Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat der Präsidentin des Hauses mit Schreiben vom 11. Juni 1990 einen Brief der Botschafter der drei westlichen Alliierten vom 8. Juni 1990 übermittelt, der die Vorbehalte der Drei Westmächte zur Vertretung Berlins in Bundestag und Bundesrat betrifft. Dieser Brief hat folgenden Wortlaut:
... wir möchten Ihnen mitteilen, daß die Drei Westmächte im Lichte der jüngsten Entwicklungen in Deutschland und in der internationalen Lage bestimmte Aspekte ihrer Vorbehalte zum Grundgesetz einer erneuten Prüfung unterzogen haben.
Die Vorbehalte der Drei Westmächte in bezug auf die unmittelbaren Wahlen zum Bundestag und das volle Stimmrecht der Vertreter Berlins im Bundestag und im Bundesrat, die insbesondere im Genehmigungsschreiben vom 12. Mai 1949 zum Grundgesetz angesprochen sind, werden hiermit aufgehoben.
({0})
Die Haltung der Alliierten, „daß die Bindungen zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik Deutschland aufrechterhalten und entwickelt werden, wobei sie berücksichtigen, daß diese Sektoren wie bisher kein Bestandteil ({1}) der Bundesrepublik Deutschland sind und auch weiterhin nicht von ihr regiert werden" , bleibt unverändert.
Wir danken den drei westlichen Schutzmächten für diese Entscheidung; Sie haben das durch Ihren Beifall schon zum Ausdruck gebracht. Wir danken ihnen aber zugleich auch ganz besonders dafür, daß sie über Jahrzehnte hinweg die Lebensfähigkeit des westlichen Teils von Berlin in Frieden und Freiheit gesichert haben.
({2})
Bei dieser Gelegenheit ist es mir eine besondere Ehre, die Botschafter des Vereinigten Königreichs und der Französischen Republik, die auf der Ehrentribüne Platz genommen haben, sehr herzlich zu begrüßen.
({3})
Damit, meine Damen und Herren, haben die Abgeordneten aus Berlin das volle Stimmrecht im Deutschen Bundestag, das ihnen über 40 Jahre vorenthalten wurde.
({4})
Darüber hinaus werden die Bürgerinnen und Bürger Berlins ihre Abgeordneten zum Deutschen Bundestag künftig direkt wählen können.
Sie, meine Damen und Herren, sind wie ich über diesen lang ersehnten Tag glücklich. Die Entscheidung der Alliierten bedeutet einen weiteren wichtigen Schritt zur deutschen Einheit.
Auf der Ehrentribüne hat der Speaker des Repräsentantenhauses der Republik Indonesien, Herr Mohamad Kharis Suhud, mit einer Parlamentarierdelegation Platz genommen.
Im Namen des Deutschen Bundestages begrüße ich Sie sehr herzlich in der Bundesrepublik Deutschland. Ihr Besuch unterstreicht die guten und freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Parlamenten. Ich wünsche Ihnen nützliche Gespräche in unserem Lande. Ich danke Ihnen auch ausdrücklich dafür, daß Sie sich durch einen Besuch in Berlin einen persönlichen Eindruck von den politischen Veränderungen verschafft haben, die sich bei uns in den letzten Monaten ereignet haben.
({5})
Meine Damen und Herren, nun habe ich noch eine angenehme Pflicht zu erfüllen.
({6})
- Noch eine! Die anderen waren auch angenehm; kein Problem. - Ich möchte nachträglich zwei Gratulationen aussprechen. Ich darf Frau Bundesministerin Dr. Lehr, die am 5. Juni, und dem Kollegen Jaunich, der am 7. Juni den 60. Geburtstag gefeiert hat, auch von dieser Stelle aus herzliche Glückwünsche aussprechen.
({7})
Vizepräsident Cronenberg
Meine Damen und Herren, die heutige Tagesordnung soll um die Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zu dem Vertrag vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, zu den äußeren Aspekten der deutschen Einheit und zu den deutsch-polnischen Beziehungen sowie um die Beschlußempfehlung und den Bericht des Ausschusses Deutsche Einheit zu den deutsch-polnischen Beziehungen auf Drucksache 11/7465 erweitert werden. Von der Frist für den Beginn der Beratung soll abgewichen werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist dies beschlossen.
Ich rufe auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
zu dem Vertrag vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik
zu den äußeren Aspekten der deutschen Einheit
zu den deutsch-polnischen Beziehungen
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses Deutsche Einheit
- Drucksache 7465 -
23. a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik
- Drucksachen 11/7171, 11/7350, 11/7351 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses Deutsche Einheit
- Drucksachen 11/7412, 11/7464 -
Berichterstatter:
Abgeordnete Lintner
Stobbe
Hoppe
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({8}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 11/7413 Berichterstatter:
Abgeordnete Wieczorek ({9}) Frau Vennegerts
Borchert
Dr. Weng ({10})
({11})
b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1990 ({12})
- Drucksachen 11/7150, 11/7321 Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({13})
- Drucksache 11/7400 Berichterstatter:
Abgeordnete Borchert Dr. Weng ({14}) Wieczorek ({15}) Frau Vennegerts
({16})
c) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines 2. Nachtrags zum Wirtschaftsplan des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1990 ({17})
- Drucksache 11/7185 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({18})
- Drucksache 11/7325 Berichterstatter:
Abgeordnete Müller ({19}) Schulze ({20})
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({21}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 11/7326 Berichterstatter:
Abgeordnete Wieczorek ({22}) Frau Vennegerts
Rossmanith
Frau Seiler-Albring
({23})
Es liegen außerdem Entschließungs- und Änderungsanträge vor, auf die ich oder mein Nachfolger vor der Aussprache noch zurückkommen werden.
Die gemeinsame Beratung wird voraussichtlich gegen 22 Uhr mit einer namentlichen Abstimmung abgeschlossen.
Interfraktionell ist vereinbart worden, daß wir den Gesetzentwurf zum Staatsvertrag mit der DDR, also auch das Ratifizierungsgesetz - das ist Art. 1 - , in drei Lesungen beraten werden. Interfraktionell ist ferner vereinbart worden, daß nach Abgabe der RegieVizepräsident Cronenberg
rungserklärung die Präsidentin als Vorsitzende des Ausschusses Deutsche Einheit das Wort ergreift, und daß anschließend Sprechern der Fraktionen Gelegenheit gegeben wird, mit Kurzbeiträgen über die Arbeit des Ausschusses Deutsche Einheit zu berichten und diese Arbeit auch zu würdigen.
Mir liegt eine Wortmeldung des Abgeordneten Wüppesahl zur Geschäftsordnung vor. Herr Abgeordneter, Sie werden das Wort vor der Aussprache erhalten, weil wir jetzt erst die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers und die Berichte der Fraktionen entgegennehmen werden.
Nun, Herr Bundeskanzler, haben Sie das Wort.
Dr. Kohl, Bundeskanzler ({24}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Selten in seiner Geschichte stand der Deutsche Bundestag vor so bedeutsamen Entscheidungen wie heute.
Nach über 40 Jahren schmerzlicher Trennung stehen wir jetzt vor der Erfüllung der Hoffnung der Menschen in Deutschland auf die Einheit und die Freiheit aller Deutschen. Mit der Verabschiedung des Staatsvertrages über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion und der Entschließung zur Grenze des künftigen vereinigten Deutschland mit Polen geht es um entscheidende Schritte auf dem Weg, die staatliche Einheit Deutschlands wiederherzustellen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es kommt jetzt darauf an, daß wir dieser historischen Chance gewachsen sind, daß wir sie verantwortungsbewußt, klug und in Würde zu nutzen wissen. Wir können die Bedeutung dieser Stunde nur ermessen, wenn wir alle uns vergegenwärtigen, was die Lebenserfahrung unserer Landsleute in der DDR in den letzten 40 Jahren war. Sie haben ein System überwunden, das vielen Menschen großes Leid, Elend und Verzweiflung gebracht und manche das Leben gekostet hat.
Gerade in diesen Tagen hat sich wieder gezeigt, wie verwerflich dieses System war: Es hat mit Terroristen zusammengearbeitet, die hier bei uns in der Bundesrepublik Deutschland Menschen gemordet haben.
Mauer und Stacheldraht sind die schrecklichen Symbole einer Zeit, in der Deutsche nicht zu Deutschen kommen durften. Wir trauern heute besonders um jene, die in den Lagern des Stalinismus, in Gefängnissen und Zuchthäusern eingesperrt, gedemütigt, gequält und nicht selten ermordet wurden.
Sie alle wollten - wie vor allem die Opfer des 17. Juni - in Freiheit ein menschenwürdiges Leben führen. Sie kämpften für die Wahrheit und gegen die Lüge, gegen ein Regime, das ihnen von außen aufgezwungen war. Wir dürfen ihr schweres Schicksal niemals vergessen. Solches darf sich in Deutschland nie wiederholen.
({25})
Gerade an einem Tag wie heute muß uns allen bewußt sein, daß wir ihnen verpflichtet sind. Gerade an einem Tag wie heute muß es auch allen bewußt sein, daß das Leitwort des Jahres 1945 - „Nie wieder Krieg, nie wieder Diktatur" - für uns Deutsche nicht
nur eine nationale Dimension hat, sondern weit darüber hinausweist.
Es hat in den vergangenen 40 Jahren in nahezu allen Fraktionen des Deutschen Bundestages Männer und Frauen gegeben, die sich vom ersten Zusammentreten des Bundestages an leidenschaftlich und mit ganzer Kraft für das Ziel der Freiheit und Einheit aller Deutschen eingesetzt haben. Stellvertretend für viele, die glücklich wären, könnten sie diese Stunde heute erleben, möchte ich den früheren SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher zitieren. In der Debatte über die erste Regierungserklärung von Konrad Adenauer im September 1949 sagte er:
Wir wünschen, daß bei aller Verschiedenheit der Auffassungen sozialer, politischer und kultureller Natur die Angelegenheit der deutschen Einheit überall in Deutschland die Angelegenheit der gleichen Herzenswärme und der gleichen politischen Entschiedenheit wird.
Dieser Geist der Gemeinsamkeit sollte heute alle Abgeordneten des Hohen Hauses leiten, wo sich uns jetzt die Chance bietet, den Auftrag unseres Grundgesetzes zu erfüllen.
({26})
Natürlich, meine Kolleginnen und Kollegen, kann heute niemand sagen, wie spätere Generationen einmal über uns urteilen werden. Doch die heutigen Entscheidungen des Deutschen Bundestages sind von grundlegender Bedeutung für die Zukunft unserer Nation. Ich persönlich bin davon überzeugt, daß jeder einzelne von uns danach beurteilt werden wird, ob er in dieser entscheidenden Stunde kleinmütig versagt hat.
({27})
Die Bundesregierung will jetzt die Voraussetzungen dafür schaffen, daß bald alle Deutschen gemeinsam in Frieden, Freiheit und Wohlstand leben können. Wir stehen damit vor einer der größten Gestaltungsaufgaben der Nachkriegsgeschichte.
Der Staatsvertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion bedeutet einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zur Einheit. Für die Menschen in Deutschland wird damit in wichtigen Bereichen ihres täglichen Lebens die Einheit erlebbare Wirklichkeit. Unseren Landsleuten in der DDR eröffnet sich damit die Chance auf eine rasche, durchgreifende Besserung ihrer Lebensbedingungen. Sie richten ihre Hoffnungen auf diesen Staatsvertrag, und sie erwarten von uns, daß diese Hoffnungen nicht enttäuscht werden.
Der Staatsvertrag ist Ausdruck der Solidarität unter den Deutschen. Die Deutschen in der Bundesrepublik und in der DDR sind jetzt wieder - und fortan - unauflöslich miteinander verbunden. Der Staatsvertrag dokumentiert den Willen aller Deutschen, in eine gemeinsame Zukunft zu gehen - in einem vereinten, in einem freien Deutschland.
Ich rufe alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, diesem Staatsvertrag zuzustimmen. Er weist
Bundeskanzler Dr. Kohl
den Weg zur Einheit, und wer diese Wegweisung nicht akzeptiert, der will den Weg zur Einheit nicht.
({28})
Für die Menschen in der DDR ist es wichtig zu wissen, daß die Botschaft der Solidarität auch hier bei uns von einer großen Mehrheit getragen wird. Wer den Staatsvertrag ablehnt, stößt unsere Landsleute zurück. Er stellt in einer entscheidenden Stunde der deutschen Geschichte die Fähigkeit zum Miteinander, zur nationalen Solidarität in Frage.
({29})
Meine Damen und Herren, ich bin mir bewußt, daß der Weg, den wir jetzt einschlagen, schwierig sein wird. Das wissen auch die Menschen in der DDR. Aber sie sagen uns allen auch unmißverständlich: Der Staatsvertrag muß kommen.
Nur die rasche Verwirklichung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion bietet die Chance, daß Mecklenburg/Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Sachsen und Thüringen bald wieder blühende Landschaften sein werden, in denen es sich zu leben und zu arbeiten lohnt.
Wer jetzt behauptet, man hätte sich doch mehr Zeit lassen können, der verkennt die Realitäten in Deutschland, und er verdrängt die Erfahrungen der letzten Monate. Es sind die Menschen in der DDR, die das Tempo der Entwicklung bestimmt haben und im übrigen weiter bestimmen werden.
({30})
Hunderttausende von Übersiedlern sind in die Bundesrepublik gekommen, weil sie in der DDR keine Zukunftsperspektive mehr sahen, Menschen, die für den Aufbau in der DDR dringend gebraucht werden. Erst die Aussicht auf die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion hat viele unserer Landsleute wieder Hoffnung schöpfen lassen.
Ein Hinauszögern des Staatsvertrages - mit welchen Argumenten auch immer - hätte den Zusammenbruch der DDR bedeutet. Die Übersiedlerzahlen wären erneut sprunghaft angestiegen - wie wir alle wissen, mit verheerenden Folgen. Wer wollte dafür die Verantwortung übernehmen?
Die Deutschen in ihrer großen Mehrheit wollen den Staatsvertrag, weil sie die Einheit wollen und weil sie wissen, daß der jetzt eingeschlagene Weg der richtige ist.
Natürlich fragen sich viele bei uns wie in der DDR, was dieser beispiellose Vorgang für sie ganz persönlich bedeutet, für ihren Arbeitsplatz, für ihre soziale Sicherheit, für ihre Familien. Ich denke, wir alle nehmen diese Sorgen ernst.
Für das große Ziel der Einheit unseres Vaterlandes werden auch wir in der Bundesrepublik Opfer bringen müssen. Ein Volk, das dazu nicht bereit wäre, hätte seine moralische Kraft längst verloren.
({31})
Aber ich bin sicher: Wir werden diese große Aufgabe in gemeinsamer Anstrengung zum Wohle der ganzen Nation bewältigen.
Es wird harte Arbeit, auch Opfer, erfordern, bis wir Einheit und Freiheit, Wohlstand und sozialen Ausgleich für alle Deutschen verwirklichen können. Viele unserer Landsleute in der DDR werden sich auf neue und ungewohnte Lebensbedingungen einstellen müssen und auch auf eine gewiß nicht einfache Zeit des Übergangs. Aber niemandem werden dabei unbillige Härten zugemutet. Den Deutschen in der DDR kann ich sagen, was auch Ministerpräsident de Maizière betont hat: Es wird niemandem schlechter gehen als zuvor - dafür vielen besser.
Für die Deutschen in der Bundesrepublik gilt: Keiner wird wegen der Vereinigung Deutschlands auf etwas verzichten müssen. Es geht darum, einen Teil dessen, was wir in den kommenden Jahren zusätzlich erwirtschaften, unseren Landsleuten in der DDR als Hilfe zur Selbsthilfe zur Verfügung zu stellen. Für mich ist dies ein selbstverständliches Gebot nationaler Solidarität.
({32})
Es ist zugleich eine Investition in unsere gemeinsame Zukunft. Es ist eine Investition, die sich bald bezahlt machen wird. Denn der wirtschaftliche Aufbruch in der DDR wird allen zugute kommen - den Deutschen in Ost und West und unseren Partnern in Europa und weltweit.
Wann je waren wir wirtschaftlich besser gewappnet für die Gemeinschaftsaufgabe der deutschen Einheit als heute? Die Wirtschaft in der Bundesrepublik floriert. Der wirtschaftliche Aufschwung geht jetzt in sein achtes Jahr. Das Ende ist glücklicherweise nicht abzusehen. Wann je hat es das zuvor gegeben?
({33})
Wir habe alle Möglichkeiten, die nationale Herausforderung der Deutschen zu bewältigen, wenn wir solidarisch zusammenstehen und wenn wir die Chancen nutzen, die sich uns jetzt bieten.
Wir werden es schaffen, wenn wir uns auf die Fähigkeiten besinnen, mit denen wir vor über 40 Jahren aus den Trümmern unserer zerstörten Städte und Landschaften die Bundesrepublik Deutschland aufgebaut haben.
({34})
Damals haben die Menschen mit ihrem Mut und mit ihrer zähen Entschlossenheit, mit Fleiß und mit Einfallsreichtum und nicht zuletzt mit dem Bewußtsein für die gemeinsame Aufgabe eine stabile Demokratie errichtet. Sie haben Frieden und Freiheit, Wohlstand und ein hohes Maß an sozialer Gerechtigkeit für einen Teil Deutschlands verwirklicht. Wir wollen, daß dies alles jetzt endlich auch für das ganze Deutschland Wirklichkeit wird. Der Staatsvertrag, über den wir heute abstimmen, ist dafür Voraussetzung.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Herstellung der deutschen Einheit wird international nur akzeptiert werden, wenn die Gespräche über deren äußere Aspekte Erfolg haben, d. h. die Gespräche zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der
Bundeskanzler Dr. Kohl
DDR einerseits sowie den Vier Mächten USA, Frankreich, Großbritannien und Sowjetunion andererseits.
Morgen wird in Ost-Berlin das zweite Treffen im Rahmen der sogenannten Zwei-plus-Vier-Gespräche auf Außenministerebene stattfinden. Weitere Treffen sind für Mitte Juli in Paris und für Anfang September in Moskau angesetzt. Nach unseren Unterredungen mit allen Partnern in diesem Gesprächskreis bin ich zuversichtlich, daß es gelingen wird, die auf der Tagesordnung stehenden Fragen rechtzeitig und zufriedenstellend zu lösen. Dazu gehört insbesondere die Ablösung der Vier-Mächte-Rechte und -Verantwortlichkeiten für Berlin und Deutschland als Ganzes.
Gemeinsam mit unseren Partnern wollen wir dem für November geplanten Sondergipfel der KSZE- Staaten das Ergebnis der Zwei-plus-Vier-Gespräche präsentieren. Ziel dieser Gespräche muß die volle Souveränität für das wiedervereinigte Deutschland sein.
({35})
Deutschland, in der Mitte Europas gelegen, hat mehr Nachbarn als jeder andere europäische Staat. Wir wissen, daß das geeinte Deutschland im politischen und wirtschaftlichen Gefüge des Europas von morgen ein besonderes Gewicht haben wird. Wir sind uns deshalb von Anfang an bewußt gewesen, daß die Einheit Deutschlands alle unsere Nachbarn fundamental berührt und sie natürlich auch bewegt, ja, oft auch besorgt macht. Fast alle haben unter den Gewalttaten des NS-Regimes schwer zu leiden gehabt. Wir müssen die Fragen verstehen, die so mancher sich - und uns - heute stellt. Wir sollten darauf Rücksicht nehmen, und wir wollen dies tun.
Wir Deutsche sind ein Volk. Wir dürfen von allen Nachbarn, Partnern und Freunden erwarten, daß sie unseren Wunsch, die Einheit unseres Vaterlandes in Freiheit zu vollenden, unterstützen. Wir akzeptieren unsererseits, daß die deutsche Frage und ihre Lösung nicht allein uns Deutschen gehören.
Wir wollen am Ende eines Jahrhunderts, das Europa so viel Krieg, Leid und Not gebracht hat, mit allen unseren Nachbarn zu dauerhafter Verständigung und Versöhnung kommen. Wir wollen mitbauen an einem neuen, an einem geeinten Europa.
Deutsche Einheit und Einheit Europas bedingen einander. Das Voranschreiten des europäischen Einigungswerks schafft den Rahmen, in dem sich die Einheit Deutschlands in Freiheit vollenden kann. Die Vereinigung unseres Vaterlandes wird der politischen Einigung Europas einen entscheidenden Impuls geben. Dies gilt auch für das große Ziel eines Europa, das als Ganzes wieder zu einer kulturellen, ökonomischen und politischen Einheit zurückfinden muß.
({36})
Ein Deutschland, das sich in Freiheit vereinigt, wird niemals eine Bedrohung, dafür um so mehr ein Gewinn für Europa und alle unsere Partner sein. Von
deutschem Boden werden Frieden und Freiheit ausgehen!
({37})
Gerade auch in unserem Verhältnis zu unseren Nachbarn im Osten, vor allem zu Polen und zur Sowjetunion, wollen wir dies deutlich machen. Zusammen mit dem polnischen Volk müssen wir uns im wachen Bewußtsein für die Belastungen der Vergangenheit der großen Aufgabe stellen, für die junge Generation unserer beiden Völker eine Zukunft in Frieden und gemeinsamer Freiheit zu gestalten. Das polnische Volk soll wissen: Ein freies und vereintes Deutschland will Polen ein guter Nachbar, ein zuverlässiger Partner auf dem „Weg nach Europa" sein.
Dazu gehört, daß Grenzen nicht in Zweifel gezogen und nicht verschoben werden. Nur wenn sie unumstritten sind, verlieren sie ihren trennenden Charakter. Wir wollen Grenzen einen neuen, einen zukunftsweisenden Charakter verleihen, nicht den der Trennung, sondern den der offenen Wege und der Begegnung in Freiheit.
({38})
Der Deutsche Bundestag richtet heute gemeinsam mit der Volkskammer der DDR eine unmißverständliche Botschaft an Polen: Die Grenze Polens zu Deutschland, so wie sie heute verläuft, ist endgültig.
({39})
Sie wird durch Gebietsansprüche von uns Deutschen weder heute noch in Zukunft in Frage gestellt. Dies wird nach der Vereinigung Deutschlands in einem Vertrag mit der Republik Polen völkerrechtlich verbindlich bekräftigt werden.
Für das künftig geeinte Deutschland kann erst eine gesamtdeutsche Regierung eine für die Zukunft völkerrechtlich verbindliche Unterschrift leisten. Erst ein gesamtdeutsches Parlament kann einen solchen Vertrag ratifizieren. Klar ist: Am Willen des deutschen Volkes, bekundet durch den Deutschen Bundestag und die Volkskammer der DDR, kann nicht gezweifelt werden.
({40})
Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir vergessen nicht, welches Leid und Unrecht von Deutschen anderen Menschen und Völkern zugefügt wurde. In meiner Regierungserklärung zum 50. Jahrestag des Kriegsbeginns habe ich gesagt: „Hitler hat den Krieg gewollt, geplant und entfesselt. Daran gibt es nichts zu deuteln. " Dem polnischen Volk hatte er den totalen Versklavungs- und Ausrottungskrieg erklärt. Unter deutscher Okkupation sollte die polnische Nation ausgelöscht werden.
Das NS-Regime hat den Krieg zu verantworten, wie seine Folgen, und damit auch - gemeinsam mit Stalin - unseren Verlust Ostdeutschlands. So mußten die Menschen, die dort lebten, ohne eigene Schuld für
Bundeskanzler Dr. Kohl
die Verbrechen anderer einen hohen Preis entrichten.
Es leben viele in unserem Land, die die Erklärung, die wir heute abgeben, tief berührt und schmerzt. Sie sind ihrer Vorfahren Heimat mit dem Herzen fest verbunden. An einem Tag wie heute können sie nichts anderes als Trauer empfinden. Kein Mensch hat das Recht, ihren Gefühlen seine Achtung zu versagen. Wir haben Respekt vor ihnen und ihren Gefühlen, und wir können sie gut verstehen.
Wir müssen aber ebenso offen aussprechen: Wer die historische Chance nutzen will, die Einheit Deutschlands in Freiheit zu vollenden, der muß auf die Frage der polnischen Westgrenze eine klare Antwort geben.
({41})
Dies erwarten nicht nur die Polen von uns. Dies erwarten ebenso alle unsere Nachbarn und Partner in Europa und vor allem auch die Vier Mächte, also die Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich, Großbritannien und die Sowjetunion.
Niemand soll sich täuschen: Wir stehen heute vor einer ganz klaren Entscheidung. Entweder wir bestätigen die bestehende Grenze, oder wir verspielen heute und für jetzt unsere Chance zur deutschen Einheit.
Die Entscheidung, die wir als frei gewählte Abgeordnete heute hier treffen müssen, ist richtig und notwendig; denn es geht um die Einheit und Freiheit Deutschlands, und zugleich geht es um ein Werk des Friedens und der Versöhnung.
Ich weiß, daß es im Blick auf die 700jährige Geschichte der Deutschen in den Gebieten jenseits von Oder und Neiße auch einigen Kollegen im Deutschen Bundestag nicht leicht fällt, dieser Entschließung zuzustimmen. Bei aller Freude darüber, daß mit der Verabschiedung des Staatsvertrages die Einheit der Deutschen in gemeinsamer Freiheit in greifbare Nähe rückt, ist dies für niemanden eine leichte Stunde. Freude, Ernst und Trauer liegen eng beieinander.
Wir blicken zurück auf eine lange gemeinsame Geschichte, in der die Städte und Dörfer Schlesiens, des östlichen Brandenburg, Pommerns, West- und Ostpreußens und anderer Landschaften für Deutsche Heimat waren. Sie haben dieser europäischen Kulturlandschaft ihr unverwechselbares, ihr historisches Gepräge gegeben.
Ich denke daran, daß dieses Land in Glück und Unglück, in Freude und Leid Lebensmittelpunkt von vielen Generationen von Deutschen war. Millionen von Deutschen haben dort ihre Wurzeln. Noch immer leben dort deutsche Familien Seite an Seite mit ihren polnischen Nachbarn.
Im Bewußtsein und in den Gefühlen vieler Deutscher sind die Landschaften östlich von Oder und Neiße, wo sie für ihr Leben prägende Eindrücke erfahren haben, als Heimat lebendig. Dieses ganz ursprüngliche Gefühl der persönlichen Verbundenheit verdient jedermanns Achtung, ja, Sympathie.
Die 700jährige Geschichte und Kultur des deutschen Ostens ist und bleibt Bestandteil des geschichtlichen Erbes der deutschen Nation. Uns Deutschen liegt viel daran - ich will mich auch persönlich dafür einsetzen - , dieses Kulturerbe zu bewahren und zu pflegen. Dieses Erbe bleibt lebendig, es ist unverlierbarer und unvergänglicher Bestandteil unserer Geschichte wie auch des kulturellen Reichtums Europas. Noch in vielen Jahren und Generationen werden sich Menschen an den Gedichten Eichendorffs erfreuen, und was Immanuel Kant „zum ewigen Frieden" geschrieben hat - über einen Föderalismus freier Staaten, über die Herrschaft des Rechts - , bleibt ein Wegweiser in das Europa der Zukunft.
Wahrheit ist - und das darf an einem Tag wie heute nicht verschwiegen werden - : Die Vertreibung der Deutschen aus ihrer angestammten Heimat war ein großes Unrecht. Es gab dafür keine Rechtfertigung, weder moralisch noch rechtlich. Wir können auch Jahrzehnte danach nicht erklären, die Vertreibung sei rechtmäßig gewesen.
Ich weiß, daß die Erfahrung von Flucht und Vertreibung auch nach Jahrzehnten noch schmerzt. Der Tod von Familienangehörigen und Freunden, das Zurücklassen von Hab und Gut, von Haus und Hof sind ein schweres Schicksal. Die Betroffenen werden ihren Schmerz aber noch stärker empfinden, wenn das ihnen angetane Unrecht verschwiegen wird.
Deshalb sind wir dankbar für die Worte, die Persönlichkeiten wie der jetzige polnische Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki, wie der Schriftsteller Andrzej Szczypiorski, der dieses Jahr mit dem Kunst- und Kulturpreis der deutschen Katholiken ausgezeichnet wurde, und andere in der gemeinsamen Erklärung deutscher und polnischer Katholiken zum 1. September 1989 gefunden haben. Sie schrieben:
Das Leid von Millionen Deutschen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden, dabei Tote zu beklagen hatten und ihr Hab und Gut verloren, weckt bei Polen und Deutschen Trauer und Mitgefühl.
Sie setzten damit ein sichtbares Zeichen der Versöhnung zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk.
Gerade auch die deutschen Heimatvertriebenen haben in ihrer Stuttgarter Charta von 1950 schon früh ein großartiges Bekenntnis zur Versöhnung mit unseren östlichen Nachbarn und zur Schaffung eines geeinten Europa abgelegt.
Sie erklärten damals:
Die Vertriebenen werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können ... Wir Heimatvertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung. Dieser Entschluß ist uns ernst und heilig im Gedenken an das unendliche Leid, welches im besonderen das letzte Jahrzehnt über die Menschheit gebracht hat.
Nicht Rache, nicht Vergeltung: mit diesen Worten haben sie ihre eindeutige Antwort auf die schrecklichen Erfahrungen der Vergangenheit gegeben. Sie haben damit vor aller Welt bekundet, daß die Saat des Hasses und der Gewalt, die Saat Hitlers und Stalins, nicht fortlaufend neues Unrecht hervorbringen darf.
Bundeskanzler Dr. Kohl
Heute sind in den Gebieten jenseits von Oder und Neiße polnische Familien in zweiter und dritter Generation ansässig; diese Gebiete sind ihnen zur Heimat geworden. Wir Deutsche wollen nicht, daß Krieg und Elend, Blut und Tod immer wieder aufgerechnet werden. Wir wollen nach vorne schauen, auf die Zukunft kommender Generationen. Dies wird und kann eine Zukunft in Frieden und Freiheit sein.
Wir schauen vor allem auch auf die junge polnische Generation, die heute in Pommern, Schlesien und anderswo lebt, und wir rufen ihr zu: Wir wollen Frieden, wir wollen Verständigung, wir wollen Aussöhnung, wir wollen ein freies und einiges Europa.
({42})
Mit der Vereinigung Deutschlands verbindet sich jetzt die Chance, eine endgültige und dauerhafte Aussöhnung mit dem polnischen Volk zu erreichen. Die Zeit dafür ist reif.
Was zwischen Deutschen und Franzosen möglich war, kann und muß jetzt endlich auch zwischen Deutschen und Polen möglich werden. In meiner Heimat, in der Pfalz, habe ich miterleben können, wie die deutsch-französische Freundschaft gewachsen ist. Diese Freundschaft wird für die deutsche Außenpolitik immer von existentieller Bedeutung bleiben.
Noch vor wenigen Jahrzehnten, in meiner eigenen Schulzeit, sollten die Kinder dort, wie überall in Deutschland und überall in Frankreich, im bösen Geist einer angeblichen Erbfeindschaft erzogen werden. Doch Haß und Feindschaft wurden überwunden, weil die Menschen es endlich so wollten. Über offene Grenzen kamen und kommen sie zusammen und lernen einander kennen. In freien Begegnungen konnten sich Verständnis und Vertrauen entfalten. Heute überqueren junge Deutsche und junge Franzosen ganz selbstverständlich den Rhein, um Freundschaft zu schließen.
Es ist mein Wunsch - und ich hoffe, es ist unser Wunsch -, daß ein solches Miteinander über die Grenzen hinweg zwischen jungen Deutschen und jungen Polen bald ebenso selbstverständlich sein wird.
({43})
Deshalb rufe ich dazu auf, das deutsch-polnische Jugendabkommen, das wir bei meinem Besuch in Polen im November des vergangenen Jahres vereinbart haben, mit Leben zu erfüllen und tatkräftig für eine gemeinsame Zukunft zu nutzen.
Meine Damen und Herren, wir vergessen allzu leicht: Ein freies und vereintes Deutschland kann gegenüber Polen auch an gute, ja, an beste Traditionen anknüpfen. Die Beziehungen zwischen beiden Völkern sind in der Vergangenheit keineswegs nur von Zwietracht, von kriegerischen Konflikten und vom Leid der Menschen überschattet gewesen. Im Gegenteil: Es gab lange Perioden fruchtbaren Austauschs,
ja, eines harmonischen Miteinanders. Die heilige Hedwig gehört beiden Nationen.
({44})
Wir müssen auch endlich begreifen, was der polnische Dichter und Denker Cyprian Kamil Norwid im 19. Jahrhundert festgestellt hat: „Eine Nation bestehtnicht nur aus dem, was sie von anderen unterscheidet, sondern auch aus dem, was sie mit anderen verbindet. "
Auch in schlimmster Zeit hat es Deutsche gegeben, die Menschlichkeit gegenüber Polen geübt haben. Neben den vielen, die sich als Werkzeuge des Verbrechens mißbrauchen ließen, gab es auch allemal „Zehn Gerechte", wie der Titel eines polnischen Erinnerungsbuches über die deutsche Besatzungszeit heißt.
Es waren deutsche Patrioten, die 1830 - während des polnischen Freiheitskampfes - gebannt und voller Hoffnung auf den Sieg der polnischen Sache setzten. Es war das Vorparlament der Frankfurter Paulskirche, das die Befreiung Polens zur „heiligen Pflicht des deutschen Volkes" erklärte. Und es waren wiederum Polen, die 1848/49 unter der schwarz-rotgoldenen Fahne für die Revolution kämpften.
Diese Erfahrungen, das gemeinsame Ringen von Polen und Deutschen um Freiheit, sind von den Verbrechen in unserem Jahrhundert zum Teil verschüttet worden - verloren sind sie nicht. Es gilt, sie im Gedächtnis der Völker zu neuem Leben zu erwecken.
({45})
Wir dürfen nicht zu Gefangenen eines Denkens werden, das mit den dunklen Seiten der Vergangenheit nur die halbe Wahrheit zur Kenntnis nimmt. Wahrhaftigkeit ist oberstes Gebot, wenn die Aussöhnung zwischen den Völkern gelingen soll.
Die Verständigung zwischen Deutschen und Polen darf niemanden ausschließen, sie muß auch gerade die Heimatvertriebenen einbeziehen. Denn wer könnte mehr für Verständigung und Aussöhnung tun als die deutschen Heimatvertriebenen oder als diejenigen Deutschen, die noch jenseits von Oder und Neiße ihre Heimat haben, oder als ihre polnischen Nachbarn? Gerade diese Gruppen können zu Botschaftern der Aussöhnung werden. Sie haben als Mittler zwischen den Völkern und Kulturen einen großen Auftrag.
Gemeinsam muß es uns darum gehen, in den Gebieten jenseits von Oder und Neiße ein Modell des friedlichen Zusammenlebens in Europa zu gestalten. Wir können dort Zeichen setzen, wie in einem Europa der Vielfalt die verschiedenen Völker und Kulturen einträchtig zusammenleben.
Dazu gehören die Bereitschaft zur Toleranz, die Achtung vor dem Nächsten, auch wenn er eine andere Sprache spricht, wozu er ein selbstverständliches Recht hat. Dazu gehört unverzichtbar der Schutz der Minderheitenrechte.
Mit der Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung anläßlich meines Besuches in Polen im November 1989 haben wir Fortschritte erzielt. Ministerpräsident Mazowiecki und ich erklärten damals:
Bundeskanzler Dr. Kohl
Beide Seiten ermöglichen es Personen und Bevölkerungsgruppen, die deutscher beziehungsweise polnischer Abstammung sind oder die sich zu Sprache, Kultur oder Tradition der anderen Seite bekennen, ihre kulturelle Identität zu wahren und zu entfalten.
Es bleibt noch viel zu tun, damit die Menschen, die dort leben, ihre Kultur, ihr Brauchtum, ihre Traditionen pflegen können. Sie wollen sich in der Sprache ihrer Mutter ausdrücken können - nicht zuletzt auch im Gottesdienst. Ich meine, in einem vereinten Europa des Friedens und der Freiheit sollte dies alles selbstverständlich sein.
({46})
In unserer gemeinsamen Erklärung hieß es auch:
Beide Seiten sind zutiefst überzeugt, daß eine Schlüsselrolle für ein vertrauensvolles Miteinander beider Völker und für eine friedliche Zukunft Europas dem Engagement der jungen Generation zukommt.
Aus dem Geist eines neuen Vertrauens wollen wir diese Zukunft gestalten. Ohne deutsch-französische Freundschaft hätte das Werk der Einigung Europas nicht begonnen werden können, ohne deutschpolnische Partnerschaft wird es sich nicht vollenden lassen.
Ich wünsche mir, daß bei uns in Deutschland und in Polen schon bald die Voraussetzungen geschaffen werden, die Zukunft eines deutsch-polnischen Miteinanders im vereinten Europa in einem umfassenden Vertrag über gutnachbarschaftliche und freundschaftliche Beziehungen besiegeln zu können.
({47})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Ziel ist eine europäische Friedensordnung, in der die Menschen und Völker in gemeinsamer Freiheit zusammenleben - ein Haus der Freiheit für alle Europäer, wie es in den Worten Konrad Adenauers aus dem Jahre 1961 ausgedrückt ist. Diese europäische Friedensordnung muß sowohl die Demokratien Nordamerikas als auch die Sowjetunion einschließen.
Amerika ist auf dreifache Weise in Europa verankert: durch die Atlantische Allianz, durch eine intensiver werdende Zusammenarbeit zwischen den USA und der Europäischen Gemeinschaft sowie durch die aktive Rolle Amerikas im KSZE-Prozeß.
Eine der großen Herausforderungen in den kommenden Jahren wird darin bestehen, die Sowjetunion mehr und mehr in die Gestaltung der europäischen Zukunft einzubeziehen - politisch, in Fragen der Sicherheit, ökonomisch und kulturell.
Jahrzehnte des Ost-West-Konfliktes haben viele vergessen lassen, daß die Sowjetunion nicht nur geographisch, sondern auch durch Geschichte und Kultur mit Europa verbunden ist. Bis in unsere Gegenwart hinein hat sie unersetzliche Beiträge zu unserem europäischen Kulturerbe geleistet.
Die Werke von Wassily Kandinsky und Dimitrij Schostakowitsch gehören allen Europäern. In den Romanen von Alexander Solschenizyn und Boris Pasternak spiegeln sich nicht nur bewegende Teile der europäischen Geschichte, sie sind auch ein Bekenntnis zur Humanität und Würde des einzelnen. Der gebürtige Russe Marc Chagall hat mit seinen großartigen Werken - ich denke an die Kirchenfenster in Mainz und Metz - Brücken der Kunst zwischen den europäischen Völkern geschlagen. Er verkörpert damit wie wenige die gemeinsame christlich-jüdische Tradition Europas.
Vor zwei Jahren beging Rußland das tausendjährige Jubiläum seiner Christianisierung. Einmal mehr wurden wir daran erinnert, daß dieses große Volk jene geistige Grundlage mit uns teilt, auf der die Idee von der unveräußerlichen Würde des einzelnen Menschen beruht.
Die historisch-kulturelle Verbundenheit mit Europa hat eine lange Tradition. Sie kann jetzt für die Zukunft endlich auch politisch wieder fruchtbar gemacht werden.
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Hierfür bietet sich zum einen die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa an, die mit der weiteren Überwindung des Ost-West-Gegensatzes ein wichtiges Instrument gesamteuropäischer Zusammenarbeit werden kann. Dabei geht es um neue Formen ständiger Zusammenarbeit auf der Grundlage völliger Gleichberechtigung - unabhängig von der Größe oder Wirtschaftskraft eines Landes.
Zum anderen gilt es, noch stärker als bisher den Europarat als Instrument gesamteuropäischer Zusammenarbeit zu nutzen. Er symbolisiert wie kaum eine andere Institution die Einheit Europas im Geist der Menschenrechte.
Heute und in Zukunft müssen die deutsch-sowjetischen Beziehungen dem gemeinsamen Ziel aller Europäer dienen, in freier Selbstbestimmung ein Europa der Freiheit, des Friedens und der Gerechtigkeit zu bauen. In diesem europäischen Rahmen haben wir auch die Chance, eine neue Epoche in unseren bilateralen Beziehungen zur Sowjetunion zu gestalten.
Morgen jährt sich der Tag, an dem im Juni 1941 der deutsche Angriff auf die Sowjetunion erfolgte. Damit begann das schrecklichste und zugleich schmerzlichste Kapitel zwischen Deutschen und Russen sowie den anderen Völkern der Sowjetunion. Wir haben die Millionen Opfer, die unsagbaren Leiden der Menschen und die Verwüstungen nicht vergessen.
Ich habe anläßlich des 45. Jahrestages des Kriegsendes
In diesen Tagen, in denen sich auch die Völker der Sowjetunion anschicken, des 45. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges zu gedenken, möchte ich Ihnen und Ihren Mitbürgern unsere Verbundenheit in der Trauer um die Millionen Opfer, die dieser schreckliche Krieg in Ihrem Land gefordert hat, versichern. Auch wir Deutsche schließen sie in unsere Gedenken ein und bekunden den trauernden Familien unser Mitgefühl.
Wir Deutsche haben aus diesen bitteren Jahren
der Geschichte gelernt und die Folgerungen geBundeskanzler Dr. Kohl
zogen. Gerade in dieser für uns Deutsche wichtigen Zeit, in der wir - nicht zuletzt auch dank der von uns in Moskau erreichten Verständigung - auf dem Wege zur staatlichen Einheit fortschreiten, möchte ich wiederholen: Von deutschem Boden soll nur noch Frieden ausgehen!
Letzte Woche hat mir
In den vor uns liegenden Jahrzehnten wird das politische Klima in Europa in vieler Hinsicht von den Entscheidungen abhängen, die wir treffen werden. Ich gehe von unserer beiderseitigen Bereitschaft aus, so zu handeln, daß wir unseren Völkern den Weg ins kommende Jahrhundert auf einer qualitativ neuen Grundlage erleichtern.
In unserem Verhältnis zur Sowjetunion ist in besonderem Maße historisches Verantwortungsbewußtsein, aber auch politische Gestaltungskraft gefordert. Wir Deutsche stehen deshalb zu unserem Wort, die berechtigten Sicherheitsinteressen aller europäischen Länder, gerade auch der Sowjetunion, zu achten. Dabei bleibt es für mich bei den Leitsätzen, die ich nach meiner Begegnung mit Präsident Gorbatschow im Februar dieses Jahres von dieser Stelle aus vorgetragen habe:
Die Geschichte dieses Jahrhunderts ... zeigt: Nichts ist der Stabilität Europas abträglicher als ein zwischen zwei Welten, zwischen West und Ost, schwankendes Deutschland. Und umgekehrt gilt: Deutschland im festen Bündnis mit freiheitlichen Demokratien und in zunehmender politischer und wirtschaftlicher Integration in der Europäischen Gemeinschaft ist der unerläßliche Stabilitätsfaktor, den Europa gerade auch in seiner Mitte braucht.
Meine Damen und Herren, die Überwindung der Teilung Deutschlands und die Mitgliedschaft eines vereinten Deutschlands in der NATO liegen auch im Interesse der Sowjetunion. Beides erhöht die Stabilität und die Sicherheit in ganz Europa. Uns eröffnet sich jetzt die Chance, eine neue Phase der europäischen Geschichte einzuleiten, eine Phase, in der die Konfrontation durch Kooperation abgelöst wird, in der die europäischen Völker Sicherheit nur noch im Miteinander finden werden. Das bedeutet auch für die Sowjetunion den Durchbruch zu einer neuen Qualität der Sicherheit, die auch sie durch hochgerüstete Armeen niemals allein gewinnen wird.
Für die Lösung der jetzt anstehenden Fragen im Rahmen der Zwei-plus-Vier-Gespräche wird in den nächsten Monaten auch der Erfolg vielfältiger Verhandlungen entscheidend sein, in denen die gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur vorbereitet wird.
Erstens geht es um die Umgestaltung der Bündnisse selbst. Der Warschauer Pakt hat kürzlich eine Kommission berufen, die bis zum Herbst Vorschläge für seine Umwandlung in einen Vertrag souveräner, gleichberechtigter Staaten erarbeiten soll, der auf demokratischen Prinzipien beruht. Wir begrüßen diesen Schlußstrich unter die Vergangenheit und hoffen auf Ergebnisse, die den tiefgreifenden Veränderungen Rechnung tragen.
Unser Atlantisches Bündnis wird bereits auf dem Gipfeltreffen Anfang Juli in London entsprechend den Vorschlägen von Präsident Bush seine Entscheidungen treffen. Wir werden die künftige Rolle, die Strategie und die militärische Struktur der Atlantischen Allianz neu bestimmen. Auch wir ziehen damit die Schlußfolgerungen aus den grundlegenden politischen und militärischen Veränderungen, die sich in fast allen Warschauer-Pakt-Staaten vollziehen. Wir wollen damit den politischen Charakter des Atlantischen Bündnisses verstärken und sein militärisches Gewicht den neuen Verhältnissen anpassen.
Darüber hinaus stellt sich uns die politische Schlüsselaufgabe , in einer gemeinsamen Willenserklärung der Verbündeten das Verhältnis zu den Staaten des Warschauer Pakts zukunftsgewandt zu gestalten und einem gesamteuropäischen Gewaltverzicht den Weg zu bereiten. Deshalb habe ich vorgeschlagen, daß die Mitglieder beider Bündnissysteme im KSZE-Rahmen einen Nichtangriffspakt erwägen sollten, und ein solcher Vertrag sollte dann allen anderen KSZE-Teilnehmern zum Beitritt offenstehen.
Abrüstung und Rüstungskontrolle sind das zweite Feld, auf dem wir - parallel zu unserem Weg zur deutschen Einheit - auf Fortschritte und Erfolge setzen müssen. Dies gilt insbesondere für die Wiener Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa.
Noch in diesem Jahr und rechtzeitig zum KSZE- Sondergipfel im November soll und muß ein erstes Abkommen in Wien fertiggestellt werden. Ich habe es deshalb sehr begrüßt, daß sich Präsident Bush und Präsident Gorbatschow bei ihrem Gipfeltreffen in Washington hierauf verständigt haben. Im Verlauf der Wiener Verhandlungen soll nach allgemeinem Verständnis auch über die künftigen Streitkräfte eines geeinten Deutschlands und ebenso der anderen Teilnehmerstaaten verhandelt werden.
Aber Sicherheit in Europa kann unter den Bedingungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts nicht mehr nur in militärischen Gleichgewichtsrechnungen, in Waffenzahlen und in Personalstärken definiert werden. Wirtschaftliche Kooperation ist die dritte Säule der gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur, denn eine immer weiter fortschreitende Verflechtung Europas durch Handel und durch wirtschaftliche Kooperation bildet Vertrauen und stärkt damit die Stabilität.
Deshalb ist es auch ein unerläßlicher Beitrag zur europäischen Sicherheit, wenn wir heute als Bundesrepublik Deutschland und morgen als geeintes Deutschland unseren östlichen und südöstlichen Nachbarn umfassende Zusammenarbeit in Wirtschaft, Wissenschaft und Technik anbieten. Wir müssen insbesondere bereit sein, ihnen, wenn sie dies wünschen, auf ihrem Reformweg hin zu politischem Pluralismus, zu Rechtsstaat und zu Marktwirtschaft mit Rat und Tat beizustehen und Hilfe zur Selbsthilfe zu geben.
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Angesichts der Größe und der Bedeutung dieser Aufgabe können wir Deutsche sie selbstverständlich nicht allein schultern; wir brauchen das Zusammenwirken möglichst aller westlichen Partner. Ich habe deshalb alle unsere Partner gebeten, diese Fragen auf
1714$
Bundeskanzler Dr. Kohl
dem Europäischen Rat in der nächsten Woche in Dublin und auf dem Weltwirtschaftsgipfel im Juli in Houston zu besprechen. Von dort sollte nicht nur ein Signal zur politischen, sondern auch zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit ausgehen. Wir Deutsche sind zu einem entsprechenden Beitrag bereit.
Wir sind auch bereit, die politischen Beziehungen zur Sowjetunion nach der Vereinigung Deutschlands auf eine weiterführende vertragliche Grundlage zu stellen. Nicht zuletzt geht es darum, daß wir für die zukünftige Sicherheitsarchitektur Gesamteuropas feste Fundamente legen. Sie sollen nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung zu bewährten Institutionen, wie beispielsweise der NATO, dienen. Wir wollen gesamteuropäische Institutionen im Rahmen der KSZE schaffen. Hierzu sind von allen Seiten weiterführende Vorschläge eingebracht worden. Es ist jetzt an der Zeit, sie zu bündeln und zu Ergebnissen zu bringen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befinden uns auf einem guten Weg, um jetzt die vor uns liegenden Aufgaben gemeinsam mit allen unseren Partnern in West und Ost zu lösen. Ich bin gemeinsam mit allen anderen zuversichtlich, daß wir dies auch zeitgerecht schaffen können. Präsident Gorbatschow hat mir das in diesen Tagen noch einmal ausdrücklich bestätigt. Die Bundesregierung und ich selbst werden keine Zeit versäumen; wir wollen jede Chance zum Erfolg nutzen.
Mit der Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas verbinden sich die Hoffnungen von vielen Menschen und Völkern. An der Schwelle zum 21. Jahrhundert enthält die Tagesordnung viele Themen, die wir nur in einer umfassenden Anstrengung aller freien Völker angehen können. Gemeinsam müssen wir für eine Welt arbeiten, in der das Leben in allen seinen Formen geachtet wird.
Die damit verbundenen Aufgaben sind nur noch in enger internationaler Zusammenarbeit zu lösen. Dazu gehört unverzichtbar die Partnerschaft zwischen Europa und den Vereinigten Staaten. Dazu gehört der Beitrag aller Staaten in Europa, auch der Sowjetunion.
Die Einheit Deutschlands und Europas rückt näher. Wenn Sie, meine Damen und Herren Abgeordneten des Deutschen Bundestages, heute dem Staatsvertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion mit der DDR sowie der vorliegenden Entschließung über den endgültigen Verlauf der Grenze zwischen dem vereinten Deutschland und der Republik Polen zustimmen, haben wir wieder eine wichtige Etappe auf dem Weg dorthin zurückgelegt.
Vergessen wir niemals: Die Chance, die sich uns in diesen Monaten eröffnet, nimmt uns zugleich in beispielloser Weise in die Pflicht.
Ich rufe Sie, ich rufe uns alle und alle Deutschen dazu auf, daß wir uns dieser historischen Pflicht stellen.
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Ich erteile nunmehr das Wort der Vorsitzenden des Ausschusses Deutsche
Einheit, der Präsidentin des Deutschen Bundestages, Frau Professor Dr. Süssmuth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gleichzeitig mit uns berät die Volkskammer in Ost-Berlin über den Staatsvertrag zur Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion und über die gemeinsame Entschließung zur deutsch-polnischen Grenze.
Durch die Beratung und Verabschiedung des Staatsvertrags legen wir heute an getrennten Orten auch den Grundstein dafür, daß es bald nur noch eine frei gewählte Volksvertretung für ganz Deutschland geben wird.
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Wissen wir, was dieser Tag bedeutet, wie er erlebt wird, was in den Monaten zwischen Oktober/November und heute in Deutschland geschehen ist? Sind wir uns auch im klaren darüber, wie dieser Tag in Ungarn, in der Tschechoslowakei, in Polen, in der Sowjetunion erlebt wird?
Ich bin sehr froh, daß wir in dieser Woche nicht nur den Staatsvertrag, sondern auch Hilfen für Osteuropa im Deutschen Bundestag verabschieden; denn es geht um eine gemeinsame europäische Aufgabe.
Durch die Verabschiedung des Staatsvertrages und der damit verbundenen Gesetze wird sich das Leben in ganz Deutschland verändern.
Der Größe der Aufgabe und der Verantwortung, der wir uns zu stellen haben, waren sich alle Mitglieder des Ausschusses Deutsche Einheit von Anfang an bewußt. Wir haben kontrovers diskutiert, aber wir haben konstruktiv diskutiert. Wir wollten die Erwartungen der Menschen nicht enttäuschen, wollten in bezug auf den Termin keine Verzögerung, wußten sehr wohl, was es bedeutet, wenn dieser Termin nicht eingehalten wird.
Wir haben in acht Sitzungen beraten. Zweimal ist der Ausschuß Deutsche Einheit der Volkskammer mit uns zusammengetroffen. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages und der Volkskammer, die Mitglieder der Bundesregierung und der Regierung der DDR, die Mitarbeiter der Fraktionen, die Beamten der Regierungen und der Parlamentsverwaltungen haben mit größtem persönlichen Einsatz und unter Aufbietung aller Kräfte in den vergangenen Wochen und Monaten hart gearbeitet, um den Auftrag der Präambel unseres Grundgesetzes zu erfüllen und die Lebensverhältnisse in beiden deutschen Staaten zum Wohl der Menschen zu vereinheitlichen. Deshalb gilt allen Beteiligten unser besonderer Dank; denn das, was sie geleistet haben, war außergewöhnlich.
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Worum ging es uns? Was war der inhaltliche Kern unserer Beratungen? Die Beratungen im Ausschuß Deutsche Einheit und in den mitberatenden Ausschüssen waren immer wieder von vier Themenbereichen bestimmt:
Wie kann eine Währungs-, eine Wirtschafts-, eine Arbeitsmarktordnung in der heutigen DDR aufgebaut werden, die den Bedürfnissen der Menschen und den
Präsidentin Dr. Süssmuth
Anforderungen der Sozialen Marktwirtschaft genügt?
Wie kann soziale Gerechtigkeit in ganz Deutschland verwirklicht werden?
Wie können wir die immensen ökologischen Probleme in der DDR lösen?
Wie kann die künftige Eigentumsordnung in der DDR gestaltet werden? Aber auch: Wie kann zu Unrecht erworbenes Eigentum zurückgegeben werden, wie Mißbrauch von Eigentum ausgeschlossen werden?
Die Aufzählung dieser Problemfelder macht deutlich, daß es bei dem Ziel der Verwirklichung der Einheit Deutschlands in jedem Punkt allein um das Wohl der Menschen, um ihre Bedürfnisse gehen muß. Alle Menschen im geeinten Deutschland haben den gleichen Anspruch auf eine gerechte Beteiligung am Wohlstand, an wirtschaftlicher und sozialer Sicherheit, auf ein Leben in einer gesicherten Umwelt. Bürger minderen Rechts darf es nicht geben. Dies ist unsere gemeinsame Aufgabe in den beiden noch voneinander getrennten Teilen Deutschlands.
Mit dem jetzt vorliegenden Staatsvertrag schaffen wir zunächst die wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen für das Zusammenwachsen der beiden Teile Deutschlands. Ich sage aber in diesem Zusammenhang: Die eigentliche Herausforderung, in der wir stehen, ist eine geistige. Der äußere Einigungsprozeß wird sehr viel rascher gehen als der Einigungsprozeß der Menschen, das Zusammenwachsen, das Überwinden der Fremdheit. Helfen wir uns gegenseitig dabei.
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Ich denke, in diesen Zusammenhang gehört auch, daß die Diskussion zu einseitig auf das gesetzt wird: Was haben wir abzugeben? Was wird uns genommen? Es wird zuwenig gesagt, wie wir durch jede Begegnung zwischen Menschen aus beiden Teilen Deutschlands innerlich reicher werden, was wir uns wechselseitig zu geben haben.
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Wenn es um die Hoffnungen und die Erwartungen geht, dann gehört zur Redlichkeit auch die Aussage, daß der Prozeß, der vor uns steht, kein einfacher, sondern ein schwieriger ist, aber mit soviel Chancen versehen, daß es unser gemeinsamer Wille sein muß, nach der Ratifizierung des Staatsvertrages nicht mehr davon zu sprechen, daß es eine Aufgabe in der DDR gibt, sondern nur noch davon, daß es eine gemeinsame zu leistende und leistbare Aufgabe zu bewältigen gilt.
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Herr Präsident, meine Damen und Herren, der Prozeß der deutschen Einigung berührt zugleich uns Deutsche und unsere Nachbarn. Gemeinsam und im Einklang mit unseren Nachbarn müssen wir bestrebt sein, allen berechtigten Interessen gerecht zu werden. Dies gilt in besonderem Maße und im Bewußtsein unserer Verantwortung vor der deutschen und europäischen Geschichte gegenüber dem polnischen
Volk. Wir befassen uns daher heute auch - zeitgleich mit der Volkskammer - in einer Bleichlautenden Entschließung beider deutschen Parlamente mit dem Grenzverlauf, mit der Anerkennung der deutsch-polnischen Grenze. Damit geben die beiden Parlamente in der politisch verbindlichsten Form, die ihnen möglich ist, ihrem Willen Ausdruck, die künftige gesamtdeutsche Regierung zu verpflichten und zu binden, dieses in einem völkerrechtlichen Vertrag endgültig zu regeln.
Die Folgen des Krieges, zu denen die Blockbildung in Europa, der Kalte Krieg und die Teilung unseres Landes gehören, spüren wir in Ost und West noch heute. Für die Überlebenden des Krieges, für die Vertriebenen, ihre Kinder und Kindeskinder sind die Probleme von Flucht und Vertreibung bis heute nicht bewältigt. Dies gilt ebenso für die Polen, die Überlebenden der Opfer, die Verfolgten, die Zwangsarbeiter. Ihre persönlichen Schicksale kann ihnen niemand abnehmen. Ihnen nützt weder die Aufrechnung der Opfer noch die Konfrontation gegenseitiger Ansprüche, sondern nur die Bereitschaft zur Verständigung und ein behutsames Aufeinander-Zugehen zwischen beiden Völkern.
Niemand kann vor seiner eigenen Geschichte fliehen. In der Mitte Europas sind Polen und Deutsche aufeinander angewiesen wie nur wenige andere Nachbarn. Der Verständigung mit Polen kommt keine geringere Bedeutung als der Versöhnung mit Frankreich und Israel zu, deren Völker ebenso unter Gewaltherrschaft und unter den Kriegsverbrechen der Nationalsozialisten gelitten haben wie das polnische Volk.
Unrecht ist nicht gegenseitig aufrechenbar.
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Unrecht kann nicht durch das Vorhalten von gegenseitig zugefügtem Leid beseitigt werden. Was wir wollen und brauchen, ist dauerhafte Aussöhnung zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk.
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Diese Aussöhnung kann nur gelingen, wenn wir in Erinnerung an die Vergangenheit gemeinsam für eine friedliche Zukunft arbeiten.
Während der Diskussionen der vergangenen Monate um die polnische Westgrenze war mir stets bewußt, auf welch schwierigem rechtlichen, politischen und menschlichen Grat sich alle Beteiligten befanden. Es wurde mir dabei auch immer klarer, daß die Grenzanerkennung eine notwendige Voraussetzung zur Grenzöffnung ist. Erst in dem Maße, in dem die Polen Sicherheit gewinnen, können sie Mißtrauen abbauen. Dabei müssen sie wissen, daß vertrauensvolle, dauerhaft tragfähige Beziehungen wachsen müssen. Parlamentserklärungen wie auch Verträge bilden die äußeren Voraussetzungen dafür. Ausfüllen können sie nur Deutsche und Polen selbst. Nichts braucht mehr Zeit als Vertrauen.
Die deutsche Einheit steht unmittelbar bevor. Bei vielen Gesprächen, die wir in den vergangenen Monaten in Polen, in der Sowjetunion, aber auch in
Präsidentin Dr. Süssmuth
Frankreich, in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten geführt haben, ist uns vor Augen geführt worden, daß wir die deutsche Einheit verhindern würden, wenn wir jetzt nicht klare Aussagen darüber träfen, in welchen Grenzen sich diese Einheit vollziehen soll. Dies ist ein Akt der Aufrichtigkeit und der Klarheit, den wir uns und unseren Nachbarn in Ost und West schulden.
Am 23. Mai dieses Jahres haben Katholiken aus der Bundesrepublik Deutschland und der DDR anläßlich des Katholikentages eine „Berliner Erklärung" verabschiedet. Darin heißt es - ich zitiere:
Je mehr die Einheit in Freiheit in Deutschland wächst, desto größer wird unsere Verantwortung für Europa und die Welt. Diese Verantwortung muß sich schon jetzt auf dem Weg zur Einheit der Deutschen bewähren.
Die Wahrnehmung dieser Verantwortung verpflichtet uns zu dieser eindeutigen und verbindlichen Erklärung.
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Die Entschließung zur endgültigen Anerkennung der bestehenden Grenzen zwischen Deutschland und Polen ist Teil des europäischen und des deutschen Einigungsprozesses. Wir haben immer wieder erklärt, ohne Überwindung der Teilung Europas und der Teilung Deutschlands kann es in Europa keinen Frieden geben.
Gewiß, so meinen wir alle, in diesem Europa soll es nicht mehr um Grenzen, nicht mehr um Abgrenzung, sondern um offenen und unbehinderten Umgang miteinander, und zwar auf der Grundlage der wechselseitigen Anerkennung der Menschenrechte, der Demokratie, der sozialen Gerechtigkeit, Gewaltfreiheit und Bewahrung der Umwelt, gehen. Die Menschen können nur offen füreinander werden, wenn Vertrauen an die Stelle von Mißtrauen tritt. Das Trennende der äußeren Grenzen kann nur aufgehoben werden, wenn das Trennende zwischen den Menschen zum Verbindenden wird, wenn Sicherheit Unsicherheit ablöst.
Wir erleben im Umgang zwischen Deutschen und Polen, daß für viele die noch offene Grenzfrage Anlaß zu altem und neuem Mißtrauen war. Wir wollen Sicherheit, so lautete immer wieder die berechtigte Erwartung. Wir erklären ihnen heute in beiden Parlamenten: Die Grenze ist keine vorläufige, sondern eine endgültige.
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Der breite, nur selten so weitgehend zum Ausdruck gebrachte Konsens in beiden deutschen Parlamenten ist Ausdruck unseres gemeinsamen Willens zur Verständigung und Aussöhnung. Handeln wir gemeinsam in und für Europa, zeigen wir uns wechselseitig Solidarität durch Zusammenarbeit und Unterstützung!
Wir sind einander entscheidend nähergekommen, als Polen unerschrocken für seine Freiheit und sein Vaterland kämpfte, als wir Polen durch solidarische Hilfe in der Zeit des Kriegsrechts unterstützten. Wir
haben im vergangenen Jahr unsere Zusammenarbeit und Unterstützung politisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich und kulturell entscheidend ausgebaut.
Ich möchte allen Polen danken, insbesondere jenen Mitgliedern der Solidarność und der Kirchen, die in mutiger Weise den Freiheitskampf der Oppositionellen in der DDR aktiv und mit erheblichem Risiko unterstützt haben.
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Sie haben es ohne Publizität getan. Sie sind offen eingetreten für Freiheit und Freizügigkeit in der DDR und haben sich als allererste mit ausgesprochen für die Vereinigung der beiden Teile Deutschlands.
Darum ist es wichtig, sich klarzumachen, daß Mißtrauen und einseitige oder wechselseitige Kontrolle keine Grundlage für Vertrauen und Zusammenarbeit, für Sicherheit und Frieden, für eine europäische Einigung sind. Dazu gehört Offenheit im Gespräch über die Probleme, die zwischen uns stehen: die Fragen von Unrecht und Schuld, die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs, das Leid und Unrecht gegenüber den Vertriebenen, das nicht abreißende Mißtrauen, wir Deutschen könnten vergangene Fehler wiederholen.
Wladyslaw Bartoszewski fragt in dem Kapitel „Schuld darf man nicht aufrechnen" :
Was können wir tun, daß trotz der großen Belastungen der Vergangenheit Polen und Deutsche friedlich in Europa zusammenleben, daß Vertrauen wächst?
Bartoszewski hat dies gefragt und hat gehandelt, als es weder im Sinne seiner Kirche in Polen noch im Sinne seiner Landsleute war. Er hat mutig Verständigung vorangetrieben. Er sagt uns:
Wir Polen suchen dieses Vertrauen immer wieder, bitten um Beweise eines neuen Vertrauens, denn wir sind gebrannte Kinder.
Die heutige Entschließung des Deutschen Bundestages und der Volkskammer will ein Stück Vertrauenserweis und ein erneuter Vertrauenserweis auf unserem gemeinsamen Weg in die Zukunft sein.
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Bartoszewski fordert uns auf, ein Zweites zu tun. Er sagt:
Die einzige Möglichkeit, die uns bleibt, ist, die Vergangenheit zu erforschen, vor allem die jüngste Vergangenheit, damit wir uns besser verstehen und damit nie mehr das geschieht, was zwischen unseren beiden Völkern geschehen ist.
Ich füge hinzu: Wenn wir dies leisten wollen, gehört gerade für uns in Europa hinzu, daß wir lernen, mit dem Problem der Minderheiten politisch und kulturell neu umzugehen.
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Dies ist eine Aufgabe für uns Deutsche, für Polen, aber, so denke ich, für alle in Europa. Denn wir haben uns diesem Problem lange nicht angemessen gestellt.
Wir sind zur Aussöhnung aufgerufen und verpflichtet. Wir sind besser als je zuvor dazu in der Lage,
Präsidentin Dr. Süssmuth
gemeinsam ein gutes Miteinander zu wagen und voranzubringen.
Gehen wir diesen Weg. Gehen wir offen mit unseren Stärken und Fehlern um. Brechen wir alte und neue Vorurteile auf. Lassen wir uns auch in den für Polen wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit neuen Belastungen und Verwerfungen nicht dazu verführen, diesen Prozeß wieder abreißen zu lassen. Nehmen wir die Herausforderung an!
Ich danke Ihnen.
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Nun hat Herr Professor Ehmke das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute wenden sich die beiden freigewählten deutschen Parlamente mit einer bedeutsamen Botschaft an das polnische Volk: Polen, das mit der deutschen Einigung wieder zum Nachbarstaat des ganzen Deutschland wird, soll wissen, daß seine Grenze zu uns unverrückbar ist. Es soll wissen, daß wir Deutsche ohne jeden Vorbehalt gute Nachbarn der Polen sein wollen.
Kernstück der Entschließung der beiden deutschen Parlamente ist die Formulierung eines Grenzvertrages, mit dem das vereinte Deutschland eine völkerrechtlich eindeutige Garantie für die heute bestehenden Grenzen mit der Republik Polen abgibt.
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Die Unterzeichnung dieses Vertrages wird Aufgabe der gesamtdeutschen und der polnischen Regierung sein. Seine Ratifizierung wird den Parlamenten der beiden Staaten obliegen. Aber bereits jetzt, mit der Verabschiedung der Bleichlautenden Entschließung durch Bundestag und Volkskammer, sollte die Grenzdiskussion, die lange Jahre einen Schatten auf unser Verhältnis zu Polen geworfen hat, endgültig ein Ende finden.
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Der Grenzvertrag mit Polen soll einen Schlußstrich unter die Vergangenheit setzen, indem er Bestehendes bekräftigt.
Meine Damen und Herren, mit ihren gleichlautenden Resolutionen fordern die beiden deutschen Parlamente ihre Regierungen zum Handeln auf. Es obliegt den beiden Regierungen, dem Willen der Volksvertretung entsprechend die polnische Regierung über die Entschließung förmlich zu unterrichten und sie sich damit zu eigen zu machen. Wir erwarten, daß beide deutschen Regierungen in Verhandlungen mit der polnischen Regierung Einvernehmen herstellen, daß ein Grenzvertrag nach Herstellung der deutschen Einheit unverzüglich unterzeichnet und dem gesamtdeutschen wie dem polnischen Parlament zur Ratifizierung vorgelegt wird.
Die Frage der polnischen Westgrenze gehört aber über das bilaterale deutsch-polnische Verhältnis hinaus auch zu den im internationalen Rahmen zu behandelnden äußeren Aspekten der deutschen Einheit. An
dem Treffen der Außenminister der beiden deutschen Staaten und der Vier Mächte im nächsten Monat in Paris wird auch der polnische Außenminister teilnehmen. Die beiden deutschen Parlamente leisten daher mit ihrer heutigen Entschließung einen wichtigen Beitrag zu einem erfolgreichen Verlauf des Pariser Außenministertreffens.
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In den Zwei-plus-Vier-Gesprächen, die vor einem Beitritt der DDR nach Art. 23 des Grundgesetzes und damit vor einem bilateralen deutsch-polnischen Grenzvertrag abgeschlossen werden sollen, wird es u. a. darum gehen, das Staatsgebiet des vereinten Deutschlands, das sich aus dem Gebiet der Bundesrepublik, der DDR und Berlins zusammensetzt, und damit auch die deutschen Grenzen völkerrechtlich verbindlich festzulegen. Gleichzeitig muß völkerrechtlich verbindlich festgestellt werden, daß damit die Vorbehaltsrechte der Vier Mächte für Deutschland als Ganzes und für Berlin aufgehoben werden. Ein solcher Vertrag, meine Damen und Herren, wird für das vereinte Deutschland friedensvertraglichen Charakter haben.
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Die beiden deutschen Staaten sollten ihrerseits gegenüber den Vier Mächten erklären, daß in der Verfassung eines vereinten Deutschlands die Präambel des Grundgesetzes sowie dessen Art. 23 und 146 aufgehoben oder entsprechend geändert werden. Die Einigung Deutschlands muß mit völliger Klarheit hinsichtlich seiner äußeren Grenzen verbunden sein. Nur unter dieser Voraussetzung kann ein vereintes Deutschland seinen Platz in einem vereinten Europa des Friedens und der Demokratie einnehmen.
Meine Damen und Herren, von den Ostverträgen Willy Brandts, insbesondere dem Warschauer Vertrag, führt ein erkennbarer, oft dorniger Weg zu der heutigen Situation. Heute werden die Grenzen in Europa allseits anerkannt, gleichzeitig aber öffnen sie sich und verlieren ihre trennende Wirkung, und heute sprechen die beiden deutschen Parlamente nicht nur für ihren jeweiligen Teilstaat, sondern für das im Entstehen begriffene vereinte Deutschland.
Indem ich dies sage, Herr Bundeskanzler, will ich nicht noch einmal mit der früheren Politik der konservativen Parteien hadern. Ich will vielmehr meiner Freude Ausdruck verleihen, daß wir nach einem langen Weg, der für unsere Gesellschaft ein Lernprozeß war, heute, 20 Jahre nach dem damals so erbittert umkämpften Warschauer Vertrag, in dieser wichtigen Frage zu einer Übereinstimmung gekommen sind. Das ist ein Anlaß zur Hoffnung.
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Es ist nur angemessen, daran zu erinnern, daß die Freien Demokraten in der Grenzfrage seit jeher mit uns übereinstimmten und diese Übereinstimmung bei aller Rücksichtnahme auf den neuen Koalitionspartner nicht aufgegeben haben. Ich erinnere dankbar an die Erklärung von Außenminister Genscher im September 1989 vor den Vereinten Nationen. Die Resolu17152
Dr. Ehmke ({5})
tion des Deutschen Bundestages vom 8. Dezember 1989 nahm diese Erklärung wörtlich auf. Die überwältigende Mehrheit des Bundestages, einschließlich des Bundeskanzlers, machte sie sich zu eigen. Nur 26 Abgeordnete vom rechten Flügel der Union verweigerten die Zustimmung.
Noch einmal fiel ein Schatten auf die sich anbahnende Gemeinsamkeit in Sachen polnische Westgrenze. Bei seinem Besuch in Polen konnte sich der Bundeskanzler nicht zu einer gleich klaren Aussage durchringen. Der Bundespräsident hat dann bei seinem Besuch im Mai dieses Jahres die erlösenden Worte gefunden.
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Die Fraktionen der Volkskammer haben sich in der 2. Sitzung des ersten frei gewählten Parlaments der DDR zur Unverletzlichkeit der Oder-Neiße-Grenze als Grundlage des friedlichen Zusammenlebens in einem gemeinsamen europäischen Haus bekannt.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, auch wir Sozialdemokraten, die wir die heutige Entscheidung für politisch überfällig halten, treffen sie als Abgeordnete des deutschen Volkes nicht leichten Herzens. Ich unterstreiche die Festigkeit unserer Überzeugung und die Kontinuität sozialdemokratischer Außenpolitik, wenn ich bei dieser Gelegenheit mit freundlicher Genehmigung des Herrn Präsidenten noch einmal die Erklärung wiederhole, die ich vor 20 Jahren am Tage der Unterzeichnung des Warachauer Vertrags durch Willy Brandt und Walter Scheel in Warschau für die damalige Bundesregierung abgegeben habe. Ich sagte damals:
Seit Jahrhunderten wird die Geschichte des östlichen Mitteleuropa von dem Miteinander und Gegeneinander slawischer und germanischer Stämme, deutscher und polnischer Ritter, Bauern und Bürger bestimmt. Die Weite der Landschaft bietet keine natürliche Grenze. Die Siedlungsräume sind immer ineinander verwoben gewesen. Nach mehr als 100 Jahren der Teilung ist es erst am Anfang dieses Jahrhunderts den Polen möglich geworden, einen eigenen Staat zu bauen. Die Grenzen dieses Staates, die alte deutsche Siedlungsgebiete zerschnitten und abtrennten, die Grenzen von Versailles wurden damals von den Deutschen als erzwungen und unnatürlich angesehen. Diese Grenzen von 1937 wurden schließlich von Hitler zum Anlaß genommen, Polen zu überfallen und damit den Zweiten Weltkrieg auszulösen. Leid und gegenseitiges Unrecht hat es immer in der gemeinsamen Geschichte des deutschen und des polnischen Volkes gegeben. Was aber von 1939 bis 1946 geschah, das entzieht sich nach Umfang und Schrecklichkeit jeder Beschreibung.
({7})
Am Ende dieser Entwicklung standen zwei Völker in diesem Raum, ausgeblutet, verelendet, vertrieben von den eigentlichen Siedlungsgebieten. Polen hatte im Osten große Gebiete verloren, Deutschland mußte fast ein Viertel seines Bodens an Polen abgeben.
Millionen Menschen, die die Grauen des Krieges und seiner Begleiterscheinungen überlebt hatten, mußten auf Wanderschaft gehen, mußte ihre Heimat verlassen.
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Dies alles
- so sagte ich damals liegt nun schon ein Vierteljahrhundert zurück! Heute sind es 45 Jahre.
Die Menschen haben inzwischen an ihren neuen Wohnsitzen Arbeit und Brot gefunden. Sie haben zusammen mit den ansässigen Landsleuten ihre neue Heimat in harter Arbeit aufgebaut. Sie haben geheiratet, Kinder großgezogen, die Alten begraben. Dies alles gilt für die Polen wie für die Deutschen in gleicher Weise. Und doch haben wir es
- so meine Meinung damals in diesen 25 Jahren nicht gelernt, das Gemeinsame zu suchen. Wir verharren mit dem Blick auf die Vergangenheit und auf das geschehende Unrecht. Wir denken mit Bitterkeit und mit Schmerz daran. Wer diese Geschichte miterlebt und miterlitten hat, muß einen tiefen Respekt haben vor den Gefühlen, die gerade auch die Heimatvertriebenen bei uns bewegen.
Und dennoch, wir müssen in die Zukunft blicken! Unsere Kinder fordern von uns eine Welt, die ihnen ein friedliches Leben sichert. Altes Leid und alte Ungerechtigkeit haben ihren Platz in der Geschichte. Sie dürfen keinen Platz haben in der Gegenwart und noch weniger in unserer gemeinsamen Zukunft. Es muß einmal ein Ende haben mit den alten Rechnungen.
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Wie könnte dies aber besser geschehen, als daß man auf den anderen Menschen, auf das andere Volk mit ausgestreckter Hand zugeht, um einen neuen, vorwärts gewandten Anfang zu machen! Dies ist der tiefste Sinn des Vertrages, der in Warschau unterzeichnet wird.
Dieser Vertrag hindert uns nicht,
- das Gleiche wird für einen von einem vereinten Deutschland mit Polen geschlossenen Grenzvertrag gelten mit Stolz, Dankbarkeit und sicher auch mit Wehmut alles dessen zu gedenken, was deutsche Menschen durch sieben Jahrhunderte in Pommern, in der Mark Brandenburg, in Schlesien, in Ost- und in Westpreußen und in meiner Heimatstadt Danzig vollbracht haben an kulturellen, an technischen, an menschlichen Leistungen.
Danzig, Breslau und Stettin und das schöne weite Land zwischen Oder, Neiße, Weichsel und Memel bleiben uns in Geschichte und in Erinnerung als unvergeßliches deutsches Land. In Gegenwart und Zukunft aber gehören sie zu Polen. Das mag eine bittere Erkenntnis sein. Ändern können wir daran nichts. Und wer glaubt, die
Dr. Ehmke ({10})
Hoffnung auf eine Änderung bewahren oder gar jungen Menschen beibringen zu sollen, daß sie auf diese Änderung warten sollten, der muß wissen, daß er mit dem Krieg spielt.
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Wir aber wollen Frieden. Und um des Friedens und um der Zukunft unserer Kinder willen sind wir bereit, aus der leidvollen und von Unrecht beschatteten Vergangenheit zu lernen und ein neues, friedliches Kapitel zu beginnen in der gemeinsamen Geschichte des deutschen und des polnischen Volkes.
Soweit meine damalige Erklärung.
Ich füge heute nur hinzu: Das sind wir den Polen, das sind wir Europa, und das sind wir nicht zuletzt auch uns selber schuldig.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir werden heute eine Entschließung zur deutsch-polnischen Grenze verabschieden, mit der wir unseren politischen Willen über den Verlauf der Grenze zwischen dem vereinten Deutschland und Polen ausdrücken wollen.
Ich gestehe gern ein, daß es mir schwerfällt, heute dazu zu sprechen, obwohl ich persönlich nicht Betroffener bin. Ich bin Jahrgang 1945, gehöre also zu jenen, die den Krieg nicht mehr miterlebt haben. Meine Familie stammt nicht aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße. Es bestehen dorthin auch keine verwandtschaftlichen Bindungen.
Also könnte ich - so mag mancher meinen - doch heute allein mit kühler Rationalität sprechen - ohne emotionale Berührung. Was verbindet mich - so könnte man denken - mit den Gebieten im Osten, von denen ich hier rede? - So einfach ist es aber für mich wirklich nicht.
Ich selbst habe mich immer für die deutsche Frage ganz besonders interessiert. Die politischen Ereignisse der 50er Jahre, z. B. der Aufstand gegen das kommunistische Regime in Ungarn und dessen Niederschlagung, haben mich als Heranwachsenden besonders geprägt und auch zur Politik gebracht.
Ich habe gerade in der letzten Zeit viele Gespräche mit Vertriebenen geführt. Sie haben mir bewegend ihre Gefühle zu ihrer Heimat geschildert. Unter uns Abgeordneten haben wir lange und intensive Diskussionen gerade in den letzten Tagen gehabt. Wir haben uns in der Fraktionssitzung damit befaßt und eindringliche Bekenntnisse gehört. Ich glaube sagen zu können, daß neben mir auch viele andere jüngere Kolleginnen und Kollegen dabei Einsichten erhielten, die uns sehr bewegt und angerührt haben.
Die Entscheidung heute fällt schwer. Sie fällt schwer, weil sie großes Unrecht, das mit der Vertreibung geschehen ist, betrifft und weil sie Gebiete betrifft, in denen Deutsche lebten und heute noch leben.
Viele Millionen Deutsche wurden vertrieben, viele mißhandelt. Allein 2,3 Millionen verloren nach dem Zweiten Weltkrieg bei Flucht und Vertreibung ihr Leben. Unter ihnen waren Frauen, Kinder und alte Menschen.
Welches Leid muß es sein, seine Heimat unter so großen Entbehrungen und Opfern verlassen zu müssen? Wie schwer muß der Verlust der Häuser, der Höfe, der Kirchen, der menschlichen Bindungen sein, in denen über Generationen die Familien verwurzelt waren? Wie schmerzlich muß es sein, die Heimat womöglich als verloren betrachten zu müssen?
Als nicht direkt Betroffener kann ich dies wahrscheinlich gar nicht ganz ermessen. Aber ich spüre, daß zutrifft, was die Heimatvertriebenen 1950 ausgeführt haben:
Gott hat die Menschen in ihre Heimat hineingestellt. Den Menschen mit Zwang von seiner Heimat zu trennen bedeutet, ihn im Geiste töten.
Welcher Schaden an Leib und Seele ist bei diesen Menschen angerichtet worden? Rufen wir uns in Erinnerung, worüber wir sprechen. Wir sprechen über Landschaften, Städte und Dörfer, die seit dem 12. Jahrhundert, seit mehr als 700 Jahren, von Deutschen bewohnt, urbar gemacht und geprägt wurden. Sie bebauten das Land, errichteten die Dörfer und Städte, führten moderne und vielfältige Wirtschafts- und Handwerksformen ein.
Von Edmund Burke stammt der Satz: Ein Volk ist die Gemeinschaft der Lebenden, der Toten und der Nachkommenden. - Die Menschen, von denen hier die Rede ist, sind deshalb nach meinem Verständnis Teil unseres deutschen Volkes. Sie gehören zu uns. Deshalb spreche ich von deutscher Geschichte und deutschem Erbe.
Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund muß es schwerfallen und schmerzen, heute so und nicht anders zu entscheiden, wie wir es in der Mehrheit wollen. Dennoch ist die Entscheidung unvermeidbar und richtig. Sie ist richtig, weil sie uns zur deutschen Einheit führt. Sie liegt damit in der Kontinuität unserer Politik. Die deutsche Einheit ist unser Ziel, das wir erreichen wollen.
Viel ist auf diesem Wege bereits beiseite geräumt. Es war immer die Politik der Union, die Frage der deutsch-polnischen Grenze offenzuhalten bis zu dem Zeitpunkt, zu dem eine frei gewählte gesamtdeutsche Regierung mit Polen eine entsprechende Vereinbarung treffen könne. Wir erreichen jetzt diesen Punkt. Wenn wir heute der vorliegenden Entschließung zustimmen, tun wir dies mit schwerem Herzen. Aber wir tun dies im Bewußtsein, daß damit der Weg zur deutschen Einheit geebnet wird.
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Meine Damen und Herren, ich glaube, die Entscheidung ist auch richtig, weil es eine Entscheidung für Europa ist. Auch die europäische Einigung war und ist Wegweiser der Politik von CDU und CSU. In ihrer Charta der Heimatvertriebenen - von der ich eben
schon sprach - haben die Vertreter von Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen 1950 bekannt:
Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können.
Wir wissen, auch in einem freien Europa wird es Grenzen geben. Aber sie werden nicht mehr trennen. Für Menschen, Meinungen und Informationen werden und müssen sie offen sein - so wie wir dies als Union immer gewollt haben.
Der Bundeskanzler hat vorhin zu Recht gesagt, daß es darum gehen muß, in den Gebieten jenseits von Oder und Neiße ein Modell des friedlichen Zusammenlebens in Europa zu gestalten. Wir könnten dort Zeichen setzen, wie in einem Europa die verschiedenen Völker und Kulturen einträchtig zusammenleben. Dem entspricht unsere heutige Entschließung. Es ist daher nach meinem Verständnis nur scheinbar widersinnig, wenn ich sage: Mit unserer Zustimmung schaffen wir gleichzeitig die Möglichkeit zur Überwindung dieser Grenze.
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Meine Damen und Herren, unsere heutige Festlegung soll Menschen nicht trennen, sondern einen Prozeß fördern, der uns in Frieden und Freundschaft in Deutschland und Europa zusammenführt.
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Deshalb hoffen wir auch, daß wir mit unserem Beschluß die demokratischen Kräfte in Polen stärken und die Demokratie dort festigen. Daher sollten wir auch unsere Hand weiter ausgestreckt halten.
Wir stehen vor einer klaren Alternative. Wenn wir Ja sagen, dann geben wir den Weg für die deutsche Einheit, für eine Beschleunigung des europäischen Einigungsprozesses, für ein freundschaftliches Verhältnis zwischen Deutschen und Polen und schließlich für ein offenes Europa frei.
Ich glaube, das offene Europa wird die osteuropäischen Staaten einschließen, und wir werden in diesem offenen Europa die Minderheiten und Heimatrechte gewahrt sehen können und müssen. Wenn wir Nein sagen, dann wäre dies alles nach meiner festen Überzeugung gefährdet. Niemandem wäre damit geholfen; am allerwenigsten den Deutschen in Polen und ihrer kulturellen und nationalen Identität. Deshalb sagen wir in unserer großen Mehrheit als Fraktion ja, wenn auch zum Teil mit Vorbehalten.
Es gibt einige bei uns, die ihre Abwägung anders getroffen haben. Wir haben Respekt vor ihrer Entscheidung und tiefes Verständnis für ihre Gefühle.
Die Vereinbarung zwischen Bundeskanzler Kohl und dem polnischen Ministerpräsidenten vom vergangenen November und die erfolgreiche Deutschlandpolitik der Bundesregierung haben den Grundstein für den gegenwärtigen Prozeß der deutsch-polnischen Beziehungen gelegt.
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Meine Damen und Herren, deshalb leitet die heutige Entschließung nach meinem Verständnis zu dem Vertrag über, den die gesamtdeutsche Regierung schon bald mit der polnischen Regierung schließen wird. Darin kann es im Sinne einer europäischen Perspektive nicht nur um die Grenze gehen.
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Es ist, meine Damen und Herren, nach wie vor wahr, daß jenseits von Oder und Neiße Deutsche leben, die ihre Sprache, Kultur und Geschichte lebendig erhalten wollen. Wem würde es nützen, wenn dies verschwiegen würde? Was würde es für einen Sinn machen, wenn Minderheitenrechte - auch das Niederlassungsrecht - nicht garantiert würden? Wenn wir wirklich gemeinsam mit dem polnischen Volk eine friedliche und freundschaftliche Zukunft entwickeln wollen, dann muß dies alles im beiderseitigen Interesse gelöst werden.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sollten wir nicht heute den Blick auch weit nach vorne - vielleicht ins nächste Jahrtausend - richten? Wenn wir als Volk eine Gemeinschaft auch mit den nach uns Kommenden sind, dann müssen wir bei unserer heutigen wichtigen Entscheidung auch an zukünftige Generationen denken. Auch für sie tragen wir Verantwortung.
Ist es da zu hoch gegriffen, darauf zu bauen, daß wir mit einem Ja und einem späteren Vertrag entscheidend zur Demokratisierung und zum Zusammenwachsen unseres europäischen Kontinents beitragen? Wir erleben epochale Veränderungen in Europa, die wir jetzt nach unseren Kräften mitgestalten können und müssen.
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Ist es da zu hoch gegriffen, darauf zu hoffen, daß nachkommende Generationen dann in einem freien und einem geeinten Deutschland ihr Glück finden? Ich jedenfalls verbinde gerade mit unserer heutigen Entscheidung die Zuversicht auf einen solchen - Bestand habenden - Verlauf unserer Geschichte in Deutschland und Europa.
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Wir haben - ich wiederhole es - Respekt vor denen, die heute nicht zustimmen und die heute draußen in unserem Land bitter sind. Wir aber sehen auch die großen Chancen, die sich mit der vorliegenden Entschließung verbinden und die uns mehrheitlich die Kraft zur Zustimmung geben. Das Ja öffnet die Tür zur Einheit Deutschlands, zu einem vereinten freien und demokratischen Europa und kann zur Aussöhnung mit dem polnischen Volk führen. Wir richten unsere Hoffnungen und Erwartungen auf ein wahrhaftiges Verhältnis zwischen Deutschen und Polen, auf Freizügigkeit über Grenzen hinweg, auf eine gute gemeinsame Zukunft in Deutschland und Europa.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lippelt.
: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein bedeutsamer Vorgang: Die 45jährige Geschichte zweier deutscher Staaten, der Bundesrepublik hier, der DDR dort, mündet wieder ein in die gemeinsame Geschichte einer deutschen Republik. Erst damit gibt es wieder in verpflichtendem Sinne deutsch-polnische Nachbarschaft.
Wir treten heraus aus der bequemen Periode, in der wir hier im entfernten Westen die Freiheitsliebe der Polen bewundern und feiern konnten - vom Posener Aufstand 1953 über die Streiks in den Werften an der Ostsee, in den Gruben Oberschlesiens bis zum Sieg der Solidarność - , in der wir hier in Westdeutschland für Polen die „besseren Deutschen" sein konnten und uns um die Psychologie gelebter Nachbarschaft, um die Aufarbeitung von Vorurteilen und deutscher Arroganz nicht zu kümmern brauchten, während zugleich in der DDR unter der Decke einer ungemütlichen, verordneten Freundschaft die alten Vorurteile konserviert wurden.
Mit dem Einigungsprozeß treten wir wieder ein in die tausendjährige Geschichte einer Nachbarschaft, die Zeiten kulturellen Austausches, aber auch Zeiten blutiger Unterdrückung kannte. Es steht uns nicht an, jenes großzügige Wort zu benutzen, das wir von befreundeter polnischer Seite gelegentlich hören: Man solle doch über den bösen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte nicht vergessen, daß die deutsch-polnischen Beziehungen längere Zeiten des friedlichen Zusammenlebens kannten als solche kriegerischer gewalttätiger Auseinandersetzung.
Es steht uns nicht an, so großzügig auf die ferne Vergangenheit zu verweisen; denn in den letzten 200 Jahren, die doch das Bewußtsein der Deutschen prägten, verlief die Entwicklung deutsch-polnischer Geschichte nur in eine Richtung. Sie war gekennzeichnet von der Teilung Polens und der preußischen Germanisierungspolitik, durch hochmütige Verachtung des 1919 wiedergeborenen Polens als eines „Saisonstaates" , durch Stresemanns Verweigerung eines „Ost-Locarnos", und sie führte dann hinein in die Barbarei faschistischer Ausrottungspolitik.
Es waren 200 Jahre einer arroganten Nachbarschaft, deren Entwicklung sich mit dem Wort Grillparzers beschreiben läßt als Weg von der Humanität über die Nationalität zur Bestialität. Deshalb ist von großer Bedeutung, in welchem Geiste sich jetzt die neue Nachbarschaft gestaltet. Wo knüpft sie an? Wird sie bestimmt vom Überschuß an Nationalismus, der sich in 40 Jahren Unterdrückung in der DDR entwickelte? Oder wird es uns gelingen, die deutsche Gesellschaft, die sich überhaupt erst entwickeln muß, die es noch nicht gibt, im Sinne des Ideals einer weltoffenen, einer für die Nachbarschaft sensiblen Gesellschaft zu gestalten?
Die Vorzeichen für eine gute Entwicklung stehen nicht schlecht. In Polen sind Politiker hervorgetreten, die den deutschen Einigungsprozeß mit Verständnis befürworteten, die ihre Sorgen vor einem Wiederentstehen der Konzentration wirtschaftlicher und politischer Macht in Zentraleuropa zurückstellten, weil ihnen die zukünftige Gestaltung deutsch-polnischer Beziehungen wichtiger war als ein Versuch, diese Entwicklung aus politischem Kalkül zu hemmen.
Da spricht ein Ministerpräsident Mazowiecki von der Versöhnung nach Osten wie nach Westen als Prämisse seiner Politik. „Wir wollen", so sagt er, „die alte Theorie von den beiden Feinden in eine Theorie von den beiden Freunden umwandeln".
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Da schreibt ein Adam Michnik, nötig sei eine neue Perspektive im Denken über die Deutschen und über den deutschen Staat. „Es reicht nicht aus", so schreibt er, „das Bewußtsein mit dem Andenken an das Martyrium zu füllen, und schon überhaupt nicht, das Interesse auf die Grenze an Oder und Neiße zu reduzieren. Wir müssen die fremde Biographie und fremde historische Erfahrung begreifen".
Solche Worte hätte ich mir auch hier gewünscht; denn unsere Politik war leider nicht immer von gleich großzügigen Gesichtspunkten geleitet. Wie lange hat sie sich bei den mehr als zweijährigen Verhandlungen um einen Durchbruch in den deutsch-polnischen Beziehungen von innenpolitischen Bedenken leiten lassen, und wie unbedacht hat der Kanzler den 50. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen verstreichen lassen!
Auch jetzt, wo er und die Mehrheit der Regierungskoalition nun endlich den überfälligen Schritt tun und der Erklärung, die wir hier heute verabschieden, zustimmen, hat er in den letzten Tagen wieder betont, daß dies nur unter dem Druck der internationalen Konstellation geschehe. Herr Bundeskanzler, ich respektiere, daß Sie sich um die breite Zustimmung der CDU/CSU bemühen. Aber diese Zustimmung sollte nicht nur unter dem Druck internationaler Konstellationen oder in einer Art Tauschgeschäft „deutsche Einheit für Oder/Neiße" geschehen,
({1})
sondern sie sollte auch aus der Einsicht in die Nemesis der Geschichte geschehen.
Indem diese Erklärung in Ost-Berlin und hier in Bonn nun gemeinsam verabschiedet wird, hat sie zugleich den Rang des ersten außenpolitischen Dokuments der sich bildenden Nation. Um so mehr müssen wir bemängeln, daß die Fraktion DIE GRÜNEN von den Vorberatungen zu dieser Erklärung ausgeschlossen war. Das war kein guter Stil; ich sage das nach beiden Seiten, auch zur SPD.
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Eine Partei, die immer wieder den Runden Tisch auch in Bonn forderte, hat sich auch in diesem Fall in die Intimität privilegierter Gespräche begeben. Man kann nicht von notwendiger Gemeinsamkeit reden, wenn man bei erster bester Gelegenheit das gemeinsame Interesse der Opposition und der Nation hier mißachtet.
({3})
Dr. Lippelt ({4})
Schämte man sich in der Beratungsrunde vor einer Partei wie der unseren, die in den letzten Jahren die Polenpolitik des Kanzlers immer kritisch begleitet hat, deren Kritik so oft ins Schwarze traf und die, weil der Kanzler dem Datum des 1. September gegenüber versagte, selber nach Polen fuhr?
Wir haben erst vor ein paar Tagen, als die Erklärung schon in die Tagesordnung der nächsten parlamentarischen Woche aufgenommen war, im Auswärtigen Ausschuß auf unserer formellen Beteiligung bestehen können. Der Entwurf der Erklärung wurde uns erst zugänglich, als sie praktisch nicht mehr veränderbar war.
Deshalb muß ich hier noch einige Bemerkungen zur Erklärung selbst machen: Wir finden die Präambel pathetisch. Wir finden vor allem den Parallelismus, der im vierten und fünften Spiegelstrich zwischen den Verbrechen an Polen und denen der Vertreibung hergestellt wird, historisch nicht angemessen.
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Um es deutlich zu sagen: Wir finden es richtig, daß auch das Unrecht benannt wird, das eine Vertreibung aus der angestammten Heimat darstellt; denn auch Heimat ist Menschenrecht. Aber man kann das eine nicht dem anderen gleichstellen,
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weil dann zu schnell die Mentalität der Aufrechnung um sich greift und man beiden Vorgängen, auch dem Vorgang der Vertreibung, nicht gerecht wird.
Man kann nicht in einer solchen Art von der historischen Kategorie von Ursache und Wirkung absehen. Dieser Teil der Präambel ist leider eine Zumutung für diejenigen, denen die Erklärung übersandt wird.
Zweitens. Wir, das Parlament hier in Bonn und die Volkskammer in Berlin, erklären uns gegenüber Polen, in einer parlamentarischen Entschließung. Aber die polnische Seite hat Anrecht auf mehr; sie erwartet zu Recht einen völkerrechtlichen Grenzvertrag. Dieser wird ihr hier zwar angekündigt; aber verweigert wird ihr der Wunsch, dieser Vertrag möge, wie es der polnische Außenminister Skubiszewski genannt hat, den Charakter eines „peace settlement" bekommen, d. h. der Vertrag möge von friedensvertraglicher Qualität sein. Warum eigentlich? Es ist doch sehr einsichtig, daß die polnische Seite dies wünscht. Schon morgen kann irgendein Unbelehrbarer zum Bundesverfassungsgericht gehen und diese Erklärung durch Berufung auf die Präambel des Grundgesetzes relativieren lassen.
Wir denken, noch ist es nicht zu spät. Wir fordern die Regierung auf, sich schon morgen mit der DDR und Polen offiziell ins Benehmen zu setzen, um mit der Formulierung des Grenzvertrags zu beginnen. Wir fordern Sie auf, in Paris auf den Wunsch der polnischen Seite einzugehen und den Vertrag parallel zum Zwei-plus-Vier-Prozeß auszuarbeiten, so daß er integraler Bestandteil des Abschlußdokuments des Zweiplus-Vier-Prozesses werden
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und dann von einem gesamtdeutschen Parlament auch ratifiziert werden kann.
Herr Außenminister, erklären Sie jetzt anschließend nicht, der Zwei-plus-Vier-Prozeß diene lediglich der Aufhebung der alliierten Vorbehaltsrechte. Der Gesamtprozeß, in dem wir uns jetzt historisch befinden, ist der Ersatz für das, was in früheren Zeiten eine Friedenskonferenz gewesen wäre.
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Geben Sie deshalb der wichtigsten Grenzerklärung des 20. Jahrhunderts in Zentraleuropa friedensvertragliche Qualität, indem Sie diese entweder als einen Bestandteil des Schlußdokuments oder mit dem Schlußdokument der KSZE-Konferenz im November vorlegen.
Schließlich: Sprechen Sie mit Polen nicht nur über den Grenzvertrag; geben Sie dem Ausgleich und der Versöhnung mit Polen auch die notwendige moralische Dimension. Regeln Sie endlich die Individualentschädigung für die während des Krieges zur Zwangsarbeit versklavten polnischen Bürger.
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Wir haben Ihnen hier oft erläutert, daß es sich dabei nach polnischer, auch von uns geteilter Auffassung erklärtermaßen nicht um Reparationen handelt, sondern um Wiedergutmachung von NS-Unrecht. Das ist keine Haarspalterei. Die Versklavung der Zivilbevölkerung ist erst eine Erscheinung des faschistischen Jahrhunderts.
Wir haben Ihnen auch gesagt, daß es sich nicht um eine bürokratische Abwicklung handeln darf, sondern um eine Geste, um eine symbolische Entschädigung mit einem pauschalen Betrag handeln muß, der hier wenig ins Gewicht fällt, der jedoch bei den bestehenden Währungsrelationen den Betroffenen in Polen sehr viel bedeuten kann.
