Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/25/1987

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde Ein Jahr Verbot der nicaraguanischen Tageszeitung „La Prensa" Meine Damen und Herren, die Fraktion der CDU/ CSU hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt. Interfraktionell ist Einvernehmen darüber erzielt worden, daß die Dauer der Aussprache in der Aktuellen Stunde auf 35 Minuten beschränkt wird. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Hedrich.

Klaus Jürgen Hedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000840, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Morgen vor einem Jahr wurde die nicaraguensische Oppositionszeitung „La Prensa" von der sandinistischen Regierung des Landes ohne Angaben von Gründen geschlossen. Diese über 60 Jahre alte Publikation war maßgeblich am Sturz der Somoza-Diktatur beteiligt. Bereits zuvor war diese Zeitung starker Zensur unterworfen. Etwa 40 bis 50 % der geplanten Artikel wurden täglich zensiert oder mußten geändert werden oder durften insgesamt nicht erscheinen. Dieser Vorgang wirft die Frage nach der Presse- und Informationsfreiheit in Nicaragua überhaupt auf. Knapp acht Jahre nach der Revolution kontrolliert die sandinistische Bewegung alle Medien. Die beiden Fernsehkanäle strahlen am Abend zwischen 20.00 und 20.30 Uhr dieselbe Nachrichtensendung aus, deren Auslandsteil noch immer mit der Bildfolge Thatcher, Reagan, Hitler und einem nackten vietnamesischen Kind, das vor den Napalmbränden flieht, eingeleitet wird. Darüber hinaus ist insbesondere der sandinistische Sender „Radio Sandino" mit starker Sendefrequenz innerhalb des Landes ausgestattet. Er ist weltweit über Kurzwelle zu empfangen. Der einzige überregional bedeutende Oppositionssender „Radio Catolica" wurde bereits im Januar 1986 geschlossen. In Nicaragua gibt es lediglich noch zwei Tageszeitungen: das Parteiorgan der Sandinistischen Front „Barricada" mit einer subventionierten und über staatliche Zuteilung großzügig mit Papier versorgten Auflage von 100 000 Stück. Daneben erscheint der „El Nuevo Diario", der die sandinistische Regierungspolitik voll unterstützt, mit einer Auflage von 60 000 Exemplaren; und das auf dem Hintergrund der Konfiszierung der Kirchenzeitung „La Iglesia" . Die entscheidende Rolle spielt nach wie vor die zentrale Zensurbehörde. Die Zensurmaßnahmen umfassen inzwischen alle Massenpublikationen inklusive des Verlagsbereichs. Hierin liegt der Grund, warum politisch kritische Bücher in Nicaragua nicht verlegt werden, dagegen der Regierung wohlgesonnene Veröffentlichungen in einem breiten Spektrum angeboten werden. Der Unternehmerverband „Cosep" konnte z. B. eine wirtschaftliche Studie über den zukünftigen Kurs des Landes nicht veröffentlichen, da er trotz rechtzeitiger Beantragung keine Publikationserlaubnis erhielt. Auffällig ist statt dessen die Tatsache, daß in allen Supermärkten die Werke von Marx, Engels und Lenin angeboten werden, vervollständigt durch ein breites einseitiges Zeitschriftenangebot: „Union Sovietica" , „Sputnik", „Revista Militar Sovietica" , „Socialismo - Teoria y Practica". Abgerundet wird dieses Bild durch die Zusammenarbeit der nicaraguensischen Nachrichtenagentur mit den entsprechenden Institutionen des kommunistischen Machtblocks. So beziehen die einheimischen Zeitungen ihre Nachrichten fast ausschließlich von den großen sozialistischen Agenturen „ADN", „Prensa Latina" , „Nowosti". Die Situation in Nicaragua verdient die Bezeichnung Pressefreiheit nicht. Unsere Forderung an die Sandinistas lautet deshalb auf einen fairen Dialog mit allen demokratischen Kräften. Die Somoza-Diktatur darf nicht durch eine Ortega-Diktatur ersetzt werden. Dafür haben die Demokraten in Nicaragua, zu denen auch die Herausgeber und Mitarbeiter von „La Prensa" gehören, nicht gekämpft. Ich bedanke mich. ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Wischnewski.

Hans Jürgen Wischnewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002531, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin den Kollegen der CDU/CSU sehr dankbar, daß wir die Möglichkeit dieser Aktuellen Stunde haben. Sie gibt uns die Gelegenheit, das nicht zu billigende Verbot von „La Prensa" in den Gesamtzusammenhang der Entwicklung in Nicaragua zu stellen. Wir treten überall in der Welt für die Pressefreiheit ein, und das gilt selbstverständlich auch für Nicaragua. Da dies eine Aktuelle Stunde ist, habe ich mich gestern noch bemüht, letzte Informationen in Managua einzuholen. Die dortige Regierung erklärt: „La Prensa" kann wieder erscheinen, wenn man sich an die bestehenden Gesetze, auch die Ausnahmegesetze, die durch den Krieg hervorgerufen sind, hält; ({0}) denn die Ursache des Verbots ist der grausame Krieg, ({1}) der schon Tausende von Toten gekostet hat und der durch die Vereinigten Staaten finanziert wird. ({2}) Die Contras bedienen sich des Mordes und des Kidnappings. Auch Bundesbürgerinnen und Bundesbürger sind durch Contras ermordet oder gekidnappt worden. Es ist ziemlich genau ein Jahr her, daß acht junge Menschen von den Contras gekidnappt worden sind. Auch daran sollten wir bei dieser Gelegenheit denken. Der Herausgeber und Chefredakteur von „La Prensa" ist zu den Contras gegangen und dort jetzt einer der Koordinatoren des Krieges. Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch in Westeuropa ist es unmöglich, daß jemand eine Zeitung führt und betreibt und zur gleichen Zeit gegen sein Land einen grausamen Krieg führt. Dies ist für mich auch in Westeuropa nicht denkbar. ({3}) Ich möchte deshalb diese Aktuelle Stunde nutzen, um vier Appelle zu richten, einen Appell an die Vereinigten Staaten, einen Appell an die Sandinisten, einen Appell an die Bundesregierung und einen Appell an die Europäische Gemeinschaft. Zuerst an die Vereinigten Staaten. Wie fordern die Vereinigten Staaten auf: Stellen Sie die völkerrechtswidrige Finanzierung dieses grausamen Krieges endlich ein, damit Frieden hergestellt werden kann in diesem Lande. ({4}) Unsere amerikanischen Kollegen sind im Augenblick dabei, die Art der Finanzierung der letzten Monate des vergangenen Jahres sehr genau zu untersuchen. Wir möchten, daß auch die jungen und kritischen Menschen in unserem Lande wieder mit einem gewissen Respekt auf das Weiße Haus in Washington schauen können. Was sich in dieser Hinsicht in letzter Zeit abgespielt hat, ist eine Ungeheuerlichkeit. ({5}) Nehmen Sie bitte das Gesprächsangebot der Vereinigten Staaten auf. Reden Sie miteinander. Wenn jetzt der Präsident der Vereinigten Staaten und der Generalsekretär Gorbatschow über Abrüstung verhandeln, dann sollte auch die Möglichkeit gegeben sein, einen Weg zu finden, Frieden zu haben in Zentralamerika und in Afghanistan, also miteinander beide Probleme zu lösen. ({6}) Wir appellieren an die sandinistische Führung: Nehmen Sie den Ausnahmezustand überall dort zurück, wo die militärische Lage das zuläßt. Geben Sie den demokratischen Parteien im Lande mehr Freiheit; leisten Sie Ihren Beitrag, damit der Dialog, der zwischen der katholischen Kirche unter Beteiligung des Vatikans und den Sandinisten begonnen hat, zu einem Ergebnis führt, damit Radio Catolica noch in diesem Jahr wieder eröffnet werden kann. ({7}) In diesem Zusammenhang möchte ich dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz in der Bundesrepublik, dem Kardinal Höffner, meinen großen Respekt sagen für sein Gespräch mit Ortega, das wesentlich dazu beigetragen hat, daß dieser Dialog zwischen den Sandinisten und der katholischen Kirche zustande gekommen ist. Ich appelliere aber auch an die Bundesregierung - den Menschen in diesem Lande geht es wegen des Krieges und wegen des wirtschaftlichen Boykotts schlecht - : Nehmen Sie die Entwicklungshilfe an dieses Land wieder auf. Mein letzter Appell geht an die Europäische Gemeinschaft. Die Europäische Gemeinschaft muß in diesem Augenblick darum bemüht sein, einen Beitrag zum Frieden für Zentralamerika zu leisten. In Zentralamerika hat sich in der letzten Zeit vieles verändert. Nicaragua ist im Gespräch mit Costa Rica. Präsident Arias ist nicht mehr bereit, Aktivitäten der Contras gegen Nicaragua zuzulassen. Vor wenigen Tagen hat der Außenminister von Honduras erklärt, daß er Aktivitäten der Contras gegen Nicaragua in seinem Lande nicht mehr zulassen werde. Der christlich-demokratische Präsident von Guatemala befindet sich im Dialog mit dem Präsidenten von Nicaragua, mit Ortega. Jetzt ist es Zeit, diese Situation zu nutzen, im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit einen wichtigen Beitrag zu leisten. Diese Aktuelle Stunde hat ihren Wert, wenn Sie und wir uns einig sind, daß jeder dort hilft, wo er eine Möglichkeit hat zu helfen und Frieden herbeizuführen, wenn jeder bereit ist, den Menschen zu helfen, die sich in einer schlimmen Situation befinden. Wenn wir dieses gemeinsam tun, ist die Chance für die DeWischnewski mokratie und damit auch für die Pressefreiheit in Zentralamerika größer. Vielen Dank. ({8})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hamm-Brücher.

Dr. Dr. h. c. Hildegard Hamm-Brücher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000793, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aktuelle Stunde hat den Sinn, daß wir über aktuelle politische Ereignisse diskutieren, daß wir unsere Position zu diesen Ereignissen darstellen und schließlich, daß wir auch politische Folgerungen daraus ziehen. Ich möchte nicht das wiederholen, was meine beiden Vorredner gesagt haben, sondern ich möchte v ersuchen, das Thema „Ein Jahr Verbot der nicaraguanischen Tageszeitung ,La Prensa' " etwas grundsätzlicher zu behandeln; denn es gibt überhaupt keinen Zweifel, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß wir diese wie jede andere Unterdrückung der Meinungs- und Pressefreiheit sowie der geistigen und kulturellen Freiheit verurteilen und daß wir auch nicht müde werden dürfen, das hier im Deutschen Bundestag immer und immer wieder zum Ausdruck zu bringen. ({0}) Die Vielfalt der Meinungen und jede Form, diese Meinungen öffentlich zum Ausdruck zu bringen, aber auch die Verteidigung dieses Rechtes vor allem dann, wenn wir diese Meinungen nicht teilen, das ist doch der Lackmus-Test für die innere Verfassung einer Demokratie. Deshalb beklagen wir und klagen wir an, daß die sandinistische Regierung in Nicaragua - allen Zusagen und Beteuerungen zum Trotz - den angekündigten Weg zur Demokratie und zu allen unveräußerlich dazugehörigen Rechten offenbar endgültig verlassen hat, zumindest in diesem Bereich der Meinungsfreiheit. Das ist für viele von uns deshalb besonders enttäuschend, weil unsere ehrliche Bereitschaft zu helfen noch bis zum vorigen Jahr offenkundig war und weil wir große Anstrengungen gemacht haben, z. B. durch unsere politischen Stiftungen. Ich erinnere an die großen Leistungen der Friedrich-NaumannStiftung ({1}) auch beim Ausbau der Pressefreiheit. - Wie? ({2}) - Nun ja, darüber werden wir nochmals reden. ({3}) Wir wurden bitter darüber enttäuscht, wie die Entwicklungen verlaufen sind. Unsere Solidarität ist bei den Unterdrückten. Stellvertretend nenne ich in unserem Falle die Familie Chamorro und die betroffenen Journalisten. Die Thematik dieser Aktuellen Stunde, Unterdrückung der Presse- und Meinungsfreiheit, sollten wir doch wohl nicht auf Nicaragua und „La Prensa" begrenzen. Denn es gibt noch viele andere aktuelle Anlässe, dies zu beklagen und anzuklagen. Zum Beispiel ist im Nachbarland Paraguay die Radiostation Nanduti seit langem verboten, ebenso die große Zeitung „ABC Color". Ähnlich ist es auch in anderen lateinamerikanischen Staaten, in Südafrika, in allen kommunistischen und in vielen anderen Ländern der Welt. Deshalb ist die Warnung angebracht, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht einäugig zu sein, weder ein, geschweige denn beide Augen vor der Tatsache zu verschließen, daß es um die Presse- und Meinungsfreiheit weltweit nicht besonders gut bestellt ist. ({4}) Unsere eigene politische Vergangenheit verpflichtet uns, unter welcher politischen Einfärbung auch immer, hier besonders wachsam zu sein und dabei schließlich auch vor der eigenen Tür nicht haltzumachen. ({5}) Erlauben Sie mir auch das in der frühen Morgenstunde zu sagen. Gottlob gibt es bei uns ja keine eklatanten Verstöße gegen Presse- und Meinungsfreiheit. Aber, meine Damen und Herren, es gibt doch zunehmend Anlässe, über die derzeitige Lage der Freiheit der Meinungen und der Erhaltung ihrer Vielfalt in unseren öffentlich-rechtlichen Medien besorgt zu sein ({6}) und dies hier einmal zum Ausdruck zu bringen. ({7}) Zunehmend werden parteipolitische Pressionen bekannt, in jeder Richtung, meine Kolleginnen und Kollegen: Verbote gegen mißliebige Sendungen, Maßregelungen mißliebiger Autoren und Moderatoren. ({8}) Die berühmte Schere im Kopf scheint in öffentlichen, d. h. parteipolitisch kontrollierten Medien häufiger zu funktionieren, als uns das lieb sein kann und lieb sein darf. Wer also zu Recht das Verbot von „La Prensa" beklagt und anklagt - und das tun wir alle, einmütig - der darf nach meiner Überzeugung auch zu den Vorgängen in München und in Baden-Baden nicht schweigen. Wir dürfen es nicht dabei bewenden lassen, Zensur und Verbot bei anderen zu beklagen, wir haben die Pflicht und Schuldigkeit, auch allerersten Anzeichen bei uns entschieden zu wehren. ({9}) Erst dann und nur dann erhält diese Aktuelle Stunde ({10}) I für uns Liberale einen wirklich weiterwirkenden Sinn. Vielen Dank. ({11})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Volmer. ({0})

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich gefragt, was der eigentliche Grund für die Aktuelle Stunde heute sein könnte. Ich kann mir das eigentlich nur so zusammenreimen, daß, nachdem wir gestern ein reaktionäres Regime gehauen haben, heute auch die fortschrittliche Seite geschlagen werden muß. ({0}) Das scheint mir die Ausgewogenheit zu sein, die in diesem Hause gefordert ist. ({1}) Der Anlaß, Herr Feilcke, scheint mir ziemlich fadenscheinig zu sein. ({2}) Wir haben damals ziemlich deutlich - ich bitte Sie, das nicht zu unterschlagen - die Schließung der Zeitung „La Prensa" kritisiert. Wir kritisieren dies auch heute noch. Wir meinen, daß die Regierung Nicaraguas mit der Problematik anders hätte fertig werden sollen. ({3}) Aber vergessen wir nicht, in welcher Situation wir sind. Dies ist die Position derer, die hier im Lehnstuhl sitzen, wie Sie vor mir, die nicht bis zu den Knien im Morast stecken. ({4}) Ich möchte an Sie die Frage richten, was denn in der Bundesrepublik mit einer Zeitung passieren würde, die offen zum Terrorismus aufruft. Und das hat „La Prensa" in den letzten Jahren getan. ({5}) „La Prensa" verdankt ihr öffentliches Renommee der Tatsache, daß sie die einzige Oppositionszeitung unter Somoza war. Aber bereits 1980 kam es im Mitarbeiterstab zu heftigen Auseinandersetzungen über die zukünftige politische Ausrichtung der Zeitung. Die Mehrheit der damaligen Journalisten hat die Zeitung verlassen und hat eine neue Zeitung gegründet, „El Nuevo Diario" , die heute die zweitgrößte Zeitung nach dem Zentralorgan der FLMN ist. ({6}) „La Prensa" versteht sich seit 1982 als ideologisches Kampfblatt gegen die Regierung von Nicaragua und hat in zahlreichen Artikeln und Kommentaren die Contras unterstützt. ({7}) Es gibt folgende Zusammenhänge mit den Contra-Organisationen: Oscar Leonardo Montalvan ist Mitglied der FDN, der größten Contra-Organisation. Umberto Belli arbeitet heute beim Institut für Religion und Demokratie in den USA, dem Brain-Trust für die Offensive der Neoliberalen gegen die Regierung von Nicaragua. Rose Davila ist heute Funktionär bei einer Contra-Organisation. Ein Mitglied der Chamorra-Familie leitet einen Contra-Radiosender in Honduras und gibt in Costa Rica die Contra-Zeitung „Nicaragua Hoy" heraus. Auf einer Pressekonferenz im Juni 1986 spricht sich der Bischof Pablo Vega für die US-Contra-Hilfe aus und erteilt ihr damit auch noch die kirchliche Absolution. Darüber wird in „La Prensa" breit und ausführlich berichtet. Der Vizedirektor der „La Prensa", Jaime Zhamorro, schreibt in dieser Funktion einen Artikel in der „Washington Post", in dem er ebenfalls finanzielle Unterstützung für die Contras verlangt. Frau Azucena Ferrei war bis vor sechs Wochen Vorstandsmitglied der christlich-sozialen Partei, die von der CDU unterstützt wird ({8}) - passen Sie auf - und die 1985 zum NicaraguaReport der CDU eingeladen worden war. Seit sechs Wochen gehört sie nun der Führungsmannschaft, der Führungsfrauschaft der neuen Contra-Dachorganisation „Resistencia Nicaraguense" an. Sie sehen, die ehemaligen Redakteure haben neue Zeitungen gegründet, und neue Redakteure, die in der Zeitung sind, sind Unterstützer der Contras. ({9}) Am 2. August 1986 - einen Monat nach der Schließung von „La Prensa" - hat Ortega in einer öffentlichen Erklärung angeboten, daß die Zeitung wieder erscheinen kann, wenn sie ihre Verbindungen zu dieser Terroristenbande aufgibt. ({10}) Wenn diese Bedingung erfüllt ist, kann die zeitweilige Maßnahme - das wurde betont - zurückgenommen werden. Die Druckmaschinen und so weiter sind nicht beschlagnahmt worden. Der Betrieb kann jederzeit wieder aufgenommen werden, wenn die Zeitung die Unterstützung des Terrorismus einstellt. ({11}) In dem Zusammenhang schlage ich ein ganz anderes Thema für eine Aktuelle Stunde vor. Wir haben bereits vor einem Jahr eine große Anfrage eingebracht, in der wir uns nach der Beteiligung führender CDU-Politiker an der Unterstützung der Contras erkundigen. Im letzten Jahr wurde die Große Anfrage nicht beantwortet. Wir haben sie in dieser Wahlperiode wieder eingebracht. Sie schmort bereits wieder vier Monate irgendwo in den Ministerien. Ich denke, Sie sollten Ihren Einfluß geltend machen, damit die Bundesregierung die Antworten auf diese Große Anfrage endlich auf den Tisch legt, so daß wir darüber diskutieren können, in welcher Art und Weise führende Politiker der CDU/CSU, unter anderem der heutige Minister Klein, in die ideologische und vielleicht auch materielle Unterstützung des Terrorismus in Zentralamerika verwickelt sind. Danke sehr. ({12})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich bitte, diese Dialoge einzustellen. - Das Wort hat der Abgeordnete Schreiber. ({0}) - Herr Abgeordneter, wir haben eine Debatte im Deutschen Bundestag und keine Privatunterhaltung.

Werner Schreiber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002071, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß die Anfrage noch nicht beantwortet worden ist, liegt vielleicht daran, Herr Volmer, daß in bezug auf Verwicklungen der Politiker der CDU/CSU eben nichts vorliegt. Ich habe manchmal den Eindruck - diesen gewinne ich in vielen Diskussionen und Gesprächen sowie durch Reden Ihrer Fraktion, aber auch von Teilen der SPD, die an diesem Pult gehalten werden -, daß es einigen ganz recht ist, daß man Contras hat. Denn dann kann man sich bezüglich der Beurteilung der inneren Situation in Nicaragua hinter dem Argument verschanzen, dort herrsche Krieg. Man lenkt dann nicht mehr sein Augenmerk auf das, was in Nicaragua wirklich geschieht. ({0}) Meine Damen und Herren! Mit dem Verbot von „La Prensa" wurde ein Symbol vernichtet, ein Symbol für freie Meinungsäußerung und kritischen Journalismus in Zentralamerika. Selbst unter Somoza konnte „La Prensa" erscheinen, obwohl Pedro Joaquin Chamorra ein so ernster Feind der Somoza wurde, daß ihn gedungene Mörder beseitigten. Es ist aber nicht nur „La Prensa" verschwunden. Es wurde schon angesprochen: Der kirchliche Radiosender „Radio Catolica" wurde verboten, und die kirchliche Druckerei - übrigens ein Geschenk deutscher Spender - wurde beschlagnahmt. Priester wurden des Landes verwiesen; Priester, die den Versuch unternommen haben, mit der Kirche zusammen die Situation in Nicaragua in eine richtige Richtung zu bringen, nämlich in die Richtung der Freiheit und der Demokratie. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Oscar Arias Sanchez, der Präsident von Costa Rica, dessen Friedensplan sicher unser aller Zustimmung findet und dessen Partei bekanntermaßen der Sozialistischen Internationale angehört, sagte es ganz deutlich bei seinem Deutschlandbesuch: Ohne Demokratie in Nicaragua gibt es auch keinen Frieden in Zentralamerika. Er spricht nicht zuerst von den sozialen Grundrechten, für deren Verwirklichung man auch zeitweilig Einschnitte in die Menschenrechte hinnehmen müsse. Nein, er sagt ganz deutlich: Ohne die grundlegenden Freiheiten kann auch keine soziale Gerechtigkeit erreicht werden. Ich muß das hier einfach einmal so sagen: Es erstaunt immer wieder, daß mittel- und nordeuropäische Vertreter der Sozialistischen Internationale die Menschenrechtsverletzungen in Nicaragua beschönigen und entschuldigen. Vielleicht ist Präsident Arias zu nahe am Konfliktherd; vielleicht gewinnt man die richtige Gesinnung erst aus der Distanz von 14 Flugstunden? Ich halte es da eher mit Carlos Rivera Bianchi, dem Vizeaußenminister von Costa Rica, mit dem ich im März in Bonn ein intensives Gespräch führen durfte. Er meinte zu diesem Thema: Wie betrachten die Entwicklung aus der Nähe; das ergibt ein anderes Bild als aus der Entfernung jenseits des Atlantiks. ({1}) Er betonte in diesem Gespräch, daß die Sandinisten es versäumt hätten, die Versprechungen der Revolution zu erfüllen. Er fügte hinzu: Sie haben die Prinzipien verraten. Nach unserer Auffassung muß das Volk von Nicaragua seinen Weg in voller Freiheit selbst wählen. Dazu gehört, daß Gruppen, Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, die anderer Meinung sind als die Sandinisten, volle Entfaltung und Meinungsfreiheit zugestanden wird. ({2}) Anläßlich vieler Gespräche, meine sehr verehrten Damen und Herren, sowohl in Nicaragua als auch in Costa Rica wurde beklagt, daß sich die deutsche Opposition in ihrer Einschätzung weniger an der tatsächlichen Situation als vielmehr an einer Antihaltung zu den USA orientiere. Hat schon einmal ein Vertreter der GRÜNEN oder der SPD den Versuch unternommen, das Foltergefängnis El Chipote zu besuchen, ein Gefängnis, das von keiner Menschenrechtsorganisation besucht werden darf? Wer spricht denn über die rund 6 000 politischen Gefangenen, darunter Gewerkschaftsführer und engagierte Christen? Wie kann der sonst sehr geschätzte Kollege Uwe Holtz vor diesem Hintergrund in Managua behaupten, das Volk von Nicaragua müsse „die Freiheit bewahren, die es auf Kosten vieler Opfer gewann"? Gehört nicht zur Freiheit auch das Recht auf freie Mei1206 nungsäußerung, das Recht auf freie Presse, auf freie Gewerkschaften? Noch einmal

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„Das nicaraguanische Volk hat gegen Somoza gekämpft, um frei und ungebunden diejenigen wählen zu können, die es regieren sollen." Dies müsse, so Arias, verwirklicht werden. Ist man im Nachbarland Costa Rica schlecht informiert? Meine Damen und Herren, der Kollege Scharrenbroich und ich haben im Herbst letzten Jahres in Managua mit der Belegschaft und den Herausgebern von „La Prensa" gesprochen. Wir haben anläßlich dieses Gesprächs die tiefe Not, die Verunsicherung die Existenzangst der Arbeitnehmer gespürt. Sie brauchen keine blumigen Worte, sie brauchen unsere Solidarität! Ich bin weder auf dem rechten noch auf dem linken Auge blind. ({0}) Wer es ernst meint mit Demokratie und Freiheit, der muß sowohl in Chile als auch in Nicaragua um die Verwirklichung dieser Prinzipien kämpfen. Zentralamerika braucht die Freiheit. Dazu gehört die Freiheit in Nicaragua. Zentralamerika braucht keine russischen und keine kubanischen Militärberater. Zentralamerika braucht aber auch - das sage ich ebenfalls ganz deutlich - keine Contras. Wir von der CDU/CSU-Fraktion würden uns freuen, wenn wir in Zentralamerika als Demokraten gemeinsam auftreten könnten und wenn wir zumindest einmal abklopfen würden, welche Gemeinsamkeiten es gibt. Einige habe ich zumindest bei der Rede des Kollegen Wischnewski entdeckt. ({1})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Holtz.

Prof. Dr. Uwe Holtz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000948, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Aktuelle Stunde zur fehlenden Pressefreiheit etwa in Togo oder Zaire würden Sie von der Union nicht beantragen. ({0}) Diese Einäugigkeit schadet dem glaubwürdigen Engagement in Menschenrechtsfragen. ({1}) Eben ist zu Recht gesagt worden: Unter Somoza konnte die Zeitung „La Prensa" erscheinen. Dennoch war das damalige Nicaragua keine Demokratie. Die simple Formel „Verbot von ,La Prensa' = Diktatur" wird den komplexen Realitäten in Nicaragua nicht gerecht. Nicaragua steht in einem allgegenwärtigen Krieg. Täglich sterben Menschen, 40 000 in den letzten sechs Jahren, werden Unschuldige, Frauen und Kinder, Zivilisten verletzt und verschleppt. Diese tausendfach von den Contras begangenen schweren Menschenrechtsverletzungen müssen auch zur Sprache kommen. Auch sie müssen verurteilt werden. Alles andere wäre einseitig. ({2}) Für uns Sozialdemokraten ist klar: Die Revolution steht nicht über den demokratischen Rechten und über der Pressefreiheit; auch das habe ich in meiner Rede vor der Interparlamentarischen Union am 1. Mai in Managua deutlich gesagt. ({3}) Wir beschönigen nichts. Dies haben die sozialdemokratischen IPU-Delegierten gegenüber den sandinistischen Führern durch ihre klare Kritik an der „La Prensa" -Behandlung deutlich gemacht. Aber warum distanziert sich die Union nicht insgesamt von diesen vom CIA geförderten Contra-Aktivitäten? Warum sagen Sie nicht endlich einmal nein dazu? ({4}) Warum trägt die Union durch ihre Nibelungentreue gegenüber Reagans unfriedlicher Destabilisierungspolitik dazu bei, daß sich die Bedingungen verschärfen, über deren Folgen Sie heute hier beredt Klage führen? Nicaragua ist keine Demokratie wie die Schweiz oder Costa Rica. Ist das etwa El Salvador oder Guatemala? Aber Nicaragua ist auch nicht als Ostblockstaat oder als zweites Kuba zu bezeichnen. Dies hat Nicaragua in der Verfassungsentscheidung für das Vielparteienmodell im Gegensatz etwa zu Algerien deutlich manifestiert. ({5}) Ich weiß, daß durch den Ausnahmezustand Parteien und Gewerkschaften in ihrem Wirkungskreis stark eingeschränkt sind. Der Präsident der sozialchristlichen Partei spricht von einem gefesselten Pluralismus. Sie, Frau Fischer, konnten zusammen mit mir in einem Live-Interview im Fernsehen deutliche Kritik auch an der Menschenrechtssituation in Nicaragua äußern. Wer also Nicaragua so simpel verurteilt, der urteilt oberflächlich, wie es wörtlich in einem interessanten, lesenswerten Bericht des Repräsentanten der KonradAdenauer-Stiftung in Managua heißt. Wir Sozialdemokraten stehen zu den sandinistischen Revolutionszielen Pluralismus, Blockfreiheit und gemischte Wirtschaftsform. ({6}) Wir beklagen die Menschenrechtsverletzungen und fordern ihre Abstellung, aber wir erkennen auch die beachtlichen Anfangserfolge zur Verwirklichung sozialer Menschenrechte an. Wer Nicaragua jetzt, wo es am Scheideweg steht, aufgibt, sich abwendet, arbeitet den Feinden der Revolutionsziele in die Hände. Gerade jetzt braucht Nicaragua Solidarität. ({7}) Ihre Glaubwürdigkeit wäre größer, wenn Sie sich für die Schaffung von Bedingungen einsetzen würden, die für das Entstehen demokratischer und sozial gerechter Strukturen günstig sind. ({8}) Was macht statt dessen die Bundesregierung? Da gibt es z. B. das gut arbeitende Berufsausbildungszentrum SINACAP. Die deutsche Entwicklungshilfeförderung für das Zentrum soll jedoch im nächsten Jahr eingestellt werden. Es gibt das Pflanzenschutzprojekt der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit. Auch hier will die Bundesregierung aussteigen. Mit einer solchen Aussteigermentalität treffen Sie die Menschen, schaden Sie dem Land, verzichten Sie auf Impulse für eine positive Entwicklung. ({9}) Die Mittelamerika-Entschließung der IPU, einmütig, also auch mit Zustimmung der USA, Nicaraguas und der gesamten bundesdeutschen Delegation angenommen, weist hier den richtigen Weg. Sie hält eine umfassende Entwicklungshilfe für die Länder Mittelamerikas für unbedingt erforderlich. Die SPD fordert deshalb die Bundesregierung auf, Ihre kontraproduktive entwicklungspolitische Blockade gegenüber Nicaragua endlich aufzuheben, ({10}) 100 Millionen DM für die bilaterale entwicklungspolitische Zusammenarbeit zur Verfügung zu stellen und sich für eine verstärkte Kooperation zwischen der EG und Nicaragua einzusetzen. Der Hauptschlüssel zu Frieden und Demokratie liegt in Washington. Zu Recht fordert die IPU-Resolution von den USA die Beendigung der militärischen und paramilitärischen Aktivitäten in und gegenüber Nicaragua. Deshalb erwartet die SPD von der Bundesregierung, daß sie in diesem Sinne in Washington tätig wird. Die von außen erzwungene Militarisierung zeugt autoritäre militärische Strukturen, die im Widerspruch zu den Freiräumen des politischen Pluralismus und der Kreativität des nicaraguanischen Volkes stehen. Auch deshalb ist Frieden nötig. Auch deshalb dürfen die Bemühungen der Contadora-Gruppe nicht länger sabotiert werden. Tun wir alles in unserer Macht Stehende, damit Frieden, Gerechtigkeit, Entwicklung und Demokratie in Zentralamerika und Nicaragua eine wirkliche, dauerhafte Chance erhalten. ({11})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Dr. Köhler, das Wort.

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gedenktag, der Anlaß dieser Aktuellen Stunde ist, erinnert meines Erachtens in besonderem Maß daran, daß es nach dem Sturz des verbrecherischen Somoza-Regimes in Nicaragua von der ersten Minute an jeglichem Versuch zu einer Politik eines tiefergehenden Dialogs und einer nationalen Aussöhnung gefehlt hat. ({0}) Die Verantwortung dafür tragen nun einmal in erster Linie diejenigen, die die Macht ausüben. Damit können wir den Sandinisten diesen Vorwurf nicht ersparen. Im Gegenteil, sie haben von Anfang an in logischer Konsequenz versucht, den Weg zur Einparteienherrschaft auszugestalten und zu gehen. Dies ist ihnen gelungen. So ist es gekommen, daß heute „La Prensa" der glaubwürdigste Zeuge für die ursprünglichen Ziele der sandinistischen Revolution geblieben ist, nämlich für Blockfreiheit, Pluralismus und gemischtwirtschaftliche Verfassung. Diese Ziele sind von denen, die die Macht im Land ausüben, verlassen worden. „La Prensa", die wegen der Verfolgung solcher Ziele schon unter Somoza schwerster Bedrückung ausgesetzt war, blieb allein. Ihre Mitarbeiter wurden aus der legalen Tätigkeit, die sie nicht mehr ausüben konnten, abgedrängt. Ich freue mich, Herr Holtz, daß Sie diesen Zielen weiterhin Ihre Sympathie und Ihre Unterstützung geben. Daran ist nichts zu kritisieren. Zu kritisieren ist, daß diejenigen, die diese Ziele zu verwirklichen vorhatten, es nicht mehr getan haben und daß sie einen Weg gegangen sind, der sie von der Verwirklichung ihrer ursprünglichen Ziele weit weggeführt hat und der eben nicht in jeder Phase mit auswärtigen Gründen zu entschuldigen ist, die man so gern herangezogen hat. ({1}) Im übrigen gleich an dieser Stelle eine Bemerkung. Die Bundesregierung hat sich nie für irgend etwas anderes als für eine friedliche Lösung des Zentralamerika-Konflikts ausgesprochen. Dabei bleiben wir. ({2}) Es spricht doch Bände - es hat keinen Sinn, sich davor zu verschließen - , wenn wir erleben mußten, daß nach langer Diskussion über eine neue Verfassung, die dann am 9. Januar 1987 in Kraft gesetzt wurde, schon zwei Stunden nach der Unterzeichnung die in der Verfassung niedergelegten Bürgerrechte auf unbestimmte Zeit außer Kraft gesetzt wurden. Was ist in diesen zwei Stunden zwischen Beschluß und Außerkraftsetzung der Verfassung eigentlich so aufregendes Auswärtiges geschehen, falls man nicht ohnehin annehmen muß, daß das Ganze schon vorher letzten Endes nicht ernst gemeint war? Nein, wir stehen vor der beklagenswerten Tatsache, die auch die gesamte Entwicklungschance Zentralamerikas zutiefst beeinträchtigt, daß dieser Staat Nicaragua den Weg hin zur Einparteienherrschaft, hin zu einer Begrenzung, Beschränkung, Unterdrückung von Demokratie und Freiheit gegangen ist und damit in diesem Bereich selber friedensgefährdend wirkt. Dies hat unsere Entscheidung bestimmt, verehrter Kollege Wischnewski, daß die Entwicklungshilfe auf staatlicher Ebene beendet wurde. Dabei muß es bleiben. Wir haben in der Tat, Kollege Holtz, die eingegangenen Verträge - Sie haben vorhin von Projekten der Technischen Hilfe gesprochen - weiter durchgeführt und bringen sie zu einem Ende, so daß sie nicht zu einer Ruine gemacht werden. Aber unter diesen Umständen kann und wird es keine weitere staatliche Entwicklungszusammenarbeit geben können. Es macht keinen Sinn, Entwicklungshilfe auf staatlicher Ebene zu leisten, wenn eine Einparteiendiktatur die Unterdrückung der Kirchen, die Knebelung der Wirtschaft, die Zensur von Zeitungen, die Schließung von Rundfunkstationen, die Ausweisung von Priestern betreibt. Es ist widersinnig, eine Regierung zu unterstützen, ({3}) deren Politik in den Nachbarstaaten der Region Besorgnis erregt; dabei denke ich besonders an Costa Rica. Genauso werden wir jede Möglichkeit ausnutzen und erschöpfen, über Nichtregierungsorganisationen der notleidenden Bevölkerung zu helfen - sowohl wir als auch im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft -, um der Bevölkerung Leiden zu ersparen, die sie in Wahrheit einer Regierung verdankt, die einmal vorgab, sie befreien zu wollen. ({4})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Fischer.

Dr. Michael Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000555, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz all der zum Teil beschönigenden Dinge, die von der Opposition hier gesagt worden sind, muß festgehalten werden, daß der heutige Tag für die Comadantes und ihr Regime wirklich kein rühmlicher Anlaß ist. Das, was hier in der ganzen Diskussion viel zu kurz gekommen ist, ist, so glaube ich, vor allem der Hinweis auf die Tatsache, daß die Situation - nicht nur hinsichtlich der fehlenden Freiheitsrechte, sondern auch hinsichtlich fehlender materieller Sicherheit - für die Bevölkerung des Landes so schwerwiegend ist, daß wir uns mit Nicaragua und der Situation der Menschenrechte in diesem Land auch in anderer Form noch einmal wirklich beschäftigen müssen. Während der 77. Interparlamentarischen Konferenz haben wir den Menschenrechten in Nicaragua unsere besondere Aufmerksamkeit zugewandt. Die deutsche Delegation hat während der IPU-Tagung über dieses Thema nicht nur mit Vertretern der Oppositionsparteien, sondern genauso auch mit den Sandi-nisten gesprochen, und zwar, wie ich glaube, in aller Deutlichkeit. Bei einem längeren Gespräch mit Kardinal Obando y Bravo sind die Lage der katholischen Kirche, die Hilfe für die Kirche Nicaraguas allgemein und die Gewährleistung der Menschenrechte ausführlich erörtert worden. Um auf die Zeitung „La Prensa" zurückzukommen: Sie hatte eine Sondernummer als Flugblatt an Konferenzdelegierte verteilt und weiter verteilen wollen. In diesem Flugblatt war der vom Somoza-Regime ermordete Herausgeber Chamorro mit dem Satz zitiert worden, daß es ohne Pressefreiheit keine wirkliche Freiheit gebe. Ich glaube, dies müßte wohl von allen Parteien dieses Hauses unterstützt werden können. ({0}) Daraufhin war das Gebäude der Zeitung vom Staatssicherheitsdienst besetzt und die weitere Verteilung der Sondernummer verhindert worden. Zu den Delegationen, die sich dieser Verletzung der wichtigsten Grundrechte, nämlich der Presse- und Informationsfreiheit, auch für uns Parlamentarier am Konferenzort, widersetzten, gehörten auch Mitglieder der deutschen Delegation. Und man sollte nicht sagen, „La Prensa" habe sich gegen Auflagen gewandt und dagegen verstoßen. Lieber Herr Volmer, Pressezensur in Nicaragua bedeutet viermal täglich: Artikel werden zensiert. Ich glaube, dies ist - unabhängig von all dem, was auch Frau Hamm-Brücher in anderen Zusammenhängen hier angeführt hat - wohl nicht mit irgendwelchen Dingen zu vergleichen, die in westeuropäischen Ländern passieren. Ich war da nicht ganz ihrer Auffassung. Wir hatten - Herr Holtz hat davon gesprochen - eine Einladung zu einem Live-Interview im nicaraguanischen Staatsfernsehen. Gefragt zum Thema wirtschaftliche Zusammenarbeit, habe ich erläutert, daß es hier in der Bundesrepublik sehr wohl wieder zu einer Diskussion darüber kommen könnte. Wir haben aber ganz deutlich gesagt, daß erst einmal, ehe überhaupt daran gedacht werden könne, die staatliche Entwicklungshilfe wiederaufzunehmen, die Frage der Sicherung der Menschenrechte, der Sicherung der Informationsfreiheit, der Sicherung der Pressefreiheit, der Aufhebung der Zensur geregelt werden müßte. Ich habe auch auf die verbotene Tageszeitung „La Prensa", auf die Behinderung der Arbeit der politischen Parteien und auf die Pressionen hingewiesen, die auf die katholische Kirche noch immer ausgeübt werden. ({1}) - Es muß gesagt werden und konnte gesagt werden, daß dies Grundbedingungen sind, die wir aufstellen, um dem Gedanken einer Wiederaufnahme der Entwicklungshilfe überhaupt nähertreten zu können. Allerdings: Auf der Konferenz in Managua hat man versucht, sich von seiten des Regimes ordentlich darzustellen. ({2}) Herr Wischnewski, Sie haben gesagt, Sie hätten sich neueste Informationen eingeholt. Ich habe das auch versucht und kann nur sagen, daß die Daumenschrauben seit der Konferenz in Managua wieder angezogen worden sind: Der Vorsitzende einer lokalen Parteiorganisation, einer unserer christdemokratischen Freunde, ist in den letzten Tagen wieder verhaftet worden, Parteiveranstaltungen werden gestört, gesprengt oder nicht zugelassen, und zur Einschüchterung werden wieder verstärkt Polizeibesuche bei Mitgliedern lokaler Parteien durchgeführt. Das ist der entscheidende Punkt. Wenn Sie, Uwe Holtz, sagen, es müßten Strukturen geschaffen werden, die es ermöglichen, daß demokratische Verhaltensweisen in diesem Land eingeübt werden können, ({3}) müssen wir auf die Arbeit der Stiftungen hinweisen. Ich bedauere auch, daß die Friedrich-Naumann-Stiftung dieses Land verläßt. Die Arbeit, die die KonradAdenauer-Stiftung und die Friedrich-Ebert-Stiftung in diesem Lande erbringen, sollte uns allen Verpflichtung sein, auch wirklich immer wieder auf die Einhaltung der Menschenrechte hinzuweisen. Aber lesen Sie auch den Bericht von 1986 von „amnesty international" über die Menschenrechtsverletzungen in diesem Land, über die Behandlung der politischen Gefangenen, über die viel zu lange Dauer der Untersuchungszeit in den Gefängnissen, wo die Angehörigen keinerlei Nachrichten von ihren dort einsitzenden Leuten erhalten können. Ich denke schon, daß man mit dem Zitat des ermordeten Verlegers Chamorro Cardenal schließen darf: „Ohne Pressefreiheit kann es keine Freiheit geben". Dies sollte uns auch Verpflichtung sein. Danke schön. ({4})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Meine Damen und Herren, bevor ich den nächsten Punkt der Tagesordnung aufrufe, darf ich dem Hohen Hause mitteilen, daß der Abgeordnete Hauser ({0}) am 23. Juni 1987 seinen 65. Geburtstag gefeiert hat. Ich darf ihm die besten Wünsche des Hauses übermitteln. ({1}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Zusatzpunkte sind in der Ihnen vorliegenden Liste aufgeführt: 3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Eid und der Fraktion DIE GRÜNEN: Von der DEG gefördertes Projekt Palmoriente S.A. in Ecuador - Drucksache 11/449 4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Saibold, Frau Wollny und der Fraktion DIE GRÜNEN: Kennzeichnung von Milch, Milchprodukten und Säuglingsnahrung mit Werten radioaktiver Belastung und Ausweitung des Meßstellennetzes - Drucksache 11/486 5. Beratung der Sammelübersicht 14 des Petitionsausschusses ({2}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 11/527 6. Beratung der Sammelübersicht 15 des Petitionsausschusses ({3}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 11/528 7, Aktuelle Stunde betr. Notwendige Konsequenzen aus der Raserei auf deutschen Straßen und aus der erschreckenden Zunahme von Massenunfällen 8. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vorn 11. Oktober 1985 zur Errichtung der Multilateralen Investitions-Garantie-Agentur ({4}) - Drucksachen 11/466, 11/540, 11/546 9. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Position der Bundesregierung zu UNCTAD VII - Drucksache 11/529 10. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: UNCTAD VII: Fortsetzung des Dialogs zwischen Industrie- und Entwicklungsländern - Drucksache 11/532 Zugleich soll mit der Aufsetzung der Zusatzpunkte - soweit erforderlich - von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden. Dasselbe soll für Beschlußempfehlungen der Ausschüsse zu einzelnen Punkten der verbundenen Tagesordnung gelten. Sie sind damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Zweite .und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung von Auslaufzeiten in der Montan-Mitbestimmung - Drucksache 11/288 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({5}) - Drucksache 11/482 Berichterstatter: Abgeordneter Scharrenbroich Urbaniak ({6}) Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Scharrenbroich.

Heribert Scharrenbroich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001945, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es macht ausgesprochen Spaß und Freude, heute als christlich-demokratischer Abgeordneter zu dem Thema zu reden, das uns beschäftigt, nämlich die Sicherung der Montan-Mitbestimmung. Da muß man sich natürlich zunächst noch einmal vor Augen führen, welche Töne in diesem Hohen Hause angeschlagen worden sind, als am 6. November 1986 ein Gesetzentwurf der SPD zur Debatte stand, mit dem man auch meinte, die Montan-Mitbestimmung zu sichern. Der Kollege Urbaniak hat damals ausgeführt - ich zitiere, Herr Präsident -: „Dieser Gesetzentwurf" - er meinte den Gesetzentwurf der SPD - „muß heute verabschiedet werden, denn sonst werden bereits im nächsten Jahr Unternehmen aus dem Geltungsbereich des Montan-Mitbestimmungsgesetzes und Mitbestimmungsergänzungsgesetzes herausfallen". Wir sind damals ganz ruhig geblieben. Wir konnnten diese Meinung nicht teilen, und die Geschichte bestätigt uns, daß wir recht haben. Ich habe damals in der gleichen Debatte für die Fraktion ausgeführt: Die Montan-Mitbestimmung zu sichern war immer eine schwierige Sache. Man muß dabei umsichtig und zielstrebig vorgehen. Man darf nicht der Versuchung unterliegen, aus Wahlkampfgründen, wegen einiger Schlagzeilen in der Presse ... das Ziel aus dem Auge zu verlieren. - Die Geschichte gibt uns recht. - Die CDU/CSU hat diese goldene Regel des umsichtigen Vorgehens in der Vergangenheit erfolgreich beherzigt. Ich habe damals weiter gesagt: Sie wird das auch in Zukunft tun. Mit diesem ruhigen, zielstrebigen Verfahren haben wir den heutigen Tag und das heutige Ziel erreicht. Ich meine, meine Damen und Herren, dieser 25. Juni 1987 sollte eigentlich in die Geschichte der deutschen Arbeitnehmerschaft als ein Feiertag eingehen. Ich hoffe, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund dies auch bemerkt; ich habe da meine Zweifel. Denn heute beschließt der Deutsche Bundestag - die einstimmigen Beschlüsse im Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung lassen das ja erwarten - die Sicherung der Montan-Mitbestimmung, und er macht damit gleichzeitig die Wirkung des sozialliberalen Auslaufgesetzes unschädlich. Mit dem heutigen Gesetz wird bestimmt, daß in keinem einzigen montanmitbestimmten Unternehmen die Montan-Mitbestimmung vor 1989 aufgehoben wird. Dies ist praktisch ein Garantiegesetz. Der Unterschied zu dem 81er Auslaufgesetz besteht vor allen Dingen darin, daß wir jetzt gleichzeitig eine Perspektive haben, wie über 1989 hinaus die Montan-Mitbestimmung gesichert wird. Damals bestand ja die trostlose Situation für die deutschen Arbeitnehmer, daß man meinen mußte, nach 1986 werde in einigen montanmitbestimmten Unternehmen die Montan-Mitbestimmung endgültig zu Ende sein. Genau das ist jetzt anders. Wir haben gleichzeitig eine Koalitionsvereinbarung für die langfristige Sicherung der Montan-Mitbestimmung über den 1. Januar 1989 hinaus zu präsentieren. Die Koalition hat im Detail festgelegt, wie die MontanMitbestimmung gesichert wird. Sie können dies übrigens in der Begründung zum jetzigen Gesetzentwurf durch die Bundesregierung nachlesen. Damit hat die Union ihr Wort eingelöst, das sie vor den Bundestagswahlen den deutschen Arbeitnehmern gegeben hat. Auf die Union kann man sich verlassen. Deswegen füge ich aus aktuellem Anlaß hinzu: Genauso können sich die Arbeitnehmer darauf verlassen, daß wir die Stahlkrise - auch hier haben wir unser Wort gegeben - in einer sozial verträglichen Weise lösen werden. Das heutige Gesetz zur Sicherung der Montan-Mitbestimmung schafft auch erst das Klima für eine partnerschaftliche Lösung dieser Probleme. Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz wird eine große Tradition christlich-liberaler Koalitionen fortgesetzt. In Koalitionen von Union und FDP hat es noch nie einen Abbau der paritätischen Mitbestimmung gegeben. Ich lege Wert darauf. Das ist aber nur deswegen möglich, weil wir einen besonderen Umgang miteinander pflegen, weil man weiß, daß man sich aufeinander verlassen kann. ({0}) Das sind die Realitäten. Wir haben hier wieder etwas bewegt, wozu Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, nicht in der Lage waren. Ich meine, wenn man keine Geschichtsklitterung betreiben will, sollte man das auch sagen. Auf ausdrücklichen Wunsch der FDP heißt es im Bericht des Ausschusses zum heutigen Gesetz - ich zitiere - : Die Mitglieder der Fraktion der FDP erklärten, sie trügen die mit der Fraktion der CDU/CSU getroffene Koalitionsvereinbarung zur Sicherung der Montan-Mitbestimmung mit und stimmten daher trotz ihrer sehr kritischen Bewertung der MontanMitbestimmung dem Gesetzentwurf zu. Ich glaube, das beschreibt sehr deutlich und sehr ehrlich die unterschiedlichen Positionen der Koalitionsparteien zum Thema; es belegt aber auch, daß die Koalitionsvereinbarung - das ist mehr als das, was wir heute beraten - von beiden Seiten getragen wird. Ich knüpfe noch einmal an das an, was ich in der ersten Lesung gesagt habe: Dazu gehören auch die anderen Teile der Koalitionsvereinbarung zu diesem Thema, die wir selbstverständlich auch mittragen. Ich danke deswegen der FDP, daß sie sich den Vorstellungen von CDU/CSU nicht verschlossen hat und daß sie gleichzeitig bei diesem schwierigen Thema bewiesen hat, daß die Koalition funktioniert. Ich danke auch dem Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, daß er erfolgreiche Überzeugungsarbeit geleistet hat. Ich meine, auch das sollte hier gesagt werden: Ich danke auch dem Herrn Bundeskanzler, daß er während der Koalitionsverhandlungen die Koalitionsparteien zur Einigung auf dieses Sicherungskonzept mit aller Entschiedenheit gedrängt hat. Auch in diesem Punkt stellt sich Helmut Kohl in die Tradition eines Konrad Adenauer. ({1}) - Ja, ohne Konrad Adenauer, ohne sein massives Drängen damals wäre dem Wunsch von Böckler nicht entsprochen worden. Das muß man ganz deutlich sehen. ({2}) Das Gesetz ist uns so wichtig, weil für die CDU/CSU die Montan-Mitbestimmung zu den Gründungselementen der Sozialen Marktwirtschaft gehört. Ich zitiere aus der Entschließung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aus der 9. Legislaturperiode - das war eine Entschließung, die gefaßt worden ist, als 1981 SPD und FDP das Auslaufgesetz beschlossen hatten und wir zu weitergehenden Verhandlungen bereit waren - : Die Montan-Mitbestimmung hat dazu beigetragen, im partnerschaftlichen Zusammenwirken von Unternehmensleitungen und Arbeitnehmern die vielschichtigen Probleme der Nachkriegszeit zu bewältigen, strukturelle Anpassungsprozesse bei Kohle und Stahl zu erleichtern und damit dem sozialen Frieden zu dienen. Die Soziale Marktwirtschaft beruht gesellschafts- und ordnungspolitisch auf dem Prinzip der Partnerschaft. Meine Damen und Herren, an diesem schwierigen Werk, das wir heute vollenden, wird noch einmal deutlich, daß Soziale Marktwirtschaft für uns kein Lippenbekenntnis ist, sondern ein klares Konzept mit einer ausgeprägten und auch garantierten Partnerschaft zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Ich möchte noch einmal sagen, daß mit dem heutigen Gesetz erneut bewiesen wird, daß CDU und CSU Parteien sind, auf deren Wahlkampfaussagen man sich verlassen kann. Im gemeinsamen Wahlprogramm von CDU und CSU hieß es: CDU und CSU wollen im Benehmen mit den Tarifparteien die Montan-Mitbestimmung sichern. - Dieses ist uns, glaube ich, in einer vorzüglichen und unbestreitbar guten Weise gelungen. Ich möchte mit einem Zitat schließen, das ich schon einmal vorgetragen habe, daß, glaube ich, für die Arbeitnehmerschaft wichtig ist, damit klar ist, was hier gemacht worden ist. Ich zitiere noch einmal die Bewertung unserer Sicherung der Montan-Mitbestimmung durch den Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Er sagte wörtlich: Mit der Sicherung der Montan-Mitbestimmung wurde nicht irgendeine, sondern eine zentrale Forderung der Gewerkschaften erfüllt. Politisch sehe ich darin eine respektable Leistung der CDA. Meine Damen und Herren, Sie können sich vorstellen, daß wir mit sehr großer Freude diesen heutigen Tag für die Arbeitnehmerschaft feiern. Ich danke Ihnen. ({3})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Dreßler.

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gesetzentwurf der CDU/CSU-FDP-Regierungskoalition zur Verlängerung der Montan-Mitbestimmung fehlt in der Beschreibung der Gründe für dieses 18-Monate-Gesetz ein ganz entscheidender Punkt, den natürlich auch der Kollege Scharrenbroich hier wieder einmal verschwiegen hat: Sie können jetzt keinen weiterreichenden Gesetzentwurf vorlegen, weil Ihnen die Koalitionsvereinbarungen Fesseln anlegen. Das sind keine Fesseln aus Samt und Seide, Herr Scharrenbroich, sondern Fesseln aus Stacheldraht. Denn das ist die Schlachtordnung in dieser Regierungskoalition: ({0}) Ohne innere Anteilnahme, ohne wirkliches Engagement und Verständnis wird halbherzig und vage die Montan-Mitbestimmung für 18 Monate gesichert, aber mit viel Engagement, mit tiefer innerer Befriedigung wird dagegen die Aushöhlung der betrieblichen Mitbestimmung vorbereitet und mit der Frage der Montan-Mitbestimmung verbunden. ({1}) Sie haben insoweit völlig recht, wenn Sie sagen, daß Sie zielstrebig sind: zielstrebig im Versuch, die Betriebsverfassung zu zerschlagen. Montan-Mitbestimmung, betriebliche Mitbestimmung und Mitbestimmung in Unternehmen sind für uns keine Fremdkörper in einem privatwirtschaftlichen Unternehmen. Für uns ist das keine im Grunde unzulässige Beschränkung der Verfügungsmacht der Unternehmen. Mitbestimmung, Mitgestaltung und Mitverantwortung der Arbeitnehmer sind für uns eine der Voraussetzungen für die demokratische Legitimation privaten Wirtschaftens. Damit unterscheiden uns Welten von der Koalitionsmehrheit. Es waren nämlich die Arbeitnehmer, die die Industrie in Gang brachten, als sie die Demontage verhinderten, und es waren die Arbeitnehmer, die handelten, weil die Vorstandsetagen noch leer waren. Warum, wissen Sie so gut wie ich. Für Sie ist die Montan-Mitbestimmung deswegen ein Relikt in einer besonderen, abgeschlossenen historischen Situation, und damit steht sie für Sie letztlich - das werden wir sicherlich in den 18 Monaten, wenn es um Details geht, sehen - zur Disposition. Für uns ist die Montan-Mitbestimmung ein unverzichtbarer Bestandteil der demokratischen Kultur in der Bundesrepublik Deutschland. ({2}) Meine Damen und Herren, es hat in der Montanindustrie, in den Montanregionen in den letzten 30 Jahren einen gewaltigen Strukturwandel gegeben. Zigtausende von Arbeitsplätzen bei Kohle und Stahl sind seit 1950 abgebaut worden. Daß dies relativ reibungslos ablief, weit entfernt von den Folgen in den Montanregionen anderer Länder, ist ein Erfolg der Montan-Mitbestimmung. Die Bundesregierung schafft es nicht, die Subventionspraxis der anderen Stahlländer zu unterbinden. Diese Politik ist dafür verantwortlich, daß die konkurrenzfähigste und modernste Stahlindustrie in Europa an den Subventionen für die Konkurrenz kaputtzugehen droht. Aus dieser Verantwortung will sich - das hat die Rede des Kollegen Cronenberg in der ersten Lesung deutlich gemacht - die Bundesregierung stehlen. Ich zitiere Herrn Cronenberg, der sich in dieser Frage als Spezialist dafür ausgewiesen hat, die Wirklichkeit auf den Kopf zu stellen: Die Montan-Mitbestimmung ist ... meines Erachtens ... ein Felsbrocken, der den strukturellen, technologischen und wirtschaftlichen Wandel in der Montanindustrie erschwert. Sie ist in meinen Augen mit ein Grund dafür, daß man an den traditionellen Standorten an Ruhr und Saar vielfach die Zeichen der Zeit zu spät erkannt, zu lange auf alte Industrien gesetzt ... hat . . . ({3}) Herr Cronenberg, das heißt die Wirklichkeit auf den Kopf stellen! Im Zusammenhang mit Kohle und Stahl kommen von Ihnen immer wieder ungeheuer „sachkundige" Aussagen über die regionale Industriestruktur. Also will ich Ihnen ein paar simple Erkenntnisse zur industriellen Entwicklung auf den Weg geben: Erstens. An Rhein, Ruhr und Saar gibt es Kohlearbeitsplätze, weil dort vor Hunderten von Jahren Kohle gefunden wurde, nicht weil die SPD sie dorthin geschafft hat. ({4}) Zweitens. Die Kohleregionen waren überall in Europa seit dem Beginn der Industrialisierung auch wesentliche Zentren der Industrie. ({5}) Drittens. Die Stahlindustrie und die damit verbundenen Industrien haben sich aus einleuchtenden Gründen, die viel mit Energieversorgung, mit Transportwesen und mit einer qualifizierten Arbeiterschaft, aber wenig mit Parteipolitik zu tun haben, um die Kohleregionen herum angesiedelt. Viertens. All das vollzog sich in einem Prozeß von mehr als 100 Jahren. Bis vor gut 15 Jahren haben auch in diesem Lande alle noch nach Kohle und Stahl geschrien; da waren die Montanregionen die Herzkammern der Republik, und von dort wurden, Kollege Cronenberg, Milliarden in den Süden der Bundesrepublik transportiert. Wer so tut, als könne Landespolitik in wenigen Jahren die Industriestrukturen umkrempeln, der redet mit Absicht dummes Zeug. Fünftens. So, wie die Struktur der Montanregionen historisch gewachsen ist, ist auch die Struktur im Süden gewachsen, denn die elektrotechnische und die feinmechanische Industrie mußten sich in den vergangenen 80 Jahren in den revierfernen Regionen ansiedeln, in denen es ein ausreichendes Potential von billigen Arbeitskräften gab. ({6}) Sowenig die Blüte der Montanregionen das Verdienst einer Partei ist, so wenig ist es ein Verdienst der Konservativen oder der Liberalen, in den Regionen, in denen zur Zeit die Union Ministerpräsidenten stellt, in denen die derzeitigen Wachstumsindustrien sitzen, in den Regionen, die später industrialisiert worden sind -

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gleich! - Herr Cronenberg, wenn wir in dieser Frage so wie Sie oder wie die CDU argumentieren würden, könnten wir Herrn Barschel in Kiel vorwerfen, die CDU sei schuld daran, daß die Nordseefischer keine Forellen fangen. ({0}) Bitte schön!

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Dreßler, haben Sie meine Rede wirklich aufmerksam gelesen, und haben Sie dabei nicht feststellen müssen, daß ich in diesem Zusammenhang ausdrücklich - ich zitiere nahezu wörtlich - gesagt habe: Sie müssen sich fragen lassen, ich muß mich fragen lassen, wir müssen uns fragen lassen, ob wir nicht auf dem Hintergrund, den Sie historisch richtig geschildert haben, in den vergangenen Jahren eine falsche Strukturpolitik betrieben haben, eben die Erhaltung von Strukturen, für deren Produkte kein Absatz mehr da ist, und ob wir nicht besser den Strukturwandel gefördert hätten, statt alte Arbeitsplätze zu erhalten. Haben Sie nicht gelesen, daß ich in der Rede fast wörtlich gesagt habe: Muß ich mich nicht fragen? Ich habe das also auch selbstkritisch gesagt. Halten Sie auf diesem Hintergrund eine solche Interpretation, wie Sie sie mit Teilzitaten gerade vorgetragen haben, nicht für ein wenig - um es vorsichtig zu formulieren - unfair?

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Cronenberg, ich halte das deshalb nicht für unfair, weil ich Ihre Rede genau gelesen habe und in Ihrer Rede die Montan-Mitbestimmung für Strukturprobleme in den von mir skizzierten Regionen schuldig gesprochen wurde. ({0}) Wenn Sie als nordrhein-westfälischer Bürger, der Sie sind, Ihre parteipolitische Brille abnehmen und in diesem Land Nordrhein-Westfalen beobachten, was diese Landesregierung in den letzten Jahren ({1}) trotz Kohle, trotz Stahl - oder, wenn Sie so wollen, gerade deswegen - an Strukturelementen geschaffen hat, müssen Sie, wenn Sie fair und objektiv sind, sich hier hinstellen und sagen, daß in dieser schwierigen politischen Situation die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen wirklich vorzügliche Arbeit geleistet hat. ({2}) Meine Damen und Herren, die Alternativen sind klar: Erstens. Wir wollen die Montan-Mitbestimmung sichern und ausbauen, weil wir sie für richtig und unverzichtbar halten. Was die Regierungskoalition in dieser Frage will, ist noch längst nicht völlig klar. Damit auch das vom Tisch ist: Wir haben der FDP 1981 sechs Jahre Montan-Mitbestimmung abgetrotzt, über eine Wahl hinaus, also mit der Chance für andere, für arbeitnehmerfreundlichere Mehrheiten. Ohne dieses erfolgreiche Ringen von 1981 bräuchten wir heute nicht einmal mehr über die Montan-Mitbestimmung zu reden. Zweitens. Arbeitsminister Blüm hat gerade mal ein Jahr durchgesetzt. Dann muß er wieder 'ran und aufs neue verhandeln. Dafür schluckte er Kröte über Kröte. Gemeinsam mit der FDP-Bundestagsfraktion wird der Arbeitsminister Sprengsätze in das Betriebsverfassungsgesetz einbauen: Es sollen Splittergruppen in die Betriebsräte gehievt und künstlich aufgewertet werden. Das ist ungefähr so sinnvoll, als wenn alle 0,5-%-Anteilseigner bei Volkswagen auch im Vorstand sitzen wollten. Unter ihrem Vorsitz, Herr Blüm, hat die Christlich Demokratische Arbeitnehmerschaft die Mitbestimmung bei Einführung und Anwendung neuer Techniken, beginnend ab der Planung, gefordert. Und was haben Sie in den Koalitionsvereinbarungen daraus gemacht? Sie wollen die Betriebsräte bei Einführung und Anwendung neuer Techniken durch Informationen beteiligen, als ob es heute keine Informationen gäbe. Das ist Neumanns graue Salbe; es bleibt alles beim alten. ({3}) Herr Blüm, die Betriebsräte sollen nach Ihrer erklärten Absicht weiter mit Bleistift und Notizblock im Wettbewerb mit Computern die Interessen der Arbeitnehmer vertreten. Das ist Ihre Logik. Diesen unwürdigen Kuhhandel auf Kosten des Betriebsfriedens, auf Kosten der einheitlichen Interessenvertretung der Arbeitnehmer lehnen wir Sozialdemokraten ab. Wir fordern die Mitglieder dieses Parlaments auf, sich nach dieser kurzen Verlängerung endlich dem vorliegenden SPD-Gesetzentwurf zur dauerhaften Sicherung der Montan-Mitbestimmung anzuschließen. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Thomae.

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fast genau vor einem Monat haben wir den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verlängerung von Auslaufzeiten in der Montan-Mitbestimmung in der ersten Lesung behandelt. In der heutigen Lesung wird ihm auch die FDP-Bundestagsfraktion zustimmen. Dies haben wir in der Koalition vereinbart - ebenso wie auch die Steuerreform - , und wir werden dazu stehen. Wir haben aber in der ersten Lesung auch sehr deutlich gemacht und nicht verheimlicht, daß uns diese Zustimmung nicht leichtfällt, denn die Mitbestimmung heutiger Prägung hat den wirtschaftlichen Anpassungsprozeß behindert und gebremst. Sie hat sich als ein zu enges Korsett zu Lasten der Unternehmer, der Arbeitnehmer und der Regionen erwiesen. ({0}) Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf ist keine endgültige Lösung, sondern für uns nur eine Zwischenstufe. Das schafft Zeit zum Nachdenken und vor allen Dingen auch zur gründlichen Vorbereitung der Gesetzgebungsarbeit. Die von der Koalition geplante Regelung wird darauf hinwirken, daß ein gewisses Maß an Montanaktivitäten vorhanden bleibt, wenn das Ausnahmerecht Montan-Mitbestimmung weiter gelten soll. Wir haben in der Koalition aber auch vereinbart und beschlossen, daß das Wahlverfahren modifiziert wird. Die Besetzung der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat muß stärker aus dem Betrieb heraus erfolgen. Wenn der Kollege Andres in der ersten Lesung diese Änderung der Zusammensetzung der Arbeitnehmerbank als eine Schleifung sozialen Urgesteins bewertet, so läßt dies zweierlei erkennen: zum einen die uneingeschränkte Präferenz für Gewerkschaftsvormacht, ({1}) zum anderen ein tiefes Mißtrauen gegenüber der Entscheidungsfreiheit und der Kompetenz der im Betrieb vertretenen Arbeitnehmer. Das aber haben die Arbeitnehmer in der Montanindustrie nicht verdient. ({2}) Oder ist das Mißtrauen darauf zurückzuführen, daß Pfründe für verdiente Gewerkschaftsfunktionäre verlorengehen? ({3}) Wenn das nicht so ist, warum setzen Sie sich nicht mit uns dafür ein, daß das Wahlverfahren nach dem Montan-Mitbestimmungsergänzungsgesetz von 1956 auf alle Montanunternehmen übertragen wird?

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Urbaniak?

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Noch einen Satz, dann ja. Warum setzen Sie sich nicht dafür ein, daß das Mitbestimmungsgesetz 1976 auch im gesamten Bereich der Montan-Mitbestimmung durchgesetzt wird? ({0}) Das wäre unserer Auffassung nach sachgerecht und sinnvoll. Bitte schön.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, wenn Sie von den Pfründen sprechen, meinen Sie sicherlich die Vertreter der Deutschen Bank. Ist Ihnen nicht bekannt, daß die Gewerkschaftsvertreter in den montan-mitbestimmten Aufsichtsräten ihre Beträge zur Finanzierung der Hans-Böckler-Stiftung abzugeben haben und nur einen ganz, ganz geringen Prozentsatz behalten, damit die Arbeitnehmerschaft aus den Betrieben an Universitäten und anderen Hochschulen gefördert werden kann? Da gibt es keine Pfründe. Ist Ihnen das bekannt, und wollen Sie das bitte bestätigen, d. h. dem Hohen Hause auch aus Ihrem Munde mitteilen?

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie sprachen von ganz kleinen Beträgen. Ich unterscheide zwischen großen, mittleren und kleinen Beträgen. Ich finde, die Beträge, die die Gewerkschaftsfunktionäre erhalten, sind schon recht beachtliche Beträge. Sie können mir nicht beweisen, in welchem Maße sie diese Beträge an diese Stiftung weitergeben. ({0}) Wenn die SPD jetzt ihren Gesetzentwurf zur Abstimmung stellen will, so geschieht das leider nicht aus der richtigen Erkenntnis heraus, sondern es erfolgt vielmehr aus taktischen Gründen. Der vorliegende Gesetzentwurf gibt aber Zeit, parallel zu den Änderungen im Montanbereich die seit langem not1214 wendigen Verbesserungen im Betriebsverfassungsgesetz voranzutreiben. Dabei kommt es der FDP maßgeblich darauf an, daß die Rechte von Minderheiten im Betrieb bei der Betriebsratsarbeit gestärkt und die auf freiwilliger Basis bestehenden Sprecherausschüsse leitender Angestellter endlich gesetzlich gesichert werden. ({1}) Ebenso notwendig und unerläßlich ist eine eindeutige und befriedigende Definition des Begriffs „leitender Angestellter" . Das bedeutet für uns keine Festschreibung der bisherigen Rechtsprechung, sondern wir wollen eine eindeutige, funktionsgerechte und sinnvolle Abgrenzung, die eine Auseinandersetzung im Betrieb endlich vermeidet. Einig sind wir uns sicherlich darin, daß das Recht der Jugendvertretung zu modifizieren ist. Dabei ist nach unserer Auffassung darauf zu achten, daß weder die Betriebe über Gebühr belastet werden noch das Entscheidungsrecht des Betriebsrates auch in Fragen, die Jugendliche betreffen, in Frage gestellt wird. Für die FDP ist die Geschäftsgrundlage, daß die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes und die der Montan-Mitbestimmung gemeinsam behandelt und verabschiedet werden müssen. Allerdings machen wir uns nichts vor. Kein Gesetz zur Montan-Mitbestimmung löst die Probleme von Kohle und Stahl. Hier besteht weiterhin ein großer Umstrukturierungsbedarf, den die Beteiligten im Sinne der sozialen Marktwirtschaft bewältigen müssen. Danke schön. ({2})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Hoss.

Prof. h. c. Willi Hoss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die Beratungen im Ausschuß haben ergeben, daß eigentlich alle Fraktionen des Bundestages für die Verlängerung der Auslaufzeiten der MontanMitbestimmung sind. Das wurde schnell abgehakt. Die Diskussion konzentrierte sich auf die inhaltliche Ausgestaltung, auf die inhaltliche Seite der Mitbestimmung, auf die Fragen: Was bedeutet heute eigentlich Mitbestimmung für Arbeitnehmer? Was bedeutet Montan-Mitbestimmung? Was ist sie eigentlich noch wert? Lohnt es sich, sie zu verteidigen? Diese Fragen stellen sich heute in der Tat viele Bürger im Ruhrgebiet, in der Stahlregion, und vor allem die betroffenen Stahlarbeiter und ihre Familien, nachdem klargeworden ist, ({0}) daß die Stahlindustriellen, die Stahlkonzerne, die Kapitalbank sich für die Stillegung des Standortes Hattingen und für das Vernichten Tausender von Arbeitsplätzen ausgesprochen haben und ihrer Verpflichtung gegenüber den Arbeitnehmern, den Betroffenen, nicht nachkommen. Die Fragen stellen sich viele Bürger, nachdem der IG-Metall-Vorstand durch seine Vertreter auf der Arbeitnehmerbank zusammen mit dem Thyssen-Konzern mehr den Weg des Sozialplanes geht, das heißt des Übergangs von Arbeitnehmern in die Arbeitslosigkeit, als daran zu arbeiten, eine konsequente Position der Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen einzunehmen. ({1}) - Die Beschäftigungsgesellschaft ist vom Vorstand der IG-Metall schon weitgehend fallengelassen worden. ({2}) Wir würden es für besser halten, wenn der Vorstand der IG-Metall nicht Arm in Arm mit den Stahlindustriellen die öffentliche Hand attackierte, sondern Arm in Arm mit den Betroffenen, mit den Stahlarbeitern, mit den Arbeitnehmern, konsequent für die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen eingetreten wäre ({3}) und verhindert hätte, daß in der Orientierung für die Schaffung von Arbeitsplätzen eine Schieflage entstanden wäre, wie sie jetzt entstanden ist und zu einem Widerspruch zwischen dem Betriebsrat in Hattingen und dem Vorstand geführt hat. Nehmt die Zeitungen zur Hand, dann könnt ihr die Äußerungen lesen. Viele Bürger fragen sich auch, welchen Wert die Mitbestimmung im Montanbereich hat, nachdem durch einen neutralen Mann, Herrn Scheel, die Institution der neutralen Person sozusagen zur Farce gemacht wurde, indem das Schicksal einer ganzen Region in die Hand eines Mannes, in die Hand von Leuten gelegt wurde, die eigentlich mit dem Problem unmittelbar nichts zu tun haben, ({4}) die heute mal schnell in einer Aufsichtsratsitzung über einen Standort in einer Region entscheiden, die sich morgen hoch auf dem gelben Wagen befinden und übermorgen irgendwo etwa als Ehrenvorsitzende eines Trabervereins fungieren könnten. ({5}) Uns geht es darum, daß der neutrale Mann, daß die neutrale Person wirklich so in das Problem eingebunden ist, das dort zur Entscheidung steht, daß er auch wirklich Verantwortung übernimmt. Ich sage gleich an diesem Punkt, daß wir uns eine Ausweitung der Mitbestimmung im Montanbereich so vorstellen, daß statt eines Herrn Scheel - man kann da auch die anderen Aufsichtsräte abklopfen - im Aufsichtsrat von Thyssen der Oberbürgermeister von Duisburg, der von Oberhausen oder der von Hattingen säße, weil sie in die Region eingebunden sind, wissen, worüber sie entscheiden, auch Verantwortung für die Region übernehmen und vielleicht schon im vorhinein daran interessiert sind, die Dinge so zu gestalten, daß es anders geht. ({6}) Es geht bei der Ausgestaltung der Mitbestimmung um zwei Dinge: Erstens geht es darum, zu erkennen, welche Funktion sie gegenüber der „normalen" Mitbestimmung in anderen Betrieben hat. Sie ist ja eine erweiterte Mitbestimmung. Es geht zweitens darum, daß man bestimmte Betriebe wegen ihrer Gefährlichkeit, wegen ihrer Bedeutsamkeit für den gesamten gesellschaftlichen Ablauf stärker unter Kontrolle nehmen will und muß, wie man das mit den Konzernen in der Stahl- und Kohleregion gemacht hat. Wir wollen untersuchen, welche Betriebe sich in der Jetztzeit zu gefährlichen Betrieben entwickelt haben, die man nicht mehr allein der Kapitalseite überlassen kann, sondern wo die Arbeitnehmer, wo Naturschutzverbände, wo andere Organisationen mit einbezogen werden müssen, um zu verhindern, daß gefährliche Dinge passieren. Ich denke daran, daß man z. B. Chemiekonzerne wie BASF, wie Bayer und ihr Tun nicht der Kapitalseite überlassen sollte, sondern dafür sorgen muß, daß z. B. Umweltschutzverbände, Greenpeace oder andere, in den Aufsichtsräten Sitz und Stimme erhalten, weil die wissen, worum es geht und worüber zu entscheiden ist, so daß sie von der Umweltseite mit in den betrieblichen Bereich einwirken können. Ebenso muß sichergestellt sein, daß in einem Automobilbetrieb wie Daimler-Benz, VW oder Ford Leute sitzen, die im Verkehrsbereich tätig sind, die aus der Verkehrssituation heraus in den Aufsichtsrat hineinkommen; denn es geht nicht an, daß die Automobilkonzerne aus Profitinteressen heraus Millionen und Abermillionen Autos in die Öffentlichkeit entlassen und den Verkehr dadurch in einen ganz desolaten Zustand bringen. ({7}) Zweitens wollen wir, daß sich das Zahlenverhältnis zugunsten der Arbeitnehmerseite verschiebt, damit wir von der neutralen Person wegkommen. Wir wollen z. B. Betriebe, die sich mit Rüstung befassen, durch namhafte Persönlichkeiten der Friedensbewegung anreichern. Das mag sich komisch anhören und für manche sehr ungewöhnlich sein. Aber wir wollen, daß z. B. in einem Konzern wie Daimler-Benz, der zu einem Rüstungskonzern geworden ist, auch Persönlichkeiten der Friedensbewegung in den Aufsichtsrat kommen, ({8}) damit auch die mitentscheiden und eine Politik einleiten können, die weg von der Rüstung führt und hin zu einer friedlichen Produktion. Wir wollen also, daß das Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern dadurch aufgelöst wird, daß drei oder vier Persönlichkeiten aus Naturschutzverbänden, aus Verbänden, die sich mit der Verkehrssituation beschäftigen, und aus Verbänden der Friedensbewegung mit in die Unternehmensleitungen hineinkommen. Wir werden in den kommenden 18 Monaten Gelegenheit haben, das Problem der Unternehmensverfassung insgesamt neu aufzunehmen, weil das Verhältnis zwischen der Hauptversammlung der Aktionäre, die ja letzten Endes entscheidet und in der nur die Kapitalseite sitzt, und dem Aufsichtsrat sowie dem Vorstand auf seine Zusammensetzung hin zu untersuchen ist. Dazu werden wir dann Vorschläge machen. Ich danke Ihnen. ({9})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Urbaniak.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur gut vier Wochen nach der ersten Lesung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Verlängerung von Auslaufzeiten in der Montan-Mitbestimmung haben wir heute die zweite und dritte Lesung. Wir haben uns im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sehr gründlich mit der Materie befaßt, wir haben unsere Überlegungen angestellt und unsere Vorstellungen geäußert. Darum sage ich hier: Der Entwurf, den die Sozialdemokraten zur dauerhaften und lükkenlosen Mitbestimmung im Montanbereich vorgelegt haben, wird selbstverständlich weiterberaten, und er ist als Alternative zu dem zu sehen, was die Bundesregierung an Verschlechterungen im Bereich der Montan-Mitbestimmung einbringen wird. Darum betone ich hier ausdrücklich: Wir werden weiter dafür kämpfen - wir haben dem Hause dazu nun schon zum zweiten Male unseren Entwurf vorgelegt - , die Montan-Mitbestimmung dauerhaft und lückenlos zu sichern. Dazu müssen Sie sich, wenn Sie den Weg mit uns gehen wollen, auch bekennen. Dieser Weg ist von uns vorbestimmt. ({0}) Meine Damen und Herren, die Sozialdemokraten sind auch die einzige Fraktion im Deutschen Bundestag gewesen - hier sind bereits historische Bezüge hergestellt worden - , die bei der Beratung der Mitbestimmung 1950/51 geschlossen und einheitlich für die Montan-Mitbestimmung gestritten hat. ({1}) Wer die Protokolle nachliest, der wird sehen, daß in jener denkwürdigen Nacht Carlo Schmid, Fritz Henßler und insbesondere Kurt Schumacher darauf hingewirkt und gedrängt haben. Dadurch ist für den Bundeskanzler überhaupt erst die Chance eröffnet worden, die Montan-Mitbestimmung zu sichern. ({2}) Die Sozialdemokraten haben diese Weichenstellung vorgenommen. Nun sagt Kollege Blüm: Wir werden eine lückenhafte Sicherung verhindern; wir werden alles schließen; wir werden das dauerhaft in Ordnung bringen. ({3}) Das ist nicht der Fall. Denn Sie eröffnen Manipulationen für Vorstände und Bankenvertreter. Die Phantasie dieser Leute ist unbegrenzt, wenn es darum geht aus der Mitbestimmung zu flüchten. Das werden Sie noch erleben. Darum taugt das, was Sie vorschlagen werden, für eine dauerhafte Sicherung überhaupt nicht. Ein zweiter Punkt sei hier angeführt. Kollege Dreßler ist schon darauf eingegangen. Das müssen die Betriebsräte wissen: Es war die letzte Betriebsratswahl, die wir in diesem Jahr durchgeführt haben. Es wird in Zukunft Spaltergruppen geben, die nicht nur Unruhe, sondern auch Unsinn in die Betriebe tragen, Gruppen, die die gewerkschaftliche Solidarität zerstören, von der wir bisher alle profitiert haben. Das werden Sie zu verantworten haben: den Spaltern eine Chance zu geben. Das wollen Sie in der Betriebsverfassung ja machen: eine künstliche Beatmung dieser Leute, die ansonsten überhaupt keinen Rückhalt in der Belegschaft haben. Das ist eine schlimme Sache. ({4}) Kollege Cronenberg, ich verweise auf die Anhörung, die wir in der letzten Legislaturperiode durchgeführt haben und wo durchgängig bis auf einen Vertreter der leitenden Angestellten alle Sachverständigen gesagt haben: Laßt die Finger davon! Das sollte Ihnen zu denken geben. Da Sie insbesondere immer wieder darauf Wert legen, zu sagen, die Stahlindustrie und der Kohlebergbau seien Altindustrien und hier hätte man anders handeln müssen, sage ich Ihnen: Das Problem liegt darin, daß wir die modernsten Betriebe haben. Das hat auch die Mitbestimmung zustande gebracht. Denn gerade die Arbeitnehmer drücken auf Investitionen und moderne Betriebseinrichtungen. Das hat Biedenkopf in seinem Gutachten ja schon festgestellt. Die Bundesregierung bringt es nicht fertig, Chancengleichheit für die deutschen Stahlunternehmen in Brüssel herzustellen. ({5}) Das ist doch das Problem. Hier müssen Sie sich bewähren. Wir haben modernste Unternehmen, die sich sehen lassen können; hohe Qualitäten sind überall gängig. Aber gegen die Subventionen unserer Mitbewerber in der EG kann man auch mit diesen Einrichtungen nicht bestehen. Hier muß die Bundesregierung handeln. ({6}) Ein weiterer Punkt. Dies sagen wir als Sozialdemokraten ausdrücklich, Kollege Blüm: In der MontanMitbestimmung haben wir mit dazu beigetragen, daß immer ein sozialer Konsens zustande gekommen ist. Männer, die unter den Druck genommen werden, indem man ihnen sagt, wir müssen hier Schluß machen, und wir können euch nur sagen, Massenentlassungen stehen an - das hat es bei sozialdemokratisch geführten Regierungen nicht gegeben. ({7}) Es gibt jetzt eine Frist bis zum 23. September. Ich sage das ausdrücklich hingewandt zum Bundesarbeitsminister: Sie sollten entscheidend dazu beitragen, daß dieser Konsens, den die Sozialdemokraten geschaffen haben, erhalten bleibt. Sonst wird sich Radikalität an den Stahlstandorten einstellen, die wir alle nicht wünschen. Die Arbeitnehmer haben es auch nicht verdient, meine Damen und Herren, daß man sie auf die Straße wirft. ({8}) Darum machen wir ausdrücklich darauf aufmerksam, daß dieses geleistet werden muß. Es hat gar keinen Sinn, zu argumentieren, nun seien die Gewerkschaften für all das verantwortlich, was sich an Strukturwandel vollziehe, und die Gewerkschaften hätten das eigentlich betreiben müssen. Sie sind so in der Aktualität befangen und in den wirtschaftlichen Bereich eingeordnet, wie die Entscheidungen eben fallen, nämlich nach bestem Wissen und Gewissen. Die Vorausschau kann nicht immer so sein, daß jedes Risiko abgedeckt werden kann. Darum dürfen wir die Gewerkschaften für diese Dinge nicht verantwortlich machen. Sie leisten volkswirtschaftlich ohnehin einen ganz großen Dienst. Ohne unsere Einheitsgewerkschaften wären wir ja nicht so weit. Darum müssen wir ihr Eintreten für Arbeitnehmerrechte, für die Mitbestimmung und für die gerechte Behandlung der Arbeitnehmer lobend hervorheben. Denn was wäre, wenn wir englische oder französische Verhältnisse hätten? Darum sage ich: Die Einheitsgewerkschaft ist ein kostbares Gut. Die Gewerkschaften müssen auch weiterhin - wie wir das wollen - in der Mitbestimmung so postiert bleiben, wie es sich seit 40 Jahren bewährt hat. Sie aber wollen den Gewerkschaften die Flügel stutzen. Das ist nicht in Ordnung, weil Sie die Konfrontation suchen. ({9}) Ich sage klipp und klar: Unser Entwurf wird dann beraten werden, wenn Sie Ihre Krücke vorlegen werden. ({10}) Wir haben einen klaren, sauberen Weg für die Sicherung der Mitbestimmung. Wir meinen, sie sollte nicht nur gesichert werden; sie muß auch auf andere Branchen ausgedehnt werden. Das ist eine klare Position der Sozialdemokraten. ({11})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich erteile dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung das Wort. ({0})

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das erste Gesetz in dieser Legislaturperiode war das Gesetz zur Verlängerung des Bezugs von Arbeitslosengeld und Kurzarbeitergeld. Das zweite Gesetz in dieser Legislaturperiode betraf die Anpassung der Kriegsopferrenten. Das dritte Gesetz in dieser Legislaturperiode gilt der Sicherung der Montan-Mitbestimmung. Das vierte Gesetz - wir werden es nachher beschließen - regelt die Anerkennung der Kindererziehungszeiten für die älteren Mütter. Vier Gesetze - vor der Wahl versprochen, als erstes nach der Wahl durchgesetzt. ({0}) Ja, so ist das bei uns. Bei uns fahren die Züge nach Fahrplan. Das ist der Unterschied. Sie haben nur Fahrpläne. Wir halten, was wir versprochen haben. ({1}) - Ich danke für die Zustimmung. In der Tat, daran läßt sich nicht rütteln: Wir halten, was wir versprochen haben. Sie reden, wir handeln. Wir sichern die Montan-Mitbestimmung. ({2}) Die Montan-Mitbestimmung ist eine große soziale Errungenschaft, und zwar in dreifachem Sinne. Erstens. Sie ist Ausdruck des Willens zur Kooperation, zur Zusammenarbeit. Dieser Wille zur Kooperation ist einer unserer besten Produktionsfaktoren. Den sollten wir uns erhalten. Insofern hat sich die Montan-Mitbestimmung verdient gemacht. Zwei Drittel der Bergleute haben ihren Arbeitsplatz aufgeben müssen, sozial befriedet. Die Hälfte der Stahlarbeiter hat in dieser Zeit den Arbeitsplatz verlassen müssen. Es ist bis jetzt gelungen, diesen Wandel sozial befriedet zu vollziehen. Ich halte es für eine ganz große Leistung der Montan-Mitbestimmung, daß dies ohne Revolution, ohne sozialen Schaden vor sich gegangen ist. Selbstverständlich ist das nicht. Wir sollten es nicht gering achten. Es geht auch anders. Wie es auch geht, zeigt England. Nur, das kann für uns kein Vorbild sein. Für mich ist Maggie Thatcher kein Vorbild im Hinblick auf die Bewältigung von Strukturkrisen. ({3}) Unsere Sozialtradition ist die Tradition der Zusammenarbeit, der Kooperation. Das entspricht einer generationenlangen Sozialtradition, und die wollen wir uns auch in schweren Zeiten erhalten. Soziale Partnerschaft ist das Gegenprogramm zum Klassenkampf. Das gilt nicht nur für sonnige Tage. Das muß sich gerade in der Bewältigung von Krisen beweisen. Deshalb mein Bekenntnis zu den Verdiensten der Montan-Mitbestimmung. Zweiter Punkt. Es ist richtig, wie der Kollege Dreßler gesagt hat: Die Arbeitnehmer haben die MontanMitbestimmung erkämpft, allerdings auch in Übereinkunft mit den Arbeitgebern. Auch daran müssen die Arbeitgeber erinnert werden, daß sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber in der Nachkriegszeit ihrer gemeinsamen Verantwortung bewußt waren, zusammengearbeitet und damit eine Krise überwunden haben, die viel schwerer war als die heutige. Man hat ein zerstörtes Land wiederaufgebaut, und zwar nicht nach den Maximen des Klassenhasses und des Klassenkampfes. Die Montan-Mitbestimmung verdankt der Übereinstimmung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ihr Entstehen. Sie haben gemeinsam die Demontage abgewehrt. Das darf nie vergessen werden als eine große Anstrengung, als ein großes Modell, wie Krisen überwunden werden. Herr Kollege Dreßler, Sie hätten noch hinzufügen müssen: Das abschließende Verdienst hat Konrad Adenauer. Und damit es nicht ganz vergessen wird: Der gehörte der CDU an. ({4}) - Herr Vogel, ich bestreite doch gar nicht Ihre Verdienste. Aber Sie werden nicht bestreiten, daß Adenauer Bundeskanzler und Mitglied der CDU war. ({5}) Ohne die CDU hätten Sie nie eine Mehrheit gehabt. Sie waren damals in der Opposition und sind heute in der Opposition. Das Beste, was Sie auch heute wieder machen können, ist, uns zuzustimmen, damals wie heute. ({6}) Ich erwähne Adenauer auch deshalb, um jener Legendenbildung entgegenzuwirken, als sei alles, was Fortschritt bedeutet, sozialdemokratischen Ursprungs. Die Montan-Mitbestimmung beweist das Gegenteil. Die Mitbestimmung ist unter Konrad Adenauer entstanden, in Zusammenarbeit auch mit so großen Männern wie Hans Böckler. ({7}) - Gerade habe ich ihn erwähnt. Ich bedanke mich für das Soufflieren. ({8}) - Nicht alle CDU. Ich bin doch gar nicht so kleinkariert wie Sie, Herr Vogel. ({9}) Ich sage doch: Auch andere haben Verdienste. Allerdings bestreite ich, daß Sie allein die Weisheit mit Löffeln gegessen haben. Das ist meine ganze Rede. Seien Sie doch nicht so kleinkariert! ({10}) Unter Adenauer ist mit Hans Böckler, mit den Gewerkschaften, mit den Arbeitgebern die Montan-Mitbestimmung erkämpft worden. Ein dritter Punkt. Bevor die Montan-Mitbestimmung Gesetz wurde, war sie bereits vereinbart. Ich meine, dieser Weg bleibt auch für die Zukunft ein Modell, daß man nicht immer auf den Gesetzgeber warten muß, sondern daß sich die Partner selber zusammenraufen, daß sie selber Lösungen suchen. Das ist auch ein Stück Abschied vom Obrigkeitsstaat, daß man nicht immer nur wartet, bis Paragraphen gedruckt werden, sondern daß man selber danach trachtet, Lösungen für Krisenzeiten zu finden. Meine Damen und Herren, ohne dieses Sicherungsgesetz, das wir heute - so hoffe ich - verabschieden, würden die Arbeitnehmer in Salzgitter im September aus der Montan-Mitbestimmung herausfallen, die Arbeitnehmer bei Mannesmann auch noch in diesem Jahr. Es ist die erste Stufe der Sicherung der Montan-Mitbestimmung, auf die sich die Koalition verständigt hat. Es ist die erste, nicht die letzte Stufe. Wir brauchen noch eine zweite Stufe. So, wie die erste Stufe fahrplanmäßig gekommen ist, so können Sie sich darauf verlassen, daß auch die zweite fahrplanmäßig kommt. Es bleibt dabei, bei uns fahren die Züge nach Fahrplan. Daß wir für die zweite Stufe Zeit brauchen, entspricht unserer Arbeitsweise, nämlich solide zu arbeiten. Die Arbeitnehmer haben überhaupt nichts von Flickschusterei. Wie wenig sie von Flickschusterei haben, beweist doch das Pfuschgesetz, das Sie 1980/81 verabschiedet haben. ({11}) Ich dachte, ich höre nicht richtig, als uns der Kollege Urbaniak vorwarf, der zur Beratung anstehende Gesetzentwurf sei eine Krücke. Sie sind doch nun wirklich Alleinhersteller von sozialpolitischen Krücken. Lieber Herr Urbaniak, ich muß darauf hinweisen: Wir müßten heute gar keine Montan-Mitbestimmung sichern, wenn das Gesetz, das Sie verabschiedet haben, seinen Anspruch wirklich erfüllt hätte. ({12}) Die Tatsache, daß wir heute abschließend sichern müssen, ist doch für jeden, der denken kann, geradezu der Beweis, daß das, was Sie vorgelegt haben, obwohl Sie, der Abgeordnete Urbaniak, es damals als Sicherungsgesetz ausgegeben haben, nichts anderes als ein Auslaufgesetz war. ({13}) Herr Dreßler, Sie können ganz unbesorgt sein. ({14}) Ich habe ausdrücklich gesagt - vielleicht haben Sie gerade einen Augenblick geschlafen - , es wäre die erste Stufe. ({15}) - Ich wollte Sie ja gerade wachmachen. - Ich habe ausdrücklich dazu gesagt, daß es noch eine zweite Stufe gibt. Wenn ich „erste Stufe" sage, ist klar, daß das heute der erste wichtige Schritt ist; er bedeutet Zeitgewinn für eine solide Sicherung. Weil es in der Aufregung untergegangen ist, wiederhole ich es: Das Gesetz heute wäre nicht notwendig, ({16}) wenn nicht 1981 sozialliberaler Pfusch vorgelegt worden wäre. ({17}) Die Flickschuster wollen uns jetzt Nachhilfeunterricht geben. Das ist die Situation. Nun aber zu dem, was das Gesetz soll. Es soll uns Zeit für die zweite, solide Absicherung der Mitbestimmung schaffen. Sie haben am zweiten Schritt bereits Kritik geübt. Lassen Sie mich auf einige Punkte eingehen. Daß wir für die abschließende Sicherung der Montan-Mitbestimmung das Wahlrecht aus dem Jahr 1976 übernehmen, kann doch wohl kein Rückschritt für die Demokratie sein. ({18}) Erstens haben Sie 1976 dieses Gesetz gemacht. Sie beschimpfen Ihre eigenen Produkte. Zweitens. Daß an die Stelle von Delegation Wahlrechte treten, kann doch wohl nicht gegen den demokratischen Fortschritt sein. Es kann doch wohl nicht gegen die Demokratie sein, wenn die Arbeitnehmer im Betrieb bei der Auswahl ihrer Vertreter mehr Rechte erhalten. Wenn Sie es anders behaupten, ({19}) muß ich denken, Sie behandeln die Arbeitnehmer wie kleine Kinder. Sie glauben, die bräuchten Kindergärtner. Nein, die wissen selber, wer ihre Vertreter sind. ({20}) Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich bleibe dabei, daß sie wohl außerbetriebliche wie innerbetriebliche Vertreter brauchen und daß diese Mischung die beste Mischung zur Vertretung ist. Aber in der Frage, wen sie auswählen, brauchen sie nun wirklich keinen Vormund, da sind sie alt genug. ({21}) Insofern ist es kein Rückschritt, sondern demokratischer Fortschritt, wenn die Wahlrechte verbessert werden sollen. ({22}) Herr Urbaniak, wo ich Sie auch nicht verstehe: Sie haben gesagt, die Spalter, die im Betrieb überhaupt keinen Rückhalt hätten, würden durch unsere Gesetzgebung nun plötzlich Platz erhalten. Ja, wenn sie im Betrieb keinen Rückhalt haben, brauchen sie überhaupt keine Angst zu haben; dann werden Sie auch nicht gewählt. Sie sprechen zwei Sätze aus, von denen der zweite Satz dem ersten Satz auf die Backe schlägt. Im ersten Satz sagen Sie, die Spalter kommen in den Betrieb, im zweiten Satz sagen Sie, die Spalter haben keinen Rückhalt in der Belegschaft. Wenn sie keinen Rückhalt in der Belegschaft haben, brauchen Sie die Demokratie auch nicht zu fürchten. Ich fürchte sie überhaupt nicht. Nun, meine Damen und Herren, noch ein paar Bemerkungen zu den SPD-Vorschlägen. Der Vorschlag, daß eine Konzernobergesellschaft, auch wenn sie nur wenige Montananteile hat und diese Montananteile nur im Handel bestehen, noch in der Montan-Mitbestimmung bleiben soll, liegt für mich verfassungsrechtlich in der Nähe eines Verstoßes gegen das Willkürverbot. Es wäre für die Arbeitnehmer überhaupt nichts gewonnen, Kollege Urbaniak - wir wollen ja sichern - , wenn wir jetzt ein riskantes Gesetz erließen, das anschließend vom Verfassungsgericht mit Sicherheit kassiert würde. Das wären Steine statt Brot. Wir bleiben auf dem soliden Weg. Ich möchte mich beim Ausschuß, auch beim Vorsitzenden des Ausschusses, bei allen Mitgliedern, auch den Mitgliedern der Opposition, für die zügige Beratung dieses Gesetzes ausdrücklich bedanken, die es möglich macht, die Termine einzuhalten und die Sicherung so durchzuführen, wie sie notwendig ist, damit die Arbeitnehmer bei Salzgitter im September nicht aus der Montan-Mitbestimmung herausfallen. Ich bedanke mich für die zügige Beratung und die Zusammenarbeit mit dem Parlament. ({23})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich, daß ich noch die Möglichkeit habe, einige Klarstellungen vorzunehmen. Erstens. Ich lege im Namen der FDP Wert darauf: Wir sind, Herr Kollege Dreßler, Herr Kollege Urbaniak, nicht gegen Mitbestimmung, ({0}) sondern wir haben nur etwas gegen die paritätische Mitbestimmung, gegen die Montan-Mitbestimmung. Zweitens. Der Strukturwandel in den Regionen von Kohle und Stahl ist, was die technologische Entwicklung betrifft, von den Kollegen Urbaniak und Dreßler richtig beschrieben worden. Ich habe nie ausgeführt, daß das nicht der Fall war. Das Problem ist, daß die Produkte keinen Absatz mehr finden. Herr Kollege Urbaniak, was hätten Sie denn gesagt, wenn ich gesagt hätte: Wir, die Firma Julius Cronenberg ({1}) stellen die besten Sensen der Welt her - das tun wir! - , und wir haben die beste Technologie, sie herzustellen - die haben wir! -; dummerweise will kein Mensch das Zeug haben; und deswegen, lieber Steuerzahler, bezahle mir eine Sensenhalde. Es ist in den Dimensionen natürlich anders. Aber in Prinzip, Herr Kollege Urbaniak, ist es haargenau das gleiche. Ich empfehle der Stahlindustrie, sich von dem Geleitzug Kohle/Stahl/Werften abzukoppeln. Die Stahlindustrie ist in einer ganz anderen Situation als die Kohle. Was sagen Sie denn den französischen und belgischen Kollegen, die ihre Kohle nicht in dem Umfang wie die deutsche Kohle subventionieren? Ihre richtige Argumentation bei Stahl: „Da wird subventioniert; Brüssel greift nicht ein" wird unglaubwürdig, wenn wir im Kohlebereich ähnliches tun. Das alles sind Fragen, die von Ihnen einfach weggewischt werden. Was ich so sehr beklage, liebe Kollegen - das meine ich allen Ernstes -, ist, daß wir, wenn wir in diesen Bereichen mit dieser Art von Subventionen weitermachen, eine Zweiklassengesellschaft bekommen. Ich sage Ihnen: Es ist nicht redlich, freitags und samstags in den Wahlversammlungen zu erklären: „Die mittelständischen Unternehmen dürfen nicht benachteiligt werden; den kleinen Buden muß geholfen werden", und dann donnerstags im Plenum für die Betriebe mit 10 000 Beschäftigten Subventionen zu verlangen. Bei den kleinen Firmen sagen wir, wenn sie in Schwierigkeiten geraten: „Das sind Managerfehler; die interessieren uns nicht." Für mich sind einmal 10 000 Menschen in einem Großbetrieb genauso viel wert wie tausendmal zehn Menschen in den kleinen und mittleren Betrieben. Das ist der Dissens zwischen uns, Frau Fuchs. Und das sollte man zugeben. ({2})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter Cronenberg, würden Sie noch eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Fuchs zulassen?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber selbstverständlich. Ich will der Frau Kollegin Fuchs das nicht verweigern.

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Cronenberg, sind Sie bereit, mir zuzugeben, daß die Produktion von Sensen die eine Sache ist, daß aber die Frage, wie national Kohle-, Stahl- und Werftpolitik gemacht werden kann, eine Gesamtverantwortung bedeutet und daß man deswegen auch bundespolitische Konzepte dazu anbieten muß?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Frau Kollegin Fuchs, diese sehr ernst zu nehmende Frage der Industriepolitik bitte ich Sie auch unter europäischen Aspekten zu sehen. Ich frage mich, ob dieses Autarkiedenken für bestimmte Länder in Europa in einem gemeinsamen europäischen Markt sinnhaft ist. Das können wir bei der Beantwortung einer Zwischenfrage nicht ausdiskutieren. Ich meine, wenn wir Europa ernsthaft wollen, werden wir diese Fragen nur im gesamteuropäischen Zusammenhang beurteilen können. Damit ich nicht wieder mißverstanden werde: Das ändert nichts an der Tatsache, daß sinnvolle Regionalpolitik nicht im Sinn der Erhaltung überflüssiger Strukturen, sondern im Sinn des Aufbaus neuer sinnvoller Strukturen selbstverständlich unsere Billigung findet. Nicht finanzieren, was nicht erhaltenswert ist, sondern finanzieren, was aufbauenswert ist, das ist ein vernünftiges Konzept. ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf der Bundesregierung unverändert anzunehmen. Ich rufe die §§ 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer diesen aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind einstimmig angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Präsident Dr. Jenninger Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. ({0}) Ich rufe den Punkt 3 der Tagesordnung auf: 3. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung für Kindererziehung an Mütter der Geburtsjahrgänge vor 1921 ({1}) - Drucksache 11/197 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({2}) - Drucksache 11/541 Berichterstatter: Abgeordnete Müller ({3}) Peter ({4}) b) Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 11/542 Berichterstatter: Abgeordnete Sieler Strube Zywietz ({6}) Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/543 und 11/544 vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller ({7}).

