Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, Sie haben gehört, daß wir den Sitzungsbeginn um eine Stunde verschoben haben.
Wie haben interfraktionell vereinbart, die heutige Tagesordnung um den Zusatzpunkt „Aussprache zur Vorbereitung der deutschen Einheit" mit einer Redezeit von insgesamt vier Stunden zu erweitern. Sind Sie damit einverstanden? -
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 3. August 1990 zur Vorbereitung und Durchführung der ersten gesamtdeutschen Wahl des Deutschen Bundestages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik
- Drucksache 11/7624 -
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses Deutsche Einheit
- Drucksache 11/7652 Berichterstatter:
Abgeordnete Gerster ({0}) Bernrath
Hoppe
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 11/7653 Berichterstatter:
Abgeordnete Deres Kühbacher
Frau Seiler-Albring Kleinert ({2})
({3})
Auf Grund der Entscheidung der Volkskammer der DDR in der vergangenen Nacht ist interfraktionell vereinbart worden, die zweite und dritte Lesung heute von der Tagesordnung abzusetzen und statt dessen
den Fraktionen Gelegenheit zu einer kurzen Stellungnahme zu geben. Es ist vorgesehen, die zweite und dritte Lesung am 23. August 1990, einen Tag nach der Sitzung der Volkskammer, durchzuführen.
Das Wort zur Stellungnahme hat der Herr Abgeordnete Bohl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben uns, wie Sie, Frau Präsidentin, soeben schon ausführten, interfraktionell darauf verständigt, den vorgesehenen Tagesordnungspunkt heute nicht zu behandeln. Es ist richtig, daß die Volkskammer entgegen den Planungen, die wir gemeinsam vorgesehen hatten, den Wahlvertrag gestern bzw. heute morgen nicht mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit ratifizieren konnte.
({0})
Nach den uns vorliegenden Informationen handelt es sich dabei in erster Linie, wenn ich es so formulieren darf, um ein Präsenzproblem. Die großen, die Koalition tragenden politischen Parteien und Gruppierungen in der Volkskammer, die mehr als eine Zweidrittelmehrheit haben, wollen diesen Wahlvertrag. Es ist ja auch schon vermittelt worden, daß der Wahlvertrag in der Volkskammer am 22. August erneut behandelt werden soll. Sicherlich ist diese Entwicklung unerfreulich, aber so ist nun einmal die Situation.
Vielleicht darf ich die Gelegenheit hier wahrnehmen, zum Ausdruck zu bringen, daß es nach Überzeugung meiner Fraktion keinen Anlaß für Unmutsäußerungen gibt, die wir heute morgen hier schon gehört haben. Die Kollegen in der Volkskammer, die erst jetzt Parlamentarismus erleben, haben in der Tat ein gewaltiges Arbeitsprogramm. Ich finde, man sollte nicht mit dem Finger auf andere zeigen; wir sollten uns da an die eigene Nase fassen.
({1})
Wir haben gestern im Ausschuß Deutsche Einheit großes Einvernehmen erzielt, daß dieser Wahlvertrag hier im Bundestag verabschiedet werden soll. Es gibt Einvernehmen, die Fünfprozentklausel und Listenverbindungen nicht konkurrierender Parteien vorzusehen. Deshalb gehe ich davon aus, daß wir uns, wenn wir heute die Beratung absetzen, weiterhin einig sind,
daß wir diesen Wahlvertrag, insbesondere seine Essentials, wollen und ihn am 23. August auch verabschieden.
Ich glaube, es ist richtig, daß wir jetzt nicht den Weg gehen - ich darf es salopp formulieren - : Augen zu und durch. Vielmehr ist dieser Wahlvertrag von der Anlage her, Herr Bundesinnenminister, ein Angebot an die DDR gewesen. Die DDR sollte deshalb das erste Wort haben, weil sie sich bezüglich des Wahlverfahrens und auch bezüglich der organisatorischen Durchführung in unser Verfahren einbringt. Deshalb ist es, glaube ich, richtig, daß die DDR das erste Wort hat, also sie den Wahlvertrag zunächst ratifiziert, und daß wir ihn erst anschließend ratifizieren. Ich meine, daß dies der korrekte Weg ist.
Wenn die DDR, wie wir hören, den Wahlvertrag am
22. August ratifiziert, haben wir Gelegenheit, es am
23. August zu vollziehen. Der Bundesrat wird gebeten, ihn am 24. August - mit Fristverkürzung - zu ratifizieren, so daß wir im Ergebnis, sozusagen vom Erscheinungsdatum im Bundesgesetzblatt her, keine Verzögerung haben. Es ist eine Beschwernis für uns; wir müssen zu einer Sondersitzung am 23. August zusammenkommen. Aber ich glaube, das wollen wir der deutschen Einheit zuliebe gerne tun.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({2})
Als nächste hat die Abgeordnete Frau Dr. Däubler-Gmelin das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf für die Fraktion der Sozialdemokraten erklären: Wir bedauern, daß es heute nacht in der Volkskammer nicht möglich war, den Wahlvertrag zu ratifizieren, daß es nicht möglich war, die notwendige Zweidrittelmehrheit dafür zustande zu bringen.
Auch wir sind der Meinung, Herr Bohl, daß es in Anbetracht dieser Umstände vernünftig ist, unsere zweite und dritte Lesung zum Wahlvertrag und zum Wahlgesetz heute nicht durchzuführen, obwohl wir
- das will ich festhalten - fertig sind, es ist inhaltlich alles klar, die erste Lesung hat stattgefunden.
({0})
- Ich sehe schon, auch Sie hätten gerne noch Urlaub; ich auch. - Nochmals, die Beratungen im Bundestag sind abgeschlossen. Gestern haben die Ausschüsse getagt, und wir wissen, was wir wollen.
({1})
- Ja, gerne. Ich denke, der Deutsche Bundestag weiß, was er will. Wir Sozialdemokraten wußten das sowieso schon immer.
({2})
Wir haben uns sehr gefreut, liebe Kollegen von der Union, daß Sie unsere Forderungen im Wahlrechtsvertrag und in dem Zustimmungsgesetz auf dem Kompromißwege im wesentlichen erfüllt haben.
Meine Damen und Herren, schwierig genug war es ja. Der Streit, den Sie uns in den letzten sechs Wochen aufgezwungen haben, war wirklich nicht sehr sinnvoll. Das wissen mittlerweile alle.
Ich stelle noch einmal fest: Wir von seiten des Bundestages haben unsere Beratungen abgeschlossen. In Anbetracht der Lage und der Unsicherheit in der Volkskammer ist es vernünftig, so zu verfahren, wie Sie, Herr Bohl, das vorschlagen: die zweite und dritte Lesung heute nicht abzuschließen. Aber lassen Sie mich noch dreierlei feststellen.
Erstens. Wir begrüßen Ihre Erklärung, daß Sie zu dem stehen, was inhaltlich zum Wahlrecht für die erste gemeinsame Wahl des Deutschen Bundestages vereinbart worden ist. Wir stehen ebenfalls dazu. Das gilt nicht nur für die bisher umstrittenen Einzelheiten, z. B. Beitritt vor der Wahl, einheitliches Wahlgesetz, Chancengleichheit und Fairneß, sondern das gilt natürlich auch für die Frage des Wahltermins.
({3})
Ich wiederhole: Das gilt natürlich auch für den Wahltermin, weil - ich darf das nochmals betonen - in der Wahlrechtsvereinbarung und im Zustimmungsgesetz ganz klar vom 2. Dezember als Wahltermin ausgegangen wird. Darüber sind wir uns einig. Anders machte die Bezugnahme auf Art. 39 im Wahlvertrag überhaupt keinen Sinn. Wir halten daran fest.
Zweitens. Das Bedauern auszudrücken, daß wir heute vernünftig sein müssen und nicht abschließen können, das ist das eine. Aber ich will noch etwas hinzufügen. Ich sage, Sie, Herr Bundeskanzler, tragen ein gerüttelt' Maß an Verantwortung dafür, daß die Unsicherheit in der Volkskammer und in der DDR ein Ausmaß erreicht hat,
({4})
daß es nicht möglich war, gestern nacht bzw. heute früh diesen Wahlrechtsvertrag zustande zu bringen. Ich bin ganz sicher, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hätten heute abschließen können, hätte es nicht den Vorschlag von Herrn de Maizière gegeben, den Wahltermin in Zweifel zu ziehen.
({5})
Und der, Herr Bundeskanzler, der war doch wohl mit Ihnen abgesprochen!
Drittens. Ich bin sicher, meine Damen und Herren, wir hätten heute abschließen können, wenn Ihre Parteifreunde in der Volkskammer mit ihrem Antrag gestern - den haben sie nicht als Regierung gestellt, ohne die Liberalen und die Sozialdemokraten - nicht für noch mehr Unsicherheit und Chaos gesorgt hätten.
({6})
Ich bedaure das, bin aber ganz sicher, daß auch dieser Antrag Ihrer Parteifreunde in der Volkskammer nicht ganz ohne den Bonner Zügel zustande gekommen ist.
({7})
Bleibt zusammenzufassen, meine Damen und Herren: Wir stehen zum Wahlrechtsvertrag. Wir bedauern, daß die Beratungen heute nicht zum Abschluß gebracht werden können, das werden wir am 23. August tun. Wir sehen, daß sich die Unsicherheit in der DDR erhöht und bedauern, daß die Bundesregierung dafür mit Verantwortung trägt.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten uns in Anbetracht der zunehmenden Unsicherheit alle darauf vorbereiten, daß es zu einem schnellen Beitritt kommen wird.
({8}) Danke schön.
({9})
Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Herr Baum.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch wir bedauern, daß es heute nicht zu einer Entscheidung kommt. Denn die Sache ist verabschiedungsreif. Wir sind uns einig. Wir haben gestern im Ausschuß die noch offenen Fragen geklärt. Die Ausnahmeregelung für Berlin, die Geltung des Parteiengesetzes, all das ist unter uns unstrittig. Daran soll auch nicht mehr gerüttelt werden.
Wir begrüßen, daß auch Sie als Opposition diese Erklärung abgegeben haben.
Nun halte ich es aber für ganz unmöglich, den Bundeskanzler dafür verantwortlich zu machen, daß die Volkskammer gestern den Wunsch ausgedrückt hat, noch Rechtsfragen zu klären.
({0})
Sie können nicht einerseits, Frau Däubler-Gmelin, Ihren Respekt vor der Volkskammer ausdrücken und sagen, wir gehen jetzt behutsam vor, um sie nicht zu präjudizieren, und uns andererseits hier dafür verantwortlich machen, daß noch Fragen offen sind, die auch die Wahlkreiseinteilung in der DDR betreffen. Wir sind der Meinung, daß die DDR hier Zeit haben muß, aber nicht zu viel Zeit. Denn das Gesetz - es ist gestern abgelehnt worden - muß in der DDR wieder eingebracht werden; das ist eine neue Prozedur. Ich gehe schon davon aus - man ist ja angesichts der gegenwärtigen Situation in der Volkskammer nicht sicher -,
({1})
daß am 22. August entschieden wird. Ich weise darauf hin, daß es für eine Wahl unverkürzbare Fristen gibt.
Ich sage für meine Fraktion ganz nachdrücklich: Wir möchten, daß dieses Wahlgesetz, das ja übrigens in den gemeinsamen Ausschußsitzungen hier abgestimmt worden ist, möglichst bald in Kraft tritt; denn wir wollen auf dieser Grundlage möglichst bald eine
Wahl, die erste freie Wahl nach etwa 60 Jahren in ganz Deutschland.
({2})
Herr Abgeordneter Häfner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin davon überzeugt, daß die Verschiebung der Abstimmung zum Wahlrecht, auch wenn wir deshalb noch einmal aus dem Urlaub zurückkehren müssen - einige kommen, wie ich, ja sowieso nicht dazu, Urlaub zu machen - auch ihr Gutes hat. So können alle noch einmal in sich gehen und sich gut überlegen, ob sie an diesem Wahlrechtsputsch tatsächlich weiter teilnehmen wollen.
({0})
Das Wahlrecht ist eine der demokratie- und machtsensibelsten Fragen in einem demokratisch verfaßten Staat überhaupt. Die Wahl ist das einzige Verfahren, in dem die Bürgerinnen und Bürger
Herr Häfner, ich kann den Ausdruck „Wahlrechtsputsch" hier nicht zulassen.
({0})
Ich werde die Gelegenheit nutzen, inhaltlich auszuführen, wie ich dieses Wahlrecht beurteile und warum ich solche drastischen Worte wähle. - Die Wahl ist vorerst das einzige Verfahren, in dem die Bürgerinnen und Bürger ihren politischen Willen mit rechtlicher Verbindlichkeit äußern können; deshalb ist das, was wir hier machen, hochsensibel. Das Wahlrecht muß allen die gleiche Chance zur Beeinflussung des politischen Geschehens, zur Beeinflussung der Zusammensetzung der Parlamente und damit indirekt auch der Zusammensetzung der Regierung sowie allen politischen Kräften die gleiche Chance des Machterwerbs einräumen. Es ist mit dem Wahlrecht unvereinbar, wenn seine Ausgestaltung bestimmte Parteien gezielt diskriminiert und andere fördert. Genauso aber wollen die Altparteien - hier paßt das Wort wieder einmal - in einer großen Koalition von CDU/CSU, FDP und SPD das Wahlrecht dieses Mal hinbiegen.
({0})
Sie wissen auch, daß es falsch ist, wenn Sie alle hier behaupten, die Verschiebung der Beratung heute sei nur darauf zurückzuführen, daß in der Volkskammer in Ost-Berlin nicht genügend Parlamentarier anwesend gewesen seien. Im Gegenteil: Es gab dort einige Menschen mit Rückgrat.
({1})
Es gab dort, z. B. in der SPD, einige Menschen, mehr als hier, die diesem Gesetz ihre Zustimmung verweigert haben.
Ich verrate Ihnen vielleicht kein Geheimnis, wenn ich betone: Auch bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung gestern hier im Rechtsausschuß wurden von allen Seiten erhebliche Bedenken geäußert, die nicht entkräftet werden konnten. Wir haben gestern im Rechtsausschuß dasselbe festgestellt: Mitglieder der SPD haben deshalb gegen diesen Gesetzentwurf gestimmt, Mitglieder der CDU und der FDP haben erhebliche Bedenken geäußert. Deshalb sollten Sie die jetzt gebotene Gelegenheit nutzen, noch einmal nachzudenken.
Übrigens, einen positiven Aspekt hat die Verschiebung auch noch, nämlich daß der weitere Versuch, Frau Präsidentin, der jedenfalls in die Nähe eines Putsches gekommen wäre,
({2})
den Wahltermin auf den 14. Oktober vorzuziehen und so den Folgen der eigenen Politik nämlich dem wachsenden Mißbehagen und der wachsenden Wut über die soziale Katastrophe in der DDR, zu entgehen, nun endgültig vom Tisch sein dürfte.
Warum nenne ich den Wahlrechtsentwurf so, wie er vorgelegt worden ist, unzulässig und undemokratisch? - Erstens: Die Fünfprozentklausel, in dem einheitlichen Wahlgebiet angewendet, wirkt sich für Parteien in der DDR so aus, daß es nur fiktiv 5 %, real aber fast 24 % sind, die die Parteien überwinden müssen. Eine solche Anwendung der Klausel ist nicht hinnehmbar, auch mit dem nun vorgesehenen Huckepackverfahren nicht. Sie bedeutet einen Verstoß gegen das Prinzip des gleichen Zählwerts und des gleichen Erfolgswerts der Stimmen, also gegen Art. 38 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Sie ist deshalb schlichtweg verfassungswidrig. Die Möglichkeit von Listenverbindungen, die Sie nun als Hintertür eingebaut haben, ändert daran nichts. Der Sprecher der Bundesregierung hat dies im Rechtsausschuß gestern so erläutert: Wir machen einen sehr hohen Zaun, den sehr viele nicht werden überwinden können. Wir geben aber, damit das verfassungsrechtlich hinnehmbar wird, den Parteien die Möglichkeit, eine „Räuberleiter" zu bilden, um diesen Zaun zu überwinden. Die Listenverbindung also eine Räuberleiter!
Schauen wir uns doch einmal an, wer überhaupt als Räuber im Sinne dieses Gesetzes handeln kann. Die DDR-Parteien kommen sämtlich nicht füreinander in Frage, weil ja nur solche Parteien Listenverbindungen mit Parteien oder Gruppierungen in der DDR bilden können, die nicht im gleichen Wahlgebiet antreten, also nur bundesdeutsche Parteien. Welche bundesdeutschen Parteien aber?
({3})
CDU, SPD, FDP und GRÜNE haben alle Partner, gleichnamige oder ihnen nahestehende Parteien, im Osten, d. h., sie alle kommen für die Räuberleiter nicht in Frage. Es bleibt einzig die CSU, die sich als Räuber betätigen und von diesem Recht Gebrauch machen kann.
({4})
Daß wir, die Grünen, Ihnen dennoch ein Schnippchen geschlagen haben, liegt daran, daß die grüne Partei der DDR auf eine eigene Kandidatur verzichtet und dem Bündnis der Bürgerbewegungen beitritt. Nur so können wir eine Listenverbindung mit dem Bündnis eingehen. Aber man kann wegen Art. 21 der Verfassung von einer Partei nicht verlangen, daß sie Verbindungen eingeht, die sie möglicherweise von sich aus nicht gewählt hätte, die ihr vom Wahlrecht aufgezwungen werden.
({5})
Der Versuch, das Wahlrecht nicht als ein Recht auszugestalten, das allen wirklich gleiche Chancen einräumt, sondern es so auszugestalten, daß bestimmte Parteien damit ihre liebgewonnene Macht sichern können, auch wenn sie im Falle CSU/DSU geistig und zunehmend auch politisch längst im Absterben begriffen sind,
({6})
und andere Parteien mit der Krücke eines so zurechtgebogenen Wahlrechts faktisch von der Wahl auszuschließen, kann und darf keinen Bestand haben.
Ich bitte Sie: Nutzen Sie die Zeit, die uns jetzt gegeben wurde, um die Sache noch einmal zu überdenken, und lassen Sie uns hier zu anderen Lösungen kommen! Brauchbare Vorschläge unserer Fraktion hierzu liegen längst auf dem Tisch.
({7})
Meine Damen und Herren, ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 1 auf:
Aussprache zur Vorbereitung der deutschen Einheit
Wie soeben schon gesagt, sind für die Beratung vier Stunden vorgesehen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wenn in der Debatte der Volkskammer gestern eines deutlich geworden ist - und zwar weniger wegen des nicht verabschiedeten Wahlrechts, sondern mehr wegen der Diskussion am späten Nachmittag und frühen Abend -, dann das eine: Die deutsche Einheit duldet wahrlich keinen Aufschub mehr; es ist höchste Zeit!
({0})
Am Abend hat die Volkskammer - und das ist das erste frei gewählte deutsche Parlament im anderen Teil unseres Vaterlandes - folgende Bitte an uns, an den Deutschen Bundestag, gerichtet: Die Verfassungsorgane der Bundesrepublik werden gebeten, die Möglichkeit zu eröffnen, die Wahlen zum gesamtdeutschen Parlament in Verbindung mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 14. Oktober 1990 durchzuführen.
Diese Bitte erinnert uns an unseren obersten Verfassungsauftrag, ein freies und geeintes Deutschland in einem friedlichen Europa herzustellen.
({1})
- Die Liberalen haben selbstverständlich zugestimmt, verehrter Herr Kollege Ehmke.
({2})
Die Koalition aus CDU/CSU und FDP will den Wunsch der Volkskammer erfüllen, und deswegen haben wir den Entschließungsantrag in die heutige Sitzung eingebracht. Wir wissen - und ich glaube, auch Sie wissen es, meine Damen und Herrren -, daß die Mehrheit unter den Menschen in der DDR für schnellen Beitritt nach Artikel 23 und für schnelle Wahlen noch viel größer ist als im Parlament der DDR.
({3})
Lieber heute als morgen - das ist die Antwort des vielzitierten Mannes auf der Straße, wenn Sie ihn in der DDR treffen und fragen.
({4})
Die Menschen wollen wählen, sie wollen bald wählen, sie wollen selbst entscheiden, und sie wollen in der staatlichen Ordnung der deutschen Einheit leben.
({5})
Vergessen wir bei der Diskussion um Wahlen doch nicht: Es sind dieselben Menschen, die sich an der Volkskammerwahl am 18. März zu 93 % beteiligt haben. Sie wollen wählen. Hören wir auf davon zu reden, sie würden mit Wahlen überfordert. Sie haben 40 Jahre lang nicht wählen dürfen; jetzt wollen sie es!
({6})
Am 18. März war die Entscheidung für die schnelle deutsche Einheit und für den ersten Staatsvertrag zur Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion.
Wollen wir die heutige Bitte wirklich zurückweisen? Gewiß, solange die äußeren Aspekte auf dem Weg zur deutschen Einheit nicht geklärt waren, konnten wir nicht handeln. Aber die Zwei-plus-Vier-Gespräche, der NATO-Gipfel in London, das Treffen im Kaukasus hatten das von Bundesaußenminister Genscher gezogene Fazit: Die äußeren Aspekte sind bis dahin zu klären. Dies ist bestätigt worden von Ihrem, von unserem Kollegen Egon Bahr. Wir dürfen entscheiden, wir können entscheiden; aber wir sagen nein.
Ich finde es bedrückend, ich finde es traurig: Die Hoffnungen vieler Menschen in beiden Teilen unseres Vaterlandes zerschellen am Nein einer Partei, die unbezweifelbar große politische Verdienste am Weg der Deutschen zur staatlichen Einheit hat.
({7})
Warum, meine Damen und Herren, so frage ich, verweigert sich die SPD - von den GRÜNEN war nichts anderes zu erwarten - dieser Herausforderung? Haben Sie Ihre eigenen Reden nach dem Fall der Mauer nicht mehr im Ohr?
Die liberalen Parteien in Ost und West, die ab übermorgen eine liberale Partei in ganz Deutschland sein werden, waren die ersten, die für frühen Beitritt
({8})
und für frühe gesamtdeutsche Wahlen eingetreten sind. Wir sind damals auch von Ihnen kritisiert worden, auch von der CDU/CSU kritisiert worden.
({9})
Meine Damen und Herren, jetzt sehen wir das alle anders.
Wenn Sie von Blockparteien, Pikkoloflöten und Blockflöten sprechen, dann sage ich Ihnen: Wer diese kollektive pauschale Verurteilung der Vergangenheit der DDR hier betreibt,
({10})
versündigt sich an den Menschen der DDR.
({11})
Was wollen Sie eigentlich mit zwei Millionen SED-Angehörigen machen? Alle ausgrenzen?
({12})
Was wollen Sie mit den Menschen machen, die wegen der Ausbildung und Erziehung ihrer Kinder in die politischen Parteien der DDR gezwungen worden sind und hineingegangen sind? Alle ausgrenzen?
({13})
Diese Kollektivverurteilung steht Ihnen schlecht zu Gesicht. Wir werden sie nicht mitmachen. Individuelle Schuld muß gesühnt werden; kollektive Verantwortung kann es nicht geben.
({14})
Wir haben in dieser Diskussion wie die Sozialdemokraten immer wieder gesagt: Gewählt werden kann erst dann, wenn der einheitliche Staat durch Beitritt zustande gekommen ist.
({15})
Auch bei diesem Punkt besteht jetzt Übereinstimmung. Niemand will mehr eine andere Reihenfolge, auch Ministerpräsident de Maizière nicht mehr.
({16})
Jetzt aber geht es um die Frage, ob Beitritt und Wahl auseinandergezogen werden können.
({17})
Rechtlich und verfassungsrechtlich kann man es sicher. Politisch ist es aber nicht wünschenswert. Die gestrige Debatte in der Volkskammer hat noch einmal demjenigen, der ihr zuhören konnte, sehr deutlich gemacht, daß mit dieser Möglichkeit, mit dieser Option unter den gegebenen Umständen nur schwer zu rechnen ist.
Herr Ministerpräsident des Saarlandes, Herr Lafontaine, Sie bezeichnen diese Diskussion als albernes Theater und als Affentheater.
({18})
Soll das, meine Damen und Herren von der SPD, der Ton der Antwort an die DDR sein; soll er es bleiben? Nicht mit uns, nicht mit den Liberalen und nicht mit dieser Koalition!
({19})
Es geht um die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung. Wir nehmen unsere Verfassung ernst.
({20})
Deshalb ist sich die Koalition einig: Der Weg über Art. 68 kommt nicht in Betracht.
({21})
Aber eine Verfassungsänderung zur einmaligen Abkürzung unserer Legislaturperiode ist möglich und auch nötig.
({22})
Verweigert sich der Deutsche Bundestag, dann müssen für wenige Monate Abgeordnete der Volkskammer hierher delegiert werden.
({23})
Das sind die typischen Abgeordneten zweiter Klasse, was wir keinem unserer Kollegen zumuten wollen.
({24})
- Das ist so ein ähnliches Wahlverfahren wie bei Ihnen beim Parteivorstand vorgesehen; trotzdem ist es aber nicht gut.
({25})
Die Bevölkerung der DDR würde von einer Regierung regiert werden, die sie nicht mitwählen durfte; denn Beitritt bedeutet den Übergang aller Autorität und Souveränität auf die Bundesregierung.
({26})
Diese Diskussion ist kein Affentheater. Sie zeigt ein merkwürdiges Verständnis von repräsentativer parlamentarischer Demokratie auf Ihrer Seite.
({27})
Was, meine Damen und Herren von der SPD, würden Sie eigentlich tun, wenn die DDR ihren Beitritt in der Mitte unserer Legislaturperiode erklären würde? Nach Ihrer Logik müßten die Wähler in der DDR dann zwei Jahre warten, bevor sie wählen dürften.
({28})
Es geht nicht um Wahltermine, es geht uns um die Menschen, sagen Sie. Wirklich?
({29})
Kann die neue Variante einer Sonthofen-Strategie für
sich in Anspruch nehmen, den Menschen zu dienen?
Es dient den Menschen nur eines: die Hängepartie auf
dem Weg zu einem einheitlichen deutschen Staat so schnell wie möglich zu beenden.
({30}) Wir sind ein Volk.
Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Brück?
Bitte sehr.
Graf Lambsdorff, halten Sie das Verfahren, das 1956 zur Eingliederung meiner Heimat, des Saarlands, in die Bundesrepublik gewählt worden ist, nachträglich für undemokratisch?
Bei aller Verehrung, verehrter Herr Kollege, für das Saarland: Dies ist in der Größe und Dimension mit der DDR nun überhaupt nicht zu vergleichen. Das ist ein völlig anderer Vorgang.
({0})
Meine Damen und Herren, ich wiederhole: Wir sind ein Volk. Wir brauchen einen Staat, wir brauchen ein Parlament, und wir brauchen eine Regierung, gewählt von allen Wahlbürgern des neuen, des geeinten Deutschlands.
({1})
Die Sozialdemokraten fragen: Warum der schnelle Sinneswandel des Herrn de Maizière?
({2})
Untersuchen Sie es bitte, wann immer Sie mögen. Freuen Sie sich doch mit uns darüber, daß Herr de Maizière jetzt zu den richtigen Einsichten gekommen ist!
({3})
Auch im Himmel gilt ein reuiger Sünder mehr als tausend Gerechte, meine Damen und Herren.
Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Lippelt?
Frau Präsidentin, wenn das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.
Nein; wird es nicht.
Danke schön. Bitte sehr.
Graf Lambsdorff, bei dem Unterschied, den Sie soeben zwischen Saarland und DDR gemacht haben: Warum haben Sie sich dann nicht in einer früheren Phase für den angemessenen Art. 146 des Grundgesetzes entschieden, so daß das Volk bei dieser bedeutenden Gelegenheit zusammentreten und sich neu zusammenfinden konnte?
({0})
Warum gehen Sie den Weg des Anschlusses, wenn Sie keinen Vergleich mit dem Saarland wollen?
Weil die Entscheidung über den Weg der Vereinigung der beiden deutschen Staaten eine Entscheidung der Wähler der DDR ist. Art. 23 des Grundgesetzes setzt eine Willenserklärung der DDR voraus. Die müssen entscheiden; und denen lassen wir diese Entscheidung.
({0})
Meine Damen und Herren, der saarländische Ministerpräsident sagt, die frühe Wahl schaffe keinen Arbeitsplatz mehr.
({1})
Dies, Herr Lafontaine, ist ökonomisch genau falsch.
({2})
Die DDR braucht Arbeitsplätze. Für die Arbeitsplätze braucht sie Investitionen. Die Investitionen sind bisher hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben.
({3})
- Hinter Ihren nicht? - Die möglichen Investoren schreckt eine Regierung mit eingeschränkter Souveränität, vor allem aber eine ihnen fremde, eine für sie unsichere Rechtslandschaft. Eines haben wir nämlich alle miteinander nicht richtig gesehen: die tiefgreifende Zerstörung bürgerlicher westlicher Rechtsgrundlagen im Wirtschaftsrecht der DDR durch 40 Jahre Kommunismus.
({4})
Das muß zu Ende gehen. Glücklicherweise ist im Einigungsvertrag vorgesehen, daß mit dem Beitritt grundsätzlich bundesdeutsches Recht auf dem Gebiet der DDR gilt, wobei Ausnahmen selbstverständlich möglich sind, aber einzeln festgelegt werden müssen.
Wir behaupten nicht, daß die frühe Wahl eine Investitionslawine lostreten werde oder daß sich die Probleme von selbst lösten. Aber Beitritt und schnelle Wahl verbessern die psychologische Situation, verbessern die Rahmenbedingungen und die Vertrauensgrundlage. Psychologie - das weiß jeder, der sich mit Wirtschaft und Wirtschaftspolitik beschäftigt, ist bei Investitionsentscheidungen die halbe Miete.
({5})
Hinzu kommt eines: Wir sind doch längst im Wahlkampf.
({6})
Wir sind alle längst im Wahlkampf, und wir wissen es doch alle. Jeder Tag, den dieser Wahlkampf länger dauert als unbedingt nötig, ist ein Tag, der für die DDR von Übel ist.
({7})
Das Strickmuster ist schon jetzt sichtbar: Regierung und Koalition sind in der Gefahr, die Lage in der DDR schöner zu reden, als sie ist, und Defizite mit Geld zuzudecken.
({8})
Die Opposition spricht von „Krise" , von „Chaos", von „Katastrophe", sie malt schwarz in schwarz. Glauben Sie, das schafft Arbeitsplätze?
({9})
Soll das bis zum 2. Dezember so weitergehen, und soll das der DDR helfen, soll das Investitionen und Beschäftigung bringen?
({10})
Nein, meine Damen und Herren von der Opposition, wer wirklich die Menschen in der DDR im Auge hat und wer sie besser kennt als der Ministerpräsident des Saarlands, der muß doch sagen: Schluß mit dem Übergangsstadium; Beitritt und Wahl schnell!
({11})
Meine Damen und Herren, schon jetzt beginnt der fruchtlose, der unnütze, ja der schädliche Streit. Ein katastrophaler Fehler sei die schnelle Einführung der D-Mark am 1. Juli gewesen; so sagt die SPD. Oder sagt es doch nur ihr Kanzlerkandidat? Der SPD-Fraktionsvorsitzende in der Volkskammer, Richard Schröder, gestern abend wörtlich: „Die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion war richtig." Punkt; ohne jeden Zusatz!
Haben Sie vergessen oder verdrängt, daß Sie es waren, die zuerst auf die schnelle Währungsunion gedrängt haben?
({12})
Frau Matthäus-Maier in ihrem Interview in der „Zeit" , und die Diskussion hier! Ich gestehe Ihnen ja zu, am Ende hatten Sie recht, und wir sind den Weg gegangen, wenn auch in etwas abgeänderter Form. Haben Sie vergessen oder verdrängt, wie es damals hieß: Entweder die D-Mark kommt zu uns, oder wir kommen zur D-Mark? Haben Sie die Übersiedlerprobleme einfach abgeheftet? Wohl denkbar, wenn man miterleben muß, daß der Ministerpräsident des Saarlandes jetzt das Grundrecht auf Asyl einschränken will.
Meine Damen und Herren, so wird die SPD zu einer Partei, deren einziger Grundsatz es ist, keine Grundsätze mehr zu haben.
({13})
Graf Lambsdorff - Dr. Graf Lambsdorff ({0}): Nein; es tut mir leid.
Meine Damen und Herren, die Kritiker sprechen von Chaos, die Kritiker sprechen von Desaster, die Kritiker sprechen von Katastrophe - ({1})
- Meine Damen und Herren, die Kritiker sprechen von Chaos, sie sprechen von Desaster, sie sprechen von Katastrophe in der DDR. Was soll das eigentlich? Ist das Lust am Untergang? Ist das Masochismus? Es wäre doch unser aller deutsches Chaos, unser aller deutsches Desaster.
({2})
Hat denn jemand erwartet, daß 40 Jahre sozialistische Mißwirtschaft durch sechs Wochen Soziale Marktwirtschaft überwunden werden können?
({3})
Haben wir nicht gewußt, daß sich die massive verdeckte Arbeitslosigkeit in offene Arbeitslosigkeit verwandeln würde? 60 % der Arbeitsplätze gingen verloren, sagt Frau Engelen-Kefer heute. Niemand, meine Damen und Herren, darf die Probleme verniedlichen. Aber wir können uns doch nicht selber hinterher zu tumben Toren erklären!
({4})
- Wenn Sie es wollen, tun Sie es. Ich habe nichts dagegen. Aber nicht für uns!
({5})
Gewiß, meine Damen und Herren, einiges ist schlechter gekommen als vermutet. Die Lage der Wirtschaft der DDR ist noch schwieriger, als wir es vorher gesehen haben.
({6})
Es gab manche zwar verständliche, aber schädliche Unerfahrenheit der dort Regierenden. Und es gibt die schreckliche faktische und psychologische Hinterlassenschaft des SED-Regimes.
({7}) Es ist ein Berg von Problemen; wohl wahr.
Es sind auch Fehler gemacht worden auf allen Seiten. Die Treuhandanstalt ist viel zu spät in Gang gekommen. Deshalb hat sie im Juli Geld mit der Gießkanne verteilt, auch an absolut nicht lebensfähige Betriebe. Die Umwandlung staatlicher in private Monopole, arbeitsrechtliche Investitionserschwernisse vielfältiger Art, die sich die DDR noch nicht leisten kann
({8})
- unter anderem die SPD in der DDR; die stellt dort den Arbeitsminister -, die immer noch anhaltende Selbstbedienung der Altfunktionäre in den DDR-Betrieben, das Verbot privater Satellitennutzung für die Herstellung von Telekommunikationsverbindungen durch das Postministerium der DDR, realitätsferne Tarifabschlüsse, mangelnde Haushaltsdisziplin - ja, es ist wahr, es sind auch Fehler gemacht worden auf vielen Seiten.
In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, zur Haushaltsdisziplin nur ein Wort. Es wird bei uns keine Steuererhöhungen zur Finanzierung der deutschen Einheit geben.
({9})
Wir brauchen sie nicht. Wir würden unsere Wirtschaft belasten, und wir würden ja auch die DDR belasten, meine Damen und Herren, denn wir sind bald auch steuerlich ein Land. Was soll das Ganze?
In dem Zusammenhang will ich nur eines anmerken.
({10})
Wir hören - bisher ist da nichts entschieden -, daß es vielleicht den Bundeshaushalt 1991 erst im nächsten Jahr geben soll.
({11})
Das muß sehr sorgfältig überlegt werden, und Vor- und Nachteile müssen abgewogen werden, ob wir wirklich zu diesem Verfahren übergehen sollen.
({12})
- Bei jedem Anflug von Nachdenklichkeit wird man durch ziemliches Getöse gestört. Aber lassen wir es so sein.
Meine Damen und Herren, wir sollten aufhören, ein düsteres DDR-Gemälde zu malen. Die Menschen brauchen Optimismus. Sie brauchen Zuversicht, und sie haben es nötig, daß man ihnen Mut macht.
({13})
Zu Recht beklagt unser Kollege Ehrenberg, dessen Einsatz in der DDR ich mit Respekt erwähne, daß immer nur über die Fehlleistungen von Kombinaten und großen Unternehmenseinheiten gesprochen wird und daß die vielfältigen Initiativen von Mittelständlern, von Selbständigen in der DDR und auch solchen, die aus der Bundesrepublik kommen, kaum Erwähnung finden. Warum sagt denn keiner, daß es den Rentnern - entgegen der Hetzkampagne der PDS vor der Volkskammerwahl - so vernünftig geht, daß niemand mehr darüber redet und keine Klagen hochkommen? Sind wir dazu da, nur die negativen Punkte aufzulisten?
