling, Becker-Inglau, Blunck, Bulmahn, Bernrath, Conrad, Daubertshäuser, Dr. Däubler-Gmelin, Faße, Fuchs ({10}), Fuchs ({11}), Ganseforth, Dr. Götte, Hämmerle, Dr. Hartenstein, Kastner, Klein ({12}), Kolbow, Lambinus, Lohmann ({13}), Luuk, Matthäus-Maier, Dr. Niehuis, Dr. Nöbel, Odendahl, Schmidt ({14}), Seuster, Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Sonntag-Wolgast, Dr. Struck, Terborg, Dr. Timm, Dr. Wegner, Weiler, Weyel, Wieczorek-Zeul, Wimmer ({15}), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Situation der Mädchen und Frauen im organisierten Sport - Drucksachen 11/5908, 11/6822 Hierzu liegen Entschließungsanträge der Fraktion DER GRÜNEN auf den Drucksachen 11/7852 und 11/7854 vor. Der Ältestenrat schlägt dem Hause eine Debattenzeit von 30 Minuten vor. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann darf ich dies ebenfalls als beschlossen feststellen und eröffne die Debatte, indem ich den Abgeordneten Schmidt ({16}) bitte, das Wort zu ergreifen.

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ausgangspunkt für die Sportdebatte sind die beiden umfangreichen Großen Anfragen der SPD-Bundestagsfraktion zum Leistungssport und zum Frauensport aus den Jahren 1988 und 1989. Es erscheint meiner Fraktion und mir jedoch unabdingbar, daß wir die Thematik aktualisieren und heute auch die im Zuge der kommenden deutschen Einheit zu regelnden Übergangs- und Neustrukturierungsfragen mit erörtern. Dies fällt uns um so leichter, als die beiden Antworten bedauerlicherweise überwiegend oberflächlich bleiben und nicht die erhofften Ansätze einer qualifizierten Auseinandersetzung mit diesen Themen zeigen. Die an vielen Stellen zu spürende Unsicherheit bei der Beantwortung der Fragen zum Leistungssport und zum Frauensport mag wohl auch daher rühren, daß der autonome deutsche Sport in seinen Gremien ebenfalls in der Strukturdebatte steckengeblieben ist. Ich denke z. B. an den DSB-Kongreß „Menschen im Sport 2000", der einige gute Ansätze gehabt hat, aus dessen bescheidenen Resultaten jedoch seither keine Schlußfolgerungen gezogen worden sind. Weder für die Mädchen oder Frauen im organisierten Sport noch in dem stets symbolhaft verwendeten und nicht selten mißbrauchten Leistungssport waren Impulse für eine rasche Aufarbeitung der Strukturdefizite zu spüren. Der Sport und die Sportpolitik haben sich mehr als „Reparaturbetrieb" angesichts der aktuellen Ereignisse verstanden; ich erinnere an Themen wie Finanzierungsfragen, Trainerstatusfragen, Bewerbungen um Olympische Spiele, Intensivierung der Dopingkontrollen und Gemeinnützigkeits- und Steuerrecht. Die von meiner Fraktion und mir mit der Anfrage zum Leistungssport beabsichtigte Auseinandersetzung mit allen Sektoren dieses Metiers hat bei der Bundesregierung wenig Erfolg gehabt. Die Antworten zu den Themen Kinder im Hochleistungssport, Schulsport, Nachwuchsförderung, Status der Spitzenathletinnen und Spitzenathleten sowie von deren Trainern, Konzeption für Olympiastützpunkte und Leistungszentren - materiell und personell - , Entwicklung der Sportförderung bei der Bundeswehr und beim Bundesgrenzschutz sind hinhaltend, wenig vorausschauend und gehen nicht auf die konzeptionell angelegten Fragen ein. Dies alles wäre erträglich, wenn ein zeitnaher Sportbericht vorläge, der diese Funktion erfüllt hätte und über den das Parlament ebenfalls umfassend diskutiert hätte. Leider ist dieser Anspruch nicht erfüllt worden. Auch der Beschlußfassung des Sportausschusses vom 25. Januar 1989, noch in diesem Jahr einen 7. Sportbericht vorzulegen, ist bisher nicht nachgekommen worden, obwohl auch dort mit klaren Analysen und Themenstellungen eine entsprechende Grundlage hätte geliefert werden können. Die Antwort der Bundesregierung auf die Fragen zur speziellen Situation von Mädchen und Frauen im organisierten Sport ist ein einziger Offenbarungseid. Das schließt sich insofern fast nahtlos an die Debatte an, die wir soeben zur Situation der Frauenhäuser geführt haben. Es besteht nicht einmal Neigung, sich differenziert mit den immer drängender werdenden Problemen auseinanderzusetzen. Die ungenügende Wahrnehmung von Frauen- und Mädcheninteressen im Sport wird als Teil der autonomen Entscheidungen des organisierten Sports dargestellt und hingenommen. Von Perspektive kein Schimmer! Weder Forschungsvorhaben noch eine angemessene Beeinflussung der Sportförderung unter Gleichstellungsaspekten sind akzeptierter Bestandteil einer Entwicklung, wie sie sich die Regierung vorstellen könnte. Besonders die spezielle medizinische und physiotherapeutische Betreuung der Hochleistungssportlerinnen und ihre besonders schwierige soziale und berufliche Förderung und Absicherung sind mehr als problematisch. Schmidt ({0}) Dies alles wird sich trotz eines Anteils von fast 40% Frauen und Mädchen im organisierten Sport nicht verbessern, wenn in den Führungsgremien des Sports selbst wie auch in der Bundesregierung die Frauen - ehren- wie hauptamtlich - weiterhin stark unterrepräsentiert sind. Meine Damen und Herren, ich schenke mir an dieser Stelle eine weitere Befassung mit den Antworten der Bundesregierung, weil diese Pflichtübungen eine solche intensive Arbeit nicht rechtfertigen würden. Ich will aber zu den Sportfragen im Vereinigungsprozeß übergehen, weil sie mit dem hier heute zur Debatte stehenden Themenkreis vielfach übereinstimmen. Generell sei angemerkt, daß es über die Monate der Erörterung dieses Komplexes häufig erschreckend für mich war, mit welcher Unkenntnis und Naivität das Zusammenwachsen des deutschen Sports in Ost und West beleuchtet wurde. Auf der Grundlage der umfassenden Unsicherheit beim Umgang mit der eigenen Zukunft, wie ich das vorher geschildert habe, war es für die vielen DSB-Vertreter offenbar fast unmöglich, klaren Kopf zu behalten. Auch im Osten Deutschlands war der klare Blick verstellt; denn alte SED-orientierte Führungskräfte sahen ihre Pfründe davonschwimmen. Die Sportlerinnen und Sportler und ihre Trainer ahnten, daß ein so voluminöses Sportförderungssystem wie das der bisherigen DDR nicht weitergeführt werden könnte. Ein besonders schlechter Berater war die Eitelkeit einiger westdeutscher Spitzenfunktionäre und Regierungspolitiker, die offensichtlich mit dem Blick auf künftige Medaillenspiegel den Blick nur auf die Übernahme der Topathletinnen und -athleten richteten und alles andere darüber vergaßen. Und dabei hatte doch schon der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt beim 25. Geburtstag des DSB in der Paulskirche gesagt - ich zitiere - , „daß die Zahl von Medaillen nichts aussagt über die Freiheit in einer Gesellschaft, nichts aussagt über die Gerechtigkeit und auch nichts über den Wohlstand in einer Gesellschaft". ({1}) Wo blieb in den Gesprächen und Auseinandersetzungen über die deutsche Einheit im Sport eigentlich die intensive Befassung mit dem Freizeit- und Breitensport, mit den Grundlagen des Vereinssports, mit dem Problembereich „Sport und Umwelt"? Ohne klare Erkenntnisse des über 40 Jahre mit teilweise höchster Geheimhaltung betriebenen Hochleistungssports wurden von der Bundesregierung und den bundesdeutschen Sportvertretern viele Strukturen geradezu unbesehen akzeptiert und übernommen. Ich halte es z. B. für nachgerade abenteuerlich, wenn die im Einigungsvertrag expressis verbis genannten sportwissenschaftlichen Institute wie das Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport in Leipzig, die Forschungs- und Entwicklungsstelle für Sportgeräte in Berlin und das Dopingkontroll-Labor in Kreischa ohne Vorbehalte übernommen werden. Da ist weder mit den Fachleuten aus dem Westen eine Bestandsaufnahme erörtert noch ist über die teilweise belastete Vergangenheit dieser Einrichtungen reflektiert worden. In Kreischa soll nach Aussage mehrerer DDR-Trainer schließlich vor allem die Ausgangskontrolle dominiert haben. Das heißt, hier wurden die „Doping-Persilscheine" verpaßt. Das kann man doch sicher so nicht lassen. Auch die Übernahme dieser Institute in Bundesträgerschaft widerspricht absolut dem freien, wettbewerbsorientierten System, das bisher in der Bundesrepublik praktiziert wurde und das vergleichsweise, trotz geringer öffentlicher Förderung, hocheffektiv war. Warum weigert sich eigentlich der Innenminister demgegenüber, z. B. eine Bestandsgarantie für das Bundesinstitut für Sportwissenschaft abzugeben, zumal gleichzeitig im neuen CDU-Sportprogramm eine Aufgabenänderung dieses Instituts - man höre: im CDU-Sportprogramm! - beschrieben wird und dieses Institut nur noch auf den Hochleistungssport eine Beschränkung erfahren soll? Offensichtlich reizt es die Macher der Einheit, nun auch noch mit medaillenträchtigen Aspekten aufwarten zu können. Widersprüchlich ist jedoch, daß sie den DDR-Leistungssport trotzdem nur mit nicht qualifizierten Gobalzusagen abspeisen. Natürlich können nicht 11 000 hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des bisherigen DDR-Sports übernommen werden, zumal schon die Sicherung des Status quo jedes Jahr 60 Millionen DM an Personalkosten verschlucken würde. Aber eine exaktere und differenziertere Auseinandersetzung mit dem seit Juni vorliegenden Konzeptionspapier des DSB-Bundesausschusses für Leistungssport wäre schon sinnvoll gewesen. Ähnlich unklar ist die Situation des Sports in der Nationalen Volksarmee. Was soll eigentlich, da man sich scheut, nähere Untersuchungen anzustellen, mit diesen Sportlerinnen und Sportlern und auch ihren Trainern geschehen? So setzen sich Unsicherheiten und Niedergang fort. Das Ausland kauft sich Trainer und Spitzenathleten. Sporteinrichtungen werden zu Supermärkten, nur weil sich Innenminister und Bundeskanzler vor klaren Aussagen drücken. Was wird mit den Leistungszentren, den Sportschulen, dem Wettkampfsystem in der DDR? Können die neuen Vereine das leisten? Dies gilt übrigens auch für den in der Übergangsformel erwähnten Behindertensport, von dem ich hoffe, daß er bald seine gesamtdeutsche Struktur bilden und damit seine wichtige Arbeit ausbauen kann. Nun - Sie werden nach unseren bisherigen Reaktionen schon darauf gewartet haben - ein Wort zu der gesamtdeutschen Entwicklung des Breitensports und der Vereinsorganisation. Der Innenminister hat die Förderung dieses Bereichs immer wieder den Ländern zugewiesen. Dabei hat er, wahrscheinlich bewußt, übersehen, daß die neuen Länder in Ostdeutschland erst funktionieren, wenn die Reste des Systems schon fast zusammengebrochen sind. Auch die Gemeinden Schmidt ({2}) werden finanziell nicht so schnell in der Lage sein, das System zu übernehmen und aufrechtzuerhalten. Mit vielen anderen Partnern des Sports fordert die SPD-Bundestagsfraktion daher schon seit längerem ein Übergangsprogramm für die Aktivierung des Breitensports auf dem Gebiet der jetzigen DDR und darüber hinaus einen neuen Goldenen Plan für den Sportstättenbau, wobei wir uns übrigens auch den Fachverstand des Bundesinstituts für Sportwissenschaft sichern sollten. Ich denke, daß es im Interesse aller ist, wenn ich feststelle, daß wir hier auch keine verfassungsrechtlichen Probleme hab en. Schließlich haben wir diese auch im Zusammenhang mit der Übergangsfinanzierung der Kindergartenplätze gelöst, indem wir gesagt haben: Der Auftrag dazu ergibt sich aus der Präambel des Grundgesetzes und der Herstellung der einheitlichen Lebensbedingungen im gesamten Bundesgebiet. ({3}) Ich bin als Kinderbeauftragter dafür und will das deswegen als gutes Beispiel nehmen und meine, man sollte das auf den Freizeit- und Breitensport nun genauso anwenden. Es ist schade und schlimm zugleich, wenn hohe Sportvertreter wie Omno Grupe unter der Überschrift „Fragen über Fragen im Vereinigungsprozeß " ihre Hilflosigkeit zum Ausdruck bringen müssen. Sport ist tatsächlich mehr als nur der Spitzensport und die vorübergehende Sicherung seiner medaillenträchtigen Sparten. Die Sinnfragen im gesamtdeutschen Sport gehen völlig unter. Gewichte werden einseitig gesetzt. Die Chance für einen demokratischen Neubeginn in den fünf Bundesländern wird mehr als erschwert. Die seit vielen Jahren in der Bundesrepublik erörterten Defizitbereiche Sportwissenschaft, Sportmedizin, Sicherung der Humanität im Spitzensport, Zurückdrängen des Hochleistungssports im Kindesalter, Frauenförderung, Sport und Umwelt, Sport und Bildung und vieles, vieles andere mehr hätten eine konzeptionell orientierte Einbeziehung in die aktuelle Debatte verdient gehabt. ({4}) Meine Damen und Herren, alles das, was hier erörtert wurde, ist mehr als unzulänglich. Ich beziehe dabei auch die drei Anträge der GRÜNEN ein, die mit ihren fundamentalistischen Ansätzen von uns nicht akzeptiert werden können. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Spranger.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Beantwortung der Großen Anfragen der SPD hat die Bundesregierung ausführlich zu den gestellten Fragen Stellung genommen, und zwar umfassend im Rahmen ihrer Zuständigkeiten. Soweit offene Probleme angesprochen worden sind, so ist zu sagen, daß diese Fragen entsprechend der Kompetenzverteilung der Sport und nicht der Staat zu regeln hat. Herr Kollege Schmidt, Ihre Kritik muß ich deswegen als unberechtigt und auch als oberflächlich zurückweisen. ({0}) Ich möchte, um Wiederholungen zu vermeiden, nur einen Aspekt der in den Großen Anfragen angesprochenen Probleme herausgreifen. Von den ca. 20,5 Millionen Mitgliedern im organisierten Sport in der Bundesrepublik Deutschland sind 37 % Frauen und Mädchen. Die Repräsentation der Frauen in den Entscheidungsgremien und Führungspositionen des organisierten Sports, d. h. in den Verbänden und Vereinen, entspricht hingegen ganz und gar nicht ihrem Mitgliederanteil. Dieses Problem ist nun auch nicht durch die Bundesregierung zu lösen, Herr Schmidt, sondern es ist Aufgabe eben des autonomen Sports, das Gleichbehandlungsgebot von Männern und Frauen im organisierten Sport durchzusetzen. Die verstärkte Mitwirkung und Gleichbehandlung der Frauen muß mehr als bisher im Bewußtsein derjenigen, die im Sport Verantwortung tragen, verankert werden, und dann muß auch entsprechend gehandelt werden. Die Debatte gibt mir Gelegenheit, einiges zum aktuellen Stand der Zusammenführung des Sports der DDR und der Bundesrepublik Deutschland zu sagen. Die Unterschiede der beiden Sportsysteme waren in allen Belangen gravierend. In der DDR wurde der Leistungssport mit unvorstellbaren Finanzmitteln und einem enormen Personalkörper unterstützt und als Staatsziel begriffen. Der Breitensport wurde weitgehend vernachlässigt. Der Staat hat sich seiner nur angenommen, soweit aus ihm Leistungssportler gewonnen werden konnten. Der Behindertensport lag ganz brach. Für diesen Sport sollen in Zukunft, wie in Art. 39 des Einigungsvertrages festgelegt, unsere freiheitlichen, demokratischen und föderalen Strukturen maßgebend sein. Der gesamtdeutsche Sport wird autonom sein und seine Basis in den Sportvereinen haben. Es muß der Grundsatz der Ehrenamtlichkeit gelten. Von der Hauptamtlichkeit im Sport der DDR muß unwiderruflich Abschied genommen werden. ({1}) Die Leistungssportler müssen als mündige Bürger begriffen werden, die für ihren beruflichen Werdegang, d. h. für die nachsportliche Karriere, in erster Linie selbst Verantwortung tragen. Wir wollen den Leistungssportler, der seinen Mann oder seine Frau im Sport und im Leben steht. Unser System ist darauf ausgerichtet, zu verhindern, daß ein Leistungssportler nach dem Ende seiner sportlichen Karriere den sozialen Abstieg antritt. Besonderes Augenmerk ist zukünftig auf die Wiederbelebung der Sportvereine zu legen. Das SED-Regime hatte hier ja fast alles zerschlagen. Nach unserer Verfassungsordnung sind für den Breitensport ausschließlich die Länder zuständig. Ich fürchte aber, daß die finanzielle Ausstattung der neuen Länder kaum ausreichen wird, um die benötigten Geldmittel für den Breitensport zur Verfügung zu stellen. Der Bund kann bei der finanziellen Belastung, die die Einheit Deutschlands mit sich bringt, hier keine, wie häufig gefordert, großzügige Anschubfinanzierung lei17720 sten, ganz abgesehen davon, daß die Zuständigkeitsverteilung des Grundgesetzes entgegensteht. Wir sind aber bestrebt, unter Inanspruchnahme der Bundeskompetenz für den Spitzensport in den Haushalt Mittel einzustellen, mit denen strukturelle Hilfen an die Spitzensportfachverbände beim Aufbau der Fachverbände auf dem Gebiet der DDR bedient werden können. Der Spitzensport der DDR wird sich an den bei uns geltenden und, wie ich meine, im großen und ganzen auch bewährten Regeln und Grundsätzen ausrichten müssen. Erstens. Die Bundesregierung wird sich beim Deutschen Bundestag dafür einsetzen, daß die unbedingt notwendigen Finanzmittel im Haushalt bereitgestellt werden. Zweitens. Für die in Zukunft beträchtlich gesteigerten Leistungskader wird dem zustätzlichen Trainerbedarf Rechnung getragen. Allerdings sollen nicht einige wenige Bundestrainerstellen neu geschaffen werden. Es ist beabsichtigt, den Verbänden einen finanziellen Plafonds zur Verfügung zu stellen, innerhalb dessen sie ihre Personalplanung selbst durchführen können. Drittens. Wir müssen den weiteren Betrieb der Einrichtungen für den Hochleistungssport sichern. Die Bundesregierung wird nicht umhinkönnen, für die Unterhaltung bundeszentraler Sportstätten zunächst auch den Anteil der Kommunen und der Länder zu übernehmen. Viertens. Das Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport in Leipzig, die Forschungs- und Entwicklungsstelle für Sportgeräte in Berlin sowie das Dopingkontroll-Labor in Kreischa werden fortgeführt. Das sieht der Einigungsvertrag vor. Fünftens. Die soziale Bedeutung der Sportler aus der DDR wird in Zukunft nicht mehr dem Staat, sondern der Stiftung Deutsche Sporthilfe obliegen. Ich habe hier diese Maßnahmen nur skizzieren können. Die Erfolge des DDR-Sports waren untrennbar - das sei zum Schluß festgestellt - mit dem politischen System der DDR und dem SED-Regime verbunden. Mit der Vereinigung wird es dort zu einem Neuanfang auf der Grundlage eines demokratischen und freiheitlichen Staates kommen, in dem sich der Leistungssport neben dem Breitensport und dem Behindertensport entwickelt. Auch hier werden sich Erfolge einstellen. Aber die Zeit der von einem Unterdrükkungssystem organisierten Medaillen ist vorbei, und ich meine, das ist gut so. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brauer.

Hans Jochim Brauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000248, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Sportfreunde von der CDU! Liebe Sportsgenossinnen von der SPD! Aus den Anfragen der SPD und den Antworten der CDU-Regierung wird eines deutlich: Das System des Hochleistungssports soll so perfektioniert werden, daß Deutschland zu d e r Sportmacht der Welt wird. Ich zitiere aus der Antwort der Bundesregierung, in der sehr deutlich wird, was die Bundesregierung in ihrer Programmatik vorhat: - Konzentration der Förderungsmaßnahmen auf Spitzensportler - und Spitzensportlerinnen - mit internationalem Leistungsniveau und auf erfolgversprechenden Nachwuchs unter stärkerer Berücksichtigung des Leistungsgedankens, - Priorität der Förderung der olympischen Sportarten, - verstärkte Förderung der Olympiastützpunkte .. . Diese sportliche Zentralisierung ist nichts anderes als eine sportliche Aufrüstung zu mehr Siegen. Aus der Fragestellung der SPD wird deutlich, daß auch sie das möchte. Was bezweckt denn die SPD beispielsweise, wenn sie fragt, wie die Zweckforschung für den Spitzensport intensiviert werden könnte? Natürlich lautet die Antwort der Bundesregierung: Aufstockung der Bundesmittel für leistungsphysiologische Optimierung in der Forschung und Trainingssteuerung. Allein diese Begrifflichkeit! Freilich sind Sie alle aufgeschreckt vom zunehmenden Kommerz im Sport, vom Doping, vom Einfluß der Mediengesellschaften, von der hochgradigen Gesundheitsgefährdung im Hochleistungssport. Sie bezeichnen dies als Auswüchse und meinen, das Sportsystem sei reformierbar. Indem Sie den Begriff „human" - das haben wir eben gehört - vor den Leistungssport setzen, betreiben Sie semantische Spielerei. Human kann dieser bundesdeutsche Spitzensport nicht sein. Kernproblem ist das Prinzip der permanenten Leistungssteigerung. Die Grenzen menschlicher Leistungsfähigkeit werden nicht akzeptiert, und Sportler und Sportlerinnen werden zum biologischen Experimentierfeld. Hochleistungssport ist hochgradig gesundheitsgefährdend. Nicht nur Doping, sondern auch die unter dem Deckmantel der Substitution und Prävention laufende legale pharmakologische Dauerbehandlung ist untrennbar mit dem Hochleistungssport und seiner zwanghaften Erfolgsorientierung verbunden. Wir GRÜNE sind so sportfreundlich, daß wir die 300 Millionen DM nicht für die verschwindend kleine Sportelite der A-, B- und C-Kader und für die Sportfunktionäre ausgeben wollen. Das Geld soll vielmehr bei allen ankommen, die gerne Sport treiben. ({0}) Die freiwerdenden Millionen sollen für die Anschubfinanzierung des Breitensports in der DDR, für die Lösung drängender Probleme im Jugend-, Frauen-, Mädchen-, Senioren- und Seniorinnen-, Behinderten- und Gesundheitssport sowie für die Sportentwicklungsplanung der Länder und Kommunen eingesetzt werden. Zur Großen Anfrage der SPD „Situation der Mädchen und Frauen im organisierten Sport" kann ich als Mann nur sagen: Sie zeigt deutlich ein reduziertes Problembewußtsein, weil sie sich lediglich auf eine gleichwertige Integration von Frauen in dieser männerbestimmten Sportwelt bezieht. ({1}) In diesem Sinne ist die Große Anfrage eher kontra-emanzipatorisch, weil sie Anpassungsleistungen impliziert, die den Frauen nicht gerecht werden. Hier wird nicht die Frage nach der Qualität der Sportkultur gestellt, sondern es werden die Möglichkeiten einer problemlosen Integration in die herrschenden Verhaltensweisen der Männersportkultur ausgelotet. ({2}) Ich frage mich wirklich, wer bei der SPD diese Fragen ausgearbeitet hat. In dieser Anfrage wird nicht einmal die Spur eines eigenen frauenpolitischen Ansatzes deutlich. Nach wie vor gilt im Sport: Die Norm ist der Mann. Frauen müssen den Raum haben, Eigenes, Neues und auch anderes zu erleben. Deshalb stellen wir heute hier den Entschließungsantrag, daß in der Forschung Frauen- und Männersport jeweils gleiche Mittel erhalten - Frauenforschung muß von Frauen für Frauen durchgeführt werden ({3}) und daß Frauensportprojekte mit autonomen Organisations- und Entscheidungsstrukturen unterstützt werden. Es sollen solche Projekte gefördert werden, die Frauen Räume schaffen und in denen eine selbstbestimmte Sportkultur erlebt und ein eigenes Sportverständnis entwickelt werden kann. Ich hoffe, daß nicht nur die Frauen der SPD diesem Antrag zustimmen. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat das Wort die Abgeordnete Frau Würfel.

Uta Würfel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002569, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich danke dem Herrn Präsidenten. Verehrte Kollegen! Jeder von uns weiß natürlich, wie wichtig sportliche Betätigung ist. Es sind ja nicht nur gesundheitliche Gründe, die für den Gang zum Sportplatz sprechen; denn Sport bereitet auch Vergnügen, und er bietet vielfältige Entfaltungsmöglichkeiten. ({0}) Inzwischen sind Sportstätten Treffpunkte für Gleichgesinnte. Kontakte werden dort geknüpft. Ich glaube, nicht ganz zu Unrecht wird inzwischen von Sportarten gesprochen, die - neudeutsch formuliert - „in" sind. „In" ist, was gesellschaftliche Anerkennung verspricht und was offensichtlich das Selbstwertgefühl eines jeden einzelnen stärkt. Ich denke schon, daß Konsens darüber besteht, daß Sport für Mädchen und für Jungen gleichermaßen gerade in den Entwicklungsjahren besonders wichtig ist. Ich finde es auch gut, daß der Sportunterricht an den Schulen jetzt einen immer breiteren Raum einnimmt. Sport ist natürlich nicht nur für die körperliche Ertüchtigung wichtig. Sport ist ein Medium zur Kommunikation. ({1}) Ich begrüße deshalb sehr, daß - entgegen meiner eigenen Erziehung, wie ich bekennen muß - der Sportunterricht heute koedukativ geführt wird. Gruppenspielen und Mannschaftswettkämpfen kommt heute erfreulicherweise eine ganz andere Bedeutung zu als vor 20 oder 30 Jahren, als es uns betroffen hat. ({2}) - Ich hatte z. B. als Lehrerin eine Nonne, die ein Brett vor der Brust trug, als sie mit uns Sportunterricht machte. Sport kann also als ein Mittel eingesetzt werden, meine Damen und Herren, anerzogenes Rollenverhalten zwischen Jungen und Mädchen abzubauen. Als Therapiemittel ist Sport auch in der Inividualpsychologie längst anerkannt. Sport findet auch bei der Lösung von Persönlichkeitskonflikten Anwendung. Nicht nur verbales Lernen und nicht nur die Erkenntnis helfen, Mängel zu beseitigen, sondern erst die praktische Umsetzung - das kann auch durch den Sport geübt werden - verhilft uns zu einem geänderten Rollenverhalten. Deshalb darf der Sportunterricht nicht länger nur zur Ertüchtigung der körperlichen Fähigkeiten dienen. Gerade im Hinblick auf ein vereinigtes Deutschland und ein Verschmelzen unserer Sportverbände möchte ich dies ganz deutlich sagen. Kann es wirklich Sinn machen, fünfjährige Mädchen zu Höchstleistungen anzutreiben und ihnen womöglich unter Schmerzen und fortwährendem Training zu Medaillen zu verhelfen, um ihnen dann, wenn sie 17 oder 18 Jahre alt sind, zu sagen, daß sie abdanken müssen und daß sie nun gesundheitlich ruiniert sind? Von mir kommt zu dieser Frage ein ganz entschiedenes Nein. ({3}) Es darf auch nicht sein, daß dabei junge Menschen, die einseitig ihre ganze Lebensplanung auf den Sport ausgerichtet und viel geopfert haben, plötzlich ganz ohne Beruf dastehen. Es gibt leider eine Vielzahl von Beispielen - ich kann sie hier aus Zeitgründen natürlich nicht aufführen - , die von dem Elend und der gesellschaftlichen Isolation der abgedankten Sportler Bände sprechen. Tiefe Depressionen und unter Umständen sogar Selbstmorde sind die Folge. Ich glaube, daß den Sportverbänden in Zukunft eine wesentlich größere erzieherische Aufgabe zukommt als in der Vergangenheit. Die Antworten aus der vor uns liegenden Großen Anfrage spiegeln dies zum Teil deutlich wider. Die Unterrepräsentanz der Frauen und die zu geringe Berücksichtigung der fraulichen Belange bei der sportpsychologischen und ge17722 sundheitlichen Betreuung von Sportlerinnen sind nur einige Beispiele. Männer und Frauen haben auch heute noch unterschiedliche Lebensmuster. Ich begrüße es daher, daß sich Sportorganisationen in der letzten Zeit bei Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern um eine individuelle Laufbahnbetreuung und auch um die psychologische und die soziale Betreuung kümmern. Denn es hat sich gezeigt, daß zeitlich begrenzte finanzielle Zuwendungen in Form von Stipendien wirklich nicht ausreichen. Gerade mit Sportlerinnen, die vor allem durch die Ausdauerbelastung schwere gesundheitliche Risiken eingehen, muß sorgfältig und behutsam verfahren werden. Wir brauchen - da bin ich mit Ihnen völlig einig - wissenschaftliche Untersuchungen über Spätfolgen des Hochleistungssports, und dies nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer. ({4}) Bei der anstehenden Fusion der DDR-Sportverbände mit den Verbänden der Bundesrepublik Deutschland müssen wir darauf achten, daß den Frauenbelangen in Zukunft besonders Rechnung getragen wird. Die Sportstrukturen werden sich tiefgreifend ändern müssen. Dazu genügt natürlich nicht der Ruf nach dem Staat und nach mehr finanziellen Mitteln. Ich meine, daß die Autonomie und Selbstverwaltung - nicht nur des Deutschen Sportbundes - und die Ideen von Frauen und Männern in den Sportverbänden jetzt stärker gefragt sind. Ich glaube, dazu gehört auch, Frauen auf Leitungsebene in den Sportverbänden mehr zu beteiligen und ihnen mehr Verantwortung einzuräumen. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat die Abgeordnete Frau Rönsch das Wort.