Alfons Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit dem 1. Januar 1986 hat dank der CDU/CSU ein neues Kapitel in der Geschichte der Rentenversicherung begonnen. Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz machen wir einen zweiten Schritt und berücksichtigen die vor 1921 geborenen Frauen. Das ist ein sozialpolitischer Durchbruch bester Qualität. ({0}) Ich begründe das wie folgt: Erstens. Mit dem Kindererziehungsleistungs- Gesetz wird erstmals an den Lebensabend der älteren Frauen gedacht. Ein mehr als 100 Jahre andauerndes Unrecht wird damit beseitigt, daß wir Kindererziehungszeiten im Rentenrecht berücksichtigen und entsprechend honorieren. Aber auch die Frauen, die keinen Bezug zur Rentenversicherung haben, werden wir daran beteiligen. Und das schulden wir in besonderer Weise den älteren Frauen. Denn sie waren es, die in schwerer Zeit - ohne Kindergeld, oft ohne ihre Männer - ihre Kinder in Bunkern und Kellern großziehen mußten. Ich selbst bin der Sohn einer Mutter dieser Generation und habe zu Hause erfahren, was es bedeutet, wenn die Mutter ihre Kinder unter schwierigsten Umständen allein großziehen mußte, da der Vater an der Front stand. Ich sehe diese Frauengeneration heute noch in den Trümmerbergen stehen und den Schutt wegräumen. Und, meine Damen und Herren: Daß die Bundesrepublik Deutschland wieder ein blühendes Land geworden ist und daß aus dem Trümmerhaufen Deutschland die drittstärkste Industrienation der ganzen Welt wurde, verdanken wir nicht zuletzt dieser tapferen Frauengeneration. ({1}) Mit diesem Gesetz wollen wir diese opfervollen Leistungen honorieren. Ein Zweites möchte ich sagen: Kindererziehungsarbeit ist im Sozialrecht jahrzehntelang überhaupt nicht gewertet worden. Wir wollen endlich dazu kommen, die Erziehungsarbeit in den gleichen Rang zu erheben wie die außerhäusliche Erwerbsarbeit. Und damit wir uns nicht falsch verstehen: Jede Frau soll selbst entscheiden können, ob sie einer bezahlten, außerhäuslichen Erwerbsarbeit nachgeht oder ob sie sich für Haushalt und Kinder entscheidet. ({2}) Wenn sie sich aber für Haushalt und Kinder entscheidet, dann darf sie im Sozialrecht nicht länger so eklatant benachteiligt bleiben, wie das bis zum 1. Januar 1986 der Fall war. ({3}) Meine Damen und Herren, bis Ende 1986 wurden durch unsere Initiative mehr als 352 000 Eltern durch die Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung begünstigt. Fast 50 000 Mütter erhielten durch das neue Gesetz erstmals einen eigenen Rechtsanspruch. Und wir wollen mit der Bewertung der erzieherischen Leistungen endlich eine neue Qualität in die Sozialgesetzgebung einführen. Vor allem aber wollen wir damit, meine Damen und Herren, das Selbstbewußtsein und das Selbstwertgefühl der Hausfrau und Mutter stärken. Es geht uns langfristig um eine eigenständige soziale Absicherung dieser Frauen. Dritte Anmerkung: Wir haben im Sommer 1986 versprochen, für die älteren Frauen etwas zu tun; das geschieht jetzt. ({4}) Ich stelle fest: Wir halten Wort, auf uns ist Verlaß, ({5}) und wir lösen das Versprechen ein, das wir gegeben haben. ({6}) Leider können wir nicht alle Frauen auf einen Schlag in diese finanziellen Verbesserungen einbeziehen. Das ist aus Gründen der Finanzlage nicht möglich; daher die Stufenlösung. Sie meine Damen und Herren von der Opposition, sollten aufhören, uns Müller ({7}) in dieser Frage zu kritisieren und so zu tun, als sei die Stufenlösung ungerecht. Es war ein Unrecht, daß Sie 13 Jahre lang in dieser Frage überhaupt nichts getan haben. ({8}) Ich darf daran erinnern, daß es die Finanzminister der SPD waren, die immer wieder erklärt haben, dafür sei kein Geld da. Und wer noch 1981 durch seinen eigenen Bundeskanzler, Helmut Schmidt, verlautbaren ließ, dies sei nicht zu finanzieren, der hat heute jedes Recht verloren, uns in dieser Frage zu kritisieren und zu belehren. ({9}) Und hören Sie auch bitte auf, weiter zu behaupten, die geplante Steuerreform werde zu sozialpolitisch falschen Prioritäten führen! Ich weise diesen Vorwurf für meine Fraktion ganz entschieden zurück. ({10}) Die Steuerreform, Kollege Peter, ist ordnungspolitisch richtig angelegt, und sie entlastet die Bürger aller Einkommensschichten. ({11}) Meine Damen und Herren von der Opposition, Ihre Unsicherheit gegenüber diesem Gesetzentwurf zeigt sich doch in Ihrem Abstimmungsverhalten. Sie lehnen das Gesetz zwar nicht ab, aber Sie enthalten sich vornehm der Stimme. Ich sage Ihnen heute: Springen Sie doch endlich einmal über Ihren Schatten, ({12}) und stimmen Sie diesem sozialpolitisch wirksamen Gesetz zu! ({13}) Ein vierter Punkt. Die Leistungen nach dem Kindererziehungsleistungs-Gesetz zahlen wir nach dem vorliegenden Modell ohne versicherungsrechtliche Voraussetzungen. Jede Frau, die ein Kind zur Welt gebracht hat, soll diese Leistung bekommen, gleichgültig, ob sie bei der Geburt des Kindes erwerbstätig war oder nicht. Wir werden das unbürokratisch und ohne großen Verwaltungsaufwand machen. Das gilt für die, die eine Rente bekommen, genauso wie für die, die noch keine Rente beziehen. Fünftens. Ich freue mich, daß es gelungen ist, die Leistungen nach diesem Gesetz anrechnungsfrei zu halten. Es spielt keine Rolle, ob jemand Sozialhilfe bekommt oder eine andere Transferleistung entgegennimmt. Diese nach dem Gesetz zu zahlenden Beträge kommen jeder Frau zusätzlich in vollem Umfang zugute, und es ist logisch, daß davon auch keine Steuern gezahlt werden. Ich danke dem Finanzausschuß für den Beschluß, die Steuerfreiheit im Steuersenkungs-Erweiterungsgesetz zu regeln. Wir wollen nicht mit der einen Hand geben und mit der anderen Hand wieder nehmen. Das ist nicht unsere Politik gegenüber den älteren Frauen. Sechste und letzte Anmerkung: Die Finanzierung werden wir als eine Leistung besonderer Art vom Bund übernehmen. Es ist wichtig, zu betonen, daß die Finanzierung der Kindererziehungsleistung in vollem Umfang und auf Dauer durch den Bundeshaushalt erfolgt. ({14}) Die Rentenversicherung ist doch gar nicht in der Lage, diese Kosten zu übernehmen, und so kann es auch keine Anrechnung auf den Bundeszuschuß geben. Meine Damen und Herren, ich freue mich und bin stolz darauf, daß bis 1990 4,4 Millionen Frauen diese Sonderzahlungen erhalten. Ich möchte abschließend dem Bundesarbeitsminister Norbert Blüm und den beteiligten Ministern sowie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Dank sagen, daß die jetzt vorgelegte Lösung gefunden wurde. Meine Fraktion stimmt diesem Gesetz uneingeschränkt zu. ({15})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Steinhauer.

Waltraud Steinhauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen. Heute steht das Kindererziehungsleistungs-Gesetz zur Verabschiedung an. Dies ist nun wahrlich kein Ruhmesblatt für diese Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen. ({0}) Es ist kein Grund zum Feiern und sicherlich auch kein Anlaß, diese sozialpolitischen Leistungen verbal groß herauszustellen, wie wir es soeben hören mußten. ({1}) Wie in anderen Bereichen, so zeigt auch dieses Gesetz mit seinem Stufenplan soziale Kälte und trägt nicht zur sozialen Gerechtigkeit bei. ({2}) Alle gegenteiligen Beteuerungen der Unionskollegen können nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese Regierungskoalition von vornherein nicht beabsichtigt hat, auch die älteren Frauen, die Generation der sogenannten Trümmerfrauen, in die rentensteigernde Anrechnung der Kindererziehung einzubeziehen. ({3}) Es kann nicht oft genug wiederholt werden: Ausgerechnet diese Gruppe, die in der Kriegs- und Nach1222 kriegszeit ihre Kinder unter schwierigen Umständen erzogen hat, ({4}) bleibt von der lautstark angekündigten Rentensteigerung ausgenommen. Erst der in dieser Schärfe von der Regierungskoalition sicherlich nicht erwartete lautstarke Protest der ausgegrenzten Rentnerinnen - „Sind wir denn keine Mütter?" - , der Protest der Hinterbliebenenverbände, der Gewerkschaften und von uns Sozialdemokraten und nicht zuletzt der Handlungsdruck durch die bevorstehenden Bundestagswahlen haben die Bundesregierung schließlich zu einer halbherzigen und höchst mangelhaften Korrektur veranlaßt. Halten wir noch einmal fest. Seit Anfang 1986 können Mütter, die nach dem 1. Januar 1921 geboren sind, unter bestimmten Voraussetzungen, im wesentlichen, wenn sie nach der Geburt ihres Kindes nicht erwerbstätig waren und diese Zeit auch später nicht nachträglich mit freiwilligen Beiträgen belegt haben, einen Kinderzuschlag zur Rente erhalten. Dabei kann nicht oft genug betont werden: Die hierfür geltenden Anspruchsvoraussetzungen sind nicht weniger durchlöchert als ein Schweizer Käse. Haufenweise eingehende Protestschreiben der durch alle Gesetzesmaschen gefallenen Frauen legen hierfür ein beredtes Zeugnis ab. Jetzt kommt die Regierungskoalition mit einem Reparaturgesetz für die vor dem 1. Januar 1921 geborenen Mütter. Das zeichnet sich durch weitere Ungerechtigkeiten aus: Keine vor diesem Stichtag geborene Mutter erhält so wie ihre nach 1921 geborene jüngere Schwester rückwirkend Kindererziehungszeiten angerechnet, nämlich ab Januar 1986. Nein, frühestens wird das 18 Monate später, nämlich am 1. Oktober 1987, der Fall sein. Beileibe dann auch nicht für alle, sondern lediglich für die 81jährigen und älteren, hochbetagten Mütter. In drei weiteren Stufen zwischen 1988 und 1990 werden dann auch die übrigen Rentnerinnen einbezogen, die zu den sogenannten Stichtagen 70 bzw. 80 Jahre alt sind. ({5}) Ich möchte gern von der Bundesregierung hören, wie sie es einer 1920 geborenen Frau erklärt, daß ihre 1923 geborene jüngere Schwester bereits seit 1986 Kindererziehungszeiten angerechnet erhält, während sie zunächst aus einer Anrechnung gänzlich herausfiel mit dem Hinweis, sie sei zu alt. Es liegt uns nun heute hier ein Reparaturgesetz für die lang erwartete Anrechnung der Kindererziehungszeiten vor. Dafür ist diese Rentnerin nun wieder zu jung. Sie muß bis 1990 warten. Die Bundesregierung schafft mit diesem Gesetz ein Jahrgangsklassenrecht für ältere Frauen und scheut sich nicht, neue Leistungsschwellen für Frauen bis zu 73 Jahre, für 73- bis 77jährige, für 77- bis 80jährige und für ältere Frauen einzuführen. Solche Altersgrenzen kennt die RVO bisher nirgendwo. Man braucht kein Prophet zu sein, um schon jetzt vorherzusagen, daß sich mit dieser Ausgestaltung der rentensteigernden Kindererziehungszeiten das Bundesverfassungsgericht beschäftigen muß. ({6}) Wir Sozialdemokraten halten dieses Gesetz sozialpolitisch für untragbar und auch für verfassungswidrig. ({7}) Wir sehen in der stufenweisen Einbeziehung von Frauenjahrgängen, noch dazu mit ganz unterschiedlichen Anspruchsvoraussetzungen, einen Verstoß gegen das Gerechtigkeitsgebot, das in unserem Grundgesetz verankert ist. Einem Gesetz aber mit diesen eklatanten Mängeln, dessen zahlreiche Ungerechtigkeiten und vielfältige Ungereimtheiten von der Bundesregierung beiseite gewischt wurden, vermögen wir Sozialdemokraten nicht zuzustimmen. Diese Regelung als ausgewogen und sozial vertretbar zu bezeichnen, grenzt ja an Zynismus. Ausgerechnet betagte und hochbetagte Frauen zum Teil jahrelang auf diese sozialpolitische Leistung zu vertrösten, ist an Zynismus kaum zu überbieten. Diese Bundesregierung, die sonst so gern die Leistungen für die Mütter herausstellt, macht auf kaltem Wege menschenverachtende Politik mit der Sterbetafel. Ich kann nur sagen: Das ist ein infames Spiel. ({8}) Wir Sozialdemokraten haben von der Regierung nicht ein einziges überzeugendes Argument für diesen Fünf-Stufen-Plan gehört. Der Hinweis auf fehlende Finanzen zieht nicht. ({9}) Die Finanzierung soll nach Ihren Plänen aus den Überschüssen der Bundesanstalt für Arbeit erfolgen. Versicherungsleistungen werden zu Lasten der Arbeitslosen und zugunsten der Bundeskasse verschoben. Für alle möglichen Dinge macht die Mehrheit dieses Hauses die Finanzierung in kurzer Zeit möglich. Nur für die Sozialpolitik und hier für die älteren Frauen ist kein Geld da. ({10}) Ich erwähne als Beispiel für schnelle Finanzierung die Frühpensionierung der 1 300 Bundeswehroffiziere, Mittel für die Großlandwirte und für die Airbus-Finanzierung. ({11}) Es ist eine rein politische Entscheidung, wofür man Mittel locker macht und wofür nicht. Das ist eine Frage der Prioritäten. Das haben wir gestern im Ausschuß gehört. ({12}) Übrigens: Laut Auskunft der Bundesregierung werden seit 1984 jährlich eine Milliarde DM durch den erschwerten Zugang zur Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente eingespart; das auch auf dem Rücken der Frauen. Ein weiteres Argument - es sei verwaltungsmäßig bei den Versicherungsträgern nicht machbar, 4,6 Millionen Rentenbescheide innerhalb einer angemessenen Frist zu aktualisieren und zu korrigieren - ist angesichts der bestehenden Arbeitslosigkeit bei Männern und Frauen aus den Verwaltungs- und Dienstleistungsberufen fast zu primitiv, um darauf zu antworten. Es wird außerdem auch mit der langen Laufzeit von Verfassungsklagen spekuliert, frei nach der Devise: Zuerst wird einmal nicht bezahlt. Makaber ist schließlich auch noch, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien bei der Höhe der Kosten der Stufenregelung mit der Sterberate kalkulieren. Nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung von Oktober des letzten Jahres werden etwa 20 % der heute lebenden älteren Mütter sterben, bevor sie überhaupt einen Anspruch auf Kindererziehungszeiten haben. Nüchterner Kommentar der im VdK zusammengeschlossenen Frauen: Man spekuliert, daß wir es nicht erleben. Frauen machen mit dieser Bundesregierung an ihrem Lebensabend schlechte Erfahrungen. Sie erfahren bei ihrer ohnehin nicht gerade großen Rente an ihrem Lebensabend eine stiefmütterliche Behandlung. Zu der schon erwähnten schwierigen Zeit, in der sie ihre Kinder erzogen haben, kommt für diese Frauen noch hinzu, daß eine qualifizierte Ausbildung für sie selten war. Frauen wurden mit Niedriglöhnen entlohnt; das findet dann auch noch seinen Niederschlag in der niedrigen Rente. Wir haben übrigens einen gewissen Ausgleich für die Anrechnung von Mindesteinkommen 1972 geschaffen. Eine Weiterführung dieser Bestimmungen haben Sie abgelehnt. Dies ist ein weiteres Beispiel für die Benachteiligung älterer Frauen. Die Bundesregierung stellt in der Begründung zu dem heute anstehenden Gesetz das unkomplizierte Verfahren heraus. Wir sind für dieses unkomplizierte Verfahren - es wird sich noch herausstellen, ob da nicht noch ein paar Haken sind - , aber wir halten dann ein solches unkompliziertes Verfahren für alle Frauen für richtig; denn mit diesem Gesetz schaffen Sie wieder ein neues Unrecht. ({13}) Wir legen Ihnen heute den Antrag vor, alle Frauen gleich zu behandeln. Das heißt: Alle Mütter sollen einen Kinderzuschlag zur Rente erhalten, ohne Stufenplan und ohne Rücksicht darauf, ob sie erwerbstätig waren oder nicht, auch ohne Rücksicht darauf, ob sie in der Vergangenheit freiwillige Beiträge gezahlt haben, denn diese Beiträge sind ja auch schädlich für den Erhalt eines Kindererziehungszuschlags. Mit einer solchen Regelung könnte das bisherige unverständliche Recht aus dem Gesetz von 1985 beseitigt werden. ({14}) Die Aufgabe der Erwerbstätigkeit als alleinige Voraussetzung der Anrechnung der Kindererziehungszeiten ist nach unserer Auffassung falsch. Kindererziehung ist mehr als Versorgung und Betreuung, Kindererziehung bedeutet auch Unterhaltsgewährung. Erwerbstätige Mütter erbringen beide Leistungen. Das Recht für die nach 1921 geborenen Mütter benachteiligt die Frauen, die es sich nicht leisten konnten, ihre Arbeit aufzugeben. ({15}) Wer einen gutverdienenden Mann hatte, erhält schließlich oftmals eine höhere Versorgung. Im Gegensatz zu der berufstätigen Frau bekommt diese auch noch die Kindererziehungszeit angerechnet. Eine Bestätigung dieser Darlegungen können Sie im übrigen aus einer Verlautbarung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung entnehmen: Die Altersversorgung der Mütter mit Anerkennung von Kindererziehungszeiten ist besser als die der Mütter, die wegen eigener Erwerbstätigkeit von der Anerkennung ausgeschlossen werden. Die Frauen müssen sich doch getäuscht, ich bin fast versucht zu sagen: veräppelt fühlen, wenn ihnen mindestens 25 DM pro Kind versprochen wurden und dann nur 5,50 DM oder 10 DM als Rentenzuschlag herauskommen. ({16}) Kürzlich habe ich einen Rentenbescheid von einer Frau gesehen, die für 14 Jahre wegen der Erziehung von drei Kindern ihre Erwerbstätigkeit unterbrochen hatte: Sie erhielt insgesamt 27 DM. Also auch bei Einpassung in einen Berufsverlauf kommt ein niedriger Zuschlag heraus. Das ist nun wirklich kein Meilenstein in der Sozialpolitik. Völlig unverständlich ist auch die Bestimmung, daß diejenigen Mütter, die das erste Jahr nach der Geburt im Ausland verbracht haben, dies nicht anerkannt bekommen, es sei denn, sie hätten Ansprüche nach dem Fremdrentengesetz. Ein Beispiel: Wer in Frankfurt ({17}) gewohnt hat, erhält einen Kindererziehungszeitenzuschlag; eine Frau jedoch, die wegen der Kriegsereignisse von Frankfurt ({18}) in die Tschechoslowakei evakuiert wurde und auf Grund der besonderen Ereignisse erst 1948 zurückkam, erhält, wenn sie dort 1945 ein Kind geboren hatte, keinen Kindererziehungszeitenzuschlag, weil sie nicht unter das Fremdrentengesetz fällt. Das mag den Frauen erklären, wer will! Unser Antrag bringt allen Müttern einen Kindererziehungszeitenzuschlag in gleicher Höhe, und das haben die Frauen, so meine ich, verdient. Zum vorliegenden Antrag auf Drucksache 11/544 beantrage ich namens der SPD-Bundestagsfraktion namentliche Abstimmung. ({19})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Heinrich.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Gegensatz zu der Frau Kollegin Steinhauer von der SPD möchte ich für die FDP hier erklären, daß wir froh und zufrieden, um nicht zu sagen, stolz darauf sind, daß wir heute in zweiter und dritter Lesung ein Gesetz verabschieden können, bei dem wir ganz eindeutig und entschieden sagen können: versprochen - gehalten. ({0}) Das widerlegt eindeutig die vor etwa einem Jahr ausgesprochene Vermutung des nordrhein-westfälischen Sozialministers, bei unserer Ankündigung würde es sich um ein Wahlkampfgerassel handeln. Wir haben unsere Konzeption vor der Wahl offen dargestellt, haben in der Wahl breite Zustimmung dafür bekommen und sind heute dabei, diese Konzeption in die Realität eines Gesetzes umzusetzen. Zu den Privilegien der Opposition gehört es allerdings, ohne Rücksicht auf Realisierbarkeit Wünschbares gelegentlich - diesen Eindruck hat man - mit Machbarem zu verwechseln. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf stellt einen sinnvollen und fairen Kompromiß dar. An dieser Stelle möchte ich ganz entschieden die Argumentation mit der Sterbetafel und den damit verbundenen Vorwurf zurückweisen. Ich halte das für zynisch, ({1}) ich halte das für nicht gerechtfertigt! ({2}) Wir haben nicht umsonst in dieser Stufenregelung die ältesten Frauen, die Geburtenjahrgänge bis 1907 als erste genommen und haben damit dieser Frage ganz eindeutig Rechnung getragen. Dabei will ich natürlich nicht verhehlen, daß wir durch unseren Parteitagsbeschluß vom vergangenen Jahr einen entscheidenden Anstoß dazu gegeben haben, daß der entsprechende Koalititionsbeschluß gefaßt wurde und daß der hinhaltende Widerstand der Finanzpolitiker - an ihrer Spitze der Bundesfinanzminister - überwunden werden konnte. Man sollte sich aber auch ins Gedächtnis rufen, daß in der Regel soziale Leistungen nur für künftige Fälle gewährt werden. Davon sind wir in diesem Falle abgerückt; hier haben wir eine Ausnahme gemacht. Doch lassen sich - wenn man auf dem Boden der Tatsachen bleibt - soziale Leistungen in der Regel nur schrittweise, nur stufenweise einführen. ({3}) Wer demgegenüber fordert, alles auf einen Streich zu verwirklichen, verkennt nicht nur die finanziellen, sondern auch die tatsächlichen Gegebenheiten, denn die Rentenversichung wäre trotz aller EDV- und sonstigen technischen Einrichtungen schlicht überfordert, wenn mit einem Mal 4,6 Millionen Anträge auf Anerkennung von Kindererziehungszeiten, die auf sie niederprasseln, zu bewältigen wären. Es würden dann zunächst die Anträge beschieden, die einfach und leicht zu bearbeiten sind, und die schwierigeren würden hintangestellt. Schon daraus ergäbe sich zwangsläufig eine Reihenfolge, eine Stufenfolge, und bei einer solchen Stufenfolge wäre keinesfalls sichergestellt, daß die älteren Mitbürger zuerst in den Genuß der Leistungen kämen, denn wir alle wissen, daß gerade ältere Mitbürger mit dem Ausfüllen von Formularen besondere Probleme haben. Mit dem, was in dem Gesetzentwurf enthalten ist, haben wir hier eine vertretbare Regelung. Mit diesem Gesetzentwurf werden die Mütter, die vor dem 1. Januar 1921 geboren worden sind, den 1921 oder später geborenen Müttern gleichgestellt, ganz gleich ob sie jemals in einer Beziehung zur Rentenversicherung gestanden haben oder nicht. Eine Realisierung der Vorstellungen der SPD aus der letzten Legislaturperiode hätte demgegenüber zur Ausgrenzung eines Teils der älteren Frauen - Berechnungen sprechen von etwa 700 000 Frauen - geführt. Dies wären die Frauen gewesen, die z. B. als Selbständige oder mithelfende Familienangehörige keine eigene Rente oder Hinterbliebenenrente beziehen. Leer ausgegangen wären auch die Frauen, deren Männer noch leben, die sich aber ihre Rentenansprüche bei der Heirat haben auszahlen lassen. Wir haben mit diesem Gesetzentwurf auch dafür Sorge getragen, daß den Frauen die Kindererziehungszeiten ungeschmälert zugute kommen: Eine Anrechnung auf die Sozialhilfe findet nicht statt. ({4}) Ebenso ist sichergestellt, daß die Beträge keiner Einkommensbesteuerung unterliegen. Mit den Änderungsanträgen der Koalitionsfraktionen haben wir deutlich gemacht, welch großen Wert wir - entsprechend den Vorschlägen des Bundesrates - einer vereinfachten Abwicklung des Verfahrens zumessen. Eine einfache Abwicklung ermöglicht es aber leider nicht, auch Adoptiv-, Stief- oder Pflegemütter in die Regelung einzubeziehen. Für die FDP ist es selbstverständlich, daß die Kindererziehungszeiten in vollem Umfang und auf Dauer vom Bundeshaushalt getragen werden. Wir sind darüber hinaus der Auffassung, daß diese Leistungen bei der notwendigen Erhöhung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung nicht angerechnet werden dürfen. Hierauf legen wir besonderen Wert. Wir haben schon seit langem - insofern in Übereinstimmung mit dem Bundesrat - gefordert - gerade weil es sich bei den Kindererziehungszeiten nicht um eine Leistung der Rentenversicherung handelt -, daß auch die Verwaltungskosten nicht der Solidargemeinschaft angerechnet werden. Eine Übernahme aller Verwaltungskosten der Rentenversicherungsträger durch den Bund scheitert am Finanzverfassungsgesetz. Das haben wir ja auch im Auschuß so festgestellt. Aber es ist uns immerhin gelungen, sicherzustellen, daß die Ausgaben, die die Bundespost tätigt, nicht den Rentenversicherungsträgern angelastet werden, sondern richtigerweise vom Bund übernommen werden. Ein Teil der Leistungen für Kindererziehungszeiten nach diesem Gesetz wird vom 1. Oktober 1987 an gewährt. Ich möchte schon jetzt die zuständigen Stellen, die Standesämter in den Kommunen, bitten, die organisatorischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die in diesem Sommer zu erwartende große Flut der Anträge zügig bearbeitet werden kann, so daß die Auszahlung der Leistungen termingerecht am 1. Oktober dieses Jahres erfolgen kann. Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf widerlegt eindeutig den Vorwurf sozialer Demontage. Er ist ein Beitrag zu mehr Gerechtigkeit, er ist eine Anerkennung für alle älteren Mütter. Gerade deshalb möchte ich noch einmal betonen: Heute ist für mich und für die Koalitionsfraktionen ein Tag der Genugtuung und kein Tag der Resignation. Ich danke Ihnen schön. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Unruh.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Volksvertreter und -innen! Ich freue mich, daß ich in das Gesicht des neu gewählten SPD-Vorsitzenden Vogel schauen darf. Er signalisiert nämlich für mich, daß in der SPD eine neue Richtung zum Tragen kommt. ({0}) Wenn ich dann von einem Christdemokraten höre, die Sozis sollten ihre Schnauze halten, denn sie hätten nichts getan, muß ich sagen: Das ist ein übler Stil in diesem Hause. Wir sind neu gewählt, und neuer Geist soll in dieses Haus einziehen, nicht aber das Alte, Abgewrackte, was Sie immer bringen. Das Gesetz, das jetzt zur Abstimmung vorliegt, hat ja eine Geschichte. Herr Minister Blüm, gefuchst - nicht Frau Fuchs - mit allen Mitteln, die es nur eben gibt, Sie haben z. B. von den Grauen Panthern ({1}) - hören Sie mal gut zu - am 5. Oktober 1984 um 15 Uhr folgendes Trauertelegramm erhalten: Minister Blüm, Bonn Friedhofsgemüse wehrt sich - Millionen Kriegs- und Trümmerfrauen leben noch, teilweise in bitterster Armut. Deren Kinder waren Kanonenfutter. Warum Ausschluß der vor 1921 geborenen Mütter vom Rentenerziehungsjahr? ({2}) Sofort Diskriminierung beseitigen - Stopp - Nächste Wahl kommt. ({3}) - Sie können sich noch so aufplustern. Sie sind moralisch nicht mehr tragbar auf Grund dessen, was Sie alles leisten, auch in bezug auf die Sterbetafel. ({4}) - Die Wähler haben ja entschieden. Sie haben Millionen Wählerstimmen verloren, ({5}) und Sie werden auch in Schleswig-Holstein viele Wählerstimmen verlieren. Wir wollen die Wende. Wenn ich „wir" sage, meine ich meine Kolleginnen und Kollegen insgesamt. Alle 44 der Fraktion haben eine andere Moral, als Sie sie an den Tag legen, wenn es um die Verdienste dieser Altmütter geht. ({6}) Es geht weiter: DIE GRÜNEN saßen im Bundestag, und da haben sie erstmalig die Not der Altmütter überhaupt ins Bewußtsein des Volkes gebracht. Sie haben uns unterstützt, als wir als Trümmerfrauen verkleidet in Bonn und vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin gestanden haben. Herr Fink - ich habe ihn vorhin noch gesehen; wo ist er? - hat in Berlin wunderbar reagiert. Er gehört ja der CDU an. Es gibt ja solche und solche Christen bei Ihnen, nicht wahr. ({7}) Herr Pieroth hat uns empfangen. Er war ganz entsetzt, daß es so etwas in der CDU geben könnte. Sie sind eine schlechte Fraktion - ich muß das doch einmal so darlegen -; Sie stehen unter Fraktionszwang, wir GRÜNEN überhaupt nicht. Das ist der Unterschied zwischen uns. ({8}) Was muß ich im Ausschuß erfahren? Wo ist der Herr Vorsitzende der Katholischen Arbeiterbewegung? Draußen geht er damit hausieren, die Katholische Arbeiterbewegung sei dafür, daß alle Altmütter das Geld bekämen, und im Ausschuß stimmt der Herr Vorsitzer dieser Organisation dagegen. ({9}) Das ist doch die Doppelzüngigkeit, die Sie letztlich in die Politik tragen. ({10}) Da ist mir die Ehrlichkeit der SPD tausendmal lieber. Sie haben gesagt: Wir haben Fehler gemacht, wir haben sie erkannt, und nun geht es auf das Jahr 2000 zu mit anderen, ganz anderen politischen Intentionen. ({11}) Und, bitte schön, da sitzen DIE GRÜNEN. Sie sind gerne bereit, die FDP abzulösen. Das glauben Sie man. ({12}) Bei Ihrer Hüpferei, die Sie vollführen, weiß kein Mensch mehr, woran er ist. ({13}) - Das ist nicht traurig. Ob Sie, wenn Sie nach Hause gehen, Ihrer eigenen Mutter noch ins Gesicht sehen können, bezweifle ich. ({14}) - Die ist tot. Sie wissen ja, was tot bedeutet. Und das von Christen! Du lieber Gott im Himmel! - Ich glaube, Sie kommen in die Hölle. Das ist klar. ({15}) Alle Hochachtung vor Frau Steinhauer von der SPD. Wir GRÜNEN können dem, was sie gesagt hat, voll zustimmen. Nur, jetzt kommt immer wieder die Triebkraft der GRÜNEN dazu. Das darf man nie vergessen. Das ist eine ganz wichtige Hefe in diesem Volk. Ihr haltet euch mit GRÜNEN-Strömungen auf. Fangen Sie doch erst mal bei sich an, ohne doppelte Zungen zu reden, wie das hier in diesem moralischen Fall der Altmütter passiert ist. ({16}) Ich kann Ihnen nur raten - ({17}) - Ja, natürlich ist das eine Bedrohung. - Ich sehe auch Herrn Dregger. Er ist ein ergrauter Kopf!? Sie haben wohl erreicht, Herr Vogel, daß er doch gekommen ist. Er ist ja ein grauer Kopf, und er weiß ja, wieviel Mittel in die Rüstung fließen. Noch schlimmer! Sie haben doch jetzt im Haushalt einfach 225 Millionen DM locker gemacht, um oben im Himmel, in den Wolken, etwas anzustellen, was überhaupt keinen Nutzen bringt. Wie schnell Sie letztlich 225 Millionen DM locker machen! Und dann diese Blödsinnigkeiten von der Verwaltung her, die im Ausschuß gelaufen sind! Also, ihr Christenleute stellt euch Armutszeugnisse aus, das ist erschütternd. ({18}) Wenn es darum geht, 4,6 Millionen Anträge bearbeiten zu lassen, macht ihr euer Samaritergesicht dazu, daß das nicht geht, und dann soll der Wahlbürger das glauben. ({19}) Auch ich bin dafür, daß fraktionsübergreifend gewirkt wird. Ich möchte Sie bitten, mal Ihren Fraktionszwang, alles, was damit zusammenhängt, zu vergessen und den weiterführenden Anträgen der GRÜNEN zuzustimmen. Entgegen der SPD haben wir nicht nur alle Mütter durch unseren Vorschlag erfaßt, sondern wir haben selbstverständlich auch Väter einbezogen. ({20}) - Nein, nein. Nun lassen Sie doch auch diese Sperenzchen. Früher sind sehr viele Mütter im Kindbett verstorben. Ich glaube, Sie leben nicht auf dieser Welt. Genau um diese Männer, die dann Doppel-, Dreifach- und Vierfachbelastungen getragen haben, geht es. Auch an die denken wir GRÜNEN, ob es Ihnen paßt oder nicht. Wir denken weiter daran - ich sage das hier, weil mir die GRÜNEN als Vertreterin einer sozialen Bewegung die Möglichkeit dazu gegeben haben - , auch die Beschwernis, die Geburtsurkunden von Kindern beibringen zu müssen, zu vermeiden. Es kann doch auch vereinfacht so laufen, daß diese Mütter oder diese Väter glaubwürdig versichern, daß sie ein Kind hatten und in den zwölf Monaten Kindererziehungsleistungen erbracht haben. - Ja, ich bin fertig, Herr Präsident. Danke schön. Wir wollen von Anfang an, daß über unseren Antrag namentlich abgestimmt wird. Jetzt kommt die SPD mit einem entsprechenden Antrag. Das finde ich gut. Wir werden dem SPD-Antrag zustimmen. Ich bitte die SPD, auch unserem Antrag zuzustimmen. Vielleicht tun das auch ein paar von Ihnen aus den Koalitionsfraktionen. Das wäre eine neue parlamentarische Demokratie. Danke schön, Herr Präsident. ({21})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile der Frau Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit das Wort.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Minister:in)

Politiker ID: 11002287

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wozu die älteren Frauen nicht alles herhalten müssen. Da entfachen wir inzwischen auch noch ein politisches Theater über die Moral. Es steht nicht einmal mehr an, wer denn hier im Parlament die Moralischeren seien, sondern es wird nur noch davon ausgegangen: Die einen haben die Moral, die anderen die Unmoral. Christus hatte große Vorbehalte gegenüber Pharisäern. Das möchte ich dazusagen. ({0}) - Ich habe mich selbst noch gar nicht eingestuft. ({1}) Ich bin ganz zufrieden, wenn ich zu den Sündern gehöre; denn sie haben im Himmel noch eine Erwartung. ({2}) Wenn heute davon gesprochen wird, wir hätten es nicht mit einem Ruhmesblatt zu tun und es gehe darum, daß hier nichts passiert und nur soziale Kälte beherrschend sei, muß ich fragen: Wieso hat es so lange gedauert, bis Arbeit außerhalb der Erwerbstätigkeit überhaupt anerkannt wird? ({3}) Die große Weichenstellung liegt darin, anderes als das einzubringen, was bisher im Rentensystem anerkannt wurde. Wieso mußten Frauen so alt werden, bis sie überhaupt Leistungen bekamen? Darüber sollten wir nachdenken und nicht für uns in Anspruch nehmen, daß die einen die Guten und die anderen die Bösen sind. Sie haben bisher gewartet, und ich muß Ihnen sagen: Es ist gut, wenn wir mit den Ältesten anfangen, wenn wir sie schon nicht alle auf einmal mit Leistungen versehen können. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Steinhauer?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Minister:in)

Politiker ID: 11002287

Ich kann das heute nicht, weil ich nur ganz wenige Minuten Zeit habe. Ich bitte um Verständnis. Soziale Kälte besteht für mich dann, wenn man nichts tut angesichts der Tatsache, daß man nicht das Beste, das Optimale tun kann. Es besteht die Aufgabe, das in der jeweiligen Situation längst Überfällige und Notwendige zu tun. Hier möchte ich noch einmal sagen, was schon betont worden ist: daß von den Vorteilen des Gesetzes kaum mehr die Rede ist, sondern daß wir das Gesetz gründlich zerredet haben. Die Mütter der Geburtsjahrgänge vor 1921 sollen die Kindererziehungsleistungen auch dann bekommen, wenn sie im ersten Lebensjahr des Kindes erwerbstätig waren oder freiwillig Beiträge entrichtet haben. Dies ist gegenüber den jüngeren Frauen ein deutlicher Vorteil, den die älteren Frauen auch zu würdigen wissen. Außerdem wird bei den älteren Frauen die Kindererziehungsleistung ungeschmälert gezahlt; sie wird nicht auf Sozialhilfe und andere Zeiten angerechnet. Wenn Frau Steinhauer eben gesagt hat, bei so vielen Arbeitslosen wären wir doch wohl in der Lage, 4,6 Millionen Rentenfälle neu aufzurollen, dann möchte ich umgekehrt sagen: Wenn wir Ihre Alternativlösung verfolgen, dann dauert es zum Teil Jahre, bis Rentenansprüche überhaupt sichergestellt sind. Ich finde, dadurch entstehen unzumutbare Wartezeiten. ({0}) Ich möchte wissen, wann in der Vergangenheit so unbürokratisch vorgegangen und ein solches Gesetz vorgelegt worden ist. Ich denke, daß hierin gerade für die älteren Frauen - auch in der Weise, wie diese ihre Ansprüche nicht nur geltend machen, sondern auch durchsetzen können - erhebliche Vorteile liegen. Ich möchte abschließend erklären: Dies ist ein erster, längst überfälliger Schritt zur rentenrechtlichen Anerkennung der Tätigkeit in der Familie. Quer durch die Fraktionen wird immer noch darum gestritten, was dies denn als Beitrag zur Solidargemeinschaft ist. Ich möchte hierzu heute erklären - auch für die weiteren Schritte - , daß wir nicht weitere 15 oder gar 30 Jahre warten können, wenn wir etwa an die Pflegenden in der Familie denken. Diese Solidargemeinschaft hat keine Zukunft, wenn wir nicht endlich Ernst mit dem Gedanken machen, daß Erziehungsund Pflegezeiten nicht geringer zu gewichten sind als Ausbildung, Krankheit und Invalidität. ({1}) In diesem Sinne haben wir heute ein Gesetz zu verabschieden, das eine Perspektive setzt, mit der werden wir weiterarbeiten. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haack ({0}).

Karl Hermann Haack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000758, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vorweg, Frau Unruh, eine knappe Beantwortung Ihrer Bitte, daß die Sozialdemokraten Ihrem Antrag zustimmen mögen. Wir sind uns einig, was den Wegfall des Stufenzeitplanes betrifft; wir sind uns aber uneinig in der Frage der Einbeziehung der Väter. Insofern haben Sie Verständnis dafür, daß wir bei unserem Antrag bleiben. Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung abschließend das Kindererziehungsleistungs-Gesetz. Bekannt ist, meine Damen und Herrn, daß es zwischen der Koalition und der SPD in zwei wesentlichen Punkten unterschiedliche Auffassungen gibt. Richtig ist, daß die Koalition mit dem Gesetz von 1985 den Einstieg in die generelle Anerkennung von Kindererziehungszeiten gemacht hat. Die SPD hatte bereits 1972 zusammen mit Ihnen versucht, einen gemeinsam getragenen Ansatz zu entwickeln. Das scheiterte damals; die Gründe sind bekannt. Anläßlich der ersten Lesung vor Monaten bezeichnete der Arbeitsminister dieses Gesetz als ein Jahrhundertwerk, als den großen Wurf der letzten Jahre - Anlaß also, sich letztmalig mit diesem Gesetz genauer zu befassen. 1985 waren Sie als Koalition mit diesem Gesetz zufrieden, nicht aber ein Großteil der davon betroffenen Frauen. Einmal gingen die Frauen leer aus, die vor 1921 geboren sind. Zum anderen leisteten Sie sich eine unterschiedliche Behandlung der nach 1921 geborenen Frauen, die wenig oder überhaupt nicht gearbeitet haben, in der jeweiligen Verrechnung von Kindererziehungszeiten und der Rente. Erst der Druck der Frauen, der Sozialverbände, der Gewerkschaften und der SPD hat sie veranlaßt, sich erneut mit diesem Gegenstand zu befassen und das Gesetz vorzulegen. ({0}) Es waren Ihnen in der Öffentlichkeit dazu zwei Fragen zur Beantwortung aufgegeben. Die erste Frage lautete: Werden alle Frauen, die vor 1921 geboren sind, gleichmäßig einbezogen? Ihre Antwort lautet heute: Sie werden wiederum nicht gleichmäßig berücksichtigt. Die zweite Frage lautete: Werden Frauen, die nicht, und Frauen, die teilweise oder immer gearbeitet haben, bei der Verrechnung von Kindererziehungszeiten und Rente gleichmäßig behandelt? Auch hier lautet Ihre Antwort: nein. Zu beiden Fragen haben die Frauen in der Öffentlichkeit von Ihnen ein deutliches Ja erwartet. ({1}) Haack ({2}) Die vollmundige Ankündigung eines Jahrhundertwerks ist so unter den Händen dieser Koalition zur sozialpolitischen Kleinkrämerei verkommen. ({3}) Jene Stufenregelung, die draußen Politik mit der Sterbetafel genannt wird, begründen Sie hier im Ausschuß und im Saal mit Mangel an Geld und Zwang zur finanzpolitischen Solidität. Mangel an Geld - in welch einer Situation wird dieses Argument hier verhandelt? Wir Sozialdemokraten sagen: Wenn man will, ist Geld vorhanden. Denn die Taschen werden für viele Projekte in dieser Republik weit geöffnet, aber schnell wieder verschlossen, wenn es um die hier betroffenen Frauen geht. Für diese Frauen bleibt dann nur noch das Kleingeld für ein Frauenopfer am Klingelbeutel der Sozialpolitik übrig. ({4}) Pfennigfuchserei im Jahrhundertwerk dieses Arbeitsministers, meine Damen und Herren! Nachfragen unsererseits im Ausschuß haben gezeigt, wie makaber diese Stufenregelung wirkt. Auf der Basis einer Minimalrechnung mit Ihren immer wieder vorgetragenen Zahlen möchte ich Ihnen sagen: Bei 4,6 Millionen Anspruchsberechtigten werden laut Auskunft der Ministerialbürokratie bis 1990 rund 200 000 Frauen verstorben sein. Bezogen auf die Stufenregelung läßt sich die „finanzielle Solidität", die Sie so preisen, in einer Mittelersparnis von 64 Millionen DM jährlich ausmachen, und das bis 1990, wo Sie mit Steuergeschenken bei anderen Bevölkerungsgruppen über die Lande ziehen. Im Klartext: Auch diese Stufenregelung ist Bestandteil der Umverteilung von unten nach oben. So gehen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, mit Frauen um, die in der Weimarer Republik ihren Weg in wirren Zeiten suchen mußten, die im Zweiten Weltkrieg eigene Kinder aufzogen, vielleicht den Mann verloren haben, die nach 1945 sehen mußten, wie sie mit oder ohne Mann ihre Kinder groß bekamen, und dabei auch noch einen großartigen Beitrag zum Wiederaufbau dieses Landes geleistet haben. ({5}) Die Stufenregelung ist Ihr Dank an diese großartige Leistung der betroffenen Frauen; sie gehen heute leer aus oder werden benachteiligt. ({6}) - Das ist so. Zwei und zwei sind vier. Wir können uns in den Keller setzen und das durchrechnen. Wenn wir uns darauf verständigen, daß zwei und zwei vier ist, dann kommen auch Sie zu diesen Zahlen. ({7}) Jetzt zum zweiten Komplex: Was geschieht mit den Frauen, die nach 1921 geboren sind und immer oder teilweise oder überwiegend gearbeitet haben und nun heute Rente beziehen? Seit 1985 steht fest, daß diese Rentnerinnen weniger bekommen als jene, die nur Hausfrau und Mutter gewesen sind. Sie von der Koalition veranlassen, daß in einem komplizierten, für die Betroffenen undurchschaubaren Verfahren der gegenseitigen Verrechnung von Kindererziehungszeiten und Renten diese Frauen, die erzogen und gearbeitet haben oder die es mußten, weniger oder gar nichts von dem von Ihnen ausgelobten Geld - 27 DM pro Monat - bekommen. Meine Damen und Herren, das ist für diese Frauen nichts anderes als ein sozialpolitisches Monopoly, mehr nicht. Hier wird die Leistung nicht doppelt belohnt, sondern bei den betroffenen Frauen doppelt bestraft. Zu fragen ist doch: Wie paßt das in das Bild der Gleichwertigkeit der Frau im Beruf und in der Familie? Darauf hätten die betroffenen Frauem draußen gern eine Antwort von Ihnen. Ich sage Ihnen: Jeder Schlag auf die Propagandatrommel für dieses Gesetz gerät in diesem Punkt zu einer Maulschelle für die betroffenen Frauen. ({8}) In diesen beiden Punkten stellen wir Sozialdemokraten fest: In beiden Fällen hätten Sie Gelegenheit gehabt, dieses Gesetz mit uns gemeinsam nachzubessern. ({9}) Wir Sozialdemokraten stellen abschließend fest: Erstens. Das Kindererziehungsleistungs-Gesetz mit seiner Stufenregelung für die Frauen ist sozial unverträglich und skandalös. Fehlende Finanzmittel stellen nur eine faule Ausrede dar. Das wird an dem steuer- und finanzpolitischen Durcheinander in der Koalition deutlich. Zweitens. Die von uns geforderte Bereinigung des Problems der unterschiedlichen Behandlung von nicht erwerbstätigen und von erwerbstätigen Frauen, die nach 1921 geboren sind, ist in diesem Gesetz nicht erfolgt. Es bleibt dabei: Die Frau, die Kinder erzieht und arbeitet, wird weiterhin benachteiligt. Drittens. Finanziert wird dieses Gesetz - wie bekannt - über den sozialpolitischen Verschiebebahnhof. Denn die Regierung finanziert diese Maßnahme aus Mitteln, die bei der vom Bund zu zahlenden Arbeitslosenhilfe eingespart werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Gesetzeswerk ist kein Jahrhundertwerk, sondern wieder einmal ein sozialpolitisches Stückwerk. ({10}) Stimmen Sie unseren Anträgen zu, damit das Stückwerk zu einem sozialpolitischen Jahrhundertwerk gerät! Vielen Dank. ({11})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Männle.

Prof. Ursula Männle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001405, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der heutigen Verabschiedung des Kindererziehungsleistungs-Gesetzes schließen wir die Lücke in einem Reformwerk, das endlich die gesellschaftliche Anerkennung von Erziehungsleistungen der Frauen gebracht hat. Im Gegensatz zu meinem Vorredner bin ich selbstverständlich der Meinung, daß dies das Reformwerk des Jahrhunderts ist, das den Frauen endlich die Gleichwertigkeit von Kindererziehung und Berufstätigkeit gebracht hat. ({0}) In den letzten Monaten und auch heute vormittag hat es eine zum Teil sehr emotional geführte Diskussion über diesen Gesetzentwurf gegeben. Ich möchte betonen, daß ich persönlich viele ältere Mütter verstehen kann, die fragten: Warum erhalten wir keine Kindererziehungszeiten angerechnet? Sind meine Kinder nichts wert? - Ich hatte Verständnis für diese Frauen. Wofür ich überhaupt kein Verständnis habe, ist die Haltung der SPD in dieser Frage. ({1}) Wir haben es doch heute vormittag wieder gemerkt. Sie versuchen, sich selbst zu täuschen, um sich dadurch vor einem schlechten Gewissen zu bewahren. Dieses Motto haben Sie in die Diskussion eingeführt: Selbsttäuschung bewahrt vor schlechtem Gewissen. Sie haben eine Minimaxstrategie an den Tag gelegt: kleine bzw. - so würde ich sogar sagen - keine Taten, aber große Sprüche. Etwas anderes haben wir heute vormittag nicht gehört. ({2}) Diese Strategie mag zwar die Bewältigung der eigenen Vergangenheit erleichtern, sie trägt aber sicherlich nicht dazu bei, daß die Politik dieses Hauses glaubwürdiger wird. Sie leisten einen schlechten Dienst in der Öffentlichkeit. ({3}) Die Frauen der CDU/CSU-Fraktion haben bei der Verabschiedung des Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetzes im Juli 1985 durch die Kollegin Dempwolf auf die Lücken in dem bedeutenden Reformwerk hingewiesen. Wir hatten damals keine Ideallösung versprochen. Wir hatten die Ungerechtigkeiten angeprangert, ohne große Verheißungen zu formulieren. Wir können aber jetzt in der neuen Legislaturperiode sagen, daß wir einen ganz wesentlichen Schritt weitergekommen sind und die Ungerechtigkeiten, die vorher tatsächlich vorhanden waren, ausgeräumt haben. Wir haben uns für die Frauen der Geburtsjahrgänge vor 1921 eingesetzt; denn diese Frauen waren es, die in wirtschaftlich desolaten Zeiten und unter enormen Kraftanstrengungen ihre Kinder erziehen mußten. Sie mußten nicht selten unter die Frauen benachteiligenden Arbeitsbedingungen für die materielle Versorgung der Familien aufkommen. Ihre Leistungen, die in den vergangenen Jahrzehnten nur in unverbindlich bleibenden Sonntagsreden mit Lob versehen wurden, werden nun endlich auch finanziell anerkannt. Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz wird ein wichtiges Zeichen für die von der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger anerkannte Gleichwertigkeit von Familien- und Erwerbstätigkeit gesetzt, wird die Forderung nach gleicher Honorierung von gleicher Leistung schrittweise umgesetzt. Hier spiegelt sich auch das Bemühen wider, Benachteiligungen von Frauen in der Vergangenheit sozialpolitisch zu korrigieren und damit die soziale Sicherung der älteren Frauen zu verbessern. Unser Anliegen war es, alle Frauen einzubeziehen, wenn auch aus finanzpolitischen und organisatorischen Gründen leider nicht sofort. Die SPD tritt heute als selbsternannter Anwalt sozialer Gerechtigkeit auf und lehnt diesen Stufenplan ab. Schamhaft hat sie ihren Gesetzentwurf aus der 10. Legislaturperiode nicht mehr eingebracht. Dort grenzte sie große Frauengruppen aus. Die SPD, die den Vorwurf erhebt, hier werde bewußt mit Sterbequoten kalkuliert, macht sich - ich würde es so deutlich sagen - einer makaber wirkenden Hetzkampagne schuldig, ({4}) und sie versucht damit, die Unzulänglichkeiten ihres damaligen eigenen Gesetzentwurfs, die bewußte Ausgrenzung von Frauen, zu kaschieren. Das Beispiel ist bekannt: Eine Mutter mit mehreren Kindern, die keine eigenen Rentenansprüche erworben hat und deren Ehemann noch lebt, ginge nach dem Gesetzentwurf der SPD leer aus. Da war bei der SPD keine Leistung vorgesehen. Verstirbt der Ehemann nach dem von der SPD gesetzten Stichtag, also zum falschen Zeitpunkt, auch dann wäre Fehlanzeige. Sie sehen: Auch wir könnten mit der Sterbetafel argumentieren; einmal sind es die Frauen, einmal sind es die Männer. Ich halte eine derartige Auseinandersetzung in diesem Stil für unwürdig für dieses Haus. ({5}) Der Kollege Müller hat die Einzelheiten des Gesetzentwurfs deutlich gemacht. Ich brauche aus Zeitgründen darauf nicht mehr einzugehen. All dies, was wir in dieser Debatte erläutert haben, ist angesichts der Lebensumstände der Frauen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Gebot sozialer Fairneß und ausgleichender Gerechtigkeit. Die Frauen erlebten rigide rechtliche und gesellschaftliche Normen, die ihnen nur wenig Spielraum für eine freie Persönlichkeitsentfaltung ließen. Sie spürten Benachteiligungen und Barrieren im Bildungsbereich, auf dem Arbeitsmarkt, beim beruflichen Aufstieg, im gesellschaftlichen Leben. Sie wurden nicht selten als Reservearmee dort eingesetzt, wo im wahren Sinne des Wortes Not am Mann war, und dann wieder fortgeschickt, wenn der Mangel behoben war. Ich sagte zu Beginn meiner Rede: Die Anerkennung der Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung für die Frauen ist deshalb ein wichtiges, vielleicht das wichtigste frauenpolitische Reformwerk der Koalition. ({6}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit einem Bildvergleich schließen. Bei der Verabschiedung im Jahre 1985 und heute haben wir uns vielleicht ähnlich verhalten wie die Teilnehmer an der Echternacher Springprozession: In zwei Riesenschritten haben wir uns nach vorn bewegt - 1985 und heute - , und zwar durch die Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung für die Jahrgänge ab 1921 und dann davor. Wir mußten einen Viertelschritt zurückgehen mit der Stufenregelung; einen Viertelschritt zurück. Aber dabei kann die SPD wegen ihrer ungezügelten Ausgabenpolitik während der Jahre 1969 bis 1982 den Rückschritt beim Fortschritt auf ihr Konto verbuchen. Sie haben das Minuszeichen. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, ich darf bitten, daß die Mitglieder des Hauses, die zur Abstimmung gekommen sind, ihre Plätze einnehmen und die Unterhaltung soweit als möglich dämpfen. Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bleibe dabei: Heute kommt ein Jahrhundertwerk zum Abschluß. ({0}) 100 Jahre Rentenversicherung waren 100 Jahre Unrecht an den Müttern. 100 Jahre ist Kindererziehung in der Rentenversicherung nicht berücksichtigt worden. Wir haben diesem Unrecht ein Ende bereitet. Das ist ein großer Durchbruch. ({1}) In der Tat, Sie hatten 13 Jahre Zeit, Herr Vogel, ({2}) dieses Unrecht zu beseitigen. Außer Reden nichts gewesen. ({3}) Das ist überhaupt die sozialdemokratische Verwechslung: Die halten Auf-der-Stelle-Treten schon für Fortschritt. Auf-der-Stelle-Treten ist zwar Bewegung, aber kein Fortschritt. Sie haben nichts anderes gemacht, als 13 Jahre über Kindererziehungszeiten zu reden. Lieber Herr Vogel, ich finde es geradezu unverschämt - um nicht ein schlimmeres Wort zu sagen - , uns eine Sterbetafel ({4}) für eine Schritt-für-Schritt-Lösung vorzuhalten. In den 13 Jahren, in denen Sie nichts getan haben, sind 13 Jahre Mütter gestorben - ohne Kindererziehungszeiten. ({5}) Laßt die Angst um den Tod aus der politischen Auseinandersetzung! Ich finde es schamlos, mit der Angst um den Tod Politik machen zu wollen. ({6}) Meine Damen und Herren, in der Tat, wir haben eine Schritt-für-Schritt-Lösung dem Nichtstun vorgezogen. Das entspricht auch der besten sozialpolitischen Tradition. Das heute Mögliche heute machen und nicht auf das Wünschbare in fernen Zeiten warten, das ist praktische Nächstenliebe, daß ist menschennahe Sozialpolitik, zu der wir uns verstehen. ({7}) Kindererziehung zum ersten Mal in der Rentenversicherung zu berücksichtigen, daß ist keine Leistungsverbesserung, sondern Veränderung der Denkweise. Das ist endlich drei Generationen in der Rentenversicherung. Das ist endlich Anerkennung der Wahrheit, daß die Kinder die wichtigste Voraussetzung für die soziale Sicherheit übermorgen sind. Ohne Kinder heute gibt es auch keine Rentenversicherung morgen. Insofern ist die Anerkennung von Kindererziehungszeiten kein Werk der Barmherzigkeit, sondern ein Werk der Gerechtigkeit gegenüber den Müttern. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Bundesminister, gestatten Sie ein Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Fuchs ({0})?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Nein, ich möchte im Zusammenhang darstellen. Liebe Frau Steinhauer, machen Sie den Erfolg des ersten Schrittes nicht so gering! 1986 haben 350 000 Rentnerinnen zum erstenmal Kindererziehungszeiten in Anspruch nehmen können. 50 000 haben auf diesem Weg zum erstenmal überhaupt eine Rente erhalten. Die durchschnittliche Erhöhung war nicht 5 DM, wie Sie behaupten, sondern zehnmal mehr: 54 DM, nach Auskunft der Rentenversicherungsträger. Das waren 350 000 Frauen, die, wären Sie an der Regierung geblieben, nichts bekommen hätten. ({0}) Das sind 350 000 Frauen, die zum erstenmal Kindererziehungszeiten erhalten haben. In der Tat, in vier großen Schritten beziehen wir jetzt auch die älteren Mütter ein, im ersten Schritt in diesem Jahr am 1. Oktober, ({1}) wenn Sie zustimmen, 1,2 Millionen ältere Frauen. 1990 werden es 5,5 Millionen Mütter sein, die zum erstenmal Kindererziehungszeiten erhalten. Das wird uns bis dahin 10 Milliarden DM kosten - wahrlich kein geringer Betrag. Uns sind die Mütter etwas wert, und zwar nicht nur mit Reden, sondern mit Taten. ({2}) Wir bieten eine - ich gebe es zu - andere Lösung für die älteren Mütter an, eine einfachere Lösung. Daraus kann man auch lernen: Gleich ist nicht immer gerecht. Wir bieten die Lösung an, daß wir den älteren Müttern nicht eine Nachentrichtung von Beiträgen und nicht den Nachweis von Versicherungszeiten zumuten, und wir verzichten auch auf Anrechnung bei Sozialhilfe und Wohngeld und auf Besteuerung. Insofern ist das ein Unterschied, aber ein Unterschied zugunsten der älteren Mütter. ({3}) Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, Sie eignen sich wirklich nicht für die Nachhilfe. Selbst das Programm, über das Sie nur geredet und das Sie nie verwirklicht haben, selbst dieses rein theoretische Programm kann sich gegenüber dem, was wir durchgesetzt und worüber wir nicht nur geredet haben, nicht sehen lassen. Ihr Babyjahr war nur für die Zukunft, keineswegs für die Vergangenheit eingerichtet. ({4}) Ihr Babyjahr sollten die Beitragszahler bezahlen. Ihr Babyjahr sollten alle Mütter nicht erhalten, die nicht in der Rentenversicherung sind. Sie hatten nicht stufenweise, sondern stufenlos alle selbständigen Mütter, alle Mütter, die Beamte sind, und alle, die nicht in der Rentenversicherung sind, endgültig ausgeschlossen. ({5}) Sie sprechen von Klassengesellschaft. Ja, Ihre Gesellschaft war klassenlos: Nichts für die Mütter. ({6}) Was das Schönste war: Ihr Babyjahr, Ihr Musterprogramm ohne Wert, war an die Höhe der Rente gebunden; also: Kleine Rente, kleines Baby; große Rente, großes Baby. Der Betrag reichte von 5 DM bis 55 DM. Das ist sozialdemokratische Familienpolitik. Unsere ist es nicht. Wir reden - ({7}) Wir reden nicht. Wir handeln. Ja, wir handeln so, wie wir reden. Sie reden nur. Das ist der Unterschied. ({8}) - Herr Vogel, Sie können ganz beruhigt sein: Die Praxis entscheidet, nicht die Rhetorik, und in der Praxis sind wir familienpolitisch besser. ({9}) - Sie reizen mich: Noch mal zu Ihrer Praxis, Herr Vogel: 13 Jahre null. Und wir in Sachen Kindererziehungszeiten: ({10}) 1990 - Herr Vogel, hören Sie zu; nur keinen Neid! -5,5 Millionen Mütter, 10 Milliarden für Kindererziehungszeiten. Das ist unsere Politik. ({11}) Ja, ja: Die Wahrheit wird euch frei machen. Ich schließe meinen Beitrag, ({12}) mit dem - ({13}) - Ja, wenn Sie noch lang wollen, rede ich noch ein bißchen über die Sozialdemokraten. Ich schließe meinen Beitrag, mit derselben Feststellung, mit der ich heute morgen begonnen habe. Das erste Gesetz in dieser Legislaturperiode war ein Gesetz zur Verbesserung der Lage der Arbeitslosen mit der Verlängerung des Arbeitslosengeldes und des Kurzarbeitergeldes. Das zweite Gesetz war ein Gesetz, das die Kriegsopferrenten anhebt. Das dritte Gesetz, heute morgen um 10 Uhr beschlossen, dient der Sicherung der Montan-Mitbestimmung. Das vierte Gesetz bringt die Einbeziehung auch der älteren Mütter in die Kindererziehungszeitregelung. Vier große sozialpolitische Gesetze, das ist unser Viergespann. Wir halten, was wir versprochen haben: ({14}) Im Wahlkampf angekündigt, in der Legislaturperiode zu Beginn durchgesetzt. ({15})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Auf den Drucksachen 11/543 und 11/544 liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN und der Fraktion der SPD vor. Sie beziehen sich auf verschiedene Artikel des Gesetzentwurfs. Ich schlage deshalb vor, daß wir über diese Änderungsanträge, zu denen namentliche Abstimmung verlangt wird, vor Aufruf der einzelnen Vorschriften abstimmen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Wir kommen zunächst zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/543. Das Verfahren ist bekannt. Ich eröffne die Abstimmung. Meine Damen und Herren, ich mache darauf aufmerksam, daß die zweite namentliche Abstimmung nach Auszählung der Stimmen dieser Abstimmung erfolgt. Meine Damen und Herren, ich frage, ob noch ein Mitglied des Hauses die Absicht hat, sich an der namentlichen Abstimmung zu beteiligen. - Ich bitte, die Abstimmung zu beschleunigen. Vizepräsident Stücklen Meine Damen und Herren, wird Einspruch erhoben, wenn ich die Abstimmung jetzt schließe? - Gut, dann ist die erste namentliche Abstimmung damit beendet. Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Meine Damen und Herren, ich frage das Haus, ob es damit einverstanden ist, daß wir die zweite namentliche Abstimmung durchführen, bevor das Ergebnis der ersten Abstimmung vorliegt. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Wir verfahren so. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/544. Auch hier ist namentliche Abstimmung beantragt. Die zweite namentliche Abstimmung ist eröffnet. Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses da, das noch abzustimmen wünscht? - Also kein Mitglied mehr, das seine Stimme noch abgeben möchte. Ich höre auch einen Widerspruch von den Geschäftsführern. Ich schließe die Abstimmung. Die namentliche Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/543 hat folgendes von den Schriftführern ermittelte Ergebnis erbracht: abgegebene Stimmen: 430, davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben 36 Abgeordnete gestimmt, mit Nein haben 394 Abgeordnete gestimmt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 430; davon ja: 36 nein: 394 Ja DIE GRÜNEN Frau Brahmst-Rock Brauer Dr. Briefs Dr. Daniels ({0}) Ebermann Frau Eid Frau Flinner Frau Garbe Häfner Hoss Hüser Kleinert ({1}) Kreuzeder Frau Krieger Frau Nickels Frau Oesterle-Schwerin Frau Olms Frau Rust Frau Saibold Frau Schilling Schily Frau Schmidt-Bott Stratmann Frau Teubner Frau Trenz Frau Unruh Frau Dr. Vollmer Volmer Weiss ({2}) Wetzel Frau Wilms-Kegel Frau Wollny Wüppesahl Nein CDU/CSU Dr. Abelein Austermann Bauer Bayha Dr. Becker ({3}) Dr. Biedenkopf Biehle Dr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Böhm ({4}) Börnsen ({5}) Dr. Bötsch Bohl Bohlsen Borchert Bühler ({6}) Buschbom Carstens ({7}) Carstensen ({8}) Clemens Dr. Czaja Dr. Daniels ({9}) Daweke Frau Dempwolf Dörflinger Doss Dr. Dregger Echternach Ehrbar Eigen Engelsberger Dr. Faltlhauser Feilcke Dr. Fell Fellner Frau Fischer Fischer ({10}) Francke ({11}) Dr. Friedrich Fuchtel Ganz ({12}) Frau Geiger Dr. Geißler Dr. von Geldern Gerstein Gerster ({13}) Glos Dr. Göhner Dr. Götz Gröbl Dr. Grünewald Günther Dr. Häfele Harries Frau Hasselfeldt Haungs Hauser ({14}) Hedrich Freiherr Heereman von Zuydtwyck Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Hörster Dr. Hoffacker Frau Hoffmann ({15}) Dr. Hornhues Frau Hürland-Büning Dr. Hüsch Dr. Jahn ({16}) Dr. Jobst Jung ({17}) Jung ({18}) Kalisch Dr.-Ing. Kansy Dr. Kappes Frau Karwatzki Kittelmann Klein ({19}) Dr. Köhler ({20}) Kolb Kossendey Kraus Krey Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({21}) Lamers Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Lemmrich Lenzer Frau Limbach Link ({22}) Link ({23}) Linsmeier Lintner Dr. h. c. Lorenz Louven Lummer Maaß Frau Männle Magin Marschewski Dr. Meyer zu Bentrup Michels Dr. Miltner Dr. Möller Müller ({24}) Nelle Dr. Neuling Dr. Olderog Oswald Pesch Petersen Pfeffermann Dr. Pinger Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rawe Reddemann Regenspurger Repnik Dr. Riesenhuber Frau Rönsch ({25}) Frau Roitzsch ({26}) Rossmanith Rühe Dr. Rüttgers Ruf Sauer ({27}) Sauter ({28}) Sauter ({29}) Dr. Schäuble Scharrenbroich Schemken Scheu Schmidbauer Schmitz ({30}) von Schmude Freiherr von Schorlemer Schreiber Schulhoff Dr. Schulte ({31}) Schulze ({32}) Schwarz Dr. Schwörer Seehofer Seesing Seiters Spranger Dr. Sprung Dr. Stark ({33}) Dr. Stercken Straßmeir Strube Frau Dr. Süssmuth Tillmann Dr. Uelhoff Uldall Vogel ({34}) Dr. Voigt ({35}) Dr. Vondran Dr. Voss Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel Graf von Waldburg-Zeil Dr. von Wartenberg Weirich Weiß ({36}) Werner ({37}) Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wimmer ({38}) Windelen Frau Dr. Wisniewski Vizepräsident Stücklen Wissmann Dr. Wittmann Dr. Wulff Zeitlmann Zierer Zink SPD Frau Adler Dr. Ahrens Amling Andres Antretter Bachmaier Bamberg Becker ({39}) Frau Becker-Inglau Bernrath Bindig Frau Blunck Dr. Böhme ({40}) Brandt Brück Büchler ({41}) Dr. von Bülow Frau Bulmahn Buschfort Frau Conrad Conradi Daubertshäuser Dreßler Duve Egert Dr. Ehmke ({42}) Dr. Ehrenberg Dr. Emmerlich Erler Esters Ewen Fischer ({43}) Frau Fuchs ({44}) Frau Fuchs ({45}) Frau Ganseforth Dr. Gautier Gerster ({46}) Gilges Frau Dr. Götte Graf Großmann Dr. Haack Haack ({47}) Frau Hämmerle Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz Dr. Hauff Heimann Heistermann Heyenn Dr. Holtz Horn Huonker Ibrügger Jahn ({48}) Jansen Jaunich Dr. Jens Jung ({49}) Jungmann Kastning Kiehm Kirschner Kißlinger Klein ({50}) Dr. Klejdzinski Koltzsch Koschnick Lambinus Leidinger Leonhart Lohmann ({51}) Lutz Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier Menzel Dr. Mertens ({52}) Dr. Mitzscherling Müller ({53}) Müller ({54}) Müller ({55}) Müntefering Nagel Frau Dr. Niehuis Dr. Niese Niggemeier Dr. Nöbel Frau Odendahl Oesinghaus Oostergetelo Paterna Pauli Peter ({56}) Pfuhl Dr. Pick Porzner Poß Purps Rappe ({57}) Frau Renger Reuter Schäfer ({58}) Schanz Dr. Scheer Scherrer Schluckebier Schmidt ({59}) Frau Schmidt ({60}) Schmidt ({61}) Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiner Schröer ({62}) Schütz Seidenthal Frau Seuster Sielaff Singer Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell Dr. Spöri Stahl ({63}) Steiner Stobbe Dr. Struck Tietjen Frau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Vosen Waltemathe Wartenberg ({64}) Weiermann Frau Weiler Weisskirchen ({65}) Dr. Wernitz Frau Weyel Dr. Wieczorek Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz von der Wiesche Wimmer ({66}) Wischnewski Dr. de With Wittich Zander Zeitler Zumkley FDP Beckmann Bredehorn Cronenberg ({67}) Eimer ({68}) Engelhard Dr. Feldmann Frau Folz-Steinacker Funke Gattermann Gries Grünbeck Grüner Dr. Haussmann Heinrich Dr. Hirsch Dr. Hoyer Irmer Kleinert ({69}) Kohn Dr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen Nolting Paintner Richter Rind Ronneburger Schäfer ({70}) Frau Dr. Segall Dr. Solms Dr. Thomae Timm Wolfgramm ({71}) Frau Würfel Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt. Die zweite namentliche Abstimmung, also die Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/544, hat folgendes von den Schriftführern ermitteltes Ergebnis: abgegebene Stimmen: 427, davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben 188 Abgeordnete, mit Nein haben 235 Abgeordnete gestimmt. Es gab 4 Enthaltungen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 426; davon ja: 188 nein: 234 enthalten: 4 Ja SPD Frau Adler Dr. Ahrens Amling Andres Antretter Bachmaier Bamberg Becker ({72}) Frau Becker-Inglau Bernrath Bindig Frau Blunck Dr. Böhme ({73}) Brandt Brück Büchler ({74}) Dr. von Bülow Frau Bulmahn Buschfort Frau Conrad Conradi Daubertshäuser Dreßler Duve Egert Dr. Ehmke ({75}) Dr. Ehrenberg Dr. Emmerlich Erler Esters Ewen Fischer ({76}) Frau Fuchs ({77}) Frau Fuchs ({78}) Frau Ganseforth Dr. Gautier Gerster ({79}) Gilges Frau Dr. Götte Graf Großmann Dr. Haack Haack ({80}) Frau Hämmerle Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz Dr. Hauff Heimann Heyenn Horn Huonker Ibrügger Jahn ({81}) Vizepräsident Stücklen Jaunich Dr. Jens Jung ({82}) Jungmann Kastning Kiehm Kirschner Kißlinger Klein ({83}) Koltzsch Koschnick Lambinus Leidinger Leonhart Lohmann ({84}) Lutz Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier Menzel Dr. Mertens ({85}) Dr. Mitzscherling Müller ({86}) Müller ({87}) Müller ({88}) Müntefering Nagel Frau Dr. Niehuis Dr. Niese Niggemeier Dr. Nöbel Frau Odendahl Oesinghaus Paterna Pauli Peter ({89}) Pfuhl Dr. Pick Porzner Poß Purps Rappe ({90}) Frau Renger Reuter Schäfer ({91}) Schanz Dr. Scheer Scherrer Schluckebier Schmidt ({92}) Frau Schmidt ({93}) Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiner Schröer ({94}) Schütz Seidenthal Frau Seuster Sielaff Singer Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell Dr. Spöri Stahl ({95}) Steiner Stobbe Dr. Struck Tietjen Frau Dr. Timm Toetemeyer Urbaniak Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Vosen Waltemathe Wartenberg ({96}) Weiermann Frau Weiler Weisskirchen ({97}) Dr. Wernitz Frau Weyel Dr. Wieczorek Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz von der Wiesche Wimmer ({98}) Wischnewski Dr. de With Wittich Zander Zeitler Zumkley DIE GRÜNEN Frau Brahmst-Rock Brauer Dr. Daniels ({99}) Ebermann Frau Eid Frau Flinner Frau Garbe Häfner Frau Hillerich Hoss Hüser Kleinert ({100}) Kreuzeder Frau Krieger Dr. Mechtersheimer Frau Nickels Frau Oesterle-Schwerin Frau Olms Frau Rust Frau Saibold Frau Schilling Schily Frau Teubner Frau Unruh Frau Dr. Vollmer Volmer Weiss ({101}) Wetzel Frau Wollny Wüppesahl Nein CDU/CSU Dr. Abelein Austermann Bauer Bayha Dr. Becker ({102}) Dr. Biedenkopf Biehle Dr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Böhm ({103}) Börnsen ({104}) Dr. Bötsch Bohl Bohlsen Borchert Bühler ({105}) Carstens ({106}) Carstensen ({107}) Clemens Dr. Czaja Dr. Daniels ({108}) Daweke Frau Dempwolf Dörflinger Doss Dr. Dregger Echternach Ehrbar Engelsberger Dr. Faltlhauser Feilcke Dr. Fell Fellner Frau Fischer Fischer ({109}) Francke ({110}) Dr. Friedrich Fuchtel Ganz ({111}) Frau Geiger Dr. Geißler Dr. von Geldern Gerstein Gerster ({112}) Glos Dr. Göhner Dr. Götz Gröbl Dr. Grünewald Günther Dr. Häfele Harries Frau Hasselfeldt Haungs Hauser ({113}) Hedrich Freiherr Heereman von Zuydtwyck Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs Hinsken Höpfinger Hörster Dr. Hoffacker Frau Hoffmann ({114}) Dr. Hornhues Frau Hürland-Büning Dr. Hüsch Dr. Jahn ({115}) Dr. Jenninger Dr. Jobst Jung ({116}) Jung ({117}) Kalisch Dr. Kappes Frau Karwatzki Kittelmann Klein ({118}) Dr. Köhler ({119}) Kolb Kossendey Kraus Krey Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({120}) Lamers Dr. Lammert Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Lemmrich Lenzer Frau Limbach Link ({121}) Link ({122}) Li nsmeier Lintner Dr. h. c. Lorenz Lowack Lummer Maaß Frau Männle Magin Marschewski Dr. Meyer zu Bentrup Michels Dr. Miltner Dr. Möller Müller ({123}) Nelle Dr. Neuling Dr. Olderog Oswald Pesch Petersen Pfeffermann Dr. Pinger Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rawe Reddemann Regenspurger Repnik Dr. Riesenhuber Frau Rönsch ({124}) Frau Roitzsch ({125}) Rossmanith Rühe Dr. Rüttgers Ruf Sauer ({126}) Sauter ({127}) Sauter ({128}) Dr. Schäuble Scharrenbroich Schemken Scheu Schmidbauer Schmitz ({129}) von Schmude Freiherr von Schorlemer Schreiber Schulhoff Dr. Schulte ({130}) Schulze ({131}) Schwarz Dr. Schwörer Seehofer Seesing Seiters Spranger Dr. Sprung Dr. Stark ({132}) Dr. Stercken Straßmeir Strube Frau Dr. Süssmuth Tillmann Dr. Uelhoff Uldall Vogel ({133}) Dr. Voigt ({134}) Dr. Vondran Dr. Voss Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel Graf von Waldburg-Zeil Dr. von Wartenberg Weirich Weiß ({135}) Werner ({136}) Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Vizepräsident Stücklen Wimmer ({137}) Windelen Wissmann Dr. Wittmann Dr. Wulff Zeitlmann Zierer Zink FDP Beckmann Bredehorn Cronenberg ({138}) Eimer ({139}) Engelhard Dr. Feldmann Frau Folz-Steinacker Funke Gattermann Gries Grünbeck Grüner Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann Heinrich Dr. Hirsch Dr. Hoyer Irmer Kleinert ({140}) Kohn Dr.-Ing. Laermann Lüder Mischnick Möllemann Neuhausen Nolting Richter Rind Ronneburger Schäfer ({141}) Frau Dr. Segall Dr. Solms Dr. Thomae Timm Wolfgramm ({142}) Frau Würfel Enthalten DIE GRÜNEN Frau Schmidt-Bott Stratmann Frau Trenz Frau Wilms-Kegel Damit ist der zweite Änderungsantrag ebenfalls abgelehnt. Wir fahren in der Abstimmung fort, und ich rufe die Art. 1 bis 7, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Bei einer größeren Zahl von Enthaltungen sind die Art. 1 bis 7, Einleitung und Überschrift angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Bei einer Anzahl von Nein-Stimmen und einer größeren Anzahl von Enthaltungen ist dieser Gesetzentwurf angenommen. Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Dritten Verstromungsgesetzes - Drucksache 11/232 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({143}) - Drucksache 11/487 Berichterstatter: Abgeordneter Jung ({144}) ({145}) Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lammert.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor wenigen Wochen hat der Bundestag der Verordnung des Bundeswirtschaftsministers zur Änderung der Prozentsätze für die Ausgleichsabgabe nach dem Verstromungsgesetz zugestimmt. Heute haben wir über eine weitere Vorlage zum Verstromungsgesetz zu beraten und zu beschließen, die in einen unauflöslichen Zusammenhang mit der vor vier Wochen bereits getroffenen Regelung gehört, denn ohne die heute zur Abstimmung stehende Ausweitung des Kreditrahmens für den Ausgleichsfonds wären ganz andere Prozentsätze erforderlich gewesen als diejenigen, denen wir vor vier Wochen zugestimmt haben. Mit diesen beiden im Zusammenhang zu betrachtenden einzelnen Regelungen schaffen wir die rechtlichen und die finanziellen Voraussetzungen dafür, daß die gesetzlichen Ansprüche, die sich aus dem Verstromungsgesetz ergeben, überhaupt bedient werden können. Aber wir sind uns darüber im klaren, daß die eigentlichen Probleme damit nicht gelöst sind, ({0}) sondern daß wir damit in der Tat im Augenblick nicht mehr erreichen, als die Geschäftsgrundlage zu erhalten, auf der wir über die Regelung der entstandenen Probleme in den nächsten Monaten gemeinsam reden müssen. ({1}) Deswegen möchte ich den Hinweis auf die einmütigen Beschlußempfehlungen der federführenden und mitberatenden Ausschüsse zu beiden Einzelpunkten mit der Bitte verbinden, uns auch bei der notwendigen Diskussion über diese Neuregelung um ein möglichst hohes Maß an Einvernehmen und an Konsens zu bemühen. Allein die Größenordnung der Änderungen, die hier notwendig geworden sind - sowohl beim Kreditrahmen, über den heute zu beschließen ist, als auch bei den Prozentsätzen der Ausgleichsabgabe - , zeigt die Notwendigkeit von Veränderungen in den vorhandenen Regelsystemen. Aber unberührt von dieser Notwendigkeit, Änderungen vorzunehmen, bleibt unser politisches Interesse, den Jahrhundertvertrag aufrechtzuerhalten und zu verlängern, von dessen Bestand die Absatzmöglichkeiten des deutschen Bergbaus und im übrigen auch die Verläßlichkeit unserer eigenen Energieversorgung ganz wesentlich abhängen. Deswegen haben wir es hier mit einer sensiblen Materie zu tun, die auf allen Seiten die Bereitschaft zur Kooperation und auch die Bereitschaft voraussetzt, aufeinander zuzugehen. Dem Jahrhundertvertrag und den damit erreichten Absatzgarantien für die deutsche Kohle hat die Erkenntnis zugrunde gelegen, daß Energiepolitik überhaupt nur im Konsens betrieben werden kann. An der Richtigkeit dieser Erkenntnis hat sich auch auf dem Hintergrund der ökonomischen Veränderungen, die es in den letzten Monaten und Jahren fraglos gegeben hat, sicher nichts geändert. Man kann - um nur die beiden Eckpunkte dieser Diskussion noch einmal hervorzuheben - für die eigene Energieversorgung Kerntechnologie nur dann einsetzen, wenn es darüber Konsens gibt. ({2}) Aber genauso wahr ist, daß es Absatzmöglichkeiten und Einsatzmöglichkeiten für Kohle nur geben wird, wenn es einen Konsens gibt. ({3}) Deswegen sollten wir die in den Diskussionen gelegentlich auftretenden Vereinfachungen im Interesse der Sache vermeiden, als gäbe es hier nur auf der einen oder der anderen Seite ein Interesse an der Wiederherstellung der Geschäftsgrundlage, die den Regelungen zugrunde liegt, die wir auch heute mit dem von den Koalitionsparteien vorgelegten Gesetzentwurf fortzuschreiben bemüht sind. ({4}) - Herr Stratmann, Sie werden uns mit Ihren genialen Perspektiven einer völlig neu konzipierten Energiepolitik möglicherweise ja gleich in einem eigenen Redebeitrag noch viel Stoff zu weiterem Nachdenken liefern. Wer hier wirklich daran interessiert ist, daß wir unsere eigene Energieversorgung nach den über viele Jahre gemeinsam verfolgten Kriterien sicherer, kostengünstiger, wirtschaftlicher und umweltschonender Energieversorgung weiter ausrichten, daß wir die einzige relevante Energiequelle, die wir haben, für die Zukunft erhalten und daß wir auch die Arbeitsplätze im Bergbau, von denen der Aufstieg dieser Republik und die Wohlstandsentwicklung dieser Republik gar nicht abgelöst werden können, soweit wie wirtschaftlich eben vertretbar und politisch durchsetzbar erhalten, wer an all dem interessiert ist, ist herzlich eingeladen, sich ohne Schaum vor dem Mund und ohne jede Polemik um die Wiederherstellung des Konsenses zu bemühen, ohne den es weder Kernkraft noch Kohle in der deutschen Energieversorgung der Zukunft geben kann. Deswegen verbinden wir unseren Vorschlag, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen, mit der herzlichen Bitte um Aufrechterhaltung und Konkretisierung der Übereinstimmung, die der Beschlußempfehlung heute zugrunde liegt. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung.

Volker Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001040, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion stimmt dem Gesetz zur Änderung des Dritten Verstromungsgesetzes zu. Aber ich füge gleich hinzu - Herr Lammert hat das vor mir gesagt - : Damit ist keines der wesentlichen Probleme im Zusammenhang mit dem Jahrhundertvertrag gelöst. Die Erhöhung des Kohlepfennigs und die Ausweitung des Kreditrahmens kommen zu spät und sind zu niedrig. Sie decken ja noch nicht einmal die rechtlichen Ansprüche der Energieversorgungsunternehmen ab und verschieben daher die Lösung der Finanzierungsprobleme in eine ungewisse Zukunft. Mit einem Wort: Diese Maßnahmen sind völlig unzureichend, um den Jahrhundertvertrag zu sichern und der deutschen Kohle eine sichere Perspektive zu geben. Wenn Sie, Herr Lammert, für die Mehrheit Ihrer Fraktion redeten, würde ich sagen: Dann kann man sich so unterhalten, wie Sie das angelegt haben. Schlimmer noch ist aber, daß die Bundesregierung u. a. angekündigt hat, sie wolle den Ölausgleich in der Zukunft plafondieren. Damit entläßt sie nämlich die Energieversorgungsunternehmen aus ihrer vertraglichen Verpflichtung, auch in Zukunft heimische Steinkohle zu verstromen. ({0}) Ich sage: So machen Sie den Jahrhundertvertrag kaputt. ({1}) Sie beschwören immer wieder diesen alten energiepolitischen Konsens Kohle und Kernenergie. Dabei wissen Sie genauso gut wie wir, daß Kohle und Kernenergie bei der Stromerzeugung miteinander konkurrieren. ({2}) Ich glaube daher, daß Sie in Wirklichkeit andere energiepolitische Prioritäten gesetzt haben: Nicht mehr Versorgungssicherheit durch heimische Steinkohle - so wurde zu Zeiten der sozialliberalen Koalition die Kohlevorrangpolitik definiert - , sondern Rücksichtnahme auf die revierfernen Länder, die auf Kernenergie gesetzt haben, ist bei Ihnen heute die energiepolitische Priorität. Damit leiten Sie nach unserer Auffassung einen radikalen Schrumpfungsprozeß im Bergbau ein, der bis zu 100 000 Arbeitsplätze an Ruhr und Saar kosten kann - in Regionen, die durch die Stahlindustrie ohnehin sehr stark gebeutelt sind und wo Sie sich auch nicht zu einer wirksamen Hilfe entschließen können. Wichtiger noch: Damit machen Sie außerdem unsere Volkswirtschaft wieder abhängiger von Ölimporten, von Importkohle und nicht zuletzt von der Kernenergie mit all ihren Risiken. Gerade das aber sollte mit dem Dritten Verstromungsgesetz verhindert werden. Der Steinkohlebergbau und die Elektrizitätswirtschaft allein können den Jahrhundertvertrag nicht einhalten. Sie konnten es im Prinzip nie. Darum muß das bewährte kohlepolitische Instrumentarium erhalten bleiben und auch eingesetzt werden. ({3}) Wir Sozialdemokraten verlangen die Wiederherstellung der Kohlevorrangpolitik. Das heißt im einzelnen: Erstens. Volle Erfüllung des Jahrhundertvertrages bis zum Jahr 1995. Zweitens. Wir fordern darüber hinaus ein langfristiges Konzept für eine Kohlevorrangpolitik über das Jahr 2000 hinaus. Nur so sind langfristige Investitionen im Bergbau möglich, mit denen Arbeitsplätze geJung ({4}) sichert und auch neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Drittens. Wir verlangen, daß die im Bau befindlichen Kernkraftwerke nicht ans Netz gehen; denn schon jetzt verdrängt Kernenergie die Braunkohle und die Steinkohle aus der Grundlast, und schon jetzt ist offensichtlich, daß ein Entsorgungsnachweis, wie ihn das Atomgesetz verlangt, für die neuen Kernkraftwerke nicht zu erbringen ist. Kein Mensch weiß heute, ob das Endlager in Gorleben jemals errichtet werden kann. ({5}) Viertens. Wir fordern, daß Braun- und Steinkohle weiterhin in der Grundlast eingesetzt werden. Fünftens. Wir verlangen, daß der Schnelle Brüter und die Wiederaufbereitungsanlage nicht weiter verfolgt werden, ({6}) damit die Kernenergie wirklich eine Übergangstechnologie bleibt, was ja auch Sie sagen. Nur wenn Sie das ernst meinen, ist nach meiner Auffassung überhaupt ein neuer energiepolitischer Konsens denkbar. Meine Damen und Herren, wir fordern Sie daher auf: Verlassen Sie den verhängnisvollen Weg, die Kohle absaufen zu lassen und ganze Branchen, ganze Regionen zu Sozialbrachen werden zu lassen. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Beckmann. ({0})

Klaus Beckmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Lassen Sie mich gleich auf den Punkt kommen. Wir sind uns bei der Verabschiedung dieses Gesetzes, dem wir zustimmen werden, auch darüber im klaren, daß wir den Stromverbrauchern mit dieser Erhöhung eine erhebliche neue Belastung zumuten. Auch die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie, insbesondere der Grundstoffindustrie, wird durch diese Maßnahme in erheblichem Maße tangiert und verschlechtert. Herr Kollege Jung, auch da sind Arbeitsplätze zu sehen, die wir nicht außen vor lassen können. Es geht nicht nur um die Grundstoffindustrie, es geht auch um andere Bereiche. Das muß man in die Gesamtrechnung einbeziehen. Wir bestätigen mit der Entscheidung, die heute zu treffen ist, die Grundlinien unserer Kohlepolitik, d. h. der Einsatz heimischer Kohle im Verbund von Kohle und Kernenergie ist das Grundgesetz unserer langfristig angelegten Energiepolitik. Wir halten an dem Mengengerüst des Kohlejahrhundertvertrages fest. Wir setzen uns für die Anschlußregelung nach 1995 ein, die wesentliche Elemente der jetzt gültigen Regelung übernimmt und bestätigt. Meine Damen und Herren, Energiepolitik ist ein Feld für langfristige Entscheidungen. Stetigkeit und Durchhaltevermögen sind hier besonders gefragt. Wir sehen auch keine Notwendigkeit, von dem seit der ersten Ölkrise angefahrenen kohlepolitischen Kurs abzugehen. Ermahnungen, Herr Jung, von sozialdemokratischer Seite, insbesondere auch von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen, die Bundesregierung möge die Interessen des Bergbaus nicht verraten, sind nun wirklich völlig unangebracht und überflüssig; ({0}) denn die Kohlepolitik der Bundesregierung, auch dieser Bundesregierung, war bis zu den Nürnberger Beschlüssen der letzte Bereich, in dem politischer Konsens zwischen den Parteien herrschte. Erst nach der einseitigen Aufkündigung dieses energiepolitischen Konsenses durch die SPD auf dem Nürnberger Parteitag drohen die revierfernen Länder mit dem Ausstieg aus der Kohle-Förderung. Ich will noch auf eines hinweisen: Im Bergbau haben sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit Bund und Ländern in den vergangenen Jahren immer auf Lösungen verständigen können. Es war wohltuend, in einem kritischen Prozeß der Strukturanpassung einen Umgangsstil miteinander zu pflegen, der nicht an die ideologischen Kraftmeiereien anderer Gewerkschaften erinnerte. Das wollen wir weiter so halten. Zechenanlagen, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen sich nicht an- und abknipsen wie das elektrische Licht. Zechenpolitik bedarf langfristiger Orientierung und auch Planung. Nur, der Staat kann die entstandenen Verluste aus dem mangelnden Absatz auf dem Stahlmarkt und dem Wärmemarkt nicht ausgleichen. Als bittere Konsequenz für den Bergbau - und das weiß heute jeder in den Revieren - verbleibt, daß die Produktion der gesunkenen Nachfrage angepaßt werden muß. Dies ist kein Todesstoß für den Bergbau. Ich glaube, das Gegenteil ist eher der Fall. Wir müssen den Strukturwandel im Ruhrgebiet und an der Saar offensiv aufnehmen durch soziale Abfederung auf der einen Seite und die Schaffung neuer Arbeitsplätze auf der anderen Seite. ({1}) Unsere Infrastruktur im Revier ist ideal. Das Arbeitskräftepotential ist vorhanden. Nur das Selbstvertrauen und die Offenheit gegenüber neuen Ideen und neuen Anfängen fehlen leider häufig. Dieses sind eben die Fehler und Versäumnisse einer zaghaften und auch falsch orientierten Landespolitik, die nicht dynamisch und wirtschaftsfreundlich und damit arbeitsplatzschaffend ist, sondern statisch ist und wirtschaftsfeindlich denkt. ({2}) Lassen Sie mich an dieser Stelle noch ein Wort an die revierfernen Länder und die dort beheimateten Energieversorgungsunternehmen sagen: Der Konsens von Kohle- und Kernenergie gilt selbstverständlich auch für den Süden der Republik. Die Verantwortung für die deutsche Kohle kann nicht allein den Revierländern angelastet werden. Wenn die süddeutschen Elektrizitätsunternehmen von einem hohen Kernenergieanteil kostenmäßig profitieren, so kann auch erwartet werden, daß sie ihren finanziellen Bei1238 trag für die Sicherung der deutschen Energieversorgung durch die heimische Steinkohle weiterhin erbringen. Ein klammheimliches Absetzen von den vereinbarten und vertraglich gesicherten Grundlagen der deutschen Energieversorgung darf nicht in Frage kommen. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir mit dem Gesetz, das wir heute hier zu verabschieden haben, einen ersten guten Schritt in der weiteren Strukturanpassung unserer Primärenergiewirtschaft gehen können. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stratmann.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger. Wir GRÜNEN stimmen dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ausweitung des Kreditrahmens zur Konsolidierung des Verstromungsfonds zu. ({0}) Wir werden - davon gehe ich aus - nach der Sommerpause eine umfangreiche Energie- und Kohledebatte im Bundestag haben, so daß man jetzt die Aspekte der nach wie vor ungelösten Probleme der Kohlepolitik im einzelnen nicht noch einmal auflisten muß. Ich möchte anregen, sich für diese Debatte zu überlegen, ob es nicht mittelfristig wesentlich sinnvoller und effektiver wäre, zur Sicherung des heimischen Steinkohleabsatzes an die Stelle des Kohlepfennigs und seiner Finanzierungsmöglichkeiten eine Öl- und Gasimportabgabe zu setzen, die so ausgestaltet werden müßte, daß sie der umweltschonenden Verstromung der heimischen Steinkohle zugute kommt. Ich bedauere, daß dieser Vorschlag im Wirtschaftsausschuß mit Ausnahme des Vertreters der Bundesregierung von den anderen Fraktionen gar nicht zur Kenntnis genommen worden ist, obwohl ich diese dazu aufgefordert habe und obwohl es in Teilen der Öffentlichkeit über die GRÜNEN hinaus eine Diskussion genau über dieses Instrument gibt. Zur Kohlepolitik nur zwei Anmerkungen. Herr Lammert - ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zu einer Zwischenfrage?

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lassen Sie mich das erst sagen, Herr Lammert. Vielleicht können Sie dann auf das eingehen, auf das ich Sie gerade ansprechen möchte. Ich halte es für skandalös, wenn der Vorsitzende der Ruhrgebiets-CDU wiederum ein erpresserisches Manöver in der Art vornimmt, daß er die Bergleute im Ruhrgebiet, die er ja politisch zu vertreten vorgibt, zur Geisel nimmt, um von ihnen die Zustimmung zur Nutzung der Atomenergie abzupressen. ({0}) Das nenne ich ein politisches Erpressungsmanöver. So kommt es auch bei großen Teilen der Bergleute an, und das muß in der Öffentlichkeit so dargestellt werden. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Und und die Frage. Bitte schön!

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, Sie erlauben mir möglicherweise zu Beginn den Hinweis, daß ich es für einen durchgreifenden Beitrag zur Parlamentsreform halte, daß die Redner vom Podium inzwischen selbst die Abgeordneten ans Mikrofon zitieren, damit sie an sie gerichtete Fragen beantworten. ({0}) Eigentlich hatte ich mich zu einer Frage melden wollen. Aber ich stehe solchen Überlegungen jederzeit aufgeschlossen gegenüber.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, Sie brauchen dem nicht zu folgen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber ich will mich dem ja gar nicht entziehen. Von einer Geiselnahme der Bergleute kann natürlich überhaupt keine Rede sein. Niemand als die Betroffenen - ({0}) - Ich versuche ja gerade, die Frage Ihres Kollegen zu beantworten.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das war keine Frage, Herr Lammert, das war eine Feststellung.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Lammert, wir haben Fünfminutenbeiträge vereinbart.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Niemand weiß besser als die Betroffenen um die Zusammenhänge in unserer Energiepolitik und um die Mechanismen, die die Voraussetzung dafür schaffen, daß sie selber ihre Arbeitsplätze überhaupt aufrechterhalten können. Ich wollte Sie nur bitten, Herr Stratmann, mir hier vielleicht zu bestätigen - können Sie mir das bestätigen? - , daß der Wirtschaftsausschuß in eine vertiefte Diskussion über mögliche alternative Verfahren der Organisation der Kohleverstromung eben deswegen nicht eingetreten ist, weil wir die Grundsatzdebatte über diese Fragen vereinbart hatten und weil auch von den GRÜNEN nicht der Anspruch erhoben worden ist, genau solche prinzipiellen Veränderungen in der Systematik bei der heute anstehenden Änderung des Verstromungsgesetzes vorzunehmen. ({0})

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wie wollen Sie behaupten, daß das so sei, wenn Sie im Wirtschaftsausschuß gar nicht anwesend waren? ({0}) - Aha, der Kollege liest das alles. Sie sind ein großer Märchenerzähler, aber kein Leser, stelle ich fest. ({1}) Herr Lammert, ich kann das nicht bestätigen, weil ich in der vorletzten Wirtschaftsausschußsitzung ausdrücklich die drei anderen Fraktionen gebeten habe, zu dem Vorschlag Stellung zu nehmen, sogar in einer sehr freundlichen und höflichen Form, ({2}) weil ich weiß, daß man als Vertreter einer Minderheitsfraktion - Thomas, du weiß das - nur dann eine Chance hat, die anderen zu bewegen, sich mit einem zu beschäftigen. Sie haben es nicht für möglich und nicht für nötig gehalten, sich darauf einzustellen. Daß ich dort nicht eine stundenlange Kohledebatte heraufbeschwören wollte, ist allerdings richtig.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? - Denken Sie aber an Ihre Redezeit.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie ziehen mir das doch ab.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Nein, das haben Sie nicht veranlaßt. Darüber müßten wir uns schon vorher einig werden, nicht nachträglich. - Bitte schön!

Dr. Hermann Josef Unland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002357, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Stratmann, meinen Sie nicht, daß es gutem parlamentarischen Brauch entspricht, wenn man Äußerungen zu fundamental abweichenden Meinungen haben will, das wenigstens eine angemessene Zeit vorher bekanntzugeben, um den anderen Gesprächspartnern Gelegenheit zu geben, sich mit diesen Vorstellungen zu beschäftigen?

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Unland, ich finde, es ist guter parlamentarischer Brauch, bei einem entsprechenden Tagesordnungspunkt sowohl im Wirtschaftsausschuß als auch im Plenum des Bundestages entsprechende Vorschläge einzubringen und die anderen freundlich zu bitten, sich darauf einzulassen. Ich halte es für normal, dann enttäuscht zu sein, wenn die anderen es nicht im entferntesten für nötig halten, sich darauf einzulassen. Aber, Herr Unland, eine letzte Bemerkung zum Kollegen Jung. Kollege Jung, ich habe wiederholt, zum vierten oder fünften Male, festgestellt, daß Sie sich für die SPD-Bundestagsfraktion zwar dagegen aussprechen, daß die Schnellbrüterreaktor-Linie und die Wiederaufarbeitungslinie weiterverfolgt werden, aber kein Wort zur Weiterverfolgung der Hochtemperaturreaktor-Linie sagen, woraus ich zum vierten und fünften Male den Schluß ziehe, daß die SPD-Bundestagsfraktion offensichtlich im Verbund mit der nordrheinwestfälischen Landesregierung die Fortführung genau dieser atomaren Linie will ({0}) und sich damit in einen offensichtlichen Gegensatz zu ihrem eigenen Ausstiegsbeschluß setzt. Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Dr. von Wartenberg. Bitte schön.

Dr. Ludolf Georg Wartenberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002431

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Bundesregierung darf ich die Gesetzesinitiative der Koalitionsfraktionen begrüßen. Es wäre uns aber lieber gewesen - das darf ich nicht verschweigen - , wenn wir ohne Kredit, d. h. allein mit einem wirtschaftlichen vertretbaren Kohlepfennig, die durch den Ölpreisverfall drastisch gestiegenen Ansprüche an den Fonds hätten finanzieren können. Das war leider nicht zu erreichen. Die Bundesregierung hatte bereits in der Debatte am 21. Mai darauf hingewiesen, daß wir den Kohlepfennig ohne Kredit nicht nur auf 7,5 %, sondern auf 12 % hätten anheben müssen. Dies hätte den Stromverbraucher und insbesondere die stromintensive Industrie in einer nicht zu verantwortenden Weise belastet. Es wäre auch nicht einzusehen, warum die Folgen des Ölpreiseinbruchs 1986 mit Ansprüchen in Milliardenhöhe in nur sieben Monaten des Jahres 1987 aufgearbeitet werden sollten. Der Vorteil der Krediterhöhung ist es, daß die Konsolidierungsphase des Verstromungsfonds über mehrere Jahre hinweg gestreckt werden kann. Das heißt nicht, daß wir die Probleme auf die lange Bank schieben wollen. Der Gesetzentwurf schreibt unmißverständlich vor, daß der Kredit bis zum Ende des Jahres 1991 getilgt sein muß. Diese vier Jahre Amortisationsspielraum erscheinen andererseits aber auch ausreichend, um den Kohlepfennig in den nächsten Jahren in vertretbarem Rahmen halten zu können. Einen wirtschaftlich und politisch akzeptablen Kohlepfennig auf überschaubare Zeit zu garantieren, ist im vorliegenden Zusammenhang eines der wichtigsten Ziele. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung deshalb anstrebt, den Ölausgleich zu begrenzen. Er hat mit rund 3,2 Milliarden DM in 1987, Herr Kollege Jung, eine nicht mehr zumutbare Größenordnung erreicht. Die Plafondierung des Ölausgleichs ist deshalb eine ganz wichtige Aufgabe im Rahmen der Prüfung der Strukturelemente und Berechnungsmethoden des Kohlepfennigs. Das Mengenbild des Jahrhundertvertrags soll dabei bis 1995 möglichst erhalten bleiben. Erste Gespräche mit der Elektrizitätswirtschaft, dem Bergbau, den Ländern und den beteiligten Bundesressorts sind auf Fachebene aufgenommen worden. Ich denke, daß wir im Herbst die notwendigen politischen Verhandlungen führen können. Ich gehe auch davon aus, daß ein Konzept vorliegt, das die weitere energiepolitische Richtung auf diesem Gebiet deutlich macht, wenn über den Kohlepfennig 1988 entschieden werden muß. Herr Präsident, meine Damen und Herren, es besteht ein dringendes Interesse daran, daß das Bundesamt für Wirtschaft den Kredit schnellstmöglich aufnehmen kann. Die Stabilisierung des Verstromungsfonds sollte so zügig wie möglich vorgenommen werden. Das ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Erfüllung des Jahrhundertvertrages. Ich würde es deshalb sehr begrüßen, wenn sich auch der Bundesrat noch vor der Sommerpause abschließend mit dem Entwurf befassen könnte. ({0}) Stücklen: Meine Damen und Herren,

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Artikeln zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Keine Gegenstimme. Enthaltungen? - Keine. Die aufgerufenen Vorschriften sind damit angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Dieser Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Punkt 5 der Tagesordnung auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Berufsbildungsbericht 1987 - Drucksache 11/98 Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ({0}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Haushaltsausschuß Hierzu liegen Entschließungsanträge der Fraktion der SPD sowie der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf den Drucksachen 11/522 und 11/551 vor. Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Oswald.

