Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/28/1990

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf : Befragung der Bundesregierung Meine Damen und Herren, die Themen der Kabinettssitzung, die der Chef des Bundeskanzleramtes mitgeteilt hat, sind den Fraktionen bekannt. Ich will sie gern noch einmal nennen: Gesetz zur Regelung des Aufnahmeverfahrens für Aussiedler; Verordnung über die Ausbildungsförderung für Auszubildende mit Wohnsitz außerhalb des Geltungsbereichs des Gesetzes; Faktenbericht 1990 zum Bundesbericht Forschung. Die Bundesregierung hat weiterhin mitgeteilt, daß der Bundesminister des Innern, Herr Dr. Schäuble, berichtet. Er hat das Wort.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte das Hohe Haus gern von drei Beschlüssen unterrichten, die das Kabinett heute auf meinen Vorschlag hin gefaßt hat. Das Kabinett hat zum einen den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Aufnahmeverfahrens für Aussiedler beschlossen, den ich dem Hohen Hause in der Sitzung vom 17. Januar hier angekündigt habe. Darin wollen wir den Bezug von aussiedlerbezogenen Leistungen in Zukunft an die Voraussetzung knüpfen, daß von Aussiedlern vor der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland das sogenannte D-1-Verfahren durchlaufen wird. Wir haben heute diesen Gesetzentwurf beschlossen, der entsprechend vorsieht, daß das Aufnahmeverfahren obligatorisch wird und vor dem Verlassen des Herkunftsgebietes für die Aussiedler durchgeführt werden muß und daß nur derjenige, der einen dabei zu erwerbenden Aufnahmebescheid besitzt, nach Einreise in die Bundesrepublik Deutschland den Aussiedlerstatus erlangen kann. Daraus folgt, da fast alle aussiedlerbezogenen Eingliederungsleistungen von der Feststellung des Aussiedlerstatus abhängig sind, daß Leistungen eben nur bei vorliegendem Aufnahmebescheid in Anspruch genommen werden können. Und um wieder eine möglichst vollständige Übereinstimmung der Entscheidungen über den vom Bundesverwaltungsamt zu erteilenden Aufnahmebescheid und der endgültigen Anerkennung des Aussiedlers bei Ausstellung des Bundesvertriebenenausweises zu erreichen, darf der Bescheid erst erteilt werden, wenn ein künftig aufnehmendes Land seine Zustimmung erteilt hat. - Ich hatte vor 14 Tagen, Herr Präsident, über die Absicht der Bundesregierung informiert, die Länder in diesem Verfahren mit Entscheidungsbefugnis zu beteiligen. In bestimmten Härtefällen darf der Aufnahmebescheid auch nach Verlassen des Herkunftsgebiets erteilt werden. Dabei wird sowohl an eine besondere individuelle Härtesituation als auch an eine plötzliche Änderung der Verhältnisse in bestimmten Regionen für Deutsche in Aussiedlungsgebieten gedacht, die die vorherige Durchführung des Aufnahmeverfahrens gegebenenfalls nicht zumutbar erscheinen lassen könnte. Die Bundesregierung hat zweitens meinem Vorschlag zugestimmt, daß wir auch den Ländern, die erklärt haben, sich an das noch geltende Gesetz zur Aufnahme von Übersiedlern aus der DDR nicht mehr halten zu wollen, weiterhin wie bisher völlig unverändert Übersiedler und Aussiedler zuweisen. Wir haben auch bisher keinerlei Fälle feststellen können, in denen das Saarland und Bremen zugewiesene Übersiedler nicht aufgenommen haben. Es ist beiden Ländern unbenommen, gegen diese Haltung der Bundesregierung zu klagen. Die Bundesregierung geht davon aus, daß dieses Gesetz weiter gilt. Sie fühlt sich vor allen Dingen dadurch bestätigt, daß der Ministerpräsident des Saarlandes im Bundesrat eine Initiative eingebracht hat, dieses Gesetz abzuschaffen, was schwer mit der Haltung zu vereinbaren ist, daß man sagt: Dieses Gesetz gilt gar nicht mehr. Die Bundesregierung hat drittens meinem folgenden Vorschlag zugestimmt - auch dies möchte ich dem Hohen Hause gern mitteilen, Herr Präsident - : Wir müssen davon ausgehen - wir haben zusätzliche Erkenntnisse aus der letzten Zeit - , daß die Auslandsaufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit in der DDR Telefongespräche von Personen in der Bundesrepublik Deutschland in einem erheblichen Maße abgehört hat. Es ist nicht auszuschließen, daß Aufzeichnungen über solche Gespräche auf diesem oder jenem Weg in die Bundesrepublik gelangen könnten. Die Bundesregierung hat meinem Vorschlag zugestimmt, daß für den Fall, daß wir solche Aufzeichnungen des Fernsprechverkehrs innerhalb der Bundesrepublik Deutschland aus der DDR oder sonstwoher in die Hände irgendeiner Dienststelle bekommen würden, solche Unterlagen sofort und ohne jede vorherige Durchsichtung vernichtet werden sollen. Die der Bundesregierung unterstehenden Dienststellen sind entsprechend angewiesen. Ich appelliere an alle anderen Dienststellen, insbesondere an die der Länder, entsprechend zu verfahren. Ich denke, daß wir ungeachtet der Vorteile, die wir im Hinblick auf die Bekämpfung nachrichtendienstlicher Aktivitäten gegen die Bundesrepublik Deutschland gewinnen könnten, die Abhörerei, die andere gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet haben, nicht dadurch sozusagen fortsetzen sollten, daß wir in entsprechende Unterlagen auch nur Einsicht nehmen. Sie sollen unverzüglich vernichtet werden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Danke schön, Herr Minister. - Mir liegt zu dem ersten Komplex - das ist die Aussiedlerfrage - eine Wortmeldung der Frau Abgeordneten Hämmerle vor. Stellen Sie Ihre Frage, bitte schön!

Gerlinde Hämmerle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000777, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, ich freue mich jeden Mittwoch schon darauf, Ihnen hier eine Frage stellen zu dürfen, da wir ganz offensichtlich jeden Mittwoch mit diesem Thema beschäftigt sind. - Die SPD-Bundestagsfraktion hat im November letzten Jahres in die Debatte gebracht, eben dies, was Sie heute vorschlagen, in bezug auf Polen zu tun. Können Sie mir sagen, warum die Bundesregierung erst jetzt zu dieser Überzeugung kommt, daß das D-1-Verfahren im Herkunftsland durchzuführen ist, und was Sie sich davon versprechen?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Hämmerle, das einzige, was mich an Ihren Fragen etwas beschwert, ist, daß Sie jeden Mittwoch den Eindruck erwecken, als hätten wir dies alles nicht längst gesagt. ({0}) - Entschuldigung, ich beziehe mich auf das stenographische Protokoll der Sitzung des Deutschen Bundestages vom 17. Januar 1990. Dort habe ich längere Ausführungen gemacht. Ich habe in der letzten Sitzung zum Bereich „Aufnahmeverfahren" auch daraus zitiert. Heute lese ich Ihnen vor, was ich damals gesagt habe - ich habe Ihre Frage nämlich schon erwartet - : Auch in bezug auf die Aussiedler beabsichtigt die Bundesregierung nicht, irgendwelche Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht oder bei den Statusfragen für Volksdeutsche vorzuschlagen oder vorzunehmen. Es bleibt auch bei den Aussiedlern so, daß niemand die Sorge haben muß, daß er, wenn er jetzt nicht kommt, in Zukunft nicht mehr wird kommen können. Wir beabsichtigen allerdings, die aussiedlerbezogenen Leistungen in Zukunft an die Voraussetzung zu knüpfen, daß von den Aussiedlern vor der Obersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland das D-1-Verfahren durchlaufen worden ist, weil wir denken, daß es im Interesse der Aussiedler selbst ist, wenn wir beim Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland zu einer größeren Ordnung kommen, wenn wir eine Verstetigung dieses Zuzugs haben. Die Chancen, die Menschen hier menschengerecht aufzunehmen, sind dann besser. Das habe ich am 17. Januar an dieser Stelle gesagt. Die Frage war dann, warum es dennoch so lange gedauert hat. Auch dies habe ich schon am 17. Januar gesagt: Wir haben darüber mit den Ländern gesprochen. Ich habe dies in einer Sitzung am 26. Januar, zu der ich Vertreter der Länder eingeladen hatte, so vorgeschlagen. Damals ist beschlossen worden, unter dem Vorsitz des Landes Baden-Württemberg eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einzusetzen, die die Einzelheiten vorzubereiten hat. Diese Arbeitsgruppe hat in der vergangenen Woche ihre Beratungen insoweit abgeschlossen. Der frühestmögliche Termin einer Kabinettsentscheidung war der heutige Mittwoch.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Hämmerle möchte noch einmal nachfragen. Bitte schön!

Gerlinde Hämmerle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000777, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, ich möchte Sie nicht ärgern, und deswegen frage ich Sie jetzt nicht, ob die Einführung des D-1-Verfahrens ein erster Schritt zur Abschaffung des Bundesvertriebenengesetzes ist, sondern frage Sie, ob Frau Kollegin Adam-Schwaetzer in der Kabinettssitzung etwas über die Situation an den Botschaften gesagt hat. Ich war in der letzten Woche in Rumänien und habe von da einen frischen Eindruck. Ich glaube, daß die Einführung des D-1-Verfahrens im Herkunftsland auch etwas mit der Personalsausstattung an den Botschaften zu tun hat. - Herr Präsident, ich weiß nicht, ob die Frage zulässig ist, aber ich stelle sie einmal.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Da die gesamte Bundesregierung vertreten ist und auch Frau Adam-Schwaetzer da ist, dürften sich keine Schwierigkeiten ergeben. Aber Herr Schäuble hat zunächst das Wort.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Ich will nur aus dem Beschlußvorschlag, den das Kabinett einstimmig angenommen hat, zitieren, weil es der Beschlußvorschlag des Bundesministers des Innern ist. Darin heißt es: „1. Das Kabinett stimmt dem Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Aufnahmeverfahrens für Aussiedler zu. Der Gesetzentwurf wird als besonders eilbedürftig behandelt. Mehraufwendungen" - das ist der Gegenstand Ihrer Frage - „({0}) werden im Haushalt des Auswärtigen Amtes, Einzelplan 05, zusätzlich bereitgestellt. " Dazu sind weitere Äußerungen in der Kabinettssitzung von Mitgliedern des Kabinetts nicht gemacht worden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wollen Sie noch etwas hinzufügen? - Bitte schön.

Not found (Gast)

Herr Präsident! Ich kann das noch ergänzen, weil Sie auch nach der Situation an den Botschaften gefragt haben. In der Tat ist die Situation an einigen Botschaften durch die notwendige Visaerteilung heute schon sehr gespannt. Im ersten Nachtragshaushalt sind aber bereits einige Stellen bewilligt, die Stellen werden mit Einverständnis der dafür Zuständigen zum Teil umgewidmet, und die Neubesetzungen, die jetzt schon erfolgen können, ohne daß auf weitere notwendige Geldbewilligungen zu warten wäre, werden den Botschaften zugeordnet, deren Bedarf am größten erscheint, vor allen Dingen also wahrscheinlich der Botschaft in Warschau.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zu diesem Fragenkomplex liegt mir noch eine Wortmeldung des Abgeordneten Czaja vor. Bitte schön, Herr Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte gern zwei Fragen zu dieser Materie stellen. Herr Bundesinnenminister, zur Klarstellung: Es ist ein Beschluß über ein Aufnahmeverfahren, nicht über eine Beendigung oder Unterbrechung oder Verschärfung der Vertriebenengesetzgebung. Dies wird aber von der SPD beantragt; das darf nicht durcheinandergehen. Ich frage Sie: Halten Sie die Beendigung der völkerrechtlich und grundgesetzlich autorisierten und geforderten Vertriebenen- und Eingliederungsgesetzgebung, die nicht nur für materielle Leistungen gilt, sondern auch für die rechtliche und praktische Bereinigung oder Aufarbeitung der Unrechtsfolgen der Massenvertreibung, in bezug auf den Status der Vertriebenen, die Vermögensschäden - alle Bundesregierungen und die Präambel des Lastenausgleichsgesetzes befürworten dies -, was auch in bezug auf das Bündel der Menschenrechte gilt, die beispielsweise in der Verfassung des Landes, in dem ich gewählt wurde, zusammen mit dem Recht auf Heimat genannt sind, wobei auf die Schutzpflicht für die Grundrechte deutscher Staatsangehöriger unter fremder Herrschaft hingewiesen wird, jetzt für zulässig? Meine zweite Frage: -

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Nein, Herr Kollege, selbst einem Minister kann man nicht zutrauen, zu dieser Fülle auch noch eine zweite Frage beantworten zu müssen. ({0}) - Herr Kollege Czaja, Sie bekommen eine Nachfragemöglichkeit, aber zunächst ist der Minister dran.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Czaja, der Beschluß, dieses Gesetz bei Bundesrat und Bundestag einzubringen, beinhaltet das, was ich vorgetragen habe, nicht mehr und nicht weniger. Es ist exakt das, was ich am 17. Januar hier angekündigt habe. Die Bundesregierung hat aber ausdrücklich auch meiner Feststellung zugestimmt, daß sie weitergehenden Initiativen, aussiedlerspezifische Leistungen einzuschränken oder abzubauen, die es ja im Bundesrat und auch im Bundestag gibt, nicht zustimmt. Die Vorschläge der Bundesregierung sind die, die in dem Gesetzentwurf enthalten sind, nicht mehr und nicht weniger. Ich glaube, damit ist Ihre Frage präzise beantwortet.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Jetzt können Sie noch eine Nachfrage stellen, Herr Czaja.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesinnenminister, ist hinsichtlich der Verwaltungspraxis gewährleistet, daß bei der gesetzlichen Definition des Begriffes „Aufnahme" , 40 Jahre nachdem das im Grundgesetz verankert worden ist, eine Fülle der damit zusammenhängenden Gesetze im Verfahren und in den Richtlinien zum Verfahren nicht mißachtet wird, u. a. Art. 11, Art. 116 und Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes, das sozialstaatliche Eingliederungsprinzip, die 40jährige Selbstbindung der Verwaltung, das Staatsangehörigkeitsgesetz von 1955, die 40 Jahre geltende gesetzliche Auslegung von Art. 116 des Grundgesetzes, die den Begriff „Vertreibungsdruck" überhaupt nicht kennt, und droht die Praxis nicht durch politische Behauptungen fehlzugehen, die nicht berücksichtigen, daß die menschenrechtlichen Bedingungen in den Aussiedlungsgebieten noch erhebliche Beschwernisse für die Betroffenen enthalten, beispielsweise die brachiale Bedrohung der Deutschen?

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege, nun müssen Sie aber zum Schluß kommen.

Dr. Herbert Czaja (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000344, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich verweise nur auf die mutigen öffentlichen Beschwörungen des Hirtenbriefs des Bischofs Nossol - dem Sie nicht widersprechen werden - , den Chauvinismus abzubauen. Droht hier in der Praxis nicht ein Unterlaufen der bisherigen gesetzlichen Grundlagen?

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege, lassen Sie mich zwischendurch eine Bemerkung machen. Wir sind gehalten, die Bundesregierung aufzufordern, kurz zu antworten, aber auch gehalten, kurz zu fragen. ({0}) Jetzt ist der Herr Innenminister dran.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Czaja, wenn Sie nach der Praxis der Bundesregierung allein hätten fragen wollen, wäre Ihre Frage sehr viel einfacher gewesen und wäre sie auch eindeutig zu beantworten. Die Bundesregierung gewährleistet in ihrem Verantwortungsbereich, ihrem Zuständigkeitsbereich dies alles. Das wird von Ihnen ja auch gar nicht in Frage gestellt. Ihre Frage zielt darauf ab, ob wir angesichts vieler Äußerungen aus einzelnen Bundesländern dies alles gewährleisten können. Meine Antwort ist, daß die Bundesregierung im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Möglichkeiten alles tut, um dies zu gewährleisten. Ich habe im zweiten Teil meiner Berichterstattung darauf hingewiesen, wie wir uns angesichts der Erklärungen des Saarlands und des Landes Bremen, daß sie das Gesetz zur Durchführung des Aufnahmeverfahrens als nicht mehr existent oder anwendbar betrachten - was rechtlich völlig unhaltbar ist -, verhalten. Was das Verfahren zur Aufnahme von Aussiedlern betrifft, sind wir wie bei den Übersiedlern im Bundesstaat letztlich darauf angewiesen, daß der kooperative Föderalismus funktioniert und daß der Grundsatz der Bundestreue von allen Beteiligten eingehalten wird. Also wird die Bundesregierung im Rahmen ihrer Verantwortung weiterhin darauf hinwirken, daß dies so geht. Wir werden uns vor allem weiterhin bemühen, ein Einvernehmen zwischen Bund und Ländern in allen diesen Fragen zu erreichen, was zugegebenermaßen in letzter Zeit schwieriger geworden ist. Deswegen hat es ja vom 17. Januar bis heute gedauert, weil ich solche Fragen nicht einfach in einem Gesetzentwurf der Bundesregierung vorlegen, sondern zunächst mit den Ländern erörtern möchte. Die Bundesregierung geht davon aus, daß mit diesem Gesetz eine Grundlage geschaffen wird, daß der Bund und alle elf Länder sich auch in Zukunft an das geltende Recht, auch an das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, halten werden. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Es gibt eine weitere Frage, und zwar von Frau Schmidt ({0}). Bitte schön.

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, ich habe eine Nachfrage zu Ihrer ersten Antwort an den Kollegen Czaja. Sie haben dabei ausgeschlossen, daß die Bundesregierung weitergehende Einschränkungen der Leistungen für Übersiedler, Aussiedler und Vertriebene vorsieht. Gilt das für die absehbare Zukunft? „Absehbare Zukunft" bedeutet für mich einen Zeitraum von einem bis zwei Jahren.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Schmidt, wenn man nachfragt, sollte man zunächst die Antwort präzise zur Kenntnis nehmen. Ich habe in diesem Zusammenhang überhaupt nicht von Übersiedlern geredet. Darüber haben wir in der vorigen Sitzungswoche gesprochen. Zweitens. Was die aussiedlerspezifischen Leistungen betrifft, so wissen Sie - auch darüber ist am 17. Januar und bei früheren Gelegenheiten schon gesprochen worden - , daß möglicherweise das, was im Wege der Herstellung einer Wirtschafts-, Währungs- und Sozialgemeinschaft in Deutschland an Veränderungen notwendig ist, auch Auswirkungen auf nicht aussiedlerspezifische Leistungen an Aussiedler haben kann, wenn Sie etwa an das Rentenrecht denken. Das ist völlig klar. Es ist aber gar nicht Gegenstand meiner Berichterstattung, und es ist auch nicht Gegenstand meiner Vorlage. Bei aussiedlerspezifischen Leistungen, die wir im Eingliederungsanpassungsgesetz miteinander in intensiven Beratungen überprüft und am Ende einvernehmlich - jedenfalls was die sozialdemokratische Bundestagsfraktion betrifft - angepaßt haben, beabsichtigt die Bundesregierung nicht, weitere Leistungseinschränkungen vorzuschlagen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe den zweiten Bereich auf, der in der Kabinettssitzung behandelt und uns hier vorgetragen worden ist. Es geht um eine Verordnung, die die Ausbildungsförderung betrifft. ({0}) - Ja, aber ich muß erst das abarbeiten, was uns vorgetragen worden ist. ({1}) - Ich weiß, und es kommt alles dran, wenn wir uns schön mit kurzen Fragen und kurzen Antworten begnügen. Jetzt kommt also zunächst das Thema BAföG. Dazu liegt mir eine Wortmeldung von Frau Odendahl vor. Bitte schön.

Doris Odendahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001632, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das Kabinett hat ja heute auch die Regelungen über die Richtlinienverordnung für Studierende aus der DDR beschlossen, wonach keine BAföG-Vorteile für Pendler aus der DDR entstehen sollen. Ich habe dazu folgende Frage, nachdem ja schon veröffentlicht ist, wie und in welcher Höhe das vorgesehen ist. Wir halten die Regelung für vernünftig, sehen aber angesichts der zu erwartenden und vom Bundeskanzler auch schon fest terminierten Währungsunion die Notwendigkeit, die Frage der Befristung zu klären. Ist auch schon überlegt worden, inwieweit von der Währungsunion Einflüsse ausgehen können?

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Bundesminister Möllemann möchte antworten. Bitte!

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Herr Präsident! Frau Kollegin Odendahl, zunächst einen Satz vorweg über das, was beschlossen worden ist. Nachdem der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft am 14. dieses Monats in das 12. BAföG-Änderungsgesetz eine Verordnungsermächtigung aufgenommen hat - das Gesetz wird heute nachmittag in zweiter und dritter Lesung beraten - , ist diese Verordnung heute verabschiedet worden. Sie besagt, daß für Studierende, die bei uns studieren, ihren Wohnsitz aber in der DDR haben, also sogenannte Bildungspendler, künftig ein anderer Bedarfssatz als für diejenigen festgelegt wird, die bei uns wohnen. Das hängt damit zusammen, daß die Kostensituation dort eben eine andere ist. Das heißt im Klartext, daß für den Höchstförderberechtigten - das wird vom Einkommen der Eltern her im Regelfall jeder betroffene Studierende sein - nicht 750 DM, sondern 400 DM zur Verfügung stehen. Wir sind uns darüber im klaren, daß zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Wirtschafts- und Währungsunion oder der Währungsunion mit Wirtschaftsreformen erneut eine Anpassung fällig sein kann - wir sagen das auch so deutlich - , denn dann wäre die Berechnungsgröße ja wieder eine andere. Wir werden das also der jeweiligen Situation entsprechend machen. Ich bin deswegen auch dem Parlament dankbar, daß es diese Verordnungsermächtigung im Ausschuß einmütig mit allen Fraktionen geschaffen hat, damit wir schnell reagieren können.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich sehe eben - ich hatte es nicht im Kopf - , daß wir dieses Thema heute nachmittag auf der Tagesordnung haben. Insofern ist das Problem, ob wir jetzt weiter fragen können, zwar rechtlich geklärt, aber ich bitte trotzdem um ZeitbeVizepräsident Westphal schränkung. - Frau Odendahl, eine kurze Nachfrage und eine kurze Antwort dazu.

Doris Odendahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001632, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich stelle meine Frage, weil ich befürchte, daß wir genau das in der heute nachmittag stattfindenden Debatte so nicht klären können. Herr Minister, sind Sie sich bewußt, daß Sie jetzt qua Kabinett Beschlüsse zu einer Richtlinienverordnung gefaßt haben, die vom 1. April bis lediglich, wie es der Bundeskanzler wohl gesagt hat, zum 1. Juli gelten soll?

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Es gibt bislang keine amtliche Festlegung der Termine des Inkrafttretens der Wirtschafts- und Währungsunion. Es gibt Absichten der Bundesregierung, bestimmte Termine anzustreben, aber das setzt voraus, daß wir mit der demnächst zu installierenden Regierung der DDR entsprechende Vereinbarungen treffen. Da es diese Regierung noch nicht gibt, kann es auch entsprechende Vereinbarungen noch nicht geben. Wir müssen uns jetzt auf der Grundlage der heutigen Realitäten verhalten, und das tun wir.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Waldburg-Zeil möchte dazu noch fragen.

Alois Waldburg-Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002413, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, trifft es zu, daß der Teil, der gekürzt werden soll, hauptsächlich den Wohnanteil betrifft, der - das behandeln wir heute nachmittag - in Zukunft wieder als Zuschuß gegeben wird, und daß hier eine besondere Ungleichheit bestünde, wenn auf der anderen Seite ein sehr niedriges Mietenniveau bestünde und man das BAföG hier beziehen würde, daß dies nach der Verordnung ausgeglichen werden soll und daß man dafür auch möglichst schnell Regelungen treffen muß?

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Wir müssen aus zwei Gründen eine Regelung möglichst schnell treffen: zum einen deswegen, weil sich der Sachverhalt so darstellt, wie Sie ihn dargestellt haben, zum anderen, weil das Sommersemester in Kürze beginnt und die Studierenden in dieser Phase davon betroffen wären.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich komme zu dem Fragenbereich, der den Faktenbericht 1990 zum Bundesbericht Forschung betrifft. Dazu habe ich eine Frage von Herrn Abgeordneten Vosen vorliegen. Bitte schön, Herr Vosen.

Josef Vosen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002395, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, ich gehe davon aus, daß dieser Faktenbericht auf dem letzten Stand ist, und unterstelle, daß in ihm auch schon die jüngste Situation in der DDR beschrieben ist. In diesem Zusammenhang erwarte ich auch, daß in diesem Bericht Aussagen zur COCOM-Liste und dazu, wie man mit den Folgen der COCOM-Liste umzugehen gedenkt, enthalten sind.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wer antwortet? - Bitte, Herr Dr. Riesenhuber.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Herr Kollege Vosen, der Faktenbericht bezieht sich - so ist er immer angelegt - auf den Zeitraum von zwei Jahren, und zwar hier auf die Jahre 1988 und 1989. Wir haben trotzdem ein Kapitel über die innerdeutsche und die internationale Zusammenarbeit aufgenommen. Wir zeigen damit, in welche Richtung wir im weiteren arbeiten wollen. Zur COCOM-Liste: Bei den Kooperationsprojekten mit der DDR, die wir nach dem Abkommen für die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit durchführen, haben wir bis jetzt nur am Rande eines einzigen Projekts Schwierigkeiten mit der COCOM-Liste gesehen. Wir haben inzwischen über 60 Projekte. Sie sehen also, daß die Arbeit breit und intensiv gemeinsam angelegt wird. Dennoch hat die Bundesregierung die Absicht, ihren Grundsatz, höhere Zäune um weniger Podukte zu errichten, hier in den Verhandlungen, die derzeit zur COCOM-Liste laufen, umzusetzen und damit auch mögliche restliche Hindernisse für die Zusammenarbeit mit der DDR zu beseitigen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Nachfrage? - Bitte schön, Herr Vosen.

Josef Vosen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002395, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, diese Antwort befriedigt mich nicht sehr. Deswegen stelle ich eine Nachfrage. Sie wissen sehr gut, daß z. B. bereits im Bereich der Computertechnik über 36-Bit-Computer hinaus - das ist ganz durchschnittliches Material - nichts geliefert werden kann und daß das eine echte Behinderung der deutsch-deutschen Zusammenarbeit auf vielen Feldern der Technik ist. Deshalb die Frage an Sie: Sehen Sie denn wenigstens die Chance, daß diese COCOM-Liste verschwindet, wenn wir die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion haben, die zu erwarten ist? Gilt dann noch die COCOM-Liste für unsere Zusammenarbeit mit der DDR, die dann, wirtschaftlich gesehen, eigentlich ein Teil unseres Landes ist?

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Herr Kollege Vosen, meine Antwort bezog sich entsprechend Ihrer Frage auf die Projekte für die gemeinsame Arbeit. Dabei trifft die Aussage zu. Der zweite Punkt ist, daß wir in den laufenden Verhandlungen die Absicht haben, höhere Zäune um weniger Produkte zu errichten und damit den Freiraum zu erweitern. Vielleicht kann hier von einem in dieser Sache stärker federführenden Ressort etwas ergänzt werden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich muß jetzt ein bißchen bremsen, aber wenn es eine kurze Antwort ist, erteile ich Ihnen, Frau Staatsminister Adam-Schwaetzer, das Wort.

Not found (Gast)

Herr Präsident, es wird ganz kurz. Wir bemühen uns in Gesprächen mit den Vereinigten Staaten und den anderen Partnern im COCOM, Sonderregelungen für die deutsch-deutsche Vereinigung zu bekommen, die vorgezogen und schnell verabschiedet werden sollen, um unseren Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Es gibt auch berechtigte Hoffnungen, daß wir erfolgreich sein können. Generell gilt, was der Bundesforschungsminister gesagt hat: Wir bemühen uns um eine Verkürzung, um eine Straffung der Liste, um die Zusammenarbeit mit osteuropäischen Staaten insgesamt zu erleichtern.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Der Abgeordnete Jäger möchte noch eine Frage stellen.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, können Sie mir sagen, wie hoch die Bundesregierung die Mittel für 1990 veranschlagt hat, die für die deutsche Beteiligung an den verschiedenen Eureka-Projekten eingesetzt werden sollen? Das ist ja, wie sich gezeigt hat, ein ganz besonders wichtiger Teil der Arbeit der Bundesregierung auf dem europäischen Forschungsgebiet. Mich würde interessieren, wie hoch die Mittel für 1990 ungefähr veranschlagt werden.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Die Mittel für Eureka 1990 dürften nach jetzigem Stand in der Größenordnung von etwa 80 Millionen DM liegen. Dies kann sich allerdings noch erheblich erhöhen. Sie wissen, daß wir uns in der Startphase sehr großer Projekte befinden, insbesondere des Projektes JESSI, eines Eureka-Projekts, so daß wir die Anträge im einzelnen noch nicht absehen, die wir in diesem Jahr bekommen und bewilligen werden. Im übrigen stelle ich hier mit Freude fest, daß ein wachsender Anteil der Eureka-Projekte durchgeführt wird, ohne daß die Bundesregierung Zuschüsse zu zahlen hat. Bei der letzten Eureka-Konferenz waren mehr als die Hälfte der neu von Deutschland angemeldeten Projekte ohne Zuschüsse des BMFT aus der Initiative und der Verantwortung der Wirtschaft selbst entstanden. Insofern sind die Zahlen im Haushalt des BMFT nur ein Hinweis.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Maaß, Sie wollten eine Frage stellen? - Bitte.

Erich Maaß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001402, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, welche Möglichkeiten für kurzfristige Forschungskooperationen mit der DDR sehen Sie? Wie sieht die Strategie der Bewerkstelligung in den nächsten Wochen bei Ihnen aus?

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Herr Kollege Maaß, kurzfristige Zusammenarbeit besteht im wesentlichen außerhalb der Projekte zur wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit, obwohl wir auch hier die Entscheidungsfristen wesentlich verkürzt haben. Kurzfristige Zusammenarbeit wird im wesentlichen bei bilateralen Kontakten zwischen Forschern aufgebaut. Sie wird gefördert in Projekten der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft. Wir haben für solche gemeinsamen Arbeiten in erheblichem Umfang Stipendientitel, Titel für Reisen und Titel für sonstige Kooperationen vorgesehen. Wir hatten im vergangenen Jahr ungefähr 285 Besuche aus der DDR in der Bundesrepublik. Nach der Ausstattung der entsprechenden Titel hoffen wir, daß wir die Zahl in diesem Jahr verfünffachen, vielleicht sogar verzehnfachen können. Ich glaube, daß dies von der Wissenschaft mit entsprechendem Nachdruck betrieben wird. Im übrigen bauen wir hier im wesentlichen nicht auf die zentrale Planung der Regierung, sondern auf die Initiative der Wissenschaftler, die wir zusammenbringen wollen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Dann hat der Abgeordnete Stahl noch eine Frage zu diesem Bereich.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, ich habe Sie so verstanden, daß inzwischen 60 Projekte der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit zwischen dem anderen deutschen Staat und Ihnen vereinbart wurden. Wie groß ist das Finanzvolumen? Man hört ja, daß dies, was die Finanzen betrifft, bei Ihnen nicht sehr hoch dotiert wurde. Die zweite Frage bezieht sich auf die deutsche Vereinigung. Hat die Bundesregierung denn nicht bedacht, daß bei einer deutschen Wiedervereinigung, wenn wir ein Staat sind, die COCOM-Liste doch wohl für uns und für die DDR rechtlich überhaupt nicht mehr gilt? Wie ist die Rechtsposition denn insgesamt? Dies scheint wohl nicht ganz klar bedacht zu sein. Denn dies bedeutet doch - um noch einmal in bezug auf die Frage von Herrn Vosen nachzufragen - , daß dann, wenn die Einheit vorhanden ist, die COCOMListe für das jetzige Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik nicht mehr gelten kann. Oder sehe ich das verkehrt? Was hat die Bundesregierung inzwischen unternommen, um einmal mit den verantwortlichen Staaten, die hier mit hinzugezogen werden müssen, darüber zu sprechen? Denn dies ist ja wohl dann ein rechtlich unmöglicher Zustand.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Wir haben hier, was die COCOMListe betrifft, mehrschichtige Probleme. Auch für die Frage der Lieferungen aus dem Gebiet der DDR in die Sowjetunion werden wir künftig einige Überlegungen anzustellen haben. Im übrigen sind diese Fragen in die Verhandlungen einbezogen. Was Ihre zuerst gestellte Frage betrifft: Die Mittel, die hier vorgesehen sind, liegen im Nachtragshaushalt bei 36 Millionen DM. Wir haben eine zusätzliche Umschichtungsmöglichkeit in der gleichen Größenordnung. Wir haben schließlich Vorsorge dafür getroffen, daß innerhalb der Fachtitel Kooperationsprojekte von uns mitfinanziert werden können. Innerhalb der Projekte zur wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit, nach denen Sie fragen, ist die Kooperation ja so angelegt, daß die Partner auf der Seite der Bundesrepublik von der Bundesregierung und die Partner auf der Seite der DDR von der Regierung der DDR unterstützt werden und so gemeinsame Projekte entstehen. Insofern haben wir hier nur einen Teil der Mittel, die wir bis jetzt in den Haushalten als mögliche Mittel haben, fest allokiert. Aber wir haben für die sich weiBundesminister Dr. Riesenhuber ter entwickelnden Projekte entsprechende Vorsorge getroffen. Schließlich möchte ich darauf hinweisen, daß die Projekte durchaus von unterschiedlicher Größenordnung sind und zum Teil in einzelnen Stufen verhandelt werden. Auch sehr große Projekte bis hin zur Kraftwerkstechnik werden hier verhandelt werden. Sie stehen aber bis jetzt nur mit kleinen Beträgen im Rahmen von Planungen in den Listen der festgeschriebenen Projekte.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie wollten noch einmal nachfragen, Herr Stahl? - Bitte schön.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, die auf die COCOM-Liste bezogene Antwort kann ja nicht befriedigend sein. Deshalb meine Frage: In welchen Bereichen und an welchen Punkten hat die Bundesregierung mit ausländischen Partnern über das Thema gesprochen, daß diese Liste, wenn der Fall der Vereinigung nun demnächst eintritt, dann für das Gebiet Gesamtdeutschlands nicht gelten kann?

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Minister, bitte schön.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Sie sehen hier offensichtlich in einer erfreulichen Weise die Einheit in einer außerordentlich kurzen Frist. Die Verhandlungen über die COCOM-Liste laufen, wenn ich den Terminplan recht im Sinn habe, bis etwa Mitte dieses Jahres in dieser Verhandlungsrunde. In dieser Verhandlungsrunde werden diese Fragen anstehen. ({0}) - Vielleicht gibt es hier andere kundige Aussagen. Ich weise darauf hin, daß ich die ganze Zeit in voller innerer Unabhängigkeit auf Fragen antworte, bei denen die Federführung nicht beim Forschungsminister liegt. In der brüderlichen Verbundenheit, die wir im Kabinett haben und um den Kollegen jetzt nicht die Last aufzuerlegen, sich auf ihre Hinterfüße zu erheben, habe ich hier im Rahmen meiner Möglichkeiten geantwortet.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Da sich das Schütteln des Kopfes inzwischen in ein Verneigen umgewandelt hat, ist die Frage auch noch anderweitig beantwortet worden.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Es war übrigens ein Nicken, wie mir hier bestätigt worden ist, nicht ein Kopfschütteln. Es ist anders als in Griechenland, wo Nicken Verneinung bedeutet. Im Sinne der europäischen Kooperation darf man einen solchen grenzüberschreitenden Hinweis geben.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das ist aber kein COCOMProblem.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Nein, das ist noch nicht der Fall. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Dann kommt Herr Seesing zu einer Zusatzfrage.

Heinrich Seesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002142, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, ich habe in diesem sehr umfangreichen Bericht festgestellt, daß Sie auf ein Jahrzehnt entscheidender Veränderungen in Forschung und Technologie zurückblicken wollen. Ich habe den Bericht noch nicht lesen können. Er ist mir zu dick. Deswegen meine Frage an Sie: Wie sieht es mit der Energieforschung aus? Vor allen Dingen interessiert mich der Anteil der Kernenergie an Ihrer Forschung, einmal im Jahre 1982 und dann im Jahre 1990. ({0})

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Was die Kernenergie betrifft, haben wir in 1982 Aufwendungen von insgesamt 1,939 Milliarden DM gehabt. In diesem Betrag sind fast 1,5 Milliarden DM enthalten, die für Projekte ausgegeben worden sind. Das Soll für 1990 beträgt 606 Millionen DM. Das sind etwa 30 % der Summe von 1982. Im Projektbereich, in dem die Umsteuerung besonders schnell möglich ist, haben wir die Aufwendungen von etwa 1,5 Milliarden DM auf etwas über 300 Millionen DM gesenkt. Zwischen 300 und 350 Millionen dürfte diese Zahl liegen. Es gab also eine außerordentlich massive Rückführung der Forschung auf dem Gebiete der Kerntechnik, und zwar nicht deshalb, weil ich Vorbehalte gegen die Kerntechnik habe, ({0}) sondern weil ich der Auffassung bin, daß sie ihre Forschungskosten im wesentlichen im Markt zu verdienen hat. Im übrigen verbleiben Aufgaben, etwa im Bereich der Sicherheitstechnik, als hoheitliche Aufgaben beim Staat.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Die normale Zeit für die Regierungsbefragung ist abgelaufen. Da ich noch die Namen einer Reihe von Fragenden hier auf dem Zettel habe, verlängere ich um zehn Minuten. Jetzt kommt Herr Reuschenbach zu einer Frage zum gleichen Bereich. - Bitte schön.

Peter W. Reuschenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001827, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, ich muß noch einmal auf die COCOM-Liste zurückkommen. Der Bundeskanzler hat bei seinem Besuch in Moskau und in seinem Gespräch mit dem heutigen Staatspräsidenten verbindlich versichert, daß die Bundesrepublik Deutschland für die Lieferverpflichtungen des heutigen DDR-Wirtschaftsgebietes eintrete. Eine Realisierung ist nur möglich, wenn COCOM das insoweit zuläßt. Woher hat der Bundeskanzler bei dieser Zusicherung und verbindlichen Erklärung die Sicherheit genommen, daß trotz eines ganz offenbar ungeklärten Verhandlungsergebnisses dieses Ziel erreicht werden kann?

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wollen Sie antworten, Herr Forschungsminister?

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Der Bundeskanzler hat hier ein Ziel der Politik definiert. Ich bin der Überzeugung, daß er es in der gleichen faszinierenden Weise erreichen wird, wie er andere hochgesteckte Ziele seiner Politik in den vergangenen Jahren erreicht hat.

Peter W. Reuschenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001827, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Teilen Sie meine Einschätzung, daß die Überzeugung, daß man ein Ziel erreichen kann, eine Sache ist, daß aber die verbindliche Zusage, man werde etwas tun, eine andere Sache ist? ({0})

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Die Welt besteht, wie Schopenhauer sagt, aus Wille und Vorstellung. Wenn Sie Politik allein aus der Vorstellung entwickeln, kann sie nicht gelingen. Wenn ein politischer Wille zur Vorstellung hinzukommt, dann gelingt es. Das ist die Bilanz der Politik der Bundesregierung in den vergangenen Jahren. Ich bin zuversichtlich, daß wir sie in dieser Weise auch weiterführen werden. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe nun Fragen auf, die frei und unabhängig von den vorgegebenen Themen gestellt waren. Allerdings bezieht sich die erste Frage noch auf einen Teil des Berichts von Herrn Innenminister Schäuble. Es ging um das Thema Fernsprechabhörung. Herr Penner hatte sich dazu gemeldet. Bitte schön.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister Riesenhuber, nach Ihren proskynetischen Übungen will ich zum politischen Alltag zurückkommen. Hen Bundesminister Schäuble, ist der Bundesregierung bekannt, daß auch während der Regierungszeit von Ministerpräsident Modrow, nach dem 9. November, die Stasi u. a. auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, aber nicht nur dort massiv tätig geblieben ist?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Ja.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, ist der Bundesregierung auch aufgefallen, daß gerade in den vergangenen Wochen und Monaten wohl Persönlichkeiten jenseits von SED und PDS durch Gerüchte und Informationen im Hinblick auf mögliche, unterstellte Zusammenarbeit und im Hinblick auf Zusammenwirken mit der Stasi belastet worden sind, in keinem einzigen jedoch Mitglieder der PDS/SED als solche enttarnt worden sind, und geht die Bundesregierung mit mir davon aus, daß nach wie vor von einer virulenten Handlungs- und Interessengemeinschaft von PDS/ SED und Stasi ausgegangen werden muß?

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön, Herr Minister.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Auch hierauf lautet die kürzestmögliche Antwort: ja. Ich möchte allerdings gerne folgendes hinzufügen, Herr Kollege Penner. Ich äußere zunächst die Bitte, zwei unterschiedliche Problembereiche nicht miteinander zu verknüpfen; ich möchte jedenfalls vor der Gefahr warnen, dies zu tun, Sie haben in Ihren beiden Fragen zwei sehr unterschiedliche Bereiche angesprochen. Die erste Frage bezog sich darauf - darauf bezog sich auch meine Mitteilung - , daß der Spionagedienst der DDR und die gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtete Spionagetätigkeit auch über den 9. November 1989 hinaus bis in die jüngsten Tage - darüber haben wir Erkenntnisse - fortgesetzt worden ist. Meine Mitteilung bezog sich darauf, daß sich die Bundesregierung für den Fall, daß wir aus diesen gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichteten nachrichtendienstlichen Aktivitäten, insbesondere aus dem Abhören des Telefonverkehrs oder auf welchem Wege auch immer, beispielsweise durch Überläufer oder aus sonst offenen Quellen, Materialien - etwa über abgehörte Telefongespräche - zugespielt bekommen sollten, auf meinen Vorschlag hin entschieden hat, dafür zu sorgen, daß solche Materialien überhaupt nicht gesichtet, sondern ohne jede Kenntnisnahme vernichtet werden. Ich möchte, daß dies nicht mit Ihrer zweiten Frage nach der internen Diskussion und Auseinandersetzung in der DDR vermischt wird. Dort hat die Bundesregierung dieselben Beobachtungen wie Sie gemacht. Sie hat in den letzten Tagen - etwa durch den Bundesinnenminister - auch hinlänglich darauf aufmerksam gemacht. ({0}) - Das ist derjenige, der jetzt spricht; das ist richtig. Ich möchte ergänzend zu Ihren von mir geteilten Beobachtungen allerdings noch eine Nuance hinzufügen, nämlich die, daß es mich eigentlich nicht überrascht, denn die Staatssicherheit war, jedenfalls soweit sie zur Überwachung, Bespitzelung und Kontrolle der Menschen in der DDR tätig war, ja wohl ein wesentlicher Teil des Herrschaftsapparats der früheren SED und heutigen PDS. Insofern ist bei der SED im Zusammenhang mit der Stasi wirklich nichts zu enttarnen. Sie war ja der Auftraggeber derjenigen, die die Bespitzelung der Bürger durchgeführt haben.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Es folgt eine Frage des Abgeordneten Jahn. Bitte schön, Herr Jahn.

Gerhard Jahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001012, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Eine der Fragen, die die Bürger in unserem Lande ja besonders bewegt, ist: Was kostet die Vereinigung der beiden deutschen Staaten? Nun gibt es ja eine merkwürdige Vielfalt von Äußerungen aus den Reihen der Regierung. Einerseits wird gesagt, es werde keine Steuererhöhung geben, andererseits hat der Bundeskanzler am Wochenende gesagt: Zum Nulltarif ist die Vereinigung auch nicht zu haben. Er sagte weiter: Das eine oder andere Projekt muß bei uns gestreckt werden. - Ich hätte gern eine Jahn ({0}) Auskunft darüber, ob das Kabinett heute Klarheit in die Frage gebracht hat, wie das alles nun eigentlich zusammenzubringen ist: Nulltarif oder nicht? Soll etwas gestreckt werden? Wenn etwas gestreckt werden soll, was soll gestreckt werden? Wo und auf wessen Kosten soll gestreckt werden? Es wäre außerordentlich sachdienlich zu hören, ob das Kabinett solchen gewichtigen Fragen heute Bedeutung beigemessen hat oder ob es nicht in der Lage ist, klare Antworten auf diese Fragen zu geben.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Der Herr Bundesinnenminister hat sich gemeldet. Bitte schön.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Vielleicht darf ich in meiner Eigenschaft als Mitglied des Kabinettsausschusses „Deutsche Einheit" dem Kollegen Jahn auf seine Frage zweierlei sagen: Erstens. Das Kabinett hat sich in der Kabinettssitzung heute nicht damit befaßt. Zweitens. Der Kabinettsausschuß „Deutsche Einheit" hat auch heute beraten. Wir haben ja ein Verfahren vereinbart, das vorsieht, die Fraktionen und auch die Bundesländer über diese Beratungen zu unterrichten. Wir haben dabei allerdings auch vereinbart, daß wir dies nicht in der Öffentlichkeit tun.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie wollen nachfragen, Herr Jahn? - Bitte schön.

Gerhard Jahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001012, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich wüßte ganz gerne, welche finanziellen Erwartungen die Bundesregierung gegenüber den Ländern hat, denn davon war in den letzten Tagen ja auch die Rede. Die Bundesländer sollen plötzlich auch noch zur Kasse gebeten werden. Ich frage Sie, ob das der Fall ist und in welcher Form das geschehen soll.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wollen Sie erneut antworten, Herr Schäuble, oder will der Vertreter des Finanzministers antworten? - Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen.

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Herr Kollege Jahn, es ist wohl selbstverständlich, daß im Rahmen eines vereinten Deutschlands beispielsweise der Länderfinanzausgleich auf eine neue Grundlage gestellt werden muß und daß die Länder, die sich jetzt in der DDR bilden werden, in den neu zu ordnenden Länderfinanzausgleich entsprechend einbezogen werden müssen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Vosen, Sie wollten dazu noch eine Frage stellen? - Bitte schön.

Josef Vosen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002395, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, ist denn wenigstens bekannt, wie hoch der Finanzbedarf in diesem Jahr ungefähr sein wird, und trifft es zu, daß der Bundespostminister bereits jetzt mit einer Verfügung oder einem Erlaß alle Bauprojekte mit einem Volumen von über 2,5 Millionen DM angehalten hat, um zu überprüfen, auf welche man verzichten kann, damit dieses Geld anschließend in der DDR verwandt werden kann?

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Sie haben mich eben zum Bundesminister befördert, Herr Kollege Vosen. Das ist nicht der Fall. Das muß ich richtigstellen. ({0}) Sie wissen aus den Veröffentlichungen, daß es eine Expertenkommission gibt, die mehrmals getagt hat und deren Aufgabe es ist, Zahlenmaterial als Grundlage für die zu treffenden Entscheidungen zu sammeln. Diese Arbeit ist bisher noch nicht zu Ende geführt. Die Kommission wird, wenn die neue Regierung in der DDR gebildet sein wird, ihre Arbeit aufnehmen. Ich gehe davon aus, daß dann das notwendige Zahlenmaterial für Entscheidungen, die wir zu treffen haben, zur Verfügung steht. Bis dahin ist jede Aussage über finanzielle Größenordnungen reine Spekulation.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, aus Zeitgründen, die wir erörtert haben - ({0}) - Es tut mir furchtbar leid. Zeitgründe sprechen dafür, nun die Regierungsbefragung zu beenden. Ich danke den Mitwirkenden für Fragen und Beantwortung. Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksache 11/6762 Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ich kann ihn aber gleich wieder abschließen, weil die Frage 1 des Abgeordneten Austermann schriftlich beantwortet werden soll. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Jetzt folgt der Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Hennig zur Verfügung. Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Amling auf: Wie erklärt und rechtfertigt die Bundesregierung, daß der Staatssekretär im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Dr. Priesnitz, in Beantwortung einer am 8. März 1990 von mir Staatsminister Dr. Stavenhagen gestellten Frage am 16. März 1990 erklärt, daß „von keinem Bundesministerium oder obersten Bundesbehörde an politische Parteien oder Gruppierungen in der DDR Sachspenden oder sonstige Zuwendungen gewährt worden" seien, obwohl das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung - ebenfalls auf Grund von mir gestellter Anfragen - bereits am 28. Februar und am 8. März 1990 zugeben und bestätigen mußte, dem Demokratischen Aufbruch eine Druck-, zwei Falt- und eine Schneidemaschine unentgeltlich zur Verfügung gestellt zu haben? Bitte schön, Herr Staatssekretär Hennig.

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Herr Kollege Amling - ich bitte um Nachsicht, daß ich einen im zeitlichen Ablauf etwas komplizierten Sachverhalt jetzt darstellen muß; das geht aber in zwei Minuten, Herr Präsident -, in der Fragestunde am 7. März haben Sie die beiden folgenden Fragen gestellt: Parl. Staatssekretär Dr. Hennig Erstens. Ist es zutreffend, daß die in der Antwort der Bundesregierung auf meine im Februar eingereichten Fragen ... genannten „Spender" von „Hilfsgütern" für den Demokratischen Aufbruch zu dieser Hilfsaktion vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung aufgefordert bzw. um diese Spenden gebeten worden waren, und welche vier Geräte hat das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung dazu unentgeltlich beigesteuert? Zweitens. Welche sonstigen Bundesministerien bzw. obersten Bundesbehörden haben an welche politischen Parteien und Gruppierungen in der DDR welche Sachspenden oder sonstigen Zuwendungen gewährt? Ihre erste Frage, Herr Kollege Amling, fiel in die Zuständigkeit des BMA und wurde Ihnen zu Beginn der Fragestunde von Herrn Kollegen Vogt beantwortet. Dabei hat Herr Vogt die ausgesonderten Maschinen, die vom BMA unentgeltlich abgegeben worden sind, im einzelnen aufgeführt. Ihre zweite Frage nach den sonstigen Bundesministerien bzw. obersten Bundesbehörden fiel in die Zuständigkeit des BMB. Sie wurde am Ende der Fragestunde am 7. März aufgerufen. Ich stand Ihnen zur Beantwortung zur Verfügung. Da Sie zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht im Plenarsaal anwesend waren, entfiel die Beantwortung Ihrer zweiten Frage. - Dieses war am 7. März. In der Fragestunde am 8. März haben Sie dann im Zusammenhang mit Fragen des Kollegen Jungmann Ihre zweite Frage vom Vortage inhaltsgleich als Zusatzfrage Herrn Staatsminister Dr. Stavenhagen gestellt, der Ihnen schriftliche Antwort zusagte. Diese Ihre Zusatzfrage stand nun allerdings nicht mehr im Zusammenhang mit der vom BMA beantworteten Frage, bezog sich also nicht mehr auf die sonstigen Bundesministerien bzw. obersten Bundesbehörden, sondern lautete allgemein: Können Sie mir sagen, welche Bundesministerien und obersten Bundesbehörden an welche Parteien und Gruppierungen in der DDR Sachspenden oder sonstige Zuwendungen gewährt haben, und welche Kosten sind dabei für den Steuerzahler angefallen? Herr Staatssekretär Priesnitz ging bei der Beantwortung dieser Ihrer Frage selbstverständlich davon aus, daß Sie seine Antwort in den Kontext zu der Ihnen am Vortag vom BMA beantworteten Frage über Hilfeleistungen des BMA für die DDR stellen würden, d. h. daß an politische Parteien und Gruppierungen in der DDR seitens der Bundesministerien bzw. obersten Bundesbehörden mit Ausnahme des BMA keine Sachspenden oder sonstigen Zuwendungen gewährt wurden. Der von Ihnen herausgestellte scheinbare Widerspruch zwischen der Antwort des BMA und der des BMB hätte vermieden werden können, wenn Sie mir in der Fragestunde am 7. März die Möglichkeit gegeben hätten, Ihre mündliche Frage zu beantworten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Amling, Zusatzfrage.

Max Amling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000034, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß meiner Zusatzfrage klar und deutlich zu entnehmen war, daß ich damit alle Ministerien und damit auch alle obersten Bundesbehörden gemeint habe, und meinen Sie nicht auch, daß die beiden sich völlig widersprechenden Antworten seitens der Bundesregierung einer Mißachtung des Parlaments schon sehr nahekommen?

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Nein, Herr Kollege Amling, das meine ich in gar keiner Weise. Ich meine, daß Ihre beiden Fragen in einem sehr direkten Zusammenhang standen. Die eine Frage war beantwortet, die andere konnte nicht beantwortet werden, und diesen Zusammenhang haben Sie unschwer durchschauen können.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie wollen noch eine Zusatzfrage stellen, Herr Amling?

Max Amling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000034, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Können Sie mir trotzdem die Frage nach dem Umfang der Hilfe beantworten und sagen, was an Sachwerten und Geld an die Parteien in der DDR geflossen ist?

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Darauf bezieht sich Ihre zweite Frage, Herr Kollege Amling. Das will ich dann gern tun.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Dann rufe ich die Frage 3 des Abgeordneten Amling auf: Was hätte an Verkaufserlösen erzielt werden können, wenn die vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung dem Demokratischen Aufbruch gespendeten Maschinen über die VEBEG verwertet worden wären, und wie hoch ist der Wert der bisher von den in der Antwort des Staatssekretärs im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen genannten politischen Stiftungen bei Bundesministerien im Rahmen der DDR-Sonderaktion abgerufenen und dort ausgesonderten Gegenstände? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Die vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung an den Demokratischen Aufbruch abgegebenen vier Maschinen lagern zur Zeit noch - ich habe mich um 12.45 Uhr noch einmal vergewissert, daß dies auch heute noch der Fall ist - in Berlin ({0}) und sind vom Demokratischen Aufbruch noch nicht abgeholt worden. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung weist im übrigen darauf hin, daß die in diesem Hause ausgesonderten Gegenstände nicht über die VEBEG verwertet, sondern üblicherweise intern ausgeschrieben werden. Dabei wäre ein Verkaufserlös von ca. 800 DM erzielt worden. Der Gesamtwert der von den obersten Bundesbehörden ausgesonderten und an die vier politischen Stiftungen im Rahmen der DDR-Sonderaktion abgegebenen Bürogeräte und Büroausstattungen betrug nach Mitteilung der Ressorts 5 287 DM.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Amling.

Max Amling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000034, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, stimmt es, daß die vom BMA gespendete Druckmaschine bis zuletzt, also bis zum Abtransport, im Bundesministerium für Arbeit im Einsatz war?

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Herr Kollege Amling, das kann ich Ihnen jetzt beim besten Willen nicht beantworten. Ich weise aber darauf hin, daß es sich um Maschinen handelte, die jeweils ein Alter bis zu 25 Jahren hatten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Keine weitere Zusatzfrage, Herr Amling? - Dann Herr Stahl, bitte schön.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, nun haben ja alle Abgeordneten die letzten drei Reden des Herrn Bundeskanzlers, die Schallplatte und Kassette, die sich mit der deutschen Einheit befassen, in ihre Fächer gelegt bekommen. Darf ich fragen, wie hoch die Auflage war, die das Bundespresseamt hat drucken lassen, und in welcher Zahl - jetzt hören Sie einmal gut zu - diese Schallplatten z. B. drüben im Wahlkampf der CDU verwandt wurden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Stahl, man kann nicht beim innerdeutschen Ministerium abfragen, was das Presseamt tut. Ich sehe nicht, daß das Presseamt vertreten ist. Es braucht auch nicht vertreten zu sein. Von daher schlage ich Ihnen vor, diese Frage in der nächsten Fragestunde noch einmal zu stellen, falls Sie das für sinnvoll halten. ({0}) Herr Büchler. Aber behalten Sie bitte den Zusammenhang mit der Frage von Herrn Amling im Auge.

Hans Büchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000294, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sind denn die angesprochenen Maßnahmen nicht zwischen dem innerdeutschen Ministerium, dem Presseamt und dem Bundeskanzleramt koordiniert?

Dr. Ottfried Hennig (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000871

Herr Kollege Büchler, wenn ich Ihnen den Text meiner Antwort auf die erste Frage von Herrn Amling jetzt erneut vortragen würde, hielte dies das ganze Haus noch einmal zwei Minuten auf. Das käme einer Mißachtung des Parlaments ziemlich nahe. Aus meiner Antwort hätten Sie entnehmen können, daß diese Antworten sehr wohl koordiniert waren. Die gewisse Verwirrung bei Herrn Amling ist nur dadurch entstanden, weil der Zusammenhang zwischen den beiden Fragen - das liegt in der Verantwortung des Fragestellers - nicht mehr gegeben war. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zum Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen liegen keine weiteren Fragen vor, so daß ich dem Staatssekretär für die Beantwortung danke und den nächsten Geschäftsbereich aufrufen kann. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Die Frage 4 des Abgeordneten Antretter und die Frage 5 des Abgeordneten Stiegler sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Die Fragen 6 und 7 des Abgeordneten Dr. Niese sowie die Fragen 8 und 9 der Abgeordneten Frau Steinhauer werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Kirschner auf: Welches andere wissenschaftliche Gremium soll bei einer eventuellen Auflösung des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen die weiteren Reformschritte bei der Kassenorganisation oder im Krankenhausbereich wissenschaftlich vorbereiten und begleiten? Herr Staatssekretär Jagoda steht zur Beantwortung zur Verfügung. Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, ich würde gern die Fragen 10 und 11 wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantworten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Der Abgeordnete ist einverstanden. Dann rufe ich ebenfalls die Frage 11 des Abgeordneten Kirschner auf: Beabsichtigt die Bundesregierung, künftig zu diesem Gutachten eine Regierungserklärung abzugeben, damit analog zur Wirtschaftspolitik mit der Diskussion des Sachverständigengutachtens auch in der Gesundheitspolitik eine grundsätzliche Debatte im Parlament erfolgen kann?

Not found (Staatssekretär:in)

Wie Ihnen bereits in der schriftlichen Antwort auf Ihre Anfrage vom 23. März 1990 - ich füge ein: die bei Ihnen noch nicht eingegangen sein kann, weil sie erst heute das Haus verlassen hat - mitgeteilt wurde, beabsichtigt die Bundesregierung nicht, den Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen aufzulösen. Soweit zur Vorbereitung weiterer Reformschritte im Gesundheitswesen wissenschaftliche Sachverständige erforderlich sein sollten, kann auf den Sachverständigenrat oder andere Wissenschaftler zurückgegriffen werden. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat - im dreijährigen Abstand, erstmals 1991 - nach § 141 Abs. 4 des Sozialgesetzbuches V den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes über die Beitragssatzentwicklung und die Umsetzung der Empfehlungen und Vorschläge der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen zu berichten. Bei der Vorbereitung dieses Berichtes wird er auch den Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen beteiligen. Dagegen ist nicht beabsichtigt, die Gutachten des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen generell im Deutschen Bundestag zu behandeln.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kirschner, erste Zusatzfrage.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß die Mitglieder des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen bis heute nicht wissen, ob ihre Verträge verlängert bzw. ob sie wiederberufen werden? Wann beabsichtigt die Bundesregierung dies zu tun?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, bis in die letzte Woche hinein sind Vorschläge gemacht worden. Nach der Auswertung dieser Vorschläge für die Besetzung des Sachverständigenrates kann man davon ausgehen, daß es auf eine Wiederberufung zuläuft. Wir wissen: Am 31. März läuft die Amtszeit ab. Wir bemühen uns, keine Vakanz entstehen zu lassen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zweite Zusatzfrage, Herr Kirschner.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist also davon auszugehen, daß dies in den nächsten Tagen geschieht, damit Klarheit auch auf seiten des Parlaments besteht, wie die personelle Besetzung des Sachverständigenrats in Zukunft aussehen wird? Können Sie schon sagen, wie die Entscheidung in etwa ausfallen wird?

Not found (Staatssekretär:in)

Ja, Sie können davon ausgehen, daß die Entscheidung in allernächster Zeit fällt. Ohne die Entscheidung vorwegzunehmen, kann ich sagen, daß alles dafür spricht, daß es um eine Wiederberufung und nicht um eine Neubesetzung geht.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kirschner, Sie können noch weiterfragen. Bitte schön.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, noch eine Frage zu den Gutachten. In welcher Form gedenkt die Bundesregierung die Vorschläge, die in den Gutachten gemacht werden, dem Parlament vorzulegen und darüber zu beraten?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich habe ausgeführt, Herr Abgeordneter, daß im Grundsatz nicht daran gedacht ist, jedes Gutachten hier in die Diskussion einzuführen. Es bleibt aber unbenommen, parlamentarische Wege zu suchen und die Bundesregierung aufzufordern, Rede und Antwort zu stehen. Dann würden wir das tun. Wir gehen aber davon aus, daß der Sachverständigenrat in erster Linie für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen zur Verfügung steht. Auch dort werden die Gutachten vorgelegt und umfassend diskutiert. Wenn eine parlamentarische Beratung gewünscht und dieser Wunsch an uns herangetragen wird, dann erfüllen wir ihn ganz selbstverständlich. Aber es ist nicht beabsichtigt - so habe ich auf Ihre Frage geantwortet - , im Grundsatz so zu verfahren.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Keine weitere Frage von Herrn Kirschner. Frau Blunck möchte eine Zusatzfrage stellen, bitte schön.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß die Verträge am 31. März auslaufen? In diesem Zusammenhang würde ich Sie gerne fragen, ob der Bundesregierung die Tatsache bekannt ist, daß der 31. März in drei Tagen ist. Insofern verstehe ich nicht, daß Sie ausgeführt haben, daß in allernächster Zeit mit einer Entscheidung zu rechnen ist. Zweifelt die Bundesregierung daran, daß in drei Tagen der 31. März ist?

Not found (Staatssekretär:in)

Die Bundesregierung zweifelt weder am Kalender noch an der Tatsache, daß das Gremium weiter besetzt wird. Aber, Frau Abgeordnete, es ist der Wunsch der Politik, daß die betreffenden Mitglieder oder die Mitglieder der Konzertierten Aktion ein Vorschlagsrecht haben. ({0}) Die Vorschläge sind jetzt erst eingegangen, und sie müssen gesichtet und gewertet werden. Ich habe den Trend hier mitgeteilt, daß die eingegangenen Vorschläge auf Wiederberufung gerichtet sind. Da wir keine Vakanz wollen, gehe ich davon aus, daß diese Sache in allernächster Zeit erledigt wird.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Wimmer steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Zunächst kommt die Frage 12 des Abgeordneten Antretter: Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung unternommen, damit die Raketenstützpunkte in Mutlangen und auf der Waldheide von Heilbronn vollständig geräumt werden und einer zivilen Nutzung zugeführt werden können?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege Antretter, die Bundesregierung hat nach Ratifizierung des sogenannten INF-Vertrages am 1. Juni 1988 intensive Verhandlungen mit der amerikanischen Seite über die Nachfolgenutzung der Pershing-Il-Standorte Heilbronn, Waldheide, und Schwäbisch Gmünd, Mutlangen, geführt. So konnten Nachnutzungsabsichten der amerikanischen Streitkräfte auf Gegenvorstellungen der Bundesregierung hin zur Entlastung der an diese Standorte grenzenden Gemeinden reduziert werden. Die geänderten Vorschläge wurden daraufhin am 30. Januar 1990 in Heilbronn und am 5. Februar 1990 in Schwäbisch Gmünd mit den Gebietskörperschaften erörtert. Es wurde Einvernehmen erzielt, daß die Verhandlungen mit der US-Seite fortgeführt werden. Das weitere Vorgehen ist allerdings vom Ergebnis der Wiener Abrüstungsverhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa und von der darauf folgenden Abstimmung im Bündnis abhängig.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Antretter, Zusatzfrage, bitte schön.

Robert Antretter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000042, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Muß ich die Antwort auf meine Frage, Herr Staatssekretär, so verstehen, daß die Bundesregierung vor Abschluß der Wiener Verhandlungen nicht bereit ist, weitere Verhandlungen mit den amerikanischen Verbündeten zu führen, etwa mit dem Ziel - das hielte ich für wünschenswert - , die beiden genannten Raketenstützpunkte einer zivilen Nutzung - etwa durch Schaffung von Wohnraum - zuzuführen?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege Antretter, wir haben in den Gesprächen, die in den von mir angesprochenen Gemeinden geführt worden sind, den jetzigen Planungsstand deutlich gemacht. Wir haParl. Staatssekretär Wimmer ben auch deutlich gemacht, worauf sich die derzeitige Nutzung insgesamt reduzieren wird, auch was das Verbleiben von amerikanischen Soldaten in diesen Standorten anbetrifft. Wir sehen nach dem jetzigen Stand der Dinge keine Notwendigkeit und keine Gegebenheit, auf weitere Veränderungen in diesem Zusammenhang zu drängen. Sie wissen aber, daß wir im Zusammenhang mit den in Wien anstehenden Verhandlungen eine ohnehin perspektivische Entwicklung vor uns haben. Wir haben den Gebietskörperschaften und natürlich auch den parlamentarischen Vertretern immer angeboten - das gilt auch für Sie, da Sie mich danach fragen - , daß wir im intensiven Gespräch bleiben können, um die Entwicklungen zur Zufriedenheit aller zu gestalten. Das bedeutet allerdings auch: zur Zufriedenheit des amerikanischen Bündnispartners. Wir stehen in einem guten und sehr verständnisvollen Dialog, und wir möchten ihn nicht tangiert sehen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wollen Sie eine weitere Zusatzfrage stellen? ({0}) - Bitte schön.