Hannelore Rönsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Die Diskussion über die Entwicklung und Förderung des Spitzensports hat gerade vor den politischen Ereignissen im letzten Jahr eine vollkommen neue Dimension bekommen. Insoweit ist die Entwicklung über die Fragestellungen, aber auch über die Fragesteller hinweggegangen, so wie in vielen anderen Politikbereichen, aber auch bei Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD. Die Fragen machten einmal mehr in erschreckender Weise deutlich, was wir eigentlich überwunden glaubten, nämlich das gebrochene Verhältnis der SPD zum Spitzensport. Tendenzielle Fragestellungen sollten gewollte Antworten provozieren. Dem hat die Bundesregierung widerstanden. Gleichzeitig machte Ihre Anfrage sehr deutlich, daß die SPD die Rolle der Bundesregierung bei der Förderung des Spitzensports einmal mehr total verkannt hat. Der Umkehrschluß aus den Fragen wäre eine von der SPD gewollte staatliche Lenkung des Spitzensports. Das wollen wir nicht. Einem derartigen System wurde in der DDR gerade in den letzten Tagen eine deutliche Absage erteilt. Ich will nicht leugnen, daß es sowohl im politischen wie auch im pharmakologischen Bereich Auswüchse im Spitzensport gegeben hat. Aber die Entwicklung seit Gorbatschows Perestroika, seit der stillen Revolution in der Noch-DDR und seit der Überführung von Ben Johnson in Seoul hat den Spitzensport vom Odium der Manipulation weggeführt und ihn wieder sympathischer gemacht. Er ist nicht mehr der Wettkampf der Systeme. Auch hier haben sich die Feindbilder total verschoben. Er ist wieder - Gott sei Dank - zum Wettkampf zwischen Sportlerinnen und Sportlern geworden. Es wird wieder darum gestritten, wer der Beste ist. Zwei Slogans stehen für diese Entwicklung: „Fair geht vor!" und „Keine Macht den Drogen!". Die Veränderungen in Deutschland bleiben nicht ohne Auswirkungen auf den Sport, schon gar nicht auf den Spitzensport. Hier Sport als Teil, als Spiegelbild einer sich von der leistungsorientierten Industrie- zur freizeitbewegten Konsumgesellschaft wandelnden Nation; dort Sport als Teil militärischer Ausbildung, als Instrument vermeintlicher Systemüberlegenheit, nicht als Mittel der Selbstfindung, sondern als Objekt staatlicher Bevormundung. ({0}) Wer die Strukturen in der DDR kennt - ich nehme an, auch Sie haben sich in den vergangenen Wochen dort drüben umgetan - , sollte sich jetzt aber hüten, die Sportlerinnen und Sportler zu verdammen, die diesen Weg in der Vergangenheit mitgegangen sind. Nein, ich meine, auch hier ist für uns alle „neues Denken" angesagt. Wir begrüßen daher die Entscheidung der Bundesregierung, im Rahmen ihrer Zuständigkeit dem Spitzensport in Deutschland eine neue Chance zu geben. In diesem Sinne sollten auch die Kultur- und Bildungspolitiker nachdenken, wenn es jetzt zu entscheiden gilt, was aus den Kinder- und Jugendsportschulen werden soll. Befreit von ihrem ideologischen Ballast wären sie durchaus den Versuch als Schulsonderform wert. Wir brauchen den Spitzensport als Anreiz, als Vorbild, aber auch zur Unterhaltung. Wir appellieren an die Aktiven, aber auch an die Verantwortlichen in den Verbänden und Vereinen, sorgsam darauf zu achten, daß Spitzensport nicht um des Geldes willen seine ethischen Grundwerte aufs Spiel setzt. Wir ermuntern die Wirtschaft, den Spitzensport zu fördern. Leider ist diese Förderung bisher noch nicht so umfangreich, von einigen Ausnahmen abgesehen. Es gibt hier viel zu tun. Spitzensport ist auch Medienereignis. Aber deshalb darf Spitzensport nicht zum Spielball der Medien werden. Wir kritisieren in diesem Zusammenhang nachdrücklich das Verfahren der öffentlich-rechtlichen Anstalten und der Länder zur Durchsetzung ihrer Ansprüche auf kostenlose Kurzberichterstattung von sportlichen Großereignissen. Hier wurde dem Sport ein ganzes Stück Eigentum genommen, und hier wurde seine Möglichkeit gemindert, sich stärker selbst zu finanzieren. Das, was ich eingangs zum Verständnis der SPD über das Verhältnis von Staat und Sport sagte, gilt analog auch zu dem zweiten hier angesprochenen Bereich, nämlich zur Förderung von Frauen und Mädchen im organisierten Sport. Der Staat kann nicht für alles zuständig sein, und nach unserem Verständnis sollte er es auch nicht. Gerade die in unserer Gesellschaft möglichen Freiräume sichern die Freiheit. Ich verstehe daher die Anfrage als den Versuch, über die Bundesregierung auf die freien Verbände einzuwirken, offensichtliche Defizite zu beseitigen. Daß es sie gibt - auch und gerade im Sport - , will ja niemand leugnen. Es ist bekannt, daß die Mitwirkungsmöglichkeiten für Frauen und Mädchen in den Gremien der Sportorganisationen nicht ihrem Anteil an der Gesamtmitgliedschaft entsprechen. Das ist dort ebenso wie in anderen Politikbereichen. Ich frage mich: Warum ist das so? Es sind doch gerade die Frauen, die den Wachstumsboom im Sport heute ausmachen. Liegt es allein an den Männern, die um eine Domäne fürchten? Oder liegt es vielleicht an den Frauen, die Verantwortung scheuen? Es gibt keinen Zweifel darüber, daß Frauen Führungsverantwortung in Vereinen und Verbänden übernehmen können. Die immer wieder gestellte Frage nach der Qualifikation kommt schon einer Diskriminierung gleich. Immer mehr Frauen sind bereit, nicht nur als Übungsleiterin im Frauen- und Mädchenbereich tätig zu sein, sondern sie wollen auch Verantwortung für Verbands- und Vereinsarbeit übernehmen. Frauen sollten für ihren Bereich Förderkriterien bestimmen. Sie sollten sich aber nicht nur mit sich selbst und den eigenen Problemen befassen; das würde an der realen Situation sehr wenig ändern. Frauen in der Mitverantwortung heißt, das Ganze bedenken und entsprechend handeln. Frauen sollten daher auch nicht in die Isolation von „Frauenvereinen" gehen, meine sehr geehrten Herren und Damen von den GRÜNEN. ({1}) Gerade Sie haben das propagiert. Wir sind dagegen. Sport ist kein Kampffeld der Geschlechter. Wir sind gerade dabei, den Sport familienfreundlicher auszugestalten. Dann sollten Frauen nicht versuchen, Separatsport zu betreiben. Es würde dem Sport mehr schaden als den Frauen nützen, wenn hier die Einheit im Sport in Frage gestellt würde. Frauen sollten ihren Anspruch klarmachen und offensiv vertreten. Frauen sollten selbstbewußt genug sein, auf den Makel der „Quotenfrau" zu verzichten - auch wie in allen anderen Politikbereichen; denn Qualität setzt sich durch, wie bei unserer Fraktion ja zu sehen ist. ({2}) Die Zeit arbeitet für die Frau. Zeit ist ein wesentlicher Faktor bei der Frage, ob sich Frauen stärker einbringen können. Man könnte es sich einfach machen und sagen, das sei alles eine Frage der Organisation. Aber ich meine, hier ist Partnerschaft angesagt, die es der Frau ermöglicht, auch Ehrenämter am Abend wahrzunehmen. Ich begrüße ausdrücklich die von zahlreichen Verbänden bereits initiierten Frauen- und Mädchenförderpläne. In ihnen werden konstruktive Wege aufgezeigt, Frauen und Mädchen stärker als bisher zahlenmäßig in den Vereinen zu integrieren.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete Rönsch, da Sie ja eben zum Ausdruck gebracht haben, daß Sie keinen Zweifel daran haben, daß Sie sich durchsetzen, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie auch mir die Chance gäben, mich durchzusetzen und Sie darauf hinzuweisen, daß Sie langsam am Ende Ihrer Redezeit sind.

Hannelore Rönsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich habe die Signale sehr wohl gesehen. Da mir über die Schulter gesehen wurde, war auch deutlich, daß ich zum Schluß kommen sollte. Es liegt mir aber daran, dann doch noch einen Schlußsatz gerade zum Frauen- und Mädchenbereich sagen zu dürfen. Wir haben jetzt die Vereinigung der beiden Staaten Deutschlands vor uns. Wir sind davon ausgegangen, daß die Frauen in der DDR - so war es wenigstens festgeschrieben - in der Gleichstellung schon einen Schritt weiter waren als wir. Ich meine, wir sollten jetzt gemeinsam mit den Frauen und den Mädchen in der DDR darauf hinarbeiten, ({0}) daß die Integration der Frauen in Sportvereinen und Sportverbänden ihrer Anzahl in den Vereinen entspricht. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Damit sind wir am Ende der Debatte. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN. Zunächst stimmen wir über den Entschließungsantrag auf Drucksache 11/7852 ab. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag gegen die Stimmen der GRÜNEN abgelehnt worden. Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag auf Drucksache 11/7853 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Entschließungsantrag ebenfalls mit den Stimmen der SPD, der CDU/ CSU und der FDP abgelehnt worden. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 11/7854? - Wer stimmt dagegen? - Dann ist dieser Entschließungsantrag mit der gleichen Mehrheit abgelehnt. ({0}) - Aber, Frau Abgeordnete, wenn Sie aufgepaßt hätten, hätten Sie festgestellt, daß ich gesagt habe, daß alle drei Entschließungsanträge von Ihrer Fraktion Vizepräsident Cronenberg kommen. Also, insofern bin ich Ihnen schon sehr entgegengekommen. ({1}) Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunkts. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 und den Zusatztagesordnungspunkt 8 auf: 13. Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Dauer des Grundwehrdienstes und des Zivildienstes - Drucksachen 11/7781, 11/7840 - aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({2}) - Drucksache 11/7858 Berichterstatter: Abgeordnete Gerster ({3}) Hauser ({4}) bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 11/7859 Berichterstatter: Abgeordnete Kühbacher Frau Vennegerts Müller ({6}) Frau Seiler-Albring ({7}) ZP8 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Gerster ({9}), Horn, Erler, Fuchs ({10}), Graf, Heistermann, Dr. Klejdzinski, Kolbow, Dr. Kübler, Leidinger, Leonhart, Steiner, Zumkley, Dr. von Bülow, Gansel, Dr. Götte, Koschnick, Kühbacher, Nagel, Opel, Dr. Scheer, Schulte ({11}), Dr. Soell, Voigt ({12}), Walther, Dr. Böhme ({13}), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Verkürzung der Dauer des Grundwehrdienstes und Anpassung der Dauer des Zivildienstes - Drucksache 11/6791, 11/7858 Berichterstatter: Abgeordnete Gerster ({14}) Hauser ({15}) Zu dem Gesetzentwurf liegen Entschließungsanträge sowie ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/7785, 11/7786, 11/7835, 11/7836 und 11/7850 vor. Der Ältestenrat empfiehlt Ihnen eine Debattenzeit von 30 Minuten. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist dies so beschlossen. Ich kann die Aussprache eröffnen. Zunächst hat der Abgeordnete Sauer ({16}) das Wort.

Roland Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001922, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Reduzierung der Wehr- und Zivildienstzeit tragen wir den begrüßenswerten politischen Veränderungen in Mittel- und Osteuropa Rechnung. Mit diesem Schritt werden ab 1. Oktober 1990 in der Bundeswehr 35 000 Soldaten weniger ihren Dienst tun. Dies ist ein abrüstungspolitisches Signal. Es wird im Rahmen der Truppenreduzierungen in Europa seine Fortsetzung finden. Die Wehrpflicht wird aber weiterhin ein zentraler Bestandteil unserer Verteidigungspolitik bleiben. Wir wollen den Bürger in Uniform und keine Berufsarmee. Da der Wehrdienst von 15 auf 12 Monate reduziert wird, müssen wir - was wir sehr gerne tun - den Zivildienst ebenfalls kürzen, und zwar von 20 auf 15 Monate. ({0}) Die Reduzierung auf 12 Monate, wie sie von den SPD-geführten Ländern im Bundesrat gefordert wird, hätte die vom Bundesverfassungsgericht im Urteil von 1987 geforderten Rahmenbedingungen nicht erfüllt. Das Gericht hat die Dauer des Zivildienstes als ein wichtiges Kriterium für eine Lösung ohne zwingendes Prüfungsverfahren erachtet. Wenn die SPD nun im Bundesrat die ordnungsgemäße Verabschiedung durch die Anrufung des Vermittlungsausschusses verzögert, so muß die SPD auch die Verantwortung dafür übernehmen, daß viele junge Menschen - Wehrdienstpflichtigte wie Zivildienstleistende - in ihrer Lebens- und Berufsplanung total verunsichert werden. Will die SPD damit ihre schlechte Politik, auf Grund der sich vor der Novellierung des Rechts der Wehrdienstverweigerung nahezu 100 000 junge Menschen im Antragsstau befanden, fortsetzen? Dies wäre für junge Menschen fatal. ({1}) Wir sind von der Drittelautomatik abgewichen. Der Zivildienst dauert statt vier Monate nur drei Monate länger. Wir haben das für vertretbar gehalten, da die Belastung der Wehrpflichtigen auch abgenommen hat. Ich appelliere an Sie, die Zukunftsplanung der Dienstleistenden nicht zum Spielball politischer Machtinteressen zu benutzen. ({2}) Dieses Gesetz muß zum 1. Oktober in Kraft treten. ({3}) Für mich ist der Beschluß der SPD-Länder auch deshalb überraschend, weil die SPD noch bis vor kurzem immer für einen längeren Zivildienst eintrat. Ihr Gesetz von 1977 sah einen längeren Zivildienst vor. Auch Sauer ({4}) bei der 1984 erfolgten Verlängerung auf 20 Monate wollte die SPD 19 Monate Zivildienst ({5}) bei einer Grundwehrdienstzeit von 15 Monaten, also vier Monate länger. Nur zur Erinnerung: Das Bundesverfassungsgericht hat sogar eine Zivildienstzeit von 24 Monaten bei 15 Monaten Grundwehrdienst für möglich gehalten. Aber so ist es in Wahlkampfzeiten: Bei der Opposition regiert der blanke Opportunismus. ({6}) Im federführenden Verteidigungsausschuß stimmt die SPD unserem Gesetzentwurf zu, ({7}) im Bundesrat stimmen die SPD-geführten Länder dagegen. ({8}) Herr Lafontaine läßt grüßen. Bei der öffentlichen Diskussion der Reduzierung der Zivildienstzeit geht es vorwiegend um die Frage, welche Folgen das für den sozialen Bereich hat. Im Vordergrund steht dabei verständlicherweise die Sorge um die Sicherung der sozialen Dienste, denen Zivildienstleistende zur Mithilfe zugewiesen sind. Die Zahl der Zivildienstleistenden nimmt von 89 000 im Juli 1990 auf zirka 72 000 im Oktober 1990 ab. Ich möchte aber auch die entsprechende Zahl aus dem Jahre 1984 nennen, als wir das Recht der Wehrdienstverweigerung novellierten. Damals hatten wir weniger als 35 000 Zivildienstleistende. Der Rückgang der Zahl der Ersatzdienstleistenden durch die Verkürzung des Zivildienstes schafft im sozialen Bereich natürlich Probleme. Sicher sind die Klagen der Wohlfahrtsverbände verständlich, aber die Verbände dürfen die Zivis nicht als Lückenbüßer für ihre Personalprobleme benutzen. Der Pflegenotstand ist nicht mit den Ersatzdienstleistenden zu lösen. ({9}) Der Pflegenotstand kann nur gemildert werden, wenn die sozialen Berufe attraktiver gestaltet und besser bezahlt werden. Noch immer sind die Zivildienstleistenden zum Teil arbeitsmarktneutral untergebracht. Ich denke hier vor allem an die Beschäftigungen im Bereich des Handwerks, aber auch an kaufmännische und verwaltungstechnische Tätigkeiten. Es ist daher notwendig, die Zivildienstleistenden schwerpunktmäßig in folgenden Bereichen einzusetzen: in Aufgaben in der allgemeinen Behindertenhilfe, in den mobilen sozialen Hilfsdiensten, in der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung sowie beim Krankentransport und beim Rettungsdienst. Herr Präsident, ich komme zum Schluß. ({10}) Wir alle, Bund und Länder, Kommunen, freie Träger und die Tarifvertragsparteien, sind aufgefordert, das Problem des Pflegenotstands zu lösen. Es geht dabei um zusätzliche Stellen, um Arbeitszeitverkürzungen, um freie Wochenenden, um eine geregelte Arbeitszeit sowie um verbesserte Aufstiegschancen. Die CDU/ CSU-Fraktion ist froh darüber, mit der Reduzierung des Wehr- und Zivildienstes jungen Menschen in ihrer Lebensplanung entgegenzukommen. ({11}) - Jawohl, Herr Conradi. - Wenn sich die Lage in Europa und in der Welt weiterhin - wie in den letzten Monaten - positiv entwickelt, dann wird es in diesem Bereich zu weiteren Schritten kommen. Herzlichen Dank. ({12})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Jetzt hat der Abgeordnete Gerster ({0}) das Wort.

Florian Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000670, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Kollege Sauer, wenn Sie die verteidigungspolitischen Debatten der letzten Wochen und Monate etwas intensiver verfolgt hätten, würden Sie den Mund nicht so voll nehmen und uns eine Verunsicherung der Lebensplanung junger Menschen vorwerfen. Wir haben durch frühzeitige Anträge Gelegenheit gegeben, W 12 sehr viel früher einzuführen und damit auch früher Klarheit zu schaffen, und sind zum damaligen Zeitpunkt immer wieder auf Ihr Nein gestoßen. ({0}) Jetzt ist bei Ihnen die späte Einsicht eingekehrt. Wir freuen uns darüber im Interesse der Betroffenen und auch im Interesse der Akzeptanz des Wehrdienstes. Die wird damit nämlich erhöht. Ob das das Ende der Fahnenstange ist? Da wollen wir die Entwicklung abwarten. Wenn sogar der Bundesaußenminister, kurz nachdem W 12 regierungsoffiziell verkündet ist, bereits W 9 thematisiert, dann wage ich die Prognose, daß uns, gerade wenn dies nicht von Sozialdemokraten kommt, sondern aus den Kreisen der Regierung, und auch nicht vom Bundesbildungsminister, der so mehr oder weniger der Hobbyverteidigungspolitiker in der Regierung ist, ({1}) sondern eben vom Bundesaußenminister, das Datum W 9 erhalten bleiben wird. Wir werden uns vermutlich recht bald hier wiedersehen und über eine weitere Verkürzung reden. ({2}) Der Aspekt der Wehrgerechtigkeit spricht im übrigen für eine weitere Verkürzung, weil mit W 12 eine Armee von 370 000 oder weniger Soldaten - das ist ja eine Obergrenze, nicht etwa eine Mindestgrenze - im vereinigten Deutschland Mitte der 90er Jahre sehr schlecht organisiert werden kann. Es wird sehr genau untersucht werden müssen, ob W 12 Wehrgerechtigkeit herstellen kann. Wir sind offen für Neuregelungen, für neue Organisationsformen des Wehrdienstes. Wir sind offen für verschiedene Wehrdienstdauern bei verschiedenen Waffengattungen und Teilstreitkräften mit unterschiedlichen Ausgleichsregelungen finanzieller und sonstiger Art. Da ist noch lange nicht ausgelotet worden, was sinnvoll ist. Gerster ({3}) Es gibt z. B. Modelle im Ausland, die sehr interessant sind, etwa die Nationalgarde in den Vereinigten Staaten, wo der Reservistenstatus auch gesellschaftlich ein ganz anderer Status ist als bei uns, wo man bestimmte Formen der Freiwilligkeit mit Pflichtdiensten kombinieren kann. Wir sind auch offen für Prüfungen in Richtung einer allgemeinen Dienstpflicht für Männer - wohlgemerkt: für Männer -; damit meine ich die echte Wahlfreiheit, die wir de facto weitgehend schon erreicht haben. Das, was wir an Wahlfreiheit nicht haben, ist im Grunde genommen eine unehrliche letzte Einschränkung, die wir dem Grundgesetz schuldig sein zu müssen meinen. Wir sind offen für neue Organisationsformen. Wir sind auch offen für neue Verteilungen auf einem zusammenhängenden Grundwehrdienst und auf Übungen, damit eine gleiche Gesamtlänge zwischen Wehrund Zivildienst erreicht werden kann. Hier ist durch die Beschlußlage des Bundesrats einen neue Situation entstanden, die wir begrüßen, weil sie uns auch zwingt, weiterzudenken und in die richtige Richtung zu gehen. Dabei kann natürlich ein Kompromiß herauskommen. Nach dem letzten Stand der Dinge wird vermutlich der Vermittlungsausschuß angerufen. ({4}) Daraus kann ein Kompromiß hervorgehen. Der könnte zwischen 12 und 15 Monaten Zivildienst liegen. Vielleicht sind die klugen Persönlichkeiten in den Koalitionsfraktionen bereit, darüber noch einmal nachzudenken. Es gibt einige nachdenkliche Kollegen, die so etwas gesprächsweise auch schon angedeutet haben. ({5}) Wir bringen heute den Bundesratsbeschluß als Änderungsantrag ein. Wir rechnen damit, daß er keine Mehrheit findet, behalten uns dafür weitere Initiativen noch in dieser Plenarsitzung vor und bitten Sie darum, daß wir gemeinsam die Akzeptanz des Wehrdienstes auch durch weitere Maßnahmen erhöhen. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat das Wort der Abgeordnete Uwe Ronneburger.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Juristen pflegen zu sagen: Ein Blick in das Gesetz erleichtert die Urteilsfindung. Ich würde als Politiker hinzufügen: Ein Blick in das Grundgesetz ebnet den Weg zu richtigen politischen Entscheidungen. ({0}) Denn tatsächlich gibt uns das Grundgesetz für das Problem, das wir heute behandeln, sehr klare Vorgaben mit auf den Weg. ({1}) Nach meinem Verständnis läßt sich aus diesem Grundgesetz ableiten: Der Bürger unseres demokratischen Rechtsstaates ist gebunden durch sein Gewissen und durch seine Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft. Hieraus läßt sich die Berechtigung der allgemeinen Wehrpflicht ableiten und sollte auch in Zukunft abgeleitet werden. Aber es läßt sich ebenso ableiten, daß jeder einzelne das eigene Leben und dessen Umfeld nach persönlicher Entscheidung selbst zu bestimmen und zu gestalten hat und das Recht dazu hat. Diese zweite Bestimmung, dieses zweite Gatter, das uns auf unserem Weg begleitet, bedingt ganz einfach, daß wir heute in einer veränderten politischen Situation nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Pflicht haben, den Grundwehrdienst zu verkürzen. ({2}) Ich brauche auf die Einzelheiten der Veränderungen, die sich ergeben haben, nach allen Debatten der letzten Wochen und Monate wohl nicht einzugehen. Aber daß uns die Reduzierung der Friedenspräsenz der Bundeswehr auf 370 000 Mann erlaubt, die Reduzierung der Grundwehrdienstzeit auf zwölf Monate durchzuführen, ist für uns und vor allen Dingen für die davon Betroffenen ja wohl ein wahrhaft erfreulicher Anlaß. Lassen Sie mich dazusagen: Ich würde es nicht für denkbar halten, daß es für West-Berlin eine Ausnahmeregelung gäbe. Die Einheitlichkeit des Rechtsgebiets muß gewahrt bleiben. Ich sage mit aller Deutlichkeit: Wir wollen auch kein Sonderrecht ({3}) für denjenigen, der sich der Ableistung des Wehrdienstes oder des Zivildienstes entzogen hat, indem er seinen Wohnsitz nach West-Berlin verlegt hat. Natürlich bleibt in Berlin für einige ein nicht vermeidbarer Vorteil infolge technischer Zwänge, da erst noch Wehrersatzbehörden eingerichtet werden müssen. Die erste Einberufung dort wird wahrscheinlich erst 1992 erfolgen. Ich halte das auch für eine ausreichende Übergangsfrist im Sinne eines Vertrauensschutzes für die dort lebenden jungen Menschen. Wir sollten keine Zweifel daran aufkommen lassen, daß die Existenz der Streitkräfte auch weiterhin notwendig sein wird und daß wir an dem Grundprinzip der allgemeinen Wehrpflicht nicht nur aus verteidigungs- oder sonstigen politischen Gründen, sondern vor allen Dingen auch aus gesellschaftspolitischen Gründen festhalten. ({4}) Ich will das an dieser Stelle nicht noch einmal im einzelnen ausführen. Natürlich sind wir uns auch darüber im klaren - auch das ist schon angesprochen worden - , daß die von uns begrüßte Abkehr vom Drittelautomatismus bei Zivildienstleistenden ein erfreulicher Durchbruch ist. ({5}) Ich sage in diesem Fall, Herr Kollege Gerster, dazu: Ich halte es für durchaus denkbar, daß der Abstand, jetzt zwölf zu fünfzehn, verringert werden kann. Aber ich halte es für völlig undenkbar, daß er aufgehoben wird; denn der Grundwehrdienstleistende wird nach Ablauf seiner Grundwehrdienstzeit mit der Erwartung entlassen, daß er wieder einberufen wird. Der Zivildienstleistende wird nach Ablauf seiner Dienstzeit mit dem sicheren Gefühl und dem Bewußtsein entlassen, daß er nicht wieder herangezogen wird. Hier und nicht in einer zeitlichen Aufrechnung von Tagen, Wochen oder Monaten liegt die entscheidende Frage für diesen Komplex. Meine Damen und Herren, ich möchte mit einigen wenigen Bemerkungen schließen: Wir habe eine ganze Reihe von weitergehenden Vorschlägen zurückgestellt, um das weitere Verfahren und den Termin des Inkrafttretens dieses Gesetzes nicht zu verzögern. Aber ich meine, daß diese Fragen im Ausschuß unverzüglich behandelt und Lösungen so schnell wie möglich realisiert werden sollten. - Die Zeit, die mir zur Verfügung steht, gestattet es mir nicht, im einzelnen darauf einzugehen. Aber es kommt darauf an, meine Damen und Herren, daß wir die Hoffnungen der heute Dienstleistenden nicht enttäuschen und das Inkrafttreten dieses Gesetzes zum 1. Oktober ermöglichen. Das ist ein erfreulicher Anlaß, aber es ist zugleich ein deutliches Zeichen für die Verantwortung aller, die hier zu entscheiden haben - ich meine auch die Vertreter im Bundesrat. Wir können dieser Verantwortung heute gerecht werden, indem wir hier und heute diesem Gesetz unsere Zustimmung geben. Das entläßt uns aber nicht aus unserer Pflicht, auch über das heute Erreichte hinaus weiterzudenken. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Nun hat die Abgeordnete Frau Schilling das Wort.