Eduard Oswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001663, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Berufsbildungsbericht 1987 steht im Zeichen einer tiefgreifenden berufsbildungspolitischen Wende. Die geburtenstarken Jahrgänge liegen zunehmend hinter uns. Der vielzitierte Pillenknick hat nun auch das duale System erreicht. Nach vielen Jahren eines für alle Betroffenen schmerzlichen Lehrstellenmangels können die Ausbildungsplätze jetzt immer häufiger nicht mehr besetzt werden. Bauwirtschaft und Handwerk haben bereits deutliche Nachwuchssorgen. ({0}) Dies bedeutet freilich noch nicht, daß wir auf der ganzen Linie Entwarnung geben könnten. Denn in manchen Gebieten ist es nach wie vor dringend geboten, den letzten geburtenstarken Jahrgängen hinsichtlich der Berufsausbildung auch weiterhin öffentliche Hilfen anzubieten. Die Bundesregierung hat deshalb das Benachteiligtenprogramm 1987 noch einmal auf nunmehr 407 Millionen DM aufgestockt. Im Rahmen des Programms können insgesamt etwa 30 000 Jugendliche gefördert werden. ({1}) Ich bin sicher, daß wir damit trotz aller nach wie vor bestehenden Schwierigkeiten die vor uns liegenden Probleme meistern werden. Denn die Lehrstellenproblematik ist erfreulicherweise quantitativ stark rückläufig und tritt zunehmend nur noch als regionales Problem in Erscheinung. Das Angebot an Ausbildungsplätzen erreichte im Jahr 1986 bundesweit 98 % der Nachfrage, wobei die regionalen Unterschiede zwischen den Bundesländern noch ausgeprägter als in den Vorjahren hervortraten. Die Lehrstellensituation wurde damit noch deutlicher als in der Vergangenheit zum Spiegelbild der zum Teil stark divergierenden wirtschaftlichen Verhältnisse in den einzelnen Bundesländern. Damit ist erneut unter Beweis gestellt worden, daß eine erfolgreiche Wirtschafts- und Finanzpolitik zugleich auch die beste Berufsbildungspolitik ist, ({2}) weil sie den Jugendlichen bei der Vermittlung einer Lehrstelle weit mehr hilft als jedes noch so gut gemeinte staatliche Ausbildungsprogramm. ({3}) Auch die Berufsbildungsbilanz des Jahres 1986 läßt unschwer erkennen, daß die Lehrstellenvermittlung überall dort weitgehend problemlos funktioniert, wo die wirtschaftlichen Verhältnisse in Ordnung und die Arbeitslosenzahlen entsprechend niedrig sind. Berufsbildungspolitischer Aktionismus, wie ihn insbesondere die SPD immer wieder fordert, ist daher meiner Meinung nach eher schädlich. Oder wie ist es sonst zu erklären, daß in Bayern, wo die Staatsregierung ganz bewußt auf berufsbildungspolitische Sonderprogramme verzichtet hat, auch in den vergangenen schwierigen Jahren jeder Ausbildungswillige eine Lehrstelle gefunden hat? ({4}) Wir sollten uns deshalb auch bei der Lösung der noch vor uns liegenden Probleme immer wieder darauf besinnen, daß jedes noch so hoch dotierte berufsbildungspolitische Sonderprogramm gegenüber einem funktionierenden Lehrstellenmarkt nur eine Notlösung darstellt. ({5}) Soweit staatliche Ausbildungsprogramme zur Beseitigung eines akuten Lehrstellenmangels unumgänglich sind, sollten sie nach Möglichkeit immer nur als zeitlich befristete Hilfe zur Selbsthilfe angelegt werden. Das ist unsere Linie. ({6}) Meine Damen und Herren! Die berufsbildungspolitische Situation der letzten zehn Jahre war durch eine in ihrem Ausmaß völlig überraschende Explosion der Lehrstellennachfrage gekennzeichnet. Mitten in einer Phase geburtenstarker Jahrgänge entschieden sich immer mehr Jugendliche für eine betriebliche Ausbildung. Die berufliche Bildung hat einen neuen Stellenwert erhalten. Eine Erkenntnis hat sich durchgesetzt. Nicht nur Schule vermittelt Bildung, sondern auch der Beruf; nicht nur Zertifikate belegen einen Bildungsabschluß, sondern auch Erfahrungen, die der einzelne im Leben macht. Ich bin froh darüber, daß, wenn über Bildung gesprochen wird, nicht mehr nur über Gymnasien und Universitäten, sondern auch und gerade über die berufliche Bildung gesprochen wird. ({7}) Gerade dieses Parlament muß der Öffentlichkeit die Gleichwertigkeit von beruflicher Bildung und akademischer Bildung immer wieder bewußt machen. Meine Damen und Herren! Es war eine großartige Leistung, daß unsere Ausbildungsbetriebe in Handel, Handwerk und Industrie diesen gewaltigen Nachfrageschub ohne große Probleme aufgefangen haben. So konnte die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge allein in dem Zeitraum von 1976 bis 1984 von 496 000 auf sage und schreibe 706 000 gesteigert werden. Ich glaube, dieses Engagement unserer Wirtschaft verdient unser aller Anerkennung. Ich möchte insbesondere der mittelständischen Wirtschaft sehr herzlich dafür danken. ({8}) Die explosionsartige Steigerung der Lehrstellennachfrage hat bedauerlicherweise auch mit dazu geführt, daß die nachgefragten Berufsqualifikationen immer weniger auch mit den Erfordernissen unserer Berufs-, Arbeits- und Wirtschaftswelt in Einklang gebracht werden können. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, daß eine enge Verbindung des Ausbildungssystems mit dem Beschäftigungssystem vorhanden ist. Es liegt im Interesse der jungen Menschen selbst, daß sie entsprechend dem Bedarf auch der Wirtschaft ausgebildet werden. Anderenfalls werden nur Enttäuschungen vorprogrammiert. Die Erfahrung, in einem Beruf auch wirklich gebraucht zu werden, ist eine wichtige Triebfeder für die Leistung. Freude am Beruf gehört zur Entfaltung der eigenen Persönlichkeit. Ein Problem stellen in der gesamten Diskussion natürlich die regionalen Diskrepanzen auf dem Lehrstellensektor dar. 1986 kamen fast zwei Drittel der nicht vermittelten Lehrstellenbewerber aus Bremen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen! ({9}) während in Bayern und Baden-Württemberg die Zahl der offenen Lehrstellen die Zahl der noch nicht vermittelten Bewerber überstieg. Ich halte es für außerordentlich dankenswert, daß sich der Berufsbildungsbericht 1987 ausführlich dieser Problematik annimmt, daß er die Diskrepanzen zwischen Lehrstellenangebot und Lehrstellennachfrage eingehend analysiert und darüber hinaus auch gleich eine Reihe konkreter Perspektiven und nützlicher Lösungsvorschläge bereithält. So empfiehlt der Berufsbildungsbericht, sich in noch stärkerem Maße als bisher auf den Rückgang der Zahl der Hauptschüler, auf die gleichzeitig wachsende Zahl der Bewerber mit anderen, höheren Schulabschlüssen sowie auf die noch nicht ausgeschöpften Möglichkeiten zur Ausbildung von jungen Frauen - jetzt komme ich auch auf Ihren Zwischenruf zurück - sowie auch der ausländischen Jugendlichen und der Sonderschulabsolventen einzustellen. Auf Grund der demographischen Entwicklung ist die Zahl der männlichen Hauptschulabsolventen, die früher insbesondere im Handwerk den Hauptteil der Lehrlinge gestellt haben, immer mehr zurückgegangen. Demgegenüber haben sich junge Frauen mit mittlerer Reife oder Abitur immer zahlreicher um betriebliche Ausbildungsplätze beworben. Ihnen gibt der Berufsbildungsbericht den Rat, ihre Berufswünsche nicht nur auf Büroberufe und kaufmännische Berufe sowie auf den Dienstleistungsbereich zu beschränken. Auch die Bundesregierung und der Hauptausschuß des Bundesinstituts weisen im Berufsbildungsbericht ausdrücklich darauf hin, daß die Zahl der Mädchen, die sich für eine qualifizierte Ausbildung in einem gewerblich-technischen Beruf bewerben, weiterhin gering ist. Hier werden deshalb zu Recht verstärkte Anstrengungen gefordert, um einerseits die Mädchen für eine gewerblich-technische Berufsausbildung zu motivieren, andererseits die Betriebe von der Notwendigkeit und vom Nutzen einer Öffnung dieses Berufsbereichs zu überzeugen. Diese wenigen Hinweise zeigen bereits, wie realistisch, konstruktiv und kooperativ die Berufsbildungspolitik der Bundesregierung in den letzten Jahren vorangetrieben worden ist. Dies ist erfolgreicher als gesetzliche Finanzierungsregelungen, verschärfte Qualitätsauflagen, administrative Kontrollen, wie als Forderungen in dieser Diskussion immer wieder zu hören. Sie sind inzwischen ein genauso alter Hut wie die alljährlich vom DGB aufgemachten Berufsbildungsbilanzen. Oder will man die nach der Methode Pi mal Daumen für 1986 angeblich ermittelten 270 400 Jugendliche ohne Ausbildung womöglich dem dualen System in die Schule schieben? ({10}) Das geschieht in einer Zeit, da bereits zig Tausende von Lehrstellen nicht mehr besetzt werden können. Was sagen eigentlich die Vertreter der Industriegewerkschaft Bau zu solchen Zahlenspielereien, da doch allein in der Bauwirtschaft in diesem Jahr voraussichtlich 12 000 Lehrstellen nicht mehr besetzt werden können? In Bayern ist die Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen ja schon seit längerem weitaus größer als die Zahl der vermittelten Bewerber, und zwar in einem viel größeren Maße, als dies in diesen Statistiken immer wieder ausgewiesen wird. Ich denke beispielsweise nur an den Wirtschaftsgroßraum München. Wie die Wirklichkeit aussieht, hat das deutsche Handwerk erklärt und in seiner Lehrlingsoffensive vorgestellt. Wohlgemerkt: Unmittelbar nach der Lehr-stellenoffensive bläst das deutsche Handwerk aus gegebenem Anlaß jetzt bereits zur Lehrlingsoffensive. Ich zitiere dazu Handwerkspräsident Paul Schnitker: Die Schere zwischen Angebot und Nachfrage bei den Lehrstellen im Handwerk klafft im Jahre 1987 noch stärker auseinander. - Ich habe Paul Schnitker deshalb zitiert, weil sich dieser Mann um das duale System der Berufsausbildung außerordentlich verdient gemacht hat. Bildungsfragen sind, meine Damen und Herren - wir sollten das immer wieder in jeder Diskussion sehen - für die Wirtschaft und damit für die Gesellschaft Lebensfragen, ja Überlebensfragen. Das duale System hat sich bewährt. Es ist anpassungsfähig an neue wirtschaftliche Entwicklungen und technische Innovationen. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit weiter auf Fragen der Berufsvorbereitung und Berufswahl lenken, eine vertiefte Zusammenarbeit zwischen Schule und Wirtschaft, den Erfahrungsaustausch von Ausbildern und Lehrern und eine besondere Betonung der lebenslang notwendigen Weiterbildung. Eine moderne, praxisnahe und qualitativ hochwertige Berufsausbildung ist ein wesentlicher Beitrag zur Verbesserung der Zukunftschancen der Jugend. Ich glaube, es hat schon lange keine Generation mehr gegeben - ich wäre froh, wenn wir uns in dieser Frage einig wären - , der sich die Berufschancen rundherum so vielfältig und positiv wie den jetzt heranwachsenden Jahrgängen dargestellt haben. Dies gilt ganz besonders für die Berufsausbildung im dualen System, um dessen Effizienz uns die ganze Welt beneidet und um dessen Erhaltung und Weiterentwicklung wir auch in Zukunft kämpfen werden. Vielen Dank. ({11})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Odendahl. ({0})

Doris Odendahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001632, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sagen Sie nur oje. Es geht gleich los, Herr Rossmanith! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gleich im ersten Absatz des Berufsbildungsberichts 1987 spricht die Bundesregierung von einer Bilanz des Erfolgs. Sie hält die Tatsache, daß auch im Berufsbildungsjahr 1986/87 wiederum rund 80 000 Jugendliche keinen Ausbildungsplatz erhielten, für ein verbessertes Ergebnis und stellt selbstzufrieden fest, daß sich die rechnerische Lücke zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Lehrstellenmarkt bundesweit halbiert habe. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Regierungskoalition, ich habe Sie schon mehrfach nachdrücklich davor gewarnt, hiermit kaufmännischen Begriffen zu operieren, denn wenn Sie von Erfolgsbilanzen reden, dann werde ich Ihnen nachweisen, daß Ihre Bilanzen - und das seit dem Jahr 1983 - frisiert sind, also Mogelbilanzen darstellen ({0}) und in der Tat rechnerische Lücken aufweisen. ({1}) Genau über diese Lücken wollen wir jetzt einmal Klarheit schaffen, Herr Rossmanith. Klar ist, daß zum gesetzlich vorgeschriebenen Stichtag - das ist der 30. September 1986 - 46 300 Bewerberinnen und Bewerber keinen Ausbildungsplatz erhielten. ({2}) - Das muß man Ihnen immer wieder sagen, weil Sie sich immer loben. - 32 400 Jugendliche, ({3}) die ihren Vermittlungsanspruch aufrechterhielten, wurden mit einem Ersatzangebot vertröstet. Somit erhielten also 78 700 Jugendliche keinen Ausbildungsplatz. ({4}) Ihre Ausrede, daß davon noch einige tausend bis zum Ende 1986 untergekommen sind, zieht nämlich deshalb nicht, weil Sie - und das auch alle Jahre wieder - immer diejenigen nicht dagegenrechnen, die bis zu diesem Zeitpunkt ihre Ausbildung abgebrochen haben, ja sehr oft abbrechen mußten. Erfaßt sind sowieso nur diejenigen Jugendlichen, die vom Arbeitsamt als unvermittelt oder unversorgt registriert wurden. Die anderen kehren Sie sehr unbekümmert unter den Teppich. Leider Gottes kommen sie aber immer wieder ein bißchen hervor. Klar ist somit auch, daß die Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt nach wie vor außerordentlich unbefriedigend ist. Das zeigt sich insbesondere an der noch einmal gestiegenen Zahl der sogenannten Altbewerber. Mit diesem schon an sich beschämenden Begriff sind junge Menschen gemeint, die zum Beginn eines Ausbildungsjahres keinen Ausbildungsplatz fanden, daher vorübergehend eine Arbeit aufnahmen, einen Platz in schulischen Maßnahmen oder Förderlehrgängen der Arbeitsämter fanden oder gar erwerbslos geblieben sind. Bei diesen 194 400 sogenannten Altbewerbern erweisen sich die Mädchen wieder einmal als die Dauerverliererinnen. Ihr Anteil liegt bundesweit bei 55 %, im ländlichen Raum sogar bei fast 60 %. ({5}) Herr Kollege Oswald, es hatte in Ihrer Rede fast den Anschein, als ob diese Mädchen selber schuld seien, weil sie ihre Chancen nicht erkannt hätten, die ihnen bei gewerblich-technischen Berufen zuflögen. ({6}) Ich sage Ihnen dann etwas darüber, wie es mit den Beschäftigungschancen dieser ausgebildeten Mädchen aussieht. Ich komme darauf zurück: Seit der Wende ist die Zahl der Altbewerber von 1982 bis 1985 um nahezu 86 % gestiegen. Das heißt, rund 200 000 junge Menschen, darunter mehr als die Hälfte Mädchen, erleben gleich zu Beginn ihres eigentlichen Berufslebens Enttäuschungen und die bittere Erfahrung, nicht gebraucht zu werden, also Altbewerber oder Alteisen - ein Begriff aus der Abfallwirtschaft - zu sein. Es stimmt also, daß im Ausbildungsjahr 1986/87 270 400 Jugendliche ohne Ausbildung geblieben sind, wie der Deutsche Gewerkschaftsbund auf der Grundlage amtlicher Zahlen festgestellt hat. Trotzdem bejubeln Sie in Ihrem Berufsbildungsbericht, der zahlenmäßige Ausgleich zwischen Nachfrage und Angebot auf dem Ausbildungsmarkt sei in greifbare Nähe gerückt. Da Sie immer wieder Bekenntnisse zu den Gesetzen des Marktes ablegen, muß ich Sie darauf hinweisen, daß ein Markt nur dann funktioniert, wenn auswahlfähige Angebote im richtigen Verhältnis zur Nachfrage stehen. ({7}) Von einem auswahlfähigen Angebot an Ausbildungsplätzen könnte nur dann die Rede sein, wenn das Angebot mindestens 10 % über der Nachfrage läge, ({8}) wenn Jugendliche zwischen Bruchbude und ordentlichem, gut ausgestattetem Ausbildungsbetrieb wählen könnten. ({9}) Dies wurde jedoch 1986 in keinem einzigen Arbeitsamtsbereich erreicht, auch nicht in Bayern, Herr Kollege Oswald. ({10}) Erreicht haben Sie nur, daß insbesondere in wirtschaftsschwachen und von wirtschaftlichen Strukturkrisen betroffenen Regionen das Angebot an Ausbildungsplätzen auch statistisch weit hinter der Nachfrage zurückbleibt und daß besonders das Ausbildungsplatzangebot für junge Frauen weiterhin ein Trauerspiel bleibt. Obwohl junge Frauen günstigere Voraussetzungen als der Durchschnitt der Bewerber um Ausbildungsplätze mitbringen und die Nachfrage junger Frauen nach Ausbildungsplätzen in den letzten Jahren ständig gestiegen ist, beträgt ihr Anteil an den Auszubildenden nur 39 %. Das ist wahrhaft keine Erfolgsbilanz. ({11}) - Sie können warten, Herr Daweke. Ich habe noch Zeit. Ich mache Ihnen die Vorschläge. Sie kennen eine Menge davon. ({12}) Ein Drittel davon sind in Ausbildungsverhältnissen als Verkäuferinnen oder Frisörinnen mit einer extrem niedrigen Übernahmequote. Ein weiteres Viertel findet sich in Berufen mit nur zweijähriger Ausbildungsdauer, in den sogenannten Helferinnenberufen. Von den unvermittelten Bewerbern um Ausbildungsplätze waren zwei Drittel Frauen. Erreicht haben Sie mit Ihren gefälschten Erfolgsbilanzen ({13}) und Ihrer nahezu ausschließlichen Konzentration auf die zahlenmäßige Bewältigung der Ausbildungsplatznachfrage durch die geburtenstarken Jahrgänge auch, daß die qualitativen Fragen der Berufsausbildung vernachlässigt wurden. ({14}) Die Folgen zeigen sich u. a. darin, daß viele Jugendliche beim Übergang von der beruflichen Bildung in die Beschäftigung zunehmend Schwierigkeiten haben. Der Anteil der Jugendlichen, die nach der Ausbildung sofort arbeitslos werden, lag in den letzten Jahren zwischen 6 % und 9 %; 1986 waren es mehr als 80 000. Jugendliche bekommen nach der Ausbildung meist nur noch Zeitverträge - das ist auch eine Folge Ihrer weitschauenden Beschäftigungspolitik - , keine Dauerbeschäftigung. In einer Reihe von handwerklichen Berufen, die ihr Ausbildungsplatzangebot in den letzten Jahren stark ausgeweitet haben, und in den schon erwähnten Helferinnenberufen sind die Chancen auf Weiterbeschäftigung im erlernten Beruf nach der Ausbildung besonders schlecht. Die Zukunftsaussichten der Berufe sind also nicht beachtet worden. Zwischen Ausbildung und Fachkräftebedarf besteht bis heute eine ganz erhebliche Lücke. ({15}) Mit der Beschönigung dieser unbewältigten Ausbildungsplatzdefizite tragen Sie allerhöchstens dazu bei, daß die Firmen das Angebot an guten, qualifizierten Ausbildungsplätzen einschränken. Ich statte sehr gern den Dank den Ausbildungsbetrieben ab, die sich unendlich angestrengt haben, dieses Angebot guter, qualifizierter Ausbildungsplätze zu erhöhen. Aber ich statte ihn nicht pauschal den Betrieben ab, die auch heute noch Trittbrettfahrer des dualen Systems sind, die sich der Ausbildungspflicht verweigern, ({16}) oder solchen Betrieben, die ihren Betrieb so führen, wie ich einen kenne; es ist ein handwerklicher Betrieb mit zwei Fachkräften und 14 Auszubildenden. ({17}) Da danke ich nicht, da sage ich wirklich: Nein, danke, das können wir nicht brauchen! ({18}) Ihr vielbeschworener Markt, meine sehr geehrten Damen und Herren, der bei der Ausbildung bis heute nicht einmal Angebot und Nachfrage regeln kann, regelt bestimmt keine Qualität. Wer Ausbildungsqualität sicherstellen will, muß politisch handeln. Um die Ausbildungsqualität zu erhöhen, zeigen wir Ihnen seit langem Wege auf. - Herr Daweke, jetzt kann ich Ihre Erwartungen erfüllen; Sie wollten Vorschläge hören. - Mit einem auswahlfähigen Angebot steigt auch die Qualität. Ein wesentliches Instrument der Qualitätssicherung haben Sie jahrelang diffamiert, eine gesetzliche Regelung der Ausbildungsfinanzierung; ich habe die Trittbrettfahrer erwähnt. Verbessert werden müssen auch die technologische Ausstattung an den beruflichen Schulen und bei den überbetrieblichen Ausbildungsstätten sowie die Qualifizierung von Ausbildern und Ausbilderinnen und der Berufsschullehrer und Berufsschullehrerinnen. ({19}) Die nun endlich durchgesetzten modernen Ausbildungsordnungen müssen weiter ausgedehnt und vor allem zügig umgesetzt werden. In unserem heutigen Entschließungsantrag haben wir diese Punkte angesprochen; mein Kollege Rixe wird darauf noch eingehen. Darüber hinaus fordern wir u. a. eine Erhöhung der finanziellen Ausstattung des Benachteiligtenprogramms und verbesserte Konditionen für die Träger der Programme. Das Programm soll auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden, damit die Jugendlichen, auf die die Kriterien des Programms zutreffen, einen individuellen Rechtsanspruch auf eine Ausbildung nach diesem Programm haben. Auch fordern wir ein Sonderprogramm zur Erweiterung der Ausbildungschancen junger Frauen, damit vermieden wird, daß junge Frauen mit guten Schulabschlüssen in das Benachteiligtenprogramm oder in „Warteschleifen" abgedrängt werden oder gar resignieren. Ferner fordern wir entschiedene Anstrengungen und entsprechende finanzielle Ausstattung, um die erfolgreichen Modellversuche zur beruflichen Bildung, insbesondere zur Förderung des Ausbildungsverbundes und der Ausbildung von jungen Frauen in zukunftsorientierten gewerblichen-technischen Berufen, durch flächendeckende Informations- und Weiterbildungsveranstaltungen auch umzusetzen. Wenn Sie sich also weiterhin darauf beschränken, die Fragen der beruflichen Bildung als Zahlenproblem zu behandeln, das sich auf Grund der demographischen Entwicklung in den 90er Jahren von allein regelt, dann handeln Sie fahrlässig an den mehr als 250 000 Jugendlichen, darunter zwei Drittel junger Frauen, denen Sie - jetzt muß ich Sie wieder einmal daran erinnern - , auch wenn Sie es längst verdrängt haben, durch den Bundeskanzler einen Ausbildungsplatz garantiert haben. ({20}) Dann handeln Sie aber auch fahrlässig an der Wirtschaft, die von der Qualität der beruflichen Ausbildung abhängig ist. Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal wiederholen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, was ich anfangs über Ihren Berufsbildungsbericht sagte.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Abgeordnete, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Doris Odendahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001632, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich gestatte sie.

Klaus Daweke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000361, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich stelle die Frage nur, weil Sie zum Schluß kommen wollen, Frau Kollegin Odendahl. Können wir uns darauf einigen, daß wir vielleicht gemeinsam den Fall, den Sie soeben zitiert haben, aufgreifen? Wir sollten den Betrieb mit zwei Gesellen - ich glaube, so haben Sie es vor einigen Minuten gesagt - und 14 Auszubildenden gegenüber der Kammer namhaft machen und diesen Zustand beseitigen. Wenn Sie so eine Behauptung aufstellen, nehme ich an, haben Sie dafür Belege. Ich wollte Sie, bevor Sie zum Schluß kommen, nur bitten, dann auch aktiv zu werden. Sonst würden wir, glaube ich, auch unsere Pflicht nicht erfüllen.

Doris Odendahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001632, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie hätten das nachher bitten können, Herr Kollege. Ich tue das selbstverständlich. ({0}) Jetzt komme ich wirklich zum Schluß. Ich muß das noch einmal wiederholen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, was ich anfangs über Ihren Berufsbildungsbericht sagte. Ihre Erfolgsbilanz ist frisiert. Sie haben nicht nur geschönt. Ich habe kürzlich gehört, das täte jede Regierung ein bißchen. Sie haben versucht, auf der Minusseite mehr als eine Viertelmillion junger Menschen herauszuradieren. Ihre Erfolgsbilanz ist eine Fälschung. Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Thomae.

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht heute um 30 000 Jugendliche, die Ende 1986 noch keinen Ausbildungsplatz erhalten hatten. ({0}) Dies entspricht der Zahl der männlichen Einwohner von Bad Godesberg. Diese rund 30 000 Jugendlichen haben viele Bewerbungsschreiben verschickt, haben sich Eignungstests unterworfen, sie haben Vorstellungsgespräche geführt und auf berufliche Zukunftschancen gehofft. Was ist das Resultat? Sie sitzen auf der Straße und liegen den Eltern auf der Tasche. Sie gehören schon als Teenager zu den Menschen, die von der Bundesanstalt für Arbeit betreut werden. ({1}) Dort, wo Jugendliche zupacken möchten, können sie es nicht. Ihnen fehlen Entfaltungsmöglichkeiten, manche greifen zum Alkohol oder zu Drogen, andere werden sogar kriminell. Viele Jugendliche sind orientierungslos. Wir müssen den Jugendlichen zwar Leistungstests und Prüfungen abverlangen, aber wir müssen den Jugendlichen auch das Versprechen geDr. Thomae ben, daß sie einen vernünftigen Ausbildungsplatz erhalten. ({2}) Die Ursachen der Jugendarbeitslosigkeit sind vielfältig. Ich nehme zwei Problemgruppen heraus und möchte dann auf eine dritte zu sprechen kommen: erstens Hauptschüler ohne Abschluß, Sonderschulabsolventen und junge Ausländer, zweitens junge Frauen ohne einen beruflichen Ausbildungsplatz und drittens Jugendliche mit Ausbildung, die aber nach der Ausbildung keine Beschäftigung finden. Wo liegen denn in diesen drei Bereichen die Lösungsansätze? Hauptschüler ohne Abschluß, Sonderschüler und junge Ausländer sind häufig sehr praktisch orientiert. Viele Ausbildungsgänge sind aber unnötig theoriebelastet und daher oft für diese Jugendlichen unattraktiv. In vielen Bereichen könnten wir neue Berufsbilder für einfache, praktische Tätigkeiten schaffen. Das gilt z. B. für das Baugewerbe, wo zur Zeit nur die Hälfte der Ausbildungsplätze besetzt ist, eben auch, weil die Ausbildung teilweise unangemessen theorielastig und häufig zu lang ist. Ich weiß natürlich, daß sich die Gewerkschaften schwertun, sich an die Schaffung neuer Berufsbilder heranzumachen. ({3}) Meine Damen und Herren, wir müssen aber durch eine stärkere Differenzierung im Hinblick auf die Anforderungen der Ausbildungsplätze diesen jungen Menschen helfen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter? - Bitte sehr.

Doris Odendahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001632, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, würden Sie mir zustimmen, daß die Qualifizierungsanforderungen seitens der Betriebe an die Jugendlichen steigen und nicht etwa sinken?

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie haben völlig recht, in bestimmten Berufsbildern steigen sie. Aus diesem Grunde habe ich gesagt, daß wir neue Berufsbilder schaffen müssen, damit wir diesen Schülern, die keinen Hauptschulabschluß haben, eine berufliche Chance bieten können. Unsere zweite Zielgruppe sind die Mädchen und Frauen, die eine schulische Qualifikation erreicht haben, aber keinen Ausbildungsplatz erhalten. Ihnen müssen wir verstärkt die Möglichkeit einräumen, in solche Berufe einzusteigen, die bisher noch oft und auch bei Unternehmern als reine Männerberufe gelten. Was spricht gegen eine Elektrikerin, was spricht gegen eine Kfz-Schlosserin? Um das Berufswahlspektrum junger Frauen auszuweiten, ist es unbedingt notwendig, rechtliche und psychologische Hemmnisse abzubauen. ({0}) Der erste Schritt auf diesem Wege ist getan. Die dritte Gruppe - und dies ist wirklich eine zukünftige Problemgruppe - sind die Jugendlichen, die schon eine Ausbildung erhalten haben, aber keine Beschäftigung finden. Ihnen müssen wir in speziellen Weiterbildungsmaßnahmen helfen. Wir wissen doch alle, daß die Handwerkskammern, die Industrie- und Handelskammern, die privaten Träger, aber auch die berufsbildenden Schulen zukünftig die Möglichkeiten und die Kapazitäten haben, solche Weiterbildungsmaßnahmen durchzuführen. Lassen Sie uns diese Freiräume zum Wohle der Jugend nutzen. Für alle oben angesprochenen Jugendlichen gilt jedoch: Erstens. Sie müssen auf dem Arbeitsmarkt mobiler werden. Es ist einfach nicht möglich, jedem einzelnen die Traumausbildung und den entsprechenden Arbeitsplatz in unmittelbarer Nähe bereitzustellen. Es ist aber sicherlich zu realisieren, daß den Jugendlichen an ihrem Ausbildungs- und Arbeitsplatz eine vorübergehende Heimat geboten wird. Viele Großunternehmen haben diesen Trend schon lange erkannt und bieten ihren Auszubildenden Wohnmöglichkeiten in einem angenehmen sozialen Umfeld.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Noch eine Sekunde, nach diesem Absatz.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte schön, ja.

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Viel früher hat aber schon ein anderer dieses Problem erkannt und für seinen Bereich gelöst. Ich denke an Adolf Kolping. Seine Ideen gewinnen heute unter veränderten Bedingungen wieder an Bedeutung. Bitte schön!

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß es Betriebe gibt, die jugendliche Lehrstellenbewerber deshalb ablehnen, weil sie eine weitere Entfernung zwischen Wohnort und Ausbildungsplatz zurückzulegen haben, und daß Betriebe diese Jugendlichen gerade in der Befürchtung ablehnen, daß sie z. B. im Winter einmal zu spät zum Arbeitsplatz kommen oder dergleichen?

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, dies ist mir bekannt, aber wenn Sie genau zugehört haben, dann haben Sie festgestellt, daß ich dies in meiner Rede mit einbezogen habe. Dies ist der Grund, warum ich die Ideen Adolf Kolpings eben genannt habe. ({0}) Zweitens. Auch dies ist ein entscheidender Faktor: Die Ausbildungsvergütungen dürfen nicht erhöht werden. Sie sind schon heute für viele Ausbildungsbetriebe ein zu hoher Kostenfaktor. Drittens. In Zukunft müssen alle Arbeitnehmer bereiter sein, in ihre berufliche Weiterbildung zeitlich zu investieren, zumal durch Arbeitszeitverkürzung immer mehr Zeit zur Verfügung steht. Staat und Wirtschaft müssen für eine lebenslange berufsbegleitende Bildung neue Modelle entwickeln. Aber auch die Gewerkschaften sind gefordert. Sie haben die Auseinandersetzung um Arbeitszeitverkürzung bisher immer als Grabenkampf für mehr Freizeit aufgefaßt. Heute sind wir aber immer mehr darauf angewiesen, daß neben Arbeit und Freizeit als dritter Faktor die Fort1246 und Weiterbildung tritt. Dies muß gemeinsames Interesse von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sein. ({1}) Sie müssen permanente Weiterbildung endlich konsequent in die Tarifverträge einbauen; denn eines möchte ich deutlich sagen: Die Sicherheit eines Arbeitnehmers beruht nur auf seiner Qualifikation und nicht auf einem Stück Papier. Meine Damen und Herren, wenn es nicht gelingt, ausbildungslosen und beschäftigungslosen jungen Menschen eine erstrebenswerte Zukunft aufzubauen, können diese Gruppen zu Problemgruppen werden. Eine noch größere Zahl arbeitsloser und langzeitarbeitsloser Jugendlicher hätte für unsere soziale Marktwirtschaft verheerende Folgen. Zudem: Viele dieser jungen Menschen haben schon heute das Gefühl, in unserer Gesellschaft keine entscheidende Aufgabe zu haben. Wie können wir da von ihnen die Initiative erwarten, sich beständig von neuem für unsere freiheitliche Demokratie einzusetzen? Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Hillerich.

Imma Hillerich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000902, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat eine Ausbildungsplatzbilanz vorgelegt. Angesichts einer Versorgungsquote zum Stichtag von 96 % der registrierten Bewerber - Bewerberinnen hat sie offensichtlich vergessen - spricht sie von einer Bilanz des Erfolgs und von einer spürbaren Verbesserung der Chancen der Jugendlichen in Ausbildung und Beruf. Was ist eigentlich Ihr Maßstab für Erfolg und für die Verbesserung der Lebenschancen von Jugendlichen? Unser Maßstab ist der Anspruch auf eine qualifizierte, Beschäftigung ermöglichende Ausbildung und die Einlösung von Art. 12 des Grundgesetzes, dem Recht auf freie Wahl von Beruf und Ausbildungsplatz. ({0}) Im Klartext: Solange ein auswahlfähiges Angebot an Ausbildungsplätzen nicht existiert, so lange wird den Jugendlichen dieses Grundrecht verweigert. Unter auswahlfähigem Angebot verstehen wir - gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund, offenbar nicht mehr mit der SPD - einen quantitativen Angebotsüberhang an Ausbildungsplätzen von mindestens 12,5 % in jedem Arbeitsamtsbezirk, ein Angebot, das auch in den Bundesländern mit angeblich guter Ausbildungsmarktsituation nicht realisiert wird. Die Erstellung der Ausbildungsplatzbilanz der Bundesregierung entspricht dem Motto: Es gibt Lügen, infame Lügen und Statistiken. Das Lügnerische besteht im Verschweigen der Wahrheit. Frau Kollegin Odendahl von der SPD hat diese rechnerischen Lükken hier schon vorgeführt. Das Infame liegt in der faktischen Konsequenz des Verschweigens: Diese Jugendlichen werden nicht nur aus der Statistik ausgegrenzt, sondern auch von den Möglichkeiten qualifizierter Ausbildung. Sie werden entweder in die Aufbewahrungsmaßnahmen der Arbeitsverwaltung oder der Berufsschule abgeschoben und erfahren dort meistens Dequalifizierung - 1986 waren dies gut 400 000; ({1}) - fragen Sie einmal die Betreffenden - , oder sie gehen ganz leer aus: Über 270 000 Jugendliche sind ohne Ausbildung geblieben. ({2}) Dieser katastrophalen Bilanz möchte ich die Zahl der im März dieses Jahres arbeitslos gemeldeten Jugendlichen unter 25 Jahren hinzufügen: Es waren 520 000. Die auf 1,5 % halbierte Wachstumsprognose läßt unter dieser Bundesregierung für die Zukunft noch Schlimmeres befürchten. Der steigende Anteil von Altbewerbern und -bewerberinnen, über deren schlechte berufliche Perspektive auch Sie nicht mehr hinwegsehen können, müßte Sie im Hinblick auf die Bezugsgrößen Ihrer angeblichen Erfolgsbilanz eigentlich stutzig machen. Apropos Altbewerber und -bewerberinnen, eine Randbemerkung zum insgesamt gestiegenen Alter der Auszubildenden: Über die Hälfte ist 18 Jahre oder älter. Dies muß umgehend Konsequenzen in Richtung einer Ausweitung der bisherigen Jugendvertretung hin zu einer Jugend- und Auszubildendenvertretung haben, für die wir uns im Rahmen der anstehenden Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes einsetzen werden. Zu der nach wie vor außerordentlich großen Benachteiligung junger Mädchen und Frauen: Sie stellen zwei Drittel der unversorgten Ausbildungsplatzsuchenden. Das ist ein weiterer Schatten auf der Erfolgsbilanz der Bundesregierung. Es hat sich ja herausgestellt, daß neben den bekannten und immer noch wirkenden familiären Sozialisationsbarrieren das Einstellungsverhalten der Betriebe die entscheidende Schwelle ist, durch die jungen Frauen und Mädchen die gleichberechtigte Beteiligung in allen Berufen verwehrt wird. Wenn knapp die Hälfte der jungen Frauen, die sich in bisher frauenuntypischen gewerblich-technischen Berufen haben ausbilden lassen, anschließend keine Beschäftigung in diesen Berufen finden, muß ein Rückgang bzw. Stillstand des Interesses an solcher Ausbildung nicht verwundern. Nicht die mangelnde Motivation der jungen Frauen ist hier zu beklagen, sondern das Einstellungsverhalten der Unternehmen muß sich ändern. ({3}) Die offensichtliche Erfolglosigkeit entsprechender Appelle unterstreicht auch hier die Notwendigkeit von Frauenförderplänen und von 50 %iger Quotierung aller Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Frauen. ({4}) Mit der Fortsetzung und Ausweitung von Fördermaßnahmen für benachteiligte Jugendliche reagiert die Bundesregierung auf die starke Inanspruchnahme des Benachteiligtenprogramms. Besondere Verdienste erwirbt sie sich damit unseres Erachtens so lange nicht, wie gegen die Ursachen dieses steigenden Bedarfs nichts getan wird. Benachteiligung ist doch kein zufälliges individuelles Schicksal, sondern Ergebnis der über den schulischen und gesellschaftlichen Auslesedruck erfolgten Ausgrenzung junger Menschen aus dem Normalbetrieb schulischer und beruflicher Bildungsgänge. So wichtig die durch das Benachteiligtenprogramm geleistete Hilfe für die Betroffenen auch ist: Gerade die in den Handreichungen für ausbildungsbegleitende Hilfen geschilderten Probleme machen deutlich, daß die von Lehrern und Sozialpädagogen mit benachteiligten Jugendlichen geleistete Arbeit in die normale Praxis der beruflichen Ausbildung in Schule und Betrieb integriert werden muß. Darüber hinaus hat das Benachteiligtenprogramm wie alle Sonderprogramme für Problemgruppen eine stigmatisierende Wirkung auf die Betroffenen, wofür die mehr als schlechten Beschäftigungsaussichten derer, die in überbetrieblichen Einrichtungen betreut und ausgebildet werden, ein deutlicher Beweis sind. Mit Lobeshymnen wie „außerordentlich bewährt" , „gestiegene Attraktivität" und dergleichen feiert die Bundesregierung das bestehende duale System der beruflichen Bildung wie ein goldenes Kalb. Zugleich setzt sie alles daran, die gegenwärtige Ausbildungsnot und Jugendarbeitslosigkeit zu verharmlosen und als temporäres Problem darzustellen. Aber wer die Lösung dieser Probleme auf die Zukunft vertagt, grenzt damit heute eine ganze Generation von Betroffenen aus. Der Hinweis auf die angeblich fehlende Mobilität der Jugendlichen bei der Ausbildungsplatzsuche kann nur als zynisch bezeichnet werden. Nicht jeder Jugendliche kann so flexibel sein wie Sie, Herr Möllemann, der Sie jeden Ministerposten, egal wo, annehmen. ({5}) Das duale System ist erstens nicht in der Lage, die Berufswahlfreiheit für Ausbildungsplatzsuchende zu garantieren. Zweitens produziert es durch die überproportionale Beteiligung des Handwerks Fehlqualifikationen. Mehr als 50 % der im Handwerk Ausgebildeten finden dort keine Beschäftigung. Damit einher geht die Entwertung ihrer beruflichen Erstausbildung. Drittens wird sich diese Diskrepanz zwischen Ausbildungs- und Beschäftigungssystem angesichts ernst zu nehmender Prognosen über den zukünftigen Arbeitskräftebedarf insbesondere im sozialen und Dienstleistungsbereich, dem das heutige betriebliche Ausbildungsplatzangebot in keiner Weise entspricht, verschärfen. Berufliche Ausbildung muß gesamtgesellschaftliche Verantwortung beinhalten, eine Verantwortung, der das bestehende duale System auf Grund seiner Ausrichtung am betrieblichen Einzelinteresse nicht gerecht werden kann. Warum also das Festhalten am nicht Bewährten? Einzig den Unternehmen sichert die Kontrolle der beruflichen Ausbildung einen erheblichen Einfluß auf deren Gegenstände und Methoden. Bereits in der Ausbildung sollen die Jugendlichen im Sinne der Unternehmensziele sozialisiert und den Werten und Normen industrieller und handwerklicher Produktion angepaßt werden. Auch die oft beklagte Beschäftigung der Jugendlichen mit ausbildungsfremden Arbeiten, die nach wie vor stattfindet, und ebenso die ständige Wiederholung stupider, sinnentleerter Arbeitsvorgänge dienen letztlich der Vermittlung bestimmter Arbeitstugenden im Sinne der Unternehmen. Aus diesem Grunde verteidigen auch Sie das duale System mit Zähnen und Klauen. Kurz zum Entschließungsantrag der Fraktion der SPD. In der Analyse und Einschätzung der Probleme stimmen wir weitgehend überein, und die geforderten Maßnahmen sind sicher dazu angetan, die gegenwärtige Situation im Sinne der Betroffenen zu verbessern. Sie können allerdings nicht die auch von Ihnen festgestellten strukturellen Probleme der beruflichen Bildung lösen. Dazu sind grundlegende Strukturreformen nötig. Wir wollen ein grundsätzlich anderes Bildungs- und Berufsbildungssystem, ein Bildungssystem, das auf sinnvolle, befriedigende, nützliche und umweltschonende Arbeit vorbereitet und gleichzeitig die vielfältigen Fähigkeiten und Interessen der Jugendlichen entwickelt. Wir wollen eine qualifizierte Berufsausbildung für alle Jugendlichen, die auf der Basis einer breiten allgemeinen und beruflichen Grundbildung zur selbstbewußten Verfügung über Schlüsselqualifikationen befähigt. Wir treten für die Integration von allgemeiner und beruflicher Bildung und damit auch für die Überwindung des dreigliedrigen Schulsystems zugunsten eines durchlässigen Schulwesens ein, das allgemeinbildende und berufsbildende Qualifikationen in gleicher Weise vermittelt. Wir setzen uns für eine überbetriebliche Finanzierungslösung in der Berufsausbildung ein und fordern dazu die Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe für alle Betriebe, die ihrer Ausbildungsverpflichtung nicht in ausreichendem Maße nachkommen. Zur Aufhebung der Benachteiligung von Mädchen und Frauen bei der Ausbildungsplatzsuche fordern wir, wie vorhin schon angesprochen, die Quotierung aller Ausbildungsplätze und eine gesetzliche Regelung zur Einführung von Frauenförderplänen in Betrieben und Verwaltungen. Schließlich setzen wir uns für die Unterstützung unkonventioneller Formen und Modelle der Selbsthilfe in der Berufsausbildung ein, wie sie in vielen alternativen Projekten betrieben werden. Solche Modelle können allerdings die staatliche Verantwortung für die Sicherung einer qualifizierten Berufsausbildung für alle Jugendlichen nicht ersetzen. Ich danke Ihnen. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schemken.

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Nachfrage nach betrieblichen Ausbildungsplätzen läßt in diesem Jahr erstmalig deutlich nach. Wir befinden uns allerdings im fünften Jahr der Kraftanstrengung, die dazu geführt hat, daß wir die Zahl derjenigen, die einen Ausbildungsplatz suchen, weit über die Marke von 95 % hinaus unterbringen konnten. Dank gilt hier in dieser Stunde all denen, die in der Gesellschaft mitgewirkt haben, um dieses wichtige Anliegen durchzusetzen. Ich denke dabei an Handwerk, Wirtschaft, ich denke an den Handel, ich denke an die freien Berufe, ich denke allerdings auch an gesellschaftspolitische Gruppierungen wie Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften. Ich muß sagen: Das Wort, das der Bundeskanzler diesen gesellschaftspolitischen Gruppierungen abverlangt hat - er hat diesem Wort vertraut - , ist eingelöst worden. Das darf ich all denen sagen, die daran beteiligt waren. Insofern ist es nicht gut, immer wieder auf diesen Punkt zurückzukommen. Auch die sehr günstige Entwicklung am Arbeitsmarkt wendet die Lage der Berufsanfänger ins Positive. Die Vermittlungsschwierigkeiten, die sie bisher nach Abschluß ihrer Berufsausbildung oder ihres Studiums hatten, sind deutlich geringer geworden. Wir haben einen sichtbaren Erfolg erreicht: Die Zahl derjenigen, die nach Abschluß einer Ausbildung nicht vermittelt werden konnten, ist um 5 % im Vergleich zum Vorjahr gesunken; das sind 69 000 Personen. Aber entscheidend ist, daß die Zahl der Arbeitslosen unter 20 Jahre gravierend zurückgegangen ist, und zwar um 15 %. Damit sind wir auf einem guten Weg. ({0}) Frau Odendahl, nun zu dem Stichtag 30. September. Sie können das so nicht stehenlassen. Sie sprechen auf der einen Seite davon, daß wir per 31. Dezember rechnen, und rechnen auf der anderen Seite die Abbrecher dagegen. Die Abbrecher machen wieder eine Lehrstelle frei, und andere rücken nach; diese müßte man jetzt dagegenrechnen. Insofern bleibt die Relation zueinander bestehen. Davon beißt keine Maus den Faden ab: Wir haben über 98 % der Jugendlichen untergebracht. ({1}) Es gibt natürlich noch Problemfelder; das wissen wir sehr wohl. Die Probleme sind insbesondere regionaler und struktureller Art. Probleme bestehen einmal bei denjenigen, die einen höheren Schulabschluß haben, zum anderen bei dem steigenden Anteil der Mädchen, die auf den Ausbildungsplatzmarkt drängen. Hinzu kommt, daß wir auch im europäischen Zusammenhang eine Aufgabe zu erfüllen haben. Es ist selbstverständlich wichtig, daß wir die ausländischen Mitbürger über den Weg der Bildung integrieren. Ohne Ausbildung, ohne Bildung wird der zukünftige jüngere türkische Mitarbeiter in Deutschland keinen gesellschaftlichen Einstieg erfahren. Dies ist wichtig für uns, denn die dritte Generation muß sich hier qualifizieren können. Deshalb bleibt es für uns neben den Tagesfragen, die wir sicherlich sehen - wir appellieren daher auch in dieser Stunde an alle, möglichst jeden angesichts der nunmehr verbesserten Situation unterzubringen - , in Zukunft die wichtigste Aufgabe, junge Menschen in Ausbildung und Arbeit zu bringen. Wir stehen allerdings an einer Schwelle. Wir haben es mit einer völlig veränderten Situation zu tun, Frau Odendahl. Deshalb sollten wir uns darüber einmal gemeinsam unterhalten und nicht immer das Klagelied von gestern singen. Das kommt nicht mehr an. Die Situation heute stellt sich völlig anders dar. ({2}) - Nein, Herr Kastning, es geht nicht um Rechthaberei, es geht um Zahlen. Wir fälschen nicht. Da brauchen Sie keine Bange zu haben. Aber nach Ihren Zahlen, Frau Odendahl, kommen Sie in den Verdacht zu manipulieren. Das ist schlimm. ({3}) Wir haben in diesem Jahr rund 920 000 Schulabgänger. Diese Zahl geht in den Jahren 1988, 1989, 1990 und folgende auf unter 700 000 zurück. In den 90er Jahren werden wir 250 000 Schulabgänger weniger haben als zum heutigen Zeitpunkt. Nun könnte man sagen, damit regelten sich die Probleme von selbst. Aber weit gefehlt! Jetzt erst stellt sich das Problem der beruflichen Ausbildung. Jetzt kommt es nämlich auf die Qualität der beruflichen Ausbildung an. ({4}) - Ja, jetzt erst beginnen wir damit, weil wir bisher Aufräumarbeiten zu erledigen hatten, d. h. wir mußten die geburtenstarken Jahrgänge unterbringen. Jetzt stellt sich die Frage, wie ich jeden nach Eignung und Neigung erfassen kann, um ihn vor Langzeitarbeitslosigkeit zu bewahren. Das ist das Entscheidende. Ohne Ausbildung wäre das nicht zu schaffen. Das Vordringen neuer Technologien in unser gesellschaftliches Leben, aber auch in das Bildungswesen generell fordert uns in besonderem Maße. Berufliche Bildung muß zukünftig mehr im Sinne qualifizierterer Grundausbildung verstanden werden, um möglichst flexibel auf diesem jeweiligen Bildungsstand aufzubauen und ein Leben lang lernen zu können. Das ist nämlich entscheidend, um sich ständig in die Wirtschaft einbringen zu können. Darüber hinaus sind weitere Überlegungen anzustellen - das sage ich ganz deutlich - , um die Ausbildung vor allen Dingen der wachsenden Spezialisierung besser anzupassen. Deshalb ist es unverzichtbar, daß auch überbetriebliche Lehrwerkstätten - das sage ich ebenfalls ganz deutlich - über einen technologischen Ausstattungsstand verfügen, der den jeweiligen schnellen Intervallen der technischen Entwicklung gerecht wird. Das ist ganz wichtig. ({5}) Ohne diese Voraussetzung können wir die jeweilige sinnvolle Anpassung an die Herausforderungen der Technik nicht bewältigen. Jetzt komme ich zu den Frauen, Frau Odendahl. Das ist natürlich ein Problem, das uns alle beschäftigt. Nur sollten Sie nicht mit falschen Zahlen operieren. ({6}) Ich sage Ihnen, daß wir im Gegensatz zu Ihrer Regierungszeit mittlerweile den Prozentsatz der am Ausbildungsplatz beteiligten Frauen auf über 41 % verbessert haben. Während Ihrer Regierungszeit lag der Anteil noch unter 30 %. ({7}) Seit 1982 90 000 Frauen mehr, 66 000 Männer mehr. Eindeutig zugunsten der Frauen. Gewerblich-technische Berufe: 1977 waren es 13 000, 1985 waren es 59 000 Frauen. Das ist ein positiver Aspekt. Man sieht, die Frauen erkennen, daß für ihren beruflichen Lebensweg auch bei Einführung neuer Technologien eine weitere Chance besteht. Ein weiterer Punkt: Weiterbildungsmaßnahmen. Frau Odendahl, 1984 70 800 Frauen, 1986 185 000 Frauen. Das sind 61,5 % mehr. Ich muß noch einmal sagen: Seien Sie bitte sorgfältig, wenn Sie Zahlen nennen. Bringen Sie sich nicht in die Gefahr - wir kennen uns ja von der Ausschußarbeit - , ins Manipulieren zu geraten. Das hilft doch keinem Menschen weiter. ({8}) Es ist wichtig, an dieser Schwelle, wo wir auch das Jahr 2000 im Auge haben müssen, zu erkennen, daß berufliche Bildung nicht mehr partiell verstanden werden darf. ({9}) Berufliche Bildung ist Berufsausbildung, ist berufliche Fort- und Weiterbildung und vor allen Dingen die permanente Anpassung durch Qualifizierung. Und ich sage Ihnen auch ganz deutlich: Wenn wir an dieser Schwelle, wo die quantitative Aufgabe erledigt zu sein scheint, über berufliche Bildung sprechen, müssen wir uns, meine ich, auch einmal darüber unterhalten, wie es eigentlich aussieht, wenn wir den einzelnen vom Talent her nach Eignung und Neigung fördern wollen. Da denke ich vor allen Dingen an diejenigen, die keinen Hauptschulabschluß haben. Jetzt gibt es noch 65 000 Hauptschulabgänger, die keinen Abschluß haben. Auch diese Zahl wird sich nicht wesentlich senken lassen, weil das eine Frage der Qualifikation ist. Diese Zahl wird sicherlich nicht unter 50 000 zu bringen sein. Um diesen Teil der Hauptschulabgänger - etwa 50 000 - müssen wir uns in Zukunft kümmern. Da sage ich Ihnen ganz offen: Der Strukturwandel in unserer Gesellschaft muß auch von unseren Verantwortlichen in den Schulen aufgegriffen werden. Mit Technikfeindlichkeit, Fortschrittsverneinung und Konflikttheorie können wir diesen jungen Menschen nicht helfen. ({10}) Wir müssen eine Schule gestalten, die es auch in Zukunft möglich macht, daß ehrliche Auskunft über Gesellschaft, über Politik und Bedingungen, die in der Wirtschaft gegeben sind, erteilt wird. ({11}) Dazu gehört auch die Familie. Soeben wurde das Wort im Zusammenhang mit Adolf Kolping hier eingeführt. Ich muß Ihnen sagen: Wer bei der Bildungspolitik die Familie draußen läßt, ist vom Anbeginn zum Scheitern verurteilt. ({12}) Deshalb sind wir der Meinung, daß der Konflikt, der in der Vergangenheit im Bildungswesen zwischen Familie, Schule, Wirtschaft und Gesellschaft bestand, beseitigt werden muß. Wir müssen die Heranführung der Jugendlichen an die berufliche Welt unter Bewahrung vor Langzeitarbeitslosigkeit bewältigen, indem wir vertrauensvoll mit der Wirtschaft zusammenarbeiten. An dieser Schwelle hilft es nicht mehr, weiter auf die Wirtschaft draufzuhauen, Frau Odendahl. Das bringt nichts. Wir brauchen das Handwerk, wir brauchen die mittelständischen Betriebe. Und wir brauchen auch Vertrauen in sie. Es hat nämlich keinen Sinn, dies erzwingen zu wollen und möglicherweise wieder mit dem alten Zopf Ausbildungsabgabe zu kommen. Was soll das? ({13}) Ich möchte zusammenfassen. Ihnen liegt ein Entschließungsantrag vor. Wir, CDU/CSU und FDP, möchten in besonderem Maße die regional unausgewogene Situation abfedern, indem wir auch hier auf die Bundesregierung Einfluß nehmen, Maßnahmen, die überbetrieblich angeboten werden können, einzuführen. Wir möchten das Problem der Frauen insbesondere dadurch bewältigen, daß wir darauf hinweisen, noch mehr, auch schon in der Schule, aufzuzeigen, wo Chancen für den beruflichen Weg auch für Frauen liegen. Im technologischen Bereich gibt es eine hervorragende Chance. Wir bitten vor allen Dingen auch die Sozialpartner, sich im tariflichen Bereich flexibler zu erweisen, damit der einzelne nach Eignung und Neigung in den Ausbildungsplatzmarkt eintreten kann. Ich denke insbesondere an die, die nicht über einen Hauptschulabschluß verfügen. Ich denke auch an die ausländischen Mitbürger, die hier mittlerweile in der dritten Generation verharren und auch ein Recht darauf haben, einen qualifizierten Berufsausbildungsplatz und darüber einen sicheren Arbeitsplatz zu erhalten. ({14}) In diesem Sinne bitte ich, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen. Wir danken noch einmal der Bundesregierung für das, was sie in den vergangenen Jahren zur Bewältigung dieser großen Aufgabe geleistet hat. Insbesondere danke ich denjenigen, die in der Tat Ausbildungsplätze bereitgestellt haben, bis hin zum kleinsten Handwerksmeister. Und dem genannten Fall wollen wir nachgehen, Herr Daweke. Sollte es in der Tat so gewesen sein, daß die Zahl der Auszubildenden in einem Betrieb weit über dem gelegen hat, was man vertreten kann, sind wir bereit, dem nachzugehen. Eben weil wir für das duale System sind, sind wir mehr in der Pflicht. Sie von der Opposition wollen es ablösen und sind für staatliche Reglementierungen. Wir sind für Vertrauen. Und mit Vertrauen kann man viele Probleme, gerade im Hinblick auf das Jahr 2000 besser lösen. ({15}) Herzlichen Dank. ({16})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Abgeordneter Rixe.

Günter Rixe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001861, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine unvoreingenommene Betrachtung der Zahlen zum Berufsbildungsbericht 1986 aus der Sicht der betroffenen Jugendlichen und eine Wertung aller im Berufsbildungsbericht ausgeführten Entwicklungen unterstreicht die berechtigte Forderung von Gewerkschaften und SPD: Wer nicht ausbildet, muß zahlen. ({0}) Da wird uns dann entgegengehalten: Bald muß wieder der rote Teppich ausgelegt werden, um einen Lehrling zu bekommen. - So heißt es landauf, landab von Handwerk und Industrie im Gleichklang mit der Regierung für die Jahre nach 1989. Dieses Gerede, meine Damen und Herren, ist eine Beleidigung aller derjenigen Mädchen und Jungen, die bis heute auf der Strecke geblieben sind. Nicht, wie uns die Regierung vermitteln will, nur noch 46 270 Bewerber sind am Stichtag übriggeblieben. Nein, meine Damen und Herren, erst wenn ich alle verfügbaren Daten zusammenfasse, bekomme ich einen Überblick über die tatsächliche Ausbildungssituation. Diese Rechnung bezieht die vorliegenden Zahlen des Berufsbildungsberichts, der Statistik der Bundesanstalt für Arbeit und die Schulstatistik mit ein. Der Gesamtbedarf aus dem laufenden Abgangsjahrgang lag 1986 bei 1 695 000 Jugendlichen. In dieser Zahl enthalten sind aus früheren Jahrgängen 380 100 unversorgte Mädchen und Jungen, wovon nur 197 600 bei der Bundesanstalt für Arbeit gemeldet waren. Diese Zahlen ergeben sich aus inzwischen bewährten Berechnungsmethoden, die auf amtlichen Daten basieren. Diesem Gesamtbedarf stehen gegenüber 205 400 Studienanfänger, 45 700 Übergänge in das allgemeine Schulwesen, 771 400 Anfänger in der voll qualifizierten Ausbildung - das ist in der Tat eine sehr hohe Zahl - sowie 402 700 Jugendliche in einer nicht voll qualifizierten Ausbildung, wie Berufsgrundbildungsjahr, Berufsfachschule im ersten Jahr, sonstige schulische Maßnahmen und Maßnahmen der Arbeitsverwaltung. Danach sind im Jahre 1986 270 400 Jugendliche ohne Ausbildung geblieben. Ich verweise auf die Stellungnahme, auf das Minderheitenvotum der Beauftragten der Arbeitnehmer im Bundesinstitut für berufliche Bildung. Die letzten Seiten im Berufsbildungsbericht sollte man ausführlich lesen; denn da ist genau das, was ich hier gesagt habe, niedergeschrieben. Eine ehrliche und vollständige Berufsbildungsprognose offenbart danach das große Loch. Unter der Auswertung aller zur Verfügung stehenden Daten ergibt sich, daß 1987 ca. 217 400 Jugendliche ohne ausreichende Berufsperspektiven bleiben, wenn nicht zusätzliche qualifizierte Ausbildungsangebote an diese Jugendlichen gerichtet werden. Diesen Skandal, meine Damen und Herren, jungen Frauen und Männern die gesellschaftliche Teilhabe am beruflichen Leben zu versagen, nennt die Bundesregierung in ihrer Ausbildungsplatzbilanz 1986 eine Bilanz des Erfolges. ({1}) Der bildungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der Kollege Daweke, will aus dieser Schönfärberei gleich politisches Kapital schlagen ({2}) und ließ schon am 31. Januar 1987 verlautbaren - ich zitiere aus dem Pressedienst der CDU/CSU - : Vor dem Hintergrund dieser Zahlen ist das Begehren vieler Planwirtschaftler um so unverständlicher, die berufliche Bildung auf eine gesetzliche Finanzierungsgrundlage zu stellen. ({3}) Der zuständige Bundesminister Möllemann erhofft sich mehr Markt im Bildungswesen. ({4}) Er zeichnete sich in seiner Grundsatzrede unter dem Titel „Programm für die 11. Legislaturperiode" am 20. Mai 1987 im zuständigen Bundestagsausschuß jedoch durch Ignorieren der grundsätzlichen Erfordernisse für die berufliche Bildung aus. ({5}) - Ja, gut, Herr Daweke. Es ist schon ein Skandal ({6}) - damit komme ich gleich zu Ihnen -, einfach über 200 000 junge Menschen aus den Jahren 1984 bis 1986 an den Rand der Gesellschaft zu schieben, so zu tun, als gäbe es sie gar nicht. Was sollen also die jungen Leute von unserer Demokratie halten, wenn sie schon mit 15 Jahren ins Abseits gestellt werden, dann, wenn sie unsere Schulen verlassen? ({7}) Herr Minister, werden Sie nicht wie Ihre Vorgängerin nur ein reiner Versprechungsminister in der Frage der Ausbildungsplätze, ({8}) sondern handeln Sie im Interesse der 270 000 noch immer unversorgt gebliebenen Jugendlichen. - Natürlich nehme ich das nicht zurück. ({9}) Ja. ({10}) Meine Damen und Herren, insbesondere Frauen stellen nach wie vor die größte Gruppe derer, die unverschuldet von qualifizierter Ausbildung und qualifizierten Berufen ausgeschlossen werden. ({11}) Der Anteil junger Frauen an den Auszubildenden beträgt nur 39 %. ({12}) Ein Drittel davon ist im Ausbildungsverhältnis als Verkäuferinnen oder Friseusen untergebracht. Ein Viertel besetzt nahezu alle Berufe mit nur zweijähriger Ausbildungsdauer. Da möchte ich an Sie erinnern, Herr Kollege. Das, was Sie eben gesagt haben, daß Sie dafür seien, daß die berufliche Bildung in der Tat auch als Schmalspurausbildung weiter ausgebaut werden soll, um noch mehr Plätze zu haben, halte ich für eine Katastrophe. ({13}) Ende September 1986 waren von den unvermittelt gebliebenen Bewerbern um Ausbildungsplätze mehr als zwei Drittel Frauen; das hatte ich eben schon einmal gesagt. Industrielle Mittel- und Großbetriebe sind trotz der Modellversuche offensichtlich nicht dazu übergegangen, gewerblich-technische Ausbildungsberufe in erhöhtem Maße für junge Frauen zu eröffnen. ({14}) Angesichts der von mir dargestellten Entwicklungen und entgegen den Tatenlosigkeiten dieser Bundesregierung unterstreicht die SPD den Verfassungsauftrag zur qualifizierten Ausbildung für alle. Das Recht der Jugendlichen auf eine qualifizierte Ausbildung wie auch das Sozialstaatsgebot verpflichten den Gesetzgeber zu einer konkretisierenden Regelung. Ein Appell an die Marktkräfte reicht da nicht aus. In der Ausbildung ist der Markt ein Steuerungsmittel, das sich allein zu Lasten der Jugendlichen auswirkt. ({15}) Dieser Markt führt schon heute zu einer strukturellen Fehlausbildung. Die Struktur des heutigen Ausbildungsangebots entspricht weder der jetzigen noch der Struktur der Berufe des Jahres 2000. Seit Jahren gibt es Berufe, die so erheblich hohe Ausbildungszahlen aufweisen, daß in wenigen Jahren der gesamte Fachkräftebestand ausgewechselt werden müßte, sollten alle neu Ausgebildeten eine Beschäftigung im erlernten Beruf haben. Es verwundert nicht, daß junge Fachkräfte, die in diesen überbesetzten Ausbildungsberufen gelernt haben, auch erheblich überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Vier von fünf dieser Berufe sind typische Frauenberufe. Diesen individuellen Problemen der jungen Menschen entspricht ein volkswirtschaftliches Problem. Es bestehen auf diese Weise natürlich erhebliche strukturelle Ungleichheiten zwischen der Ausbildung und dem Bedarf der Volkswirtschaft an ausgebildeten Arbeitskräften. Ein Vergleich der Ausbildungs- und Beschäftigungsstrukturen von 1970 und 1982 zeigt, daß diese Ungleichgewichte nicht etwa kleiner, sondern größer geworden sind. Danach nahm der Anteil der Ausbildungen in den Dienstleistungsberufen, speziell den sachbezogenen und kaufmännischen Dienstleistungen, ab, obwohl der Bedarf an Fachkräften deutlich stieg. Meine Damen und Herren, im Oktober 1981 hat die Mehrheit des Deutschen Bundestages in einer Entschließung die besondere Bedeutung der Berufsausbildung für die Zukunftschancen der Jugend hervorgehoben. Auch aus heutiger Sicht hat der Deutsche Bundestag die Strukturprobleme des Berufsbildungssystems mit bemerkenswerter Klarheit benannt. Wir müssen angesichts des Berufsbildungsberichts 1987 leider feststellen, daß heute - wie schon 1981 - kein ausreichendes Angebot an hochwertigen Ausbildungsplätzen konjunkturunabhängig bereitgestellt wird, nach wie vor erhebliche regionale und sektorale Ungleichgewichte die Ausbildungsplatzsituation bestimmen, die Zukunftsaussichten der Berufe nicht stark genug beachtet wird, Mädchen, Ausländern, Sonderschülern und Behinderten das grundgesetzlich garantierte Recht auf Chancengleichheit vorenthalten wird, nur solche Maßnahmen zur Beseitigung der festgestellten Mängel für erforderlich gehalten werden, deren Finanzierung gesichert werden muß. Weder wurde die Politik der Bundesregierung der Entschließung von 1981 gerecht, noch wurde konzeptionell eine Berufsbildungspolitik an den Interessen der jungen Menschen orientiert erarbeitet. ({16}) Weder Arbeitgeber noch Bundesregierung werden ihrer Verantwortung gerecht, allen Jugendlichen ein auswahlfähiges Angebot in ihrer Region anzubieten. Die SPD-Fraktion fordert die Bundesregierung erneut auf, im Interesse der jungen Menschen zu handeln. In Übereinstimmung mit den konzeptionellen Vorschlägen der Gewerkschaften unterstreichen wir die Einführung einer gesetzlichen Finanzierungsregelung, verbunden mit Qualitätsauflage und Kontrollen. Das ist vorrangig. Die Bundesregierung ist aufgefordert, das Benachteiligtenprogramm deutlich aufzustocken, gerecht zu verteilen und auf Dauer zu sichern. ({17}) Dazu gehört ein individueller Rechtsanspruch der hier gemeinten Jugendlichen auf eine Ausbildung in diesem Programm. Es muß eine gezielte Beeinflussung des geschlechtsspezifisch geteilten Ausbildungs- und Arbeitsmarktes geben, um über solche strukturellen Maßnahmen die Beteiligung von Mädchen und Jungen zu verbessern. Wir fordern auch ein Sonderprogramm zur Erweiterung der Ausbildungschancen junger Frauen, da1252 mit vermieden wird, daß junge Frauen mit guten Schulabschlüssen in das Benachteiligtenprogramm oder in Warteschleifen abgedrängt werden ({18}) oder resignieren. ({19}) Ich darf daran erinnern, daß sich über öffentliche Förderungsmittel der Anteil der Frauen in Handwerksberufen deutlich erhöht hat. Industrielle Metall- und Elektroberufe konnten für junge Frauen hingegen nur in geringem Umfange erschlossen werden. Zum Beispiel konnte der Anteil von Maschinenschlosserinnen von 0,1 % 1977 nur auf 1,3 % in 1984 gesteigert werden. Die Berufsschulen müssen umfassend ausgebaut und ihre Ausstattung verbessert werden. Alle Bundesländer müssen mindestens zwölf Stunden Unterricht an zwei Tagen wöchentlich gesetzlich absichern. Notwendig ist auch eine Erweiterung der Programme über die bisherigen Modelle hinaus zur Qualifizierung von Ausbildern und Ausbilderinnen sowie den in den Ausbildungsberatungen und Berufsberatungen tätigen Personen, damit auch tatsächlich nach den modernisierten Ausbildungsordnungen, die am 1. August in Kraft treten, ausgebildet werden kann. Die von der SPD geforderte Qualifizierung und die Verbesserung der Qualität der Berufsschulen sollen auch einer weiteren Fehlausbildung im Hinblick auf das heute schon feststellbare Auseinanderklaffen von Ausbildungs- und Beschäftigungsstrukturen entgegenwirken. Die künftigen Probleme liegen in der Qualität der Ausbildung, in der Aufnahme von mehr als 1,5 Millionen junger Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung in das Beschäftigungssystem bis zum Jahr 2000 und in der Notwendigkeit einer langfristigen, auf Dauer angelegten und eindeutigen Konzeption für die berufliche Weiterbildung als öffentliche Aufgabe. ({20}) Das hierzu erforderliche Bündel von Maßnahmen verbindet arbeitsmarkt-, beschäftigungs- und berufsbildungspolitische Aspekte. Hinsichtlich der aktuellen Situation unterstreiche ich abschließend: Oberstes Ziel muß es sein, daß alle Jugendlichen nach der Ausbildung Beschäftigung im erlernten Beruf erhalten. Lohnsubventionen aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit für befristete Übernahmen werden abgelehnt. Die Kräfte des Marktes und Appelle der Bundesregierung reichen nicht aus, um den Jugendlichen heute wirklich eine echte Chance im Berufsleben zu eröffnen. Die quantitative und qualitative Entwicklung verpflichtet zum staatlichen Handeln. Meine sehr verehrten Damen und Herren, von den Gewerkschaften und von der SPD sind konstruktive Vorschläge auf den Tisch gelegt worden. Ich hoffe, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien ihre politischen und finanziellen Kräfte im Interesse aller jungen Menschen einsetzen und sie nicht nur, Herr Minister, auf eine Eliteförderung konzentrieren. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({21})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Herr Möllemann.

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! „Guten Morgen, Deutschland" , eine Magazinsendung von Radio Luxemburg, sowie viele andere Magazinsendungen haben in der letzten Zeit dankenswerterweise die Appelle, die aus dem politischen Raum veröffentlicht worden sind, aufgenommen, den Jugendlichen, die heute noch keine Lehrstelle haben, eine solche anzubieten. Sie haben sich mit den problematischen wie mit den erfreulichen Aspekten des Themas beschäftigt, das wir heute erörtern. Es gibt sie unbestritten beide: den erfreulichen, den Erfolgsaspekt des Berufsbildungsberichts, den ich Ihnen vorgelegt habe, wie auch jene Teile, in denen von noch offenen Fragen - das kann man beides in dem Bericht nachlesen - und von Problemen gesprochen wird, die wir noch nicht gelöst haben. Es entspricht wohl auch der Natur der Sache und des Ablaufs in diesem Hause, daß die Regierungskoalition die positiven Aspekte deutlich unterstreicht, während die Opposition die offenen Fragen hervorhebt. Ich finde, es gehört beides zusammen. Den Betroffenen zuliebe - ich spreche von den Meistern und den Lehrlingen, von den Arbeitgebern und den Gewerkschaften - sollten wir beide Aspekte ganz ruhig erörtern. Zunächst ein paar Bemerkungen zu den positiven Entwicklungen. Dieser Bericht ist ein eindrucksvolles Dokument der Leistungsfähigkeit des dualen Systems in den letzten vier Jahren. Er belegt das hohe Verantwortungsbewußtsein von Unternehmen und Verwaltungen hinsichtlich der beruflichen Ausbildung der nachwachsenden Generation. Annähernd 98 % der nachfragenden Jugendlichen haben einen Ausbildungsplatz bekommen. Natürlich hat nicht jeder den Ausbildungsplatz seiner Wahl erhalten. Das werden wir nie erreichen können. Gleichwohl sind 98 % eine gute Zahl. Gerade in einer Phase des Umbruchs von der Lehrstellenknappheit zur Lehrlingsknappheit, wie ihn der Berufsbildungsbericht deutlich zeigt, ist es für mich eine angenehme Pflicht, den Unternehmen und Gewerkschaften, den Betriebsleitern und den Betriebsräten sowie den Ausbildern und Lehrern für die in der Zeit der Überlast unternommenen Anstrengungen im Namen der Bundesregierung sehr herzlich zu danken. ({0}) Ihr Engagement ist von großer gesellschaftspolitischer Bedeutung. Denn Ausbildung heißt nicht nur berufliches Lernen, sondern auch Hineinwachsen in die Welt der Erwachsenen und so eine wesentliche Grundlage für ein erfülltes Leben gewinnen. In den Jahren 1983 bis 1986 konnten pro Jahr 46 000 bis 76 000 Ausbildungsplätze mehr angeboten werden als in den Vorjahren. In der Summe wurde eine Viertelmillion Ausbildungsplätze mehr angeboten als in den vier Jahren zuvor. Das ist eine beachtliche Zahl. Diese quantitativen Steigerungen in den letzten Jahren sind nicht mit einem Denken in kurzfristigen ökonomischen Kalkülen zu erklären. Vielmehr haben die deutsche Wirtschaft und die Verwaltungen in den letzten Jahren eine hohe Empfindsamkeit dafür entwickelt, Ausbildungsinvestitionen als langfristige Nachwuchssicherung und zugleich als Stärkung der betrieblichen Wettbewerbskräfte zu betrachten. Gleichzeitig dokumentieren die Steigerungen eine hohe soziale Verantwortung für die Sicherung der Zukunft unserer Jugend. Berufliche Ausbildung wird eben nicht allein als öffentliche Aufgabe betrachtet, vielmehr auch als Verpflichtung der Privatwirtschaft. Dies herauszustellen ist für mich von besonderer Bedeutung. In den 70er Jahren wurde in der Bildungspolitik fast ausschließlich nach dem Staat gerufen. Ich entsinne mich dieser Phase noch sehr genau und weiß, daß damals alle Parteien sehr in der Gefahr waren, das zu tun - die Liberalen übrigens manchmal auch. Trotzdem ist es gelungen, gegen harte Widerstände das duale System zum Wohl der jungen Menschen zu erhalten. Heute wird die Bundesrepublik Deutschland international um dieses duale System beneidet. Frankreich stellt im Augenblick sein Berufsausbildungssystem stark auf diese Elemente um. Meine Damen und Herren, neben diesen positiven Aspekten, denen ich eine Menge hinzufügen könnte - aber der Bericht liegt Ihnen ja vor - , nunmehr zu den Aufgaben, die wir noch lösen müssen. Der Bericht weist aus, daß voraussichtlich in diesem Jahr die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen bei rund 700 000 liegen wird und sich damit immer noch auf einem sehr hohen Niveau bewegt. Deshalb ist auch in diesem Jahr und in den folgenden Jahren ein hohes Engagement der Wirtschaft und der öffentlichen Betriebe für die Ausbildung notwendig. Diese Betriebe dürfen in ihren Anstrengungen nicht nachlassen. Ich appelliere an die Unternehmen, bei der Lösung noch bestehender regionaler und struktureller Probleme zu helfen. ({1}) Diese Aufgabe wird auch dadurch erleichtert, daß in den letzten Jahren die Ausbildungsvergütungen nur maßvoll erhöht wurden. Es war ja für manche Betriebe ein Problem, daß sie abwägen mußten, ob sie angesichts der Ausbildungskosten Einstellungen vornehmen konnten. Es ist in diesem Zusammenhang sehr zu begrüßen, daß nach den Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes Auszubildende auf Teile der tariflichen Ausbildungsvergügung verzichten können, um weiterhin in den Genuß des Kindergeldes kommen zu können. Das gilt auch für andere Wirtschaftsbereiche. Meine Damen und Herren, wir müssen - hier stimme ich den Kolleginnen und Kollegen zu, die das gesagt haben - die Chancen der Mädchen in allen Berufen weiter verbessern. Die Ausweitung der Berufspalette der Mädchen muß vorangetrieben werden. Hierzu gehört tatsächlich insbesondere die Überprüfung rechtlicher Hemmnisse, die heute nicht mehr zeitgemäß sind. Dies habe ich veranlaßt. Ich glaube nicht, daß wir das Problem mit Quotenregelungen lösen können. Auch in strukturschwachen Regionen sind weitere Anstrengungen notwendig. Deshalb ist allerdings parallel auch eine erhöhte Mobilität der Jugend zu fordern und zu fördern, jedenfalls bei denen, die im Alter von 18 Jahren in eine Lehre gehen. Dabei müssen wir den jungen Menschen soziale Hilfen gewähren. Diese Aufgabe kann nicht allein der Staat leisten. Hier sind auch die gesellschaftlichen Gruppen gefordert. Ich fand es gut, daß der Kollege Thomae auf das Vorbild Adolf Kolping verwiesen hat; denn es geht eben nicht nur darum, den jungen Menschen in einer solchen Situation einen Ausbildungsplatz zu verschaffen, sondern auch darum, ein Stück Heimat in der Fremde zu geben. ({2}) Bis Anfang der 90er Jahre wird die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen auf rund 600 000 zurückgehen. Diese Entwicklung macht eine neue Aufgabe in den nächsten Jahren deutlich: die bessere quantitative Relation der verschiedenen Ausbildungsgänge. Hier werden nicht dirigistische Planungen zum Erfolg führen, sondern nur marktwirtschaftliche Elemente. Die individuelle Entscheidung, die Abstimmung mit den Füßen, muß Grundelement der quantitativen Entwicklung sein. Dies gilt für Schule und Hochschule ebenso wie für das duale System. Es hat doch keinen Zweck, sich darüber zu beklagen, daß manche junge Menschen in einen Beruf gehen, bei dem sie keine gesicherte Zukunftsaussicht haben, wenn man gleichzeitig sagt: Wir wollen ihnen künftig vorschreiben, wohin sie zu gehen haben. ({3}) Wollen Sie das denn? Das ist doch die Alternative. Diese Entscheidung des einzelnen muß allerdings durch Information und Anreize verantwortbar gemacht und stimuliert werden. Die Wirtschaftszweige, in denen sich der Nachwuchsmangel in den nächsten Jahren deutlich zeigen wird, müssen darum bemüht sein, die Qualität und damit die Attraktivität ihrer Ausbildung zu erhöhen. Lassen Sie mich eine zweite Aufgabe der nächsten Jahre anfügen. Die Neuregelung der Ausbildungsordnungen muß intensiv fortgesetzt werden. ({4}) Hierbei geht es zum einen um die Erarbeitung von Ausbildungsordnungen für noch nicht neu geordnete Berufe, zum anderen um eine zweite Modernisierungswelle und die Überarbeitung zwischenzeitlich bereits überholter Ausbildungsordnungen. Die Bundesregierung wird darauf drängen, daß hier zügig und nach Möglichkeit im Konsens aller Beteiligten Erfolge erzielt werden, wiewohl das Konsensprinzip, daß beim BiBB praktiziert wird, natürlich nicht gerade der größte Beschleuniger beim einzelnen Verfahren ist. Bei dem Bemühen um die Hebung der Qualität der Ausbildung kommt in fast allen Berufen den neuen Technologien wachsende Bedeutung zu. Wir müssen daher alle Anstrengungen unternehmen, die Lerninhalte und Kenntnisse über die neuen Technologien in die Ausbildung aufzunehmen. Diesen neuen Qualifikationsstrukturen ist Rechnung zu tragen. Der Kollege Thomae hat in diesem Zusammenhang zu Recht auf das Problem der Hauptschüler ohne Abschluß und der Sonderschüler verwiesen, die hier leicht den Anschluß verlieren. Die Bundesregierung ist darum bemüht, durch stärkere Differenzierung deren Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Ich beobachte mit Interesse, daß entgegen den Angriffen, die ich gehört habe, bei den Sozialpartnern längst eine neue Diskussion in Gang gekommen ist. Es gibt halt junge Menschen, denen stetig höhere Anforderungen in den dann regulären Ausbildungsordnungen auch bei noch so großer Förderung zu große Schwierigkeiten machen. Wollen wir die scheitern lassen und ihnen das Gefühl vermitteln: ich kann nichts? Wollen wir ihnen nicht helfen, einen Ausbildungsgang zu bewältigen, den sie mit Unterstützung auch tatsächlich bewältigen können? Ist das für ihr Selbstwertgefühl nicht besser? Ich glaube, wir sollten diese Debatte nicht mit ideologischen Brillen führen. ({5}) Gerade für die mittelständischen Unternehmen wird die Modernisierung und der Ausbau der überbetrieblichen Ausbildungsstätten zu Technologietransferzentren von zunehmender Dringlichkeit. Ich habe gerne gehört, Herr Kollege Schemken, daß Sie das gesagt haben. Sie wissen, daß wir da noch ringen müssen, um alle zu überzeugen. Auch der Bund kann sich dieser Aufgabe nicht verschließen. Mit dem Aktionsprogramm Neue Technologien in der beruflichen Bildung sowie den Mitteln für die überbetrieblichen Ausbildungsstätten werden hier wirksame Hilfen geleistet, die es meines Erachtens fortzusetzen und auszubauen gilt. Den überbetrieblichen Bildungsstätten kommt in den nächsten Jahren nämlich auch mit Blick auf die Weiterbildung wachsende Bedeutung zu. Angesichts der Tatsache, daß wir die erste Ausbildungsphase nicht weiter verlängern dürfen, und angesichts der Beschleunigung technischer und sozialer Veränderungen muß die Weiterbildung intensiviert werden. Dieser Notwendigkeit können wir kaum durch neue flächendeckende staatsorientierte Weiterbildungsinstitutionen entsprechen. Vielmehr ist hier insbesondere auch das Engagement der Betriebe und der Sozialpartner gefordert. Wir müssen uns, meine Damen und Herren, gemeinsam für ein vielfältiges und plurales Weiterbildungsangebot engagieren. In einer Konzertierten Aktion Weiterbildung, die ich im Herbst zusammenrufen will, müssen Bund, Länder, Tarifparteien und die Träger der Weiterbildung ein Konzept für die Bewältigung dieser wichtigen Zukunftsaufgabe erarbeiten. ({6}) Ein solches Konzept gibt es bislang noch nicht. Zu diesem Konzept gehört auch, daß in Tarifverträgen die Weiterbildung stärkere Berücksichtigung findet. Auch die Diskussion um die Verkürzung der Arbeitszeit muß nach meiner Überzeugung um das Element der Bildungszeit bereichert werden. Zum Ausbau der beruflichen Weiterbildung gehört natürlich auch das besondere Problem der Qualifizierung von arbeitslosen Erwachsenen ohne Berufsausbildung. Das Thema, das Sie angesprochen haben, das Benachteiligtenprogramm, gehört auch dazu. Der knappe Zeitrahmen ermöglicht es mir nicht, das jetzt hier im einzelnen darzustellen. Aber Sie können davon ausgehen, daß auch der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft nicht nur die gesetzliche Absicherung dieses Programms, wie es ja in den Koalitionsvereinbarungen festgelegt ist, will, sondern auch seine Fortsetzung; denn in der Tat ist der Kreis der davon betroffenen zu Begünstigenden hinreichend groß. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich auf die Aussprache im Ausschuß über die beiden hier vorliegenden Entschließungsanträge, die an denselben verwiesen werden dürften. Ich meine in der Tat, daß eine Menge von Fragen, wenn wir jetzt einmal die bei solchen Debatten offenbar unvermeidliche Polemik beiseite schieben, auch von relativ gemeinsamen Positionen aus angegangen werden können. Insbesondere gilt diese Gemeinsamkeit für den Appell, den ich hier noch einmal aussprechen möchte. Ich appelliere am Abschluß dieser Debatte noch einmal an alle privaten und öffentlichen Arbeitgeber, jetzt den jungen Menschen eine qualifizierte Berufsausbildung zu ermöglichen. Jeder Junge, jedes Mädchen in unserem reichen Industriestaat Deutschland muß die Chance haben, einen qualifizierten Beruf zu erlernen. In der aktuellen und konkreten Situation möchte ich noch einen Appell für einen speziellen Problembereich anfügen. Ich möchte die Verantwortlichen in öffentlichen und privaten Betrieben aufrufen: Geben Sie jetzt in den Sommer- und Semesterferien Schülern und Studenten einen Arbeitsplatz, ({7}) damit diese sich einen Einblick in die betriebliche Realität verschaffen können, damit sie sich Geld hinzuverdienen können! Es nützt ihnen, d. h. den Betrieben wie den Betroffenen, sicher, wenn sie das können. Ich wäre sehr froh, wenn möglichst viele Arbeitgeber bereit wären, Ferienarbeitsplätze für Schüler und Studenten bereitzustellen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Berufsbildungsbericht 1987 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Weiter ist beantragt, die Entschließungsanträge der Fraktion der SPD und der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP ebenfalls an diese Ausschüsse zu überweisen. Herrscht darüber Einverständnis? - Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen. Vizepräsident Frau Renger Wir haben eine Reihe weiterer Abstimmungen vor uns. Ich rufe den Punkt 6 der Tagesordnung auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 30. April 1986 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Ungarischen Volksrepublik über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 11/26 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({0}) - Drucksache 11/326 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Unland ({1}) Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung einiger Abgeordneter der GRÜNEN angenommen. Ich rufe den Punkt 7 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1987 ({2}) - Drucksachen 11/287, 11/308 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({3}) - Drucksache 11/489 - Berichterstatter: Abgeordnete Lutz Frau Dr. Vollmer Regenspurger Richter b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 11/494 Berichterstatter: Abgeordnete Deres Kühbacher Frau Seiler-Albring Kleinert ({5}) ({6}) Auch hierfür ist eine Aussprache nicht vorgesehen. Ich rufe die Art. 1 bis 6, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Ich rufe die Punkte 8 bis 16 der Tagesordnung auf: 8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 11. April 1984 zur Änderung des Anhangs zur Satzung der Europäischen Schule - Drucksache 11/355 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß ({7}) Ausschuß für Bildung und Wissenschaft 9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 4. November 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Verzicht auf die Beglaubigung und über den Austausch von Personenstandsurkunden/Zivilstandsurkunden sowie über die Beschaffung von Ehefähigkeitszeugnissen - Drucksache 11/354 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({8}) Rechtsausschuß 10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 16. Mai 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen - Drucksache 11/361 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({9}) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie zum Protokoll betreffend die Auslegung dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof in der Fassung des Übereinkommens über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands Vizepräsident Frau Renger und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland - Drucksache 11/350 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß 12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung zwischenstaatlicher Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge in Zivil- und Handelssachen ({10}) - Drucksache 11/351 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß 13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung ({11}) - Drucksache 11/352 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({12}) Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß 14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Schaffung eines Vorrechts für Umlagen auf die Erzeugung von Kohle und Stahl ({13}) - Drucksache 11/353 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({14}) Ausschuß für Wirtschaft 15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 25. März 1986 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und St. Vincent und die Grenadinen über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 11/358 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({15}) Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit 16. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. April 1986 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Bulgarien über die gegenseitige Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 11/359 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({16}) Auswärtiger Ausschuß Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. - Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich rufe die Zusatzpunkte 3 und 4 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Eid und der Fraktion DIE GRÜNEN Von der DEG gefördertes Projekt Palmoriente S.A. in Ecuador - Drucksache 11/449 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({17}) Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Saibold, Frau Wollny und der Fraktion DIE GRÜNEN Kennzeichnung von Milch, Milchprodukten und Säuglingsnahrung mit Werten radioaktiver Belastung und Ausweitung des Meßstellennetzes - Drucksache 11/486 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({18}) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Auch hierfür ist keine Aussprache vorgesehen. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: a) Beratung der Übersicht 1 des Rechtsausschusses ({19}) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht - Drucksache 11/312 - b) Beratung der Übersicht 2 des Rechtsausschusses ({20}) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht - Drucksache 11/313 Auch hierfür ist keine Aussprache vorgesehen. Der Rechtsausschuß empfiehlt, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt abzusehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich rufe den Punkt 18 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags des Präsidenten des Bundesrechnungshofes Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 1986 - Einzelplan 20 - Drucksache 11/328 Überweisungsvorschlag des Ältestenrats: Haushaltsausschuß Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlage an den Haushaltsausschuß zu überweisen. - Das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen. Vizepräsident Frau Renger Ich rufe den Punkt 19 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({21}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 1987 Außerplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 10 04 Titel apl. 682 08 - Kosten für die Lagerung von Interventionswaren - Drucksachen 11/131, 11/431 Berichterstatter: Abgeordnete Schmitz ({22}) Dr. Struck Frau Vennegerts Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Der Ausschuß empfiehlt, von der Unterrichtung Kenntnis zu nehmen. Nimmt das Haus davon Kenntnis? - Gegenstimmen? ({23}) - Das habe auch ich soeben gefragt. Hier oben ist eine längere Diskussion darüber entstanden. ({24}) Das Haus hat, wie ich gesehen habe, einstimmig davon Kenntnis genommen. - Auch ich wollte wissen, wie Sie verhindern können, daß Sie das zur Kenntnis nehmen. Aber bitte. Ich rufe den Punkt 20 der Tagesordnung: 20. Beratung der Sammelübersicht 13 des Petitionsausschusses ({25}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 11/413 sowie die Zusatzpunkte 5 und 6 der Tagesordnung auf: Beratung der Sammelübersicht 14 des Petitionsausschusses ({26}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 11/527 Beratung der Sammelübersicht 15 des Petitionsausschusses ({27}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 11/528 - Es ist keine Aussprache vorgesehen. Wer für die Beschlußempfehlungen des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung einiger Abgeordneter der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen. Ich rufe den Punkt 21 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({28}) Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages - Drucksache 11/444 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Lammert Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig beschlossen. Wir treten jetzt in eine Mittagspause ein und setzen die Beratungen um 14 Uhr mit der Fragestunde fort. Ich unterbreche die Sitzung. ({29})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich eröffne die unterbrochene Sitzung. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 1: Fragestunde - Drucksache 11/502 Zuerst ist der Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit an der Reihe. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Köhler steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Ich rufe die Frage 5 der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein auf: Welche Gutachten und Studien über die Bedeutung der Bucht von Dalyan für den Naturschutz waren der Bundesregierung bekannt, als sie die Genehmigung für die Gewährung von 10 Millionen DM finanzieller Hilfe durch die DEG für den Bau des Kaunos-Beach-Hotel gab? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident, ich beantworte die Frage wie folgt: Entscheidungsgrundlage für Beschlüsse der Vertreter der Bundesregierung im Aufsichtsrat der DEG sind die entsprechenden Beschlußvorlagen der DEG-Geschäftsführung. Das gilt auch für das Kaunos-Beach-Hotel. Beschlußvorlagen für den Aufsichtsrat haben das Ergebnis der Projektprüfungen der DEG zusammenzufassen. Im Fall des Kaunos-Beach-Hotels sind den Vertretern der Bundesregierung im Aufsichtsrat der DEG bei der Beschlußfassung keine umweltrelevanten Probleme bekanntgeworden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Frau Dr. Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wurden denn bei der Realisierung dieses Projekts hinsichtlich der möglichen Folgen für die Umwelt von seiten der Bundesregierung bzw. der DEG überhaupt irgendwelche Prüfungen an Ort und Stelle vorgenommen, und wie haben Sie die vorliegenden Informationen dann unter dem angesprochenen Gesichtspunkt beurteilt, insbesondere hinsichtlich der Tatsache, daß Sie mir auf meine schriftliche Anfrage selber geantwortet haben, daß der Bundesregierung widersprüchliche Informationen darüber vorgelegen hätten, ob mit dem Bau des Kaunos-Beach-Hotels umweltmäßige Probleme verbunden seien und daß sie sich erst im nachhinein -

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Höchstens zwei Teile kann eine Frage haben, Frau Dr. Hartenstein. Und da Sie Vizepräsident Westphal noch eine Zusatzfrage haben, könnten Sie hier vielleicht Ihre Frage enden lassen.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich glaube, die Hauptfrage wurde verstanden.

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Kollegin Hartenstein, die DEG berücksichtigt Umweltfragen im Rahmen ihrer Projektprüfungen. Sie bedient sich dabei eines Prüfungsrasters. Das BMZ ist dabei, die Verfahren zur Umweltverträglichkeitsprüfung bei Vorhaben der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit auf der Basis der von einer Sachverständigengruppe erstellten Arbeitsmaterialien zu verbessern. Dabei wird auch geprüft werden, inwieweit die DEG entsprechende Verfahrensregeln bei der Vorbereitung ihrer Projekte künftig anwenden kann. Die zweite Hälfte der Frage, Herr Präsident, darf ich dahin gehend beantworten, daß uns im Rahmen dieser ganzen Entwicklung von anderer Seite weitere Informationen zugegangen sind, die dieses widersprüchliche Bild ergaben und um deren Klärung wir uns dann bemüht haben.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Zusatzfrage, Frau Dr. Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bedanke mich für die Möglichkeit, eine zweite Zusatzfrage zu stellen. Herr Staatssekretär, hält denn die Bundesregierung nach den heutigen Erkenntnissen an dieser Entscheidung fest, d. h. an dem Vorrang der positiven Projekterwartung im Hinblick auf Arbeitsplätze und wirtschaftliche Erschließung, obwohl sich insbesondere herausgestellt hat, daß die Sensibilität für den Naturschutz sehr viel stärker war als angenommen und die Gegend an sich sehr viel weniger benachteiligt ist als ursprünglich angenommen, oder würde sie gegebenenfalls eine andere Abwägung treffen?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident, ich bitte um Nachsicht. Ich bin in einer gewissen Verlegenheit, weil dies zum Teil schon die zweite Frage der Frau Kollegin Hartenstein berührt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Also, Herr Staatssekretär, wie ich Sie kenne, werden Sie durch so etwas doch nicht in Verlegenheit gebracht. ({0})

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident, Ihnen gegenüber gerate ich nicht gern in Verlegenheit. Das wollte ich damit zum Ausdruck bringen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Vielleicht beantworten Sie die Frage, und wir stellen dann fest, wie wir im Hinblick auf die zweite schriftliche Frage von Frau Kollegin Hartenstein verfahren.

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Kollegin Hartenstein, im gegenwärtigen Moment sind eine Reihe von Untersuchungen der Angelegenheit noch nicht so weit fortgeschritten, daß sich dies wirklich abschließend beantworten läßt. Es sind zwei Experten, zwei Gutachter zur Überprüfung der Umweltfragen des Projekts in die Türkei entsandt. Deren Erkenntnisse werden wir selbstverständlich auswerten. Aber sie liegen uns in diesem Moment noch nicht vor.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Dann rufe ich die Frage 6 der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein auf: Seit wann ist der Bundesregierung bekannt, daß die Türkei im Gebiet der Bucht von Dalyan die Anlage eines Nationalparkes beabsichtigt, und ist sie bereit, in Anbetracht dessen die Auszahlung der bundesdeutschen Finanzmittel zu stornieren? Herr Staatssekretär, Sie können sich überlegen, ob Sie Ihre Ausführungen wiederholen müssen oder noch etwas weiteres sagen wollen.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident, ich beantworte diese Frage folgendermaßen: Soweit der Bundesregierung bekannt ist, hat sich die türkische Regierung noch nicht zur Einrichtung eines Naturschutzgebietes in der Bucht von Dalyan entschieden. Im übrigen sind nach unserem Erkenntnisstand die Erstellung des Kaunos-Beach-Hotels und die Einrichtung eines Naturschutzgebietes nicht ohne weiteres als Alternativen zu sehen. Vielmehr ist möglicherweise anzustreben, einen vernünftigen Kompromiß zwischen den Belangen des Umweltschutzes und der touristischen Nutzung des Dalyan-Gebietes herzustellen. Ich sage dies mit ausdrücklichem Bezug auf meine vorige Antwort, daß diese Fragen erst durch die Erkenntnisse der Gutachter so weit geklärt werden können, daß eine verantwortliche Entscheidung möglich ist.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage Frau Dr. Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sollte diese Voraussetzung zutreffen - so hat sich übrigens der türkische Umweltminister beim Europarat vor etwa 10 oder 14 Tagen in Lissabon geäußert -, wäre dann mindestens theoretisch noch mit der Möglichkeit zu rechnen, daß die Bundesregierung zu einer anderen Entscheidung käme, die Mittel stornieren würde und sie auf die Einrichtung eines Naturschutzgebietes oder eines Nationalparks übertragen könnte?

Not found (Staatssekretär:in)

Der Vorschlag der Einrichtung eines „Nationalparks" in diesem Gebiet ist bereits vor neun Jahren, nämlich 1978, an die türkische Regierung herangetragen worden. Auch die DEG hat dem türkischen Tourismusminister nach Bekanntwerden dieser Umweltfragen die Einrichtung eines Naturschutzgebiets vorgeschlagen. Nach dem, was wir im Moment wissen, wäre eine räumliche Trennung zwischen Projekt und Naturschutzgebiet möglich, so daß wir nicht ohne weiteres von vornherein gezwungen sind, hier auf eine alternative Entscheidung hinauszugehen. Das müssen wir an Hand der Gutachten noch näher untersuchen. Ich darf Ihnen aber versichern, daß wir uns in klarer Weise zu unseren Verpflichtungen aus internationalen Abkommen zum Schutz der Caretta caretta bekennen. Wir gehen genauso selbstverständlich davon aus, daß auch die türkische Regierung dies tut. Auf dieser Basis wird dann nach der Untersuchung der Fakten die Entscheidung fallen müssen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie haben noch eine Zusatzfrage, Frau Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wäre die Bundesregierung, wenn beides nebeneinander existieren sollte, wenigstens bereit, an die Vergabe dieser Finanzierungsmittel von 10 Millionen DM entsprechende Auflagen zu knüpfen, die die Interessen und Bedürfnisse des Naturschutzes so weit und so streng wie möglich gewährleisten?

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Kollegin, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß die Bundesregierung in den Entscheidungsgremien der DEG einer unter mehreren ist. Es handelt sich hier um eine entsprechend dem Aktienrecht selbständige Gesellschaft, in der wir nicht allein entscheiden, sondern unsere Vorstellungen in die Entscheidung einbringen. Dies werden wir selbstverständlich in der gedachten Weise tun.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Brauer.

Hans Jochim Brauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000248, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ist es eigentlich neuerdings die Entwicklungshilfepolitik Ihres Hauses, in sogenannten Joint-venture-Verfahren - das Dalyan-Gebiet, wo dieses Projekt durchgeführt wird, ist ein wirtschaftlich recht starkes Gebiet der Türkei - solche Splittingverträge mit der DEG in solchen Ländern durchzuführen?

Not found (Staatssekretär:in)

Dies ist keineswegs neu. Seit Bestehen der DEG ist sie in - ich würde beinahe sagen - aller Herren Länder der Welt in solchen Joint-ventures im Tourismusbereich tätig, und dies ist auch in diesem Fall so gewesen. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das geht leider nicht. Sie haben zu einer Frage eine Zusatzfrage. Danke schön, Herr Staatssekretär. Das war das Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Herr Staatsminister Dr. Stavenhagen steht zur Verantwortung der Fragen zur Verfügung. Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Dr. Schöfberger auf: Kann die Bundesregierung die Behauptung des Bayerischen Ministerpräsidenten Strauß vom Montag, 18. Mai 1987, bestätigen, daß er seine Glückwünsche an den südafrikanischen Präsidenten Pieter Willem Botha anläßlich dessen Wiederwahl „in völliger Übereinstimmung mit dem Kanzler" ausgedrückt und ihm Kanzleramtsminister Dr. Schäuble bestätigt habe, daß diese Glückwünsche „im Rahmen der gemeinsamen Politik" lagen, oder hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Schäfer, die Auffassung der Bundesregierung zutreffend wiedergegeben, als er die Glückwünsche als „ungebührlich und unmöglich" bezeichnete? Bitte schön, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Kollege, wie ich Ihnen bereits in meiner schriftlichen Antwort auf Ihre Frage mitteilte, setzt sich die Bundesregierung gemeinsam mit unseren europäischen und atlantischen Partnern für eine friedliche Überwindung der Rassendiskriminierung in Südafrika und für eine faire Teilhabe aller Gruppen der Bevölkerung an der politischen Willensbildung ein. Voraussetzung einer solchen friedlichen, evolutionären Entwicklung ist die baldige Aufnahme eines umfassenden nationalen Dialogs aller Beteiligten, der südafrikanischen Regierung und der Vertreter aller maßgeblichen Gruppen des Landes. Es ist das erklärte Ziel des Bundeskanzlers und aller diese Bundesregierung tragenden Parteien, diesen Dialog nach Kräften zu fördern. Die Bundesregierung nutzt daher alle ihre Einflußmöglichkeiten zu den verschiedenen politischen Kräften Südafrikas, so zu Staatspräsident Botha, insbesondere die guten Kontakte von Ministerpräsident Franz Josef Strauß. Das Telegramm, das Sie angesprochen haben, ist eine protokollarische Geste im Rahmen dieser guten Beziehungen, nicht mehr und nicht weniger.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Dr. Schöfberger.

Dr. Rudolf Schöfberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Hat dann der Herr Staatsminister im Auswärtigen Amt, Schäfer, die Auffassung der Bundesregierung nicht widergegeben, sondern seine Privatmeinung geäußert, als er dieses überschwengliche Wahlglückwunschtelegramm als „ungebührlich und unmöglich" bezeichnet hat?

Not found (Gast)

Herr Kollege, es wäre interessant, die genaue Formulierung des Kollegen Schäfer vorzutragen. Es ist richtig, daß diese Sicht der Dinge, wie ich sie Ihnen vorgetragen habe, die Auffassung der Bundesregierung ist und innerhalb der Bundesregierung auch unbestritten ist.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Gansel hat eine Zusatzfrage, bitte.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, wenn die Bundesregierung auf einen friedlichen Wandel in Südafrika setzt, wie erklären Sie sich dann den Umstand, daß die Bundesregierung es bis heute nicht fertiggebracht hat, die unter Bruch des UN-Embargos erfolgte Übergabe von Unterlagen zur Rüstungsproduktion an Südafrika durch Firmen aus der Bundesrepublik Deutschland unter Beteiligung von Mitgliedern der Bundesregierung öffentlich zu verurteilen und zu bedauern?

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege, ich muß feststellen, daß dies keinen direkten Zusammenhang mit der Frage hat. Wenn der Staatsminister antworten will, steht es ihm frei, er muß es aber nicht.

Not found (Gast)

Herr Präsident, ich bin auf diese Frage nicht vorbereitet und kann sie deswegen nicht beantworten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Dr. Schöfberger nutzt seine zweite Möglichkeit zur Zwischenfrage, bitte schön.

Dr. Rudolf Schöfberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Hat der Herr Bundeskanzler Herrn Botha anläßlich seiner Wiederwahl auch selber Glückwünsche übersandt, oder läßt er solche Glückwünsche im Zuge der außenpolitischen Beziehungen immer durch den Herrn bayerischen Ministerpräsidenten erledigen?

Not found (Gast)

Herr Kollege, die Außenvertretung des Bundes ist Sache der Bundesregierung. Deswegen lassen wir nichts vertreten; das zu Ihrer einen Frage. Zur anderen Frage: Es bestand keine Veranlassung zu einem solchen Telegramm.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Nun rufe ich die Frage 8 der Abgeordneten Frau Schmidt ({0}) auf: Hat der Bundeskanzler ein Jahr nach Umbenennung des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit in Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit entschieden, welche zusätzlichen Zuständigkeiten bei diesem Ministerium angesiedelt sind, und welche zusätzlichen Federführungen dem Ministerium übertragen werden? Bitte schön, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Frau Kollegin, bereits bei der Umbildung des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit zum Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit durch Organisationserlaß vom 5. Juni 1986 hat der Bundeskanzler auf dieses Ministerium die Zuständigkeit für „Frau und Beruf" aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung übertragen. Inzwischen ist darüber hinaus der bis dahin bestehende Arbeitsstab „Frauenpolitik" zu einer eigenen Abteilung ausgebaut worden. Dafür sind dem Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit im Haushalt 1987 18 neue Stellen zugewiesen worden. Am 8. September 1986 hat der Bundeskanzler angeordnet, daß alle Angelegenheiten von frauenpolitischer Bedeutung von den federführenden Ressorts in engster Abstimmung mit dem Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu bearbeiten sind. Gegenwärtig wird an einer Novellierung des Geschäftsordnungsrechts der Bundesregierung gearbeitet mit dem Ziel, die Rechte des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu stärken. Der Bundeskanzler hat sich eine weitere Organisationsentscheidung in diesem Zusammenhang vorbehalten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Frau Schmidt.

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, bis wann ist denn - immerhin ein Jahr nach der Ankündigung - damit zu rechnen, daß diese Umorganisationen abgeschlossen sind? Wird insbesondere daran gedacht, Zuständigkeiten wie z. B. für die Frauenförderung, für das arbeitsrechtliche EG-Anpassungsgesetz - also die Frage der Gleichstellung der Frau im Beruf - , für Wiedereingliederungsmaßnahmen, für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf an das Ministerium für Jugend, Familie und, für mich im Moment nur: Gesundheit zu übertragen?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, wenn Sie im Auge behalten, daß wir inzwischen eine Bundestagswahl hatten, daß wir danach Koalitionsverhandlungen und danach die Regierungsbildung hatten, dann ist seit der Regierungsbildung noch nicht sehr viel Zeit vergangen. Ich gehe davon aus, daß in Bälde mit diesen Entscheidungen zu rechnen ist. Was im einzelnen zu übertragen ist, da möchte ich der Organisationsgewalt des Bundeskanzlers nicht vorgreifen. Aber dies wird in Bälde geschehen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Schmidt, bitte.

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, gab es schon einmal einen vergleichbaren Fall bei einem männlichen Minister, daß er einen Titel übertragen bekam, ohne daß er Kompetenzen erhielt? ({0})

Not found (Gast)

Frau Kollegin, ich habe Mühe, hier einen vergleichbaren Fall überhaupt festzustellen, aber wir gehen dieser Frage gerne nach. Ich kann sie im Moment nicht beantworten, möchte aber nicht ausschließen, daß ähnliche Dinge, die eine gewisse Zeit, insbesondere wenn dazwischen Bundestagswahlen mit Regierungsneubildung lagen, in Anspruch genommen haben, schon mal stattgefunden haben. Ich werde das aber gerne recherchieren. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Faße.

Annette Faße (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Welche konkreten Kompetenzen wird das Ministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit erhalten, um die Belastungen, denen Frauen durch die Einführung neuer Techniken am Arbeitsplatz ausgesetzt sind, abzuwenden?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, wie ich schon sagte, ist dies Sache der Organisationsgewalt des Bundeskanzlers, der ich hier nicht vorgreifen kann.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Zusatzfrage von Frau Kollegin Fuchs.

