Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Bevor ich die amtlichen Mitteilungen zur Kenntnis gebe, möchte ich doch zu Beginn der heutigen Sitzung - ich denke, in Ihrer aller Namen - sagen: Wir alle sind glücklich und erleichtert über den wichtigen Beschluß der Volkskammer der DDR gestern nacht, der Bundesrepublik Deutschland zum 3. Oktober 1990 beizutreten.
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Ich freue mich darüber, daß wir heute nachmittag auf der Tribüne eine Delegation aus der DDR unter der Leitung von Herrn Staatssekretär Krause begrüßen können.
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Meine Damen und Herren, am 20. August beging unser Vizepräsident Stücklen seinen 74. Geburtstag.
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Ich spreche ihm im Namen des Hauses nachträglich die besten Glückwünsche aus.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich folgendes mitzuteilen: Zu Beginn der heutigen Sitzung wird der Bundeskanzler eine Regierungserklärung zur Beitrittserklärung der Volkskammer abgeben. Daran sollen sich nach einer interfraktionellen Vereinbarung die Aussprache zur Vorbereitung der Deutschen Einheit und die zweite und dritte Beratung des Wahlrechtsvertrages anschließen. Als letzter Punkt der heutigen Tagesordnung ist ein Bericht der Bundesregierung über die Tagung der Gremien der Westeuropäischen Union und der Europäischen Politischen Zusammenarbeit zur Lage am Golf vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? ({3})
- Herr Abgeordneter Wüppesahl.
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Ich hatte diesen Geschäftsordnungsantrag bereits angekündigt.
Meine Damen und Herren! Angesichts der Tatsache, daß der hier zu verhandelnde Gegenstand - ich meine den Wahlvertrag - das Grundgesetz in seiner demokratischen Substanz berührt, was in der Presse, von der „FAZ" bis hin zur „taz", immer wieder herausgestellt worden ist, und nicht, wie so mancher Kollege es herunterspielen möchte, lediglich verfahrenstechnische Aspekte beinhaltet, halte ich die Debattendauer von einer Stunde für unverhältnismäßig und unzumutbar kurz. Es wird sogar weniger als eine Stunde sein, weil bedauerlicherweise im Ältestenrat wieder vereinbart worden ist, zwei so gewichtige Punkte wie die Regierungserklärung des Bundeskanzlers und die zweite und dritte Lesung des Wahlvertrages zusammenzufassen.
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Ich stelle daher zwei Geschäftsordnungsanträge: erstens Entkoppelung der jetzt zusammengefaßten Tagesordnungspunkte „Aussprache zur Vorbereitung der Deutschen Einheit" und zweite und dritte Beratung des Wahlrechtsvertrages, wie es bis heute morgen der Sachstand war; zweitens eine zweistündige Debatte in zweiter Lesung des Gesetzentwurfs als Grundlage der ersten gesamtdeutschen Wahl des Deutschen Bundestages.
Ich tue dies in dem Bewußtsein, der Debattenkultur - die in diesem Hause weiß Gott nicht vorzeigbar ist - , einen im Sinne der gegenseitigen Beratung und der Findung des besten Weges positiven Dienst zu erweisen.
Zur Erinnerung: In der Sitzung vom 8. August 1990 stellte der leitende Bundestagspräsident, der Kollege Westphal, fest, daß der Abgeordnete zwar drei oder vier Änderungsanträge einbringen könne, aber keine 34. Heute bringe ich 18 Änderungsanträge ein,
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über die bislang, meine Damen und Herren, noch nirgendwo, weder im Ausschuß Deutsche Einheit noch
im Innenausschuß oder in einem anderen Gremium dieses Hauses, debattiert werden konnte. Das muß heute und hier geschehen. Auch deshalb möchte ich, daß zu diesem Tagesordnungspunkt eine Debattendauer von zwei Stunden vorgesehen wird.
Die Äußerung des Präsidenten belegt die Ritualisierung des demokratischen Prozesses in den Köpfen einiger, vor allen Dingen einflußreicher Parlamentarier. Sie belegt den Willen, denjenigen auszuschließen, der gegen das Ritual verstößt und den Parlamentarismus noch als solchen betrachtet. Wie kann man von einer Anzahl von Anträgen als übertrieben sprechen, ohne deren inhaltlichen Bezug zu beachten, wenn man den demokratischen Prozeß als einen Prozeß des Inhaltfindens betrachtet?
Es wird vernachlässigt, daß die Anzahl der Änderungsanträge von der politischen Meinung und von der Qualität des Entwurfes abhängt. Und dieser Entwurf ist skandalös, er ist verfassungsrechtlich nicht haltbar! Man ignoriert einfach, daß ich als einer der beiden Fraktionslosen und als einziger unabhängiger Abgeordneter in diesem Haus neben einem denkbaren Redebeitrag in der ersten Lesung nur in der zweiten Lesung Einfluß auf Gesetze nehmen kann.
Bereits in der ersten Sitzung zur Verabschiedung des ersten Staatsvertrages brachte der präsidierende Kollege Westphal mit Bemerkungen dieser Art, auch noch unter peinlich wirkendem Beifall des Hauses, sein Parlamentsverständnis zum Ausdruck. Doch wohin eine überhastete und vorschnelle parlamentarische Beratung - so sie noch diesen Namen verdient - führen kann, das zeigen die katastrophalen sozialen und wirtschaftlichen Ereignisse infolge der Währungsunion.
Herr Westphal äußerte: Man kann auch alles übertreiben.
Herr Abgeordneter Wüppesahl, ich teile Ihnen hiermit mit, daß Ihnen diese Kritik am geschäftsführenden Präsidenten nicht zusteht und daß ich Ihnen dies untersage.
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Frau Präsidentin, das nehme ich natürlich mit Respekt vor Ihrem hohen Amte zur Kenntnis; nur ändert das nichts an den Tatsachen!
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Ich bin der Überzeugung, daß durch eine behutsamere Beratung dieses ersten Staatsvertrages viele der katastrophalen Folgen, die jetzt auch von seiten der SPD und der GRÜNEN konstatiert werden, hätten vermieden werden können. Ich fühle mich durch die Tatsache, daß sich viele meiner Änderungsanträge zum ersten Staatsvertrag in dem Entwurf zum Einigungsvertrag wiederfinden, natürlich ermuntert.
Aber auch Ihnen, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, möchte ich mit diesen Tatsachen Mut machen, heute einer Verdoppelung der Debattendauer Ihre Zustimmung zu geben. Wir dürfen diesen beim ersten Staatsvertrag gemachten Fehler nicht wiederholen, sind aber schon wieder dabei, einen ähnlichen Fehler zu begehen. Ich bitte Sie daher, meinem Antrag, die Debatte auf zwei Stunden - das ist angesichts des Gegenstandes das Geringstmögliche - auszuweiten, und auch dem zweiten Antrag zur Entzerrung der Erklärung der Bundesregierung und der Debatte zum Wahlvertrag zuzustimmen.
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Wird zu diesem Geschäftsordnungsantrag das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich über den Antrag abstimmen.
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- Es wird über die von Ihnen gestellten Anträge, sowohl zur Verlängerung der Debatte wie zur Behandlung der Aussprachen, abgestimmt. Wer stimmt diesen Anträgen zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit überwältigender Mehrheit bei 3 Enthaltungen abgelehnt.
Ich rufe jetzt auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
zur Beitrittserklärung der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik
Aussprache zur Vorbereitung der deutschen Einheit
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Verträgen vom 3. August 1990 und vom 20. August 1990 zur Vorbereitung und Durchführung der ersten gesamtdeutschen Wahl des Deutschen Bundestages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik
- Drucksache 11/7624 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses Deutsche Einheit
- Drucksache 11/7652 ({1}), 11/7716 Berichterstatter:
Abgeordnete Gerster ({2})
Bernrath Hoppe Häfner
Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 11/7653 Berichterstatter:
Abgeordnete Deres Kühbacher
Dr. Weng ({4}) Kleinert ({5})
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Zum Wahlrechtsvertrag liegen ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN sowie Änderungsanträge des Abgeordneten Wüppesahl auf den Drucksachen 11/7650 sowie 11/7697 bis 11/7711 vor.
Präsidentin Dr. Süssmuth
Zur Abgabe der Regierungserklärung hat der Bundeskanzler das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Volkskammer der DDR hat heute nacht mit einer Mehrheit von mehr als 80 % der abgegebenen Stimmen folgenden Beschluß gefaßt: „Die Volkskammer erklärt den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 23 des Grundgesetzes mit Wirkung vom 3. Oktober 1990.
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Sie geht dabei davon aus, daß die Beratungen zum Einigungsvertrag zu diesem Termin abgeschlossen sind, die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen einen Stand erreicht haben, der die außen- und sicherheitspolitischen Bedingungen der deutschen Einheit regelt, die Länderbildung so weit vorbereitet ist, daß die Wahl der Länderparlamente am 14. Oktober 1990 durchgeführt werden kann."
Die überwältigende Mehrheit der Abgeordneten der Volkskammer hat hiermit uns alle in die Pflicht genommen. Der heutige Tag ist ein Tag der Freude für alle Deutschen.
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Am Mittwoch, dem 3. Oktober 1990, wird der Tag der Wiedervereinigung gekommen sein. Es wird ein großer Tag in der Geschichte unseres Volkes sein. Nach mehr als 40 Jahren geht in Erfüllung, wozu die Präambel des Grundgesetzes das „gesamte Deutsche Volk" auffordert, nämlich „in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden". Wie könnte man den Willen der Deutschen in zeitlos gültiger Weise besser zum Ausdruck bringen? Die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes bewiesen mit der Formulierung der Präambel Weitsicht, Klarheit des Geistes und Geschichtsbewußtsein.
Meine Damen und Herren, der heutige Tag ist zugleich auch ein Tag der Dankbarkeit. Unser Respekt und unsere Anerkennung gelten den Kolleginnen und Kollegen in der Volkskammer und der Regierung der DDR,
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die mit ihrem klaren Votum den entscheidenden Schritt zur Einheit unseres Vaterlandes getan haben. Als frei gewählte Abgeordnete haben sie damit in eindrucksvoller Weise den Auftrag erfüllt, den ihnen unsere Landsleute in der DDR in der Volkskammerwahl am 18. März dieses Jahres erteilt hatten.
Es hat in den vergangenen 40 Jahren in nahezu allen Fraktionen des Deutschen Bundestages Männer und Frauen gegeben, die sich vom ersten Tag des Zusammentretens des Bundestages an leidenschaftlich und mit ganzer Kraft für das Ziel der Freiheit und Einheit aller Deutschen eingesetzt haben. Stellvertretend für viele möchte ich den früheren SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher zitieren. In der Debatte über die
erste Regierungserklärung von Konrad Adenauer im September 1949 sagte er:
Wir wünschen, daß bei aller Verschiedenheit der Auffassungen sozialer, politischer und kultureller Natur die Angelegenheit der deutschen Einheit überall in Deutschland die Angelegenheit der gleichen Herzenswärme und der gleichen politischen Entschiedenheit wird.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der Beschluß der Volkskammer schafft endlich Klarheit darüber, wann die Einheit Deutschlands vollendet wird. Darauf kann sich jetzt jedermann innerhalb wie außerhalb Deutschlands einstellen. Das gilt insbesondere auch für jene, die etwa in der DDR investieren wollen.
Der heutige Tag ist aber auch ein Tag der Erinnerung an das Leid, das die Teilung unseres Vaterlandes über so viele Menschen gebracht hat. Wir erinnern uns an die Männer und Frauen, die 1945 aus den Konzentrationslagern Buchenwald und Sachsenhausen befreit und wenig später dort erneut eingesperrt wurden. Viele andere wurden in Straflager verschleppt, nicht zuletzt und gerade auch Mitglieder der demokratischen Parteien, und wir wissen bis heute nicht genau, von wie vielen es dann nie wieder ein Lebenszeichen gab. Es waren Zehntausende.
Nicht vergessen dürfen wir die Opfer der Willkürjustiz, die im Dienste der SED-Diktatur stand. Für uns bleibt unfaßbar, daß von deutschen Gerichten auf dem Gebiet der DDR über 75 000 Menschen aus politischen Gründen verurteilt worden sind. Viele sind in der Haft gestorben, andere wurden wegen sogenannter Staatsverbrechen hingerichtet.
Was den Menschen in der DDR am 17. Juni 1953 widerfuhr, hat die Präsidentin der Volkskammer, Frau Bergmann-Pohl, in der gemeinsamen Gedenkstunde von Abgeordneten unserer Parlamente am 17. Juni beschrieben. Sie sagte:
Sie erlebten eine Staatsmacht, die nicht mehr die Interessen der Bürger, sondern nur noch sich selbst vertrat.
Die schreckliche Bilanz der politischen Verfolgung seit 1945 geht über seelenlose Zahlen hinaus; was sagen sie schon über das Schicksal des einzelnen?
Wir wollen auch an all jene denken, die bei dem Versuch, von Deutschland nach Deutschland zu gehen, ihr Leben verloren. Über 190 Deutsche wurden an der unmenschlichen Grenze ermordet, die unser Vaterland 40 Jahre lang zerschnitt. Sie wollten ganz einfach in Freiheit ein menschenwürdiges Leben führen. Und noch vor gut anderthalb Jahren, im Januar 1989, erklärte Honecker, die Mauer werde noch in hundert Jahren stehen. Zehn Monate später wurde sie überwunden.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, angesichts der vielen Bilder und Nachrichten, die täglich auf jeden von uns einstürmen, sollten wir uns vergegenwärtigen, wie tiefgreifend die Veränderungen in den vergangenen zwölf Monaten gewesen sind. Morgen jährt sich - um nur ein Beispiel zu nennen - zum
erstenmal der Tag, an dem Tadeusz Mazowiecki zum polnischen Ministerpräsidenten gewählt wurde.
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Ich möchte hier in besonderer Dankbarkeit auch an Miklos Németh erinnern, den damaligen Ministerpräsidenten Ungarns. Er gab uns vor fast genau zwölf Monaten die Zusage, Ungarn werde seine Grenzen für die Flüchtlinge aus der DDR öffnen.
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Damit wurde der erste Stein aus der Berliner Mauer geschlagen.
Ihnen allen sind die weiteren Stationen des Weges bekannt, an dessen Ende wir mit dem 3. Oktober 1990 angelangt sein werden. Das Tempo der Entwicklung wurde von unseren Landsleuten in der DDR bestimmt; von ihrem Ruf nach Freiheit und nach Einheit.
Zu dem Ruf „Wir sind das Volk! " hinzu trat schon bald auch der Ruf „Wir sind e i n Volk!". Auf eine mich persönlich besonders bewegende Weise wurde das bei meiner Rede vor der Ruine der Frauenkirche in Dresden sowie wenige Tage darauf bei der Öffnung des Brandenburger Tores Ende des vergangenen Jahres sichtbar.
Zuallererst, meine Damen und Herren, haben wir daher heute unseren Landsleuten in der DDR dafür zu danken, daß wir in wenigen Wochen die Freiheit und Einheit Deutschlands vollendet haben werden.
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Sie haben mit ihrem Mut, mit ihrer Besonnenheit und vor allem mit ihrer Freiheitsliebe ein Beispiel gegeben, wie sich eine gewaltsame Diktatur friedlich überwinden läßt. Dies wird für alle Zeit zu einem der großartigen Kapitel der deutschen Geschichte gehören.
Die Deutschen in Ost und West haben während der vergangenen zwölf Monate bewiesen, daß sie gegen die Versuchung nationaler Überheblichkeit gefeit sind. Das ist ein Ausdruck demokratischer Reife und nachbarschaftlicher Gesinnung. In über 40 Jahren einer stabilen rechtsstaatlichen Demokratie haben wir uns in Europa und weltweit Vertrauen erworben. Dies galt und gilt unter allen Regierungen, die in diesen 40 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland regiert haben. Es ist dies ein Vertrauen, ohne das wir die staatliche Einheit Deutschlands jetzt gewiß so rasch nicht wieder herstellen könnten. Wir wollen auch für dieses Vertrauen dankbar sein.
Dank schulden wir unseren westlichen Freunden und Partnern, vor allem jenen drei Verbündeten, die besondere Verantwortung in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes tragen und die in diesen Jahrzehnten unsere Freiheit gesichert haben.
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Ich nenne insbesondere unsere amerikanischen Freunde, allen voran Präsident George Bush,
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der sich gerade in den letzten Monaten als ein treuer Freund der Deutschen erwiesen hat.
Ich nenne ebenso Staatspräsident Francois Mitterrand,
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der am 14. Februar dieses Jahres erklärte: „Wer könnte nicht verstehen, daß dieses so lange geteilte Volk nach Einheit strebt? ... Die Deutschen sollen wissen, daß ich, wie die Mehrheit der Franzosen, den brüderlichen Wunsch ausspreche, daß das Schicksal für sie einen glücklichen Lauf nehmen möge. "
Ich möchte dem heute hinzufügen, daß die brüderliche Verbundenheit zwischen dem deutschen und dem französischen Volk das Herzstück der Außenpolitik eines vereinten Deutschlands auf dem Weg zu einem vereinten Europa bleiben wird.
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Wir sind Teil der westlichen Wertegemeinschaft, und das wird so bleiben. Geschlossenheit und Standfestigkeit des Bündnisses haben sich gerade in entscheidenden Augenblicken bewährt. Wir haben vor wenigen Wochen auf dem NATO-Gipfel in London weitreichende Beschlüsse gefaßt. Sie sind ein erneuter Beweis für die konstruktive Rolle des Bündnisses bei der Bewahrung und Gestaltung des Friedens in Freiheit auf unserem Kontinent.
Eine wesentliche Voraussetzung dessen, was sich jetzt vollzieht, wurde auch mit unserer Politik für die europäische Einigung geschaffen. Die Politik der europäischen Integration hat mit ihrer Ausstrahlungskraft dazu beigetragen, der Freiheit, den Menschenrechten und der Selbstbestimmung in Mittel-, Ost- und Südosteuropa zum Durchburch zu verhelfen. Sie wird dazu beitragen, daß dieser Wandel von Dauer bleibt.
Dank schulden wir auch den mutigen Bürgerrechtsbewegungen in Polen und Ungarn.
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Auch sie haben mit ihrem vorbildlichen Einsatz für eine friedliche Revolution die Entwicklung in der DDR möglich gemacht. Es ist für mich nicht nur ein Ausdruck unserer Dankbarkeit, sondern auch ein Gebot politischer Klugheit, daß wir in einem vereinten Deutschland auch künftig alles tun werden, um die Reformprozesse in Mittel-, Ost- und Südosteuropa zu unterstützen.
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Der Erfolg einer freiheitlichen Staats- und Gesellschaftsordnung in Polen, in Ungarn, in der CSFR und auch in der Sowjetunion liegt in unserem Interesse. Es geht um ein Werk des Friedens, das allen in Europa zugute kommen wird.
Dank, meine Damen und Herren, schulden wir nicht zuletzt Präsident Michail Gorbatschow.
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Durch seine Reformpolitik und das neue Denken in der sowjetischen Außenpolitik - wir erleben das gerade in diesen Tagen angesichts der Krise in der Golfregion - ist der tiefgreifende Wandel in Deutschland und in Europa mit ermöglicht worden. Ohne die Achtung des Rechts der Völker und Staaten auf den eigenen Weg wären die Reformbewegungen der Staaten des Warschauer Pakts nicht erfolgreich gewesen.
Zum Recht des deutschen Volkes auf den eigenen Weg gehört sowohl die Entscheidung, in einem gemeinsamen Staat zusammenzuleben, als auch die Freiheit, zu wählen, welchem Bündnis dieser gemeinsame Staat angehört. Bis vor kurzem gab es ja noch Zweifel, ob die Sowjetunion bereit sein werde, zu akzeptieren, daß das vereinte Deutschland dem Nordatlantischen Bündnis angehört. Nach unseren Gesprächen mit Präsident Gorbatschow im Kaukasus ist auch diese letzte Hürde für einen erfolgreichen Abschluß der Zwei-plus-Vier-Gespräche aus dem Weg geräumt.
Meine Damen und Herren, ein Wort des Dankes möchte ich heute auch an die vielen Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger in der Bundesrepublik richten, die beharrlich an dem Ziel der Einheit auch in Zeiten festhielten, in denen so mancher schon resigniert hatte.
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Seit 1945 kamen aus allen demokratischen Parteien wichtige Beiträge dazu, daß der Wille zur Einheit nie erloschen ist. Wir alle müssen uns bewußt machen, was es heißt, daß wir in so wenigen Monaten das große Ziel der Einheit und Freiheit aller Deutschen verwirklichen können. Natürlich und verständlicherweise geht es in diesen Tagen und Wochen um Währung, um Wirtschaft und Finanzen. Natürlich geht es um schwerwiegende soziale Fragen, um ganz praktische Alltagssorgen vieler Menschen. Natürlich geht es um so wichtige Fragen wie Wahlverfahren und Wahltermin. Vor allem aber geht es um den großen historischen Augenblick, in dem wir Deutschen in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit unseres Vaterlandes vollenden.
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Wie das geschieht, ist in der neueren Geschichte Europas ohne Beispiel. Es geschieht ohne Krieg, ohne blutige Revolution und Gewalt und in vollem Einvernehmen mit unseren Freunden und Partnern und Nachbarn in West und Ost.
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Wann je hat ein Volk das Glück gehabt, Jahrzehnte der schmerzlichen Trennung auf so friedliche Weise zu überwinden? Ein Traum geht in Erfüllung, an dessen Verwirklichung zu glauben viele - auch bei uns - schon aufgegeben hatten.
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Die Vereinigung Deutschlands ist das Ergebnis einer langangelegten, klugen Politik. Der Grundstein zu dem, was sich heute in Deutschland vollzieht, wurde schon in den fünfziger Jahren gelegt. Auf eindrucksvolle Weise erfüllt sich heute, was Konrad Adenauer in seinen „Erinnerungen" so beschrieben hat:
Es gab Stimmen, die den von mir gezeichneten Weg nicht als den Weg zur deutschen Einheit bezeichneten. Aber es kam darauf an zu erkennen, daß es zunächst für uns keinen anderen Weg gab. Die Sowjets würden früher oder später einsehen, daß sie sich mit dem Westen verständigen müßten, daß sie ihn nicht niederzwingen könnten. In einer solch friedlichen Verständigung lag meine Hoffnung und sah ich unsere Chance. Sie würde allerdings nur dann für uns gegeben sein, wenn wir uns im Zeitpunkt einer solchen allgemeinen Einigung zwischen West und Ost bereits als zuverlässiger Partner des Westens erwiesen hätten. Nur dann würde der Westen bei einer Verständigung unsere Interessen zu seinen eigenen machen.
Wir haben an dieser Politik, meine Damen und Herren, stets festgehalten. In meiner Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 habe ich zu Beginn der damaligen Legislaturperiode hier erklärt:
Die deutsche Nation besteht fort. Wir sind für das Selbstbestimmungsrecht aller Völker und für das Ende der Teilung Europas. Wir werden alles tun, um in Frieden und Freiheit die deutsche Einheit zu erstreben und zu vollenden.
Das vereinte Deutschland wird als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dienen. Deutschland, unser Vaterland, wird souverän sein. Bis 1994 werden alle sowjetischen Soldaten unser Land verlassen haben, 50 Jahre nachdem sie erstmals deutschen Boden betraten.
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Wer hätte diese Entwicklung vor einem Jahr für möglich gehalten?
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Meine Damen und Herren, die Verantwortung, die jetzt auf uns lastet, wiegt schwer. Bei allem Grund zur Freude wissen wir, daß uns die Überwindung der alten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung auf dem Gebiet der heutigen DDR vor außergewöhnliche Herausforderungen stellt. Jeder weiß: Die wirtschaftliche Situation in der DDR ist derzeit durch den Übergang von einer kommunistisch-sozialistischen Planwirtschaft zur Sozialen Marktwirtschaft gekennzeichnet. Daß dieser Übergang alles andere als einfach ist, liegt auf der Hand. 40 Jahre Herrschaft des realen Sozialismus zu Lasten der Menschen in der DDR können nicht in knapp acht Wochen nach Einführung der Wäh17442
rungs-, Wirtschafts- und Sozialunion ausgeglichen werden.
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Wer etwas anderes erwartet hat, dem fehlt die Anschauung dessen, was 40 Jahre real existierender Sozialismus in der DDR angerichtet haben.
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Ich habe in diesem Jahr immer wieder auf die zu erwartenden Schwierigkeiten hingewiesen,
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nicht zuletzt bei der Unterzeichnung des Staatsvertrages über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion und bei der Ratifizierungsdebatte hier im Bundestag.
Jetzt geht es um den Wiederaufbau der DDR in allen Bereichen. Dies ist sicher keine Frage von Tagen und Monaten. Das ist eine Frage der nächsten Jahre. Aber alle Zeichen stehen darauf, daß wir es gemeinsam schaffen werden.
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Dabei hängt der Erfolg entscheidend davon ab, daß wir an diesem Wendepunkt deutscher Geschichte alle gemeinsam äußerste Anstrengungen unternehmen, um diese Herausforderungen zu bestehen. Der Staatsvertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion hat hierfür die notwendigen Grundlagen geschaffen. Allein für die ersten 18 Monate ist eine finanzielle Unterstützung für den DDR-Haushalt in Höhe von 57 Milliarden DM vorgesehen. Hinzu kommen Kredite zur Sanierung der DDR-Wirtschaft und eine kräftige Anschubfinanzierung der Sozialversicherung.
All dies war und ist praktische Solidarität in einer ungewöhnlich schwierigen Situation unseres Volkes.
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Mit dieser Solidarität war naturgemäß auch die Erwartung verbunden, daß Finanzmittel dort rechtzeitig ankommen, wo sie dringend gebraucht werden. Die Erfahrung der letzten Wochen hat gezeigt, daß dies leider nicht in allen Bereichen sichergestellt werden konnte. Wir wissen, daß nicht zuletzt viele Bauern zu Recht dagegen protestiert haben, daß das Geld, das für sie bereitgestellt wurde, im Getriebe einer Bürokratie hängengeblieben ist.
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Die Bauern in der DDR brauchen selbstverständlich unsere tatkräftige und schnelle Hilfe. Seit dem 1. August ist die Landwirtschaft der DDR faktisch Teil des europäischen Agrarmarktes, und die Bauern der DDR sind damit in die Gesamtsolidarität der EG einbezogen.
Nach anfänglichen Schwierigkeiten sind die staatlichen Interventionen jetzt angelaufen. Wir werden in Zukunft mit Nachdruck - und angesichts der Möglichkeit der baldigen Vereinigung ist das um so leichter zu machen - auf eine schnelle Auszahlung der Gelder drängen. Auch die beschlossenen Liquiditätshilfen müssen schneller und effizienter als bisher ausgezahlt werden. Wir werden zusätzlich - wir befinden uns jetzt in den Verhandlungen - den Export von Agrargütern aus der DDR massiv fördern. Damit wird der Markt in der DDR, aber auch der Markt bei uns spürbar entlastet.
In Städten und Gemeinden konnten vielfach notwendige Investitionen noch nicht in Angriff genommen werden, obwohl mit dem ersten Staatsvertrag Milliardenbeträge für Infrastrukturmaßnahmen ausdrücklich vorgesehen und bereitgestellt waren. Hier sind inzwischen in Zusammenarbeit zwischen Bonn und Berlin notwendige Konsequenzen gezogen worden. Es muß jetzt sehr schnell alles getan werden, damit die zur Verfügung gestellten Finanzmittel Bürger und Unternehmer ebenso erreichen wie die Landwirtschaft und die Städte und Gemeinden. Nur so kann die wirtschaftliche Entwicklung der DDR erfolgreich in Gang gebracht werden.
Festzuhalten bleibt, daß uns der Staatsvertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion in die Lage versetzt, den erwarteten Anpassungsproblemen der DDR wirksam zu begegnen. So haben wir zum Beispiel von Anfang an, um die Arbeitslosigkeit zu begrenzen, die Möglichkeit zur Kurzarbeit im Vergleich zur Bundesrepublik stark erweitert, dies vor allem, um Kurzarbeit mit den notwendigen Maßnahmen zur Umschulung und Qualifizierung zu verbinden. Von dieser Möglichkeit wird zunehmend mit aktiver Unterstützung der Bundesanstalt für Arbeit Gebrauch gemacht.