({10})
Gestern abend hat das Parlament hier den Verkaufserlös der Salzgitter-AG, der ehemaligen Hermann-Göring-Werke, in eine Umweltstiftung eingebracht. Wir haben beantragt, ein Zehntel des Betrages, einen kleinen Teilbetrag, für einen Fonds zur Entschädigung der Zwangsarbeiter zu reservieren. Die ganze Summe wäre fast das Doppelte dessen, was nach Gesprächen mit der polnischen Seite unseres Erachtens die Entschädigung der Zwangsarbeiter erfordern würde.
Dies sind die drei Beanstandungen, die wir an der Formulierung des Vertrages haben.
Darüber hinaus erlauben Sie mir einen weiteren Gedanken. Grenzfragen, Sicherheitsfragen und Fragen der Rekonstruktion des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens gehören zusammen. Die Lösung der Sicherheitsfrage, so wie sie sich andeutet, zielt auf ein Nachgeben der Sowjetunion gegenüber der Zugehörigkeit Deutschlands zur NATO. Es mag ein Übergangsstadium geben, in dem sowjetische Truppen in der DDR stehenbleiben, es mögen auch die KSZE-Strukturen diesen gesamten Vorgang überwölben; es wird sich aber auf absehbare Zeit bei solchem Vorgang der Konservierung der NATO keine Friedensdividende ergeben,
({11})
Dr. Lippelt ({12})
die man in einen Öko-Marshallplan für Osteuropa umsetzen könnte. Ich denke, gerade dessen bedarf es, wenn man Osteuropa und auch die Sowjetunion nicht einem bald nicht mehr steuerbaren Schicksal überlassen will; denn die Grenze, über die wir hier reden, wird den schlimmen Charakter einer Wohlstandsgrenze haben. Während Polen aus eigener Kraft den schweren Weg der Transformierung des Wirtschaftssystems unter Inkaufnahme großer Verarmungsprozesse gehen muß, helfen wir der DDR in umfassendster Weise. Ich bin gar nicht dagegen. Ich finde das richtig. Nur müssen wir gleichzeitig nach den Mitteln suchen, mit denen wir den Zusammenhang der demokratischen Bewegung in Osteuropa nicht durch eine Wohlstandsgrenze zerreißen.
({13})
Das bedeutet, wir müssen ran an eine andere Lösung der Sicherheitsfrage, die die Friedensdividende freisetzt.
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Es kann deshalb auch nicht darum gehen, daß der Prozeß der Wiederherstellung Deutschlands und seiner Nachbarschaft zu Polen sich als ein Prozeß der Durchsetzung eines nationalen Interesses in einem Augenblick der Schwäche Osteuropas vollzieht. Dieser Prozeß muß seine Einbindung und seine Verantwortung finden. Er kann nicht im Widerspruch von Integration im Westen und Durchsetzung von Sicherheitsinteressen im Osten, sondern muß aus der Verantwortung für die Integration ganz Europas geschehen.
Deshalb - Schlußsatz! - : Je mehr Sie diesen Prozeß mit Elementen friedensvertraglicher Regelungen anreichern, um so besser wird er gelingen.
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Meine Damen und Herren, bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich das Haus davon unterrichten, daß die frei gewählte Volkskammer in Ostberlin bereits ihre Entscheidung über die gemeinsame Entschließung zur deutsch-polnischen Grenze getroffen hat, und zwar mit einer außerordentlich großen Mehrheit, bei der sich 18 Kollegen der Stimme enthalten haben und es sechs Gegenstimmen gegeben hat. Die Entschließung ist dort also schon angenommen worden.
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Nun hat der Bundesminister des Auswärtigen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die heutige Sitzung des Deutschen Bundestages steht in einer ganz besonderen Weise im Zeichen der Präambel unseres Grundgesetzes. Unsere Verfassung gibt uns auf, unsere nationale und staatliche Einheit zu wahren, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen und in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.
Der Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion ist ein bedeutsamer Schritt auf dem Weg zur staatlichen Vereinigung der Deutschen. Jetzt muß sich zeigen, wie einheitsfähig wir hier in der Bundesrepublik Deutschland sind. Sind wir bereit, uns auf Menschen einzustellen, die 40 Jahre einer ganz anderen Erfahrung schon in diese Phase des Einigungsprozesses einbringen?
Zur Vereinigung gehört auch die Solidargemeinschaft aller Deutschen und nicht die Entwicklung zu zwei Neidgemeinschaften der Deutschen.
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Haben nicht die Deutschen in der DDR unsere Last mitgetragen?
Die deutsche Einheit muß mehr sein als die Einführung der D-Mark in der DDR. Die deutsche Einheit hat eine demokratische, eine freiheitliche, eine historische, eine kulturelle und eine moralische Dimension, und sie hat ihre europäische Dimension. Die deutsche Vereinigung muß, wenn sie ein Gewinn für das ganze Europa sein soll, mehr sein als die wirtschaftliche Ausdehnung der Europäischen Gemeinschaft nach Osten.
Es ist nicht ungestümes Drängen, sondern verantwortliches Handeln, wenn der Zeitraum zwischen der wirtschaftlichen und der staatlichen Einheit nicht möglichst lang, sondern so kurz wie innen- und außenpolitisch verantwortbar gehalten wird.
Die deutsche Vereinigung ist auch keine Sache eines deutschen Alleingangs. Sie ist mit der europäischen Entwicklung untrennbar verbunden. Jede Loslösung aus dem europäischen Prozeß wäre ebenso gefährlich wie ein unbegründeter Aufschub der deutschen Einheit, der nämlich auch Aufschub für den europäischen Vereinigungsprozeß bedeuten würde.
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Nicht nationaler Überschwang führt uns Deutsche zusammen, sondern der jedem Volk innewohnende Wille zur Einheit und das Bewußtsein der gemeinsamen Verantwortung für die eigene und die europäische Zukunft.
Die Herstellung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion ist wie die staatliche Vereinigung selbst eingebettet in die äußeren Aspekte der deutschen Vereinigung. Zu dieser Vereinigung wird es kommen, wenn die DDR - und das in eigener Verantwortung - gemäß Art. 23 des Grundgesetzes den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland vollzieht. Art. 23 ist eine Beitritts-, aber nicht eine Einverleibungsbestimmung unserer Verfassung. Die Entscheidung über seine Anwendung liegt nicht in der Hand der Bundesrepublik Deutschland, sondern in der Hand der DDR. Es ist ihre eigene souveräne Entscheidung. Die Menschen dort fordern diese Entscheidung ein.
({2})
Die Bundesrepublik Deutschland hat in dem Moskauer Vertrag mit der Sowjetunion ebenso wie in dem Grundlagenvertrag mit der DDR ihr politisches Ziel bekräftigt, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt. Diese
europäische Einbettung der deutschen Vereinigung hat die deutsche Außenpolitik von Anfang an bestimmt, und sie bewährt sich in diesem entscheidenden Jahr 1990.
Die Entschließung des Deutschen Bundestages und die Entschließung der Volkskammer, die heute zur Verabschiedung stehen, bekunden den Willen der frei gewählten deutschen Parlamente, daß der Verlauf der deutsch-polnischen Grenze nach der Vereinigung durch einen völkerrechtlichen Vertrag endgültig bestätigt wird. Es ist der Verlauf der Grenze, wie er in den von der Bundesrepublik Deutschland und der DDR abgeschlossenen Verträgen und Vereinbarungen festgehalten worden ist. Die förmliche Mitteilung dieser Entschließung durch die Bundesregierung - auch als Ausdruck ihres Willens - und entsprechend durch die Regierung der DDR geben dem polnischen Volk die höchstmögliche Verbindlichkeit unserer Willensentscheidung.
Schon im Warschauer Vertrag haben die Bundesrepublik Deutschland und die damalige Volksrepublik Polen erklärt, daß sie gegeneinander keinerlei Gebietsansprüche haben und solche auch in Zukunft nicht erheben werden. Die deutsch-polnische Grenze ist endgültig.
Das hat der Bundeskanzler als die Botschaft der beiden deutschen Parlamente an das polnische Volk bezeichnet. Der Vertrag, den wir nach der Vereinigung schließen werden, wird diese Botschaft völkerrechtlich verbindlich machen.
Der Warschauer Vertrag war von dem Willen der Bundesrepublik Deutschland gekennzeichnet, den Teufelskreis von Unrecht und wieder Unrecht zu beenden
({3})
und den Weg freizumachen für die europäische Friedensordnung, die das westliche Bündnis schon 1967 im Harmel-Bericht vorgeschlagen hatte.
Der Warschauer Vertrag sollte ein Beitrag zur Schaffung einer dauerhaften Grundlage für ein friedliches Zusammenleben und zur Festigung von Frieden und Sicherheit in Europa sein. Wir wissen, daß nichts von der Bundesrepublik Deutschland und jeder ihrer Regierungen aufgegeben wurde oder aufgegeben wird, was nicht längst vorher schon verloren war,
({4})
verloren durch einen verbrecherischen Krieg und ein verbrecherisches System. Wir sind uns auch bewußt - das schließt alle diejenigen ein, die ihre Heimat verloren haben - , daß dem polnischen Volk von Deutschen und im deutschen Namen großes Unrecht geschehen ist.
Besonders betroffen von der Grenzziehung als Folge des Krieges sind diejenigen, die die schwerere Last unserer Geschichte zu tragen hatten, weil sie die angestammte Heimat verloren haben. Sie haben sich
in ihrem Schmerz nicht zu politischen Irrwegen verleiten lassen.
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Wenn wir heute auf mehr als 40 Jahre einer gefestigten freiheitlichen Demokratie zurückblicken können, so auch deshalb, weil Flucht und Vertreibung, weil das Erleiden von Unrecht nicht zu neuem Nationalismus und neuem Radikalismus geführt hat.
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Das ist der unersetzliche Beitrag gerade der Flüchtlinge und Vertriebenen zur Demokratie und zur Friedensfähigkeit des deutschen Volkes.
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Dieser Beitrag muß zusammen mit dem Anteil genannt werden, den sie hüben und drüben beim Wiederaufbau hatten.
Innerer Bewegung wird sich in dieser Stunde niemand entziehen können, auch nicht derjenige, der seit langem von der Unveränderlichkeit der Grenze überzeugt war, der seit langem von der Notwendigkeit ihrer völkerrechtlichen Anerkennung überzeugt war, der dies oft und auch frühzeitig ausgesprochen hat, nicht leichtfertig und auch nicht leichten Herzens, sondern aus der Verantwortung für das deutsch-polnische Verhältnis und für den Frieden in Europa, und der es aus der Verantwortung gegenüber den Betroffenen mit ihrem Anspruch auf Wahrheit und Klarheit angesprochen hat.
({8})
Wenn wir über die gemeinsame Entschließung zur deutsch-polnischen Grenze beraten, so wollen wir an diesem Tage die Deutschen nicht vergessen, die in Polen leben. Sie sollen wissen, daß die neue europäische Ordnung, die wir wollen, und das neue Verhältnis, das wir uns zu Polen wünschen, auch ihnen ermöglichen soll, sich dort, wo sie leben, in einem Europa der Freiheit und Demokratie zu entfalten und ihre Identität zu bewahren.
Mit den Entschließungen des Deutschen Bundestages und der Volkskammer wird eine der Voraussetzungen geschaffen, die die Lösung der äußeren Aspekte der deutschen Vereinigung möglich machen. Ohne die Endgültigkeit der Oder-Neiße-Grenze gibt es keinen Frieden in Europa und ohne Frieden keine Einheit der Deutschen. So erweist sich an dem Warschauer Vertrag wie auch in der heutigen Entschließung in einer besonders eindrucksvollen Weise die europäische Einbettung unseres deutschen Schicksals. Ohne den Warschauer Vertrag und den Moskauer Vertrag und den Vertrag mit der CSSR und ohne den Grundlagenvertrag mit der DDR wäre die Schlußakte von Helsinki nicht möglich geworden
({9})
und ohne den KSZE-Prozeß nicht die allmähliche Hinentwicklung auf einen Zustand in Mittel- und Osteuropa, in dem die befreiende Politik Gorbatschows den Weg zu Menschenrechten und Demokatie eröffnete.
Die Anerkennung der bestehenden Westgrenze Polens ist unser Beitrag, der Beitrag der Deutschen zur Schaffung einer europäischen Friedensordnung. Er ist Ausdruck unseres Willens zu guter Nachbarschaft zwischen Deutschen und Polen und zu noch viel mehr. Wir Deutschen wollen nichts anderes als in Einheit, Frieden und Freundschaft mit allen Völkern Europas leben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird gerade in diesem Schicksalsjahr, das auf die Freiheitsrevolution des Jahres 1989 folgt, offenkundig, daß die deutsche Vereinigung nicht neue Probleme in Europa schafft, sondern daß sie nicht nur ein schwerwiegendes Problem für uns Deutsche, sondern für ganz Europa überwindet. Die ermutigende Entwicklung in Gesamteuropa beweist das: Die Teilung Deutschlands in zwei Staaten war das dramatische Symbol des Kalten Krieges. Die Vereinigung Deutschlands wird zum Schlüssel für die beschleunigte Schaffung des einen, des freien Europa.
Es ist doch kein Zufall, daß in der Europäischen Gemeinschaft die europäische Union gerade jetzt auf der Tagesordnung steht. Die deutsche Vereinigung wird zum Katalysator für die europäische Einigung. Die Europäische Union gewinnt Gestalt, aber sie wird doch immer nur ein Teil sein des einen Europa, der europäischen Konföderation vom Atlantik bis zum Ural, die wir jetzt schaffen wollen. Beide Prozesse, die Einigung in der Europäischen Gemeinschaft und die Einigung des ganzen Europa, dürfen nicht auseinander-, sondern müssen uns zusammenführen.
({10})
Westeuropäische und gesamteuropäische Einigung dürfen nicht voneinander abgekoppelt werden. Die deutsche Vereinigung hat bei dieser Verklammerung eine historische Schlüsselfunktion: Sie muß Ferment sein für die Ablösung der alten Macht- und Denkstrukturen der europäischen Nachkriegsordnung, Ferment für die Zusammenführung von West-, Mittel- und Osteuropa in einem immer enger werdenden Netzwerk vielfältiger Integrations- und Kooperationsformen für das ganze Europa.
Im Herbst dieses Jahres wird es zu einer KSZE-Gipfelkonferenz kommen. Was vor wenigen Monaten noch zweifelhaft war, wird heute von allen 35 Staaten akzeptiert. Nach unserer Vorstellung wird diese Gipfelkonferenz in der Schlußakte von Helsinki das Recht auf Demokratie und freie Wahlen und die Minderheitenrechte verankern. Sie wird neue Institutionen schaffen, die neue gesamteuropäische Strukturen einschließlich kooperativer Sicherheitsstrukturen ermöglichen. Wir sind uns bewußt, daß dieses größere, dieses eine Europa seine Stabilität nur durch Mitgliedschaft der USA und Kanadas im westlichen Bündnis und durch ihre Teilnahme am KSZE-Prozeß bewahren kann.
Wir wissen auch, daß Stabilität heute mehr ist als militärisches Gleichgewicht. Wir verstehen Stabilität umfassend: politisch, sicherheitspolitisch, wirtschaftlich und ökologisch. Wer wollte von Sicherheit in Europa sprechen, ohne an die Umweltunsicherheit in Europa zu denken? Dieses eine Europa, die europäische Friedensordnung können nicht ohne oder gar
gegen den Willen der Sowjetunion geschaffen werden.
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Ihre volle Einbeziehung in den gesamteuropäischen Prozeß liegt im Interesse aller Teilnehmerstaaten der KSZE, nicht nur der Sowjetunion selbst.
Gegenüber diesem großen Land und seinen großen Problemen; aber auch seinen großen Möglichkeiten muß sich verantwortungsvolle Politik von der Devise leiten lassen: Integration und nicht Isolierung.
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Wir leben auf demselben Kontinent. Gorbatschow hat sein Land zum Westen hin, nach Europa geöffnet; das verlangt unsere europäische Antwort. Sie kann nur lauten: Einbeziehung der Sowjetunion in jeder Art politischer, wirtschaftlicher, ökologischer und technologischer Zusammenarbeit in Europa.
({13})
Die wirtschaftliche Entwicklung Europas läßt sich in einem freien Europa auf Dauer von der wirtschaftlichen Entwicklung der Sowjetunion nicht abkoppeln. Spannungen kann es auch geben, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse unterschiedlich gestalten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben mit unserem Vereinigungsvorgang Verständnis für das Interesse der Sowjetunion, in Sicherheit zu leben. Es wird bei den Wiener Verhandlungen berücksichtigt werden, wenn es um die Stärke der Streitkräfte eines vereinten Deutschland geht. Und es gibt andere Möglichkeiten, diesem Interesse Rechnung zu tragen.
Wenn jetzt die beiden Teile Deutschlands zusammenwachsen, so bringt das für uns Deutsche eine historische Chance. Unsere Mittellage kann zur positiven Entfaltung gebracht werden. Aus der deutschen Vereinigung muß ein Beitrag für ein vereintes Europa werden. Deutschland, nicht als Austragungsort und Schauplatz europäischer Zerrissenheit, nicht als Ausgangspunkt von Machtpolitik, Deutschland, an der Seite Frankreichs fest in der demokratischen Wertegemeinschaft verankert, als Wegbereiter des einen Europas; deutsche Vereinigung nicht als nationaler Egoismus mit hohlem Pathos, sondern in Verantwortung für Europa als Teil Europas: Diesem europäischen Königsweg zur deutschen Einheit und zur deutschen Selbstbestimmung sind wir verpflichtet.
({14})
Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich darauf aufmerksam machen, daß wir über die Beschlußempfehlung des Ausschusses Deutsche Einheit zur polnischen Westgrenze im Zusammenhang mit den anderen anstehenden Abstimmungen heute etwa gegen 22 Uhr befinden werden, und zwar in namentlicher Abstimmung.
({0})
Vizepräsident Westphal
Zur Beratung liegen auf den Drucksachen 11/7430 und 11/7431 Entschließungsanträge der Fraktion der SPD und auf den Drucksachen 11/7435, 11/7460, 11/7463 und 11/7466 Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN vor.
Außerdem hat der Abgeordnete Wüppesahl 560 Änderungsanträge eingereicht.
({1})
500 dieser Anträge sind erst gestern nachmittag vorgelegt worden. Ich muß als amtierender Präsident bestätigen: Es war der Verwaltung technisch nicht möglich, diese Anträge redaktionell und geschäftsordnungsrechtlich zu bearbeiten, zu drucken und zu verteilen. Deshalb liegt dieses Antragspaket in vervielfältigter Fassung in vier Exemplaren im Vorraum aus. Für die Mitglieder des Deutschen Bundestages besteht während des ganzen Tages bis zur Abstimmung heute abend Gelegenheit, Einsicht zu nehmen.
({2})
Die Fraktionen sind hiervon verständigt worden.
Vor dem Beginn der Aussprache gibt es zwei Wortmeldungen zur Geschäftsordnung. Zur Geschäftsordnung hat zuerst der Abgeordnete Wüppesahl das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sehe mich gezwungen, zwei Anträge zur Geschäftsordnung zu stellen, und zwar auf Grund der Verfahrensweise gegenüber meinen Änderungsanträgen.
Ich habe vorgestern 60 Änderungsanträge eingereicht. Sie wurden bis gestern nachmittag vom Parlamentssekretariat bearbeitet, differenziert bearbeitet, so daß entscheidungsreif war, welche zulässig sind und welche unzulässig sein könnten. Diese 60 Änderungsanträge wurden nicht weiter bearbeitet, als die rund 400 - nicht 500 - weiteren Anträge gestern nachmittag von mir eingereicht worden waren. Das muß ich gewissermaßen als eine Art Bestrafungsaktion auffassen.
({0})
- Sie lachen zur Zeit über ein Verfassungsrecht, das mir genauso wie Ihnen zusteht, nämlich auf den Gesetzgebungsgang als Teil des Gesetzgebers Einfluß zu nehmen.
({1})
Ich als fraktionsloser Abgeordneter habe im Gegensatz zu Ihnen nur in der zweiten Lesung von Gesetzesinitiativen die Möglichkeit, Einfluß durch Änderungsanträge zu nehmen.
({2})
- Rund 500 Änderungsanträge sind zu diesem Gesetzeswerk nicht einmal viel. Dort werden mehr als 30, 40 Gesetze berührt. Ich möchte das zur Kenntnis geben. Sie haben selber oder durch Personen Ihres Vertrauens aus Ihren Fraktionen die Möglichkeit gehabt, im Ausschuß Deutsche Einheit Anträge zu stellen, zu reden etc. pp. Ich durfte dort nicht einmal das Rederecht in Anspruch nehmen.
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Deswegen möchte ich den Geschäftsordnungsantrag stellen, daß die vorliegenden Änderungsanträge, von mir gestern und vorgestern eingereicht, so behandelt werden, wie es die Geschäftsordnung des Bundestags auf der Grundlage des Grundgesetzes vorsieht. Dort ist zwingend formuliert, daß jeder Änderungsantrag eine Drucksachennummer erhält.
Mein zweiter Geschäftsordnungsantrag - ich bitte, über beide einzeln abzustimmen - lautet, die Anträge jedem Abgeordneten ins Fach zu legen. Es darf nicht sein, daß dort vier Exemplare sämtlicher Änderungsanträge ausliegen und sich jeder die Mühe machen muß, dort hinzugehen und durchzulesen, was er für sinnvoll erachtet.
({4})
Jetzt noch ein Kriterium zur Begründung meiner Geschäftsordnungsanträge. Ich bin einigermaßen entsetzt, wie wurstig mit meinen Änderungsanträgen vom Präsidium bisher umgegangen wurde. Es gibt zwar die Möglichkeit, mit Zweidrittelmehrheit im Plenum zu beschließen, daß von der Geschäftsordnung abgewichen wird. Dies hat jedoch seine Grenzen an den verfassungsrechtlichen Bestimmungen. Die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sehen eindeutig vor, daß jedem Abgeordneten die Möglichkeit gegeben werden muß, auf den Gesetzgebungsakt Einfluß nehmen zu können.
Diese Zweidrittelmehrheit, selbst wenn sie zustande kommen sollte, wäre verfassungswidrig und liegt bisher noch nicht vor, so daß ich deshalb um so entsetzter bin, daß das Präsidium bis jetzt noch keine Anstalten gemacht hat, zumindest das, was technisch zu bewältigen gewesen wäre, als Drucksache mit einer entsprechenden Nummer in den Geschäftsgang zu geben und in die Fächer der Kolleginnen und Kollegen gelangen zu lassen.
Wenn das Plenum beschließen sollte, was ja denkbar wäre, daß Änderungsanträge von mir unzulässig seien, dann kann dies nicht in der Art und Weise geschehen, daß über alle jetzt rund 460 Änderungsanträge mit einer einzigen Abstimmung befunden wird, weil selbst nach den Kriterien der Verwaltung - das weiß ich nun zuverlässig - weit über 250 Änderungsanträge die geschäftsordnungsmäßig erforderlichen Vorgaben erfüllen.
Ich bitte also darum, daß meine Verfassungsrechte gewahrt werden, daß das, was an technischen Möglichkeiten vorhanden ist, ausgeschöpft wird
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und daß nicht, wie es jetzt geschehen ist, Herr Bötsch, im Gegenteil die vorhandenen technischen Möglichkeiten nicht einmal genutzt worden sind.
An der rechtlichen Qualität der Tatsache, daß ich als Teil des Gesetzgebers Änderungsanträge zur zweiten Lesung eingereicht habe, ändert auch nichts der UmWüppesahl
stand, ob ich zehn oder 500 Änderungsanträge einreiche. Die rechtliche Qualität ist hier eindeutig. Persönliche Wertungsmaßstäbe wie „Es mag mißbräuchlich sein" etc. pp., was ich von der Substanz her auch noch in Abrede stelle, wie bereits begründet, können nicht der Maßstab dafür sein, wie mit meinem Verfassungsrecht umgegangen wird.
Noch einmal, um das in Erinnerung zu rufen: Ich bitte erstens, meinem ersten Geschäftsordnungsantrag zuzustimmen, daß diese Änderungsanträge jetzt so behandelt werden, wie es in unserem Hause üblich ist, also daß jeder Antrag eine Drucksachennummer erhält,
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und zweitens, daß diese Änderungsanträge dann so in den Geschäftsgang kommen, wie es normalerweise üblich ist, wobei jetzt schon wertvolle Zeit verspielt worden ist, weil die Kolleginnen und Kollegen frühestens heute davon Kenntnis nehmen können.
Herr Abgeordneter, auch wenn Sie ein Teil dieses Parlaments sind, ist Ihre Redezeit jetzt vorüber und beendet.
Das war auch mein Schlußsatz.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({0})
Meine Damen und Herren, ich möchte zunächst sowohl die Verwaltung als auch das Präsidium in Schutz nehmen vor dem unzutreffenden Vorwurf des wurstigen Umgangs mit dem, wovon der Abgeordnete Wüppesahl hier gesprochen hat.
({0})
Ich habe keine Wortmeldungen mehr vorliegen. Also komme ich zur Abstimmung über die Geschäftsordnungsanträge.
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- Zu diesem Geschäftsordnungsbeitrag haben Sie sich gemeldet? Das ist Ihr gutes Recht. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sicherlich ungewöhnlich, daß wir hier zu diesem Paket, das wir heute beraten sollen, eine große Anzahl vieler Einzelanträge haben. Ich will auch keine inhaltliche Bewertung dieser Einzelanträge vornehmen. Das werden wir in der Debatte tun.
Ich kann mich allerdings nicht des Eindrucks erwehren - nach reiflicher Überlegung; wir haben einige Minuten und Stunden darüber diskutiert und beraten, auch gestern abend noch, weil der Fakt ja gestern abend schon bekannt war - , daß das Recht besteht, daß jeder Abgeordnete Änderungsanträge stellen kann.
({0})
Wir sollten uns überlegen, wie wir damit korrekt verfahren. Die korrekte Verfahrensweise, auf die wir jetzt als einzige bedacht sind, ist, daß die Anträge entweder jedem Abgeordneten und jeder Abgeordneten zugänglich gemacht werden oder - das ist eine Alternative, die die Geschäftsordnung auch vorschreibt -, daß die Anträge, wenn sie nicht verteilt werden, vorgelesen werden.
({1})
- Das entspricht der Geschäftsordnung, die sich dieser Bundestag gegeben hat. Daran kommen wir so ohne weiteres nicht vorbei. Das ist nun einmal das Recht eines einzelnen Abgeordneten, auch wenn es sehr unbequem für uns und insbesondere für die heutige Beratung ist. Ich denke, daran können wir nicht so einfach vorbeigehen.
Unsere Fraktion hat - allerdings aus inhaltlichen Gründen - wohlweislich beschlossen, keine Änderungsanträge zu stellen, weil wir diesen Staatsvertrag aus seiner Intention heraus für nicht veränderbar halten. Wenn jemand die Entscheidung trifft, Änderungsanträge zu stellen, dann darf uns das aber nicht daran hindern, zuzulassen, daß er diese Anträge auch stellt. Von daher wird meine Fraktion dem Geschäftsordnungsantrag zustimmen.
({2})
Meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß jedem Abgeordneten die Möglichkeit gegeben ist, von diesem Paket von Anträgen ordnungsgemäß Kenntnis zu nehmen. Das geschieht zwar nicht in der Weise, daß die Anträge in das Fach eines jeden Abgeordneten verteilt werden, sondern durch die Kenntnisnahme draußen vor der Tür, wenn man dies will. - Man kann auch alles übertreiben
({0})
und dadurch Parlamentarismus ad absurdum führen. Dafür dürfen wir uns nicht hergeben.
({1})
Ich komme jetzt zur Abstimmung. Wer dem Geschäftsordnungsantrag des Abgeordneten Wüppesahl, seine Änderungsanträge mit Drucksachennummern zu versehen und in die Fächer der Abgeordneten zu verteilen, zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen und bei Zustimmung eines Teils der Fraktion DIE GRÜNEN ist der Geschäftsordnungsantrag des Abgeordneten Wüppesahl mit seinen beiden Teilen mit großer Mehrheit abgelehnt worden.
Gehe ich recht in der Annahme, daß sich der Abgeordnete Häfner noch zur Geschäftsordnung zu Wort gemeldet hat? - Bitte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Präsident! Sehen Sie es uns bitte nach, wenn wir Sie noch mit einem kurzen Geschäftsordnungsantrag konfrontieren wollen.
({0})
Wir möchten Sie bitten, bei dieser Debatte eines nicht zu vergessen: nicht diejenigen zu vergessen, die
am Anfang standen und durch die das, worüber wir heute sprechen, überhaupt erst möglich wurde. Das sind die Menschen, die die friedliche und demokratische Revolution in der DDR ermöglicht haben, die die Beseitigung des vormundschaftlichen Staates erkämpft haben. Dazu gehört noch mehr Mut, als hier im Parlament schließlich über die Dinge abzustimmen.
({1})
- Nein. - Wir sollten das bei all dem, worüber wir heute sprechen, nicht vergessen. Und wir sollten erst recht nicht die Menschen vergessen, um die es bei den heutigen Entscheidungen vor allem geht, nämlich die Menschen in der Deutschen Demokratischen Republik.
({2})
Auf der Tribüne sitzt im Moment Herr Professor Jens Reich, Abgeordneter der Volkskammer.
({3})
- Jetzt warten Sie doch einmal einen kleinen Moment. - Er ist einer der führenden Aktivisten und Sprecher der friedlichen demokratischen Revolution in der DDR.
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Wir möchten Sie bitten, in Abweichung von der Geschäftsordnung Herrn Professor Reich die Gelegenheit zu geben, hier zu uns zu sprechen. Wir wissen, daß das auf Bedenken stößt; wir wissen aber auch, daß es parlaments- und verfassungsrechtlich möglich ist, dies in Abweichung von der Geschäftsordnung zu beschließen. Wir hoffen, daß Sie dem zustimmen werden, weil wir meinen, daß es eine gute Geste, ja bei dem Thema des heutigen Tages eigentlich eine Selbstverständlichkeit wäre, wenn auch ein Abgeordneter aus der DDR hier sprechen könnte.
Wir wissen auch, daß das nicht mehr zwischen den Fraktionen abgesprochen werden konnte,
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weil es ein sehr kurzfristig entstandenes Ansinnen war. Wir bitten Sie, uns dies nachzusehen. Wir meinen auch, daß eine solche Entscheidung nur im Konsens und nicht im Streit gefällt werden kann und sollte.
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Wir bitten Sie deshalb um Ihre Zustimmung zu unserem Antrag.
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Wir halten es wirklich für ein Gebot der Stunde, für äußerst wünschenswert und eigentlich für selbstverständlich, daß wir einem Mitglied der Volkskammer und einem der bedeutenden friedlichen Aktivisten der Revolution in der DDR hier diese Gelegenheit einräumen.
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Meine Damen und Herren, ich freue mich, daß einer unserer Kollegen aus der Volkskammer auf unserer Tribüne ist, und begrüße ihn herzlich.
({0})
Er wird großes Verständnis dafür haben, daß wir nach unserem Grundgesetz - nicht nur nach der Geschäftsordnung - das Rederecht in diesem Parlament organisiert haben. Das heißt, daß das Reden hier den Abgeordneten des Deutschen Bundestages und den Mitgliedern der Regierung vorbehalten ist. Wir können nicht beschließen, daß hier jemand anders redet, es sei denn gegen unser Grundgesetz.
Zweitens möchte ich hinzufügen: Bringen Sie uns bitte nicht in die Verlegenheit - das läuft ja über einen Geschäftsordnungsantrag - , hier gegen das Rederecht eines uns befreundeten Abgeordneten der Volkskammer stimmen zu müssen.
({1})
Nehmen Sie deshalb bitte zur Kenntnis, wenn der Präsident dies allein entscheidet auf der Basis des Grundgesetzes.
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Ich habe den Überblick und kann sehen, daß ein Geschäftsordnungsantrag mit einer über die Zweidrittelmehrheit hinausgehenden Abstimmungsniederlage zu rechnen hätte. Ersparen Sie mir dies bitte.
Sie sind einverstanden, daß ich fortfahre und die Aussprache eröffne? - Das ist der Fall.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst dem amtierenden Präsidenten für die würdige Art, in der er diese Diskussion zu Ende gebracht hat, sehr herzlich danken
({0})
und möchte hinzufügen: Demokratie lebt auch von der Geduld der Demokraten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands bekennt sich in beiden Teilen unseres Landes zur deutschen Einheit.
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Wir wollen diese Einheit jetzt in Freiheit vollenden. Die Einheit der Deutschen - das füge ich hinzu - ist für uns kein Selbstzweck. Sie ist kein Wert, der anderen Werten, etwa dem Frieden oder der Freiheit, übergeordnet ist und deshalb keiner weiteren Rechtfertigung bedarf. Wir wollen die Einheit um der Menschen willen.
({2})
Wir wollen sie, weil sie das friedliche Zusammenleben nicht nur der Deutschen, sondern auch unserer Nachbarn, aller Europäer, erleichtert und ihrem Wohlergehen dient. Wir wollen sie, weil ein geeintes DeutschDr. Vogel
land in einem geeinten Europa mehr zur Bewältigung der großen Menschheitsaufgaben beitragen kann.
({3})
Vergessen wir auch an diesem Tage nicht: Daß wir heute auf dem Wege zur deutschen Einheit sind, verdanken wir zuerst und vor allem dem, was zunächst in Polen, in der Tschechoslowakei, in Ungarn und unter Führung Michail Gorbatschows in der Sowjetunion in Gang gekommen ist
({4})
und was ohne die Ost- und Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt und Helmut Schmidt und ohne den Helsinki-Prozeß nicht in Gang gekommen wäre.
({5})
Das hat noch am Sonntag in ihrer eindrucksvollen Rede auf der Gedenkveranstaltung zum 17. Juni die Präsidentin der Volkskammer ausdrücklich bestätigt.
Wir verdanken es sodann den Gruppen, die in der DDR für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung eingetreten sind, den Gruppen, die - wie die christlichen Friedensbewegungen - solche Einsichten und Erfahrungen im besonderen Maße verkörpern und sich schon zu Beginn der 80er Jahre unter dem Ruf „Schwerter zu Pflugscharen" zusammenfanden.
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Sie vor allem haben entscheidend dazu beigetragen, daß ein unerträglich gewordenes System hinweggefegt und die Mauer zum Einsturz gebracht wurde.
Die deutsche Einigung kann aber auch helfen, die Teilung Europas zu überwinden. Sie mindert die Konfrontation und macht den Frieden sicherer. Sie macht radikale Abrüstung und drastische Senkungen der Rüstungsausgaben überall in Europa, vor allem auch bei uns möglich.
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Sie bringt uns einer umfassenden Europäischen Union, d. h. also den Vereinigten Staaten von Europa, die wir Sozialdemokraten bereits 1925 in unserem Heidelberger Programm gefordert haben, ein gutes Stück näher. Deshalb wollen wir die deutsche Einigung gerade auch als Teil der europäischen Einigung - nicht aus nationalem Egoismus, nicht auf Kosten anderer Völker und schon gar nicht als Ausdruck eines nationalen Triumphes. Auch darum begrüßen wir, daß wir heute endlich - gemeinsam, in Einstimmigkeit - zu der Aussage über die Endgültigkeit der polnischen Westgrenze kommen, die wir schon lange gefordert haben.
({8})
Wir wollen die deutsche Einheit nicht so, wie Bismarck das Deutsche Reich, den Nationalstaat von 1871, schuf - damals als Ausdruck des Machtwillens und einer restaurativen Staatsauffassung, die damals
im Inneren spaltete, was sie nach außen vereinigte. Wir wollen die deutsche Einheit als Ausfluß eines allgemeinen Menschenrechtes, das allen Völkern zusteht, nämlich als Ausfluß des Selbstbestimmungsrechtes.
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Wir wollen sie nicht als Akt der Obrigkeit, wie es 1871 der Fall war, sondern als Akt des Volkes unter der Devise „Wir sind das Volk", der Devise, unter der die erste demokratische Revolution auf deutschem Boden siegreich und erfolgreich war.
Auf dieser Grundlage streiten wir mit Ihnen über die deutsche Einigung. Aber wir streiten nicht über das Ob, wir streiten über das Wie. Wir streiten nicht über das Ziel, sondern über den besten Weg dorthin.
({10})
Nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Wer Ihre Politik, die Politik des Bundeskanzlers, in konkreten Punkten ablehnt, wer beispielsweise zu diesem Staatsvertrag nein sagt, ist noch lange kein Gegner der deutschen Einheit. Diese Gleichsetzung ist unzulässig.
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Und wer nationales Pathos schwer erträglich findet und für mehr Nüchternheit eintritt, ist noch lange kein schlechter Deutscher.
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Das gilt auch für den Staatsvertrag, über den wir heute entscheiden. Auch hier geht es um das Wie. Wir alle - auch die aus unseren Reihen, die am Ende dieses Tages mit Nein stimmen werden - sagen: Es ist vernünftig, mit der Verwirklichung der Einheit auf den Gebieten zu beginnen, die für das tägliche Leben der Menschen wesentlich sind, also auf dem Gebiet der Wirtschaft, der sozialen Sicherheit und der Umwelt, auch auf dem Gebiet der Währung. Darüber streiten wir nicht.
Worüber wir streiten und uns in demokratischer Weise zur Meinungsbildung auseinandersetzen - das ist nämlich der Vorzug und das Privileg der Demokratie, daß diese Auseinandersetzung möglich ist -,
({13})
das ist der abrupte, unflankierte Übergang von einem System in das andere, das ist die Frage, ob es richtig ist, die Schleusen von einem Tag auf den anderen mit einem Ruck zu öffnen; ob die Schutz- und Anpassungsmaßnahmen ausreichend sind; ob es als Folge des von Ihnen gewählten Weges nicht zu tieferen sozialen Brüchen und Erschütterungen kommen wird als unvermeidbar; ob nicht mehr Betriebe zusammenbrechen und mehr Menschen arbeitslos werden, als das ohnehin unvermeidlich ist. Die Frage muß doch gestellt und von Ihnen ertragen werden, damit wir uns damit auseinandersetzen.
({14})
Sie wissen doch selber, daß ernst zu nehmende Experten das befürchten und bis in die letzten Tage hinein gewarnt haben. Kein anderer als Herr Pohl, der
Wirtschaftsminister der DDR, hat erst am 15. Juni 1990 die Vermutung geäußert, die Arbeitslosigkeit in der DDR werde alsbald auf etwa 1 Million steigen. Und es kommt doch nicht von ungefähr, daß Herr Kollege Haussmann die Zahl der Arbeitslosen vor zwei Tagen sogar auf 1,8 Millionen vorausgeschätzt und die deutsche Wirtschaft kritisiert hat, weil sie sich nicht genügend investitionsbereit zeige.
({15})
- Entschuldigung, man wird doch einen Wirtschaftsminister zitieren dürfen.
({16})
Es kommt doch nicht von ungefähr, daß Herr Stolpe in einer eindrucksvollen Festrede zum 17. Juni mit Betonung gesagt hat, die Arbeitsförderung ohne Zwischenarbeitslosigkeit sei die wichtigste innergesellschaftliche Friedensfrage.
({17})
Dazu hat doch nicht nur die eine Seite dieses Hauses applaudiert, dazu haben Sie doch alle im Schauspielhaus in Berlin applaudiert. Das kann man doch nicht einfach beiseite schieben.
Der saarländische Ministerpräsident hat doch recht, wenn er diese Sorgen artikuliert, wenn er diese Sorgen ausspricht.
({18})
Ob es Ihnen behagt oder nicht: Er drückt doch nur aus, was viele Menschen bei uns und in der DDR empfinden. Es ist doch Sinn der Demokratie, daß solche Empfindungen ausgesprochen und zum Gegenstand der Debatte werden.
({19})
Zu dieser Kritik sind wir um so mehr berechtigt, als das Konzept, mit dem wir es jetzt zu tun haben, ohne unsere Mitwirkung entstanden ist. Sie haben im Gegenteil diese Mitwirkung, zu der wir bereit waren, zu der ich mich im Namen meiner Fraktion hier und an anderer Stelle immer wieder bereit erklärt habe, über viele Monate hin ausdrücklich abgelehnt.
Auch die Länder sind an der Gestaltung des Konzeptes nicht beteiligt worden. Die Termine, die Sie, Herr Kollege Seiters, immer nennen, waren bestenfalls Informationstermine, aber doch nicht Gelegenheiten zur Mitgestaltung, zur Veränderung und zur Einbringung von Vorschlägen.
({20})
Das hat sich erst nach dem 13. Mai 1990 geändert
- das räume ich ein - , und zwar nicht so sehr aus besserer Einsicht, sondern weil die niedersächsischen Wählerinnen und Wähler dies durch die Veränderung der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat erzwungen haben.
({21})
Bis dahin - die Feststellung kann ich Ihnen nicht
ersparen - haben Sie die deutsche Einigung weithin
als eine persönliche, als eine fast private Angelegenheit angesehen, auch als ein Instrument zur Befestigung der Macht Ihrer Partei und als Instrument
- das war der Sache nicht angemessen - zur Bekämpfung der deutschen Sozialdemokratie.
({22})
Deshalb haben Sie das Konzept, nach dem jetzt vorgegangen werden soll, und die großen Risiken, die mit ihm verbunden sind, zu verantworten; Risiken, die in erster Linie die Menschen in der DDR betreffen, die aber auch unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger in der Bundesrepublik berühren und die nicht wenige in der einen oder anderen Form, etwa in der Gestalt hoher Zinsen, schon zu fühlen bekommen.
Natürlich wissen wir: Der Übergang von der Kommandowirtschaft zu einer sozialen und ökologisch verpflichteten Marktwirtschaft ist nicht ohne tiefe Umstellungsprozesse und nicht ohne Risiken möglich. Wir wissen auch: Eine ganz elementare Vorentscheidung, von der vieles abhängt, ist erfreulicherweise schon am 9. November letzten Jahres mit der Öffnung der Grenzen und mit dem Fall der Mauer getroffen worden.
Außerdem sagen wir klipp und klar: Für den katastrophalen wirtschaftlichen und ökologischen Zustand der DDR, für die Vergiftung der dortigen Gesellschaft durch die abgefeimten Praktiken des sogenannten Staatssicherheitsdienstes - diese psychische Vergiftung der Gesellschaft wird uns alle miteinander noch viel länger beschäftigen als die Verseuchung des Bodens durch Umweltlasten
({23})
- und dafür, daß an zu vielen Schaltstellen noch die alten Kader sitzen, sind nicht die verantwortlich, die sich jetzt in der DDR und in der Bundesrepublik darum bemühen, diese Zustände zu überwinden. Die Verantwortung dafür tragen allein die SED und die Blockparteien, darunter natürlich auch die Ost-CDU und die Ost-LDPD.
({24})
Ich füge hinzu: Es ist nackte Heuchelei, wenn jetzt ausgerechnet die SED-Nachfolgerin PDS als angebliche Beschützerin derer Auftritt, an deren Ängsten, Sorgen und Nöten sie selber in erster Linie schuld ist.
({25})
Es ist aber auch schwer zu verstehen, daß für die LDPD der Regierung ein Justizminister - jedenfalls bis zum heutigen Tage - angehört, der schon unter Ulbricht in demselben Amt schweres Unheil angerichtet hat.
({26})
Wir meinen: Der SED-PDS stünde es besser an, zu schweigen und ihr noch immer gewaltiges Vermögen für die wenigstens teilweise Wiedergutmachung dessen zur Verfügung zu stellen, was sie den Menschen
angetan hat, vor allem denen, die Verfolgung und Haft in der Vergangenheit erdulden mußten.
({27})
Diese SED-PDS täte besser daran, sich zu dem ungeheuerlichen Vorwurf zu erklären, daß unter ihrer Verantwortung mehrfacher Morde beschuldigten Terroristen Unterschlupf, ja ein Leben voller Privilegien und sogar die Möglichkeit zur ungestörten Fortsetzung ihrer mörderischen Aktivitäten gewährt wurden. Ein Verhalten, das an Niedertracht kaum zu überbieten ist.
({28})
Ich werde jeden deutschen Politiker hier in der Bundesrepublik - gleich welcher Couleur - gegen die Behauptung in Schutz nehmen, daß er dies gewußt oder auch nur für möglich gehalten hätte. Ich füge hinzu: Dies muß unverzüglich zum Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen drüben und hüben gemacht werden.
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Aber darum geht es heute nicht. Wahrscheinlich - das hat der Beifall gezeigt - ist sich auch über das, was ich soeben gesagt habe, das ganze Haus einig. Es geht nicht um das, wofür andere verantwortlich sind. Es geht um die Risiken, die mit dem vorliegenden Staatsvertrag verbunden sind, und zwar nicht um die unvermeidbaren, die in jedem Fall eingetreten wären, sondern um die vermeidbaren.
Wir haben sogleich nach Bekanntwerden des ersten Entwurfes zum Staatsvertrag alles unternommen, damit diese Risiken vermindert werden, und zwar in enger Kooperation, im Einvernehmen mit den Sozialdemokraten in der DDR. Den Sozialdemokraten in der DDR und diesem Zusammenwirken ist es zu danken, daß aus der zunächst lediglich vorgesehenen sozialrechtlichen Einzelregelung, die, wie die Denkschrift auswies, nur ergänzend zur Währungsunion hinzutreten sollte, eine Sozialunion geworden ist, die diesen Namen verdient.
Die Lohnzuschläge, die in der DDR bei niedrigem Einkommen ab 1. Juli 1990 gezahlt werden sollen, der Vertrauensschutz für die Mindestrente - das ist es nämlich, auch wenn der Ausdruck vermieden wird -, die Pflicht zur Aufstellung von Sozialplänen bei Massenentlassungen, das Inkrafttreten des gesamten Kündigungsschutzrechtes - das alles fehlte in der ersten Vorlage der Bundesregierung und ist erst nachträglich eingefügt worden. Dafür wollte die Bundesregierung die Zulässigkeit der Aussperrung ausdrücklich festgestellt haben. Das ist erst auf unseren gemeinsamen Einspruch drüben und hüben gestrichen worden.
Das alles ist einigermaßen erhellend. Es zeigt, was der Bundesregierung von Anfang an am Herzen lag und was erst auf Druck und Forderung nachträglich hineingekommen ist. Es zeigt, daß das Prinzip der Zweitdrittelgesellschaft, das uns hier zu schaffen
macht, drauf und dran war, auch in die DDR transferiert zu werden.
({30})
Bemerkenswert ist des weiteren, daß in der Präambel des Staatsvertrages eine ganz zentrale Feststellung fehlte, nämlich die Feststellung, daß der Vertrag überhaupt nur dank der Tatsache geschlossen werden kann, daß in der Deutschen Demokratischen Republik im Herbst 1989 eine friedliche, demokratische Revolution stattgefunden hat. Auch zur Aufnahme dieser Feststellung ist die Bundesregierung erst von drüben und von uns gedrängt und veranlaßt worden.
({31})
- Entschuldigung, das sind die nackten Tatsachen.
({32})
Legen Sie doch bitte nebeneinander den ersten Entwurf, den Herr Seiters uns allen übermittelt hat, und das schließliche Ergebnis, und fragen Sie, wer die Aufnahme dieser Feststellung verlangt hat.
({33})
Wir haben weitere Verbesserungen verlangt. Das waren und sind unsere hauptsächlichen Forderungen: Erstens. Es muß verhindert werden, daß Überlebens- und konkurrenzfähige Betriebe zusammenbrechen, weil ihnen in der kritischen Anfangsphase nicht geholfen wird. Jeder Betrieb, der gerettet wird, bedeutet weniger Arbeitslose und mehr Hoffnung für die Menschen in der DDR. Das ist entscheidend.
({34})
Daß es auch für uns eine Kostenersparnis bedeutet, rangiert für mich deutlich an zweiter oder dritter Stelle.
Zweitens. Die katastrophalen Umweltverhältnisse in der DDR müssen energisch verbessert werden. Das hilft übrigens den Menschen - da sind wir uns ja einig - in beiden Teilen Deutschlands. Deshalb muß die Umweltunion den gleichen Rang erhalten wie die anderen Unionen. Sie darf nicht nur als Anhängsel betrachtet werden.
({35})
Drittens. Die Milliardenvermögen der SED, die dreistelligen Millionenvermögen der Ost-CDU, der anderen Blockparteien und der sogenannten Massenorganisationen müssen für Zwecke der Allgemeinheit herangezogen werden.
({36})
Es darf doch nicht sein, daß die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik deshalb höhere Leistungen erbringen, weil Herr Gysi weiterhin 10 000 Parteiangestellte beschäftigen will, wie er das öffentlich erklärt, oder weil er die Schalck-Golodkowski-Firmen in Liechtenstein, in Portugal oder sonst irgendwo - auch
in der Bundesrepublik, auch im südlichen Teil der Bundesrepublik - nicht herausrücken will.
({37})
- Zu der Frage, wer mit Herrn Schalck-Golodkowski verhandelt hat, sollten Sie sich lieber einmal hier vorne bei der CSU erkundigen.
({38})
- Ist Ihnen der Name März irgendein Begriff? Wir wollen die Sache dann vielleicht bei anderer Gelegenheit weiterverhandeln.
Es darf auch nicht sein, daß die Ost-CDU ein Vermögen behält, das ihr Generalsekretär auf mehrere Hundert Millionen schätzt.
Viertens. Außerdem muß den Spekulanten das Handwerk gelegt werden, den Umtauschspekulanten, aber auch den Bodenspekulanten, die sich ja schon in der DDR tummeln.
Auf allen vier Gebieten hat es erfreulicherweise Bewegungen gegeben. Die Parteivermögen sind beschlagnahmt. Ich erkenne ausdrücklich an, daß die hiesige CDU die Beschlagnahme auch des Vermögens der Ost-CDU mit gefordert und unterstützt hat. Ich erkenne das ausdrücklich an.
({39})
Die Umweltbestimmungen sind ergänzt und verbessert. Vier Blöcke des Kernkraftwerks Greifswald sind stillgelegt, der fünfte wird alsbald folgen. Für die Erhaltung überlebensfähiger Betriebe und die Vermeidung von Arbeitslosigkeit ist ebenfalls Zusätzliches geschehen, so durch Maßnahmen, die die DDR- Produkte in bestimmten Branchen für eine kurze Übergangszeit - es kann nur eine kurze Zeit sein - steuerlich begünstigen, und vor allem durch eine Kurzarbeiterregelung, die als Überbrückungsmaßnahme auch die Einrichtung von Beschäftigungsgesellschaften möglich macht, also gerade das, was Herr Stolpe als ganz besonders wichtig zur Vermeidung von Zwischenarbeitslosigkeit gefordert hat.
({40})
Das begrüßen wir, weil es die Risiken mindert.
Uns ging es dabei gar nicht um die Frage, ob der Text des Staatsvertrags oder des Ratifizierungsgesetzes geändert wird. Das ist eine Frage, die Sie hochgespielt haben. Uns ging es darum, daß der Übergang in der Zeit nach dem 1. Juli 1990 schonender gestaltet wird. Dafür sind - und ich glaube, darüber sind wir uns doch einig - Gesetzgebungsmaßnahmen in der DDR wichtiger als die eine oder andere Textkorrektur. Solche Maßnahmen der DDR, für die ich der Volkskammer und der Regierung der DDR hier danke, hat es in beträchtlichem Umfang gegeben. Übrigens - obwohl Sie das mit großem Eifer ständig in Abrede stellen - haben Sie ja selbst den Text des Vertragswerks in letzter Minute noch geändert. In einer Bestimmung, die Sie erst am vergangenen Freitag im Ausschuß Deutsche Einheit in den Entwurf eingefügt und sogar an den Beginn des Ratifizierungsgesetzes gestellt haben - es ist jetzt der zweite Artikel des Ratifizierungsgesetzes - , in dieser Bestimmung haben Sie jetzt ausdrücklich mit der DDR vereinbart, daß sich die Durchführung der Wirtschaftsunion - man höre - an der Sozialpflichtigkeit des Eigentums, am sozialen Wohn- und Mietwesen, am Verbraucherschutz, am Ausbau der Infrastruktur, an Schutz- und Umstellungsfristen, an der Einführung eines Vergleichs- und Vertragshilfeverfahrens und - wörtllich - am Vorrang einer aktiven Arbeitsmarktpolitik vor der bloßen Arbeitslosenunterstützung zu orientieren hat.
Das stimmt weithin wörtlich mit den Inhalten, ja mit den Formulierungen überein, die von unserer Seite bei den Verhandlungen im Bundeskanzleramt und im Bundesrat gefordert worden sind. Diese Formulierungen sollen heute beschlossen werden. Das begrüßen wir. Das zeigt, daß dies eben bisher nicht im Vertragswerk stand; sonst würden Sie diese Formulierungen ja heute nicht beschließen.
Ebenso haben Sie die Bestimmungen über die Beteiligung der Länder im Regierungausschuß und im Schiedsgericht entsprechend unseren Forderungen geändert. Hören Sie also bitte mit dem Märchen auf, Sie hätten mit uns nur ein bißchen geplaudert oder ein Frühstück mit uns eingenommen und Sie hätten nichts verändert. Das ist schlicht die Unwahrheit. Ihr eigener Beschluß widerlegt Sie.
({41})
Natürlich ist es wahr, daß Sie bedauerlicherweise nicht alle unsere Forderungen erfüllt haben. So wäre es besser gewesen, wenn für die Schulden überlebensfähiger Betriebe eine umfassendere Regelung getroffen worden wäre, etwa durch die Übernahme weiterer Teile der Schulden auf das Treuhandvermögen. Unzulänglich sind zu unserem großen Bedauern auch die Interessen der Frauen in der DDR gewahrt.
({42})
Den Frauen - das hören Sie doch genauso wie wir - wird im Augenblick in der DDR überall zuerst gekündigt, und sie werden auch dort alleingelassen, wo es möglich wäre, ihnen zu helfen.
Ob den Spekulanten wirklich wirksam begegnet worden ist, wird sich zeigen. Wir hätten es Stasi- und SED-Funktionären schwerer gemacht, ihre Beute in D-Mark umzutauschen. Auch das Bodenrecht hätten wir so gestaltet, daß sich die Hunderttausende, die sich gutgläubig auf Grundstücken, die ihnen der Staat verkaufte, ein Eigenheim gebaut oder ein Nutzungsrecht erworben haben, weniger Sorgen und die westdeutschen Bodenspekulanten mehr Sorgen hätten machen müssen, als es nach ihren Vereinbarungen der Fall ist. Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, die Sie heute in das Vertragswerk als Orientierung hineinschreiben wollen, wird sonst zur Farce.
Diese und andere Defizite des Vertragswerks haben Sie zu verantworten. Sagen Sie nicht, Sie wollten die Eigenständigkeit der DDR und ihrer Verfassungsorgane nicht antasten. Darauf haben Sie nämlich gerade dort, wo Sie wirklich interessiert waren - etwa bei der Durchsetzung des Rechts auf Grundstückserwerb der Bundesbürger - , keinerlei Rücksicht genommen.
({43})
Noch eine Feststellung ist hier notwendig. In Ihrer Erklärung zu den sogenannten offenen Vermögensfragen sagen Sie, daß Sie die Bodenreform der Jahre 1945/46 - also die Übertragung der Rittergüter, des landwirtschaftlichen Großgrundbesitzes auf neue Eigentümer - zur Kenntnis nehmen. Sie erkennen sie nicht an, aber Sie nehmen sie zur Kenntnis.
({44})
Sie sprechen davon, daß die Prüfung nachträglicher Entschädigungen vorbehalten bleibt.
({45})
Ich kann da nur warnen. Eine Wiederherstellung ostelbischen Großgrundbesitzes ist mit uns nicht zu machen
({46})
und die Bereitstellung von hohen Milliardenbeträgen, um nach 45 Jahren, womöglich mit Zins und Zinseszins, Entschädigungen zahlen zu können, auch nicht. Nehmen Sie dieses Geld lieber, um beispielsweise die Kriegsopfer in der DDR mit denen in der Bundesrepublik gleichzustellen! Das ist nämlich bisher nicht vorgesehen.
({47})
Es ist gute Gelegenheit, wenn diese Befürchtungen unbegründet sind, heute durch die Sprecher der Regierung klipp und klar zu erklären, daß die Wahl des Wortes - man nimmt es nur zur Kenntnis, man anerkennt es nicht - eine andere Bedeutung hat. Wir sind befriedigt, wenn Sie das hier klarstellen. Ein von uns ausgehandelter Vertrag hätte anders ausgesehen.
({48})
Aber heute haben wir über das Vertragswerk so, wie es uns vorliegt, zu entscheiden. Es muß angenommen oder abgelehnt werden. Sie haben in einer vergleichbaren Situation im Jahre 1972, nämlich bei den Ostverträgen, den Weg in die Enthaltung gewählt. Das wollen wir nicht. Nach unserem Politikverständnis muß eine verantwortungsbewußte große politische Kraft in einer Frage von solcher Bedeutung ja oder nein sagen. Darauf haben auch die Menschen in der DDR einen Anspruch.
({49})
Wir haben in den letzten Wochen um das Ja oder Nein in aller Öffentlichkeit lebhaft und kontrovers gerungen.
({50})
Sie haben das mit Polemik und teilweise mit Schmähungen begleitet, Schmähungen, die sich vor allem gegen den saarländischen Ministerpräsidenten richten und die ich mit Nachdruck im Namen meiner Fraktion zurückweise.
({51})
Sie sollten übrigens nicht übersehen: Der saarländische Ministerpräsident hat mit seinen Positionen in der Vergangenheit mehr als einmal recht behalten.
({52})
Sie haben etwa in der Übersiedlerfrage später genau das getan, was Sie ihm zuvor vorgeworfen haben. Daran darf erinnert werden.
({53})
Wir haben es uns nicht leichtgemacht, und wir haben uns unserer Diskussion nicht zu schämen. Es kommt ja auch darauf an, worüber ein Meinungsstreit geführt wird. Wer - wie Sie - vor einiger Zeit wochenlang über eine Steuerbefreiung für Flugbenzin gestritten hat,
({54})
sollte anderen keinen Vorwurf machen, wenn sie um die richtige Antwort auf eine Herausforderung ringen, von der das Wohlergehen von Millionen von Menschen abhängt.
({55})
Einige Mitglieder meiner Fraktion werden auf Grund dieser Diskussion mit Nein stimmen. Kollege Glotz wird im Laufe der Debatte die Erwägungen vortragen, auf denen dieses Nein beruht. Die große Mehrheit meiner Fraktion teilt diese Erwägungen nicht, aber sie respektiert sie und anerkennt, daß diese Kolleginnen und Kollegen von einem verfassungsmäßigen Recht, nämlich dem Recht des Art. 38 des Grundgesetzes, Gebrauch machen. Das ist auch ein Stück gelebte Demokratie und gelebter Parlamentarismus.
({56})
Die Mehrheit geht von einem Wort Dietrich Bonhoeffers aus, der sich 1944 in einem Brief aus dem Gefängnis in Tegel mit der ethischen Bedeutung des Erfolgs auseinandergesetzt hat und dazu geschrieben hat: Eine politisch verantwortliche Arbeit ist immer nur möglich, wenn sie auch die Wirklichkeit ganz ernst nimmt und annimmt, die gegen den eigenen Willen entstanden ist. - Ein kluges und wahres Wort!
({57})
Richard von Weizsäcker hat als Abgeordneter 1976 in einer ähnlichen Situation - es ging um das Sozialversicherungsabkommen mit Polen - vor dem Bundestag ausgeführt, Verträge zeigten schon vor der Ratifizierung - nach der Regierungsunterschrift - erhebliche Wirkungen. Deshalb, so sagte er, habe bei der Entscheidung über ihre Annahme oder Ablehnung jeder in eigener Verantwortung abzuwägen, was für ihn schwerer wiege: die unausgeräumten Zweifel und Bedenken oder die Folgen, wenn der unterschriebene Vertrag im Parlament nicht ratifiziert wird.
Ein Scheitern des Vertrages, das wir Sozialdemokraten - Sie haben recht mit dem Hinweis - bei dem Stimmenverhältnis von 18 : 27 im Bundesrat morgen bewirken könnten, würde nach all dem, was bereits
an Fakten geschaffen wurde, in der DDR einen Schock auslösen und aller Voraussicht nach unkontrollierbare Entwicklungen in Gang setzen. Das wollen wir nicht. Deshalb und in Anbetracht der von uns erreichten Verbesserungen wird die große Mehrheit meiner Fraktion heute nacht mit Ja stimmen.
({58})
Selbstverständlich bedeutet das keine Billigung des von Ihnen gewählten Verfahrens. Ebensowenig übernehmen wir eine Mithaftung für die von mir kritisierten Fehlentscheidungen, die Sie gegen unseren ausdrücklichen Widerspruch durchgesetzt haben. Sie sind und bleiben von Ihnen allein zu verantworten.
Jetzt richtet sich der Blick in die Zukunft. Sie wird zeigen, ob die Warnungen berechtigt waren und die Befürchtungen eintreffen oder nicht. Wir hoffen - das sage ich mit aller Deutlichkeit -, daß es nicht der Fall ist. Wir wollen, daß es drüben so gut wie möglich geht; das ist unsere Hoffnung.
({59})
Wenn sich die Lage allerdings entgegen dieser Hoffnung dramatisch entwickelt, dann werden vor allem die Menschen in der DDR darunter leiden, und sie werden fragen: Was geschieht jetzt? Wir werden dieser Frage dann nicht ausweichen, schon deshalb nicht, weil sonst ein neuer Übersiedlerstrom droht. Wir werden dann all das nachholen müssen, was heute verweigert wird, nicht um Schaden zu verhüten, sondern um den eingetretenen Schaden zu reparieren. Ich sage Ihnen: Das wird dann um ein Vielfaches teurer werden, als wenn heute ausreichende Vorsorge getroffen wird.
({60})
Wahrscheinlich wird sich dann auch der Druck auf eine überstürzte Herstellung der staatlichen Einheit elementar verstärken, auch wenn - das muß man den Menschen in der DDR sagen - von den Problemen, um die es dann geht, die überstürzte staatliche Vereinigung kein einziges von heute auf morgen lösen wird.
Unabhängig davon muß die staatliche Vereinigung ebenso sorgfältig wie zügig vorbereitet werden. Das setzt voraus, daß der Zwei-plus-Vier-Prozeß zu akzeptablen Ergebnissen geführt hat und die inneren Aspekte der Vereinigung in einem Vereinigungsvertrag - wir halten diesen Weg für vernünftig, weil er die Partnerschaft zwischen der DDR und der Bundesrepublik möglich macht - befriedigend gelöst sind.
Zur ersten Voraussetzung gehört die Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte. Es wird ein ganz wichtiger Prüfstein sein, daß bei dieser Gelegenheit passiert, was im Deutschlandvertrag und in anderen Verträgen steht, daß nämlich die Vorbehaltsrechte ihr Ende finden.
({61})
Dazu gehört die Neuorientierung der Bündnisse. Dazu gehört der Aufbau eines europäischen Sicherheitssystems mit arbeitsfähigen Institutionen für Streitschlichtung und Rüstungskontrolle und radikal
abgesenkten Obergrenzen für Waffen und Personalstärken in Zentraleuropa.
({62})
Die Halbierung der Bundeswehr im Rahmen der Wiener Verhandlungen - zu diesem Ergebnis sollte man rechtzeitig zum Abschluß der Zwei-plus-VierVerhandlungen kommen - ist eine verantwortbare, nein, eine notwendige und hilfreiche Maßnahme.
Zur zweiten Voraussetzung gehören die Errichtung der Länder in der DDR, eine verständnisvolle Rechtsangleichung, die über die Eigenidentität der DDR auf bestimmten Gebieten nicht einfach hinweggeht, und eine Verständigung über die notwendigen Übergangslösungen, ferner ein Wahlrecht, das in beiden Teilen Deutschlands in gleicher Weise gilt.
({63})
Es ist für uns nicht vorstellbar, daß in einem Parlament, dem ersten deutschen Parlament, Abgeordnete miteinander Verantwortung übernehmen sollen, die nach unterschiedlichen Wahlgesetzen und unterschiedlichen Kriterien dorthin entsandt worden sind.
({64})
Ich sage es noch deutlicher: Für uns ist eine Voraussetzung, daß sich die 5-%-Klausel auf das ganze Wahlgebiet erstreckt. Sie können doch im Ernst nicht wollen, daß durch Aussetzung der 5-%-Klausel beispielsweise die PDS in diesen Bundestag einzieht; das kann doch nicht im Ernst Ihre Absicht sein.
({65})
Ich nenne diese Partei; man könnte auch noch andere Parteien nennen.
Ich sage Ihnen voraus: Wenn Sie diesen Fehler machen, werden Sie vor dem Verfassungsgericht nicht begründen können, warum Gruppen, die bei uns unter 5 % bleiben, dann hier vom Parlament ausgeschlossen werden.
({66})
Ich bitte Sie, an der bewährten Praxis dieses Parlamentes festzuhalten, daß in Fragen des Wahlrechts eine breite und große Mehrheit angestrebt wird. Das gehört mit zur parlamentarischen und demokratischen Stabilität.
({67})
Der Zeitpunkt der ersten gesamtdeutschen Wahlen hängt für uns nicht von bestimmten Terminvorgaben, sondern von der Bewältigung dieser Voraussetzungen ab. Genau das hat übrigens auch Herr Ministerpräsident des Maizière am 17. Juni vor der Volkskammer in Ihrer und meiner Anwesenheit gegenüber einem Antrag ausgeführt, der bekanntlich den Beitritt noch am gleichen Tage herbeiführen wollte.
({68})
Ich füge hinzu: Wann immer Wahlen stattfinden, werden Sie uns bereit finden, und es werden dann
nicht zwei sozialdemokratische Parteien, sondern es wird eine sozialdemokratische Partei sein, die um das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in ganz Deutschland wirbt.
({69})
Die staatliche Vereinigung wird zu gegebener Zeit nach Art. 23 vollzogen werden; das ist eine Realität. Wir bleiben jedoch dabei: Darüber, wie die Verfassung lautet, die im geeinten Deutschland gilt, muß das Volk selbst entscheiden. Das ist für uns keine Formalie, sondern eine Frage von ganz hoher politischer Bedeutung.
({70})
Denn wie der größere deutsche Bundesstaat zustande kommt, das wird seine Identität und sein Selbstverständnis weit in die Zukunft hinein prägen. Darum ist es an der Zeit, aus dem Grundgesetz der Bundesrepublik, das selbstverständlich für diese Entscheidungen die maßgebende Rolle spielt, durch unmittelbare Entscheidung des Volkes die Verfassung des geeinten Deutschlands werden zu lassen, wie es die Väter und Mütter des Grundgesetzes wollten.
({71})
Es wäre gut, der weitere Weg zur deutschen Einheit könnte stärker als bisher im Miteinander der verantwortlichen Kräfte zurückgelegt werden als im Gegeneinander. Wir haben das gefordert; Sie haben es eingeräumt. Die Zukunft wird zeigen, wie ernst es Ihnen damit ist. Der bisherige Verlauf der Vorbereitungen für einen zweiten Staatsvertrag und für die ersten gesamtdeutschen Wahlen, über die wir der Presse immer neue Mitteilungen, auch heute wieder, entnehmen, dämpft unseren Optimismus in dieser Richtung.
Für den Abschnitt des Prozesses der deutschen Einigung, der jetzt vor uns liegt, brauchen wir Solidarität, die von Herzen kommt. Es wäre nicht wahr, wenn ich nicht aussprechen würde, daß jedenfalls bei mir und bei vielen meiner Generation bei diesen Vorgängen auch das Gefühl berührt und angesprochen ist. Ich schäme mich dessen nicht.
({72})
Wir brauchen Solidarität, die von Herzen kommt, ebenso wie nüchterne Besonnenheit.
Wir brauchen aber gerade in der Bundesrepublik - das geht nicht in eine Richtung; das meint alle - mehr geistiges Engagement als bisher. Denn die Bundesrepublik muß sich jetzt auch darüber klarwerden, was die Einheit ihr und nicht nur der DDR an Wandlungen und Verwandlungen abverlangt. Es ist bei aller Wichtigkeit ein Irrtum, anzunehmen, über den Erfolg der Einigung entscheide lediglich, ob die D-Mark die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt. Das ist wichtig. Aber ob die Einigung wirklich gelingt, hängt mehr noch als von den materiellen Leistungen der Bundesrepublik von ihrer Fähigkeit ab, sich ebenso, wie das jetzt vor allem der DDR abverlangt wird, auf das künftige Deutschland einzustellen, das als ein neues Ganzes mehr sein soll als nur die Summe
seiner Teile oder eine hochgerechnete Bundesrepublik.
({73})
Wir dürfen uns nicht nur als eine erweiterte Bundesrepublik verstehen. Wir müssen uns und dem neuen deutschen Staat eine europäische Identität geben, eine Identität, die uns im Herzen Europas als eine Kraft des Friedens, der Verständigung und des Ausgleichs wirken läßt.
Die Bundesrepublik - das wissen wir heute - war nicht das letzte Wort der deutschen Geschichte, aber - und das sollten wir mit Dankbarkeit für die, die vor uns hier Politik gemacht haben, anerkennen - sie war Schauplatz jenes Wandels der Deutschen, der das größere Deutschland für die Nachbarn überhaupt erst erträglich macht.
({74})
Und dazu haben beide großen politischen Kräfte dieses Landes in der Aufeinanderfolge ihrer Verantwortung beigetragen,
({75})
Adenauer genauso wie Willy Brandt und Helmut Schmidt.
({76})
Ich glaube, dieser Wandel muß sich im neuen deutschen Bundesstaat fortsetzen. Das sind wir uns und der jüngeren Generation schuldig, die nichts weniger will als einen Rückfall in die nationalstaatlichen Irrungen der Vergangenheit. Das sind wir aber auch unseren europäischen Nachbarn, unseren Freunden und Verbündeten und vor allem denen schuldig - ich bin dankbar dafür, daß fast alle Redner das heute angesprochen haben -, denen unser Volk im Zweiten Weltkrieg schweres Leid zugefügt hat.
({77})
Gerade ihnen - ich nenne dabei neben anderen ganz bewußt heute die Völker der Sowjetunion - wollen wir in einer Phase unserer Entwicklung, in der es die Geschichte - und das war nicht immer so - mit dem deutschen Volk gut meint, in der wir über alle Sorgen und Probleme hinweg - das möchte ich ausgesprochen haben - Anlaß zur Freude haben, weil sich das Streben nach Freiheit und Demokratie als elementar und allen ausgeklügelten Repressionen überlegen erwiesen hat,
({78})
weil Millionen unserer Landsleute und andere in Europa endlich nach 40 Jahren wieder frei atmen können und ihre Würde zurückerlangt haben - mir kommt die Freude über das bei all dem Streit, der auch notwendig ist, manchmal zu kurz;
({79})
Wir freuen uns, daß wir diesen Streit führen können - , gerade diesen Völkern möchte ich am heutigen Tag zurufen: Wir wollen - ({80})
- Jeder blamiert sich so gut er kann; es ist wirklich fast peinlich.
({81})
Ich rufe diesen Völkern zu: Wir wollen aus der Chance, die uns die Geschichte bietet, das Beste machen - nämlich ein Deutschland, das niemandem durch Größe und Stärke imponieren will, sondern das sich durch Freiheitlichkeit, Friedfertigkeit, soziale Gerechtigkeit, Sicherung der Menschenwürde und durch internationale Aufgeschlossenheit und Hilfsbereitschaft Vertrauen und Wertschätzung erhält und weiter erwirbt; ein Deutschland, vor dem nie wieder andere Völker - wie in der Vergangenheit - Angst haben müssen. In einem solchen Deutschland wollen wir leben. Auf dieses Deutschland freuen wir uns, und dieses Deutschland wollen wir Sozialdemokraten mitgestalten.
({82})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bötsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Staatsvertrag, den wir heute zu verabschieden haben, ist der erste entscheidende, nicht umkehrbare Schritt auf dem Weg zur deutschen Einheit. Sein Inkrafttreten am 1. Juli 1990 markiert in der DDR die Wende von der sozialistischen Planwirtschaft zur Sozialen Marktwirtschaft. Er wird unseren Landsleuten in der DDR nach der politischen auch wirtschaftliche und damit ein weiteres gutes Stück persönliche Freiheit bringen.
Die Soziale Marktwirtschaft vereint größte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit einem Höchstmaß an individuellen Selbstverwirklichungschancen. Sie hat ein umfassendes soziales Sicherungssystem und einen weitgehenden sozialen Ausgleich bei uns ermöglicht. Mit der Übernahme der Sozialen Marktwirtschaft wird allen Bestrebungen eine klare Absage erteilt, planwirtschaftliche und marktwirtschaftliche Elemente miteinander zu vermischen. Ich sage es gerne heute zum wiederholten Male: Zwischen Sozialismus und Kapitalismus gibt es einen dritten Weg, die Soziale Marktwirtschaft.
({0})
Mit ihr gelang das sogenannte deutsche Wirtschaftswunder und seit der Wende 1982 ein mittlerweile acht Jahre anhaltender konjunktureller Aufschwung, der uns in der Bundesrepublik Deutschland ein bisher nicht gekanntes Wohlergehen bescherte.
({1})
Das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft wird in gleicher Weise unseren Landsleuten in der DDR die Chance bieten, unser Wohlstandsniveau zu erarbeiten; ich betone bewußt: zu erarbeiten.
({2})
Wir begrüßen, das die Volkskammer am Sonntag mit großer Mehrheit den Sozialismus in allen seinen Variationen aus der DDR-Verfassung gestrichen und den Beschluß gefaßt hat, jegliche sozialistische Relikte zu eliminieren, die der Einführung der Sozialen Marktwirtschaft und den Erfordernissen des Staatsvertrags entgegenstehen könnten.
({3})
Wir begrüßen auch die Festlegung, daß in der DDR Privateigentum einschließlich des Erwerbs von Eigentum und eigentumsgleichen Rechten an Grund und Boden sowie Produktionsmitteln nunmehr gewährleistet wird; denn Kern der Sozialen Marktwirtschaft ist das Eigentum und die Gewährleistung des Eigentums privater Investoren an Grund und Boden. Die bisher fehlende Möglichkeit, in der DDR Grundstücke als Eigentum zu erwerben, hätte sich als erhebliches Investitionshindernis herausgestellt.
Gleichzeitig mit der Wirtschaftsunion wird am 1. Juli unsere stabile D-Mark gesamtdeutsche Währung, wobei die Deutsche Bundesbank die volle Verantwortung für die Stabilität des Geldwertes in Deutschland übernehmen wird. Im Staatsvertrag ist festgelegt, daß die Deutsche Bundesbank, wie es dort heißt, in eigener Verantwortung, unabhängig von Weisungen der Regierungen der Vertragsparteien, den Geldumlauf und die Kreditversorgung im gesamten Währungsgebiet regelt mit dem Ziel, die Währung zu sichern.
Bei der Wahl der Modalitäten für die Umstellung der Mark der DDR auf D-Mark ist darauf geachtet worden, daß die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in der DDR auf der Kostenseite nicht erschwert werden darf. Hier ist mit einer Umstellung der Verbindlichkeiten im Verhältnis von 2 : 1 das richtige Mittelmaß getroffen worden. Eine völlige Entschuldung der Betriebe, wie sie von der SPD gefordert wurde, hätte einen Betrag von 110 Milliarden DM oder eine Zinsbelastung von 8 Milliarden DM pro Jahr ausgemacht.
({4})
Vorstellungen, wie man das hätte finanzieren können, sind Sie uns, auch Sie, Frau Kollegin, alle, meine Damen und Herren von der SPD, schuldig geblieben.
Daneben galt es, die reale Kaufkraft der privaten Haushalte zu erhalten. Diesem Anliegen ist durch die bekannten gestaffelten Umstellungsmaßnahmen Rechnung getragen worden. Damit sind die zentralen Daten für einen erfolgreichen Start der Wirtschaft auf dem Gebiet der DDR gesetzt worden.
({5})
Ich warne aber: Volkswirtschaftlich nicht vertretbare Löhne in zu kurzen Abständen jetzt zu erhöhen, würde sich bei der Umstellung von der Planwirtschaft auf die Soziale Marktwirtschaft rächen. Die unvermeidlichen Anpassungsprobleme würden dabei nicht verkleinert, sondern vergrößert.
({6})
Insbesondere würde sich ein negativer Einfluß auf den Anstieg der Arbeitslosigkeit feststellen lassen.
Wir verstehen die Sorgen der Bevölkerung in der DDR vor den Anpassungsproblemen, an denen kein Weg vorbeiführt. Aber wer eine gute Aussicht genießen will, muß die Bergstrecke hinter sich bringen. Im Wege der Sozialunion, d. h. durch die Ausweitung unserer Sozialversicherungssysteme auf das Gebiet der DDR, durch arbeitsplatzschaffende Investitionsbeihilfen und durch Arbeitsförderungsmaßnahmen, insbesondere Maßnahmen zur Fortbildung und zur Qualifizierung, werden die Arbeitnehmer in der DDR bei der Bewältigung dieser Probleme allerdings nicht allein gelassen. So sollten wir mit guter Zuversicht das Problem angehen, damit wir die Bergstrecke am Anfang gut und schnellstmöglich überwinden. Zu dieser Zuversicht haben wir allen Grund.
Für alle Zweifler möchte ich aus einem Aufsatz Ludwig Erhards aus dem Jahre 1953 zum Thema „Wirtschaftliche Wiedervereinigung" zitieren. Er schrieb damals:
Aber auch in der Sowjetzone ist mit starker zunehmender Arbeitslosigkeit nicht zu rechnen. Die Betriebe und Unternehmen im Osten werden durch den Wettbewerb nicht erdrückt werden, sondern umgekehrt gerade durch den Wettbewerb rascher und erfolgreicher zu höherer Leistungsergiebigkeit gelangen. In politischer, wirtschaftlicher und menschlicher Beziehung wird die Wiedervereinigung Deutschlands Kräfte entfesseln, von deren Stärke und Macht sich die Schulweisheit der Planwirtschaft nichts träumen läßt.
({7})
Wir können dieser Botschaft auch heute noch vertrauen, und wir können auf unsere gemeinsamen Kräfte vertrauen, um sie zu verwirklichen.
({8})
Unseren Mitbürgern hier in der Bundesrepublik möchte ich an dieser Stelle sagen, daß durch eine solide Finanzierung der Maßnahmen des Staatsvertrages mit Hilfe des Fonds „Deutsche Einheit" der Stabilitätsanker Deutsche Mark nicht gelockert wird. Solidität unserer Finanzpolitik und Stabilität unserer Währung bleiben mit Bundesfinanzminister Theo Waigel ein deutsches Markenzeichen.
({9})
Wegen der Maßnahmen für die DDR wird in der Bundesrepublik Deutschland keine Leistung für die Bürger gekürzt. Das ist möglich, weil die Regierung Kohl durch eine konsequente Politik für die Soziale Marktwirtschaft wieder die wirtschaftlich richtigen Rahmenbedingungen für unsere leistungsfähige Gesellschaft gesetzt hat.
({10})
Auch deshalb können wir heute über einen Nachtragshaushalt befinden, in welchem eine Ausgabensteigerung von 4,8 Milliarden DM Steuermehreinnahmen von 6,8 Milliarden DM gegenübersteht und somit
eine Verringerung der Nettokreditaufnahme trotz steigender Ausgaben zu verzeichnen ist.
({11})
Meine Damen und Herren von der SPD, Ihr Rezept war etwas anders. Sie haben die Steuerreform, der wir dieses Ergebnis zum großen Teil zu verdanken haben, mit allen Mitteln bekämpft und sie abgelehnt.
({12})
Erst zu Beginn dieses Jahres ist die dritte Stufe in Kraft getreten, mit spürbaren positiven Auswirkungen gerade für die Arbeitnehmer.
({13})
- Herr Roth, Sie haben mich gestern früh sehr unangenehm über den Deutschlandfunk geweckt. Sie sollten mich jetzt nicht auch noch bei meiner Rede stören.
({14})
Schon heute können wir sagen daß sich unsere politische Anstrengung, die wegen Ihres politischen Widerstands notwendig war, weiß Gott gelohnt hat. Die SPD-regierten Bundesländer profitieren davon genauso wie die anderen. Sie haben die Mittel und schweigen still, meine Damen und Herren. Sie sollten uns für unsere konsequente Wirtschafts- und Finanzpolitik dankbar sein.
({15})
Sie bleiben in Ihren Entscheidungen aber logisch.
({16})
Denn schon in den 50er Jahren mußten wir die politischen Grundentscheidungen für die Soziale Marktwirtschaft gegen Ihren erbitterten Widerstand durchsetzen. Ich frage mich und frage Sie: Wie stände es um die Möglichkeit, die Einheit jetzt zu vollenden, wenn wir Ihren Wegweisungen in all den Jahren gefolgt wären? Wir wären nicht in der Lage, die Dinge zu finanzieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie mit allen grundlegenden politischen Entscheidungen so haben sich die Sozialdemokraten jetzt auch mit dem Staatsvertrag außerordentlich schwergetan.
({17})
Ich will mich da ganz vorsichtig ausdrücken: Sie haben sich besonders große Mühe gegeben, würde ich positiv formulieren.
Schuld war aber diesmal Ihr Kanzlerkandidat. Dabei begann alles recht logisch.
Auf die Dauer lassen sich die Kosten der Einheit, also unsere Investitionen in eine gemeinsame Zukunft, aus dem zusätzlichen Wachstum und dem Abbau der Kosten für die Teilung finanzieren.
Wir werden in beiden Teilen Deutschlands reicher und nicht ärmer werden.
Das ist richtig so. So Ingrid Matthäus-Maier in der „Frankfurter Rundschau" vom 12. April 1990.
({18})
- Vielen Dank, daß Sie kommen. Ich möchte mich bei Ihnen nämlich ausdrücklich für diese zuversichtlichen Worte, denen ich voll und ganz zustimme, besonders bedanken.
({19})
Auch die SPD-Bundesgeschäftsführerin, Frau Kollegin Anke Fuchs, berichtete in einer Tagebucheintragung, die veröffentlicht wurde, über das Diskussionsergebnis in der SPD-Präsidiumssitzung vom 14. Mai, wohlgemerkt, es war der Tag nach den Landtagswahlen in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen - ich zitiere - :
Wir diskutieren den Staatsvertrag mit der DDR. Es sind wichtige Änderungen vorgenommen worden, nicht zuletzt auf Druck der SPD in der DDR. Aber wir denken, jetzt ist der Staatsvertrag ein faires Angebot an die DDR.
({20})
Bald aber änderten sich die Vorzeichen in der SPD- Zentrale, bereits angekündigt durch die Abwesenheit von Vertretern der SPD ({21}) bei der Unterzeichnung des Staatsvertrages durch Bundesfinanzminister Dr. Waigel und DDR-Finanzminister Romberg, Mitglied der SPD ({22}), der Vollständigkeit halber. Nach einem Gespräch mit dem SPD-Vorsitzenden und dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Rau verlangt Lafontaine, die SPD dürfe nicht die politische Mitverantwortung für die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion übernehmen. Jetzt waren Sie in der Zwickmühle, insbesondere Sie, Herr Dr. Vogel. Sie wollten Ihren Kanzlerkandidaten Lafontaine behalten, aber den Vertrag auch nicht ablehnen. Deshalb wurde durch Beschluß vom 21. Mai die Zustimmung der SPD zum Staatsvertrag an die Erfüllung von Nachbesserungsforderungen geknüpft. Diese Nachbesserungsforderungen hatten jedoch einen entscheidenden Fehler: Sie betrafen nämlich Maßnahmen, die zuvor schon von der Bundesregierung in den beiden Sitzungen des Ausschusses Deutsche Einheit am 11. und 16. Mai 1990 angekündigt worden waren. Heute haben wir wiederum von Herrn Vogel gehört, was die SPD noch alles erreicht hat. Man könnte es sich jetzt einfach machen und auf eine Karikatur in der „Süddeutschen Zeitung" vom 15. Juni 1990 hinweisen, wo es heißt:
Staatsvertrag. Wir haben Kohl gezwungen, diesen entscheidenden Punkt zu akzeptieren.
Dann ist der Punkt nach dem „Staatsvertrag" gemacht.
Meine Damen und Herren, das ist in Kurzfassung das, was meines Erachtens Publizisten darüber denken.
({23})
Aber ich will es mir nicht ganz so leicht machen, ich will sagen, worum es ging. Es handelte sich erstens
um Maßnahmen zur Vermeidung von Zusammenbrüchen überlebensfähiger Betriebe, eine Forderung, der wir insbesondere durch zahlreiche Strukturhilfemaßnahmen Rechnung tragen wollten und Rechnung tragen werden. Es handelte sich zweitens um die Einziehung unrechtmäßig erworbenen Vermögens der Parteien und Massenorganisationen in der DDR. Hier konnte man doch die Dikussion nicht auf dem offenen Markt austragen, wenn man nicht von vornherein Umgehungstatbestände an allen Ecken und Enden produzieren wollte, von sich aus provozieren wollte. Es war richtig, daß die Verhandlungen, die Gespräche hinter verschlossenen Türen geführt worden sind und dann die entsprechenden Maßnahmen und die entsprechenden Beschlüsse von der Volkskammer am 31. Mai 1990 gefaßt wurden.
Als dritten Punkt mahnten Sie die Umweltunion an. Diese Umweltunion ist bereits in Art. 16 des Staatsvertrages angelegt gewesen. In Abs. 1 heißt es dort: „Sie" - die Vertragspartner - „streben die schnelle Verwirklichung einer deutschen Umweltunion an" . Dies war wörtlich zu verstehen, denn bereits am 25. Mai 1990, sieben Tage nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags, legte Bundesminister Töpfer den Entwurf für eine Umweltunion vor, der mit leichten Änderungen vom Ministerrat der DDR als Entwurf des Umweltrahmengesetzes am 13. Juni 1990 beschlossen wurde. Ein zentraler Punkt dieser Vorlage ist der Immissionsschutz. Ziel ist es, soweit wie möglich die Anforderungen des in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Rechts der Anlagenzulassung und des produktbezogenen Immissionsschutzes zu erhalten.
Herr Dr. Vogel, Sie sind heute wieder -wir konnten es gestern schon in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" lesen, und Sie haben es gestern schon in der gemeinsamen Sitzung in der Volkskammer gesagt - auf den Art. 1 a des Ratifizierungsgesetzes zurückgekommen. Durch diesen Art. 1 a des Ratifizierungsgesetzes wurde der Staatsvertrag mit der DDR nicht geändert. Er tritt unverändert in Kraft.
({24})
Der Art. 1 a, der im Rahmen der parlamentarischen Beratung in das Zustimmungsgesetz zum Vertrag eingefügt wurde, beinhaltet keine neuen und zusätzlichen Elemente, die nicht bereits im Staatsvertrag enthalten sind. Das ist kurz und einfach der Sachverhalt.
Zusammenfassend muß man zu dem Punkt feststellen: Ihre Nachforderungen hatten Alibicharakter, weil sie vorwiegend Dinge betrafen, die von den Vertragsparteien bereits auf den Weg gebracht worden waren.
Sie haben, Herr Dr. Vogel, heute auch, obwohl das nicht unmittelbar mit dem Staatsvertrag zu tun hat, die Eigentumsregelung und die Frage der unterschiedlichen Rückgabemöglichkeiten und Entschädigungsmöglichkeiten nach 1945, nach 1949 und nach 1972 in der DDR angesprochen. Ich will wegen der Kürze der Zeit darauf jetzt nicht im Detail eingehen. Aber ich finde es schon ein starkes Stück, wenn Sie die Frage der Enteignungen nach 1945 auf den Satz über die Rittergüter beschränken. Sie wissen selber besser, daß das ganz andere, noch umfangreichere EnteigDr. Bötsch
nungen waren und das die Frage der Ländereien über 100 ha - darum ging es - nur ein Punkt bei dem Ganzen war. Sie als guter Jurist - das sage ich jetzt nicht hämisch, sondern überzeugt - sollten sich vielleicht einmal mit der Verfassungslage bei uns, mit dem Grundgesetz beschäftigen und untersuchen, wieweit wir in den Staatsvertrag mehr hätten hineinschreiben können. Wir konnten das zur Kenntnis nehmen; nicht mehr und nicht weniger.
({25})
- Es ist mir durchaus geläufig, daß das Grundgesetz von 1949 ist. Nur, wir stehen bald in einem wiedervereinigten Deutschland. Sie haben heute ausdrücklich dem Verfahren nach Art. 23 des Grundgesetzes zugestimmt und damit anerkannt, daß wir dann alle unter dem Grundgesetz stehen.
({26})
Wir müssen dann überprüfen, wie wir das gemeinsam in einem gesamtdeutschen Parlament handhaben werden; nicht mehr und nicht weniger.
Herr Kollege Vogel, Sie haben uns auch vorgeworfen, durch geweckte Erwartungen den Zeitdruck mit der Folge vergrößert zu haben,
({27})
daß in der DDR Arbeitslosigkeit in einer Größenordnung entstehen wird, die vermeidbar war. Damit unterstellen Sie uns natürlich, wir machten Politik zu Lasten der Arbeitnehmer. Und das wollen Sie.
({28})
Das ist ein Vorwurf, der ins Leere geht
({29})
und der durch die Äußerungen des neu gewählten Vorsitzenden der SPD ({30}), Herrn Thierse, eindeutig widerlegt wird. Er sagt in einem Interview mit der „Tageszeitung", die sich „taz" abkürzt:
Der Vorwurf, die SPD hätte sich nicht hinreichend gegen den Bonner Termindruck gewehrt, übersieht, daß der Termin des 2. Juli ein Produkt des Volkskammerwahlkampfs war und unter dem Eindruck und Druck der Fluchtwelle aus der DDR entstanden ist.
Schlicht das ist die richtige Aussage.
Nur, Herr Dr. Vogel, eines nehme ich Ihnen wirklich übel.
({31})
Sie haben von der Repression durch die SED gesprochen. Da stimme ich Ihnen zu. Bei dem Punkt hätte ich
Ihnen Beifall geklatscht, wenn Sie die Verbrechen der
SED und der Nachfolgeorganisation PDS in der gebührenden Form gebrandmarkt hätten.
({32})
Daß Sie aber bewußt in dem Zusammenhang die CDU wörtlich mit erwähnt haben,
({33})
um Assoziationen zur heutigen CDU herzustellen und damit auch den Ministerpräsidenten de Maizière zu desavouieren,
({34})
das nehme ich Ihnen übel, und ich weise das mit allem Nachdruck zurück.
({35})
Ich habe von Ihnen vor dem 9. November nie von Raubzügen gehört, die die SED durchgeführt hat; sondern damals haben Sie von der SPD gemeinsame Papiere mit der SED bearbeitet, in denen Sie ihr bestätigt haben, Sie wollten mit ihr gemeinsam den Humanismus in Europa verwirklichen.
({36}) Das ist der Sachverhalt.
({37})
Meine Damen und Herren, seitens Bonn gab es und gibt es keinen Termindruck, wohl aber den verständlichen Wunsch unserer Landsleute in der DDR, möglichst schnell die deutsche Einheit zu erreichen und die rasche Teilhabe am Wohlstand bei uns zu bekommen.
Meine Damen und Herren von der SPD, so machen Sie in einem für die Deutschen essentiellen Bereich Politik! Sie haben jeden konstruktiven Beitrag vermissen lassen, und Ihre Zerrissenheit besteht auch heute noch weiter. Wenn Sie heute dem Staatsvertrag, wie Sie angekündigt haben, überwiegend zustimmen, so entspricht das ja immer noch nicht der Haltung Ihres Kanzlerkandidaten. Klar genug hat er betont, daß ihm ein Nein der SPD im Bundestag lieber gewesen wäre.
Ich bin gespannt, wie Sie diese Polarität in den kommenden Tagen und Wochen überwinden werden. Wir hätten schon gern Herrn Lafontaine einmal hier im O-Ton gehört und nicht nur vom Balkon in Saarbrükken über das Fernsehen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({38})
Wenn Sie die Angriffe auf Herrn Lafontaine heute so standhaft und fest zurückweisen, dann hoffe ich, daß er Ihnen am Montag in den Parteigremien der SPD in gleicher Weise zur Seite steht, wenn es um den Vorsitz in der gesamtdeutschen SPD geht.
({39})
Eines möchte ich noch feststellen: Auf Grund Ihres konzeptionslosen Hin und Her, Ihres Versagens in einem essentiellen politischen Bereich, Ihrer Täu17174
schungsmanöver und Ihrer leicht durchschaubaren politischen Taschenspielertricks
({40})
- Herr Klejdzinski, da sehen Sie mal, wie gut ich bin, daß mir das alles einfällt - haben Sie sich wirklich als Alternative zu dieser Regierungskoalition abgemeldet. Sie waren zuvor schon keine Alternative, aber jetzt ist es wirklich dem letzten deutlich geworden.
({41})
Die Umfrageergebnisse aus dem letzten „Politbarometer" kennen Sie. Deshalb verstehe ich auch Ihre Aufregung, die Sie heute zeigen. Ich deute Ihre Aufregung als das berühmte Pfeifen im Walde.
Sie sollten in sich gehen, Sie sollten Einkehr halten, und Sie sollten der guten und erfolgreichen Politik von Helmut Kohl und seiner Regierungsmannschaft Respekt erweisen und Beifall zollen. Dann täten Sie etwas Gutes.
({42})
Meine Damen und Herren, für die CDU/CSU-Fraktion ist das vorliegende Vertragswerk ein gutes Werk. Ich möchte hierzu den Ministerpräsidenten de Maizière zu Wort kommen lassen, der sagte: Der Staatsvertrag hat zwei Gewinner, die eigentlich nur ein Gewinner sind, das künftige Deutschland. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.
Die CDU/CSU-Fraktion wird deshalb dem Vertragswerk zustimmen. Ich möchte im Namen der Fraktion allen danken, die hieran mitgearbeitet haben. Alle haben eine hervorragende Arbeit geleistet. Stellvertretend möchte ich zunächst Sie, Herr Bundeskanzler, erwähnen. Herr Bundeskanzler, Sie sind der Kanzler der europäischen Einigung, Sie sind jetzt der Kanzler der deutschen Einheit, und Sie werden aus freien Wahlen als der Kanzler aller Deutschen hervorgehen. Davon sind wir überzeugt.
({43})
Ich danke dem Bundesfinanzminister Dr. Theo Waigel, unter dessen Federführung das Vertragswerk ausgearbeitet wurde. Ich bedanke mich bei ihm persönlich, bei allen verantwortlichen Mitarbeitern, bei allen, die dieses Werk in einer unglaublichen Arbeitsbelastung geschaffen haben.
({44})
Ich möchte mich auch bei der Bundesbank für ihre engagierte Mitarbeit bedanken, an vorderster Stelle bei Herrn Präsident Pöhl und Herrn Vizepräsident Schlesinger, und bei Herrn Tietmeyer als dem Verhandlungsführer der Bundesregierung, dem ich von hier aus eine baldige Genesung wünschen möchte.
({45}) Zu erwähnen sind alle Mitarbeiter.
Meine Damen und Herren, wenn ich vorhin gesagt habe, der Staatsvertrag ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur deutschen Einheit, so gilt dies auch für den uns heute zur Abstimmung vorliegenden Entschließungsentwurf hinsichtlich des Verlaufs der deutsch-polnischen Grenze. Die Beseitigung der
deutschen Teilung beseitigt auch die europäische Spaltung. Unsere Deutschlandpolitik ist daher im eigentlichen Sinne des Wortes Entspannungspolitik.
Der Aufbau eines einigen Europa ist mit den politischen Veränderungen des letzten Jahres so greifbar wie noch nie. Die Verwirklichung der Vision eines Jean Monnet, eines Kurt Schumacher, eines Konrad Adenauer und eines Charles de Gaulle, um nur einige zu nennen, rückt näher. Es ist die Vision einer europäischen Friedensordnung, in der die Grenzen nicht mehr trennen, die Völker einander frei und vertrauensvoll begegnen und in einem dauerhaften Zustand des Friedens, der Freiheit und der Stabilität miteinander leben.
Ich kann mir vorstellen, welche Gefühle heute etwa in einem Manne hochkommen, der als einziger vom ersten Tag bis heute Mitglied dieses Parlaments ist, nämlich Richard Stücklen, und der schon im ersten Deutschen Bundestag an diesem Werk gearbeitet hat und über all die Jahrzehnte einen entscheidenden Beitrag dazu leistete.
({46})
Die deutsch-polnische Aussöhnung ist auf diesem Weg in ein solches Europa eine wichtige, unverzichtbare Wegmarke. Die Unverletzlichkeit der Grenzen zwischen der Republik Polen und Deutschland ist hierfür eine wichtige Grundlage. Dies haben wir in diesem Hohen Hause zuletzt in den Entschließungen am 8. November 1989 und am 8. März 1990 bekräftigt. Heute wollen wir unseren Willen zum Ausdruck bringen, daß der Verlauf der deutsch-polnischen Grenze entlang der Oder-Neiße-Linie durch einen Vertrag zwischen dem vereinten Deutschland und der Republik Polen endgültig bekräftigt werden soll. Wir halten damit an unserer Auffassung fest, daß nur ein gesamtdeutscher Souverän die völkerrechtlich verbindliche Erklärung abgeben kann. Diese Entschließung, über die wir wort- und zeitgleich mit der Volkskammer abstimmen wollten - sie ist uns im Augenblick um zwei Stunden voraus - , ist aber inhaltlicher Maßstab und politischer Wille dafür, was in diesem völkerrechtlichen Vertrag zwischen Deutschland und Polen bezüglich der Grenze stehen soll und stehen wird.
Ich sage das mit Bezug auf den gesamten Inhalt der Entschließung, weil wir erwarten, daß der abzuschließende Vertrag im Geiste der Gemeinsamen deutschpolnischen Erklärung vom 14. November 1989 ein Dokument des Friedens, der Verständigung und der Zusammenarbeit im Interesse der Menschen und Völker in Europa sein muß und sein wird. Von dieser Erwartung sind viele von uns bei ihrem Abstimmungsverhalten heute getragen. Wir sind der Auffassung, daß die Gemeinsame Erklärung vom 14. November 1989 mit Leben zu erfüllen ist. In den Aussöhnungsprozeß müssen die Heimatvertriebenen und muß die deutsche Volksgruppe mit einbezogen werden.