Katrin Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist von der Frau Ministerin angekündigt worden, daß sie ein Vetorecht bei gemeinsamen Abstimmungen haben würde. Können Sie mir bitte sagen, welche Fragen diese Vetorecht betrifft, ob das wirklich vorgesehen ist oder ob das nun auch im Zuge dieser Umorientierung gekippt worden ist?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, die Geschäftsordnungsdinge, die geändert werden sollen, sind auf gutem Wege. Der Gang ist, daß sie ins Kabinett müssen und danach vom Bundespräsidenten genehmigt werden müssen. Solange sie nicht im Kabinett waren, kann ich den Beschlüssen nicht vorgreifen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da ich davon ausgehe, daß es nicht nur eine Frauenfrage ist, möchte ich Sie fragen: Wenn Sie sagen, es liegt in der Zuständigkeit der Organisationsgewalt des Bundeskanzlers, wie er seine Ministerien organisiert, ist es aber nicht üblich, daß man zumindest Tendenzen wie man beispielsweise etwas organisieren will, vom Grundsatz her in der Bundesregierung vorab diskutiert?

Not found (Gast)

Herr Kollege, es ist, glaube ich, nicht Zweck der Fragestunde, hier interne Diskussionen vorzutragen, sondern wir tragen vor, wenn Entscheidungen reif sind und gefallen sind. Der Bundeskanzler wird diese Entscheidung in Bälde treffen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Zusatzfrage, Frau Dr. Hartenstein? - Bitte schön.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Können Sie mir erklären, was darunter zu verstehen ist, daß Frau Bundesminister Süssmuth eine gemeinsame Federführung für Frauenfragen beantragt hat, und können Sie mir sagen, ob es einen vergleichbaren Fall bei Ministerien, die von männlichen Ministern besetzt sind, gibt, wo eine gemeinsame Federführung für ein bestimmtes Themengebiet stattfindet?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, ich gehe der Frage gerne nach. Ich kann im Moment keine Stelle erkennen, wo es gemeinsame Federführungen gibt oder gegeben hat. Ich gehe der Frage aber gerne nach. Im übrigen wird das, was in der Geschäftsordnung neu zu regeln sein wird, in Bälde geregelt sein und dann Ihrer Diskussion und gegebenenfalls auch Ihrer Zustimmung vorliegen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Keine weiteren Zusatzfragen? - Dann sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister, für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Sämtliche Fragesteller - der Abgeordnete Menzel zu den Fragen 15 und 16, der Abgeordnete Großmann zu den Fragen 17 und 18 und der Abgeordnete Dr. Meyer zu Bentrup zu den Fragen 19 und 20 - haben um schriftliche Beantwortung ihrer Fragen gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich komme dann zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Herr Staatsminister Schäfer steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Die Fragen 21 und 22 des Abgeordneten Böhm ({0}) sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 23 des Abgeordneten Lowack auf : Welche Konsequenzen hat die Bundesregierung aus dem Anhörungsverfahren zur Reform über den Auswärtigen Dienst vom 27./28. Februar und 13. März 1985 gezogen und wird sie noch ziehen?

Not found (Gast)

Herr Kollege, die Bundesregierung hat den Inhalt der Anhörungen sorgfältig untersucht und unter Berücksichtigung der Anregungen des Deutschen Bundestages eine Reihe von Konsequenzen gezogen, über die sie dem Bundestag berichtet hat und die Gegenstand einer Plenardebatte am 13. November 1986 waren. Das Auswärtige Amt hat sich bemüht, die Maßnahmen, die es in eigener Zuständigkeit zur Verbesserung seiner Funktionsfähigkeit treffen kann, durchzuführen. Dazu gehören eine Überprüfung der Organisations- und Weisungsstrukturen und eine verstärkte Delegation von Verantwortung. Wir haben uns zugleich verstärkt den Problemen der Bediensteten und ihrer Familien zugewandt und führen einen intensiven Dialog mit ihnen. Ein Teil der Auslandsvertretungen konnte personell verstärkt, der Einsatz moderner Technik konnte beschleunigt werden. Allerdings ist - Sie haben als Berichterstatter für den Bericht der Bundesregierung zu Recht darauf hingewiesen - nicht zu verkennen, daß die Schwierigkeiten, denen sich der Auswärtige Dienst ausgesetzt sieht, in den letzten Jahren größer geworden sind und neue Regelungen erfordern. In diesem Zusammenhang hat das Auswärtige Amt auf Grund des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 13. November 1986 dem Auswärtigen Ausschuß einen Bericht über die Besonderheiten des Dienstes übermittelt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage, Herr Lowack.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ist es bei den vielfältigen Aufgaben einerseits und den Unzulänglichkeiten und Unerträglichkeiten im Auswärtigen Dienst, die mit dem allgemeinen Dienstrecht heute beim besten Willen nicht mehr zu beseitigen sind, andererseits nicht besser, vielleicht sogar dringend geboten, den Sonderproblemen mit einem eigenen Gesetz beizukommen, einem Gesetz, wie es übrigens fast alle großen und bedeutenden Staaten dieser Erde haben?

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Herr Kollege, auf Grund meiner langen Kenntnis im Auswärtigen Ausschuß und meiner neuen Erfahrungen im Auswärtigen Amt teile ich Ihre Meinung. Sie wissen, daß bei der gestrigen Beratung im Auswärtigen Ausschuß der Beschluß gefaßt worden ist, daß die Bundesregierung gebeten wird, bis zum 30. September 1987 zu berichten, ob sie einen solchen Gesetzentwurf einzubringen beabsichtigt. Ich darf hinzufügen, daß die Beratungen innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen sind, daß aber der gestrige Beschluß des Auswärtigen Ausschusses mit seiner Fristsetzung sicher dazu beitragen wird, zu einem solchen Beschluß zu kommen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Noch eine Zusatzfrage? - Bitte.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist ein gewisser Optimismus, daß diese Frist eingehalten werden kann, gerechtfertigt? Ich weiß, daß das eine sehr schwere Frage ist.

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Herr Kollege, das ist von mir deshalb schwer zu beantworten, weil hier noch eine ganze Reihe anderer Ressorts mitspielen. Wir hoffen, daß es gelingen wird, innerhalb der Bundesregierung bis zu dem von Ihnen gesetzten Termin eine gemeinsame Haltung zu erreichen. Wir werden dazu beitragen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe Frage 24 des Abgeordneten Dr. Mechtersheimer auf: Ist die Bundesregierung ihrer bisherigen Haltung gemäß, Rüstungskontrollabkommen auch durch Vor-Ort-Inspektionen zu verifizieren, bereit, auch die Produktionsstätten der Chemischen Industrie in der Bundesrepublik Deutschland überprüfen zu lassen und sich auch über diesbezügliche Bedenken z. B. der Firma Bayer hinwegzusetzen?

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Herr Kollege, in der Genfer Abrüstungskonferenz besteht weitgehende Übereinstimmung über die Notwendigkeit von Vor-Ort-Inspektionen, eine Übereinstimmung, die auch in den Texten für ein Verbotsabkommen über chemische Waffen ihren Niederschlag gefunden hat. Dies entspricht der Haltung der Bundesregierung, für die sie sich in Genf mit Nachdruck eingesetzt hat. Über die damit verbundenen Fragen bestehen intensive Kontakte zwischen der Bundesregierung, dem Verband der Chemischen Industrie und führenden Chemieunternehmen. Die chemische Industrie hat dem Konzept der Bundesregierung einschließlich der Vor-Ort-Inspektionen zugestimmt und ist zu umfangreicher Zusammenarbeit bereit.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Mechtersheimer.

Dr. Alfred Mechtersheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001450, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wie können Sie sich das erklären, was Juri Nasarkin, der sowjetische Botschafter bei der Genfer Abrüstungskonferenz, gesagt hat, nämlich: Negativ beeinflußt den Verlauf der Verhandlungen auch die Position einiger Staaten, die gegenwärtig keine chemischen Waffen haben, aber über eine entwickelte chemische Industrie verfügen. Diese Staaten sträuben sich dagegen, daß die Konvention bestimmte Einschränkungen für ihre kommerzielle Chemie auferlegt.

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Wir sträuben uns nicht - das habe ich gerade zum Ausdruck gebracht - gegen Vor-Ort-Inspektionen in den angesprochenen Fragen. Aber Sie wissen so gut wie ich, daß die Verifikationsbestimmungen in Genf noch nicht einvernehmlich geklärt worden sind, und ich darf darauf hinweisen, daß das erst möglich ist, wenn man sich beispielsweise über die Listen der chemischen Substanzen, die überprüft werden sollen und die dann vor Ort überprüft werden können, und etwa über die Frage der Produktionsmengen geeinigt hat. Hier sind die Verhandlungen noch in vollem Gange. Wir als Bundesrepublik Deutschland werden selbstverständlich nicht die Ergebnisse dieser Verhandlungen auf irgendeine Weise konterkarieren.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Mechtersheimer.

Dr. Alfred Mechtersheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001450, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß die Interessen der chemischen Industrie bei den Schwierigkeiten, die dazu geführt haben, daß man noch nicht weitergekommen ist, in der Tat eine Rolle spielen?

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Es sind nicht nur die Interessen deutscher chemischer Werke; es sind hier auch seitens der Sowjetunion Bedenken gegen bestimmte Formen der Verifikation laut geworden. Ich kann nochmals darauf hinweisen, daß wir bei all unseren Gesprächen mit der chemischen Industrie - übrigens auch mit der Firma Bayer, die Sie erwähnt haben - zu dem Ergebnis gekommen sind, daß die chemische Industrie bereit ist, unsere Vorstellungen, wie wir sie gemeinsam mit unseren Verbündeten in Genf vertreten, mitzuvollziehen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Lowack zu einer Zusatzfrage, bitte schön.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, halten Sie diese Frage nicht für den Versuch, von dem eigentlichen Problem abzulenken, daß die Sowjetunion trotz des Genfer Protokolls von 1925 das Land mit der größten Menge chemischer Waffen ist, während die Bundesrepublik Deutschland über keinerlei chemische Waffen verfügt?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich möchte die Fragen eines anderen Kollegen hier nicht klassifizieren oder abqualifizieren, aber ich glaube, daß wir natürlich auch nicht vergessen dürfen, daß die Sowjetunion bei den Genfer Verhandlungen selbstverständlich auch noch eine ganze Reihe von Fragen hinsichtlich der Abschaffung und der Verifizierung chemischer Waffen zu klären hat.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe Frage 25 des Abgeordneten Gansel auf: Wie bewertet die Bundesregierung das „über-die-Grenzebringen" von Mikrofilmen mit Konstruktionsunterlagen von Kriegswaffen im Diplomatengepäck, und welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung vor, daß der in dieser Weise tätig gewesene und ihr bekannte Kurier der südafrikanischen Botschaft in Bonn seine einschlägige Tätigkeit eingestellt hat?

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Herr Kollege, bis jetzt konnte nicht geklärt werden, auf welchem Weg die Konstruktionsunterlagen nach Südafrika gebracht worden sind. Der Transport im Reisegepäck eines südafrikanischen Diplomaten oder im amtlichen Kuriergepäck der Botschaft sind nur zwei von mehreren Möglichkeiten. Sollten die Unterlagen nachweislich auf dem amtlichen Kurierweg oder im persönlichen Gepäck eines Diplomaten befördert worden sein, wäre dies eine Verletzung des Völkerrechts, da auch Diplomaten verpflichtet sind, die Gesetze und andere Rechtsvorschriften des Empfangsstaates zu beachten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, der Bundesregierung ist bekannt, wie der Name des südafrikanischen Diplomaten ist, der gegenüber dem Unternehmen IKL in Lübeck den Empfang der Unterlagen, die auf Mikrofilmen waren und die die Produktion eines U-Bootes zum Gegenstand hatten, quittiert hat; der Name dieses Diplomaten ist Ihnen bekannt. Was hat die Bundesregierung unternommen, um zu klären, auf welchem Wege die Mikrofilme aus der Hand des südafrikanischen Diplomaten in die Republik Südafrika gelangt sind, wissend aus ihren eigenen Akten, daß die Unternehmen der Bundesregierung selbst vorgeschlagen haben, die Mikrofilme im Diplomatengepäck außer Landes bringen zu lassen?

Not found (Gast)

Herr Kollege, es ist mit Sicherheit unzutreffend, daß der Bundesregierung bekannt ist, welcher südafrikanische Diplomat Unterlagen der U-Boote nach Südafrika gebracht haben soll. Ich kann Ihnen nur die Auskünfte geben, die mir zur Verfügung stehen. Zweitens. Wir haben den südafrikanischen Geschäftsträger einbestellt, und wir haben ausdrücklich von der südafrikanischen Regierung eine Auskunft darüber verlangt, ob und möglicherweise wie ein Vertreter der südafrikanischen Botschaft in Bonn diese Unterlagen nach Südafrika verbracht hat. Uns ist bis zur Stunde keine derartige Auskunft gegeben worden, und wir haben auch keine Möglichkeit, die südafrikanische Regierung zu zwingen. Ich darf darauf hinweisen: Die Möglichkeit des Transportes via Kuriergepäck ist eine Möglichkeit - es ist vielleicht sogar eine wahrscheinliche Möglichkeit; es wäre ja auch die sicherste Möglichkeit gewesen - , diese Unterlagen außer Landes zu bringen, aber sie ist bis zur Stunde nicht beweisbar, trotz all unserer Bemühungen. Ich darf darauf hinweisen: Wenn Sie uns nähere Auskünfte über den Weg geben können, den diese Dokumente genommen haben, sind wir Ihnen sehr dankbar. Wir würden dann nämlich den betreffenden Diplomaten als Persona non grata erklären müssen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, sind Sie bereit, von mir jetzt folgende Hinweise zur Kenntnis zu nehmen und mir in der nächsten Woche schriftlich Antwort zu geben, ob Sie die Maßnahmen in bezug auf die Erklärung des südafrikanischen Diplomaten zur Persona non grata eingeleitet haben, wenn ich Ihnen sage, daß in den Akten des Bundesfinanzministeriums der Name des südafrikanischen Kuriers enthalten ist, daß in den Firmenakten, die dem Untersuchungsausschuß vorgelegen haben und in die die Bundesregierung auch Einblick nehmen konnte, die Quittungen waren, die der südafrikanische Diplomat bei Inempfangnahme der Mikrofilme unterzeichnet hatte, und sind sie schließlich bereit, in den Akten, die bei der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages liegen und die aus dem Auswärtigen Amt kommen, für das Sie Verantwortung tragen, zu lesen und diesen Akten zu entnehmen, daß die Unternehmen in einem Memorandum für die Bundesregierung vorgeschlagen haben, die Mikrofilme - wörtliches Zitat - „im Diplomatengepäck über die Grenze zu bringen"?

Not found (Gast)

Herr Kollege Gansel, ich kann natürlich nur sagen, daß wir im Auswärtigen Amt allen Hinweisen nachgehen werden. Ich bin Ihnen für gewisse Informationen dankbar. Wir werden sie zu überprüfen haben. Ich bin selbstverständlich bereit, Ihnen dazu auch Antwort zu geben. Aber ich kann Ihnen natürlich nicht schon jetzt zusagen, daß all die vielen Punkte, die Sie eben in Ihre Frage gepackt haben, von mir bis in die letzten Einzelheiten geklärt werden können, um so mehr, als es sich um Akten des Finanzministeriums handelt. Aber im Prinzip habe ich ja gesagt: Geben Sie uns genaue Hinweise. Wir werden den Dingen dann nachgehen können.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Lowack.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß sowohl die Ermittlungen des Generalbundesanwalts als auch die der örtlichen Staatsanwaltschaft ergeben haben, daß keinerlei zu schützende Geheimnisse übertragen oder herausgegeben wurden, und daß deshalb auch keine Konsequenzen für ein Ermittlungsverfahren zu ziehen wären, weil diese U-Boote, über deren Lieferung man gesprochen hat, überhaupt nicht vergleichbar sind mit denen, die die Bundesmarine benutzt?

Not found (Gast)

Herr Kollege, dazu möchte ich sagen, daß das ja doch wohl Angelegenheit des immer noch tagenden Untersuchungsausschusses ist und daß ich dessen Ergebnissen hier nicht mit einer klaren Antwort vorgreifen will. Das Parlament befaßt sich ja noch immer mit den Einzelheiten der Vorgänge. Ich bitte um Verständnis dafür, wenn ich jetzt nicht in diese große Materie einsteigen will auf Grund einer ganz anders gestellten Frage des Abgeordneten Gansel und jetzt nicht den gesamten Fragenkomplex beantworten kann, der sehr umfangreich ist und eine Fülle von Problemen enthält und im übrigen auch im Untersuchungsausschuß weiter behandelt wird.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Weyel.

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, könnten Sie den Kollegen Lowack vielleicht darauf hinweisen, daß sich die Frage des Kollegen Gansel lediglich darauf bezog, ob hier tatsächlich Diplomatengepäck mißbraucht worden ist, da ein solcher Transport - egal, um was es sich handelt - ja anzeigepflichtig gewesen wäre?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, ich bin gerne bereit, den Kollegen Lowack über das zu informieren, was Sie ihm gerade in Form einer Frage mitgeteilt haben. Aber abgesehen davon bin ich der Auffassung, daß die Frage des Kollegen Gansel eindeutig darauf gezielt hat, ob wir wissen, welcher Diplomat der südafrikanischen Botschaft angeblich diese Unterlagen im Diplomatengepäck nach Südafrika verbracht haben soll. ({0}) - Sie behaupten, der Name sei bekannt. Mir ist dieser Name nicht bekannt. Wir gehen Ihren Hinweisen nach.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Müller.

Albrecht Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001543, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, was haben Sie unternommen, um bei den Firmen - wobei ja eine Firma mit dem Bund verbunden ist - herauszubekommen, wer die Mikrofilme transportiert hat, oder zumindest nachzuprüfen, ob dieser Name bekannt ist und wie die Unterlagen transportiert worden sind? Was haben Sie da unternommen?

Not found (Gast)

Nach meiner Kenntnis haben alle Bemühungen der Bundesregierung, herauszufinden, ob ein Diplomat der südafrikanischen Botschaft diese Unterlagen nach Südafrika gebracht hat, zu keinem eindeutigen Ergebnis geführt. Sonst hätten wir selbstverständlich diplomatische Konsequenzen gezogen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 70 der Abgeordneten Frau Fuchs ({0}) auf: Mit welcher Begründung fordert die Bundesregierung, daß die nuklearen Gefechtsfeldköpfe für das Waffensystem Pershing I a nicht in Genf verhandelt werden, obwohl erstens diese Gefechtsköpfe im amerikanischen Besitz sind, zweitens diese Gefechtsköpfe für Raketen mit einer Reichweite von 750 Kilometern in den zweiten Teil der doppelten Null-Lösung gehören, der die Waffensysteme im Reichweitenband von 500 bis 1 000 Kilometer betrifft, und drittens die Bundesrepublik Deutschland den Atomwaffensperrvertrag ratifiziert hat?

Not found (Gast)

Die deutschen Pershing-Ia-Raketen sind und waren in Genf kein Gegenstand der Verhandlungen, da diese nur amerikanische und sowjetische Systeme betreffen. Sie können daher, wie der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 4. Juni 1987 ausgeführt hat, nicht in eine amerikanisch-sowjetische Null-Lösung eingeschlossen werden. Diese von den USA in Genf vertretene Position fand beim Treffen der NATO-Außenminister in Reykjavik erneut die einhellige Unterstützung des gesamten Bündnisses.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage, Frau Fuchs.

Katrin Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, wollen Sie mir damit mitteilen, daß bei diesen Verhandlungen in Genf nur über die Trägersysteme verhandelt wird und die nuklearen Sprengköpfe völlig unberücksichtigt bleiben, daß sie mit anderen Worten von den beteiligten Staaten behalten werden können?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, ich habe Ihnen eine klare Antwort gegeben, und ich muß bedauern, Herr Präsident, daß ich dieser Antwort nichts hinzuzufügen habe.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Frau Fuchs.

Katrin Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich muß auf meiner Frage bestehen, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Und ich bestehe auf meiner Antwort. Ich bitte um Verständnis. ({0}) - Die Antwort ist klar. Ich kann hier jetzt nicht sämtliche anschließende Fragen beantworten. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, wenn diese 72 Systeme nicht zur Disposition stehen und wir daran festhalten, bleiben sie doch hier. Bedeutet das, da der Bundesminister der Verteidigung davon ausgeht, daß die logistischen Maßnahmen für diese Systeme nur bis 1991 geleistet sind, daß sich die Bundesregierung indirekt für einen erneuten Rüstungswettlauf stark macht, da die Systeme dann ja durch neue Systeme ersetzt werden müßten?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich habe sehr deutlich gesagt, daß es Meinung des gesamten NATO-Bündnisses und des uns vertretenden Verhandlungspartners USA ist, daß die niemals vorher diskutierten Pershing-I-a-Raketen nicht Gegenstand der Genfer Verhandlungen sind. Ich halte es für in einem hohen Maße gefährlich, wenn wir hier versuchen, sie zu einem Gegenstand dieser Verhandlungen zu machen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, bedeutet Ihre möglicherweise ja verständliche Weigerung, Frau Fuchs zu antworten, daß Sie auf Grund der Vertraulichkeit der Verhandlungen, die zwischen den Amerikanern und den Sowjets über Mittelstreckenraketen und weitreichende Kurzstreckenraketen geführt werden, und auf Grund der Vertraulichkeit der Informationen, die die Bundesregierung erhalten hat, die deutsche Öffentlichkeit und das deutsche Parlament weiter darüber im Ungewissen lassen müssen, ob es bei den Abrüstungsmaßnahmen nur um Trägersysteme geht oder um Trägersysteme plus Sprengköpfe, anders gefragt: Können Sie ausschließen, daß das Ergebnis der Verhandlungen sein wird, daß zwar Trägersysteme abgeschafft werden, aber Sprengköpfe nuklearer Art im sowjetischen und im amerikanischen Bündnisbereich gelagert bleiben?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich darf zusammenfassend sagen: Wir sind daran interessiert, daß die Verhandlungen in Genf zu einem baldigen Abschluß geführt werden, daß das, was wir die doppelte Null-Lösung genannt haben, durch dieses Abkommen mit allen Verifikationsmaßnahmen garantiert wird und daß wir nicht durch Debatten hier die Situation in Genf komplizieren, statt sie zu vereinfachen. Ich habe das eben sehr deutlich zu machen versucht. Der Bereich Pershing I a wird von westlicher Seite als nicht verhandlungsfähig dargestellt. Er war niemals davor Gegenstand der Verhandlungen. ({0}) Und wir sollten uns jetzt bitte nicht durch eine eigene Debatte hier in eine Situation hineinmanövrieren, die am Ende möglicherweise die Verhandlungen in Genf gefährdet.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, ich möchte die Situation in dieser sehr wichtigen Sache auch gar nicht erschweren und frage Sie deshalb bewußt nicht, ob Sie mich einen Lügner nennen würden, wenn ich in Bewertung dieses Vorgangs im Lande nun allerdings behaupte, daß es so ist, daß die Köpfe nicht einbezogen sind. Aber das frage ich Sie, wie gesagt, jetzt gar nicht.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Dies ist eine Fragestunde und keine Nichtfragestunde.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. Nur, es beschreibt den Umkreis. Entschuldigung. Jetzt dann doch die Frage: Wenn nun der Verhandlungsgegenstand so kompliziert ist, wie wir bisher offensichtlich noch gar nicht erahnt haben, wäre es dann nicht geradezu in unser aller Interesse, daß die Bundesregierung schleunigst ihre Position zu Pershing I a änderte und diese als ein aktives Element, die Dinge voranzubringen, in die Verhandlungen einbrächte?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich käme nie in Versuchung, Sie einen Lügner nennen zu wollen. Ich darf das vorwegschicken, Herr Präsident. Ich darf aber sagen, daß unsere Verhandlungsposition völlig klar ist. Sie ist mit den Verbündeten abgestimmt worden, und wir sind sehr optimistisch, daß diese Verhandlungsposition die richtige ist. Wir sind aber nicht sehr glücklich darüber, wenn hier ständig der Versuch unternommen wird, durch neue Argumentation aus den eigenen Reihen diese Verhandlungen zu komplizieren. Deshalb habe ich - Frau Kollegin Fuchs, Sie werden mir das bitte nachsehen -, ({0}) auch nach sehr intensiven Überlegungen im Hause, davon Abstand genommen, hier in eine Debatte einzutreten, die eigentlich das Bundesverteidigungsministerium in den zuständigen Ausschüssen mit Ihnen führen sollte. Wir halten eine breite Erörterung dieses Themas angesichts der Kompliziertheit der Verhandlungen für nicht sinnvoll und sind uns mit allen Bündnispartnern darüber in Reykjavik einig geworden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Weisskirchen.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, welche Komplikationen können denn eintreten, wenn Sie jetzt bestätigen, daß in Genf, was einer interessierten Teilöffentlichkeit spätestens seit gestern ja sowieso bekannt ist, tatsächlich eine Trennung zwischen den Trägersystemen und den Warheads? Welche Komplikation tritt ein, wenn Sie das bestätigen?

Not found (Gast)

Ich kann nur sagen, daß alle Ausweitungen dieser Diskussion, ausgehend von den Verhandlungspositionen in Reykjavik, wo wir einen Durchbruch im Sinne der doppelten Null-Lösung bei allen NATO-Partnern erzielt haben, die Verhandlungen komplizieren.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Mechtersheimer.

Dr. Alfred Mechtersheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001450, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, kann nicht gerade dadurch eine Komplizierung eintreten, daß bei Weigerung, auch Pershing I einzubeziehen, auch die Sowjetunion von ihrem Angebot der europäischen Null-Lösung abrücken könnte und wie stellen Sie sich weitere Verhandlungen vor, wenn diese sogenannten Drittstaatensysteme unterhalb von 500 km ebenfalls nicht erfaßt werden?

Not found (Gast)

Herr Kollege Mechtersheimer, gerade weil wir vermeiden wollen, daß es zu einer solchen Entwicklung kommt, die wir nicht wollen - ich glaube, keine Fraktion im Deutschen Bundestag will, daß es in Genf zu einem Scheitern der Verhandlungen kommt - , sind wir der Auffassung, daß wir zunächst einmal unserem Bündnispartner diese Verhandlungen überlassen sollten, statt ständig durch Erörterung, was möglicherweise wann und wie geschehen könnte, die Situation genau zu dem Punkt zu führen, den Sie befürchten, nämlich zu einer Erschwerung der Verhandlungen. Auch aus dem Verständnis des Auswärtigen Amtes möchte ich jetzt wirklich darum bitten, daß wir diese Debatte hier in den entsprechenden Gremien führen, daß wir aber nicht durch eine öffentliche Debatte von Möglichkeiten, Konjunktiven und anderen Dingen erschwerend auf die Verhandlungsführung in Genf einwirken. Welche Vorschläge Ihnen und uns möglicherweise noch in Kürze im Zusammenhang mit diesen Verhandlungen bekanntwerden könnten, will ich hier nicht im einzelnen ausführen, weil die ja auch wieder eine andere Situation herbeiführen könnten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Es gibt trotzdem noch eine Zusatzfrage. Es ist das Recht der Abgeordneten zu fragen. - Frau Weyel.

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, wären Sie bereit, sich außerhalb dieser Fragestunde mit der Frau Kollegin Fuchs ins Benehmen zu setzen und ihr zu erläutern, warum Sie hier ihre Frage nicht beantworten wollten?

Not found (Gast)

Ich glaube, ich habe in meinen Antworten deutlich gemacht, worum es geht. Ich bin jederzeit bereit, mit jedem Mitglied dieses Hauses persönlich noch weitere Fragen zu erörtern.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Die Feststellung ergibt, daß Frau Fuchs eine Zusatzfrage gestellt hatte, aber nicht ihre zweite. Insofern gebe ich ihr noch eine zweite Zusatzfrage. Bitte schön.

Katrin Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, deuten Sie jetzt an, daß es die Verhandlungen behindern würde, wenn die tatsächlichen Gegebenheiten und die Wahrheit über die Gegenstände der Verhandlungen zwischen den beiden großen Staaten bekannt würden?

Not found (Gast)

Das habe ich nicht angedeutet, sondern ich habe lediglich gesagt, daß Diskussionen, die hier geführt werden, indem man mögliche Gesichtspunkte der anderen Seite in diesen Verhandlungen hier bei uns dramatisiert, zu einer Erschwerung der Verhandlungen führen können.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatsminister für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Spranger steht zur Beantwortung zur Verfügung. Es bleiben aber nur die letzten Fragen; denn Fragen 26 und 27 der Frau Abgeordneten Olms, die Fragen 28 und 29 des Abgeordneten Wüppesahl und die Fragen 30 und 31 des Abgeordneten Hinsken werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 32 des Abgeordneten Wiefelspütz auf: Ist der Bundesregierung bekannt, daß der frühere Vorsitzende der in der Türkei verbotenen rechtsextremistischen türkischen „Partei der nationalen Bewegung ({0})'', A. T., kürzlich in das Bundesgebiet einreiste und als Redner an einer Veranstaltung der rechtsradikalen Türk-Föderation am 6. Juni 1987 in den Zentralhallen in Hamm auftrat?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege, ich kann Ihre erste Frage mit Ja beantworten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Dann sind Sie zu einer Zusatzfrage dran, Herr Wiefelspütz.

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Hat für die Bundesregierung die rechtliche Möglichkeit bestanden, Herrn Türkes die Einreise zu verweigern, und wenn ja, warum ist Herr Türkes nicht zurückgewiesen worden?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Es bestand die rechtliche Möglichkeit, nachdem Herr Türkes seit 1972 im Grenzfahndungsbestand ausgeschrieben ist. Eine Einreise ist nicht verhindert worden, weil er unerkannt durch eine Fahndungsnachlässigkeit über den Flughafen Frankfurt am 5. Juni in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Wiefelspütz? ({0}) - Nicht. Dann rufe ich jetzt Ihre Frage 33 auf: Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Einreise des türkischen Rechtsextremisten A. T. in das Bundesgebiet und seine Teilnahme an Veranstaltungen rechtsextremistischer Organisationen im Bundesgebiet mit den Belangen der Bundesrepublik Deutschland vereinbar ist?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Die Vorgänge in Hamm am 6. Juni 1987 haben gezeigt, daß es anläßlich von Türkes-Besuchen in der Bundesrepublik Deutschland zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen kann, wenngleich nach den Erkenntnissen der Bundesregierung, die durch die nordrhein-westfälische Polizei übermittelt worden sind, in Hamm die Gewalttätigkeiten von einer Gegendemonstration ausgingen. Nach diesen Erkenntnissen fand zunächst eine friedliche demonstrative Gegenveranstaltung vor der Paulskirche statt, auf der auch Sie, Herr Kollege Wiefelspütz, sprachen. Im Anschluß hieran formierte sich unter verantwortlicher Leitung der GRÜNEN ein Demonstrationszug, aus dem heraus dann die Gewalttaten verübt wurden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Wiefelspütz.

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, trifft eine Meldung der „Süddeutschen Zeitung" vom 20. Juni 1987 zu, wonach Staatssekretär Neusel angeordnet habe, daß Herr Türkes künftig bei der Einreise an der Grenze anzuhalten sei, um eine Entscheidung des Bundesinnenministeriums einzuholen?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich kenne die Meldung nicht im einzelnen. Aber es ist zutreffend, daß die Fahndungsmaßnahme „Zurückweisung an der Grenze" umgewandelt wurde in „Anhalten bei der Einreise und Entscheidung des BMI", und zwar aus humanitären Erwägungen, um Türkes eventuell die Einreise zur ärztlichen Behandlung zu ermöglichen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Zusatzfrage, Herr Wiefelspütz.

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gedenkt die Bundesregierung, Herrn Türkes in Zukunft die Einreise in das Bundesgebiet zu untersagen, wenn der begründete Verdacht besteht, daß Herr Türkes im Bundesgebiet an Veranstaltungen von Rechtsextremisten teilnehmen will?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Die Bundesregierung wird so handeln, daß Herrn Türkes die Möglichkeit einer politischen Betätigung im Bundesgebiet nicht gegeben wird.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 34 des Abgeordneten Weisskirchen ({0}) auf: Treffen Pressemeldungen zu, wonach der Bundesminister des Innern, Dr. Zimmermann, den Bildhauer Arnold Breker für die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes vorschlagen will?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Weisskirchen, derartige Pressemeldungen sind schon deswegen unzutreffend, weil ein solcher Vorschlag nur vom Ministerpräsidenten des Landes NordrheinWestfalen eingebracht werden könnte, wo der Bildhauer Arno Breker seinen Wohnsitz hat.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Weisskirchen.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das heißt, Sie dementieren die Meldung der Wochenzeitung „Die Bunte", wonach der Innenminister Herrn Arno Breker für das Bundesverdienstkreuz vorschlagen wolle.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich weiß nicht, auf welche Pressemeldungen Sie Bezug nehmen, ob das jetzt die „Bunte" ist. Sie haben von „Pressemeldungen" ganz allgemein gesprochen. Soweit Sie solche Pressemeldungen zitiert haben, habe ich klargestellt, daß derartige Pressemeldungen unzutreffend sind.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Noch eine Zusatzfrage, Herr Weisskirchen.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich frage Sie noch einmal, Herr Staatssekretär, ob Sie davon ausgehen, daß der Herr Bundesinnenminister keineswegs die Absicht hat, in irgendeiner Weise dafür zu sorgen oder daran mitbeteiligt zu sein oder mitzuhelfen, daß Arno Breker für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen wird.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Es geht um Pressemeldungen, daß der Bundesinnenminister hier solche Vorschläge unterbreiten wollte, und diese Pressemeldungen sind falsch.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön, Herr Uldall.

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, ob der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Rau - in Klammern: SPD - vielleicht den Herrn Breker vorschlagen möchte?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Das ist der Bundesregierung nicht bekannt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, ob solche Meldungen, wie sie da in die Presse gelangen, ihren Grund vielleicht in einer geheimen Sympathie des Bundesinnenministers für diesen Bildhauer haben könnten?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich weiß nicht, was Ihre Frage, die Sie jetzt hier vortragen, mit dem Sachgegenstand zu tun haben könnte.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wer weiß denn schon noch was von Arno Breker! Gehen wir über zur Frage 35 des Herrn Abgeordneten Dr. Schöfberger: Beabsichtigt die Bundesregierung, die Praxis der bayerischen Grenzpolizei, einreisewillige Österreicher, die beabsichtigen, in Wackersdorf gegen den Bau der Wiederaufbereitungsanlage zu demonstrieren oder als Journalisten über solche Demonstrationen zu berichten, an der bayerisch-österreichischen Grenze zurückzuweisen, wegen Verstöße gegen völkerrechtliche Normen und gegen das Ausländergesetz sowie zwecks Gewähr einer einheitlichen Einreisepraxis gemäß Artikel 84 Abs. 3 und 4 GG aufsichtlich zu beanstanden oder hiergegen gemäß I 25 Abs. 1 Nr. 1 Ausländergesetz Einzelweisungen zu erteilen, und falls nicht, warum nicht?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Dr. Schöfberger, die Bundesregierung beabsichtigt nicht, die Zurückweisungspraxis der Bayerischen Grenzpolizei fachaufsichtlich zu beanstanden oder hiergegen Einzelweisungen nach § 25 Abs. 1 Nr. 1 des Ausländergesetzes zu erteilen. Die bisherigen Maßnahmen der Bayerischen Grenzpolizei sind rechtmäßig und stehen im Einklang mit den auch vom Bundesgrenzschutz zu beachtenden Kriterien für eine Einreiseverweigerung gegenüber ausländischen Demonstrationsteilnehmern. Die Entscheidung, ob Ausländer zur Teilnahme an Demonstrationen einreisen dürfen, richtet sich nach § 2 Abs. 1 sowie nach § 18 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Nr. 11 des Ausländergesetzes. Danach ist die Einreise und der Aufenthalt eines Ausländers zu verweigern, wenn seine Anwesenheit Belange der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Soweit Ausländer beabsichtigen, in das Bundesgebiet einzureisen, um an Demonstrationen teilzunehmen, die verboten sind oder bei denen Anhaltspunkte für einen unfriedlichen Verlauf vorliegen, können sogar erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt sein. Das Recht der Freizügigkeit - Art. 11 des Grundgesetzes - und die Versammlungsfreiheit - Art. 8 des Grundgesetzes - gelten nur für Deutsche. § 1 des Versammlungsgesetzes räumt zwar jedermann, also auch Ausländern, die sich im Bundesgebiet aufhalten, das Recht ein, öffentliche Versammlungen und Aufzüge zu veranstalten und an solchen Veranstaltungen teilzunehmen, berechtigt aber nicht dazu, zu diesem Zweck in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen. Auch aus dem Völkerrecht ergibt sich keine Verpflichtung, österreichischen Staatsangehörigen die Einreise zu gestatten. Selbstverständlich können ausländische Journalisten zur Berichterstattung einreisen, wenn sie sich als solche ausweisen und ihren journalistischen Status und Auftrag nicht nur vorschieben, um anschließend im Bundesgebiet eine Verletzung der Rechtsordnung zu begehen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Schöfberger.

Dr. Rudolf Schöfberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, in Verbindung mit einer der vorhergehenden Fragen möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung bereit ist, dafür zu sorgen, daß friedliche österreichische Bürger, darunter auch Pfarrer und Nonnen, mindestens dieselben Einreisemöglichkeiten erhalten wie der rechtsradikale Herr Türkes.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich glaube, man sollte die Einhaltung der Rechtsordnung in der Bundesrepublik Deutschland nicht an irgendeine Berufszugehörigkeit oder an sonstige Persönlichkeitskriterien knüpfen. Vor dem Gesetz ist jedermann gleich. Auch die von Ihnen genannten Berufsstände sind nicht im Hinblick darauf privilegiert, sich über die Rechtsordnung hinwegsetzen zu können.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Schöfberger.

Dr. Rudolf Schöfberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, gehen Sie nach all dem, was vorgefallen ist, immer noch davon aus, daß diese Einreiseverweigerungspraxis der Bayerischen Staatsregierung, die zunächst von der Bundesregierung nicht gebilligt worden ist, das gutnachbarliche Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und Österreich völlig unbelastet gelassen hat, und gehen Sie ferner davon aus, daß nach Ihrem Nichteingreifen und nach den bayerischen Extratouren durch alle Länder der Bundesrepublik Deutschland, die unterschiedliche Grenzen polizeilich zu betreuen haben, immer noch eine einheitliche Einreisepraxis zu gewährleisten ist?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Dr. Schöfberger, ich teile Ihre politischen Wertungen nicht. Ich wiederhole, daß sich die Bundesregierung streng an ihre Kompetenzen und an die Rechtslage hält. Dies führt zu dem Urteil, daß die Bundesregierung keinen Anlaß hat, irgendwelche Maßnahmen der Bayerischen Staatsregierung in dem Zusammenhang, den Ihre Frage aufgezeigt hat, zu korrigieren. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Weiss.

Michael Weiss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002462, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, wenn ich Ihre Antwort richtig verstehe, gehen Sie schlicht und einfach davon aus, daß bei einer Einreise anläßlich einer Demonstration jeder Österreicher potentiell ein Straftäter oder sonst etwas ist. Ich wollte gern wissen, nach welchen Kriterien Sie Differenzierungen vornehmen oder warum Sie die undifferenzierte Haltung, an Tagen, an denen Demonstrationen stattfinden, die Grenzen schlicht und einfach dichtzumachen - wie es von der Bayerischen Staatsregierung praktiziert wird - , nicht beanstanden wollen und so allen Österreichern, die sich auch von der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf betroffen fühlen, das Recht nehmen, sich für ihre Interessen einzusetzen.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Zum ersten Teil Ihrer Frage muß ich sagen, daß Sie mich völlig falsch verstanden haben. Zum zweiten Teil, was die Praxis und die Entscheidungskriterien anbelangt, kann ich nur auf die Rechtslage verweisen, die ich in meiner Antwort auf die Frage des Herrn Kollegen Dr. Schöfberger ausführlich dargestellt habe.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Voss steht zur Beantwortung zur Verfügung. Die Fragen 36 und 37 des Abgeordneten Dr. Jens sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 38 des Abgeordneten Uldall auf: Wie ist die Beteiligung der Deutschen Lufthansa an einer Seeschiff-Reederei zu vereinbaren mit der erklärten Politik der Bundesregierung, den Staatsanteil zu reduzieren durch eine Privatisierung von Bundesbeteiligungen an privatwirtschaftlich tätigen Unternehmen? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Danke schön, Herr Präsident. Herr Kollege Uldall, bei der Hapag-Lloyd AG sind Großaktionärspositionen verringert worden. Mehrere Unternehmen, darunter die Deutsche Lufthansa, sind in den Aktionärskreis eingetreten. Die Hapag-Lloyd betreibt nicht nur Seeschiffahrt, sondern in bedeutendem Umfang auch Touristik. Die Deutsche Lufthansa hat aus ihrem Unternehmensinteresse, das auch die Touristik einschließt, eine Beteiligung von 10 v. H. erworben.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Uldall.

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, halten Sie es für gerechtfertigt, daß - wenn auch indirekt - Mittel aus dem öffentlichen Bereich in einer Situation, da wir große finanzielle Probleme bei den Bundesfinanzen zu verzeichnen haben, zum Erwerb von Unternehmensanteilen zur Verfügung gestellt werden?

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Herr Kollege, das ist so etwa Gegenstand der zweiten Frage, die Sie gestellt haben. Die Grundsätze, die für den Erwerb im mittelbaren Bereich gelten - ich werde sie Ihnen gleich vortragen - , nehmen natürlich auch darauf Rücksicht, wie unsere finanzielle Situation ist. Aber das Konzerninteresse muß man natürlich auch in diesem Zusammenhang abwägen. Wir sind der Meinung, daß der Erwerb, der hier von der Lufthansa getätigt worden ist, vertretbar ist.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Zusatzfrage.

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sind Sie mit mir der Auffassung, Herr Staatssekretär, daß dieses Konzerninteresse von der Lufthansa sehr viel reiner und sehr viel klarer auszuüben wäre, wenn die Lufthansa nicht mehr ein Staatsbetrieb, sondern weitestgehend privatisiert wäre?

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Dieser Meinung bin ich nicht, Herr Kollege.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe die Frage 39 des Abgeordneten Uldall auf: Bleibt die Bundesregierung auch weiterhin bei ihrer politischen Linie, daß grundsätzlich keine neuen indirekten Bundesbeteiligungen eingegangen werden sollen? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Friedrich Voss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002396

Das Bundeskabinett hat am 26. März 1985 ein „Gesamtkonzept für die Privatisierungs- und Beteiligungspolitik des Bundes" verabschiedet. Zur Beteiligungspolitik im mittelbaren Bereich heißt es dort: Den Unternehmensführungen wurde größere Zurückhaltung bei Beteiligungserwerben im mittelbaren Bereich nahegelegt. Gleichzeitig wurden die Vorstände aufgefordert, den mittelbaren Beteiligungsbereich ebenso wie die Liegenschaften auf nicht konzernnotwendige Bestandteile zu durchforsten und so die Situation der Unternehmen zu verbessern. Diese Grundlinie schließt im besonderen Einzelfall einen im Konzerninteresse notwendigen Beteiligungserwerb nicht aus. Diese Grundsätze haben nach wie vor Gültigkeit.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Uldall? - Das ist nicht der Fall. Die Fragen 40 des Abgeordneten Stiegler und 41 des Abgeordneten Graf werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Damit sind wir am Ende der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Herr Staatssekretär Dr. von Wartenberg steht zur Beantwortung zur Verfügung. Wir kommen zunächst zur Frage 42 des Abgeordneten Austermann. Ist er im Saal? - Kollege Austermann ist nicht da. Dann verfahren wir so, wie es die Richtlinien für die Fragestunde vorsehen. Wir kommen zur Frage 43 des Abgeordneten Grünbeck. - Herr Grünbeck ist ebenfalls nicht im Saal. Wir verfahren genauso wie bei der vorigen Frage. Ich rufe die Frage 44 des Abgeordneten Müller ({0}) auf: Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um Informationen, z. B. im Deutschen Fernsehen, nachzugehen, nach denen der Iran Waffen aus der Bundesrepublik Deutschland kauft, die zum Teil mit den Gewinnen aus dem Drogenverkauf in der Bundesrepublik Deutschland bezahlt werden? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Ludolf Georg Wartenberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002431

Herr Kollege Müller, die Frage 44 darf ich wie folgt beantworten: Die Bundesregierung hat entsprechend ihren politischen Grundsätzen für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern keine Genehmigung für die Ausfuhr von Waffen in den Iran erteilt. Die Bundesregierung besitzt keine Informationen über derartige illegale Waffengeschäfte mit dem Iran. Nachforschungen in dieser Richtung obliegen den zuständigen Ermittlungsbehörden.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Müller? - Keine Zusatzfrage. Herr Grünbeck, habe ich Sie richtig verstanden: Durch Ihre Meldung wollen Sie eine Zusatzfrage zu der Frage von Herrn Müller stellen?

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bitte um Nachsicht, Herr Präsident, daß ich einen Augenblick draußen war. Wenn ich das darf, würde ich meine erste Frage vorziehen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wir machen es so: Ich nehme die Nachsicht auf mich. Aber ich möchte die Erledigung der Fragen von Herrn Müller vorziehen, damit wir nicht durcheinander geraten. Ich rufe die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Müller ({0}) auf: Geschah das Treffen zwischen dem US-Oberstleutnant Oliver North und dem amerikanischen Waffenhändler Albert Hakim mit iranischen Vertretern, das, lt. Zeugenaussage Hakims vor dem US-Untersuchungsausschuß zur Iran-Contra-Affäre, in der Bundesrepublik Deutschland stattgefunden haben soll und bei dem US-Waffenlieferungen an den Iran vereinbart worden sein sollen, mit Wissen der Bundesregierung?

Dr. Ludolf Georg Wartenberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002431

Die Frage 45 beantworte ich wie folgt: Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über ein Treffen der in der Frage genannten Personen in der Bundesrepublik Deutschland vor.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Müller.

Albrecht Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001543, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Beobachtet die Bundesregierung grundsätzlich keine Treffen, bei denen alliierte Personen beteiligt sind, auch wenn - wie in diesem Fall - Iraner daran beteiligt waren?

Dr. Ludolf Georg Wartenberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002431

Wenn keine besondere Veranlassung besteht, Herr Kollege, dann besteht auch keine Veranlassung, besondere Treffen zu beobachten.

Albrecht Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001543, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Würden Sie in einem solchen Fall keine besonderen Veranlassungen sehen?

Dr. Ludolf Georg Wartenberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002431

Herr Kollege, das Bundeskriminalamt ist bestimmten Meldungen der Medien nachgegangen. Ihm liegt aber kein beweiskräftiges Material vor.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich rufe nun die Frage 43 des Abgeordneten Grünbeck auf: Verfügt die Bundesregierung über eine Marktanalyse hinsichtlich des weltweiten Bedarfs an Großraumflugzeugen einerseits und kleinen und mittleren Flugzeugen andererseits bis zum Jahr 2000? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Ludolf Georg Wartenberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002431

Herr Kollege Grünbeck, namens der Bundesregierung beantworte ich Ihre Frage wie folgt. Die Bundesrepublik verfügt über mehrere Marktanalysen, die Aussagen am weltweiten Bedarf an Verkehrsflugzeugen der Größenordnung ab 100 Sitzplätzen enthalten. Es handelt sich um Studien der drei großen Flugzeughersteller Boeing, McDonnell-Douglas und Airbus-Industrie sowie um eine Studie des Triebwerkherstellers MTU.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage, Herr Grünbeck.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, könnten Sie das Ergebnis dieser Marktanalysen dem Hohen Hause bekanntgeben?

Dr. Ludolf Georg Wartenberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002431

Herr Kollege, sämtliche Analysen sagen ein durchschnittliches Wachstum des Verkehrsaufkommens von 5 bis 6 pro Jahr im Zeitraum bis zum Jahr 2005 voraus. Hieraus wird von den Flugzeugherstellern ein Absatzpotential abgeleitet, das zwischen 7 000 und 9 000 neue Flugzeuge umfaßt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Zusatzfrage, Herr Grünbeck.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Können die Analysen bestätigen, was internationale Luftfahrtfachleute sagen, daß die Großraumflugzeuge mit 300 bis 400 Sitzen im Jahr 2000 eigentlich die geringeren Absatzchancen als die kleinen und mittleren Flugzeuge mit 100 und 200 Sitzen haben?

Dr. Ludolf Georg Wartenberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002431

Die Analysen beschränken sich überwiegend auf Wachstumsraten bei Flugzeugen mit 100 bis 200 Sitzen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Zusatzfrage des Abgeordneten Müller.

Albrecht Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001543, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie die Meldung des „Spiegels" von letzter Woche bestätigen, wonach zusätzlich zu den öffentlich zugegebenen Subventionen für das Großraumflugzeug Airbus weitere Absatzfinanzierungshilfen von ca. 500 Millionen DM gewährt werden sollen und sogar 75 % der Versicherungsprämie vom Bund übernommen werden soll, was ja ein unüblicher Vorgang wäre?

Dr. Ludolf Georg Wartenberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002431

Herr Kollege Müller, ich bin nur sehr unregelmäßig ein Leser des „Spiegels" und kann deshalb die Frage nicht beantworten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, wir sind damit aus Zeitgründen am Ende der Fragestunde. Die nicht aufgerufenen Fragen werden, soweit sie nicht vom Fragesteller zurückgezogen sind, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. * ) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Agrarbericht 1987 - Drucksachen 11/85, 11/86 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({0}) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Neuorganisation der Marktordnungsstellen - Drucksache 11/479 - aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({1}) - Drucksache 11/518 - Berichterstatter: Abgeordneter Pfuhl *) Siehe 21. Sitzung bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 11/537 Berichterstatter: Abgeordnete Schmitz ({3}), Dr. Struck ({4}) Hierzu liegen Entschließungsanträge sowie ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD sowie Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN und der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf den Drucksachen 11/519 bis 11/521 sowie 11/530, 11/531 und 11/536 vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Beratung drei Stunden vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

Ignaz Kiechle (Minister:in)

Politiker ID: 11001091

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die deutsche und europäische Agrarpolitik durchlaufen eine Zeit der quälenden Unsicherheit. In Brüssel ist es bisher nicht gelungen, die besonders komplizierten Preisverhandlungen abzuschließen, obwohl in einigen Mitgliedstaaten die neue Ernte kurz vor der Tür steht. Auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Venedig haben sich die Regierungschefs der sieben wichtigsten westlichen Industrienationen mit der Agrarpolitik befaßt. Sie wird de facto auch auf der Tagesordnung des Europäischen Rats in Brüssel stehen. Die Agrarpolitik ist weltweit zu einem sozialen und ökonomischen Problem geworden, einem Problem, das seinen Niederschlag in hohen und weiter wachsenden Überschüssen, in explodierenden staatlichen Aufwendungen und in unbefriedigenden landwirtschaftlichen Einkommen findet. Auch die deutschen Bauern können, wie der Agrarbericht 1987 zeigt, im Durchschnitt keine ausreichenden Einkommen erzielen. Zwar war das abgelaufene Wirtschaftsjahr mit einem Gewinnplus je Familienarbeitskraft von durchschnittlich 2,7 % rein optisch gar nicht einmal zu schlecht. Aber die Bauern leben nicht von Prozenten oder Gesamtdurchschnitten, sondern von DM-Beträgen. Die absolute Einkommenshöhe ist mit 25 500 DM je Familienarbeitskraft einfach unbefriedigend. Sie schwankt seit gut zehn Jahren um dieses Niveau. Für das laufende Wirtschaftsjahr 1986/87 ist nach unserer Vorschätzung mit einer weiteren leichten Gewinnsteigerung - rund 2 % - zu rechnen, weil trotz der durchschnittlich gesunkenen Erzeugerpreise die billigeren Betriebsmittel im Betriebsergebnis durchschlagen. Allerdings verläuft die Entwicklung - das darf bei den Durchschnittszahlen nicht übersehen werden - sehr differenziert. Sehr ordentlich dürften wieder die Milchviehbetriebe abschneiden. Das sind immerhin rund 60 % aller Vollerwerbsbetriebe. Damit hat sich auch die GaBundesminister Kiechle rantiemengenregelung für Milcherzeuger in ihrer Gesamtheit als überaus vorteilhaft erwiesen. Schwieriger sieht die Einkommenslage bei den Veredelungsbetrieben aus. Die leider ungünstige Entwicklung bei den Schweinepreisen führt zu einem deutlichen Einkommenseinbruch. Lassen Sie mich einen besonderen Punkt erwähnen, damit der eine oder andere Kollege der Opposition vielleicht die ideologische Brille abnehmen und sich an Fakten orientieren kann. ({0}) Diese Kollegen behaupten gern und dazu falsch, wir nähmen mit unserer Politik zu wenig Rücksicht auf die kleineren Betriebe. ({1}) Das Gegenteil ist der Fall. Orientieren Sie sich bitte an den Tatsachen. Wir haben z. B. zweimal die benachteiligten Gebiete mit einem überproportional hohen Anteil kleiner Betriebe ausgedehnt und die Beihilfen erhöht. ({2}) Wir haben die Kleinerzeugerbeihilfe für Getreide am Ratstisch erstritten und die Prämie für männliche Schlachtrinder bis 50 Stück durchgesetzt. Diese Politik hat im Wirtschaftsjahr 1985/86 dazu geführt, daß die Steigerung der Gesamteinkommen bei den kleineren Betrieben doppelt so hoch wie im Durchschnitt der Betriebe ausfiel. Für das laufende Wirtschaftsjahr kann mit einer ähnlichen Entwicklung gerechnet werden. Auch die Diskussion über Einkommenszahlen des laufenden Wirtschaftsjahrs sind in einer Woche bereits Vergangenheitsbewältigung. Entscheidend ist, was die Zukunft bringen wird. Denn der wirtschaftende Bauer braucht wirtschaftliche Perspektiven. Das heißt zuerst: was wird der Rat in Brüssel beschließen? Die Ausgangslage ist unstrittig. Die EG-Agrarpolitik besonders der 70er Jahre war auf Expansion angelegt und hat ihr Heil im Produktionszuwachs gesucht. Man hat nicht auf die Marktlage geachtet. Damit hat sich das Konzept überlebt. Nur Maßnahmen, die überschüssige Nahrungsmittelproduktion einschränken, sind daher im Augenblick hilfreich. Produktionseinschränkend ist die Garantiemengenregelung bei Milch. Die noch mal erforderliche Stillegung der Referenzmengen wurde erstmals durch einen Einkommensausgleich neutralisiert und damit erträglich gemacht. Die Milchrente erleichtert aufgabewilligen Landwirten das Ausscheiden aus der Milcherzeugung und eröffnet Spielraum, die zuviel verteilten Referenzmengen zu verringern. Die relative Vorzüglichkeit der Garantiemengenregelung Milch erweist sich auch in den Preisvorschlägen der EG-Kommission. Während bei praktisch fast allen Produkten Preissenkungen von ihr anvisiert werden, werden die Milchpreise stabil bleiben. ({3}) Das zweite Element einer neuen, bereits beschlossenen Agrarpolitik ist der Rindfleischmarkt mit einer Einschränkung der kostspieligen ineffizienten Dauerintervention und der Einführung der einkommenswirksamen Prämie für männliche Schlachtrinder. Die Einschränkung der Intervention wirkt bereits. Im ersten Quartal dieses Jahres wurden in der EG wöchentlich rund 10 000 t Rindfleisch interveniert. Im April/Mai hat sich diese Zahl auf 5 000 t halbiert, ohne daß es dadurch zu Preisabweichungen über das saisonübliche Ausmaß hinaus gekommen wäre. Ich hoffe, daß die Kurskorrekturen im Rindfleischsektor verstärkt zu einer Begrenzung dieser Produktion in der EG beitragen werden. Die Anzeichen sind durchaus hoffnungsvoll. Der Selbstversorgungsgrad der EG sank von 112 % im Jahr 1984 auf 106 % im Jahr 1986; für 1987 rechnen wir mit nur noch 104%. Mittelfristig wird sicher auch das knappere Kälberangebot für eine Stabilisierung sorgen. Aus der Sicht der nördlichen EG-Staaten kommen bei Getreide und Raps schwerwiegende Probleme auf uns zu. Wachsender Mengendruck bei Getreide sowie explodierende Flächen- und auch Ertragszuwächse bei Raps haben infolge der auch daraus resultierenden Finanzprobleme zu krassen, unzumutbaren Preissenkungsvorschlägen der EG-Kommission geführt, die von anderen Mitgliedstaaten unterstützt oder toleriert werden. Wir können das so nicht akzeptieren, da wir sehr wohl wissen, daß sinkende Preise nicht automatisch zu sinkenden Mengen, sehr wohl aber zu geringeren Einkommen führen. Wir dürfen in einer Phase der marktpolitischen Bedrängnis nicht einen Wettbewerb der Belastungen für unsere Bauern zulassen. Ich wäre froh, wenn in dieser Frage über die Parteigrenzen hinweg Unterstützung auch durch Opposition möglich wäre. Schließlich trägt sie aus ihrer 13jährigen Regierungszeit Mitverantwortung für die heutige Situation. Die alten Sünden der ungezügelten europäischen Produktionsschlachten haben leider ein langes, zähes Leben. Meine Damen und Herren, daß weniger erzeugt werden muß, wird - zumindest allgemein - von niemandem bezweifelt. Wir haben für die pflanzliche Produktion ein Konzept mit vier Elementen erarbeitet und in Brüssel präsentiert: erstens den verstärkten Anbau von Defizitprodukten wie Erbsen oder Ackerbohnen, um den hohen Bedarf der EG an Eiweißfuttermitteln zumindest teilweise aus eigener Produktion zu decken; zweitens ein breites Bündel von Extensivierungsmaßnahmen bis hin zu Betriebs- und Flächenstillegungen, z. B. im Zusammenhang mit einer freiwilligen Vorruhestandsregelung. Drittens. Die EG wird aufgefordert, die finanziellen Voraussetzungen für die Schaffung eines zweiten Produktionsstandbeins im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe auf- und auszubauen. Das sind die traditionellen Elemente, die in Teilbereichen bereits realisiert werden. Ich habe sie - viertens - durch den Vorschlag ergänzt, Produktionshöchstmengen auf der Ebene von Mitgliedstaaten einzuführen. Die EG-Preisgarantie sollte auf diese Mengen beschränkt, nationalen Erzeugungsschlachten sollte dadurch ein Riegel vorgeschoben werden. EG-Mitgliedstaaten, die ihr Heil - trotz der völlig verfälschten Weltmarktpreise - in der Verstärkung einer aus ökonomischer Sicht aberwitzigen Exportpolitik suchen, sollen dafür auch die finanzielle Mitverantwortung tragen. Ich sehe dies als Hebel, den in einigen Ländern immer noch ungebrochenen Drang zur Mehrproduktion zu verringern. Wir brauchen mehr europäische und weltweite Solidarität zur Ordnung der Agrarmärkte im Sinne von Ausgewogenheit bei Angebot und Nachfrage. Eine zwingende Schlußfolgerung ergibt sich aus all diesen Vorschlägen: Wenn wir in der Gemeinschaft die pflanzliche Produktion mit hohem Aufwand einschränken, muß sichergestellt sein, daß es nicht zu einem entsprechenden Anstieg der Importe kommt. ({4}) Im Rahmen der von allen geforderten Reformbemühungen ist deshalb auch auf GATT-Ebene zu prüfen, inwieweit die EG folgenden sinnlosen Kreislauf wegverhandeln kann: Sogenannte Substitute können zu Weltmarktpreisen schrankenlos eingeführt werden. Die daraus hergestellten überschüssigen Veredelungsprodukte, z. B. Fleisch und Milch, müssen zu Schutzpreisen der Gemeinschaft wieder verwertet werden, und deren Reexport stehen dann Handelsschranken entgegen, so daß sie in vielen Fällen am sogenannten Weltmarkt praktisch verschenkt werden müssen. Meine Damen und Herren, aus gesamtwirtschaftlichen und außenhandelspolitischen Gründen lehnt die Bundesregierung den Kommissionsvorschlag für eine Fettabgabe ab. Überschattet werden die laufenden Preisverhandlungen durch eine fast hysterische Argumentation in der EG über die Wirkungen der positiven deutschen Währungsausgleichbeträge, so als führten sie zu einer Verfälschung des freien Agrarhandels mit anderen Mitgliedstaaten. Allzu viele EG-Nachbarn glauben wohl, daß die deutschen Bauern wegen struktureller Schwächen und klimatischer Nachteile in der Europäischen Gemeinschaft nicht wettbewerbsfähig seien. Ich halte diese sogenannte Befürchtung nur begrenzt für stichhaltig. Die Mehrzahl der deutschen Bauern ist - unter sonst gleichen Voraussetzungen - durchaus in der Lage, hinsichtlich Qualität und Produktivität mit ihren Nachbarn zu konkurrieren. Und: Sie haben den Vorteil, daß sie mitten in dem größten Verbrauchermarkt produzieren und daher Marktnähe haben. Was ihnen jedoch große Probleme macht, sind die Wettbewerbsnachteile im Rahmen des Europäischen Währungssystems. Unsere EG-Agarpreise - mit „unsere" meine ich die der Gemeinschaft - sind in Ecu, also der sogenannten EG-Währung, festgelegt bzw. abgesichert. Die Bauern können allerdings wegen der fehlenden Wirtschafts- und Währungsunion ihre Lebenshaltungs- und Produktionskosten nur in nationaler Währung decken, und das heißt im Klartext: Je stärker die nationale Währung, desto schlechter die Preisentwicklung für die Landwirte, und je schwächer die nationale Währung, desto besser die landwirtschaftlichen Preise in dem betreffenden Land. Ich sage das gar nicht als Vorwurf, sondern das ist schlicht und einfach die Folge der bisherigen Währungssystematik. ({5}) Aber diese Systematik hat dazu geführt, daß die deutsche Landwirtschaft seit Jahren exklusiv benachteiligt wird. ({6}) Es hat dann erheblicher nationaler Mittel bedurft, um diese Nachteile wenigstens teilweise auszugleichen. - Dies wurde im Jahr 1979 ausgehandelt, verehrte gnädige Frau. ({7}) Der Wettbewerbsvorteil der Bauern in anderen Mitgliedstaaten ist also zu einem wesentlichen Teil währungspolitisch und nicht agrarpolitisch begründet. Ich habe diesen Zusammenhang besonders für einige sogenannte Agrarexperten etwas ausführlicher dargelegt, damit sie möglicherweise doch noch einmal damit aufhören, dieses national ungemein wichtige Problem mit Sprüchen, wie „sinnloses Spiel - einer gegen alle" in Mißkredit zu bringen. Ich versichere Ihnen: Die Bundesregierung wird beim Grenzausgleich der Unbeweglichkeit der Verhandlungspartner am Brüsseler Ratstisch die Hartnäckigkeit eines Mitgliedstaates entgegensetzen, der sich ökonomisch und nach den Grundprinzipien des EWG-Vertrages im Recht sieht und der nicht bereit ist, seine Bauern wegen der fehlenden gemeinsamen Wirtschafts- und Währungspolitik ständig überproportional unter Druck zu setzen. Daß wir keine egoistische Blockadepolitik betreiben, haben wir in der Vergangenheit immer wieder bewiesen. Sonst hätten wir heute nicht positive Währungsausgleichsbeträge zwischen 1,8 und 2,9 %, sondern von über 20 %. Wir wissen auch, daß der bestehende alte Grenzausgleich irgendwann einmal abgebaut werden muß; dies ist in den siebziger Jahren vertraglich festgelegt worden. Wir sind dazu bereit, nicht in diesem Jahr, aber zukünftig, sofern man auf dem Weg über Kompensationen und Zeitablauf eine unseren Bauern und unserer Wirtschaft zumutbare Lösung findet. Ich wehre mich allerdings dagegen, uns einseitig belastende Vorschläge zu machen, weil nicht nur der Markt, nicht nur das freie Spiel der Kräfte, nicht nur die Arithmetik von Mehrheitsbeschlüssen und politischem Rechenschieber, sondern gleichrangig soziale Stabilität und Gerechtigkeit die Richtschnur einer verantwortungsvollen Agrarpolitik sind. Meine Damen und Herren, Strukturanpassungen sollen und werden stattfinden. Auch sollte niemand den Strukturwandel künstlich hemmen. Im Gegenteil, wir wissen sehr wohl, daß ohne Strukturwandel die durchschnittliche Einkommensentwicklung noch wesentlich schlechter wäre. ({8}) Aber ich betone noch einmal: Ich spreche von Strukturwandel, nicht von Strukturbruch. Strukturwandel in dem von mir verstandenen positiven Sinn bedeutet die freiwillige Betriebsaufgabe oder Betriebseinschränkung wegen einer attraktiven Alternative außerhalb der Landwirtschaft oder im Zu- oder Nebenerwerb, ({9}) zweitens durch Extensivierung und/oder Flächenbzw. Betriebsstillegung bei sozialer Absicherung. Unter Strukturbruch verstehe ich durch politische Maßnahmen erzwungene Betriebsaufgaben, erzwungen unter der Last mangelnder Rentabilität durch Preisdruck, gegebenenfalls sogar mit dem Zwangswechsel in die Arbeitslosigkeit verbunden. Diese Form der strukturellen Anpassung über eine Verelendung lehnen die Union und die Bundesregierung strikt ab. ({10}) Der freiwillige Strukturwandel als Element der Kostensenkung, der Arbeitsentlastung, der Einkommenssteigerung und der Festigung unserer Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Berufskollegen in anderen Mitgliedstaaten ist hingegen zu begrüßen, weil es auf Dauer keine Agrarpolitik gibt, die Leistungsschwäche in Wohlstand umzusetzen vermag. Natürlich gibt es Grenzen bei den Betrieben, die wachsen wollen. Schließlich sind und bleiben bäuerliche Familienbetriebe und nicht Agrarkonzerne unser Leitbild. Sie, ebenso wie Großfarmen und Kolchosen, haben eine sehr enge Definition von Leistung. Wo Tiere keine Mitgeschöpfe sind, wo alles Lebendige nur als Betriebskapital angesehen wird, haben wir vielleicht billige Produktionsstätten, aber keine Höfe als Heimat, keine nachbarschaftliche Lebensgemeinschaft in den Dörfern. Wir sind froh, meine Damen und Herren, daß wir von diesem agrarpolitischen Horrorgemälde weit entfernt sind. Wir werden deshalb künftig der sogenannten Massentierhaltung entgegenwirken, und wäre sie noch so ökonomisch. Wir müssen unseren Verbrauchern und Mitbürgern verstärkt sagen, in welchen Ländern Reinheitsgebote bei der Lebensmittelproduktion eingehalten werden ({11}) und in welchen Ländern auf Wachstumshormone verzichtet wird und in welchen nicht. ({12}) Lebensmittel können und dürfen nicht nach der Methode des billigen Jakobs produziert werden. Wer nur noch den schrägen Vergleich mit den sogenannten Weltmarktpreisen zum Maßstab einer sogenannten modernen, effizienten Landwirtschaft macht, kann sich meinetwegen einsalzen lassen - wenn ich es einmal volkstümlich sagen darf -, er ist ökologisch nicht forschrittlich genug. ({13}) Um unserem Leitbild des bäuerlichen Familienbetriebs gerecht zu werden, brauchen die deutschen Bauern weiterhin nationale Rückenstärkung. Unter dem Stichwort eines sogenannten Jahrhundertvertrags gewinnt in diesem Zusammenhang eine vom bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß entwickelte und vom rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel aufgegriffene Initiative immer mehr an Aufmerksamkeit. Mit diesem Vorschlag soll in den Landtagen und im Deutschen Bundestag ein politischer Konsens herbeigeführt werden - kein Streit - , der die Größe der Aufgabe beschreibt und die Entschlossenheit, alle politischen und finanziell möglichen Anstrengungen im Interesse der Landwirtschaft zu bündeln, widerspiegelt. Er ist eine Art langfristige politische Absicherung im Sinne eines Aktionsprogrammes für den bäuerlichen Familienbetrieb. Dabei muß man folgende Ziele im Auge behalten: erstens die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe sichern und verbessern, zweitens Märkte entlasten, drittens Leistungen außerhalb der Nahrungsmittelproduktion entlohnen sowie viertens wirtschaftlich und sozial vertretbare Alternativen zur Beschäftigung in der Landwirtschaft aufzeigen. Als mögliche Einzelmaßnahmen einer ganzen Reihe von Ansatzpunkten seien exemplarisch genannt: Fortführung eines Mehrwertsteuerausgleichs, Weiterentwicklung der Förderung in den benachteiligten Gebieten, weiterhin Entlastungen bei den Sozialkosten, eine Honorierung ökologischer und landespflegerischer Leistungen der Landwirtschaft neben einer Palette von Maßnahmen zur Produktionsrückführung als Voraussetzung für eine schließlich kosten- und einkommensorientierte Preispolitik. Ich möchte zur Klarstellung hinzufügen: Die Realisierung solcher und dieser Maßnahmen hängt nicht zuletzt von den Entscheidungsabläufen in Brüssel ab. Zu einem Konsens gehört auch die Mitwirkung der Bauern, vertreten durch ihre Berufsverbände. Die Mitwirkung müßte z. B. darin bestehen, daß zur Ausgewogenheit unvermeidbarer Maßnahmen und für eine breite Akzeptanz durch die Allgemeinheit im außerlandwirtschaftlichen Bereich auch der Berufsstand die notwendigen Entscheidungen mitträgt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung betreibt auch im Agrarbereich eine Politik der Glaubwürdigkeit. ({14}) Glaubwürdigkeit gewinnt man nicht durch Worte. Worten müssen Taten folgen. ({15}) Wir haben das getan, und wir können es mit Haushaltszahlen dokumentieren im Gegensatz zu denen, die dauernd nur quasseln. In der letzten Legislaturperiode 1983 bis 1987 stieg der Agrarhaushalt mit 33 % schneller als der allgemeine Bundeshaushalt mit 6 %. Es ist weder dem Parlament noch der Bundesregierung leicht gefallen, diese Mittel bereitzustellen. Deswegen bedanke ich mich auch beim Bundeskanzler, beim Bundesfinanzminister, bei den Regierungsparteien und beim Parlament. ({16}) - Und beim Steuerzahler, sehr richtig. Wir haben aus Überzeugung die wirtschaftliche Stärkung der Landwirtschaft als nationale Aufgabe angesehen und auch entsprechend gehandelt. Dies wird auch im Haushaltsjahr 1988 wieder zum Ausdruck kommen, genauso, wie es im laufenden Haushaltsjahr der Fall war. Daneben haben wir politisch vieles auf den Weg gebracht, was sich nicht in Haushaltszahlen niederschlägt, jedoch den steigenden ökologischen Ansprüchen an die Landwirtschaft gerecht wird, z. B. eine Tierschutznovelle, die den Schutz der Tiere insbesondere bei Tierversuchen, im gewerblichen Tierhandel ({17}) und beim Schlachten wesentlich verbessert, oder ein Gesetz zum Schutz der Kulturpflanzen, das z. B. die Anerkennung und Anwendung von Pflanzenschutzmitteln vorbildlich regelt. Trotz einer schwierigen Phase der Agrarpolitik - national, EG-weit und weltweit - wissen wir, daß ein dichtbesiedeltes Industrieland wie die Bundesrepublik Deutschland die Landwirtschaft dringend braucht. Forstwirtschaft, Fischerei, Garten- und Weinbau gehören alle zu dieser Landwirtschaft. Sie machen die Vielfalt der Produktion aus und prägen das abwechslungsreiche Landschaftsbild. Die Menschen in all diesen Bereichen produzieren nicht nur, sie pflegen auch die Landschaft, erhalten sie liebenswert und sorgen dafür, daß die Schönheit der Landschaft den Erholungssuchenden überall in Deutschland zur Verfügung steht. Ich bedanke mich daher bei der deutschen Landwirtschaft, ganz besonders bei den Landfrauen, bei den jungen Bäuerinnen und Bauern und natürlich auch bei unseren Betriebsleitern. Ich möchte ausdrücklich ein Wort der Anerkennung anfügen, daß sie in schwieriger Zeit und vor große Opfer gestellt unsere deutsche Heimat so schön, liebenswert und lebenswert erhalten. Meine Damen und Herren, daraus erwächst auch eine Verpflichtung der Allgemeinheit, für diese Leistungen künftig finanziell mehr zu tun als bisher. ({18})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).

Rudolf Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001565, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Agrarbericht, die Einbringungsrede des Herrn Ministers und der Entschließungsantrag der CDU/CSU beweisen: Unsere Bauern kämpfen mit dem Rücken an der Wand. Vielen stellt sich bereits die Existenzfrage, die meisten haben seit Jahren drastische Einkommensminderungen hinzunehmen. Nur ganz wenige können mit der derzeitigen Situation zufrieden sein. Diese wenigen aber, die von Fleiß und Können der Betriebsleiter, doch meist auch von optimalen Bedingungen bei Betriebsgröße und Standort profitieren, sind nicht repräsentativ für die Landwirtschaft schlechthin. Für die Mehrheit der Landwirte sind die Zukunftsaussichten ungünstig, und die Betroffenen wissen das. Gesundbeterei, Vertröstungen und Versprechungen ziehen nicht mehr. Die Landwirte haben das Vertrauen in die Politik - das trifft alle Parteien gleichermaßen - verloren. Unsere Aufgabe muß es sein, dieses Vertrauen wieder zu gewinnen. Denn hinter allem, worüber wir diskutieren, stehen Familien, stehen Menschen, die sich von allen Seiten im Stich gelassen fühlen, dann nicht immer so reagieren, wie es manche gerne hätten, die abstrakt über Agrarpolitik reden und mit Urteilen schnell bei der Hand sind. Verlorenes Vertrauen können wir nur zurückgewinnen mit Ehrlichkeit und klaren Entscheidungen. ({0}) Dazu gehört das Eingeständnis, daß niemand angesichts der Differenziertheit und Vielfalt der Probleme ein Patentrezept kennt, mit dem alles, was zur Entscheidung ansteht, elegant zu lösen wäre. Das Schlagwort vom Jahrhundertvertrag, das der Herr Minister erwähnt hat und das vor den letzten Landtagswahlen in die Welt gesetzt wurde, und alles, was man dazu gesagt hat, gaukeln ein solches Patentrezept nur vor. Zur Ehrlichkeit gehören auch der Mut und die Offenheit, nicht länger den Eindruck zu erwecken, als wäre es möglich, allen landwirtschaftlichen Betrieben eine Art Bestandsgarantie zu geben. Das Versprechen, daß jeder Bauer bleiben könne, wenn er es nur wolle, hat viele Bauern zu falschen Entscheidungen verführt und hat mit zum Vertrauensverlust beigetragen. Es ist falsch und unehrlich, den Eindruck zu erwekken, als ob der Strukturwandel verhindert werden könnte. ({1}) - Ja, Sie reden hier ein bißchen anders als draußen, Herr Kollege; ich weiß das schon. Es ist also falsch und unredlich, diesen Eindruck zu erwecken. Eine Wirtschaft, die im internationalen Wettbewerb bestehen will, ist zwingend auf die Nutzung des technischen Fortschritts angewiesen. Da wird es immer Betriebe geben, die von ihrer Kapazität her oder aus anderen Gründen nicht in der Lage sind, mit dieser Entwicklung Schritt zu halten. Landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetrieben mit zu geringer Kapazität kann man aber weder mit aktiver Preispolitik noch mit der Förderung nachwachsender Rohstoffe zu einem ausreichenden Familieneinkommen verhelfen. Sie müssen entweder aufstocken oder über kurz oder lang aufgeben und ihre Betriebsfläche für andere Zwecke zur Verfügung stellen, oder sie brauchen ein zweites Einkommen - sei es über den Fremdenverkehr, sei es über die Honorierung ökologischer Leistungen -, oder sie brauchen als Zu- oder Nebenerwerbsbetriebe einen außerlandwirtschaftlichen Arbeitsplatz. Wir Sozialdemokraten sehen deshalb keine Möglichkeit, den Status quo in der Landwirtschaft auf Dauer zu garantieren und die vorhandenen Agrarstrukturen festzuschreiben. Wir wollen jedoch alles dafür tun, daß der Strukturwandel dort, wo er nicht zu verhindern ist, wo er eventuell sogar im Interesse der Müller ({2}) Allgemeinheit - und langfristig auch im Interesse der Betroffenen - liegt, sozial abläuft. Zur Ehrlichkeit gehört auch, nicht so zu tun, als ob es darum ginge, entweder alle Betriebe zu erhalten oder die bäuerliche Agrarstruktur zu zerstören. Das ist nicht die Alternative; die unterschiedlichen Strukturen in Schleswig-Holstein und in Bayern oder BadenWürttemberg beweisen dies. Es geht vielmehr darum, so schnell wie möglich Bedingungen zu schaffen, die tüchtigen jungen Landwirten echte Zukunftschancen bieten. Die Anwendung des rein marktwirtschaftlichen Prinzips - wie es manchen Wissenschaftlern und anderen Kreisen vorschwebt - ist aber, wenn es darum geht, dieses Ziel zu erreichen und die vorhandenen Probleme zu lösen, nicht zu verantworten. Natürlich könnte man so die Agrarprobleme vom Tisch wischen, aber um welchen Preis? Nicht nur viele landwirtschaftliche Betriebe würden so zu Sozialfällen, sondern auch ganze Regionen gerieten in ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten; sie würden ausbluten und veröden. Strukturwandel wird sich nur dann unter geringsten Reibungsverlusten vollziehen, wenn den betroffenen Menschen eine annehmbare Alternative geboten wird. In der Landwirtschaft darf es keineswegs so weit kommen wird im industriellen und im gewerblichen Bereich, wo schon viele, zu viele, nämlich mehr als zwei Millionen Menschen ihre Existenz verloren haben, ohne eine anständige Lebensalternative zu sehen. Der frühere SPD-Wirtschaftsminister Schiller hat in dem zumindest von den Agrarpolitikern noch nicht vergessenen sogenannten Schiller-Plan Ende der 60er Jahre „Strukturwandel durch Sog " gefordert. Das heißt: Strukturwandel dadurch ermöglichen, daß man den Betroffenen Alternativen bietet, die für sie verlockender sind als das Verbleiben im gegenwärtigen Beruf. Diese Einsicht gilt heute noch; sie gilt heute mehr denn je - für alle Wirtschaftsbereiche, auch für die Landwirtschaft. Wir Sozialdemokraten sagen deshalb zwar klipp und klar, daß wir keine Möglichkeit sehen, alle Betriebe in der Landwirtschaft zu erhalten; wir sprechen uns aber ebenso deutlich für die Erhaltung der bäuerlichen Agrarstruktur bei uns aus. ({3}) Meine Damen und Herren, wir sind gegen eine Entwicklung, die dazu führt, daß Landwirtschaft bei uns nur noch von Kapitalgesellschaften in der Hand großer Ernährungskonzerne betrieben wird. Wir wissen um die Bedeutung der mittelständischen Wirtschaft in unserer Gesellschaft. Bäuerliche Familienbetriebe sind mittelständische Betriebe. Wir haben seit jeher etwas gegen Entwicklungen, die eine ungesunde Konzentration durch Kapitalmacht oder auch durch politische Fehlentscheidungen erzwingen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wissen natürlich auch, daß viele politische Entscheidungen und Entscheidungsebenen auf die Entwicklung unserer Landwirtschaft einwirken. Ich meine damit insbesondere alles, was von Brüssel vorgegeben ist. Über manche Brüsseler Entscheidungen kann man gewiß auch unterschiedlich urteilen. Fest steht aber: Wir wollen die weitere Integration in Europa. Deshalb gehört zur Ehrlichkeit gegenüber unseren Bauern auch das eindeutige Bekenntnis, daß es eine Rückkehr zu einer rein nationalen Agrarpolitik nicht geben wird und im Interesse unseres Landes und im Interesse der europäischen Idee auch nicht geben darf. Wir sind bereit, für dieses gemeinsame Europa auch Opfer zu bringen, aber nicht allein durch unsere Bauern. Unsere Partner in der EG müssen deshalb wissen, daß unsere Landwirtschaft durch die Agrarpolitik nicht kaputtgehen darf. Aus diesem Grund haben wir auch die Haltung der Bundesregierung 1984 zum Währungsausgleich kritisiert. Herr Minister, ich verstehe, daß Sie jetzt diesen positiven Grenzausgleich verteidigen. Aber warum haben Sie ihn dann 1984 geändert? Da liegt doch der Bruch, nicht in der heutigen Situation. Das war ein Opfer, das damals allein unserer Landwirtschaft aufgebürdet wurde. Der sofortige Wegfall wäre eine weitere Maßnahme, die ausschließlich unsere Landwirtschaft trifft. Meine Damen und Herren, in bestimmten Bereichen der Agrarpolitik ist ein weiteres Nachgeben nur dann vertretbar, wenn die dadurch entstehende Existenzgefährdung unserer landwirtschaftlichen Betriebe durch flankierende Maßnahmen, z. B. durch die von uns seit Jahren geforderten direkten, produktionsneutralen Einkommenshilfen, ausgeglichen wird. Ich rede damit nicht einer Renationalisierung das Wort, sondern ich trete für eine gemeinsame Agrarpolitik ein, die Freiräume läßt, um nationale bzw. regionale Härten sozial auszugleichen. Dabei muß man berücksichtigen, daß unsere Bauern im reichsten Land der EG leben. Meine Damen und Herren, sie vergleichen sich und ihren Lebensstandard zu Recht mit dem ihrer Mitbürger in der Bundesrepublik und nicht mit dem der Bauern auf Sizilien oder in Portugal. Deshalb geht es auch nicht länger an, daß eigene Agrarprobleme - von welchem Land auch immer - dadurch gelöst werden, daß man die Schwierigkeiten auf Dritte abschiebt, anstatt gemeinsame Wege zum Nutzen aller zu suchen. Ich sage ganz bewußt, daß das nicht nur innerhalb der EG, sondern auch darüber hinaus gelten sollte. Natürlich ist der Landwirtschaftsminister in einer schwierigen Lage. Angesichts der Finanzlage der Gemeinschaft und der bestehenden Überproduktion sind Lösungen, die einem nur Beifall einbringen, nicht zu finden. Aber, Herr Minister, wie sind Sie denn in diese Situation gekommen? Die Bundesregierung hat sich doch für einen Weg entschieden, der für die heutige Misere mitverantwortlich ist. Ich nenne nur die unsinnige bürokratische Quotenregelung bei Milch, die für die deutschen Landwirte katastrophale Umstellung des Währungsausgleichssystems, das praktizierte Gießkannenprinzip bei der Verteilung staatlicher Hilfen. Da nützt es nichts, zu sagen, der Agrarhaushalt habe um soundso viel zugenommen. Es wäre besser gewesen, diese Mittel so zu verteilen, daß diejenigen sie bekommen hätten, die sie brauchen. ({4}) Müller ({5}) Der Handlungsspielraum des Agrarministers ist jetzt entsprechend gering, zumal Herr Stoltenberg nicht bereit ist, das zu finanzieren, was Herr Kiechle gerne möchte. Und die EG-Partner wissen das. Dies ist die erste Agrardebatte der laufenden Legislaturperiode. Wir haben vier Jahre vor uns. Diese Zeit können wir entweder dafür verschwenden, uns gegenseitig Versagen vorzuwerfen oder die Absicht zu unterstellen, der bäuerlichen Landwirtschaft das Wasser abgraben zu wollen. Wir können diese Zeit aber auch nutzen, um in der Zusammenarbeit aller Parteien und Fraktionen Lösungen für unsere bedrohte Landwirtschaft zu finden. Der Erhalt eines ganzen Wirtschafts- und Berufszweiges steht zur Debatte. Die Bundesrepublik kann auf eine eigene bäuerliche Landwirtschaft nicht verzichten. Wir brauchen sie sowohl zur Ernährungssicherung als auch zur Sicherung des ländlichen Raums als auch zur Erhaltung unserer Umwelt. Wenn die Bauern spüren, daß ihre Probleme nicht nur Anlaß sind, parteipolitische Punkte zu sammeln, sondern gemeinsam etwas zu tun, wird das auch der um sich greifenden Resignation entgegenwirken und den Selbsthilfewillen aktivieren. Der Deutsche Bundestag hat 1955 nahezu einstimmig das Landwirtschaftsgesetz verabschiedet. Mit der gleichen Einmütigkeit müßte es den demokratischen Parteien im Deutschen Bundestag nun gelingen, die Agrarpolitik auf eine neue Grundlage zu stellen, auf eine Grundlage, die den in 30 Jahren grundlegend veränderten Bedingungen in der Landwirtschaft angepaßt ist und die unseren Bauern für einige Jahrzehnte wieder eine verläßliche Perspektive bietet. Wir sind bereit, für dieses Ziel vorübergehend auch höhere Ausgaben im Bereich der Agrarpolitik in Kauf zu nehmen, wenn abzusehen ist, daß durch solche Maßnahmen die sinnlose Vergeudung von Mitteln für unverkäufliche Überschüsse eingedämmt und die Existenz für lebensfähige Betriebe wieder sicherer wird. Wir bieten deshalb zum wiederholten Mal unsere Hilfe für eine gemeinsame Lösung der Probleme an, für eine Lösung, die - ohne den Bauern unerfüllbare Versprechungen zu machen - die familienbäuerliche Struktur unseres Landes sichert; denn wir sind überzeugt, daß unser Land eine gesunde Landwirtschaft und lebensfähige ländliche Räume ebenso dringend braucht wie eine wettbewerbsfähige Industrie. Herzlichen Dank. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Susset.

Egon Susset (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Müller, Sie bieten Zusammenarbeit an. Aber bitte nicht nur hier in der Öffentlichkeit. Gestern im Ausschuß hat die SPD die Finanzierung der Marktordnungsstellen abgelehnt. ({0}) Das eine wird nach außen gesagt, und im Ausschuß verhält man sich dann entgegengesetzt. Das kann auf Dauer nicht gutgehen. ({1}) Meine Damen und Herren, das Ergebnis des Agrarberichts zeigt: Die Einkommenslage der Landwirtschaft ist nicht gut. Trotz 2,7 % mehr im letzten Jahr sind wir bei den Einkommen wieder auf dem Stand von 1975/76 angekommen. Der Agrarbericht belegt aber auch, daß die Bundesregierung den Rahmen der nationalen Möglichkeiten in der Agrarpolitik ausgeschöpft hat. Der deutschen Landwirtschaft fließen allein durch den Einkommensausgleich über die Umsatzsteuer rund 2,75 Milliarden DM zu. Das wurde gegen den erbitterten Widerstand der SPD erreicht. Die Ausweitung der benachteiligten Gebiete auf 6 Millionen ha bedeutet für rund 230 000 Betriebe eine Einkommensverbesserung um durchschnittlich 2 300 DM im Jahr. Sie wurde durchgesetzt gegen die SPD. Mit einem Finanzvolumen von über 600 Millionen DM werden gezielt kleine und mittlere Betriebe von den drückenden Sozialabgaben entlastet. Das mußte durchgesetzt werden gegen den Widerstand der SPD. ({2}) Eine Reihe weiterer Maßnahmen hat sich positiv auf die Einkommenslage der bäuerlichen Familien ausgewirkt: Erziehungsgeld für die Bäuerinnen, Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung. ({3}) Ohne diese Maßnahmen, meine sehr verehrten Damen und Herren, die wir - und ich sage das nochmals - gegen den Widerstand der Opposition durchgesetzt haben, wäre die Einkommenslage in der Landwirtschaft nicht nur schlecht, sondern katastrophal. ({4}) Wir müssen jedoch auch feststellen, daß, so notwendig und richtig die nationalen Maßnahmen waren, die Ursachen für die unbefriedigende Situation, die Überproduktion, nur auf der Ebene der EG und weltweit behoben werden können. Es ist uns zwar gelungen, eine Reihe von deutschen Positionen in Brüssel durchzusetzen. In diesem Zusammenhang möchte ich nur an die Entscheidungen im Milchbereich erinnern. Die Vorschläge der Kommission vom letzten Jahr sahen vollständig anders aus als das, was die Minister auf hartes Drängen von Minister Kiechle dann schließlich verabschiedet haben. Die Kommission wollte das Problem der noch bestehenden Überproduktion im Milchbereich allein durch eine Einschränkung der Intervention und, damit verbunden, mit Preisdruck lösen. Diesem Plan, der zusätzlich zu der 1984 eingeführten Quotenregelung eine massive Preissenkung bedeutet hätte, hat sich Minister Kiechle erfolgreich widersetzt. Vor dem Hintergrund dieser Entscheidungen werden wir in absehbarer Zeit zu einer wesentlich positiveren Beurteilung des Milchmarkts kommen. ({5}) Wir werden den dann vorhandenen Handlungsspielraum nutzen können, um die jetzt geltende starre Garantiemengenregelung zu flexibilisieren. Ich denke hier in erster Linie an den in den Koalitionsvereinbarungen vereinbarten Übergang zu einer Molkerei- oder Regionalquote. Auch im Bereich der Förderung benachteiligter Gebiete sind wir weitergekommen. Die Viehbindung wurde aufgehoben, so daß künftig auch ohne eine entsprechende Tierhaltung eine Ausgleichszulage gewährt werden kann. Das ist vor dem Hintergrund der bestehenden Überschüsse eine sehr sinnvolle Maßnahme. Der Anreiz zur Tierhaltung wegen der Ausgleichszulage entfällt. Im pflanzlichen Bereich ist ein entscheidender Durchbruch zur Senkung der Überproduktion bisher leider noch nicht gelungen. Die im Grundsatz beschlossenen soziostrukturellen Maßnahmen mit einer EG-weiten Flächenstillegung sind ein Schritt in die richtige Richtung. ({6}) Nun stellt sich die Frage: Worauf müssen wir uns in der EG-Agrarpolitik konzentrieren? Wir müssen dafür sorgen, daß die EG wieder zu einer vernünftigen Finanzierung zurückfinden kann. Keiner kann ein Interesse daran haben, daß die Agrarpolitik zum Sprengsatz für die Gemeinschaft wird. Die Bundesregierung wird sich nicht davor verschließen, ihre finanzielle Verantwortung für die Gemeinschaft aufrechtzuerhalten. Wir werden jedoch mit allen Möglichkeiten dafür eintreten, daß das Geld sinnvoller als bisher ausgegeben wird. ({7}) Es ist notwendig und es ist richtig, daß zwischen den Ländern der EG weiter am Ausgleich der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit gearbeitet werden muß. Dafür sind gezielte und vor allem integrierte Ansätze notwendig, die nicht nur den Agrarbereich einbeziehen. Kein vernünftiger Mensch kann wollen, daß wir die spanische oder portugiesische Veredelungsproduktion an den Stand der von Holland heranführen. Die Märkte würden vollends aus den Nähten platzen. Dagegen kann es viel sinnvoller sein, in Südeuropa einen Beitrag zur Infrastruktur zu leisten und damit die Wirtschaftskraft zu stärken bzw. die weitere Erschließung des Fremdenverkehrs zu unterstützen. ({8}) Es muß allerdings auch Klarheit über die Prioritäten geschaffen werden. Bevor die bestehenden Probleme im Agrarbereich nicht gelöst sind, sollte die EG-Kommission bei der Konzeption neuer Politikbereiche Zurückhaltung üben. Es ist notwendig, daß wir zu einem gerechteren Finanzierungsschlüssel kommen. Es kann nicht so bleiben, daß verschiedene Mitgliedstaaten mit einem überdurchschnittlichen Leistungsniveau überproportional von der Gemeinschaft profitieren, während andere relativ stark zur Kasse gebeten werden. Eine entsprechend stärkere Einbeziehung in die finanzielle Verantwortung stärkt gleichzeitig die Bereitschaft zur notwendigen Rückführung der Überproduktion. Bevor wir jedoch mehr Geld für Europa ausgeben, muß sichergestellt werden, daß es vernünftig ausgegeben wird. ({9}) Wir können und wollen dem Steuerzahler nicht länger zumuten, Geld für unsinnige Exportsubventionen auszugeben, die den Bauern immer weniger nützen. Wir können die Produktionskapazitäten der europäischen Landwirtschaft nicht an der heutigen Überversorgung ausrichten. Es ist absehbar, daß immer mehr Importländer ihren Bedarf selbst decken können. Eine vernünftige Ausrichtung des Produktionsrahmens muß Bestandteil einer Finanzreform in Europa sein. Wer seine Produktion nicht an realistischen Absatzchancen ausrichten will, muß dafür selbst die finanzielle Verantwortung übernehmen. Die Nachfrage wird wegen zunehmender Selbstversorgung immer schwieriger. Daraus muß man den Schluß ziehen, daß Produktionskapazitäten abgebaut werden. Ein zu brutaler Weg ist die Preissenkung. Sie zwingt die Betriebe, die Produktion aufzugeben, wenn sie nicht mehr kostendeckend wirtschaften können. Oft kommt es erst zur Betriebsaufgabe, wenn auch das Vermögen verbraucht ist. Dies ist nicht die Politik von CDU/CSU und dieser Bundesregierung. ({10}) In den ländlichen Räumen trägt die Landwirtschaft maßgeblich zur Wirtschaftskraft bei. Viele Arbeitskräfte in vor- und nachgelagerten Bereichen hängen direkt oder indirekt von der Landwirtschaft ab. Das bedeutet: Mit der Aufgabe der Betriebe gehen viele außerlandwirtschaftliche Arbeitsplätze verloren. Die EG-Kommission hat es nach Vorlage ihres Grünbuches versäumt, die ganze Breite des darin aufgeführten Instrumentariums auszuschöpfen. Sie hat sich einseitig auf die Politik des Preisdrucks konzentriert, von der alle Erfahrung lehrt, daß damit keine Märkte bereinigt werden können. Die seinerzeit diskutierten Ansätze, die über den landwirtschaftlichen Bereich hinausgehen und die Entwicklung des ganzen ländlichen Raumes einbeziehen, wurden nur ungenügend in konkrete Vorschläge umgesetzt. Der Agrarministerrat hat die grundsätzlichen Beschlüsse zu einer Flächenstillegung in der EG getroffen. Vor wenigen Tagen - und das hat mich gefreut - hat auch das Europäische Parlament zugestimmt, so daß nunmehr an der nationalen Umsetzung und der konkreten Ausgestaltung gearbeitet werden kann. Dabei wird es natürlich in erster Linie darauf ankommen, daß wir dafür sorgen, daß innerhalb der EG die Mengenrückführung gleichgewichtig vollzogen wird, weil es keinen Sinn hat, wenn wir die Produktion einschränken, andere aber nicht mitzumachen bereit sind. Meine Damen und Herren, auch wenn es gelingt, die agrarpolitischen Vorstellungen der Bundesregierung und der Unionsfraktion durchzusetzen, wird das - da stimme ich mit dem Kollegen Müller überein -nicht für jeden Betrieb eine Überlebensgarantie sein. Wir müssen jedoch von politischer Seite auch dafür sorgen, daß unsere Betriebe im Wettbewerb mit den Berufskollegen aus anderen EG-Staaten mithalten können. Eine entscheidende Voraussetzung, die in der Verantwortung der Politiker liegt, ist eine vernünftige Regelung in der Frage des Währungsausgleichs. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die nächsten Anpassungen im Europäischen Währungssystem vorgenommen werden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat die Bundesregierung in dem vorliegenden Entschließungsantrag aufgefordert, bei den zukünftigen Verhandlungen im Europäischen Währungssystem über Neufestsetzungen der Wechselkurse verbindliche Absprachen über die Behandlung der Währungsausgleichsbeträge zu treffen, und zwar so, daß sie der schwierigen Einkommenssituation Rechnung tragen und keine einseitigen Preissenkungen zulassen. ({11}) Ich bin der Auffassung, daß wir über die Behandlung der Währungsausgleichsbeträge künftig dort reden müssen, wo die Entscheidungen über die Auf- und Abwertungen fallen, nämlich im Rat der Finanzminister. ({12}) Ein Verschieben in den Agrarrat trägt nur dazu bei, daß unsere Verhandlungssituation zusätzlich erschwert wird. Wir müssen dann über die Behandlung sowohl negativer als auch positiver Währungsausgleiche sprechen, wenn unsere Verhandlungspartner etwas von uns wollen. Ein weiterer Punkt ist wichtig, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir müssen auch noch bestehende Hemmnisse für den Strukturwandel abbauen. Landwirten, die aus dem aktiven Berufsleben ausscheiden wollen, muß eine Alternative angeboten werden. Denn in vielen bäuerlichen Familien ist doch die Berufsentscheidung über den Nachfolger auf dem Hof gefallen. Aber jetzt muß die Vorruhestandsregelung für jene kommen, die ihren Betrieb aufgeben wollen. ({13}) Nur, meine Damen und Herren, mit der Agrarpolitik allein wird es nicht gelingen, die Probleme der Landwirtschaft zu lösen. Was wir brauchen, ist ein Konzept für den gesamten ländlichen Raum. ({14}) Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, daß der Vorstand der CDU eine Arbeitsgruppe „Ländlicher Raum" gegründet hat. ({15}) Denn der ländliche Raum muß auch in der Zukunft in der Lage sein, seine Aufgabe für die gesamte Bevölkerung zu erfüllen. ({16}) Dazu gehören die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen, die Bewirtschaftung und Pflege unserer Landschaft, die Wahrnehmung ökologischer Funktionen und die Erhaltung des Lebensraums, die Bereitstellung vielfältiger Möglichkeiten der Nah- und Ferienerholung sowie die Pflege und Entwicklung unserer kulturellen Tradition. Ich bin fest davon überzeugt, daß wir mit einem Politikansatz für den gesamten ländlichen Raum für die landwirtschaftliche Bevölkerung mehr tun können, als wenn wir angesichts der jetzigen Situation einseitig auf die Agrarpolitik setzen. Denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht darum, daß wir dem ländlichen Raum und der Landwirtschaft eine tragfähige Zukunftsperspektive aufzeigen. ({17}) ({18}) Im Entschließungsantrag - lesen Sie ihn bitte durch, Herr Kollege ({19}) haben wir eine ganze Reihe konstruktiver Vorschläge eingebracht, ({20}) die wir in den zuständigen Ausschüssen weiter beraten wollen. Ich möchte mich recht herzlich bedanken: bei den Landwirten, bei den Landfrauen, bei der Landjugend, beim Minister, bei den Beamten aus dem Ministerium ({21}) - und bei Ihnen, daß Sie so ruhig zugehört haben. Ich danke schön. ({22})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Kreuzeder.

Matthias Kreuzeder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001213, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kiechle, Sie dürfen mich ruhig anschauen. ({0}) Sie haben in Ihrer Rede zuerst gesagt: Strukturwandel muß auch weiterhin sein. Stellen Sie sich den Strukturwandel vor, den Sie produzieren. Wenn der so weitergeht und es im Landwirtschaftsministerium eine Erbfolge gibt, hat Ihr Sohn - wenn Sie einen haben - , wenn er in zwanzig Jahren das Ministerium übernimmt, keine Bauern mehr, die er regieren soll. ({1}) Die Bundesregierung hat die parlamentarische Beratung über den Agrarbericht unserer Meinung nach so lange hinausgeschoben, weil die Lage der LandKreuzeder wirtschaft katastrophal ist. Es ist kein Wunder, daß das so ist, wenn man betrachtet, was die Regierung nach außen vorgibt - sprich: Sie sind für den Erhalt möglichst vieler bäuerlicher Betriebe - und was sie dann wirklich macht. Die Bilanz ist in meinen Augen erschreckend. 75 % der Betriebe können keine Rücklagen mehr bilden, werden also in Zukunft in die roten Zahlen wirtschaften. 46 % der Vollerwerbsbetriebe leben von der Substanz, d. h. von Grundverkauf oder Kreditaufnahme. Ein Drittel der Vollerwerbsbetriebe erwirtschaftet ein Einkommen unter dem Sozialhilfesatz. Die Gesamtverschuldung steigt und steigt. Sie hat inzwischen fast 50 Milliarden DM erreicht. Die durchschnittliche Verschuldung pro Hektar beträgt 4 500 DM. Laut Agrarbericht haben sogar mehr als 10 % der Vollerwerbsbetriebe eine Verschuldung von mehr als 10 000 DM je Hektar. Der sogenannte natürliche Strukturwandel hat sich gesteigert. Im letzten Jahr haben fast 15 000 Höfe aufhören müssen. Die Entwicklung wird von der Regierung nicht gestoppt oder bekämpft. Ganz im Gegenteil, sie wird gefördert. Das haben wir heute gehört: Strukturwandel muß sein. ({2}) - Von Ihnen, Herr Gallus, wissen wir das. Sie haben auf Ihrem Hof den Strukturwandel schon vollführt. ({3}) Im Gegenteil, die Regierung fördert den Strukturwandel. Allein deshalb, weil das so ist, werden wir der Gesetzesänderung, die heute zur Abstimmung ansteht, nicht zustimmen. Nur aus dem Grund, weil es scheinheiliger, als es momentan in der Agrarpolitik in diesem Land läuft, nicht mehr geht. ({4}) Das beste Beispiel dafür, was Agrarpolitik in der BRD heißt, ist die Milchkontingentierung. Mir klingt es heute noch in den Ohren, wie der Herr Kiechle gesagt hat: Die Milchkontingentierung wird eingeführt, um den Überschuß dort zu reduzieren, wo er produziert wird. - Und was haben Sie gemacht? Auf Grund der Kontingentierung haben 50 000 milchviehhaltende Betriebe aufgehört. Seit 1983 haben jedes Jahr 4 % der Betriebe - in der Milchviehhaltung waren es wesentlich mehr als beim sogenannten normalen Strukturwandel - aufgegeben. ({5}) - Ja! ({6}) Es ist natürlich klar, daß der Agrarbericht das verschweigt. Der Agrarbericht sagt es anders. Der Agrarbericht sagt, die, die übriggeblieben sind, haben jetzt 10 % mehr Einkommen. - Aber wir wollen ja, daß auch die übrigbleiben, die bei der jetzigen Politik aufhören müssen. Ein zweites Beispiel für eine Agrarpolitik zur Erhaltung möglichst vieler bäuerlicher Betriebe. Bei Grundverkauf zur Schuldentilgung wird ein Steuerfreibetrag von 90 000 DM gewährt. Auf Grund Ihrer Politik nehmen die Bauern das herzlich gern in Anspruch, weil sie kein Einkommen mehr haben. 47 000 Hektar sind von der bäuerlichen Landwirtschaft zu Unilever, zu Raiffeisen und zu den anderen Großbanken gewandert. Für das Großkapital macht ihr Politik, meine Herren! ({7}) Ich lese dann auf den Seiten 62 und 63 des Agrarberichts die weiteren Ziele und die weiteren Maßnahmen, die der Herr Kiechle und seine Staatssekretäre ins Auge fassen und einleiten wollen. Mir fallen da nur ein paar Zitate von dem lächelnden FDP-Herrn Gallus ein: Es kann nicht mehr jeder Bauer bleiben, der Bauer bleiben will. ({8}) Jahrzehntelang habt ihr es - Sie nicht, das weiß ich - anders gesagt. Oder mein ganz besonderer Freund, der Herr Staatssekretär von Geldern, sagt: 15 Hektar sind in Zukunft für eine Familie keine Existenz mehr. Jetzt frage ich mich, was wir Bauern in Württemberg, in Hessen, in der Pfalz, in Bayern machen sollen. Wir haben nicht einmal eine Durchschnittsgröße von 15 Hektar, Herr Gallus. ({9}) Ich höre gerade die Sprüche vom FDP-Wirtschaftsexperten Lambsdorff, die da heißen: Er hat es satt, die faulen Bauern zu unterstützen. ({10}) Der soll einmal zu mir auf den Hof kommen und soll einmal fünf Stunden arbeiten, einmal in seinem Leben fünf Stunden richtig arbeiten. ({11})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gallus?