Welche Probleme hier zu bewältigen sind, zeigt die kürzlich vorgelegte Untersuchung des Ifo-Instituts. Dieses Gutachten beziffert die von der bisherigen sozialistischen Planwirtschaft hinterlassene verdeckte Arbeitslosigkeit auf über eine Million. Die Zahlen sprechen für sich selbst.
Gleichzeitig ist die Umgestaltung der DDR-Wirtschaft deutlich in Gang gekommen. So sind allein im ersten Halbjahr 1990 in der DDR über 2 800 Gemeinschaftsunternehmen mit Partnern außerhalb der DDR zustande gekommen. In der DDR selbst wurden in den ersten sechs Monaten dieses Jahres gut 100 000 neue Betriebe gegründet, vor allem in Handel und Handwerk. Allein im Juli ist noch einmal die Rekordzahl von über 35 000 hinzugekommen.
Auch bei der Treuhandanstalt kommen jetzt offensichtlich die notwendigen Arbeiten besser in Gang.
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Die Liquidität der Unternehmen für August und September konnte inzwischen in enger Zusammenarbeit zwischen Treuhandanstalt, Banken, Regierung der DDR und der Bundesregierung gesichert werden. Nach verständlichen Anlaufproblemen der Treuhandanstalt gehe ich davon aus, daß jetzt auch bei der Privatisierung und Sanierung der DDR-Betriebe zügig Fortschritte erzielt werden.
Ich füge hinzu: Natürlich können die schwierigen Anpassungsprobleme von 8 000 Unternehmen nicht kurzfristig gelöst werden. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auch die Reorganisation der AußenBundeskanzler Dr. Kohl
stellen der Treuhandanstalt überfällig, damit eine konstruktive Zusammenarbeit mit Städten und Gemeinden und privaten Investoren vor Ort zügig vorankommt.
Wichtig ist nicht zuletzt, daß auch die Tatsachen nicht übersehen werden, die gerade in der jetzigen Situation stabilisierend wirken. So ist leider nur am Rande in der Öffentlichkeit vermerkt worden, daß die Lebenshaltungskosten in der DDR im Juli, also im ersten Monat der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, um über 5 % niedriger lagen als ein Jahr zuvor. Nimmt man hinzu, daß Löhne, Gehälter und Renten im gleichen Zeitraum in der Regel deutlich gestiegen sind, so ist ganz einfach festzustellen, daß das Realeinkommen und die Kaufkraft der Bürger in der DDR in kurzer Zeit zugenommen haben.
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Meine Damen und Herren, all dies ist kein Grund, bei dem Erreichten stehenzubleiben. Aber es zeigt, daß es in diesem schwierigen wirtschaftlichen Umstellungsprozeß nicht zuletzt im Vergleich zu den gravierenden Wirtschafts- und Sozialproblemen anderer Reformländer in Mittel-, Ost- und Südosteuropa erhebliche Aktivposten und auch begrüßenswerte Fortschritte gibt.
Ich nenne einen weiteren wichtigen Punkt. Angesichts der unvermeidbar schwierigen Probleme beim Übergang vom real existierenden Sozialismus zur Sozialen Marktwirtschft ist gelegentlich die Behauptung zu hören, daß diese Schwierigkeiten ohne die Schaffung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion hätten vermieden werden können. Meine Damen und Herren, wer dies behauptet, leugnet die Entwicklung der letzten Monate und verdrängt die Erfahrungen dieses Jahres.
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Ich erinnere noch einmal daran, daß zwischen November 1989 und Februar 1990 knapp 300 000 Übersiedler aus der DDR in die Bundesrepublik gekommen sind.
Um dieser dramatischen Entwicklung zu begegnen, waren nach übereinstimmender Auffassung in diesem Hause schnelle positive Signale für die Verbesserung der Lebensbedingungen der DDR notwendig. Dies war der entscheidende Grund für die Einführung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion.
Die Bundesregierung und die Koalitionsparteien halten an dieser Politik fest: Verwirklichung der Deutschen Einheit in Abstimmung mit unseren Partnern in der DDR sowie mit unseren Nachbarn und Verbündeten in West und Ost, Bewältigung der wirtschaftlichen Übergangsprobleme, so wie dies bereits im Staatsvertrag vom 18. Mai 1990 vorgesehen war, Erwartung an alle Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft, daß alles getan wird, um gemeinsam Schritt für Schritt die Schwierigkeiten des Übergangs vom Sozialismus zur Sozialen Marktwirtschaft zu bewältigen.
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Meine Damen und Herren, der Weg zur Deutschen Einheit erfordert gemeinsame Anstrengungen und persönliches Engagement. Ich will dankbar würdigen, daß viele aus allen Kreisen unserer Bevölkerung
bereits Vorbildliches geleistet haben: Arbeitnehmer wie Unternehmer, Verbände, Gewerkschaften, Betriebsräte, Leute aus dem Mittelstand und nicht zuletzt - das will ich hier besonders erwähnen - die demokratischen Parteien in unserem Land.
Manche von uns haben allerdings vergessen: Auch der Beginn der Sozialen Marktwirtschaft 1948 war alles andere als einfach. Wir hatten nicht nur starke Preissteigerungen, massive Proteste, einen eintägigen Generalstreik und vieles andere mehr. Diese Schwierigkeiten und diese Durststrecke wurden überwunden. Es entstand ein blühendes Land, unsere Bundesrepublik Deutschland.
Wir stehen heute in der DDR vor schwierigen Aufgaben. Aber wir haben alle Voraussetzungen dafür, sie zu meistern. Manche scheinen vergessen zu haben, daß eben der Beginn der Sozialen Marktwirtschaft 1948 alles andere als ein Selbstläufer war. Aber dieses Beispiel zu Beginn der Bundesrepublik kann uns Ansporn sein, nicht nur für eine vage Hoffnung, sondern für die Überzeugung, daß sich die Verhältnisse auch in der DDR rasch bessern werden.
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Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir sollten und - ich denke - wir dürfen an einem solchen Tag einen Augenblick innehalten und uns die historische Dimension dessen ins Bewußtsein rufen, was in diesen Monaten geschehen ist und weiter geschieht. Schauen wir nicht nur, so wichtig dies ist, auf die sich oft überstürzenden Ereignisse und Nachrichten des Tages. Wir sehen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten; wir sehen die Probleme und die Notwendigkeiten in der DDR. Aber wir sind uns auch bewußt, daß wir Zeugen eines wahrhaft weltbewegenden Ereignisses und eines großen Augenblicks in der Geschichte unseres Volkes sind.
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Lassen Sie uns gemeinsam unserer Verantwortung für alle Deutschen gerecht werden.
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Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur Aussprache. Die Aussprache soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung eineinhalb Stunden dauern. Interfraktionell ist außerdem vereinbart worden, daß wir den Entwurf eines Gesetzes zur Vorbereitung und Durchführung der ersten gesamtdeutschen Wahl, also das Ratifizierungsgesetz, auch in drei Lesungen beraten. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Wir können so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Ministerpräsident des Saarlandes, Herr Lafontaine.
Ministerpräsident Lafontaine ({0}) ({1}) : Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands begrüße ich den Beschluß der Volkskammer der DDR, den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik mit Wirkung vom 3. Oktober festzustellen. Wir begrüßen diesen Beschluß deshalb, weil er die Grundlage für die Menschen in der DDR dar17444
Ministerpräsident Lafontaine ({2})
stellt, in Zukunft ihr Leben in Freiheit zu verwirklichen.
({3})
Wir sehen in diesem Beschluß aber auch die Grundlage für die große Zukunftsaufgabe, die sich uns allen jetzt stellt. Die staatliche Einheit, meine Damen und Herren, ist das eine. Sie ist Voraussetzung für das, was jetzt vor uns liegt. Jetzt gilt es, die wirkliche Einheit herzustellen, und die heißt für uns Sozialdemokraten: Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse für die Menschen in der DDR und in der Bundesrepublik.
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Es ist an diesem Tag geboten, sich mit Dank an die Menschen zu erinnern, ohne die dieser Beschluß nicht möglich geworden wäre. Es ist richtig, in dieser Stunde an die politisch Verfolgten in der DDR zu erinnern. Sie haben in der Zeit der Unterdrückung die Demokratie lebendig gehalten. Sie haben durch ihr persönliches Opfer deutlich gemacht, daß der Mensch nur dann ein erfülltes Leben haben kann, wenn er in Freiheit lebt. Sie haben deutlich gemacht, daß jedes System, das zur Unterdrückung greift, weil es glaubt, ein vermeintliches Paradies in Zukunft zu verwirklichen, zum Scheitern verurteilt ist,
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weil der Freiheitswille der Menschen nicht auszurotten ist.
Wir erinnern an die politisch Verfolgten. Natürlich erinnere ich für die SPD an die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Hitler-Faschismus in der DDR weiter im Widerstand waren und zu Tausenden in die Konzentrationslager gehen mußten bzw. deportiert wurden. Ich erinnere, meine Damen und Herren, an die Flüchtlinge. Nur die Flüchtlinge waren es, die der Weltöffentlichkeit immer wieder deutlich gemacht haben, daß das Unrechtsystem der DDR ein System der Unterdrückung ist. Für meine Generation war das Schicksal des Peter Fechter bedeutend, der am 17. August 1962 den Tod fand und den ich hier stellvertretend für viele Menschen nennen möchte, die bei der Flucht aus der DDR umgekommen sind.
Ich erinnere an die Bürgergruppen in der DDR, ohne die der demokratische Erneuerungsprozeß in der DDR nicht möglich geworden wäre. Daraus erwachsen uns Verpflichtungen.
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Ich erinnere auch an die Rolle, die die Kirchen in der DDR, und in Osteuropa gespielt haben. Ohne die Rolleder Kirchen in der DDR und in Osteuropa gäbe es nicht die Einheit nicht.
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Meine Damen und Herren, wir müssen sehen, daß die Freiheitsbewegung in Osteuropa ein gesamteuropäischer Prozeß war. Daher war es richtig, auch an die zu erinnern, ohne die die Erneuerung in der DDR nicht
möglich geworden wäre, an die polnische Solidarnosc und an die Charta 77.
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Es ist auch geboten, den Politikerinnen und Politikern zu danken, die am Anfang dieser Entwicklung standen und die sie über Jahre ermöglicht haben. An erster Stelle steht Michail Gorbatschow, ohne dessen Reformpolitik in der Sowjetunion weder die Erneuerung in Osteuropa noch die demokratische Erneuerung in der DDR möglich geworden wäre.
({9})
Das Entscheidende der Politik Gorbatschows ist der Versuch, die Sowjetunion zu europäisieren. Es wird in diesen Jahren unsere Verantwortung sein, ob wir erkennen, daß dieser Versuch der Europäisierung der Sowjetunion einer konstruktiven Antwort des Westens bedarf. Dies verlangt vor allem von uns, uns jetzt nicht nur auf die deutsch-deutschen Probleme zu konzentrieren, sondern die Interessen der Völker OstEuropas mit einzubeziehen und die Interessen der Sowjetunion sorgfältig abzuwägen.
({10})
Es ist richtig, in dieser Stunde an die Unterstützung der westlichen Verbündeten zu erinnern; an François Mitterrand, der nach anfänglichen Differenzen, die auch jetzt nicht verschwiegen werden sollen, den Prozeß der deutsch-deutschen Einheit europäisch abgestützt hat, und an George Bush und an die übrigen Verbündeten, ohne deren Unterstützung die deutsche Einheit nicht möglich geworden wäre.
Aber es ist ebenso notwendig - hier ergänze ich den Bundeskanzler - , an die Leistungen der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland in den letzten 40 Jahren zu erinnern.
({11})
Ohne die Westintegration Adenauers wäre dieser Weg nicht möglich gewesen. Aber ohne die Ostpolitik Willy Brandts wären wir nicht da, wo wir heute stehen.
({12})
Ohne den KSZE-Prozeß, den die Regierung Schmidt gegen viele Widerstände auf den Weg gebracht hat, wäre es nicht möglich, die deutsche Einheit heute zu feiern.
({13})
Nach der Erinnerung an die Leistungen der sozialdemokratischen Kanzler stehe ich nicht an, auch Ihre Leistung, Herr Bundeskanzler Kohl, im Kaukasus hier zu erwähnen. Das Ergebnis im Kaukasus war ein großer Erfolg Ihrer Regierung, weil es eine Weichenstellung für Gesamtdeutschland war, von der die Menschen in Deutschland profitieren.
({14})
Ministerpräsident Lafontaine ({15})
Nicht unerwähnt lassen möchte ich an dieser Stelle - das werden Sie verstehen - die Verdienste des Bundesaußenministers, der in Ihrer Regierung die Kontinuität der Ostpolitik der Regierungen Brandt und Schmidt gewahrt hat
({16})
und sicher einen Anteil daran hat, daß der anfänglichen Konfrontation eine besonnene Politik Platz gemacht hat.
({17})
Ich anerkenne auch - hier begrüßen wir alte Bekannte -, daß der Erfolg im Kaukasus nur durch die Anerkennung der polnischen Westgrenze, durch die Halbierung der Truppen und durch die Festlegung möglich geworden ist, daß die DDR eine atomwaffenfreie Zone ist. Ich begrüße dies nach all den Debatten, die wir in den letzten Jahren um diese Themen geführt haben, ausdrücklich.
({18})
In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, unterstützen wir die Erklärung des Bundesaußenministers vom gestrigen Tag. Der endgültige Verzicht des neuen Deutschlands auf ABC-Waffen ist langjährige Forderung der deutschen Sozialdemokratie.
({19})
Wenn wir uns die Stationen des Einigungsprozesses in den letzten Jahrzehnten vergegenwärtigen, dann müssen wir erkennen, daß er uns zwei Verpflichtungen für die Zukunft hinterläßt. Dies ist das Entscheidende: Wir müssen den Einigungsprozeß demokratisch organisieren. Das sind wir all den Menschen schuldig, die als Verfolgte oder als Bürgerrechtler unter den kommunistischen Diktaturen für die Demokratie gestritten haben.
({20})
Und wir müssen den Prozeß europäisch organisieren, weil es, insbesondere in Osteuropa, nicht verstanden würde, wenn wir jetzt dem Fehler erliegen würden, uns allzusehr auf die deutsch-deutschen Fragen zu konzentrieren.
({21})
Der Appell, den Einigungsprozeß demokratisch zu organisieren, meine Damen und Herren, hat natürlich Konsequenzen.
Erstens. Wir müssen endlich entscheiden, daß es eine Verfassung erst dann gibt, wenn das Volk über die Verfassung abgestimmt hat.
({22})
Daher mein Appell an Sie: Sorgen Sie dafür, daß bald
der Verfassungsrat konstituiert werden kann und daß
bald die Deutschen in Ost und West als der Souverän
über die Grundlagen ihres Zusammenlebens abstimmen können.
({23})
Zweitens. Die Demokratie erfordert eine Stärkung des Föderalismus. Wir haben gerade in der Bundesrepublik in den letzten 40 Jahren mit dem Föderalismus gute Erfahrungen gemacht. Wenn es da oder dort Besorgnisse über ein größer werdendes Deutschland gibt, dann ist die richtige Antwort eine Stärkung des Föderalismus, zusammen auch mit den neuen Ländern, die in der DDR gebildet werden.
({24})
Demokratie bedeutet für uns Sozialdemokraten auch Herstellung der Wettbewerbsgleichheit der Parteien, der Chancengleicheit der Parteien in der DDR.
({25})
Das heißt, eine klare Regelung für das Blockvermögen der SED und der Blockparteien ist erforderlich, bevor es einen Einigungsvertrag geben kann.
({26})
Meine Damen und Herren, ich sprach von der Verpflichtung den Einigungsprozeß europäisch zu organisieren. Dies setzt uns vor die Aufgabe, uns darüber zu verständigen, was wir zukünftig eigentlich unter „Nation" begreifen wollen. Es ist so viel von der nationalen Frage die Rede gewesen. Aber wir müssen sehen, daß es gilt, wie es Carlo Schmid hier einmal am 25. Februar 1972 formuliert hat, eine Nation Europa zu bauen. Dieser große Sozialdemokrat sagte am damaligen Tage:
Eine Nation kann man nicht durch Vertragsartikel dekretieren und auch nicht durch Vertragsartikel wegdekretieren. Das Entscheidende ist, nicht Verträge von Staat zu Staat schaffen die Nation, sie wird zu sich selber dadurch, daß die Menschen eines Landes als Nation leben wollen, daß sie entschlossen sind, als Gemeinschaft zu handeln und zu leiden, weil sie gemeinsam ihre Seele in bestimmten Menschheitswerten entdekken und diese auf ihrem Gebiet verwirklichen wollen. Das macht die Nation aus; sie ist
- so sagte Carlo Schmid in Anlehnung an den Franzosen Ernest Renan ein Plebiszit, das sich jeden Tag wiederholt.
...natürlich müssen wir zu Europa kommen. Aber wenn dieses Europa wirklich Europa sein soll, wird es eines schönen Tages eine Nation Europa geben müssen. Bis dahin wird es nur ein Zusammenschluß, ein Verband von Staaten sein können; um eine wirklich geschichtsmächtige politische Kraft werden zu können, wird es die „Nation Europa" brauchen.
Meine Damen und Herren, dies ist eine Auseinandersetzung, die uns noch bevorsteht, weil entscheidende Bestimmungen unserer Verfassung einem solchen Nationenbegriff noch entgegenstehen. Ich erin17446
Ministerpräsident Lafontaine ({27})
nere an den Art. 116 des Grundgesetzes. Der Art. 116 des Grundgesetzes nimmt auf die Abstammung der Staatsbürger Bezug und erklärt sie für konstituierend hinsichtlich der Zugehörigkeit zur Nation.
Die Zeit, meine Damen und Herren, ist über diese Einstellung, die vielleicht noch zu Beginn des Grundgesetzes verständlich war, hinweggegangen.
({28})
Wir sind längst zu einer anderen Gemeinschaft geworden. Es leben auf dem Territorium der Bundesrepublik mittlerweile über fünf Millionen ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger, und es entspricht unserem Verständnis, wie die deutsche Einheit anzugehen ist, daß ich gerade an diesem Tag an diese fünf Millionen ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger erinnere.
Was hat dies mit unserem Nationenbegriff zu tun? Wir müssen uns orientieren an dem Nationenbegriff der Vereinigten Staaten, an dem Nationenbegriff Frankreichs oder an dem Nationenbegriff der Schweiz. Es wird unmittelbar einsichtig sein, daß ein Art. 116 nicht für die Französische Republik, für die Vereinigten Staaten oder gar für die demokratische Schweiz konstituierend sein könnte. Konstituierend für die Zugehörigkeit zur Nation - dies ist das Entscheidende, und dies heißt die Nation Europa bauen - muß in Zukunft sein, daß sich eine Gemeinschaft von Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zu den gleichen Zielen der Verfassung bekennt,
({29})
die bereits in der bürgerlichen Revolution in Frankreich vorgegeben waren. Die Werte Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, die wir heute um den Wert der Schwesterlichkeit ergänzen, sind nicht in den Grenzen einer nationalen Kultur zu definieren, sondern sie sind universalistische Werte, auf die wir uns verpflichten müssen, wenn wir denn die Vereinigten Staaten von Europa schaffen wollen.
({30})
Denn es geht nicht nur darum, durch die Veränderungen in Osteuropa die gleichen Lebensbedingungen für die Menschen in der DDR wie für die Menschen in der Bundesrepublik herzustellen. Es geht genauso darum, nach dem Öffnen der Grenzen mit einer großen Herausforderung fertigzuwerden, die ich die Armutswanderung aus den Ländern Osteuropas nenne. Ihre Bewältigung wird eine der großen Aufgaben der Zukunft sein. Wenn wir über die Armutswanderung aus den Ländern Osteuropas sprechen, dann müssen wir redlicherweise sagen: Es gilt, die sozialen Voraussetzungen für die Integration dieser Menschen zu schaffen, d. h wird müssen Wohnungen bereitstellen, d. h. wir müssen Arbeitsplätze anbieten können, d. h. wir brauchen öffentliche Einrichtungen, die bei uns in weitaus zu geringem Maße zur Verfügung stehen.
Ich sage ohne jede Einschränkung: Wir sind als eine der reichsten Nationen der Welt verpflichtet, Hilfe anzubieten und die Integration unserer ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger zu bewerkstelligen.
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Ich füge aber ebenso hinzu, daß wir redlicherweise denen, die sich hier engagieren, sagen müssen, daß die Integration auf Grenzen stößt, daß wir von heute auf morgen nicht all das leisten können, was vielleicht im Interesse der Humanität wünschenswert wäre. Daher biete ich noch einmal an, über das Problem der verstärkten Einwanderung aus den Ländern Osteuropas zu sachlichen Gesprächen zwischen den großen Parteien zu finden.
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Meine Damen und Herren, es geht um die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in der DDR. Ich sage dies ganz klar, weil sich ein unterschiedliches politisches Konzept hinter dieser Formulierung verbirgt. Wer zu stark auf die staatliche Einheit fixiert ist oder auf sie setzt, verliert allzuleicht die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse aus dem Auge. Entscheidend ist zuerst - dies ist das Politikverständnis der deutschen Sozialdemokratie - , wie es dem einzelnen geht, wie er konkret leben kann. Dann stellen wir die Frage nach der staatlichen Organisation, aber nicht umgekehrt.
({33})
Im Vordergrund steht jetzt die Klärung der ökonomischen, der sozialen und der ökologischen Fragen und - meine Damen und Herren, das ist viel zu kurz gekommen - der kulturellen Fragen, die der Einigungsprozeß aufwirft. Zu den ökonomischen und sozialen Entscheidungen ist einiges gesagt worden. Ich sage für die deutschen Sozialdemokraten im Hinblick auf den Einigungsvertrag noch einmal: Es bedarf einer rechtlichen Klärung der Eigentumsverhältnisse, um endlich zu mehr Investitionen in der DDR zu kommen.
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Es war ein schwerer Fehler, Graf Lambsdorff, daß Sie im Monat Mai das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung" öffentlich gefordert haben und daß das lange Zeit auch das Verhalten der Regierungsparteien bestimmt hat. Dies zu fordern hat durchaus gute Gründe. Aber es ist nicht möglich. Wenn wir wirklich zu schnellen Investitionen in der DDR kommen wollen, dann brauchen wir eine schnelle Verfügbarkeit des Bodens. Dies geht nur, wenn wir dieses Prinzip umkehren: Wir müssen in erster Linie entschädigen und erst in zweiter Linie auf die Rückgabe setzen.
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Zweitens. Meine Damen und Herren, es muß eine Klärung für die Altschulden gefunden werden. Es ist richtig, daß dies immer wieder angemahnt worden ist. Ingrid Matthäus-Maier hat frühzeitig auf das Problem aufmerksam gemacht, das entsteht, wenn die maroden Betriebe in der DDR mit den erhöhten Zinssätzen aus dem Westen konfrontiert werden. Eine Klärung der Altschulden ist notwendig - dies ist das Ergebnis aller Gespräche, die ich bisher mit der Landwirtschaft oder mit den Unternehmern aus der DDR geführt habe.
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Drittens. Dringend notwendig - und dies sage ich im Hinblick auf den Einigungsvertrag - ist eine KläMinisterpräsident Lafontaine ({37})
rung der Frage des öffentlichen Dienstes. Die Sozialdemokraten können nicht akzeptieren und werden nicht zulassen, daß man die Frage des öffentlichen Dienstes dadurch zu regeln versucht, daß man das Personal in die neuen Länder oder in die Gemeinden der DDR schiebt. Sie wären dann von Anfang an handlungsunfähig. Dies ist keine Lösung der Frage des öffentlichen Dienstes.
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Viertens. Ich appelliere noch einmal an Sie auf der Regierungsbank, Herr Bundeskanzler. Es kann geschehen, daß man sich, wenn es um die Kosten der Einheit geht, verschätzt. Bei solchen Umstellungsprozessen ist dies im Grunde die Normalität. Aber wenn man sich bei den Kosten verschätzt hat, dann ist dies kein Grund dafür, möglichst zu verschweigen, was denn die Kosten der Einheit sind. Dies schafft keine Grundlage für ein geregeltes Miteinander der demokratischen Kräfte in der Bundesrepublik, wenn es darum geht, sich über die Finanzierung der Kosten der Einheit zu verständigen. Das gilt nicht nur für Bund, Länder und Gemeinden. Das gilt für den Haushalt des nächsten Jahres, bei dem Sie ja unsere Unterstützung, so nehme ich an, haben wollen.
Ohne die Klärung der Kosten der Einheit sind viele andere Fragen nicht zu regeln. Ich sprach von der ökologischen Erneuerung. Ich spreche hier nur zwei Themen an. Bei dem Ausbau der Verkehrsstrukturen wollen wir nicht die gleichen Fehler machen wie in der Bundesrepublik, und bei der notwendigen Erneuerung der Energieversorgung können wir nicht nur auf Monopolbildung setzen.
({39})
Die Gemeinden müssen an der Energieversorgung beteiligt werden. Ich habe hier moniert, meine Damen und Herren, daß man es versäumt hat, die Gewerkschaften rechtzeitig am Einigungsprozeß zu beteiligen. Ich ergänze: Es wäre besser gewesen, auch den Städte- und den Gemeindetag mehr in die Beratungen einzubeziehen.
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Ich sprach davon, daß wir viel zuwenig darüber geredet haben - und dies ist meine feste Überzeugung -, was dieser Einigungsprozeß eigentlich kulturell bedeutet. Ich zitiere hier Vaclav Havel, der in einem Brief an Gustav Husak aus dem Jahre 1975 beschrieben hat, wie es Menschen geht, die unter einer kommunistischen Diktatur leben müssen. Er schreibt:
Obwohl niemand darüber spricht, fühlen die Menschen sehr genau, womit ihre äußere Ruhe erkauft wird: durch ständige Erniedrigungen ihrer Menschenwürde. Je weniger sie sich gegen diese Erniedrigung unmittelbar wehren - sei es, weil sie fähig sind, sie aus ihrem Bewußtsein zu verdrängen und sich selbst einzureden, daß eigentlich nichts besonderes passiert, oder weil sie es einfach schaffen, die Zähne zusammenzubeißen -, um so tiefer prägt sie sich in ihr emotionales Gedächtnis ein. Das alles setzt sich ab und sammelt sich irgendwo am Boden des gesellschaftlichen Bewußtseins an und arbeitet dort leise weiter.
Meine Damen und Herren, die Befindlichkeit einer Gesellschaft, die jahrelang unterdrückt wurde, müssen wir uns vergegenwärtigen, wenn wir darangehen, die deutsche Einheit zu verwirklichen. Das Wort der Erniedrigung, das Havel gebraucht hat, sollten wir uns bewußtmachen. Daher rate ich dazu: Wir müssen den Prozeß der Einheit so gestalten, daß die Mitbürgerinnen und Mitbürger der DDR die Selbstachtung bewahren können, wenn es um die nächsten Wochen und Monate geht.
({41})
Dieser Prozeß, meine Damen und Herren, ist ohne die Kulturschaffenden nicht zu bewerkstelligen.
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Ich nenne hier, stellvertretend für viele, ganz bewußt Christa Wolf und Günter Grass
({43})
und sage: Wir wollen mit ihnen zusammen den Prozeß der deutschen Vereinigung ins Leben rufen.
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Kultur, meine Damen und Herren, ist eine Form des Zusammenlebens. Bei all den Fragen der Ökonomie, der Ökologie und der Sozialpolitik sind die kulturellen Fragen des Zusammenlebens für die Befindlichkeit der Menschen oft entscheidend.
Ich erwähne die Diskussion um die Gleichstellung der Frauen in Beruf und Gesellschaft und in diesem Zusammenhang die Diskussion um den § 218. Ich richte hier eine Bitte an Sie, Herr Bundeskanzler, und an die CDU/CSU: Bitte verständigen Sie sich doch mit der Mehrheit dieses Hauses darauf, daß über die Fragen des § 218 in erster Linie die Hauptbetroffenen entscheiden sollten, nämlich die Frauen.
({45})
Dann gibt es klare Entscheidungen und klare Mehrheiten.