({47})
Kollege Dr. Lippelt, es hat nichts mit einer gegenseitigen Aufrechnung zu tun, wenn in den beiden Spiegelstrichen auf die Untaten, auf das Unrecht, auf die Verbrechen hingewiesen wird, die im ZusammenDr. Bötsch
hang mit dem deutschen Überfall auf Polen und mit der Vertreibung der Deutschen aus Polen geschehen sind. Ich glaube, es dient der historischen Wahrheit, und es dient einer friedlichen Zukunft, wenn wir feststellen: Nicht nur von Deutschen und in deutschem Namen, sondern auch an Deutschen sind durch die Vertreibung bitteres Unrecht und schwere Verbrechen begangen worden, meine Damen und Herren.
({48})
Wir wollen nicht leugnen, daß dieser Schritt, den wir heute gehen wollen, vielen von uns nicht leicht fällt, insbesondere jenen nicht, die zu den Überlebenden jener Millionen gehören, die aus den alten deutschen Gebieten jenseits der Oder-Neiße-Linie vertrieben wurden. Auch Kollegen, die nicht zu diesen Betroffenen gehören, hatten mit ihrer Entscheidung zu ringen. Ich nehme mich da persönlich nicht aus. Ich danke Ihnen, Herr Bundeskanzler, daß Sie mit großem Verständnis auf vorhandene Sorgen eingegangen sind.
Ebenso wie Herr Dr. Vogel vorhin beim Staatsvertrag auf den Art. 38 des Grundgesetzes verwiesen hat, möchte auch ich für diejenigen, die heute nicht zustimmen können, den Art. 38 des Grundgesetzes in Anspruch nehmen. Ich warne davor zu glauben, daß mit dieser Tatsache die Ernsthaftigkeit der Entscheidung für die Entschließung in Frage zu stellen ist.
Sowohl der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung als auch unser Parlamentarischer Geschäftsführer, Kollege Bohl, haben darauf hingewiesen, daß die Vertriebenen am 5. August 1950 mit ihrer großartigen Charta jeder Politik der Gewalt und der erneuten Vertreibung abgesagt haben.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Staatsvertrag über eine Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR sowie der vorliegenden Entschließung zum Verlauf der deutsch-polnischen Grenze zu. Wir sind dabei geleitet vom christlichen Sittengesetz in der weitesten Auslegung des Wortes und der darauf begründeten Verantwortung für die Menschen als Individuen, aber nicht als Bausteine eines zum Selbstzweck erhobenen gesellschaftlichen Gefüges, von dem Ja zum Ordnungssystem der Sozialen Marktwirtschaft, das weder im Dienste des Kapitals noch des Kollektivs, sondern im Dienste der wirtschaftlichen und geistigen Freiheit des Menschen steht, von der Treue zum demokratischen Staat, der die Freiheit garantiert, und von der Absicht, ein geläutertes Nationalbewußtsein mit der europäischen Gemeinschaftsaufgabe geistig, moralisch und faktisch zu verbinden. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({49})
Meine Damen und Herren, mir ist vom stenographischen Dienst ein Protokoll über mehrere Zwischenrufe vorgelegt worden, die ich vorhin überhört habe. Da sie aber so sind, daß sie gegen unsere Ordnung verstoßen, muß ich den Abgeordneten Lennartz zur Ordnung rufen wegen der Zwischenrufe, in denen er - auf eine Person bezogen - den Begriff „Heuchler" verwendet hat.
Die nächste Rednerin ist Frau Dr. Vollmer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Streit in dieser Debatte geht in Wirklichkeit nicht um die Zustimmung zur Einheit der Deutschen, sondern er geht im Kern um die Frage, was wir denn unter Einheit verstehen. Dafür einige Beispiele.
Als am 13. August 1961 die Mauer gebaut wurde, da wartete Willy Brandt vergeblich auf den damaligen Kanzler Konrad Adenauer. Der kam nicht am 13. August. Der kam nicht am 14. August und auch nicht die Tage danach. Warum eigentlich nicht? Das war - durch Taten belegt - eine Bankrotterklärung konservativen Einheitsverständnisses.
Als am 13. August 1961 die Mauer gebaut wurde, da war Rudi Dutschke schon aus der DDR in den Westen gekommen. Er war es auch, der das nie vergessen hat und der innerhalb der Studentenbewegung immer wieder betont hat, daß die Reformbewegung und Demokratiebewegung in Osteuropa Zwillinge von denen in Westeuropa und bei uns sind. Deswegen war er auch als erster mit in Prag, als der Prager Frühling begann. Als der Prager Frühling von den sowjetischen Panzern niedergewalzt wurde, da hat er wahrscheinlich schon geahnt, daß dies auch zu unserem Scheitern führen mußte und daß damit so etwas wie eine Babylonische Gefangenschaft der europäischen Reform- und Bürgerrechtsbewegungen beginnen mußte, zu denen wir auch gehörten. Aber immer wollten wir zueinander, und immer wollten wir über diese Grenze.
Als wenige Wochen nach dem 13. August 1961 Studenten in West-Berlin versuchten, Tunnel zu bauen, die nach Ost-Berlin führen sollten, da waren auch Freunde von mir dabei.
Ich selbst bin in meinem Leben über keine Grenze öfter gegangen als über diese Grenze zwischen West- und Ost-Berlin. An keiner Stelle habe ich mehr Stunden mit Kontrollen und Warten verbracht als an diesem elenden Betonkoloß in der Friedrichstraße. An keiner Grenze sind wir GRÜNEN öfter zurückgewiesen worden als an dieser.
Warum zähle ich das auf? Weil ich damit dokumentieren will, daß die Zustimmung oder Ablehnung zu diesem Staatsvertrag gerade nicht ein Lackmuspapier ist, an dem man die Haltung der Menschen zur Frage der Einheit und der Gemeinsamkeit der Deutschen messen kann.
({0})
Nein, wir haben eben ein anderes Verständnis von Einheit.
Wie aufregend und schön die Gemeinsamkeit der Deutschen sein kann, das haben wir in den großen Oktoberdemonstrationen und in der Demonstration vom 4. November in den Straßen von Leipzig und Berlin gesehen. Diese Einheit hat die Welt fasziniert. Es war eine Einheit der Menschen, die von unten wächst, mit einer gemeinsamen Sprache, mit einer gemeinsamen, sehr phantasievollen demokratischen Kultur, eine Einheit, die die Last der gemeinsamen Geschichte nicht vergißt, und eine Einheit mit einem
unbändigen Wunsche nach Selbstbestimmung und Freiheit: „Wir sind das Volk."
Weil wir von dem Geist dieser Einheit in dem jetzigen Staatsvertrag nichts mehr spüren, lehnen wir diesen ab.
({1})
Deswegen weisen wir auch auf das schärfste die demagogische Unterstellung zurück, Gegner dieses Staatsvertrages seien Gegner der deutschen Einheit. Dies gilt auch für Oskar Lafontaine.
({2})
Das Gegenteil ist der Fall: Gerade weil wir der damals entstandenen, von unten gewachsenen Einheit der Deutschen treu bleiben wollen, haben wir gute und stichhaltige Gründe, gegen diesen Staatsvertrag zu stimmen. Vier Gründe zähle ich auf:
Der erste Grund: Dieser Staatsvertrag wird die Spaltung gerade nicht überwinden. Vielmehr wird er die Spaltung zwischen den beiden Gesellschaften in Ost und West in der Praxis vertiefen. Dieser Staatsvertrag macht die erste frei gewählte Regierung der DDR zu einer abhängigen Institution - und das manchmal in unwürdiger Weise. In den entscheidenden Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik und der Währung gibt die DDR damit faktisch jede Möglichkeit der politischen Selbstbestimmung auf und übergibt sie an die Bundesbank und an das Finanzministerium in Bonn. Das ist gegen den Rat des Bundesbankpräsidenten und führender Wirtschaftsinstitute geschehen. Sie alle haben dies einen wirtschaftspolitischen Gewaltakt genannt, der den Menschen in der DDR nahezu das ganze Risiko allein aufbürdet.
({3})
Niemand bestreitet heute mehr, daß dieses brutale Zusammenklatschen zweier so unterschiedlicher Systeme und zweier so unterschiedlicher Gesellschaften zu Massenarbeitslosigkeit führen wird.
({4})
Selbst die vorsichtigsten Schätzungen - und ich bin nicht für das Schüren von Panik - gehen von mindestens 2 Millionen Arbeitslosen in der DDR aus. Das heißt: Jeder vierte Arbeitsplatz in der Wirtschaft, jeder zweite Arbeitsplatz in der Landwirtschaft, 600 000 Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst werden davon tangiert sein. Die Hauptbetroffenen dabei sind, wie immer, die Frauen.
Wenn es im kommenden Herbst darüber zu sozialen Spannungen und zu sozialen Unruhen kommen wird - was niemand will, was aber bei diesen Daten überhaupt nicht auszuschließen ist - , dann wird das Chaos einen neuen Beinamen bekommen. Wer fürchtet noch ein rot-grünes Chaos, wenn er dann dieses von Kohl produzierte Chaos vor Augen hat?
({5})
Um das zu verhindern, versucht die Regierung nun schon seit dem 9. November 1989, das große Kapital in der DDR zum Jagen zu tragen. Aber das große Kapital, dieses scheue Reh, will - das hat auch der Wirtschaftsminister gemerkt - partout den Fuß nicht über die innerdeutsche Grenze setzen. Warum sollte es denn auch, wenn es sehr gut möglich ist, daß wir die Konsumbedürfnisse der DDR-Bevölkerung mit unseren Produktionskapazitäten befriedigen? Nur, das heißt bei uns Wirtschaftswachstum und bei denen Massenarbeitslosigkeit, und das ist praktische Spaltung.
({6})
Im sozialen Bereich wird die Spaltung besonders kraß deutlich. Der Staatsvertrag sieht für die Ärmsten und für die Erwerbslosen faktisch eine Zuzugssperre vor, indem er sie von der bundesdeutschen Unterstützung ausdrücklich ausschließt. Schon jetzt existiert eine sehr tiefe Spaltung im Selbstwertgefühl zwischen den Bürgern der DDR und denen der Bundesrepublik: eine Tendenz zur Protzigkeit und zur Überheblichkeit auf unserer Seite und eine Tendenz zum völlig unangebrachten Gefühl von Minderwertigkeit auf der anderen Seite. Das hat nicht nur mit dem Gefühl von Unsicherheit wegen der zu erwartenden Arbeitslosigkeit, sondern auch mit der Menge der unaufgearbeiteten Probleme zu tun.
({7})
Und es gibt noch eine Spaltung, nämlich die zwischen den Generationen. Die jungen DDR-Bürger finden sich in ihrem Volk nicht mehr zurecht; das ist für die Zukunft sehr gefährlich. Sie fragen ihre Eltern: Warum werft ihr euch so weg?
({8})
Der zweite Grund: Dieser Staatsvertrag verletzt in eklatanter Weise das Selbstbestimmungsrecht und das demokratische Mitbestimmungsrecht der Bürger und Bürgerinnen in beiden deutschen Staaten.
({9})
Seien Sie doch einmal ehrlich: Keiner der Abgeordneten in diesem Hause hat bei seiner Wahl von den Wählerinnen und Wählern das Votum bekommen, Entscheidungen zu fällen, die für die Zukunft der Gesellschaft in beiden Staaten von so großer Bedeutung sind.
({10})
Warum fürchten Sie sich denn davor, damit noch einmal vor die Wähler zu treten?
({11})
Warum verweigern Sie den Menschen die in unserem
Grundgesetz zwingend vorgesehene Gelegenheit,
eine gemeinsame verfassunggebende Versammlung
zu bilden und am Ende mit einem Volksentscheid selbst zu bestimmen?
({12})
Wenn ich meine Kolleginnen und Kollegen aus der Volkskammer höre, so werden sie gezwungen, innerhalb von Stunden über Tausende Seiten von Gesetzen abzustimmen. Das kann keiner mehr im einzelnen verantworten. Über die Übergabe von einer Billion Mark Volksvermögen haben sie ganze zwei Stunden debattieren dürfen, über diesen Staatsvertrag ebenfalls ganze zwei Stunden. Das ist, parlamentarisch gesehen, Anarchie in Germany.
({13})
Einen Staat zu bilden war nie die Stärke dieser Nation, und einen Staatsvertrag vernünftig auszudiskutieren ist es offensichtlich auch nicht.
Der dritte Grund: Mit diesem Staatsvertrag wird die Einigung nach unserer Ansicht und auch nach der vieler anderer auf die teuerste nur mögliche Weise hergestellt. Das Volkseigentum, das noch der Runde Tisch in Anteilsscheinen an jeden einzelnen DDR- Bürger ausgegeben hatte, soll nun zu Schleuderpreisen in private Hände kommen, und zwar so, daß man die eine Billion Mark, die der Runde Tisch ausgerechnet hatte, auf 200 Milliarden Mark herunterhandelt. Herr Lambsdorff hat das im Ausschuß Deutsche Einheit in der von ihm gewohnten knochentrockenen Brutalität so ausgedrückt.
({14})
- Sprachlich gesehen - :
({15})
Auch die Treuhandgesellschaft hat keineswegs die Aufgabe, Betriebe zu sanieren, sondern sie zu liquidieren.
({16})
Wenn das verbliebene Geld bei diesen Schleuderpreisen nicht ausreicht, dann sind die schmerzlichen und peinlichen Entscheidungen und die für die man Kritik von seinen Bürgern bekommt, der DDR-Regierung ganz allein überlassen. Über die Kürzung der Gelder für Kindergartenplätze, die Streichung von Behindertenhilfen, die Streichung der Förderung der wichtigen Kulturinstitute, die teilweise einzig in Deutschland sind, darf die DDR noch allein entscheiden. Das Geld für die ökologischen Kosten der sozialistischen Mißwirtschaft muß sie auch allein aufbringen.
Wenn alle zu erwartenden sozialen und ökologischen Kosten allein der DDR-Regierung überlassen werden, dann sind ihr Staatsbankrott und ihre Panik vorprogrammiert. Das ist zwar Marktwirtschaft pur, Marktwirtschaft sozusagen radikal, aber wir wissen doch längst, daß die Marktwirtschaft per se nicht ökologisch und nicht sozial ist. Es ist die Aufgabe der
Politik, sie ökologisch und sozial zu machen, und daran fehlt es.
({17})
So komme ich auch zu der Eigentumsfrage. Sehr sensibel wird in diesem Haus darüber diskutiert, daß man doch die Eigentümer 40 Jahre zurück entschädigen müßte.
({18})
Wer aber diskutiert mit derselben Sensibilität über die Frage des Eigentums der Menschen, die 40 Jahre in diesem Land gearbeitet haben, ihre Wohnungen renoviert, die Grundstücke bebaut haben? Über diese Frage der Entschädigung oder über eine Würdigung dieser Arbeit wird überhaupt nicht geredet.
({19})
Der vierte Grund: Der Staatsvertrag regelt nicht die Fragen der außenpolitischen Aspekte der deutschen Einigung, er vertieft aber in der Methode seines Vorgehens ein Mißtrauen, das in ganz Europa gewachsen ist. An dieser Stelle möchte ich besonders auf den Anteil der Handlungen und Worte des Bundeskanzlers an diesem wachsenden Mißtrauen eingehen. Er hat im Laufe dieser Wochen viele Versprechen gegeben, und er hat sie alle gebrochen. Bei den Dresdner Gesprächen, noch mit der Regierung Modrow, hatte er öffentlich signalisiert, es werde eine Soforthilfe für die DDR-Bevölkerung geben. Diese Hilfe blieb aus, wie wir wissen. Bei den Gesprächen mit Präsident Mitterrand hatte er fest zugesichert, er werde die polnische Westgrenze ohne Wenn und Aber anerkennen. Dann aber kam der Vorschlag, die Anerkennung der polnischen Westgrenze doch mit den Entschädigungsforderungen für die NS-Opfer zu verrechnen. Bei einem Besuch in Polen hatte er seine Bereitschaft signalisiert, doch eine Entschädigung für die polnischen Zwangsarbeiter vorzusehen. Eine solche Regelung fehlt bis heute - mein Kollege hat schon darauf hingewiesen - , und sie ist auch in der vorliegenden Parlamentserklärung nicht enthalten.
Bei den Gesprächen mit Präsident Gorbatschow hatte Helmut Kohl versichert, die außenpolitischen Interessen der Sowjetunion und die sehr schwierige Lage im Inneren zu berücksichtigen. Durch das Faktum der ständigen Beschleunigung der Politik hat er sich aber so verhalten, als ob es ganz egal sei, was in der Sowjetunion passiert, und als ob auch die Wirkung der deutschen Politik auf die sowjetische Innenpolitik überhaupt nicht zu berücksichtigen sei.
Fakt aber ist, daß dieser Staatsvertrag in Art. 35 die Bündnisverpflichtung der beiden deutschen Staaten nicht aufhebt. Das heißt, es besteht nach diesem Staatsvertrag eine Doppelmitgliedschaft des geeinten Deutschlands in der NATO und im Warschauer Pakt. Dann wird es eine Volksarmee und eine Bundeswehr auf deutschem Boden geben. Dann wird es
sowjetische und amerikanische Truppen auf deutschem Boden geben.
Ich halte es nun nicht für eine Aufgabe der sowjetischen Diplomatie, diesen gordischen Knoten zu lösen. Es ist vielmehr unsere Aufgabe, ein Konzept der deutschen Einigung zu finden, das für Europa verträglich und das auch die Interessen des Machtgleichgewichts in Europa berücksichtigt.
Dafür gibt es eigentlich eine wunderbare Chance. Wenn ich die Entwicklung in der Sowjetunion ernst nehme, dann heißt das: Die Sowjetunion will zurück nach Europa. Zum erstenmal wäre ein Konzept möglich, in dem es Freundschaft zwischen dem deutschen und sowjetischen Volk gibt, ein Konzept, das nicht auf Kosten der Polen geht. Für ein solches Konzept muß man aber weitergehen. Man darf nicht den Triumpf des Augenblicks ausnutzen, sondern muß weiterdenken. Das muß in einer Perestroika der NATO und in der Bereitschaft enden, ein ganz neues politisches und Sicherheitsheitssystem in Europa über den KSZE-Prozeß zu entwickeln.
({20})
Alle diese vier Gründe - daß die Spaltung durch den Staatsvertrag vertieft wird, daß das Selbstbestimmungsrecht der Menschen verletzt ist, daß die Einheit so am teuersten zustande kommt und daß die außenpolitischen Aspekte, die jetzigen Chancen überhaupt nicht berücksichtigen - bewegen uns dazu, gegen diesen Staatsvertrag zu stimmen.
Nun wird uns aber immer entgegengehalten, die Menschen wollten es doch so. Dazu komme ich jetzt. Diese Antwort ist richtig und falsch zugleich. Es ist nämlich nicht wahr, daß die Bürgerinnen und Bürger der DDR sehenden Auges - sie wären ja verrückt - in eine Zeit großer sozialer Unruhen und der Massenarbeitslosigkeit hineintrudeln wollten. Dorthin gebracht worden sind sie von den Politikern, die ihnen nie die ganze Wahrheit über die Prozesse zugemutet und ihnen einen Begriff von Einheit angeboten haben, der sich ganz und gar auf die D-Mark und den Wohlstand konzentriert hat, von Politikern, die ihnen keine faire Alternative angeboten haben.
Aber wahr ist auch etwas anderes: Die Menschen sind nämlich klug. Sie entdecken die Wahrheit hinter der Lüge und hinter den hohlen Versprechungen. Sie sind durchaus in der Lage, auch schwierige Situationen wie die jetzige zu meistern.
An dieser Stelle komme ich auf den Anfang zurück: Ich glaube, auch unsere babylonische Gefangenschaft der Bürgerrechtsbewegung, der Demokratiebewegung geht zu Ende. Auch wir wachsen zusammen. Das Feuer der Revolution läßt sich von den dicksten Elefanten nicht austreten. Darin liegt auch ein Optimismus, der nicht leicht zerstörbar ist. Die Menschen, die zu uns kommen, sind nämlich revolutionserfahren. Ich möchte erst einmal sehen, was diese revolutionserfahrenen Menschen mit der Bundesrepublik machen. Für mich ist jedenfalls eines sicher: Auch die
Bundesrepublik wird sich dadurch von Grund auf verändern, und das ist auch gut so.
({21})
Lassen Sie mich mit einem Bild enden, das zu den Tagesereignissen paßt, nämlich mit einem Bild aus dem Bereich des Fußballs. Ich weiß nicht, ob Sie sich
- es ist ein bißchen komisch, wenn ich das sage, aber vielleicht können wir uns doch verstehen - an die Fußball-Weltmeisterschaft 1954 erinnern.
({22})
- Sie bestätigen das gerade. - Die Wirkung, die diese Fußball-Weltmeisterschaft damals auf die Deutschen hatte, war enorm. Wir waren wieder wer, und wir waren auch entschlossen, dies, nämlich daß wir wieder wer waren, der ganzen Welt zu beweisen.
Diese damalige Gefühlshaltung, die sagte „Jetzt schaffen wir es; jetzt packen wir an; jetzt gehen wir nach vorne, weil wir ja die Weltmeister sind" war für mich immer symbolisch auch für eine ganze Politikergeneration.
Übrigens noch eines: Damals gab es dieses Ereignis am Ende, daß das Deutschlandlied in der ersten Strophe gesungen wurde. Vor diesem inbrünstigen Deutschlandlied, erste Strophe, haben sich die Menschen in Europa gefürchtet.
({23})
Das ist heute ganz anders. Wer den deutschen Fußballern in diesen Tagen zuschaut, der verliert - wie auch ich - irgendwie die Angst vor den Deutschen.
({24})
Sie spielen nämlich nicht nur gut und erfolgreich; sie spielen auch irgendwie schön und irgendwie richtig emanzipatorisch.
({25})
- Ich komme ja dazu! - Die Künstler dabei - das ist jetzt das Besondere ({26}) [FDP]: Haben Sie sich
in Beckenbauer verliebt?)
sind nicht diejenigen, die wie die Blöden aufs Tor dreschen, sondern die Künstler bewegen sich im Mittelfeld. Von diesen Künstlern im Mittelfeld könnte, so finde ich, auch die Politik manches lernen.
({27})
Aber ich stelle fest, für eine solche offene und emanzipatorische Politik brauchen wir offensichtlich einen
Generationenwechsel, und wir brauchen einen neuen Spielmacher in der bundesdeutschen Politik.
({28})
- Einen Spielmacher und selbstverständlich auch eine Spielmacherin,
({29})
davon aber gleich mehrere.
({30})
Deswegen gebe ich am Ende folgende Parole aus: Erstens. Die Altherrenmannschaft in Bonn wird abgelöst werden; Helmut Kohl wird nicht der Kanzler der deutschen Einheit sein. Zweitens. Wir Deutschen müssen nicht immer Weltmeister sein.
({31})
Das Wort hat Dr. Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Niemand von uns zweifelt mehr daran: Das Jahr 1990 wird als Jahr der Wiedererlangung der deutschen Einheit in die Geschichte unseres Volkes eingehen.
({0})
Der Auftrag, den uns das Grundgesetz gegeben hat - Frau Vollmer, unter diesem Grundgesetz sind wir nämlich hierhergewählt worden - , erfüllt sich, und ungezählte Hoffnungen und Wünsche der Menschen in beiden deutschen Staaten werden jetzt bald Wirklichkeit; denn es wird diese zwei Staaten nicht mehr lange geben, es wird wieder ein Deutschland geben.
Ist das ein Wert an sich? So fragen ja manche unserer Mitbürger. Sie lassen sich durch wirtschaftliche Argumente selten überzeugen, manchmal auch nicht durch den Hinweis auf die wiedergewonnene Freiheit der Menschen in der DDR. Aber eines, so meine ich, sollte auch diese zweifelnden Mitbürger überzeugen: Ohne die Überwindung der deutschen Teilung überwinden wir die Teilung Europas nicht; ohne sie bliebe es bei der Konfrontation zweier hochgerüsteter Machtblöcke.
({1})
Politik für die Einheit Deutschlands, eingebunden in die europäische Integration, das war und ist nach Auffassung der Freien Demokraten Friedenspolitik. Wer eine stabile Friedensordnung in Europa will, der muß die deutsche Einheit wollen. Für die Liberalen ist auch dieser Staatsvertrag ein Markstein auf dem Weg zu einem friedlichen und demokratischen Europa.
Der Staatsvertrag, den wir heute verabschieden und den heute die Volkskammer in Berlin verabschiedet, ist nicht nur die materielle Grundlage für staatliche Einheit, die wir in gesamtdeutschen Wahlen bestätigen werden. - Da Herr Vogel gerade hereinkommt, will ich ihm bestätigen: Auch wir wollen die einheitliche 5-%-Klausel in einem einheitlichen Wahlgebiet. Das letztere muß immer dazugesagt werden.
({2})
Dieser Staatsvertrag ist weit mehr als eine währungs-, wirtschafts- und sozialpolitische Übereinkunft zweier Regierungen, aus denen eine Regierung entstehen wird, die einem Parlament verantwortlich ist. Denn im Bewußtsein vieler Bürger werden wir die deutsche Einheit in vielen praktischen Auswirkungen eben doch schon am 2. Juli mit der Sozialen Marktwirtschaft, mit einer gemeinsamen Währung und mit einer Wirtschafts- und Sozialpolitik, die sich auf beiden Seiten der dann kaum noch erkennbaren Grenze nach den gleichen Prinzipien richtet, vollziehen.
Dieser 2. Juli 1990 ist das Datum für ein Zusammenleben aller Deutschen in einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in der es sich zu leben lohnt.
Herr Vogel und Frau Vollmer, es ist schon ein schwieriges Kunststück, den Menschen draußen darzutun, daß die Ablehnung des Staatsvertrages keine Ablehnung der Einheit unseres Landes sein soll.
({3})
Ich habe nicht die Absicht, den Ihnen allen bekannten Staatsvertrag hier in seinen Einzelheiten noch einmal aufzublättern. Ich sage nur soviel: Die unblutige, die friedliche Freiheitsrevolution der Menschen in der DDR war vor allem auf zwei große Ziel gerichtet: auf die Wiedererlangung der deutschen Einheit in Freiheit und auf menschenwürdige Lebensbedingungen, die jedem einen fairen und gerechten Ertrag seiner Arbeitsleistung sichern. Dieser Staatsvertrag gibt den Rahmen, in dem diese Ziele verwirklicht werden. Mit seiner Hilfe und auf seinen Grundlagen wird das ganze Deutschland in den Grenzen, die heute durch gemeinsame Entschließungen beider deutscher Parlamente bestätigt werden, ein blühendes, ein freiheitliches und ein zukunftsfrohes Land werden. Und dies, Frau Vollmer, sind weder Lügen noch hohle Versprechungen, die Politiker im Wahlkampf in der DDR gemacht haben oder die wir hier abgeben.
({4})
Die Einführung der Deutschen Mark in das Gebiet der heutigen DDR ist dafür das äußere Symbol. Aber sie ist doch zugleich viel mehr als das. Sie ist das für jedermann begreifbare Zeichen wirtschaftlicher Vereinigung. Aber sie setzt auch die Daten, die dazugehören: wirtschaftliche Freiheit, Wettbewerb, leistungsgerechte Entlohnung, Privateigentum, unternehmerische Initiative, Unternehmer- und Gewerkschaftsfreiheit, freie Berufs- und Konsumwahl, ökologische Verantwortung, soziale Verantwortung und Wachstums- und Stabilitätspolitik. Das alles, meine Damen und Herren, waren Fremdworte in der DDR, und manche davon sind es heute noch.
Wie können Sie, Frau Vollmer, sich über das Streichen von Behindertenrenten beklagen? Auf jeder Wahlversammlung in der DDR kam mindestens ein
Kriegsbeschädigter zu mir und sagte: Du bist es doch auch; kriegen wir nach 45 Jahren endlich eine Kriegsbeschädigtenrente?
({5})
Das alles wird sich vom 2. Juli an ändern, sofern damit nicht schon begonnen worden ist. Es ändert sich durch einen Vertrag, der unter äußerst schwierigen Umständen von Beamten der beiden deutschen Regierungen in einer enormen Arbeitsanstrengung formuliert worden ist. Sie haben ein Vertragswerk zustande gebracht, das so, wie es die Regierungen dann beschlossen haben, Bestand hat und Bestand behalten wird. Das ist um so höher zu bewerten, als man hier eben nicht auf bewährte Vorbilder wie bei vielen anderen internationalen Verhandlungen zurückgreifen konnte. In der ganzen Breite des Vertrages mußte Neuland beschritten werden. Das ist nicht nur eine beeindruckende Verwaltungsleistung, sondern der Staatsvertrag ist auch eine schöpferische Leistung geworden, und wir haben allen Beteiligten dafür zu danken.
({6})
Meine Damen und Herren, ich hätte diesen Dank auch gerne früher einmal von sozialdemokratischer Seite gehört, zumal von einem Kanzlerkandidaten, dessen Beiträge dazu sich in nörgelnder Ablehnung, in eitlem Kassandra-Getue und in beckmesserischer Egozentrik erschöpft haben.
({7})
Seine Haltung zur Vorbereitung der deutschen Einheit ist so immerhin auf eine Weise bloßgestellt worden, die der SPD noch schwer zu schaffen machen wird.
({8})
Jetzt fängt die SPD sogar noch eine Diskussion - ich kehre zum Fußball zurück - über eine Doppelspitze der Partei an. Für Völler/Klinsmann als Doppelspitze bin ich ja, aber bei Parteivorsitzenden halte ich nicht viel davon.
Hätte Herr Lafontaine nicht wenigstens ein gutes Wort für die Arbeit derer finden können, die aus der DDR daran mitgewirkt haben und sich dabei auf einem ihnen völlig fremden Gebiet zurechtfinden mußten? Nichts davon war aus Saarbrücken zu hören. Es gab nicht einmal einen Satz der Anerkennung für die Verhandlungserfolge, die dem Beauftragten aus Berlin z. B. bei der Umstellung von Spareinlagen und Löhnen oder in sozialpolitischen Fragen doch unbestreitbar gelungen sind.
({9})
Auch deswegen konnte der Vertrag ja so bleiben, wie er ausgehandelt worden war. Deswegen gab und gibt es nichts nachzubessern.
({10})
Ich will den Leidensweg der SPD in ihrer Auseinandersetzung mit dem Staatsvertrag nicht noch einmal nachzeichnen. Ich beschränke mich auf ein Zitat aus dem „Economist". Da heißt es wörtlich: „Herr Lafontaine hat überhaupt keine der Nachbesserungen des
Vertrages erreicht, die er für notwendig erklärt hatte."
- Das ist das Urteil eines unparteiischen ausländischen Beobachters. Das Urteil ist richtig.
({11})
Aber, meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck - ich sage: ich habe leider den Eindruck -, daß es dem saarländischen Ministerpräsidenten in Wahrheit auch nie um Verbesserungen gegangen ist. Herr Vogel, Sie haben gesagt: Wir wollen, daß es denen da drüben gutgeht. - Ich glaube Ihnen das. Aber Herr Lafontaine setzt auf den Mißerfolg der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion.
({12})
Er spekuliert auf verbrannte Erde, auf den ökonomischen Kollaps der DDR, und zwar aus wahltaktischen Gründen.
({13})
Will er Kanzler auf ostdeutschen Ruinen werden?
Aber, meine Damen und Herren, wir können beruhigt sein. Es wird ihm nicht gelingen, jetzt weniger denn je. Er hat seine Chancen verspielt.
({14})
Ich wünsche ihm übrigens viel Glück beim Wahlkampf in der DDR.
({15})
Herr Vogel hat eben hier ausgeführt, er empfinde am heutigen Tag Freude. Das ist von jemandem, der
- darf ich das sagen? - nicht immer eitel Freude versprüht, eine wichtige Aussage, und ich nehme die ernst.
({16})
- Doch, ich nehme sie ernst, und ich nehme Ihnen, Herr Vogel, das auch ab. Aber ich nehme sie nicht Ihrem Konkurrenten, dem saarländischen Ministerpräsidenten, ab. Verspürt er auch Freude?
({17})
Im übrigen Herr Vogel, Freude wird Ihnen zuerkannt, aber Dankbarkeit ist kleingeschrieben. Ihr Hinweis, die beiden großen Parteien hätten diesen Weg zum heutigen Tage vorbereitet, übersieht wohl den Anteil der Freien Demokraten an dem, was wir über Vertragspolitik in den letzten Jahren erreicht haben.
({18})
Nein, meine Damen und Herren, der Ministerpräsident aus Saarbrücken hat in einer geschichtlichen Herausforderung versagt, und alle haben es gesehen, vor allem in der DDR. Die Folgen wird die SPD tragen, eine Partei, die einst als Bannerträger deutscher Einigungsbestrebungen galt - mit Recht hat der Bundeskanzler heute Kurt Schumacher zitiert - und deren
Vertreter heute schon wieder angelegentlich mit Herrn Gysi von der PDS diskutieren.
({19})
- Darauf will ich gleich eingehen, Herr Vogel.
({20})
- Ich kann mir nicht vorstellen, daß Ihnen etwas entgangen ist. - Ist das jetzt schon die Fortsetzung eines Dialogs, den man vorher mit Herrn Axen von der SED betrieben hat und aus dem man allerlei politischen Lustgewinn gezogen hat?
({21})
Es ist einigermaßen erschreckend, wenn ein sozialdemokratischer Kollege dieses Hauses die DDR davor warnt, unser Rechtssystem zu übernehmen, offensichtlich deshalb, weil es hierzulande an sogenannter Trauerarbeit mangele. Es mag ja nicht schaden, wenn wir über eigene Unvollkommenheiten nachdenken,
({22})
aber will der Kollege Weisskirchen wirklich die Aufrechterhaltung sozialistischer Parteilichkeit in Recht und Rechtsprechung der DDR festschreiben?
({23})
- Herr Wünsche ist nicht Mitglied meiner Partei. Herr Weisskirchen ist aber Mitglied Ihrer Partei. Daß wir Herrn Wünsche dort ungern sehen und möglichst bald verschwinden sehen wollen, habe ich oft genug gesagt.
({24})
Ohnehin richtet die beginnende Vereinigung Deutschlands offensichtlich allerlei romantische Konfusion an. Ich will hier keinen Zweifel daran lassen: Es ist natürlich jedermann unbenommen, seine sozialistischen Träume,
({25})
deren Verwirklichung für die davon Betroffenen bittere Wirklichkeit bedeutet, bis zum verblassenden Ende zu träumen. Aber man verschone uns bitte endlich damit, nach allen Erfahrungen mit einem korrupten, unfähigen, menschenverachtenden SED-Staat dort noch verborgene Restbestände einer besseren sozialistischen Welt ausmachen zu wollen.
({26})
Man verschone uns damit, in der Heimstatt der Terroristen, als die sich die alte DDR jetzt entpuppt, wenigstens Spurenelemente einstiger Hoffnungen zu finden, die doch alle falsche Hoffnungen waren.
({27})
Jedes Gemeinwesen muß sich an der Frage messen lassen, ob es seinen Bürgern die Chance zu einem menschenwürdigen Leben in Freiheit gibt, die Chance, sich selbst zu verwirklichen. Für die einstige DDR ist die Antwort klar: Sie hat diese Chance niemandem gegeben, selbst ihren Befürwortern nicht, die sie mit ausgesuchten Privilegien verwöhnte. Es wird niemand bestreiten, daß es dort auch Idealisten gegeben haben soll; aber wenn es sie gab, sind sie von den Machthabern schamlos betrogen worden. Manchen Intellektuellen, die heute vor den Trümmern ihrer Illusionen stehen, mag zwar ein begrenztes Mitgefühl sicher sein, aber nicht die Bereitschaft, das Gute im Sozialismus zu suchen und seine stille Innerlichkeit im Schatten der Staatssicherheit auszumachen.
({28})
Das Rührstück von der kleinbürgerlichen Nischengesellschaft bewegt inzwischen niemanden mehr.
Fragen müssen wir uns allerdings danach, was die Einheit Deutschlands für die Grundbefindlichkeit der Bürger in der Bundesrepublik bedeutet, was sie für Folgen für uns im Westen hat. Hermann Rudolph hat diese Fragen am vorigen Samstag in der „Süddeutschen Zeitung" gestellt. Die Antworten müssen wir selber zu geben versuchen.
Viele davon werden wir erst im Prozeß des Zusammenwachsens finden. Sicher ist nur: Dies ist nicht die Zeit ganz unangebrachter Überlegenheitsgefühle, sondern es ist die Zeit praktischer Solidarität. Dies ist die Zeit des Bemühens um Verständnis und Verständigung mit Menschen, die zwar die gleiche Sprache sprechen wie wir, mit denen wir aber doch Verständigungsschwierigkeiten haben. Das wird auch nicht gleich am Tag der Einheit aufhören.
Die Westdeutschen, denen es gutging und gutgeht, die in selbstverständlich empfundener Freiheit zu Weltbürgern geworden sind oder es doch werden konnten, sind mehr gefordert als diejenigen, die sich die Freiheit gerade erstritten haben. Aber daß sie es getan haben, das ist ihre große geschichtliche Leistung. Das wirkt stärker als alles, was wir jetzt an Unsicherheiten, an Kompetenzrückstand, an mancher Provinzialität, an überzogener Autoritätsgläubigkeit bei ihnen feststellen konnten.
Die Bürger der DDR haben auch uns ein Vorbild zu sein. 40 Jahre Diktatur haben ihren Willen zur Freiheit nicht zerstören können. Bei allen Gesprächen im Ausland merke ich: Ihre Freiheitsrevolution hat für das deutsche Volk und seinen Namen neue Achtung und neue Sympathie errungen.
({29})
Deshalb meine ich: Gewiß wird die Bundesrepublik im Vereinigungsprozeß vor allem materiell mehr der gebende als der empfangende Teil sein. Aber das alles wird den gemeinsamen Weg nicht allein bestimmen. Auch wir sind Nehmende und werden es blei17182
ben. Wir sollten sensibler und dankbarer sein, dankbar auch dafür, daß uns ein Los erspart geblieben ist, das unsere Landsleute jahrzehntelang ertragen mußten.
Allerdings: Der Staatsvertrag fordert ein anderes, ein neues Denken sicher vor allem von den Bürgern der DDR. Nach der endgültigen Vereinigung wird sich solche Notwendigkeit noch mehr zeigen. Es geht nämlich nicht nur um Währungsumstellung, Investitionen und Produktivität. Es geht um die Akzeptanz einer Wirtschaftsordnung, die auf Selbstverantwortung und freien Entscheidungen eines jeden einzelnen beruht. Es geht um den gewollten, den freiwilligen Verzicht auf die kümmerliche Fürsorge durch einen omnipotenten Staatsapparat und die bewußte Hinwendung zum Wagnis als einem Lebensprinzip, das gleichermaßen Chancen und Risiken eröffnet.
Das mag für viele ein lästiger und steiniger Weg sein, aber es gibt keinen anderen zu Freiheit und Wohlstand für alle - oder fast alle.
Wer mit DDR-Bürgern spricht, der merkt, mit welcher Mischung von Hoffnungen und Sorgen viele dem 2. Juli entgegensehen. Nur, eins, Frau Vollmer, haben sie alle gewollt: Sie wollten diesen Staatsvertrag, sie wollten diesen Weg. Nach dem 18. März haben Sie, Ihre Freunde und ein neugewonnenes Mitglied der SPD sie aufs Übelste beschimpft mit dem Vorwurf, sie hätten einfach nackt die D-Mark gewählt. Jetzt kommt die D-Mark, und dann ist das auch wieder falsch. Sie müssen Ihre Argumentation sortieren.
({30})
Man kennt in der DDR die Ergebnisse der Sozialen Marktwirtschaft hier bei uns, aber man kennt die Soziale Marktwirtschaft selber nicht; man hat sie nie erfahren. Viele haben sich in ihrer bescheidenen, engen, aber als sicher empfundenen eigenen Welt eingerichtet. Es gab zwar keine Chance, nach oben durchzustoßen, aber es gab auch kein Risiko, nach unten hin durchzufallen.
Nun plötzlich weitet sich der Raum zu mehr Chancen für alle, aber auch zu Risiken. Nun muß soziale Absicherung dafür sorgen, daß niemand durch den Rost der Gesellschaft fällt. Dazu setzen wir die bewährten Instrumente des Arbeitsförderungsgesetzes ein, und wir werden sie aus der Bundesrepublik finanzieren.
Je überzeugter und bereitwilliger sich die Menschen in der DDR den Anforderungen einer modernen Gesellschaft stellen, desto schneller werden die Wohlstandsunterschiede in beiden Teilen eines vereinten Deutschlands verringert werden können.
Mancher spricht vom bevorstehenden Aufbauwunder, und er erinnert damit an das sogenannte Wirtschaftswunder der Bundesrepublik nach 1948. Das war aber kein Wunder. Es war die Kombination aus Politik der Sozialen Marktwirtschaft und harter Arbeit der Menschen. Das wird jetzt auch in der DDR so sein. Licht am Ende des Tunnels wird in der DDR bald sichtbar werden. Aber die DDR kann den Tunnel nicht umgehen; sie muß hindurch, mit unserer Hilfe. Die Anschubleistungen aus der Bundesrepublik dafür sind uns bekannt. Ich schließe nicht aus, daß wir sie
vorübergehend noch verstärken müssen. Aber angesichts aller Kritiker, die sagen, das sei noch viel zu wenig, und aller Gewerkschafter in der DDR, die es ja ebenfalls schon gibt und die als erste hochprozentige Lohnsteigerungen verlangen,
({31})
erinnere ich an die Worte des polnischen Schriftstellers und Politikers Andrzej Szczypiorski, der für sein Land gesagt hat: Wir haben in der anderen Straße keine vermögenden Landsleute, die die Wirtschaft für uns sanieren; wir müssen es selber tun.
Das ist überzogen; ich weiß es. Die Hauptlast der wirtschaftlichen Sanierung wird auf der DDR liegen, aber doch unter ungleich besseren Bedingungen als in irgendeinem Land in Mitteleuropa, das sich jetzt reformiert. Was gäben Ungarn, Polen und die Tschechoslowakei dafür, wenn sie einen wirtschaftlich so starken Partner hätten, wie ihn die DDR in der Bundesrepublik hat? Was gäben sie dafür, wenn sie mit einer international respektierten stabilen Währung den Weg in die Marktwirtschaft antreten könnten?
Mit diesen Hinweisen, meine Damen und Herren, gehe ich nicht über die Probleme hinweg, die jetzt auf die Menschen in der DDR zukommen: Anpassungssorgen, unzählige ungeklärte Rechtsfragen, Qualifizierungsmöglichkeiten und vor allem Arbeitsmarktprobleme. Jeder weiß, daß sich die vorhandene verdeckte Arbeitslosigkeit in offene Arbeitslosigkeit verwandeln wird. Aber sie ist schon da. Ich sehe bereits - wir haben es ja heute von Frau Vollmer gehört -, wie Herr Lafontaine die Auseinandersetzung führen will. Ich sage deswegen vorbeugend: Dies sind nicht die Arbeitslosen des Staatsvertrages oder der Regierung Kohl/Genscher; es sind die Arbeitslosen der Herren Honecker, Mittag und Gysi, und darum geht es.
({32})
Niemand in diesem Hause wird bestreiten, daß die desaströse Wirtschafts- und Umweltpolitik der SED jetzt Übergangsprobleme bereitet, die nicht in ein paar Monaten gelöst werden können. Es ist kein schlechtes Stück Arbeit, eine seit 40 Jahren bestehende Zentralverwaltungswirtschaft mit Kollektiveigentum an den Produktionsmitteln in eine freiheitliche, privat dominierte Wettbewerbswirtschaft umzuwandeln, in der unternehmerische Erfahrung ganz weitgehend fehlt und auch fehlen muß. Es gibt kein Textbuch der Wirtschaftswissenschaften dafür. Aber gerade hier sind schnelle Fortschritte nötig, und zwar vom ersten Tage der Wirtschaftsunion an. Immer wieder werden Vergleiche zwischen der Situation der Vorbundesrepublik 1948 und der DDR 1990 gezogen. Mit Recht enden sie meistens mit der Feststellung, daß die Bedingungen für die DDR heute günstiger sind, als sie es damals für uns waren.
Von dieser Feststellung gibt es aber mindestens eine wichtige Ausnahme. Als Ludwig Erhard 1948 die Zwangswirtschaft beseitigte, gewann das Privateigentum seine Bedeutung für selbstverantwortliche dezentrale Wirtschaftsplanung zurück. Unter den Netzen der Kriegswirtschaft und auch der nationalsozialisistischen autokratischen Zwangswirtschaftspolitik lagen die Institutionen einer liberalen Rechtsordnung. Das galt noch.
Privateigentum, auch an den Produktionsmitteln, Vertragsfreiheit, Gewerbefreiheit und Wettbewerb - alles das ist im SED-Staat zerstört worden, und es muß wieder geschaffen werden. Wenn Deutsche, meine Damen und Herren, 40 Jahre lang Kommunismus praktizieren, dann tun sie es verdammt gründlich.
Die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Bürger vom Staat ist eine notwendige Bedingung für Selbstständigkeit, persönliche Freiheit und die Wirksamkeit der politischen Mitwirkungsrechte in der Demokratie
schreibt Ernst-Joachim Mestmäcker vor wenigen Tagen in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Dazu bedarf es einer strikten Wettbewerbsordnung. Die DDR käme vom Regen in die Traufe, wenn sie sich damit begnügen würde, staatliche Monopole in private Monopole zu verwandeln. Die privaten Monopole sind um keinen Deut besser als die staatlichen Monopole; sie behindern den Wettbewerb genauso.
({33})
- Unterrichten Sie sich einmal über den Unterschied zwischen einem Oligopol und einem Monopol; dann können wir weiter darüber reden, Herr Kollege.
Die Verabschiedung des Gesetzes über die Treuhandanstalt in der Volkskammer, die Preisreform, mutige Entscheidungen des Amtes für Wettbewerb - das sind Zeichen dafür, daß die Regierung der DDR die Fallstricke auf dem Weg zu einer freien Wirtschaftsordnung erkannt hat. Privates Eigentum auch an Produktionsmitteln ist ein konstitutives Element einer freien Wirtschaftsordnung und einer freien Gesellschaftsordnung. „Frei ist nur der, der Eigentum hat oder Eigentum erwerben kann" ,
({34})
hat der große Liberale Immanuel Kant geschrieben. Es stammt nicht von mir, Herr Conradi; dann würden Sie nichts davon halten. Vielleicht ist Ihr Urteil bei Kant etwas anders.
Für die FDP, meine Damen und Herren, war deshalb die Behandlung der zahllosen Eigentumsverletzungen in der DDR und im vorkonstitutionellen Zeitraum der DDR eine Voraussetzung für ihre Zustimmung zum Staatsvertrag. Wir haben uns intensiv an den Verhandlungen mit der DDR beteiligt. Wir waren und sind erstaunt über die weitverbreitete Unempfindlichkeit bei eigentlich allen anderen politischen Parteien. Das hat sich im Verlauf der Diskussion verbessert, aber wie wir von Herrn Vogel heute gehört haben, ist diese Unempfindlichkeit bei den Sozialdemokraten deutlich ausgeprägt vorhanden.
Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Conradi?
Bitte sehr.
Herr Lambsdorff, halten Sie es für vertretbar, daß die Menschen, die in der DDR Grundeigentum verloren haben, entschädigt werden, die hunderttausend oder vielleicht Millionen Menschen,
die in ihrem Lebensglück, in ihren Berufschancen, in ihren Bildungsmöglichkeiten aus politischen, religiösen Gründen - oder aus welchen anderen Gründen - schwer beschädigt worden sind, nichts erhalten, keine Entschädigung erhalten - wie auch immer - d. h. daß sich die Entschädigung allein auf materielles Eigentum bezieht und alles andere so bleibt, wie es ist? Halten Sie dies für gerecht?
Ich weiß jetzt nicht, welche Fälle Sie im einzelnen meinen, die Sie angesprochen haben. Wenn Sie, Herr Conradi, mir das sagen würden, wäre es eine andere Frage. Nur, eines muß ich sagen - darauf werde ich auch noch einmal zurückkommen -, es kann ja wohl nicht so bleiben, daß es eine völlig unterschiedliche Behandlung der Menschen gibt, die in der Bundesrepublik gelebt haben und drüben enteignet worden sind oder sogar jenseits der Oder-Neiße-Linie enteignet worden sind, und derjenigen, die in der DDR geblieben sind. Das halte ich jedenfalls nicht für gerecht.
({0})
- Nein, nein, aber ich habe Ihnen ja gesagt, daß Sie dann Ihre Frage etwas spezifizieren müssen.
Die mit der DDR erreichte Verständigung befriedigt für die Jahre ab 1949, weil die DDR grundsätzlich die Rückerstattungspflicht bejaht. Selbstverständlich, meine Damen und Herren, wollen auch wir nicht
- weder die Koalition noch die Bundesregierung; niemand will das - eine Million DDR-Bürger aus ihren Häusern und Ferienhäusern vertreiben. Das Thema war nicht leicht zu lösen. Aber es ist eine sozial gerechte Ausgleichslösung in dem von Herrn Vogel erwähnten Protokoll gefunden worden ({1})
von beiden Seiten; das ist auch von beiden Seiten unterschrieben worden, wenn ich Sie daran erinnern darf.
Unerfreulich bleibt es, daß die Enteignungen von 1945 bis 1949 von jeder Rückerstattung ausgenommen worden sind.
({2})
- Ich werde Ihnen gleich eine Frage stellen, und dann können Sie antworten, Herr Ehmke. Sollen die wegen angeblicher faschistischer Umtriebe enteigneten Erben eines nach dem 20. Juli 1944 hingerichteten Grundbesitzers so abgespeist werden? - Was jetzt - hört, hört, ja oder nein? Antwort, Herr Ehmke? - Keine, danke.
({3})
Es ist der FDP gelungen, wenigstens eine Öffnungsklausel für Entschädigungen durchzusetzen, die ein künftiges gesamtdeutsches Parlament nutzen muß.
({4})
- Bei den arisierten Betrieben, sehr geehrter Herr Conradi, bin ich es gewesen, der Herrn de Maizière darauf angesprochen hat - ({5})
- Ich bitte, nach 1945 sind hier Rückerstattungen für enteignetes jüdisches Vermögen vorgenommen worden!
Ich habe Herrn de Maizière am Freitag der vorvergangenen Woche in der Besprechung in Ostberlin gesagt, dieses Problem müssen Sie lösen. Ich weiß nicht, ob der Senat in Berlin, der sozialdemokratisch geleitete Senat in Berlin - die sind alle schon verschwunden - , eigentlich seine Potsdamer-Platz-Planung dort vornimmt, ohne vorher einmal überlegt zu haben, wo eigentlich die Eigentümer des Kaufhauses Wertheim geblieben sind und ob das vielleicht mit Rückerstattungsansprüchen belegt ist.
({6})
Also, Sie müssen mir mit dem Thema nicht kommen, Herr Conradi. Lassen Sie das bleiben.
({7})
Es ist der FDP gelungen, wenigstens eine Öffnungsklausel - ich sagte das schon - für Entschädigungen durchzusetzen, die ein künftiges gesamtdeutsches Parlament nutzen muß. Dazu gehört dann auch eine Entschädigungsregelung für enteignete Personen, die nicht in der Bundesrepublik Lastenausgleich erhalten haben, weil sie in der DDR geblieben sind.
Lassen Sie mich noch hinzufügen: Meine Damen und Herren, Herr de Maizière hat auf diese Ansprache durchaus positiv reagiert und gesagt, das müsse getan werden.
Alles das, diese Frage der Behandlung verletzten Eigentums, hat auch mit den Chancen des Staatsvertrags zu tun, den wir heute beraten. Sie werden in der Welt wenige Investoren finden, wenn Sie widerrechtliche Enteignungen einfach zu den Akten legen.
({8})
Eines ist aber sicher: Nur mit schnell erstarkender privater Initiative kann die DDR-Wirtschaft die Leistungsfähigkeit gewinnen, die sie braucht, um im internationalen Konkurrenzkampf mithalten und sichere Arbeitsplätze anbieten zu können. Noch auf längere Zeit subventionierte Staatsbetriebe schaffen das nie. Deshalb eben sind die Vorschläge der Sozialdemokraten hier bei uns falsch, die Betriebe in der DDR unter eine Käseglocke zu stellen, sie vor Wettbewerb schützen zu wollen.
An die Adresse der DDR gerichtet füge ich hinzu: Die Einführung einer Importsondersteuer ist ein wirtschaftspolitischer Fehler. Sie wird sich als eine Begünstigung des westdeutschen Einzelhandels entlang der früheren Zonengrenze und West-Berlins erweisen, und sie wird den Verbraucher in der DDR unnötig belasten.
({9})
Diese Fehler werden auch durch die Lustgefühle und Lustgewinne der Finanzminister auf beiden Seiten nicht ausgeglichen.
({10})
- Danke schön, Herr Bundesfinanzminister.
Meine Damen und Herren, unsere Firmen sollen in der DDR nicht nur verkaufen, sondern sie sollen vor allem dort produzieren. Ich bin sicher, sie werden es tun. Der Hinweis von Frau Vollmer, daß hier produziert und dort verkauft werde und daß unsere Kapazitäten völlig ausreichten, zeugt von wirklich horrender Ahnungslosigkeit über den Zustand der Produktionsanlagen der westdeutschen Wirtschaft. Sehen Sie sich an, wie die Kapazitätsauslastungen aussehen, daß die Befürchtungen der Bundesbank und der Forschungsinstitute dahin gehen, wegen voll ausgelasteter Kapazitäten entwickelten sich Preisüberwälzungsspielräume. Sie brauchen neue Erweiterungskapazitäten und Investitionen. Die kriegen Sie hier aus Arbeitsmarktgründen, aus Umweltgründen, aus Baugenehmigungsgründen nicht. Die DDR bietet sich dafür als ein ideales Feld an. Es wird auch so geschehen. Nur, wir müssen nicht noch dauernd an die Wand malen, wie schlecht das alles sei. Überlassen Sie die Kassandratätigkeit Herrn Lafontaine. Der kann es nicht mit dem weinerlichen Ausdruck in der Stimme, aber es reicht, was er inhaltlich tut.
({11})
- Ich kann überhaupt nicht reiten, Herr Conradi, habe nie auf einem Pferd gesessen.
({12})
- Setzen Sie sich mal mit einem Holzbein aufs Pferd. Das ist schwierig, das sage ich Ihnen.
({13})
Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer? Dr. Graf Lambsdorff ({0}): Frau Vollmer.
Bitte schön, Frau Vollmer.
Nachdem es mir nun schon das dritte Mal passiert ist, Herr Kollege Lambsdorff, daß Sie nach mir sprechen und dann meinen weinerlichen und larmoyanten Ton zitieren,
({0})
möchte ich Sie erstens bitten, doch Ihre Ausdruckskraft um andere Ausdrücke zu bereichern, und zweitens zu sagen, ob Sie es korrekt fänden, wenn ich Sie ständig eines Casinotons oder eines Herrenreitertons bezichtigte?
({1})
Ich gebe Ihnen gerne die Gelegenheit, Frau Vollmer, auf diese Weise noch einmal auf mich antworten zu können. Ich kann ja nicht für die Reihenfolge der Redner. Das entspricht einer amerikanischen Rednererfahrung, die da sagt: Es ist immer gut, wenn du als letzter dran bist; zwar kannst du dein Manuskript nicht benutzen, aber du
kannst alles das richtigstellen, was vor dir gesagt worden ist.
({0})
Diesen Vorteil haben wir bei der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages für die FDP-Redner.
Die Bundesregierung, meine Damen und Herren - wir sprachen über die Investitionsmöglichkeiten und -notwendigkeiten in der DDR - , ist zu konkreter Information aufgefordert, unter welchen Bedingungen dies geschehen kann. Ich finde die heute erschienenen - jedenfalls habe ich sie heute erstmals zu sehen bekommen - Informationen der beiden deutschen Regierungen über Inhalt und Anwendbarkeit des Staatsvertrages - ich habe das inhatlich noch nicht im einzelnen lesen können - eine jedenalls in der Richtung notwendige Aufklärungsarbeit, insbesondere für die Menschen in der DDR.
Die DDR bietet Wachstumsmöglichkeiten wie keine andere Region in Europa. Wenn man sich auf den Marktplatz in Leipzig oder in Stralsund oder in Greifswald stellt, weiß man, was zu geschehen hat. Nur, es muß richtig angepackt werden. Deshalb sind wir trotz vieler nicht zu übersehender Zeichen auch der Verzagtheit, die auch von einigen von uns angeheizt worden sind, auch trotz mancher Schreckensszenarien von Nationalökonomen, überzeugt: Es gibt unter dem Druck der Ereignisse in der DDR keinen besseren, keinen mehr Erfolg versprechenden Weg zur wirtschaftlichen Wiedergesundung als den, der in diesem Staatsvertrag vorgezeichnet ist, mit einer entscheidenden Ergänzung allerdings: Die Ziele des Vertrages werden noch schneller und viel umfassender erreicht werden, wenn mit gesamtdeutschen Wahlen die Einheit des Landes vollendet wird.
({1})
Die FDP war die erste Partei, die vorschlug, keine Bundestagswahl mehr durchzuführen, sondern gleich gesamtdeutsch zu wählen. Die Ablehnung war breit und heftig, noch im April. Jetzt haben wir Mühe, unser Urheberrecht zu verteidigen.
({2})
Wir werden, meine Damen und Herren, sehr bald ein gesamtdeutsches Parlament wählen. Das ist gut so, auch aus wirtschaftlichen Gründen. Erst ein vereintes Deutschland, ein einheitlicher Rechtsrahmen schaffen die Investitionslandschaft, die vor allem ausländische Investoren suchen. Wir sind doch gemeinsam - jedenfalls diejenigen, die diesen Weg im Prinzip für richtig halten - daran interessiert, daß das nicht allein eine deutsch- deutsche Investitionsveranstaltung wird, sondern daß sich wesentliches Kapital, daß sich privates Kapital in der DDR engagiert, möglichst viel europäisches Kapital. Denn der ganze Weg des wirtschaftlichen Aufbaus der DDR und die damit zusammenhängenden politischen Begleitumstände, die der Bundesaußenminister heute überzeugend dargelegt hat, werden von unseren westlichen Nachbarn und Freunden nur dann wirklich akzeptiert werden, wenn wir klarmachen: Eine wirtschaftlich wiederaufgebaute DDR stärkt die Wirtschaft des vereinten Deutschlands, und dieses vereinte Deutschland als
Teil der Europäischen Gemeinschaft stärkt damit die Wirtschaft der Europäischen Gemeinschaft. Nur so können wir den Weg gehen, und so werden wir ihn gehen.
Ich glaube, meine Damen und Herren, an diesem Tage darf man auch hier im Deutschen Bundestag einmal an Goethe erinnern: Wir können an diesem Tag sagen, daß von hier und heute eine neue Epoche der deutschen Geschichte und wohl nicht nur der deutschen Geschichte beginnt.
({3})
- Ja, richtig, Herr Vogel. Aber dies bezog sich natürlich, wie Sie wissen, auf die Auswirkungen der französischen Revolution und nicht auf die Kanonade selbst. Wir können nicht nur sagen, daß wir dabei gewesen sind. Wer diesen Vertrag und diese Politik unterstützt, der wird auch behaupten können und dürfen, daß er seinen bescheidenen Teil zu dieser geschichtlichen Entwicklung beigetragen habe.
Die Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei - und die Fraktion für die ganze Partei - stimmt dem Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zu.
Ich danke Ihnen.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dreßler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der heutigen Verabschiedung des Staatsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR stehen wir an einer Wegmarke der deutschen Geschichte. Wir alle haben uns selbstkritisch zu prüfen, ob wir der damit verbundenen Herausforderung gerecht werden. Hat die Politik es vermocht, eine tragfähige Grundlage für den Einigungsprozeß zu schaffen? Hat die Regierung eine Plattform vorbereitet, daß dieser Einigungsprozeß zu einer Sache des ganzen Volkes werden wird?
({0})
Bundestagswahlen hin, Bundestagswahlen her, gesamtdeutsche Wahlen hin und her, wenn das Regierungshandeln der Bundesrepublik nicht bald deutlich macht, daß es neben dem parteitaktischen Vorteil etwas Wichtigeres, viel Bedeutsameres gibt, die Bevölkerung in Deutschland, kann die in den letzten Wochen mühsam und unter unerträglichem Zeitdruck erhandelte Grundlage eines Staatsvertrags schneller brüchig werden, als es uns allen lieb sein darf.
({1})
Weil es letztlich vielen Menschen schaden wird, halte
ich es für eine schwere Pflichtverletzung, daß die Bundesregierung in der Deutschlandpolitik das parteipo17186
litische Interesse rücksichtslos in den Vordergrund stellte.
({2})
Die überwiegende Mehrheit der Menschen in beiden deutschen Teilstaaten will die Einheit. Wir können die Einheit aber nur dann zu einer Sache des ganzen Volkes machen, wenn wir die Skeptiker nicht diskriminieren. Zu unserer Botschaft gehört deshalb : Wir wollen eine Einigung, die europäische Solidarität bewirkt, aber keine Belebung nationaler Gefühle. Unsere Botschaft muß aber auch sein: Wir wollen eine Einigung, die nicht nur größere Märkte für Unternehmen schafft, sondern eine, die auch den Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern neue Chancen bietet.
({3})
Wir wollen eine Einigung, die auch den Sozialstaat in den Mittelpunkt stellt, eine Einigung, bei der soziale Gerechtigkeit und Solidarität identitätsstiftend sind. Die Bundesregierung muß deshalb immer wieder daran erinnert werden: Es ist ein Fundament der Sozialdemokratie, nicht nur die nationale, sondern auch die soziale Dimension von Politik zu erkennen.
({4})
Für uns ist daher die Schaffung einer Sozialunion kein Thema, das im Zusammenhang mit diesem Staatsvertrag unter der Überschrift „Fernerliefen" abgehandelt werden kann, sondern die Sozialunion ist integraler Bestandteil des Staatsvertrages, sie steht ebenso im Mittelpunkt unseres Bemühens.
Meine Damen und Herren, ein vereintes Deutschland bedroht niemanden. Wie könnten wir diese Botschaft nach außen besser unterstreichen als durch die Schaffung von sozialer Gerechtigkeit und durch die Gewährleistung des sozialen Friedens im Innern?
({5})
Ein vereintes Deutschland hegt keine Expansionsgelüste, weder politische noch wirtschaftliche, sondern will sich einordnen in das gemeinsame Europa. Wie könnten wir dies besser unter Beweis stellen als durch die gerechte Verteilung des erwirtschafteten Volksvermögens und durch die Gewährleistung von Arbeitnehmermitbestimmung als Element einer demokratisch verfaßten Wirtschaftsordnung?
Für uns Sozialdemokraten sind das zentrale Themen des deutschen Einigungsprozesses, und darin unterscheiden wir uns spürbar von der konservativen Seite dieses Parlamentes. Im März 1990 haben wir im Rahmen unseres Papieres „Erste Schritte zur Sozialunion" ein geschlossenes Konzept zur schrittweisen Vereinheitlichung des Rentensystems beider deutscher Staaten vorgelegt. Wesentliche Elemente dessen, was jetzt im Staatsvertrag verankert wird, sind damals von der SPD vorgeschlagen worden.
({6})
- Herr Kollege, mit dem Niveau Ihrer Zwischenrufe
ist das wie mit dem Geist und dem Magen: Man soll
beiden nur das zutrauen, was man auch verdauen kann.
({7})
Wir haben die Einführung einer lohnbezogenen Rentenversicherung nach dem Muster der Bundesrepublik: Nach 45 Berufsjahren soll die Rente etwas mehr als 70 % des Nettolohnes eines vergleichbaren Arbeitnehmers betragen. Anpassung der Renten entsprechend der Nettolohnentwicklung. Mit der neuen Lohndynamik sollen die Rentner der DDR auch einen Inflationsschutz erhalten. Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze von heute 600 Mark, Ost-Mark, demnächst D-Mark, weniger also als 50 % des durchschnittlichen Bruttolohnes in der DDR, auf ca. 2 300 Mark. Das sind dann ca. 180 % des durchschnittlichen Bruttolohnes. Nur so kann die Sozialversicherung eine Alterssicherung bieten. Die Mehraufwendungen für die Rentenversicherung der DDR sollten weitgehend mit Hilfe der Bundesrepublik finanziert werden.
Im März glaubte die Bundesregierung noch, die sozialpolitische Dimension des deutschen Einigungsprozesses auf währungs- und finanzpolitische Fragen reduzieren zu können.
({8})
Inzwischen hat sie unser Konzept in den genannten Punkten übernommen. Das Ergebnis findet sich im Staatsvertrag.
({9})
Zur SPD-Position gehört allerdings auch, daß die deutsch-deutsche Rentenpolitik nicht nur im Überstülpen des bundesrepublikanischen Systems auf die DDR bestehen kann. Wichtige Elemente der DDR verdienen auch, für eine künftige gesamtdeutsche Sozialpolitik bewahrt zu werden, und dazu zählt vor allem das System der Mindestrente. Sie in der DDR abzuschaffen hieße, dort Altersarmut neu einzuführen.
({10})
Leider konnten sich die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen nicht aus ihrer ideologischen Fixierung lösen; für sie sind Ausgrenzung und Hinnahme massenhafter Altersarmut weiterhin tragende Konstruktionsprinzipien ihres Sozialstaatsverständnisses. Trotzdem ist es in gemeinsamer Anstrengung der Sozialdemokraten in Ost und West gelungen, den schlimmsten Schlag der Konservativen gegen die DDR-Rentner zu verhindern: Die Mindestrenten bleiben im Rahmen des Vertrauensschutzes für mindestens fünf Jahre erhalten.
({11})
Darüber hinaus wird ein Sozialzuschlag einer Grundsicherung von 495 DM für Alleinstehende bzw. 900 DM für Verheiratete garantiert. Ohne Sozialzuschlag würde die Sozialhilfebedürftigkeit in der DDR schon im zweiten Halbjahr 1990 sehr viel dramatischer zunehmen. Die kommunalen Kassen in der DDR gerieten damit in die Lage, ihre Existenz mit Schulden beginnen zu müssen, bevor sie mit Steuereinnahmen rechnen können. Diese Schulden würden in der Folge im horizontalen Ausgleich von Ländern und Kommunen aufgefangen werden müssen. Anders ausgeDreßler
drückt: Bezahlt werden muß so oder so. Der bessere Weg hat sich durch unser Engagement durchgesetzt. Die von CDU/CSU und FDP zunächst abgelehnten Mindestrenten bleiben vorläufig erhalten. Eine spätere sozialdemokratische Mehrheit in einem gesamtdeutschen Parlament
({12})
wird dafür sorgen, daß diese Ansätze genutzt werden und daß dies durch Einführung einer sozialen Grundsicherung in einem vereinten Deutschland ergänzt wird.
({13})
Schon unmittelbar nach dem Fall der Mauer hat die SPD die Auffassung vertreten, daß das Fremdrentengesetz seine Berechtigung verloren hat. Statt zu handeln, hat sich Arbeitsminister Blüm damals mit Kinkerlitzchen, dem sogenannten Stasi-Gesetz, beschäftigt, das man übrigens inzwischen wegen seiner rechtsstaatlichen Fragwürdigkeit
({14})
stillschweigend zu den Akten legen mußte.
({15})
Heute können wir feststellen, daß die Bundesregierung im Zustimmungsgesetz zum Staatsvertrag die SPD-Position teilweise übernommen hat.
({16})
Allerdings hat das Gesetz einen schweren Mangel. Nach dem Willen der Bundesregierung und der Koalition sollen künftig Aussiedler aus osteuropäischen Ländern rentenrechtlich bessergestellt werden als Übersiedler aus der DDR.
({17})
Das ist ein völlig unhaltbarer Zustand.
({18})
Dieser unhaltbare Zustand ist vom Arbeitsminister schuldhaft verursacht worden, und zwar durch seine Versäumnisse bei den fälligen Verhandlungen zur Änderung des Sozialversicherungsabkommens mit Polen seit Ende 1989.
({19})
Damit provoziert die Bundesregierung neue Ungerechtigkeiten im Fremdrentenrecht.
({20})
Sofort nach dem Fall der Mauer hätte Bundesminister Blüm aktiv werden müssen.
({21})
Die Öffnung der deutsch-deutschen Grenze hatte dem bisherigen Fremdrentengesetz buchstäblich über Nacht den Boden entzogen.
({22})
Die Bundesregierung hat es trotzdem fertiggebracht, daß ein Deutscher aus der DDR mit Durchschnittseinkommen und 45 Versicherungsjahren 672 DM Rente erhält, hingegen ein vergleichbarer Aussiedler aus Kasachstan oder Oberschlesien rund 1 670 DM. Das ist inakzeptabel und verstößt gegen jedes Gerechtigkeitsgefühl.
({23})
- Heute regen Sie sich auf. Vor wenigen Tagen hat die SPD-Fraktion im Ausschuß Deutsche Einheit diese Ungerechtigkeit beseitigen wollen. Wir wurden in der vorigen Woche im Ausschuß Deutsche Einheit von den sich hier brüstenden Damen und Herren gnadenlos niedergestimmt. Das ist die Wahrheit.
({24})
Dadurch übernimmt die Bundesregierung für alle damit zusammenhängenden Konsequenzen die alleinige Verantwortung: die Verantwortung dafür, daß CDU/CSU und FDP die Gerechtigkeit gegenüber Rentnerinnen und Rentnern in der Bundesrepublik, die weniger Rente bekommen, auf das schwerste verletzen, und die Verantwortung dafür, daß diese Uneinsichtigkeit eine neue Aussiedlerwelle provozieren muß.
({25})
- Was ist das überhaupt für eine Arbeitsteilung, Herr Bötsch? Sie laufen mit Ihrem Ministerpräsidenten in Bayern herum, fordern öffentlich die Abschaffung des Fremdrentengesetzes und stimmen im Deutschen Bundestag für die Aufrechterhaltung dieser ungerechten Behandlung gegenüber unseren Rentnerinnen und Rentnern. Herr Bötsch, wir werden Sie in den nächsten Monaten ständig daran erinnern.
({26})
Die Aufgabe, die bewältigt werden muß, ist gewaltig. Der Übergang von der kommunistischen Kommandowirtschaft zu einer sozial und ökologisch verpflichteten Marktwirtschaft ist historisch ohne Beispiel.
Die SPD der DDR und die SPD der Bundesrepublik haben in den letzten Wochen arbeitsmarktpolitisch viel erreicht.
({27}) Ich will vier Punkte hervorheben:
({28})
erstens die bessere Kurzarbeitergeldregelung in der DDR, die es ermöglicht, die vom Arbeitsausfall Betroffenen in betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheiten - das sind Qualifizierungsgesellschaften - zusammenzufassen, um die Zeit der Kurzarbeit für Maßnahmen der Fortbildung und Umschulung zu nutzen;
({29})
zweitens den erleichterten Zugang zu Qualifizierungsmaßnahmen für Beschäftigte, die nicht arbeitslos sind und denen nicht gekündigt wurde, die aber von Arbeitslosigkeit bedroht sind.
Herr Abgeordneter Dreßler, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Blüm gestatten?
Aber selbstverständlich. Eine Sekunde bitte! Entschuldigen Sie bitte, Herr Blüm. Hören Sie sich das erst zusammenhängend an! - Ich nenne drittens die Möglichkeit zur Förderung von Ausbildungsmaßnahmen in überbetrieblichen Einrichtungen, um die in der DDR drohende Ausbildungsplatzlücke zu schließen, und viertens die Übernahme des Schwerbehindertengesetzes in der DDR, um die Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft zu fördern.
({0})
Bitte, Herr Blüm.
Herr Kollege Dreßler, stimmt es, daß ich Ihnen die Kurzarbeiterregelung, von der Sie behaupten, daß Sie sie durchgesetzt haben, erst mühsam erklären mußte? Sie kannten sie gar nicht.
({0})
Stimmt es, daß ich sie Ihnen in der Verhandlung bei Minister Haussmann langwierig erklären mußte?
({1})
Nun warten Sie doch mal ab; Sie waren doch nicht dabei. - Herr Kollege Blüm, in der Verhandlung im Wirtschaftsministerium hat die SPD- Fraktion auf der Grundlage ihrer Forderungen, also unserer Forderungen, an Sie die Frage gestellt, wie diese Forderungen nunmehr Bestandteil dessen sind, was wir heute beraten. Ihre Antwort u. a. zum Kurzarbeitergeld war eine der Erklärungen, wie Sie sich vorstellen, unseren Forderungen Rechnung tragen zu können.
Wir haben das zur Kenntnis genommen und sagen heute: Das ist völlig in Ordnung, Herr Blüm. Wundern Sie sich nun nicht darüber, wenn Sie unsere Forderungen erfüllen, daß Sie uns anschließend noch erklären müssen, ob Sie es denn auch so richtig gemacht haben, wie die SPD es verlangt hat.
({0})
Meine Damen und Herren, wir haben erreicht, daß überlebensfähige Betriebe größere Chancen erhalten.
Herr Abgeordneter Dreßler, bevor Sie einen neuen Bereich anfangen: Der Herr Abgeordnete Blüm möchte dazu noch eine weitere Frage stellen.
Damit wir den Fragenkatalog vollständig machen: Herr Kollege Dreßler, da Sie mir ein Versagen bei der Fremdrentengesetzgebung vorwerfen, frage ich Sie: Wollten Sie das deutsch-polnische Rentenabkommen kündigen, Herr Dreßler? Wenn ja: Wann wollten Sie es kündigen?
Herr Kollege Blüm, diese Frage habe ich Ihnen bereits im Ausschuß Deutsche Einheit beantwortet.
({0})
Ich wiederhole hier meine Antwort: Es geht nicht darum, wie Sie hier glauben machen wollen, dieses Abkommen zu kündigen, sondern es geht darum, daß Sie seit Dezember 1989 Ihre Pflicht hätten tun müssen. Sie hätten in Verhandlungen einsteigen müssen, und zwar nicht nur mit Polen, sondern auch mit Rumänien, mit der Sowjetunion, mit der Tschechoslowakei, mit Ungarn, um auf der Grundlage der neuen Entwicklung im Osten Europas das Fremdrentengesetz in der Bundesrepublik abschaffen zu können. Sie haben bis heute die Verhandlungen mit Polen nicht begonnen.
Ich sage: Das sind sechs Monate Zeitverzug. Das halte ich für unverantwortlich im Sinne des Gerechtigkeitsempfindens unserer Rentnerinnen und Rentner.
({1})
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Blüm?
Herr Blüm, lassen Sie mich jetzt bitte weitermachen. Ich habe zwei Fragen beantwortet.
Ich fahre fort, meine Damen und Herren. Notwendig sind Maßnahmen der Fortbildung und Umschulung. Die im Staatsvertrag und den dazugehörigen Gesetzen festgelegten Regelungen sind jetzt eine politisch gute Arbeitsgrundlage. Ich habe im Laufe der letzten sechs Monate Monat für Monat darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung ihre Hausaufgaben leider nicht gemacht hat. Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat bereits am 14. Dezember 1989 eine Initiative zur Ausbildung und Qualifizierung der Beschäftigten im anderen Teil Deutschlands angeregt. Ich zitiere wörtlich: „Die Wirtschaft ist bereit, sich in der DDR zu engagieren. "
Besonders wichtig sei es, Weiterbildung nicht nur in der Bundesrepublik, sondern mit westdeutschen Ausbildern vor Ort anzubieten. Jeder vierte westdeutsche Betrieb war, so hatte eine Umfrage der Arbeitgeberverbände ergeben, dazu bereit.
Warum ist daraus im letzten halben Jahr nichts geworden? Sechs wertvolle Monate hat die Bundesregierung vertan.
Und heute? Nach Auffassung des DDR-Wirtschaftsministers Pohl ({0}) sind nur 30 % der Betriebe in der DDR nach dem 1. Juli aus eigener Kraft lebensfähig.
Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung des Bundestags hat am 11. Juni eine Anhörung zum Staatsvertrag durchgeführt. Dabei wurde klar: Die Arbeitsmarktexperten schätzen den Umfang der Arbeitslosigkeit, die in der DDR entsteht, auf bis zu 1,5 oder gar 2 Millionen, also auf 16 bis 22 %.
Die Bundesanstalt für Arbeit hat ausdrücklich auf ein großes Risiko für den Arbeitsmarkt hingewiesen. Die Bundesregierung sieht das anders, meine Damen und Herren. Sie verharmlost immer noch die sich abzeichnende Entwicklung. Nach ihrer Einschätzung werden es 5 % Arbeitslosigkeit bzw. Unterbeschäftigung sein, die in der DDR im zweiten Halbjahr 1990 entstehen. Das wären 430 000 Arbeitslose. Die im Staatsvertrag vorgesehene Anschubfinanzierung basiert auf dieser optimistischen Einschätzung.
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, es kann Ihnen doch nicht entgangen sein, daß die Bundesanstalt für Arbeit ein arbeitsmarktpolitisches Eventualprogramm für den Umstrukturierungsprozeß in der DDR entwickelt hat. Danach sollen Fortbildung und Umschulung besonders gefördert und ein Angebot von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Projekten zur Verbesserung der Infrastruktur und der Umweltreparatur auf den Weg gebracht werden. Bei einem Entlastungseffekt von 250 000 Personen kostet dieses Eventualprogramm brutto 5 Milliarden DM jährlich, für 500 000 Personen logischerweise 10 Milliarden DM jährlich.
Wir finden dazu im Nachtragshaushalt nichts. Wann sagt uns die Bundesregierung endlich die Wahrheit über die Kosten?
({1})
Ich frage: Wie lange soll der Öffentlichkeit das Märchen von solider Finanzierung vorgegaukelt werden? Der schleswig-holsteinische FDP-Vorsitzende hat in der vorigen Woche Steuererhöhungen angekündigt. Er hat seinen FDP-Freund Wirtschaftsminister Haussmann kritisiert, Investitionen würden zurückgestellt, weil es keine Sicherheit gebe. Wann endlich eröffnet die Bundesregierung eine wirklichkeitsnahe Bilanz?
Ich sage Ihnen: Die beharrliche Weigerung, die Kosten und ihre Finanzierung im Westen zu nennen, läßt sich nicht mehr lange durchhalten. Natürlich fürchtet die Regierung den Knall vor den Wahlen. Aber genau diesen Knall werden wir CDU/CSU und FDP nicht ersparen.
({2})
- Das werden wir Ihnen nicht ersparen, weil wir sagen: Es sind Gelder vorhanden, meine Damen und Herren. Wir sind nämlich gegen die von der Regierung angekündigte Senkung der Unternehmenssteuern um 25 Milliarden DM. Wir verschleudern sie nicht.
({3})
Der Verteidigungshaushalt - er hat den größten Umfang in der Geschichte der Bundesrepublik - ist doch ein Relikt aus den 60er und 70er Jahren, als noch das Argument zog, die Russen würden kommen. Meine Damen und Herren, die Russen sind nun wirklich gekommen, aber sie sind mit Modeschauen, mit Künstlern, mit Bundesliga- und Tennisspielern gekommen. Ich frage: Welcher sowjetische Panzer und welches sowjetische Flugzeug soll denn der Jäger 90 noch jagen? Für solche Träume haben wir beim Zustand der Erde keine Zeit mehr, und wir wollen auch kein Geld mehr dafür opfern.
({4})
Im Bereich der Arbeitnehmerschutzrechte war dem ersten Vertragsentwurf vom 24. April deutlich anzusehen, daß die Bundesregierung beabsichtigte, in der DDR eine Zone verdünnten Arbeitsrechts zu schaffen. Während die Konservativen sonst alle Energie daransetzen, der DDR das bundesdeutsche Recht möglichst total überzustülpen, sollte ausgerechnet hier zweierlei Recht bestehen, offensichtlich in der Absicht, die DDR als Einfallstor für Verschlechterungen zu benutzen, die man auf lange Sicht auch für die Bundesrepublik beabsichtigt.
So sollte das Betriebsverfassungsgesetz in der DDR ohne die Regelungen zum Sozialplan eingeführt werden. Das Kündigungsschutzgesetz sollte ohne die Bestimmungen über anzeigepflichtige Entlassungen auf die DDR übertragen werden. Das hat die SPD verhindert. Auch das Schwerbehindertengesetz wird in der DDR gelten. Durchkreuzt wurde auch die Absicht der Regierung, im Staatsvertrag erstmals die Zulässigkeit der Aussperrung zu verankern. Insgesamt ist die Sozialunion auf Drängen der SPD in Ost und West eine erste tragfähige Lösung geworden. Gleichwohl geht die Zeit weiter, und die Entwicklung wird sich eher noch beschleunigen.
Die Hauptarbeit, die Errichtung und der Ausbau eines gesamtdeutschen Sozialstaats, steht noch aus. Diese Arbeit, die die Vereinheitlichung des gesamten Sozialrechts umfaßt, wird die künftige gesamtdeutsche Gesetzgebung zu erledigen haben. Anders als beim Staatsvertrag, in dem es nahezu ausschließlich um Regelungen in der DDR und für die DDR ging, wird die Frage der weiteren deutsch-deutschen Harmonisierung der Sozialsysteme zugleich mit der Frage sozialpolitischer Reformen in der Bundesrepublik verknüpft sein.
Ich nenne nur Stichworte: Eine soziale Grundsicherung, die Reform der Krankenkassenorganisation, die Einführung einer Pflegeversicherung werden von uns auf die Tagesordnung gesetzt. Das gilt auch für die Betriebsverfassung, für die Modernisierung des Arbeitszeitrechts und für die Gleichstellung von Frau und Mann im Berufsleben.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Oft wird der politische und ökonomische Umbruch in der DDR ein Experiment genannt. Ich halte diese Bezeichnung für gefährlich. Ein Experiment ist etwas, was man mit wissenschaftlichem Interesse hinsichtlich des Ergebnisses verfolgt, ob es denn gutgeht oder auch nicht. Auf die DDR bezogen ist dieser Vergleich nicht akzeptabel, denn ich sage: Es darf nicht schiefgehen. Es geht um Menschen und ihre berufliche Zukunft, und es geht um die Akzeptanz der sozial orientierten und ökologisch eingebundenen Marktwirtschaft.
Ich danke Ihnen.
({5})
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Waigel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich darf mich zunächst beim Kollegen Vogel für die anerkennenden Worte über das Vertragswerk und die Verhandlungsführung bedanken. Ich will Ihnen das noch sagen, Herr Kollege Vogel, bevor Sie gehen müssen. Eine volle Information der Opposition hat auch - mit Ausnahme des Kollegen Dreßler - zu einer vollen Befriedigung geführt und damit in weiten Kreisen der SPD zu einer Zustimmung zu dem Vertragswerk geführt.
({0})
Wir haben natürlich auch nach der Vorlage des ersten Entwurfs verhandelt, und wir haben ein gutes Vertragswerk unterzeichnet. Wir haben uns dem Informationsbedürfnis der Opposition selbstverständlich nicht entzogen und zur vollen Aufklärung der SPD beigetragen. Das ist für den politischen Prozeß sicher sinnvoll und befriedigend. Die krampfhaften Entlastungsversuche dienen doch nur dazu, von der Zerrissenheit der SPD ablenken zu wollen, davon, daß sie in einer zentralen Frage deutscher Politik nicht wußte, was sie tun soll, und von ihrem Kanzlerkandidaten in einer unwürdigen Weise vorgeführt worden ist.
({1})
Ich bin mit vielem, was der Kollege Vogel gesagt hat, nicht einverstanden; aber gegenüber der verantwortungslosen Politik und Strategie von Lafontaine hat er sich in diesen Wochen geradezu als Verantwortungsethiker erwiesen. Ich kann nur sagen: Respekt vor dieser Haltung innerhalb der SPD.
Meine Damen und Herren, Änderungen des Staatsvertrags hat es nicht gegeben; sie sind auch von der DDR-Seite nicht verlangt worden.
Das Schlimmste an diesem Tag und in den letzten Wochen war das, was der Kollege Dreßler eben von sich gegeben hat.
({2})
Es war unter jedem Niveau. Es war eine Unverfrorenheit, hier von einem Schlag - oder Anschlag; ich habe das im Wortlaut nicht genau gehört - gegen den Sozialstaat zu sprechen. Lesen Sie das noch einmal nach, Herr Kollege Dreßler. Es erinnert mich an die schamlose Demagogie, mit der auch in der Vergangenheit gegen die Sozialpolitik und gegen die notwendige Konsolidierung in der Bundesrepublik Deutschland vorgegangen wurde.
({3})
Sie kommen aus Nordrhein-Westfalen. Im Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen ist mit der deutschen Einheit folgendermaßen - ({4}) - Ja, und warum haben Sie gewonnen?
({5})
Sie sollten sich mancher Argumente schämen, mit denen Sie dort aufgefahren sind. Ich begründe das auch. Ich bin von den Landesfinanzministern schon im März und im April gefragt worden: Wie hoch beziffern Sie die Kosten der Einheit? Das ist heute - wie damals - natürlich nur schwer zu prognostizieren. Daß weiß jeder. Ich habe damals gesagt: Ich schätze und veranschlage die Kosten in der zweiten Hälfte des Jahres 1990 auf 20 bis 40 Milliarden DM, und es können im nächsten Jahr zwischen 40 und 60 Milliarden DM sein.
Aus dieser von mir offen genannten Zahl wurde abgeleitet: Dann entfallen 20 Milliarden DM auf die Länder, dann entfallen 6 bis 7 Milliarden DM auf Nordrhein-Westfalen. Sie und andere - ob Sie das persönlich taten, weiß ich nicht, aber jedenfalls gilt es für einen Teil der Politiker der SPD in Nordrhein-Westfalen - sind dann durch das Land gezogen und haben den Menschen gesagt: Wegen der deutschen Einheit können wir diesen Kindergarten, diese Schule und ähnliches nicht mehr bezahlen und finanzieren. Das ist schlimmste Demagogie,
({6})
das ist ein Umgang mit der deutschen Frage, der an Unwürdigkeit nicht mehr zu überbieten ist.
({7})
Und ausgerechnet Sie, Herr Dreßler, stellen sich dann hierhin und werfen uns vor, wir würden in sozialen Fragen nicht genügend nachbessern, während Sie vorher die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland aufhetzen und ihnen vorrechnen, was die Wiedervereinigung für sie kostet.
({8})
Zum Sozialversicherungsabkommen und zur Fremdrentenproblematik wird später der Kollege Blüm noch etwas sagen. Aber eines will ich schon jetzt sagen, damit das nicht im Raum stehenbleibt. Sie müssen dann sagen, Herr Dreßler, ob sie die Kündigung des Abkommens mit Polen wollen oder nicht wollen. Ich kann mich erinnern, daß Sie mich vor einigen Monaten einmal im Finanzministerium besucht und mir besondere Informationen aus Polen übergeben haben, wofür ich Ihnen dankbar war, und daß Sie gesagt haben, man müsse gegenüber Polen mit größter Vorsicht an dieses sensible Thema herangehen.
Und dann stehen Sie hier oben wie ein Poltergeist und zerstören Vertrauen. Sie sollten sich doch schämen, was Sie in dieser Frage vorher angerichtet haben.
({9})
Herr Bundesminister, Sie gestatten keine Zwischenfrage? Dr. Waigel, Bundesminister der Finanzen: Nein.
Herr Dreßler, Sie brauchen sich nicht zu bemühen.
Ich bringe das zu Ende, und dann können Sie sich melden.
({0})
- Was hier fair ist, haben Sie nicht zu bestimmen.
({1})
Sie wissen, daß wir über die Problematik der Fremdrenten seit August 1989 im Gespräch sind. Sie wissen auch, daß seit Januar 1990 über die Änderung des Vertrages gesprochen wird. Sie wissen weiter, daß wir zwischenzeitlich sehr weit sind, um diese Frage mit Polen in einem schwierigen Zeitraum zu einem positiven, guten Ergebnis zu bringen. Und Sie wissen schließlich, daß wir die Frage mit Polen nicht anders lösen können als mit anderen Ländern.
Wer uns laufend die Ermahnung gibt, in diesen Fragen sensibel und behutsam zu sein, sollte sich nicht hier hinstellen und auch dieses Thema zur Wahlkampfpolemik mißbrauchen, wie der Kollege Dreßler es soeben wieder getan hat.
({2})
Herr Dreßler, wenn Sie wollen und der Präsident es zuläßt, können Sie jetzt eine Frage stellen.
Der Präsident läßt das selbstverständlich zu, Herr Bundesfinanzminister.
Herr Minister Waigel, unter besonderer Betonung der Übereinstimmung darüber, daß ich Sie besucht habe, habe ich folgende Frage an Sie: Stimmen Sie mir zu,
({0})
daß ich hier kritisch angemerkt habe, daß spätestens seit Dezember - im November ist die Mauer gefallen - die Grundlage für das Fremdrentengesetz entfallen ist, daß ich kritisiert habe, daß die Bundesregierung seit der Zeit, als die Grundlage für das Fremdrentengesetz entfallen ist - als ich Sie besucht habe, stand die Mauer noch - , keine Verhandlungen mit den genannten Ländern aufgenommen hat, und daß ich meine Kritik darauf beschränkt habe? Nun ist es faktisch an Ihnen, zu erklären, warum Sie keine Verhandlungen aufgenommen haben. Aber der Kritikpunkt, daß Sie nicht darüber verhandelt haben, steht.
Zweitens: Stimmen Sie mir zu, daß Ihr Ministerpräsident in Bayern, Herr Streibl, Sie als Bundesregierung aufgefordert hat, das Fremdrentengesetz zu beenden?
({1})
Zum ersten: Sie wissen ganz genau, daß bereits vor dem August des vergangenen Jahres von uns auf vielen Kanälen der Versuch gemacht wurde, zu einer befriedigenden Regelung zu kommen.
Sie wissen zweitens, daß Gespräche zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt stattgefunden haben.
Sie wissen drittens, daß für Verhandlungen zwei Partner notwendig sind. Auch da müßten Sie informiert sein, wann das geht und wann das nicht geht.
Und Sie wissen zum letzten, daß die Kündigung des Sozialversicherungsabkommens notwendig wäre, wenn es auf dem Verhandlungsweg nicht zu einer anderen einvernehmlichen Regelung kommen sollte.
({0})
Da Sie das alles wissen, hätten Sie so, wie Sie gesprochen haben, nicht sprechen dürfen.
({1})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dreßler?
Nein.
Außerdem, Herr Bundesfinanzminister, hat der Abgeordnete Seehofer gebeten, eine Frage stellen zu dürfen.
({0})
Bitte schön.
Herr Minister, könnten Sie mir bestätigen, daß sich die SPD - und an führender Stelle der Kollege Dreßler - bei der Verabschiedung der Rentenreform im November 1989 und noch nach dem Fall der Mauer vehement gegen eine Änderung des Fremdrentengesetzes, vorgeschlagen von Bayern und der CSU, gewehrt hat
({0})
und daß der Kollege Dreßler, der sich damals sogar dagegen gewehrt hat, einen Abschlag von Fremdrenten vorzunehmen, heute eine Abschaffung der Fremdrenten verlangt?
({1})
Da ich den Kollegen Seehofer als sehr sachkundig und glaubwürdiger kenne als den Kollegen Dreßler, kann ich das bestätigen.
({0})
Ich nehme an, daß sich der Kollege Dreßler und die SPD sehr schwertun werden, diese Irrtümer oder Widersprüche bei sich mit ihrem nachfolgenden Redner aufzuklären.
({1})
Herr Bundesfinanzminister, nun fühlt sich der Abgeordnete Huonker veranlaßt, zu fragen, ob Sie eine Zwischenfrage von ihm zulassen.
({0})
Ich bitte um Verständnis, wenn ich jetzt keine Zwischenfrage zulasse. Denn wir wollen noch eine breite Debatte, vor allen Dingen durch die Parlamentarier und nicht nur durch die Mitglieder der Bundesregierung, führen.
Die letzte Erkenntnis finde ich ausgesprochen gut. Insofern bin ich dankbar, daß der Kollege Huonker Verständnis dafür hat.
Herr Kollege Dreßler, bei Ihnen ist entgegen Ihren Schlußworten, die etwas anders klangen, zum Ausdruck gekommen: Sie sehen für Ihre Politik eine Chance nur bei Baisse. Ihre Rede hat diese Strategie entlarvt.
({0})
Sie richten sich darauf ein und wollen davon profitieren. Nicht heute, aber in den letzten Wochen haben Sie immer wieder gesagt, die Verantwortung für die Arbeitslosigkeit, für die Anpassungsprobleme läge beim Kanzler und seiner Regierung. Herr Kollege Vogel hat das heute zum Teil anders dargestellt; ich bin ihm dafür dankbar. Aber ich meine, unter uns muß völlig unumstritten sein: Die Verantwortung für das Chaos dort, die Verantwortung für den Konkurs, die Verantwortung für jeden Arbeitslosen, die Verantwortung für alle sozialen Probleme drüben, die Verantwortung für die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe liegt allein bei einem System, das menschenverachtend, wirtschaftsfeindlich und sozialfeindlich war und die Menschen um ihr Leben betrogen hat. Das ist die Wahrheit.
({1})
Sie werden aber auch mit dieser Strategie scheitern, denn in Zeiten der Bewährung setzen die Menschen auf Kompetenz, und Sie haben nun weiß Gott bis 1982 und danach keine Kompetenz in Wirtschafts-, Finanz- und Sozialfragen aufweisen können.
({2})
- Nein, das ist nicht unverschämt; das ist die Wahrheit. In den 60er Jahren, nachdem Sie das Godesberger Programm beschlossen und langsam Ihre Annäherung an die Marktwirtschaft vollzogen hatten, hatten
Sie auch Persönlichkeiten, die das dargestellt haben. Heute haben Sie sie nicht. Wenn Ihre ganze wirtschafts- und finanzpolitische Kompetenz auf Lafontaine zurückgeht, er Ihren Wirtschafts- und Finanzfachleuten in der Fraktion dann noch widerspricht und Sie Apel abgemeiert haben, dann dürfen Sie sich nicht wundern, daß zu Ihnen und zu Ihrer Kompetenz kein Zutrauen besteht.
({3})
Schade, daß Frau Kollegin Dr. Vollmer nicht mehr da sein kann. Sonst hätte ich sie, was ich ungern tue, wegen ihrer Fußballkenntnisse gelobt.
({4})
- Entschuldigung, wie ich mit ihr umgehe, dazu brauche ich auch von Ihnen, Frau Däubler-Gmelin, keinen Nachhilfeunterricht. Das mache ich mit ihr natürlich mündlich aus. ({5})
Es war schon beachtlich, was sie noch aus dem Jahre 1954 alles gewußt hat. Das hat fast den Neid des Kollegen Bötsch entfacht. Es war auch eine großartige Freude, die uns damals alle beseelt hat, und es waren großartige, bescheidene Sportsleute, die das damals mit ihrem Trainer Sepp Herberger erreicht haben. Ich kann mich auch noch gut daran erinnern, wie die Nationalhymne ertönte. Wir alle sind ganz klar für die dritte Strophe, und es gibt nichts Schöneres als die dritte Strophe.
({6})
Aber einige haben damals auch die erste Strophe gesungen; das war hörbar. Um so wichtiger und richtiger war es, daß - ich glaube, es war 1952 - Konrad Adenauer die Entscheidung für die dritte Strophe getroffen hat. Kann es im Augenblick einen für unsere Situation, für unser Volk besseren Text geben, als er sich in der dritten Strophe darstellt? Golo Mann hat zur ersten Strophe einmal gesagt: Gegenüber dem Wortlaut anderer, heute noch gesungener Nationalhymnen sei sie reine Lyrik. Ich will mich dem nicht anschließen, aber ich will das nur einmal darstellen, wenn man über Nationalhymnen und über ihre Texte spricht.
Frau Kollegin Vollmer hat am Schluß gesagt: Wir müssen nicht immer Weltmeister werden. - Das ist richtig. Ich gebe aber ehrlich zu: Wenn wir es werden, ist es schön, und ich würde mich auch darüber freuen.
({7})
- Wenigstens ein Punkt, bei dem wir voll einig sind. Das nehme ich Ihnen auch ab. Beim Fußball haben Sie in der Fußballmannschaft des Deutschen Bundestages mitunter bessere Beiträge geleistet als zur Finanz- und Wirtschaftspolitik.
({8})
Der Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik über eine Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion ist der erste große Schritt zur deutschen Einheit, die wir noch in diesem Jahr verwirklichen wollen. Nur dreieinhalb Monate nach der ersten demokratischen Wahl wird der dringende Wunsch der Deutschen in der DDR nach Aufhebung der widernatürlichen und menschenfeindlichen Grenze durch unser Vaterland erfüllt.
Ich habe das letzte Mal, als ich diesen Vertrag hier eingebracht habe, gesagt, die damals zu befürchtende Ablehnung durch den SPD-Parteivorstand könne wohl nicht das letzte Wort sein. Ich freue mich über die angekündigte Zustimmung der SPD-Fraktion zum Staatsvertrag. Die Frage der nationalen Einheit geht uns alle an. Niemand kann sich aus der Verantwortung stehlen. Wer wie Ministerpräsident Lafontaine seine Mitwirkung verweigert oder von ständig wechselnden Positionen aus seine pauschale Ablehnung formuliert, versagt vor der Geschichte. Diese Zeit des Umbruchs erfordert strategisches Denken und Sensibilität für die historische Bedeutung der jetzt zu treffenden Entscheidung. Da bleibt kein Raum für parteipolitische Finten, Finessen und Rückzugspositionen.