Matthias Kreuzeder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001213, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Er gestattet keine Zwischenfragen.

Matthias Kreuzeder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001213, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin der Meinung - darum gestatte ich keine Zwischenfrage -, wenn es einen Strukturwandel auf Grund agrarpolitischer Leistungen im Parlament gäbe, hätten Sie auf der Seite schon lange keine Existenzberechtigung mehr. ({0}) - Ich lange immer voll zu. Ich sage immer, was ich denke. Ich frage die Politiker, die rechts von mir sitzen: Wie wollen Sie mit den Maßnahmen, die im Agrarbericht angedeutet werden - Flächenstillegung, Vorruhestand mit Hofaufgabe, Milchrente - die bäuerliche Landwirtschaft erhalten? „Bauer" kommt von „be1280 bauen" und nicht von „stillegen"; damit Sie das klar wissen. ({1}) Das beste Beispiel ist Amerika. Dort wurde eine Fläche annähernd so groß wie die BRD stillgelegt, um die Überschüsse zu reduzieren. Was ist der Erfolg? - Wöchentlich werden 2 000 Farmen versteigert, und der Überschuß steigt. Flächenstillegung und Vorruhestand erfolgen, damit die Agrarindustrie auf der verbleibenden Fläche, auf den guten Standorten volle Pulle weiter produzieren kann. Das ist der Grund. Das ist ein Existenzsicherungsprogramm für die Industrie und für die Agrarchemie, aber nicht für die bäuerliche Landwirtschaft. ({2}) Zu den nachwachsenden Rohstoffen folgendes: Ihre eigenen Koalitionskollegen haben letztesmal im „Spiegel" vorgerechnet, welcher ökologischer und ökonomischer Schwachsinn es ist, nachwachsende Rohstoffe in das Agrarprogramm aufzunehmen. Die Energiebilanz ist bei fast allen Produkten negativ: Man muß mehr Energie hineinstecken, als man schließlich erhält. Was soll dieser Schwachsinn? Das Schönste ist der Jahrhundertvertrag. Er wird je nach anstehender Landtagswahl propagiert: Zuerst war es der Strauß, jetzt ist es der Späth. Jetzt macht der Späth dasselbe. Der Jahrhundertvertrag, abgeleitet von Kohle und Stahl, bedeutet klipp und klar Massenarbeitslosigkeit in der Landwirtschaft und Bauernsterben, nichts anderes. ({3}) Mit dieser Wahlpropaganda können Sie endlich aufhören. Wenn Sie den Jahrhundertvertrag ernst nehmen, machen Sie folgendes. ({4})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Kollege, der Redner ist nicht bereit, Zwischenfragen zu beantworten.

Matthias Kreuzeder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001213, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Keine Zwischenfragen. Herr Kalb kommt auch aus Bayern. Richten Sie dem Herrn Strauß einen schönen Gruß aus.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Lassen Sie eine Zwischenfrage zu oder nicht?

Matthias Kreuzeder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001213, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein. Richten Sie Herrn Strauß einen schönen Gruß aus; es wäre wesentlich besser für unsere Gesellschaft und für unsere Bauern, einen Teil der 7 Milliarden DM für den Airbus in die Landwirtschaft zu stecken. Das wäre ein richtiger Jahrhundertvertrag. ({0}) Alle diese Dinge sind kein Existenzsicherungsprogramm für die Bauern und schon gar nicht für das bäuerliche Einkommen. Wie recht ich habe, beweist ein Blick in die Bilanzen von Nestlé, Unilever, Südfleisch usw. Dann weiß ich, wohin die Gelder fließen. ({1}) - Sie haben vielleicht mehr Redezeit als ich; das weiß ich nicht. Wenn in der bayerischen Region 2,3 Millionen DM der EG zur Förderung der bäuerlichen Struktur ausgegeben werden und davon das Pfanni-Werk zur Einlagerung von Kartoffelpürree 2 Millionen DM erhält, so daß nur 300 000 DM für die Bauern übrigbleiben, dann frage ich mich, ob das eine Politik für die bäuerliche Landwirtschaft ist. ({2}) Was halten wir dagegen? Wir wollen erstens alle Bauern erhalten, weil schon genug Bauern aufgehört haben, weil es sinnvoller ist, einen 15-Hektar-Betrieb als Existenz für eine Familie zu erhalten - auch mit Hilfe der Politik - als die paar hundert Arbeitsplätze in Wackersdorf oder sonst irgendwo. Die Mittel sind vorhanden, nur werden sie nicht gerecht verteilt, z. B. die Mehrwertsteuer. Dies ist unser Verlangen. Wir werden auch in der nächsten Legislaturperiode wieder sehr viele Anträge einbringen, um aufzuzeigen, welche Politik betrieben wird und was möglich wäre. ({3}) - Für mich ist das die nächste; ich bin noch nicht so lange dabei. Wir brauchen Bestandsobergrenzen mit Flächenbindung. Dasselbe sagen der Bauernverband, die CDU und die CSU. Der Strauß sagt in Passau: Bestandsobergrenzen, Flächenbindung und chemiefreie Landwirtschaft. Aber er tut nichts. Das muß den Bauern aufgezeigt werden. ({4}) Wir brauchen für die Grundmenge, die die Existenz erhalten soll, einen höheren Preis und für den Rest gestaffelte Preise. Dann ist es - wie in Norwegen - möglich, daß sowohl ein 10-Milchkuh-Betrieb als auch ein 100-Milchkuh-Betrieb leben können. Sie brauchen nur einmal über die Grenze zu fahren. Wir können ja mit unserem Ausschuß nach Norwegen statt nach Sizilien fahren und uns das dort anschauen. Das ist wesentlich gesünder für uns. ({5}) Wir brauchen den Beimischungszwang für unser Getreide, damit der Futtermittelimport endlich aufhört. ({6}) Wir brauchen gestaffelte, einkommensbezogene Sozialkosten. Es darf nicht so sein wie jetzt, daß der 10Hektar-Betrieb pro Hektar 400 DM Belastung hat, der 100-Hektar-Betrieb 90 DM. Das ist falsch. Nicht zuletzt brauchen wir die Förderung des biologischen, des normalen Landbaus und nicht die FördeKreuzeder rung der Agrarindustrie, die ihre Gewinnraten immer wieder vergrößert. Ich habe jetzt noch eine Minute. Die Regierung ist nicht bereit, auf unsere Vorschläge einzugehen. Wir haben zwei Entschließungsanträge vorgelegt. Wir werden in dieser Woche noch weitere Anträge bringen. Es ist klar: In dieser Regierung sitzen nicht die Vertreter der bäuerlichen Landwirtschaft, Herr Heereman, sondern da sitzen ganz andere. Ich fordere deswegen von dieser Stelle die Bäuerinnen und Bauern auf, die verantwortungslose Politik von Herrn Kiechle und dieser Regierung mit aller Macht zu boykottieren. ({7}) Ich fordere die Bauern auf, die Milch, die Sie den Bauern mit der zweiten Kontingentierung wegnehmen, an den Molkereien und an Ihren Gesetzen vorbei direkt an die Verbraucher zu verkaufen. Die sollen in die Stadt fahren und ihre Produkte direkt verkaufen, auch wenn es gegen das Gesetz ist. Ich fordere die Bauern auf, den Bauernverbänden die Beiträge zu sperren, Herr Eigen. ({8}) Die Verbände sind nur noch ein Nachläufer dieser Regierung. Solange wir keine selbständige Berufsvertretung haben, kann den Bauern nicht geholfen werden. Danke schön. ({9})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß der bayerische Dialekt von allen verstanden worden ist. Ich darf um Verständnis bitten, daß ich die Debatte kurz unterbreche, um einen Ehrengast zu begüßen. In der Ehrenloge hat der Marschall des Sejm der Volksrepublik Polen, Herr Roman Malinovski, mit einer Delegation des polnischen Parlaments Platz genommen. ({0}) Ich habe die Ehre, Sie, Herr Präsident, im Deutschen Bundestag zu begrüßen. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt und interessante und nützliche Gespräche in der Bundesrepublik Deutschland. Ihr Besuch unterstreicht die feste Absicht beider Seiten, die Beziehungen zwischen unseren Ländern auch auf parlamentarischer Ebene zu fördern und zu festigen. Der Deutsche Bundestag hat die Stärkung der bilateralen Zusammenarbeit in diesen Tagen zudem durch die Gründung einer deutsch-polnischen Parlamentariergruppe unterstrichen. Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Abgeordnete Paintner.

Johann Paintner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001672, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Parlamentarier dieses Hohen Hauses haben 1955 ein Landwirtschaftsgesetz verabschiedet, weil sie schwarz auf weiß wissen wollten, wie es dieser Landwirtschaft, diesem ländlichen Raum geht. Ich meine, wir Parlamentarier in der Jetztzeit sind verpflichtet, hier nicht in Volksbelustigung auszuarten, sondern dieses Gesetz sehr ernst zu nehmen, weil die Lage mehr als ernst ist, und auch entsprechende Konsequenzen daraus zu ziehen. Es genügt nicht festzustellen, daß wir eine Weltagrarkrise haben, daß es den Bauern schlecht geht. Wir müssen handeln. Ich meine, diese Regierung hat zum großen Teil gehandelt. ({0}) Aber Sie wissen genau, daß dieses Handeln nicht dazu geführt hat, daß unsere Bauern zufrieden sein können. Wir müssen uns vielmehr alle miteinander klar sein, daß jeder sechste Arbeitsplatz von der Landwirtschaft abhängt, was Erhaltung der Kulturlandschaft oder vielleicht Ernährungssicherung in Krisenfällen für unser Volk bedeuten und daß Umwelt und Natur im Zusammenhang mit der Agrarpolitik immer größere Bedeutung gewinnen. Dies ist für alle Volksgruppen, nicht nur für die Agrarpolitiker, sehr wichtig. Wir müssen uns fragen, was der ländliche Raum mit allen seinen wirtschaftlichen Faktoren einschließlich des Erholungs- und Freizeitwerts für einen Stellenwert in dieser Gesellschaft hat. Wieviel ist dieser Staat, diese Gesellschaft bereit, für diese so notwendigen Dinge auszugeben? Das ist eine Grundsatzfrage. Sie muß beantwortet werden, und zwar auch vor dem Hintergrund der agrarpolitischen Entscheidungen in der EG. Meine Partei, die FDP, will einen funktionsfähigen ländlichen Raum, in dem unsere Bauern, ganz gleich, ob als Voll-, Neben- oder Zuerwerbsbetrieb, leben können. Es darf keinen Zweifel geben: Wir wollen und brauchen die Europäische Gemeinschaft. Wir brauchen aber eine Europäische Gemeinschaft, in der auch die deutschen Bauern leben können. ({1}) - Sicher würde ich sagen, daß dies allgemein ist. Aber es wäre sehr gut, wenn Sie sich dies zu Herzen nähmen. Auch unsere Regierung Kohl/Genscher/Bangemann mit Minister Kiechle muß die Kraft aufbringen, über den Stellenwert der deutschen Landwirtschaft nicht nur zu reden, sondern ihn auch so zu ordnen, daß die deutschen Landwirte in großer Zahl überleben. Die Probleme, vor denen wir gegenwärtig stehen, machen uns schwer zu schaffen. Die aktuelle Agrarkrise auf der ganzen Welt ist gekennzeichnet durch weitere wachsende Marktungleichgewichte, gigantische Marktüberschüsse, drastisch steigenden Bedarf an Haushaltsmitteln, von denen immer weniger bei den Landwirten ankommen, sowie stagnierende und rückläufige Einkommen der Bauern. Die Überproduktion und die kaum noch absetzbaren Marktüberschüsse sind somit die Wurzel allen Übels. Sehr vielen bäuerlichen Betrieben geht es schlecht. Sie leben von der Substanz. Das ist heute bereits gesagt worden. Sorgen müssen wir uns besonders um die kleinen Vollerwerbsbetriebe. 1986 entfielen rund 133 000 Betriebe auf diese Gruppe. Sie waren durchschnittlich 15,2 ha groß und hatten nur einen Umsatz von 78 000 DM. Der Gewinn je Familienarbeitskraft lag bei 16 000 DM. Die Beratung aber sagt uns, daß Betriebe mit Umsätzen unter 80 000 DM und Gewinnen unter 20 000 DM längerfristig die Existenz einer Familie nicht sichern können. Wir müssen flexibler sein und zur rechten Zeit das Richtige tun. Wir müssen unseren Bauern eine Antwort geben, wie es weitergehen soll. ({2}) - Das tun wir; dessen können Sie sicher sein. Dabei ({3}) darf es an weiteren staatlichen Mitteln nicht fehlen, die aber sinnvoll eingesetzt werden müssen. Meine Partei hat sich mit unserem Bundesvorsitzenden Dr. Martin Bangemann frühzeitig bereit erklärt, mehr Finanzmittel für die Agrarpolitik aufzuwenden, wenn dies Probleme löst und am Ende eine Landwirtschaft steht, die sich im Wettbewerb in Europa behaupten kann. Trotz aller Bereitschaft der Politiker zu mehr Hilfen wird es nicht gelingen, jeden einzelnen Betrieb auf die Dauer zu erhalten. Die Landwirte haben dies in großer Zahl erkannt. Bei der Umfrage eines Instituts für Strukturforschung kam heraus, daß jeder vierte Betriebsinhaber annimmt, sein Betrieb werde in der nächsten Generation nicht fortgeführt. Bei den Betrieben zwischen 5 und 10 Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche rechnen 30 % aller Landwirte mit einer Fortführung des Betriebs. Gerade bei den kleineren Betrieben besteht ein deutlicher Trend zum Nebenerwerb. Diese Form der Landwirtschaft hat durchaus Zukunftschancen. Für viele kleine landwirtschaftliche Betriebe kann es ungleich wirtschaftlicher sein, ein paar tausend Mark in die außerlandwirtschaftliche Ausbildung des Hoferben zu stecken, als ein paar hunderttausend Mark in riskante betriebliche Investitionen. ({4}) Die Agrarberichte zeigen Jahr für Jahr, daß Zu- und Nebenerwerbsbetriebe im Durchschnitt höhere Gesamteinkommen erzielen als umsatzschwache Vollerwerbsbetriebe. ({5}) Letztlich ist nicht entscheidend, wo man sein Geld verdient, ob im Betrieb oder außerhalb. Entscheidend ist aber, daß nachhaltig gut verdient wird und bäuerliches Eigentum, sei es im Haupt- oder im Nebenerwerb, erhalten bleibt. Weiter haben wir als erste Partei mit unserem Gallus-Papier - und das trifft genau Ihren Zwischenruf „Weisen Sie es doch auf!" - den Weg für die Zukunft aufgezeigt. Wir haben in die Koalitionsverhandlungen viele Gedanken dieses Papiers eingebracht, die voll ihre Gültigkeit haben und die auch schnellstens in die Tat umgesetzt werden müssen. Heute steht fest, daß, wenn unsere Forderung z. B. nach einem „sozialen Marktentlastungsprogramm" EG-weit nicht durchgesetzt werden kann, auf Grund der Tatsache, daß in Deutschland 30 % der Landwirte über 55 Jahre alt sind und zum Teil freiwillig ausscheiden wollen, eine neue Vorruhestandsregelung nach dem Muster der alten Landabgaberente wieder eingeführt werden muß. ({6}) - Ich verstehe Sie nicht einmal. ({7}) Was in den Koalitionsverhandlungen vereinbart worden ist, ist für uns kein Jahrhundertvertrag. Wir wollen unseren Bauern im ländlichen Raum schlicht und einfach helfen. Auf Worthülsen legen wir keinen Wert. Deshalb steht in den Koalitionsvereinbarungen u. a.: Ziel der Agrarpolitik ist die Sicherung unserer bäuerlichen Landwirtschaft und ihre Wettbewerbsfähigkeit. I. Zu diesem Zweck wird die Bundesregierung innerhalb der EG mit Nachdruck für folgende Grundsätze und Maßnahmen eintreten: 1. Die Markt- und Preispolitik bleibt unverzichtbar für die Sicherung der bäuerlichen Einkommen. 2. Der Abbau der Produktionsüberschüsse soll agrarpolitischen Handlungsspielraum zurückgewinnen. Er soll auch die Abhängigkeit von Futtermittelimporten verringern und den ruinösen Wettbewerb auf dem Weltmarkt beenden .. . Auch der einzelne Landwirt ist aufgefordert, Marktnischen zur Verbesserung seiner Einkommenslage zu suchen. Dies gilt ganz besonders im Freizeit- und Erholungsbereich wie Camping auf dem Bauernhof, Erstellung von Gartenanlagen auf landwirtschaftlichen Betriebsflächen - hoffentlich haben Sie von der SPD dies gehört; denn es ist, meine ich, sehr wichtig, daß man auch den Städter einlädt, auf unsere landwirtschaftlichen Flächen zu kommen und hier Erholung zu suchen - , Anlage von Wildgehegen, Anlage von Golfplätzen usw. ({8}) Die Industrie ist ebenfalls aufgefordert, Arbeitsplätze auf das Land zu verlegen, damit ausscheidenden Landwirten ein Arbeitsplatz angeboten werden kann. Produktions- und Verwendungsalternativen sind ebenfalls unerläßlich. Wegen der Überschußsituation auf den EG-Agrarmärkten müssen verstärkte Anstrengungen unternommen werden, durch die Erschließung von Produktions- und Verwendungsalternativen Kapazitäten von Überschußbereichen auf Produkte mit defizitären Märkten im Agrarbereich zu lenken. Daneben muß alles unternommen werden, um eine verstärkte Verwendung von Agrarrohstoffen im industriellen Bereich zu erzielen ({9}) und damit ebenfalls zu einer Entlastung der Überschußmärkte beizutragen. ({10}) Die in dieser Hinsicht vorhandenen Ansätze sollten mit mehr Nachdruck vorangetrieben und möglichst schnell in die Praxis umgesetzt werden. ({11}) Entwicklungsvorhaben müssen nutzbar gemacht und umgesetzt werden. Ich denke da besonders an einen verstärkten Anbau von Körnerleguminosen sowie an die Züchtung und den breiteren Anbau von ölhaltigen Pflanzen. Bezüglich der Verwendung im industriellen Sektor denke ich an die Wiedereinführung von Faserpflanzen, z. B. Flachs, in der Bundesrepublik Deutschland und daran, daß die Verwendung von Biosprit langfristig - das betone ich - eine Rolle spielen kann oder muß. Darüber hinaus sollte auch die Forschung zur Entwicklung neuer Produkte weiter vorangetrieben und gefördert werden. Es gibt doch erfreuliche Beispiele, die deutlich machen, daß wir hier durchaus noch nicht alle Möglichkeiten erschlossen haben. Ich erinnere an die Herstellung von im Boden schnell abbaubaren Kunststoffen auf der Basis bakterieller Umsetzungsprodukte aus Zucker oder den Einsatz von Streusalzen, die aus Maisstärke gewonnen werden können. Ich denke, hier können wir in Zukunft noch einiges bewirken, wenn wir den Mut haben, wissenschaftliche Kreativität zu fördern. Meine Fraktion, die FDP, wird sicherlich nicht müde werden, in dieser schwierigen Zeit, die die Agrarpolitik, die unsere bäuerlichen Betriebe und der gesamte ländliche Raum heute durchzustehen haben, dort zu helfen, wo es notwendig ist. Ich möchte diese Gelegenheit auch nutzen - ich meine, es ist guter Brauch - , den Bäuerinnen und Bauern zu danken, die trotz der schwierigen Lage ({12}) in der Landwirtschaft heute noch draußen arbeiten, 60 Stunden in der Woche, und die manchmal verzweifeln möchten. Ich möchte auch den Beamten danken, die diesen Bericht wieder erstellt haben. Nicht zuletzt wünsche ich dem Bundeskanzler und dem Minister beim zukünftigen Gipfel alles Gute, daß er zum Wohl der Landwirtschaft beitragen wird. ({13})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jansen. ({0})

Prof. Günther Jansen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich den Redebeitrag von Herrn Susset hörte, war mir klar, daß die heutige Agrardebatte keine Sternstunde für die Landwirtschaft wird. ({0}) Das einzig Neue, was Sie gebracht haben, war: Die CDU hat einen Arbeitskreis „Ländliche Agrarpolitik" gegründet. ({1}) Ich habe mir schon sagen lassen, daß die EG-Kommission allmählich das Fürchten überkommt. Ich bin fest davon überzeugt, daß folgendes in der Zustandsbeschreibung der Bundesregierung gilt: Wer sich 1987 bei den europäischen Agrarverhandlungen so isoliert wie die jetzige Bundesregierung, sollte den Konkurs seiner Agrarpolitik offen zugeben, ({2}) statt zu versuchen, den Scherbenhaufen über ungedeckte Kredite von Marktordnungsstellen vor sich herzuschieben. Wir Sozialdemokraten sind jedenfalls nicht bereit, Sie bei einem Weg zu unterstützen, der die deutsche Landwirtschaft endgültig in eine Sackgasse führt. Die EG ist pleite, und logischerweise hat Delors angekündigt, daß seine Behörde noch im August dieses Jahres die Zahlungen an die Mitgliedstaaten wird einstellen müssen. Dazu hat die Konzeptlosigkeit dieser Bundesregierung entscheidend beigetragen. Wer aber keine durchgreifende Agrarreform hat, braucht sich über immer neue Produktionsmengen in der EG und damit über steigende Kosten nicht zu wundern. ({3}) Schuld daran sind nicht die Bauern, denen bei ständig sinkenden Preisen gar kein anderer Weg bleibt, als ihre Umsätze trotz ständig geringerer Gewinne über immer höhere Produktionsmengen zu steigern. ({4}) Solange dieser falsche Weg beibehalten wird, wird der Finanzbedarf der EG steigen und wird sich die Finanzkrise verschärfen. In dieser Situation seitens der Bundesregierung die Reform des EG-Finanzsystems zu blockieren und die Zahlungsunfähigkeit der EG mit herbeizuführen, Herr Minister, ist ungeheuerlich; denn die Ansprüche der Landwirte und der Agrarwirtschaft auf Zahlung von Erstattungen, Beihilfen usw. sind unabhängig von der Zahlungsfähigkeit der EG unmittelbar gegen die nationalen Staaten gerichtet. Diese Ansprüche müssen erfüllt werden. ({5}) Wir Sozialdemokraten sind daher bereit, folgenden Weg zur Sicherstellung der Zahlungen an die Landwirte mitzutragen: Erstens. Wegen der festgefahrenen EG-Agrarverhandlungen und der drohenden Zahlungsunfähigkeit der EG-Kassen im Jahr 1987 wird die Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung ermächtigt, alle bei uns in der Bundesrepublik anfallenden Marktordnungskosten bis zum 31. Dezember 1987 durch Kredite zu finanzieren. Das sind wir der deutschen Landwirtschaft in dieser verfahrenen Situation schuldig. Wir verlangen vom Bundeskanzler aber gleichzeitig, daß er am 29. und 30. Juni dieses Jahres auf dem EG-Gipfel entsprechende Finanzierungsregelungen in allen EG-Staaten aushandelt, um zusätzliche Marktstörungen zu Lasten der deutschen Landwirtschaft zu verhindern. ({6}) Zweitens. Für die weitere Dauer, Herr Eigen, des Agrarwirtschaftsjahres bis zum 30. Juni 1988 sind nationale Kredite nicht erforderlich, weil die EG im Rahmen der 1988 wieder vorhandenen laufenden Mittel in der Lage ist, erstens die nationalen Vorschüsse zu erstatten und zweitens mindestens bis zum 30. Juni 1988 ihre Marktordnungsaufgaben selbst zu erfüllen. Deshalb ist der Termin 1987 besser und Ihrer mit Ende 1988 aus ganz anderen Gründen gesucht. Drittens. Bereits heute für das Wirtschaftsjahr 1988/89 einen erneuten nationalen Kreditrahmen bereitzustellen bedeutet nicht nur einen Verzicht auf gestaltende EG-Agrarpolitik, sondern degradiert die deutsche EG-Präsidentschaft im Jahr 1988 in unvertretbarer Weise zu einer rein formalen Angelegenheit, und dies wollen wir nicht mittragen. ({7}) Viertens. Wenn die Regierungsparteien allerdings davon ausgehen, daß es ihnen auch für das Wirtschaftsjahr 1988/89 nicht gelingt, eine Agrarstrukturreform einschließlich einer EG-Finanzreform zu erreichen, dann sollten sie aber auch die deutsche Landwirtschaft nicht über die Kreditbank zu Schlachtbank führen, ({8}) sondern offen für die Bundeshaushalte 1988/89 die erforderlichen nationalen Sondermittel zur Verfügung stellen. ({9}) Ich will Ihnen das einmal sehr deutlich machen: Wer einplant, 1987, 1988 und 1989 Rechtsansprüche der Landwirte eventuell mit Krediten aus nationalen Regelungen zu bezahlen - und der erste Entwurf der Bundesregierung war ohne zeitliche Begrenzung -, um sich dann jeweils im nächsten Jahr aus den EG-Kassen die Beträge erstatten zu lassen, der führt die EG-Finanzen bei jährlichen Zuweisungen von 1,6 % des Mehrwertsteueraufkommens auch bei diesem Prozentsatz in ein ganz großes Finanzdebakel. Dann beginnt nämlich in wenigen Jahren die Zahlungsunfähigkeit der EG bereits am Jahresanfang. ({10}) Dann fehlen in der EG nicht wie jetzt bis zu 12 Milliarden DM, sondern, wenn keine Regelungen kommen, können es 36 oder 50 Milliarden DM werden. ({11}) Wenn Sie sich die Finanzregelung dadurch sozusagen erleichtern, daß Sie nationale Kreditierungsmöglichkeiten nicht nur kurzfristig, sondern mittelfristig eröffnen, ist die Gefahr da, daß man über diesen Weg Agrarpolitik betreibt. Das, meine ich, sollten die Bauern sehr genau wissen: Wenn wir zu einer Forderungssituation, zu Defiziten in der EG in einer größeren Größenordnung kommen, dann wird sich das so ohne weiteres nicht mehr regeln lassen. Dann wird es zu Maßnahmen und Entscheidungen kommen müssen, die gegen jede gesellschaftspolitische Struktur unserer Landwirte in der Bundesrepublik gerichtet sein werden. Dies wollen wir nicht zulassen. Deshalb wollen wir die Zwischenfinanzierung nur kurzfristig. ({12}) Dies wissen die deutschen Bauern, und dies haben die Verantwortlichen in fast allen EG-Staaten begriffen. Nur eine kleine Gruppe von Männern und Frauen verschließt davor die Augen: das Bundeskabinett. Dazu gehören Sie auch.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gallus?

Prof. Günther Jansen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Georg Gallus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000628, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, sind Sie sich darüber im klaren, daß Sie ein Horrorgemälde an die Wand malen, das mit der Realität einer Übergangsfinanzierung, die von der Vorschußfinanzierung zu einer nachträglichen Finanzierung ausgeht, die national ausgeglichen wird, überhaupt nichts zu tun hat?

Prof. Günther Jansen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie können diese Dinge doch sehr genau rechnen: Wenn wir eine Vorfinanzierung in diesem Jahr bis zu einer Höhe x praktizieren, dann wird dieses Geld Anfang 1988 von der EG an uns erstattet. Dieses Geld fehlt der EG in 1988 zusätzlich. Sie wird noch früher zahlungsunfähig sein als jetzt. So wird das jedes Jahr weitergehen, wenn Sie sich zu diesem Rahmen ermächtigen.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Gallus?

Georg Gallus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000628, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, sind Sie sich darüber im klaren, daß Sie die Position der Bundesregierung bei den Verhandlungen um die Finanzierung der EG des Jahres 1988 schmälern, wenn Sie eine derartige Haltung einnehmen, nachdem der Prozentsatz, wie die EG finanziert werden soll, bis jetzt noch nicht voll ausgehandelt ist? ({0})

Prof. Günther Jansen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn es da noch etwas zu schmälern gibt, dann haben Sie vielleicht gar nicht so unrecht. Lassen Sie mich an dieser Stelle einmal sehr persönlich werden. Herr Bundeslandwirtschaftsminister Kiechle, ich konzediere Ihnen, daß Sie alles mögliche und unmögliche für die deutsche Landwirtschaft zu retten versuchen, was nicht mehr zu retten ist. Nur, wer vom deutschen Bundesfinanzminister mit Zustimmung des Bundeskanzlers so verheizt wird wie Sie, der sollte sich wirklich fragen, wie lange er sich für eine falsche und nicht finanzierte Agrarpolitik mißbrauchen läßt. ({0}) Es ist doch nicht nur politisch fatal, sondern auch menschlich nicht mehr zumutbar, was Sie in Europa vorturnen müssen. Wer wie die Minister Stoltenberg und Bangemann eine bisher nicht finanzierte sogenannte große Steuerreform durchsetzen will und dabei den Großverdienern dieser Republik Milliardenbeträge zu den sowieso schon reichlichen Gewinnen andient, obwohl die Landwirtschaft dringend Geld für Strukturreformen braucht, obwohl tausende Stahlarbeiter ihren Arbeitsplatz zu verlieren drohen, obwohl unsere Werften kaputtgehen, wer das bei dieser Arbeitslosigkeit tut, der ist ein politischer Dilettant und der hat nicht begriffen, worauf Menschen dem Staat gegenüber einen Anspruch haben. ({1}) Ich möchte dieser Bundesregierung heute in Sachen Landwirtschaft zurufen: Begreifen Sie endlich, daß es bei immer mehr landwirtschaftlichen Betrieben, die aufhören müssen, nicht um Betriebsstatistiken, sondern um Menschen, um ihre Familien, um unsere Nachbarn in Bayern, in Baden-Württemberg und in Schleswig-Holstein geht. Begreifen Sie das endlich, und hören Sie auf, auf der EG-Ebene nur Schach zu spielen, Schach nur mit Bauern, denn König und Dame sind nicht dabei. ({2}) Wenn ich schon dabei bin, Sie heute im Interesse der Zukunft unserer Landwirte bei Ihrer politischen Moral zu packen, dann lassen Sie mich gleich in Richtung Bundesfinanzminister und Bundeswirtschaftsminister auch noch folgendes sagen: Diese beiden, Dr. Stoltenberg und Herr Bangemann, ziehen durch diese Republik und versuchen, wo auch immer Wahlen stattfinden, den Leuten weiszumachen, daß bei einer SPD-Mehrheit oder bei einer rot-grünen Mehrheit ({3}) Unternehmer abwandern, Arbeitsplätze in Gefahr sind und soziale Unsicherheit über das Land hereinbricht. ({4}) Ich antworte Ihnen heute darauf: Wir Sozialdemokraten suchen bei jeder Wahl unsere eigene Mehrheit. Aber selbst eine grüne Alleinregierung wäre nicht in der Lage, so viele Unternehmen zum Abwandern zu bringen, wie in den vergangenen Jahren der konservativen Regierung in den Konkurs getrieben worden sind, ({5}) so viele Arbeitsplätze zu vernichten, wie Sie es bei Kohle, Stahl und bei den Werften schaffen, und so viele landwirtschaftliche Betriebe zu gefährden, wie Sie es mit Ihrer agrarpolitischen Konzeptlosigkeit bewirken. Nicht einmal eine grüne Alleinregierung würde das schaffen, was Sie auf den Weg bringen. ({6}) Ich möchte Ihnen in Sachen Agrarpolitik dringend raten: Nehmen Sie unseren Vorschlag zur Bewältigung der aktuellen Finanzierungsproblematik im Interesse der deutschen Landwirtschaft an. Sie begeben sich mit Ihrem Gesetzentwurf in eine nicht mehr überschaubare politisch-finanzielle Turbulenz. Sie machen erneut einen Fehler wie 1984 bei Ihrem falschen Konzept in Sachen Währungsausgleich: Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, unterschätzen nämlich nicht nur die finanziellen Folgen Ihres Weges, sondern Sie nehmen gegen alle Interessen der deutschen Landwirtschaft auch noch erhebliche Marktstörungen in Kauf. Sie vernachlässigen nämlich die Gefahr, Herr Gallus, daß aus EG-Ländern, die keine nationalen Kredite bereitstellen, Waren, z. B. Butter, ({7}) - Moment! - aus Dänemark oder Irland zu billigen Preisen in die Geschäftsverbindungen unserer Molkereien hereinstoßen und daß dadurch die deutsche Butter verstärkt in die Intervention muß. Ich warne Sie davor an einem Tag wie heute, wo gerade die Interventionsgrößenordnung 180 000 Tonnen ausläuft, weil sie unterschritten ist, und die EG die Chance hat, in der nächsten Zeit ihre Ausschreibung so zu organisieren, daß die Preise immer knapp über 92 % bleiben: Dann werden unsere Landwirte mit ihrer Butter vom eigenen Markt verdrängt und bekommen einen Preis, der nicht 100 % Interventionspreis ist. ({8}) Dann ist Ihre ganze Milchgeschichte im Eimer, und die Betriebe gehen wieder in eine sehr, sehr schlechte Situation. Niemand der Regierung kann ausschließen, daß auch andere Interventionen, Exportwaren über unser Land finanziert werden. Wir Sozialdemokraten bieten der Bundesregierung, den Koalitionsparteien und dem Bauernverband heute erneut an, eine gemeinsame EG-Agrarreform zu vereinbaren, wenn es denn wirklich eine Reform ist, und sie mit aller Härte in der EG zu vertreten. Ein solches Konzept muß aus unserer Sicht einige Eckwerte erfüllen: Erstens. Solange wir keine europäische Währungsunion haben, ist der Währungsausgleich für die deutsche Landwirtschaft unabdingbar und darf nicht weiter ausgehöhlt werden. Auch darf Bundesfinanzminister Dr. Stoltenberg bei den EWS-Verhandlungen nie wieder solche gravierenden Fehler machen wie bei der letzten Verhandlungsrunde, wo Schwachwährungsländer entgegen seinen Behauptungen sofort nationale Preisspielräume zu Lasten unserer Bauern geltend gemacht haben. Das ist, wie schon einmal gesagt, politischer Verhandlungsdilettantismus, und den können unsere Landwirte nicht mehr vertragen. ({9}) Zweitens. Der Agrarfinanzbedarf der EG muß durch den Abbau der Agrarüberschüsse reduziert werden. Es ist ein finanzpolitischer Wahnsinn, Jahr für Jahr zig Milliarden für die Lagerhaltung von immer neuen Überschüssen auszugeben. Darüber sind wir uns im Prinzip auch einig. Aber an diesem Punkt sind wir bereit, für einige Jahre zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen, um die jetzt entstandenen Lager langsam und marktverträglich abzubauen. Es bedeutet eine große finanzielle Kraftanstrengung, EG-weit diese Abwicklung der Überschüsse und die Wertberichtigungen zu bezahlen; das kann uns sehr, sehr viel Geld kosten. Aber dort Geld einzusetzen, um dann beim Wegfall von Überproduktion vernünftige Finanzierungsgrundordnungen zu erreichen, das ist die Chance! Drittens. Das so frei werdende Geld muß - wenn nötig, am Anfang sogar mit zusätzlichen nationalen Mitteln - für eine Aufstockung des EG-Strukturfonds, für die Finanzierung der Produktionseinschränkungen und für direkte Einkommensübertragungen verwendet werden. Viertens. Die Reduzierung der Überschußproduktion muß EG-weit organisiert werden. Dafür gibt es unterschiedliche Wege. Ich persönlich meine allerdings, daß ein solcher Weg nicht sofort ein System von EG-Marktpreisen möglich macht, wenn wir die deutsche Landwirtschaft nicht ernsthaft gefährden wollen. Ich bin der Meinung - und darüber sollte die FDP genau nachdenken - , daß wir mindestens miteinander über nationale Quoten diskutieren sollten, daß aber diese nationalen Quoten einen Weg eröffnen müssen, auf dem jedes Land individuell, auf seine Bedürfnisse bezogen, die Spielräume ausfüllt. Das muß eben nicht Flächenstillegung mit Wegfall landwirtschaftlicher Betriebe heißen, sondern kann heißen, Flächen in Richtung Natur zu überführen, sie bei den Landwirten zu lassen und diese für diese Leistungen mit entsprechenden Entschädigungen zu bezahlen. Teilweise Agrarproduktion, land- und landschaftswert, warum eigentlich nicht? Wie das geschieht, soll - wie gesagt - entschieden werden, und wir müssen aufpassen, daß wir bei dem, was uns bevorsteht, keine falschen Signale geben, falsche Signale z. B. in Richtung sogenannter Defizitprodukte. Unsere Rapsbauern in Schleswig-Holstein werden jetzt das auszubaden haben, was in dieser Richtung - übermäßiger Rapsanbau - argumentativ geschehen ist. ({10}) Alle rechnen mit bis zu 15 oder 16 % Einkommensverlusten aus diesem Bereich. Es hilft den Landwirten doch wirklich nicht weiter, wenn der schleswig-holsteinische Bauernpräsident Karl Eigen - den ich im übrigen schätze, was seinen Einsatz für die Grundinteressen der Agrarpolitik angeht - auf einer Veranstaltung in Ludwigsau in Hessen ausführt: Zur Not bauen wir Bauern auch Elefanten an, wenn die Industrie das wünscht. ({11}) Ich würde sagen: Irgendwo sind die Grenzen erreicht. Es gibt ja bei uns den Spitznamen unseres Bauernpräsidenten: der Eber von Schleswig-Holstein. ({12}) Fünftens. Ein Weg der Produktionsmengenbegrenzung wird bis zum Abbau aller nicht erforderlichen Überschüsse einen kombinierten Weg von direkten Einkommensübertragungen und - Herr Eigen, das dürfte für Sie wichtig sein - einkommensorientierten Garantiepreisen erfordern. Ich sage noch einmal deutlich: Hier beziehe ich eine Position, bei der ich mich lange mit der Frage auseinandergesetzt habe: Kann man so ein System mischen? Ich glaube, das Durchstoßen zu Marktpreisen würde zu viel größeren Problemen führen. Wenn es uns aber gelingt, Angebot und Nachfrage im EG-Markt in vergleichbare Größenordnungen zu bringen und gleichzeitig den erforderlichen Außenschutz aufrechtzuerhalten, besteht die Chance für einen ausgewogenen Markt, der die öffentlichen Kassen entlastet und die Intervention auf ihren ursprünglichen Zweck zurückführen kann. Dies muß auch nicht automatisch höhere Verbraucherpreise zur Folge haben, denn wir erinnern uns sehr genau an Zeiten höherer Getreidepreise, in denen die Veredelungswaren nicht teurer, sondern billiger waren als heute, wo die Getreidepreise viel niedriger liegen. Meine sehr geehrten Damen und Herren von den Regierungsparteien, die Zeit der Agrarpolitik von einer Landtagswahl zur anderen ist vorbei. ({13}) Das gilt sowohl in Richtung Schleswig-Holstein und Bremen als auch in bezug auf das, was dann kommt. Sie sollten begreifen, daß sich die Landwirte nicht mehr mit nicht finanzierten Versprechen beruhigen lassen. Politische Sprüche über einen agrarpolitischen Jahrhundertvertrag helfen nicht weiter. Wenn Sie darüber reden, habe ich immer den Eindruck: Das ist in etwa der Zeitraum, den Sie brauchen, um eine neue Agrarpolitik zu entwickeln. Die deutsche Landwirtschaft braucht ein europäisches Agrarkonzept, das alle deutschen Parteien und der Bauernverband tragen können. Wir Sozialdemokraten bieten dafür eine konstruktive Zusammenarbeit an, auch und erneut gerade in Richtung Bauernverband. Wir haben unsere Position in einem Entschließungsantrag eingebracht, über den noch abgestimmt werden muß. Aber dem Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes, Herrn von Heereman, dem wir zu seiner Wiederwahl gratulieren und der sicherlich heute noch sprechen wird, ({14}) möchte ich auch sehr deutlich sagen: Sie sind aufgerufen, die Interessen der deutschen Landwirte ausschließlich von der Sache her zu vertreten. ({15}) Solange Sie Ihren Verband als Wahlverein der CDU/ CSU behandeln lassen, und solange Sie nicht frei genug sind, um in diesem Plenum Anträgen zuzustimmen, die aus dem anderen Bereich des Parlaments kommen, werden Sie nur vordergründige Erfolge erringen. Besinnen Sie sich auf die gesellschaftspolitische Kraft Ihrer Organisation! Schwimmen Sie sich frei vom parteipolitischen Einfluß! Nur das wird Ihnen weiterhelfen. ({16}) Die Landwirte, ihre Familien und die deutschen Agrarregionen haben unser aller Unterstützung verdient; sie brauchen sie auch. Wenn ich dieses Angebot mache, bin ich mir voll bewußt, daß wir Sozialdemokraten dadurch nicht die Lieblingspartei der Landwirte werden. Also fürchten Sie sich aus anderen Gründen vor den Landtagswahl in Schleswig-Holstein, nicht aus diesen Gründen. Aber darum darf es auch nicht gehen. Wir Sozialdemokraten verstehen Agrarpolitik als nationale Verpflichtung, auch als Regionalpolitik, auch als Chance für Landarbeiter, Handwerks- und Zulieferbetriebe. Meine Partei ist in Ihrer Geschichte immer angetreten, Menschen, die in Not sind, zu helfen. Das gilt auch für die Landwirtschaft. Dabei geht es uns eben nicht - das will ich hier einmal sehr deutlich machen - in erster Linie um Wahlkampfprozente, sondern um Solidarität, so wie wir sie in hundert Jahren gelernt haben. Sie sollten sich in Ihrer Politik manchmal ein Beispiel daran nehmen, wenn es darum geht, Menschen aus ihrer Not zu helfen. ({17}) Ich danke Ihnen, daß ich Ihnen dies sagen konnte. Ich verlasse das Rednerpult des Bundestages in der Hoffnung, daß wir alle es schaffen, eine bessere Zukunft für die deutsche und für die europäische Landwirtschaft zu gestalten. Die Bauern können nämlich nicht mehr akzeptieren, daß wir hier Streit miteinander austragen, während sie sich um ihre Höfe sorgen müssen und die Strukturen kaputtgehen. ({18}) - Natürlich, es ist erheblich viel aufzuarbeiten. Dies war der Ansatz. Das Angebot ist, dies jetzt auch zu tun. Lassen Sie uns in der EG ein geschlossenes deutsches Konzept vorlegen! Sagen wir der EG: Es läuft nichts mehr, wenn dieses Konzept nicht realisiert wird! Hier wird kein Streit zwischen Bund, Ländern und Bauernverband und Parteien ausgetragen. Alle ziehen an einem Strang. - Nur so werden wir den Teil der Landwirtschaft retten, der solche Hilfe dringend braucht. ({19})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete von Heereman.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich vorweg einige Anmerkungen machen. Herr Kollege Jansen, nachdem ich in einer anderen Funktion lange genug über die Finanzierung der gemeinsamen und nationalen Agrarpolitik habe verhandeln müssen, als Ihre Partei den Bundeskanzler stellte, nachdem ich miterlebt habe, wo und wie Sie überall im Sozialbereich gekürzt haben, als Sie nicht einmal die Zahlungen für benachteiligte Gebiete ausgeschöpft haben, werden Sie verstehen, daß ich gewisse Vorbehalte gegenüber Ihren Absichtserklärungen hier habe. Lassen Sie mich das einmal ganz deutlich sagen. ({0}) - „Der arme Ertl" hat darunter auch gelitten, denn es war nicht der Ertl, sondern es war der Finanzminister. Herr Dr. Vogel, Sie brauchen mir da nichts zu erklären; ich weiß, wovon ich rede. Darum sollten wir doch ehrlicher sein. Das kann ich auch zu anderen sagen; das kann ich auch zu Ihnen, Herr Kreuzeder, sagen. ({1}) Sie gehören ja schon zu den Großbauern, wenn ich richtig informiert bin. Wir sollten uns hier einmal ein bißchen deutlicher unterhalten, um was es geht, und hier nicht falsche Dinge in den Raum stellen und dann noch dazu auffordern, aus den Landesbauernverbänden herauszugehen. ({2}) Da hat Herr Dr. Vogel sogar geklatscht. Ich finde das alles prachtvoll, aber ich nehme das Angebot an, das Sie, Herr Müller, aber auch Sie, Herr Jansen, gemacht haben. Wir sollten uns schon zusammenraufen, denn die Bauern brauchen in der Tat etwas anderes, als daß wir uns hier über Nebensächlichkeiten streiten und auseinanderdividieren. Es besteht überhaupt kein Zweifel, daß der vorliegende Agrarbericht für das Wirtschaftsjahr 1985/86 sowie eine erste Hochrechnung des in wenigen Tagen zu Ende gehenden Wirtschaftsjahres 1986/87 weiterhin kein rosiges Bild über die Einkommenslage der meisten bäuerlichen Betriebe zeichnen. Trotz zusätzlicher Hilfen, trotz zusätzlicher Transferleistungen aus dem Bundeshaushalt in Höhe von mehreren Milliarden DM, trotz steigender Aufwendungen - in diesem Jahr auf über 50 Milliarden DM - auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft besteht diese Situation. Die meisten der betroffenen Landwirte sind nach wie vor weit entfernt von einer vergleichbaren Einkommensentwicklung im außerlandwirtschaftlichen Bereich, wie sie im Landwirtschaftsgesetz bekanntermaßen festgelegt ist. Seit Mitte der 70er Jahre stagniert im Gegensatz zu nichtlandwirtschaftlichen Einkommen die Einkommensentwicklung. Der unselige Produktionsdruck infolge sinkender Preise und des stagnierenden Verbrauchs bringt die Märkte, welche keine Marktregulierung wie Milch und Zucker haben, in immer größere Ungleichgewichte. Der Wettbewerb innerhalb der Landwirtschaft, aber auch innerhalb der Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaft und im Handel mit Drittländern wird infolge unterschiedlicher Voraussetzungen und verstärkten Subventionswettlaufs immer ruinöser. In der Europäischen Gemeinschaft soll ein gemeinsamer Markt funktionieren, obwohl die wichtigsten Voraussetzungen einer Wirtschafts- und Währungsunion bis heute nicht geschaffen wurden. Die zur Zeit laufenden Verhandlungen für den Agrarbereich auf europäischer Ebene, in denen sich die Bundesregierung und hier insbesondere Bundesminister Kiechle energisch gegen eine Fortsetzung einer falsch ausgerich1288 teten EG-Agrarpolitik zur Wehr setzen, zeigen ein trostloses Bild von der Verfassung, in welcher sich die Europäische Gemeinschaft befindet. Wir sind dem Bundeskanzler und dem Ernährungsminister in der Tat dankbar, daß jetzt endlich so energisch verhandelt wird, und bitten, bei den Gesprächen Anfang der kommenden Woche keinen faulen Kompromissen zuzustimmen. ({3}) Die nationalen Egoismen innerhalb der Mitgliedsländer wachsen, und selbst innerhalb der Bundesrepublik Deutschland scheinen die Vorstellungen über eine gemeinsame Agrarpolitik - wenn ich an verschiedene Verlautbarungen aus den Bundesländern denke - immer mehr auseinanderzulaufen. Immer neue Vorschläge und Vorstellungen werden kundgetan, ohne daß auch nur geringste Anzeichen des Willens zu einer grundsätzlich anderen Ausrichtung der EG-Agrarpolitik zu erkennen sind. Statt dessen werden die Gefahren bevorstehender Handelskriege heraufbeschworen und einfache Rezepte wie „Preise runter, mehr Bauern raus" immer wieder verkündet. Für die betroffenen Bauern aber und ihre Familien, aber auch für alle Beteiligten aus den nichtlandwirtschaftlichen Bereichen, wie ich meine, ein unhaltbarer Zustand. Was die Landwirtschaft und mit ihr der ländliche Raum brauchen, ist eine klare Zielvorgabe, sind Perspektiven, um die Betroffenen aus einer immer stärker werdenden Resignation herauszubringen. Erneute Versuche, bei weiterer Nichtverwirklichung einer Wirtschafts- und Währungsunion entsprechende Ausgleichsinstrumente zur Verfügung zu haben, um die Benachteiligung gerade der deutschen Landwirtschaft zu vermeiden, sind dringend notwendig. Ebenso notwendig ist aber auch, daß endlich über eine mittel- und langfristige Finanzierung der Europäischen Gemeinschaft Einvernehmen erzielt und nicht wegen halbherziger Behandlung dieser wichtigen Frage eine Neuausrichtung der EG-Agrarpolitik verhindert wird. Viele noch so gut gemeinte Vorschläge lösen sich in Wohlgefallen auf, wenn konkrete Überlegungen über die Finanzierung des einen oder anderen Programms angestellt werden. Auch das ist ein unhaltbarer Zustand. Wir bitten daher die Bundesregierung - hier insbesondere den Herrn Bundeskanzler -, auf dem nächsten Gipfel der Europäischen Gemeinschaft die Chance für eine Neuausrichtung der Agrarpolitik wahrzunehmen. Gerade aus der jetzigen Krise heraus, meine ich, müßte es möglich sein, grundsätzliche neue Überlegungen auf den Weg zu bringen. Ich weise jedoch darauf hin, daß Vorschläge zur Rückführung der Produktion - welcher Art auch immer sie sind - nur dann wirksam sein können und auch mitzutragen sind, wenn ein gemeinschaftliches Vorgehen gewährleistet ist und wenn gleichzeitig auch entsprechende Absprachen mit den übrigen Agrargüter exportierenden Industrieländern der Welt getroffen werden. Denn was nützt es, wenn einseitig Marktgleichgewichte angestrebt werden und das, was hier an Produktion zurückgeführt wird, durch Importe wieder aufgefüllt wird? Im übrigen gilt es auch zu sehen, daß sich die gegenseitigen subventionierten Unterbietungen der Industrieländer auf dem Weltmarkt zum großen Nachteil der Länder der Dritten und Vierten Welt auswirken. Hier bieten gerade die GATT-Verhandlungen eine große Chance. Das heißt aber auch, daß wir bei Überlegungen auf nationaler Ebene mehr Klarheit an den Tag legen müssen. Nicht die Verschärfung einer falsch angelegten Nord-Süd- oder falsch verstandenen Betriebsgrößendiskussion bringt uns weiter, sondern die Klärung der Frage: Welche Betriebe haben die Chance, im europäischen und internationalen Wettbewerb bestehen zu können, und welchen Betrieben denen ein vergleichbares Einkommen über eine noch so gute Preis- und Einkommensübertragungspolitik nicht gewährleistet werden kann, muß durch einen sozial vertretbaren Übergang in andere Bewirtschaftungsformen bzw. Tätigkeiten mit weiteren Transferleistungen geholfen werden, die Existenz und vor allem das Eigentum zu sichern? Diese Fragen bedürfen einer Lösung. Eine bäuerliche Landwirtschaft lebt von den Prinzipien der freien Entscheidung des Bauern und seiner Familie ebenso wie von der Verbundenheit mit dem Betrieb, mit seinen Böden, mit seinen Tieren und von der Sicherung seines Eigentums. ({4}) Dort, wo es in den Strukturfragen wirklich brennt, etwa bei der Gefahr einer weiteren Ausdehnung großgewerblicher und flächenunabhängiger Veredelungsbetriebe oder der weiteren Ausdehnung der Lohnmast, hilft ein beherztes politisches Handeln, wie es 1984 mit der Einführung der 330-Vieheinheitengrenze für den Mehrwertsteuerausgleich eingeleitet wurde. Auf konkrete Mißstände bezogenene Entscheidungen, meine Damen und Herren, sind allemal besser als ein jahrelanger und theoretischer Disput darüber, wie denn ein bäuerlicher Betrieb zu definieren sei. Falsch ist es auch, wenn hier und dort Überlegungen zu hören sind, daß beim Vorhandensein von nichtfamilienzugehörigen Mitarbeitern bereits ein großgewerblicher Betrieb vorliege. ({5}) Gezielte Hilfen und Unterstützungen für Betriebe sehr unterschiedlicher Art sollten sich immer an dem Gesamteinkommen des Betriebes ausrichten. Einkommenschwache Betriebe bedürfen der vorrangigen Hilfe, aber auch, je nach Situation, des Angebots von Alternativen. Für die übrigen Betriebe müssen die Rahmenbedingungen so sein, daß sie, wie gesagt, im Wettbewerb bestehen können, und nicht - wie zur Zeit - immer mehr in den Strudel der Existenzgefährdung geraten. Wir brauchen viele bäuerliche Familienbetriebe in ihren unterschiedlichsten Formen, ({6}) nicht nur zur Sicherstellung einer ausreichenden Nahrungsversorgung, sondern auch zum Erhalt unserer Kulturlandschaft. Dieses ist gerade in einem Industrieland wie der Bundesrepublik Deutschland notwendig. Lediglich Absichtserklärungen helfen hier jeFreiherr Heereman von Zuydtwyck doch nicht weiter, sondern die Betroffenen müssen schon Klarheit darüber haben, wie die Allgemeinheit Leistungen der Bauern, der Waldbauern, die zugunsten der Allgemeinheit übernommen werden, und Bewirtschaftungsauflagen, die der Landwirtschaft gestellt werden, ausgeglichen werden können. Meine Damen und Herren, ich habe versucht, über einige Gedanken den dringend notwendigen Handlungsbedarf in der Agrarpolitik zu untermauern. Wenn wir den Bauern und ihren Familien, aber auch dem gesamten ländlichen Raum wieder mehr Vertrauen bzw. weiteres Vertrauen in die Agrarpolitik geben wollen, bedarf es eines schnellen Handelns, bedarf es daher aber auch eines breiten Konsenses aller Parteien in diesem Hohen Haus. ({7}) Indem ich um diesen Konsens bitte - und Konsens zu erzielen geht nur, wenn man sich nicht traumtänzerisch darstellt - , erkläre ich, daß die CDU/CSU weiter alle erdenkbaren Möglichkeiten nutzen wird, um diese schwierige Situation schnell meistern zu können. Ich bin auch überzeugt davon, daß es unserer Fraktion gelingen wird, gemeinsam mit vielen anderen für die Landwirtschaft Zukunftsperspektiven zu eröffnen. Agrarpolitik ist eben nicht nur das Produzieren von Agrargütern, Agrarpolitik ist Gesellschaftsund Kulturpolitik von höchstem Stellenwert. Ich danke Ihnen. ({8})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat die Frau Abgeordnete Flinner.

Dora Flinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000562, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Zu allererst möchte ich mal sagen, daß mich, als der FDP-Abgeordnete vorhin gesprochen hat, tief erschüttert hat, wie man hier in diesem Hause mit Bauern, mit Menschen umgeht, wenn sie mit 55 Jahren ihre Landwirtschaft aufgeben sollen. Das wird einfach so hingestellt. - Der Bauer hat immer geschafft, auf dem Akker, mit dem Vieh, im Stall, er war immer mit Leib und Seele dabei, und plötzlich wird er rausgerissen. Was geschieht mit diesen Leuten? - Das fragen Sie nicht. Er muß heute viel verdienen; das ist das Wichtigste. Nein, es gibt genug Einzelschicksale. Ich kenne einen Fall; da hat sich erst neulich bei uns in der Gegend ein Mann im Alter von 54 Jahren das Leben genommen, weil er es so nicht ertragen konnte. Aber diese Sachen kommen bei Ihnen überhaupt nicht ins Konzept. Nun zu meinem Bericht. Der von der Bundesregierung für das Wirtschaftsjahr 1985/86 vorgelegte Agrarbericht beschönigt von A bis Z die tatsächliche Lage unserer landwirtschaftlichen Betriebe. Wenn es wirklich so wäre, wie es die Bundesregierung beschreibt, so müßte man sich doch erstaunt fragen: Was versetzt die Bauern derzeit in so große Unruhe? Sie gehen doch nicht vor lauter Übermut auf die Straße und machen ihren Protest deutlich, sondern deshalb, weil sie mit dem Rücken an der Wand immer mehr um ihre bäuerliche Existenz kämpfen müssen. Und da erwähnt die Bundesregierung so beiläufig, der agrarstrukturelle Anpassungsprozeß habe sich nicht beschleunigt. Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe sei im abgelaufenen Jahr um 1,8 % zurückgegangen. Was bedeutet eine solche Angabe? Hinter diesem bescheiden erscheinenden Rückgang verbergen sich fast 15 000 Höfe mit noch mehr menschlichen Einzelschicksalen - ich habe gerade eines genannt - , die in aller Regel mit der Aufgabe des Betriebes die soziale Leiter nicht hinaufgestiegen sind, sondern denen angesichts der verbreiteten Massenarbeitslosigkeit nur der soziale Abstieg blieb. Und die Bundesregierung setzt weiterhin auf eine Politik des „Wachsens oder Weichens". Das Höfesterben wird sich daher fortsetzen. Gemeinsam mit der EG-Kommission setzt die Bundesregierung darauf, daß mit den Flächen der ausgeschiedenen Betriebe die jeweils verbleibenden Betriebe weiter wachsen können. Diese sollen dann noch rationeller und vor allem billiger produzieren können. Das haben wir in Brüssel so mitbekommen. Doch bei sinkenden Erzeugerpreisen wird nicht etwa weniger produziert. Das Gegenteil ist der Fall. Das hat die Erfahrung der Vergangenheit gezeigt; denn will der Landwirt sein Einkommen bei sinkenden Preisen halten, so schafft er dies nur über mehr Produktion. Die Lösung der Überschußproblematik ist auf diesem Wege also nicht möglich. Auch über den Weg der Flächenstillegung wird sie nicht zu erreichen sein; denn zuerst würden die Grenzertragsflächen stillgelegt, die den Überschuß sowieso nicht bringen. Diese landwirtschaftlichen Gebiete würden veröden, während die besten Anbauflächen um so intensiver weiter bewirtschaftet würden. Nach Meinung von uns GRÜNEN muß die Intensität der Bewirtschaftung auf allen Flächen zurückgenommen werden. ({0}) Das heißt, die Chemie muß raus aus der Landwirtschaft. Davon habe ich heute nicht einen einzigen Satz gehört, nicht einen! ({1}) Haben Sie vergessen, daß die Grundwasserbelastung bereits erheblich ist? Haben Sie das alles vergessen? Ist das bei Ihnen überhaupt nicht in den Kopf gekommen, ins Gehirn? ({2}) Ich habe diese Vermutung ganz stark. Ich frage die Vertreter der Regierungsparteien: Welchen Sinn hat es denn, wenn wir uns hier einerseits die Köpfe zerbrechen, wie wir die Überschüsse durch allerlei Kunstgriffe, wie Kontingentierungen, in den Griff bekommen, während wir andererseits mit ungeheurem Energieeinsatz Düngemittel und Agrargifte produzieren, die genau zu diesen Überschüssen hinführen? ({3}) Doch nicht nur dies. Mit dem ausgewaschenen Stickstoffdünger und den 30 000 Tonnen auf unseren Feldern ausgebrachten Pestiziden vergiften wir den Boden und das Grundwasser und über die vergifteten Nahrungsmittel unsere Bevölkerung. ({4}) Gestern behauptete Herr Staatssekretär Gallus - er ist hier, jawohl, schön - vor dem Landwirtschaftsausschuß, es sei gleichgültig, wie man anbaue, alle Nahrungsmittel seien gleich gut. Stimmts? - Auch Sie, Herr Gallus, werden zugeben müssen: Es gibt sehr wohl mehr oder weniger belastete Erzeugnisse.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gallus?

Dora Flinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000562, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein. ({0}) Die am wenigsten belasteten Produkte sind aus ökologischem Anbau. Eine ständig steigende Zahl von Verbrauchern hat das erkannt. Die inländischen Erzeugnisse können mit der steigenden Nachfrage nicht Schritt halten und müssen durch Importe gedeckt werden. ({1}) Das ist aber ein volkswirtschaftlicher Unsinn. Das Argument, der Normalverbraucher könne sich die teuren ökologisch erzeugten Nahrungsmittel nicht leisten, stimmt nicht. Denn würden die Milliardenbeträge, die heute für die Überschußverwertung eingesetzt werden und die von den Verbrauchern erst einmal über die Steuern aufgebracht werden müssen, für ökologisch und ökonomisch sinnvolle Produktion ausgegeben, so wären diese Nahrungsmittel keineswegs teurer, ({2}) die eingesparten hohen Reparaturkosten für Umweltschäden und -krankheiten noch nicht eingerechnet. ({3}) Als erste konkrete Schritte zu einer umweltverträglichen Agrarpolitik fordern wir GRÜNEN: Förderung der Umstellung auf ökologischen Landbau durch gezielte Anbauberatung, finanzielle Unterstützung durch Umstellungsbeihilfen statt Milchrente, keine Milchquote für biologisch wirtschaftende Betriebe, flächenbezogene Bestandsobergrenzen für die Tierhaltung, drastischen Abbau der Futtermittelimporte, Einführung einer Stickstoffabgabe und gesetzliches Verbot der grundwasserbelastenden Pestizide. ({4}) Das wären Maßnahmen, mit denen Sie, Herr Minister Kiechle, die in Ihrem Agrarbericht genannten Ziele verwirklichen könnten. Diese lesen sich inzwischen fast so, als hätten Sie vom Programm der GRÜNEN abgeschrieben, z. B.: Im Mittelpunkt der Agrarpolitik steht die Sicherung einer Vielzahl von leistungsfähigen bäuerlichen Familienbetrieben, oder: Die Erhaltung der Naturgüter und der natürlichen Lebensgrundlagen usw. Vergleiche ich die genannten Ziele mit Ihrer Politik, dann empfinde ich offensichtlich Widerspruch als Verhöhnung meiner politischen Ziele. ({5}) Lassen Sie mich noch kurz aufgreifen, was Sie, Herr Minister Kiechle, unter Agrarsozialpolitik verstehen und was wir GRÜNEN davon halten. Gerechterweise will ich anerkennen, daß sich die soziale Absicherung der landwirtschaftlichen Bevölkerung gegen die Risiken von Alter, Unfall und Krankheit gegenüber früher verbessert hat. Auch die Entlastung bei den Sozialabgaben ist zu begrüßen. Doch führt die Beitragserhebung nach dem Wirtschafts- bzw. Flächenwert zu einer übersteigerten Belastung der kleinen Betriebe. Sie müssen prozentual mehr als doppelt soviel für ihre soziale Sicherung ausgeben wie beispielsweise ein 50-Hektar-Betrieb. Wie ein roter Faden durchzieht dies Ihre Politik, Herr Minister Kiechle: Die Kleinen werden auf allen Gebieten am stärksten zur Kasse gebeten. ({6}) - Ich komme aus der Landwirtschaft, und es stimmt tatsächlich. Am schlechtesten aber ist es um die soziale Absicherung der Landfrauen bestellt. ({7}) Obwohl die Bäuerin durch ihre Mitarbeit im Betrieb zum Erwerb des Einkommens beiträgt, erwirbt sie keinen eigenen Anspruch auf Altershilfe. Das ist ein Zustand, der so nicht länger hingenommen werden kann. ({8}) Deshalb fordern wir: Die Bäuerin muß dem Ehemann, der den Betrieb leitet, gleichgestellt werden. ({9}) Auch sollte die Rente von Amts wegen zu gleichen Teilen an Frau und Mann bezahlt werden. Besonders unzureichend aber ist der Mutterschutz der Bäuerin. Es ist nicht ausreichend, für nur zehn Tage eine Betriebshilfe bereitzustellen; ebenso gilt das für die einmalige Zahlung von 150 DM. Bäuerinnen ist der gleiche Mutterschutz zu gewähren wie erwerbstätigen Frauen. Das heißt aber auch, daß für diese Zeit eine Betriebs- oder Haushaltshilfe auf dem Hof gebraucht wird. Das Argument, das sei nicht finanzierbar, lasse ich nicht gelten. Allein die Gesundheitsschäden durch zu langes und oft zu schweres Arbeiten vor und nach der Geburt könnten vermieden werden. Diese Gelder wären sinnvoll für eine entlastende Arbeitskraft für die Bäuerin einzusetzen. An Hand dieser Beispiele habe ich Ihnen aufgezeigt, wie unzureichend die soziale Absicherung der Bäuerinnen ist. Ich fordere die Bundesregierung auf: Lassen Sie die Bauern und ganz besonders uns Bäuerinnen nicht länger im Stich! Danke. ({10})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Bredehorn.

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Flinner, die letzten Forderungen bezüglich der Bäuerinnen sind sicherlich etwas, was wir ernst nehmen müssen ({0}) und worüber wir zusammen reden müssen. Wir haben uns das ja vorgenommen. Aber ich kann Ihnen und Ihren Kollegen nur sagen: Der Eindruck, den Sie hier erwecken - alle Bauern können Bauern bleiben -, erzeugt natürlich gefährliche Illusionen und ist unverantwortlich. Er führt nämlich zu falschen Investitionen und falschen beruflichen Entscheidungen bei den Bauern. ({1}) Ich glaube, das muß man einmal ganz deutlich sagen. Wenn wir das anwenden wollten, was Sie hier immer fordern - gestaffelte Preise, generelle Extensivierung - , führte das zu staatlicher Überprüfung, staatlicher Überwachung, zu Kontrolle, Staat und Bürokratie auf jedem Hof und wäre letzten Endes das Ende jeder freien unternehmerischen Tätigkeit als Landwirt. Das wollen wir ganz eindeutig nicht. ({2}) Ich muß auch den Kollegen der SPD, Herrn Jansen und Herrn Müller, die das sehr engagiert vorgetragen haben, sagen, daß wir sicherlich einiges sehr diskussionswürdig finden. Ich kann nur hoffen, daß Sie für Ihre Vorschläge, die auch finanzielle Mittel erfordern, in Ihrer Fraktion entsprechende Mehrheiten finden können. Wir würden das sehr begrüßen. ({3}) Meine Damen und Herren! In den bäuerlichen Familienbetrieben herrschen derzeit Ratlosigkeit und Sorgen über die Existenzmöglichkeiten von morgen. Dieses wird von niemandem bestritten. Der Agrarbericht veranschaulicht das ganz deutlich. Relativ günstig schnitten im letzten Wirtschaftsjahr eigentlich nur die kleineren Vollerwerbsbetriebe und die Vollerwerbsbetriebe in benachteiligten Gebieten ab. Das hat einen Grund. Die massiven Finanzhilfen der Regierungskoalition haben sich, wie geplant, als wirksame Einkommensunterstützung gerade bei den strukturschwächeren Betrieben niedergeschlagen. ({4}) Ich nenne die Hilfen und die Beitragsentlastung im Sozialbereich; ich denke auch an die Ausgleichszulage, die den benachteiligten Gebieten zugute kommen soll, von der ich mir allerdings wünsche, daß sie zielgerichteter eingesetzt wird. Es kann doch nicht sinnvoll sein, daß auf mehr als 6 Millionen Hektar - das sind mehr als 50 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche in der Bundesrepublik - das Geld mit der Gießkanne verteilt wird. Wir wissen alle - das sagt auch der Agrarbericht - , daß die Einkommensunterschiede auch in benachteiligten Gebieten sehr erheblich sind. Wir müssen also in dieser Hinsicht zu einem gezielteren System kommen. ({5}) Meine Damen und Herren! Im Steuerbereich haben wir wesentliche Verbesserungen für die Landwirte durchgesetzt. Ich denke an die Freibeträge zur Entschuldung der Betriebe bzw. zur Abfindung weichender Erben und an die Verlängerung der Abschreibungsvergünstigungen. Der landwirtschaftlich relevante Steuerbereich wird uns in Zukunft mehr beschäftigen müssen. Das fiskalpolitische Instrumentarium bietet gute Ansatzpunkte, um Agrarfabriken sauber von landwirtschaftlichen Betriebsformen zu trennen. Auch müssen wir z. B. bei viehstarken Betrieben die steuerliche Veranlagung vereinfachen, indem endlich die Zuschläge für regional überdurchschnittliche Viehbestände halbiert werden. ({6}) Die FDP ist gewillt, den Landwirten zu helfen. Dies haben wir in der Vergangenheit gezeigt, und dies werden wir in Zukunft fortsetzen - vielleicht nicht ohne Sachdiskussion mit unserem Koalitionspartner - , um den besten Weg aus der Agrarmisere zu finden. Dabei werden wir drei Ziele nicht aus den Augen verlieren, nämlich erstens das Einkommen und das Eigentum der Landwirte zu sichern, zweitens die Überschüsse abzubauen und drittens eine Vielfalt dynamischer Betriebsformen im ländlichen Raum zu erhalten. Machen wir uns nichts vor: Die Zeiten einer aktiven Preispolitik sind vorbei. Minister Kiechles zäher Kampf in Brüssel spricht Bände, aber einen Rückgang der Erzeugerpreise wird leider auch er nicht verhindern können. Mit aktiver Preispolitik können wir allerdings auch nicht die aktuellen Probleme vieler Vollerwerbsbetriebe lösen. Der Agrarbericht sagt ganz deutlich: Das beste Viertel der Vollerwerbsbetriebe erzielt einen Gewinn von durchschnittlich rund 75 000 DM. Das braucht dieser Betrieb, um wieder investieren zu können. Das untere Viertel dagegen erwirtschaftet einen Gewinn von durchschnittlich nur 2 500 DM je Betrieb. Hier hilft auch keine aktive Preispolitik mehr. Wichtig ist es, daß wir Gelder aus der Überschußlagerung und -verwaltung in die Taschen der Bauern umlenken. Es kann doch nicht angehen, daß der EG-Agrarfonds Unsummen in die Intervention steckt, ohne daß der Landwirt auch nur einen Pfennig davon erhält. ({7}) Die Entscheidung über die Änderung des Gesetzes über die Marktordnungsstellen, die wir nachher noch treffen müssen, trägt die FDP mit. Die ursprüngliche Idee der Intervention war es, durch Ankäufe den Markt zu stabilisieren und damit Markt- und Preiszusammenbrüche zu verhindern. Dieses vernünftige und gute System ist inzwischen zum Teil zur Dauerintervention verkommen, die den Markt außer Kraft setzt. Verstehen Sie mich richtig. Ich will das Netz der Marktordnungen nicht zerreißen. Aber Sinn und Unsinn von Marktordnungen sind daran erkennbar, ob sie imstande sind, die landwirtschaftlichen Märkte zu ordnen. Wie gesagt, die FDP schließt sich dem Vorschlag zur Änderung des Gesetzes über Marktordnungsstellen an. Wichtig ist, daß die Neuregelung vorsorglich bis Ende des Jahres 1988 befristet wird. Einen vernünftigen Rahmen für die Vielfalt landwirtschaftlicher Betriebsformen im ländlichen Raum zu schaffen bleibt unser Hauptziel in den nächsten Jahren. Unter Vielfalt versteht die FDP ein Nebeneinander von Voll-, Zu- und Nebenerwerbsbetrieben, wobei unserer Meinung nach Einkommenskombinationen je nach den regionalen Erwerbsmöglichkeiten mehr in den Vordergrund rücken müssen. Ich bin allerdings skeptisch, welchen Effekt ein sogenanntes Strukturgesetz haben wird. Wird es landwirtschaftliche Betriebe tatsächlich wirksam gegen agrarindustrielle Unternehmen abgrenzen und ihnen Weiterentwicklungsmöglichkeiten offenhalten? Oder aber - ich bitte Sie, sich diese Gefahr genau zu vergegenwärtigen - wird es vielmehr den Einfallsreichtum, den Ideenreichtum von tüchtigen Landwirten unterdrücken und die jetzigen Strukturen in vorgegebene Formen pressen? Es macht mich nachdenklich, wenn ich in Bundesratsdrucksache 188/87 vom 4. Mai 1987, unterschrieben von Ministerpräsident Späth, lese, daß er dort als Ausschlußgrenze für die 5 % Vorsteuerpauschale 150 Vieheinheiten fordert. Meine Damen und Herren, das trifft unsere leistungsfähigen bäuerlichen Betriebe in ihrer Existenz. Das gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft innerhalb der EG. ({8}) Darüber freuen sich alle unsere Wettbewerbspartner. Das verdirbt auch die Chancen junger Landwirte hier in der Bundesrepublik, zukünftig in der Landwirtschaft aktiv zu sein. ({9}) Es ist schlimm, wenn politischer Opportunismus eines Landesfürsten agrarpolitischen Sachverstand völlig verdrängt. In einem offenen Brief an den Bundeskanzler haben führende Agrarwissenschaftler kürzlich geschrieben: Nur ein Wandel, nicht eine Konservierung der Agrarstrukturen kann die Probleme der Landwirtschaft dauerhaft lösen. Dies sollten und müssen wir bei der Beratung und Behandlung eines Strukturgesetzes bedenken. Der Brief der Professoren führt mich zu den Themen Betriebsleiterqualifikation und Markt. Der Begriff der Betriebsleiterqualifikation taucht in Agrardebatten selten, meines Erachtens zu selten auf. Der Begriff Markt hat fast schon einen anrüchigen Beigeschmack, so als ob Markt einerseits und Agrarpolitik andererseits sich gegenseitig ausschlössen. Es ist bekannt - und im Agrarbericht wird das auch bestätigt - , wie sich die unterschiedlichen Fähigkeiten einzelner Landwirte auf das Betriebsergebnis auswirken. Auf keinen Fall darf es soweit kommen, daß der leistungsfähige Vollerwerbslandwirt zum Stiefkind der Agrarpolitik wird. Wir brauchen eine Wende hin zu mehr marktwirtschaftlichen Prinzipien in unserer Landwirtschaft. Wir tun den Landwirten keinen Gefallen, wenn wir den Markt aus der Agrarpolitik mehr und mehr ausklammern. ({10}) Die Kommission hat die Diskussion um mehr Markt im Agrarbereich vor zwei Jahren durch ihr Grünbuch angeregt. Im Grünbuch sind etliche Elemente eines Lösungspakets beim Namen genannt worden, die inzwischen zum festen Bestandteil der agrarpolitischen Diskussion geworden sind. Natürlich lehnt die FDP eine radikale Preissenkungspolitik ab, aber mehr Markt beinhaltet für uns Liberale nicht gleich das Schreckgespenst vom Bauernlegen. Marktkräfte dürfen nicht zugunsten schlimmer bürokratischer Regelungen zurückgedrängt werden. ({11}) Wir haben Beispiele: Milch! Dirigistische Maßnahmen und verwaltungstechnisches Dickicht erschweren den Landwirten doch nur langfristig betriebliche Entscheidungen. Das Herumdoktern an Symptomen ist etwas für Kurpfuscher, und diesen Vorwurf will ich mir als Agrarpolitiker nicht gefallenlassen. ({12}) Die gemeinsame Agrarpolitik ist als Vehikel für und von Europa völlig überfordert, wenn andere Politikbereiche nicht harmonisiert werden. Die FDP will eine politische Union Europas. Die Ratifizierung der Einheitlichen Europäischen Akte ist ein Weg dahin. Die derzeitigen Auseinandersetzungen um den Währungsausgleich zeigen das Dilemma einer auseinanderklaffenden Wirtschafts- und Währungspolitik in den Mitgliedsländern. Minister Kiechle hat unsere völlige uneingeschränkte Unterstützung in seinem Kampf um eine gerechte Lösung beim Währungsausgleich gerade für die deutschen Landwirte. Der Bundeskanzler ist gefordert, auf dem EG-Gipfel zusammen mit den anderen Regierungschefs einen großen Schritt nach vorn auf dem Wege zu einer gemeinsamen Währung in Europa zu tun. Nun müssen wir ganz deutlich feststellen, daß der Ruf nach Regionalisierung und - ich kann mich manchmal des Eindrucks nicht erwehren - Renationalisierung der Agrarpolitik vermehrt zu hören ist. Ich habe hier die „Wirtschaftswoche" vom 12. Juni 1987 und darf zitieren: Also ist doch jetzt der Zeitpunkt, wo diejenigen, die über ihre nationale Selbstversorgung hinaus produzieren, das auch selbst bezahlen müssen. Stopp der Agrarausgaben, ab jetzt nationale oder regionale Verantwortung. Dies hat in einem Interview der CDU-Ministerpräsident Lothar Späth gesagt. Unsere Partner in den anderen EG-Staaten werden natürlich sagen: Das müßte dann auch die nationale Verantwortung für die Industrieproduktion bedeuten; denn 54 % unserer Industrieproduktion setzen wir auf diesem gemeinsamen Markt EG um. Wenn wir einen solchen Kurs fahren, bedeutet das Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik. Dann ist Agrarpolitik von uns nicht mehr zu finanzieren. Ich muß mich sehr wundern, daß der Fachmann für High-Tech solche Parolen verkündet. Dies ist mit uns nicht zu machen. Meine Damen und Herren, die Zeit ist abgelaufen, wie ich hier auf dem Pult schon wieder sehe. - Uns allen liegt ein Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zum Agrarbericht 1987 vor. Diesen Antrag sollten wir nach der Sommerpause intensiv beraten. Ich möchte sagen, wir sollten ihn auch im Plenum beraten. Für die FDP kann ich Ihnen versprechen, daß wir dabei keine falschen Signale setzen und mit Gerede über einen Jahrhundertvertrag den Bauern falsche Hoffnungen machen wollen. Wir brauchen eine gezielte Agrarpolitik, die den leistungsfähigen bäuerlichen Betrieben die Existenz ermöglicht, den Landwirten den Übergang in den Nebenerwerb oder in einen anderen Beruf erleichtert, die ausscheidenden Landwirten soziale Hilfe bietet. Es gibt Wege aus der gegenwärtigen Krise, aber sie erfordern mehr Markt und weniger Staat in der Agrarpolitik. ({13})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich erteile das Wort dem Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Landes Niedersachsen, Herrn Dr. Ritz. Minister Dr. Ritz ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst bitte ich um Nachsicht, daß auch ich als Landwirtschaftsminister eines Bundeslandes, eines Flächenlandes, an dieser Agrardebatte teilnehme und auch zu einigen Fragen kurz Stellung nehmen möchte. Ich weiß, daß das nicht ganz einfach ist. Man greift in die Ökonomie der Planung einer solchen Debatte ein. Ich muß der Koalition dankbar sein, daß sie bereit war, dies gewissermaßen zu ihren Lasten zu akzeptieren. ({1}) Meine Damen und Herren, ich habe diese Debatte mit großem Interesse begleitet. Ich habe feststellen können - es ist immer wieder einmal gut, wenn man aus der Provinz in dieses Hohe Haus kommt -, daß es nicht nur die üblichen parteipolitischen Differenzierungen gibt, sondern natürlich auch die Nuancierung zwischen den unterschiedlichen Regionen und Ländern der Bundesrepublik Deutschland. Aber ich habe auch, und dies hat mich durchaus erfreut, eine Fülle von Übereinstimmung über alle Fraktionen hinweg festgestellt. Die erste ist wohl die, daß das ganze Hohe Haus, alle Fraktionen, der Meinung ist, daß es oberstes Ziel der Agrarpolitik ist und bleibt, eine bäuerlich strukturierte Landwirtschaft zu sichern, um auf diese Weise überhaupt eine Chance zu haben, die Lebensfähigkeit unserer ländlichen Räume, die Lebensfähigkeit blühender Dörfer und kleiner Städte auch für die Zukunft zu bewahren und zu erhalten. Bis vielleicht auf die Fraktion der GRÜNEN bestand Übereinstimmung auch darin, daß dies eine Struktur, bestehend aus Voll-, Zu- und Nebenerwerbsbetrieben, sein wird, daß es Strukturwandel gab, gibt und auch weiter geben wird. Aber im Mittelpunkt steht eben der bäuerliche Betrieb. Es besteht kein Zweifel, daß die Diskussionen um das Strukturgesetz und um Obergrenzen zunehmend einen Schwerpunkt der agrarpolitischen Diskussion überall draußen im Land bilden, übrigens auch in einigen Beiträgen, die heute nachmittag hier vorgetragen worden sind. Das ist sowohl bei Ihnen, verehrter Herr von Heereman, als auch bei Ihnen, Herr Bredehorn, deutlich geworden. Deshalb halte ich es schon für sinnvoll, daß ich in diese Debatte einmal unsere Überlegungen einbringe, die wir Niedersachsen zu diesen Fragen eines Strukturgesetzes haben; dies um so mehr, als ich dankbar registrieren kann, daß sowohl die Koalition die Einbringung eines solchen Gesetzes vereinbart hat als auch der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen ausdrücklich darauf hinweist. Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist dabei, wie gesagt, das Leitbild des bäuerlichen Familienbetriebs. Dieses Leitbild wird durch die Arbeitsverfassung und Arbeitskapazität des Betriebes bestimmt. Bei normaler Generationenfolge haben wir von zwei bis drei Arbeitskräften auszugehen, die dann in einem solchen Betrieb sinnvollerweise auch auszulasten sind, und zwar in Anlehnung an die technischen Möglichkeiten, die es heute nun einmal gibt. Vor diesem Hintergrund - das sage ich auch mal sehr skeptisch - bin ich nicht sicher, ob es richtig ist, das Problem mit 100, 150 oder 200 Vieheinheiten zu lösen, ganz abgesehen davon, daß die Erfahrungen, die wir im Land Niedersachsen mit den 330 Vieheinheiten haben, deutlich machen, daß es nicht schwer ist, durch bestimmte Konstruktionen im Grund jede Obergrenze zu unterlaufen. Daß wir der Meinung sind, daß wir einen neuen, auch gesetzlichen, Rahmen hier finden können, liegt ja nicht zuletzt am Vordringen der gewerblichen Viehhaltung, im Vordringen der Lohn- und Vertragsmast. Ich sage hier freimütig: Daß es Unternehmensgruppen gibt, die auf der Grundlage ganz bestimmter Kettenverträge heute bis zu 100 000 Mastschweine im Jahr mästen und 5 Prozent kassieren, kann nicht im Sinn irgendeiner Fraktion dieses Hauses sein. ({2}) Da sage ich: Ich befürchte, daß Sie mit Obergrenzen, Sie mögen sie hinlegen, wo Sie wollen, diesem Problem nicht begegnen können. Das sage ich aus der Erfahrung als Finanzminister, der ich fünfeinhalb Jahre war, aus der ich sehr genau weiß, mit welchen Minister Dr. Ritz ({3}) juristischen Finessen es möglich ist, solche Formen zu unterlaufen. Das ist der Ansatz, aus dem wir gesagt haben: Laßt uns über ein Strukturrahmengesetz den Versuch wagen, den Familienbetrieb zu formulieren. Da gilt die Bodengebundenheit der Produktion; auch darüber besteht keine Meinungsverschiedenheit. Da gilt die Hofstelle mit eigenen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden. Ich will auch das einmal sagen: Wer vier, fünf Betriebe irgendwo zusammenkauft, wird zumindest nicht steuerrechtlich und auch nicht von den Vergünstigungen der Agrarpolitik sagen: Dies alles ist ein Betrieb; also will ich das alles haben. Ich glaube auch, daß die eigenverantwortliche Leitung des Betriebs ein typisches Merkmal eines bäuerlichen Familienbetriebs ist. Ich füge hinzu: Das Wirtschaften auf eigenes Risiko gehört ebenfalls zu den typischen Merkmalen einer bäuerlich strukturierten Landwirtschaft. Dann geht es um den Strukturrahmen im engeren Sinn über Obergrenzen oder Ausschöpfung von Arbeitskapazitäten. Das werden wir im einzelnen abzuhandeln haben, wohl wissend, daß dies eine sehr schwierige Aufgabe ist, die wir uns hier gemeinsam vornehmen. Nur, ich sage noch einmal: Wenn wir die Ausweitung gewerblich-industrieller Veredelungsproduktion verhindern wollen, kommen wir mit den jetzt bekannten gesetzlichen Instrumenten nicht mehr klar. Dann brauchen wir hier etwas Neues. Ich will auch mal sagen: Es ist schon schlimm genug, daß in meiner unmittelbaren Nachbarschaft ein Unternehmen bis zu 30 000 Kälber im Jahr mästet - übrigens zu guten Preisen; natürlich mit 5 Prozent; aber nicht nur das, sondern auch noch mit 20 Prozent für die Verbilligung flüssiger Magermilch. Daß es aber inzwischen auch den tüchtigen bäuerlichen Vollerwerbsbetrieben in der Nachbarschaft Sorge macht, ob sie unter solchen Bedingungen überhaupt noch eine Zukunftschance haben, scheint mir die eigentliche Herausforderung zu sein, die wir hier gemeinsam zu lösen haben. Deshalb unsere herzliche Bitte, daß wir hier, verehrter Herr Bundesminister, möglichst noch in diesem Jahr zu einer Gesetzesvorlage kommen, die wir dann intensiv weiter zu beraten haben. Die zweite Übereinstimmung, die ich in dieser Debatte feststellen konnte, geht über alle Fraktionen hinweg. Es ist ein kostbares Gut in der Bundesrepublik, daß Berufsstand, politische Parteien und Gesellschaft gemeinsam sagen: Mit den Überschüssen lösen wir die Probleme der Agrarpolitik nicht. Dies ist in der Europäischen Gemeinschaft ja leider nicht überall so. Hier liegt eines der großen Probleme, vor denen dieser Landwirtschaftsminister steht. Aber ich sage, es ist ein großes Gut, daß wir gemeinsam überzeugt sind: Nur durch eine Rückführung der Mengen werden wir wieder eine Agrarpolitik gestalten können, die unseren Betrieben konkrete Zukunftsperspektiven vermittelt. ({4}) - Darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Dies will ich jetzt hier nicht vertiefen. Aber ich will einen Punkt aufgreifen. Dies ist einer der Gesichtspunkte gewesen, aus denen die niedersächsische Landesregierung zu der Überzeugung kam, daß es an der Zeit ist, das Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" zu novellieren. Denn dieses Gesetz, das sich übrigens - davon bin ich fest überzeugt - über die Jahrzehnte hin sehr bewährt hat, hatte natürlich von der damaligen Zielvorgabe her zum Inhalt: Stärkung der Produktionsgrundlagen der Betriebe und Stärkung der Produktivität. Wir müssen uns heute wirklich fragen, ob es nicht notwendig ist, auch andere Elemente in den Aufgabenkatalog dieser Gemeinschaftsaufgabe einzubinden, z. B. im Rahmen einer Flurbereinigung auch den ökologischen Aspekten eines solchen Verfahrens Rechnung zu tragen, gerade unter dem Gesichtspunkt des notwendigen Marktgleichgewichts. ({5}) - Sicher, wir können dies alles aus Landesmitteln bezahlen; das ist wahr, Herr Kollege Gallus. Ich will gern ein Wort dazu sagen. Meine Damen und Herren, ich sage aus einem noch anderen Grund: Wir werden alle davon ausgehen müssen, auch in den Ländern, daß wir uns mit den öffentlichen Finanzen schwerer tun. ({6}) Ich glaube, um so besser ist es, daß wir in Zukunft auch ein Stück Flexibilität für die Gemeinschaftsaufgabe gewinnen. Und wenn wir nun schon sagen, wir werden selbst in der Europapolitik ohne verstärkte Regionalisierung nicht auskommen, dann ist ja auch nicht einzusehen, warum wir das im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe nicht auch innerhalb der Bundesrepublik, etwa entsprechend den Erfordernissen zwischen Schleswig-Holstein und Bayern, verstärkt können. ({7}) Ich freue mich, daß der Bundesrat diese Novelle einstimmig beschlossen hat. Ich gehe davon aus, daß wir auch hier im Hohen Haus eine breite Zustimmung zu dieser Novelle erfahren. Ein weiterer Gesichtspunkt, meine Damen und Herren: Wir stehen in Niedersachsen am Ende des ersten Versuchsjahres mit der Grünbrache. Angesichts der Tatsache, daß es erstmalig in der Geschichte der europäischen Agrarwirtschaft ist, daß Landwirte für Nichtproduktion honoriert wurden, was ja einen ungeheuren psychologischen Umdenkungsprozeß erfordert - über Jahrzehnte haben wir immer nur gesagt, wir geben euch Geld, damit es mehr wird; jetzt sagen wir, wir geben euch Geld, damit es weniger wird -, ist es, so finde ich, ein beachtlicher Erfolg, daß wir auf diese Weise 35 000 Hektar für ein Jahr haben stillegen können. Ich bin auch der Überzeugung, daß wir dieses Programm fortführen sollten, und zwar gewissermaßen auch parallel zu dem ja wohl im nächsten Jahr anlaufenden europäischen Extensivierungsprogramm, weil wir eine Chance hätten, zu sehen, mit welchem Instrument der Extensivierung wir eigentlich am schnellsten zum Ziel kommen, nämlich weg mit den Mengen. Denn wenn wir uns in dieser Frage einig sind - und das sind wir ja - , daß PreissenkunMinister Dr. Ritz ({8}) gen das Problem der Menge nicht lösen, sondern den Produktionsdruck für eine Übergangszeit sogar erhöhen werden, dann geht es nur über den Weg, den die Bundesregierung eingeschlagen hat und der in Brüssel sehr mühsam ist, nämlich daß Nichtproduktion auch zu honorieren ist. ({9}) Deshalb würden wir diesen Versuch auch über dieses Jahr hinaus gern fortsetzen. Wir müssen an Hand der Erfahrungen des ersten Jahres die Richtlinien anpassen, auch in einigen Positionen verbessern zugunsten der Akzeptanz auch auf besseren Standorten. Von daher - das sage ich freimütig - hätte ich lieber etwas mehr Geld, als ich jetzt wahrscheinlich bekommen werde. Aber vielleicht, verehrter Herr Bundesminister, schaffen wir es zusammen, wir beide, daß auch die EG einen Beitrag dafür zahlt, daß sie eigentlich der Entlastete ist. Die EG-Kasse ist eigentlich die entlastete Kasse. Deshalb wäre es vernünftig, daß wir dann versuchen würden, wenigstens für die Folgejahre eine entsprechende Hilfe zu bekommen. Hier vorne leuchtet Gelb auf. Auch bei uns im Landtag heißt das: noch eine Minute. Meine Damen und Herren, ich wollte diese drei Aspekte, die, wie ich zugebe, reine landespolitische Aspekte sind, die aber, glaube ich, in die Lösung der großen agrarpolitischen Herausforderungen genau hineinpassen, vor denen wir alle miteinander stehen, hier bewußt ansprechen. In diesem Zusammenhang möchte ich für die Unterstützung, die die niedersächsische Landesregierung durch die Bundesregierung bei dieser Entwicklung erfahren hat und - davon gehe ich aus - auch weiter erfahren wird, herzlich danken. Wir alle haben - wo immer wir politische Verantwortung zu tragen haben: im Bund, im Land oder in der EG - den Weg zu einer neuen Agrarpolitik möglichst solidarisch zu beschreiten. Meine Damen und Herren, uns mag auch die aktuelle Einkommenssituation bekümmern; mich auch. Viel tiefer bekümmert mich die Sorge junger Landwirte. Haben Sie noch eine Zukunft? Darum brauchen wir dringend diese Umsteuerung. Deshalb bitte ich um Nachsicht, daß auch ein bescheidener, kleiner Landesminister den Mut hatte, in diese Debatte einzugreifen. Vielen Dank. ({10})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir alle, die wir hier heute das Wort ergreifen, sind uns bewußt, daß wir dies in einer Zeit tun, in der die Situation für die deutsche Landwirtschaft und die europäische Agrarpolitik so dramatisch ist wie nie zuvor. Dies müßte von uns allen als ein Auftrag begriffen werden, nicht nur allen Beteiligten reinen Wein einzuschenken, sondern gemeinsam einen Ausweg aus der Krise zu suchen. Wir wissen doch nur allzugut, daß es keinen Königsweg gibt, auf dem wir schon morgen die Krise überwunden haben könnten. Aber wir wissen auch, daß wir die Aufgabe haben, durch eine durchdachte Politik unter Bündelung vieler sinnvoller Maßnahmen die deutsche Landwirtschaft und die europäische Agrarpolitik aus der Krise zu führen. Herr Bundesminister, mit vielem, was Sie gesagt haben, bin ich einverstanden. Aber wenn Sie bei der Erfolgsbilanz die Milchquote als ein Faktum anführen, das zu einer Einkommenssteigerung von 9 % geführt habe, dann muß ich Sie fragen: Für wen? 75 aller Betriebe haben keine Chance mehr, obwohl Sie zu Recht sagen, daß die Milchviehhaltung 60 % der bäuerlichen Struktur trifft; denn 75 % haben unter 20 Kühe, und dann soll der hier mal aufstehen, der von 10, 12 oder 16 Kühen leben kann. ({0}) Dann muß klar werden, für wen das gilt. Dann sprechen Sie von den alten Sünden der Ernährungsschlachten. Sie haben recht; die Überschüsse sind nicht nur jetzt entstanden. Herr Bundesminister, ich habe das, glaube ich, noch wörtlich im Ohr, wie Sie seinerzeit als Agrarsprecher dem Bundeskanzler 1980 zu der Regierungserklärung sagten: „Herr Bundeskanzler, das ist doch absurd, daß Sie in der Regierungserklärung von Überschüssen reden. Wir von der Union denken gar nicht daran, die EG-Agrarpolitik zu reformieren, nur weil es momentane Schwierigkeiten gibt. " Das muß ich Ihnen dann auch dazu sagen. Ein Drittes. Ich habe mich darüber gefreut, daß Sie gesagt haben, Leistungen außerhalb der Nahrungsmittelproduktion müßten besser honoriert werden, und es wird Zeit, daß die Gesellschaft etwas für das gibt, was Bauern hier leisten. Sie haben da mein volles Einverständnis. Nur: Warum wehren Sie sich länger gegen Einkommensübertragungen? Das ist es doch, was wir damit fordern. Ideologisch haben Sie es doch immer abgelehnt. Wenn Sie hier sagen, Worten müßten Taten folgen, dann gilt das auch für Sie, wenn wir in diesen Punkten schon einig sind. ({1}) Unsere heutige Debatte wird durch die dramatische Entwicklung im Agrarministerrat überschattet. Die derzeit in Brüssel anstehenden Entscheidungen können all das, was der vorliegende Agrarbericht an Aussagewert für die Zukunft der deutschen Landwirtschaft beinhaltet, schon morgen zu Makulatur werden lassen. Es ist somit zwingend, daß wir in der heutigen Diskussion auch einbeziehen, was derzeit in Brüssel zur Entscheidung ansteht und welche Rolle die Bundesregierung dabei spielt. ({2}) Entgegen allen Versprechungen des Bundesministers sind die Erzeugerpreise in den letzten Jahren in der Bundesrepublik drastisch zurückgegangen. Diese Situation wird sich noch weiter verschlechtern. Die Auswirkungen der Beschlüsse der Agrarminister vom Dezember 1986, vom März 1987 und die diesjährigen Preisbeschlüsse - das wissen wir doch - sind nicht berücksichtigt. Hier werden vor allem bei Rindfleisch und Getreide sowie bei Ölsaaten erhebliche Einkommenseinbußen auf uns zukommen. Bei dem Letztge1296 nannten wird es eine zweistellige Größe ausmachen. Selbst der Minister hat hier zugegeben, daß sich die Einkommen seit 10 Jahren auf unverändertem Niveau bewegen - nominal! ({3}) Das heißt doch, daß Sie real Einkommensverluste von 30 % zugeben müssen. Herr Heereman ist jetzt nicht da. Warum sagt er das nicht, wenn er unsere Interessen als Bauern vertritt? ({4}) Dies sind 30 %. Freunde, ich will höflich verschweigen, was man von Franz Josef Strauß, von Biedenkopf und anderen Unionspolitikern an wertenden oder - besser - abwertenden Urteilen über Ihre Politik hier referieren könnte. ({5}) Es gibt für all dies doch nur eine Erklärung: Die Agrarpolitik des Bundesministers unter der Richtlinienkompetenz Helmut Kohls ist gescheitert. Nichts anderes ist die Wahrheit. ({6}) - Ja, mein lieber Kollege Michels, wir ertappen uns auch immer dabei - das gilt auch für Sie - : Ihr grundlegender Ansatz, die landwirtschaftlichen Einkommen über aktive Preispolitik zu sichern, hat längst ihr Waterloo erlebt. ({7}) Nach dieser generellen Vorbemerkung nun zwei Themen, die die heutige Debatte bestimmen: Währungsausgleich und Einkommensübertragungen. Das Problem des Abbaus des deutschen Währungsausgleichs und die Auflockerung des gesamten Systems beherrschen die diesjährige Preisrunde. Das sieht jeder, der etwas davon versteht; ich denke, insoweit sind wir uns auch einig. Eine Einigung in dieser Frage ist nicht in Sicht. Der Bundeslandwirtschaftsminister sieht sich zur Lösung dieser existentiellen Frage nicht in der Lage. Er hat das Problem an den Bundeskanzler delegiert. ({8}) Soll denn dieser nach dem Versagen Stoltenbergs die Kohlen aus dem Feuer holen? Kann man das von ihm erwarten? ({9}) Ich zitiere, was der Bundeskanzler in der 139. Sitzung der 10. Legislaturperiode hier zu diesem Thema, an Vogel gewandt, gesagt hat: Herr Kollege Vogel, warum haben Sie den Grenzausgleich denn nicht abgebaut? Sie hatten doch Zeit genug dazu. Der Mann kennt die Funktion des Grenzausgleiches nicht! Wie kann man von ihm dann die Lösung erwarten? Um bewußten Fehlinterpretationen und Mißverständnissen von Anfang an entgegenzuwirken, will ich hier gleich eindeutig feststellen: Auch nach unserer Auffassung sind die Vorschläge der EG-Kommission im Währungsbereich unannehmbar. Der Kollege Jansen hat das auch schon gesagt. Die deutsche Landwirtschaft braucht den Fortbestand des Systems bis zur Herstellung einer Wirtschafts- und Währungsunion. Das System des Währungsausgleichs ist so auszugestalten, daß die bestehenden Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedsstaaten aufgehoben werden. Meine Damen und Herren, ebensowenig akzeptabel ist jetzt die Senkung des positiven Ausgleichs. Die unvermeidlichen Beschlüsse zur Anpassung der Agrarmärkte werden überall Einkommenseinbußen mit sich bringen. Zusätzliche Sonderopfer für die deutsche Landwirtschaft aber können wir uns nicht gefallen lassen. Dieses System bedeutet im Klartext: In Deutschland werden bei einem Abbau der Ausgleichsbeträge die Agrarpreise sinken, in den anderen Ländern können sie steigen, in Frankreich um 9 %, in Großbritannien um 24 %. Das ist jedenfalls ein Unterschied. Ich will von Griechenland ganz schweigen. Ich nenne die Horrorzahlen deshalb, damit jene, die meinen, wir müßten den Grenzausgleich aufheben, wissen, was das für einen Sprengsatz bedeutet. Die vorgesehene Automatik des Abbaus würde jede Währungsanpassung im EWS durch die Agrarfrage zusätzlich belasten. Die deutschen Landwirte wären noch mehr als bisher dem Verhandlungsgeschick von Herrn Stoltenberg ausgeliefert. Die Erfahrungen von Ootmarsum - und das wissen wir doch - sind noch allen im Gedächtnis, als der Bundesfinanzminister wider besseres Wissen behauptete, die damalige Währungsanpassung werde ohne Nachteile für die deutsche Landwirtschaft bleiben. ({10}) Meine Damen und Herren, die von Kiechle entwikkelte und von ihm in Brüssel durchgesetzte Änderung des Währungsausgleichssystems war vielleicht die katastrophalste Fehlentscheidung seiner Wendepolitik seit 1984; denn mit dem sogenannten Switch-over, bei dem bei jeder EWS-Paritätsänderung nur noch negative Ausgleichsbeträge entstehen, mußte die deutsche Landwirtschaft zwangsläufig gravierend benachteiligt werden.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eigen?

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn sie auf die Redezeit nicht angerechnet wird.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ist Ihnen klar, daß Dr. Stoltenberg damals immerhin durchgesetzt hat, daß eine Anpassung der „grünen Währungen" anderer Länder, die abgewertet haben bzw. durch einen negativen Grenzausgleich abwerten konnten, erst dann erfolgen sollte, wenn die Agrarpreisrunde beendet ist? Das ist nicht ganz befriedigend, aber immerhin ein Fortschritt gegenüber den früheren Methoden, bei denen darauf überhaupt nicht geachtet wurde? Ist Ihnen das klar?