Robert Antretter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000042, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Können Sie sich vorstellen, Herr Staatssekretär, daß nach dem Zeitpunkt, den Sie angesprochen haben und den Sie abwarten möchten, eine Vereinbarung erzielt werden kann, die die volle zivile Nutzung - ich sage nochmals: beispielsweise für Wohnraum - der jetzigen Raketenstandorte zum Gegenstand hat, und würden Sie dabei auch den dritten Standort in der Nähe von Neu-Ulm mit einbeziehen?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege Antretter, ich möchte mich nicht gerne an Spekulationen beteiligen. Ich will aber auf zwei Umstände aufmerksam machen: Wir haben aus unserer Sicht der Dinge einen guten Dialog mit den betroffenen Gemeinden und haben auch deutlich gemacht, daß wir im Rahmen unserer Bemühungen die örtlichen jeweiligen Interessenlagen voll in das einbeziehen, was wir zunächst einmal für das eigene Haus selber als Beschlußlage finden müssen. Wir haben auf der anderen Seite immer wieder deutlich gemacht, daß wir keinen Grund haben, daran zu zweifeln, daß der amerikanische Bündnispartner, um den es hier im wesentlichen geht, sich den zivilen Gemeinden gegenüber ähnlich kooperativ verhält, wie wir es tun, und mit uns gemeinsam sehr gute Überlegungen anstellt, wie es überhaupt im Zusammenhang mit den Standorten in der Bundesrepublik Deutschland auf Dauer weitergehen soll. Deswegen sind das drei Fixpunkte für weitere Gespräche. Ich kann Ihnen ausdrücklich sagen, daß wir dabei mit Ihnen genauso gern zusammenarbeiten wie mit jedem anderen Vertreter von Gebietskörperschaften oder Wahlkreisen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Die Frage 13 des Abgeordneten Dr. Feldmann soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Wir kommen damit zur Frage 14 des Abgeordneten Dr. Kübler: Welche militärischen Einrichtungen, Einheiten und Anlagen der Bundeswehr und der Alliierten befinden sich im südhessischen Raum, insbesondere auf dem Gebiet des Kreises Bergstraße?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege Dr. Kübler, im südhessischen Raum - ich kann exakt sagen, welches Gebiet mit dem Begriff „südhessischer Raum" erfaßt wird; das geht von Darmstadt bis zum Wetteraukreis - befinden sich an 27 Standorten mit 57 Liegenschaften Einheiten und Einrichtungen der Bundeswehr; unter anderem ein Flugabwehrregiment der Luftwaffe, sieben Bataillone des Heeres, elf logistische Einrichtungen ({0}), eine Heeresinstandsetzungseinheit in Darmstadt, eine Fachschule des Heeres für Erziehung und Wirtschaft - ebenfalls in Darmstadt - , eine Ausbildungswerkstatt des Heeres in Pfungstadt, ein Bundeswehrkrankenhaus in Gießen und zwei Standort-Schießanlagen. Die Alliierten unterhalten in dem vorgenannten Raum in 52 Standorten mit 149 Liegenschaften unter anderem 27 Kasernen, sieben Flug- und Hubschrauberlandeplätze, 32 Depots, neun Übungsplätze, acht Schießanlagen. Daneben befinden sich in diesem Gebiet - das gilt für die Alliierten - 34 Wohnsiedlungen und 50 Infrastruktureinrichtungen wie Verwaltungsgebäude, Kliniken, Einkaufszentren, Schulen und anderes. Auf den Kreis Bergstraße entfallen in den Bundeswehrstandorten Heppenheim und Bensheim ein Mobilmachungsstützpunkt und ein Kreiswehrersatzamt. In drei US-Standorten, und zwar in Lambertsheim, Viernheim und Zwingenberg, befinden sich zwei Übungsplätze, drei Schießanlagen, zwei Depots und zwei Infrastruktureinrichtungen. Die Gesamtheit der deutschen und alliierten militärischen Einrichtungen, Einheiten und Anlagen im südhessischen Raum habe ich in einer umfassenden Liste zusammengestellt, die ich wegen ihres Charakters als VS-Material hier nicht vorlesen kann. Ich bin aber gern bereit, Herr Kollege Dr. Kübler, Ihnen diese Liste sofort auszuhändigen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das wäre ja bezüglich des ersten Teils Ihrer Antwort vielleicht auch gegangen. Herr Dr. Kübler hat eine Zusatzfrage. Bitte schön.

Dr. Klaus Kübler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bedanke mich schon jetzt dafür, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Ich habe noch zwei Zusatzfragen. Gibt es bei der Bundesregierung im Rahmen der Reduzierung der Bundeswehr selbst und auch der Reduzierung der alliierten Streitkräfte Überlegungen, mit welcher Priorität oder in welcher Reihenfolge eine Reduzierung dieser Standorte vorgesehen ist? Gibt es dazu schon Überlegungen, oder gibt es zur Zeit noch keine Überlegungen?

Not found (Staatssekretär:in)

Als Ergebnis der Bundeswehrplanung, die Ende des vergangenen Jahres beschlossen worden ist, Herr Dr. Kübler, haben wir die Teilstreitkräfte aufgefordert, bereits vor dem Hintergrund dieser Planung umfangreiche Untersuchungen zu dem von Ihnen exakt angesprochenen Fragenkomplex anzustellen. Mit dem Abschluß dieser Untersuchungen - daraufhin müssen dann natürlich Folgeentscheidungen getroffen werden - rechnen wir Mitte 1991. Das heißt also, die Teilstreitkräfte arbeiten an diesen Dingen, und Ergebnisse liegen noch nicht vor.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Noch eine Zusatzfrage, Herr Dr. Kübler.

Dr. Klaus Kübler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, hat die hessische Landesregierung vergleichbar mit der rheinland-pfälzischen Landesregierung Aktivitäten in der Richtung entwickelt, daß sie sagt, hier setze sie, die hessische Landesregierung, Prioritäten? Gibt es überhaupt Vorschläge dieser Art, oder hat sich die hessische Landesregierung bis jetzt nicht in diesen Diskussionsprozeß eingeschaltet?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege Dr. Kübler. Die Hessische Landesregierung pflegt wie andere Landesregierungen auch mit uns einen konstruktiven Dialog, und wir haben überhaupt keine Schwierigkeiten, mit jeder Landesregierung absolut vernünftig und kooperativ zusammenzuarbeiten. Das gilt insbesondere auch für die Hessische Landesregierung. Was allerdings die von Ihnen zuvor angesprochene Themenstellung anbetrifft, glaube ich, daß jede Landesregierung überfordert wäre, zu Dingen Stellungnahmen abzugeben, die bei uns im Hause noch nicht erarbeitet worden sind.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wir sind damit am Ende der Fragen aus diesem Geschäftsbereich. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen. Herr Kübler, Sie können gleich stehenbleiben. Wir kommen im Rahmen des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, für den Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gröbl zur Verfügung steht, gleich zu der von Ihnen gestellten Frage 17. Die Fragen 15 und 16 des Abgeordneten Dr. Daniels ({0}) werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Damit rufe ich die Frage 17 des Abgeordneten Dr. Kübler auf: Von welchen Zeitangaben zu Kernschmelzunfällen nach Störfalleintritt geht die Bundesregierung aus, und sollen auf der Grundlage dieser Zeitangaben Katastrophenschutzpläne ausgerichtet werden?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Herr Kollege Dr. Kübler, Ihre Frage bezieht sich ganz offenbar auf Ergebnisse der Risikostudie - Phase B -, die vom BMFT als Forschungsvorhaben gefördert worden und im Herbst des vergangenen Jahres von der Gesellschaft für Reaktorsicherheit vorgelegt worden ist. Hierzu ist zunächst folgendes zu bemerken: Ziel einer probabilistischen Risikostudie ist es, durch theoretische Verknüpfung verschiedener Schadensereignisse hypothetische Unfallsequenzen mit dem Ziel darzustellen, hieraus Optimierungsmöglichkeiten für Sicherheitsmaßnahmen bei Kernkraftwerken des untersuchten Typs abzuleiten. Dies gilt insbesondere für Maßnahmen jenseits der erforderlichen Schadensvorsorge, also Maßnahmen des anlageninternen Notfallschutzes. Zugleich dienen solche Risikostudien, da es sich um Forschungsvorhaben handelt, der Verbesserung der Methodik von probabilistischen Sicherheitsbeurteilungen. Wegen ihres hypothetischen Charakters und ihrer geringen Eintrittswahrscheinlichkeit können daher Unfallabläufe in Risikostudien nach Art von Risikostudien der Phasen A und B nicht mit realen Unfallabläufen gleichgesetzt werden. Die Planung von Katastrophenschutzmaßnahmen stützt sich daher nicht auf bestimmte Unfallannahmen - einschließlich deren zeitlichem Ablauf - , sondern trifft auf der Grundlage der Rahmenempfehlungen für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen organisatorische Vorbereitungen zur Schadensminderung für die nach menschlichem Ermessen auszuschließenden Unfälle mit Auswirkungen auf die Umgebung. Die vorliegenden Katastrophenschutzpläne ermöglichen auch bei kurzen Alarmierungszeiten Maßnahmen, die zu einer Schadensminderung in der Umgebung führen. Im übrigen darf ich auf die Antwort der Bundesregierung auf Ihre Schriftliche Anfrage, Herr Dr. Kübler, vom 27. Februar 1990 verweisen. Ich will es mir jetzt versagen, daraus zu zitieren.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Dr. Kübler zu einer Zusatzfrage, bitte.

Dr. Klaus Kübler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wenn Sie auf der einen Seite bei der Risikostudie B von Vorwarnzeiten zwischen 120 und 740 Minuten ausgehen, bis Schadstoffe in die Umwelt austreten, und auf der anderen Seite von Rahmenempfehlungen sprechen, die drei bis vier Tage zugrunde legen, bis dieser Schadstoffaustritt in die Umwelt erfolgt, dann frage ich Sie: Worauf basieren die Rahmenempfehlungen, und haben Sie selbst zu der Risikostudie B kein ausreichendes Zutrauen?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Nein, Herr Dr. Kübler, beides ist überhaupt nicht miteinander zu vergleichen und auch nicht miteinander in Beziehung zu setzen. Das von Ihnen herangezogene Szenario der Risikostudie B hat eine Wahrscheinlichkeit von 10-7. Daran wird schon deutlich, daß es als Grundlage für eine Katastrophenschutzplanung nicht in Frage kommt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Dr. Kübler. Bitte!

Dr. Klaus Kübler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie wissen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, daß die Risikostudien Grundlage für vielfältige Berechnungen und auch für juristische Überlegungen von Gerichten sind. Gehen Sie davon aus, daß in Zukunft die Aussagen der Risikostudie B zu diesem Punkt der Vorwarnzeiten juristisch irrelevant sind?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Ich gehe davon aus, daß die Ergebnisse der Risikostudie A und der Risikostudie B der weiteren Verbesserung der Sicherheit der Kernkraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland dienen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Damit ist diese Frage beantwortet. Die Fragen 18 und 19 der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein werden auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Damit kommen wir zur Frage 20 des Herrn Abgeordneten Opel: Welche ökologischen Belastungen entstehen bei der Herstellung von Kompakt-Leuchtstofflampen ({0}), und in welcher Weise und mit welchem Aufwand könnten diese vermindert werden?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Herr Kollege, die Herstellung von KompaktLeuchtstofflampen entspricht weitgehend der Produktion der sonstigen Niederdruck-Quecksilberentladungslampen mit hochwertiger innerer Leuchtstoffschicht, die bereits seit langem angeboten werden. Die Herstellung vollzieht sich in folgenden Arbeitsschritten: Eine Glasröhre wird auf der Innenseite mit Leuchtstoff beschichtet. An beiden Enden werden die Kontakte für die Stromzuführung mit eingeschmolzen. Die Lampe wird „evakuiert", unter geringem Druck mit Edelgas gefüllt, wobei Quecksilber als fester Stoff zugegeben wird, und luftdicht verschlossen. Im letzten Arbeitsschritt wird die Lampe mit einem Sockel versehen, gebrannt, geprüft und verpackt. Für die Herstellung werden weitgehend automatisierte Maschinen eingesetzt. Während konventionelle Glühlampen im wesentlichen aus Glas und Metallen wie Wolfram, Molybdän, Nickel, Kupfer und Aluminium bestehen, enthalten Entladungslampen aus physikalischen Gründen geringe Mengen Quecksilber, Alkali-, Erdalkali- oder Seltene Erden als chemische Verbindungen oder in metallischer Form. Menge und Zusammensetzung der Inhaltsstoffe variieren in Abhängigkeit vom Lampentyp, aber auch vom Herstellungsverfahren. Verschiedene für die Herstellung von KompaktLeuchtstofflampen benötigte Elemente treten im Endprodukt nur in chemisch gebundenem Zustand auf, z. B. das im Glas enthaltene Blei und Antimon, und belasten in dieser chemischen Verbindung die Umwelt nicht. Der einzige in Deutschland ansässige Hersteller von Kompakt-Leuchtstofflampen hat verschiedene umweltrelevante Stoffe aus diesen Produkten völlig entfernt, z. B. das Cadmium, oder auf das aus technischen Gründen unbedingt erforderliche Mindestmaß reduziert. Die Bedeutung umweltrelevanter Stoffe in Kompakt-Leuchtstofflampen erschließt sich darüber hinaus erst dann, wenn man diese Produkte mit Produktalternativen vergleicht. So können KompaktLeuchtstofflampen je nach Typ zwischen 10 und 40 mg metallisches Quecksilber enthalten; die neue Serie dieses Herstellers enthält 4,5 mg metallisches Quecksilber. Demgegenüber enthalten Halogen-Metalldampflampen im Durchschnitt etwa 30 mg Quecksilber, wobei Lampen mit hoher Leistung jedoch bis zu 400 mg Quecksilber enthalten können. Nach dem Abfallgesetz zählen Leuchtstofflampen zum Sonderabfall. Abgesehen von Kleinstmengen sind sie wie Sondermüll zu entsorgen. Die umweltgerechte Entsorgung von Entladungslampen aus dem gewerblichen Bereich ist flächendeckend gewährleistet. Die Entsorgung wird von Unternehmen vorgenommen, die entweder als Körperschaften des öffentlichen Rechts oder privatwirtschaftlich tätig sind.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Also, lieber Herr Staatssekretär, seien Sie so nett und grüßen Sie Ihren Mitarbeiter. Und sagen Sie ihm: Nächstes Mal ein ganzes Ende kürzer. Keine Volkshochschule hier, sondern hier Antworten auf Fragen. ({0}) Und Sie sind verantwortlich, es zu kürzen. - Vielen Dank für die hochinteressante Information, aber es geht ein bißchen weit. Herr Opel, Sie haben eine Zusatzfrage.

Dipl. - Ing. Manfred Opel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich hatte ja auch nur nach der ökologischen Belastung gefragt. - Herr Staatssekretär, meine Frage geht jetzt in eine spezielle Richtung: Würde sich die Bundesregierung dafür verwenden wollen, daß diese Sondermüllkennzeichnung in Zukunft auch auf den entsprechenden Entladungslampen in irgendeiner geeigneten Form angebracht wird, so daß der Verbraucher in Zukunft beim Kauf von vornherein merkt, daß er es mit Sondermüll zu tun hat?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Also, wir gehen davon aus, daß die Entsorgung von Kleinstmengen des häuslichen Verbrauchs auch über den Hausmüll umweltunschädlich ist, ({0}) während die Entsorgung bei größeren Mengen selbstverständlich im Rahmen des Sondermülls notwendig und sinnvoll ist. Wir können aber über eine solche Kennzeichnung nicht nur gern nachdenken, sondern auch - zunächst einmal - mit den Herstellern sprechen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Opel zu einer weiteren Zusatzfrage? - Bitte schön.

Dipl. - Ing. Manfred Opel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie verwirren mich etwas. ({0}) Wenn Sie auf der einen Seite sagen, daß gesetzlich festgelegt ist, daß Entladungslampen Sondermüll sind, ({1}) und zum anderen sagen, daß die Entsorgung über den normalen Entsorgungsweg unkritisch ist, so scheint mir dies ein Widerspruch zu sein. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, Herr Staatssekretär, wenn Sie diesen Wider15798 Spruch hier aufklären können. Denn viel Klein gibt ja bekanntlich auch ein Viel. Und diesen Sondermüll wollen wir ja sicherlich nicht irgendwo in der Umwelt haben. Meine Frage also: Wären Sie bereit, zuzugestehen, daß die Entsorgung von Sondermüll in kleinen Mengen über den normalen Müll in Zukunft nicht zu geschehen hätte, und würde sich die Bundesregierung dafür verwenden wollen?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Ich darf noch einmal darauf verweisen, daß das Ziel der Bundesregierung ist, möglichst viele von diesen Kompaktleuchtstofflampen als Sondermüll auf dem vorgesehenen Weg, entsprechend der TA Sonderabfall, zu entsorgen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Blunck, Sie möchten eine Zusatzfrage stellen. Bitte schön.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da muß man ganz tief Luft holen, wenn man sich das anhört, was Sie gerade geantwortet haben. Ich möchte Ihnen nur einmal vorlesen, was der Zentralverband der Elektrotechnik -

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Kollegin Blunck, Sie müssen fragen!

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. - Ist Ihnen bekannt, was der Zentralverband Elektrotechnik und Elektroindustrie e. V. geschrieben hat, nämlich u. a., daß es sich bei dem Blei um eine Tonne handelt, die verbraucht wird, daß es sich um Cadmium in größeren Mengen handelt? Ich kann Ihnen das gern zur Verfügung stellen. Habe ich das wirklich richtig verstanden, daß Sie gerade geantwortet haben, daß das durchaus als Hausmüll entsorgt werden kann?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Da haben Sie mich nicht richtig verstanden; ({0}) denn ich habe gerade Herrn Opel darüber unterrichtet, daß die Bunderegierung der Auffassung ist, daß diese Kompaktleuchtstofflampen in der Regel als Sondermüll entsorgt werden sollen, ({1}) und dabei bleibt es.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Weyel möchte eine Zusatzfrage stellen. Bitte schön.

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß bei der besonderen Entsorgung von Leuchtstoffröhren, also als Sonderabfall, die Anlieferung durch Einzelverbraucher kostenlos ist, daß aber der Elektrohändler, der diese Leuchtstoffröhren von seinen Kunden einsammelt, um sie dann in größeren Mengen abzuliefern, für dieselbe Menge, die den Kunden einzeln kostenlos abgenommen wird, Gebühren zahlen soll, und halten Sie das förderlich für das Verfahren, diese Leuchtstoffröhren wirklich als Sonderabfall zusammenzubekommen?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Dies ist eine Frage, die die einzelnen Bundesländer in ihrer eigenen Zuständigkeit zu lösen haben. Hierbei steht die Bundesregierung selbstverständlich gern beratend zur Verfügung. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 21 des Abgeordneten Opel auf: Ist der Bundesregierung bekannt, ob die Herstellung von KompaktLeuchtstofflampen ({0}) im geschlossenen Kreislauf möglich ist und dabei sichergestellt werden kann, daß keine Belastungen für Luft, Wasser und die sonstige Umwelt eintreten können?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Aus Vorsorgegründen sollte so wenig Quecksilber wie möglich auf Hausmülldeponien oder in Hausmüllverbrennungsanlagen gelangen, weshalb sich die Bundesregierung bereits frühzeitig mit der Frage des Recycling von Leuchtstofflampen befaßt hat. Nachdem ein derzeit lauf endes Forschungsvorhaben zum Thema „Recycling von Entladungslampen" bislang zu befriedigenden Ergebnissen geführt hat, kann zumindest die technische Seite der Verwertung weitgehend als gelöst angesehen werden. Allerdings ist das technische Niveau der verfügbaren Recyclingverfahren noch sehr unterschiedlich. Allen gemeinsam ist die Abtrennung und teilweise Wiederverwertung des Quecksilbers der Leuchtstoffröhren. Unterschiede ergeben sich hinsichtlich der Verwertung der restlichen Bestandteile der Leuchtstoffröhren, nämlich Glas, Leuchtstoff, Metallsockel sowie elektronische Steuerungs- und Regelungselemente.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Opel, eine Zusatzfrage. Bitte schön.

Dipl. - Ing. Manfred Opel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, heißt das, daß Sie ein offenes Recycling oder ein geschlossenes Recycling machen, in Ihrer Anregung durch die Bundesregierung?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Es wird ein geschlossenes Recycling, wie es auch der deutsche Lampenhersteller in seinem Verfahren anbietet und bereits seit einem Jahr anwendet.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Zusatzfrage, Herr Opel.

Dipl. - Ing. Manfred Opel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, würden Sie mir dann zugestehen, daß beim Kauf solcher Lampen gleichzeitig das Rückgaberecht einschließlich der Erleichterung der Rückgabepflicht durch den Lampenverkäufer ein gebotenes Verfahren wäre, für das sich die Bundesregierung auch verwenden könnte?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Das ist ein durchaus denkbarer Ansatz.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kübler, ist das eine Wortmeldung für eine Zusatzfrage gewesen? ({0}) - Bitte schön, Herr Dr. Kübler.

Dr. Klaus Kübler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wäre es im Hinblick auf die EntsorgungschanDr. Kübler cen dann, wenn Cadmium in diesen Lampen nach Auskunft des ZVEI von 1986 nur noch vereinzelt und in einem geringen Umfang verwendet werden, nicht sinnvoll, dies für die Herstellung ganz zu verbieten, und beabsichtigt die Bundesregierung, hierzu unmittelbar oder in Kürze ein entsprechendes Verbot auszusprechen?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Hier würden wir der technischen Entwicklung nachlaufen. Ich habe in meiner ersten Antwort schon erwähnt, daß Cadmium vom deutschen Hersteller für die neue Serie von KompaktLeuchtstofflampen nicht mehr verwendet wird.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Blunck, Sie wollten eine Zusatzfrage stellen.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß es bei den Kompakt-Leuchtstoffröhren solche mit einem integrierten Vorschaltgerät und solche ohne Vorschaltgerät gibt? Könnten Sie mir die unterschiedliche Qualität in bezug auf ökologische Belastung und Energiesparwirkung sagen?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Ich fürchte, mir eine ähnliche Rüge des Herrn Präsidenten einzuhandeln, wenn ich Ihrem Begehren nachkommen würde. Ich bin aber gern bereit, dies ausführlich schriftlich darzulegen. ({0}) Im wesentlichen kann ich Ihnen sagen, daß wir zwischen alten und neuen KompaktLeuchtstofflampen unterscheiden. Die neuen sind die von Ihnen zuletzt zitierten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 22 der Abgeordneten Frau Blunck auf: Welche Rohstoffe und andere Materialien werden bei der Herstellung von KompaktLeuchtstofflampen ({0}) verwendet, und wie beurteilt die Bundesregierung deren Verwendung unter umweltpolitischen Gesichtspunkten?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Bei der Herstellung von KompaktLeuchtstofflampen werden neben Glas und dem Metallsockel Leuchtstoffe, hier Seltene Erden oder Aluminiumverbindungen und Quecksilber, eingesetzt. Vom Quecksilber habe ich schon erwähnt, daß bei den neuesten Lampen 4,5 Milligramm verwendet werden. Das Vorschaltgerät enthält die üblichen Halbleiterbauteile und Platinen, über deren genaue Zusammensetzung Informationen im Augenblick nicht gegeben werden können. Solange die Entsorgung der nicht mehr verwendeten Lampen ordnungsgemäß, d. h. bei größeren Mengen durch spezielle Entsorgungsfirmen, erfolgt, bestehen aus umweltpolitischen Gesichtspunkten keine Bedenken.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Blunck, eine Zusatzfrage, bitte schön.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist der Bundesregierung die Liste mit den Anschriften der Entsorgungsunternehmen für KompaktLeuchtstofflampen bekannt, und, wenn ja, wird sie sich für eine stärkere Verbreitung und eine regelmäßige Fortschreibung dieser Listen einsetzen?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Ich weiß nicht, ob wir eine vollständige Liste haben, aber es sind uns eine ganze Reihe von Entsorgungsfirmen bekannt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Zusatzfrage, Frau Blunck.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sind der Bundesregierung Unfälle, z. B. Selbstentflammung, beim Dauerbetrieb von KompaktLeuchtstofflampen bekannt?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Mir nicht.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Emmerlich.

Dr. Alfred Emmerlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000468, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie haben eben eine ordnungsgemäße Entsorgung nur für größere Mengen dieser Lampen für notwendig erachtet. Darf ich Sie fragen, ob nicht auch dann, wenn 100 oder 1 000 Leute eine Leuchtstoffröhre wegschmeißen, gleichwohl eine ordnungsgemäße Entsorgung stattfinden müßte?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Sie haben natürlich recht, daß es umweltpolitisch wünschenswert ist, eine hundertprozentige Entsorgung von Problemabfällen durchzuführen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage, Herr Schmidbauer.

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß es im Hinblick auf diese detaillierten Fragen gut und notwendig wäre, daß im Umweltausschuß über das Problem der Kompakt-Leuchtstoffröhren einmal ausführlich informiert würde, ({0}) damit wir nicht hinsichtlich dieses Details, wie der Präsident es genannt hat, Volkshochschulkurse durchführen müssen, und würden Sie mir zustimmen, daß die Bundesregierung diesem Wunsch nach Information möglichst rasch nachkommen sollte?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Herr Kollege Schmidbauer, ich werde gern die hier von mir gekürzten Informationen in vollem Umfang dem Umweltausschuß zur Verfügung stellen und somit sicherlich auch die noch offenen Fragen der Frau Kollegin Blunck in gebührender Weise beantworten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Spranger steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Ich rufe die Frage 31 des Abgordneten Dr. Emmerlich auf: Vizepräsident Westphal Gehörte es zu den Aufgaben des Bundeskriminalamtes ({0}), Rechnungen des Versicherungsdetektivs Mauss an Verbände der Versicherungswirtschaft als seine privaten Auftraggeber auf ihre sachliche Richtigkeit zu überprüfen, und waren die Abrechnungen ({1}) überhaupt prüffähig?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Dr. Emmerlich, das BKA hat im Rahmen der Wahrnehmung seiner polizeilichen Aufgaben, die auch den Einsatz des Versicherungsdetektivs Mauss bedingten, dessen Spesenabrechnungen geprüft. Da Herr Mauss auch für die Versicherungswirtschaft tätig war, ergab sich die Notwendigkeit einer Prüfung der Spesenabrechnungen durch eine Stelle. Als diese Stelle wurde das BKA im Rahmen seiner Koordinierungsfunktion im Sinne der Ihnen vorliegenden Vereinbarung vom 23. Dezember 1976 tätig. Das BKA hat Spesenabrechnungen von Herrn Mauss an Hand der von ihm zur Glaubhaftmachung der Auslagen vorgelegten Unterlagen aus polizeilicher Sicht auf sachliche Richtigkeit hin überprüft.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Dr. Emmerlich, Zusatzfrage. Bitte schön.

Dr. Alfred Emmerlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000468, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie mir die Rechtsgrundlage aus dem BKA-Gesetz nennen, die es dem Bundeskriminalamt erlaubt, Abrechnungen einer Privatperson gegenüber ihrem Privatauftraggeber auf ihre sachliche Richtigkeit zu überprüfen?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Dr. Emmerlich, ich sagte schon: im Rahmen der Wahrnehmung seiner polizeilichen Aufgaben. Das bedeutet § 5. Eine ordentliche Abwicklung der damit verbundenen Aufgaben war sicher im Interesse aller Beteiligten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Emmerlich.

Dr. Alfred Emmerlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000468, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da Sie nicht bestritten haben, daß die Prüffähigkeit wegen fehlender Belege bei diesen Abrechnungen nicht gegeben war, darf ich Sie fragen, ob sich daraus nicht zwei Schlußfolgerungen ergeben: entweder daß die Feststellung der sachlichen Richtigkeit ohne eine tatsächliche Überprüfung erfolgt ist oder daß derjenige Beamte des BKA, der die Feststellung der sachlichen Richtigkeit traf, durch andere Informationen präzise über die der Abrechnung zugrunde liegenden Aktivitäten des Versicherungsdetektivs Mauss unterrichtet war.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Dr. Emmerlich, Sie haben Ihre Frage mit einer nicht zutreffenden Unterstellung begonnen. Die daran anschließenden Schlußfolgerungen sind deswegen unzutreffend. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das sollten Sie, glaube ich, noch sagen, Herr Staatssekretär. Ich glaube schon, daß uns interessiert, was die unzutreffende Feststellung war. Das sollte noch zu Ihrer Antwort gehören, Herr Staatssekretär.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich meinte, was zu Beginn behauptet wurde: daß ich eingeräumt hätte, daß hier auf Grund von nicht vorhandenen Belegen abgerechnet worden sei.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ach so. Jetzt kommt die Frage 32 des Abgeordneten Dr. Emmerlich: Ist der Versicherungsdetektiv Mauss seinen sich aus den Vereinbarungen mit dem BKA ergebenden Berichtspflichten nachgekommen, und inwieweit ist infolgedessen das BKA über die Ermittlungstätigkeiten des Mauss in den Fällen unterrichtet, die der 11. Parlamentarische Untersuchungsausschuß des Niedersächsischen Landtages in seinem Bericht vom 9. Oktober 1989 ({0}) auf den Seiten 180 bis 255 geschildert hat?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Dem BKA liegen einige Berichte bzw. Teile von Berichten und Aktenvermerken über fernmündlich gemachte Mitteilungen von Herrn Mauss in dem in der Frage aufgeworfenen Zusammenhang vor. Dies konnte festgestellt werden, nachdem dem BKA der Bericht des 11. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Niedersächsischen Landtages vom 9. Oktober 1989 zugänglich gemacht worden war und hatte ausgewertet werden können. Die tatsächlichen Feststellungen, die der 11. Parlamentarische Untersuchungsausschuß des Niedersächsischen Landtages in seinem Bericht vom 9. Oktober 1989 getroffen hat, lassen sich an Hand dieser Unterlagen nur zum Teil nachvollziehen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Dr. Emmerlich.

Dr. Alfred Emmerlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000468, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ergeben sich aus den Abreden zwischen dem BKA und dem Privatdetektiv Mauss nicht umfassende Berichtspflichten auch in den Fällen, in denen er für Landespolizeien tätig war, und betrachten Sie die telefonische gelegentliche Unterrichtung über diese Aktivitäten als eine Erfüllung dieser Berichtspflichten?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Dr. Emmerlich, das BKA kann natürlich zuständigerweise Berichtspflichten nur kraft seiner eigenen Kompetenz auferlegen und nicht in bezug auf Aufgaben, die die Länder zu erledigen haben und im Zusammenwirken mit Herrn Mauss dann vielleicht erledigt haben.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Die letzte Zusatzfrage, Herr Emmerlich.

Dr. Alfred Emmerlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000468, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sollte Ihnen entgangen sein, daß ich nicht danach gefragt habe, welche Berichtspflichten das BKA jemandem auferlegen kann, sondern gefragt habe, welche Berichtspflichten sich aus Vereinbarungen zwischen dem BKA und dem Versicherungsdetektiv Mauss ergeben?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Die Berichte, die vorgelegt worden sind, und zwar unabhängig von irgendwelchen Ereignissen in Niedersachsen, entsprachen der Verpflichtung, die hier zwischen dem BKA und dem Herrn Mauss eingegangen worden sind.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wir kommen zur Frage 33 des Abgeordneten Hiller ({0}): Gibt es Überlegungen, einen Beamten- bzw. Angestelltenaustausch mit der Regierung der DDR, die demnächst gebildet wird, vorzunehmen?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Hiller, ja, es gibt bereits erste Überlegungen, für die Angehörigen des öffentlichen Dienstes in Deutschland einen Informationsaustausch und Angebote hochkoordinierter Aus- und Fortbildungsmaßnahmen vorzusehen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Hiller, bitte schön, Zusatzfrage.

Reinhold Hiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000901, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, nach welchen Kriterien soll die Auswahl der Bewerber getroffen werden, oder können Sie mir vielleicht sagen, welche Institutionen dafür verantwortlich sein werden?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich bitte bei der ausgesprochenen Kompliziertheit dieser Materie und auch der Tatsache, daß hier in den Ressorts noch Abstimmungen erfolgen, um Verständnis, daß ich nicht konkret nennen kann, nach welchen Kriterien oder sonstigen Voraussetzungen gemäß Ihrer Vorstellung gehandelt werden kann.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Zusatzfrage, Herr Hiller.

Reinhold Hiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000901, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, kann man davon ausgehen, daß öffentliche Ausschreibungen stattfinden werden, und ist dabei daran gedacht, inaktive Angehörige des öffentlichen Dienstes zu berücksichtigen?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Eine der Möglichkeiten in diesem Zusammenhang ist, den Informationsstand und die Fortbildungsmöglichkeiten zu verbessern, was von Ihrer Frage auch betroffen wird. Wer da im einzelnen beteiligt sein soll, wie das organisiert wird - ich bitte wirklich um Verständnis, im jetzigen Stadium läßt es sich nicht abklären. Aber ich gehe natürlich davon aus, daß auch eine Möglichkeit geschaffen wird, daß Ruhestandsbeamte eine Betätigung drüben, in Behörden der DDR finden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 34 des Abgeordneten Büchler ({0}) auf: Gibt es seitens der Bundesregierung Überlegungen, auch privatrechtlich verfaßte Institutionen dafür einzusetzen, inaktive Angehörige des öffentlichen Dienstes zeitweilig in Behörden der DDR zu entsenden?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Büchler, darf ich wegen des engen Sachzusammenhangs Ihre beiden Fragen gemeinsam beantworten?

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Der Abgeordnete ist einverstanden. Dann rufe ich auch Frage 35 des Abgeordneten Büchler ({0}) auf: Wenn ja, an welche Institutionen und Modelle, z. B. in Anlehnung an das Seniorenprogramm des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit, wird dabei gedacht?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Die Bundesregierung hält es für erwägenswert, zum Aufbau der öffentlichen Verwaltung in der DDR, falls dies von der DDR-Regierung gewünscht wird, Fachkräfte zur Verfügung zu stellen. Dabei wäre die Beteiligung von ehemaligen Angehörigen des öffentlichen Dienstes der Bundesrepublik eine Möglichkeit. Es wird zur Zeit noch geprüft, ob und unter welchen Bedingungen dies erfolgen könnte. Dabei ist die Einbindung privatrechtlicher Organisationen denkbar. Die Inanspruchnahme des in der zweiten Frage angesprochenen „Senior Expert Service" kann nicht in Betracht kommen, da es sich hier um einen Beraterdienst der deutschen Wirtschaft für ausländische Unternehmen handelt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Büchler.

Hans Büchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000294, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung schon Vorstellungen über das Kostenvolumen dieser Maßnahmen?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Vorstellungen gibt es zur Zeit nicht, weil es, wie schon betont, natürlich auch von den jeweiligen Wünschen abhängt. Wir wollen uns hier ja nicht in irgendeiner Form aufdrängen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Zusatzfrage.

Hans Büchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000294, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, dann gehe ich davon aus, daß im Bundeshaushalt noch keine Mittel für Institutionen in dieser Richtung zugesagt worden sind.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich bitte um Verständnis, ich kann das jetzt nicht aus dem Stegreif beantworten. Ich bin gern bereit, da nachzufragen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wollen Sie eine weitere Zusatzfrage stellen, Herr Büchler?

Hans Büchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000294, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. - Herr Staatssekretär, sind Sie bereit - was ich für sehr wichtig halte - , auch die kommunalen Spitzenverbände an der möglichen Beratung und Entsendung von Beamten zu beteiligen?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich bin für diese Anregung dankbar. Die Verwirklichung dieses Programms insgesamt bedarf sicherlich der Abstimmung mit den Ländern, den Gemeinden und auch den entsprechenden Spitzenverbänden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Letzte Zusatzfrage, Herr Büchler.

Hans Büchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000294, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Schließen Sie es aus, daß eine Institution wie die Jakob-Kaiser-Stiftung schon Zusagen für diese Maßnahmen hat?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich kann hier weder etwas bestätigen noch ausschließen. Die Verhandlungen laufen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, wir sind damit wegen Zeitablaufs am Ende der Fragestunde. Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen. Nachdem ein Blick in das Handbuch mich belehrt hat, daß Sie jetzt zum Geburtstagskaffeetrinken gehen, möchte ich Ihnen gute Wünsche zu Ihrem Geburtstag mit auf den Weg geben. ({0}) Meine Damen und Herren, die heutige Tagesordnung soll noch um die Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 11/6803, Aufhebung der Immunität eines Mitglieds des Deutschen Bundestags, erweitert werden. Gleichzeitig soll von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist das so beschlossen. Ich rufe diesen Tagesordnungspunkt gleich auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung betr. Aufhebung der Immunität eines Mitglieds des Deutschen Bundestages - Drucksache 11/6803 Berichterstatter: Abgeordneter Wiefelspütz Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden. Ich rufe Zusatztagesordnungspunkt 1 auf: Aktuelle Stunde Die Möglichkeit genereller Genehmigungen zur Müllverbrennung durch geplante Änderungen im Abfallrecht Die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Hoss.

Prof. h. c. Willi Hoss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was die Regierungsparteien in diesen Tagen in der Abfall- und Müllfrage beschlossen haben, ist eine Ungeheuerlichkeit. Am 15. März, drei Tage vor der Wahl in der DDR - die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit war in hohem Maße auf das Geschehen der ersten freien Wahl in der DDR gerichtet - , haben CDU/CSU und FDP beschlossen, daß Hausmüll und Sondermüll in allen in der Bundesrepublik existierenden industriellen Verbrennungsanlagen entsorgt werden dürfen. In der Bundesrepublik gibt es Tausende von Öfen z. B. in Kraftwerken, Zementwerken, Stahlwerken, Kupferhütten, Verschwelanlagen, deren Beschickung mit Müll und Sondermüll angereichert werden darf. Im Gesetzestext heißt es dazu: Es ist die Verwertung oder Behandlung von Abfällen in Anlagen zulässig, die überwiegend einem anderen Zweck als der Abfallentsorgung dienen. Die Änderung darf so nicht den Bundesrat passieren, der am 6. April darüber befindet. Ich hätte mir gewünscht, daß die Bundesregierung mit gleicher Kraft und Schnelligkeit wirkliche Maßnahmen zur Abfallvermeidung beschließt, z. B. ein Verbot der Einwegverpackungen. Damit wären wir beim Kern des Problems, dem angeblichen Entsorgungsnotstand. ({0}) Ich höre schon jetzt den Vorwurf, wir GRÜNEN hätten mit unserem Widerstand gegen die Hohe-SeeVerbrennung und gegen die Ausweitung der Entsorgungskapazitäten an Land die Entsorgungsengpässe mit herbeigeführt. Dieser Vorwurf trifft dann sicher auch die Demokratiebewegung in der DDR, die den innerdeutschen Müllhändlern ihr schmutziges Handwerk verdorben hat. Aber hier werden doch Ursache und Wirkung verwechselt. Den Bürgerinitiativen und den GRÜNEN, die vor Ort - übrigens häufig gemeinsam mit CDU-Bürgermeistern und SPD-Kreisräten - gegen den exzessiven Ausbau der Entsorgungskapazitäten, Deponien und Verbrennungsanlagen agieren, kann wohl schwerlich die Verantwortung für unsere bedingungslose Wegwerfgesellschaft in die Schuhe geschoben werden. Tatsächlich brauchen wir nicht mehr Verbrennungsanlagen, sondern einen grundlegenden Wandel unseres Produktionssystems und unserer Konsumgewohnheiten. ({1}) Die Bundesregierung ist noch nicht einmal in der Lage, dort, wo es eindeutig vernünftigere Alternativen gibt, z. B. bei den Getränkeverpackungen, die notwendigen ordnungspolitischen Maßnahmen zu ergreifen. Selbst da bedarf es des Drucks z. B. der organisierten Schülerschaft, um Molkereien dazu zu zwingen, die Schulmilch in Mehrwegflaschen anzubieten. Diese Beispiele ließen sich fortsetzen. Eines wird dabei durchgängig deutlich: Das einzige, was diese Bundesregierung in der Müllpolitik konsequent umgeht, sind wirksame Maßnahmen zur Abfallvermeidung. ({2}) In den Ländern, in denen die Sozialdemokraten regieren, ist es nicht viel anders, Kollege Stahl. Statt dessen wird jetzt der Weg des umwelt- und gesundheitspolitischen Abenteurertums beschritten, Deutscher Bundestag - i 1. Wahlperiode Hoss um unsere Ex-und-hopp-Mentalität und die daran sehr üppig verdienende Industrie ins nächste Jahrtausend zu retten. Die Freigabe aller nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz arbeitenden Anlagen für die Müllverbrennung wird einen unüberschaubaren und nicht mehr meßbaren Schub an Umwelt- und Gesundheitsbelastungen mit sich bringen. Es ist eine Unverschämtheit des „Bundesmüllministers", wenn er sich noch vor kurzem mit niedrigen Grenzwerten für die hochgefährlichen Dioxine brüstet und gleichzeitig die Anzahl der Dioxinemittenten verzehnfacht, ja, sogar verhundertfacht. Selbst wenn in all diesen industriellen Verbrennungsöfen die Grenzwerte eingehalten werden sollten - was meßtechnisch kaum überprüfbar ist -, wird sich die Gesamtmenge der auf uns, unsere Kinder, unsere Böden und unsere Nahrungsmittel niederrieselnden Dioxine und anderer Gifte sprunghaft erhöhen. Um die Wegwerfgesellschaft vor drastischen Eingriffen zu schützen, sich mit der Industrie nicht anzulegen, werden hier leichtfüßig Elend, Krankheit, Belastung und Tod in Kauf genommen. ({3}) Wir GRÜNEN hoffen, daß die geplante Gesetzesänderung von der Vernunft der Bürgerbewegung noch zu Fall gebracht werden kann. ({4}) - Reg dich doch mal wieder ab. Wir rufen alle Bürgerinitiativen und die Anwohner von Feuerungsanlagen dazu auf, wachsam zu sein und in Frage kommende Anlagen in ihrer Umgebung genau zu beobachten und gegebenenfalls zu blockieren. Danke. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

In sachlich richtiger Weise ist hier von einem schmutzigen Geschäft die Rede. Insofern würde ich darum bitten, mit den Zwischenrufen ein bißchen zurückhaltend zu sein. Herr Schmidbauer ist der nächste Redner.

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat angesichts dessen, was uns hier zugemutet wird, schwierig, ruhig zu bleiben. Herr Kollege Hoss: Thema verfehlt und polemisiert; kein einziger konkreter Punkt, der Ihnen das Recht gegeben hätte, hier so zu argumentieren. Ich will Ihnen entgegnen, daß es nicht durchgepeitscht wurde, sondern daß wir sehr lange beraten haben ({0}) und daß der letzte Punkt in eine Tischvorlage eingegangen ist. Aber ich will Ihnen im Hinblick auf Ihre Ausführungen einmal sagen, was die Novellierung des BundesImmissionsschutzgesetzes bedeutet. Es ergeben sich keinerlei Nachteile für Bevölkerung oder Umwelt. ({1}) Ich will Ihnen das in einzelnen Punkten darlegen. Erstens. Soweit Anlagen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz Abfälle verbrennen - dies ist jetzt vorgesehen und möglich - , ist hierfür nach diesem Gesetz eine Änderungsgenehmigung mit Öffentlichkeitsbeteiligung notwendig. Gegenüber Müllverbrennungsanlagen besteht daher überhaupt keine Abschwächung der Öffentlichkeitsbeteiligung. Zweitens. Die Anforderungen für diese Art der Verbrennung sind schärfer als bisher. So enthält der Entwurf einer Verordnung über Verbrennungsanlagen, über Abfälle oder ähnliche brennbare Stoffe bereits den Wert von 0,1 ng pro m3 für Dioxine und Dibenzofurane. Dieser Wert hat bei der Dioxinanhörung des Bundesgesundheitsamtes und des Umweltbundesamtes am 17. und 18. Januar 1990 in Karlsruhe eine breite Zustimmung gefunden. Am Rande ist eine Mengenbetrachtung anzustellen. Auch das werden wir tun. Drittens. Die abfallrechtlichen Überwachungsvorschriften gelten auch für diese Art der Entsorgung. Daher erklärt die neue gesetzliche Regelung in § 4 Abs. 1 des Abfallgesetzes die §§ 6 und 11 Abs. 3 und § 13 für entsprechend anwendbar. Man muß das nur lesen, Herr Hoss. Ich nehme es Ihnen nicht übel, weil Sie bei den Beratungen ja gar nicht dabei waren. Ich hoffe, Sie haben es wenigstens nachgelesen. Hierdurch wird u. a. sichergestellt, daß unverzichtbare Kontrollen der Abfallströme, insbesondere im Sonderabfallbereich und im grenzüberschreitenden Verkehr, erhalten bleiben. Viertens. Schließlich gelten weitere abfallrechtliche Vorschriften auch bei Errichtung und Betrieb der dem Bundes-Immissionsschutzgesetz unterfallenden Anlagen. Nach § 6 Nr. 2 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes sind - ich zitiere - andere öffentlich-rechtliche Vorschriften zu beachten. Hierzu zählen auch die Vorschriften des Abfallgesetzes. Wer sich hier hinstellt und andere Dinge behauptet, der hat nur ein Interesse. Meine Freunde, die GRÜNEN haben eine neue Welle entdeckt: Angst zu machen und immer wieder Angst zu machen. Wer jetzt gegen diese gesetzlichen Änderungen polemisiert, die übrigens nach meiner Kenntnis maßgeblich vom nordrhein-wesfälischen Umweltminister Matthiesen mitinitiiert worden sind, will den Zusammenbruch der Abfallentsorgung. Ein Beispiel hierfür liefert übrigens Berlin, Herr Hoss. Herr Kollege Stahl hat Ihnen dies schon durch Zuruf deutlich gemacht. Die Industrie steht dort bereits jetzt vor Betriebsstillegungen, weil die Sonderabfälle der Stadt nicht mehr entsorgt werden können. Wie kürzlich in einer großen Tageszeitung zu lesen war, wirft die rot-grüne Koalition in Berlin dem nordrhein-westfälischen Umweltminister vor, einen bereits vereinbarten Entsorgungsweg über Nordrhein15804 Westfalen überraschend blockiert zu haben. Während die Berliner in dem Bemühen, der Situation Herr zu werden, bereits einen Abnehmer für die Abfälle in Nordrhein-Westfalen gefunden hatten, wirft die SPD in Nordrhein-Westfalen ihren Parteigenossen in Berlin, wie dort geschrieben steht, Knüppel zwischen die Beine, indem die notwendigen Transportgenehmigungen einfach nicht erteilt werden. Abgerundet wird dieses verwirrende Schauspiel, mit dem Sie hier wieder in der Aktuellen Stunde begonnen haben, daß die GRÜNEN - das haben wir heute erlebt - im Deutschen Bundestag Front gegen jede Form der Sondermüllbeseitigung machen. Wenn Sie so wollen, läßt sich rot-grüne Abfallpolitik auch auf folgende Formel reduzieren - das darf man nicht verallgemeinern, weil wir hier heute sicher noch erleben, daß die SPD hierzu eine andere Position einnimmt - : Jeder kämpft gegen jeden, rot in Düsseldorf und grün in Bonn gegen rot-grün in Berlin. Wie üblich, wieder einmal ein sehr destruktiver Weg. Statt einer vernünftigen, geordneten Müllentsorgung steht bei Ihnen Chaos mit Gefahren für die Umwelt und Vernichtung von Arbeitsplätzen auf der Tagesordnung. Meine Damen und Herren Kollegen der GRÜNEN, Sie haben sich aus der umweltpolitischen Diskussion in diesem Lande gründlich abgemeldet. Herzlichen Dank. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kastner.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001069, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Patient Abfallentsorgung wird wieder einmal nur behandelt, ohne die Krankheitsursache zu beseitigen. Deshalb sind wir heute wieder in der Diskussion, die wir indirekt schon am 15. März geführt haben, als es um die Änderung des Bundes-Immissionschutzgesetzes ging. Sie, die Union, haben damals mit einer Tischvorlage versucht, eine Änderung des § 4 des Abfallgesetzes zu bekommen. Das widersprach den Gepflogenheiten, die der Kollege Harries in seiner damaligen Rede so lobend hervorhob. Er sprach damals davon, daß die Änderungsanträge keinesfalls im Hauruck-Verfahren verabschiedet worden sind. Bei diesem Antrag ist es geschehen. Das war sicher nicht in Ordnung. Dieser Antrag kam zustande, weil in vielen Kommunen der Müllkollaps droht, und das nur, weil Sie von der Regierung, voran Herr Töpfer, es eben nicht fertiggebracht haben, ein ökologisch verträgliches Abfallkonzept der Vermeidung und Verwertung sowie der Restentsorgung zu verabschieden. ({0}) Auch durch die deutsch-deutschen Entwicklungen ist eine Bewußtseinswende hinsichtlich der Abfalldeponien in der DDR eingetreten. Nun sind viele Kommunen, gerade auch Berlin, gehalten, neue Wege aus ihrem Abfalldilemma zu suchen. Den Damen und Herren der Koalition muß ich trotz der Verabschiedung ihres Antrags sagen: Sie lassen die Kommunen dabei im Stich. Sie wissen genau, daß die gesetzliche Verankerung der Ausdehnung auf andere vorhandene Verbrennungskapazitäten nicht der einzig gangbare Weg ist. ({1}) Im übrigen war das auch schon jetzt möglich, nur eben nicht generell. Wer der Abfallflut Herr werden will, muß die Mentalität unserer Abfallgesellschaft überwinden helfen. Appelle allein nützen hier nichts. Wir haben unsere Forderungen oft genug formuliert. Es ist sicher so, daß ein neuer Weg in der Abfallpolitik nicht von heute auf morgen in vollem Umfange funktioniert. Aber auch der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt. ({2}) Dieser muß in die richtige Richtung gehen. Nur dann gewinnen wir unsere Glaubwürdigkeit beim Bürger zurück. Wir Sozialdemokraten sind weder Verbrennungs noch Deponiefetischisten. Wir glauben, daß derzeit beide Systeme gebraucht werden. ({3}) Es ist unrealistisch, zu glauben, die Kommunen kämen zum gegenwärtigen Zeitpunkt ohne Anlagen zur thermischen Behandlung aus. ({4}) Da mogeln Sie sich, meine Damen und Herren bei den GRÜNEN, ganz einfach aus der Verantwortung. ({5}) Diese Anlagen zur thermischen Behandlung sind für uns keine Verwertungsanlagen. Sie dienen der Konditionierung der nicht mehr verwertbaren Reststoffe und der Volumensreduzierung. Deshalb wieder einmal unsere Kritik an der 4. Novelle zum Abfallgesetz, die zu dieser Volumensreduzierung eben nichts beiträgt. Der Kampf zwischen Deponie und Müllverbrennung ist für mich ein Kampf mit schiefer Schlachtordnung. Die Gegner von Müllverbrennung haben oftmals die Ergebnisse von Anlagen im Kopf, die vor zwanzig Jahren errichtet worden sind, ({6}) nicht aber den Stand der Technik von heute. Umgekehrt gibt es heute auch Deponietechnologien, die gegenüber der Reaktordeponie Fortschritte gemacht haben, die wir zu Recht allenthalben als tickende Zeitbombe bezeichnen. Wenn thermische Behandlung so erfolgt, daß wir verglaste, nicht mehr auslaugbare Schlacke als deponiefähiges Material bekommen, dann leistet sie eben einen erheblichen Beitrag zum Umweltschutz. ({7}) Deshalb wollen wir keine gesetzlich verankerte Ausweitung von Müllverbrennung, sondern Ausnahmegenehmigungen, solange dieser Müllnotstand besteht. In letzter Zeit gewinne ich zunehmend den Eindruck, daß die Frage nach dem richtigen Weg aus der Müllkrise mit Glaubensbekenntnissen für oder gegen die Müllverbrennung beantwortet wird. Weil das nicht sein darf, werden wir in der Abfallentsorgung noch viel Kreativität und Flexibilität beweisen müssen. Das Wichtigste wäre aber, daß die Regierung endlich auch handelt. ({8}) Tun Sie etwas, damit die Müllberge nicht weiter wachsen. Dann ist eher früher als später diese Diskussion beendet. ({9})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist eine wirklich merkwürdige Aktuelle Stunde. Ich habe so etwas in der Zeit meiner Parlamentszugehörigkeit noch nicht erlebt: Wir haben vor 14 Tagen ein Gesetz verabschiedet; wir haben eine ausführliche Debatte darüber geführt, wir haben eine namentliche Abstimmung darüber durchgeführt, und heute ist dieses Gesetz plötzlich wieder Gegenstand einer Plenardebatte. ({0}) Wenn das einreißt, kann man Debatten beliebig verlängern und aktualisieren. Ich frage: Was hat das eigentlich mit Aktualität zu tun? ({1}) Sie machen eine neue Front auf. Ihnen geht das Pulver aus. Das neue Wackersdorf heißt Müllverbrennung. Sie machen Aktionstage. Sie schreiben die Ministerpräsidenten an. Sie schreiben die Gemeinden an. ({2}) Sie gehen mit falschen Tatsachen vor. Die Tatsache, um die es sich hier handelt, ist, daß wir die Rechte der Bürger nicht beschneiden. Wir haben uns das sehr genau angeguckt, und wir hätten das niemals gemacht, wenn diese Folge einträte. Wir wollen den Umweltschutz nicht schwächen, sondern wir wollen ihn stärken, indem wir entschieden gegen den Müllnotstand vorgehen und vermeiden, daß selbst geschaffene überflüssige bürokratische Vorschriften den Umweltschutz behindern. Wir leisten einen wichtigen Beitrag zum Umweltschutz. Die Vorschriften werden noch weiter verschärft. Niemand von uns ist der Meinung, daß Müllvermeidung keine vorrangige Aufgabe wäre. Das steht in dem Gesetz aus dem Jahre 1986; das haben wir so gewollt. ({3}) Die Vermeidung hat Vorrang. Die stoffliche Verwertung hat Vorrang. Sie unterstellen uns polemisch, wir verschlössen die Augen vor der Sondermüllverbrennung. Es bleibt immer etwas übrig. Je mehr wir herausholen, desto mehr bleibt übrig. Sie betreiben eine Vogel-Strauß-Politik, die unverantwortlich ist und dazu geführt hat, daß Ihr Senat in Berlin in dieser Frage am Ende ist. ({4}) Frau Schreyer versuchte händeringend, ihren Sondermüll in Nordrhein-Westfalen loszuwerden. Herr Matthiesen macht hier eine vernünftige Politik. Er hat dazu meine volle Unterstützung. ({5}) Er als Praktiker sieht die Notwendigkeiten. ({6}) Wir sehen das auch. Alle, die sich an den Beratungen beteiligt haben, Herr Kollege Brauer ({7}) - Herr Hoss, Sie waren ja nicht dabei - , wissen, daß wir uns im Ausschuß intensiv mit der Sache befaßt haben. ({8}) Wir sind auch auf den Vorschlag des Kollegen Kiehm eingegangen. Wir haben ja beschlossen, diesem Vorschlag zuzustimmen. Wir haben sogar mit Herrn Kollegen Schütz - der heute nicht anwesend war - gerungen, ob er nicht dennoch zustimmen kann. Es wurde gesagt: Wir können doch nicht einen Prüfungsauftrag erteilen, der in die gleiche Richtung geht, und dann zustimmen. Im Grunde waren wir mit der SPD im Kern der Sache einig, und das ist auch richtig so. Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, wir weigern uns, hier einen neuen Glaubenskrieg zu eröffnen. Sie brauchen offenbar diesen Popanz, den Sie aufbauen, um hier eine neue Front zu eröffnen. Die gesamten Fakten und all das, was Herr Schmidbauer und andere heute und was Herr Gröbl vor 14 Tagen, als das Gesetz beraten wurde, gesagt haben, sprechen gegen Sie. Sie negieren die Fakten. Sie bauen etwas auf, was in der Wirklichkeit nicht existiert, bloß um es hinterher bekämpfen zu können, weil Ihnen offenbar das Pulver ausgeht. Mit uns nicht, meine Damen und Herren! Wir werden nicht zögern aufzuklären. Wir haben die öffentliche Aufmerksamkeit nicht zu scheuen. Wir suchen sie gerade, um den Leuten klarzumachen, daß wir uns in einem Sondermüllnotstand befinden, daß die Verbrennung notwendig ist und daß wir sie durch bürokratische Hemmnisse nicht so behindern dürfen, daß die Umwelt dann wieder durch Nichtstun gefährdet ist. Nicht mit uns! ({9})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde ist ein willkommener Anlaß, einige Erläuterungen zur Abfallpolitik der Bundesregierung zu geben. ({0}) - Warten Sie nur ab. ({1}) - Nicht so ungestüm, Herr Stahl. Lassen Sie mich eines vorausschicken: Wie schon bisher wird es auch weiterhin das Ziel der Bundesregierung sein, die Maßnahmen zur Abfallvermeidung und -verwertung mit unvermindertem Nachdruck voranzutreiben. Deshalb bereiten wir über die vorgelegten Verordnungen, Vereinbarungen, Zielfestlegungen hinaus u. a. breit angelegte Rücknahmepflichten für Verpackungen vor. Aber - Herr Baum hat es schon gesagt - es ist eine Illusion, zu glauben, daß man das Abfallproblem allein mit Maßnahmen zur Abfallvermeidung und -verwertung in absehbarer Zeit in den Griff bekommt. Es wird weiterhin Abfälle geben, deren geordnete Entsorgung sichergestellt werden muß. Wir kennen alle den Entsorgungsnotstand, der einzelne Länder zwingt, Hausmüll, Sondermüll, Klärschlamm zu exportieren. Das ist nicht die gewünschte Lösung. Daher ist die Bundesregierung bestrebt, neue Möglichkeiten zu schaffen und selbstverständlich alle vorhandenen Kapazitäten für eine ordnungsgemäße, umweltverträgliche Entsorgung zu nutzen. ({2}) - Warten Sie, für Sie habe ich ein besonderes Schmankerl. Dies ist der Grund für die im Rahmen der dritten Novelle zum Bundes-Immissionsschutzgesetz vorgenommene Änderung des Abfallgesetzes. Dadurch soll der Einsatz z. B. von Klärschlämmen, aber möglicherweise auch anderen Stoffen, in dafür geeigneten Anlagen, z. B. in Kraftwerken, im Rahmen der für derartige Anlagen ohnehin vorgeschriebenen Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz zugelassen werden. Eines sollte klargestellt werden: Durch die Änderung des Abfallgesetzes ändert sich nichts an den materiellen Vorschriften, d. h. an den hohen Standards, die unsere Umweltschutzgesetze vorschreiben. ({3}) An die Stelle des Planfeststellungsverfahrens nach dem Abfallgesetz tritt lediglich das für solche Industrieanlagen sachlich gerechtfertigte Verfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz einschließlich der Öffentlichkeitsbeteiligung. Auf die strengeren Vorschriften ({4}) der in Vorbereitung befindlichen 17. BImSch-Verordnung hat Herr Kollege Schmidbauer bereits hingewiesen. Die Regelung erschließt Verbrennungskapazität. Damit brauchen Klärschlämme nicht auf die Deponie. Dies ist auch unter dem Aspekt Treibhauseffekt zu begrüßen. Im übrigen verbrennen wir lieber unsere Abfälle ({5}) in unseren hervorragend ausgestatteten Anlagen, als sie ins Ausland zu exportieren, wo wir keinen Einfluß mehr haben, ob sie ordnungsgemäß entsorgt oder in hochwertigen Anlagen verbrannt werden. Wer gegen jede thermische Verwertung polemisiert, demonstriert, agitiert, gleichzeitig aber, wenn er schon einmal zufällig und kurzfristig Regierungsverantwortung übernommen hat - ich denke an die GRÜNEN in Berlin - , andere um Beseitigung seines Mülls bittet, der verliert doch jede Glaubwürdigkeit. ({6}) Mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, möchte ich hierzu ein Zitat anführen: Statt der insbesondere vom traditionssozialistischen Mehrheitsflügel der NRW-GRÜNEN - Herr Knabe, passen Sie auf beständig mit profilierter ökologischer Politik verwechselten Phrasendrescherei unter dem Motto „Gegen alles! Für nichts! " müssen die GRÜNEN endlich für ein integriertes Gesamtkonzept zur Lösung der drängenden Abfallprobleme einstehen. ({7}) Hierzu gehören auch klare Kriterien für die zukünftige Abfallbeseitigung in Deponien und angesichts von jährlich über 70 Millionen Tonnen Müll auch in Müllverbrennungs- oder anderen thermischen Behandlungsanlagen. ({8}) - Jetzt passen Sie nur auf: Dies schrieb Ihnen, Herr Kollege, das Mitglied des Landesvorstands der GRÜNEN in NRW, Herr Harry Kunz, Ende letzten Monats, in Ihr Stammbuch. ({9}) Wahrscheinlich springt auch der bald bei Ihnen ab und wird sich woanders engagieren. ({10}) - Sie können doch alles brauchen, Herr Schäfer. Zusammenfassend stelle ich fest: Von einer generellen Genehmigung der Verbrennung kann keine Rede sein. Vielmehr setzt die Bundesregierung ihre Abfallwirtschaftspolitik konsequent fort: ({11}) Durchsetzung des Vorrangs der Inlandsentsorgung, vorrangige Vermeidung und Verwertung von Abfällen und, soweit dies nicht möglich ist, Sicherstellung der umweltverträglichen Entsorgung. ({12})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß Kommunen und Landkreise, aber auch Gewerbe und Industrie in der Müllfalle sitzen, ist in diesem Hause schon öfters beklagt worden. Was aber jetzt im Zusammenhang mit der Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes beschlossen worden ist, ist der vorläufig letzte Akt in einem traurigen Kapitel. ({0}) Wenn Abfälle auch in Kraftwerken, in Zementfabriken, in Industriefeuerungen usw. verbrannt werden können, dann ist - lieber Herr Kollege Schmidbauer - eine Weichenstellung in der falschen Richtung erfolgt. ({1}) Ich teile Ihre optimistische Beurteilung nicht. Ich teile auch nicht die Beurteilung von Herrn Gröbl. Ich sage offen und ehrlich: ({2}) Ich vertrete diese Auffassung auch, selbst wenn der Umweltminister des Landes Nordrhein-Westfalen eine andere Position einnimmt. ({3}) Meines Erachtens läuft das darauf hinaus, daß wir statt einer geordneten und kontrollierten Abfallbeseitigung jetzt eine Verteilung der Abfälle, auch der Sonderabfälle, über die ganze Industriebranche haben werden. Das ist keine Abfallentsorgungspolitik mehr, sondern das ist eine Abfallverteilungspolitik. Das ist nicht in Ordnung. Meine Frage ist: Wie wollen Sie die Abfallströme noch kontrollieren, wie wollen Sie die Emissionen aus diesen zahllosen Schloten eigentlich überhaupt kontrollieren? Auch wenn, was zu begrüßen wäre, endlich die 17. BImSch-Verordnung kommt mit der Festlegung des Grenzwertes von 0,1 Nanogramm für Dioxine und Furane - ich hoffe, daß sie endlich kommt -, werden enorme Probleme auftauchen. Manchen wir uns doch da nichts vor! Denn bei den Riesenabluftmengen, die z. B. in Kraftwerken entstehen, greift das Verdünnungsprinzip voll durch. ({4}) Wollen wir doch auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Wir sehen hier einen Rückschlag für alle Bemühungen um wirksamen Immissionsschutz. Deshalb lege ich Wert darauf, liebe Kolleginnen und Kollegen, festzustellen, daß die SPD-Fraktion diesem Antrag im Ausschuß nicht zugestimmt hat und daß sie auch in namentlicher Abstimmung im Deutschen Bundestag, hier im Plenum, diese Änderung abgelehnt hat. Das ist ein Faktum. ({5}) Der Punkt ist nicht, ob wir Müllverbrennungsanlagen brauchen oder nicht. Wir brauchen sie, aber erstens als Restmüllverbrennungsanlagen, zweitens als Anlagen, die dem neuesten Stand der Technik entsprechen, und drittens als Anlagen, die strengsten Kontrollen unterworfen werden müssen. Nur wenn diese Bedingungen erfüllt sind, ist die richtige Ausgangsposition gefunden. ({6}) - Jetzt bin ich dran, Herr Kollege Lippold. Ihre Begründung ist doch entlarvend. Weil „notstandsähnliche Engpässe bei der Abfallentsorgung der Bundesrepublik entstanden" seien, ist diese verhängnisvolle Bestimmung beschlossen worden. Es ist wohl wahr, daß wir notstandsähnliche Engpässe - übrigens nicht nur in Nordrhein-Westfalen, auch in Baden-Württemberg - haben. Fragen Sie doch einmal den Herrn Umweltminister Vetter. 107 000 t hat er letztes Jahr, 1989, noch exportieren müssen. ({7}) Das trifft für die meisten Bundesländer zu. Wir kommen nur dann auf des Pudels Kern, wenn wir den Ursachen nachgehen. Warum ist denn dieser Notstand eingetreten? Weil Sie ein zahnloses Abfallgesetz gemacht haben, weil Sie keinen klaren Kurs in Sachen Abfallvermeidung und Abfallverwertung steuern, ({8}) weil Sie nicht genügend Anreize bieten, um das Recycling voranzubringen, weil Sie die Verpackungslawine nicht stoppen, ganz zu schweigen von wirksamen Vorschriften - Ausnahme: PET-Flasche -, weil die Zielfestlegungen viel zu spät kommen und weil die Zielfestlegungen überhaupt nichts taugen. ({9}) Kurz: Weil die Bundesregierung dieses Mammutproblem der Industriegesellschaft, nämlich die Abfallbe15808 wältigung, eben nicht bewältigt hat, deshalb sind wir in eine unerträgliche Zwangslage geraten. Die Lösung ist doch nicht, jetzt wegen der Engpässe umweltpolitische Prinzipien über Bord zu werfen. Herr Kollege Baum, hier kann ich Sie überhaupt nicht verstehen. ({10}) Die Lösung ist, endlich ein wirksames Abfallvermeidungskonzept bundesweit durchzusetzen. ({11}) Da ziehen nämlich alle Länder mit. Die Länder und die Kommunen können dies nicht alleine tun. Es bleibt unser Petitum, daß Abfallvermeidung oberste Priorität haben muß. Wir haben Sie schon seit langem aufgefordert, eine Novellierung des Abfallgesetzes vorzunehmen, ({12}) aber in der richtigen Richtung. Wir sehen das Heil nicht in einer Inflation von MVAs und schon gar nicht im Öffnen neuer Schlupflöcher. So sieht keine Umweltvorsorgepolitik aus. So türmen wir nur neue Hypotheken auf. Ich danke Ihnen. ({13})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Göhner.