({14})
Die Menschen in der DDR fragen mit Recht nach der Zukunft von Arbeitsplätzen, Wohnungen, der allgemeinen Versorgung, der Landwirtschaft, der Umwelt. Was, meine Damen und Herren, muß geschehen, damit wir hier weiterkommen?
Erstens. Die Treuhandanstalt muß schnell voll funktionsfähig werden. Sie hat die wichtige Aufgabe, die sanierungsfähigen Betriebe herauszufinden, ihnen über die Liquiditätsklemme der nächsten Monate zu helfen und dabei gleichzeitig zu sortieren, wem nicht mehr geholfen werden kann und welche Betriebe geschlossen werden müssen.
Der Hinweis auf die notwendige Schließung von konkursreifen Betrieben ist bitter, insbesondere, wenn man an regionale Schwerpunkte wie im Kupfererzbergbau denkt. Aber dieser Wirtschaftszweig kann in Deutschland und eben auch in der DDR nicht mehr rentabel betrieben werden. Man kann hier nur schließen.
({15})
- Uranbergbau ganz sicher auch, abgesehen von all den unmenschlichen Belastungen, die den dort Arbeitenden zugemutet worden sind. Kriminelle Veranstaltungen waren und sind das!
({16})
Es ist besser, jetzt schnelle und scharfe Schnitte zu machen und den Betroffenen Arbeitslosengeld zu
zahlen, als ihnen vorzugaukeln, ihre Betriebe könnten noch einmal rentabel werden.
Ich stimme auch hier mit Frau Engelen-Kefer überein - es steht heute in der Zeitung -, marode Betriebe sollten besser heute als morgen geschlossen werden. Sie hat recht.
({17})
Aber, meine Damen und Herren, noch viel wichtiger als das Arbeitslosengeld sind Qualifizierung, Umschulung, Weiterbildung, Ausbildung. Das muß ermöglicht werden, und regionale Investitionsprogramme zur Schaffung neuer Arbeitsplätze müssen angekurbelt werden. Das ist in der DDR jetzt vonnöten.
({18})
Erhaltungssubventionen, Herr Ministerpräsident des Saarlandes - ich denke, da sind wir uns einig - würden nur zu Erscheinungen führen, wie wir sie in der Vergangenheit - teilweise gemeinsam - in Ihrem Bundesland zu bewältigen versucht haben. Für sie gab es noch eine energiepolitische Rechtfertigung; die läßt sich so in der DDR nicht finden.
Die Bauwirtschaft bietet der DDR die Chance, auf breiter Front und schnell neue Arbeitsplätze zu schaffen. Es gibt gewaltige Beschäftigungsmöglichkeiten. Jeder, der in die DDR fährt, braucht sich ja nur umzusehen. Sie müssen ergriffen, sie müssen genutzt werden. Marktwirtschaftliche Wohnungswirtschaft ist keine sozial unverträgliche Veranstaltung. Sie will die Wohnbedingungen aller Gruppen der Gesellschaft einschließlich der sozial Schwachen, wie es Rentner und Alleinerziehende sind, verbessern.
Der seit 1936 geltende Mietstopp in der DDR muß wenigstens für neue Investitionen aufgegeben werden. Sonst kommen sie nicht. Schrittweise muß die Mietanpassung im Gleichklang mit der Einkommenssteigerung vollzogen werden. Die heutigen Mieten decken nicht einmal die öffentlichen Gebühren für den Grundbesitz. Sozial Schwache und Rentner müssen über die Einführung des Wohngeldes einen angemessenen Ausgleich für höhere Belastungen erhalten.
In der Frage der Sanierung der Umwelt ist mir für die DDR am allerwenigsten bange. Die Einführung moderner Techniken auf dem Weltmarktstandard - und was neu kommt, wird Weltmarktstandard sein; man wird ja nicht für veraltete Modelle dort investieren - bei der Elektrizitätserzeugung, in der Industrie, der Übergang auf moderne und schadstoffarme Motoren im Verkehrsbereich und die Umstellung der Hausheizungen auf andere Brennstoffe werden dazu führen, daß in relativ kurzer Zeit eine starke Verbesserung der Luftqualität erreicht werden kann.
Die Preislawine im Einzelhandel der DDR nach Einführung der D-Mark beruht nicht zuletzt auf den veralteten Betriebsstrukturen in der DDR und auf der Tatsache, daß die alten SED/PDS-Kader diese Betriebsstrukturen noch beherrschen und beeinflussen können.
Ich habe Vorschläge zur Intensivierung des Wettbewerbs gemacht, und ich bin sicher, daß gemeinsame
Anstrengung und das Abschneiden der alten Zöpfe Besserung versprechen.
Die Landwirtschaft in der DDR ist durch die schnelle Umstellung auf westliche Erzeugnisse schwer getroffen. Die Einbeziehung in den Agrarmarkt der Europäischen Gemeinschaft am 1. August wird helfen. Eins ist aber auch hier klar: Mit der alten Wasserkopfwirtschaft wird eine leistungsfähige DDR-Landwirtschaft in Zukunft nicht mehr leben können. Umstrukturierung macht auch vor den ländlichen Gebieten der DDR nicht halt.
Die unklaren Eigentumsverhältnisse - wir wissen es doch alle - sind ein großes Hindernis. Die FDP hat darauf gedrungen, die Verletzungen privaten Eigentums in der Vergangenheit, soweit es überhaupt noch geht - diese Einschränkung muß man nach der 40jährigen Entwicklung machen -, zu regeln. Aber diese vergangenheitsbezogene Regelung, die jetzt im Einigungsvertrag festgeschrieben werden soll, sollte als Basis für eine Zukunftsregelung gelten.
Der Produktionsfaktor Grund und Boden muß in einer Marktwirtschaft verfügbar sein. Sonst kann man nicht investieren.
({19}) Und das ist zur Zeit die Lage der DDR.
Deshalb meinen wir, es wäre gut, wenn die Bundesregierung umgehend mit der Regierung der DDR darüber spräche, wie man, nachdem die Klärung der vergangenen Verletzungen in der Eigentumsfrage nun behandelt und geregelt worden ist, zukunftsgewandt darüber sprechen kann, ob man Erwerber von Grund und Boden von Ansprüchen früherer Berechtigter freistellen kann. Das ist eine schwierige Frage.
Aber alles das - die beschränkte Zeit hier erlaubte nicht, mehr darzustellen - und vieles mehr, meine Damen und Herren, muß jetzt angepackt werden. Es kann besser und schneller und wirksamer und überzeugender angepackt werden, wenn wir alle Schritte zur staatlichen Einheit so schnell wie möglich tun.
Deshalb fordern die Freien Demokraten mit dem Koalitionspartner als beste Lösung den schnellen Beitritt und schnelle Wahlen.
Aber ich sage auch sehr nachdrücklich: Wir werden uns einem Beitrittsersuchen der DDR, das von Wahlen abgekoppelt ist, selbstverständlich nicht entziehen.
({20})
Das bleibt die Entscheidung der DDR.
({21})
Ich sage nur: Dies ist die zweitbeste Lösung, und es ist nicht die beste Lösung.
({22})
- Ja, es gibt eben immer auch noch einmal etwas Besseres als das, was sehr gut ist oder was Sie sehr gut finden, Herr Kollege Jahn.
Heute geht es darum, die Bitte der Volkskammer zu erfüllen und Beitritt und Wahlen am 14. Oktober 1990 zu ermöglichen.
Wir, die Freien Demokraten, halten das für wichtig. Wir halten das für notwendig. Wir sind der Überzeugung, daß den Menschen in der DDR und der Einheit unseres Vaterlandes auf diese Weise am besten und am schnellsten gedient werden kann. Deshalb stimmen wir der Entschließung der Koalitionsfraktionen zu.
Ich danke Ihnen.
({23})
Das Wort hat der Ministerpräsident des Saarlandes, Herr Lafontaine.
({0})
Ministerpräsident Lafontaine ({1}): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin in der Hoffnung hierhergekommen, die Gelegenheit zu haben, nach einem Sprecher der größten Regierungspartei oder nach einem Sprecher der Regierung in die Debatte eingreifen zu können. Nun hat der Vorsitzende der kleineren Regierungspartei das Wort ergriffen. Aber auch das ist ja keine Überraschung mehr, haben doch die letzten Tage uns gelehrt, daß die Vorliebe der Unionsparteien für kleine Parteien so groß geworden ist, daß man das Wahlrecht so konstruieren möchte, daß auch die kleinste Bürgerbewegung demnächst die Möglichkeit hat, im Bundestag vertreten zu sein.
({2})
Ich möchte an das anknüpfen, was wir im Gespräch mit der Bundesregierung zustande zu bringen versucht haben. Wir haben versucht, im Gespräch mit der Bundesregierung einen Dialog darüber zustande zu bringen, was jetzt unverzüglich geschehen kann, um den Menschen in der DDR zu helfen.
({3})
Dies ist das erste Anliegen der SPD. Daher appelliere ich noch einmal an Sie: Unterlassen Sie ständige Diskussionen über das Wahlrecht und über Wahltermine! Treten Sie mit uns in einen konstruktiven Dialog darüber ein, was wir jetzt tun können, um die soziale Katastrophe in der DDR zu vermeiden!
({4})
Voraussetzung, meine Damen und Herren, dafür ist, daß man der Wahrheit ins Gesicht schaut und daß man nicht der Versuchung unterliegt wie Graf Lambsdorff es hier genannt hat, die Wahrheit ständig zu beschönigen.
Ich habe die Entscheidung zur Einführung der D-Mark in der DDR zum 1. Juli als die wichtigste finanzpolitische Entscheidung der letzten Jahrzehnte bezeichnet. Die Frage, die bereits jetzt zu beantworten ist, ist, ob die Erwartungen, die an diese Entscheidung geknüpft worden sind, eingetreten sind. Ich zitiere hierzu den Bundeskanzler. Er sagte anläßlich dieser Entscheidung:
Den Deutschen in der DDR kann ich sagen, was auch Ministerpräsident de Maizière betont hat: Es wird niemandem
- ich wiederhole: Es wird niemandem schlechter gehen als zuvor, dafür vielen aber besser.
({5})
Meine Damen und Herren! Graf Lambsdorff hat hier bereits darauf hingewiesen, daß niemand über den drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit in der DDR überrascht sein konnte.
({6})
Arbeitslosigkeit ist für uns eine existenzielle Frage.
({7})
Es war daher ein Fehler, mit der Einführung der D-Mark zu sagen: Es wird niemandem schlechter gehen als vorher. Die Menschen in der DDR, meine Damen und Herren, sehen dies mittlerweile ganz anders. Auf Grund des Zinsanstiegs
({8})
und auf Grund des Anstiegs der Mieten in der Bundesrepublik gibt es auch in der Bundesrepublik Leute, die von der Einigungspolitik des Kanzlers Nachteile haben.
({9})
Sie sagten anläßlich der Einführung der D-Mark, meine Damen und Herren: Man muß der Wahrheit ins Gesicht schauen;
({10})
und für die Menschen in der Bundesrepublik gilt: Niemand wird wegen der Vereinigung Deutschlands auf etwas verzichten müssen.
Auch dieser Satz war grundlegend falsch.
({11})
Es ist doch von niemanden zu bestreiten, daß die Einheit dreistellige Milliardensummen kosten wird und daß diese dreistelligen Milliardensummen vom deutschen Steuerzahler aufgebracht werden müssen. Wie man angesichts einer solchen Situation sagen kann, niemand wird hier auf etwas verzichten müssen, das erklären Sie demnächst den Wählerinnen und Wählern in der Bundesrepublik!
({12})
Nun komme ich zu den Vorgängen in der Volkskammer. Am Anfang der letzten Woche lasen wir unter der Überschrift „Ich mache keine Sperenzchen" folgende Ausführungen des Ministerpräsidenten der DDR:
Ministerpräsident Lafontaine ({13})
Ich wehre mich dagegen, Beitrittserklärungen abzugeben, bevor ich einen Einigungsvertrag habe. Meine Forderung lautet: Wir müssen den Einigungsvertrag abschließen, und jeder Versuch, die Regierung in ihren Ausgangspositionen zu schwächen, ist verantwortungslos.
Er sagte weiter:
Wenn man aber erklärt, der Beitrittsantrag wird zu diesem oder jenem Zeitpunkt wirksam, kann uns ein Verhandlungspartner sagen: Wir kommen nicht überein. Legen wir es beiseite. Es erledigt sich durch Fristablauf.
Dies war die Position des Ministerpräsidenten der DDR zu Beginn der letzten Woche.
Wenige Tage später war es ganz anders. Es wurde ein Beitrittstermin genannt. Zur Begründung wurde angeführt: Bei den Vorbereitungen zu den Verhandlungen zum Einigungsvertrag hat die Zwischenbilanz ergeben, daß in den Bereichen Finanzen, Arbeit und Soziales, Wirtschaft, Handel und Landwirtschaft die Probleme der Aufarbeitung von 40 Jahren sozialistischer Mißwirtschaft größer sind als erwartet. Dies ist nicht die Stunde der Ressortbewertung. Die Fakten sprechen für sich.
Es ist richtig, meine Damen und Herren: Mittlerweile sprechen die Fakten für sich. Es ist an der Zeit, daß wir die Fakten zur Kenntnis nehmen, um endlich zu richtigen Lösungsansätzen zu kommen.
({14})
Ich habe gesagt: Man muß der Wahrheit ins Gesicht schauen. Man darf insbesondere nicht der Versuchung erliegen, immer wieder unwahre Behauptungen zur Grundlage von Entscheidungen zu machen.
Ich nehme jetzt den Antrag der CDU/DA-Fraktion in der Volkskammer, um zu belegen, daß dies immer wieder versucht wird, nicht nur in der Würdigung des Bundeskanzlers, welche Auswirkungen die schnelle Einführung der D-Mark wohl haben werde. In diesem Antrag heißt es zur Begründung des Beitritts:
Bereits jetzt ist Konsens mit der Bundesrepublik in den für die DDR-Bevölkerung besonders wichtigen Fragen erreicht:
Erstens. Rechtsangleichung.
Zweitens. Sicherung der Voraussetzungen für einen schnellen wirtschaftlichen Aufbau.
Drittens. Schaffung sozialverträglicher Regelungen für die Beschäftigten einschließlich des öffentlichen Dienstes der NVA.
Meine Damen und Herren, nichts von alledem stimmt. Es besteht kein Konsens mit der Bundesrepublik in diesen entscheidenden Fragen. Es ist unzulässig, daß die Bevölkerung der DDR auf diese Art und Weise in der Volkskammer getäuscht wird.
({15})
Ich lese hierzu ein Schreiben des Chefs der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen vor, der sich gegen diese Art der Darstellung verwahrt hat.
({16})
- Wenn ich mich auf den Chef der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen beziehe, dann hat dies eine für Sie ganz reale Grundlage: Das Land Nordrhein-Westfalen ist Verhandlungsführer für die A-Länder, wenn es um den Einigungsvertrag geht. Meine Damen und Herren, nehmen Sie endlich zur Kenntnis, daß Sie im Bundesrat mit einer anderen Mehrheit konfrontiert sind.
({17})
Wenn Sie weiter meinen, Sie können mit Überrumpelungsversuchen und Täuschungsmanövern das Tempo der Einheit bestimmen,
({18})
wird es Ihnen so ergehen wie vor ein paar Tagen dem Lokführer, der plötzlich unsanft von der Lokomotive genommen wurde und fühlen mußte, daß das Tempo und die Richtung anders verlaufen, als er sich das vorgenommen hatte.
({19})
Ich stelle für die Mehrheit der Bundesländer fest. Erstens. Es trifft nicht zu, daß zum Thema Rechtsangleichung Einverständnis besteht. Der Vertragsentwurf enthält derzeit lediglich ausfüllungsbedürftige Blankettformulierungen, jedoch keinerlei inhaltliche Übereinstimmung.
Zweitens. Es trifft nicht zu, daß die Voraussetzungen für einen schnellen wirtschaftlichen Aufbau der DDR gesichert wären. Das Gegenteil ist der Fall.
({20})
Selbst der Bundeskanzler hat gesagt: Es ist notwendig, in der DDR einen Kassensturz zu machen. Aus Sicht der Länder ist dies dringend notwendig, bevor über die Regelungen der Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Ländern im vereinten Deutschland gesprochen werden kann.
({21})
Schließlich trifft es überhaupt nicht zu, daß es einen Konsens über die Schaffung sozialverträglicher Regelungen für die Beschäftigten einschließlich des öffentlichen Dienstes und der NVA gebe. Es geht hier um 1,7 Millionen Menschen. Wir haben noch keine Antwort gefunden, die wir ihnen geben, wenn es darum geht, Stellen abzubauen - das ist notwendig - und Überleitungsverträge anzubieten. Täuschen Sie die Menschen doch nicht, indem Sie sagen, das Problem sei geregelt. Nichts ist geregelt. So zynisch kann man mit den Menschen nicht umgehen.
({22})
Es ist gut, daß das Manöver der Koalitionsparteien - ich muß wohl präzisieren: des Bundeskanzlers - von der Presse durchschaut worden ist. Ich zitiere zunächst einmal die „Welt", die ja nicht in dem Verdacht steht, Ihnen übelzuwollen. Dort heißt es:
Ministerpräsident Lafontaine ({23})
Unter diesen Gesichtspunkten und in Anbetracht der miserablen wirtschaftlichen und sozialen Situation in der DDR ist ... klar: Wichtig ist der schnelle Beitritt, nicht aber die hastige Wahl.
Bekennen Sie sich zu Ihrer Verantwortung und stellen Sie sich dem schnellen Beitritt.
({24})
Im „stern" heißt es heute - ({25})
Ich darf um Ruhe im Saal bitten.
Ministerpräsident Lafontaine ({0}): Auch wenn Sie ertappt worden sind, hören Sie sich ruhig an, was die Presse zu Ihren Manövern zu sagen hat:
Die Aktion Wahltermin 14. Oktober und ihre Begründung sind Wählertäuschung. Wenn es den beiden Regierungschefs Kohl und de Maizière wirklich nur um die Rettung der im Koma liegenden DDR ginge, dann hätten sie den schnellstmöglichen Beitritt vereinbaren sollen.
({1})
Denn das ist längst überfällig: schneller Beitritt auch ohne Wahlen. Auch dann, verehrter Herr Bundeskanzler, kann man nämlich Kassensturz machen und handeln.
Aber das ist es ja, was Kohl nicht will. Jetzt gleich und vier Monate vor den Wahlen am 2. Dezember die ganze trostlose Wahrheit der Zahlen auf den Tisch legen und dann vermutlich Steuererhöhungen beschließen.
({2})
Meine Damen und Herren, wenn ich jetzt höre, daß Sie den Haushaltsentwurf zurückgezogen haben und daß Sie von uns verlangen wollen, wir sollten uns ohne Kenntnis eines Haushaltsentwurfes zu einem Wahltermin bereit erklären, dann muß ich Ihnen sagen: Ein solches Täuschungsmanöver der Wählerinnen und Wähler wird es nicht geben.
({3})
Sie müssen lernen, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen.
({4})
- Die Wahrheit und die Wirklichkeit in der DDR sind nicht Anlaß zu solch albernem Gelächter, wie Sie es hier abhalten, sondern Anlaß zu tiefer Besorgnis.
({5})
Hören Sie endlich auf, all diejenigen, die alternative Vorschläge zum Prozedere machen und eine andere Einschätzung der Lage in der DDR haben als Ihre
beschönigende Einschätzung als Gegner der Einheit zu diffamieren.
({6})
Worum es geht, ist, daß Sie sich, Herr Bundeskanzler, der Verantwortung stellen müssen, die jetzt auf Sie zukommt. Verstecken Sie sich nicht immer wieder hinter der Regierung der DDR.
({7})
Es war fast schäbig, mit anzusehen, wie man zunächst versucht hat, die Frauen und Männer der neuen DDR-Regierung zu hofieren - es war ja regelrecht eine Invasion festzustellen, um Phototermine mit ihnen zu bekommen - , und wie man jetzt probiert, diese Männer und Frauen über die Presse niederzumachen und ihnen Unfähigkeit vorzuwerfen. Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Wenn einige von Ihnen innerhalb kürzester Zeit vor die Aufgabe gestellt worden wären, mit dem ehemaligen Rechtssystem der DDR arbeiten zu müssen, wollte ich nicht sehen, wie diese ausgesehen hätten.
({8})
Unterlassen Sie es, von Ihrer Verantwortlichkeit dadurch abzulenken, daß Sie die Fehler immer wieder der Regierung der DDR anlasten wollen, während die Erfolge wohl immer nur Erfolge der Bundesregierung sind.
({9})
Ich wies bereits darauf hin - dies scheint sich immer noch nicht durchgesetzt zu haben; ich sehe dabei auf die Regierungsbank - : Sie brauchen für den Fortgang der Einigungspolitik parlamentarische Mehrheiten im Bundestag und im Bundesrat. Ich bitte, dies endlich zur Kenntnis zu nehmen.
({10})
- Ich will Ihnen sagen, warum ich bitte, dies endlich zur Kenntnis zu nehmen: Als wir am Freitag unterrichtet wurden, daß ein neuer Wahltermin ins Auge gefaßt worden sei, verhandelten die Bundesregierung und die Regierung der DDR mit unseren Beauftragten immer noch auf der Grundlage eines Wahltermins im Rahmen des Grundgesetzes. Meine Damen und Herren, eine solche Behandlung lassen wir uns nicht mehr bieten. Das ist der plumpe Versuch, uns zu täuschen und zu betrügen.
({11})
Wenn Sie ernsthaft der Überzeugung gewesen wären - Graf Lambsdorff, ich wende mich in Fortsetzung des Gespräches, das sachlich zwischen uns verlief, an Sie -, dann hätte das Prozedere doch ein ganz anderes sein müssen. Man kann doch nicht mit solchen Taschenspielertricks eine solche Vereinbarung erreichen wollen. Man muß doch vorher mit denen
Ministerpräsident Lafontaine ({12})
reden, die man braucht, um das Grundgesetz zu ändern.
({13})
Meine Damen und Herren, Sie haben zu einem Parteiengespräch eingeladen - so habe ich es vom Bundeskanzler gehört -, um darüber zu beraten, was jetzt zu tun sei.
({14})
Ich greife dieses Parteiengespräch gerne auf. Aber es gibt mehr Parteien - darin stimme ich Ihnen zu, Frau Vollmer - als die, die eingeladen worden sind.
({15})
Wir müssen uns darüber verständigen, was jetzt zu tun ist, um den Menschen in der DDR zu helfen. Voraussetzung dafür ist eine richtige Analyse der ökonomischen und sozialen Situation. Voraussetzung dafür ist auch eine wahrhaftige Darstellung der finanziellen Entwicklung des Staatshaushaltes der DDR.
({16}) Nun will ich zur Sache kommen.
({17})
Sie, Graf Lambsdorff, haben im zweiten Teil Ihrer Ausführungen eine Reihe von Maßnahmen angesprochen, die notwendig sind, um jetzt aus der Krise herauszukommen.
({18})
- Das Lachen wird Ihnen noch vergehen.
({19})
Meine Damen und Herren, ich haben Ihnen gesagt: Wenn Sie die notwendigen Mehrheiten im Bundestag und im Bundesrat für die Einigungspolitik sicherstellen wollen, dann müssen Sie sich anständig aufführen und demokratisches Benehmen an den Tag legen.
({20})
Ich komme nun zum ersten Punkt: Strukturprogramm für die DDR. Wir haben unmittelbar nach dem Fall der Mauer zusammen mit Stimmen in der Öffentlichkeit ein Strukturprogramm für die DDR gefordert. Sie haben das Strukturprogramm damals mit dem Bemerken zurückgewiesen, Sie wollten der Regierung Modrow nicht noch Milliarden hinterherwerfen.
({21})
Dies war eine wirtschaftspolitische Fehlentscheidung,
({22})
und zwar deshalb, weil, ehe die ersten Milliarden verausgabt worden wären, um das Strukturprogramm für die DDR abzuwickeln, die Regierung Modrow längst nicht mehr im Amt gewesen wäre. Sie haben durch Ihr Zögern einen zügigen Ausbau der Infrastruktur verhindert.
({23})
Es ist ein Grundfehler konservativer Wirtschaftspolitik, zu vernachlässigen, daß eine solide staatliche Infrastruktur Voraussetzung für das Funktionieren realwirtschaftlicher Investitionen ist.
({24})
Zweitens. Wir bieten nicht nur an, im Rahmen eines Parteiengespräches über ein Strukturprogramm zu reden, sondern wir bieten auch an, über eine steuerliche Präferenz für Investitionen in der DDR zu reden und die entsprechende Entscheidung im Bundesrat zu begleiten.
({25})
Wenn ich heute in der Zeitung lese, daß der Wirtschaftsminister erkannt hat, daß die steuerlichen Investitionsbedingungen in der DDR nicht stimmen, weil - man will es ja gar nicht glauben - die steuerlichen Anreize, um im Zonenrandgebiet oder in Berlin zu investieren, immer noch höher als in der DDR sind, dann ist das doch eine Bankrotterklärung Ihrer Regierung und kein Nachweis seriösen Arbeitens.
({26})
Drittens. Wir brauchen ein Wohnungsbauprogramm für die DDR, und wir brauchen ein Wohnungsbauprogramm für die Bundesrepublik.
({27})
Es geht nicht an, daß wir die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt in der Bundesrepublik vernachlässigen. Sie haben sich hier eine schwere Fehleinschätzung zuschulden kommen lassen. Auf Grund der Wanderungsbewegung aus Osteuropa, auf die ich immer hingewiesen habe, - ({28})
- Ich bin in diesem Zusammenhang von Ihnen lange Zeit wegen Vorschlägen diffamiert worden, die mittlerweile alle im Staatsvertrag enthalten sind.
({29})
Sie haben damals eben nicht begriffen, daß jeder junge Mann, der aus der DDR wegrennt, nicht nur hier die Renten sicherstellt, sondern auch in der DDR fehlt, wenn es darum geht, die Produktion aufzubauen. Dies haben Sie damals nicht begriffen.
({30})
Ich habe auf die Belastungen des Wohnungsmarktes hingewiesen, die sich auf Grund der Wanderungsbewegungen ergeben. Diese Belastungen sind nicht mehr zu leugnen. Die Mieten steigen. Die Zinsen stei17392
Ministerpräsident Lafontaine ({31})
gen. Die Erklärungen, der Wohnungsmarkt sei ausgeglichen, waren falsch. Der Abbau der Fördermittel für den sozialen Wohnungsbau war ein schwerer Fehler.
({32})
Wir fordern ein Wohnungsbauprogramm. Die Vorschläge liegen im Bundesrat vor. Wir fordern insbesondere, die Förderung des sozialen Wohnungsbaus wieder aufzunehmen.
({33})
Das gleiche gilt für die DDR. Richtig wäre es, in der DDR über den Wohnungsbau Eigentumsbildung zu betreiben und eine Sanierung des völlig maroden Wohnungsbestandes über eine staatliche Förderung zu ermöglichen. Dies wäre ein Konjunkturprogramm für Handwerksbetriebe in der DDR.
({34})
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann-Mertens?
Herr Lafontaine, da ich unterstelle, daß Sie nicht nur für sich persönlich, sondern auch für die SPD, und zwar sowohl für die SPD-Bundestagsfraktion als auch für die SPD-geführten Bundesländer, sprechen, möchte ich Sie zweierlei fragen. Richtig ist, daß die Zinsen mittlerweile auch in der Bundesrepublik steigen. Richtig ist, daß das auch mit den Folgen des Einigungsprozesses zusammenhängt, unter anderem mit den Kapitalmarktkosten des Fonds Deutsche Einheit. Der Fonds Deutsche Einheit ist von der Bundesregierung und von den Länderregierungen, auch von den SPD-geführten, ausgehandelt worden. Wie hat sich die Regierung des Saarlandes zu diesem Fonds Deutsche Einheit verhalten und damit zu einer Mitverantwortung für den Zinsanstieg, den Sie gerade beklagen?
Die zweite Frage. Da Sie beklagen, daß von der Bundesregierung im Frühjahr dieses Jahres nicht ein Strukturhilfeprogramm für die DDR aufgelegt worden ist, frage ich Sie, warum die SPD-Fraktion im März dieses Jahres ein umfangreiches Soforthilfeprogramm der GRÜNEN zum ökologischen und sozialen Umbau der bestehenden ökonomischen und infrastrukturellen Strukturen in der DDR abgelehnt hat. Wir hatten 30 Milliarden DM gefordert - nicht die 15 ModrowMilliarden - , womit wir in der Dimension völlig richtig gelegen haben. Die Argumente der SPD für die Ablehnung waren exakt die gleichen wie die der Bundesregierung. Es hieß nämlich, man wolle der bald aus dem Amt scheidenden Modrow-Regierung kein Geld in den Rachen werfen.
Ministerpräsident Lafontaine ({0}): Herr Abgeordneter, ich versuche, kurz zu antworten. Die Landesregierung hat dem Fonds zugestimmt. Auf die finanziellen Fragen im Zusammenhang mit der Einheit werde ich nachher noch eingehen.
Zu Ihrer zweiten Frage. Die SPD-Fraktion hat vielleicht einem von Ihnen gewünschten Programm nicht zugestimmt. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß sie unmittelbar nach dem Fall der Mauer ein finanzierbares Strukturprogramm gefordert hat.
({1})
Viertens möchten wir mit Ihnen über die Energieversorgung in der DDR reden. Grundlage der realwirtschaftlichen Investitionen in der DDR ist eine ausreichende Energieversorgung. Es muß gelingen, das Kapitel der großen Versorger in der Bundesrepublik zu mobilisieren und gleichzeitig sicherzustellen, daß in der DDR eine dezentrale, ökologische Struktur der Energieversorgung aufgebaut wird.
({2})
Fünftens. Wir sind gerne bereit, mit Ihnen über den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur im Rahmen des Infrastrukturprogramms zu reden. Ebenso wie bei der Energieversorgung gilt es in diesem Zusammenhang, die Erfahrungen unserer Gesellschaft zu nutzen. In erster Linie sollte daher der öffentliche Nahverkehr, der öffentliche Verkehr überhaupt gefördert werden.
({3})
Sechstens. Wir bieten an, hinsichtlich der Lösung der Eigentumsfrage zu einer schnellen Regelung zu kommen. Graf Lambsdorff, Sie haben völlig recht, wenn Sie sagen, der Produktionsfaktor Boden stehe nicht zur Verfügung. Aber glauben Sie mir: Eine Regelung dieser Frage wäre für die Investitionen viel, viel wichtiger als ein Vorziehen der Wahlen um ein paar Wochen.
({4})
Analog zu dem, was ich im Hinblick auf die schlechten Bedingungen für die steuerliche Abschreibung in der DDR und im Hinblick auf die Zonenrandförderung gesagt habe, ist es keine große Leistung Ihrer Regierung, daß der Produktionsfaktor Grund und Boden noch nicht zur Verfügung steht.
Siebtens. Wir wollen mit Ihnen über den öffentlichen Dienst reden. Auf diesem Gebiet gilt es, eine ganze Reihe unpopulärer Entscheidungen zu treffen. Es gilt, den Menschen dort zu sagen, daß eine solche Überbesetzung des öffentlichen Dienstes in der DDR nicht aufrechtzuerhalten ist. Es ist natürlich unpopulär, solche Vorschläge vor einer Wahl in den Raum zu stellen. Aber es ist noch unzulässiger, so zu tun, als seien die Dinge geregelt. Nein, wir werden Sie zwingen, Vorschläge dazu auf den Tisch zu legen.
({5})
Achtens. Über die Einrichtung der Treuhand haben Sie einiges gesagt, Graf Lambsdorff, unter anderem daß sie zu spät eingerichtet worden ist. Ich brauche Ihre Kritik an der Arbeit der Treuhand nicht zu wiederholen. Ich verweise nur auf einen Strukturfehler. Es hat überhaupt keinen Sinn, jetzt immer wieder nach dem Muster alter Debatten in der Bundesrepublik die Lohnabschlüsse in der DDR zum Gegenstand der kritischen Betrachtung der Entwicklung in der DDR zu machen. Es ist nun einmal so: Wenn wir unsere Ordnung dorthin übertragen wollen, dann brauMinisterpräsident Lafontaine ({6})
chen wir Tarifvertragsparteien. Nach Adam Riese ist die Tarifvertragspartei Gewerkschaften nicht dazu da, die Löhne künstlich niedrig zu halten oder gar einzufrieren oder etwa den Tatbestand zu ignorieren, daß die Menschen dort ja zusätzlich Steuern und Sozialabgaben zahlen müssen.
({7})
An der Treuhand sehen Sie den Strickfehler der ganzen Einigungspolitik. Sie haben geglaubt, dies könnten Sie alles alleine machen; Sie könnten es ohne die Opposition machen. Aber Sie glauben auch, Sie könnten es ohne die Gewerkschaften machen. Das wird nicht gehen. Ich appelliere an Sie: Beteiligen Sie die Gewerkschaften an der Treuhand, und rufen Sie eine konzertierte Aktion ins Leben, um die Verhältnisse in der DDR in den Griff zu bekommen.
({8})
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Grafen Lambsdorff?
Ministerpräsident Lafontaine ({0}): Selbstverständlich.
Herr Ministerpräsident, ist Ihnen entgangen, daß die Vorschriften für die Treuhand vorsehen, daß dort gar paritätische Mitbestimmung herrscht, daß nämlich zehn von Gewerkschaftsseite benannte Mitglieder in den Verwaltungsrat entsandt werden sollen?
Ministerpräsident Lafontaine ({0}): Graf Lambsdorff, mir ist nicht entgangen, daß die deutschen Gewerkschaften gegen ihre Behandlung in der Treuhand protestiert haben und daß es deshalb zu einem Rücktritt kam. Ich habe wahrscheinlich in diesem Fall eine bessere Kenntnis der Diskussion in den Gewerkschaften, als Sie sie auf Grund mangelnder Kontakte haben.
({1})
Neuntens wollen wir mit Ihnen über die Finanzierung der sozialen Sicherung reden. Sicherlich war es wünschbar, daß die Arbeitslosigkeit möglichst gering bleiben und daß die Kosten beispielsweise für die Krankenversicherung nicht explodieren würden. Aber Sie haben sachliche Lösungen deshalb verbaut, weil Sie jeden, der gesagt hat, die Arbeitslosigkeit könne doch schneller steigen und die Kosten für die Krankenversicherung könnten doch größer werden, als Gegner der deutschen Einheit und als Schwarzmaler diffamiert haben. Lernen Sie jetzt, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen und richtig zu analysieren.
({2})
Wir wollen schließlich - ich biete das an - , mit Ihnen über die Finanzierung der Länder und Gemeinden in der DDR reden, die man offensichtlich vergessen hat.
({3})
- Ich will Ihnen gerne noch erläutern, Herr Bundesinnenminister, wie es um die Finanzen in den Gemeinden in der DDR und wie es um die Finanzierung der neuen Länder bestellt ist. Sie sind doch bei den Verhandlungen dabei.
({4})
- Wenn Sie dabei sind, muß ich mich fragen, was Sie da machen,
({5})
wenn Sie nicht wissen, wie es um die Finanzierung der Gemeindehaushalte und um die Finanzierung der Länderhaushalte in der DDR bestellt ist.
({6})
Aber dazu bedarf es jetzt endlich dessen, was Sie auch mit dem vorgezogenen Wahltermin zu verweigern versucht haben. Sie müssen offenbaren, was die deutsche Einheit kostet. Unterlassen Sie es, die Wählerinnen und Wähler immer wieder zu vertrösten oder gar zu täuschen. Die deutsche Einheit wird viel teurer, als Sie zu Beginn dieses Jahres die Menschen glauben machen wollten.
({7})
Wir sind bereit, mit Ihnen über diese Fragen zu reden, Herr Bundesfinanzminister, wenn das Gespräch anders verläuft als das letzte. Wenn Sie beispielsweise sagen, Sie könnten über die finanziellen Belastungen keine Auskunft geben, weil Sie noch abwarten müßten, wie die Eröffnungsbilanzen und die Ergebnisse des ersten Steuertermins aussähen, dann ist das ja sehr ehrenhaft. Aber wenn Sie dann im gleichen Atemzug dem Finanzminister der DDR vorwerfen, daß er nicht in der Lage sei, die Zahlen zu nennen, ist dies unredlich. Sie sind auch hier dabei ertappt, daß Sie mit zweierlei Münze arbeiten wollen.