Selbstbestimmung hat eine Bedeutung für unser Zusammenleben, und Selbstbestimmung äußert sich auch in solch konkreten, schwierigen, persönlichen, existentiellen Entscheidungen. Ich erinnere nicht nur an die Gleichstellung von Frauen in Beruf und Gesellschaft und an den § 218, ich erwähne auch die Gleichwertigkeit des Wehr- und Zivildienstes. Auch diese Frage verdient im Rahmen des Einigungsprozesses und auf der Grundlage der neueren Entwicklung in Osteuropa eine andere Regelung als die, an die wir uns bisher gewöhnt haben.
({46})
Ich erinnere, meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang an die Behandlung von Minderheiten, etwa an die Behandlung der Homosexuellen. Über all den ökonomischen und sozialen Fragen, die wir dringend zu lösen haben, dürfen wir die Fragen des Zusammenlebens nicht übersehen, dürfen wir die
Ministerpräsident Lafontaine ({47})
kulturelle Dimension unserer Entscheidungen nicht aus dem Auge verlieren. Demokratie ist so stark, wie sie in der Lage ist, Minderheiten zu schützen und ihnen Rechte zu gewähren.
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Meine Damen und Herren, wir sehen, daß die Aufgabe der deutschen Einheit weit über die Herstellung der staatlichen Einheit hinausgeht, daß die Einheit erst dann vollendet ist, wenn es wirklich soweit gekommen ist, daß wir von der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse der Menschen in Ost- und Westdeutschland sprechen können. Diese Form der Einheit können wir erreichen, wenn wir aus den Diskussionen der letzten Wochen und Monate auch eines lernen, Herr Bundeskanzler: Diese Einheit erreichen wir nicht durch die innenpolitische Polarisierung und durch den innenpolitischen Streit.
({49})
Es war ein Fehler zu versuchen, die Opposition auszuschalten, als es nach dem November darum ging, die deutsche Einheit zu organisieren. Es ist doch wohl nicht unfair, festzustellen, daß Sie lange Zeit versucht haben, Herr Bundeskanzler, diesen Prozeß der deutschen Einheit im Alleingang zu bewerkstelligen, und daß Sie das ständige Angebot des Vorsitzenden der Sozialdemokraten, Hans-Jochen Vogel, einen Runden Tisch zu bilden, ausgeschlagen haben. Dies war ein schwerer Fehler im Einigungsprozeß.
({50})
Zweitens. Wir können die Einheit nur mit den Menschen in der DDR und der Bundesrepublik bewerkstelligen. Dies heißt, wir müssen ihnen sagen: Wenn es darum geht, eine Kommandowirtschaft auf eine Soziale Marktwirtschaft umzustellen, dann gibt es nicht nur Gewinner. Es war falsch zu sagen: Niemandem wird es schlechter gehen. Jetzt schon zeigt sich, es wäre besser gewesen zu sagen: Den Prozeß der Umstellung von einer Kommandowirtschaft auf die Soziale Marktwirtschaft werden wir nur zustande bringen, wenn Sie sich vergegenwärtigen, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger aus der DDR, daß es in großem Umfang auch soziale Härten geben wird, die wir nicht vermeiden können, zu deutsch: es wird auch einigen schlechtergehen.
Drittens. Es war ein schwerer Fehler zu sagen: Niemand wird auf etwas verzichten müssen; denn dies entzieht dem Einigungsprozeß eine wesentliche Grundlage. Wenn niemand auf etwas verzichten muß, dann ist die Voraussetzung für solidarisches Verhalten entfallen,
({51})
denn dann wäre Solidarität wohlfeil.
({52})
Die Umstellung von einer Kommandowirtschaft auf eine Soziale Marktwirtschaft kennt nicht nur Gewinner. Ich sage daher an die Adresse der Menschen in der DDR: Es wird auf lange Zeit unumgänglich sein, daß soziale Härten entstehen. Wir werden
alles daransetzen müssen, sie zu vermeiden. Ich sage an die Adresse der Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik: Sie werden auf einiges verzichten müssen; denn Solidarität ist kein Lippenbekenntnis, sondern verlangt die Hilfe derjenigen, die geben können.
In diesem Sinne sind wir bereit, am Prozeß der deutschen Einheit mitzuwirken.
({53})
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Dregger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bitte meinen Vorredner, Ministerpräsident Lafontaine, es nicht als Mißachtung zu empfinden, wenn ich nicht breit auf seine Ausführungen eingehe. Dabei spielt die Tatsache eine Rolle, daß er keinerlei Alternativen zur Regierungspolitik aufgezeigt hat - an keiner Stelle.
({0})
Er hat das Geschehen kommentiert.
({1})
Das war teilweise interessant, z. B. seine Ausführungen über Nation Europa im Vergleich zu den Nationen. Wir haben da keine Probleme. Wir sind nicht nur die Deutschland-Partei, wir sind auch die Europa-Partei.
({2})
Aber wenn Sie schon einen Vergleich mit den Vereinigten Staaten von Amerika anstellen, dann muß man einen wesentlichen Unterschied nennen: In den USA sind die Einzelstaaten nur administrative Einheiten; in Europa sind die Staaten Gehäuse der nationalen Kulturen, der französischen, der italienischen, der britischen und der deutschen Kultur. Sie werden erhalten bleiben. Sie zu beseitigen wäre ein Unglück für die Welt; aber das wollen Sie ja auch nicht.
Meine Damen und Herren, die Integration von Ausländern steht dem nicht entgegen. Es ist selbstverständlich, daß wir dazu bereit sind. Nachdem Sie, Herr Lafontaine, in den letzten Wochen neue Erkenntnisse zum Asylrecht gewonnen haben,
({3})
wäre es gut, wenn Sie Ihre Partei dazu bringen könnten, nun auf die Vorschläge einzugehen, die wir bereits seit Jahren machen.
({4})
Vielleicht könnte in dieser für das Leben der Bevölkerung außerordentlich wichtigen Frage ein nationaler Konsens entstehen.
Ich will noch ein Zweites zu Ihren Ausführungen sagen. Diese Regierung hat die Opposition nun wirklich nicht von der Mitwirkung am politischen Geschehen ausgeschlossen. „Wir brauchen die Opposition
nicht" - das ist kein Wort, das der Bundeskanzler oder ich ausgesprochen haben; das hat einmal Herbert Wehner gesagt. Wir waren uns immer darüber klar, daß wir im deutschen Einigungsprozeß natürlich auch die Opposition, insbesondere die größte Oppositionspartei, die SPD, brauchen.
Ich möchte mich für die Zusammenarbeit, die wir in den letzten Wochen weitgehend erlebt haben, bei Ihnen, Herr Kollege Vogel, ausdrücklich bedanken.
({5})
Wir haben natürlich keinen Runden Tisch eingerichtet. Runde Tische braucht man dort, wo die Demokratie noch nicht verwirklicht ist.
({6})
Der Runde Tisch hier ist dieses Parlament, ist dieses Haus, in dem jeder seine Meinung sagen kann.
({7})
Wir, die CDU/CSU, begrüßen und unterstützen die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers, d. h. seine so überaus erfolgreiche Deutschlandpolitik.
({8})
Die Zweistaatlichkeit Deutschlands wird am 3. Oktober beendet sein. Von diesem Zeitpunkt an wird es nur noch ein deutsches Parlament und nur noch eine deutsche Regierung geben, die für Deutschland und für das ganze deutsche Volk sprechen können. Damit, meine Damen und Herren, geht ein Ziel in Erfüllung, für das wir, die Union, über die Jahrzehnte hinweg ohne Schwanken eingetreten sind, seitdem es uns gibt.
({9})
Die Entscheidung über den Beitritt der DDR gemäß Art. 23 lag allein bei der Volkskammer der DDR. Wir beglückwünschen unsere Kolleginnen und Kollegen zu ihrem Beschluß, den sie am heutigen Morgen gefaßt haben.
({10})
Wir danken in dieser Stunde vor allem dem Ministerpräsidenten der DDR, Lothar de Maizière, und seiner Regierung
({11})
für die schwere und erfolgreiche Arbeit, die sie aus dem Stand heraus - ohne Vorbereitung, ohne Erf ah-rung, ohne einen leistungsfähigen administrativen Unterbau, ohne Bundesländer und ohne eine kommunale Selbstverwaltung, wie wir sie kennen - übernehmen mußten.
Ich bin sicher, daß unsere Kolleginnen und Kollegen in der DDR, insbesondere Lothar de Maizière, in der geschichtlichen Würdigung eine besseren Platz erhalten werden, als es aus der Kritik der letzten Wochen herausgeklungen ist.
({12})
Lothar de Maizère und diejenigen, die ihn unterstützt haben, haben im besten preußischen Sinne ihre Pflicht erfüllt.
Jede darüber hinausgehende Einzelwertung mag ungerecht sein. Trotzdem möchte ich eine Frau und zwei Männer hervorheben. Ich meine die Präsidentin der Volkskammer, Frau Bergmann-Pohl,
({13})
die dem ersten freien Parlament für das Gebiet der DDR nach Jahrzehnten der Unterdrückung mit Würde, Augenmaß und Charme vorgestanden hat.
({14})
Ich nenne den Fraktionsvorsitzenden der CDU ({15}), Günther Krause, der auch als Verhandlungsführer der DDR eine ganz ungewöhnliche politische Leistung erbracht hat.
({16})
Ich nenne schließlich den bisherigen Fraktionsvorsitzenden der SPD in der Volkskammer, Richard Schröder, der bis zu seinem Rücktritt vor wenigen Tagen unserem Land als Demokrat und deutscher Patriot in vorbildlicher Weise gedient hat.
({17})
Meine Damen und Herren, es gibt vier Daten der deutschen Revolution, die von besonderer Bedeutung sind: der 9. November 1989, die Öffnung der Mauer, der 16. Juli 1990, die Einigung zwischen Kohl und Gorbatschow im Kaukasus, der 3. Oktober 1990, der Tag des Beitritts der DDR, und schließlich der 2. Dezember 1990, die gesamtdeutsche Bundestagswahl.
Schon der Beginn dieser deutschen Revolution, die Demonstrationen von Tausenden, Hunderttausenden und Millionen Landsleuten in der DDR, war ungewöhnlich. Diese Demonstrationen verliefen ohne jede Gewalt von seiten der Demonstranten. Diese waren nicht vermummt. Sie trugen Kerzen durch die Straßen ihrer Städte und stellten sie den Bewaffneten vor die Stiefel. Die Welt hat es, durch die modernen Medien vermittelt, gesehen - mit Erstaunen, mit wachsendem Respekt und schließlich mit Bewunderung. Unsere Landsleute in der DDR haben damit, wie ich es schon in meinem kurzen Beitrag am 9. November 1989 in diesem Hause gesagt habe, ein moralisches Kapital geschaffen, das jetzt dem ganzen deutschen Volk zugute kommt.
({18})
Wir akzeptieren den 3. Oktober 1990 als den Termin des Beitritts, den die Volkskammer beschlossen hat. Im Hinblick auf die außenpolitischen Aspekte war es der frühestmögliche Termin.
Der Wahltermin vom 2. Dezember, meine Damen und Herren, ist - leider - nicht der frühestmögliche Termin. Aus diesem Hinauszögern einer wesentlichen vertrauensbildenden Maßnahme ergeben sich Nachteile. Hierfür tragen Sie, meine Damen und Herren von der SPD, die Verantwortung, weil Sie sich im Hinblick auf die notwendige Zweidrittelmehrheit einem früheren Wahltermin verweigert haben. Wir werden es auch so schaffen. Ich bin davon überzeugt, daß die
auf Baisse gerichtete Spekulation Ihres Kanzlerkandidaten Lafontaine nicht aufgehen wird.
({19})
Ich hatte zu Beginn meines Beitrags den 16. Juli als wesentlichen Tag für den Prozeß der deutschen Einigung bezeichnet. Dieser Tag steht für den geschichtlichen Augenblick, in dem die Sowjetunion der staatlichen Einheit Deutschlands im westlichen Verbund zugestimmt hat. Dies bei den Gesprächen im Kaukasus mit Gorbatschow erreicht zu haben, ist die bisher größte staatsmännische Leistung des Bundeskanzlers Helmut Kohl.
({20})
Damit tritt das Deutschland des Jahres 1990 außenpolitisch unter besseren Bedingungen in die Geschichte ein als das Bismarck-Reich von 1871. Die geschichtliche Erfahrung aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist es, daß wir als Land in der Mitte Europas nicht ohne Verbündete leben können. Unsere Mitgliedschaft in der NATO verhindert eine Wiederholung dessen, was in den beiden ersten Weltkriegen passierte.
Aber wir verkennen nicht unsere Aufgabe als Land in der Mitte Europas. Als Teil des Westens werden wir alles tun, um den Ausgleich mit dem Osten, mit der Sowjetunion, und unseren mittel-osteuropäischen Nachbarn, den Ungarn, den Tschechen und Slowaken und den Polen, herbeizuführen. Meine Damen und Herren, welch eine Chance, daß wir jetzt mit Zustimmung aller unserer Nachbarn die Einheit Deutschlands, damit aber auch die Einheit Europas herstellen können.
Ist das für uns wirklich mit untragbaren Lasten verbunden? Ich frage umgekehrt, in die entgegengesetzte Richtung zielend - das ist die Zukunftsrichtung, die die Welt längst erkannt hat - : Wann hätte es das je gegeben, daß in einer seit Jahren prosperierenden Volkswirtschaft wie der unseren, deren knappstes und wertvollstes Gut die leistungsfähigen Menschen sind, 16 Millionen Deutsche, Menschen wie wir, der gleichen Sprache, der gleichen Mentalität und des gleichen Arbeitswillens, hinzugetreten sind? Begreifen unsere Kleingeister, die in diesem sich vereinenden Deutschland eine Politik des Neides nach beiden Seiten machen, eigentlich, wie sehr sie sich an unserer Zukunft versündigen?
({21})
Gewiß, wir haben einen Berg von Problemen zu lösen; das haben wir immer gewußt und auch gesagt. Aber wir haben auch gesagt, daß wir uns zutrauen, diese Probleme zu lösen. Das werden wir auch können. Niemand hat Anlaß, daran zu zweifeln. Das Wichtigste, was wir als Bundesrepublik Deutschland in das vereinte Deutschland einbringen, ist nicht unsere gegenwärtige Prosperität; die muß auch immer neu erwirtschaftet werden. Das Wichtigste - das ist auch die Basis jener Prosperität - sind Freiheit und Recht, ist die Rechtsstaatlichkeit, an der es in der DDR bislang völlig gefehlt hat. Die Diktatur hat die Menschen zu Untertanen gemacht, nicht zu Bürgern, und
das wird sich ändern. Das ist die wesentlichste Änderungen für die DDR.
({22})
Ich sage daher: Wichtiger noch als die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion ist die Rechts- und Verfassungsunion, ist die Einheit Deutschlands auf der Grundlage der Freiheit, der Demokratie und der Menschenrechte. Der 3. Oktober 1990 ist ein glücklicher Tag in der Geschichte unseres Volkes und Europas.
({23})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beck-Oberdorf.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frauen in der DDR und hier! Der Begriff der Freiheit hat in dieser Debatte in allen Beiträgen eine große Rolle gespielt. Ich möchte mich damit auseinandersetzen, wieviel Freiheit bei dieser Vereinigung für die Frauen übrigbleiben wird oder ob hier nicht ein Vereinigungsvertrag ansteht, in dem an der Beschneidung von Freiheiten für Frauen gearbeitet wird.
({0})
Daß die Rechte und Chancen der Frauen in der deutsch-deutschen Gemengelage bei den Herren Kohl und de Maizière nicht gut aufgehoben sind, ist uns hinlänglich bekannt. Richtig gruselig aber wird es, wenn wir uns vorstellen, wer am Dienstag morgen in der Koalitionsrunde zum Abtreibungsstrafrecht zusammengesessen hat. Da saßen die Herren Bötsch, Stoiber, Dregger, Schäuble, Seiters und Lambsdorff, was ich nicht beanstanden würde, wenn die Herren Skat gespielt hätten.
({1})
Aber nein, diese Herren nahmen sich das Recht, in einer existentiellen Frage über das Leben von Frauen zu entscheiden,
({2})
nämlich darüber, ob und unter welchen Bedingungen Frauen darüber entscheiden können, ob sie eine Schwangerschaft austragen oder nicht. Die Tatsache, daß diese Männerrunde sich überhaupt anmaßt, so tiefgreifend in das Leben von Frauen einzugreifen, ist schon empörend genug.
({3})
Es gehört nicht viel dazu, sich vorzustellen, daß diese Herren nicht einmal ahnen, was in einer Frau vorgeht, die gegen ihren Willen schwanger geworden ist. Wenn diese Männer es sich vorstellen könnten, wenn sie diese Situation am eigenen Leibe erfahren könnten, würden sie kaum an solch zynischen Bevormundungsgesetzen basteln, wie es jetzt wieder einmal getan worden ist. Dazu paßt auch, wie diese Herren alle die Frauen beiseite geschoben haben, die in den vergangenen Monaten über eine Neuregelung des § 218 StGB nachgedacht haben, die sowieso schon lange ansteht, jetzt aber durch die Vereinigung noch einmal brisanter geworden ist. Die Frauen aus der Politik durften nicht mehr als gedemütigte Kommentare in den Abendnachrichten von sich geben. Das ist
der Geist, meine Herren, der dieser Runde entspricht.
Ich glaube, daß der Kommentator - übrigens ein männlicher Kommentator - einer Tageszeitung recht hat, wenn er konstatiert, daß es bei der von Ihnen jetzt vorgelegten Regelung um mehr geht als um Politik. Es geht um politische Unterwerfung und Demütigung. Aber es geht auch um das Sichdemütigenlassen, und das geht insbesondere an die Frauen der FDP.
({4})
Ich will mich in diesem kurzen Beitrag gar nicht so sehr damit auseinandersetzen, daß das von Ihnen jetzt vorgelegte Wohnortprinzip rechtspolitisch absolut skandalös ist. Wichtiger ist mir, daß es vielleicht wenigstens dieses eine Mal den Männern nicht gelingen möge, die Frauen weiter zu demütigen und zu unterwerfen. - Ich würde Sie bitten, Frau Präsidentin, für Ruhe zu sorgen. Ich finde den Krach sehr störend. Ich finde, auch dies ist ein Zeichen von Mißachtung: wenn Sie nicht bereit sind, sich mit solchen Beiträgen auseinanderzusetzen und den Rednern zuzuhören.
({5})
Schon lange ist in unserer Gesellschaft - und das nicht nur unter den Frauen - das Bewußtsein verankert, daß die Frage, ob eine Schwangerschaft ausgetragen oder abgebrochen werden soll, von derjenigen beantwortet und entschieden werden muß, in deren Körper der Embryo heranwächst, und daß diese Frage im Strafrecht nichts zu suchen hat. Das hat inzwischen sogar Ihre Kollegin Süssmuth vertreten.
Können Sie sich vorstellen, meine Herren, daß in Ihrem Körper ein Kind heranwächst, das Sie nicht wollen, das Sie nicht zur Welt bringen wollen, es vielleicht auch nicht können, weil die Lebensumstände es nicht zulassen, und daß Sie per Gesetz dazu gezwungen würden? Es ist an der Zeit - und jede Frau in der DDR und auch hier weiß das - , endlich mit den Gesetzen zur Bevormundung von Frauen in diesen Fragen Schluß zu machen. Das würde ehrlicherweise die Streichung des § 218 bedeuten.
({6})
Aber wenigstens - und das wäre das mindeste - stünde jetzt an, nicht hinter die DDR-Fristenregelung zurückzufallen, die wenigstens für einen Zeitraum von zwölf Wochen die Entscheidung allein der betroffenen Frau überläßt. Das wissen die Frauen von der SPD, und das weiß auch die FDP.
({7})
Deswegen legen wir heute einen Antrag vor, der genau diese Regelung vorschlägt. Ich fordere alle Frauen und Männer in diesem Hause auf, ja ich möchte sie fast beschwören: Ergreifen Sie wenigstens einmal die Chance, Druck von Frauen wegzunehmen, statt ihn auch noch zu verstärken!
({8})
Wir GRÜNEN werden dem Antrag der SPD zur Festschreibung des Tatortprinzips zustimmen, weil wir helfen wollen, jede Verschlechterung für Frauen zu unterbinden. Aber, mit so wenig kann sich die SPD
nicht davonschleichen. Es müssen mehr Initiativen von Ihnen kommen.
({9})
In der nächsten Legislaturperiode wird dann die Zeit gekommen sein, unter den Frauen in der Gesellschaft und letztlich dann in diesem Hause noch einmal darum zu streiten, daß der § 218 endlich aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Heute morgen um 3 Uhr kam Jubel in der Volkskammer auf, als der PDS-Vorsitzende Gysi den Untergang der Deutschen Demokratischen Republik konstatierte. Der endlich gefaßte Beschluß der Volkskammer über den Beitritt nach Art. 23 GG zum 3. Oktober 1990 zieht den Schlußstrich unter mehr als 40 Jahre kommunistischer Zwangsherrschaft im anderen Teil unseres Vaterlandes.
({0})
Wir, die FDP in Ost und in West, sagen: Das ist mehr als ein notarieller formaler Akt. Es ist der Sieg der Freiheit über die Unfreiheit, der Menschenrechte über Gewaltherrschaft, der Sieg des Geistes der Demokratie über den Ungeist der Diktatur.
({1})
Aber, Herr Ministerpräsident, ich möchte in dem Zusammenhang eine Anmerkung zu Ihrer Bemerkung zum Thema Einwanderung aus Osteuropa machen. Wenn wir die offenen Grenzen in Europa wollen, dann ist nicht mit verwaltungstechnischen Tricks und Mitteln dagegen anzugehen, sondern dadurch, daß man in diesen Ländern hilft, wirtschaftlich und auch politisch stabile Verhältnisse zu schaffen und den Menschen das Bleiben zu ermöglichen. Das kann die einzige Anwort sein.
({2})
Es ist, meine Damen und Herren, heute wahrlich Anlaß zur Freude für alle Deutschen. Ja, wir sind ein Volk, wir sind ein Land, und wir werden wieder ein Staat. Wir sind frei, wir entscheiden über unser Schicksal selbst. Für meine Partei und meine Fraktion sage ich deshalb in so einfachem und klarem Deutsch wie nur möglich: Wir freuen uns heute.
({3})
Wir waren immer für frühen Beitritt und frühe Wahlen. Deshalb stimmen wir dem Wahlrechtsvertrag selbstverständlich zu.
Nun, meine Damen und Herren, niemand von uns verkennt die Probleme. Aber sehen wir die Probleme eigentlich in den richtigen Proportionen, oder - besser gesagt - diskutieren wir sie in den richtigen Proportionen? Wir sind es gewohnt, wir haben es geübt und gelernt, kontrovers zu diskutieren. Aus den Reaktionen auch unseres Publikums wissen wir, daß das häufig genug auf Unverständnis und Kritik stößt. Überfordern wir nicht die Menschen in der DDR
manchmal mit der Form unserer Auseinandersetzungen? Mancher Brief, manches Gespräch zeigt mir jedenfalls, daß es schwerfällt, nach vierzig Jahren von einem zum anderen Tag mit so viel Meinungsvielfalt in dieser Form konfrontiert zu werden. Ist denn der rote Faden noch erkennbar, dem wir folgen wollen zu dem für uns Liberale jedenfalls selbstverständlichen Ziel: ein Volk, ein Land, ein Staat, eine Gesellschaft, eine Sozialordnung, ein Lebensstandard oder, Herr Ministerpräsident, wie Sie sagen, Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse; damit bin ich einverstanden; so können Sie das auch nennen.
Sie haben auch die kulturelle Dimension angesprochen. Sie haben gemeint, Sie wollten diese kulturelle Dimension bewältigen helfen, zum Beispiel mit - die beiden Namen haben Sie genannt - Christa Wolf und Günter Grass. Wer die ganze Auseinandersetzung, angefangen bei Frank Schirrmacher und Hellmuth Karasek mit Christa Wolf und mit Günter Grass verfolgt hat, der wird hinzufügen müssen, daß Reiner Kunze und seine Freunde in dieser Auseinandersetzung eine erhebliche Rolle spielen
({4})
und wohl eine bessere Rolle gespielt haben, als wir das bei den von Ihnen genannten erlebt haben.
({5})
Aber Sie haben vernünftiger- und richtigerweise nicht etwa Hermann Kant genannt und erst recht nicht Herrn Höppner, der immer noch Mitglied der Volkskammer ist und dessen Auseinandersetzung mit Reiner Kunze nach dem Mordanschlag bei den Olympischen Spielen in München ja nur zu gut bekannt ist. Wir wissen um das Elend der kulturellen Dimension, wenn wir alleine die Diskussion um die Neugründung eines gesamtdeutschen Pen-Clubs verfolgen.
Wir sehen, wie schwierig das ist mit freien Schriftstellern und Künstlern auf unserer Seite und zum guten Teil staatsbesoldeten Schriftstellern, Mitgliedern des Schriftstellerverbandes auf der anderen Seite. Als Mitglied aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen zu werden, hieß ja nicht nur, aus einer Organisation ausgeschlossen zu werden, sondern es hieß, Privilegien, ja Gehalt, die Lebensgrundlage zu verlieren. Das war die Wirklichkeit der DDR. Es wird schwer genug werden. Aber ich stimme Ihnen zu, daß es notwendig ist, diese Diskussion zu führen.
Meine Damen und Herren, wir wissen, es muß um Einzelheiten gerungen und gestritten werden. Aber es bedrückt uns schon etwas, daß unsere von diesem Pult hier ausgesprochene Befürchtung sich täglich bestätigt, wonach jeder Tag Wahlkampf mehr ein Tag zuviel ist, um die Ziele in der DDR besser erreichen zu können.
({6})
Wir erhöhen die Unsicherheit der Menschen in der DDR und in der Bundesrepublik. Ich fürchte, wir destabilisieren Vertrauen. Damit verzögern wir - der Herr Bundeskanzler hat es richtig gesagt - Investitionen. Bei Investitionsentscheidungen in der Marktwirtschaft sind Risiken, sind Unsicherheiten unvermeidlich. Es ist ja gerade die Essenz der unternehmerischen Entscheidungen, Risiken abzuwägen und dann eben doch Entscheidungen zu treffen. Die Risiken des Marktes, der Produktion, des Vertriebs, der Zinsentwicklung, das ist und bleibt Unternehmensrisiko. Aber der Staat darf diesen Entscheidungsrahmen nicht einengen. Er darf nicht vermeidbare, zusätzliche Unsicherheiten schaffen.
Der Staat, meine Damen und Herren, das sind nicht nur die Regierenden, das sind, gerade in dieser Lage, wir alle, auch die Opposition. Wer dauernd über Steuererhöhungen redet, muß sich nicht wundern, wenn Unternehmer vorsichtshalber einkalkulieren, daß der Staat ihr Tun auch durch solche Schritte weiter erschweren könnte.
({7}) - Natürlich war das ein Fehler!
Jeder noch so gut gemeinte Vorschlag verstärkt die Wartehaltung, wenn aus einem solchen Vorschlag nicht schnell Entscheidung wird. Ja oder nein; Klarheit muß herrschen.
Die wirtschaftspolitischen Probleme der DDR sind gravierend. Wer hat das denn nicht gewußt? Allerdings sind es nicht Probleme, die die Bundesregierung, der Staatsvertrag, die Wirtschafts- und Währungsunion oder die Soziale Marktwirtschaft verursacht haben. Es ist der riesige Schutthaufen, den der Sozialismus dort hinterläßt, und der muß weggeräumt werden.
({8})
Das geht nicht über Nacht. Auch in der Bundesrepublik haben wir den Wohlstand, über den wir heute verfügen, nicht in drei Monaten erreichen können. Angst und Panikmache sind in dieser Lage schlechte Ratgeber; sie verschlimmern die Dinge nur noch. Gefordert sind Besonnenheit und ein klarer marktwirtschaftlicher Kurs, damit der Rechtsrahmen der Sozialen Marktwirtschaft, den die DDR ja so zügig eingeführt hat, durch praktisches Handeln ausgefüllt werden kann. Darum geht es jetzt.
Es bewegt sich doch, meine Damen und Herren, viel mehr in die richtige Richtung, als die Medien uns erkennen lassen. Seit Jahresbeginn wurden in der DDR 136 000 Gewerbeanmeldungen registriert, im Juli allein 36 000. Es liegen zahlreiche Anträge auf zinsgünstige Kredite aus dem ERP-Programm vor. Das Zusagevolumen umfaßt 4,7 Milliarden DM. Das Eigenkapitalhilfeprogramm läuft. Nach den Preisturbulenzen der ersten Tage zeigt sich - der Bundeskanzler hat es erwähnt; es ist doch wichtig, dies zu sagen -, daß die Preise um 5,5 Prozent niedriger liegen als im Durchschnitt des vergangenen Jahres. Für öffentliche Investitionen stehen erhebliche Mittel bereit.