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Beitrag von Frau Hartenstein veranlaßt mich, doch noch einmal darzustellen, was eigentlich Gesetzesinhalt gewesen ist. Sie erwekken nämlich genauso wie der Kollege Hoss den Eindruck, als ob es nach bisherigem, altem Recht nicht möglich gewesen sei, in Anlagen, die nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigt worden seien, auch Abfall zu verbrennen. Das war aber selbstverständlich schon bisher möglich. ({0}) - Nun regen Sie sich doch nicht gleich auf! Hören Sie doch wenigstens hier einmal zu, damit Sie sich den Unterschied zwischen dem geltenden Recht und dem künftigen Recht einmal klarmachen können! ({1}) Es wurde schon bisher eine Änderungsgenehmigung für BImSchG-Anlagen erteilt, z. B. für Zementfabriken, um Abfall zu verbrennen oder aber um, wie wir es in Vörde im Kraftwerk der STEAG haben, Klärschlamm mitzuverbrennen. Nach künftigem Recht wird eine solche Änderungsgenehmigung nicht mehr nach dem Abfallrecht, sondern nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz erfolgen, allerdings unter Beachtung der abfallrechtlichen Gegebenheiten. Das heißt, im Hinblick auf Grenzwert gibt es keinerlei Unterschiede. Der einzige Unterschied ist ein verfahrensmäßiger, nämlich im Hinblick auf die Behördenzuständigkeit. Hier werden künftig die Behörden des Immissionsschutzes zuständig sein. ({2}) Das hat einen Beschleunigungseffekt zur Folge. Wir unterscheiden uns in einem: Wir wollen diesen Beschleunigungseffekt, und Sie sind generell gegen eine Verbrennung. Sie wollen den Versorgungskollaps; darum geht es Ihnen letztlich. ({3}) Wir möchten gerne vorhandene Kapazitäten nutzen, statt neue Standorte auszuweisen. Es ist umweltpolitisch doch nicht vernünftig, statt den Klärschlamm in einem solchen Kraftwerk wie in Vörde zu verbrennen, etwa eine neue Verbrennungsanlage zu errichten. Das wäre umweltpolitisch doch kontraproduktiv. ({4}) Nun möchte ich doch noch einmal auf einen Umstand hinweisen, Frau Kollegin Hartenstein: Es ist ja nicht nur Herr Minister Matthiesen, der schon bisher von den rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch gemacht und ja noch weitergehende Schritte gefordert hat, indem er generell, auch für Verbrennungsanlagen, ein BImSchG-Genehmigungsverfahren will. ({5}) Es haben ja auch einige - das sollte man der Ehrlichkeit halber sagen, Frau Kollegin Hartenstein - besonders fachkundige Kollegen aus Ihrer Fraktion im Umweltausschuß diesem Regelungsvorschlag ausdrücklich zugestimmt. ({6}) Wir haben uns gemeinsam darauf verständigt: Wir wollen einen Prüfungsauftrag beschließen, um weitergehend die Frage der Harmonisierung von Immissionsschutzrecht und Abfallrecht zu prüfen. Das war die Anregung des Kollegen Kiehm. Ich muß Ihnen sagen: Hier bin ich persönlich sehr skeptisch geworden, weil ja auch die Möglichkeit zur Planfeststellung nach dem Abfallgesetz Vorteile bietet, nämlich der Konzentrationswirkung, indem wir beispielsweise die baurechtlichen und vor allem die wasserrechtlichen Bedingungen gleich in einem Planfeststellungsbeschluß mit einbeziehen können. Wenn man das dagegen auflöst und zu einem Genehmigungsverfahren macht - sei es nach dem Abfallrecht, sei es nach BImSchG -, hat das zur Folge, daß wir daneben weitere Behörden zu konsultieren haben. Das muß untersucht werden. ({7}) Diese Änderung aber, Frau Kollegin Hartenstein, führt zu einer Beschleunigung dessen, was abfallpolitische Zielsetzung auch Ihrer Landesregierung ist. Deshalb habe ich mich ein wenig darüber gewundert, daß sich nicht Ihre Gesamtfraktion dem Verhalten einiger Kollegen in der SPD angeschlossen hat. Herr Kollege Hoss, Sie haben hier einleitend den Eindruck erweckt, als ob der Umweltausschuß das sozusagen handstreichartig gemacht hätte. ({8}) Frau Kollegin Hartenstein, Herr Hoss war bei den Beratungen nie dabei, und auch Sie waren leider höchst selten anwesend, ({9}) sonst hätten Sie mitbekommen, daß der Kollege Kiehm, andere aus Ihrer Fraktion, Herr Baum und eine Reihe von Kollegen aus unserer Fraktion in mehreren Sitzungen über dieses Problem diskutiert haben. Die Frage des Prüfauftrages und die Frage, was man denn schon in diesem Gesetzgebungsvorhaben regeln könnte, waren nämlich Gegenstand mehrerer Sitzungen des Umweltausschusses. Deshalb sollten Sie nicht den Eindruck erwecken, als ob das sozusagen hand-streichartig passiert wäre. Auch der Bundesrat hat eine entsprechende Anregung gegeben. Es war also seit längerer Zeit in der Diskussion, und daraus haben wir die Konsequenzen gezogen. Es haben all diejenigen recht, die sagen: Diese Möglichkeit darf nun nicht dazu führen, daß wir die Anstrengungen zur Abfallvermeidung unterlassen. Ich räume freimütig ein, daß wir meines Erachtens noch einen erheblichen Nachholbedarf haben. Auch wenn wir diese Möglichkeiten ausschöpfen, sollte aber niemand die Illusion erwecken, daß es einem Industrieland möglich wäre, auf Verbrennungsanlagen und Deponien zu verzichten, es sei denn, man will erreichen, daß eine Stillegung der Industrie erfolgt. Das ist letztlich Ihr Ziel. Verbrämen Sie das nicht! ({10}) Reden Sie nicht über solche Dinge, sondern sagen Sie ehrlich, daß Sie das wollen! Sie verbreiten in der Presse die Behauptung - ich habe hier ein paar Artikel, z. B. aus der „WAZ" -, künftig werde die Müllverbrennung ohne Verfahren ermöglicht. Damit haben Sie weder das bisher geltende Recht berücksichtigt, noch haben Sie auch nur annähernd akzeptiert, daß auch nach dem neuen BImSchG-Verfahren selbstverständlich Öffentlichkeitsbeteiligung erforderlich ist. Keine einzige Umweltauflage, die nach bisherigem Recht aus dem Abfallgesetz folgt, wird nach künftigem Recht unterschlagen werden, sondern gilt unverändert fort. Wir haben eine Vereinfachung in der Behördenzuständigkeit und im Verfahren. Das ist politisch erwünscht. Danke sehr. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Vosen.

Josef Vosen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002395, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Wir haben hier ein Problem, welches die Menschen im Lande sehr bewegt. Ich komme aus einem Bereich, NordrheinWestfalen, wo dies jetzt ein Wahlkampfthema ist und wo die GRÜNEN glauben, sich profilieren zu können - sie versuchen es zumindest. ({0}) Ich nehme die Anregungen der Tausenden von Bürgerinitiativen sehr ernst. Es sind auch Anliegen der Kirchen. Wer sich damit befaßt - ich tue es täglich, auch als Bürgermeister - , der muß ernst nehmen, was diese Menschen in großer Sorge vortragen. Gerade weil die Menschen in großer Sorge sind, sollten wir uns die Antworten nicht zu leicht machen. Eine Antwort, die DIE GRÜNEN geben, halte ich nicht für korrekt. Sie sagen nämlich: Vermeidung und Verwertung alleine sind ausreichende Wege. Wir alle wissen - ich rede aus fünfjähriger Erfahrung in der Kommunalpolitik; die Kommunen sind in dieser Frage überwiegend alleingelassen - , daß wir große Restmengen an Müll haben werden, die wir entweder deponieren oder verbrennen müssen - eines von beiden. Hier fehlen uns - das ist ein Vorwurf an die Regierung, an den Bundesforschungsminister z. B. - Abschätzungen, wie gefährlich eine Deponie ist. Auch eine Deponie ist eine unkontrollierte chemische Fabrik; Georgswerder in Hamburg ist ein gutes Beispiel dafür. Auch das Deponieren ist gefährlich. ({1}) Auch das Verbrennen ist, wenn man nicht genau aufpaßt, gefährlich. ({2}) - Natürlich, Herr Kollege Stahl. Ohne Risikoabschätzung, Herr Stahl, wird es nicht gehen. Jedes Verfahren muß mit einer Risikoabschätzung verbunden sein. Ich glaube, daß dafür wissenschaftliche Grundlagen völlig fehlen. Es gibt keine Abwägung zwischen dem Deponierisiko und dem Verbrennungsrisiko. Aber das kann uns nicht dazu bringen, zu sagen: Wir tun jetzt nichts mehr. Denn die Kommunen müssen täglich die Gefäße abholen - teilweise zu große Gefäße, wie ich weiß. Die Vermeidungsstrategie alleine ist kein Weg, die Verwertungsstrategie auch nicht. Aber wer nicht erst die Vermeidung anpackt - dieser Vorwurf geht an die CDU, die viel zuwenig tut, um Müll wirklich zu vermeiden, die vor der Industrie und ihrer Lobby kuscht, die also diese Probleme mit den Mengen aufwirft - , der handelt unverantwortlich. Das muß ich Ihnen sagen, meine Damen und Herren. ({3}) Ich meine, wir müssen in dieser Frage Gemeinsamkeit finden; denn das geht quer durch die Parteien. In meinem Wahlkreis sind die CDU und DIE GRÜNEN gegen die Verbrennung; das geht so quer durch. Wir werden mit Augenmaß an die Sache herangehen; aber ich kann nur wiederholen: Das geht quer und längs durch alle Bevölkerungsgruppen, durch alle Parteien. Ich glaube, das darf nicht zu einem CDU-, SPD-, FDP- oder sonstigen Problem werden, sondern wir müssen gemeinsame Wege finden, und wir müssen verantwortungsvoll handeln. Ich bitte DIE GRÜ15810 NEN inständig, nicht taktisch vorzugehen und zu sagen: Wir verweigern uns jetzt erst einmal und lassen das Problem anbrennen. Die Kommunen können mit einer solchen Strategie nicht leben. Ein verantwortungsvoller Kommunalpolitiker, der vor Ort gefordert ist, der aushalten muß, was wir hier falsch machen - wir müssen vor Ort aushalten, was wir hier falsch machen -, der kann mit einem absoluten Ja zu diesem Produktionsmüll und einem absoluten Nein zu einer Verbrennung nicht leben. Ein Mittelweg muß gefunden werden. Dieser Mittelweg muß umweltverträglich sein, der muß Risikoabschätzungen haben, ({4}) der muß kontrolliert sein. Der Weg, der jetzt von der CDU begangen wird, ist meiner Meinung nach falsch, ({5}) weil er zu sehr auch die Kontrollen dieser Anlagen dann, ({6}) wenn sie privat betrieben werden, außer acht läßt. Sie öffnen den Weg zur Müllverbrennung. ({7}) - Sie öffnen ihn. Ich glaube, daß das kein guter Weg ist. Herzlichen Dank. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Der Abgeordnete Baum hat noch einmal das Wort.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Das Thema hat es ja in sich, wie wir an unserem Engagement merken. Damit überhaupt kein Mißverständnis entsteht, möchte ich noch einmal folgendes sagen. Wir alle sind ja wohl - das haben wir in verschiedenen Debatten festgestellt - der Meinung, daß wir in Sachen Vermeidung noch lange nicht am Ende sind. Und die Vermeidung ist überhaupt nicht allein eine Aufgabe des Bundes, Herr Kollege Vosen, sondern auch eine Aufgabe der Länder und der Gemeinden. Wir haben jetzt gerade einen Spruch des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vorliegen, der sagt, daß es große Entscheidungsspielräume auch auf dieser Ebene gibt. ({0}) Also keine Selbstgerechtigkeit! Wir haben im Vermeidungs- und Verwertungsbereich einen Nachholbedarf. Das ist gar keine Frage. Das wird niemand hier bestreiten. Das ist sehr schwierig, aber es ändert nichts an dem Problem, das wir hier heute diskutieren. Das Problem, das wir hier heute diskutieren, ist sehr schwierig - auch in seiner technischen Darstellbarkeit. Ich habe hier in meiner Hand den Entwurf einer Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, der Verordnung über Verbrennungsanlagen für Abfälle und ähnliche brennbare Stoffe. ({1}) - Diese siebzehnte Verordnung ist ein Schlüssel bei der Betrachtung unseres Problems. Die müssen wir also heranziehen, und die müssen Sie auch heranziehen, wenn Sie jetzt die Abluftfrage diskutieren. Hier gibt es in der Tat das Problem, daß wir die Mengenbilanzen bei den Emissionen beachten müssen. Wir müssen also sehen, daß wir eventuellen Verdünnungsmöglichkeiten entgegenwirken und die Mengenbilanzen beachten. Das hat die Bundesregierung vor, damit hier nicht durch die Veränderung des Verfahrens in der Abluft eine Verschlechterung eintritt. ({2}) Aber wir haben das Problem gesehen, und wir werden das Problem lösen; denn diese Verordnung ist in der Bearbeitung und wird in Kürze verabschiedet werden. Sie ist ja noch nicht verabschiedet worden. ({3}) - Nein, nein. Das Grunddilemma ist - das muß ich noch einmal sagen - , daß ein Teil insbesondere von den GRÜNEN hier von der Gemeinsamkeit abrückt. Hier ist ja eine Stimme eines grünen Kollegen von Ihnen aus Nordrhein-Westfalen genannt worden, der die Situation erkannt hat und der die Landesregierung lobt. Von ihm rücken Sie ja jetzt ab. ({4}) Der stellt ja auch fest, daß die Abluft nach allen diesen Vorkehrungen in Sachen Dioxin und anderen Schadstoffen nicht mehr Probleme macht und man hier jetzt sagen kann, das kann man verantworten. Sie machen hier eine Front auf, indem Sie so tun, als könnten wir Sonderabfälle bis Null vermeiden. Im Gegenteil, Sie wollen einen Abfallnotstand herbeiführen, wollen uns vorführen und wollen uns hindern, die Abwehrmaßnahmen, die Maßnahmen zur Abhilfe zu treffen. ({5}) Dabei wissen Sie ganz genau, daß wir selbst - auch Sie - durch zahlreiche Beschlüsse zur Verfeinerung und Verschärfung des Umweltrechts dazu beigetragen haben, daß mehr Sonderabfälle entstehen - beispielsweise mehr Klärschlämme und mehr Filterstäube -, die jetzt - hier müssen wir nun auch B sagen - entsorgt werden müssen. Das wollen wir tun, weil wir eben nicht länger in die DDR exportieren wollen, weil wir nicht nach Frankreich und nach Belgien exportieren wollen und weil wir nicht auf der hohen See verbrennen wollen, ({6}) sondern weil wir verantwortungsbewußt auch dieses Stück der Entsorgung in unserem eigenen Land regeln und zu Ende bringen wollen. Das kostet auch örtlich große Kraft; da gibt es Widerstände, da gibt es das Sankt-Florian-Prinzip. Deshalb gab es ja immer wieder die Bemühungen, die politischen Parteien zusammenzuführen. Herr Rappe hat das auf dem Kongreß in Hannover gemacht, die Umweltministerkonferenz hat es gemacht. Ich bin davon überzeugt, daß jetzt auch der Bundesrat die Sache bei der Behandlung unserer Vorschläge positiv sehen wird; denn die Politiker vor Ort stehen ganz schwierigen Anforderungen gegenüber und können sich mit solch einer polemischen Grobdarstellung, wie Sie sie machen, nicht aus der Affäre ziehen. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brauer. ({0})

Hans Jochim Brauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000248, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ganz kurz eine Vorbemerkung zu Herrn Gröbl: Der hier angesprochene GRÜNE aus Nordrhein-Westfalen hat diese Presseerklärung 24 Stunden später persönlich zurückgenommen. ({0}) Trotz aller Versuche, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Auswirkungen der geplanten Gesetzesänderung zu beschönigen und wegzudiskutieren, muß ich feststellen: Das Vorhaben der Bundesregierung und auch der SPD ignoriert alles, was wir in den letzten zehn Jahren über Müllverbrennung gelernt haben. Wir wissen mittlerweile, daß bei der sogenannten thermischen Müllbehandlung eine Vielzahl von Stoffen neu entsteht ({1}) und über den Schornstein in die Umwelt gelangt. ({2}) Von diesen Verbindungen sind lediglich 20 % analytisch genau erfaßt; das heißt, die Müllverbrennung bringt ein völlig ungewisses und nicht kalkulierbares Risiko für die Umwelt und für die Gesundheit des Menschen mit sich. ({3}) Dieses Risiko wird durch die jetzt anstehende Änderung von den knapp fünfzig Müllverbrennungsanlagen auf mehrere tausend industrielle Anlagen ausgedehnt, wenn diese auch Müll und Sondermüll mit verfeuern können. Das wird ein bundesweites Problem. Selbst wenn man überall unter 0,1 ng Dioxin-Äquivalent pro Kubikmeter Abgas geht, werden die Dioxine und Furane jetzt flächig verteilt. ({4}) - Herr Stahl, ich äußere mich doch zu dem, was Sie sagen, und zu Ihrer Bagatellisierung. Die kann ich sehr gut verstehen. Die kann ich deswegen sehr gut verstehen, weil Sie hier einer Ausweitung der Verbrennungskapazitäten das Wort reden, und dies noch auf sehr undemokratische Weise. Sie möchten das Problem herunterspielen, haben Sie dabei doch selbst Dreck am Stecken. Das will ich Ihnen jetzt einmal ganz kurz deutlich machen. So hat die SPD den Prüfauftrag eingebracht, ob die Müllverbrennung nicht weniger nach dem Abfallgesetz, sondern hauptsächlich nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz geregelt werden könnte. So haben sich im Umweltausschuß zwei SPD-Abgeordnete nicht an der Abstimmung darüber beteiligt, ({5}) weil es sonst eine ablehnende Mehrheit gegeben hätte. So kommt es den SPD-regierten Ländern sehr entgegen, ({6}) wenn die CDU/FDP die Ausweitung der Müllverbrennung durchsetzt und sie sich die Finger daran nicht schmutzig machen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Hans Jochim Brauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000248, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluß: Klammheimlich können sich die SPD-regierten Länder freuen, daß sie den Müll so auf billige und schnelle Art und Weise loswerden. Ich sage hier deutlich - als letztes Wort - : Die SPD hat sich durch ihr Verhalten die Finger schon verbrannt. Ziehen Sie dieses heiße Eisen aus dem Feuer, sonst wird die Frage des Verfeuerns von Müll und Sondermüll das Wackersdorf der SPD. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Friedrich.

Dr. Gerhard Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002657, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zunächst, Herr Kollege Brauer, eine Vorbemerkung: Ich habe das Protokoll der Sitzung am 15. März nachgelesen; Sie haben damals das gleiche gesagt wie heute. Ich bin der Meinung des Kollegen Baum: Was Sie hier machen, ist ein Mißbrauch der Aktuellen Stunde. Sie vollführen eine erneute Schlußberatung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz. ({0}) Zweitens: Für die Bayern - jetzt spreche ich einmal als Bayer - ist dieses Thema ohnehin nicht aktuell, weil ich Ihnen sagen muß, daß aus unserer bayerischen Sicht das, was wir neu in das Gesetz geschrieben haben, im Grunde genommen eine Klarstellung darstellt. Wir sind in Bayern schon längst so verfahren; wir sind davon ausgegangen, daß man es dann, wenn man beispielsweise in einer Anlage, die nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigt ist, Reifen verbrennt, gar nicht mit einem Abfallproblem zu tun hat, ({1}) sondern daß es sich dabei um ein Wirtschaftsgut handelt. Aber selbstverständlich haben wir ({2}) die einschlägigen Probleme der Luftbelastung geprüft. Meine Damen und Herren, der Kollege Hoss hat hier in seinem Diskussionsbeitrag gesagt, die Umweltschützer in der DDR hätten den Müllhändlern das Geschäft verboten. Herr Kollege Hoss, damit wir uns nicht mißverstehen - ich spreche jetzt wieder als Bayer - : Wir Bayern haben in die DDR überhaupt nichts exportiert. Sie scheinen hier über Mitglieder des Senats zum Beispiel der Stadt Berlin zu sprechen. Das sind aber nicht meine Parteifreunde, sondern Ihre Parteifreunde. Das heißt, Sie haben hier eine Selbstanklage vorgetragen. Ich fühle mich hierdurch überhaupt nicht angesprochen. ({3}) Herr Kollege Hoss, Sie haben weiter das Problem des Vermeidens angesprochen und gemeint, damit könne man alles lösen. Jetzt muß ich Ihnen das aber wirklich einmal ganz primitiv erklären. ({4}) Um was geht es? Zum Beispiel um Reifen. Herr Kollege Hoss, Sie fahren mit mir ab und zu zum Flughafen. Meinen Sie, dadurch vermeiden Sie den Anfall von Reifen? Herr Kollege Hoss, ich gehe davon aus, daß Sie - wie wir alle - die Toilette benutzen. Meinen Sie, man kommt dann auf diese Art und Weise auf null Klärschlamm? Also, der Kollege Baum hat doch gesagt - und das gilt für uns alle - : Beim Vermeiden sind wir noch lange nicht am Ende. Aber, Herr Kollege Hoss, ich habe Ihnen zwei Beispiele genannt, bei denen Sie nicht bis auf null vermeiden können, sondern bei denen Sie kräftig Dinge produzieren, von denen wir sagen: Das muß am besten thermisch behandelt werden. ({5}) Und dann komme ich zu den Kollegen der SPD. ({6}) - Die Frau Kastner war die erste; die hat gesagt: Hauruck-Verfahren. Also, Frau Kollegin Kastner, seit der Bundesrat uns aufgefordert hat, das Immssionsschutzrecht mit dem Abfallrecht besser zu harmonisieren, wissen wir alle, die sich mit den Dingen ein bißchen beschäftigen, um was es ging. Wir haben uns monatelang unterhalten, und wir haben dann übrigens nur einen - ({7}) - Ja, im Ausschuß nicht immer. Aber wir wissen doch, um was es geht. - Und ich habe noch eine Bitte. ({8}) - Nein, jetzt bleibe ich bei der SPD. Ich habe dort z. B. eine Unterhaltung gehabt. Durch Zufall war ich im Flugzeug stundenlang neben dem SPD-Umweltminister Matthiesen. ({9}) Frau Kollegin Kastner, der hat mich dringend gebeten, bei den Änderungen zum Bundes-Immissionsschutzgesetz dieses von uns jetzt teilweise geregelte ({10}) - nur teilweise - Problem des Abfallgesetzes so zu lösen, wie wir das gemacht haben. ({11}) Das ist ein ganz dringendes Anliegen aus seiner Sicht. Wir haben uns übrigens darüber geeinigt - jetzt rede ich aber nur von der Abfallpolitik, nicht von der ganzen Umweltpolitik -, daß die Abfallpolitik in Bayern - sozusagen unbewußt und ungewollt, aber erfreulicherweise - mit der in Nordrhein-Westfalen voll harmonisiert ist. ({12}) Wir sind beide stolz auf unsere Länder, daß wir nicht zu den Abfallexporteuren gehören; darauf sind wir beide stolz. Frau Kollegin Hartenstein, Sie haben gesagt, es sei ein trauriges Kapitel gewesen, daß wir dem Prüfantrag der SPD nur teilweise entsprochen haben. Also, das spricht ja schon für sich; wir haben wirklich auf Sie reagiert. Ich habe gerade im Protokoll über die Schlußdebatte vom 15. März noch einmal nachgelesen. Der damalige Redner der SPD hat es inhaltlich nicht abgelehnt. Der hat sich ganz vornehm zurückgehalten und gesagt, es gehe ihm nur etwas zu schnell; so steht es hier. Er hat nur das Verfahren kritisiert. ({13}) - Ich kann es gern wörtlich vorlesen. - Kollege Schütz: Den zweiten Antrag der GRÜNEN zum Koalitionsantrag ... unterstützen wir, aber nicht, weil Ihre gesamte Argumentation richtig ist, sondern weil wir nicht einen Prüfauftrag erteilen, gleichzeitig aber, ohne das Ergebnis abzuwarten, einen Teilbereich schon abschließend regeln wollen. ({14}) Auch dieses Vorgehen erscheint uns nicht seriös.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter - Dr. Friedrich ({0}): Also, das Verfahren ist nicht seriös, hat er gesagt, nicht der Inhalt. Was wir gemacht haben, ist die Teilerfüllung dringender Anliegen des SPD-Umweltministers von Nordrhein-Westfalen. Vielen Dank. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Nun kann der Abgeordnete Stahl fünf Minuten reden.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unbestritten ist wohl, daß die Abfallentsorgung in den Städten und Gemeinden in einer mehr als schwierigen Situation ist; sie ist besorgniserregend. Der Bedarf an kompetenter politischer Entscheidung wird also nicht geringer, sondern er steigt von Tag zu Tag. Wir hoffen nun, daß die Novellierung des BImSchG eine kleine Verbesserung und ein positiver Schritt ist, auch wenn wir dem Gesetz nicht zugestimmt haben. Wir meinen, daß dies wenigstens der Ansatz für einen richtigen Weg ist. Wir werden den Prüfauftrag abwarten und werden dann zusätzlich beraten. Es ist aber heute, glaube ich, zunehmend angebracht, einmal die Position der GRÜNEN, wenn es sie überhaupt gibt, in Sachen Abfallentsorgungspolitik aufzuzeigen, ({0}) weil Sie sich hier, Herr Brauer und lieber Kollege Hoss, zum Hohenpriester der Moral aufspielen. Es ist notwendig, das einmal zu beleuchten. Wir sind uns im Bundestag darüber einig, alle Fraktionen, daß Müllexport in andere Länder nicht stattfinden soll und daß die Entsorgung soweit wie möglich vor Ort geschehen soll. Von einigen, allerdings wesentlichen Detailfragen abgesehen, wird also hier im Bundestag dem Prinzip Vorrang eingeräumt, die Abfälle dort zu entsorgen, wo sie tatsächlich entstehen. Natürlich sage auch ich, daß die Bundesregierung in der Abfallvermeidung zuwenig getan hat. Aber das heißt doch natürlich, daß wir in den nächsten Jahrzehnten insgesamt in den Städten und Gemeinden dafür sorgen müssen, daß weiter entsorgt wird. Die vorherrschende Verweigerungshaltung der GRÜNEN im Bundestag in dieser wichtigen Frage der Politik offenbart, daß entweder eine tagträumerhafte Sicht der Fakten vorhanden ist oder daß politischer Opportunismus im Hinblick auf den nächsten Wahltermin wichtiger erscheint als eine realistische Politik, die zu tragen für Sie zu unbequem ist. Es ist mehr als bedenklich, wenn der Bevölkerung durch Sie und Ihre Freunde mit völlig unrealistischen Studien zur Abfallvermeidung, -verminderung, -verwertung und -entsorgung, was die Prozentzahl angeht, der Eindruck vermittelt wird, einige Hochsicherheitsdeponien in der Bundesrepublik könnten das Problem der Abfallentsorgung langfristig tatsächlich lösen. Natürlich werden Deponien, die einen besonderen Sicherheitsstandard aufweisen, weiterhin notwendig sein - das sage ich auch -, ({1}) aber diese von Ihnen geforderte Hochsicherheitsdeponien über viele Jahrzehnte ({2}) sind ja nun wirklich nicht die Lösung des Problems; denn Sie wollen die Abfälle irgendwann wieder rezyklieren. ({3}) Das ist eigentlich Unsinn. - Entschuldigung; ich nehme das Wort lieber nicht in den Mund. Es ist unglaubwürdig, wenn Sie dagegen sind, den Restmüll heute vernünftigerweise zu verbrennen. Das Beispiel Berlin macht doch sehr deutlich, wenn auch bei Sonderabfall, daß eine Entsorgungspolitik, die die Probleme nicht vor Ort löst oder lösen konnte, dieses Problem im Prinzip nur exportiert, wenn auch innerhalb eines Landes oder der Europäischen Gemeinschaft. Wenn diese Entsorgungswege nun, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr funktionieren, kann auch die Versorgung der Menschen und Betriebe dadurch schwer beeinträchtigt werden. Zugegeben: Dieses Dilemma hat nicht die jetzige Umweltsenatorin von Berlin, die der AL angehört, allein oder gar ursächlich zu verantworten; vielmehr ist davon der ehemalige CDU/FDP-geführte Senat, der von diesem Problem wissen mußte, da es ja auch damals schon anstand, mit betroffen. Auch Sie, Herr Schmidbauer, müßten in dieser Sache eigentlich Verantwortung übernehmen, ({4}) und Sie sollten dies nicht so hämisch tun. Insofern haben die CDU und die FDP keinerlei Veranlassung, zu glauben, daß sie aus der Verantwortung entlassen werden. ({5}) Es ist doch um so erstaunlicher, Herr Baum, daß nun diese grün-alternative Senatorin die Sonderabfälle in Nordrhein-Westfalen entsorgen will, gleichzeitig aber die dort ansässigen GRÜNEN die Entsorgungspolitik ebendieser Landesregierung und besonders des Ministers wegen der weitsichtigen Umweltpolitik massiv, aber völlig sachfremd angreifen. Dies haben die GRÜNEN doch heute im Deutschen Bundestag auch wieder vorgeführt. ({6}) Es wirft ein sehr deutliches Licht auf die völlig einseitige, falsche und in ihrem ideologischen Elfenbeinturm gefangene Kritik der GRÜNEN dort und im Bundestag, wenn folgendes zur Kenntnis genommen wird - ich möchte hier noch einmal Herrn Kunz zitieren -

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, würden Sie bitte einmal ein bißchen nach rechts gucken! Da leuchtet nämlich seit einiger Zeit eine rote Lampe. Ein schöner Schlußsatz sei Ihnen aber erlaubt.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. Herr Präsident, ich komme auch zum Ende. - Das ist nämlich ganz symptomatisch. Der Herr Kunz als Landesvorstandsmitglied der GRÜNEN hat vor kurzem einmal sehr selbstkritisch geschrieben: Die sogenannte Verstopfungsstrategie ist keine politisch taugliche Strategie...

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das war ein guter Schlußsatz!

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

..., weil es, wie aufgezeigt, nicht allein ausreicht, den Pfad . . .

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter! ({0})

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

. . . inländischer Entsorgung durch Widerstand ({0}) gegen Müllerverbrennungsanlagen zu verstopfen. - Das sollten Sie sich einmal hinter die Ohren schreiben! ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Harries.

Klaus Harries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000814, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Ihren Diskussionsbeiträgen, meine Damen und Herren von der Fraktion DIE GRÜNEN, haben Sie mal wieder auf dem verkehrten Fuß hurra geschrien, anders ausgedrückt: Sie haben hier einen Buhmann aufgebaut, der überhaupt nicht besteht. Sie kennen bei der ganzen Abfalldebatte nur zwei Vokabeln: „vermeiden" und „verwerten". Die genügen aber nicht, um die bestehenden Probleme zu regeln, sie genügen überhaupt nicht, um die Probleme der Zukunft zu regeln. Sie haben in der letzten Zeit und auch heute wieder einen ganz wichtigen Beitrag mit Ihrem Hinweis geleistet, daß in der Bundesrepublik Deutschland, bei uns, ein Müllnotstand besteht. Sie sind im Grunde der Öffentlichkeit endlich eine Antwort auf die Frage schuldig, wie Sie diesen Müllnotstand - aber nicht durch theoretische Beiträge, nicht durch populistische Beiträge - beseitigen wollen, und zwar ganz konkret und machbar, insbesondere vor dem Hintergrund der Aufgaben, die wir jetzt in ganz Deutschland und auch gegenüber dem Osten zu erfüllen haben; denn dort bestehen nicht nur Umweltprobleme, sondern Umweltkatastrophen, und zwar auch bei der Müllentsorgung. Um diese Fragen gehen Sie immer wieder herum, dazu leisten Sie überhaupt keinen Beitrag. Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, bin ich dankbar, daß Sie nicht nur die Vokabeln „vermeiden" und „verwerten" kennen, sondern sich hier ausdrücklich zum Verbrennen und zur Deponie bekannt haben. Wir kommen gar nicht darum herum, wenn wir - Sie haben es gesagt - für die Städte, Gemeinden und Kreise und für die Industrie die Probleme regeln wollen. Wir haben in der letzten Zeit zwei ganz wichtige Beiträge, die zu diesem Komplex der Abfallbeseitigung gehören, geleistet. Einmal haben wir aufgehört, in der Nordsee zu verklappen und zu verbrennen. ({0}) - Die Bundesrepublik Deutschland durch unsere Beiträge. - Wir haben auch damit aufgehört, Müll in das Ausland, in Länder zu exportieren, die nicht in der Lage sind, zu einer ordnungsgemäßen Verwertung beizutragen. ({1}) Der von Ihnen angegriffene § 4, über den wir heute im Kern zu diskutieren haben, leistet - das gebe ich zu - nur einen kleinen Beitrag zur Entsorgung, aber einen wichtigen und unverzichtbaren Beitrag zu dem Entsorgungsproblem. Er schafft ja keine neuen Kapazitäten. ({2}) Das ist hier wiederholt gesagt worden. Er erleichtert aber eindeutig das Verfahren. Diese Verfahrenserleichterung beseitigt aber die Öffentlichkeitsbeteiligung überhaupt nicht und schränkt auch die sachgerechte Prüfung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz nicht ein, sondern gewährleistet, daß man hier nicht im Hauruckverfahren, wie Sie es gesagt haben, zu Entscheidungen kommt. Hier wird ein kleiner Beitrag zur Beseitigung der Müllprobleme geleistet. Das ist rechtlich zulässig, das ist von der Sache her geboten, und das war politisch nötig, damit wir mit der Bundesrepublik Deutschland unseren Industriestandort sichern, bei dem es Aufgaben und Probleme gibt, und zwar - ich sage es noch einmal - nicht nur bei uns, sondern auch gegenüber dem Osten. Wägen Sie diese Aufgaben und Probleme doch endlich einmal sachgerecht und ohne Polemik ab! Dann wissen Sie, was zu tun ist. Dann müßten Sie erkennen, daß wir ohne Deponie und ohne Verbrennen nicht auskommen und daß der Beitrag bei unserer Debatte über das Bundes-Immissionsschutzgesetz nötig war. Sie hätten in unseren Aussprachen im Ausschuß durchaus begreifen müssen und begreifen können, wohin die Reise geht, was gewollt ist. Offenbar haben Sie nicht zugehört. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Lippold. ({0})

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Schäfer, diesmal trifft es Sie gar nicht so besonders; Sie können ganz beruhigt sein. Aber eine Vorbemerkung erspare ich mir natürlich trotzdem nicht. Herr Stahl hat hier, was sinnvoll ist, für unsere gute Regelung positiv gesprochen, ({0}) Frau Hartenstein hat sie verdammt, und Frau Kastner war dafür wie dagegen, sowohl als auch. Das heißt, die SPD deckt 100 % aller nur denkbaren Bandbreiten ab. ({1}) Dr. Lippold ({2}) Einen vierten Redner könnten Sie gar nicht vorschikken; das würde das Gleichgewicht der Kräfte bei Ihnen einseitig zugunsten einer sich vielleicht entwikkelnden Meinungsbildung forcieren. Das kann nicht sein. ({3}) Aber kommen wir zur Sache selbst. Herr Hoss, ich kann Ihnen natürlich eines nicht vorenthalten. Sie haben in dieser Debatte nicht redlich argumentiert. ({4}) Sie haben aus dem Gesetzestext, wie wir ihn neu geschaffen haben, so weit zitiert, bis die Stelle kam, wo Sie die Beteiligung der Öffentlichkeit hätten zitieren müssen. ({5}) Davor haben Sie abgebrochen, um den Eindruck zu erwecken, als ob die Öffentlichkeit nicht beteiligt würde - so wie Sie auch draußen reden. ({6}) Ich finde, Herr Kollege Hoss: Das ist unredlich. ({7}) Lassen Sie mich ein Zweites hinzufügen, weil Sie von Müllexport gesprochen haben. Es ist ja immer so: Wenn man in der Opposition ist und keine Verantwortung trägt, läßt sich darüber leicht herschwätzen. Aber wer hat denn die Müllexporte in Hessen genehmigt, Herr Kollege Hoss? Er hieß doch Fischer, wenn ich es richtig sehe, seines Zeichens der erste grüne Umweltminister. ({8}) - Herr Hoss, wenn man das schon so macht, dann muß man auch darauf zurückgehen. Jetzt ist gesagt worden: Diese Regierung hat kein Konzept, was Vermeidung angeht. ({9}) Da bitte ich doch mal alle Beteiligten, in das Bundes-Immissionsschutzgesetz zu gucken und den § 5 Abs. 1 Nr. 3 zu lesen, der ausdrücklich die Vermeidung regelt und ermöglicht. Jetzt will ich Ihnen eines sagen: Man muß das natürlich anwenden. ({10}) Man muß das Gesetz nicht nur sehen, sondern auch anwenden. Der hessische Umweltminister erfaßt jetzt katastermäßig die Unternehmen, stellt fest, was für Abfall dort anfällt, und läßt dann durch Neutrale überprüfen, wo hier vermieden werden kann. ({11}) Das ist ein konkretes Konzept, um etwas zu tun. Aber da bitte ich Sie doch: Sagen Sie das mal Herrn Matthiesen weiter! Sagen Sie, Herr Brauer, das doch mal insbesondere nach Berlin, wo jemand große Sprüche macht, aber nicht in dieser konkreten Form wie der hessische Umweltminister einen sinnvollen Beitrag zur Lösung bringt, ({12}) übrigens, Herr Brauer, unter dem Stichwort „Vermeidung" ; damit das klar ist! ({13}) Wie gesagt, Herr Hoss: Man darf das Bundes-Immissionsschutzgesetz nicht nur nehmen; man muß es erstens lesen und zweitens anwenden. Im übrigen, um jetzt auf die Verbrennung zu kommen: Wollen Sie denn, daß z. B. in einem Zementwerk jetzt nicht mehr 60 000 t Abfallreifen verbrannt werden, sondern wollen Sie denn für diese Reifen - nebenbei: auch von GRÜNEN-Autos abgefahren ({14}) eine eigene Reifendeponie ausweisen? ({15}) Und dann, Herr Hoss, kommen Sie und sagen: Wir wollen aber weniger Stoffe, weniger fossiles Erdöl, weniger Kohle verbrennen. Natürlich kann ich die 60 000 t Reifen weglassen und dafür Tausende Tonnen Öl einsetzen. Aber das widerspricht doch genau dem Gedanken der Ressourcenschonung, den Sie überall vertreten, an den Sie sich nur nicht halten. Dann muß man das doch auch, Herr Kollege Hoss, in dieser Form deutlich machen. Lassen Sie mich mit einem Zitat schließen: Wer Müllverbrennung und andere Müllbeseitigungsformen aber dogmatisch ablehnt, wie es im NRW-Programm der GRÜNEN zur Landtagswahl 1990 geschieht, verhindert nicht nur die Erarbeitung eines solchen ökologischen Abfallkonzepts als Alternative zur Politik der Landesregierung, sondern nimmt gewollt oder ungewollt den alarmierenden Müllexport Nordrhein-Westfalens in Länder der Dritten Welt, Ost- und Südeuropas in Kauf. Ein Beispiel für die Tendenz bildet der Export von PCB-haltigen Giftölen aus NRW nach Polen, wo derart hoch belasteter Giftmüll teilweise sogar für den Hausbrand eingesetzt wird. Hierzu schweigen die NRW-GRÜNEN aber vornehm. Auch von Herrn Kunz! Jetzt können Sie natürlich wieder sagen: Er hat es zurückgenommen. Ich wundere mich nur, warum ein GRÜNER zur Rücknahme eines Satzes gezwungen wird, wenn er ausnahmsweise einmal etwas Richtiges sagt. Danke. ({16})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist zu Ende. Nun müssen Sie eine Weile mir zuhören. Vizepräsident Westphal Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt. 1. Aktuelle Stunde: Die Möglichkeit genereller Genehmigungen zur Müllverbrennung durch geplante Änderungen im Abfallrecht 2. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes - Drucksache 11/6790 -3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Daniels ({0}), Stratmann, Frau Teubner, Dr. Knabe und der Fraktion DIE GRÜNEN: Verbot des Neuanschlusses von Stromheizungen - Drucksache 11/6727 -4. Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Lippelt ({1}) und der Fraktion DIE GRÜNEN: Überprüfung und Aufhebung des Soltau-I.üneburg-Abkommens - Drucksache 11/6804 - Zugleich soll mit der Aufsetzung - soweit erforderlich - von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden. Weiterhin ist interfraktionell vereinbart worden, Tagesordnungspunkt 4 e - Sammelübersicht 155 zu Petitionen - abzusetzen. Sind Sie mit dem Vorgetragenen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 und Zusatzpunkt 2 auf: 3. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - Erweiterter Verfall - ({2}) - Drucksache 11/6623 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({3}) Innenausschuß Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Haushaltsausschuß b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung - Drucksache 11/6004 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({4}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit c) Erste Beratung des von der Bunderegierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die neunzehnte Anpassung der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz sowie zur Änderung weiterer sozialrechtlicher Vorschriften ({5}) - Drucksache 11/6760 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({6}) Innenausschuß Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO d) Erste Beratung des von der Bunderegierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Wirtschaftsplan des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1990 ({7}) - Drucksache 11/6740 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({8}) Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß e) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zu einem regionalen Aktionsprogramm auf Initiative der Kommission zur wirtschaftlichen Umstrukturierung der Kohlereviere ({9}) - Drucksache 11/6121 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({10}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß f) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1990 ({11}) - Drucksache 11/6400 - hier: Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung - Drucksache 11/6763 Überweisung: Haushaltsausschuß ZP2 Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes - Drucksache 11/6790 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({12}) Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuß Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 11/6790 soll zusätzlich zur Mitberatung an den Ausschuß für Vizepräsident Westphal innerdeutsche Beziehungen überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Die Überweisungen sind so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 a bis d und f bis h auf: a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({13}) zu dem Antrag des Bundesministers für Wirtschaft Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes" - Wirtschaftsjahr 1987 - Drucksachen 11/3765, 11/6489 Berichterstatter: Abgeordnete Rossmanith Dr. Weng ({14}) Wieczorek ({15}) Kleinert ({16}) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({17}) zu dem Antrag des Bundesministers für Wirtschaft Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes" - Wirtschaftsjahr 1988 - Drucksachen 11/6186, 11/6488 Berichterstatter: Abgeordnete Rossmanith Dr. Weng ({18}) Wieczorek ({19}) Kleinert ({20}) c) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({21}) Sammelübersicht 152 zu Petitionen mit Statistik über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 18. Februar 1987 bis 31. Dezember 1989 eingegangenen Petitionen - Drucksache 11/6615 - d) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({22}) Sammelübersicht 154 zu Petitionen - Drucksache 11/6617 - f) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({23}) Sammelübersicht 156 zu Petitionen - Drucksache 11/6698 - g) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({24}) Sammelübersicht 157 zu Petitionen - Drucksache 11/6699 - h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({25}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Einführung einer zwingend vorgeschriebenen Nährwertkennzeichnung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Vorschriften für die Nährwertkennzeichnung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln - Drucksachen 11/3558 Nr. 3.37, 11/4187 - Berichterstatter: Abgeordneter Eimer ({26}) Es handelt sich um Vorlagen ohne Aussprache, über die abgestimmt werden muß. Zunächst zu den Punkten 4 a und b. Wir stimmen über die Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses auf den Drucksachen 11/6489 und 11/6488 zu Anträgen des Bundesministers für Wirtschaft ab. Wer für die Beschlußempfehlungen stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Ich stelle Einstimmigkeit fest. Die Beschlußempfehlungen sind also angenommen. Zu Punkt 4 c. Wir stimmen über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 11/6615, Sammelübersicht 152, ab. Wer für die Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden. Wir kommen zur Abstimmung über Punkt 4 d, Sammelübersicht 154. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6696 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Es ist die eindeutige Mehrheit auf seiten derjenigen, die dem Änderungsantrag zugestimmt haben. Der Änderungsantrag ist angenommen. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 11/6617 mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mit derselben Mehrheit ist diese Beschlußempfehlung mit der Änderung angenommen worden. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Punkte 4 f und g. Es handelt sich um die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 11/6698 und 11/6699, Sammelübersicht 156 und Sammelübersicht 157. Wer für diese Beschlußempfehlungen stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN und der Fraktion der SPD sind diese Beschlußempfehlungen angenommen. Wir kommen zu Punkt 4 h. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf Drucksache 11/4187 ab, Einführung von Nährwertkennzeichnung für bestimmte Lebensmittel. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung ist diese Beschlußempfehlung angenommen worden. Vizepräsident Westphal Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({27}) - Drucksachen 11/5961, 11/6003 - aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({28}) - Drucksache 11/6747 - Berichterstatter: Abgeordnete Graf von Waldburg-Zeil Frau Odendahl Wetzel bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({29}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 11/6767 Berichterstatterinnen: Abgeordnete Frau Männle Frau Dr. Wegner Frau Seiler-Albring ({30}) b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({31}) - Drucksache 11/5347 - aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({32}) - Drucksache 11/6747 - Berichterstatter: Abgeordnete Graf von Waldburg-Zeil Frau Odendahl Wetzel bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({33}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 11/6766 Berichterstatterinnen: Abgeordnete Frau Männle Frau Dr. Wegner Frau Seiler-Albring ({34}) c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({35}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einer Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 11/1315, 11/2160 Entwurf eines Elften Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({36}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Wetzel, Frau Hillerich und der Fraktion DIE GRÜNEN zur dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 11/1315, 11/2160 Entwurf eines Elften Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({37}) - Drucksachen 11/5348, 11/5524, 11/610, 11/2823, 11/2225, 11/2239, 11/6747 Berichterstatter: Abgeordnete Graf von Waldburg-Zeil Frau Odendahl Wetzel Zu Punkt 5 a liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung 90 Minuten vereinbart worden. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Odendahl.

Doris Odendahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001632, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ankündigung von seiten des Bildungsministers für diese heute zur Abstimmung stehende 12. BAföG-Novelle klang vielversprechend. Eine grundlegende Reform der Ausbildungsförderung wurde versprochen. Festgehalten wird leider auch dieses Mal am altbewährten, zwar etwas verbesserten BAföG-Reparaturbetrieb. Für viele Ihrer Mängelreparaturen hat Ihnen die SPD-Fraktion seit Jahren eine Mängelliste vorgelegt. Ein paar Mängel haben Sie nun endlich zu beheben versucht. Der große Wurf einer Reform ist Ihnen leider nicht gelungen. Deshalb hat die SPD-Fraktion einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, und das auch noch ein bißchen früher. Deshalb rede ich vor dem Herrn Minister, der seinen eigentlich vortragen müßte. ({0}) Das Kernstück einer wirklichen Reform der Ausbildungsförderung, die Wiedereinführung der Förderung für Schülerinnen und Schüler ab Klasse 11, verweigern Sie trotz der Empfehlung des BAföG-Beirats und aller angehörten Sachverständigen auch weiterhin. Repariert haben Sie dabei nur Ihre Argumentation für die Ablehnung; denn zur Begründung des BAföG-Kahlschlags hatte Ihre Regierungskoalition ordnungspolitische Gesichtspunkte bemüht, und auch der Bildungsminister hat diese noch bei der letzten Haushaltsdebatte herangezogen. Er hat dabei das Debakel eines Klempners - Entschuldigung, Herr Kollege Rixe - mit Abitur, der keinen Wasserhahn mehr reparieren könne, an die Wand gemalt. Aufgeschreckt durch die Kritik des BAföG-Beirats und aller Verbände und Organisationen am Regierungsentwurf ist der Bildungsminister dann bei der ersten Lesung des BAföG-Gesetzentwurfes auf finanzpolitische Gründe eingeschwenkt und hat sich bei diesem Eiertanz auch noch auf die Ablehnung durch die Länder berufen. Ich darf Ihnen an dieser Stelle für alle SPD-regierten Länder versichern, daß alle die Schülerförderung für einen unverzichtbaren Bestandteil der Chancengleichheit in der Bildung halten, ({1}) und deshalb der Wiedereinführung des Schüler-BAföG zustimmen werden, ({2}) auch wenn Ihnen das bei der derzeitigen Finanzlage der sich ständig erweiternden Aufgabenstellung nicht leichtgemacht wird. ({3}) - Ich antworte sofort, Graf Waldburg. Im übrigen - weil Sie so oft die fehlende Entscheidungskompetenz des Bundes in Bildungsfragen beklagen, Herr Möllemann ({4}) - so ist es wirklich - : BAföG ist ein Bundesgesetz. Hier können Sie voranreiten; aber statt des Rennpferds sind Sie leider nur der Oxer geblieben. ({5}) Doch zurück zu Ihrem Reparaturbetrieb. Seit langen Jahren ist das durch die unzureichende Anhebung der Elternfreibeträge immer größer gewordene Mittelstandsloch Spitzenreiter der Mängelliste. Hier wurden über lange Zeit Einkommensentwicklungen und -strukturen außer acht gelassen, so daß insbesondere Familien im mittleren Einkommensbereich durch Wegfall der Ausbildungsförderung besonders hart betroffen waren, vor allem wenn sie mehrere Kinder in der Ausbildung hatten. Sie mußten und müssen heute noch die Ausbildung ihrer Kinder aus eigener Kraft finanzieren, ohne in anderen Bereichen bei der Erfüllung dieser Familienaufgabe entlastet zu werden. Der BAföG-Beirat hat auf die Probleme des geltenden Familienlastenausgleichs nicht nur hingewiesen, sondern auch Reformbedürftigkeit in Richtung auf einen einheitlichen Familienlastenausgleich aufgezeigt. Allerdings waren dem BAföG-Beirat bei seiner Aufgabe, Reformvorschläge zu entwickeln, sehr enge Grenzen gesetzt. Deshalb wird das Förderloch in den nun vorliegenden Gesetzentwürfen entsprechend den Beiratsempfehlungen über die Regelung der relativen Freibeträge zwar notdürftig gestopft, kann aber jederzeit wieder aufreißen. Damit haben Sie ein weiteres Versprechen nicht eingehalten; denn nach der Öde des BAföG-Kahlschlags versprach die ehemalige Bildungsministerin Frau Wilms eine Wiedergutmachung über den Familienlastenausgleich. ({6}) Daß Sie nun endlich davon abgehen, die Studierenden, die auf eine Ausbildungsförderung angewiesen sind, mit einem Volldarlehen, das am Ende eines Studiums oft mit rund 50 000 DM Miesen zu Buche schlägt, zu belasten, haben wir ebenfalls seit Jahren auf unserer Mängelliste angemahnt. Die Einführung eines Teilzuschusses von mindestens 50 % halten wir für eine wichtige Verbesserung, desgleichen die Studienabschlußförderung für zwei Semester bei Überschreitung der Förderungshöchstdauer sowie die Verbesserung der Förderung von behinderten Studenten. ({7}) Mit Nachdruck weisen wir Sie an dieser Stelle darauf hin, daß alle Studierenden der letzten sieben Jahre, die nun dank Ihrer Volldarlehensregelung zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn mit einem Schuldenberg von rund 50 000 DM dastehen, ihre Situation zu Recht als große Ungerechtigkeit empfinden. Sie haben schließlich das BAföG-Sparschwein Ihrer Finanzminister finanziert. Eine Reform des BAföG ist innerhalb des Bundesausbildungsförderungsgesetzes durchaus möglich. Dies hat der Beirat in seinem Bericht als die Lösung vorgeschlagen, die am schnellsten und am einfachsten durchzuführen ist. Der Gesetzentwurf der SPD schlägt deshalb Neuformulierungen, Änderungen und Ergänzungen vor, die die genannten Kriterien einschließlich der Darlehensrückzahlung berücksichtigen. Außerdem werden die Bedarfssätze und die Freibeträge angehoben und die vorgesehenen Regelanpassungen berücksichtigt, die zur Bedarfsdeckung notwendig sind. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich dem BAföG-Beirat für seine sorgfältige Untersuchung und die richtungsweisenden Lösungsvorschläge danken. ({8}) Sie wissen, daß die SPD heute auch beantragt, den BAföG-Beirat mit der Überprüfung der Voraussetzungen, der Möglichkeiten und der Bedingungen einer Neugestaltung der Ausbildungsförderung zu beauftragen. Mein Kollege Kastning wird darauf im einzelnen noch eingehen. Die Diskussion über die Förderung des zweiten Bildungsweges hat gezeigt, daß die gymnasiale Oberstufe längst kein Königsweg mehr ist. Der Bundesgerichtshof hat im Sommer 1989 ein Urteil gesprochen, nach dem die Unterhaltspflicht der Eltern nicht mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung des Auszubildenden endet. Eine generelle elternunabhängige Förderung wäre somit nur in Verbindung mit dem geltenden Unterhaltsrecht zu regeln. Sie sollte aber auch angesichts der Regelungen in anderen europäischen Ländern in Angriff genommen werden. ({9}) Aus diesem Grund und um allen Studierenden gleiche Voraussetzungen für den Anspruch auf Förderleistungen nach dem BAföG zu schaffen, werden im Regierungsentwurf und im SPD-Gesetzentwurf die inzwischen wohlbekannten §§ 11 Abs. 3 Nr. 5 und 25a aufgehoben. Dies benachteiligt jedoch einige Gruppen des zweiten Bildungsweges, wie in der Anhörung vor dem Ausschuß für Bildung und Wissenschaft deutlich dargestellt wurde. An Abendgymnasien und Kollegs wird die Hochschulzugangsberechtigung nachgeholt. Dies wird elternunabhängig gefördert. Betroffen vom Wegfall der elternunabhängigen Förderung nach § 11 Abs. 3 Nr. 5 während des daran anschließenden Studiums sind in der Mehrzahl Absolventen und Absolventinnen von Kollegs. Diese sind während des Kollegbesuchs im Gegensatz zu den Abendgymnasiasten nicht berufstätig. So kann es vorkommen, daß die noch bestehenden Voraussetzungen für eine elternunabhängige Förderung während des Studiums nicht erfüllt werden können. Besonders häufig betrifft das junge Frauen. Für ihre Lebensplanung waren Studium und damit der Schulbesuch bis zur Hochschulreife nicht vorgesehen, übrigens oft eine negative Bildungsentscheidung, die mit einer Schülerförderung nicht hätte getroffen werden müssen. So was kommt dann halt von so was. Diese jungen Frauen lernen häufig frauentypische Berufe mit meist nur zweijähriger Ausbildung. Es fehlen also schon entscheidende Anrechnungszeiten. Da dagegen Wehrdienst oder Zivildienst angerechnet wird, fehlen hier Frauen wiederum notwendige Möglichkeiten der Anrechnung. Frauen sind auf Grund kürzerer Ausbildung und fehlender Dienstzeit auch jünger und erreichen somit oft noch nicht einmal die Altersgrenze für eine elternunabhängige Förderung. Die Gründe der Betroffenheit gegenüber anderen Absolventen des zweiten Bildungsweges sind also meist von ihnen nicht selbst zu vertreten. Die Zahl der Betroffenen ist begrenzt und überschaubar. Da sie schon mehrere Jahre lang unabhängig vom Elternhaus leben, ist es außerordentlich problematisch, sie nach elternunabhängiger Förderung während des zweiten Bildungsweges bei Beginn des Studiums wieder in das Elternhaus und an die Kasse der Eltern zurückzuverweisen. Diese Zusammenhänge wurden während der Ausschußanhörung deutlich. Man macht ja Anhörungen, damit man etwas klüger wird. ({10}) Deshalb beantragt die SPD-Fraktion, Absolventinnen und Absolventen an Abendgymnasien und Kollegs auch während des Studiums elternunabhängig zu fördern. ({11}) Das ist die richtige Konsequenz aus unserer letzten Anhörung. Ich bitte Sie, hier im Plenum unserem entsprechenden Änderungsantrag zuzustimmen. ({12}) Eine weitere wichtige Verbesserung ist im SPD-Gesetzentwurf enthalten. Erstmals soll durch den Gesetzentwurf die Vereinbarkeit von Familie und Studium ermöglicht werden. Immerhin haben etwa 6 % der Studierenden Kinder. Wir fordern deshalb, daß der Zeitaufwand für die Pflege und Erziehung von Kindern bis zu zehn Jahren anerkannt wird. Wir freuen uns sehr, daß wir dabei der Bundesregierung auf die Sprünge helfen konnten. Erfreulicherweise ist nach den Beratungen im Bundesrat auch die Bundesregierung bereit, dies in ihrem Entwurf zur 12. BAföG-Novelle zu formulieren, allerdings nur für Kinder bis fünf Jahre. Der Bundesrat hat sechs Jahre vorgeschlagen. Die SPD hat sich deshalb für zehn Jahre entschieden, weil die Bedingungen, ein Kind in Kindergarten, Schule und Tagesstätte unterzubringen, dies noch in der Nähe einer Hochschule und im vollen Bewußtsein, was Sie als Gesetzentwurf beim neuen Jugendhilferecht vorlegen, denkbar schlecht sind und sich auch nicht sonderlich verbessern werden. Ich gebe das hier noch einmal zu bedenken. Wir haben sehr viel Verständnis, daß Sie bei der Aufzählung Ihrer Verbesserungen auch die dazugehörenden Reparaturkosten dieser BAföG-Novelle herausstellen. Aber, meine Damen und Herren, viele Löcher, viele Flicken, viele Kosten. Wir bescheinigen Ihnen gern, daß der über lange Jahre schon zur Routine gewordene Griff in den BAföG-Spartopf nun zum Stillstand gekommen ist. Nicht ganz freiwillig. Denn auf Grund der Entwicklungen in der DDR und in Osteuropa steht eine 13. Novelle schon ins Haus, die wiederum keine Sparnovelle sein kann. Auch diese Entwicklungen sind ein Grund mehr für einen erneuten Auftrag an den BAföG-Beirat. Die jetzt vorgesehene Erhöhung des Finanzansatzes allein wird nicht reichen. Auch die Ergänzung im Gesetzentwurf der Bundesregierung, wonach in einer Rechtsverordnung die Berechnung bei DDR-Bürgern geregelt werden soll, ist nur eine Notlösung. Wie sehr diese Ergänzung aus der Not formuliert wurde, zeigt einmal das geplante rückwirkende Inkrafttreten zum 1. April dieses Jahres. Wir halten es allerdings für notwendig, diese Übergangszeit auf ein Jahr zu befristen. Nachdem der Herr Bundeskanzler sich bei der Währungsunion auf den 1. Juli 1990 festgelegt hatte, kann schon deshalb diese Richtlinienverordnung nur von kurzer Dauer sein, obwohl ich gerne zur Kenntnis genommen habe, daß auch Herr Minister Möllemann bei der Befragung der Bundesregierung heute mittag dieses Datum außerordentlich in Frage gestellt hat. Wir stimmen ausdrücklich mit Ihnen überein, daß es sozial nicht vertretbar ist, Studienpendler aus der DDR durch BAföG-Vorteile zu bevorzugen. Es ist mit Sicherheit schwierig, die Bildungswünsche und das zukünftige Bildungsverhalten der Menschen in der DDR bis ins einzelne zu berechnen und zu planen. Das Streben nach angemessener hochqualifizierter Bildung ist jedoch schon heute klar erkennbar, in der DDR wie auch bei Übersiedlern und Aussiedlern. Auch wenn Daten bisher nicht statistisch erfaßt sind, wenn weiterführende Bildungseinrichtungen, vor allem Hochschulen, in der Bundesrepublik besucht werden, so gibt es doch klare Anhaltspunkte für die Nachfrage nach einer Hochschulausbildung dieser Bevölkerungsgruppen. Allein der Nachholbedarf in der DDR läßt sich über den Anteil Studierender an der Bevölkerung in der DDR im Vergleich zur Bundesrepublik leicht errechnen. Persönliche Lebensplanung, der Wunsch nach zukunftsorientierter beruflicher Tätigkeit, die dann auch entsprechend bezahlt wird, sowie der wirtschaftliche Nachholbedarf in der DDR erfordern auch eine dem europäischen Standard angepaßte Entwicklung der Hochschulausbildung. Wir sollten und müssen also damit rechnen, daß sich die Zahl der Studierenden für das Gebiet der DDR zumindest verdoppeln wird. Hier liegt die große Aufgabe vor uns, diesen Menschen den Zugang zu einer Hochschulbildung über die Erweiterung der Studienmöglichkeiten in der DDR zu ermöglichen und die Auswirkungen auf die Bundesrepublik schon heute mit in unsere Überlegungen einzubeziehen. Dabei müssen wir uns gleichzeitig auch mit der Frage der Ausbildungsförderung befassen, denn auch in der DDR ist das Einkommen der Familien unterschiedlich hoch. Auch dort sollte niemand durch das zu niedrige Familieneinkommen an einer guten Ausbildung gehindert werden. In der DDR gibt es Ausbildungsförderung. Sie ist anders gestaltet als unser BAföG. Die Ausbildungsförderung in der DDR war bisher, was die Befriedigung der Grundbedürfnisse der Studierenden, Lebensunterhalt und Wohnen, anbelangt, gerade ausreichend und nur für einen von staatlicher Seite ausgewählten überschaubaren Personenkreis gedacht. Mit der angestrebten Änderung der Lebensverhältnisse in der DDR wird der bisherigen Ausbildungsförderung die Basis entzogen. Auch hier müssen wir gemeinsam zu grundlegenden neuen Überlegungen kommen. In einem Punkt hätten Sie die Reparaturkosten etwas preisgünstiger gestalten können. Wir fordern erneut den Verzicht auf den allseits ungeliebten Darlehensteilerlaß. Wir haben Ihnen einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Das ist ein Vorschlag, den die Länder gerne aufgreifen werden, denn der Darlehensteilerlaß hat Mehrkosten für die Länder zur Folge, den Hochschulen macht er mehr Arbeit. Die SPD-Fraktion hat den Darlehensteilerlaß seit langen Jahren auf ihrer Mängelliste, denn Leistungsprämien können nun einmal nicht Bestandteil eines Sozialgesetzes sein. Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal ausdrücklich betonen: Das BAföG ist ein Sozialgesetz. Dies war bei der Einführung der Ausbildungsförderung die einheitliche Meinung des Deutschen Bundestages. Deshalb sind wir in der SPD-Fraktion außerordentlich enttäuscht darüber, daß das Schüler-BAföG nach dem Votum des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft und entsprechend den Mehrheitsverhältnissen in diesem Haus heute erneut verweigert wird. ({13}) Für die Kolleginnen und Kollegen in der FDP-Fraktion, die über lange Jahre ebenfalls für Chancengleichheit in der Bildung und damit für die Schülerförderung eingetreten waren, bedeutet die heutige Verweigerung durch diese Regierungskoalition einen traurigen Verzicht. Sie haben sich einst als das Flaggschiff der Bildungspolitik gefühlt. ({14}) Ihr eigener Minister trägt dazu bei, daß nur noch eine müde Fregatte übriggeblieben ist. ({15}) An Ihnen allen, meine Damen und Herren, liegt es heute, das Reparaturwerk doch noch zu einer wirklichen, nach vorne weisenden Reform zu machen und der Schülerförderung ab Klasse 11 zuzustimmen. Sie würden damit vielen jungen Menschen Bildungswege öffnen, die ihnen sonst verschlossen blieben. Ich danke Ihnen. ({16})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun erteile ich dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Jürgen Möllemann, das Wort. ({0})

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Diese Frage kann sich an sich doch jeder Penner beantworten. ({0}) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das BAföG 1990, das die Studienfinanzierung und die Schülerförderung für einen erheblich erweiterten Kreis von Berechtigten auf eine neue Grundlage stellt, ist eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Verbesserung unseres Bildungswesens. ({1}) Es ist Bestandteil der von mir eingeleiteten grundsätzlichen Kurskorrektur in der Bildungs- und Wissenschaftspolitik. Über 400 000 junge Menschen werden schon vom Herbst dieses Jahres an verbesserte Förderungsleistungen erhalten. Ab dem Wintersemester 1990/91 sollen Studierende Ausbildungsförderung bis zu 890 DM im Monat erhalten, die sie im Unterschied zum geltenden Recht nicht mehr in voller Höhe, sondern nur noch bis zu Hälfte zurückzahlen müssen. Studierende, die bisher keine BAföG-Leistungen bekamen, weil sie Familien mit mittlerem Einkommen entstammen, werden neu in den Kreis der Förderungsberechtigten aufgenommen. ({2}) Bereits in diesem Jahr werden dies 70 000 sein. Insgesamt wird die Zahl der BAföG-Empfänger mit Beginn des neuen Schul- und Studienjahres um nicht weniger als 30 % ansteigen, nämlich von derzeit 328 000 auf dann 428 000 Geförderte. Bund und Länder werden für die Ausbildungsförderung 1991 rund 3 Milliarden DM aufwenden. Das sind rund 650 Millionen DM mehr als nach geltendem Recht. Mit diesem Geld werden wesentliche Verbesserungen der Ausbildungsförderung verwirklicht. Ich will sie kurz nennen: Erstens. Die Ausbildungsförderung der Studierenden wird künftig nicht mehr als Volldarlehen, sondern zu 50 % als Zuschuß gewährt. Zweitens. Die Einkommensgrenzen, bis zu denen BAföG gezahlt wird, werden erheblich angehoben. Beispielsweise durfte eine Familie mit einem auswärts studierenden Kind bislang nicht mehr als 4 800 DM brutto verdienen. Bei höherem Verdienst fiel das Kind aus der Förderung heraus. Künftig wird die BAföG-Grenze in diesem Beispielsfall bei 6 200 DM liegen. Da kann ja wohl keiner davon reden, daß dies eine asoziale Größenordnung sei, eine unsoziale Politik. Das ist ja wohl unangemessen. ({3}) Eine solche Familie, die bei einem Bruttoeinkommen von 4 800 DM bislang keine BAföG-Ansprüche hatte, erhält in Zukunft pro Monat immerhin 324 DM, und zwar zur Hälfte als Zuschuß. Drittens. Vielen Studentinnen und Studenten gelingt es auch wegen der Überfüllung der Hochschulen und der unzureichenden Studien- und Prüfungsbedingungen derzeit nicht, ihr Examen innerhalb der Förderungshöchstdauer des BAföG abzuschließen. Damit diese Studierenden nicht ausgerechnet in der Examensphase darauf angewiesen sind, nebenher arbeiten zu gehen, sollen sie künftig zwei Semester länger gefördert werden. Viertens. Die Bedarfssätze und Einkommensfreibeträge werden zum Herbst um durchschnittlich 3 % angehoben. Einschließlich der möglichen Zuschläge - monatlich - , insbesondere des erhöhten Krankenversicherungszuschlages, steigt damit der Förderungshöchstsatz von derzeit 845 DM um 5,3 % auf 890 DM monatlich an. Fünftens. Die Pflege und Erziehung eines Kindes bis zum Alter von fünf Jahren sollen künftig bei der Bemessung der Förderungsdauer berücksichtigt werden, und zwar durch eine Verlängerung der Förderung über die Förderungshöchstdauer hinaus um bis zu drei Semester. Sechstens. Der leistungsabhängige Darlehensteilerlaß, also der Verzicht des Staates auf die Rückzahlung eines Teils des Darlehens, für die 30 % mit den besten Prüfungsergebnissen wird um eine Zeitkomponente ergänzt. Künftig wird dieser Erlaß dann gewährt, wenn die Ausbildung spätestens ein Jahr nach dem Ende der Förderungshöchstdauer abgeschlossen wird. Ich finde es sehr vernünftig, daß man sagt: Derjenige, der ein gutes Ergebnis bringt und der auch nur maximal ein Jahr länger studiert hat, als er eigentlich sollte, braucht nicht so viel zurückzuzahlen. Das ist eine Belohnung für eine besondere Leistung. Das finde ich in Ordnung. ({4}) Siebtens. Für behinderte Studierende werden sich die Förderungs- und Rückzahlungsbedingungen verbessern. Wer durch eine Behinderung länger studieren muß als eigentlich vorgesehen, erhält nach Ablauf der Förderungshöchstdauer BAföG zu 100 % als Zuschuß. Behinderungsbedingte Mehraufwendungen sollen zukünftig auch im Bereich der Darlehensrückzahlung angemessen berücksichtigt werden. Achtens. Der Regierungsentwurf und der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion sahen übereinstimmend vor, die Förderung während einer Zweitausbildung stärker als bisher von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Familien abhängig zu machen, und zwar in dem Maße, das sich auf Grund der Veränderungen im Bildungsverhalten als notwendig erwiesen hat. So wird z. B. ein Student, der nach dem Abitur zunächst eine Lehre absolviert hat, im anschließenden Studium im Grundsatz nicht mehr elternunabhängig, sondern abhängig vom Einkommen der Eltern gefördert werden. Die gegenwärtige Schlechterstellung der leistungsstarken Auszubildenden, die nur elternabhängig gefördert werden, gegenüber leistungsschwächeren Auszubildenden, die mangels eines Unterhaltsanspruchs gegenüber den Eltern derzeit in einer Zweitausbildung stets elternunabhängig gefördert werden, wird durch die vorgesehene Einschränkung der elternunabhängigen Förderung beseitig. Junge Männer und Frauen, die nach einem mittleren Bildungsabschluß und einer Lehre ein Abendgymnasium oder ein Kolleg besuchen, erhalten auch künftig unabhängig vom Einkommen der Eltern Leistungen nach dem BAföG. Zu keinem Zeitpunkt ist daran gedacht worden, diese „Abitur-Nachholphase" des zweiten Bildungsweges aus der elternunabhängigen Förderung herauszunehmen. Nun hat, abweichend von ihrem eigenen Gesetzentwurf und dem Regierungsentwurf, die SPD-Fraktion in den Beratungen der Ausschüsse die Forderung nach einer grundsätzlich elternunabhängigen Förderung der Absolventen des Abendgymnasiums und des Kollegs auch in einem anschließenden Studium erhoben. Eine solche Privilegierung gegenüber jungen Menschen, ({5}) die zunächst das Abitur ablegen, dann erst eine Lehre absolvieren, um anschließend zu studieren, ist jedoch im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zulässig. Es kann doch nicht, meine Kolleginnen und Kollegen, Ihr Ziel sein, Kindern wohlhabender Eltern, die oberhalb der Einkommengrenzen liegen, von denen ich gerade sprach, z. B. Kindern von Abgeordneten oder Ministern, nicht nur in der besonders gelagerten „Abitur-Nachholphase", sondern auch noch in einem anschließenden Studium eine elternunabhängige Vollförderung zu gewähren. ({6}) - Es müssen nicht Abgeordnete und Minister sein. Ich meinte nur Menschen in dieser Einkommensgrößenordnung. Ich finde, daß es nicht in Ordnung ist, dem Arbeitnehmer mit 2 500 DM Einkommen, dessen Kind nicht studiert, abzuverlangen, mit seinen Steuern BAföG für Kinder von Leuten zu bezahlen, die 10 000 DM und mehr im Monat verdienen. Das kommt nicht in Frage. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Dies, Herr Minister, veranlaßt den Abgeordneten Kuhlwein zu einer Zwischenfrage. Gestatten Sie das?