Gertrud Schilling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001969, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Im Gesetzentwurf der Bundesregierung steht unter „Alternativen" : Keine. Das ist nicht wahr. Es gibt Alternativen, nämlich die Abschaffung der Wehrpflicht, mindestens aber die einheitliche Dauer von Grundwehr- und Zivildienst. ({0}) Ehe ich einige Punkte unseres Alternativantrags näher erläutere, noch etwas Grundsätzliches: Das oft gebrauchte Argument, Wehrpflicht und Demokratie gehörten untrennbar zusammen, wird zum einen durch das undemokratische Prinzip des Militärs von Befehl und Gehorsam widerlegt und zum anderen durch die Tatsache, daß es Demokratien gibt, die ohne allgemeine Wehrpflicht auskommen oder sie abgeschafft haben. ({1}) - Das ist ja das Schlimme. Die fast 35jährige Erfahrung mit der Wehrpflicht in der BRD zeigt, daß die Bundeswehr weder demokratisiert noch demokratisch eingebunden ist. Wir haben heute de facto eine Berufsarmee mit Wehrpflichtigen-Anhang. ({2}) - Die Prozentzahlen belegen das; 58 : 42. Das sind Fakten. Wenn die Kernaussage der Demokratie akzeptiert wird, wonach das Wollen der einzelnen Bürger und Bürgerinnen und nicht nur das einer repräsentativen Mehrheit der Bezugspunkt für ein demokratisches und politisches Gemeinwesen ist, dann liegt die Unvereinbarkeit auf der Hand. Dies gilt erst recht, da der Inhalt der Wehrpflicht, die Ausbildung zum Massenmord, wertmäßig mit dem humanen Selbstverständnis einer Demokratie nicht zusammenpaßt. Noch im Versailler Vertrag war Deutschland die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht von den Siegermächten des Ersten Weltkriegs verboten worden. 1935 setzten sich die Nazis darüber hinweg. In Deutschland haben die Wehrpflicht bisher eingeführt: Bismarck, Hitler, Adenauer, Ulbricht. ({3}) - Das ist eine Tatsache; darüber brauchen Sie sich gar nicht aufzuregen. Sie stehen jetzt in dieser Tradition. ({4}) Jetzt besteht die historische Chance zum Ausstieg, für eine doppelte Null-Lösung - jetzt! ({5}) Einige wichtige Gedanken aus unserem Alternativantrag. Erstens. Für Zivildienstleistende, die nach Ableistung ihres Zwangsdienstes ihre dienstliche Tätigkeit in Form eines freien Arbeitsverhältnisses weiterführen wollen, soll den entsprechenden Dienststellen ein finanzieller Zuschuß aus Bundesmitteln gewährt werden, und zwar für die Dauer von bis zu sechs Monaten in der Höhe des bisherigen Grundwehrsoldes. Durch die Freiwilligkeit dieser Verlängerung würde der Charakter des Zwangsdienstes aufgehoben. Eine Begrenzung auf sechs Monate ergibt sich aus der Notwendigkeit, qualifiziertes Pflegepersonal nicht durch unausgebildete Zivildienstleistende zu ersetzen. Durch das Angebot der freiwilligen Dienste könnte der Bundestag dazu beitragen, den Pflegenotstand nicht in eine Pflegekatastrophe ausarten zu lassen, was er tut, wenn er den Gesetzentwurf verabschiedet. Zweitens. Zivildienstleistende sollen nicht über die Zeit des Zivildienstes hinaus verpflichtet werden. Drittens. Es ist ein abwegiger, gefährlicher Versuch, eine allgemeine Dienstpflicht für Frauen und Männer einzuführen. Eine Arbeitsdienstpflicht gab es bisher nur unter Hitler und war ein Beitrag zur Kriegsvorbereitung. Das Zwangsdienstverbot des Grundgesetzes war die Antwort des demokratischen Deutschlands darauf. Es ist nicht zu fassen, daß die SPD meint, sich für eine große Koalition so anbiedern zu müssen, daß sie dies mit CDU/CSU und FDP gemeinsam fordert. Durch diese Forderung stellen Sie sich objektiv in diese unselige Tradition der Nazizeit. Ich möchte jetzt auf die SPD-Anträge nicht weiter eingehen; nur soviel: Sollten Sie von der Zwölf-pluszwölf-Regelung abweichen, fänden wir das absolut fatal. Viertens. Eine Befreiung von der Ableistung des Grundwehrdienstes bzw. des Zivildienstes soll auf diejenigen erweitert werden, die sich verpflichten, entweder in gesundheits- und sozialpolitischen Mängelbereichen oder in anderen gesellschaftlich nützlichen Tätigkeitsbereichen im In- und Ausland zu arbeiten. Fünftens. Für alle bisher verurteilten Kriegsdienst- und Totalverweigerer soll eine Strafaussetzung gewährt sowie für alle Wehrpflichtflüchtlinge eine allgemeine Amnestie veranlaßt werden. Dies soll analog auch für die DDR gelten. Es ist unerträglich, daß eine Amnestie für Stasi-Mitarbeiter erwogen wird ({6}) und gleichzeitig diese Leute hier kriminalisiert werden, gleichzeitig die Friedensbewegung kriminalisiert wird, ({7}) die gegen Waffen und Waffensysteme wie C-Waffen, Pershings und Cruise-Missiles demonstriert und blokkiert hat, die mittlerweile aus dem Land abgezogen werden und abgezogen worden sind. ({8}) - Aber auch unseretwegen! Sechstens - und letztens - : Auch in Zukunft soll der entmilitarisierte Status von Berlin als Ausgangspunkt und Modell für die Entmilitarisierung weiterer Regionen beibehalten werden. In Berlin soll es generell keine Wehrpflicht geben. Das sollte unserer Meinung nach auf das Gebiet von ganz Deutschland ausgeweitet werden. Und jetzt hören Sie noch einmal gut zu oder lesen Sie es sich noch einmal durch ({9}) - Sie wissen ja gar nicht, was ich sagen will - : Genau das fordert auch die Katholische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst - ganz genau das. Lesen Sie es bitte nach! ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat der Abgeordnete Gilges das Wort.

Konrad Gilges (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000680, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß, bevor ich in die Sache einsteige, anmerken, daß bei der ersten Lesung zwei unserer Anträge, die ordnungsgemäß gestellt und eingebracht worden sind, durch ein Versehen der Bundestagsverwaltung nicht an die zuständigen Ausschüsse überwiesen worden sind. Das sind die Entschließungsanträge auf den Drucksachen 11/7785 und 11/7786, die hier nun heute zur Abstimmung stehen. Ich will nun auf ein wesentliches Argument eingehen, nämlich auf eine unserer Forderungen: gleiche Dauer für Wehr- und Zivildienst. Senator Kröning hat im Bundesrat dazu eingehend Stellung genommen. Ich schließe mich dieser Stellungnahme meines Parteifreundes voll und ganz an, will aber zusätzlich bemerken, daß immer wieder zwei Gegenargumente angeführt werden: Der eine Grund ist der, den auch Herr Ronneburger hier heute angesprochen hat; er betrifft die Frage der Reserveübung. Herr Ronneburger, Sie müssen doch zur Kenntnis nehmen, daß von denen, die zu Reserveübungen einberufen werden können, nur 5 % einberufen werden - nur 5 %, Herr Ronneburger! Das ergibt eine Durchschnittszahl von 3,5 Tagen. ({0}) Für diese 3,5 Tage Reserveübung, Herr Ronneburger, erlegen Sie dem Zivildienstleistenden ein Mehr von vier Monaten auf. ({1}) Wenn Sie da sagen, das stehe noch im Verhältnis zueinander, Herr Ronneburger, muß ich Ihnen ehrlich antworten: Das, was in diesem Bereich stattfindet, ist wirklich in höchstem Maße unsinnig und ungerecht. ({2}) Also, dieses Argument, Herr Ronneburger, stimmt nicht. Das Verteidigungsministerium geht, wenn ich das Protokoll des Verteidigungsausschusses richtig gelesen habe, selbst davon aus, daß in nächster Zukunft, wenn die Bundeswehr in Gesamtdeutschland auf 370 000 Soldaten reduziert ist, 200 000 junge wehrpflichtige Männer pro Jahr zur Verfügung stehen; nur für 185 000 davon ist Platz. Das heißt: Es bleiben noch 15 000 übrig, die man nicht einziehen kann, die aber einziehbar wären. Reserveübungen wären deswegen überhaupt nicht mehr notwendig. Das heißt: Die von mir vorhin in diesem Zusammenhang genannte Zahl von 5 % wird sich wahrscheinlich noch auf 1 % oder sogar noch auf unter 1 To reduzieren. Es ist also schlicht und einfach nur, so will ich es einmal formulieren, eine Bösartigkeit, ({3}) die da im Ergebnis übrigbleibt. Das zweite Gegenargument betrifft die Belastung, die immer angeführt wird; das habe ich auch im Bericht des Verteidigungsausschusses gelesen. Da wird immer argumentiert: Ja, der Wehrdienstleistende hat durch Heimatferne, durch dies oder jenes eine größere Belastung. Vor 20 Jahren war das ja alles vielleicht nicht so ganz unrichtig. ({4}) - Entschuldigen Sie mal, Herr Sauer, heute ist es nicht mehr so. Der Zivildienstleistende wird zu 100 % eingezogen, während der Wehrdienstleistende nur zu 40 oder 50 % eingezogen wird. Das heißt, da findet schon ein Einzug von 100 % statt, während bei den Wehrdienstleistenden nur noch zur Hälfte der Einzug stattfindet. Zweitens. Sie können ja mal den „Spiegel" in dieser Woche lesen; dort können Sie lesen, was man Zivildienstleistenden zumutet. Ich sage immer, mein Seelenheil würde es nicht ertragen können, was man da manch einem Zivildienstleistenden in der Pflege von Schwerstbehinderten zumutet. Ich muß sagen, ich habe hohe Achtung vor den jungen Menschen, die diese Stärke und Kraft aufbringen, Schwerstbehinderten, Kranken usw. zu helfen. ({5}) Das ist heute die Mehrheit der Zivildienstleistenden. ({6}) Dann wird noch davon geredet, daß die immer noch besser dran seien als der Wehrdienstleistende. Ich kann das nicht nachvollziehen. Derjenige, der so etwas sagt, ist lebensfern. Es würde dem Verteidigungsminister durchaus gut anstehen, mal in eine Zivildienststelle hineinzugehen, um sich das anzusehen. ({7}) Wenn er sich eine solche Schwerstbehindertenhilfe mal ansehen würde, würde er vielleicht bestimmte Behauptungen nicht mehr aufstellen. ({8}) Ich muß nun leider zum Schluß kommen. Bei der Bewertung und Lösung des Pflegenotstands haben wir keine großen Differenzen. Dieser Pflegenotstand kann mit den Zivildienstleistenden nicht gelöst werden; das ist der falsche Weg. Der Pflegenotstand muß aus sich heraus gelöst werden. Frau Lehr, wir haben mit dem Fonds einen Vorschlag gemacht. Sie sparen dabei sogar Geld ein. Es wäre vielleicht gut, wenn Sie mal eine Antwort darauf geben würden, wie man den Wohlfahrtsverbänden über einen Fonds helfen kann, damit Kräfte eingestellt werden, um den Ersatz für die nicht mehr zur Verfügung stehenden Zivildienstleistenden sicherzustellen. Ich will zum Schlußsatz kommen: Mit mir wird es keine allgemeine Dienstpflicht geben. Diese Überlegung einer allgemeinen Dienstpflicht widerspricht vielen Grundgedanken des Grundgesetzes. Wer sie zur Debatte stellt, stellt auch die ethische Legitimation für den Wehrdienst zur Debatte. Ich muß es bei diesem Hinweis bewenden lassen, leider läßt es meine Redezeit nicht zu, dazu noch einiges mehr zu sagen. Das muß also jeder bedenken. Ich hoffe, daß es sich hier keiner so einfach macht, wie es in der Vergangenheit vielfach der Fall gewesen ist. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat Frau Minister Lehr.

Prof. Dr. Dr. h. c. Ursula Maria Lehr (Minister:in)

Politiker ID: 11001305

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte jetzt abschließend zu zwei Aspekten Stellung nehmen, die bei den Beratungen im Bundestag und Bundesrat eine besondere Rolle gespielt haben. Der eine betrifft die Dauer des Zivildienstes, der zweite betrifft die Auswirkungen der Dienstzeitverkürzung auf den Bereich sozialer Hilfen. Zivildienstleistende engagieren sich in vielen Bereichen sozialer Arbeit. Bei der Betreuung von alten, kranken, behinderten Menschen haben sie in überzeugender Weise gezeigt, daß sie einen wichtigen Dienst für das Allgemeinwohl leisten. Die hohe Anerkennung für das so wichtige Wirken der Zivildienstleistenden läßt aber in der öffentlichen Diskussion zuweilen den verfassungsrechtlichen Ort, den die Mütter und Väter des Grundgesetzes für den Zivildienst bestimmt haben, aus dem Blick geraten. Es ist die Aufgabe des Zivildienstes, Wehrpflichtige aufzunehmen, die aus Gewissensgründen den Dienst mit der Waffe verweigern. Hier wird deutlich, daß der Zivildienst aus der allgemeinen Wehrpflicht abgeleitet ist. Die Dauer des Zivildienstes kann daher nicht von der Notwendigkeit der Hilfeleistungen im sozialen Bereich bestimmt werden, sondern muß zum einen von der auszugleichenden Gesamtbelastung des Wehrdienstes einschließlich der Wehrübungen ausgehen, zum anderen muß das Erfordernis, die Ernsthaftigkeit der Gewissensentscheidung zu belegen, bedacht werden. Ein Wahlrecht zwischen Wehr- und Zivildienst widerspricht unserer Verfassung. Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen eindeutig die Kriterien bestimmt, die für die Dauer des Zivildienstes maßgeblich sind. Wenn nun in der öffentlichen Diskussion behauptet wird, eine zeitgleiche Dauer von Grundwehrdienst und Zivildienst sei verfassungsgemäß, ({0}) so ist dies schlicht falsch. Auch der Hinweis auf die veränderte politische Weltlage ändert an den verfassungsrechtlichen Gegebenheiten nichts. Es ist zwar zutreffend, daß die erfolgreiche Abrüstungs- und Entspannungspolitik der Bundesregierung eine Verkürzung der Wehrdienstdauer und damit auch eine Senkung der Sollstärke der Bundeswehr möglich macht, dadurch wird aber das Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil, die Bundesregierung steht ausdrücklich zur allgemeinen Wehrpflicht. Außerdem wird geltend gemacht, die Dienstzeitbelastung bei der Bundeswehr sei zurückgegangen. Der Gesetzentwurf trägt dieser erfreulichen Entwicklung ausdrücklich Rechnung. Während der Grundwehrdienst um drei Monate verkürzt wird, verkürzen wir den Zivildienst sogar um fünf Monate. Den Gedanken des Antrags der SPD zur Dauer des Zivildienstes, aber auch zu den angesprochenen Einzelregelungen kann ich aus den eben dargelegten Gründen nicht folgen. Der zweite Entschließungsantrag der SPD, der sich mit der Situation in der Pflege beschäftigt, stellt die Behauptung auf, Zivildienstleistende hätten ausgebildetes Personal in Heimen und Krankenhäusern verdrängt. Diese Behauptung ist falsch. Man bedenke nur, daß viele Planstellen heute nicht besetzt werden können, weil es eben zuwenig Kranken- und Altenpfleger gibt. Die Diskussion der Fragen zur Pflege weist allerdings weit über den Bereich des Zivildienstes hinaus. Ich erinnere nur an das von mir einge17730 brachte Gesetz zur Regelung der Altenpflegeausbildung. Um diejenigen jungen Menschen, die zur Zeit ihren Dienst leisten, an der Dienstzeitverkürzung teilhaben zu lassen, muß das Gesetz schon zum 30. September in Kraft treten. Ich bitte Sie deshalb, dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung zuzustimmen. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren! Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den eingebrachten Gesetzentwurf zur Regelung der Dauer des Grundwehrdienstes und des Zivildienstes. Es handelt sich um die Drucksachen 11/7781, 11/7840 und 11/7880. Ich rufe zunächst Art. 1 auf. Er entspricht der Ausschußempfehlung. Hierzu liegt auf Drucksache 11/7836 unter Nr. 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Ich lasse zunächst über diesen Änderungsantrag der SPD abstimmen. Wer für diesen Antrag stimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Fraktion der GRÜNEN, der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion abgelehnt. Nachdem der Antrag abgelehnt worden ist, muß ich zunächst über den Art. 1 insgesamt abstimmen lassen. Wer stimmt dem Art. 1 in der Fassung der Ausschußempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Damit ist Art. 1 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion angenommen worden. Ich rufe die Art. 2 und 3 entsprechend der Ausschußempfehlung auf. Wer stimmt den Art. 2 und 3 zu? - Wer stimmt dagegen? - Damit sind die Art. 2 und 3 in der Ausschußfassung mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen worden. Ich rufe Art. 4, ebenfalls in der Ausschußempfehlung, auf. Auch hierzu liegt auf Drucksache 11/7836 unter den Nrn. 2 bis 4 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag der SPD abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Damit ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der CDU/ CSU und der FDP abgelehnt worden. Nun erteile ich dem Abgeordneten Gerster ({0}) das Wort.