Der Stromvertrag - Herr Ministerpräsident, Sie haben es erwähnt - konnte nach Ausräumen der wichtigsten wettbewerbspolitischen Bedenken abgeschlossen werden. Es gibt nicht mehr die monopolartige Situation - hier haben Sie Unrecht - , die die Kommunen und die regionale Verteilung vom Stromgeschäft und von der Stromlieferung in der DDR ausschließt. Das ist in Ordnung gebracht worden, vielleicht nicht ganz so weit, wie wir es hier haben und
Deutscher Bundestag - 11 Wahlperiode Dr. Graf Lambsdorff
wie wir es gewohnt sind. Aber es ist gegenüber dem ersten Vertragsentwurf eine deutliche Verbesserung erreicht worden. Wir finden es gut, daß der Vertrag jetzt abgeschlossen worden ist; denn damit stehen 1,9 Milliarden DM zur Soforthilfe für das DDR-Stromnetz zur Verfügung.
Durch die Kraftwerkshilfe wird die Stromversorgung für die DDR, insbesondere auch in den kommenden Wintermonaten, sichergestellt. Es ist ein Vertrag zur Sicherung und zum Ausbau der Gasversorgung abgeschlossen worden. Die rasche Verbesserung der Kommunikationsmöglichkeiten, die zentral ist für die Funktionsweise marktwirtschaftlicher Mechanismen, geschieht. Die Post hat für den Netzausbau bis 1997 55 Milliarden DM eingeplant.
Das alles sind doch positive Fakten und Daten, die wir nicht unter den Tisch kehren dürfen. Gewiß, die DDR-Wirtschaft befindet sich in der Übergangsphase. Aber wenn der Schutt der Vergangenheit weggeräumt ist, besteht eine ausgesprochen positive Perspektive in mittlerer Frist. Je konsequenter, je eindeutiger und je zügiger ein klarer marktwirtschaftlicher Kurs umgesetzt wird, um so schneller werden die neuen Bundesländer Anschluß an unser Niveau finden.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Volkskammer hat ihren Beschluß an drei Voraussetzungen geknüpft:
Erstens. Ende der Zwei-plus-Vier-Gespräche. Das ist gewährleistet. Die FDP dankt dem Bundesaußenminister für seine hochprofessionelle, meisterhafte Behandlung dieser Themen.
({9})
Zweitens. Länderbildung in der DDR, so daß am 14. Oktober gewählt werden kann. Das ist gesichert.
Drittens. Abschluß der Beratungen zum Einigungsvertrag zum 3. Oktober. Zu diesem Punkt, meine Damen und Herren, sind jetzt wir gefordert.
Nehmen wir doch zur Kenntnis: 80% der Abgeordneten der Volkskammer fordern das von uns, im übrigen auch die Sozialdemokratische Fraktion, die zugestimmt hat. Ich halte es wahrlich für unverantwortlich, wollten jetzt wir den Beitritt wegen einer Verweigerung des Einigungsvertrages zum 3. Oktober in Frage stellen. Die damit verbundenen Probleme sind lösbar
({10})
- natürlich, Herr Voigt - , allerdings nur, wenn wir nicht längst einvernehmlich zwischen Bonn und Ost-Berlin Geregeltes in Frage stellen.
Meine Damen und Herren, das gilt z. B. für die Eigentumsfrage. Herr Ministerpräsident, Sie haben das erwähnt.
({11})
Es ist ungleich wichtiger, sich mit diesem Problem im Hinblick auf Gegenwart und Zukunft zu befassen, als die für die Vergangenheit getroffene Regelung noch einmal in Frage zu stellen. Wir haben doch eine Einigung erzielt. Sie wird doch zum Bestandteil des Vertrages, und zwar nur das, was im Protokoll längst festgehalten ist. Warum sollte man das denn um Himmels willen alles wieder aufrühren?
Es geht in der Tat darum - da sind wir vielleicht anderer Meinung; aber so ist es doch geregelt, und Sie haben dem bisher ja auch zugestimmt - , daß Rückgabe vor Entschädigung geht und daß dort, wo Rückgabe aus gemeinnützigen, sozialen oder technischen Gründen nicht möglich ist, Entschädigung gewährt wird. Richtig ist, daß der Produktionsfaktor Grund und Boden in einer Marktwirtschaft verfügbar sein muß, weil es sonst keine Investitionen und keine neuen Arbeitsplätze gibt.
({12})
Das ist aber die Frage Gegenwart und Zukunft; die Vergangenheitsregelung sollten wir jetzt doch so bestehen lassen, wie wir sie besprochen haben. Die FDP hat Vorschläge gemacht, wie ein Erwerber gegen Ansprüche gesichert werden kann, ohne daß Einbußen früherer Berechtigter entschädigungslos bleiben müßten.
Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bindig?
Bitte sehr. Ich darf aber die Bemerkung machen, daß die Redezeit knapp ist, Frau Präsidentin. Rechnen Sie es nicht an?
Zur Eigentumsfrage möchte ich Sie fragen, wann denn die FDP das während der Zeit der Herrschaft des Ungeistes in der DDR zusammengeraffte Vermögen der ostliberalen Parteien herausrükken wird, welches sich die FDP in der Bundesrepublik anschickt, sich anzueignen.
({0})
Wir eignen uns überhaupt nichts an, sondern wir bleiben bei dem, was wir immer gesagt haben: daß alles das, was nicht ordnungsgemäß und nicht redlich erworben worden ist und als solches von der dafür eingesetzten Kommission der Volkskammer festgestellt wird, selbstverständlich zurückgegeben wird. Da gibt es überhaupt keine Frage. Glauben Sie, wir wollen uns mit geklautem Vermögen bereichern?
({0}) Das kommt überhaupt nicht in Frage.
({1})
- Na ja, daß Herr Conradi das glaubt, verehrte Kollegen von der SPD, ist für uns nichts Überraschendes.
({2})
Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier?
Jawohl, ich will mich gern Frau Matthäus-Maier zuwenden. Bitte schön, Frau Kollegin.
Graf Lambsdorff, können Sie mir zustimmen, wenn ich den Eindruck äußere, daß, wenn es um die Interessen der Besitzenden geht - siehe die Eigentumsregelung im Staatsvertrag, die sich mittlerweile als größtes Investitionshindernis in der DDR erweist - , Sie und die FDP immer knochenhart sind, während Sie, wenn es um die Interessen von Liberalität, Rechtsstaatlichkeit und Frauen geht, umfallen und einknicken?
({0})
Frau Matthäus-Maier, was die Frauen in der DDR angeht, so erhalten wir mit der Übergangsregelung, die geplant und verabredet ist, genau deren Rechtssituation. Sie verbessert sich nicht, und sie verschlechtert sich nicht. Nach diesen Frauen haben Sie gefragt.
Zweitens. Machen Sie bitte einen sauberen Unterschied zwischen den Besitzenden und den Eigentümern. Das ist nämlich in der DDR eine ganz wichtige Frage. In der DDR sind die bürgerlichen Eigentumsbegriffe in Form von Nutzungsrechten völlig verändert und unterlaufen worden.
({0})
Wir haben doch in dem Protokoll zur Regelung der offenen Vermögensfragen festgelegt, daß in den Fällen, wo widerrechtlich enteignet worden ist, eine Rückgabe erfolgen muß, wenn das geht. In den Fällen, wo es inzwischen redlich erworbene dingliche Nutzungsrechte oder schuldrechtliche Nutzungsrechte - das ist ein Begriff, den es in unserem Rechtssystem überhaupt nicht gibt und mit dem man sich erst einmal bekannt machen muß - gibt, sollen diese geschützt werden. Wir wollen doch niemanden aus seinem Eigenheim, aus seiner Einfamilienwohnung oder aus seiner Datscha vertreiben, wenn er dies redlich erworben hat.
({1})
So bleibt es. Der Grundsatz lautet „Restitution". Wo dies nicht möglich ist, heißt der Grundsatz „Entschädigung" . Ganz wichtig ist, daß die Entschädigungsfrage bei Zukunftsentscheidungen bei denen Investitionen notwendig sind, an die erste Stelle gerückt wird.
({2})
Dafür müssen Grund und Boden her, dafür muß er verfügbar werden.
({3})
Wir halten doch nicht stur Prinzipien durch, wenn wir sehen, daß man damit die marktwirtschaftliche Entwicklung und die Entwicklung hin zu Arbeitsplätzen nicht in den Griff bekommen kann. Mehr Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, als wir gezeigt haben, und vernünftigere Anworten auf diese Fragen, als wir sie gegeben haben und geben, kann ich mir beim besten
Willen nicht vorstellen. - Irgendwann darf man sich auch einmal loben, meine Damen und Herren.
({4})
Wir haben ja - ich sage das noch einmal - die Vorschläge gemacht, wie man den Erwerber von Grund und Boden, der sich eventuell Ansprüchen früherer Berechtigter gegenübersieht, vor solchen Ansprüchen schützen kann - ich meine, man muß ihn davor schützen, denn sonst erwirbt er nämlich nicht - und wie man gleichzeitig den früheren Berechtigten nicht einfach enteignet.
Merkwürdigerweise ist das übrigens im amerikanischen Recht und im amerikanischen Grundstücksverkehr eine ganz normale Einrichtung, weil sie über ein so sauberes Grundstücks- und Katasterwesen, wie wir es hier haben, nicht verfügen und man sich dort einfach durch den Abschluß einer Versicherung gegen Ansprüche möglicher früherer Berechtigter schützen kann und von diesen Ansprüchen dann freigestellt wird. Wenn man es bei uns über eine Versicherungslösung machen kann, ist es gut, und wenn man es über eine staatliche Garantielösung machen muß, ist es unter den heutigen Umständen ebenfalls gut.
Jedenfalls muß Grund und Boden her, damit Investitionen erfolgen können und Arbeitsplätze geschaffen werden können. Man kann das gar nicht oft genug sagen.
({5})
In den gleichen Bereich, Herr Ministerpräsident, gehört das Thema der Altkredite. Frau Matthäus-Maier, es ist nicht richtig, jetzt alle Altkredite zu streichen, weil man damit das falsche Signal an diejenigen geben würde, die ohnehin pleite gehen und pleite gehen müssen, wenn die strukturellen Anpassungen vor sich gehen.
({6})
Aber dort, wo es sanierungsfähige Betriebe gibt - der Wertmaßstab kann und sollte z. B. darin liegen, daß sich bei der Treuhandanstalt jemand meldet und sagt, er sei ein Übernehmer aus Saarbrücken, er wolle den Betrieb kaufen, man solle ihm den Altkredit erlassen, dann gehe es - , wo also jemand bereit ist, sie zu sanieren, sollte die Treuhandanstalt den Altkredit erlassen und ihn von der Kreditbank übernehmen. Das Interesse des potentiellen Übernehmers sollte Gewähr genug sein. Die Treuhandanstalt kann sie nicht alle untersuchen. So viele Wirtschaftsprüfer und so viele Gutachter gibt es gar nicht.
Der zweite Fall: Wenn jemand die Reprivatisierung ihm nach 1972 weggenommener Betriebe beantragt, also einer aus der DDR oder ein inzwischen Geflüchteter, und den Altkredit loswerden will, dann wird man nicht sein Interesse einfach an die Stelle des Bewertungsgutachtens setzen können. Aber dann wird man sagen können und müssen: Du kriegst ein Moratorium; du brauchst nicht Zinsen und Tilgung zu leisten; die übernimmt die Treuhandanstalt solange. Sie können nämlich nicht wegfallen; sonst kann die Deutsche Kreditbank die Guthaben auf den Sparkonten nicht verzinsen. Aber du bekommst ein Moratorium; in dieser Zeit prüfen wir. Wenn dann die PrüDr. Graf Lambsdorff
fung zu dem Ergebnis führt, der Laden ist ohne Altkredite sanierungsfähig, die ja zumeist zu Unrecht entstanden sind - man muß doch wissen, wie da Kredite aufgedrückt worden sind;
({7})
jawohl - , dann streichen wir eben die Kredite. Das ist doch ein praktischer und vernünftiger Ansatz, mit dem man weiterkommen kann. Da müßten wir uns eigentlich schnell verständigen können, Herr Ministerpräsident.
({8})
Meine Damen und Herren, die Verhandlungen zum Einigungsvertrag könnten bei gutem Willen wirklich bald zum Abschluß geführt werden. Aber manchmal fragen wir uns - Herr Ministerpräsident, da spreche ich Sie nun nicht in Ihrer Rolle als Kanzlerkandidat, sondern als Ministerpräsident an -, wer eigentlich die größeren Probleme macht: die neuen Bundesländer, vertreten durch die Noch-DDR, oder die Bundesländer bei uns.
({9})
Nach Auffassung der FDP sind die Finanzierungsvorschläge der Länder das Minimum dessen, was den Ländern der DDR gegeben werden muß. Aber offenbar hört beim Geld nicht nur die Gemütlichkeit auf, sondern auch die deutsch-deutsche Solidarität und eine vernünftige Handhabung des Föderalismus, meine Damen und Herren.
({10})
Wie sähe, verehrter Herr Lafontaine, das Saarland heute aus, wenn sich Bund und Länder nach der Rückgliederung so hartleibig angestellt hätten, wie wir es jetzt gegenüber den neuen Bundesländern der DDR erleben?
({11})
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich wiederhole: Dieser Tag ist Anlaß zur Freude für alle Deutschen. Er ist es auch und nicht zuletzt, weil er das neue größere Deutschland nach Europa bringt, weil wir mit der Teilung Deutschlands auch die Teilung Europas überwinden. Gerade heute, in Zeiten, da drohende Kriegswolken im Mittleren Osten aufziehen
- wir beschäftigen uns ja nachher damit -, unterstreichen wir den Beitrag zum Frieden in Europa und in der Welt, den die Deutschen leisten wollen und leisten werden.
Lassen Sie uns doch, meine Damen und Herren
- die heutige Debatte vermittelt ja einen gewissen Eindruck davon -, bei allem Meinungsstreit zusammenstehen für Gerechtigkeit, für Frieden und für Freiheit nicht nur bei uns!
Ich danke Ihnen.
({12})
Das Wort hat der Herr Minister für Bundesangelegenheiten des Landes Niedersachsen, Herr Trittin.
Minister Trittin ({0}) ({1}): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 3. Oktober vollzieht sich das in
Staatsform, was heute schon Realität ist: die Einheit Deutschlands. Es sollte bei der Betonung dessen, was hier „Freude" genannt worden ist, nicht unterschlagen werden, daß in dieser Entscheidung auch ein Element der Resignation mitschwingt und daß dieses Element der Resignation für die Stimmungslage in dem Gebiet, das heute noch die DDR ist, durchaus nicht untypisch ist. Selbstachtung und Selbstbewußtsein sind Dinge, die viele Menschen dort drüben häufig schmerzhaft vermissen. Diese Haltung werden wir durch blumige Reden, die die konkreten Schwierigkeiten dieses Umgestaltungsprozesses vernebeln, nicht verändern können. Was heute not tut, ist nicht das Schönreden der grauen Wirklichkeit, das Umfärben derselben mit Hilfe von Statistiken. Was heute not tut, sind in der Tat Solidarität und Hilfe auf allen Ebenen staatlicher Verwaltung hier in der Bundesrepublik.
Meine Damen und Herren, wenn man von Hilfe und Solidarität spricht, dann kann man es aber nicht bei der bloßen Versprechung derselben belassen, sondern man muß, bitte schön, auch hinzufügen, wie man diese Solidarität und Hilfe, die sich in Zahlen ausdrükken soll, finanzieren möchte.
Hier ist es in letzter Zeit modern geworden, die Länder zu schelten, sie würden es an dieser Solidarität mangeln lassen. Wir müssen für Niedersachsen - ich denke, das gilt auch für eine Reihe anderer Bundesländer - diesen Vorwurf zurückweisen. Wir haben uns von Beginn des Einigungsprozesses an - Niedersachsen war eines der ersten Länder, die das taten - im bilateralen Verhältnis zu unserem Partnerland Sachsen-Anhalt um aufwendige und rasche Soforthilfe bemüht. Wir tun das auch weiterhin und werden sie nicht einstellen.
Aber, meine Damen und Herren, diese Hilfe ist aus den Haushalten der Gemeinden und der Länder zu finanzieren. Wenn ich sage, wir wollen diesen Beitrag, der uns in erheblichem Maße belastet, auch weiterhin leisten, dann muß ich mich gegen eine Politik verwahren, die noch vor wenigen Wochen betont hat, diese Einheit sei „aus der Portokasse" zu zahlen, und nunmehr in einem einseitigen Vertrag zu Lasten Dritter verfehlte Entscheidungen von den Ländern und Gemeinden finanzieren lassen will.
({2})
Es ist an der Bundesregierung, nun endlich klar und durch Zahlen fundiert darzulegen, wie diese Lasten finanziert werden sollen. Ich sage auch - ich weiß, daß das unpopulär ist - : Mit Kürzungen im Bundeshaushalt allein wird das nicht gehen. Es ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden: Ohne eine Erhöhung der Steuerlasten und der Einnahmen, d. h. ohne eine Finanzierung auch über einen Solidarbeitrag der Bürgerinnen und Bürger, wird sich das nicht machen lassen. Wir sollten aufhören, so zu tun, als käme man um diese Frage herum. Wir sollten statt dessen eine sehr viel vernünftigere Debatte führen, nämlich die Debatte darüber, wie die Lasten, für den
17456 Deutscher Bundestag - 11. Minister Trittin ({3})
einzelnen oder die einzelne sozial gerecht verteilt, aufgebracht werden können.
({4})
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Eine Mehrwertsteuererhöhung ist das Unsozialste, was man sich hier denken kann.
({5})
Meine Damen und Herren, neben Solidarität und Hilfe bedarf es in dieser Situation auch des Rechtsfriedens. Wer von Rechtsfrieden redet, darf nicht neue Tatbestände und Schnüffelmöglichkeiten schaffen, wie es mit den Neuregelungen zum § 218 oder der unsäglichen Regelung zum § 175 des Strafgesetzbuches nun vorgesehen ist. Mit der vorgesehenen Neuregelung zum § 218 StGB soll ein Handeln, nämlich die Vornahme einer Abtreibung, strafbar sein, nur weil derjenige nicht in dem Gebiet wohnt, wo er es hätte tun dürfen, wenn er dort wohnen würde.
({6})
Ich halte es dem Rechtsfrieden für nicht dienlich, eine Wahlgesetzgebung zu verabschieden, die in verfassungswidriger Weise eine einseitige Bevorzugung gerade der DSU und der CSU bewerkstelligen will.
({7})
Schließlich und endlich halte ich es für mit dem Rechtsfrieden kaum vereinbar, die Probleme der Zuwanderung von Menschen aus anderen Ländern damit zu verquicken, daß das Recht auf politisches Asyl in Frage gestellt wird. Auch dies sei an die Adresse von Herrn Lafontaine gerichtet.
({8})
Ich halte die vorgesehenen vermögensrechtlichen Regelungen im Vertragsentwurf, die eine klare Priorität der Rückgabe vor Entschädigung vorsehen, in keiner Weise für mit dem Rechtsfrieden vereinbar. Man kann doch bei dem Versuch der Korrektur der Geschichte nicht so tun, als brauche man sich lediglich wie in einem Gerichtsverfahren bei einer prozessualen Lösung mit der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu begnügen.
Meine Damen und Herren, Niedersachsen wird einem Einigungsvertrag nicht zustimmen können, der die erforderliche Abwägung nicht so vornimmt, daß die Entschädigung den klaren Vorrang vor der Rückgabe hat. Ein solcher Einigungsvertrag wäre schon allein deswegen nicht zustimmungsfähig, weil er nicht nur die ökologische und soziale Krise der DDR zum Dauerzustand erheben würde, sondern weil er eben auch und gerade der hier so viel beschworenen marktwirtschaftlichen Entwicklung dieser Länder vehement im Wege steht.
({9})
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lambsdorff?
({0})
Da ich nicht weiß, ob Graf Lambsdorff nach meinem ersten Satz noch eine Zwischenfrage stellen würde, beginne ich mit dem ersten Satz erst gar nicht, - Bitte.
Herr Bundesminister, erlauben Sie mir, nachdem Ihr Vorredner sich einer Antwort entzogen hat bzw. mir nicht mehr die Möglichkeit gegeben hat, ihn zu fragen, die Zwischenfrage: Könnten Sie ihn freundlicherweise fragen, ob er mit dem Grundsatz „Entschädigung vor Rückgabe" auch - ({0})
Graf Lambsdorff, ich darf Sie auf folgendes aufmerksam machen: Wir haben eine Geschäftsordnungsübung, die es erlaubt, daß Sie eine zweiminütige Intervention machen. Dann müßte Herr Minister Waigel allerdings noch zwei Minuten warten und Herr Minister Trittin hätte dann, da er soeben gesprochen hat, sogar noch die Möglichkeit - wenn er das will - , Ihnen zu antworten.
Dann darf ich jetzt eine Frage an Herrn Minister Waigel selber richten, nämlich die Frage, ob er es in einem Rechtsstaat für vertretbar hält - andere halten es offenbar für vertretbar -, die kleinen und mittleren Unternehmen, die nach 1972 enteignet worden sind, auf Entschädigung zu verweisen.
Ich glaube nicht, daß das möglich ist,
({0})
weil gerade zu diesem Zeitpunkt der Mittelstand und viele andere, die noch geblieben sind, daran glauben mußten, und weil dies mit einem Rechtsstaat nicht in Einklang stehen kann.
({1})
Meine Damen und Herren, die Leistungen dieser Bundesregierung in den letzten zwölf Monaten wird im unbestechlichen Urteil der Historiker eine gerechte Anerkennung finden. Vor einem Jahr bin ich gefragt worden, wie ich die deutsche Frage beurteile. Ich habe damals gesagt: Die deutsche Frage steht auf der Tagesordnung der Weltpolitik. - Damals - vor nur zwölf Monaten! - wurde man für eine solche Antwort kritisiert, belächelt und verspottet. Heute ist eingetreten, was wir damals gesagt haben: Die deutsche Frage steht auf der Tagesordnung. Diejenigen, die uns damals verlacht und kritisiert haben, sind von der Entwicklung überrollt worden. Wir haben recht behalten.
({2})
Herr Minister, es gibt noch einen Wunsch nach einer Zwischenfrage. Sind Sie
Vizepräsident Westphal
bereit, eine Zwischenfrage von Herrn Schmude zuzulassen?
Bitte schön.
Bitte schön, Herr Dr. Schmude.
Herr Bundesminister Waigel, meinen Sie mit Ihrer Kritik an den von Ihnen soeben genannten Personen auch den Bundeskanzler, der Ende 1987 ausdrücklich gesagt hat, die deutsche Frage stehe nicht auf der Tagesordnung der Weltgeschichte?
Ich habe gesagt: „vor einem Jahr",
({0})
und Sie haben auf das Jahr 1987 verwiesen. Sie haben also nicht zugehört, was ich gesagt habe.
({1})
Man hält es kaum für möglich: Vor zwölf Monaten glaubten nur wenige an eine Wiedervereinigung, an den Grenzen in Deutschland wurde geschossen, und für die Deutschen jenseits von Elbe und Werra gab es keine Chance zu Freiheit und Selbstbestimmung. Vor neun Monaten wurden die ersten Entwürfe der Bundesregierung, die Einheit schrittweise wiederherzustellen, als illusorisch und gefährlich kritisiert. Noch vor sechs Monaten bestimmten in der DDR die alten SED-Genossen, wirtschaftliche Reformen waren praktisch nicht erkennbar. Und noch vor drei Monaten bestand Unsicherheit über die Zustimmung der Sowjetunion zur vollen Souveränität Deutschlands und zum Verbleib in der NATO.
Gestern nun - das haben alle Redner mit Ausnahme der GRÜNEN begrüßt - hat die Volkskammer den Beitritt zum 3. Oktober beschlossen. Mit dieser Entscheidung wird der Prozeß der Vereinigung in weniger als zwölf Monaten nach dem Fall der Mauer abgeschlossen. Jetzt können wir auf verläßlicher Grundlage ein einiges Deutschland aufbauen.
({2})
Weiß Gott ein Tag der Freude, der Dankbarkeit und der Genugtuung für alle Demokraten in diesem Haus!
Zu dieser Politik und auch zur möglichst schnellen Einführung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion gab es keine Alternative. Ohne diesen Vertrag wäre gestern diese Entscheidung in der Volkskammer nicht zustande gekommen. Das muß jeder wissen, der das heute noch kritisiert.
({3})
- Ich komme zur Sache.
({4})
Es ist grotesk, wenn Ministerpräsident Lafontaine davon spricht, die DDR wäre vor dem Fall der Mauer
ein attraktiver Produktionsstandort und ein führendes Industrieland gewesen.
({5})
Wer die angeblichen sozialen Errungenschaften des Kommunismus heute noch preist, unterschlägt, wie teuer die Bürger der DDR für alles bezahlen mußten, was der Staat ihnen angeblich schenkte.
({6})
Nicht die Währungsunion, sondern die abgedankten Kommunisten tragen die Verantwortung für das, was jetzt erkennbar wird. Wir lassen uns nicht die Verantwortung für etwas zuschieben, mit dem wir nichts zu tun haben. Wir tragen Verantwortung für das, was wir hier geschaffen haben, vor allen Dingen seit 1982. Das ist das Kennzeichen unserer Politik. Für das, was drüben passiert, tragen andere die Verantwortung.
({7})
Nun gibt es auf dem Gebiet der DDR eine Krise, ohne Zweifel. Niemand will das bestreiten, und jeder hat gewußt, daß dies so kommen muß.
({8})
- Das ist auch gesagt worden; Sie haben eben nicht zugehört. - Jedermann weiß auch, daß das stimmt, was der spanische Philosoph Ortega einmal gesagt hat, daß nämlich das Wesen geschichtlicher Krisen gerade darin bestehe, aus dieser Krise herauszufinden und sie zum Besseren zu wenden. Das tun wir mit dieser Wirtschafts- und Währungsunion und mit der deutschen Einheit, die unumgänglich ist.
({9})
Angesichts der Unvermeidbarkeit der Anpassungskrise haben wir das soziale Netz in der DDR aufgespannt und dort für Kurzarbeitergeld, Arbeitsbeschaffungsprogramme und Umschulung gesorgt. Aber noch wichtiger als das ist die Gewißheit der Menschen drüben in der DDR bezüglich einer besseren wirtschaftlichen Zukunft. All das, was in bezug auf die Währungsreform 1948/49 gesagt wurde, gilt auch hier. Sehr bald gab es auch damals zweistellige Wachstumsraten und steigenden Wohlstand.
Wir haben den richtigen Weg eingeschlagen, und es gibt keine neue Tatsachen, die unseren Kurs widerlegen. Man muß sich einmal vorstellen: 16 000 Tage Sozialismus/Kommunismus können doch nicht in 54 Tagen freier und sozialer Marktwirtschaft und Währungsunion überwunden werden. Hier muß man doch die Dimensionen sehen.
({10})
Es gibt auch heute schon die Erfolge die Redner vor mir, der Bundeskanzler und auch Graf Lambsdorff, aufgezeigt haben. Eines ist ganz wichtig: Wir müssen die Teilung unseres Vaterlandes nicht nur ökonomisch, sondern auch in den Köpfen der Menschen überwinden, und wir müssen auch noch einiges von der Hinterlassenschaft des Sozialismus beseitigen. Wir profitieren gemeinsam von der Wiedervereinigung, und gemeinsam müssen wir deshalb die gestellten Aufgaben lösen. So müssen wir z. B. die Subventionsmentalität, die es in der DDR noch gibt, abbauen;
denn sie ist das größte Investitionshindernis, das es in dem Zusammenhang gibt.