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Das erfüllt mich wirklich mit Wohlgefallen. Auf denn!

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, in Ihrer Logik müßten Sie dann aber auch so weit gehen, daß Sie den Kindern von Bundestagsabgeordneten auch für die Zeit der Abiturnachholphase das BAföG streichen.

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Nein. Das ist ja der von uns gemeinsam so bezeichnete zweite Bildungsweg. Aber das Studium ist kein zweiter Bildungsweg. Das ist die Qualifikation auf dem zweiten Weg für das Studium, und im Studium sollen sie dann gleichbehandelt werden. Im übrigen: Das war doch auch das Argument Ihres eigenen Gesetzentwurfs. So absurd kann das ja nicht gewesen sein, bis vor 14 Tagen. ({0}) - Es könnte sein, daß Sie im Blick auf ein bestimmtes Datum weitergedacht haben. Bis vor kurzem noch haben Sie mir bestätigt, Sie seien meiner Meinung. Es bringt nichts; wir sind dann jetzt eben unterschiedlicher Meinung. Neuntens. Die Förderung von Schülern nach dem BAföG wird in folgenden Bereichen ausgeweitet. Zum einen werden Schüler von Berufsaufbauschulen und Fachoberschulen, die eine abgeschlossene Berufsausbildung voraussetzen, d. h. Schüler des zweiten Bildungsweges, der zu den Fachhochschulen führt, wieder generell in die Förderung aufgenommen. Das ist logisch; es geht um den zweiten Bildungsweg. Zum anderen betrifft die Ausweitung der Förderung Schüler von Fach- und Berufsfachschulklassen, die zu einem berufsqualifizierenden Abschluß führen. Ihre Berufsausbildung soll ebenso förderungsfähig sein wie die Berufsausbildung an Fachhochschulen und Universitäten. Unverändert in der Zuständigkeit der Länder soll dagegen die Förderung der bei ihren Eltern wohnenden Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Oberstufe bleiben. Die Länder haben in diesem Bereich Härtefallregelungen geschaffen, die in schwierigen Situationen Familien die Möglichkeit geben, Ausbildungsförderung zu erhalten. Die SPD hat sich dafür ausgesprochen, auch diese Schüler in die Förderung nach dem BAföG aufzunehmen. ({1}) Die Bundesregierung ist nicht aus grundsätzlichen Erwägungen gegen diesen Vorschlag. Die Aufnahme einer allgemeinen Schülerförderung ab Klasse 11 in das BAföG würde aber die vorgesehenen Mehrausgaben für die Ausbildungsförderung um weitere 350 Millionen DM auf über 1 Milliarde DM jährlich erhöhen. Angesichts des unbestreitbar - in diesen Tagen und Wochen wissen wir es nun wirklich - begrenzten finanzpolitischen Spielraumes und im Hinblick auf die großen Probleme im Hochschulbereich, die vorrangig gelöst werden müssen, hat sich die Bundesregierung im Oktober letzten Jahres gegen eine Realisierung des Vorschlages zum gegenwärtigen Zeitpunkt, d. h. im Rahmen der jetzt anstehenden BAföG-Novelle, ausgesprochen. ({2}) - Nein, das kann man so nun wirklich nicht sagen, Herr Kollege Wetzel. Dieses Argument ist für sich genommen einfach richtig und von mir auch so vorgetragen worden. ({3}) Ich habe im Ausschuß - darauf spielen Sie hier an - in Zweifel gezogen, ob die derzeitige Regelung, nach der die Länder BAföG nur in Härtefällen an besonders bedürftige Familien zahlen, tatsächlich dazu beitrage, daß insgesamt eine zu geringe Zahl von Jungen und Mädchen aufs Gymnasium gehe. Davon kann angesichts der realen Situation kaum geredet werden. Ein solcher Hinweis ist etwas anderes als die von Ihnen unterstellte Behauptung, man könne grundsätzlich nicht auch ein Schüler-BAföG akzeptieren. Man muß abwägen: Was ist finanzierbar? Wo liegt die Priorität? Ich finde, daß das BAföG, so wie wir es vorgelegt haben, den Begriff „Reformgesetz" verdient. ({4}) Wir dokumentieren damit, daß wir in Bildung investieren. Köpfe sind das Kapital, in das es zu investieren gilt. Das ist unser Leitmotiv. Ich möchte dem Beirat für Ausbildungsförderungsfragen und seinem Vorsitzenden, Professor Dahms, sehr herzlich - ebenso wie meine Vorrednerin - für die Beratung, die geleistet worden ist, danken. In weiten Teilen konnten wir auf den Empfehlungen aufbauen. In einigen Aspekten hat sich das Gesetz von den Empfehlungen unterschieden. Aber es gibt nirgendwo ein Gesetz, bei dem die Empfehlungen eines Beratungsgremiums vom Parlament nur noch nachvollzogen werden müssen. Ein bißchen haben wir unseren eigenen Kopf schon noch einzusetzen und auch unsere Möglichkeiten zu berücksichtigen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Minister, eben diese Vorrednerin möchte eine Zwischenfrage stellen.

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Wohlan denn! Wollen wir uns über Fregatten oder Oxer unterhalten?

Doris Odendahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001632, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da Sie von beidem offenbar etwas verstehen - das hatte ich in Zusammenhang mit Ihrer Politik gebracht - , können wir das später tun. Ich habe eine ganz andere Frage. Sie sind meinen Erwartungen voll nachgekommen. Sie haben hier kurz über die BAföG-Finanzmasse geredet. Könnten Sie in diesem Zusammenhang auch vortragen, wie hoch der Darlehensrückfluß für BAföG im Jahre 1989 war? Wären Sie bereit, diese Zahl den Kosten des Schüler-BAföG gegenüberzustellen, weil dies ja eine interessante Gegenüberstellung wäre? ({0})

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Ich habe mir gedacht, daß nach irgendeiner Zahl gefragt würde, die ich dann nicht präsent habe. Ich weiß wohl, daß es, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, etwas mehr als 400 Millionen DM sind. Stimmt das? ({0}) - 420 Millionen DM sagt mir Kollege Wetzel hilfreich. Ich wußte das im Moment nicht auswendig. Diese 420 Millionen DM fließen aus den Darlehenszahlungen in den Haushalt zurück - das ist übrigens nicht neu; das ist dieses Jahr nicht plötzlich so - und werden mit eingestellt. Das ist richtig. Ich wollte mich, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dafür bedanken, daß es möglich gewesen ist, dieses Gesetz so zügig zu beraten. Es kann jetzt zum 1. Juli in Kraft treten. Ich hoffe sehr, daß auch die abschließende Behandlung dieses Gesetzes im Bundesrat einem Inkrafttreten zum 1. Juli nicht entgegensteht. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Wetzel.

Dietrich Wetzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002492, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Irgendwie hat diese Debatte zum 12. BAföG-Änderungsgesetz, so ernst sie geführt wird, auch ein Stückchen mit Schnee von gestern zu tun. Ich meine das ganz und gar nicht bösartig. Ich denke vielmehr, daß sich die Tagesordnung von Politik seit dem vergangenen Herbst doch erheblich verändert hat, und zwar seit der friedlich-demokratischen Revolutionierung in der DDR, und daß heute alle Politikbereiche neu, unter dem Blickwinkel der deutsch-deutschen Einigung gesehen werden müssen. So meine ich das, wenn ich davon spreche, daß eine Gesetzesnovelle, die über Monate in Arbeit war, jetzt plötzlich dem Stand der Aktualität gar nicht mehr gerecht werden kann; das meine ich ohne jede „rancune", ohne jeden Vorwurf an irgendwen. Diese Veränderung der Tagesordnung gilt ganz sicher auch für die Bildungspolitik und damit auch für die Ausbildungsförderung. Deswegen möchte ich meinen Beitrag in zwei Teile gliedern: Im ersten Teil möchte ich, soweit mir das in der Kürze der Zeit überhaupt möglich ist, um Unterstützung für die Veränderungsvorschläge der GRÜNEN zum BAföG-Gesetz werben. Im zweiten Teil geht es mir im Zuge der deutsch-deutschen Annäherung um eine - sicherlich vorläufige - Erörterung von Maßnahmen zur Ausbildungsförderung, die den Rahmen dieses Gesetzentwurfs zum BAföG notwendigerweise überschreiten. Zunächst zum Gesetz selbst: Ich fasse den Großteil unserer Änderungsvorschläge zu elf Leitsätzen zusammen: Erstens. Die Kosten einer wissenschaftlichen Ausbildung privilegieren auf demokratisch und sozial unerträgliche Weise die Kinder aus einkommenstarken Familien. ({0}) Kinder beispielsweise aus Arbeiterfamilien sind dagegen extrem unterrepräsentiert. - Graf Waldburg, wenn Sie Einwände erheben, müssen Sie mir einmal genauer erklären, woher die Tatsache kommt, daß Arbeiterkinder abweichend vom Bevölkerungsanteil an den Hochschulen nur mit 6 % vertreten sind; das müssen Sie mir einmal erklären. ({1}) Wir ziehen daraus die Schlußfolgerung - sie läßt sich durch Untersuchungen recht gut belegen - , daß die Wiedereinführung des Schüler- und Schülerinnen-BAföG ein entscheidender Schritt zur Verbesserung der Zugangsmöglichkeiten von Kindern aus niedrigeren Einkommensschichten an die Hochschulen darstellen würde. Das ist unsere Auffassung. ({2}) Wir können sie gut belegen. Wenn jemand Einwände erhebt, stelle ich mich jederzeit einer Debatte. Zweitens. Die beruflichen Startchancen für BAföG-Empfänger dürfen gegenüber denen der anderen Studierenden nicht durch Rückzahlungsverpflichtungen geschmälert werden. Deshalb fordern wir GRÜNEN eine Umstellung der Ausbildungsförderung auf Vollzuschuß. Drittens. Die Höhe des BAföG ist den realen Kosten des Studiums anzugleichen. Daß inzwischen 52 % der Studierenden auch während der Semester einer Erwerbstätigkeit nachgehen, hat sicherlich nicht nur mit luxuriösen Bedürfnissen dieser Studierenden zu tun, sondern einfach mit Notlage. Das verlängert die Studienzeiten etc. Deswegen ist eine Angleichung an die realen Kosten durchaus vernünftig und angemessen. Viertens. Wir verlangen eine Erhöhung der Ehegatten- und Elternfreibeträge und dies nicht zuletzt, um Kindern aus den mittleren Einkommensgruppen eine freiere Studienentscheidung zu ermöglichen. Fünftens. Studierende sind erwachsene Menschen mit eigener Lebensplanung und eigenem Lebenszuschnitt. Wir möchten daher eine Ausweitung der elternunabhängigen Förderung erreichen. Sechstens. Die miserablen Studienbedingungen dürfen nicht auf Kosten der ärmeren Studierenden gehen. Wir verlangen daher eine Anpassung der Förderungshöchstdauer an die durchschnittliche Fachstudiendauer. ({3}) - Ich persönlich bin durchaus Anhänger des Theorems: vom Stipendium zur Rente. Dann hätte ich es ein bißchen leichter gehabt. Aber das ist wohl nicht unbedingt eine hier zu vertretende Position. Aber die Förderungshöchstdauer an die durchschnittliche Fachstudiendauer anzupassen ist, glaube ich, ein sehr vernünftiger Vorschlag. Jedenfalls entlastet er die Studierenden von Notlagen, für die sie nicht selber verantwortlich zu machen sind. Siebtens. Zusätzlich Belastete, nämlich Behinderte und Erziehende, sollen eine Förderungsverlängerung erhalten. Achtens. Die Altersgrenze für die Ausbildungsförderung muß angehoben werden, damit der Zeitpunkt eines Studiums je nach Lebensplanung freier gewählt werden kann. Dies trifft insbesondere Frauen, die es vorgezogen haben, sich erst einmal um ihre Kinder zu kümmern. Neuntens. Wir wollen, daß alle Ausländerinnen und Ausländer, insbesondere die Bildungsinländer, nach BAföG gefördert werden können, sofern ihr Aufenthalt in der Bundesrepublik nicht lediglich auf der Durchführung der Ausbildung beruht. Zehntens. Eine grundlegende Reform des BAföG und dessen Integration in eine umfassende Sozialgesetzgebung stehen aus. Als Einstieg in ein allgemeines Konzept bedarfsorientierter Grundsicherung schlagen wir die Einführung eines Ausbildungssokkelbetrages vor. Elftens. In unseren Änderungsvorschlägen verlangen wir eine soziale Gestaltung der Darlehensrückzahlung. Meine Damen und Herren, mit dem deutsch-deutschen Einigungsprozeß kommen auf den Bund bekanntermaßen gewaltige finanzielle Belastungen zu. Es ist ganz klar, daß diese neuen Anforderungen berücksichtigt werden müssen, wenn neue, kostenwirksame Gesetze verabschiedet werden sollen. Das ist nichts anderes als ein Gebot verantwortbarer Haushaltspolitik. Aber, meine Damen und Herren, die erforderlichen Investitionskosten für den Neuaufbau der heutigen DDR dürfen nicht dadurch gedeckt werden, daß irreparable Löcher in ein künftig gesamtdeutsches Hochschulsystem gerissen werden. ({4}) Niemand von Ihnen wird bestreiten, daß breite wissenschaftliche Qualifikation zu den zentralen Elementen der Infrastruktur einer modernen Gesellschaft zählt. Wir haben morgen den 29. März, und bildungspolitisch sollte das ein besonderer Tag werden. Morgen wollten sich eigentlich die Regierungschefs von Bund und Ländern zu einem weiteren Bildungsgipfel treffen. Das von Herrn Möllemann vollmundig angekündigte 6-Milliarden-DM-Programm für die nächsten zehn Jahre zum personellen Ausbau der Hochschulen sollte verabschiedet werden. Aber aus dem Sonderprogramm zur Korrektur bildungspolitischer Unterlassungen wird wieder nichts. ({5}) Der Bildungsgipfel ist abgesagt worden, der Termin für einen neuen ist noch nicht einmal vereinbart worden. Um den Kollegen Kastning mit einem Zwischenruf von vorhin zu zitieren: Das ist wirklich ein Trauerspiel. ({6}) Weil es so eben am bequemsten ist und weil keine organisierten Interessen dagegenstehen, werden die Hochschulen zu den Sparschweinen der Deutschlandpolitik gemacht. ({7}) Dabei läge - Herr Möllemann, ich glaube, ich finde darin bei Ihnen sogar einige Zustimmung - eine Stärkung des Hochschulsystems durchaus im Interesse des deutsch-deutschen Einigungsprozesses. Die Ost-West-Kooperation im wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und vor allem im ökologischen Bereich setzt funktionsfähige Hochschulen voraus. Auch die sogenannte Studentenwelle aus der DDR wäre geradezu ein Klacks, wenn die westdeutschen Hochschulen personell und materiell besser ausgestattet wären.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Wetzel, dies veranlaßt Herrn Abgeordneten Dr. Lammert zu einer Zwischenfrage.

Dietrich Wetzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002492, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr gern!

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr, Herr Abgeordneter.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wetzel, Sie hatten freundlicherweise im Einleitungssatz Ihrer Rede in bezug auf das Gesetz, das wir hier heute verabschieden wollen, zutreffend bemerkt, es sei durch die aktuellen Entwicklungen, die im Beratungsprozeß noch gar nicht hätten berücksichtigt werden können, schon zu einem erheblichen Teil überholt worden. Würden Sie freundlicherweise dieses Argument auch für den Zusammenhang gelten lassen, den Sie gerade kritisch angesprochen haben, nämlich daß wir bei der Beratung über weitreichende Absichten für den Hochschulbereich nun, wo die Beratungen noch nicht abgeschlossen sind, gemeinsam gut daran tun, das mit einzubeziehen, was sich an neuen Herausforderungen sachlicher und finanzieller Art durch die Entwicklung in der DDR an Aufgabenstellung ergibt?

Dietrich Wetzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002492, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär Lammert, ich kann Ihnen leider - so gern ich es auch täte - überhaupt nicht zustimmen. ({0}) Denn an der Tatsache, daß wir zu Beginn des Sommersemesters 1,6 Millionen Studierende auf gerade 800 000 Studienplätzen haben werden, ändert keine Deutschlandpolitik etwas, sondern daran kann nur eine konkrete Gegensteuerungspolitik der Bundesregierung etwas ändern. Die ist einzuklagen, und die wäre auch von dem Bildungsgipfel einzuklagen gewesen. ({1}) Meine Damen und Herren, ich habe - ({2}) - Fertig?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, Sie können fortfahren.

Dietrich Wetzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002492, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren, ich habe die Studentenwelle aus der DDR angesprochen. Herr Möllemann und seine Länderkollegen warnen ja davor und kündigen laufend Maßnahmen an, um diese Welle zu begrenzen. Das geht von der Nichtanerkennung des DDR-Abiturs über die Reduzierung der BAföG-Sätze bei Pendlern bis hin zur Quotenregelung in Berlin. Dabei ist es richtig, daß die Hochschulen der DDR nicht ausgetrocknet werden dürfen. Es muß verhindert werden, daß die Studierwilligen ihrer jeweiligen Heimatregion für immer den Rücken kehren. Im Gesundheitswesen erleben wir ja gegenwärtig, was passiert, wenn in hoher Zahl Fachkräfte nach Westdeutschland übersiedeln. Es ist auch richtig, dafür zu sorgen, daß die jungen Frauen und Männer aus der DDR mit Abitur unter gleichen Wettbewerbsbedingungen um knappe Studienplätze konkurrieren müssen wie die Abiturienten aus der Bundesrepublik. Wenn der politisch aufgebesserte Notendurchschnitt von DDR-Abiturzeugnissen westdeutsche Abiturienten benachteiligt, dann muß diese Benachteiligung etwa in der Art der Berliner Quotenregelung ausgeglichen werden. Aber, meine Damen und Herren, alle diese Maßnahmen bilden nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite stehen Zehntausende von Studenten und Hochschulabsolventen aus der DDR, die unter dem Gesichtspunkt des deutsch-deutschen Einigungsprozesses entweder fehlqualifiziert oder aber einseitig qualifiziert sind. Sie bilden ein Heer von potentiell arbeitslosen Akademikern. Diesen Generationen, die ja nicht aus eigener Schuld um eine vernünftige wissenschaftliche Ausbildung betrogen wurden, kann man nicht mit einigen Dutzend Austauschoder Gastprofessuren kommen; diese Bevölkerungsgruppe droht bei neuen hochschuladministrativen Hürden zwischen Ost und West unter die Räder zu kommen. Für die erforderlichen Förderungsmaßnahmen reichen die 50 Millionen DM, die Herr Möllemann im Nachtragshaushalt für dieses Jahr zur Verfügung gestellt bekam, gewiß bei weitem nicht aus. 100 Millionen DM kostet nach unseren Rechnungen für das Anfangsjahr allein eine gezielte Förderung des Studentaustauschs und eine gezielte Postgraduiertenförderung. „Gezielt" bedeutet hier wohlgemerkt, wegen Fehlqualifikation drohende Deklassierung zu verhindern. Und weitere 60 Millionen DM für ein Jahr kostet der erforderliche Austausch von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern aus Professorenschaft und Mittelbau. Meine Damen und Herren, da hilft es nicht, billige populistische Sprüche über Studentenwellen aus der DDR zu klopfen und neue Bildungsmauern zu errichten; statt dessen muß den betroffenen Studentengenerationen geholfen werden, damit sie nicht durch das soziale Sieb des deutsch-deutschen Einigungsprozesses hindurchfallen. Ausbildungsförderung hat hier eine neue, über BAföG hinausgehende vordringliche Aufgabe. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat Graf von Waldburg-Zeil.

Alois Waldburg-Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002413, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Vorredner, Herr Wetzel, hat einen Zwischenruf von mir vielleicht mißverstanden. Ich habe mich nicht gegen die Aussage gewandt, daß es heute im Bildungswesen noch Unterrepräsentationen von Schichten gibt. Dazu habe ich gar nichts gesagt. Aber BAföG ist das Instrument, um diese Unterrepräsentationen abzubauen; es ist nicht ihre Ursache. ({0}) Dies deutlich zu machen war mein Anliegen. ({1}) Ich möchte gleich auf die Anträge zu sprechen kommen, die Sie eingebracht haben. Hier ist ja alles Denkbare und Wünschenswerte aufgelistet, und wenn ich es recht sehe, entstünden dadurch 4 Milliarden DM Mehrkosten. Dies ist bei den harten Realitäten der Haushaltswirklichkeit nicht zu machen und wird deshalb von uns nachher auch abgelehnt werden. Ich denke, wir müssen zum Realisierbaren und zur Realität zurückkehren, und so möchte ich denn bei der anstehenden Beratung der 12. BAföG-Novelle noch einmal kurz auf die Schwerpunkte der Novelle eingehen, Änderungen besprechen, die im Ausschuß eine besondere Rolle spielten, und schließlich Problemtendenzen aufzeigen, die sich für spätere Novellen abzeichnen. Bei den Schwerpunkten ist zu allererst die Beseitigung des sogenannten Mittelstandslochs zu nennen. ({2}) Bei der 7. BAföG-Novelle im Jahre 1981 wurde bestimmt, daß die 10 % des relativen Freibetrags, die pro Kind angerechnet werden, gedeckelt werden sollten. Wohl auf Grund dieser Deckelung im Jahre 1981 - bei einer anderen Koalition - kam es zu einer Situation, die anläßlich der Beratungen des 10. BAföG-Änderungsgesetzes am 15. Mai 1986 vom Deutschen Bundestag in einer Entschließung folgendermaßen umschrieben wurde - ich zitiere - : Die Ausbildungskosten können heute oftmals von Familien mit mittleren Einkommen, deren Kinder Förderungsleistungen nur noch in geringer Höhe oder überhaupt nicht erhalten, insbesondere dann, wenn sich mehrere Kinder gleichzeitig in der Ausbildung befinden, nicht oder unter nahezu unzumutbarer Absenkung ihres Lebensstandards aufgebracht werden. Zusätzlich betroffen sind die Familien in dieser Einkommensschicht dadurch, daß sie in der Regel jede staatliche soziale Transfer-Leistung knapp verfehlen. Nach der spürbaren und regelmäßigen Verbesserung des BAföG in der 10. Legislaturperiode müssen nunmehr in einem zweiten Schritt diese Familien gezielt entlastet werden. ({3}) Eine vom Deutschen Bundestag zugleich geforderte Analyse wurde mit dem Bericht der Bundesregierung zur Ausbildungsfinanzierung in Familien mit mittlerem Einkommen am 13. Juli 1987 vorgelegt. Der Bericht bestätigte die Sorgen des Deutschen Bundestages. Er wies verschiedene Wege zur Beseitigung: den einer Ansparförderung; den eines kollektiven Bildungssparens nach Professor Zink; den von Ausbildungsdarlehen nach Professor Dr. Oberhauser, wobei der bestechende Gedanke dieses Modells eine wahlweise Inanspruchnahme staatlicher Entlastungsbeträge oder einer kreditären Vorfinanzierung der Ausbildungskosten darstellte; und schließlich den des Bildungskreditmodells. Beauftragt wurde dann der Beirat für Ausbildungsförderung, der unter Leitung von Professor Dams im Herbst 1988 Vorschläge zur Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vorlegte. Auch ich möchte nicht anstehen, an dieser Stelle den Dank an den Beirat und dessen Vorsitzenden auszusprechen. ({4}) Der Vorschlag zur Beseitigung der geschilderten Nachteile war der, die relativen Freibeträge von 25 v. H. auf 50 v. H. zu verdoppeln und für jedes Kind zusätzlich 5 % zu gewähren. Um die erheblichen Kosten auch finanzieren zu können, wurde gleichzeitig vorgeschlagen, das Prinzip der elternabhängigen Förderung wieder strenger zu handhaben und die Ausbildungsförderung einer Zweitbildung stärker von der wirtschaftlichen Leistungskraft der Eltern abhängig zu machen. Dem wird nun in der 12. BAföG-Novelle voll entsprochen. Dadurch kommen rund 70 000 Studenten zusätzlich in die Förderung; 160 000 Studenten erhalten höhere Förderungsbeträge. Zweitens zur Schülerförderung: Einen entscheidenden Streitpunkt in den Vorberatungen dieses Gesetzes bildete die Empfehlung des Beirats, die gesamte Schülerförderung ab Klasse 11 wieder von seiten des Bundes in das BAföG aufzunehmen. Der weitgehende Rückzug des Bundes, so der Beirat, aus der Schülerförderung 1982 sei nicht, wie erwartet, durch den Aufbau einer ländereigenen Förderung kompensiert worden. ({5}) Allerdings - dies wurde in der Diskussion vergessen - hat der realistische Sinn der Beiratsmitglieder dazu geführt, nach der allgemeinen Wunschvorstellung eine ganz konkrete Empfehlung zu geben, nämlich Schüler von Berufsaufbauschulen und Fachoberschulklassen, deren Besuch eine abgeschlossene Berufsausbildung voraussetzt, sowie Schüler von Fach- und Berufsfachschulklassen, die zu einem berufsqualifizierenden Abschluß führen, ab Klasse 11 wieder in die Förderung aufzunehmen. Dem wurde in der 12. BAföG-Novelle entsprochen. Da die Kritik vor allem der SPD-Opposition, die gesamte Schülerförderung sei wieder aufzunehmen, in einem merkwürdigen Widerspruch zum Fehlen der Bereitschaft SPD-geführter Länder steht, auch nur den Anteil, der durch das Wegfallen der Schülerförderung erspart worden ist, einzusetzen ({6}) - sehen Sie sich einmal das Saarland an; dort ist überhaupt nichts getan worden -, ({7}) möchte ich gerne vorschlagen, dieses Thema vor einer weiteren Erörterung in unserem Ausschuß in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung eingehend zu beraten. Lassen Sie mich hier aber noch zwei Punkte ansprechen, die in den Ausschußberatungen nicht geklärt werden konnten. Der eine betrifft die Einbeziehung von Berufsfachschulen, die zu einem beruflichen Abschluß führen. Bei diesen ergibt sich ein Problem: Gefördert wird ab Klasse 11. Es gibt aber, insbesondere in Bayern und Baden-Württemberg, solche Schulen, die mit Klasse 10 - nach Abschluß der Hauptschule - beginnen. Bei solchen Schulen würden die Schüler ein Jahr weniger Förderung erhalten als in Ländern, die nur mit Klasse 11 beginnende Schulen besitzen. Hier waren systematische Fragen des Förderungsalters, aber auch Kostenfragen zu bedenken; denn die Differenz der Berechnung lag zwischen 8 und 15 Millionen DM. Ich denke, daß diese Problematik für die 13. Novelle vorgemerkt wird und daß wir wohl auch zu einer Lösung dieses Problems kommen. Ich würde mich freuen, wenn auch im Bundesrat dadurch keine Schwierigkeiten für die weitere Behandlung unseres Gesetzes entstünden. Das andere Problem hat die SPD nochmals zu einem Antrag verdichtet, der heute ebenfalls vorliegt. Es geht um weitere Ausbildungsgänge von Kollegiaten, die, wenn die Elterneinkommen es erlauben, in Zukunft von den Eltern finanziert werden sollen. Dagegen wird von der SPD eingewandt - sicherlich mit gutem Grund -, nachdem Elternunabhängigkeit bestanden hat, sei eine Rückkehr zu erneuter Abhängigkeit schwierig. ({8}) Dem steht entgegen - das war das Argument von Herrn Bundesminister Möllemann - , daß die durch die Schließung des Mittelstandsloches sehr hoch gewordenen Einkommensgrenzen in diesen Fällen nun eine Höhe erreicht haben, die möglicherweise bedenklich ist. Wenn man dem Steuerzahler 23 Millionen DM dafür aufbürden muß, daß Kinder aus Familien, die höchste Einkommen beziehen, gefördert werden sollen, so ist dies sicherlich schwierig. Wir werden deshalb den Antrag ablehnen. ({9}) Drittens: halb Zuschuß, halb Darlehen. Der Beirat hatte darauf hingewiesen, daß der Wohngeldanteil der BAföG-Förderung aus verfassungsrechtlichen Gründen wohl als Zuschuß gezahlt werden sollte. Dem wurde in der 12. Novelle durch Rückkehr zum System „halb Zuschuß, halb Darlehen" Rechnung getragen. Damit wird zugleich Befürchtungen der Boden entzogen, daß hohe Darlehen Förderungsberechtigte aus einkommensschwachen Familien abschrecken könnten. Durch eine leichte Erhöhung der Rückzahlungsrate konnte der bisher verdeckt gezahlte Zinszuschuß nunmehr als Förderungszuschuß gewährt werden. Viertens: Studienabschlußförderung. Die Einführung einer Studienabschlußförderung, vom Beirat für eine Übergangszeit bis zur notwendigen Verkürzung der tatsächlichen Fachstudienzeiten im Ausbildungsrecht für maximal zwei Semester empfohlen, wird ebenfalls durch die 12. BAföG-Novelle realisiert. Um einer Verlängerung der Studiendauer entgegenzuwirken, wurde der leistungsabhängige Darlehensteilerlaß um eine Zeitkomponente ergänzt. Auch das Wegfallen des Jobben-Müssens während dieser Zeit wird sicherlich der Studienzeitverkürzung dienen. Neben den genannten vier Schwerpunkten wäre noch eine Reihe weiterer Verbesserungen wie die des Krankenversicherungszuschlags für Studierende oder die Verbesserung der Bedingungen der Förderung und der Darlehensrückzahlung für behinderte Studenten zu nennen. Mit dem Thema „Verbesserung der Leistungen bei Pflege und Erziehung von Kindern" möchte ich aber zum zweiten Teil der Ausführungen übergehen, zu den Änderungen, die sich im Zuge der Ausschußberatungen ergeben haben. ({10}) Zur Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten wird meine Kollegin Frau Schmidt noch Ausführungen machen. Ich möchte nur kurz anmerken, daß ich es als ausgesprochen angenehm empfunden habe, daß in den Ausschußberatungen deutlich geworden ist, daß man Regelungen finden muß, die die studentische Mutter und den studentischen Vater nicht besserstellen als die arbeitende Mutter und den arbeitenden Vater, und daß wir diesbezüglich zu einer Lösung gekommen sind, die tatsächlich gleichgewichtig ist. ({11}) - Richtig, weil Studium auch Arbeit ist. Ich komme zum zweiten Punkt: Auslandsaufenthalte. Eingehende Diskussionen im Ausschuß gab es auch zu der Frage, wie Mißbrauch bei Auslandsaufenthalten verhindert werden könne. Bei kurzen Ausbildungszeiten, etwa an Berufsfachschulen, scheinen solche Aufenthalte wenig Sinn zu machen, es sei denn, die Erlernung einer vorgeschriebenen Sprache würde dadurch besonders gefördert. Ein Aufenthalt bei einem Auslandsstudium, der kürzer als ein halbes Jahr ist, schien zunächst auch wenig sinnvoll zu sein; dennoch ergab sich nach Rücksprache mit Betroffenen in der Beratung, daß Praktika mit bis zu einem Vierteljahr Dauer, wenn sie für das Studium notwendig sind, durchaus ihren Sinn haben können. Die zunächst erwogene Festschreibung in der Prüfungsordnung wurde aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung auf sehr viel einfachere Nachweise reduziert. Drittens: Anpassung an die deutsche Situation. Ganz still und rechtzeitig wurden im Ausschuß Bedingungen für BAföG festgelegt für den Fall, daß Studierende in der DDR wohnen und auf eine westdeutsche Hochschule, z. B. in West-Berlin, gehen. Es wäre nicht hinnehmbar gewesen, daß bei einer Situation ausgesprochen billiger Wohnungen im Osten der Zuschußanteil, der für westliche Realitäten gedacht ist, schwarz gewechselt und zur Einkommensverstärkung genutzt wird. Dem wurde durch eine Verordnungsermächtigung Rechnung getragen, die angepaßte Erstattungen erlaubt. Diese vorsorgliche Übergangsregelung wird, wie ich hoffe, bei der 13. Novelle lässig entfallen können. Lassen Sie mich weitere kleine Änderungen während der Ausschußberatungen übergehen und zu einem weiteren Punkt kommen, zu möglichen Ausblikken auf die 13. und folgende Novellen. Der lange Gang der Schließung des sogenannten Mittelstandslochs, den ich vorher beschrieben habe, um deutlich zu machen, daß strukturelle Änderungen eines erheblichen Vorlaufs bedürfen, veranlaßt mich dazu, einfach diesen Ausblick noch kurz anzufügen. Ich glaube, folgende Überlegungen sind in der Diskussion: Erstens. Nach Abschluß der mit dem Einigungsprozeß Deutschlands zusammenhängenden Ausweitung der Ausbildungsförderung - es wurde bereits von Ihnen, Herr Wetzel, darauf hingewiesen: Nicht einmal 10 % eines Altersjahrgangs durften bisher in der DDR von ihren Studienmöglichkeiten Gebrauch machen, während in der Bundesrepublik der Anteil auf über 30 % gestiegen ist - werden die gesamteuropäischen Dimensionen der Ausbildungsförderung wieder in den Vordergrund treten. Dabei sind zwei Entwicklungsrichtungen denkbar. Einmal ist es möglich, daß sich die Vorstellungen von Bildungsangeboten zum Nulltarif durchsetzen und damit die der Breitenförderung, einer Ausbildungsbeihilfe zum Lebensunterhalt. Es kann aber auch sein, daß die europäischen Tendenzen die Oberhand behalten, die Eigenbeteiligungen bei den Studien vorsehen. In einem solchen Fall müßte BAföG Vorfinanzierungsfunktion auch für Studienkosten übernehmen. Zweitens Weiterbildungsaspekte : Die zunehmende Bedeutung der Weiterbildung neben der Erstausbildung wird zu einer Diskussion führen, inwieweit Chancengerechtigkeit auch in diesem Bereich hergestellt werden kann. Bisher gilt die ChancengerechtigGraf von Waldburg-Zeil keit sicher für den Arbeitslosen durch das Arbeitsförderungsgesetz. Auch derjenige, der durch den Betrieb gefördert wird, kann sich darauf verlassen, daß er Weiterbildung erfährt. Schwierigkeiten wird es bei denen geben, die in der Weiterbildungsfinanzierung auf sich allein gestellt sind.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Kastning möchte gern eine Zwischenfrage stellen, Herr Abgeordneter.

Alois Waldburg-Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002413, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Ernst Kastning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001070, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Waldburg-Zeil, da Sie immer sagen, es wird die Diskussion geben, es wird sich möglicherweise dorthin entwickeln, als sei das ein Naturgesetz, möchte ich Sie doch fragen, ob Sie nicht konsequenterweise etwas dazu sagen wollen, wie wir als Politiker diese Diskussion aus dem Deutschen Bundestag heraus aktiv für die Zukunft mitgestalten können.

Alois Waldburg-Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002413, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Diesen Punkt habe ich in einer Rede, die sich eigentlich mit der Anpassung eines laufenden Gesetzes befaßt, genau deshalb angefügt, weil ich meine, daß wir immer die Zukunftsperspektiven mit im Auge haben sollten. Wir haben die Institution „Enquete-Kommission Bildung 2000" - der Vorsitzende sitzt hier vor uns - , die sich mit diesem Thema und mit den dort abzusehenden Entwicklungstendenzen ganz intensiv befaßt. Ich glaube, daß ich auch Gedanken aus dieser Kommission in diesen Abschnitten mit vertrete.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das veranlaßt den Abgeordneten Wetzel, um die Beantwortung einer Zwischenfrage zu bitten.

Alois Waldburg-Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002413, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Dietrich Wetzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002492, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Graf Waldburg, im Anschluß an die soeben gestellten Frage: Wie ist denn Ihre Position als Obmann der CDU/CSU-Fraktion zur Frage der von Ihnen angesprochenen Beteiligung der Studierenden an den Kosten des Ausbildungsangebots? Was würden Sie da im Zuge deutsch-deutscher Einigung und Europäisierung vorschlagen?

Alois Waldburg-Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002413, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Position wäre eigentlich ich habe es vorhin anklingen lassen - , daß wir möglichst unsere Tradition der Bildungseinrichtungen zum Nulltarif unter Förderung des Lebensunterhaltes für diejenigen, die es aus elterlichem Einkommen nicht leisten können, beibehalten können. Ich wollte nur darauf hinweisen, daß wir es natürlich nicht in der Hand haben, daß in vielen europäischen Ländern ganz andere Traditionen und auch andere Tendenzen bestehen, und wir werden uns mit diesen dann natürlich auseinandersetzen müssen, weil im Zuge des Zusammenwachsens Europas gewisse Entscheidungsverlagerungen, etwa in dem Bereich des Europäischen Parlaments, erfolgen werden. Wir müssen uns sicher auch vorher schon mit solchen Tendenzen beschäftigen. ({0}) Drittens. Zur Debatte über eine voll elternunabhängige Förderung: Es gibt Diskussionen, die wegen der Finanzsituation ad acta gelegt werden; es geht dabei auch um Vorschläge, die Sie z. B. zur voll elternunabhängigen Förderung gemacht haben. Diese Diskussionen werden nicht nur zwischen den Parteien des Deutschen Bundestages, sondern auch international geführt. Das gehört zu demselben Themenbereich, der vorher angesprochen wurde. Dazu gehört die Frage, inwieweit mit der Ausbildungspflicht bis zur Volljährigkeit den Eltern nicht genügend Lasten aufgebürdet sind, die im Zuge des Generationenvertrags das Äquivalent zur Unterhaltspflicht der Kinder den Eltern gegenüber im Alter bilden. Es gibt Modelle - in Holland wird ein solches diskutiert - , bei denen die Ausbildungsförderung für Volljährige völlig elternunabhängig vorgenommen werden soll. Allerdings wird in dieser Diskussion des Pudels Kern bereits offenkundig: Da die Kosten - ich habe es eingangs angesprochen - unrealistisch und unrealisierbar sind, wird von einem Bildungsinvestitionsmodell ausgegangen, bei dem festverzinsliche Darlehen gewährt werden und der Staat nur noch die Ausfallbürgschaft und eine schmale Zinsspitzendifferenz übernimmt. Der wohl zu überlegende Scheideweg wird schon heute sichtbar: Bei Beibehaltung elterneinkommensabhängiger Förderungsmodelle, die sich nur auf den Lebensunterhalt beziehen, kann vermutlich auch langfristig das bewährte BAföG-Modell weitergetragen werden. Aber wenn bei zunehmendem internationalen Austausch Hochschulkosten, Weiterbildungskosten und elternunabhängige Förderung hinzutreten sollten, wird wohl nur ein verzinsliches Darlehensmodell in Frage kommen. Doch heute wollen wir dem 12. BAföG-Änderungsgesetz zustimmen. Es bedeutet auf dem langen Wege der Ausbildungsförderung mit Sicherheit einen guten Meilenstein. Ich danke Ihnen. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat der Abgeordnete Kastning das Wort.

Ernst Kastning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001070, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ehrt mich, daß der Herr Minister wieder auf der Regierungsbank Platz nimmt, wenn ich das Wort ergreife. ({0}) Die Übernahme einer Reihe von Empfehlungen des BAföG-Beirats, dessen Vorsitzender, Professor Dahms, erfreulicherweise auf der Tribüne, wenn ich es von hier aus richtig sehe, unsere Debatte verfolgt, hat sicher etwas mehr soziale Gerechtigkeit für einkommensschwache Familien in das überkommene System der Ausbildungsförderung gebracht und hilft auch - Graf Waldburg-Zeil, da stimme ich Ihnen zu - , das sogenannte Mittelstandsloch zu schließen. ({1}) Doch das kann ja wohl nicht über die Schwächen des nun zur Abstimmung stehenden Regierungsentwurfs hinwegtäuschen. ({2}) Die Empfehlung, Herr Oswald, des BAföG-Beirats zur Wiederherstellung der Schülerförderung durch den Bund blieb im Gerangel mit dem Finanzminister auf der Strecke und wurde - auch daran erinnere ich - schließlich auch noch vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft aus höchst fragwürdigen ordnungspolitischen Erwägungen vor einem halben Jahr abgelehnt. ({3}) Die Bundesregierung - das trübt die Freude mancher jungen Leute über dieses Gesetzeswerk - verkehrt das Grundziel der Ausbildungsförderung, nämlich gleiche Bildungschancen zu eröffnen, für eine im gesamten Bildungsweg eines Menschen entscheidende Phase damit ins Gegenteil. Sie läßt das Gesetz gewissermaßen zu einem indirekten Instrument der bildungsmäßigen Negativauslese verkümmern. Graf Waldburg-Zeil, Sie sagten vorhin, die BLK solle damit befaßt werden. Wir sind bereit, darüber zu reden. Doch wo bleibt Ihr Antrag zu diesem Punkt heute? Ich habe im Geschäftsgang des Bundestags nichts entdecken können. Bedenklich ist auch, daß CSU/CSU und FDP nicht bereit waren, im Lauf vieler Jahre aufgetretene strukturelle Schwachpunkte des Ausbildungsförderungssystems in die Überlegungen einzubeziehen und über echte und längerfristig tragende Strukturveränderungen auch nur nachzudenken. Ich nenne einige Beispiele. Da ist die Frage, ob zur Ermittlung des studentischen Bedarfssatzes nicht so etwas wie ein studentischer Warenkorb geschaffen werden müßte, um die Förderung aus dem alljährlichen Streit herauszubekommen und auf eine einigermaßen verläßliche Grundlage zu stellen. Es gibt z. B. massive Unterschiede der Lebenshaltungskosten der Studierenden im Wohnbereich. Die 12. Sozialerhebung hat ergeben, daß die Mietausgaben der Studierenden von 1985 bis 1988 weitaus stärker als die allgemeinen Mieten für die privaten Haushalte gestiegen sind. Sie betragen im Durchschnitt 302 DM im Monat. Angesichts der prekären Situation auf dem Wohnungsmarkt in der Bundesrepublik wird wohl niemand ernsthaft behaupten wollen, dieser Mietkostendurchschnitt werde in absehbarer Zeit wieder sinken. Meine Damen und Herren, allenthalben wird auch zu Recht festgestellt, die technologische Entwicklung und der rasch fortschreitende Wandel in der Arbeitswelt stellten neue und hohe Anforderungen an die Qualifikation der Beschäftigten. Sogenannte Schlüsselqualifikationen und soziale Kompetenzen werden beispielsweise verlangt. Ich denke, es wäre zu kurz gegriffen, würde man diese Anforderungen aus der Erstausbildung heraushalten wollen und auch aus der wissenschaftlichen Ausbildung ausklammern und einfach auf die in unserem Lande eben noch immer unzulängliche und weitgehend ungeordnete Weiterbildung übertragen. Hier stellt sich die Frage nach dem Umfang der Notwendigkeit und dem Rahmen einer Förderung von Zweitausbildung, Aufbau- und Ergänzungsstudien, die auf dem Arbeitsmarkt als Mehrfachqualifizierung oder fächerübergreifende Qualifizierung zunehmend verlangt werden. Ich gebe ja zu, meine Damen und Herren, daß dies ein sorgfältig abzuwägendes Gebiet der Förderpolitik ist. Der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft hatte versucht, in der Sachverständigenanhörung Anregungen für diesen Bereich des Übergangs von der bislang geförderten wissenschaftlichen Erstausbildung zur Weiterbildung und ergänzenden Ausbildung zu erhalten. Die Antworten fielen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, wie ich finde, leider recht dürftig aus. Das darf aber für uns kein Grund zur Resignation oder bewußten Verdrängung dieses Problems sein. Im Zusammenhang hiermit ist auch zu bedenken, daß die rasanten Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt ein triftiger Grund für den Fachrichtungswechsel eines Studierenden sein können. Wer wie die Bundesregierung ständig berufliche und arbeitsmarktorientierte Flexibilität und Mobilität von den Menschen einfordert, der ist auch politisch in der Pflicht, solche Möglichkeiten des Wechsels und der Anpassung - selbstverständlich unter Beachtung eindeutiger Kriterien, die den Mißbrauch ausschließen - zu erleichtern. Bei der Diskussion über die Problematik, d. h. die Möglichkeit und das Ausmaß elternunabhängiger Förderung ist deutlich geworden, daß die Probleme im Rahmen des bestehenden BAföG-Systems nicht befriedigend gelöst werden können. Dabei ist auch zu bedenken, daß die Politik des Familienlastenausgleichs bislang insgesamt auf zwei unterschiedlichen Säulen ruhte und ruht und das Steuerwesen nicht gerade eine sozial ausgleichende Funktion erfüllt. Ich denke, durch das Steuerpaket 1990 ist die Tendenz eher noch ins Negative verstärkt worden, statt hier abzumildern. Ich habe in der Diskussion zur Steuerpolitik schon damals gefordert, man möge die Beziehungswirkung zwischen direkten Transferleistungen und steuerlicher Freibetragsregelung einmal untersuchen, um zu sozial gerechteren Lösungen zu kommen. Hierzu hat auch der BAföG-Beirat ausführliche Ausführungen gemacht. Er benennt die Vorzüge eines einheitlichen Transfersystems, sagt allerdings zutreffend - ich zitiere aus dem Bericht -: Der Übergang zu einem solchen System setzt erhebliche Änderungen im Steuerrecht, in der Ausbildungsförderung und im Bundeskindergeldgesetz voraus. Die Einführung eines solchen Systems wäre realistischerweise nur nach intensiver Diskussion der Voraussetzungen und der Konsequenzen in mittel- und langfristiger Perspektive zu erwarten. Er hat sich dann allerdings auf Grund seines begrenzten Arbeitsauftrags auf Einzelempfehlungen zum bestehenden Recht konzentriert, aber betont, daß die Diskussion über ein einheitliches System weitergeführt werden sollte. Genau diese Auffassung machen wir uns zu eigen, denn, meine Damen und Herren, es muß doch einsichtig sein: Wenn Bildungspolitik nicht immer hinter der tatsächlichen Entwicklung herhinken und eine Art Reparaturbetrieb sein soll, müßten wir uns einen kräftigen Ruck hin zu gemeinsamen perspektivischen Denken geben. ({4}) Meine Damen und Herren, die veränderten Studierund Lebensgewohnheiten der jungen Menschen sollten bei solchen Überlegungen ebenso bedacht werden wie das, was ich eben zum Transfersystem sagte. In solche Überlegungen sollten auch Erfahrungen anderer europäischer Länder einbezogen werden. Das Stichwort „niederländisches Modell" hat in den Beratungen des Ausschusses bereits vor einigen Jahren einmal eine Rolle gespielt und ist, wie ich finde, in erfreulicher, sachlicher Weise diskutiert worden. Wir werden doch wohl fähig sein, solche Diskussionen auch in Zukunft zu führen. Meine Damen und Herren, in dem Beirat für Ausbildungsförderung ist unbestritten großer Sachverstand versammelt. Wir sollten diesen auf jeden Fall und unabhängig von tagesaktuellen Fragestellungen für längerfristige Überlegungen nutzen. ({5}) Sie, meine Damen und Herren - ich spreche Graf von Waldburg-Zeil nach seiner gerade gehaltenen Rede besonders an - , und wir haben mit der Zustimmung zu unserem Antrag auf Drucksache 11/5348 die Chance, den Minister zu beauftragen und auch zu bitten - wenn Sie so wollen -, den BAföG-Beirat mit der Untersuchung einer Reihe von Punkten zu befassen. Sehr geehrter Graf von Waldburg-Zeil, wenn Sie Ihre Ausführungen von vorhin ernst meinen, müßten mindestens Sie bereit sein, mit uns diesen Schritt zu tun. Deshalb stelle ich - nun komme ich zum Abstimmungsverfahren in diesem Hause heute - den folgenden Änderungsantrag zur Beschlußempfehlung des federführenden Ausschusses. Ziffer 2 der Beschlußempfehlung erhält in bezug auf den Antrag auf Drucksache 11/5348 folgende Fassung: Der Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5348 wird mit der Maßgabe angenommen, daß dessen Ziffer 1 entfällt. Ich habe Ihnen, Herr Präsident, dies schriftlich herauf-gegeben. Weiterhin bitte ich darum - ich bitte, mir dazu noch ein Wort zu gestatten - , über den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion auf Drucksache 11/5347 gesondert und vor der Abstimmung über den Regierungsentwurf abstimmen zu lassen, weil er neben wesentlichen Übereinstimmungen mit dem Regierungsentwurf in der Ausschußfassung in einigen Punkten, wie z. B. der Schülerförderung, weitergehende Regelungen enthält. Ein Wort zu den Anträgen der GRÜNEN. Meine Damen und Herren, so sympathisch einige Forderungen sein mögen, wir sehen uns im Moment nicht in der Lage, zuzustimmen, weil die Forderungen so weit über das zur Zeit Machbare hinausgehen, daß man wohl intensiver untersuchen müßte, wie die Auswirkungen sowohl finanziell als auch bildungspolitisch sein würden. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Friedrich Neuhausen.

Friedrich Neuhausen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001591, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie recht hatte doch, Herr Kuhlwein, Demokrit, als er sagte: Die Hoffnungen der Richtigdenkenden sind erreichbar, die der Unverständigen unerfüllbar. ({0}) Wenn ich mich also jetzt den heute zu beschließenden Verbesserungen bei der Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zuwende, so wende ich mich natürlich an die von Demokrit zuerst genannte Gruppe, die hier zahlreich vertreten ist, auch wenn sie es nicht immer zu erkennen gibt; denn die Auseinandersetzung mit der zweiten würde eine viel längere Redezeit in Anspruch nehmen. Wenn ich mir bei dieser Gelegenheit auch ein paar persönliche Bemerkungen erlaube, so bitte ich dafür um Ihr Verständnis. Nach fast zehn Jahren parlamentarischer Befassung mit diesem Thema ist das für mich wahrscheinlich der Abschied von den Tiefen und Höhen der Diskussion, und ich bin froh darüber, daß er von dem heutigen bedeutsamen Schritt zur Reform der Ausbildungsförderung verschönt wird. Lassen Sie mich deshalb mit einem vielleicht objektiv nicht so wichtigen, aber für mich persönlich wichtigen Punkt beginnen: mit der Ausweitung der Förderung erstens auf die Schüler von Berufsaufbauschulen und Fachoberschulklassen, die eine abgeschlossene Berufsausbildung voraussetzen, also auf den berufsschulischen zweiten Bildungsweg, der zur Fachhochschule führt, und zweitens auf die Schüler von Fach- und Berufsfachschulklassen, die einen berufsqualifizierenden Abschluß zum Ziele haben. Diese Verbesserungen habe ich insbesondere im Hinblick auf die Schüler mit abgeschlossener Berufsausbildung hier seit Jahren angemahnt und sie z. B. in Redebeiträgen im April 1984, im Februar 1985, im Februar und im Mai 1986 immer wieder als einen Merkposten für künftige Regelungen bezeichnet. Wenn ich in diesem Zusammenhang öfter zu dem seit Weber bekannten Bild vom Bohren dicker Bretter Zuflucht nahm, so erfuhr ich im Laufe der Zeit hin und wieder, daß diese Tätigkeit nicht immer beliebt ist. Um so mehr freut mich, daß der Bohrer, was dieses Brett betrifft, jetzt seine nützliche Tätigkeit vollendet hat und das Wort Demokrits von den berechtigten Hoffnungen der Richtigdenkenden wieder einmal bestätigt wurde. Dafür danke ich ganz ausdrücklich allen Beteiligten, vor allem aber dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Jürgen Möllemann, sehr. Auf das im Bereich der Schülerförderung noch lagernde weitere dicke Brett, komme ich dann etwas später zurück. Meine Damen und Herren, ein zweiter Punkt ist in meiner Skala die Einführung eines 50prozentigen Zuschußanteils bei der Ausbildungsförderung für Stu15832 dierende. Aber hierzu ein Beispiel für die Relativität von Standpunkten. Als die Opposition in einer Debatte im Februar 1986 wieder einmal die nach dem Regierungswechsel durchgeführte Umstellung auf Volldarlehen kritisierte, konnte ich auf eine Zeitungsmeldung aus dem Februar 1982 verweisen, in der es geheißen hatte: Bundeskanzler Schmidt hält es für erwägenswert, die BAföG-Zahlungen für Studenten völlig auf Darlehensbasis umzustellen. Es wäre nicht verkehrt, darüber ernsthaft nachzudenken, erklärte Schmidt in Bonn vor der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen. Wenn ich mich noch für einen Augenblick aus der damaligen Debatte selber zitieren darf: Ich fügte 1986 hinzu: „Ich habe damals", also 1982, „dem Kanzler nicht zustimmen können und habe auch heute noch meine Bedenken. Aber das ist ja nicht der Punkt der heutigen Debatte." Vielleicht kann es jemand nachempfinden, wenn ich nun sage: Jetzt ist dieser Punkt einer der Punkte der heutigen Debatte. Denn eine, wie ich finde, angemessene Teilzuschußregelung wird wieder eingeführt. Darüber freue ich mich, und dafür danke ich. Also schimmert nun auch durch dieses Bohrloch Licht. Der dritte Punkt: Wie oft haben wir hier und im Ausschuß über die Probleme der Familien mit mittleren Einkommen diskutiert. Graf Waldburg hat es noch einmal ausgeführt. Wir haben Modelle zur Abhilfe der Probleme und die verschiedensten Lösungsvorschläge - ich will das jetzt nicht wiederholen und kürze ab - innerhalb und außerhalb des BAföG erörtert. Jetzt wird ihre Förderung durch eine ansehnliche Anhebung der relativen Freibeträge vom Elterneinkommen erheblich verbessert. ({1}) Ich finde, meine Damen und Herren, auch das darf bei der Aufzählung der von der Opposition hervorgehobenen Mängelpunkte - was ja irgendwie verständlich ist - nicht untergehen. Ich werde nach der Bundestagswahl ein Buch über das Thema „Die Unfähigkeit zu loben als Zeitsymptom oder das Aufspüren von Mängeln als Zeichen einer höheren Moral" schreiben. ({2}) - Ich nehme Sie gerne in die Subskriptionsliste auf. Meine Damen und Herren, verbessert - auch das ist schon gesagt worden - wird die Studienabschlußförderung, auch durch die Berücksichtigung der Pflege und Erziehung eines Kindes - darüber wird noch gesprochen - und ebenso die Förderung und Darlehensrückzahlung für behinderte Auszubildende. Neben diesen strukturellen Verbesserungen sind die Anpassungen an die Notwendigkeiten sich verändernder Lebensverhältnisse zu erwähnen. Ich scheue mich fast zu wiederholen, was fast jeder gesagt hat: Die Bedarfssätze werden zum Herbst um durchschnittlich 3 % angehoben, ebenso die Freibeträge bei der Einkommensanrechnung. Der Krankenversicherungszuschlag wird der tatsächlichen Höhe der studentischen Krankenversicherung angepaßt. Meine Damen und Herren, mehr als diese aphoristischen Aufzählungen der wesentlichen Verbesserungen in meinen Augen ist mir jetzt nicht möglich und nach den vorangegangenen Beiträgen auch nicht nötig. Daß noch Wünsche offenbleiben und daß es auch Änderungen gibt, die nicht nur von Betroffenen kritisiert werden, darf und will ich nicht verschweigen. Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, insbesondere von der SPD, Vorsicht! Was nämlich z. B. die künftige Gleichbehandlung von Abendgymnasiasten und Kollegiaten im Hinblick auf elternabhängige oder elternunabhängige Förderung während des an Gymnasium und Kolleg anschließenden Studiums mit ihren Kommilitonen und Ihre Kritik daran betrifft, so ist auch hier ein kurzer Blick in die Vergangenheit lehrreich. Der Kollege Kuhlwein hat ein wenig, ganz vorsichtig daran getippt. Es gab nämlich z. B. einen Antrag der SPD zur 8. Novelle zum BAföG. Laut Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft vom 5. April 1984 wurde von der SPD eine elternabhängige Förderung schon während der Abendgymnasial- bzw. Kollegzeit gefordert, was, wie damals geschätzt wurde, bei 10 000 Fällen ein Einsparvolumen von 40 bis 60 Millionen DM erbracht hätte. Wir, meine Damen und Herren, haben das aus den Gründen der Besonderheit der Abiturnachholphase im zweiten Bildungsweg weder damals noch jetzt ins Auge gefaßt. Aber Erinnerung ist ein hohes Gut. Das ist bei dieser Gelegenheit vielleicht noch einmal anzumerken. Meine Damen und Herren, fast zum Schluß ein allerdings sehr persönliches Wort zur allgemeinen Schülerförderung ab Klasse 11. Ich habe hier nie einen Hehl daraus gemacht und tue das auch heute nicht - ich will Sie aber nicht noch einmal mit den Daten meiner Redebeiträge langweilen - , daß ich einer bundeseinheitlichen Lösung den Vorzug gegenüber den unbefriedigenden unterschiedlichen Regelungen der Länder zur Förderung auch der zu Hause wohnenden Schüler geben würde. Ich bedauere, aber ich akzeptiere auch die finanzpolitischen Rahmenbedingungen und auch Vereinbarungen der Koalitionspartner als Prämissen der jetzt zu beschließenden, vor allem der genannten Verbesserungen des BAföG, die eine solche Lösung in diesem Gesetz nicht zulassen, wobei, am Rande gesagt, aber nur am Rande, die Forderung der nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministerin nach Übernahme der gesamten BAföG-Aufwendungen durch den Bund vorsichtig ausgedrückt, wenig hilfreich war, wobei auf Jesus Sirach zu verweisen wäre, der in seinen Sprüchen schreibt: Liebe Kinder, lernt den Mund halten, denn wer ihn hält, der wird sich mit seinen Worten nicht verfangen. Das gilt, meine Damen und Herren, auch für einige Punkte außerhalb des BAföG, die hier in der Debatte angeschnitten wurden, z. B. für den Termin des Treffens des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten der Länder. Nach wie vor ist beabsichtigt, daß das sogenannte Möllemann-Il-Programm Gegenstand des nächsten Treffens des Kanzlers mit den Ministerpräsidenten der Länder ist. ({3}) Der Termin 29. März ist offiziell nie als ein fixiertes Datum bekanntgegeben worden. Deswegen kann das Projekt auch nicht als gescheitert bezeichnet werden. ({4}) Nach wie vor ist es das Ziel, weitere Maßnahmen so rechtzeitig einzuleiten, ({5}) daß sie zum Wintersemester wirksam werden können. Meine Damen und Herren, über die Ausbildungsförderung wird auch vor deutsch-deutschen und europäischen Hintergründen weiter diskutiert werden. Was wir heute beschließen - ich freue mich sehr, daß ich dazu beitragen kann -, bringt für zahlreiche junge Menschen und ihre Familien wesentliche Verbesserungen und stellt bildungspolitisch und realistisch gesehen eine Kurskorrektur dar, die ich, die wir seit Jahren angestrebt, gefordert und so seriös und realistisch vorbereitet haben, daß wir sie heute zwar nicht vergleichbar der langsamen Fahrt einer Fregatte - ich bin maritim unbewandert; ein Schnellboot wäre auch nicht das richtige Bild -, wohl aber in einer vernünftigen Art und Weise vollziehen können. Vielen Dank. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schmidt.