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mein lieber Kollege Eigen, ich habe gerade erst die Umstellung des Systems kritisiert. Sie wollen jetzt aber doch mit mir lieber zum alten System zurück und nennen es Erfolg, wenn man nach fünf Jahren wieder das erreicht, was wir schon einmal hatten. Ich sage Ihnen, was Sie dazu gesagt haben. Der Bundeskanzler hat in seinem Brief an die Bundesbürger zur Wahl geschrieben: Wir haben den Währungsausgleich zugunsten der deutschen Landwirtschaft neu geregelt. Durch die Neuregelung des Währungsausgleichs wird unsere Position bei Preisverhandlungen entschieden verbessert. So Ihre Stellungnahme durch den Bundeskanzler. ({0}) Auf die Frage von Herrn Greifenberg antwortet der Bundesminister heute: Ich bezeichne das jetzige System als ungerecht. Es bringt mindestens zehn Ländern ständig Vorteile und einem Land vor allem - das sind wir - ständig Nachteile. Wer weiß nun, was das eigentlich bedeutet? Der Bundeskanzler hat das alles zu unserer Rettung etabliert, und der Minister sagt nach fünf Jahren: Es bringt nur einem Land besondere Nachteile, das sind wir. Recht hat er. Nur, es wäre mir lieber gewesen, er hätte das vor fünf Jahren eingesehen. ({1}) Diese Entwicklung, Herr Eigen, war vorhersehbar. Wir Sozialdemokraten haben gewarnt, Sie haben nicht darauf gehört. Der Minister hat mit dieser Fehleinschätzung und seiner Zustimmung zu einem drastischen Abbau des Währungsausgleichs um 8 % den Grundstein für die heute katastrophale Verhandlungssituation in Brüssel gelegt. Demgegenüber wäre nach unserer Auffassung die beste Lösung, zum ursprünglichen System zurückzukehren. Ob diese Lösung der Vernunft heute noch machbar ist, ist bei dieser Verhandlungssituation, wo wir Deutsche isoliert dastehen, zweifelhaft. Das zweite zentrale Thema ist die Frage der Gewährung von Einkommenshilfen. Wir kommen um die Beantwortung dieser Frage nicht herum. Die Sicherung der landwirtschaftlichen Einkommen durch die Preis- und Marktpolitik hat sich als unmöglich erwiesen. Das ist die Realität. Nur 20 % der gigantischen Aufwendungen von 50 Milliarden DM für die Agrarmärkte kommen heute noch bei den Bauern einkommenswirksam an. Wir müssen also neue Wege gehen. Der Landwirtschaftsminister allerdings hielt dies in der letztjährigen Agrardebatte noch für Unsinn. Er sagte: ein politisches Ungeheuer; er sprach von einem Alptraum. Heute sagt er das anders; aber man kann dazulernen. Darüber freuen wir uns. Das hindert aber die Regierungsparteien nicht daran, in ihrer Koalitionsvereinbarung die globale Fortführung einkommensstützender Maßnahmen, insbesondere die unsoziale Pauschalregelung bei der Mehrwertsteuer, festzuschreiben. Das hindert den Minister auch nicht daran, die von den EG-Agrarministern vereinbarten Entschädigungszahlungen für die Kürzung der Milchquoten und die Auflockerung der Intervention beim Rindfleisch als besonderen Erfolg seiner Politik zu verkaufen. Mit anderen Worten: Der Einstieg in direkte Einkommensübertragungen ist längst gemacht, es fehlt jedoch an einer vernünftigen, zielgerichteten Verteilung der knappen Haushaltsmittel. Diese Bundesregierung verfährt nach dem Gießkannenprinzip, ohne soziale, ökonomische und ökologische Erfordernisse zu berücksichtigen. ({2}) Das schlechteste Beispiel hierfür, Herr Eigen, ist die umsatzbezogene Mehrwertsteuerregelung mit welcher bis 1991 über 20 Milliarden Deutsche Mark den umsatzstarken Betrieben zufließen. Was man damit macht, Herr Dr. Ritz, sei hier gleich ebenso erwähnt, wie das was an Umwegen alles möglich ist. Sie wollten doch gar nicht die Obergrenze von 330 Vieheinheiten, Sie wollten bei Schweinen die Obergrenze von 450, Sie wollten beim Geflügel, Herr von Geldern, die Obergrenze von 750. Nimmt man diese Zahlen mal 5 %, dann wären das 80 000 DM pro anno gewesen. Wir wissen doch, was Sie wirklich wollen. Hätten Sie uns nicht gehabt, wären Sie jetzt schon pleite. ({3}) - Nein, meine Damen und Herren. - Es ist höchste Zeit, daß das Gießkannenprinzip weggenommen wird. Um dieses Ziel zu erreichen, kommt eine Bündelung von Maßnahmen in Betracht. Dazu gehört die Gewährung eines vorgezogenen Altersruhegeldes für Landwirte und landwirtschaftliche Arbeitnehmer ebenso wie ein Entgelt für Leistungen zur Erhaltung von Natur und Umwelt. Ich freue mich, daß ich das auch in den Erklärungen des Bundesministers gefunden habe. Ausgleichszahlungen für Extensivierung. Nein, Freunde, wir müssen gerade weg von umsatzbezogenen Hilfen hin zu direkten Hilfen. Gerade bei diesen wichtigen Maßnahmen verweigert sich der Finanzminister. Wir sind uns alle einig, die Extensivierung in der Mutterkuhhaltung heute möglich machen zu wollen. Wir beschließen zweimal einstimmig, so zu verfahren, und der Bundesfinanzminister weigert sich, obwohl wir die halbe Produktion vom Hektar hätten, ({4}) obwohl wir 90 % der Substitute sparen könnten, obwohl wir hier die Liter Milch sparen könnten, die wir dort nicht erzeugen müssen, und obwohl das die umweltfreundlichste Landbewirtschaftung ist, die es gibt. Hier weigert er sich wegen ein paar Millionen DM, aber Milliarden, die können natürlich fließen! Wir werden uns einer Grundsatzdiskussion der Frage direkter Einkommensübertragungen nicht entziehen können. Die EG-Kommission hat Vorschläge für diese Teilbereiche vorgelegt, die, Herr Eigen, von dem Grundsatz der Produktionsneutralität jeder Ein1298 kommenshilfe ausgehen. Sie hat derartige Hilfen auch für einen Teilabbau des deutschen Währungsausgleichs vorgeschlagen. Diese Vorschläge sollten als Argument und als Ausgangspunkt für die Diskussion mit dem Ziel genutzt werden, vernünftige Kriterien für Einkommenszahlung zu erarbeiten. Hierzu gehört auch ein Strukturgesetz, Herr Dr. Ritz, mit Obergrenzen, das die agrarindustrielle Produktion ausschließt. Ich möchte aber nicht nur Sonntagsreden hören, sondern ich erwarte, daß die CDU endlich im Emsland, in der Grafschaft und in Cloppenburg/ Friesoythe bei Neugründungen dann auch antritt und nicht immer der SPD den Kampf dagegen überläßt. ({5}) Wir müssen jetzt entscheiden, meine Damen und Herren, ob wir den Weg der Rettung der bäuerlichen Struktur konsequent gehen wollen oder nicht. Sicher ist eines: daß der pauschale Mehrwertsteuerausgleich in seiner gegenwärtigen Form der falsche Weg ist und keinen Bestand haben wird. Er kostet Milliarden, und je mehr Überschuß produziert wird, desto mehr Geld gibt der Staat. ({6}) Wir müssen schnell handeln. Die Bauern brauchen schnelle Hilfe; sie brauchen keine Phrasen mehr. Wir müssen auch schnell handeln, um die in Verruf geratene Agrarpolitik wieder glaubwürdig zu machen ({7}) und um den Bauern und der EG eine Perspektive für die Zukunft zu geben. Wir haben dazu einen Entschließungsantrag vorgelegt. Wir hoffen, darüber gemeinsam diskutieren zu können. Wir sind zur Mitarbeit bereit. Ich danke Ihnen. ({8})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kalb.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich mir gerade die letzten Redebeiträge - nicht nur den letzten - vor Augen führe, wird mir ganz klar, daß es nicht nur sehr schwer ist, in Europa eine einheitliche Agrarpolitik zu konzipieren, sondern daß es auch wegen der großen Strukturunterschiede innerhalb unseres Landes sehr schwerfällt, eine einheitliche Linie zu finden, und das ist wohl - wenn ich einmal dieses wahlkampfbedingte Geräusch aus Schleswig-Holstein weglassen darf - weniger ein Problem der parteipolitischen Unterschiede als tatsächlich ein Problem der unterschiedlichen Interessenlagen der Regionen oder der unterschiedlichen Situationen in den Bundesländern. ({0}) Wenn der Kollege Oostergetelo sagt, er könne sich überhaupt nicht vorstellen, wie einer mit 15 Kühen noch solle wirtschaften können, muß ich ihm zur Antwort geben: Es gibt in Bayern noch sehr, sehr viele solcher Betriebe. Ich behaupte nicht, daß die alle im Vollerwerb bleiben können, aber ich weiß, daß viele zumindest aus der jetzt wirtschaftenden Generation damit noch zufrieden sind und noch wirtschaften wollen. Hier wird die ganze Problematik deutlich, lieber Kollege! Der Kollege Jansen hat vor allen Dingen auf den Gesetzentwurf abgestellt, der heute noch zu beschließen sein wird.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Oostergetelo?

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aus Sympathie!

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich denke, wir kennen uns so gut, daß Sie verstanden haben, daß ich damit meine, daß bei der Milchquotenregelung -

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Kollege, ich bitte Sie, eine Frage zu stellen!

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich frage Sie: Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß man, wenn man die Überproduktion in den Griff kriegen will, dort etwas wegnehmen muß, wo sie entsteht, und nicht bei den kleinen und mittleren Betrieben?

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, aber das widerspricht genau dem, worauf ich Bezug genommen habe. Ich darf also auf das Problem des Gesetzes über die Neuorganisation der Marktordnungsstellen zurückkommen. Dies führt uns in der Tat vor Augen, daß die Probleme der Agrarpolitik nicht kleiner, sondern eher größer geworden sind und daß sie mit den bisherigen Mitteln nicht zu lösen sind. Nur haben Sie, Herr Kollege Jansen, jetzt den untauglichen Versuch unternommen, aus dem Dilemma wieder herauszukommen, in das Sie sich gestern mit Ihrem Abstimmungsverhalten im Ausschuß manövriert haben. ({0}) Wir müssen - das ist übereinstimmend zum Ausdruck gebracht worden - die Überschußproduktion in Europa zurückführen. Wir begrüßen ausdrücklich die von Herrn Bundesminister Kiechle hierzu eingebrachten Vorschläge. Ich darf sie hier nochmals nennen - zum Teil sind sie von Oppositionsrednern ja sogar übernommen worden - : ({1}) Erstens Anbau von Defizitprodukten im Eiweißfuttermittelbereich - nachzulesen in der Rede - , zweitens ein ganzes Bündel von Extensivierungsmaßnahmen, und dazu sage ich Ihnen, Frau Flinner: Wir haben hier keine ideologischen Scheuklappen. ({2}) Das trifft genau das, was Kollege Paintner gesagt hat: auch Marktnischen ausnutzen. Ich sage Ihnen freiweg: Wenn ich mein Anwesen nicht so weit weg von München hätte, wo die Geldleute zu Hause sind, die glauben, daß tatsächlich die alternativen Produkte besser sind, und die das auch bezahlen können, und wenn die mir statt 8 Mark oder 10 Mark für einen Zentner Kartoffeln 40 Mark bezahlen würden, würde ich denen das anbieten. Da gibt es doch gar keine Frage! ({3}) Ich darf Ihnen auch sagen: Gerade in Bayern wird seit Jahren - selbst über die amtliche Beratung - auch die alternative Landwirtschaft gefördert und unterstützt. ({4}) Das ist überhaupt keine Frage. Jeder Landwirt soll künftig das tun, worin er für seinen Betrieb, für seine Situation die bestmöglichen Chancen sieht. Ich will Ihnen ganz gewaltig widersprechen, wenn Sie als solche Möglichkeiten den ganzen Bereich der nachwachsenden Rohstoffe und Energien ausschließen wollen. Ich sehe hier längerfristig - nicht kurzfristig - durchaus entsprechende Möglichkeiten. ({5}) Der Herr Minister hat schließlich als vierten Punkt Produktionshöchstmengen genannt. Das ist zwar umstritten, aber ich stehe dazu, und ich begrüße es außerordentlich, daß solche Produktionshöchstmengen auf der Ebene der Mitgliedstaaten eingeführt werden sollen. Wenn wir bzw. wenn einzelne Mitgliedstaaten große Anstrengungen zur Rückführung der Überschußproduktion unternehmen, kann es doch nur sinnvoll sein, wenn nicht gleichzeitig andere diese Produktion zu unseren Lasten und auf unsere Kosten erhöhen. Die nationale Verantwortung muß verstärkt werden. Das sagt im übrigen auch Andriessen, der deutlich gemacht hat, es wäre von Vorteil, den nationalen Akzent zu verstärken. Wir alle sollten den Minister bei der Durchsetzung dieser vorgeschlagenen Maßnahmen nachdrücklich unterstützen. ({6}) Es ist auch von Ihrer Seite gesagt worden, es gebe kein Patentrezept. Aber das vorgeschlagene Bündel von Maßnahmen ist geeignet, um auf dem Wege der Ordnung und der Entlastung des europäischen Agrarmarktes voranzukommen. Angesichts der nach wie vor anhaltenden Produktivitätssteigerung einerseits und der zunehmend geringer werdenden Aufnahmefähigkeit der Weltmärkte andererseits muß die Aufgabe der Landwirtschaft völlig neu definiert werden. Schon in wenigen Jahren werden 10 bis 20 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche - manche Fachleute behaupten sogar: 30 bis 40 % - nicht mehr für die Nahrungsmittelproduktion gebraucht. Nahrungsmittelproduktion wird deshalb nur noch eine, vielleicht noch die wichtigste, aber sicher nicht mehr die einzige Aufgabe der Landwirtschaft sein können. ({7}) - Wir begreifen manches schneller, als Sie glauben. ({8}) Andere Aufgaben in den Bereichen Landeskultur, Ökologie, Nichtnahrungsmittelprodukte - Stichwort: Rohstoff, Energie, Eiweiß - müssen hinzukommen. Im übrigen war es - mit Ausnahme der letzten Jahrzehnte - immer die Aufgabe der Landwirtschaft, die Menschen nicht nur mit Nahrungsmitteln, sondern auch mit Rohstoffen und Energie - denken Sie nur an Holz, an die Zugtierfütterung - zu versorgen. Ich sage das ganz bewußt, weil manche Leute heute sagen, eine Wahrnehmung solcher Aufgaben sei aus ethisch-moralischen Gründen nicht vertretbar. Das war über Jahrtausende hinweg der Fall. ({9}) Da können wir uns über Einzelheiten gerne unterhalten. Meine Damen und Herren, der Agrarbericht beweist, daß die Agrarsozialpolitik eine wirksame Entlastung für kleinere Vollerwerbsbetriebe darstellt. In Verbindung mit der verbesserten Ausgleichszulage konnte damit die Einkommenssituation dieser Betriebe - wenn auch auf niedrigem Niveau - stabilisiert und zum Teil sogar deutlich verbessert werden. Damit haben sich diese Maßnahmen als besonders wirksam erwiesen. Sie sind geeignet, kleineren Landwirten zu helfen. Wenn jetzt die SPD auf einmal das Herz für die kleinen Landwirte entdeckt - da meine ich gar nicht so sehr die Fachleute aus dem Ausschuß, sondern die agrarpolitischen Dilettanten Ihrer Partei, die jetzt übers Land ziehen - , dann will ich hier doch darauf verweisen, daß die Agrarsozialleistungen unter Ihrer Verantwortung zusammengestrichen worden sind ({10}) und daß es Ihre Kollegen im Europäischen Parlament waren, die bei der ersten Abstimmung gegen die Ausweitung der Ausgleichszulage gestimmt haben und bei der zweiten Abstimmung gar nicht mehr anwesend waren. Das ist der Sachverhalt! ({11}) Auch die jetzt von dieser Bundesregierung und von dieser Koalition getroffenen Maßnahmen mußten gegen Ihren Widerstand in den Ländern und im Bund durchgesetzt werden. ({12}) Ich denke, wir sind mit diesen Instrumenten auf dem richtigen Weg. Wir müssen sie weiter ausbauen. Im übrigen bin ich sowieso der Auffassung, daß wir zumindest teilweise die umsatzbezogenen Hilfen aus agrarstrukturellen und ökologischen Gründen in flächenbezogenen und damit direkt wirkende Hilfen umgestalten sollten. Hier gibt es natürlich unterschiedliche Auffassungen. Angesichts überfüllter Märkte verlieren die Preisstützungen immer mehr an Wirksamkeit. Immer weniger kommt bei den Bauern an. Wir alle wollen den Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft. Reden allein hilft nicht. Darum müssen wir auch konkret werden. Die CDU/CSU verlangt deshalb in ihrem Entschließungsantrag die Vorlage des Entwurfes eines Strukturgesetzes. Damit sollen eine Konzentration und das Abwandern der Agrarproduktion in den industriell-gewerblichen Bereich verhindert werden. Die Flächenbindung der tierischen Produktion muß verstärkt werden. Eine Prosperität bei der Förderung und auch bei den umsatzbezogenen Einkommenshilfen muß vorgesehen werden. ({13}) - Erinnern Sie sich an meine Eingangsworte. ({14}) Aber auch bestimmte immissionsschutz- und baurechtliche Privilegien sollten in diesem Zusammenhang überprüft werden. Ich vermag nicht einzusehen, wieso gewerbliche Agrarproduktionsbetriebe die Privilegien nach § 35 des Bundesbaugesetzes in Anspruch nehmen können. ({15}) Das ist auch in dieses Strukturgesetz mit aufzunehmen; denn ich vermag nicht einzusehen, daß mit diesen riesigen Anlagen die wertvolle Landschaft und das schöne Landschaftsbild beeinträchtigt werden. ({16}) Ich bitte den Berufsstand bei diesem Bemühen um aktive Mitarbeit und konkrete Unterstützung. Dabei müssen wir auch einsehen, daß alle diese Maßnahmen, die in diesem Zusammenhang zu treffen sein werden, nicht so gestaltet werden können, daß alle, die jetzt schon in der Agrarproduktion tätig sind, auch in begünstigender Weise einbezogen werden. Sicher wird es auch einige Härten geben. Aber die Frage ist: Wollen wir über den Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft nur reden oder wollen wir etwas tun? Uns muß - auch das ist bereits betont worden - der Erhalt der Funktionsfähigkeit des ländlichen Raumes besonders am Herzen liegen. Ich bin überzeugt, daß die Bürger, wenn ihnen das entsprechend dargelegt wird, auch bereit sind, dafür Kosten mitzutragen, damit wir diese Aufgaben erledigen können. Zum Abschluß darf ich Herrn Bundesminister Kiechle namens der CDU/CSU-Fraktion für seinen großen Einsatz sehr herzlich danken. ({17}) Wenn wir alle miteinander ehrlich sind, müssen wir einräumen, daß kaum einer von uns in seiner Haut stecken möchte. Ich wünsche ihm bei der Bewältigung seiner schweren Aufgabe viel Kraft und viel Erfolg. ({18})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Wimmer ({0}). ({1})

Hermann Wimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002522, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mir heute einmal ausgemalt, wie eigentlich die Oppositionsreden ausgefallen wären, wenn die sozialliberale Koalition einen solchen Agrarbericht vorgelegt hätte, wie dann ein Ignaz Kiechle und ein Egon Susset gesprochen hätten. Da wären die Fetzen geflogen. Heute hat Egon Susset ein Bild gemalt, das in der Landwirtschaft nicht anzutreffen ist. Ich habe den Eindruck, daß das Stimmungsbild, das Herr Susset hier ausbreitet, mehr der Vorstellung des Kreises von Nebenerwerbslandwirten entspricht, die einen Sitz im Deutschen Bundestag haben. ({0}) Wenn sich Herr Heereman noch an die Zeiten der sozialliberalen Regierung erinnert, wird er wissen - darauf möchte ich hinweisen -, daß damals eine Reihe von Ansätzen an seinen Ansprüchen gescheitert ist. ({1}) - Sie haben z. B. jahrelang die Überschüsse bagatellisiert. Sie haben jahrelang unsere Bemühungen verteufelt, eine gerechtere Staffelung der Beiträge in der Sozialversicherung einzuführen. Das wurde als Teufelswerk bezeichnet. ({2}) Sie haben sich bei vielen Vorschlägen dagegengestemmt, und wenn es nicht ausreichte, haben Sie sich noch zusätzlich quergelegt. ({3}) Der Herr Minister Kiechle hat ja ein sehr schwieriges Spiel vorzuführen. Mit manchen seiner Entscheidungen, mit seiner verfehlten Markt- und Preispolitik ist er oft der Brandstifter in der EG, und mit Schnellschüssen im Deutschen Bundestag, vor allen Dingen im Bereich der Agrarsozialpolitik, spielt er dann den Feuerwehrmann. Nur manchmal kommt dabei nichts raus, weil einer auf dem Schlauch steht - der Minister Stoltenberg. Für uns Sozialdemokraten war die Agrarsozialpolitik immer ein notwendiger Bestandteil der Agrarpolitik insgesamt. Bei der CDU/CSU ist Agrarsozialpolitik meistens nur unter dem Druck der Öffentlichkeit zuWimmer ({4}) stande gekommen, aber nicht aus eigener innerer voller Überzeugung. ({5}) Agrarsozialpolitische Maßnahmen werden nach unserer Auffassung auch in Zukunft unvermeidbar sein. Sie leisten einen Beitrag, um den strukturellen Wandel in der Landwirtschaft abzufedern, der auch in Zukunft stattfinden wird. Da gibt es keinen Zweifel. ({6}) - Manchmal, Herr Gallus, haben in offenen Türen auf jeden Fall Sie dazwischen gestanden. Und wenn noch einer aus der Erblastzeit übriggeblieben ist, dann sind Sie es. ({7}) Dazu gehören für uns in allererster Linie eine Vorruhestandsregelung für die Beschäftigten in der Landwirtschaft ab dem 55. Lebensjahr. Es wird schon lange Zeit über diese Regelung diskutiert, aber bisher ist allzu wenig an Konkretem dabei herausgekommen. Im März durfte der Minister in Brüssel nicht zustimmen, weil der Finanzminister Stoltenberg nicht wollte. Nun liegt ein neuer Vorschlag auf dem Tisch, der bei gutem Willen, vielleicht in abgeänderter Form, sehr schnell umgesetzt werden könnte. Auch ein nationaler Alleingang wäre möglich. Die Bundesregierung ist hier durch die Kommission nicht gehindert. Ich bin der festen Überzeugung: Die Bundesregierung blockiert auch weiterhin jeden Fortschritt in dieser Frage. ({8}) Herr Minister Kiechle spricht von völlig neuen Vorschlägen. Er reklamiert noch sehr großen Diskussionsbedarf. Konsequenterweise sieht natürlich auch der Entwurf des Bundeshaushalts 1988 bisher keinerlei Mittel für die Vorruhestandsregelung vor. Das heißt, daß alle Ankündigungen des Ministers in dieser Frage, auch die im Ausschuß in dieser Woche, ungedeckte Schecks sind, nichts als heiße Luft. ({9}) Ich möchte an dieser Stelle auch einmal darauf hinweisen, daß Zehntausende von Landwirten in der Bundesrepublik älter als 55 Jahre sind und gleichzeitig kein Hofnachfolger vorhanden ist. Diesen Landwirten muß auch aus sozialen Erwägungen heraus geholfen werden. Im letzten Jahr hat die Bundesregierung unter dem Eindruck massiver bäuerlicher Wahlenthaltung in aller Eile das Beitragsentlastungsgesetz über die Rampe geschoben. ({10}) Sicherlich gab es damals keinen großen Diskussionsbedarf, wie jetzt angekündigt. In der Begründung dieses Gesetzes haben Sie versprochen, in dieser Legislaturperiode eine grundlegende Reform der agrarsozialen Sicherung anzugehen. Im Agrarteil der Koalitionsvereinbarung steht davon nichts. Die Regierung will im Sommer erste Gespräche über die Reform führen. Das heißt, der Zeitplan ist völlig offen. Sie bewegen sich scheinbar nur, wenn die Bauern Ihnen die Stimme verweigern. Bei der Reform der agrarsozialen Sicherungsgesetze und -systeme müssen nach meiner festen Überzeugung eine Reihe von Punkten zwingend beachtet werden. Es bedarf endlich einer sozial gerechteren Gestaltung der Beiträge zu allen drei Zweigen der landwirtschaftlichen Sozialversicherung. Insbesondere ist zu prüfen, wie weit sich die Beiträge und Beitragszuschüsse stärker nach dem tatsächlichen Gesamteinkommen der Versicherten richten können. Sozialpolitik muß sich nach den individuellen Bedürfnissen und nach der Leistungsfähigkeit der einzelnen richten und darf nicht den Umverteilungswünschen einzelner entsprechen. Die Hilfen mit der Gießkanne lehnen wir wie in der Vergangenheit auch in Zukunft ab. Dabei ist zu berücksichtigen, daß auch die besser verdienenden Landwirte in ihrer Leistungsfähigkeit in Anspruch genommen werden müssen. ({11}) Es ist in der Tat nicht einzusehen, daß der Eigentümer eines Großbetriebes mit 162 DM Monatsbeitrag zur Alterskasse in den Genuß einer gesetzlichen Altershilfe von rund 800 DM kommt, von denen der Staat dann 80 % aufbringt. Das stammt nicht von mir, sondern von Ignaz Kiechle, zu lesen in der „Süddeutschen Zeitung" im Dezember 1986. ({12}) Bei der notwendigen Reform muß auch die Akzeptanz der übrigen Bevölkerung sichergestellt werden. Dafür werden wir uns mit Sicherheit mit aller Kraft einsetzen. Bei all diesen Maßnahmen muß auch bedacht werden, daß in Problemregionen des ländlichen Raumes ein großer Mangel an Erwerbsalternativen für Landwirte herrscht. Längst unrentable Betriebe arbeiten weiter, weil außerlandwirtschaftliche Arbeitsplätze fehlen. Da die Bundesregierung keine integrierte regionale Beschäftigungspolitik betreibt, droht in diesen Bereichen eine Entleerung und Verödung der Landstriche. Ich meine auch, daß die Landarbeiter in der Politik der Regierungskoalition nur einen ganz schlechten Platz erhalten. Bei allen struktur- und sozialpolitischen Maßnahmen müssen auch die landwirtschaftlichen Arbeiter berücksichtigt werden. ({13}) Ich denke dabei an die Ausdehnung der Betriebshilfsdienste zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen in diesen Bereichen. Man wäre in der Lage, den Landwirten zu helfen, wenn diese Betriebshilfsdienste ausgedehnt würden. Ich meine, es wäre auch zu prüfen, ob die Anpassungshilfe aus der Gemeinschaftsaufgabe für ausscheidende landwirtschaftliche Arbeitnehmer verbessert werden kann. Wir werden mit Sicherheit auch prüfen müssen, ob die Organisation der agrarsozialen Sicherung in der Vielzahl von regionalen Trägern noch zeitgemäß ist. Jetzt, da meine Redezeit zu Ende geht, möchte ich zum Agrarbericht abschließend nur noch zwei oder drei Sätze sagen. Zwei Göttinger Agrarwissenschaftler schrieben in den letzten Tagen: Wimmer ({14}) Das gegenwärtige Elend der deutschen und europäischen Agrarpolitik wird im diesjährigen Agrarbericht der Bundesregierung in besonderer Weise deutlich. Es offenbart sich vor allem in dem nur als tiefe Ratlosigkeit zu bezeichnenden Mangel an konzeptionellen Vorstellungen. Diesem Satz ist nichts hinzuzufügen. ({15}) Und wenn der Herr Kalb zuerst sehr lautstark auch noch von Bayern gesprochen hat, dann sind aus Bayern schon oft falsche Töne in der Agrarpolitik gekommen. Sie reichen von Goppel bis Kalb. Dem ist auch nichts hinzuzufügen. Den Bauern ist nur mit einer Ablösung dieser Regierung zu helfen. ({16})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Dr. Sperling, obwohl die Stimmung recht gut ist, muß ich Ihnen doch einen Ordnungsruf für die Bezeichnung „Pharisäer" erteilen. Das ist in diesem Hause nicht erlaubt. ({0}) - So ist das. Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Aussprache. Zu Tagesordnungspunkt 22 a schlägt der Ältestenrat vor, den Agrarbericht 1987 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Weiter ist beantragt, die Entschließungsanträge der Fraktion der SPD sowie der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf den Drucksachen 11/521 und 11/536 ebenfalls an diese Ausschüsse zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Dann ist das so beschlossen. Wir stimmen jetzt über die Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN ab. Wer dem Entschließungsantrag auf Drucksache 11/530 zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Wer für den Entschließungsantrag der GRÜNEN auf Drucksache 11/531 stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 22 b, und zwar über den Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und FDP auf der Drucksache 11/479. Ich rufe die Art. 1 und 2 mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Ich rufe Art. 3 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/519 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist abgelehnt. Wir stimmen jetzt über Art. 3 in der Entwurfsfassung ab. Wer dem Art. 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Eine Enthaltung. Art. 3 in der Entwurfsfassung ist damit angenommen. Wir müssen noch über Einleitung und Überschrift abstimmen. Wer Einleitung und Überschrift in der vorgesehenen Form zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einleitung und Überschrift sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung angenommen. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 11/520. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Meine Damen und Herren, nach § 30 der Geschäftsordnung möchte der Herr Abgeordnete Sperling das Wort haben. - Bitte schön.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte, da mein Zwischenruf einen Ordnungsruf erfahren hat, den Ausdruck „Pharisäer" mit dem Ausdruck des Bedauerns zurücknehmen und durch den Ausdruck „Schriftgelehrter" ersetzen. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich habe meinen Nachbarn zur Linken vorsichtshalber gefragt: „Wenn ich hier den Ordnungsruf erteile, erkläre mir ganz genau, wie das mit dem Pharisäer ist. " Da hat er gesagt: „Das sage ich dir das nächste Mal ganz genau; so genau war mir das auch nicht klar. " Denn mir war klar, daß Herr Dr. Sperling so etwas Ähnliches machen würde. ({0}) Damit ist auch der Ordnungsruf wieder gestrichen. ({1}) Ich rufe den Punkt 23 der Tagesordnung sowie die Zusatzpunkte 9 und 10 zur Tagesordnung auf: 23. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern auf der 7. Welthandels- und Entwicklungskonferenz ({2}) vom 9. bis 31. Juli 1987 in Genf - Drucksache 11/524 Vizepräsident Frau Renger 9. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Position der Bundesregierung zu UNCTAD VII - Drucksache 11/529 10. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP UNCTAD VII: Fortsetzung des Dialogs zwischen Industrie- und Entwicklungsländern - Drucksache 11/532 Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Kein Widerspruch; dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Kittelmann.

Peter Kittelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU begrüßt die 7. Welthandelskonferenz der Vereinten Nationen, kurz UNCTAD VII genannt, als eine Konferenz im Zeichen praktizierter Dialog- und Verantwortungsbereitschaft. Zugegeben: Unverkennbar bringen die ausgeprägten Eigeninteressen aller Konferenzteilnehmer relativ starre Positionen mit sich. Aber gerade deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, sich auch weiterhin in und mit der Europäischen Gemeinschaft für eine möglichst offene Handelspolitik einzusetzen. ({0}) UNCTAD VII kann insbesondere davon profitieren, daß multilaterale Handelsgespräche in den ausschließlichen Kompetenzbereich der laufenden GATT-Runde fallen. Es ist schon von einem Reiz: auf der einen Seite GATT und auf der anderen Seite UNCTAD. Deshalb steht UNCTAD nicht unter handelspolitischem Erfolgszwang, sondern die Beteiligten können relativ offen miteinander diskutieren. Hier liegt auch die Chance, sich von allgemeinen Floskeln zu lösen und eine schrittweise Annäherung der Standpunkte anzupeilen. Es gibt sicherlich keine Zauberformel zur Lösung der anstehenden Probleme. Nur wenn sich alle um schrittweise Verbesserung bemühen, wird aber auch Fortschritt in einem der schwierigsten Problembereiche erkennbar sein, dem sich die UNCTAD widmet. Marktöffnung, Abbau von Protektionismus sowie marktwirtschaftliche Instrumente zur Bekämpfung der Verschuldung sind Rezepte, die nur von Industrieländern und Entwicklungsländern gemeinsam angewandt werden können. Daher fordert die CDU/CSU in ihrem Antrag, marktwirtschaftlichen Konzepten den Vorrang einzuräumen. Die Weltwirtschaft ist nicht planbar. Wer es versucht, wird erleben, was daraus folgt. Sie kann nur mit marktwirtschaftlichen Elementen auf Trab gebracht werden. Der kürzlich zu Ende gegangene Weltwirtschaftsgipfel von Venedig verdeutlichte, daß sich die Gipfelteilnehmer ihrer Verantwortung für die hochverschuldeten Entwicklungsländer bewußt sind. Es ist eine Chance, daß gerade die Ergebnisse des Weltwirtschaftsgipfels in die Diskussion der UNCTAD einfließen. ({1}) Ich möchte der Hoffnung Ausdruck geben, daß man dann auch nicht vergißt, was man sich alles vorgenommen hat. Eine wachsende Binnennachfrage und eine zunehmende Marktöffnung sind wichtige, wenn nicht sogar die wichtigsten Instrumente, um die von den Gipfelteilnehmern ins Auge gefaßte individuelle Hilfe für hochverschuldete Entwicklungsländer sicherzustellen. Wenn ausgehend von dem Weltwirtschaftsgipfel über UNCTAD VII der Stein der Problemlösung ins Rollen käme, wäre das für die langfristige Entwicklung der Weltwirtschaft ein außerordentlich wichtiges Ergebnis. Es ist gleichzeitig aber auch ein Meilenstein bei dem Versuch, die Verschuldungsspirale auf zuhalten oder sogar zurückzudrehen. Alle Fraktionen im Hause sind sich darin einig, daß die bisherigen Schuldenstrategien allenfalls nur kurze Pausen für die Schuldnerländer mit sich gebracht haben. Notwendig sind neue und - das ist die Auffassung der CDU/CSU - marktwirtschaftliche Elemente, um die bisherigen Strategien wirkungsvoller zu unterstützen. ({2}) Wir möchten festhalten, daß die Bundesrepublik unter allen Gläubigerländern insofern an erster Stelle steht, als sie bereit war, den Entwicklungsländern in Fragen des Schuldenerlasses am weitesten entgegenzukommen. Andererseits müssen wir aber auch feststellen, daß Schuldenerlaß häufig eher einen Schritt zurück denn einen Schritt nach vorn bedeutet. Schuldenerlasse verzögern den dringend notwendigen Anpassungsprozeß in den betroffenen Ländern, so daß diese den Schuldenberg nur vor sich her schieben. Schuldenerlasse kratzen lediglich am Schuldenproblem. Kurzfristige Schuldenkürzungen werden von den weiterhin ungelösten Problemen alsbald überwuchert werden. Unser Ziel muß es sein, das Problem an der Wurzel zu packen. Das heißt - ich komme darauf zurück -, ({3}) wir dürfen die handelspolitische Seite der Weltwirtschaft nicht außer acht lassen. Wenn wir die Weltwirtschaft heute sehen, dann muß festgestellt werden, daß die Lösung der Probleme für die Dritte Welt nicht nur ein Problem der westlichen Welt sein darf. Es kann nicht weiter hingenommen werden, daß sich die Staatshandelsländer an das Fenster lehnen und zuschauen, wie wir versuchen, den Entwicklungsländern zu helfen, und selbst nicht einen Deut dazu beitragen, die Probleme der Dritten Welt zu lösen. ({4}) Hier können Sie allerdings auch feststellen, was Planwirtschaft bedeutet. Diese Länder sind nämlich zum Teil auch gar nicht in der Lage, den Entwicklungsländern zu helfen. Wir wissen um die außenwirtschaftlichen Probleme der Entwicklungsländer. Aus diesem Grunde, meine Herren Staatssekretäre, begrüßen wir die Ankündigung der Bundesregierung, vorab 50 Millionen DM für den zweiten Schalter des Gemeinsamen Fonds zur Verfügung zu stellen, dies unter all den Vorbehalten, die die Bundesregierung und die EG dabei machen. Wir hoffen auch, daß UNCTAD VII den Teilnehmern die Chance gibt, den Grundstein für ein gemeinsames Vorgehen zu legen, und daß UNCTAD VII, nachdem die Entwicklungsländer selbst Distanz zu ihrer ideologischen Kampfmelodie von der Änderung der Weltwirtschaftsordnung gewonnen haben, wirklich zu mehr Sachlichkeit im Umgang miteinander führt. Wir brauchen uns gegenseitig. Wenn das nach dem Gipfel von Venedig und der parallel laufenden GATT-Versammlung ein Ergebnis der UNCTAD VII ist, dann sind wir gemeinsam ein erhebliches Stück weitergekommen. Schönen Dank. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hauchler.

Prof. Dr. Ingomar Hauchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch die SPD-Fraktion begrüßt, daß im Juli in Genf eine neue Welthandels- und Entwicklungskonferenz stattfindet. Wir hoffen, daß in UNCTAD VII die Chancen für einen Nord-Süd-Dialog wirkungsvoller genutzt werden, als dies bei der letzten Konferenz, die in Belgrad stattfand, der Fall war. Die Themen werden sein: Internationale Rohstoffprobleme, Welthandelsprobleme, aber auch Fragen des internationalen Ressourcentransfers. Läuft dieser Ressourcentransfer in Zukunft weiterhin vom Süden zum Norden - wie in den letzten Jahren - oder gelingt es uns, in gemeinsamer Anstrengung den Entwicklungsländern mit den Ressourcen zu helfen, die wir im Norden in reicherer Zahl haben als die Menschen im Süden? Auch die Frage der Verschuldung wird ein Problem sein, das in der Diskussion bei UNCTAD einfach nicht umgangen werden kann. Die Industrieländer haben versucht, dieses Thema von der Tagesordnung zu bekommen. Es wird, ob sie wollen oder nicht, hinter den Kulissen oder offiziell natürlich eine zentrale Rolle spielen, weil ohne die Lösung der Verschuldungsprobleme auch die realwirtschaftlichen Prozesse in der Weltwirtschaft nicht in Griff zu bekommen sind. Zur Debatte steht also letzten Endes ein Gesamtkonzept künftiger Entwicklungs- und Weltwirtschaftspolitik. Ich kann nur hoffen, daß Herr Kittelmann das ernst meinte mit dem offenen Dialog. Wir wünschen uns diesen offenen Dialog. Treten Sie als Regierung und als Regierungspartei in diesen echten Dialog ein. Wenn ich mir nun Ihren Antrag ansehe und lese, daß sich die Lage der Weltwirtschaft insgesamt in den letzten Jahren positiv entwickelt habe, muß ich sagen: dies ist natürlich eine gewaltige Verharmlosung. Herr Kittelmann, meine Herren von der CDU/CSU und der FDP ({0}) - selbstverständlich auch die Damen, Herr Feilcke -, Sie streuen den Menschen Sand in die Augen, wenn sie das behaupten. Was Sie hier tun, ist gemeingefährlich oder schlicht dumm, denn Sie wissen, die Lage der Entwicklungsländer hat sich in den 80er Jahren verschlechtert. Alle Daten sprechen dafür. Die Wolken am Horizont der Weltwirtschaft sind nicht heller, sondern dunkler geworden. Das sind die Fakten, und Sie verharmlosen das hier. ({1}) Sie wissen das auch. Welches sind denn wirklich die Fakten? Die Lage der Entwicklungsländer hat sich in den 80er Jahren effektiv verschlechtert. Ich nenne nur einige Bedingungen: Das Bruttosozialprodukt hat sich in den Entwicklungsländern pro Kopf im Schnitt abgesenkt. Damit hat sich die Differenz zwischen den Lebensbedingungen der Menschen des Nordens und des Südens weiter vergrößert. Das ist eine Tatsache und, - Sie sprechen von positiver Entwicklung! Jeder dritte oder vierte Mensch in dieser Welt hungert und ist unterernährt: Positive Entwicklung? Die sozialen Investitionen in Bildung und in Gesundheit sind in den Entwicklungsländern heruntergefahren worden. Das bedeutet für die Entwicklungsländer, daß die langfristige Produktivität natürlich auch sinkt, weil Menschen, die krank sind und hungern, die nicht gebildet sind und keine Ausbildung haben, natürlich nicht produktiv sein können. Anlageinvestitionen und Importe der Entwicklungsländer sind ebenfalls gesunken. Ist das auch eine positive Entwicklung? Und das Schlimmste: die Verschuldung stranguliert förmlich die Ökonomien des Südens. Und die Lage der Weltwirtschaft? Wir wissen, daß die Unsicherheiten auf dem Gebiet der internationalen Währungs- und Zinspolitik realwirtschaftliche Prozesse in der Weltwirtschaft behindern statt fördern. Wir haben unkontrollierte spekulative Kapitalbewegungen. Wir wissen auch, daß der Protektionismus zugenommen hat. Wenn ich mir die Vorschläge ansehe, die im US-Repräsentantenhaus liegen, dann ist das förmlich eine Horrorliste des Protektionismus. Der Handel zwischen Nord und Süd hat sich nicht vermehrt, sondern ist insgesamt schwächer geworden. Die Austauschbedingungen haben sich gegenüber Anfang der 80er Jahre verschlechtert. Ich nenne Ihnen eine Zahl: Um 30 % sind die Preise für Rohstoffe, also praktisch die Preise der Entwicklungsländer gegenüber den Preisen der Industrieländer abgesunken. Dies bedeutet immer mehr Kaffee vom Süden zum Norden gegen gleich viel Maschinen oder Lastwagen. Die privaten Investitionen in Entwicklungsländern sind nach wie vor schwach. Nur etwa 5 bis 6 der gesamten Auslandsinvestitionen flossen in die Dritte Welt. ({2}) - Wir beklagen gar keine Mark, die aus Deutschland herausfließt, wenn sie richtig angelegt ist. Wir unterscheiden wohl, ob Siemens sein Geld in amerikanischen Staatsanleihen anlegt, so daß der Verteidigungshaushalt in Amerika hochgefahren werden kann, oder ob sinnvolle Investitionen in der Dritten Welt vorgenommen werden, die letzten Endes auch für uns langfristig wertvolle Handelspartner schaffen. ({3}) Wenn Sie die Formulierung, daß wir eine insgesamt positive Entwicklung der Weltwirtschaft haben, aufrechterhalten - dazu möchte ich von den Herren Staatssekretären Wartenberg oder Köhler noch mehr hören -, denken Sie echt zynisch. Gesundbeterei und Abwiegelung nützen nichts. Wir müssen jetzt wirklich - vor allen Dingen auch Sie, die Sie die Verhandlungen in Genf führen - zum Handeln übergehen und wirklich den positiven Dialog führen, von dem Sie vorher gesprochen haben. UNCTAD VII bietet eine Chance. Die Regierung kann das nachholen, was sie in Venedig versäumt hat auf einem Gipfel, auf dem Pomp und nicht Dialog angesagt war, der mehr verschleiert hat, als daß er wirklich aufgeklärt und Aktion gebracht hat. Wir brauchen auf fünf Gebieten der Weltwirtschaft bessere Lösungen. Wir müssen endlich - da Sie davon sprechen, daß in den Entwicklungsländern Marktwirtschaft angesagt ist - , dafür sorgen, daß eine faire Marktwirtschaft im Weltrahmen Platz greift. Was haben wir da? Subventionen, Protektionismus, nichttarifäre Handelshemmnisse, einen Handelskrieg, der sich entfaltet oder droht. Ich denke, wir sollten weniger von Ländern fordern, die im Hinblick auf Marktwirtschaft noch nicht so entwickelt sind, und uns mehr an die eigene Nase fassen und die Bedingungen herstellen, damit diese Länder überhaupt einen fairen Wettbewerb in der Weltwirtschaft erleben und sie - das ist das zweite Element, wozu wir beitragen können - eben auch bessere Startbedingungen für einen gleichberechtigten Wettbewerb erhalten. Dann haben wir überhaupt nichts gegen freien Handel. Ein weiterer Punkt. Wir brauchen berechenbare Rahmenbedingungen im Bereich von Währung und Finanzen. Es geht einfach nicht an, daß das Geld die Weltwirtschaft behindert, statt daß es die ökonomische Maschine schmiert. Dies war ja in den vergangenen Jahren mit erratischen Wechselkursveränderungen und mit Zinsbewegungen der Fall, die nicht durch echte Knappheitsprozesse im wirtschaftlichen Bereich ausgelöst wurden, sondern eben durch staatliche defizitäre Haushaltspolitik, vor allem in den USA. Wir müssen dafür sorgen, daß man auf diesem Gebiet wieder zu stabilen und berechenbaren Rahmenbedingungen für die Wirtschaft kommt. Wir müssen auch die Blockade aufheben, die durch die Verschuldung entstanden ist. Ich gehe nachher noch etwas näher darauf ein. Wir sind - drittens - auch der Meinung, daß private Direktinvestitionen in Schwellenländern einen sinnvollen Beitrag für Entwicklung leisten können. Nur ist die Frage: Wofür werden sie verwendet? Was sind die Rahmenbedingungen für solche Investitionen? Schließlich müssen wir die Qualität der Entwicklungspolitik verbessern. Es hat keinen Sinn, wenn vor allem Sie von den Regierungsfraktionen darauf hinweisen, die Qualität von Entwicklungspolitik müsse verbessert werden, aber gleichzeitig die entwicklungspolitisch relevanten Entscheidungen dadurch behindern, daß Sie entwicklungspolitische Leistungen immer noch an Lieferungen aus der deutschen Wirtschaft binden oder, wie ich bei dem neuen Minister befürchte, Entwicklungspolitik auch zum Sklaven von Außenpolitik machen. Darüber werden wir ja in den nächsten Monaten noch mehr hören. Natürlich fordern auch wir von der SPD, daß die Ökonomien der Entwicklungsländer diszipliniert geführt werden und daß eine nationale Wirtschaftspolitik betrieben wird, die die Hilfe, die man von außen geben kann, überhaupt aufzunehmen vermag. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Wir sind also dagegen, daß knappe Devisen in erster Linie für den Luxuskonsum von Eliten ausgegeben werden. Wir sind dagegen, daß Importe künstlich durch Wechselkurse verbilligt und Exporte auf dem Weltmarkt durch eine falsche Währungspolitik verteuert werden. Auch wir sind gegen bürokratische Erstarrung und gegen eine Verzerrung von Preisprozessen, die ja im konsumnahen Bereich dazu da sind, eine sinnvolle Allokation von Produktionsmitteln zu gewährleisten. Das alles ist selbstverständlich. Aber der Hinweis auf die Notwendigkeit von Eigenanstrengungen in den Entwicklungsländern darf uns nicht abhalten, sofort und heute mit unseren Hausaufgaben anzufangen. Davon habe ich gesprochen, und von einigem rede ich noch in der mir verbleibenden Zeit. ({4}) - Ich habe noch acht Minuten. Beruhigen Sie sich, Herr Feilcke. ({5}) - Da staunen Sie, was? Sie hatten nur sechs Minuten. ({6}) Herr Feilcke, ich meine, folgende Positionen sollten von der Bundesrepublik offensiv auf der nächsten Welthandelskonferenz vertreten werden: Erstens. Im Welthandel müssen wir in den Verhandlungen mit den Ländern des Südens Farbe bekennen, ({7}) wie wir es mit dem Agrarprotektionismus der EG halten. Es ist unehrlich, die Entwicklungsländer zur Öffnung ihrer Märkte aufzufordern und im Außenhandel zu liberalisieren, während wir selber mit dem Agrarprotektionismus der EG nicht fertig werden. Wenn wir diese Position nicht revidieren, haben wir einfach nicht das Mandat, über einen freien Welthandel zu reden. Zweitens. Im Bereich der Rohstoffe wird die Diskussion über die Zukunft des gemeinsamen Fonds und über Abkommen zur Stabilisierung von Preisen und Erlösen im Rohstoffsektor weitergehen. Hier muß man in einem offenen Dialog das Konzept von RohstoffFonds wirklich neu überdenken. Ich persönlich glaube, man muß hier mehr bei den Erlösen als bei den Preisen ansetzen. Um so wichtiger wird es, daß wir den gemeinsamen Fonds nicht fallenlassen, sondern ihn vor allem in einer Hinsicht stützen, die als der „zweite Schalter" bezeichnet wird. Damit meine ich eine Offensive zur Diversifikation der dortigen Volkswirtschaften, weil es auf die Dauer im Rohstoffsektor Strukturbedingungen gibt, die eher gegen die Rohstoffe laufen. Wir werden eine stagnierende langfristige Nachfrage haben, und wir werden, vor allem wenn die Exportorientierung der Entwicklungsländer anhält, weiterhin ein Überangebot mit der Folge eines weiteren Verfalls der Terms of trade haben. Das bedeutet, daß ein Zwang zur Exportorientierung der Entwicklungsländer kontraproduktiv und sogar tödlich ist. Also Diversifikation der Volkswirtschaften! Wenn Export weiterhin notwendig ist - während des Übergangs und noch für eine ganz lange Zeit wird er nocht notwendig sein - , muß man also auf andere Produkte setzen; dann muß man den Entwicklungsländern auf diesem Gebiet helfen. Drittens. Im Bereich der internationalen Finanzen müssen wir die Kooperation der Industrieländer verstärken. Hier gibt den Ton die Gruppe der Fünf oder der Sieben an. Den großen Lippenbekenntnissen zu besserer Koordination und Zusammenarbeit müssen endlich Taten folgen. Klartext muß vor allem mit den Amerikanern über die Auswirkungen ihrer Finanz-, Wirtschafts- und Haushaltspolitik auf die Weltzinsen und die Wechselkurse geredet werden, die natürlich von ungeheurer Bedeutung für den gesamten Welthandel sind. Oft können die realwirtschaftlichen Prozesse durch Wechselkurs-, Zins- und Geldbewegungen völlig umgedreht werden. Wenn wir von den Entwicklungsländern einfordern, daß sie eine disziplinierte Haushaltspolitik betreiben sollen, dann müssen wir natürlich in erster Linie dafür sorgen, daß die Disziplin auch im eigenen Lager hergestellt wird. Wir haben sonst keinerlei Autorität. Viertens. Das Problem der Verschuldung: Ich glaube, hier wächst allgemein die schlichte Erkenntnis, daß eine Tilgung aller Altschulden einfach nicht mehr möglich ist. Wenn Sie mit Leuten aus der Bankenwelt, aus der internationalen Finanzwelt sprechen, ({8}) dann wird das völlig klar. Wer die Situation studiert hat und kennt, sagt: Es führt auf die Dauer kein Weg an Wertberichtigungen vorbei. Dieser Prozeß ist übrigens ja schon im Gange. Die deutschen Banken haben das schon früher erkannt. Amerikanische Banken ziehen jetzt nach. Aber was jetzt noch fehlt, das ist die letzte Ehrlichkeit: nämlich von den Wertberichtigungen zu einem wirklichen Forderungsverzicht weiterzugehen. ({9}) Solches ist auf nationaler Ebene möglich. Warum soll dies international nicht denkbar sein? Ich kann mir nur einen Grund vorstellen, nämlich den, daß man über die Verschuldung den Hebel nicht aus der Hand geben will, um die Entwicklungsländer und den Süden politisch zu erpressen. ({10}) Eine ökonomische Erklärung fällt mir dafür nicht ein. Ich denke, die Erkenntnis wächst: Eine Tilgung aller Altschulden ist nicht möglich. Wir sollten nun aber weitergehen zu einem umfassenderen Konzept. ({11}) Die Sozialdemokraten sind dafür, daß wir nicht nur einen Fall-zu-Fall-Ansatz wählen, sondern international Regeln finden, die für alle Gläubiger und alle Schuldner im Prinzip gelten, die aber dann von Fall zu Fall - je nach Problematik, ökonomischer Lage und Verursachung - angewendet werden. ({12}) Im übrigen denke ich, daß wir versuchen sollten, das Augenmerk nicht vom eigentlichen Problem abzulenken, wie CDU/CSU und FDP es tun, jetzt auch in Ihrem vorliegenden Antrag. Sie verweisen mit Recht darauf, daß die Bundesrepublik im Bereich der öffentlichen Kredite Erlasse gewährt hat. Das ist gut. Aber das Hauptproblem der internationalen Verschuldung - das wissen Sie genauso gut wie wir - ist natürlich die private Verschuldung. Das Volumen ist größer, auch die Zinsbelastung auf diesem Sektor ist wesentlich größer. Hier müßten also Lösungen gefunden werden, und hier haben auch die Regierungen eine Verantwortung. Man kann nicht einfach sagen: Das ist Sache der Banken, wir kümmern uns nicht darum. ({13}) Vielmehr muß man Druck ausüben, damit die Banken tatsächlich ein abgestimmtes Konzept auch zur Senkung des privaten Schuldendienstes finden. ({14}) - Wir stellen uns das so vor, daß wir für die ärmsten Länder einen Forderungsverzicht aussprechen, daß Moratorien ins Auge gefaßt werden, daß die Umschuldungen langfristiger - und der ökonomischen Lage angepaßt - vorgenommen werden und daß wir die Zinsen, vor allem für die Altschulden, begrenzen. ({15}) - Sie können ja offiziell eine Frage stellen, Herr Feilcke. ({16}) Wenn wir bei der Verschuldung nicht weiterkommen, dann können wir viele andere Vorschläge vergessen: im Bereich des Welthandels, im Bereich der Währung, im Bereich privater Direktinvestitionen und auch im Bereich der Entwicklungspolitik. Entwicklungspolitik kann im Grunde nur eine ergänzende Rolle spielen. Wenn die Rahmenbedingungen der Weltwirtschaft nicht stimmen, wenn die Wirtschaftspolitik auch in den Entwicklungsländern nicht stimmt, dann ist Entwicklungshilfe praktisch nur ein Tropfen auf den heißen Stein und hat wirklich nur eine marginale Bedeutung. Ich komme zum Schluß: Ich glaube, wir müssen und können aus der Blockade herauskommen, in der der internationale Dialog steckt. UNCTAD VII ist eine Chance. Aber wir müssen sehen, daß die alten Rezepte nicht mehr greifen, daß wir die Bedingungen einer entwickelten Industriegesellschaft und unsere Rezepte in der Tat nicht auf die Entwicklungsländer übertragen können. Vielmehr sollten wir in unsere eigene Geschichte schauen und von dort Anregungen für organische und langfristige Entwicklungen beziehen. Entwicklung braucht Zeit und kann nicht im Hauruckverfahren und mit der Übertragung von nördlichen Modellen auf den Süden erfolgen. Vielen Dank. ({17})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Funke.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Dialog zwischen den Industrieländern und den Entwicklungsländern findet ja in einer Vielzahl von internationalen Gremien ganz unterschiedlicher Art statt. Die Welthandelskonferenz der Vereinten Nationen ist ein ganz besonders wichtiges Forum für uns alle. UNCTAD VII muß nicht, kann aber eine langfristige Weichenstellung für ein größeres Verständnis und eine bessere Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern werden. Dazu wollen wir, die Bundesrepublik Deutschland, mit beitragen. Die Industrieländer tragen für die Weltwirtschaft eine große Verantwortung. Die Industrieländer müssen bei der Entwicklung der ärmeren Länder dieser Welt mithelfen. Niemand kann sich dieser Verpflichtung entziehen. Die FDP wird der Bundesregierung den Rücken stärken bei dem Ziel, sich hierbei für möglichst marktwirtschaftliche Lösungsansätze einzusetzen. Globale Rezepte mit interventionistischen Lösungen werden den unterschiedlichen Interessen der Entwicklungsländer nicht gerecht und laufen ihren eigenen Interessen zuwider. ({0}) - Nein, Herr Kollege, das ist nicht der Schnee von gestern; denn gerade die ganzen Rohstoff-Fonds zeigen ja, daß sie entweder nicht funktionieren oder auch den Aufgaben der Entwicklungsländer nicht gerecht werden. ({1}) Wir haben das ja erlebt mit dem Zinn-Abkommen, wir haben es erlebt mit dem Kautschuk-Abkommen, wir erleben es mit dem Zucker-Abkommen, wir erleben es mit dem Kaffee-Abkommen. Das wissen Sie doch alles ganz genau. ({2}) - Nein, nicht nur deswegen. Sie sind schon zu Zeiten zum Scheitern verurteilt gewesen, als der Dollar noch bei 3, - DM lag und als wir noch Zinssätze von 6 bis 7 % hatten. Gehen Sie doch einfach einmal in die Bibliothek, und sehen Sie sich doch die Zahlen dazu an! Dann werden Sie solche Dinge nicht wieder behaupten. ({3}) Viele von den Entwicklungsländern haben ihre eigene Position durch Marktöffnung und vermehrte Einbindung in die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung aus eigener Kraft inzwischen spürbar verbessert. Aber auch bei uns, den Industrieländern, bleibt noch sehr viel zu tun. Insoweit teile ich Ihre Auffassung völlig. Wir dürfen unsere Märkte gegenüber den Produkten der Entwicklungsländer nicht abschotten. Das gilt nicht nur für die Bundesrepublik Deutschland, sondern vielleicht sogar noch vermehrt für die gesamte Europäische Gemeinschaft. Mit Protektionismus wird jede Entwicklungshilfe in ihrer Wirkung letztendlich zunichte gemacht. Für diese und viele andere Fragen wird UNCTAD VII eine gute Gelegenheit zu intensiver Beratung und Aussprache sein. Bei den Beratungen auf der Konferenz werden Währungs- und Verschuldungsfragen eine entscheidende Rolle spielen. Mir liegt sehr daran, daß die Kompetenzen hier strikt eingehalten werden. Der Internationale Währungsfonds, die Weltbank und der Pariser Club sind ganz bewährte Institutionen der Vereinten Nationen, die sich im Rahmen ihrer Zuständigkeit mit Währungs- und Verschuldungsproblemen befassen. Der IWF darf in meinen Augen nicht zu einem Instrument der Entwicklungshilfe und der Entwicklungspolitik umfunktioniert werden; er muß allein für währungspolitische Aufgaben reserviert bleiben. Der revolvierende Charakter und die Konditionalität von Krediten des IWF sind in unseren Augen unverzichtbar. Jedes Abrücken hiervon hätte höchst bedenkliche Folgen für das gesamte internationale Finanzierungssystem. Den Wunsch vieler Entwicklungsländer nach einem generellen Verzicht von IWF-Konditionalität können wir nicht akzeptieren. Der IWF muß seine Konditionen flexibler gestalten. Das hat er in der Vergangenheit auch getan. Er darf die Hilfen nicht überfrachten und die Anpassungsfähigkeit der Empfängerländer nicht überfordern. Da hat der IWF in den letzten Jahren sicherlich einiges gelernt; auch die Industrieländer haben einiges gelernt. Auf der anderen Seite aber muß es unzweifelhaft bei dem Ziel verbleiben, daß der IWF mit seinen Konditionen dauerhaftes Wirtschaftswachstum bei finanzieller Stabilität in den Empfängerländern fördert. Meine Damen und Herren, ich habe die Eigenständigkeit des IWF hier so betont, weil ich den IWF zusammen mit der Weltbank und der IFC für die entscheidende Schaltstelle bei der Bewältigung der Verschuldungssituation der Entwicklungsländer halte. Der IWF ist die einzige Instanz, die mit sanftem Druck die Entwicklungsländer Schritt für Schritt hin zu einer Wachstums- und Stabilitätspolitik, zu einer Verringerung der öffentlichen Defizite, zur Förderung privater Ersparnisse und unternehmerischen Investitionen ermuntern kann. Das beharrliche Drängen des IWF auf eine stabilitätsorientierte Wachstumspolitik in den betroffenen Ländern hat in einigen Teilbereichen zumindest beachtliche Erfolge aufzuweisen. Das weltwirtschaftliche Finanzsystem ist heute trotz der ungelösten Verschuldungsprobleme der Entwicklungsländer gefestigter als früher. Wir können deshalb kein Interesse daran haben, daß die Funktion des IWF durch eine neue Währungs- und Verschuldungskonferenz, wie sie von den Entwicklungsländern gefordert wird, in der Substanz ausgehöhlt wird. Lassen Sie mich noch ein Wort zu den Banken sagen. Ich halte es für eine sehr ungute Entwicklung, daß die Banken, insbesondere die privaten Banken, gegenüber den Entwicklungsländern mehr und mehr in die Rolle von Zahlungsbilanzfinanziers geraten sind. Die eigentliche Aufgabe von Banken soll und muß die Finanzierung von Handels- und Projektkrediten sein. Darauf sollten sie sich auch beschränken. Eine Rückkehr zu einer solchen ordnungsgemäßen Arbeitsteilung ist aber nur möglich, wenn die Entwicklungsländer selbst ihre interne Zahlungsbilanzsituation besser unter Kontrolle bringen. Jede Entwicklungshilfe wird so lange nutzlos bleiben, wie diese Beträge durch Kapitalflucht den Entwicklungsländern verlorengehen. Wir alle wissen, daß gerade in den letzten Jahren 80 bis 90 % der Beträge, die in die Entwicklungsländer geflossen sind, fast automatisch wieder in die Industrieländer zurückgeflossen sind. Dieses kann nicht Sinn einer ordnungsgemäßen Entwicklungspolitik sein. Meine Damen und Herren, wir wissen, daß die Bundesregierung bei der UNCTAD-Konferenz eine hohe Verantwortung hat. Ich bin sicher, daß die Bundesregierung unter der Leitung von Bundesminister Dr. Martin Bangemann dieser gerecht wird. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Volmer.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch wir begrüßen, daß die UNCTAD-Konferenz wieder stattfindet, würden uns aber wünschen, daß die Wichtigkeit dieser Konferenz nicht so leiden würde, wie sich das seit einigen Jahren mittlerweile ergeben hat. Wir sehen eher mit Bedauern, Herr Kittelmann, daß die Diskussionen um eine Veränderung der Weltwirtschaftsordnung in der UNCTAD abgeflaut sind. Wir sehen mit Bedauern, daß die Drittweltländer weitergehende Gestaltungsforderungen deshalb fallengelassen haben, weil ihnen das Wasser so bis zum Halse steht, daß sie nichts anderes mehr tun können, als zum letzten Strohhalm zu greifen. Sie sind zurückgeworfen auf Forderungen des unmittelbaren Überlebens und müssen von daher weitergehende Gestaltungsforderungen aufgeben. Dies ist meines Erachtens kein Grund zum Jubeln. Wenn die UNCTAD-Programme in den letzten Jahren im wesentlichen gescheitert sind, dann liegt das nicht daran, daß die Programme in sich unbedingt schlecht gewesen wären, sondern es liegt im wesentlichen daran, daß die Industrieländer nicht willens waren, diese Programme politisch und finanziell voll zu unterstützen. Es waren vor allen Dingen die Schwankungen des Dollarkurses, die alle Stabilitätsversuche bei den Rohstoffpreisen durchkreuzt haben. D as IWF-Schuldenmanagement, die Anpassungspolitik des IWF mit den Zwang, zunehmend zu exportieren, hat dazu geführt, daß die Terms of trade für die Entwicklungsländer gerade in den letzten Jahren noch schlechter geworden sind. Einige Belege dazu: Seit 1981 haben die Entwicklungsländer wegen des Rohstoffpreisverfalls allein 70 Milliarden US-Dollar Devisenerlösverluste. Demgegenüber geben die EG, die USA und Japan jährlich 43 Milliarden Dollar für den Agrarprotektionismus aus, der hier zwar beklagt, aber immer munter weiter betrieben wird. Der Zusammenbruch des Zinnabkommens - darauf habe ich vorhin im Zwischenruf schon hingewiesen - ist im wesentlichen auf die erhöhten Dollarzinsen zurückzuführen, die für die Kreditfinanzierung der Ausgleichslager gezahlt werden mußten. Die IWF-Anpassungspolitik hat dazu gezwungen, immer mehr Rohstoffe auf den Markt zu werfen, und so synthetisch die Preise auf dem Weltmarkt gedrückt. Wer heute noch die Forderung nach gerechtem Tausch auf dem Weltmarkt aufstellt - diese Forderung halte ich für absolut berechtigt - , muß mindestens zwei Dinge leisten: Er muß zum einen dafür sorgen, daß die Schuldenproblematik gelöst wird. Nach Erachten der GRÜNEN geht das nur durch umfassende Streichung der Schulden, durch umfassende Schuldenerlasse. Die Problematik durch Umschuldung auf die lange Bank zu schieben, löst überhaupt nichts, sondern hält, wie der Kollege Hauchler schon angedeutet hat, die Drittweltländer politisch nur im Würgegriff. Das zweite Problem, das gelöst werden muß, ist das der gesamten Währungsrelationen. Es reicht unseres Erachtens überhaupt nicht aus, wenn der Dollar jetzt gefeiert wird, weil er zur Zeit nur 1,80 DM kostet. Unseres Erachtens muß der Dollar aus der Leitfunktion für die Währungen in der Welt entlassen werden. ({0}) Die Thematik der Schuldenstreichung ist sicherlich eines der wichtigsten Themen, die auch auf der UNCVolmer TAD-Konferenz diskutiert werden. Die UNCTAD war eine der ersten internationalen Instanzen, die schon Mitte der 60er Jahre auf die kommende Verschuldungskrise hingewiesen haben. Auch auf der UNCTAD-Konferenz werden schon Pläne gehandelt, wie Schuldenstreichungen aussehen könnten. Mittlerweise betont jeder, daß Schuldenstreichungen notwendig sind, nachdem wir, als wir diese Forderung vor vier Jahren erhoben haben, in diesem Hause noch verhöhnt wurden. Die Bundesregierung betont, daß sie zumindest die Rückzahlung der Mittel für die finanzielle Zusammenarbeit für die LDCs gestrichen hat. Wir erkennen dieses Faktum an, aber wir wollen auch darauf hinweisen, daß die Motive völlig andere sind: Da geht es nicht um Humanität, sondern im wesentlichen darum, daß die Gelder in der Pipeline stecken, von den Drittländern gar nicht mehr absorbiert werden können, nicht mehr zurückgezahlt werden können und so auch keine neuen Entwicklungshilfezusagen gegeben werden könnten mit der Folge, daß der bundesdeutsche Beitrag an Entwicklungshilfemitteln zum Schaden des bundesdeutschen Image in der Welt sinkt. Deshalb wird gestrichen. Sie sehen bei dem heutigen BMZ-Ansatz schon, daß der Haushaltsansatz niedriger gesetzt wird, weil man wegen der Absorptionsunfähigkeit der Drittweltländer gar nicht mehr weiß, wohin mit den Entwicklungshilfegeldern. Die fallweise Streichung, die von der SPD vorgeschlagen wird, geht uns nicht weit genug. Meines Erachtens verfangen Sie sich genau in der Falle, die uns anfangs hier immer vorgehalten wurde. Uns wurde immer gesagt: Wer Schuldenstreichung fordert, trägt dazu bei, bestimmten Drittweltländern die Kreditwürdigkeit zu entziehen. Heute, einige Jahre später, fordern Sie genau diese fallweise Streichung, was tatsächlich die Konsequenz hätte, daß einige wenige Länder unter die internationalen Standards fallen. Um dies zu vermeiden, müssen unseres Erachtens umfassende Pläne zur Schuldenstreichung gefunden werden, wobei man sich überlegen kann, wo ein legitimer bzw. illegitimer Bestandteil von Schulden gegeben ist. Nur wenn umfassende Streichungen nach einem generellen Konzept entwickelt werden, wird dies zum politischen Problem, was die gesamte Kreditpolitik, die gesamte Bankenpolitik, die gesamte Finanzpolitik auch der Industriestaaten politisch in Frage stellt. Dann ist dies nicht mehr eine finanztechnische Frage, sondern reflektiert ganz wesentlich auf den Kern des Finanzsystems. Dies ist eine Forderung, die wir aufstellen. Unseres Erachtens kann nur auf dem Hintergrund einer umfassenden Schuldenstreichung überhaupt wieder sinnvoll über gerechten Tausch auf dem Weltmarkt geredet werden; denn nur wenn der Druck zum Export weggenommen wird, kann durch eine dann zwangsläufig sich einstellende Verknappung von Rohstoffhandel in den Drittweltländern der Preis hochgehalten werden. Nur dann haben buffer stocks, nur dann haben Ausgleichslager eine realistische Chance, sich durchzusetzen. Solange die Industrieländer durch Nachfragesteuerung und Kreditpolitik die Handelsströme und auch die Preise bestimmen können, sind alle Diskussionen über gerechten Tausch auf dem Weltmarkt Makulatur. Von daher fordern wir von der Bundesregierung, daß sie auf der UNCTAD-Konferenz Initiativen mit dem Ziel ergreift, die Forderung der Gruppe der 77 nach einer internationalen Konferenz, die Schuldenstreichungsmodelle ausarbeitet, zu unterstützen, und daß sie selbst aktiv vorangeht, indem nicht nur die FZ-Mittel für die LLDCs gestrichen werden, sondern z. B. auch die Mittel, die durch Hermes-Kredite garantiert sind. Wir fordern, daß die Mittel, die für das „zweite Fenster" eingesetzt werden, nicht allgemein dazu dienen, wieder den Export zu fördern, sondern zur Diversifizierung der Volkswirtschaften in den Drittweltländern eingesetzt werden, und zwar mit der Perspektive - da unterscheiden wir uns auch von der SPD und stärker noch von der Union - , nicht neue Exportmöglichkeiten zu finden, sondern binnenorientierte und grundbedürfnisorientierte Volkswirtschaften aufzubauen. Ich glaube, nur unter diesen Umständen - Schulden streichen, „second window" und Entlassen des US-Dollars aus der Funktion der Leitwährung - haben wir überhaupt noch die Chance, wieder sinnvoll über Entwicklungspolitik zu reden. Danke. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. von Wartenberg.

Dr. Ludolf Georg Wartenberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002431

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt das Interesse des Deutschen Bundestages an der UNCTAD VII und der damit verbundenen Gelegenheit, vor der Öffentlichkeit einmal auf die wirtschaftlichen Probleme der Entwicklungsländer aufmerksam zu machen und gleichzeitig der deutschen Delegation in Genf zusätzliche Leitlinien mit an die Hand zu geben. Die Konferenz ist in diesem Jahr das bedeutendste Ereignis im Nord-Süd-Dialog. Ihre Ergebnisse werden von erheblicher Tragweite für die Entwicklung der Beziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern sein. Die Tagesordnung der Konferenz und die von den Industrie- und den Entwicklungsländern vorgelegten Dokumente konzentrieren sich wieder auf die allgemeine Wirtschaftslage und die vier Hauptbereiche, die schon immer im Mittelpunkt der UNCTAD gestanden haben, nämlich auf Rohstoffe, Handel, Währung und Finanzen sowie auf die Lage der ärmsten Entwicklungsländer. Zentrales Thema der Konferenz ist die Wiederbelebung der Entwicklung, des Wachstums und des Handels durch multilaterale Kooperationen. Mit den anderen westlichen Industrieländern sind wir uns darin einig, daß am Anfang der Konferenz aber eine Bewertung der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage stehen muß. Erst wenn hierfür eine gemeinsame Plattform gefunden worden ist, kann über konkrete Maßnahmen gesprochen werden. Zweifellos findet die Konferenz in einem sehr schwierigen Umfeld statt. Die Havanna-Erklärung zeigt eine breite Kluft zwischen Entwicklungs- und Industrieländern bei der Analyse der Lage der Weltwirtschaft und der zu verfolgenden Strategien. Meine Damen und Herren, wir müssen dem eine ausgewogene Analyse der - sicherlich schwierigen - Lage der Entwicklungsländer gegenüberstellen, weil nur eine korrekte Diagnose Voraussetzung für eine erfolgversprechende Therapie sein kann. So konnte schon auf dem Gipfeltreffen in Venedig auf eine ganze Reihe positiver Entwicklungen zurückgeblickt werden: Das Wachstum setzt sich nunmehr im fünften Jahr fort, wenn auch mit einem verhalteneren Tempo; die Inflationsraten haben sich verringert; die Zinsen sind zurückgegangen; volumenmäßig hat eine Anpassung der Handelsströme bereits eingesetzt, auch wenn die Ungleichgewichte wertmäßig nach wie vor groß sind; und in zahlreichen Entwicklungsländern wurden auch beachtliche Fortschritte erzielt. Es gibt auch Anzeichen für eine gewisse Versachlichung der Diskussion bereits in der Vorbereitungsphase dieser Konferenz. Die ausgewogene Analyse des UNCTAD-Sekretariats und der insgesamt doch maßvollere Ton der Havanna-Erklärung der Gruppe der 77 rechtfertigen vielleicht doch einen vorsichtigen Optimismus. Wir glauben, daß Fortschritte am ehesten bei einem der Hauptdiskussionspunkte zu erreichen sein werden, bei dem Punkt Rohstoffe. Die Baisse der Rohstoffpreise ist säkularer Natur. Bisherige Versuche zur Preisstabilisierung haben nicht den erwarteten Erfolg gehabt und werden auch künftig nur sehr eng begrenzte Perspektiven haben. Folglich halten wir eine Schwerpunktverlagerung auf Verarbeitung, Vermarktung und Diversifizierung für notwendig, um die Abhängigkeit von wenigen Rohstoffen zu vermindern. Um so erfreulicher ist es, daß sich am Montag der Ministerrat darüber verständig hat, in der EG für den mangels ausreichender Unterschriften nicht in Kraft getretenen Gemeinsamen Fonds - insbesondere die Sowjetunion hat das Abkommen bisher nicht ratifiziert - eine Übergangslösung für den zweiten Schalter zu schaffen, aus dem Forschung, Entwicklung, Maßnahmen zur Verbesserung von Produktion, Verarbeitung und Absatz sowie eine stärkere Auffächerung der Produkte finanziert werden sollte. Letzteres sehen wir als besonders wichtig an, weil dadurch die Abhängigkeit der Entwicklungsländer von einzelnen wenigen Rohstoffexporten verringert würde. Die Bundesregierung hatte für das „zweite Fenster" ja bereits einen freiwilligen Beitrag von 50 Millionen DM angekündigt. Selbstverständlich müßten wir uns mit den Entwicklungsländern auch darüber verständigen, daß die bis zum eventuellen Inkrafttreten des Fonds vergebenen Mittel auf die zugesagten Beträge angerechnet werden. Falls der Gemeinsame Fonds doch noch in Kraft tritt, muß diese Absprache sachgerecht vorgenommen werden. Auch im Handelsbereich sehen wir konkrete Einigungschancen. Die Kritik der Entwicklungsländer an der Ausbreitung von Protektionismus und Bilateralismus ist verständlich, und ich meine, diese Kritik ist auch berechtigt. Um so mehr kommt es aber darauf an, daß gerade die Industrieländer, wie in Punta del Este beschlossen und in Venedig bekräftigt, Handelshemmnisse abbauen. Die Aufrechterhaltung, die Stärkung und Weiterentwicklung des multilateralen Handelssystems liegt im Interesse aller Länder und ist deshalb auch eine gemeinsame Aufgabe. Wir haben deshalb von Anfang an mit Nachdruck auf die Eröffnung der neuen GATT-Runde hingewirkt. Sie gilt ja als die bisher schwierigste und ehrgeizigste Runde der Welthandelsverhandlungen. Die UNCTAD könnte hierfür eine sinnvolle komplementäre Aufgabe übernehmen und dieser GATT-Runde auch wichtige Impulse vermitteln, indem sie zu diesen zentralen Themenbereichen, z. B. auch zu dem Themenbereich Dienstleistungen, durch Analysen und durch technische Hilfestellung für die Entwicklungsländer wertvolle Hilfe leistet. Die Forderungen der Entwicklungsländer nach besserem Marktzugang für ihre Erzeugnisse sind meines Erachtens auch voll berechtigt. Sie sollten sich aber nicht einseitig an die Industrieländer, sondern auch - der Kollege Kittelmann hat darauf hingewiesen - an die Staatshandelsländer und besonders auch an die exportorientierten Schwellenländer richten, unter denen einige ja schon zu den größten Fertigwarenexporteuren zählen. Wir befinden uns in Übereinstimmung mit den Entschließungsanträgen der Regierungsparteien und auch der SPD, wenn wir uns für eine weitere Liberalisierung bei tropischen und verarbeiteten Erzeugnissen im Handel einsetzen, die ja für die Entwicklungsländer von einem ganz besonderen Interesse sind. Wir treten weiterhin für eine Verbesserung des allgemeinen Präferenzsystems der EG ein, wobei eine unterschiedliche Behandlung je nach Entwicklungsstand angebracht erscheint, um auch auf diese Weise die Schwellenländer stärker in die Verpflichtung zur Verbesserung des Marktzutritts einzubeziehen. Weitere wichtige Punkte sind die Finanzpolitik und Währungsfragen sowie die Fragen der hier bereits andiskutierten Umschuldungsverhandlungen. Die Probleme hochverschuldeter Entwicklungsländer, meine Damen und Herren, haben auf dem Gipfel von Venedig starke Beachtung gefunden und standen im Mittelpunkt der Konferenz. Mit den anderen westlichen Industrieländern sind wir uns einig im dem Bestreben, besonders betroffenen Entwicklungsländern nach Möglichkeit Erleichterungen zu verschaffen. Es sollte aber genauso klar sein, daß dies nur nach Lage des Einzelfalles beurteilt und entschieden werden kann. Die Forderung, den Schuldendienst generell einseitig auf einen bestimmten Prozentsatz der Exporterlöse zu beschränken, wie Sie es z. B. vorschlagen, erscheint uns nicht als sachgerecht und hätte für die Entwicklungsländer hinsichtlich des in sie gesetzten Vertrauens zerstörende Auswirkungen. Lassen Sie mich abschließend versichern: Wir werden alles daransetzen, um innerhalb der EG und innerhalb der OECD-Länder zu substantiellen und zu einvernehmlichen Ergebnissen zu kommen, damit diese Konferenz ein Erfolg wird; denn ein negativer Ausgang würde in den nächsten Jahren nicht nur das Nord-Süd-Verhältnis politisch erheblich belasten, sondern hätte auch unmittelbare Auswirkungen auf andere internationale Verhandlungen, z. B. im GATT, an deren erfolgreichem Abschluß wir aber ein erhebliches Interesse haben. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat Herr Abgeordneter Höffkes.

Peter Wilhelm Höffkes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000916, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die UNCTAD-VII-Konferenz in Genf hat der Weltwirtschaftsgipfel in Venedig bedeutende Weichenstellungen gegeben. Im Abschlußmemorandum wurden in acht Punkten wegweisende Erklärungen zu Problemen der Entwicklungsländer und der Verschuldung abgegeben. Für die Teilnehmerstaaten des Gipfeltreffens untereinander und auch für die Entwicklungspolitik vorrangig ist das Bekenntnis zu einer starken, glaubwürdigen und funktionstüchtigen GATT sowie zur Ministererklärung von Punta del Este. Die Reformbestrebungen zur Agrarpolitik sind für die Entwicklungsländer ebenfalls von enormer Bedeutung. Es wurde die fortwährende Bedeutung der öffentlichen Entwicklungshilfe unterstrichen, an das 0,7-%-Ziel erinnert und auf die Bedeutung sonstiger Finanzströme, insbesondere der internationalen Finanzinstitutionen, hingewiesen. Die Bundesregierung ist bereit, zur Kapitalaufstokkung bei internationalen Entwicklungsbanken beizutragen. Bei IDA hat sie einen Sonderbeitrag geleistet, so daß das Wiederauffüllungsziel von 12 Milliarden US-Dollar übertroffen wurde. Ich meine, das ist eine hoch zu bewertende Leistung für die Dritte Welt. Man einigte sich auch auf eine Strategie zur Überwindung der Verschuldung der Hauptnehmerländer mit mittleren Pro-Kopf-Einkommen, eine auf den Einzelfall orientierte Strategie, verbunden mit Wachstums- und Strukturanpassungen in den betroffenen Ländern selbst. Das ist nach unserer Meinung der einzig gangbare Weg zur Lösung der Verschuldensproblematik. Lösungsvorschläge wie diejenigen in den Beschlußempfehlungen der SPD und der GRÜNEN - ein genereller Schuldenerlaß oder eine internationale Entschuldungskonferenz oder Zinshöchstbegrenzungen oder Abhängigkeit der Zahlungen von der Höhe des Exportes - sind abzulehnen. Das sind keine Lösungen. Sie sind systemfremd und den Schuldnerländern mehr schädlich als nützlich. ({0}) Nicht zu unterschätzen ist die Bedeutung der Kreditvergabe durch Geschäftsbanken an Schuldnerländer. Hier alternative Verhandlungs- und Finanzierungsverfahren zu entwickeln ist wichtig. Forderungen ausländischer Gläubiger in inländisches Beteiligungskapital umzuwandeln kann ein Lösungsansatz sein. Zu begrüßen ist die Absicht, Direktinvestitionen zu fördern, auch durch die Multilaterale Investitions-Garantie-Agentur, die bekannte MIGA. Die notwendigen Schritte sind dankenswerterweise schon in die Wege geleitet. Rohstoffproblematik: Das Integrierte Rohstoffabkommen ist immer noch nicht voll ratifiziert. Die Zahl von 90 Unterzeichnern ist nicht erreicht. Es fehlen noch so bedeutende Staaten wie USA und UdSSR. Fortschritte sind trotzdem möglich und wünschenswert, z. B. Realisierung des sogenannten zweiten Fensters. Die Ankündigung von finanziellen Leistungen der Bundesregierung hierzu ist anzuerkennen und dazu angetan, die anderen Industrieländer zu ermuntern, gleiches zu tun. Für die Probleme der ärmsten Länder, vor allem in Afrika, südlich der Sahara, wurden niedrigere Zinsen für vorhandene Schulden erwogen, längere Tilgungsfristen und tilgungsfreie Zeiten im Pariser Club angestrebt, desgleichen Aufstockung der Strukturanpassungsmittel, des IWF. Ich meine, mit den aufgeführten Möglichkeiten sind gute Voraussetzungen für erfolgreiche und nützliche Verhandlungen für die Dritte Welt in Genf gegeben. Die Bundesregierung möge sie zielgerecht in Genf einbringen und vertreten. Im übrigen brauchen wir uns nicht zu verstecken und nicht in Sack und Asche im Büßergewand vor die Vertreter der Drittweltländer zu treten. Wir dürfen wohl auch ein wenig stolz darauf sein, daß wir in der Vergangenheit hohe Leistungen für die Dritte Welt erbracht haben und in Zukunft zu erbringen bereit sind. ({1}) Was den Schuldenerlaß anlangt, ist die Bundesrepublik mit 4,2 Milliarden Schuldenerlaß für die ärmsten Länder vorbildlich. Wenn alle diesem Vorbild der Bundesrepublik folgten, wäre dies eine wesentliche Erleichterung für die Dritte Welt, zumal, wenn sich möglichst viele entschließen könnten, bei diesen Ländern auf Kredite zu verzichten und zukünftig Zuschüsse zu geben. Auch könnten die UdSSR und die anderen RWG-Staaten durch Ratifizierung des Abkommens über den Gemeinsamen Fonds für Rohstoffe und Schuldenerlaß für die ärmsten Länder positive Zeichen setzen, zumindest im Bereich des „zweiten Fensters". Meine Damen und Herren, wir bitten der Beschlußempfehlung der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP zuzustimmen. Die Empfehlung der SPD und der GRÜNEN müssen wir insbesondere wegen der falschen Ansätze zur Lösung der Verschuldungsfragen ablehnen. Danke schön. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Köhler.

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Noch ein letztes Wort aus entwicklungspolitischer Sicht. Die Probleme der am wenigsten entwickelten Länder, die Konferenzthema sein werden, nehmen wir außerordentlich wichtig. Wir fühlen uns darin bestärkt, daß diese Thematik von den Regierungschefs der sieben größten westlichen Industrienationen auf dem Gipfel in Venedig quasi zur Chefsache erhoben worden ist. Es sind schließlich mittlerweile 40 Länder geworden, die von den Vereinten Nationen als am wenigsten entwickelte Länder eingestuft werden. 1985 waren es noch 36. Vor gut zehn Jahren, 1976, waren es lediglich 15 Länder, die diesen Status hatten. Dies ist wahrhaftig ein alarmierendes Zeugnis über die Entwicklung der letzten zehn Jahre im Armutsgürtel der Welt. Es gilt also, den am wenigsten entwickelten Ländern vorrangig zu helfen. Wir stellen uns dieser Aufgabe. Das gilt einmal für die Umschuldungsverhandlungen im Pariser Club, wo wir uns für bessere Umschuldungskonditionen einsetzen. Im übrigen möchte ich mich auf die Ausführungen meines Kollegen von Wartenberg beziehen. Aber das gilt auch im Bereich der Entwicklungshilfe. Es ist mehrfach erwähnt worden, daß die Bundesrepublik seit 1978 Schulden in Höhe von 4,2 Milliarden DM erlassen hat. Wir appellieren an andere Geberländer - denn dies heißt ja, daß wir den ärmsten Ländern der Welt praktisch nur noch Zuschüsse gewähren und damit ihre Last doch wesentlich erleichtert haben -, diesem Beispiel zu folgen. Der Anteil der am wenigsten entwickelten Länder an unserer Entwicklungshilfe beträgt mittlerweile 0,13 % des Bruttosozialproduktes. Damit sind wir dem von den Vereinten Nationen gesetzten Ziel von 0,15 sehr nahe gekommen. Wir liegen damit weit über dem Durchschnitt der anderen Geber, und wir wollen diesen Anteil weiter steigern. Dabei will ich nicht verschweigen, daß die Aufnahmefähigkeit der betreffenden Länder immer mehr zu einem Problem wird und der raschen Steigerung der Hilfe enge Grenzen setzt. Hilfe von außen allein ist auch nicht genug. Sicher, einige der am wenigsten entwickelten Länder erhalten ihre Devisen mittlerweile zu mehr als 90 % durch Entwicklungshilfe. Aber Hilfe kann auch abhängig machen und Eigeninitiative behindern. Wir beobachten dieses Phänomen mittlerweile in einigen Ländern. In der Wissenschaft gibt es dafür den nicht übermäßig schönen Begriff des Samariter-Dilemmas. Es geht also darum, die Hilfe so einzusetzen, daß Eigeninitiative, unternehmerischer Wille und die Bereitschaft zum Sparen und Investieren in den betroffenen Ländern angeregt, ermutigt und unterstützt werden. Das bleibt die zentrale Herausforderung für eine richtig verstandene Entwicklungspolitik. Vorhaben im Bildungsbereich, Investitionen im „human capital" , die Unterstützung und Förderung leistungsfähiger Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen stehen dabei im Mittelpunkt. Sie helfen, die internen Faktoren zu beseitigen, die für die schwierige Lage der Entwicklungsländer ebenfalls verantwortlich sind. UNCTAD VII wird eine Konferenz über Handel, Entwicklung und Hilfe sein. Wir werden dabei nicht vergessen, was uns der Staatspräsident von Uruguay in diesen Tagen in ernsten und bewegten Worten zum Protektionismus und zur Agrarpolitik sowie zu der bedrückenden Situation von Ländern wie Uruguay und Argentinien gesagt hat, die durch subventionierte Preise aus dem Markt gedrängt werden. An die Verantwortung der Industrieländer, also an unsere Verantwortung, für die Einhaltung der Regeln der bestehenden Weltwirtschaftsordnung zu erinnern und für offene Märkte zu plädieren, ist deshalb gerade auch die Pflicht des Entwicklungspolitikers. Ohne eine solche Ermahnung wäre eine Wortmeldung hier unvollständig. Es ist freilich ein langer, beschwerlicher Weg, den ärmsten Entwicklungsländern zu helfen. Aber wir halten uns an das alte chinesische Sprichwort: Auch ein Tausend-Meilen-Marsch beginnt mit einem Schritt. Wir haben diesen ersten Schritt und vielleicht schon mehrere getan. Dieser lange Weg wird durch die VII. Handels- und Entwicklungskonferenz erleichtert werden können, wenn auf ihr die Probleme und die Rolle von Industrie- und Entwicklungsländern realistisch analysiert und offen erörtert werden. Die vom UNCTAD-Sekretariat vorgelegten Vorbereitungsdokumente geben in dieser Hinsicht Anlaß zur Hoffnung; denn es dient niemandem, wenn ideologisch verbrämte Ziele, unrealistische Forderungen und all diese Zusammenhänge die wir seit 1974 nun schon allzu oft auf UNCTAD-Konferenzen gehört haben, immer wieder zum Mittelpunkt der Konferenz werden. In Wahrheit können Industrie- und Entwicklungsländer die Probleme nur gemeinsam überwinden. Es wird dringend Zeit, daß dies auf beiden Seiten begriffen wird. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/524. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist abgelehnt. Wir stimmen jetzt über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/529 ab. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist ebenfalls abgelehnt. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 11/532. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 a bis c auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, Frau Teubner, Sellin und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur BeibeVizepräsident Frau Renger haltung und Verbesserung der Mietpreisbindung in Berlin - Drucksache 11/29 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({0}) - Drucksache 11/490 Berichterstatter: Abgeordnete Schulze ({1}) Wartenberg ({2}) ({3}) b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Vogel, Wartenberg ({4}), Egert, Heimann, Frau Luuk, Dr. Mitzscherling, Stobbe, Jahn ({5}), Müntefering und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher und mietpreisrechtlicher Vorschriften im Land Berlin ({6}) - Drucksache 11/302 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({7}) - Drucksache 11/490 Berichterstatter: Abgeordnete Schulze ({8}) Wartenberg ({9}) ({10}) c) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur dauerhaften sozialen Verbesserung der Wohnungssituation im Land Berlin - Drucksache 11/304 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({11}) - Drucksache 11/490 Berichterstatter: Abgeordnete Schulze ({12}) Wartenberg ({13}) ({14}) Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Beratung dieses Tagesordnungspunkts eine Stunde vorgesehen. - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Das Wort zur Berichterstattung und zu einer kurzen Ergänzung hat der Abgeordnete Schulze ({15}).

Gerhard Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002109, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der Drucklegung der vom Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau am 15. Juni beschlossenen Fassung hat es irrtümlicherweise redaktionelle Veränderungen gegeben. Wir bitten daher - ich tue das auch im Einvernehmen mit dem Kollegen Wartenberg - , in § 3 Abs. 1 nach dem Wort „Mietzins" folgende Worte einzufügen: „den bisherigen Mietzins". In § 5 Abs. 2 sind die Worte „der Begrenzung" zu streichen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dieser Korrektur zustimmen würden. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, Sie haben das zur Kenntnis genommen. Wir kommen nachher bei der Abstimmung darauf zurück. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Rönsch.

Hannelore Rönsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Herren! Meine Damen! Mit dem Gesetz zur dauerhaften sozialen Verbesserung der Wohnungssituation im Land Berlin werden wir mit dazu beitragen, daß sich der Berliner Wohnungsmarkt entspannt und in kleinen Schritten an die Bedingungen im übrigen Bundesgebiet anpaßt. ({0}) Mit diesem vierten Änderungsgesetz sind wir in der Kontinuität der Politik, die 1982 mit dem dritten Gesetz zur Änderung mietrechtlicher und mietpreisrechtlicher Vorschriften im Lande Berlin eingeleitet wurde. Dieser seinerzeitige Gesetzentwurf wollte die Mietenstruktur angemessen entzerren und an das im übrigen Bundesgebiet geltende soziale Mietrecht schrittweise heranführen. Es sollten bereits nach dem 1. Januar 1987 die neu abgeschlossenen Mietverhältnisse aus der Preisbindung entlassen werden. So lautete 1982 zu Ihrer Regierungszeit dieses dritte Änderungsgesetz. Die SPD stellte damals die Regierung und sah die Notwendigkeit ein, die Mietpreisbindung für Wohnungen in Berlin aufzuheben. Damit sollte die früher gerechtfertigte Ausnahmestellung Berlins aufgehoben und auch beim Mietrecht eine Anpassung an die erfolgreich praktizierten Regelungen im übrigen Bundesgebiet eingeleitet werden. ({1}) Heute sind Sie fernab jeglicher Regierungsverantwortung. Sie betreiben als Opposition reine Obstruktionspolitik, ({2}) und Sie scheren sich keinen Deut mehr um das, was Sie in Ihrer Regierungszeit beschlossen haben. ({3}) Wir erleben diesen Vorgang auf sehr vielen Feldern der Politik. Heute morgen beim Erziehungsgeld haben Sie das wieder einmal bewiesen. Wir erleben, meine Herren und Damen von der Opposition, wie Sie sich aus Opportunitätsgründen von früher einmal gefaßten Beschlüssen abwenden und mit dem Blick auf Wählerverhalten nicht mehr wissen wollen, ({4}) Frau Rönsch ({5}) was Sie noch vor einigen Jahren in Ihrer Verantwortlichkeit als Regierungspartei für notwendig erachtet haben. ({6}) Sie, meine Herren und Damen von den GRÜNEN, waren seinerzeit zum Glück noch nicht in Regierungsverantwortung. Deshalb gilt das jetzt nur für die Sozialdemokraten. ({7}) - Herr Sellin, zu Ihnen komme ich noch. ({8}) Jetzt wird von der Opposition ein Gesetzentwurf vorgelegt, der die Mietpreisbindung für die Wohnungen in Berlin als Dauerrecht vorsieht. Sie wollen zu den vielen Besonderheiten der Stadt Berlin eine weitere hinzufügen und somit mit einer zusätzlichen Ausnahmeregelung Berlin noch ein Stück vom übrigen Bundesgebiet absondern. ({9}) Da Sie das alleine aber nicht schaffen, werden als Kampfgenossen die Mieterorganisationen, die SEW und die AL mobilisiert. In groß angelegten Kampagnen werden die Berliner Bürger zu Unterschriften veranlaßt, ({10}) so nach dem Motto: Wollen Sie, daß der Mietpreis so bleibt wie bisher und nicht angehoben wird? Da ist eine Antwort natürlich schon vorprogrammiert. Ich will dabei nicht verkennen, daß viele Berliner Bürgerinnen und Bürger ihre Unterschrift in gut gemeintem Sinne gaben, sich jedoch leider vor Ihren Karren haben spannen lassen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frau Kollegin, Sie gestatten eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Luuk?

Hannelore Rönsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber natürlich, Frau Luuk.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Bitte schön, Frau Luuk.

Dagmar Luuk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001400, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist Ihnen bekannt, daß der Regierende Bürgermeister, der bekanntlich der CDU angehört, diese Aktion als hilfreich bezeichnet ({0}) und sich bedankt hat? ({1})

Hannelore Rönsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe gerade gesagt - Sie haben wegen Ihrer Wortmeldung offensichtlich nicht zugehört - , daß ich nicht verkenne, daß sich viele Berliner Bürgerinnen und Bürger aus wohlüberlegten Gründen dieser Aktion angeschlossen haben. Nur haben sie sich vor den verkehrten Karren spannen lassen. ({0}) Sie, die Damen und Herren von der Opposition, haben nicht gesagt, daß Sie 1982 mit Ihrem Gesetz genau dasselbe vorhatten. Sie haben jetzt im Nu eine Anzahl von Unterschriften gesammelt. Kinder und Jugendliche durften sich in die Listen eintragen, ({1}) und auch Autogramme von Berliner Showgrößen sind gerne entgegengenommen worden. Wieder einmal waren Mieterschutzorgnisationen und an der Spitze wieder der Präsident dieser Mieterschutzorganisationen - heute ist er erfreulicherweise einmal im Saal, wenn es um Mieterprobleme geht ({2}) im Verein mit der SPD dabei, die Mieter zu verunsichern. ({3}) Und dann mußte man hören, daß Mieterorganisationen in Berlin vom Senat zu Anhörungen eingeladen worden sind, aber erst gar nicht erschienen sind. ({4}) Wo werden da Interessen von Mietern vertreten? ({5}) - Herr Mieterbundpräsident Jahn, ich würde mich einmal informieren, was da in Berlin passiert ist. ({6}) - Ich habe von verschiedenen Mieterorganisationen gesprochen. Es ist durchaus möglich, daß von Ihrer Organisation später jemand gekommen ist, sich dann aber zurückgezogen hat, ({7}) weil man - auch aus Opportunitätsgründen - nicht mehr mitmachen wollte. Erkundigen Sie sich bitte noch einmal, ({8}) welche Mieterorganisationen bei Anhörungen des Senats nicht anwesend gewesen sind. Wir werden uns aber trotz allem in einer vernünftigen Politik nicht beirren lassen und werden auf der im Jahr 1982 von Ihnen, meine Herren und Damen von der SPD, beschlossenen Grundlage und gemeinsam Frau Rönsch ({9}) mit dem Senat der Stadt Berlin den schrittweisen Übergang in das soziale Mietrecht vollziehen. ({10}) Wir sind uns dabei der immer noch sehr schwierigen Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt bewußt. Wir sehen, daß sich eine Berliner Familie bei der Wohnungssuche nicht im Umfeld der Großstadt umsehen kann. Wir sehen, daß infolge der in den letzten Jahren erfreulicherweise stetig angestiegenen Zahl von Übersiedlungen aus Ostblockländern Familien nach Berlin kommen und dort eine Wohnung suchen. ({11}) Wir sehen auch, daß durch die wiedergewonnene Wirtschaftskraft in Berlin neue Arbeitsplätze geschaffen worden sind und daß junge Familien aus dem Bundesgebiet nach Berlin ziehen und dort eine Wohnung suchen. Wir sehen, daß in Berlin immer noch 90 % der Einwohner Mieter sind und nur 10 % Eigentümer. Wir sehen auch, daß bei einem Fünftel der rund 250 000 Wohnungen mit Ofenheizung die Toilette noch außerhalb der Wohnung liegt. Wir sehen, daß hohe Abstandszahlungen gezahlt werden müssen und daß sich ein Schwarzmarkt entwickelt hat. Wir sehen aber auch, daß die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf bei 40 m2 liegt. Das ist im übrigen Bundesgebiet nicht üblich. Wir sehen, daß die Bausubstanz größtenteils in einem ausgesprochen schlechten Zustand ist. Wir haben im übrigen Bundesgebiet ausgesprochen gute Erfahrungen mit der Einführung des sozialen Mietrechts gemacht. Die Realität der Vergangenheit hat Ihre Prognosen, meine Herren und Damen von der Opposition, die Sie vor fünf Jahren aufgestellt haben, Lügen gestraft. Ganz genauso wird es Ihnen auch in Berlin ergehen. Die Bevölkerung wird innerhalb kürzester Zeit merken, daß Sie wieder einmal zu schwarz gemalt haben. ({12}) Wir können den Berliner Mietern versichern, daß sie vor ungerechtfertigten Mieterhöhungen geschützt sind und daß das Ziel dieses Gesetzentwurfs sozial vertretbare Mieten sind. Wir wollen mit diesem Gesetzentwurf eine jahrzehntelange staatliche Reglementierung der Mieten bei Berliner Altbauwohnungen beenden und die historische Entwicklung des Marktes für Berliner Altbauwohnungen und die politischen Besonderheiten der Stadt berücksichtigen. Wir wollen einen sozial verträglichen Übergang von einem staatlich reglementierten Markt zu einer marktorientierten Preisbildung unter Sicherung des sozialen Mietrechts schaffen. Wir wollen auch staatlich sanktionierte allgemeine Mieterhöhungen durch Vereinbarungen ersetzen, die zwischen Mietern und Vermietern auf der Grundlage marktüblicher Preise ausgehandelt werden müssen. Wir wollen, daß die Kappungsgrenzen von 5 % bei Mietänderungen und von 10 % bei Neuvermietungen zusätzlich sozial abgesichert werden. ({13}) Es werden verbesserte Voraussetzungen für eine an den Wünschen der Mieter orientierte Instandhaltung und Modernisierung geschaffen. Wir wollen des weiteren, daß dem unsozialen System der Abstandszahlungen und der Schwarzmärkte beim Berliner Altbau der Boden entzogen wird. Vor allem wollen wir, daß die unsozialen Härten und Hemmnisse für junge Wohnungssuchende in Berlin beseitigt werden. Es werden damit auch Privilegien einkommensstarker Ein- und Zweipersonenhaushalte aufgehoben, die sich in großen Altbauwohnungen in guter, zentraler Lage, oft durch hohe Abstandszahlungen, billige Mieten gesichert haben. Dadurch werden dann diese Wohnungen frei für junge Familien. Und für diese Familien wollen wir uns einsetzen. ({14}) Mit diesem Gesetzentwurf verhindern wir sozial unzuträgliche und überhöhte Mietpreissteigerungen in der Phase des Übergangs vom staatlich regulierten in den marktorientierten, aber sozial gesicherten Markt. Ich empfehle Ihnen, meine Herren und Damen von der Opposition, Ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken, ({15}) sich Ihren Gesetzentwurf von 1982 noch einmal durchzulesen und sich dann unserem Gesetzentwurf anzuschließen. ({16})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wartenberg.