({11})
Mit dem Umtauschkurs von 1: 1 haben wir mehr gegeben, als in dem Bereich ökonomisch ohne weiteres angezeigt war. Aber das war notwendig, und das war sozial ausgewogen. Jedermann muß jedoch auch wissen, daß im Bereich der Löhne und Gehälter eine Beziehung zur Produktivität gegeben sein muß. Lohnzuschläge von bis zu 70 %, wie sie in einzelnen Bereichen vereinbart wurden, werden diesem Erfordernis nicht gerecht. Wer drüben mit der Lohn- und Gehaltsforderung überzieht, vernichtet Arbeitsplätze, bewahrt sie nicht und schafft schon gar keine neuen.
({12})
Noch eines zur Solidarität: Herr Ministerpräsident Lafontaine, ich wäre Ihnen schon sehr dankbar, wenn Sie angesichts Ihrer Forderung nach mehr Solidarität und Ihrer Forderung, die Aufgaben ganz pragmatisch anzugehen, Ihren Einfluß bei den Ländern geltend machen würden, daß wir zu einer Lösung kommen, die dem Geist und dem Wortlaut des Grundgesetzes entspricht. Ich empfehle Ihnen hier, den Art. 107 des Grundgesetzes nachzulesen. Dann müßten Sie mindestens zu der Lösung kommen, die ich als Bundesfinanzminister vorgeschlagen habe, wenn nicht zu mehr. Denn wir wollen doch in der Tat keine zwei verschiedenen Länder, keine zwei verschiedenen Klassen: die drüben und die hüben. Ich wäre Ihnen also dankbar, wenn Sie hier Ihren ganz pragmatischen und praktischen Beitrag zur Solidarität im Bereich der deutschen Einheit als Ministerpräsident erbringen würden.
({13})
Wir brauchen die Solidarität von Bund, Ländern und Gemeinden, wir brauchen eine strikte Ausgabendisziplin, und wir brauchen weiterhin eine wachstumsfördernde Finanz- und Steuerpolitik. Gerade zur Diskussion um Steuererhöhungen: Nach allen Erfahrungen würden Steuererhöhungen den Staatsanteil nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft erhöhen und so Spielräume für private Investitionen verschließen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einmal ganz offen sagen: In dem Moment, in dem Steuererhöhungen angekündigt oder in Erwägung gezogen werden, hört der heilsame Druck auf die Kollegen drüben in der DDR, aber auch auf die Kollegen, die hier auf der Regierungsbank sitzen, sofort auf, und man beginnt, etwas großzügiger zu werden. Ich meine, genau das können wir uns in einer solchen Situation nicht leisten.
({14})
Das Lächeln des Bundeskanzlers zeigt mir, daß er mir recht gibt.
Die Vorwürfe, wir würden hier eine unsolide oder eine unverantwortliche Haushaltsplanung betreiben, sind aus der Luft gegriffen und falsch. Wir haben stets auf der Grundlage aller erreichbaren Informationen und Daten geplant, und wir haben die absehbaren Risiken klar beim Namen genannt. Wenn Sie über Herrn Romberg bessere und solidere Zahlen haben,
dann wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir die mitteilen würden.
({15})
Ich könnte Ihnen gern über den Erfahrungsschatz mit diesem ehemaligen sozialdemokratischen Finanzminister einiges mitteilen. Sie hätten Ihre Freude daran.
Wenn die Opposition behauptet, ich hätte den Regierungsentwurf zum Haushalt 1991 dem Parlament nicht zugeleitet, um die tatsächlichen Kosten der Vereinigung zu verschleiern, dann ist das schlichtweg falsch gegenüber dem, was das Grundgesetz selber verlangt. Sie wissen, unsere Verfassung läßt eine Verabschiedung des ursprünglichen Haushaltsplans nicht zu. Sie selbst haben durch die Verweigerung eines Wahltermins im Oktober einen früheren Einstieg in die Beratung eines neuen gesamtdeutschen Haushalts verhindert.
({16})
Wir wollen jedoch bis Ende Oktober einen Nachtragshaushalt 1990 vorlegen, der neben dem möglichen Mehrbedarf der Sozialversicherungen in der DDR auch die Finanzierung zusätzlicher Wachstumsimpulse für die DDR ermöglicht.
Ich will Ihnen die wichtigsten Elemente eines solchen Wirtschaftsförderungsprogramms vortragen.
Das ist einmal die Ausdehnung der Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsförderung " auf die DDR mit Präferenzvorsprung über die bereits beschlossene Investitionszulage von 12 bzw. 8 %. Das ist notwendig, um in ganz Deutschland zu einem vernünftigen Präferenzgefälle zu kommen.
Das ist zum zweiten ein Gemeindekreditprogramm für drei bis vier Jahre mit einem Volumen von jeweils 10 Milliarden DM zur Finanzierung kommunaler Investitionen.
Das ist weiter die Aufstockung des laufenden ERP-Kreditprogramms für den Mittelstand in diesem Jahr um 6 Milliarden auf 7,5 Milliarden DM, 1991 auf 4,5 Milliarden DM.
Das sind ferner ein Modernisierungsprogramm für die Wirtschaft, die Übertragung unserer sektoralen Förderung sowie Bürgschaftsrahmen für Modernisierungsinvestitionen und eine Einzelfall-Entschuldung von ehemals volkseigenen Betrieben. Eine GesamtEntschuldung haben wir von Anfang an für falsch gehalten, weil sie nämlich Gerechte und Ungerechte trifft; aber wir wollen denen helfen, bei denen es einen Sinn macht, daß ihnen die Schulden erlassen werden.
({17})
Nach dem Beitritt der DDR wird die Bundesregierung so schnell wie möglich über die Eckwerte des gesamtdeutschen Haushalts 1991 beraten. Wir werden den Wählern nichts verschweigen, sondern ihnen unseren Weg zur Wiedervereinigung auch in Zahlen und Fakten offenlegen.
Meine Damen und Herren, diese Republik, dieser Staat hat große Gemeinschaftsaufgaben seit 1949 erBundesminister Dr. Waigel
füllt. Wir stehen heute wieder vor einer Bewährungsprobe. Wir haben wieder die Chance, wie beim Wiederaufbau, bei der Wiedergutmachung, bei der Aufnahme von Millionen von Flüchtlingen, dieser Aufgabe gerecht zu werden, und ich bin sicher, wir werden diese Bewährungsprobe bestehen.
Die Bundesregierung bekennt sich zur deutschen Nation. Wir bekennen uns zu unserer Vergangenheit, und wir glauben an die Zukunft Deutschlands. Wir bauen ein Deutschland, das ein starker und verläßlicher Partner in der Völkergemeinschaft sein wird, und zur Mitwirkung an der Erfüllung dieser Aufgabe ist jeder aufgefordert. Sie haben einige Namen genannt, Herr Lafontaine. Graf Lambsdorff hat sie um einen ergänzt, den auch ich genannt hätte: Reiner Kunze. Ich nenne den Sozialdemokraten Ulrich Schacht, der mutig die Dinge immer beim Namen genannt hat. Und ich möchte nicht versäumen, den zu nennen, der unentwegt über die deutsche Einheit gesprochen und geschrieben hat, der nicht von der Ostsee, nicht von der Nordsee und nicht von der Zonengrenze stammt, sondern vom Bodensee: Martin Walser.
({18})
Carlo Schmid wurde heute schon zitiert. Lassen Sie mich noch ein Zitat von Carlo Schmid anfügen:
Jede Nation bedarf, um bestehen zu können, einer jungen Elite, die sich ihr tätig und leidend verbunden weiß.
Jahrzehntelang überwog das Leid unserer Nation. Jetzt haben wir die Chance, aktiv tätig zu werden. Wir sind es den Menschen, wir sind es unserem Volk, wir sind es unserer Nation schuldig.
({19})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Unruh.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Volksvertreterinnen und Volksvertreter! Der Herr Bundeskanzler hat, so nehme ich an, historisch bedeutend geredet. Es ist ja eine wahnsinnige geschichtliche Dimension, und ich glaube auch, daß es ein Tag der Freude für alle Deutschen ist - in der geschichtlichen Dimension. Auch mich macht es natürlich sehr stolz, diese geschichtliche Dimension - zumal ich ja selbst auch in Breslau gelebt habe - , mit nachvollziehen zu dürfen. Was dann aber der Bruch im Denken ist: Der DDR-Beitritt am 3. Oktober 1990 erfordert selbstverständlich, daß unsere Verfassung mit den Lebenswirklichkeiten hier bei uns in der BRD sofort gleichberechtigt in der DDR in Kraft tritt. Deshalb kann ich es überhaupt nicht verstehen, daß man dann Menschen zweierlei Klassen haben möchte.
Jetzt hat die Friedrich-Ebert-Stiftung - SPD-nahe-stehend - , Gott sei Dank früh genug zum Wahlkampf - Sie alle betreiben ja hier Wahlkampf -,
({0})
eine Studie darüber, was sich die alten Menschen
wünschen, herausgebracht. Das sind die alten Menschen in der DDR wie in der BRD: alt ist alt. Sie waren
einmal jung. Sie sind 74 geworden. Wer möchte es nicht so gut haben wie Sie, Herr Stücklen?!
({1})
Jetzt ist aber etwas in der BRD passiert: Graf Lambsdorff, Sie sind doch der Umfaller, wenn es um uns Frauen geht, um 218-Strafrecht,
({2})
wenn es z. B. um „Tatort"-Bestrafung - das muß man sich einmal vorstellen: „Tatort" wird gesagt - geht. Da überkommt mich als Liberale aber wirklich ein Gruseln, daß Sie so etwas wieder einmal über die Köpfe der FDP-Frauen hinweg durchsetzen. Aber das ist eine ganz andere Dimension.
Die alten Menschen wünschen sich Gesundheit. Also werden wir GRAUEN, hervorgegangen aus dem Senioren-Schutzbund Graue Panther, Reform der Gesundheitsreform fordern. Das ist doch wohl selbstverständlich. Denn: Wer wird zur Kasse gebeten? - Im wesentlichen alte Menschen, die gebrechlich werden.
Ein weiterer Punkt: ausreichendes Alterseinkommen. Hallo SPD, wo ist die Mindestrente? Ja, ihr „C"-Burschen,
({3})
wo ist die Mindestrente? Also werden wir, Die GRAUEN, initiiert vom Senioren-Schutzbund Graue Panther, selbstverständlich die Reform der Rentenreform in Angriff nehmen - das steht alles in unserem Programm - und vorab die Einführung der Mindestrente für die Menschen in der BRD und in der DDR fordern, die in diesem unseren herrlichen Staate arm geblieben sind.
Wo ist denn z. B. die „Ehrenrente" für die BRD-Trümmerfrauen, Herr Lafontaine, die arm geblieben sind? Das alles hätte man tun können.
Meine Damen und Herren - ich wende mich im wesentlichen an die „C"-Parteien und die Sozialliberalen, Herr Genscher -,
({4})
was haben 40 Jahre Sozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland gebracht? - Das Neueste vom Neuen: 28,7 Milliarden DM - Sozialhilfeboom! Das ist doch der Punkt, in dem wir Politiker wirklich intensiv aufklärend wirken müssen, damit in einer Zweidrittel-Eindrittel-Gesellschaft kein Haß entsteht. Wir müssen den sozialen Unfrieden in der DDR im Vorfeld auffangen - wir sind ja dann vereinigt - , damit die Rechtsradikalen nicht wieder einen Aufschwung erleben, den sie nicht verdient haben und den sie auch nicht haben werden, wenn wir uns in diesem Hohen Hause in der Verantwortung für Gesamtdeutschland einig sind, daß wir eine andere, eine gleichwertige Sozialpolitik nach unserem Grundgesetz pflichtgemäß betreiben müssen.
Zum Abschluß: „torbi" ist auch ein Kommunist. Haben Sie das vergessen? Das tut Menschen weh, wenn man Parteien absolut einordnet und sie verteufelt, wo es nicht nötig ist. Damit weckt man Gefühle, die auch nicht nötig sind. Wer den Kommunismus total
verteufelt, der verteufelt auch die Sowjetunion. Ich glaube, das sollten wir nicht zulassen. Wir sollten dafür sorgen,
({5})
- Halt die Klappe! Ich mache das, was ich will, verehrter SPD-Freund.
Gerade wir Alten wissen, was die Verteufelung von Parteien in sich birgt. Gerade wir Alten lehnen das ab. Deshalb haben wir Alten eine Überpartei mit den jungen Leuten gegründet, die die Reife im Kopf haben, die Sie, SPDler, leider nicht haben.
Danke schön.
({6})
„Halt die Klappe", Frau Unruh, war nicht gerade parlamentarisch.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wüppesahl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Weite Strecken der Reden des Bundeskanzlers und des Konkurrenten hatten den Charakter einer Feierstunde, aber herzlich wenig mit dem zu tun, über was eigentlich debattiert werden sollte, nämlich über das Wahlgesetz und die deutsch-deutsche Vereinigungsproblematik.
Die Rede des Bundeskanzlers kann man insgesamt mit folgendem Terminus auf den Punkt bringen: Kohls Märchenstunde.
({0})
Ich werde mir jetzt das Recht herausnehmen, als einziger Redner von all den Rednerinnen und Rednern zu dem Wahlgesetz zu sprechen, und mit zwei bekannten Vergleichen einsteigen. Neben dem Faktum, daß nach den althergebrachten Grundsätzen des Preußischen Landrechtes „Das haben wir schon immer so gemacht - jedenfalls in der Bundesrepublik - , da kann ja jede DDR kommen", usw. das Wahlrecht der BRD reichsweit eingeführt wird, gibt es eine Besonderheit, und zwar die Möglichkeit der Listenverbindungen. Deshalb fehlt bei den 16 von mir eingebrachten Änderungsanträgen eigentlich einer, der ungefähr so lauten müßte: Das Wahlgesetz wird darauf reduziert, daß es folgenden Wortlaut hat: Die DSU erhält 33 Sitze. Die PDS darf nicht antreten.
({1})
Das ist der demokratische Gehalt dieses Wahlgesetzes. Dieser demokratische Gehalt entspricht ungefähr einem Änderungsantrag, den ich auch hätte stellen können und der vielleicht folgenden Wortlaut gehabt hätte - ein Zwischenruf deutete das eben schon an - : Einzelabgeordnete werden, wenn sie mehr als 120 Minuten im Kalenderjahr im Plenum reden und/ oder mehr als 150 Änderungsanträge im Durchschnitt der vier Jahre einer Legislaturperiode stellen, automatisch für die nächste Legislaturperiode im Deutschen Bundestag plaziert.
({2})
Das ist wirklich der demokratische Gehalt dieses Wahlgesetzes, das trotz des Lachens in der SPD-Fraktion von Ihnen mitgetragen wird.
Zurück zu der gebotenen Ernsthaftigkeit: Als Argument für die Fünfprozentklausel wird immer wieder angeführt, sie solle verhindern, daß wieder wie in der Weimarer Republik eine große Anzahl kleiner Parteien im Parlament die Regierungsfähigkeit und somit die Demokratie gefährde. Das widerspricht den historischen und aktuellen Erfahrungen; denn erstens war die NSDAP eine Partei, die mehr als 5 % der Wählerstimmen auf sich ziehen konnte - teilweise waren es über 30 % -,
({3})
und zweitens ist bislang nicht bekannt - das ist das aktuelle Beispiel - , daß die Südschleswigsche Wählervereinigung mit ihrem Landtagsabgeordneten Karl Otto Meyer im Kieler Landtag die Regierungsfähigkeit in Schleswig-Holstein herbeigeführt hat. Im Gegenteil, dieser Einzelabgeordnete hat durch sein Verhalten in der CDU-Barschel-Affäre - einer Affäre, die der direkte Ausfluß der geschützten Parteienherrschaft war - der Demokratie einen großen Dienst erwiesen und dem Einzelabgeordneten eine hohe moralische und politische Legitimation eingebracht.
Die Fünfprozentklausel ist undemokratisch; denn sie engt den Entscheidungsspielraum der Bürger ein. Viele werden ihre Entscheidung nämlich auch davon abhängig machen, ob die von ihnen favorisierte Partei die Fünfprozentmarke überspringen wird.
Die kleinen Parteien werden, sollten sie sich großen Parteien anschließen, ihre politische Eigenständigkeit bis zur Unkenntlichkeit verstümmeln. Das merken wir gerade bei der Verbindung Bündnis 90 mit den GRÜNEN. Auch dies bedeutet weniger Pluralismus, mehr Einfalt und weniger Demokratie.
Die Fünfprozentklausel steht nicht im Einklang mit Art. 38 des Grundgesetzes, der von Abgeordneten als höchster politischer Einheit spricht und nicht von Parteien. Auch dieser Grundsatz der Verfassung wird durch die Fünfprozentklausel verworfen.
Die Abschaffung der Fünfprozentklausel - zu diesem Zeitpunkt historisch die beste Möglichkeit für die Bundesrepublik - richtet sich gegen die Selbstherrlichkeit von Parteien, wie sie zur Zeit von CDU und CSU in erbärmlicher Art und Weise zur Schau gestellt wird. Legitimiert wird die Wahlrechtsmanipulation mit der Fünfprozentklausel, die den Einzug von Splitterparteien in ein Parlament verhindern soll.
Besonders delikat ist natürlich die Konstruktion der Listenverbindungen, die ausschließlich für die DSU und die PDS geschaffen worden ist. Abgesehen davon, daß dieses Vorgehen auch unter dem Gesichtspunkt einer verwirklichten Demokratie problematisch ist und es ein Armutszeugnis der gemeinsamen Demokraten darstellt, wenn sie politische Auseinandersetzungen mit der Keule des Wahlrechtes totschlagen und damit zumindest 30 % der DDR-Bevölkerung quasi parlamentarisch mundtot machen wollen, so ist dies aus mehreren Gründen mit der Verfassung schwerlich in Einklang zu bringen.
Ich meine, wir haben mit der Art und Weise, wie über dieses bedeutsame Gesetz durch die Zusammenfügung der beiden Tagesordnungspunkte, über die eigentlich getrennt hätte debattiert werden müssen, heute auch wieder hinweggegangen worden ist, ein lebendiges Beispiel für den real existierenden Parlamentarismus in der Bundesrepublik Deutschland vorgeführt bekommen.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Bevor wir die vorliegenden Entschließungsanträge behandeln, lasse ich über den Wahlrechtsvertrag abstimmen. Wir kommen also zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zu den Verträgen vom 3. August und 20. August 1990 zur Vorbereitung und Durchführung der ersten gesamtdeutschen Wahl des Deutschen Bundestags. Es handelt sich um die Drucksachen 11/7624, 11/7652 ({0}) und 11/7716. Der Ausschuß Deutsche Einheit empfiehlt, den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung anzunehmen.
Ich rufe Art. 1 - das ist die Zustimmung zum Vertrag - auf. Wer stimmt für Art. 1 in der entsprechenden Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die aufgerufene Vorschrift mit der Mehrheit der Fraktionen der Koalition und der SPD gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen.
Ich rufe Art. 2 - das ist die Änderung des Bundeswahlgesetzes - auf. Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN sowie Änderungsanträge des Abgeordneten Wüppesahl vor.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/7650? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Änderungsantrag gegen die Stimmen der Fraktion der GRÜNEN abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Änderungsanträge des Abgeordneten Wüppesahl. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/7697? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit der Mehrheit der Fraktionen der CDU/CSU, der FDP und SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN abgelehnt. Es hat nur eine Stimme dafür gegeben.
Es folgt die Abstimmung über den Antrag des Abgeordneten Wüppesahl auf Drucksache 11/7698. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es hat drei oder vier Stimmen dafür und eine Enthaltung gegeben. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/7699? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen eine einzige Stimme abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/7700? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Abstimmung hatte das gleiche Ergebnis. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/7701 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das gleiche Ergebnis. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/7702 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN mit den Stimmen der anderen Fraktionen bei einer Gegenstimme abgelehnt worden.
Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache 11/7703. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist bei dem gleichen Abstimmungsverhalten der Fraktionen abgelehnt worden.
Wir kommen zu Art. 2 in der Fassung der Beschlußempfehlung des Ausschusses. Wer für Art. 2 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 2 ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden.
Ich rufe Art. 3 auf. Dieser betrifft die besonderen Maßgaben für die Anwendung des Bundeswahlgesetzes. Hierzu liegen Änderungsanträge des Abgeordneten Wüppesahl vor.
Wer für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/7704 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist bei einer Enthaltung und bei Zustimmung in der Fraktion DIE GRÜNEN mit großer Mehrheit abgelehnt worden.
Wer für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/7705 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist bei Zustimmung durch die Fraktion DIE GRÜNEN mit der Mehrheit der drei anderen Fraktionen abgelehnt worden.
Wir kommen zu dem Änderungsantrag auf Drucksache 11/7706. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das war das gleiche Abstimmungsverhalten wie zuvor. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/7707 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist bei dem gleichen Abstimmungsverhältnis abgelehnt worden.
Wir kommen zu dem Änderungsantrag auf Drucksache 11/7708. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist bei Enthaltungen der Fraktion DIE GRÜNEN mit der Mehrheit der anderen Fraktionen abgelehnt worden.
Wir kommen zu dem Änderungsantrag auf Drucksache 11/7709. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist von allen Fraktionen gegen die Stimme des Abgeordneten Wüppesahl abgelehnt worden.
Wir kommen zu dem Änderungsantrag auf Drucksache 11/7710. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist bei einer Reihe von Enthaltungen und bei Zustimmung in der Fraktion DIE GRÜNEN mit der Mehrheit der drei anderen Fraktionen abgelehnt worden.
Vizepräsident Westphal
Wer für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/7711 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -Der Änderungsantrag ist bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN mit den Stimmen der anderen Fraktionen abgelehnt worden.
Wer für Art. 3 in der Fassung der Beschlußempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 3 ist bei Zustimmung der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen worden.
Ich rufe nun Art. 4 bis 6 - diese Vorschriften betreffen die Neubekanntmachung des Bundeswahlgesetzes, die Berlin-Klausel und das Inkrafttreten - , Einleitung und die Überschrift auf. Wer für die aufgerufenen Vorschriften in der Fassung der Beschlußempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Vorschriften sind in der zweiten Lesung mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/ CSU, der FDP und der SPD gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen worden.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit der Mehrheit der Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, der FDP und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden.
({1})
Ich freue mich, die Feststellung treffen zu können, daß wir diesen Vorgang nun auch unsererseits zum Abschluß gebracht haben. Nunmehr haben wir die Voraussetzungen für die Wahlentscheidung geschaffen, die für uns alle so wichtig ist.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/7720. Der Entschließungsantrag beschäftigt sich mit den Parteivermögen. Wer für diesen Entschließungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? ({2})
Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN abgelehnt worden.
Wir kommen jetzt zu dem Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/7721. Er befaßt sich mit der finanziellen Situation der Sozialversicherungssysteme der DDR. Dieser Antrag soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung heute behandelt werden - das ist der Fall gewesen - und zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich stelle dies fest. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/7719 sowie dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/7724. Die Fraktion der SPD hat beantragt, über ihren Entschließungsantrag namentlich abzustimmen. Von der Fraktion DIE GRÜNEN wird gewünscht, daß über den ersten Spiegelstrich ihres Entschließungsantrages namentlich und über den zweiten Spiegelstrich einfach abgestimmt wird.
Hierzu liegt mir zunächst eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung des Abgeordneten Jahn vor.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag ist bei Ihnen angekündigt, Herr Präsident, aber er ist bisher nicht gestellt. Ich stelle nunmehr den Antrag, gemäß § 88 unserer Geschäftsordnung über den Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 11/7719 abzustimmen, und beantrage dazu namentliche Abstimmung.
({0})
Zur Geschäftsordnung möchte der Abgeordnete Bohl sprechen. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich beantrage namens der Koalitionsfraktionen, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zu diesem Thema an den Ausschuß Deutsche Einheit zu überweisen.
({0})
Nach § 88 unserer Geschäftsordnung ist es möglich, solche Anträge zu überweisen. Nach der Auslegung, die unsere Geschäftsordnung durch den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung erfahren hat
({1})
und die von unserem Plenum in der Sitzung am 14. März 1985 bestätigt worden ist, gilt folgendes:
Der Ausschuß geht freilich davon aus, daß den Antragstellern von Entschließungsanträgen zu Aussprachen der genannten Art ein Widerspruchsrecht gemäß § 88 Abs. 2 Satz 1 GO-BT nicht zusteht.
({2})
§ 88 GO-BT bezieht sich in seinem Absatz 1 ausdrücklich nur auf Entschließungsanträge
({3})
im Sinne von § 75 Abs. 2 GO-BT zu Vorlagen gemäß § 75 Abs. 1 GO-BT.
({4})
- Aber der Einser-Jurist Vogel wird doch juristische Darlegungen ertragen wollen. Das müßte doch möglich sein.
({5})
Diese Vorschrift ist deshalb auf Entschließungsanträge zu Aussprachen, zu denen es keine Vorlagen gemäß § 75 Abs. 1 GO-BT gibt, nicht zwingend anwendbar.
Aus dieser Vorschrift ergibt sich also, daß es selbstverständlich möglich ist, zu überweisen.
({6})
Nachdem dies von Ihnen rechtlich offensichtlich auch nicht mehr bestritten wird, möchte ich darauf hinweisen, daß es auch sehr sinnvoll ist, so zu verfahren.
({7})
Es ist nach unserer Geschäftsordnung vorgesehen, über Entschließungsanträge auch direkt abstimmen zu lassen, wenn es zu den Verhandlungsgegenständen auch Vorlagen gibt. Es ist nicht vorgesehen, über Entschließungsanträge gegen die Mehrheit abzustimmen, wenn es solche Vorlagen nicht gibt.
Genau das ist hier der Fall. Wir haben keinen Gesetzentwurf, über den wir abstimmen,
({8})
oder eine andere Vorlage. Sie stellen vielmehr einen Entschließungsantrag zu laufenden Verhandlungen der Bundesregierung mit der Regierung der DDR. Sie haben keinen Anspruch darauf, daß der Deutsche Bundestag heute über Ihren Entschließungsantrag abstimmt. Das ist die Rechtslage.
({9})
Wir gehen davon aus, daß es sich auch bei dem zweiten Entschließungsantrag um sehr detaillierte Forderungen und Wünsche der SPD handelt, die ebenfalls einer intensiven Diskussion im Ausschuß zugeführt werden können. Dazu sind wir bereit und haben den nächsten Dienstag als Termin für diese Beratungen bereits vorgesehen.
In diesem Sinne beantrage ich, zweckmäßigerweise beide Anträge dem Ausschuß Deutsche Einheit zu überweisen.
Vielen Dank.
({10})
Zur Geschäftsordnung hat die Abgeordnete Frau Nickels das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Bohl, im Kommentar von Ritzel-Bücker zu § 88 der Geschäftsordnung heißt es wörtlich:
Entschließungen verfolgen den Zweck, zu politischen Fragen jedweder Art die Auffassung des Deutschen Bundestages zum Ausdruck zu bringen oder - meistens - die Bundesregierung zu einem bestimmten Verhalten aufzufordern. Den
Entschließungen kommt allerdings keine rechtliche, allenfalls eine politische Relevanz zu.
§ 88 hat ausdrücklich Akklamationscharakter und soll dringlich die Regierung auffordern, bindet sie aber nicht. Das ist dringend geboten in dem unwürdigen Possenspiel mit Interessen von Frauen.
({0})
Es geht ja jetzt schon seit Monaten so, daß die Mauer in frauenrechtlicher Hinsicht offensichtlich auf Jahre weiter bestehen soll und daß hier ungleiches Recht für Frauen gelten soll. Herr Lambsdorff, ich erinnere Sie an das, was Sie gerade eben in Ihrer Rede gesagt haben. Sie haben davon gesprochen, daß die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse gelten muß. Ich frage Sie: Gilt das nur für die Wirtschaftsbarone oder auch für die Frauen in diesem Land?
({1})
Wir mußten leider zur Kenntnis nehmen, daß die FDP als Partei insgesamt für eine sehr liberale Regelung ist
({2})
- ja, das ist zur Geschäftsordnung; ich beziehe mich auf den Sinn und Zweck des § 88, daß sie dann aber kurzfristig umgefallen ist, weil offensichtlich die Parteitagsbeschlüsse und die Fraueninteressen einem Mann geopfert werden. Die FDP ist eine Ein-MannPartei geworden. Das alles ist erst kürzlich passiert.
Diesem unwürdigen Hickhack sind die Frauen in der DDR und in der Bundesrepublik Tag für Tag ausgesetzt. Hier geht es um Friktionen in der Koalition, habe ich der Zeitung entnommen. Ich frage Sie: Was soll hier Vorrang haben: Koalitionsfriktionen oder die Interessen der Frauen? Hier ist es geboten, ein eindeutiges Wort im Interesse der Frauen zu sprechen.