Trudi Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren! Im Rahmen der allgemeinen Beratung der 12. Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes möchte ich hier ganz besonders auf einen Punkt hinweisen, nämlich auf die Förderung alleinerziehender Studentinnen und Studenten. Bisher war die Situation so, daß sich die betroffenen Studierenden auf Grund der Tatsache, daß sie ein Kind zu betreuen hatten, ihrem Studium nur noch teilweise widmen konnten. Das führte natürlich zu einer Verlängerung der Studienzeit und hatte damit zur Folge, daß die BAföG-Höchstdauer überschritten wurde. Die Alleinerziehenden hatten so zu der Sorge um das Kind auch noch die Sorge um ihren Lebensunterhalt. Wir haben uns mit dem Entwurf des 12. Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dieser Notlage angenommen. Nach geltendem Recht konnte BAföG über die Förderungshöchstdauer hinaus nur dann gewährt werden, wenn sich die Studienzeit infolge einer Ausbildung im Ausland oder einer Mitwirkung in Hochschulgremien verlängerte. Nun sollen bei der Bemessung der Förderungshöchstdauer auch die Pflege und Erziehung eines Kindes berücksichtigt werden. Dabei haben die Koalitionsfraktionen die Anregung des Bundesrates aufgegriffen und die Bemessungsgrundlage, die im Regierungsentwurf vorgesehen war, noch erweitert. Wir wollen, daß Kinder bis zur Vollendung des 5. Lebensjahres in die in § 15 Abs. 3 vorgesehene Regelung zur Verlängerung der Förderungshöchstdauer einbezogen werden. Die Verzögerung der Ausbildung durch eine Schwangerschaft wurde bisher schon durch die Verlängerung um ein Semester berücksichtigt. Wir halten die Verlängerung um ein weiteres Semester für angemessen, wenn ein Kind bis zu seinem 3. Lebensjahr betreut wird. Denn auch das Erziehungsgeld, das bis zum 18. Lebensmonat des Kindes gezahlt wird, wird nicht auf die Ausbildungsförderung angerechnet. Darüber hinaus wollen wir noch eine Verlängerung der Förderungsdauer um zwei Semester bei der Pflege und Erziehung eines Kindes bis zum 5. Lebensjahr, d. h. ein Semester pro Lebensjahr. Für alleinerziehende Studierende wird damit die Förderungsdauer bis zur Vollendung des 5. Lebensjahres eines Kindes um drei Semester verlängert. Wir halten es auch für selbstverständlich, daß die Förderungsverlängerung um drei Semester für die Pflege und Erziehung eines Kleinkindes gleichermaßen für Studentinnen wie Studenten gilt. ({0}) Studentinnen wird zusätzlich ein Semester für die Zeit der Schwangerschaft gewährt. ({1}) - Ja, aber bei der Schwangerschaft trifft es nur die Mütter. ({2}) Meine Damen und Herren, Kinderfreundlichkeit ist für uns kein Lippenbekenntnis. Durch diese Erweiterung des Regierungsentwurfs wollen wir zur Beseititung der finanziellen Sorgen alleinerziehender Studierender beitragen. Wir schaffen für sie mit dieser BAföG-Novelle eine Regelung, die mit derjenigen für die im Berufsleben stehenden Alleinerziehenden vergleichbar ist. Wir hoffen, durch diesen Beitrag den studierenden schwangeren Frauen das Ja zum Kind zu erleichtern. Ich danke Ihnen. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Aussprache. Auf Wunsch des Abgeordneten Kastning lasse ich zunächst einmal über den Gesetzentwurf der SPD zur Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes abstimmen. Der Gesetzentwurf liegt Ihnen auf Drucksache 11/5347 vor. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen auf Drucksache 11/6747 unter Ziffer 2 die Ablehnung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5347. Sie kennen unsere ständige Praxis: Es wird über die Ursprungsvorlage abgestimmt. Ich rufe jetzt die Art. 1 bis 6, Einleitung und Überschrift des Gesetzentwurfs der SPD auf. Wer den auf15834 Vizepräsident Cronenberg gerufenen Vorschriften - entgegen der Ausschußempfehlung - zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist dieser Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN abgelehnt. Nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung erübrigt sich die weitere Beratung. Wir kommen nunmehr zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes. Ich verweise auf die Drucksachen 11/5961, 11/6003 und 11/6747. Der Ausschuß empfiehlt, nach Kenntnisnahme der in der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 11/6747 unter Ziffer 1 aufgeführten Vorlagen den Gesetzentwurf der Bundesregierung in der Ausschußfassung anzunehmen. Ich rufe nunmehr Art. 1 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6809 vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Dann ist der Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 11/6809 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Ich lasse nunmehr über Art. 1 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist Art. 1 mit den Stimmen der CDU/CSU, der FDP und der SPD bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe nunmehr Art. 2 bis 7, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann sind die Art. 2 bis 7 sowie Einleitung und Überschrift mit der gleichen Mehrheit angenommen worden. Wir treten nunmehr in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/CSU, der FDP und der SPD bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN, der Ihnen auf Drucksache 11/6810 vorliegt. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU, der FDP und der SPD abgelehnt worden. Wir kommen nunmehr zu der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft, und zwar zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag des Abgeordneten Kastning, den er in der zweiten Lesung gestellt hat. Ich wiederhole den Antrag. Der Antrag beinhaltet, daß Ziffer 2 der Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/6747 in bezug auf den Antrag auf Drucksache 11/5348 in der folgenden Fassung verabschiedet wird - ich zitiere - : Der Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5348 wird mit der Maßgabe angenommen, daß dessen Ziffer 1 entfällt. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP abgelehnt worden. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/6747 unter Nr. 2, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5348 abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen worden. Der Ausschuß empfiehlt weiter auf Drucksache 11/6747 unter Nr. 3, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/2225 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen worden. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen darüber hinaus auf Drucksache 11/6747 unter Nr. 3, den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/2239 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung des Ausschusses mit den Stimmen der CDU/CSU, der FDP und der SPD gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen worden. Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunktes. Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dreßler, Andres, Dr. Böhme ({0}), Egert, Haack ({1}), Hasenfratz, Heyenn, Kirschner, Peter ({2}), Reimann, Schreiner, Seidenthal, Steinhauer, Urbaniak, Weiler, von der Wiesche, Leidinger, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Mindesturlaubs an die tarifvertragliche Entwicklung ({3}) - Drucksache 11/5466 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Meine Damen und Herren, der Ältestenrat empfiehlt Ihnen eine Debattenzeit von einer halben Stunde. Ist das Haus damit einverstanden? - Dies ist offensichtlich der Fall. Ich erteile dem Abgeordneten Reimann das Wort.

Manfred Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Tarifpartner, Gewerkschaften und Unternehmerverbände, haben mit ihrer erfolgreichen Ar- beit in den letzten Jahren wesentlich längere Urlaubszeiten durchgesetzt, als dies das Bundesurlaubsgesetz vorsieht. So hatten von den rund 22 Millionen Beschäftigten in den Wirtschafts- und Dienstleistungsbereichen, für die die Tarifverträge gelten, 1988 bereits über 94 °A) einen Urlaubsanspruch von mindestens fünf Wochen, und gar 64 % hatten einen Urlaubsanspruch von sechs Wochen. Es bleiben also rund 6 % sämtlicher Beschäftigten, die noch nicht in den Genuß tarifvertraglicher Vereinbarungen kommen, die zwischen vier, fünf und sechs Wochen Urlaub vorsehen. Für sie gilt das Bundesurlaubsgesetz von 1974, das ihnen nach wie vor 18 Urlaubstage im Jahr, also drei Wochen, zubilligt. Das heißt nichts anderes, als daß 1,3 bis vielleicht zwei Millionen überwiegend weibliche Beschäftigte vom sozialen Fortschritt abgekoppelt zu sein scheinen. Diesen sozialen Mißstand will meine Partei abschaffen; denn der derzeitige gesetzliche Mindesturlaub wird den Anforderungen einer modernen Arbeitswelt nicht mehr gerecht. ({0}) Mich erstaunt dabei, daß Sie als Bundesregierung nicht längst selbst einen solchen Gesetzentwurf vorgelegt haben. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, daß Ihnen die Interessen der Wirtschaft oft näherstehen als die der Arbeiter und Angestellten. ({1}) Tatsache ist, daß in der Arbeitswelt während der letzten Jahre Leistungsdruck und Arbeitsverdichtung für den einzelnen gewaltig zugenommen haben. Ein deutlicher Beleg dafür sind die Zahlen über streßbedingte Erkrankungen, die für unser Gesundheitssystem in zunehmendem Maße zum Problem werden. Deshalb wollen wir für den Rest der Arbeitnehmer mindestens vier Wochen Urlaub. Das Parlament wird aufgefordert, den gesetzlichen Mindesturlaub an diese tarifvertraglichen Minimalpositionen anzupassen und die bisherigen Errungenschaften einer erfolgreichen Arbeit der Tarifpartner für alle Arbeitnehmer auf vier Wochen gesetzlich abzusichern. Hervorheben möchte ich, daß wir mit unserem Gesetzentwurf nicht die Absicht haben, die verfassungsrechtliche Tarifautonomie anzutasten und in die gewerkschaftlichen Gestaltungsräume einzugreifen. ({2}) - Ja, ich weiß, die FDP macht so etwas ganz gerne. Aber uns können Sie dafür nicht kriegen. Was wir aber wollen, ist, daß alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zumindest auch in den Genuß von Urlaubsansprüchen kommen und - ich bitte das besonders zu registrieren - sie mindestens so wie auf europäischer Ebene abzusichern. Gleichzeitig wollen wir auch, daß überholte Sondervorschriften abgeschafft werden. Im einzelnen heißt dies, daß für den vierwöchigen Urlaubsanspruch nicht mehr die Werktage, sondern die Arbeitstage maßgeblich sind. Verändert wird durch diesen Entwurf auch ein Teil des Jugendarbeitsschutzgesetzes sowie des Seemannsgesetzes, da nach unserer Auffassung Jugendlichen, und damit besonders zu schützenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, ein Minimum von fünf Urlaubswochen, also 25 Arbeitstage, garantiert werden soll. Sollte aus betriebsbedingten Gründen eine Teilung des Jahresurlaubs vonnöten sein, so garantiert unser Entwurf einen Anspruch für alle Arbeiter und Angestellte von mindestens drei aufeinanderfolgenden Urlaubswochen, um den Erholungsbedürfnissen der Arbeitnehmer Rechnung zu tragen. Die Übertragung von Urlaubsansprüchen haben wir dahin gehend neu geregelt, daß auf Verlangen des Arbeitnehmers der im laufenden Kalenderjahr wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht genommene Urlaub auf das folgende Kalenderjahr übertragen werden muß, sofern er über die Dauer von 15 Arbeitstagen hinausgeht. Parallel dazu wird bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Urlaubsanspruch finanziell abgegolten. Mit der zuletzt genannten Neuerung wird auch endlich dem von der Bundesrepublik ratifizierten Übereinkommen Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation über den bezahlten Jahresurlaub Rechnung getragen. Damit auch der Empfehlung des Rates der Europäischen Gemeinschaft über den Grundsatz eines vierwöchigen Mindesturlaubs gefolgt wird, der für ganz Europa gilt, greift auch nicht das Argument, wie das von deutschen Arbeitgebern manchmal so dargestellt wird, daß eine solche Urlaubsausdehnung, wie wir sie jetzt als Mindesturlaub fordern, bei den deutschen Anbietern gegenüber den ausländischen Konkurrenten aus Kostengründen zu Wettbewerbsverzerrungen führe oder führen könnte. ({3}) Die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes steht dieser europäischen Empfehlung entgegen. Bisher war es nämlich so, daß vom Bundesarbeitsgericht ein Abgeltungsanspruch für Urlaub verneint wurde, wenn Arbeitnehmer nach längerer Arbeitsunfähigkeit aus einem Arbeitsverhältnis ausgeschieden waren, ohne die Arbeitsfähigkeit wiedererlangt zu haben. Diese Rechtsprechung halten wir für unvereinbar mit dem von der Bundesrepublik ratifizierten ILO-Abkommen, und das gilt auch für die bestehenden Übertragungsvorschriften, wonach der im laufenden Kalenderjahr nicht genommene Jahresurlaub nach einer Frist von drei Monaten verfällt. Hier sieht das Abkommen im Gegensatz zum deutschen Recht vor, daß der übrige Teil des bezahlten Jahresurlaubs „spätestens 18 Monate nach Ablauf des Jahres, für das der Urlaubsanspruch erhoben wurde, zu gewähren und zu nehmen ist". Diese hier von mir skizzierte Diskrepanz stellt für meine Fraktion einen weiteren wichtigen Grund für eine Änderung des bisherigen Bundesurlaubsgesetzes dar. Unser Ziel ist demnach, das bestehende Bundesurlaubsgesetz den tariflichen und sozialen Entwicklungen in der Arbeitswelt sowie den aus der Ratifizierung des ILO-Abkommens erwachsenden Verpflichtungen anzupassen. Bei dieser Problematik zeigt sich unserer Meinung nach wieder einmal, wie wenig der Bundesarbeitsmi15836 nister seinen Aufgaben gerecht wird, wenn es darum geht, Arbeitnehmerinteressen zu wahren und für Verbesserungen in der Arbeitswelt Sorge zu tragen. ({4}) Deutlich wird das auch durch die Tatsache, daß Herr Blüm bereits 1984 durch eine Mitteilung des Deutschen Gewerkschaftsbundes auf die unbefriedigende Rechtslage aufmerksam gemacht wurde, ohne jedoch diesen Mißstand bis heute abzuändern. Der Herr Bundesminister für Arbeit hat zwar den Gewerkschaften geantwortet, daß er - ich zitiere - „bei sich bietender Gelegenheit Abhilfe schaffen werde", aber, wie gesagt, getan wurde nichts. ({5}) Meine Damen und Herren, das sind einige wenige Gründe meiner Partei, warum wir das Gesetz heute einbringen. Wir hoffen auf gute Beratung. Aber wir hoffen auch, weil es sich in seiner Anpassung für die Arbeitnehmer der Bundesrepublik Deutschland um ein längst fälliges Gesetz handelt, auf Verabschiedung in unserem Sinne. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Warrikoff. ({0})

Dr. Alexander Warrikoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002429, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD schlägt mit ihrem Gesetzentwurf die Verlängerung des gesetzlichen Mindesturlaubs von 18 Werktagen auf 20 Arbeitstage vor. Dies entspricht, wie Herr Kollege Reimann ausgeführt hat, einem Mindesturlaub - je nach Gestaltung der Arbeitszeit - von vier Wochen. ({0}) - Ich erlaube mir, Herr Kollege, den Kernpunkt Ihres Gesetzes zu wiederholen. Wir stehen diesem Gesetzentwurf insgesamt skeptisch gegenüber, ({1}) weil wir der Ansicht sind, daß es sich hier um ein Gebiet handelt, bei dem vor allem die Tarifvertragsparteien gefordert sind und ihre Aufgabe auch wahrgenommen haben. Die Tarifvertragsparteien haben den Urlaub der Arbeitnehmer der Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft angepaßt ({2}) und haben den tariflichen Urlaub auf durchschnittlich 29 Arbeitstage festgeschrieben.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Dr. Warrikoff, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reimann zu beantworten?

Dr. Alexander Warrikoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002429, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte schön.

Manfred Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Warrikoff, ich unterbreche Sie ungerne. Ist Ihnen die Tatsache bekannt, daß es sich bei dem Teil der Arbeitnehmer, über den wir jetzt sprechen - diese 6 To -, im Grunde genommen um Arbeitnehmer in Arbeits- oder Dienstverhältnissen handelt, die weder gewerkschaftliche noch Allgemeinverbindlichkeitsverträge noch irgendeine andere Tarifgebundenheit haben, und daß es hier eigentlich um die Fürsorgepflicht des Gesetzgebers geht? ({0})

Dr. Alexander Warrikoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002429, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Reimann, ich habe Ihren Gesetzentwurf insgesamt gelesen und hatte vor, darauf einzugehen, und darf, wenn Sie gestatten, in meinem Text fortfahren. Ich komme dann auf die Frage zurück. Die Tarifvertragsparteien bedürfen also keines Nachhilfeunterrichts durch den Gesetzgeber, wobei ich, abweichend von den von Ihnen genannten Zahlen, Zahlen habe, die zu zeigen scheinen - aber das muß man natürlich überprüfen - , daß die praktische Auswirkung des Gesetzentwurfs sehr gering ist. Nach den mir vorliegenden Zahlen der Bundesregierung handelt es sich um 100 000 Arbeitnehmer, die in Tarifverträgen sind, die einen geringeren Mindesturlaub als vier Wochen vorsehen, und um weitere 100 000, die in Arbeitsverhältnissen sind, denen gar kein Tarifvertrag zugrunde liegt. Das sind 200 000. ({0}) Die von Ihnen genannte Zahl von 1 bis 2 Millionen ist mir unbekannt, aber die wir im Rahmen der Beratungen werden überprüfen können. ({1}) - Aber ich meine, man kann das jetzt hier nicht ausdiskutieren. Das muß man prüfen. Die Frage des Mindesturlaubs ist ja ein Teil der Frage der Arbeitszeit insgesamt. Die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände haben zu Recht die Frage des Urlaubs wie auch die Frage der Wochen-, Monats-, Jahresarbeits- und natürlich auch der Lebensarbeitszeit einschließlich der damit verbundenen Flexibilisierung immer in einem Zusammenhang gesehen. Deswegen sollte der Gesetzgeber, wenn er eine Komponente des Arbeitszeitproblems - in diesem Falle die Komponente Urlaub - anpackt, sehen, daß er in dieses Gesamtpaket, das an sich in der Disposition der Tarifvertragsparteien steht, hineingreift. Deswegen ist dort Zurückhaltung geboten. Der nächste Punkt, den ich erwähnen wollte, betrifft die Europäische Gemeinschaft. Der Rat der Europäischen Gemeinschaft hat im Jahre 1975 den vierwöchigen Mindesturlaub empfohlen, Herr Reimann. Dieses hat die SPD damals - wie ich glaube, aus gutem Grund - nicht getan, nämlich aus den Gründen, die ich genannt habe. Denn es kommt nicht darauf an, was die Europäische Gemeinschaft empfiehlt, sondern es kommt darauf an, was in der Europäischen Gemeinschaft tatsächlich los ist. Die Wirklichkeit sieht so aus, daß wir ein buntes Spektrum haben: von keiner Urlaubsregelung in Großbritannien über drei Wochen Urlaub z. B. in Irland bis fünf Wochen Urlaub in Frankreich. ({2}) Ich meine, wir sollten die weiteren Überlegungen abwarten. Aber Sie, Frau Kollegin Weiler, als SPD und auch wir sind der Ansicht, daß man im Rahmen einer Sozialcharta gewissermaßen doch irgendwo vereinheitlichte Mindeststandards schafft. Insofern ist es sicher angemessen, wenn man an dieser Stelle auch daran erinnert, die Mindeststandards auf dem Gebiet des Urlaubs zumindest einmal zu betrachten. Deswegen ist unsere Überlegung, zu beobachten, wie sich die Dinge in bezug auf die europäische Sozialcharta weiterentwickeln. Sie haben auch vorgeschlagen, meine Damen und Herren von der SPD, daß bei den Jugendlichen ein einheitlicher Mindesturlaub von fünf Wochen angesetzt wird. Ich möchte - auch aus Gründen der Zeit - nicht im einzelnen darauf eingehen. Bei diesem Vorschlag wird aber das Prinzip der Staffelung geopfert, nämlich daß für ganz junge Jugendliche, nämlich für 15jährige, ein größerer Urlaubsanspruch besteht als für ältere Jugendliche, wie er im Jugendarbeitsschutzgesetz vorgesehen ist. ({3}) - Herr Reimann, ich muß Ihnen doch nicht sagen, daß es jugendliche Arbeitnehmer gibt, die jünger sind als 18 Jahre. - In diesen Fällen gibt es also eine Staffelung, wobei bei den jungen Jugendlichen ein höherer Urlaub angesetzt wird als bei den älteren. Deswegen haben wir Bedenken beim Verzicht auf diese Staffelung. Insgesamt glauben wir, daß es, wenn man überhaupt an das Bundesurlaubsgesetz herangeht, dann nicht richtig ist, nur die Urlaubsdauer anzusprechen. Vielmehr müssen auch andere Fragen geregelt werden, z. B. die Frage des Urlaubs bei Teilzeitarbeit. Auch die von mir angesprochene Problematik einer Harmonisierung in der Europäischen Gemeinschaft spielt eine Rolle. Insofern stehen wir einer Behandlung und Verabschiedung dieses Gesetzes skeptisch gegenüber und werden es vermutlich ablehnen. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Beck-Oberdorf, darf ich Sie jetzt bitten, das Wort zu ergreifen. - Bitte schön.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein passender Zeitpunkt, zu dem wir dieses Gesetz beraten, nämlich kurz vor Ostern, wo viele von uns sicherlich schon für den sonnigen Süden gebucht haben. ({0}) - Davon gehe ich aus. Wir müssen unseren Urlaub, den wir genommen haben, nicht auf den Tisch legen; wir können ihn uns selber genehmigen, zumindest in den großzügigen Spielräumen, die das Parlament uns gestattet. - Ich meine, daß diese Zeit dafür geeignet ist, nicht lange darüber zu lamentieren, ob es tatsächlich richtig ist, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einen Mindesturlaub von vier Wochen im Jahr zuzugestehen. Sie wissen, daß der tarifvertragliche Urlaubsanspruch mittlerweile mindestens fünf Wochen beträgt. Bei 68 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind es sogar sechs Wochen. Deswegen ist es tatsächlich seit langem nur überfällig und zu begrüßen, wenn nun auch für die 6 % der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die von Tarifverträgen nicht erfaßt werden, der bisher dreiwöchige Mindesturlaub aufgestockt wird. Ich muß Sie jetzt noch einmal darauf hinweisen - es scheint schon zu meinem Standardauftritt zu werden - : Es geht weniger um Arbeitnehmer, sondern es geht um Arbeitnehmerinnen, auch bei diesem Gesetzentwurf. Es geht im wesentlichen deswegen um Arbeitnehmerinnen, weil Frauen zu einem größeren Anteil ohne tarifvertragliche Regelungen arbeiten. Das ist also wieder einmal ein Gesetz, das ein kleines Stückchen Frauenschutzrechte ausweiten würde. ({1}) - Ja, bloß haben Ihre Kollegen immer noch nicht kapiert, daß es auch sprachlich darum geht, die Arbeitnehmerinnen zu benennen und sie nicht unter den Tisch fallen zu lassen. Es scheint uns um so wichtiger, eine gesetzlich abgesicherte Aufstockung des Mindesturlaubs vorzunehmen, weil die Bundesregierung eine Deregulierungskommission eingesetzt hat. Wir meinen, daß gesetzlich soviel an Deregulierung abgewehrt werden muß wie nur irgend möglich. Sinnvoll wäre es allerdings nach unserer Meinung, daß wir bei dieser Gelegenheit noch einmal über die Höhe der Aufstockung debattieren. Wenn es denn so ist, daß sich die gesellschaftliche Realität für einen großen Teil der Bevölkerung bereits bei fünf Wochen bewegt, wäre eigentlich auch darüber zu sprechen, ob nicht auch der Mindesturlaubsanspruch auf diese fünf Wochen festgeschrieben wird. Ich meine, daß wir im Ausschuß noch einmal ausführlich darüber diskutieren sollten. Wir gehen davon aus - wir glauben ja noch immer an das Gute im Menschen, auch bei der CDU -, daß sich die Regierungsparteien einer Anpassung des Mindesturlaubs an die tarifvertragliche Entwicklung eigentlich gar nicht entziehen können. Schließlich würden Sie ja auch einer Empfehlung des Rates der Europäischen Gemeinschaften entsprechen, und Sie wollen doch die großen Europäer sein. Nun können Sie das ja einmal hier im Hohen Haus mit Tat beweisen. ({2}) In diesem Sinne also kurz und knapp: Die GRÜNEN werden dem von der SPD eingebrachten Gesetzentwurf zustimmen, dies mit der Maßgabe, daß wir meinen, es wäre im Ausschuß noch einmal darüber zu diskutieren, ob nicht fünf Wochen die eigentliche Marge sein sollten - statt der vier Wochen, die Sie jetzt vorgegeben haben. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nun der Abgeordnete Heinrich.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich kann nur feststellen: Nicht nur im Export, sondern auch in der Arbeitszeitverkürzung ist die Bundesrepublik Spitze. Diese Spitzenstellung bei immer kürzeren Arbeitszeiten soll nach den Wünschen mancher Gewerkschaften ja noch weiter ausgebaut werden. ({0}) Vergleicht man einmal die tarifliche Soll-Arbeitszeit - die tatsächliche liegt ja ohnehin noch niedriger - in der Bundesrepublik Deutschland mit der anderer westlicher Industriestaaten, so stellt man fest, daß bei uns ca. 1 668 Stunden im Jahr gearbeitet wird, in Japan 2 173, in den USA 1 890, in der Schweiz 1 874 und in Frankreich bzw. in Großbritannien 1 759 bzw. 1 771 Stunden. Mit anderen Worten: Bei einem Acht-Stunden-Tag wird in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr genau zwei Monate weniger gearbeitet als in Japan. ({1}) Ob eine solche Diskrepanz im internationalen Wettbewerb auf Dauer vertretbar ist, muß mit Fug und Recht bezweifelt werden. ({2}) Schaffen wir hierdurch nicht ein zusätzliches Handicap für den Industriestandort Bundesrepublik in einem zusammenwachsenden Europa? ({3}) In diesem Zusammenhang sei auch daran erinnert, daß nach dem 1988 novellierten Arbeitszeitgesetz in Japan die 40-Stunden-Woche gesetzlich erst ab Mitte der 90er Jahre - und dies dann auch noch mit Einschränkungen - realisiert werden wird. Gleichzeitig wurde dort der bezahlte Jahresurlaub von sechs auf zehn Tage angehoben. Natürlich kann Japan nicht in allen Punkten unser Vorbild sein, selbstverständlich nicht, doch sollte man diese Zahlen nicht vergessen, wenn man die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland betrachtet. Von 1950 bis 1989 hat sich die durchschnittliche Urlaubsdauer von 12 auf 30 Tage verlängert. - Ein ansehnliches Freizeitpaket: 30 Tage Urlaub plus zehn Feiertage. ({4}) Wenn 94 % der Arbeitnehmer schon tarifvertraglich - der Kollege Reimann hat es ja gesagt - und zahlreiche weitere Arbeitnehmer einzelvertraglich einen längeren Urlaubsanspruch besitzen, als es die SPD jetzt durch Verschärfung der Mindesturlaubsregelung erreichen will, ({5}) so stellt sich schon die Frage nach der Notwendigkeit dieser Regelung. Wenn in der Begründung des Gesetzentwurfs darauf hingewiesen wird, daß insbesondere - hier muß ich wiederum den Kollegen Reimann anführen - für Mitarbeiter in den freien Berufen Änderungen notwendig seien, so ist das zumindest fraglich. ({6}) Nach einer Umfrage des Berufsverbandes freier Berufe ({7}) erhalten z. B. - Jetzt hören Sie einmal zu, damit Sie die Zahlen kennen, Herr Kollege! ({8}) Herr Präsident, ich habe Mühe, hier meinen Vortrag weiterzuführen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich werde den möglicherweise nicht völlig aussichtslosen Versuch unternehmen, die Kollegen zu bitten, mit etwas mehr Ruhe die Ausführungen des Abgeordneten Heinrich entgegenzunehmen. ({0})

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich wiederhole: Nach einer Umfrage haben Arzthelferinnen in der Regel 25 Arbeitstage Jahresurlaub, Beschäftigte bei Rechtsanwälten 22 bis 25 Tage, bei Architekten durchweg 23 bis 24 Arbeitstage, bei Steuerberatern in der Mehrheit 22 Arbeitstage. Manches erstaunt jedoch. Üblicherweise tritt die SPD - auch heute wieder - als Gralshüter der Tarifautonomie auf und fordert Staat und Politiker auf, ({0}) sich aus tariflichen Verhandlungen herauszuhalten. Wie vereinbart es sich mit diesem Grundsatz, wenn jetzt durch diesen Gesetzgeber Korrekturen von Tarifverträgen realisiert werden sollen? Denn in den einzelnen Tarifverträgen des Handwerks gelten für jüngere Unternehmer Urlaubsregeln, die knapp unter vier Wochen liegen. Soll jetzt der Gesetzgeber den Tarifpartnern im Handwerk gleichsam ins Handwerk pfuschen und Aufgaben übernehmen, die denen obliegen? Wir meinen: nein! Ein weiterer Grund spricht gegen eine Änderung, denn nicht nur auf der deutsch-deutschen Ebene, sondern auch im europäischen Rahmen soll die WirtHeinrich Schafts- und Währungsunion durch sozialpolitische Maßnahmen flankiert werden. So hat die EG-Kommission in ihrem Aktionsprogramm unter anderem auch Mindestvorschriften für den Urlaub gefordert. Gerade vor dem Hintergrund, daß eine ganze Reihe von Mitgliedstaaten andere Mindesturlaubsregelungen haben, Staaten wie Großbritannien und Italien jedoch überhaupt keine, erscheint es aus unserer Sicht vernünftig, abzuwarten, mit welchen konkreten Vorschlägen die EG-Kommission auch in dieser Frage antreten wird. ({1}) Dies entspricht auch den berechtigten Vorstellungen, eine möglichst enge Abstimmung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft herbeizuführen. Nach unserer Auffassung muß auch dieses Thema im Gesamtzusammenhang mit Arbeitszeitregelungen im nationalen und europäischen Rahmen gesehen werden und kann deshalb nicht isoliert betrachtet werden. ({2}) - Und Ihren Zwischenruf darf ich doch mit meinen Ausführungen deutlich zurückweisen: Wenn das kein soziales Europa ist - mit den geringsten Arbeitszeiten - , dann weiß ich auch nicht mehr. Herzlichen Dank! ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär.

Wolfgang Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002384

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erstens. Das Anliegen, den gesetzlichen Mindesturlaub von drei Wochen auf vier Wochen auszudehnen, ist berechtigt. Zweitens. Der Kollege Alexander Warrikoff hat korrekt dargestellt, wie die tariflich gesicherten Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik sind, daß nämlich 99 % der tariflich gebundenen Arbeitnehmer heute einen Urlaubsanspruch von mehr als vier Wochen, nämlich von durchschnittlich 29 Arbeitstagen, haben und nur bei einem Prozent der Arbeitnehmer der Urlaubsanspruch zwischen drei und vier Wochen liegt. Herr Kollege Reimann, Sie haben sich wahrscheinlich auf Zahlen des Bundesarbeitsministeriums aus dem Jahre 1984 bezogen; ich stelle jetzt aber die Situation am Beginn des Jahres 1990 dar. Daraus ergibt sich, daß es eben nicht 6 % der Arbeitnehmer sind, die einen tariflichen Urlaubsanspruch von weniger als vier Wochen haben; es handelt sich nur um ein Prozent der Arbeitnehmer. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Staatssekretär, trotzdem sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reimann zuzulassen?

Wolfgang Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002384

Aber selbstverständlich!

Manfred Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe nur den Wunsch, Herr Staatssekretär: Würden Sie mir die Zahlen zustellen?

Wolfgang Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002384

Selbstverständlich stelle ich Ihnen gern die Zahlen zu. Wir haben aber eben 200 000 Arbeitnehmer mit einem Urlaubsanspruch von weniger als vier Wochen. Deshalb hat Bundesarbeitsminister Norbert Blüm in Übereinstimmung mit den anderen Ressorts und in Übereinstimmung mit den Tarifpartnern im Oktober 1989 auf der EG-Arbeitsministerkonfernz den Vorschlag eingebracht, zur Konkretisierung der EG-Charta für die Grundrechte der Arbeitnehmer eine Richtlinie mit vier Wochen Mindesturlaub vorzusehen. Es geht um eine Richtlinie; was jetzt gilt, ist eine Empfehlung aus dem Jahre 1974. Drittens. Die SPD will jedoch in ihrem Gesetzentwurf noch einen anderen Punkt regeln, der auf geteilte Meinungen stößt. Sie will, daß Urlaub, der wegen Krankheit im laufenden Kalenderjahr nicht gewährt werden kann, auf das ganze folgende Kalenderjahr zu übertragen ist und daß der Urlaub bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch dann abzugelten ist, wenn der Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt arbeitsunfähig ist. Die SPD will damit - Herr Kollege Reimann, Sie haben das nicht ausdrücklich erwähnt ({0}) die neue Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts korrigieren. Aber Sie korrigiert diese Rechtsprechung einseitig. Die SPD will es nämlich dabei belassen, daß auch langandauernde Krankheit den Urlaubsanspruch nicht berührt. Wer das ganze Jahr nicht gearbeitet hat, erhält nach der neuen Rechtsprechung dennoch den gesamten Urlaub. Damit hat das Bundesarbeitsgericht mit der jahrzehntelang bewährten Rechtsprechung gebrochen, daß bezahlter Urlaub auch Gegenleistung für geleistete Arbeit sein soll. Es erscheint angemessen, daß der Erholungsurlaub für einen Arbeitnehmer, der im Urlaubsjahr keine oder nur eine sehr geringe Arbeitsleistung erbracht hat, in einem gewissen Umfang gemindert wird. ({1}) - Frau Kollegin, dieser Zwischenruf charakterisiert Sie. ({2}) Eine Neuregelung des Urlaubsrechts sollte noch andere Fragen erfassen, so eine ausdrückliche Klarstellung, daß gesetzlicher Urlaub auch teilzeitbeschäftigten und geringfügig beschäftigten Arbeitnehmern zusteht. Meine Damen und Herren, dies greift die SPD in ihrem Gesetzentwurf nicht auf. ({3}) Das Bundesurlaubsgesetz sollte deshalb, wenn es schon novelliert werden soll, gründlich novelliert werden. Das ist jedoch aus unserer Sicht nicht eilig. Wir sollten uns deshalb die gründliche Novellierung dieses Gesetzes für die nächste Legislaturperiode des Bundestages vornehmen. Vielen Dank. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Die Empfehlung des Ältestenrats lautet, den Gesetzentwurf auf Drucksache 11/5466 dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu überweisen. Weitere Vorschläge werden nicht gemacht. - Dann ist das so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 7 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Jahre 1990 - Drucksache 11/6535 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({0}) - Drucksache 11/6789 - Berichterstatter: Abgeordneter Heyenn b) Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 11/6765 Berichterstatter: Abgeordnete Sieler ({2}) Strube Zywietz Frau Rust ({3}) Auch hier schlägt Ihnen der Ältestenrat eine Debattenzeit von 30 Minuten vor. - Widerspruch erhebt sich dagegen nicht. Dann ist das so beschlossen. Wir können mit der Debatte beginnen. Zunächst hat der Abgeordnete Höpfinger das Wort.

Stefan Höpfinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000926, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn des Monats war die erste Lesung des Gesetzentwurfs zur Anpassung der Renten für das Jahr 1990. Zwischenzeitlich haben wir den Gesetzentwurf und die entsprechenden Änderungsanträge im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung beraten und können heute die Rentenanpassung zum 1. Juli 1990 in zweiter und dritter Lesung beschließen. Das Haus der Rentenversicherung ist gut bestellt. ({0}) Die Rentendaten sind positiv; die Rente steigt und ist sicher. Diese Aussage darf ich mit einigen Daten bekräftigen. Die Rentenanpassung beträgt 3,1 %. Um diesen Prozentsatz werden rund 15 Millionen Renten angepaßt. Hinzu kommen 900 000 Renten aus der gesetzlichen Unfallversicherung und 600 000 Altersgelder und Landabgaberenten aus der Altershilfe für Landwirte. Durch den Anpassungsverbund - das darf ich gleich vorwegnehmen -, aber durch eigenes Gesetz werden ebenfalls zum 1. Juli 1990 1,3 Millionen Kriegsopferrenten um 1,3 % angehoben. In der Rentenversicherung kostet die Anpassung vom Juli 1990 bis Juni 1991 6,1 Milliarden DM, in der Unfallversicherung 212 Millionen DM, in der Altershilfe für Landwirte 113 Millionen DM. Auch den Bundeszuschuß darf ich hier erwähnen, der in diesem Jahr auf 39,841 Milliarden DM hochgeklettert ist. Erfreulich ist die angestiegene Rücklage bei den Versicherungsträgern mit zwei Monatsrücklagen; das entspricht einem Betrag von 25,5 Milliarden DM. Ich bezeichne dies als überaus erfreulich, weil ich mich an die Diskussion des Jahres 1984 erinnere, als nur 0,9 Monatsrücklagen als Reserve vorhanden waren; also, eine wesentliche Besserung in der Rentenversicherung. Ich darf auch den Grund nennen: Die gute Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik dieser Bundesregierung und eine seit sieben Jahren anhaltende positive wirtschaftliche Entwicklung haben auch die Rentenkassen wieder sicher gemacht. Positiv hat sich auch die Gesundheitsreform 1989 auf die Rentenanpassung dieses Jahres 1990 ausgewirkt. ({1}) Der ab 1. Juli 1970 maßgebliche Beitragssatz zur Krankenversicherung der Rentner sinkt von 12,9 auf 12,8 %. Dementsprechend sinkt auch der von den Rentnern zu tragende Beitragsanteil von 6,45 % auf 6,4 %, so daß der effektive Anstieg des Rentenzahlbetrages zum 1. Juli 1990 mit 3,16 % höher ausfällt als der Bruttoanpassungssatz von 3,1 %. Um die positive Bilanz zu unterstreichen, auch ein Wort zu den Kindererziehungsleistungen. ({2}) Zum 1. Oktober 1990 werden weitere 800 000 Mütter Kindererziehungsleistungen erhalten. Damit ist dann die vierte Gruppe der älteren Mütter in diese Anerkennung von Erziehungsleistungen einbezogen. Im Jahr 1990 erhalten damit 1,9 Millionen Mütter ab dem Geburtsjahrgang 1921 und 3,9 Millionen Mütter vor dem Geburtsjahrgang 1921 eine finanzielle Anerkennung für ihre Kindererziehungsleistungen. ({3}) Das sind 5,8 Millionen Mütter. Die Ausgaben hierfür betragen für den Zeitraum von 1986 bis einschließlich 1990 9,65 Milliarden DM - eine sozialpolitische Leistung, die sich wirklich sehen lassen kann. ({4}) Was sagt der Sozialbeirat zur Rentensituation 1990? - In seinem umfassenden Gutachten befürwortet er den Anpassungssatz, weist auf die positive Entwicklung im Krankenversicherungsbeitrag der Rentner hin. - Hier darf ich einfügen: Auf Grund der Beitragssenkung, die viele Krankenkassen zum 1. Januar 1990 vorgenommen haben bzw. zum 1. Juli 1990 noch vornehmen werden, wird sich diese positive Entwicklung bei der Rentenanpassung 1991 verstärkt fortsetzen. - Der Sozialbeirat hebt in seinem Gutachten nochmals die Notwendigkeit der Rentenreform hervor und betont: Durch das vom Deutschen Bundestag beschlossene Rentenreformgesetz 1992 wird der ansonsten erforderliche Beitragsanstieg mehr als halbiert. Der Sozialbeirat anerkennt die vom Deutschen Bundestag gemeinsam geleistete Arbeit und Beschlußfassung, weist aber auch darauf hin, daß bei der Bevölkerung Aufklärung über diese Reform erforderlich ist. Die Einsicht in die Notwendigkeit der Reform ist Grundlage für die Sicherheit der Rente. Diese Erwähnung ist meines Erachtens wichtig, schon im Hinblick auf den Bundeshaushalt 1991, und zwar unter dem Titel „Aufklärungsmaßnahmen über die Alters- und Hinterbliebenenversorgung". Verehrte Kolleginnen und Kollegen, neue Aufgaben im Rentenversicherungsbereich haben wir bereits heute vormittag im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung andiskutiert. Bei der ersten Lesung des Anpassungsgesetzentwurfs 1990 wurde in den Reden die zu der erforderlichen Wirtschafts- und Währungsunion mit der DDR notwendige Sozialunion angesprochen. Was die Renten betrifft, so steht das Wort des Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung vom 15. Februar 1990. Ich habe es schon das letztemal zitiert; ich darf es jetzt aus Zeitgründen überspringen. Ich möchte zum Schluß meiner Rede kommen. Wege zu diesem Ziel: eine eigenständige Rentenkasse, d. h. Rente weg vom Staat, Umstellung der Rente in der DDR auf D-Mark, Anhebung und Anpassung der Renten, damit die Rentner an der Einkommensentwicklung teilhaben, ({5}) schrittweise Anhebung des Nettorentenniveaus. Ich möchte in aller Deutlichkeit hinzufügen: Wir wollen mithelfen, mitgestalten, nicht aufpfropfen. Meine Damen und Herren, im großen Bereich Rentenversicherung gibt es immer neue Aufgaben, Aufgabengebiete und Einsatzmöglichkeiten. Die heute vor uns liegende Aufgabe sind die Beratung und Beschlußfassung zum Rentenanpassungsgesetzentwurf 1990. Ich bedanke mich für die kollegiale Beratung im Ausschuß und darf Sie um Ihre Zustimmung zum Gesetzentwurf bitten. Herzlichen Dank. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Heyenn.

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Renten werden spürbar erhöht. Im Unterschied zu vielen früheren Anpassungsgesetzen gibt es diesmal keinerlei Eingriffe wie Beitragserhöhungen, Leistungskürzungen oder Verschiebungen zwischen den einzelnen Versicherungsträgern. Die Renten stehen auf einer soliden finanziellen Basis. ({0}) Die 15-Jahres-Rechnung zeigt, daß die Rentenreform, die CDU/CSU, SPD und FDP im letzten Jahr gemeinsam beschlossen haben, Früchte getragen hat. ({1}) Durch nichts wird der Erfolg der Rentenreform besser belegt als durch die Tatsache, daß es zu diesem Rentenanpassungsgesetz eigentlich keinen Diskussionsbedarf gibt. Ich wäre dennoch, Herr Kollege Höpfinger, nicht auf den blamablen Stufenplan bei den Kindererziehungszeiten eingegangen, und ich wäre an Ihrer Stelle auch nicht auf die Entwicklung der Krankenversicherungsbeiträge eingegangen; denn wir alle wissen, daß, wenn vorübergehend Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung gesenkt werden, das Beträge sind, die die Versicherten, die krank sind, weniger bekommen oder zusätzlich haben einzahlen müssen. ({2}) Ich möchte eine Warnung an die Koalitionsfraktionen aussprechen: Strapazieren Sie bitte nicht das, was mit dem Rentenkonsens erreicht wurde, indem Sie die finanziellen Belastungen der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion mit der DDR den Beitragszahlern in der Sozialversicherung aufbürden! ({3}) Allein für die notwendigen Rentenanpassungen und Rentenanhebungen und für die Umstellung haben einige Politiker aus der Koalition 4 bis 8 Milliarden DM ins Gespräch gebracht. Solche Angaben sind, glaube ich, so lange unseriös, wie nicht erklärt wird, wie sie zustande kommen. Dennoch: Zahlungen aus der Bundesrepublik nach Inkrafttreten einer Rentenreform in der DDR wären sofort fällig, etwaige Einsparungen, vielleicht kleine Einsparungen im Fremdrentenrecht, wären zunächst minimal und würden erst ganz allmählich spürbar werden. Wenn die Koalition versuchen sollte, diese nötigen Beträge aus Beitragsmitteln der Rentenversicherung zu finanzieren, sei es durch einen Finanzverbund, sei es, indem sie die notwendigen Haushaltsmittel am Bundeszuschuß zur Rentenversicherung einspart, dann ist die Konsolidierung der Alterssicherung, die wir mit großer gemeinsamer Kraftanstrengung zustande gebracht haben, mit einem Federstrich wieder verspielt. ({4}) Leider muß ich für meine Fraktion auch feststellen, daß entsprechende Bestrebungen des Finanzministers nicht zu übersehen sind und daß bisher weder der Bundesarbeitsminister noch Sozialpolitiker der Koalition öffentlich und deutlich hörbar widersprochen haben. Deswegen appelliere ich bei dieser Gelegenheit an die Kolleginnen und Kollegen anderer Fraktionen, klar Farbe zu bekennen und jeden un15842 sachgemäßen Eingriff in die Rentenfinanzen gemeinsam mit uns abzuwehren. ({5}) Meine Damen und Herren, es gibt einen weiteren Punkt, den ich ansprechen möchte. Es gibt in diesen Tagen unterschiedliche Auffassungen darüber, wie die Renten in der DDR umgestellt werden, ob im Verhältnis 1 : 1 oder anders. Ich möchte denjenigen, die hier Regierungsverantwortung tragen und die vor der Wahl in der DDR den Eindruck erweckt haben, es würde 1 : 1 umgestellt, und die jetzt davon langsam, aber deutlich abrücken, ({6}) wie Otto Graf Lambsdorff, wie der Finanzminister Waigel, der sagt, darüber sei noch nicht abschließend gesprochen worden, sagen, ({7}) daß ein Abgehen von dieser Aussage für die, die hier in der Verantwortung stehen, bedeuten würde, Schindluder mit den alten Menschen in der DDR getrieben zu haben. ({8}) Noch eine Bitte an alle, die am Rentenkonsens beteiligt waren, also auch an meine eigene Fraktion: Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, daß der Bestandteil der Harmonisierung im Rentenkompromiß nicht unterlaufen wird, z. B. bei Kindererziehungszeiten von Beamtinnen! Wenn das Erreichte - gleich hohe Kindererziehungszeiten für alle Berechtigten - zugunsten der Beamtinnen korrigiert wird, dann wäre für uns ein wesentlicher Bestandteil des Rentenkompromisses in sich zusammengefallen. ({9}) Ich hoffe, wir alle haben die Kraft, solche Überlegungen abzuwehren. Lassen Sie mich einen letzten Satz sagen: Wir stimmen der Rentenanpassung um 3,1 % zu. Vielen Dank fürs Zuhören. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Heinrich.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! ({0}) - Jetzt sitzen wir wieder zusammen, Herr Kollege Schreiner. Zum vorletzten Mal haben wir heute Gelegenheit, über die Anpassung der Renten im Deutschen Bundestag zu beschließen. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Einen Moment mal, Herr Abgeordneter Heinrich! In Erinnerung an den vorherigen Debattenpunkt - Bundesurlaubsgesetz - bemerke ich: Beweisen Sie nicht durch zu viele Zwischenrufe, daß Sie mehr als urlaubsreif sind! ({0}) Ich wäre dankbar, wenn Sie sich einigermaßen ruhig verhielten. Danke schön. Sie können fortfahren.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir sind heute zum vorletzten Mal bei dieser Art von Debatte im Deutschen Bundestag; denn ab 1992 wird die Erhöhung der Renten im Regelfall Aufgabe des Verordnungsgebers sein. ({0}) Damit ist aber das Thema „Renten" nicht vom Tisch, wie die aktuelle Diskussion beweist. Lassen Sie mich rekapitulieren: Wir haben gemeinsam in der Rentenreform die Rentenversicherung auf eine solide Basis gestellt. ({1}) Wir beteiligen - wie in der Vergangenheit - die Rentner an der günstigen wirtschaftlichen Entwicklung, einer positiven Entwicklung, die wir entscheidend durch unsere Politik ermöglicht haben. ({2}) Ich erinnere nur an die Zunahme der Beschäftigtenzahlen um 1,5 Millionen seit 1982. Das sind die Zahler, die unsere Rente stabilisiert haben. ({3}) Die Rentenkassen sind gefüllt. In diesem wie auch im nächsten Jahr wird die Schwankungsreserve jährlich um mindestens 2 Milliarden DM zunehmen. Aus heutiger Sicht - so die Erklärungen aus dem Bundesarbeitsministerium - kann der Beitragssatz von 18,7 % bis zum Jahr 1997 gehalten werden. Hoffen wir, daß diese Prognosen eintreffen! Mit Sicherheit nicht angebracht ist es, die erfreulich hohe Rücklage der Solidargemeinschaft durch zusätzliche Ausgaben oder durch die Anschubfinanzierung für die Rentenversicherung in der DDR zu dezimieren. Herr Kollege Heyenn, hier gehen wir den gemeinsamen Weg. ({4}) Damit sind wir bei dem Thema, das heute alle bewegt: der Vereinheitlichung der Alterssicherungssysteme in der Bundesrepublik und der DDR, die sich seit 40 Jahren unterschiedlich entwickelt haben. Aber machen wir uns nichts vor: Auch wenn Einigkeit über die großen Prinzipien besteht, nämlich die baldige Umstellung der Renten, die Zusammenführung der beiden Rentenversicherungssysteme, die Schaffung einer beitragsfinanzierten und leistungsorientierten Rentenversicherung sowie die Dynamisierung, stecken Probleme im Detail. Es wird konkreter Detailarbeit bedürfen, hier vernünftige und auf Dauer finanzierbare Regelungen zu finden. Dabei werden wir sicher nicht ohne Übergangsvorschriften auskommen. Entscheidend ist für uns, daß auch in der DDR künftig ein gegliedertes Alterssicherungssystem entsteht. Übereinstimmung besteht sicher auch darin, daß die Einheitssozialversicherung in Renten-, Kranken- und Unfallversicherung aufzugliedern ist. Wir halten es auch für richtig, in der DDR - wie bei uns - eine Differenzierung in Angestellten- und Arbeitertätigkeiten vorzunehmen, zumal da, wie der Vorsitzende des Vorstands der BfA, Walter Quartier, erklärt hat, eine solche Differenzierung keinerlei administrative Schwierigkeiten bereitet. Für eine rasche oder eine stufenweise Anhebung der Renten in der DDR werden jeweils gewichtige Argumente vorgebracht. Unabhängig davon, wofür man sich letztlich entscheidet, muß jedoch klar sein: Die Renten in der DDR müssen künftig eine ausreichende Absicherung bieten. Es muß eine vernünftige Relation zwischen Renten und verfügbarem Arbeitseinkommen bestehen. ({5}) Die Renten müssen entsprechend der Lohnentwicklung in der DDR fortgeschrieben werden. Die von der Opposition geforderte Beibehaltung des Mindestrentensystems der DDR paßt nicht zu einer beitragsfinanzierten und leistungsbezogenen Rentenversicherung. Ich meine, hier muß man sich für das eine oder für das andere entscheiden. Zudem hilft auch das Zauberwort soziale Grundsicherung nicht weiter. Die Diskussion in den Reihen der SPD wegen der damit verbundenen finanziellen Belastungen bestätigt unsere Bedenken. Die Belastungen würden ja noch steigen, da solche Leistungen auch in andere EG-Mitgliedstaaten exportiert werden müßten. Natürlich kann man die Mindestrentenregelung in der DDR nicht von heute auf morgen abschaffen. Es muß Übergangsregelungen geben. Aber man sollte sich sehr davor hüten, die Rente nach Mindesteinkommen zur Dauereinrichtung machen zu wollen. ({6}) - Wir haben heute morgen im Ausschuß, glaube ich, sehr deutlich gemacht, daß es dadurch kein Armenhaus gibt. ({7}) Ein weiterer Punkt, in dem wir uns von der SPD gravierend unterscheiden, ist das Bekenntnis zum gegliederten System der Alterssicherung. Mein Eindruck ist, als präferiere die SPD eine Einheitsrentenversicherung in der DDR, wenn auch anders ausgestaltet als jetzt. Wollen Sie die Einheitsrentenversicherung für Arbeitnehmer, d. h. die Abschaffung der BfA und der Knappschaft? Soll dies auf die Bundesrepublik später so übertragen werden? Ich meine, Sie sollten uns allen hier und drüben reinen Wein einschenken.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Heinrich, ich bitte um Verständnis, aber ich möchte nicht in den Geruch kommen, Sie, was die zeitliche Dimension anbelangt, zu bevorzugen, und wäre Ihnen sehr, sehr dankbar, wenn Sie zum Ende kämen.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, ich werde zum Schluß kommen. ({0}) Ich meine, bei allen notwendigen Anpassungen muß man darauf achten, daß das gesamtdeutsche Rentenversicherungssystem auch künftig finanzierbar bleibt. Die auf die DDR entfallenden Rentenleistungen müssen auch dort - spätestens nach einer Übergangsphase - erarbeitet werden. Deshalb kann es nur darum gehen, auch in der DDR stufenweise ein freiheitliches Alterssicherungssystem einzurichten. Herzlichen Dank. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Beck-Oberdorf, ich erteile Ihnen jetzt das Wort.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Position zum vorliegenden Rentenanpassungsgesetz haben wir bereits anläßlich der ersten Lesung deutlich gemacht. Die vorgesehene Rentenanpassung von 3,1 % gleicht mal so gerade eben den Preisanstieg aus. Eine reale Verbesserung der Lebenssituation von Rentnern und Rentnerinnen ist damit nicht verbunden. Im Gegenteil, das Nettorentenniveau soll bis 1992 weiter abgesenkt werden, so wie in der großen Koalition zwischen CDU, CSU, FDP und der SPD vereinbart. Sie wissen, daß die Rentner und Rentnerinnen von unseren eingeübten Zahlenspielen wenig halten. Für sie zählt allein die Frage, ob sich ihre Lebensrealität verbessert. Ohne Zweifel, in der Bundesrepublik gibt es eine Vielzahl von Rentnerinnen und Rentnern und vor allen Dingen Pensionären und Pensionärinnen, die materiell gut abgesichert sind und die ihr Leben auch selbstbestimmt zu gestalten vermögen. Aber das ist nur die Hälfte der Wahrheit. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sie sind bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen? - Bitte schön.

Stefan Höpfinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000926, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, gerade deshalb wollte ich Sie fragen, denn Sie haben nur die Hälfte der Wahrheit bezüglich des Nettorentenniveaus angesprochen. Würden Sie deshalb auch die Liebenswürdigkeit besitzen, darauf hinzuweisen, daß die günstige Steuerreform daran schuld ist, daß das Nettorentenniveau abgesenkt wird?

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es bleibt dennoch die Tatsache, daß Sie, ausgehend vom Lohn, als Eck15844 Satz eine Senkung des Nettorentenniveaus für 1992 vornehmen. ({0}) Nach wie vor gibt es in der Bundesrepublik hunderttausendfache Altersarmut - da kam eben der Zwischenruf von den Suppenküchen - , Unterversorgung mit sozialen und pflegerischen Diensten, alten-und behindertenfeindliche Infrastrukturen in den Städten, wohnungsmäßige Substandards und Menschenrechtsverletzungen in Heimen und der Psychiatrie. Wer von selbstbestimmtem Leben im Alter, von der Überwindung sozialer Isolation und von Teilhabe am öffentlichen Leben spricht, muß zunächst einmal die materiellen Voraussetzungen dafür schaffen. Das geht immer auch an die Ministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, die sich mit der Geriatrie besonders beschäftigt hat. Just am Tag der Verabschiedung des Rentenreformgesetzes und dem Fall der Mauer hat der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband seinen Armutsbericht vorgelegt. Das hätte die Rentenpolitiker eigentlich interessieren müssen. Die Zahlen des DPWV bestätigen ein weiteres Mal, wie begründet unsere Forderung nach der Einführung einer bedarfsorientierten Grundsicherung ist, weil es in diesem Land weit verbreitet Armut im Alter gibt. Ab 1. Juli dieses Jahres soll nun die Sozialhilfe nach dem sogenannten Statistikmodell berechnet werden. Als Bezugspunkte werden dabei die Lebens- und Verbrauchsgewohnheiten der untersten Einkommensschichten herangezogen. Das heißt, der Mangel wird fortgeschrieben; denn es wird vor allem innerhalb der Gruppe der Sozialhilfeempfängerinnen umverteilt: Die einen bekommen etwas mehr, die anderen etwas weniger. Es drohen sogar Verschlechterungen, da die altersbedingten Mehrbedarfszuschläge ein weiteres Mal gekürzt werden sollen. Das geht wieder an die Adresse derjenigen, die hier Altenpolitik betreiben. Existenznöte und entwürdigende Bittstellerschaft werden mit einer zwar neuen, aber deshalb nicht weniger untauglichen Bemessungsmethode fortgeschrieben. Die meiste Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gilt zur Zeit der Ausgestaltung der Währungs- und Sozialunion mit der DDR. En Détail wird hier bereits die Angleichung der DDR-Renten an unser, wie Sie sagen, bewährtes beitrags- und lohnbezogenes Rentensystem verhandelt. Übertragen werden soll damit nicht nur das System, sondern auch die Systemlüge. Ins Spiel gebracht wird dabei vor allem ein Nettorentenniveau von 70 % als Zielgröße, nach 45 Versicherungsjahren wohlgemerkt, einer Zahl also, die viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer überhaupt nicht erreichen können. Hier also wird Leistungsgerechtigkeit à la BRD postuliert und eine Ideologie von Leistung zum Maßstab gemacht, weil allein das Erwerbsleben die Grundlage ist und insbesondere Frauen, die nicht in dieser Weise teilnehmen können - das haben wir in der Rentendebatte lange diskutiert - , wieder einmal ein Stück ausgeschlossen werden. Das DDR-Rentensystem ist demgegenüber einer völlig anderen Logik gefolgt. Ihm liegt ein gestaffeltes System von Mindestrenten zugrunde. Es ist sicherlich nicht üppig bemessen - das ist überhaupt keine Frage - , aber es gibt in der DDR kaum Rentner und Rentnerinnen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind. Die Zahl liegt in etwa bei 1 700. Das muß man sich klarmachen. ({1}) Die einfache Antwort der DDR war eine Mindestrentenregelung, wie sie hier seit Jahr und Tag eingefordert worden ist. Nun haben Sie sich, meine Damen und Herren von der Regierungsfraktion, dieser Forderung immer wieder standhaft widersetzt. Heute morgen im Ausschuß wurde von Ihrer Seite noch einmal betont, daß Wirtschafts- und Sozialunion für Sie die Übernahme des Äquivalenzprinzips bedeutet, also die Übertragung unseres Rentensystems auf die DDR. ({2}) Das heißt, Sie werden dieses System der DDR, welches verhindern konnte, daß eine Gruppe von alten Menschen in die Altersarmut abgesenkt wird, zu Fall bringen. Wir sagen noch einmal: Hüben wie drüben ist das erste sozialpolitische Ziel für die alten Menschen, sie vor Altersarmut zu bewahren. ({3}) Deswegen wird der gesellschaftliche Diskurs, die Auseinandersetzung um eine Mindestrente von uns weiter fortgeführt werden. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nunmehr hat der Parlamentarische Staatssekretär Vogt das Wort.

Wolfgang Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002384

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schreiner oder Herr Kollege Peter - ich weiß nicht, von wem der Zuruf stammte - , Sie werden das Glück haben, daß ich heute an der abendlichen Sitzung des Ausschusses leider nicht werde teilnehmen können. Also haben Sie jetzt das Vergnügen, mich noch einmal zu erleben. Meine Damen und Herren, wir haben ein großartiges Rentensystem. Die lohnbezogene dynamische Rente, die wir 1957 eingeführt haben, hat sich bewährt. Diese lohnbezogene dynamische Rente ist das Modell für ein vereintes Deutschland, sowohl was die Leistungshöhe auf der einen Seite als auch was die Finanzierung dieses Rentensystems auf der anderen Seite ausmacht. Frau Kollegin Beck-Oberdorf, es ist einigermaßen makaber, daß Sie gerade von diesem Pult aus gesagt haben, in der DDR sei kaum eine Rentnerin oder ein Rentner auf Sozialhilfe angewiesen. Wissen Sie, bei einem Sozialhilfeniveau von 290 Mark ({0}) im Monat muß man sich schämen, daß Sie diese Aussagen hier überhaupt machen; denn 290 Mark im Monat bedeutet Armut. ({1}) Unser Rentensystem hat sich bewährt. Es läßt die Rentner am wirtschaftlichen Fortschritt teilhaben. Die Rentenansprüche sind eigentumsähnlich gesichert. Leistungen im Berufsleben lohnen sich auch für die Rente. Die Rente ist und bleibt Lohn im Alter.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Der Abgeordnete Schreiner möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie bereit, diese zu beantworten?

Wolfgang Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002384

Ja.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, nachdem Sie soeben zu Recht auf Armutsprobleme in der DDR hingewiesen haben, frage ich Sie: können Sie mir denn zustimmen, daß die Zahlen des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, wonach 6 Millionen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland unterhalb der Armutsgrenze leben, zutreffend sind? Wie hoch schätzen Sie den Anteil der Rentnerinnen und Rentner in dieser Armutszone ein?

Wolfgang Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002384

Herr Kollege, ich nehme an, daß wir im Laufe dieses Jahres Gelegenheit haben werden, über die sogenannte bzw. angebliche Armut in der Bundesrepublik Deutschland zu sprechen. ({0}) Herr Kollege Schreiner, ich will Sie nur darauf hinweisen, daß ich diese Zahlen des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes überhaupt nicht bestätigen kann. ({1}) - Nein, überhaupt nicht bestätigen kann. Frau Kollegin, es wäre einigermaßen angenehm, wenn Sie der Debatte zuhören würden und sozusagen Ihre Sprechmaschine ab und zu abstellen könnten. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Darf ich um die Ruhe bitten, die erforderlich ist, um diesen Dialog ordentlich abzuwickeln?

Wolfgang Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002384

Herr Kollege Schreiner, ich will nur darauf hinweisen, daß es nicht angemessen ist, sozusagen die Zahl der Inanspruchnahmen von Sozialhilfeleistungen mit der Zahl der Personen, die ständig auf Leistungen der Sozialhilfe angewiesen sind, gleichzusetzen. ({0}) - Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband definiert Armut durch die Zahl der Personen, die auf Sozialhilfe zurückgreifen. Ich sage noch einmal: Von der Zahl der Fälle dürfen Sie nicht auf die Zahl der Personen schließen, die ständig auf Leistungen der Sozialhilfe angewiesen sind. ({1}) Wir werden aber noch darauf zurückkommen. Wir sprechen zur Rente. Das System hat sich bewährt. Ich sage den Rentnerinnen und Rentnern: Niemand braucht Sorge zu haben, daß sich dies durch die deutsche Einigung ändert. Im Gegenteil: Wenn uns der Aufbau in der DDR gelingt - ich bin davon überzeugt, daß er gelingt - , dann werden alle Rentnerinnen und Rentner auch von dem profitieren, was dann durch die Gemeinschaftsleistung aller Deutschen mehr erwirtschaftet wird. Die Renten werden weiterhin wie die Löhne steigen. Kein Rentner braucht die Sorge zu haben, ihm ginge auch nur eine D-Mark verloren. Der deutlichste Beweis dafür ist die Rentensteigerung am 1. Juli 1990 um 3,1 %. Dieser Steigerungssatz ist das Ergebnis des 1989 erreichten wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts. In ihm drückt sich auch der Erfolg des Gesundheits-Reformgesetzes aus. Dies werden die Rentnerinnen und Rentner beim Anpassungsgesetz 1991 verstärkt spüren, weil dann die Beitragssatzsenkungen des Jahres 1990 zu einer spürbaren Anhebung der Rente führen werden. Ich will auch von dieser Stelle aus, Herr Kollege Heyenn, das sagen, was wir heute im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung betont haben. Das Rentenreformgesetz haben wir gemeinsam, CDU/CSU, FDP und SPD, gemacht, um das bewährte Rentensystem an die demographische Entwicklung und die Herausforderungen der neunziger Jahre und des beginnenden neuen Jahrhunderts anzupassen. Wir haben dieses Reformgesetz nicht mit Blick auf Leistungsveränderungen und mit Blick auf Herausforderungen, die sich aus der deutsch-deutschen Einigung und aus dem deutsch-deutschen Prozeß ergeben, gemacht; ich will dies ganz ausdrücklich festhalten. In der Politik für Rentner halten wir Kurs. Die Rücklagen der Rentenversicherung steigen. 1989 waren die Einnahmen der Rentenversicherung um 3,1 Milliarden DM höher als die Ausgaben. Im fünften aufeinanderfolgenden Jahr konnten Überschüsse erzielt werden. Die Schwankungsreserve stieg auf 25,8 Milliarden DM. Das entspricht zwei Monatsausgaben. Die Renten steigen weiter, und zwar im Gleichschritt mit dem Anstieg der verfügbaren Einkommen. Diese Bundesregierung, meine Damen und Herren, steht für die Stärkung der Fundamente unseres Sozialsystems. Sie steht für mehr soziale Gerechtigkeit. Mit den Namen von CDU/CSU und FDP ist die Einführung von Kindererziehungzeiten im Rentenrecht verbunden, nicht mit dem Namen der SPD. ({2}) Diese Kompetenz kann uns niemand absprechen. Die Rentenerhöhung zum 1. Juli 1990 ist dafür ein Beweis. Ich bedanke mich auch bei den Kolleginnen und Kollegen der SPD und der GRÜNEN, daß sie an diesem Gesetzentwurf so aktiv mitgearbeitet haben. Vielen Dank. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, nun kommen wir zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Jahre 1990. Entwurf und Beschlußempfehlung liegen Ihnen vor auf den Drucksachen 11/6535 und 11/6789. Der Ausschuß empfiehlt, nach Kenntnisnahme der Unterrichtung auf Drucksache 11/6123 den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung anzunehmen. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann sind die aufgerufenen Vorschriften mit den Stimmen der CDU/CSU, SPD und FDP bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten nun in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf in der dritten Lesung mit derselben Mehrheit angenommen worden. Wir kommen nun zu Punkt 8 der Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts ({0}) - Drucksachen 11/5948, 11/6002 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ({1}) - Drucksachen 11/6748, 11/6830 Berichterstatter: Abgeordnete Gilges Link ({2}) ({3}) Zu diesem Gesetz liegen Änderungsanträge sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/6795 und 11/6806 bis 11/6808 und ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6823 vor. Der Ältestenrat empfiehlt Ihnen eine Debattenzeit von 90 Minuten. Widerspruch erhebt sich gegen diesen Vorschlag nicht. - Dann darf ich das als beschlossen feststellen. Wir können mit der Debatte beginnen. Zunächst erteile ich dem Abgeordneten Link ({4}) das Wort.