Florian Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000670, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Ich stelle ersatzweise den Änderungsantrag der SPD-Fraktion zu Art. 4 Abs. 1 Nr. 4, der wie folgt geändert werden soll: Der Zivildienst dauert einen Monat länger als der Grundwehrdienst ({0}). ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Damit hat die SPD-Fraktion gemäß § 82 Abs. 1 der Geschäftsordnung in der zweiten Lesung diesen Änderungsantrag gestellt. Inhalt ist: Der Zivildienst dauert einen Monat länger. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Damit ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN, CDU/CSU und FDP abgelehnt worden. Nunmehr lasse ich über den Art. 4 in der Fassung der Ausschußvorlage abstimmen. Wer also für diesen Art. 4 in der Vorlage des Ausschusses ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Damit ist dieser Art. 4 von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP gegen die Stimmen der SPD und der GRÜNEN in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe nunmehr die Art. 5 und 6 entsprechend der Ausschußempfehlung auf. Wer ihnen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine. Damit sind dieser Art. 5 und der Art. 6 mit der gleichen Mehrheit angenommen worden. Ich rufe den Art. 7 entsprechend der Ausschußempfehlung auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/7836 unter den Nummern 5 und 6 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP gegen die Stimmen der SPD und der GRÜNEN abgelehnt worden. Wer stimmt dem Art. 7 entsprechend der Ausschußempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Dann ist dieser Artikel gegen die Stimmen der SPD und der GRÜNEN-Fraktion angenommen worden. Ich rufe nunmehr die Art. 8 bis 10, Einleitung und Überschrift auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Dann sind diese Art. 8 bis 10, Einleitung und Überschrift mit der gleichen Mehrheit angenommen worden. Wir treten nunmehr in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Das ganze Haus hat schon seine Stimme abgegeben. Enthaltungen wird es dementsprechend nicht geben. Damit ist der Gesetzentwurf als Ganzes von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP gegen die Stimmen der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden. Wir kommen jetzt zu den Entschließungsanträgen der Fraktion der SPD. Es handelt sich um die Entschließungsanträge auf den Drucksachen 11/7785 und 11/7786, auf die der Abgeordnete Gilges eben schon hingewiesen hat. Da er dabei betont hat, daß hier ein Versehen der Verwaltung vorliegt, möchte ich das zum Anlaß nehmen, zu betonen, daß das ein außerordentlich seltener Fall ist, weil wir es mit einer ungewöhnlich guten Verwaltung zu tun haben. ({0}) - So ist es. Vizepräsident Cronenberg Dieses vorausgeschickt, lasse ich nunmehr über den Entschließungsantrag auf Drucksache 11/7785 abstimmen. Wer also dem Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 11/7785 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist dieser Entschließungsantrag auf Drucksache 11/7785 mit den Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP abgelehnt worden. Ich rufe nunmehr den Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 11/7786 auf. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Entschließungsantrag mit der gleichen Mehrheit abgelehnt. Nunmehr kommen wir zum Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/7835. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt worden, und zwar mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN. Wir kommen nunmehr zum Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/7850. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? ({1}) - Die Fraktion der SPD ist dagegen. Dann ist der Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/7850 mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU und der Fraktion der FDP abgelehnt worden. Wir kommen nunmehr zum Zusatztagesordnungspunkt 8, Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses auf Drucksache 11/7858. Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. 2 der Beschlußempfehlung, den Antrag der Fraktion der SPD auf der Drucksache 11/6791 für erledigt zu erklären. Wer dieser Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist gegen diese Beschlußempfehlung? - Dann ist diese Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen worden. Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({2}) zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten Jahresbericht 1989 - Drucksachen 11/6522, 11/7798 Berichterstatter: Abgeordnete Breuer Heistermann Hierzu schlägt der Ältestenrat eine Debattenzeit von einer Stunde vor. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall; dann ist es so beschlossen. Zunächst erteile ich dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestags das Wort. Herr Biehle, Sie haben das Wort. Biehle, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestags: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe ehemaligen Kollegen! Es ist ein erhabenes Gefühl, nicht mehr Abgeordneter zu sein und trotzdem nach einer Pause vor dem Hause sprechen zu dürfen. Ich fühle mich geehrt und hoffe, daß ich auch künftig den Anforderungen gerecht werden kann. ({3}) Der Jahresbericht 1989, über den heute hier debattiert wird, ist, wie Sie wissen, noch unter Führung von Willi Weiskirch erstellt worden, dem ich dafür noch einmal sehr herzlich danken möchte. Sicher werden die künftigen Jahresberichte etwas anders akzentuiert sein, aber aus Gründen, die auf der Hand liegen, die durch die politische Entwicklung vorgezeichnet sind. Dessenungeachtet habe ich überhaupt keine Probleme, mich mit dem Bericht des vorherigen Wehrbeauftragten Willi Weiskirch voll und ganz zu identifizieren. In den Vorbemerkungen des Berichts wird ausführlich auf die politischen Veränderungen in der DDR eingegangen und hierzu ausgeführt, daß die umwälzenden politischen Wandlungen in den letzten Monaten des Berichtszeitraums für die künftige Tätigkeit des Wehrbeauftragten neue Akzente setzen werden. Die rasante politische Entwicklung hat dem völlig Rechnung getragen. Wir alle wissen um die Entwicklung, die in der Zwischenzeit eingetreten ist. Denn inzwischen haben die Probleme natürlich auch den Wehrbeauftragten erreicht, der im Rahmen der deutschen Vereinigung in die damit verbundene Aufgabe, die beiden deutschen Armeen zusammenzuführen, voll und ganz eingebunden ist. Dies bindet andererseits auch schon den ersten Teil der Arbeitskapazität des Amtes. ({4}) Allerdings möchte ich schon an dieser Stelle deutlich herausstellen, daß sich der Wehrbeauftragte selbstverständlich auch weiterhin mit aller Intensität der Sorgen und Nöte der Soldaten der Bundeswehr ({5}) annehmen wird - damit nicht der Eindruck entsteht, es würde eine totale Verlagerung eintreten. Gleichwohl wird am 3. Oktober meine originäre Zuständigkeit für die ehemaligen Angehörigen der NVA gegeben sein, soweit sie übernommen werden, und es gilt sich darauf vorzubereiten. Es gab einen ersten Besuch des Wehrbeauftragten bei der NVA in der DDR, bei den Truppen aller drei Teilstreitkräfte. Dort gab es das Bemühen, die in der Bundeswehr praktizierten Grundsätze zeitgemäßer Menschenführung kennenzulernen beziehungsweise diese zu übernehmen. Erste Ergebnisse dieser Bestrebungen liegen, wie wir alle wissen, in der Zwischenzeit vor. So ist im Rahmen der Militärreform bei der NVA einiges eingeflossen, was wir unter den Grundsätzen der Inneren Führung verstehen. Ohne diese Militärreform von dieser Stelle aus bewerten zu wollen, muß man sagen: Es gab lange Zeit - zumindest bis vor kurzem und vielleicht auch heute Wehrbeauftragter Biehle noch - eine Reihe von Blockierern; das muß man sehr deutlich sehen. Aber aus meiner Sicht hat sich der Begriff „Innere Führung" in der NVA zwar noch nicht durchgesetzt, aber in der Zwischenzeit ist zumindest sehr deutlich erkennbar geworden, daß es eine Reihe von NVA-Soldaten gibt, die diesen Weg mitgehen wollen. Inzwischen wissen wir, daß die sicherheitspolitische Entwicklung zu einer erheblichen Reduzierung des Personalumfangs der Bundeswehr insgesamt führen wird. Dies wiederum wird erhebliche Auswirkungen auf die Struktur, den Umfang und die Ausrüstung der Streitkräfte haben. Für den Wehrbeauftragten als Hilfsorgan der parlamentarischen Kontrolle über die Streitkräfte wird es eine primäre Aufgabe sein, darüber zu wachen, daß bei dieser Umstrukturierung die Grundrechte der Soldaten und die Grundsätze der Inneren Führung keinen Schaden nehmen. Hier dürfte in nächster Zeit eines der zentralen Hauptarbeitsfelder liegen. Dies gilt sowohl für die heutige Bundeswehr als auch ab 3. Oktober für die dann ehemalige NVA. Die Erwartungen sind sicherlich hochgeschraubt. In vielen Eingaben, besonders von jungen Wehrpflichtigen und Reservisten der Bundeswehr, wird immer stärker nach der Begründung für den ihnen abverlangten Dienst gefragt. Die Aussage im Jahresbericht 1989, daß vor allem diejenigen, die den Wehrdienst auf Grund der gesetzlichen Verpflichtung leisten oder noch zu leisten haben, eine Erklärung für die Notwendigkeit und den Umfang dieses Dienstes erwarten, kann man von daher nicht deutlich genug herausstellen. Ich muß Sie, meine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen, daher eindringlich bitten, mich bei dieser Arbeit tatkräftig zu unterstützen, wobei der Appell auch an die Kommunalpolitiker und an die Länderparlamente geht; denn das kann nicht nur Sache des Bundestages und seiner Parlamentarier sein. ({6}) Ich meine auch, daß man sehr deutlich sagen muß: Die Soldaten müssen die Armee nicht selbst begründen. Ich bin für den Satz dankbar, der auch bei dem Verbandstag des Deutschen Bundeswehrverbandes vor wenigen Tagen gesagt wurde. Es wurde festgesellt, die Politik dürfe unsere Soldaten nicht mit der neuen Situation alleine lassen. Auch das scheint mir wichtig zu sein, hier einmal zu sagen. ({7}) Ich will im Zusammenhang mit der NVA nicht verhehlen, daß uns in letzter Zeit auch Äußerungen aus den Reihen der Bundeswehr zu Ohren gekommen sind, bei denen Zweifel aufkommen müssen, ob alle mit der nötigen Toleranz und Offenheit den Prozeß der Vereinigung der beiden deutschen Streitkräfte angehen. Ich empfehle der militärischen Führung der Bundeswehr, sehr schnell mehr aufklärende Aktivitäten für die Truppe durchzuführen, aber auch für die Öffentlichkeit in der Bundesrepublik ein klares Wort der Armee zu sagen. Ich halte das für außerordentlich wichtig. Die Entlassung aus der Bundeswehr - ein Fall liegt mir vor - mag für manchen zwar im ersten Anschein eine ehrliche Konsequenz sein, aber sie dient nicht der Lösung des Zusammenführens der Bundeswehr und der NVA im Sinne der Wiedervereinigung aller Deutschen. ({8}) Bei allem Verständnis für schmerzliche Erfahrungen, die über 40 Jahre in unserem unselig gespaltenen Lande bis in die Familien hineingetragen worden sind, möchte ich doch eindringlich davor warnen, den Soldaten der NVA mit pauschalen Vorurteilen globaler Art entgegenzutreten. Dies würde, so meine ich, den Prozeß der Zusammenführung empfindlich stören und völlig unnötig verzögern. ({9}) Wir können mit Recht stolz sein auf die Werte, die in unserer Verfassung stehen, die es aber auch täglich neu umzusetzen gilt. Je sicherer wir dieser Werte sind, um so leichter wird es uns fallen, mit Einfühlungsvermögen und gelassen auf die Menschen im östlichen Teil Deutschlands zuzugehen. Hier kann und muß sich die Demokratie bewähren, auch durch seine Bürger in Uniform. Gerade für jüngere Soldaten der NVA muß es deshalb eine faire Chance in unserer Demokratie geben. Dabei darf eine gewisse soziale Abfederung der Älteren nicht Schaden leiden. Gerade auch dadurch wird schon am Beginn der Wiedervereinigung neuer gesellschafts- und sozialpolitischer Sprengsatz vermieden. Das besagt nicht, daß nicht Eignung, Qualität, aber auch Achtung der Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit in der Vergangenheit, wie es im Einigungsvertrag aufgeführt ist, zur Grundlage der Beurteilung gemacht werden. Darüber hinaus sind natürlich auch die Instrumentarien Umschulung, Berufsförderungsdienst, Arbeitsförderungsgesetz usw. zu nutzen; denn das soziale Nichts kann und darf nicht unsere Antwort auf die vielen Fragen der NVA-Soldaten sein. Lassen Sie mich noch in einigen Sätzen auf das Berichtsjahr selbst eingehen. Ich möchte darauf verzichten, einzelne Themen aufzugreifen. Die wenigen Passagen in der Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung, die noch Fragen offen lassen, werden wir sorgfältig überprüfen und, falls notwendig, im Ministerium oder auch im Verteidigungsausschuß erneut zur Sprache bringen. ({10}) Im Jahre 1989 erreichten den Wehrbeauftragten erstmalig über 10 000 Eingaben. Ein Schwerpunkt war die Dienstzeitregelung. Aus diesem Grunde ist das Thema sehr umfangreich abgehandelt worden. Ich glaube, der Wehrbeauftragte darf mit dem Parlament und dem Verteidigungsausschuß sicher in Anspruch nehmen, daß diese detaillierte Kritik ihren Teil dazu beigetragen hat, daß es in der Zwischenzeit zu Verbesserungen gekommen ist, wenn auch dies jetzt abgeflaut ist. Zumindest ist die Zahl der Eingaben zu Wehrbeauftragter Biehle diesem Bereich drastisch zurückgegangen: Bis zum 31. August 1990 gab es 413 Eingaben zur Dienstzeitbelastung. Sie kamen aber überwiegend im ersten Quartal. Im August waren es „nur" noch zwölf. Ich habe - auch das möchte ich kritisch anmerken - in der öffentlichen Diskussion allerdings gelegentlich positive Anmerkungen vermißt. Doch glaube ich, daß es zu erheblichen Reduzierungen der Dienstzeit gekommen ist, wenn auch da noch einiger Nachholbedarf festzustellen ist. Das Denken, wonach Vorgesetzte unbeschränkte zeitliche Verfügungsgewalt über ihre Untergebenen haben ist zwar längst noch nicht überwunden, doch in weiten Teilen einer größeren Nachdenklichkeit gewichen. Ich hoffe nicht nur, sondern muß auch fordern, daß dieser Trend anhält, da mit der Arbeitszeit der Soldaten - ich sage nur das Stichwort W 12 - noch rationeller als bisher umgegangen werden muß. Die unterschiedliche Anrechnung von Dienstzeiten während der Woche und an Wochenenden führt ebenso zu einer Reihe von Eingaben wie die uneinheitliche Kann-Regelung der Freistellung vom Dienst für Soldaten ab dem 4. bzw. ab dem 7. Dienstmonat. Gerade im letzten Falle sollte nach der Debatte gestern im Verteidigungsausschuß rasch gehandelt werden. Ich begrüße, daß auch die kritischen Ausführungen zum Thema „Problemfelder der Menschenführung" weitgehend die Zustimmung des Bundesministers der Verteidigung gefunden haben. Die Zahl der Eingaben, die das Führungsverhalten von Vorgesetzten betreffen, ist in etwa gleichgeblieben. Im übrigen muß natürlich gesehen werden, daß die historischen Ereignisse, die wir zur Zeit gerade auch im Bereich der Sicherheitspolitik erleben, vieles überlagern. Von daher muß der Bundesminister der Verteidigung auch künftig um Verbesserungen in der Praxis der Menschenführung ernsthaft bemüht bleiben. Daß hier ein besonderes Arbeitsfeld im Bereich der Bundeswehr Ost liegt, braucht sicher nicht besonders betont zu werden. Zu diesem Gesamtkomplex gehört auch die Weiterentwicklung der Beteiligungsrechte, wie sie im Jahresbericht 1989 erneut angemahnt wurden. Nunmehr liegt der entsprechende Gesetzentwurf vor. Er befindet sich im Gesetzgebungsverfahren. Als Wehrbeauftragtem steht es mir nicht zu, eine Bewertung dieses Gesetzentwurfs vorzunehmen. Die parlamentarische Beratung bleibt abzuwarten. Lassen Sie mich jedoch nochmals darauf hinweisen, daß die Auseinandersetzung um die Mitwirkungsrechte das innere Gefüge der Truppe seit Jahren stark belastet haben. Ich meine, es gilt nun, sich möglichst schnell von diesen Diskussionen zu befreien und zu praktikablen Verbesserungen zu kommen. ({11}) Lassen Sie mich doch kurz auf das Dauerproblem Wohnungsfürsorge eingehen. ({12}) Ich möchte mich - auch das sei hier angemerkt - bei diesem Thema auf die hiesigen Probleme, nämlich in der Bundesrepublik - ich darf einmal dazusagen: West -, beschränken. Es ist sicher zu begrüßen, daß weitere finanzielle Mittel bereitgestellt worden sind, um gerade in schwierigen Ballungsräumen für etwas Entlastung zu sorgen. Gleichwohl - auch da sind wir uns sicherlich alle einig - werden dadurch die Probleme nur unzureichend gelöst. Die Härten, die sich aus einer Versetzung in einen Ballungsraum ergeben, betreffen den gesamten öffentlichen Dienst. Mir ist klar, daß deren Beseitigung viel Geld kostet. Ich meine aber, daß hier ein Weg gefunden werden muß, um solche sozialen Probleme wenn nicht ganz zu beseitigen, dann doch erheblich abzumildern. Es kann einfach nicht angehen, daß noch nicht einmal die Hälfte aller verheirateten Soldaten, die im Jahre 1989 versetzt wurden, tatsächlich einen Familienumzug durchführten. Dies kann auch nicht im Sinne einer guten Familienpolitik liegen. ({13}) Von daher müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, umzugswilligen Familien den Wohnungswechsel zu erleichtern. Hierzu gehört sicher an erster Stelle die Verfügbarkeit von angemessenen Wohnungen am neuen Standort. Auf die Problematik der berufstätigen Ehefrauen oder der Ausbildungsmöglichkeiten für die Kinder möchte ich in diesem Zusammenhang nur hinweisen. Man sollte in der Politik daran denken, daß die Familien der Soldaten heute mehr denn je einen hohen Anteil an der Motivation ihrer Männer und Väter haben. Ich weiß, daß sich der Verteidigungsausschuß dieses Themas bereits intensiv angenommen hat, und darf Sie, meine geehrten Damen und Herren ganz herzlich bitten, sich weiterhin mit allem Nachdruck der Suche nach Lösungsmöglichkeiten zu widmen. Gestatten Sie mir abschließend einen Gedanken zur künftigen Arbeit des Wehrbeauftragten. In einer Diskussion mit einer Besuchergruppe vor ein paar Tagen wurde mir die Frage gestellt, ob der Wehrbeauftragte nicht eigentlich seine verfassungspolitische Aufgabe erfüllt habe und historisch überholt sei, da die Nachkriegsgeschichte nunmehr vorbei sei. Unabhängig von den eingangs erwähnten großen Aufgaben, die auf den Wehrbeauftragen zukommen, kann ich nach knapp halbjähriger Amtstätigkeit allerdings sagen, daß mein Tätigwerden auf klassischen Arbeitsfeldern wie Menschenführung, Personalfragen der Berufs- und Zeitsoldaten, Wehrpflichtigenangelegenheiten, Fürsorge und Betreuung nach wie vor, ja eigentlich mehr denn je in hohem Maße gefragt und gefordert ist. Auch der Wehrbeauftragte wird im Rahmen seiner Möglichkeiten alles dafür tun, daß das Zusammenführen der beiden deutschen Streitkräfte so reibungslos und sozial verträglich wie möglich geschieht. ({14}) Wir wollen und wir werden uns aktiv an diesem Prozeß beteiligen, notfalls - auch da bitte ich um Ihre Unterstützung - mit personeller Verstärkung oder auch - hier sind wir flexibel und mobil - mit einer Anlaufstelle in Berlin, weil die Kommunikation von hier aus in das Gebiet der DDR derzeit sicherlich sehr schwierig ist und auf kurzen und unbürokratischen Wehrbeauftragter Biehle Wegen kaum möglich ist. Eine Aufklärungsschrift über das Amt und die Aufgaben des Wehrbeauftragten ist mit einer Auflage von 40 000 Stück in Vorbereitung und soll bereits den zu übernehmenden NVA-Soldaten sowie den dortigen Wehrpflichtigen zur Verfügung gestellt werden. Ich hoffe - damit möchte ich schließen - , daß Sie als mein Auftraggeber mich weiterhin - wie meinen Vorgänger in der Vergangenheit - bei meinen Aufgaben, die dem gemeinsamen Ziel dienen, die aber in den nächsten Monaten und Jahren, könnte man sagen, nicht leichter werden, tatkräftig unterstützen werden. In diesem Sinne bedanke ich mich sehr herzlich für Ihre Aufmerksamkeit zu dieser späten Stunde. ({15})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Biehle, ich darf Ihnen und Ihren Mitarbeitern im Namen des ganzen Hauses für die Vorlage des Berichts danken. Im übrigen haben Sie einen großzügigen Präsidenten. Aber da wir die Zeit, die Sie überzogen haben, keiner Fraktion anrechnen, ging das auch so gut. ({0}) Ich eröffne die Aussprache. Zuerst hat Herr Breuer das Wort.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn meiner Rede auf ein trauriges Ereignis hinweisen. Bei einem Besuch der Arbeitsgruppe „Verteidigung" der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion bei Verbänden der Nationalen Volksarmee ist heute ein Flugunfall geschehen. Dabei hat der Stellvertretende Kommandeur des Jagdgeschwaders 9, Herr Major Syrbe, das Leben verloren. Ich möchte - sicher im Namen aller - seiner Familie und den Kameraden das herzliche Beileid aussprechen. Ich darf hinzufügen, daß der Arbeitsgruppenvorsitzende Bernd Wilz dies auf schriftlichem Wege bereits getan hat. Meine Damen und Herren, die Bundeswehr steht vor den größten Umwälzungen ihrer Geschichte seit ihrer Aufstellung 1955/56. Die Beratung des Berichts des Wehrbeauftragten aus dem Jahre 1989 liegt in einer Zeitspanne besonderer Veränderungen in der sicherheitspolitischen Entwicklung. In Osteuropa wachsen demokratische Strukturen. Die deutsche Einheit steht unmittelbar bevor. Die Truppenstärken werden in erheblicher Weise reduziert werden. Unsere Mitbürger, aber auch die Soldaten fragen nach der künftigen Bedeutung der Staatsaufgabe Sicherheit, nach der künftigen Bedeutung der Verteidigung. Sie fragen sich, wie die Bundeswehr nach den Abrüstungsschritten, nach der Umstrukturierung aussehen wird, wo ihr Selbstverständnis liegt und wie die sicherheitspolitischen Aufgaben zu beschreiben sind. Auf das Parlament, auf den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, auf die Bundesregierung und die Bundeswehr kommen, damit verbunden, größte Herausforderungen zu. Hier sind Antworten verlangt, die ganz direkt sehr viele Menschen betreffen werden. An dieser Stelle möchte ich sagen, daß es in der Bundeswehr bei diesen Entscheidungen nur nachrangig um Sachen geht, es geht vorwiegend um Menschen. Bei mancher Diskussion, die darüber geführt wird, hat man den Eindruck, daß die Menschen dabei hintanstehen. In dieser Situation - das möchte ich klar zum Ausdruck bringen - wird die CDU/CSU, wird meine Fraktion an der Seite der Bundeswehr stehen. Im Rahmen des deutsch-deutschen Einigungsprozesses ist ein Teil des Personals der Nationalen Volksarmee, der dann ehemaligen Nationalen Volksarmee, in die Bundeswehr zu integrieren. Dieser Prozeß, meine Damen und Herren, kann keine Fusion sein. Für uns gilt uneingeschränkt das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform. Für uns - ich denke, für uns alle ({0}) gilt uneingeschränkt das Prinzip der inneren Führung in der Bundeswehr. Aus diesem Grund wird von der NVA-Identität nichts übrigbleiben können. Ein klarer Trennungsstrich ist hier zu ziehen. Mit den Menschen, die aus der Nationalen Volksarmee in die Bundeswehr eintreten wollen und können, muß diese Grundeinstellung sorgsam erarbeitet werden. Das verlangt von uns allen Entschlossenheit, aber zugleich auch viel Sensibilität. Mit dieser Aufgabe müssen wir Vertrauen bei allen Soldaten in der heutigen wie auch in der zukünftigen Bundeswehr bilden - Vertrauensbildung für die Maßnahmen und Aufgaben, denen wir gegenüberstehen. Wir müssen Vertrauen ebenso bei den Menschen im Lande bilden, und zwar sowohl im alten wie im neuen Bundesgebiet. Den Wehrpflichtigen, meine Damen und Herren, wird dabei eine ganz wichtige Mittlerfunktion zukommen. Nicht nur aus diesem Grunde, aber auch aus diesem Grunde möchte ich mich ausdrücklich für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht aussprechen. Eine Wehrpflichtarmee sichert die volle Integration der Streitkräfte in unsere demokratische Gesellschaft. Die Akzeptanz der Bundeswehr wird gerade zusammen mit der jungen Generation für die Zukunft gesichert. Die Aufrechterhaltung der Verteidigungsbereitschaft darf nicht nur Aufgabe der Politik zusammen mit den Zeit- und Berufssoldaten, ich sage einmal leger: den Profis sein. Die Aufrechterhaltung der Verteidigungsbereitschaft muß Sache eines jeden Bürgers sein. Das dokumentiert sich durch die Einberufung von jungen Wehrpflichtigen. Sie werden für ein Menschenbild in die Pflicht genommen, das für ein Leben in Freiheit, Frieden, Demokratie und Menschenwürde steht. Dieses Menschenbild liegt der Konzeption der Inneren Führung zugrunde. Meine Damen und Herren, es ist übrigens genau das Menschenbild, das den Werten der demokratischen Revolution in der DDR entspricht. Es wird nun in den neuen Teil der Bundeswehr und in die neuen Bundesländer getragen, ist aber zutiefst den Werten verpflichtet, die die demokratische Revolution in der damaligen DDR getragen haben, also schon von Anfang an im Sinne der geistigen Entwicklung kein Fremdkörper. Junge Wehrpflichtige bewirken aber noch ein weiteres: Die junge Generation bringt jeweils neue Fragestellungen und Ideen in die Bundeswehr ein. Diese muß sich damit auseinandersetzen. Das gilt für Vorgesetzte wie für Untergebene. Diese Auseinandersetzung hält die Bundeswehr jung, geistig beweglich und macht sie dynamisch. Das Konzept der Inneren Führung ist nicht statisch; es ist in sich dynamisch. Insofern muß Innere Führung in ihren Auswirkungen sowohl auf politische wie auf militärische Entscheidungen immer weiter gestaltet werden. Den neuen gesellschaftlichen Entwicklungen muß auch in der Bundeswehr Rechnung getragen werden. Ich will hier einen Bereich ansprechen, der, so meine ich, dynamisch fortgestaltet werden muß. In vielen Bereichen unserer Gesellschaft hat ein partnerschaftlicheres Verhältnis zwischen Untergebenen und Vorgesetzten sowohl zu besserer Motivation wie zu mehr Leistung beigetragen. Dieser Zusammenhang wird meines Erachtens im militärischen Bereich genauso sein. Natürlich sind Befehle und Gehorsam notwendige Elemente einer Armee; aber die vorhandenen Beteiligungsrechte der Soldaten reichen heute zur Fortgestaltung der gesellschaftlichen Entwicklung in den Streitkräften nicht mehr aus. Die Bundeswehr benötigt mehr Partnerschaft zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. ({1}) Deshalb, meine Damen und Herren, halte ich die Verbesserung der Beteiligungsrechte der Soldaten für notwendig. Das entspricht auch der Einschätzung des Wehrbeauftragten, der hier ebenso Handlungsbedarf aufgezeigt hat. Das Erleben eines sinnvoll gestalteten Wehrdienstes, gute Kameradschaft und menschlicher Umgang sind ganz wichtige Elemente einer positiven Ausstrahlung für die Bundeswehr. Sie sind ein wichtiges Element der Motivation in einer modernen Armee. Der Soldatenberuf muß auch in der Zeit des Personalabbaus attraktiv bleiben. Zur Gewinnung qualifizierten Personals müssen die Maßnahmen des Attraktivitätsprogrammes, mit dem wir großen Erfolg erzielt haben, zügig vorangetrieben werden. Dabei ist es auch wichtig, wie wir mit ausscheidenden Zeitsoldaten umgehen. Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung haben dabei allerhöchste Priorität. Die Bildung von Einsparpotentialen im Verteidigungshaushalt einerseits und die Finanzierung von Attraktivitätsmaßnahmen andererseits lassen sich nur in einer nüchternen Abwägung miteinander vereinbaren. Die sicherheitspolitische Diskussion ist in der Vergangenheit oft auf dem Rücken der Bundeswehr ausgetragen worden. Das war nicht nur ungerechtfertigt, sondern für die Soldaten auch eine große Belastung. Die entstehenden Zweifel bei den Soldaten mündeten oft in die Frage - der neue Wehrbeauftragte Alfred Biehle hat es eben formuliert - : Steht ihr noch zu uns; haben wir denn die notwendige Rückendeckung in der Politik? Die Mammutvorhaben, die vor uns liegen, bieten meines Erachtens auch eine große Chance, nämlich die Chance eines neuen politischen Konsenses. Ich wende mich hierbei ausdrücklich an die Kollegen der SPD. Wenn wir es schaffen, diese geschichtliche Situation so zu nutzen, daß die Regierung, die Regierungsmehrheit im Parlament und die Opposition gemeinsam diese große Herausforderung bestehen, dann tun wir der Bundeswehr und den Menschen, die in ihr ihren Auftrag erfüllen, heute, morgen und übermorgen einen großen Gefallen. Grundsätzlich - das möchte ich am Schluß meines Beitrages sagen - hat die Bundeswehr im Bericht des Wehrbeauftragten bei allen Schwierigkeiten, die ich im Detail hier nicht angehen kann - das haben wir im Verteidigungsausschuß ergiebig getan - , einen guten Niederschlag gefunden. Dafür ist der politischen und der militärischen Führung, aber auch den dafür verantwortlichen Soldaten zu danken. Verbesserungen sind immer möglich. Dabei wird uns der Bericht des Wehrbeauftragten jeweils hilfreich sein. Dem ausgeschiedenen Wehrbeauftragten ist für den vorliegenden Bericht wie für seine engagierte Arbeit herzlich zu danken. ({2}) Der Jahresbericht 1989 stand am Ende der fünfjährigen Amtszeit von Willi Weiskirch. Er hat sich während dieser Zeit immer als Sachwalter für die Belange aller Soldaten und der Bundeswehr verstanden. An der großen Zahl und an der Bandbreite der dem Wehrbeauftragten vorgetragenen Anliegen ist abzulesen, daß die Soldaten der Bundeswehr Vertrauen in diese Institution haben. Ich bin davon überzeugt, daß sich dieses Vertrauen auf die neuen, zukünftigen Soldaten der Bundeswehr in den neuen fünf Bundesländern übertragen wird. Es wird auch unsere Aufgabe sein, dies mit zu befördern. Auf die Frage an Willi Weiskirch, ob der Wehrbeauftragte nicht als jemand zu betrachten sei, der durch seine Kritik Sand ins Getriebe streue, hat Willi Weiskirch einmal geantwortet, er verstehe sich als jemand, der im Gegenteil Sand aus dem Getriebe heraushole. Unter diesem positiven Ansatz verstehe ich die Arbeit von unserem ehemaligen Kollegen Alfred Biehle. Ich wünsche ihm dabei viel Glück und ein herzliches Glückauf. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Heistermann.

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Darf ich zunächst Ihnen ein Wort sagen, Herr Kollege Breuer: Sie haben Teile Ihrer Rede nicht nur so formuliert, sondern auch inhaltlich so artikuliert, daß sich darauf aufbauen läßt. Ich meine damit den Wunsch, daß wir uns gemeinsam der Sorgen der Menschen annehmen, die zukünftig in der Bundeswehr ihren Dienst tun werden. Wir werden bei Gelegenheit darauf zurückkommen. ({0}) - Das ist keine Drohung, Herr Kollege; es klang nur so. Ich möchte ebenso wie der Kollege Breuer unsererseits das Beileid an die Familie, die heute den Toten zu beklagen hat, offiziell aussprechen. Ich denke, es ist richtig, daß wir auch hier in diesem Hohen Hause diesen Vorgang bewerten. Beginnen möchte ich mit einem Zitat: Ein demokratischer Staat kann seine Sicherheitspolitik nur in Übereinstimmung mit der Bevölkerung verfolgen. Lassen sich Aufgabe und Umfang der Streitkräfte nicht plausibel erklären, können die für diese Politik notwendigen Entscheidungen und Anstrengungen nicht durchgesetzt werden. Nach dem eingetretenen politschen Wandel sind die bisherigen Antworten zur Begründung für die Streitkräfte nicht mehr ausreichend, um auch künftig den notwendigen Konsens über die Bundeswehr in unserer Gesellschaft zu gewährleisten. Meine Damen und Herren, soweit das Zitat aus den „Vorbemerkungen" des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, des ehemaligen Kollegen Weiskirch, in seinem Jahresbericht 1989. Ich frage - insbesondere in Richtung der Regierungsbank - : Haben wir inzwischen die Übereinstimmung mit der Bevölkerung in Fragen der Sicherheitspolitik erreicht? Können wir die Aufgaben und den Umfang der Streitkräfte plausibel erklären? Die Bundesregierung hat aus unserer Sicht keine Antworten auf neue Fragen gefunden. Sie kann dem Wehrpflichtigen heute nicht erklären, worin die Notwendigkeit und der Umfang seines Dienstes bestehen. Wer in die Truppe hineinhorcht, findet hierfür auch eine Bestätigung. Meine Damen und Herren, dies ist auch kein Wunder. Jahrelang hat diese Bundesregierung es kategorisch abgelehnt, die Truppenstärke zu reduzieren. Jetzt gibt es diese Reduzierung. Anträge der SPD-Bundestagsfraktion auf Kürzung der Wehrdienstzeit auf zwölf Monate wurden zurückgewiesen. Heute haben wir einen Grundwehrdienst von zwölf Monaten beschlossen. ({1}) Dies belegt, daß Sie mit Ihren politischen Entscheidungen immer um Jahre hinterherlaufen. ({2}) In diesem Zusammenhang muß man daran erinnern, daß die Koalition zum 1. Juni 1989 den Wehrdienst noch auf 18 Monate verlängern wollte. ({3}) Die Diskussion um die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit dieser Verlängerung sowie schließlich das Aussetzen des Beschlusses haben bei allen Beteiligten nicht nur beträchtliche Unruhe, sondern Verwirrung und Unwillen ausgelöst. ({4}) Wenn der Wehrbeauftragte in seinem Bericht anmerkt, „Die Stimmung in der Truppe wurde hierdurch nachhaltig negativ beeinflußt", so ist das nur eine höfliche Umschreibung. der tatsächlichen Vorgänge. Meine Damen und Herren, eindringlich mahnt der Wehrbeauftragte in seinem Bericht, daß sich nach den umwälzenden Änderungen im Osten, besonders auch nach den Wandlungen im deutsch-deutschen Verhältnis, die Frage nach einer veränderten Sicherheitspolitik und damit auch nach einer neuen Sinngebung für die Streitkräfte stelle. Greift die Bundesregierung nicht daneben, wenn sie in der Antwort schreibt „Die westliche Sicherheitspolitik und die Soldaten der NATO-Streitkräfte als ihre Garanten haben maßgeblich Anteil an den politischen Veränderungen im Osten, der Gestaltung demokratischer und marktwirtschaftlicher Ordnungen und der Bereitschaft zur Abrüstung"? Davon ist einiges richtig, aber warum Streitkräfte „zur Gestaltung demokratischer und marktwirtschaftlicher Ordnungen"? Ist das die neue Sinngebung für unsere Sicherheitspolitik, die auch künftig gelten soll? Ich denke, das reicht nicht aus. Keine Antworten gibt die Bundesregierung auf den Wegfall der Ost-West-Konfrontation. Wie lautet der nachvollziehbare Auftrag der Bundeswehr unter den neuen Bedingungen? Der Hinweis auf die Ergebnisse einer sicherheitspolitischen Neugestaltung in Europa und auf den europäischen Einigungsprozeß ist nicht ausreichend. Die Soldaten in der Bundeswehr nehmen schneller wahr, wie sich die Veränderungen in Europa vollziehen. Sie spüren, daß die militärische und politische Führung mit ihren Antworten weit hinter den politischen Entwicklungen zurück ist. Meine Damen und Herren, ich komme auf das zurück, was der Herr Wehrbeauftragte Biehle hier eben angesprochen hat. Das Zusammenwachsen von NVA und Bundeswehr - da stimmen wir dem Bundesministerium der Verteidigung ausdrücklich zu - erfordert von allen Beteiligten ein Höchstmaß an Einfühlungsvermögen und Augenmaß. Diesen Herausforderungen gerecht zu werden erfordert auch eine besondere Aufmerksamkeit des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages. Die strukturellen Veränderungen in der Bundeswehr und in der NVA werden tief in die persönlichen Lebensplanungen der Soldaten eingreifen. Die SPD-Bundestagsfraktion hält es deshalb für dringend nötig, während der Umstellungsphase der NVA einen Vertreter des Wehrbeauftragten für das Territorialkommando Ost einzusetzen. Gespräche mit den Soldaten der NVA und Briefe dieser Soldaten belegen, welche Hoffnungen gerade sie auf die wichtige Arbeit des Wehrbeauftragten setzen. Enttäuschen wir sie nicht! Wir müssen gemeinsam sicherstellen, daß die aktiven Soldaten, die zivilen Mitarbeiter und ihre Familien und besonders die Wehrpflichtigen sicher sein können, daß ihre persönlichen Belange gesehen und beachtet werden. Der Verteidigungsausschuß sollte sich deshalb umgehend mit dieser Frage befassen. Wir werden eine entsprechende Initiative ergreifen. Daß die Dienstzeitregelung, die mit Wirkung vom 1. Juni 1989 in Kraft trat, bei den Soldaten auf Ablehnung stoßen würde, haben wir vorausgesagt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Breuer? - Bitte schön, Herr Breuer.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Heistermann, der Wehrbeauftragte hat in seiner Rede vorhin ja bereits Ausführungen zu der Frage der möglichen Bildung einer Außenstelle in Berlin gemacht. Würde der Vorschlag, der von ihm hier gemacht wurde, Ihrem Petitum, das Sie eben vorgetragen haben, Rechnung tragen? Wäre das ausreichend?