({3})
Nun, Herr Bohl, reden Sie sich auf die Interpretation des § 88 GO heraus. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich gut an die Zeit, als ich noch Geschäftsführerin der GRÜNEN war. Sie haben das damals gefingert, nachdem Ihnen auch ein Anliegen der GRÜNEN nicht paßte. Damals haben Sie eine Interpretation eingefügt. Allerdings interpretieren Sie diese Interpretation, die unserer Meinung nach eine unzulässige Verengung von Sinn und Zweck des § 88 ist, jetzt noch einmal im Sinne einer erneuten Verengung.
({4})
Selbstverständlich haben wir hier eine verbundene Debatte, bei der ein Gegenstand der Tagesordnung im Sinne von § 75 Abs. 1 a GO ein Gesetzentwurf ist. Wir haben eine verbundene Debatte, bei der es um eine Regierungserklärung zur Beitrittserklärung der DDR in Verbindung mit der zweiten und dritten Lesung zum Wahlrechtsgesetz geht.
({5})
Es handelt sich selbstverständlich um eine selbständige Vorlage. Wenn Sie eine verbundene Debatte
machen, dann ist der Tagesordnungspunkt so, daß er eine selbständige Vorlage enthält.
({6})
Ich kündige Ihnen an: Wenn Sie über eine Interpretation der Interpretation weiter Minderheitenrechte und den Sinn und Zweck des § 88 GO aushöhlen wollen, werden wir zumindest eine Sondersitzung des GO-Ausschusses beantragen und uns rechtliche Schritte vorbehalten.
Das Allerwiderwärtigste ist, daß Sie Ihr unwürdiges Schauspiel diesmal auf dem Rücken von Frauen in Not austragen. Sie sollten sich ein Stück schämen.
({7})
Der Abgeordnete Jahn hat noch einmal um das Wort zur Geschäftsordnung gebeten. Herr Jahn, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren. Zwei einfache und klare Entschließungsanträge der sozialdemokratischen Fraktion führen dazu, daß Sie hier ein wahrhaft klägliches und jämmerliches Bild abliefern.
({0})
Im Widerspruch zum klaren Wortlaut der §§ 75 und 88 unserer Geschäftsordnung, die uns das Recht geben, eine Entscheidung über unsere Entschließung hier zu verlangen, flüchten Sie sich hinter eine Interpretation, von der Sie bitte zur Kenntnis nehmen wollen, daß meine Fraktion sie in aller Form und mit allen rechtlichen Gründen zurückweist, weil sie falsch ist.
({1})
Sie wollen Politik durch Geschäftsordnungstricks ersetzen. Das ist wahrhaft jämmerlich.
({2})
In der Sache geht es doch wohl um folgendes. In den nächsten Tagen wollen Sie die abschließenden Verhandlungen über den Zweiten Staatsvertrag, den Einigungsvertrag, so zu Rande bringen, daß das dann auch Grundlage für eine eindeutige Mehrheitsentscheidung in diesem Hause werden kann. Dazu brauchen Sie auch die sozialdemokratische Bundestagsfraktion und die sozialdemokratische Mehrheit im Bundesrat.
({3})
Sie wären gut beraten, wenn Sie sich in einer so entscheidenden Frage wie der Regelung des Schwangerschaftsabbruchs jetzt, vor Abschluß der Verhandlungen, um eine breite Übereinstimmung bemühen wurden und das, was wir in unserer Entschließung zum Ausdruck bringen, mit in die Überlegungen einbeziehen würden.
({4})
Sie haben - das räume ich ein - Ihre Schwierigkeiten in der Koalition. Sie müssen fürchten, daß Sie
für Ihre restriktive und konservative Haltung, mit der Sie sich in mühsamen Koalitionsgesprächen gegenüber der FDP gerade noch haben durchsetzen können, in der offenen Abstimmung in diesem Hause keine Mehrheit bekommen.
({5}) Deshalb kneifen Sie.
Wir fordern Sie auf, sich in einer der entscheidenden Fragen und, was unsere andere Entschließung anbelangt, hinsichtlich der Grundkonzeption, die in diesem Einigungsvertrag ihren Niederschlag findet, ein klares Votum des Parlamentes zu holen und nicht erst dann, wenn durch die Unterzeichnung des Vertrages vollendete Tatsachen geschaffen worden sind, zu fragen, ob dies eine hinreichende Zustimmung findet. Sie als Koalition machen es sich zu einfach, wenn Sie Ja und Amen zu allen Entscheidungen der Regierung sagen. Sie brauchen - daran erinnern wir Sie notfalls in den weiteren Debatten - für die Entscheidungen mehr als die Mehrheit der Koalition.
({6})
Mit der Mehrheit, die Sie haben, können Sie die Abstimmung heute mit einem Trick verhindern. Sie können damit auf einer fragwürdigen Grundlage von Ihrer Mehrheit Gebrauch machen. Sie können damit einem klaren Votum des frei gewählten Parlamentes ausweichen oder auszuweichen versuchen.
({7})
Ich frage die Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ob ihre Selbstverleugnung in der Koalition in der Tat so weit geht, daß Sie sich nicht in der Lage fühlen, in einer offenen Abstimmung in diesem Hause wahrhaft Farbe zu dem zu bekennen, was Sie außerhalb des Hauses und außerhalb der Koalitionsgespräche den Leuten draußen als Liberalität weismachen - muß man inzwischen sagen - wollen.
({8})
Sie können auf die Dauer nicht mit gespaltener Zunge reden!
Ich werbe dafür, daß wir hier eine offene Abstimmung durchführen. Ich appelliere an die Koalition, in dieser Frage die politische Entscheidung dem Taktieren vorzuziehen. Ich appelliere an Sie: Gehen Sie beim Ringen um eine überzeugende Mehrheit für den Einigungsvertrag nicht ein Risiko ein, das Sie nicht werden verantworten können!
({9})
Zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Wolfgramm das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist ein sehr ernstes und sehr wichtiges Problem, mit dem wir uns hier beschäftigen.
({0})
Deswegen meinen wir, daß es auch nicht dazu angetan ist, daß wir hier in einer kurzen Debatte im HauWolfgramm ({1})
ruckverfahren einen Entschließungsantrag annehmen.
({2})
- Moment, Moment! Wenn Ihnen das für eine sorg-faltige Behandlung nicht so ernst und so wichtig ist, dann darf ich Sie, meine Damen und Herren von der SPD, daran erinnern, daß die Freien Demokraten 1974 die Fristenlösung mit Ihnen zusammen auf das entschiedenste unterstützt haben.
({3})
Das ist nach wie vor unsere politische Position. Aber Sie wissen genauso gut, daß inzwischen ein Verfassungsgerichtsurteil ergangen ist. Ich würde das nicht so leichtfertig abtun, Herr Kollege Ehmke; denn Verfassungsgerichtsurteile sind in unserem Lande Verfassungsrecht, ob es uns gefällt oder nicht.
({4})
Wir werden weiter nach Möglichkeiten suchen, unsere politische Überzeugung zu entwickeln,
({5})
darzustellen und umzusetzen; aber es ist Verfassungsrecht, und wir bestehen darauf, daß die rechtlichen Fragen, die damit zusammenhängen, sorgfältig und umfassend geprüft werden.
({6})
Deswegen werden wir das in den Ausschüssen, die dafür zuständig sind, tun, nämlich im Ausschuß Deutsche Einheit und in den mitberatenden Ausschüssen, die dafür notwendig sind.
({7})
Im übrigen darf ich einmal festhalten: Herr Kollege Jahn, Sie haben gesagt, Sie wiesen diese Auslegung der Geschäftsordnung zurück, weil sie falsch sei. Am 14. März 1985 haben Sie - da Sie Erster Geschäftsführer der Fraktion der Sozialdemokraten sind, haben Sie an dieser Sitzung sicher teilgenommen, denn Sie sind pflichtbewußt; davon gehe ich fest aus - dem Beschluß des Deutschen Bundestages zugestimmt.
({8})
Sie haben damals nicht gesagt, daß Sie ihn zurückweisen, weil er falsch ist oder weil er Ihnen nicht paßt. Sie haben ihm vielmehr zugestimmt. Das ist nicht nur eine Interpretation des Geschäftsordnungskommentars von Ritzel/Bücker, sondern ein Beschluß des Deutschen Bundestages. Da steht nach der vom gesamten Parlament getroffenen Entscheidung als Alternative: Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Diese müssen wir herbeiführen, wenn Sie meinen, in Zukunft würde es nicht sinnvoll sein, sorgfältige und umfassende Beratungen vorzunehmen. Wir wollen das!
({9})
Meine Damen und Herren, das ist für einen amtierenden Präsidenten keine einfache Situation.
({0})
Hier wird über die Auslegung eines Geschäftsordnungsparagraphen gestritten, zu dem es sehr unterschiedliche Meinungen gegeben hat.
Ich stelle noch einmal die Lage dar: Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP beantragen, die beiden Entschließungsanträge, sowohl den der SPD als auch den der GRÜNEN, zur federführenden Beratung an den Ausschuß Deutsche Einheit und zur Mitberatung an den Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit und an den Rechtsausschuß zu überweisen. Die Fraktion der SPD sowie die Fraktion DIE GRÜNEN beantragen hingegen, daß über ihre Entschließungsanträge sofort und namentlich abgestimmt wird.
Wir haben einerseits einen Streit über die Auslegung des § 88 der Geschäftsordnung, und wir haben andererseits eine ständige Praxis. Ich kann nur sagen, daß wir aus dieser Lage herauskommen, wenn wir jetzt über den Geschäftsordnungsantrag von Herrn Jahn abstimmen, nach dem es eine Abstimmung über die Sache geben soll. Wenn dieser Antrag keine Mehrheit fände, würde der Antrag von Herrn Bohl zur Abstimmung stehen. So wollen wir verfahren. Sind Sie einverstanden? Dann werde ich jetzt den Antrag des Abgeordneten Jahn, der übrigens der gleiche wie der von Frau Nickels ist, zur Abstimmung stellen.
Ich stelle also den Antrag des Abgeordneten Jahn, über den Antrag der SPD in namentlicher Abstimmung zu entscheiden - das gleiche gilt wohl auch für den Antrag der GRÜNEN - , zur Abstimmung. Wer diesem Antrag des Abgeordneten Jahn seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen.
({1})
Wer stimmt dagegen? ({2}) Enthaltungen? ({3})
Meine Damen und Herren, bei einer Reihe von Enthaltungen aus der FDP-Fraktion ist der Antrag des Abgeordneten Jahn mit Mehrheit abgelehnt worden.
({4})
Wir kommen jetzt nach unserer ständigen Praxis zu dem Antrag auf Ausschußüberweisung, den der Abgeordnete Bohl gestellt hat.
({5})
- Wir sind in der Abstimmung; das geht jetzt nicht.
({6})
Wer für den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Ausschußüberweisung ist, den bitte
Vizepräsident Westphal
ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag auf Ausschußüberweisung ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP bei einer Reihe von Enthaltungen in der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen der SPD und der GRÜNEN angenommen worden.
({7})
Die Entschließungsanträge sind also an die genannten Ausschüsse überwiesen worden.
({8})
- Frau Unruh, machen Sie Ihrem Namen nicht ständig Ehre.
({9})
Damit entfallen die namentlichen Abstimmungen über die Entschließungsanträge auf den Drucksachen 11/7719 und 11/7724.
Wir kommen nun zur weiteren Abstimmung über Entschließungsanträge zur Regierungserklärung, zuerst zur Abstimmmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/7723. Es handelt sich um den Antrag, der sich mit der Abgabe der Erklärung der Bundesregierung zur Beitrittserklärung der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik befaßt.
Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist dieser Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD abgelehnt.
({10})
Wir kommen nun zu dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/7725. Es geht dabei um den Status von West-Berlin im Hinblick auf die militärischen Fragen.
Wer für diesen Entschließungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Entschließungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion abgelehnt.
Jetzt kommen wir zu den Entschließungsanträgen, die sich auf die Aussprache zur Vorbereitung der deutschen Einheit beziehen. Da ist zunächst der Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/7718.
({11})
- Meine Damen und Herren, ich habe feststellen müssen, daß dieser Antrag der SPD-Fraktion von der vorhin durchgeführten Abstimmung mit erfaßt worden ist. Deswegen steht die Überweisung an. Soll dieser Antrag nur an den Ausschuß Deutsche Einheit?
({12})
Wer also der Überweisung des Antrages auf Drucksache 11/7718 an den Ausschuß Deutsche Einheit zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen überwiesen worden. - Wir haben ja gemerkt, daß das ein bißchen schwierig war.
Jetzt kommt noch der Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf Drucksache 11/7727. Es handelt sich ebenfalls um einen Antrag zu Fragen der Vorbereitung der deutschen Einheit, die sich aus der Debatte ergeben haben. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Entschließungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Meine Damen und Herren, ich habe zu diesem Tagesordnungspunkt noch mitzuteilen, daß mir eine Erklärung des Abgeordneten Sauer ({13}) und weiterer Abgeordneter aus der CDU/CSU-Fraktion nach § 31 der Geschäftsordnung vorliegt. Diese Erklärung ist schriftlich begründet worden und soll in das Protokoll aufgenommen werden.
Bitte schön, Herr Hüser, zur Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da es uns nicht obliegt, die Sitzungsleitung zu kritisieren, bitte ich, die Sitzung zu unterbrechen und den Ältestenrat einzuberufen, damit wir über das Abstimmungsverfahren, das vorhin gelaufen ist, an der Stelle, die dafür zuständig ist, diskutieren können.
({0})
Weiterhin hat zur Geschäftsordnung der Abgeordnete Bohl das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Antrag ist in keiner Weise substantiiert vorgetragen worden.
({0})
Es ist gar nicht erkennbar, wieso hier durch das Abstimmungsverfahren, das vom Herrn Präsidenten betrieben wurde, in irgendeiner Form die Geschäftsordnung tangiert sein könnte. Ich kann deshalb nicht erkennen, daß wir Beratungen des Ältestenrates brauchen.
Ich möchte daher für die Koalitionsfraktionen den Antrag auf Einberufung des Ältestenrates ablehnen und Sie auch herzlich dazu einladen, nun mit der Tagesordnung fortzufahren. Es ist alles gesagt, und es ist über alles abgestimmt worden. Ich meine, wir sollten es uns jetzt nicht unnötig schwer machen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Jahn, ebenfalls zur Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube nicht, daß uns die Unterbrechung weiterführt. Aber es gibt eine gute Übung in diesem Hause: Wenn eine Fraktion eine UnterbreJahn ({0})
chung verlangt, dann wird dem entsprochen. Dem bitte ich auch heute und hier Rechnung zu tragen.
Ich verbinde damit gleich einen Vorschlag, Herr Präsident. Ich glaube, wir können uns im Ältestenrat in dieser Frage verhältnismäßig schnell verständigen. Ich rege an, daß Sie die Sitzung des Ältestenrates für sofort in diesem Hause und nicht in seinem Sitzungssaal im Tulpenfeld zusammenrufen, daß wir also sofort zusammentreten und die Frage klären. Ich hoffe, in einer Viertelstunde können wir hier weitermachen.
({1})
Bitte schön, Herr Abgeordneter Wolfgramm.
({0})
Vielen Dank, das kann man in diesen schwierigen Zeiten immer gebrauchen.
Meine Fraktion sieht nicht den Grund ein, warum wir hier eine Ältestenratssitzung haben sollten. Es ist nichts darüber vorgetragen worden, warum das geschehen soll. Es ist auch nicht vorgetragen worden, daß die Fraktion der GRÜNEN Zeit für eine Fraktionssitzung haben möchte. Dem würden wir ja nach den üblichen Usancen stattgeben. Aber für eine Ältestenratssitzung, deren Grund wir nicht einsehen, Herr Kollege Jahn, sollten wir unsere Zeit jetzt nicht nutzen. Wir haben noch eine wichtige Position, nämlich die Irak-Debatte, vor uns.
({0})
Ich habe noch eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung. Der Herr Abgeordnete Kleinert ({0}) möchte noch etwas sagen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Wolfgramm hat bemängelt, daß hier nicht dargelegt worden sei, welches denn das zu klärende Problem ist. Ich will dem hier Rechnung tragen, Herr Kollege Wolfgramm.
Hier ist eben folgendes abgelaufen: Es gab auf unterschiedlichen Seiten dieses Hauses unterschiedliche Interpretationen über die korrekte Anwendung der Geschäftsordnung. Über die Probleme, die sich daraus ergaben, wurde dann eine Mehrheitsentscheidung getroffen. Wir sind der Auffassung, daß das prinzipiell nicht möglich ist; denn strittige Interpretationsfragen der Geschäftsordnung können hier nicht per Mehrheitsentscheidung geregelt werden.
({0})
Überlegen Sie sich einmal, wohin man käme, wenn man so verfahren würde. Es ginge regelmäßig zu Lasten der Minderheit.
Daraus ergibt sich - das entspricht auch gutem Brauch in diesem Bundestag -, daß in solchen strittigen Interpretationsfragen der Präsident und nur der
Präsident die Entscheidung darüber zu treffen hat, welche Interpretation die richtige ist.
({1})
Dieses Problem sollte jetzt besprochen werden.
({2})
Meine Damen und Herren, es gibt noch mehr Geschäftsordnungswortmeldungen. Dann wird auch der Präsident noch etwas dazu sagen. - Herr Stratmann.
Ich danke dem Kollegen Jahn für die Unterstützung des Geschäftsordnungsantrags der GRÜNEN auf sofortige Unterbrechung und Einberufung des Ältestenrats. Allerdings erübrigt sich nach § 6 Abs. 1 der Geschäftsordnung eine Abstimmung. Sie ist gar nicht notwendig, weil der Ältestenrat einberufen werden muß. Der Präsident - ich zitiere muß ihn einberufen, wenn eine Fraktion oder fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages es verlangen.
({0})
Die Fraktion DIE GRÜNEN hat es verlangt. Eine Abstimmung erübrigt sich. Wir müssen so verfahren.
({1})
Meine Damen und Herren, es ist erkennbar geworden, daß auf einem Wege, der geschäftsordnungsmäßig in Ordnung ist, Kritik an der Verfahrensweise eines amtierenden Präsidenten angebracht worden ist. Da ist es am besten, er selber geht hin und sagt: Wir unterbrechen und holen den Ältestenrat zusammen, um eine Interpretation zustande zu bringen, die das Haus trägt. Denn es ist richtig, zu sagen, daß es nicht durch Mehrheitsentscheidung zu Interpretationen von Geschäftsordnungen kommen darf.
Ich habe vorhin einen Weg gewählt, der der Kritik offensteht. Ich habe das vorher gesagt. Wir haben so entschieden. Jetzt ist es besser, wir holen den Ältestenrat zusammen, klären das dort und fahren dann in der Beratung fort.
Mein Vorschlag ist: Wir machen das hier an Ort und Stelle und bitten die Kollegen, ein bißchen frische Luft zu schnappen. Wir holen nachher alle wieder herein.
Der Ältestenrat ist eingeladen, hier vorne am Präsidium Platz zu nehmen. Ich bitte die Kollegen, den Raum zu verlassen.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Der Ältestenrat hat sich mit der Abstimmung über die Entschließungsanträge der Fraktionen der SPD
Präsidentin Dr. Süssmuth
und der GRÜNEN befaßt und festgestellt, daß der sitzungsleitende Präsident, Kollege Westphal, das Abstimmungsverfahren korrekt abgewickelt hat. Das ist die Feststellung aller Fraktionen.
({0})
Der Ältestenrat hat zur Kenntnis genommen, daß der Kollege Jahn eine Überprüfung der geltenden Interpretation des § 88 Abs. 2 GO wünscht und daß die Fraktion der GRÜNEN, vertreten durch Herrn Hüser, den Paragraphen anders interpretiert und Interpretationsschwierigkeiten hat. Wir haben diese Erklärungen zur Kenntnis genommen.
({1})
- So haben Sie es eben formuliert.
Wir haben diese Erklärungen also zur Kenntnis genommen, und der Geschäftsordnungsausschuß wird sich damit befassen.
Ich rufe den Zusatzpunkt zur Tagesordnung auf:
Bericht der Bundesregierung über die Tagung der WEU und EPZ-Sitzung zur Lage am Golf
Außerdem ist interfraktionell vereinbart worden, in verbundener Debatte mit dieser Vorlage folgende Anträge zu behandeln: Antrag der Fraktion der SPD über die deutsche Beteiligung an Maßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft gegen den Irak - Drucksache 11/7722 - und Antrag der Fraktion der CDU/CSU und der FDP zum Bericht der Bundesregierung über die Tagung der Gremien der Westeuropäischen Union und der Europäischen Politischen Zusammenarbeit zur Lage am Golf - Drucksache 11/7728. Zum Bericht der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/7726 vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. Dazu sehe ich keinen Widerspruch. - Es ist so beschlossen.
Ich erteile das Wort dem Bundesminister Herrn Genscher.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Aggression Iraks gegen Kuwait und die anschließende Annexion dieses Staates hat die Welt in eine schwere Krise geführt. Der Frieden ist bedroht. Das Schicksal unserer Staatsangehörigen in Irak und Kuwait erfüllt uns mit großer Sorge.
Die Bundesregierung verurteilt die Aggression und die Annexion. Sie sieht in der Festsetzung unserer Staatsangehörigen und der anderen Ausländer eine schwere Verletzung des Völkerrechts und der elementaren Menschenrechte.
Am Montag dieser Woche haben Herr Kollege Stoltenberg und ich in einer gemeinsamen Sitzung des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses über die Lage am Golf und über unsere Einschätzung gesprochen.
Heute habe ich von dem Ministertreffen der Westeuropäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft zu berichten, die sich vorgestern in Paris mit
dem Golf befaßten. Beim Ministertreffen der Westeuropäischen Union haben Herr Kollege Stoltenberg und ich die Bundesregierung vertreten. Die Bundesregierung begrüßt es, daß die Westeuropäische Union als europäisches Gremium zur Erörterung von und der Abstimmung über Sicherheitsfragen in einer schwerwiegenden, auch die Sicherheitsinteressen Europas berührenden Frage ihrer Haltung bestimmt und damit die sicherheitspolitische Identität Europas zur Geltung gebracht hat.
Die Staaten der Westeuropäischen Union zeigen, daß sie entschlossen sind, ihre Verantwortung für die Wahrung der internationalen Rechtsordnung wahrzunehmen. Es war wichtig, daß die Westeuropäische Union - auch die Staaten der Europäischen Gemeinschaft, die nicht Mitglieder sind, sowie ein von der gegenwärtigen Krise besonders betroffenes NATO-Land, nämlich die Türkei -, eingeladen hat, an dem Treffen teilzunehmen.
Die Westeuropäische Union nimmt, wie schon während der Golfaktionen in den Jahren 1987/88, Aufgaben der Konsultation und der Koordination wahr. Beschlossen wurde über die intensive Konsultation hinaus eine Koordination der internationalen Maßnahmen in der Krisenregion. Dazu gehört die Einsetzung einer Ad-hoc-Gruppe von Vertretern der Außen- und Verteidigungsministerien und die Vorbereitung eines Treffens der Generalstabschefs der Mitgliedstaaten.
Die Tagung der Westeuropäischen Union hat aber auch wichtige politische Akzente gesetzt. Die Staaten der Westeuropäischen Union haben gegenüber den arabischen Staaten ihre Solidarität zum Ausdruck gebracht. Es handelt sich um einen Konflikt, bei dem zum zweiten Mal nach dem Angriff des Iraks auf den Iran ein islamisches Land Opfer einer irakischen Aggression wird. In diesem Konflikt, der diesmal ein innerarabischer Konflikt ist, geht es um die Sicherung der Souveränität und der territorialen Integrität der Staaten und um die Stabilität in der Region.
Unsere Politik entspricht den Zielen unserer Freunde am Persischen Golf und in der arabischen Welt. Ziel unserer Politik ist die Beendigung der Annexion und Besetzung Kuwaits durch den Irak und die Wahrung der Sicherheit der Staaten in der Region.
Die Wiederherstellung der territorialen Integrität und Souveränität Kuwaits ist auch das Ziel des vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschlossenen Embargos. Gefordert sind jetzt die konsequente Durchführung der Beschlüsse des Sicherheitsrates und die Solidarität mit den Staaten, die von der gegenwärtigen Entwicklung besonders betroffen sind.
Das vom Sicherheitsrat beschlossene Embargo kann nur dann Erfolg haben, wenn Staaten, die wirtschaftlich eng mit Irak verbunden waren, geholfen wird, die Opfer zu tragen, die durch das Embargo und die Flüchtlingsströme für sie entstehen.
Wir denken dabei an Jordanien. Es befindet sich in einer besonders exponierten Lage. Wir fühlen uns ihm besonders freundschaftlich verbunden.
Wir denken an Ägypten, dessen Präsident mit Verantwortung und Entschlossenheit um die Solidarität
der arabischen Welt mit dem überfallenen Kuwait bemüht ist. Ägypten ist durch die Rückkehr Hunderttausender von Ägyptern aus Irak wirtschaftlich empfindlich getroffen.
Solidarität, vor allem durch seine Bündnispartner, kann die Türkei erwarten, die bisher einen großen Teil ihrer Erdölversorgung aus Irak bezieht und die insbesondere im Dienstleistungsbereich enge Wirtschaftsbeziehungen zum Irak unterhält.
Bei dem EPZ-Treffen hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaft erste konkrete Vorschläge für die Hilfe an die betroffenen Länder vorgelegt.
Die zwölf Außenminister haben ebenfalls erörtert, welche weiteren politischen Aktionen möglich sind, um den Resolutionen des Sicherheitsrates Geltung zu verschaffen. Im Interesse einer politischen Lösung werden wir im Rahmen der EPZ den europäisch-arabischen Dialog zu weiteren Kontakten nutzen. Wir bekennen uns zu der Notwendigkeit, alles in unseren Kräften Stehende zu tun, damit eine politische Lösung herbeigeführt werden kann. Wir unterstützen dabei insbesondere alle politischen Bemühungen aus dem Kreis der arabischen Staaten. Wir stehen in engem Kontakt mit unseren arabischen Freunden, mit unseren Freunden und Verbündeten und mit der Sowjetunion.
Die Europäische Gemeinschaft wird den Beziehungen zu Syrien und dem Iran größere Beachtung schenken. Darüber werden die politischen Direktoren schon morgen in einer Sondersitzung im einzelnen beraten. Die Zeit für einen verständnisvollen Ausbau der Beziehungen der Gemeinschaft zu diesen Staaten ist gekommen.
Besondere Beachtung verdient die einstimmige Haltung des Weltsicherheitsrates. Die Klarheit seiner Entschließungen zeigt, daß die Überwindung der Ost-West-Gegensätze nicht nur ein Gewinn für Europa ist. Das neue West-Ost-Verhältnis trägt zur Stabilität überall in der Welt bei. Vor allem aber stärkt das neue West-Ost-Verhältnis die Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen. Besonders zu begrüßen ist dabei die enge Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion.
({0})
Die Westeuropäische Union und ihre Mitgliedstaaten werden weiterhin die notwendigen Schritte unternehmen, um die vom Sicherheitsrat in der Resolution 661 beschlossenen Embargomaßnahmen durchzuführen.
Wir würdigen die bedeutenden Anstrengungen der Vereinigten Staaten zur Durchsetzung der Sanktionen des Sicherheitsrats und zum Schutz Saudi-Arabiens. Wir haben einen Appell an den Sicherheitsrat gerichtet, weitere Maßnahmen zu beschließen, die der Durchsetzung der bisher verabschiedeten Resolutionen dienen. Es ist von größter Wichtigkeit, daß die Völkergemeinschaft die bisher bewiesene Geschlossenheit aufrechterhält und alles tut, um die irakische Aggression zu beenden.
In der Westeuropäischen Union haben Herr Kollege Stoltenberg und ich unsere Haltung zur Frage der Entsendung von deutschen Streitkräften dargelegt. Wir
haben erläutert, daß das Grundgesetz die Entsendung von Truppen in Regionen außerhalb des Bündnisgebietes nicht erlaubt. Wir haben unsere Partner darüber unterrichtet, daß die Bundesregierung am Montag begonnen hat, mit der sozialdemokratischen Opposition eine Ergänzung des Grundgesetzes zu erörtern. Das Ziel ist es, der Bundeswehr in Zukunft die Teilnahme an Aktionen zu ermöglichen, die im Rahmen der Charta der Vereinten Nationen vom Sicherheitsrat beschlossen werden.