({8})
Ein Gespräch hat nur Sinn - ich erkläre dies zumindest für die A-Länder - , wenn Sie sich bereit finden, die Kosten der Einheit offenzulegen, und wenn Sie sich bereit finden, uns mit einem gesamten Haushaltsentwurf zu sagen, wie Sie die Entwicklung des nächsten Jahres einschätzen. Ich wiederhole: Wahlen schnell und der Haushaltsentwurf später, das wird es mit den deutschen Sozialdemokraten nicht geben.
({9}) Ich fasse zusammen:
({10})
Erstens. Sie haben - dies kann ja passieren - die ökonomische und soziale Entwicklung in der DDR falsch eingeschätzt. Ich habe die Erklärungen, die dazu abgegeben worden sind, vorgetragen.
Zweitens. Sie haben sich bis zum heutigen Tage geweigert, die Kosten der deutschen Einheit offenzulegen.
Drittens. Sie haben lange Zeit geglaubt, Sie könnten diesen Prozeß ohne Beteiligung der Opposition - und dies heißt mittlerweile auch: ohne Beteiligung der Mehrheit des Bundesrates - bewerkstelligen.
Ministerpräsident Lafontaine ({11})
Wir haben Sie davor gewarnt. Ich erinnere mich noch, wie Sie reagiert haben, als der Vorsitzende der SPD angeboten hat, die ersten Schritte zum Einigungsprozeß gemeinsam in Form eines Runden Tisches auszuhandeln. Sie sind mittlerweile von Ihrer eigenen Politik eingeholt worden.
Deshalb schließe ich mit einem Zitat von Abraham Lincoln: Man kann alle Menschen eine Weile täuschen und einige Menschen die ganze Zeit, aber nicht alle Menschen die ganze Zeit.
({12})
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Herr Dr. Waigel.
({0})
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier ruft jemand aus der SPD, das sei die Stunde der Kleinen. Er scheint den Vorredner gemeint zu haben.
({0})
- Das kam aus Ihren Reihen; das ist nicht mein Wort.
Herr Ministerpräsident Lafontaine, wir freuen uns alle, daß Sie heute wieder genesen unter uns sind und hier sprechen konnten.
({1})
- Wer da aus Ihren Reihen Heuchler gerufen hat, der unterstellt mir etwas, was ich bei dieser Bemerkung wirklich nie gedacht habe; glauben Sie mir das.
({2})
Sie haben gemeint, uns in etwas napoleonischer Weise den Rat geben zu sollen, wir sollten uns anständig aufführen. Wie dieses Parlament sich aufführt, wie es sich gibt, wie es debattiert, das bestimmen wir. Da brauchen wir von Ihnen kein Lehrgeld, Herr Lafontaine.
({3})
Herr Ministerpräsident, wollen Sie allen Ernstes behaupten, es sei den Menschen unter Honecker, unter Krenz und unter Modrow besser gegangen als heute? Ich halte das für eine unglaubliche Unterstellung.
({4})
Den Menschen gegenüber, die damals mit einem verdeckten und versteckten Konkurs, mit einer verdeckten und versteckten Pleite, mit einer verdeckten Arbeitslosigkeit, deren Zahl damals schon mit 1,5 Millionen angegeben wurde, leben mußten, zu behaupten, das sei besser gewesen als heute, wo sie eine große
Chance für die Zukunft und für einen Neuanfang haben, das ist Demagogie.
({5})
Herr Ministerpräsident, Sie sind ein ganz schlechter finanzpolitischer Ratgeber.
({6})
Wer zur Solidarität für andere auffordert und ständig, um seinen Haushaltsnotstand zu verdecken, Milliarden vom Bund fordert, der ist kein guter Ratgeber in finanzpolitischen Angelegenheiten.
({7})
Was Ihre sehr parterre anzuhörende Bemerkung über die Fototermine anbelangt, kann ich nur sagen: besser mit gewählten Demokraten als mit früheren Diktatoren.
({8})
Schlichtweg falsch ist Ihre Behauptung, die Zinsen seien gestiegen. Sie müßten genau wissen: Bevor über den ersten Staatsvertrag überhaupt diskutiert und er verabschiedet wurde, sind sie gestiegen. Zwischenzeitlich aber sind sie zurückgegangen, weil nämlich alle Welt - OECD, IWF, Weltbank, Europäische Kommission und unsere europäischen Nachbarn -, weil die ganze Weltwirtschaft davon ausgeht: Jawohl, bei dieser glänzenden Konjunktur- und Wirtschaftslage können und werden die Deutschen die Dinge bewältigen. Die internationalen Organisationen bestätigen uns etwas, was fast im Wahlprogramm von CDU, CSU oder FDP stehen könnte: Wir haben seit 1982 eine Politik gemacht, als ob man gewußt hätte, daß 1990 die Einheit stattfindet. Eine bessere Voraussetzung, um eine Schicksalsstunde der Deutschen ökonomisch zu bewältigen, hat es seit 1948 nicht mehr gegeben.
({9})
Übrigens wäre es gut, Herr Lafontaine, Sie würden sich zunächst mit allen Ländern kurzschließen, bevor Sie Bewertungen über die Länder abgeben. Ich habe nicht den Eindruck, als ob sich z. B. Nordrhein-Westfalen oder auch andere Länder von Ihnen voll repräsentiert fühlen. Es hat von Länderseite auch Bemerkungen gegeben, sie seien noch nie zuvor an Verhandlungen so intensiv wie diesmal beteiligt worden. Auch beim Staatsvertrag, bei der Einführung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, haben vielfache Unterrichtungen stattgefunden. Auch Ihr Finanzminister war daran weitgehend beteiligt. Die Finanzminister von Nordrhein-Westfalen und Bayern saßen mit am Verhandlungstisch. Mehr an Angebot zur Information und zur Kooperation kann es gar nicht geben. Auch das Saarland hat dem Fonds Deutsche Einheit zugestimmt. Dann kann man nicht im nachhinein sagen, daß dadurch die Zinsen oder die
Kapitalmärkte in irgendeiner Form tangiert worden wären.
({10})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ehrenberg?
Bitte schön.
Herr Bundesfinanzminister, darf ich Ihrer Äußerung im vorigen Absatz entnehmen, daß Sie 1,8 bis 2,3 Millionen Arbeitslose in den letzten acht Jahren und den Anstieg der Zahl der Sozialhilfeempfänger um eine volle Million als eine hervorragende Ausgangsposition betrachten?
Herr Kollege Ehrenberg, Sie waren mit Ihren Bemerkungen in den letzten Wochen zur Entwicklung in der DDR sehr viel sachkundiger und auch sachlicher, als Sie es durch diese Äußerung erkennen lassen. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit in den 80er Jahren war darauf zurückzuführen, daß vorher - leider auch unter Ihrer Beteiligung - eine falsche Finanz- und Wirtschaftspolitik betrieben worden ist.
({0})
Das ist die Konsequenz gewesen.
({1})
Meine Damen und Herren, der Ministerpräsident des Saarlandes hat erkennen lassen: Er hat keine eigene Konzeption zu den zentralen deutschlandpolitischen
({2})
und den damit zusammenhängenden finanzpolitischen Aufgaben. Das Herausziehen von Zitaten aus einer Zettelkastenwirtschaft ersetzt keine eigene Politik.
({3})
Allerdings, Herr Ministerpräsident: Sie spielen mit dem Schicksal der Menschen, vor allen Dingen mit demjenigen unserer Mitbürger in der DDR. Sie wollten die Währungsunion verhindern und stellen sich jetzt dagegen, durch frühzeitige gesamtdeutsche Wahlen die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung mit vollem Handlungsspielraum für eine vierjährige Legislaturperiode zu ermöglichen.
Sie haben noch nicht einmal ein Konzept, das aus dem von Ihnen erwarteten wirtschaftlichen Zusammenbruch der DDR wieder herausführt. Ihre finanzpolitische Sprecherin, Frau Matthäus-Maier, hat sich bei Ihrer Rede auch gleich in die dritte oder vierte Reihe gesetzt, weil ja hier die Widersprüche sehr deutlich zutage traten.
({4})
Daß Sie, Frau Kollegin, bei meiner Rede wieder nach vorne kommen, wundert mich nicht.
({5})
Frau Matthäus-Maier, wie können Sie eigentlich guten Gewissens dem Ministerpräsidenten des Saarlandes Beifall spenden, wenn er Ihnen eine Ohrfeige nach der anderen verpaßt, wie er es heute getan hat? Sie waren doch - wie Graf Lambsdorff richtig festgestellt hat - die erste, die das gefordert hat. Er bezeichnet das als einen schweren Fehler. Sie müßten doch die Konsequenz ziehen und Ihre Aufgaben in der Partei und in der Fraktion zurückgeben.
Warum, Herr Lafontaine, beklagen Sie und Ihre Partei die angeblich zu hohen Kosten der Vereinigung, die drohende öffentliche Überschuldung und angeblich notwendige Steuererhöhungen?
({6})
Warum beschuldigen Sie aber gleichzeitig die Bundesregierung, zu wenig für Wachstum und soziale Absicherung in der DDR zu tun? Worin besteht der Beitrag des Saarlandes, um die Kosten gerecht auf Bund und Länder zu verteilen? Ihr Finanzminister wird heute nachmittag einen Beitrag dazu leisten können. Ich bin gespannt, ob er auf der Linie ist, die Sie heute vorgetragen haben.
Meine Damen und Herren, während der Ehrenvorsitzende der SPD, Willy Brandt, die SPD im Wahlkampf in der DDR auf das Ziel der Wiedervereinigung festlegte, betreibt der Kanzlerkandidat Lafontaine im Westen eine Angst- und Neidkampagne, und der Kollege Vogel wird nicht müde, von den ehemaligen Blockparteien Vergangenheitsbewältigung zu verlangen.
({7})
Dabei vergißt er gern das gemeinsame Strategie- und Ideologiepapier von SPD und SED.
({8})
Herr Gysi beklagt zu Recht die Undankbarkeit und die Lieblosigkeit der SPD, die seine Vorgänger viel ordentlicher und besser behandelt hat als jetzt ihn.
({9})
Meine Damen und Herren, wenn Herr Lafontaine in den letzten zwölf Monaten Regierungsverantwortung in Deutschland gehabt hätte,
({10})
dann stünden wir jetzt vor einer Finanz- und wirtschaftspolitischen Katastrophe; denn es ist schon unglaublich, daß nicht einmal aus Fehlern gelernt wird. Es gibt doch heute außer Ihnen in der Bundesrepublik niemanden mehr, der es für richtig gehalten hätte, Herrn Modrow oder Herrn Krenz 10 oder 15 Milliarden DM mit auf den Weg zu geben.
({11})
Das alles wäre doch längst versickert und hätte überhaupt keinen Beitrag zur Einführung der Sozialen
Marktwirtschaft und zu einer neuen Dynamik gelei17396
stet und hätte auch keinen einzigen neuen Arbeitsplatz gebracht.
({12})
Sie wollten die Agonie des sozialistischen Systems in die Länge ziehen und damit den Deutschen in Ost und West auf Dauer unübersehbare Kostenbelastungen zumuten. Wäre die Bundesregierung allen finanzpolitischen Forderungen der SPD gefolgt, hätten wir inzwischen dreistellige Milliardenbeträge aufbringen müssen, ohne der DDR auf ihrem schwierigen Weg zur Marktwirtschaft auch nur einen Schritt weiterzuhelfen.
({13})
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Huonker?
Bitte schön!
Herr Bundesfinanzminister, können Sie mir bestätigen, daß niemand - natürlich auch nicht der Ministerpräsident des Saarlandes - gefordert hat - wie Sie es darzustellen versuchen -, dem Ministerpräsidenten Modrow ein paar Milliarden in einen Koffer zu packen, sondern daß es darum ging, projektgebundene Zusagen zu machen, so daß die Mittel nach einer vernünftigen Planung projektgebunden investiert worden wären?
({0})
Herr Kollege Huonker, ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß nicht einmal das 3 Milliarden-Strukturprogramm, das im Haushalt der DDR enthalten ist, bisher in Angriff genommen wurde. Um so weniger hätte es damals etwas genützt, bei diesen alten, verkommenen Verwaltungsstrukturen Geld auszugeben.
({0})
Nein, wir geben das Geld erst dann aus, wenn es wirklich sinnvoll angelegt ist. Das sind wir den Steuerzahlern in der Bundesrepublik Deutschland und den Menschen in der DDR wirklich schuldig.
({1})
Wer wie Oskar Lafontaine die Währungsunion als entscheidenden Fehler ablehnt, der muß die Alternative verdeutlichen und den Menschen sagen, was er ihnen anzubieten hätte.
({2})
Aber dazu ist er nicht in der Lage.
({3})
Das wohl Wichtigste in dem Zusammenhang, meine Damen und Herren: Was, Herr Lafontaine, hätten Sie
denn gegen das Anwachsen der Übersiedlerzahlen getan?
({4})
Wenn wir damals die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion nicht angeboten hätten, dann stünden wir doch vor ungeheuren Problemen. Das zeigt doch sehr deutlich: Sie reden die Katastrophe herbei. Sie wollen mit der Katastrophe politisch agitieren und politisch Profit daraus ziehen. Das ist unverantwortlich gegenüber den Deutschen in Ost und West.
({5})
Mit der Öffnung von Mauer und Stacheldraht waren die Würfel gefallen. Seitdem entscheiden die Deutschen in der DDR selbst über Wohnort, Arbeitsplatz und Verwendung ihres Einkommens. Es ist doch eine großartige Entwicklung, wenn die Übersiedlerzahlen von 73 000 im Januar auf nur noch 10 000 im Juni zurückgegangen sind. Das ist der Erfolg unserer Politik, zu der Sie keine Alternative vorgelegt haben.
({6})
Lafontaine und viele andere Sozialdemokraten erliegen immer wieder dem Irrtum, es gebe eine halbe, eine Viertel- oder eine Dreiviertelmarktwirtschaft. Die, meine Damen und Herren, gibt es nicht. Das haben die Beispiele in China, in der Sowjetunion, in Jugoslawien und in vielen anderen Ländern gezeigt. Das sagen uns die Experten, und das sagt die Erfahrung.
Meine Damen und Herren, wir alle haben doch am Anfang an einen Übergangszeitraum gedacht. Wir alle haben am Anfang auch in Stufenplänen gedacht und uns das überlegt. Nur, wenn schon jetzt die Verwaltung und die Regierung drüben vor solchen Problemen stehen und zum Teil damit überfordert sind, die Probleme zu lösen, wie hätten dann dort ein gewähltes Parlament und eine frei gewählte Regierung über mehrere Jahre hinweg die Kraft gehabt, ein so hartes, schwieriges Anpassungsprogramm, wie es der IWF für andere Länder entwickelt, auch angesichts der Möglichkeit durchzuhalten, täglich in die Bundesrepublik Deutschland hinüberzugehen und damit den Nöten und den Problemen zu entfliehen? Allein das zeigt schon, wie unrealistisch Ihr Weg und Ihre Hypothese sind.
({7})
Es gibt keine neuen Daten oder Fakten, die das Gegenteil beweisen würden oder die die Einführung der Währungsunion auch nur in Frage stellen könnten. Im Gegenteil: Alle Vertreter der Wissenschaft und der Praxis, auch diejenigen, die am Anfang skeptisch dazu standen, bejahen dies, und Ihre Zustimmung zum Staatsvertrag - nicht Ihre persönlich, Herr Lafontaine; Sie waren dagegen, aber die Zustimmung der großen Mehrheit der SPD-Bundestagsfraktion und der großen Mehrheit auch der SPD-Länder im Bundesrat - zeigt doch, wie isoliert Sie selber waren und wie falsch das ist, wofür Ihnen heute die SPD in einer etwas zwiespältigen Art und Weise Beifall gespendet hat. Es ist schon eine merkwürdige Situation, etwas anders zu entscheiden und dem, der das dann kritisiert, wieder Beifall zu spenden. Wofür sind Sie
eigentlich? Für wen sind Sie eigentlich, und wo ist die Identität Ihrer Partei und Ihres Kanzlerkandidaten?
({8})
Und nun zur Wahrheit: Herr Lafontaine, niemand hat den Menschen in der DDR versprochen, der Übergang von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft ließe sich über Nacht bewerkstelligen. Von Anfang an haben wir, die Regierung, der Bundeskanzler und auch ich, in allen Verlautbarungen auf die unvermeidbaren Übergangsprobleme einschließlich einer begrenzten Freisetzung von Arbeitskräften hingewiesen. Nur muß jedermann wissen: Wenn die Währungsunion und wenn die D-Mark nicht eingeführt worden wären, dann wären die Probleme in kürzester Zeit auf die DDR in noch viel größerem Umfang zugekommen, und niemand hätte ihr dann so schnell und wirksam helfen können, wie wir es getan haben und wie wir es auch weiter tun werden.
({9})
Natürlich ist uns bekannt, daß sehr viele DDR-Betriebe vor großen Absatzproblemen, vor Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit stehen. Natürlich sind die öffentlichen Haushalte in der DDR aufs äußerste angespannt. Nur kann es doch nicht Aufgabe eines Finanzministers sein - weder drüben noch hier - , lediglich die Addition der Dinge, die man gern tun würde, zur Kenntnis zu nehmen und diese Dinge zu finanzieren, sondern wir müssen bei jeder Ausgabe auch klare, harte Maßstäbe anlegen. Das sind wir dem Haushalt, der Finanzpolitik und vor allen Dingen den Menschen selber schuldig. Nach einem Monat aber der neuen Wirtschafts- und Währungsunion das anzulasten, was 40 Jahre verbrecherisches Handeln herbeigeführt hat, das ist schon ein starkes Stück Demagogie, das Ihnen im Wahlkampf niemand abnehmen wird, Herr Lafontaine.
({10})
Nach Einschätzung des Ifo-Instituts lag die versteckte Arbeitslosigkeit in der DDR vor der Währungsunion bei 1,5 Millionen.
({11})
Nach Einschätzung des Präsidenten des Instituts für Weltwirtschaft, Professor Dr. Horst Siebert, ist der Kapitalstock der DDR weitgehend obsolet. 55 % der Ausrüstung in der Industrie sind älter als zehn Jahre, 21 % sogar älter als 20 Jahre. Wie soll innerhalb eines Monats die faktische Kapitallosigkeit der DDR-Wirtschaft ausgeglichen werden?
Außerdem war die Wirtschaftsverbindung der DDR zum Westen 40 Jahre lang weitgehend abgeschnitten. Der bisherige RGW-Handel geht angesichts der Auflösung des östlichen Wirtschaftsblocks und der Krise fast aller östlichen Volkswirtschaften zurück. Selbst bei größten Anstrengungen ist die verlorengegangene Integration in die Weltwirtschaft nicht innerhalb weniger Wochen zu schaffen. Wir wissen auch: Selbst Wunder brauchen Zeit. Auch das ,,Wirtschaftswunder" damals in den 40er Jahren war kein Wunder, sondern das Ergebnis der richtigen Politik, des Fleißes der Menschen und der Kooperation der Beteiligten. Aber auch die Entwicklung damals verlief nicht reibungslos, verlief nicht ungetrübt. Zunächst bestehende Probleme und Schwierigkeiten ließen vielmehr damals sehr schnell bei Gewerkschaften und SPD den Ruf ertönen, es sollten wieder Planung und Kontrolle eingeführt werden. Sie hatten damals unrecht, und die gleichen Auguren haben auch heute nicht recht.
({12})
Wer in der DDR Krisenstimmung provoziert, handelt fahrlässig und wider besseres Wissen. Tatsächlich geht es den Menschen in der DDR heute nicht schlechter, sondern vielen, auch und insbesondere den älteren Menschen, den Rentnern, besser. Sie verfügen über eine kaufkräftige Währung, und sie haben die Freiheit, ihr Einkommen so auszugeben, wie sie es wollen.
({13})
Wenn zum erstenmal ein Urlaub und Ferien möglich waren, wo die Menschen ihre Grenzen überschreiten konnten, dann ist das doch ein großartiges Ereignis für die Menschen in der DDR, das wir ihnen herzlich gönnen sollten.
({14}) Wir haben das soziale Netz fest geknüpft.
({15})
Wer von Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit betroffen ist, fällt nicht ins Bodenlose, sondern erhält soziale Absicherung und die Chance, sich durch Aus- und Weiterbildung auf neue Aufgaben vorzubereiten.
Das eigentliche Problem besteht - darüber müssen wir uns im klaren sein - im Auseinanderlaufen von Ansprüchen und Realität. Wir müssen ganz deutlich sagen: Es gibt zur Zeit keine Möglichkeit, den Lebensstandard in der DDR in wenigen Schritten an denjenigen in der Bundesrepublik Deutschland anzupassen. Wer heute Lohnzuschläge an die Lehrer verteilt oder weitergehende Verbesserungen bei den öffentlichen Leistungen verspricht, verspielt die Finanzierungsreserven, die für dringend erforderliche Investitionen in der Infrastruktur gebraucht werden.
({16})
Gewerkschaften, denen es jetzt allein um Tariferhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen geht, gefährden Arbeitsplätze, die andernfalls zu erhalten wären. Auch aus Ihren Reihen ist vor Monaten immer wieder gesagt worden, daß die Erhöhung der Löhne in Einklang mit der Steigerung der Produktivität zu stehen habe. Darauf immer wieder hinzuweisen ist unsere Pflicht und ist unsere Aufgabe.
({17})
Die Entwicklung der letzten Wochen hat nichts daran geändert, daß sich die Chancen für die DDR entscheidend verbessert haben. Die DDR ist ein außerordentlich attraktiver Investitionsstandort.
({18})
- Darauf komme ich gleich. - Es gibt auch genügend
Anzeichen für einen beginnenden wirtschaftlichen
Neuaufbau in der DDR. Es gibt 2 800 Gemeinschaftsunternehmer mit ausländischer Beteiligung, es gibt 100 000 Gewerbeanzeigen in der DDR, und es gibt 40 000 Anträge auf ERP-Existenzgründungsdarlehen.
(
In vier Wochen!)
Das alles spricht eine deutliche Sprache. Was an öffentlicher Förderung privater Initiative sinnvoll und möglich ist, wurde getan, wird getan und wird getan werden. Durch die Wirtschafts- und Währungsunion hat die DDR rascher als alle anderen RGW-Staaten eine stabile Währung und eine freiheitliche Wirtschaftsordnung erhalten. Jetzt geht es darum, noch bestehende Investitionshemmnisse, etwa bei der Vergabe von Grundstücken und Gewerbeflächen, zu beseitigen. Ich habe gar nichts dagegen einzuwenden, Herr Lafontaine, wenn Sie Ihren Parteifreunden drüben in der DDR das in der Klarheit sagen, wie Sie es heute hier von diesem Pult aus gesagt haben.
({0})
Vor allem muß es - darüber, glaube ich, sind wir uns alle einig - darum gehen, daß die noch vom SED-Regime übriggebliebenen Bremser in den Betrieben und in den LPGs endlich verschwinden, weil sie auch heute noch das größte Investitionshemmnis in der DDR darstellen.
({1})
Die Verantwortung für die Treuhandanstalt liegt jetzt in den Händen fähiger und in der Sanierung erfahrener Manager aus der Bundesrepublik. Die Herren Rohwedder und Gohlke haben sich das Ziel gesetzt, die Privatisierung so rasch wie möglich voranzutreiben und die Kreditvergabe an die ehemals volkseigenen Betriebe strenger an dem Kriterium „überlebensfähig" auszurichten.
Um den wirtschaftlichen Aufschwung in Gang zu bringen, werden wir, wo es notwendig und erfolgversprechend ist, auch öffentliche Mittel einsetzten. Zur Stärkung der Nachfrage und zur Belebung des Wirtschaftskreislaufs in der DDR prüfen wir zur Zeit die folgenden Optionen: Zunächst die Beschleunigung des Abflusses der Mittel für die mit der DDR bereits vereinbarten Infrastrukturprogramme. Ich habe vorher darauf hingewiesen, daß von den 3 Milliarden DM, die für ein Infrastrukturprogramm zur Verfügung gestellt worden sind, bis heute noch nichts abgeflossen ist. Hier hätten auch schon vor der Verabschiedung des Haushalts die Vorbereitungen so getroffen werden können, daß dies jetzt anders wird.
Das alles zeigt doch, wie notwendig die möglichst schnelle Vereinigung und der Beitritt sind und wie notwendig und sinnvoll es wäre, schnell zu gemeinsamen Wahlen zu kommen, um endlich die Hoffnungen der Menschen zu erfüllen und Klarheit bei den Investitionen zu schaffen.
({2})
Wir brauchen Maßnahmen zur Stärkung der Finanzkraft der Gemeinden, um diese in die Lage zu
versetzen, kommunale Infrastrukturinvestitionen zu beginnen bzw. weiterzuführen,
({3})
und wir denken über die Ausdehnung unserer regionalen Wirtschaftsförderung auf das Gebiet der DDR nach, wobei dies im einzelnen noch miteinander zu prüfen und zu vereinbaren ist. Aber es hat gar keinen Sinn, sich unter Handlungszwang zu setzen. Vielmehr brauchen wir gesicherte Daten, und wir müssen die erkennbaren Entwicklungen gewichten, bevor wir die Entscheidungen treffen.
Meine Damen und Herren, mit einer geordneten Finanzwirtschaft ist es unvereinbar, wenn bestehende Haushaltsplanungen Woche für Woche revidiert werden und wenn kurz nach der Vereinbarung eines finanzpolitischen Konzepts sofort wieder Nachforderungen in Milliardenhöhe erhoben werden. Ich habe mich bisher im Umgang mit meinem Finanzkollegen drüben in der DDR und auch in seiner Bewertung sehr zurückgehalten. Aber um es milde auszudrücken: Es ist zumindest fahrlässig, wenn die Öffentlichkeit täglich mit finanzpolitischen Tatarenmeldungen unterhalten wird. Das kann doch nicht die Beruhigung und die Sicherheit gerade auf den Finanzmärkten schaffen, die wir benötigen, um zu verläßlichen Finanzentscheidungen zu kommen. So wußte er gestern über angeblich drohende 90 Milliarden an zusätzlichen Länderschulden zu berichten, bevor irgendwelche Vereinbarungen über den künftigen innerdeutschen Finanzausgleich getroffen worden sind.
Für mich ist es - das sage ich in aller Offenheit - in einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit auch nicht hinnehmbar, wenn das DDR-Finanzministerium mauert und meinen Mitarbeitern die dringend benötigten Informationen über die finanzielle Situation der DDR durch einen Maulkorberlaß verweigert. Wir haben uns mit Rat und Tat engagiert. Wir haben wirklich alles getan, um drüben zu helfen. Wenn man den Leuten, die dazu beitragen, daß drüben eine ordentliche Finanzpolitik gemacht werden kann, die Informationen verweigert, weil der Minister das künftig von seiner Genehmigung abhängig machen möchte, dann ist das keine partnerschaftliche Zusammenarbeit, auf die die DDR am allermeisten angewiesen wäre.
({4})
Wir sind für die Herausforderungen gut gerüstet. Auf Grund der letzten Steuerschätzung können wir bei den öffentlichen Haushalten bis Ende 1993 Steuermehreinnahmen von insgesamt 115 Milliarden DM erwarten. Es ist sinnvoller, die Zuwächse des Bruttosozialprodukts für die Aufgaben, für die Wiedervereinigung, für die Investitionen in Freiheit und Einheit und Soziale Marktwirtschaft, zu verwenden, als jetzt das falsche Instrument der Steuererhöhung zu ergreifen und damit unserer Konjunktur nur zu schaden.
({5})
Wir haben nie behauptet, daß es die Wiedervereinigung zum Nulltarif gäbe. Wir haben solche Illusionen nie gefördert, und wir werden auch künftig den Deutschen in Ost und West reinen Wein einschenken. LieBundesminister Dr. Waigel
ber Herr Lafontaine, Sie sollten sich lieber einmal überlegen, was Ihre Parteivorsitzenden oder Bundeskanzler oder Kanzlerkandidaten jeweils vor Wahlen gesagt haben. Wir brauchen Wahlen nicht zu scheuen.
(
Sehr gut!)
Wir brauchen die Wahrheit nicht zu scheuen. Sie sollten darüber nachdenken, wie Sie damals vor Wahlen finanzpolitische Situationen und rentenpolitische Situationen verschleiert haben. Wir brauchen Ihre Ermahnung in dem Zusammenhang nicht!
({0})
Nun eine Bemerkung zum Bundeshaushalt 1991: Das Bundeskabinett wird heute nachmittag über meinen Vorschlag entscheiden, den am 3. Juli beschlossenen Entwurf für den Bundeshaushalt 1991 dem Parlament nicht zuzuleiten.
({1})
- Warten Sie einmal ab, ob Sie nachher „Aha" oder „Richtig" sagen. - Dies ist die sachlich und rechtlich zwangsläufige Folge aus dem jetzt mit Sicherheit zu erwartenden früheren Beitritt der DDR. Auch wenn die DDR ihren Beitrittsbeschluß z. B. zum 15. Oktober trifft, könnte der vorliegende Haushaltsentwurf 1991 selbst bei konzentrierter Beratung vom Parlament nicht mehr verabschiedet werden. Nach dem Beitritt wäre der Bundeshaushalt in der vorliegenden Form nur noch ein regionaler Teilhaushalt, der die DDR-Finanzen nicht berücksichtigte. Die parlamentarischen Beratungen müßten eingestellt werden, weil der vorliegende Haushaltsentwurf dann nicht mehr alle Einnahmen und Ausgaben des erweiterten Staatsgebiets enthielte. Er würde somit gegen Art. 110 unseres Grundgesetzes verstoßen, der vorschreibt: „Alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes sind in den Haushaltsplan einzustellen. "
Das ist die ganz nüchterne Situation. Statt den durch diesen Zeitablauf überholten Haushaltsplanentwurf in parlamentarische Beratungen zu schicken, sollten wir uns jetzt besser an die Arbeit machen und einen neuen gesamtdeutschen Haushaltsentwurf mit Finanzplan vorbereiten. Über diesen neuen Plan muß das gesamtdeutsche Parlament - ({2})
- Aber natürlich! Über diesen neuen Plan muß das gesamtdeutsche Parlament beraten und entscheiden. Nur, meine Damen und Herren, wenn Sie bereit wären, am 14. Oktober zu wählen, dann könnten wir ihn bereits heuer verabschieden,
({3})
und zwar in einem gemeinsamen gesamtdeutschen Parlament.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier?
Ja, bitte schön.
Ich stimme Ihnen zu, Herr Bundesfinanzminister: Wir brauchen einen gesamtdeutschen Haushaltsentwurf. Die Daten sind alle auf dem Tisch; denn Ihre Leute sitzen drüben mit am Tisch. Meine Frage ist: Wollen Sie nach dem, was Sie gerade sagen - Verabschiedung des Haushalts im nächsten Jahr - , den Menschen und den Wählern wirklich zumuten, in eine Wahl zu gehen, ohne ihnen vorher zu sagen, wie der Haushalt 1991 aussieht? Wollen Sie wirklich die Investoren darüber im unklaren lassen? Und schließlich: Wollen Sie nicht zugeben, daß, wenn die DDR schnell beitritt - was sie ja gestern beschlossen hat - , ausreichend Zeit besteht, zwischen dem schnellen Beitritt und dem 2. Dezember hier in Ruhe und sorgfältig gemeinsam einen Haushalt für 1991 zu beschließen?
({0})
({1})
Erstens, Frau Kollegin Matthäus-Maier, haben wir Haushaltspläne bisher immer rechtzeitig vorgelegt und rechtzeitig besschlossen, was Ihre Finanzminister nicht getan haben.
({0})
Zweitens haben wir noch ein Gerüst für den Haushalt 1991 vorgelegt, das heute eine tragfähige Grundlage für die weitere Planung ist, was Sie im Juli dieses Jahres, wenn Sie an der Regierung gewesen wären, mit Sicherheit nicht getan hätten.
({1})
Drittens werden wir alles daransetzen, sobald der Beitritt vollzogen ist, daran zu arbeiten, einen neuen Haushaltsplan zu erstellen und ihn baldmöglichst dem zuständigen Parlament vorzulegen.
({2})
Das werden wir tun, was Sie nicht getan hätten. Sie hätten die Wahrheit mit Sicherheit verschwiegen, mit Sicherheit verschleiert.
({3})
Meine Damen und Herren; eines wissen wir schon heute: Deutschland profitiert schon jetzt von der Überwindung der Spaltung unseres Vaterlandes und Europas. Die Einkommen der Bürger in der Bundesrepublik nehmen Jahr für Jahr nicht zuletzt wegen massiver Steuerentlastungen zu, und die Deutschen in der Bundesrepublik brauchen auch in den kommenden Jahren keine Einschränkung des Lebensstandards zu befürchten. Im übrigen verweise ich auf Professor Krupp, Finanzsenator in Hamburg, der gesagt hat, das Thema „Steuererhöhung zur Finanzierung des Aufbaus in der DDR" sei derzeit kein vordringliches Thema, und ich verweise auf Professor Schiller, bei dem ich mich für hervorragende Beiträge in den letzten Wochen und Monaten zum Thema „Fi17400
nanzpolitik, Wirtschaftspolitik und deutsche Einheit" bedanken möchte,
({4})
der gesagt hat, auch er hätte sich als Finanzminister, was das Thema „Steuererhöhung" anbelangt, so verhalten wie Finanzminister Theo Waigel.
({5})
Meine Damen und Herren, wer immer nur über die Kosten der Einheit spekuliert und versucht, in den Menschen Neid, Mißgunst und dumpfe Ängste zu wecken, verdeckt, in welche entscheidenden Investitionen wir unser Geld stecken. Wer will den Wert von Einheit, Frieden und Freiheit beziffern? Wir fragen ja auch nicht nach den Kosten der Demokratie oder nach den Kosten des Föderalismus.
Gerade in diesen Tagen, in denen die Konflikte im krisengeschüttelten Nahen Osten wieder aufgebrochen sind, sollten wir nicht nur darüber diskutieren, was es uns wert ist, in gesicherten Grenzen, in Kooperation, in Frieden und in Freiheit mit unseren Nachbarn zu leben.
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Zur Aufgabe, Einheit und Freiheit in Deutschland und Frieden in Europa jetzt zu erreichen, gibt es keine Alternative, und wir sind auf diese Aufgabe gut vorbereitet. Zum Nutzen der Deutschen werden wir die Vereinigung in Freiheit zum Vorteil aller Deutschen erreichen.
Ungeachtet des jahrelangen Streits über den deutschlandpolitisch richtigen Weg appelliere ich an alle Parteien dieses Hauses: Stellen Sie, wie dies die große Mehrheit in Bundestag und Bundesrat bei der Verabschiedung des Staatsvertrags demonstriert hat, parteipolitisches Machtkalkül hinter das Gebot nationaler Verantwortung zurück, und leisten Sie Ihren Beitrag zur schnellstmöglichen Bildung einer vom gesamtdeutschen Volk legitimierten Regierung.
Meine Damen und Herren, der Oppositionsführer Dr. Vogel hat laut Zeitungsberichten von heute über die Tonlage, die Atmosphäre und über die Themen des Parteiengesprächs am Dienstag geplaudert. Ich will Ihnen ein wörtliches Zitat des Kanzlerkandidaten der SPD aus diesem Gespräch nicht vorenthalten. Wörtlich:
Als Parteipolitiker sage ich, die Dinge laufen, wie sie laufen sollen.
Jeder kann sich darauf seinen Reim machen,
({7})
was hinter einer solchen Bemerkung an Zynismus stecken kann.
({8})
Herr Lafontaine, Sie können weder die Geschichte noch die Gegenwart und schon gar nicht die Menschen manipulieren. Ihre Krisenstrategie und Ihre Parteitaktik werden scheitern.
({9})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Vollmer.
Jetzt kommt wieder eine kleine Partei, allerdings die kleine Partei mit den zukünftig größten Wachstumschancen.
({0})
Da wir schon bei den Kleinen sind: Herr Bundeskanzler, ich finde, es gibt auch parlamentarische Stilfragen. Irgendwann müssen Sie in diesem Haus auch auf ihren Herausforderer antworten. Sie können nicht immer die kleinen Redner Waigel und Rühe vorschikken.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich mir die beiden noch getrennten Teile Deutschlands angucke, die nun zusammenwachsen sollen, fällt mir diesmal nicht der Fußball ein, sondern „Faust". Mephisto:
Ihr habt die Teile in der Hand, fehlt leider nur das geistige Band.