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es geht darum, daß dort eine Person des Wehrbeauftragten sitzt, der den Wehrbeauftragten an Ort und Stelle mit allen Kompetenzen vertritt. Wenn wir hier gemeinsam - das bieten wir Ihnen an - zu einer Lösung kämen, könnten wir uns auch in bezug auf diese Position einigen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sind Sie bereit, noch eine weitere Frage des Abgeordneten Dr. Hoyer zu beantworten? - Bitte schön, Herr Dr. Hoyer.

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, Sie haben zu Recht angemahnt, daß in der Frage der Zusammenführung der Streitkräfte und - wenn ich das einmal sagen darf - bei unserem Auftreten in der DDR die notwendige Sensibilität gewahrt sein sollte. Sind Sie ebenfalls der Meinung, daß wir in dieser Frage gerade auch die Empfindlichkeiten im Bereich der Bundeswehr hinreichend berücksichtigen sollten?

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich denke, das darf kein Gegensatz werden. Aber ich denke auch, daß wir keine Angst davor haben dürfen, uns trotz aller Schwierigkeiten, die dabei im einzelnen zu bewältigen sein werden, diesen Fragen gemeinsam zu stellen. ({0}) - Es geht nicht um zwei Wehrbeauftragte, sondern es geht um einen Vertreter des Wehrbeauftragten, der an Ort und Stelle greifbar ist und an den sich die Soldaten dort wenden können, Herr Kollege. ({1}) - Wir werden es definieren, wie wir es im Ausschuß normalerweise immer tun. Lassen Sie uns einmal gemeinsam in die Beratungen dort eintreten! Daß die Dienstzeitregelung - ich komme noch einmal darauf zurück - , die mit Wirkung vom 1. Juni 1989 in Kraft trat, bei den Soldaten auf Ablehnung stoßen würde, haben wir vorausgesetzt. Aber welche Regierung vor Ihnen hat es fertiggebracht, in knapp sechseinhalb Monaten über 1 400 Eingaben gegen die Neuregelung des Dienstausgleichs beim Wehrbeauftragten zu erreichen? Herr Minister, das macht Ihnen keiner so schnell nach. In diesem Jahr sind bereits weitere 400 Eingaben eingegangen. Die Bundesregierung wäre gut beraten gewesen, auf den Antrag der SPD-Fraktion auf Einführung einer gesetzlichen Dienstzeitregelung für alle Soldaten zurückzugreifen. ({2}) Unser Vorschlag hatte klare Vorgaben. Das Durcheinander in der Truppe hätte vermieden werden können. Die Soldaten wollen klare Dienstpläne, damit sie und ihre Familie ihre Freizeit entsprechend gestalten können. Sie haben mit Ihrer Regelung nicht sicherstellen können, daß Vorgesetzte ihren Ermessensspielraum richtig nutzen. Macht es Sie nicht selbst nachdenklich, wenn der Wehrbeauftragte erhebliche Mängel im Führungsverhalten von Vorgesetzten der unterschiedlichsten Ebenen feststellt? Der größte Mangel liegt sicherlich in der beschlossenen Dienstzeitregelung selbst. Das haben aber nicht die Soldaten der unteren Führungsebene zu vertreten; hierfür ist die politische und militärische Führung verantwortlich. Sie haben einen Teil der Kritik selbst zu tragen, wenn auch die Regierungskoalition das Gesetz letztlich beschlossen hat. Es gab eine bessere Alternative. Es bedarf sicherlich keiner Vorhersage, daß das Thema Dienstzeit nicht von der Tagesordnung verschwinden wird. Daß die Dienstzeitregelung inzwischen nachgebessert wurde, will ich gerne zugestehen. Die Mängel werden aber nur kaschiert und nicht beseitigt. Die Reduzierung der allgemeinen Wochenarbeitszeit wird auch für Soldaten kommen. Dessen sind wir uns sicher. Wir werden jedenfalls alle Anstrengungen unternehmen, um jene gesellschaftliche Normalität für die Soldaten zu erreichen, die für andere Berufe schon längst durchgesetzt wurde. ({3}) Herr Wehrbeauftragter, wir bitten Sie, unseren ausdrücklichen Dank für die gute Arbeit, die auch in diesem Bericht wiederzufinden ist, an Ihre Mitarbeiter weiterzugeben. ({4}) Die 90er Jahre erfordern von Ihren Mitarbeitern einen besonderen Einsatz. Tiefgreifende Veränderungen in der Bundeswehr stehen bevor. Sagen Sie es diesem Hohen Hause, wenn Sie für diese Aufgabe mehr Kräfte benötigen. Wir Sozialdemokraten werden jedenfalls mithelfen, daß Sie Ihre Aufgabe erfüllen können. 17738 Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode Wir stimmen im übrigen dem Beschlußvorschlag des Verteidigungsausschusses zu. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Nolting.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Herr Wehrbeauftragter! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Bericht ist noch vom ehemaligen Wehrbeauftragten, Herrn Willi Weiskirch, vorgelegt worden. Ich möchte mich für die FDP-Bundestagsfraktion bei ihm und seinen Mitarbeitern herzlich für die geleistete Arbeit bedanken. ({0}) Der vorliegende Jahresbericht greift vor allen Dingen die Problematik der Dienstzeitregelung auf. Ich möchte an dieser Stelle den Hinweis geben: Eine solche Dienstzeitregelung gibt es in der Bundeswehr das erste Mal. Ich denke, daß es von daher am Anfang zwangsläufig noch Kinderkrankheiten gegeben hat. Die Mängel bezogen sich sowohl auf den verspäteten Erlaß des Bundesministers der Verteidigung als teilweise auch auf dessen Umsetzung durch die jeweiligen Einheitsführer. Einen Kernpunkt der Kritik stellten die zu geringen finanziellen Vergütungen dar. Die FDP-Fraktion hatte bereits bei der Festsetzung der finanziellen Leistungen darauf hingewiesen, daß die vorgesehenen Vergütungen zu niedrig seien. Wir hatten uns deshalb für doppelt so hohe Sätze ausgesprochen. Dies ist inzwischen erreicht. Die FDP kann dies nur begrüßen. Bis zum Jahresende erhielt der Wehrbeauftragte denn auch eine absolute Rekordzahl von Eingaben zu diesem einzigen Punkt: Zur Dienstzeitregelung erhielt er insgesamt 1 400 Eingaben. Auch dadurch wurde unsere Kritik bestätigt. Leider wurde der vorliegende Erlaß nicht so schnell nachgebessert, wie es notwendig und aus unserer Sicht auch möglich gewesen wäre. Es hat dann leider insgesamt ein Jahr gedauert, bis die Nachbesserungen endlich in Kraft treten konnten. Mittlerweile - das ist hier vorhin schon gesagt worden - ist eine deutliche Entspannung um das Thema Dienstzeitregelung zu beobachten. Auch eine - ich will es so nennen - Annäherung an die 38,5-Stunden-Woche, wie sie im öffentlichen Dienst üblich ist, ist mittlerweile in vielen Einheiten zu beobachten. Wir sind allerdings davon überzeugt, Herr Minister, daß immer noch zu viel Überflüssiges in den Ausbildungsplänen vorhanden ist. Das Bundesministerium der Verteidigung bleibt aufgefordert, die Ausbildungs- und Dienstpläne zu durchforsten, Überflüssiges zu streichen, zu straffen und umzuorganisieren. Das Thema Menschenführung spielt - wie in jedem Jahr - auch diesmal eine wichtige Rolle im Bericht des Wehrbeauftragten. Immer wieder ist zwischenmenschliche Kühle durch zu große innere Distanz in Umgang mit den Untergebenen zu beobachten. Bei der Überwindung dieser Probleme spielt offensichtlich nicht nur die Ausbildung der Vorgesetzten, sondern auch die kaum vorhandene Mitwirkungsmöglichkeit der Soldaten eine Rolle. Im Hearing zum Thema Beteiligungsrechte waren sich alle Anwesenden einig, daß bei den Beteiligungsrechten ein dringender Handlungsbedarf besteht. Konsens war, daß zumindest die Rechte des Vertrauensmannes ausgebaut werden müssen. Auch der Herr Wehrbeauftragte mahnt das in seinem Jahresbericht zu Recht an. Die Bundesregierung hat nach heftigem Drängen auch der FDP-Fraktion im Mai den Entwurf eines Soldatenbeteiligungsgesetzes vorgelegt. Eine Beratung zu diesem Gesetz war in diesem Haus bisher leider noch nicht möglich. Ich bedaure das. Deshalb mahne ich an dieser Stelle für die FDP noch einmal eine deutliche Verbesserung der Rechte und der Stellung des Vertrauensmannes an, und das noch in dieser Legislaturperiode. ({1}) Meine Damen und Herren, in dieser Frage ist auch die SPD gefordert. Der Kollege Steiner legt offensichtlich nicht allzuviel Wert darauf, daß dieses Thema noch in dieser Legislaturperiode beraten wird. Herr Kollege Breuer, auch Sie haben dieses Gesetz hier und heute angemahnt. Ich bedanke mich für Ihre Unterstützung, für die Unterstützung durch die CDU/ CSU-Fraktion. Ich denke, daß wir es dann gemeinsam schaffen, dieses Beteiligungsgesetz in der kommenden Woche hier im Deutschen Bundestag zu beraten. Die FDP - darauf möchte ich schon heute hinweisen und es zu Protokoll geben - hat für dieses Beteiligungsgesetz 14 Änderungsanträge in Vorbereitung. Wir können also davon ausgehen, daß es in Zukunft eine gute Mitwirkung der Soldaten geben wird. ({2}) Meine Damen und Herren, in puncto Menschenführung mahnt der Wehrbeauftragte zu Recht den Erlaß einer Vorschrift über den Umgang mit krankgeschriebenen Soldaten an. Auch hierüber werden wir uns im Verteidigungsausschuß noch unterhalten müssen, ebenso über die Frage der Wohnungsfürsorge. Eine wesentliche Rolle spielte im Jahre 1989 die Diskussion um die Wehrdienstverlängerung von 15 auf 18 Monate. Die monatelange Diskussion und die sehr kurzfristige Aufhebung der Wehrdienstverlängerung führten in der Öffentlichkeit, vor allem aber bei den Betroffenen zu erheblicher Verunsicherung, um es vorsichtig zu sagen. ({3}) Die FDP hat darauf gedrungen und schließlich auch durchgesetzt, daß es nicht zur Wehrdienstverlängerung kam. ({4}) Diese Politik hat sich als richtig erwiesen, ({5}) wie im übrigen auch viele andere Bereiche unserer Politik als richtig zu bezeichnen sind. ({6}) Schließlich haben wir, Herr Kollege, soeben in dritter Lesung den Entwurf eines Gesetzes über die Wehrdienstverkürzung auf 12 Monate verabschiedet. Es ist natürlich interessant, daß ausgerechnet die SPD - von den GRÜNEN habe ich nichts anderes erwartet - gegen diese Verkürzung gestimmt hat ({7}) und daß sie selbst bei der Einzelabstimmung - das möchte ich an dieser Stelle für das Protokoll festhalten - gegen das Übergangsgeld und die Erhöhung des Wehrsoldes gestimmt hat, obwohl sie hier anders hätte stimmen können.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bevor Sie zu einem weiteren Teil Ihrer Rede kommen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gerster?

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn es nicht angerechnet wird, Herr Präsident.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Natürlich.

Florian Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000670, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Nolting, würden Sie es akzeptieren, daß allein schon die Tatsache, daß wir Anträge auf W 12 eingebracht haben, die Sie abgelehnt haben, widerlegt, daß wir heute gegen W 12 sind, und daß wir nur deswegen gegen Ihren Gesetzentwurf gestimmt haben, weil er in der Zumessung der Dauer für Wehr- und Zivildienst einen übergroßen Unterschied macht? ({0})

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn ich richtig informiert bin, war ich gerade gefragt. Vielleicht können Sie Ihre Diskussion später fortsetzen. ({0}) Herr Kollege, es ist richtig, Sie haben Anträge gestellt. Allerdings haben wir dazu auf einer ganz anderen Ebene diskutiert. Wir tragen jetzt den Veränderungen im West-Ost-Verhältnis Rechnung. Das haben wir immer rechtzeitig angkündigt. Wenn es nach der FDP-Fraktion gegangen wäre, hätte es die Diskussion um eine Verlängerung von W 15 auf W 18 zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht mehr gegeben. ({1}) - Ich spreche hier für die FDP-Fraktion, Herr Kollege. - Wenn es nach der FDP-Fraktion gegangen wäre, hätten wir das Gesetz zur Verkürzung auf W 12 bereits zu einem früheren Zeitpunkt beschlossen. Ich bedaure an dieser Stelle, daß diese Verkürzung wieder sehr kurzfristig umgesetzt wird und zu einer weiteren Verunsicherung gerade bei den Betroffenen führen wird. Sie hätten bei dieser Abstimmung aber sehr wohl - und deswegen war hier auch eine Einzelabstimmung gefordert - in einzelnen Punkten zustimmen können. Es verwirrt uns - und wahrscheinlich auch die Soldaten - allerdings, daß Sie sogar in Einzelpunkten nicht mehr zugestimmt haben. Ich darf auch noch sagen, daß Sie selbst gestern im Verteidigungsausschuß dieser Gesetzesvorlage, so wie sie hier heute zur Entscheidung steht, als SPD-Fraktion ausdrücklich zugestimmt haben.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sind Sie bereit, eine weitere Zwischenfrage zu beantworten? Herr Gerster möchte noch einmal fragen. Auch Herr Heistermann hat sich gemeldet.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich wollte nicht in eine Nachtsitzung hineingehen, aber wie gesagt, wenn es nicht angerechnet wird.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ja, da ist der Fall. Aber irgendwann hört dann auch meine Großzügigkeit auf.

Florian Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000670, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Eine zweite und letzte Frage: Wenn Sie W 12 schon vorher für richtig gehalten haben und die Koalitionspartner offenbar nicht umstimmen konnten - es geht hier nicht um Mehrheiten, sondern um Argumente - , warum haben Sie nicht zu diesem früheren Zeitpunkt den damals von der SPD eingebrachten Anträgen, die genau das zum Ziel hatten, zugestimmt? ({0})

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, wir sollten hier jetzt keine rückwärts gewandten Kämpfe austragen. Wir sollten uns daran erinnern, daß wir eine frühzeitige Verkürzung gefordert hatten. Diese tritt jetzt zum 1. Oktober 1990 in Kraft. Ich glaube, daß damit auch Ihren Forderungen Genüge getan wurde. ({0}) Für die Betroffenen ist entscheidend, daß sie wissen, wann die Verkürzung in Kraft tritt. Dies wird zum 1. Oktober erfolgen. Darüber sind jedenfalls wir froh.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wollen Sie noch eine Zwischenfrage zulassen?

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bei dem Großmut des Präsidenten, selbstverständlich.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das ist jetzt in Ihrer Rede die letzte. Herr Heistermann.

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Nolting, darf ich aus Ihrer Bemerkung, die Sie dazu gemacht haben, was wir alles nicht mitbeschlossen hätten, schließen, daß Sie es, da Sie hier nur vom Vertrauensmannn gesprochen haben, nicht für richtig halten, daß Berufs- und Zeitsoldaten mehr Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte bekommen sollen, weil Sie ja dem SPD-Entwurf, der dem Hause bereits vorliegt, auch in dieser Frage nicht folgen werden? ({0})

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich habe gesagt, daß die FDP-Fraktion Änderungsanträge zum Soldatenbeteiligungsgesetz in Vorbereitung hat. Ich glaube, es sind 14 oder 15. ({0}) - 16 sogar. Vielen Dank. Wenn wir gemeinsam diese 16 Änderungsanträge annehmen, werden wir ein Soldatenbeteiligungsgesetz vorliegen haben, daß dem Soldaten in Zukunft sehr weite Räume bietet mitzuwirken. Ich sage noch dazu, daß dies nur ein erster Schritt, zwar ein entscheidender und absolut richtiger Schritt, aber eben nur ein erster Schritt sein kann, daß das Ziel der FDP-Bundestagsfraktion aber weiterhin eine adäquate Einführung des Bundespersonalvertretungsgesetzes auch für Soldaten sein wird. ({1}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch, um meinen Vortrag wiederaufzunehmen, den Bereich der Reservisten und ihrer Wehrübungen ansprechen: Eine flexiblere Einberufung zu Wehrübungen in Abstimmung mit dem Betroffenen und seinem Arbeitgeber ist erforderlich. Die sogennannten Gammelzeiten während der Wehrübungen müssen verhindert werden, damit die Wehrübenden nicht den Sinn dieser Übungen in Frage stellen. Insbesondere im Hinblick auf die zukünftige Verkleinerung der Bundeswehr und die daraus resultierende steigende Bedeutung der Reservisten ist es erforderlich, die Wehrübungen so effektiv zu gestalten, daß die Motivation der Wehrübenden gestärkt, nicht geschmälert wird. Lassen Sie mich zum Schluß, da der Jahresbericht des Wehrbeauftragten nicht nur ein Mängelbericht sein soll, darauf hinweisen, daß die Zahl der wirklich schwerwiegenden Vorfälle wie in den letzten Jahren erfreulich gering war. Wenn wir uns daran erinnern, daß gut 460 000 Aktive, alle Reservisten und ehemaligen Soldaten, 170 000 zivile Mitarbeiter und deren Angehörige die Möglichkeit haben, Beschwerden beim Wehrbeauftragten einzureichen, so denke ich, daß man hier festhalten kann, daß die Zahl von 10 200 Eingaben noch relativ gering ist. Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten hilft uns Parlamentariern dabei, Gesetzeslücken zu erkennen und Veränderungen vorzunehmen. In diesem Sinne ist der Bericht nicht nur eine Aufforderung an den Bundesminister der Verteidigung, sondern auch an uns Parlamentarier. Ich bin deshalb zuversichtlich, daß der nächste Jahresbericht, Herr Wehrbeauftragter, den einen oder anderen angesprochenen Mangel nicht mehr enthalten wird. Ihnen, Herr Biehle, wünsche ich im Namen der FDP-Fraktion in Ihrem neuen Amt alles Gute. Ich sichere Ihnen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu. Vielen Dank. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mechtersheimer.

Dr. Alfred Mechtersheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001450, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch meine Fraktion hat Veranlassung, sich beim Wehrbeauftragten zu bedanken. Herr Weiskirch, Sie haben nicht nach dem Motto gehandelt: Die GRÜNEN sind gegen das Militär, und deswegen braucht man mit ihnen nicht zu reden. Es war sicher auf jeden Fall auch für den Wehrbeauftragten interessant zu sehen, daß sich die GRÜNEN sehr wohl für den Bürger, den Menschen in Uniform einsetzen, insbesondere bei sozialen Fragen, und ganz besonders bei den Wehrpflichtigen. ({0}) - Das haben wir bewiesen - das ist Ihnen vielleicht entgangen, Herr Kollege - durch eine Tagung. Die Wehrpflichtigen sind ja diejenigen, die in diesem Rüstungskomplex ohne Zweifel die Schwächsten sind und die größten Opfer zu erbringen haben. Ich kann auch zustimmen, wenn in dem Bericht gesagt wird, daß es schlimm sei, wenn die Angehörigen von Soldaten diffamiert werden. Ganz verständlich ist mir aber nicht, wenn da steht: Ich habe kein Verständnis dafür, daß man nun, da eine akute Bedrohung weithin kaum noch empfunden wird, versucht, die Soldaten an den Rand der Gesellschaft zu drängen. Es geht doch nicht darum, daß etwas nicht empfunden wird; das ist doch keine Frage fehlender oder richtiger Wahrnehmung, sondern es geht darum, daß diese Bedrohung objektiv nicht mehr besteht. ({1}) - Unter dem Aspekt von gegenseitiger nuklearer Abschreckung sind alle bedroht. Bis heute besteht noch eine Bedrohung, aber sie ist in Mitteleuropa so deutlich reduziert, daß die Folgen, die der Wehrbeauftragte beklagt, nicht das Ergebnis falscher Wahrnehmung sind, sondern tatsächlich klare politische Ursachen haben. Das darf man wohl insbesondere in diesen Tagen sagen, wo wichtige Verträge paraphiert worden sind. Ist es denn nicht gut, wenn die Bevölkerung fragt, welchen Auftrag Soldaten ohne Feind eigentlich noch haben? ({2}) Das ist eine wichtige Frage und hat mit Diffamierung überhaupt nichts zu tun. Ich meine, daß jeder Soldat in einer Demokratie mit Ansehensverlust dafür zahlt, wenn er einer Regierung dient, die mehr Soldaten unterhält, als der Bevölkerung plausibel gemacht werden kann. Genau in dieser Situation befinden wir uns. ({3}) Nun hört man von Offizieren: Seit der Golfkrise kann man wieder in Uniform auf die Straße gehen; das haben Sie vielleicht auch schon gehört. ({4}) - Dann waren Sie gestern beim Empfang des Wehrbeauftragten vielleicht nicht mit den richtigen Leuten zusammen; dort habe ich das gehört. - Das spiegelt die große Legitimationskrise der Bundeswehr wider. Das zeigt aber gleichzeitig die Gefahr, daß Militärapparate nach Rechtfertigungen suchen - das ist verständlich - um den Bestand zu wahren und nicht die naheliegende Konsequenz ergreifen zu müssen, drastische Abrüstung zu fordern und durchzuführen. ({5}) Die Ausdehnung der Bundeswehr auf die DDR bringt auch für den Wehrbeauftragten, wie er selbst dargestellt hat - da gibt es wohl Übereinstimmung -, neue Aufgaben. Wir sehen sie auch, wobei ich zwei Problembereiche herausgreifen möchte. Zum einen gibt es in der NVA Führungsprinzipien, die nicht in die Bundeswehr einsickern dürfen, denn diese Führungsprinzipien sind ein Ergebnis einer bis ins Kaiserreich zurückreichenden negativen preußischen Tradition. Zum anderen ist das Problem zu sehen, daß vielleicht der eine oder andere Bundeswehrsoldat arrogant gegenüber den früheren NVA-Soldaten oder auch den Wehrpflichtigen aus der Noch-DDR gegenüber auftreten könnte, ({6}) denn es ist vielleicht ja nicht ganz so abwegig, daß innerhalb einer Armee die Spannungen dann zunehmen, wenn die Wahrnehmung dessen, was Feind sein könnte, nachläßt. Da sucht man möglicherweise auch den Feind in den eigenen Reihen. Das war immer ein Problem stehender Heere. Deswegen halte ich es für richtig, wenn der Wehrbeauftragte das als eines seiner Probleme auch im Auge hat. Nun eine kurze Anmerkung zum Bericht.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gerster?

Dr. Alfred Mechtersheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001450, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte.

Florian Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000670, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Mechtersheimer, ich frage Sie fernab aller möglichen verteidigungspolitischen Differenzen als langjährigen ehemaligen Soldaten: Glauben Sie wirklich, daß die Bundeswehr für ihren inneren Zusammenhalt einen starken potentiellen Feind braucht?