Walter Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute in zweiter und dritter Lesung den Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts. Durch dieses neue Gesetz wird das alte, aus dem Jahr 1922 stammende Jugendwohlfahrtsgesetz abgelöst. Ich bin geneigt, das Sprichwort „Was lange währt, wird endlich gut" anzuführen. ({0}) Bundeskanzler Helmut Kohl hat dieses Gesetz in der Regierungserklärung vom 18. März 1987 angekündigt. Mit der heutigen Verabschiedung und der Verabschiedung durch den Bundesrat am 11. Mai kann dieses Gesetz am 1. Januar 1991 in Kraft treten. Die Beratungen im federführenden Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit sind sehr sachlich geführt worden. Man kann sagen, daß sie von einer sehr konstruktiven Zusammenarbeit aller Fraktionen geprägt waren. Im Vordergrund der Diskussion stand stets das Wohl der Kinder und Jugendlichen, dessen Gewährleistung und Sicherung bei allen unterschiedlichen Auffassungen allen Ausschußmitgliedem am Herzen lag. Mein herzlicher Dank gebührt deshalb allen Kolleginnen und Kollegen für das Einvernehmen in vielen Fragen und auch für die fachlichen Beiträge, meist frei jeglicher Polemik, in strittigen Einzelpunkten. ({1}) Die gelegentlich geübte Kritik, es sei nicht genügend Beratungszeit gewesen, trifft deshalb nicht zu, weil sich der Deutsche Bundestag seit über zwanzig Jahren mit dieser Materie befaßt. Wesentliche Ziele des neuen Gesetzentwurfes sind Verbesserung der Angebote der Jugendarbeit und der Jugendsozialarbeit, Verbesserung der Hilfen für Familien in besonderen Lebenssituationen, Verbesserung der Angebote der Tagesbetreuung für Kinder, gesetzliche Verankerung ambulanter und teilstationärer erzieherischer Hilfen neben den klassischen Formen der Pflegefamilie und der Heimerziehung sowie die Verbesserung der Hilfen für junge Volljährige. In einer für drei Tage angesetzten Anhörung hat sich bestätigt, daß der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf von den Kirchen, den kommunalen Spitzenverbänden und der überwiegenden Zahl der Fachverbände und Experten begrüßt wird. ({2}) Auch in dieser Anhörung ist deutlich geworden - sie dauerte übrigens nur zwei Tage, obwohl drei Tage angesetzt waren - , daß dieses Gesetz über Parteigrenzen hinweg auf einem breiten Konsens beruht. ({3}) Link ({4}) Einer der Kritikpunkte war die angebliche Familienlastigkeit des Gesetzes. ({5}) Ich bin davon überzeugt: Sobald das Gesetz mit seinen festgelegten zentralen Aufgaben einer präventiven Jugendhilfe in der Praxis Früchte zu tragen beginnt, werden auch Kritiker erkennen müssen, daß es nicht nur familienpolitisch, sondern insbesondere auch jugendpolitisch wesentlich vorteilhafter ist, Mütter und Väter bei ihren Erziehungsaufgaben zu unterstützen, ({6}) die Entwicklung junger Menschen zu fördern, und zwar bevor das Kindeswohl gefährdet ist, d. h. bevor das Kind in den sprichwörtlichen Brunnen gefallen ist. Die im Gesetz vorgesehenen Leistungsverbesserungen sollen ja gerade verhindern, daß es überhaupt zu einer Gefährdung des Kindeswohls kommt. Ist das Kind nämlich schon in den bewußten Brunnen gefallen, kann man nur mit Eingriffen in die Familie reagieren, was meist zu kostspieligen stationären Hilfen außerhalb der Familie führt. Durch rechtzeitige präventive Hilfen kann aber in vielen Fällen eine solche kostenintensive Fremdunterbringung, darüber hinaus auch eine Abhängigkeit von der Sozialhilfe vermieden und einem Einstieg in die Kriminalität vorgebeugt werden. Dies macht deutlich, daß die im Gesetz vorgesehenen Leistungsverbesserungen, die vor allem einen Ausbau der präventiven Jugendhilfe zur Folge haben werden, nicht nur jugend- und familienpolitisch notwendig sind, sondern auch unter finanziellen Aspekten als sinnvoll angesehen werden müssen. Kritisch wurde auch die angebliche Verschlechterung der Rechtsstellung der Jugendverbände angemerkt. Ich betone für die Fraktion der CDU/CSU noch einmal ausdrücklich, daß die Arbeit der Jugendverbände einen sehr hohen Stellenwert für uns hat. ({7}) Der Gesetzgeber kann seine Augen aber nicht davor verschließen, daß sich neben der guten Arbeit unserer Jugendverbände der freien Wohlfahrtspflege in den vergangenen Jahren auch andere Gruppen intensiv dieser Arbeit zugewandt haben. In den letzten Jahren ist neben den traditionellen Trägern der Jugendhilfe eine Vielzahl örtlicher Initiativen und Selbsthilfegruppen aktiv geworden, die wir nicht ausgrenzen dürfen. Es ist auch kritisiert worden, daß wir in dem neuen Gesetz keinen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz festgeschrieben haben. Ich gebe zu, daß es durchaus auch in meiner Fraktion Bestrebungen gegeben hat, diesen Rechtsanspruch zu erreichen. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD-Fraktion, Sie wissen selbst, wie schwer es war, dies in der Vergangenheit - auch mit den SPD-regierten Ländern - durchzusetzen. Ich muß Sie daran erinnern, daß die Finanzminister der SPD-regierten Länder das gesamte Gesetz aus finanziellen Erwägungen im Bundesrat abgelehnt haben. ({8}) Übrigens kommt die im Gesetz getroffene Regelung einem Rechtsanspruch nahe; ({9}) denn die Länder und Kommunen, Frau Schoppe, werden zu einem bedarfsgerechten Ausbau der Betreuungsplätze verpflichtet. In diesem Zusammenhang muß man auch den niedersächsischen Ministerpräsidenten Dr. Ernst Albrecht verstehen, ({10}) der gesagt hat, daß die Erziehung unserer Kinder und Jugendlichen ausschließlich in den Kompetenzbereich der Länder und Kommunen falle. Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf ist auf Grund intensiver Diskussionen im Ausschuß, im Bundesrat und auf Grund der Anhörung durch 79 Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen - in vielen Punkten mit Zustimmung der SPD und der GRÜNEN - positiv verändert worden. Die wesentlichen Änderungen betreffen erstens die stärkere Einbeziehung von ausländischen Kindern und Jugendlichen in die Leistungen der Jugendhilfe, zweitens den Verzicht auf einen eigenständigen Ausweisungstatbestand bei Inanspruchnahme von Jugendhilfeleistungen. Das heißt, ein junger Mensch soll nicht deshalb ausgewiesen werden können, weil er Leistungen in Anspruch nimmt. Drittens. Eine wesentliche Verbesserung ist weiterhin die Hilfe für junge Volljährige. Künftig sollen junge Volljährige auch dann Leistungen der Jugendhilfe erhalten können, wenn sie für ihre Persönlichkeitsentwicklung und ihre gesellschaftliche Integration solcher Hilfen zu diesem Zeitpunkt erstmals bedürfen. Viertens. Des weiteren ist im Gesetz aufgenommen die Verankerung des Rechts der Betroffenen, zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger wählen zu können. Jetzt gilt es, dieses neue Kinder- und Jugendhilferecht bei unseren Jugendämtern in der Bundesrepublik, in den Verbänden und Organisationen mit Leben zu füllen. Ich bin davon überzeugt, daß sich bald herausstellen wird, daß dieses Gesetz mit Fug und Recht als Jahrhundertgesetz betrachtet werden kann ({11}) und in Zukunft ein Modell für Gesamtdeutschland werden wird. ({12}) Eingangs hatte ich erwähnt, daß wir uns im Deutschen Bundestag seit über 20 Jahren mit diesem Gesetzeswerk beschäftigen. Daß es nicht früher zustande gekommen ist, liegt daran, daß in den vergangenen Jahren die ideologischen Grenzen anscheinend nicht zu überwinden waren und daß es sehr schwer gewe15848 Link ({13}) sen ist, die elf verschiedenen Länderinteressen in ein Gesetz einfließen zu lassen. Wer dies so betrachtet, weiß, welcher enormen Anstrengung es von seiten der Bundesregierung bedurft hat, nunmehr dieses Werk zu vollenden. Ihnen, Frau Bundesministerin Lehr, gilt dafür unser Dank. Ein herzliches Dankeschön gilt aber auch besonders Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Pfeifer. Sie haben mit unendlicher Geduld und großem Einsatz die Verhandlungen mit den elf Bundesländern zum Erfolg geführt. ({14}) Bei den schwierigen Beratungen bedurfte es oft nur eines Stichwortes, um Herrn Dr. Wiesner, den zuständigen Referatsleiter im Bundesministerium, zur Umsetzung konkreter Vorschläge zu motivieren. Darum kann man die Würdigung dieses Gesetzes nicht beschließen, ohne auch Ihnen danke schön zu sagen. Dennoch bin ich der Meinung, daß es, nachdem das Gesetz in vielen Legislaturperioden angekündigt war, ohne daß es verabschiedet wurde, auch diesmal sehr schwer geworden wäre, wenn nicht Frau Professor Süssmuth in ihrer Eigenschaft als Ministerin und Präsidentin dabei stets eine treibende Kraft gewesen wäre. ({15}) Nach der Einführung des Erziehungsgeldes und des Erziehungsurlaubs, der Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung und der Wiedereinführung des dualen Systems des Familienlastenausgleichs in der vergangenen Legislaturperiode unternimmt die Bundesregierung damit den zweiten wichtigen Schritt mit dem Ziel, jungen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland eine bessere Perspektive für ihre zukünftige Lebensgestaltung zu eröffnen und ihre Integration in unsere Gesellschaft zu erleichtern. Ich bitte, dem Gesetz eine breite Zustimmung zu geben. ({16})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun erteile ich dem Abgeordneten Gilges das Wort.

Konrad Gilges (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000680, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ein Elend mit diesem Gesetz. Seit 20 Jahren diskutieren wir als Jugendverbandsvertreter, als Abgeordnete, als Fachleute aus der Jugendhilfe über dieses Gesetz. Es ist immer schwieriger geworden. Während die Diskussion am Anfang noch Spaß gemacht, uns alle noch begeistert hat - das war zur Zeit der Ministerin Käthe Strobel -, ({0}) ist man heute der Meinung, man könne mit diesem Gesetz zur Tagesordnung übergehen. Herr Link, es ist kein Jahrhundertwerk, es ist noch nicht einmal ein Werk eines Jahres. Es ist schlicht und einfach ein Gesetz, mit dem wir recht oder schlecht in der Zukunft werden leben müssen und an dem auch vieles wird verändert werden müssen. ({1}) Ich muß allen den Ministerinnen von Käthe Strobel bis zu Frau Süssmuth danken, denen dieses Gesetz ein Herzensanliegen war und die versucht haben, diesem Bundestag ein wirklich gutes Gesetz zuzuleiten. Ich sage das ausdrücklich auch für die Frau Süssmuth. Ich kann das nicht für die amtierende Ministerin, für Frau Lehr, sagen. Die hat für dieses Gesetz im letzten Vierteljahr weder Interesse noch Kompetenz gezeigt. ({2}) Frau Lehr hat an keiner Beratung im Ausschuß teilgenommen. Sie hat noch nicht einmal fünf Minuten Zeit gehabt, um zu einer Anhörung von 60 Sachverständigen zu kommen und zu hören, was diese Damen und Herren den Abgeordneten des Deutschen Bundestages zu sagen hatten. ({3}) Sie war wahrscheinlich irgendwo in der Weltgeschichte, aber eben nicht bei der Beratung dieses Gesetzes. Zu jemandem, der so etwas macht, kann ich nur sagen: Die hat kein Interesse. Und das ist ein schlechtes Omen für dieses Gesetz. Es ist dem Parlamentarischen Staatssekretär Pfeifer dafür zu danken, daß wenigstens er sich - zusammen mit Herrn Wiesner - in einer sehr qualifizierten und, wie ich meine, sehr korrekten Art und Weise dem Ausschuß gestellt hat. Das kann ich leider - ich sage es noch einmal - über die Frau Ministerin nicht sagen. Sie hat nichts zu diesem Gesetz beigetragen. Ich will des weiteren sagen, daß nach wie vor das von der sozialliberalen Koalition, Herr Eimer, 1980 in zweiter und dritter Lesung im Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz zur Jugendhilferechtsreform ein besseres Gesetz war. Wir würden uns alle freuen, wenn wir dieses Gesetz heute hätten. Leider ist es an der ideologischen Borniertheit der CDU/CSU im Bundesrat gescheitert. ({4}) Wir bedauern das nachträglich und meinen, es wäre gut gewesen - ich sage das gerade deshalb, weil Sie die Zeit angesprochen haben, Herr Link - , Sie hätten damals die Kraft aufgebracht, diesem Gesetz zuzustimmen. Wir hätten dann heute eine positivere und bessere Situation. Ich will nicht unterschlagen, daß es in diesem Gesetz auch positive Regelungen gibt. Es gibt die Regelung der individuellen Erziehungshilfe. Das ist sicher eine positive und gute Regelung. Sie muß sich vor Ort bewähren. Es muß sich zeigen, ob es möglich ist, im Einzelfall wirklich zu helfen. Das ist eine Aufgabe der Jugendämter, der Institutionen, die da gefordert sind. Es ist ohne Zweifel auch ein Fortschritt, daß die ambulanten Hilfen gestärkt werden. Es ist auch ein Fortschritt, daß Vorbeugung und Verhütung in diesem Gesetz stärker betont werden, als das im alten Jugendwohlfahrtsgesetz der Fall war, das ja von der Struktur und vom Ansatz her ein reines Eingriffsgesetz war. Richtig ist auch die Konzentration des Angebots und der Hilfe auf der kommunalen Ebene, so daß es nicht mehr, wie das heute der Fall ist, auf mehreren Stufen Angebote gibt, beispielsweise Erziehungsheime. Es soll vielmehr in der Kommune konzentriert werden. Damit will man näher an dem Kind, an dem Jugendlichen, an der Familie sein. Auch das ist positiv zu bewerten. Es ist auch positiv zu bewerten, daß die Zweigliedrigkeit der Jugendämter bestehenbleibt. Darüber gab es in den letzten Jahren lange Debatten. Es gab die Bestrebung, dies aufzuheben. Ich verstehe in diesem Zusammenhang allerdings nicht die vorgesehene Zusammensetzung der Jugendhilfeausschüsse. Sie haben die Jugendverbände im Ansatz bewußt diskriminiert. ({5}) Ich habe nie nachvollziehen können, warum das so geschehen ist. ({6}) Das ist unnötig. Ich bin auch der Meinung, daß man die Selbsthilfe in diesen Entscheidungsprozeß im Zusammenhang mit der Jugendhilfe einbeziehen muß. Das mußte aber nicht auf Kosten der Jugendverbände gehen. Das ist ein Umgang mit den Jugendverbänden, der auch an vielen anderen Stellen deutlich wird und der mir bis heute unbegreiflich ist. ({7}) Ich hoffe, daß sich das hinterher in der Praxis nicht so manifestieren wird. ({8}) Die starke Hervorhebung der Jugendarbeit im Jugendhilferecht ist auch positiv zu bewerten. Wir sind zufrieden darüber, daß Sie diese schlimmen Paragraphen über die ausländischen Kinder und Jugendlichen aus dem Gesetzentwurf gestrichen haben. ({9}) Das Gesetz hätte unsere Zustimmung nie finden können, wenn das geblieben wäre. In dieser Debatte muß aber hinzugefügt werden, daß es im Ausländerrecht nach wie vor eine analoge Bestimmung gibt. ({10}) - Das ist schlicht und einfach, wie Frau Schoppe mit Recht sagt, eine Sauerei. Es ist auch überhaupt nicht zu entschuldigen, daß es so etwas gibt, daß ein Anspruch aus dem Jugendhilferecht zu einer Ausweisung aus unserer Republik führen kann. Ich muß Ihnen sagen: Wer sich so etwas einfallen läßt, hat humane Grundsätze in gröblicher Weise verletzt. ({11}) An diese positiven Bemerkungen über das Gesetz muß ich aber auch einige negative Bemerkungen anschließen. Zunächst einmal sind wir nach wie vor der Meinung, daß dieses Gesetz den Namen Kinder- und Jugendhilfegesetz in keiner Weise verdient hat, weil in diesem Zusammenhang das Wort Kind fehl am Platze ist. ({12}) Auch die vielen Sachverständigen haben gesagt: Es ist wirklich kein Kinderhilfegesetz, es ist allenfalls der Versuch dazu. Ich will darüber hinaus sagen, daß wir nach wie vor der Meinung sind, daß es wirklich unbefriedigend ist, daß Sie das Kind durch dieses Gesetz zum Erziehungsobjekt machen, wie Sie es in die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats geschrieben haben. Das ist eine schlimme Auffassung vom Kind, von seiner Rechtsstellung und von seiner Subjektstellung. Das Kind in solch einem Zusammenhang zum Erziehungsobjekt zu machen - das muß ich Ihnen sagen - geht über mein Verständnis. Es ist nicht zeitgemäß. Es entspricht auch nicht zeitgemäßen pädagogischen Erkenntnissen. ({13}) Ich bin nach wie vor der Meinung - das sage ich auch für unsere Fraktion und unsere Partei - , daß das Kind ein eigenständiges Rechtssubjekt ist. Wir werden bei dem Standpunkt, daß das Kind ein eigenständiges Rechtssubjekt ist, bleiben und werden versuchen, dies in dem Gesetz in einer späteren Debatte entsprechend zu verändern. ({14}) Die Fachwelt, die Sozialarbeiter und die, die sich mit dem Problem beschäftigen, sagen, daß die Jugendhilfe heute eine lebensweltorientierte Jugendhilfe sein muß. Das gibt das Gesetz inhaltlich nicht wieder. Die Lebensorientierung ist in diesem Gesetz nicht enthalten. Sie haben damit eine Chance verpaßt. Uns betrübt ferner, daß Sie der Aufgabe des § 8 des Sozialgesetzbuches nicht gerecht werden, d. h. den eigenständigen Erziehungsauftrag des Gesetzes aufheben. Auch dies ist, wie ich meine, nicht gerechtfertigt und ein großer politischer Fehler, den Sie da machen. Ich kritisiere weiter, daß die Familienzentrierung einen unnötigen Konflikt zwischen Familie und Kind provoziert hat. ({15}) Wir sind nach wie vor der Meinung, daß es eine Gleichrangigkeit, eine Ausgewogenheit des Verhältnisses von Kind und Familie gibt und daß diese Familienzentriertheit - wie das der Sachverständige Jor15850 dan gesagt hat - unnötig ist und überhaupt keinen Sinn und Zweck hat. Wir bedauern sehr, daß Sie den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz nicht verwirklichen konnten. Wir werden dazu einen Antrag stellen und hoffen, daß wir diesen Rechtsanspruch in zweiter Lesung doch noch durchsetzen. ({16}) Der Rechtsanspruch ist ja ein Kniefall vor Herrn Albrecht, weil nämlich das Land Niedersachsen eine Versorgungsquote von unter 50 % hat. ({17}) - Schleswig-Holstein hatte lange Zeit eine CDU-Regierung, Frau Schoppe, wie Sie wissen; ich gebe Ihnen ja recht. ({18}) Es ist auch an unsere Genossen in Schleswig-Holstein die Aufforderung zu richten, diesen Rechtsanspruch dort zu verwirklichen. ({19}) Darüber brauchen wir nicht zu streiten. Deswegen wollen wir ihn ja im Gesetz haben. Er richtet sich nicht nur gegen Niedersachsen, sondern auch gegen Schleswig-Holstein. Ich meine, daß dieser Rechtsanspruch ein vernünftiges Instrument gewesen wäre, in dieser Republik endlich eine flächendeckende Versorgung mit Kindergartenplätzen herzustellen. Es ist absurd, daß Herr Worms, Oppositionsführer im Landtag von Nordrhein-Westfalen der CDU, in den letzten Tagen einen Antrag gestellt hat, eine Versorgung von 90 % sicherzustellen. Und das, obwohl das Land Nordrhein-Westfalen eine Versorgung von 75 % hat. Herr Worms soll einmal mit seinem Kollegen Albrecht reden, ({20}) Druck machen und dafür sorgen, daß da mindestens eine 75 %ige Versorgung vorhanden ist. Ich muß Ihnen sagen: Diese Diskussion in der CDU ist so unehrlich, ({21}) daß es wirklich Zeit wird, daß Sie Ihre Reihen ordnen und auf eine vernünftige Position kommen, nämlich auf die Position, daß der Rechtsanspruch vernünftig ist. ({22})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das veranlaßt den Abgeordneten Link, Sie um eine Zwischenfrage zu bitten.

Konrad Gilges (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000680, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Walter Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Gilges, wie beurteilen Sie die Ablehnung des gesamten Gesetzes durch die SPD-Finanzminister im Bundesrat? Meinen Sie, daß im Hintergrund nicht auch gerade der Rechtsanspruch und die finanziellen Auswirkungen gestanden haben?

Konrad Gilges (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000680, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Finanzminister haben, wie Sie wissen, auch mit Zustimmung der SPD-Länder diesen Beschluß unter dem Gesichtspunkt gefaßt: Der Bund kann nicht Leistungsgesetze beschließen, ohne daß er sich Gedanken macht, wie diese Leistungsgesetze finanziert werden. ({0}) Die Finanzminister der Länder haben alle gemeinsam gefordert - ich glaube, daß diese Forderung auch berechtigt ist - , daß der Bund den Ländern im Steuerverfahren finanzielle Möglichkeiten gibt - über den Länderfinanzausgleich - , damit die Gemeinden diesen Rechtsanspruch auch realisieren können. Ich finde, das ist richtig, Herr Link. Ich kann das nicht kritisieren. Ich verstehe auch nicht, daß Sie das immer kritisieren. Sie haben das ja immer geschickt als eine Ablehnung des Rechtsanspruchs dargestellt. ({1}) Das ist keine Ablehnung des Rechtsanspruchs, sondern - es tut mir sehr leid - die Ablehnung eines Gesetzes, das der Bund beschließt und den Ländern und Gemeinden Kosten verursacht. ({2}) Trotz dieser Zustimmung zu diesem Gesetz, die wir in dritter Lesung angekündigt haben, werden wir unsere Grundsatzposition in keiner Weise aufgeben. Der grundsätzliche Dissenz über die entscheidenden Fragen Rechtsanspruch, Familienzentriertheit, Rechtssubjekt des Kindes - das habe ich alles vorgetragen - bleibt bestehen; er wird auch mit der Zustimmung zu diesem Gesetz nicht aufgehoben. Ich sage das ausdrücklich. ({3}) Wir stimmen dem Gesetz nur deswegen zu, weil wir der Meinung sind, daß diese 20jährige Diskussion einmal beendet werden muß, daß die Irritationen über diese Diskussionen in den Orten, in den Städten und Gemeinden unseres Landes endlich einmal beendet werden muß, daß man sich auf die wirklichen praktischen Aufgaben konzentrieren muß. Ich hoffe, daß die Praxis der Jugendhilfe vor Ort besser sein wird als dieses Gesetz. Dieses Gesetz ist eine Voraussetzung dafür, daß die Praxis verbessert werden kann. Ich gehe davon aus, daß im Rahmen der deutsch-deutschen Einigung, Herr Link, eine Novellierung dieses Gesetzes notwendig wird. Wir werden zumindest versuchen, daß die schlechen Seiten, die nicht günstigen Aspekte dieses Gesetzes in einer Novellierung im nächsten Bundestag zum Positiven gewendet werden können. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der ersten Lesung zum Kinder- und Jugendhilferecht im Dezember des letzten Jahres habe ich meine Rede mit den Worten geendet: Wenn wir gemeinsam das Gesetz mit großer Mehrheit hier im Bundestag verabschieden, wenn wir uns als kompromißfähig erweisen, dann steigen die Chancen, das Gesetz auch durch den Bundesrat zu bringen, und das sollte uns alle Anstrengungen wert sein. Ich bitte um diese Gemeinsamkeit, damit wir nicht wieder eine Situation wie 1980 erleben. Meine Damen und Herren, dies ist geschehen. Das Kinder- und Jugendhilferecht wurde im Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auch mit den Stimmen der SPD verabschiedet. Ich möchte mich dafür bei den Kollegen der SPD ausdrücklich bedanken. Ich weiß, daß nicht alle Wünsche der Sozialdemokraten erfüllt worden sind. Aber ich kann den Sozialdemokraten sagen: Auch nicht alle liberalen Wünsche sind erfüllt worden, wie auch nicht alle Wünsche unseres Koalitionspartners CDU/CSU erfüllt werden konnten; denn nach der Verfassung sind wir auf die Zustimmung des Bundesrates angewiesen, und das fordert Kompromisse. Diesmal ist aber offensichtlich die Abstimmung mit den Ländern besser vorgenommen worden als 1980. Deswegen möchte ich mich auch beim Ministerium, insbesondere bei Dr. Wisner bedanken, der das geschafft hat, was in anderen Legislaturperioden nicht möglich war: die frühzeitige Einbindung der Länder in dieses Gesetz. Das Jugendwohlfahrtsgesetz ist 70 Jahre alt. Die Gesellschaft hat sich in diesen Jahren verändert. Bereits seit zwei Jahrzehnten will man dieses Gesetz ändern. Auch schon in der sozialliberalen Koalition wurde ein gutes, ein neues Jugendhilferecht vorgelegt; aber zur damaligen Zeit waren die Fronten ideologisch hart, und die Frage der Kosten spielte auch damals schon die wichtige Rolle. Seit Beginn der 70er Jahre ist die Diskussion über eine Novellierung dieses Gesetzes nicht aus den politischen Diskussionen wegzudenken. Deswegen kann man heute mit Fug und Recht sagen, daß nicht allein die Vorarbeit dieser Legislaturperiode zählt, sondern ein langer Entwicklungsprozeß dem heute in zweiter und dritter Lesung zu beratenden Regierungsentwurf vorgelagert war. So waren alle Betroffenen schon bei der Erstellung der Referentenentwürfe eingebunden. Viele Anregungen von Fachleuten aus den Verbänden und aus der Politik haben auf die Gestaltung dieser Entwürfe Einfluß nehmen können. Die Anregungen der Sachverständigen bei der zweitägigen Anhörung führten zu über 70 Änderungsanträgen, die das Gesetz weiter veränderten. Auch die Diskussion im Ausschuß zwischen Koalition und Opposition brachte kurzfristig weitere Änderungen und Verbesserungen. Insofern kann die Bearbeitung dieses Gesetzes ein gutes Beispiel für die Zusammenarbeit von Verbänden, Ministerium und Politik und innerhalb der Politik zwischen den einzelnen Fraktionen dieses Hauses im Ausschuß Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit sein. Ein weniger gutes Beispiel bietet die Rede von Herrn Gilges, die wir gerade gehört haben. ({0}) Die Kritik, daß dieses Gesetz durchgepeitscht wurde, daß zuwenig Zeit für die Beratungen war, trifft nicht zu. ({1}) Selbst bei den Anhörungen, die ursprünglich für drei Tage angesetzt waren, zeigte sich, daß der dritte Tag nicht mehr benötigt wurde. Wenn die SPD uns vorwirft, daß wir das Gesetz vor der Niedersachsenwahl durch den Bundesrat bringen wollen, ({2}) so ist dies richtig. Mit der jetzigen Zusammensetzung des Bundesrats wurde der Gesetzentwurf abgestimmt, durch diesen Bundesrat wird er verabschiedet werden. Ein möglicher, aber nicht mehr so sehr wahrscheinlicher Ministerpräsident Schröder von Niedersachsen hätte diesen Termindruck leicht gegenstandslos machen können. ({3}) Es gibt keine Äußerung vom Kandidaten, daß er bereit gewesen wäre, dieses Gesetz im Bundesrat passieren zu lassen. Es gibt auch keine Äußerung von SPD-regierten Ländern, daß sie bereit gewesen wären, den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz im Bundesrat zu unterstützen. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Götte?

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich gestatte, ja.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön, Frau Dr. Götte!

Dr. Rose Götte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Eimer, zum Thema Zeit: Halten Sie es denn für richtig, daß wir 79 Änderungsanträge der CDU/CSU, die wir an dem Tag morgens auf den Tisch bekommen, an dem wir sie auch beraten sollen, in zwei Tagen beraten? ({0}) Ist das genügend Zeit, um einen solchen Gesetzentwurf zu beraten? Halten Sie das für angemessen? ({1})

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, die Änderungsanträge, die sicherlich sehr kurzfristig vorlagen ({0}) - ich sehe überhaupt nicht ein, warum ich von der Wahrheit abgehen soll, meine Kollegen -, ({1}) waren auf Grund der Beratungen abzusehen. Sie waren zum größten Teil angekündigt. ({2}) Es gab auch Änderungsanträge, die noch sehr viel kurzfristiger eingebracht worden sind, ({3}) nämlich auch ganz spontan - auch von uns! - auf Grund der Debattenlage im Ausschuß. Damit wollte ich vorhin auch darauf hinweisen, daß es ein guter Stil ist, wenn man auf Anregungen eingeht, wenn man versucht, gemeinsam ein Gesetz zu machen. Und wenn es hier einmal funktioniert, dann wird es gleich wieder auf der anderen Seite diskreditiert und diffamiert. Das halte ich nicht für richtig. ({4}) Wir waren gerade bei einem der Hauptdiskussionspunkte dieses Gesetzes. Ich habe mehrmals betont, daß ich für einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz bin. Der Beschluß des zuständigen Arbeitskreises der Fraktion hat diesen Standpunkt unterstützt; die Kinderkommission ebenfalls. Aber wir Liberalen kennen sehr genau die Spielregeln unseres föderativen Rechtsstaates, und wir wissen auch, wo für uns als Bundespolitiker die Grenzen gesetzt sind. Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz war weder mit den Landespolitikern der SPD noch mit denen der Union durchzusetzen. Hier hat die SPD unseriös taktiert, und sie tut es immer noch. ({5}) Die Landespolitiker haben mit einer anderen Zunge geredet als die SPD im Bundestag. Der Antrag der SPD zum Rechtsanspruch setzt dieses Spiel fort. Auch ich würde diesem Antrag liebend gern zustimmen, aber ich werde das Gesetz nicht leichtfertig aufs Spiel setzen - nämlich dann, wenn es um die Verabschiedung im Bundesrat geht. Aber vielleicht bringt uns - darin stimme ich mit Herrn Gilges überein - ein vereinigtes Deutschland in dieser Diskussion um die Kinderbetreuung weiter. ({6}) Die DDR ist uns im Angebot von Kindergärten, -krippen und -horten voraus. Aber andererseits hat sich in den letzten Monaten offenbart, daß das quantitative Angebot - auf nichts anderes bezieht sich die Forderung nach einem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz - bei weitem nicht ausreicht. Mit unserer Forderung nach einem bedarfsgerechten Ausbau geben wir auch die Empfehlung, auf die Qualifikation der Kinderbetreuung - d. h. auf die Gruppengröße und Gruppenzusammensetzung und noch vieles mehr - zu achten. Aber über die Diskussion um den Kindergartenplatz drohen andere Bereiche des neuen Jugendhilferechts unterzugehen. Das sind z. B. die Bereitstellung eines pluralen Angebotes von Kinder- und Jugendhilfe durch freie Träger, private Initiativen und staatliche Stellen. Erst ein plurales Angebot schafft die Wahlmöglichkeit für die Eltern, ihre Kinder dort unterzubringen, wo die Erziehung ihren Erziehungszielen am nächsten kommt. Die freie Entscheidung jedes einzelnen Bürgers - der Erziehungsberechtigten und ihres Kindes, des Jugendlichen bzw. des Volljährigen - muß am Anfang stehen, wenn Jugendhilfemaßnahmen greifen wollen und Positives für die Bewußtseinsentwicklung und die Persönlichkeitsentwicklung des jungen Menschen in einer pluralen Gesellschaft bewirken sollen. Dies ist die gegenteilige Vorstellung der staatlichen Jugendarbeit, wie sie in der DDR praktiziert wurde. Sie ist mit dem DDR-Staat zusammengebrochen. Es gibt kaum noch Jugendarbeit in der DDR. Hier sieht man, wie wichtig die Subsidiarität und die Pluralität in diesem Bereich sind. Jugendhilfemaßnahmen und Reha-Maßnahmen gelten auch für junge Erwachsene, in begründeten Fällen sogar bis zum 27. Lebensjahr. Die Praxis hat gezeigt, daß die Betreuung auch in das dritte Lebensjahrzehnt reichen muß. Sucht- und Drogenprobleme, Konflikte mit dem Elternhaus und der sozialen Umgebung hören mit der Volljährigkeit nicht auf. Eine wichtige Änderung betrifft auch Jugendhilfemaßnahmen für junge Ausländer. Der Tatbestand der Inanspruchnahme von Jugendhilfemaßnahmen führt nicht zu einer Ausweisung. Damit haben wir den Entwurf in einem wichtigen Punkt nachbessern können und sind den Ergebnissen der Anhörung gefolgt. ({7}) Auch dieser Änderungsantrag ist ganz kurzfristig eingebracht worden, und Sie werden doch nicht sagen wollen, daß das dem Gesetz geschadet hat. ({8}) Die Tatsache, daß sich in diesem Punkt alle Fraktionen im Ausschuß einig waren, gibt dem Ganzen ein zusätzliches Gewicht, wenn es um die Novellierung des Ausländerrechts geht. Erst wenn dies geschehen ist, sollten wir über diesen Punkt weiter diskutieren. Ich halte es für wichtig, daß Kinder zu Hause betreut werden können, wenn Eltern für die Erziehung ausfallen, zum Beispiel durch den Tod. Bisher gab es dann, wenn sich keine Pflegefamilie fand, nur eine Möglichkeit, nämlich die Kinder ins Heim zu stecken. Für die Entwicklung der Kinder war dies nicht optimal, weil sie aus der gewohnten Umgebung herausgerissen wurden. Und für den Steuerzahler wurde es auch noch teuer. Eimer ({9}) Auch die Möglichkeit, Kinder in Konfliktfällen ohne Wissen der Eltern zu beraten, wurde noch verbessert. Dies war ebenfalls ein Änderungsantrag, der sehr kurzfristig kam, und ich denke, daß wir uns alle darin einig sind, daß dies das Gesetz verbessert hat. ({10}) Ich möchte schließen mit dem Dank, mit dem ich auch begonnen habe, nämlich dem Dank dafür, daß dieses Kinder- und Jugendhilfegesetz zügig beraten werden konnte und daß die Zusammenarbeit wenigstens im Ausschuß gut war. Ich hoffe, daß dieses Gesetz genauso gut über die Hürde des Bundestages und die des Bundesrates geht. Vielen Dank! ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Frau Abgeordnete Schoppe.

Waltraud Schoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002065, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Lehr, schön, Sie mal wiederzusehen! ({0}) Ich möchte doch noch ein paar Worte zu den ausländischen Kindern sagen. Was sich da im Ausschuß abgespielt hat und was hier so groß gepriesen wird - daß es uns gelungen ist, aus dem Kinder- und Jugendhilferecht die Diskriminierung von ausländischen Kindern herauszunehmen, indem der Ausweisungstatbestand bei Inanspruchnahme von Jugendhilfe nicht mehr zum Zuge kommt -, ist ja gut und schön. Aber ich will Ihnen eines sagen: Ich fühle mich an der Nase herumgeführt, wenn zur gleichen Zeit die Bundesregierung den Entwurf eines Ausländergesetzes vorlegt, in das genau dieser Tatbestand wieder aufgenommen wird. ({1}) Das ist ja wirklich das Letzte! Da komme ich auf achtzig! Da kann man doch nicht prahlen, daß es uns gelungen sei, dies wegzudrücken, wenn das dann durch das neue Ausländergesetz konterkariert wird. Es hat mich maßlos empört, daß das hier so gehandhabt wird. Ich finde das unglaublich. Offensichtlich gibt es - das weiß man immer schon vorher - liberalere Ministerien und sehr repressive Ministerien; offensichtlich kommt das Ausländergesetz aus einem sehr repressiven Ministerium. Aber das ändert ja überhaupt nichts an der Tatsache, daß wir uns jetzt mit dem Tatbestand, daß jugendliche Ausländer bei Inanspruchnahme von Jugendhilfemaßnahmen ausgewiesen werden können, herumschlagen müssen. Ich finde das unerhört; das muß ich ganz ehrlich sagen. Ich habe mich im Ausschuß bei der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf enthalten, weil darin natürlich einige Regelungen stehen, die auch wir für richtig halten. Aber auf Grund dieser Tatsache werde ich hier heute gegen dieses Gesetz stimmen. Bei dieser Abstimmung steht meine Fraktion voll hinter mir.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Abgeordnete Schoppe, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Eimer?

Waltraud Schoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002065, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, bitte!

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, ist Ihnen bewußt, daß die Gesetze von dem jeweiligen Ministerium zwar vorbereitet und eingebracht werden, daß sie aber verabschiedet werden vom Bundestag, von uns, und daß es von uns abhängt, wie ein Gesetz aussieht? Und ist Ihnen bewußt, daß der Bundestag hier ein Gesetz verabschieden wird, nach dem die Abschiebung von Ausländern auf Grund der Tatsache, daß sie Jugendhilfe in Anspruch nehmen, nicht mehr erfolgen kann? Und können Sie sich nicht vorstellen, daß der Bundestag, wenn er das hier so macht, bei dem von Ihnen genannten Gesetz in gleicher Weise verfahren kann?

Waltraud Schoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002065, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, Herr Eimer, das kann ich mir nicht vorstellen, weil ich die Debatten kenne; ich habe mich informiert. Ich kenne die Debatten, die von Ihren Kollegen, den Kollegen der CDU/ CSU, in den entsprechenden Ausschüssen über das Ausländergesetz geführt werden. Ich weiß auch, Herr Eimer, daß Sie hier oftmals ankündigen, daß Sie gern dagegen stimmen würden - wie heute - , aber sich nicht trauen, weil Sie glauben, daß das ganze Jugendhilfegesetz kippt, wenn Sie sich einmal trauen, dagegen zu stimmen. ({0}) Da ich weiß, daß hier solche Leute sitzen, weiß ich: Es wird so bleiben, wie es ist; so. ({1}) Ich will noch hinzufügen, daß es nach unserer Meinung nicht mehr geht, daß wir, die wir in einer multikulturellen Gesellschaft leben, Menschenrechte - und ich halte das für ein Menschenrecht - ethnisch definieren. Es muß einfach einmal in die Köpfe hineingehen, daß das in dieser Gesellschaft, in der wir mit vielen ausländischen Menschen zusammenleben, einfach so nicht mehr geht. Außerdem verstößt das meiner Meinung nach gegen das Haager Kinderschutzabkommen und auch gegen die UN-Kinderkonvention, soweit sie hier denn einmal ratifiziert werden sollte.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Abgeordnete, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eimer? ({0})

Waltraud Schoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002065, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber Sie halten die Zeit immer an, Herr Präsident? - Bitte.

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, können Sie mir sagen, wie Sie das Gesetz bei einem Rechtsanspruch, den der Bundestag hier verabschieden würde, durch den Bundesrat bringen wollen?

Waltraud Schoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002065, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Was für ein Rechtsanspruch denn? ({0}) - Das beantworte ich jetzt nicht. ({1}) Da ich allerdings jetzt ohnehin gerade zum Rechtsanspruch kommen wollte, werde ich Ihre Frage mit aufnehmen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie müssen nicht, Frau Kollegin.

Waltraud Schoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002065, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

In weiser Voraussicht hat Herr Eimer da schon vorgegriffen. Wir treten also, meine Damen und Herren, es geht um den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ein. Und meine Meinung ist, daß von großen Teilen derjenigen, die diskutieren, ob es denn einen Rechtsanspruch geben soll, bisher noch nicht begriffen worden ist, daß wir hier in der Gesellschaft in kulturellen Umbrüchen leben und daß es bei einem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ja nicht nur darum geht, daß Mütter arbeiten wollen und deshalb einen Kindergartenplatz für ihre Kinder zur Verfügung haben müssen, wo sie ihre Kinder hinbringen können, sondern daß es auch darum geht, daß von unseren Kindern, die mit den Problemen dieser Welt einmal fertig werden müssen, heute Kompetenzen erwartet werden: soziale Kompetenzen, ökologische Kompetenzen, kulturelle Kompetenzen im Zusammenleben mit Menschen aus anderen Kulturen, auch historische Kompetenzen, die sich die Kinder nicht mehr allein in der Familie aneignen können. Schon dafür brauchen wir den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Ich finde die Debatte darüber hier wirklich ein Stück weit sehr unglaubwürdig. Denn es ist einfach so: Beim Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz haben all diejenigen, die entscheiden konnten, versagt. Es haben sowohl die Rechten hier, die CDU, und die FDP, wie auch die SPD versagt - das kann man überhaupt nicht wegdiskutieren -, ({0}) einschließlich des rot-grünen Senats in Berlin - das möchte ich ausdrücklich dazusagen - , weil sie diesen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz nicht wollten. ({1}) Meine Damen und Herren, dieses Gesetz hat unserer Meinung nach eine Schieflage, weil es vor allem die Rechte der Eltern zur Stützung ihrer Erziehungsleistung regelt; ein Elternhilferecht. Dagegen kann man ja nichts haben, wenn die Eltern unterstützt werden sollen. Aber: Wenn die Rechte der Kinder und Jugendlichen auf Hilfe und Inanspruchnahme von Leistungen nicht gleichzeitig ausreichend berücksichtigt sind, dann entsteht diese Schieflage. Mitgestaltungsmöglichkeiten beispielsweise von Kindern und Jugendlichen bei der Jugendhilfe sind im Gesetz nicht enthalten. Hinter diesem Bild, das die Eltern so bevorrechtigt, scheint mir im Grunde genommen ein stockkonservativer Familienbegriff zu stecken. Hier wird ein auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts viel zu weit reichendes Elternrecht formuliert - in der Begründung merkt man das ganz deutlich -, und es entsteht ein Bild von Kindern und Jugendlichen als irgendwie Unmündige, also irgendwie unfertige Erwachsene. ({2}) - Ja, die haben einen Objektcharakter in diesem Gesetz. - Moderne Jugendhilfe aber, die lebensweltorientiert sein soll, muß gerade die Integrität von Kindheit und Jugendphase anerkennen. Das bedeutet vor allem, Kindern und Jugendlichen eigene Entscheidungsmöglichkeiten zu gewähren und ihnen Bedingungen für ein eigenverantwortliches Gestalten ihrer Lebenswelt zu eröffnen. Das ist dort leider nicht enthalten. Ich möchte noch auf die Veränderung des § 8 im Sozialgesetzbuch eingehen. Mit der Änderung des § 8 wird das seit 68 Jahren in der Jugendhilfegesetzgebung bestehende Recht auf Erziehung unserer Meinung nach aufgegeben, und Jugendhilfe wird den Gesichtspunkten sozialer Hilfe untergeordnet. Die Gewährleistungspflicht für das Recht auf Erziehung wird den Trägern der Jugendhilfe damit entzogen. Der Anspruch der Betroffenen wird auf die Leistungen reduziert, die das Jugendhilferecht vorgibt. Hier wird der Jugendhilfe Handlungsspielraum entzogen. Meine Damen und Herren, wir müssen uns fragen, ob angesichts der gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen in unserer Gesellschaft - ich erinnere an das Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten, an multikulturelle Herausforderungen, an Zerstörung von Lebensräumen - , Jugendhilfe so noch die innovative Kraft darstellen kann, die sie besitzen muß, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Eine Bemerkung noch zur Finanzierung, Herr Gilges. Auch wir sind der Meinung, daß der Bund mitfinanzieren muß, und zwar nicht nur bei den Kindergartenplätzen, sondern bei der Jugendhilfe überhaupt. Angesichts der neuen Aufgaben hier - ich sagte es schon: Zusammenwachsen - oder auch unserer Verantwortung für eine Gestaltung in Europa - wir als Deutsche sind ja nicht der Mittelpunkt, wir sind ja nicht allein auf der Welt, sondern wir haben Verantwortung auch für die osteuropäischen Staaten, wir haben Verantwortung für die Dritte Welt - besteht einfach die Gefahr, daß wieder die Schwächsten abgehängt werden und daß möglicherweise Jugendhilfe abgehängt wird. Deshalb haben wir noch eine Regelung zur Finanzierung vorgelegt. Wir haben die Albrecht-Initiative, die damals vielgelobte Albrecht-Initiative, aufgenommen, und wir haben sie bezogen auf Jugendhilfe. Unserer Meinung nach wäre das eine gute Idee, eine der Möglichkeiten, wie man die Finanzierung regeln kann. Man kann natürlich auch eine andere Finanzierung wählen, etwa Länderfinanzausgleich. Auf jeden Fall muß aber der Bund mitfinanzieFrau Schoppe ren. Indem man unseren Vorschlag kritisiert, kann man sich nicht der Anforderung entziehen, daß die Länder einfach mehr Geld brauchen. Mir ist noch wirklich übel aufgefallen, daß wir schon mitten in der Beratung des Jugendhilferechtes steckten, als der achte Jugendbericht über die Jugendhilfe erschien. So geht das einfach nicht. Wer die Möglichkeit hat, in diesem Bericht zu lesen - die Möglichkeit hat man ja erst, wenn das Gesetz jetzt verabschiedet ist, weil man erst dann wieder Zeit hat - , der wird sehen: Viele der dort erhobenen Forderungen, lebensweltorientierte Jugendhilfe beispielsweise, sind in diesem Gesetz wirklich nicht aufgenommen worden. Schade, Herr Wisner, es ist in vielen Teilen doch eine vertane Chance. Ich möchte auch noch etwas zur Schnelligkeit der Beratung sagen. Man kann doch nicht so tun, als hätten wir Zeit genug gehabt zur Beratung. Wir haben am Mittwoch die Protokolle vorgelegt bekommen, und am nächsten Mittwoch sind wir in die abschließende Beratung eingetreten. Das ist, finde ich, einfach zu schnell, aber hier werden ja Gesetze durchgepowert. ({3}) Es kommt ja noch schlimmer, wie wir heute im Ausschuß gemerkt haben: Als wir das Ausländerrecht beraten wollten, tauchten plötzlich Anträge auf, die nur als Geheimanträge des Innenausschusses definiert wurden. ({4}) In der Geschäftsordnung habe ich bisher nicht sehen können, daß es solche Geheimanträge gibt, aber man sieht: Es kommt schlimm, aber es kann immer noch ein klein bißchen schlimmer kommen. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sauer ({0}).

Roland Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001922, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heutigen zweiten und dritten Lesung fehlt offensichtlich die Brisanz, denn die SPD-Fraktion hat im Ausschuß bei der Schlußabstimmung diesem Gesetzentwurf zugestimmt, und die GRÜNEN haben sich lediglich enthalten. ({0}) Dem Gesetzentwurf ist seine Qualität damit auch von der Opposition bescheinigt worden. ({1}) Ich verstehe deshalb nicht ganz die Einwände, die heute und jetzt immer noch gemacht werden. Ich werde aber trotzdem, Herr Gilges, auf einige Punkte Ihrer Kritik eingehen. Es wird der Vorwurf gemacht, in diesem Gesetz habe die Familie Vorrang vor dem Kind und der Jugend. Dazu ist zu sagen, das Grundgesetz schreibt die Erziehungsverantwortung der Eltern fest. Es schützt damit gleichzeitig die Familien vor Eingriffen, auch vor staatlichen Eingriffen. ({2}) Ich habe den Eindruck, daß die SPD immer noch, auch bei diesem Gesetz, versucht hat, wieder in die Familie hineinzuregieren, und dies lehnen wir mit Entschiedenheit ab. ({3}) Es ist klar zu sagen: Ein Staat, der die Erziehungsverantwortung festschreibt, würde sich geradezu ins Unrecht setzen, wenn er zugleich dem Kind oder dem Jugendlichen die Möglichkeit einräumen würde, an den Eltern vorbei staatliche Erziehungsleistungen abzurufen. ({4}) Es würde eine Lawine von Gerichtsverfahren hier schon vorprogrammiert sein und auf uns zukommen. Der Staat hat nur ein Wächteramt wahrzunehmen, natürlich kein Nachtwächteramt. Dieses Wächteramt ist dem Jugendamt übertragen. Die Eltern haben im Interesse des Kindes zu handeln. Die Partner der Jugendhilfe sind deshalb in erster Linie die Eltern. Sie zu übergehen kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn sie ihre Pflichten grob vernachlässigen. ({5}) Hier hat dann das Vormundschaftsgericht zu entscheiden. Dies wollen wir aber durch rechtzeitige präventive Hilfen nach Möglichkeit vermeiden. Aus all diesen Gründen kann ich nicht verstehen, warum diesem Gesetzentwurf Familienlastigkeit vorgeworfen wird. Für die CDU/CSU gilt nach wie vor: Neben der Schule darf es keine eigenständige, mit dem Elternrecht konkurrierende Erziehungskompetenz des Staates geben. Für eine Beteiligung der Kinder und Jugendlichen ist gesorgt. In den §§ 7, 8 und 36 sind Mitwirkungsrechte eindeutig festgehalten, auch z. B. das Recht, sich bei Not- und Konfliktlagen direkt beraten lassen zu können. Damit ist auch die Position des Kindes als Grundrechtsträger ausgewogen berücksichtigt. Hier ist u. a. auch festgeschrieben: Kinder und Jugendliche sind entsprechend ihres Entwicklungsstandes an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen. Die Forderung aus dem geltenden Jugendwohlfahrtsgesetz, wonach jedes deutsche Kind ein Recht auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit hat, ist nun im neuen Kinder- und Jugendhilfegesetz weiter gefaßt worden: Jeder junge Mensch hat - jetzt 15856 Sauer ({6}) ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Die Eltern haben durch ihre Erziehung dieses Recht zu verwirklichen. In diesem Zusammenhang wird manchmal auch kritisiert, die Rechtsstellung des Kindes sei zu schwach ausgestaltet. Die grundsätzlichen Fragen im Verhältnis zwischen Eltern und Kind sind im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt worden, und hier gehören sie auch hin. Lassen Sie mich nun kurz noch etwas zu der Kritik am Jugendhilfeausschuß sagen. Wir haben die Auswahlkriterien für die Vertreter der freien Träger im Jugendhilfeausschuß etwas geändert. Das bisher gültige Jugendwohlfahrtsgesetz spricht ja ganz ausdrücklich zwei Fünftel der Stimmen den freien Wohlfahrtsverbänden und den Jugendverbänden zu. Diese Regelung war lange Zeit angebracht. Die Arbeit der Jugendverbände hat eine lange Tradition. Sie ist auch für die künftige Jugendhilfe ganz unverzichtbar. Das neue Kinder- und Jugendhilfegesetz widmet ihr daher ganz ausdrücklich eine eigene Vorschrift. In den letzten Jahren hat sich aber - das muß man sehen - die Szene der freien Träger verändert. ({7}) Die bisherigen Jugendverbände sind in ihrer Bedeutung, auch bei ihren Mitgliederzahlen, zurückgegangen. Einen immer größeren Wert erhält dabei die offene Jugendarbeit. Diese Jugendarbeit wird vorwiegend in offenen Einrichtungen erbracht. Sie richtet sich an nicht organisierte Jugendliche. Die Selbsthilfegruppen und die örtlichen Initiativen sind entstanden, die zum Großteil eine hervorragende Arbeit draußen vor Ort leisten. Die Jugendverbände wenden sich in ihrer Arbeit überwiegend an ihre Mitglieder. Jugendverbände können bei der Vertretung von Interessen junger Menschen kein Monopol für sich in Anspruch nehmen. ({8}) Es erschien uns deshalb, Herr Gilges, nicht mehr gerechtfertigt, das Vorschlagsrecht für die freien Vertreter im Jugendhilfeausschuß ausschließlich den Wohlfahrtsverbänden und den Jugendverbänden zu reservieren. ({9}) Mit der neuen Regelung nach § 63 sind die Wohlfahrtsverbände und die Jugendverbände angemessen vertreten. Es geht also nicht darum, die traditionellen Jugendverbände gegen neue Initiativen und Bewegungen auszuspielen. Wir brauchen beides: Jugendverbände und neue Initiativen. Es bleibt jetzt Raum, Herr Kollege Rixe - Sie haben vorhin den Zwischenruf gemacht - , je nach örtlicher Gegebenheit neue Verbände zu berücksichtigen. Dies dient der Pluralität in unserer Gesellschaft. Die Verpflichtung des Bundes zur Förderung überregional tätiger Träger ist im neuen Kinder- und Jugendhilfegesetz in § 74 stärker ausgestaltet als im geltenden Jugendwohlfahrtsgesetz. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das neue Gesetz den Bundesjugendplan als Förderungsinstrument ausdrücklich benennt. Warum sollte es dem Bund verwehrt sein, die bundesweite Förderung von Maßnahmen der Jugendhilfe auch nach anderen Plänen oder Richtlinien fortzuentwickeln? Die Bedeutung des Sports haben wir durch die jetzt herausgehobene Nennung im Gesetz aufgewertet. ({10}) - Nein. - Hieran wird deutlich, welchen Wert wir der sportlichen Jugendbildung beimessen, ({11}) im Gegensatz zur SPD-Fraktion, die in ihrem Änderungsantrag den Sport gar nicht mehr erwähnt ({12}) und damit den großen Beitrag der Deutschen Sportjugend im Bereich des Freizeit- und Breitensports für Kinder und Jugendliche völlig ignoriert. ({13}) - Das glaube ich sehr. Davon bin ich sehr überzeugt. ({14}) Ich komme zum letzten Satz, Herr Präsident. Mit der heutigen Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts bringen wir die Jugendpolitik, aber auch die Familienpolitik einen entscheidenden Schritt voran, ({15}) und dies nach 20 Jahren Reformdiskussion. Herzlichen Dank. ({16})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Sauer, es waren acht Minuten. Es war ein ganzes Ende drüber. Ich erkläre Ihnen später einmal die Apparatur. Der nächste Redner ist Herr Schmidt ({0}).

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst noch einmal kurz auf die Notwendigkeit der Gesetzesnovelle eingehen, weil ich sicher bin, daß wir uns auch in die Erinnerung rufen müssen, welche gesellschaftspolitischen Entwicklungen sich in den letzten Jahren in der Bundesrepublik vollzogen haben. Ich denke, das ist zwischen uns allen hier im Hause unbestritten, weil wir natürlich davon ausgehen müssen, daß beispielsweise schon die EnqueteKommission „Jugendprotest im demokratischen Staat", die Shell-Studie und die Jugendberichte in den vorigen Jahren an dieser Stelle eine ganze Reihe von Eckwerten gesetzt haben, die durch die GesetzesSchmidt ({0}) lage, die wir mit dem Jugendwohlfahrtsgesetz aus dem Jahr 1922 hatten, bedauerlicherweise nicht ausreichend berücksichtigt werden konnten. Gerade dies war eben auch für uns der Anlaß, zu sagen: Es ist nun Zeit, daß wir dieses mehr als pensionsreife Jugendwohlfahrtsgesetz aus den Angeln heben. Wir haben uns deshalb auch jetzt wie schon in früheren Jahren sehr intensiv an der Debatte beteiligt. Ich will darauf hinweisen, was wir denn so an Entwicklungen in der letzten Zeit hatten, obwohl die Aufzählung dessen endlos sein könnte und sich diese Tendenzen möglicherweise noch verstärken werden, im Zuge des deutsch-deutschen Zusammenwachsens möglicherweise sogar dramatischer werden. Ich will auf die Verinselung von Kindern und Jugendlichen hinweisen; denn wir haben in unserer Gesellschaft jetzt nicht nur sehr viele Einzelkinder, vielmehr breitet sich die Isolation unter den vorhandenen Kindern immer weiter aus. Ich will auf die Fragen der Symptome von Gewalt eingehen. Wir haben in diesen Tagen noch einmal Hinweise darauf bekommen, daß es in der Bundesrepublik jährlich 400 000 Fälle von Gewaltanwendung gibt. Ich möchte darauf hinweisen, daß es instabile Verhältnisse in Familien, in Schulen und in anderen Erziehungseinrichtungen und Umgebungen für die Kinder und Jugendlichen gibt. Ich will ganz besonders auf die mangelhaften Wohn- und Lebensbedingungen vieler Menschen in unserer Gesellschaft aufmerksam machen. Es bestehen nicht ausreichend Freizeitmöglichkeiten, genausowenig ausreichend Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten gerade für Kinder und Jugendliche in unserer Gesellschaft. Wir setzen unsere Kinder und Jugendlichen den Umweltbelastungen mit Gefährdung ganz besonders aus. Ich denke, das ist ein Faktor, den wir nicht ernst genug nehmen können und weiterverfolgen müssen. Wir lassen sie zuwenig an den Entscheidungen über ihre Lebenssphäre teilnehmen, und wir wenden uns als Politiker viel zuwenig den Kindern und Jugendlichen direkt zu. Auch das müssen wir dann entsprechend verändern. Das Gesetz, das wir heute beraten, bietet in allen diesen Fällen einige auch durchaus akzeptable Hinweise und Möglichkeiten für eine entsprechende Arbeit, aber es ist, wie ich noch ausführen werde, längst nicht in dem Maße ausreichend, wie wir uns das vorgestellt hatten. Ich will auch auf die Technisierung dieser Welt, die Mediatisierung, man könnte manchmal geneigt sein zu sagen: die „Mediotisierung" hinweisen. Es ist wirklich ein Faktor, den wir immer wieder ansprechen müssen, weil er oftmals wie eine Dampfwalze über Kinderseelen und ihre Lebensverhältnisse hinweggeht. Es ist also dringend notwendig, etwas zu tun. Gott sei Dank wird mit dem Gesetz, das heute zu beraten ist, Entsprechendes auf den Weg gebracht, aber längst nicht alles. Das hat uns die Zustimmung, die wir signalisiert haben, auch sehr schwer gemacht, wie Sie sich leicht vorstellen können. Der Kollege Gilges hat schon auf eine ganze Reihe von Problempunkten aufmerksam gemacht, auf die wir insgesamt auch hinweisen wollen. Es wäre sehr wichtig gewesen, als Ausgangspunkt für dieses Gesetz eine Bestandsaufnahme zu haben, weil wir durchaus in der Lage gewesen wären, uns daran besser als bisher zu orientieren. Frau Schoppe hat mit Recht darauf hingewiesen, daß wir mit dem Achten Jugendbericht eine gute Entscheidungsgrundlage gehabt hätten, wenn wir sie denn rechtzeitig vorgelegt bekommen hätten. Man hatte bald das Gefühl, daß er bewußt zurückgehalten worden ist, damit er nicht mehr in die Gesetzesberatung einfließt. ({1}) Ich will einmal die Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Achten Jugendbericht zitieren, die für eine Beratung vielleicht ganz hilfreich gewesen wäre, wenn sie uns denn rechtzeitig vorgelegen hätte. Die Bundesregierung schreibt in ihrer zusammenfassenden Stellungnahme zum Achten Jugendbericht - darum braucht man nicht alles zu lesen - folgendes: Mit der Kommission ist auch die Bundesregierung der Auffassung, daß dieses ... Gesamtbild allerdings nicht die Ungleichheiten, ja Notlagen verdecken darf, von denen Jugendliche betroffen sein können. Unterschiedliche Lebensbedingungen ergeben sich beispielsweise aus den erheblichen Veränderungen der Geburtenraten in den vergangenen Jahrzehnten. Die Knappheit an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen wirkte sich in den vergangenen Jahren insbesondere zu Lasten derjenigen Jugendlichen aus, die den schulischen und wachsenden beruflichen Qualifikationsanforderungen nicht genügen konnten. Die geschlechtsspezifischen Benachteiligungen von Mädchen und jungen Frauen in Ausbildung und Beruf konnten noch nicht in dem notwendigen Umfang abgebaut werden. Die Lebenslage ausländischer Jugendlicher wird vom Achten Jugendbericht als „partielle Integration bei gleichzeitiger Unterschichtung" beschrieben. Der Achte Jugendbericht weist auch darauf hin, daß fast 8 To aller Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren 1986 - das war, wie wir inzwischen wissen, eine in den Folgejahren steigende Tendenz Sozialhilfe erhielten. Ursachen hierfür sind die Arbeitslosigkeit der Eltern, die Trennung der Eltern und der geringere Lebensstandard alleinerziehender Mütter und Väter. Ich will noch ein weiteres Zitat aus der Kommentierung der Bundesregierung zum Achten Jugendbericht auswählen: Indem die lebensprägenden Kräfte von Familie, Konfession, sozialem Milieu und Gemeinde geringer werden, wächst der Freiheitsraum und somit die Chance der jungen Menschen, über den eigenen Lebensentwurf selbst zu bestimmen. Viele Entwicklungen der Jugendphase weisen in dieselbe Richtung: die Verinselung kindlicher Lebensformen, die Verlängerung der Bildungszeiten bezogen sowohl auf das Alter als auch auf das tägliche Zeitbudget von Kindern und Jugendlichen, die Trennung der Generationen durch die zunehmende Orientierung an den Normen der Gleichaltrigen, die wachsende Bedeutung des Schmidt ({2}) Freizeit- und Konsumsektors und die Wirkungen der Massenmedien. Ich will damit das unterstreichen, was ich eingangs selbst gesagt habe. Weil es im Achten Jugendbericht schon so ausführlich dargestellt worden ist, frage ich mich, warum wir dies nicht haben einbeziehen können; denn auch das neue Kinder- und Jugendhilfegesetz trägt diesen Entwicklungen beileibe nicht ausreichend Rechnung. ({3}) Ich möchte auch darauf hinweisen, warum wir nicht auf die inzwischen verabschiedete und auch von der Bundesrepublik gezeichnete UNO-Kinderkonvention Rücksicht genommen haben. Gerade die Mitglieder der Kinderkommission, die sich heute nicht nur in dieser Eigenschaft am Pult wiederfinden - es haben nun immerhin schon drei gesprochen - , werden natürlich mit Recht darauf hinweisen, daß auch die UNO-Kinderkonvention in den nächsten Monaten und Jahren ihre Folgerungen haben muß, wenn wir sie zur Ratifizierung bringen. Ich prophezeie einmal ganz locker an dieser Stelle, daß wir, wenn wir diese Konvention ernst nehmen, weil sie ratifiziert worden ist, schon jetzt aus diesem Grunde einige Gesetzesänderungen im Kinder- und Jugendhilferecht anpeilen müssen und von daher schon jetzt in der Notwendigkeit stehen, uns daran zu orientieren. Warum ist man ihr z. B. in der Frage der Ausländerkinder, der Frage der Kinder- und Jugendkultur, der Frage der Sorgerechtsentscheidung - Herr Eimer, Ihr spezielles Metier in der Kinderkommission - oder auch der Frage der Klarheit von Rechten der Kinder nicht in der Form von Objekten, sondern in der Form von Subjekten, nicht gefolgt? Was letzteres anbetrifft - es ist nun schon mehrfach in der Debatte in den Raum gestellt worden -, will ich dies unterstreichen, was mein Kollege Gilges und auch Frau Schoppe gesagt haben, daß dies für uns eigentlich unerträglich ist und wir gerade deswegen besondere Schwierigkeiten hatten, zuzustimmen. Hier ist es einfach nicht zu akzeptieren, daß die Kinder nur über die Ableitung über die Eltern und Familien zu ihrem Recht kommen. Das darf nicht der Sinn dieses Gesetzes sein, noch dazu - das will ich ein bißchen ketzerisch mit in den Zusammenhang stellen -, wo wir beim Tierschutz inzwischen in die gegenteilige Richtung laufen. Das Tier wird mittlerweile zum Subjekt unseres Rechtssystems; es bleibt nicht zum Objekt degradiert. Beim Kind und beim Jugendlichen sind wir bedauerlicherweise immer noch auf diesem Sektor festgehaftet. ({4}) - Damit setzen Sie sich einmal auseinander, Herr Link. Fragen Sie einmal Ihre Tierschutzexperten, wie weit die inzwischen sind! ({5}) - Sehen Sie, die Provokation ist doch gelungen. Vielleicht machen Sie sich dann etwas mehr Gedanken darüber. Ich möchte nur noch einmal darauf hinweisen, daß dieses Gesetz kein Eltern-, Elternhilfs- oder ein Jugendamtsgesetz sein sollte, sonst hätten wir es so bezeichnen sollen. Es enthält einfach zu wenig Ansprüche, die direkt in dieser Form auf die Kinder wirken. ({6}) Verzicht auf Ansprüche bringt gerade jetzt bei dem allzuständigen kommunalen Bereich auch vielfach den Leistungsverzicht. Als ein wichtiges Beispiel ist an dieser Stelle auch schon der Anspruch auf Kindergartenplätze genannt worden. Damit möchte ich mich noch einmal etwas intensiver auseinandersetzen, weil die Kindergartenplätze natürlich auf diesem Felde eine gewichtige Symbolrolle von Beginn dieser Gesetzesdebatte an gespielt haben. Ich glaube, es ist schon wichtig, daß wir feststellen, daß hier nun ein mehr als fauler Kompromiß auf der Basis der Verabredung, die der Bundeskanzler mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten getroffen hat, zustande gekommen ist. Dies sind die Urheber; das muß man einmal eindeutig sagen. Es ist erst die Gegenbewegung von Herrn Albrecht aus Niedersachsen gewesen, die dieses Gesetz zu Fall gebracht hat und an die sich dann die anderen Bundesländer, ob mehrheitlich CDU- oder SPD-regiert, spielt keine Rolle, angehängt haben. ({7}) - Ich sage Ihnen noch einmal, Herr Link: Sie haben die Unwahrheit gesagt. Wenn Sie mich der Unwahrheit bezichtigen, kann man anschließend feststellen, wer denn nun wirklich die Wahrheit spricht. Ich sage Ihnen: Es wäre den Bundesländern leichter gefallen - wir können das doch nicht so pauschal abtun, wie Sie es in Ihrem Debattenbeitrag getan haben -, wenn Sie beispielsweise mit einem Sonderprogramm Kindergärten ihnen auch über die finanziellen Hürden geholfen hätten. Dazu waren Sie aber von Anfang an nicht bereit. Sie haben deswegen von Anfang an nicht die Möglichkeit geboten, hier zu einem entsprechenden inhaltlichen Gesetzeswerk zu kommen. ({8}) Von daher denke ich, daß die Schuld insbesondere die Bundesregierung und auch die CDU-regierten Länder, an der Spitze Herrn Dr. Albrecht, trifft. Ich will in diesem Zusammenhang auch noch einmal die Rolle von Frau Süssmuth beleuchten, ({9}) die ja als Vorsitzende der Frauenunion über Monate und Jahre immer wieder diesen KindergartenanSchmidt ({10}) spruch gefordert hat. Wo ist sie denn gelandet? Bei Ihnen und bei Ihrem Ministerpräsidenten. ({11}) Sie wird das in Niederachsen bedauerlicherweise eben nicht wiederholen oder nachholen können, Herr Sauer - das ist das große Problem- , weil sie nämlich nicht Sozialministerin in Niedersachsen wird. Denn dazu müßte die Wahl von der CDU gewonnen werden, und das wird ja nun nicht der Fall sein. Sie sehen, es ist also ein mehr als schwach ausgebildetes Gesetz gerade auch an dieser Stelle. Wir können uns damit nicht abfinden und werden Ihnen deswegen einen entsprechenden Änderungsantrag vorlegen. Wir werden dies übrigens auch in unseren Entschließungsantrag, den wir parallel dazu laufen lassen, dann noch entsprechend aufnehmen. ({12}) - Gerade weil sie so alt sind, Herr Dr. Hoffacker, sind sie vielleicht um so besser. Sie hätten sich dann ja auch länger damit befassen können. ({13}) Weil wir gerade beim Zeitfaktor sind, will ich das an dieser Stelle einfließen lassen. Damit wir Ihnen einmal ganz genau vor Augen führen, wie denn das gewesen ist, haben wir noch einmal zusammengestellt, wie die Beratung dieses Gesetzes gelaufen ist. Vielleicht paßt das ganz gut, weil Herr Dr. Hoffacker von alten Anträgen spricht. Es ist so, daß am 7. Dezember die erste Lesung stattgefunden hat. Sie erinnern sich, daß wir hier im Bundestag die „midnight show" hatten. Wegen der Plazierung zu später Stunde, weil offensichtlich keiner mehr Lust hatte zuzuhören und weil es vor noch leererem Haus gewesen wäre, als das heute der Fall ist, haben wir dann die Reden zu Protokoll gegeben. Am 13. Dezember war dann die Beschlußfassung über die Durchführung einer Anhörung. Es gab keine Beratung im Ausschuß. Am 7. und 8. Februar hat dann eine Anhörung stattgefunden, deren Protokoll uns erst Anfang März vorliegen konnte, was wir nicht zum Vorwurf machen. ({14}) Da will ich Ihnen jetzt etwas sagen, weil Sie es immer wieder dazwischenrufen, vorhin auch schon: Es ist doch wohl klar, daß sich eine Fraktion, die nicht den Regierungsapparat hinter sich hat, wegen der Kürze der Zeit nun nicht auf Fragen über drei Tage hinweg vorbereiten kann und möglicherweise auch wegen der Zusammensetzung der Expertenrunde nur für zwei Tage Fragen hat. ({15}) Gerade der Zeitfaktor spricht eher für unsere Version des Zeitdrucks und des Eiltempos, das Sie verursacht haben, als für Ihre Version. ({16}) Nun will ich noch sagen: Am 7. März ist dann ja erst die Einführung des Gesetzes gekommen. Wir konnten doch im Prinzip erst ab dem 7. März richtig ordentlich arbeiten. Am 14. März, eine Woche später, sind uns rund 80 Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen, deren Inhalt Sie nicht einmal richtig kannten, Herr Link - auch das will ich an dieser Stelle einmal sagen -, obwohl es die Anträge ihrer Fraktion waren und Sie der Berichterstatter gewesen sind, vorgelegt worden. Auch 13 Anträge der SPD haben wir dann erst einbringen können, von denen wir übrigens vier hier jetzt wiederholen werden. ({17}) Am 15. März, einen Tag später, waren dann die Einzelabstimmungen und die Schlußabstimmung, und nun, 14 Tage später, beschäftigt sich das Plenum damit. Ich frage mich: Wenn das nun kein Schweinsgalopp und keine unzulässige Pression gerade der Koalitionsfraktionen ist, wann denn dann sonst? Man hätte im Grunde schon allein wegen dieser Faktoren nicht mit bestimmen und nicht mitreden sollen. ({18}) - Gerade deswegen machen wir es ja auch mit, Herr Link, obwohl es uns unheimlich schwerfällt, wie Sie merken. Aber nun machen Sie es uns bitte nicht noch viel schwerer. Wir haben uns ja auch bemüht, eine fachliche Orientierung in die Ausschußdebatte mit hineinzutragen. ({19}) Es ist uns, glaube ich, gelungen; Sie haben es ja angedeutet. Ich meine, daß das dann auch von Ihnen entsprechend berücksichtigt werden sollte. Ich will hinzufügen, weil das Gesetz an dieser Stelle auch einige Mängel mit sich führen könnte: Es ist so, daß wir gerne auch einen Abbau von Bürokratie gerade in der Jugendhilfe gehabt hätten. Wir befürchten auf Grund mancher Vorschriften in diesem Gesetz, daß dies leider nicht der Fall sein wird. Wir appellieren an alle, die mit dem Gesetz umgehen, daß sie sich nicht von manchen Intentionen des Gesetzes oder von manchen Ausuferungen leiten lassen. Ich glaube, daß dies ganz falsch wäre. Auch das Gebot der Fachlichkeit ist für unsere Begriffe nicht ausreichend berücksichtigt worden. Von daher stellt sich natürlich schon die Frage, warum wir an dieser Stelle nicht auch noch mehr haben erreichen können, obwohl dies ja nicht in jedem Fall Geld gekostet hätte. Es fehlte der Mut bei Ihnen. Ich muß auch sagen: Es ist offensichtlich eine Frage, bei der Sie trotz des vorhandenen Geldes die Zeit jetzt nicht genutzt Schmidt ({20}) haben, noch mehr zu leisten, als geschehen ist. Ich befürchte auch, daß wir bei der von uns angestrebten Gesetzesnovellierung in eine Zeit hineingeraten, die uns das Geld, das zur Zeit noch vorhanden gewesen wäre, für manche Regelungen, die wir alle gemeinsam gerade auch im Ausschuß für notwendig gehalten haben, vielleicht dann nicht mehr präsentiert. ({21}) Ich will Ihnen noch etwas zur Familienlastigkeit mit auf den Weg geben, damit Sie nicht glauben, daß wir das unter ideologischen Gesichtspunkten sehen. ({22}) - Wir werfen Ihnen das auch nicht vor. Ich will damit nur sagen: Sie leben ja nicht von der Ideologie auf diesem Felde. Für meine Begriffe leben Sie mehr von der Illusion auf diesem Feld. Sie glauben, daß die Familie immer noch in der Lage sei, alle Lebensprobleme zu lösen. Das ist die Familie in der heutigen Zeit bedauerlicherweise nicht mehr. ({23}) Auch wir hätten es manchmal gerne anders. Von daher, glaube ich, sollten Sie das berücksichtigen. Ich denke, daß auch die Frage der Einbeziehung der Kinder in dieses Gesetz nur vom Ansatz her geleistet worden ist. Das will ich zum Schluß doch noch sagen. Es hätte viel konsequenter sein können und sein müssen. Es ist bedauerlicherweise in diesem Maße nicht geschehen. Wenn man das Gesetz durchsieht, wird man das im einzelnen feststellen können. Langer Rede kurzer Sinn: Was wir brauchen, das bietet dieses Gesetz möglicherweise. Allerdings lasse ich das nicht ganz ohne Einschränkung gelten. Wir müssen mehr Kinder- und Jugendfreundlichkeit in die Gesellschaft hineintragen, wir müssen die Debatte neu eröffnen, wir müssen die Arbeit vor Ort, in den Kommunen, die die Träger dieser ganzen Sachen sind, etwas intensivieren und dadurch den Erfolg erreichen, den wir uns alle von diesem Gesetz erhoffen, von der einen oder anderen Macke einmal abgesehen. Ich kann mir an dieser Stelle schenken, darauf noch einmal hinzuweisen. Wir stellen unsere vier Änderungsanträge und den Entschließungsantrag unter dem Aspekt heute zur Abstimmung, daß wir Sie damit gleichzeitig auffordern, sich einer weitergehenden und fortführenden Debatte um dieses Gesetz zu stellen. Denn wir werden bei der Ausführung noch viel, viel Spaß haben, alle gemeinsam; ich hoffe: im Interesse der Kinder und Jugendlichen. ({24})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Professor Männle.