({9})
Die Rechnung, aus wirtschaftlichen und sozialen Anpassungsproblemen der DDR politisches Kapital zu schlagen, wird nicht aufgehen. Nicht der Bundeskanzler oder die Bundesregierung sind für die Verwüstungen verantwortlich, die der Sozialismus dort hinterlassen hat. Glaubwürdigkeit, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ist ein Gut, das man nur einmal und dann endgültig verliert. Die Bürger besitzen sehr viel mehr Sensibilität für Wahrhaftigkeit und Geradlinigkeit, als der große Hoffnungsträger der Opposition in seinem Kalkül unterstellt.
({10})
Die jüngsten Umfrageergebnisse, auch wenn man auf Umfrageergebnisse nicht zuviel geben darf, sprechen hier jedenfalls eine deutliche Sprache.
Wir müssen die geschichtliche Chance wahrnehmen. Wir können nur Einfluß auf die Geschichte nehmen, wenn wir uns nicht gegen ihren Strom stellen. Die deutsche Einheit war nicht planbar, sonst hätten wir sie in den letzten 40 Jahren schon längst verwirklicht. Aber jetzt ist die Chance zur Überwindung der Teilung da. Wir müssen zupacken.
Es geht nicht nur um die Vereinigung Deutschlands. Es geht um eine europäische Friedensordnung völlig neuer Qualität, für die es keinen historischen Vergleich gibt. Europa war über Jahrhunderte zerrissen: durch kriegerische Auseinandersetzungen, durch Hegemonialstreben einzelner Staaten, durch Nationalismus und Separatismus. „Friedensordnung" hieß immer das Diktat der Sieger über die Besiegten. Wenn neue Grenzen gezogen, Staaten geschaffen oder getilgt wurden, hat niemand die Bürger gefragt, die von den Entscheidungen der Mächtigen betroffen waren.
Jetzt bauen wir eine Friedensordnung in friedlicher Verständigung und nach dem Willen der Menschen.
In diesem demokratischen Fundament der Neuordnung Deutschlands und Europas liegt die entscheidende Chance für dauerhaften Frieden und Sicherheit. Wir sind auf diese Vereinigung vorbereitet, obwohl wir vor einem Jahr noch nicht wußten, daß sie so schnell kommen könnte.
Wir haben uns mit dem Schicksal unseres Vaterlandes nicht abgefunden und uns auf den Tag der Wiedervereinigung vorbereitet. Als immer mehr zweifelten und sich mit dem Status quo abzufinden begannen, haben vor allem auch die CSU und die Bayerische Staatsregierung in den 70er Jahren unbeirrbar am Auftrag des Grundgesetzes festgehalten. Wir haben in den 70er Jahren durch die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht das Wiedervereinigungsgebot festgeschrieben. Heute brauchen wir unsere Reden nicht umzuschreiben und frühere Veröffentlichungen nicht schamvoll zu verstecken.
({11})
Vor vier Tagen haben wir der Deutschen in der DDR gedacht, die am 17. Juni 1953 als erste gegen das kommunistische Unrechtsregime aufgestanden sind. Es folgten die Bürger Polens, Ungarns und der Tschechoslowakei, die die Stafette der Freiheit weitergaben und deren Aufbegehren nicht vergeblich war. Das tröstet bei allen Opfern im Gang der Geschichte: Es war nicht umsonst, was jene am 17. Juni 1953 taten. Es war nicht umsonst, was jene 1956 in Ungarn taten.
({12})
Auch der „Prager Frühling" 1968 war nicht umsonst. Es gibt Gott sei Dank noch einige unter ihnen, die das miterleben können.
({13})
Wir im Westen hatten nur begrenzte Möglichkeiten, unseren unterdrückten Mitbürgern im Osten zu helfen. Neben der humanitären Unterstützung und der Aufnahme der Freiheitsuchenden bestand unser Beitrag vor allem in der festen Verankerung der Bundesrepublik in den westlichen Bündnissen.
Wir haben in den 50er Jahren den NATO-Beitritt gegen erhebliche Kritik der Opposition durchgesetzt. Dieser Weg hat die Einheit nicht verhindert, sondern sie - das zeigt sich heute - geradezu herbeigeführt. Heute bezweifelt das niemand mehr.
Wir haben Anfang der 80er Jahre - wiederum gegen erhebliche Kritik - am NATO-Doppelbeschluß festgehalten. Die demonstrative Geschlossenheit der NATO hat unzweifelhaft den Verständigungswillen der Sowjetunion entscheidend gefördert.
Jetzt setzen wir uns unbeirrt für die rasche Verwirklichung der deutschen Einheit ein. Auch diesmal wird uns die Geschichte im Rückblick recht geben. Deutschland muß jetzt die Einheit und die volle Souveränität erreichen. Wir wollen die Einheit und die Souveränität nicht stückchenweise. Am Ende der Gespräche, Verhandlungen und Vertragsabschlüsse mit den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs muß ein uneingeschränkt souveräner, international gleichberechtigter deutscher Staat stehen.
Es wird Übergangslösungen geben. Niemand wird von der Sowjetunion den kurzfristigen Abzug ihrer
400 000 in der DDR stationierten Soldaten verlangen. Aber die Mitgliedschaft Deutschlands in der NATO steht nicht zur Disposition. Sie ist für uns mehr als ein Zweckbündnis. Ihre Legitimität erlischt nicht mit der Verminderung der Bedrohung, die 40 Jahre lang vom kommunistischen Weltmachtanspruch ausging.
Die NATO ist das Bündnis der freiheitlichen und demokratischen Staaten Nordamerikas und Europas. Sie ist offen für jede Form der Zusammenarbeit mit anderen Ländern, die sich ebenfalls zu diesen Idealen bekennen.
Ich bin sicher: Wir werden mit der Sowjetunion Bündnisstrukturen entwerfen können, die zugleich den berechtigten Sicherheitsinteressen der östlichen Weltmacht Rechnung tragen und Stabilität in Europa dauerhaft sichern. Wir brauchen die Zustimmung der Sowjetunion, damit unser Land seinen friedlichen Weg zur Einheit rasch zu Ende gehen kann, und die Sowjetunion braucht unsere wirtschaftliche Hilfe, wenn sie auf dem Weg zur Marktwirtschaft weiter vorankommen will.
({14})
Die engen wirtschaftlichen Verbindungen zwischen der DDR, der Sowjetunion und den anderen RGW-Staaten sollen nicht gekappt, sondern ausgebaut werden. In Verbindung mit westlichem Knowhow kann vom Boden der DDR ein Beitrag für die Neustrukturierung der östlichen Volkswirtschaften geleistet werden, die fast alle vor noch wesentlich größeren Problemen stehen als die DDR selbst.
Meine Damen und Herren, ich hatte in den letzten Wochen Gelegenheit, mit den Finanzministern von Polen, von Ungarn und der Tschechoslowakei zu sprechen. Vor allem die beiden letzteren haben mir bestätigt: Wir wünschten uns, wir könnten unter den Bedingungen unsere wirtschaftlichen Reformen durchführen, die für die DDR jetzt bestehen. - In Polen ist ein Wort geboren worden, das ich hier zitieren darf: Man kann einen Abgrund nicht in zwei Schritten überwinden.
({15})
Einen Abgrund muß man mit einem kräftigen Sprung überwinden. Diesen Mut müssen wir jetzt haben. Wir haben keine Zeit, und wir haben nicht das Geld für vielstufige Pläne. Alles andere wäre teurer, wäre mit größeren Reibungsverlusten verbunden. Darum müssen wir die deutsche Einigung möglichst schnell herbeiführen - im Interesse der Menschen in der DDR und der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland.
({16})
Wenn wir jetzt innehalten, wenn wir die Dynamik der wirtschaftlichen und politischen Prozesse künftig verzögern, dann tragen wir die Verantwortung für schwerwiegende Verwerfungen und Probleme, die uns erspart bleiben können. Deutschland muß so rasch wie möglich zu einer festen Gemeinschaft werden.
Solidarische Leistungen in einem Ausmaß, in dem sie zur Zeit im deutsch-deutschen Verhältnis aufgebracht werden, können nicht über Jahre hinweg in zwischenstaatlichen Verhandlungen vereinbart werden. Unser Angebot der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion war nur unter der Voraussetzung der Einheit begründbar. Es gibt jetzt keinen Grund mehr, deutschlandpolitische Optionen offenzuhalten. Nur ein einheitlicher Staat gewährleistet die Stabilität und den festen Rahmen, den der östliche Teil Deutschlands jetzt dringend braucht, um im wirtschaftlichen und sozialen Bereich so rasch wie möglich Anschluß an die Verhältnisse in der Bundesrepublik zu gewinnen.
Meine Damen und Herren, die wirtschaftliche und soziale Stabilität in der Bundesrepublik Deutschland ist nicht gefährdet. Weil wir ein lebendiger, funktionierender Staat sind, können wir die Vereinigung mit der DDR ohne Gefährdung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Stabilität auch in kurzen Fristen bewältigen.
Die wirtschaftliche Stabilität ist nicht gefährdet, solange wir unbeirrt am Kurs marktwirtschaftlicher Reformen - in der Bundesrepublik und künftig im vereinten Deutschland - festhalten. Wir liegen mit den Wachstumsraten des realen Bruttosozialprodukts heute deutlich über dem Durchschnitt der Industrieländer. Die internationalen Organisationen, von der OECD über die EG-Kommission bis zum Internationalen Wählerfonds, bescheinigen uns - gerade erst vor wenigen Tagen - glänzende Wachstumsperspektiven. Wenn sie zu dem Ergebnis kommen, wir seien für diese Herausforderung gerüstet wie nie zuvor, dann, meine Damen und Herren, sollte es uns auch möglich sein, unsere Bürger in der Bundesrepublik davon zu überzeugen.
({17})
Ich weiß sehr wohl, daß eine große Mehrheit ja zur Einheit sagt, daß eine große Mehrheit ja zum Staatsvertrag sagt, ja zu diesem Weg sagt, aber hinsichtlich des Tempos zum Teil eine langsamere Gangart wünscht, als dies politisch möglich ist. Ich glaube, man muß den Bürgern sagen, daß das ein Irrtum ist, daß eine langsamere Gangart nicht möglich ist, daß wir die Dynamik ausnutzen müssen und daß eine langsamere Gangart zu Mehrkosten führen würde. Es würde zu mehr Reibungsverlusten führen und damit letztlich uns alle mehr kosten. Wir müssen die Bürger auch davon überzeugen, daß es in ihrem Interesse ist, diese Wiedervereinigung ökonomisch und politisch möglichst schnell herbeizuführen.
({18})
Wir erleben vor allem eine seit langem nicht mehr dagewesene Investitionskonjunktur. Sowohl 1989 als auch im ersten Quartal 1990 nahmen die Investitionen um jeweils 15 % zu. Erhebliche Kapazitätserweiterungen sorgen zugleich für rückläufige Arbeitslosigkeit und weitgehend stabile Preise. Durch die neuen Aufgaben in der DDR, durch die Herausforderung in vielen Bereichen, innerhalb kürzester Fristen grundlegende Erneuerungen zu erreichen, wird sich das Wachstum in den kommenden Jahren noch erheblich verstärken.
Auch im finanziellen Bereich wird die Wiedervereinigung die Stabilität nicht gefährden. Die Bundesbank wird auch im erweiterten Wirtschaftsraum ihre
erfolgreiche Politik uneingeschränkt fortsetzen können.
Meine Damen und Herren, unsere Finanzkonzeption für die Vereinigung liegt auf dem Tisch. Die Märkte wissen, was an zusätzlicher Kapitalnachfrage auf sie zukommt. Ich habe die Entscheidungen der Bundesregierung zur Finanzierung der wirtschaftlichen und staatlichen Erneuerung der DDR in der ersten Lesung begründet. Sie sind in sich geschlossen, und sie stellen die Solidität der öffentlichen Finanzen nicht in Frage.
Die von Frau Matthäus-Maier und einigen anderen SPD-Kolleginnen und -Kollegen vorgetragene Kritik an dem mit den Ländern - übrigens mit allen Ländern, natürlich auch mit den SPD-regierten Ländern - vereinbarten Fonds „Deutsche Einheit" ist blauäugig und geht an der wirklichen Frage vorbei. Die Feststellung, für Kredite müßten neben der Tilgung auch Zinsen gezahlt werden, ist nicht gerade originell. Aber der Schluß, deshalb sei Kreditfinanzierung grundsätzlich teurer und abzulehnen,
({19})
wird sicherlich jeden Investor und Betriebswirt etwas überraschen.
Wir wollen den Fonds „Deutsche Einheit" aus den Wachstumserträgen finanzieren, die unsere Investitionen in Deutschlands Zukunft erbringen werden. Die SPD hat demgegenüber in den 70er Jahren unbedenklich Schulden aufgetürmt. Insgesamt hat der Steuerzahler bis heute fast 300 Milliarden DM an Zinsen für die SPD-Schulden aufgebracht. Darüber Tränen zu verlieren wäre sinnvoller und ehrlicher, als diese Finanzierung zu kritisieren.
({20})
- Ihr Zwischenruf, Herr Huonker, hat, obwohl ich Sie sehr schätze, überhaupt nichts gebracht. Was heißt „Das war nicht stark! "?
({21})
Ich weiß jedenfalls, daß die große Mehrheit der Bürger in Deutschland mit dieser Konzeption zufrieden ist. Daß Sie damit nicht einverstanden sind und das nicht als stark empfinden, bleibt Ihr gutes Recht. Damit kann ich leben.
({22})
- Ich bedanke mich.
Meine Damen und Herren, wir vernachlässigen mit dieser Finanzierung und wir vernachlässigen mit dieser Konzeption die Aufgaben auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht. In diesen Tagen konzipieren wir bereits den Haushalt 1991.
Wir setzen damit ein Signal der Solidität und der Verläßlichkeit. Wahrscheinlich würde in vielen anderen Ländern die Überlegung Platz greifen: Jetzt warten wir einmal ab, wie das Ganze läuft, und Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres legen wir dann einen Haushalt vor. - Ohne daß es deutsch-deutsche Probleme gegeben hätte, haben Sie es während Ihrer Finanzministertätigkeit - jedenfalls in der Zeit, in der ich das hier mitbekommen habe - fast nie oder nur sehr selten geschafft, einen Haushalt rechtzeitig vorzulegen.
({23})
- Am Anfang schon; da waren ja auch noch die guten Finanzen von Franz Josef Strauß da, Herr Kollege.
({24})
Nur: Wenn wir unter dem Streß, unter den Herausforderungen, unter den gegebenen Bedingungen jetzt bereits festlegen, wie unsere Finanzplanung für 1991 und die mittelfristige Finanzplanung darüber hinaus aussieht, dann ist dies ein Zeichen dafür: Unsere Finanzpolitik ist solide, sie ist kalkulierbar, und sie ist ein Signal an die Märkte, daß man sich auf unsere solide Haushalts- und Finanzpolitik auch künftig verlassen kann.
({25})
Meine Damen und Herren, unbestreitbar wird es
- darauf haben auch meine Vorredner hingewiesen - angesichts der Strukturschwäche und der mangelnden Produktivität in den Betrieben in der DDR zunächst Arbeitslosigkeit gegeben. Anders ist die Umstellung und Anpassung von Produktionsstrukturen, die bisher menschliche Arbeitskraft und Kapital in erheblichem Umfang verschwendet haben, überhaupt nicht vorstellbar. Aber ebenso rasch, wie Betriebe aufgeben müssen und Arbeitsplätze entfallen, werden neue Unternehmen gegründet und neue Arbeitsplätze geschaffen. Durch die Anwendung des in der Bundesrepublik erprobten Instrumentariums der Arbeitsmarktpolitik, insbesondere durch die vereinbarte großzügige Auslegung der Vorschriften über die Gewährung von Kurzarbeitergeld, wird Arbeitslosigkeit keine existentielle Bedrohung, sondern auch Chance zum beruflichen Neubeginn sein.
Wir müssen allerdings darauf hinweisen: Ganz entscheidend dafür, daß Kapital in die DDR fließt, daß Investoren dort anpacken und daß dort neue Arbeitsplätze geschaffen werden, ist eine vernünftige Tarifpolitik in den nächsten Jahren in der DDR.
({26})
Dort darf die Belastungsfähigkeit der Betriebe nicht bis zum letzten Lohnprozentpunkt getestet werden. Nur steigende Produktivität schafft steigende Einkommen und zusätzliche Freizeit. Produktivitätszuwachs setzt private Investitionen voraus, die nur in einem Klima der Kooperation zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern gedeihen.
Die Produktivität der einzelnen Betriebe wird nach dem 1. Juli schnell entscheiden, welche wirtschaftlichen Einheiten überlebensfähig sind und welche aufgeben müssen. Vorübergehende Liquiditätsengpässe können durch Betriebsmittelkredite der Treuhandanstalt im Rahmen des 7-Milliarden-DM-Kreditrah17196
mens aufgefangen und auch überbrückt werden. Aber in der DDR dürfen keine Mechanismen entstehen, die es sanierungsunfähigen Betrieben erlauben, sich über Jahre an den Tropf öffentlicher Zuwendungen zu hängen. Das Kapital, das hier in den Sand gesetzt würde, fehlte bei den dringend erforderlichen Modernisierungsinvestitionen.
Wir brauchen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, in der DDR und ebenso in der Bundesrepublik noch mehr Vertrauen in die Kräfte der Marktwirtschaft; sonst kommen wir nicht vom Fleck. Die Volkswirtschaft der DDR muß jetzt in den Wettbewerb eintreten, sich erneuern und sich bewähren. Wenn dann bestimmte Schwachpunkte erkennbar werden, stehen genügend wirtschaftspolitische Instrumente zur Verfügung, um zu helfen. Aber wir können die Spätfolgen des Sozialismus nicht pauschal als Argument für Strukturschwäche akzeptieren.
Unsere Wirtschaftsordnung der Sozialen Marktwirtschaft kann den Menschen sehr viel mehr geben, als vielen bewußt ist: Sie ist die Wirtschaftsordnung von Demokratie und Freiheit, sie ist das Ordnungssystem, das den Menschen den meisten Raum für die eigene Entfaltung gewährleistet. Es wird immer klarer: Freiheit und Demokratie sind nur in einem freiheitlichen Wirtschaftssystem möglich; freiheitliche Demokratie und freie Soziale Marktwirtschaft bedingen einander.
({27})
Soziale Marktwirtschaft heißt auch solidarische Hilfe der Gemeinschaft für diejenigen Bürger, die sich aus eigener Kraft nicht helfen können.
Der Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion ist der Grundstein für ein einiges und freies Deutschland. Er erfüllt den Auftrag der Wähler in der DDR, die wirtschaftliche und politische Einigung so schnell wie möglich zu vollziehen. Es ist gut, wenn die Parteien in der Bundesrepublik diesen Wunsch der DDR-Bürger gemeinsam erfüllen. Alle Abgeordneten, die heute diesem Vertrag zustimmen, sollten auch den Mut haben, gemeinsam ohne Vorbehalte die Verantwortung zu tragen.
Nach den deutschen Irrwegen und Katastrophen in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts müssen wir Deutschen Nationalgefühl, das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit und Solidarität wohl erst wieder empfinden lernen. Die Wiedervereinigung ist für uns alle eine Bewährungsprobe: eine Probe der Glaubwürdigkeit dessen, was in den letzten vierzig Jahren geschrieben und gesprochen wurde, eine Probe darauf, ob wir zu großen Gemeinschaftsleistungen fähig sind oder ob uns inzwischen privater Wohlstand und Ungestörtheit des individuellen Lebensbereichs über alles gehen.
Wir Deutschen sind gefragt, ob wir noch eine Nation sind. Wir sollten uns bei der Antwort nicht von Litauen, Estland oder Lettland beschämen lassen,
({28})
in denen das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl
anscheinend spielend fünfzig Jahre überdauerte
- von den Polen ganz zu schweigen, die sich das über Jahrhunderte bewahrt haben.
Bei der Gedenkfeier am 17. Juni in Ost-Berlin hat der Konsistorialpräsident der evanglischen Kirche von Berlin-Brandenburg, Manfred Stolpe, auf den Beitrag deutscher Dichter und Schriftsteller zur Kultur der Deutschen hingewiesen. Er nannte Günter Grass, Heinrich Böll, Stefan Heym und Christa Wolf.
Es gab in diesem Bereich der Literatur und des Geistes auch Stimmen, die für Deutschlands Einheit sprachen; sie wurden nur nicht immer gehört. In einem faszinierenden Streitgespräch hat Rudolf Augstein zu Günter Grass gesagt: „Lieber Herr Grass, der Zug der deutschen Einheit fährt, und Sie sitzen nicht drin. "
In der DDR und in der Bundesrepublik war es vor allem Reiner Kunze, der schrieb: „Mein Vaterland ist Deuschland. " In der Bundesrepublik ließ sich Martin Walser nicht vom Zeitgeist überstimmen, als er sagte: „Aus meinem Bewußtsein ist Deutschland nicht zu tilgen ... Ich weigere mich, an der Liquidierung der Geschichte teilzunehmen. " Vor wenigen Wochen hat er in einem mit dem „Rheinischen Merkur" geführten Interview hinzugefügt: „Wenn eine Nation sich als mißbrauchbar erwiesen hat, wie die deutsche, dann heißt das für mich nicht, daß diese Nation abgeschafft werden muß. Diese Nation muß vielmehr ein hohes Maß an Verantwortung in allen politischen Fragen tragen. "
Wir sollten heute Reiner Kunze, Martin Walser und vielen anderen für ihren Mut danken, die Idee der deutschen Nation bewahrt zu haben.
({29})
Wir sollten den Auftrag der Geschichte annehmen, aus dem, was uns geblieben ist, unser Vaterland wiederzuerrichten.
Wir gehen einen schweren Weg, aber wir sind keine Hasardeure oder Seiltänzer. Wir gehen auf festem Grund, wir haben ein klares Ziel, und wir werden die Vereinigung Deutschlands zum Wohle der Menschen in wenigen Monaten, in diesem Jahr, verwirklichen.
Ich danke Ihnen.
({30})
Nach § 30 unserer Geschäftsordnung erteile ich dem Abgeordneten Dr. Otto Graf Lambsdorff das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Meine Damen und Herren, kurz nach meiner Rede eben wurde ich von Frau Präsidentin Süssmuth und von einer mir unbekannten Anruferin in meinem Büro darauf aufmerksam gemacht, daß die von mir kritisch erwähnte Stimmlage der Frau Kollegin Vollmer auf gesundheitliche Probleme zurückzuführen sei. Nun werden Sie mir, glaube ich, abnehmen, daß ich der letzte bin, der ausgerechnet mit gesundheitlichen Behinderungen anderer leichtfertig umgeht. Ich wußte das nicht. Ich bitte Frau Vollmer um Entschuldigung.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Häfner.
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute morgen ja schon kurz davon gesprochen: Bei den vielen Reden über Form, Weg und Inhalt der angestrebten Vereinigung der beiden deutschen Staaten vergessen wir allzu leicht den Anfang dieser Entwicklung, die die Bundesregierung dann ja schon sehr bald auf ihre Mühlen geleitet und als ihr Verdienst dargestellt hat. Das war es aber nicht.
Am Anfang stand nicht die Regierung, stand überhaupt keine Regierung, im Gegenteil. Denn Regierungen sind in aller Regel unfähig zu wirklichen Umwälzungen, zu wirklichem Fortschritt. Regierungen und erst recht die von ihnen geführten Verwaltungen sind zumeist Verkörperungen institutionalisierter Vergangenheit, der Zementierung und Fortsetzung des Bestehenden, hier wie dort.
Am Anfang stand also die friedliche und demokratische Erhebung des Volkes in der DDR und in anderen Ländern Mittel- und Osteuropas. Ohne sie wäre alles das, was hier heute zur Debatte steht, nicht möglich gewesen. Das heißt, am Anfang stand das Volk. Das Volk ist auf die Straße gegangen und hat die alte Herrschaft, den vormundschaftlichen Staat, beseitigt. Da haben wir hier in der Bundesrepublik nur staunend zugesehen.
„Wir sind das Volk" war zu Recht die gültige Parole dieser friedlichen Revolution. Wir selbst wollen reden und entscheiden und nicht länger andere, die in Wahrheit gegen uns sind, dies in unserem Namen tun lassen.
„Wir sind das Volk! " - Was ist daraus geworden? Die Bundesregierung hat durch eine scheinbar minimale Veränderung diese Parole der Revolution auf den Kopf gestellt. Nicht mehr „Wir sind das Volk", sondern „Wir sind ein Volk" hieß es dann. Schade, daß es für Slogans und Parolen kein Urheberrecht gibt, und auch schade, daß so schamlos ausgebeutet wird, was meines Erachtens in der deutschen Geschichte über die Jahrzehnte hinaus einen großen Stellenwert haben wird, und daß das so schamlos und noch dazu verfälscht für Wahlkampfplakate usw. ausgebeutet wird.
Die Bundesregierung hat in dieser Umdrehung von Begriffen eine große Finesse; das muß man zugestehen. Schon in der Regierungserklärung 1983 hat Bundeskanzler Kohl den Slogan der Friedensbewegung „Frieden schaffen ohne Waffen" umgemünzt in den Slogan „Wir wollen Frieden schaffen mit immer weniger Waffen", und er hat gesagt: Die Bundeswehr ist die größte Friedensbewegung. Er hat ferner gesagt: Der Deutsche Fußballbund ist die größte Bürgerinitiative, und andere Absurditäten mehr.
Hier wird von der Bundesregierung die Sprache zur Waffe gemacht. Hier wird bewußt versucht, Menschen Begriffe aus dem Mund zu nehmen, sie umzudrehen und sie zu eigenen Zwecken zu gebrauchen.
Einer der engsten Vertrauten von Helmut Kohl hat sich, bevor er dem Kanzler diente, wissenschaftlich damit beschäftigt, wie man „Herrschaft durch Sprache" - das ist das wörtliche Zitat - ausübt. Er hat auch untersucht, wie man das im Dritten Reich gemacht hat. Sie können also, wenn es Ihnen wieder einmal so geht wie mir oft, wenn Sie nämlich den Eindruck, den Sie in bestimmten Stunden vom Kanzler haben, gar nicht mit den oft äußerst geschickten Formulierungen und Aktionen, mit denen er seine Macht sichert, zusammenbringen, getrost davon ausgehen, daß unabhängig von seinem eigenen Scharfsinn, über den ich weder urteilen kann noch will, für ihn gilt, was die FAZ zu Unrecht einmal für sich selbst in Anspruch genommen hat, nämlich: „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf. "
Was hat man nämlich gemacht? Durch den Übergang vom bestimmten zum unbestimmten Artikel hat man den Inhalt des Satzes umgedreht und in das Gegenteil verkehrt.
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Unsere deutsche Sprache ist wahrhaft weise, aber auch verräterisch. Denn indem der bestimmte Artikel zum unbestimmten umgewidmet wird, wird eines deutlich gemacht: Das Volk, von dem hier die Rede ist, das Subjekt dieses Satzes, hat nicht mehr zu bestimmen; fortan soll über das Volk wieder bestimmt werden.
Das heißt, längst schon haben die Regierungen den Prozeß wieder in die Hand genommen. Der Staatsvertrag ist weitgehend von Bonn diktiert worden. In den Ministerien der DDR sitzen fast überall Vertreter der Bundesregierung. Auch im Parlament sitzen viele von hier, die den Leuten dort „zur Sache" gehen. Das ist zum Teil hilfreich und verständlich, zum Teil ist es aber auch anderes.
Meine Kollegin Frau Dr. Vollmer hat hier schon darauf hingewiesen: Tausende von Gesetzesseiten sollen dort in wenigen Stunden beraten werden. Das ist rein technisch, wenn Sie einfach die Lesezeit rechnen, die dafür erforderlich ist, überhaupt nicht möglich. Das heißt, wir, die wir hier immer so stolz von Demokratie sprechen, zwingen die unter ein Verfahren, das nun wirklich alle anderen Prädikate als das Prädikat „demokratisch" verdient hat. Wie soll dort Demokratie gelernt und entwickelt werden, wenn ein Verfahren angewendet wird, das dazu führt, daß man am Ende nur noch ja und amen sagen kann, zu etwas, was in der Substanz nicht mehr veränderbar ist und was in einem Verfahren mehr oder weniger scheinbar beraten wird, das wirkliche Alternativen gar nicht mehr eröffnet?
Die Entscheidung der Bundesregierung für Art. 23 als den einzigen Weg zur Einheit - Art. 23 ist ein möglicher Weg zur Einheit, aber nicht der ausschließliche - hat uns dieses Verfahren beschert und dazu geführt, daß es eine Vereinigung von oben wird, daß die Menschen in den beiden deutschen Staaten, die Bürgerinnen und Bürger längst wieder zu Zuschauern degradiert werden, die Parlamente allenfalls zu Statisten.
Die Entscheidung für Art. 23 ist eine Entscheidung, die wir bedauern. Gleichwohl akzeptieren wir sie und nehmen sie hin.
Wir sagen aber sehr deutlich: Art. 23 wird nicht dazu führen, daß die Bundesregierung und diejenigen Kräfte, die so etwas verhindern wollen, um die Notwendigkeit einer neuen Verfassung herumkommen.
({1})
Die Notwendigkeit einer neuen Verfassung ist nicht irgendein Spielmaterial des Grundgesetzes, mit dem man so oder so umgehen kann, sondern ist ein Verfassungsgebot.
Das Grundgesetz wurde 1949 verabschiedet, um dem deutschen Volk - wie es in der Präambel heißt - für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben. Warum für eine Übergangszeit? - Weil man damals davon ausging, daß die Teilung nicht endgültig sei, und weil einem Teil der Deutschen die Mitwirkung an der Entscheidung über diese Verfassung verwehrt war. Deshalb übrigens auch keine Volksabstimmung über das Grundgesetz, obwohl sich alle darüber einig waren, daß sich selbstverständlich eine Verfassung im demokratischen Staat nur das Volk selber geben kann. Eine Verfassung ist sozusagen der Vertrag, den eine Bevölkerung mit sich selbst schließt. Das ist nicht etwas, was von oben auf das Volk herabregnet, jedenfalls nicht in der Demokratie.
Man hat auf die Abstimmung verzichtet, weil es einem Teil der Deutschen nicht möglich war mitzuwirken. Man hat deshalb gesagt: Wir machen keine Verfassung, wir machen ein Grundgesetz für eine Übergangszeit. Das steht in der Einleitung zum Grundgesetz, in der Präambel.
In der Schlußbestimmung des Grundgesetzes, in Art. 146, heißt es dann, daß dieses Grundgesetz seine Gültigkeit an dem Tag verliert, an dem das deutsche Volk - das deutsche Volk, nicht seine Repräsentanten, nicht die Ministerpräsidenten oder der Parlamentarische Rat - in freier Entscheidung eine neue Verfassung beschließen kann - eine neue Verfassung, nicht mehr ein Grundgesetz. Dies ist es, was jetzt notwendig ist.
Dies ist übrigens das, was die Bundesregierung immer als ihre Position ausgegeben hat. Ich zitiere hier aus dem Plenarprotokoll über die Sitzung des Deutschen Bundestages am 9. März 1951. Da sagt Konrad Adenauer:
Bereits in den Erklärungen, die die Bundesregierung und der Bundestag vor einem Jahr, nämlich am 22. März 1950, und erneut am 14. September 1950 abgegeben haben, ist klar und eindeutig festgestellt worden, daß der Weg zur deutschen Einheit nur durch eine freie und unbeeinflußte Willensentscheidung des deutschen Volkes gefunden werden kann. Der erste Schritt zur Einheit Deutschlands ist die Abhaltung freier, allgemeiner, gleicher und geheimer und direkter Wahlen in ganz Deutschland zu einem verfassunggebenden deutschen Parlament.
Dann wurde hier ein Antrag gemeinsam, übereinstimmend verabschiedet, in dem dies den alliierten Mächten mitgeteilt und gesagt wurde, daß der Weg zur deutschen Einheit nur durch eine freie und unbeeinflußte Willensentscheidung des deutschen Volkes gefunden werden kann. Es wurde deshalb die Abhaltung freier, allgemeiner, gleicher, geheimer und direkter Wahlen in ganz Deutschland zu einem verfassunggebenden deutschen Parlament gefordert.
Übrigens war dies auch im Parlamentarischen Rat unbestritten. Carlo Schmid, der Vorsitzende des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rats, hat am 6. Mai sehr deutlich gesagt:
Jeder Teil Deutschlands kann dem Grundgesetz beitreten. Aber auch der Beitritt aller deutschen Gebiete wird dieses Grundgesetz nicht zu einer gesamtdeutschen Verfassung machen können. Die wird es erst dann geben, wenn das deutsche Volk die Inhalte und Formen seines politischen Lebens in freier Entschließung bestimmt haben wird.
Genau darum geht es jetzt. Es geht darum, die historische Chance zu nutzen, um einen Staat auf demokratischer Grundlage, auf der Grundlage einer freien, vom Volk selbst bestimmten Verfassung neu aufzubauen und um auch die Lehren zu ziehen aus der Geschichte von 40 Jahren Bundesrepublik und aus der Überwindung der Diktatur in der DDR, in einer neuen Verfassung etwa die Friedenspflicht, eine europäische Friedensordnung, den Verzicht auf atomare, biologische und chemische Waffen festzuschreiben,
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in einer neuen Verfassung den Schutz der Umwelt als Grundrecht und Staatsziel festzuschreiben, eine absolute Notwendigkeit, die von den Eltern des Grundgesetzes noch nicht gesehen wurde, vielleicht noch nicht gesehen werden konnte, direkte Demokratie, Volksbegehren und Volksentscheid endlich als konkrete, als handhabbare Institutionen der Verfassung aufzunehmen und nicht nur rudimentär wie jetzt im Art. 20, die Rechte der Frauen stärker zu berücksichtigen, wie übrigens an der Ausarbeitung dieser Verfassung aus Sicht meiner Fraktion Frauen und Männer von vornherein in gleichem Maße beteiligt sein müßten, und die sozialen Rechte stärker zu betonen und herauszustellen. Dies sind auch Forderungen, die der Runde Tisch erhoben hat und die in der DDR jetzt sehr deutlich erhoben werden.
Auch ich wünsche mir eine Verfassung, in der es keinen Art. 10 mehr gibt, in der es keine Überwachung mehr gibt, egal, von welcher Seite. Der Verfassungsschutz, von dem so viel gesprochen wird, hat die Verfassung niemals geschützt, sondern er hat das, was Substanz der Verfassung ist, nämlich die bürgerlichen Freiheiten und Grundrechte, in viel, viel größerem Maße ausgehöhlt und gefährdet, als er sie jemals durch seine Art des Wirkens hätte schützen können. Verfassung schützen können nur mündige und freie Burger.
Wir lehnen den Staatsvertrag ab, weil die DDR ihre Souveränität weitgehend verliert, ohne dafür neue Souveränität zu bekommen, weil sie ein Rechtssystem pauschal übernimmt, übernehmen muß, das sie nicht kennt, das auf ihre Verhältnisse zum Teil nicht paßt und das sich auch in der Bundesrepublik längst als dringend verbesserungsbedürftig erwiesen hat.
Wir lehnen ihn ab, weil er einen brutalen Schock für das Wirtschaftssystem der DDR mit vielen Tausenden von Firmenzusammenbrüchen und einer hohen MasHäfner
senarbeitslosigkeit mit sich bringen wird, ohne daß hierfür irgendwelche ausreichenden Vorkehrungen getroffen wären.
Wir lehnen ihn ab, weil er zu einem Ausverkauf des Volkseigentums, zu einer zweiten Enteignung sozusagen, der Bürgerinnen und Bürger führen wird, indem das Volkseigentum, ohne daß eine Grenze hierfür festgeschrieben wäre, zur Sanierung des Staatshaushalts und zu Investitionszwecken herangezogen werden soll.
Wir lehnen ihn ab, weil trotz der Nachbesserungen die Umwelt noch immer zu kurz kommt, weil die Frauen zu kurz kommen, das Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaft überhaupt nicht enthalten ist, weil Kinderbetreuungseinrichtungen und anderes in höchstem Maße gefährdet sind.
Wir lehnen ihn übrigens auch ab - lassen Sie mich das sagen - wegen der Fahndungsunion, die Sie nun nachträglich hineingeschoben haben. Dies ist allerdings ein merkwürdiger Vorgang. Nachdem uns wochenlang erklärt worden war, es könne keine Veränderung, keine Ergänzung des Staatsvertrages geben, kam sozusagen am Tag der Schlußabstimmung im Ausschuß die Bundesregierung selbst mit einer solchen Ergänzung, die mehr als nur eine Marginalie ist und hier eine eigene Würdigung verdienen würde, in den Ausschuß.
Da ich zum Ende meiner Redezeit komme, lassen Sie mich noch zwei Dinge sagen:
Das eine: Was mit dem Wahltermin geschieht, halte ich für unwürdig. Wahlen sind aus meiner Sicht das Dach auf dem Gebäude der deutschen Einheit. Das Fundament muß die Verfassung sein, müssen die Länder sein, muß der Abschluß der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen sein, also die außenpolitische Absicherung der Einheit. Erst dann kann gewählt werden.
Ich frage Sie von der Bundesregierung, warum Sie seit der Niedersachsen-Wahl und der NordrheinWestfalen-Wahl so deutlich Angst haben, sich bundesdeutschen Wahlen zu stellen.
Ein Letztes: Ich meine, ein neuer Staat braucht auch neue Symbole, nicht mehr diese furchtbare Hymne, die man glaubte durch eine andere Strophe reinwaschen zu können, nachdem die herrliche Haydnsche Melodie schon so tief in den Schmutz gezogen worden war.
Herr Abgeordneter, ich darf Sie unterbrechen.
Und er braucht auch eine neue Fahne, die den Neuanfang - ({0})
Herr Abgeordneter, ich darf Sie unterbrechen. - Meine Damen und Herren,
wir sind in einem Parlament. Da zählen die Argumente und nicht die Transparente.
Bitte, Herr Abgeordneter, fahren Sie mit Ihren Ausführungen fort.
Hunderte von Menschen sind wegen des Symbols „Schwerter zu Pflugscharen" verfolgt, bestraft, ausgewiesen worden und sind in Gefängnisse gegangen. Der Runde Tisch hat vorgeschlagen, die deutsche Fahne mit diesem Symbol, „Schwerter zu Pflugscharen", zu ergänzen. Ich glaube, das wäre ein gutes Symbol für ein neues, friedliches, soziales, ökologisches und demokratisches Deutschland.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dregger.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte heute markiert einen Wendepunkt in unserer Nachkriegsgeschichte. Wir ziehen die Bilanz dessen, was seit 1945 gewesen ist. Durch unsere Entscheidungen öffnen wir die Tür zu einem Neubeginn: zum vereinten Deutschland in einer besseren europäischen Ordnung.
Zwei von uns, der CDU/CSU, gegen die SPD durchgesetzte Grundentscheidungen haben zu diesem Neubeginn nicht nur in Deutschland, sondern in Europa wesentlich beigetragen: unsere Entscheidung für den Westen und unsere Entscheidung für die Soziale Marktwirtschaft.
({0})
Ohne unsere Entscheidung für den Westen hätten wir heute weder Verbündete im Westen noch Optionen im Osten. Der Ring des Mißtrauens hätte sich längst wieder um unser Land geschlossen. Ohne die Soziale Marktwirtschaft hätten wir nicht die Wirtschaftskraft, die wir jetzt brauchen, um beim Aufbau der DDR durch eine Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion in einer Weise zu helfen, für die es geschichtlich kein Beispiel gibt, und um gleichzeitig die Reformen in Ostmitteleuropa und der Sowjetunion zu unterstützen und das vereinigte Europa zu schaffen. Das ist eine unglaubliche Herausforderung, die wir bestehen müssen, die wir aber in der Verfassung, in der wir heute sind, auch bestehen können.
({1})
An den beiden Grundentscheidungen, die das möglich gemacht haben, halten wir fest, auch an der Westbindung unseres Landes.
Meine Damen und Herren, wenn 16 Millionen Deutsche nach ihrem erklärten Willen aus dem Machtbereich des Warschauer Pakts ausscheiden, dann besteht nicht der geringste Anlaß, daß deshalb 58 Millionen Deutsche aus der Sicherheitsgemeinschaft des freien Westens ausscheiden.
({2})
Alle unsere Nachbarn wollen unsere NATO-Mitgliedschaft, auch Polen, die Tschechoslowakei und Ungarn. Die Sowjetunion sollte sich dem nicht entgegenstemmen. Dazu besteht weder Anlaß, noch wäre es aussichtsreich.
({3})
Selbst eine Weltmacht wie die Sowjetunion kann nicht allein gegen den Willen aller anderer und gegen den Willen der Betroffenen, gegen unseren Willen, eine solche Entscheidung durchsetzen.
Die Mitgliedschaft des vereinigten Deutschland in der NATO ist keine Gefahr für die Sowjetunion. Die Sowjetunion ist nukleare Weltmacht und wird es bleiben. Wir haben als Bundesrepublik Deutschland auf alle ABC-Waffen verzichtet. Das wird auch für das vereinte Deutschland gelten.
({4})
Die Sowjetunion ist die einzige Großmacht in Europa. Alle anderen Staaten Europas sind nur noch Kleinstaaten oder Mittelmächte, die auf das Bündnis angewiesen sind. Das gilt auch für das vereinte Deutschland, das zwar wirtschaftlich eine bedeutende Macht ist, politisch-militärisch aber nie den Stand einer Mittelmacht überschreiten wird. Nur die Sowjetunion kann sich auf Grund der Größe ihres Raumes, der Zahl ihrer Menschen und des Umfangs ihrer Rüstung auch ohne Bündnis und ohne Glacis behaupten.
Meine Damen und Herren, unsere Entscheidung für den Westen und seine Sicherheitsallianz bedeutet selbstverständlich nicht, daß wir die Sowjetunion aus den europäischen Angelegenheiten heraushalten möchten; davon kann keine Rede sein. Wir, die CDU/ CSU, waren uns immer klar darüber, daß zur Einheit Deutschlands auch die Zustimmung der Sowjetunion und unserer östlichen Nachbarn erforderlich ist. Schon Adenauer hat Ostpolitik, Osthandel und Interzonenhandel betrieben, nicht um das dortige System zu stützen, sondern um den Menschen drüben zu helfen und die Wiedervereinigung Deutschlands vorzubereiten.
Jetzt, wo die Wiedervereinigung ansteht, muß sich unsere Solidarität erst recht bewähren.
Wir Westdeutschen sind im übrigen nicht allein die Gebenden; die Deutschen in der DDR bringen Wertvolles in das vereinte Deutschland ein. Mit dem Mut und der Besonnenheit, mit der sie im Herbst 1989 ihre friedliche Revolution durchgesetzt haben, haben sie weltweit ein moralisches Kapital geschaffen, das jetzt dem ganzen deutschen Volk zugute kommt.
({5})
Wie es uns zugute kommt, dafür ein aktuelles Beispiel aus den Vereinigten Staaten von Amerika: Als der Präsident der Harvard-Universität dem Bundeskanzler Helmut Kohl nach der Verleihung der Ehrendoktorwürde das Wort erteilte, tat er es in Anlehnung an das Zitat von John F. Kennedy - Herr Brandt, Sie werden sich daran erinnern - „ich bin ein Berliner" mit dem Satz: „Wir alle hier sind jetzt Deutsche".
Mehr an Zuwendung und Solidarität mit unseren nationalen Zielen ist gar nicht vorstellbar.
({6})
Seien wir dankbar dafür, und erkennen wir, daß eine solche Zuwendung nur jemandem gelten kann, der ein loyaler und verläßlicher Verbündeter ist, was wir seit 40 Jahren gewesen sind und auch bleiben wollen.
Meine Damen und Herren, die Hinwendung zu Deutschland erleben wir zur Zeit auch in den Ländern Ostmitteleuropas, die sich vom Sozialismus befreien. Ich habe nicht nur in der DDR, sondern auch in Ungarn, in Mähren und in der Slowakei auf Wahlveranstaltungen gesprochen. Es war für mich bewegend, zu spüren, wie sehr das freie demokratische Deutschland und unser System der Sozialen Marktwirtschaft heute zur Hoffnung auch unserer östlichen Nachbarn geworden sind.
Welches war die Rolle der SPD bei den großen Entscheidungen der Nachkriegszeit? Da wir kein Klub von Süßholzrasplern sind, muß ich diese Frage stellen; ich bitte um Verständnis. Die SPD hat bei diesen großen Entscheidungen nahezu immer, und zwar hartnäckig, den falschen Kurs gesteuert.
({7})
Sie war, wenn auch aus lauteren Motiven, gegen die Westbindung. Schumacher, den ich verehre, fürchtete, daß die Westbindung die deutsche Teilung verfestigen könnte. Heute ist klar, daß Schumachers Analyse falsch war. Die Westbindung hat die Überwindung der deutschen Teilung nicht behindert, sie hat sie ermöglicht.
({8})
Herr Abgeordneter Dregger, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Kollege Dregger, ist Ihnen bekannt, daß vor der Gründung der Bundesrepublik eine wesentliche Entscheidung dadurch fiel, daß die Sozialdemokratie der Westzonen unter Schumacher der Zwangsverschmelzung widersprochen hat, während die CDU und die FDP in der DDR oder in der damaligen sowjetisch besetzten Zone den Weg in die Blockpartei gegangen sind? Ist Ihnen zweitens bekannt, Herr Kollege Dregger - Dr. Dregger ({0}): Also, Ihr Vorsitzender in der Fraktion und in der Partei redet dauernd von der Schmach der Blockparteien in der DDR. Ich möchte Ihnen mal eines sagen. Wenn die damalige SPD nicht ihre Hand zum Bündnis mit der KPD geboten hätte, dann wäre die SED nie entstanden.
({1}) Ja! Die Wahrheit!
({2})
- Das ist die Wahrheit. Das ist nicht zu bestreiten.
({3})
Herr Abgeordneter Soell - Dr. Dregger ({0}): Wenn Sie heute in der DDR - ({1})
Einen Moment! Herr Abgeordneter Dregger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Soell?
({0})
Wenn Sie heute in der DDR so schwach sind, dann liegt das auch daran, daß Ihre Traditionskompanien in die SED eingetreten sind
({0})
und nicht als unabhängige SPD aufgetreten sind. Nein, ich bin das leid, daß die Leute in der DDR, die, um überhaupt mitwirken zu können - ({1})
- Also ihr könnt doch nicht immer schreien! ({2})
Ihr müßt doch auch mal zuhören können. Was sind das für undemokratische Sitten in diesem Hause?!
({3})
Wir lassen doch unsere Freunde in der DDR nicht ständig beschimpfen.
({4})
- Also wir sind hier ein freies Parlament, ({5})
und jeder kann hier seine Meinung äußern; auch ich.
({6})
Ich halte fest: Wenn sich die größten Teile der SPD damals nicht bereit erklärt hätten, das Bündnis mit der KPD zu schließen, dann wäre die SED nicht entstanden. So ist das.
({7})
Und die Leute, die statt dessen in die CDU oder in die liberale Partei eingetreten sind, haben nicht das beste politische Los in der DDR gezogen. Sie konnten nur eine zweit- oder drittrangige Rolle spielen.
({8})
Deswegen ist es heuchlerisch, Herr Vogel, wenn Sie ständig auf die Blockparteien einschlagen, aber verschweigen, welche Rolle die SPD damals bei der Gründung der SED gespielt hat.
({9})
- Ja, ihr müßt darüber nachdenken. Ich sage euch das, was wahr ist, und nicht das, was ihr hören wollt. Das habe ich immer getan.
({10})
Die SPD war gegen die Westbindung, wenn auch aus lauteren Motiven. Schumacher fürchtete, daß die Westbindung die deutsche Teilung verfestigen würde. Heute ist klar, daß Schumachers Analyse falsch war. Ich wiederhole, was ich vorhin gesagt habe: Die Westbindung hat die Überwindung der deutschen Teilung nicht behindert. Sie hat sie ermöglicht. Und deswegen halten wir daran auch für die Zukunft fest.
({11})
Die SPD war gegen die Soziale Marktwirtschaft und für den „demokratischen Sozialismus" - was immer das sein mag. Auch in ihrem neuen Grundsatzprogramm ist an keiner Stelle von der Sozialen Marktwirtschaft die Rede, dafür zehnmal von demokratischem Sozialismus. Ich finde, das ist eine ideologische Verblendung,
({12})
die ausgerechnet im Land Ludwig Erhards zumindest Überraschung auslösen muß.
({13})
Wohin, so frage ich, könnten die Völker und Staaten Ostmitteleuropas - um ein Wort des von mir hoch geschätzten Präsidenten der Tschechoslowakei, Vaclav Havels, aufzugreifen - zurückkehren, wenn auch wir in der Bundesrepublik Deutschland dem Phantom des Sozialismus oder des demokratischen Sozialismus nachgejagt wären?
({14})
Jetzt reifen die Früchte unserer Politik, auch im Hinblick auf die Wiedervereinigung Deutschlands. Und wieder versagt die SPD.
Das Lafontaine-Trauerspiel ist das jüngste Beispiel. Den Linken in der SPD paßt die ganze Richtung nicht. Als die Mauer fiel, als der Bankrott des SED-Regimes offenkundig war, wollten vor allem die sogenannten Enkel, insbesondere der Oberenkel Lafontaine, an der Zweistaatlichkeit festhalten - gegen den Willen der Deutschen in der DDR.
({15})
Nachdem sie sich anfangs zweistaatlich gegeben hatten, dann lange zweideutig, scheinen jetzt auch sie bereit zu sein, den deutschen Dampfer zu besteigen.
({16})
Aber sie nehmen nur im Beiboot Platz, und selbst das geschieht mit Vorbehalten. Der Bremser von der Saar ist der Erfinder des doppelten Opportunismus:
({17})
Geht's schief, dann freut er sich, weil er die Vaterlandsliebe der Deutschen in Ost und West wieder als Deutschtümelei denunzieren kann; geht's nicht schief, dann war ja auch er nicht dagegen.
Meine Damen und Herren, schlimmer noch als das Verhalten Lafontaines ist es, daß sich der SPD einem von Erhard Eppler als größenwahnsinnig Bezeichneten gebeugt hat, damit dieser ihr die Gnade seiner Kandidatur nicht verweigern möge.
Die Vereinigung des in der Mitte Europas liegenden Deutschland ist der entscheidende Beitrag zur Vereinigung Europas. Sie gibt allen europäischen Völkern und Staaten die Chance, die verheerenden Folgen des Zweiten Weltkriegs zu überwinden, die Schäden der braunen und roten Diktaturen zu heilen und so die Würde Europas wiederherzustellen.
Wenn ich von allen Völkern spreche, dann meine ich auch und vor allem das polnische Volk. Es hat unter dem Krieg in besonderer Weise gelitten. Es mußte die von Hitler und Stalin beschlossene vierte Teilung seines Landes ertragen. Seine Westverschiebung auf Kosten Deutschlands hat es, wenn ich es richtig sehe, nicht glücklich gemacht.
Diese sogenannte Westverschiebung bedeutet für uns Deutsche den Verlust von Ost- und Westpreußen, von Danzig, von Teilen Pommerns, von Ostbrandenburg und Schlesien. Das sind, was manche nicht zu bedenken scheinen, keine von Hitler eroberten Provinzen, sondern Länder, die 800 Jahre von Deutschen besiedelt und kultiviert worden sind. Das ist ein Unterschied.
({18})
14 Millionen Deutsche mußten am Ende des Krieges ihre angestammte Heimat verlassen, nur weil sie Deutsche waren. Noch nach dem Ende des Krieges verloren dabei 2,3 Millionen Menschen ihr Leben.
Wenn wir uns jetzt anschicken, das zu tun, was nahezu alle als Voraussetzung der Wiedervereinigung von uns verlangen, nämlich die Oder-NeißeGrenze anzuerkennen, dann muß klar sein, daß das keine Anerkennung der Vertreibung bedeuten kann. Das sollte auch niemand von uns verlangen.
({19})
Es würde die deutsch-polnischen Beziehungen auf unabsehbare Zeit vergiften.
Der Vertrag, den ein vereintes Deutschland mit Polen abschließen wird, kann sich nicht auf die Beschreibung des Grenzverlaufs beschränken. Es geht darum, dieser Grenze einen europäischen Charakter zu geben. Es wäre ein Widersinn, wenn wir in Westeuropa alten Grenzen jede trennende Wirkung nehmen und gleichzeitig zwischen Deutschland und Polen einer neuen Grenze den Charakter einer chauvinistischen Teilungsgrenze geben würden.
({20})
Statt dessen sollte das polnische Volk, mit dem wir Aussöhnung wollen, mit uns gemeinsam diese Grenze zu einer Grenze der Versöhnung und des Ausgleichs machen. Dazu gehören Freizügigkeit, Niederlassungsfreiheit auf beiden Seiten, Volksgruppenrechte und, wie ich gern vorschlagen möchte, die Einräumung des Heimatrechts für diejenigen, die damals dort aus ihrer Heimat vertrieben worden sind.
({21})
Auf diese Weise könnte aus einem nackten Grenzvertrag ein Freundschaftsvertrag zwischen Deutschland und Polen werden.
({22})
Beide Völker brauchen die Freundschaft des jeweils anderen, wenn sie ihre wiedergewonnene Freiheit bewahren und ihre Zukunft fruchtbar gestalten wollen.
({23})
Sie können sagen, ich griffe der Entwicklung weit voraus. Aber wer keine Perspektive hat, der hat auch keine Zukunft.
({24})
Ich finde, eine Perspektive, die, wenn man es bedenkt, dem Interesse Polens genauso wie dem Interesse Deutschlands und Europas dient, kann nicht falsch sein, wenn wir uns hinter sie stellen.
({25})
Polen würde übrigens damit zum größten Teil nur etwas einräumen, was es bei seinem Eintritt in die Europäische Gemeinschaft, für die wir uns einsetzen werden, wenn Polen es will, ohnehin einräumen müßte. Die Polen, die Ungarn, die Tschechen und die Slowaken sind genauso Europäer wie die Franzosen, die Briten und die Deutschen. Wenn sie wollen, gehören sie auch zur Europäischen Gemeinschaft.
({26})
Das meiste von dem, was ich vorgeschlagen habe, müßte Polen, wie gesagt, automatisch einräumen, wenn es der Europäischen Gemeinschaft beitritt. Aber es wäre gut, wenn Polen eine solche Regelung unabhängig von der EG um seiner künftigen Beziehungen zu Deutschland willen beschließen würde.
Zum Schluß meines Beitrages möchte ich mich unmittelbar an die deutschen Heimatvertriebenen wenden.
({27})
Was wir von Ihnen an Verantwortungsgefühl für ganz Deutschland und für Europa verlangen, ist ungeheuer viel. Ja, es stimmt: Denjenigen von uns Deutschen, die durch völkerrechtswidrige Vertreibung aus ihrer angestammten Heimat am meisten gelitten haben, wird auch jetzt wieder am meisten abverlangt.
Was aber wäre - diese Frage richte ich an meine Freunde unter den Heimatvertriebenen - , wenn wir anders handeln würden? Nach allen Äußerungen der Mächte, auf deren Zustimmung wir angewiesen sind
- denken wir insbesondere an die Begegnung des Bundeskanzlers mit Präsident Bush, einem treuen Freund Deutschlands, der ohne Schwanken für die Einheit Deutschlands eingetreten ist, der aber natürlich auch die innenpolitische Situation der Vereinigten Staaten, wo die Polen eine große Rolle spielen, nicht übersehen kann; das sind Realitäten, auf die wir auch Rücksicht nehmen müssen - , käme die staatliche Einheit Deutschlands nicht zustande.
Ich weiß, diese Aussage könnte die Bitterkeit mancher verstärken, die aus dem Gefühl erwächst, Ostdeutschland werde für Mitteldeutschland preisgegeben. Deswegen spreche ich es ganz offen an. Aber ist das richtig? Würden wir bei Ablehnung der uns vorliegenden Erklärung etwas für die Deutschen in den Gebieten jenseits von Oder und Neiße gewinnen?
Nein, das Gegenteil ist richtig. Verbesserungen für die Menschen, die in den Gebieten jenseits von Oder und Neiße im Herrschaftsbereich der Republik Polen leben, sind nur als Ergebnis von Verhandlungen zwischen den beiden Nachbarn, dem vereinigten Deutschland und der Republik Polen, denkbar. Daraus folgt: Auch um dieser Gebiete willen muß als erstes die staatliche Einheit Deutschlands wiederhergestellt werden. Ich bitte meine Freunde unter den Heimatvertriebenen, das zu durchdenken.
Im übrigen appelliere ich an unsere Nachbarvölker im Osten. Sie sollten in den deutschen Heimatvertriebenen nicht ihre Gegner, sondern Leidensgefährten sehen, die in manchem das Schicksal des polnischen Volkes zu teilen hatten. Deswegen würde ich auch eine Geste der Versöhnung seitens der polnischen Führung, die über das hinausgeht, was wir bisher gehört haben, begrüßen. Vaclav Havel, der tschechoslowakische Staatspräsident, hat dies jüngst gegenüber den Sudetendeutschen getan. Seitdem ist die Atmosphäre zwischen Tschechen und Deutschen grundlegend verändert. Meine Damen und Herren, Worte können verletzen, sie können sogar töten, aber Worte können auch heilen. Vaclav Havel hat heilende Worte gefunden.
({28})
Lassen Sie mich abschließend sagen - ich sage es als deutscher Patriot - ({29})
- Ich habe mich immer dazu bekannt. Sie können ruhig heulen. Tun Sie das. Ich habe mich immer dazu bekannt, bin ich immer gewesen. Mein Kurs war immer gleich.
({30})
Was ich zum Abschluß sagen will, sage ich als deutscher Patriot, der sich Europa verpflichtet weiß. Ich hoffe auf und arbeite für einen Vertrag zwischen dem vereinten Deutschland und der Republik Polen, der mehr enthält als eine Beschreibung des Grenzverlaufs, einen Vertrag, der Ost- und Westpreußen, der Pommern und Brandenburg, der Ober- und Niederschlesien zu einer Zone enger deutsch-polnischer Zusammenarbeit werden läßt und damit zu einer Zone des Friedens und des Wohlstandes für alle, die dort
leben, welche Sprache sie auch sprechen mögen. Das ist europäischer Geist, meine Damen und Herren.
({31})
Ich weiß, daß manche - gerade unter den Heimatvertriebenen ({32})
das ungläubig und skeptisch anhören werden nach all den Enttäuschungen, die hinter ihnen liegen. Aber ich sage: Ohne Glauben, ohne Hoffnung und ohne Liebe gibt es keine Zukunft. Das - ich wiederhole - von mir anvisierte Ziel liegt im Interesse der Deutschen, der Polen und ganz Europas. Dieses Anliegen wird Zukunft haben, wenn wir uns dahinter stellen.
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Der Weg vor uns ist offen. Stationen sind die vor uns liegende Entschließung, dann die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands und dann ein Vertrag zwischen einem vereinten Deutschland und der Republik Polen, der mehr enthält als die Beschreibung eines Grenzverlaufs. Ich bitte alle, die diese Ziele mit mir teilen, der vorliegenden Entschließung aus dieser Überzeugung heraus und mit dieser Perspektive zuzustimmen
({34})
Meine Damen und Herren, die Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik hat über den Staatsvertrag abgestimmt. Ich gebe Ihnen das Ergebnis bekannt. 385 haben sich an der Abstimmung beteiligt. 302 haben mit Ja gestimmt, 82 mit Nein, 1 Enthaltung.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Deutschen Bundestag ist oft von den Brüdern und Schwestern gesprochen worden. Jetzt ist der geschichtliche Augenblick gekommen, an dem die Bundesrepublik zu zeigen hat, an dem wir alle, was uns auf diesem oder jenem Gebiet trennen mag, zu zeigen haben, daß das mehr war als eine leere Formel; denn der Weg der Einheit verlangt von unseren Landsleuten drüben ungleich mehr als von uns hier, eine gewaltige Umstellung ihres Lebens.
Daß die Freude vieler von neuer Sorge begleitet oder hier und da sogar überlagert wird, sollten wir verstehen. Die Bereitschaft zum Verständnis darf hinter der Bereitschaft, die gute D-Mark zu transferieren, nicht zurückbleiben. Auch mit noch so vielen Milliarden, mit noch soviel Geld allein wird die Aufgabe nicht zu lösen sein, aus den jetzt lange voneinander getrennten Teilen die eine Nation wachsen zu lassen. Vergessen wir bitte nicht: Ohne die Menschen dort stünden Parlament und Regierung hier nicht vor der heutigen Herausforderung, von der wir häufig gesagt hatten, daß wir sie uns wünschten, und auf die wir dann doch ganz unzulänglich vorbereitet waren.
Die wirkliche Einheit beginnt erst. Sie wird erst vollendet sein, wenn sie von den Menschen dieses Volkes bestätigt sein wird. Das Volk selbst, über Regierungsakte und Staatsverträge hinaus, wird in dem neuen deutschen Staat eins werden müssen. Wenn Ministerpräsident de Maizière dieser Tage von der Aufgabe sprach, die Gräben der 40 Jahre in Partnerschaft zu überbrücken, so ergänze ich: Ja, und Partnerschaft verträgt weder die Überheblichkeit der Gesicherten noch die Ungeduld der bislang Zukurzgekommenen.
Ich möchte jetzt nicht dem Herrn Kollegen Dregger auf dem Wege des Aufrechnens dessen folgen, was in zurückliegenden Jahren so oder so beurteilt wurde oder werden konnte. Es ist ja übrigens keine Schande - weder für Sie noch für uns - , die eine oder andere Position überprüft zu haben. Ich könnte ja auch sagen: Sie hatten Ihren guten Grund - oder Sie glaubten, ihn zu haben; sonst hätten Sie es ja nicht so vorgebracht - , sich zu Beginn der 70er Jahre nicht für die Konferenz in Helsinki auszusprechen. Das war ein großer Fehler. Heute ist das ein starkes Instrument für den Bundeskanzler, für seinen Außenminister geworden. Trotzdem habe ich nie unterstellt, Sie hätten sich damals gegen Europa entscheiden wollen. Wäre ja auch Unsinn gewesen.
({0})
Also, das Aufrechnen, was frühere Positionen angeht, bringt nichts; denn die Welt ist ja auch nicht die gleiche geblieben.
Ich muß nur, wenn ich schon auf meinen Vorredner Bezug nehme, sagen: Lieber Herr Kollege Dregger, das mit dem Zusammengehen der Sozialdemokraten und der Kommunisten 1946 in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone kann so nicht stehenbleiben.
({1})
Wahr ist, daß es Sozialdemokraten gegeben hat, die Illusionen hatten - einige, die in den Lagern waren mit anderen zusammen - und gedacht haben: Jetzt braucht man sich nicht noch einmal neu zu zerfleischen. Das ist wahr. Aber diese Illusionen waren nicht stärker ausgeprägt als die des von mir hochgeschätzten Jakob Kaiser oder die des mir befreundeten Ernst Lemmer, also von Parteivorsitzenden der ersten oder zweiten Stunde in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone.
Es hat Illusionen gegeben, es hat viel Mut derer gegeben, die lieber ins Gefängnis gegangen sind, als das mitzumachen.
({2})
- Wenn ich dies noch eben zu Ende führen darf, Herr Dregger. - Ich bitte gerade in diesem Augenblick - ich wünschte mir, darüber schon etwas im nächsten Staatsvertrag zu finden - um eine mehr als verbale Verbeugung vor den Tausenden und Abertausenden, die auf deutschem Boden und in Rußland mißhandelt
und zu Tode gebracht worden sind, weil sie gegen die Errichtung der Zwangsherrschaft waren.
({3})
Herr Abgeordneter Brandt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dregger? - Bitte sehr.
Herr Kollege Brandt, ich stimme Ihnen in allem, was Sie jetzt gesagt haben, zu und frage Sie, ob Sie nicht auch der Meinung sind, daß Ihre Freunde aufhören sollten, auf die erneuerte CDU ({0}) herumzuhacken und sie als Blockpartei zu bezeichnen. Wir haben eine erneuerte CDU, und wir haben eine SPD, von der ich nur wünschen kann, daß sie der PDS mehr Wähler abnimmt. Wir wollen die PDS als unseren Gegner betrachten. Aber reden Sie - nicht Sie, aber Ihre Freunde - nicht unaufhörlich von der Blockpartei CDU.
({1})
Ich bin gerne bereit, diesen Rat zu befolgen, Herr Dregger. Es fiele mir noch leichter, darauf einzugehen, wenn ich wüßte, daß die Parteien in der DDR Ende des Jahres unter halbwegs gleichen Startbedingungen antreten könnten, was ihre materielle Ausstattung, ihren Apparat, ihre Zeitungen angeht.
({0})
Freie Wahlen auf deutschem Boden müssen bedeuten, daß die Parteien untereinander in etwa gleichen Startbedingungen antreten können.
({1})
- Das ist ja fein.
({2})
Meine Damen und Herren, daß dem Staatsvertrag, weil ein solcher Schritt zur deutschen Einheit unerläßlich ist, die Zustimmung nicht versagt werden würde, stand fest. Die Opposition wäre allerdings ihrer Pflicht nicht gerecht geworden, hätte sie nicht Schwachstellen und Risiken benannt. Solche Schwachstellen und Risiken sind auch anderen als Mitgliedern der sozialdemokratischen Fraktion bekannt. Die Volksvertretung in der parlamentarischen Demokratie hat nicht nur eine Streusandbüchse zu bedienen - bald wird sie wieder eine märkische sein; daher kommt ja das Wort von der Streusandbüchse - , sondern sie hat im Abwägen des jeweiligen Für und Wider ihre eigene Verantwortung wahrzunehmen.
Weil heutzutage - wie mein Kollege Vogel einmal gesagt hat - die Worte im Mund alt werden, möchte ich, bevor ich fortfahre, gerne ein anderes wichtiges Ereignis erwähnen. Es wird heute kaum noch beachtet werden - früher hätte es Schlagzeilen gegeBrandt
ben - , daß die Berliner Kollegen aus allen Fraktionen nun gleichgestellt sind mit allen anderen.
({3})
Ich beglückwünsche die Berliner Kollegen, zu denen ich auch einmal gehört habe. Mich hat es nie sonderlich beschwert, daß man nicht voll mit abstimmen konnte.
Immerhin, es hat lange gedauert. Ich möchte nicht nachträglich die Alliierten angehen; denn ich fürchte, es könnte von denen das Wort zurückkommen, daß sich die bundesdeutsche Seite im Lauf der Jahre auch nicht überanstrengt hat, um dieses Thema einer Lösung zuzuführen.
({4})
Ich möchte Ihnen außerdem sagen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen: Jemanden, der seit 1949 dabei ist, konnte gelegentlich ein wehmütiges Gefühl überkommen, wenn er daran dachte, wie im Bundestag in den 50er Jahren oder Anfang der 70er Jahre um Verträge gerungen wurde - nicht gerade so einen Tag vor der Sommerpause, sondern immer normal und zuweilen bis in die Nächte hinein - , die mit Deutschlands Zukunft und Einheit zu tun hatten. Eine große Zahl von Mitbürgerinnen und Mitbürgern saß damals an den Rundfunk- und Fernsehgeräten wie vielleicht auch heute - bis immerhin 16.55 Uhr.
({5})
Aber wir sind ja nicht - ich weiß das wohl - allein auf der Bühne. Ich sage das als einer, dessen Zuneigung zum König Fußball keineswegs unterentwickelt ist.
Es ist zu begrüßen - der Fraktionsvorsitzende der SPD hat es heute früh anklingen lassen -, daß hier offen nicht um das Ob, sondern um das Wie der deutschen Einheit gerungen wird. Die Regierung muß sich, wenn ich in unser Volk hineinhöre, sagen lassen: Es gab in den zurückliegenden Monaten deutlich viel mehr guten Willen, als die Regierenden einzubeziehen verstanden. Was anders - darf ich fragen - als überzogener Parteiegoismus hat die Regierenden daran gehindert, die Verwirklichung der deutschen Einheit zu einer wahrhaft öffentlichen, parteiübergreifenden Aufgabe zu erklären?
({6})
Was konnte sachlich wirklich dagegen sprechen, die durch den Staatsvertrag zu regelnden Aufgaben nicht erst in einer letzten Runde mit den Sozialdemokraten zu erörtern, sondern von Anfang an die politischen Kräfte und den wirtschaftlichen Sachverstand zu gemeinsamer Beratung zusammenzuführen?
({7})
Was könnte vergessen machen, daß eine solche Zusammenführung der Kräfte in Bund und Ländern - auch wegen der europäischen Absicherung der deutschen Einigung - von Vorteil gewesen wäre? Nun wird ja die veränderte Zusammensetzung des Bundesrates etwas nachhelfen. Ich verbinde das mit
einem Glückwunsch an den heute neu gewählten niedersächsischen Ministerpräsidenten Schröder.
({8})
Ich will allerdings gleich hinzufügen: Einigen besonders selbstsicheren Disputanten würde meines Erachtens ein Empfinden dafür nicht schaden, sie könnten an einer kommenden Wegkreuzung stärker aufeinander angewiesen sein, als sie dies heute vermuten mögen. Deutsche Einheit und europäische Sicherheit rufen nicht nach dem Übertünchen seriöser Meinungsverschiedenheiten, wohl aber nach dem jeweils erreichbaren Maß an gemeinsamer Verantwortung.
({9})
Ich habe Einwände vorzubringen; etwas habe ich ja schon anklingen lassen. Doch ich will das nicht tun, ohne den wirklich historischen Einschnitt gewürdigt zu haben, dem wir uns gegenübersehen. Niemand von uns hat vor einem Jahr gewußt, wie rasch sich der Wandel in Europa und auf deutschem Boden vollziehen würde. Ja, in dieser Reihenfolge: in Europa und auf deutschem Boden.
Was bei uns in Deutschland geschieht, läßt sich von den tiefen Veränderungen im anderen Teil Europas und in der Sowjetunion überhaupt nicht trennen. Ich bin nicht ganz sicher, ob dies der Öffentlichkeit schon, noch oder überhaupt hinreichend bewußt ist. Niemand hat wissen können, wie rasch und sich überstürzend sich der Einstieg in die staatliche Einheit vollziehen würde.
Diejenigen, die hier Regierungsverantwortung tragen, Herr Bundeskanzler, werden nicht ernsthaft bestreiten wollen, daß sie in den hinter uns liegenden Monaten weniger Herren des Verfahrens waren, eher Getriebene des Prozesses, der Europa und unser eigenes Land erschüttert. Dies kreide ich niemandem an. Wie käme ich dazu? Ich halte es lediglich fest, auch um späterer Legendenbildung vorzubeugen.
Das, was ich soeben sagte, hat aber aktuelle Bedeutung über den hier zur Abstimmung stehenden Vertrag hinaus, ein Vertrag, in dem im übrigen - warum sollte gerade ich das nicht würdigen? - viel sachkundige, unter Zeitdruck geleistete Arbeit von tüchtigen Beamten und Angestellten ihren Ausdruck gefunden hat.
({10})
Aus dem augenblicklichen Austausch der Meinungen lassen sich aus meiner Sicht drei Bereiche weitgehender Übereinstimmung ableiten. Erstens. Es gibt hier für mich erkennbar niemanden, die oder der es nicht begrüßte, daß die durch Hitlers Krieg verschuldete Spaltung endlich zu Ende geht und daß die Lebensbedingungen der Landsleute in der bisherigen DDR möglichst bald an die der Deutschen hier angeglichen werden.
({11})
Zweitens stellt es sich mir so dar, als lägen die Meinungen dort nahe beieinander, wo es sich darum handelt, die deutsche Einheit europäisch einzubetten und
auch abzusichern. Aber darüber, wie das im einzelnen auszusehen hat, gibt es doch noch recht unterschiedliche Meinungen.
Drittens scheint sich parteiübergreifend die Erkenntnis durchzusetzen oder sogar durchgesetzt zu haben, Deutschland habe eine wesentliche Rolle dabei zu spielen, daß Rüstungen kontrolliert abgebaut und daß der Friedenssicherung durch mehr als bloße Zusammenarbeit zwischen Ost und West ganz neue Chancen eröffnet werden.
Zum ersten Punkt, der Angleichung der Lebensbedingungen, sei noch einmal angemerkt: Die sozialen Vorkehrungen, die der Staatsvertrag vorsieht, reichen weiter und sind zumindest besser, als es der Entwurf vorsah. Warum man deswegen den Kollegen Dregger tadeln mußte, war mir nicht einsichtig; denn etwas, was besser wird, kann man doch nur begrüßen.
({12})
Wir sind uns doch hoffentlich alle darüber einig, daß, wenn der Zug zur deutschen Einheit rollt, möglichst niemand unter die Räder kommen soll. Den Weg zur Einheit sozial verantwortbar zu gestalten sind wir sowohl unseren Landsleuten drüben als auch unseren eigenen Wählerinnen und Wählern schuldig.
({13})
Darüber besteht sicherlich weithin Konsens. Allerdings gingen und gehen zum Teil noch die Meinungen über das Wie des vernünftigen Überleitens zur Sozialen Marktwirtschaft auseinander, und zwar nicht nur hierzulande, wie jeder wissen sollte, der über den deutschen Tellerrand hinausschaut.
Bekanntlich streiten sich Parlamentarier - auch dort durchweg nicht unterbelichtet - und Fachleute auch in Polen, in der CSFR - ich glaube, ich habe es richtig hinbekommen - , in Ungarn und zumal in der Sowjetunion über die angemessenen Schritte in Fragen der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialpolitik. Selbst die Experten des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank sind nicht so vermessen zu behaupten, sie hätten die Zauberformel gefunden. Es gibt keinen, der sie hätte.
Ludwig Erhard und das deutsche Wirtschaftswunder in allen Ehren, aber die 90er Jahre sind nicht die 50er Jahre. Damals befanden sich bis auf die USA alle Volkswirtschaften in der Wiederaufbauphase vom Punkt plus/minus Null. Erst der Korea-Boom - die Älteren werden sich daran erinnern - führte aus der Talsohle heraus. Heutzutage gelten aber nicht mehr die schlichten Regeln der Nationalökonomie, sondern die harten und keineswegs immer fairen Regeln der Weltwirtschaft. Der Wettbewerb um Märkte und Investoren ist alles andere als idyllisch; er ist beinhart.
Daher haben unsere Landsleute in der DDR zu Recht oder jedenfalls verständlicherweise die Sorge, ob ihre Produktionsstätten und -standorte - jedenfalls ein wesentlicher Teil davon - auf kurze Frist in diesem Wettbewerb bestehen können, zumal die Einführung der D-Mark den vielerorts gängigen Weg der Konkurrenzfähigkeit durch flexible Währungsrelationen ausschließt. Man konnte also gewiß - wie es
auch Überlegungen der Bundesbank noch Anfang des Jahres zeigten - auch einen anderen als den jetzt gewählten Währungsmechanismus ins Auge fassen. Man kann sich auch anders, als es die jetzt vorherrschende Meinung besagt, mit den zu erwartenden Betriebsschließungen auseinandersetzen. Verwerflich nenne ich es, Alternativdenker einfach als Gegner der deutschen Einheit abzustempeln.
({14})
Wer weiß, was der Begriff „internationale Kapitalmobilität" meint, der sollte eingestehen, daß das Verhalten von Unternehmen und Banken kaum vorhersehbar ist. Die beträchtliche Unsicherheit, was nach dem 1. Juli passieren wird, kann mit ordnungspolitisch gestochenen Formulierungen im Staatsvertrag und mit dem stolzen - berechtigt stolzen - Hinweis auf die Übernahme unserer sozialen Sicherungssysteme allein nicht so einfach vertrieben werden. Folglich kommt es darauf an, sich auf alle erdenklichen Eventualitäten einzustellen - auch wenn es gilt, schon etwas in der Schublade zu haben, womit man auf starke Abweichungen von dem jetzt vermuteten Bild reagieren könnte.
Es kann auch nur vernünftig sein, wenn die Umweltgesetze, so rasch es irgend geht, zunächst mindestens dem bundesrepublikanischen Niveau angepaßt werden. Die gebotene soziale und ökologische Erneuerung läßt sich als beherrschendes deutsches Thema ohnehin nicht mehr von der Tagesordnung absetzen.
Mir ist übrigens seit langem nichts so Törichtes untergekommen wie die in langweiligem Trotz wiederholte Behauptung, nichts habe sich am Vertrag geändert, nichts Wesentliches sei ergänzt worden, was heißt: Die natürlich mit aller Weisheit ausgestattete Regierung habe nichts neu zu bedenken gehabt. Das glaube, wem die entsprechende Einfalt gegeben.
({15})
Der Bundeskanzler muß sich vorhalten lassen, daß er während einer ganzen, wichtigen Zeitspanne die Opposition mit einer gewissen Planmäßigkeit hat außen vor lassen wollen. Ja, Herr Bundeskanzler, man konnte sogar den Eindruck gewinnen, Sie wollten die Sozialdemokraten zu einem demütigenden. Nein veranlassen. Wenn das eine Rechnung war: aufgegangen ist sie nicht.
({16})
Oskar Lafontaine nehme ich gegen vergiftete Polemik ausdrücklich in Schutz.
({17})
Das geht an die Adresse von mindestens drei Rednern in der bisherigen Debatte.
({18})
Wenn man die verständliche Neigung verspürt, sich
mit dem streitbaren Deutsch-Europäer von der Saar
anzulegen, dann rate ich sehr dazu, sich eines andeBrandt
ren als eines feindseligen Tones zu bedienen und auf unredliche Argumentation zu verzichten.
({19})
Darauf hat, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, übrigens auch die Partei Anspruch, die Oskar Lafontaine mit herausgehobener Verantwortung betraut hat.
({20})
Gewiß ist - was die Einbettung angeht - nicht alles schon deshalb europäisch, weil es uns von der einen oder anderen Seite mit solchem Etikett angedient wird. Worauf es ankommt, ist, daß uns niemand guten Gewissens ankreiden kann, wir beachteten im Prozeß der deutschen Einigung nicht hinreichend jene Brüsseler Regelungen und Vereinbarungen, die wir mitentwickelt und beschlossen haben, oder wir seien so sehr auf das eigene Land konzentriert, daß mittel- und osteuropäische Nachbarn Grund hätten, sich benachteiligt zu fühlen. Das darf es und das wird es hoffentlich nicht geben.
Weiter darf mit hinreichender Deutlichkeit gefragt werden: Können wir unserer europapolitischen Aufgabe gut genug gerecht werden, wenn das, was nach dem ersten Staatsvertrag ansteht, einer unangemessenen Überstürzung ausgesetzt wird? Dabei wird es ja schon keine Kleinigkeit sein, für den Rest des Jahres den anstehenden ersten Teil der Einigung zu bewältigen, gegebenenfalls zu ergänzen und zu korrigieren.
Auch sollte meiner wirklich fundierten Überzeugung entsprechend - ein bißchen hat man ja auch Kontakt, etwas mehr als oberflächlichen Kontakt, mit dem anderen Teil - die Bildung der Länder in der DDR nicht unter einen unerträglichen Zeitdruck gestellt werden.
({21})
Es ist ja eben nicht nur die Wahl. Es sind der Wahlkampf, die Wahl, dann die Bildung der jeweiligen Landesregierung. Zeitdruck kann sich zusätzlich ergeben, wenn jene Optimisten unrecht bekommen, die uns bis Ende des Jahres eine Verständigung über den Außenstatus Deutschlands in Aussicht stellen. Wir werden uns darüber Ende des Jahres ja noch einmal neu unterhalten. Ich sage: Hoffentlich bekommen die eben erwähnten Optimisten nicht Unrecht.
Bemerkenswert finde ich es, daß in den Verlautbarungen der Bundesregierung wie der ausländischen Mächte kaum noch von „Wiedervereinigung" gesprochen wird, sondern schlicht von „Vereinigung" oder „Einheit". Das entspricht der Lage und ist deshalb vernünftig. Denen in unserem Umfeld, die der neuen deutschen Entwicklung mit vergangenheitsbedingtem Mißtrauen begegnen, sollte deutlich nahegebracht werden, daß es sich eben nicht um die Wiederkehr des Alten handelt, sondern um ein neues Deutschland, an dem die Lehren der jüngsten Geschichte nicht spurlos vorübergingen.
({22})
Wir haben heute früh festgestellt - wir werden das in einer Abstimmung festzuhalten haben - : Die Ostgebiete bleiben polnisch, werden also nicht wiedervereinigt - ein Viertel des Reichsgebietes, bevor Hitlers Annexionen begonnen haben. Dieser Preis für die Zeit zwischen 1933 und 1945, schmerzlich zumal für die Heimatvertriebenen, aber nicht für sie allein - nicht für sie allein! - , war nicht zu umgehen. Meiner Meinung nach hätte es weniger behindert und gekostet, hätte sich die Koalition schon früher einen Ruck gegeben.
({23})
Ich habe mich in den letzten Monaten, auch in Verbindung mit Ihrer Polenreise, Herr Bundeskanzler, manchmal gefragt, ob Sie nicht nahe daran waren, wegen Zuspätkommens vom Leben gestraft zu werden.
({24})
Dem sind Sie jetzt entgangen.
Es wird sich zum anderen bei uns nicht um einen traditionellen Nationalstaat handeln, sondern weiterhin um einen Bundesstaat, der aus freiem Willen in die Europäische Gemeinschaft eingefügt ist, und um ein Deutschland, das an der sich abzeichnenden Vertiefung und Erweiterung der europäischen Zusammenschlüsse - ich nehme dafür bewußt den Plural - mitwirken will. Der deutsche Bundesstaat wird quantitativ etwas größer, verändert aber qualitativ nicht seinen „Charakter".
Sowenig gerade mich die Freude darüber losläßt, daß willkürliche Teilung zu Ende geht, so sehr treibt mich doch die Sorge darüber um, daß uns viel zweifelnde Unklarheit begegnet, von der ich meine, sie wäre zumindest in Teilen zu vermeiden gewesen.
Nach dem Aufflackern der Emotionen machte sich eine Stimmung breit, die weniger an einen geschichtlichen Umbruch erinnerte als vielmehr an das Vorfeld von schlecht vorbereiteten Tarifverhandlungen. Die Regierung versicherte zum Überdruß, kosten werde das die Steuerzahler überhaupt nichts, aber bezahlt machen werde sich der Vorgang im Laufe einiger Jahre. Das zweite bestreite ich nicht. Ich bin ebenfalls dieser Meinung. Das andere - das erste - wird sich als ein Ammenmärchen erweisen, und das Publikum ahnt es.
({25})
Weil das Publikum es ahnt, reagierte der Finanzminister bei dem, was in der Debatte dazu gesagt wurde, aufgeregt.
Es war kaum ein Ausdruck höchster staatsmännischer Weisheit, fast ausschließlich auf materielle Erwartungen zu reagieren und unterzubewerten, was ein wirkliches Eingehen auf das Selbstwertgefühl der Landsleute in der DDR hätte bedeuten und positiv bewirken können.
({26})
Sie, Herr Bundeskanzler, haben sich seinerzeit zur geistig-moralischen Erneuerung bekannt.
({27})
Von geistiger Druchdringung ist, soweit ich es erkennen kann, in diesem Stadium des Einigungsprozesses noch nicht viel zu spüren.
({28})
Geistiges kommt im Vertrag nur vor - das will ich einmal anmerken - , wo vom Branntweinmonopol die Rede ist,
({29}))
und Kultur allenfalls im Sinne von Agrikultur.
({30})
- Wenn der Präsident nicht hinter mir säße, würde ich Sie einen Lümmel nennen, Herr Kollege. ({31})
Ich verkenne nicht die Bedeutung der Landwirtschaft, aber einen vollen Ersatz für geistige Werte bietet sie nicht.
Ich begrüße übrigens sehr, daß interfraktionell darüber gesprochen wird, wie die Förderung kultureller Aufgaben im zweiten Vertrag ihren Niederschlag finden könnte.
({32})
Schließlich, was die vor uns liegenden Schritte angeht: Erstens wäre es kurzsichtig, zu meinen, wir bräuchten die seinerzeitigen Siegermächte nicht mehr. Wir bräuchten sie nicht mehr, wo es über die Währungs- und Wirtschaftsunion hinaus um die Verwirklichung der politischen Einheit Deutschlands geht. Aber halbe Lösungen wären eine vermeidbare Hypothek für Deutschland.
Ich möchte die Bundesregierung bitten, an folgendem festzuhalten: Mit der Einheit müssen die auf Siegerrecht beruhenden Vorbehaltsrechte abgelöst werden.
({33})
Ich sage dies, weil mich das Geraune von einer mehrjährigen Übergangsregelung - nicht nur auf gewisse Truppenstationierungen bezogen - bekümmert, Herr Kollege Dregger.
Zweitens gehöre ich zu denen, die meinen, der Beitritt der DDR müßte wirksam geworden und der künftige völkerrechtliche Status Deutschlands geklärt sein, bevor die aus gesamtdeutschen Wahlen - mit, wie ich vorhin sagte, hoffentlich gleichen, sauberen Startchancen der Parteien - hervorgehende Volksvertretung und Regierung ihr Amt antreten, heißt: bevor gewählt wird. Im anderen Fall wäre das deutsche Schiff mit Gleitlast beladen, und die kann, wie man nicht nur an der Küste weiß, ein Schiff leicht ins Trudeln bringen.
Ich sage nicht, daß es eines förmlichen Friedensvertrages bedarf, wohl aber einer abschließenden völkerrechtlichen Regelung der uns betreffenden Fragen, die seit Ende des Zweiten Weltkrieges offengeblieben sind. Das sind nicht nur hinfällig werdende Vorbehaltsrechte, sondern es betrifft auch die Fragen: Wieviel Truppen bleiben auf deutschem Boden und - meinetwegen mit Revisionsklausel - für welchen Zeitraum? In welchem Umfang werden deutsche Streitkräfte so begrenzt, wie dies unseren eigenen Interessen entspricht und vor allem auch die Herausbildung einer europäischen Friedensordnung fördern hilft? Wir werden uns mehr als kosmetische Operationen, nämlich drastische Kürzungen, leisten können.
({34})
Im übrigen sollten wir nicht vergessen: Daß die Dinge in der DDR nicht aus dem Ruder liefen, hatte natürlich wesentlich auch damit zu tun, daß die sowjetischen Truppen in den Kasernen blieben
({35})
und daß sich übrigens auch unsere Landsleute vernünftig verhalten haben; das kommt ebenfalls noch hinzu.
Wenn sowjetische Truppen während einer wie immer gearteten Übergangszeit dort bleiben, wird viel davon abhängen, ob eine Öffnung der Garnisonen zur Bevölkerung und umgekehrt möglich wird. Ich rege zusätzlich an, daß sich eine neue Art von Aktion Sühnezeichen der Gräber jener Männer annimmt, die auf deutschem Boden gefallen sind.
({36})
Nachdem der Warschauer Pakt als militärische Organisation zu einem Papiertiger geworden ist, steht eine Anpassung der NATO an die veränderten Gegebenheiten bevor. Das steht nicht im Gegensatz zu Herrn Dreggers Hinweis darauf, daß wir keinen Anlaß haben, die NATO zu verlassen. Aber die Anpassung steht bevor. Denn wer nach der Devise „Weiter wie bisher" verfahren wollte, geriete bald auf Kriegsfuß mit den Realitäten.
Ich will nicht verhehlen, meine Damen und Herren, daß ich es für einen Griff in die Mottenkiste halte, wenn neuerdings das Instrument von Nichtangriffspakten bemüht wird. Das ist eine verstaubte Terminologie.
({37})
Die Älteren werden sich mit mir daran erinnern, wie heillos dieses Instrument in der Zwischenkriegszeit kompromittiert wurde, nicht nur durch Hitler, auch durch Stalin. Schauen Sie sich die Entwicklung der letzten Jahre vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges an! Ich empfehle eine Terminologie, die diese Erfahrung in Rechnung stellt.
Drittens möchte ich mir ausdrücklich zu eigen machen, was der sonntägliche Redner im Ost-Berliner Schauspielhaus, Konsistorialpräsident Stolpe, zur Frage der gesamtdeutschen Verfassung ausgeführt hat. Die Vernunft spricht dafür, vom Grundgesetz auszugehen. Es hat sich bei uns bewährt, und die im
anderen Teil Deutschlands Gewählten betrachten es als eine im wesentlichen geeignete gemeinsame Grundlage; das ist gut so. Aber angepaßt werden muß es, schon technisch, und die Chance einer Weiterentwicklung sollten wir uns nicht völlig entgehen lassen, wenn das Provisorium oder, wie Theodor Heuss sagte, Transitorium abgeschlossen wird.
Der Gedanke, das überholte und ergänzte Grundgesetz, aus dem dann die Verfassung des geeinten Deutschland wird, durch das Volk bestätigen zu lassen, verdient aus mehr als optischen Gründen nachhaltige Unterstützung.
({38})
Das Grundgesetz - dies ist nicht mehr allen bewußt - wurde durch die Hochkommissare der drei Westmächte genehmigt. Die Genehmigung des Grundgesetzes durch die drei Hochkommissare muß abgelöst werden durch die demokratische Legitimierung einer freien Verfassung durch ein freies Volks.
({39})
Das Staatsvolk von der Mitwirkung auszuschließen wäre ein schwerer Geburtsfehler und könnte übrigens auch im Ausland mißverstanden werden. Aber das kommt dann nur noch hinzu.
Viertens darf kein Zweifel daran aufkommen, daß wir nicht nur zu unserem gegenüber der EG verpfändeten Wort stehen, sondern uns auch in einer besonderen politischen Verantwortung und moralischen Pflicht wissen, wo es sich um die Zusammenarbeit mit der Gesamtheit der mittel- und osteuropäischen Staaten handelt, nicht zuletzt auch, um der Sowjetunion bei der Bewältigung ihrer immensen wirtschaftlichen Probleme beizustehen. Ich greife nicht nur das auf, was Präsident Mitterrand gestern hierzu gesagt hat, sondern auch das, was der baden-württembergische Ministerpräsident nach seiner jüngsten Reise hierzu begründet vorgebracht hat.
Fünftens sollten wir uns vornehmen, aus der Verwirklichung der deutschen Einheit als zusätzliche Pflicht abzuleiten, verstärkt an der Meisterung jener Gefahren mitzuwirken, die die Menschheit in ihrer Gesamtheit bedrohen. Überall in der dritten und der vierten Welt - ich habe mich erst jüngst davon überzeugen können; jedenfalls in einer Reihe von Ländern - begegnet man der Sorge, unsere Ressourcen könnten so sehr in Richtung Osten in Anspruch genommen werden, daß für andere Himmelsrichtungen nichts übrigbleibt. Ich hoffe - und ich sage das bei allen sich bietenden Gelegenheiten - , das wird nicht so sein, sondern es werden sich auch für Entwicklungsländer neue Märkte öffnen und neue Partnerschaften ergeben. Außerdem gerät es ja nun endlich in den Bereich des Möglichen - bisher haben wir ja nur darüber geredet - , daß ein ansehnlicher Teil der durch verminderte Rüstung frei werdenden Mittel zugunsten wirtschaftlicher Zusammenarbeit im allgemeinen und der Hilfe für hungernde Mitmenschen im besonderen umgelenkt werden könnten.
({40})
Ich denke, das bekäme uns relativ wohlhabenden Deutschen gut. Es läge auch im Interesse unserer nachwachsenden Generationen.
Ich habe die Hoffnung, daß mit der deutschen Spaltung auch die europäische Spaltung überwunden werden kann, d. h., daß wir eine europäische Sicherheitsgemeinschaft begründen können, die diesen Namen verdient.
Die frei gewählten Regierungen in Warschau, in Prag, in Budapest sind nach Europa zurückgekehrt. Ich denke, wir wollen ihnen die Hand reichen zu einer Partnerschaft, die viele Bereiche umfaßt. Auch mit Rußland und der Sowjetunion kann jetzt hoffentlich ein Europa gebaut werden, in dem unsere Nation ihren Frieden findet.
Zum Schluß: Die Zustimmung zu diesem Vertrag bedeutet keinen Blankoscheck für die Regierung. Das Tempo, in dem sich der Prozeß der Vereinigung vollzieht, ist natürlich mit der Gefahr verbunden, daß sich in beiden Teilen Deutschlands Enttäuschungen einstellen. Aber für mich ist kein Zweifel daran, daß unser Volk fähig sein wird, mit seinen Problemen fertig zu werden und die Nachbarn davon zu überzeugen, daß diesmal auch das im europäischen Interesse liegt, was sich auf deutschem Boden grundlegend verändert.
In diesem Sinne wünsche ich uns, d. h. den Menschen, für die wir sprechen, Erfolg auf unseren neuen Wegen.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
({41})
Das Wort hat jetzt der Bundesminister für Wirtschaft, Herr Dr. Haussmann.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kollegen! Lieber Herr Kollege Brandt, meine Aufgabe hier kann es nicht sein, auf den allgemeinen politischen Inhalt Ihrer Rede einzugehen, sondern ich will auf drei Bemerkungen zur Wirtschaft eingehen, die Sie gemacht haben, weil die Fragen der Wirtschaft, der Beschäftigung, des Übergangs von der Kommando- zur Marktwirtschaft die nächsten Monate enorm bestimmen werden.
Erstens. Es gibt keine Zauberformel für diesen Übergang. Aber, meine Damen und Herren, was die Bundesregierung mit diesem Staatsvertrag der DDR anbietet, ist im Grunde mehr als der damalige Marshallplan der Amerikaner. Der DDR steht mit der D-Mark eine international anerkannte Währung zur Verfügung. Wir sprechen dieselbe Sprache. Die deutsche Wirtschaft ist in Hochform. Es wird zu Tausenden von deutsch-deutschen Gemeinschaftsunternehmen kommen. Insofern sind die Ausgangsbedingungen für die DDR letztlich besser als damals nach der Zerstörung der Wirtschaft für die Bundesrepublik.
({0})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung und meine Faktion, die FDP, Herr Kollege Brandt, haben nie behauptet, daß die wirtschaftliche Vereinigung der beiden deutschen Staaten kostenlos sei. Wir haben immer darauf hingewiesen, daß der Hauptteil der wirtschaftlichen Aufbauleistung in der DDR von Privatkapital finanziert, von Unternehmern und von qualifzierten Arbeitnehmern erbracht werden muß. Insofern ist es ökonomisch klug, nicht diejenigen zusätzlich mit Steuern oder Notopfern zu belasten, von denen wir den größten Beitrag für die DDR erwarten.
({1})
Es herrscht aber kein Zweifel, daß ein großer Teil des uns eigentlich automatisch zuwachsenden zusätzlichen Wachstums für eine längere Phase in der DDR investiert werden muß. Dies geht nicht zu Lasten unseres Besitzstandes, aber ein großer Teil des zukünftigen Wachstums unserer Ersparnisse wird in der DDR investiert werden müssen.
Der dritte Punkt, der für mich als Wirtschaftsminister sehr wichtig ist: Der Ehrenvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands empfiehlt durch seine Rede letztlich eine Zustimmung zu diesem Staatsvertrag. Er ist kein Freibrief und er ist nichts Statisches, Herr Kollege Vogel, er muß im Lichte der Ereignisse des Herbstes immer wieder verbessert werden können im Gespräch mit unseren Partnern in der DDR. Aber er ist ein Vertrag, der wichtig ist. Für neue Arbeitsplätze und für Investitionen unserer ausländischen Partner in der DDR ist es ganz entscheidend, daß möglichst viele Kollegen Ihrer Fraktion diesen Vertrag unterstützen, der ja auch die Unterschrift des sozialdemokratischen Finanzministers der DDR trägt. Die Ergebnisse einer Reihe von Verhandlungen mit der Sozialministerin der SPD, mit der Handelsministerin der SPD, meine Damen und Herren, sind in diesen Vertrag eingeflossen. Insofern, glaube ich, sind auch die restlichen Vorbehalte in der sozialdemokratischen Fraktion nicht angemessen.
Der Vertrag war von Anfang an gut. Insofern konnte er nicht nachgebessert werden. Aber wenn unsere intensiven Gespräche mit den sozialdemokratischen Kollegen dazu geführt haben, daß manches klarer wurde und damit der Zustimmung diente, dann ist das natürlich ein wertvoller Beitrag.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Brandt hat darauf hingewiesen, daß das historische Ereignis der deutschen Vereinigung nicht mit Geld allein zu schaffen ist. Ich möchte aber umgekehrt davor warnen, die Einführung der D-Mark nur materiell zu sehen. Ein kluger Mann hat vor kurzem gesagt: Wenn zu Beginn dieses Sommers, ab 1. Juli, den Menschen in der DDR zum erstenmal klar wird, daß sie einen richtigen Paß in der Tasche haben und eine richtige Währung, die im Ausland etwas gilt, ist das sehr viel mehr, als daß sich ihre rein materielle Situation verbessert hat.
({2})
Sie werden europäische Partner und Teilnehmer an diesem Europa, das sich entwickelt. Hinter der D-Mark verbirgt sich eben auch persönliche Entfaltungsfreiheit, privat und im Beruf, eine neue Existenz.
Herr Kollege Brandt, natürlich stand uns der europäische Weg spätestens dann nicht mehr zur Verfügung, als die Menschen auf die Straße gingen mit dem Slogan: Kommt die D-Mark, bleiben wir; kommt sie nicht, gehen wir zu ihr. Das heißt, spätestens dann mußten wir unsere ökonomischen Lehrbuchpläne über den Haufen werfen. Wir müssen jetzt praktisch nachträglich die Wirtschaft dem anpassen, was als Währungsanpassung vorauseilt. Das ist in vielen Bereichen sicher schwierig. Trotzdem bin ich persönlich davon überzeugt: Der Staatsvertrag ist die beste Basis für einen, nicht schmerzlosen, aber schnellen Aufstieg der DDR. Der scharfe Kurswechsel von der Kommando- zur Marktwirtschaft wird mittelfristig ein großer Vorteil. Wer sich in Osteuropa umschaut, muß erkennen, daß es einen schmerzfreien allmählichen Wechsel von der Kommandowirtschaft zur Wettbewerbswirtschaft nicht gibt. Die polnische Erkenntnis - wir haben morgen Gespräche mit dem polnischen Finanzminister, einem der mutigsten marktwirtschaftlichen Reformer in Osteuropa - , daß man einen Abgrund wie den zwischen Plan- und Marktwirtschaft nicht in mehreren kleinen Sprüngen überqueren kann, ohne abzustürzen, ist richtig. Deshalb ist die rasche Wirtschafts-, Währungs-, Sozial- und Umweltunion mit der DDR angesichts des Drängens der Menschen der zügigste Weg zur Vollendung und eben nicht die zweitbeste, sondern die beste Lösung.