Dr. Alfred Mechtersheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001450, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Also, ich möchte hier keine Meinungen, ({0}) sondern - Herr Gerster, Sie kommen auch aus dieser Zunft - das wiedergeben, was im sozialwissenschaftlichen Bereich dazu übereinstimmend ermittelt wurde. ({1}) Daß es einen Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung von Außenbedrohungen und dem inneren Zustand einer jeden Organisation, eines jeden sozialen Körpers, bis hin zur Familie, gibt, ({2}) das ist nicht neu. Ich sage ja nicht, daß das gebraucht wird, sondern daß das ein Beobachtungstatbestand ist, daß die Gefahr besteht. ({3}) Ich glaube, das könnte auch ein Sozialdemokrat durchaus als berechtigte Frage akzeptieren. ({4}) - Oh, das ist nun weiß Gott ein interessanter Punkt, der nicht Ihrer Frage oder Ihrer Intention recht gibt, sondern das Thema, so wie ich es darstelle, illustriert. ({5}) - Ja, deswegen gibt es ja auch diese Probleme. Der Bericht, der uns hier vorgelegt worden ist, soll den Abgeordneten helfen, sich ein realistisches Bild vom inneren Zustand der Bundeswehr zu machen. Ich bin nicht sicher, ob das bei den Berichten bisher in optimaler Weise gelungen ist. Ich meine, der vorliegende Bericht ist empirisch unscharf. Wenn man den Versuch unternimmt, an Hand der Tabellen - sie sind teilweise völlig irrelevant, beispielsweise wer wo wann ein Interview gemacht hat - und Statistiken Inhaltliches, etwa Fragen und Beschwerden, zu vergleichen, kommt man nicht sehr weit. Wenn da z. B. steht, auch in diesem Jahre wäre es wieder möglich gewesen, eine Reihe solcher schlimmen Vorgänge aufzulisten - wie das im Bericht 1987 dankenswerterweise der Fall war - , dann ist das natürlich schon eine sehr merkwürdige Form des Umgangs mit Fakten. Denn eigentlich sollten wir doch selbst vergleichen und uns ein Bild davon machen können, was sich in der Bundeswehr bezüglich dieser vom Wehrbeauftragten so genannten schlimmen Vorgänge verändert hat; die sind ja nun wirklich schlimm. ({6}) - Nein, aber der Apparat erhebt doch einen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, Herr Kollege Ganz. Deswegen meine ich, daß es schon hilfreich wäre - das ist doch auch in Ihrem Interesse, wenn Sie damit umgehen wollen -, daß man in den nächsten Berichten versucht, mehr Transparenz für denjenigen zu schaffen, der sie darin sucht. Denn was da nun rübergegeben wird, darf keine Frage des Wehrbeauftragten nach der Zweckmäßigkeit sein. Er sollte sich dabei, soweit es irgend geht, zurückhalten und Fakten liefern, damit sich das Parlament und die Öffentlichkeit wirklich ein Bild davon machen können, wie der innere Zustand der Bundeswehr ist. Das wäre ja nun eine wichtige Aufgabe, gerade unter den neuen Bedingungen. Der Wehrbeauftragte hat von der Arbeitskapazität seines Amtes gesprochen und angedeutet, daß neue Stellen gebraucht werden. Ich würde diesen Weg, das Problem - das sicher besteht - zu lösen, nicht unterstützen. Denn es kann ja wohl nicht angehen, daß man in dem gleichen Maße, in dem man die Bundeswehr verkleinert, das Amt des Wehrbeauftragten aufbläht. Ich meine, wir sollten es grundsätzlich bei den gegenwärtigen Zahlen belassen. Das hätte vielleicht die Konsequenz, daß wir dann einen Mitstreiter für Abrüstung hätten. Denn auf diese Weise, Herr Wehrbeauftragter, könnte ich mir doch vorstellen, könnten Sie die überstarke Belastung in Ihrem Amt etwas reduzieren. Und das wäre ja - nicht nur wegen Ihres Amtes - der einzig richtige Weg. Vielen Dank. ({7}) 17749 Deutscher Bundestag - 11 Wahlperiode - 224 Sittzung Bonn, Donnerstag, den 13. September 1990

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung.

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Jahresbericht 1989 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages wie auch die einleitenden Ausführungen unseres langjährigen Kollegen Alfred Biehle haben die sehr dramatischen Ereignisse des vergangenen Jahres, auch in der Weiterzeichnung auf die gegenwärtigen Entwicklungslinien, anschaulich widergespiegelt. Sie verweisen auch auf Aufgaben, die wir heute und im nächsten Jahr gemeinsam zu bewältigen haben. Schon in manchen Ausführungen des Berichts und dann auch in den einleitenden Darlegungen in der Debatte wurde die Dimension der Aufgabe deutlicher, die sich der Bundeswehr, ihren Soldaten und zivilen Mitarbeitern, mit der Vereinigung der beiden Teile Deutschlands stellt. Insofern hat auf diesem Hintergrund, wie die Diskussion zeigt, auch die Behandlung des Jahresberichts 1989 gerade in diesen Wochen eine besondere Bedeutung. Aber sosehr diese Aufgaben im Vordergrund stehen, der Wehrbeauftragte hat sich - auch das ist in dem Bericht klargeworden - genauso wie der Verteidigungsausschuß, der Bundestag und natürlich das Verteidigungsministerium der Alltagsprobleme der Truppe, der Streitkräfte anzunehmen. Natürlich sind weitreichende gesetzgeberische Entscheidungen, mit denen wir Neuland betreten haben, auch in der Rückschau auf ihre konkreten Auswirkungen hin zu erörtern. Das gilt etwa für die Frage der Dienstzeitregelung, bei der, wie wir hörten, über lange Zeit hinweg das Schwergewicht der Eingaben, auch der kritischen Fragestellungen lag. Diese kritische Debatte hat auch zu konkreten Vorschlägen für Verbesserungen geführt. Dies ist nicht ohne Wirkung geblieben in der Gesetzesnovellierung wie auch im neu gefaßten Erlaß über Regelungen für Dienst und Freistellung vom Dienst. Da hier die Dauer der Anpassung kritisiert wurde, muß ich einfach sagen: Um eine Rechtsverordnung zu ändern, brauchen wir das Einvernehmen mit vielen innerhalb der Bundesregierung. Wenn wir das Einvernehmen haben, brauchen wir noch eine lange Frist, in der alle Länder zu dieser Frage Stellung zu nehmen haben. Manchmal ist es auch richtig, dieses Verfahren so zu wählen, um dann in der Korrektur ein Stück treffsicherer zu sein. Daß die hier auch inhaltlich angesprochene Korrektur treffsicher ist oder jedenfalls doch eine erhebliche Verbesserung gebracht hat, zeigt der drastische Rückgang der Eingaben zu diesem Thema. Wir spüren es auch bei vielen Diskussionen bei Truppenbesuchen, daß die Verbesserung anerkannt wird. Ein weiteres Problem, das in der Debatte eine Rolle spielte: Von Wichtigkeit für den Alltag der Truppe und die innere Struktur ist die Ausgestaltung der Beteiligungsrechte. Ich will in den zum Teil auch im Zusammenhang mit anderen Themen der Wehrdienstverkürzung geführten Wettbewerb, wer zuerst was richtig vorhergesagt oder veranlaßt hat, nicht im einzelnen eintreten. Ich glaube, dieser Wettbewerb ist auch nur von einem relativ geringen Interesse für eine breitere Öffentlichkeit außerhalb des Kreises derer, die diese Debatte geführt haben. ({0}) - Da haben Sie ihn übrigens falsch zitiert, muß ich Ihnen sagen. ({1}) - Nein. Lesen Sie nochmal nach, was er gesagt hat. Aber darauf will ich nicht näher eingehen. Nach dem, was ich gelesen habe, hat er das nicht gesagt. Sie haben ihn mit Jürgen Möllemann verwechselt. Und da ist immer noch ein gewisser Unterschied in der Art, wie sich die geschätzten Kollegen äußern. Das werde ich hier aber nicht weiter vertiefen. Ich will zur Sache sagen: Natürlich geht es um eine Verbesserung der Beteiligungsrechte. Wir glauben, daß wir mit dem von der Bundesregierung einmütig verabschiedeten Entwurf einen richtigen und vernünftigen Schritt tun. Ich will keinen Hehl daraus machen, daß ich unverändert die Übernahme des Personalvertretungsgesetzes im Hinblick auf die besonderen Strukturen und Aufgabenstellungen unserer Streitkräfte nicht unterstütze und nicht empfehlen kann; weder vor der Wahl noch nach der Wahl. Aber wir werden hier einen anderen Weg zu beschreiten haben. Mein Eindruck ist, daß diejenigen, die heute Vertrauensleute sind, diesen Gesetzentwurf positiver beurteilen, als manche Stellungnahmen von Verbänden es erscheinen lassen. Lassen Sie mich noch etwas zu dem schon angesprochenen Thema der grundlegenden Veränderungen in der Sicherheitssituation Deutschlands und Europas und den sich daraus ergebenden Folgerungen für das Selbstverständnis unserer Bundeswehr, unserer Soldaten, unserer zivilen Mitarbeiter sagen. Natürlich sind wir, was Strukturveränderungen anbetrifft, auch in den Planungen für unsere Streitkräfte im westlichen Bündnis nicht etwa in der Nachhut, sondern wir gehen hier in vielen Fragen durchaus voran. Aber gerade wenn es um die Sicherheit geht, muß man auch die Tragfähigkeit des Bodens prüfen, bevor man einen neuen Weg einschlägt. Es ist schon richtig, daß wir in den angesprochenen Entscheidungen - sie sind sehr grundlegend - auch objektiv nachhaltig beweisbare Fortschritte im Ost-West-Verhältnis wünschten - und nicht nur atmosphärische Verbesserungen - , bevor wir bestimmte Entscheidungen getroffen haben. Wir haben diese objektiv meßbaren Fortschritte erreicht. Wir haben vor allem in einem Tempo, das vor sechs Monaten noch fast alle in diesem Haus nicht für realistisch hielten und das die Opposition damals noch für falsch hielt, jetzt den Weg zur Einheit Deutschlands gebahnt. ({2}) Bevor der außen- und sicherheitspolitische Konsens über die Rahmenbedingungen nicht erzielt war - er ist faktisch mit der Sowjetunion erst durch die Gespräche des Bundeskanzlers mit Präsident Gorbatschow am 16. Juli 1990 erzielt worden - , waren bestimmte Entscheidungen nicht möglich, die wir jetzt getroffen haben oder die wir noch im Gefolge der Entwicklung in den nächsten Monaten treffen müssen. Ich will nur auf diesen Zusammenhang hinweisen, weil es den einen oder anderen kritischen Akzent gibt, der mich sonst nicht sehr beschwert. Erst seit Mitte Juli kennen wir für unsere Sicherheits- und Außenpolitik entscheidende Eckdaten. ({3}) - Ja, das ist genau der Punkt. Weil einige Ihrer Kollegen, Herr Kollege Opel, meinten, wir hätten zu lansam gehandelt, erlaube ich mir, daran zu erinnern. ({4}) Erst seitdem kennen wir diese Eckdaten. ({5}) Erst seitdem ist klar, Herr Kollege Mechtersheimer, daß die Sowjetunion der Mitgliedschaft des vereinten Deutschlands im Atlantischen Bündnis zustimmt, einer Mitgliedschaft, die kurz zuvor noch manche in diesem Hohen Haus für falsch und verderblich und für entspannungsfeindlich hielten; nicht nur aus dem Bereich der GRÜNEN. Erst seitdem ist klar, daß wir mit Zustimmung auch unserer Nachbarn auch im Osten eine einheitliche deutsche Streitmacht, eine einheitliche deutsche Bundeswehr haben werden und nicht, wie auch einige geschätzte demokratische Politiker in Ost-Berlin noch im Frühsommer meinten, erst nach mehreren Jahren der Vereinigung folgend. ({6}) - Ja, da könnte ich mehrere nennen, nicht nur einen. Ich erwähne das auch nur ganz kurz; nicht um jemanden zu kritisieren, sondern um die Abläufe der Diskussion und der Entscheidungen hervorzuheben. Erst unter dieser Voraussetzung war es richtig, von uns aus die Zahl 370 000 in der internationalen Diskussion zu nennen und auch festzuschreiben. Das sind die Planungsgrundlagen. Auf dieser Basis arbeiten wir jetzt weiter. Auf dieser Basis müssen wir eine völlig neue Bundeswehrplanung machen. Diese Eckwerte haben natürlich auch eine erhebliche Bedeutung für das, was sich jetzt vollzieht. ({7}) - Die Panzerhaubitze ist jetzt wirklich nicht mein Thema, Herr Kollege Kolbow. Bringen Sie nicht alles durcheinander. Auf dieser Grundlage erst wird deutlich, mit welchen Eckwerten und Zielvorstellungen wir die große Aufgabe angehen und lösen können, in Verbindung mit dem 3. Oktober 1990, der Einheit Deutschlands überhaupt zu einer deutschen Armee zu kommen, in der die Mehrzahl der Angehörigen der heutigen NVA eine faire Chance erhalten sollte, sich in dem im Einigungsvertrag festgelegten Verfahren überzeugend für den Dienst in dieser Armee zu qualifizieren; nicht nur in ihren professionellen Fähigkeiten, sondern auch in dem Vermögen - das mindestens genauso wichtig - , die Umstellung zu schaffen zu Soldaten in einer Demokratie, zu Soldaten, die Innere Führung und Partnerschaft zugleich mit den militärischen Pflichten bejahen. ({8}) Das ist eine große Aufgabe, bei der ich mit Zufriedenheit - auch nach der gestrigen Debatte im Verteidigungsausschuß - hervorhebe, daß die Chance eines großen Maßes an Einvernehmen auch mit der sozialdemokratischen Opposition besteht, jedenfalls mit den Kollegen, die dort für die sozialdemokratische Fraktion gesprochen haben. Je mehr wir dies erreichen, desto besser ist es. Das ist der Wunsch, mit dem ich schließen möchte, auch wenn ich weiß, daß wir in den Wochen bis zur Wahl noch manches an wirklichen Gegensätzen austragen werden, auch manches an Scheingefechten. Wir sollten aber die große Aufgabe, die uns gestellt ist, nie aus dem Auge verlieren.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Kolbow.

Walter Kolbow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001175, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Jahresbericht 1989 hat sich der Wehrbeauftragte Willi Weiskirch aus seinem Amt verabschiedet. Er hat dieses Amt mit Kompetenz und Engagement wahrgenommen. Dafür ist ihm von diesem Hohen Hause zu Recht gedankt worden. Vor dem Hintergrund einer fünfjährigen Erfahrung sind seine Erkenntnisse gerade in diesem Bericht, den wir heute zu diskutieren haben, von hoher Wichtigkeit. Die heutige Aussprache wird zu Recht nicht ohne Ausblick auf die Probleme geführt, die sich aus der Vereinigung der beiden deutschen Streitkräfte ergeben. Denn auch der Wehrbeauftragte stellt im Jahresbericht fest, daß er bei seinen Ausführungen künftige Veränderungen der Streitkräfte nicht berücksichtigen konnte, obwohl sich die Ereignisse seit dem Februar 1990 überstürzten. Er geht aber bereits auf die dramatischen positiven Änderungen der sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen ein, insbesondere auf den Einigungsprozeß in Deutschland und seine Rückwirkungen auf die Streitkräfte. Wir bedauern, daß im Zusammenhang mit diesen Äußerungen und Feststellungen die bisherige Sprachlosigkeit der Bundesregierung - insbesondere auch von Ihnen, Herr Bundesminister - , hinsichtlich des künftigen Auftrages der Einsatzplanung, der Struktur, der Ausbildung und der Rüstungsplanung der Streitkräfte nicht beseitigt ist. Darüber könnten auch Ihre eben gemachten Ausführungen nicht hinwegtäuschen. In Ziffer 8 der Vorbemerkungen seines Berichtes - ich darf Ihnen das vorhalten - schrieb der Wehrbeauftragte schon im Februar dieses Jahres: Ich habe diesen Bericht zu einem Zeitpunkt erstellt - so sagt Herr Weiskirch -, zu dem ... über die Reduzierung von Streitkräften intensiv diskutiert wird. Die Ereignisse . . . werden wesentliche ... Auswirkungen auf die Truppe haben ...; ich nenne nur die Personalfüh17744 Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn; Donnerstag, den M. September 1990 rung, Fragen der Unterbringung und das weite Feld von Fürsorge und Betreuungen. So müssen wir heute darauf hinweisen, daß sich der Verteidigungsminister zu brennenden Fragen, ja zu Schicksalsfragen Betroffener bisher nicht geäußert hat. ({0}) Die bevorstehende Reduzierung des Personalumfanges der Bundeswehr, die sowohl die Streitkräfte als auch die Bundeswehrverwaltung betrifft, wird bei Personaleinstellungen bislang überhaupt noch nicht berücksichtigt. Man macht so weiter wie bisher. ({1}) Was geschieht - so fragen wir - mit den zu entlassenden Soldaten und Zivilbediensteten? Wie viele und welche Standorte werden geschlossen? Wie sieht es aus mit der Lebensplanung der Soldaten und Zivilbediensteten in West und Ost? ({2}) Wir meinen, Herr Minister, daß Personalführung gefordert ist, um keine neuen und zusätzlichen sozialen Härten zu schaffen und Sicherheit zu geben. Bei den Berufsunteroffizieren bittet der Wehrbeauftragte den Deutschen Bundestag, also uns zu prüfen, ob durch Haushaltsmaßnahmen die schädlichen Folgen der unausgewogenen Altersstruktur beseitigt werden können. Als Laufbahnziel für alle Berufsunteroffiziere sollte am Ende ihrer Dienstzeit endlich der Dienstgrad Stabsfeldwebel stehen. Heute werden immer noch ca. 15 % verdienter Berufsunteroffiziere als Hauptfeldwebel pensioniert. Besonders qualifizierte Portepee-Unteroffiziere sollen Oberstabsfeldwebel werden. Die Organisationsgrundlagen mit den Dienstposten und die Haushaltsgrundlagen mit den Planstellen sowie gegebenenfalls bestehende Planobergrenzen sind an das Ziel anzupassen. ({3}) Der Bundeswehrverband fordert als Laufbahnziel den Oberstabsfeldwebel. Die Bundesregierung beharrt auf dem Hauptfeldwebel. Ich meine, daß das Laufbahnziel Stabsfeldwebel realistisch und angemessen ist. Ich teile das Verständnis des Wehrbeauftragten für die Betrachtungsweise der Portepee-Unteroffiziere - Sie sicherlich auch - und rege erneut an, sich der Sache anzunehmen. Ich darf darauf hinweisen, daß im Berichtsjahr neue Richtlinien und Durchführungsbestimmungen für die Personalführung von Offizieren und Unteroffizieren in Kraft getreten sind. In Übereinstimmung mit dem Wehrbeauftragten messen wir ihrer konsequenten Umsetzung in die Praxis große Bedeutung für die Attraktivität eines langfristigen Dienens in den Streitkräften bei. Wir haben zustimmend zur Kenntnis genommen, daß es die Teilnahme der Familienangehörigen, insbesondere vieler Ehefrauen, an Personalgesprächen erleichtert, schneller für alle Beteiligten zu tragfähigen Kompromißlösungen zu finden. Wir bedauern, daß laut Jahresbericht das Gesamtbild durch Klagen von Soldaten über ihre Personalführung getrübt wird. So haben wir z. B. mehr als Verständnis für den Unmut eines Soldaten, wenn ihm im Personalgespräch eine bestimmte Verwendungsplanung eröffnet wird, die bereits vier Monate später keine Gültigkeit mehr hat. Der Wert von Personalgesprächen würde entkräftet, wenn die rechtliche Unverbindlichkeit einer Planungsabsicht dazu führt, daß von dieser ohne ernsthafte, schwerwiegende Gründe abgewichen werden kann. Außerdem darf es nicht zur Ablehnung von erbetenen Personalgesprächen kommen, wenn das Gespräch als wesentliches Mittel der Personalführung erhalten und die Berücksichtigung von persönlichen Belangen der Soldaten und ihrer Familien sichergestellt bleiben soll. Personalgespräche werden auch bei Personalführungsentscheidungen im Bereich der Bundeswehr Ost von besonderer Bedeutung sein. Dabei ist es wichtig, daß die neuen Personalführungsgrundsätze herausstellen, daß die Mitwirkung der personalbearbeitenden Dienststellen bei Organisationsmaßnahmen bereits mit der Planungsphase einsetzen soll. Eine sensible Behandlung ist für die Integration von ehemaligen NVA-Angehörigen unabdingbar. Das gilt ganz besonders für die beabsichtigten Personalgutachter-Ausschüsse, die mit rechtsstaatlichen Kriterien Verwendungsmöglichkeiten prüfen und letztlich Einstellungsentscheidungen treffen sollen; eine Arbeit, die, wenn sie nicht gut gemacht wird, dem Wehrbeauftragten viel Arbeit machen wird. Wir gehen davon aus, daß die Zusammensetzung der Personalgutachterausschüsse trotz der Formulierung im Einigungsvertrag, wonach die Regierung über die Zusammensetzung bestimmt, eine wirkungsvolle Mitwirkung des Parlaments bei demokratisch legitimierten, fairen und transparenten Entscheidungen über die Besetzung von Führungspositionen in der Bundeswehr Ost gewährleistet. Dies gilt auch für die Bestätigung von Richtlinien als Entscheidungshilfen für die Personalorgane und die Verhinderung von Gewissensprüfungen und Gesinnungsschnüffelei. Die Sorge des Wehrbeauftragten über Äußerungen von Offizieren der Bundeswehr, bei denen Zweifel aufkommen können, ob alle mit der nötigen Toleranz, Fairneß, Offenheit und Gerechtigkeit den Prozeß der Vereinigung der beiden deutschen Streitkräfte angehen, unterstreichen mögliche Befürchtungen. Selbsternannte Spruchkammervorsitzende dürfen nicht das Sagen haben. Auch darf die erste Berührung dieser Menschen mit dem Rechtsstaat nicht zu Schockerlebnissen führen. Die DDR muß ihren Beitrag zur künftigen Landesverteidigung einbringen können. Dabei muß von einem Angehörigen der NVA bei Übernahme natürlich gefordert werden, daß er auch charakterlich geeignet ist und die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die freiheilich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt. Für die Soldaten der Nationalen Volksarmee - das ist auch durch die Aussagen hier im Hause deutlich geworden - darf das Ende ihrer Armee nicht in das soziale Nichts führen. Hier sind noch viele Ideen nötig, um diesen Prozeß zu ermöglichen. Sicher ist in dem Zusammenhang, daß nur übernommen werden kann, wer das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform selbst leben kann. Für andere müssen Umschulungs- und Qualfizierungsprogramme angeboten werden, müssen gangbare Wege in eine neue Zukunft aufgezeigt werden. Ich weise darauf hin, daß auch in diesem Jahresbericht der Sanitätsdienst und die Wohnungsfürsorge angesprochen worden sind. Die personelle Leistungsfähigkeit des Sanitätsdienstes konnte in der Vergangenheit nie den Vorgaben gerecht werden. ({4}) Bei einer Umstrukturierung der Bundeswehr ist daher das bisherige Konzept zu überdenken. Die Erkenntnisse aus der Großen Anfrage der SPD und der Antwort der Bundesregierung darauf, die leider aus Zeitgründen nicht mehr im Parlament behandelt werden konnten, geben hierfür wichtige Ansätze. Bei der Wohnungsfürsorge wird sich, so nehme ich an, in den nächsten Jahren durch Abzüge - möglicherweise auch bei den US-Streitkräften - manches entzerren. Trotzdem möchte ich deutlich machen, daß die Situation unbefriedigend ist. Sie haben es gesagt, und der Wehrbeauftragte weist im Bericht auch nachdrücklich darauf hin. So kommt eine Versetzung in Ballungsgebiete immer noch einer Bestrafung mit Gehaltskürzung gleich, sind doch die Mietpreise insbesondere von jungen Familien kaum noch zu bezahlen. Die Betroffenen sehen diesen Mangel nicht mehr ein, insbesondere dann, wenn sie zur Kenntnis nehmen müssen, daß im Zusammenhang mit der Rückführung der sowjetischen Truppen aus der DDR in die UdSSR dort 35 000 Wohnungen gebaut werden müssen. Ich komme zum Schluß. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Wehrbeauftragte wird wichtige Aufgaben für die Soldaten in der Bundeswehr Ost wahrzunehmen haben. Dazu bedarf er der besonderen Unterstützung des Parlaments; diese ist zugesichert worden. Die SPD-Bundestagsfraktion wird sie Ihnen, Herr Kollege Biehle, nicht versagen, sondern bewährt an Ihrer Seite stehen, wenn es wie in der Vergangenheit darum geht, über die Einhaltung der Grundrechte der Soldaten und der Grundsätze der Inneren Führung zu wachen. Für die Laufzeit in Ihrem Amt, in das Sie gewählt worden sind, wünsche ich Ihnen für die SPD-Fraktion, aber auch in nachbarschaftlicher Verbundenheit alles erdenklich Gute. Wir danken auch Ihren Mitarbeitern. Wir wissen, daß der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages weiterhin der Vertraute der Soldaten der gemeinsamen deutschen Streitkräfte ist. Ich danke Ihnen. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Damit sind wir am Ende dieser Debatte. Ich schließe sie. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses auf Drucksache 11/7798 ab. Wer stimmt für diese Entschließung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden. Ich rufe Tagesordnungspunkt 15a bis d auf: a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Flinner, Kreuzeder und der Fraktion DIE GRÜNEN Schutz vor Verbrechen in der Tiermast - Drucksachen 11/5732, 11/7518 - Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Adler b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Adler, Dr. Hartenstein, Kißlinger, Koltzsch, Müller ({2}), Oostergetelo, Opel, Pfuhl, Sielaff, Weyel, Wimmer ({3}), Wittich, Blunck, Kiehm, Lennartz, Schütz, Dr. Wernitz, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Aktionsprogramm zur Bekämpfung des Miß- brauchs von Hormonen in der Tiermast - Drucksachen 11/3102, 11/7773 - Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Flinner c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Flinner, Kreuzeder, Frau Schmidt-Bott und der Fraktion DIE GRÜNEN Verbot der Produktion und Anwendung und des Inverkehrbringens von gentechnologisch erzeugten leistungssteigernden Hormonen und Verbindungen - Drucksachen 11/1507, 11/7774 - Berichterstatter: Abgeordneter Susset d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Adler, Dr. Hartenstein, Ibrügger, Kißlinger, Koltzsch, Müller ({6}), Oostergetelo, Dr. Osswald, Pfuhl, Schmidt ({7}), Sielaff, Weiler, Weyel, Wimmer ({8}), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Artgerechte und umweltverträgliche Nutztierhaltung - Drucksachen 11/3891, 11/7531 - Berichterstatter: Abgeordneter Herkenrath Im Ältestenrat ist ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vorgesehen. Ich sehe dazu keinen Widerspruch. - Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Flinner.