Prof. Ursula Männle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001405, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Schmidt, ich weiß nicht, ob sie verstanden haben, was Erziehungsverantwortung der Eltern bedeutet. ({0}) Der zynische Vergleich, den Sie eben hinsichtlich des Objekt- und Subjektcharakters von Kind und Tier gebracht haben, erinnert mich an die Doppelzüngigkeit, mit der Sie auch andere Probleme angehen, ({1}) z. B. die Probleme im Bereich Kindergarten. ({2}) Lassen Sie mich darauf gleich eingehen. Überlagert, wenn nicht gänzlich beherrscht wurde die bisherige Diskussion über die dringend notwendige Reform des Kinder- und Jugendhilferechts durch den öffentlich ausgetragenen Streit um einen Passus, einen unter 94. Der § 23 des Referentenentwurfs, der einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für alle 3- bis 6jährigen vorsah, blieb im Tauziehen zwischen Bonn und Ländern auf der Strecke; leider, sage ich. Der Schwarze Peter läßt sich aber - und das versuchen Sie - weder Bonn noch allein Hannover zuschieben. Hier mein Beweis für die Doppelzüngigkeit: Die SPD als Oppositionspartei im Deutschen Bundestag fordert ständig, auch heute wieder; die SPD als Regierungspartei in den Ländern bremst. Denken Sie an den Finanzausschuß und das Verhalten im Bundesrat! ({3}) Das ist wirklich ein altbekanntes Spiel. Der § 23 wurde von Ihnen quasi als Königsweg zu einem kinderfreundlichen Paradies auserkoren, zum Prüfstein für die Qualität und Attraktivität staatlicher Familienpolitik hochstilisiert. Es steht ganz außer Zweifel: Ein zügiger Ausbau des Angebots von familienergänzenden Betreuungseinrichtungen genießt höchste Priorität, ist unumgänglich angesichts veränderter familialer Lebenssituationen, der steigenden Zahl Alleinerziehender, der veränderten Lebensplanung von Frauen, der erhöhten Mobilität in hochindustrialisierten Gesellschaften mit allen negativen Konsequenzen für das Zusammenleben von Familien, von Ein-Kind-Familien. Ein bedarfsgerechtes Angebot von Kinderbetreuungseinrichtungen liegt aber auch - das wird in der Diskussion viel zu selten thematisiert - im Interesse der Kinder. Mit der Formulierung des § 21 werden wir diesem gerecht: Kindergärten, Horte und andere Einrichtungen sollen „die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit" fördern. Aufgaben sind deshalb „Betreuung, Bildung und Erziehung". Aber leider machen Versorgungsquoten die Runde. Debattiert wird über das Süd-Nord-Gefälle, über Stadt-Land-UnterFrau Männle schiede, und die Versorgungsqualität rangiert an zweiter Stelle. Aber gerade an diesem Punkt muß die Diskussion unseres Erachtens intensiver geführt werden. Notwendig ist ein plurales Angebot an Betreuungseinrichtungen: altersdifferenzierte und altersübergreifende öffentliche Tageseinrichtungen mit flexiblen Öffnungszeiten; außerschulische Betreuungsmöglichkeiten an Grundschulen - beispielsweise ist die neueste Initiative Baden-Württembergs -; Förderung von Modellversuchen, die neue Wege institutionalisierter Betreuung in Tageseinrichtungen mit offenen Angeboten für Kinder im Kultur- und Freizeitbereich aufzeigen; integrative Institutionen, die das Miteinanderleben Behinderter und Nichtbehinderter ermöglichen und erleichtern. Auch der Aufbau betrieblicher Kindertagesstätten - von den Gewerkschaften mit Argusaugen betrachtet ({4}) oder die Kostenbeteiligung der Betriebe an öffentlichen oder sonstigen Kinderbetreuungseinrichtungen muß gefördert werden. Aber auch kritische Einwände und skeptisches Nachfragen in dieser eigenartigen Quotendiskussion hinsichtlich Kinderbetreuungseinrichtungen sind angebracht. Die Höhe der Versorgungsquote - dies belegt das Beispiel des sich nun verabschiedenden real existierenden Sozialismus, aber auch anderer Länder, die Sie immer wieder nennen und die Sie immer wieder beispielhaft heranziehen - ist keineswegs ein Indikator für staatliche Familienfreundlichkeit oder gar Familienförderung. ({5}) Wenn Alternativen für die Erziehenden fehlen, ist ein breites Angebot - milde ausgedrückt - eine familienpolitische Sackgasse. Zwangsintegration von Frauen ins Erwerbsleben und Verwahranstalten für Kinder - denn von kindgerechter und pädagogisch verantwortbarer Kinderbetreuung konnte man in der DDR wahrlich nicht reden ({6}) sind zwei Seiten einer Medaille, über deren Kurswert man sicherlich nicht zu streiten braucht. Sicherlich gibt es noch erhebliche Defizite bei der praktischen Umsetzung der Wahlfreiheit von Frau und Mann. Deswegen müssen eine bedarfsgerechte Versorgung mit Tagesbetreuungsmöglichkeiten für Kinder unterschiedlichen Alters und aktive Familienförderung - z. B. Ausbau des Erziehungsgeldes und des Erziehungsurlaubs, Verbesserung des Familienlastenausgleichs, mehr qualifizierte Teilzeitarbeitsplätze und vieles mehr - als Einheit betrachtet werden. Das Jugendhilferecht leistet einen Beitrag dazu. ({7}) Auch andere Teile des Gesetzentwurfs machen deutlich, daß wir eine weitere Verbesserung für Familien und vor allen Dingen für Alleinerziehende erreicht haben. Ich darf abschließend nur an die MutterKind-Einrichtungen oder Vater-Kind-Einrichtungen in § 18, an die Betreuung und Versorgung der Kinder in Notsituationen, an die Beratung bei Partnerschaftsproblemen, bei Trennung und Scheidung erinnern. Dies sind meines Erachtens Punkte, die in der öffentlichen Diskussion viel zu weit unten angesiedelt worden sind, die viel zu geringgeachtet worden sind. Es handelt sich hierbei um wesentliche Verbesserungen des Jugendhilferechts. Nach nunmehr 20jähriger Diskussion können wir, glaube ich, ein gutes Kinder- und Jugendhilferecht verabschieden. Wir können stolz darauf sein. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Eimer, Sie haben sich noch einmal gemeldet, um den Rest Ihrer Redezeit zu verbrauchen. Bitte schön.

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte mich nicht mehr zu Wort gemeldet, hätte Herr Schmidt nicht den Vergleich von Kindern als Objekten mit den Tieren gebracht. Das ist zwar mit wohlklingenden Worten vorgetragen worden, aber es war nicht minder falsch und beleidigend. ({0}) Da ich die Diskussion um die Eigenständigkeit der Jugendhilfe und auch das teilweise als Schlagwort verwendete Wort vom Elternrecht kenne, habe ich in der ersten Lesung dieses Gesetzes - aber nicht nur bei dieser Gelegenheit, sondern auch schon öfters vorher - darauf hingewiesen, was Elternrecht für uns heißt. Ich halte es für notwendig, das hier zu wiederholen: Elternrecht ist für uns nicht das Recht der Eltern, über Kinder wie über eine Sache zu bestimmen, sondern es ist der Schutzzaun um die Familie, damit Staat und Gesellschaft nicht Einfluß auf die Erziehungsziele der Eltern nehmen können. Es geht nur um den Schutzzaun um die Familie herum und um die Erziehungsziele und um nichts anderes. ({1}) - Selbstverständlich ist auch noch etwas hinter diesem Zaun, nämlich das Subjekt, das - wie jeder Erwachsene auch - Träger von Grundrechten ist. Wir haben nie bezweifelt: Kinder sind Träger von eigenen Grundrechten, so wie Erwachsene auch. So wie der Staat über die Einhaltung der Grundrechte von uns allen zu wachen hat, so hat er auch über die Einhaltung der Grundrechte von Kindern zu wachen. So und nicht anders ist Elternrecht zu verstehen. ({2}) Weil ich weiß, daß das immer wieder unterstellt wird, weil ich weiß, daß über beide Begriffe, Elternrecht und Eigenständigkeit der Jugendhilfe, immer in dieser polemischen Art und Weise, ({3}) ja nach Standort, diskutiert wird, habe ich es für notwendig gehalten, dies in der ersten Lesung deutlich Eimer ({4}) zu machen. Ich bin betrübt darüber - Sie waren doch in der ersten Lesung da, Herr Schmidt, Sie hätten es hören müssen - , daß Sie dieses wieder bringen. Ich wiederhole: Herr Schmidt, das war nicht nur falsch, es war beleidigend, es war erbärmlich. Vielen Dank. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit.

Prof. Dr. Dr. h. c. Ursula Maria Lehr (Minister:in)

Politiker ID: 11001305

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das neue Kinder- und Jugendhilferecht ist ein Markstein in der Entwicklungsgeschichte der Jugendhilfe. Der vorliegende Gesetzentwurf ist wirklich ein historischer Durchbruch. Fast 68 Jahre ist es her, seit das Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt am 9. Juli 1922 verabschiedet worden ist, ein Gesetz, das den Kern des bislang geltenden Jugendwohlfahrtsgesetzes ausmacht. Es ist wirklich pensionsreif. Mehr als 30 Jahre ist über eine notwendige Weiterentwicklung und Neuordnung dieses Gesetzes diskutiert worden. Die Anläufe verschiedener Bundesregierungen in den Jahren 1974, 1978 und 1984 sowie eine Initiative des Bundesrates im Jahre 1979 haben aus unterschiedlichen Gründen nicht zum Erfolg geführt. Der grundlegend neue Ansatz dieses Gesetzentwurfs besteht darin, daß Kindern und Jugendlichen nicht erst dann geholfen werden soll, wenn Probleme in ihrer Entwicklung oder Erziehungsschwierigkeiten bereits eingetreten sind. Wir wollen helfen, diese von vornherein zu vermeiden. Ein entscheidender Ausgangspunkt dieses Gesetzes ist unser Grundgesetz, das die Erziehungsverantwortung zuallererst den Eltern anvertraut. Es sieht in den Eltern die ersten Garanten für die Erziehung des Kindes und für die Förderung seiner Entwicklung. ({0}) Die meisten unserer Mütter und Väter nehmen ihre Aufgabe den Kindern gegenüber auch ernst. Sie verzichten auf vieles, um ihren Kindern die besten Voraussetzungen für das spätere Leben zu schaffen. Sie geben sich große Mühe, ihre Kinder in einer Weise zu erziehen, die den veränderten Gegebenheiten unserer Zeit gerecht wird. Ich betrachte es als eine Aufgabe unserer Politik, die Mütter und Väter darin zu bestärken. ({1}) Andererseits verschließen wir nicht die Augen vor den Realitäten: Viele Ehen zerbrechen, viele Partnerschaften gehen in die Brüche. Sehr viele Kinder wachsen bei alleinerziehenden Eltern auf. Sehr viele unserer Kinder wachsen inzwischen als Einzelkinder auf. Viele Familien sind oft so belastet, daß sie Problemsituationen und Erziehungsschwierigkeiten nicht aus eigener Kraft meistern können. ({2}) Hier bedarf es geeigneter, fachlich kompetenter Angebote an Beratung und Unterstützung, damit sich Konflikte und Krisen nicht so weit verschärfen, daß man zu einschneidenderen Maßnahmen greifen muß und Kinder und Jugendliche sogar von ihren Eltern trennen muß. ({3}) Ein Grundanliegen dieses neuen Kinder- und Jugendhilfegesetzes ist es, Familien, wo immer notwendig, in ihrer Erziehungskraft zu stärken. Dazu bekenne ich mich; denn ich kann mir nicht vorstellen, daß man ein modernes Jugendhilferecht schaffen kann, welches die Familie als einen zentralen Ort der Erziehung ausspart. ({4}) Natürlich ist es richtig, daß Kinder und Jugendliche eigene Rechte haben, auch innerhalb der Familie eigene Rechte haben. ({5}) Es sprechen aber gute Gründe dafür, die Wahrnehmung dieser Rechte so lange den Eltern anzuvertrauen, solange Kinder und Jugendliche davon noch keinen sinnvollen Gebrauch machen können und die Eltern diese Rechte in einer verantwortlichen Weise schützen und zur Entfaltung bringen. Der Gesetzentwurf erkennt aber ebenso die mit zunehmendem Lebensalter wachsende Eigenverantwortung des Kindes und des Jugendlichen an. Er räumt ihnen deshalb Initiativ- und Beteiligungsrechte ein ({6}) und gewährleistet vor allem in Not- und Konfliktfällen die Möglichkeit der direkten Beratung. Der Gesetzentwurf berücksichtigt sowohl die Rechte der Eltern als auch die der Kinder. Er vermeidet dabei jedoch, daß die Familie in unangemessener Weise verrechtlicht wird oder gar Eltern und Kinder gegeneinander ausgespielt werden. Von den Neuregelungen, die dieses Gesetz enthält, möchte ich kurz drei Aspekte, die mir besonders wichtig sind, nochmals herausstellen. Erstens. Das neue Kinder- und Jugendhilfegesetz sichert den Ausbau und Vorrang ambulanter Hilfen. Das geltende Jugendwohlfahrtsgesetz beschränkt sich im wesenlichen auf die Behandlung von Katastrophenfällen, in denen häufig nur noch eine Trennung des Kindes von seiner Familie in Frage kommt. Ein Schwerpunkt des neuen Gesetzes ist der Ausbau ambulanter Hilfeformen. Durch die Betreuung und VerBundesminister Frau Dr. Lehr sorgung des Kindes in der elterlichen Wohnung, z. B. bei Erkrankung der Mutter oder des Vaters, können ein Heimaufenthalt und eine Trennung des Kindes von seiner gewohnten Umgebung vermieden werden. Problemsituationen, Erziehungs- und Entwicklungsprobleme können durch Erziehungsberatung, sozialpädagogische Familienhilfe und andere ambulante Hilfeformen in und mit der Familie gelöst werden. Dabei wollen wir, ebenso wie es der Caritas-Verband gestern gefordert hat, gewiß keine Psychiatrisierung der Jugendhilfe, sondern einen Ausbau der Beratung. Alle diese ambulanten familienunterstützenden und familienergänzenden Hilfeformen erhalten durch das neue Gesetz endlich ihre rechtliche Absicherung. Allerdings möchte ich betonen, daß neben einem verbesserten Angebot ambulanter Hilfe auch in Zukunft engagierte Pflegefamilien und auch qualifizierte Heime gebraucht werden. Aber auch in jenen Fällen, in denen im Interesse des Kindeswohls eine Unterbringung in einer Pflegefamilie oder in einem Heim erforderlich ist, ist die Arbeit der Jugendhilfe künftig in erster Linie darauf ausgerichtet, die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie so zu verbessern, daß das Kind wieder bei seinen Eltern leben kann. Ein zweiter Punkt: Anders als das geltende Jugendwohlfahrtsgesetz enthält dieses Gesetz ein eigenständiges Kapitel über die Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in der Tagespflege. Hierüber haben wir heute bereits sehr viel diskutiert. Dieses Gesetz verpflichtet erstmals Länder und Gemeinden ausdrücklich zum bedarfsgerechten Ausbau der verschiedenen Formen der Tagesbetreuung. Dabei geht es nicht nur, und das möchte ich deutlich machen, um den quantitativen Ausbau; denn Kindergärten sind bei uns keine Bewahr- und Betreuungsanstalten mehr und sollen es gewiß auch in Zukunft nicht werden. ({7}) Noch eines sei hier gesagt: Dieses verdanken wir auch dem engagierten Einsatz, den unsere Kindergärtnerinnen Tag für Tag in unseren Kindergärten leisten. ({8}) Der Gesetzentwurf schreibt vor - Sie, Frau Männle, haben das bereits zitiert - , daß die Aufgabe des Kindergartens die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit ist. Von seiten der Opposition ist der Regierungsentwurf heftig kritisiert und die Formulierung eines Rechtsanspruches immer wieder gefordert worden. Diese Forderung wäre allerdings viel glaubwürdiger gewesen, wenn sich die Finanzminister der SPD-regierten Bundesländer am 26. Oktober 1989 im Bundesrat dieser Forderung angeschlossen hätten. ({9}) Doch im Gegenteil, die Finanzminister haben den vorliegenden Entwurf schon aus Kostengründen abgelehnt. Somit gibt es für die Durchsetzung einer solchen Forderung im Bundesrat keine Chance - leider. Da aber der Bundesrat diesem Gesetz zustimmen muß, habe ich diese Position der Finanzminister der Länder zur Kenntnis zu nehmen. ({10}) Meine Damen und Herren, für mich ist es ein Erfolg, daß seit der Vorlage des Entwurfs des Gesetzes das Thema Kindergartenplätze wieder zu einem politischen Thema geworden ist. Allerorten werden die Bemühungen um den Ausbau der Plätze in den verschiedenen Formen der Tagesbetreuung verstärkt. Dieses Gesetz zeigt bereits jetzt eindeutige Signalwirkung. Der Ausbau der Kindergärten kommt wieder in Gang. ({11}) Kurz der dritte und letzte Punkt. Das neue Kinder-und Jugendhilfegesetz stellt die Zusammenarbeit mit den Jugendverbänden und den Wohlfahrtsverbänden, aber auch mit neuen gesellschaftlichen Kräften auf eine sichere Grundlage. Die Jugendhilfe ist von alters her durch die bewährte Zusammenarbeit von Staat und Gesellschaft gekennzeichnet. Im Interesse eines pluralen Angebots kommt dabei dem Engagement freier Träger eine bedeutende Rolle zu. Sie sind der beste Garant gegen eine staatlich gelenkte Einheitserziehung. Besondere Verdienste haben sich dabei die Jugend- und die Wohlfahrtsverbände erworben. Das neue Kinder- und Jugendhilfegesetz erkennt ihre Arbeit an und fördert sie. Es sichert ihnen auch in Zukunft den notwendigen Freiraum und garantiert ihnen Mitsprache. Darüber hinaus und daneben haben sich jedoch auch neue Formen gesellschaftlichen Engagements in Form von örtlichen Initiativen und Selbsthilfegruppen entwickelt. Sie können die Arbeit der Jugend- und Wohlfahrtsverbände nicht ersetzen; aber sie können dort, wo sie gut sind, das Angebot der Jugendarbeit erweitern. Deshalb wollen wir sie anerkennen und ermutigen. ({12}) Zum Schluß danke ich den Abgeordneten des Deutschen Bundestages, daß die den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf so konstruktiv beraten haben. In der Beschlußempfehlung des federführenden Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit werden zahlreiche weitere Verbesserungen vorgeschlagen, von denen mir die Leistungsverbesserungen für ausländische Kinder und Jugendliche sowie für junge Volljährige besonders wichtig und bedeutsam erscheinen. Ich darf an Sie alle appellieren, diesem Gesetz, wie es 1922 die Abgeordneten im Reichstag getan haben, trotz unterschiedlicher Auffassungen in Einzelfragen eine breite parlamentarische Mehrheit zu geben. Dies wäre ein wichtiges Signal gemeinsamer politischer Verantwortung für die Lebensbedingungen junger Menschen und damit für die Zukunft unserer Gesellschaft. ({13})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Gestatten Sie einem amtierenden Präsidenten ein Wort zur Debatte. Wer aus diesem Politikbereich gekommen ist, dem kommen die Argumente, die wir ausgetauscht haben, schon 35 Jahre lang sehr bekannt vor. ({0}) Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Kinder- und Jugendhilfegesetzes auf den Drucksachen 11/5948 und 11/6748. Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD sowie ein Änderungsantrag der Fraktion der GRÜNEN vor. Ich lasse über die Änderungsanträge in der Reihenfolge der Drucksachennummern abstimmen. Wer für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6806 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Wer für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6807 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt worden. Wer für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6808 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt worden. Wer für den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6823 unter Nr. I stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der SPD abgelehnt worden. Jetzt kommen wir zur Abstimmung über Art. i in der Ausschußfassung. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Ausschußfassung des Art. 1 mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden. Ich rufe Art. 2 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/6823 unter der Nr. II vor. Wer für diesen Änderungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden. Wer für Art. 2 in der Ausschußfassung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen ist Art. 2 in der Ausschußfassung angenommen worden. Ich rufe nun Art. 3 bis 22, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann sind diese Vorschriften mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden. - Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Ich muß Ihnen mitteilen, daß die Abgeordnete Frau Renate Schmidt ({1}) eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben hat, in der sie ihre Ablehnung des Gesetzes begründet. * ) ({2}) - Herr Gerster, auch Sie haben vielleicht schon einmal eine Erklärung abgegeben, ohne dabei zu sein. ({3}) Dies ist schon einmal zugelassen worden, auch wenn Sie es nicht getan haben. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Gesetzentwurf mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der SPD bei Gegenstimmen der GRÜNEN angenommen worden. Wir stimmen jetzt noch über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6795 ab. Wer für diesen Entschließungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 9 sowie den Zusatztagesordnungspunkt 3 auf: 9. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Daniels ({4}), Frau Teubner, Dr. Knabe, Stratmann und der Fraktion DIE GRÜNEN Rekommunalisierung und Demokratisierung der Energieversorgung ({5}) - Drucksache 11/6484 -Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({6}) Rechtsausschuß Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit *) Anlage 2 Vizepräsident Westphal b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({7}) zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Programm zur Verminderung der Schadstoffemissionen bei einer Stromversorgung ohne Atomenergie - Drucksachen 11/306, 11/3702 Berichterstatter: Abgeordnete Schmidbauer Schäfer ({8}) Brauer c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN Energiewirtschaftsgesetz - Drucksachen 11/1271, 11/5636 Berichterstatter: Abgeordneter Jung ({10}) ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Daniels ({11}), Stratmann, Frau Teubner, Dr. Knabe und der Fraktion DIE GRÜNEN Verbot des Neuanschlusses von Stromheizungen - Drucksache 11/6727 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({12}) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Im Ältestenrat ist für die Beratung der Tagesordnungspunkte ein Beitrag bis zu zehn Minuten und im Anschluß daran für eine weitere Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Daniels ({13}).

Dr. Wolfgang Daniels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen, die Sie jetzt gerade leider den Saal verlassen! Schon längst gilt die Maxime: Nicht nur die Erde, sondern auch der Himmel ist die Grenze unseres Handelns. Spätestens seit den ersten Anzeichen der drohenden Klimakatastrophe wurde dies für alle persönlich erfahrbar. Diese Erkenntnis muß nun auch in eine Maxime politischen Handelns umgesetzt werden. Die Enquete-Kommission zum Schutz der Erdatmosphäre hat erfreulicherweise Mindestvorgaben für ein Sofortprogramm entwickelt: 30 % CO2-Reduktion bis zum Jahre 2005, 50 % bis zum Jahre 2020 und 80 % bis zum Jahre 2050. Diesen Vorgaben können auch DIE GRÜNEN zustimmen. Es ist allerdings sehr fragwürdig, ob diese Forderungen einzuhalten sind, wenn man sich den jetzt vorhandenen gesetzlichen Rahmen anschaut. Das Instrumentarium nur für Nachbesserungen zu nutzen reicht nicht. Denn ohne eine drastische Reduktion des Energieverbrauchs durch eine Effizienz-Revolution sind die Energie- und Klimaprobleme nicht lösbar. Dringend notwendig sind neues Denken auch in der Energiepolitik und als Grundlage dafür ein neues Energiewirtschaftsgesetz. Die Grundlagen dieser Energiewende, die wir gerne im Konsens beschließen würden, sind aus unserem Antrag „Rekommunalisierung und Demokratisierung der Energieversorgung" zu entnehmen. Wir fordern darin die Bundesregierung auf, endlich ein Energiespar- und Strukturgesetz vorzulegen, das insbesondere eine Reform der Ordnung der Energiewirtschaft vorsieht. Die neuen Schlüsselworte für eine Energieversorgung müssen lauten: Gefährdungsminimierung statt Risikomix, Umwelt- und Sozialverträglichkeit statt zentralisierter Großtechnik und die Bewahrung der Ressourcen für zukünftige Generationen. Dies alles ist mit dem Einsatz der Atomenergie nicht vereinbar. Die Hauptziele der zukünftigen Energieversorgung, die sich am Prinzip der Energiedienstleistung orientieren, werden durch sparsamen und rationellen Umgang mit fossilen Energieträgern und den massiv gesteigerten Einsatz erneuerbarer Energien erreichen. Wir würden uns aber in die Tasche lügen, wenn wir glaubten, diese Ziele in den überkommenen Strukturen erreichen zu können, deren Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik lauten: monopolistische, hochzentralistische, zentralisierte und ausschließlich gewinnorientierte Struktur der Energieversorgung, systematische Behinderung von sinnvoll nur dezentral nutzbaren Technologien - der Energieeinsparung -, Behinderung rationeller Energienutzung und ökologisch verträglicher Energiesysteme. Seit 1971 wollten verschiedene Bundesregierungen das Energiewirtschaftsgesetz aus dem Jahre 1935 ändern. In den Koalitionsvereinbarungen von 1987 hat auch diese Regierung eine Überprüfung angekündigt. Passiert ist bis heute nichts. Die Kollegen von der SPD sind einen kleinen Schritt weiter. Sie haben einen halbherzigen Vorschlag auf den Tisch gelegt. Aber es wird wohl so sein, daß er in dieser Legislaturperiode auch nicht mehr im Parlament eingebracht werden wird. Deswegen haben wenigstens die GRÜNEN die Initiative ergriffen. ({0}) Das Haupthindernis sind die scheinbar übermächtigen Strommonopolisten, deren Lobbyisten sich besonders gern auf dem Bonner Parkett tummeln, z. B. in Gestalt der Vereinigung der Elektrizitätswerke Deutschlands. Nur die GRÜNEN sind bisher nicht in diesen hochdotierten Verwaltungsbeiräten vertreten, ({1}) Dr. Daniels ({2}) die meiner Meinung nach die Politik korrumpieren. Eine andere Form der Korrumpierung von Entscheidungsträgen sind die Konzessionsabgaben, die den Gemeinden kurzfristige Vorteile versprechen, aber mit einer langfristigen Abhängigkeit von den großen EVUs erkauft werden. ({3}) Heute lügen, betrügen und übertölpeln diese Energiemonopolisten die kleinen Gemeinden. Der Bundesregierung geht es eigentlich auch nicht besser. Aber ich will auf das Thema Wackersdorf in diesem Zusammenhang nicht eingehen. Währenddessen kommen die Energiemonopolisten mit dem Geldzählen überhaupt nicht mehr nach. RWE kauft einmal schnell aus der Portokasse Texaco und beteiligt sich mit 50 % an den Braunkohlekraftwerken an der DDR. ({4}) Bei dem, was hier tatsächlich passiert, kann man wohl nicht mehr von Wettbewerb oder Marktwirtschaft sprechen. Um es noch deutlicher zu machen, einige wenige Beispiele. Da wollen die Kommunen endlich eine vernünftige Energiepolitik machen, Geld verdienen, um auch eigene Stadtwerke aufzubauen, und das ist ja wünschenswert. ({5}) Hierzu wird allerdings der Netzrückkauf notwendig. Dieser Netzrückkauf wird aber von den großen Energieversorgungsunternehmen durch völlig überhöhte Phantasiepreise verhindert. Ein anderes Beispiel: Eine schleswig-holsteinische Gemeinde wird geknebelt und ultimativ aufgefordert, den Konzessionsvertrag zu unterschreiben. Anderenfalls wird die Stromversorgung einfach beendet. Oder ein Beispiel für die gesamte Republik: Immer noch dürfen die Energieversorgungsunternehmen ihren Energieabsatz mit Stromheizungen auf hohem Niveau verstetigen. ({6}) Wo, bitte, bleibt bei der umweltschädlichen Form des Heizens, die immerhin achtmal mehr CO2 ausstößt als eine Gasheizung, das Verbot? Aus dem Ausfüllen von Nachttälern sind heute schon Nachtspitzen geworden, die nur mit einem erhöhten Einsatz von Kohlekraftwerken abgedeckt werden können. Wo bleibt, bitte schön, ein Verbot der Kondensationskraftwerke, die heute 70 % der Energie in die Atmosphäre blasen, und wo bleibt der Abwärmenutzungszwang? Die Stromlobby macht es möglich. Trotz besserer Einsicht ist nichts passiert. Aber nicht nur die rationelle Energieverwendung und Energieeinsparung werden blockiert und verhindert, sondern auch die erneuerbaren Energien werden boykottiert. Dazu möchte ich auch einige Beispiele nennen. Stichwort „Einspeisevergütung". Eine Privatperson stellt sich eine Windanlage in den Garten und will den überschüssigen Strom ins Netz einspeisen. Die EVU zahlen dafür vielleicht 7 Pf je kWh, verlangen aber bei der Weitergabe mindestens 21 Pf. Nach Schätzungen der Landwirtschaftskammer Westfalen-Lippe haben die Stromkonzerne in diesem Zusammenhang eine Gewinnmarge bis zu 365 %. ({7}) Zweites Beispiel: Völlig überzogene Anschlußkosten. Damit soll das 200-MW-Windenergieprogramm des BMFT für Privatpersonen verschlossen bleiben. Für einen 50 kV-Windenergiegenerator, der netto 80 000 DM kostet, werden z. B. von RWE in Osnabrück 102 000 DM Anschlußkosten oder von VEW im Raum Arnsberg 70 000 DM Anschlußkosten berechnet. Die faktischen Kosten für einen solchen Anschluß - das ist überprüft worden - liegen meistens zwischen 2 000 und 3 000 DM. Der Stadt Georgs-Marienhütte wurden Netzanschluß- und Trafokosten von 100 000 DM für eine Windenergieanlage auferlegt. Das hätte natürlich die Amortisationszeit erheblich verlängert, und zwar praktisch verdoppelt. Allein durch diese „aufgeblasenen" Preise seitens der EVU sind nach Informationen einer Windstromanlagenberatungsstelle 50 % der Antragswilligen, die für eine Windenergieanlage vom Bundesforschungsministerium Förderungsmittel haben wollten, abgeschreckt worden. Beispiel drei, schikanöse Methoden der EVU: Da sind einmal monatelang keine Stromzähler geliefert worden; so konnte eben der Windstrom nicht eingespeist werden. Für die Inanspruchnahme des öffentlichen Netzes - bei einer Länge von 1 000 m - wurden vom RWE 670 DM Grundgebühr verlangt. Ich kann diese Aufzählungen beliebig fortsetzen. Diese Praxis der Behinderung kann mit dem geltenden Energierecht nicht beseitigt werden. Deswegen fordern wir eine Entflechtung der Groß-Verbundunternehmen und setzen auf eine bessere demokratische Kontrolle, denn nur vor Ort lassen sich - zusammen mit jedem einzelnen Haushalt, mit jedem kleinen Betrieb oder jedem Wirtschaftsunternehmen - die vorhandenen Potentiale zur Energieeinsparung und -effizienz erschließen. Die Verantwortung für die Energiepolitik muß wieder in die Kommunen verlagert werden. Ohne Rekommunalisierung werden wir nicht zu den notwendigen Energieeinsparungsmaßnahmen kommen. Heute wollen die Kommunen zum Beispiel den Wärmestandard verbessern. Das ist ihnen gesetzlich verboten; man darf so etwas in Neubaugebieten nicht machen. Es muß also das Ziel sein, dezentrale Unternehmen zu schaffen, die nicht den Absatz von Kilowattstunden als ihr Glück betrachten, sondern die möglichst umwelt- und sozialverträgliche Deckung der Energiedienstleistungen wie Wärme, Licht und Kraft, die eben vor allem auch mit erneuerbaren Energien möglich ist. Notwendig ist ein Minimalkostengebot, also die Orientierung an einer vernünftigen Berechnungsgrundlage. Davon müssen die Haushalte Dr. Daniels ({8}) profitieren, wenn sie sich an einer umweltfreundlichen Deckung des Energiebedarfs beteiligen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, würden Sie sich bitte an einen Schlußsatz erinnern?

Dr. Wolfgang Daniels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nicht nur die Weltversammlung der Kirchen in Seoul ist der Meinung, auch führende Politiker und Wissenschaftler in den USA haben erkannt, daß diese Energiewende mit der Atomenergie nicht machbar ist. Deswegen sind wir der Meinung, meine Damen und Herren, daß die Rahmenstrukturen für eine künftige Energiewirtschaftsstruktur noch in diesem Jahr geändert werden müssen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.

Dr. Wolfgang Daniels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kann dann auf die Details im Ausschuß eingehen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Gerstein.

Ludwig Gerstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000668, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen, bevor ich mich der Behandlung der Anträge zuwende, will ich zu einer sehr viel aktuelleren Energiefrage kurz Stellung nehmen. Wie Sie wissen, hat gestern die Mikat-Kommission dem Wirtschaftsminister ihren Zwischenbericht zur künftigen Kohlepolitik vorgelegt. Ich möchte daraus hervorheben - weil das auch für die Behandlung der Anträge von Bedeutung ist -, daß die Kommission die Richtigkeit der bisherigen Kohlepolitik insoweit bestätigt, als sie an einem Sicherheitssockel der deutschen Steinkohle für die Energieversorgung festhält. Das gilt nach Auffassung der Kommission auch für die Zukunft. In der heutigen Debatte kommt es mir aber darauf an, daß die Kommission auch die Notwendigkeit eines Konsenses über die Nutzung von Kohle- und Kernenergie unterstreicht - also ganz im Gegensatz zu dem, was uns hier gerade vorgetragen worden ist. Der Bericht der Kommission ist konsensorientiert, und wenn wir etwas für den Steinkohlenbergbau unternehmen wollen, dann müssen wir auch erkennen, daß diese Konsensorientierung für alle Beteiligten gilt. Ich bin der Auffassung, daß die Ergebnisse und Vorschläge des Berichts sorgfältig zu erörtern und zu prüfen sind ({0}) und daß man dabei auch berücksichtigen sollte, daß die Mikat-Kommission einvernehmlich mit allen beteiligten Landesregierungen - auch der SPD - eingesetzt worden ist. Ich darf aber auch daran erinnern, daß der Bundeskanzler es war, der die Bildung dieser Kommission im Verlauf und zur Stützung seiner konstruktiven Kohlepolitik veranlaßt hat. Meine Damen und Herren, doch nun zu den vorliegenden Anträgen: Sie alle werden nach unserer Einschätzung den neuen Herausforderungen, vor die die Energiewirtschaft durch die deutsche Einheit gestellt worden ist und gestellt wird, nicht gerecht. Die Informationen über den erschreckenden Zustand der Energieversorgung in der DDR und über die allein durch diesen Wirtschaftszweig erzeugten Umweltbelastungen verdichten sich. Niemand - auch Sie von den GRÜNEN nicht - wird mehr bezweifeln, daß es sich hier um eine - wie übrigens auch Manager aus der DDR zugeben - nach wie vor andauernde ökologische Katastrophe handelt. Meine Damen und Herren, hier muß deshalb schnell gehandelt und für Abhilfe gesorgt werden. Das ist die zentrale Aufgabe der deutschen Energiewirtschaft - sofort und in den kommenden Jahren. ({1}) Bei der Lösung dieser Aufgabe muß die Energiewirtschaft durch die Energiepolitik unterstützt werden. Es dürfen ihr eben nicht - die vorliegenden Anträge stellen ja gar nichts anderes dar - laufend neue Stolpersteine in den Weg gelegt werden. Wir haben im Bericht und in der Beschlußempfehlung zum Antrag der GRÜNEN zum Energiewirtschaftsgesetz bereits zum Ausdruck gebracht, daß wir gegenwärtig keine Notwendigkeit sehen, eine Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes nur wegen der Änderung eines einzelnen - mehr formalen - Punktes, der wirklich wenig konkret ist und zur Umweltentlastung zudem nichts beitragen kann, vorzunehmen. ({2}) Nach unserer Auffassung, Herr Knabe, wird es nach wie vor - darüber ist bereits gesprochen worden - Aufgabe der nächsten Legislaturperiode sein, das vorhandene Instrumentarium zur Sicherstellung von Marktwirtschaft und Umweltschutz für die Energiewirtschaft erneut zu prüfen. Dies gilt auch für das Energiewirtschaftsgesetz, das sicherlich dort verbessert werden muß, ({3}) wo dies im Hinblick auf den europäischen Binnenmarkt und auf neue Erkenntnisse über unsere Umwelt ratsam und erforderlich ist. Aber jetzt, meine Damen und Herren, sollten wir es der Energiewirtschaft ermöglichen, alle ihre Ressourcen, ihr Fachwissen und ihr Kapital, das Sie vorhin so kritisiert haben, darauf zu verwenden - wir brauchen das - , den Umbau der Energiewirtschaft in der DDR und den Aufbau einer sicheren, umweltschonenden Energieversorgung in allen ihren Bereichen gemeinsam mit den Fachleuten der mittleren Ebene in der DDR vorzubereiten und schnellstens durchzuführen. ({4}) - Ja, wir können das aber vorbereiten. Meine Damen und Herren, ich schlage deshalb vor, daß es eine Art Moratorium gibt, das in der Zurückhaltung bei staatlichen Maßnahmen bestehen sollte, die auf neue Belastungen der Energiewirtschaft in der Bundesrepublik hinauslaufen. Dies würde dann auch vorübergehend für neue Abgaben oder für den Gedanken der Energiesteuern gelten müssen. Im Gegenzug müßte die Energiewirtschaft ein Konzept zum möglichst schnellen Aufbau einer marktwirtschaftlich und ökologisch gesunden Energieversorgung in der DDR vorlegen und durchführen. Denn das ist Aufgabe der Energiewirtschaft, die wir politisch zu begleiten haben, und eben nicht Aufgabe der Finanzen unserer öffentlichen Haushalte. ({5}) Meine Damen und Herren, ein solches Konzept muß dann auch ein ökologisches Notprogramm zur Beseitigung der krassesten, akut gesundheitsgefährdenden Fehlleistungen der zentralverwalteten Energiewirtschaft der DDR enthalten. ({6}) Dazu braucht man eine sehr sorgfältige Bestandsaufnahme der gesamten Energiesituation, damit nicht falsche Entwicklungen gefördert werden. Lassen Sie mich hier sagen: Gerade die energiewirtschaftliche Situation in der DDR zeigt doch, daß ein wesentlicher Grund für diese ökologische Katastrophe in der DDR darin besteht, daß eben in einer zentralverwalteten Wirtschaft ein kontinuierlicher Energiemangel bewirkt worden ist ({7}) und daß aus diesem Grunde in der DDR im wahrsten Sinne des Wortes um jeden Preis, auch um den Preis der Gesundheit der Menschen, auch heute noch Energie gewonnen und umgewandelt wird. Meine Damen und Herren, das muß ein Ende haben! ({8}) Bei der Beseitigung der akuten Mißstände und bei der Umstrukturierung ist auch noch zu berücksichtigen, wie ich meine, daß bei der Reduzierung der Umweltbelastungen in der DDR gegenüber der Bundesrepublik bei Aufwand und Ertrag etwa ein Verhältnis von 1 :3 oder sogar 1 :4 anzusetzen ist. Das heißt: Mit dem Einsatz einer D-Mark in der DDR zur Verringerung von Umweltbelastungen bei der Energieerzeugung und -umwandlung kann etwa der drei-bis vierfache Nutzen gegenüber dem Einsatz einer D-Mark in der Bundesrepublik bewirkt werden. Ich darf hierzu zitieren. Im sozialdemokratischen Energiekonzept für die DDR heißt es: Nirgendwo können Umweltinvestitionen mehr Nutzen bringen als bei uns. - Ich kann das nur unterstreichen und als Beleg auch für meine Vorschläge gelten lassen. Das gilt im übrigen auch - ich sage das, damit das nicht zu kurz kommt - für die notwendigen Sparmaßnahmen bei den Energieverbrauchern in der DDR, die vor allem mit Meß- und Regeltechnik ausgerüstet werden müssen. Solch gezieltes Vorgehen würde schnell und wirksam die ökologische Katastrophe der DDR begrenzen und letztlich beenden können. Wir würden Zeit gewinnen, um sehr sorgfältig zu prüfen, welche gesetzgeberischen Maßnahmen allgemein in den kommenden Jahrzehnten wirklich geeignet sind, eben unter Berücksichtigung unserer neuen Verantwortung und unter Berücksichtigung der Entwicklung in Osteuropa eine langfristige, sichere und umweltschonende Energieversorgung in einem geeinten Deutschland zu ermöglichen. Wir sind hierzu der Auffassung - im Gegensatz zu Ihnen - , daß bei allen notwendigen Änderungen in unserer Energiewirtschaft im wesentlichen an den bewährten Strukturen mit zentralen und dezentralen Elementen festzuhalten ist. ({9}) Wären wir alle den Ratschlägen der Opposition gefolgt, dann - das muß man sich einmal überlegen - hätten wir heute weder Buschhaus noch sonstige Reserven, um der DDR zu helfen. Lassen Sie mich noch folgendes sagen: Die in Ihrem Antrag in Drucksache 11/6484 vorgeschlagene sogenannte Demokratisierung, ja, ökologische Vergesellschaftung - man muß sich den Ausdruck einmal zu Gemüte führen ({10}) der Energieversorgung würde in die gleiche Sackgasse führen, wie die reale Sozialisierung der Energiewirtschaft in der DDR es getan hat. Zu den falschen Ratschlägen, die Sie uns geben, gehört im übrigen auch die Verweigerung einer vernünftigen Überlandtrasse zur schnellen Vollendung des Stromverbunds zwischen Berlin und der Bundesrepublik durch den Berliner Senat, insbesondere durch Sie betrieben. ({11}) Gerade mit Rücksicht auf eine schnelle Verbesserung der Umweltbedingungen doch auch in Ost-Berlin, die den Menschen zugute käme, ({12}) die eben auch mit Hilfe des Verbundes möglich wäre, halte ich diese Verweigerung gegenüber einer guten und wirtschaftlichen Lösung für völlig unverständlich. ({13}) - Es ist eben die Wahrheit. Meine Damen und Herren, ich will Sie zum Schluß nur noch einmal auffordern: Lassen wir uns doch nicht durch Randprobleme der Energiewirtschaft ablenken, ({14}) die für eine Verbesserung der Umweltsituation und für die Sicherung der Energieversorgung wenig oder gar nichts bringen! Wir fordern Sie auf zu einem neuen Energiekonsens, der unter der Überschrift stehen müßte: In Deutschland Energie sichern und Umwelt schützen. - Vielen Dank. ({15})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Jung ({0}).

Volker Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001040, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für uns steht außer Frage, daß die Energiepolitik zu einem der zentralen Themen des nächsten Jahrzehnts wird; denn wir stehen vor einem großen Dilemma: Einerseits prophezeit uns die Weltenergiekonferenz vom September 1989 für die nächsten 30 Jahre eine Zunahme des Energieverbrauchs um 50 % bis 75 %, und andererseits fordert die Weltklimakonferenz vom August 1988, wegen der drohenden Klimakatastrophe den Einsatz fossiler Energieträger bis zur Mitte des nächsten Jahrhunderts zu halbieren, ja, in den Industrieländern sogar auf ein Drittel zu verringern. Die einen prognostizieren also einen Mehrverbrauch an Energie um mindestens die Hälfte, die anderen verlangen die Halbierung des Energieverbrauchs. Die Spanne beträgt etwa 10 Milliarden t Steinkohleeinheiten. Das entspricht dem heutigen Weltenergieverbrauch in einem Jahr. Diese Zahlen verdeutlichen, vor welch gewaltigen Aufgaben wir stehen, wenn wir über die zukünftige Energiepolitik zu entscheiden haben. Die Enquete-Kommission des Bundestages „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" hat bereits in ihrem ersten Bericht einmütig festgestellt - ich zitiere - : „Es zeichnet sich ab, daß die durch den Treibhauseffekt aufgeworfenen Probleme so tiefgreifend sind, daß die Struktur der Energieversorgung weltweit in der Bereitschaft grundlegend überdacht werden muß, gravierende Änderungen vorzunehmen. " Politischer Konsens scheint in diesem Haus darüber zu bestehen, daß vor allen anderen Maßnahmen die Energieeinsparung und die rationellere Energienutzung oberste Priorität haben müssen. In der notwendigen politischen Diskussion darüber, in welchem Umfang und in welchem Tempo wir Energie einsparen und erneuerbare Energiequellen einsetzen können und welche Mittel wir dazu anwenden müssen, gehen die Meinungen allerdings erheblich auseinander, weniger stark bei den Mitgliedern der Enquete-Kommission, dafür aber um so stärker bei den Politikern, die glauben, diese Ergebnisse interpretieren zu können. Wir Sozialdemokraten haben schon längst den Schluß gezogen, daß wir an gravierenden Änderungen der Rahmenbedingungen unserer Eneregieversorgung nicht mehr vorbeikommen. Allein mit freiwilligen Maßnahmen oder Selbstverpflichtungen wird es nicht gelingen, den Energieverbrauch und die Emissionen von Kohlendioxid radikal zu senken. Das weiß offenbar heute jeder, aber die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien stecken den Kopf in den Sand. Sie haben nicht nur gravierende Änderungen gescheut, sie haben im Gegenteil sogar steuerliche Anreize und Investitionsförderungsmaßnahmen zur Energieeinsparung, die die sozialliberale Koalition eingeführt hat, wieder abgeschafft. Sie haben die öffentliche Förderung des Fernwärme-Ausbaus gestrichen. Sie haben es abgelehnt, Öko-Steuern einzuführen oder das Energiewirtschaftsgesetz aus dem Jahre 1935 zu ändern. Angesichts dieser Fakten haben wir keinerlei Hoffnung, daß diese Bundesregierung die von der Enquete-Kommission geforderten gravierenden Änderungen unserer Energieversorgung wirklich in Angriff nimmt. Mit den GRÜNEN könnten wir wenigstens in der grundsätzlichen Richtung übereinstimmen, wenn sie ihre Vorschläge konkretisieren würden. ({0}) Sie beschränken sich aber auf Verfahrensvorschläge, Herr Daniels. Damit werden Sie keine Kehrtwende erreichen. In Ihrem Antrag zur Rekommunalisierung und Demokratisierung der Energieversorgung verlangen Sie ausgerechnet von dieser Bundesregierung, daß sie konkrete Maßnahmen ausarbeitet und auf den Weg bringt. Darauf können Sie nach unserer Auffassung lange warten, meine Herren von den GRÜNEN. Damit schieben Sie das Problem buchstäblich auf die lange Bank, nämlich auf die Regierungsbank. ({1}) Sie haben ja schon einmal einen Entwurf für ein neues Energiegesetz vorgelegt - das war im Jahre 1984 -, ihn aber nicht weiter verfolgt, sondern sich statt dessen mit diesem Antrag begnügt. Wir verhehlen ja gar nicht, daß wir mit einigen Leitgedanken Ihres Antrages übereinstimmen, so z. B. mit dem Gedanken, daß die heutigen Energieversorgungsunternehmen konsequent in Energiedienstleistungsunternehmen umgewandelt werden müssen. ({2}) Wir stimmen Ihnen auch darin zu, daß sich zukünftige Investitionsentscheidungen in der Energiewirtschaft zunächst an dem Ziel orientieren müssen, Einsparpotentiale auszuschöpfen und erneuerbare Energiequellen einzusetzen. Auf unsere Skepsis stößt allerdings Ihre Absicht, die Rekommunalisierung unserer Energieversorgung sozusagen zum Dogma zu erheben. Auch wir wollen die Rechte der Kommunen stärken, aber wir wollen die Entscheidung, ob eine dezentrale oder eine zentrale Energieversorgung besser geeignet ist, eine rationelle Energieerzeugung durchzusetzen, der politischen Gestaltung der Gemeinden überlassen, statt sie ihnen besserwisserisch aufzuoktroyieren. Meine Damen und Herren, diese Gedanken bleiben nach unserer Auffassung genauso Stückwerk wie der Antrag, § 1 Abs. 2 des geltenden Energiewirtschaftsgesetzes abzuschaffen, der einmal die Grundlage für die Einsetzung eines Generalinspektors für Wasser und Energie war, den es aber seit 1945 nicht mehr gibt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Daniels?

Volker Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001040, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, wenn mir die Zeit nicht angerechnet wird, Herr Präsident.

Dr. Wolfgang Daniels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte noch einmal auf die Dezentralisierung zurückkommen. Herr Kollege, sind Sie nicht der Meinung, daß es nur möglich ist, Energie wirklich effizient einzusetzen und diese Energiesparpotentiale zu erschließen, wenn man das dezentral vor Ort macht, was von vornherein ausschließt, zentrale Einheiten beizubehalten, wenn z. B. das Energieeinsparpotential, das die Enquete-Kommission vorschlägt, bis zum Jahr 2005 verwirklicht werden soll? Meiner Meinung nach ist das nur mit einer Umstrukturierung auf eine dezentrale Ebene möglich. Wie stehen Sie dazu?

Volker Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001040, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Daniels, da unterscheiden sich unsere Auffassungen, über die wir ja schon verschiedentlich in diesem Haus diskutiert haben. Das ist doch eine Dezentralisierung um der Dezentralisierung willen. Wir gehen davon aus, daß man zuerst schauen muß: Wie kann Energie rationeller eingesetzt werden? Dann müssen wir über die Strukturen nachdenken. Wir gehen davon aus, daß auch die zentrale Energieversorgung erhebliche Einsparpotentiale mobilisieren und zu einer rationellen Energienutzung kommen kann. Da sind wir unterschiedlicher Auffassung. Lassen Sie uns das einfach so sauber feststellen. Wenn die Bundesregierung untätig bleibt, dann müssen aus den Reihen des Bundestages eigene Gesetzesinitiativen kommen, die der Öffentlichkeit demonstrieren, wie es gehen kann. Wir Sozialdemokraten arbeiten daran. ({0}) - Das haben wir hier schon verschiedentlich ausgeführt. Ich sage Ihnen dazu: Wir werden noch in dieser Legislaturperiode den Entwurf für ein neues Energiegesetz im Bundestag einbringen, das dem Energiesparen und der rationellen Energienutzung ebenso Rechnung trägt wie der Ressourcenschonung, dem Umweltschutz, der Risikominimierung und der Internalisierung von externen Kosten, mit anderen Worten: dem Verursacherprinzip. In diesem Gesetz wird der Kraft-Wärme-Koppelung ebenso Vorrang eingeräumt wie der Nah- und Fernwärmeversorgung. Dies ist übrigens ein Feld, in dem der heimischen Kohle neue Absatzmöglichkeiten erschlossen werden können - wenn vielleicht auch nicht in absoluten Mengen, so doch in prozentualen Anteilen. Das ist nach meiner Auffassung das wichtigste Ergebnis in dem Bericht der Mikat-Kommission, an dem in der zukünftigen energiepolitischen Diskussion keiner mehr vorbeikommen wird - da stimme ich mit Herrn Gerstein durchaus überein - : Die Mehrheit der Kommission räumt dem Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit höchste Priorität ein. Das entspricht einer jahrzehntelangen sozialdemokratischen Politik. Versorgungssicherheit soll nach Auffassung der Kommission in Zukunft nicht nur national, sondern europäisch definiert werden. Mit anderen Worten, in dem Maße, wie die Ölpreise auf dem Weltmarkt wieder steigen - das ist zwangsläufig, wenn auch keiner weiß, wann und wie schnell - , in dem Maße, wie die Kernenergie ihre Akzeptanz verliert - das ist nach meiner Auffassung nur eine Frage der Zeit - , in dem Maße auch, wie mit dem Einsatz neuer Techniken der Kohleverstromung - die ja inzwischen vorhanden sind - höhere Wirkungsgrade erzielt werden können, muß der Anteil der Kohle an unserer Energieversorgung konsequenterweise wieder wachsen - nicht nur bei uns, sondern in der gesamten Europäischen Gemeinschaft einschließlich des Gebiets der DDR. Diese Gedanken zwar nicht ausführlich dargestellt, aber immerhin nahegelegt zu haben, ist nach meiner Auffassung das eigentliche Verdienst der Mikat-Kommission. Insofern sind die 25 % Kohleverstromung - das entspricht ja den 35 Millionen t, die die Kommissionsmehrheit als „Effizienzgröße" angibt - als ein „Mindestsockel" zu verstehen. Der Spielraum nach unten ist begrenzt, der Spielraum nach oben ist offen. Eine umweltfreundliche Nutzung der Kohle und unser neues Energiegesetz sind nur zwei Elemente unseres ökologisch orientierten energiepolitischen Gesamtkonzepts. Zu diesem Konzept gehören auch differenzierte Energiesteuern, mit denen wir den Energieverbrauch so verteuern wollen, daß Energieeinsparung auch zum Gebot von ökonomischer Vernunft wird. Mit diesem Maßnahmenbündel kann der Energieverbrauch in den nächsten Jahren absolut gesenkt werden, ohne daß das Wirtschaftswachstum gefährdet wird. Aber dazu müssen wir die Rahmenbedingungen gravierend ändern. Dazu brauchen wir endlich Entscheidungen. Schönen Dank. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Timm.

Jürgen Timm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002329, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP tritt seit langem dafür ein, mehr Wettbewerb und mehr Umweltschutz im Energiebereich zu verwirklichen. Deshalb ist es notwendig, das geltende Energierecht zu ändern. Über die Ziele besteht daher eigentlich kein grundsätzlicher Dissens, wohl aber über den zu beschreitenden Weg. Eines ist allerdings klar. Die Kommunen müssen und können bei den anstehenden Neuverhandlungen der Konzessionsverträge viel für die Umwelt, für alternative Energien, für Rückspeisung und mehr eigenen Einfluß erreichen. ({0}) Die bestehende öffentliche Versorgungswirtschaft wird allerdings zu Unrecht verteufelt, denn die Versorgungsgarantie ist für unsere Kommunen in jeder Beziehung - ob für die privaten Haushalte, ob für Gewerbe oder Industrie - von ausschlaggebender Bedeutung. Ein entsprechendes Versorgungssystem von Kraftwerken und Verteilungsanlagen aufzubrechen und zu vereinzeln, etwa nach dem Motto „Jeder Bürgermeister ein Kraftwerkschef", bringt außer hohen Kosten keinen einzigen Vorteil. ({1}) - Das ist nicht falsch, sondern genau richtig, weil Sie immer eines vergessen, Herr Dr. Daniels: Sie sprechen nie von einer Bilanz der Energie. Alles das, was Sie bei der Vereinzelung glauben erreichen zu können, müssen Sie vorher mit Energie erst einmal erarbeiten. Diese Bilanzrechnung machen Sie zu keinem Zeitpunkt. ({2}) Deswegen werden Sie unter dem Strich auch immer mit roten Zahlen operieren. ({3}) Ich jedenfalls möchte in meiner Gemeinde kein eigenes Kohle-, Öl- oder Gaskraftwerk haben; das sage ich Ihnen ganz ehrlich. ({4}) Was wir wohl erreichen wollen, ist, daß ungenutzte Energien oder Energiemengen in die vorhandenen Systeme eingespeist werden können. Unsere Kommunen sind gerade dabei, diese Positionen in die mit den Versorgungsunternehmen abzuschließenden oder zu verlängernden Verträge einzubauen. Der Staat muß seine Finger bei der Umorientierung unserer Energieversorgungsstrukturen auf mehr Dienstleistung, mehr Wettbewerb, mehr Energiesparen und mehr Umweltschutz möglichst heraushalten, ({5}) sonst gibt es doch nur höhere Abgaben und Zentralisierung. Bei der wiederholt zur Beratung anstehenden Vorlage „Rekommunalisierung und Demokratisierung der Energieversorgung" handelt es sich um das ideologische Glaubensbekenntnis der Anti-Atom-Bewegung. Die Vorlage ist bereits in der 10. Legislaturperiode im Deutschen Bundestag und in den Auschüssen behandelt worden, sie ist also ein Dauerbrenner ({6}) und ist von Ihnen auch in der 11. Legislaturperiode wieder eingebracht worden. ({7}) Das Ergebnis wird auch in dieser Legislaturperiode kein anderes als in der letzten sein: Wir werden dem Entwurf, wie Sie ihn vorgestellt haben, nicht folgen. ({8}) Es ist ja interessant, daß die SPD trotz der geistigen Nähe dazu mit ihren Gesetzentwürfen zum Energiewirtschaftsgesetz und zur Kernenergieentwicklung nicht Ihren Vorstellungen zu radikalen Veränderungen gefolgt ist. Die FDP sieht andere, wirksamere Maßnahmen vor, die sich besser in unsere freiheitliche und soziale Marktwirtschaft einpassen. Mehr Wettbewerb in der Energiewirtschaft erreichen wir u. a. über das Kartellgesetz. Wir haben es soeben fortgeschrieben und die 5. Novelle verabschiedet und damit das präzisiert, was bereits in der 4. Novelle enthalten war. Die Dauerbesitzstände der Elektrizitätswirtschaft in Form von Gebietsmonopolen werden wirksam befristet. Der Wettbewerb zwischen den Stromversorgern um die Versorgungsgebiete wird intensiviert. Das können Sie in den Kommunen überall nachempfinden und nachvollziehen. Es ist ganz interessant, den Verhandlungen zu diesem Komplex und insbesondere den Angeboten, die da gemacht werden, zu folgen. Die Marktposition der Städte und Gemeinden gegenüber den Strom- und Verbundunternehmen wird also durchaus gestärkt. ({9}) Dennoch ist darauf hinzuweisen, daß der Abschied von den geschlossenen Versorgungsgebieten noch nicht gekommen ist. Die Verstaatlichung der nationalen Überlandnetze ist an der Schwelle zu einem einheitlichen europäischen Strommarkt allerdings kein überzeugendes Konzept. Wir wollen die Staatsmonopole in Europa beseitigen und nicht etwa neue einführen. Wir wollen im europäischen Strommarkt mehr Wettbewerb durchsetzen und wollen nicht zurück zu nationalen Strukturen. Das bringt uns keinen Schritt weiter. ({10}) Unsere privatwirtschaftlichen Versorgungsunternehmen sind geradezu ein Vorbild für andere Länder in Europa. Dieses Vorbild sollten wir eigentlich nicht aufgeben, sondern verbessern; das ist doch entscheidend. Bislang fehlt der Wettbewerb, aber er wird verstärkt kommen, wie alle Anzeichen aus Brüssel für den europäischen Bereich zeigen. Unsere Stromwirtschaft ist eigentlich gut gerüstet, in diesem Wettbewerb zu bestehen. Wir sollten ihr diese Chance nicht nehmen. ({11}) Eine Zerschlagung der gewachsenen leistungsfähigen Strukturen und ihre Überfrachtung mit einer Regelung über eine drittelparitätische Mitbestimmung würde uns in Europa energiepolitisch binnen kurzem zum Offenbarungseid bringen. In keinem Land der Welt herrscht bisher auf dem Stromsektor vollkommener Wettbewerb. ({12}) - Das wird nicht gehen. Zur Verhinderung von Mißbräuchen der Monopole gibt es die staatliche Preisaufsicht und die Anzeigepflicht für Investitionen. Die strikte Umweltgesetzgebung für Elektrizitätserzeugungsanlagen sorgt dafür, daß neue Anlagen nach dem Stand der Technik so umweltschonend wie möglich gebaut werden und daß bestehende Kraftwerke mit Milliardeninvestitionen auf umweltfreundlichen Betrieb nachgerüstet wurden und werden. Die schnelle und umfangreiche Entgiftung unserer Kraftwerke war doch eine der erfolgreichsten Umweltschutzaktionen überhaupt. Sie konnte nur deshalb schnell und unkompliziert abgewickelt werden, weil unser leistungsfähiges System über das nötige Investitionskapital verfügte; und wir brauchen jede Mark. Die Bundesrepublik als Industriestandort braucht weiterhin eine leistungsfähige öffentliche Energiewirtschaft. Die flächendeckende Versorgung von Industrie, Gewerbe und Haushalten ist allein mit dezentralen regenerativen Kraftwerken, von denen manche träumen, nicht zu leisten. Jeder Kommune einen eigenen kleinen Kugelhaufenreaktor zu geben, ist sicher auch nicht die Lösung. ({13}) Auf die Kernenergie, die andere abschaffen wollen, können wir trotzdem gegenwärtig weder aus Energiebedarfs- noch aus Klimaschutzgründen verzichten. Wohin die von den GRÜNEN gewünschten Staatsbetriebe ökonomisch führen, das können wir in der DDR gut sehen. Ich meine, daß wir hier ein Feld haben, auf dem wir das, was wir an Investitionskapital erarbeiten konnten, einsetzen und das an Umweltschutz erreichen können, was wir mit den Maßnahmen, die Sie mit Ihrer Änderung vorschlagen, nach meiner Auffassung in den nächsten 20 Jahren überhaupt nicht erreichen werden. ({14}) Wir werden also bei der Vereinigung der beiden deutschen Staaten in den nächsten Jahren vor gewaltigen Aufgaben stehen, auch im Energiebereich. Sie sind nach meiner Auffassung nur auf Grund einer leistungsfähigen und privatwirtschaftlich organisierten Energiewirtschaft lösbar. Wir müssen die DDR aus dem RGW-Verbundnetz herauslösen und sie in das europäische Stromverbundnetz eingliedern. Wir müssen auch die überalterten Braunkohleanlagen und die unsicheren Kernkraftanlagen auf dem Boden der heutigen DDR im Grunde - das muß man ja wohl so sagen - ersetzen. Meine Damen und Herren, in der Debatte über grundsätzliche Fragen unserer Energiewirtschaft muß auch die bedrohliche CO2-Problematik eine Rolle spielen. Es darf bei der Energiepolitik kein Tabu geben, auch nicht das Tabu der Kernenergie. Wenn alle Industrie- und Schwellenländer der Welt mit der Energie so sparsam umgingen wie wir, so wären wir einen guten Schritt weiter. Gemeinsam mit der DDR sind schnelle Fortschritte auf diesem Gebiet ganz sicher möglich. Die Umweltmark ist nun einmal in der DDR zehn- bis zwanzigmal mehr wert als bei uns. ({15}) Aber auch wir müssen noch sparsamer mit der Energie wirtschaften. Dazu gehört eine bessere Energieausnutzung, eine Abwärmevermeidung in der Industrie ebenso wie in den Haushalten und im Verkehr. Mit Neuordnung der Bundestarifordnung Elektrizität haben wir einen Schritt mehr getan, sparsames Verbraucherverhalten zu belohnen. Stromverschwendung hat es aber bei den hohen Strompreisen auch vorher in unserem Lande nicht gegeben. Im Gegensatz zu den GRÜNEN lehnt die FDP die Überwachung und Bevormundung der Bürger ab. Der geforderten Verstaatlichung und Bürokratisierung setzen wir konsequent mehr Freiheit, Eigenverantwortung und Entbürokratisierung entgegen. ({16}) - Herr Dr. Daniels, ich habe kaum noch Redezeit. Ich möchte dies eigentlich noch gerne zu Ende bringen. ({17}) Meine Damen und Herren, wir rechnen in Kürze mit einer richtungweisenden Aussage der Bundesregierung zu diesem Komplex und werden die Beratung eines neuen Gesetzes zu Beginn der nächsten Periode unterstützen. Die FDP wird sich dafür einsetzen, daß die Gesetzesnovelle nicht mehr wie das alte Energiewirtschaftsgesetz, das aus einer längst vergangenen Zeit herrührt, staatswirtschaftliche und bürokratische Züge besitzt. Das Energierecht kann aber keine Basis dafür sein, aus dem von den GRÜNEN verteufelten „Atomstaat" auszusteigen. Im Gegenteil: Wir werden die Kernenergie im Prozeß der deutschen Einigung noch eine gute Zeit brauchen, um unsere aktuellen Energieprobleme zu bewältigen. Wenn das richtig ist, was ich heute an Zahlen bekommen habe, dann sind für den Umbau in der DDR 220 Milliarden DM für Energie und Umwelt erforderlich. ({18}) Dafür brauchen wir jede Mark. Dafür brauchen wir eine gesunde Energiewirtschaft. Dafür brauchen wir eine positive Bilanz, auch in der Energie. Danke schön. ({19})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft, Herr Beckmann.