Trotzdem - wir haben es nie verschwiegen - : Natürlich wird es gravierende Umstellungsprobleme zu Beginn dieses Anpassungsprozesses geben. Planwirtschaftliche Fehlentwicklungen über 40 Jahre hinweg lassen sich nicht kurzfristig beseitigen. Staatsbetriebe, die im Wettbewerb keine Chance haben, können auch im Herbst nicht künstlich am Leben erhalten werden. Wir würden damit auch den dort Beschäftigten keinen Gefallen tun. Meine Damen und Herren, Konkurse werden am Anfang des Übergangs zur Marktwirtschaft in der DDR stehen und sind auch im Interesse der Menschen unvermeidlich.
Ich möchte deshalb nochmals klarstellen, was ich diese Woche gesagt habe und was von Ihnen, Herr Vogel, zumindest mißverstanden wurde. Ich habe darauf hingewiesen - das will ich hier im Deutschen Bundestag noch einmal tun - , daß nach seriösen Schätzungen westdeutscher Wirtschaftsforschungsinstitute und auch unserer Kollegen in der DDR die Planwirtschaft ca. 1,4 bis 1,8 Millionen verdeckte Arbeitslose produziert hat. Das ist nicht eine Vorausschätzung der künftigen Arbeitslosigkeit des Bundeswirtschaftsministers, sondern das ist der Tatbestand, die Hinterlassenschaft der Planwirtschaft.
({3})
Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, Herr Vogel und Herr Mischnick, aus diesen sinnlosen Arbeitsplätzen mit schlechter Bezahlung, ohne freie Berufswahl durch Qualifizierungsmaßnahmen, durch Existenzgründungen echte Arbeitsplätze zu machen. Das ist das Entscheidende.
({4})
Wir sind auf gutem Wege. Der gestrige Abend hat große Fortschritte gebracht, was die Reform, aber auch die personelle Besetzung der Treuhandanstalt
angeht. Die Treuhandanstalt wird letztlich das Nadelöhr sein. Hier wird sich entscheiden, wie groß die Gruppe derjenigen Betriebe ist, die zwar im Moment nicht wettbewerbsfähig sind, die aber durch Sanierungsmaßnahmen erhalten werden können, und welche Betriebe andererseits auch durch Sanierungsmaßnahmen keine Chance haben. Das kann nur eine Aufgabe für internationale Experten sein. Ich bin sehr optimistisch, daß sich Wirtschafts- und Finanzfachleute der Schweiz, der Vereinigten Staaten von Amerika, aber auch der Europäischen Gemeinschaft an dieser entscheidenden Aufgabe beteiligen. Dies wird letztlich auch dazu beitragen, daß der nach wie vor vorhandene Attentismus, der Investitionsvorbehalt, unserer europäischen Partnern, der Amerikaner, der Schweizer, der Japaner abgebaut wird. Aber viele internationale Gespräche haben mir gezeigt, daß dies letztlich erst überwunden wird, wenn klar ist, daß es zu einer deutschen Regierung, zu einem Staatshaushalt und damit zu insgesamt klaren Investitionsbedingungen kommt.
Zweitens. Die meisten Arbeitsplätze entstehen jetzt schon in Klein- und mittleren Betrieben. Überall in der DDR fehlen Handwerker, Freiberufler, Handelsunternehmen, Gaststätten. Das heißt, wir stehen einem riesigen Nachfrageboom gegenüber. Die enorme Nachfrage nach den ERP-Mitteln mit über 6 Milliarden DM zeigt, daß es realistisch ist, davon auszugehen, daß noch in diesem Jahr über 500 000 neue Arbeitsplätze in Klein- und mittleren Betrieben der DDR entstehen werden.
Die privaten mittelständischen Betriebe können in dieser schwierigen Übergangsphase auf staatliche Bürgschaften für Kassenkredite rechnen, um über die schwierigen ersten Monate hinwegzukommen. Der Juli beschert vielen Betrieben wegen der Urlaubszeit noch keine echten Einnahmen, aus denen sie ihre Löhne bezahlen könnten. Insofern ist diese Überbrükkungsmaßnahme im Interesse der Beschäftigten gerechtfertigt. Eine Bevorzugung der Staatskombinate wird es jedenfalls nicht geben; diesbezügliche Befürchtungen der privaten Unternehmer der DDR sind unbegründet.
({5})
Meine Damen und Herren, für viele Beschäftigte bedeutet der Umbau der DDR-Wirtschaft zunächst den Verlust des alten, nicht mehr wettbewerbsfähigen Arbeitsplatzes, aber unmittelbar die Aussicht auf einen echten, modernen und damit zukunftsträchtigen Arbeitsplatz, bei dem sie gutes Geld für gute Arbeit verdienen können. Der Weg zu diesen modernen Arbeitsplätzen wird für viele DDR-Arbeitnehmer nur über Umschulung, Ausbildung, Qualifikation möglich sein. Nach dem Arbeitsförderungsgesetz, das die DDR übernimmt, haben von Anfang an aktive Qualifizierungsmaßnahmen Vorrang vor der Zahlung von Arbeitslosengeld.
Ich unterstütze die Initiative unserer Verbände. In diesem Herbst ist eine erneute Lehrlingsinitiative in der DDR notwendig. In der Bundesrepublik fehlen viele Lehrlinge, in der DDR droht zunächst Jugendarbeitslosigkeit. Das zusammenzubringen ist möglich und wird unterstützt.
({6})
Ich halte es für erforderlich, daß jetzt zum 1. September 1990, also zu Beginn des neuen Ausbildungsjahres für die jungen Menschen in der DDR, in der DDR nach unseren modernen Berufsausbildungsbildern ausgebildet wird, denn es ist den Jugendlichen in der DDR nicht gedient, wenn sie mit altem, unzureichendem, veraltetem Rüstzeug in ihr Berufsleben starten. Um dies zu erreichen, ist jedoch eine gewaltige Anstrengung notwendig, denn die Ausbilder in der DDR sind knapp, und auch hier werden die Kammern, die Verbände helfen. Es werden viele Ausbilder aus der Bundesrepublik ab 1. September 1990 in der DDR tätig werden. Ich wünsche mir allerdings, daß sie ein Auge zudrücken und nicht allzu bürokratisch auf der restlosen Erfüllung unserer manchmal fast zu perfekten Ausbildungsordnung bestehen.
Wir werden darauf achten, daß die unvermeidlichen Anpassungsprobleme nicht von den ewig Gestrigen im Osten und ihren westlichen Souffleuren der neuen Marktwirtschaft angelastet werden. Es geht jetzt darum, daß die Hinterlassenschaft der Planwirtschaft mit marktwirtschaftlichen Mitteln beseitigt wird.
({7})
Viele SED-Nachfolger spekulieren schon heute auf die Vergeßlichkeit ihrer Untertanen. Zunächst wurde der DDR-Karren in den Dreck gefahren. Nun steht man in gewendeten Anzügen am Straßenrand, die Hände in den Hosentaschen, und beobachtet diejenigen kritisch, die sich anstrengen, die DDR-Wirtschaft wieder auf Vordermann zu bringen.
({8})
Mit dem Staatsvertrag werden in der DDR nicht westdeutsche, sondern europäische marktwirtschaftliche Bedingungen gesetzt. Das ist das entscheidende Datum für die Hoffnungen und Perspektiven der Menschen in der DDR.
Die eigentliche Arbeit beginnt erst jetzt. Dieser Staatsvertrag muß umgesetzt werden. Er muß mit marktwirtschaftlichem Leben erfüllt werden. Dazu gehört, daß die DDR ihn umsetzt, aber daß wir uns dabei aktiv beteiligen und daß die deutsche Wirtschaft ihre Versprechen wahrmacht und unmittelbar im Herbst in der DDR investiert.
Die DDR ist nicht nur ein großer Absatzmarkt0, sondern auch ein klassisches industrielles Produktionsland. Wir haben die große historische Chance, unsere industrielle Basis zu verbreitern, die wir uns durch teilweise falsche Arbeitszeitpolitik und teilweise falsche Steuerpolitik in der Bundesrepublik unnötig erschwert haben.
Das gestrige Gespräch mit 40 großen und mittleren Unternehmen aus der Bundesrepublik, die in der DDR investieren, hat mir gezeigt, daß sich zumindest diese Unternehmen an ihre nationale Verpflichtung halten und die Investitionsrechnung nicht nur für ein einziges Jahr aufstellen, sondern mittelfristig sehen, welche enormen Vorteile Investitionen in der DDR mit sich bringen. Sie liegen zum einen im Zugang zu den
sich schnell entwickelnden osteuropäischen Märkten. Die DDR wird das einzige Land sein, das gleichzeitig im RGW verbleibt und mit einem anderen Bein bereits in die Europäische Gemeinschaft integriert wird. Die DDR ist zudem ein Land mit einer alten industriepolitischen Tradition, mit vielen jungen Menschen, mit breiter Ausbildung und noch mit einer Arbeitszeit, die es den Menschen erlaubt, länger zu arbeiten und damit gutes Geld zu verdienen.
Insofern hoffe ich, daß unsere Unternehmen nicht nur ihre Verkäufer, sondern auch ihre Einkäufer und ihre Produktionsingenieure in die DDR schicken. Denn mittelfristig gibt es in Zentraleuropa keinen besseren Standort für industrielle Investitionen als die DDR.
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Ich möchte deshalb zum Abschluß sagen: Neben der Regierung und neben den Unternehmern kommt den neuen Tarifpartnern in der DDR eine enorme Bedeutung für die künftige Beschäftigungspolitik zu. Zunächst muß Produktivität erarbeitet werden; erst dann kann sie verteilt werden. Wenn, wie in einzelnen Branchen der DDR, der Versuch gemacht wird, schon zuvor das zu verteilen, was eigentlich erst später durch höhere Produktivität erreicht werden soll, dann geht das zu Lasten der Beschäftigung in der DDR.
Wachstumskritikern sei gesagt: Das neue industrielle Wachstum in der DDR kommt auch der Umwelt zugute. Häufig steckt hinter diesem neuen Wachstum die Umrüstung alter DDR-Betriebe auf bessere, mehr umweltschonende Verfahren und auf Produktionsmethoden, die weit weniger Energie benötigen.
Das heißt, von dem Aufschwung in der DDR werden nicht nur die DDR und die Bundesrepublik, sondern ganz Europa profitieren. Die EG-Kommission schätzt, daß über 0,5 % zusätzliches Wachstum in der EG allein durch die Entwicklung in der DDR erreicht werden.
Darum bitte ich vor allem die Kollegen von den Sozialdemokraten: Stimmen Sie diesem Staatsvertrag nicht nur zu! Tragen Sie selber dazu bei, den Menschen in der DDR Mut zu machen und ihr Vertrauen in die Soziale Marktwirtschaft zu stärken! Treiben Sie keinen Keil
({10})
zwischen die Deutschen in Ost und West!
({11})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Stratmann-Mertens.
Liebe Mitbürgerinnen! Liebe Mitbürger! Bundeskanzler Kohl charakterisierte heute morgen den Staatsvertrag über die Währungs- und Wirtschaftsunion mit der DDR als den Königsweg zur deutschen Einheit. Wer diesen Weg nicht gehen wolle, spreche sich damit gegen die deutsche Einheit aus.
Ich möchte dem Bundeskanzler bei diesem Monopolanspruch auf den angemessenen Weg zur deutschen Einheit entschieden widersprechen. Wer einen sozial und ökologisch verantwortlichen Weg zur deutschen Einheit einschlagen will -und das wollen wir GRÜNEN -, wer diesen Weg gemeinsam und gleichberechtigt mit der DDR und unter voller Einbeziehung der Parlamente Deutscher Bundestag und Volkskammer gehen will - dies wollen wir ebenfalls - , der muß sich entschieden gegen den vorliegenden Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion aussprechen. Zwar ist dieser Staatsvertrag ein Weg zur deutschen Einheit, aber er ist ein Holzweg mit Schlaglöchern und Falltüren,
({0})
ein Weg, auf dem Hunderttausende, ja Millionen von Bürgern und Bürgerinnen der DDR unter die Räder kommen werden.
Wir GRÜNEN sind der Meinung, daß mit der SED- Diktatur auch eine in gleicher Weise undemokratische wie ineffektive realsozialistische Wirtschaftsordnung abgewirtschaftet hat.
({1})
Wir sind der Meinung, daß die Wirtschaft der DDR sowohl ökologisch als auch marktwirtschaftlich umgebaut werden muß. Wir widersprechen allerdings der Auffassung, die im Staatsvertrag fixiert worden ist, daß die bei uns herrschende sogenannte Soziale Marktwirtschaft ein angemessener und verantwortlicher Weg für die DDR sei.
({2})
Gerade die überstürzte Einführung der sogenannten Sozialen Marktwirtschaft auf dem Weg über die schnelle Einführung der D-Mark in der DDR führt zu sozialen Problemen größten Ausmaßes, die den Anspruch der Sozialen Marktwirtschaft Lügen straft.
Wirtschaftsminister Haussmann hat gerade in diesen Tagen das Ziel formuliert, in einem vereinten Deutschland die Arbeitslosigkeit unter 10 % aller Beschäftigten zu halten. Das heißt, Herr Haussmann rechnet mit mindestens 3,7 Millionen Erwerbslosen in einem vereinten Deutschland.
({3})
- Wirtschaftsminister Haussmann, in der „Süddeutschen Zeitung" von gestern zitiert.
({4})
Das heißt, Herr Haussmann rechnet in einem vereinten Deutschland im Bereich der jetzigen DDR mit ca. 2 Millionen Arbeitslosen.
({5})
Das bedeutet, daß jeder bzw. jede vierte Beschäftigte
in der DDR nach Auffassung von Wirtschaftsminister
Haussmann in der nächsten Zeit arbeitslos wird. Die
Arbeitslosigkeit mit den Folgen des Qualifikationsverlustes wird über die DDR hereinbrechen wie eine Sintflut, und das als Folge der schnellen Einführung der Währungsunion, die die DDR abrupt der Konkurrenz des Weltmarkts aussetzt.
({6})
Es ist davon auszugehen, daß gerade diese Arbeitslosigkeit in der Größenordnung von 1 bis 2 Millionen Erwerbslosen - das heißt, wenn wir den zweiten Nachtragshaushalt zugrunde legen, daß in 1990 die durchschnittliche Arbeitslosenunterstützung in der DDR in der Größenordnung von 330 DM pro Monat liegt - als Folge der schnellen Währungsunion zu einem dramatischen Anwachsen des Übersiedlungsdrucks in die Bundesrepublik führen wird.
Ganz besonders von der Arbeitslosigkeit betroffen sind die Frauen in der DDR, die heute mit über 90 an der Erwerbstätigkeit beteiligt sind. Sie werden erfahrungsgemäß - das zeigen auch die Erfahrungen der Bundesrepublik - die ersten Opfer von Rationalisierungsmaßnahmen von Betriebsschließungen sein. In Verbindung damit, daß infolge von Rationalisierung massenweise Betriebskindergärten geschlossen werden und damit Kinderbetreuungsmöglichkeiten für die Frauen entfallen, werden sie neben dem Verlust ihres Arbeitsplatzes gegen ihren Willen in die häusliche Isolation zurückgedrängt und damit in eine Arbeitsteilung gezwungen, bei der die Frau allein zu Hause die Kinder erzieht, während der Mann privilegierte Chancen im Erwerbsleben wahrnehmen kann.
Dieses absehbare Schicksal der DDR-Frauen ist ein Ausdruck dafür, daß der gesamte Staatsvertrag von Männern ausgehandelt worden ist und die Interessen der Frauen lediglich an einer einzigen Stelle Erwähnung finden, nämlich im Zusammenhang mit der Arbeitsförderung, wo in einem einzigen Satz Frauen und Behinderte in einem Atemzug Erwähnung finden. Das war dann auch schon alles.
({7})
Wir fordern für die DDR in Übereinstimmung mit der Fraktion Bündnis 90/Grüne in der Volkskammer, daß die Kommunen hinreichend finanziell ausgestattet werden, um Kinderbetreuungsmöglichkeiten aufzubauen und damit den Frauen weiterhin die Möglichkeit zu geben, am Erwerbsleben teilzunehmen.
({8})
Wir fordern, daß im Zuge der unausweichlichen Umstrukturierung der DDR-Betriebe bei Neueinstellungen Frauen solange bevorzugt eingestellt werden, bis sie einen Anteil von 50 % der Arbeits- und Ausbildungsplätze in den Unternehmen und in den öffentlichen Verwaltungen haben.
Ich möchte, was die sozialen Folgen der schnellen Währungsunion betrifft, daran erinnern, daß es die Sozialdemokraten waren - an der Spitze Frau Matthäus-Maier, unterstützt von Hans-Jochen Vogel -, die den Weg der überstürzten Währungsunion mit der DDR herbeigeredet haben und daher für die absehbaren sozialen Folgewirkungen politisch mitverantwortlich sind.
({9})
Herr Roth, die Nachforderungen, die Sie gestellt haben, und teilweise die geringen Nachbesserungen, die Sie erreicht haben, sind - gemessen an der Dimension der sozial verheerenden Folgen der schnellen Währungsunion - Makulatur. Sie sind im einzelnen notwendig, aber sie sind Makulatur gegenüber den sozialen Katastrophen, für die Sie mitverantwortlich sind.
({10})
Auch wenn Kanzlerkandidat Lafontaine in den letzten Wochen auf die drohenden Gefahren der schnellen Währungsunion hingewiesen hat - ich möchte betonen: er hat mit Recht darauf hingewiesen - , so darf nicht vergessen werden: Zu der Zeit, als diese Frage bei der SPD noch unentschieden war und auf des Messers Schneide stand, hat sich Lafontaine sehr kleinlaut mit seiner Kritik zurückgehalten und die deutschlandpolitischen und währungspolitischen Entscheidungen anderen in seiner Partei und in der Bundestagsfraktion überlassen. Auch nach seinem letztendlichen Einknicken auf den Kurs der Bundestagsfraktion ist Lafontaine politisch mitverantwortlich für die zustimmende Haltung der SPD zum Staatsvertrag, zu der schnellen Währungsunion und zu den sozialen Folgen, die in diesem Herbst und im kommenden Jahr auf die Bevölkerung der DDR zukommen.
({11})
- Wir GRÜNEN lassen nicht zu, Herr Stahl, daß sich die SPD aus ihrer Mitverantwortung für den Staatsvertrag und seine sozialen Folgen herausstehlen will und allein die Bundesregierung für diese sozialen Folgen in die Verantwortung nehmen will.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Roth? - Herr Roth.
Herr Stratmann-Mertens, wir alle haben doch mit Bewunderung die Entscheidung der Bevölkerung in der DDR im letzten November und Dezember zur Kenntnis genommen.
({0})
Geben Sie nicht zu, daß sich die Bevölkerung in der DDR im Dezember bzw. Januar, also mit einem Monat Verspätung, durch vielfältige einzelne Entscheidungen in der Tat für die Einführung der D-Mark entschieden hat, daß sie sich dafür ausgesprochen hat, daß sie sie gefordert hat? Mußten wir - auch Sie als Demokrat - nicht akzeptieren, daß die Bevölkerung der DDR die Währungsunion wollte? Mußten wir das nicht als ihren Wunsch akzeptieren?
({1})
Sie und wir mußten das am Abend des 18. März 1990 akzeptieren. Ich habe gerade davon gesprochen, daß die Entscheidung auf des Messers Schneide stand, nämlich im Dezember letzten Jahres bzw. Anfang dieses Jahres, und daß es zu diesem Zeitpunkt darauf angekommen wäre, einmal sozial verträgliche Alternativen zur schnellen Währungsunion zu entwickeln.
({0})
Der geballte ökonomische Sachverstand in der Bundesrepublik hat es damals vorgetragen und trägt es bis heute vor.
({1})
Wir haben uns diese Forderung zu eigen gemacht. Sie haben die Verantwortung dafür zu tragen - genauso wie die Bundesregierung -, daß die DDR-Bevölkerung in der Zeitspanne von Januar bis zur Wahl am 18. März nicht auf die sozial und ökonomisch verheerenden Folgen der schnellen Währungsunion aufmerksam gemacht wurde. Sie wissen das doch ganz genau. Sie versuchen, jetzt die Kurve mit Lafontaine zu kriegen. Auch Ingrid Matthäus-Maier versucht jetzt, allmählich die sozialverantwortliche Kurve zu kriegen, weil sich die sozial kritischen Stimmen gegen die schnelle Währungsunion seit den letzten Monaten und Wochen mehren, und zwar auch in Ihrer eigenen Partei. Wir hätten uns gewünscht, von Ihnen in den politisch entscheidenden Monaten Januar und Februar dieses Jahres partnerschaftliche Unterstützung zu bekommen.
({2})
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stahl ({0})?
Danke schön. Weil meine Zeit kurz bemessen ist, möchte ich gerne weitermachen. Herr Stahl, ich bitte um Verständnis.
({0})
Das Herzstück der Sozialen Marktwirtschaft laut Staatsvertrag ist die Durchsetzung des privaten - man muß genauer sagen: des privatkapitalistischen - Eigentums an Grund und Boden und an Produktionsmitteln. Eine ganze Reihe von aufeinander bezogenen Regelungen im Vertragswerk sehen eine groß angelegte Enteignung der DDR-Bevölkerung vom volkseigenen Vermögen vor. Gerade jetzt hätte die Chance bestanden, in der DDR eine breite Teilhabe der Bevölkerung und der Belegschaften am volkseigenen Vermögen vorzunehmen, aber im Staatsvertrag wird vorgesehen, daß dieses volkseigene Vermögen vorrangig zur Strukturanpassung der Betriebe und zur Sanierung der Haushalte eingesetzt wird. Möglichkeiten einer breiten Vermögensbildung von DDR-Bürgern am Produktivkapital oder die Einrichtung von Belegschaftsfonds, wie sie von vielen Belegschaften in konkurrenzfähigen Betrieben gefordert werden, sind im Staatsvertrag nur rudimentär bzw. gar nicht vorgesehen.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Herr Stratmann, ist Ihnen eigentlich klar, daß auf dem volkseigenen Vermögen allein nach der Währungsumstellung 110 Milliarden Mark Schulden liegen werden und daß zumindest, bevor Sie daran gehen, dann den Rest zu verteilen, dies, was auf den Aktiva einfach als Passiva draufliegt, doch von irgend jemand bezahlt werden muß, und zwar - das ist doch selbstverständlich - von dem Eigentümer dieses Vermögens, von dem Staat DDR? Ist das nicht eigentlich klar?
Darüber haben wir ja im Ausschuß Deutsche Einheit hinreichend geredet. Das volkseigene Vermögen an Grund und Boden, Betrieben und Wohnungen wird insgesamt geschätzt auf 1 000 Milliarden D-Mark; die Schätzungen klaffen auseinander, aber das ist die Durchschnittsschätzung. Die Betriebsschulden gegenüber der DDR-Staatsbank liegen in der Größenordnung von 110, 120, 130 Milliarden Mark. Ziehen wir es ab, bleiben immer noch 90 % des volkseigenen Vermögens übrig. Über diese 90 % habe ich gerade gesprochen. Im übrigen stimme ich Ihnen, was die 10 % betrifft, zu.
Wir fordern in Übereinstimmung mit der Fraktion Bündnis 90/GRÜNE in der Volkskammer, die Betriebsschulden, Frau Matthäus-Maier, der volkseigenen Betriebe gegenüber der Staatsbank weitgehend zu erlassen und damit den Betrieben bessere Startchancen in die Wettbewerbswirtschaft zu geben. Offenbar hat die Bundesregierung allen Lippenbekenntnissen zum Trotz an solcherlei Starthilfen kein Interesse. Wir haben sie hinreichend - da gab es Gemeinsamkeit zwischen SPD und uns - dazu aufgefordert; denn die Aufrechterhaltung der Betriebsschulden und die Übertragung der Forderungen der DDR-Staatsbank auf private westliche Banken wird dazu führen, daß auch das Vermögen der volkseigenen Betriebe an die westlichen Privatbanken und kaufkräftige westliche Kapitalanleger übertragen und damit ein weiterer Baustein zur Enteignung des DDR-volkseigenen Vermögens gelegt wird.
Der Staatsvertrag stellt in seinen wesentlichen Bestimmungen und in der Art und Weise seiner Erarbeitung und Durchsetzung eine flagrante Verletzung des Wesens der parlamentarischen Demokratie dar.
({0})
Dies kommt in der DDR darin zum Ausdruck, daß in wesentlichen Fragen der Währungspolitik und in der Wirtschafts- und Strukturpolitik die DDR auf ihre Souveränität verzichten muß, sie geht entweder auf die Deutsche Bundesbank vollständig über, oder der Bundesfinanzminister und der Bundeswirtschaftsminister erhalten Vetorecht in kreditpolitischen, wirtschaftspolitischen und strukturpolitischen Fragen.
Der staatsvertraglich regulierte Souveränitätsverlust trifft aber nicht nur die DDR insgesamt, insbesondere auch die Volkskammer, sondern er trifft auch den
Deutschen Bundestag in der Bundesrepublik. Der Staatsvertrag sieht einen „Fonds Deutsche Einheit" vor, der von 1990 bis 1994 mit einem Mittelaufkommen von 115 Milliarden DM die absehbaren Haushaltsdefizite in der DDR stopfen soll. Dieser „Fonds Deutsche Einheit" wird vom Bundesminister der Finanzen verwaltet,
({1})
und für die zweckgebundenen Finanzzuweisungen aus diesem Fonds an die Haushalte der Gebietskörperschaften in der DDR zeichnet letztlich allein der Bundesfinanzminister verantwortlich, und zwar mit einem Mittelvolumen in der zweiten Hälfte dieses Jahres von 22 Milliarden DM, im kommenden Jahr von 35 Milliarden DM. Das heißt, allein die Exekutive ohne parlamentarische Kontrolle durch den Bundestag entscheidet, wie und zu welchen konkreten Zwekken diese Milliardenbeträge in der DDR eingesetzt werden. Eine solche Regelung kann man nur als Ermächtigungsbestimmung für die Regierung und als direkten Angriff auf das Haushaltsrecht des Deutschen Bundestages begreifen.
({2})
Auch die überfallartige Erarbeitung und Durchsetzung des Staatsvertrages durch den Deutschen Bundestag wie auch durch die Volkskammer der DDR trägt alle Züge eines autoritären CDU-Staates.
({3})
Unsere Alternative zum Staatsvertrag und zu dem damit verbundenen zweiten Nachtragshaushalt ist ein Soforthilfeprogramm für die Verbesserung der Lebensverhältnisse in der DDR. Wir haben dazu einen eigenen Antrag zur Abstimmung heute eingebracht. Mit diesem Programm sollen aus Bundesmitteln im zweiten Halbjahr 1990 in einer Größenordnung von 30 Milliarden DM konkrete Sofortmaßnahmen finanziert werden zur ökonomischen Stabilisierung der DDR, zur ökologischen und zur sozialen Stabilisierung. Wir sehen allein 10 Milliarden DM im kommenden Halbjahr vor für den ökologischen Umbau im Energiebereich, im Bereich des Wohnungsbaus, der Stadterneuerung, des kommunalen Klärwerkebaus, der Gewässer- und Abwassersanierung. Wir sehen 3 Milliarden DM vor zur Förderung der Gründung von kleinen und mittleren Betrieben und 2 Milliarden DM für die Übernahme von Betrieben in Belegschaftshand. Es gibt zunehmend übernahmewillige Belegschaften, z. B. in Zweigwerken des Kombinats Robotron, die sich am Markt werden halten können, wenn sie entsprechende öffentliche Förderung, auch Managementförderung, bekommen.
Bei unseren Finanzierungsvorschlägen dafür - sie haben eine Größenordnung von 30 Milliarden DM - denken wir in erster Linie an drastische Kürzungen im Verteidigungshaushalt: 10 Milliarden DM in diesem Jahr.
({4})
Die außenpolitische Situation erlaubt einen solchen drastischen Schnitt. Die größten Einsparungen können durch eine sofortige Reduzierung der Wehrdienstzeit, durch eine sofortige dramatische Reduzierung der Truppenstärke der Bundeswehr, durch den Verzicht auf die Beschaffung von Kampfflugzeugen, insbesondere von Tornados, und durch den Verzicht auf die Entwicklung des „Jäger 90" vorgenommen werden. An der Stelle haben wir Konsens mit der SPD und sollten auch eine gemeinsame Abwehr gegen die Pläne der Bundesregierung aufbauen.
Weiter fordern wir einen DDR-Solidarbeitrag, aufzubringen von Beziehern höherer Einkommen. Durch eine solche Solidarabgabe könnten im zweiten Halbjahr - ({5})
- Dies ist eine Steuer, allerdings nicht eine Steuer für die Bezieher von Einkommen allgemein, sondern für die Bezieher höherer Einkommen, für das obere Einkommensdrittel.
({6})
Daraus können wir 9 Milliarden bereitstellen.
Wenn ich allein diese beiden Hauptfinanzierungsquellen nehme - 10 Milliarden DM aus Kürzungen des Verteidigungsetats, 9 Milliarden DM Solidarabgabe der Bezieher höherer Einkommen - , dann wird deutlich: Damit können wir einen erheblichen Sofortbeitrag zum ökologischen Umbau und zur sozialen Stabilisierung in der DDR leisten.
Ein solches Zeichen könnte in der DDR als eine Alternative zur schnellen Einführung der Währungsunion begriffen werden, die sowohl von der SPD als auch von der Bundesregierung sozialpsychologisch herbeigeredet worden ist.
Wir lehnen die Mitverantwortung für die schnelle Einführung der Währungsunion ab. Wir haben von Anfang an auf Alternativen bestanden. Unsere Alternativen haben wir gerade nochmals konkret skizziert. Wir werden nicht müde werden, die Hauptverantwortlichen für die schnelle Einführung der Währungsunion und ihre sozialen Folgen - das ist die große Koalition von Bundesregierung und SPD - in der Öffentlichkeit auch im kommenden halben Jahr zu nennen.
({7})
Ich danke Ihnen.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hornhues.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Stratmann, spätestens nach Ihrem Beitrag und nach einigen anderen Beiträgen verstehe ich schon, daß die Volkskammer mit der Abstimmung über den Staatsvertrag bereits fertig ist; denn die Alternativen, die von Ihnen aufgezeigt wurden, sind wohl alles andere als das, was die Menschen in der DDR wollen, nämlich eine reale Hoffnung auf Zukunft, und zwar nicht ir17216
gendwann und nicht in kleinen Schritten, sondern jetzt.
({0})
Dies ist der Staatsvertrag, über den wir heute beraten, für Millionen von Landsleuten: der erste entscheidende Schritt in Richtung Hoffnung auf Zukunft. Diese Hoffnung auf Zukunft wird sich für unsere Landsleute zur Gewißheit von Zukunft verfestigen, wenn die deutsche Einheit noch in diesem Jahr Wirklichkeit wird. Weil sie die Gewißheit von Zukunft haben wollen, drängen sie so. Ich glaube, wir haben kein Recht, ihnen bei diesem Drängen entgegenzuhalten, es gehe ihnen nur um Geld oder schnöde Vorteile.
Hoffnung und Gewißheit auf Zukunft für die Landsleute in Sachsen, in Thüringen, in Sachsen-Anhalt, in Mecklenburg, in Brandenburg - das ist nicht nur die ökonomische Perspektive der Sozialen Marktwirtschaft, sondern auch die Gewißheit, daß die alte Kommandostruktur in Gemeinden, Städten und Bezirken, in Betrieben und Behörden endgültig verschwindet. Dies erhoffen sie sich angesichts dessen, was ihnen tagtäglich weiter begegnet. Hoffnung auf Zukunft ist für sie, daß endgültig keine Chance mehr besteht, daß SED/PDS-Sozialismus, daß Stasi-Diktatur je wieder zurückkehrt.
Hoffnung auf Zukunft ist für sie auch, mit uns in einem freien, demokratischen Deutschland gesichert leben zu können. Dies wollen unsere Landsleute, und zwar so schnell wie irgend möglich, jetzt, wo die Chance da ist: die Teilung beseitigen, die sie nie wollten, in gesicherter Freiheit leben, was sie nie konnten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mancher, dem das zu schnell geht und der alles für übereilt hält, muß sich fragen lassen, wie eilig er es denn wohl hätte, wenn das Schicksal ihm - oder uns - beschert hätte, andere Sieger gehabt zu haben, wenn das Schicksal ihm beschert hätte, in jenem über weitere 40 Jahre unterdrückten Teil Deutschlands leben zu müssen.
({1})
Ich möchte gern wissen, wie man dann manches beurteilen würde.
Ich bin auch der Überzeugung, daß Herr Lafontaine, mit dem Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD, solche Schwierigkeiten haben, es höchst eilig haben würde, die D-Mark und die Freiheit in Einheit gesichert zu bekommen, wenn er in der DDR gelebt oder, wie es, glaube ich, Herr Momper einmal gesagt hat, wenigstens einmal an der Spree gewohnt hätte.
({2})
Zum Glück haben - dafür möchte ich danke schön sagen - viele Kolleginnen und Kollegen aus der SPD- Fraktion den gleichen Weg, den wir jetzt gehen, in eigenen Überlegungen und Beiträgen als richtig angesehen und sich durchgesetzt, als sich ihr neuer Spitzenmann, mit dem sie leben müssen, so aufführte, wie er sich aufgeführt hat. Ich darf Ihnen, meine Damen
und Herren, meinen Respekt dafür zollen, daß Sie den Pressionen von Oskar Lafontaine widerstanden haben. Theo Sommer hat recht - Sie werden es auch noch merken -, wenn er sagt: Es ist der falsche Mann zur falschen Zeit. - Ich kann dies nur bestätigen.
({3})
„Zu schnell", „überhastet", „mit heißer Nadel" sind die gängigen Vorwürfe vieler Kritiker. Viele verstekken dahinter nur, daß sie im Grundsatz an sich nie dafür waren, jetzt nur notgedrungen mitgehen und im Grunde darauf warten, daß es schiefgeht. Warten macht alles teurer, macht alles schwieriger und komplizierter, denn warten hieße: warten auf den totalen Zusammenbruch der DDR, auf das Öffentlichwerden des totalen Bankrotts auch im ökonomischen Bereich dieses Systems. Vom Abwarten würden die DDR-Produkte weder moderner noch verkäuflicher, geschweige denn die Umwelt sauberer. Vor allem würden die Menschen in der DDR dadurch nicht hoffnungsfroher. Abwarten hieße, daß sie ihre Hoffnung bei uns suchen. Noch einmal gesagt: Ich kann verstehen, daß man, wenn man dort gelebt hat, nur noch diese Alternative sieht.
Unsere Aufgabe ist, in dieser Situation zu helfen, so gut wir helfen können. Da wird sicherlich nicht alles perfekt sein, kann es auch gar nicht sein, denn das, was wir - gemeinsam mit der DDR - machen, hat es noch nie gegeben, und bei einer Sache, die es noch nie gegeben hat, wird es sicherlich auch Fehler geben können. Aber unsere Aufgabe heißt: zu helfen, so gut es geht, und nicht Angst zu machen, Panik zu verbreiten. Deshalb möchte ich an dieser Stelle all den Bürgern, all den Vereinen und Verbänden, den Gemeinden, Städten und Kreisen in unserem Land danken, die sich längst aufgemacht haben, zu helfen, zu unterstützen und zusammenzuarbeiten. Sie leisten ihren ganz konkreten Beitrag und helfen, daß Zukunft in der DDR Wirklichkeit werden kann.
({4})
Deshalb danke ich ihnen, und deshalb verachte ich gleichermaßen all diejenigen, deren ganzer Beitrag in den Wochen und Monaten, die zurückliegen, und bis heute darin bestanden hat, an Horrorszenarien kräftig mitzupinseln, auf Untergang zu spekulieren.
({5})
Die Gestalter der „Horroszenarien Ost" haben zumeist auch das „Gegenstück West" auf Lager; Ansätze haben Herr Dreßler und einige andere heute zum besten gegeben. Man kann es ihnen ja fünfmal erklären. Ich vermute, der Finanzminister wird es noch einmal versuchen. Er wird genauso wie der Arbeitsminister auf das Phänomen stoßen: Es hilft nichts; entweder hört er nicht zu, oder er hat es nicht gelernt, oder er will es nicht. Das letzte halte ich für das Wahrscheinliche.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will einen Satz herausgreifen, der viel Beifall bekommen hat. Der IG-Metall-Vorsitzende Steinkühler hat vor ein paar Tagen gesagt: „Dadurch, daß wir die deutsche Einheit bekommen, wird das Ozonloch nicht kleiner." Das war so eine Anspielung süffisanter Art.
Jeder von uns weiß, was damit angedeutet wird. Das Schlimme daran ist nur, daß dieser Spruch zu allem Überfluß auch noch falsch ist, denn mit dem Staatsvertrag, mit der Einheit Deutschlands wird es uns möglich sein, Umweltbelastungen aus und in der DDR in einem Tempo zu reduzieren, das sonst nicht möglich wäre. Das dient jenen dort, das dient uns hier, und - das ist an Herrn Steinkühler gerichtet - das Ozonloch wird es auch merken.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Finanzminister hat ausführlich dargelegt, was an finanziellen Belastungen ansteht. Er hat deutlich gemacht, in welch guter Verfassung wir sind. Wenn hier und da angemahnt wird, es gebe noch Reserven, ist zu sagen: Wie schön, daß es sie noch gibt. Wenn denn hier oder da vielleicht noch etwas sein müßte, dann wissen unsere Bürger: Da gibt es noch einiges, was wir nachzuladen hätten.
Über eines müssen wir uns hier und müssen sich die Kollegen in den Landtagen wie die Kollegen in den Stadträten und in den Gemeinderäten klar sein: Der Fonds Deutsche Einheit soll aus diesen Quellen gespeist werden. Vielleicht sind wir so nett und versprechen beim nächsten Wahlkampf unseren Bürgern nicht alles, was uns gerade in den Sinn kommt. Dann reicht es vielleicht auch weiterhin, um den Brüdern und Schwestern in der DDR das Notwendige an Unterstützung zukommen zu lassen.
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Wir bleiben dabei: Wir haben weder den Willen noch die Absicht, noch werden wir uns von Ihnen dazu überreden lassen, dem berühmten kleinen Mann mit Steuererhöhungen in die Tasche zu greifen, auch wenn Sie das noch so gerne hätten. Aber wir appellieren an alle unsere Mitbürger und an die vielen örtlichen Initiativen, die da sind, daß alle, die irgendwie können und wollen, ihr Scherflein dazu beitragen, Initiativen zu unterstützen, die sich dem Erhalt eines alten Hauses in Greifswald oder eines Denkmals in Weimar widmen, die sich darum kümmern, daß ein Krankenhaus in Magdeburg besser ausgestattet wird, oder die bereit sind, Jugendlichen aus Sachsen oder Mecklenburg in diesem Sommer der Begegnung eine Alternative zum alten FDJ-Lager zu bieten.
Dieser Staatsvertrag, meine sehr geehrten Damen und Herren, gibt den Menschen in der DDR eine klare Perspektive und Hoffnung. Sie wissen jetzt - das ist das Entscheidende -, daß sie das riesige Bündel an Problemen, das ihnen eine zutiefst menschenverachtende sozialistische Diktatur, zudem noch korrupt und verbrecherisch bis ins Mark, hinterlassen hat, nicht alleine tragen müssen und daß sie sich auf uns verlassen können. Wir werden ihnen helfen.
Kaputte Fabriken, eine brutal ruinierte Umwelt und eine gnadenlose Ausbeutung des arbeitenden Menschen zum Wohl einer Funktionärskaste, das zerbrochene Rückgrat von Millionen, das ist die Erblast jenes SED-Sozialismus, den sich jetzt andere anschikken zu beheben, die Erblast, die Herr Gysi und andere nicht wahrhaben und nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Davon möchten sie frei sein. Aber sie möchten um so lieber die Milliarden, die die pervertierten alten Herren aufgehäuft haben, zum Wohle der Ausbreitung des demokratischen Sozialismus alter SED-Prägung im neuen Gewande, auch bei uns im Lande, für sich behalten.
Wir danken den Kolleginnen und Kollegen aus der Volkskammer und der Regierung der DDR, daß sie Wort gehalten haben - wie im Staatsvertrag vorgesehen -, dieses Problem so zu regeln, wie es sich gehört. Ich hoffe, daß das, was heute im Zwiegespräch zwischen Herrn Brandt und Herrn Dr. Dregger deutlich wurde, endlich einmal auch unsere Diskussion prägt; denn ich möchte hier in diesem Zusammenhang anmerken, daß sich die von Ihnen so oft gescholtenen ehemaligen Blockparteien in diesen Prozeß natürlich einbeziehen und nicht in das schäbige Gejammere des Herrn Gysi einstimmen.
Die deutsche Einheit, die wir mit diesem Staatsvertrag zu vollenden beginnen, findet in einem Europa statt, das sich anschickt, ebenfalls seine Teilung zu überwinden. Dieser deutsche Einigungsprozeß hat den europäischen Einigungsprozeß bereits deutlich beschleunigt. Es ist schon viel in alle Richtungen gedankt worden. Ich möchte an dieser Stelle all unseren Nachbarn danken, die sich trotz manchem, was sie, an Vergangenes erinnert, hochkommen sahen, gesagt haben: Ja, wir wünschen den Deutschen ihre Einheit mit uns zusammen in Europa. Danke schön für dieses Verständnis an all die Nachbarn in Ost und West! Nicht jedem ist das so leichtgefallen, wie man es sich auf Anhieb vielleicht hätte wünschen können.
Die Demokratisierung ganz Europas, die Gesamtentwicklung bietet uns allen aber auch eine große Hoffnung auf eine Zukunft mit Frieden und mit immer weniger Waffen, die Hoffnung, daß Tiefflugüben so nicht mehr sein muß, die Wehrpflichtdauer kürzer werden kann und Truppenstärken reduziert werden können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dies alles gibt auch die Hoffnung und die Chance, daß wir genug Ressourcen gewinnen, um die nicht zu vergessen, die, auf Deutschland bezogen oder auf Europa insgesamt bezogen, meinen, nun verwendeten wir alles für uns in Europa, und für sie in der Dritten Welt sei nichts mehr da. Wir versichern ihnen: Wir werden weder Afrika noch die anderen Länder, um deren Probleme wir wissen, vergessen, auch wenn wir im Augenblick ein bißchen viel mit uns selbst zu tun haben, was vielleicht verständlich ist.
Das eine Deutschland, das wir jetzt schaffen wollen, soll in einem vereinten Europa liegen. Das war immer unser Ziel, das ist unser Ziel, und das wird unser Ziel bleiben. Vor diesem Hintergrund erklären wir heute verbindlich, daß die bestehende polnische Westgrenze auch die Grenze zwischen Polen und dem vereinten Deutschland sein wird.
Die Anerkennung dieser Grenze mag, auch vor dem Hintergrund eines sich einenden Europas, manchem als Anachronismus erscheinen. Ich glaube aber, daß sie es vor diesem Hintergrund nicht sein muß, daß sie es nicht ist. Diese Anerkennung schafft klare Verhältnisse und eröffnet damit die Chance, daß das Trennende dieser Grenze überwunden und daß diese Grenze zur Brücke zwischen Deutschen und Polen gemacht werden kann.
Ich möchte den vielen Kollegen vor allem auch in meiner Fraktion, denen die Zustimmung zu dieser Erklärung besonders schwergefallen ist, dafür danken, daß sie Schmerz und Trauer hintanstellen in dem Bewußtsein, daß die von uns erstrebte Einigung Deutschlands Teil einer erstrebten Entwicklung des Zusammenfindens in Europa ist, die das Trennende von Grenzen reduziert und das Gegeneinander zum Miteinander werden läßt.
Ich danke vielen in Polen, die im Wissen um die schmerzlichen Teile unserer Geschichte den Blick nach vorne gerichtet und den Vertriebenen - es hat lange genug gedauert - die Hand zur Versöhnung gereicht haben. Der Bundeskanzler hat bereits an die Erklärung der polnischen und deutschen Katholiken vom letzten Jahr erinnert. Ich möchte an das erinnern, was der Vorsitzende der Fraktion des Bürgerkomitees von Solidarnosc, Herr Geremek, vor ein paar Wochen vor dem polnischen Sejm gesagt hat, als er um Vergebung für das Unrecht bat, das an den Vertriebenen begangen wurde. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind Sätze, an die man anknüpfen kann, von denen her man Zukunft gemeinsam gestalten kann.
({7})
Ich möchte nun noch ein paar Schlußbemerkungen machen. Bei Teilen der SPD, nicht bei allen in der SPD - aber das alles ist schwer auf einen Nenner zu bringen, wenn Herr Brandt redet, Herr Vogel redet, Herr Dreßler dazwischenredet
({8})
und wenn man dann noch die Reden von Herrn Lafontaine und seine Aussagen im Hinterkopf hat; es ist schwer, dann festzustellen, was denn da eigentlich gilt - heißt es: Wir sagen ja zum Staatsvertrag, weil es nicht mehr anders geht. - Ich weiß, daß viele das aus anderen Motiven heraus sagen. Mancher sagt: Aber die Verantwortung wollen wir nicht mittragen.
Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Das kann man nicht so teilen und trennen, wie Sie es gern hätten.
({9})
Ich finde das aber auch unfair der kleinen SPD in der DDR gegenüber, die ihrerseits bereit ist, das zu tun, was die große SPD nicht tun will oder nicht tun kann, nämlich tatsächlich Verantwortung zu tragen. - Herzlichen Dank wenigstens in diese Richtung!
Dank sage ich auch all denjenigen, die mitgewirkt haben. Viele sind bereits genannt worden. Ich möchte vor allem den Kolleginnen und Kollegen danken, die in der Volkskammer der DDR heute schon ihre Beschlüsse gefaßt haben. Sie haben den weitaus schwierigeren Part zu übernehmen. Sie alle dort sind weitgehend neu in der Tätigkeit als Abgeordnete. Sie haben es unendlich viel schwerer. Manche von ihnen verstehen unsere Problemlagen nur schwer. Ich danke ihnen - vorneweg dem Ministerpräsidenten der DDR, Lothar de Maizière - dafür, daß sie mit diesem Mut die gemeinsame Zukunft in Angriff genommen haben.
({10})
Freude, so hat der Kollege Vogel gesagt, solle den Tag beherrschen. Herr Kollege Vogel, wir haben da ein bißchen dazwischengerufen, und Sie haben die Zwischenrufe mißverstanden. Sie haben Ihre Aufforderung, wir sollten freudig sein, nämlich mit einem bitterernsten Gesicht ausgesprochen, und das war das, was uns störte, nicht etwa der Appell als solcher, daß wir uns über diesen Tag freuen sollten. Ich glaube, wir können diesem Appell nachkommen, auch wenn dieser Tag bei manchem negative Erinnerungen weckt.
Wir sollten - damit möchte ich schließen - in dieser Stunde aber auch diejenigen nicht vergessen, die in 40 Jahren Teilung ihr Leben gelassen haben. Die 40 Jahre, die hinter uns liegen, haben nämlich für manchen Bautzen bedeutet, haben für manchen bedeutet, es in Unfreiheit nicht mehr aushalten zu können, den verzweifelten Weg über Mauer und Stacheldraht zu suchen. Sie haben für manchen auch bedeutet, in den letzten Monaten des letzten Jahres beim Durchschwimmen der Donau zwischen der CSSR und Ungarn, um die Freiheit zu erreichen, ertrunken zu sein. In dieser Stunde, in der es sicherlich berechtigt ist, daß wir uns über einen Weg freuen, den wir gehen können, sollten wir sie nicht vergessen.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Glotz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich spreche hier für 25 Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion, die den Staatsvertrag, über den der Bundestag heute entscheidet, ablehnen werden.
({0})
Wir werden eine Erklärung zu Protokoll *) geben, die wir gemeinsam formuliert haben. Mein Aufgabe ist es, den Kern dieser Argumente in diese Debatte einzubringen. Aber natürlich spricht hier nicht ein Kollektivwesen, sondern
({1})
ein einzelnes Mitglied dieses Hauses. Ich freue mich im übrigen, daß der Kanzlerkandidat der SPD Sie so fasziniert,
({2})
daß Sie ständig dazwischenrufen müssen, Herr Kollege Bötsch.
({3})
Ich weiß, daß ich mich diesmal in der Minderheit befinde. Aber ich weiß auch, daß ich mit meinen Argumenten nicht allein stehe - nicht in diesem Haus, schon gar nicht in dieser Gesellschaft.
({4})
*) vgl. Anlage!
Dem Kollegen Hornhues, der eine faire und durchaus der durchschnittlichen Auffassung der Union entsprechende Rede gehalten hat, möchte ich sagen: Nur ein Begriff hat mich gestört. Als Sie einmal auf den saarländischen Ministerpräsidenten anspielten, haben Sie das Wort „verachten" gebraucht. Also, „Gegnerschaft" ist in Ordnung, „verachten" finde ich nicht in Ordnung.
({5})
Es könnte auch sein, daß Sie sehr viele Menschen in unserer Gesellschaft verachten müßten, wenn Sie diese Position grundsätzlich mit einem solchen Begriff bedenken, wie Sie es hier getan haben.
({6})
Ich sage für die 25 sozialdemokratischen Abgeordneten: Wir sind für die Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Aber wir sind zutiefst davon überzeugt, daß die Bundesregierung zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten den falschen Weg eingeschlagen hat.
({7})
Glauben Sie mir bitte, meine Damen und Herren: Die Mehrheit meiner Fraktion kommt am Ende, bei der Abstimmung, zu einem anderen Ergebnis als diese Minderheit, für die ich spreche.
({8})
Wir respektieren die Entscheidung der Mehrheit, die Mehrheit respektiert unsere Entscheidung, und wir werden uns nicht gegeneinander ausspielen lassen.
({9})
Unsere Ablehnung gründet sich auf drei Motive.
Erstens. Dieser Staatsvertrag verordnet der Wirtschaft der DDR eine Schocktherapie. Wir anerkennen ausdrücklich, daß es für die Überleitung einer Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft kein Modell gibt und daß niemand mit letzter Gewißheit einen richtigen oder einen falschen Weg feststellen kann. Das gilt für Sie; das gilt natürlich auch für uns.
({10})
Aber wir befürchten, daß der Staatsvertrag, wie er heute vorliegt, die wirtschaftliche Krise in der DDR nicht nur für ein paar Monate, sondern für einige Jahre verstärken wird. Wir sind nicht so töricht, zu übersehen, daß diese Krise nicht von der Bundesregierung, sondern von dem bankrotten Planwirtschaftssystem des Kommunismus verursacht worden ist.
({11})
Aber wir sagen: Wer diese Wirtschaft in ihrer Krise, ohne daß der Wechselkurs als Puffer eingesetzt wird, ohne daß die völlig unzulängliche Infrastruktur dieser DDR vorher gestärkt worden ist, von heute auf morgen der Weltmarktkonkurrenz aussetzt, gerät in die Gefahr, diese Krise noch zu verstärken und die Sache
noch schlimmer zu machen, als sie sowieso schon ist.
({12})
Unsere Folgerung lautet: Die Bundesregierung hat der Gefahr der Massenarbeitslosigkeit mit ihren unwägbaren politischen Auswirkungen, was das Wahlverhalten von Menschen betrifft - die können ja radikal werden, wenn Massenarbeitslosigkeit da ist -, nicht ausreichend entgegengewirkt.
({13})
Der Weg, den Sie gehen, meine Damen und Herren, wird einerseits zu einer Explosion der konsumtiven Ausgaben bei uns im Haushalt führen; Zukunftsinvestitionen in eine neue Infrastruktur werden andererseits vernachlässigt.
({14})
Wir glauben, es ist falsch, daß die Bundesregierung nicht sofort nach Öffnung der Mauer nach Wegen gesucht hat, in einem - sicherlich gemeinsam zwischen der Bundesregierung und der Regierung der DDR zu vereinbarenden - ökologisch orientierten Infrastrukturprogramm vorzusorgen und erste Schritte dafür einzuleiten.
({15})
Sie, meine Damen und Herren, sprechen doch immer vom Strom privater Investitionen, der notwendig ist, und damit haben Sie ja auch recht.
({16})
Der wird aber erst kommen, wenn ein vernünftiges Telefonnetz da ist, wenn ein vernünftiges Schienennetz und ein vernünftiges Straßennetz da sind. Sie haben beim Ausbau dieser Infrastruktur viele Monate versäumt.
({17})
Deswegen befürchte ich, daß die DDR zu einem Wirtschaftsgebiet zweiter Ordnung werden könnte, zu einem bloßen Absatzmarkt, einem Land der Filialen, einer Region ohne eigene Wirtschaftsdynamik. Graf Lambsdorff hat hier so aus der Höhe des Wirtschaftsexperten die evangelische Theologin Antje Vollmer abzufertigen versucht. Ich befürchte, in dem Punkt, den sie hier angesprochen hat, nämlich in dieser Wirtschaftsfrage, hat Frau Vollmer recht,
({18})
und zwar aus einem konkreten Grund: Es gibt für viele Konzerne die Alternative, in Portugal oder in der DDR zu investieren. Das hat unser Wirtschaftsexperte von unserer Wirtschaftspartei leider ein bißchen vernachlässigt.
({19})
Ich lege im übrigen Wert auf die Feststellung, meine Damen und Herren: Unsere Bedenken gegen die ökonomischen Wirkungen dieses Staatsvertrages richten sich sowohl auf die Menschen in der DDR als auch auf die Menschen bei uns in der Bundesrepublik. Natürlich denken wir auch an die Kosten, die den Durchschnittsverdienern in der Bundesrepublik Deutschland auferlegt werden.
({20})
Ich nenne ein einziges Beispiel, das gern versteckt wird: das Steigen der Zinsen. Wir haben heute schon den höchsten Realzins in der Geschichte der Bundesrepublik. Der Hypothekenzins ist um 2 Prozentpunkte gestiegen. Das behindert doch den Wohnungsbau! Der kommt doch nicht aus dem Loch! Daß Sie das totschweigen, meine Damen und Herren von der Koalition, kann ich zwar verstehen, aber es ist weder redlich noch vernünftig.
({21})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Dr. Glotz?
Herr Kollege Stratmann, erlauben Sie mir bitte - ich habe genau 15 Minuten - , ohne Zwischenfragen über die Runden zu kommen.
({0})
Im übrigen ist es ja in den feineren Kreisen der Nation üblich geworden, das Einfordern von sozialer Gerechtigkeit als Appell an die Krämerseele der Deutschen zu bezeichnen. Polemisch antworte ich darauf: Die Deutschen sind für sich selbst und für die Welt als Krämer sympathischer denn als Krieger bzw. als sie es als Krieger waren.
({1})
Und ohne Polemik: Man wird der Partei Ludwig Erhards ja wohl nicht entgegenhalten müssen,
({2})
daß der nüchterne Handelsgeist, den unser Volk nach zwei Weltkriegen entwickelt hat, nichts Negatives ist, sondern etwas Positives, meine Damen und Herren.
({3})
Am schlimmsten ist ein Volk dran, das Helden braucht und dem man es übelnimmt, wenn es die Staatsaktionen seiner Oberen nachrechnet.
({4})
Zweitens. Der Staatsvertrag bringt in der vorliegenden Form unserer Meinung nach ernste Gefahren für die internationale Einbindung des größeren Deutschland. Es liegt ja in der Logik dieses Vertrages, daß er sehr schnell dazu führen wird, daß sich die Regierung
der DDR genötigt sieht, den Artikel 23 des Grundgesetzes anzuwenden.
({5})
Gleichzeitig sind aber die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen, Herr Kollege Bötsch, in denen über diese Einbindung entschieden wird, noch keineswegs zu einem erkennbaren Ende geführt.
({6})
Wir halten es für mehr als fragwürdig, mit dem ökonomischen Instrumentarium eine fast unbremsbare Dynamik auszulösen und auf der anderen Seite die wesentlichen Probleme unserer Sicherheitspolitik noch nicht gelöst zu haben.
({7})
Wir nehmen zur Kenntnis, daß vor allem der Bundesaußenminister und sicher die ganze Bundesregierung den Eindruck gewonnen haben, daß eine Lösung denkbar ist, die auch das größere Deutschland vor Singularisierung und Neutralisierung bewahrt. Aber lassen Sie mich sagen, meine Damen und Herren: Heute, an dem Tag, an dem wir über diesen Staatsvertrag abstimmen sollen, sind viele entscheidende Fragen ungelöst: Wir wissen nichts über die Bündniszugehörigkeit des größeren Deutschlands.
({8})
Wir wissen nicht, welche Nuklearwaffen oder Chemiewaffen auf unserem Boden stationiert werden sollen. Wir wissen auch nicht, was mit den 380 000 sowjetischen Soldaten passieren soll und wer in Zukunft für sie zahlen soll; auch das wissen wir nicht.
Meine Damen und Herren von der Union, wenn wir einen solchen Vertrag vorgelegt hätten, hätten Sie uns mit einem Zitatengewitter von Bismarck bis Adenauer gejagt, mit tödlicher Sicherheit.
({9})
Ich sage Ihnen, daß die Geschwindigkeit des einen Prozesses mit der Geschwindigkeit des anderen Prozesses in keiner Weise koordiniert ist.
Das Argument gilt übrigens auch andersherum: Der Staatsvertrag schafft Fakten, die bei unseren Nachbarn im Osten, insbesondere bei der Sowjetunion, den Eindruck verstärken könnten, daß ihre Sicherheitsinteressen nicht gewahrt werden.
({10})
Wir wollen weder vergessen noch verdrängen, daß Hitler-Deutschland im Zweiten Weltkrieg die Sowjetunion überfallen hat und daß bei diesem Überfall 27 Millionen Menschen das Leben verloren haben. Aus diesem Grund sagen wir: Wir sollten nicht mit
einer einzigen Geste die politischen Verwerfungen und Konflikte in der Sowjetunion weiter verstärken.
({11})
Die Bundesregierung läßt zu, daß der Rhythmus und die Geschwindigkeit der deutschen Vereinigung ohne Rücksicht auf Rhythmus und Geschwindigkeit der internationalen Vereinbarungen über ein europäisches Sicherheitssystem bestimmt werden.
({12})
Sie können damit im gegenwärtigen historischen Moment Erfolg haben, meine Damen und Herren, aber Sie gehen ein unkalkulierbares Risiko ein.
Vorhin hat sich der Kollege Dregger als deutscher Patriot bezeichnet. Ich habe keinen Anlaß, da hohnzulachen und zu protestieren.
({13})
- Wer an unserem Patriotismus - ich spreche jetzt für diese 25 Abgeordneten der Minderheit - zweifeln sollte, dem sage ich: Deutscher Patriotismus heißt für uns heute, daß niemals mehr irgendein Volk vor uns Angst haben muß.
({14})
Ich glaube vielen von Ihnen, daß Sie das genauso sehen. Aber ich kann nicht sicher sein, daß dieser Staatsvertrag das auch sicherstellt.
({15})
Unser dritter Grund ist das Verfahren. Darüber hat Herr Brandt alles gesagt, was zu sagen ist.
Deswegen kann ich nur sagen: Der Herr Bundeskanzler hat die historische Aura des Augenblicks dazu genutzt, um das nüchterne Wirken des demokratischen Prozesses zwischen Regierung und Opposition, zwischen Bund und Ländern auszuhebeln. Ich sage: Es ist Gefahr im Verzuge, wenn Politiker im Rausch historischer Augenblicke ihre Parlamente nicht mehr wichtig nehmen.
({16})
Zum Schluß: Wir wissen selbstverständlich, Herr Bundeskanzler, oder an die Bundesregierung gerichtet, daß Sie das Recht und die Pflicht hatten, im Prozeß der Vereinigung den Weg zu gehen, den Sie für den richtigen halten. Wir halten diesen Weg für falsch.
Ich wünsche uns allen, daß Thomas Mann unrecht hatte, als er 1948 in einem Brief an den Frankfurter Oberbürgermeister Walter Kolb, als er es ablehnte, die 100-Jahr-Rede auf das Jahr 1848 in der Paulskirche zu halten, schrieb:
Der deutsche Einheitsgedanke scheint mit dem der Macht, der europäischen Hegemonie untrennbar verbunden, und gerade Macht kommt Deutschland nicht mehr zu.
Ich wünsche Ihnen jenseits aller parteipolitischen Option, daß Sie auch mit Ihrem Weg zum Ziel kommen.
({17})
- Meine Damen und Herren, können Sie so liebenswürdig sein, auch eine Minderheit fünf Minuten ausreden zu lassen.
({18})
Ich wünsche Ihnen, daß Sie auch mit Ihrem Weg zum Ziel kommen. Aber ich sage Ihnen für 25 Abgeordnete dieses Hauses, die ihre Entscheidung ernsthaft abgewogen haben: Wir können diesen Weg nicht mitgehen. Die Vereinigung, wie sie durch diesen Staatsvertrag begonnen wird, ist kein Zusammenfügen, sondern ein Aufeinanderfallen.
({19})
Aber ich füge als letzten Satz hinzu: Nichts würde uns zufriedener machen, als wenn sich unsere Bedenken als gegenstandslos erwiesen;
({20})
nichts würde uns zufriedener machen, als wenn dieser Staatsvertrag der erste Schritt zu einem freien und einigen Deutschland in einem freien und einigen Europa wäre, einem Europa, meine Damen und Herren, von dem niemand fürchtete, daß es ein deutsches Europa werden müßte, und einem Deutschland, von dem jeder wüßte, daß es ein europäisches Deutschland wäre.
Herzlichen Dank.
({21})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist an sich nicht meine Aufgabe, Herr Kollege Glotz, jetzt auf Ihre Ausführungen zu antworten. Gestatten Sie mir aber doch einige Bemerkungen.
Insbesondere möchte ich mich für den letzten Satz Ihrer Ausführungen bedanken, weil daraus der gute Wille, der Vereinigung Erfolg zu wünschen, hervorging. Ich bin auch sicher, jedenfalls für meine Person und sicher auch für den größten Teil meiner Fraktion, daß Ihrer Position der Respekt nicht verweigert wird.
({0})
Ich bedanke mich bei Ihnen, daß Sie die Ablehnung nicht so begründet haben, wie wir es von Saarbrücken gewohnt sind,
({1})
und insbesondere daß in Ihren Ausführungen nicht der Unterton des Neidweckens zu spüren war.
({2})
Cronenberg ({3})
Ich möchte Ihnen auch nicht verhehlen, daß mich Ihre Ausführungen an eine der ersten politischen Versammlungen, die ich um 1948 noch als Schüler erlebt habe, erinnert haben. Damals war die große Auseinandersetzung zwischen Professor Nölting und Professor Erhard über die Frage, ob wir die Marktwirtschaft einführen sollten oder nicht.
Es ist aus meiner Sicht beruhigend, daß auch Sie in Ihren Ausführungen und alle Ihre Kollegen das Ja zur Marktwirtschaft in diesen Tagen und im Zusammenhang mit dem Staatsvertrag immer wiederholt haben.
({4})
Aber ich möchte trotzdem daran erinnern, daß Professor Nölting damals sagte und befürchtete, mit dem Abschaffen der Bezugscheine, mit der Freigabe der Preise und mit der Einführung der Marktwirtschaft werde es fünf Millionen Arbeitslose geben, und es werde ein Chaos im Lande ausbrechen. Erfreulicherweise hat er sich damals geirrt, und ein gigantischer Aufstieg ist das Ergebnis der Einführung der Marktwirtschaft geworden.
Ich komme nicht auf die Idee, die Situation von damals mit der jetzigen zu vergleichen, jedenfalls vollständig zu vergleichen. Aber daß diese Wirtschaftsordnung, meine Damen und Herren, Kräfte im Interesse der Menschen freisetzen kann, das wird dort, wo sie eingeführt worden ist, unbestritten immer wieder bewiesen.
({5})
Das ist ja doch auch in diesem Zusammenhang unser Anliegen.
Deswegen möchte ich für die Liberalen hier feststellen, daß genau auf dem Hintergrund dessen, was Sie dem Kollegen Glotz eben gesagt haben, die Einführung der Sozialunion, die ja das korrigierende Element sein muß, ein integrierter, gleichberechtigter Bestandteil des gesamten Vertragswerks ist.
({6})
Wenn die Marktwirtschaft schon die optimale Methode ist, Menschen mit Gütern und Dienstleistungen zu versorgen, dann bedarf sie nach unserer Vorstellung der sozialen Flankierung. Diese soziale Ergänzung wird um so erfolgreicher sein, je besser gewirtschaftet wird, je erfolgreicher die Marktwirtschaft ist. Dabei ist die bedeutendste soziale Frage der Noch- DDR unbestritten die Beschäftigungsproblematik. Mit Recht hat Herr Konsistorialpräsident Stolpe am 17. Juni in Berlin darauf hingewiesen. Die Menschen in der DDR erwarten zu Recht, möglichst schnell sinnvolle und möglichst gut bezahlte Arbeit.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einmal darauf hinweisen: Die Übersiedler, die von unserem leergefegten Arbeitsmarkt wie von einem trockenen Schwamm erstaunlich schnell aufgesogen wurden, beweisen ja, daß unsere Landsleute arbeiten können und arbeiten wollen. Sie wollen sinnvoll arbeiten, sie wollen etwas leisten, und sie wollen auch gut verdienen. Das ist ihr gutes Recht. Die erste Voraussetzung für hohe Beschäftigung ist der Bedarf an Arbeit. Wo
keine Arbeit ist, die geleistet werden kann, wird es auch Arbeitslosigkeit geben und keine hohe Beschäftigung.
Wohnungen - man braucht sich ja in der DDR nur umzusehen - Straßen, Eisenbahn, Krankenhäuser, Kläranlagen, Fabriken, Werkstätten, Restaurants, Kneipen - überall gibt es viel zu tun, überall gibt es Arbeit. In der Marktwirtschaft ist diese Arbeit von wettbewerbsfähigen privaten Betrieben zu leisten. Wettbewerbsfähig werden die Betriebe aber nur dann sein, wenn Produkte und Kosten stimmen. Dazu gehören auch die Kosten für den Faktor Arbeit. Deswegen ist es für die DDR-Betriebe unerläßlich, jede Rationalisierungschance wahrzunehmen.
({7})
Lassen Sie mich an dieser Stelle auch eine kritische Bemerkung zum Staatsvertrag machen. Ich weiß sehr wohl, daß diejenigen, die dafür gesorgt haben, daß unser Kündigungsschutzrecht und unsere Sozialplanregelung sofort und uneingeschränkt eingeführt werden, dies aus lauteren und ehrenwerten Motiven getan haben. Trotzdem, meine Damen und Herren, ist es ein unverzeihlicher Fehler. Mancher überlebenswerte Betrieb wird aufgeben müssen, weil er Sozialpläne zu erstellen hat, weil er den Kündigungsschutz praktizieren muß. Das kann man nur machen, wenn sich das Ganze konsolidiert hat. Wegen der sozial bedingten Auswahl werden oft die für den Fortbestand des Betriebes dringend benötigten Fachkräfte entlassen werden müssen. Das für Investitionen dringend erforderliche Geld muß für Sozialpläne aufgewandt werden. Das ganze läuft unter dem Motto: Gut gemeint, aber schlecht getan.
Ich bin überzeugt, meine Damen und Herren, daß die Arbeitnehmer in der Noch-DDR hochmotiviert und tüchtig sind. In vielen Bereichen sind die Menschen besser ausgebildet, als man es uns einreden will. Sie sind sogar oft pfiffiger als die Menschen bei uns. Vergessen wir nicht: Not macht erfinderisch. Mit viel Phantasie haben sich die Menschen drüben zu helfen gewußt und so bewiesen, daß sie Eigeninitiative entwickeln können.
Konsistorialpräsident Stolpe hat uns am Sonntag aufgefordert, Maßnahmen für die Arbeitslosen und für die von Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen zu ergreifen.
In diesem Zusammenhang erwarte ich, daß das Schwergewicht dieser Maßnahmen bei der Qualifizierung liegt. Trotz des eben erwähnten relativ guten Ausbildungsstandes sind Qualifizierungsmaßnahmen notwendig und dreimal besser als AB-Maßnahmen, die häufig anderen Betrieben und anderen Menschen die Arbeit wegnehmen. Erfahrene Einrichtungen, Institutionen und auch Fachleute stehen bei uns für solche Qualifizierungsmaßnahmen zur Verfügung. Ich wäre dankbar, wenn davon Gebrauch gemacht würde.
Wo die Kosten stimmen und wo gut ausgebildete Menschen sind, dorthin kommt auch die Arbeit. Die Chancen, daß Aufträge und Betriebe nach Sachsen, nach Mecklenburg, nach Thüringen verlagert werden, sind groß, sind sehr groß; denn bei uns stehen
Cronenberg ({8})
Arbeitskräfte für Kapazitätserweiterungen praktisch nicht mehr zur Verfügung.
Damit will ich nicht die Arbeitslosigkeit der Problemgruppen verniedlichen. Ich will nur verdeutlichen, daß in der Umstrukturierung der DDR-Kommandowirtschaft in eine soziale und, Kollege Schäfer, ökologische Marktwirtschaft eine große Chance für den einzelnen Menschen liegt.
({9})
Wir müssen gemeinsam zu unser aller Wohl eine leistungsfähige Wirtschaft in der heutigen DDR aufbauen. Dabei muß eines klar sein: daß auch in der gesamtdeutschen Wirtschaft nur das verteilt werden kann, was zuvor erarbeitet wurde.
({10})
Fehlende Leistungskraft kann nicht durch ein Mehr an Umverteilung ersetzt werden.
({11})
Für die Liberalen ist entscheidend: Wirtschaft ist kein Selbstzweck. Sie soll und muß dem Wohl der Menschen, möglichst jedes einzelnen Menschen, dienen. Nur eine liberale Ordnung kann dem einzelnen Bürger ein Höchstmaß an Freiheit und materiellem Wohlstand vermitteln. Nur eine liberale Ordnung ist in der Lage, eine wirklich soziale Gesellschaft aufzubauen, eine Gesellschaft, in der jedem, der gewillt und dazu fähig ist, im Rahmen seiner Möglichkeiten die Chance geboten werden soll, durch Arbeit seinen Beitrag zum allgemeinen Wohl zu leisten, und in der all denjenigen, die sich selbst nicht helfen können, ein menschenwürdiges Leben garantiert wird.
({12})
Für alle Bürger ist auch die Gestaltung des Gesundheitswesens in der DDR von großer Bedeutung. Für Liberale sind freie Arztwahl und Therapiefreiheit unverzichtbar. Freiberuflich tätige Ärzte, Apotheker, Masseure und Therapeuten sichern die Versorgung besser als verbürokratisierte Gesundheitsverwaltungen, in denen das Interesse der Beschäftigten sich, um es vorsichtig zu formulieren, in bescheidenen Grenzen hält.
Der einklagbare Anspruch eines jeden Bürgers auf eine menschenwürdige Versorgung, die beitragsfinanzierte Absicherung des Krankheits- und Unfallrisikos, die Absicherung im Alter und gegen die Folgen von Arbeitslosigkeit sind Grundlagen des sozialen Rechtsstaates, wobei ich mir persönlich wünsche, daß möglichst aus den Pflichtversicherungen die Pflicht zur Versicherung wird. Ich bin überzeugt, daß durch sinnvolle materielle Anreize die Versicherten motiviert werden können, auch in der DDR mit den Beiträgen der Versicherten sparsam umzugehen.
Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zur DDR-Sozialversicherung im allgemeinen und zum Aufbau eines gegliederten Krankenversicherungssystems im besonderen sagen: Mit den Beitragssätzen aus der Bundesrepublik ist die DDR-Sozialversicherung meines Erachtens gut finanzierbar. Das ist auch darauf zurückzuführen, daß der Anteil der Beitragzahler an der Bevölkerung, u. a. bedingt durch die
hohe Frauenbeschäftigungsquote, deutlich höher ist als bei uns.
Für die Krankenversicherung ist der 1. Januar 1991 ein festes Datum. Die Regierung der DDR ist aufgefordert, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um den verschiedenen Kassenarten die Aufnahme ihrer Versicherungstätigkeit zum Jahresbeginn 1991 zu ermöglichen. Dabei ist es selbstverständlich, daß die Krankenkassen der Bundesrepublik in der DDR ungehindert informieren, beraten und potentielle Mitarbeiter schulen dürfen. Es ist - ich kann es nur immer wiederholen - überhaupt nicht einzusehen, warum beispielsweise eine Arbeiter-Ersatzkasse aus dem süddeutschen Raum in Hamburg potentielle Mitglieder informieren und werben darf, das in Leipzig aber nicht dürfen soll. Es darf hier nicht zweierlei Recht geschaffen werden, wo wir uns doch im Staatsvertrag bemüht haben, die Rechtssysteme anzugleichen. Rechtseinheit, so haben wir gesagt, hat den Vorzug vor Rosinenpickerei.
Aus liberaler Sicht ist in diesem Zusammenhang ein Punkt von besonderer Wichtigkeit: Zum gegliederten System gehört auch die private Krankenversicherung. Liberales Anliegen war es stets, die Freiräume des einzelnen zu erweitern. Privater Krankenversicherungsschutz ist individueller Krankenversicherungsschutz. Er muß daher auch in der DDR so früh wie möglich möglich sein. Der Kreis der Berechtigten darf nicht wie vorgesehen auf Selbständige und geringfügig Beschäftigte beschränkt werden.
Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal darauf hinweisen: Nur eine liberale Ordnung ist in der Lage, eine wirklich soziale Gesellschaft aufzubauen. Eine so liberal gestaltete soziale Gesellschaft bedeutet für die Menschen in der Noch-DDR in jedem Fall trotz aller Probleme eine deutliche Verbesserung ihrer Situation. All das wird möglich sein, weil - das bitte ich nicht zu vergessen - wir uns die Einheit besser leisten können als die Teilung.
Herzlichen Dank.
({13})
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herr Dr. Blüm.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach so vielen Stunden Debatte habe ich meine wohlvorbereitete Rede auf dem Platz gelassen.
({0})
- Sehr verehrter Herr Kollege, es ist sogar die Pflicht der Opposition, die möglichen Einwände gegen Regierungsvorlagen zu formulieren. Das ist unsere Rollenverteilung.
Obwohl ich mehrere Stunden zugehört habe, habe ich Verständnisschwierigkeiten bei den Argumentsketten,
({1})
die die Sozialdemokraten hier vorlegen. Eine Argumentskette lautet: Wir waren nicht beteiligt, aber wir haben viel erreicht.
({2})
Dann gibt es die nächste Argumentationskette: Die Hilfe für die DDR ist viel zu gering; man müßte viel mehr machen. Aber es kostet zuviel Geld.
({3})
Dann gibt es eine dritte Argumentationsreihe: Wir stimmen mit Ja zum Vertrag, aber wir lehnen den Inhalt ab.
({4})
Die letzte derartige Argumentationsreihe habe ich von Herrn Glotz gehört: Sie haben viele Monate versäumt, aber es geht viel zu schnell.
({5})
Als ich Herrn Dreßler heute nachmittag gehört habe, wußte ich am Schluß seiner Rede nicht, warum er mit Ja stimmt.
({6})
Ich habe mit großem Respekt die Rede von Herrn Brandt gehört. Aber ich habe mich gefragt, ob Herr Lafontaine Kanzlerkandidat einer sozialdemokratischen Partei im Pazifik ist. Die Rede von Herrn Brandt hatte nichts, aber auch gar nichts mit der Politik zu tun, die Lafontaine seit Monaten vorträgt.
({7})
- Wir werden es immer wieder versuchen. Wir haben es auch in der DDR versucht. Wir werden es auch in weiteren Wahlkämpfen versuchen. Man muß mit Argumenten kämpfen. Und hier müssen Sie Ihre Argumente sortieren.
({8})
Sie können nämlich nicht besitzbürgerliche Instinkte mobilisieren, den Egoismus ansprechen und gleichzeitig Solidarität reklamieren. Sie müssen sich entscheiden, auf welcher Seite Sie kämpfen.
({9}) Auf zwei Hochzeiten kann man nicht tanzen.
({10})
- Ich bin Ihnen sehr dankbar, wenn ich ruhig reden kann, Herr Vogel.
({11})
Das hängt ganz davon ab, gegen welchen Geräuschpegel ich ansprechen muß.
({12})
- Wenn wir uns darauf verständigen können, daß ich ruhig bin und Sie ruhig sind, dann trage ich jetzt vor, was zur Sozialunion zu sagen ist.
({13})
Ich habe die Sozialunion nie als ein Anhängsel verstanden.
({14})
Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik bilden in der Sozialen Marktwirtschaft eine Einheit. Die Soziale Marktwirtschaft ist die Grundlage dieses Staatsvertrages.
({15})
- Da haben Sie wie an vielen Stellen Verspätung gehabt. Das erste und wichtigste sozialpolitische Fundament dieses Staatsvertrages ist, daß wir die Währung 1 : 1 umstellen. Es ist die wichtigste sozialpolitische Botschaft, daß an Stelle einer maroden Währung
({16})
eine anständige D-Mark kommt, mit der die Bürger in der DDR auch etwas kaufen können. Das war die erste und, wie ich glaube, wichtigste solidarische Entscheidung.
Aber nehmen wir die anderen Punkte, zunächst die Rente. Daß die Rente aus dem Almosenstatus à la DDR herauskommt, daß die Rente an die Löhne gekoppelt wird, die Rentner also nicht Jahr für Jahr bettelnd antreten müssen, daß der Staat etwas für sie übrig hat, sondern die Rentenversicherung der Lohnentwicklung folgt, finde ich eine weitere wichtige sozialpolitische Botschaft. Wir haben nicht schrittweise, sondern sofort auf unser Niveau umgestellt, nämlich auf 70 %. Das geht sogar über die Koalitionsvereinbarungen der DDR hinaus, was ich gar nicht besonders beleuchten will. Nur wenn hier gesagt wird, unser Angebot sei kleinlich gewesen, halte ich dem entgegen: In der Rentenversicherung haben wir in diesem Staatsvertrag ein Angebot, das über die Koalitionsvereinbarungen der DDR, die die SPD mit beschlossen hat, hinausgeht. Das will ich doch mal festhalten.
Um das außerhalb aller Rentensystematik in Zahlen zu sagen: Für den Rentnerzugang des Jahres 1990 nach 45 Arbeitsjahren ist das heute in der DDR bei einem Durchschnittsverdiener eine Rente von 480 DM. Hat er noch die Zusatzversorgung, sind es 122 DM zusätzlich. Das ist der jetzige Stand der Renten in der DDR. Wenn jetzt am 1. Juli umgestellt wird, steigt diese Rente auf 672 DM, schon im Einstieg eine
kräftige Erhöhung der Rente. Deshalb sind die älteren Mitbürger die ersten Gewinner der Sozialunion.
({17})
Sie haben es auch verdient, sie sind 40 Jahre vom Sozialismus betrogen worden.
Keine Rente wird niedriger sein als bisher. Bei 2,3 Millionen von den 2,9 Millionen Versichertenrenten wird es einen kräftigen Anstieg geben. Bei 2,3 Millionen - das sind 79,3 % - gibt es also einen Anstieg. Das ist bei weitem noch nicht das Ziel. Ich habe für unsere Anstrengungen noch keine Entwarnung gegeben, aber das ist ein erster Schritt auf einem steinigen Weg, der nach oben führt. Das ist freilich keine Rolltreppe. Alle brauchen den Willen, diesen Weg gemeinsam zu gehen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Knabe?
Bitte schön.
Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Knabe.
Herr Minister, dazu eine Zwischenfrage: Ist es nicht auch richtig, daß der Preis für die Grundbedürfnisse, die ein Rentner mit seiner kargen Rente in der DDR befriedigen mußte, wesentlich angehoben wird, also für Energie, Straßenbahn, Brot, Milch? All das wird ja wesentlich teurer werden.
Deswegen setze ich, wie ich hoffe mit Ihnen gemeinsam, darauf, daß die Soziale Marktwirtschaft aus dieser sozialistischen Mangelwirtschaft für jung und alt, für Arbeitnehmer, Nicht-Arbeitnehmer herausführt, jenen Wohlstand ermöglicht, den auch wir uns erarbeitet haben. 40 Jahre war das Mangelwirtschaft à la Sozialismus, und damit soll jetzt auch in der DDR ein Ende sein.
Herr Dreßler, nun noch einmal zu den Fremdrenten. Hinsichtlich dieser Mobilisierung wieder einen schönen Gruß von Oskar Lafontaine. Das war heute nachmittag wirklich die Mobilisierung aller Egoisten. Führen wir uns das mit den Fremdrenten nochmal vor Augen. Die Fremdrente ist eingeführt worden, weil unsere Landsleute, die aus Gebieten kamen, in denen sie schikaniert wurden, ihre Rente nicht mitbringen konnten. Deswegen haben wir ihnen hier eine Rente gewährt, als seien sie hier gewesen. Wer die Fremdrente abschaffen will, der muß doch zunächst einmal dafür sorgen, daß die Betroffenen ihre Rente aus den Herkunftsgebieten mitbringen können, und das haben wir mit dem Staatsvertrag ermöglicht, und deshalb ist das jetzt der Zeitpunkt, die Fremdrente durch das Exportprinzip zu ersetzen.
Daß Sie an dem heutigen Tag, wo wir große Anstrengungen unternehmen, von zwei Seiten die Brükken zu Polen zu schlagen, eine Rede gegen das deutsch-polnische Sozialversicherungsabkommen gehalten haben und damit die Gefühle vieler Polen berühren, ist, finde ich, eine klassische Fehlleistung. Ich finde - das sage ich mit allem Respekt - , es ist auch ein großer Ausdruck von Verständigungsbereitschaft, daß mein Kollege Kuron nach monatelangen Gesprächen, die nicht leicht waren, auch für ihn nicht leicht waren, jetzt bereit ist, über dieses Abkommen zu verhandeln. Dafür verdient er Anerkennung und nicht eine schäbige Rede à la Dreßler ausgerechnet am heutigen Tag.
({0})
- Das erregt mich in der Tat.
({1})
Denn ich weiß, daß der Kollege Dreßler davon in Kenntnis gesetzt ist, wie schwierig solche solidarischen Gespräche sind, die auf Einvernehmen aus sind. Oder wollen Sie im Kommandoton à la Dreßler nach Polen fahren und sagen: Hergehört, morgen beginnen die Verhandlungen!? - Dazu gehören doch zwei. Noch haben wir nicht den Funktionärsjargon im Umgang mit den Polen, den der Herr Dreßler anwendet.
({2})
- Nein!
({3})
Herr Minister, gestatten Sie?
Unter dem Aspekt „Feigling" will ich die Frage gern zulassen. Wenn es darum geht: Bitte schön, Herr Dreßler.
Herr Minister Blüm, da Sie in der üblichen Art
({0})
Herrn Lafontaine und mich wegen unserer Position zum Fremdrentengesetz, die seit Dezember 1989 von uns öffentlich vertreten wird, beschimpfen,
({1})
frage ich Sie: Ist Ihnen aufgegangen, daß in den letzten Monaten der Bayerische Ministerpräsident und mehrere Abgeordnete Ihrer eigenen Fraktion öffentlich dieselbe Forderung erhoben haben?
({2})
Darf ich Sie fragen, ob die soeben Herrn Lafontaine und mir gegenüber gemachten Beschimpfungen auch für Ihre eigenen Fraktionsmitglieder und den Bayerischen Ministerpräsidenten gelten?
({3})
Ich bin Ihnen für diese Frage sehr dankbar. Die Bayerische Staatsregierung einschließlich ihres Ministerpräsidenten hat nie die Abriegelung der Grenzen verlangt. Sie hat nie verlangt, daß die Übersiedler
zurückgeschickt werden. Das haben die Bayern nicht verlangt.
({0})
Auf diesen Unterschied aufmerksam zu machen, gibt mir Ihre Frage eine hervorragende Gelegenheit. In der Tat hat Oskar Lafontaine die Mauer mit sozialpolitischen Paragraphen wieder errichten wollen ({1})
ein schlimmes Beispiel für das Vergessen der Solidaritätsgeschichte der Sozialdemokratischen Partei.
Ich will auch noch zu dem Thema Arbeitsmarkt kommen.
Herr Minister, Entschuldigung, daß ich unterbreche, aber der Abgeordnete Dreßler bittet um eine weitere Zwischenfrage.
Eine langt.
Ich will auch zu dem Thema Arbeitslosigkeit kommen. Ich halte es für eine der bekannten Lebenslügen, im Sozialismus gebe es keine Arbeitslosigkeit. Das ist ja eine der vielen Behauptungen.
({0})
Irgendwo, irgendwann, irgendwie fehlt im Sozialismus irgend etwas. Deshalb ist es keine aus der Luft gegriffene Behauptung vieler Kenner, daß in vielen Betrieben der DDR nur die Hälfte der im Betrieb verbrachten Zeit produktiv genutzt wird. Das ist sozusagen eine Arbeitslosigkeit mit Stechuhr.
({1})
Sie war für die Arbeiter und ihr Wertgefühl nicht sehr gut. Auch um den Wohlstand zu mehren, ist das die falsche Form. Ich finde, „Arbeit für alle" bleibt unser gemeinsames Ziel überall auf der Welt, auch in Deutschland.
({2})
Deshalb wollen wir mit allen Kräften helfen.
Ich sehe für uns alle große Chancen. Ich will ein paar Zahlen nennen. Im Handwerk haben wir hierzulande in der Bundesrepublik 4 Millionen Beschäftigte, in der DDR 430 000. Das zeigt doch, daß hier ein Riesenbedarf besteht und daß sich hier riesige Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnen. Das Handwerk ist ja über Jahre hin unterdrückt worden. Im Dienstleistungsbereich gibt es in der Bundesrepublik 14,8 Millionen Beschäftigte, in der DDR 3,4 Millionen. Das zeigt, daß hier eine ungeheure Aufholmöglichkeit besteht.
Freilich, wir müssen eine schwierige Strecke überwinden. Wir wollen dies solidarisch tun, auch mit unserer Arbeitsmarktpolitik, indem wir beispielsweise Qualifizierung und Kurzarbeit unterstützen, und zwar Kurzarbeit unter besonderen Bedingungen. Die Bedingung heißt eben nicht nur: vorübergehender Arbeitsausfall. Es kann ja Anfang Juli niemand in vielen Betrieben schon wissen, ob der Arbeitsausfall vorübergehend ist oder ob der Weg zu einem sicheren Ufer hinüberführt. 5 Milliarden DM investieren wir für Arbeitsmarktpolitik, 5 Milliarden DM Anschubfinanzierung! Es kann doch niemand sagen, das sei nichts. Wie kann man sich hier hinstellen und sagen, wir seien dazu nicht bereit? 5 Milliarden!
Mit 160 Millionen DM unterstützen wir den Aufbau der Arbeitsverwaltung, mit 80 Millionen DM Institutionen zur Qualifizierung. Das ist Solidarität nicht mit Worten, sondern mit handfesten Taten.
Meine Damen und Herren, richtig ist auch, daß wir beim Aufbau in der DDR ebenfalls eine Mentalität verabschieden müssen, zu der der Sozialismus viele Menschen gedrängt hat. Ich meine die Mentalität: Die da oben richten es schon. - Das ist jene Betreuungsmentalität, die nur eine andere Form von sozialistischer Vormundschaft war. Zur Sozialen Marktwirtschaft gehört auch die Bereitschaft zur Initiative und zur Leistung.
Insofern geht es bei dem großen Prozeß der deutschen Einheit nicht nur um Milliarden, es geht nicht nur um Verteilungspolitik, sondern es geht auch um eine veränderte Einstellung. So wollen wir unsere Wohnung in einem europäischen Haus gemeinsam neu einrichten. Ich finde es gut, daß die Sozialunion dazu einen großen Beitrag leisten kann.
Ich sehe in der deutsch-deutschen Entwicklung viel mehr Chancen - nicht nur materiell - als Risiken. Diejenigen, die pausenlos die Risiken beschreiben, die sie hätscheln und tätscheln, sind in der Gefahr, die Chancen zu verpassen. Wir brauchen zum Aufbau viele Gutwillige in der DDR und hier. Ein großes neues Feld eröffnet sich für viele Menschen in Deutschland, auch hier aus der Bundesrepublik, geradezu als Pioniere tätig zu sein, neu zu helfen. Manche haben gesagt, die Welt sei vernagelt, es gebe keine großen Aufgaben für junge Leute. Mitten in Deutschland gibt es neue und große Aufgaben.
Deshalb öffnet dieser Staatsvertrag auch die Tür zu einer neuen Etappe mit Freiheit und sozialer Gerechtigkeit, zu der auch die Gewerkschaften ihren Beitrag leisten müssen. Es wird nicht der alte FDGB sein können. Er war der verlängerte Arm des Unterdrückungsapparates, obwohl er auf manchen Kongressen hier gehätschelt wurde.
Wir brauchen neue, freie und unabhängige Gewerkschaften. Ich beglückwünsche unseren Kollegen Rappe, daß er ohne viel Worte tatkräftig zum Aufbau einer freiheitlichen Tarifordnung in der DDR beiträgt. Er hat mitgeholfen, daß freie Gewerkschaften Tarifpartner auch im anderen Teil Deutschlands werden können.
({3})
Ich finde, insofern kann der Staat nicht alles, kann der Gesetzgeber nicht alles. Wir brauchen die Verantwortung der Unternehmer, der Arbeitnehmer, der Gewerkschaften, aller Gutwilligen. Dazu lade ich ein.
({4})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beck-Oberdorf.
Herr Minister Blüm, es war ja wohl kein Zufall, daß Sie eben wieder nur männliche Agierende genannt haben: die Unternehmer, die Arbeitnehmer usw., die diesem Geist des Staatsvertrags entsprechen. Aber darauf werde ich gleich noch kommen.
Drei Szenarien bestimmen die politische Debatte um die sozialen Folgen des Staatsvertrags. Die Bundesregierung versucht krampfhaft, den Eindruck zu erwecken, als habe sie alle sozialpolitischen Folgen der tiefgreifenden Umstellungen, die in der DDR anstehen, fest im Griff. Die SPD treibt ein Doppelspiel, wohlgeübt in dieser Art von Spielen: Einerseits setzt sie auf den Widerwillen der bundesrepublikanischen Bürger und Bürgerinnen, für die Kosten der Vereinigung aufzukommen; gleichzeitig aber tritt sie als Garant der sozialen Interessen der Bürger und Bürgerinnen in der DDR auf. Beides paßt nicht zusammen.
Die PDS in der DDR versucht, sich an die Spitze derjenigen zu stellen, die jetzt nach ganz einfachem Strickmuster so tun, als käme nun erst nach dem Fall der Mauer das Elend in die DDR. Dabei verdrängt sie, daß der Zusammenbruch des Sozialsystems vor allem eine Folge der Zerrüttung der Wirtschaft und der Infrastruktur ist, den ihre Vorgängerpartei zu verantworten hat.
({0})
Keines dieser drei Bilder trifft die gesellschaftliche Wirklichkeit. Jeder weiß, daß die DDR nach dem 2. Juli in ein riesiges gesellschaftliches Experiment hineintrudelt, bei dem niemand beanspruchen darf, überblicken zu können, wie hoch die sozialen Kosten sein werden. Alle Planspiele, die die Bundesregierung uns immer wieder vorgeführt hat, auf denen auch die Anschubfinanzierung von Arbeitslosen- und Rentenversicherung basiert, sind somit irreal und deswegen unlauter.
Geschönt sind auch die Zahlen, die die Altersversorgung betreffen. Selbst wenn die Bundesregierung nach langem Zieren endlich einen Grundsockel von - ({1})
- Herr Präsident, es ist mir leider fast nicht möglich, hier zu sprechen, weil ich immer so einen Hall aus dem Saal höre, da es zu laut ist.
Die Rednerin beschwert sich - vermutlich nicht ganz zu Unrecht - , daß der Geräuschpegel in dem nicht sonderlich vollen Saal außerordentlich hoch ist. Ich bitte, das als Appell aufzufassen, sich, auch was die Privatgespräche anbelangt, zu mäßigen.
({0}) Frau Abgeordnete, Sie können fortfahren.
Geschönt sind die Zahlen, die die Altersversorgung betreffen. Selbst wenn die Bundesregierung nach langem Zieren endlich einen Grundsockel von 495 DM als DDR-Rente festgesetzt hat, so ist noch lange nicht heraus, ob dieses Geld ausreichen wird, um Altersarmut zu verhindern, denn kein Mensch kann überblicken, wie sich
die Preisentwicklung in der DDR in der kommenden Zeit gestalten wird.
Der Verweis auf ein neu aufzubauendes System der Sozialhilfe wie in der Bundesrepublik ist dabei eher zynisch, denn welcher Bürgermeister in der DDR weiß heute, was er in der kommenden Zeit an Finanzmitteln in der Gemeindekasse haben wird, und daraus wird die Sozialhilfe bestritten. Wie hoch veranschlagen Sie die Einnahmen aus der Gewerbesteuer für die DDR-Gemeinden, Herr Minister Blüm? Kein Bürger und keine Bürgerin in der DDR ist so illusionär zu glauben, daß sie jetzt mit dem Einzug der harten West-Mark auf weiche Wolken gebettet würden.
Die Frage ist nur, wie die Lasten verteilt werden. Verteilung der Lasten, Ausgleich der Lasten: Das ist das eigentliche Thema unserer Debatte. In diesem Zusammenhang gibt es einen interessanten Konflikt. Ministerpräsident de Maizière hat in seiner Regierungserklärung betont, daß die Überwindung der Teilung die Bereitschaft zum Teilen erfordere. Dafür bekam er sofort einen Rüffel von Minister Haussmann, denn für den sind die sozialen Kosten natürlich nicht durch Teilen, sondern durch Wachstum zu finanzieren. Der wertkonservative de Maizière hat offensichtlich mehr von den Grenzen des Wachstums begriffen, die uns das ökologische System abverlangt, als der liberale Yuppie Haussmann.
Auch viele Bürgerinnen und Bürger der DDR, die, solange sie noch nicht vor der Tür standen, noch als Brüder und Schwestern bezeichnet wurden, haben das Gefühl, daß es jetzt an uns sei zu teilen, denn schließlich haben sie für den Krieg und seine Folgen einen größeren Teil der Lasten als wir getragen. Jetzt also muß sich offenbaren, ob es wirklich eine Übernahme von Verantwortung auf unserer Seite gibt.
Aber da sieht es bei uns nicht gut aus, wie alle Meinungsumfragen zeigen. Bei den Bundesbürgern hört der Spaß auf, wenn es ihnen ans Portemonaie geht und sie jetzt für einen Lastenausgleich, der eigentlich nicht an den Grenzen der DDR aufhören dürfte - darauf hat mein Kollege Lippelt heute morgen hingewiesen - , zahlen sollen. Die Bundesregierung drückt sich denn auch um die Auseinandersetzung mit der Bevölkerung. Der Weg über den Kreditmarkt, den Sie jetzt gehen, ist kurzfristig der des geringsten Widerstandes. Letztlich werden die Kosten dann doch auf die Masse der Bevölkerung verteilt, heute schon durch die höheren Zinsen, morgen mit höheren Steuern, die dann nicht spezifisch die Wohlhabenden, sondern vor allem die breite Masse treffen werden.
Was wäre denn notwendig gewesen? Gerade weil jeder lügt, der behauptet, die Veränderungen in der DDR seien vorhersehbar, planbar gewesen, hätte zuallererst und vor allen Dingen ein Netz der sozialen Grundsicherung installiert werden müssen.
({0})
Weil Sie der Bevölkerung hier wohl kaum hätten vermitteln können, warum das drüben möglich sein soll, bei uns aber nicht, hätten wir bei uns zeitgleich die soziale Grundsicherung einführen müssen. Eine soziale Grundsicherung ist notwendiger denn je, um in Zeiten von gesellschaftlichen Brüchen Bruchlandungen zu vermeiden.
Das hätte Geld gekostet, meine Damen und Herren, keine Frage. Das hätte bedeutet, daß bei uns noch einmal die Verteilungsfrage aufgekommen wäre, daß die Wohlhabenden und die Gutverdienenden wirklich hätten teilen und abgeben müssen. Dazu aber hätte es eines Gesellschaftsvertrages und nicht nur eines in den Ministerialstuben ausgehandelten Staatsvertrages bedurft.
Der Abgeordnete Hans-Jochen Tschiche aus der Volkskammer kommentierte den Staatsvertrag folgendermaßen: Eigentlich hätte man ihn auf einen Satz verkürzen können: „Wir übernehmen. "
({1})
Diese beiden Worte drücken den Geist des Vertrages aus. Hier wurde mit der Überheblichkeit der herrschenden Politik unser System ohne Rücksicht auf Verluste übertragen.
Was wir aber gebraucht hätten, was vor allem die Bürgerinnen und Bürger der DDR gebraucht hätten, wären Behutsamkeit und Solidarität gewesen, und zwar gerade im sozialen Bereich. Dazu aber hätte ein anderer Geist im Westen gehört, nämlich die Verknüpfung der Vereinigung mit der historischen Erinnerung, daß die Existenz der DDR etwas mit dem großen Krieg zu tun hat, dessen Folgen - obwohl bei uns lange verdrängt - jetzt noch einmal vor unserer Tür stehen. Aber gegenüber der Geschichte verhält sich diese Regierung ja am liebsten so, als hätte es sie nicht gegeben. Die Erinnerung stört das Selbstbildnis vom blankgeputzen, sauberen und wohlgeordneten Deutschland, in dem es immer nur Glück und Gutes gibt. Das Versagen der Sozialpolitik in diesem Staatsvertrag ist also auch ein Versagen in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.