Es muß wohl mit dem fehlenden geistigen Band zu tun haben, daß die Teile des Vaterlandes im Augenblick heftig, dramatisch und drastisch auseinanderdriften. Auch ist die Aufteilung zwischen beiden Teilen, wie ich finde, sehr, sehr ungerecht: Boom hier auf unserer Seite, Exportboom ohnegleichen, aber wachsende wirtschaftliche Verzweiflung und Koma in der DDR. Während in der DDR die Tragödie wächst, steigt hier bei uns die Burleske, auch im Bundestag. An der Lösung dieser Tragödie, finde ich, hat sich der Deutsche Bundestag nur sehr mäßig beteiligt. Mitten in der schärfsten Phase des Anwachsens der DDR-Probleme genehmigt sich der Bundestag zwei Monate Urlaubspause, ganz anders als die Volkskammer.
Ich finde, es ist kein gutes Zeichen für die politische Klasse eines Landes, welche die Parteien ja auch darstellen, wenn sie sich selbst so für überflüssig erklären. Ich glaube, daß es später einmal niemand mehr verstehen wird, daß uns aus unserer Sommerpause diesmal nicht die Debatte z. B. über die wachsende Arbeitslosigkeit, über die Wohnungsnot, über die verzweifelte Lage der Frauen und der Bauern in der DDR geholt hat, sondern nur diese Groteske einer Wahlrechtsdebatte im Eigeninteresse der Großparteien und die Angst des Kanzlers vor dem späten Wahltermin.
({2})
In der Wahlrechtsfrage heißt die Entscheidung der Mehrheit dieses Hauses: „Die Fünfprozentklausel hat sich ungeheuer gut bewährt." Außer den Argumenten, die wir schon genannt haben, möchte ich sagen, daß auch dieser Satz ein Satz aus der Binnensicht einer politischen Klasse ist, die sich sehr weit vom wirklichen Leben entfernt hat. Die Fünfprozentklausel hat sich für die bewährt, die im Parlament waren. Das ist wahr. Uns aber z. B., die wir künstlich 20 Jahre unseres Lebens außerhalb des Parlaments in einer außerparlamentarischen Opposition gehalten wurden, hat sie immer in unserem berechtigten Anspruch
auf Mitgestaltung der Politik in diesem Hause beschränkt.
({3})
Ich glaube, daß vieles in dieser Republik in den 60er und 70er Jahren ganz anders gelaufen wäre, wenn es damals eine Möglichkeit gegeben hätte, die außerparlamentarischen Debatten in dieses Parlament hineinzutragen. Die parlamentarische Debatte nämlich ist per se auf Gewaltfreiheit verpflichtet und nötigt zum Konsens und überhaupt zur gegenseitigen Kenntnisnahme. Die außerparlamentarische Diskussion hat eine eigene, und zwar möglicherweise gefährliche und gewaltsame Dynamik. Ich habe große Sorge: Wenn das, was in der DDR jetzt außerhalb des Parlaments passiert, wenn die Wut, die Ohnmacht und der Identitätsverlust überhaupt nicht mehr oder nur noch geschwächt im Parlament erscheinen können, frage ich: Wo landet dann diese Wut? Aus diesem Grunde sind wir ganz entschiedene Gegner der Fünfprozentklausel.
Wir sind auch Gegner des frühen Wahltermins. Wenn die deutsche Einigung ein Wettrennen wäre, dann hätten Helmut Kohl und Lothar de Maizière jetzt schon gewonnen. Für Helmut Kohl scheint das ganz einfach: Immer war der, der die Einheit nicht so wollte, wie er sie wollte, ein Gegner der Einheit. Immer war der, der die Einheit in einem anderen Tempo wollte, als er sie wollte, ein Gegner der Einheit. Diese Demagogie hat ja auch nicht schlecht funktioniert - bisher. Machtpolitische Erfolge kann man dem Kanzler wirklich nicht absprechen. Aber mit seiner Wahlterminpeitsche hat er, so glaube ich, seine demagogische Methode jetzt eindeutig überrissen. Das merken auch die Leute, das merkt auch die Presse.
({4})
Daß einer wegen sechs Wochen Differenz in der Frage des Wahltermins zum Einheitsgegner degradiert werden kann, der die Interessen der Menschen nicht achten will, glaubt nun wirklich niemand mehr. Es glaubt auch niemand die Krokodilstränen in bezug auf die Beteiligung der Parlamentarier, wenn man sich anguckt, wie Sie es verstanden haben, die Parlamentarier immer aus der Mitgestaltung herauszuhalten.
({5})
Aber das positive Ergebnis der letzten Tage ist, daß Helmut Kohl unfreiwillig damit seinen Hauptgegner Oskar Lafontaine wieder in Stellung gebracht hat. Das, Oskar Lafontaine, ist ja immerhin ein Fortschritt. Der Kampf der Giganten findet also doch statt, sozusagen zwischen Helmut Kohl in der Strickjacke und Oskar Lafontaine im Nahkampfanzug, im Jogginganzug.
({6})
Aber wenn ich die beiden so kämpfen sehe, frage ich mich: Reicht das? Es ist ja richtig und wichtig, den am Mantel der Geschichte baumelnden Kanzler wieder und wieder an die sozialen Folgen seiner Form der
nationalen Einigung zu erinnern. Aber reicht es gegen den historisierenden, sich für Bismarck haltenden Kanzler, immer nur an die ökonomische Vernunft und an das ökonomische Eigeninteresse zu appellieren?
Wir haben drei Gründe gegen den frühen Wahltermin. Erstens. Der Wahlkampf um die Einrichtung der Länder in der DDR darf nicht unter den Stiefel dieses Gigantenkampfes kommen. Die Länder werden für die Zukunft der DDR von außerordentlicher Bedeutung sein. Hier besteht die Möglichkeit, eine eigene Interessenvertretung gegenüber der übermächtigen Bundesrepublik zu wählen. Hier besteht auch die Möglichkeit, der DDR-eigenen Geschichte eben nicht durch die schnelle Flucht in die neue BRD-Identität, die keine Geschichte kennt, auszuweichen. Der Aufbau des Föderalismus in der DDR ist ein konkreter Beitrag dafür, daß die größere Macht des größeren Deutschland durch Machtdezentralisation humanisiert wird. So viel Zeit muß sein.
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Zweitens sind wir gegen den frühen Wahltermin, weil es die Fairneß und auch der Respekt vor den Verhandlungspartnern der Zwei-plus-Vier-Gespräche erfordern, daß mit ihnen in Ruhe und ohne vollendete Fakten verhandelt wird. Schon jetzt fühlen sich die sowjetische Öffentlichkeit und die politische Führung von dem nochmaligen Tempomachen des Kanzlers zu Recht düpiert.
({8})
Drittens sind wir gegen einen frühen Wahltermin, weil wir in diesem Fall - das wird Sie wundern - wirklich für einen Wahlkampf sind, der diesen Namen auch verdient. Wenn es jemals eine Zeit für einen politischen Streit über den zukünftigen Weg, den dieses neue große Deutschland gehen soll, gab, so ist diese Zeit jetzt gekommen.
({9})
Die zentrale Frage in diesem Streit wird sein: Wie gehen wir mit der neuen Rolle Deutschlands als einer Weltmacht um? Genau diese Fragen stelle ich jetzt an beide Wahlkämpfer, an Helmut Kohl und an Oskar Lafontaine. Sie, Herr Bundeskanzler, verstehen es zwar glänzend, jeden neu gewonnenen Machtspielraum zu nutzen, wenn er sich auftut, manchmal sogar auch vorher; dann treten Sie sozusagen die Tür ein. Aber es scheint so, als könnten Sie nur deswegen so vorwärtsstürmen, weil Sie schon lange nichts mehr oder nicht viel mehr im Gepäck haben. Sie sind die personifizierte neue männliche deutsche Unschuld vom Lande.
({10})
Sie sind das personifizierte große Ätsch der bundesrepublikanischen Rechten gegen die politische Linke. Mit der Schuld der Rechten haben Sie dank der Gnade der späten Geburt nicht mehr viel am Hut, und über die Fehler der Linken und ihre Irrtümer holen Sie sich leicht einmal den Auftrag, die nächsten tausend Jahre
für diese Republik planen zu wollen. Ausgerechnet tausend Jahre! Was ist Ihnen da wieder eingefallen!
({11})
Was Ihr Extraglück ist: Bei Ihren weltpolitischen Ausflügen erleben Sie, Herr Bundeskanzler,
({12})
daß wir Deutschen jetzt tatsächlich - das ist das Neue - Weltpolitik machen dürfen und daß offenbar die Welt nichts dagegen hat.
Mich allerdings wundert es, daß es Sie nicht irritiert, daß die Welt keine Angst mehr vor den Deutschen zu haben scheint. Weil Sie das aber für so selbstverständlich halten,
({13})
weil Sie darüber nicht nachdenken, gerade deswegen verpassen Sie genau die Chancen, die in der jetzigen Situation liegen.
Warum eigentlich hat die europäische Welt trotz aller Skepsis und trotz aller Ressentiments, die ja auch hochkommen, keine Ängste mehr vor dieser neuen Rolle der Deutschen? Nein, die Engländer, Franzosen und Russen haben unsere Geschichte nicht vergessen. Sie haben auch nicht den Antikommunismus der 50er Jahre vergessen oder normal gefunden. Sie haben auch nicht die spießige und muffige Atmosphäre der Adenauer-Ära vergessen.
({14})
Sie haben sich auch nicht an unser Wir-sind-wiederwer-Gegröle gewöhnt. Das alles hat uns nicht vor der Geschichte rehabilitiert.
Ich glaube, die europäische Welt hat keine Angst mehr vor den Deutschen, weil in den beiden Teilen Deutschlands sehr viel passiert ist, weil wir 1968 aufgebrochen sind, weil es eine Entspannungspolitik und eine neue Ostpolitik gegeben hat,
({15})
die auf Ausgleich mit dem Osten gesetzt hat, weil wir das Law-and-order-Denken herausgeblasen haben aus diesem Land und weil wir, eine andere Generation, diese deutsche Gesellschaft gründlich zivilisiert und humanisiert haben.
({16})
Und sie hat keine Angst mehr vor uns, weil die Menschen in der DDR,
({17})
angestoßen von den Bürgerbewegungen, eine demokratische Revolution durchgeführt haben.
Darum ist das Bündnis von GRÜNEN und Bürgerbewegungen mehr als ein ermutigendes Beispiel für die schließlich auch bei uns eingetretene Politikfähigkeit und Einigungsfähigkeit gegenüber Ihrem barbarischen Zeitdruck.
({18})
Es ist vielmehr das historische Bündnis derer, die die Zukunft dieses neuen Deutschlands gestalten können und auch wollen, und zwar gerade deswegen, weil wir die beiden einzelnen Teile Deutschlands schon vorher an der Basis, in der Gesellschaft tiefgreifend verändert haben. Sie, Herr Bundeskanzler, finde ich, profitieren ganz schön von den Veränderungen der Tiefenstruktur in dieser deutschen Gesellschaft, die Sie allerdings immer bekämpft haben. Sie haben da wirklich mehr Glück als Verstand gehabt, auch im Wortsinne. Das sei Ihnen gegönnt.
({19})
Aber jetzt geht es um die Zukunft, und für diese Zukunft können wir nicht mehr die Arbeit für Sie tun; da müssen Sie Ihren eigenen Entwurf zur Wahl stellen.
Vaclav Havel hat vor kurzem gesagt, er halte die Vorstellung, straflos durch die Geschichte zu kommen, für eine der typischen westeuropäischen Wahnideen. Unser Kanzler scheint ein fröhlich lächelnder Anhänger genau dieser Wahnidee zu sein.
({20})
Aber die Chance für eine zivile Zukunft der Deutschen liegt gerade in der Chance, die beiden Vergangenheiten, die Erfahrung der Diktatur von links und die Erfahrung der Diktatur von rechts, nie wieder aus ihrem historischen Gepäck zu entlassen, und da muß man manchmal langsamer vorangehen, wegen dieses Gepäcks.
({21})
Allerdings gibt es auch Anforderungen an die Opposition in einer werdenden Weltmacht. Damit komme ich nun zu Oskar Lafontaine und seiner SPD. Ihr Beharren auf dem Innenpolitischen, Oskar Lafontaine, wirkt zur Zeit noch so, als wollten Sie sich den neuen internationalen Aufgaben einer deutschen Weltmacht gar nicht stellen. Ich fordere Sie deswegen auf, in diesem Parlament sehr schnell eine außenpolitische Rede nachzureichen.
({22})
Alles, was wir jetzt als Regierung und auch als Opposition in einer Weltmacht in unserer neuen Rolle tun, wird innen wie außen als Testfall für die Zukunft ausgelegt. Unser Umgang mit der DDR ist ein Testfall für unsere neue Rolle als europäische Führungsmacht. Daran, wie wir jetzt mit der DDR umgehen, wie wir ihre ökonomischen, ökologischen und sozialen Probleme gestalten, werden die Polen, die Tschechen und die Russen ihre eigene Zukunft ablesen. Deswegen gucken sie so genau hin. Man wird sich z. B. fraFrau Dr. Vollmer
gen: Werden die Deutschen ökologisch eine Vorreiter- bzw. Vorreiterinnenrolle annehmen, wie sie es bereits mit der ersten Ausprägung einer ökologischen Partei getan haben?
Ich will versuchen, die Chancen und das, was man falsch machen kann, am Beispiel der Landwirtschaft zu erklären. Meine feste Überzeugung ist: Der Stalinismus hätte ohne die Zwangskollektivierung der russischen Bauern niemals siegen können. Mit dieser Zwangskollektivierung wurden sowohl die traditionelle dörfliche Demokratie zerstört wie auch die föderalistische Selbstbehauptung der Regionen und die langfristige ökologische Überlebensfähigkeit des russischen Landes.
Wir haben nun als Testfall für das, was wir an Zukunftsideen leisten können, in diesen Monaten die Wahl, ob wir, was die Landwirtschaft in der DDR angeht, die sozialistischen Zwangsgroßstrukturen, die schon den Junkerstrukturen gefolgt sind, wiederum in die industriellen Monokulturen nach EG-Norm überführen, mit denen wir dann den kleinen bäuerlichen Strukturen im Westen den Garaus machen - diese Funktion hatte die Landwirtschaft im Osten gegenüber dem Westen immer - , oder ob wir gerade in der Möglichkeit der Neugestaltung eine Chance für eine umweltverträgliche, arbeitsintensive und ökologische Landwirtschaft sehen, die gleichzeitig einen Beitrag zur Lösung der sozialen Probleme und zur Demokratisierung des Landes leisten würde.
Ließen Sie uns nur machen. Wir sind mit unseren Freunden aus der Agraropposition so weit, daß wir in kürzester Zeit ein Konzept für eine solche Demokratisierung und einen ökologischen Neuaufbau des Landes erarbeiten könnten, worauf der Bauernsohn Michail Gorbatschow mit äußerstem Interesse blicken würde.
({23})
Nehmen wir ein anderes Beispiel. Die Verzweiflung in der Volkskammer der DDR beweist, daß der ökonomische und soziale Zusammenbruch in der DDR viel tiefer ist, als die Regierung zugeben mag. Genau genommen beweist auch die Hetze von Herrn Kohl jetzt, daß er das sehr genau weiß. Darin liegt offensichtlich auch seine wachsende Nervosität begründet.
Diese verzweifelte Lage kann man natürlich als schwarze Pädagogik für ein vom Sozialismus falsch erzogenes Volk benutzen; das höre ich immer so heraus. Will man denn die Menschen in der DDR Mores lehren? Will man ihnen die kapitalistischen Sitten mit dem Knüppel der sozialen Entwürdigung beibringen? Diese schwarze Pädagogik scheint mir der heimliche Ratgeber der Regierung zu sein.
({24})
Die schnelle Währungsunion war die teuerste Lösung, die man sich denken konnte; wir haben dies immer und immer wieder gesagt. Die Liquidation von 80 % der DDR-Betriebe binnen Jahresfrist kann wohl auch nicht der Ökonomie letzter Schluß sein. Jetzt endlich kommt auch unser Wirtschaftsminister darauf,
einmal seinen schönen Kopf anzustrengen. Das alles ist nicht nur zynisch, es ist auch sozusagen komplett antikapitalistisch; denn was ist ein Kapitalismus ohne Eigeninitiative, ohne mutige Menschen, ohne Arbeiter, die mit Engagement an die Arbeit gehen?
Was erleben wir aber in der DDR? Erleben wir dort mutige, entschlossene, risikobereite Menschen? Leider nicht. Woher sollten sie eigentlich auch unter den von der Bundesregierung gegebenen Bedingungen kommen? Wer in der DDR noch vor einigen Monaten Mut und Kraft hatte - ich kenne viele solcher Menschen -, die Ärmel hochzukrempeln und anzupakken, der weiß doch heute überhaupt nicht mehr, wo er eigentlich anpacken soll. Die Menschen gehen in ihre Betriebe, ohne zu wissen, ob diese morgen noch existieren. Sie stellen Waren her, von denen sie nicht wissen, ob sie überhaupt jemand braucht. Dieser Kapitalismus, Herr Kohl und Herr Lambsdorff, riecht nach ganz etwas anderem: Dieser Kapitalismus riecht verdammt nach Sozialismus und lebensferner Kommandowirtschaft.
({25})
Dieser Sozialismus mit kapitalistischem Antlitz kann uns noch teuer zu stehen kommen.
Also wendet sich der besorgte Blick von dem ratlosen Wirtschaftsminister Haussmann zum Finanzminister der BRD, Waigel. Aber der scheint seine Sprache ganz und gar verloren zu haben - das hat man heute auch an seiner Rede gemerkt - und sagt immer nur „njet" . Also warten wir alle auf das erlösende Kanzlerwort. Der wiederum schlägt einen Kassensturz vor. Man höre und staune: einen Kassensturz, und einen Haushalt soll es auch nicht geben. Ja, ist Deutschland denn eine Pommesbude?
({26})
Geht es hier um den zukunftsplanerischen Einsatz von Milliarden, wonach man ja wohl einmal fragen darf, oder geht es hier einfach nur um die Mannschaftskasse einer Regierung?
({27})
Die einzige Lösung von Helmut Kohl heißt dann immer wieder: Laßt mich nur machen. - Auch Herr Lambsdorff hat ja heute einen tollen Rat gegeben. Er hat gesagt: Die Psychologie muß her. - Herr Lambsdorff als psychologischer Hoffnungsträger, das, finde ich, ist tatsächlich eine Rollenfehlbesetzung.
({28})
Es fehlt also ein Programm, ein Konzept. Das finde ich in Ihrem leeren Kopf nicht. Die Wahl bringt kein einziges Investitionsprogramm. Das muß man nämlich vorher machen, und dann muß man die Leute fragen, ob sie es wählen wollen. Die Wähler können Ihnen, Herr Bundeskanzler, diesen Rat gerade nicht geben. Sie können Ihnen vieles geben, aber sie können Ihnen kein Konzept für die Zukunft geben, sei es nun für die zukünftige Rolle dieses Landes angesichts der Ströme von Millionen von Flüchtlingen, die aus Osteuropa kommen, sei es für die zukünftige Rolle dieses Landes
in Konflikten, wie sie im Irak bestehen. Dahinter sehe ich einen drohenden gefährlichen Konflikt zwischen der ganzen westlichen Welt und dem islamischen Fundamentalismus, in dem wir uns - wider die Lehren der Geschichte - wieder neue Ordnungsaufgaben anmaßen könnten.
Die Wahl bringt auch kein einziges Konzept, wie der eigentlich notwendige historische Kompromiß mit der Sowjetunion zu gewährleisten ist, ohne auf den totalen Zusammenbruch ganz Osteuropas zu setzen.
({29})
„Hab die Teile in der Hand, fehlt leider nur das geistige Band." Ich denke, meine Damen und Herren, die Kanzlermaschine ist inhaltlich schon heftig am Stottern.
({30})
Deswegen möchte ich mich lieber auf eine neue Generation von Politikerinnen und Politikern berufen, die schon Erfahrung in der Umgestaltung eines Unterbaus der Gesellschaft haben. Ich finde, unsere Lehrzeit bei dieser Gestaltung des Unterbaus hat lange genug gedauert. Ich traue es uns zu, das neue geistige Band und das neue Konzept für eine Rolle der Deutschen in Mitteleuropa, die nicht mehr triumphierend ist, darzustellen. Ich traue es uns auch zu zu regieren. Ich bin zuversichtlich, daß die GRÜNEN und die Bürgerbewegung dieser Republik Ihnen in dieser Richtung inhaltlich-konzeptionell noch Beine für den überfälligen Wechsel der Generationen und der Regierung machen werden. Aber dazu brauchen wir vorderhand noch die SPD.
({31})
-Das muß ich sagen: Oskar Lafontaine, Ihre SPD macht mir im Augenblick noch etwas Sorgen.
({32})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rühe.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dies ist die erste Sitzung des Deutschen Bundestages nach dem historischen Verhandlungserfolg von Moskau und Kaukasus. Für mich ist es deswegen selbstverständlich, ein Wort des Dankes an den Bundeskanzler, den Außenminister, die ganze Regierung für diesen großartigen Erfolg für alle Deutschen an den Anfang zu stellen.
({0})
Wir als Bundestag müssen uns im übrigen auch selbstkritisch fragen, ob wir nicht manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Ich kann mir kaum ein anderes Parlament auf der ganzen Welt vorstellen, in dem eine Regierung ein solches Verhandlungsergebnis vorlegt, das ein Jahrhundertergebnis ist, und in dem man darüber kein Wort verliert, sondern sich sogleich anderen, scheinbar wichtigeren Fragen zuwendet.
({1})
Nein, das ist das eigentliche Ereignis der letzten Wochen. Hiermit ist der Weg für ein freies und souveränes Deutschland freigemacht worden. Dafür sind wir dankbar.
({2})
Wir sind auch den Verbündeten dankbar, ohne die das nicht möglich gewesen wäre. Dankbar sind wir auch - ich finde, man muß sich immer in die Lage des anderen hineinversetzen - Michail Gorbatschow, der großen persönlichen Mut brauchte, um den Weg für dieses Verhandlungsergebnis freizumachen.
({3})
Manche haben so getan, als ob die Wiederherstellung der staatlichen Einheit ein purer Egoismus der Deutschen wäre. Schauen Sie sich doch einmal die jetzige Weltlage an! Daß die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten kooperieren, um den Frieden und das Recht im Mittleren Osten wiederherzustellen, wäre undenkbar gewesen, wenn nicht auch wir einen Beitrag geleistet hätten, damit sie zusammenarbeiten können.
({4})
Theo Waigel hat schon viel zur Rede von Herrn Lafontaine gesagt. Eines ist mir aufgefallen, Herr Lafontaine. Ich habe im Deutschen Bundestag seit Jahren keine Rede mehr gehört, in der so häufig das Wort „Täuschung" verwendet worden wäre.
({5})
Seien Sie vorsichtig! Sie müssen sich einmal fragen, wie das auf die Menschen in der DDR und in der Bundesrepublik wirkt. Ich muß Ihnen sagen - das zeigen die Ereignisse der letzten Wochen und Monate - : Es gibt in diesem Hause niemanden, zu dem die Menschen in ganz Deutschland mehr Vertrauen hätten als zu Helmut Kohl, unserem Bundeskanzler.
({6})
Herr Lafontaine, Sie werden mit vielen Attributen in Zusammenhang gebracht: Einfallsreichtum, junge Generation, Wendigkeit usw. Aber im Zusammenhang mit Ihnen ist niemals von Berechenbarkeit, Geradlinigkeit und Vertrauen die Rede. Und diese Eigenschaften werden in dieser Situation gebraucht.
({7})
Im übrigen - ich muß sagen, daß mir das nicht gefallen hat; ich will das in aller Ruhe sagen - haben Sie, so wie Sie den Bundeskanzler und uns angegriffen haben, immer den Eindruck erweckt, als ob Sie selbst von einer besonders hohen moralischen Position aus sprächen. Ich muß Sie daran erinnern, wie Sie schon mit dem Bundeskanzler Helmut Schmidt umgegangen sind,
({8})
was dessen Sekundärtugenden angeht. Ich muß Sie auch daran erinnern, daß Sie, bevor wir durch die Währungsunion den Weg dafür freigemacht haben, daß man in der DDR seine Zukunft finden kann, und wir damit die Übersiedlerwelle gestoppt haben, unsere Sorge und unsere Fürsorge für Übersiedler und
Aussiedler als Deutschtümelei bezeichnet haben. Das sagt alles über Ihre moralische Position.
({9})
Ich will nicht so viel zitieren wie Sie, Herr Lafontaine.
({10})
- Vielleicht hört er mal einen Augenblick zu. - Ich kann ruhig noch etwas warten.
Ich möchte Helmut Schmidt zitieren. Er hat am 15. September 1989 in der „Zeit" folgendes geschrieben:
Wer heute solche Menschen
- die Übersiedler abwehren will, der irrt sich sowohl über unsere Rechtsordnung als auch über seine eigene Moral. Er hat unrecht, wenn er andere der Deutschtümelei zeiht, die jene Solidarität zwischen Angehörigen desselben Volkes fortführen wollen, welche uns seit Kriegsende selbstverständlich gewesen ist.
Soweit Helmut Schmidt. - Herr Lafontaine, ich fürchte, Sie irren sich schon wieder über Ihre eigene Moral, da Sie alles darauf abstellen, daß Sie sich parteitaktische Vorteile davon versprechen, daß die Situation für die Menschen in der DDR schlechter wird, damit es Ihnen besser geht.
({11})
Um auf Schwierigkeiten im Prozeß der deutschen Einigung hinzuweisen, braucht man keinen Kanzlerkandidaten. Nur auf Schwierigkeiten hinzuweisen und Ängste zu schüren ist kein Zeichen von Führungskraft. Wer ein Führungsamt in der Demokratie anstrebt, muß auch Chancen erkennen. Er muß den Menschen durch eine klare politische Alternative einen Weg zeigen.
({12})
Jetzt lassen Sie mich noch ein ruhiges Wort zu der Chance, die wir haben, einen früheren Beitritt als den am 2. Dezember, aber in Verbindung mit Wahlen, zu erreichen, sagen. Ich frage einmal: Wo wären wir denn, wenn der Bundeskanzler und der Außenminister nicht das Verhandlungsergebnis in Moskau erzielt hätten? Wir könnten doch gar nicht darüber reden, daß wir einen früheren Beitritt herbeiführen können. Wir waren uns doch immer einig, daß das der richtige Weg ist.
Sie haben in der Vergangenheit im Zusammenhang mit dem Beitritt sogar eine Volksabstimmung gefordert.
({13}))
Ich will Ihnen, Herr Lafontaine, ein Zitat von Ihnen selbst doch nicht ersparen. Es stammt aus einem Interview des Westdeutschen Rundfunks vom 6. März dieses Jahres. Auf die Frage nach der Wiedervereinigung Deutschlands haben Sie gesagt:
Es geht darum, inwieweit die Bevölkerung beteiligt wird bei dieser Frage. Man muß erkennen,
daß es darum geht, die Bevölkerung zu beteiligen, und in diesem Fall nicht nur die Bevölkerung der DDR, sondern auch die Bevölkerung der Bundesrepublik. Für mich ist das Entscheidende, daß sich dieser Prozeß eben nach einer demokratischen Vorgabe vollzieht und daß nicht jemand, der zufällig im Amt ist und in diesem Fall etwa der Bundeskanzler, der ja für diese Politik, die er jetzt einschlägt, kein Mandat hat.
Soweit Oskar Lafontaine.
Also, ich bestreite, daß der Bundeskanzler zufällig im Amt ist. Aber ansonsten haben Sie recht: Wir wollen ein neues Mandat von allen Bürgern in ganz Deutschland.
({14})
Die Bundesregierung ist dabei, den grundgesetzlichen Auftrag zur Vollendung der Einheit Deutschlands zu erfüllen. Es bedarf nun einer letzten entscheidenden Amtshandlung durch diesen Bundestag, um nach erfolgtem Beitritt der DDR unverzüglich eine handlungsfähige gesamtdeutsche Regierung zu bilden. Ich meine, daß es diesem historischen Augenblick durchaus angemessen wäre, durch eine Zweidrittelmehrheit dafür zu sorgen, daß alle deutschen Demokraten diese erste gesamtdeutsche Regierung bilden können.
Ich appelliere an Ihren Patriotismus, daß wir diese Chance zu einem frühestmöglichen Beitritt in Verbindung mit Wahlen nutzen. Diese Chance gibt es, und wir sollten sie gemeinsam nutzen.
({15})
Herr Lafontaine, als der Bundeskanzler in Moskau war, haben Sie zeitgleich hier auf einer Pressekonferenz erklärt: Die Bundesrepublik macht unbedachte Außenpolitik. - Ja, er nickt; er bestätigt es. Das hat er auch gesagt.
Sie haben den Mangel an Einklang und Abstimmung mit den Nachbarn kritisiert. Als Beleg haben Sie den unglückseligen englischen Minister Ridley zitiert, als Beleg dafür, daß die Politik von Kohl und Genscher international nicht abgestimmt ist. Auf welchem Niveau sind Sie eigentlich außenpolitisch gelandet, Herr Lafontaine?!
({16})
Mit der deutschen Einheit wird eine Vision Wirklichkeit. Der Bundeskanzler hat es geschafft, die deutsche Einigung als europäisches Werk anzugehen und sie europäisch einzubetten. Er hat es geschafft, die Zustimmung der Sowjets zu bekommen und gleichzeitig das Vertrauen der Amerikaner zu behalten.
Er hat es auch geschafft, den Terminkalender, den wir innerdeutsch brauchen, um die Einheit herbeizuführen, mit dem auswärtigen Terminkalender zu koordinieren.
Herr Lafontaine, an eines muß ich hier doch noch einmal erinnern, damit klar wird, daß das nicht alles von alleine gekommen ist. Sie und andere waren doch bereit, auf frühe sowjetische Verhandlungspositionen einzugehen und abzuschließen. So wollten Sie etwa auf die sowjetische Forderung eingehen, daß wir einen besonderen Status in der NATO nur politisch und
Ruhe
nicht militärisch haben müßten, wenn wir in der NATO bleiben sollten.
Ich will gar nicht von Herrn Meckel von der SPD drüben reden, der die Sowjets dafür kritisiert hat, daß sie auf dieser Basis abgeschlossen haben und daß man die Abrüstung nicht noch weiter vorangetrieben hat.
Nein, ich muß Ihnen sagen, wir wollen, daß dieser Bundeskanzler und diese Bundesregierung ihre erfolgreiche Politik für die Vereinigung Deutschlands und Europas fortsetzen können. Wir bitten um die Schaffung der Voraussetzungen dafür.
({17})
Es ist schon genug darüber gesagt worden, daß die Schwierigkeiten beim Übergang zur Einheit unvermeidlich sind. Ich finde, wir sollten auch nicht darüber streiten, ob es schwer ist, die deutsche Einheit herbeizuführen. Natürlich ist das schwer, sehr schwer sogar. Ich halte das übrigens für schwerer - ich hoffe, ich bin da gerecht - als den Neuanfang in der Bundesrepublik. Die Generation damals konnte nämlich bei Null anfangen. Es ist leichter, ein Haus ganz neu zu bauen, als zwei Häuser zusammenzufügen. - Also, natürlich ist dies schwer.
Aber wir müssen doch darüber streiten, mit welcher Politik und von wem diese Schwierigkeiten am besten beseitigt werden können.
Herr Lafontaine, da kann ich Sie nur warnen; denn wenn Sie darauf hoffen, daß sich Ihre Wahlchancen dadurch verbessern, daß es den Menschen in der DDR schlechter geht, dann kann ich Ihnen nur sagen: Eine weit überwiegende Mehrheit unserer Landsleute in Ost und West sagt: Die Union, diese Regierung hat die entscheidende Wirtschaftskompetenz. Also, auch wenn es schwierig wird, gerade wenn es schwierig wird, wird man die Partei wählen, die am besten mit den Schwierigkeiten fertig wird. Das ist doch der Punkt, über den wir gemeinsam reden müssen.
Ich finde im übrigen, wir sollten in der Debatte das Positive nicht zu kurz kommen lassen. Auch da gilt das Bild von dem Wald und den Bäumen. Sie alle haben doch unsere Landsleute in diesem Sommer erlebt. Vor einem Jahr waren sie noch eingesperrt, heute können sie sich zu Millionen frei bewegen. Auch darüber muß doch im Bundestag gesprochen werden.
({18})
In der „Zeit" ist vor wenigen Tagen ein Artikel von Joachim Nawrocki erschienen. Er zitiert einen SPD-Bürgermeister: „Die bedeutenden Veränderungen zum Guten werden von den meisten kaum noch wahrgenommen." Ich finde, auch das gehört in diese Debatte hinein. Es wird dort weiter erklärt: „Der bescheidene Lebensstandard" der DDR, den es gegeben hat, „wurde finanziert durch einen wahnwitzigen Raubbau an Straßen, Schienen, Gebäuden, Fabriken und - vor allem - an der Umwelt und der Gesundheit der Bevölkerung." Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Zukunftsängste, öffentliche Armut seien Probleme für die Bürger. „Aber sie kommen keineswegs unerwartet, und sie werden vor allem Übergangserscheinungen bleiben. Ohne die Wende jedoch wäre die DDR-Wirtschaft unheilbar kollabiert und an ihrem eigenen
Dreck erstickt. Mit jedem Tag wäre der Schaden größer geworden. " - Das sage ich zu Ihnen, da Sie immer erklärt haben, wir hätten zu schnell gemacht. Nein, es zeigt sich jetzt: Man muß noch schneller machen. Wenn wir Ihnen gefolgt wären, dann wären wir im deutschen Einigungsprozeß im Abseits gelandet.
({19})
Ich finde, wir sollten mit dieser Debatte unseren Bürgern signalisieren, daß wir alles tun, um auf diesem nicht einfachen Weg die Schwierigkeiten zu lösen. Aber wir sollten ihnen auch signalisieren - das müssen wir übrigens ebenfalls den Deutschen in der Bundesrepublik sagen -, daß wir allen Grund haben, uns auf Deutschland zu freuen.
({20})
Lieber Oskar Lafontaine, dies als letzte Bemerkung zu Ihrer Rede: Ich habe eben völlig das Gefühl vermißt, daß dort jemand ist, der sich darauf freut, daß Deutschland jetzt wiedervereinigt wird, daß die Menschen zusammenfinden können. Deswegen fürchte ich, daß Sie mit dieser Rede das Urteil der „Zeit" und auch des „Stern" sowie anderer bestätigt haben, die erklärt haben: Was immer man über Sie sagen kann, aber Sie sind der falsche Mann zur falschen Zeit.
Jetzt geht es darum, die Menschen zusammenzuführen, Deutschland zusammenzuführen. Das kann man nur, wenn man ein Herz für Deutschland hat, Oskar Lafontaine.
({21})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Klose.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Wir freuen uns auf Deutschland! " Herr Rühe, diese Plakate sind gegenwärtig auf den Straßen Bonns zu sehen. Ich nehme an, das ist Ihr Werk. Ich gebe zu, mir hat das Plakat ganz gut gefallen.
({0})
- So sind wir Hamburger nun einmal untereinander. - Mir hat es ganz gut gefallen, weil ich es in der Tat gut finde, daß man seiner Freude Ausdruck verleiht. Ich hätte etwas anders getextet. Ich hätte nicht gesagt: „Wir freuen uns auf Deutschland!" , sondern: Wir freuen uns mit den oder für die Menschen in Deutschland.
({1})
Denn es geht doch, verehrter Kollege Rühe, nicht um die Einheit als solche, um Deutschland als staatsrechtliches Gebilde, sondern es geht um ein neues wohnliches Haus für die Deutschen. Es geht darum, die Einheit so zu gestalten, daß die Menschen Grund haben, sich zu freuen.
({2})
An diesem Punkt, lieber Herr Rühe, stellt sich aber immer dringlicher die Frage, ob das, was Sie auf dem Weg zur deutschen Einheit geleistet haben, immer
noch Freude auslöst. Wenn ich den Bundeskanzler während einer solchen Debatte betrachte, dann habe ich den Eindruck, er lebt offenbar in diesem Glauben. Bedrückende Tatsache ist aber, daß sich die reale Stimmungslage laufend verschlechtert. Daran trägt diese Bundesregierung, trägt dieser Bundeskanzler ein gerüttelt Maß Schuld.
({3})
Meine Damen und Herren, ich werfe Ihnen nicht vor, daß Sie auf dem Weg zur deutschen Einheit ein zu hohes Tempo eingeschlagen und damit die Menschen überfordert haben. Das war vielleicht nicht anders zu machen.