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wegen der wahrlich epischen Breite des Antrags der GRÜNEN kann und möchte ich hier nicht zu allen Forderungen und Argumenten Stellung nehmen. Das bleibt den Ausschußberatungen vorbehalten. Lassen Sie mich aber zu einigen wenigen Grundforderungen meine Meinung sagen. Die GRÜNEN - so sagen sie - wollen eine umweltfreundliche Stromerzeugung. Wer will das nicht? Das will auch die BunParl. Staatssekretär Beckmann desregierung. Ich nehme an, das wollen alle hier im Parlament vertretenen Parteien. ({0}) Die GRÜNEN meinen, eine umweltverträgliche Energieerzeugung und -nutzung nur mit einer radikalen Änderung unserer derzeitigen und, wie ich meine, im Grundsatz bewährten Energieversorgungsstrukturen erreichen zu können. Dazu werden alle marktwirtschaftlichen Prinzipien beiseite geschoben. Die GRÜNEN gehen bei der Neukonstruierung der Energiewirtschaft von gewagten Annahmen aus. Die wegfallende Stromerzeugung aus Kern- und anderen Großkraftwerken soll durch Einsparungen und KraftWärme-Koppelung ausgeglichen werden, deren Anteil - unrealistisch hoch - 57 % an der Stromerzeugung ausmachen soll. Darüber hinaus sollen bis zum Jahre 2010 - ebenso unrealistisch - 26 % des Stroms auf regenerative Art erzeugt werden. Prognos und das Fraunhofer-Institut gehen hier realistisch von einer Quote aus, die unter 5 % liegt. Meine Damen und Herren, dabei wird der Wert der bestehenden, aber künftig nicht mehr genutzten Kraftwerke und Netze weitgehend unberücksichtigt gelassen, was, nur nebenbei gesagt, einer ganz enormen Kapitalvernichtung gleichkommt. Dies alles soll, damit es beim Bürger gut ankommt, der in diesem Antrag vor allem als Mieter angesprochen wird, mit fallenden Strompreisen und überhaupt einer Entlastung von den Energiekosten erreicht werden. Nur kurzfristig soll es zu einer Preiserhöhung von maximal 2,5 Pfennig pro Kilowattstunde kommen. Meine Damen und Herren, ich halte ein solches Szenario für illusionär und daher für unseriös, auch wenn in dem Antrag laufend auf wissenschaftliche oder pseudowissenschaftliche Untersuchungen Bezug genommen wird. ({1}) Ziel der Bundesregierung ist der rationelle und umweltfreundliche Energieeinsatz auch in der Strom-und Gasversorgung. Wir halten aber nichts von utopischen Szenarien, sondern mehr von einer realistischen und auch durchsetzbaren Energiepolitik. Ich bin überzeugt, daß die ökologische Fragestellung kein Modethema, sondern ein reales Problem ist. ({2}) Es wird uns in der Wirtschafts- und Energiepolitik des ausgehenden 20. Jahrhunderts vordringlich beschäftigen, hier vor allem die Gefährdung des Weltklimas durch die Emissionen von CO2 und anderen Spurengasen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Daniels? - Bitte schön, Herr Daniels.

Dr. Wolfgang Daniels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, da Sie gerade das Klimaproblem ansprechen, möchte ich dann doch einmal von Ihnen als Antwort auf unseren Antrag Vorschläge darüber erfahren, wie Sie denn die ehrgeizigen Ziele, die ja auch von der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" vorgegeben werden - nehmen wir nur einmal die CO2-Reduzierung um 30 % bis zum Jahre 2005 - , erreichen wollen. Wie wollen Sie denn diese Energieeinsparpotentiale aktivieren, wenn Sie die grundlegenden Rahmenbedingungen der Energiewirtschaft, die jetzt auf Energieverschwendung basieren, nicht ändern wollen?

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Herr Kollege, ich schlage vor, daß Sie vielleicht einmal abwarten, bis die Bundesregierung hier in dieser Debatte ihre Überlegungen zu diesem Thema vorgetragen hat. Ich persönlich komme gleich noch dazu, und der Kollege Gröbl wird sich dieses Themas ebenfalls annehmen. Also keine Hast. Wir sind ja heute abend hier unter uns und können uns in den nächsten 20 Minuten noch darüber unterhalten. Meine Damen und Herren, wir können die energiepolitischen Grundsatzentscheidungen nicht mit dem vordergründigen Argument, daß die Bürgerräte die Energieversorgung vor Ort viel besser organisieren könnten, auf die kommunale Ebene verlagern. Nicht planwirtschaftliche Vorgaben und bürgerschaftliche Kontrolle haben bei uns zu vergleichsweise großen ökologischen Fortschritten geführt, sondern die Festlegung geeigneter strikter Rahmenbedingungen, die den Unternehmen aber auch wettbewerbliche Handlungsspielräume belassen. Im übrigen zeigen die Fakten, daß eine wirksame Begrenzung und nachhaltige Reduktion der CO2-und der übrigen klimarelevanten Spurengasemissionen nur im Rahmen einer internationalen Abstimmung möglich ist. Man mag hier den modernen, den leistungsfähigen Industrieländern durchaus eine Führungsrolle auferlegen und damit diese Länder auch größeren Belastungen aussetzen. Aber nach meiner Auffassung würde ein nationaler Alleingang angesichts der Globalität dieser Umweltbelastung nicht viel bringen. Die Bundesregierung forciert deshalb in multilateralen Gremien ein international abgestimmtes Vorgehen zum Schutze unseres Klimas, so auf dem Weltwirtschaftsgipfel und im Intergovernmental Panel on Climate Change. Einigkeit, meine Damen und Herren, besteht darüber, daß die Einsparung von Primärenergie in der künftigen Energiepolitik eine besonders wichtige Rolle spielen muß. Auf die Probleme, die im Zusammenhang mit der Vereinigung mit der DDR auf uns zukommen, haben sowohl der Kollege Gerstein wie auch der Kollege Timm zutreffend hingewiesen. Ich kann das, was dort ausgeführt wurde, seitens der Bundesregierung nur unterstreichen. Die bisherigen Erfolge unserer Einsparpolitik haben gezeigt, wozu unsere Volkswirtschaft fähig ist. Derzeit bewegt sich die Industrieproduktion auf Rekordhöhe. Der dazu erforderliche Energieeinsatz durch die Industrie ist demgegenüber weit unterdurchschnittlich gewachsen. Auch die Prognosen von Prognos und Fraunhofer-Institut zeigen in diese Richtung, bezogen auf das Jahr 2010. Das Energie- wie auch das Umweltrecht sollten nur einen Rahmen setzen, innerhalb dessen die Verbraucher und vor allem auch die Industrie im freien Wettbewerb die besten Lösungen finden werden. Diese Grundmaximen werden wir auch bei der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes beachten. Die Vorarbeiten hierzu haben im Bundeswirtschaftsministerium begonnen und sind so eingerichtet, daß gegebenenfalls in der nächsten Legislaturperiode ein Gesetzentwurf vorgelegt werden kann. ({0}) Wir werden bei der Novellierung sowohl energie-als auch wettbewerbspolitische Aspekte, insbesondere aber auch das Ziel einer Verstärkung ökologischer Gesichtspunkte in der Energiepolitik berücksichtigen. Hierzu gehört insbesondere die Aufnahme der rationellen und sparsamen Energieverwendung und der Ressourcenschonung unter Umweltgesichtspunkten als gleichberechtigte Ziele neben Sicherheit und Preiswürdigkeit der Energieversorgung. ({1}) Wir werden auch prüfen, wie weit der staatliche Einfluß auf die Energiewirtschaft gehen sollte. Dazu muß ausgelotet werden, inwieweit die Novellierung im Hinblick auf den europäischen Binnenmarkt und den zunehmenden Wettbewerb für weitere Deregulierungsschritte genutzt werden kann. Im übrigen hat die Bundesregierung Ende letzten Jahres mit der neuen Bundestarifordnung Elektrizität neue Vorschriften zur Gestaltung der Stromtarife für Tarifabnehmer erlassen. Ziel ist dabei neben einer unter Kostengesichtspunkten verursachungsgerechten Strompreisbildung auch eine Verstärkung der Anreize zum Stromsparen. Dabei wird in bestimmten Bereichen eine lineare Strompreisgestaltung zugelassen. Ich sehe keine weitere Notwendigkeit, lineare Tarife, die nicht überall zu kostengerechten Strompreisen führen, als Pflicht bundesweit vorzuschreiben, wie das von den GRÜNEN gefordert wird. Zu den drei übrigen Anträgen, meine Damen und Herren, möchte ich mich kurz fassen. Das von den GRÜNEN geforderte Verbot der Stromheizung paßt in das dirigistische Konzept der GRÜNEN. Wir haben in der neuen Bundestarifordnung Elektrizität den Versorgungsunternehmen vorgeschrieben, daß Lasttäler künftig vorrangig durch das Angebot von für den Kunden attraktiven Schwachlasttarifen genutzt werden sollen. Das führt zu einer Vergleichmäßigung der Stromnachfrage auf niedrigem Niveau. Wir erwarten auch, daß die Unternehmen dieses Gebot beim Anschluß neuer Nachtstromspeicherheizungen berücksichtigen. Ich bin allerdings grundsätzlich der Auffassung, daß kein Energieträger gegenüber einem anderen diskriminiert werden sollte. ({2}) Der Antrag zur Stromversorgung ohne Atomenergie ist bereits in den Ausschüssen beraten worden. Dabei hat sich herausgestellt, daß der von den GRÜNEN geforderte sofortige Ausstieg aus der Atomenergie bei realistischer Betrachtung zu einer unvermeidlichen Erhöhung zahlreicher Schadstoffemissionen führen muß. ({3}) Angesichts der CO2-Problematik müssen wir diesem Punkt heute stärkeres Gewicht denn je zukommen lassen. Es muß einfach die Tatsache gesehen werden, daß durch die Nutzung der Kernenergie nachteilige CO2-Emissionen vemieden werden. Allein 1989 waren dies ca. 140 Millionen Tonnen. ({4}) Der Ausschuß hat daher zu Recht, so meine ich, mehrheitlich die Ablehnung dieses Antrags empfohlen. Das gleiche gilt für den Antrag zur Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes. Ich habe bereits ausgeführt, daß und mit welcher Fragestellung die Bundesregierung die Vorarbeiten für eine Novellierung aufgenommen hat. Meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Beratung des neuen Gesetzes wird zu unseren Aufgaben in der nächsten Legislaturperiode gehören. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Es folgt jetzt eine Runde mit Fünfminutenbeiträgen. Herr Dr. Knabe ist der erste Redner in dieser Runde.

Dr. Wilhelm Knabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht heute um vier Anträge der GRÜNEN, die wichtiges Gedankengut der Ökologiebewegung verkörpern: die Rekommunalisierung und Demokratisierung der Energieversorgung, die Verminderung von Schadstoffemissionen bei gleichzeitigem Ausstieg aus der Atomenergie, die Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes und das Verbot des Neuanschlusses von Stromheizungen. Im Angesicht der drohenden Klimakatastrophe sind diese politischen Ziele aktueller denn je. Es wird klar: Was aus ökologischen und demokratischen Gründen ohnehin sinnvoll ist, nämlich die Einsparung von Energie - hier unumstritten - und die Rückverlagerung von energiewirtschaftlichen Entscheidungen in die Kommunen - das ist umstritten - , ist aus der Warte des Klimaschutzes erst recht sinnvoll. Lassen Sie mich das am Beispiel der Dezentralisierung verdeutlichen, weil meine Vorredner diese Vorteile noch nicht würdigen konnten. Die dezentrale Erzeugung von Energie ist aus vielerlei Gründen sinnvoll. Ich will hier nur zwei nennen, die, Herr Kollege Gerstein, auch für den Umbau der Energiewirtschaft in der DDR gelten. Erstens. Aus ökologischer Sicht ergibt sich: Sie alle wissen um die niedrigen Wirkungsgrade zentraler Großkraftwerke. Sie liegen zwichen 30 und 40 %. Bei Anlagen der Kraft-Wärme-Kopplung, bei dezentralen Blockheizkraftwerken können die Wirkungsgrade mehr als das Doppelte betragen. ({0}) Gerade auf die Wirkungsgrade wird es in Zukunft allerdings ganz besonders ankommen. Die Reduzierung von Kohlendioxid, dem Haupttreibhausgas, kann nur durch eine effektive Minderverbrennung fossiler Energien erreicht werden; ich glaube, darin stimmen wir wieder überein. Da helfen keine Filter und keine Katalysatoren. Für uns bedeutet das: Die Filterideologie, das Nachsorgedenken ist gescheitert. Wir brauchen neue Wege; wir brauchen eine Effizienzrevolution in der Energiewirtschaft. Das geht nur mit einem schnellen Einstieg in eine dezentrale Energieversorgung. Wir müssen die sklerotische Großtechnologie in der Energiewirtschaft überwinden und mit dem Aufbau moderner effizienter dezentraler Technologien und Strukturen beginnen. ({1}) Zweitens ist die Dezentralisierung, die Rekommunalisierung der Energiewirtschaft aus demokratischen Gründen geboten. Nur wenn die energiewirtschaftlich relevanten Entscheidungen wieder in die Gemeinden zurückverlagert werden, werden sich die Menschen für eine umweltverträgliche Energieversorgung einsetzen können. ({2}) Nur wenn die realen Entscheidungen vor Ort fallen, Herr Gerstein, können ökologisch fortschrittlich denkende Menschen in Stadtwerken Energiesparen zu ihrer Sache machen, wie in Freudenstadt und Flensburg. In einem überschaubaren Bereich, wie Städte und Gemeinden es sind, können Ziele wie das, jährlich 2 % weniger Energie zu verkaufen, wesentlich besser als in Energiemonopolen realisiert werden, die noch immer absatzorientiert denken. Die EVUs haben ihre Unfähigkeit, vom Absatz- und Gewinnstreben wegzukommen, beim Ausbau der Speicherheizungen bewiesen. In zehn Jahren - von 1977 bis 1987 - hat der Verbrauch in den Haushalten um 5,7 Milliarden Kilowattstunden oder um 36 % zugenommen. Das war ein Grund für den heute zur Beschlußfassung vorgelegten Antrag der GRÜNEN mit dem Ziel des Verbots des Neuanschlusses von Stromheizungen. Der Einsatz von Stromheizungen ist ein besonders krasser Fall von Überzentralisierung und Energieverschwendung: Erst erzeugt man unter hohen Umwandlungsverlusten aus Wärme elektrischen Strom, und dann verwandelt man diese hochwertige Energie wieder zurück in Wärme mit bis zu 60 % Verlust bei Nachtspeicherheizungen, da das nicht so abgestimmt werden kann. ({3}) Es kann nicht angehen, daß in Zeiten, in denen eine globale Erwärmung der Erdatmosphäre droht, weiterhin so gewissenlos mit Energie umgegangen wird. Wir GRÜNEN wollen dieser Ressourcenverschwendung ein Ende bereiten. Die Antwort kann nur lauten: Energie sparen, Energie sparen, Energie sparen. Das Eindringen der Stromheizungen in den Wärmemarkt steht diesem Ziel diametral entgegen. Dagegen sehen wir in den Gemeinden die Schlüsselstelle für einen ökologischen und klimaverträglichen Umbau der Energiewirtschaft. Wo anders als in den Gemeinden könnte das Prinzip „Global denken, lokal handeln" besser realisiert werden? Und da stört uns allerdings dieser Generalinspekteur für Wasser und Energie, den man aus der nationalsozialistischen Gesetzgebung immer noch mit sich herumschleppt. Das müßte längst geändert worden sein und dürfte nicht erst auf die nächste Legislaturperiode verschoben werden. ({4}) - Ein Niemand. Das wissen Sie ja genauso wie ich. ({5}) Meine Damen und Herren, Dezentralität ist ein ökologisches Prinzip. Es sollte nicht nur im Energiebereich als handlungsleitendes Prinzip gelten, sondern in allen Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft. Aber bei der Energiewirtschaft ist es ganz besonders notwendig. ({6}) Ich danke Ihnen. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lippold.

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich vorab dem Staatssekretär Spranger noch einmal ganz herzlich zum Geburtstag gratuliere, auch zu diesem späten Zeitpunkt. ({0}) Herr Daniels, es war eigentlich enttäuschend, was Sie vorgetragen haben. Ich setze mich mit den gedanklichen Vorstellungen der GRÜNEN von Anbeginn an auseinander. Aber das, was Sie heute wieder geboten haben, ist eigentlich das, was in Ihrem Ursprungsprogramm steht, ohne daß Sie aus der Entwicklung auch nur einen einzigen Punkt hinzugelernt hätten. Die gesamte weltweite Entwicklung, wie sie sich uns darstellt, findet in Ihren Gedanken, in Ihren Überlegungen ganz einfach nicht statt. Sie haben ein festgefügtes Gedankengebäude, dem weder etwas abgestrichen noch etwas hinzugefügt wird. Damit können Sie auf eine sich wandelnde Welt gar nicht mehr ausreichend antworten. Das ist ganz einfach ideologisches Dogma. Kleine Kraftwerke können sinnvoll im Einsatz sein. Aber dies zu einem Dogma auszubauen ist genauso falsch, wie die Kommunalisierung zu einem Dogma zu machen. Es wäre ganz gut - Herr Timm hat das deutlich angesprochen - , wenn man alle, die hierherkommen, erst in der Kommunalpolitik Station machen ließe, damit sie wüßten, über was sie reden, wenn sie Kommunalisierung fordern. Auch hier ist eine Idealisierung - ich sage das deutlich - nicht angebracht. Ich nehme keine Ebene der staatlichen Entschei15876 Dr. Lippold ({1}) dungsfindung und -bildung aus. Aber eine Idealisierung gerade hier anzusetzen ist genauso falsch wie bei den anderen Ebenen. Genauso ist es mit der Rätestruktur, die Sie propagieren. Wir haben ein Entscheidungssystem. Dieses ist, da es demokratisch ist, gut, aber, wie wir wissen, auch schwerfällig, was Genehmigungsverfahren, was Entscheidungsfindungen angeht. Wenn wir da noch Ihr Rätesystem draufsattelten, würden wir endgültig entscheidungsunfähig.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Daniels ({0})?

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke, nein. Ich will noch einmal eines deutlich machen: Wir stimmen sicherlich in den Zielsetzungen überein - ich gehöre der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" an - , daß wir Energie einsparen müssen. Aber wir müssen dabei realistische Zeiträume ansetzen. Wenn mir jemand sagt, man könne den Wärmebedarf um bis zu 90 % - insbesondere im Bereich Hausbau - reduzieren, stimme ich ihm selbstverständlich zu. Das ist erreichbar. Nur, der Gebäudeumschlag vollzieht sich in 70 bis 80 Jahren. Wenn ich sehe, welche Zeiträume wir uns für die Einsparung vorgegeben haben, muß ich ganz einfach abdiskontieren, so daß das, was Sie hier als Ist-Wert vorgeben, vielleicht in 70, 80 Jahren, aber nicht direkt erreichbar ist. ({0}) Zum Gedanken der Energiedienstleistung. Sie haben hier unkritisch Entwicklungen, die Sie auf dem amerikanischen Markt finden, übernommen. Wir in der Bundesrepublik Deutschland haben völlig andere Strukturen. Wir haben viel früher als die Amerikaner eingespart. Ich will nicht sagen, daß wir deshalb den Lovins-Gedanken nicht übernehmen sollten. Aber er wird bei uns nicht mehr so viel bringen wie in den USA, die vor einer völlig anderen Situation stehen. Im übrigen fällt mir dabei natürlich auf, daß Sie von dem Gedanken der Energiedienstleistung, siehe Lovins, in dem Moment etwas Abstand genommen haben, als Lovins zu den 700 Wissenschaftlern in den USA gehörte, die deutlich gesagt haben, daß, wenn wir der Klimakatastrophe entgehen wollten, der Einsatz von Kernenergie im Moment unverzichtbar sei und auch auf absehbare Zeit nicht verzichtbar sei. ({1}) - Er hat das Memorandum mit unterschrieben. ({2}) Aber warum Sie sich, wie das in der Enquete deutlich erkennbar wurde, langsam davon absetzen, ist eigentlich ganz erstaunlich. ({3}) Ich unterstreiche noch einmal den Satz von Ludwig Gerstein, daß wir einen Energie-Mix brauchen, auch in Zukunft, und daß wir deshalb natürlich auch keine Politik machen können, so regional wir auch immer denken mögen, Herr Jung, die vor dem Hintergrund einer Region den Einsatz eines Energieträgers ungeachtet der damit verbundenen CO2-Belastung noch ausbauen will. Wie Sie Ihren Einsparungsanteil erzielen wollen, den wir erzielen müssen, bei gleichzeitiger Steigerung, wie Sie gesagt haben, und nicht nur Konstanthaltung des Kohleeinsatzes, ({4}) ist natürlich schon ein Punkt, den Sie wesentlich deutlicher erklären müssen, als Sie dies getan haben. Die bisherigen Rechnungen, die darauf aufbauen, sind falsch. Ich sage das ganz deutlich. Im übrigen ist das natürlich mit Ihrem potentiellen Koalitionspartner wiederum wenig abgestimmt. Wenn Ihr potentieller Koalitionspartner auch den Einsatz von Importkohle berücksichtigen will, dann weiß ich nicht, wie Sie den Jahrhundertvertrag realisieren wollen. Das alles sind die Positionen, bei denen Sie immer punktuell denken, aber die Zusammenfügung zu einem in sich geschlossenen System nicht schaffen. Das ist der Punkt. Wir kommen aber nur mit Überlegungen weiter, die Nebenwirkungen und Langzeitwirkungen berücksichtigen und die nicht auf kurzfristige Effekthascherei abstellen. Bedauerlicherweise muß man den GRÜNEN attestieren: kein Denken über den Tag hinaus, kurzfristige Effekthascherei ohne Effizienz. Es ist bedauerlich, daß man Ihnen das attestieren muß. ({5}) - Das ist keine Wertung, das ist ein Sachverhalt, Herr Daniels. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir könnten uns alle einig werden, daß wir dieses Thema unangemessen behandelten, wenn wir es so behandelten, wie wir es jetzt tun, wenn gleichzeitig Meldungen über den Ticker gingen, daß in Greifswald ein Kernkraftwerk durchginge oder in Spanien ein Kernkraftwerk in Brand geraten sei, oder wenn wir in diesen Tagen Meldungen herausgeben müßten, daß Kinder gescheiterweise auf den Wiesen nicht spielen würden, weil Tschernobyl jetzt stattfinde. ({0}) Wir leisten uns die Debatte, wie sie jetzt hier abläuft, ({1}) deswegen, weil zur Zeit keine Katastrophe stattfindet. ({2}) - Nein, Herr Gerstein, mir stehen nur fünf Minuten zur Verfügung. Das werden Sie schon aushalten. ({3}) Wir leisten uns diese Debatte, weil derzeit keine Kernkraftkatastrophe stattfindet. Ein anderer Punkt, um den es mir dabei geht, ist, daß wir alle mit einer Bevölkerung leben, die jede Woche nach einer schönen Wahrscheinlichkeitsrechnung und mit großer Gewißheit davon ausgeht, daß Lotto- und Totowetten zu Hauptgewinnen führen. Mit demselben Rechenverfahren läßt sich auf Grund des anderen gesellschaftlichen Tatbestands der Kernkraftversorgung auf dieser Erde errechnen, wie häufig Kernkraftwerke durchgehen werden. ({4}) Das Bewußtsein von der Risikoträchtigkeit unserer Energieversorgungspolitik ist weder in der Bevölkerung noch derzeit hier in unserem sogenannten Hohen Hause verbreitet. Das ist so. ({5}) - Dies ist so. Die Frage, ob wir uns auf Dauer eine solche Energieversorgung leisten können, haben alle schon mit der Antwort „nein" versehen; denn auch die Regierungsparteien von heute sagen, die Kernenergie solle eine Übergangsenergie sein, aber keiner sagt, wie schnell man aussteigen will. ({6}) Der zweite Punkt, um den es mir geht, ist, daß sich alle diejenigen, die sagen „Wir wollen aus der Kernenergie heraus", was ja die Grundlage der Anträge der GRÜNEN heute ist, Verfahren überlegen müssen, die die Bevölkerung mitträgt. ({7}) Da können die GRÜNEN - sehr zu ihrem eigenen Leidwesen, auch zu meinem - nur sagen: Die Dringlichkeit, mit der dieses Thema eigentlich zu debattieren wäre, wird von der Bevölkerung nicht empfunden. Man kann darüber nachdenken, was dies bedeutet. Wer deshalb den Weg aus der Kernenergie heraus beschreiten will, muß ein Programm entwickeln, dessen Realismus von der Bevölkerung akzeptiert wird, ({8}) so daß es nicht als Verkündung von bösen Botschaften begriffen wird. Dies ist bisher offenkundig nicht gelungen, denn die Beruhigungsbonbons von jener Seite des Hauses werden von der Bevölkerung sehr viel lieber geschluckt als das, was an Warnungen bezüglich der Risikoträchtigkeit unserer Energieversorgung angemessen wäre. ({9}) Dies ist die Situation, was die Kernenergie angeht. Nun, Herr Gerstein, komme ich zur CO2-Problematik. Alles, was man bisher an Planungen entwickelt hat, ist dadurch, daß wir in Deutschland jetzt „wir" zu beiden bisherigen deutschen Staaten sagen und zu einer gemeinsamen Energiepolitik für Deutschland kommen müssen, neu zu überdenken. ({10}) Die Antwort auf die Frage, was wir in Deutschland für alle Deutschen an Energiepolitik zu leisten haben, sieht heute etwas anders aus, da wir für Greifswald und Bitterfeld und andere Komplexe mit Verantwortung zu tragen beginnen, wenn nicht rechtlich, so doch moralisch-politisch. Dies führt dazu, daß wir die Energiepolitik in Deutschland anders zu betrachten haben, als dies bisher der Fall war. Ich glaube, darunter leidet auch das Antragsbegehren der GRÜNEN. Denn wenn man in der DDR die sehr viel gefährlicheren Kraftwerke schließt und außerdem die akute Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung durch Braunkohlenkraftwerke beenden will, dann müßte das Nachdenken über die Zeitabläufe und darüber, wieviel man in welcher Zeit erreichen kann, in etwas anderer Weise erfolgen, als es in Ihrem Antrag zugrunde gelegt worden ist. Ich glaube, daß deshalb der dritte Punkt, auf den ich zu sprechen kommen möchte, der eigentlich entscheidende ist. Da muß ich sagen, Herr Timm und Herr Lippold: Es stimmt halt leider nicht, daß es eine gezielte Energiesparpolitik dieser Bundesregierung und der sie tragenden Parteien gäbe. Im Gegenteil: Sie geben sich mit dem zufrieden, was Sie als Erfolg bezeichnen und was Sie als relative Meßziffern in die Welt setzen. Das ist ja auch schon etwas. ({11}) Aber für diejenigen, die es sowohl mit der Verminderung der Risiken der Kernenergie als auch mit der Verminderung der Belastung der Erdatmosphäre und der Gesundheitsgefährdung von Menschen wirklich ernst meinen, müßten für das Energiesparen sehr viel mehr tun, als zur Zeit irgendwo und in den vergangenen sieben Jahren von dieser Bundesregierung geleistet worden ist. Wenn Sie das ernst nehmen würden, dann würden Sie die Anträge der GRÜNEN nutzen, wenigstens ein vernünftiges Energiesparprogramm für beide deutsche Staaten in ihrer Gemeinsamkeit zu beraten. Vielleicht kommt es ja dazu. ({12})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Segall.

Dr. Inge Segall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002144, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Wir beraten unter diesem Tagesordnungspunkt wieder einmal ein ganzes Sammelsurium von Anträgen der GRÜNEN, die zum Teil schon behandelt worden sind. Ich soll mich hier speziell zu dem Antrag äußern, dessen Überschrift lautet: Programm zur Verminderung der Schadstoffemissionen bei einer Stromversorgung ohne Atomenergie. Ich frage mich allerdings: Wollen Sie sich hier wirklich nur auf die Frage der Stromerzeugung beschränken? Dann müßten Sie irgendeine Aussage dazu treffen, wie Sie ein Drittel ersetzen wollen, wie das mit einem Ausstieg aus der Kernenergie vereinbar sein soll und gleichzeitig eine Minderung der Schadstoffemissionen erreicht werden soll. Das dürfte ganz erhebliche Probleme bringen. Aber wenn man sich den Antrag näher ansieht, dann stellt man fest, daß Sie doch wieder einmal die gesamte Energiepolitik behandeln. In diesem Falle wird das nur an den Schadstoffemissionen aufgehängt, und zwar unter Ausklammerung der Handlungsalternative für dieses spezielle Problem, nämlich der Kernenergie. Denn nur die Kernenergie als Handlungsalternative gäbe uns die Möglichkeit, immerhin zu Nullemissionen zu kommen, zumindest was den reinen Stromerzeugungsprozeß anbetrifft. Sie kommen dann immer mit dem Argument, daß in der Prozeßkette - bei der Kraftwerkserrichtung, bei der Urangewinnung und Urananreicherung - auch andere Energien, speziell kohlendioxidreiche Energien eingesetzt werden müssen. Aber dieses Argument gilt eben nicht nur für die Kernenergie, sondern auch für alle anderen Energien. Kommen wir nun zu dem, was Sie hier eigentlich bewegt. Das sind die Schadstoffemissionen, die unweigerlich mit dem Energieverbrauch verbunden sind. Die Schadstoffe SO2 und NO. sind technisch durchaus reduzierbar. Dabei haben wir schon ganz erhebliche Fortschritte gemacht. Für das CO2 haben wir keine Möglichkeiten, zumindest keine, die energetisch Sinn machen. Da gerade die CO2-Emissionen die größte Bedrohung darstellen, sollten wir ganz schnell aus den fossilen Brennstoffen aussteigen. ({0}) Darüber sind wir uns einig. Es ist auch die Frage zu stellen, was schlimmer ist, ob wir der nächsten Generation einen geplünderten oder einen überhitzten Planeten überlassen. Aber darüber kann man sich lange streiten. Wenn wir aus den fossilen Brennstoffen aussteigen, kommen wir zu ganz erheblichen Reduktionen der Schadstoffemissionen. Interessant ist die Argumentation derjenigen, die gleichzeitig aus den fossilen Brennstoffen und der Kernenergie aussteigen wollen. ({1}) Ihre Argumentation läuft immer darauf hinaus, daß darin ganz große Potentiale schlummern. Das eine Potential ist das Sparen, und das andere Potential sind die regenerierbaren Energien. Ich möchte mir erst einmal das Thema Sparen vornehmen. Die Enquete-Kommission hat inzwischen etliche Gutachten hereinbekommen, in denen ganz extreme Sparpotentiale und Sparszenarien durchgerechnet worden sind. Selbst beim extremsten Sparen kommt dann immer noch ein Plus an zusätzlichem Energieverbrauch heraus. Entscheidend ist leider Gottes vor allen Dingen der Verkehrssektor. Jetzt einmal dazu, wie Sie sich das Sparen vorstellen. Sie stellen sich vor, neue Technologien müßten nicht einmal zu einem Komfortverzicht führen, wenn nur die Energiedienstleistung rationeller erstellt und eingesetzt würde; das heißt also: moderne Energiegewinnungstechniken und moderne Energieanwendungstechniken. Aber dazu kann ich nur sagen: Vorsicht, keine dieser Technologien ist zum Nulltarif zu bekommen. Denn wenn Sie sich den Energiebedarf, der in der gesamten Prozeßkette steckt, angucken, werden Sie sich ganz schrecklich wundern. Ich könnte Ihnen Beispiele bringen, aber leider rast die Zeit viel zu schnell dahin. Ganz schnell zu Ihren Illusionen in bezug auf die regenerierbaren Energien. Wenn Sie die gesamte Prozeßkette betrachten, stellt sich auch dort heraus - das haben die Untersuchungen von der Enquete-Kommission ganz deutlich gezeigt -, daß das technische Potential, wie Sie es sich vorgestellt haben, nicht vorhanden ist und das ökonomische schon überhaupt nicht; es ist wesentlich geringer, als Sie es wahrhaben wollen. Das ökonomische Potential ist nur dann vorhanden, wenn Sie von ganz wahnsinnigen Steigerungen speziell der fossilen Energiepreise ausgehen. Erst dann fangen die alternativen Energien an, sich unter Umständen zu rechnen. Das Gesamtpotential ist sowieso ganz minimal. Daran ändert auch keine Forschungsförderung etwas. Ich möchte ganz kurz noch auf folgendes eingehen:

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Verehrte Kollegin, das müssen Sie noch kürzer machen.

Dr. Inge Segall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002144, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich meine, wenn es um die Kosten geht, bleibt uns, wenn es auch ökologisch noch vertretbar sein soll, nichts anderes übrig als ein Umstieg auf die Kernenergie, aber kein Ausstieg aus der Kernenergie. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herr Gröbl.

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts der drängenden globalen Klimaprobleme halte ich die Tatsache, daß sich dieses Hohe Haus heute mit dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN „Programm zur Verminderung der Schadstoffemissionen bei einer Stromversorgung ohne Atomenergie" beschäftigen muß, geradezu für eine Farce. Der uns vorliegende Antrag der Fraktion ist nicht neu; er beschäftigte den letzten Deutschen Bundestag, und in den vergangenen dreieinhalb Jahren ist dieser Antrag nicht besser geworden, sondern nur älter. In diesen dreieinhalb Jahren hat sich weiß Gott viel getan, was Sie offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen haben. Die Auswirkungen der Großfeuerungsanlagen-Verordnung, der Technischen Anleitung Luft, die Einführung des geregelten Dreiwegekatalysators haben dazu geführt, daß die Emissionen von SO2 und die Emissionen von Staub bereits jetzt drastisch abgenommen haben. In den nächsten Jahren wird NOx entsprechend zurückgehen. ({0}) - Sowohl bei den stationären als auch bei den mobilen Anlagen. Unter maßgeblicher Beteiligung der Bundesregierung haben sich sowohl die Umweltministerkonferenz als auch die Wirtschaftsministerkonferenz mit dem Thema Umwelt und Energie intensiv auseinandergesetzt. Ergebnis ist ein differenzierter Maßnahmenkatalog für die Bereiche Gebäude, Industrie, Verkehr und Energieversorgung. Dies bietet gute Ansätze für eine der wichtigsten Aufgaben, die uns in diesem ausgehenden Jahrhundert aufgegeben sind. In nächster Zeit werden wir dem Bundeskabinett Zielvorstellungen zur Verminderung von CO2-Emissionen im nationalen Rahmen vorlegen. Nach Studium des Berichts der Enquete-Kommission und nach sorgfältiger Prüfung der bestehenden Möglichkeiten halte ich eine Reduktion von CO2 um 25 % , vielleicht auch um 30 % bis zum Jahre 2005 für realisierbar, ohne daß Wirtschaft und Verbraucher in der Bundesrepublik Deutschland überfordert werden. Einsparpotentiale - Sie haben danach gefragt - sind mit Sicherheit im Bereich der Haushalte, der Industrie, der Energieversorgung, des Verkehrs und der Abfallwirtschaft gegeben. Herr Dr. Sperling, dabei allerdings auf die Kernenergie zu verzichten, ({1}) - der hat schon gewußt, warum ({2}) bedeutet, daß dieses Vorhaben von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. ({3}) Hier dann noch mögliche Probleme von Kernkraftwerken in Spanien oder die Katastrophe von Tschernobyl oder gar Greifswald anzuführen, ist völlig abwegig. Wir sind für die Kernkraftwerke in der Bundesrepublik zuständig, und wir haben hierfür eine besondere Sicherheitsphilosophie. ({4}) Die hat sich weiß Gott bewährt. Hätten wir nicht eine dementsprechende Sicherheitsphilosophie und Sicherheitskultur für unsere Kernkraftwerke, würden uns die DDR und andere Länder nicht um Rat bitten, wie sie ihre Kernkraftwerke noch sicherer machen können, als sie es in der Vergangenheit gewesen sind. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Nein, danke. ({0}) - Oh, mein Gott, und das sagen ausgerechnet Sie dahinten. ({1}) Herr Kollege Beckmann hat zu Recht darauf hingewiesen, daß es nicht reicht, wenn wir in der Bundesrepublik den Vorreiter machen. Das ist wichtig. Wir müssen das tun, weil unsere Position, unsere Verhandlungsposition dadurch besser wird. Aber weltweit werden wir wenig bewirken, wenn sich nicht die anderen Industrieländer oder gar die Schwellenländer - UdSSR, China - moderner Technik zur besseren, effizienteren Energiegewinnung und zur sparsameren Energieverwendung bedienen. Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund und vor allem vor dem Hintergrund dessen, was im anderen Teil Deutschlands zur Sanierung der dort zum Himmel stinkenden Situation von Energie und Umwelt notwendig ist, wäre es angebracht gewesen, wenn Sie Ihren Antrag zurückgezogen hätten, dies zumal deshalb, weil dieser Antrag in sich widersprüchlich ist. ({2}) Die Lösung dieser Probleme ist eine längerfristige, ist eine langfristige Aufgabe. Diese Probleme können nicht mit einem Federstrich oder gar mit einem neun Seiten umfassenden und so liederlichen Antrag bewältigt werden. Vielen Dank. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 11/6484 und 11/6727 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Die Überweisungen sind so beschlossen. Dann kommt der Tagesordnungspunkt 9 b. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 11/3702 ab. Der Ausschuß emp15880 Vizepräsident Westphal fiehlt, den Antrag der Fraktion die GRÜNEN auf Drucksache 11/306 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? Ich bitte um das Handzeichen. - Danke schön. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und der SPD angenommen worden. Tagesordnungspunkt 9 c. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 11/5636. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion die GRÜNEN auf Drucksache 11/1271 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Danke schön. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist mit der gleichen Mehrheit angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes gemäß Artikel 104 a Abs. 4 GG für Investitionen zur vorläufigen Unterbringung von Aussiedlern und Übersiedlern - Drucksache 11/6750 Interfraktionell sind für die Beratung 30 Minuten vereinbart worden. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Ausssprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roth ({0}).

Adolf Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schafft der Bund die rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Finanzhilfen nach Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes für die Einrichtung zusätzlicher Plätze zur vorläufigen Unterbringung von Aus- und Übersiedlern. Für diesen Zweck sollen im Nachtragshaushalt 1990 im Kapitel 6002 unter Titel 88206 einmalig - also für 1990 - 500 Millionen DM an Investitionshilfen zur Verfügung gestellt werden. Hierdurch sollen die Bundesländer in die Lage versetzt werden, rund 70 000 zusätzliche Unterbringungsplätze einzurichten, um die Voraussetzungen für eine schnellere Integration dieses Personenkreises in die Gesellschaft und in das Wirtschaftsleben der Bundesrepublik zu schaffen. Eine Entlastung auf diesem Sektor ist dringend geboten. Hinsichtlich der Verwendung der Mittel ist vorgesehen, daß die Gesamtsumme auf die Länder aufgeschlüsselt wird. Bis zu 75 % der förderungsfähigen Kosten und bis zu 7 000 DM je Einzelplatz im Landesdurchschnitt können aus diesem Topf für förderungsfähige Vorhaben zur Verfügung gestellt werden, wobei in den Fällen der Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen der Höchstbetrag pro Platz um bis zu 30 % überschritten werden darf. Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung wird eine Zusicherung erfüllt, die der Bundeskanzler den Ministerpräsidenten der Länder am 15. Februar 1990 gegeben hat. Es muß gehandelt werden, weil die Kapazitäten der Länder und Gemeinden zur vorläufigen Unterbringung der Aus- und Übersiedler nach dem Zustrom von insgesamt 240 000 Menschen im Jahre 1988 und 720 000 Menschen im letzten Jahr weitgehend erschöpft sind. Zwar ist die Zahl der DDR-Übersiedler seit der ersten demokratischen Volkskammerwahl am 18. März 1990 drastisch zurückgegangen, aber die Gesamtzahl der Aus- und Übersiedler hat seit dem 1. Januar 1990 bis zum heutigen Tag einen Umfang von rund 250 000 Menschen erreicht. Es handelt sich um etwa 150 000 Übersiedler und etwa 100 000 Aussiedler. Selbst wenn in Zukunft DDR-Übersiedler nur noch nach vorheriger Klärung ihrer Arbeits- und Wohnungssituation nach hier kämen und wenn künftig der Erwerb des Aussiedlerstatus von einer Durchführung des Aufnahmeverfahrens bereits vor der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland abhängig gemacht wird, wie es der heute vom Bundeskabinett verabschiedete Gesetzentwurf vorsieht, bleiben erhebliche Belastungen des Wohnungsmarktes, einmal ganz zu schweigen von dem erheblichen Rückstau, der sich aus den Rekordzahlen des Umbruchjahres 1989 ergeben hat. Hier muß also gehandelt werden, und zwar so schnell wie möglich. Das vorliegende Finanzhilfegesetz versucht, einen pragmatischen Weg zu gehen. Zwar hält der Bund an seiner begründeten Rechtsauffassung fest, daß die vorläufige und die endgültige Unterbringung dieses Personenkreises in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder fallen; er versagt sich jedoch nicht seiner allgemeinen Verantwortung in dieser historischen Ausnahmesituation und hilft auf diese Weise den Ländern bei der Finanzierung ihres außerordentlichen Investitionsbedarfs. Aus rechtlichen Gründen kommt hierfür nur die Mitfinanzierung über den Art. 104 a Abs. 4 Grundgesetz in Frage. Eine Gründung dieses Gesetzes auf Art. 120 Grundgesetz - wie sie der Bundesrat gefordert hat - ist inakzeptabel, übrigens spätestens seit der Abschlußgesetzgebung von 1969, als die Finanzierungszuständigkeit des Bundes auf diesem Gebiet entfallen ist. An dieser Stelle möchte ich auch darauf hinweisen, daß der Bund zur Zeit mit einem Finanzaufwand von immerhin 10 Milliarden DM im laufenden Jahr wesentlich stärker belastet ist als die Länder, die hierfür 3 Milliarden DM aufzuwenden haben. Um es noch einmal zu unterstreichen: Dies alles hat nichts mit der für den 1. Juli 1990 vorgesehenen Beendigung des Aufnahmeverfahrens für Übersiedler zu tun, denn der Rückstau an unterzubringenden Aus- und Übersiedlern ist eine Last der jüngsten Vergangenheit und verflüchtigt sich nicht von selbst mit der jetzt eintretenden Normalisierung. Jeder von uns weiß, in welchem Umfang Länder und Kommunen gezwungen waren, Behelfsunterkünfte, ehemalige Bunker, Turnhallen und andere, für eine auch nur vorübergehende Unterbringung über den ersten Sofort-bedarf hinaus völlig ungeeignete Objekte in Anspruch zu nehmen. Hier sind Unzuträglichkeiten und auch ein Ausmaß an sozialem Sprengstoff entstanden, den man weder den betroffenen Menschen noch der einheimischen Wohnbevölkerung zumuten kann. Wir können nur hoffen, daß die Zahl der Übersiedler aus der DDR mit der schrittweisen Verwirklichung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion gestoppt wird und auch die Aussiedlerströme durch VerbesseRoth ({0}) rung der Lebenssituation in den jetzigen Wohnsitzländern mehr und mehr versiegen. Dennoch muß jetzt gehandelt werden. Die kurzfristige Bereitstellung von 500 Millionen DM aus dem Bundeshaushalt für die nach dem 1. Januar 1990 von den Ländern begonnenen Investitionen ist ein sichtbarer Beitrag hierzu. Wenn sich im Hinblick auf die verfassungsmäßige Zuständigkeit im Moment auch keine Annäherung der unterschiedlichen Rechtsauffassungen zwischen Bundesregierung und Bundesrat erwarten läßt, wird das Gesetzgebungsverfahren in Einzelfragen sicher die eine oder andere Modifizierung erlauben. Die Fraktion der CDU/CSU jedenfalls unterstützt dieses Gesetzgebungsanliegen und sichert in den Ausschüssen eine sorgfältige Beratung zu. Herzlichen Dank. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hämmerle.

Gerlinde Hämmerle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000777, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem 1988 rd. 240 000, 1989 rd. 720 000 und in den wenigen Wochen des Jahres 1990 - der Herr Kollege Roth hat es bereits gesagt -250 000 Aus- und Übersiedler zugezogen sind, erkennt die Bundesregierung endlich die Notwendigkeit des Handelns. Länder und Gemeinden sind durch die Probleme der Unterbringung überdurchschnittlich belastet. Die Oberbürgermeister und Ministerpräsidenten, ganz egal, welcher politischen Couleur, mahnen seit langem, der Bund solle einen erheblichen Teil der Kosten der Zuwanderung übernehmen. Aber es ist bis heute wenig geschehen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat schon früh, nämlich am 26. Oktober 1988, in einem Antrag auf die Situation aufmerksam gemacht. ({0}) Dort ist zu lesen: Der Deutsche Bundestag stellt fest, daß die Versorgung mit Übergangswohnraum für die Aussiedler und Aussiedlerinnen eine Aufgabe des Gesamtstaates ist. ({1}) Der Bund ist daher verpflichtet, die Bundesländer von den dabei anfallenden Kosten im Rahmen einer Gesamtregelung zu entlasten. ({2}) Heute ist der Bedarf entsprechend der gestiegenen Zahl natürlich noch höher. Ein heftiger Streit entbrannte zwischen Bund und Ländern, Herr Staatssekretär Waffenschmidt sitzt heute leider nicht da; aber Sie sind mir natürlich genauso lieb, Herr Spranger. ({3}) - Herr Spranger hat Geburtstag? - Dann benutze ich meine Redezeit dazu, Ihnen herzlich zu gratulieren, bevor dieser Tag zu Ende geht, Herr Spranger. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Kollegin, es ist das dritte Mal, daß wir ihm heute gratulieren. Aber er kann das ertragen, glaube ich.

Gerlinde Hämmerle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000777, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe ihm zum erstenmal gratuliert. ({0}) Jetzt muß ich Ihnen aber dennoch vorlesen, was Herr Staatssekretär Waffenschmidt in einer Sendung des ZDF am 7. Januar 1989 gesagt hat: Wir werden nicht mehr lange streiten über finanzielle Fragen zwischen Bund und Ländern in dieser Aufgabenstellung. Also, es wäre für mich beschämend, wenn wir angesichts der Tausenden von Menschen, die aus anderen Ländern jetzt zu uns kommen, hier einen Finanzstreit führen. Den werden wir beenden. ({1}) Dennoch hat es bis heute gedauert, bis der Gesetzentwurf vorgelegt wurde. Die Bundesregierung hat der Verschärfung der Lage untätig zugesehen und dadurch die Gefährdung des sozialen Friedens wissentlich in Kauf genommen. Solange die Bundesregierung und die Koalition nicht bereit sind, den Zuzug durch wirksame Maßnahmen einzuschränken, ist es ihre Pflicht und Schuldigkeit, den Ländern und Gemeinden zu helfen. ({2}) Wir haben einen Antrag auf Aufhebung des Bundesvertriebenengesetzes und damit Beendigung des Vertriebenenstatus eingebracht; folgen Sie ihm! Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, da Regierung und Koalition auch dem SPD-Antrag zur Beendigung des Notaufnahmeverfahrens für Übersiedler gefolgt sind. Den Termin 1. Juli halten wir allerdings für falsch. Aber es ist immerhin erstaunlich, wie schnell Sie die Kurve gekriegt haben und wie schnell plötzlich alles richtig war, was wenige Wochen zuvor bekämpft wurde, nur weil es in einem SPD-Papier stand. ({3}) Sehr glaubwürdig ist das alles nicht. ({4}) Die Bezuschussung von Übergangswohnheimen darf aber die dringende Notwendigkeit der massiven Förderung des Wohnungsbaus nicht überdecken. Die Forderungen des Städtetages, des Gemeindebundes, der Länder und der SPD liegen auf dem Tisch, und sie müssen endlich erfüllt werden. Ich wiederhole die Forderung hier: 100 000 öffentlich geförderte Wohnungen pro Jahr und Erhöhung der Bundesmittel von 2 Milliarden DM auf 3,5 Milliarden DM. Also: Förderung des sozialen Wohnungsbaus für alle Zugangsberechtigten. Durch den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf ist die grundsätzliche Auseinandersetzung zwischen dem Bund und den Ländern über die Zuständigkeit für die vorläufige Unterbringung von Aus- und Übersiedlern allerdings noch nicht beendet. Der Bundesrat sagte am 16. März 1990 - Sie haben darauf hingewiesen - : Nach Auffassung des Bundesrates fällt die vorläufige Unterbringung von Aus- und Übersiedlern in die Zuständigkeit des Bundes. - Diese Auffassung teile ich. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung wird dagegen nur von einer Mitfinanzierung reiner Länderaufgaben ausgegangen. Wir werden diese Stellungnahme des Bundesrats in den Ausschußberatungen in die Diskussion einbringen, ebenso den Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen, in dem festgestellt wird, daß nach dem derzeitigen Stand nicht 500 Millionen DM, sondern 1,35 Milliarden DM erforderlich sind und daß die Förderung pro Platz von 7 000 DM nicht als ausreichend empfunden wird; Nordrhein-Westfalen hält einen Anteil von 9 000 DM für erforderlich. Auch dies wird man in den Ausschußberatungen prüfen müssen. Den Ländern und Gemeinden muß geholfen werden. Vielen steht das Wasser am Hals. Sie kommen nicht mehr weiter. Deshalb ist es auch überhaupt nicht verwunderlich, daß einzelne Länder die Aufnahme gestoppt haben. Sie haben gar keine andere Möglichkeit mehr. Sie wehren sich gegen die verfehlte Politik der Bundesregierung, die ihnen die Kosten für etwas auferlegt, was der Bundeskanzler gern als eine nationale Aufgabe bezeichnet. Unter diesem Gesichtspunkt der Hilfe für die Belasteten wird die SPD-Fraktion einer Finanzhilfe an Länder und Gemeinden ihre Zustimmung nicht verweigern. Ob das in Form dieses Gesetzentwurfs zu geschehen hat, werden die weiteren Beratungen zeigen. Allerdings ist auch dieser Gesetzentwurf nur ein mühsames Herumdoktern an Symptomen, ({5}) eine Beseitigung von Folgen einer verfehlten Politik. Wer weiterhin das Bundesvertriebenengesetz als Grundlage zur Lösung dieser Problematik nimmt, obwohl heute von Vertreibungsgebieten und Vertreibungsdruck nicht mehr ausgegangenen werden sollte, der wird noch lange im Zustand des mühseligen Beseitigens von Folgen bleiben. 500 Millionen DM sind eine sehr große Summe. Wie gut wären sie angelegt in der DDR, in der Sowjetunion, in Polen, in Rumänien, um das Bleiben zu stärken! Die Verbesserung der Situation in den Herkunftsländern, die durchaus unterschiedlich ist, muß erste Priorität haben. ({6}) Zum Thema für heute nur noch soviel: Die Bundesregierung hat durch mangelnde Unterstützung und Kompetenzgerangel die mißliche Lage der Länger und Gemeinden verschuldet. ({7}) Sie ist bis heute nicht bereit, eine grundsätzliche Regelung für das Bundesvertriebenengesetz vorzuschlagen. Sie doktort nur an Symptomen herum: ({8}) Wir haben unsere Vorschläge auf den Tisch gelegt; es liegt jetzt an Ihnen, diesen zu folgen. ({9}) - Sie haben es meiner etwas geschädigten Stimme zu verdanken, daß ich jetzt aufhöre und nicht auf Ihre Zwischenrufe eingehe. Vielen Dank. ({10})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weng.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung schlägt mit dem hier in erster Lesung zu debattierenden Gesetzentwurf vor, den Bundesländern 500 Millionen DM zur vorläufigen Unterbringung von Aussiedlern und Übersiedlern zur Verfügung zu stellen. Dieser Vorschlag hat drei Aspekte, über die man hier kurz sprechen sollte. Es sind finanztechnische Aspekte, es sind rechtliche Aspekte, und es sind menschliche Aspekte. Ich möchte zunächst ein paar Worte zu den menschlichen Aspekten sagen. Es kommen seit den vergangenen Jahren in großem Umfang und nicht vorhersehbar Aussiedler und Übersiedler, Menschen aus anderen Ländern zu uns, und wir sind rechtlich, aber, wie ich meine, um so mehr moralisch verpflichtet, diese Menschen bei uns aufzunehmen. Das hat auch Aspekte der Freizügigkeit, das hat Aspekte der Freiheit, die wir anbieten wollen. Man sollte nicht aus den Augen verlieren, daß gerade die Tatsache des Übersiedlerstroms die deutsch-deutsche Entwicklung überhaupt erst zustande gebracht hat. ({0}) Dies wollen wir politisch nicht vergessen. Vorsorge für einen solchen Zustrom konnte natürlich niemand treffen, weil ein solcher Zustrom nicht vorhersehbar gewesen ist. Er kam noch dazu in einer schwierigen wohnungsbaupolitischen Situation, in der - das sollte man ehrlicherweise eingestehen - falsche Fakten dazu geführt hatten, daß massiver Wohnungsbau in den letzten Jahren unterblieben war. ({1}) In dieser schwierigen Situation muß etwas geschehen, weil diese vorläufige Unterbringung im Moment in Teilen schon als menschenunwürdig zu bezeichnen ist und weil hier einfach auch schnell gehandelt werden muß, um den Menschen zu helfen. Wir haben über diese hier auf den Weg zu bringende Regelung hinaus auch eine Reihe von Dingen als Sofortmaßnahmen beschlossen. Wir wollen nicht Dr. Weng ({2}) vergessen, daß mit dem Wohnungsbauerleichterungsgesetz, das der Deutsche Bundestag - übrigens gegen den Widerstand der Opposition - beschlossen hat, hier eine gewisse Besserung schon stattgefunden hat und doch recht zügig und kontinuierlich zusätzlicher Wohnraum zur Verfügung gestellt wird. ({3}) Die Dinge werden sich auch fortsetzen, aber im Moment ist die Entspannng noch nicht zu sehen. Wie gesagt, wir müssen eine Lösung für die Menschen finden. Ich komme zum rechtlichen Aspekt, den auch der Kollege Roth hier dargestellt hat. Natürlich kann man über Rechtsfragen immer streiten, aber nach meinem Dafürhalten, ist es unstrittig, daß die Zuständigkeit der Bundesländer hier gegeben ist. ({4}) - „Recht ist Recht" , und zwar so lange, bis es rechtliche Streitigkeiten gibt, weil Recht unterschiedlich definiert wird. ({5}) Im Zweifelsfall muß man dann, wie hier gesagt wurde, pragmatische Lösungen oder die rechtliche Auseinandersetzung suchen, die aber den Menschen sicher nicht gedient hätte. ({6}) Deswegen ist die pragmatische Lösung sinnvoller. ({7}) Ich meine aber, wie gesagt, die Länder sind zuständig. Ich komme deswegen auf den finanztechnischen Teil, zu dem ich gern ein paar Worte sagen wollte. Sind die Länder und Kommunen überfordert? Ich meine, sie sind es nicht. Wir müssen uns vor Augen halten, daß es Politik der Koalition ist, die öffentlichen Kassen knappzuhalten, um Geld beim Bürger zu belassen. Damit haben wir eine herausragende wirtschaftliche Situation erreicht, die uns überhaupt nur ermöglicht, helfend für all die großen Aufgaben einzutreten, die insbesondere im Laufe dieses und des kommenden Jahres auf uns warten. Dieses Ergebnis haben wir erreicht, aber es muß dann auch der Appell an die Gebietskörperschaften gerichtet werden, daß sie mit ihrer Finanzausstattung zurechtkommen. Wir haben in den letzten Jahren eine Verschiebung der Finanzausstattung zu Lasten des Bundes in den letzten Jahren, die Zug um Zug unerträglich wird. Dazu kommt auch, daß sich die Gebietskörperschaften ihre Aufgabenerfüllung immer wieder und immer mehr vom Bund bezahlen lassen. ({8}) - Nein, im Rahmen der Finanzverteilung ist das so. Ich kann das nicht im Detail diskutieren, aber ich halte mir nur vor Augen, daß die Länder diese zusätzlichen 2,45 Milliarden DM jährlich, die sie im Zusammenhang mit der Steuerreform noch ergattert haben, nicht so untergebracht haben, wie wir es wollten, sondern sie haben sie als einfache Haushaltsmittel genutzt. Es ist auch für mich ein Ärgernis, daß es die Bundesländer sind, die z. B. das Naturschutzgesetz blokkieren. ({9}) Dabei geht es um die 200 Millionen DM, die da an Kosten für die Länder entstehen würden. Das ist etwas, was man sich im Rahmen dieser Finanzverteilung vor Augen halten muß. Die Länder werden ihren Verpflichtungen zum Teil nicht gerecht. ({10}) Es ist deshalb vernünftig, daß über diese Finanzverteilung nachgedacht wird. Es muß sowieso darüber nachgedacht werden, weil sich im Zusammenhang mit der Entwicklung in der DDR die Fragen des Länderfinanzausgleichs sowieso stellen werden. Der Bundeskanzler hat hierzu gestern eine Äußerung getan, die auch der Finanzminister heute im Haushaltsausschuß unterstützt hat. ({11}) und die er so gekennzeichnet hat: Wir werden bemüht sein müssen, die Finanzverteilung mit Blick auf die Notwendigkeiten im Osten auch anders zu gestalten. ({12}) Die Dinge kommen auf uns zu.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist um.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, gut. Herr Präsident, meine Damen und Herren, es geht zunächst um Menschen, und deswegen handeln wir schnell. Die finanztechnischen Fragen werden ihrer Klärung bedürfen, sie werden der Klärung auch zugeführt werden. Meine Fraktion stimmt der Überweisung zu. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Herr Spranger.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich zunächst sehr herzlich für die vielfältigen Glückwünsche. ({0}) Herr Präsident, mit dem Geburtstagskaffee ist es heute nachmittag leider nichts geworden. Aber ich glaube, das Jahr hat trotzdem gut begonnen. Es war immer mein sehnlichster Wunsch, einen solchen Tag zu so später Stunde hier im Plenum mit so netten Kol15884 legen wie Wim Nöbel und Frau Hämmerle zu verbringen. ({1}) Vielleicht treffen wir uns anschließend noch in der Parlamentarischen Vertretung. Da gebe ich gern einen aus, Wim. ({2}) - Gut. Der Gesetzentwurf, den wir hier diskutieren, ist vor dem Hintergrund der großen Zahl von Aus- und Obersiedlern zu sehen, die im vergangenen Jahr zu uns kamen. Sie auch nur vorläufig unterzubringen ist für viele Städte und Gemeinden sehr schwierig geworden. Das ist bereits dargelegt worden. Das Gesetz hat das Ziel, hier zu einer schnellen Abhilfe beizutragen. Die Ursachen für den weiteren Zustrom von Aussiedlern und auch noch Übersiedlern liegen nach Auffassung der Bundesregierung in den Aussiedlergebieten und in der DDR. Wir möchten, daß Deutsche, wo immer sie leben, sich nicht mehr veranlaßt sehen, ihre Heimat zu verlassen. Diejenigen deutschen Aussiedler, die wegen der erlittenen und oft immer noch andauernden Benachteiligungen zu uns kommen, werden auch künftig auf unsere Hilfe rechnen können. Wir müssen jetzt mit den Ländern versuchen, die aktuellen Schwierigkeiten in der Wohnraumversorgung zu beheben. Zunächst ist die zugespitzte Unterbringungssituation in den Ländern kurzfristig zu verbessern. Angesichts des erheblichen Mehrbedarfs an preisgünstigem Wohnraum hat die Bundesregierung im vergangenen Jahr große Anstrengungen unternommen, um die Länder auf dem Gebiet des Wohnungsbaus zu unterstützen. ({3}) - Die Zahl kann, glaube ich, nicht so bewertet werden. ({4}) - Von 1990 bis 1993 stehen jährlich 2 Milliarden DM zur Verfügung; insgesamt 8 Milliarden DM. Das ist ein erheblicher Betrag. Zuwenig geschehen? Diese Bewertung, liebe Kollegin Hämmerle, teile ich nicht. Die Bundesregierung geht davon aus, daß es mit diesen Mitteln und den flankierend dazu beschlossenen wohnungspolitischen Sofortmaßnahmen etwa ab 1991 zu einer schnelleren Wohnungsversorgung auch der Aussiedler und Übersiedler kommen wird. Bis dahin sollen die Länder durch die vorgesehene Bundesfinanzhilfe in Höhe von 500 Millionen DM bei der Schaffung zusätzlicher, kurzfristig zu erstellender Unterbringungsmöglichkeiten unterstützt werden. Die Länder werden die Bundesmittel entsprechend den Quoten des Bundesrats-Verteilungsschlüssels für Aussiedler und Übersiedler erhalten. Sie sind zweckbestimmt für Investitionen der Länder und Gemeinden zur Schaffung neuer Einrichtungen zur vorläufigen Unterbringung oder zum Ausbau oder Umbau vorhandener Gebäude. Besonders wichtig ist mir die im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehene Möglichkeit, daß Investitionen, die nach dem 1. Januar 1990 begonnen worden sind, in die Finanzhilfen einbezogen werden können. Denn es kann in der gegebenen drängenden Bedarfslage nicht sinnvoll sein, daß mit der Schaffung der dringend benötigten Unterbringungskapazitäten bis zum Abschluß dieses Gesetzgebungsverfahrens gewartet wird. Erfreulicherweise haben einige Länder diese Möglichkeit schon genutzt und dem Bund entsprechende Vorhaben benannt. Ich habe die Hoffnung, daß zumindest der Zustrom der Übersiedler aus der DDR abnimmt. Die Veränderungen in der DDR sollten für alle dort lebenden Bürger, die noch an eine Ausreise denken, eine Ermutigung sein, in der DDR zu bleiben und dort ihre eigene Zukunft mitzugestalten. Trotz des Rückgangs der aktuellen Zuzugszahl der Übersiedler bleibt dieses Finanzhilfegesetz dringend notwendig. Wir werden auch weiter eine hohe Zahl von Aussiedlern aufnehmen müssen. Denken wir nur an die Ereignisse in Rumänien in den letzten Tagen, die sicher nicht ohne Folgen auf die Ausreiseentscheidung vieler dort lebender Deutschen sein werden. Aber auch die Entwicklung in der Sowjetunion - das, was man zur Zeit aus Litauen hört - ist längst nicht so, daß die dort lebenden Deutschen ermutigt werden, bereits gefaßte Ausreiseentschlüsse rückgängig zu machen. Der vorliegende Gesetzentwurf soll dazu beitragen, die bestehende Notlage zu lindern. Ich bitte Sie deshalb, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Vielen Dank. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 11/6750 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Die Überweisung ist so beschlossen. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 29. März 1990, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.