Von Verdrängung zeugt auch der Art. 19 des Staatsvertrages. Inzwischen kennen Sie ihn vielleicht. Ich möchte aus ihm zitieren: „Belange der Frauen und Behinderten werden berücksichtigt. " Der Staatsvertrag macht mit diesem Verweis auf die Frauen und die Behinderten deutlich, an welchem Maßstab er sich eigentlich orientiert: am erwerbstätigen, nicht behinderten, mobilen, von Haus- und Familienarbeit freigestellten Mann.
Dies ist nicht nur uns aufgefallen, meine Damen und Herren. Sie haben vermutlich alle den Brief des Deutschen Frauenrates zur ersten Lesung dieses Staatsvertrages auf dem Schreibtisch gehabt und eventuell auch gelesen. Zu Recht wird in diesem Brief auch moniert, daß weder die Frauenministerinnen noch Frauenorganisationen und -verbände in Ost und West bei der Ausarbeitung des Staatsvertrages beteiligt waren.
({2})
Es hat sich wieder einmal gezeigt, was dabei herauskommt, wenn Männer unter sich die Welt regieren und dabei Betroffenheitspolitik im wahrsten Sinne des
Wortes machen, weil sie sich selbst als das Maß aller Dinge nehmen.
({3})
Nichts von den Forderungen der westdeutschen neuen Frauenbewegung und nichts von den Grundzügen einer Politik mit dem Ziel der Gleichstellung von Frau und Mann, die der nationale Runde Tisch der DDR noch im März dieses Jahres verabschiedet hatte, ist in dem Staatsvertrag zu finden.
Die Folgen der Wirtschafts- und Währungsunion werden die Frauen in der DDR in ganz anderer Weise treffen als die Männer. Wenn die Betriebskindergärten aus Rationalisierungsgründen aufgelöst werden, paßt dazu die Entlassung von Frauen, die sich nun der alleinigen Kinderbetreuung widmen dürfen. Kinder unter drei Jahren zu haben und bei einer mangelhaften Infrastruktur von öffentlicher Kinderbetreuung erwerbstätig zu sein ist schier unmöglich, wie wir aus unseren eigenen Erfahrungen in der Bundesrepublik wissen.
Wenn sich die Erwerbsquote der Frauen in der DDR ändert, heißt das, daß wir die weibliche Armut, insbesondere die weibliche Altersarmut, in die DDR exportieren. Wir liefern ja auch gleichzeitig unser Rentensystem mit, das sich am männlichen Normalarbeitnehmer orientiert. Das ist nicht die einzige Veränderung, die den Frauen in der DDR ins Haus steht und für die sie mit Sicherheit im November letzten Jahres nicht auf die Straße gegangen sind.
Es hätte die Chance gegeben, im Vereinigungsprozeß der beiden deutschen Staaten sehr genau hinzuschauen, wie die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen sind, und in einem langsamen Aushandlungsprozeß eine emanzipatorische Gestaltung der Gesellschaft im vereinigten Deutschland anzupeilen. Dieser Staatsvertrag blockiert dies auf Jahre und versucht, die Debatte um die Gleichberechtigung der Geschlechter zurückzuwerfen. Es hätte der Umsetzung etlicher frauenpolitischer Forderungen bedurft. Ich möchte einige nennen.
Für den Fall von Betriebsschließungen und Entlassungen dürften gegenüber Frauen höchstens entsprechend dem Verhältnis zu ihrem Anteil an der Gesamtbelegschaft Kündigungen ausgesprochen werden.
({4})
Die Quotierung bei Neueinstellungen und Beförderung ist in allen Hierarchiestufen in der Form einzurichten, daß Frauen so lange bevorzugt werden, bis sie mindestens 50 % der Betriebsangehörigen in allen Bereichen ausmachen.
Die Erteilung von Subventionen wird von der Einhaltung der oben genannten Quotierung abhängig gemacht.
Frau Abgeordnete, Sie gestatten eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher? - Bitte sehr, Frau Dr. HammBrücher.
Frau Kollegin, ich habe mich zu dieser Zwischenfrage gemeldet, weil ich Ihnen in der Sache so vollkommen recht gebe und weil ich nachdrücklich bedauere, wie wenig die spezifischen Probleme, die auf die Frauen in der DDR zukommen, im Staatsvertrag berücksichtigt wurden. Ich bin aber der Meinung, daß das möglicherweise gar nicht im Detail im Staatsvertrag geregelt werden konnte - angesichts der Eile und Dringlichkeit. Aber könnten Sie sich nicht vorstellen - damit komme ich zu meiner Frage, Frau Kollegin - , daß sich Frauen aus allen Fraktionen sehr schnell mit Frauen aus allen Fraktionen der Volkskammer zusammensetzen könnten, um Vorstellungen zu entwickeln, die dann in den zweiten Staatsvertrag, der ja kommen muß, noch eingebracht werden könnten? Ich möchte Ihre Bemerkung dazu nutzen, hier eine Initiative anzuregen, daß wir das nachholen.
Frau Kollegin Hamm-Brücher, ich meine, daß jede Initiative ergriffen werden sollte, die Frauen gemeinsam unternehmen könnten. Ich möchte hier in meiner Grundstimmung nicht zu negativ werden; aber wir sollten uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß mit diesem Staatsvertrag natürlich wesentliche materielle Grundlagen festgeklopft worden sind, was sich zum Nachteil der Frauen auswirken wird und wobei in rasantem Tempo die Kosten in den kommenden Monaten von den Frauen zu bezahlen sein werden.
Ich möchte noch die letzten Forderungen aufzählen, die für einen emanzipatorischen Staatsvertrag eigentlich notwendig gewesen wären: Kinderbetreuungseinrichtungen sind zu erhalten und, soweit noch nicht vorhanden, bedarfsorientiert einzurichten sowie von der öffentlichen Hand zu finanzieren.
Die Entscheidung von Frauen gegen eine Schwangerschaft darf nicht Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung sein, da dies ein Angriff auf das Selbstbestimmungsrecht der Frauen wäre. Ein solcher Angriff ist von Ihrer Seite noch einmal massiv gestartet worden.
({0})
Damit sind wir bei einem „Knackpunkt" in diesem Staatsvertrag angelangt: Die deutsche Einigung darf für die Frauen in der DDR keinen Rückschritt bei der Verwirklichung ihrer Selbstbestimmungsrechte bedeuten. Sie wird es aber sein, wenn Sie weiter so fortfahren in dem, was Sie vorhaben.
Die große Demonstration gegen § 218 StGB war der Anfang des gemeinsamen Protestes von Frauen aus der DDR und aus der Bundesrepublik. Gemeinsam sind Frauen stark und werden sich ihre Rechte erkämpfen, von denen in diesem Staatsvertrag nichts zu finden ist.
({1})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schmidt ({0}).
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Herr Minister Blüm. Ihr Beitrag war mickrig und selbst unter Ihrem Niveau und unter dem Niveau der Debatte in diesem Haus.
({0})
Das, was Sie hier gesagt haben, war ein Konglomerat von Halbwahrheiten und Polemik, Halbwahrheiten im wahrsten Sinne des Wortes. Eine dieser Halbwahrheiten war der Betrag von 5 Milliarden DM, den Sie als für die Anschubfinanzierung der Arbeitslosenversicherung notwendig genannt haben. Selbst Ihre eigenen Schätzungen, bestätigt durch den Bundeswirtschaftsminister Haussmann, gehen von 10 Milliarden DM aus. Wir kritisieren nicht die Notwendigkeit von solchen Beträgen, möchten aber endlich wissen, wie sie finanziert werden sollen und wer sie finanziert. Das erfordert die Ehrlichkeit.
({1})
Die Notwendigkeit - ich betone das Wort „Notwendigkeit" - eines Staatsvertrages wird von uns nicht bestritten. Aber die Frage muß erlaubt sein, ob dieser Vertrag die vorhandene Not und die zu befürchtende Not in ausreichendem Maß wendet. Er tut es nicht, weil Marktwirtschaft zu häufig nicht als das vernünftigste Instrument zum Austausch von Waren und Dienstleistungen, sondern als Allheilmittel angesehen wird, und weil darüber das vergessen wird, was keinen „Marktwert" hat: Kultur und die Instrumente, diese zu erhalten, Familienarbeit, die Betreuung von Kindern und von alten Menschen.
Hier wurden die vorhandene Not - das müssen wir immer betonen; sie kommt ja nicht erst nach diesem Staatsvertrag, sondern sie ist heute schon da - und die absehbare Not nicht gewendet. Nein, die Belange von Frauen, Frau Hamm-Brücher, sind nicht ausreichend berücksichtigt worden.
({2})
Dabei schätze ich nicht gering, daß die Mindestrenten gesichert werden konnten. Dabei schätze ich nicht gering, daß Qualifizierungsgesellschaften gegründet werden, die es Frauen besser ermöglichen, ihre Erwerbstätigkeit zu erhalten. Aber das reicht nicht.
Wir müssen feststellen: Schon jetzt werden Frauen überproportional häufig arbeitslos. Schon jetzt - nicht erst ab dem 2. Juli - ist es so, daß gerade die sozial Schwächsten, also Schwangere, Alleinerziehende, Mütter mit mehreren Kindern, ältere und behinderte Arbeitnehmerinnen, ohne Einhaltung jeglicher Kündigungsschutzvorschriften auf die Straße gesetzt wurden und werden. Treibende Kräfte - das ist ein Skandal, ein Hohn angesichts der Erwartungen, die diese Menschen mit der Sozialen Marktwirtschaft verbunden haben ({3})
sind vor allem westdeutsche Firmen, die ihren Einstieg in DDR-Betriebe vom Ausstieg der Frauen aus diesen Betrieben abhängig machen.
({4})
Frau Schmidt ({5})
- Ich kann Ihnen das beweisen. Eine derjenigen, die das zuerst angesprochen haben, war die Frau Bundestagspräsidentin Süssmuth. Diese Fälle sind beweisbar. ({6})
Schon jetzt ist klar, daß Betriebe Kinderbetreuungseinrichtungen schließen und Gemeinden kein Geld für deren Übernahme haben, sondern im Gegenteil selbst nicht wissen, wie sie Kindergärten, Horte und Schulessen weiter finanzieren sollen. Absolut unklar ist, wie notwendige Sozialleistungen, die Müttern und Vätern die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf überhaupt erst ermöglichen, weiter finanziert werden sollen. Dies aus den bisherigen Systemen der sozialen Sicherung zu finanzieren ist der DDR per Staatsvertrag untersagt. Ob angesichts der anstehenden Aufgaben und des begrenzten Kreditrahmens diese Finanzierung erreicht werden kann, steht in den Sternen oder in der Macht des Bundesfinanzministers. Frauen in Deutschland ({7}) und in Deutschland ({8}) haben aber leidvolle Erfahrungen, wenn es um die Berücksichtigung ihrer Belange geht, wie es im Staatsvertrag so schön heißt. Meist rangieren diese Belange auf der Skala der Notwendigkeiten dann ganz hinten.
({9})
Dieser eine Satz, liebe Kollegen und Kolleginnen, reicht nicht. Er ist entlarvend und zeigt den Stellenwert von Frauenpolitik unter dieser Regierung.
({10})
Es wurde in diesem Staatsvertrag eben mehr betreffend Schiffshypotheken als betreffend die Belange der Frauen geregelt. Das ist die Hypothek dieser Regierung, eine Hypothek, die Frauen ausbaden müssen.
({11})
Kritisiert wurde dies im übrigen, Frau Hamm-Brücher, von allen Frauen dieses Parlaments und von allen Frauen in der Volkskammer. Aber als es Zeit zum Handeln war, waren Frau Professor Süssmuth, Frau Lehr, Frau Verhülsdonk alle nicht da. Liebe Kolleginnen von der CDU/CSU und der FDP, da gab es plötzlich Funkstille und Bedauern und Gemurmel über die Souveränität der DDR, eine Souveränität, die man gerade erst beschränkt hatte. Nein, ein solches Sätzchen sichert überhaupt nichts. Es nimmt keine Rücksicht auf die Situation der Frauen in der DDR. Wissen Sie denn überhaupt, daß Frauen in der DDR mehr als 40 %, also beinahe die Hälfte, zum Familieneinkommen beitragen? Wissen Sie denn, daß ein Drittel der Mütter in der DDR alleinerziehend sind? Haben Sie mit diesem Staatsvertrag denn darauf reagiert? Für Frauen in der DDR war lebenslange Erwerbstätigkeit der Normalfall. Sie war wesentlicher Lebensinhalt und wichtiger Teil ihrer Lebensbiographie.
({12})
Wir haben Mitverantwortung, daß diese Frauen nicht vor einem Trümmerhaufen ihres bisherigen Lebens stehen.
({13})
Wir dürfen sie nicht zu einer Generation seelischer und sozialer Trümmerfrauen werden lassen.
({14})
Wie ist vor diesem Hintergrund dennoch ein Ja zu diesem Staatsvertrag zu begründen? Nicht dieser Vertrag führt zur Schließung von Kinderbetreuungseinrichtungen; sie werden jetzt schon geschlossen, Frau Beck-Oberdorf. Nicht dieser Vertrag schafft Rechtlosigkeit beim Kündigungsschutz; sie ist jetzt schon vorhanden.
({15})
Ich kritisiere zwar, daß dieser Vertrag wirklich zuwenig tut, um Verbesserungen zu erreichen, aber ohne einen Vertrag, ohne unser Kündigungsschutzgesetz würde die Rechtsunsicherheit noch weiter anhalten, würden Kündigungen weiter ausgesprochen, Kommunen noch weniger in der Lage sein, ihre finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen.
Frau Abgeordnete, Sie gestatten eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Beck-Oberdorf?
Wenn es mir nicht angerechnet wird, gerne.
Ich rechne es Ihnen nicht an.
Frau Kollegin Schmidt, wollen Sie damit etwa ausdrücken, daß Sie keine andere Möglichkeit der Gestaltung in einem Staatsvertrag gesehen haben, um gerade solche sozialen Einrichtungen zu sichern?
Ich versuche ja gerade darzustellen, daß wir andere Vorstellungen haben. Ich sage nur: Vor dem Hintergrund der geschaffenen Fakten und vor dem Hintergrund dessen, was sich nicht etwa ab dem 2. Juli, sondern seit November abspielt, wird die Situation ohne einen Staatsvertrag nicht etwa verbessert, sondern verschlechtert. Ich möchte andere Inhalte. Ich habe aber nicht die Möglichkeit, aus der Opposition heraus diese anderen Inhalte in allen Punkten durchzusetzen. Darum müssen wir weitermachen. Über dieses Weitermachen würde ich gerne noch ein bißchen reden.
({0})
Auch der Abgeordnete Stratmann möchte eine Zwischenfrage stellen.
Ich möchte jetzt aber weitermachen. Vielleicht, wenn es paßt!
Aber gerade dieses Ja verpflichtet uns zum Handeln. Unser konkretes Handeln in der Gegenwart muß dazu beitragen, daß nicht in der Erinnerung der Menschen in der DDR und vor allen Dingen der Frauen die schwierigen und belastenden Lebensumstände, die
Frau Schmidt ({0})
sie mitzumachen hatten, durch unsere Schuld auf gefährliche Art und Weise verklärt werden.
({1})
Ich sage „verklärt" ; denn wirkliche Emanzipation konnte auch in meinen Augen in der DDR nicht erreicht werden. Es war eine von oben verordnete, nicht eine von den Frauen erkämpfte und nicht an ihren Bedürfnissen orientierte Emanzipation. Sie haben die Hälfte der Berufsarbeit und drei Viertel der Familienarbeit geleistet. Dies nenne ich nicht Emanzipation, sondern Überforderung.
({2})
Die traditionelle Rollenverteilung blieb in der DDR noch ein bißchen mehr als bei uns erhalten, genauso wie der geringe Anteil von Frauen in oberen Führungspositionen.
({3})
Beigetragen haben dazu Gesetze, die ausschließlich Frauen Sozialleistungen im Zusammenhang mit Kinderbetreuung zugestanden und Betriebe mit den Kosten belastet haben. Das muß geändert werden.
Aber es wäre eine folgenschwere Selbsttäuschung,. wenn wir das, was in der DDR in der Anlage richtig war, vom Tisch wischen würden. Es wäre falsch, aus der bisherigen Überforderung von Frauen die Konsequenz des „Zurück an den Herd" zu ziehen.
({4})
Es war und ist eben richtig, daß nahezu alle Frauen die Chance hatten, erwerbstätig zu sein und ihre Kinder versorgt zu wissen. Es ist genauso richtig, daß für über 90 To aller mehr als dreijährigen Kinder Kindertagesstätten zur Verfügung stehen.
Wir müssen genau hinschauen - das habe ich in dieser Diskussion über den ersten Staatsvertrag vermißt - , was die Menschen bei uns und in der DDR wollen, was änderungsbedürftig bei uns und in der DDR ist, was erhaltenswert bei uns und in der DDR ist. Wer auf diesen präzisen Blick verzichtet, arbeitet denen in die Hand, die sich als Märtyrer gerieren wollen und doch in der Wirklichkeit die Erben der Verursacher dieses Zusammenbruchs sind.
({5}) Was ist also zu tun?
Erstens. Wir müssen den Kolleginnen und Kollegen in der Volkskammer auch über dieses Jahr hinaus helfen, den Fortbestand all der Einrichtungen und gesetzlichen Bestimmungen zu erhalten, die die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf für Mütter und Väter sichern.
({6})
Dabei dürfen Betriebe und soziale Sicherungssysteme nicht belastet werden.
Zweitens. Qualifizierungsprogramme müssen so angelegt werden, daß Frauen in dem Umfang daran teilnehmen können, der ihrem Anteil an den Beschäftigten entspricht.
({7})
Drittens. Unzulässige Kündigungen müssen zurückgenommen werden. Deshalb muß das von uns auf die DDR übertragene Kündigungsschutzgesetz in diesem Punkt modifiziert werden.
({8})
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, es wäre doch volkswirtschaftlicher Unsinn, bestehende Einrichtungen kaputtgehen zu lassen, um sie dann in Jahren wieder mühevoll aufzubauen.
({9})
Es wäre doch politischer Unsinn, gesetzliche Regelungen, die alle Frauen in allen Fraktionen des Bundestages seit langem fordern, wie z. B. längere Freistellungsansprüche, wenn Kinder erkranken, entfallen zu lassen, um dann wieder jahrelang darum zu kämpfen.
Aber es ist natürlich der Verkäuferin in Hannover oder der Sekretärin in München nicht zu erklären, warum sie mit ihren Steuergroschen die Kindergartenplätze der Chemiefacharbeiterin in Halle oder der Textilingenieurin in Rostock finanzieren soll, selbst aber keinen solchen Platz für ihre Kinder hat.
({10})
Deshalb muß deutlich werden: Wir brauchen nicht nur die Sicherstellung von Kindertagesstätten in der DDR, sondern endlich auch einen Rechtsanspruch auf Kindergartenplätze hier bei uns;
({11})
wir brauchen bessere Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Kindern und Beruf, vor allem für Alleinerziehende, nicht nur in der DDR, sondern auch bei uns; wir brauchen höhere Anteile für Frauen bei Qualifizierungsprogrammen, nicht nur in der DDR, sondern bessere Wiedereinstiegsmöglichkeiten auch bei uns.
({12})
Das kostet Geld; das wissen wir. Deshalb darf es nicht bei Schönheitsoperationen im Verteidigungshaushalt bleiben,
({13})
sondern es bedarf endlich radikaler Schnitte. Die angekündigte Verkürzung der Wehrpflicht ist dazu ein erster Schritt in die richtige Richtung. Sie entspricht Forderungen, die die SPD schon länger erhoben und zuletzt hier im Mai eingebracht hat. Dieser Schritt war überfällig. Leider mußte der Verteidigungsminister auch hier wieder gedrängt und geschoben werden.
In diesem Zusammenhang muß auch über die Dauer des Zivildienstes geredet werden. Wir fordern die gleiche Dauer für beide Dienste, und zwar unter Berücksichtigung der tatsächlichen Dauer von Wehrübungen.
({14})
Auch hier können die neuen Regelungen in der DDR Vorbild sein.
Frau Schmidt ({15})
Dazu noch eine kurze Anmerkung von mir als süddeutscher Abgeordneter: Warum ausgerechnet in einer Woche, in der wir auch über Aussöhnung und Abrüstung reden, wieder eines dieser irrwitzigen, überflüssigen, kostenträchtigen Tiefflugmanöver in Süddeutschland stattfindet
({16})
und warum so etwas nicht jetzt und für alle Zeiten abgesagt und abgeschafft wird, das muß mir erst noch erklärt werden.
({17})
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, wir werden in den zweiten Staatsvertrag, den Vertrag zur deutschen Einigung, unsere Vorstellungen dazu, wie Gleichstellung in einem vereinigten, demokratischen Deutschland zu bewerkstelligen ist, einbringen. Wir werden klarmachen, welche Ansprüche Frauen an eine neue gesamtdeutsche Verfassung auf der Basis unseres Grundgesetzes stellen. Wir wollen, daß die Lücke zwischen dem Verfassungsgebot der Gleichberechtigung und der Lebenswirklichkeit in beiden deutschen Staaten endlich geschlossen wird.
Deshalb brauchen wir die Verpflichtung des Staates für eine verbindliche Frauenförderung. Wir wollen werdendes Leben durch staatliche Hilfen mit Rechtsansprüchen, Beratungsangeboten und besserer Aufklärung und nicht mit dem Strafgesetzbuch schützen.
({18})
Wir werden die Chance des Einigungsprozesses nutzen, und wir wissen uns mit den meisten Frauen und Männern in Deutschland-Ost und -West einig in diesem Bestreben.
Wir wissen, daß werdendes Leben nicht gegen den Willen der Frau und nicht mit Memminger Prozessen geschützt werden kann; wir wissen, daß eine geringe Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen gerade dort, in europäischen Nachbarländern erreicht wird, wo Beratung, Aufklärung und wirkliche Hilfen mit einer liberalen Gesetzgebung Hand in Hand gehen.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden dafür kämpfen, daß das vereinigte Deutschland nicht vor allem ein Synonym für D-Mark und wirtschaftliche Kraft sein wird, sondern die Verwirklichung der Idee von Solidarität und sozialer Gerechtigkeit, von wirklichem Frieden und der Solidarität der Völker, wie sie Willy Brandt heute hier angesprochen hat, von Demokratie nicht nur als Staatsform, sondern als Lebensform in allen gesellschaftlichen Bereichen, und die Verwirklichung der Idee von Gleichheit und Geschwisterlichkeit der Menschen unterschiedlicher Nationalität und vor allem der Gleichheit von Männern und Frauen. Wir haben dafür eine einmalige Chance. Nutzen wir sie!
({19})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Unruh.
Herr Präsident! Verehrte Volksvertreter und Volksvertreterinnen! Es war eine wunderschöne, eine fast pastorale Rede, Frau Kollegin Schmidt. Die SPD besteht seit 100 Jahren.
({0})
- Noch länger! Dann ist es für die SPD ja noch dramatischer, daß hier über Frauenfragen, über Frauenfragen, über Frauenfragen und noch mal über Frauenfragen geredet wird und daß man jetzt die DDR vorschiebt, damit hier auch was für die Frauenfragen gemacht werden kann. Da muß ich mal wieder die GRÜNEN loben. Die haben die Frauenquote eingeführt
({1})
und sind dafür verteufelt worden. Die Parteifrauen, die Fraktionsfrauen haben nachgezogen. Aber den großen Staatsvertrag machen die Männer.
Ja, gute Nacht Marie! Warum haben sich die engagierten Frauen aus diesen Fraktionen denn nicht zusammengeschlossen und nicht zumindest eine Abordnung von Frauen durchgekriegt?
Mir als 65jähriger tut es so weh, wenn ich höre, wie machtlos sich Spitzenfrauen auch hier am Mikrofon darstellen, anstatt die Öffentlichkeit aufzufordern: Keine Partei darf mehr gewählt werden, die nicht 50 % Frauen aufstellt. Das wäre doch eine Forderung.
({2})
- Nein, das schreien wir heraus; denn freiwillig gebt ihr Männer doch nicht einen Platz ab.
({3})
Deshalb habe ich mich als 65jährige noch in das Unglück gestürzt und habe eine Partei mitgegründet.
({4})
- Natürlich, für mich als 65jährige, die genug Geld hat, um anders leben zu können, ganz bestimmt.
Ich bin aber nicht eine von denen, die nur immer von der Kanzel herunter redet, sondern eine, die wie eine Marktfrau nach draußen geht und die Menschen auffordert, ihrer Wahlpflicht zu genügen. 25 bis 30 % unserer Wahlbürger sind nämlich nicht zur Wahl gegangen. Das sollte uns doch alle tief berühren. In der Partei, die ich mitgegründet habe, ist es jedenfalls selbstverständlich, daß es Pflicht ist, daß 50 % Frauen hineingehören.
({5})
- Nicht 100 %, das hättest du wohl gerne? Dann wüßtest du nicht mehr, was du mit deiner Verantwortung tun solltest. Wir lassen euch Männer nicht aus der Verantwortung; wir Frauen wollen aber mit in die Verantwortung.
50 % Frauen ist Pflicht; 50 % Graue Panther ist Pflicht. Das ist doch wohl logo. Gerade wir Alten haben doch in der Bundesrepublik Deutschland seit
15 Jahren gezeigt, wie man etwas auch gegen Ihren Willen in Bewegung bringen kann, wo man aufleuchten lassen kann, was Sie sich für Privilegien verschafft haben.
({6})
- Ist das Berufsbeamtentum kein Privileg? Jetzt wird es immer spannender.
({7})
- Um Gottes Willen, es wäre vertane Zeit, Herr Möllemann; bitte nicht!
({8})
Frau Abgeordnete Unruh, der Abgeordnete Möllemann möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.
({0})
Ich rechne Ihnen das nicht an; Sie können ganz beruhigt sein.
Er ist ein schöner Mann, aber mehr auch nicht.
({0})
Ich opfere lieber eine Minute Redezeit. Ich kann auch mal eben mit dem Fallschirm herunterspringen, aber was kommt denn unten dabei heraus? Nee, nee. Dann müßten wir für unsere Kinder und Kindeskinder eine andere Bildungspolitik haben.
({1})
Unsere Kinder und Enkel hängen immer noch zwischen Einsen und Sechsen. Aber darum geht es nicht. Wir Omas leiden darunter - das ist selbstverständlich -, die ganze Familie leidet darunter. Wir haben ein Berufsbeamtenheer von Lehrern, aber wir müssen Nachhilfestunden geben. Da kann etwas nicht stimmen.
({2})
Familien sind also Ersatz für Lehrer. Das ist aber eine Ebene ohne Ideologie, die in unserer Partei, die natürlich eine ganz wunderbare neue Partei ist und eine Volkspartei im Generationenbund werden könnte, vorhanden.
({3})
- Es ist doch selbstverständlich, daß wir den Staatsvertrag mittragen.
({4}) Wir haben nämlich aus der Geschichte gelernt.
({5})
- Nun laß das mal!
Wenn man Menschen irgendwohin treibt, wenn sie Honig gerochen oder geleckt haben, dann aber im Stich gelassen werden, sind die Treiber erst einmal glücklich, daß sie es erreicht haben. Die aber, die den Wohlstand wollen, die wollen das wirklich und haben
noch gar nicht entdeckt, welche furchtbaren Folgen Wohlstand auch haben kann. Diese Folgen des Wohlstands aber können wir - davon bin ich überzeugt - in einem gesamtdeutschen Parlament anders regeln. Wir wollen, daß es sofort ein gesamtdeutsches Parlament gibt, damit sich auch unsere ehemaligen DDR- Freunde - „Brüder und Schwestern" hört sich ja prima an; das waren doch die Stasi-Leute auch, oder wie war das? - beteiligen können.
Wenn ich nun auch das noch alles hören muß: Wie war es denn nach dem zweiten Weltkrieg? Wo sind denn unsere Nazi-Richter alle geblieben, meine Herren? Wo sind sie denn? Wo sind sie denn bestraft worden?
({6})
Jetzt kommen dieselben Typen und machen hier einen Donnermann oder was weiß ich.
Ich bin dafür, daß aufgeklärt wird: Was hast du für ein Leben, ein politisches Leben gehabt? Aber diese Hetze, daß Menschen zum Freiwild gemacht werden, das ist nicht Rechtens. Das will auch der Herr Jesu nicht, ihr lieben C-Parteien! Was will Herr de Maizière? Der will genau das „C" glorifizieren! Oh Gott, oh Gott!
Dann ist mir schon lieber, wir glorifizieren so etwas von der Brandtschen Idee. Willy Brandt war ja einmal schuld daran, daß ich in die SPD gegangen bin. Aber ihr habt ihn ja auch nicht ganz anständig behandelt.
({7}) - Nun laß mal!
Aus dieser SPD, aus dieser Sozialdemokratie hätte ein großes Vorbild werden können. Nur, was habt ihr mit uns Alten gemacht? Jetzt tut ihr so für die Mindestrente. Hätten wir doch längst haben können! Warum haben wir sie bis heute nicht? Jetzt wollen die Sozialdemokraten für eine Mindestrente in den Wahlkampf gehen. Hört sich ja spitze an! Wo haben denn die Sozialdemokraten hellwach für eine Gruppe alter Menschen, die man „Trümmerfrauen" nennt, gekämpft?
Nun sagte Frau Schmidt vorhin etwas von Trümmerfrauen, weil da irgendwelche Kindergärten und so etwas alles zum Opfer fallen sollen.
({8})
Warum haben wir sie denn hier in der Bundesrepublik Deutschland nicht längst? 13 Jahre waren doch die Sozialdemokraten an der Regierung! Jetzt tun Sie doch nicht so, als wären Sie immer nur Opposition gewesen!
Wie ist das denn hier mit den C-Parteien? Wo sind denn die Kindergärten? Wo ist denn die Tagesschule?
({9})
Also kommt! Macht zusammen mal einen Strich darunter und fangt ein neues - wie heißt es? - Gesamtdeutschland irgendwie einmal an!
An und für sich war ich sehr glücklich, als ich vorhin hörte, daß von 385 Abgeordneten in der Volkskammer 302 ja gesagt haben. Ich nehme die Abgeordneten der Volkskammer ernst. Das ist nämlich das erste frei gewählte Parlament. Warum ihr nicht von der SPD?
Das hat mir auch sehr weh getan: Ich habe ja Herrn Lafontaine nie irgendwann einmal als Bundeskanzler gesehen. Also: Wir Alten stehen auf den alten Vogel.
({10})
Aber das ist ja wohl vorbei.
Man muß sich den Weg der Sozialdemokratie einmal etwas in die Zukunft gehend angucken. Wir GRAUEN hatten an und für sich vor, mit den Sozialdemokraten eine Koalition oder so etwas zu machen.
({11}) Das ist erst einmal alles ganz weit weg.
Wir haben auf unserem letzten Parteitag einstimmig beschlossen: Wenn das so bleibt mit der Sozialdemokratie, immer so doppeldeutig und vordergründig und hier ja und da nein, bleiben wir „offen". Sie von der CDU/CSU können sich ja einmal ändern! Dann verlieren Sie nicht soviel Wählerstimmen. Sie werden ja auch etwas schlauer.
({12})
Die GRÜNEN - da hoffe ich, sie erholen sich wieder und werden grün-grün.
({13})
Verzeiht, liebe GRÜNE! Wir haben fast euer gesamtes Programm, was Umweltschutz und so etwas angeht, übernommen. Wir sind grün-grün. Allein schon zum Schutz unserer Kinder und Kindeskinder müssen wir das sein.
Da gab es die GRÜNEN noch nicht, da haben wir Alten uns in der Friedensbewegung naß spritzen lassen. Da gab es ja die großen Demonstrationen. Da habe ich Sie von der CDU/CSU nicht gesehen, das stimmt! Sie haben zu Hause gebetet: Lieber Gott, schütze mich vor solchen Ungeheuern.
Auch das ist bei uns ganz klar: Die NATO muß aufgelöst werden. Das ist doch wohl selbstverständlich! Die Sowjetunion gehört doch mit in Ost-West-Europa. Wohin denn sonst?
Da sagt man so nett: Der Warschauer Pakt zerbrökkelt. Warum denn? Doch nicht, weil Herr Kohl das gewollt hat oder Sie meine Herren hier vorn; „Ausputzer" nennt man das, glaube ich.
({14})
- Nein! Die Grauen Panther haben immer mitgekämpft, das z. B., als ein Gorbatschow die UngarnGrenze öffnen ließ.
({15})
- Es tut Ihnen leid, nicht? So junge Leute von der SPD meinen, sie seien so fortschrittlich und könnten die Alten alle einsacken. Das denkt ihr wohl!
Wir Alten haben SPD-Sozialdemokratie erlebt: zweimal die Rente nach unten harmonisiert!
({16})
- Nun laßt das! Dieses Fremdrentengesetz ist doch nicht vom lieben Gott vom Himmel gefallen! Wieviel Milliarden sind aus den Rentenkassen geklaut worden! Und Sie haben diesen Rentendeal mit der CDU mitgemacht.
Deshalb sehen wir GRAUEN eine Chance, daß wir über 5 % kommen. Ich sehe gerne in Ihre jungen strahlenden Gesichter, aber glauben Sie: Nicht alle Alten sind so dumm, wie Sie meinen, die Alten verkaufen zu können.
Aber ein Gorbatschow mit seiner Clique im Rücken hat es letztlich „Freiheit" ermöglicht. Sie selbst haben auch gelesen, daß er eventuell gestürzt werden könnte.
({17})
- Sie nicken so; Sie wissen natürlich Bescheid. ({18})
- Von uns bzw. von der CDU nie; das ist klar. Die CDU sorgt nur mit den Amerikanern so ein bißchen dafür, daß das vielleicht doch klappt. - Die USA muß es ja sein.
Nein, wir GRAUEN meinen, die Sowjetmenschen sollen von unserem Boden verschwinden und die US- Amerikaner bitte genauso. Sie können als Zivilisten bei uns sein.
Wir brauchen für Ost- und Westeuropa - das haben wir daraus geschlossen - eine gesamteuropäische Ost-West-Friedensschutztruppe, die dann auftaucht, wenn irgendwelche Cliquen z. B. wieder meinen, sie müßten irgendwo den Krieg züchten. - So etwas können wir Alten uns in unserem Kopf sehr gut vorstellen.
Am 9. Juli machen wir z. B. eine Aktion, die wir „Trümmerfrauentag" nennen. Das müßte der SPD sehr weh tun. Es hat sich nämlich vor drei Jahren in Berlin ({19}) eine Trümmerfrau aufgehängt, weil sie nur 650 DM Rente hatte. Wenn wir das im Vergleich zur DDR sehen, wo es eine Mindestrente von 495 Mark gab, stellen wir fest, daß das bei uns fast ein Tausender gewesen wäre. Dann hätte sich die Frau nicht aufhängen brauchen.
Es passieren Dinge unter uns, wo ihr im besonderen immer meint - oder die meisten von Ihnen - : Wenn man einen alten Kopf hat, ist man zu nichts mehr nutze. Das werden Sie sich bei der nächsten Bundestagswahl abschminken müssen. Wir kommen mit unseren alten Köpfen, zusammen mit unseren politischen Söhnen, Töchtern und Enkeln und werden uns im Generationenbund auch zur Wahl stellen.
Sie haben die große Chance, bei der zweiten Fertigung des großen Staatsvertrages alles das einfließen zu lassen, was ich jetzt habe anklingen lassen. Dann werden wir auch nicht antreten; dann haben wir das nicht nötig.
Aber Sie können nicht so einseitig weitermachen, z. B. mit einem Lafontaine: Hü! Hott! Hü! Hott! Die Leute draußen, insbesondere in der DDR, wissen gar
nicht mehr, was sie sollen. Sie hängen doch fest. Was sollen sie denn machen? Sie haben natürlich Angst, und Geld bestimmt nun einmal ein Stück das Leben. - Die Diäten werden jetzt auch wieder wahnsinnig erhöht; man muß sich da einmal an den Kopf fassen. Die reiche Bundesrepublik Deutschland hat Altersarmut, hat millionenfache Arbeitslosigkeit, wovon Millionen Menschen in den Familien betroffen sind, und dann wagen wir es, diesen starken Wilhelm in die DDR hinüberzuzaubern! Die Menschen stehen verblüfft da und meinen: Jetzt sind wir reich, jetzt geht es uns gut.
Ich hoffe, wir fangen diese Menschen in einem gesamtdeutschen Parlament mit dem Notgroschen, mit der Nothilfe, die kommen muß, dann auf, damit sie nicht absacken. Da sind im wesentlichen Frauen betroffen, jawohl, Sozialdemokraten, das stimmt wohl. Aber solche Not hätten Sie erst einmal in der Bundesrepublik Deutschland abstellen können.
Meine Damen und Herren, nun hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Klaus Töpfer, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Welche Hypothek trägt man als 52jähriger in diesem Haus?
({0})
Ich werde versuchen, auf den Weg zum Staatsvertrag und zu der historischen Qualität dieser Stunde wieder zurückzufinden.
Mit diesem Staatsvertrag zur Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion wird auch die Umweltunion in Deutschland gleichzeitig, gleichwertig und gleichrangig begründet. Diese Entscheidung für die Umweltunion ist nach unserer ordnungspolitischen Grundüberzeugung unumgänglich, da sie von den dramatischen Umweltbelastungen in der DDR erzwungen wird.
({1})
Unsere ordnungspolitische Überzeugung verpflichtet uns, die Soziale Marktwirtschaft in einen klaren ökologischen Rahmen einzubinden. Die ökologisch verpflichtete Soziale Marktwirtschaft ist deswegen auch Grundlage für den Aufbauprozeß in der DDR. Über 40 Jahre zentralistische Kommandowirtschaft im real existierenden Sozialismus haben gewaltige, unglaubliche Belastungen zurückgelassen, Belastungen in allen Bereichen der Umwelt und der Natur. Flüsse sind zu toten Gewässern geworden; die Luft ist sichtbar, die Luft ist riechbar geworden; die Böden sind vergiftet. Es gibt dort Belastungen, die wir uns hier als Bürger der Bundesrepublik Deutschland gar nicht mehr vorstellen können und die wir nicht nachvollziehen können.
Die Dimensionen dieser Vergiftungen sind den Menschen in der DDR gegenüber vertuscht und verschleiert worden. Umweltinformationen waren StasiAkten und geheime Kommandosachen.
Diese bedenkenlose Mißwirtschaft in der DDR ist auf Kosten der menschlichen Gesundheit gegangen. Die durchschnittliche Lebenserwartung in den Industriezentren der DDR, meine Damen und Herren, liegt zum Teil zwischen fünf und acht Jahren niedriger als im Durchschnitt. Wir dürfen uns deswegen an mancher Stelle nicht wundern, daß wir auch Umweltflüchtlinge gehabt haben und noch haben, die sich diesen dramatischen Belastungen in ihrer Heimat nur durch die Flucht entziehen konnten und die auch nur so ihre Kinder entsprechend schützen konnten.
Die eindrucksvolle Bestätigung dieser umfassenden Gefährdung der Lebensgrundlagen in der DDR ist wohl darin zu sehen, daß der friedliche Protest, daß diese großartige Revolution gegen den gnadenlosen menschen- und umweltverachtenden Unrechtstaat der SED gerade auch in vielen ökologisch ausgerichteten Basisgruppen im kirchlichen Raum der DDR ihren Ausdruck gesucht hat. Ich glaube, wir sollten daran denken, daß es gerade auch ökologische und kirchliche Bewegungen waren, die diese Revolution in der DDR ermöglicht haben.
({2})
Die Gefährdung der Schöpfung, die Rücksichtslosigkeit im Umgang mit menschlicher Gesundheit und die Bedrohung der Vielfalt in der Natur waren für die Menschen in der DDR ein konkreter Beleg für die unverantwortliche Politik der Unfreiheit und der Rechtlosigkeit.
So gebietet es uns - so glaube ich - der hohe Respekt vor den Menschen, die diese beispiellose friedliche Revolution in der DDR getragen haben, daß wir der gewaltigen Herausforderung einer ökologischen Erneuerung den gleichen Stellenwert wie der Überwindung des ökonomischen Rückstandes beimessen. Dies ist ein Stück des Respektes diesen Menschen gegenüber.
({3})
Wirtschaftsunion und Umweltunion werden aus Verantwortung für die Menschen gleichrangig verwirklicht. Die gleichrangige und gleichzeitige Verwirklichung der Umweltunion in Deutschland muß auch als Beweis für die Überwindbarkeit der ökologischen Spaltung in Europa verstanden und bewältigt werden. Mehr und mehr ist die ideologische Teilung Europas überwunden. Die Faszination von Freiheit, von Demokratie und Achtung der Menschenrechte hat sich gegen den totalitären Staat der Unfreiheit und des Unrechts durchgesetzt. Damit können sich Schwerpunkte politischen Handelns weiterentwikkeln.
Diese Veränderung der Schwerpunkte unserer Politik ist durch die ökologische Spaltung in Europa und durch die ökologische Herausforderung zwischen Nord und Süd auf diesem blauen Planeten Erde zu einer Überlebensfrage geworden. Umweltunion in Deutschland muß und wird daher den Beweis erbringen, daß wirtschaftliche Stabilität ohne Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen möglich ist und daß eine Entkoppelung von wirtschaftlichem Wachstum einerseits und Umweltbelastungen, Energiever17236
brauch und Ressourcenverzehr andererseits möglich ist.
({4})
Deswegen wollen und können wir trotz der gewaltigen Herausforderungen einer vorsorgenden, vor allen Dingen auch einer sanierenden Umweltpolitik in der heutigen DDR eben nicht Abschied nehmen von unserer Mitarbeit beim Abbau der Umwelthypotheken in anderen Staaten Mittel- und Osteuropas. Ich habe diese meine Überzeugung, die Überzeugung der Bundesregierung in die erste Konferenz, die wir mit den Kollegen aus Mittel- und Osteuropa vor wenigen Tagen in Dublin gehabt haben, eingebracht. Wir wollen uns nicht mit Blick auf die gewaltigen Herausforderungen in der DDR aus der Verantwortung für die gesamte Sanierungsaufgabe in Europa zurückziehen.
({5})
Wir wollen dies auch nicht mit Blick auf die Verpflichtungen tun, meine Damen und Herren, denen wir uns weltweit gegenübersehen. Auch hier werden wir unsere Aktivität ganz sicher nicht einschränken, sondern wir werden sie ausbauen.
Lassen Sie mich ein Weiteres dazu sagen. Wir mißbrauchen die Verpflichtung zur Umweltunion in Deutschland nicht für eine Beschönigung der auch bei uns noch bestehenden umweltpolitischen Aufgaben. Wir sehen darin kein Argument für ein umweltpolitisches Moratorium oder für eine umweltpolitische Atempause in der Bundesrepublik Deutschland.
({6})
Wir haben vieles erreicht, und wir können bedeutsam darauf hinweisen, daß andere diesem Vorbild nacheifern. Aber wir werden diesen Vorsprung auch weiter ausbauen und nicht den Fehler machen, jetzt mit Blick auf die ungleich schwierigeren Situationen anderer unsere Arbeit einzuschränken.
Wir brauchen die europäische, die weltweite ökologische Sicherheitspartnerschaft, weil Rücksichtslosigkeit gegenüber der Natur die Lebensgrundlagen nicht national oder regional, sondern zunehmend global in Frage stellt. Diese Herausforderung sollte nicht untergehen oder durch kleinliche parteipolitische Vorteilsdebatten zerredet werden.
So habe ich an dieser Stelle für die Mitarbeit auch der Bundesländer zu danken. Ich habe auch für die Diskussion im Umweltausschuß des Deutschen Bundestages zu danken. Ich werde mich auch in Zukunft jeder konstruktiven Kritik gern stellen, weil es der Sache nutzt. Wir werden in der Umweltunion ebenfalls noch außerordentlich viele zusätzliche Aufgaben vor uns haben, so daß wir es uns eigentlich nicht leisten sollten, uns nur der parteipolitischen Stellenvorteile wegen hier auseinanderzudiskutieren.
({7})
Hier wäre es wirklich notwendig, ein Stück weiterzukommen.
Aber genauso nachhaltig weise ich auch jede Unterstellung und jede falsche Ergänzungseuphorie zurück.
Umweltunion in Deutschland, meine Damen und Herren, baut auf zwei Säulen auf. In erster Linie ist sicherzustellen, daß durch die Entscheidungen von heute nicht neue Umweltbelastungen der Zukunft begründet, sondern die vorhandenen Belastungen vermindert werden. Im Staatsvertrag und damit untrennbar verbunden im gemeinsam erarbeiteten Umweltrahmengesetz der DDR wird deshalb sichergestellt, daß die neuen Investitionen in der DDR nach gleichen Kriterien und Umweltanforderungen genehmigt werden wie bei uns.
({8})
Ich wiederhole: nach gleichen Kriterien wie bei uns!
Es wäre hervorragend, wenn wir eine solche rechtliche Regelung eben nicht nur in der Umweltunion in Deutschland, sondern auch schon in einer Umweltunion in Europa bekämen. Aber leider ist dies noch nicht erreichbar.
Es gibt eben mit diesem Staatsvertrag nicht mehr das Umweltbilligland DDR, es gibt nicht mehr das Umweltdumping, das damit zum Ende gebracht wird, und es gibt nicht mehr die DDR als Land mit zweitrangigen Sicherheitsstandards - besonders bei der Nutzung der Kernenergie.
Das Atomgesetz gilt mit Verabschiedung dieses Staatsvertrags ohne Wenn und Aber - mit der Ausnahme, daß wir den § 18, Entschädigungszahlungen, wohl zu Recht nicht mit in diesen Vertrag aufgenommen haben. Damit gilt auch, daß die in der Bundesrepublik Deutschland weltweit beispielhaft entwickelten Sicherheitsstandards beim Betrieb von Kernkraftwerken
({9})
ohne jeden Rabatt und ohne jede zeitliche Übergangsregelung gelten.
({10})
- Ohne jeden Rabatt und ohne jede zeitliche Übergangsregelung! Ich unterstreiche dies dreimal,
({11})
weil es offenbar not tut, dies zu unterstreichen, damit es dann auch wirklich von jedem verstanden wird.
({12})
- Herr Abgeordneter Schäfer, ich habe mich wirklich einmal bemüht, mich in dieser Stunde, die für die Geschichte Deutschlands bedeutsam ist, nicht mit Kleinigkeiten auseinanderzusetzen. Ich glaube nicht, daß wir durch solche Zwischenrufe dem Ernst der Stunde gerecht werden könnten. Aber ich kann mich auch ändern, wenn es denn sein soll.
({13})
Meine Damen und Herren, gemeinsam mit dem Kollegen Steinberg habe ich diese Überzeugung der gleichen Sicherheitsstandards bereits in die Tat umgesetzt. Als Ergebnis einer klaren Sicherheitsanalyse der gemeinsamen Expertenkommission ist bereits im
Februar entschieden worden - ich wiederhole: im Februar - , daß zwei der vier Kernkraftwerksblöcke in Greifswald stillgelegt werden. Wir haben auf der Basis der weitergeführten Sicherheitsanalyse am 1. Juni gemeinsam entschieden, daß auch die beiden anderen Blöcke, also die Kernenergie insgesamt in der DDR, vom Netz gehen, in einem geordneten Abfahrprozeß auch der letzte der jetzt noch am Netz befindliche Kernkraftblock. Daß er nicht schon vom Netz ist, hat mit Sicherheit und nicht mit Wirtschaftlichkeit zu tun. Dies ist der Zusammenhang.
Die im Bau befindlichen Kernkraftwerke in der DDR können nach Verabschiedung dieses Staatsvertrags überhaupt nur ans Netz gehen, wenn sie die Voraussetzungen des § 7 des Atomgesetzes erfüllen, also unsere Genehmigungssperren überspringen können.
Ich frage einmal wirklich bei denen zurück, die sich, etwa im Saarland, über Vereinheitlichung von Sicherheitsstandards in Europa Gedanken machen, wie man es verantworten kann, diesen Staatsvertrag nicht so schnell wie möglich zu verabschieden, damit gleiche Sicherheitsstandards wirklich überall gelten.
({14})
Das ist ein zentraler Fortschritt. Wollen wir wirklich, daß die Blöcke 5 bis 8 in Greifswald nach anderen Genehmigungsverfahren ans Netz gehen als nach unseren?
({15})
Ich warte wirklich auf die Bewertungen, die da drin sind.
Gleiche Anforderungen an Neuinvestitionen, das ist die Säule der Umweltunion. Die zweite Säule ist die planmäßige, an den Prioritäten der menschlichen Gesundheit und der Belastung der Umwelt ausgerichtete Sanierung der dramatischen Altlasten. Auch dafür sind klare Entscheidungen getroffen worden.
Bis zum 15. November 1990 wird in gemeinsamer Arbeit ein ökologischer Sanierungs- und Entwicklungsplan vorgelegt. Vorrang wird dabei den absoluten Krisengebieten um Espenhain und Bitterfeld, im oberen Elbtal um Pirna, in den Schwermetallregionen Eisleben/Mansfeld und in den Räumen Halle und Leipzig beigemessen.
Besondere Belastungen für die menschliche Gesundheit sind bereits abgebaut oder werden zügig in Angriff genommen. Die Regierung der DDR hat eine Kommission u. a. für Bitterfeld eingesetzt. Dort sind Betriebsteile wegen der dramatischen Umweltauswirkungen bereits stillgelegt worden. Mit Hilfe der Pilotprojekte, die wir aus Mitteln meines Ministeriums finanzieren, wird diese ökologische Soforthilfe fortgeführt.
({16})
Ein besonders wichtiges Beispiel ist der Bau der Ersatzwärmeversorgung für Greifswald, damit diese Region von dem Betrieb der Kernkraftwerke kurzfristig unabhängig wird. Ich habe dem Haushaltsausschuß sehr nachhaltig dafür zu danken, daß er vor wenigen Tagen noch weitere 21 derartige Projekte
bewilligt hat, so daß wir ganz konkret ökologische Soforthilfe in der DDR leisten können.
({17})
Meine Damen und Herren, der Sanierungsprozeß erfolgt auf der Grundlage unserer Rechtsvorschriften. Ab 1. Juli gilt die TA Luft ebenso wie die Großfeuerungsanlagen-Verordnung. Die Fristen gelten wie bei uns, mit der Verlängerung um ein Jahr. Das ist wirklich eine zeitliche Herausforderung, die sich nur mit allen erdenklichen Mitteln umsetzen läßt. Deswegen brauchen wir die Mithilfe aller. Wir brauchen die Mithilfe von Naturschutz- und Umweltverbänden, damit die Chancen der Erhaltung von Natur etwa in einem „grünen Band" durch Deutschland, entlang der ehemaligen Todesgrenze, genutzt werden.
({18})
Wir brauchen die Mitwirkung der Wirtschaft, der Ingenieure und Techniker, damit über moderne neue Industrieanlagen die Umwelt entlastet und wirtschaftlicher Aufschwung ermöglicht wird.
Wir brauchen unbürokratische Entscheidungen, etwa bei der breiten privaten Aufgabenerfüllung beim Bau von Kläranlagen. Ich sehe nicht ein, daß wir in der DDR denselben Weg gehen müssen wie bei uns, wo jede Kläranlage nur nach einem bürokratischen Genehmigungsakt gebaut werden kann.
({19})
Private Aktivitäten hier miteinzubinden ist eine gute Sache.
Wir nutzen die Umweltverträglichkeitsprüfung beim Ausbau der Infrastruktur insgesamt, aber auch bei der Überprüfung von Produkten und Prozessen.
({20})
Wir begrüßen, daß die DDR ihr Sero-Konzept weiterentwickelt, daß man 120 Millionen Mark dafür verfügbar gemacht hat.
Wir werden durch die Verabschiedung unserer Verordnung über die Rücknahme und Pfanderhebung und über den Aufbau eines dualen Abfallsystems dies auch für uns mit wirksam werden lassen.
Meine Damen und Herren, die Trennung Europas ist überwunden. Die Trennung ist jetzt eine ökologische geworden. Wir brauchen die ökologische Sicherheitspartnerschaft, die das aufgreift, was jetzt an Entlastungen in der Auseinandersetzung zwischen Menschen frei wird. Ich glaube, daß wir aufrüsten müssen im Kampf gegen die Umweltzerstörungen in den Ländern Mittel- und Osteuropas, insbesondere in einer deutschen Umweltunion.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
({21})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
Schäfer ({0})
und Kollegen! Die Diskussion um die Umweltpolitik bei der Einführung einer marktwirtschaftlichen Ordnung in der DDR hat das Anliegen des Umweltschutzes gestärkt. Ohne diese Debatte, ohne diese zum Teil hitzige Debatte, wäre der Umweltschutz im Staatsvertrag das geblieben, was er zu Beginn der Vereinigungsdiskussion war: allenfalls das fünfte Rad am Wagen.
In der Vorstellung der Bundesregierung zum Prozeß der Vereinigung stand die schnelle Einführung der D- Mark eindeutig im Vordergrund. Fordernde und mahnende Hinweise auf die ökologischen Probleme waren der Regierung lästig in ihrem Wahlkampf, der ganz auf das verführerische Versprechen eines schnellen materiellen Wohlstands abgestellt war. Ökonomie hat Vorrang vor Ökologie - das war auch die Devise des ersten Regierungsentwurfs zum Staatsvertrag. Der Begriff Umweltunion kam darin nicht vor. Für uns Sozialdemokraten galt hingegen von Anfang an: Der ökologische Umbau und die ökologische Sanierung der DDR sind eine Grundvoraussetzung, um umwelt- und gesundheitsverträgliche Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen und zu erhalten.
Die ökologischen Vorbelastungen, meine Damen und Herren, ja, die ökologischen Verwüstungen in der DDR lassen keine weiteren Umweltbelastungen zu. Deshalb - das war unsere Forderung von Anfang an - müssen bei allen Investitionen in der DDR mindestens die gleichen Umweltschutzanforderungen gelten wie in der Bundesrepublik bzw. in der Europäischen Gemeinschaft. Das war und ist der Maßstab, den wir Sozialdemokraten an den Staatsvertrag und das ihn begleitende Umweltrechtsrahmengesetz der DDR angelegt haben.
({1})
Im Verlauf der Beratungen und Verhandlungen hat die Bundesregierung unsere Forderungen nach gleichzeitiger, gleichrangiger und gleichwertiger Verwirklichung der Umweltunion mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion anerkannt und wichtige Vorschläge von uns übernommen. Es stünde der Bundesregierung an diesem, wie wir finden, historischen Tag gut an, wenn sie wenigstens zugäbe, daß unsere Vorschläge den Prozeß des Nachdenkens und Verbesserns gefördert haben.
({2})
Die Arroganz, mit der Herr Seiters erklärt hat, die Regierung habe den Sozialdemokraten lediglich die vorliegenden Texte erläutert,
({3})
zeugt von kleinkarierter Rechthaberei und von wenig innerer Souveränität, meine Damen und Herren.
({4})
Wenn die Regierungskoalition die Umweltunion von
Anfang an gewollt hätte, wie sie heute behauptet,
warum kam dann dieser Begriff im ersten Staatsvertragsentwurf nicht vor?
({5})
- Ich will das doch gar nicht weiter vertiefen. Aber der Wahrheit soll auch in diesem Falle die Ehre gebühren.
({6})
Auch wenn nicht alle unsere Forderungen zum Umweltschutz durchgesetzt werden konnten, so ist doch ein erster wichtiger Schritt nach vorn getan. Heute steht fest, daß die Umweltunion zeitgleich, gleichrangig und gleichwertig mit den anderen Unionen in Kraft gesetzt wird und daß das im Verlauf der Beratungen erheblich erweiterte und nachgebesserte Umweltrechtsrahmengesetz der DDR zum 1. Juli in Kraft tritt. Ich möchte für meine Fraktion die Gelegenheit nutzen, den Beamten und Angestellten Ihres Hauses, Herr Minister Töpfer, den Mitarbeitern der Umweltminister der Länder, soweit sie beteiligt waren, aber auch den Beamten der DDR für das zu danken, was sie an Arbeit bei der Erstellung des Umweltrechtsrahmengesetzes in kurzer Zeit geleistet haben.
({7})
Dafür wollen wir Sozialdemokraten ein Dankeschön sagen.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten haben seit langem die Stillegung des maroden Kernkraftwerks in Greifswald gefordert. Wir sind erleichtert, daß diese unsere Forderung endlich erfüllt worden ist. Ich füge hinzu, Herr Töpfer: Wir gehen davon aus, daß Greifswald endgültig stillgelegt ist.
({8})
Wir werden darauf achten und darüber wachen, daß Sie hier keine Hintertüren öffnen, damit etwa nach ein paar notdürftigen Reparaturen diese Reaktoren wieder laufen können, wie sich dies, wenn man Presseverlautbarungen glauben darf, Herr Minister Steinberg, von der Regierung der DDR offenbar vorstellt.
Wir werden mit unseren Kolleginnen und Kollegen in der Volkskammer der DDR auch darauf drängen, daß in der Energie-, in der Verkehrs- und Umweltpolitik in der DDR jetzt nicht die gleichen Fehler gemacht werden, unter denen wir heute in der Bundesrepublik leiden.
({9})
Der notwendige Umbau und Neuaufbau der Wirtschaft in der DDR muß von Anfang an auch ein ökologischer Umbau sein.
({10})
Tatsache ist, der ökonomische Erfolg kann sich in der
DDR nur einstellen, wenn die ökologische Sanierung
und der ökologische Umbau von Anfang an Priorität
Schäfer ({11})
Nummer eins auf der politischen Tagesordnung in der DDR haben.
({12})
Nicht unkritische Nachahmung des Modells Bundesrepublik Deutschland ist gefragt, sondern Kreativität für ein neues ökologisches Modell Deutschland. Diese Aufgabe steht noch bevor.
({13})
Die Bundesrepublik Deutschland kann für die DDR in vielem Maßstab sein, auch im Bereich des Umweltrechts, aber auch die Bundesrepublik Deutschland ist ökologisch keineswegs die beste aller denkbaren Welten. Auch wenn bei uns die ökologische Lage im Vergleich zur DDR besser ist, gilt: Ein Wohlstandsmodell, das von der Ausbeutung und Zerstörung der Natur lebt, darf nicht zum Vorbild hochstilisiert werden. Wir brauchen auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland ein neues Verständnis von Wohlstand, ein neues Wohlstandsmodell, das nicht nur auf die Menge der verfügbaren Güter und Dienstleistungen starrt. Auch saubere Flüsse, reine Luft und gesunde Wälder müssen erstrebenswerte Bestandteile des Wohlstands sein, bei uns, in der DDR und darüber hinaus.
({14})
Für die DDR muß von Anfang an ein umweltverträgliches Wirtschaftswachstum durchgesetzt werden, ein Wirtschaftswachstum also, das den Verbrauch an Energie und die Belastung der Umwelt nicht erhöht, sondern vermindert. Das ist nur durch einen umfassenden ökologischen Sanierungsplan mit klaren Zielsetzungen zu erreichen. Es hat mich erschüttert, daß im Verlauf der Gespräche mit der Regierungskoalition unsere Forderungen nach strengeren Umweltnormen mit der Feststellung quittiert worden sind, sie stünden im Widerspruch zu unserer Forderung, die Arbeitslosigkeit in der DDR geringzuhalten. Dies ist die falsche Frontstellung der 70er Jahre. Die Regierungskoalition holt das Gespenst vom Umweltschutz als Jobkiller wieder hervor. Dies ist unverantwortlich.
({15})
Wahr ist: Nur eine ökologisch sanierte und modernisierte DDR-Wirtschaft wird neue, zukunftssichere Arbeitsplätze schaffen. Wer die ökologische Sanierung der DDR auf die lange Bank schiebt, der macht sie auf Dauer zum schmutzigen Hinterhof Deutschlands und zum Industriestandort zweiter Wahl. Wir Sozialdemokraten wollen dies nicht.
({16})
Mit Staatsvertrag und Umweltrahmengesetz wird die Umweltunion als Rechtsgemeinschaft, also auf dem Papier, etabliert. Die eigentlichen umweltpolitischen Aufgaben stehen noch bevor, auch und vor allem in der DDR. Die umweltpolitischen Erfahrungen in der Bundesrepublik zeigen, daß gute Umweltgesetze eine Sache sind und der Vollzug von Umweltschutznormen eine andere.
Wenn der Bundesumweltminister erklärt, die DDR werde bis zum Jahr 2000 das Umweltschutzniveau der
Bundesrepublik erreicht haben, teilen wir gerne diesen Optimismus. Aber, Herr Töpfer, Sie werden uns schon erklären müssen, wie Sie ausschließlich über private Investitionen die gewaltige ökologische Sanierungsaufgabe in nur zehn Jahren erledigen wollen. Ihre mit der DDR vereinbarten Pilotprojekte sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
({17})
Wie wollen Sie in zehn Jahren die ökologischen Problem-, Belastungs- und Gefahrengebiete in Bitterfeld, in Buna, in Leuna, in Espenhain, in Pirna tatsächlich sanieren? Wie wollen Sie in einen Zeitraum von nur zehn Jahren die ökologischen Altlasten sanieren, Kläranlagen bauen, das Schienennetz renovieren und ausbauen ohne ein gezieltes Programm für Arbeit und Umwelt?
({18})
Ihre leichtfertigen Versprechungen werden Sie auch im Umweltbereich schneller einholen, als Sie glauben.
Auch wir in der Bundesrepublik Deutschland haben noch keine ökologische Marktwirtschaft. Auch wir in der Bundesrepublik Deutschland haben den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft noch vor uns. Auch wir in der Bundesrepublik Deutschland dürfen den ökologischen Umbau nicht zurückstellen, dürfen uns keiner ökologischen Veränderungssperre unterwerfen. Im Gegenteil: Wir müssen den ökologischen Umbau bei uns endlich anpacken und durchsetzen. Wir dürfen nicht nur darüber reden, Herr Töpfer. Wir müssen auch handeln und endlich das tun, was jetzt notwendigerweise getan werden muß, wenn wir unserer Verantwortung für die nach uns kommenden Generationen auch in einem geeinten Deutschland gerecht werden wollen.
({19})
Wer so tut, als müßten wir nur unsere Wirtschaftsstrukturen auf die DDR übertragen, verkennt die Tragweite der auch bei uns bestehenden ökologischen Probleme. Langfristig kann die DDR ökologisch an unserem Wesen nicht genesen.
Mit der Vereinigung Deutschlands bewältigen wir ein Stück Nachkriegsgeschichte.
Die Probleme der Zukunft sind nur zu lösen, wenn wir endlich unsere Art des Produzierens und Konsumierens grundlegend ändern. Auch in der Bundesrepublik Deutschland wie in allen Industrienationen müssen Güter und Dienstleistungen künftig so erbracht werden, daß sie mit weniger Rohstoffverbrauch, mit weniger Energieverbrauch und mit weniger Umweltbelastung erzeugt, angeboten und genutzt werden können.
Wir Sozialdemokraten begreifen die deutsche Einheit als Chance für diesen grundlegenden Wandel. Diese Chance darf nicht durch eine blauäugig-naive Gründerzeitmentalität verspielt werden.
({20})
Schäfer ({21})
Aus vielen, vielen Gespräche, vor allem mit Jüngeren, weiß ich, daß für sie die deutsche Einheit weniger wichtig ist als etwa die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa oder die Überwindung der drohenden globalen Umweltzerstörung oder der Kampf gegen Unterdrückung und Elend vor allem in den Entwicklungsländern.
({22})
Diese jungen Menschen - ich begreife das als eine gemeinssame Aufgabe dieses Parlaments - können für das Ziel der deutschen Einheit vielleicht gewonnen werden, wenn das vereinte Deutschland nicht den Fehler begeht, sich auf sich selber zu konzentrieren oder selbstzufriedene Nabelschau zu betreiben. Wir können sie vielmehr, denke ich, dadurch gewinnen, daß wir die Chancen und Möglichkeiten des vereinten Deutschlands für den ökologischen Umbau nutzen. Ein vereintes Deutschland muß einen beispielhaften Beitrag zur Bekämpfung der globalen Umweltgefahren und der zunehmenden Verarmung und Verelendung der Dritten Welt erbringen.
({23}) Dies ist eine der bleibenden Aufgaben.
Die atemberaubende Entwicklung in Mittel- und Osteuropa und der verständliche Wunsch dieser Menschen, unser Wohlstandsniveau zu erreichen, dürfen uns - ich unterstreiche diesen Gedanken - nicht den Blick dafür verstellen, daß unser Wohlstandsmodell weltweit nur um den Preis der ökologischen Zerstörung zu haben ist. Ein Beleg dafür ist: Der Pro-KopfEnergieverbrauch der USA beträgt beispielsweise das Fünffache des Energieverbrauchs des Weltdurchschnitts, das Zehnfache des Energieverbrauchs in Südamerika und das Vierundzwanzigfache des Energieverbrauchs in Afrika.
Es ist deshalb in den Industrienationen auf Dauer nur ein Wachstum akzeptabel und zu verantworten, bei dem Umweltbelastung und Energieverbrauch absolut zurückgehen. Wir haben diese Zeit des Produzierens und Konsumierens auch in der Bundesrepublik Deutschland nicht - ich füge hinzu und hoffe: noch nicht - erreicht. Nur so läßt sich dann verhindern, meine Damen und Herren, daß der ökonomische Fortschritt die Natur, den großen Verlierer unserer Zeit, weiter ramponiert.
Was im Staatsvertrag und im Umweltrechtsrahmengesetz geregelt ist, ist, an der ökologischen Herausforderung gemessen, nur ein Minimalprogramm. Es ist zwar richtig, daß die Übertragung unseres Umweltrechts auf die DDR einen Fortschritt bringt. Aber dieser Fortschritt ist nicht ausreichend. Die Aufgabe des ökologischen Umbaus der Industriegesellschaft liegt noch vor uns.
Das Ifo-Institut hat in einer Studie zum Umweltschutz in der DDR kürzlich zu Recht festgestellt, daß die traditionellen nachgeschalteten Umweltschutzmaßnahmen auch in der DDR den Umweltproblemen vom Ansatz her immer hinterherhinken werden. Der Umweltschutz, so fährt das Ifo-Institut fort, erfordert in der DDR eine neue Strategie, die durch eine tiefgreifende Veränderung technisch-wirtschaftlicher Strukturen abgesichert sein muß.
Wir stimmen dieser Analyse zu. Die Freude, meine Damen und Herren, über Freiheit und Einheit darf diese Überlebensaufgaben des ökologischen Umbaus nicht verdecken und verdrängen. Wir Sozialdemokraten stellen uns dieser Aufgabe.
({24})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vereinigung hat viele Dimensionen. Unsere Gesellschaften werden tiefer und nachhaltiger betroffen, als dies heute erkennbar ist. Eine Dimension spielt heute hier in einer besonderen Runde keine Rolle; das ist die kulturelle, die kulturpolitische, auf die wir im weiteren Verlauf der Debatten während der nächsten Monate noch zurückkommen müssen.
Zur Debatte steht im Moment die Umweltdimension der Vereinigung, die von vornherein, Herr Kollege Schäfer, eine große Rolle gespielt hat. Denn für uns ist - das war schon in den Verhandlungen zwischen Herrn Töpfer und der SED-Regierung erkennbar - Wirtschaftspolitik ohne Umweltpolitik nicht mehr vorstellbar. Man kann sich darüber streiten, wie weit man geht. Wir wissen, daß die verheerende Umweltzerstörung in der DDR eine Folge des Gesellschaftssystems ist, die Folge einer Kommandowirtschaft, die Folge einer nicht vorhandenen öffentlichen Meinung, die Folge einer nicht existierenden Demokratie. Jeder Politiker, der dort die Dinge hätte offen rechtfertigen wollen, wäre hinweggefegt worden.
Der Sturz, die Veränderung des Gesellschaftssystems war die Voraussetzung für eine Veränderung jetzt.
({0})
Die Wirtschafts- und Währungsunion ist ja nicht losgelöst von der Umweltpolitik zu sehen. Sie ist mit der Umweltpolitik zusammen eine Voraussetzung für die Verbesserung der Lebensverhältnisse. Wir können beides nicht voneinander trennen. Eine freie marktwirtschaftliche, an sozialen und ökologischen Zielen orientierte Wirtschaftspolitik ist der eigentliche Schlüssel für die Veränderung in der DDR und in Osteuropa.
({1})
Wer die freie Wirtschaftsordnung nicht bejaht, wer da zögert, der zögert letztlich auch in einer konsequenten Umweltpolitik, die ja nicht möglich ist, wenn keine Mittel vorhanden sind. Die DDR und die anderen osteuropäischen Staaten hatten überhaupt keine Mittel, um irgendwelche nennenswerten Investitionen zu tätigen. Das wird jetzt geschehen.
Wir können aber nicht warten, bis sich die Wirtschaftsunion voll entfaltet. Ich bin entschieden der Meinung, daß die DDR, wenn wir es richtig machen und konsequent zu Ende führen, aufblühen wird. Deswegen haben wir ja ein Sofortprogramm in die Wege geleitet. 1 Milliarde DM unserer Steuermittel gehen in Sofortprojekte in der DDR.
({2})
- Ich weiß nicht, warum Sie darüber lachen, Herr Lennartz. Sie klagen doch sonst immer, daß alles zu teuer ist, daß wir zuviel aufwenden.
({3})
Ich finde es ausgezeichnet, daß hier fertige Projekte in Höhe von 1 Milliarde DM vollzogen werden, um dort umzusteuern.
({4})
Es ist auch richtig, daß ein Sanierungsprogramm folgen wird, daß das noch in diesem Jahr von der DDR beschlossen werden wird.
Wir haben wirklich einen wichtigen Beitrag geleistet. Der Beitrag wird letztlich darin bestehen, daß dort eine marktwirtschaftliche Ordnung entsteht und eine Chance hat.
Mit Art. 16 des Staatsvertrages sowie mit dem darauf fußenden Umweltrahmengesetz sind die Voraussetzungen dafür geschaffen worden, die Lage der Umwelt in der DDR möglichst schnell und in wirksamen Schritten zu verbessern. Die DDR übernimmt im wesentlichen unser Recht. Die Umweltpolitik ist auch für die Liberalen ein gleichwertiges, gleichrangiges Ziel beim Zusammenwachsen Deutschlands.
Für die bestehenden Anlagen gelten Regelungen, die im Umweltrahmengesetz festgelegt worden sind. Staatsvertrag und Umweltrahmengesetz sind miteinander verknüpft. Es darf und es wird in der DDR kein Umweltdumping geben. Es darf auch nicht dazu kommen, daß wir uns hier ausruhen, daß wir hier in unseren Anstrengungen nachlassen. Ich stimme Ihnen, Herr Töpfer, ausdrücklich zu. Das ist die Politik der Regierung, die wir unterstützen.
Im Staatsvertrag ist auch sichergestellt, daß das Atomgesetz der Bundesrepublik Deutschland ohne jede Abstriche in der DDR gilt. Ich freue mich, daß Sie das jetzt anerkennen. Wir haben es Ihnen mehrfach dargelegt und erklärt. § 18 ist die einzige Ausnahme, die gemacht werden muß. Wir werden im Parlament gemeinsam darüber wachen, daß das auch so geschieht. Die Sicherheitsanforderungen, die wir hier für richtig, für notwendig halten, müssen auch in der DDR gelten. Das gilt auch für die noch nicht überprüften Anlagen. Das gilt auch für das Endlager Morsleben und alle Einrichtungen dieser Art.
Eine schwierige Aufgabe bleibt die Lösung der Probleme bei Altanlagen und der Probleme, die sich mit Vorbelastungen der Luft, des Bodens und der Gewässer stellen. Hierzu sind im Umweltrahmengesetz Regelungen vorgesehen, die den Übergang erleichtern sollen. Es ist von besonderer Bedeutung, daß Investoren auf der Basis einer Einzelfallentscheidung von der Kostenbelastung freigestellt werden können; denn sonst sind Investitionen ja vielfach gar nicht möglich. Es ist wichtig, daß die DDR zugesagt hat, daß diese Sanierung aus dem Treuhandvermögen bezahlt werden muß.
Die Ziele, die wir uns gemeinsam mit der DDR gesetzt haben, sind sehr anspruchsvoll. Deshalb habe ich eben protestiert, Herr Schäfer, als Sie sagten, das sei ein Minimalprogramm. Unter den gegebenen Umständen ist das, was in dem Umweltrahmengesetz festgelegt ist - wir werden das noch im einzelnen erfahren - hinsichtlich der Ziele und der Fristen sehr anspruchsvoll. Es wird größte Anstrengungen erfordern, dies auch umzusetzen.
Die DDR hat jetzt auf dem Gebiet des Umweltschutzes die Chance eines Neubeginns. Ich würde mich freuen, wenn sie gerade in dieser neuen Phase auch die Privatinitiative stärker nutzte, etwa bei Anlagen der Abwässerreinigung.
({5})
Hier gibt es eine Initiative meines Fraktionskollegen Grüner. Neue Erkenntnisse können also gleich verwertet werden. Die DDR braucht nicht erst die Fehler zu machen, aus denen wir gelernt haben.
({6})
Umweltschutz muß von vornherein zu einem Grundsatz in allen Politikbereichen werden. Er ist wirklich eine übergreifende Aufgabe. Er muß in die einzelnen Politikbereiche in der DDR integriert werden, die sich ja jetzt entwickeln. Ich nenne beispielsweise die Finanz-, die Verkehrs-, die Agrar- und die Energiepolitik.
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- Wir haben auch noch viel zu tun. Wir wollen hier nicht selbstgerecht sein, aber im Moment sprechen wir über die DDR. Herr Kollege Knabe, wir sprechen darüber, daß es akute, unmittelbare Gesundheitsgefährdungen in der DDR gibt. Denken Sie nur an Wismut, an Bitterfeld und anderes mehr. Denken Sie daran, daß die Leute hochbelastetes Trinkwasser trinken müssen. Denken Sie daran, daß die Luft die Lungen verätzt. Das muß zuerst in Ordnung gebracht werden. Hierauf müssen sich alle Anstrengungen konzentrieren.
Ich meine, im Naturschutz hat die DDR in Verantwortung von Professor Succow bereits deutliche Zeichen gesetzt. Auch wir sind der Meinung, daß im Bereich der alten Demarkationslinie eine ganze Reihe von ökologisch geeigneten Flächen unter Naturschutz gestellt werden sollten.
Ich bin auch der Meinung, daß wir durchaus etwas vom Abfall-Recycling der DDR lernen können. Das DDR-System der Abfallverwertung darf jetzt auf keinen Fall unter die Räder kommen.
Es hat ein Zusammenwirken aller Parteien in Bund und Ländern gegeben. Herr Schäfer, ich bestreite nicht, daß die Gespräche, die wir geführt haben, nützlich waren.
({8})
Ich bestreite gar nicht, daß sich ein Vertrag entwickelt hat. Ich bestreite gar nicht, daß das Umweltrahmengesetz, das für unsere Beamten, die Sie gelobt haben, ja auch Neuland gewesen ist, reifer geworden ist. Es ist jetzt genauso wie der Staatsvertrag entscheidungsreif.
({9})
Aber warum werfen Sie uns vor, wenn wir miteinander Gespräche führen, und erwecken den Eindruck, als hätten wir Ihres Nachhilfeunterrichts bedurft?
({10})
- Nein, das ist doch nicht richtig. Das ist doch wirklich kleinlich, wie Sie gesagt haben. Stimmen Sie jetzt
- Sie werden ja zustimmen - ohne Wenn und Aber zu.
({11})
- Ich möchte es aber gerne. Sie machen sehr viele „Aber" geltend.
Ich möchte noch eine Bemerkung machen. Es schmerzt mich, daß wir in Sachen Staatsziel Umwelt nicht zueinander kommen. Es wäre doch sehr schön, die DDR fände, wenn sie unserer Verfassung beitritt, schon dieses Staatsziel in der Verfassung vor.
({12})
Warum respektieren Sie denn nicht die Verfassungswirklichkeit? Die Verfassungswirklichkeit sieht vor - übrigens auch beim Sozialstaat - , daß die Gesetze die Staatsziele ausformen. Nichts anderes machen wir jetzt. Der Staatsvertrag und das Umweltrahmengesetz sind das beste Beispiel dafür, daß die Gesetze den Rahmen abstecken.
({13})
Es ist natürlich so, daß auch der Gesetzgeber in einem solchen Fall gebunden wird. Geben Sie sich doch einen Ruck und verzichten Sie auf diese parteipolitische Position. Die anderen haben doch auch nachgegeben.
({14})
Ich denke da an den Kollegen Laufs. Er und die CDU/ CSU hatten auch zunächst eine ganz andere Vorstellung. Finden wir doch im Kompromißwege dazu, daß wir jetzt unsere Verfassung in Sachen Umweltschutz etwas stärker machen. Das hätte dann auch für die DDR Geltung.
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- Nein. Wir werden noch eine Debatte führen.
({16})
Sie werden sehen, daß Ihre Verweigerung den Umweltschutz schwächt.
({17})
Er würde mit dem Staatsziel gestärkt. Das ist gar kein Zweifel.
Meine Damen und Herren, auch ich bin der Meinung, daß wir eine große Chance für die Umweltpolitik haben - auf sie ist heute mehrfach hingewiesen worden -, und zwar nicht nur in Europa. Ich wünsche mir, daß durch den Aufbau einer Friedensordnung, durch die Beendigung der Nachkriegszeit die Mittel
zur Verfügung stehen, um die Armut in der Dritten Welt zu bekämpfen. Diese Bekämpfung der Armut ist Voraussetzung dafür, die hohen Umweltbelastungen in der Dritten Welt zu reduzieren.
Meine Fraktion stimmt auch im Bereich Umweltschutz dem Staatsvertrag ausdrücklich zu. Ich wiederhole und betone noch einmal: Die Wirtschafts- und Währungsunion ist auch die Voraussetzung für einen wirksamen Umweltschutz in der DDR.
({18})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kottwitz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer den Staatsvertrag gelesen hat, muß mit Erstaunen feststellen, daß die Regelungen zur Übernahme des Branntweinmonopols weitaus präziser ausfallen als sämtliche Ausführungen zur Umwelt. Darüber können auch die Verweise auf das Umweltrahmengesetz der DDR nicht hinwegtäuschen.
Sieben bundesdeutsche Gesetze sollen übernommen werden, aber abgemagert und mit Übergangsregelungen versehen, um Investitionshemmnisse abzubauen. Die in der Bundesrepublik als Ausnahme vorgesehene Abweichung von Umweltnormen wird so in der DDR zum Regelfall. Die DDR bleibt ein Umweltdumpinggebiet.
In den Fällen, in denen bundesdeutsches Recht in Gänze übernommen wird, scheitert die Einhaltung bzw. die Umsetzung am Vollzug, weil die dafür nötigen Verwaltungen noch nicht existieren. Oder wie sollen, bitte schön, in der DDR Einleitbescheide erlassen werden, wenn selbst in der Bundesrepublik hierbei ein Vollzugsdefizit besteht? Wenn der Bundesumweltminister seinen Entwurf zur Rücknahmepflicht von Verpackungen konsequent anwenden würde, müßte er als erstes diese Mogelpackung Umweltunion, die unter seiner Federführung erstellt wurde, zurücknehmen.
Dieses Umweltrahmengesetz bzw. die Behandlung der Umweltproblematik im Staatsvertrag ist nun kein Betriebsunfall, sondern Ausdruck einer Denkweise von vorgestern. Wer angesichts der drohenden Klimakatastrophe das Ziel des unbegrenzten Wirtschaftswachstums im Staatsvertrag festschreibt, handelt nicht nur unverantwortlich, sondern muß sich für den Gebrauch des Begriffs Umweltunion zumindest den Vorwurf der arglistigen Täuschung gefallen lassen.
({0})
Der Staatsvertrag beinhaltet einzig und allein die Wirtschafts- und die Währungsunion.
Da präsentiert der Umweltminister mit stolz geschwellter Brust einen Plan zur Reduzierung von 25 % des heutigen CO2-Aufkommens in der Bundesrepublik bis zum Jahre 2005 und unternimmt keinerlei Anstrengungen, um das Anwachsen des CO2-Anteils der DDR zu bremsen. Gerade eine Woche war Töpfers Plan veröffentlicht, da wiesen mehrere wissenschaftliche Institute darauf hin, daß es ohne drastische Maßnahmen im Verkehrsbereich bestenfalls eine Stabilisierung des CO2-Ausstoßes in der Bundesrepublik geFrau Kottwitz
ben wird. Wenn die DDR - was zu befürchten ist - die verkehrspolitischen Fehler der Bundesrepublik wiederholen muß, wird allein durch die Zunahme des dortigen Verkehrsaufkommens jede Anstrengung zur Verhinderung der Klimakatastrophe ad absurdum geführt.
Bislang jedenfalls wurden keine Weichen für eine Verkehrspolitik gestellt, die den Vorrang der Schiene vor der Straße festlegt, die die menschengerechte Stadt über die autogerechte Stadt stellt. Das genaue Gegenteil ist der Fall: Ein gigantisches Straßenbauprogramm droht, damit der Bundesverkehrsminister nun endlich auch im Osten ohne Geschwindigkeitsbegrenzung und mit bis zu 0,8 Promille durch die Landschaft rasen darf. Freie Fahrt für freie Bürger - eine Freiheit, die die Umwelt und die Lebensqualität für die Menschen ruiniert.
Gleiches gilt für den Energiesektor: Statt den strukturellen Rahmen für Energieeinsparung, für eine effiziente und dezentrale Energieversorgung und für den verstärkten Einsatz regenerativer Energieträger zu setzen, wird dieser Bereich dem freien Spiel des Marktes - sprich: den bundesdeutschen Energiekonzernen - überlassen.
({1})
Selbst der Chef der VEBA, Klaus Piltz, der sicher nicht in Verdacht steht, grün zu sein, stellte vergangene Woche im „Spiegel" fest, daß der Fernwärmeanteil in der DDR unter ökologischen Gesichtspunkten hervorragend sei, und lobt die Vorteile der dezentralen Versorgungsstruktur, die eventuell auch Kostenvorteile bringe.
({2})
Gerade ist aber in den Nachrichten die Meldung gebracht worden, daß die acht großen Energiekonzerne das Leitungssystem der DDR aufkaufen werden. Somit ist diese Chance vertan.
Nicht die Regierung oder das Parlament der DDR trägt für diese Entwicklung die politische Verantwortung, sondern einzig und allein die Bundesregierung.
({3})
Wir alle wissen, daß die Regierung der DDR längst keinen Handlungsspielraum mehr hat, sondern die Bundesregierung die Fäden zieht.
Die Umweltvereinbarungen mit der DDR sind Ausdruck einer Politik, die glauben machen will, man könne stetes Wirtschaftswachstum produzieren und gleichzeitig die Klimakatastrophe aufhalten. Hier tritt ein Steinzeitdenken zutage, das immer noch davon ausgeht, die natürlichen Ressourcen seien unendlich und die Natur kein Produktionsfaktor.
({4})
Wer von ökologischer Marktwirtschaft spricht, die notwendigen Rahmenbedingungen aber nicht schafft, ist ein Scharlatan, der den Menschen in Ost und West und darüber hinaus noch den kommenden Generationen die Lebensgrundlage entzieht.
Meine Damen und Herren, angesichts der lokalen und globalen ökologischen Probleme brauchen wir ein Umdenken in der Politik, in der Wirtschaft, aber auch bei uns Verbrauchern und Verbraucherinnen. Das ausgeprägte Konsumdenken großer Teile der Bevölkerung in West und Ost ist auch ein erheblicher Beitrag zur Umweltzerstörung.
Aufgabe einer zeitgemäßen Politik, einer Politik, die über den nächsten Wahltermin hinaus schaut, muß es aber sein, deutlich zu machen, daß nur eine ökologische Wirtschaft, eine Wirtschaft, die die Ökologie in den Mittelpunkt des Produzierens und Konsumierens stellt, auf Dauer überlebensfähig ist.
Der Widerspruch zwischen Ökologie und Ökonomie, wie er in diesem Staatsvertrag zum Ausdruck kommt, muß aufgelöst werden. Auf Dauer wird nur die ökologische Durchdringung der Politik auch eine dauerhafte Lösung der sozialen Probleme bringen: langfristig Arbeitsplätze schaffen, die der Umwelt zugute kommen, ganz konkret neue Ausbildungsverträge im Bereich Umwelt zum nächsten Ausbildungsbeginn, zum 1. September 1990 anbieten. Denn es steht doch außer Zweifel, daß nur die Volkswirtschaften im nächsten Jahrtausend konkurrenzfähig sein werden, die den Trend zur Ökologie - nicht nur zur Umweltreparatur - am schnellsten erkennen.
Dazu aber brauchen wir eine neue industrielle Revolution. So wie zu Beginn des Industriezeitalters die Verbreitung der Dampfmaschine als Gradmesser des Fortschritts galt, so müssen wir heute ökologisch Dampf machen. Nur die Volkswirtschaften, die dies am schnellsten erkennen, werden auf Dauer im Geschäft bleiben.
({5})
Gefragt ist eine Produktionsweise, die sich am Weniger orientiert: Vermeidung von Emissionen, Minimierung des Ressourceneinsatzes, abwasserarme Verfahren, Vermeidung von Abfällen, um nur einige Beispiele zu nennen. Prozeßinnovation und ein ökologischer Strukturwandel sind gefragt. Die Voraussetzungen für einen solchen Strukturwandel waren und sind in der DDR in Teilbereichen günstiger als in der Bundesrepublik.
Die tiefgreifende ökonomische Modernisierung der DDR bietet auch die Gelegenheit für eine ökologische Erneuerung. Hier könnte gezeigt werden, daß ökologische, soziale und ökonomische Aspekte nicht unbedingt im Widerspruch zueinander stehen. Die Chance für die DDR liegt in der Politik einer ökologischen Modernisierung und eines ökologischen Umbaus. Ein solches Modell würde auch auf die Bundesrepublik bzw. die anderen europäischen Staaten ausstrahlen. Diese Jahrhundertchance haben wir Deutschen nicht genutzt.
Die Auseinandersetzung um eine Neubestimmung des Stellenwertes der Ökologie vor dem Hintergrund der globalen Klimakatastrophe, vor dem Hintergrund des zusammenwachsenden Europas und vor dem Hintergrund der osteuropäischen Dynamik hat gerade erst begonnen.
Ich komme zum Schluß. Die GRÜNEN werden auf alle Fälle als treibende Kraft in allen Parlamenten vertreten sein. Unsere Stimme der Ökologie wird auch in
den 90er Jahren in einem gesamtdeutschen Parlament vertreten sein.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Czaja.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei einer weittragenden Entscheidung - mit dem Wort historisch bin ich etwas vorsichtig - sollte auch eine Minderheit angehört werden, die zu dieser politischen Absichtserklärung, also keinem Vorvertrag, nein sagt. Wir sagen nein zur Preisgabe Ostdeutschlands, aber ja zum tragfähigen Ausgleich. Ich hoffe angesichts der vielen lobenden Worte zu den Vertriebenen, die ich in diesem Ausmaß seit 25 Jahren nicht gehört habe, auf Ihre Geduld. Ich bedanke mich für ehrliche Worte.
Die staatliche Einheit Deutschlands habe ich mit vielen Freunden seit Jahrzehnten vertreten und sie seit 1986 auf der Tagesordnung der Politik sehen wollen. Daher muß ich, auch wenn ich nein sage, ehrlicherweise die großen politischen Fortschritte nennen, die dem Mut der Mitteldeutschen folgten. Das ZehnPunkte-Programm des Bundeskanzlers im vergangenen Herbst hat politisch die Richtung entschieden, hat das Schwanken von vielen Wendehälsen und neue Sozialismusträume abgebremst.
({0})
Die sofortige Ablehnung eines Mischwerks der Bündnisse in den letzten Tagen festigt die NATO zur Wahrung der Freiheit, lehnt andere Einmischungen ab. Das Drängen auf ein sinnvolles Tempo beim Beitritt der DDR zum Grundgesetz ist zu begrüßen.
Für das, was der Bundeskanzler, was Dr. Dregger und Herr Bohl zur Geschichte und zur Leistung der Ostdeutschen, aber auch zu guten Abschnitten der deutsch-polnischen Geschichte sagten, bin ich herzlich dankbar.
({1})
Die meisten meinen aber mit Blick auf den Beitritt nach Art. 23 des Grundgesetzes, sich wegen des Drucks von innen und von außen der Preisgabe Ostdeutschlands nicht verschließen zu können. Wir wissen um die Stärke dieses Druckes. Ich will dennoch zu zwei Fragengruppen und zu einigen Perspektiven Stellung nehmen.
Erste Fragengruppe: Zu der Preisgabe Ostdeutschlands gibt es auf vielen Seiten erhebliche Sorgen und Fragen. Viele werden sie wahrscheinlich in einer Erklärung zur Abstimmung mit „Ja, aber ..." zusammenfassen. Ich will aber nein sagen. Da sind die Sorgen derer - ich danke denen dafür -, die ein Viertel von jenem Deutschland, das Versailles hinterlassen hat - kein Quadratkilometer Eroberung ist dabei -, nicht achtlos mit einem Federstrich abhaken können, also alte deutsche Provinzen, 800 Jahre deutsche Leistung. Vielleicht nicht ganz so gut wie in Thüringen, Sachsen und Vorpommern, aber doch beachtlich.
Diese denken dabei auch an das Gemeinwohl der Deutschen, Deutschlands und Europas und nicht nur
an die persönliche Vertreibung und das persönliche Leid. Bitterkeit kommt auf, weil man unbedacht oder aus Unkenntnis einfach einen leichtfertigen Schlußstrich darunter zu machen versucht.
Andere tun so, als gehe es nicht um die Weggabe von Provinzen, die rechtlich - nach Völkerrecht und Verfassung - noch zu Deutschland und noch nicht zu Polen gehören. Niemand von uns will polnisches Souveränitätsgebiet. Polen will vielmehr deutsches bekommen. Darüber, sagen wir, muß mindestens ein Ausgleich gefunden werden.
({2})
- Dazu komme ich noch, Herr Kollege. Ich kann ja nicht alles auf einmal sagen.
({3})
Ich bin heute in einem Interview einer Stuttgarter Zeitung korrekt zitiert worden, aber mit der Überschrift, ich wollte einen Teil Polens europäisch verfassen. Das habe ich nicht gesagt. Es geht um einen Teil Deutschlands, den Polen will und wofür wir einen Ausgleich suchen. Dazu komme ich am Schluß.
Bitter ist, wie wenige sehen, daß man nach vielen grausamen Untaten von vielen Deutschen, aber auch an Deutschen - wobei man Mord und Folter nicht gegeneinander aufrechnen kann -, daß man nach einer militärischen Kapitulation in den Gebiets- und in den Heimatfragen fast ausschließlich den Vertriebenen ein problematisches Sonderopfer für das ganze Volk zumutet.
Ich verkenne nicht, daß die Polen Sorgen haben. Mir fehlt die Redezeit, diese zu nennen und auszuführen. Ich kann hier nur über die deutschen Sorgen sprechen, weil man auch dies zusammenfassen muß.
Die bedauerliche Entschließung übersieht, daß man gerade zu diesen Kernfragen nicht schnelle Absichtserklärungen, sondern sorgfältige, zähe und konstruktive Verhandlungen bräuchte.
({4})
Es fehlt auch an dem offenen Dialog unter Einbeziehung der betroffenen Vertriebenen. Der Bundeskanzler sprach bewegt über die notwendige Zusammenarbeit. Aber die heutigen Tatsachen zwischen den Volksgruppen stehen dem diametral entgegen.
Wir können nur in sehr schwierigen Teilschritten vorwärtskommen, die leider - auch deshalb sagen wir nein - nicht verpflichtend vereinbart sind. Wir hoffen aber auf diese Teilschritte.
Freilich - auch das muß ich sagen - steht im fünften Spiegelstrich der Präambel der Entschließung etwas Interessantes, das aufhorchen läßt. Die politische Absichtserklärung ist von dem Bewußtsein getragen, daß „großes Unrecht" - so heißt es dort - auch den Deutschen widerfuhr. Wenn auch politische Aussagen mit der Parlamentsperiode enden, so ist es doch ein verpflichtendes Vermächtnis aller, die ja sagen, das bekräftigen oder notifizieren, bei zukünftigen Vertragswerken eine zumutbare Wiedergutmachung für fortbestehendes großes Unrecht, die Unrechtsfolgen
der Völker und die menschenrechtswidrigen Delikte anzustreben.
Dazu gehören nach unserer Meinung ein Ausgleich in Gebietsfragen, aber auch die Sicherung zahlreicher Individual- und Menschenrechte auch Deutscher - bis hin zur Sicherung auslandsbezogener Grundrechte Deutscher - und der aktive Schutz gegen völkerrechtswidrige dauerhafte Vermögenskonfiskation aus nationalen Gründen. Vor allem gehören dazu wirksame Volksgruppenrechte. Dieser Spiegelsatz verpflichtet zu einem Ansatz bei den Verhandlungen, den wir immer wieder einfordern und anmahnen werden.
Wenn polnische Privatpersonen - das wurde hier erwähnt - vom Unrecht an Deutschen meist noch vorsichtig sprechen, so hören wir das aufmerksam.
Herr Abgeordneter Czaja, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Lassen Sie mich bitte erst den Satz beenden.
Aber wir sind enttäuscht darüber, daß wir insbesondere auch bei katholischen Laien dabei kaum ein Wort zur sittlichen Pflicht der zumutbaren Wiedergutmachung hören. Allerdings hören wir das auch bei manchen Deutschen nicht. Herr Professor Ehmke, Sie haben so bewegt über das Unrecht gesprochen. Ich bin kein Jurist, aber Sie werden mir zugeben, daß eine zumutbare Wiedergutmachung für bestehendes Unrecht notwendig ist.
({0})
Das hätte ich gern von Ihnen gehört.
Jetzt gestatte ich die Zwischenfrage, wenn mir das nicht auf meine Zeit angerechnet wird.
Herr Czaja, weil ich Sie wirklich verstehen möchte, frage ich Sie: Was verstehen Sie konkret unter einem Ausgleich von Gebietsansprüchen?
Herr Kollege, ich werde das noch ausführen. Lassen Sie mich meine Rede bitte in der vorgesehenen Reihenfolge vortragen. Sie werden es genau hören. Ich bitte Sie, dann darauf zurückzukommen.
Besonders besorgt sind wir aber auch darüber, daß hier ein grausames Modell Platz greift: Nach einem schrecklichen Krieg mit vielen Delikten, an denen auch wir beteiligt waren, vertreibe man einfach - ({0})
- Wie denken Sie denn über mich? Ich weiche doch nicht der Wahrheit aus. Ich habe mir nichts vorzuwerfen.
({1}) Aber ich weiß, daß viele Deutsche drinstecken.
({2})
Nach vielen Delikten kommt man also dazu: Man vertreibe einfach Millionen Deutscher, siedele andere Menschen, manchmal unter Druck, dort an und schließe dann mit der Übertragung aller Vertreibungsgebiete an den Vertreiber ab. Haben West und Ost die verheerenden Folgen dieses Beispiels für das internationale Recht, für Politik, für Moral, für Palästina, für den Nahen Osten, für die Dritte Welt und auch für Europa wirklich bedacht?
In der Entschließung und im Görlitzer Abkommen ist viel, aber unbestimmt - das ist eine weitere Sorge - von sogenannten bestehenden und festgelegten Grenzen die Rede. Ich frage: Durch wen, wann und wie? Durch wen wurde das Grundgeschäft denn getätigt? Vielleicht wird der Herr Bundesaußenminister diese Frage beantworten.
Nein, für Gebietsübertragungen gibt es noch keine völkerrechtswirksamen Dokumente. Es gibt nur eine, dafür nicht genügende Annexion, und es gibt das von Anfang an nichtige Geheimabkommen Stalins mit dem kommunistischen Lubliner Komitee vom 27. Juli 1944, das Ostpolen und Ostdeutschland hinter dem Rücken der Völker amputierte und für Polen fremde Hegemonie festschrieb.
Da frage ich: Dürfen die freien Deutschen, deren Vorfahren an den schlimmen, Europa teilenden, den Krieg mitverursachenden Geheimabkommen vom 23. August und vom 28. September 1939 beteiligt waren, als „guter Partner" diese Belastung, die auch für Polen besteht, einfach „anerkennen", wie es heißt? Ich meine, als freie Deutsche müssen wir dazu nein sagen. Das dürfen wir nicht.
Nur streifen kann ich gravierende Rechtsfragen. Darf nach neuerdings zwingendem Völkerrecht, Herr Ehmke, das Selbstbestimmungsrecht, der Wille des ganzen deutschen Volkes - nach Art. 25 des Grundgesetzes allen Rechtsakten vorgehend - durch Parlaments- und Regierungserklärung zweier von mehreren Teilen Deutschlands eingeengt, beschränkt, präjudiziert werden? Darf das auch für das grundgesetzliche Wahrungsgebot und die Vertragsfreiheit des Souveräns nach Beitritt der DDR gelten?
Und noch eine ernste Frage: „Bestimmt sich" wirklich die politische Willensbekundung - also kein legislativer Akt - zum Verlauf der Grenze durch zwei diametral einander widersprechende Rechtsakte, nämlich durch den Warschauer Vertrag - ein konkretisierter Gewaltverzichtsvertrag -, in dem eben nicht auf die Provinzen bezogene konkretisierte Souveränitätsanerkennungen stehen - die aber dann in irgendeinem Satz zur Anerkennung fremder Souveränität in Deutschland, damit in Beziehung gebracht werden -, einen Vertrag also, der auf dem rechtlichen Fortbestand Deutschlands gründet einerseits und andererseits das Görlitzer Abkommen, das vom Untergang Deutschlands und der Verfügung über ein Niemandsland ausgeht? Das hatte Herr Löbe für den Bundestag als einen völlig unberechtigten Verfügungsakt namens der freien Parteien bezeichnet. Er war einig mit einer späteren Erklärung Adenauers, die dem sowjetischen General Tschuikow von den Drei Mächten übermittelt wurde, wobei die Drei Mächte hinzufügten, daß dieses Abkommen eine schwere Verletzung der Vier-Mächte-Rechte dar17246
stelle. Ist in diesen gegenläufigen Erklärungen nicht ein tiefes Loch, ein Kollisionsloch für jeden, der sich mit Rechtsakten befaßt, vorhanden?