({4})
Aber was ich Ihnen vorwerfe, ist, daß Sie bei den Menschen hier in der Bundesrepublik den Eindruck erweckt haben und immer noch erwecken, das alles sei ohne Belastungen zu machen, ohne Opfer und jedenfalls ohne Steuererhöhungen. Ganz im Gegenteil, an den Plänen zur Senkung der Unternehmenssteuern halten Sie noch immer fest. Aber die Leute glauben Ihnen das nicht mehr, falls sie es Ihnen jemals geglaubt haben.
({5})
Sie erleben doch, wie die Kosten explodieren, wie ständig neue Zahlen genannt, wie Forderungen angemeldet werden. Da sich die Lage in der DDR infolge der schnellen Einführung der D-Mark tagtäglich dramatisch verschlechtert - die DDR-Wirtschaft befindet sich faktisch in der Agonie -, werden weitere dramatische Kosten auf uns zukommen. Die Leute wissen das, sie fühlen das, und sie erwarten, daß jetzt endlich Kassensturz gemacht wird. Nicht wir, sondern der Herr Bundeskanzler hat dieses Wort in die Debatte eingeführt.
({6})
Hören Sie doch endlich auf, uns immer vorzuwerfen, wir spekulierten über die Kosten der Einheit. Sie sind in der Lage, diesen Spekulationen ein Ende zu machen, indem Sie endlich Klarheit schaffen, was sie denn kostet
({7})
und wie die Finanzmittel zur Deckung dieser Kosten aufzubringen sind. Wenn es dann ohne Steuererhöhungen geht, werden wir uns darüber freuen. Nur Sie sind in der Lage, diese Diskussion zu beenden, sonst niemand.
Die Wahrheit ist aber, daß Sie alle, die Bundesregierung, jedenfalls der Finanzminister - so hoffe ich zumindest - , wissen, daß die deutsche Einheit sehr viel teurer wird, als Sie bisher gesagt haben. Sie wissen es, haben aber nicht den Mut, es vor den ersten gesamtdeutschen Wahlen zu sagen.
({8})
Hinterher, nach den Wahlen, wird die Rechnung präsentiert, und zwar den Menschen. Denn nicht Sie,
Herr Bundeskanzler, zahlen, sondern die Menschen
werden zahlen müssen. Sie tun das schon jetzt durch die enormen Zinsbelastungen.
({9})
Meine Damen und Herren, ich bin durchaus überzeugt, daß die Menschen bei uns zur Solidarität bereit sind. Aber sie möchten doch wissen und haben, finde ich, ein Recht darauf, zu wissen, was auf sie zukommt.
({10})
Weil diese Klarheit fehlt, fangen Sie an, sich ungehalten nicht über die Bundesregierung oder über die Politik im allgemeinen zu äußern, sondern Sie äußern sich mit einer zunehmenden Häme über die Menschen in der DDR.
({11})
- Tun Sie doch nicht so, als kennten Sie es nicht. Sie kennen doch alle die zum Teil schrecklichen DDR-Witze, die mittlerweile nicht mehr nur an deutschen Stammtischen erzählt werden. Entsolidarisierung hat stattgefunden, und sie ist die Folge Ihrer Politik.
({12})
Die Menschen in der DDR erleben jetzt den Zusammenbruch ihrer Wirtschaft. Ich stelle hier ausdrücklich fest: Diese Wirtschaft war und ist marode, weil sie von dem dortigen Regime in den Bankrott hineingesteuert wurde. Das ist die historische Wahrheit. Aber Sie haben zu verantworten, daß sich das Tempo des Zusammenbruchs ohne begleitende Absicherung außerordentlich beschleunigt hat, und zwar so sehr, daß an Sanierung eigentlich nicht mehr zu denken ist.
({13})
Daß sich in der DDR bei dieser Entwicklung Angst, existentielle Angst, ausbreitet, wen wundert das eigentlich? Wundert Sie das?
Daß die Menschen dort mit immer neuen Forderungen an uns herantreten, Forderungen, die die Menschen hier dann zu bezahlen hätten, wen wundert das? Wen wundert es, wenn die Menschen hier ebenfalls ängstlich und zornig reagieren?
Meine Damen und Herren, in allem Ernst: Nach meiner Einschätzung ist es unübersehbar, daß sich bei uns ein Klima des Gegeneinander, des Konflikts entwickelt.
({14})
Der Ostberliner Essayist Friedrich Diekmann fragt sich besorgt - ich zitiere ihn - :
Bricht über die Deutschen etwas herein, was bei den Staatsvölkern seit Jahrzehnten unbekannt blieb, Klassenkampf unter Brüdern?
Es steht zu befürchten, meine Damen und Herren, daß dies geschieht.
Ich weiß natürlich auch, daß das so, wie die Dinge nun einmal gelaufen sind, jetzt nicht mehr, jedenfalls nicht von heute auf morgen, zu ändern ist. Aber es
muß gehandelt werden, und zwar schnell. Sonst wird sich in diesem neuen Deutschland nicht Freude ausbreiten, Herr Kollege Rühe, keine neue gemeinsame Identität bilden. Die staatliche Einheit würde einem in sich zerstrittenen, mit harten Bandagen gegeneinander streitenden Volk übergestülpt. Die Einheit wäre brüchig und bliebe es über Jahre.
Ich formuliere es ganz persönlich für mich: Manchmal, wenn ich so unsere Debatten verfolge, beschleicht mich die Sorge, wir Deutschen könnten unsere zweite Chance zur Normalität erneut verspielen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Breuer?
Ja, gerne.
Herr Kollege, ich bin bereit, Ihnen in der Frage zu folgen, ob es denn nicht zunehmend eine unsichtbare Mauer in den Köpfen der Deutschen gibt.
Die Frage, die ich Ihnen stellen möchte, ist folgende: Können wir denn nicht die Gemeinsamkeit, das Wir-Gefühl demokratisch am besten dadurch begründen, daß möglichst schnell eine gemeinsame gesamtdeutsche Wahl erfolgt, genau um dies zu bekämpfen?
Das Bewußtsein der Menschen, Herr Kollege, ändert man dadurch, daß man ihre realen, sozialen und ökonomischen Probleme löst, und nicht mit Worten.
({0})
Ich wollte, auf den Kollegen Rühe eingehend, hinzufügen: Mich bedrückt das, obwohl es - auch nach meinem Urteil - außenpolitisch mit der Einheit bisher gut gelaufen ist, wenn ich von anfänglichen Unklarheiten in der Grenzfrage einmal absehe, und, Herr Bundesaußenminister, weiter gut und verläßlich laufen muß, und zwar bis zum 19. November. Dieses Datum, Herr Bundesminister, hat bei den Beratungen der SPD-Fraktion über den Wahltermin eine gewisse Rolle gespielt.
Innenpolitisch, deutsch-deutsch läuft es allerdings durchaus nicht gut. Wenn wir ehrlich sind, spüren wir das alle.
Ich sage noch einmal: Von heute auf morgen läßt sich das nicht ändern. Aber es muß endlich damit begonnen werden, etwas zu tun, d. h. die Wirtschaft in der DDR wieder anzukurbeln. Da helfen keine Appelle an die bundesdeutsche Wirtschaft. Die handelt nämlich nach rationalen, betriebswirtschaftlichen Kriterien. Erforderlich von seiten der Politik sind vor allem außerordentliche Anstrengungen, um in der DDR eine leistungsfähige Infrastruktur aufzubauen, ohne die es private Investitionen dort nicht geben wird. Damit, meine Damen und Herren von der Regierung, hätten Sie längst anfangen müssen,
({1})
Sie und - ich füge hinzu - die Regierung der DDR, mit konkreten Hilfen, aber in dem Bewußtsein, daß Alimentation auf Dauer nicht hilft.
({2})
Der künftige Wohlstand in der DDR kommt weder aus den öffentlichen Kassen der Bundesrepublik noch irgendwie aus Bankschaltern, sondern er kommt aus den Betrieben. Um die, meine Damen und Herren, müssen sich die Regierungen kümmern, vor allem die Bundesregierung, denn sie hat spätestens seit Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion das Sagen auch in der DDR.
({3})
Sie darf sich nicht weiterhin vor der Verantwortung drücken, die Schuld auf andere schieben und fruchtlose Auseinandersetzungen über Fragen von zweitrangiger Bedeutung führen. Wer die Mehrheit hat und regiert, bei dem liegen die Verantwortung und die Verpflichtung zum Handeln. So einfach und so wahr ist das. Sie müssen uns schon erlauben, daß wir Sie an diese Wahrheit immer wieder erinnern.
({4})
- Es rutscht nicht. Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Spilker; das ist sehr fürsorglich. Es ist gut, daß Sie mich ansprechen; denn ich wollte jetzt einige Bemerkungen zu dem zweiten Thema machen, auf das Sie schon warten, nämlich zur Vermögenssituation der Parteien in der DDR. Es geht dabei um drei Problemkreise.
Zunächst geht es um das Problem der Wiedergutmachung für nach 1933 entstandenes und nach 1945 fortgesetztes Unrecht. Das ist ein Thema, das nicht nur die SPD beschäftigt, sondern auch andere Organisationen, wenn ich recht informiert bin, auch die ehemals jüdischen Gemeinden auf dem Territorium der DDR. Über dieses Problem zerbrechen wir uns selber den Kopf; das betreiben wir selber. Wenn wir dabei die Hilfe der Bundesregierung brauchen, werden wir uns melden.
Das zweite Problem ist das der Chancengleichheit, ein Thema, das das Parlament insgesamt durchaus interessieren müßte. Die Chancengleichheit der Parteien, als Grundsatz vom Bundesverfassungsgericht ganz oben angesiedelt, ist einmal durch die Tatsache verletzt, daß die ehemaligen Blockparteien in der DDR - von der SED-Nachfolgerin PDS will ich jetzt nicht reden - über erhebliche Vermögenswerte verfügen. Unsere Kenntnisse darüber sind inzwischen ziemlich gut. Verschiedene Stellen haben dabei geholfen. Der Bericht des Bundesnachrichtendienstes ist ja inzwischen schon in den Medien zitiert worden. Ich halte ihn an dem einen oder anderen Punkte für etwas überzogen, aber insgesamt für stimmig.
Wenn das aber so ist, dann haben wir bei den Parteien in der DDR eine Vermögenslage, die sich drastisch von der Vermögenslage der Parteien hier unterscheidet. Daß dies Chancenungleichheit zur Folge hat, liegt auf der Hand.
Hinzu kommt, daß diese Parteien in der DDR über sachlich oder personell gut ausgestattete Apparate verfügen. Allein die CDU-Ost hat weit über 1 000 Mitarbeiter. Stellen Sie sich das mal vor: 1 000 Mitarbeiter, mit denen gearbeitet werden kann. Daß dies nicht so einfach weiter getragen werden kann, daß da eine Änderung vollzogen werden muß, und zwar vor den ersten gesamtdeutschen Wahlen, davon gehe ich aus. Das ist der zweite Komplex. Glauben Sie nicht, daß wir diesen Punkt aus dem Auge verlieren werden.
Der dritte Komplex ist der der ungerechtfertigten Bereicherung. Es ist ein Problem, wenn sich Parteien aus der Bundesrepublik mit solchen gleichen oder ähnlichen Namens in der DDR vereinigen. Das ist ein politisch-moralisches Problem; aber damit müssen Sie selber fertig werden, beispielsweise mit der Tatsache, daß außer dem Wechsel in der Führung bei der Mitgliedschaft wesentliche Veränderungen nicht stattgefunden haben. Aber das ist Ihre Sache.
Was jedoch nicht sein darf, ist, daß sich die Parteien der Bundesrepublik, indem sie mit den ehemaligen Blockparteien dort drüben fusionieren, ungerechtfertigt, und zwar erheblich, nämlich in Milliardenhöhe, bereichern. Dies darf jedenfalls nicht sein.
({5})
Es darf nicht der Eindruck entstehen -
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Scharrenbroich?
Nein. Ich bin jetzt nicht zur Entgegennahme einer Zwischenfrage bereit, weil ich gerade so schön im Zuge bin.
({0})
- Ja, ich komme auf Ihren Antrag noch zu sprechen.
Ich wende mich noch einmal an Sie, Herr Kollege Rühe. Es darf nicht sein, daß der Eindruck entsteht, die hoch verschuldete Bundespartei CDU werde sich durch Fusion mit der ehemaligen Blockpartei CDU in der DDR wirtschaftlich sanieren.
({1}) Ich sage Ihnen: Dies darf nicht sein.
({2})
Jetzt will ich etwas zu den Anträgen sagen.
({3})
- Wenn ich die Anträge falsch sehe, dann werde ich von Ihnen eine Zwischenfrage von Ihnen beantworten.
({4})
- Nein, ich bin nicht bereit dazu, sondern Sie hören jetzt zunächst einmal zu.
({5})
Ich beantworte eine Zwischenfrage, wenn ich diesen Gedanken zu Ende geführt habe.
({6})
- Ja, sicherlich.
({7})
Herr Abgeordneter Rühe, nach der Geschäftsordnung kann der Abgeordnete eine Zwischenfrage genehmigen oder nicht.
({0})
Doch, ich lasse gleich eine zu.
({0})
Setzen Sie sich ruhig noch einen Augenblick hin, Herr Kollege Rühe. Sie können aber auch stehenbleiben. Das trainiert ja.
Ich habe mir Ihren Antrag angesehen und mache das Hohe Haus auf folgendes aufmerksam:
({1})
In diesem Antrag der Koalition wird im wesentlichen nur der Beschluß der Volkskammer referiert. Sie werden nicht bestreiten, wenn Sie sich die räumliche Aufteilung Ihres Antrages ansehen, daß den größeren Teil der Beschluß der Volkskammer einnimmt.
({2})
Aufgrund dieses Beschlusses der Volkskammer hätte bis zur Mitte dieses Jahres schon längst gehandelt werden müssen; denn in diesem Beschluß wird ja eine Frist gesetzt. Aber die Frist ist nicht eingehalten worden.
({3})
Die Koalition macht hier jetzt folgendes: Sie redet über Chancengleichheit und sagt, dieses Problem müsse die Regierung in der DDR lösen. Aber diese Regierung war bisher schon nicht in der Lage - trotz vorhandenen Volkskammerbeschlusses - dafür zu sorgen, daß etwas geschieht. Also werden Sie mir doch die Vermutung erlauben, daß auch in nächster Zeit nichts passieren wird.
({4})
Dazu können Sie dann gleich eine Zwischenfrage stellen.
({5})
Zum zweiten bestätigen Sie diesen Verdacht noch, indem Sie sagen, der Auftrag an diese Kommission dürfe auch nicht durch die deutsche Einheit erlöschen, sondern müsse auch danach fortbestehen. Das heißt doch im Klartext, Sie gehen selber davon aus, daß vor Herstellung der Einheit und vor den deutschen Wahlen überhaupt nichts passiert. Einem solchen Antrag werden wir jedenfalls nicht zustimmen.
({6}) Jetzt können Sie Ihre Frage stellen.
Der Herr Abgeordnete Klose gestattet jetzt dem Abgeordneten Rühe eine Zwischenfrage zu stellen.
Lieber Kollege Hans-Ulrich Klose, ich darf Sie zunächst einmal bitten, auch hier noch einmal zur Kenntnis zu nehmen, was ich immer gesagt habe: Die CDU in der Bundesrepublik wird durch keine Mark von dem profitieren, was es in der CDU der DDR gibt, auch nicht von dem, was dort rechtmäßig erworben worden ist.
({0})
Ich darf Sie zweitens bitten, in unserem Antrag die Forderung zur Kenntnis zu nehmen, daß die Treuhandstelle, die es dort bisher gibt, besser ausgerüstet werden soll,
({1})
damit sie ihre Arbeit besser verrichten kann, damit etwas für die Chancengleichheit der Parteien getan wird.
Ich muß dann folgende Frage stellen: Wie ist es möglich, unsere Forderung, daß mit dem Tage des Beitritts nicht die ganze Sache einfach abgeschlossen wird, sondern daß hier der Gerechtigkeit auch weiterhin Durchbruch verschafft wird, mit einem solchen Verdacht zu belegen? So, wie es in unserem Antrag steht, ist das doch im Interesse der Chancengleichheit formuliert.
({2})
Lieber Herr Kollege Rühe, ich nehme alles zur Kenntnis, was immer Sie und in welcher Form Sie es auch immer sagen.
({0})
Sie müssen aber Ihrerseits zur Kenntnis nehmen, daß ich mir Formulierungen von Ihnen genau ansehe. Der von Ihnen vorgelegte Antrag jedenfalls signalisiert, daß Sie nicht die Absicht haben, in schneller Zeit und vor der Wahl dieses Problem zu lösen,
({1})
sondern daß Sie es auf die lange Bank schieben. Damit werden wir Sie nicht durchkommen lassen, das sage ich Ihnen.
({2})
Damit werden wir Sie nicht durchkommen lassen, sondern damit werden wir Sie treiben; denn dies ist neben den finanziellen Aspekten wirklich ein politisch-moralisches Problem. Wenn ich Ihren Worten glauben darf, so wissen Sie das. Dann müssen Sie es aber auch rechtzeitig lösen, und dann können Sie nicht einfach sagen, irgendwann und irgendwie werde es schon gelöst werden. Nein, wenn man will, daß wirklich etwas geschieht, wenn man „Butter bei die Fische tun" will, wie wir sagen,
({3})
dann hat man Gelegenheit - wie man will - , sich zu zwei Anträgen zu äußern, nämlich zu dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion oder zu dem, wie ich finde, sehr guten Antrag der GRÜNEN.
({4})
Wir werden unseren Antrag zur namentlichen Abstimmung stellen, damit keiner die Möglichkeit hat, sich um dieses Problem herumzudrücken. Wir möchten gerne wissen, ob Sie wirklich innerlich so gefestigt sind, wie Sie es immer behaupten, ob Sie sich nicht in Versuchung führen lassen, wenn denn das Geld fließt. Wir möchten gerne, daß Sie jetzt entscheiden. Ich bin, Herr Kollege Rühe, insbesondere auf Ihr ganz persönliches Abstimmungsverhalten sehr gespannt.
({5})
Ich erteile das Wort dem Chef des Bundeskanzleramtes, Herrn Bundesminister Seiters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da ich im Ausschuß Deutsche Einheit zu diesem Thema bereits Stellung genommen habe, will ich hier noch einmal wiederholen, daß wir in Übereinstimmung mit den Beschlüssen der Volkskammer, in Übereinstimmung mit den Empfehlungen der dortigen Koalition, der auch die SPD angehört, in dem Ziel betreffend Parteivermögen völlig übereinstimmen: Klarheit, Offenlegung, Einziehung unrechtmäßig erworbenen Vermögens und Chancengleichheit. Ich verweise darauf, daß auch in der Begründung des Beschlusses der Volkskammer folgendes ausdrücklich steht - das sollte die Öffentlichkeit noch einmal zur Kenntnis nehmen - :
Die friedliche und demokratische Revolution des Herbstes 1989 hat die bisherigen Machtstrukturen in unserem Land weitgehend beseitigt. Auf vermögensrechtlichem Gebiet dauert die Ungerechtigkeit noch an. Die Herrschaft der SED führte zu einer Vermischung von Partei- und Staatsvermögen. Ähnliches gilt für andere Parteien und Massenorganisationen.
Die SED hat sich unter Ausnutzung ihres Machtmonopols im Laufe der 40jährigen Geschichte der
DDR Vermögenswerte unrechtmäßig und unter
Ausschaltung öffentlicher Kontrolle angeeignet, Enteignungen zum eigenen Vorteil vorgenommen und Mittel aus dem Staatshaushalt zu ihren Gunsten zweckentfremdet. Diese alte Ungerechtigkeit muß beseitigt werden und darf nicht zu einem Vorteil im neuen Währungs- und Wirtschaftssystem führen.
Daher muß noch vor dem 1. Juli 1990 das Vermögen der Parteien und Massenorganisationen festgestellt, zum Teil gesichert, d. h. unter Treuhandverwaltung der Regierung gestellt und zugunsten gemeinnütziger Zwecke eingezogen werden können. Dieses Verfahren ist ein Schritt auf dem Weg zur Herstellung der Chancengleichheit der Parteien.
Wir haben diese Beschlüsse begrüßt, mehrfach dazu Stellung genommen. Wir richten auch in dem Antrag der Koalition ausdrücklich die Aufforderung an die Bundesregierung, daß darauf hingewirkt und auf die Regierung der DDR eingewirkt wird, daß diese Beschlüsse so rechtzeitig umgesetzt werden, daß die Chancengleichheit gesichert ist.
Nun mahnen Sie an und kritisieren, Herr Kollege Klose, daß der Zeitpunkt 30. Juni 1990 nicht eingehalten worden ist. Das ist wahr. Der Zeitpunkt ist nicht eingehalten.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schmude?
Nein, ich möchte dies gern im Zusammenhang ausführen.
Es ist wahr, daß die unabhängige Kommission noch keinen umfassenden Bericht erstellt hat. Der Vorsitzende, Rechtsanwalt Reinicke, hat vor kurzer Zeit gesagt, es fehlten immer noch einige Berichte. Wir haben gestern folgende Mitteilung aus der unabhängigen Kommission erhalten: Die Frist vom 30. Juni 1990 im Beschluß der Volkskammer habe u. a. deshalb nicht eingehalten werden können, weil die Parteien in der DDR für die Vorlage ihrer Unterlagen um Fristverlängerung bis zum 31. Juli 1990 gebeten hätten. Diese sei ihnen gewährt worden. Inzwischen hätten mehrere Parteien die Mitteilungen über ihre Vermögen gemacht, u. a. die CDU. Von der SPD sei gestern die Bitte um weitere Fristverlängerung bis zum September eingegangen.
({0})
Herr Kollege Klose, ich muß Sie wirklich bitten, in Übereinstimmung mit uns dafür zu sorgen, daß die Voraussetzungen geschaffen werden, daß Ihre Forderungen erfüllt werden. Aber bitte machen Sie Dampf bei Ihren eigenen Fraktionskollegen der DDR und nicht bei der Bundesregierung oder bei der CDU!
({1})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schmude?
Ich will noch eine zweite Bemerkung machen. Gleichzeitig mit den Beschlüssen zur Sicherung von Vermögenswerten von Parteien - unter treuhänderische Verwaltung gestellt, das ist richtig - ist neben der unabhängigen Kommission dann auch noch bestimmt worden, daß der Finanzminister der DDR Richtlinien zur Bewertung von Grundvermögen herausgibt. Das ist immerhin der Finanzminister Romberg von der SPD. Die Mitteilung, die uns zugegangen ist, lautet wie folgt: Noch nicht in Kraft seien zudem die vom Finanzministerium der DDR zu erstellenden Richtlinien zur Bewertung von Grundvermögen. Erst zur gestrigen Sitzung des Ministerrats sei ein Entwurf vorgelegt worden. - Meine Damen und Herren, bitte richten Sie Ihre Appelle an die richtige Adresse!
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Stratmann.
In den mir verbleibenden fünf Minuten möchte ich einerseits unseren Antrag zum Thema der verdeckten Parteienfinanzierung begründen und andererseits, da wir nun einmal die Chance haben, hier mit dem Kanzlerkandidaten der SPD sprechen zu können, ein paar kritische Fragen an Herrn Lafontaine richten.
Wir betrachten die Übernahme des Parteivermögens der Blockparteien durch CDU und FDP und die Übernahme des Parteivermögens der SED durch die PDS als eine verdeckte Parteienfinanzierung, durch die die Praxis der Selbstbereicherung der Parteien fortgesetzt wird, die wir von verschiedenen Parteien auch aus diesem Bundestag in den vergangenen Jahren kennengelernt haben. Wir betrachten diese verdeckte Parteienfinanzierung als einen Verstoß gegen den Verfassungsgrundsatz der Chancengleichheit der Parteien bei den bevorstehenden Wahlen. Deshalb haben wir einen Antrag eingebracht, nach dem sowohl das Vermögen der Blockparteien als auch der PDS unverzüglich auf der Basis von zu verabschiedenden Gesetzen eingezogen werden soll. Die Vermögenswerte sollen unverzüglich durch Verkauf liquide gemacht werden, und die so zustande gekommenen liquiden Mittel sollen für einen doppelten Zweck ausgegeben werden.
Wir wollen erstens eine Umwelt- und Sozialstiftung mit den Milliardenbeträgen, die dadurch zustande kommen, einrichten. Diese Umwelt- und Sozialstiftung soll mit ihren Mitteln gesellschaftliche und politische Initiativen zur Förderung der ökologischen und sozialen Lebensbedingungen in den Ländern der DDR - wir betonen: in den Ländern der DDR - fördern.
Zweitens wollen wir mit den dadurch zustande gekommenen Milliardenmitteln die dringend notwendige Anschubfinanzierung zur Aufstockung der Mindestaltersrente in der DDR fördern. Denn die alten Menschen in der DDR, insbesondere die alten Frauen in der DDR, sind die Hauptleidtragenden der ökonomischen und infolge dessen der sozialen Krise. Sie
sind von der sozialen Krise noch mehr betroffen als die Arbeitslosen in der DDR.
Wir haben in einem Punkt eine Differenz zu dem Antrag der SPD. Die politische Stoßrichtung in der Sache unterstützen wir, aber die SPD fordert in ihrem Antrag die Durchsetzung des Volkskammerbeschlusses vom 31. Mai. Wenn Sie sich diesen Volkskammerbeschluß angucken, war er ein Putsch des Parlaments, der Volkskammer, am 31. Mai. Vormittags kam zur Überraschung aller, selbst der SPD-Fraktion und der CDU-Fraktion, ein weitgehender Antrag über Vermögenswerte in der Größenordnung von 10 Milliarden DM auf den Tisch. Nach kurzer Aussprache wurde dieser Antrag wenige Stunden später mit einer parlamentarischen Mehrheit durchgezogen. Sowohl die Volkskammerfraktion von Bündnis 90 und Grünen als auch die PDS haben gegen dieses Verfahren energischen Widerstand geleistet. Wir teilen diesen Widerstand
({0})
und sind deshalb strikt dagegen, einen Volkskammerbeschluß, der nur als parlamentarischer Putschismus bezeichnet werden kann, hier zum Gegenstand und zur Grundlage eines Antrages des Bundestages zu machen.
({1})
Wir sind ebenfalls dagegen, daß eine Kommission zur treuhänderischen Kontrolle des Vermögens der Blockparteien und der PDS vom Ministerpräsidenten der Blockpartei CDU eingesetzt wird. Der Ministerpräsident der CDU soll zur Durchführung der Arbeit der Kommission verpflichtet werden, obwohl er eigene materielle Interessen an der Nichtarbeit dieser Kommission hat.
({2})
Daß die Kommission ihre Arbeit nicht erfüllt hat, liegt einerseits an dem, was Herr Seiters gerade gesagt hat, aber andererseits daran, daß sowohl die Blockpartei CDU in der DDR, Herr de Maizière, als auch die CDU-West gar kein Interesse daran haben können, daß das Vermögen der Blockpartei CDU eingezogen wird,
({3})
weil die verdeckte politische Absicht die ist, daß sich die hochverschuldete CDU - die CDU ist die höchstverschuldete Partei in der Bundesrepublik - mit dem widerrechtlich angeeigneten Vermögen der Blockpartei CDU-Ost saniert.
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Das halten wir für einen Verfassungsverstoß.
({5})
Wir halten das für verfassungswidrig, weil es gegen den Verfassungsgrundsatz der Chancengleichheit verstößt. Und wir halten das für unlauteren Wettbewerb bei den bevorstehenden Wahlen.
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Daß die FDP das mit der Blockpartei des Bundes Freier Demokraten mitmacht, verwundert überhaupt nicht, wenn sich die FDP nach wie vor, auch am Wochenende, einen gesamtdeutschen Vorsitzenden erhalten will, der in Sachen Parteienfinanzierung nur als Experte bezeichnet werden kann.
({7})
Und die gesamtdeutsche FDP wird sich den Skandal erlauben, einen solchen
({8})
Steuerhinterziehungsexperten noch zu halten und sich gleichzeitig das widerrechtlich zustande gekommene Blockparteienvermögen des BFD noch anzueignen.
({9})
Herr Lafontaine, recht unvermittelt, weil die Zeit sehr knapp ist, ein paar Fragen an Sie!
({10})
Herr Lafontaine, wir müssen uns hier nicht gegenseitig die notwendige Kritik an dem Überrumpelungskurs der CDU und der Bundesregierung bestätigen. Da stimmen wir überein. Aber ich habe Sie in der Zwischenfrage etwas gefragt. Sie vertreten ja nicht Ihre persönliche Meinung, sondern Sie werden auch im bevorstehenden Wahlkampf die Meinung der SPD und die politische Haltung der SPD, der Partei und der Bundestagsfraktion, zu vertreten haben.
({11})
Herr Abgeordneter, kommen Sie zum Schluß!
Erste Frage an Sie: Wie können Sie die Bundesregierung in Sachen schnelle Währungsunion kritisieren, da die SPD-Bundespartei, der SPD-Bundesvorstand und die SPD-Bundestagsfraktion diesen frühen Währungsunionstermin herbeigeredet haben, die Bundesregierung auf dieses Pferd gesetzt haben, Sie im Januar und Februar dieses Jahres, als sich in Ihrer eigenen Fraktion und in Ihrer eigenen Partei interner Widerstand äußerte, leise vor sich hingegrummelt haben, daß es Ihnen nicht ganz paßt? Aber Sie haben nicht Ihren deutlichen Widerstand aus dem letzten Monat damals artikuliert. Sie haben vor sich hingegrummelt, Sie haben die Position von Frau Matthäus-Maier und Herrn Vogel toleriert.
Herr Abgeordneter, ich mache Sie zum zweitenmal darauf aufmerksam, daß Ihre Redezeit, die vereinbart worden ist, auch mit Ihrer Fraktion, von Ihrer Seite aus überschritten ist.
Dann schließe ich mit diesem Satz, wenn ich das gerade darf. Sie haben toleriert, daß die SPD diesen schnellen Währungsunionskurs mitgetragen hat, sind deswegen dafür mitverantwortlich, und wir werden es im Wahlkampf
nicht zulassen, daß die Mitverantwortung der SPD durch den Kanzlerkandidaten der SPD hinweggeredet wird und die Alleinschuld daran
({0})
der Bundesregierung zugeschoben wird. Wir haben es mit einer Gesamtverantwortung der großen Koalition zu tun. Daran werden wir Sie jede Woche erinnern.
Herr Abgeordneter, Sie haben ein ungenügendes Verhältnis zum „letzten Satz".
({0})
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft, Herrn Dr. Haussmann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zurück zum Hauptthema! Wer den Menschen in der DDR sozial und wirtschaftlich helfen will, muß dafür sorgen, daß die Leistungsbereitschaft und die Motivation der Menschen in der Bundesrepublik stabil bleiben. Nie waren die ökonomischen Voraussetzungen für eine politische Vereinigung der beiden deutschen Staaten so hervorragend wie heute. Deshalb sollten wir in dieser Debatte auch an die Menschen hier erinnern.
In diesem Monat gibt es in der Bundesrepublik Deutschland einen neuen Rekord an Arbeitsplätzen. 28,4 Millionen Menschen haben sichere Arbeitsplätze mit guter D-Mark.
({0})
Mehr als zwei Millionen Arbeitsplätze wurden seit 1983 von dieser Bundesregierung geschaffen. Die Massenkaufkraft wird sich real in diesem Monat beträchtlich steigern.
({1})
90 Prozent der Menschen in der Bundesrepublik sehen ihre wirtschaftliche Zukunft positiv. Auch Sie, die Vertreter der Opposition, haben, wenn Sie der DDR helfen wollen, eine Verpflichtung, die nach wie vor vorherrschende positive wirtschaftliche Grundstimmung in der Bundesrepublik nicht kaputtzureden, meine Damen und Herren.
({2})
Wichtig für unsere Bürger und für unsere Unternehmer ist: Es darf keine Steuererhöhung geben, meine Damen und Herren.
({3})
Eine Steuererhöhung
({4})
wäre der bequemste Weg. Eine Steuererhöhung
würde dazu führen, daß in der DDR und bei uns mit
Steuergeldern nicht mehr sparsam umgegangen würde. Eine Steuererhöhung würde den Druck wegnehmen, daß wesentliche Subventionen abgeschafft werden müssen, nicht nur in der DDR, auch in der Bundesrepublik, meine Damen und Herren.
({5})
Deshalb sage ich voraus: Die Kosten der deutschen Einheit sind hoch, aber sie sind die wichtigsten Investitionen unserer Bürger und unserer Unternehmer in die deutsche Zukunft. Sie sind bezahlbar, meine Damen und Herren.
({6})
Sie werden solide finanziert
({7})
durch ein überdurchschnittliches Wachstum, durch mehr Steuereinnahmen. Und sie werden solide finanziert, indem wir in der nächsten Legislaturperiode auf allen Gebieten Subventionen abbauen werden. Wir können sie auf Grund der guten Lage auch abbauen.
({8})
Insofern hat der Bundeskanzler recht: Diese Art von Finanzierung macht die Bürger in der Bundesrepublik nicht ärmer.
Zu den positiven Erfahrungen der Menschen in der DDR nach 40 Tagen Marktwirtschaft, von denen bisher nicht die Rede war:
Erstens. Meine Damen und Herren, die Bürger in der DDR haben zum erstenmal eine richtige Währung. Für ihre Arbeit bekommen sie richtiges Geld.
({9})
Ich bitte, nicht zu unterschätzen, was das für die Menschen bedeutet.
Zweitens. Sie haben mehr Kaufkraft.
Drittens. Sie haben ein richtiges, ein breites Warenangebot, das sich von Woche zu Woche verbessert - trotz der uns bekannten Anfangsschwierigkeiten.
Viertens. Sie haben eine richtige Arbeitslosenversicherung. Das heißt, Hunderttausende sind bereits in Umschulungsmaßnahmen, auf dem Weg zu neuen Arbeitsplätzen.
Trotz dieser positiven Erfahrungen der ersten 40 Tage gibt es große Probleme. Mir liegt sehr daran, darauf hinzuweisen, daß die Bundesregierung vor Einführung der D-Mark auf diese wirtschaftlichen Probleme in der DDR aufmerksam gemacht hat. Ich habe auf vielen Veranstaltungen in der Bundesrepublik, aber auch in der DDR vor dem März folgendes erklärt. Wir bleiben ehrlich: Beim Übergang von der Planwirtschaft zur Sozialen Marktwirtschaft wird es auch schwierige Übergangsprobleme bis hin zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit geben. Die Schließung völlig unrentabel arbeitender, wettbewerbsun17414
fähiger Staatsbetriebe ist unvermeidbar, meine Damen und Herren. - Das haben wir den Menschen vor den Wahlen gesagt. Das tritt jetzt ein, und davon kann sie niemand befreien.
Nach 40 Tagen Marktwirtschaft kann niemand erwarten, daß die DDR-Wirtschaft jetzt schon vom Kopf auf die Füße gestellt wurde und aus eigener Kraft laufen könnte. Bedenklich ist jedoch - darauf hat Graf Lambsdorff zu Recht hingewiesen - : Es hätte besser laufen können in der DDR. - Die Erwartungshaltung ist nach wie vor zu groß. Viele Menschen in der DDR und vor allem auch die Kombinatsdirektoren erwarten vom Staat, daß er ihnen Marktentscheidungen abnimmt.
Die langsame Klärung der entscheidenden Eigentumsfragen verhindert Hunderttausende von neuen Arbeitsplätzen.
Die Trägheit der immer noch im Sattel sitzenden alten SED-Demokratie in vielen Rathäusern der DDR verhindert eine rasche Ansiedlung neuer Unternehmen.
Trotzdem gibt es Hoffnung: Hunderttausend Gewerbeanmeldungen, meine Damen und Herren - hunderttausend Gewerbeanmeldungen! -, bedeuten, daß die kleinen und mittleren Betriebe, die Handwerksbetriebe, die Handelsbetriebe bereits von der Marktwirtschaft Gebrauch machen.