Gerd Wartenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002430, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Rönsch, Sie können ja nichts dafür, daß Sie die Berliner Situation nicht kennen und daß man Ihnen für heute etwas aufgeschrieben hat. ({0}) Ein Abgeordneter muß aber wenigstens selbst einschätzen können, ob man ihm Märchen aufgeschrieben hat. Das hätten Sie vielleicht vorher prüfen sollen. Es war eine liebe nette Märchenstunde, aber mehr war es nicht. ({1}) Erst einmal die Frage des Auslaufens 1982. Auch bei den vier Verlängerungen vorher stand im Gesetz, daß es die letzte Verlängerung ist. Diese wurde immer damit begründet, daß dann nicht mehr verlängert wird, wenn sich die wohnungswirtschaftliche Situation in Berlin verändert habe. Auch Sie haben eben konstatiert, daß die Bevölkerungszahl nicht abnimmt, Wartenberg ({2}) sondern Gott sei Dank bei 2 Millionen stabil ist, daß wir Leerstandsreserven nur bei sehr teuren Wohnungen haben und daß wir nach wie vor eine Riesennachfrage nach preiswertem Wohnraum haben. Dieses ist immer der Ausgangspunkt des Deutschen Bundestages gewesen, sich für eine Verlängerung der Mietpreisbindung einzusetzen. Der zweite Punkt: Sie haben die Dummheit begangen, zu sagen, 500 000 Menschen in Berlin, die an der Urabstimmung teilgenommen haben, hätten sich einfach vor den falschen Karren spannen lassen. Das ist nicht sehr klug. 500 000 Menschen für dumm zu halten, schlichtweg für dumm, das geht nicht. Ich will Ihnen folgendes sagen: In Berlin hat es ein Interview der „Abendschau" mit dem Minister gegeben. Dieses Interview hat hohe Wellen geschlagen, weil der Minister in diesem Interview die Berliner Mieter für unfähig erklärt hat, die neue Regelung überhaupt zur Kenntnis nehmen zu können. Er hat gesagt, sie hätten keine Ahnung, sie könnten das gar nicht verstehen und deswegen auch nicht beurteilen. Es hat in Berlin einen großen Aufstand hervorgerufen, wie diese Bundesregierung die Menschen dieser Stadt einschätzt. ({3}) Zum konkreten Gesetzentwurf: Wir müssen leider feststellen, daß dieser Tag heute ein schwarzer Tag für die Berliner Mieter ist, ({4}) denn die Koalition lehnt es ab, die Mietpreisbindung als Dauerrecht zu installieren. ({5}) Lassen Sie mich am Anfang noch etwas über den Gesetzgebungsgang darstellen, weil das sehr wichtig ist. Es ist das erste Mal in der Nachkriegsgeschichte, daß der Senat nicht, bevor man nach Bonn gegangen ist, versucht hat, mit allen Parteien eine Einigung herzustellen. Das haben alle sozialdemokratischen Bürgermeister gemacht, und das hat Richard von Weizsäcker gemacht, obwohl unterschiedliche Vorstellungen in der Stadt bestanden. Das war auch 1982 so. Es gab einen Gesetzentwurf der CDU und einen der SPD. Dann hat es beim Bundessenator Kompromißverhandlungen über zwei Nächte hinweg gegeben. Erst dann sind wir in den Bundestag gegangen. Ich sage Ihnen, dies ist eine notwendige Voraussetzung, wenn man über Berliner Sondergesetze verhandelt. ({6}) Dies ist nicht nur eine taktische Dummheit dieses Senats gewesen, sondern dies ist auch eine politische Dummheit gewesen, weil der Senat seine eigenen Versprechungen bei dieser Verhandlungsstrategie nicht umsetzen konnte. Wie war denn die Situation in Berlin? Im letzten Jahr wurde die Kampagne für die Mietpreisbindung lächerlich gemacht. In diesem Jahr kriegte es der Senat kurz vor Ostern mit der Angst zu tun, und man ging Hals über Kopf nach Bonn. Man konnte aber nicht einmal das durchsetzen, was man den Berlinern versprochen hatte, nämlich einen gesetzlich fixierten Mietpreisspiegel. Das Argument des Senats war ja: Wir wollen dann wenigstens für die Mieter retten, was zu retten ist, nämlich einen Mietpreisspiegel, der verbindlich ist. Was ist dabei herausgekommen? Ein unverbindlicher Richtwert genauso wie im Bundesgebiet, gleichwertig neben den anderen Instrumenten wie Vergleichsmiete oder Gutachten. Das heißt, den Mietpreisspiegel können sich die Berliner in die Haare schmieren. Damit können sie nicht viel anfangen. Insofern muß sich der Senat nicht nur an unseren Vorstellungen und an denen der 500 000 Mieter, die unterschrieben haben, messen lassen, sondern auch an den eigenen Versprechungen, die Sie noch vor Ostern in der Stadt gemacht haben. Sie haben nichts davon bei Ihren eigenen Leuten durchsetzen können. Jetzt noch zu den beiden Regelungen, die in Ihrem Entwurf eine Rolle spielen. Da ist einmal die ZehnProzent-Kappungsgrenze bei Neuvermietung. Ich kann Ihnen nur sagen: Diese Zehn-Prozent-Klausel wird keine Rolle spielen, denn der Mieter, der neu in eine Wohnung einzieht, muß dazu die Miete des Vormieters kennen. In der Regel kann er sie nicht kennen. ({7}) - Das ist doch nicht wahr. ({8}) Mit 200 000 Umzügen jährlich in der Stadt hat Berlin die höchste Umzugsquote im Bundesgebiet. Es ziehen sehr viele Westdeutsche zu, die den Vormieter nicht kennen. Bei den Berlinern ist das genauso. Das heißt, der Vermieter wird das durchsetzen, was er durchsetzen kann, und die Zehn-Prozent-Kappungsgrenze wird weitestgehend nicht wirksam sein. Bei 200 000 Umzügen heißt das, daß die Mieten in kurzer Zeit überproportional steigen werden, ({9}) und zwar gerade in den Gebieten, wo die Umzugshäufigkeit am größten ist. Die Umzugshäufigkeit ist in der Innenstadt am größten, nämlich dort, wo die schlechten und kleinen Wohnungen sind, in Kreuzberg, Neukölln etc. Wir haben ähnliche Entwicklungen bei der Aufhebung der Mietpreisbindung in München erlebt. Nicht in den gutbürgerlichen, stabilen Gebieten, sondern da, wo die billigen Wohnungen waren, sind die Mieten überproportional gestiegen. Der zweite Punkt. Die Fünf-Prozent-Begrenzung bei Bestandsverträgen wird dazu führen, daß bei einer relativ stabilen Preisentwicklung das Mietenniveau in Berlin auch hier überproportional in den nächsten Jahren ansteigen wird. Das heißt, in Berlin wird insgesamt für die Mieter eine unglaubliche Belastung entstehen. Das ist der entscheidende Punkt bei Ihrer Regelung: Es ist keine Regelung, die den Mietern dient, sondern eine, die es einem großen Teil der Menschen, die in der Stadt auf eine preiswerte Wohnung angewiesen sind, schwierig machen wird, eine Wohnung zu mieten. Wartenberg ({10}) Nun, Frau Rönsch, muß ich Ihnen noch einmal eine wirkliche Dusseligkeit, die Sie hier vorgetragen haben, nachweisen. ({11}) - Ja, eine Dusseligkeit. ({12}) Sie reden von der großen Wohnung, in der die alleinstehende Person wohnt. Dort möchten Sie die liebe Familie mit Kindern hineinhaben. Was passiert denn eigentlich, wenn diese große Wohnung so teuer wird, daß die alleinstehende Witwe ausziehen muß? Kann die Familie mit Kindern sie sich dann leisten? Das ist doch wohl Blödsinn. Sie wissen ganz genau, daß diese großen Wohnungen, wenn sie noch teurer sind, gerade von den Familien mit Kindern überhaupt nicht gemietet werden können. Das ist doch wohl eine wesentliche Erkenntnis gerade aus den Gebieten, wo diese Wohnungen vorhanden sind. Deswegen ziehen dort eben die kinderlosen Paare ein, bei denen beide verdienen. Sie werden mit dieser Regelung diesen Trend sogar noch sehr viel mehr verschärfen. ({13}) In der letzten Debatte haben Herr Lüder und die FDP dieser Debatte wirklich die Krone aufgesetzt. Die FDP ist in dieser Frage in vielen Punkten noch rigoroser als die CDU. Da muß man sogar noch differenzieren. Herr Lüder, Ihre Vorstellung war, die Berliner müßten nach 60 Jahren endlich einmal wieder mit ihrem Hauswirt verhandeln lernen, die könnten schon gar nicht mehr verhandeln. - Auf diese pädagogischen Vorstellungen, die Sie den Berlinern zumuten, können die Berliner wirklich verzichten. ({14}) Ich kann Ihnen nur sagen: Der Mieter wird auf dem Markt benachteiligt sein, weil zu wenig preiswerte Wohnungen da sind. ({15}) Das heißt, in einer Verhandlung wird er den kürzeren ziehen. Der zweite Punkt, den Sie, unterstützt von Herrn Gattermann, vorgetragen haben, war nun noch trauriger. Sie sagten, mit dieser Regelung würden die Mieten nicht steigen, sondern in vielen Fällen sinken. Da frage ich mich, warum eigentlich der Haus- und Grundbesitzerverein wie ein Weltmeister für die Aufhebung der Mietpreisbindung ist. Wahrscheinlich, weil die Mieten sinken. Halten Sie bitte manchmal auch das Niveau der Argumentation. ({16}) - Entschuldigen Sie, lesen Sie einmal den Debattenbeitrag nach! Die Mieten werden durch die Aufhebung der Mietpreisbindung sinken, hat dieser Herr hier wörtlich gesagt. Da lachen doch die Hühner. ({17}) Ihre Argumentation macht doch deutlich, daß Sie in der Defensive sind. Das dümmste Argument wird herangezogen, um dieses Schandwerk von einem Gesetz hier zu verkaufen. Für wie dumm halten Sie die Berliner eigentlich? ({18}) Sagen Sie ihnen doch, was Sache ist! Aber verbrämen Sie das doch nicht mit einem so unglaublichen Blödsinn! ({19}) Meine Damen und Herren, ich habe am Anfang gesagt, diese Entscheidung heute ist ein schwarzer Tag für die Berliner Mieter. ({20}) Auch der Senat wird dies noch zu spüren bekommen. Auch das wissen Sie sehr genau. ({21}) Da das Gesetz erst in den nächsten Monaten und Jahren wirken wird, werden Sie auch nicht davon loskommen. Die Mieter werden das nicht jetzt, sondern in den nächsten zwei oder drei Jahren entscheidend spüren. Es wird Ihnen noch leid tun, daß Sie diese Regelung gemacht haben. Der Berliner Senat ist ja zum Teil verunsichert. Das zeigt sich übrigens schon in der Einschätzung der Urabstimmungs-Kampagne, die anders war, als Sie es hier vorgetragen haben. Wir lehnen den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP ab ({22}) und sind nach wie vor der Auffassung, daß nur eine Verlängerung der Mietpreisbindung als Dauerrecht die Berliner Probleme lösen kann. Vielen Dank. ({23})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, ich möchte mir die Bemerkung erlauben, daß Sie an einigen Stellen den kollegialen Ton wirklich nicht eingehalten haben. ({0}) Das Wort hat der Abgeordnete Lüder.

Wolfgang Lüder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001390, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Wartenberg, ein bißchen bedauere ich, daß wir in Berlin noch nicht so weit sind, aus dem Abgeordnetenhaus Videobeiträge liefern zu können. Denn dann wüßten wir aus der Vergangenheit, daß Sie in der Lage sind, qualifizierte Beiträge zu liefern. ({0}) Heute haben Sie gezeigt, daß Sie auch das Gegenteil schaffen können. ({1}) Lieber Kollege Wartenberg, die Auseinandersetzung mit der Frau Kollegin Rönsch fand ich ein bißchen am Rand dessen, was meinen Fairneßvorstellungen entspricht. ({2}) Ich finde - das sage ich jetzt ganz bewußt als Berliner -, daß wir, wenn wir uns als Berliner um Berliner Probleme hier im Bundestag kümmern, ({3}) das Recht und die verdammte Pflicht haben, anzuhören, was fachkundige Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bereichen des Bundesgebiets uns zu sagen haben. ({4}) In der heutigen abschließenden Beratung des Entwurfs der Koalitionfraktionen für ein Gesetz zur dauerhaften sozialen Verbesserung der Wohnungssituation im Land Berlin kann ich mich nach dem, was seitens der Koalitionsfraktionen in den bisherigen Beratungen ausgeführt worden ist, auf wenige Punkte konzentrieren. Aber auf die folgenden sechs Punkte lege ich Wert. Erstens. Die Überschrift dieses Gesetzes ist für uns Programm. Es geht darum, ({5}) die Wohnungssituation im Land Berlin sozial zu verbessern, und zwar dauerhaft. ({6}) Dieses Gesetz unterscheidet sich von früheren Gesetzen, die sich mit der Wohnungssituation im Land Berlin befaßten, in zwei Richtungen wesentlich. Einerseits waren alle Gesetzgebungsvorhaben, die Berlin auf diesem Gebiet in den letzten zehn Jahren vom Bundestag erbeten hat, auf ein Hinausschieben der Wohnungszwangswirtschaft der Nachkriegszeit gerichtet. Mit dem heutigen Gesetzgebungsvorhaben führen wir jedoch grundsätzlich die sozial gebundene Marktwirtschaft auch für das Wohnen im Berliner Altbau ein. Die Regelungen des Miethöhegesetzes, das sich im Bundesgebiet insgesamt bewährt hat, finden ab 1. Januar 1988 grundsätzlich auch in Berlin Anwendung. ({7}) - Und mit all seinen Vorteilen, Herr Sellin. Ich verstehe überhaupt nicht, wieso man ({8}) ein Recht und ein Gesetz, das sich im Bundesgebiet, auch in allen Ballungsgebieten, bewährt hat, nicht in Berlin übernehmen soll. Sie müssen das doch bitte schön auch mal einsehen. Gucken Sie sich doch mal das Wählerverhalten an! Das gilt auch für die Sozialdemokraten. Sind die Wähler denn unzufrieden geworden, seit wir das Miethöhegesetz haben? Nein. Wir haben hier ein sozial erträgliches, für Vermieter akzeptables und für Mieter gutes Gesetz. Es findet Anwendung. Und es muß grundsätzlich auch in Berlin Anwendung finden. ({9}) Aber wir erkennen an und schaffen besonders durch Einführung von Kappungsgrenzen dazu die Instrumente, daß Berlin wegen der besonderen räumlichen Situation, aber auch wegen der allzu langen Dauer der Wohnungszwangswirtschaft nicht von heute auf morgen einen ungesicherten Sprung in das Recht der Marktwirtschaft vollziehen kann. Soziale Abfederung ist gefordert und wird mit diesem Gesetz erreicht. Zweitens. Die Versuche der Oppositionsparteien, das Recht der Wohnungszwangswirtschaft der Nachkriegszeit für Berlin - abweichend vom Bundesgebiet - in dieser Stadt dauerhaft zu etablieren, werden von uns verworfen. Gegen dieses Ansinnen bestehen erhebliche rechtliche Zweifel. Dauerhafte Mietpreisbindung in Berlin - das muß sich auch Herr Kollege Wartenberg entgegenhalten lassen - würde bedeuten, daß der Staat Sozialpolitik in einer Stadt nicht zu Lasten der Allgemeinheit, sondern auf dem Rücken einer einzelnen Gruppe, nämlich allein zu Lasten der Wohnungseigentümer, betreiben würde. Aber auch politisch und gerade auch im Interesse der Mieter ist es erforderlich, daß die Wohnungszwangswirtschaft in Berlin endlich endet. Die sozialgebundene Marktwirtschaft, wie sie sich im Wohnungsbereich im Miethöhegesetz widerspiegelt, garantiert dem Mieter tragbare Mieten. Dort, wo das Einkommen des Mieters zu gering ist, haben wir das Instrument des Wohngeldes. Das soziale Mietrecht des Bundes garantiert dem Mieter aber auch, daß zeitgemäßer Wohnraum in akzeptablem Erhaltungszustand angeboten wird. Daran fehlt es in Berlin noch an vielen Orten. Drittens. Ich nehme es ernst, daß von seiten der Mieterorganisationen rund 480 000 Voten gesammelt worden sind. Mich verwundert auch nicht, daß sich so viele Berliner für die Beibehaltung ihres bisherigen Mietrechts entschieden haben. ({10}) Ich sage aber mit gleichem Ernst, daß die Bestimmungen des Gesetzentwurfes, den die Koalitionsfraktionen heute zur Abstimmung stellen, den Berliner Mietern die Ängste vor Mietpreisexplosionen nehmen können und nehmen werden. ({11}) Ich hoffe, daß der Berliner Senat die Berliner Mieter über das informiert, was ab Januar nächsten Jahres Gesetzeslage sein wird, wie er es im Bauausschuß angekündigt hat. Nach all den Horrorgemälden, die über Mietpreise und die Wohnungssituation in westdeutschen Großstädten in Berlin gemalt wurden - denen in dieser Stadt nicht entgegengetreten wurde, was zu bedauern bleibt -, mußte Angst entstehen. ({12}) Angst aber kann nur durch Information gemindert und genommen werden. Und, meine Damen und Herren, ich sage in aller Offenheit: Das Wort des Regierenden Bürgermeisters Diepgen, daß die Votensammlung der Mieterorganisationen und der Oppositionsparteien die Arbeit des Senats unterstützt habe, sollte als Einzelfall Vergangenheit bleiben. Viertens. Mit dem heute zur Verabschiedung gestellten Gesetz lösen wir eine Rechtslage ab, die kaum jemand zur Kenntnis genommen hat. Die Rechtslage, die ab 1. Januar gelten sollte, sah für Berlin einen späteren und in zwei Stufen vollziehbaren Übergang in das soziale Mietrecht des Bundes vor, und zwar ohne soziale Abfederung. Dem hatten auch die Sozialdemokraten zugestimmt. ({13}) Es hat sich gezeigt, daß diese vor einigen Jahren hier geschaffene Rechtslage in der heutigen Situation keine akzeptable Regelung für Berlin bringt. Wir haben daraus gelernt, wir haben einen besseren Entwurf vorgeschlagen. Fünftens. Ich stelle mich darauf ein, daß die Kritik an diesem Gesetzentwurf, wie sie heute und in den Ausschüssen von seiten der Opposition geäußert wurde, noch ein wenig anhalten wird. Ich stelle mich aber genauso darauf ein, daß ab Januar nächsten Jahres, wenn das Gesetz in Kraft ist, die Berliner Vermieter und Mieter sehen werden, daß wir einen akzeptablen Weg zum Vorteil der Stadt und ihrer Bürger gefunden haben. Die Berliner werden diese Erkenntnis mit zunehmendem Zeitablauf aus eigener Anschauung bestätigen. Dann wird auch die Praxis zeigen, daß die Angst vor dem Markt wie eh und je unbegründet ist, weil die Sozialbindung des Eigentums in unserem sozialen Rechtsstaat garantiert und durch die Gesetze konkretisiert wird. Sechstens. Ich habe bereits früher darauf hingewiesen und wiederhole es hier: Die staatlich verordneten Mietpreise lagen in Berlin in der Vergangenheit höher als die marktwirtschaftlich erzielbaren Mietpreise in Ballungsgebieten des Bundesgebiets. ({14}) Dies wird sich durch dieses Gesetz nach der mit ihm geschaffenen Übergangszeit auch generell für Berlin auswirken. Dem Vermieter gewährt der Markt die Preise, die er zur Pflege des Wohnungsbestandes benötigt; sozial gebundene Marktwirtschaft verhindert wucherische Mieten. Ich weiß, daß wir wegen dieser und jener Vorschrift noch Kritik von dieser und jener Seite bekommen werden. Von widerstreitenden Interessen kritisiert zu werden, bestätigt jedoch nur die Richtigkeit dessen, was wir wollen. ({15}) Dauerhaft und sozial soll die Wohnungssituation in Berlin verbessert werden, und das geht nur mit diesem Gesetz, nicht mit den Vorschlägen der Opposition. Deswegen bitte ich um Zustimmung zu dem Entwurf der Koalitionsfraktionen. ({16})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sellin.

Peter Sellin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002159, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Die Berliner Mieter wenden sich als erstes an den Berliner Senat. Anwesend ist der Bausenator Wittwer. Ich möchte mit einem Bild beginnen: Herr Diepgen hält den Berliner Mietern den Weißen Kreis vor die Füße, und diese beiden Fraktionen hier, CDU/CSU und FDP, stoßen die Berliner Mieter in den Weißen Kreis. Die Folge wird sein, daß die Berliner Mieten explodieren, und die Hausbesitzer werden kräftig kassieren dürfen. Das legalisieren Sie. ({0}) Spekulanten werden vermehrt angezogen werden und dazu braucht man nur ein Zitat von Herrn Pistor, Droste-Vermögensberatungsaktiengesellschaft, vom 5. Juni 1987 in der „Wirtschaftswoche" zu nehmen. Ich zitiere: Gut erhaltene Altbauten ohne Komfort kann man schon für 700 DM je Quadratmeter kaufen. Saniert und auf den neuesten Stand der Wohnungsansprüche gebracht, sind durchaus 2 300 bis 2 500 DM zu erzielen. Dafür kann der Käufer nach erfolgter Modernisierung mit einer entsprechend höheren Miete kalkulieren. Das ist das, was Sie wollen, ({1}) das ist das, was Sie betreiben. Die um zwei Jahre auf den 1. Januar 1988 vorgezogene Mietpreisfreigabe in Berlin ist eine politische Herausforderung der Berliner Mieter, und zwar auch als Wähler. Knapp 500 000 Berliner Mieter haben sich in einer Abstimmung gegen die politische Freigabe der Mieten ausgesprochen. Sie wissen genau, welchen Vorteil sie haben, daß das Mietenniveau in Berlin deutlich niedriger ist als im Bundesgebiet. Man braucht meist keinen Wohngeldantrag zu stellen; es ist ein völlig unbürokratischer Zustand für die Mieter. In einfachen und mittleren Wohnungslagen betragen die Mieten in Berlin 3,50 bis 6 DM pro Quadratmeter, in Düsseldorf, Frankfurt, Stuttgart und München hingegen 8 bis 13 DM pro Quadratmeter. Welcher Mieter will schon politisch von der CDU in eine Lage geführt werden, in der er in kürzester Zeit das Doppelte für seine Altbauwohnung bezahlen muß? ({2}) Diese Prognose hat ihre Begründung in den eingetretenen Mietpreissteigerungen von München oder Hamburg um ca. 100 % nach einigen Jahren Weißer Kreis. Jeder Mieter wird durch die Aufhebung der gesetzlichen Mietpreisbindung in eine rechtlich völlig ungesicherte Position gegenüber dem Vermieter gebracht. ({3}) Die Überprüfung der Miethöhe sowie der überwälzten Modernisierungskosten, der Betriebskosten, der Vergleich der verlangten Neumiete gegenüber der bisherigen Miete im Falle einer Neuvermietung war bisher leicht unter Zuhilfenahme bezirklicher Mietpreisstellen möglich. Die neue Regelung schafft dieses Verfahren und die Rechte der Mieter zur Überprüfung der ihnen vorgelegten Mietberechnung ab. Ab 1988 kann jeder Mieter nur noch unter Prozeßkostenrisiko im Zivilprozeß die ihm abverlangte Miete überprüfen lassen. Die fehlende Markttransparenz und die hohe Nachfrage nach Wohnungen auf dem nicht ausgeglichenen Berliner Wohnungsmarkt führen dazu, daß jeder Wohnungssuchende auch preisrechtlich überhöhte Mietforderungen akzeptieren wird, um durch Unterschrift unter einen Mietvertrag überhaupt erst einmal ein Dach über dem Kopf zu bekommen. Die Angebotsmacht der Vermieter führt die Mieter in eine Situation der Abhängigkeit: Akzeptiere ich die systematische Unübersichtlichkeit auf dem Wohnungsmarkt, um an eine Wohnung zu kommen, oder warte ich weitere Enttäuschungen des Wartens ab? Wer in Berlin einmal eine Wohnung gesucht hat, kennt die subjektiven Unterwerfungsrituale, die von Vermietern gegenüber interessierten Nachmietern angewandt werden. Es ist eine ungeheuerliche Zumutung, daß der Gesetzentwurf der Regierungskoalition kein Informationsrecht für Mieter enthält, das ihm erlaubt, die Mietpreisberechnung vor einer Vertragsunterzeichnung zu überprüfen. ({4}) Das ist ein Skandal. Die beabsichtigte Begrenzung des Mietanstiegs bei bestehenden Mietverhältnissen auf 5 %, zeitlich begrenzt bis Ende 1994, und bei Neuvermietung auf 10 % bis Ende 1991 wird völlig zur Farce, wenn dem Vermieter in dem Gesetz die Überwälzung der Modernisierungskosten zusätzlich eröffnet wird. Die Kostenüberwälzung wird über die Kappungsgrenze von 10 % bei Neuvermietung im Gesetz erlaubt, und zwar für Modernisierungskosten, für Betriebskosten, für Kapitalkosten und für Kosten nach den sogenannten vergleichbaren preisrechtlichen Vorschriften, schlichtweg: Kosten aus der Vergangenheit. Nimmt man all dies zusammen, dann werden die Kappungsgrenzen Ihres Gesetzes außer Kraft gesetzt. Zum Miethöhegesetz steht im Mieterlexikon des Deutschen Mieterbundes auf Seite 212 - ich zitiere - : Nach den neuen Mietengesetzen des Bundes kann der Vermieter den Vorwurf der unangemessenen Miete zurückweisen, wenn er nachweist, daß er lediglich eine kostendeckende Miete nimmt. Um dem Vermieter in diesem Fall jedoch den Vorwurf der unangemessenen Miete zu machen, muß die von ihm verlangte Miete die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als 50 To übersteigen. Erst wenn der Vermieter mehr als 20 % nach § 5 Wirtschaftsstrafgesetz bzw. mehr als 50 % über der ortsüblichen Vergleichsmiete erhalten hat, muß er das, was über dieser Grenze liegt, an den Mieter zurückzahlen. ({5}) In dieser generellen Kostenüberwälzungsmöglichkeit nach dem Miethöhegesetz, die die Kappungsgrenzen von 5 bzw. 10 To außer Kraft setzen werden, liegt die politische Explosionskraft dieses fatalen Gesetzes für Berlin. Es ist schlichtweg eine politische Schwindelei, daß die CDU/CSU-FDP-Koalition ihr Gesetz selber als dauerhaft und sozial definiert. Dieses Gesetz ist ein saurer und bitterer Bonbon an die Berliner. ({6}) Die Höhe des westdeutschen Mietenniveaus wird zwar etwas langsamer verabreicht, aber sie kommt. Das heißt, wir erreichen Mieten von 10 bis 13 DM pro Quadratmeter, wie sie in anderen Großstädten vorhanden sind. Bei der nächsten Wahl zum Abgeordnetenhaus werden wir uns dafür einsetzen, daß dieses Geschenk an die Haus- und Grundbesitzer nicht wiederholt werden kann. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Schulze ({0}).

Gerhard Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002109, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich jetzt darum bemühen, daß wir wieder zu einer sachlichen Diskussion dieser Thematik kommen, ({0}) nachdem mit sehr viel Polemik - ich bedauere das sehr - , Herr Kollege Wartenberg, auch von Ihnen hier gearbeitet worden ist. ({1}) Ich will sagen, daß die hinter uns liegenden Beratungen in den Ausschüssen - wie aber auch hier und heute - gezeigt haben, daß die Oppositionsfraktionen ihre bisher gezeigte starre Haltung zur Mietsituation in Berlin in keiner Weise überdacht haben. Ihr Vorschlag „Mietpreisbindung als Dauerrecht" bedeutet die totale Bürokratisierung des Wohnungswesens in Berlin. Herr Kollege Lüder hat schon in ähnlicher Weise darauf hingewiesen. Ich darf hier auch an dieser Stelle noch einmal daran erinnern, insbesondere Sie, Herr Kollege Wartenberg - wenn es der SPD auch nicht gefällt -, daß wir 1982, also fast genau vor fünf Jahren, hier gemeinsam beschlossen haben, daß es nun praktisch das letzte Mal ist, daß eine Sonderregelung für Berlin getroffen werden soll. Wir waren gemeinsam der Meinung - Sie können das nachlesen - , daß nun der Zeipunkt Schulze ({2}) gekommen sei, zu dem wir die Mietenregelung in Berlin in das soziale Mietrecht des Bundesgebietes überführen sollten. Ich möchte keineswegs leugnen - das ist auch schon von meinen Vorrednern betont worden - , daß sich einige Grundannahmen über die Entwicklung Berlins vom damaligen Standpunkt aus nachhaltiger, und ich darf sagen: im Grunde genommen für die Stadt positiver entwickelt haben.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sellin?

Gerhard Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002109, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es tut mir leid, ich habe nur wenig Zeit, Herr Sellin. Meine Zeit ist sehr beschränkt. Keine Zwischenfrage. Einerseits, meine Damen und Herren, ist klar, daß die Nachteile der Mietpreisbindung - ich erinnere nochmals an die völlig ungleichgewichtige Mietpreisentwicklung, den Schwarzmarkt und die horrenden Abstandszahlungen - von keinem vernünftig und gerecht denkenden Menschen über weitere Jahre hingenommen werden können. Andererseits müssen die Berliner Mieten - das ist hier schon erwähnt worden - angesichts der Spannungen und Verzerrungen in einigen Marktsegmenten beim Übergang in das bundesweit geltende soziale Mietrecht abgefedert werden, so daß abrupte Preissprünge vermieden werden und das Wohnen in der Mieterstadt bezahlbar bleibt. Deswegen wollen die Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundestag mit ihrem Gesetzentwurf, für den ich um Zustimmung bitte, die in mietpreisgebundenen Wohnungen lebenden finanzschwächeren Mieter durch ein System abgebremster Mieterhöhungsmöglichkeiten bis in die 90er Jahre hinein schützen. Gleichzeitig wird ein sanfte und berechenbare Anpassung an das bundesweit geltende soziale Mietrecht eingeleitet. Der Oppositionsvorwurf, mit unserem Gesetz werde gegen Interessen vor allem der ärmeren Mieterschichten verstoßen, ist falsch. Es ist hier schon darauf hingewiesen worden, daß Bangemachen ein sehr schlechter Ratgeber für ratsuchende Mieter ist. ({0}) Meine Damen und Herren, von seiten der SPD wird durchaus eingestanden, daß sich die von den Koalitionsfraktionen vorgesehenen Mietzinserhöhungsmöglichkeiten in den festgelegten Höchstbetragsgrenzen nicht so sehr von den eigenen politischen Absichten unterscheiden. Das hat übrigens Herr Müntefering ausgeführt. ({1}) - Das können Sie nachlesen, Herr Müntefering. Ich kann Ihnen das Blatt nachher überreichen. ({2}) - Nein, das war nicht 1982, das war bei der ersten Beratung dieses Gesetzentwurfes. ({3}) - Ich habe aber keine Lust, mich mit Ihnen darüber zu streiten. Ich gebe Ihnen nachher das Blatt, wo Sie es nachlesen können. Aber auch der SPD-Kollege Müntefering stellte die politischen Oppositionsabsichten nur unvollständig und einseitig dar, als er sagte, daß die SPD mit der Forderung nach gesetzlicher Festschreibung der Mietpreisbindung als Dauerrecht den Spekulanten ein für allemal ihre Chancen nehmen möchte. Aber genau das erreichen Sie mit der gegenwärtigen Regelung nicht. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Gerhard Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002109, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, keine Zwischenfrage. Ich bitte um Entschuldigung. ({0}) - Ich gebe ihm das Blatt nachher gerne. Meine Damen und Herren, um noch einmal zu den GRÜNEN zu kommen: In der „Taz" vom 18. Februar 1987 kann man nachlesen, worum es den Verteidigern der Mietpreisbindung tatsächlich geht. Völlig ohne sprachliche Schnörkel heißt es - ich habe das schon im Ausschuß erwähnt - : „Natürlich ist die Mietpreisbindung ein Stück Sozialismus." ({1}) Bei der Frage der Mietpreise in Berliner Altbauten geht es aber nicht um sozialistische Ideologien und ihre Umsetzung in das praktische Leben, sondern um die konkrete soziale Verbesserung der Wohnungssituation für die Mieter sowie um mehr Preisgerechtigkeit und auch Verteilungsgerechtigkeit. Dies ist gerade durch das staatliche Reglement, das wir seit Jahrzehnten in Berlin haben, bisher nicht erreicht worden. Eines will ich als Berliner Abgeordneter gerne zugeben: Das eindrucksvolle Unterschriftenvotum der Berliner Mieter - der Regierende Bürgermeister hat dazu auch etwas gesagt - hat die Zustimmung zum Gesetzentwurf der Koalition und der sie tragenden Parteien im Interesse Berlins noch beschleunigt und war sehr hilfreich gegenüber der damals und heute immer noch von der SPD vertretenen Auffassung. ({2}) Meine Damen und Herren, mein ausdrücklicher Dank im Namen Berlins gilt deshalb an dieser Stelle den Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU- und FDP-Bundestagsfraktion sowie der Bundesregierung. Ich bin davon überzeugt, daß sehr bald die Mieter Berlins bemerken werden - anders, als es hier von der Opposition heute dargestellt wird - , daß beim Gleitflug zum bundesweit geltenden sozialen Mietrecht bezahlbare und vor allem auch berechenbare Mieten ohne Mietsprünge und ohne unkontrollierte Schulze ({3}) Auswüchse in den nächsten Jahren Wirklichkeit sein werden. ({4}) Bei dem System jedenfalls, das wir haben und das wir in Berlin auch weiter haben wollen, steigen nach unserer Berechnung jedenfalls die Mieten höher als bei dem System, das wir Ihnen heute in Form eines Gesetzentwurfs vorlegen. ({5}) - Das glaube ich schon! Das können Sie nachrechnen. Bis 1995 würden bei dem jetzigen System, wenn es so bliebe, die Mieten bis um 75 % ansteigen. Meine Damen und Herren, zudem verbessert unser Gesetzesvorschlag die Voraussetzungen für Instandhaltung und Modernisierung. Auch daran sind wir interessiert: daß die Wohnungen instandgesetzt werden können, ({6}) daß modernisiert werden kann. Das liegt im Interesse von Mietern und auch von Vermietern. Darüber hinaus bleiben die Mieter gegenüber den Vermietern geschützt und können die für alle Bundesbürger geltenden Schutzbestimmungen für sich beanspruchen. ({7}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch folgendes sagen. Bertolt Brecht fordert durch sein Lehrstück „Der Jasager und der Neinsager" die Zuschauer auf, in jeder Lage neu nachzudenken. Im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, haben wir nachgedacht und gehandelt. Ich bin der Meinung, das Ergebnis kann sich sehen lassen. Es ist sicher nicht - wie Sie es hier prophezeit haben - ein schwarzer Tag, wenn der Bundestag heute unsere Regelung beschließt. ({8}) Im Gegenteil, ich möchte sagen, es ist eine für die Berliner durchaus tragbare Lösung. Da Sie, meine Damen und Herren, keinen auch nur annähernd brauchbaren Gegenvorschlag unterbreiten können - ich habe jedenfalls bisher noch keinen Gegenvorschlag gesehen, mit dem man wirklich etwas hätte anfangen können -, ({9}) appelliere ich an Sie: Unterstützen Sie bitte unseren ausgewogenen Gesetzesvorschlag zur Abfederung des Übergangs vom Mietpreisbindungssystem zum bundesweit geltenden Sozialmietrecht für Berlin.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Sie fangen an, über Ihre Redezeit hinauszugehen.

Gerhard Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002109, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Menzel. ({0})

Heinz Menzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001475, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie brauchen keine Sorge zu haben, ich werde Ihnen die Wahrheiten trotzdem sagen! Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei allen Meinungsverschiedenheiten sollten wir die Diskussion so führen, daß klar und deutlich wird, was uns unterscheidet und was wir mit unseren Vorstellungen erreichen wollen. Sagen sollten wir aber auch, ob und wo wir eventuell gemeinsame Erkenntnisse haben. ({0}) Denn wir alle haben, so glaube ich, die Pflicht, zu begründen, warum wir von der bisherigen gemeinsamen Linie und von den bisher gemeinsam getragenen Beschlüssen abweichen. Im Sommer 1982 waren wir in diesem Haus und waren, wie ich betone, auch die Parteien in Berlin der Meinung, daß sich die Wohnungsverhältnisse in Berlin bis 1989 denen im übrigen Bundesgebiet so angepaßt haben würden, daß die mietgesetzliche Sonderstellung Berlins entfallen könnte. Am 1. Januar 1988 sollte eine Übergangsregelung beginnen, und 1989 sollte sie auslaufen. Ich will daran erinnern, daß auch diese gesetzliche Regelung damals ein Kompromiß war. Wir Sozialdemokraten hatten schon damals Bedenken in der Frage, ob sich die Entwicklung in Berlin so schnell der Entwicklung im Bundesgebiet anpassen würde. Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien - das gilt insbesondere für die FDP - , wollten diese Anpassung noch viel schneller. Schließlich kam der Kompromiß zustande, der dann im Gesetz seinen Niederschlag fand. Heute wissen wir - darin besteht wohl Einmütigkeit; sonst wären ja die Gesetzesinitiativen nicht zu verstehen - , daß die Entwicklung, die wir damals, 1982, bei der Verabschiedung des Gesetzes gemeinsam unterstellt haben, nicht eingetreten ist und daß das Gesetz deswegen verändert werden muß. ({1}) Das heißt, wir sind gemeinsam der Ansicht, daß sich die Wohnungssituation in Berlin nicht so entwickelt hat, daß ein Auslaufen der Mietpreisbindung 1989 zu vertreten ist, weil es infolge des Wohnungsbestandes, der Struktur des Wohnungsbestandes und der geographisch-politischen Lage Berlins zu nicht zu vertretenden, um nicht zu sagen: zu katastrophalen Folgen für die Mieter führen würde. ({2}) Wenn das nicht so wäre, wäre ja auch Ihr Gesetzentwurf heute nicht berechtigt. ({3}) Jede Änderung, die erfolgt, muß diese Erkenntnisse berücksichtigen, denn die Berliner haben ein Recht, langfristig zu wissen, wohin der Weg führt. Jede Gesetzesinitiative - das gilt für Ihre von den RegieMenzel rungsparteien genauso wie für unsere - , jede angestrengte Gesetzesänderung ist nur gerechtfertigt, wenn sie die besonderen Wohnungsverhältnisse in Berlin zugrunde legt. Dabei ist eben die entscheidende Frage, ob sich die Wohnverhältnisse bis in die Mitte der 90er Jahre so verändern, daß sie dann den Verhältnissen oder den Regelungen in der übrigen Republik angepaßt werden können. Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, glauben, das Problem dadurch lösen zu können, daß Sie die Mietpreisbindung beseitigen und ab 1. Januar 1988 über die zu erwartende Einkommensentwicklung hinausgehende Mietsteigerungen zulassen. So sieht es bei vordergründiger Betrachtung des Gesetzes aus. Bei der Betrachtung aus der Sicht des wohnungspolitischen Praktikers bekommt Ihr Gesetzentwurf noch ein ganz anderes Gewicht. Sie eröffnen ab 1. Januar 1988 - also viel früher, als es nach dem bisher bestehenden Gesetz möglich wäre - die Möglichkeit für Mietanhebungen, die weit über die Einkommensentwicklung gerade der breiten Schichten hinausgehen und kaum zu kontrollieren sind, obwohl Sie genau wissen ({4}) - Sie als Berliner müßten es besonders wissen - , daß das für die Mieter zu Übervorteilungen führen wird, weil die Bestimmungen der §§ 2 und 3 Ihres Gesetzentwurfes die Mieter nicht vor einer solchen Entwicklung gegen die auch § 10 des Miethöhengesetzes auf Grund der gängigen Rechtsprechung nur einen unzureichenden Schutz darstellt, schützen, ja, sie geradezu zur Duldung zwingen. Ich frage Sie: Was hat sich denn in Berlin geändert, daß Sie die Schleusen der Mietpreisfreigabe ab 1. Januar 1988 öffnen und daß Sie ab 1994 auch die Übergangsregelung wegfallen lassen und damit alle Barrieren beseitigen wollen? Die Wohnungsbauzahlen sind hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Dazu hat auch Ihre Politik des Rückzugs des Bundes aus dem Sozialen Wohnungsbau und die Kürzung der Mittel für den Städtebau beigetragen. ({5}) Sie wissen doch, daß Ihr Argument der Eigentumsförderung in Berlin noch weniger zieht als im übrigen Bundesgebiet, weil die mangelnde Verfügbarkeit und der Preis von Bauland in Berlin wegen der geopolitischen Lage ein großes Hemmnis darstellt, es sei denn, Sie wollten die gerade in Berlin dringend notwendigen Grünflächen in Bauland umwandeln, was aus stadtökologischen Gründen wiederum unmöglich wäre. Auch Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU und der FDP, muß doch bekannt sein, daß der Anteil der Altbauwohnungen, also jener Wohnungen, die von der Mieterhöhung betroffen sind, mit 48 % so hoch ist wie in keiner anderen Stadt im übrigen Bundesgebiet. Sie können doch nicht übersehen, daß die Tatsache, daß der Bevölkerungsverlust in Berlin gestoppt ist und es Anzeichen eines leichten Zuwachses gibt, auch Auswirkungen auf die Wohnungssituation haben muß. Man braucht doch kein Prophet zu sein, um vorauszusehen, daß sich die Wohnungssituation bei einem Anteil von Altbauwohnungen von 48 % am Wohnungsbestand und der zurückgegangenen Zahl der Bauanträge bald verschärfen wird. ({6}) Wir dürfen die Augen auch nicht vor einer anderen Tatsache verschließen, die Auswirkungen auf die Wohnungssituation hat: Das ist die Entwicklung der Haushaltsgrößen. Betrug der Anteil der Einfamilienhaushalte 1980 noch 30,3 %, so wird er im Jahre 1990 schon 32,8 und im Jahre 2000 33,2 % betragen. Gewiß, das sind Bundeszahlen, aber wir wissen doch alle, daß die Entwicklung in dieser Frage gerade in Berlin noch drastischer verlaufen wird, und wir wissen auch, welche Auswirkungen das auf den Wohnungsmarkt hat. Der überlebende Ehegatte gibt doch seine Wohnung, auch wenn diese für seine veränderten Verhältnisse zu groß geworden ist, nicht auf. Mit dieser Wohnung sind Lebenserinnerungen verbunden. Mit dieser Wohnung verbindet ihn die Erinnerung an die Entwicklung seiner Familie. Ich gehe davon aus, daß niemand in diesem Hause diesen Menschen das Recht, die Wohnung zu behalten, streitig machen will. Das unterstelle ich niemandem. Wie wirkt es sich aber aus, wenn Sie die Schleusen für Mieterhöhungen öffnen, wenn Sie Mieterhöhungen zulassen, die weit über der zu erwartenden Einkommensentwicklung gerade dieses Personenkreises liegen werden? ({7}) Zwingen Sie damit nicht diese Menschen, sich aus materiellen Gründen von etwas zu trennen, was sehr mit ihrem Leben verbunden ist? Ihr Hinweis auf das Wohngeld ist doch nur ein schwacher Trost, zumal Sie auch auf diesem Gebiet hinter der Entwicklung herhinken. ({8}) Denn erst 1990 - Herr Kansy, Sie haben nicht Obacht gegeben, als der Minister sein Programm für die laufende Legislaturperiode bekanntgab - soll eine Überprüfung des Wohngeldes erfolgen. ({9}) So hat es jedenfalls Minister Schneider mitgeteilt. Bis dahin wird aber mancher Mieter seine Wohnung in Berlin räumen müssen, weil er die Miete nicht mehr aufbringen kann. ({10}) Abgesehen von diesen für den einzelnen bedrükkenden Folgen Ihrer Politik ergibt sich für uns Wohnungspolitiker aus der Entwicklung der Haushaltsgröße ganz einfach die Tatsache, daß sie zur Verschärfung der Wohnungssituation beitragen wird. Ich frage: Wie wollen Sie das mit Ihrem Gesetzentwurf vereinbaren? Alle Fakten, also sowohl das zu erwartende Verhältnis der Bevölkerungszahl zum zur Verfügung stehenden Wohnraum als auch die Auswirkung der Haushaltsgrößen auf den Wohnungsmarkt, lassen eher auf eine Verschärfung der Wohnungssituation in den 90er Jahren in Berlin schließen als auf eine Entlastung. Und in dieser Situation wollen Sie die Mietpreisbindung ganz beseitigen. ({11}) - Nein, es kommt noch dicker. Seien Sie unbesorgt. ({12}) Ich frage mich: Wo bleibt Ihre Logik? Wie wollen Sie das denn vor den Berliner Mietern rechtfertigen? Die zu erwartenden Folgen Ihrer Politik sind von den ca. 500 000 Unterzeichnern, die die Beibehaltung der Mietpreisbindung fordern, richtig erkannt worden. Ihr Gesetzentwurf ist keine Initiative zum Schutze der Mieter. Nein, Sie treten die Interessen der Mieter mit diesem Gesetzentwurf mit Füßen. ({13})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist vorbei.

Heinz Menzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001475, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Berliner Mieter können sicher sein, daß die Sozialdemokraten nicht nur im Berliner Abgeordnetenhaus, sondern auch im Deutschen Bundestag an ihrer Seite stehen. Recht schönen Dank! ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.

Dr. Oscar Schneider (Minister:in)

Politiker ID: 11002048

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das neue Mietrecht wird die Wohnungssituation im Lande Berlin dauerhaft verbessern. Alle gegenteiligen Behauptungen werden sich als falsch erweisen. ({0}) Ich habe an der Jahreswende 1982/83, als ich mich wochenlang heftigsten Angriffen wegen der kleinen Mietrechtsreform ausgesetzt sah, erklärt: Der Mieter, der seine Rechte kennt, braucht keine Sorgen, keine Angst zu haben. Das Gesetz wird zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen. Es wird Beruhigung an der Mieterfront bringen und den Rechts- und Sozialfrieden zwischen Mieter und Vermieter wiederherstellen und dauerhaft festigen. Die Entwicklung hat mir recht gegeben. ({1}) Genau dasselbe wollte ich zum Ausdruck bringen, als ich in einem Interview gesagt habe: Die Erregung bei den Mietern ist mir zwar verständlich, sie beruht aber auf der Unkenntnis der tatsächlichen Rechtsänderungen. Wenn die Mieter erleben werden, welche tatsächlichen Vorteile das neue Berliner Mietrecht für sie bringen wird, werden sie dem Berliner Senat, der Koalition und der Bundesregierung Glauben schenken. Ich muß auch noch darauf hinweisen - was vielfach nicht bedacht wird - , daß die Sozialmieter und die Mieter von gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften von dem Gesetz überhaupt nicht betroffen werden. Was die Unterschriftenaktion angeht, darf ich sagen: Es haben mehr Unterschriften geleistet, als Wohnungen überhaupt betroffen sind. ({2}) - Danke. Ich will nur ganz kurz sprechen. ({3}) - Ich will Sie nur mit Tatsachen konfrontieren. Nach dem geltenden Mietrecht in Berlin, das Sie als so sozial ausweisen, stiegen die Mieten 1983 um 17,8 %. Nach dem Mietrecht in der Bundesrepublik Deutschland, das so bekämpft worden ist, stiegen die Mieten 1983 um 6,2 %. In Berlin stiegen die Mieten 1984 - nach dem jetzigen Berliner Mietrecht - um 13,7 %, ({4}) nach dem Recht im Bundesgebiet um 4,4 %. 1985 stiegen die Mieten in Berlin nach dem dortigen Recht um 9,1 %, nach dem Bundesrecht um 3,7 %. ({5}) 1986 stiegen die Mieten in Berlin um 6,7 % und in der Bundesrepublik Deutschland um 2,8 %. Also, es wird sich erweisen: Dieses Gesetz ist nicht, wie Sie, Herr Wartenberg, gesagt haben, ein Schandwerk. ({6}) Es wird keine überproportionalen Mietsteigerungen geben. Es wird zu keiner unglaublichen Belastung der Mieter kommen. Es werden auch nicht die Schleusen der Mietpreisfreigabe geöffnet werden. Nein, die Berliner Mieter werden auf Dauer ihre Wohnungssituation verbessert sehen. Ein letztes Wort: Was wir heute beschließen, ist ein ehrliches Gesetz, ({7}) ein wirtschaftlich vernünftiges Gesetz, ein sozial vorteilhaftes Gesetz. Es wird den sozialen Frieden zwischen Mietern und Vermietern auf Dauer sichern. ({8}) Ich füge zum Schluß hinzu: Im übrigen wird das neue, erheblich verbesserte Wohngeldrecht zusätzliche Sicherheiten für die Berliner Mieter bieten. Ihre politische Rechnung wird nicht aufgehen. Die Bundesregierung wird auch in diesem Zusammenhang recht behalten. ({9})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP. Ich rufe die §§ 1 bis 10, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung, und zwar mit der Berichtigung, die vom Berichterstatter zu Beginn vorgetragen ist, auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften so zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Mehrheit hat die aufgerufenen Vorschriften angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit einer nicht übermäßig großen Mehrheit angenommen worden. ({0}) Meine Damen und Herren, der Ausschuß empfiehlt, auf Drucksache 11/490 weiter, die Gesetzentwürfe der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/29 sowie der SPD auf Drucksache 11/302 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? ({1}) - Wenn ich verhindern will, daß wir jetzt erstmalig in diesem Saal einen Hammelsprung durchführen, muß ich noch einmal um Abstimmung bitten. Ich möchte also noch einmal darum bitten, daß diejenigen ihr Handzeichen geben, die für die Beschlußempfehlung des Ausschusses stimmen, die besagt, daß die Gesetzentwürfe der Fraktionen der GRÜNEN und der SPD für erledigt erklärt werden. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung mit Mehrheit angenommen worden. ({2}) - Sie verstehen, warum das hier gemacht worden ist. Die Mehrheit des Hauses ist bekannt. Wenn ein einziger hier oben widerspricht, müssen wir einen Hammelsprung machen. Dann hätten wir alle viel Arbeit - und das abends um neun. Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes - Drucksachen 11/286, 11/307 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({3}) - Drucksache 11/538 - Berichterstatter: Abgeordnete Heistermann Wilz b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 11/545 Berichterstatter: Abgeordnete Müller ({5}) Frau Seiler-Albring Kühbacher ({6}) Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 539 vor. Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag von bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Wilz.

Bernd Wilz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002521, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt es, daß wir den Gesetzentwurf zur sozialen Absicherung ausscheidender Zeitsoldaten bereits einen Monat nach der ersten Lesung zur abschließenden Beratung vorlegen können, und zwar in einer deutlich verbesserten und ausgewogeneren Fassung. Es ist das Verdienst dieser Bundesregierung und der sie tragenden CDU/ CSU-FDP-Koalition, daß wir geschafft haben, was die Vorgängerregierung nicht erreicht hat, nämlich der Fürsorgepflicht des Staates gegenüber unseren Zeitsoldaten gerecht zu werden. Sie und ihre Familien werden damit erstmals gesetzlich gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit abgesichert. In intensiven Verhandlungen haben wir um eine umfassende und sozial gerechte Lösung gerungen. In zwei Punkten konnten wir entscheidende Verbesserungen erzielen. Erstens. Mit Erfolg haben wir die Einbeziehung der SaZ 2 in die gesetzliche Regelung erreicht. Ihnen steht unmehr ein Anspruch auf eine sechsmonatige Arbeitslosenbeihilfe zu. Ich glaube, daß die jetzt gefundene Lösung eine gerechte ist und daß dies von unseren SaZ 2 auch so empfunden wird. Zweitens - und das ist ein noch größerer Erfolg - : Der Anspruch auf Arbeitslosenbeihilfe tritt bereits rückwirkend zum 1. Januar in Kraft. ({0}) Im letzten Jahr haben wir unseren Soldaten diese Rückwirkung versprochen; heute lösen wir unser Versprechen ein. Auf unsere Bundesregierung und auf diese Koalition können sich unsere Zeitsoldaten verlassen. Wir halten Wort. ({1}) Wir danken unserer Parlamentarischen Staatssekretärin und der Bundesanstalt für Arbeit, daß sie sich über die technische Durchführung verständigt haben. Wir haben erneut auch die Frage gestellt - wir haben sogar einen Prüfungsauftrag erteilt - , ob die vorgesehene volle Anrechnung der Übergangsgebührnisse unveränderbar ist. Selbst dabei hat sich die SPD ihrer Verantwortung entzogen. ({2}) Aus Rechts- und Sachzwängen bleibt es jedoch bei der Anrechnung, und hier muß ich sagen: leider. Denn ich persönlich hätte es begrüßt, wenn man auf eine volle Anrechnung hätte verzichten können. ({3}) Wie Ihnen aus Vorgesprächen bekannt ist, hatte ich sogar ein Modell zu einer nur teilweisen Anrechnung entwickelt. Allerdings muß man der rechtlichen Stellungnahme des BMVg zugestehen, daß die längerdienenden Zeitsoldaten nicht unversorgt bleiben. Nehmen wir das Beispiel des SaZ 8. Er wird bereits ein volles Jahr während seiner Verpflichtungszeit für eine umfangreiche Berufsförderung freigestellt. Zusätzlich erhält er nach seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr eine 18monatige Fachausbildung und für diesen Zeitraum auch Übergangsgebührnisse. Im Gegensatz zum bisherigen Recht, wonach er bei nachfolgender Arbeitslosigkeit auf Sozialhilfe angewiesen war, steht ihm jetzt wenigstens ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe zu. Die beste Vorsorge gegen Arbeitslosigkeit ist immer noch eine möglichst gute und umfassende Berufsförderung. ({4}) Hier haben wir seit der Übernahme der Regierung durch uns viele positive Schritte bewirkt. ({5}) So haben wir z. B. die personelle Ausstattung im Berufsförderungsdienst verbessert. Wir haben dafür gesorgt, daß die Mitarbeiter der Berufsförderungsdienste in Lehrgängen durch Fachleute aus Industrie und Wissenschaft über die neuesten arbeitsmarktpolitischen Entwicklungen und künftigen Erwartungen geschult werden. Ich erinnere auch an den Forschungsauftrag, wonach die Ausbildungs- und Tätigkeitsmerkmale der sogenannten Kämpfer mit den industriellen und kaufmännischen Berufen zu vergleichen und hierfür zu nutzen sind. Sie dürfen sicher sein, daß wir den Beförderungsdienst und das entsprechende Lehrgangswesen mit Volldampf weiter verbessern werden. ({6}) Unsere Zeitsoldaten werden mit dem heute zur Verabschiedung vorgelegten Gesetzentwurf endlich gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit abgesichert. Wir haben sowohl die Einbeziehung der SaZ 2 als auch die Rückwirkung sichergestellt. Wir, die CDU/CSU, nehmen uns aus Überzeugung der sozialen Belange unserer Soldaten und ihrer Familien an. Für uns steht jeder einzelne nicht nur als Soldat, sondern vor allem als Mensch im Mittelpunkt unserer Politik. Wir bitten daher um Zustimmung zu diesem Gesetz. Ich darf mich bedanken. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Heistermann.

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege Wilz, es ist schon eine Zumutung, wenn man Arbeitslosigkeit verantwortet, das früheren Bundesregierungen dann zur Regelung zuzuschieben. ({0}) Da würde ich doch in der Zeitperspektive drin bleiben und sehen, daß auch Sie von 1956 bis 1969 Regierungsverantwortung hatten ({1}) und daß Sie seit 1982 wieder in der Regierungsverantwortung stehen. Deshalb ist das mit den Vorwürfen ein bißchen vorsichtiger zu bewerten, als Sie das hier gemacht haben. ({2}) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, nach langem Drängen kommt die Bundesregierung mit ihrer Novelle zum Soldatenversorgungsgesetz jetzt dem vor dreißig Jahren erteilten Auftrag nach, die Arbeitslosenversicherung auch für Zeitsoldaten zu regeln. Der zur Verabschiedung anstehende Gesetzentwurf der Bundesregierung, auf den arbeitslose ehemalige Zeitsoldaten ohne die wiederholten Initiativen der SPD vermutlich immer noch warten würden, beseitigt jedoch nicht einen gesetzlosen Zustand, sondern er schafft neues Unrecht. Arbeitslosenbeihilfen sollen erhalten: arbeitslose Zeitsoldaten nach einer Verpflichtszeit von zwei Jahren nur für sechs Monate und längerdienende Zeitsoldaten nur nach Verrechnung mit ihren Übergangsgebührnissen, die nie als Unterstützung bei Arbeitslosigkeit vorgesehen waren. Die SPD-Bundestagsfraktion wird diesem Gesetzentwurf auch in der geänderten Fassung nicht die Zustimmung geben. ({3}) Unser Änderungsantrag zum Gesetzentwurf der Bundesregierung sah demgegenüber die volle Einbeziehung der SaZ-2-Soldaten und den Verzicht auf Anrechnung der Übergangsgebührnisse vor. Diesen vernünftigen Entwurf haben Sie abgelehnt. Dafür haben Sie auch die politische Verantwortung zu übernehmen. ({4}) Zum zweitenmal hat diese Regierungsmehrheit einen Antrag der SPD-Bundesfraktion abgelehnt, rehabilitationsbedürftige, nicht wehrdienstgeschädigte ehemalige Soldaten auf Zeit in die Leistungen entHeistermann sprechend dem § 59 des Arbeitsförderungsgesetzes aufzunehmen. ({5}) Diese Gruppe bleibt wiederum auf die Sozialhilfe angewiesen. Deutlicher kann man soziale Kälte eigentlich nicht darstellen. ({6}) Wir müssen Ihren Gesetzentwurf auch deshalb ablehnen, weil er gleiche Tatbestände ungleich behandelt. Sie bringen es fertig, daß Soldaten auf Zeit einmal auf sechs Monate und einmal bis zu einem Jahr unter Anrechnung ihrer Übergangsgebührnisse abgefunden werden. Sie bezahlen also ihre Arbeitslosigkeit selber. Daneben beziehen alle die Soldaten auf Zeit, die in zivile Berufe überwechseln, neben Lohn oder Gehalt auch die Übergangsgebührnisse ohne Anrechnung, bis hin zu jenen Offizieren, die mit einer zusätzlichen Abfindung bis zu 42 000 DM einschließlich einer Rente im knackigen Mannesalter aus der Bundeswehr ausscheiden können. ({7}) Sie sollten sich gegenüber den Soldaten, die heute arbeitslos sind, nicht nur schämen, sondern Sie sollten sich - ich sage das in aller Betroffenheit ({8}) einmal bewußt machen, mit welcher Kälte Sie diese Soldaten auf Zeit behandeln. ({9}) Ich sage: Sie haben für Arbeitslose im Grunde noch nie Verständnis gehabt. Für Waffen stellen Sie Milliardenbeträge bereit, für die Menschen in der Bundeswehr nur Kleingeld. ({10}) Das ist Ihre Politik, und diese Politik werden wir hier als das darstellen, was sie ist. Zynisch ist auch der Beschluß Ihrer Mehrheit im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. Dort heißt es: „deutlich zu machen, daß die Einführung der Arbeitslosenbeihilfe für Zeitsoldaten kein Präjudiz für andere befristete öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse darstellt" . - Auch hier wird Ihr Verhältnis zu arbeitslosen Menschen deutlich. Wir fordern Sie deshalb auf: Lehnen Sie mit uns den Gesetzentwurf der Bundesregierung und der Regierungskoalition zum Soldatenversorgungsgesetz ab! Stimmen Sie dem Entschließungsantrag der SPD-Bundestagsfraktion zu, der vorsieht, daß künftig auch Beamte auf Zeit bzw. auf Widerruf gegen Arbeitslosigkeit abgesichert werden! Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Nolting.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach mehr als 30 Jahren kommt der Gesetzgeber der Selbstverpflichtung im § 30 des Soldatengesetzes nach, die Arbeitslosenversicherung der Soldaten endlich - ich betone: endlich - gesetzlich zu regeln. Für die FDP kann ich dies nur ausdrücklich begrüßen. ({0}) - Es gibt zwei große Parteien und eine wichtige, und das ist die FDP. ({1}) - Ich habe nur fünf Minuten Zeit, vielleicht sparen Sie sich das für später auf. Ich will aber gleich vorweg sagen, daß mit diesem Gesetz nicht alle eventuell bestehenden Probleme ({2}) - Herr Horn, Sie sollten zuhören - im sozialen Bereich gelöst werden können, was auch heute wieder von der SPD, Herr Heistermann, fälschlicherweise gefordert worden ist. Herr Heistermann, dies war nicht unsere Auftragslage. Mit diesem Gesetzesvorhaben, Herr Horn, sollen nach den Vorstellungen von FDP und Union alle Soldaten auf Zeit mit einer Dienstzeit von mindestens zwei Jahren für den Fall einer Arbeitslosigkeit nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses finanziell abgesichert werden. Meine Damen und Herren, das ist nach mehr als 30 Jahren ein Ereignis, um nicht zu sagen: ein freudiges Ereignis, mit dem in der Truppe schon niemand mehr gerechnet hat. ({3}) - Hören Sie doch erst einmal zu! - Sie alle wissen, daß sich die Fraktionen seit einem Jahr mit diesem Thema intensiv beschäftigen. Ich kann vor allen Dingen Ihnen von der Opposition sagen: Wir feiern heute dank der Liberalen ein einjähriges Jubiläum. ({4}) - Herr Horn, wenn Sie dann soweit sind, mache ich weiter. Ich höre Sie gern lachen. Vielleicht machen Sie das gleich auch noch. - Es war nämlich die FDP-Fraktion - Herr Horn, das nur zu Ihrer Erinnerung -, die genau vor einem Jahr - vielleicht schauen Sie einmal in Ihren Kalender -, nämlich am 25. Juni 1986, die Absicherung arbeitsloser Soldaten auf Zeit forderte. ({5}) - Vielleicht erkundigen Sie sich beim Kollegen Heistermann, gnädige Frau. - Ich möchte - auch das nur zur Erinnerung, Herr Horn - das Stichwort von 150 Kampfpanzern Leo II nennen, deren vorgezogener Beschaffung wir nur unter der Voraussetzung zugestimmt haben, ({6}) daß gleichzeitig zur Absicherung arbeitsloser Soldaten auf Zeit 50 Millionen DM bereitgestellt würden. ({7}) - Herr Heistermann, ich habe nur fünf Minuten Zeit. Ich muß mich jetzt schon sputen. ({8}) Trotz einer vorübergehenden Weigerung - das erwähne ich auch - des Finanzministers bestätigte der Haushaltsausschuß nach entsprechenden Beschlüssen des Verteidigungsausschusses diesen Ansatz im Haushaltsplan 1987 mit der Aufforderung an die Bundesregierung, in der 11. Legislaturperiode schnellstmöglich einen Gesetzentwurf einzubringen, um das Gesetz rückwirkend zum 1. Januar 1987 in Kraft treten lassen zu können. In der Haushaltsdebatte am 26. November 1986 wurde der Termin - auch daran werden Sie sich erinnern können - mehrfach genannt. Auch der Herr Verteidigungsminister stimmte diesem Termin vor dem Plenum zu. Das möchte ich noch einmal ausdrücklich betonen. Ich glaube - vielleicht stimmen Sie mir in diesem Punkt ausnahmsweise zu - , mit Recht festhalten zu können, daß wir ohne den damaligen Antrag der FDP heute immer noch keinen Gesetzentwurf vorliegen hätten. Meine Damen und Herren, bei der Vorlage des Gesetzentwurfs im Mai dieses Jahres hat der Kollege Ronneburger für die FDP die damals noch bestehenden Unzulänglichkeiten des Gesetzentwurfs vor diesem Hause bemängelt. In vielen Beratungen - der Kollege Wilz hat vorhin darauf hingewiesen - haben FDP und Union schließlich erreicht, daß das Gesetz in wesentlichen Teilen den berechtigten Ansprüchen der Soldaten gerecht wird. Ich möchte nur noch ganz kurz aufzeigen, warum die FDP dem Gesetzentwurf jetzt zustimmen kann. Wir sind schließlich im Gegensatz zu Ihnen kompromißbereit und wollen vernünftige Gesetze, wenn sie vorgelegt werden, nicht unnötig zerreden, sondern sie im ersten Schritt erst einmal beschließen. Die einzelnen Punkte hat der Kollege Wilz aufgeführt: rückwirkendes Inkrafttreten, die SaZ 2 werden mit einbezogen. Allerdings stellt die Begrenzung des Anspruchs auf Arbeitslosenbeihilfe auf sechs Monate für uns nur einen Kompromiß dar. Das haben wir im Ausschuß gesagt, und das wiederholen wir. Wir können dem aber jetzt zustimmen, weil wir wenigstens für sechs Monate die erreichen, die vorher überhaupt nicht abgesichert waren. Die SaZ 3, 4 und 5 werden einbezogen, die, die sich vorher nicht auf das Berufsleben vorbereiten konnten. Eines darf ich vielleicht zum Abschluß, Herr Präsident, noch sagen. Ein bitter Wermutstropfen bleibt für uns als FDP, daß das Gesetz noch eine Anrechnung der Übergangsgebührnisse vorsieht. Das haben wir im Ausschuß gesagt, auch das wiederhole ich hier: Das wird von uns weiter kritisch gesehen. ({9}) - Warten Sie es ab. - Leider sind wir hier an die Grenzen des Machbaren gestoßen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter - Nolting ({0}) : Damit komme ich zum Abschluß: Das wissen auch Sie als SPD, und der Kollege Wilz hat auf dasselbe Problem hingewiesen -

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, man kann auch über längere Zeit zum Schluß kommen, bloß Sie müssen es kürzer tun.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme jetzt wirklich zum Schluß. Sie kennen den Satz von Max Weber: „Politik ist das beharrliche Bohren von dicken Brettern." Gerade Sie von der Opposition können sich darauf verlassen, daß wir in dieser Sache weiterbohren werden. Vielen Dank. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mechtersheimer.

Dr. Alfred Mechtersheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001450, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn hier jemand glaubhaft bedauern kann, daß 30 Jahre lang nichts geschehen ist, dann sind es ja wohl die GRÜNEN. ({0}) Alle anderen tragen Verantwortung dafür, daß eine Regelung, die angefordert war, bisher nicht erfolgte. Es ist in der Tat nicht einzusehen, daß junge Menschen, die sich für zwei bis 15 Jahre bei der Bundeswehr verpflichten, anschließend zu Sozialhilfeempfängern werden. Deshalb werden vermutlich die fast 170 000 Zeitsoldaten aufgeatmet haben - ich denke nicht an die, die sich auf zwei Jahre verpflichtet haben -, als sie am Montag dieser Woche in „Bundeswehr aktuell", diesem Bundeswehr- „Bild", gelesen haben, daß sie im Falle der Arbeitslosigkeit Anspruch auf Arbeitslosenbeihilfe und Arbeitslosenhilfe haben. „Voraussetzung dafür ist ...", und dann kommt alles mögliche, nur nicht das Entscheidende, daß die hier eben schon erwähnte Anrechnung der Übergangsgebührnissse erfolgt.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Horn?

Dr. Alfred Mechtersheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001450, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es scheint zwar unüblich zu sein, aber ich mache es gerne.

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bedanke mich vielmals, Herr Kollege Mechtersheimer. Bitte, nehmen Sie mir das nicht übel, aber Sie haben hier alle Parteien angeklagt, ({0}) daß sie dieses versäumt haben. Würden Sie mir zugeben, daß in den langen Jahren, in denen dieses VerHorn säumnis eingetreten ist, Sie selbst Mitglied der CSU gewesen sind, d. h. einer der Parteien, die mit dafür verantwortlich sind? ({1})

Dr. Alfred Mechtersheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001450, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich spreche mich von dieser Mitschuld überhaupt nicht frei; aber wer sich selbst bewegt, kann vielleicht um so mehr bewegen. ({0}) Es ist eine schlimme Irreführung, daß das nicht gesagt wurde, was für die Leute wichtig ist, daß diese Übergangsgebührnisse nämlich mitberechnet werden. Das ist schon eine Zumutung - ich sage das auch an die Adresse der Staatssekretärin - , wenn man als junger Soldat mit ansehen muß, daß auch besserverdienende Angehörige der Streitkräfte kräftig zuverdienen können, und hier wird abgezogen. Man kann natürlich Bedenken haben gegen die zeitgleiche Leistung aus beiden Möglichkeiten. Deswegen halte ich eine künftige Regelung - es ist ja signalisiert worden, daß man Bereitschaft zeigt, neu nachzudenken -, bei der eine Gewährung hintereinander erfolgt, für nicht uninteressant. Das könnte nämlich dazu führen, daß auch ältere Soldaten, die Schwierigkeiten haben, wieder in den Arbeitsprozeß eingegliedert zu werden, gerade in dieser schwierigen Situation nach den drei Jahren, beispielsweise bei einer Verpflichtungszeit von 15 Jahren, wirklich geholfen bekommen. Ich darf vielleicht ein persönliches Wort an die Frau Staatssekretärin richten. Gestern konnte man ein sehr freundliches Portrait von Ihnen in der „Süddeutschen Zeitung" lesen. ({1}) Da ist sehr viel von Wärme für die Hardthöhe usw. gesprochen worden. ({2}) „Mutter Courage" ist da gesagt worden. Die Courage habe ich, gnädige Frau, bei dieser Gesetzesvorlage noch nicht entdecken können. Aber derartige Titulierungen, auch wenn sie von Herrn Geißler gegeben sind, haben natürlich oft eine besondere Wirkung. Ich hoffe, daß sich bei künftigen Maßnahmen im sozialen Bereich der Bundeswehr deutlicher zum Ausdruck bringt, daß man sehr hohe Erwartungen auch von seiten der Soldaten auf Sie gerichtet hat. Es ist nicht zuletzt durch den Druck der Opposition - das muß hier ganz deutlich gesagt werden - gelungen, einen Durchbruch zu erzielen. Das möchte ich vielleicht ganz generell einmal zu bedenken geben. Es ist erstmals das sogenannte Entwicklungshelfermodell für zeitweilig Beschäftigte im Staatsdienst angewandt worden. Das ist wichtig, das ist ein Durchbruch. Es gibt aber auch andere Gruppen, nämlich Beamte auf Zeit, Beamte auf Widerruf - Lehrer; deswegen finde ich die Initiative der SPD völlig berechtigt - , die ebenfalls nach ihrer Ausbildung auf Sozialhilfe angewiesen sind. Wir sind dem Bundeswehrverband dankbar dafür, daß er hier eine wertvolle soziale Pionierarbeit nicht nur für die Soldaten geleistet hat. Wir von den GRÜNEN unterstützen die sozialen Forderungen der Soldaten auch deshalb, weil die Menschen in der Armee durch die Produkte der Rüstungsindustrie ausgebeutet werden. In diese Armee werden immer mehr und immer teurere Waffensysteme hineingepreßt, weil die Rüstungsindustrie und ihr Umfeld verdienen wollen. Die Soldaten dürfen dienen, an diesen Waffensystemen, oft unter unzumutbaren finanziellen Bedingungen, vor allem auch für die Familien. Wenn die Koalition zu Kürzungen des Verteidigungshaushalts nicht fähig ist - wie offenkundig wird -, dann ist es immer noch besser, das Geld für die Menschen als für die Waffen auszugeben. Durch Arbeitslosengeld für Zeitsoldaten beispielsweise wird das Wettrüsten nicht angeheizt, wohl aber durch die Flut von Neubeschaffungen, die Sie mit Besessenheit vorantreiben. Natürlich sind solche gesetzlichen Regelungen, wie sie hier zur Diskussion stehen, nur Pannendienste. Es wäre politische Aufgabe, daß für die hier vorgesehene Regelung - 50 Millionen DM - nicht ein einziger Pfennig ausgegeben werden muß. Das wollen auch die arbeitslosen Soldaten. Wenn aber Ihre Arbeitslosigkeit produzierende Politik solche Gesetze notwendig macht, dann dürfen keine Halbherzigkeiten geschaffen werden. Aus diesem Grund können wir dieser Regelung nicht zustimmen. Vielen Dank. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium der Verteidigung, Frau Hürland-Büning. Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Mechtersheimer, wenn Sie von unterschiedlicher Bezahlung sprechen, dann müßten Sie, der Sie als Professor mehr Geld als Ihre Studenten bekommen haben, in Fortführung Ihrer Ausführungen eigentlich auch dafür sorgen, daß die Studenten oder zumindest die Assistenten das gleiche bekommen wie Sie. ({1}) Meine Damen und Herren, die Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP löst heute ein Versprechen ein, das sie im vergangenen Jahr den Zeitsoldaten der Bundeswehr gegeben hat. ({2}) Es ist das Verdienst von Minister Dr. Manfred Wörner, daß so kurze Zeit nach Beginn der neuen Legislaturperiode des Deutschen Bundestages dieses Gesetz vorgelegt wurde und heute beschlossen werden kann. Hiermit werden Soldaten auf Zeit für den Fall einer Arbeitslosigkeit nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses finanziell abgesichert. Dieses Gesetz ist eine wichtige Ergänzung unserer erfolgreichen Bemühungen, einen reibungslosen Übergang von Zeitsoldaten in den Zivilberuf sicherzustellen und damit zugleich den Dienst für Zeitsoldaten in der Bundeswehr attraktiv zu gestalten. Das Gesetz fügt sich in ein Bündel von Verbesserungen der Lage der Bundeswehr und der sozialen Situation unserer Soldaten ein, die wir durchgesetzt haben. ({3}) - Halb ist aber mehr als das, was Sie früher gemacht haben. ({4}) Ich nenne hier nur wenige Beispiele: Erstens. Zwei Wehrsolderhöhungen seit 1982. Zweitens. Die nächste großzügige Wehrsolderhöhung ist bereits beschlossen. Drittens. 21 000 länger verpflichtete Unteroffiziere und Mannschaften konnten gewonnen werden. Viertens. Vermehrung der Stellen im öffentlichen Dienst für ehemalige Soldaten auf Zeit. Fünftens. Wesentliche Verbesserungen im Reise- und Umzugskostenrecht. Sechstens. Milderung von Versetzungsfolgen. Siebentens. Wiedereinführung von Spitzendienstgraden für Unteroffiziere. Achtens. Die ständige Ausweitung von Maßnahmen des Berufsförderungsdienstes. Neuntens folgt heute die Novellierung des Soldatenversorgungsgesetzes. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Staatssekretärin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heistermann?

Agnes Hürland (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000976

Bitte schön.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Heistermann.

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretär, darf ich aus Ihrer jetzt gegebenen Begründung entnehmen, daß die SaZ-2-Soldaten eigentlich nur unter einer halben Arbeitslosigkeit leiden, während die anderen, je länger sie Dienst in der Bundeswehr tun, dann also mit einer Jahresarbeitslosigkeit durch die Bundesregierung bewertet werden, und wird das künftig zum allgemeinen Maßstab entwickelt?

Agnes Hürland (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000976

Herr Kollege Heistermann, ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Zwischenfrage, da Sie mir Gelegenheit gibt, noch mal darauf hinzuweisen, daß wir unterschiedliche Regelungen auch bei den Übergangsgebührnissen je nach der Länge der Zugehörigkeit zur Bundeswehr haben und daß wir es aus diesem Grund für gerechtfertigt halten, daß Soldaten, die „nur" zwei Jahre bei der Bundeswehr Dienst tun, entsprechend gestaffelt gegen die Arbeitslosigkeit abgesichert sind. ({0}) - Das kommt auf den Standpunkt an. Der Erfolg des heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetzes ist für jeden sichtbar, der sich nicht durch politische Vorurteile und gezielte Meinungsmache beeindrucken läßt. Wie die Zahlen ausweisen, ist der Dienst als Zeitsoldat in den Streitkräften wieder attraktiv. Wir haben gerade im vergangenen Jahr so viele Zeitsoldaten wie nie zuvor einstellen können. Wir dürfen in unseren Anstrengungen aber nicht nachlassen. Die Mehrheit aller Zeitsoldaten nutzt die Möglichkeiten, die der militärische Dienst und die Berufsförderung zum zivilberuflichen Aufstieg oder zur Umschulung in einen anderen Beruf bieten. Ich wollte, dies wäre viel mehr bekannt. Es wird nun höchste Zeit, meine Damen und Herren von der Opposition, daß Sie diese Erfolge dieser Bundesregierung und der sie tragenden Parteien anerkennen, so wie die Soldaten es längst tun. ({1}) Das beste Mittel gegen Arbeitslosigkeit ist Arbeit. ({2}) Deshalb haben wir gerade jetzt in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeit Stellenbörsen für die Vermittlung von Zeitsoldaten eingerichtet. Dieses Gesetz schafft Sicherheit für die relativ kleine Zahl der Zeitsoldaten, die trotz aller Bemühungen nach Beendigung ihrer Dienstzeit zunächst arbeitslos werden. Es stellt Soldaten auf Zeit mit anderen von Arbeitslosigkeit Betroffenen finanziell gleich. Damit wird ein wichtiges sozialpolitisches Anliegen zugunsten der Soldaten auf Zeit erfüllt. Die Bundesregierung begrüßt es, daß das Gesetz, wie ursprünglich beabsichtigt, rückwirkend am 1. Januar dieses Jahres in Kraft treten soll. Bei der Anrechnung der Übergangsgebührnisse auf die Arbeitslosenhilfe muß es bleiben, weil diese auch zur Absicherung des Lebensunterhalts dienen und daher die zusätzliche Gewährung von Arbeitslosenbeihilfe weder notwendig noch sozialpolitisch vertretbar wäre. Diese Regierung zeigt, daß auch in Zeiten knappen Geldes und notwendiger weiterer Haushaltskonsolidierung erforderliche Maßnahmen verwirklicht werden. Auch dieses Gesetz ist ein Beweis dafür, daß im Mittelpunkt unserer Politik immer der Mensch steht. Unsere Soldaten können sich also auch in Zukunft auf diese Koalition verlassen. Mein herzlicher Dank gilt den Mitgliedern der beratenden Ausschüsse für die zügige Behandlung dieses Gesetzentwurfs im Bundestag und im Bundesrat, und zwar - das darf ich einmal anerkennen - aller Fraktionen, ({3}) besonders dem federführenden Verteidigungsausschuß und den Berichterstattern. Ich danke aber auch dem Bundeswehrverband sowie Handel, Handwerk, Industrie und Gewerbe, die Soldaten nach ihrer Dienstzeit einstellen. Ich bitte Sie, diesen Gesetzentwurf zuzustimmen, auch wenn wir uns heute, meine ich, nicht darüber unterhalten sollten, wer das Erstgeburtsrecht hat. Denn wir sind uns sicher - ich jedenfalls bin mir während der Beratungen sehr sicher geworden - , daß alle die, die sich um das Wohl der Soldaten bemühen, auch dieses Gesetz angestrebt haben. Ich danke Ihnen. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das bedeutet, daß die aufgerufenen Vorschriften mit Mehrheit angenommen worden sind. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. ({0}) Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Also, der Präsident stellt die Mehrheit fest, Herr Biehle. ({1}) Das Adjektiv „groß" habe ich weggelassen. Ich hatte Gründe dafür. Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/539 ab. Wer für diesen Entschließungsantrag stimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt. Nun rufe ich den Tagesordnungspunkt 26 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines sechsten Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes - Drucksache 11/388 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({2}) - Drucksache 11/534 Berichterstatter: Abgeordnete Becker ({3}) Dr. Lammert b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 11/535 Berichterstatter: Abgeordnete Borchert Frau Seiler-Albring Esters ({5}) Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag von bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Dagegen sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Traupe.

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Mitglieder des Deutschen Bundestages verabschieden jetzt die Höhe ihrer Diäten und ihrer steuerfreien Pauschale für die Zeit ab dem 1. Juli 1987. Für viele Menschen in der Bundesrepublik Deutschland entscheiden wir über sehr stattliche Beträge. Ich habe Verständnis dafür, wenn Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose und auch Rentner mit kleinen Renten uns deshalb kritisieren. Doch ich wiederhole, was ich bereits in der ersten Lesung angedeutet habe: Die Wählerinnen und Wähler erwarten von uns, daß wir unsere Aufgaben als Bundestagsabgeordnete erst nehmen. Die Vielfalt der Aufgaben im Wahlkreis und in Bonn belastet die meisten Kolleginnen und Kollegen bis an die Grenze ihrer physischen und psychischen Leistungsfähigkeit. Es ist eben keine Leistungstätigkeit mit geregelter Arbeitszeit. Der Abgeordnete, der einen Flächenwahlkreis vertritt, kennt keine Fünf-Tage-Woche. Doch auch andere haben an den Wochenenden viele Aufgaben zu erledigen, zu denen sie während der Woche nicht gekommen sind. Vor allen Dingen gilt es - das betrifft uns alle, wo immer wir tätig sind - , ein großes Lesepensum zu bewältigen, will man wirklich sachkundig werden. Vor diesem Hintergrund muß man diskutieren, wenn man die zwölfmal im Jahr gezahlten Diäten in Höhe von nun - ab dem 1. Juli 1987 - 8 729 DM und die steuerfreie, aber nicht in die Altersversorgung eingehende Pauschale von nun 5 078 DM sieht. Halten wir uns wirklich für so unqualifiziert, ({0}) daß wir die 518 Abgeordneten, die alle vier Jahre vom deutschen Volk gewählt werden, schlechter bezahlen als die Beamten, die uns in den Besoldungsgruppen B 3 bis B 11 zuarbeiten? Meine Damen und Herren, auch der Öffentlichkeit - ich bedauere es außerordentlich, daß wir erst zu dieser späten Stunde darüber reden - muß einfach bekannt sein, daß wir heute Tausende von Beamten haben - ich mißgönne denen das nicht - , die mehr bekommen als ein deutscher Bundestagsabgeordneter. Ich beginne mit dem Ministerialrat B 3, der heute 13 Monatsgehälter bekommt, einen monatlichen Grundbetrag von 7 120 DM, als Verheirateter mit 2 Kindern - ich sehe den Kollegen Heisterbach an - einen Ortszuschlag von 1 257 DM, und dazu kommt dann die Ministerialzulage von 572 DM. ({1}) Ich vermute, Sie wissen alle nicht, daß heute ein Ministerialrat der Gruppe B 3 zusammen rund 8 950 DM und damit mehr erhält als ein deutscher Bundestagsabgeordneter nach dem 1. Juli 1987. ({2}) - Das habe ich ja gesagt. Noch viel interessanter ist der Vergleich zum Ministerialdirektor B 9, der ein monatliches Grundgehalt von 10 313 DM erhält, dazu den entsprechenden Ortszuschlag gleicher Größenordnung und die Ministerialzulage. Gegenüber den Parlamentariern hat der Beamte einen höheren Pensionsanspruch, als dies z. B. ein Bundestagsabgeordneter erreicht, der zwanzig Jahre dem Parlament angehört und hier gearbeitet hat. Wenn wir, meine Kolleginnen und Kollegen, qualifizierte Abgeordnete in den Parlamenten haben wollen, dann sollen sich diese wenigstens materiell mit den qualifizierten Leuten des öffentlichen Dienstes vergleichen können. ({3}) Da wir alle wissen, welche Gehälter in den oberen Etagen der Wirtschaft, der Zeitungsredaktionen oder auch der Rundfunkanstalten gezahlt werden - das können wir ja nachprüfen - , trete ich ausdrücklich auch für einen gut bezahlten öffentlichen Dienst ein. Wenn ich die Beamten sehe, die hinter uns oder auf den Bänken sitzen und ihre Arbeit leisten, sage ich Ihnen: Ich will Ihnen nichts wegnehmen. Für mich besteht aber kein Zweifel, daß Abgeordnete für ihre verantwortungsvolle Aufgabe, die sie im Verfassungsrang tragen, Anspruch auf eine angemessene Bezahlung und Amtsausstattung haben, damit wir auch weiterhin gute junge Leute gewinnen können. Herzlichen Dank. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Roitzsch.

Ingrid Roitzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001877, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Es scheint so wie in der ersten Lesung dieses Gesetzes zu sein, daß hier von allen Fraktionen offensichtlich nur wieder die Frauen sprechen. ({0}) - Dann sagen wir „ausschließlich", nicht „nur". ({1}) Vielleicht liegt es daran, daß dieses Gesetz und diese Debatte eine sehr unpopuläre Sache sind; denn in keinem anderen Berufsstand gibt es das, daß Leute selber über ihre Gehaltserhöhung entscheiden müssen. Sie wünschen sie sich zwar, aber selber zu entscheiden und öffentlich zu entscheiden, ist, meine ich, die ehrlichste Form, über Einkommen zu reden. ({2}) Deshalb lasse ich auch nicht gelten, wenn man in diesem Vergleich Sozialhilfeempfänger oder Arbeitslose uns gegenüberstellt. Arbeitslos oder Sozialhilfeempfänger zu sein, ist ein Schicksal, mit dem man nicht Schindluder treiben sollte. Aber andererseits müssen wir, wenn wir eine funktionierende und eine überzeugende Demokratie haben wollen, überzeugende Abgeordnete haben, und überzeugende Abgeordnete - herzlichen Dank, Frau Traupe, für die Beispiele, die Sie gebracht haben - bekommen wir nur, wenn sie qualifiziert sind - über 50 % der Mitglieder dieses Parlaments sind z. B. Akademiker - und auch ihrer Qualifikation entsprechend honoriert werden. Meine Damen, meine Herren, Sie erinnern sich, daß unser Vizepräsident Richard Stücklen vor einigen Jahren einmal ein politikfreies Wochenende gefordert hat. Ich glaube, jeder Kollege und jede Kollegin hier in diesem Raum wünscht sich wirklich mal ein politikfreies Wochenende. ({3}) Wir sind alle freiwillig Abgeordnete geworden, und keiner, der sich hier beklagt, hat das Recht, sich über die Belastung zu beklagen. Diese Belastung, die wir auf uns nehmen, müssen wir aber wirklich auch einmal darstellen. Wir haben keine 38-Stunden-Woche, wir haben keine 50-Stunden-Woche, wir haben im Schnitt eine 100-Stunden-Woche, und wir haben mindestens eine Sechs-Tage-Woche. Ich sitze z. B. heute seit 6.45 Uhr im Büro. Viele von Ihnen treffe ich auf der Treppe, wenn ich so früh komme. Jetzt haben wir 21 Uhr, und wir sitzen alle noch hier und beschließen Gesetze. Ich meine, Arbeit und Einsatz, wie Sie Abgeordnete in der Regel bringen, müssen belohnt, bezahlt und honoriert werden. Auch dieses ewige Argument: Wo sind die Abgeordneten, wenn Plenardebatten sind? zieht nicht. Gerade die Journalisten - ich gucke dort oben hin, von ihnen sind auch nicht mehr viele da; die hören es nämlich an den Übertragungsgeräten - wissen ganz genau: Wenn sie einen Abgeordneten sprechen wollen, daß sie ihn am ehesten in seinem Büro, auch spät abends, oder in einer Sitzung finden. Dies hier ist nicht der Spiegel der Arbeit der Parlamentarier. ({4}) Wir tun eine ganze Menge, wir tun es freiwillig und wir tun es gerne. Deshalb sage ich: Eine Anhebung der Diäten um 3,25 % liegt unter der allgemeinen Anhebung anderer Einkommen und ist weiß Gott gerechtfertigt. Deshalb stimmen wir diesem Gesetz zu. Ich danke Ihnen. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Unruh.

Gertrud Unruh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002358, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Werte Volksvertreterinnen und -vertreter! Ich habe gut zugehört. Es trieft von Entschuldigungen. Wenn dem so wäre, hätte es ja nie einen Flick-Koffer gegeben. Wer viel hat, will um so mehr. Politik erfordert eine ganz besondere Moral, wir verfügen nämlich letztlich über Gesetze, über Menschenschicksale. Gerade Herr Präsident Jenninger war der Herr, der die Sozialhilfeerhöhungen mit einbezogen hat, um nach draußen kundzutun: selbst die Sozialhilfe wird erhöht; dann müssen wir doch, bitte schön, entsprechende Erhöhungen bekommen. ({0}) - Deshalb werde ich das hier doch kundtun. 275 DM bekommen wir mehr. Dann bekommen wir noch einmal 75 DM mehr. Die NRW-Sozialhilfe ist um ganze 10 DM erhöht worden, von 395 auf 405 DM, die Sozialhilfe in Baden-Württemberg ist um 12 Mark erhöht worden, von 398 auf 410 DM, die Sozialhilfe in Niedersachsen um ganze 4 DM, von 390 auf 394 DM. ({1}) - Ich liefere jeden Monat 5 000 DM Diäten ab. Haben Sie keine Sorge. ({2}) - Ja, nun lassen Sie das doch einmal. Der eine muß eine Villa und noch anderes haben, der andere lebt ein anderes, politisches Leben, weil er eine andere Politik will. Deshalb bewundere ich auch die GRÜNEN, die das auch so wollen. Ich bewundere die GRÜNEN in Bremen, die erstmalig in der Bundesrepublik Deutschland eine Grundsicherung in den Wahlkampf hineingetragen haben. Daran nehmen Sie sich einmal ein Beispiel. Sie hier sind sehr phantasielos, um die Armut zu beseitigen. Die Bremer Bevölkerung soll über ein Umlageverfahren 3 T. des Einkommens aufbringen, damit die Altersarmut, die Armut der Arbeitslosen oder sonstige Armut in Bremen nicht mehr vorhanden ist, so daß in Bremen eine Grundversorgung von 1 000 DM zustande kommen könnte. Ich würde mich über solch solidarisches Handeln freuen. Wir sind alle Politiker und sollen ein Vorbild sein. Sie hier müssen letztlich Massenarbeitslosigkeit verantworten und in Ihre Nächte tragen. ({3}) Die Nächte sind kurz, das gebe ich zu. Sie haben sich aber alle gedrängt, hier im Deutschen Bundestag zu sein, und Sie haben eine moralische Verpflichtung. ({4}) Ich wünsche Ihnen natürlich nicht, daß Sie jemals arbeitslos werden. Das kann auch kein Beamter werden. Das ist genau das, was Sie letztlich auch hier, in diesem Deutschen Bundestag, verbrochen haben, daß Sie die Unkündbaren massenhaft gefördert haben. Wir haben unkündbare und ständig kündbare Menschen in der Bundesrepublik. Ist Ihnen überhaupt bewußt, in welch sozialverpflichtetem Rechtsstaat wir leben? Sie sind der Gesetzgeber. ({5}) - Ja, Sie, Sie und ich natürlich auch! Aber selbstverständlich! Seitdem ich hier bin, wollen wir ja auch mit anderen Tönen miteinander verkehren, daß Sie sich mehr und mehr bewußt werden, welch hohe politische Moral Sie nach draußen zu vertreten haben und mit welcher Nachlässigkeit oder Borniertheit Sie hier vertreten, daß Sie natürlich mehr haben müssen. ({6}) - Nein, ich rede nicht aus Überheblichkeit, sondern ich lebe eine andere politische Kultur, genau wie die GRÜNEN eine andere politische Kultur entwickeln, die Sie überhaupt noch nicht verstehen können. Deshalb hören Sie auf! ({7}) Ich fordere Sie wieder auf - es sind bis zum Ende des nächsten Jahres 4,75 Millionen DM, die unsere Erhöhungen kosten -: Geben Sie diese 4,75 Millionen DM in einen Sonderfonds, und signalisieren Sie doch einmal ein Vorbild nach draußen, damit auch andere Menschen, die einen höheren Verdienst haben, von dem, was sie verdienen, etwas abtreten. Wir hätten dann wunderbar zusammen z. B. Burg Winnenthal kaufen können. ({8}) - Hören Sie einmal zu! Da sind 44 alte Menschen verschleppt worden. Was wissen Sie überhaupt davon, was in dieser Bundesrepublik Deutschland alles los ist? Schämen Sie sich! ({9})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Seiler-Albring.

Ursula Seiler-Albring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002155, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema „Diätenerhöhung" ist ja regelmäßig Gegenstand regen öffentlichen Interesses und einer nicht immer ganz sachlichen, intensiven Diskussion. Die Tatsache allerdings, daß es hier eine Berufsgruppe gibt, die selbst darüber entscheidet, in welchem Maße ihre Bezüge steigen, ist ein Sonderfall und rechtfertigt dieses Interesse. In der ersten Beratung des Achten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes haben sich die Abgeordneten - es trifft sich gut, daß es genau die gleichen Abgeordneten waren, die heute abend reden -, die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen und der SPD, bemüht, der besonderen Verpflichtung, die sich daraus ergibt, daß Abgeordnete nicht nur Anwälte, sondern in dieser Sache auch Richter ihrer eigenen Angelegenheiten sind, Rechnung zu tragen, und haben in ihren Beiträgen den Inhalt und die Bedeutung des vorliegenden Gesetzes sehr differenziert und sachlich dargestellt. Den GRÜNEN blieb es damals wieder einmal vorbehalten, ausschließlich populistisch und in polemischer Verdrehung der tatsächlichen Gegebenheiten von einem „Selbstbedienungsladen", in dem fröhlich und unbedenklich die „Bezüge in die Höhe gepuscht" werden, zu sprechen. ({0}) Ich bin sehr dankbar und freue mich, daß Frau Unruh heute abend wieder darüber gesprochen hat. Frau Unruh hat auch in dieser Rede wieder ihren besonderen Bezug zur Moral angeführt. Frau Unruh hat in der letzten Debatte, also in der ersten Beratung, einem Kollegen der CSU „mißbrauchte Moral" vorgeworfen. Sie hat uns als Koalitionsfraktionen heute morgen jegliche Moral abgesprochen ({1}) - Frau Unruh, ich habe jetzt das Mikrophon, ich kann also lauter sein als Sie; es muß aber nicht unbedingt sein! - und sich selber und ihrer Fraktion die Moral zugesprochen. Frau Minister Süssmuth hat Ihnen eine sehr dezidierte und überzeugende Antwort gegeben, als sie das Beispiel von den Pharisäern und den Sündern aus der Bibel angeführt hat. ({2}) Frau Unruh, ich kann Sie noch überbieten: Ich gestehe Ihnen doppelte Moral zu. Jeder von uns, der das Verhalten der GRÜNEN in diesem Deutschen Bundestag, seitdem Sie hier sind - ich habe vom ersten Tag an Gelegenheit gehabt, dieses zu beurteilen -, sieht, der kann wirklich nur sagen, daß dieses Bild von der doppelten Moral auf viele Ihrer Kollegen zutrifft. ({3}) Ich finde es im Grunde wirklich unglaublich, daß Kollegen wie Frau Traupe, Frau Roitzsch und ich, die wir im Haushaltsausschuß wirklich, wenn Sie den Ausdruck gestatten, wie die Pferde arbeiten, sich immer wieder dafür rechtfertigen müssen, daß sie bitten, für ihre Arbeit auch ein angemessenes Salär zu bekommen. Es sei hier wiederholt: Die Rechtslage ist eindeutig und verpflichtet die Abgeordneten zu unmittelbarer Entscheidung in eigener Sache, auch wenn die meisten von uns einen anderen Weg bevorzugen würden. Der Präsident des Deutschen Bundestages legt auch in diesem Jahr wieder entsprechend § 30 des Abgeordnetengesetzes einen Bericht und einen Vorschlag über die Angemessenheit der Entschädigung der Abgeordneten vor. Meine Damen und Herren, es wird immer schwierig sein, Konsens darüber herzustellen, was eine angemessene Entschädigung ist. Deshalb bleiben die Kriterien, die das Bundesverfassungsgericht uns vorgegeben hat, nach wie vor eine wesentliche Entscheidungshilfe: zum einen die Belastung durch das Amt, zum anderen die Verantwortung, die mit dem Mandat verbunden ist, drittens schließlich die Position der Abgeordneten im Verfassungsgefüge. Wer sich einmal die Mühe macht, die Tätigkeit eines Abgeordneten an diesen Kriterien und vor diesem Hintergrund zu prüfen, wird feststellen, daß Abgeordnete in Relation zu den Bezügen von - wie Frau Traupe gesagt hat - Bürgermeistern, Oberkreisdirektoren, Landräten, ({4}) Ministerialbeamten und vergleichbaren Beschäftigten in der Wirtschaft nun tatsächlich nicht an der Spitze der Einkommensskala zu finden sind, ganz im Gegenteil. Meine Damen und Herren, wir haben und wir wollen kein Parlament von Abgeordneten, die es sich auf Grund ihrer persönlichen finanziellen Möglichkeiten leisten können, ein Mandat für einen Ehrensold auszuüben. Wir wollen ein Parlament, das so weit wie möglich ein Spiegelbild der Bevölkerung ist, das Kompetenz und Sachverstand besitzt und das bereit ist, seiner Verpflichtung gegenüber den Wählern durch Engagement und durch Mut zur Verantwortung gerecht zu werden. Das Grundgesetz gewährt den Abgeordneten in Art. 48 Abs. 3 einen Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung. Meine Damen und Herren, wir stimmen daher dem vorliegenden Gesetzentwurf zu. Ich danke Ihnen. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Lesung. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? ({0}) Stimmenthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen worden. Meine Damen und Herren, ich darf darauf aufmerksam machen: Wir sind nach dem Gesetz verpflichtet, anzunehmen. Daraus sollte man keinen Vorwurf machen. ({1}) - Das will ich nicht bestreiten. Manche von uns tun das auch. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit Mehrheit angenommen. Vizepräsident Westphal Ich rufe Punkt 27 der Tagesordnung auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Sechster Sportbericht der Bundesregierung - Drucksache 10/6241 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Sportausschuß ({2}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Apel, Dr. Penner, Büchner ({3}), Dr. Spöri, Klein ({4}), Amling, Frau Bekker-Inglau, Dr. Hauchler, Huonker, Kastning, Lambinus, Lohmann ({5}), Frau MatthäusMaier, Dr. Mertens ({6}), Dr. Nöbel, Oesinghaus, Porzner, Poß, Frau Renger, Reschke, Schmidt ({7}), Frau Steinhauer, Dr. Struck, Westphal, Wieczorek ({8}), Wimmer ({9}), Bamberg, Bernrath, Dr. Böhme, Brück, Dr. Emmerlich, Graf, Großmann, Frau Hämmerle, Heistermann, Kuhlwein, Müller ({10}), Müntefering, Frau Odendahl, Paterna, Peter ({11}), Rixe, Schäfer ({12}), Wartenberg ({13}), Weisskirchen ({14}), Dr. Wernitz, Frau Weyel, Würtz, Zander, Schanz, Dreßler, Toetemeyer, Ibrügger, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Steuerliche Erleichterungen für die gemeinnützigen Sportvereine und andere gemeinnützige Vereine - Drucksache 11/124 Uberweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({15}) Sportausschuß Ausschuß für Wirtschaft Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister des Innern.

Dr. Friedrich Zimmermann (Minister:in)

Politiker ID: 11002597

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Sechsten Sportbericht hat die Bundesregierung ihre Sportpolitik und ihre Förderungsmaßnahmen von 1982 bis 1985 dargestellt. Von 1982 bis 1986 sind die Sportförderungsmittel von 174 auf 288 Millionen DM gestiegen, in fünf Jahren um fast 66 % oder zwei Drittel. Im Jahre 1987 hat sich der Sportetat nochmals erhöht, und ich bin auch für 1988 optimistisch. Wir haben inhaltliche Schwerpunkte zur Verbesserung der Trainingsbedingungen sowie zur gesundheitlichen und sozialen Betreuung gesetzt. Dem Sport kommt in unseren Vereinen und in unserer Verfassungsordnung ein großer und abgesicherter Freiraum zu. Für die Bundesregierung gilt: Unabhängigkeit und Selbstverantwortung des Sports sind unsere Grundsätze. Die Organisationen des Sports regeln ihre Angelegenheiten in eigener Verantwortung und entscheiden autonom. Der Staat setzt Rahmenbedingungen, damit der Sport unabhängig und eigenverantwortlich handeln kann. Die Bundesregierung wird auch in Zukunft bemüht sein, diese Basis zu erhalten und auszubauen. Das gilt für die Bereiche Sport und Umwelt, Sport und Steuern und die anderen. Dem Sechsten Sportbericht ist zu entnehmen, daß die Bundesregierung ihr besonderes Augenmerk auf eine finanzielle Förderung des Hochleistungssports richtet. Hier gibt es eine von niemandem ernsthaft bestrittene verfassungsrechtliche Kompetenz. Bei internationalen Wettkämpfen müssen unsere Sportler eine möglichst weitgehende Chancengleichheit mit den Sportlern anderer Länder haben. Wir wollen mit dazu beitragen, daß der deutsche Spitzensport seinen internationalen Platz halten kann, obwohl das nicht leicht sein wird. Gerade in jüngster Zeit beginnt eine lebhafte Diskussion über Sinn und Zweck des Hochleistungssports. Ich nenne als Stichworte: Kommerzialisierung, sportärztliche Betreuung und Dopingfragen. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 18. März den Spitzensport mit seiner Vorbildfunktion für die junge Generation angesprochen. Wir bekennen uns danach zu einem humanen Leistungssport, weil wir der Auffassung sind, daß der Hochleistungssport erstens ein Zeichen für Leistungswillen, realistische Selbsteinschätzung, für Fairneß und Achtung des anderen setzt, also Werte vermittelt, die für viele gesellschaftliche Bereiche von Bedeutung sind, zweitens entscheidende Impulse für die Verbreitung und Weiterentwicklung des Sports in seinen vielfältigen Ausprägungen gibt, drittens mit dem Breiten- und Freizeitsport prinzipiell untrennbar verbunden ist, viertens der gesamtstaatlichen Repräsentation dieses Staates nach innen und außen dient und fünftens einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung und Verbesserung internationaler Beziehungen leistet. Menschenbild und Wertordnung des Grundgesetzes müssen auch den Spitzensport prägen. Freiwillige Einsatzbereitschaft, persönliches Engagement und die uneingeschränkte Wahrung des Dispositionsspielraumes des Sportlers müssen im Vordergrund stehen. Wesentliche Voraussetzungen für einen humanen Leistungssport müssen sein, daß erstens eine bestmögliche gesundheitliche und soziale Betreuung des Sportlers gesichert ist ({0}) und zweitens der Spitzensport von Manipulationen wie etwa Doping frei bleibt. - Wie es damit steht, habe ich gerade gesagt. Herr Abgeordneter, in bezug auf welche Sparte des Bundeshaushalts kann man schon sagen, daß in fünf Jahren eine Erhöhung um zwei Drittel der Mittel stattgefunden hat? Nennen Sie sie mir bitte zum Vergleich. ({1}) Dem Gebiet der sportärztlichen Betreuung hat der Innenminister in der Vergangenheit besondere Beachtung geschenkt. Im Jahre 1986 wurden für die sportmedizinischen Gesundheitsuntersuchungen und leistungsdiagnostischen Untersuchungen der Athleten der A-, B-, C-Kader dem Deutschen Sportbund rund 2 Millionen DM zur Verfügung gestellt und den Sportfachverbänden im Jahre 1986 weitere 2,4 Millionen DM für die sportärztliche Betreuung der Spitzensportler in Training und Wettkampf bewilligt. Die sportmedizinische Betreuung der Spitzensportler wird durch den Aufbau der Olympiastützpunkte - wir stehen vor der 12. Gründung am nächsten Montag in München - weiter verbessert werden. Das Konzept der Stützpunkte hat der Deutsche Sportbund erarbeitet. Die Bundesregierung begrüßt und fördert den Aufbau nachhaltig. In den Stützpunkten sollen insbesondere die Betreuungsmaßnahmen für die Hochleistungssportler günstiger gestaltet werden. Neben den Trainingsmaßnahmen sollen vor allem die sportmedizinischen und physiotherapeutischen Dienste optimiert und koordiniert werden. Wir hoffen, daß es gelingt, für die Olympiastützpunkte die richtig ausgebildeten Fachärzte und Physiotherapeuten zu gewinnen. Wir werden nochmals den Versuch unternehmen, die Sportmedizin zum Bestandteil der Approbationsordnung der Ärzte zu machen. ({2}) Wir werden uns auch in Zukunft dafür einsetzen, daß die individuellen Leistungsgrenzen nicht durch eine medizinisch-pharmakologische Beeinflussung hinausgeschoben werden. Doping ist nicht nur eine Gefährdung oder gar Schädigung der Gesundheit der Sportler, sondern auch ein eklatanter Verstoß gegen Fairneß und damit gegen die Ethik im Sport. ({3}) Wir werden die Arbeit des Dopingbeauftragten weiter unterstützen und auch an den erforderlichen Aufklärungsmaßnahmen mitwirken. Zusammenfassend sage ich: Die Bundesregierung wird all das unterstützen, was zur Humanität des Spitzensportes beiträgt, nicht zuletzt auch eine hinreichende Zukunftssicherung des Spitzensportlers, die aber eingebettet sein muß in das System unserer freien Marktwirtschaft. Wir werden weiter am Steuerrecht im Hinblick auf die Sportvereine arbeiten. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung ausgeführt, daß wir bestehende Diskriminierungen ehrenamtlich Tätiger auf der Grundlage der Ergebnisse der beim Bundesfinanzminister eingerichteten Sachverständigenkommission zum Gemeinnützigkeitsrecht beseitigen. Deswegen habe ich, meine Damen und Herren von der SPD, wenig Verständnis, wenn Ihre Fraktion jetzt erneut einen Antrag einbringt, nachdem Ihr letzter Antrag gerade erst im Hinblick auf die Arbeit der Sachverständigenkommission abgelehnt worden ist. ({4}) Wem es wirklich darum geht, dem Sport zu helfen, der muß die Ergebnisse dieser Kommission abwarten. ({5}) Denn nur auf dieser Grundlage kann eine überzeugende Gesamtlösung gefunden werden. Danke schön. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Büchner ({0}).