Dora Flinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000562, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Artgerechte und umweltverträgli17746 che Nutztierhaltung" lautet der Titel einer der heute zur Beratung stehenden Drucksachen. ({0}) Um dieses Thema geht es uns heute. Da gibt es noch viel zu tun. Es freut mich, daß wir uns in wesentlichen Punkten einig sind. Die Zustimmung des federführenden Ausschusses zu unserem Antrag zeigt, daß wir uns gemeinsam gegen die Gefahren wenden, die von leistungssteigernden Hormonen und Verbindungen ausgehen. In der Tierhaltung und Fleischproduktion gibt es aber immer noch viele, ja viel zu viele Unregelmäßigkeiten. Nicht nur die neue geheimnisvolle Krankheit BSE, sondern auch andere Umstände hatten die Fleischerzeugung ins Gerede und in Mißkredit der Verbraucher und des Naturschutzes gebracht. Was allgemein als Veredelungswirtschaft bezeichnet wird, ist bei näherem Hinsehen gar nicht so edel, wie es von interessierten Kreisen gerne hingestellt wird. ({1}) Die in den letzten Jahren nicht abreißenden Hormonskandale, vornehmlich in den Gebieten mit Massentierhaltungen, sorgten nicht nur für Schlagzeilen in den Medien, sondern auch für Unsicherheit bei den Verbrauchern. Diese Unsicherheit besteht leider immer noch zu Recht. Es sind nicht nur die berüchtigten Hormoncocktails, die in spektakulären Einzelfällen den Tieren verabreicht werden. Auch die ganz normalen Gaben von Medikamenten zur Ruhigstellung auf dem Transport und vor der Schlachtung, die Zusatzstoffe im Futter, die sogenannten Leistungsförderer und die Antibiotika sind es, die dafür sorgen, daß sich bei nachdenklichen Verbrauchern das Schnitzel im Magen herumdreht. Was bei deutschen Erzeugnissen schon oft zu beanstanden ist, das wird bei Importen aus unseren EG-Nachbarländern noch häufiger zum Problem. Der europäische Binnenmarkt mit steigendem Warenverkehr, die immer weiter eingeschränkten Möglichkeiten der deutschen Kontrolleure bei Importen sind Umstände, die uns Sorge machen. Wir müssen uns klarmachen, daß das, was in der Lebensmittelproduktion inzwischen leider als normal angenommen wird, ein Weg ist, der mit Gesundheitsrisiken für die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie mit unsachgemäßer Tierhaltung gepflastert ist. Vergleichen wie die Tierhaltung heute mit der vor einer oder zwei Generationen, so liegen Welten dazwischen. Ich meine nicht in erster Linie, daß es damals beschaulicher zuging. Vielmehr wurden die Tiere in Größenordnungen und unter Bedingungen gehalten, unter denen die unzulässigen Praktiken undingbar wären. Erst die sogenannte moderne Landwirtschaft, die Industrialisierung und die Ausweitung der Größenordnungen ließen solche Auswüchse zu und machten es für profitgierige, unverantwortliche Großmäster möglich, auf Kosten der Gesundheit von Mensch und Tier den eigenen Gewinn zu steigern. Es ist einfach nicht von der Hand zu weisen, daß zwischen den Haltungsbedingungen für die Tiere und den sogenannten Verbrechen ein deutlicher Zusammenhang besteht. Wir setzen uns deshalb dafür ein, daß die unnatürliche Massentierhaltung ein Ende hat. ({2}) Es muß absolute und flächengebundene Obergrenzen für Tierbestände geben. Das Strukturgesetz, das von der Koalition gern als Beispiel für Ihre Bemühungen um die Reduzierung übergroßer Tierbestände angeführt wird, kann und soll diesem Anspruch doch gar nicht gerecht werden. Demgegenüber sollten endlich landwirtschaftliche Betriebe, die artgerechte Tierhaltung in sinnvollen Bestandsgrößen betreiben oder in diese Richtung umstellen, eine angemessene Förderung erhalten. Bei artgerechter Tierhaltung, natürlicher Fütterung und überschaubaren Tiermengen müßten wir auch nicht die Anfälligkeiten für Tierkrankheiten in diesem Ausmaß fürchten. Kein Rind hätte früher Hirnsubstanz von kranken Schafen gefressen. Was ist denn BSE anders als eine Zivilisationskrankheit, diesmal unter Tieren? Aber wie lange noch? In einer wirklich bäuerlich strukturierten, ökologisch ausgerichteten Landwirtschaft, wie wir sie fordern, kämen solche Tierseuchen nicht zur Ausbreitung. ({3}) Auch Sie von der SPD wollen mit Ihrem Antrag die artgerechte und umweltverträgliche Nutztierhaltung vorwärts bringen. Nur würden wir es begrüßen, wenn Sie sich dabei präziser ausdrücken würden. ({4}) Wir wollen die Abkehr von den unnatürlichen Erscheinungen der modernen Landwirtschaft. Deshalb haben wir das Verbot der Produktion, der Anwendung und des In-Verkehr-Bringens von gentechnologisch erzeugten leistungssteigernden Hormonen und Verbindungen gefordert. Der federführende Ausschuß hat unserem Antrag zugestimmt. Die Beschlußempfehlung steht heute zur Abstimmung. Ich bitte Sie, dieser Beschlußempfehlung bei der Abstimmung zu folgen. Danke schön. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Hornung.

Siegfried Hornung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000961, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vorliegenden Anträge wurde im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beraten. Zwei Anträge wurden abgelehnt. Die Anträge auf den Drucksachen 11/7773 und 11/7774, die in Verbindung mit den Hormonen zu sehen sind, wurden im Ausschuß angenommen. Ich beantrage für die CDU/CSU-Fraktion, die Anträge heute in diesem Sinne zu behandeln. Die Versorgung der Bevölkerung mit natürlichen, gesundheitlich unbedenklichen Lebens- und Nahrungsmitteln ist in der Bundesrepublik Deutschland sichergestellt. Kein Land stellt höhere Anforderungen als wir. Dies soll auch in der Zukunft so gewährleistet sein. ({0}) Deshalb haben die Koalitionsfraktionen die Bundesregierung aufgefordert, alles zu unternehmen, um mit Blick auf den gemeinsamen Binnenmarkt die lebensmittelrechtlichen Vorschriften in der EG auf den hohen Stand der Bundesrepublik zu bringen. ({1}) Das Wichtigste, was wir zum Leben brauchen, nämlich die Lebensmittel, sind unter den Schutz einer Vielzahl von Gesetzen gestellt. Wie sich zeigt, greifen die entsprechenden Kontrollsysteme auch; denn die kriminellen Elemente auf dem Ernährungssektor werden immer wieder aufgedeckt. Diese Kontrollen müssen auf den gesamten EG-Bereich ausgeweitet und EG-einheitlich angewendet werden. Jeder Verstoß gegen das Lebensmittel- und Fleischhygienerecht muß lückenlos aufgeklärt und bestraft werden. Daher unterstützen wir in diesem Zusammenhang auch den Gesetzentwurf des Bundesrates - Drucksache 11/4309 - , der mittlerweile in den zuständigen Ausschüssen positiv beraten wurde. Die vierte Novelle zum Arzneimittelgesetz soll ebenfalls die Möglichkeit der Kontrolle des Arzneimitteleinsatzes bei Tieren verbessern. Außerdem hoffen wir, daß in der Sondersitzung des Wissenschaftlichen Ausschusses der EG heute und morgen in Brüssel im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Rinderseuche BSE konkrete Ergebnisse erzielt werden, die dann über den Veterinärausschuß der EG auch EG-einheitlich umgesetzt werden können. Ich gehe ohnehin davon aus, daß wir in der nächsten Ausschußsitzung einen Bericht über den Sachstand bei BSE erhalten werden. Bei den Anträgen der Opposition ist auch immer wieder von der Massentierhaltung und im Zusammenhang damit von dem Einsatz von Hormonen die Rede. Zum ersten verweise ich auf die Tatsache, daß sowohl in der Rinderhaltung als auch in der Schweineproduktion in der Bundesrepublik Deutschland die bäuerlichen Strukturen vorherrschen. So werden durchschnittlich je Betrieb bei uns nur 36 Rinder gehalten. 85 % der Betriebe haben weniger als 50 Kälber. In der Schweinemast haben 84 % der Betriebe weniger als 100 Tiere. In den Haltungsverordnungen werden die notwendigen Vorgaben gemacht. Hinzu kommt, daß nach dem Strukturgesetz für die bäuerliche Landwirtschaft in der Milchmengenregelung wie auch in verschiedenen Schutzverordnungen die Bestandsobergrenzen in der tierischen Veredelung festgelegt sind. Allerdings wenden wir uns auch gegen die teilweise größeren Bestände in anderen EG-Ländern und besonders in der DDR. ({2}) Zum zweiten Bereich, der illegalen Verwendung von Hormonen, ist zu sagen, daß sich unser Bundeslandwirtschaftsminister Kiechle mit uns und dem Bauernverband seit langer Zeit vehement gegen solche kriminellen Handlungen stellt. Es ist uns gelungen, gegen erheblichen Widerstand die natürlichen Hormone EG-weit zu verbieten. Fleisch mit Rückständen darf bei uns nicht mehr eingeführt werden. Auch Ausnahmeregelungen gelten seit dem 1. Januar 1989 nicht mehr; denken Sie an die „Grüne Woche" 1989 bei der das Fleisch aus den USA zurückgeschickt wurde. Auch in der Frage der gentechnologisch erzeugten Hormone wie etwa BST hat sich die CDU ausdrücklich für ein Anwendungsverbot ausgesprochen, das letztlich EG-einheitlich geregelt werden soll. Das gleiche gilt für Zusatzstoffe, die nur dann eingesetzt werden dürfen, wenn sie für Mensch, Tier und Umwelt unbedenklich sind und entsprechend wirksam kontrolliert werden. Ich halte also nichts von der Panikmache, die teilweise aus den Anträgen herausklingt, sondern plädiere hier und jetzt für eine engere Zusammenarbeit zwischen Verbrauchern und Landwirten, die Vertrauen bildet und beiden Seiten dient. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Adler.

Brigitte Adler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000010, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Skandale schrecken die Bürger als Verbraucher auf. Die „schwarzen Schafe " eines Berufsstandes begehen kriminelle Akte und bringen die Landwirtschaft in ein falsches Licht. Das Vertrauen der Verbraucher ist gestört, die in Mißkredit geratenen Lebensmittel werden gemieden. Skandale aber sind der Hinweis darauf, daß etwas nicht in Ordnung ist. Oder reicht Geldgier alleine als Motiv? ({0}) Es mangelt an einer neuen Definition der agrarpolitischen Rahmenbedingungen. Die Einkommensverhältnisse in der Landwirtschaft verleiten den einen oder anderen dazu, nachzuhelfen, um bei zurückgehenden Preisen den Durchsatz im Stall zu erhöhen. Daß das gut organisiert war und wohl auch noch ist, zeigt sich an den verschiedenen betroffenen und beteiligten Berufsgruppen. Der zuletzt bekannt gewordene Kälberskandal im Juni dieses Jahres beweist dies wieder. Ich freue mich, daß sich die Fraktionen des Deutschen Bundestages darüber einig sind, daß dem Mißbrauch von Hormonen in der Tiermast Einhalt geboten werden muß. Unser Antrag wurde im Ausschuß von den beiden großen Fraktionen angenommen. Vielen Dank für die Unterstützung! Daß die verehrten Kollegen von der CDU/CSU nicht in der Lage waren, auch unserem Antrag zur artgerechten und umweltverträglichen Landwirtschaft zuzustimmen, ist verständlich. Hier gehen wir auf der Suche nach Lösungen für die Landwirtschaft unterschiedliche Wege. Unser Antrag zeigt auf, daß artgerechte Tierhaltung auch umweltschonend ist. Die Diskussion um die Frage der Massentierhaltung ist wenig ergiebig, was ich gerne zugestehe. Aber der Begriff bündelt die Pro17748 bleme und zeigt damit auf, was eigentlich gemeint ist. „Massentierhaltung" bedeutet, daß Tiere auf engem Raum gehalten werden, wobei Probleme der Hygiene aufgeworfen werden. Es geht also nicht um die Frage des Eigentums an Tieren. Der klinisch reine Stall für 4 000 Milchkühe kann nicht artgerecht sein. Er ist sauber, aber für die Tiere nicht angemessen. ({1}) Das ist unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsbelastung und der Produktionskostensenkung im Stall sicher zufriedenstellend. Der Medikamenteneinsatz als vorbeugende Maßnahme ist dann unausweichlich. Das kann und sollte nicht das Ideal landwirtschaftlicher Tätigkeit westlich und östlich der Elbe sein. Nun tauchen für viele Alibihilfen auf. Was auf dem Gebiet der „Noch-DDR" alles passierte und passiert, ist schlimm genug. Es gilt, einen Weg aus der verfahrenen Situation zu suchen, der den Menschen östlich der Elbe hilft und westlich davon nicht den Eindruck der Wettbewerbsverzerrung aufkommen läßt. Gibt es einen gangbaren Weg? Großeinheiten, die schrumpfen, aber im Vergleich zu den westdeutschen Strukturen noch immer große Einheiten sind? Sollen unsere Höfe auf diese Größenordnungen zusteuern? Nein! Ungeachtet unterschiedlicher Positionen in der Frage der Zukunft der bäuerlichen Landwirtschaft sollten wir uns alle an einen eckigen Tisch setzen und Gedanken und Ideen schnell und unkonventionell über das austauschen, was zu geschehen hat; denn falsche Strukturen sollten nicht exportiert werden. Grundsätze, wie die Tierhaltung an die Fläche zu binden ist oder wie der Einsatz von Pflanzenbehandlungsmitteln gestattet werden soll, müssen sich an den Kriterien orientieren, die bei uns gelten, obwohl diese Kriterien dringend weiterzuentwickeln sind. Der Splitter im Auge des Nachbarn ist leicht auszumachen; aber den Balken im eigenen Auge bemerkt man kaum. ({2}) - Sie stimmen mir zu. Ich freue mich, Herr Susset. Der Umweltbericht zeigt die Zielkonflikte deutlich auf. Wir sollten diese vorurteilslos anpacken. Die Natur, die Tiere, wir Menschen werden dafür dankbar sein. Eine umweltverträgliche Landwirtschaft, die den Bauern den Preis ihrer Arbeit nicht vorenthält, ist ein erstrebenswertes Ziel. Die Preispolitik in Brüssel und der sogenannte Weltmarktpreis sind künstliche Faktoren. Darüber sollten wir einmal mit unseren Kollegen aus dem Wirtschaftsressort reden. Wir müssen den Mut aufbringen, zu sagen, daß wir eine Landwirtschaft haben und behalten wollen, für die gilt: nicht kleinkariert ins 19. Jahrhundert zurück, sondern mit verantwortbarer Technik und Zuchtfortschritten einen prosperierenden Wirtschaftszweig schaffen. Vielfalt vor „Einfalt" sollte das Ziel sein. Nicht wenige Rassen, die genmanipuliert sind, sondern stabile Vielfalt muß im Tier- und Pflanzenbereich erreicht werden. Freuen wie uns doch über die gegebenen natürlichen Möglichkeiten! Das heißt, daß hier bei uns wie in den neuen fünf Ländern eine Arbeit ohnegleichen auf uns wartet. So muß entschieden werden, wie die industrielle Pflanzen- und Tierproduktion in eine umweltverträgliche Wirtschaftsweise umgewandelt werden kann. Die bundesdeutschen Strukturen bieten dabei keine gute Ausgangslage. Drei Dungeinheiten auf einen Hektar sind zuviel - Herr Staatssekretär Gallus, merken Sie sich das - , die Großvieheinheiten für die Fläche zu großzügig bemessen. Dennoch gilt, daß Tiere und Fläche aufeinander bezogen bleiben müssen. ({3}) Der Zukauf von Futtermitteln muß eingeschränkt werden. Die Fläche muß die Futtermittel beschaffen können. Statt Gülle mehr Festmist, tierartgerechte Ställe, damit man ohne medikamentöse Krankheitsprophylaxe auskommt, und Flächenstillegungen, um ein Biotopverbundnetz zu schaffen, wären sinnvoll. ({4}) Es ließe sich einiges machen. Nutzen wir die Chance! ({5}) Gehen Sie mit uns den Weg einer konsequenten umweltverträglichen Landwirtschaft, meine Damen und Herren. Es lohnt sich! ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Bredehorn.

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die GRÜNEN haben wieder einmal eine reißerische Überschrift gewählt: Verbrechen in der Tiermast. Nun kriminalisieren Sie dort wieder. Das ist wider besseres Wissen die alte Masche, die Probleme würden gar nicht entstehen, wenn wir Obergrenzen hätten. ({0}) Sie wissen doch genauso gut wie ich, daß wir - das ist durchaus positiv zu sehen - in der EG bei den Viehbeständen und auch bei den Flächengrößen der Betriebe mit an der untersten Grenze liegen. Die kriminellen Handlungen, die in Einzelfällen zweifelsohne passiert sind und die schärfstens zu verurteilen sind, haben doch weiß Gott nichts damit zu tun, ob einer 10 oder 500 Kälber hat. ({1}) Ein Nebenerwerbslandwirt kann ebenso zur Spritze greifen wie ein Großmäster. Es handelt sich immer um menschliches Versagen. ({2}) Wann werden die GRÜNEN endlich einsehen, daß bäuerliche Kleinstruktur nicht mit „gut, rein, ehrlich und edel" gleichzusetzen ist? ({3}) Menschliche Fehlbarkeit hat nichts mit Größenstrukturen in der Landwirtschaft zu tun. Die Anwendung von illegalen Mastmitteln und Masthilfen sowie von verbotenen Hormonen muß gestoppt werden, indem man das Arzneimittelrecht, das Lebensmittelrecht und das Fleischhygienerecht unnachsichtig und konsequent anwendet. Maßnahmen aus der Agrarstrukturpolitik sind da eher kontraproduktiv; denn die Wünsche der Verbraucher nach gesunden und geschmacklich hochwertigen Qualitätsnahrungsmitteln müssen Priorität haben. Von der Nachfrage nach Nahrungsrohstoffen sind die Entwicklungen auf den Agrarmärkten abhängig. Der Mengen- und der Preisdruck auf den Agrarmärkten sind schon groß genug. ({4}) Wir müssen also alles daransetzen, Vertrauen bei den Verbrauchern aufzubauen und nur die beste Qualität anzubieten. Diese Ziele sind größenunabhängig. Ein Verbot z. B. der Lohnmast - ich bin nicht dafür - würde da keinen Schritt weiterführen. Es ist möglich - die GRÜNEN wollen es aber leider nicht zur Kenntnis nehmen - : In einer unternehmerisch und ordnungsgemäß betriebenen Landwirtschaft kann ich gleichzeitig verbrauchergerecht, umweltfreundlich und ökonomisch erfolgreich wirtschaften. ({5}) Die artgerechte und umweltverträgliche Nutztierhaltung gehört ebenfalls zu der Problematik, über die wir hier heute diskutieren. In diesem Punkt hat die Bundesregierung, haben die Koalitionsfraktionen Vorbildliches geleistet. Mit dem Erlaß von Rechtsverordnungen haben wir Vorschriften über die Mindestanforderungen an die Haltung von Schweinen und Geflügel erlassen, die für die Tierhalter bei uns verbindlich sind. - Das gibt ja auch das Tierschutzgesetz her. Für die Kälber konnte wegen eines Einspruchs der EG-Kommission die notwendige Vorschrift leider noch nicht verkündet werden. Die Bundesrepublik spielt hierbei in Europa inzwischen eine Vorreiterrolle. Das bringt uns bei unseren eigenen Bauern natürlich nicht nur Lob ein. Deshalb muß die Bundesregierung alles daransetzen - sie wird dabei von der FDP-Fraktion unterstützt - , dafür Sorge zu tragen, daß der Tierschutz in allen EG-Mitgliedsstaaten möglichst einheitlich umgesetzt wird. Denn sonst kommt es zu Wettbewerbsverzerrungen, die tatsächlich keinem Landwirt bei uns klarzumachen sind. Lassen Sie mich noch ein paar Worte zum BST, dem gentechnisch hergestellten Rinderwachstumshormon, sagen. Die Diskussion darüber ist komplex und wird auch mit viel Emotionen geführt; wir haben das hier heute wieder gehört. Es geht um wirtschaftliche Fragen und um Fragen des Tierschutzes. Ethische und gentechnologische Argumente werden ebenso vorgebracht wie diejenigen, die mit strukturellen Aspekten unserer Landwirtschaft zusammenhängen. Die kritische Diskussion über das BST darf aber nicht bedeuten, daß die Landwirtschaft nicht grundsätzlich für neue Entwicklungen offenbleibt. Dies gilt auch für die Einführung gentechnologischer Methoden oder daraus gewonnener Erkenntnisse. Auch in der Landwirtschaft können wir uns aus dem technischen Fortschritt nicht ausklinken. Dies geht schon allein deshalb nicht, weil wir international verflochten sind und arbeitsteilig wirtschaften. Dennoch muß man die Entwicklung in diesem Bereich sehr vorsichtig und kritisch verfolgen und die eingeleitete Prüfung auf europäischer Ebene abwarten. ({6}) Bis dahin steht für uns der Schutz des Verbrauchers eindeutig im Vordergrund. Zum Beispiel hat die Milch als reines, natürliches, gesundes Nahrungsmittel bei unseren Verbrauchern ein gutes Image. ({7}) - Sie sorgen schon dafür; das ist richtig. - Solange nur der kleinste Verdacht besteht, daß der Einsatz von BST zu Qualitätsveränderungen bei der Milch führen oder die Gesundheit der Milchkühe negativ beeinflussen kann, ({8}) müssen wir gegen das BST sein. Wir sollten nämlich nicht den Ast absägen, auf dem wir sitzen. Ich sage Ihnen aber auch ganz deutlich: Die Drucksache 11/1507, den Antrag der GRÜNEN, haben sowohl der Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit als auch der Ausschuß für Forschung und Technologie mit Mehrheit abgelehnt. ({9}) Ich habe ganz deutlich gesagt: Ich meine, wir müssen vorsichtig damit sein, Anträgen nur aus reinem Opportunismus zuzustimmen, obwohl weltweit sehr sorgfältig über die Auswirkungen von BST wissenschaftlich geforscht wird. ({10}) Auch die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages hat dazu kein abschließendes Urteil abgegeben. ({11}) - Das konnte sie auch noch nicht. - Ich sage ganz klar: Wir wollen das BST im Augenblick nicht, aber ich möchte, bevor ich es ablehne, gerne abwarten, bis die Ergebnisse vorliegen. Schönen Dank. ({12})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Bredehorn, wenn Sie mir als Nicht-Landwirt sagen würden, was BST heißt, dann würden Sie etwas Volksbildnerisches tun.

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bovines Somatotropin.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Nun bin ich klüger; das hatte ich nicht erwartet. ({0}) Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zunächst zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf der Drucksache 11/7518. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5732 zum Schutz vor Verbrechen in der Tiermast abzulehnen. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. -Wer stimmt dagegen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und mit einzelnen Zustimmungen aus anderen Fraktionen angenommen. Wir kommen jetzt zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 11/7773 zum Antrag der Fraktion der SPD über ein Aktionsprogramm zur Bekämpfung des Mißbrauchs von Hormonen in der Tiermast. Der Ausschuß empfiehlt, dem Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/3102 zuzustimmen. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen in der Fraktion DIE GRÜNEN ist diese Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit angenommen worden. Wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf der Drucksache 11/7774 zum Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN über ein Verbot der Produktion und Anwendung und des Inverkehrbringens von gentechnologisch erzeugten leistungssteigernden Hormonen und Verbindungen ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1507 unverändert anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei 2 Enthaltungen ist die Beschlußempfehlung angenommen worden. ({1}) - Bei 2 Enthaltungen, die aus verschiedenen Fraktionen kamen. Wenn Sie es noch genauer wissen wollen, kann ich auch noch genauer sein. Wir haben jetzt abzustimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 11/7531. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD zur Nutztierhaltung auf Drucksache 11/3891 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen worden. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 16 und den Zusatzpunkt 9 auf: 16. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien in das öffentliche Netz ({2}) - Drucksache 11/7816 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({3}) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 9. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Daniels ({4}), Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN „Förderprogramm Kleinwasserkraft" zur Aktivierung der umweltverträglichen Nutzung kleiner Wasserkraftwerke - Drucksache 11/7829 Überweisungsvorschlag : Ausschuß für Wirtschaft ({5}) Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Beratung 30 Minuten vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Engelsberger. ({6})

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Stromeinspeisungsgesetz bekunden die Koalitionsfraktionen erneut ihre Absicht, daß in Fragen des Umweltschutzes nicht nur gerecht, sondern gehandelt werden muß. ({0}) Dies gilt insbesondere für die weitere Förderung der umweltfreundlichen regenerativen Energiequellen, für deren Erforschung die Bundesregierung vor allem in den letzten Jahren erhebliche Mittel bereitgestellt hat. Neben der Förderung der technologischen Entwicklung hat die Bundesregierung bei den erneuerbaren Energiequellen bereits Modelle zur Markteinführung unterstützt, wie dies z. B. bei dem 200-MWWindenergieprogramm der Fall ist. Das alles ist zu begrüßen. Es ist auch völlig unbestreitbar, daß die Bundesrepublik Deutschland mit ihren milliardenschweren Förderprogrammen zugunsten der regenerativen Energiequellen gegenüber den USA, Japan oder unseren europäischen Nachbarländern eine absolute Spitzenstellung einnimmt. ({1}) Um so dringlicher kommt es jetzt darauf an, daß die vielfältigen Ergebnisse dieser Forschungs- und Entwicklungsbemühungen endlich in die Praxis umgesetzt werden. ({2}) Das ist aber ohne eine fühlbare Verbesserung der Einspeisungsvergütung von Strom aus Windkraftwerken, kleinen Wasserkraftwerken oder Kraftwerken auf biologischer Basis nicht möglich. Die CDU/CSUEngelsberger Bundestagsfraktion hat sich mit ihrem Koalitionspartner in zahlreichen Gesprächen mit der Elektrizitätswirtschaft dafür eingesetzt, daß umweltfreundlichen erneuerbaren Energiequellen eine faire Startchance eingeräumt wird. ({3}) Es war aber leider nicht möglich, die Elektrizitätsversorgungsunternehmen dazu zu veranlassen, im Wege freiwilliger Vereinbarungen zu einer tragbaren Verbesserung der Ausgangslage der erneuerbaren Energiequellen zu kommen. ({4}) Die jetzt vorgesehenen Regelungen des Stromeinspeisungsgesetzes sind Teil des Gesamtprogramms der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsparteien zugunsten der erneuerbaren Energien. Hierdurch werden der Bau und der Betrieb neuer regenerativer Energieanlagen erleichtert und häufig erst ermöglicht. Dies gilt sowohl für die in letzter Zeit verstärkt im Ausbau befindlichen Windenergieanlagen als auch für den Bereich der Wasserkraft, wo die wesentlichen Wasserkraftreserven im Klein- und Mittelanlagenbereich liegen. Hier werden jetzt ca. 10 000 veraltete Anlagen durch die verbesserten Einspeisevergütungen in die Lage versetzt, ihre Leistungen und Wirkungsgrade durch Reaktivierung und Modernisierung wesentlich zu verbessern. ({5}) Das gleiche gilt für die zahlreichen in Betrieb oder in Planung befindlichen Anlagen zur Verwertung von Deponiegas und Klärgas sowie von Produkten und biologischen Rest- und Abfallstoffen der Land-, Forst-und Holzwirtschaft. Allein hier sind Verbesserungen in einer Größenordnung von 7 Millionen DM vorgesehen, womit wir zugleich einen Beitrag dazu leisten wollen, daß die Beschäftigten in der Land-, Forst- und Holzwirtschaft eine tragfähige Zukunftsperspektive erhalten. - Schade, daß die Herren von der Landwirtschaft jetzt gerade den Saal verlassen haben. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll ein deutliches politisches Zeichen gesetzt werden. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Energieversorgung soll aus Gründen der Ressourcenschonung und des Klimaschutzes stärker ausgeweitet werden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weng zuzulassen?

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, wenn Sie mir das nicht unbedingt auf die Redezeit anrechnen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich bin heute abend großzügig.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Engelsberger, sind Sie mit mir der Auffassung, daß es energiepolitisch noch wünschenswerter wäre, wenn die Vergütung der Einspeisung nicht pauschaliert wäre, sondern vom jeweiligen Einspeisungszeitpunkt, also von der Tageszeit, abhängig wäre, d. h. von dem Erlös der EVUs zu dem Zeitpunkt, zu dem die Einspeisung erfolgt?