Jetzt möchte ich mich aber dem Gegenargument zuwenden - und ich nehme es ernst - : Nur so kommt man zum raschen Beitritt gemäß Art. 23. Das allerdings ist nach den verbindlichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und dem Grundgesetz auch noch nicht die Vollendung Deutschlands. Rechtlich hat das Ausland auf vertraglich zugestandene Vorbedingungen keinen Anspruch. Die Rechte und Verantwortlichkeiten für Deutschland als Ganzes führten zu keiner Beanstandung von Art. 23 des Grundgesetzes durch die Drei Mächte.
Ost und West wollen doch sogar politisch die innerdeutsche Entscheidung zum Zusammenschluß. Es mag Konsultationspflichten geben. Es geht aber natürlich auch um schwerwiegende äußere Aspekte wie Bündnis, Truppenstärke und vieles andere. Ich nehme an, daß der förmliche Beschluß der Volkskammer zum innerstaatlichen Rechtsakt des Beitritts erfolgen kann, bevor all diese äußeren Aspekte restlos ausgehandelt sind.
Aber ich sehe natürlich, daß die Vorbedingungen politischer Natur sind. Ich denke etwas wehmütig an 1985 zurück, als es Bundeskanzler Kohl gelang, Präsident Reagan dafür zu gewinnen, sich unangebrachtem Druck nicht zu beugen. Dieses war in gegenseitiger Beratung lange vorbereitet.
Ich bin, meine Damen und Herren, ein überzeugter Anhänger des westlichen Bündnisses zur Wahrung der europäischen Freiheit. Ich bin ein überzeugter Anhänger der deutsch-amerikanischen Freundschaft. Aber auch Freunden muß man ehrlich und offen sagen, was man meint. Deshalb sage ich: Ich bin zutiefst betroffen über den angeblich gemeinsamen Druck von Ost, wo man dialektische Überraschungen nie ausschließen kann, meine Damen und Herren, und von West. Ich bin betroffen durch den sonderbaren Umgang mit der Beseitigung von Art. 7 Abs. 1 des Deutschlandvertrages und bestürzt über die fehlende freundschaftliche Unterstützung für einen tragfähigen Ausgleich in einer solchen geschichtlichen Stunde, statt der Forderung, den Ostdeutschen gebietlich nichts, den anderen alles zu geben.
Adenauer hat Eisenhower am 29. Mai 1953 geschrieben: Das könnte keine deutsche Regierung machen. Er hatte dem auch in Moskau am 14. September 1955 in einer Note widersprochen. Gar nicht zu reden von Schumachers Energie, Fritz Erlers konstanter Linie und lange Zeit auch Wehners drastischen Aussagen.
Meine Damen und Herren, ich sage es offen: Ich bin besorgt über den Vertrauensverlust, weil bis zum Vertrag noch Zeit zur Besinnung ist. Hat man überlegt, bei wieviel Betroffenen, auch im Ausland, hier eine tiefe Erschütterung des Vertrauens, die ich nicht will, einzutreten droht? Das sollte vermieden werden.
Übrigens darf ich darauf hinweisen, daß im Versailler Vertrag nur sehr wenig vom Vorvertrag vom 5. November 1918 übriggeblieben ist.
Churchill, nicht gerade ein Deutschlandfreund, hat in seinem Hauptwerk vor dem schweren Unruheherd des Revisionismus bei einer solchen Amputation - wie er sich ausdrückte - „Rumpfdeutschlands " gewarnt und auf die schlimmen Folgen schneller Preisgabe nach 1871 im deutsch-französischen Verhältnis verwiesen.
Wir meinen, daß es auch gegen spätere Überforderungen der Deutschen gut ist, wenn einige diesem äußerst problematischen politischen Verhalten, das ja ein Viertel Deutschlands nach Versailles betrifft, ein politisches Nein entgegensetzen, ein politisches Nein gegen zu weitgehende einseitige politische Vorbedingungen bei der friedlichen Verwirklichung einer zwingenden Norm des Völkerrechts, nämlich des Selbstbestimmungsrechts der Völker, also der freien Selbstbestimmung des ganzen deutschen Volkes.
Nun, Herr Kollege, einige Sätze zum Ausgleich. - Wer die Entschließungen der Bundesversammlungen des Gesamtverbandes der Vertriebenen seit 1970 wirklich liest, der kann trotz häufiger Desinformationen nicht leugnen, daß sie zu Verständigung und für den Dialog sprechen, ja sogar immer mehr konkrete Strukturelemente des Ausgleichs nennen. Neben der Mitarbeit von Fachkräften auf Zeit schon heute vor Ort zur Überwindung der katastrophalen Folgen der zentralistischen Planwirtschaft, der Umweltzerstörung, der Not im Gesundheitswesen, der Wasserwirtschaft und in vielen anderen Bereichen nennen sie als zeitlich erstes Strukturelement umfassende Volksgruppenrechte hüben und drüben von Grenzen, wo immer sie vereinbart werden. Frau Professor Süssmuth hat hier eine Versäumnisschuld moniert.
Ein Teil der Vertriebenen fragt auch nach Versuchen zu einem großen europäischen Modell, nämlich in einem Teil der umstrittenen Gebiete schrittweise ein von beiden Volksgruppen, Polen und Deutschen, beherrschtes selbständiges europäisches Gemeinwesen aufzubauen, in dem diese Volksgruppen ihre eigenen Anliegen autonom erledigen, aber das ganze Gemeinwesen betreffende Entscheidungen in gemeinsamen Staatsorganen mit europäischer Streitschlichtung zu regeln hätten.
({3})
Also: Europäische Zukunft - dies würde, so meinen wir, bei einer freien Abstimmung neben Deutschen z. B. in Oberschlesien auch viele Polen bejahen. - Man mag dagegen sein, aber den Ernst der Überlegungen der Vertriebenen zu einem Ausgleich soll man nicht verschweigen.
Unrecht schafft Angst. Wir wollen nicht dauerhafte Angst der Polen vor einem Revisionismus. Schon fürchten Gegner in Polen, die Deutschen in germanischer Schläue versprächen alles, um es sich morgen, Churchills Vorausschau folgend, wieder zurückzuholen.
Meine Damen und Herren, wenn der gesamtdeutsche Souverän das nicht am Anfang des ganzen Ausgleichs schaffen sollte, Herr Kollege, müßte es ein Ringen um einen weiteren friedlichen Wandel in den nächsten Jahren geben, was Sie als Utopie bezeichnet haben. Ich meine, daß die Verwirklichung noch in diesem Jahrtausend möglich wäre.
Wir haben eine tiefe Sorge, aber wir sind auch innerlich zuversichtlich, daß dies gelingt, weil wir das Chaos im schwierigen Alltag auch jenseits von Oder und Neiße sehen.
So ist unser Nein ein Nein zu unzumutbaren Vorbedingungen für den Beitritt der DDR, aber auch ein Ja zu Ansätzen für neue Strukturen eines soliden deutsch-polnischen Brückenpfeilers in einem freien und föderalen europäischen Staatenbund. Ich bin überzeugt, daß die europäische Entwicklung ohnehin neue Wege notwendig machen wird, die weit, weit über diese Erklärung hinausgehen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Renger.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gehe nicht ohne Bewegung an dieses Pult, um darüber zu reden, was ich in den letzten Monaten empfunden habe. Ich denke in erster Linie daran, wie ich Ende Dezember des vorigen Jahres aus der Nikolai-Kirche kommend an den Straßen mit den Massen stand, eine Kerze in der Hand, und die Menschen dort erlebte, still und bewußt, aber mit ganz großer Entschlossenheit, hier etwas Neues zu beginnen und sich nie wieder aus den Händen nehmen zu lassen, was sie sich selbst erobert hatten.
Dies ist eine ganz tiefe Erinnerung, und deswegen ist für mich heute auch ein ganz großer Tag; denn es bedeutet die Erfüllung der Wünsche der Menschen dort, in der heute noch so zu nennenden DDR, die sich in ganz anderer Weise und mit viel größeren Schwierigkeiten Freiheit, Recht und Demokratie erkämpft haben.
Ich vergesse auch nicht die Opfer - auch das möchte ich in dieser Stunde sagen -, die schon vor der Herrschaft, die dort errichtet worden ist, in Deutschland gebracht worden sind. Ich denke an die Menschen, die in Konzentrationslagern gestorben sind. Ich denke an das jüdische Volk, das diese millionenfachen Opfer erleiden mußte. Wir müssen das in unser Gedenken immer mit einbeziehen. Ich erinnere an die aufrechten Demokraten, welche die NS-Herrschaft überlebt haben, und ich sage hier: vor allem an die Sozialdemokraten, die sich gegen die Errichtung einer kommunistischen Diktatur, die sich gegen die Zwangsvereinigung mit allen Mitteln gewehrt haben und die, lieber Herr Dr. Dregger, dort bis zur physischen Mißhandlung gezwungen worden sind, in die SED einzutreten. Auf ihren Mitgliedskarten wurde einfach „SED" aufgestempelt. - Aber alles übrige dazu hat Herr Brandt schon gesagt.
Es gibt leider noch die vielen, die in der damals so genannten Sowjetischen Besatzungszone wieder in Lager gekommen sind, in Lager, für die der Name Bautzen steht. Freunde aus Ost und West werden an diesem Ort eine Forschungsstiftung gegen Diktatur und für Menschenrechte errichten.
Was die deutsche Sozialdemokratie vom ersten Tage nach ihrer Wiedergründung an durch Kurt Schumacher politisch formuliert hat, die Wahrung der Einheit Deutschlands in Freiheit, wird jetzt möglich.
Ich darf vielleicht noch einen Satz zu dem sagen, was Sie, verehrter Herr Dr. Dregger, angesprochen haben: Alle Politik von Kurt Schumacher war nur so zu verstehen und galt nur dem Ziel, nichts festzuschreiben, was die Möglichkeit der Vereinigung in Frage stellen könnte.
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Dieses ist historisch zu begreifen; aber Historie kann man immer nur aus der Zeit, die stattgefunden hat, begreifen.
Wir stehen jetzt im Begriff, die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion Realität werden zu lassen. Ich bin froh, daß es meiner Partei gelungen ist, Verbesserungen und Konkretisierungen einzubringen.
Wenn der Bundeskanzler hier wäre - aber ich verstehe, daß er nicht immer anwesend sein kann -, würde ich folgendes persönliche Wort an ihn richten: Herr Bundeskanzler, es ist wirklich bedauerlich, daß Sie es versäumt haben, dieses Einigungswerk zu nutzen, um die in diesem Hause repräsentierten politischen Kräfte der Opposition bei allen sonstigen Meinungsverschiedenheiten von Anfang an in eine nationale Gemeinsamkeit einzubeziehen. Ich glaube, die Menschen draußen haben darauf gewartet!
({1})
Es war ein bedauerlicher Fehler, daß dieses Parlament ebenfalls nicht von Anfang an gebührend einbezogen war. Formal brauchte der Bundeskanzler das nicht, aber es wäre klug gewesen. Er hätte sich nämlich viele Kontroversen erspart.
({2})
- Lieber Herr Bötsch, das ist die Kunst der Politik, nämlich die Menschen zusammenzuführen.
({3})
Ich darf auf folgendes hinweisen: Die Friedens- und Entspannungspolitik der Regierungen Brandt und Schmidt waren bedeutende Elemente für einen gesamtdeutschen und gesamteuropäischen Reformprozeß.
Ich möchte an dieser Stelle auch Namen von Sozialdemokraten nennen; wir tun so, als ob alles erst heute angefangen hätte. Hier gab es Carlo Schmid, Fritz Erler, Wehner und andere mit großen Namen.
({4})
- Paul Löbe, selbstverständlich.
({5})
- Auch die anderen sprachen dann für ganz Deutschland, wenn es überhaupt in der Realität stand, es verwirklichen zu können.
({6})
Ich schmälere auch nicht den eigenen Anteil des Bundeskanzlers an diesem Reformprozeß, meine Damen und Herren. Aber wir sollten in diesem Hause
auch lernen, daß jeder seinen Stil und seine Art hat, die Dinge und die Politik zu bewegen.
Der europäische Reformprozeß ist in den letzten Jahren politisch wirksam geworden und hat ein Ausmaß erreicht, von dem man doch nicht zu träumen wagte. In diesem so veränderten gesamteuropäischen Zusammenhang war die Teilung Deutschlands ein Störfaktor und ein Anachronismus.
Lassen Sie mich noch einmal Kurt Schumacher zitieren. Am 9. März 1951 führte er aus:
Die Frage der deutschen Einheit ist für unser Volk ein zentrales Problem. Sie ist aber auch eine bedeutsame Frage für die Erhaltung der Freiheit in der Welt. Alle europäischen Probleme und Projekte werden nicht europäisch behandelt, wenn man aus der Teilung Deutschlands Nutzen ziehen will. Die Kosten für eine solche Politik zahlt nicht Deutschland allein, die Kosten zahlt die Sache der Freiheit in der ganzen Welt.
Die demokratische und friedliche Revolution in der DDR im Herbst 1989 hat uns gezeigt, daß Herrschaft, auf Gewalt gegründet, keinen Bestand hat.
({7})
Meine Damen und Herren, wir sind alle dankbar, daß die Menschen in der DDR stellvertretend für alle Deutschen den Beweis dafür erbracht haben.
Auch in dieser Stunde dürfen wir nicht die vielen Opfer der kommunistischen Zwangsherrschaft vergessen. Meine Damen und Herren, ich hätte die Ermordeten, deren Gräber man erst jetzt gefunden hat, nicht für möglich gehalten.
Ich denke auch an die vielen Menschen, die gepeinigt, entwürdigt und seelisch kaputtgemacht worden sind, sogar dann, wenn sie, weil sie sich einfach nicht anders helfen konnten, in gewissen Zeiten sogar in die SED hineingegangen sind. Meine Damen und Herren, wir sollten doch hier nicht pharisäisch sein.
({8})
Von den Verantwortlichen und ihren politischen Nachfolgern, der SED/PDS - nicht einmal den Namen trauten sie sich beizubehalten - , lassen wir uns keinen demokratischen Wettbewerb aufdrängen. Sie haben in der Vergangenheit die Demokratie mit Füßen getreten. Die dafür Verantwortlichen haben sich auch als Auftraggeber für Morde an der Mauer und in den Todesstreifen erwiesen.
({9})
Sie sind, wie wir jetzt fast täglich erfahren, auch - ich spreche das aus - zu Komplizen von Mördern geworden, die ihr verbrecherisches Treiben in der Bundesrepublik Deutschland ausübten, anstatt ihnen das Handwerk zu legen.
({10})
Mit allen neuen demokratischen Kräften wollen wir einen politischen Neuanfang machen. Das heißt aufeinander zugehen; das heißt auch zur Kenntnis nehmen, daß es andere Strukturen gibt, und das heißt auch, sich noch einmal bewußt zu werden und sich bewußt zu sein, daß hier nicht organisierte Parteien die Revolution gemacht haben, sondern daß jeder einzelne Mensch dies geschafft hat, meine sehr verehrten Damen und Herren, ohne daß irgend einer bei ihnen im Rücken stand. Das müssen wir immer in unserem Kopf behalten.
({11})
Ich bin nicht etwa gegen Parteien; das wissen Sie. Aber das ist eine andere Leistung.
Wir müssen vor allen Dingen den politisch verführten und mißbrauchten jungen Menschen, die an ein Ideal geglaubt haben, eine neue Chance geben.
({12})
Meine Damen und Herren, die deutsche Einheit wird uns nicht in einen nationalistischen Taumel fallen lassen. Davor bewahrt uns schon die Jugend, die Deutschland nur in einer gesamteuropäischen Einheit begreift. Dabei ist die Wahrnehmung eigener nationaler Interessen ein legitimer und notwendiger Bestandteil von Politik. Kurt Schumacher hat gesagt: National und international sind keine Gegensätze, sondern notwendige Ergänzungen jeder praktischen und ideellen Politik.
Meine Damen und Herren, am 20. Oktober 1946 konnte ich das erste Mal in meinem Leben in Berlin an einer freien Wahl teilnehmen. Das Ergebnis dieser Wahl war ein überwältigender Sieg der Demokratie. Wir nannten danach diese Stadt ein Symbol dafür, daß sich ein Volk von seiner innerlich zerbrochenen geschichtlichen Überlieferung lösen kann. Dieses Berlin von damals ist uns auch heute noch ein Beispiel.
Ich danke Ihnen.
({13})
Ich denke, hier passen zwei Dinge gut zusammen: die Rede von Frau Renger und das Eintreffen des Ministerpräsidenten der DDR, Lothar de Maizière, der soeben auf der Tribüne Platz genommen hat.
({0})
Herr Ministerpräsident, das gesamte Haus hat Sie gerade herzlich begrüßt. Wir werten es als ein besonderes Zeichen, daß Sie so kurz nach der Verabschiedung des Staatsvertrages und der Entschließung zur polnischen Westgrenze durch die Volkskammer nach Bonn gekommen sind und für einige Zeit an unserer Sitzung teilnehmen.
({1})
Der Herr Bundeskanzler hat mich gebeten, Ihnen seine ganz herzlichen Grüße auszurichten; er ist zur Zeit mit seinem Gast, dem Ministerpräsidenten Antall aus Ungarn, im Gespräch und kann nicht hier sein.
Wir haben heute morgen die große Leistung gewürdigt, die in den vergangenen Wochen durch die beiPräsidentin Dr. Süssmuth
den deutschen Regierungen, durch Parlamentarier, durch Beamte und viele, die ihnen dabei geholfen haben, diesen Staatsvertrag auf den Weg zu bringen, erbracht worden ist. Lassen Sie mich an dieser Stelle Ihnen persönlich für das, was Sie geleistet haben, auch hier im Deutschen Bundestag ganz herzlich danken.
({2})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Laufs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist eine Freude, Frau Kollegin Renger, nach Ihnen ans Rednerpult treten zu dürfen. Nicht alle meiner Freunde waren mit den Rednern der Opposition im Wechsel so glücklich.
({0})
Das östliche Mitteleuropa kehrt in die freie Welt zurück, und wir Deutschen vollenden die staatliche Einheit unseres Vaterlandes. Dies ist eine glückliche Zeit voller Zukunftschancen für Deutschland und Europa, in das die DDR - wie es Ministerpräsident de Maizière sagte - ihre gewachsenen Beziehungen zu den östlichen Nachbarn einbringen wird, Beziehungen, die eine höchst wertvolle Brückenfunktion erfüllen werden.
Der Staatsvertrag wird nicht nur eine Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion begründen, sondern gleichzeitig und unauflösbar damit auch eine Rechts-, Umwelt- und Sicherheitsunion. Eckpunkte der freiheitlichen und sozialen Rechtsordnung nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik treten schon vor dem eigentlichen Beitrittsakt durch die DDR in Kraft.
40 Jahre DDR - das sind mit der Hitler-Diktatur zuvor zwei Generationen, die nicht das Glück hatten, in einem Verfassungsstaat neuzeitlicher Prägung zu leben. Das sind zwei Generationen, die ihr Leben lang vom chronischen Mangel an Gütern und Informationen, an Bewegungsfreiheit und insbesondere an bürgerlichen Rechten geprägt und erzogen wurden. Sie kennen die einklagbaren Schutzgarantien unserer Grundrechte nicht, die zugleich auch Abwehrrechte gegen staatliches Handeln sind. Sie wissen nichts von Rechtsmitteln und auch nichts von den Gefahren unserer fast grenzenlosen Freiheit, von der Eigenverantwortung im täglichen Kampf und im harten Wettbewerb. Wir müssen Verständnis haben für die bangen Fragen, die Unsicherheit und Furcht der Menschen. Wir dürfen nicht papiergläubig annehmen, der Staatsvertrag, die zahlreich übernommenen Bundesgesetze und später das Grundgesetz könnten mit ihrem Inkrafttreten von heute auf morgen Verhaltens- und Denkweisen ändern, die seit Jahrzehnten eingewurzelt sind. Wir werden Geduld füreinander aufbringen müssen. Der Umstellungsprozeß wird schmerzhaft sein.
Das Schlimmste ist die Trägheit der menschlichen Natur. Der Sozialismus hat den Menschen die üble Angewohnheit anerzogen, alles vom Staat zu erwarten und hinzunehmen. Der Sozialismus hat jedes Besitzstreben verächtlich gemacht, jede Privatinitiative erstickt.
Trotz aller Sorgen und Ungewißheiten sind wir nun doch an diesem heutigen Tage voll Optimismus und Vertrauen in die Fähigkeit unserer Landsleute, mit den Bürden der Vergangenheit fertig zu werden.
Was wir in der DDR auf den Gebieten Recht, Innen und Umwelt vorfinden. ist desolat. Man könnte verzweifeln, wie unerbittlich die alles beherrschende Partei Mensch und Natur ihrer Ideologie untergeordnet und geopfert hat. Aus der Zwangs- und Anordnungsbefugnis der Staatssicherheit entstand, nicht anders als durch die Gestapo im Dritten Reich, ein teufliches System der Bespitzelung und Gewalt, dem die Menschen in ohnmächtiger Angst ausgeliefert waren. Mit dem Staatsvertrag nun tun wir den ersten Schritt auf dem Weg zur Herstellung menschenwürdiger und rechtsstaatlicher Verhältnisse in der DDR.
({1})
Es ist angesichts der neu entdeckten Massengräber, des Stasi-Unterdrückungssystems und der Staatskumpanei mit Mördern und Terroristen bedrückend, daß dieser Aspekt, dieser so unendlich wichtige Aspekt, im engherzigen öffentlichen Gezänk fast völlig untergeht.
Was zu tun ist, ist unendlich viel:
Die Rechtspflege ist in der DDR neu aufzubauen. Wir brauchen Richter, die das neue Recht verstehen und anwenden können.
({2})
Ich unterstütze daher den Bundesjustizminister, der über 100 Richter in die DDR entsenden und Fortbildungsveranstaltungen in der DDR für alle Richter, Staatsanwälte und Anwälte durchführen will.
Die Schwierigkeiten beim rechtsstaatlichen Aufbau des öffentlichen Dienstes sind groß. Ein funktionierendes demokratisches Staatswesen benötigt ein modernes Berufsbeamtentum, dessen Angehörige sich dem Recht und der Effizienz ihrer Aufgabenerfüllung verpflichtet fühlen.
({3})
Beides finden wir in der DDR nicht. Die Macht der alten Kader der SED ist noch nicht, zum Teil kaum gebrochen. Sie nutzen vielfach ihre Stellung zu ihrem Vorteil und zum Widerstand gegen die neue Ordnung. Das Ziel ist klar: Die alte totalitäre SED-Nomenklatura muß mit all ihren gesellschaftlichen Durchdringungen von ihrem Platz verschwinden. Die sinngemäße Anwendung des Bundespersonalvertretungsgesetzes bietet die Chance des Neubeginns. Die DDR muß auch den personell völlig überbesetzten Staatsapparat verkleinern.
Die Aufarbeitung von Unrecht und Verbrechen, von wem immer sie begangen wurden, wird ein langwieriger Prozeß werden. Wir dürfen nicht den Fehler machen, die Bereinigung im staatlichen Bereich jetzt zur Vorbedingung des staatlichen Reformprozesses zu erklären.
Private Initiative benötigt Rechtssicherheit. Der Bauherr muß wissen, mit welchen Auflagen und Genehmigungen er zu rechnen hat. Vor allen Dingen muß er dieses Recht auch durchsetzen können. Dem Aufbau einer Verwaltungsgerichtsbarkeit in der DDR messe ich daher allergrößte Bedeutung zu. Ich danke den Ländern, die bereit sind, erfahrene Verwaltungsrichter in die DDR zu entsenden, die dort den Aufbau einer neuen Gerichtsbarkeit mit vollziehen können.
Auch bei der Entwicklung und dem Aufbau eines modernen Umweltschutzes in der DDR werden rechtssichere Entscheidungen von hervorragender Bedeutung sein. Wie ist es zu schaffen, daß die vielfach erforderlichen Genehmigungen auch in der DDR gerichtsfest zur Verfügung gestellt werden, ohne daß dort der dazu nötige administrative Aufbau vorhanden ist? Es liegt nahe, auf die Erfahrungen in unseren Ländern zurückzugreifen. Wir verfügen über eine Vielzahl hervorragend ausgebildeter Beamter, die sich in den Einzelheiten etwa der TA Luft oder der TA Lärm sehr gut auskennen. Wir werden einige von ihnen in die DDR entsenden können. Es bietet sich darüber hinaus aber in der Sanierungsphase an, nicht nur das bundesdeutsche Umweltrecht, sondern auch bereits bewährte und genehmigte Anlagentypen zu übertragen, d. h. auf genehmigte Unterlagen zurückzugreifen, die der DDR in vergleichbaren Fällen zur Verfügung gestellt werden können. Neue Anlagen könnten insoweit als genehmigt angesehen werden. Freilich müssen in der DDR zusätzlich besondere Standortvoraussetzungen geklärt werden.
Die Betreiber von Anlagen sind nach unserem Umweltrecht Dauerpflichten unterworfen. Es genügt daher nicht, die Fragen der Genehmigungsprozedur zu klären. In der DDR muß ein wirksamer Vollzug installiert werden. Insofern gebe ich den Rednern von der SPD und den GRÜNEN selbstverständlich recht. Es muß ein Vollzug installiert werden, der in der Lage ist, die Einhaltung von Umweltschutzbestimmungen zu kontrollieren. Wenn wir daran denken, wieviel Mühe das bei uns gekostet hat und wie viele Defizite oftmals noch vorhanden sind, dann erscheint es sicher, daß wir auch hier auf private Initiative und Unterstützung angewiesen sein werden. Ich begrüße daher ausdrücklich die Aktivitäten der Technischen Überwachungsvereine, die bereits frühzeitig in der DDR Kontakte angebahnt haben. Ihre Hilfe wird bei dem Aufbau eines wirksamen Umweltschutzes in der DDR unerläßlich sein.
Meine Damen und Herren, lassen sie mich zum Abschluß noch ein Wort des Dankes sagen. Die Öffnung der Grenzen bedeutet neue Aufgaben im Kampf gegen Rechtsbrecher. Es ist beim Abschluß der Beratungen gerade noch gelungen, Regelungen über die polizeiliche Zusammenarbeit und Ausgleichsmaßnahmen im Bereich des Ausländerrechts in das Ratifizierungsgesetz einzufügen. Das war nicht einfach und wurde nur durch die kooperative Haltung der Bundesländer möglich. Dafür schulden wir ihnen unseren besonderen Dank. Nun können auch die Personenkontrollen an der innerdeutschen Grenze zum 1. Juli entfallen.
({4})
An der einst so schrecklichen Grenze gibt es dann nichts Trennendes mehr. Sie verschwindet völlig, und darüber sind wir von Herzen glücklich.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Roth.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute wurde schon oft davon gesprochen, daß der Übergang von der Kommandowirtschaft zu einer sozial und ökologisch verpflichteten Marktwirtschaft eine große Herausforderung ist. Um so mehr hätte nach meiner Auffassung der Staatsvertrag, der zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion mit der Bundesrepublik Deutschland führt, der Bedeutung und der Schwierigkeit der Aufgabe gerecht werden müssen. Wir glauben, daß diese Chance in diesem Staatsvertrag nicht genutzt worden ist.
Im Gegenteil, der Staatsvertragsentwurf vom 24. April 1990 war völlig unzureichend. Er zog keine Konsequenzen aus der unglaublich schlechten Situation der Wirtschaft in der DDR. Der Kopfsturz in das eiskalte Wasser der Weltwirtschaft ohne soziale und strukturelle Absicherung war der Ausgangspunkt des Staatsvertrags.
({0})
Was fehlte? Der Schutz von DDR-Produkten vor übermächtiger ausländischer Konkurrenz war überhaupt nicht vorgesehen. Eine aktive Arbeitsmarktpolitik in der DDR war lediglich in einer bloßen Absichtserklärung enthalten.
({1})
Umstrukturierungshilfen, damit die DDR schneller wettbewerbsfähiger würde, haben völlig gefehlt.
({2})
Die fundamental notwendige Modernisierung der Infrastruktur in der DDR, vor allem der wirtschaftsnahen Infrastruktur, war nur auf 1 Milliarde DM begrenzt worden, obgleich es in der DDR einen unglaublichen Bedarf an Erneuerung der Infrastruktur im Telefonbereich, im Verkehrsbereich, bei den Umweltinvestitionen gibt. Wohnungsbau, Wohnungsmodernisierung, also Bereiche, in denen die Lebensqualität in der DDR schnell verbessert werden könnte, sind in diesem Staatsvertragsentwurf nicht vorgesehen worden.
Nach den Verhandlungen, nach dem Druck der Bundesländer - muß man hinzufügen - , nachdem sich in Niedersachsen die Mehrheitsverhältnisse geändert haben, sind Verbesserungen in den Staatsvertrag aufgenommen worden. Es gab nach meiner Überzeugung Schritte in die richtige Richtung, aber ich sage auch aus meiner Sicht - die hat sich in den letzten sechs Wochen nicht geändert -, es war nur die Hälfte des notwendigen Weges. Die UmstrukturieRoth
rungshilfen in diesem Staatsvertrag reichen nicht aus.
({3})
Dabei bin ich kein Pharisäer, einen Königsweg bei der Erneuerung der Wirtschaft der DDR gibt es nicht, aber es hätte eine verläßliche Brücke zwischen der alten Wirtschaftsstruktur und der neuen Wirtschaftsstruktur geben müssen.
({4})
Herr Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Cronenberg?
Ja, sofort.
Die Brücke des Staatsvertrages hat ganz wacklige Pfeiler und ist im übrigen viel zu schmal. Ein Beispiel zeigt das ganz besonders. Es wird in der DDR aus strukturellen Gründen viele Entscheidungen geben - sie sind unvermeidbar -, die zum Verlust bisheriger Arbeitsplätze führen. Aber vermeidbar ist, daß es in der DDR hunderttausende Menschen geben wird, die den Arbeitsplatz verlieren, ohne eine Brücke zu neuen Arbeitsplätzen zu haben, in Form von Qualifizierungshilfen, in Form von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.
Herr Abgeordneter Roth, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Herr Kollege Roth, Sie sind zwar in Ihren Ausführungen schon etwas weiter, aber ich möchte auf die angeblichen oder tatsächlichen Verbesserungen zurückkommen, unter die Sie offensichtlich auch die Importbelastungen für Güter aus der Bundesrepublik zählen. Darf ich Sie fragen, ob Sie sich vorstellen können, daß durch diese Importbelastungen die Umsätze aus der DDR heraus nach West-Berlin und in das Zonenrandgebiet auf die westliche Seite verlagert werden, weil die Wettbewerbsbedingungen für die entsprechenden Importeure oder Händler in Ost-Berlin und auf der anderen Seite des ehemaligen Eisernen Vorhangs durch diese Methode dramatisch verschlechtert werden?
({0})
Meine Damen und Herren, ich persönlich habe die Importsteuer der DDR nicht unbedingt für den besten Weg gehalten, sondern ich habe es für den besten Weg gehalten, die Förderkulisse, die Förderinstrumente für die DDR so zu verbessern, daß der Standort DDR wirklich attraktiv geworden wäre. Aber da die Bundesregierung Umstrukturierungshilfen in zureichendem Umfang für die DDR verweigert hat, habe ich Verständnis dafür, daß die DDR-Regierung bei den Verhandlungen diese Importabgabe durchgesetzt hat.
Das wissen ja die meisten nicht: Die Standortförderung in der DDR ist schlechter als im Zonenrand und in West-Berlin. Da Unternehmer bekanntlich nicht
nach ihren nationalen Gefühlen, sondern nach ihren Rentabilitätsinteressen entscheiden,
({0})
- das werfe ich ihnen gar nicht vor; das ist die Aufgabe von Unternehmern ({1})
ist es logisch, daß sie in der Standortentscheidung die DDR eher als die anderen Standorte im Zonenrand und in West-Berlin benachteiligen werden. Das ist das Problem. Das haben Sie der DDR-Regierung verweigert. Deshalb hat sie zu Recht auf die Importsteuer abgestellt.
({2})
Ich glaube, eine andere Lösung wäre besser gewesen.
In die Richtung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin - er war dankenswerterweise sehr, sehr lange bei unserer Debatte anwesend - sage ich im übrigen: Ich glaube, es liegt auch im Interesse von West-Berlin, daß die Förderkulisse der DDR verbessert wird. Es macht ja keinen Sinn, daß wir in West-Berlin weiter Zuwanderung haben. Der Wohnungsmarkt in Berlin ist ohnehin schon erschöpft. Die Mietpreise, die Wohnungspreise, die Grundstückspreise in West-Berlin explodieren. Wir wollen eine ausgewogene Struktur auch in bezug auf die DDR und die Zonenrandgebiete und West-Berlin.
Wir wollen überhaupt in den nächsten zehn Jahren eine ähnliche Integration der DDR in die Bundesrepublik erreichen, wie wir sie in der Bundesrepublik selber schrittweise geschafft haben. Das ist das Ziel. Für dieses Ziel haben Sie in diesem Staatsvertrag viel zuwenig vorgesehen. Das ist mein Einwand.
({3})
Herr Abgeordneter Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gattermann?
Ja; natürlich.
Herr Kollege Roth, wenn Sie beklagen, daß mit den neuen Investitionsförderungsinstrumenten der Standort DDR schlechter als der Standort West-Berlin oder der Standort Zonenrand sei, glauben Sie dann, daß Ihr Problem nicht nur durch eine Hochzonung der DDR-Förderung, sondern auch durch eine Herunterzonung der Zonenrand- und Berlin-Förderung lösbar wäre?
({0})
Also, verehrter Kollege, ich warte ja auf irgendwelche Vorschläge vom Bundesminister für Wirtschaft. Dann kann man über sie konkret diskutieren. Ich bin der Auffassung, daß in der Situation, wo die Lebensverhältnisse und Lebenschancen in der DDR auf Jahre hinaus schlechter als in der Bundesrepublik Deutschland sind, alles zur Debatte stehen muß. Ich bekenne mich dazu, daß wir eine Pflicht zur
Solidarität haben. Und die haben Sie in dem Staatsvertrag nach meiner Überzeugung nicht eingelöst.
({0})
Im übrigen haben Sie sich durch die falschen Alternativen ständig blenden lassen. Ständig haben Sie behauptet, jetzt sei in der DDR eine ähnliche Situation wie 1948/49 auf dem Gebiet der Bundesrepublik. Sie haben ständig versucht, die damalige Einführung der D-Mark im Jahr 1948 mit der heutigen Situation in der DDR zu vergleichen. Ich bin der Auffassung, das war eine ganz falsche Analogie, ein ganz falscher Vergleich.
Warum? Die Bundesrepublik hatte Ende der 40er Jahre mit der Relation von 4,20 DM zu 1 Dollar eine völlig unterbewertete Währung. Damit hatte die Bundesrepublik Deutschland einen großen Außenschutz und starke hohe Zäune vor Importen. Auf der anderen Seite waren durch die unterbewertete eigene Währung Exporte außerordentlich billig. Das heißt, die Bundesrepublik Deutschland hatte in den ganzen Jahren Außenschutz auf der einen Seite und praktisch Exportförderung auf der anderen Seite.
({1})
Wir hatten in den 50er Jahren also ein exportorientiertes Wirtschaftswachstum.
Wie ist die Situation der DDR heute? Wir haben, wenn man so will, durch die Einführung der D-Mark, bezogen auf die Produktivität in der DDR, eine völlig überbewertete Währung. Der Export ist extrem teuer. Importe sind für die DDR und für die Bürger der DDR natürlich extrem billig. Selbstverständlich ist eine große Nachfrage vorhanden. Die Bedarfe in der DDR sind ungeheuer. Mit der Einführung der D-Mark kommt auch viel Geld an den Markt. Aber dieses Geld wird in der ersten Phase vorwiegend ins Ausland gehen, vor allem in die Bundesrepublik;
({2})
aber nicht nur in die Bundesrepublik, sondern auch in die EG.
Das heißt, Ihr ständiger Vergleich zwischen Erhards Reform 1948 und der jetzigen Währungsreform in der DDR geht völlig in die Irre. Sie nehmen eine falsche Analogie, und deshalb kommen Sie ständig zu Maßnahmen, die nicht ausreichen werden und in der DDR zu Massenarbeitslosigkeit führen werden.
({3})
Meine Damen und Herren, im übrigen haben Sie viele andere Probleme nicht berücksichtigt und nicht beantwortet. Ich nenne nur einige. Erster Fall: 70 % des Exports der DDR gehen in RGW-Länder, vor allem in die Sowjetunion. Dafür bekommt die DDR Verrechnungsrubel. Aber die Betriebe der DDR müssen jetzt ab 1. Juli in D-Mark Löhne zahlen, Zinsen zahlen, alle Vorprodukte bezahlen. Das Problem ist noch nicht gelöst, wie die Verrechnungsrubel in D-Mark umgewechselt werden. Das ist eine offene Frage.
Ein anderer Punkt. Es gibt jetzt schon akute Probleme im Handel zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Die Garantien, die dafür von Banken gegeben werden, reichen nicht mehr aus. Bürgschaften werden nicht gegeben. Zur Zeit beobachten wir, daß wichtige Vorprodukte aus der Bundesrepublik auf der Produktionsstufe nicht in die DDR geliefert werden, weil westdeutsche Lieferanten Angst haben, daß man in der DDR die Rechnung nicht bezahlen kann. Auch diese Frage ist völlig ungelöst.
Meine Damen und Herren, ich habe hier einen weiteren Punkt vorzubringen, der in den nächsten Wochen erhebliche Probleme aufwerfen wird: die Entschuldung der DDR-Betriebe. Wir wissen, daß die DDR-Betriebe völlig unsystematisch, ohne richtigen wirtschaftlichen Grund hohe Schulden haben. Sie werden nach dem Staatsvertrag 1 : 2 in D-Mark umgewechselt. Damit fallen sofort hohe DM-Zinsen an, in einer Situation, in der DM-Erlöse auf sich warten lassen.
Nun sagen Sie: Wir werden die Betriebe in der DDR Fall für Fall behandeln, eventuell entschulden, das schauen wir uns noch genau an.
({4})
Ich erinnere mich sehr genau an die wenigen großen Sanierungsfälle, die wir im Bundestag oder im Haushaltsausschuß des Bundestages zu behandeln hatten: Krupp-Fall, AEG-Fall. Wir waren oft Wochen mit der Arbeit an derartigen Sanierungen blockiert.
Nun werden Sie, weil Sie eine generelle vernünftige Regelung in der DDR verweigert haben, hunderte derartige Entschuldungsfälle haben. Das ist nicht zu managen. Sie werfen die Leute in der Treuhandgesellschaft in eine Aufgabe, die sie überhaupt nicht realisieren können. Das ist unverantwortlich. So kann man keinen Start in die Marktwirtschaft machen.
({5})
Meine Damen und Herren, ich bin der Auffassung: Es gab keine Alternative zur Einführung der D-Mark. Ich habe sogar als einer der ersten den 1. Juli genannt.
({6})
Warum habe ich das getan? Schleichend war die D-Mark in der DDR ohnehin zur Leitwährung geworden. Sie war dort quasi durch die Hintertür eingedrungen. Die weiche Währung in der DDR wäre durch die harte Währung verdrängt worden. Wichtige Geschäfte wären nur noch in D-Mark abgewickelt worden. Dieser schleichende Prozeß der Krise war zu beenden. Aber wenn man das schnell beendet - das war meine Auffassung - , dann mußte man um so bessere Vorbereitungen treffen. Und genau diese Vorbereitungen haben in der DDR und haben durch den Staatsvertrag für die DDR nicht stattgefunden. Das ist das Problem. Es ist ein Versäumnis des Staatsvertrags.
({7}) Ich fasse zusammen:
Erstens. Es gibt in diesem Staatsvertrag kein überzeugendes Gesamtkonzept für das Fortbestehen der überlebensfähigen Betriebe in der DDR.
Zweitens. Es gibt eine deutliche Zurückhaltung der Unternehmer bei Investitionen in der DDR, die auf die Haltung der Bundesregierung bei den Verhandlungen und bei der Entwicklung des Staatsvertrages zurückzuführen ist.
Drittens. Es gibt einen völligen Widerspruch zwischen der Geschwindigkeit in bezug auf die deutsche Einheit und der Geschwindigkeit, in der Sie strukturpolitische Maßnahmen für die DDR einführen.
Viertens. Es gibt - das ist ein ernster Punkt - zunehmend Verzweiflung aus sozialen Gründen in der DDR. Es gibt übrigens ja auch schon welche, die das wieder ausnutzen werden mit der Behauptung: Wir, die PDS, treten in eurem Interesse gegen die sozialen Verwerfungen auf, obgleich sie selbst ja die Ursache dieser Verwerfungen sind.
Meine Damen und Herren, wir brauchen eine aktive Strukturpolitik. Sozialpolitik reicht nicht aus, um den Menschen in der DDR eine Lebenschance zu geben.
({8})
Sie werden gemerkt haben, daß ich mich wirklich schwertue mit der Entscheidung über diesen Staatsvertrag, nicht weil ich die Einheit nicht will, nicht weil ich glaube, daß es eine Alternative zur Einführung unserer Währung in der DDR gegeben hätte, sondern weil ich der Auffassung bin, daß dieser Staatsvertrag die Probleme nicht löst. Aber trotzdem: Die Verweigerung der Einführung der D-Mark zum 1. Juli jetzt, nachdem die Menschen in der DDR auf die D-Mark warten, nachdem sich viele - auch Investoren - darauf eingestellt haben und nachdem in allen möglichen Bereichen Hoffnungen entstanden sind, wäre eine eigenständige Krisenursache. Daran gibt es für mich überhaupt keinen Zweifel.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat versagt, aber wir dürfen uns - so lautet mein Schlußurteil - den Menschen und den Erwartungen der Menschen in der DDR nicht versagen.
({9})
Das ist die Entscheidung zum Ja, aber zu einem Ja unter großer Bedrückung.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Hauser.
Vielleicht warte ich einen Moment, bis das hier zu Ende ist.
({0})
- Nein, nein, nicht der Bötsch. - Für die außerordentliche Unruhe, die offenbar die Bemerkungen des
Kollegen Bötsch ausgelöst haben, habe ich ja Verständnis, denn er hat ja mehr als recht, wenn er das immer wieder anmerkt.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Roth, ich meine, wir sollten uns doch zunächst darauf verständigen, daß dieser Staatsvertrag weder von seiner Anlage noch von seiner Zielsetzung her all die Detailfragen und Eventualitäten, die Sie hier jetzt ansprechen, hat lösen können. Daß es manche offene Fragen gibt, die im Laufe der nächsten Monate im konkreten Fall dann auch gelöst werden müssen, wird doch niemand ernsthaft bestreiten. Deswegen ist es doch völlig abwegig, wenn Sie hier jetzt allerhand Detailfragen ansprechen und sagen: Das alles steht nicht im Staatsvertrag. - Das wäre ja ein Vertrag geworden, der sich mit so vielen Eventualitäten hätte auseinandersetzen müssen, daß dieses Werk überhaupt nicht flexibel hätte gehandhabt werden können, und das wäre falsch. Deswegen ist der Vorwurf, den Sie hier erheben, völlig unberechtigt.
Aber mir scheint etwas anderes wichtig zu sein: Wenn wir hier über die zukünftige Entwicklung in der DDR sprechen, dürfen wir nicht ständig Schwarzmalerei betreiben; wir dürfen nicht ständig Ängste schüren und Dinge aufzeigen, die vielleicht eintreten könnten. Ich frage mich oft, woher diejenigen, die das alles hier immer vortragen, eigentlich diese Weisheiten haben. Die Einführung der D-Mark am 1. Juli wird ja erst einmal zeigen, welche tatsächlichen Wirkungen davon ausgehen. Jetzt wird hier schon prognostiziert, welche negativen Folgen das haben könnte.
Wir haben uns hier immer darauf verständigt, daß der Erfolg einer Wirtschaftspolitik auch vom psychologischen Umfeld abhängt, daß erfolgreiche Wirtschaftspolitik zu 50 % durch Psychologie bestimmt wird. Wenn wir hier ständig in Pessimismus machen, wenn wir von vornherein den Eindruck erwecken, es sei ja alles ganz schrecklich, was die Menschen in der DDR nach dem 1. Juli alles erwarten müßten, wenn wir schon von vornherein alles kaputtreden, dann dürfen wir überhaupt nicht erwarten, daß das Ganze zum Erfolg führt. Manchmal - das will ich hier überhaupt nicht verschweigen - habe ich den Eindruck, daß es in unserer öffentlichen Diskussion Leute gibt, die heimlich gar wünschen, es würde nicht zum Erfolg kommen, damit sie darauf ihr politisches Süppchen kochen können.
({2})
Wer heute schon, Herr Stratmann, Millionen von Arbeitslosen an die Wand malt,
({3})
ohne ernsthaft begründen zu können, wie er zu solchen Zahlen kommt, der tut der Sache keinen Dienst, sondern der schadet. Ich sage sogar, er schadet bewußt.
({4})
Meine Damen und Herren, der Ministerpräsident de Maizière hat heute mittag in Bonn eine Rede gehalten, in der er gesagt hat, daß sich die Bürger in der
Hauser ({5})
DDR bei ihrer Wahl am 18. März für Frieden, Freiheit und Wohlstand entschieden haben. Unsere Aufgabe ist es, das jetzt nicht ständig in Frage zu stellen, sondern unseren Landsleuten in der DDR eine optimale Ausgangslage zu schaffen, damit dieser Wohlstand in möglichst kurzer, absehbarer Zeit auch erreicht werden kann. Daß das nicht von heute auf morgen geht, wissen wir doch alle. Daß es hier Übergangsfristen gibt, daß wir hier in bestimmten Phasen schwierige Situationen bekommen, das wird doch auch nicht verschwiegen.
Herr Kollege Roth, die Analogie zu den Verhältnissen unter Ludwig Erhard wird doch nicht in der Weise hergestellt, daß wir jetzt sagen: Wenn am 1. Juli die D-Mark eingeführt und die Wirtschaftsunion Wirklichkeit wird, dann wird das sofort vom nächsten Tag ab alles in der gleichen Weise verlaufen, wie das nach 1948 passiert ist - darüber sind wir uns sehr wohl klar - , aber der Einschnitt in die wirtschaftlichen Verhältnisse der DDR durch diesen Staatsvertrag ist vergleichbar mit der Währungsreform 1948.
({6})
Das ist die Analogie, nicht einfach die Übertragung von Sachverhalten, als wenn man das miteinander vergleichen könnte.
Herr Abgeordneter Hauser, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann-Mertens?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Hauser, sind Sie so konsequent, nicht nur mir, sondern dann auch schon dem Wirtschaftsminister Haussmann
- er sitzt ja dort - vorzuwerfen, daß er bewußt der Entwicklung in der DDR schadet, wenn er - nachzulesen in der „Süddeutschen Zeitung" von gestern - schreibt, es sei der feste Wille der Bundesregierung, das Entstehen von Massenarbeitslosigkeit in der DDR zu verhindern; man habe das konkrete Ziel, die Arbeitslosenquote unter den 37 Millionen beschäftigten Arbeitnehmern in der Bundesrepublik und der DDR nicht über 10 % steigen zu lassen? Meine Erläuterung „nicht über 10 %" heißt: bis zu 10 % muß man wahrscheinlich rechnen. Das sind 3,7 Millionen Arbeitslose minus 1,8 Millionen in der BRD macht 1,9 Millionen allein in der DDR. Ich habe von ca. zwei Millionen gesprochen. Sind Sie so konsequent, auch Herrn Haussmann vorzuwerfen, daß er bewußt der Entwicklung in der DDR schadet?
Ich bin so konsequent, darauf hinzuweisen, daß Sie heute mittag hier nicht von zwei, sondern von drei Millionen Arbeitslosen geredet haben.
({0})
- Daß Sie von drei Millionen Arbeitslosen hier gesprochen haben, das können Sie im Protokoll ja nachlesen, wenn Sie nicht mehr wissen, was Sie gesagt haben.
({1})
Das, was der Herr Haussmann in der Zeitung gesagt hat, ist mit einer ganz anderen Zielrichtung dargestellt.
({2})
Er hat gesagt, wir wollen verhindern, daß es zu Arbeitslosigkeit kommt.
({3})
Sie haben hier dargestellt, es wird dazu kommen, und dies ist das Schicksal, dem unsere Landsleute ausgeliefert sind. Das ist eine völlig andere Akzentsetzung. Er hat das in der Weise dargestellt, daß er sagte, wir wollen die Arbeitslosigkeit verhindern.
({4})
Und Sie sagen, das ist ein unabwendbares Schicksal, dem muß man sich einfach stellen. Im übrigen sollten Sie Ihre Rechenkunststückchen noch einmal überprüfen; die stimmen nämlich auch nicht.
({5})
- Ich habe das Gefühl, daß es hier immer schöne Zwischenphasen gibt, da kann man mal ein bißchen Wasser trinken.
({6})
- So, kann man denn jetzt weitermachen? Nur mal ruhig! Ich weiß, daß Sie das nicht gerne hören. Das ist sehr unangenehm in manchen Phasen, das will ich also gerne akzeptieren. Aber das kann mich nicht daran hindern, Ihnen das zu sagen, was ich für richtig halte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will eine weitere Anmerkung zu einer Frage machen, die der Kollege Roth hier aufgeworfen hat, nämlich zu der Frage: Wie ist das mit den Investitionen in der DDR? Zunächst einmal darf ich festhalten, daß heute bereits eine große Zahl von Unternehmen aus der Bundesrepublik in der DDR investiert oder Investitionen vorbereitet.
({7})
- Ja, ich auch. Eine große Zahl von Handwerksbetrieben investiert dort bzw. bereitet Investitionen vor. Wenn Sie das interessiert, kann ich Ihnen das gerne einmal im Detail darstellen. - Damit geben wir der Wirtschaft der DDR eine gute Startchance.
Aber ich sage genauso, daß es mir nicht in erster Linie darauf ankommt, die Kombinate durch eine möglichst gute oder durch eine optimale Entschuldung am Leben zu erhalten. Mir kommt es sehr viel mehr darauf an, daß wir mit unserem Staatsvertrag Voraussetzungen dafür schaffen, daß ein breiter, leistungsfähiger Mittelstand in der DDR in Zukunft möglich ist, der die Grundlage für die Entwicklung dieser Volkswirtschaft darstellt.
({8})
Hauser ({9})
Die Kombinate haben bewiesen, daß sie nicht in der Lage sind, die Probleme in ihren Mammutgebilden zu lösen.
Wenn die Kombinate heute entschuldet werden, muß man auch an folgendes denken: Diese Staatsbetriebe waren lange Zeit überhaupt die einzigen, die sich in der DDR verschulden konnten, weil die Staatsbank den kleinen und mittelständischen Betrieben überhaupt keine Kredite zubilligte. Wenn man die Schulden der Staatsbetriebe heute halbiert, dann ist das im Grunde schon eine sehr weitgehende Konzession gegenüber diesen Betrieben. Ich bin der Meinung, daß man die vorhandenen finanziellen Möglichkeiten nicht ausschließlich für die Kombinate und ihre Entflechtung ausschöpfen darf mit der Folge, daß man nicht mehr das Geld zur Verfügung hat, das notwendig ist, um einen leistungsfähigen Mittelstand aufzubauen.
({10})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesrepublik ist im Augenblick in einer Situation, die es ihr ermöglicht, diese Leistung ohne übergroße Opfer zu erbringen. Die Investitionen, die hier in der Bundesrepublik bereits heute ansteigen, hängen auch mit den Erwartungen der westdeutschen Wirtschaft hinsichtlich der Entwicklung in der DDR zusammen. Da ist der Optimismus vorhanden, den ich hier in der Debatte bei Ihnen vermisse, meine Damen und Herren.
({11})
Wenn die Zunahme des Wirtschaftswachstums um 1 % in der Bundesrepublik dazu führt, daß wir in den öffentlichen Kassen eine höhere Einnahme von etwa 10 Milliarden DM haben, dann ist damit eine Basis geschaffen, die es uns ermöglicht, einen Teil des zusätzlichen Wachstums, das wir im Laufe der nächsten Zeit in der Bundesrepublik erzielen werden, für Problemlösungen in der DDR einzusetzen.
Heute morgen ist hier schon einmal deutlich gemacht worden, daß es nicht darum geht, die Menschen in der Bundesrepublik mit Hinweisen auf Sonderopfer und ähnliches zu verunsichern, sondern darum, daß wir die Probleme mit unserer Wirtschaftskraft lösen und ihre Lösung auch finanzieren können. Dazu sind wir aufgerufen.
Meine Damen und Herren, einer soliden Finanzierung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion steht bei einer solchen Ausgangslage überhaupt nichts im Wege. Die 120 Milliarden DM an zusätzlichen Einnahmen für Bund, Länder und Gemeinden in den nächsten fünf Jahren, die auch vom Finanzplanungsrat prognostiziert werden, sind dafür eine hervorragende Basis.
Im Ausschuß Deutsche Einheit haben wir den Art. 1 a aus gutem Grund noch in das Gesetz aufgenommen,
({12})
um den Rahmen der von uns gewollten Wirtschaftsordnung noch einmal zu verdeutlichen und abzugrenzen: vom Wettbewerb über den Verbraucherschutz bis hin zu Infrastruktur, Arbeitsmarktpolitik und Berufsausbildung. Ich glaube, daß es ganz wichtig ist, daß wir an Hand dieser Leitsätze die Aufgaben erfüllen, die uns in den nächsten Monaten gestellt sind. Wenn wir die Chancen nutzen, die uns der Staatsvertrag für die Gestaltung der politischen Zukunft gibt, dann werden wir nicht nur den Bürgern in der DDR einen großen Dienst erweisen, sondern auch uns selbst und der gesamten Entwicklung, die sich aus diesem Zusammenschluß in Zukunft auch für Europa ergibt. Das ist unsere Aufgabe, nicht aber ein ständiges Kritisieren und Miesmachen.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Wüppesahl.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen! Gegen 21.05 Uhr kommt endlich der Kollege von Ihnen zu Wort, der dieses Ratifizierungsgesetz mit über 500 Änderungsanträgen intensivst bearbeitet hat, die heute auf merkwürdige Art und Weise abgefertigt werden sollen. Ich werde jetzt nicht zu den Änderungsanträgen sprechen, weil ich davon ausgehe, daß ich nicht wie die Kollegin Frau Unruh, die als einzige neben mir fraktionslos ist, nur 15 Minuten sprechen kann, sondern natürlich noch ein weiteres Redekontingent erhalte. Jetzt werde ich grundsätzliche Ausführungen machen.
Zwei Punkte zur polnischen Westgrenze: Wieso ist es eigentlich nötig gewesen, daß wir hierüber noch haben diskutieren müssen und heute abend Entschließungen verabschieden, wenn uns die Bundesregierung bei der Serie von Debatten, die wir in diesem Hause in den letzten neun Monaten gehabt haben, in beschwörender Weise immer wieder versichert hatte, damit sei klar, daß die polnische Westgrenze von der Bundesrepublik nicht wieder angegriffen werden würde? Dies ist aus meiner Sicht vor allem insofern analytisch lehrreich, als wir daraus entnehmen können, wie wenig das Wort der Bundesregierung in diesen vergangenen Debatten tatsächlich zählt. Erst mit der heutigen Entschließung wird die polnische Westgrenze im parlamentarischen Raum garantiert werden. Es ist peinlich, und es ist ein Armutszeugnis;
({0})
dies gilt auch für das, was wir am 1. September letzten Jahres zum 50. Jahrestag des Kriegsausbruchs bzw. der Kriegsanfangs durch Deutschland erlebt haben.
Die zweite Bemerkung schließt daran an und ist sehr viel kürzer: Ich hoffe, daß wir die vertragliche Regelung jetzt sehr schnell bekommen werden, weil nur sie völkerrechtlich tatsächlich die Sicherheit für Polen darstellt, die sich die polnische Regierung erbeten hat.
Herr Abgeordneter Wüppesahl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Amling?
Selbstverständlich, wenn es wie üblich nicht von der Redezeit abgezogen wird.
Herr Kollege Wüppesahl, nur eine kurze Frage: Wie viele Kilo Papier haben Sie heute in diesem Haus verteilt, und wie viele Bäume mußten sterben, damit Sie das verteilen konnten?
({0})
Ich habe das einmal berechnet, weil ich darauf schon bei der Verteilung angesprochen worden war. Da kommt nicht einmal ein gestandener Baum zusammen.
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Insgesamt ist das ein Bruchteil dessen, was uns die Regierung täglich an Papieren auf dem Schreibtisch beschert.
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Meine Damen und Herren, die Behauptung, es gebe zu dem vorgelegten Vertragstext keine Alternative, ist absurd. Die Politgrößen der Bundesrepublik redeten genau dies den Bürgerinnen und Bürgern und Politikerinnen und Politikern in der DDR in einer Mischung von Autosuggestion und Hektik immer wieder ein, einer Hektik, die Ängsten und Machtoptionen entspringt.
Eine andere Möglichkeit, zur Einheit zu gelangen, bietet natürlich Art. 146 des Grundgesetzes. Danach hätte die bundesdeutsche Seite die Chance, durch eine verfassunggebende deutsch-deutsche Versammlung ihre in den letzten 40 Jahren erlangten Positionen neu zu überdenken und vermeintliche Mängel ihrer jetzigen vorläufigen Verfassung zu beheben. Es scheint aber, als sei dieser Denkprozeß abgeschlossen, bevor er überhaupt richtig eingesetzt hat. Die eigentliche Aufgabe, zwei verschiedene Rechtsordnungen einander anzugleichen - mit dem Inkrafttreten des Staatsvertrags weitestgehend präjudiziert -, löst das Grundgesetz nicht, denn auch mit dem Beitritt der DDR ist zwar die Einigung formell vollzogen, ungelöst aber bleiben die schwierigen Übergangs- und Anpassungsprobleme, nämlich die Übertragung des einfachen Rechts; von der technischen Umsetzung in den Verwaltungen und Behörden der DDR will ich jetzt gar nicht reden.
({2})
Es wird hier vielfach eingewandt, all das lasse sich durch Übergangsregelungen lösen. Die bundesdeutsche Rechtsordnung müsse nicht schlagartig, sondern könne schrittweise in Kraft gesetzt werden, wie dies beim Beitritt des Saarlandes geschehen sei. Diese Betrachtung geht von einem Standpunkt aus, der die bundesrepublikanischen Gesetze und Wertvorstellungen als Faktum unterstellt und der DDR ,,großmütig" die Chance einräumt, am bundesdeutschen Wesen zu genesen.
Auch der DDR muß ermöglicht werden, nicht nur beim Eintritt in den Bund ihre Vorstellungen zu äußern, sondern beim Zusammenwachsen der beiden Teile Deutschlands aktiv und selbstbestimmend mitzuwirken, wenn sie sich nicht für die Dauer einer weiteren Generation als fremder Teil im vereinten Deutschland empfinden soll.
Die Umsetzung dieses Staatsvertrages wird auf Verwaltungen in der DDR aufbauen müssen, die es noch gar nicht gibt. Dabei ist völlig ungeklärt, wie die administrative Umsetzung der vielen Gesetze, die auf der Grundlage des Staatsvertrages durch die DDR-Volkskammer erlassen worden sind, in den Behörden der DDR erfolgen soll. Wer soll dort ein Verwaltungsverfahrensgesetz, das nun weiß Gott nicht eines der einfachen Normwerke darstellt, oder das Verwaltungsvollzugsgesetz, Umweltbestimmungen, die bislang noch völlig unbekannt waren, oder Datenschutzbestimmungen handhaben, wo bislang alles darauf ausgerichtet war, den Persönlichkeitsschutz auszuschalten?
Kurzum: Das Chaos wird in der Übergangsphase allgegenwärtig sein. Gesetzesbestimmungen werden - sogar ohne jede Boshaftigkeit - in expotentieller Größenordnung verletzt werden. Von Rechtsstaatlichkeit wird keine Rede sein können.
In Vergessenheit geraten ist offensichtlich, daß alle, wirklich alle Experten zu Beginn der für uns alle so plötzlich eingetretenen neuen politischen Optionen eindeutig vor dem von dieser Regierung und jetzt von der SPD durch ihr angekündigtes Stimmverhalten - jedenfalls mehrheitlich - mitgetragenen Weg warnten. Sozialdemokraten jedenfalls müßten sich angesichts des Inhaltes des Staatsvertrages, seiner Anlagen und des dazugehörigen, von den Koalitionsfraktionen vorgelegten Gesetzentwurfes programmatisch umdrehen.
Sie können sich darin nicht wiederfinden und wollen heute diesem neokonservativen Wirtschaftsmodell dennoch zustimmen - ein Vorgang, der mich einigermaßen betreten macht. Im übrigen ist es für mich ein Auslöser gewesen, daß die SPD-Bundestagsfraktion es geschafft hatte, Oskar Lafontaine zu domestizieren. Diese Domestikation war für mich wirklich Ursache oder - wie schon formuliert - Auslöser dafür, daß ich mir noch einmal die Mühe gemacht habe und im parlamentarischen Beratungsgang diese Vielzahl von Änderungsanträgen eingebracht habe.
({3})
Obwohl in der Überschrift dieses Ratifizierungsgesetzes und auch des Staatsvertragstextes der Begriff „Sozialunion" enthalten ist, werden bedeutsame Bevölkerungsgruppen nicht oder bloß beiläufig erwähnt. Statt dessen wird jedoch dem bundesdeutschen Kapital der Weg durch die Sozial- und Wirtschaftsgesetzgebung der DDR in einer Maß- und Schamlosigkeit gebahnt, wie zumindest ich mir das nicht habe vorstellen können.
Diese Tatsachen verstärken nochmals den Eindruck, daß die Sozialunion nur deshalb nachträglich
in die Überschrift aufgenommen worden ist, um die Akzeptanz dieses Vertrages in populistischster Manier zu erhöhen. Somit ist es zwangsläufig, daß dem Staatsvertrag, wie ich es in einer Reihe von meinen Änderungsanträgen formuliert habe, eine ganze Anzahl weiterer Artikel angefügt werden müßten.
In meinen Änderungsanträgen finden Sie eine Vielzahl von Absätzen zu Artikeln über Frauen, über Antidiskriminierungspunkte, die Sie auch bei vielen Drucksachen der SPD und der GRÜNEN-Bundestagsfraktion wiederfinden könnten, zumindest in Teilen. Auch zu Kindern gibt es etwas. Sie wissen um das große Problem, was in der DDR ab 1. Juli mit den Kinderkrippen und Kindergärten passiert. Im Ausschuß Deutsche Einheit haben wir gehört, es stehe im Befinden der DDR-Regierung, wie sie die Mittel im Haushalt dafür einstellt. Das ist doch absurd! An anderer Stelle des Staatsvertrages steht doch eindeutig, daß der DDR-Haushalt und im besonderen die Verteilung der aufzunehmenden Kredite im Einvernehmen mit Bundesfinanzminister Theo Waigel vorzunehmen ist. In Anbetracht der Bedingungen, die wir hier in Kindergärten und in Kinderkrippen haben, ist doch ganz klar, was von dieser wirklich vorbildlichen Infrastruktur in der DDR übrigbleiben wird.
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Dies ist nur ein Beispiel dafür,
({5})
wie die Bundesrepublik bei diesem ersten Staatsvertrag die Chance vertan hat, positive Errungenschaften in der DDR bei uns zu übernehmen. Statt dessen wird eindeutig permanent bundesdeutsche Wirklichkeit auf die DDR übertragen; zumindest wird dies versucht.
Gleichzeitig eignet sich dieses Beispiel, das ich eben genannt habe, dafür, die grundsätzliche Systematik aufzuzeigen. Alles das, was für die DDR-Bevölkerung unangenehm wird, wird im Staatsvertrag in der Regel gar nicht erwähnt. Dort verweist man auf die Zuständigkeit der DDR, des Parlaments, der Regierung, und weiß gleichzeitig, daß die DDR-Regierung dann ihrer Souveränität endgültig verlustig gegangen sein wird - im Grunde ist das schon jetzt der Fall - und daß die entscheidenden Haushaltsstellen aus der Bundesrepublik, aus Bonn diktiert werden.
Das sind Gründe dafür, daß in dieses Ratifizierungsgesetz weitere Artikel hineingehören. Eigentlich gilt das auch für den Staatsvertrag; nur können wir an dessen Text nichts mehr ändern. Beim Ratifizierungsgesetz ginge das aber heute noch, wenn von den Oppositionsfraktionen couragiert und beherzt Druck entwickelt werden würde, bezogen auf diese ganzen Themenfelder, nämlich Frauen, Kinder, alte Menschen, kranke Menschen. Alles das fehlt. Trotzdem steht in der Überschrift: Sozialunion.
Behinderte Menschen sind in der DDR zum jetzigen Zeitpunkt erheblich schlechter gestellt als behinderte Menschen in der Bundesrepublik. Warum steht trotz dieser Überschrift nichts davon in dem Ratifizierungsgesetz?
Zur Bildungspolitik: Im vierten Spiegelstrich des Art. 26 wird der DDR z. B. aufgegeben, im Bildungsbereich zu sparen. Was glauben Sie denn, meine Damen und Herren, was in den nächsten Jahren dort passieren wird? Dort werden im Hochschulbaubereich erhebliche Investitionen notwendig sein. Oder zu den Stipendien: Was glauben Sie denn, wie die Studenten weiterexistieren und weiterstudieren können, wenn die Preise in der DDR explodieren, ob für Mensaessen, ob für öffentliche Verkehrsmittel, ob für Wohnungen? Schon jetzt werden Studentenwohnheime zu normalen Wohnungen umgebaut. Das alles sind Dinge, die in Ihrem vorgelegten Gesetzentwurf mit Staatsvertrag plus Anlagen fehlen bzw. bewußt außen vor gelassen worden sind.
Ich möchte jetzt noch auf ein besonderes Problem aufmerksam machen. Das ist neben dem Art. 1 a, der nachträglich eingeführt worden ist, der Art. 33 a.
({6})
Beides sind an sich schon tolle Beispiele, um zu belegen, was von den Ausführungen dieser Regierung zu halten ist.
Wochenlang wurde der Opposition auf Nachfragen hin beschieden, daß es keine Nachbesserung geben könne. In solchen Bereichen wie polizeiliche Zusammenarbeit - Art. 33 a - oder wirtschaftliche Gesichtspunkte - Art. 1 a - sind Nachbesserungen aber möglich. Warum sind solche Nachbesserungen im sozialen Bereich nicht möglich?
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Warum wird seitens der Oppositionsfraktionen nicht stärker darauf gedrungen? Die SPD hat doch über ihr Stimmverhalten hier und über die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat doch einen erheblichen Druckhebel in der Hand.
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- Herr Bötsch, es ist vielleicht schon ein bißchen spät für Sie, Sie könnten ja in Ihre Wohnung gehen und eine Runde schlafen.
({9})
Im übrigen empfehle ich der CDU, dafür zu sorgen, daß sich die geistigen Hinterbänkler ein bißchen ruhiger verhalten.
({10})
Art. 33 a wird jetzt nachträglich in dieses Ratifizierungsgesetz eingeführt. Wissen Sie eigentlich, was sich dort alles versteckt? Trotz Zustimmungsankündigung der SPD glaube ich, daß das nicht der Fall ist.
Wir werden damit eine Rechtskonstruktion haben, die es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben hat. Sechs Tage lang wird ein zustimmungsbedürftiges Ratifizierungsgesetz, d. h. ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrats bedarf, Rechtskraft erlangen, ohne daß der Bundesrat seine Meinung dazu geäußert hat. Das ist ein einmaliger Vorgang,
der natürlich auch mit der Gefahr behaftet ist, daß wir damit einen Präzedenzfall bekommen und zwar dazu dann noch in einem Bereich, der hochsensibel ist. Es wird jetzt versucht - bzw. mit Zustimmung der SPD gemacht, und zwar auch aus dem Innenausschuß, auch aus dem Ausschuß für Deutsche Einheit -, der Bundesregierung per Rechtsverordnung eine pauschale Ermächtigung zu geben.
({11})
- Was reden Sie denn für ein dummes Zeug? Das ist eine Tatsache!
({12})
Quatsch reden Sie mit solchen Behauptungen!
({13})
- Wo gibt es denn so etwas? Nennen Sie mir ein Beispiel aus der Rechtsgeschichte, wo der Bundesrat eigene Zuständigkeiten durch eine Vorbehaltsklausel, daß er nachträglich zustimmt, verlorengibt.
({14})
Diese Regierung hat uns ja noch ganz andere Texte zugemutet als den, über den wir jetzt abstimmen. Die waren noch katastrophaler!
({15})
In Abs. 4 haben wir außerdem eine Öffnungsklausel, Herr Kollege, die das Polizeirecht des Bundes und der Länder zur Anwendung bringen kann; das heißt, daß noch sehr viel mehr erreicht werden kann als das, was schon jetzt als Ermächtigung in Art. 33 a enthalten ist. Es muß erlaubt sein, die Gefahr zu beschreiben, daß auf der Grundlage des DDR-Polizeirechtes noch ganz andere Dinge möglich werden, daß z. B. bei den Begehrlichkeiten, die inzwischen in unseren Diensten und Polizeien entstanden sind, die StasiAkten herüberkommen und einseitig ausgewertet werden, so wie wir das auch aus anderen Bereichen kennen.
Jedenfalls ist eindeutig - auch Staatssekretär Neusel hat dies im Innenaussschuß genauso wie im Ausschuß Deutsche Einheit formuliert -, daß das Vehikel des Ratifizierungsgesetzes benutzt werden soll, damit ein eigenständiges Gesetz, das einem Ratifizierungsprozeß unterliegen müßte, über dieses zustimmungsbedürftige Ratifizierungsgesetz zum Staatsvertrag über die Bühne gebracht werden kann.
Meine Damen und Herren, mir ist bis heute nicht klar, wie Sie diesen rechtsfreien Raum, den wir ab 1. Juli 1990 in der DDR haben werden, mit Inhalt und Personal ausfüllen wollen. Es wird keine Verwaltungskräfte in der DDR geben, die in der Lage sind, z. B. Datenschutzbestimmungen anzuwenden. Es wird auch keine Personen geben, die in der Lage sind, im Wirtschaftsbereich das zu exekutieren, was zur Zeit in der Volkskammer in Serie beschlossen wird. Dort werden wirklich innerhalb von vier Stunden
acht, zehn oder zwölf Gesetze verabschiedet. Von Beratung kann man da sowieso nicht mehr sprechen.
({16})
Es ist so ähnlich wie heute hier. Auch dieses Ratifizierungsgesetz steht ja unter einem ungeheuren Druck.
Trotzdem ist Ihre Redezeit beendet.
Die Redezeit ist beendet. Ich gehe aber davon aus, daß ich noch ein zweites Redekontingent bekomme, damit Sie in den Genuß kommen, solche Gedankengänge, die Ihnen sonst völlig verlustig gehen würden, noch länger zu hören.
({0})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD- Bundestagsfraktion hat den Prozeß der deutschen Einheit durch eine Reihe von konstruktiven Vorschlägen mitgestaltet.
({0})
Uns kam es dabei nicht auf nationales Pathos an. Es ging uns vielmehr darum, die Lebensbedingungen der Menschen in der DDR und auch bei uns zu verbessern und den Prozeß der Einheit sozial gerecht zu gestalten.
({1})
Wir fühlen uns mit unserer Arbeit im Einklang mit der großen Mehrheit der Bevölkerung.
({2})
Wir begrüßen es ausdrücklich, daß sich die Menschen nicht nach dem Motto „Einheit, Einheit über alles!" in nationalen Taumel stürzen lassen, sondern das grundsätzliche Ja zur deutschen Einheit mit der nüchternen Abwägung verbinden: Welche Probleme sind zu lösen? Welche Vor- und Nachteile haben die verschiedenen Lösungsvorschläge? Welche Nachteile gibt es für den einzelnen? Wer trägt die Kosten?
({3})
Wie werden die Lasten gerecht verteilt?
({4})
Wir sehen hierin ein hoffnungsvolles Zeichen politischer Reife und ein deutlich verringertes Risiko der Verführbarkeit durch nationalistische SprücheklopFrau Matthäus-Maier
fer. Wir stellen mit Befriedigung fest: Dieses Volk hat mehr politische Reife als seine Regierung.
({5})
Die SPD-Bundestagsfraktion stellt mit Genugtuung fest, daß sich die Hartnäckigkeit, mit der wir unsere Vorschläge verfolgt haben, für die Menschen in beiden Teilen Deutschlands ausgezahlt hat.
({6})
Zusammen mit der SPD in der DDR sowie mit Unterstützung der Bevölkerung in der DDR und in der Bundesrepublik Deutschland haben wir zahlreiche von Sozialdemokraten vorgeschlagene Ideen durchgesetzt.
({7})
Dazu gehören u. a. die Streichung aller finanziellen Vorteile für Übersiedler,
({8})
ein Umtauschkurs von 1 : 1 statt des vorgesehenen Umtauschkurses von 1 :2 - ({9})
- Ich weiß, gegen Abend wird es manchmal unruhiger, weil der eine und der andere dann auch schon einmal in der Bar war. Es wäre aber vielleicht doch ganz gut, wenn wir zu der sachlichen Auseinandersetzung zurückkehren könnten.
({10})
Zu den Verbesserungen gehören die gleichberechtigte Hineinnahme der Sozialunion neben der Wirtschafts- und Währungsunion, deutliche Verbesserungen im Hinblick auf eine Umweltunion, insbesondere die Stillegung des lebensgefährlichen Atomkraftwerks Greifswald, Vorkehrungen zur Bekämpfung des Spekulantentums und des Bonzenumtauschs bei der Währungsumstellung,
({11})
erste Maßnahmen zur Sicherstellung des Vermögens der SED/PDS, der Ost-CDU und der anderen Blockparteien.
({12})
Dies ermöglicht es der SPD-Bundestagsfraktion, diesem Vertrag zuzustimmen,
({13})
obwohl es nicht der Vertrag ist, den eine sozialdemokratische Regierung gestaltet hätte,
({14})
und obwohl es nach wie vor zahlreiche Mängel gibt.
({15})
Die SPD war bereit, die Verantwortung für die Gestaltung der deutschen Einheit zusammen mit der Bundesregierung voll zu übernehmen,
({16})
und hat immer wieder ihre Zusammenarbeit angeboten. Sie haben aber von Anfang an auf einen anderen Weg gesetzt, den des würdigen Geißler-Nachfolgers Rühe, nämlich: spalten statt versöhnen.
({17})
Sie wollten die Spaltung im Innern benutzen - ({18})
Herr Abgeordneter Pfeffermann, ich bitte Sie, sich jetzt parlamentarisch zu verhalten.
({0})
Hier wird dazwischengerufen, was ich sagte, sei Meinungsterror. Ich habe das Gefühl: Was Sie machen, ist Rufterror, weil Sie immer dazwischenquatschen wie ein Rüpel!
({0})
Sie wollten die Einheit zur Spaltung im Innern benutzen. Sie wollten im Alleingang über die Köpfe der Menschen hinweg entscheiden.
({1})
Sie wollten anordnen statt überzeugen. Sie wollten die Opposition ausgrenzen.
({2})
Sie wollten uns Sozialdemokraten als Gegner der Einheit diffamieren.
({3})
Sie wollten Sozialdemokraten wie Oskar Lafontaine und Johannes Rau auf eine Stufe stellen
({4})
mit Honecker und Krenz. Ihre schlimmen Plakate kennen wird.
({5})
Sie haben sich damit lächerlich gemacht.
({6})
- Frau Präsidentin, man sollte einmal entscheiden, wer im Moment das Wort hat!
Sie haben das Wort. Aber ich denke, die Angriffslust führt zu Gegenreaktionen.
({0})
Sie haben sich damit lächerlich gemacht, Johannes Rau und Lafontaine auf eine Stufe mit Honecker und Krenz zu stellen,
({0})
und Sie sind an der politischen Reife der Menschen in diesem Land gescheitert, wie Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zeigen.
({1})
Insbesondere, Herr Bundeskanzler, haben Sie durch Ihre falsche Vorgehensweise verhindert, daß der Weg zur deutschen Einheit in parteiübergreifendem Konsens
({2})
und mit der breiten Zustimmung der gesellschaftlichen Gruppen und der Bevölkerung begangen werden konnte.
({3})
Also, entweder wir unterbrechen jetzt die Sitzung, oder wir machen in Ruhe weiter!
({0})
Bitte setzen Sie fort, Frau Matthäus-Maier!
({1})
Danke schön. - Wir Sozialdemokraten hatten sehr früh die Einrichtung eines Runden Tisches gefordert, einer Gesprächsrunde, in der Bundesregierung, Länderregierungen, Oppositionsparteien, Gewerkschaften, Unternehmen, Unternehmensverbände und auch Wissenschaftler zusammen über den besten Weg zur deutschen Einheit beraten sollten.
Ich bin der festen Überzeugung: Hätte es dieses Gremium seit Anfang 1990 gegeben, so wäre es in den Wochen bis Mitte Februar, wo Sie die Wirtschafts- und Währungsunion im Alleingang, verbunden mit einer enormen Brüskierung der Bundesbank, verordnet haben, vielleicht möglich gewesen, zu einem Konsens zu kommen.
({0})
Bei der Debatte über die Währungsunion bestand nämlich von Anfang an in einem Punkt weitgehende Einigkeit: Wenn für den wirtschaftlichen Aufbau der DDR ausreichend Zeit bestanden hätte, hätte man ein schrittweises Zusammenwachsen der beiden Währungsgebiete aus wirtschafts- und währungstheoretischer Sicht vorgeschlagen. Aber die DDR hatte diese Zeit nicht.
({1})
- Herr Stratmann-Mertens, Sie haben mir in Ihrer Rede heute vorgeworfen, ich hätte gegen den versammelten Sachverstand meinen Vorschlag für eine rasche Währungs- und Wirtschaftsunion ausgesprochen. Ich bedanke mich für die Ehre, aber ich darf darauf hinweisen: Professor Hankel, Professor Engels, Professor Krupp, Professor Köhler von der Bundesbank, Professor Biedenkopf und auch Professor Schiller haben gesagt: Die einzige Möglichkeit, den endgültigen Ruin der durch die SED-Herrschaft ruinierten Kommandowirtschaft aufzuhalten, war aus ihrer Sicht eine rasche Wirtschafts- und Währungsunion.
({2})
Ich erinnere mich, daß Professor Schiller gesagt hat: Die Bevölkerung der DDR befindet sich auf dem Wege der Verweigerung gegenüber ihrer eigenen Währung. Wenn ein solcher Prozeß einmal in Gang ist, dann hilft eigentlich nur eine neue Währung.
Aber, Herr Bundeskanzler, Sie haben diesen Prozeß der Konsensfindung, in dem man über mögliche Alternativen zusammen hätte beraten können, von vornherein verhindert. Sie haben es daher zu verantworten, daß bis heute Zweifel bestehen. Ich glaube, daß es keine Alternative gab. Aber indem Sie die Konsensfindung verhindert haben, sind Sie selber und ganz alleine dafür verantwortlich, daß man heute das Wirtschaftsministerium, das Finanzministerium und auch die Bundesbank gegen Sie als Kronzeugen ausspielen kann. Das haben Sie sich selber zuzuschreiben.
({3})
Der zweite historische Fehler war, daß Sie versucht haben, in der DDR die nackte Marktwirtschaft ohne soziale Absicherung einzuführen und auf dem Umweg über die DDR auch bei uns das Soziale in der Sozialen Marktwirtschaft auf Null zu bringen.
({4})
Die Aussperrung sollte erstmals in der Geschichte legalisiert werden. Die Sozialunion kam bei Ihnen nicht vor. Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums war
nicht vorgeschlagen. Das soziale Mietrecht war nicht vorgesehen.
({5})
Der Vorrang der Arbeitsförderung war nicht vorgesehen. Hilfen für Strukturanpassung der Unternehmen waren in Ihrem ersten Entwurf nicht vorhanden.
({6})
Sie wollten den gefährdeten Betrieben nicht einmal den Schutz gewähren, den sie in der Bundesrepublik Deutschland haben, wenn Betriebe und Arbeitsplätze in Gefahr geraten. Sie wollten Sozialdumping in der DDR. Sie wollten über den Kurs 2 : 1 ein Niedriglohnland, und Sie wollten dann über den Umweg auch bei uns die soziale Gerechtigkeit abbauen, wie es Kontinuität Ihrer Politik ist.
({7})
Frau Abgeordnete Matthäus-Maier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten?
Frau MatthäusMaier, ich stimme Ihnen - an die Adresse der CDU gerichtet - zwar zu, daß im Entwurf des Staatsvertrages vom 24. April die ausdrückliche Genehmigung der Aussperrung auf der gleichen Ebene wie Streik vorgesehen war - das ist gestrichen worden - , aber Sie stimmen dem Staatsvertrag auch in der Bestimmung zu, daß das Arbeitskampfrecht der Bundesrepublik auf die DDR übertragen wird, obwohl wir in dem Arbeitskampfrecht der Bundesrepublik eine quasi richterrechtliche Legalisierung der Aussperrung haben und Sie damit der richterrechtlichen Legalisierung der Aussperrung in der DDR zustimmen.
({0})
Herr Stratmann, wir waren, wir sind und wir werden weiterhin für die Achtung der Aussperrung sein. Aber zu meinen, über den Umweg kriegen wir das nicht, das geht nicht.
({0})
Meine Damen und Herren, wir freuen uns, daß noch vor wenigen Tagen das, was ich hier vorgetragen habe, verändert worden ist. Wir sind ganz sicher: Ohne unser Bohren wären diese Verbesserungen nicht in den Vertrag hineingekommen.
({1})
Allerdings ist nicht alles ordentlich geregelt. Es bleibt ein schwerwiegendes Versäumnis der Bundesregierung, daß sie die Währungsunion nicht ausreichend strukturpolitisch flankiert hat. Ich möchte mich darauf beschränken, auf den Beitrag des Kollegen Wolfgang Roth hinzuweisen.
Meine Damen und Herren, eines ist klar: Die Arbeitslosigkeit, die beim Übergang von der einen zur
anderen Wirtschaftsform, von der Kommandowirtschaft zur Sozialen Marktwirtschaft, entstehen wird,
({2})
ist durch ein stalinistisches SED-Regime begründet worden. Aber, meine Damen und Herren, dadurch, daß Sie sich nicht bereit erklärt haben, mehr für die Anpassung, mehr für die Strukturpolitik und mehr für die Qualifizierung zu tun, sind auch Sie verantwortlich für vermeidbare Arbeitslosigkeit.
({3})
Nun zu den Kosten der Einheit und ihrer Finanzierung. Was Sie, Herr Bundesfinanzminister, in den letzten sechs Monaten zu dieser Frage bieten, erlaubt nur das eine Urteil: Bei der Bezifferung der Kosten sind Sie unehrlich, und bei der Finanzierung sind Sie unsolide.
({4})
Wochenlang haben Sie unsere bohrenden Fragen nach den Kosten als unmoralisch abgetan. Dann haben Sie den Eindruck erweckt, als sei die deutsche Einheit sozusagen aus der Portokasse zu finanzieren. Erst nach und nach bequemten Sie sich endlich, Zahlen auf den Tisch zu legen. Leider haben Sie bis heute nicht die ganze Wahrheit gesagt. Daß Sie sich immer noch weigern, die finanziellen Konsequenzen auf den Tisch zu legen ist unredlich und wird der Verantwortung eines Finanzministers nicht gerecht.
({5})
Dort, wo Sie die Kosten nennen und eine Finanzierung vorschlagen, ist diese aber unsolide.
Meine Damen und Herren, 1990 steigt allein die Neuverschuldung im Bundeshaushalt inklusive des neuen Schuldenfonds auf 41 Milliarden DM. Bei einem laufenden Wirtschaftsmotor widerspricht das eindeutig den Grundsätzen unserer Verfassung und dem entsprechenden Staatsschuldenurteil.
({6})
In viereinhalb Jahren soll der Sonderfonds 95 Milliarden DM Kredite aufnehmen. Nur 20 Milliarden DM sollen durch Einsparungen erreicht werden. Das ist doch eine verkehrte Reihenfolge. Sie machen gigantische neue Schulden und prüfen dann, ob man vielleicht noch ein bißchen einsparen kann. Man muß das Thema umgekehrt angehen. Erst wenn alle energischen Sparanstrengungen unternommen worden sind, kann man prüfen, wie weit dann noch Kredite erforderlich sind. Aber Sie haben sich leider dem heilsamen Zwang zum Sparen entzogen.
Was noch schlimmer ist, Herr Bundesfinanzminister: Sie verharmlosen das Problem. Sie kommen Ihrer Aufklärungspflicht nicht nach. Sie versuchen den Ein17262
druck zu verstärken, als wenn es, falls man über Kredite finanziert, eigentlich so recht gar nichts kostet.
({7})
Tatsache ist: Um die mit dem Sonderfonds geplanten 95 Milliarden DM Kredite aufnehmen zu können, müssen beim gegenwärtigen Zinsniveau insgesamt 275 Milliarden DM über die gesamte Laufzeit bezahlt werden. Das heißt, wir zahlen es einmal; unsere Kinder zahlen es einmal und unsere Enkel auch noch einmal. Das zeigt, das ist der teuerste Weg zur deutschen Einheit.
({8})
Dies führt zu einer enormen Belastung des Bundeshaushaltes mit Zinsen; wir werden im Jahre 1994 fast jede sechste D-Mark für Zinsen ausgeben. Jeder Häuslebauer wird Ihnen bestätigen, daß Ihre unsolide Schuldenpolitik auf seine Knochen geht, indem er nämlich Monat für Monat höhere Zinsen zahlen muß.
({9})
Wir haben unsere Sparvorschläge auf den Tisch gelegt, vom Schnellen Brüter über die Abschaffung des Innerdeutschen Ministeriums bis zur Abschaffung und zum Stopp des Jäger 90. Graf Lambsdorff hat in der letzten Woche gesagt: Keine Stimme der FDP für den Jäger 90. Wir werden Ihnen gleich die Gelegenheit dazu geben, darüber abzustimmen.
({10})
Zweitens sagen wir: Verzichten Sie endlich auf die in Ihrem Plan vorgesehenen ungerechten und unsozialen Unternehmensteuersenkungen in Höhe von 25 Milliarden DM.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß.
({11})
Herr Bötsch, Sie haben mich heute morgen richtig zitiert: Ich war und ich bin der festen Überzeugung, wir werden in beiden Teilen Deutschlands reicher und nicht ärmer werden.
Es gilt jetzt, die vor uns liegende harte Durststrecke gemeinsam zu überwinden. Die Menschen in der DDR und in der Bundesrepublik Deutschland können sich darauf verlassen, daß wir Sozialdemokraten auch nach Inkrafttreten des Vertrages unsere ganze Kraft darauf konzentrieren werden, die Chancen der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zu nutzen, um die auftauchenden Probleme solidarisch zu meistern, Schaden von den Menschen abzuwenden und zum Nutzen aller das geeinte Deutschland aufzubauen.
Ich danke Ihnen.
({12})
Als nächster hat der Herr Abgeordnete Lintner das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Matthäus-Maier, Sie müssen sich nicht wundern, wenn bei uns Aufregung entstanden ist. Sie ist sehr verständlich, denn das, was Sie hier geboten haben, war maßlose Polemik.
({0})
Es ist eigentlich schade, daß Sie hier mit Ihrem angeblichen Sachverstand dauernd ein Bäumchen-wechsele-dich-Spiel vorführen. Einmal heißt es, zu langsam, dann zu schnell, dann zu teuer, dann zu wenig, dann ja, dann nein, dann wieder ja. - Leider, meine Damen und Herren, hat sich der Rat der Frau Matthäus-Maier als wenig zuverlässig erwiesen.
({1})
Deshalb war die Regierung aus ihrer Verantwortung heraus einfach nicht in der Lage, Ihnen zu folgen.
({2})
Meine Damen und Herren, auch alle diese Vokabeln, die wir hier wieder hören - Spekulanten, Funktionärskonten - , mußten wir im Ausschuß Deutsche Einheit auch schon hören.
Meine Damen und Herren, Sie wissen doch selber, daß Sie bei uns offene Scheunentore eingerannt sind.
({3})
Wir hatten doch die Lösung dieser Dinge längst vereinbart und in Angriff genommen. Dann kamen Sie und habe sich plötzlich beteiligt. Vorher hatten Sie sich verweigert, dann haben Sie sich beteiligt und so getan,
({4})
als hätten Sie das alles neu erfinden müssen. Das stimmt doch nicht.
Frau Matthäus-Maier, mir fällt auch ein: Sie waren doch vor allem diejenigen, die uns dauernd empfohlen haben, dem Herrn Modrow mit seiner PDS-Regierung noch schnell 15 Milliarden DM zur Verfügung zu stellen.
({5})
Das waren Sie doch. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, war das vor ganzen drei Monaten. Sie haben uns heftigst kritisiert, weil wir das nicht getan haben.
({6})
Jetzt muß ich doch einmal fragen: Wenn Sie hier den Staatsvertrag so maßlos kritisieren, was halten Sie dann von der Rolle der Ost-SPD? Die war doch maßgeblich beteilgt.
({7})
Waren die dann von allen guten Geistern verlassen?
Haben Sie keinen Telefonkontakt oder persönlichen
Kontakt gefunden, um denen den Rat zu geben, dieLintner
sen Staatsvertrag - wenn er so schlecht ist - nicht zu akzeptieren? Sie betreiben hier -
Herr Abgeordneter Lintner, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Sofort.
Sie betreiben hier in einer Art und Weise Kritik, wie es diesem Thema einfach nicht gerecht wird.
Bitte schön, Ihre Zwischenfrage.
Herr Kollege, wollen Sie mir bitte bestätigen, daß wir seit Dezember des letzten Jahres Hilfen für die DDR im Verkehrsbereich, beim Ausbau der Telefone usw. gefordert haben, daß wir aber ausdrücklich die Modrow-Forderung nach den 15 Milliarden DM abgelehnt haben,
({0})
und zwar durch meine Person?
Frau Matthäus-Maier, das kann ich Ihnen leider nicht bestätigen.
({0})
Sie wollten diese 15 Milliarden DM sogar
({1})
als allgemeinen Finanzmittelkredit, als allgemeine Finanzhilfe geben.
({2})
Da war von Sachdingen wie Telefonausbau usw. überhaupt nicht die Rede.
({3})
Ich möchte jetzt doch dazwischensagen: es wird immer turbulenter. Das „Lügen" kann so nicht stehenbleiben.
({0})
Ich sage noch einmal: Es hat keinen Zweck, daß wir so heute abend die Debatte zu Ende führen. Entweder es geht halbwegs zivilisiert zu, oder - - Ich bin wirklich dafür, daß diejenigen, die jetzt Gespräche führen wollen, und daß diejenigen, die sich erfrischen möchten, nach draußen gehen.
({1})
Dann können wir die Debatte hier vernünftig weiterführen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt wenigstens zu einem Teil meines Textes kommen:
Der Staatsvertrag steht fest. Er ist trotz der Eile, mit der er zustande gebracht werden mußte, ein sehr solides Werk geworden, dem Experten im In- und Ausland ihre Hochachtung bezeugen. Übrigens - auch das sei noch an die Adresse der Kritiker gesagt -, wenn man die realen Verhältnisse genau besieht, dann ist doch ein Teil dieser Wirtschafts- und Währungsunion längst Realität in der DDR; die Menschen haben sie vorweggenommen. Die D-Mark ist doch bereits die effektive Währung drüben. Wenn ich dann so Ratschläge wie den von Ihnen, Herr Roth, höre, man solle Importzölle, -kontingente, all diese Instrumentarien, einführen, kann ich Ihnen nur sagen - mein Wahlkreis liegt an der Zonengrenze - : Solche Dinge führen nur zu schwarzen Märkten in der DDR und zu einem Einkaufssog in der Bundesrepublik, führen also letztlich zu einer Schwächung der DDR-Wirtschaft und sind deshalb ein untaugliches Rezept.
({0})
Meine Damen und Herren, es ist mehrfach gesagt worden: Was jetzt im Mittelpunkt unserer Bemühungen stehen muß, ist, den Menschen in der DDR durch Rat und Tat zu helfen, mit den neuen Rahmenbedingungen und Instrumenten der Sozialen Marktwirtschaft zurechtzukommen. Vieles, kann man zur Beruhigung der Landsleute in der DDR sagen, in dieser Sozialen Marktwirtschaft entspricht ganz einfach den natürlichen Verhaltensweisen von Menschen und muß deshalb nicht etwa wider die Natur erst eingeübt und durchgesetzt werden.
So ist es einfach eine völlige Verzeichnung der Wirklichkeit, wenn so getan wird, als seien beispielsweise Rentabilitätsüberlegungen und Produktivitätsgesichtspunkte die Feinde sozialer Anliegen, wie die Damen und Herren von der Opposition das manchmal tun. In Wirklichkeit gehört doch - das ist kleines Einmaleins - die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu den unverzichtbaren Voraussetzungen für einen hohen Sozialstandard. Auch der Glaube, hier oder drüben, daß unrentable Arbeitsplätze und nicht konkurrenzfähige Produkte mit staatlicher Hilfe auf Dauer gerettet werden könnten, muß doch in Wirklichkeit mit einem teuren Verzicht bei den Realeinkommen von jedem einzelnen ganz persönlich bezahlt werden. Die Wirtschafts- und Sozialgeschichte gerade der Bundesrepublik Deutschland ist leider voll von solchen Negativbeispielen.
Auch der Irrglaube - und da bestärken Sie eben leider manche in der DDR - , mit staatlichen Vorgaben und hoheitlichen Vorschriften könne man den Wohlstand oder der Erhalt von Arbeitsplätzen erzwingen, mag in der DDR da und dort nach 40 Jahren zentraler Planwirtschaft noch vorhanden sein. Es ist und bleibt aber ein Irrtum, meine Damen und Herren. Importzölle - ich habe schon darauf hingewiesen - und Kontingentierungen sind kein konstruktives Konzept, sie treiben nur die Käufer in die Bundesrepublik Deutschland und lassen schwarze Märkte in der DDR entstehen.
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Um so wichtiger ist es darum, daß wir alle gemeinsam die grundlegenden Zusammenhänge über das Funktionieren der Sozialen Marktwirtschaft drüben deutlich machen und verständlich erläutern. Investoren beispielsweise müssen umworben werden, wenn aus Kapital Arbeitsplätze werden sollen. Überhaupt ist das Denken, das auch hier in vielen Beiträgen wieder deutlich geworden ist, das Denken in der Kategorie von Erbfeindschaft zwischen den Prokuktionsfak17264
toren Kapital und Arbeit - so formulierte es eine Veröffentlichung des Frankfurter Instituts - , einer der zentralen Irrtümer sozialistischer Theorie.
Unsere Landsleute in der DDR, meine Damen und Herren, sollten sich bewußt sein, daß der Wohlstand in der Bundesrepublik nur auf der Basis einer Interessengemeinschaft von Kapital und Arbeit erreicht werden konnte. Unsere Landsleute können sich im übrigen an Hand der Entwicklung der Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland nach der Währungsreform davon überzeugen, welch rapider Aufschwung mit der Einführung der Sozialen Marktwirtschaft möglich wurde. Daraus können sie auch für heute sichere Zuversicht gewinnen. Und sie haben bei ihrem Start in die Soziale Marktwirtschaft ja zusätzlich noch einen ehrlichen und gutwilligen, auch auf den Erfolg angewiesenen sehr potenten Bruder, nämlich die Bundesrepublik Deutschland.
Zum Beweis, meine Damen und Herren, nur vier elementare Wirtschaftsdaten der Bundesrepublik aus dem Zeitraum 1950 bis 1960. Das Bruttosozialprodukt hat sich damals im Durchschnitt um 7,9 % pro Jahr gesteigert, die Arbeitsproduktivität um 5,8 %. Die Zahl der Arbeitslosen ging von 1,869 Millionen auf 271 000 zurück, obwohl zugleich Millionen von Flüchtlingen aufgenommen und mit Arbeit und Brot versorgt werden mußten. Die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer stieg damals um 5,563 Millionen. Das ist eine wirklich erstaunliche und ermutigende Geschichte und Leistung.
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Warum, meine Damen und Herren, soll eigentlich die Entwicklung in der DDR ungünstiger verlaufen?
({3})
Allein die künftige Verläßlichkeit bei den Zulieferungen wird die Produktivität in der DDR drastisch ansteigen lassen. In der Bundesrepublik waren es seinerzeit gleich nach der Währungsreform rund 50 %. Zuversicht ist also am Platze. Für die Panikmache, die manche Ihrer Redner hier betreiben, ist überhaupt kein Grund.
({4})
Meine Damen und Herren, unsere gemeinsame Fähigkeit und Kraft, diesem Wandel zum Erfolg zu verhelfen, wird eigentlich von niemandem in der Welt angezweifelt. Nur bei uns gibt es da und dort solchen polemischen Pessimismus, wie wir es hier erlebt haben.
({5})
Mut machen, meine Damen und Herren, kostet noch nicht einmal zusätzliches Geld. Aber es kann eben nur überzeugend sein, wenn wir gemeinsam so handeln und nicht die Opposition ständig versucht, die Katastrophe noch herbeizureden. Jetzt, da sich die Opposition sehr spät - ich hoffe nicht zu spät - dazu durchgerungen hat, ja zu dem eingeschlagenen Weg zu sagen, sollte es eigentlich möglich sein, im Interesse des schnellen Erfolges für die DDR ab sofort gemeinsam konstruktiv zu wirken. Das wäre im Augenblick der beste Dienst, den wir unseren Landsleuten in der DDR leisten können.
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Meine Damen und Herren, vor wenigen Minuten hat auf der Ehrentribüne der Ministerpräsident der Republik Ungarn, Herr Dr. József Antall, mit einer Regierungsdelegation Platz genommen.