Peter Büchner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000295, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Sechste Sportbericht der Bundesregierung ist leider nicht mehr als eine bürokratische Auflistung sportpolitischer Gegebenheiten, eine Materialsammlung von sehr begrenztem Wert. ({0}) Dieser Bericht nimmt nicht oder in Einzelheiten nur sehr unzureichend und sehr allgemein zu den zentralen sportpolitischen Themen Stellung. Impulse gehen jedenfalls von ihm nicht aus. ({1}) Die Bundesregierung erweist sich damit erneut als unfähig, dem Sport bei der Bewältigung schwieriger Aufgaben als Partner zur Seite zu stehen. Ausgerechnet in den zwei Bereichen, die Kernprobleme darstellen und die an die Substanz der Ehrenamtlichkeit in den Sportvereinen gehen, wird wirklich klägliches Versagen deutlich. Dieser Bericht vermittelt nicht einmal den Ansatz für Hilfen zu einem dauerhaften Interessenausgleich zwischen Sport und Umwelt. Auch als Sie, Herr Zimmermann, in Ihrem Ministerium noch direkte Verantwortung für die Umweltpolitik dieser Bundesregierung trugen, haben Sie diese Probleme jahrelang total unterschätzt, obwohl Sie doch eine wachsende Zahl von Gerichtsurteilen zum Nachteil des Sports hätte aufrütteln müssen. Nun versuchen Expertengremien, im Auftrag der Konferenzen der Umwelt- und der Sportminister zu neuen Regelungen zu kommen. Die bisher vorliegenden Beratungsergebnisse lassen allerdings befürchten, daß es wieder sehr komplizierte bürokratische Bestimmungen geben wird, die der Benachteiligung des Sports wohl kaum abhelfen werden. Notwendig wären hier politische Initiativen, die auf die Gesetzesänderungen hinauslaufen, die wir fordern. Hier hat die Bundesregierung bislang schwer versagt, und auch heute liegen keine diesbezüglichen Vorschläge der Regierung auf dem Tisch. Die Sportorganisationen, die mehr für den Umweltschutz leisten als manche marktschreierische Initiative, werden von dieser Bundesregierung völlig im Stich gelassen. ({2}) Ebenso ist es bei dem Thema Sport und Steuern. Da kündigt der Bundeskanzler vollmundig die größte Steuerreform aller Zeiten an. Trotz ungedeckter FiBüchner ({3}) nanzen wird eine Größenordnung von insgesamt mehr als 60 Milliarden DM genannt. Und kein Pfennig für den Sport! Gegenüber den über 20 Millionen Mitgliedern in mehr als 63 000 Sportvereinen hat Finanzminister Stoltenberg seine Taschen zugenäht. Besonders traurig ist es, daß die Koalitionsparteien CDU/CSU und FDP hier mit Ausreden und Verzögerungstaktik Schützenhilfe gegen den Sport leisten, ({4}) obwohl sie die Probleme doch kennen müßten und übrigens mit früheren Versprechungen und Anträgen klar im Wort stehen. Auch die 6%ige Kürzung der Mittel für die Verbände ist ein weiteres negatives Beispiel. Vor der Wahl zugesagt, nach der Wahl gekürzt. Durch dieses Verhalten tragen die Bundesregierung und die Koalitionsparteien die alleinige Verantwortung dafür, daß vom Präsidenten des Deutschen Sportbundes bis hin in die Sportvereine von einem beispielslosen Vertrauensbruch gesprochen wird. ({5}) Der vorliegende Sportbericht ist ein Dokument der Geringschätzung der gesellschaftspolitischen Bedeutung und der Ehrenamtlichkeit des Sports. ({6}) Meine Damen und Herren, unsere Kritik richtet sich auch gegen die zögerliche Haltung der Bundesregierung und der Koalition, den humanen und den sozialen Aufgaben des Sports mehr Bedeutung beizumessen und die finanziellen Hilfen auf diesem Gebiet zu verstärken. Nicht erst seit dem tragischen Tod von Birgit Dressel ist klar: Die Humanisierung vor allen Dingen des Hochleistungssports ist eine vordringliche Aufgabe. ({7}) Die Bundesregierung gibt auf diesem Gebiet ebensowenig hilfreiche Unterstützung wie zur notwendigen sozialen Absicherung von Spitzensportlern. ({8}) Wir Sozialdemokraten lassen nicht nach in unserer Forderung, daß der Sport für die vier Millionen behinderten Mitbürger, darunter mehr als 800 000 Kinder und Jugendliche, auch finanziell anderen Bereichen des Sports gleichgestellt wird. Wir verweisen darauf, daß in Sportarten, die heutzutage gut zu vermarkten sind, öffentliche Gelder für diejenigen freigemacht werden könnten, die der Hilfe im Sport wirklich bedürfen. ({9}) Hier ist der Sport zur Wahrhaftigkeit, Solidarität und Fairneß aufgefordert. ({10}) Meine Damen und Herren, es ist wahr: Im nächsten Jahr sieht sich der Spitzensport unseres Landes einer völlig veränderten Situation gegenüber. Erstmals seit den Boykottmaßnahmen gegen die Olympischen Spiele von Moskau 1980 und von Los Angeles 1984 wird es nach der derzeitigen Einschätzung 1988 wieder zu einer umfassenden Teilnahme aller großen Sportländer an Olympischen Spielen kommen. Unsere Athleten werden sich dann nicht nur mit den Spitzensportlern aus den USA, sondern auch mit denen aus der DDR, der UdSSR und den anderen osteuropäischen Ländern auseinandersetzen müssen. Zusätzlich werden sie sich dabei noch mit den Herausforderungen von China, Japan und Südkorea als dem voraussichtlichen Ausrichterland der Olympiade konfrontiert sehen. In diesem Zusammenhang richten wir einen dringenden Appell an die Regierung in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul. Wer die schrecklichen Ereignisse in diesem Land verfolgt, kann jedenfalls eine latente Gefahr für die Ausrichtung der Olympischen Spiele nicht ausschließen. ({11}) Die Hauptschuld daran trägt das diktatorische Regime in Seoul, das bisher nicht bereit ist, Menschenrechte und Demokratie zu achten. ({12}) Die Fernsehberichte der letzten Wochen gleichen in fataler Weise denen über die brutale Niederknüppelung der Studentenbewegungen vor den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko. Die Möglichkeit zur Ausrichtung friedlicher Olympischer Spiele im nächsten Jahr unter Beteiligung von allen Olympischen Komitees hängt allein von der Regierung in Südkorea ab. Wir bitten das Internationale Olympische Komitee, seinen Einfluß bei der Regierung dort verstärkt geltend zu machen. Von der Bundesregierung und von den Partnerländern der Europäischen Gemeinschaft muß erwartet werden, daß sie die Regierung in Seoul nachdrücklich auffordern, der staatlichen Gewalt endlich ein Ende zu bereiten. ({13}) Die Vereinigten Staaten von Amerika stehen auf Grund ihrer besonderen Beziehungen und als Olympialand von 1984 in herausgehobener Verantwortung. Ohne jede diplomatische Schönfärberei muß den Verantwortlichen klargemacht werden: Olympische Spiele können nur in einem befriedeten Land stattfinden, ({14}) und sie sollen dort stattfinden, wohin das Internationale Olympische Komitee sie vergeben hat, auch wenn man dessen Beschluß nicht für den Gipfel aller Weisheiten hält. ({15}) Peinlich wirken dagegen Versuche von Politikern der CDU und der CSU, Berlin als Austragungsort für die Olympischen Spiele im nächsten Jahr ins Spiel zu bringen, unter Mißachtung des Internationalen Olympischen Komitees, des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland und übrigens auch des NOK der DDR. Der Vorschlag, Olympische Spiele in ganz Berlin auszurichten, ist ein schöner Traum. Doch zu einer möglichen Bewerbung gehört auch das Olympi1338 Büchner ({16}) sche Komitee der DDR. Dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Diepgen, muß deshalb empfohlen werden, taktvoll in Ost-Berlin anzuklopfen, bevor er über die Mecklenburger Bucht vor Rostock als Segelrevier verfügt. ({17}) Das in den letzten Tagen ausgelöste Interviewgetöse fördert eine mögliche Bewerbung von Berlin um Olympische Spiele keinesfalls; es schadet Berlin auf lange Sicht. Auch hier wäre ein klärendes Wort des Sportministers der Bundesregierung angebracht gewesen. Aber auch diesbezüglich Fehlanzeige. Meine Damen und Herren, im nächsten Jahr findet in der Bundesrepublik die Fußball-Europameisterschaft statt. Dies ist zweifellos ein Ereignis von großer internationaler Bedeutung. Anläßlich der Weltmeisterschaft im Jahre 1974 hat der Bund unter sozialdemokratischer Regierungsverantwortung für die Modernisierung der Stadien 50 Millionen DM Finanzhilfe zur Verfügung gestellt. Vor allem für die Städte war dies eine wichtige Unterstützung. Nun geht es darum, den Stadien der Fußball-Europameisterschaft den größtmöglichen Sicherheitsstandard zu geben. Hierzu erwarten die austragenden Städte und der Deutsche Fußballbund ebenfalls die Hilfe des Bundes. Zwar stehen auch im Sechsten Sportbericht zum Thema „Sport und Gewalt" einige zutreffende Anmerkungen; doch mit der Verweigerung von Hilfen für einen sicherheitsgerechten Ausbau der Fußballstadien würde die Bundesregierung den Beweis liefern, daß ihre Erklärungen wertlos sind. Die SPD-Fraktion erwartet jedenfalls, daß auch die Bundesregierung aus den Ereignissen von Brüssel am 29. Mai 1985 die entsprechenden Konsequenzen zieht und sich einer Unterstützung nicht versagt. Der kleinlaute Hinweis des Parlamentarischen Staatssekretärs Spranger in einem Interview des Bonner GeneralAnzeigers vom 4. Juni dieses Jahres auf die erhebliche Vorbehalte des Bundesfinanzministers kann wohl nicht das letzte Wort der Regierung gewesen sein. Meine Damen und Herren, nur die Kürze der heutigen Redezeit verhindert es, das umfassende Versagen der Bundesregierung in der Sportpolitik noch durch weitere Beispiele darzustellen. Der Sechste Sportbericht der Bundesregierung ist im Hinblick auf die sportpolitischen Notwendigkeiten eher ein Mangelbericht. Bei Ihrem Amtsantritt haben Sie, Herr Zimmermann, vollmundig erklärt: Bei Friedrich Zimmermann ist der Sport bestens aufgehoben! ({18}) Nachdem Ihnen der Bundeskanzler nun bereits die Zuständigkeit für den Umweltschutz - offenbar wegen besonders hervorragender Leistungen - entzogen hat, ({19}) empfiehlt sich diese Lösung nun endlich auch für die Sportpolitik. ({20})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Fischer ({0}).

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Redner der SPD hat es für richtig gehalten, den Sechsten Sportbericht pauschal schlechtzumachen, obwohl jedermann, der diesen Bericht liest, eine deutliche Qualitätsverbesserung gegenüber dem Fünften Sportbericht der Bundesregierung feststellen konnte. Dieser Fünfte Sportbericht der Bundesregierung war insoweit ein bedeutsamer, als er von einer Bundesregierung erstellt worden ist, ({0}) die Sie gestellt haben, aber von Herrn Bundesminister Dr. Zimmermann dann hier parlamentarisch vertreten werden mußte. Die Loyalität, die Herr Dr. Zimmermann gegenüber dem Bericht der alten Bundesregierung aufgebracht hat, haben Sie heute leider völlig vermissen lassen. ({1}) Wir sind jedenfalls dankbar, daß die Bundesregierung in so gründlicher Arbeit die maßgeblichen Grundsätze staatlicher Sportpolitik dargelegt hat. Ich kann nur sagen: Die Bilanz der Sportförderung durch den Bund in den Jahren 1982 bis 1985 mit der hier eben schon dargestellten Steigerung der Mittel um 66 % verdient doch den Glückwunsch des ganzen Hauses. ({2}) Der Bundesinnenminister hat in dieser finanzpolitisch schwierigen Zeit für einen Politiksektor eine derartig gewaltige Steigerung durchgesetzt, daß man ihm dafür nur Anerkennung zollen kann. ({3}) Meine Damen und Herren, ansatzweise wird in dem Bericht deutlich, daß der Sport in unserem Lande im Umbruch ist. Wir stehen hier vor gewaltigen Herausforderungen, die wir gemeinsam mit den Sportorganisationen bewältigen müssen. Es wäre sicherlich gut gewesen, wenn der Bericht auf diesen Aspekt noch intensiver eingegangen wäre. ({4}) Der Sport ist ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut. Deswegen müssen wir gemeinsam mit den Sportorganisationen die Probleme anpacken. Der Staat muß den Verbänden und Vereinen noch mehr helfen, damit sich diese den anstehenden Problemen und Aufgaben erfolgreich widmen können. Bei uns ist Sport die Tätigkeit privater Organisationen in Selbstverwaltung. Dennoch ist es so, daß der Staat bei aller Anerkennung des Subsidiaritätsprinzips diesen Sektor als eine öffentliche Aufgabe zu betrachten hat und sich deshalb auch einer Finanzierungsverpflichtung niemals entziehen darf. Fischer ({5}) Ich glaube, daß dieser Bericht deutlich macht, daß die Bundesregierung dem in besonderer Weise entsprochen hat. Der Bundeskanzler hat die Bedeutung des Sports und vor allem der Vereine und Verbände als wichtigen Trägern unserer pluralistischen Gesellschaft herausgestellt. Ich glaube, wir dürfen ihm für dieses Wort zum Sport dankbar sein. ({6}) Wir werden, Herr Kollege Büchner, wenn das Sachverständigengutachten zum Gemeinnützigkeitsrecht vorgelegt worden ist, an die Arbeit gehen müssen, um für die Besteuerung der Vereine eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, mit der sie leben und gedeihlich arbeiten können. Herr Kollege Spilker wird diesem Aspekt noch eine besondere Berücksichtigung schenken. Ich möchte hervorheben, daß der Bundesrat in seiner Stellungnahme im Unterschied zum letzten Bericht gesagt hat, es habe in dieser Zeit weniger Konfliktfälle zwischen Bund und Ländern gegeben. Auch das ist eine Anerkennung der Bundesländer, die wir hier dankbar zur Kenntnis nehmen. Es ist gut, daß hier nicht kleinkariertes Kompetenzdenken, sondern eine pragmatische gemeinsame Anstrengung zur Aufgabenbewältigung für den Sport erfolgt ist. Wir sehen bei den olympischen Stützpunkten, wozu unnötiges Kompetenzgerangel führt. Es behindert die Umsetzung des vom DSB vorgetragenen Konzepts. Sechs Monate nach den letzten Olympischen Spielen ist die erste Planung gemacht worden, und ein Jahr vor Seoul ist nur ein einziger Stützpunkt funktionsfähig - und dieser ist auch noch untypisch, weil er nur eine Sportart berührt - , während die Stützpunkte, in denen viele Sportarten integriert werden müssen, noch nicht umgesetzt werden konnten. Das Konzept ist insoweit noch nicht durchgeführt worden. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber - lassen Sie mich das bitte noch vorher sagen - die Bundesregierung ihrerseits hat sehr frühzeitig ihre Unterstützung dokumentiert. Sie hat in Mark und Pfennig deutlich gemacht, daß sie die finanziellen Konsequenzen tragen wird. - Bitte schön.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Die Frage des Abgeordneten Schmidt, bitte schön.

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Fischer, würden Sie mir zugestehen, daß es die Bundesregierung als Mitträger der Organisation bei den olympischen Stützpunkten dennoch an der nötigen Initiative und an dem Nachdruck hat fehlen lassen und dadurch diese Dinge noch nicht so am Laufen sind, wie sie es sein müßten?

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann nur sagen: im Gegenteil. Wenn die Sportorganisationen wegen der Kompetenzschwierigkeiten derartige Probleme haben, das umzusetzen, und der Bundesminister in dieser Situation bereits Unterstützung und Finanzierungsbereitschaft dokumentiert, dann ist das eine erstklassige Motivation für die Sportorganisationen. Normalerweise würde ein Politiker sagen: Kommt ihr erst einmal mit euch ins reine, bevor ihr bei uns Geld abfordert. - Das ist nicht geschehen. Deswegen hat der Bundesinnenminister eigentlich mehr getan, als in der Situation angemessen gewesen wäre. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Würden sie noch eine Zusatzfrage zulassen?

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte aus Zeitgründen meinen Beitrag fortsetzen. Ich sehe an der Uhr, daß mir die Zeit angerechnet wird.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Es ist auch spät am Abend.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, es muß nachdenklich stimmen, wenn der bisherige stellvertretende Vorsitzende des Bundesausschusses für den Leistungssport mit dem Argument zurückgetreten ist, daß hier Phantomstützpunkte aufgebaut werden. Ich glaube, hier muß dringend etwas geschehen. Auch wenn das ein Projekt des freien Sports ist, möchte ich doch den Innenminister bitten, hier einmal zu einem Spitzengespräch einzuladen und die offenen Fragen zu klären. ({0}) Meine Damen und Herren, der Kongreß des DSB „Sport 2000" in Berlin im November 1987 wird den Wertewandel im Sport deutlich machen: Früher war das Motiv Leistungsstreben, jetzt sind Gesundheit und körperliches Wohlbefinden das Motiv. Wir können diese Entwicklung teilweise schon in der Mitgliederentwicklung ablesen. Es gibt einen Mitgliederschwund bei den jüngeren und mittleren Jahrgängen, einen Zuwachs bei den älteren Jahrgängen, die früher dem Sport eher ferngestanden haben. Wir müssen das bei der Festsetzung unserer Förderungskriterien berücksichtigen. Der Sport bietet die Möglichkeit, die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern. Ich bin dem Bundesinnenminister sehr dankbar, daß er hier noch einmal die Forderung bekräftigt hat, daß Sportmedizin zur Ausbildung der Humanmediziner gehören muß und deswegen in die Approbationsordnung aufgenommen werden muß. ({1}) Wir wissen, daß auch auf diesem Gebiet die Probleme nicht beim Bund liegen, weder beim Bundesinnenminister noch beim Gesundheitsminister. Vielmehr haben die Standesorganisationen und die Länderkultus1340 Fischer ({2}) minister die Blockade errichtet, die überwunden werden muß. Meine sehr verehrten Damen und Herren, internationale Meisterschaften und Wettkämpfe nehmen immer größere Ausmaße an. Die Bundesrepublik ist wegen ihrer hervorragenden Sportinfrastruktur ein beliebtes Austragungsland. Aber es mehren sich die Fälle, in denen Verbände Spielordnungen so verändern, daß vorhandene und funktionsgerechte Sportanlagen nicht mehr regelgerecht sind. Das betrifft insbesondere die Hallensportarten. Das muß doch zu einem Appell an die deutschen Spitzenverbände Anlaß geben, Übertreibungen entschieden entgegenzutreten. ({3}) Die Belastungen für Um-, Neu- und Ausbauten steigen ins Unermeßliche und sind kaum zu verantworten. Wir würden dieses Geld viel lieber in weitere Investitionen zugunsten des Breitensports stecken. Aber wir wollen nicht alle Jahre den neuen Regelwerken hinterherlaufen: mal mit Holz, mal mit Glas etc. Das ist eine Sache, die öffentlich kaum zu finanzieren ist. Vielleicht sollten Vertreter der europäischen Sportministerkonferenz einmal mit den Vertretern der europäischen Olympischen Komitees oder mit den Spitzenverbänden zusammentreten, um Empfehlungen zur Verhinderung dieser Auswüchse abzugeben, damit wir dem endlich Einhalt gebieten können. Ich freue mich, daß der Sechste Sportbericht eine erfreuliche Steigerung beim Behindertensport deutlich macht. Auf diesem Gebiet ist, vom Kriegsversehrtensport ausgehend, eine Entwicklung zum Sport für alle Behinderten abgelaufen: Sport als Mittel der Therapie, der Rehabilitation, aber auch der Integration. Deswegen möchte ich an dieser Stelle einen wirklich leidenschaftlichen Appell aussprechen, daß wir alles tun müssen, um die Integrationssportmodelle zu fördern und Hemmnisse auch bei den Kassen zu überwinden, die heute noch der integrierten Sportausübung durch gesunde und behinderte Menschen entgegenstehen. ({4}) Ich glaube, daß dies ein wichtiger Punkt ist. Ich stimme aber auch dem Bundesrat ausdrücklich darin zu, daß Bund, Länder und Rehabilitationsträger die Gesamtfinanzierung des Sports für Behinderte umgehend neu ordnen müssen. Aus dem Zeitablauf ist ein Handlungsbedarf entstanden. Ich glaube, daß wir für diesen wichtigen Sektor zusätzlich handeln müssen. Wenn es richtig ist, daß sich die Sportförderung des Bundes nicht allein auf die Förderung des Hochleistungssports beschränkt - auch wenn dieser Bereich einen wichtigen Schwerpunkt darstellt - , dann muß es innerhalb der Bundesregierung allerdings auch zu einer effektiveren Zusammenarbeit der einzelnen Ressorts kommen. Ich begrüße ausdrücklich, daß der Bundesminister des Innern angekündigt hat, daß er verstärkt eine Koordinationsfunktion wahrnehmen will. Ich möchte an alle anderen Ressorts appellieren, den Innenminister bei dieser Bemühung zu unterstützen. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Brauer.

Hans Jochim Brauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000248, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! ({0}) - Es bewegt sich hier gerade, geht herunter, weil ich so klein bin. ({1}) Gehen wir einmal davon aus, daß der vorliegende Sportbericht der Regierung nicht nur die Aufgabe hat, Zahlenmaterial über die üppigen Bundeszuweisungen zu liefern - wir haben gehört, sie sind von 174 Millionen DM auf 288 Millionen DM gestiegen -, sondern auch dazu da ist, eine Standort- und Zielbestimmung für den Sport zu bieten. Kurzum: Er sollte ein brauchbares Konzept darstellen, das die Probleme erfaßt und Lösungsmöglichkeiten skizziert. In dieser Hinsicht versagt der Sportbericht völlig. Er ist eine einzige Laudatio an die Regierung mit vielen schönen Fotos. Was Sie hier als Drucksache vor sich liegen haben, ist nicht das Buch - ({2}) - Ich würde nicht so beleidigend sein. Das finde ich nicht gut. Das würde ich bei Ihnen nicht machen. ({3}) Dieser Sportbericht drückt aber ein stark eingeschränktes Sportverständnis aus, das den Blick lediglich auf monetäre und Sicherheitsinteressen im Sport richtet. Die Probleme, um die es heute geht, werden gar nicht, andere nur ganz platt angesprochen. Ich vermisse z. B. völlig die Fragestellungen Sport und Frauen, Sport und Gesundheit, Sport und Körperlichkeit, Sport und Beitrag zur Friedenssicherung, Sport und Kommerzialisierung, Sport und Werbung, Sport und Kinderhöchstleistungssport, um nur einige zu nennen. Überhaupt scheint mir der Sportbericht inhaltlich reichlich konzeptionslos zu sein. Er belegt zwar akribisch, wieviel Gelder in welche Bereiche geflossen sind, etwa daß jeder grundwehrdienstleistende Soldat zwei Paar Socken und Turnschuhe erhält und wieviel das kostet, aber er betrachtet den Sport überhaupt nicht in seiner Vielschichtigkeit, begreift ihn nicht als Teil einer Bewegungskultur und damit als gesellschaftliches Phänomen, dessen Probleme eben nicht einfach mit gesteigerten Finanzen zu lösen sind. Auf drei Seiten von 235 Seiten werden die aktuellen Probleme dargestellt, extra als Probleme ausgeworfen. Dort steht: Sport und Umwelt, Sport und Gewalt, Sport und Steuern, Sport und Wirtschaft. Aber da kommen dann auch nur Plattheiten und Fehlerhaftes heraus. Ich will das einmal ganz kurz am Beispiel Sport und Umwelt darstellen. Das Problem Sport und Umwelt führt diese Bundesregierung auf „das sensibler gewordene öffentliche Bewußtsein hinsichtlich der Bedeutung von Natur und Landschaft" zurück. Was ist das für eine Logik? Sport, Freizeitverhalten und Tourismus, das sind zunehmende Nutzungsansprüche an Natur und Landschaft. Der Sport steht damit in einem eindeutigen Zielkonflikt, und da liegt das Problem. ({4}) Das Problem Sport und Gewalt wird vereinfacht auf wenigen Zeilen so dargestellt: „Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, daß Gewalt und Aggression keine Chance haben. " So platt! ({5}) Es sollen verstärkte Sicherheitsmaßnahmen, etwa zusätzliche Polizeibeamte, die Zuschauergewalt eindämmen. Das entspricht zwar genau der Gesamtpolitik der Regierung, den Sicherheitsapparat schier endlos wachsen zu lassen; dem Gewaltproblem steht man jedoch hilflos gegenüber. Das belegt gerade die von Ihnen selbst, Herr Zimmermann, in Auftrag gegebene Studie „Sport und Gewalt", deren Ergebnis schon lange vorliegt. Danach müßte man nämlich langfristig vom Massensportspektakeln als Aggressionskanal Abstand nehmen. Aber wohin dann mit den ganzen Bundesmitteln? Was ist eigentlich in diesem Zusammenhang aus der Unterstützung der Fan-Projekte geworden, die bei der Problematik Sport und Gewalt sehr gut gewirkt haben? Den finanziell hohen Zuwendungen an die Sportmedizin widmet der Bericht ein breites Kapitel. Die Gesundheit der Spitzensportler wird immer wieder beschworen, soll durch ärztliche Untersuchungen und entsprechende medikamentöse Behandlungen gewährleistet werden. Jeder, der sich ein bißchen im Höchstleistungssport auskennt, weiß jedoch um die mehr als mangelhafte ärztliche Versorgung der Spitzensportler - sie klagen nämlich alle - , weiß um die Spritzenkuren und die Verabreichung von Drogen um des Sieges willen. Die Gesundheit der Spitzensportler wird einerseits zwangsläufig, andererseits aber auch wissentlich gefährdet oder gar auch ruiniert. Die Sportler haben zum Teil überhaupt keine Chance, dem zu entkommen, so wie heute der Hochleistungssport organisiert und angelegt ist und finanziell gefördert wird. Da helfen auch keine neuen medizinischen Forschungsprojekte, sondern nur ein Umdenken in der Richtung, daß nationale Ehren und alles, was damit verbunden ist, eben nicht eine Gefährdung der inneren Natur des Menschen rechtfertigen. ({6}) Insofern steht hinter dem Sechsten Sportbericht mit alle seinen Zahlen ein Sportverständnis, das wir GRÜNE aus guten Gründen ablehnen. Es stimmt eben nicht, daß der geförderte Höchstleistungssport human sein kann, wenn er gleichzeitig keine menschlichen Leistungsgrenzen akzeptiert. Das permanente Überbietenwollen von Rekorden führt zwangsläufig zu Phänomenen wie Kinderhochleistungssport und seinen Fehlentwicklungen, Doping oder gesundheitlichen Verletzungen, von denen im Bericht überhaupt nicht die Rede ist. Es stimmt auch nicht, daß durch einen vermehrten Sportanlagenbau die Qualität des Sports gefördert würde. Es kommt doch auf das Wie, die Qualität, und nicht auf die bloße Quantität an. Im Rahmen der Bundeskompetenz müßte viel mehr dafür gesorgt werden, daß das unorganisierte Sporttreiben eine höhere Berücksichtigung erfährt, daß der Breitensport mehr gefördert wird, und zwar so, daß Sport und Umwelt, Sportler und Anwohner, Sport und Natur leben können. Wir GRÜNEN sind ausgesprochen sportfreundlich. ({7}) Es gibt inzwischen viele Sportvereine. Wir wissen, daß sich viele Wähler gerade in den Sportvereinen befinden. Wir plädieren für Sport im Sinne einer Bewegungskultur, an der alle Bürger teilhaben können. Wir lehnen die überwiegend einseitige Förderung des Spitzensports, des Hochleistungssport ab. Die Gefahren habe ich bereits genannt. Wir treten für drei Schulsportstunden in allen Schularten - übrigens eine mehr als 60 Jahre alte Forderung der Sportbewegung - und für eine Sportwissenschaft ein, die sich nicht einseitig an Leistungsoptimierung - wir haben das heute immer wieder gehört: Spitzensport - , sondern innovativ in Theorie und Praxis an einer Weiterentwicklung des Breitensports orientiert. Wir halten einen immer gigantischer werdenden Sicherheitsapparat bei Sportveranstaltungen für ebenso falsch wie die ständig wachsende und von Bundesmitteln finanzierte Sportverwaltung. ({8}) Sportförderung muß also vielmehr den selbstorganisierten Breitensport erreichen und Bedingungen herstellen, die zwanglose, selbstveranstaltete Formen des Bewegens und Spielens ermöglichen. Neue Sportstätten müssen qualitativ - das ist sehr wichtig - vielfältiger ausgelegt sein und einer Umweltverträglichkeitsprüfung standhalten. Neben Wettkampf und Leistung als Sportmotivation sind Spiel und Bewegung vor allem auch ein soziales Ereignis mit der ganzen Vielfalt menschlicher Bewegungskultur ohne Vermarktungsinteressen, aber unter selbstverständlicher Einbeziehung ausländischer Mitbürger und behinderter Sportinteressenten. Langfristig geht es also um die Umgestaltung einer bewegungsfeindlichen Wohn- und Lebenswelt und um die Schaffung von wohnnahen Spiel- und Bewegungsangeboten, mittelfristig um eine bessere finanzielle und personelle Unterstützung der Sportvereine und -initiativen, damit Freizeit- und Spielangebote nicht kommerziell eingerichtet werden können. Deshalb unterstützen wir auch große Teile des von der SPD vorgelegten Antrags zur steuerlichen Erleichterung der gemeinnützigen Sportvereine, sofern sie die Sportmöglichkeiten vor Ort verbessern und Finanzierungsvereinfachungen bringen. Die Anhebung der Übungsleiterpauschale - sie sei hier genannt - ist angemessen und halten wir für gut. Wir werden aber zu prüfen haben, ob die steuerlichen Erleichterungen nicht dazu führen, daß vorwiegend die größeren Vereine mit ihren Bundesligamannschaften davon profitieren und somit die kleineren Vereine das Nachsehen haben. ({9}) Vor allem muß gewährleistet sein, daß Sportvereine nicht förmlich in den Kommerz gezwungen werden, sich also über sportfremde Tätigkeiten oder Werbeeinnahmen finanzieren müssen. Die Empfehlung die Vereine sollten sich doch bitte um Werbeeinnahmen kümmern, gibt dieser Sportbericht regelrecht. Das halte ich für sehr gefährlich. Hier sehen wir Probleme, wenn etwa die Überschußgrenze für steuerfreie Zweckbetriebe ganz gestrichen oder auch der Körperschaftssteuerfreibetrag erheblich angehoben wird. Ich danke Ihnen. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst zu dem Antrag der SPD etwas sagen. Es ist auch unser Ziel, Lösungen zu entwickeln, die den Sport finanziell entlasten und damit dem Engagement Rechnung tragen, das viele hunderttausend Leute ehrenamtlich aufbringen ({0}) Die Regierungserklärung hat diese Entscheidung in den Zusammenhang mit dem Sachverständigenbericht über die Gemeinnützigkeit gebracht. Diesen Zusammenhang möchten wir nicht auflösen. Wir erwarten allerdings, daß die Sachverständigenkommission, Herr Kollege Häfele, so rechtzeitig zu einer Klärung kommt, daß dieser Komplex in die Beratung zur Steuerreform mit einbezogen werden kann. Wir werden dabei über verschiedene Fragen zu diskutieren haben, z. B. über die, ob wir zwar Motorsport und Schach als gemeinnützig anerkennen, Hundesport und Skat aber nicht als gemeinnützig bewerten können. Wahrscheinlich können wir nicht alle steuerlichen Wünsche der Sportvereine erfüllen. Wo Vereine als Wirtschaftsunternehmen tätig werden, müssen sie sich den geltenden Steuerregelungen unterwerfen. Die üblichen Vereinsfeste- oder Übungsleiterpauschalen werden davon nicht berührt. Berechtigt ist das bei einer Anhörung des Finanzausschusses zum Thema Sport und Steuern vorgebrachte Argument von Sportorganisationen, daß nur ein Prozent der großen Vereine und nur wenige Dachverbände über Mitarbeiter verfügen, die sich diesen komplizierten steuerlichen Vorschriften überhaupt gewachsen sehen. Das heißt, die Steuerreform muß auch für Übersichtlichkeit und Vereinfachung etwas bringen. ({1}) Es können Wettbewerbsprobleme zwischen gemeinnützigen Veranstaltungen von Sportvereinen und den voll besteuerten Leistungen von Gastwirtschaften und Hotels entstehen. Ich hielte es für eine gute Lösung, wenn der Sport selber mit den Hotel-und Gastwirtschaftsvereinigungen zu einer Abgrenzung käme und wenn sie sich in der Praxis bewährte. Ich verhehle nicht, daß auch unsere Überlegungen in die Richtung einer weiteren steuerlichen Entlastung ehrenamtlicher Tätigkeit gehen. Hier kommt bei Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, eine Ungereimtheit zum Ausdruck. Sie beschränken Ihren Antrag auf den Bereich des Sports. ({2}) Sie sehen nicht, daß sich in dieser Gesellschaft ({3}) viele Bereiche überhaupt nur durch ehrenamtliche Tätigkeit halten lassen. Wir geben zu überlegen, ob wir nicht für alle ehrenamtliche Tätigkeiten, also auch die im Bereich der Kultur und im Bereich des Sozialen, eine allgemeine steuerfreie Pauschale, einen steuerlichen Freibetrag, von etwa 300 DM vorsehen sollten, ({4}) um die ganzen bürokratischen Nachweisverfahren abzuschneiden und um alle, die irgendwo ehrenamtlich tätig sind, mit der gleichen Elle zu messen. Das können wir nicht isoliert in einer Sportdebatte entscheiden, sondern das müsssen wir im Zusammenhang mit der Finanzierung der Steuerreform und der steuerlichen Gesamtüberlegungen klären. Das kann man nicht hier herausziehen. Ich möchte Ihnen noch eines sagen, Herr Kollege Büchner. Das sind ja alles alte Bekannte. Wissen Sie, Sie sind jetzt in der Opposition; Sie vertreten jetzt Vorschläge, die Sie in der damaligen Regierung abgelehnt haben. ({5}) Hier ist es so, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU - wenn ich auch Ihnen das einmal sagen darf -: 1979 haben Sie Anträge gestellt - in einer anderen steuerpolitischen Situation allerdings, muß ich sagen; wir gehen ja jetzt in eine andere Regelung der Steuerstruktur hinein - , die wir damals abgelehnt haben, Herr Kollege Büchner, und zwar unter dem Einfluß des Finanzministers Matthöfer. Sie sind jetzt in der Opposition. Sie glauben, sich diese Profilierung leisten zu können. Jedermann weiß, daß Sie das in der Regierungsverantwortung natürlich nicht tun könnten.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, gestatten Sie trotz der späten Stunde eine Zwischenfrage des Abgeordneten Büchner?

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Redezeit schwindet dahin. Aber bitte.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, bitte sehr.

Peter Büchner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000295, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, nur ganz kurz. Sie haben behauptet, wir hätten unseren Antrag nur auf Sportvereine bezogen. Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß unser Antrag auf Drucksache 11/124 den Betreff hat: „Steuerliche Erleichterungen für die gemeinnützigen Sportvereine und andere gemeinnützige Vereine"? Und würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß Sie auch hier wie in Ihrer letzten Bemerkung zu früheren Ablehnungen der SPD nicht die Tatsachen nennen?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, trotz der späten Stunde würde ich Sie eigentlich bitten, die Usancen des Hauses zu repektieren und die Antwort stehend entgegenzunehmen. - Herr Abgeordneter Baum.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Büchner, das ist eben nicht das, was ich will. Es geht nicht allein um Vereine, welcher Art auch immer. Es geht um ehrenamtliche Tätigkeiten in der Gesellschaft, die nicht an Vereine gebunden sein müssen. ({0}) Insofern sehe ich einen viel weiteren Zusammenhang. ({1}) - Ich hoffe, daß wir in Kürze zu einer Klärung der steuerpolitischen Fragen kommen. Ich halte den 6. Sportbericht der Bundesregierung für eine gute Bestandsaufnahme. Er ist mehr als eine Bestandsaufnahme. Er ist eine Perspektive, eine politische Absichtserklärung, die unseren Vorstellungen entspricht. ({2}) Herr Kollege, natürlich knüpft dieser Sportbericht an den vorhergehenden an. Da ist eine Kontinuität. Er baut auf früheren Sportberichten auf. Die Bundesregierung hat hier zusammengestellt, was sie tun kann. Der Herr Kollege von den GRÜNEN übersieht bei seinem Wortbeitrag völlig, daß wir im Bund nur einen ganz kleinen Bereich abdecken. Wir sind für den Leistungssport zuständig, und da geschieht - in weiter Interpretation des Grundgesetzes - eine Menge. Wir sind der Meinung, daß sich die Struktur und die Organisation unseres Sports bewährt haben. Unsere Sportpolitik ist in Ordnung. Wir respektieren die Autonomie des Sports, die Subsidiarität der Förderung, die partnerschaftliche Zusammenarbeit. Der Amateurgedanke im Breitensport ist wichtig. Wer aber in den Spitzensport aufsteigt, meine Damen und Herren, hat Anspruch auf die Solidarität der Gesellschaft. Ich wehre mich entschieden gegen die Verteufelung des Spitzensports, die wir hier von seiten der GRÜNEN soeben gehört haben. Es gibt viele junge Männer und Frauen, die gewillt und bereit sind, Spitzensport zu treiben, die Freude daran haben, Leistung zu entwickeln. Ich wehre mich dagegen, diese Menschen zu verteufeln. ({3}) Es gibt einen Leistungswunsch, eine Leistungsbereitschaft, die ich anerkenne. Einer Behandlung der Fehlentwicklungen im Spitzensport haben wir uns nie entzogen. Im Oktober werden wir ja gemeinsam eine Anhörung haben. Wir werden weiterhin alles tun, um unsere Spitzensportler sozial und insbesondere gesundheitlich zu betreuen. Auch ich wehre mich gegen die immer noch stattfindende Unterbewertung der Sportmedizin. Die sportmedizinische Betreuung ist außerordentlich wichtig. Sie darf nicht nur vor einem oder unmittelbar beim Wettkampf stattfinden, sondern sie muß kontinuierlich über die ganzen Trainingszeiten gewährleistet sein. Wir wollen also, daß die Betreuung unserer Hochleistungssportler ausgebaut wird, und unterstützen die Bundesregierung hier nachdrücklich. Sport und Werbung sind nicht zu entkoppeln, meine Damen und Herren. Ich verhehle aber nicht mein Unbehagen gegenüber überbordender Kommerzialisierung im Sport. Das IOC, meine Damen und Herren, macht auf mich langsam den Eindruck einer ins Gigantische wachsenden kommerziellen Unternehmung. Hier gibt es in der Tat Auswüchse, und die steigende Professionalisierung geht auch zu Lasten der Sportler der Dritten Welt. Ihre Forderung, die Europameisterschaften noch dadurch zu unterstützen, daß man den Stadienunterhaltern weiteres Geld gibt, lehne ich ab, Herr Kollege Büchner. ({4}) - Auch wenn es um die Sicherheit geht: Der Bund ist keineswegs verpflichtet, hier etwas zu zahlen. Ich wende mich dagegen. Diese Veranstaltung bringt sehr viel Geld, so daß die Mittel für ihre Ausrichtung von den Veranstaltern aufgebracht werden können. Wer zahlt eigentlich dem kleinen Amateurverein etwas? Der hat es schwer genug, und hier soll eine hochkommerzialisierte Veranstaltung mit Steuergeldern unterstützt werden. Das lehne ich ab. Ich freue mich, daß wir gestern einen gemeinsamen Beschluß zugunsten des Sportmuseums in Köln gefaßt haben. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat ihre Finanzierungszusage gegeben; die Stadt Köln auch. Und wir erwarten jetzt vom Bund, daß er seinerseits die finanziellen Voraussetzungen dafür schafft, daß wir ein Sportmuseum in Köln errichten können. Die Gemeinsamkeit bei unserer Entscheidung gestern wird, so hoffe ich, diesem Projekt nützen. Sport und Umwelt: Hier gibt es Lösungen im Bereich der Geräuschbekämpfungen. Sie kennen die Vereinbarung, die hier getroffen worden ist. Der Sport verlangt der Umwelt in verschiedenen Situationen eine Menge ab. Hier müssen wir beispielsweise im Alpinsport dafür sorgen, daß die Umwelt nicht so stark belastet wird. Auf der anderen Seite ist Sportlärm, Lärm, der bei Sport entsteht, nicht Fabriklärm gleichzusetzen. Hier haben wir ja jetzt Korrekturen vorgenommen. Meine Damen und Herren, ich möchte wünschen, daß die Olympischen Spiele dort stattfinden, wo sie geplant sind. Wir müssen alles tun, daß dies geschieht. Wir müssen, soweit es irgendwie geht, Politik hier heraushalten. 1980 und 1984 dürfen sich nicht wiederholen. Das liegt aber auch an Südkorea. Meine Damen und Herren, wir unterstützen die Sportpolitik der Bundesregierung. Wir halten sie für gut. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Klein ({0}).

Heinrich Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001116, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Sportfreunde! Es hat gerade der ehemalige Sportminister gesprochen. Herr Kollege Baum, ich frage mich, ob Ihr Gedächtnis wirklich so kurz geworden ist, daß Sie Dinge, die wir damals, in der alten Koalition, gemeinsam vertreten haben, jetzt leugnen. Das ist doch einfach unmöglich. ({0}) Meine Damen und Herren, wir haben uns nun innerhalb eines halben Jahres mit dem Thema Sport und Steuern zum zweitenmal zu befassen, mit einem Antrag, den meine Fraktion hier eingebracht hat. Herr Minister, Sie haben vorhin davon gesprochen, daß Geld für den Spitzensport da ist, sogar reichlich vorhanden ist, aber es geht, Herr Minister, um die finanziellen Erleicherungen für die Amateure. Dazu haben Sie so gut wie kein Wort gesagt. ({1}) Meine Damen und Herren, wir stellen fest, daß diese Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen eklatant ihr Wort gegenüber dem deutschen Sport gebrochen haben. ({2}) Es wurde wiederholt gesagt, daß man helfen will, daß man dafür ist - seit fünf Jahren jetzt schon - , dringende steuerliche Entlastungen zu bringen, daß man entbürokratisieren und versuchen will, die Arbeit der Vereine zu erleichtern. Aber Sie haben den deutschen Sport miserabel behandelt, meine Damen und Herren von der Union, ({3}) und Sie haben dieser Partnerschaft zwischen Staat und Sport einen ganz schweren Schaden zugefügt; ob bewußt oder unbewußt, das sei dahingestellt. ({4}) Meine Damen und Herren, wir versuchen mit diesem Antrag zu erreichen, daß möglichst bald Entscheidungen getroffen werden. Wir wollen, daß sportliche, kulturelle, soziale und gesellige Tätigkeiten in einem Verein, der gemeinnützig ist, gemeinnützig wohlgemerkt, ({5}) - dann bringen Sie doch einen Antrag ein, der das ausweiten kann - , auf Dauer von steuerlichen Abgaben befreit werden. Dies ist unser Ziel. ({6}) Wir wollen, daß die Bürokratie, vor allem die Finanzbürokratie, in den Vereinen aufhört, und wir haben dies alles in dem Antrag formuliert, den Sie nachlesen können, der auf Drucksache 11/124 vor Ihnen liegt und, Herr Baum, der auch gleichzeitig Aktivitäten anderer gemeinnütziger Vereine, auch von Gesang- und Musikvereinen, ganz bewußt mit einschließt. ({7}) Unser Antrag ist nicht vermessen, unser Antrag ist realistisch, er ist berechtigt, er ist finanzpolitisch vertretbar - das richtet sich an Sie, Herr Häfele - , und er enthält keine unangemessenen Forderungen, sondern er will einfach das umsetzen, was auch in dem Finanzpapier des Deutschen Sportbundes ausgedrückt worden ist. ({8}) Der Bundeskanzler ist heute mit seiner Regierungserklärung vom 18. März zitiert worden. Ich will es nicht wiederholen. Er sagte, er will die Diskriminierung ehrenamtlicher Tätigkeiten beseitigen. Aber bitte sehr, dann soll er es doch auch tun! ({9}) Meine Damen und Herren von der Union und von der FDP, dann machen Sie das doch auch! Diese Regierungserklärung ist einige Monate alt. Wenn Sie wirklich etwas bewegen wollen, dann stimmen Sie unserem Antrag zu, ({10}) und dann wird diese Diskriminierung, die hier beschworen worden ist, endlich einmal aufhören. ({11}) Die beschwörende Formel, Sie wollten das Ergebnis der Gemeinnützigkeitskommission abwarten, ist schön und gut. Es ist eine erlauchte Kommission, die schon seit Monaten tagt. Darin sind zum Teil betagte Herren, die sich gern an Aufträgen dieser Art festhalten. Aber was dabei herauskommt, steht zunächst noch in den Sternen. Die Sendboten dieser Kommission und auch die Sendboten aus dem Bundesfinanzministerium streuen Botschaften aus, die man gelegentlich einmal im Wirtschaftsteil der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" nachlesen kann. Die Einschätzungen, die dort gemacht werden, auf Informationen fußend, die aus Ihrem Hause kommen, Herr Häfele, Klein ({12}) sprechen mehr dafür, daß die Gemeinnützigkeit eingeengt wird und nicht etwa ausgeweitet werden soll. Man muß wissen, was dahintersteht und daß die Gefahr besteht, daß der gemeinnützige Sport durch die Empfehlungen dieser Kommission eher eingeengt werden kann als ausgeweitet wird. ({13}) - Verzeihung, Herr Kollege Tillmann, wir wissen doch, welches Gewicht Kommissionsentscheidungen dieser Art haben. Man setzt Kommissionen ein, um klüger zu werden und sich an deren Empfehlungen zu orientieren. Die haben ihr Gewicht. ({14}) Wir wollen als Sozialdemokraten ganz klar und deutlich feststellen: Wir brauchen ein Bewahren und ein Ausbauen der jetzigen Form der Gemeinnützigkeit. Die Bundesregierung und die Union riskieren mit dieser Kommission, daß der Abbau, möglicherweise sogar die Abschaffung der Gemeinnützigkeit im jetzigen Sinne bevorsteht. Wenn man weiß, daß dort Äußerungen kommen, nachzulesen auch in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" , daß nur noch Feuerwehr, Rotes Kreuz, Caritas, Arbeiterwohlfahrt und möglicherweise der Behindertensport noch gemeinnützig sein könnten, vermittelt das den Eindruck, daß hier eher ab- als ausgebaut werden soll. Auch die Äußerungen von Bundesfinanzminister Stoltenberg gestern abend in der Fernsehsendung „Brennpunkt" sprechen eher dafür, daß die Gemeinnützigkeit eingeengt und nicht etwa ausgeweitet werden soll. Meine Damen und Herren, ich rufe hier noch einmal als Zeugen für die Arbeit der letzten Jahre, für die Vorwürfe, wir hätten damals ja gekonnt und haben die Ausweitung der Steuervergünstigungen nicht betrieben, die Kollegen Mischnick und Baum an, Herr Baum ist hier. Damals haben wir in der Koalition von SPD und FDP vieles in drei Etappen verwirklicht, was heute dem deutschen Sport wirklich zugute kommt: Reform der Abgabenordnung 1977. ({15}) Zum erstenmal wurde das Institut der Steuerfreiheit mit der Übungsleiterpauschale eingeführt. Wir haben sie vier Jahre später von damals 1200 DM auf 2 400 DM ausgeweitet. Die CDU wollte damals gleich auf 3 600 DM gehen. Das war nicht möglich. Eine zweihundertprozentige Verbesserung, wo gibt es das schon? Meine Damen und Herren von der Union, ich frage Sie: Damals, 1979, haben Sie diesen Antrag gestellt; wenn es damals richtig war, dann kann es heute - acht Jahre später - doch nicht falsch sein. ({16}) Wir erinnern Sie nur an Ihren Antrag von damals und bitten Sie herzlich darum, daß Sie unseren Vorstellungen zustimmen. ({17}) - Ach Dirk, mein Gott, „Kasse geplündert" ! Dies ist des Kollegen aus Hamburg eigentlich nicht würdig, daß er in dieser Weise heute hier redet. Meine Damen und Herren, wir wollen mit diesem Antrag nichts anderes zu realisieren versuchen als das, was wir damals in dem Antrag der CDU aus dem Jahre 1979 vorgefunden haben. Damals ist unter der Federführung des jetzigen Kanzleramtsministers Schäuble gefordert worden, man solle die Übungsleiterpauschale auf 3 600 DM anheben. Das wollen wir auch, dem stimmen wir zu. Noch einmal: Was vor acht Jahren richtig war, darf heute nicht falsch sein. ({18}) Wir wollen auch das machen, was die Landesregierung von Baden-Württemberg in ihrem Gesetzentwurf will. Wir meinen auch, daß der Antrag der CDU-Landtagsfraktion aus Rheinland-Pfalz, der vernünftig und richtig ist, vieles realisieren kann. Meine Damen und Herren von der Union, Sie sind - hören Sie einmal genau zu - eine schillernde Partei: Sie reden draußen im Lande anders, als Sie hier handeln. Das werden wir bekanntmachen. Wir werden publik machen, was hier eigentlich für den deutschen Sport mit auf dem Spiel steht, ({19}) wenn Sie weiterhin so passiv sind, wie das gegenwärtig der Fall ist. Meine Damen und Herren, ich möchte mit zwei Beispielen enden, die aus meinem Wahlbezirk stammen. Diejenigen, die im Sport engagiert sind, haben sich sachkundig machen können: Vor wenigen Wochen ist die SG Dietzenbach - sprich: zwei Funktionäre und der Bürgermeister von Dietzenbach - jeweils zu 20 000 DM Geldstrafe und zu einer Haftstrafe von 18 bzw. 21 Monaten verurteilt worden, weil sie - man höre - Steuern verkürzt haben sollen. In einem Fall aber ging es allein darum, daß der Bürgermeister als Vorsitzender einer Fördergesellschaft - die gibt es hundert- oder gar tausendfach im Bundesgebiet - Geld gesammelt hat, das dem Verein zugute gekommen ist für Verwendungen, für die er nicht einstehen konnte und die er auch nicht übersehen konnte. Dennoch ist er verurteilt worden. Was glauben Sie, wie dieses Urteil eingeschlagen ist? Wie eine Bombe. Wenn dieses Urteil Schule macht, wird diese Form der Vereinsförderung über Fördergesellschaften praktisch unmöglich sein. Sie, meine Damen und Herren von der Union und der FDP, schädigen durch Ihre Passivität den deutschen Sport ganz extrem. ({20}) Wir wollen nicht, daß Finanzämter und Gerichte in den Vereinen mehr zu sagen haben als die gewählten Vereinsvorstände. Wir wollen, daß diese gesetzlichen Regelungen zwischen den legalen Formen der Finanzierung und den Grauzonen, die sich irgendwie ergeben haben, deutlich gezogen werden. Das kann nur der Gesetzgeber machen. Klein ({21}) Wenn in diesen Tagen eine angesehene Frankfurter Zeitung, hinter der bekanntlich ein kluger Kopf steht, geschrieben hat ({22}) - auch die Rundschau können Sie lesen, Herr Sauer - : „Der Gesetzgeber gehört auf die Anklagebank", dann müßten eigentlich Ihnen, die Sie passiv gewesen sind, die Ohren klingen. ({23}) Meine Damen und Herren, ein anderes Beispiel: Ein Verein, ebenfalls im südhessischen Gebiet, der Jahr für Jahr sein Vereinsfest abhält, legte den Ertrag aus diesem Fest, der nur möglich war, weil ehrenamtliche Kräfte Bier ausgeschenkt haben, Würstchen gebraten, bedient haben, auf die hohe Kante und versuchte damit, das nächste Vereinsheim zu finanzieren. Das Finanzamt schlägt zu und kassiert rund die Hälfte des Reinertrages. Gestern hat der Kollege Rauen von der CDU, der hier sitzt und Präsident von Salmrohr ist und Erfahrungen hat, in der Sportausschußsitzung sehr beredt über Vergleichbares gesprochen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Klein, entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche. Mit Rücksicht aber auf die späte Stunde und darauf, daß der gesamte Apparat morgen früh um 8.10 Uhr hier wieder anzutreten hat, im Interesse einer humanen Arbeit, bitte ich Sie, die Ihnen gegebene Zeit nicht zu überschreiten. Ich hielte das, mit Verlaub, für rücksichtslos gegenüber Kollegen und Personal.

Heinrich Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001116, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich bin ja schon in der Zielgeraden, und ich bin ja auch für die Humanisierung des Leistungssports.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Dann bitte ich Sie sehr - auch auf die Gefahr hin, daß Sie als Hochleistungssportler verschrien werden - , sehr schnell hierzu durchschreiten.

Heinrich Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001116, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bei allem Respekt vor dem Präsidenten: Ich tute es nicht. Ich will nur noch einmal sagen, was der Kollege Rauen von der CDU gestern gesagt hat, sollte Ihnen ins Stammbuch geschrieben werden: Wir müssen handeln, wir müssen tätig werden. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Danke schön. Das Wort hat der Abgeordnete Spilker. ({0})

Dr. h. c. Karl Heinz Spilker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich spreche nicht zum 6. Sportbericht, sondern zu den steuerrechtlichen Fragen. Aber zunächst möchte ich - auch für meine Fraktion - dem Bundesminister des Innern herzlich gratulieren; denn das, was diese Republik als Hilfen für den Sport, den Leistungs- und Hochleistungssport zur Verfügung gestellt hat, ist nicht nur in Europa, sondern weit darüber hinaus vorbildlich. ({0}) Nun zu Ihrem Antrag, der uns gewissermaßen seit 1979 begleitet. Durch ständige Wiederholungen werden Ihre Anträge, meine Damen und Herren, nicht besser. Die Wiederholungen zeigen aber wenigstens, daß Sie von der SPD offensichtlich immer noch nicht begriffen haben, worum es uns bei der steuerlichen Behandlung des Sports und der gemeinnützigen Vereine wirklich geht. ({1}) Dies zu erklären habe ich mir heute vorgenommen, und wenn Sie mich nicht ununterbrochen stören, bin ich auch schnell fertig. ({2}) Nun legen Sie wieder einmal einen Forderungskatalog vor, der aus Ihrer eigenen Regierungszeit stammt - im Grunde genommen stammt er sogar von uns. ({3}) - Ich würde ein bißchen vorsichtig sein. - Er stammt von uns und muß - das wurde eben schon einmal kurz angedeutet - vor dem Hintergrund der damaligen hohen Steuerlast und im Zusammenhang mit einem Steuerrecht gesehen werden, das damals völlig unübersichtlich wurde. ({4}) Immer neue Sonderregelungen standen auf der Tagesordnung. Im übrigen, meine Damen und Herren - regen Sie sich doch nicht auf -. Sie hätten 1979 unserem Antrag nur zustimmen müssen, der - so meine ich noch heute - der damaligen Zeit und Steuersituation entsprach. Diese ganze Ereiferei hier am späten Abend könnten wir uns heute ersparen. ({5}) - Ausgerechnet Sie! - Im übrigen, meine Damen und Herren - nein, ich möchte sagen: meine Herren, denn die Damen haben sich an den Zwischenrufen nicht beteiligt -, selbst der letzte Sportführer in der Bundesrepublik Deutschland weiß, daß Ihr Antrag letztlich reinste Augenwischerei ist. Das wissen Sie auch selbst. ({6}) Das hängt auch mit der Regierungserklärung zusammen, mit der eindeutigen Aussage des Bundeskanzlers und der Entwicklung über viele Jahre. Meine Damen und Herren, Sie erinnern sich doch selbst: Sie haben diesen Ihren Antrag 1986 eingebracht, wir haben ihn behandelt, abgelehnt und der SachverständiSpilker genkommission zur Verfügung gestellt. Da wird er heute noch behandelt. Meine Damen und Herren, es gibt menschliche Gründe, die wir zu respektieren haben, dafür, daß diese Arbeiten noch nicht zum Abschluß gekommen sind; gegen Krankheiten kämpfen auch Sie vergebens. Im übrigen: Was den Deutschen Bundestag angeht, sind wir sogar im Zeitplan; denn der Bundestag hat Ende 1986 beschlossen, daß das Gutachten, das Ergebnis der Arbeiten, im kommenden Jahr, also 1987, vorgelegt wird. So steht es im Protokoll. ({7}) Was haben Sie denn eigentlich davon gehabt, daß Sie diesen 79er Antrag im Jahre 1986, vor den Bundestagswahlen, wieder eingebracht haben, um ein Thema für den Bundestagswahlkampf zu haben? ({8}) - Ach, Sie wollten Theater machen, Sie wollten eine Show abziehen! Das haben Sie getan, und was haben Sie davon gehabt? Nichts haben Sie davon gehabt! Ein verheerendes Wahlergebnis! Und warum? Weil man Ihnen nichts geglaubt hat. Meine Damen und Herren, jeder konnte sich daran erinnern, daß Sie - wie mein Freund Dirk Fischer eben schon sagte - die Kassen so geplündert hatten, daß für Aktivitäten für den sportlichen Bereich leider nichts mehr übrigblieb. ({9}) Was wollen Sie denn jetzt eigentlich erreichen, wenn Sie an der Sachverständigenkommission vorbei Ihren Antrag wieder neu vorlegen? ({10}) - Ich brauche von Ihnen nicht belehrt zu werden. Das ist nicht unbedingt notwendig. Schließlich darf ich Sie darauf hinweisen, daß ich derjenige war, der für seine Fraktion damals - es war im September 1985 - die Einsetzung dieser Sachverständigenkommission gefordert hat. Jetzt möchte ich Ihnen auch einmal sagen, warum ich das getan habe, weil Sie das einfach nicht begreifen: Ich habe es getan, um endlich einmal eine solide Grundlage für die steuerliche Behandlung von gemeinnützigen Vereinen aus der Sicht der Praxis und der Wissenschaft für die Politik zur Verfügung zu haben. ({11}) Das war der Sinn dieses Antrages!

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Spilker, sind Sie, so habe ich Sie zu fragen, trotz der späten Stunde bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen? ({0})

Dr. h. c. Karl Heinz Spilker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte eigentlich meine Zeit einhalten, Herr Präsident. Mein Freund Struck hat damals gemeinsam mit mir den Bericht gemacht, und dabei soll es bleiben; dabei haben wir uns nämlich gut verstanden.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Dann bitte ich Sie, in Ihrer Rede fortzufahren, Herr Abgeordneter.

Dr. h. c. Karl Heinz Spilker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe bei der Sportdebatte im November 1986 erklärt, daß ich die Ergebnisse der Kommissionsarbeit für das Frühjahr 1987 erwarte. Das habe ich erklärt, ({0}) und dafür übernehme ich die Verantwortung. Ich habe Ihnen erklärt, warum das nicht geschehen ist. Im übrigen habe ich eben betont, daß wir im Zeitplan sind. Daran ändern Ihre Bemerkungen überhaupt nichts, auch nicht die Lautstärke dieser Bemerkungen. ({1}) Aber meine Damen und Herren, was stellen Sie sich als Ergebnis eigentlich vor, was soll dabei herauskommen, wenn Sie im Endstadium einer solchen Arbeit an einer Kommission vorbei arbeiten, die doch aus guten Gründen von der Regierung berufen worden ist? Was kommt eigentlich dabei heraus? Fast habe ich den Eindruck, daß Sie dieses Gutachten, daß Sie diesen Bericht gar nicht wollen. Vielleicht haben Sie noch eine schwache Erinnerung an die Neue Heimat; die fällt ja auch in den gemeinnützigen Bereich. Aber ich will da ein bißchen zurückhaltend bleiben. Immerhin erhebt sich der Verdacht - meine Damen und Herren, und aus dem werden Sie von mir auch nicht entlassen - , daß Sie dieses Ergebnis nicht haben wollen. ({2}) Den Gefallen werden wir Ihnen nicht tun! Warten wir also das Ergebnis des Gutachtens ab, ({3}) und treffen wir auf der Basis von Wissenschaft und Praxis eine vernünftige, anhaltende und optimale politische Entscheidung für den Sport! Nun noch ein paar Worte zur Situation im Steuerrecht. ({4}) - Gnädige Frau, Sie haben vorhin sogar Beifall von mir bekommen, und jetzt wollen Sie, daß ich diesen letzten Satz, gerade meinen schönsten, nicht spreche. Den Gefallen tue ich Ihnen nicht, jedenfalls nicht am heutigen Abend. Also ein paar Worte zum Steuerrecht: Morgen lesen wir bekanntlich das Steuersenkungs-Erweiterungsgesetz 1988, ({5}) mit dem wir auf dem Weg der Steuerentlastungen für alle Bürger, also auch für den Sport, fortfahren wollen. Genauso werden wir im Herbst die Arbeiten an der großen Steuerreform 1990 fortsetzen, ({6}) die weitere Entlastungen in einem nie dagewesenen Ausmaß gewähren wird. Im Rahmen dieser Reform haben wir uns - jetzt hören Sie gut zu - aber auch vorgenommen, die im Steuerrecht notwendigen Vereinfachungen durchzuführen, damit so etwas, wie Sie es, Herr Klein, hier eben erwähnten, nicht mehr vorkommt. Das hat ja alles seinen Sinn; denn wenn der Herr Bürgermeister oder die Vereinsvorsitzenden das Steuerrecht gekannt hätten, wären ihnen diese Pannen nicht passiert. Wir wollen bei diesen Bemühungen natürlich auch unserem Grundsatz näherkommen: in Zukunft mit niedrigen Steuersätzen, und möglichst wenigen Ausnahmen zu arbeiten, statt - wie zu Ihrer Zeit - mit vielen Ausnahmen dazustehen, die uns damals veranlaßt haben, eine weitere zu beantragen, um eine Hilfskonstruktion für den Sport zu finden. Aber, meine Damen und Herren, wir sind heute in einer anderen Zeit. Im Steuerrecht gibt es einen anderen Geist, möchte ich einmal sagen. ({7}) Wir haben auch einen anderen Minister; einen der gespart und konsolidiert hat. ({8}) Wir werden Ihnen in unserer morgigen Debatte beweisen, daß wir Entlastungen in Höhe von 5,2 Milliarden DM vorziehen können. Davon haben Sie nicht einmal geträumt, abgesehen davon, daß Sie außer Schulden - leider, muß ich sagen - nichts zustande gebracht haben. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, bei aller Großzügigkeit, bei allem Wohlwollen: Sie haben Ihre Redezeit wirklich deutlich überschritten. Ich kann nicht umhin, Sie zu bitten, jetzt sehr schnell zum Schluß zu kommen.

Dr. h. c. Karl Heinz Spilker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich respektiere immer den hohen Präsidenten, der in meinem Rücken sitzt. - Ich bitte aber, dies von meiner Zeit abzuziehen. Meine Damen und Herren, zum Sachverständigengutachten. Wir wollen keine Hilfslösungen mehr. Wir wollen keine Flickschusterei für den Sport, sondern uns schwebt das vor, was der Justitiar des Deutschen Sportbundes, Herr Kühl, vor wenigen Tagen in der „Frankfurter Allgemeinen" etwa so beschrieben hat - das ist mein letzter Satz, Herr Präsident - : Die Priorität aller Initiativen - der Sport spricht hier, nicht der Spilker; ich zitiere dient der Vereinfachung und der Entbürokratisierung des Steuerrechts für gemeinnützige Vereine. Was Führungskräfte der Sportvereine heute an Steuerkenntnissen mitbringen müssen, übersteigt das ehrenamtlich engagierten Bürgern zumutbare Maß bei weitem. ({0}) Es geht daher - das sagt der Justitiar des Deutschen Sportbundes, nicht ich bei all den genannten Anträgen und Initiativen nicht um fiskalisch rechenbare steuerliche Erleichterungen, sondern um Erleichterungen im Verfahren. Dabei sind wir.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, Sie können uns aber nicht den ganzen Artikel zumuten. ({0})

Dr. h. c. Karl Heinz Spilker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Damit ist von kompetenter Seite, des Sports das Ziel vorgegeben, das wir uns gesetzt haben. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlagen zu Tagesordnungspunkt 27 a und 27 b an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Das Haus ist damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen beschlossen. Ich rufe Punkt 28 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Müntefering, Reschke, Conradi, Erler, Gerster ({0}), Großmann, Menzel, Oesinghaus, Scherrer, Weiermann, Wartenberg ({1}), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Förderung des Städtebaus - Drucksache 11/344 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({2}) Haushaltsausschuß Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat war eine Beratungszeit von einer Stunde vorgesehen. Ich möchte mich bei den Rednern, die bereit sind, freiwillig auf Ihre Rede zu verzichten, im voraus bedanken. Diejenigen, die sich noch nicht dazu entschließen konnten, bitte ich, dies als Aufforderung zu humanerer Arbeitszeit zu verstehen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Scherrer.

Manfred Scherrer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001959, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich werde mich bemühen, dem Wunsche des Präsidenten nachzukommen, und mich kurzfassen. Mit unserem Antrag, die Städtebauförderung über das Jahr 1987 hinaus fortzuführen, wollen wir SozialScherrer demokraten den Städten und Gemeinden, aber auch der Bauwirtschaft und dem Baugewerbe mit ihren Beschäftigten konkrete Hilfen geben. Ich kenne keinen Fachmann - weder in den Kommunen noch in den Ländern noch in den im Bundestag vertretenen Parteien - , der ernsthaft die Notwendigkeit bestreitet, die Städtebauförderung fortzusetzen. Wir appellieren daher an die Bundesregierung, sich nicht aus der Städtebauförderung im Jahre 1987 zu verabschieden, und bitten die CDU/CSU-Kollegen, ({0}) die sich in Pressemitteilungen im Sinne unserer Forderungen geäußert haben, das auch heute im Plenum zu tun. ({1}) In unseren Städten und Gemeinden liegt Arbeit sozusagen auf der Straße. ({2}) Packen wir sie an! Die Stadterneuerung dient in besonderem Maße dem Umweltschutz und der Beschäftigung. Die SPD-Fraktion unterstützt die Forderungen des Deutschen Städtetages, der am 30. Januar 1987 in einer Entschließung an die Fraktionen des Bundestages noch einmal die Notwendigkeit der Städtebauförderung durch den Bund deutlich gemacht hat. Ich zitiere: Zustand und Entwicklung der Städte sind von nationaler Bedeutung. Der Bund muß sich seiner Mitverantwortung auch in finanzieller Hinsicht stellen. Deshalb sind die Bundesfinanzhilfen zur Förderung der Stadterneuerung unter Ausschöpfung des Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes wiederherzustellen. ({3}) Der Schwerpunkt der Maßnahmen wird in der kommenden Legislaturperiode - so der Städtetag bei der Verbesserung städtischer Umweltverhältnisse einschließlich der Wiedernutzbarmachung von Grundstücken liegen. Ich glaube auch, es ist unstrittig, daß es in den vergangenen Jahren gelungen ist, die veränderten wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen in der Stadtentwicklung deutlich zu machen. Die Abkehr von einer Stadtentwicklungspolitik der 70er Jahre mit ihrer Ausrichtung auf unrealistische Wachstumsraten ist vollzogen. ({4}) Allgemein ist heute anerkannt, daß der Schwerpunkt der Stadtentwicklung bei der erhaltenden Stadterneuerung liegen muß. Für uns Sozialdemokraten heißt das: Diese Stadterneuerung ist auf ökologische und soziale Ziele ausgerichtet. Sie muß in kleinen, behutsamen Schritten und im engen Kontakt mit den Bewohnern und Menschen organisiert sein. Und lassen Sie mich das ergänzen: Stadterneuerung ist weder die Wiederbelebung eines alten Idylls noch ein Fassadenwettbewerb ohne Rücksicht auf veränderte menschliche Bedürfnisse und wirtschaftliche Gegebenheiten. ({5}) Für uns bedeutet Stadterneuerung auch, mit den Bürgern Bestand aufzunehmen, zu analysieren, Zukunftskonzepte zu entwerfen. Stadterneuerung heißt für uns funktionsgerecht bauen, umbauen und, wo möglich, erhalten. So konzipiert eröffnet die Stadterneuerung die Chance einer aktiven Arbeitsmarktpolitik. Seit Jahren sind dunkle Wolken über der Bauwirtschaft. Die Industriegewerkschaft Bau, Steine, Erden hat sich nicht zuletzt deswegen an den Bundeskanzler gewandt und die Lage der Arbeitnehmer dieses bedeutenden Wirtschaftszweiges als katastrophal bezeichnet. Im Informationsdienst des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie vom Mai diesen Jahres heißt es: Kein Aufschwung, nur Erholung. Und ich ergänze: auf einem viel zu niedrigen Niveau. Damit wir uns keinen Illusionen hingeben: Die Zeiten nach dem Krieg, die Jahre des Wiederaufbaus sind für die Bauindustrie zu Ende. Aber auch das steht - jedenfalls für mich - fest: Es fehlt nicht am Baubedarf. Auch heute muß noch vieles neu gebaut, bei vielem muß die Bausubstanz erhalten werden. Aufgaben wie Stadterneuerung, Wohnumfeldverbesserung, soziale Infrastruktur und die Beseitigung von Umweltschäden haben an Gewicht gewonnen. Helfen wir also den Menschen vom Bau, den Handwerkern im Bau- und Ausbaugewerbe mit der Fortsetzung eines erfolgreichen Programms wie der Städtebauförderung! ({6}) Es gibt manche berechtigte Zweifel an der Wirksamkeit staatlicher Förderprogramme. Auch das sage ich hier. Die Städtebauförderung ist dabei aber eine rühmliche Ausnahme. Auch Sie von der Koalition sind da ja durchaus mit uns einer Meinung. ({7}) Der Bundesbauminister hat kürzlich in einer Pressemitteilung erneut deutlich gemacht - ich darf das wörtlich vortragen - : Städtebauförderung Motor der Baukonjunktur Programm schneller wirksam als erwartet. Dieser Bauminister hat damit - und ich sage das hier - wie seine sozialdemokratischen Vorgänger die hohe Wirksamkeit der Städtebauförderung bestätigt. ({8}) - Ich darf hier auch einmal sagen - Herr Kollege Grünbeck, warum soll denn nicht auch ein Sozialdemokrat einmal ein gutes Wort über die Regierung sagen? - : Er hat ohnehin viel zuwenig Gelegenheit. Doch zurück zu unserem Antrag, sozusagen zur Ausgangsposition. Ich darf noch einmal festhalten: Die Städtebauförderung, die Stadterneuerung, dient im besonderen Maße dem Umweltschutz und der Beschäftigung. Sie ist ein Instrument der Innenentwicklung und dient damit der Eindämmung des Land1350 schaftsverbrauchs. Stadterneuerungsmaßnahmen sollen die Wohn-, Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen in den Städten verbessern. Nach Berechnungen des Instituts für Bauforschung in Hannover sichern 1 Million DM Städtebauförderungsmittel rein rechnerisch 15 Arbeitsplätze für ein Jahr und dies vor allem in kleinen und mittleren Bau- und Handwerkerbetrieben. Darum sollten wir uns auch über die Größenordnung klar werden. Bei Wegfall eines Volumens von 1 Milliarde DM Bundesmittel plus Anteile der Länder und Kommunen würden, hochgerechnet auf die Gesamtinvestitionen, ca. 50 000 bis 60 000 Arbeitsplätze aufs Spiel gesetzt. Heute wird auch darüber hier entschieden. ({9}) Meine Damen und Herren, ich komme aus dem Bundesland Rheinland-Pfalz. Dort hat der Gemeinde-und Städtebund gefordert, die Kontinuität im Rahmen der Städtebauförderung müsse für die Gemeinden sowohl planungsmäßig als auch fördermäßig erhalten bleiben. Städte und Gemeinden warten also darauf, Klarheit zu bekommen, ob und wie es mit der Städtebauförderung nach 1987 weitergehen wird. ({10}) Wir sehen, daß nach Angaben der Ländervertreter das Bundesprogramm zur Städtebauförderung 1987 zum Teil um ein Mehrfaches überzeichnet worden ist. ({11}) Da darf ich noch einmal Rheinland-Pfalz erwähnen, wo, wie übrigens auch in anderen Bundesländern, dreimal höhere Forderungen erhoben wurden als Mittel vorhanden sind. Nach dem letzten Stand bemühen sich noch rund 67 Städte und Gemeinden allein in Rheinland-Pfalz um eine Aufnahme in das Städtebauförderungsprogramm. ({12}) Ich darf noch etwas erwähnen: Die Saarländische Landesregierung hat erst in den letzten Tagen auf einen besonderen Aspekt des Städtebauförderungsprogramms hingewiesen und dazu erklärt, daß durch diese staatliche Initialzündung private Investitionen in einer fünf- bis sechsfachen Größenordnung bewegt würden. ({13}) Schließen wir doch den Pakt der Vernunft, Herr Kollege, zwischen öffentlicher Hand und privaten Investoren! Was wir brauchen, was den Städten und Gemeinden, aber auch den vielen privaten Investoren fehlt, ist die Klarheit, wie es in den nächsten Jahren weitergehen wird. Darum haben wir auch heute diesen Antrag gestellt, und darum geht es ja auch in dieser Debatte. Meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen, der Wahrheit halber auch noch eine Anmerkung: Die Bundesregierung und Sie haben keinen Grund, sich selbst auf die Schulter zu klopfen und zu loben für die beiden Milliarden DM in 1986 und 1987; denn jeder weiß: Was Sie für die Städtebauförderung eingesetzt haben, wurde in anderen Bereichen des Einzelplans 22 gekürzt. ({14}) Lassen Sie mich zusammenfassen: Helfen wir den Städten und Gemeinden bei ihrer ökologischen Erneuerung! Leisten wir einen Beitrag zur Beschäftigungspolitik in der Baubranche! Meine Damen und Herren der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen, stehlen Sie sich nicht bei der Städtebauförderung aus der Verantwortung! ({15}) Geben Sie weiterhin wenigstens 1 Milliarde DM! Unterstützen Sie bitte unseren Antrag! Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({16})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dörflinger.

Werner Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000397, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich will mich dem Appell des Präsidenten anschließen. Ich bin allerdings der Meinung, daß dieser Appell zur Kürze nicht nur am späten Abend, sondern eigentlich den ganzen Tag über gelten sollte. ({0}) Herr Kollege Scherrer, wenn man Ihnen zugehört hat, könnte man meinen, die Sozialdemokratische Partei sei die Erfinderin der Städtebauförderung in der Bundesrepublik, sei in den letzten Jahren an der Regierung gewesen und habe mit den Milliarden nur so um sich geschmissen. Das kann sie zwar, wenn sie sie nicht hat. Aber ich will darauf hinweisen, daß die Unionsfraktion wahrscheinlich mit Ihnen der Auffassung ist, daß die Entflechtungsverhandlungen zwischen dem Bund und den Bundesländern bald zu Ende gebracht werden müssen, damit die Städtebauförderung jene Kontinuität behält, die sie auch braucht. Die Unionsfraktion braucht allerdings keinen Nachhilfeunterricht über die Wichtigkeit der Städtebauförderung. Ich frage Sie: Wer hat das gesetzliche Instrumentarium zur Verfeinerung der Städtebauförderung geschaffen? Das waren wir. ({1}) - Das waren wir! - Wer hat die Novelle zum Städtebauförderungsgesetz gemacht? Wer hat das Baugesetzbuch gemacht? Das waren diese Regierung und die sie tragenden Fraktionen. ({2}) - Wenn Sie mich ausreden lassen, kann ich auch noch darauf hinweisen: Wer hat, beschäftigungspolitisch blödsinnig, im Jahre 1982 die Mittel für die Städtebauförderung zurückgenommen? ({3}) Und wer hat sie erhöht? Das war diese Koalition, ({4}) und zwar zunächst einmal 1983, dann 1984 und 1985 und schließlich mit den beiden Programmen, um die es geht. ({5}) - Über Schaumschlägerei könnten wir uns bei anderer Gelegenheit unterhalten. Herr Kollege Reschke, ich erinnere Sie daran: Als wir im zuständigen Ausschuß miteinander über das 4,35 Milliarden-Programm debattiert und erfahren haben, was es tatsächlich bewirkt hat, da haben wir gehört, daß es 80 bis 90 % Mitnahmeeffekte waren. Vielleicht haben Sie an der betreffenden Ausschußsitzung nicht teilgenommen. ({6}) Ich darf fortfahren. Herr Kollege Reschke, ich verspreche Ihnen: Wenn Sie nachher reden, höre ich Ihnen zu, im Gegensatz zu dem, was Sie gerade bei mir machen. ({7}) Es gibt keinen Zweifel über die Wichtigkeit der Städtebauförderung. Wir wissen um die positive Wirkung auf die Weiterentwicklung unserer Städte und Gemeinden. Wir wissen um die gesellschaftspolitische Bedeutung. Wir kennen Stadt- und Dorferneuerung als Instrument auch der ökologischen Erneuerung. Da sind wir ganz beieinander. Wir wissen um die beschäftigungspolitische Wirkung. Wir wissen auch, daß eine Mark an öffentlichen Mitteln im günstigsten Fall 10 Mark an Gesamtinvestitionen bewegen kann. Aber ich muß in diesem Zusammenhang darauf hinweisen - das hat der Kollege Scherrer leider nicht getan - : Die Union war und ist nicht verliebt in den Abbau der Mischfinanzierung. Wir standen und stehen auch heute noch den fachlich argumentierenden Kräften näher, die schon früher und jetzt wieder sagen, es gebe gute Gründe dafür, den Bund in der Verantwortung für die Stadtsanierung zu belassen. ({8}) - Wenn Sie mich nicht unterbrechen, sage ich es jetzt: weil wir es mit einem einstimmig gefaßten Beschluß der Ministerpräsidentenkonferenz zu tun haben ({9}) - ein einstimmig gefaßter Beschluß -, der die Entmischung bei der Städtebauförderung zum Ziele hat. Und nun kamen wir in einen Konflikt, Herr Kollege Conradi. Wir hatten einerseits die fachlichen Argumente zu gewichten und auf der anderen Seite das, was die Ministerpräsidenten wollten und was man aus guten Gründen übrigens auch durchaus ernst nehmen muß, nämlich unter dem Gesichtspunkt des föderativen Aufbaus dieser Bundesrepublik Aufgaben nach unten zu verlagern. Als Abgeordneter aus Baden-Württemberg füge ich hinzu: Das Land Baden-Württemberg flankiert das Bundesprogramm mit einer Reihe von Spezialprogrammen. Also läge es durchaus in der Logik, etwa aus der speziellen Sicht des Landes Baden-Württemberg zu sagen, wenn das Land Baden-Württemberg eine ganze Reihe flankierender Programme in eigener Zuständigkeit auflegt, dann könne man auch darüber diskutieren, das, bei dem der Bund noch mitfinanziert, ebenfalls in die alleinige Zuständigkeit des Landes zu geben. Wir bekennen uns dazu, daß es letztlich der Respekt vor dem Willen der Länder war. Nur haben natürlich einige nicht gemerkt, daß der Wunsch nach Abbau der Mischfinanzierung und nach der Verlagerung der Kompetenzen nach unten womöglich auch etwas mit Geld zu tun haben könnte, und zwar mit nicht ganz wenig Geld.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordenten Conradi? - Bitte schön.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dörflinger, wenn Sie den Rückzug des Bundes aus der Mischfinanzierung bei der Städtebauförderung für falsch hielten, warum haben Sie nicht den Mut gehabt - den meine Fraktion hatte - , Ihren eigenen Länderministern zu sagen: Dies ist ein Fehler, und wir machen etwas anderes und beschließen im Bundesbaugesetz, daß der Bund weiterhin in der Städtebauförderung bleibt. Warum haben Sie diesen Mut nicht gehabt? ({0})

Werner Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000397, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Conradi, wir haben darüber auch zwischen den Kommunalpolitikern auf Bundes- und Landesebene sehr intensiv diskutiert. Diese Diskussionen haben mit dem Ergebnis geendet, daß ich vorhin darzustellen versuchte. ({0}) - Ich meine, es gibt unterschiedliche Temperamente und unterschiedliche Stärken auch der Ministerpräsidenten. ({1}) Der Ministerpräsident des Landes, aus dem wir gemeinsam sind, ist zweifelsfrei ein starker Ministerpräsident. ({2}) Derjenige, der das stärkste Bundesland regiert, muß noch nicht der stärkste Ministerpräsident sein. Ich meine damit den Ministerpräsidenten des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. Ich schließe ab und fasse zusammen. Wir von der Unionsfraktion fordern und begrüßen, wenn sich der Bund auch in der Zukunft für Stadt- und Dorferneuerung verantwortlich fühlt. Wir sind auch der Meinung, daß dieses Engagement einen finanziellen Ausdruck finden sollte. Wir meinen allerdings, daß die Mittelzuweisungen des Bundes klar an die konkrete Aufgabenstellung der Stadt- und Dorferneuerung gebunden werden muß. Wir würden uns entschieden dagegen wehren, wenn der Bund Geld ausgibt und das irgendwo anonym in den Länderhaushalten versackt. ({3}) Das muß ich in aller Deutlichkeit sagen. Die Diskussion heute gibt uns Gelegenheit, diesen wahrscheinlich sogar gemeinsamen Wunsch noch einmal zu bekräftigen. ({4}) Wir freuen uns auf die vertiefenden Diskussionen im Ausschuß. Noch einmal: Diese Bundesregierung und ihr Bauminister waren, was Stadt- und Dorferneuerung angeht, wesentlich erfolgreicher als Helmut Schmidt und sein Bauminister. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordente Frau Teubner. Frau Teubner [GRÜNE]: Herr Präsident! Meine noch verbliebenen Damen und Herren! ({0}) - Ja. ({1}) - Es entspricht ungefähr den Proportionen, in denen auch Ihre Fraktion vertreten ist. Wenn von städtebaulicher Entwicklung die Rede ist, fallen einem gerne vorbildliche, aber sehr viel häufiger auch abschreckende Beispiele ein. Eines der abschreckendsten Beispiele ist wohl Frankfurt, auch eine der ehrgeizigsten unter den westdeutschen Metropolen. Diese Stadt wurde vor einigen Jahren von einem Theaterskandal erschüttert, wie er heftiger kaum ausfallen konnte. In dem Stück ging es um Müll, um die Stadt, um den Tod. Das Stück beleidigte die Gemüter all derer, die plötzlich um das Image der Stadt fürchten mußten, das Image, an dem sie jahrelang beharrlich und mit größtem finanziellen Aufwand herumpoliert hatten. Der Aufstand war verständlich. Denn - und das trifft inzwischen für die Mehrzahl der Kommunen zu - die städtische Imagepflege ist zu einem erheblichen Faktor der wirtschaftlichen Konkurrenzfähigkeit geworden. ({2}) Unverkennbar sind die Mittel der Städtebauförderung in vielen Fällen zur Einrichtung ebenso vorzeigbarer wie vor allem profitträchtiger Konsumzonen in den Innenstädten mißbraucht worden, ({3}) während andererseits das Wohnen und Leben jenseits dieser Welt weiterhin die Schattenseite dieser Glanzlichtpolitik bedeutet. Ein inselartiges Nebeneinander von Zonen des Zerfalls einerseits und Zonen des Luxus andererseits ist zu besichtigen, Schimanski-Viertel neben Kir-Royal-Milieu sozusagen. Solche Formen der Sanierung können weder ökologischen noch sozialen Ansprüchen genügen. Solche Wirkungen der Städtebauförderung lehnen wir entschieden ab, was aber nicht zu der von Ihnen möglicherweise vermuteten Schlußfolgerung führt, daß wir damit auch die Städtebauförderung selbst bzw. konkret den hier vorliegenden Antrag der SPD-Fraktion ablehnen. Im Gegenteil: Es ist zu diskutieren, ob nicht eine kräftige Aufstockung beantragt werden müßte. Diese Frage wäre auch an Sie, meine Dame - eine ist es noch - und meine Herren von der SPD, zu richten. Sie sprechen in Ihrer Begründung von der dringlichen Aufgabe einer umfassenden ökologischen Erneuerung unserer Städte und Gemeinden, eine schwere Aufgabe, mit der die Kommunen jetzt nicht allein gelassen werden dürften. Völlig in Ordnung. Aber warum dann so zaghaft? Ist dann Ihre Milliarde jährlich nicht eigentlich ein Hohn? ({4}) Auf dem Kongreß „Wohnen und Leben 2000" der IG Bau, Steine, Erden vor zwei Wochen hat Herr Dr. Mohnheim vom Düsseldorfer Ministerium für Stadtentwicklung allein für die umwelt- und benutzerfreundliche Umgestaltung des Stadtverkehrs in den nächsten 15 Jahren einen Investitionsbedarf von 30 Milliarden DM pro Jahr genannt. Damit hat er nicht U-Bahnen und Straßenunterführungen gemeint, die gebaut werden nach dem Motto „Fußgängerinnen gehören unter die Erde". Das Wohnumfeld und die Nachbarschaft gewinnen immer mehr an Bedeutung auf Grund der Zunahme arbeitsfreier Zeit, sei es durch Arbeitszeitverkürzung oder durch Erwerbslosigkeit. Wenn die Kommunikation der Menschen miteinander nicht ausschließlich nach der Methode Schwarz-Schilling - mit Bildschirm und Kabel - gestaltet werden soll, dann muß es auch wieder Räume für soziale Kontakte geben. Diese aber sind in unseren Städten unmöglich geworden, wo aus Marktplätzen Parkplätze geworden sind. Andere sind da schon sehr viel weiter als wir. In Salzburg z. B. haben alle Ämter bei Verkehrsmaßnahmen obligatorisch folgende Hierarchie zu beachten: Oberste Priorität haben die Fußgängerinnen, an zweiter Stelle kommen die Radfahrerinnen, an dritter Stelle der öffentliche Nahverkehr, an vierter Stelle erst der fließende Verkehr, und erst an fünfter Stelle Frau Teubner sind die Belange des ruhenden Verkehrs zu berücksichtigen. ({5}) Aber die Österreicherinnen gelten bei manchen Herrschaften hierzulande sowieso als Spinnerinnen, weil sie als einzige in Europa eine vernünftige Atompolitik machen, die einzig vernünftige, nämlich darauf zu verzichten. ({6}) Deswegen zurück zu unseren Städten und zu der Frage, warum also nicht mit 10 oder 50 Milliarden DM fördern, statt diese Summen beispielsweise in die Airbus-Industrie oder gleich in die Weltraumforschung zu stecken. Eine Milliarde DM - davon können Sie gerade 10 km Autobahn bauen. Eine Milliarde DM - genausoviel ging in diesem Frühjahr als Steuerrückzahlung an den Flick-Konzern. Machen wir uns aber nichts vor. Auf staatlicher wie auf kommunaler Ebene wird heute an den Interessen der Bürgerinnen vorbei geplant und entschieden. Die Möglichkeiten der Beteiligung werden immer mehr beschnitten. Nächse Woche tritt das Baugesetzbuch in Kraft, mit dem diese Situation noch mehr verschärft wird. Solange das so ist und solange nicht die grundlegenden strukturellen Ursachen für den Notstand in unseren Städten beseitigt sind, so lange wird die sogenannte Stadterneuerung nicht mehr sein können als eine Reparaturmaßnahme. Damit es ganz klar wird, müssen wir betonen: Das bunteste Straßenbegleitgrün und die gelungenste Wohnumfeldverbesserung einschließlich Hinterhofmöbilierung werden nichts ausrichten können gegen soziale Entwicklungen, wie sie in den letzten Wochen beispielsweise in Kreuzberg und in Freiburg wieder zu beobachten waren, ({7}) so lange es in diesem Land keine Handlungskonzepte gegen Arbeitslosigkeit und Armut gibt. ({8}) Das sind die Kernprobleme unserer Städte. Um die zu lösen, brauchen wir neue Prioritätensetzungen. Wir, die Parteien im Bundestag, sollten dafür die notwendigen Voraussetzungen schaffen. Auch eine Erhöhung der Städtebauförderungsmittel kann ein geeigneter Weg dazu sein. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Grünbeck.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist das Papier, auf dem der Antrag der SPD über eine Milliarde DM Städtebauförderungsmittel gedruckt ist. Die Überschrift über diesem Papier könnte lauten: raus aus der Verantwortung, rein in die Verschuldung. Das ist Ihre Städtebaupolitik. ({0}) Es ist eine ungeheure Leistung, eine Seite Papier zu beschreiben, vorher die Mischung durch die SPD-regierten Länder mit zu beschließen, den Katalog zu erweitern und damit die Städtebaufinanzierung zu erschweren und dann diese Forderung aufzustellen. ({1}) Die FDP steht auf dem Standpunkt, daß die Bundesregierung gut beraten ist, weiterhin eine seriöse Finanzpolitik zu betreiben, die Geldwertstabilität voraussetzt und die sich auf niedrige Zinsen stützt. Die niedrigen Zinsen sind das beste Städtebauförderungsprogramm, das man sich überhaupt denken kann. Denken Sie einmal daran, was eine Erhöhung der Zinsen um 1 % an Mehrbelastungen für die privaten und für die kommunalen Bauherren mit sich brächte. ({2}) - Ich gebe Ihnen gerne zu, daß Sie schlecht rechnen können, aber ich will Ihnen etwas nachhelfen, damit Sie nachdenken, was das bedeutet, wenn Sie die Stabilitätspolitik dieser Bundesregierung aufgeben würden. ({3}) Sie sagen, der jetzige Bauminister sei bei der Städtebauförderung mindestens so gut wie seine Vorgänger. Da habe ich mir einen Zwischenruf erlaubt: weil seine Vorgänger eben nicht so gut waren, weil Sie als SPD-Leute bei 200 und 300 Millionen DM in der Städtebauförderung herumgekrebst sind. Dann ist diese Regierung hergegangen und hat 1986/87 die Städtebauförderungsmittel auf 1 Milliarde DM erhöht. Nun steht zur Diskussion, nachdem die Entmischung durch alle Ministerpräsidenten beschlossen wurde, wie wir in Zukunft die Rechtsinstrumente gestalten. Ich kann Ihnen nur sagen, die FDP hat sich dazu geäußert.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Grünbeck, trotz der späten Stunde möchte ich Sie pflichtgemäß fragen, ob Sie bereit sind, eine Zwischenfrage zuzulassen.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, Sie haben mich vorher aufgefordert, mich auf sechs Minuten zu beschränken, und Ihrer Aufforderung möchte ich im Interesse aller Kollegen nachkommen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, es gehört dazu, daß ich solche Zeiten nicht anrechne. Also, Herr Abgeordneter, wenn Sie es gestatten?

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich gestatte es trotzdem nicht, weil die Kollegen zu dieser späten Zeit sicher alle ihren vorzeitigen Schlaf lieber haben als Ihre unqualifizierten Zwischenfragen. Ich weiß doch genau, was Sie bringen wollen. ({0}) Ich glaube, daß wir bei der Steuerreform einen entscheidenden Schritt in Richtung Finanzierbarkeit aus privaten Initiativen leisten müssen, weil die private Initiative eine Freisetzung der privaten Kapitalreserven ermöglicht und damit entscheidende Schritte in Richtung Sanierung und Modernisierung in der Städtebauförderung ermöglichen wird. Diesen Spielraum brauchen wir insbesondere auch für den Strukturwandel in den Innenstädten. Wir alle wissen, daß die Unternehmen in 30 Jahren nicht so aussehen werden wie heute und daß dies eine große Herausforderung an den Strukturwandel und damit an die Gesichtsveränderung der Innenstädte bedeutet. Im übrigen glaube ich, daß zur Städtebauförderung nicht nur das Geld im reinen Städtebauförderungskatalog zur Verfügung steht. Städtebauförderung ist insbesondere auch der kommunale Umweltschutz. Wenn Sie das einmal addieren, was wir dort an finanziellen Mittel zusätzlich zur Verfügung stellen, über das ERP-Programm, über die Lastenausgleichsbank, so stehen für 1987 insgesamt über 1 Milliarde DM für den kommunalen Umweltschutz, für Wasserversorgung, Abwasserentsorgung, Müllentsorgung, Lärmberuhigung usw. zur Verfügung. Wir haben darüber zu beschließen, daß dies so gut als möglich finanziell solide abgesichert wird. Ich möchte an dieser Stelle den Aufruf nicht versäumen, daß die Kommunen, die immer wieder beklagen, daß ihre Finanzmasse eng wird, sich endlich darauf besinnen, welche Möglichkeiten sie über die Privatisierung von kommunalen Aufgaben haben. Da können sie nämlich ihre Haushalte entlasten und können Finanzmittel freimachen. Aber davon wollen Sie aus verständlichen Gründen nichts wissen. ({1}) Meine Damen und Herren, der FDP geht es bei der Städtebaupolitik wohl auch, aber nicht nur ums Geld. Die gesellschaftspolitische Verantwortung, die kulturelle und die umweltpolitische Verantwortung, aber auch die beschäftigungspolitische Verantwortung. ({2}) Da muß ich schon lachen, wenn ich daran denke, was Sie sich in Berlin mit diesen Initiativen leisten. Das ist alles andere als eine Städtebauförderung. Durch die Blockierung der Mietenbewegung in Berlin verhindern Sie, daß in Berlin überhaupt noch Stadtsanierung und Stadtmodernisierung stattfinden. ({3}) Das ist das Problem, darunter leidet die Bauwirtschaft in Berlin gewaltig. Wir glauben, daß die Koordination, die Harmonisierung aller Kräfte und aller Instrumente dringend notwendig ist, um das Leben in der Stadt und auf dem Land gleichrangig zu gestalten. ({4}) Wir wollen den ländlichen Raum und den städtischen Raum gleichrangig gefördert wissen und entwickelt haben, denn das ist unser Verfassungsauftrag und dazu steht die FDP-Fraktion. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Franz Müntefering.

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will nur noch zu zwei Punkten kurz Stellung nehmen, erstens zu den Auswirkungen durch die Kürzung in den Direktförderbereichen. Die Bundesregierung hat die Modernisierungsförderung und die Energiesparförderung weggenommen, sie hat die Wohnungsbauförderung stark reduziert ({0}) und sie geht jetzt daran, die Städtebauförderung kleinzumachen. Dies hat aber, Herr Raumordnungsminister, auch raumordnerische Konsequenzen. Ich unterstütze das, was der Kollege Scherrer in bezug auf die Gemeinden gesagt hat. Die Arbeit liegt auf der Straße, und die Gemeinden warten auf das Geld. Aber dazu kommt auch, daß wir, wenn wir die Direktförderung streichen, die raumordnerischen Verwerfungen, die wir da haben, noch verstärken. ({1}) Bei 3 % arbeitslosen Bauarbeitern in Stuttgart und 30 % arbeitslosen Bauarbeitern in Emden führen die Kürzung und die Streichung von Direktförderung dazu, daß das bißchen Geld, das in die Länder und Gemeinden durchsickert, auch da noch fehlt. Sie können sich nicht, Herr Minister, hinter Bundesdurchschnittszahlen verstecken. Wenn man eine Hand auf der heißen Kochplatte hat und die andere im Kühlschrank, dann kann man sagen: Es ist eine durchschnittlich gute Temperatur. Aber das ist ein großer Irrtum, das ist dann sicher keine gute Politik. ({2}) Die Kollegin Däubler hat etwas zu der Quantität gesagt. Auch wir hätten gerne mehr als eine Milliarde DM, aber lassen Sie uns einmal dabei bleiben, die Milliarde, die heute da ist, zu fordern. Neben der Milliarde fordern die Sozialdemokraten auch das Sondervermögen Arbeit und Umwelt. Dies wäre eine viel breitere Unterstützung dessen, was in den Städten und Gemeinden nötig ist. ({3}) Aber bitte lassen Sie uns nicht den Punkt Städtebauförderung als ein bewährtes System aufgeben. Unser Antrag umfaßt folgende drei Punkte. Über 1987 hinaus sollen eine Milliarde DM pro Jahr für Neuverpflichtungen an die Länder und die Gemeinden bereitgestellt werden. Zweitens. Diese Mittel müssen zweckgebunden an die Länder und Gemeinden kommen, damit nicht die Finanzminister der Länder das Geld einnehmen und an die Bauminister nicht weitergeben. Drittens. Diese Mittel sollen für Maßnahmen auch über die förmlich festgelegten Sanierungsgebiete hinaus ausgegeben werden. Wenn wir das Geld einsetzen, dann können wir ein bißchen dazu beitragen, daß unsere Städte und Gemeinden menschlicher und humaner werden und Plätze haben, an denen man abends um 23.12 Uhr dann zusammensitzen und ein Bier trinken kann, Herr Präsident. Ich bedanke mich. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Die letzte Anregung hat der Präsident mit großem Wohlwollen aufgenommen. Das Wort hat der Abgeordnete Kansy.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte parlamentarische Nachtschwärmer! Ich freue mich, Herr Kollege Müntefering, daß wir in der Sache doch relativ nahe sind. Aber ich möchte dennoch hier einige Entwicklungen in der Vergangenheit zu Protokoll geben, damit hier keine Legendenbildung aufkommt. Der Bund zieht sich nicht einseitig aus der Städtebauförderung zurück, sondern - es ist schon gesagt worden - er tut das auf Wunsch aller Bundesländer. Das wollen wir hier einmal als erstes festhalten. ({0}) In einer Besprechung aller Ministerpräsidenten beim Bundeskanzler am 28. November 1985 forderten die Ministerpräsidenten, die Bundesregierung müsse der sogenannten Entmischung zustimmen, wenn das Baugesetzbuch die Hürde des Bundesrates überspringen solle. Das ist die historische Wahrheit. Der Bundeskanzler hat recht getan, diesem Petitum zuzustimmen. Wir Baupolitiker aller Fraktionen, Herr Kollege Müntefering, insbesondere aber auch der SPD und der CDU/CSU, haben gegen diesen Beschluß sofort Bedenken angemeldet. Es ist hier schon gesagt worden, daß wir als überzeugte Föderalisten zwar Verständnis für das Petitum der Länder haben, ({1}) größere eigene Verantwortung in unserem Staat wahrzunehmen. Aber angesichts der erkennbaren Dynamik, die die Städtebauförderung schon damals zeigte, hatten wir die Befürchtung schon vor zwei Jahren geäußert, daß eine Entmischung auf der Basis des damaligen Bundesanteils von 330 Millionen DM dazu führen könnte, daß die finanzschwächeren Länder, Herr Kollege Müntefering, eventuell nicht mehr in der Lage sind, die Städtebauförderung angemessen fortzuführen. Nun hatte zwischenzeitlich die Koalition in Bonn den riesigen Bedarf an Städtebauförderungsmitteln erkannt und für die Jahre 1986 und 1987 den Ansatz auf jeweils eine Milliarde DM erhöht. In diesem Jahr, meine Damen und Herren, werden allein mit Bundesmitteln 1 297 Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen gefördert. Selbst diese Verdreifachung der Mittel, die damit einen etwa fünfmal so hohen Betrag, Herr Kollege Conradi, wie beim Regierungswechsel 1982 ausmachten, reicht nicht aus, um auch nur annähernd die Bedürfnisse der Städte und Gemeinden zu befriedigen. ({2}) Nun haben die Ministerpräsidenten - jetzt komme ich auf einen ganz entscheidenden Punkt für die Verhandlungen der nächsten Wochen - im Oktober 1986 in Hamburg gefordert, der Bund müsse über die 330 Millionen DM natürlich hinausgehen; er solle doch einen Ausgleich von zusätzlich 670 Millionen über eine Erhöhung des Umsatzsteueranteils der Länder geben. Ich füge fairerweise hinzu: Das Saarland hat als einziges Land zu Protokoll gegeben, daß es solche Entmischung nicht wolle. Dem setzt nun der Finanzminister, Herr Bauminister, entgegen, daß die Entmischung auf der Basis von 330 Millionen DM vereinbart worden war. Angesichts der bekannten Finanzsituation sieht er sich bisher nicht in der Lage, dem Petitum nachzukommen. Wenn der Bauminister in seiner Ressortverantwortung für den Haushaltsplan 1988 diese eine Milliarde einstellt - über den Haushaltsplan wird erst noch gesprochen; das steht sowohl im Kabinett als auch im Bundestag noch vor uns - , dann ist die Konsequenz verständlich. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich angesichts der Tatsache, daß die Nachfrage tatsächlich sehr groß ist, bereits vor zwei Jahren - und tut es auch heute - ganz klar für eine Richtung entschieden. Diese Richtung - ich muß das jedem in Bonn sagen, der hier Politik gestaltet - ist auch in den Koalitionsverhandlungen zum Ausdruck gekommen. Da steht - ich zitiere - : „Verstetigung der öffentlichen Bau-Investitionen durch Fortführung des Stadtsanierungs- und Dorferneuerungsprogramms" . In der Regierungserklärung hat der Bundeskanzler diese Koalitionsvereinbarung aufgegriffen und gesagt - ich zitiere - : Weil es hier um die unmittelbare Lebensumwelt der Menschen geht, wird die Bundesregierung weiterhin Stadt- und Dorferneuerung ... unterstützen. ({3}) Diese Aussagen in der Koalitionsvereinbarung und in der Regierungserklärung haben in der Öffentlichkeit Vertrauen und Erwartung auf eine angemessene und kontinuierliche Fortsetzung der Städtebauförderung verstärkt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in ihrer Gesamtheit - nicht nur die Arbeitsgruppe „Raumordnung, Bauwesen und Städtebau" - fordert die Bundesregierung und die Landesregierungen auf, nunmehr zügig die Verhandlungen unter folgenden Kriterien zu Ende zu bringen: Erstens. Der Bund beteiligt sich für eine bestimmte Zeit weiter direkt an der Städtebauförderung. Zweitens. Unabhängig von in die Diskussion gebrachten sogenannten Altverpflichtungen, die ja nur eine Abwicklung bisheriger Veranschlagungen in den Haushaltsjahren 1987 und früher sind, sind in den Haushaltsjahren 1988 ff. Neuverpflichtungen in einer Höhe von wesentlich über 330 Millionen DM vorzunehmen. Drittens. Die Mittel sind als zweckgebundene Finanzhilfen nach Art. 104 a Abs. 4 Grundgesetz zu geben. Der im Baugesetzbuch verankerte Grundsatz des Abbaus der Mischfinanzierung bleibt davon unberührt. ({4}) Viertens, Herr Müntefering. Es ist erforderlich, in den nötigen Verwaltungsvereinbarungen sicherzustellen, daß die Bundesländer die Mittel nicht dazu verwenden, eigene Landesmittel auch nur teilweise zu ersetzen. ({5}) Zusammengefaßt: Im Hinblick auf die sich abzeichnenden unterschiedlichen Entwicklungen in den verschiedenen Teilen der Bundesrepublik Deutschland muß auf jeden Fall verhindert werden, daß die finanzschwächeren Länder die Städtebauförderung nach der Entmischung in geringerem Umfang weiter betreiben können als die finanzstarken Länder. ({6}) Bund und Länder tragen gemeinsam die Verantwortung dafür, daß die Städtebauförderung als eine der wesentlichen Zukunftsaufgaben weitergeht. Ein Einbruch hätte schwerwiegende und weit in die Zukunft reichende negative Auswirkungen auf unsere Städte und Gemeinden. Der Bürger wird kein Verständnis dafür haben, wenn aus einer berechtigten Entmischungsdiskussion ein allgemein als unsinnig empfundenes Ergebnis herauskommt. ({7}) Der langen Rede kurzer Sinn: Auch hier gilt: Lieber ein Onkel, der etwas mitbringt, als eine Tante, die nur Klavier spielt. Vielen Dank. ({8})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich kann die Aussprache schließen. Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlage an die in der Tagesordnung im einzelnen aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ich gehe davon aus, daß Sie einverstanden sind. Ich möchte es zum Schluß nicht versäumen, mich bei all denjenigen Rednern zum letzten Debattenpunkt, die einen Beitrag - wenn auch in unterschiedlichen Größenordnungen - zur Verkürzung der Debatte geleistet haben, ohne daß die Bedeutung des Gegenstands der Debatte darunter gelitten hat, herzlich zu bedanken. Ich bedanke mich auch bei allen, die so lange hiergeblieben sind, und denjenigen, die uns die späte Sitzung ermöglicht haben. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Restabend. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, den 26. Juni 1987, 8.15 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.