({1})
Die Bundesrepublik Deutschland bringt damit ihre Bereitschaft zum Ausdruck, nach der Überwindung der Teilung Deutschlands und nach der Überwindung des West-Ost-Gegensatzes ihre Verantwortung für die Sicherung des Friedens in der Welt im Rahmen der Vereinten Nationen und auf der Grundlage ihrer Charta zu übernehmen.
Herr Kollege Stoltenberg hat die konkreten Maßnahmen dargestellt, mit denen wir die internationalen Aktionen unterstützen. Es wurden ein Verband der Bundesmarine mit sieben Schiffen in das östliche Mittelmeer entsandt und Spezialgerät, sogenannte Spürpanzer, zur Verfügung gestellt, die sich zur Identifikation gefährlicher Waffen eignen. Außerdem hat die Bundesregierung zugestimmt, daß die amerikanischen Basen in Deutschland in vollem Umfang für den Einsatz am Golf genutzt werden.
Portugal, Belgien und Spanien haben in der Sitzung die Entsendung von Marineeinheiten in den Golf angekündigt, nachdem Großbritannien, Frankreich, die Niederlande und Italien das schon vorher getan hatten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Lage unserer Staatsangehörigen in Kuwait und im Irak spielte schon bei den Gesprächen im Rahmen der Westeuropäischen Union eine zentrale Rolle. Sie stand im Mittelpunkt des EPZ-Außenministertreffens.
Wir verurteilen es, daß die Staatsbürger unserer Länder gegen ihren Willen festgehalten werden.
({2})
Besonders abscheulich ist es, daß sie in der Nähe von militärischen Stützpunkten untergebracht werden sollen. Dies ist ein Verstoß gegen das internationale Recht und die Normen des zivilisierten Verhaltens.
Wir haben die irakische Regierung vor der Gefährdung unserer Staatsbürger gewarnt. Wir haben außerdem alle irakischen Staatsbürger davor gewarnt, sich an Unrechtshandlungen gegenüber unseren Staatsbürgern zu beteiligen. Sie können dafür persönlich verantwortlich gemacht werden.
Wir hoffen auf einen Erfolg der Bemühungen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, allen Ausländern die Ausreise aus dem Irak und aus Kuwait zu ermöglichen. Ich möchte in diesem Zusammenhang die Bemühungen der sowjetischen Regierung um die
Möglichkeit der Ausreise für alle Ausländer besonders würdigen.
({3})
Der Irak hat dazu aufgefordert, die ausländischen Botschaften in Kuwait zu schließen, da Kuwait nunmehr irakisches Territorium sei. Die Außenminister der Zwölf haben in Übereinstimmung mit der Sicherheitsratsentschließung beschlossen, dieser Aufforderung nicht Folge zu leisten. Die Annexion Kuwaits wird von der Staatengemeinschaft nicht anerkannt. Der Irak hat kein Recht, die Schließung unserer Botschaften zu verlangen. Zahlreiche Angehörige unserer Staaten befinden sich in Kuwait. Sie bedürfen der Betreuung durch unsere Diplomaten.
Wir sind uns bewußt, daß wir mit dieser Entscheidung ein hohes Maß an Pflichterfüllung von unseren Mitarbeitern verlangen, die in Kuwait trotz der gegenteiligen Auffassung der irakischen Regierung bleiben. Ich möchte unseren Botschaftsangehörigen in Kuwait und Bagdad Dank und Anerkennung für ihre Einsatzbereitschaft aussprechen.
({4})
Sie verrichten unter schwierigsten Verhältnissen einen wichtigen Dienst. Wir versichern allen deutschen Staatsbürgern in Kuwait und im Irak und ihren Familien unsere Verbundenheit. Sie sollen sicher sein, daß die Bundesregierung alles in ihrer Macht Stehende unternimmt, um ihre Sicherheit zu gewährleisten und ihre volle Bewegungsfreiheit wiederherzustellen. Wir werden das nicht im Alleingang erreichen, sondern nur in der Solidarität der Staatengemeinschaft.
({5})
Meine Damen und Herren, wir sind uns alle bewußt: Die irakische Aggression hat die Welt in eine schwere Krise gestürzt. Von dieser Aggression und nicht von den Gegenmaßnahmen der Staatengemeinschaft gehen die Gefahren für den Weltfrieden aus. Die Entschließungen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen haben gezeigt, daß sich die Staatengemeinschaft von der Auffassung leiten läßt: Wehret den Anfängen. Der große europäische Friedensschluß, der mit dem KSZE-Gipfel im November dieses Jahres in Paris vorgenommen werden soll, darf keinen Raum für Aggressionen in anderen Teilen der Welt gewähren. Das ist unsere europäische Friedensverantwortung.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Wischnewski.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir leben in einer ganz außerordentlichen Zeit. Wir erreichen die Einheit unseres Landes, wir freuen uns darüber, insbesondere auch deshalb, weil sie ein wichtiger Beitrag zum europäischen Friedensprozeß ist. Aber wir sind auch der Gefahr ausgesetzt, daß wir vergessen, daß es in unserer Welt nach wie vor Kriege und Krisen gibt. In Europa sind entscheidende Veränderungen eingetreten, Veränderungen, die sich vor drei Jahren noch niemand hätte vorstellen können, aber leider nicht in der ganzen Welt. Das Verhältnis der beiden Weltmächte, der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, hat sich entscheidend verändert. Man redet vertrauensvoll auch über die Beilegung von sogenannten regionalen Konflikten. Die Zeit der Stellvertreterkriege, die die letzten Jahrzehnte entscheidend geprägt haben, bei denen Hunderttausende von Menschen umgekommen sind, scheint Gott sei Dank zu Ende zu sein.
({0})
Schon das ist ein Segen für die Menschheit, aber regionale Kriege und Krisen sind nach wie vor gegeben.
In der Nacht von 1. zum 2. August 1990 hat der Irak den Staat Kuwait brutal und gegen alles Völkerrecht überfallen, und er will die Annexion aufrechterhalten. Noch wissen wir nicht einmal, wieviel Tote und Verwundete es gegeben hat. Wir verurteilen diese Aggression gemeinsam mit der großen Mehrheit der Völkerfamilie in der Welt. Saddam Hussein sagt, das sei eine arabische Angelegenheit. Nein, wenn ein Land brutal und völkerrechtswidrig überfallen wird, dann ist das eine Angelegenheit der gesamten Völkergemeinschaft und damit auch unsere.
({1})
Der Irak hatte bereits den Krieg gegen den Iran begonnen. Dabei wurde in menschenverachtender Weise Giftgas gegen die Kriegsgegner, aber auch gegen die eigenen Landsleute eingesetzt. Es war ein brutaler Krieg. Jetzt hat Saddam Hussein angedroht, er werde die chemische Waffe auch gegen Israel anwenden.
Einige unserer Zeitungen schreiben, Saddam Hussein sei ein Irrer. Ich warne vor solchen Formulierungen, die die Situation nur verharmlosen. Bei Saddam Hussein ist jede Maßnahme genau überlegt. Er ist ein skrupelloser Machtmensch. Er wollte und will die politischen Strukturen der gesamten Region entscheidend verändert. Er wollte und will die unendlichen Schulden, die der Krieg gegen den Iran hinterlassen hat, durch andere bezahlen lassen. Er will der Führer der arabischen Welt werden. Das ist kein Irrsinn. Das ist brutale, aber wohlüberlegte Realität. Natürlich wurde das militärisch schwache Scheichtum Kuwait von der größten Militärmacht der arabischen Welt überrollt. Präsident Bush schickte Truppen, Kriegsschiffe und Flugzeuge nach Saudi-Arabien zum Schutz des Landes und mit der sicher nicht leichtgefallenen Zustimmung dieses Landes.
Ich habe von diesem Platz aus schon mehrmals amerikanische militärische Maßnahmen kritisieren müssen. Diesmal haben wir es mit einer anderen Situation zu tun. Diesmal haben wir alle Verständnis für die militärischen Maßnahmen der Vereinigten Staaten und der anderen beteiligten Staaten.
({2})
Wir unterstützen sie im Rahmen unserer rechtlichen und praktischen Möglichkeiten.
({3})
Gab es Alternativen? - Leider nein. Eine Truppe der Vereinten Nationen wäre leider nicht zeitgerecht zustande gekommen. Eine ausreichende arabische Friedenstruppe kam leider trotz der großen Bemühungen von Präsident Mubarak nicht zustande. Was muß das Ziel der Maßnahmen, insbesondere der Maßnahmen der Vereinten Nationen, zu denen wir uns in vollem Umfange bekennen, und der anderen direkt beteiligten Staaten sein?
Erstens. Die Freilassung und sofortige freie Ausreise aller Ausländer aus Kuwait und aus dem Irak. Saddam Hussein und Tariq Aziz sagen, das seien Gäste seines Landes.
Das ist blanker und zynischer Hohn auf die sprichwörtliche und von mir oft erfahrene Gastfreundschaft der Araber. Das ist eigentlich eine Beleidigung der Araber. Wer gegen seinen Willen festgehalten wird, wer an andere Orte zum Zwecke der Erpressung und anderer Ziele verschleppt wird, der ist Geisel und nicht Gast. Wer Geiseln nimmt, der verstößt nicht nur gegen die Menschenrechte und gegen das Völkerrecht, sondern der schließt sich selbst aus der Völkergemeinschaft aus.
({4})
Wir sagen Saddam Hussein in aller Deutlichkeit: Noch ist Zeit zur Umkehr.
Saddam Hussein hat den Vereinigten Staaten Gespräche angeboten. Ich möchte hier ausdrücklich feststellen: Ich habe keine Bedenken gegen solche Gespräche, aber sie können erst an dem Tage beginnen, an dem der letzte Ausländer Irak und Kuwait auf freiwillige Art und Weise hat verlassen können.
({5})
In dieser Stunde wende ich mich an alle arabischen Staaten und an alle Araber: Helfen Sie mit, Menschenrechte und Völkerrecht wiederherzustellen, damit auch nicht der geringste Schatten auf das fällt, was in der ganzen Welt gerühmt wird, nämlich die arabische Gastfreundschaft. Wir verlangen aber auch, daß das Internationale Rote Kreuz sofort die Verhandlungen mit dem Roten Halbmond aufnimmt, um die Freiheit der betroffenen Menschen zu erreichen. Wir verlangen auch - der Außenminister hat das gerade bestätigt -, daß sich der europäisch-arabische Dialog sofort mit dieser Frage beschäftigt. Es darf nichts unversucht bleiben, um den betroffenen Menschen zu helfen.
Zweites Ziel: Alle Truppen des Irak müssen unverzüglich aus Kuwait heraus. Sie müssen abgezogen werden, und zwar ohne Bedingungen.
({6})
Drittens. Die Souveränität des Staates Kuwait muß wiederhergestellt werden. Die Annexion ist null und nichtig.
Viertens. Alle Probleme, die zwischen dem Irak und Kuwait bestehen, sollen in Verhandlungen danach geklärt werden. Es ist nicht die Zeit, über Gesellschaftsordnungen in dieser Region zu sprechen. Alle klugen Menschen wissen, daß die Menschen überall in der Welt mehr Demokratie wollen.
Diese vier Ziele müssen erreicht werden, damit der Frieden wiederhergestellt werden kann. Diese Ziele müssen aber auch erreicht werden, damit kein Staat in der Welt auf den Gedanken kommt, einen anderen Staat zu schlucken und zu annektieren.
({7})
Was ist unsere Aufgabe? Wir begrüßen es, daß nun Klarheit darüber besteht, daß es keine Bundeswehr am Golf geben wird. Unser Grundgesetz läßt das nicht zu. Wir drücken uns nicht vor schwierigen Entscheidungen. Aber ich sage sehr deutlich: Wenn es um Leben und Tod geht, dann darf es keinerlei Verfassungszweifel geben, dann muß absolute Klarheit darüber bestehen, was geht und was nicht geht.
({8})
Wir erklären unsere Bereitschaft, in einem vereinigten Deutschland an einer Prüfung in bezug auf eine Verfassungsänderung mitzuarbeiten, die den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Vereinten Nationen zuläßt.
({9})
Wir tun das nicht, weil wir glauben, wir seien jetzt wieder wer. Wir tun das, weil wir bereit sein müssen, in aller Behutsamkeit und in aller Bescheidenheit unseren Beitrag zu leisten, um den Frieden auch außerhalb des Bereichs unseres Bündnisses zu erhalten oder wiederherzustellen.
({10})
Aber wir sagen der Bundesregierung und der Koalition auch in aller Deutlichkeit, daß unsere Bereitschaft zur Mitarbeit und damit zur Mitverantwortung bei der Änderung der Verfassung mit ihrer Bereitschaft verbunden sein muß, ihre Rüstungsexportpolitik radikal zu ändern.
({11})
Es wäre Wahnsinn, wenn deutsche Soldaten der Gefahr ausgesetzt wären, durch Waffen zu sterben oder verletzt zu werden, die hier in der Bundesrepublik Deutschland hergestellt worden sind.
({12})
Das ist mit uns nicht zu machen. Deutsche Firmen haben Rabda gemacht, und deutsche Firmen sind offensichtlich auch entscheidend an der Errichtung von Produktionsstätten für chemische Waffen und wohl auch für Raketen im Irak beteiligt.
({13})
Ich sage hier ausdrücklich, daß das nicht mit Ihrer
Zustimmung erfolgt ist. Aber ich muß auch sagen:
Wenn Sie schwere Verstöße gegen das Waffenem17472
bargo der Vereinten Nationen in bezug auf Südafrika als Ordnungswidrigkeit behandeln, dann darf sich niemand darüber wundern, wenn kriminelle Elemente glauben, weitergehen zu dürfen, und dann auch chemische Waffen produzieren.
({14})
Wer chemische Waffen produziert, der leistet Beihilfe zum Mord und der muß auch so bestraft werden.
({15})
Darüber muß hier Einigkeit bestehen.
Die Bundesregierung hat eine zwingend notwendige Verschärfung der entsprechenden Bestimmungen über den Waffenexport vorgelegt. Die Koalition hat die Regierungsvorlage verwässert.
({16})
Wir haben für die Wiederherstellung der Regierungsvorlage gekämpft. Wir sind froh, daß heute die Voraussetzungen dafür gegeben sind, mindestens die Regierungsvorlage wiederherzustellen.
({17})
Die neue Mehrheit im Bundesrat hat Ihnen ihre Beschlüsse bereits zurückgegeben.
Aber heute gibt es wohl auch im Bundestag eine Mehrheit, die bereit ist, mindestens die ursprüngliche Vorlage wiederherzustellen. Ich begrüße das. Aber ich habe Zweifel, ob das ausreicht. Die Strafen müssen sehr viel deutlicher sein.
({18})
Wir haben in der Welt erfahren, was das für unser Ansehen bedeutet.
({19})
Unsere Aufgabe besteht darin, die Vereinten Nationen in dieser gefährlichen Krise mit all unserer Kraft zu unterstützen. Der Weltsicherheitsrat hat einstimmig oder mit großer Mehrheit Entscheidungen gefällt, die wir uns alle zu eigen machen. Wir legen Wert darauf, daß alle im Zusammenhang mit diesem Konflikt noch zur Entscheidung anstehenden Maßnahmen im Einvernehmen mit den Vereinten Nationen getroffen werden können.
Wir begrüßen die enge Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit und billigen ausdrücklich - auch wenn es morgen Ärger geben sollte - , daß unsere Botschaft in Kuwait offenbleiben soll. Dies ist wegen der Souveränität des Staates, aber auch, um unseren Landsleuten in dieser schwierigen Situation behilflich zu sein, notwendig.
Ich darf daran erinnern, daß die WEU über die geeigneten Instrumente verfügt, um eine vernünftige Rüstungsexportpolitik zu kontrollieren. Wir sollten sie nutzen.
({20})
Wir müssen in dieser Situation mit anderen, auch mit den Erdölstaaten, der Türkei behilflich sein, die durch die Entscheidungen der UNO erhebliche Einnahmeausfälle hat.
Das Königreich Jordanien befindet sich in einer ganz besonders schwierigen Situation. Aus Gründen der politischen Stabilität, aber auch wegen der Ausfälle ist hier Hilfe notwendig. Fast 200 000 Flüchtlinge sind in den letzten Tagen gekommen. Ich gehe davon aus, daß das von der Bundesregierung Beschlossene nur erste Schritte sein können. Das gilt auch für unser Verhältnis zu Ägypten und Syrien.
Unsere Beziehungen zum Iran bedürfen des Ausbaus. Wir sind wegen der Erdbebenkatastrophe um Hilfe gebeten worden, und wir dürfen sie nicht verweigern.
Wir müssen auch daran denken, daß die Aggression Saddam Husseins auch den Palästinensern geschadet hat. Weit mehr als 300 000 Palästinenser hatten in Kuwait Arbeit und Wohnung gefunden.
Ich warne davor, Saddam Hussein nun mit allen Arabern in einen Topf zu werfen. Im Gegenteil: Wir müssen insbesondere mit den arabischen Staaten, die diese Aggression verurteilen und die um die Wiederherstellung des Friedens bemüht sind, die Zusammenarbeit auf allen Gebieten intensivieren. Ich möchte dem Präsidenten Hosni Mubarak für seine mutige Haltung und für seine Bereitschaft, für den Frieden zu wirken, unseren hohen Respekt zum Ausdruck bringen.
({21})
Zur Energieversorgung. Es braucht keine Energiekrise zu geben, wenn die übrigen erdölfördernden Länder bereit sind, die Ausfälle auszugleichen. Ich freue mich, daß Saudi-Arabien in dieser Frage schon ein deutliches Wort gesagt hat; das gilt auch für Venezuela und Mexiko.
Wir warnen die Industrie und den Handel in der Petrochemie vor Aggressionsgewinnen. Aggressionsgewinne sind Kriegsgewinne. Kriegsgewinne sind mit Marktwirtschaft nicht in Einklang zu bringen.
Alle militärischen Anstrengungen zur Eindämmung der Aggression dürfen nicht davon abhalten, nach einer politischen Bewältigung der Krise zu suchen. Es geht um eine politische Lösung unter voller Respektierung der zu Beginn genannten Ziele. Für die Vereinten Nationen gibt es bei dem veränderten Ost-West-Verhältnis in enger Zusammenarbeit mit der großen Mehrheit der arabischen Staaten, die für die Souveränität aller Staaten, für die Einhaltung der Menschenrechte und für die strenge Einhaltung des Völkerrechts eintreten, eine Chance für eine politische Lösung. Sie muß genutzt werden.
Wir streiten in diesem Hause oft miteinander. Das muß in diesem Hause auch sein. Wenn es aber darum geht, eine Aggression zurückzuweisen, wenn es darum geht, den Frieden zu retten, und wenn es darum geht, den Menschen zu helfen, denen die Freiheit genommen worden ist, dann sollten wir zusammenstehen und soweit wie möglich zusammenarbeiten. Darum möchte ich das Haus bitten.
Deutscher Bundestag - 11 Wahlperiode Wischnewski
„Islam" - das ist das Wort für Frieden. Wir wollen Frieden überall in der Welt.
Vielen Dank.
({22})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lamers.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Je einmütiger die Verurteilung der unprovozierten und eklatanten Völkerrechtsverletzungen durch Saddam Hussein auch in diesem Hause und in der Bundesrepublik Deutschland erfolgt, um so besser. Herr Kollege Wischnewski, allen Ihren wesentlichen Forderungen können wir zustimmen. Ich stimme Ihnen auch darin zu, daß es notwendig ist, daß gerade wir in Deutschland in einer solchen Lage eine einmütige Haltung vertreten. Wir können das hier wohl tun.
Wichtiger aber ist natürlich noch, daß die Weltgemeinschaft, versammelt in den Vereinten Nationen, in dieser Frage eine einmütige Haltung einnimmt. Auch das ist gottlob und wider unser aller Erwarten eigentlich bislang gelungen. Ich finde, daß dies in der Tat eine erste und höchst erfreuliche Frucht der Überwindung des Ost-West-Konfliktes ist; denn ohne das konstruktive Verhalten der Sowjetunion wären die einstimmigen Beschlüsse im Weltsicherheitsrat nicht denkbar gewesen. Ich glaube, eine Schlußfolgerung, die wir aus diesem Konflikt ziehen müssen, ist doch die, daß wir die Vereinten Nationen und ihre Autorität mit noch mehr Nachdruck stärken müssen, als wir das schon bislang getan haben. Ich fordere die Bundesregierung dazu auf und anerkenne ausdrücklich, was sie bislang schon getan hat und was der Bundesaußenminister persönlich an Einsatz geleistet hat.
Wir müssen aber sehen, daß das, was bislang durch die Vereinten Nationen geschehen ist, nicht ausreicht. Die Forderungen, die die Vereinigten Staaten für einen weiteren Beschluß des Sicherheitsrates erhoben haben, müssen erfüllt werden. Sanktionen ohne Durchsetzungsbeschlüsse sind keine Sanktionen, wie der französische Präsident Mitterrand gesagt hat. Sanktionen ohne Strafen sind keine Sanktionen. Deswegen muß ein solcher Beschluß als weitere Maßnahme folgen.
Wir begrüßen auch das, was die Europäer in der WEU und in der Europäischen Gemeinschaft beschlossen haben. Ich füge allerdings hinzu, daß das nicht ausreicht.
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Die europäische Haltung hebt sich von früheren Haltungen positiv ab. Aber dies reicht eindeutig nicht aus. Die Europäer brauchen eine umfassende gemeinsame Weltpolitik. Ich will hier nicht von einer Politik gegenüber der Dritten Welt sprechen, weil dies hier ein ganz unpassender Ausdruck wäre.
Dazu gehört auch, Herr Kollege Wischnewski, eine gemeinsame Rüstungsexportpolitik. Denn der Zustand, daß sich dort permanent westliche Waffen gegen westliche Streitkräfte richten - nicht nur dort, sondern auch anderswo - , zeugt ja weiß Gott nicht von einer besonderen Weisheit.
Ich füge in allem Freimut auch hinzu: Die Beteiligung einiger - leider nicht nur einiger ganz weniger - deutscher Firmen an auch kriminellen Handlungen ist ewas, was mich nicht nur deprimiert, sondern was mich auch sehr besorgt macht. Wir sollten in der Tat gemeinsam prüfen, was denn notwendig ist, um dem ein Ende zu machen. Wir sind dazu bereit, jede sinnvolle Maßnahme mit Ihnen gemeinsam zu überprüfen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Nickels? - Bitte schön, Frau Nickels.
Herr Lamers, Sie haben gesagt, es sei unerträglich, wenn mit westlichen Waffen auf westliche Menschen geschossen werde. Aber ich finde es genauso unerträglich, daß viele Jahre lang Giftgas, das ja ebenfalls quasi mit Lieferungen aus dem Westen hergestellt worden ist, gegen die Kurden eingesetzt wurde.
Sie reden von den illegalen Waffenexporten. Aber ich frage Sie, anknüpfend an das, was Herr Wischnewski gesagt hat: Wann nehmen Sie sich denn endlich einmal die legalen Waffenexporte vor und überprüfen auch die Rolle des Bundesamtes für gewerbliche Wirtschaft in Eschborn und die Exporterlaubnisse? Das wäre doch ganz wichtig.
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Ich frage Sie auch: Glauben Sie denn wirklich, daß alle friedlichen Möglichkeiten, also solche ohne Waffengewalt, vor allem ein Embargo, ernsthaft ausgeschöpft worden sind? Haben Sie vielleicht schon einmal darüber nachgedacht, ob man auch differenzierte Sanktionen einführen kann, so daß die Bevölkerung im Irak zwar etwas zu essen hat, aber die Wirtschaftsmacht und das, was den Diktator gefüttert hat, getroffen wird? Damit einer eine ganze Welt terrorisieren kann, muß er ja auch gefüttert werden. Er ist sehr stark vom Westen gefüttert worden. Glauben Sie allen Ernstes, daß all diese Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind, und müßten wir nicht zuallererst in unserem eigenen Land die entsprechenden Quellen schließen?
Frau Kollegin Nickels, ich habe ausdrücklich von einer restriktiven Rüstungsexportpolitik nicht nur der Bundesrepublik Deutschland, sondern der Europäer und des Westens insgesamt gesprochen.
Zweitens habe ich nicht gemeint, daß nur die Tatsache, daß sich diese Waffen jetzt gegen uns selber richten, unerträglich ist. Ich stimme Ihnen vielmehr ausdrücklich zu: Der Einsatz von Giftgas durch den Irak gegen die eigene Bevölkerung, die Kurden, ist eines der schlimmsten Verbrechen. Es ist sehr
schlimm, daß es damals keine ausreichende Reaktion der Weltöffentlichkeit gegeben hat.
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Überall ist dem nicht ausreichend begegnet worden.
Aber lassen Sie mich fortfahren und sagen, daß wir in der Tat der Meinung sind, daß auch in einer solchen Situation die politischen Anstrengungen nicht nur nicht zu kurz kommen dürfen, sondern daß sie, soweit das irgendwie möglich ist, Vorrang haben müssen.
Fürwahr, Herr Kollege Wischnewski: Wenn die arabische Welt in der Lage wäre, diesen Konflikt selber zu lösen, wäre das für alle, zunächst insbesondere für die Araber, das Beste überhaupt. Aber leider sind die Aussichten dafür, wie Sie besser wissen als ich, nicht die allerbesten.
Deswegen ist es eben notwendig, daß die Weltgemeinschaft und daß insbesondere die Vereinigten Staaten dann auch konkrete militärische Maßnahmen ergreifen. Ich füge hinzu, ich bedauere schon, daß infolge der Interpretation der Verfassung durch eine Mehrheit in diesem Hause eine weitergehende Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an den Maßnahmen im Golf nicht stattfinden kann. Mein Gott, Herr Kollege Wischnewski, niemand in diesem Hause sehnt sich nach schimmernder Wehr am Golf. Aber es ist doch eine Tatsache, daß hier Waffengewalt in provozierendster Weise angewendet worden ist und daß solche Figuren, Entschuldigung: solche Führer wie Saddam Hussein auf diplomatische Schritte leider überhaupt nicht reagieren.
Herr Abgeordneter, es gibt noch einen Wunsch nach einer Zwischenfrage von Herrn Dr. Lippelt. Gestatten Sie diese Frage?
Ich will sie gestatten. Ich weiß ja, daß es nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, Herr Kollege Lippelt. Aber bitte nicht ganz so lange, wie Ihre Vorinterventin.
Ich habe Sie so verstanden, daß ich fragen darf. - Herr Lamers, Sie sagten, daß der militärische Einsatz das äußerste Mittel sein müsse. Glauben Sie nicht, daß wir genau dadurch für die Geiseln - es sind ja nicht wenige - eine untragbare Situation heraufbeschwören und daß ein entschiedenes, auf einen längeren Zeitraum zielendes Embargo und eine Blockade sehr viel sinnvollere Mittel sind und daß wir uns heute dafür ganz besonders einsetzen müssen und den anderen Gedanken aus unserem Hinterkopf verbannen sollten, gerade weil die Situation so schwierig ist?
Herr Kollege Lippelt, eine Lösung in einem solchen Fall wie dem vorliegenden ohne Interessenkonflikt und ohne Abwägungsschwierigkeiten der allerdelikatesten Art gibt es natürlich nicht. Niemand ruft danach, daß wir morgen dort intervenieren, einmarschieren oder bombardieren müßten. Gerade wenn der Westen militärische
Mittel einsetzt, muß er es mit der äußersten Behutsamkeit und Sorgsamkeit tun. Das ist richtig.
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Aber gleichzeitig bedarf es auch einer großen und festen Entschlossenheit. Denn die Geschichte lehrt uns - der Kollege Gansel hat es in einer Presseerklärung zum Ausdruck gebracht - , daß Diktatoren wie Hitler und eben Saddam Hussein, so unterschiedlich sie sonst sein mögen, nicht reagieren, wenn sie nicht auf festen und entschlossenen Widerstand stoßen. Was glauben Sie, wie die Lage wäre, wenn die Vereinigten Staaten nicht dieses Maß auch an militärischem Einsatz gezeigt hätten, wie sie es getan haben?