Um was geht es in Zukunft? Wir dürfen nicht neue Subventionen für die Übergangszeit erfinden, sondern wir müssen zunächst auch die Möglichkeiten des ersten Staatsvertrages ausschöpfen. Dazu gehören aus meiner Sicht vordringlich zwei Aufgaben: erstens die baldige Klärung der Finanzverfassung der DDR-Kommunen, um die finanzielle Handlungsfähigkeit herzustellen, und zweitens eine schnelle Entscheidung über die zukünftige regionale Wirtschaftsförderung mit einem positiven Gefälle zugunsten der DDR. Meine Damen und Herren, wenn wir darüber entscheiden, muß den Investoren klar sein, daß dies auch rückwirkend gilt, d. h. daß jede Investition in die DDR schon heute nicht zukünftig durch spätere Präferenzen bestraft wird. Investoren brauchen vorausschaubare Bedingungen, die nicht täglich in Frage gestellt werden. Deshalb wäre ein schneller Beitritt mit vorgezogenen gesamtdeutschen Wahlen der beste Beitrag zu mehr Investitionssicherheit in der DDR selbst gewesen.
({10})
Meine Damen und Herren, ich möchte in meinem kurzen Beitrag noch einmal auf einen Punkt hinweisen: Die von uns vorausgesagten Übergangsschwierigkeiten berechtigen niemanden - auch nicht in der Opposition - , Horrorszenarien zu entwerfen oder den Menschen Angst zu machen. Falsch wäre es, jede neue Schwierigkeit in der DDR mit neuen Subventionen fortspülen zu wollen. Auch in der DDR führt kein Weg daran vorbei: Der Aufschwung der Wirtschaft läßt sich nicht kaufen. Er muß selbst erarbeitet werden. Er muß investiert werden. An dieser Einsicht führt kein Weg vorbei.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stobbe.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß gestehen, daß ich diese Debatte in einem ganz bestimmten Punkt sehr eigentümlich und merkwürdig finde. In der DDR bricht der Wirtschaftskreislauf zusammen. Die politische Stabilität ist nicht mehr das, was sie am Beginn der Regierungszeit de Maizière war.
({0})
Die Leute haben Sorgen. Was geschieht hier? Der Kanzler läßt seinen Finanzminister vortragen, wie gesund die Finanzen der Bundesrepublik Deutschland seien.
({1})
Er läßt seinen Wirtschaftsminister das Hohelied von der Hochkonjunktur in der Bundesrepublik Deutschland singen.
({2})
Die SPD wendet sich den konkreten Problemen der Menschen in der DDR zu und macht durch den Kanzlerkandidaten Lafontaine zehn Vorschläge und das Angebot zum Sachgespräch.
({3})
Was macht der Kanzler? Der Kanzler schweigt und schweigt und schweigt. Herr Bundeskanzler, können Sie sich denn nicht vorstellen, daß die Menschen, sowohl unsere Bürger hier als auch die Menschen in der DDR, in dieser krisenhaften Entwicklung in der DDR ein Wort von Ihnen erwartet hätten?
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen vor der riesengroßen Aufgabe, einheitliche Lebensverhältnisse und Lebenschancen für alle Menschen in Deutschland zu schaffen. Diese Aufgabe verlangt von allen Bürgern Opfer und Leistungsbereitschaft. Sie verlangt Verständnis und vor allem Solidarität. Die Politik hat die Aufgabe, berechenbare Rahmenbedingungen zu schaffen, die auf einem breiten gesamtgesellschaftlichen Konsens beruhen sollten, Herr Bundeskanzler. Diesen Konsens kann man nur durch das Sachgespräch zwischen den politischen Kräften im Lande und anderen beteiligten Kräften herstellen.
({5})
Wer wie ich im fast täglichen Umgang mit den Menschen in der DDR seit dem 9. November miterlebt hat, was auf den Straßen in Leipzig, in Berlin und in anderen Städten der DDR so großartig begann, wer miterlebt hat, wie diese Entwicklung die Köpfe und Herzen unserer Mitbürger mit Freude und mit Hoffnung erfüllt hat, der weiß auch, daß die Bereitschaft zum gesamtgesellschaftlichen Konsens und zur Solidarität in jenen Tagen und Wochen lebendig empfunden und auch praktiziert wurde. Doch wo am Anfang Freude
und Zuversicht herrschten, machen sich jetzt Sorgen und Ängste breit. Herr Bundeskanzler, Sie haben es zu verantworten, daß der gute Wille so vieler unserer Bürger nicht genutzt wurde.
({6})
Die Bürger in der Bundesrepublik wissen ganz genau, daß die Einheit teurer wird als Sie vorgeben, Herr Bundeskanzler. Ich gehe weiter: Unsere Bürger sind sogar der Auffassung, daß die Einheit einen hohen Preis wert ist. Warum muten Sie ihnen diese peinliche Vernebelung der wahren Kosten für die deutsche Einheit zu?
({7})
Das macht die Politik insgesamt unglaubwürdig, und das schadet der Einheit.
Sie vernebeln nicht nur die Kosten für die Einheit, sondern Sie haben auch bewußt Illusionen geweckt. Statt den Menschen klar und deutlich zu sagen, daß mit der Umstellung der Wirtschaft in der DDR erhebliche soziale Risiken verbunden sind, haben Sie die Menschen in dem Glauben gelassen, die soziale Marktwirtschaft könne über Nacht Wunder bewirken.
({8})
Sie haben Enttäuschungen hervorgerufen, weil sich Ihre Prophezeiungen über die Investitionsbereitschaft der westdeutschen Industrie in der DDR auf der Grundlage des ersten Staatsvertrages offenkundig als falsch erweisen.
Herr Bundeskanzler, ich frage mich, warum Sie heute mit solchen Vorwürfen konfrontiert werden, die wir hier nicht nur als Opposition vortragen, sondern die wir landauf, landab hören.
({9})
Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, daß es für die falschen Ansätze Ihrer Politik im deutschen Einigungsprozeß eine gemeinsame Ursache gibt. Das ist Ihr Versuch, die große Sache der deutschen Einigung parteipolitisch zu monopolisieren und CDU-Interessen vor sachlich gebotene Entscheidungen zu stellen.
({10})
Es gibt zahlreiche Belege dafür. Der bislang sichtbarste ist Ihr Versuch, im Zusammenspiel mit Herrn de Maizière das Wahlrecht und den Wahltermin parteipolitisch zu manipulieren; wir haben uns darüber heute schon unterhalten. Ich möchte Ihnen sagen, Herr Bundeskanzler, daß dieser Versuch gerade in der DDR auf totales Unverständnis gestoßen ist, weil die Menschen dort zu Recht verlangen, daß Sie, Herr Bundeskanzler, sich um die Lebenschancen der Menschen mehr kümmern als um die Wahlchancen Ihrer Partei.
Im Mittelpunkt Ihrer Politik muß doch stehen: Wie schaffen wir einheitliche Lebensverhältnisse im vereinten Deutschland? Wie schaffen wir es, daß die
Menschen in der DDR ihre Hoffnung auf Besserung in überschaubaren Zeiträumen erhalten? Wie schaffen wir es, daß sie nicht aus Sorge um den Verlust des Arbeitsplatzes, der Angst vor den steigenden Preisen, Tarifen und Kosten ihren Mut und ihre Leistungsbereitschaft verlieren?
Nun beobachten wir alle den wirtschaftlichen Verfall in der DDR. Gewiß, der Hinweis, daß diese Wirtschaft bereits in der Verantwortung der Kommunisten bankrott war, bleibt richtig; diesen Hinweis haben wir genauso gemacht wie Sie. Aber er allein hilft nicht weiter. Denn jetzt geht es in dieser Debatte und in den kommenden Wochen darum, daß die Währungsunion eben nicht so greift, wie vorher behauptet wurde. Das liegt vor allen Dingen daran, daß es an begleitenden Strukturmaßnahmen und Hilfsprogrammen für die Wirtschaft gefehlt hat, die gerade die SPD in diesem Bundestag in Verbindung mit dem ersten Staatsvertrag immer wieder gefordert hat.
({11})
Wir diskutieren heute in einer Situation, die gekennzeichnet ist durch den rapiden Verfall der staatlichen Autorität in der DDR, den Geldmangel der Gemeinden, die Überforderung der bestehenden Verwaltungen, den fehlenden Aufbau einer neuen Administration. Und wohin man blickt: Vollzugsdefizite an allen Ecken und Enden, von denen niemand überrascht sein darf; denn auf diese Gefahren wurde rechtzeitig hingewiesen.
In dieser Situation, Herr Bundeskanzler, ist vor allen Dingen Regierungshandeln gefordert, und zwar jetzt, in den kommenden Wochen und Monaten.
({12})
Ansatzpunkte dafür sind doch da. Der erste Staatsvertrag enthält - übrigens auf Druck der SPD - die Möglichkeit, durch Gespräch, durch Nachverhandeln mit der DDR-Regierung Wirtschaftsförderungsinstrumente bereitzustellen, mit deren Hilfe die notwendigen Strukturanpassungen in der DDR in Angriff genommen werden können. Zehn konkrete Fragen und Vorschläge hat Ihnen Oskar Lafontaine in dieser Debatte gestellt bzw. gemacht. Sie sind bislang alle ohne Antwort geblieben.
({13})
Auch der Einigungsvertrag könnte genutzt werden, z. B. durch eine wasserdichte Regelung für die Eigentumsfragen, die u. a. die notwendige Rechtssicherheit für private Investoren in der DDR schafft.
Es ist auch notwendig, daß der Finanzbedarf, der in der nächsten Zeit auf alle Deutschen zukommt, von dieser Bundesregierung umgehend festgestellt und öffentlich gemacht wird, so daß wir darüber reden können, wie diese Kosten unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit aufgebracht werden können. Herr Bundeskanzler, die Dinge regeln sich nicht von allein; das ist ein Irrtum von Ihnen. Es ist wahr: Sie
müssen den Tatsachen, wie sie in der DDR sind, ins Auge sehen. Ihre Entschlossenheit ist gefordert.
({14})
Die SPD hat gesagt - ich möchte das hier wiederholen - : Wir sind bereit, uns den Aufgaben zu stellen und nach Lösungen für die Menschen und ihre Probleme zu suchen. Wir sind auch bereit, Entscheidungen mitzutragen, wenn sie der Sache dienen und wenn wir in die Entscheidungsprozesse auf eine parlamentarisch einwandfreie Weise einbezogen werden. Allerdings warnen wir mit Nachdruck vor einem neuerlichen Versuch, sich durch das Wecken von Illusionen über die Runden bringen zu wollen, Herr Bundeskanzler. Hüten Sie sich davor, den Menschen in der DDR oder hier in der Bundesrepublik Deutschland vorgaukeln zu wollen, mit dem Akt des Beitritts und dem Vollzug der staatlichen Vereinigung sei gewissermaßen automatisch ein Ende der wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten in unmittelbare Nähe gerückt.
({15})
Die SPD ist angesichts der krisenhaften Entwicklung in der DDR, wie der Antrag der SPD in der Volkskammer beweist und wie wir es auch hier heute gesagt haben, dafür, daß wir zu einem frühestmöglichen Beitritt der DDR kommen. Wir wollen, daß die Verantwortung für die weitere Entwicklung klargestellt wird. Diese Verantwortung liegt dann bei der Bundesregierung.
Dennoch heben wir schon heute ins Bewußtsein: Der Akt des Beitritts selbst löst die Wirtschafts- und Sozialprobleme des vereinten Deutschlands nicht automatisch. Dafür wird dieses Land Jahre brauchen. Das ist die Wahrheit. Deshalb darf nicht zugelassen werden, daß die berechtigte Freude der Menschen über den Vollzug der staatlichen Einheit benutzt wird, um die Menschen in dem Glauben zu wiegen, mit dem Vollzug der Einheit seien alle Probleme gelöst; denn damit würde der Bundeskanzler sie nur in eine neue Täuschung treiben.
Die Wahrheit ist, daß wir uns auch im vereinigten Deutschland auf einen langen Weg vorbereiten müssen, um die dringend nötigen wirtschaftlichen und sozialen Angleichungen gerecht zu gestalten, und zwar sowohl für die Menschen dort wie auch hier. Dabei wird sich zeigen, meine Damen und Herren, daß die SPD aus ihrer traditionellen sozialen Verantwortung heraus für diese Wegstrecke mit besseren Konzepten aufwarten kann als die Konservativen mit ihren Mogelpackungen.
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Ich möchte ein Wort über die Verantwortungsbereitschaft der SPD und über die Grenzen dieser Verantwortungsbereitschaft sagen. Hier in Bonn sind wir Opposition, in der DDR regieren wir - ich sage: noch - mit. Wir haben als Opposition in Bonn von Anfang an gesagt, daß wir zur Mitverantwortung bereit sind. Der Bundeskanzler hat unsere ständig wiederholte Bereitschaft zu dieser Mitverantwortung
fahrlässig zurückgewiesen und damit dem deutschen Einigungsprozeß geschadet.
Die Situation ist auch nicht viel besser geworden, seitdem die SPD im Bundesrat über eine Mehrheit verfügt. Diese Mehrheit zwingt die Bundesregierung zwar zu einer gewissen Zusammenarbeit - es ist also wahr, daß auch die SPD-geführten Länder an den Verhandlungen zum Einigungsvertrag mitwirken -, dennoch hat sich am politischen Verhalten der Bundesregierung nichts geändert. Sie versucht auch jetzt noch, der Öffentlichkeit zu suggerieren, in den Verhandlungen, die jetzt anstehen, sei Wesentliches erreicht worden. Dies wird mit einer gewissen politischen Technik gemacht, um die Menschen in Ruhe zu wiegen.
Dies geschieht, obwohl bislang wesentliche Forderungen der SPD nicht berücksichtigt worden sind. Ich kann Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU und auch von den Freien Demokraten, nur sagen: Wenn das so weitergeht, dann wird es schwierig sein, in Bonn eine Verständigung über den Einigungsvertrag zu erreichen.
({17})
In der Regierung de Maizière in Berlin steht es um die Zusammenarbeit mit der SPD und um die Koalitionsbedingungen noch schlechter. Ich weiß aus persönlicher Erfahrung, daß die Sozialdemokraten in der DDR in diese Koalition mit einem tief empfundenen Gefühl der Verantwortung für das Schicksal der Menschen in der DDR eingetreten sind. Sie haben über eine längere Wegstrecke sehr viel eingebracht, um dieser Verpflichtung gerecht zu werden.
Wir haben Achtung vor Ministerpräsident de Maizière empfunden, der auf der Grundlage der geschlossenen Koalitionsvereinbarung und der von der gesamten deutschen Öffentlichkeit kochgeachteten Regierungserklärung große Anstrengungen unternommen hat, um die DDR auf den Beitritt zur Bundesrepublik vorzubereiten. Aber auch dort in der Koalition hat sich die Zusammenarbeit schlagartig verschlechtert, seitdem Herr de Maizière die Fragen des Wahlrechts und den Beitrittstermin ganz offenkundig nicht nach sachlich gebotenen Kriterien, sondern nach parteipolitischen Interessen behandelt.
({18})
Dabei sind die Sozialdemokraten zweimal aufs schwerste düpiert worden. Jeder dieser Vorgänge wäre eigentlich Anlaß genug gewesen, die Koalition zu verlassen. Wenn die Sozialdemokraten in der DDR diesen Schritt noch nicht gemacht haben, dann deshalb, weil sie sich verpflichtet fühlen, im Interesse der Menschen der DDR in den anstehenden Verhandlungen ihre Vorstellungen durchzusetzen.
Aber wenn Sie sich, meine Damen und Herren von der CDU hier in Bonn, und wenn sich auch die Christdemokraten in Berlin-Ost weiterhin so engstirnig verhalten und die deutsche Einheit unter parteipolitischen Gesichtspunkten betreiben, dann werden die Sozialdemokraten in der DDR die Koalition noch während der Verhandlungen verlassen, und dann muß Herr de Maizière mit einer Minderheitenregierung
die nächsten Schritte in die deutsche Einheit verantworten. Überlegen Sie, ob das der richtige Weg ist!
({19})
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich überlege schon den ganzen Morgen, ob unsere Debatte den Ereignissen der letzten zwölf Monate gerecht wird. Man muß sich einmal vorstellen: Im Sommer vergangenen Jahres - noch kein Jahr her - sind Menschen durch Minenfelder gewandert, über Mauern gesprungen, haben Menschen Flüsse durchquert, nur damit wir als Deutsche zusammenkommen können. Jetzt haben wir es geschafft, und nun, Herr Lafontaine, wird hier eine Buchhalterdiskussion geführt, die der historischen Herausforderung nicht entspricht.
({0})
Diese Debatte wird bestenfalls in den Anmerkungen der Geschichtsbücher zu finden sein.
({1})
Zwei große Ereignisse werden im Gedächtnis der Geschichte bleiben: zum einen der 9. November und zum anderen das Gespräch, das Helmut Kohl mit Gorbatschow geführt hat. Wir schaffen die Einheit Deutschlands mit der Welt, nicht gegen die Welt. Freiheit und Einheit, das ist die große historische Botschaft dieser Tage.
Wenn die Bürger in der DDR die Unterdrücker abgeschafft haben, dann werden wir doch zusammen den Sozialstaat schaffen können. Unterdrücker abzuschaffen ist doch schwieriger, als gemeinsam den Sozialstaat zu schaffen.
({2})
Die Botschaft eines jeden Sozialdemokraten, der heute morgen gesprochen hat - ich habe gehofft, es würde sich irgendwann einmal ändern - , war: Krise, Untergang, Verfall. Das ist die sozialdemokratische Botschaft. Wer sagt: „Landsleute in der DDR, wir werden es zusammen schaffen", der macht sich bei der SPD verdächtig. Ich habe Angst, also bin ich. Das ist das neue sozialdemokratische cogito, ergo sum.
({3})
Ich kann nicht sortieren, was Sie jetzt wollen. Wenn wir Vorschläge machen, sagen Sie, das sei Vormundschaft. Da habe ich noch Johannes Rau in Erinnerung: Ratschläge sind auch Schläge. - Wenn wir keine Vorschläge machen und uns zurückhalten, sagen Sie: Helmut Kohl versteckt sich hinter der Regierung der DDR. - Es ist schon ein merkwürdiges Bild, wenn man sich vorstellt, Kohl würde sich hinter de Maizière verstecken. Da habe ich schon Schwierigkeiten. Was wollen Sie denn jetzt eigentlich?
Ich sage: Dieses Problem läßt sich lösen. Wir vereinen uns und werden ein Staat. Sie werden doch den Bürgern, die 40 Jahre um ihre demokratischen Wahlrechte betrogen wurden, nicht zumuten wollen, den ersten Schritt in die deutsche Einheit ohne Wahl zu
vollziehen. Das wäre ja wider jeglichen geschichtlichen Sinn. Deshalb finde ich: vereinen und wählen, so schnell es geht.
({4})
Herr Lafontaine, nun zu dem, was Sie heute morgen gesagt haben. Wenn ich nicht gewußt hätte, wo Sie sprechen, hätte ich gedacht, Sie würden eine Abrechnung mit der SED vornehmen. Ich hatte gehofft, Sie beschäftigten sich mit den Verursachern der Misere. Es wird doch wohl niemand auf die Idee kommen, daß diese Bundesregierung die Misere in der DDR verursacht hätte. Es sind die Trümmer des Sozialismus, die wir beseitigen. Das ist die Ursache!
({5})
Vorwürfe sind noch keine Vorschläge. Deshalb, Herr Lafontaine, frage ich Sie: Was hätten Sie anders gemacht? Umstellung im Verhältnis 1 : 1, waren das Worte?
({6})
- Wir haben im Verhältnis von 1 : 1 umgestellt. Das sind die Fakten. Das war bereits das größte sozialstaatliche Angebot am Beginn unserer Einheit.
({7}) Hätten Sie es anders gemacht, Herr Lafontaine?
({8})
Nun zur Rentenversicherung. Wir führen in der Rentenversicherung das bewährte bruttolohnbezogene System ein. Hätten Sie es anders gemacht, Herr Lafontaine?
Es ist gesagt worden, wir machten nur Worte. Sind das Worte oder sind das Taten?
Wir haben innerhalb von Wochen eine Arbeitslosenversicherung mit einer modernen Arbeitsmarktpolitik und mit mehr als 130 Arbeitsämtern aufgebaut. Ich möchte meinen Respekt vor all denjenigen ausdrücken, die daran mitgewirkt haben. Es ist eine große Leistung, in wenigen Wochen solche Institutionen zu schaffen.
({9})
- Es ist heute morgen gesagt worden, es würden nur Worte gemacht, wir hätten nichts getan.
Wir haben geholfen, das Gesundheitssystem vor dem Zusammenbruch zu bewahren.
Ich sage auch meinen Landsleuten: Wir werden es schaffen, den Sozialstaat Deutschland unter einem Dach zu verwirklichen. Es wird keine erste und zweite Klasse, nicht ein Wohlstands-Vorderhaus und ein armes Hinterhaus geben. Freilich, niemand hat versprochen, daß diese Leistungen über Nacht zu vollbringen seien. Aber wir werden den Sozialstaat Deutschland schaffen. Wir schaffen ihn auf dem gesicherten Boden eines gefestigten Sozialsystems in der Bundesrepublik.
Wenn unser Sozialstaat heute in der Verfassung wäre, in der er sich 1982 befunden hat,
({10})
hätten wir jetzt alle Hände voll zu tun, um das Sozialsystem vor dem Einsturz zu bewahren. Die Sozialpolitik der letzten acht Jahre hat dazu geführt, daß wir wieder gefestigte Verhältnisse haben, daß die Kassen voll sind und daß wir eine verläßliche Sozialpolitik machen können. Wären die Verhältnisse so wie im Jahre 1982, hätten wir die Hände nicht frei, um zu helfen.
Wer das bestreitet, dem sage ich: Die Rentenversicherung verfügt im Jahr 1990 über die höchste Rücklage seit 1976. Die Krankenversicherung hat im Jahr 1989 einen Überschuß von 9,2 Milliarden DM zu verzeichnen gehabt. Die Beiträge sinken! In der Rentenversicherung betrug das Defzit im Jahr 1983 noch 5,1 Milliarden DM. Die Krankenversicherung hatte noch im Jahr 1986 ein Defizit von 800 Millionen DM.
Wir haben wieder volle Kassen. Das ist die beste Nachricht auch für die Rentner hier. Unser Sozialsystem hat wieder Boden unter den Füßen. Und von diesem gesicherten Boden aus helfen wir unseren Landsleuten in der DDR. Es ist wieder Korn auf dem Speicher.
({11})
Ich meine deshalb, daß wir mit der Diskussion aufhören sollten, die wir hier seit acht Jahren führen. Seit acht Jahren erlebe ich die Wiederkehr des Gleichen: Die SPD behauptet den Kahlschlag, und ich antworte mit Fakten.
({12})
- Ich antworte mit Zahlen. Soll ich die Zahlen wiederholen?
({13})
32 Milliarden DM Rücklage in der Rentenversicherung im Jahr 1990, 5,1 Milliarden DM Defizit im Jahre 1983. Ist das eine Zahl, oder ist das keine Zahl?
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schreiner?
Ja, bitte.
Bitte schön, Herr Schreiner.
Herr Minister, da Sie gerade bei den Fakten sind, möchte ich Sie fragen: Können Sie bestätigen, daß wir im Jahre 1990 mit etwa 6 Millionen Menschen, die an der Armutsgrenze leben, mit etwa 3 Millionen Menschen, die Sozialhilfeempfänger sind, und mit einem Fehlbestand von mehr als 1,5 Millionen Wohnungen - Tendenz: steigend - Negativrekorde im sozialen Bereich zu verzeichnen haben, die es in der bisherigen Geschichte der Bundesrepublik nicht gegeben hat?
Herr Schreiner, Sie hätten mich mißverstanden, wenn Sie meinten, ich hätte unseren Sozialstaat als ein Schlaraffenland und unser System als nicht mehr entwicklungsbedürftig dargestellt. Aber ich stelle fest: Es gab in der Bundesrepublik Deutschland noch nie ein so hohes sozialstaatliches Niveau wie im Jahr 1990.
({0})
Ich liebe in solchen Fällen die Zahlen: Das Sozialbudget betrug im Jahre 1982 pro Kopf der Bevölkerung 8 546 DM, im Jahr 1990 11 270 DM. Herr Schreiner, Sie werden zugeben, 11 270 DM sind mehr als 8 546 DM. Vom Zusammenbruch, von Minusrekorden kann überhaupt nicht die Rede sein.
Ich stimme Ihnen ausdrücklich darin zu, daß unser Sozialstaat ungelöste Probleme hat. Ich sehe das Problem Pflege als eine große Aufgabe der Zukunft an. Ich stelle unser System nicht als nicht verbesserungsbedürftig dar. Aber ich denke, wir haben ein Sozialsystem geschaffen, wie es es in Deutschland vorher noch nicht gab. Wir wollen dieses Sozialsystem nicht als ein Exklusivsozialsystem für die Bundesrepublik, sondern als ein Sozialsystem für das gemeinsame Deutschland. Wir wollen den Wohlstand für alle Deutschen in Leipzig, Frankfurt, Dresden oder wo sie sonst wohnen. Wir wollen den Sozialstaat unter einem Dach für alle Deutschen und in Solidarität mit der Welt.
({1})
Dabei ist auch richtig - niemand hat es anders dargestellt -, daß wir eine schwierige Wegstrecke in der DDR zu überwinden haben. Im übrigen war auch das sogenannte westdeutsche Wirtschaftswunder kein Wunder, sondern das Ergebnis großer Anstrengungen. Es kam auch nicht über Nacht. Wir müssen die Ausdauer und Zähigkeit haben, diese Wegstrecke gemeinsam zu gehen. Dabei wird es sicherlich auch solche geben, die zu schwach sind zu gehen. Diese müssen getragen werden. Aber wenn alle in der DDR getragen werden wollen, dann kann niemand mehr laufen. Das Geheimnis der Sozialen Marktwirtschaft lautet: Hilfe demjenigen, der der Hilfe bedarf. Aber ohne Leistung läßt sich kein Sozialstaat aufbauen.
({2})
Insofern brauchen wir - es geht nicht nur um Geld - geradezu eine kopernikanische Wende in der DDR. Die Wirtschaft kreist eben nicht mehr um die Bürokratie; sie kreist um den Verbraucher, um den Kunden. Dieser bestimmt, was produziert wird. Wir brauchen eine kopernikanische Wende, die Wettbewerb an die Stelle von Planung setzt. Vierzig Jahre Gewohnheit im obrigkeitstaatlichen Denken - der Staat macht alles - schüttelt niemand - sage ich ohne jeden Vorwurf - über Nacht aus seinen Kleidern.
Deshalb warne ich uns davor, das Problem nur mit Geld lösen zu wollen. Geld wird gefordert. Wir werden helfen, wir haben geholfen. Wir haben in der Arbeitslosenversicherung mit einer Anschubfinanzierung geholfen. Für das zweite Halbjahr 1990 haben wir mit 2 Milliarden DM für die Arbeitslosenversicherung und mit 750 Millionen DM für die Rentenversicherung als Anschubfinanzierung mit 2 MilliarBundesminister Dr. Blüm
den DM und mit 2,5 Milliarden DM als Betriebsmittelkredite für die Arbeitslosenversicherung und Rentenversicherung geholfen. Für das nächste Jahr haben wir noch einmal die Zusage einer Anschubfinanzierung der Arbeitslosenversicherung in Höhe von 3 Milliarden DM gegeben. Wir können uns streiten, ob es langt. Aber Sie dürfen sich doch nicht hinstellen, Herr Lafontaine, und sagen, wir hätten nichts gemacht; wir hätten nur geredet. Sie müssen doch zugeben, daß wir die DDR unterstützt haben.
Ich sage auch den Rentnern und den Arbeitslosen in der DDR: Kein Rentner in der DDR braucht Angst davor zu haben, daß seine Rente nicht gezahlt wird, und kein Arbeitsloser braucht Angst davor zu haben, daß sein Arbeitslosengeld nicht gezahlt wird.
Es bleibt auch die Staatshaftung für das Sozialsystem. Solange die DDR noch vorhanden ist, besteht die Pflicht der DDR, für dieses Sozialsystem einzutreten.
Wir müssen alle unsere Hausaufgaben erfüllen. Es ist ja möglicherweise ein sozialistisches Mißverständnis, der Sozialstaat lebe nur vom Ausgeben. Er muß auch Geld einnehmen. Der gleiche Eifer wie bei der Organisation der Ausgaben muß auch bei den Einnahmen vorhanden sein. Ein Teil der Probleme der DDR in der Rentenversicherung und in der Arbeitslosenversicherung besteht auch darin, daß die Beitragseinnahmen nicht ganz so schnell hereinkommen.
({3})
- Aber Sie werden als gelernte Sozialpolitikerin doch auch zugeben, daß wir in bezug auf die Dauer zwischen der Abführung der Sozialbeiträge und dem Eintreffen bei der Sozialversicherung eine Verbesserung brauchen. Ich sage das ja keineswegs mit dem Ton eines Oberlehrers. Ich sage vielmehr, daß wir Sozialpolitiker auch solidarisch dabei helfen müssen, daß dieses Sozialsystem eben nicht nur in seinem Ausgabenteil, sondern auch in seinem Einnahmenteil funktioniert. Beides gehört nämlich zusammen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Penner? - Bitte schön, Herr Penner.
Herr Minister, Sie haben vorhin die besondere Mentalität der Menschen in der DDR erwähnt, die es zu berücksichtigen gelte. Würden Sie denn wenigstens einräumen, daß das vom Herrn Bundeskanzler angeschlagene Tempo der staatlichen Vereinigung für viele Menschen, ja für die meisten Menschen in der DDR zu schnell sein könnte?
Herr Penner, habe ich Sie, Ihre Partei, die SPD, richtig verstanden? - Auch Sie wollen doch eine sehr schnelle Vereinigung erreichen. Sie haben ja heute morgen dargestellt, die DDR befinde sich im Zusammenbruch und deshalb müsse die Einheit schnell herbeigeführt werden. Wir schaffen uns doch die Tagesordnung der Aufgaben nicht selber. Wenn es so ist, wie heute morgen dargestellt, daß Solidarität gefordert ist, dann ist die Solidarität unter einem gemeinsamen Dach doch leichter zu organisieren als in zwei Staaten.
Das Problem ist doch: Wir wollen die Einheit, und wir wollen die Einheit mit Wahlen, und zwar nach dem Willen beider Seiten.
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Übrigens, das schwierigste Problem - das sehe ich wie Sie - liegt in der Arbeit für alle. Das Sozialsystem lebt immer nur von der Arbeit. Alles, was wir machen, ist nur Stellwerksarbeit. Ohne Arbeit gibt es keine soziale Sicherheit, Arbeit für alle auch aus der Sicht der individuellen Betroffenheit.
Ebenso richtig ist aber, daß Umstrukturierung mit Arbeitslosigkeit verbunden ist. Das haben wir bei uns im Bergbau erlebt, das haben wir in der Werftindustrie erlebt, das haben wir im Stahlbereich und im Textilbereich erlebt.
Der Umstellungsbedarf ist in der DDR noch größer. Da geht es nicht nur um Branchen. In der DDR muß ein ganzes System umgestellt werden. Aber wir gehen doch davon aus, daß wir diese Umstellung sozial abfedern. Soziale Marktwirtschaft ist doch kein Ellenbogenkapitalismus, wie die Sozialisten immer behauptet haben. Soziale Marktwirtschaft federt diesen Strukturwandel ab, auch durch ein System der Arbeitslosenversicherung, durch ein System von Umschulung und Qualifizierung.
Am ersten Tag der Sozialunion - die Sozialunion war noch nicht einen Tag alt - habe ich zusammen mit meiner Kollegin aus der DDR einen Umschulungskongreß in Berlin durchgeführt. Wir können im übrigen nur das Angebot geben; es muß Initiative auf allen Seiten entwickelt werden. Umschulung und Fortbildung sind das Geheimnis der Modernisierung. Es geht nicht nur um neue Maschinen, es geht auch um die Arbeitnehmer, die diese Maschinen beherrschen.
Ich verteidige hier mit allem Nachdruck unsere Kurzarbeiterregelung auch gegen manche Kritiker in der Bundesrepublik. Daß diese Kurzarbeiterregelung großzügiger ist, hat damit zu tun, daß die Verhältnisse in der DDR anders sind. Diese großzügige Kurzarbeiterregelung gibt auch eine Atempause für sichere Entscheidungen, nämlich dann, wenn der Betrieb noch nicht weiß - gerade in diesen Umbruchszeiten -, wie es weitergeht.
Wir haben jetzt immerhin 656 000 Kurzarbeiter in der DDR. Hätten wir diese großzügige Kurzarbeiterregelung nicht, gäbe es in der DDR nicht 272 000 Arbeitslose, sondern über 900 000. Sie sehen also, daß die Instrumente hilfreich sind. Machen Sie doch nicht den ganzen Morgen den Menschen Angst! Sagen Sie ihnen doch auch, daß wir Instrumente geschaffen haben, die den Dammbruch verhindern sollen. Sie können doch nicht die Dammbauer für die Überflutungen verantwortlich machen. Wir wollen Dämme bauen gegen Arbeitslosigkeit.
Ich denke, daß diese Kurzarbeiterregelung auch für Umschulung und Qualifizierung genutzt werden muß. Freilich, die Sozialpolitik kann die Wirtschaftspolitik nicht ersetzen. Freilich, die Sozialpolitik kann die unternehmerische Initiative nicht ersetzen. Ich will
ausdrücklich dazu sagen: Unternehmer aus Westdeutschland, die die DDR nur als Absatzmarkt betrachten, handeln sehr kurzsichtig. Sie bringen sich nämlich um ihre zukünftigen Kunden, nämlich Kunden, die was verdient haben, um Geld ausgeben zu können. In der DDR werden Produktionsstätten gefordert. Dort müssen die Produkte hergestellt werden. Wer nur in Absatzkategorien denkt, bringt sich um die eigene Kundschaft.
Ich sehe auch das große Bedürfnis nach Umstellung im Gesundheitssystem. Staatliche Gesundheitssysteme haben, wo immer in der Welt sie ausprobiert wurden, nirgendwo funktioniert.
Ich will um Verständnis bitten, daß eine solche Umstellung nicht kurzfristig erreicht werden kann. Vielmehr ist das ein Prozeß. Aber der Prozeß muß auf ein freiheitliches, gegliedertes und selbstverwaltetes System ausgerichtet sein.
Auch in diesem Zusammenhang haben wir - entgegen anderslautenden Meldungen - die DDR nicht im Stich gelassen: 500 Millionen DM für Infrastruktur, z. B. für neue Krankenhausbetten. Auch jetzt wird es einen Betriebsmittelkredit aus dem Staatshaushalt der DDR geben.
Herr Lafontaine, teilen Sie unseren westdeutschen Bürgern wie den Bürgern in der DDR - neben Ihrer Kritik - doch auch einmal mit, was denn wirklich besser geworden ist. Nach Angaben des Verbandes der Deutschen Rentenversicherungsträger hat die Umstellung der Rente am 1. Juli bei 2,4 Millionen der Versicherten in der DDR eine Rentenerhöhung um durchschnittlich 32,7 % gebracht.
({1})
Ich will damit keine Beruhigung aussprechen. Sagen Sie neben den Schreckensmeldungen, in denen Sie geradezu baden - Sie sind der Melkmeister der Katastrophen; von nichts anderem leben Sie - , den Bürgern auch einmal, was besser geworden ist: daß die Rente höher ist, daß es aufwärts geht, auch für die älteren Mitbürger, die in 40 Jahren Sozialismus um ihr Leben betrogen worden sind! In deren Pflicht stehen wir. Unsere Solidarität können sie zu Recht beanspruchen. Wir werden für sie arbeiten.
({2})
Ich möchte meine Rede mit dem Appell schließen: Lassen Sie uns der großen historischen Stunde gerecht werden! Wir haben hier manche kleinkarierte sozialpolitische Diskussion geführt. Ich bekenne ausdrücklich, daß auch ich mich häufig an der Kleinkariertheit beteiligt habe.
({3})
Aber laßt uns jetzt gemeinsam den Sozialstaat Deutschland bauen! Ich finde es eine große Chance, daß wir aus manchen liebgewordenen Gewohnheiten unseres Parteiengezänks heraustreten und gemeinsam am Aufbau von Freiheit und sozialer Sicherheit in Deutschland arbeiten. Das, finde ich, würde mehr lohnen als jene kleinkarierte Politik, die sich in Pessimismus und in Untergangsmeldungen sonnt.
Ich meine, daß wir es schaffen können, wenn wir es gemeinsam schaffen wollen. Und wir wollen es gemeinsam schaffen.
({4})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie ergreifen hier heute in der Debatte nicht das Wort.
({0})
Sie haben mit Herrn de Maizière am Wolfgangsee vereinbart, den vereinbarten Bundestagswahltermin vom 2. Dezember vorzuziehen. Ich muß Ihnen sagen: Daß Sie in einem Geheimtreffen am Wolfgangsee mit dem Ministerpräsidenten der DDR über die Änderung unseres Grundgesetzes reden, aber nicht hier im Deutschen Bundestag Rede und Antwort stehen, ist eine Mißachtung des Parlaments.