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Herr Ministerpräsident, diese Begrüßung mit dem Applaus mag Ihnen gezeigt haben, wie sehr wir Ihnen und Ihrem Land verbunden sind. Jeder von uns hier weiß, wie sehr das, was wir heute debattieren und zum Abschluß bringen, durch die mutige Entscheidung Ihrer Regierung unterstützt worden ist,
({1})
den Menschenrechten absoluten Vorrang vor allem anderen zu geben. Herzlichen Dank!
({2})
Ich komme zu einem leidigen Punkt zurück: Antrag zur Geschäftsordnung. - Herr Abgeordneter Wüppesahl.
({3})
- Geschäftsordnung ist Geschäftsordnung.
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Wenn Geschäftsordnung tatsächlich immer Geschäftsordnung wäre, dann hätten wir heute nicht vier Aktenordner im Foyer mit 500 Änderungsanträgen, sondern jeder Abgeordnete hätte die in seinem Fach gefunden.
Meine Damen und Herren, ich stelle jetzt einen Geschäftsordnungsantrag und leite wie folgt dazu hin. Ich habe etwa vor zehn Minuten 17 Minuten lang geredet.
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Vor mir hatte etwa vor zwei Stunden Frau Unruh, die einzige fraktionslose Kollegin in diesem Haus, 15 Minuten geredet. Das sind zusammen pro Stunde drei Minuten Redezeit, wenn man für diesen Tag zehn Stunden für die Debatte ansetzt.
({1})
Ich habe zur Gesundheitsreform 15 Minuten gesprochen; dort gab es eine Debattendauer von fünf Stunden.
({2}) - Diese Schreihälse!
Dazu hat das Bundesverfassungsgericht gesagt, mir ist bei der Debatte zur Gesundheitsreform in verfassungswidriger Weise mein Rederecht beschnitten worden. In der Debatte zur Gesundheitsreform hatte ich ungefähr 70 Änderungsanträge eingebracht, die damals noch - im Gegensatz zu heute - ordnungsgemäß in den Geschäftsgang gegeben worden sind. Heute habe ich über 500 Änderungsanträge eingebracht, und es kann ja wohl nicht sein, daß ich mich dann mit 15 Minuten Redezeit begnügen muß.
({3})
Das ist der Grund, weshalb ich jetzt den Antrag stelle, mir ein weiteres Redekontingent von 15 Minuten Redezeit zur Verfügung zu stellen.
Dazu gäbe es mit Sicherheit noch viel mehr zu sagen, auch verfassungsrechtlich Relevantes. Ich erspare Ihnen und mir das, weil die Sachlage wirklich eindeutig ist, und ich hoffe, daß das Plenum eine Entscheidung in dem Sinne fällt, wie es auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung in meinem Organstreitverfahren zum Ausdruck gebracht hat.
Herr Abgeordneter Wüppesahl, wir haben Ihnen heute morgen schon gesagt, daß die von Ihnen eingereichten 560 Anträge geschäftsordnungsmäßig als einheitlicher Vorgang behandelt werden müssen. Deshalb können Sie daraus auch keine Verlängerung der Redezeit ableiten. Die Ihnen zugesagten 15 Minuten entsprechen unserer Vereinbarung. Es ist auch keine Ungleichbehandlung gegenüber Frau Unruh gegeben.
({0})
- Sie möchten darüber abgestimmt haben. Wer stimmt dem Antrag auf verlängerte Redezeit des Abgeordneten Wüppesahl zu? - Wer stimmt dagegen?
- Wer enthält sich? - Damit ist der Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau HammBrücher.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Nachdem ich seit vielen Jahren mit fast 200 Kolleginnen und Kollegen dafür gekämpft habe, daß die Rechte des einzelnen Abgeordneten in seiner Kontrollfunktion gestärkt werden sollen, bin ich sehr betrübt darüber, daß dieses wichtige Anliegen durch so viele überzogene Ansprüche diskreditiert wird. Ich muß das leider mal so sagen, weil wir alle ein Interesse daran haben, daß unser Parlament funktionsfähig bleibt; sonst kann es nämlich auch seine Kontrollaufgaben gar nicht erfüllen.
({0})
Ich habe auch überlegt, ob ich jetzt einfach verzichten soll, aber da ich wie Annemarie Renger zu den Frauen, zu den Politikerinnen gehöre, die sich seit über 40 Jahren im öffentlichen und politischen Leben engagieren und die mit der Vollendung der deutschen Einheit auch ihr aktives politisches Leben beenden
werden, möchte ich hier gern zwei kurze Gedanken noch zum Ausdruck bringen, die mir heute im Laufe der Debatte wichtig erschienen sind.
Der eine Gedanke ist, daß sich mit der Vollendung der staatlichen Einheit auch die Aussöhnung mit unseren früheren Kriegsgegnern und den Siegermächten vollenden muß.
Der Erfolg der Zwei-plus-Vier-Gespräche wird davon abhängen, ob es gelingt, den Ausgleich mit der Sowjetunion herbeizuführen, d. h. dem Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion Rechnung zu tragen, und ob die Anerkennung der Grenze gegenüber Polen zustande kommt.
Wie wichtig und wie mühsam auch diese Begleitaufgabe zur Vollendung der staatlichen Einheit ist, kann jeder ermessen, der wie wir im Auswärtigen Ausschuß mit dem Bundesaußenminister und gestern mehr als zwei Stunden mit dem Bundeskanzler debattiert hat. Der Bundeskanzler sagte: Die Geschichte holt uns wieder ein.
Dieser Aussöhnungsprozeß ist wirklich eine Bewährungsprobe dafür, ob wir aus unserer Geschichte gelernt haben. Deshalb ist es mir so wichtig, hier noch ein Wort zur notwendigen Aussöhnung mit der Sowjetunion zu sagen und noch einmal deutlich das zu unterstreichen, was heute früh auch Herr Genscher gesagt hat: daß wir die Sowjetunion in das europäische Haus, das nun Gestalt annimmt, einbeziehen müssen und daß dabei die KSZE eine Aufgabe und eine Verantwortung übernehmen kann, die die Schöpfer dieser einzigartigen, zunächst nur im verborgenen gewachsenen Einrichtung sich nicht haben träumen lassen. Ich bin sehr stolz, zu den Politikerinnen zu gehören, die jahrelang in dem KSZE-Prozeß tätig sein durften, als das noch eine ziemlich mühsame und wenig erfolgversprechende Aufgabe war.
({1})
Die Sowjetunion darf auf keinen Fall ,,singularisiert" werden, wie es jetzt in der Politikersprache heißt. Die Sowjetunion muß wissen, daß wir bereit sind, in der Übergangszeit Zugeständnisse zu machen und Hilfe zu leisten, um die schwierige wirtschaftliche Situation in der Sowjetunion meistern zu helfen.
Auf dem Weg zur Vollendung der staatlichen Einheit wird die Vollendung der politischen Einheit folgen. Aber ich meine, auch ein dritter Schritt tut not. Ich glaube, wir müssen auch die demokratische Einheit vollenden. Das ist gewiß ein Prozeß, der nicht allein mit dem Beitritt nach Art. 23 des Grundgesetzes zu vollenden ist.
({2})
Ein Teil des künftigen Gesamtdeutschlands hat 58 Jahre unter Diktaturen geschmachtet. Wir haben seit 41 Jahren in mühsamen Schritten und auch gelegentlich unter Rückschritten eine demokratische Ordnung aufgebaut. Mir scheint Art. 146 des Grundgesetzes in weiser Voraussicht von den Vätern und Müttern der Verfassung konzipiert worden zu sein.
({3})
Wir sollten auch bei der Vollendung der staatlichen Einheit nicht vergessen, daß unsere Demokratie nicht vom Himmel gefallen ist und daß wir alle dazu beitragen müssen, hier einen gemeinsamen Weg zu finden.
Weil Annemarie Renger Kurt Schumacher beschworen hat, beschwöre ich meinen politischen Ziehvater Theodor Heuss, der auf dem Bonner Marktplatz nach seiner Wahl gesagt hat:
Wenn unsere Verfassung nicht im Bewußtsein und in der Freude des Volkes selber mit lebendig wird, dann bleibt sie eine Machtgeschichte von Parteienkämpfen, die wohl notwendig sind, aber nicht den inneren Sinn erfüllen.
Ich glaube, in diesem Stadium sind wir eigentlich, daß wir den inneren Sinn unserer Verfassung erfüllen müssen, indem wir dann gemeinsam in einem gesamtdeutschen Parlament auch an einer gesamtdeutschen Verfassung arbeiten.
({4})
Jeder von uns, der Erfahrungen mit jungen Menschen in unserem Lande macht, weiß, wie schwierig es ist, sie für die Demokratie zu gewinnen und die Glaubwürdigkeit unserer Arbeit darzustellen. Das wird um so schwieriger, wenn wir es jetzt mit jungen Menschen in der DDR zu tun haben und sie für die Mitarbeit in einer freiheitlichen, toleranten, rechtsstaatlichen Gesellschaft gewinnen wollen.
Deshalb zum Schluß auch noch einmal Theodor Heuss - es ist ein schönes Zitat; vielleicht können Sie einen Moment noch einem der wichtigen Gründungsväter unserer Republik Ihr Ohr und Ihre Aufmerksamkeit leihen -, der während der verfassunggebenden Versammlung sagte:
Demokratie wird in Deutschland erst dann Wirklichkeit geworden sein, wenn endlich für die Deutschen ein freies und tapferes Menschentum nicht mehr Ideologie, nicht mehr literarische Erfindung, sondern die Selbstverständlichkeit der täglichen Erfahrung geworden ist.
Meine Damen und Herren, diese Selbstverständlichkeit der täglichen Erfahrung unserer Demokratie, das ist ein inniger Wunsch, den ich an diesem Tage und auch ziemlich am Ende dieser Debatte bei dem neuen Anfang mit auf den Weg geben möchte.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Knabe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte hat sich lange mit Belastungen und Chancen der Deutschen nach Abschluß des Staatsvertrags befaßt. Ich möchte etwas zu den daraus folgenden Aufgaben sagen.
Rückblende: In meiner Schulzeit wurde uns in der Hitlerjugend beigebracht, wenn es einem Volk ohne Raum gutgehen soll, müßten wir auf Kosten der Nachbarn leben: Schlagsahne aus Böhmen, Tabak und Schokolade aus Belgien und Holland, Weizen und Öl aus der Ukraine und Zwangsarbeiter aus Frankreich
und Polen, Zwangsarbeiter, die bis heute nicht entschädigt wurden.
Später habe ich gesehen, wie grundfalsch diese These war. Denn nach dem Krieg ging es uns auf weniger Raum viel besser als es unsere Nachbarn hatten. Aber gut ging es nur unseren westlichen Nachbarn, nicht denen im Osten und auch nicht denen in der Dritten Welt. Hier muß etwas geschehen. Wenn wir ein europäisches Haus bauen wollen, kann der östliche Teil keine baufällige Baracke bleiben. Selbst die SPD hat ja ihre Baracke durch einem Neubau ersetzt.
Das gilt für ganz Osteuropa, gerade für Ungarn, das ich seit Jahrzehnten in mein Herz geschlossen habe.
Der Staatsvertrag sollte der Bauplan sein, wie der Umbau in der DDR erfolgen soll. Aber, wie Herr Roth sagte, wird er dieser einmaligen Chance nicht gerecht. Der zum Überleben der Welt notwendige ökologische Umbau der DDR ist damit nicht zu machen. Das ginge nur, wenn auch in der Bundesrepublik ökologisch umgebaut würde. Ich vermisse im Staatsvertrag jede ökologische Forderung der DDR an uns in der Bundesrepublik.
Während wir heute im Bundestag über den Staatsvertrag zur deutsch-deutschen Einigung debattieren, haben gleichzeitig Herbert Grönemeyer und Stephan Krawczyk von der Initiative „Demokratie entwikkeln" ({0}) 300 000 gesammelte Unterschriften „Stoppt FCKW! " an Frau Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth übergeben.
({1})
Während der gestrigen Bundestagsdebatte hingen Aktivisten der Umweltgruppe „Robin Wood" am Schornstein des Kraftwerks Ibbenbüren und verlangten eine drastische Reduzierung des CO2-Ausstoßes.
Beide Aktionen zeigen die Unfähigkeit unserer Gesellschaft und unseres Staates Bundesrepublik, mit akuten Umweltproblemen fertig zu werden. Als Obmann der GRÜNEN in der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" unterstütze ich nachhaltig die Forderungen beider Gruppen, insbesondere die Forderung von 300 000 Menschen, Produktion, Import und Anwendung von Fluorchlorkohlenwasserstoffen sofort zu beenden. Die Leidtragenden der durchlöcherten Ozonschicht schreien nach Sofortmaßnahmen. Damit bestreite ich nicht im mindesten, daß die Lage der Umwelt in der DDR in vielen Bereichen einfach katastrophal ist. Der Unterschied zwischen den extremen Verseuchungen, die wir dort finden, und der Lage hier mit der versteckten Belastung ist aber nicht in der Weisheit oder der Klugheit der bundesdeutschen Politiker begründet, sondern im Fehlen der Vereinigungs-, der Presse- und Meinungsfreiheit in der DDR, so durchlöchert sie bei uns hier manchmal oder öfter auch ist.
Unsere Umweltgesetze verdanken wir in erster Linie dem Druck der Bürgerinitiativen und der Aufklärung der Medien.
({2})
Aber was bei uns fehlt, ist die Möglichkeit eines
Volksentscheides. Die Leute von IDEE legen ihren
Finger in diese offene Wunde unserer Demokratie. Es
fehlt die von den GRÜNEN seit langem geforderte Informationsfreiheit, das Recht auf Akteneinsicht nach amerikanischem Vorbild. Das hätte in den Staatsvertrag hineingehört. Aber dazu müßte man schon eine gesamtdeutsche Verfassung formulieren, und dazu war die Mehrheit hier nicht bereit. Wir werden trotzdem nicht nachlassen, in der Öffentlichkeit auf diese gemeinsame Verfassung hinzuweisen.
Ich möchte den Menschen in der DDR auch Mut machen. In einer pluralistischen Demokratie wird nur der beachtet, der die Beachtung immer wieder für sich beansprucht, und diese Beanspruchung muß eben jeder selbst wahrnehmen.
Wir GRÜNEN verteidigen die Umwelt; wir GRÜNEN verteidigen demokratische Rechte und setzen uns dafür ein. Aber wir wären hoffnungslos überfordert ohne die Menschen, ohne die Bürgerinitiativen, ohne all die anderen, die uns dabei helfen, dieser Forderung erst Nachdruck zu verleihen. Wir können manchmal ihr Sprachrohr sein, manchmal ihre Aktivisten, aber sehr oft hinken wir selbst hinter diesen Forderungen hinterher.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Mischnick.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Natürlich wäre es reizvoll, auf eine ganze Reihe von Einzelbeiträgen einzugehen, aber im Laufe des Tages habe ich mich bei manchen Teilen mancher Redebeiträge an folgenden Satz erinnert gefühlt: Seine Inkompetenz durch Schweigen vermuten zu lassen ist besser, als sie durch Reden zu beweisen. - Ich will es dabei bewenden lassen.
({0})
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich bin überzeugt, der heutige Tag wird als ein guter Tag in die Geschichte dieses Parlaments eingehen, als ein Tag von weitreichender Bedeutung. Die gemeinsame Erklärung zur polnischen Westgrenze, die endlich möglich geworden ist, ist ein Teil des wichtigen und guten Beschlusses, den wir heute zu fassen haben.
Vor einem Jahr war das kaum denkbar. Die stürmische Entwicklung hat auch hier eine Entscheidung möglich gemacht. Ich weiß, wie schwer es vielen fällt, zu dieser Entscheidung zu kommen, aber um der Menschen in Europa willen - nicht nur um der Deutschen willen - ist diese Entscheidung notwendig, wenn wir den Frieden auf Dauer sichern wollen. Deshalb ist es ein guter Tag.
({1})
Die Hoffnung, die ich in der ersten Lesung zum Ausdruck gebracht habe, hat nicht getrogen. Wir werden den Staatsvertrag und die Begleitgesetze heute mit einer breiten Mehrheit verabschieden. Dies zeigt, daß eine gute, eine wichtige Arbeit geleistet worden ist.
Wir Freien Demokraten haben uns von Anfang an als gesamtdeutsche Partei verstanden und haben das Ziel, die Einheit unseres Vaterlandes zu erreichen, nicht nur nie aus dem Auge verloren, sondern bei allen Entscheidungen - ganz gleich, ob wir in einer Koalition oder in der Opposition waren - immer als oberste Zielsetzung unserer Politik verwirklicht.
({2})
Der Staatsvertrag wird der entscheidende Schritt zu dieser Einheit sein. Jahrzehntelange geduldige Arbeit hat sich gelohnt. Schwierigkeiten in den nächsten Monaten sind uns bewußt. Wir verkennen nicht, welche Probleme auf die Menschen in der DDR zukommen. Ich bleibe dabei, wir bleiben dabei: Deshalb ist es notwendig, daß so bald wie möglich gesamtdeutsche Wahlen stattfinden, um in einem gemeinsamen Parlament die bestehenden Probleme gemeinsam für die Zukunft zu lösen.
({3})
Voraussetzung dafür ist, daß die Länder geschaffen werden. Wir hoffen, daß die Entscheidung zügig fällt.
Das Zusammenwachsen schreitet voran. Das heißt, die Menschen werden noch mehr zueinanderrücken. Es ist um so notwendiger, das menschliche Verständnis füreinander zu wecken.
Wer über 50 Jahre, wer 55 Jahre in einer Diktatur gelebt hat, in eine Diktatur hineingeboren worden ist, für den ist es nicht leicht, sich in einer freien Gesellschaft zurechtzufinden. Hüten wir uns, die wir das Recht und die Freude hatten, in Freiheit zu leben, in Selbstgerechtigkeit über diejenigen zu urteilen, die in einer Diktatur leben mußten.
({4})
Dies bedeutet für mich: Wer für Menschlichkeit ist, wer für Humanität eintritt, sollte sich vor Pauschalurteilen, welcher Form auch immer, hüten. Wer rechtlich gefehlt hat, muß zur Rechenschaft gezogen werden. Wer einen politisch falschen Weg gegangen ist, dem sollten wir es erleichtern, in unserer freiheitlichen rechtsstaatlichen Gesellschaft genauso mitwirken zu können, wie wir nach 1945/1949 bemüht waren, diejenigen, die eine Enttäuschung erlebt haben, an die freiheitliche Demokratie heranzuführen. Grenzen wir niemanden aus, sondern versuchen wir, sie alle als Deutsche zu empfinden.
({5})
Dabei wissen wir, daß das persönliche Verhalten sehr unterschiedlich war. Es gilt aber auch: Wer selbst nicht in einer Diktatur gelebt hat, sollte nicht leichtfertig über andere urteilen. Ich teile die Auffassung derjenigen, die immer wieder betont haben, wie notwendig es ist, auch denen, die unter dieser Diktatur gelitten haben, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, um zu erreichen, daß einerseits die Unmenschlichkeit, die über Jahrzehnte in der DDR stattgefunden hat, ihre Sühne findet, aber andererseits auch der Versuch des Ausgleiches gemacht wird, wie wir es für andere Opfer von Gewalt und Ungerechtigkeit getan haben. Dies muß unsere gemeinsame Aufgabe sein.
({6})
Herr Abgeordneter Mischnick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Penner?
Bitte.
Herr Kollege Mischnick, nun ist ja bekannt, daß Ihr Kollege Hirsch den Justizminister der DDR, Wünsche, als ekelerregend bezeichnet hat. Teilen Sie diese Auffassung oder haben Sie eine andere?
Herr Kollege Penner, Sie haben offensichtlich nicht verstanden,
({0})
daß es mir hier nicht darum geht, Einzelwertungen vorzunehmen. Es geht mir darum, daß wir alle gemeinsam sehen, welche Aufgabe uns noch bei vielen Menschen bevorsteht, die politisch gefehlt haben, die inzwischen eingesehen haben, daß sie gefehlt haben, und denen wir den Weg in eine freiheitliche Demokratie erleichtern sollten. Persönliche Schuld wird damit nicht ausgelöscht. Sie an die Demokratie heranzuführen ist mein Bestreben, nicht aber, Einzelrechnungen in dieser Stunde, wo wir den Weg zur Einheit gemeinsam gehen wollen, aufzumachen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich weiß, welche Fehler und welche Mängel bei manchem, der heute in der Verantwortung steht, vorhanden waren. Dies ist aber breit gestreut, durch alle politischen Gruppierungen der Fall. Niemand spreche sich frei von Fehlern, die er selbst vielleicht auch hätte machen können, wenn er in derselben Situation gestanden hätte. Vielleicht ist auch hier etwas mehr Nachdenklichkeit angebrachter als vordergründige Parteipolemik.
({2})
Lassen Sie mich zum Schluß noch eines feststellen: Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wer über 40 Jahre gehofft und sich bemüht hat, aus Hoffnung Wirklichkeit werden zu lassen, darf sich heute darüber freuen, welches Stück Arbeit wir gemeinsam leisten konnten. Ich freue mich darüber, heute hier aus meiner eigenen politischen Vergangenheit und Tätigkeit heraus positiv mitentscheiden zu können.
({3})
Herr Abgeordneter Wüppesahl stellt erneut einen Antrag zur Geschäftsordnung.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich erhebe im Sinne eines Antrages die Forderung, daß über die von mir eingebrachten Änderungsanträge einzeln abgestimmt wird,
({0})
so wie es in diesem Hause obligatorisch ist. Es gibt darunter sehr viele Anträge, die von den GRÜNEN und der SPD mitgetragen werden dürften, weil sie den Positionen dieser beiden Fraktionen inhaltlich entsprechen.
Ich bringe hier des weiteren - weil ich ahne, wie sich die Mehrheit dieses Hauses über mein Recht in dieser Frage auch heute abend hinwegsetzen wird, wahrscheinlich noch leichtfüßiger als heute morgen, weil die Köpfe inzwischen schwerer geworden sind - mehrere Änderungsanträge mündlich ein. Nach der Geschäftsordnung bin ich gezwungen, diese kurz zu verlesen.
Der erste zusätzliche Änderungsantrag lautet: In den neu zu schaffenden Artikel 12
- des Ratifizierungsgesetzes zu dem Vertrag vom 18. Mai 1990 über die Schließung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik -„Umweltverträgliche Produktion" wird eingefügt: Die Umweltverträglichkeitserklärung weist gegebenenfalls Möglichkeiten und Maßnahmen der Vermeidung, Verminderung bzw. Beseitigung der entstandenen Schäden für Mensch und Umwelt auf.
Die Begründung lese ich jetzt nicht vor.
Der zweite Änderungsantrag zu dem gleichen Ratifizierungsgesetz lautet:
Der Bundestag wolle beschließen,
in den neu zu schaffenden Artikel 12 „Umweltverträgliche Produktion" wird eingefügt:
Das UVP-Amt hat neben der Durchführung der UVP insbesondere folgende Aufgaben:
1. Aufbau eines Dokumentationssystems über die abgeschlossenen UVP, das öffentlich zugänglich ist,
2. Aufklärung der Öffentlichkeit über die die UVP betreffenden Fragen,
3. Beobachtungen, Dokumentation und Analyse, wie die Ergebnisse der UVE
- der Umweltverträglichkeitserklärung - in die Entscheidung eingegangen sind,
4. Erarbeitung von Kriterienkatalogen und Vorschlägen zur Verbesserung der UVE,
5. Veröffentlichung eines Tätigkeitsberichtes, welcher dem Deutschen Bundestag vorzulegen ist,
6. Dokumentation internationaler Erfahrungen mit der Durchführung von UVP,
7. exemplarische Nachkontrollen und Evaluierung von umwelterheblichen Entscheidungen, für die eine UVP durchgeführt wurde.
Ich glaube, daß der Umweltschutz angesichts der aktuellen Situation von hervorragender Wichtigkeit ist und die reglementierenden Einflüsse auf die Entwicklung der freien Marktwirtschaft durch einen solchen Änderungsantrag erheblich verbessert werden können.
Der dritte Änderungsantrag lautet:
In den neu zu schaffenden Artikel 12 „Umweltverträgliche Produktion" wird eingefügt:
Die Umweltverträglichkeitserklärung ({1}) identifiziert, beschreibt und bewertet die unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen der umwelterheblichen Tätigkeit und die darüber zu treffende Entscheidung, und zwar hinsichtlich der folgenden Faktoren und Zusammenhänge:
1. Boden, Wasser, Luft, Klima, Flora, Fauna, Naturhaushalt,
2. Landschaftsbild, Landschaftsgestalt,
3. Menschen und Ökosystem,
4. nachhaltige Leistungs-, Funktions- und Nutzungsfähigkeit des Naturhaushaltes und der in ihn integrierten Ressourcen.
Der vierte Änderungsantrag lautet:
In den neu zu schaffenden Artikel 12 „Umweltverträgliche Produktion" wird eingefügt:
Entscheidungen im Sinne dieses Absatzes sind insbesondere
1. raumbezogene Pläne und Programme, Fachpläne, Finanzierungspläne, Subventionsprogramme, Forschungsprogramme,
2. Planfeststellungen, Genehmigungen, Bewilligungen, Zulassungen.
Auch hier erspare ich uns die Begründung. Der fünfte Änderungsantrag lautet:
In den neu zu schaffenden Artikel 12 „Umweltverträgliche Produktion" wird eingefügt:
Das UVP-Amt kann von der zuständigen Behörde, dem Träger der Tätigkeit, den Trägern öffentlicher Belange und den in ihren umweltschutzbezogenen Aufgaben berührten Behörden verlangen, die in Artikel 16 dieses Gesetzes genannten Daten zu beschaffen und vorzulegen, soweit dies verhältnismäßig und ihnen rechtlich möglich ist.
Herr Abgeordneter Wüppesahl, fünf Minuten sind um. Sie wollten zu einem Geschäftsordnungsantrag sprechen. Die Redezeit ist beendet.
({0})
- Es gibt eine Begrenzung der Redezeit auf fünf Minuten. Ich bitte Sie, jetzt das Podium zu verlassen.
({1})
Der Abgeordnete Wüppesahl hat folgendes verlangt.
Erstens: Einzelabstimmung. Wer folgt diesem Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Er hat zweitens eine Abstimmung über mehrere Änderungsanträge verlangt.
({2})
- Er hat inhaltlich nicht weiter spezifiziert. Einige Anträge hat er hier vorgelesen.
({3})
- Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mehrheitlich abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Es folgen mehrere namentliche Abstimmungen.
Wir kommen zu der von allen Fraktionen beantragten namentlichen Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses Deutsche Einheit auf Drucksache 11/7465. Ich erteile das Wort zu einer Erklärung gemäß § 31 der Geschäftsordnung zunächst dem Kollegen Herrn Sauer.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Die Kollegen Dr. Wittmann, Dewitz, Lowack, Rossmanith, Dr. Czaja, Windelen, Dr. Kappes, Kalisch, Jäger, Dr. Mahlo, Engelsberger, Niegel und ich wollen alle den raschen Zusammenschluß der zwei Staaten in Deutschland durch Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes gemäß Art. 23 des Grundgesetzes.
Wir danken den Bürgern und Politikern, die dafür in Mitteldeutschland gekämpft haben und sich nun dafür parlamentarisch einsetzen und verwenden. Wir stimmen dem Staatsvertrag zu.
Wir können aber in diesem Zusammenhang einer weiteren Parlamentsentschließung zur deutschpolnischen Grenzfrage nicht zustimmen. Das völkerrechtliche Gewaltverbot der UN-Charta und der konkretisierte Gewaltverzicht des Warschauer Vertrages schützen Polen und verpflichten uns. Auch lehnen wir den massiven außenpolitischen Druck auf die Bundesregierung und das Parlament entschieden ab.
Unsere Haltung, unsere Begründung und Hoffnung für ein friedliches Miteinander mit der Republik Polen in einem zukünftigen Europa entnehmen Sie bitte der schriftlichen Erklärung, die ich auch namens meiner zwölf Kollegen gemäß § 31 der Geschäftsordnung zu Protokoll gebe.*)
Als nächstem erteile ich das Wort nach § 31 der Geschäftsordnung dem Kollegen Herrn Dewitz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Entschließung des Deutschen Bundestages, die die Anerkennung der Oder-NeißeGrenze ohne Bedingungen und ohne Vorbehalte anstrebt, kann nicht zu einer Versöhnung zwischen Polen und Deutschen führen, sondern nur das Gegenteil bewirken.
({0})
*) Anlage 2
Auf dem Wege zu einem vereinten Europa in einer Zeit, in der Grenzen praktisch überflüssig werden, werden von seiten Polens Grenzen zementiert.
({1})
Vor einer Vereinbarung über Grenzregelungen zwischen Polen und Deutschland, die nur ein gesamtdeutscher Souverän treffen kann, muß über Härten und Ungerechtigkeiten, die einer Verständigung zwischen Polen und Deutschen entgegenstehen, verhandelt werden.
Die deutschen Heimatvertriebenen haben stets eine Friedenspolitik mit dem Ziel betrieben, eine Friedensordnung zu erreichen, wonach Deutsche und Polen unter einem gemeinsamen Dach leben und das heruntergewirtschaftete Land wieder aufbauen können.
Erstens. Polen muß sich zum Unrecht der Vertreibung bekennen, wie sich unzweideutig die Bundesrepublik Deutschland zum Unrecht und Leid, das Polen in der Zeit des Zweiten Weltkrieges von deutscher Seite angetan worden ist, bekannt hat. Insgesamt wurden rund 16 Millionen Ostdeutsche aus ihrer seit 800 Jahren angestammten Heimat brutal und völkerrechtswidrig vertrieben. Über 2 Millionen sind dabei umgekommen. Dieser größte Massenexodus in der Geschichte der Menschheit war weder historisch noch völkerrechtlich noch ethisch gerechtfertigt.
Der tschechische Staatspräsident, Havel, hat gegenüber den Sudetendeutschen das ausgedrückt, worauf wir von polnischer Seite bislang vergeblich warten.
Zweitens. Polen wiederholt gegenüber Deutschland seinen Verzicht auf Reparationsforderungen. Sollte Polen Entschädigungsansprüche stellen, dann sind von deutscher Seite die Entschädigungsansprüche der 12 Millionen Vertriebenen aus den Oder-NeißeGebieten geltend zu machen.
({2})
Drittens. Den in den Ostgebieten lebenden Deutschen müssen Volksgruppenrechte verbindlich zuerkannt werden.
Viertens. Das Heimatrecht der Vertriebenen muß anerkannt und das Rückkehrrecht gewährleistet werden.
Fünftens. Die Probleme der geteilten Städte wie Küstrin, Frankfurt/Oder, Guben, Görlitz, Forst und der vielen anderen kleinen Orte sind zu regeln. In dieser Region hat sich diesseits von Oder und Neiße schon vor langer Zeit sehr viel Unmut gegenüber Polen aufgestaut. Es ist in keiner Weise gerechtfertigt, diese Städte für immer geteilt zu lassen.
Selbst der vor sechs Wochen noch amtierende SED- Oberbürgermeister von Görlitz hat seinerzeit im Fernsehen gefordert, Görlitz auch jenseits der Neiße wieder der deutschen Hoheit zu unterstellen. Dies könnte nach der KSZE-Schlußakte von Helsinki durch Vereinbarung geändert werden.
({3})
Herr Dewitz, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung haben?
Ja, Frau Präsidentin, ich will gerade mein Nein in dieser Abstimmung erläutern.
Ich sage auch nein, weil ich kein Verständnis dafür habe, daß die Gebiete jenseits von Oder und Neiße ein Notstandsgebiet bleiben und ein Wohlstandsgefälle hervorrufen werden, wenn das Gebiet der DDR in ein bis zwei Jahren wirtschaftlich aufblühen wird. Das muß zu größten Spannungen führen und mit Sicherheit einer Aussöhnung und Verständigung im Wege stehen.
Ebenso unverständlich ist es mir, daß Stettin von Polen weiterhin widerrechtlich okkupiert bleiben soll. Stettin ist nach den Potsdamer Beschlüssen nicht unter die Verwaltung der Volksrepublik Polen gestellt worden; denn es heißt im Potsdamer Protokoll: ,,... die früher deutschen Gebiete östlich der Linie, die von der Ostsee unmittelbar westlich von Swinemünde und von dort die Oder entlang ...".
({0})
Stettin liegt aber eindeutig westlich und nicht östlich der Oder. Wer jetzt alle Grenzen bedingungslos anerkennt und gleichzeitig hofft,
({1})
daß die Grenzen im europäischen Sinne überflüssig werden, wird von Polen keinerlei Zugeständnisse erhalten; dafür aber möglicherweise Forderungen über Hunderte von Milliarden DM.
Danke.
({2})
Das Wort zu einer Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung nimmt jetzt Herr Niegel.
Bitte, Herr Abgeordneter.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Bitte haben Sie Verständnis, daß man bei einer so wichtigen Frage auch eine persönliche Erklärung abgibt.
Ich bin für den Staatsvertrag und bedanke mich herzlich auch bei Bundeskanzler Kohl für seinen Einsatz, daß es so weit gekommen ist.
Ich bin allerdings gegen die zweite Entschließung zur Oder-Neiße-Linie. Das möchte ich begründen, Frau Präsidentin.
Die vor 45 Jahren gegen den Willen der betroffenen Menschen gewaltsam herbeigeführte Teilungslinie zwischen Mittel- und Ostdeutschland soll gemäß dem vorliegenden Entschließungsantrag im Zuge der Wiedervereinigung von West- und Mitteldeutschland die endgültige Grenze zwischen Deutschland und Polen werden. Dagegen verwahre ich mich.
Abgesehen davon, daß das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes auch für die Gebiete, die jenseits der Oder-Neiße-Linie liegen, gilt, stelle ich fest:
({0})
Ziel der deutschen Politik gegenüber Polen - das lehren uns die leidvollen Ereignisse in den Beziehungen unserer Völker vor, während und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg - kann und darf nur eine Grenzregelung sein, die sich im Rahmen der menschen- und völkerrechtlich vorgegebenen Grundsätze hält. Nur eine solche Regelung kann als gerecht empfunden werden.
Zu schwer wiegt das Unrecht, das mit der Vertreibung von 12 Millionen deutscher Menschen aus Ostdeutschland und dem Raub ihrer jahrhundertealten kulturell und wirtschaftlich hochentwickelten Heimat begangen wurde, als daß man darauf bauen dürfte, daß mit der beabsichtigten Anerkennung die deutschpolnische Grenzfrage erledigt wäre. Der Erledigung entgegen stehen das Heimat- und das Selbstbestimmungsrecht der vertriebenen Deutschen und ihrer Erben sowie das Selbstbestimmungsrecht der in den Ostgebieten als Minderheit lebenden Deutschen. Diese Rechte konnten durch den Krieg Hitlers genausowenig untergehen wie entsprechende Rechte der Polen durch den polnischen Eroberungsfeldzug gegen die Sowjetunion nach dem Ersten Weltkrieg. Auf diese Rechte kann auch ein gesamtdeutscher Staat nicht wirksam verzichten. „Kein Kaiser kann, was unser ist, verschenken" , sagt der Volksmann Stauffacher in Schillers Freiheitsdrama Wilhelm Tell. Das gilt auch hier.
Die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als deutsch-polnische Grenze würde daher keineswegs vorhandene Wunden heilen können. Sie würde neue Wunden aufreißen, und zwar nicht nur bei unseren ostdeutschen Landsleuten, denen gegenüber unser Staat genauso obhuts- und solidaritätspflichtig ist wie gegenüber unseren Landsleuten aus der Bundesrepublik und aus Mitteldeutschland, gleichgültig, ob sie hier Aufnahme gefunden haben oder noch als Minderheit in ihrer ostdeutschen Heimat leben. Sie würde Wunden auch bei den übrigen Deutschen aufreißen. Auch wenn dies heute in der Freude über die Wiedervereinigung von West- und Mitteldeutschland viele nicht empfinden mögen: morgen werden sie es empfinden, weil sich Gerechtigkeitssinn, Genugtuungsbedürfnis und Selbstwertgefühl einer Nation nicht auf Dauer unterdrücken lassen.
Versailles und seine bitteren Folgen für Europa sollten uns allen, auch Deutschen und Polen, eine Lehre sein. Die selbstbestimmungswidrigen Bestimmungen des Vertrages von Versailles waren in die Form des Rechts gegossenes Unrecht. Auch eine als Grenze anerkannte Oder-Neiße-Linie wird in die Form des Rechts gegossenes Unrecht sein. Sie wird zudem, wenn unser ganzer Erdteil endgültig entstalinisiert sein wird, die letzte Institution Stalins in Europa sein.
Hierfür kann ich mich nicht hergeben. Ich möchte einen fairen Ausgleich aufgrund einer frei vereinbarten Regelung, wie sie uns im Deutschlandvertrag versprochen worden ist, dem Vertrag, der uns die Wiedervereinigung in Freiheit ohne Wenn und Aber verspricht und damit auch ohne eine im vorhinein aufgezwungene Grenzfestlegung, die den Polen alles gewährt und den Deutschen nichts.
Ich spreche mich voll für eine Aussöhnung mit dem polnischen Volk aus. Ich spreche mich voll für den Verzicht auf Gewaltanwendung aus.
({1})
Ich bin auch gegen die Schaffung neuen Unrechts. Unrecht wird aber nicht dadurch Recht, selbst wenn es 45 Jahre andauert.
Ich schließe mich hinsichtlich der Begründung der Erklärung meines Kollegen Sauer an. Ich verwahre mich allerdings gegen den Vorwurf, meine Damen und Herren, man würde gegen Deutschland stimmen, wenn man dieser Entschließung seine Zustimmung nicht geben kann.
Ich bedanke mich.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.
Ebenfalls werden keine Erklärungen nach § 31 zu dieser namentlichen Abstimmung gewünscht. Im übrigen haben zahlreiche Abgeordnete Erklärungen gemäß § 31 zu Protokoll gegeben. Ich darf Sie bitten, diese Erklärungen dem Stenographischen Bericht dieser Sitzung zu entnehmen.*)
Bevor wir zur Abstimmung kommen, möchte ich sagen, daß ich eben gehört habe, die Berliner hätten noch keine vollwertigen Abstimmungskarten erhalten. Haben Sie diese jetzt? - Nein. Dafür müßte Sorge getragen werden.
Ich eröffne nunmehr die Abstimmung. -
Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das sehe ich nicht. Ich schließe die Abstimmung, und ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung gebe ich später bekannt. **) Ich gehe davon aus, daß wir die Beratungen fortsetzen können. Ich möchte Sie bitten, Platz zu nehmen.
Wir kommen jetzt zur Beratung der Bleichlautenden Gesetzentwürfe der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP sowie der Bundesregierung über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik in der Fassung des Ausschusses Deutsche Einheit.
Die Berichtigung der Beschlußempfehlung des Ausschusses Deutsche Einheit zu Art. 33 a des Gesetzentwurfes, die Ihnen auf Drucksache 11/7464 vorliegt, konnte nicht rechtzeitig verteilt werden. Sind Sie damit einverstanden, daß wir von der Frist des § 21 Abs. 1 der Geschäftsordnung abweichen?
({0})
*) Anlagen 3 bis 12 **) Seite 17277D
Präsidentin Dr. Süssmuth
- Herr Hüser, bitte.
Ich kann die Begründung sehr kurz machen. Wir sind mit dieser Fristverkürzung nicht einverstanden, weil wir gerade durch diesen zusätzlichen Passus über unsere Bedenken bezüglich des gesamten Staatsvertrages hinaus in der Verhandlungsunion eine Beschneidung der Rechte des Bundesrates sehen, die wir so nicht akzeptieren können. Deswegen können wir der Fristverkürzung nicht zustimmen. Sie müssen diese Einrede schon mit einer Zweidrittelmehrheit ablehnen.
Wird das Wort gewünscht? - Herr Bohl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stelle den Antrag gemäß unserer Geschäftsordnung, die Fristeinrede zurückzuweisen.
Herr Jahn.
Ich stelle ebenfalls namens der SPD-Fraktion den Antrag, die Fristeinrede zurückzuweisen.
Ich stelle ebenfalls den Antrag zurückzuweisen.
Dann stelle ich das zur Abstimmung. Wer ist für die Fristabweichung? - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Zweidrittelmehrheit hergestellt.
Vor Aufruf der Einzelvorschriften stimmen wir über die Änderungsanträge des Abgeordneten Wüppesahl ab. Heute morgen ist vom sitzungsleitenden Präsidenten darauf hingewiesen worden, daß die Anträge zur Einsichtnahme in der Eingangshalle des Ersatzplenarsaals ausliegen.
Ich rufe gemäß unserer vorhin getroffenen Entscheidungen alle Änderungsanträge gemeinsam zur Abstimmung auf. Wer stimmt für diese Änderungsanträge des Abgeordneten Wüppesahl? - Einer. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit sind die Änderungsanträge des Abgeordneten Wüppesahl mehrheitlich bei einigen Enthaltungen abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf zum Staatsvertrag. Ich rufe die Art. 1 bis 35, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind mit großer Mehrheit bei einigen Gegenstimmen aus der Fraktion der GRÜNEN und der Fraktion der SPD sowie einigen Enthaltungen angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Hierzu ist von allen Fraktionen namentliche Abstimmung verlangt worden.
Zunächst erteile ich das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung dem Abgeordneten Jahn.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zur Abstimmung erkläre ich für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion: Durch die friedliche Revolution in der DDR ist die Freiheit für alle Deutschen erkämpft und der Weg zur staatlichen Einheit geöffnet worden. Wir wollen jetzt gemeinsam mit den Menschen in der DDR die deutsche Einheit gestalten, mit aller Leidenschaft, aber auch mit aller Vernunft.
Vier Jahrzehnte haben Sozialdemokraten für eine Friedenspolitik, die diese Chance wahrt, gearbeitet. Sie ist untrennbar mit Willy Brandts Entspannungspolitik verbunden.
({0})
Jetzt ist es die gemeinsame Aufgabe und Verantwortung aller Deutschen, die deutsche und europäische Teilung zu überwinden. In dieser Verantwortung handeln auch diejenigen, die ihre Sorge über die vom Bundeskanzler mit dem Staatsvertrag verfolgte Politik nicht überwinden können. Daran zu zweifeln, haben die kein Recht, die der geschichtlichen Herausforderung gemeinsamen Handelns nicht gewachsen sind.
Über Monate hinweg hat der Bundeskanzler ohne Rücksicht auf die Interessen der Menschen und die gemeinsame Verantwortung die Einheit zu einer parteipolitischen Sache gemacht.
({1})
Gemeinsam mit den Sozialdemokraten in der DDR haben wir beharrlich darauf gedrängt, daß eine Währungsunion sorgfältig vorbereitet und mit einer Wirtschafts-, Sozial- und Umweltunion wirksam verbunden wird.
({2})
Mit Erfolg haben wir bewirkt, daß überlebensfähige Betriebe größere Chancen erhalten, daß dadurch weniger Menschen arbeitslos werden, daß die Umweltvorschriften in der DDR weitgehend den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden angepaßt werden, daß sich nunmehr im Interesse sozialer Gerechtigkeit eine Sozialunion entwickeln kann, indem die Mindestrente, also die soziale Grundsicherung für die Menschen in der DDR, gesichert wurde, das Betriebsverfassungsgesetz einschließlich Sozialplanregelung und der Kündigungsschutz voll gelten und die Legitimierung der Aussperrung verhindert wurde, daß eine Vielzahl weiterer Forderungen, so die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, in letzter Minute als neuer Artikel in das Vertragswerk aufgenommen wurde.
Mit Erfolg haben wir darauf gedrängt, daß die zu Unrecht angehäuften Vermögen der SED/PDS, der Ost-CDU, der übrigen Blockparteien und der sogenannten Massenorganisationen jetzt beschlagnahmt sind und für allgemeine Zwecke herangezogen werden sollen.
Trotz dieser und weiterer Änderungen zum Besseren bleiben nach jahrzehntelanger kommunistischer Mißherrschaft unberechenbare Risiken. Sie sind die
Jahn ({3})
Folge des vom Bundeskanzler eingeschlagenen Verfahrens und Tempos.
({4})
Dafür trägt er die Verantwortung.
({5})
Aber der Vertrag soll nicht scheitern. Die Folgen wären für die Menschen in der DDR unabsehbar.
Herr Abgeordneter Jahn!
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Abgeordneter Jahn, ich darf Sie darum bitten, daß Sie die Erklärung zur Abstimmung abgeben, damit wir weitere heftige Irritationen vermeiden.
({1})
Die Folgen für die Menschen in der DDR wären unabsehbar. Das wollen wir nicht. Deshalb wird die SPD-Fraktion dem Vertrag zustimmen.
Wir werden beim Vollzug des Vertrages und bei den weiteren Schritten zur Einheit darauf achten, daß Schaden von den Menschen in Deutschland abgewendet wird.
({0})
Wir wollen Einigkeit auf dem Weg zur Einheit. Wir arbeiten für die Übereinstimmung aller politischen Kräfte und staatlichen Ebenen, für die Verfassung aller Deutschen und die ersten gesamtdeutschen Wahlen.
Wir wollen verhindern, daß die DDR zum wirtschaftlichen Notstandsgebiet wird. Wir wollen eine Energieversorgung ohne Kernkraft und eine umfassende ökologische Sanierung der DDR. Umweltschutz, Vollbeschäftigung und menschenwürdiges Wohnen müssen Staatsziel in Deutschland werden.
Herr Abgeordneter Jahn, ich darf Sie noch einmal darauf verweisen: Es geht um eine Erklärung zur Abstimmung.
({0})
Ich beschreibe hier die Begründung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zur Abstimmung. Darauf hat die sozialdemokratische Bundestagsfraktion einen Anspruch,
({0}) und diesem Anspruch genüge ich hier.
Wir wollen, daß die Rechte und Chancen der Frauen dem Verfassungsgebot der Gleichberechtigung entsprechen. Wir wollen das Vertrauen unserer Nachbarn in ein friedfertiges Deutschland stärken, dessen Verfassung den Verzicht auf ABC-Waffen besiegelt. Wir wollen den Föderalismus stärken . . .
Die Redezeit ist beendet!
... und die Vereinigten Staaten von Europa als Ziel in die Verfassung aufnehmen. Wir verbinden die Herstellung der staatlichen Einheit mit der klaren Absage an Nationalismus und Zentralismus.
({0})
Ich darf Sie bitten, Ruhe zu halten,
({0})
und Sie, Herr Jahn, möchte ich bitten; die Redezeit ist beendet.
({1})
- Ich möchte Sie bitten, nach dem Verhandlungsverlauf zu dieser Erklärung wieder zur Disziplin zurückzufinden.
({2})
Ich muß Ihnen sagen: Wenn das Wort zur Erklärung zur Abstimmung gewünscht wird, dann wird es erteilt. Hier wurde weit über die Erklärung hinausgegangen, und das hat heftige Reaktionen ausgelöst.
({3})
Damit ist der Ausdruck „Heuchler" keinesfalls als parlamentarisch akzeptiert.
({4})
- Ich habe es gerade zurückgewiesen.
Nun möchte ich bitten, daß wir in aller Ruhe die letzten Sätze von Herrn Jahn anhören und die Erklärung damit beendet wird.
({5})
Wir wollen die Auflösung des Ost-West-Konflikts und Abrüstung. Wir wollen Mittel, die dadurch frei werden, zur Überwindung der globalen Probleme der Menschheit, insbesondere der Unterentwicklung und des Elends in der Dritten Welt, und zur Abwendung der drohenden Umweltkatastrophe verwenden.
Das vereinte Deutschland darf nicht nur durch Staatsverträge begründet werden. Das Grundgesetz fordert das gesamte deutsche Volk auf, die Einheit Deutschlands zu vollenden. Praktische Solidarität, Unternehmungsgeist und Bereitschaft zum Teilen sind heute Bürgerpflichten. Dem entspricht das Recht der Bürger, die Verfassung
({0})
des gemeinsamen neuen Bundesstaates auf eine demokratische Entscheidung zu gründen. Die Geburts17274
Jahn ({1})
urkunde des geeinten Deutschlands dürfen und können nur seine Bürger selbst ausstellen.
({2})
Ich erteile das Wort Herrn Abgeordneten Bohl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
({0})
Ich möchte zur Abstimmung für die Fraktion der CDU/ CSU folgende Erklärung abgeben.
Das widersprüchliche und für die Öffentlichkeit schwer oder kaum nachvollziehbare Verhalten der SPD in den vergangenen Wochen zum Staatsvertrag
({1})
mag die Erklärung dafür sein, daß sich die SPD genötigt sah, durch Herrn Kollegen Jahn in dieser Form zur Abstimmung Stellung zu nehmen. Von der Geschäftsordnung gedeckt war diese Aussage mit Sicherheit nicht.
({2})
Wir begrüßen, daß wir heute bei unserem Ja als Fraktion der CDU/CSU auch die überwiegende Zustimmung der Fraktion der SPD finden. Das zeigt, daß es sich um einen gut ausgehandelten Vertrag handelt, der den Interessen der Menschen in der DDR und der Bundesrepublik Deutschland Rechnung trägt.
({3})
Mit dem herzlichen Dank an den Bundeskanzler und die Bundesregierung
({4})
verbinde ich die Empfehlung, die Aussagen, die Herr Kollege Jahn hier eben gemacht hat und die offensichtlich für den hausinternen Gebrauch bestimmt waren, doch in Buchdruckform an den Urlaubsort des Kanzlerkandidaten der SPD nach Spanien zu senden.
({5})
Ich bedanke mich abschließend bei der Fraktion der SPD, daß ich durch diesen Beitrag noch einmal Gelegenheit hatte, die erfolgreiche Deutschlandpolitik der Bundesregierung vor der deutschen Öffentlichkeit deutlich zu machen.
({6})
Ich erteile das Wort zu einer persönlichen Erklärung Herrn Abgeordneten Schreiner.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir zwei knappe Vorbemerkungen:
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn wir die letzten Minuten dieses Tagesordnungspunktes in einem etwas würdigeren Rahmen gestalten könnten,
({0})
als Sie ihn bisher inszeniert haben.
Den Kollegen Bohl möchte ich bezüglich der Spanien-Bemerkungen, die er eben gemacht hat, nur fragen, wo er heute Urlaub machen würde, wenn er vor wenigen Wochen drei Liter Blut verloren hätte.
({1})
Ich denke, wir könnten hier auch mit einem kleinen bißchen Anstand über die Runden kommen.
({2})
Auch im Namen meiner saarländischen Kollegen Frau Ursula Kugler und Lothar Fischer erkläre ich zu unserem Abstimmungsverhalten, das auch vom Kollegen Alwin Brück mitgetragen wird:
Wir haben gewissenhaft die Argumente geprüft, die für oder gegen den vorliegenden Staatsvertrag sprechen. Unser Abstimmungsverhalten ist frei von taktischen Erwägungen.
({3})
Angesichts der Bedeutung des Gegenstandes haben wir uns von der Überlegung leiten lassen, daß es auf unsere jeweilige einzelne Stimme ankommt.
({4})
Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht und hatten im wesentlichen die drei folgenden Hauptargumente zu bedenken und gegeneinander abzuwägen:
Erstens. Die Argumente, die gegen den Staatsvertrag in seiner hier zur Abstimmung stehenden Fassung vorgetragen worden sind, sind nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Niemand kann in der Tat ausschließen, daß die schnelle Einführung einer einheitlichen Währung für beide Teile Deutschlands den Produktionsstandort DDR massiv gefährdet. Die rasche Währungsunion trifft auf eine kaum vorbereitete Volkswirtschaft in der DDR. Angesichts der uns bekannten Produktivitätsrückstände werden viele Betriebe in eine existentielle Zerreißprobe geführt. Die beschleunigten Anpassungsprozesse können sehr wohl zu einem enormen Anwachsen der so und so zu erwartenden Arbeitslosigkeit führen.
Zweitens. Das Beharren der Sozialdemokratischen Partei auf deutlichen Verbesserungen des ursprünglichen Vertragswerkes war nicht nur legitim, sondern lag auch im ureigenen Interesse der Menschen in der DDR, aber auch in der Bundesrepublik. Niemand, hüben wie drüben, kann an dem Aufkommen großer sozialer Spannungen gelegen sein, die zu einem erneuten Massenauszug aus der DDR führen würden. Deshalb wiegt für uns besonders schwer die deutliche
Verbesserung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente. Dies schafft keine Gewißheit, aber doch die Hoffnung, Massenarbeitslosigkeit eingrenzen zu können.
Zu danken ist auch der SPD in der DDR, die sich schon bei der Erarbeitung des Staatsvertrages in bester sozialdemokratischer Tradition zum Anwalt sozialer Gerechtigkeit machte.
({5})
Wir sind sicher, daß die SPD das soziale Gewissen des Einigungsprozesses bleibt.
Drittens. Die überwältigende Mehrheit der Menschen in der DDR wollte und will die rasche Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion.
({6})
Der Slogan „Kommt die D-Mark, bleiben wir; kommt sie nicht, gehen wir zu ihr" formulierte schon zu Beginn dieses Jahres auf den Leipziger Montagsdemonstrationen eine explosive Stimmungslage. Die DDR verlor in dieser Phase Abertausende von jungen Menschen, deren einzige Hoffnung ein Neubeginn in der Bundesrepublik war. Ohne ein klares politisches Signal aus der Bundesrepublik, ohne die Hoffnung, daß auch ein Neubeginn in der DDR lohnt, wäre das Land vollends ausgeblutet.
({7})
Das Angebot einer zügigen Währungsunion war insoweit auch ein Reflex auf das nicht anzweifelbare Selbstbestimmungsrecht der Menschen in der DDR.
Nach Abwägung aller Umstände kommen wir zu dem Ergebnis, dem Staatsvertrag zuzustimmen.
({8})
Gleichwohl können wir auch diejenigen verstehen, die angesichts großer Gefährdungen zu einem anderen Ergebnis kommen. Zur Abstimmung steht nicht die deutsche Einheit, sondern die Frage, ob der Staatsvertrag als Instrument geeignet ist, diesen Prozeß in einer bestimmten Phase sozialverträglich zu gestalten.
Für die nächste Zukunft gilt: Wir alle sollten uns nicht in Rechthaberei, sondern in Solidarität mit den Menschen in der DDR und den sozial Schwachen in der Bundesrepublik zu übertreffen suchen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({9})
Als nächste nimmt das Wort zu einer Klärung nach § 31 der Geschäftsordnung Frau Garbe.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Erlauben Sie mir, in einem kurzen Beitrag mein Abstimmungsverhalten zum Staatsvertrag darzulegen.
Es geht uns bei dem Staatsvertrag um das Wohl des Volkes. So haben Sie, Frau Präsidentin, heute morgen in Ihrem Beitrag erklärt. Ich meine, unter dieser Prämisse konnten wir uns alle - bzw. fast alle - im Auschuß Deutsche Einheit wiederfinden und einigen.
„Zum Wohl des Volkes", vielmehr: der Völker, bedeutet für mich - und dafür arbeite ich fast 30 Jahre - in allererster Linie als elementares Grund- und Menschenrecht, in einer gesunden Umwelt aufwachsen und leben zu können. Ich weiß, wie es um die Umwelt in der DDR bestellt ist. Ich habe Verwandte in der DDR und war häufig in den verschiedensten Orten, die mir dieses Urteil ermöglichen. Die Situation der Umwelt in der DDR ist katastrophal. Deshalb ist es notwendig, unverzügliche Hilfe mittels eines Umweltreparaturprogrammes zu leisten, um zuerst die allerschlimmste Gefährdung für die Menschen zu reduzieren.
Meine lieben Kollegen und Kolleginnen, ich sah mich bei den Beratungen im Umweltausschuß nicht in der Lage, Forderungen zu dem Umweltrahmengesetz aufzustellen, die über das im Gesetz Vorgesehene und mit der DDR Ausgehandelte bzw. Abgemachte hinausgehen, es sei denn, ich hätte alle meine umweltpolitischen und ökologischen Wünsche und Träume zu einem Antrag formuliert, der aufzeigen würde, wie die Umweltsanierung in der DDR schnellstens betrieben werden könnte, unter Einbeziehung von Strukturen für eine verantwortbare Umweltpolitik. Aber ich persönlich halte es für vermessen, ja, für arrogant, von der DDR in der jetzigen Zeit mehr zu verlangen, als man hier in der Bundesrepublik bereit ist für die Rettung unserer Lebensgrundlagen zu geben,
({0})
obwohl die Verhältnisse hier mehr als kritisch zu sehen sind. Von daher gilt es nach wie vor, hier in der Bundesrepublik dafür zu sorgen, daß es endlich einen besseren Schutz für die Umwelt gibt, der dann auch von der DDR übernommen werden kann, wenn die Verwaltungsstrukturen, die erst geschaffen werden müssen, das ermöglichen.
Es ist Eile geboten. Das wissen wir alle. Deshalb ist mir der sprichwörtliche Spatz in der Hand wichtiger als die Taube auf dem Dach.
Da die Umweltunion, wie wir es von Anfang an gefordert hatten, Bestandteil des Staatsvertrages geworden ist, werde ich folgerichtig dem Staatsvertrag zustimmen,
({1})
wohlwissend und bedenkend, daß nach der Sommerpause Gelegenheit besteht, bei den Beratungen über die Übergangsregelung zu den einzelnen Gesetzen intensiv mitzuwirken. Das werde ich nutzen, damit die Zustimmung zum Staatsvertrag - um es mit den Worten von Willy Brandt zu sagen - kein Blankoscheck für die Regierung ist.
Ich danke für die Aufmerksamkeit und bitte meine Fraktion um Verständnis.
({2})
Das Wort zur Erklärung nach § 31 hat jetzt Herr Knabe.
Auch ich bitte, sehr verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, um Verständnis für meine Erklärung zur Abstimmung. Die heutige Abstimmung ist für jeden Politiker der Opposition eine schwierige Entscheidung, weil ein Ja oder Nein zum Staatsvertrag von vielen als Ja oder Nein zur deutschen Einheit aufgefaßt wird.
Antje Vollmer hat vier überzeugende Argumente genannt, warum die GRÜNEN diesem Vertrag nicht zustimmen können. Aber für einen Menschen, der noch in der Weimarer Republik geboren wurde, ist eine Ablehnung keine einfache Sache. Geboren wurde ich in dem Teil Deutschlands, der später zur DDR wurde. Mit 9 Jahren erlebte ich Hitlers Machtergreifung, mit 15 den Kriegsausbruch und mit 17 den Überfall auf die Sowjetunion. Ein Jahr später mußte ich selbst einrücken und habe damit als Soldat die Kriegsmaschine am Laufen gehalten.
So habe ich die Teilung Deutschlands als schmerzhaft, bitter, aber nicht als völlig ungerecht empfunden. Leidenschaftlich habe ich trotzdem als Bürger der DDR auf eine Wiedervereinigung gehofft, besonders am 17. Juni 1953. Ich war wie viele maßlos enttäuscht, daß der Westen der Niederschlagung des Rufes nach Demokratie tatenlos zusah. Erst langsam nach der Niederschlagung des ungarischen Aufstandes 1956 dämmerte die Erkenntnis, daß ein Eingreifen Krieg bedeutet hätte, und Krieg durfte in Mitteleuropa nie wieder stattfinden.
So fand ich mich nach und nach, auch nach meiner Flucht aus der DDR, mit dem Opfer der staatlichen Einheit ab, ja, ich sah auch die Gefahr, daß ein vereinigtes Deutschland genug Macht ansammeln könnte, um erneut überheblich über die Interessen anderer Völker hinwegzugehen.
Dann wurde die Mauer gebaut. 13 Jahre lang konnte ich meine Mutter, meine Geschwister nicht mehr besuchen, aber das Zusammengehörigkeitsgefühl blieb. Im Rahmen der Kirche und der GRÜNEN konzentrierte ich viel Kraft darauf, die Verbindungen lebendig zu halten, die Demokratie- und Umweltgruppen in der DDR zu unterstützten, weil wir die Umwelt nur gemeinsam retten können. Mit einer staatlichen Trennung hätte ich mich im Interesse des Friedens abfinden können, aber nicht mit der Unterdrückung demokratischer Rechte und nicht mit einer Spaltung der Nation.
Auch meinen grünen Freunden habe ich lange vor dem Fall der Mauer hier im Bundestag erklärt: Eine Nation kann man nicht durch Parteitagsbeschluß abschaffen, das wollen die Menschen schon selber entscheiden.
({0})
Und sie haben entschieden.
Ich freue mich sehr, daß die trennende Grenze im Frieden mit den Nachbarn zwischen den beiden deutschen Staaten wegfällt und nie wieder Familien trennen wird. Ich werde alles tun, daß diese deutsche Republik keine Gefahr mehr für seine Nachbarn wird, sondern Helfer und Partner.
Aber der vorliegende Staatsvertrag wurde ohne ausreichende Beteiligung der Parlamente und Bürger
abgeschlossen. Form und Inhalt entsprechen - leider - nicht meinen Vorstellungen, und ich hatte keine Möglichkeit mehr, das zu beeinflussen. Ich kann dem Vertrag nicht zustimmen.
({1})
Das Wort zur Abstimmung hat jetzt Frau Abgeordnete Wieczorek-Zeul.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Folgende SPD-Bundestagsabgeordnete werden nach reiflicher Abwägung und Prüfung bei dem vorliegenden Staatsvertrag mit Nein stimmen: Brigitte Adler, Robert Antretter, Lieselott Blunck, Andreas von Bülow, Edelgard Bulmahn, Peter Conradi, Gernot Erler, Freimut Duve, Katrin Fuchs, Monika Ganseforth, Konrad Gilges, Peter Glotz, Gerd Häuser, Michael Müller, Günter Oesinghaus, Horst Peter, Bernd Reuter, Günter Rixe, Wilhelm Schmidt, Sigrid Skarpelis-Sperk, Günter Verheugen, Gert Weisskirchen, Norbert Wieczorek und ich selbst.
Wir haben gemeinsam eine umfassende Erklärung zu Protokoll gegeben, in der wir unsere schwerwiegenden Gründe für das Nein darlegen, die wir heute nachmittag in der Debatte durch Peter Glotz dargestellt sahen. *)
Unser Nein ist ein Nein gegen diesen Staatsvertrag, aber ein Ja für ein sozial, demokratisch und ökologisch gestaltetes Deutschland
({0})
und für eine sozial, ökologisch und demokratisch gestaltete Einheit.
Ich danke Ihnen.
({1})
Das Wort zu einer Erklärung nach § 31 hat Herr Hüser.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann es sehr kurz machen. Wir haben soeben einige Erklärungen zur Abstimmung gehört, die meines Erachtens wirkliche Erklärungen zur Abstimmung waren. Aber ich darf dieses Hohe Haus an Debatten erinnern, die wir hier geführt haben, wo Kolleginnen meiner Fraktion - ich erinnere an die Erklärung zur Abstimmung von Hannelore Saibold zum Gentechnikgesetz und die Erklärung zur Abstimmung von Imma Hillerich zum Ausländergesetz - aus ihrer eigensten inneren Überzeugung ihr Abstimmungsverhalten darlegen wollten, aber ihre Ausführungen nach sehr kurzer Zeit abgebrochen worden sind. Da ich mir hier gerade die Erklärung zur Abstimmung von dem Kollegen Bohl anhören mußte,
({0})
*) Anlage 14
hoffe ich, daß dieser Maßstab in Zukunft auch dann angelegt wird, wenn unsere Fraktionsmitglieder Erklärungen zur Abstimmung abgeben.
({1})
Das Wort zu einer Erklärung nach § 31 hat der Abgeordnete Stratmann-Mertens.
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Für die grüne Bundestagsfraktion möchte ich sagen, daß wir die abweichende Haltung unserer Fraktionskollegin Charlotte Garbe ausdrücklich respektieren. Es gehört in einer solchen entscheidenden Frage, die nicht nur die politische Einsicht, sondern auch die Gefühle sehr betrifft, zum selbstverständlichen demokratischen Stil, daß alle Fraktionen mit abweichenden Haltungen in ihren Reihen leben können.
Die grüne Bundestagsfraktion hat in den letzten Wochen in mehreren gemeinsamen Sitzungen mit der Fraktion „Bündnis 90/Grüne" der Volkskammer eine gemeinsame Erklärung zum Staatsvertrag ausgearbeitet, in der der entscheidende Satz lautet:
Wir lehnen den paraphierten Staatsvertrag aus schwerwiegenden verfassungsrechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Bedenken und wegen der schweren sozialen Auswirkungen infolge der unverantwortlichen Terminsetzung für die Währungsunion ab.
Wir von unserer Fraktion sind froh, daß ein Stück deutsch-deutsche Gemeinsamkeit auch in den Reihen von GRÜNEN und Bürgerbewegung im Zug der Ausarbeitung dieser gemeinsamen Erklärung möglich war.
Ich möchte die Erwartung ausdrücken, daß bei der absehbaren Aushandlung des zweiten Staatsvertrags von vornherein die Parlamente beider deutschen Staaten hinreichend einbezogen werden und damit ihrer parlamentarischen Kontrollfunktion von vornherein gerecht werden können.
Ich danke Ihnen.
({0})
Als letztem erteile ich das Wort nach § 31 Herrn Mechtersheimer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jeder hier im Haus hatte eine Güterabwägung zu treffen. Die meisten hatten die Sorgen über die Entwicklung, die auch durch diesen Staatsvertrag ausgelöst werden, gegenüber dem politischen Ziel und der politischen Bedeutung für die deutsche Einheit, die mit diesem Staatsvertrag verbunden sind, abzuwägen.
Im Fall einer Ablehnung des Staatsvertrags könnte ich persönlich die Folgen, die in der DDR einträten, nicht verantworten. Deswegen stimme ich dem Staatsvertrag zu.
Ich danke Ihnen.
Damit sind wir am Ende der Erklärungen.
Ich möchte Ihnen aber noch etwas sagen. Es hat vorhin ein Mißverständnis gegeben. Denn zu den hier Gemeldeten gehörte Herr Gattermann. Herr Gatterman zog seine Wortmeldung zurück. Dann kam Herr Wolfgramm. Dadurch ist die Frage entstanden: Wollen Sie jetzt für ihn reden? Herr Wolfgramm möchte jetzt nicht mehr reden.
Ich möchte Sie davon informieren, daß auch zu diesem Punkt mehrere Erklärungen gemäß § 31 der Geschäftsordnung zu Protokoll vorliegen, die ich dem Stenographischen Bericht zu entnehmen bitte. *)
Ich eröffne in dritter Beratung die namentliche Abstimmung über den Staatsvertrag. -
Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, daß seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis gebe ich später bekannt. **)
Ich gebe jetzt das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses Deutsche Einheit auf Drucksache 11/7465 bekannt. Abgegebene Stimmen 505; ungültige Stimmen keine. Mit Ja haben 487 Abgeordnete gestimmt;
({0})
mit Nein haben 15 Abgeordnete gestimmt. Es gab drei Enthaltungen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 504; davon
ja: 486
nein: 15
enthalten: 3
Ja
CDU/CSU
Dr. Abelein Frau Augustin Austermann Dr. Bauer Bayha
Dr. Becker ({1})
Dr. Biedenkopf
Dr. Blens Dr. Blüm
Böhm ({2}) Börnsen ({3})
Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen
Borchert Breuer
Brunner
Bühler ({4}) Buschbom Carstens ({5})
*) Anlagen 14 bis 20
**) Seite 17281A, 17282D
Carstensen ({6}) Clemens
Dr. Daniels ({7})
Daweke
Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger
Dr. Dollinger
Doss
Echternach
Ehrbar Eigen
Eylmann
Dr. Faltlhauser
Feilcke Dr. Fell Fellner Frau Fischer
Fischer ({8})
Francke ({9})
Dr. Friedrich
Fuchtel
Ganz ({10})
Frau Geiger
Präsidentin Dr. Süssmuth Geis
Dr. Geißler
Dr. von Geldern
Gerstein Gerster ({11})
Glos
Dr. Göhner
Dr. Götz Gröbl
Dr. Grünewald
Günther Dr. Häfele
Harries
Frau Hasselfeldt
Haungs
Hauser ({12}) Hauser ({13})
Hedrich
Freiherr Heereman von Zuydtwyck
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger
Hörster
Dr. Hoffacker
Hornung
Frau Hürland-Büning
Dr. Hüsch
Dr. Jahn ({14})
Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Jung ({15})
Jung ({16})
Kalb
Dr.-Ing. Kansy
Frau Karwatzki
Keller
Kiechle Kittelmann
Klein ({17})
Dr. Köhler ({18}) Dr. Kohl
Kolb
Kossendey
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({19}) Lamers
Dr. Lammert
Dr. Langner
Lattmann Dr. Laufs Lenzer Frau Limbach
Link ({20})
Link ({21}) Linsmeier
Dr. Lippold ({22}) Louven
Lummer Maaß
Frau Männle
Magin
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Möller
Dr. Müller
Müller ({23})
Müller ({24}) Nelle
Dr. Neuling
Neumann ({25})
Dr. Olderog
Oswald
Pesch
Petersen
Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pfennig Dr. Pinger
Dr. Pohlmeier Dr. Probst
Rauen
Rawe
Reddemann Regenspurger Repnik
Dr. Riedl ({26})
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch ({27}) Frau Roitzsch ({28}) Dr. Rose
Roth ({29}) Rühe
Dr. Rüttgers Ruf
Sauer ({30}) Sauter ({31})
Frau Schätzle Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz ({32}) Schemken
Scheu
Schmidbauer
Frau Schmidt ({33}) von Schmude
Dr. Schneider ({34}) Schneider ({35}) Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({36}) Schulhoff
Dr. Schulte
({37}) Schulze ({38}) Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Seiters
Spilker
Spranger
Dr. Sprung
Dr. Stark ({39})
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken Dr. Stoltenberg Straßmeir
Strube
Frau Dr. Süssmuth
Susset
Tillmann
Dr. Uelhoff
Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel ({40})
Vogt ({41})
Dr. Voigt ({42})
Dr. Vondran Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Werner ({43})
Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wilz
Wimmer ({44})
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Würzbach Dr. Wulff Zeitlmann Zierer
Zink
SPD
Frau Adler Dr. Ahrens Amling
Andres
Antretter Dr. Apel Bachmaier Bahr
Bamberg
Becker ({45})
Frau Becker-Inglau Bernrath
Bindig
Frau Blunck
Dr. Böhme ({46}) Börnsen ({47}) Brandt
Brück
Büchler ({48})
Büchner ({49})
Dr. von Bülow
Frau Bulmahn
Buschfort Catenhusen
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Dr. Diederich ({50}) Diller
Duve
Egert
Dr. Ehmke ({51})
Dr. Ehrenberg
Dr. Emmerlich
Erler
Esters
Ewen
Frau Faße
Fischer ({52})
Frau Fuchs ({53})
Frau Fuchs ({54})
Frau Ganseforth
Gansel
Dr. Gautier Gerster ({55})
Gilges
Frau Dr. Götte
Graf
Großmann Grunenberg
Dr. Haack Haar
Frau Hämmerle
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler
Häuser
Heimann Heistermann
Heyenn
Hiller ({56})
Dr. Holtz Horn
Huonker Ibrügger Jahn ({57})
Jaunich
Dr. Jens
Jung ({58})
Jungmann ({59}) Frau Kastner
Kastning
Kiehm Kirschner
Kißlinger
Dr. Klejdzinski
Klose Kolbow Koltzsch
Koschnick
Kretkowski
Dr. Kübler
Kühbacher
Frau Kugler
Kuhlwein
Lambinus
Leidinger
Lennartz
Leonhart
Lohmann ({60})
Lutz
Frau Luuk
Frau Matthäus-Maier Menzel
Dr. Mertens ({61}) Meyer
Müller ({62}) Müller
({63}) Müller ({64}) Müntefering
Nagel Nehm Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese
Niggemeier
Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oesinghaus
Oostergetelo
Opel
Dr. Osswald
Paterna Pauli
Peter ({65})
Pfuhl
Dr. Pick Porzner Poß
Purps
Rappe ({66}) Reimann
Reschke
Reuschenbach
Reuter Rixe
Schäfer ({67}) Schanz
Dr. Scheer
Scherrer
Schluckebier
Schmidt ({68})
Frau Schmidt ({69}) Schmidt ({70})
Dr. Schmude
Dr. Schöfberger Schreiner
Schröer ({71}) Schütz
Frau Schulte ({72}) Seidenthal
Frau Seuster
Sielaff Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Frau Dr. Sonntag-Wolgast Dr. Sperling
Stahl ({73})
Präsidentin Dr. Süssmuth Steiner
Frau Steinhauer
Stiegler
Stobbe
Dr. Struck Frau Terborg Tietjen
Frau Dr. Timm Urbaniak
Vahlberg
Verheugen Dr. Vogel
Voigt ({74}) Waltemathe Walther
Wartenberg ({75})
Frau Dr. Wegner Weiermann
Frau Weiler Weisskirchen ({76}) Dr. Wernitz
Frau Weyel Dr. Wieczorek
Wieczorek ({77})
Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche
Wimmer ({78}) Wischnewski
Dr. de With Wittich
Würtz
Zander
Zeitler
Zumkley
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Beckmann Bredehorn
Cronenberg ({79}) Eimer ({80})
Engelhard
Dr. Feldmann
Frau Folz-Steinacker Funke
Gallus
Gattermann Genscher Gries
Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann
Heinrich Dr. Hirsch
Dr. Hitschler Hoppe
Dr. Hoyer Irmer
Kleinert ({81})
Kohn
Dr.-Ing. Laermann
Lüder
Mischnick Möllemann Neuhausen Nolting
Paintner
Richter
Rind
Ronneburger
Schäfer ({82})
Frau Dr. Segall
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms Dr. Thomae Timm
Frau Walz
Dr. Weng ({83}) Wolfgramm ({84}) Frau Würfel
Zywietz
DIE GRÜNEN
Frau Beer
Dr. Daniels ({85}) Eich
Frau Eid
Frau Flinner Frau Garbe Häfner
Frau Hensel Frau Hillerich Hoss
Frau Kelly Kleinert ({86})
Dr. Knabe Frau Kottwitz Kreuzeder
Dr. Lippelt ({87}) Dr. Mechtersheimer Meneses Vogl
Frau Nickels
Frau Oesterle-Schwerin Frau Rust
Frau Saibold Frau Schilling Stratmann-Mertens
Such
Frau Teubner Frau Vennegerts
Wetzel
Frau Wilms-Kegel
Frau Wollny
Fraktionslos
Frau Unruh Wüppesahl
Nein
CDU/CSU
Dewitz
Engelsberger Graf Huyn Jäger
Kalisch
Dr. Kappes Lowack
Dr. Mahlo
Marschewski Niegel
Sauer ({88})
Dr. Todenhöfer Windelen
Dr. Wittmann
Enthalten
CDU/CSU Rossmanith GRÜNE
Frau Fries
Frau Schmidt ({89})
Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Ich darf Sie darauf hinweisen, daß wir gleich noch eine namentliche Abstimmung durchführen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN.
({90})
- Bevor wir über die Entschließungsanträge abstimmen können, wird das Wort zu Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung gewünscht.
Frau Vennegerts, ich darf Sie noch einmal fragen: Geht es um Drucksache 11/7435 oder um Drucksache 11/7466?
({91})
Dann können wir zunächst über den Entschließungsantrag auf Drucksache 11/7435 abstimmen. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionfraktionen und der SPD abgelehnt.
Wir kommen nun zum Entschließungsantrag auf Drucksache 11/7466.
Dazu wird zunächst das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung gewünscht. Ich erteile Frau Abgeordnete Vennegerts das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich gebe zu, daß es mir heute schwerfällt und nicht so leichtfällt wie sonst, eine Rede zu halten, und zwar deshalb, weil das ein Thema ist, bei dem denke ich, jeder seinem Gewissen und seiner persönlichen Meinung folgen und er auch den Andersdenkenden tolerieren und akzeptieren sollte.
Ich enthalte mich bei der Abstimmung über den Entschließungsantrag meiner Fraktion zum Staatsvertrag auf Drucksache 11/7466 aus folgenden Gründen. Die GRÜNEN haben sich zu jedem Zeitpunkt gegen diese Form des Prozesses einer deutschen nationalstaatlichen Einheit ausgesprochen. Dieser Prozeß der überstürzten Einheit hat keine tragfähige demokratische Grundlage.
Es hat zu den Fragen nationalstaatlicher Einheit und zur Gestaltung dieses Prozesses zu keinem Zeitpunkt eine angemessene Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in der BRD und in der DDR gegeben, z. B. in Form eines Volksentscheides.
Europa war auf dem Weg, die Bedeutung nationalstaatlicher Grenzen zugunsten internationaler Strukturen zurückzustellen. Eine Einbettung der deutschen Einheit in den europäischen Prozeß bedeutet für mich, daß ein Miteinander der Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik und der DDR nicht zwangsläufig einen deutschen Nationalstaat voraussetzt. Eine für alle Völker verträgliche deutsche Einheit setzt aber u. a. voraus, daß die Rahmenbedingungen
für ein friedliches Europa, d. h. die Auflösung beider Militärblöcke zugunsten eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems, gewährleistet sind. Diese Voraussetzung ist heute noch nicht gegeben.
Die Kritik im vorliegenden Antrag unserer Fraktion an diesem Staatsvertrag und seine Ablehnung habe ich voll und ganz geteilt; ich habe auch in diesem Sinne abgestimmt. Allerdings kann ich den Satz: „Der Deutsche Bundestag bejaht die deutsche Einheit. " nicht mittragen; denn der gegenwärtige Prozeß zur Realisierung der schnellen deutschen Einheit beängstigt mich, weil er auf Kosten der Selbstbestimmung und Selbstachtung der Menschen in der DDR geht
({0})
und Deutschland zur dominierenden Macht in Europa wird.
Deshalb kann ich mich in der Form, wie es in unserem Antrag formuliert wird, nicht für die deutsche Einheit aussprechen.
({1})
- Ich merke an Ihrer Reaktion, Herr Bötsch, daß ich wohl doch etwas Richtiges gesagt habe. Ich bitte, dies auch zu respektieren.
({2})
Zur Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung erhält jetzt das Wort Herr Abgeordneter Dr. Briefs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Entschließungsantrag der GRÜNEN zum Staatsvertrag beinhaltet den Satz: „Der Deutsche Bundestag bejaht die deutsche Einheit. " Ich kann diesem Satz nicht zustimmen, weil ich diese Einheit vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte und den Weg zur Einheit nicht bejahen kann. Ich enthalte mich daher der Stimme.
Mit dem Staatsvertrag, der in Wirklichkeit ein Kaufvertrag ist, wird einer ganzen Bevölkerung die Identität zerstört. Das ist würdelos und unmenschlich. Diese Einheit auf Kosten der DDR-Menschen können wir nicht wollen. Die Angst in der DDR-Bevölkerung kann keine Legitimation für den faktischen Anschluß der DDR an die BRD sein.
({0})
Der Druck, die Hetze, die Gleichgültigkeit, die Gier, die das Verfahren auf unserer Seite prägen, strafen das jahrzehntelange Gerede von den Brüdern und Schwestern drüben Lügen. Der Staatsvertrag und die Verfahrensweise opfern die Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung in der DDR auf lange Sicht in erster Linie den Interessen der Reichen und Mächtigen in der BRD.
Diese deutsche Einheit beinhaltet zudem die Gefahr eines neuen Großdeutschlands, eines Großdeutschlands, das mit seiner ökonomischen und militärischen Übermacht in Europa an die unheilvolle Tradition des Deutschen Reiches wieder anknüpfen kann. Manche Stimme heute - auch hier im Hause - muß solche Befürchtungen jetzt bereits nähren.
({1})
Es darf nie wieder jenes autoritäre, aggressive und brutale Deutsche Reich der Geschichte geben, unter dem die Menschen in unseren Nachbarländern im Osten und im Westen so sehr gelitten haben. Das sind wir den Kindern, Frauen und Männern schuldig, die, ohne daß wir uns zur Wehr gesetzt haben, aus unserer Mitte deportiert und ermordet worden sind. Das sind wir den mehr als 57 Millionen toten Menschen schuldig, die der von Deutschen begonnene und glücklicherweise verlorene Krieg gekostet hat.
Es darf nie wieder Deutschland geben. Nie wieder Deutschland!
({2})
Ich komme zur Abstimmung. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 11/7466? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP und SPD gegen die Stimmen der GRÜNEN bei einigen Enthaltungen abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 1990 - Drucksachen 11/7150, 11/7321 und 11/7400 -, und zwar zunächst zu den Nachträgen bei den Einzelplänen.
Ich rufe auf die Zweiten Nachträge zu den Einzelplänen 02, 08, 09, 10, 12, 32, 36, 60 sowie den zweiten Nachtrag zum Gesamtplan in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Die aufgerufenen Nachträge sind mit den Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD und GRÜNEN angenommen.
Ich rufe nunmehr den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1990 mit den Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben.
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 1990 ist damit angenommen.
Bevor ich in den Beratungen fortfahre, möchte ich Ihnen das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung - der Schlußabstimmung - über den Gesetzentwurf vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik
- Drucksachen 11/7171, 11/7350, 11/7351, 11/7412 und 11/7464 - bekanntgeben. Abgegebene Stimmen 506; davon ungültige Stimmen keine. Mit Ja haben 445, mit Nein 60 gestimmt; Enthaltungen 1.
Präsidentin Dr. Süssmuth
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 505; davon
ja: 444
nein: 60
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Dr. Abelein
Frau Augustin Austermann
Dr. Bauer Bayha
Dr. Becker ({0}) Dr. Biedenkopf
Dr. Blens Dr. Blüm
Böhm ({1}) Börnsen ({2})
Bohl
Bohlsen Borchert Breuer
Brunner
Bühler ({3}) Buschbom
Carstens ({4}) Carstensen ({5}) Clemens
Dr. Daniels ({6}) Daweke
Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger
Dr. Dollinger
Doss
Echternach
Ehrbar
Eigen
Engelsberger
Eylmann
Dr. Faltlhauser
Feilcke
Dr. Fell
Fellner
Frau Fischer
Fischer ({7}) Francke ({8})
Dr. Friedrich
Fuchtel
Ganz ({9})
Frau Geiger
Geis
Dr. Geißler
Dr. von Geldern Gerstein
Gerster ({10})
Glos
Dr. Göhner
Dr. Götz Gröbl
Dr. Grünewald
Günther Dr. Häfele Harries
Frau Hasselfeldt Haungs
Hauser ({11}) Hauser ({12}) Hedrich
Freiherr Heereman von Zuydtwyck
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs
Hinsken
Höffkes
Höpfinger
Hörster
Dr. Hoffacker Dr. Hornhues Hornung
Frau Hürland-Büning Graf Huyn
Dr. Hüsch
Jäger
Dr. Jahn ({13})
Dr. Jenninger Dr. Jobst
Jung ({14}) Jung ({15}) Kalb
Kalisch
Dr.-Ing. Kansy Dr. Kappes
Frau Karwatzki Keller
Kiechle
Kittelmann
Klein ({16})
Dr. Köhler ({17}) Dr. Kohl
Kolb
Kossendey
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({18}) Lamers
Dr. Lammert Dr. Langner Lattmann
Lenzer
Frau Limbach Link ({19}) Link ({20}) Linsmeier
Dr. Lippold ({21}) Louven
Lowack
Lummer
Maaß
Frau Männle Magin
Dr. Mahlo Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Möller
Dr. Müller
Müller ({22}) Müller ({23}) Nelle
Dr. Neuling
Neumann ({24}) Niegel
Dr. Olderog
Oswald
Pesch
Petersen Pfeffermann
Pfeifer
Dr. Pfennig
Dr. Pinger
Dr. Pohlmeier
Dr. Probst Rauen
Rawe
Reddemann
Regenspurger
Repnik
Dr. Riedl ({25})
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch ({26}) Frau Roitzsch ({27}) Dr. Rose
Rossmanith
Roth ({28})
Rühe
Dr. Rüttgers
Ruf
Sauer ({29})
Sauer ({30})
Sauter ({31})
Frau Schätzle
Dr. Schäuble Scharrenbroich
Schartz ({32})
Schemken Scheu
Schmidbauer
Frau Schmidt ({33}) von Schmude
Dr. Schneider ({34}) Schneider ({35}) Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({36}) Schulhoff
Dr. Schulte
({37}) Schulze ({38})
Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer
Seehofer Seesing Seiters
Spilker
Spranger Dr. Sprung
Dr. Stark ({39})
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken
Dr. Stoltenberg
Straßmeir Strube
Frau Dr. Süssmuth
Susset
Tillmann
Dr. Todenhöfer
Dr. Uelhoff Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel ({40})
Vogt ({41})
Dr. Voigt ({42})
Dr. Vondran
Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Werner ({43})
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer ({44})
Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Würzbach Dr. Wulff Zeitlmann Zierer
Zink
SPD
Dr. Ahrens Amling
Andres
Dr. Apel Bachmaier Bahr
Becker ({45})
Frau Becker-Inglau
Bernrath Bindig
Dr. Böhme ({46})
Börnsen ({47})
Brück
Büchler ({48})
Büchner ({49})
Buschfort Catenhusen
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Dr. Diederich ({50})
Diller
Egert
Dr. Ehmke ({51})
Dr. Ehrenberg
Dr. Emmerlich
Esters
Ewen
Frau Faße
Fischer ({52})
Frau Fuchs ({53})
Gansel
Dr. Gautier Gerster ({54})
Frau Dr. Götte
Graf
Großmann Grunenberg Dr. Haack Haar
Frau Hämmerle
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler Heimann Heistermann Heyenn
Hiller ({55})
Dr. Holtz Horn
Huonker Ibrügger Jahn ({56})
Jaunich
Dr. Jens
Jung ({57})
Jungmann ({58})
Frau Kastner Kastning Kiehm
Kirschner Kißlinger Dr. Klejdzinski
Klose
Kolbow
Koltzsch
Koschnick
Präsidentin Dr. Süssmuth Kretkowski
Dr. Kübler
Kühbacher Frau Kugler Kuhlwein
Lambinus
Leidinger
Lennartz
Leonhart
Lohmann ({59})
Lutz
Frau Luuk
Frau Matthäus-Maier Menzel
Dr. Mertens ({60}) Meyer
Müller ({61})
Müller ({62}) Müntefering
Nagel
Nehm
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese
Niggemeier Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oostergetelo Opel
Dr. Osswald Paterna
Pauli
Dr. Penner Pfuhl
Dr. Pick
Porzner
Poß
Purps
Rappe ({63}) Reimann
Frau Renger Reschke
Reuschenbach Roth
Schäfer ({64}) Schanz
Dr. Scheer Scherrer
Schluckebier Schmidt ({65})
Frau Schmidt ({66}) Dr. Schmude
Dr. Schöfberger
Schröer ({67})
Schütz
Frau Schulte ({68}) Seidenthal
Frau Seuster Sielaff
Singer
Frau Dr. Sonntag-Wolgast Dr. Sperling
Stahl ({69})
Steiner
Frau Steinhauer
Stiegler
Stobbe
Dr. Struck Frau Terborg Tietjen
Frau Dr. Timm
Urbaniak
Vahlberg
Voigt ({70}) Waltemathe Walther
Wartenberg ({71})
Frau Dr. Wegner Weiermann
Frau Weiler Dr. Wernitz
Frau Weyel Wieczorek ({72}) Wiefelspütz
von der Wiesche
Wimmer ({73}) Wischnewski
Dr. de With Wittich
Würtz
Zander
Zeitler
Zumkley
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Beckmann Bredehorn
Cronenberg ({74}) Eimer ({75})
Engelhard
Dr. Feldmann
Frau Folz-Steinacker Funke
Gallus
Gattermann Genscher Gries
Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann
Heinrich Dr. Hirsch
Dr. Hitschler Hoppe
Dr. Hoyer Irmer
Kleinert ({76})
Kohn
Dr.-Ing. Laermann
Lüder
Mischnick Möllemann Neuhausen Nolting
Paintner
Richter
Rind
Ronneburger
Schäfer ({77})
Frau Dr. Segall
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms Dr. Thomae Timm
Frau Walz
Dr. Weng ({78}) Wolfgramm ({79}) Frau Würfel
Zywietz
DIE GRÜNEN
Dr. Mechtersheimer
Fraktionslos Frau Unruh
Nein
SPD
Frau Adler Antretter
Bamberg
Frau Blunck
Dr. von Bülow Frau Bulmahn Conradi
Duve
Erler
Frau Fuchs ({80}) Frau Ganseforth Gilges
Häuser
Müller ({81}) Oesinghaus
Peter ({82}) Reuter
Rixe
Schmidt ({83})
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Verheugen
Weisskirchen ({84}) Dr. Wieczorek
DIE GRÜNEN
Frau Beer
Brauer
Dr. Daniels ({85}) Eich
Frau Eid
Frau Flinner
Frau Frieß Häfner
Frau Hensel Frau Hillerich Hoss
Frau Kelly
Kleinert ({86})
Frau Kottwitz Kreuzeder
Dr. Lippelt ({87}) Meneses Vogl
Frau Nickels
Frau Oesterle-Schwerin Frau Rust
Frau Saibold Frau Schilling
Frau Schmidt ({88}) Stratmann-Mertens
Such
Frau Teubner Frau Vennegerts Frau Dr. Vollmer
Wetzel
Frau Wollny
Fraktionslos Wüppesahl
Enthalten
DIE GRÜNEN Frau Wilms-Kegel
Das Gesetz ist angenommen.
({89})
Wir kommen jetzt zu den Entschließungsanträgen der Fraktion der SPD sowie der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/7430 und 11/7460. Die Antragsteller verlangen namentliche Abstimmung über diese Entschließungsanträge, die wortgleich sind. Ich lasse daher über die Entschließungsanträge zusammen namentlich abstimmen und eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte wiederum die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis dieser namentlichen Abstimmung bitte ich dem Stenographischen Bericht zu entnehmen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 505; davon
ja: 234
nein: 269
enthalten: 2
Ja
CDU/CSU Glos
SPD
Frau Adler
Dr. Ahrens
Andres
Antretter Dr. Apel Bachmaier Bahr
Bamberg
Becker ({90})
Frau Becker-Inglau Bernrath
Bindig
Präsidentin Dr. Süssmuth
Frau Blunck
Dr. Böhme ({91}) Börnsen ({92}) Brandt
Brück
Büchler ({93})
Büchner ({94})
Dr. von Bülow
Frau Bulmahn
Buschfort Catenhusen
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Dr. Diederich ({95}) Diller
Duve
Egert
Dr. Ehmke ({96})
Dr. Ehrenberg
Dr. Emmerlich
Erler
Esters
Ewen
Frau Faße
Fischer ({97})
Frau Fuchs ({98})
Frau Fuchs ({99})
Frau Ganseforth
Gansel
Dr. Gautier
Gerster ({100})
Gilges
Frau Dr. Götte
Graf
Großmann Grunenberg
Dr. Haack Haack ({101})
Haar
Frau Hämmerle
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler
Häuser
Heimann Heistermann
Heyenn
Hiller ({102})
Dr. Holtz Horn
Huonker Ibrügger Jahn ({103})
Jaunich Dr. Jens
Jung ({104}) Jungmann ({105}) Frau Kastner
Kastning Kiehm
Kirschner Kißlinger Dr. Klejdzinski
Klose
Kolbow Koltzsch Koschnick Kretkowski
Dr. Kübler Kühbacher
Frau Kugler
Kuhlwein Lambinus Leidinger Lennartz Leonhart Lohmann ({106})
Lutz
Frau Luuk
Frau Matthäus-Maier Menzel
Dr. Mertens ({107}) Meyer
Müller ({108}) Müller ({109}) Müller ({110}) Müntefering
Nagel
Nehm
Frau Dr. Niehuis Dr. Niese
Niggemeier
Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oesinghaus
Oostergetelo
Opel
Dr. Osswald
Paterna
Pauli
Peter ({111})
Pfuhl
Dr. Pick
Porzner
Poß
Purps
Rappe ({112}) Reimann
Reschke
Reuschenbach
Reuter
Rixe
Schäfer ({113}) Schanz
Dr. Scheer
Scherrer
Schluckebier
Schmidt ({114})
Frau Schmidt ({115}) Schmidt ({116})
Dr. Schmude
Dr. Schöfberger Schreiner
Schröer ({117}) Schütz
Frau Schulte ({118}) Seidenthal
Frau Seuster
Sielaff
Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Frau Dr. Sonntag-Wolgast Dr. Sperling
Stahl ({119})
Steiner
Frau Steinhauer
Stiegler
Stobbe
Dr. Struck
Frau Terborg
Tietjen
Frau Dr. Timm
Urbaniak
Vahlberg
Verheugen
Voigt ({120}) Waltemathe
Walther
Wartenberg ({121}) Frau Dr. Wegner Weiermann
Frau Weiler
Weisskirchen ({122}) Dr. Wernitz
Frau Weyel
Dr. Wieczorek Wieczorek ({123}) Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche Wimmer ({124}) Wischnewski
Dr. de With Wittich
Würtz
Zander
Zeitler
Zumkley
FDP
Dr. Feldmann
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Hirsch
Lüder
DIE GRÜNEN
Frau Beer Brauer
Dr. Daniels ({125}) Eich
Frau Eid Frau Flinner Frau Frieß Frau Garbe Häfner
Frau Hensel Frau Hillerich
Hoss
Frau Kelly Kleinert ({126})
Dr. Knabe Frau Kottwitz
Kreuzeder
Dr. Lippelt ({127}) Dr. Mechtersheimer Meneses Vogl
Frau Nickels
Frau Oesterle-Schwerin Frau Rust
Frau Saibold Frau Schilling
Frau Schmidt ({128}) Stratmann-Mertens
Such
Frau Teubner
Frau Dr. Vollmer
Wetzel
Frau Wilms-Kegel
Frau Wollny
Fraktionslos
Frau Unruh Wüppesahl
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein
Frau Augustin Austermann
Dr. Bauer
Bayha
Dr. Becker ({129}) Dr. Biedenkopf
Dr. Blens Dr. Blüm Böhm ({130})
Börnsen ({131})
Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen Borchert Breuer
Brunner
Bühler ({132})
Buschbom Carstens ({133})
Carstensen ({134}) Clemens
Dr. Daniels ({135})
Daweke
Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger
Dr. Dollinger
Doss
Echternach
Ehrbar
Eigen
Engelsberger
Eylmann
Dr. Faltlhauser
Feilcke
Dr. Fell Fellner
Frau Fischer
Fischer ({136})
Francke ({137})
Dr. Friedrich
Fuchtel
Ganz ({138})
Frau Geiger
Geis
Dr. Geißler
Dr. von Geldern
Gerstein Gerster ({139})
Dr. Göhner
Dr. Götz Gröbl
Dr. Grünewald
Günther Dr. Häfele Harries
Frau Hasselfeldt
Haungs
Hauser ({140})
Hauser ({141})
Hedrich
Freiherr Heereman von Zuydtwyck
Helmrich Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Hörster Dr. Hoffacker
Hornung
Frau Hürland-Büning
Graf Huyn
Dr. Hüsch Jäger
Dr. Jahn ({142})
Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Jung ({143})
Jung ({144})
Kalb
Kalisch Dr.-Ing. Kansy
Präsidentin Dr. Süssmuth
Dr. Kappes
Frau Karwatzki Keller
Kiechle
Kittelmann
Klein ({145})
Dr. Köhler ({146})
Dr. Kohl
Kolb
Kossendey
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({147}) Lamers
Dr. Lammert Dr. Langner Lattmann
Lenzer
Frau Limbach Link ({148}) Link ({149}) Linsmeier
Dr. Lippold ({150}) Louven
Lowack
Lummer
Maaß
Frau Männle Magin
Dr. Mahlo
Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Möller
Dr. Müller
Müller ({151}) Müller ({152})
Nelle
Dr. Neuling Neumann ({153}) Niegel
Dr. Olderog Oswald
Pesch
Petersen
Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pfennig
Dr. Pinger
Dr. Pohlmeier Dr. Probst
Rauen
Rawe
Reddemann Regenspurger Repnik
Dr. Riedl ({154})
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch ({155}) Frau Roitzsch ({156}) Dr. Rose
Rossmanith
Roth ({157}) Rühe
Dr. Rüttgers Ruf
Sauer ({158})
Sauer ({159}) Sauter ({160})
Frau Schätzle Dr. Schäuble Schartz ({161}) Schemken
Scheu
Schmidbauer
Frau Schmidt ({162}) von Schmude
Dr. Schneider ({163}) Schneider ({164})
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({165}) Schulhoff
Dr. Schulte ({166}) Schulze ({167})
Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Seiters
Spilker
Spranger
Dr. Sprung
Dr. Stark ({168})
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken Dr. Stoltenberg
Straßmeir Strube
Frau Dr. Süssmuth
Susset
Tillmann
Dr. Todenhöfer
Dr. Uelhoff Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel ({169})
Vogt ({170})
Dr. Voigt ({171})
Dr. Vondran Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Werner ({172})
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer ({173})
Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Würzbach Dr. Wulff Zeitlmann Zierer
Zink
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Beckmann
Bredehorn
Cronenberg ({174}) Eimer ({175}) Engelhard
Frau Folz-Steinacker Funke
Gallus
Gattermann Genscher Gries
Grüner
Heinrich
Dr. Hitschler Hoppe
Dr. Hoyer Irmer
Kleinert ({176})
Kohn
Dr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff Mischnick Möllemann Neuhausen
Nolting
Paintner
Richter
Rind
Ronneburger Schäfer ({177}) Frau Dr. Segall
Frau Seiler-Albring Dr. Solms
Dr. Thomae
Timm
Frau Walz
Dr. Weng ({178}) Wolfgramm ({179}) Frau Würfel
Zywietz
Enthalten
CDU/CSU
Frau Dr. Hellwig Scharrenbroich
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/7431. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei einigen Enthaltungen mehrheitlich abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/7463 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei einer Enthaltung mehrheitlich abgelehnt.
Wir stimmen über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 11/7472 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mehrheitlich angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurf des 2. ERP-
Nachtragsplangesetzes 1990. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift einschließlich des beigefügten Nachtrags zum Gesamtplan des ERP-Sondervermögens 1990 auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind einstimmig angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 22. Juni 1990, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.