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Weng, zu dieser Frage haben wir bei unseren Beratungen ausführlich Stellung genommen. Der VDEW war es, der gesagt hat, er wolle lieber eine pauschalierte Regelung, statt für HT und NT differenzierte Preise anzusetzen. ({0}) Von uns aus wären wir dazu bereit gewesen. Ihre Frage ist sehr berechtigt. Dabei sind wir uns allerdings darüber im klaren, daß der mögliche Versorgungsbeitrag der regenerativen Energien bei uns aus wirtschaftlichen und technischen Gründen auf absehbare Zeit begrenzt bleiben wird. Wir sollten uns aber endlich angewöhnen, regenerative Energiequellen als nationale Energiereserve anzuerkennen, die es ebenso wie die deutsche Steinkohle verdient, gefördert zu werden. Bereits heute werden durch den Einsatz regenerativer Energieträger in der Bundesrepublik Deutschland jährlich etwa 7 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten substituiert. Weitere 3 bis 4 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten können jetzt durch den Neubau sowie die Erweiterung, Reaktivierung und Modernisierung bestehender Anlagen ersetzt werden. Ich möchte auch noch einmal darauf hinweisen, daß die bisherige Kostengestaltung der Energiepreise auf die externen Umweltkosten keine Rücksicht genommen hat. Die durch regenerativ erzeugten Strom im Umweltbereich vermiedenen Wald-, Gebäude-, Gesundheits- und Klimaschäden sind bis heute in keine Kostenrechnung eingegangen, ({1}) und das, obwohl der Vorrang für den Umweltschutz national sowie international immer wieder beschworen und zuletzt auf der Umwelt- und Gesundheitskonferenz der neun europäischen Staaten in Frankfurt 1989 einstimmig beschlossen worden ist. Hier haben sich die verantwortlichen Politiker noch einmal deutlich zum Verursacherprinzip bekannt und damit dem Prinzip der Vorbeugung gegenüber der Umweltreparatur Vorrang eingeräumt. Es wäre deshalb auch irreführend, bei den jetzt festgelegten höheren Einspeisevergütungen für regenerative Energiequellen von Subventionen zu sprechen, da es sich in Wirklichkeit um die Vergütung von vermiedenen Umweltschäden handelt. So liegen die sogenannten sozialen bzw. Folgekosten der Energieerzeugung bei fossilen Brennstoffen pro Kilowattstunde in der Größenordnung von 6 bis 10 Pfennig, wobei die externen Kosten durch Klimaschäden noch gar nicht mit eingerechnet sind. Auch bleibt darauf hinzuweisen, daß durch den Einsatz der regenerativen Energiequellen im Vergleich zur Kohleverstromung in der Bundesrepublik Deutschland heute schon 20 Millionen Tonnen CO2 vermieden werden. ({2}) Zusammenfassend darf gesagt werden, daß die vorgesehenen höheren Einspeisevergütungen für regenerative Energien sowohl im Bereich der Wind- und Wasserkraft als auch bei den auf biologischer Basis arbeitenden Kraftwerken der Land-, Forst- und Holzwirtschaft eine Renaissance einleiten werden. Dabei haben wir bewußt eine Regelung vorgesehen, die unvertretbare Mitnahmeeffekte vermeidet und im Interesse der Stromverbraucher wirtschaftlich noch vertretbar ist. Wir wollen mit dieser Regelung aber bewußt zum Ausdruck bringen, daß alles getan werden muß, um eine Klimakatastrophe zu vermeiden, und daß es sich bei den Bekundungen der Politiker zum Einsatz regenerativer Energien nicht um Lippenbekenntnisse handeln darf. Für die Koalitionsfraktionen beantrage ich, den Gesetzentwurf an die zuständigen Ausschüsse zu überweisen. Danke schön.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem das nun kein Lippenbekenntnis, sondern eine Tat sein soll, wird man sagen müssen: An ihren Taten wollen wir sie messen. ({0}) Das, worum es geht, ist ein Viertelprozentchen der Stromerzeugung, also ein Vierhundertstel der Stromerzeugung in der Bundesrepublik, das nun zu etwas höheren Preisen ins Netz eingespeist werden soll. Wenn dies reichen soll, um die Klimakatastrophe auf der Erde abzuwenden, dann wissen wir, welche Naivität in diesem Haus vorherrscht. Wenn das die Taten sein sollen, dann muß ich sagen: Wir werden bekanntmachen, daß Sie diesen Irrglauben verbreiten. Falls das ein zulässiger parlamentarischer Ausdruck ist: Was Sie uns hier geliefert haben, sind augenwischerische Sprechblasen, aber mit Umweltschutz hat das, was das Viertelprozentchen angeht, nichts zu tun. ({1}) Dies ist kein Schritt in die richtige Richtung, dies ist nicht einmal ein Trippelschrittchen; es ist eine kleine Zehenwackelei, mehr nicht.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Engelsberger? - Bitte schön.

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Sperling, ist Ihnen bekannt, daß die regenerativen Energien in Form der Wasserkraft weltweit einen höheren prozentualen Anteil als die Kernenergie haben und daß damit ein ganz erheblicher Beitrag zur Abwendung der Klimakatastrophe geleistet wird, und ist Ihnen nicht bekannt, daß man zunächst auch mit kleinen Schritten einen Einstieg wagen muß - der ja auch von Ihrer Partei gefordert wird -, um die regenerativen Energien auch bei uns in der Bundesrepublik verstärkt zum Einsatz zu bringen?

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bei allem Respekt vor dem, was weltweit mit Wasserkraft gemacht wird, muß man doch sagen, daß wir die Wasserkraftwerke in Deutschland von Beginn dieses Jahrhunderts an eher auf die Verlustliste zu setzen hatten. Diese Entwicklung hat sich in den letzten Jahren ein bißchen verlangsamt. Wenn wir sehr viel mehr auf Wasserkraft setzen wollen dann mag dieses Gesetzchen, dieses ganz geringfügige Wackeln der Zehen, natürlich in die richtige Richtung führen und schon ein bißchen nützlich sein, aber loben Sie es doch nicht als „die Tat". Als ich klein war, habe ich gelernt: Viele Wenig ergeben ein Viel. Aber dies ist ein „fast gar nichts" , das wirklich nur zu augenwischerischen Sprechblasen führt. Berufen Sie sich bitte nicht auf die norwegischen Wasserkraftwerke. Wenn deren Einspeisung ins deutsche Netz so anständig bezahlt würde, dann könnten wir von Umweltschutz reden. ({0}) Aber daran wird ja nicht gedacht. Was hier geschieht, ist auf 5 Megawatt beschränkt. ({1}) Wir können vieles bezahlen. In bezug auf die DDR merken wir das jetzt. ({2}) Ich bin überzeugt: Dieses Gesetz gäbe es gar nicht, wenn man in dem Haus, das der Herr Beckmann vertritt, nicht entdeckt hätte, daß dort jemand sitzt, den man als das Hausmännchen der Stromkonzerne bezeichnen könnte. Dieses Hausmännchen der Stromkonzerne hat gerade bei der Politik gegenüber der DDR entdeckt, daß er willig vollzogen hat, daß Milliarden gescheffelt werden. Nun werden den Konzernen 50 Millionen DM abgeknöpft. Die Gesamtrechnung der Kunden der Stromkonzerne der Bundesrepublik beläuft sich auf über 90 Milliarden DM. Daß dieses 50 Millionen DM bewegende Gesetzentwürflein etwas zum Umweltschutz beiträgt und irgendwo bedeutsame Wirkung entfaltet, ist nicht zu erwarten. Wenn Sie Mut zum Handeln gehabt hätten, dann hätten Sie z. B. unserem Energiegesetz zugestimmt. Dann hätten wir 12 % der Einspeisungen, die sich wirklich günstig auf die Umwelt auswirken - einschließlich Kraft-Wärme-Kopplung -, ({3}) in einem Förderbetrag gehabt. Das hätte dann die doch wirklich ganz lustig argumentierenden Stromkonzerne, deren Lobbypapiere Sie ja genauso wie wir bekommen haben, ja vielleicht bewogen, bei der zukünftigen Entwicklung etwas anders vorzugehen, vielleicht auch in der DDR. Aber da Sie nicht den Mut haben, auch Strom aus der Kraft-Wärme-Kopplung zu begünstigen, da Sie nicht den Mut haben, auch den Strom zu begünstigen, der aus größeren Wasserkraftwerken kommt, da Sie also nicht den Mut zu einer wirklichen Umweltschutzpolitik haben, muß man sagen: Das Bössle im Wirtschaftsministerium bedient sich hier eines Schleiers, um die Tatsache zu vertuDr. Sperling schen, daß er in Wirklichkeit weiterhin eine umweltfeindliche Energiepolitik verfolgen läßt und organisiert. ({4}) Es geht also um ein Vierhundertstel der westdeutschen Stromproduktion. Und wer hat geschrien? VDEW! - Sie haben sich mutig darüber hinweggesetzt; das müssen wir jetzt loben. - Die VDEW hat gesagt, dies sei eine Subventionierung der Strompreise. Nun muß die VDEW gerade von Subventionierung sprechen. Wenn ich mir angucke, was denen alles nachgeworfen wird, und die reden von Subventionierung, dann muß ich sagen: Das ist eine tolle Lobby-Truppe. ({5}) - Die Frage ist, ob das Subventionierung ist. Kommen wir doch einmal darauf. Herr Engelsberger hat versucht, zu sagen, es handle sich um die Begleichung der vermiedenen Kosten. Dann haben Sie noch hinzugefügt: der durch Umweltschutz vermiedenen Kosten. Nein, die Heraufsetzung der Strompreise - wenn es durch die eingespeisten Strommengen dazu kommt - gleicht höchstens die vermiedenen Kosten des Nicht-Bauen-Müssens von Kraftwerken aus. Aber für ein Viertelchen Prozent der Strommenge ist nicht viel Vermeidung drin. Ginge es um die vermiedenen Kosten, was die weitere Umweltzerstörung angeht, würden wir in der Tat ganz andere Strompreise zu fordern haben, damit es zu einer umweltgünstigen Stromerzeugung und Stromversorgung kommt. Dann müßte kraft-wärme-gekoppelter Strom in der Tat sehr viel vernünftiger bezahlt werden, damit es lohnt, ihn zu erzeugen. Wir müßten die Kraftwerke und die großen Stromkonzerne dazu bringen, dort mehr zu tun. Das wird mit diesem Gesetz nicht erreicht. Deswegen überlege ich, ob ich meiner Fraktion vorschlagen soll, daß wir dieses Gesetz in zweiter und dritter Lesung in namentlicher Abstimmung verabschieden, damit deutlich wird, wie blamabel Sie mit dem einen Viertelchen Prozent Umweltschutz betreiben. In homöopathischen Dosierungen machen Sie das mit dem Umweltschutz. Jeder sollte wissen, für welche Blamage man Sie im Wahlkampf anzuklagen hat. ({6}) Falls es Ihnen an Mut fehlt, zuzustimmen, werden wir das ausgleichen. Aber wir werden aus dem kleinen winzigen Zehenwackeln hoffentlich sehr schnell anständige Schritte in Richtung Umweltschutz machen können. (Beifall bei der SPD - Dr. Rüttgers [CDU/ CSU]: Strompreiserhöhungen machen, Benzinpreise erhöhen, eine Ergänzungsabgabe einführen! Wie immer!]

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat Herr Dr. Laermann.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß mich etwas beeilen. Ich habe nur wenige Minuten Redezeit. Der Deutsche Bundestag hatte in einer Entschließung vom 7. Juli 1990 die Bundesregierung aufgefordert, einen Gesetzentwurf über die Einspeisevergütung für Strom aus erneuerbaren Energiequellen bis zum 1. September vorzulegen, mit einer ganz bestimmten Vorgabe, worauf sich das beziehen sollte: auf die zusätzliche Erschließung von Potentialen erneuerbarer Energie. Der Bundeswirtschaftsminister Helmut Haussmann ist dieser Aufforderung - das stelle ich mit Befriedigung fest - termingerecht nachgekommen. Dafür möchte ich ihm ausdrücklich danken. Das ging wirklich ganz schnell. ({0}) Ich möchte ausdrücklich anerkennen, daß dieses Gesetz so angelegt ist, daß es ohne hohen unvertretbaren bürokratischen Aufwand praktiziert werden kann. Sonst bringt es nämlich für die Kleinen, für die wir es vorgesehen haben, nichts. Das bedeutet allerdings andererseits, daß regionale ungleiche Gewichtungen oder leicht unterschiedliche Wirkungen auf einzelne kleinere Energieversorgungsunternehmen nicht auszuschließen sind. Das schließt auch aus, Herr Kollege Weng, daß wir nach Hoch- und Niedrigtarifzeiten differenzieren. Das würde nämlich einen so hohen bürokratischen Aufwand machen, daß die Kosten dafür höher wären als das, was wir am Ende erzielen wollen. ({1}) In diesem Zusammenhang möchte ich den Bundeswirtschaftsminister bitten, die Frage zu prüfen, ob und wie die Einspeisung von elektrischer Energie beispielsweise aus kleineren Solaranlagen, die vorwiegend der Eigenversorgung dienen, über vor- und rückwärts laufende Zähler erfolgen kann. Damit erfolgt automatisch die Abrechnung nach Hoch- und Niedrigtarifen. Das wäre auch fast eine hundertprozentige Vergütung für das, was eingespeist wird. Ich glaube, das kann man machen. Damit müssen wir uns beschäftigen. Damit kann man in erheblichem Maße die Kosten der Administration, der Verwaltung reduzieren. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf, Herr Kollege Sperling - oder soll ich sagen: Homöopath Sperling - , ist Teil eines Konzeptes. Er bezieht sich nämlich ausdrücklich auf die stärkere Nutzung erneuerbarer Energien zur schadstofffreien Erzeugung elektrischer Nutzenergie. Diese soll gefördert werden, und zwar in kleineren Anlagen. Was die großen Anlagen betrifft: Das soll verdammt noch mal die Elektrizitätswirtschaft, von der Sie sagen, daß sie 90 Milliarden DM im Jahr macht, bezahlen. Das wollen wir doch nicht auch noch zusätzlich fördern. ({2}) Zu diesem Konzept in diesem Kontext gehört - Herr Kollege Engelsberger hat es schon gesagt - das 200-MW-Windprogramm und auch das jetzt hoffentlich in Kürze anlaufende 1000-Dächer-Solarpro17754 gramm. Ich möchte nur, daß einige der SPD-geführten Länder endlich einmal mit ihrem Landesamt überkämen. Dann wären wir schneller bei der Sache. ({3}) Die FDP-Bundestagsfraktion hat darüber hinaus wiederholt eine deutliche Verbesserung der Bedingungen für die Nutzung von erneuerbaren Energien - Wind, Sonne, Biomasse und anderes - angemahnt. Ich wiederhole hier: Es müssen über die Regelung der Einspeisevergütung und die vorgenannten Maßnahmen hinaus weitere Markteinführungshilfen gegeben werden. Dazu gehören nach unserer Auffassung die Verlängerung eines umgestalteten § 82 a Einkommensteuer-Durchführungsverordnung mit günstigen steuerlichen Abschreibungsregelungen und eine ergänzende Zuschußregelung für Investitionen. Die FDP bleibt bei der Forderung, daß diese Maßnahmen parallel zum Stromeinspeisungsgesetz umgesetzt werden müssen. Wir sind der Meinung, daß das so skizzierte Konzept sicherlich auch noch Ergänzungen erfahren kann, erfahren muß. Aber es wird ganz wesentlich zu einer verstärkten Markteinführung der neuen Techniken führen und damit zu einer deutlichen Reduzierung der jetzt noch hohen, zu hohen Investitionskosten im Bereich etwa von Windenergie und insbesondere von Solarenergie. Wir setzen darauf, daß wir damit wirklich mehr Incentives für die Nutzung dieser neuen Techniken geben. Im übrigen möchte ich abschließend noch darauf hinweisen dürfen: Kaprizieren wir uns bei der Nutzung erneuerbarer Energien nicht immer nur auf den Strom. ({4}) Die Einsatzmöglichkeiten, die Nutzungsmöglichkeiten erneuerbarer Energien im Wärmemarkt, im Niedrigtemperaturbereich, Raumheizung, Warmwasserbereitung, sind nämlich wesentlich höher als das elektrische Energiepotential, das drinsteckt. Das sollten wir bei unseren Diskussionen nicht vergessen. Ich möchte hier ausdrücklich darauf hinweisen. Danke schön. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Daniels ({0}).

Dr. Wolfgang Daniels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch mit Unterstützung der GRÜNEN ist dieser vorliegende Entwurf eines Stromeinspeisungsgesetzes entstanden. Wir werden - das können wir jetzt schon sagen - diesem Gesetz zustimmen. Das ist ein Stück auf dem Weg, die Rahmenbedingungen für erneuerbare Energien, wie auch die Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre " einmütig empfiehlt, zu verbessern. Man muß jedoch deutlich machen - und da hat Herr Kollege Sperling vollkommen recht - , daß die hierdurch entstehenden Mehrkosten nur ein Zehntel Prozent der Erlöse aus Stromlieferungen an Letztverbraucher ausmachen. Bei der kurzerhand getätigten 2-Milliarden-DM-Investition von RWE bei Texaco wird deutlich, um welch verschwindend kleine Beträge es sich hier für die Monopolwirtschaft handelt, die durch das Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzentwurfs bewegt werden. Wir sind darüber erfreut, daß unser Änderungsantrag zur Gesetzesinitiative der CDU/CSU und der FDP zwar nicht von der Parlamentsmehrheit bei der Abstimmung aufgegriffen wurde, aber von fachkundigen Mitarbeitern im Wirtschaftsministerium. ({0}) So sind 90 % Vergütung bei Windenergieanlagen an der Küste ein echter Fortschritt, auch wenn im tieferen Binnenland höhere Vergütungen notwendig wären. Wir unterstützen auch die Forderung, für private Solaranlagen bis 3 kW rücklaufende Zähler zuzulassen. Somit würde die Miete für einen Extrazähler entfallen. Ich gebe aber zu bedenken, daß private, ideell orientierte Solarpioniere einen Anspruch auf Ausgleich der tatsächlichen betriebswirtschaftlichen Kosten haben sollten und für die eingespeiste Kilowattstunde von den EVUs zwischen 1,50 und 2,50 DM je Kilowattstunde erhalten müßten - dies zumal, da sich diese EVUs bei ihren eigenen Versuchsanlagen intern bis zu 5 DM je Kilowattstunde selbst verrechnen und somit von den Stromverbrauchern über die Betriebskosten vergütet bekommen. Die entstehenden zusätzlichen Kosten bei einem Zuwachs von z. B. 20 MW pro Jahr liegen im Bereich von wiederum 0,1 % der Strompreise. Für die Phase der Initiierung dieses zukunftsträchtigen Marktes wäre dies sicher die richtige Maßnahme. Schon heute jedoch versuchen die Stromgiganten, gegen die logische Fortsetzung der Förderung regenerativer und rationeller Energiequellen Dämme aufzubauen. Eine Vergütungsgarantie von z. B. 65 % der Letztverbraucherpreise für Strom aus Anlagen der Kraft-Wärme-Kopplung würde enorme Potentiale erschließen. Auch da sind wir uns mit der SPD einig. Das wird aber von den EVUs aus bekannten Gründen bekämpft. Ich hoffe, daß die Auseinandersetzung über diesen Punkt in der nächsten Legislaturperiode zumindest weitergeführt wird und man dort zu einer Lösung kommt. Nun zu unserem Antrag: Bei den ökologischen Rahmenbedingungen verfügen Kleinwasserkraftwerke über wesentliche Vorteile gegenüber konventionellen Kraftwerken. Zum einen ersparen sie direkt den Einsatz fossiler oder nuklearer Brennstoffe und die damit verbundenen Emissionen in die Atmosphäre. Zum anderen vermeiden sie das Problem der Abwärme. Das Problem der Entsorgung von Brennelementen, verseuchten Gebäuden oder Schlacke entfällt. Trotzdem muß bei der Neuanlage eine Güterabwägung mit dem Instrument der Umweltverträglichkeitsprüfung vorgenommen werden, wie dies in unserem Antrag geregelt ist. Eine weitere Maßnahme: Eine bundeseinheitliche Investitionszulage von 30 % für den Ausbau oder die Modernisierung kleiner Wasserkraftanlagen könnte das Fördergefälle der Länder vereinheitlichen. Sie Dr. Daniels ({1}) wissen, daß in den Ländern unterschiedliche Fördersätze gelten. ({2}) - Ich gehe hier jetzt von der Modernisierung aus. Dieser Punkt der Investitionszulage bezieht sich auf die Modernisierung. Der Abbau von Hemmnissen in den wasserrechtlichen Bestimmungen hat zum Ziel, den verstärkten Einsatz von Wasserkraft überall dort zu fördern, wo sie unter gesamtökologischer Sicht zu einem Positiveffekt führt. Um Wasserkraftbetreibern eine entsprechende Rechtssicherheit zu gewähren, sollen neu erteilte Genehmigungen für Wasserkraftwerke eine Bewilligung der Gewässernutzung nach § 8 Wasserhaushaltsgesetz enthalten. Die Befristung soll der Laufzeit der steuerlichen Amortisationszeit von 60 Jahren angepaßt werden. Wasserrechtliche Altrechtsbestände sollten erhalten bleiben, damit der Anreiz für die ökologisch verträgliche Reaktivierung, z. B. brachliegender Wasserkraftwerke, vergrößert wird. Auch muß die Bearbeitungszeit von Neuanträgen von derzeit ein bis drei Jahren unbedingt beschleunigt werden. ({3}) Dieses Förderprogramm für Kleinwasserkraftwerke sollte in die weiteren Beratungen mit einfließen - weil es neben den finanziellen Fragen erhebliche rechtliche Probleme gibt - , um in diesem Bereich zu Fortschritten zu kommen. Das Ziel ist, daß wieder möglichst viele Mühlen am rauschenden Bach klappern. Danke schön. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft, Herr Beckmann.

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es bestehen nun wirklich gute Aussichten, daß das Gesetz, das wir hier debattieren, noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird und zum 1. Januar 1991 in Kraft tritt. ({0}) Das entspricht auch dem Zeitplan, den sich die Koalition bei Verabschiedung des Entschließungsantrags zugunsten der erneuerbaren Energien im Juni vorgenommen hat. Die von der Koalition angekündigte gesetzliche Mindestvergütung für die Einspeisung ins öffentliche Netz wird jetzt planmäßig verwirklicht. Damit können wir, so denke ich, einen wesentlichen Beitrag zur Ressourcenschonung und auch zum Klimaschutz leisten. Der Entwurf der SPD, so muß ich nun leider anmerken, sieht in seinem § 17 in der Tat eine gesetzliche Regelung vor. Zur entscheidenden Vergütungsfrage verweist der Entwurf jedoch lediglich auf langfristig vermeidbare Kosten, geht also im Ergebnis nicht über die auf Drängen des Bundeswirtschaftsministers verbesserte Verbändevereinbarung hinaus. ({1}) Unser Vorschlag stellt dagegen die Einspeisevergütung auf eine neue Basis. Damit wird nun der jahrelange politische und auch rechtliche Streit über den wirtschaftlichen Wert des eingespeisten Stroms beendet. ({2}) Herr Kollege Sperling, Ihre Kritik trifft nun wirklich daneben. Gerade die Verbände der erneuerbaren Energien und des Umweltschutzes, aber auch die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände und die Gewerkschaften haben unsere Vorschläge ausdrücklich unterstützt. Deswegen verstehe ich nicht, was Sie mit Ihrer Kritik gemeint haben. ({3}) Im übrigen - das will ich Ihnen auch noch sagen - lohnt es wirklich nicht die Zeit dieses Parlaments, auf Ihre wahrlich billigen Polemiken einzugehen. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Gestatten Sie trotzdem eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sperling?

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Nein, vielen Dank. Meine Damen und Herren, grundsätzlich besteht ja wohl Einvernehmen, daß gesetzliche Mindestpreise in unserer marktwirtschaftlichen Ordnung die absolute Ausnahme bleiben müssen. Das will ich hier wirklich noch einmal nachdrücklich betonen. Nach meiner Auffassung ist es in diesem Fall jedoch vertretbar, daß auch die Stromkunden über den Strompreis im vorgesehenen Umfang einen Beitrag zur stärkeren Nutzung der erneuerbaren Energien leisten. Durch klar abgegrenzte Tatbestände und durch die vorgesehene Höhe der Mindestpreise ist sichergestellt, daß die Belastung für die Stromabnehmer zumutbar bleibt. ({0}) Diese Mindestpreise tragen dem Aspekt Rechnung, daß die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien umweltmäßige Kostenvorteile hat, die derzeit allerdings nicht exakt zu beziffern sind. Es ist zusätzlich berücksichtigt, daß die einzelnen erneuerbaren Energien von der Wirtschaftlichkeit unterschiedlich weit entfernt sind. ({1}) Meine Damen und Herren, nach Auffassung der Bundesregierung ist das Instrument gesetzlicher Mindestpreis mit diesem Gesetzentwurf der Koalition aber auch wirklich ausgereizt. Ein weiteres Draufsatteln, etwa in den Ausschußberatungen, sollte auf jeden Fall vermieden werden. ({2}) Dadurch könnte der Gesetzentwurf insgesamt, in jedem Fall jedoch seine Verabschiedung noch in dieser Legislaturperiode, gefährdet werden. Das will ich ausdrücklich betonen. ({3}) Das Gesetz gilt nicht nur für neue, sondern auch für bereits laufende Anlagen. Damit können sich insbesondere dann Mitnahmeeffekte ergeben, wenn die Anlagen bereits abgeschrieben sind. Gleichwohl verzichtet der Gesetzentwurf im Interesse einer einfachen und überschaubaren Regelung auf den Nachweis entsprechender Kosten in jedem Einzelfall. Dies gilt auch bei den Wasserkraftwerken. Die Verbände haben jedoch zugesagt - darauf verlassen wir uns -, daß die zusätzlichen Mittel für die laufenden Anlagen tatsächlich und nachweislich in deren Ausbau und Sanierung investiert würden. Bei der Bewertung der Auswirkungen des neuen Gesetzes wird dieser Aspekt eine ganz besondere Rolle spielen. Wir werden gemeinsam mit den Ländern die Auswirkungen genauestens beobachten und im Deutschen Bundestag spätestens nach Ablauf von vier Jahren berichten. Ich bin zuversichtlich, daß die neue Regelung einen entsprechenden Investitionsschub auslöst, der sich dann auch in steigenden Stromeinspeisungen ins öffentliche Netz niederschlagen wird. Die Bundesregierung - meine Damen und Herren, wenn ich das abschließend sagen darf - bereitet weitere Maßnahmen zugunsten erneuerbarer Energien vor. Bundeswirtschaftsminister Dr. Haussmann hat u. a. verbesserte Sonderabschreibungen vorgeschlagen, über die derzeit innerhalb der Bundesregierung beraten wird. Der Gesetzentwurf stellt das vorgezogene Element eines Gesamtkonzepts dar, wie es auch der Entschließung der Koalitionsfraktionen zugrunde liegt. Damit stellen Bundesregierung und Koalitionsfraktionen erneut ihren politischen Willen unter Beweis, das Potential der erneuerbaren Energien für die längerfristige Umstrukturierung unserer Energieversorgung hin zu mehr Ressourcenschonung und zu mehr Klimaschutz voll auszuschöpfen. Vielen Dank. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU und der FDP auf der Drucksache 11/7816, anders als in der Tagesordnung vorgesehen, zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wirtschaft und zur Mitberatung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu überweisen. Der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/7829 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse sowie zusätzlich zur Mitberatung an den Finanzausschuß überwiesen werden. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe nun den Zusatztagesordnungspunkt 10 auf : Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Augustin, Dr. Blank, Börnsen ({0}), Breuer, Clemens, Fischer ({1}), Fuchtel, Ganz ({2}), Glos, Harries, Herkenrath, Hinsken, Hörster, Krey, Dr. Laufs, Lenzer, Lintner, Louven, Lummer, Magin, Müller ({3}), Nelle, Neumann ({4}), Pesch, Frau Rönsch ({5}), Rossmanith, Schemken, Dr. Stark ({6}), Tillmann, Zeitlmann und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Hirsch, Lüder, Richter, Baum, Kleinert ({7}), Irmer, Funke, Wolfgramm ({8}) und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesezes zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts - Drucksache 11/7834 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({9}) Rechtsausschuß Interfraktionell ist vereinbart worden, die Redebeiträge zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. Sind Sie mit dieser Abweichung von der Geschäftsordnung einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die erforderliche Mehrheit vorhanden, um dies so zu beschließen. Wir haben das getan. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 11/7834 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 19. September 1990, 13 Uhr ein. Ich wünsche einen guten Abend. Die Sitzung ist geschlossen.