({1})
Daß Sie nicht die Chance ergreifen, auf das Angebot von Oskar Lafontaine einzugehen, über Maßnahmen zu reden, die wir gemeinsam sehr schnell ergreifen können,
({2})
um die Situation in der DDR zu verbessern, ist ein schwerer Fehler, Herr Bundeskanzler.
({3})
Parteitaktisch mag Ihnen das heute weiterhelfen, aber in der Sache hilft es weder den Menschen in der DDR noch denen in der Bundesrepublik.
({4})
Sie haben bei der Vorbereitung, Einführung und Flankierung der Wirtschafts- und Währungsunion unverantwortliche Fehler gemacht. Wir haben Sie davor gewarnt. Wir haben gesagt, die Treuhandgesellschaft ist zu spät eingerichtet worden, die Altschuldenregelung ist unzureichend. Gerade muß die Treuhandanstalt die Altschulden der Betriebe stornieren. Die Bedingungen für die Investitionen der privaten Wirtschaft in der DDR waren unzureichend. Wir haben Sie darauf hingewiesen. Wir haben Sie gefragt: Warum haben Sie nicht das Angebot der deutschen Wirtschaft vom Januar dieses Jahres aufgegriffen, eine Qualifizierungskampagne in der DDR sofort, also schon im Januar, zu beginnen? Unsere Forderung nach Infrastrukturverbesserungen beim Personennahverkehr, beim Wohnungsbau oder beim Umweltschutz haben Sie mit dem lächerlichen Argument zurückgewiesen, wir würden Herrn Modrow nützen. In allen Ihren Argumentationen kommt zum Ausdruck: Sie wollen nicht den Menschen helfen, Sie wollen nicht die Situation verbessern, Sie wollen beim Prozeß der deutschen Einheit parteitaktisch der SPD schaden. Das wird Sie teuer zu stehen kommen.
({5})
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ehmke? - Bitte schön, Herr Ehmke.
Frau Abgeordnete, würden Sie mir zustimmen, wenn ich das, was Sie bisher gesagt haben, in dem Satz zusammenfasse, daß der Bundeskanzler in dieser Debatte über die deutsche Einheit bisher in unverantwortlicher Weise kneift?
({0})
Das ist richtig. Darüber hinaus sollte man, weil nicht alle Zuschauerinnen und Zuschauer von morgens bis jetzt der Debatte gefolgt sind, darauf hinweisen, daß der Bundeskanzler heute morgen in keiner Weise das Wort ergriffen und die Fragen, die drüben und hier gestellt werden, beantwortet hat. Herr Bundeskanzler, ich bedaure das wirklich sehr. Ich glaube, Ihnen wird später selber einfallen, daß das ein großer Fehler war.
({0})
Die Fehler und Versäumnisse, die Sie bei der Einführung und Umsetzung der Währungsunion gemacht haben, haben nicht nur zu zusätzlicher Arbeitslosigkeit geführt und kommen die Menschen drüben teuer zu stehen, sondern sie machen die deutsche Einheit für die Menschen in Ost und West auch teurer. Warum?
({1})
Sie weisen gerne darauf hin, daß das Desaster in der DDR durch 40 Jahre SED-Mißwirtschaft angerichtet worden ist. Zweifellos ist der Kern des Problems drüben der Übergang von 40 Jahren Kommandowirtschaft zu einer ökologischen und sozialen Marktwirtschaft.
({2})
Aber, Herr Bundeskanzler, es gibt Arbeitslosigkeit, die ohne Ihre schweren Fehler bei der Wirtschafts- und Währungsunion so nicht entstanden wäre.
({3})
Es gibt Kosten, die ohne Ihre schweren Fehler und Versäumnisse nicht entstanden wären. Übrigens, leider gibt es Versäumnisse, die man nicht korrigieren kann. Indem Sie sich z. B. im letzten Jahr und auch in diesem Jahr geweigert haben, unseren Vorschlag aufzugreifen, im Verteidigungshaushalt 4 Milliarden DM einzusparen
({4})
und diese Mittel für den Aufbau der DDR zu verwenden, haben Sie Fehler gemacht mit der Folge, daß Sie diese 4 Milliarden DM nie mehr wiederbringen; sie sind unwiederbringlich weg.
Nun zeigen Sie sich erstaunt über die Löcher im DDR-Haushalt. Dieses Ihr Erstaunen, Herr Bundeskanzler, ist unredlich. Sie sind doch bei der Aufstellung der Haushalte in der DDR voll und ganz beteiligt. Ihre Leute sitzen doch in den entsprechenden Ministerien.
({5}) - Tagein, tagaus!
Von daher übrigens fand ich die Angriffe auf Herrn Eppelmann ausgesprochen scheinheilig. Auch ich bin der Ansicht, daß ein großer Teil der Käufe, die Herr Eppelmann noch getätigt hat - von Kalaschnikows bis zu irgendwelchen Booten - äußerst ärgerlich ist und nicht hätte stattfinden dürfen. Aber, Sie sitzen doch mit Ihren Leuten drüben im Verteidigungsministerium, drüben im Finanzministerium.
({6})
Sie haben dafür die volle Mitverantwortung. Sagen Sie das hier, und geben Sie das zu!
({7})
Im übrigen, nur nebenbei gesagt - dies geht an die Adresse sowohl der FDP als auch der CDU; Herr Scharrenbroich hat das sehr klar ausgedrückt - : Wer Herrn Eppelmann wegen der Käufe kritisiert - ich habe das öffentlich getan -,
({8})
der muß bitte auch Herrn Stoltenberg und Herrn Waigel kritisieren, daß sie nicht endlich den Jäger 90 aufgeben; denn auch der ist bestellt.
({9})
Da wir gerade beim Einsparen in der DDR sind, meine Damen und Herren: Ich habe hier die „Kieler Nachrichten" vom 7. August vor mir liegen. Darin steht: CDU-Landesverband Mecklenburg/Vorpommern kauft in Heide 50 Chrysler-Fahrzeuge für den bevorstehenden Landtagswahlkampf.
({10})
meine Damen und Herren, wir haben von Anfang an die Einziehung des Vermögens der SED/PDS, der Ost-CDU und der anderen Blockparteien gefordert. Sie haben zugesagt, daß Sie sich dafür einsetzen. Daß dies bis heute nicht geschehen ist, zeigt, daß Ihre Aktivitäten in Richtung von Herrn de Maizière wohl außerordentlich gering sind.
({11})
Schon jetzt benutzen Sie das Vermögen, das Sie als Ost-CDU unrechtmäßig erworben haben, um den Startvorteil in der DDR zu nutzen.
({12})
Ich sage Ihnen: Welcher Bürger in der Bundesrepublik Deutschland kann verstehen, daß Sie ihm Opfer abverlangen, wenn gleichzeitig Milliarden und Milliarden in den Händen von SED/PDS und Ost-CDU bleiben dürfen? Das ist nicht erlaubt.
({13})
Sie versuchen, der Wahrheit zu entkommen, obwohl sie scheibchenweise ans Licht kommt.
({14})
Dies geht so weit, daß Sie die Flucht in die vorgezogenen Wahlen antreten
({15}) - wollen; danke, Oskar -,
({16})
weil Sie hoffen, daß, wenn im Oktober gewählt wird, das ganze Ausmaß der Probleme und der Kosten noch nicht auf dem Tisch des Hauses liegt.
({17})
Sie können sich darauf verlassen, meine Damen und Herren: Dieses wird nicht kommen. Die SPD hat definitiv erklärt,
({18})
daß wir Ihnen die Mehrheit zu einer Änderung unseres Grundgesetzes aus wahlmanipulativen und parteitaktischen Gründen nicht liefern werden.
({19})
Wir brauchen keine überhasteten Wahlen. Was wir brauchen, ist, daß endlich gehandelt wird, um den wirtschaftlichen Aufbau in der DDR nach vorn zu bringen, um den Menschen dort zu helfen. Hier helfen nicht vorgezogene Wahlen, sondern hier hilft nur der schnellstmögliche Beitritt.
({20})
Manipulationen am Wahltermin schaffen keinem Arbeitslosen einen Arbeitsplatz.
({21})
Die großen Wirtschaftsverbände und auch die Gewerkschaften haben vor wenigen Tagen eindeutig bestätigt: Was wir brauchen, ist der schnelle Beitritt, damit wir dann möglichst schnell Dinge korrigieren können, die Sie falsch gemacht haben,
({22})
damit wir uns z. B. eine befriedigende Regelung der
Altschulden vornehmen können, damit wir endlich
eine Investitionsförderung in der DDR erreichen, die es für unsere Unternehmen lohnender macht, in der DDR zu investieren, als in Berlin und im Zonenrand - das ist nämlich heute leider noch der Fall -,
({23})
damit wir endlich Hilfen für den Wohnungsbau in Gang setzen, der es interessant macht, die Wohnungen in der DDR zu modernisieren und zu renovieren und damit zugleich neue Arbeitsplätze zu schaffen. Wir brauchen Handeln jetzt, damit am Kapitalmarkt Klarheit geschaffen wird.
({24})
Und zu dieser Klarheit gehört, daß Sie schnellstmöglich einen gesamtdeutschen Haushalt vorlegen. Ein gesamtdeutscher Haushalt muß über folgende Fragen Klarheit verschaffen:
Erstens. Welche Kosten kommen auf uns zu?
Zweitens. Welche Aktivitäten sind im Bereich der Investitionsförderung vorgesehen?
Drittens. Wie hoch wird die Kreditaufnahme sein?
Viertens. Dazu gehört dann auch ein Finanzplan für die nächsten vier Jahre, wie er vom Grundgesetz vorgeschrieben wird.
({25})
In diesem Finanzplan müssen insbesondere zwei Dinge stehen:
Erstens. Bundesfinanzminister Waigel spricht immer von 40 Milliarden DM Teilungskosten, die er für die deutsche Einheit zur Verfügung habe. Wenn er mit den 40 Milliarden DM die Menschen auf der Seite der Bundesrepublik Deutschland beruhigt, dann muß in diesem Finanzplan endlich konkret und detailliert gesagt werden, Herr Waigel: Wie sind Ihre Sparvorschläge im Bereich der Teilungskosten von Zonenrand und Berlin?
({26})
Zweitens gehört in diesen Finanzplan hinein, daß Sie endgültig und definitiv auf die Steuersenkungen für Unternehmen und Spitzenverdiener in Höhe von 25 Milliarden DM verzichten, die Sie ja planen und versprechen.
({27})
Meine Damen und Herren! Während sich die Menschen hier darüber Sorgen machen, wie sie die hochgeschnellten Hypothekenzinsen bezahlen,
({28})
während sich die Menschen hier Sorgen machen, an welchen Steuererhöhungen Sie heimlich schon basteln - nach dem Interview vom Sonntagabend, Herr Kanzler, glaubt Ihnen ja kein Mensch mehr - , basteln Sie im Finanzministerium an einer Steuersenkung für Menschen, die im Jahr mehr als 240 000 DM verdienen.
({29})
Dies ist nicht nur finanziell unsolide, das ist zutiefst ungerecht, meine Damen und Herren!
({30})
Herr Waigel, Sie haben heute morgen gesagt, daß, wenn Sie einen gesamtdeutschen Haushalt vorlegen, dieser erst nach der gesamtdeutschen Wahl behandelt und verabschiedet werden kann. Ich warne Sie vor dieser Wählertäuschung.
({31})
Es besteht genügend Zeit, zwischen dem Beitritt der DDR, zu dem ja gestern alle Fraktionen in der Volkskammer beschlossen haben, daß er schnellstmöglich erfolgen soll, und der Wahl am 2. Dezember einen Bundeshaushalt, der dann insgesamt als gesamtdeutsch gilt, ordnungsgemäß einzubringen, ordnungsgemäß zu beraten und schließlich zu verabschieden.
({32})
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gattermann? - Bitte schön, Herr Gattermann.
Frau Kollegin, halten Sie es eigentlich für ein gegenüber der gesamtdeutschen Regierung des nächsten Jahres faires Verfahren, wenn die Regierung, die jetzt ohne Beteiligung der DDR amtiert, einen Haushalt vorlegt und wir diesen Haushalt, eventuell mit ein paar hinzugesandten Abgeordneten, endgültig verabschieden, mit der Konsequenz, daß die erste gesamtdeutsche Regierung ein ganzes Jahr lang auf der Grundlage eines Haushalts zu exekutieren hat, den sie weder beraten konnte noch beraten hat?
Ich glaube, Herr Gattermann, Sie irren sich. Hier geht es darum, daß die DDR - so gestern die Volkskammer - schnellstmöglich ihren Beitritt erklärt.
({0})
Es sind sich alle in diesem Hause darüber einig, daß dann die Volkskammer die Chance hat, bis zu den Wahlen am 2. Dezember Abgeordnete durch Delegation zu entsenden.
({1})
Mit dieser Beteiligung der DDR ist es ohne weiteres möglich, einen gesamtdeutschen Haushalt zu verabschieden,
({2})
dessen Konturen jetzt schon klar sind, weil beide Häuser, das Finanzministerium der DDR und das Finanzministerium der BRD, schon eng zusammenarbeiten.
({3})
Nach allem, was Sie an Bagatellisierung, an Beschönigung, an Verschleppung der Fakten und dem Versuch, durch vorgezogene Wahlen der Wahrheit zu entkommen, bisher gemacht haben, wäre der Versuch Ihrerseits, den gesamtdeutschen Bundeshaushalt auf die Zeit nach der Wahl zu verschleppen, eine schlimme Wählertäuschung.
({4})
- Nein.
Ich darf Ihnen eines sagen. Sie glauben - das haben Sie immer getan - , Ehrlichkeit verschreckt die Menschen. Das Gegenteil ist der Fall. Wer täuscht, der verschreckt die Menschen und mindert ihre Solidarität. Solidarität wird nicht durch Täuschung und Schönfärberei, sondern nur durch Nüchternheit und Ehrlichkeit gefördert.
({5})
Deswegen legen Sie endlich die Karten auf den Tisch!
({6})
Meine Damen und Herren, ich habe zwischendurch noch eine unangenehme Pflicht zu erfüllen. Während der Vorsitzzeit meines Vorgängers, Herrn Stücklen, ist vom Abgeordneten Bühler ({0}) gegenüber dem Abgeordneten Stratmann der Zwischenruf „Heuchler" gemacht worden. Das ist zu rügen. Ich tue dies hiermit.
Der nächste Redner ist der Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man hat in dieser Diskussion, Frau Kollegin MatthäusMaier, gelegentlich das Gefühl, daß Sie überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen, was unsere Kolleginnen und Kollegen in der Volkskammer debattieren und beschließen. Man hat noch mehr das Gefühl, daß Sie überhaupt nicht mehr wissen, was Sie in diesem Jahr alles erklärt haben, was Sie alles schon kritisiert haben und was Sie alles falsch vorhergesagt haben. Und ich habe das Gefühl, daß Sie bis heute nicht begriffen haben, daß nicht der Bundeskanzler, nicht der Deutsche Bundestag, nicht irgend jemand in der Bundesrepublik Deutschland das Tempo des Veränderungs-
und Einigungsprozesses in Deutschland bestimmt ha17424
ben, sondern die Menschen in der DDR, die von 40 Jahren Sozialismus die Nase voll hatten.
({0})
Sie haben soeben wieder - jetzt geben Sie es selber zu - wahrheitswidrig gesagt: „das vom Bundeskanzler angeschlagene Tempo des Vereinigungsprozesses". Sie haben nach dem 9. November davor gewarnt, man dürfe jetzt nichts überstürzen,
({1})
und man müsse jetzt langsam machen und ja nicht von Einigkeit reden,
({2})
und Sie haben nie begriffen, auch nicht vor dem 18. März, und begreifen es heute nicht, daß sich Entwicklungen immer beschleunigen, wenn Menschen 40 Jahre lang die Freiheit vorenthalten worden ist und wenn sie diese Freiheit für sich endlich wiedergewonnen haben.
({3})
Es hat hier niemand beschleunigt, und es ist nichts zu schnell gekommen, sondern es ist vieles gerade noch rechtzeitig gekommen.
({4})
Herr Ministerpräsident Lafontaine, Sie waren derjenige, der zu Beginn dieses Jahres auf die Übersiedlerwelle mit dem Bau neuer Mauern aus Paragraphen antworten wollte. Sie wollten die Landsleute aus dem anderen Teil Deutschlands ausgrenzen.
({5})
Wir haben Ihnen damals gesagt: Wenn Mauern in Deutschland beseitigt sind - Gott sei Dank nach 40 Jahren - , gibt es nur einen Weg, diese Wanderungsbewegung in vernünftige, für beide Seiten erträgliche Bahnen zu bringen, nämlich den, daß man die Ursachen dieser Wanderungsbewegung beseitigt. Das kann man nicht durch Mauern aus Beton, und das kann man schon gar nicht durch Mauern aus Paragraphen machen, sondern dann muß man die Wirtschafts- und Währungs- und Sozialunion mit der DDR schließen, muß die D-Mark und die Soziale Marktwirtschaft einführen. Dann werden die Übersiedlerzahlen zurückgehen, weil die Menschen eine Perspektive der Hoffnung und der Zuversicht finden. Wir haben dies am 21. März, drei Tage nach der Wahl zur Volkskammer, als Bundesregierung beschlossen und verkündet.
Herr Kollege Vogel, Sie haben gesagt, das wird noch bis zum 1. Juli eine große Welle von zusätzlichen Übersiedlern auslösen. Theo Waigel hat Ihnen gesagt, wie die Zahlen zurückgegangen sind. Am letzten Tag des Aufnahmeverfahrens, am Samstag, den 30. Juni, sind noch 44 Übersiedler registriert worden. Dies zeigt, daß unsere Politik der schnellen Antwort auf die Bedürfnisse der Menschen in der DDR und der schnellen Hilfe der richtige Weg war, um die Probleme zu lösen. Der Weg von Lafontaine ist der falsche.
({6})
Wir müssen auf diesem Weg weitergehen.
Frau Matthäus-Maier, die Volkskammer hat gestern natürlich einen möglichst frühen Termin des Beitritts beschlossen. Das ist ja gut so. Aber sie hat zunächst gesagt: Wir möchten zuvor den Einigungsvertrag abgeschlossen und auch ratifiziert haben. Das sollten Sie nicht vergessen. Ich will dazu ein paar Worte sagen; deswegen habe ich mich gemeldet. Die Volkskammer hat drittens gesagt: Wir bitten, daß der Zusammenhang zwischen Wahl und Beitrittstermin nicht aufgelöst wird, der ja bisher gar nicht bestritten war. Es ist doch aus Ihren Reihen noch vor wenigen Monaten darüber spekuliert worden, ob man nicht gegebenenfalls die Legislaturperiode dieses Bundestages um ein paar Monate verlängern könne, wenn man es bis zum 2. Dezember nicht schaffe.
({7})
- Darüber ist auch von Sozialdemokraten geredet worden; natürlich.
({8})
Herr Vogel, ich habe immer gesagt: Wir werden es bis zum 2. Dezember schaffen. Sie haben noch am 16. Mai erklärt: Die Wahl ist bis zum 2. Dezember nicht zu schaffen.
({9})
- Auch ich bin ja der Meinung, daß es Unsinn ist; da sind wir uns ja einig.
({10})
Herr Kollege Vogel, wollen Sie bestreiten, daß wir alle gemeinsam immer einen engen Zusammenhang zwischen Wahl und Beitrittstermin gesehen haben?
({11})
Wenn Sie dies bestreiten, dann ist es ja in Ordnung. Nur, dann sage ich Ihnen, die in der DDR, und zwar alle in der Volkskammer, sehen diesen Zusammenhang weiterhin. Ich kann auch verstehen warum. Sie möchten schon gern den gesamtdeutschen Gesetzgeber und die gesamtdeutsche Regierung von Anfang an mitwählen.
({12})
Deswegen bitte ich, daß wir diesen Zusammenhang nicht auflösen. Aber ich sehe ja, daß Sie sich verweigern. Dann wird es ein wenig länger dauern. Die Verantwortung dafür werden Sie zu tragen haben.
({13})
Es wird Ihnen nicht gelingen, sich der Lösung eines schnelleren Beitritts und einer schnelleren Wahl zu verweigern und gleichzeitig die Verantwortung für Ihre Verweigerungspolitk beim Bundeskanzler und bei der Regierungskoalition abzuladen. Beides zusamBundesminister Dr. Schäuble
men geht nicht. Für Ihre Verweigerungshaltung werden Sie selber die Verantwortung zu tragen haben.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin?
Bitte sehr.
Bitte schön.
Herr Minister, sind die Meldungen falsch, daß von den 400 Volkskammerabgeordneten diesem Antrag Ihrer Parteifreunde lediglich 187 zugestimmt haben?
Zunächst einmal, Frau Kollegin Däubler-Gmelin, waren nicht 400 Volkskammerabgeordnete anwesend, glaube ich. Sonst hätten wir ja heute den Wahlvertrag verabschiedet. Das haben wir doch heute morgen wirklich geklärt.
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- Es war jedenfalls eine klare Mehrheit der an der Abstimmung teilnehmenden Abgeordneten.
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- Hören Sie doch mit dem Blödsinn auf! Es ist doch schade um die Zeit. Nehmen Sie es mir nicht übel; in aller Freundlichkeit. Es war eine Abstimmung von 187 zu etwas über 140 Gegenstimmen. Das ist eine klare parlamentarische Mehrheit.
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Und wissen Sie, das Einstimmigkeitsprinzip, das haben die Menschen in der DDR im real existierenden Sozialismus 40 Jahre gehabt.
Jetzt geht es nach dem Mehrheitsprinzip.
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Da hilft nun auch nichts. In der Demokratie ist die Mehrheitsentscheidung wichtig. Für Verfassungsänderungen brauchen wir eine grundgesetzändernde Zweidrittelmehrheit. Kommt sie nicht zustande, geht es nicht. Dann ist auch die Wahl nicht vorzuverlegen; auch das ist klar. Darüber besteht Einigkeit. Trotzdem ist und bleibt es zu bedauern. Und die Verantwortung dafür werden Sie zu tragen haben.
Herr Minister, es gibt noch jemanden, der eine Zwischenfrage stellen will: der Abgeordnete Dr. Sperling. Sind Sie bereit?
Bitte sehr.
Bitte schön, Herr Sperling.
Herr Minister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es gestern oder heute nacht nicht um Einstimmigkeit in der Volkskammer ging, sondern darum, mit einer Rechtsgültigkeit verschaffenden Zweidrittelmehrheit ein Gesetz zu verabschieden, das jenen Zusammenhang hätte ermöglichen können, von dem Sie so gerne träumen, so daß der Widerspruch nicht hier, sondern in dem Verhalten der Volkskammer selber zu suchen ist?
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Herr Kollege Sperling, ich nehme das natürlich zur Kenntnis. Aber: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Sie jetzt von etwas anderem reden?
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Wir haben nämlich gerade von dem Beschluß der Volkskammer gesprochen. Ich meine: Es ist ja gut; wenn man eine Zwischenfrage stellt, hört man wenigstens hinterher zu. Aber noch besser ist es, man hört schon vorher zu, bevor man die Frage stellt.
Wir haben gerade darüber gesprochen, daß die Volkskammer gestern nachmittag mit der von Ihrer Kollegin Däubler-Gmelin angesprochenen Mehrheit einen Beschluß gefaßt hat,
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den Deutschen Bundestag oder die Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland zu bitten, eine frühere Wahl zu ermöglichen durch eine Änderung des Grundgesetzes. Sie haben heute nacht einen Beschluß zum Wahlvertrag gefaßt. Dort haben sie zwar eine Zweidrittelmehrheit der abstimmenden Abgeordneten gehabt, eine klare, aber nicht eine Zweidrittelmehrheit der gesetzlichen Zahl der Mitglieder der Volkskammer. Deswegen ist die notwendige Mehrheit nicht zustande gekommen. Deswegen wird die Sitzung am 22. August sein, und wir werden das Vergnügen haben, am 23. noch einmal hier zusammenzukommen, und der Bundesrat wird sich, wie vorgesehen, am 24. damit befassen, und der Wahlvertrag tritt, wie vorgesehen, dann am 24. in Kraft.
Ich möchte gerne noch, Herr Präsident, meine Damen und Herren, einige wenige Sätze sagen, weil Herr Kollege Lafontaine bisher offenbar nicht die Gelegenheit hatte, von dem Chef seiner Staatskanzlei, der an den Verhandlungen teilgenommen hat, sich zum Einigungsvertrag informieren zu lassen, was denn da wirklich besprochen worden ist. Wahrscheinlich hat er dort genauso zugehört, wir er es während der ganzen Debatte tut, nämlich gar nicht.
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Deswegen weiß er nichts. Herr Lafontaine, es wäre wirklich nett, wenn Sie, da Sie ein paar Dinge nun wirklich - ({3})
Es wäre wirklich liebenswürdig, wenn Sie ein paar wenige Dinge zur Kenntnis nehmen würden. Das erspart uns einiges.
Wir haben in den Verhandlungen über den Einigungsvertrag - und Ihr Herr Kopp wird es Ihnen be17426
stätigen; er hat es vor der Presse auch öffentlich gesagt - bei jedem Schritt der Verhandlungen, vor und nach den Verhandlungen, in den Verhandlungen mit den Ländern völlig einvernehmlich gesprochen. Sowohl nach der ersten wie nach der zweiten Verhandlungsrunde haben sich die Länder - übrigens durch den von Ihnen erwähnten Sprecher der Länder - ausdrücklich für die faire, korrekte, umfassende Beteiligung der Länder an den Verhandlungen bedankt. Sie haben es sogar am Donnerstagabend in Ost-Berlin bei einer Pressekonferenz gesagt. Deswegen ist es einfach nicht wahr. Herr Lafontaine, wenn Sie solche Aussagen machen, dürfen Sie nicht in den Spiegel schauen, wenn Sie der Wahrheit ins Gesicht sehen wollen. Das dürfen Sie dann nicht.
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Zweitens. Wir haben in einer Reihe von wesentlichen Fragen Einvernehmen erzielt. Das steht unter dem Vorbehalt. Das ist ein erster Vertragsentwurf. Das ist völlig klar. Wir haben dort, wo wir mit den Ländern noch keine völlig übereinstimmende Position haben, zum Beispiel in der Frage der Umsatzsteuerverteilung, dies ja ausdrücklich so angemerkt. Darüber wird weiter zu sprechen sein. Wir haben aber auch die Finanzausstattung der Länder und Gemeinden in der DDR weiß Gott nicht vergessen, sondern wir haben sie in den Art. 7 ff. des Vertragsentwurfs ausdrücklich geregelt.
Es gibt eine einzige Frage, die dabei noch offen ist, nämlich die, daß die Bundesländer, und das wird ja hoffentlich heute nachmittag im Gespräch der Finanzminister mit Theo Waigel der Fall sein, einem fairen Schlüssel der Umsatzsteuerverteilung zwischen den Ländern bis 1994 zustimmen. Das ist die einzige Frage, die in der Finanzausstattung der Länder in den Verhandlungen noch offen ist. Deswegen können Sie nicht sagen, wir hätten es vergessen. Sondern Sie müßten richtigerweise hier sagen: Wir stimmen dem Vorschlag des Bundes und der Regierung der DDR zu und sind bereit, uns ein klein wenig zu beteiligen. Dann ist auch dieses Problem abschließend gelöst.
Wir werden im Anschluß im Ausschuß Deutsche Einheit umfassend über die bisherigen Verhandlungen berichten, darüber diskutieren und die weiteren Schritte vorbereiten. Die nächste Verhandlungsrunde beginnt am 20. August.
Meine herzliche Bitte ist, daß uns notwendige politische Auseinandersetzungen - und niemand vermag natürlich zu übersehen, daß in diesem Jahr gewählt werden wird und daß Auseinandersetzungen immer auch darauf Bezug nehmen - nicht davon abbringen, uns dennoch ein Minimum der Fähigkeit zur Kooperation in dieser wichtigen historischen Zeit zu bewahren. Wir sind bis zum vergangenen Freitag in einem engen Einvernehmen hinsichtlich der Verhandlungen zum Einigungsvertrag gewesen,
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im übrigen auch, Frau Kollegin Däubler-Gmelin, zum
Wahlvertrag. Bis zum heutigen Vormittag waren wir,
wie sich gezeigt hat, über die Parteigrenzen hinweg auch im Konsens, was das Wahlrecht anbetrifft.
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- Nein, ich möchte gerne zum Schluß kommen, weil wir heute auch noch im Ausschuß Deutsche Einheit beraten wollen.
Meine Bitte an alle ist, daß wir in einer Zeit, in der es wirklich Wichtigeres gibt als manche Themen, die heute behandelt worden sind, uns der Bedeutung dieser Zeit und unserer Verantwortung bewußt bleiben.
Ich habe gestern bei der ersten Lesung des Wahlvertrags daran erinnert, was sich in den letzten zwölf Monaten alles verändert hat: Vor zwölf Monaten hat der Kollege Seiters wegen des Zulaufs in die Ständige Vertretung in Ost-Berlin seinen Urlaub unterbrechen müssen. Am 9. November 1989 ist die Mauer geöffnet worden, und wir haben im Deutschen Bundestag spontan das Deutschlandlied gesungen. Am 18. März 1990 waren die ersten freien Wahlen in der DDR. Vor wenigen Wochen haben der Bundeskanzler, der Außen- und Finanzminister in Moskau und im Kaukasus den entscheidenden Durchbruch erzielt, daß der Zweite Weltkrieg mit seinen Folgen nun endgültig der Geschichte angehört.
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Niemand in Europa, niemand unter den Vier Mächten hat noch einen Vorbehalt gegen die Deutsche Einheit, gegen die Herstellung der vollen deutschen Souveränität, gegen die Zugehörigkeit des vereinten Deutschlands zur Wertegemeinschaft der freien Demokratien auch in der Zukunft.
In einer solchen Zeit und angesichts der großen Leistungen, die die Deutschen in der DDR in diesen zwölf Monaten erbracht haben, sollten wir natürlich Probleme aufzeigen und darüber sprechen. Aber wir sollten nicht nur Ängste schüren und Krisen herbeireden, sondern auch ein Stück weit Optimismus und Zuversicht vermitteln. Und wir sollten uns unserer Verantwortung bewußt bleiben, die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Unruh.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Volksvertreterinnen und Volksvertreter! Der Herr Innenminister hat das zum guten Schluß alles sehr pathetisch sagen können. Das hört sich auch alles sehr gut an. Die großen Verdienste des Herrn Bundeskanzlers werden natürlich überhaupt nicht geschmälert. Wer sollte das denn eigentlich tun? Nur, warum hat er dann heute nicht das Wort ergriffen?
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- Verzeihen Sie bitte: Er ist doch nun einmal der große Mann
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- rechnen Sie mir bitte den Beifall nicht an -,
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der sagt: Ohne mich wäre das nicht erreicht worden. Aber dann doch bitte auch ein Wort des Mutes an die Bürger in der DDR, die selbstverständlich des Mutes bedürfen.
Wenn der Herr Innenminister jetzt sagt, die sind es gewöhnt, alles immer nur einstimmig, jetzt genügt das, da fehlten ja nur neun Stimmen, muß ich dem entgegenhalten: Dieser Wahlvertrag benötigt an und für sich eine Vierfünftelmehrheit.
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Wie wollen wir denn, wenn wir uns selbst ernst nehmen, einen gesamtdeutschen Haushalt zusammenkriegen, für den es sehr wohl einer enormen Milliardenverschuldung bedarf?
Herr Graf Lambsdorff hat vorhin in seiner Rede auch die Rentner erwähnt. Es tut mir als Interessenvertretung der Grauen Panther natürlich sehr weh, Herr Lambsdorff, daß Sie in der Bundesrepublik Deutschland nach Ihrem liberalen Verständnis nicht vehement dafür eingetreten sind, daß es hier zumindest eine Mindestrente gibt, damit nicht Millionen alter Frauen über 60 nur 800 DM im Monat zur Verfügung haben.
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- 8 Millionen alter Damen über 60 haben nur so wenig Rente zur Verfügung. Ich kann mich immer nur wundern, wie hier geredet wird, wie man pastoral etwas verkündet, wie Sie, Graf Lambsdorff, auch noch Kraft Ihrer besonderen Männlichkeit meinen,
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Sie könnten damit eine Wählerstimme in der DDR, was Renten angeht, für sich als FDP gewinnen. Das glauben Sie doch wohl selbst nicht.
Hier hat sich auch der Herr Wirtschaftsboß - ebenfalls FDP - geäußert. FDP heißt ja Partei des Eigentums. Warum denn nicht? Eigentum verpflichtet, meine Herren und Damen. Nur, da hört es bei Ihnen dann auf. Es hätte mich sehr interessiert, heute vom Wirtschaftsminister zu hören, wieso die DDR die siebte Weltwirtschaftsmacht hat sein können. Es hätte mich sehr interessiert, wie man so etwas bei soviel „Dummheit" der DDR-Arbeiter, der DDR-Facharbeiter hat erreichen können. Im Gegenteil: Man hat unseren BRD-Arbeitslosen weismachen wollen, wäret ihr so hochqualifiziert wie die DDR-Jungs gewesen, dann gäbe es hier auch nicht die große Arbeitslosigkeit.
Ich glaube, in diesem Mischmasch Ihrer persönlichen Darstellungen haben im wesentlichen Sie von der CDU/CSU und der FDP die Stimmen bei uns im Volk verloren - das sind doch nun einmal Tatsachen -, weil der Bürger und die Bürgerin doch merken: Was quatschen die für ein dummes Zeug, während ich draußen im alltäglichen Leben mit etwas ganz, ganz anderem zurechtkommen muß?
Damit Ihnen, verehrter Minister Blüm, einmal die Schnute gestopft wird, sage ich folgendes - ich hätte
zwar gern nach Ihnen geredet, aber die Minister haben immer Vorrang - : Die Rente in der DDR - zu diesem Thema kriege ich Hunderte von Briefen - sieht nach 45 Berufsjahren jetzt so aus: meine Frau 575 DM und ich als Mann - das hat mir jemand aus der DDR geschrieben - 672 DM.
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- Sie fragen: Wie war es vorher? Das war nicht gut, Herr Genscher: geistig so hochstehend und so etwas Dummes zu sagen.
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Inzwischen sind ja die Mieten gestiegen, verehrter Freund Genscher. Die Friseurpreise sind gestiegen. Stellen Sie sich einmal vor, daß Sie beim Friseur 40 % mehr bezahlen.
Der Freund von der CDU sagte vorhin: Frau Unruh, ich verstehe gar nicht, warum der Joghurt in der DDR 30 Pfennig teurer ist. Das sind eben die Dinge, mit denen die Menschen, im wesentlichen alte Menschen, zu tun haben. Die alten Menschen können ja nicht irgendwo schwarz reinkloppen. Sie kommen nicht mehr zurecht. Unser Minister hat sachlich recht, wenn er behauptet, daß es über 30 % mehr sind. Aber was kann ich damit drüben in der freien oder Sozialen Marktwirtschaft - verzeihen Sie das Wort sozial; ich bin etwas gehandikapt, das Wort in diesem Bundestag zu gebrauchen - anfangen?
Wissen Sie, daß bei uns 6 Millionen Bankkunden im Schuldturm sitzen, Menschen, die sich verschuldet haben, kleine Unternehmen, die sich verschuldet haben, die auf Grund irgendwelcher Schicksalsschläge
- und sei es nur, weil um die Ecke herum ein Supermarkt genehmigt wurde - Bankschulden nicht mehr bezahlen können? Und siehe da: Sie sind für ihr Leben vernichtet.
In der DDR machen Bankbriefe die Runde: Kommt, verschuldet euch, es geht rund. Und wo sind die Gehälter zuerst angepaßt worden? Bei Banken und Versicherungen, natürlich auch - man höre und staune - im öffentlichen Dienst. Ein Berufsbeamtentum wird auch versprochen. Genau die Bonzen, die Sie hier verteufeln, wollen Sie also nach ein, zwei oder drei Jahren in das Schlaraffenland eines Berufsbeamtentums bringen. Da kann etwas nicht stimmen.
Sie haben aus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nichts gelernt. Sie erkennen nicht, in welchem Klassensystem wir hier leben. Frauen, die bei uns 35 Jahre lang gearbeitet haben, bekommen ganze 600 Mark Rente.