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- Ich muß Ihre Zwischenfrage gestatten. Aber ich bitte Sie, auch an die Kollegen zu denken.
Herr Abgeordneter Zeitler, bitte schön.
Glauben Sie vor dem Hintergrund, daß es in der Welt schreckliche Handlungen von Diktatoren an den eigenen Bürgern gab - ich denke an den Tschad, ich denke an Uganda, ich denke an viele andere Dinge - , die die UNO nicht veranlaßt haben, mit Waffen dagegen vorzugehen, daß, wenn in Kuwait nicht zufällig Öl im Boden läge, hier im Westen jemand zur Kenntnis nähme, wenn der Irak Kuwait überfallen hätte?
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Herr Kollege, ich glaube es nicht, und ich hoffe es auch nicht - ich will zugeben, daß ich nicht ganz sicher bin. Aber wenn es so ist, daß in diesem Fall sehr handfeste Interessen und eine eklatante Verletzung der fundamentalsten Regeln des Völkerrechts zusammenkommen, ist es dann nicht der letzte Anlaß, wo man zeigen muß, daß solch eine Verletzung von der Völkergemeinschaft nicht hingenommen wird? Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu. Ich habe eben im Blick auf den Giftgasgebrauch des Irak schon einmal gesagt, daß die Weltgemeinschaft in der Vergangenheit in vielen Fällen, nicht nur im Falle des Irak, ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden ist. Sie wissen, dafür gibt es viele Gründe. Ein Grund ist die Tatsache, daß der Ost-West-Konflikt das nicht erlaubte. Meine Hoffnung, die nicht grenzenlos ist, die ich aber doch hege, ist, daß die Überwindung des Ost-West-Konflikts eine wirklich aktivere und größere Rolle der Vereinten Nationen zuläßt. Ich nehme an, darin sind wir uns einig.
Meine Damen und Herren, ich bin eben auf die Absicht aller Parteien zu sprechen gekommen, die Verfassung so zu ändern, daß der Einsatz der Bundeswehr außerhalb des Nato-Vertrags-Gebiets im Rahmen von UN-Aktionen zugelassen wird.
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- Zu prüfen, ja. Sie sagen es schon sehr viel vorsichtiger.
Es wäre wünschenswert, daß diese Diskussion mit dem notwendigen Ernst und der notwendigen Sachlichkeit geführt würde. Denn dabei geht es um vieles. Es geht im Grunde um unser Selbstverständnis und um die Rolle unseres Landes in der Welt, um seine globale Verantwortung - um das einmal etwas anspruchsvoller auszudrücken. Wovor ich schon heute warnen möchte, ist, zu glauben, daß man sich dabei nur an die unproblematischeren Fälle heranwagen könne, daß wir eine solche Beteiligung der Bundesrepublik ausschließlich im Rahmen von Friedensaktionen der Vereinten Nationen ins Auge fassen könnten. Jedermann weiß, daß Aktionen in diesem Rahmen und Aktionen außerhalb dieses Rahmens rechtlich und auch tatsächlich etwas Unterschiedliches sind. Jedermann weiß aber auch, daß es hier einen Zusammenhang gibt. Ich darf daran erinnern und darf Sie bitten, darüber nachzudenken, daß wir alle, zwar in unterschiedlicher Intensität, aber doch alle, wünschen, daß es eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik und Verteidigungsunion geben sollte. Diese wird es aber nie geben, wenn die Bundesrepublik Deutschland, wenn das wiedervereinigte Deutschland nicht bereit ist, sich auch an anderen Aktionen außerhalb des UN-Rahmens zu beteiligen. Wenn Sie mit Franzosen oder mit Briten, mit Niederländern oder mit Italienern reden, dann werden Sie feststellen: In diesem Punkt gibt es nur eine Meinung. Wir allein sind doch anderer Meinung. Das, meine ich, müßten wir mit ins Auge fassen, wenn wir über solche Pläne, die Verfassung zu ändern, reden.
Die europäische Option muß aufrechterhalten bleiben.
Sind Sie bereit, noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hoyer zu beantworten?
Ja, ich kann ja nicht anders, da ich soeben schon eine Zwischenfrage zugelassen habe.
Sie haben nur noch wenig Redezeit. Ich bitte Sie, alsbald zum Schluß zu kommen.
Schönen Dank. Ich mache es kurz. - Herr Lamers, könnte es nicht sein, daß wir in einem solchen europäischen Rahmen etwas freier sind und daß manche Vorbehalte, die im Ausland gegenüber einem militärischen Engagement der Deutschen bestehen, dann etwas geringer zu gewichten wären, als das heute der Fall ist?
Herr Kollege Hoyer, das hoffe ich sehr. Aber Sie werden mir ja auch in einem Punkt zustimmen: daß alle unsere europäischen Alliierten schon heute eine Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland wünschen und daß diese Vorbehalte nicht bei unseren Alliierten bestehen, sondern daß sie hier in diesem Hause bestehen.
Darf ich Sie dann noch fragen, ob es sich um dieselben Alliierten und Freunde handelt, die vor 35 oder 40 Jahren aus guten Gründen dafür gesorgt haben, daß wir uns in diesen Dingen sehr zurückhalten müssen.
Herr Kollege Hoyer, ob unsere heutigen Alliierten in der Vergangenheit in jedem Einzelfall besonders klug und weitsichtig gehandelt haben, ist eine völlig andere Frage. Darüber könnten wir sehr gut diskutieren, aber das führt uns heute nicht weiter.
Jetzt wünscht der Abgeordnete Brück eine Zwischenfrage zu stellen.
Ja, bitte. - Es ist eine lebendige Debatte, Herr Präsident.
Das wollen wir ja auch manchmal.
Herr Kollege Lamers, könnten Sie bitte einmal präzisieren, was Sie meinten, als Sie sagten, die Bundeswehr könne auch außerhalb von Aktionen der Vereinten Nationen eingesetzt werden? Ich frage deshalb, weil es in meiner Partei unterschiedliche Auffassungen gibt, ob die Bundeswehr an Aktionen der Vereinten Nationen beteiligt werden soll. Ich zähle zu den Gegnern eines solchen Einsatzes, aber für unsere parteiinterne Diskussion wäre es ganz nützlich, wenn Sie uns präzise sagen würden, was Sie, mit solchen Aktionen gemeint haben.
Herr Kollege Brück, ich bitte Sie, es nicht als Kneifen aufzufassen, wenn ich sage: Dazu sehe ich mich angesichts der Tatsache, daß meine Redezeit eigentlich schon abgelaufen ist, wirklich nicht mehr in der Lage, aber ich verspreche Ihnen, daß jedenfalls ich ernsthaft den Versuch machen will, in den dafür zuständigen Gremien und Ausschüssen präzise über diese Fragen zu reden. Das wird in der Tat notwendig sein. Bitte verstehen Sie, daß ich es jetzt dabei bewenden lasse.
Was nach meiner Überzeugung vor allen Dingen notwendig ist, ist, den Versuch zu unternehmen, die richtigen Lehren aus der Geschichte zu ziehen, denn das ist der Hintergrund all unserer Debatten. In dieser Frage die richtigen Lehren aus der Geschichte zu ziehen heißt nach meiner Überzeugung, daß wir - bei aller Zurückhaltung, die wir gegenüber der militärischen Macht und ihrem Einsatz unbedingt aufrechterhalten wollen und müssen - doch sehen müssen, daß die militärische Macht auch in der Welt von heute eine Rolle spielt und daß wir insofern ein normales Mitglied der Völkergemeinschaft werden müssen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beer.
Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren Kollegen! Auch die GRÜNEN verurteilen selbstverständlich den Überfall auf Kuwait, die Androhung des Einsatzes chemischer Massenvernichtungsmittel gegen die Nachbarstaaten des Irak und vor allem natürlich des Festhalten der Ausländer im Irak als Geiseln. All dies sind Bestandteile einer menschenrechtsverletzenden, menschenrechtsverachtenden und völkerrechtswidrigen Politik des irakischen Regimes unter Saddam Hussein.
Allerdings vertreten die GRÜNEN eine dementsprechende Haltung gegenüber der Politik des Irak nicht erst seit dem 2. August dieses Jahres, d. h. seit dem Überfall auf Kuwait. Wenn der Außenminister Genscher sagt: Wehret den Anfängen, dann möchte ich einige Punkte nennen, die heute noch nicht genannt worden sind und die auch unsere Verantwortung aufzeigen.
Seit Jahren betreibt der Irak eine aggressive, menschenverachtende Politik nach innen wie auch nach außen. Im September 1980 löste er den Tankerkrieg gegen den Iran aus. Nicht internationale Verurteilung erfolgte, sondern die militärische Unterstützung durch westeuropäische Staaten, die so, hofften sie, einen Verbündeten gegen den islamischen Fundamentalismus im Iran finden würden.
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Seit 20 Jahren werden Hinweise von Menschenrechtsorganisationen auf die zunehmende Barbarei des Baath-Regimes ignoriert. Völkermordverbrechen, Folter und Todesstrafe gegen Regimekritiker, Giftgaseinsätze gegen Iran und das kurdische Volk führten allenfalls zu verbaler Kritik, wenn überhaupt. Wo waren denn die vor zwei Jahren von den GRÜNEN geforderten Sanktionen gegen den Irak, als die Bilder von 5 000 vergifteten Menschen um die Welt gingen,
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als 170 000 Menschen aus dem Land fliehen mußten, die heute noch in Flüchtlingslagern leben? Wo ist denn jetzt die Verantwortung, wenn die Türkei immer noch mit Staatsterror gegen diese Flüchtlinge vorgeht und dieser Konflikt in der internationalen Krise Irak/ Kuwait untergegraben wird? Wenn wir wirklich Menschenrechte wiederherstellen wollen, dann heißt das, daß wir weiteren Staatsterror verhindern.
Die bisherige Ignoranz der internationalen Politik und Verantwortung ist ein Zeichen dafür, daß die jetzige, seit dem 2. August vorhandene Empörung nicht ganz glaubwürdig wirkt. Jahrelang haben wir immer wieder auf die militärische Aufrüstung des Irak durch die Bundesrepublik selber hingewiesen. Über 100 bundesdeutsche Firmen haben sich daran eine goldene Nase verdient. Die Beteiligung deutscher Firmen am Aufbau einer Giftgasfabrik wurde durch verantwortliche Politiker verharmlost und verschleiert.
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Die Namen der beteiligten Rüstungsfirmen, die erst seit zwei Wochen auf der Anklagebank sitzen, sind doch längst bekannt; vor vier Jahren haben wir sie veröffentlicht. Was ist denn mit Daimler, mit MBB, mit WEB, mit AEG-Telefunken, Philips, IVECO und anderen?
Auch andere westliche wie natürlich auch östliche Staaten - die will ich hier nicht verschweigen - haben sich an der massiven Aufrüstung des Irak beteiligt. Heute richten sich diese Waffen gegen die Staaten selber. Vor diesem Hintergrund erscheinen die in den letzten zwei Wochen hektisch angefangenen Strafverfahren gegen die verantwortlichen Firmen,
die als kriminelle Elemente ohne politische Verantwortung bezeichnet werden, als Verdeckung politischer Verantwortung und nicht als tatsächliche Aufdeckung der Verantwortlichen selber.
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Und was geschieht im internationalen Rahmen? Einerseits ergibt sich eine nie dagewesene Übereinstimmung bezüglich eines wirtschaftlichen Embargos gegen den Irak; der UNO-Sicherheitsrat beschließt einstimmig entsprechende Maßnahmen. Dieser Beschluß war eine der zwei Grundvoraussetzungen, den aufkeimenden Konflikt ohne militärische Mittel beizulegen.
Die zweite Grundvoraussetzung wäre es gewesen, daß die Regierungen der westeuropäischen Staaten endlich das Scheitern von 20 Jahren Versagens in der Außenpolitik, 20 Jahren Versagens in der Nahostpolitik zugegeben hätten, um jetzt endlich mit einer neuen Politik der gewaltfreien Auseinandersetzung anzufangen.
Doch statt das Wirken dieses nichtmilitärischen UNO-Embargos abzuwarten, sind es wie schon im Golfkrieg die westlichen Staaten unter der Führung der USA, die meinen, militärisch eingreifen zu müssen. Verschwiegen werden soll so die eigene Mitverantwortung für einen Konflikt, für den zwar der Irak, die irakische Regierung, die eindeutige Verantwortung jetzt trägt - natürlich -, für den aber die Politik und das Versagen der Politik der jetzt militärisch intervenierenden Staaten erst die Voraussetzung geschaffen haben.
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Die militärische Intervention der USA verschärft die Konfliktsituation und trägt zur Eskalation bei. Die WEU möchte in den Takt des Säbelrasselns zumindest im Mittelmeer, wenn nicht im Golf selber einstimmen. Die USA hat sich über den UNO-Beschluß hinweggesetzt und beweist damit, daß nach wie vor das alte Denken und die Außenpolitik in Form der Kanonenbootpolitik das beherrschende Element ist.
Die GRÜNEN lehnen jede militärische Intervention ab. Die einzige Chance, in dieser Situation Gewalt nicht mit Gewalt zu beantworten, wäre die strikte Einhaltung des UN-Embargos gegen den Irak gewesen. Wie aber bereits im Golfkrieg werden heute unter dem Vorwand der Sicherung des Friedens im Nahen und Mittleren Osten wirtschaftliche und militärstrategische Interessen durchgesetzt. Der Iran des Schahs wurde gegen die Golfstaaten militärisch aufgerüstet. Im Golfkrieg wurde der Irak gegen den Iran militärisch aufgerüstet. Heute wird Saudi-Arabien gegen den Irak aufgerüstet. Wie wird es morgen sein? Der nächste Konflikt wird so provoziert und steht mit Sicherheit bevor.
An der Todesspirale wird weiter gedreht, immer mehr und neue Massenvernichtungsmittel werden exportiert, verschiedene Staaten des Nahen Ostens werden weiter mit westlichen Waffen vollgepumpt.
Auch in der Bundesrepublik mehren sich jetzt wieder die Stimmen, wie wir auch heute gehört haben, die mit dem Hinweis auf die wirtschaftliche und politische Bedeutung Deutschlands eine Beteiligung an
einer militärischen Lösung, wenn auch unter UNO-Flagge, derartiger Konflikte fordern. Da ist dann viel von Solidarität, von Verantwortung und von Dank gerade gegenüber den USA die Rede. Etwas leiser wird unter den Militärstrategen erleichtert darüber gesprochen, daß das Feindbild, gegen das man aufrüsten muß, doch noch im Osten ist, zwar nicht mehr im Osten Europas, aber dafür im Nahen Osten.
Aber gerade die Tatsache, daß die BRD und die DDR erheblich zur Mitaufrüstung und Militarisierung dieses Konfliktes im Nahen Osten beigetragen haben, zeigt, daß das vereinigte Deutschland erst noch unter Beweis zu stellen hat, daß es nicht zu Eskalationen von Konflikten auf der Welt oder gerade in der Dritten Welt beitragen wird.
In unserem Antrag fordern wir deshalb die strikte militärische Enthaltsamkeit der Bundesrepublik in diesem wie auch in zukünftigen Konflikten. Nicht Kosmetik an Außenwirtschaftsgesetz und Kriegswaffenkontrollgesetz ist nötig, sondern das Verbot jeglichen Rüstungsexportes, weil es anders nicht mehr geht. Nicht Schleichwege über Änderungen des Grundgesetzes sind nötig, um die so heiß ersehnte Beteiligung der Bundeswehr an UNO-Truppen zu ermöglichen,
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sondern eine Politik der Selbstbeschränkung und der Entmilitarisierung ist gefordert, wenn man jetzt das Wort „Menschenrechte" noch ernsthaft in den Mund nehmen will.
Auf europäischer wie auf internationaler Ebene ist die Bundesregierung gefordert, sich für diplomatische Lösungen der verschiedenen Konflikte im Nahen Osten unter der Schirmherrschaft der UNO einzusetzen, weil nur so die Rechte der Menschen gewährleistet werden können.
Frau Abgeordnete, Sie müssen zum Schluß kommen.
Ich komme zum Ende.
Auf diesen zivilen und nichtmilitärischen Ebenen liegt die tatsächliche Verantwortung des künftigen vereinten Deutschlands, wenn die Rede von den Lehren aus der Geschichte mehr als eine Leerformel sein und werden soll.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Feldmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Saddam Hussein hat die Welt in eine neue Konfrontation gestürzt, die ebenso bedrohlich ist wie der Ost-West-Konflikt in seiner heißen Phase. Die Brutalität seines Vorgehens und die Schamlosigkeit, mit der er unschuldige Zivilisten zu Geiseln nimmt, sind erschreckend. Die Welt droht erneut in zwei feindliche, unversöhnliche Lager gespalten zu werden. Hier geht es nicht in erster Linie um Öl und westliche Interessen, sondern um den Frieden in einer ohnehin hochexplosiven Region, um die Existenz von
Staaten, nicht zuletzt Israels. Es geht um den Weltfrieden und die Frage, ob und wie die Industrienationen des Nordens mit der islamischen Welt friedlich zusammenleben können.
Es darf Saddam Hussein nicht gelingen, sich hinter religiösen und panarabischen Emotionen zu verschanzen und sich in die Rolle des Führers und Befreiers der arabischen Nation aufzuschwingen. Dazu braucht und nutzt er die militärische Konfrontation. Natürlich hilft gegen diese militärische Aggression kein Beten, aber mit militärischer Entschlossenheit allein ist es auch nicht getan. Wäre mit einer ähnlich politischen Entschlossenheit die Befriedung des NahOst-Konflikts betrieben worden, dann wäre die Situation wahrscheinlich heute weniger bedrohlich.
Der Westen und die Vereinten Nationen sind vor allem gefordert durch eine Politik des Augenmaßes und der ruhigen Hand, jeder weiteren Solidarisierung der Menschen der Region mit Saddam Hussein entgegenzuwirken.
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Es kommt jetzt vor allem darauf an, Raum und Zeit für eine diplomatische, vielleicht auch arabische Lösung zu schaffen. Der Versuch von König Hussein, in dieser schwierigen Situation doch noch eine friedliche Lösung zu ermöglichen und die Vereinten Nationen unmittelbar einzuschalten, verdient Unterstützung. Auch wir sind gefordert, alles zu tun, um diplomatische Lösungen zu erleichtern, und alles zu unterlassen, was diese gefährden könnte. Die Diplomatie darf sich aus der Region nicht verabschieden. Militärische Mittel und militärische Solidarität sind zwar nicht verzichtbar, aber sie sind kein Ersatz für Politik. Sie sollten darauf konzentriert werden, die Einhaltung der wirtschaftlichen Sanktionen gegen den Irak durchzusetzen, nach Möglichkeit ohne Gewalt. Das ist nicht nur im Interesse der Geiseln, sondern auch der Menschen der Region geboten. Gewalt darf nur die ultima ratio sein.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, Herr Präsident. Ich habe nur 5 Minuten Redezeit. Frau Kollegin Beer, wir können das noch im Ausschuß diskutieren.
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Auch die Charta der Vereinten Nationen setzt zuallererst auf die Ausschöpfung aller nichtmilitärischen Druckmittel. Wir sind gefordert, den europäisch-arabischen Dialog stärker zu nutzen. Es geht um Solidarität und wirksame Unterstützung für die arabischen Staaten, die die Beschlüsse der Vereinten Nationen unterstützen. Unsere Partner in der Westeuropäischen Union haben Verständnis für die von der Bundesregierung bezogene Position gezeigt. Unsere militärische Zurückhaltung ist verfassungsrechtlich und im Interesse einer bewährten Staatspraxis geboten. Unsere Soldaten dürfen nicht in einer verfassungsrechtlichen Grauzone zum Einsatz kommen. Wir üben Solidarität im Rahmen unserer verfassungsrechtlichen Möglichkeiten.
Die FDP ist aber bereit, an einer Änderung des Grundgesetzes mitzuwirken. Unser Ziel ist ausdrücklich und ausschließlich eine Beteiligung an vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschlossenen Aktionen - und warum nicht auch im Rahmen eines zukünftigen Systems kollektiver Sicherheit in Europa? Aber jeder andere Out-of-area-Einsatz muß ausgeschlossen bleiben.
Zum Schluß ein kritisches Wort an die eigene Adresse. Es gibt nur einen Täter, darin sind wir uns einig: Saddam Hussein. Aber viele sind mitverantwortlich; es ist hier schon erwähnt worden. Das sind zumindest all die, die Irak mit Waffen versorgt haben. Dazu gehören nicht nur die Sowjetunion, sondern auch westliche Staaten. Herr Kollege Wischnewski, die Rüstungsexportpolitik dieser Regierung ist ebenso restriktiv wie die Rüstungsexportpolitik der Regierung, der Sie angehört haben.
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Auch diese restriktive Rüstungsexportpolitik hat nicht verhindern können, daß deutsche Waffen oder mit deutscher Hilfe hergestellte Waffen im Nahen Osten immer wieder zum Einsatz kommen. Wir begrüßen die personelle Verdoppelung in Eschborn. Auch das scheint nicht genug.
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Ich stimme mit Ihnen überein; die bisherigen Strafvorschriften erscheinen auch mir unzureichend. Wir müssen uns überlegen, was wir hier noch tun können.
Meine Damen und Herren, ich darf zum Schluß kommen. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich in ihrer mehr als vierzigjährigen Geschichte durch eine engagiert politische und konsequent nichtmilitärische Außenpolitik hohes Ansehen und Vertrauen erworben. Dieses Vertrauen gilt es zu festigen und auf ein vereintes Deutschland zu übertragen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Geschichte der Entwicklung und Entstehung des Zweiten Weltkriegs hat im Unterschied zum Ersten Weltkrieg viel mit der Gegenwart zu tun. Die unheilvolle Rolle eines deutschen Diktators zwingt gerade die deutsche Politik zu besonderer Sorgfalt. Der nationalsozialistische Diktator Adolf Hitler prüfte, inwieweit die Demokratien erpreßbar seien. Wir wissen aus Goebbel's Tagebuchnotizen, daß er beim Einmarsch in das entmilitarisierte Rheinland befürchtet hat, daß die westlichen Demokratien reagieren könnten. Sie haben es aus Scheu vor einem Konflikt nicht getan und wurden mit zur Ursache des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs.
Auch heute ist es ein Nationalsozialist, der wieder einmal die Welt in Flammen setzen kann. Es ist kein fundamentalistischer Glaubenskrieger. Die sozialistische Baath-Partei hat in ihrer Gesinnung sehr viel mit dem Nationalsozialismus gemein.
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Die Verbindungen zur PLO, zur PLNF und auch zur deutschen Rote-Armee-Fraktion, die nach Irak und zur Baath-Partei gingen und gehen, weisen sehr deutlich darauf hin, welche Ziele Saddam Hussein verfolgt. Er hat jetzt gedroht, Terrorkommandos nach Europa zu schicken.
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Herr Kollege Zeitler, Sie haben vorhin gefragt, warum im Falle des Tschad und bei ähnlichen Konflikten nicht so gehandelt wurde. Sie vergessen einen gravierenden Unterschied: Das waren innerstaatliche, bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen. Hier haben wir das erste Beispiel, bei dem ein souveräner Staat - Kuwait - vom Nachbarstaat überfallen und annektiert wurde. Der Irak hat keinerlei Ansprüche; er hat die Grenzen zu Kuwait ausdrücklich anerkannt. Es kann sich hier auch nicht um eine Korrektur kolonialer Grenzen handeln. Er bedroht heute Mekka, er droht Israel mit der Ausrottung.
Die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges haben dazu geführt, daß die UNO den Weltfrieden sichern soll. Art. 43 der UNO-Charta fordert dazu auf, dem Sicherheitsrat nach Aufforderung Streitkräfte zur Verfügung zu stellen. Ich bin der Meinung, daß Art. 24 Abs. 2 GG, wo vom System gegenseitiger kollektiver Sicherheit die Rede ist, dies abdecken würde. Eine Verfassungsänderung ist meiner Ansicht nach nicht notwendig.
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Ich unterstreiche das, was das SPD-Mitglied, der bekannte Friedensforscher und frühere General, Baudissin gesagt hat, indem er dieses Verhalten hier als Drückebergerei bezeichnet.
Ziel aller Bundesregierungen und vor allem ihrer Außenminister war es in der Vergangenheit immer, die Isolierung oder Singularisierung zu vermeiden. Wenn heute - neben anderen - Spanien, Dänemark, die Niederlande, die, weiß Gott, keine Anhänger einer „schimmernden Wehr" sind, ihren Solidaritätsbeitrag erfüllen, dann ist die Singularisierung der Bundesrepublik Deutschland deutlich geworden.
Ein Teilnehmer der WEU-Konferenz soll laut Süddeutscher Zeitung erklärt haben: „Die größte Enttäuschung sind die Deutschen. Sie wollen positiv klingen, aber sonst nicht viel tun." Diese Selbstisolation hat auch nicht dazu geführt, daß deutsche Geiseln deswegen anders oder besser behandelt werden als die Geiseln anderer Mitgliedsländer der NATO.
Selbst wenn das Argument Verfassungsänderung tragen würde, Herr Kollege Brück, frage ich, warum man - da es das Problem ja schon vor drei Jahren gegeben hat - nicht endlich darangegangen ist, eine solche Verfassungsänderung vorzunehmen. Die Wirklichkeit ist doch die: Man scheut sich vor der Politik; man will keine Verantwortung tragen. Staatsräson ist in vielen Fällen ein Fremdwort geworden. Man finassiert und taktiert. Bitte stellen Sie sich einmal vor: Ein zweiter Holocaust mit dem jüdischen Volk würde
stattfinden, und das Deutsche Volk oder eine Deutsche Regierung schaut stirnrunzelnd, auf die Verfassung verweisend, tatenlos zu.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Penner?
Bitte schön, Herr Kollege Penner. Wenn es mir nicht angerechnet wird, Herr Präsident.
Herr Kollege Müller, das mit dem „Out of area " -Einsatz ist ja ein ernstes Thema. Aber ist es nicht auch für Sie geisterhaft, daß Sie deutsche Soldaten in eine Region schicken wollen mit der Gefahr, daß sie von deutschen Giftgaswaffen getötet werden?
Ich weiß nicht, was diese Frage soll, Herr Kollege Penner.
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Wenn wir für die Vereinten Nationen den Frieden im Sinne einer kollektiven Sicherheit wahren wollen, kann man sich nicht aussuchen, von welchen Waffen man getroffen wird. Der Einsatz für den Frieden ist das Entscheidende.
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- Ich verstehe Sie von den GRÜNEN nicht. Zum Waffenhandel habe ich hier nichts gesagt. Das ist nicht das Thema. Ich lehne das genauso ab. Daß Sie sich so erregen, liegt vielleicht daran, daß ich die RAF in diesem Zusammenhang erwähnt habe. Es kann sein, daß Sie das besonders erregt hat.
Ich darf zum Schluß kommen. Die deutsche Einigung war ohne die Solidarität unserer westlichen Freunde nicht möglich. Aber Solidarität, meine Damen und Herren, ist keine Einbahnstraße. Wer diese Solidarität nicht im umgekehrten Falle übt, wer sich
hier ausschließt, wer den Frieden nicht verteidigen will - bei der Vergangenheit, die das deutsche Volk mit der Entwicklung zum Zweiten Weltkrieg hat -, der kann sich indirekt mitschuldig machen. Wenn wir wegen der Verfassung Bedenken haben und nicht bereit sind, dies schleunigst zu bereinigen und zu ändern, dann, glaube ich, könnten wir einen Weg gehen, der dazu führen kann - in Abwandlung eines Zitates -, daß derjenige, der bei der internationalen Eindämmungspolitik eines blutrünstigen Tyrannen zu spät kommt, auch durch die Geschichte bestraft wird.
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Meine Damen und Herren, wir sind am Ende dieser Aussprache. Ich schließe diese.
Wir kommen zunächst zu den Anträgen der Fraktion der SPD und den Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf den Drucksachen 11/7722 und 11/e28. Interfraktionell ist vereinbart worden, diese Anträge zu überweisen, und zwar zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuß. Sind Sie damit einverstanden? - Ja, ich sehe, daß Sie damit übereinstimmen. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf der Drucksache 11/7726.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? Ich bitte um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Entschließungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und auch der SPD abgelehnt worden.
Wir sind damit am Ende der Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 5. September 1990 ein.
Die Sitzung ist geschlossen.