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- Sie müssen lernen, wie es draußen aussieht. - Zur gleichen Zeit beträgt die Beamtenmindestpension 1 730 DM.
Ich nehme es den SPDlern übel, daß sie beim Rentendeal mitgemacht haben. Ich hoffe, die SPD distanziert sich noch davon. Und wenn Herr Lafontaine das große Wunder der SPD werden soll, soll er auch dazu ein klares Wort sagen, statt als erstes, nachdem er
favorisiert worden war, zu sagen: Nein, nein, mit Mindestrente oder Mindestversorgung, das wird nichts.
Wir müssen wissen, wie reich wir sind und daß wir nach unserer Verfassung verpflichtet sind, Menschen nicht in Armut, nicht zur Mülltonne zu schicken.
Ich will diese Regierung ablösen. Ich sage das klipp und klar.
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Ich will eine geänderte SPD. Vielleicht schafft das Herr Lafontaine. Ich wollte immer den alten Vogel, und dabei bleibt es auch.
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Deshalb werden wir Grauen Panther, die Überpartei Die Grauen, in der DDR wie hier organisiert, versuchen, über 5 To zu kommen. Wir schaffen das auch - das weiß ich - , weil Ihnen die Alten und die verlassenen jungen Leute zeigen werden, daß es in diesem unseren Land eine moralische neue Kraft geben wird.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Wüppesahl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesem mehr autosuggestiven Beitrag versuche ich, noch ein bißchen Außenwirkung zu erzielen.
Zwei kurze Repliken auf Beiträge im Laufe des Vormittags. Graf Lambsdorff formulierte, daß ihm vor der Umweltentwicklung in der DDR nicht bange sei. Neben vielen anderen Beispielen führte er die Einführung schadstoffarmer Motoren in Automobilen an. Ich denke, diese Darstellung macht sehr deutlich, daß das Umweltproblem auf dieser Seite des Hauses nicht begriffen worden ist. Schadstoffarme Autos fahren auch in der Bundesrepublik - zwar noch nicht in der Anzahl, wie es technisch möglich wäre, aber doch in erheblichem Maße - , und wir stehen vor dem Verkehrskollaps. Wir haben gerade wegen des Autoverkehrs in diesem Sommer ein Ozonproblem wie noch nie zuvor und viele andere Probleme allein im Verkehrsbereich. Ich denke wirklich, daß mit einer solchen Äußerung dokumentiert wird, daß die Dimension der Umweltproblematik in keinster Weise begriffen worden ist.
Ein zweiter Gesichtspunkt aus den ersten Stunden der Debatte führt zurück auf den Coup am Wolfgangsee. Die Grundgesetzänderung wurde, wie schon mehrfach bemängelt, über die Presse bekanntgegeben. Erst dann erfolgte das Parteiengespräch - „natürlich" - unter Ausschluß der GRÜNEN. Ich denke, jedem wird klar sein, daß hier nicht der ernsthafte Versuch im Raume stand, eine Zweidrittelmehrheit für eine Grundgesetzänderung herbeizuführen.
Ich denke, daß den wenigsten bewußt geworden ist, was tatsächlich bezweckt worden ist - es konnte ja auch erreicht werden - , nämlich daß der schnelle Beitritt der DDR zur Bundesrepublik spätestens zum 14. Oktober dieses Jahres gesichert ist. Dieser Beitrittstermin stand auf Grund der Position, die Herr de Maizière zwischenzeitlich eingenommen hatte, zur
Disposition und war natürlich nach dem Vorschlag, den Herr de Maizière, selbst als Bauer von unserem Kanzler Kohl vorgeschickt, der Öffentlichkeit unterbreitet hatte, festgeklopft.
Dieser Vorschlag hatte aber noch einen zweiten Zweck. Es war der Test, ob vielleicht doch der Mißbrauch der Mehrheit in diesem Parlament durchgeht, ob man eine manipulierte Vertrauensfrage durchziehen kann. Dieser Test scheiterte. Das Ergebnis aber, die Festlegung des 14. Oktober diesen Jahres als Beitrittstermin, ist ja auch etwas.
Insgesamt - das zeigt auch der heutige Debattenablauf - ist diese Diskussion von gestern und heute ein erneutes Beispiel dafür, wie dieses Parlament, wie schon so oft, nicht der Beratung, sondern dem Wahlkampf der etablierten Parteien dient, und dies auf dem Rücken von Millionen von Wählern. Es gab Redebeiträge, im besonderen von Herrn Minister Blüm, die kaum zur Sache gehalten worden waren, sondern nur allgemeines Trara und Motivationssetzungen etc. enthielten.
Insgesamt zeigt der heutige Debattenablauf den real existierenden Parlamentarismus in der Bundesrepublik Deutschland in wirklich erschreckendster Weise. Ich benutzte bewußt die Vokabel real existierender Parlamentarismus, weil die Verfehlungen, die Verstöße gegen das Grundgesetz und die eigene Geschäftsordnung, die allein in den letzten zwei Jahren praktiziert worden sind - ich konnte sie dokumentieren - , abenteuerlich und atemberaubend sind.
Ein Tugendbold nach dem anderen kommt im Auftrage seiner Partei nach vorne und versucht, den Menschen einzureden, daß man gerade zum Wohle der Menschen in diesem Lande rede. Es ist geradezu süffisant. Man kann es wirklich nur als Theater - in diesem Fall ist es ein klassisches Sommertheater - charakterisieren und das, was der Kanzler an Parlamentsverständnis praktiziert, lediglich als ein Bismarcksches Parlamentsverständnis beschreiben. Das Parlament wird geholt, wenn er es gerade braucht. Die zuständigen Gremien in diesem Parlament, also das Präsidium und der Ältestenrat, machen dies auch mit.
Vergegenwärtigen Sie sich bitte, daß wir diese beiden Tage vom Ergebnis her umsonst aus dem Urlaub geholt worden sind. Beachten Sie auch die Kosten, wobei dies unter Berücksichtigung der Gesamtkosten nebensächlich ist.
Der eigentliche Zweck aber, dieses Wahlgesetz gestern und heute zu verabschieden, ist fehlgelaufen. Das ist ein Gesichtspunkt, der heute morgen bei der Geschäftsordnungsdebatte zu kurz gekommen ist.
Daß das parlamentarische Fiasko, das die Regierung gestern nacht und heute mit der festen Programmierung, daß die Volkskammer dieses Wahlgesetz verabschieden werde, erlebt hat, nicht deutlich geworden ist, zeigt wieder einmal, wie die Oppositionsparteien versagen. Daß die SPD dort nicht draufschlägt, verstehe ich; sie trägt dieses Wahlgesetz letztlich mit. Daß dies aber die GRÜNEN das nicht süffisanter darstellen und den Scherbenhaufen, der gestern und heute angerichtet worden ist, rhetorisch entsprechend ausschlachten, kann ich nicht verstehen.
Die Normalität des Parlamentarismus - wie er heute nacht in der DDR-Volkskammer zu einem Teil zum Leben erwacht ist -, daß eben einmal etwas nicht so läuft, wie es die Regierung gerne hätte, wird auch nicht positiv gewürdigt. Wir jedenfalls sind umsonst aus den Ferien gekommen. Wir haben mit diesen beiden Tagen wiederum ein Beispiel dafür, wie saturiert, wie feist unsere Regierung in ihren Sesseln sitzt.
Ich möchte noch ein Detail anfügen. Die Entscheidung der DDR-Volkskammer ist heute nacht gefallen, weit bevor der Dienst in Bonn um 7 oder 8 Uhr aufgenommen wurde. Es gab offensichtlich in der Bundeshauptstadt Bonn niemanden als Stallwache, der diese veränderte Entscheidungsgrundlage hätte umsetzen können.
Dazu möchte ich Ihnen noch folgendes sagen. Ich selbst habe gestern abend um 22.45 Uhr 34 Änderungsanträge zur zweiten Lesung des Wahlgesetzes abgegeben. Mir war es nicht möglich, dies auf offiziellem Wege zu tun. Durch einen Zufall konnte ich die Persönliche Referentin von Frau Süssmuth erreichen.
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- Ich bitte, Sie, was für Zustände. Jede Polizeidienststelle, jede Bundeswehrdienststelle hat über Nacht einen Beamten vom Dienst.
Wir haben in diesen zwei Tagen die Situation gehabt, daß ein Gesetz verabschiedet werden soll, das Grundfesten für demokratische Verfahrensabläufe enthält und in der Bundeshauptstadt ist noch nicht einmal jemand in der Lage, eine Entscheidung der Volkskammer, wie sie heute nacht getroffen wurde, parlamentarisch entsprechend umzusetzen, so daß selbst Bundesminister wie Herr Engelhard und andere heute morgen um 9 Uhr völlig überrascht zum Plenum kamen. Das ist in der Tat nur eines von vielen Beispielen dieses real existierenden Parlamentarismus. Ich kann nur davor warnen, ihn dem Gesamtreich in dieser Weise aufzudrücken.
Der Zeitdruck, unter dem die gesamte Beratung erfolgt, ist ja offensichtlich. Diesem Zeitdruck hat diese Regierung es auch zu verdanken, daß die Entscheidung in der DDR-Volkskammer heute nicht so ausgefallen ist, wie sie es gerne gewünscht hätte. Es hat offensichtlich auch nichts genützt, daß die Bündnispartner der DDR-Parteien von Bonn aus ständig ihre Peitschenhiebe nach drüben schallen ließen. Es ist auch nicht schwer auszumachen, wie die Telefonkabel zur Zeit surren und schnurren, um Druck auf die Parteien in der DDR auszuüben, damit dieses Desaster von heute nacht - vor allen Dingen für die Bonner Regierung - schleunigst ausgemerzt werden kann.
Die von mir und vielen anderen prophezeiten Auswirkungen der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion sind eingetreten. Über 200 000 Menschen in der DDR sind mittlerweile arbeitslos geworden. Das ist eine Verdoppelung gegenüber den Zahlen vor Einführung der D-Mark in der DDR. Des Kanzlers Worte vom Wolfgangsee - „Die Menschen in der DDR haben jetzt die Freiheit und die D-Mark" - haben ihre zynische Wirklichkeit gefunden: Über 600 000 Menschen dürfen jetzt in Freiheit kurzarbeiten, wobei
Kurzarbeit in diesem Fall eindeutig Arbeitslosigkeit darstellt.
Die CDU/CSU und FDP hasten zur großdeutschen Macht mit der Gewißheit im Rücken: Wenn die Menschen in der DDR erst einmal erkannt haben, was ihnen im ersten Staatsvertrag als Freiheit und D-Mark angedreht wurde, werden sie schwerlich ihre Stimme der Kohl-Regierung geben. Daraus ergibt sich für die Bundesregierung die zwingende Notwendigkeit, so schnell wie möglich zu wählen, ein Kalkül, dessen sich - allerdings mit anderen Vorzeichen - auch die SPD-Wahltaktik bedient. Hier wird ein Parteienstreit auf dem Rücken Tausender geführt, die neben dem Schaden nun auch noch den Spott haben, als stimmgebende Masse verschoben zu werden.
Das Versagen der Opposition im Deutschen Bundestag scheint nicht durch die Kraft oppositioneller Arbeit, sondern mit dem Vorschlag Bundeskanzler Kohls, der von Herrn de Maizière verkündet wurde, beendet zu sein.
Die SPD stimmte dem ersten Staatsvertrag zu. Meine Damen und Herren, damit werden Sie sich nicht aus der Verantwortung für den augenblicklichen Zustand in der DDR stehlen können. Diese Zustände in der DDR haben wir im Augenblick u. a. auf Grund Ihrer Zustimmung zum ersten Staatsvertrag zu konstatieren. Da nützt auch nichts die Erklärung, die Sie in der Debate zum ersten Staatsvertrag abgegeben haben nach dem Tenor: Wenn es klappt, sind wir dabei; wenn es schiefgeht, können wir nichts dafür.
Ehrenworte haben in der CDU ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten. Erst hieß es, die Vereinigung werde keine Steuererhöhungen nach sich ziehen. Das war, wenn man es seriös betrachtet, nie zu verwirklichen. Im Interview vom Wolfgangsee am vergangenen Sonntag brachte der Kanzler zwischen den Zeilen zum Ausdruck, daß Steuererhöhungen anstehen.
({1})
Darauf sollten sich die Menschen in der Bundesrepublik auch vorbereiten.
Herr Blüm hat es heute noch deutlicher formuliert. In seiner dankenswert naiven und offenen Art formulierte er, daß, wenn der Dammbruch eintritt, die Dammbauer nicht für die Überflutung verantwortlich gemacht werden könnten.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich komme zum Ende, Herr Präsident.
Herr Dr. Blüm, Sie und die Regierung Kohl sind in der Tat für die Zustände in der DDR verantwortlich, die in einer solch krassen Weise eingetreten sind, weil Sie die Einheit in einem langsameren Tempo sozial verträglicher hätten herbeiführen können.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, ich muß die Mitarbeiter unseres Hauses wieder einmal gegenüber den Behauptungen des Abgeordneten
Vizepräsident Westphal
Wüppesahl in Schutz nehmen. Es tut mir leid, aber es ist notwendig.
Wie er soeben gesagt hat, wollte er 34 Anträge zur zweiten Lesung des Wahlgesetzes gestern abend etwa gegen 22.00 Uhr abliefern. Dazu teile ich mit, daß der zuständige Parlamentsbeamte bis 1.30 Uhr nachts im Hause gewesen ist.
Ich teile zweitens mit, daß es einen Wegweiser für Abgeordnete gibt, den jeder von Ihnen haben kann - auch der Abgeordnete Wüppesahl -, in dem steht, wo man Anträge abgeben kann und muß. Diesen Wegweiser hat er offensichtlich nicht zur Hand gehabt.
Drittens muß ich hinzufügen, daß wir einen Paragraphen in unserer Geschäftsordnung haben - nämlich § 124 - , der hier sinngemäß anzuwenden ist. Dort ist deutlich gemacht, daß „die Erklärung oder Leistung während der üblichen Dienststunden, spätestens aber um 18 Uhr, zu bewirken" ist. Es handelt sich nämlich um Arbeitnehmer, die auch ein Recht auf Freizeit haben.
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Nach unserer Geschäftsordnung ist es das gute Recht des einzelnen Abgeordneten, auch noch während der zweiten Lesung Änderungen zu beantragen. Das ist richtig und zutreffend. Wer aber etwas von der Aufrechterhaltung des parlamentarischen Betriebes hält - ich finde, darauf sollten wir alle bedacht sein -, der muß wissen, daß diese Regelung für den Fall gedacht ist, daß der eine oder andere Abgeordnete ein, zwei oder drei Änderungsanträge in der zweiten Lesung stellt. Hierbei ist nicht daran gedacht worden, daß ein einzelner Abgeordneter 34 oder gar noch mehr Anträge einbringt. Das bedeutet eine Überforderung und ein Kaputtmachen des parlamentarischen Systems.
({1})
Ich bitte um Verständnis für meine Bemerkungen.
Letzter Redner in der Debatte ist der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß sehr genau, was es bedeutet, wenige Minuten vor einer Abstimmung noch etwas zu sagen. Deshalb wird es sehr kurz sein.
Herr Kollege Wüppesahl, nehmen Sie doch endlich zur Kenntnis: Zu keinem Zeitpunkt war eine manipulierte Vertrauensfrage oder ein manipuliertes Mißtrauensvotum im Gespräch. Hören Sie auf, solchen Unsinn zu verbreiten.
({0})
Herr Ministerpräsident Lafontaine, Sie haben gesagt, man müsse der Wahrheit und der Wirklichkeit ins Gesicht sehen. Ich teile diese Meinung. Auf gut sächsisch möchte ich Ihnen allerdings sagen: Gucken alleene genügt nich, handeln muß man auch.
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Sie stehen jetzt vor der Frage, ob aus den Schwierigkeiten und Problemen, die Sie aufgeführt haben, nicht die einzig richtige Konsequenz gezogen werden sollte: schneller Beitritt und schnelle Wahlen. Dem verweigern Sie sich bisher.
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Wenn angemahnt wird, daß so schnell als möglich ein gesamtdeutscher Haushalt aufgestellt wird, ist das richtig und notwendig. Ein solcher Haushalt ist um so schneller da, je schneller wir den Beitritt und gesamtdeutsche Wahlen haben.
Sie haben angemahnt, bestimmte Dinge seien in der DDR nicht erledigt. Je schneller wir den Beitritt haben, je schneller wir gesamtdeutsche Wahlen und eine gesamtdeutsche Regierung haben, um so schneller werden diese Dinge erledigt.
Hinsichtlich des Vermögens der Parteien unterstellen Sie immer wieder Eigentum, das gar nicht vorhanden ist. Sie werfen durcheinander, daß Nutzungsrechte vorhanden waren, daß aber an vielen Dingen nicht Eigentum bestand. Hören Sie doch bitte endlich auf, solches zu sagen.
Im übrigen hat Ihnen der Kollege Seiters in dieser Frage einen Blattschuß verpackt, der exzellent war. Wenn Verzögerungen eingetreten sind, sind sie nicht allein auf die Parteien zurückzuführen, die wir als Verbündete drüben haben, sondern auch auf Kollegen von Ihnen selbst. Lassen Sie es endlich sein, andere zu verdächtigen.
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Wir haben nie gesagt, daß die Probleme leicht lösbar sind. Im Gegenteil: Wir haben immer von der Durststrecke gesprochen. Aber wir haben auch gesagt: Diese Durststrecke wird nur überwunden, wenn wir zwar die Probleme offen ansprechen, den Menschen aber auch Mut machen und ihnen helfen, die Probleme zu lösen, und sie nicht in die Resignation treiben.
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Sie haben hier wieder Resignation heraufbeschworen, statt Mut zu machen.
Lassen Sie mich eine Schlußbemerkung machen. Das, was in meinen Augen eine Panne in der Volkskammer war, nämlich daß für die Entscheidung über das Wahlrecht nicht genügend Abgeordnete anwensed waren, sollte Ihnen Gelegenheit geben, in diesen 14 Tagen noch einmal darüber nachzudenken, ob durch eine gemeinsame Grundgesetzänderung mit schnellen Wahlen nicht das erreicht wird, was Sie angemahnt haben. Denken Sie darüber noch einmal nach. Es liegt im Interesse des gesamten deutschen Volkes, daß Sie Ihre Haltung überprüfen.
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Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zu den Abstimmungen über die inzwischen vorliegenden Entschließungsanträge. Ich rufe zuerst den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/7654 auf. Wer für diesen Entschließungsantrag stimmt, den bitte ich um
Vizepräsident Westphal
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei zwei Enthaltungen mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden.
Jetzt kommen wir zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/7655. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Reihe von Enthaltungen in der Fraktion DIE GRÜNEN ist dieser Entschließungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und einer Anzahl von Abgeordneten der GRÜNEN abgelehnt worden.
Wer für den Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf Drucksache 11/7656 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Entschließungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Wir kommen jetzt zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/7651 ({0}).
Lassen Sie mich bitte eine Vorbemerkung machen, weil das wohl ökonomischer ist; sonst gehen wir nachher damit unter. Wir haben jetzt am Schluß zwei namentliche Abstimmungen. Zu der Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf Drucksache 11/7657 gibt es eine schriftliche Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung von zwölf Abgeordneten, die, wenn ich es richtig sehe, alle der CDU/CSU-Fraktion angehören. Diese Erklärung ist mir gegeben worden; sie kommt in das Protokoll*).
Wir kommen jetzt zu den beiden nacheinander zu vollziehenden Abstimmungen namentlicher Art, und zwar zuerst zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 11/7651 ({1}). Die SPD hat hierzu eine namentliche Abstimmung verlangt. Ich eröffne die Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich mache darauf aufmerksam, daß die zweite namentliche Abstimmung gleich folgen wird, wenn wir feststellen, daß die erste zum Abschluß gebracht werden kann.
Darf ich fragen, ob noch jemand im Hause ist, der seine Stimme nicht abgegeben hat, aber dies noch tun will? Darf ich ein Zeichen der Schriftführer an den Urnen haben, ob wir die Abstimmung schließen können? - Ich stelle fest, daß alle von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, die das wollten. Damit schließe ich die erste namentliche Abstimmung.
Wir kommen jetzt zum Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf der Drucksache 11/7657. Die Fraktion der CDU/CSU hat hierzu namentliche Abstimmung verlangt. Ich eröffne die Abstimmung.
Da wir die Sitzung erst schließen können, wenn die Ergebnisse vorliegen und hier verkündet werden können, und da ich nicht damit rechne, daß allzu viele Kollegen darauf warten werden, möchte ich jetzt schon sagen, daß ich Ihnen am Schluß mitzuteilen habe, daß die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
*) siehe Anlage 2
tages auf Donnerstag, den 23. August 1990, 15 Uhr einberufen wird. - Ich nehme an, daß vorher die Fraktionen ihre Sitzungen abhalten werden.
Meine Damen und Herren, ich mache darauf aufmerksam, daß der Ausschuß Deutsche Einheit heute nachmittag noch tagt. Ich berufe ihn von hier aus für 15.30 Uhr in den Sitzungssaal NH 1903 ein.
Kann ich jetzt feststellen, daß die Abstimmung beendet ist? - Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Ich werde das Ergebnis hier vortragen, wenn es mir mitgeteilt worden ist. Erst dann kann die Sitzung geschlossen werden.
Meine Damen und Herren, ich gebe Ihnen nun das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der beiden namentlichen Abstimmungen bekannt. Es geht zunächst um das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/7651 ({2}). 445 Stimmen wurden abgegeben. Es war keine davon ungültig. Mit Ja gestimmt haben 164 Abgeordnete, mit Nein 260. 21 Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 444; davon
ja: 164
nein: 259
enthalten: 21
Ja
SPD
Amling
Andres
Antretter
Bachmaier
Bahr
Becker ({3})
Frau Becker-Inglau Bernrath
Bindig
Dr. Böhme ({4}) Börnsen ({5}) Brandt
Büchler ({6}) Büchner ({7}) Dr. von Bülow Frau Bulmahn Catenhusen
Conradi
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Dr. Diederich ({8}) Diller
Dreßler
Egert
Dr. Ehmke ({9}) Dr. Ehrenberg Dr. Emmerlich Erler
Esters
Ewen
Frau Faße
Fischer ({10})
Frau Fuchs ({11})
Frau Fuchs ({12})
Frau Ganseforth
Gansel
Dr. Gautier
Gerster ({13})
Gilges
Frau Dr. Götte
Graf
Großmann Grunenberg
Dr. Haack Haack ({14})
Haar
Frau Hämmerle
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Häuser
Heimann Heistermann
Heyenn
Hiller ({15})
Dr. Holtz Horn
Huonker Ibrügger Jahn ({16})
Jaunich Dr. Jens Jung ({17})
Jungmann ({18})
Frau Kastner
Kastning Kiehm
Kirschner Kißlinger Dr. Klejdzinski
Vizepräsident Westphal
Kolbow
Koltzsch Koschnick Kretkowski Dr. Kübler Kühbacher Frau Kugler Lambinus Leidinger Leonhart Lutz
Frau Matthäus-Maier Menzel
Meyer
Müller ({19}) Müller ({20}) Müntefering
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese Niggemeier Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oesinghaus Oostergetelo
Opel
Dr. Osswald Paterna
Pauli
Dr. Penner Peter ({21})
Dr. Pick
Porzner
Poß
Purps
Rappe ({22}) Reimann
Frau Renger
Reschke Reuschenbach
Reuter
Rixe
Roth
Schäfer ({23}) Schanz
Dr. Scheer Scherrer Schluckebier
Schmidt ({24}) Schreiner
Schröer ({25}) Schütz
Frau Schulte ({26}) Seidenthal
Frau Seuster
Sielaff
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Frau Dr. Sonntag-Wolgast Dr. Sperling
Stahl ({27})
Steiner
Frau Steinhauer
Stiegler
Dr. Struck Frau Terborg
Toetemeyer
Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Voigt ({28})
Vosen
Wartenberg ({29})
Frau Dr. Wegner Weiermann
Frau Weiler
Weisskirchen ({30}) Westphal
Frau Weyel
Dr. Wieczorek
Wieczorek ({31}) Frau Wieczorek-Zeul
Wiefelspütz
von der Wiesche Wimmer ({32}) Wischnewski
Wittich Würtz
Zander Zeitler Zumkley
DIE GRÜNEN
Dr. Mechtersheimer Such
Fraktionslos Frau Unruh
Nein
CDU/CSU
Frau Augustin Austermann
Dr. Bauer
Bayha
Dr. Becker ({33}) Dr. Blank
Dr. Blens
Böhm ({34})
Börnsen ({35})
Dr. Bötsch
Bohlsen Borchert Breuer Brunner
Bühler ({36}) Buschbom
Carstens ({37}) Carstensen ({38}) Clemens
Dr. Czaja
Dr. Daniels ({39})
Frau Dempwolf
Deres Dewitz Dörflinger
Doss
Dr. Dregger
Ehrbar Eigen Engelsberger
Eylmann
Dr. Faltlhauser
Feilcke Dr. Fell Fellner Frau Fischer
Fischer ({40}) Francke ({41})
Dr. Friedrich
Fuchtel
Ganz ({42})
Geis
Dr. Geißler
Dr. von Geldern Gerstein
Gerster ({43})
Glos
Gröbl
Dr. Grünewald
Günther Harries
Frau Hasselfeldt Haungs
Hauser ({44}) Hauser ({45}) Hedrich
Freiherr Heereman von Zuydtwyck
Helmrich
Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs
Hinsken
Höffkes
Höpfinger Hörster
Dr. Hoffacker Dr. Hornhues Hornung
Frau Hürland-Büning Graf Huyn
Dr. Hüsch Jäger
Dr. Jahn ({46})
Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Jung ({47})
Jung ({48})
Kalb
Dr.-Ing. Kansy
Dr. Kappes Frau Karwatzki
Keller
Kiechle
Kittelmann
Klein ({49})
Dr. Köhler ({50}) Dr. Kohl
Kolb
Kossendey Kraus
Krey
Kroll-Schlüter
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({51}) Lamers
Dr. Lammert Dr. Langner Lattmann
Dr. Laufs
Frau Limbach
Link ({52})
Link ({53}) Linsmeier Lintner
Dr. Lippold ({54}) Louven
Lowack
Lummer
Maaß
Frau Männle Magin
Dr. Mahlo Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Möller Dr. Müller
Müller ({55}) Müller ({56}) Nelle
Dr. Neuling Neumann ({57})
Dr. Olderog Oswald
Pesch
Petersen
Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pinger Dr. Pohlmeier
Dr. Probst Rauen
Rawe
Reddemann
Regenspurger Repnik
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch ({58}) Frau Roitzsch ({59}) Dr. Rose
Rossmanith
Roth ({60}) Rühe
Dr. Rüttgers Ruf
Sauer ({61}) Sauer ({62}) Sauter ({63})
Frau Schätzle Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz ({64}) Schemken
Scheu
Schmidbauer
Frau Schmidt ({65}) Schmitz ({66})
von Schmude
Dr. Schneider ({67}) Schneider ({68}) Freiherr von Schorlemer Dr. Schulte
({69}) Schulze ({70}) Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Spilker
Spranger
Dr. Sprung
Dr. Stark ({71})
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken Dr. Stoltenberg Straßmeir
Strube
Frau Dr. Süssmuth
Susset
Tillmann
Dr. Todenhöfer Dr. Uelhoff
Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel ({72})
Vogt ({73})
Dr. Voigt ({74})
Dr. Vondran
Dr. Waffenschmidt
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Werner ({75})
Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wilz
Wimmer ({76}) Windelen
Wissmann
Dr. Wittmann Würzbach
Dr. Wulff
Zeitlmann
Zierer
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Vizepräsident Westphal
Beckmann Bredehorn
Cronenberg ({77}) Eimer ({78}) Engelhard
Dr. Feldmann
Funke
Gallus
Gattermann Genscher Grüner
Dr. Haussmann Heinrich
Dr. Hirsch Dr. Hitschler Hoppe
Dr. Hoyer Irmer
Kleinert ({79}) Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff Lüder
Mischnick Möllemann Neuhausen Nolting
Paintner
Richter
Rind
Ronneburger Schäfer ({80})
Frau Seiler-Albring
Dr. Sohns Dr. Thomae Timm
Frau Walz
Dr. Weng ({81}) Wolfgramm ({82}) Frau Würfel
Zywietz
DIE GRÜNEN
Frau Beck-Oberdorf Brauer
Eich
Frau Eid
Frau Hillerich
Frau Schmidt ({83})
Enthalten
FDP
Frau Dr. Hamm-Brücher DIE GRÜNEN
Dr. Briefs
Frau Flinner Frau Hensel Hüser
Frau Kelly Kleinert ({84})
Frau Kottwitz Frau Nickels
Frau Oesterle-Schwerin Dr. Roske
Frau Rust
Frau Saibold Stratmann-Mertens
Frau Teubner Frau Dr. Vollmer
Weiss ({85}) Wetzel
Frau Wilms-Kegel
Frau Wollny
Fraktionslos Wüppesahl
Bei der zweiten namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP auf Drucksache 11/7657 wurden 442 Stimmen abgegeben; keine davon war ungültig. Mit Ja haben gestimmt 254 Abgeordnete, mit Nein 186, und es hat 2 Stimmenthaltungen gegeben. Damit ist dieser Antrag in namentlicher Abstimmung angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 441; davon
ja: 253
nein: 186
enthalten: 2
Ja
CDU/CSU
Frau Augustin Austermann
Dr. Bauer
Bayha
Dr. Becker ({86}) Dr. Blank
Dr. Blens
Böhm ({87}) Börnsen ({88}) Dr. Bötsch
Bohlsen Borchert Breuer
Brunner
Bühler ({89}) Buschbom Carstens ({90})
Carstensen ({91}) Clemens
Dr. Czaja
Dr. Daniels ({92})
Frau Dempwolf
Deres
Dewitz
Dörflinger Doss
Dr. Dregger
Ehrbar Eigen
Engelsberger
Eylmann
Dr. Faltlhauser
Feilcke Dr. Fell Fellner Frau Fischer
Fischer ({93}) Francke ({94})
Dr. Friedrich
Fuchtel
Ganz ({95})
Geis
Dr. Geißler
Dr. von Geldern Gerstein
Gerster ({96})
Glos
Gröbl
Dr. Grünewald Günther Hames
Frau Hasselfeldt Haungs
Hauser ({97}) Hauser ({98}) Hedrich
Freiherr Heereman von
Zuydtwyck
Helmrich Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger
Hörster
Dr. Hoffacker
Dr. Hornhues
Hornung
Frau Hürland-Büning Dr. Hüsch
Jäger
Dr. Jahn ({99})
Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Jung ({100})
Jung ({101})
Kalb
Dr.-Ing. Kansy
Dr. Kappes
Frau Karwatzki
Keller
Kiechle Kittelmann
Klein ({102})
Dr. Köhler ({103}) Dr. Kohl
Kolb
Kossendey
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({104}) Lamers
Dr. Lammert
Dr. Langner
Lattmann Dr. Laufs Frau Limbach
Link ({105})
Link ({106}) Linsmeier Lintner
Dr. Lippold ({107}) Louven
Lowack Lummer
Maaß
Frau Männle
Magin
Dr. Mahlo
Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Möller
Dr. Müller
Müller ({108})
Müller ({109})
Nelle
Dr. Neuling
Neumann ({110})
Dr. Olderog
Oswald Pesch Petersen
Pfeffermann
Pfeifer
Dr. Pinger
Dr. Pohlmeier
Dr. Probst
Rauen Rawe Reddemann
Regenspurger
Repnik
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch ({111}) Frau Roitzsch ({112}) Dr. Rose
Rossmanith
Roth ({113})
Dr. Rüttgers
Ruf
Sauer ({114})
Sauer ({115})
Sauter ({116})
Frau Schätzle
Dr. Schäuble Scharrenbroich
Schartz ({117})
Schemken
Scheu Schmidbauer
Frau Schmidt ({118}) Schmitz ({119})
von Schmude
Dr. Schneider ({120}) Schneider ({121}) Freiherr von Schorlemer Dr. Schulte
({122}) Schulze ({123})
Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer
Seehofer
Seesing Seiters Spilker Spranger
Dr. Sprung
Dr. Stark ({124})
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken
Dr. Stoltenberg
Straßmeir
Strube Stücklen
Frau Dr. Süssmuth
Susset Tillmann
Dr. Todenhöfer
Dr. Uelhoff
Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel ({125})
Vogt ({126})
Vizepräsident Westphal
Dr. Voigt ({127})
Dr. Vondran
Dr. Waffenschmidt
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Werner ({128})
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer ({129})
Windelen Wissmann Dr. Wittmann
Würzbach Dr. Wulff Zeitlmann Zierer
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Beckmann Bredehorn
Cronenberg ({130}) Eimer ({131})
Engelhard
Dr. Feldmann
Funke
Gallus
Gattermann Genscher Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann
Heinrich Dr. Hirsch
Dr. Hitschler Hoppe
Dr. Hoyer Irmer
Kleinert ({132}) Dr. -Ing. Laermann
Lüder
Mischnick Möllemann Neuhausen Nolting
Paintner Richter
Rind
Ronneburger
Schäfer ({133})
Frau Seiler-Albring
Dr. Sohns Dr. Thomae Timm
Frau Walz
Dr. Weng ({134}) Wolfgramm ({135}) Frau Würfel
Zywietz
Nein
SPD
Amling
Andres
Antretter Bachmaier Bahr
Becker ({136}) Frau Becker-Inglau Bernrath
Bindig
Dr. Böhme ({137}) Börnsen ({138}) Brandt
Büchler ({139})
Büchner ({140})
Dr. von Bülow
Frau Bulmahn Catenhusen
Conradi Daubertshäuser
Dr. Diederich ({141}) Diller
Dreßler
Egert
Dr. Ehmke ({142})
Dr. Emmerlich
Erler
Esters
Ewen
Frau Faße
Fischer ({143}) Frau Fuchs ({144}) Frau Fuchs ({145}) Frau Ganseforth Gansel
Dr. Gautier
Gerster ({146}) Gilges
Frau Dr. Götte
Graf
Großmann Grunenberg
Haack ({147})
Haar
Frau Hämmerle
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler
Häuser
Heimann Heistermann
Heyenn
Hiller ({148})
Dr. Holtz Horn
Huonker Ibrügger
Jahn ({149}) Jaunich
Dr. Jens
Jung ({150}) Jungmann ({151}) Frau Kastner Kastning
Kiehm
Kirschner Kißlinger Dr. Klejdzinski
Kolbow Koltzsch Koschnick Kretkowski Kühbacher
Frau Kugler Lambinus
Leidinger
Leonhart
Lutz
Frau Matthäus-Maier Menzel
Meyer
Müller ({152}) Müller ({153}) Müntefering
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese
Niggemeier Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oesinghaus Oostergetelo Opel
Dr. Osswald Paterna
Pauli
Dr. Penner Peter ({154}) Dr. Pick
Porzner
Poß
Purps
Rappe ({155}) Reimann
Reschke
Reuschenbach Reuter
Rixe
Roth
Schäfer ({156}) Schanz
Dr. Scheer Scherrer
Schluckebier Schmidt ({157}) Schreiner
Schröer ({158})
Schütz
Frau Schulte ({159}) Seidenthal
Frau Seuster Sielaff
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Frau Dr. Sonntag-Wolgast Dr. Sperling
Stahl ({160})
Steiner
Frau Steinhauer
Stiegler
Dr. Struck Frau Terborg Toetemeyer Vahlberg
Verheugen Dr. Vogel
Voigt ({161})
Vosen
Wartenberg ({162})
Frau Dr. Wegner Weiermann
Frau Weiler Weisskirchen ({163}) Westphal
Frau Weyel Dr. Wieczorek
Wieczorek ({164}) Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche Wimmer ({165}) Wischnewski
Wittich
Würtz
Zander
Zeitler
Zumkley
DIE GRÜNEN
Frau Beck-Oberdorf Brauer
Dr. Briefs
Eich
Frau Eid
Frau Flinner Häfner
Frau Hensel Frau Hillerich Hüser
Frau Kelly Kleinert ({166})
Frau Kottwitz
Dr. Mechtersheimer Frau Nickels
Frau Oesterle-Schwerin Dr. Roske
Frau Rust
Frau Saibold
Frau Schmidt ({167}) Stratmann-Mertens
Such
Frau Teubner Weiss ({168}) Wetzel
Frau Wilms-Kegel
Frau Wollny
Fraktionslos Wüppesahl
Enthalten
SPD
Frau Renger
Fraktionslos Frau Unruh
Wir sind am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für Donnerstag, den 23. August 1990, 15 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.